De nn nn EEE EDEL ER ODE DU EE URN TETN nn en a m nee ie Venenden 2 rn w “ g = x —— Dg oha 2 5 nenn na en nn an nn EEE EEE TEEN TEE ET TE n aut Se ned a na een S an nn mer a mu nun een nn nn mn < Sr EEE LLLEELOETE als Gehen nen teen este 2 . < ne u mut nn nn En EEE AL DEE DEE EEE ET LTE aa er ehe = = = MATTER : ö Ge ne nee un En Denen Z en en a nennen nn nn a nn a ne = - e > me a a are ehe Bann ein me neitschee it Aa mai A ” Ey De 5 Lu Bi Pr u . N Pal a7 er I 1% Y I ge Da ET 5 nn ® m Mi24,.; {fi Pu on lo B Abhandlungen ER Könisltehen Akademie der Wissenschaften. zu Berlin. —— cm TIERE N DEISERL Pr s Es he ; | ee ai Rt ‚sentkn 8 $ ei E br de re Abhandlungen Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus den Jahren 1822 und 1 S23. ana nn naar. n Nebst der Geschichte der Akademie in diesem Zeitraum. Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1825. In Commission bei F. Dümmler. u ur "er ä are V 47 a L.n.h.a:l t; Elistorischer Einleitung een nem sea aeesaenneasemuneseere lee ers slunee a ane DELLE N Verzeichnifs der Mitglieder und Correspondenten der Akademie.... Bi ange =, ZA Abhandlungen. Physikalische Klasse. ä V Tionrensrem über die weifsen Robben ........... ER OR ORRIHTERSIS NEE | “ Derselbe über äufsere Backentaschen an Nagethieren......... RER ET TERE ar Fe. V VDerselbe über die ägyptische Stachelmaus... Kersersneesesesnssnennennnns | Mirsckeruicn über das Verhältnifs der Krystallform zu den chemischen Pro- POLLIONeNe era enne oingeneiseiayseefsaefsıefeis,e re einetelereiehereie *ojsiere ale vet 12 VRınsran über die Verbindung des Eisens mit Kohle....... ersehen nd en 9 Vy. Buch über Dolomit als MEER IE SAUER a N ae a. 200 V RER v. Humsorpr über den Bau und die Wirkungsart der Vulcane in verschiedenen Erdstrichen..... 22.222222... BEN AR Ber. 3Y/ "Lıxk Bemerkungen über die natürlichen Ordnungen der Gewächse ..........: . = 197 “ Fıscner Versuche über die Schwingungen gespannter Saiten.....2rcseeeeeeenee = 187 VWeıiss Grundzüge der Theorie der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner - 217 V SEEzEcK magnetische Polarisation der Metalle und Erze durch Temperatur- Differenz as naar leeren nee mr = 200 N Historisch-philologische Klasse. v. Sıvıony über den Römischen Colonat .....ece sr... irre a ale seele ers re SCHE Derselbe über die Römische Steuerverfassung unter den Kaisern ...ceeceeccı. = Süvern über den Kunstcharakter des Tacitus ........ es eiaräkefalete lesen > Iperer über den astronomischen Theil der Fasti des Ovid ............. te = Burrmann von den Aleuaden...... erh tens aaleeern orale eneraleferatererene Acker er - Derselbe über die Kotyttia und die Baptae ............ lau easlenare te EEE RER - Derselbe über die alten Namen von Ösroene und Fdessa „2.2... 22222 ceeenee - Nıesunr: Zwei klassische lateinische Schriftsteller des dritten Jahrhunderts n.Chr. - Böcku über die kritische Behandlung der Pindarischen Gedichte.............. - Wirserm v. Humsorpr über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einflufs auf die Ideenentwickelung..... Sielskölraiatsgate BE OR —— | mn mn nn 1 27 73 137 171 213 221 231 261 401 yahr 18922, ALLE VER Feier des Jahrstages Friedrichs des Zweiten versam- melte sich die Königliche Akademie am 24. Januar zu einer öffent- lichen Sitzung, welche Herr Tralles eröffnete, und in welcher Herr W. v. Humboldt: Ueber das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluß auf die Ideen-Entwickelung, Herr Hermbstädt über die chemische Zergliederung des Wassers aus dem todten Meere, des bituminösen Kalks und eines andern Fos- sils aus der Nachbarschaft, so wie des Wassers des Jordan, Ab- handlungen lasen. Wie durch den Bau im Akademie-Gebäude die Gesammt- sitzungen der Akademie überhaupt lange Zeit unterbrochen wur- den, so konnte auch der wegen der Preisaufgaben nothwendigen Sitzung am 3.Julius, dem Jahrstage von Leibnitz, keine Oef- fentlichkeit gegeben werden. Die verschiedenen Klassen machten jedoch der Akademie ihre Entscheidung über die bei ihr schwe- benden Preisaufgaben bekannt. 1) Die physikalische Klasse hatte für die Preisertheilung im Jahr 1522 die Aufgabe bestimmt: s der Winkel an einem oder mehreren 5 „‚Arystallisationssystemen mit Hulfe irgend eines der neuer- „‚genaue Messun „lich als Goniometer in Anwendung gekommenen In- „‚strumente, oder eines ähnlichen beliebig gewählten, „welches Genauigkeit der Messung bis auf Minuten ge- „,stattet.” II Ueber diese Preisfrage war nur Eine Bewerbungsschrift einge- laufen, sie hatte aber in dem Verfasser derselben einen treftlichen Bearbeiter gefunden. Es standen zwar demselben die Mittel nicht alle zu Gebote, welche die Frage voraussetzt, um sie vollständig zu beantworten, daher der eingelaufenen Schrift nicht ohne weiteres der Preis ertheilt werden konnte. Da aber die sehr genaue und schätzenswerthe Arbeit des Verfassers mit Zuversicht erwarten liefs, dafs derselbe bei Verlängerung des Termins ste fortsetzen und er- gänzen werde, hatte die Klasse bereits beschlossen, den Ter- min zu verlängern und den Preis zu verdoppeln. Ein Nachtrag, welchen der Verfasser einsendete — zu spät um nach den Statuten jetzt als zum Preis concurrirend angesehen werden zu können — bestätigte und erhöhte zugleich die Erwartungen der Klasse von den künftigen Leistungen des Verfassers noch um vie- les; ja er kündigte als eine hoffentlich durch die ferneren For- schungen des Verfassers noch weiter zu bewährende Entdeckung, das gefundene Gesetz eines höchst wichtigen Zusammenhanges zwi- schen der Krystallisation und gewissen andern allgemeinen Eigen- schaften der Körper an, welches, im Fall es sich bewährte, eine der gländzendsten Entdeckungen in der Physik sein würde. Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache und in der bil- ligen Fürsorge, dafs die Bekanntwerdung eines Gegenstandes von so grofsem Interesse nicht über das nöthige Maafs verzögert werde, setzte die Klasse die Verlängerung des Termins auf Ein Jahr fest, und verband damit die Verdoppelung des Preises. Für die durch das Ellertsche Legat gestiftete agronomische Preisfrage hatte die physikalische Klasse die Aufgabe gewählt: „aus genauen Beobachtungen und vergleichenden Ver- „suchen bei Acker- und Garten-Kultur den vortheilhaf- 111 ‚„„ten oder nachtheiligen Einflufs, den die Reihenfolge aus- „übt, in welcher man die Erzeugnisse des Bodens mit „einander wechseln läfst, so zu bestimmen, dafs über die „wahre Ursache dieses Einflusses sich schliefsen lasse, und „allgemeine agronomische Regeln abzuleiten seien, mit „mehr Bestimmtheit als die sehr abweichenden Resultate „und Meinungen, die man bis jetzt zur Sprache gebracht ‚„„hat, es zur Zeil gestalten.” Ueber diesen Gegenstand war keine Abhandlung eingelaufen. Zur nächsten Preisbewerbung aus der Ellertschen Stiftung wählte die Königliche Akademie der Wissenschaften folgenden Gegenstand: ‚„„ Viele Naturforscher behaupten, dafs die Befruchtung „verschiedener Abarten unter einander, eine Quelle man- „‚nichfaltiger Ausartungen ım Pflanzenreiche sei. Sie ver- „„bieten, wenn man eine Abart erhalten will, eine andere „daneben zu pflanzen, deren Blüthenstaub auf die Blüthen „„jener fallen und Saamen hervorbringen könne, woraus „eine Mittelabart entstehe. So würde man z.B. die „Abart des krausen Kohls nicht behalten, ‘wenn „man schlichten daneben setzte, der jenen befruchte. „Dagegen haben andere Naturforscher das Geschlecht „der Pflanzen ganz geleugnet und jene Beobachtungen „für Täuschungen erklärt. Da nun beim Bauen der „„Gemüskräuter und. anderer nutzbaren Gewächse dieser „Umstand von Wichtigkeit ist, so setzt die Königliche „Akademie einen Preis auf die Frage: Giebt es eine „Bastarderzeugung im Pflanzenreiche? „Sie verlangt, dafs diese Frage durch absichtlich in „dieser Rücksicht angestellte und gehörig veränderte Ver- ‚„‚suche entschieden werde. Die Akademie erwartet hier- b IV „bei, dafs die bekannten Kohlreuterschen Versuche „„über diesen Gegenstand geprüft und zum Theil wieder- „holt werden.” Damit diese in wissenschaftlicher und technischer Hinsicht wichtige Untersuchung mit der erforderlichen Umsicht, in nicht zu kleinem Maafsstab, mit den gehörigen Wiederholungen und Ab- änderungen geführt werden könne, ward die übliche Frist von zwei Jahren auf vier Jahre, nämlich bis zum 31. März 1826, ver- längert und der Preis auf zweihundert Dukaten verdoppelt. 2) Die mathematische Klasse hatte für das Jahr 1822 folgende Preisfrage aufgegeben: „Eine vollständige Erklärung der Höfe oder der hel- „len und farbigen Ringe um Sonne und Mond, ma- „thematisch entwickelt zu geben, welche den durch Ver- „„suche ausgemittelten Erscheinungen am Lichte, der Be- ‚„‚schaflenheit der Atmosphäre und wirklichen Beobach- „tungen genügend entspreche.’’ Hierüber war eine einzige Bewerbungsschrift mit dem Motto: Leges naturae simplices sunt, aber ohne einen versiegelten Zettel eingegangen. Ob nun gleich der Verfasser einen Theil der Frage recht be- Iriedigend beantwortet hatte, so hielt es doch die Klasse für an- gemessen, die Frage für das Jahr 1824 zu erneuern, theils weil der wichtigere Theil der Frage unerörtert geblieben ist, und der Verfasser in einem begleitenden Schreiben selbst eine Verlängerung des Termins wünschte, theils weil das, was der Verfasser geleistet, zu der Hoffnung berechtigte, dafs es ihm bei hinreichender Mufse möglich sein dürfte, noch tiefer in den Gegenstand einzudringen, theils endlich, weil vielleicht mehrere mathematische Naturforscher dadurch zur Mitbewerbung veranlafst werden dürften. Zugleich V ward erinnert, dafs da bei den Erscheinungen, deren Erklärung gewünscht wird, die Beugung des Lichts gewifs, und vielleicht auch die Polarisation desselben eine Rolle spielt, die mathematische Klasse voraussetze, dafs jeder Bewerbende mit den in neuern Zei- ten in Ansehung dieser Gegenstände, in England, Frankreich und Deutschland gemachten Entdeckungen vollständig und aus den Quel- len bekannt sei. 3) Die philosophische Klasse hatte schon im Jahr 1816 für das Jahr 1818 folgende Aufgabe bekannt gemacht. „‚Die Logik, wie sie ist behandelt worden, seitdem man „angefangen hat in deutscher Sprache zu philosophiren, „‚soll verglichen werden mit der Aristotelischen, sowohl „„ihrem Umfange nach, als auch in Beziehung auf die Art, „„wie die Lehrsätze, welche diese Disciplin bilden , be- „stimmt sind; der Ursprung der Abweichungen soll nach- „„gewiesen, und das Verhältnifs derselben zu den verschie- ‚„„denen philosophischen Schulen dieses Zeitraums angege- „„ben werden.” Der Termin war nachher, mit Verdoppelung des Preises bis auf das Jahr 1822 verlängert worden. Als dieser herankam wa- ren vier Abhandlungen eingegangen, die eine mit dem Motto: Aroı Tov Adyov aders, moAUS Yag 6 Moves, 1 zuAws aürd moosıre, ueyary yagın dcEa, war jedoch unvollständig eingegangen und das Versprechen der Nachsendung war nicht realisirt worden; die Abhandlung konnte daher nicht concurriren. Die zweite mit dem Motto: "Auagraveurs: zul 0i- Tois @ANorgiois Övouanı Ta modynara moonayopevovres hatte die hi- storische Abzweckung der Aufgabe zu sehr aus den Augen gesetzt, als dafs ihr der Preis gebühren konnte, wenn auch das, was sie wirklich enthielt, tadellos und vortrefilich gewesen wäre. Die dritte mit dem Motto: Zotatio naturae peperit artem, konnte wegen b.2- v1 vielseitiger Unvollkommenheit nicht in Betracht kommen ; und auch die vierte mit dem Moto: Vieturus genium debet habere liber, hat die Aufgabe nicht vollkommen genug durchgeführt, um auf den Preis Anspruch machen zu können. Da indessen die Klasse einerseits nicht auch diesen dritten Termin ohne Erfolg lassen, an- drerseits auch dem Verfasser der letztgenannten Abhandlung gern ein Zeichen ihrer Anerkennung der guten Einsicht und Gewandt- heit geben wollte, mit welcher er die Aufgabe, so weit er in die- selbe eingegangen, behandelt hatte: so beschlofs sie, ihm die Hälfte des ausgesetzten Preises oder den gewöhnlichen einfachen Preis von funfzig Dukaten als Accessit zuzuerkennen. Bei Er- öffnung des Zettels fand sich als Verfasser genannt, Herr Julius Branifs in Breslau. 4) Die historisch-philologische Klasse hatte im Jahr 1817 folgende Preisaufgabe bekannt gemacht: „Eine philologisch-juristische Darstellung des Verfahrens „der Attischen Gerichtshöfe sowohl in öffentlichen als ‚„, Privatrechtshändeln , mit möglichst bestimmter Sonde- „rung der verschiedenen Formen der Klagen und Pro- „„zesse und Angabe der Beschaffenheit einer jeden dersel- „ben, sowohl in Rücksicht der Form, als der Materie „der Klagen, und in Rücksicht der Folgen derselben.” Der Preis war für diesmal der Wichtigkeit und Schwierig- keit des Gegenstandes wegen der verdoppelte von hundert Dukaten. Als im Jahr 1819 keine genügende Beantwortung eingelaufen war, so ward der Termin auf zwei Jahre verlängert. Im Jahre 1821 kam von Seiten ungenannter Bewerber der Akademie der Wunsch um eine abermalige Verlängerung zu. Diese ward auf ein Jahr festgesetzt. So waren nun drei Abhandlungen eingelaufen , wo- von die mit dem Motto: Arzas re dowar zul Aufßeiv eügov rarcı durch- vu aus in keine Betrachtung kam; eine andere mit dem Motto: +% robwregw eizew, zwar wegen mancher Vorzüge des Lobes werth, je- doch , besonders auch wegen nicht ganz umfafster Aufgabe und mangelhafter Ausführung ohne Anspruch auf den Preis befunden ward. Dagegen ward der Arbeit mit dem Motto: Aizas re devvaı nal Aaßeiv eüpov "AOyvalcı mowWra, als völlig genügend der Preis zuer- kannt. Bei Eröffnung des versiegelten Zettels ergab sich, dafs zwei Gelehrte sich in die Arbeit getheilt hatten, nämlich: Herr M.H.E. Meyer und Herr G. T. Schömann, beide in Greifswalde. Die Klasse machte nun folgende neue Preisaufgabe für das Jahr 1824 bekannt: „„Das Wesen und die Beschaffenheit der Bildung der „Etrusker aus den Quellen kritisch zu erörtern und „„ darzustellen, sowohl im Allgemeinen, als auch ein- „gehend auf die einzelnen Zweige der Thätigkeit eines „gebildeten Volkes, um soviel als möglich auszumit- „„teln, welche derselben wirklich, und in welchem Grade „und Umfang ein jeder, unter diesem berühmten Volke „„blühte.” Die versiegelten Zettel, welche zu den nicht gekrönten Ab- handlungen gehörten, wurden in der Sitzung uneröflnet verbrannt. Der im Lokal der Akademie vorgenommene Bau machte in diesem Jahre eine öffentliche Sitzung am 3. August unmöglich. ® vım Ernennungen vom Jahr 1821 und 1822. I. Zu ordentlichen Mitgliedern a) der physikalischen Klasse: 1. Herr Professor Hilhard Mitscherlich. 2. Herr Geh. Ob. Bergrath Karsten. b) der historisch-philologischen Klasse: 1. Herr Professor Carl Ritter. 2. - Professor Franz Bopp. Il. Zum auswärtigen Mitgliede der historisch-philolo- gischen Klasse: Herr Professor August Wilhelm v. Schlegel in Bonn. II. Zum Ehren-Mitgliede: Der Königlich Preufsische wirkliche Geheime Staats- Minister Freiherr ©. S. F. Stein vom Altenstein. IV. Zu Gorrespondenten a) der physikalischen Klasse: Herr Professor Curt Sprengel in Halle. b) der historisch-philologischen Klasse: 1. Herr Ritter Aarl Heinrich v. Lang in Ansbach. 2. = Professor Birger Thorlacius in Kopenhagen. 3. - Angelo Mai in Rom. Am 15. November 1822 starb zu London Herr Johann Georg Tralles, ordentliches Mitglied der Akademie und Se- kretar der mathematischen Klasse. Er war vor vier Monaten da- hin gereiset, um unter seiner Anleitung und Aufsicht Apparate fer- tigen zu lassen, durch welche die Länge des Sekunden -Pendels IX mit möglichster Genauigkeit bestimmt würde, und über diese Länge mit demselben Instrument Beobachtungen in vergleichbaren Rei- hen anzustellen. Die Königliche Akademie der Wissenschaften hatte den Auf trag erhalten, eine von der höchsten Behörde entworfene Preis- frage über den thierischen Magnetismus für das Jahr 1820 bekannt zu machen. Ueber die in grofser Anzahl eingegangenen Preis- schriften wurde von der Behörde das Gutachten der Akademie gefordert; es fiel dahin aus, dafs keine derselben den an sie billi- gerweise im Sinne des Programms zu machenden Forderungen Genüge leiste, da weder neue T'hatsachen gehörig begründet, noch neue theoretische Ansichten mit überwiegenden Beweismitteln und gehöriger Consequenz eröffnet wurden. Die Akademie wurde unter dem 26. November 1822 durch die höchste Behörde beauftragt, besagtes Resultat ihrer Prüfung bekannt zu machen und die ein- gegangenen Abhandlungen ihren Verfassern wieder zur Disposition zu stellen. —— nn nano )-a hr 71823, Am 24. Januar hielt die Königliche Akademie der Wissen- schaften zur Feier des Jahrstages Friedrich des II. eine öffent- liche Sitzung, welche von dem Sekretar der historisch - philolo- gischen Klasse Herın Buttmann eröffnet ward und worin Herr Lichtenstein eine Abhandlung las über den Askomys, eine Gat- tung von Nagethieren mit nach aufsen geöffneten Backentaschen, und Herr Alexander v. Humboldt Betrachtungen über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in verschiedenen Erdstrichen. In der öffentlichen Sitzung vom 3. Juli zur Feier des Leib- nitzischen Jahrstages, eröffnet durch eine Anrede vom Sekretar der physikalischen Klasse Herrn Erman, wurde der verdoppelte Preis von hundert Dukaten, der in wiederholten Terminen auf eine genaue Messung der Winkel an einem oder meh- reren Kıystallisationssystemen gesetzt war, Hrn.Dr. Adolph Theodor Kupfer aus Mitau zuerkannt. Folgende Wahlen wurden verkündigt: als Ehrenmitglied Herr General-Lieutenant v.Müffling Excellenz, und als Gorres- pondenten Herr Professor Enke in Gotha für die mathematische Klasse und Herr Professor Müller in Göttingen für die histo- risch-philologische. Herr Süvern las eine Abhandlung über den Kunst-Charak- ter des Tacitus und Herr Bopp eine vergleichende Zergliederung des Sanskrits und der mit ihm verwandten Sprachen in Bezug auf die Wurzeln und die Pronomina der ersten und zweiten Person. XI Die Akademie der Wissenschaften feierte am 3. August das Allerhöchste Geburtsfest Seiner Majestät des Königs durch eine öffentliche Sitzung, welche der Sekretar der philosophischen Klasse Herr Schleiermacher eröffnete. Herr Buttmann las eine Ab- handlung des abwesenden Mitgliedes Herrn Niebuhr „,‚über das „Zeitalter des Curtius und Petronius’’ und Herr Karsten „‚über „‚die verschiedenen Verbindungen des Eisens mit der Kohle’’. Die durch den Tod des Herrn Tralles‘ unterbrochenen me- teorologischen Beobachtungen wurden Herrn Poggendorff über- tragen und ihm zu diesem Behuf eine Wohnung im Lokale der Sternwarte angewiesen. Der bereits in der Geschichte des Jahres 1821 erwähnte Ent- wurf zur Anlegung einer eigenen Buchdruckerei ist zur Ausführung gebracht worden. Die Veranlassung zu demselben gab das stei- gende wissenschaftliche Bedürfnifs der Akademie, deren Abhand- lungen eine grofse Menge von Zeichen und Schriftzügen aus alten und fremden Sprachen enthielten, die in keiner hiesigen Officin zu finden waren. Die Akademie liefs daher dergleichen auf ihre Kosten anfertigen und war bereits im Besitz einer altgriechischen, arabischen und Sanskrit-Schrift, als eine Menge von zusammen- treffenden Umständen den einstimmigen Beschlufs hervorriefen, ei- nen ansehnlichen Theil der Ersparnisse aus den früheren Jahren zur Anschaffung einer vollständigen Druckerei zu verwenden, und durch Aufopferungen, die nie von einem Privatmanne zu erwar- ten oder zu fordern waren, einem Mangel abzuhelfen, der bei dem Vorschreiten so vieler anderen Kunst-Betriebe der vaterländischen Industrie zum Vorwurf gereichen konnte. Es war der Wunsch, c XII deutschen Gelehrten die Herausgabe von Werken zu erleichtern, die bisher nur im Auslande gedruckt werden konnten und damit Untersuchungen hervorzurufen und zu befördern, die wegen der bisherigen Schwierigkeit ihrer Bekanntmachung entweder ganz un- terblieben, oder in ihrem Verfolge gelähmt wurden. Die Akademie gelangte damit zugleich zu dem grofsen Vor- theil, ihre Abhandlungen in einer würdigeren Gestalt und schneller als bisher dem Publikum mittheilen zu können, ohne dem Käufer die Anschaffung derselben durch erhöhten Preis zu erschweren. Sie mufste es daher ihren Zwecken angemessen und förderlich er- achten, dieses Institut zu der nur irgend erreichbaren Vollkom- menheit zu erheben und durch ihr Beispiel, so wie durch manche oft thener erkaufte Erfahrungen die Vervollkommnung der deut- schen Buchdruckerkunst zu befördern. Es sind ansehnliche Sum- men in dieser Absicht verwendet worden und noch immer wird rasllos daran gearbeitet, die akademische Buchdruckerei zu vervoll- ständigen und zu verbessern. Gegenwärtiger Band der Abhandlun- gen, Herın Bopps Grammatik der Sanskrit-Sprache, so wie dessen in den Schriftzugen derselben Sprache gedrucktes Werk: Ardschunas Reise nach Indras Himmel, die erste jetzt er- schienene Lieferung des von Herrn Böckh herausgegebenen Corpus Insceriptionum graecarum und Herrn Idelers Chronologie sind die ersten Proben der zu erwartenden Leistungen. Als im Frühling des Jahres 1520 der Herr General v. Mi- nutoli seine Reise nach Aegypten antrat, rüstete die Akademie zwei gelehrte junge Naturforscher, die Herren Ehrenberg und Hemprich,, beide Doctoren der Medicin, mit ansebnlichen Mit- teln zur 'Theilnahme an dieser Reise für den Zweck naturhisto- rischer Beobachtung aus. Sie haben mit unermüdeter Thäugkeit in ‚XII den verflossenen vier Jahren auf ihren Reisen durch die libysche Wüste, durch Unter- und Ober-Aegypten bis tief in Nubien hin- ein, auf ferneren Reisen an den Küsten des rothen Meeres, durch das steinige Arabien und neuerlich durch Syrien die Absicht der Akademie zu erfullen sich bestrebt und in der That durch die Ge- nauigkeit und Gründlichkeit ihrer Beobachtungen, durch die Reich- haltigkeit ihrer mit bewundernswürdigem Fleifs zusammengetrage- nen Sammlungen naturhistorischer Gegenstände und durch ihre auf- merksame Beachtung aller Rucksichten, in welchen die von ihnen bereisten Länder dem herrschenden Geist tieferer Forschung nur irgend noch belangreiche Thatsachen darbieten können, die nicht geringen Erwartungen der Akademie noch um Vieles übertroffen. Diese unverkennbare Tuüchtigkeit hat nicht nur die Akademie ver- anlafst, im Jahre 1823 noch eine Summe zur Fortsetzung ihres Un- ternehmens herzugeben, sondern auch den Erfolg gehabt, dafs Seine Majestät der König noch ansehnlichere Summen zu dessen Vollen- dung zu bewilligen geruhet haben. Sie werden das Jahr 1825 in Abessinien zubringen und in dem folgenden hoffentlich mit einem sehr reichen Schatz wichüger Wahrnehmungen und Erfahrungen zu uns zurückkehren. Es sind bis jetzt fünfundachtzig grofse Kisten in neun Sen- dungen von diesen fleifsigen Sammlern nach Berlin befördert wor- den und sämmtlich wohlbehalten hier angekommen. Sie enthiel- ten dem gröfsten Theil nach, zoologische Gegenstände und zwar aus allen Klassen des Thierreichs in gleichmäfsigem lteichthum, ohne dafs eine mit besonderer Vorliebe behandelt oder vernachläs- sigt wäre. Zwar an Volumen geringer aber nicht weniger bedeu- tend sind die Sammlungen von getrockneten Pflanzen , Höizern, Früchten und Säinereien. Was sich von merkwurdigen Fossilien und Gebirgsarten gelunden hat, ist ebenfalls sorgfältig gesammelt c2 XIV und übersandt worden; auch fehlt es nicht an Proben von den Waffen, Kleidern und Werkzeugen der nordafrikanischen Völker. Aufserdem hatten sie Gelegenheit gefunden, einige seltne arabische Handschriften zu erkaufen und es war Hoffnung vorhanden, gegen die Zeit der Rückkehr deren noch mehrere zu erwerben. Das Nä- here über diesen für die Wissenschaften, besonders für die Geogra- phie und Astronomie, höchst wichtigen Erwerb muis dem folgen- den Bande der akademischen Schriften vorbehalten bleiben. ———— u u xV Verzeichnifs der Mitglieder und Correspondenten der Akademie. December 18323. I. Ordentliche Mitglieder. Physikalische Klasse. Herr Falter, Veteran. Herr Lichtenstein. - Hufeland. - Weifs. - Alexander v. Humboldt. —, ‚Link: - Hermbstädt. - Seebeck. - v. Buch. - Mütscherlich. - Erman, Sekretar der Klasse. - Karsten. - Rudolphi. Mathematische Klasse. Herr Bode. Herr Eytelwein. - Grüson. - Fischer. Philosophische Klasse. Herr Ancillon. Herr v. Savigny. - Schleiermacher, Sekretar der Klasse. Historisch-Philologische Klasse. Herr Hirt, Veteran. Herr Böckh. - Buttmarn, Sckretar der Klasse. , - Bekker. - FWVilhelm v. Humboldt. - Süvern. - Uhden. -. Wilken. - Niebuhr. =. Ritter. - Idecler. - Bopp. XVI II. Auswärtige Mitglieder. Physikalische Klasse. Herr Blumenbach in Göttingen. Herr Scarpa in Pavia. - Cwvier in Paris. - ‚Sömmerring in Frankfurt am Main. Sir Humphry Dayy in London. - Volta in Como. Herr Jussieu in Paris. Mathematische Klasse. Herr Bessel in Königsberg. Herr Pfaff in Malle. - ». Fufs in Petersburg. - Gvaf la Place in Paris. - Gaufs in Göttingen. Philosophische Klasse. Herr v. Göthe in Weimar. Herr ‚Stewart in Edinburgh. Historisch-Philologische Klasse. Herr sSilvestre de Sacy in Paris. Herr 4. /V. v. Schlegel in Bonn. - J.H. Vofs ın Heidelberg. - Gottfried Hermann in Leipzig. III. Ehren-Mitglieder. Herr €. $. F. Freih. Stein vom Altenstein Herr v. Loder in Moskau. in Berlin. - Marchese Zucchesini in Lucca. -. p. Borgstede in Berlin. - Gen. Lieut. Freih. v. Minutoli in - Graf Daru in Paris. Neuchatel. i - Imbert Delennes in Paris. - Gen. Lieut. Freih. v. Müffling in - Dodwell in London. Berlin. - Ferguson in Edinburg. - Oltmanns in Emden. Sir ZYilliam Gell in London. - ‚Percy in Paris. Herr /Yilliam Hamilton in Neapel. - Prevost in Genf. - Graf v. Hoffmansegg in Dresden. - Fr. Stromeier in Göttingen. - R. Payne Knight in London. - Thaer in Mögelin. - Colonel Leake in London. - Fr. Aug. Wolf in Berlin. - Lhuillier in Genf. - ». Zach in Marseille. XV IV. GCorrespondenten. Für die physikalische Klasse. Herr Accum in Berlin. Herr ZLatreille in Paris. - JÄutenrieth in Tübingen. - Merrem in Marburg. - Balbis in Lyon. - Mohs in Freiberg. - Berzelius in Stockholm. - p. Mell in München. - Biot in Panrıs. - van Mons in Brüssel. - Brera in Padua. - Nitzsch in Halle. - Rob. Brown in London. - Oersted in Kopenhagen. - Brugnatelli in Pavıa. - Pfaff in Kiel. - .-Caldani in Padua. - .C. Sprengel in Halle. - Chladni in Kemberg. - ‚Schrader in Göttingen. - Configliacchi in Pavıa. - Schreger d. ält. in Erlangen. - Des Fontaines in Paris. - vw. Stephan in Petersburg. - Desgenettes in Paris. - Tenore ın Neapel. - Florman in Lund. - Thenard in Paris. - Gay-Lussac in Paris. - Tiedemarn in Heidelberg. - Gilbert in Leipzig. - Tilesius in Mühlhausen. - Hausmann in Göttingen. - Treviranus d.ält. ın Bremen. - Helwig in Braunschweig. - Trommsdorf in Erfurt. - Jameson in Edinburgh. - Tasalli-Eandi in Turin. - Kausch in Liegnitz. - - Nauquelin in Paris. - Kielmeier in Stuligard. - FWahlenberg in Upsala. - Kunth in Paris. - Wiedemann in Kiel. - Larrey ın Paris. Für die mathematische Klasse. Herr Zürg in Wien. Herr Pfleiderer in Tübingen. - Encke in Gotha. - Piazzi in Palermo. - Legendre in Paris. - Poisson ın Parıs. - Olbers in Bremen. - Prony in Paris. - Oriani in Mailand. - J/Yoltmann in Hamburg. Für die philosophische Klasse. Herr Bouterweck in Göttingen. Herr Maine-Biran ın Paris. - Degerando in Paris. - Ridolfi in Padua. - Delbrück ın Bonn. - Tydeman in Leyden. - Fries ın Jena. XVII Für die historisch-philologische Klasse. Herr Avellino in Neapel. Barbie du Bocage in Paris. Beigel in Dresden. Böttiger in Dresden. Bröndsted in Kopenhagen. Cattaneo ın Mailand. Graf Clarac in Paris. Dobrowski in Prag. Del Furia in Florenz. Anthimos-Gazis in Griechenland. Göschen in Göttingen. Halma in Paris. v. Hammer ın Wien. Hase ın Paris. Heeren ın Göttingen. van Heusde in Utrecht. Herr Jacobs in Gotha. - Jomard in Paris. - »p. Köhler in Petersburg. - Kumas in Smyrna. - Lamberti in Mailand. - v.Lang in Anspach. - Letronne in Paris. - Linde in Warschau. - Ang. Mai in Rom. - K.O. Müller in Göttingen. - Münter in Kopenhagen. - Mustoxides in Corfu. - Et. Quatremere in Paris. - ‚Simonde-Sismondi in Genf. - Thorlacius in Kopenhagen. - Vater in Halle. EIN Abhandlungen der physikalischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sana anna anna. Aus den Jahren 1822 und 1823. aaa ana nn Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1825. n ur BR ee T f j j n t v i j DERDEF i a‘ Zu u! ee we a anae. | j . een A I) f Bee I.n ha:l.t.: san an ana. Licutenstein über die weifsen Rohben............:.22eeesmneroneeseeaneennnee Derselbe über äufsere Backentaschen an Nagethieren..........:.2222eeseeeeeec- Derselbe über die ägyptische Stachelmausstes se lee er er ekeurieeie Mirschereicn über das Verhältnifs der Krystallform zu den chemischen Pro- DONODeN es ae ee Se ne een Are rei: Karsten über die Verbindung des Eisens mit Kohle...............rcruren: v Buon über Dolomat als, Gebirosart u. e uses een seen see de ae a oieiaeie Aelaen een ALEXANDER v. Humsorpr über den Bau und die Wirkungsart der Vulcane in verschiedenen ’Erdstrichen sc... eo wessen sun sge Haan Lısk Bemerkungen über die natürlichen Ordnungen der Gewächse............- Fischer Versuche über die Schwingungen gespannter Saiten... ...cr2eesceecen Weiss Grundzüge der Theorie der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner Serzeck magnetische Polarisation der Metalle und Erze durch Temperatur- Miltfenenzts. ren asaesnele e ene alan es ee Orrmanss Darstellung der Resultate, welche sich aus den, am Vesuv, von Alexander v. Humboldt und anderen Beobachtern angestellten Höhen-Messungen herleiten lassen. (Ergänzung der Abh. S.137). rnnrrrrvmirVar 1 13 21 265 Über die weılsen Hobben, Bl vi *"_ Won HR -EBICHTENSTEIN. [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 28. März 1822. ] ar D: Robben, obgleich über alle Küstenstrecken der Erde verbreitet, gehören zu den am wenigsten richtig erkannten und unterschiedenen Säugethieren. Wieviel Arten von Robben giebt es, wie unterscheiden sie sich und auf welche Punkte kommt es dabei hauptsächlich an ? Dies Alles sind Fragen, auf die es zur Zeit nur höchst unbefriedigende Ant- worten giebt. Man hat bis jetzt hauptsächlich die Gröfse, die Färbung und Zeich- nung, die Gestalt der Ohren und bei den auffallendsten Arten gewisse Auswüchse am Kopf, auch hin und wieder die Zahl der Vorderzähne zu Unterscheidungsmerkmalen genommen und doch sind alle diese Merk- male trüglich. Noch wissen wir von keiner Art, bis zu welchem äufsersten Maafs von Körpergröfse sie heranwachsen könne, und wenn wir auch an- nehmen wollen, unsre gemeine Phoca vitulina werde nicht über fünf bis sechs Fufs grofs, so müssen doch alle die Riesenformen dieser Gattung auf ihren früheren Bildungsstufen ihr und den anderen kleineren Arten einmal gleich sein und durch andere Kennzeichen sich von ihnen unter- scheiden lassen. Von den Farben wird in den Diagnosen mit grofser Bestimmtheit geredet, ja die mehresten Arten sind nur danach benannt und als bestehend angenommen und doch führen alle Schrif ısteller in den Beschreibungen an, dafs die Farben sich merklich ändern, ja es wird von einigen genau bekannten Arten mit ziemlicher Bestimmitheit nach- gewiesen, wie diese Änderung von Jahr zu Jahr fortschreitend vor sich gehe. Man darf daher ohne Zweifel bei den weniger bekannten Arten, auf die Zeichnung, in welcher man ein einzelnes Exemplar antraf, nicht Phys. Klasse 1822 - 1825. A 2 LıcuTEnsTtEın über die weifsen Robben. viel geben. Eben so wenig bieten die Mähnen, Fleischkämme und Haut- auswüchse ein festes Merkmal, da sie nicht nur den Jungen, sondern so- gar den Weibchen fehlen und erst an den alten Männchen zum Vorschein kommen. Was die Ohren betrifft, so ist deren Vorhandensein kein ci- gentlich specifisches Merkmal, denn alle'Robben zerfallen danach in zwei auch übrigens wesentlich unterschiedne Gattungen: Phoca und Otaria (worüber nachher ein Mehreres). Die Zahl der Vorderzähne wechselt nur in so fern, als bald sechs bald vier Vorderzähne vorhanden sind ; der letztere Fall isı selten, daher leistet dieses Merkmal wenig zur Unter- scheidung der grofsen Menge von Arten. Es ist unter diesen Umständen nicht zu verwundern, dafs die gang- baren Handbücher wenig Mittel an die Hand geben, sich in dieser Ab- theilung zurecht zu finden. Jeder Schriftsteller deutet die Namen nach seiner Weise, und ändert und verwirft was seine Vorgänger gelehrt ha- ben, ohne ein helleres Licht über das Ganze zu verbreiten. Den neueren Schriftstellern mufs man hiebei besonders zum Vorwurf machen , dafs sie die treflliche Monographie der nordischen Sechunde, die Otto Fabricius in den Schriften der naturforschenden Gesellschaft zu Ko- penhagen schon vor dreifsig Jahren geliefert,(1) so ganz unbenutzt gelassen haben. Der einzige Bechstein in seiner Übersetzung von Pennants Synopsis of Quadrupeds erwähnt dieser Abhandlung in den Anmerkungen zu dem übersetzten Text, jedoch ohne sie für die Unterscheidung der von Pennant gänzlich verwirrten Arten anzuwenden. Selbst Cuvier hat diese Arbeit unberücksichtigt gelassen, die seinem Scharfsinn sonst viele Mittel geboten haben würde, die Arten der Robben genauer zu sondern, als in seinem Werke geschehn ist. Immer wird man auf diese Abhandlung wieder zurückkommen müssen, wenn man eine strengere Bearbeitung der Gattung vornehmen will, indem sie einen grofsen Schatz von Beobachtungen enthält, den der Verfasser während eines sechsjäh- rigen Aufenthalts in Grönland über diese Thiere sammelte. Da die Po- largegenden eben jetzt den Forschungsgeist in so vieler Rücksicht be- ee Lee u A RE 7 (1) Schriften der naturforschenden Gesellschaft zu Kopenhagen. Deutsche Über- setzung. Kopenhagen 1795. Erster Band, ıste und 2te Abtheilung. 8. Die Abhandlung selbst ist von 1790. Lıicnutensteın über die weifsen Robben. 3 schäftigen, so ist die Zeit vielleicht nicht mehr fern, wo auch diese Lücke ausgefüllt und die Fragen, die Fabricius noch unbeantwortet läfst, befriedigend beantwortet werden sollen. Auf diese Fragen bestimmter hinzuweisen und durch einige Er- fahrungen , die ich zu machen Gelegenheit gehabt, ihre Wichtigkeit zu erweisen, ist hier meine Absicht, indem ich mich zu einer Kritik der ganzen Gattung für jetzt noch nicht gerüstet fühle. Alle Schriftsteller stimmen darin überein , dafs die Jungen der Seehunde von der Geburt an mit einem weichen wolligen Haar bedeckt sind, welches bei den meisten rein weifs oder gelblichweifls, bei andern (vielleicht den heranwachsenden) hin und wieder mit dunkleren Flecken getüpfelt sei. Nach Olafsen wird dieser jugendliche Pelz in Island unter dem Namen Snodfell als ein guter Handelsartikel geschätzt und von den Eingebohrnen häufig zu Winterkleidern gebraucht, welches letztere auch Fabricius, der dafür die Grönländischen Namen beibringt, bestäugt. Die Jungen tragen dieses Fell nur einige Wochen, dann ver- lieren sie (wie es genannt wird) ihr Snod und die straflen kurzen dicht anliegenden dunklen Haare kommen zum Vorschein. Keiner von allen Schriftstellern läfsı glauben, dafs solches Snodfell auch bei Alten vorkommen könne, doch werden viele Arten als bedeckt mit weichem langen Haar von weifser Farbe beschrieben z. B. Ph. ceu- cullata, leporina, foetida u.a. und man ha‘ dann die Diagnosen darauf ge- gründeı und diese Farbe und Beschaffenheit des Haars als constante Merk- male betrachtet. Dafs sie es aber nicht seien, beweist folgende Erfahrung. Mit hefugen Nordweststürmen die vom ıgten bis 22sten März v. J. geweht hatten, trieben viele grofse Eisschollen durch den Sund in die Ost- see, von denen einige am 28sten dess. Mon. an die Pommerschen Küsten gelangten. Fischer aus der Gegend von Swinemünde bemerkten schlafende Robben auf diesen Schollen, die ihnen gleich wegen der rein weifsen Farbe auffielen. Sie bemächtigten sich einiger derselben , brachten sie ans Ufer und liefsen sie für Geld sehen und da sie sich immer mehr von der Seltenheit dieser Erscheinung überzeugten , wurde eins dieser Thiere nach Berlin gebracht und auch hier zur Schau gestellt. Als es am ı5ten April hier ankam, war es überall mit weifsen seidenartigen, etwa anderthalb Zoll langen Haaren bedeckt, zwischen welchen dicht auf der Haut ein Aa 4 Lıcntessteın über die weilsen Robben. dunklerer Pelz lag; es war drei und einen halben Fufs lang, der Kopf ge- streckt, das Auge lebhaft und dunkelbraun von Farbe, (also an Deutung auf Albino-Varietät und Photophobie nicht zu denken) und der Körper so feist, dafs bei höchster Verkürzung des sehr dehnbaren Halses eine grofse Haut- falte sich am Hinterkopfe in Gestalt einer Kappe hinaufschob. So pafste Pennants Beschreibung der Phoca ceucullata, mit Ausnahme der dazu eitirten Synonymen, die sich auf den Seelöwen beziehn , vollkommen zu unserm Thier. Als ich am ıöten dasselbe noch genauer betrachtete, fand ich die Schnauze und die Oberseite der Füfse schon verändert. Das Haar wurde hier dünner und die schwärzliche Grundfarbe kam stellenweis zum Vorschein. In einer kurzen Nachricht in der Spenerschen Zeitung (Nr. 46. vom ızten April) durch welche ich die Studirenden und Freunde der Na- turgeschichte auf die angekommene Seltenheit aufmerksam machte und eine Deutung auf die Namen in den systematischen Handbüchern ver- suchte, gab ich gleich, in Hinweisung auf die Erzählungen von dem Snod- fell, die Vermuthung zu erkennen, dafs dieser weifse Robbe bei längerem Leben in der Gefangenschaft, vielleicht seine Farbe verändern und dann nicht mehr so merkwürdig erscheinen werde. Diese Vermuthung bestä- tigte sich unerwartet schnell, zu grofsem Verdrufs des Besitzers, denn gleich in den ersten acht Tagen fiel das weifse Haar flockenweis vom Kopf und Nacken, dann wurden Hinterfüfse und Bauch, zuletzt der Miuel- rücken von dieser schönen Bedeckung frei und noch vor Ende des Monats sah das Thier bei oberflächlicher Betrachtung jedem andern Robben ähn- lich. Die Grundfarbe war schmutzigweifs und zahlreiche bräunliche Flecken von einem halben bis ganzen Zoll Durchmesser bedeckten die ganze Oberseite, dicht gedrängt und zusammenfliefsend am Kopf, Nacken und Oberrücken , discreter an den hinteren Theilen des Leibes. Das nun zum Vorschein gekommene Haar war kurz, straff, elastisch, platı, dicht anschliefsend, das abgeworfene dagegen fein, weich, rund, mit auf- gerichteten Spitzen. Den Bau der Zähne mit einiger Genauigkeit zu un- tersuchen , verstattete die Unruhe und Bissigkeit des Thieres nicht. Es wurde also, ohne dafs sich etwas Weiteres ausmitteln liefs, ferner noch hier und in der Umgegend für Geld gezeigt und starb endlich im August, nachdem es noch um mehrere Zoll gewachsen war und einen ziemlich hohen Grad von Zähmung angenommen hatte. Lıicntessteiın über die weifsen Robben. 5 Ich verlasse nun fürerst die Hauptfrage wegen des Haarwechsels, um die Namenbestimmung des Thieres festzustellen, Da Fabricius in den Angaben über die Zahnbildung bei allen den von ihm untersuchten Robben so äufserst genau gewesen ist, so er- wartete ich mit Recht von der Untersuchung des Gebisses den sichersten Aufschlufs und wendete daher meine Aufmerksamkeit, sobald das Thier an das Museum abgeliefert war, auf diesen Gegenstand. Ich fand sogleich die Bildung der Zähne viel abweichender von der aller mir bekannten Robben, als ich erwartet hatte. Statt der dicht an einander stehenden dreizackigen Backenzähne fand ich durch bedeutende Zwischenräume ge- sonderte gekrümmt kegelförmige also den Eckzähnen ähnlich gebildete, die unteren mit den oberen alternirend wie bei den Delphinen, ja selbst die Vorderzähne hatten die rückwärts gekrümmie Kegelform. (1) Unter allen von Fabricius nach vollständiger Kenninifs beschrie- benen Robbenarten ist keine, die ein solches Gebifs hätte. Dagegen lie- fert dieser Schriftsteller als Zugabe zu dem kurzen Artikel über Phoca porcina Mol.(2) die Beschreibung einer ihm nicht genügend bekannten, sehr seltenen Robbenart, die er mit dem Namen Phoca Gryphus, der krummschnauzige Robbe , belegt, und von welcher er glücklicherweise eine kurze Beschreibung der äufseren Merkmale und eine ausführlichere, von einer Abbildung begleitete des in seinem Besitz befindlichen Schädels (1) Hier die genaue Beschreibung des Gebisses in der strengeren Kunstsprache: Dentes omnes coniei, retrorsum curvali. Primores sup. sex., inferior, quatuor ; inferiores aequales, breves, per paria disjuncti spatio intermedio; superiorum utrinque externus major, laniarium simulans, postice exaratus canaliculo angusto, quatuor intermedü longiusculi subaequales. Laniarit inferiores approximati, postice et interne canaliculati, superiores a primo- ribus interslitio diremti (pro recipiendo laniario inferiore) forma inferioribus similes. x Molares utrinqgue utrinsecus quinque alternantes ; superiorum primus cacteris minor, apice introrsum incurvus, religui subtriquetri, latere externo convexo, relrorsum et introrsum uncinati, tertius ei quartus omnium maximi; inferiores subtrique- tri aut pyramidales, secundus tertius majores (maximis superiorum fere aequa- les) simplices, primus quartus quintus compressiusculi, utrinque gradu mi- nuto aucli. (2) a.a.O.S. ı4g. und Tab. XIII. fig. 4. 6 Lıicnutensteın über die weifsen Robben. liefert. Beide genügen, um zu der Gewilsheit zu führen, dafs unser Robbe dieser seltnen Art angehöre. (1) Ein andrer Schriftsteller, der sie kennt und beschreibt, aber ohne von der Fabrieiusschen Arbeit zu wissen, ist Pallas. In seiner leider noch immer dem Publicum vorenthaltenen Zoographia rosso - asiatica giebt er ihre Beschreibung unter dem Namen P%. ochotensis (Vol. I. p. 117.) Vergleicht man seine Schilderung mit der von Fabrici us, so scheinen beide nicht ganz mit einander zu stimmen, was daher rührt, dafs letzter ein altes, Pallas aber ein junges Exemplar vor sich hatte. Alle we- sentliche Merkmale twellen indessen zu, und was etwa nicht ganz ver- ständlich wird, wie z. B. Pallas Angabe von den etwas vorragenden Ohrrändern das wird klar, wenn man das Thier selbst, von dem wir glücklicherweise aufser dem oben angeführten noch ein junges Exemplar besitzen, mit den Beschreibungen beider Gelehrten vergleicht. Auf sie darf ich daher hier verweisen und mich begnügen anzuführen, dafs aufser dem oben Angegebenen die wesentlichen Merkmale in dem besonders breiten und flachen Zwischenraum zwischen den ‚beiden Naselöchern, ferner in der schon oben berührten langstreckigen und zugleich ewwas gewölbten Form der Schnauze bestehn, welchen schon von Fabricius angegebenen Kennzeichen ich noch hinzufüge, dafs dieKrallen an den Vor- derzehen sich durch ihre langsıreckige sehr gekrümmte und schmale Form von den Vorderkrallen der übrigen Robbenarten, die ich zur Vergleichung vor mir habe, sehr auffallend unterscheiden, ferner, dafs die Bartborsten, platt und in der Mitte wellenförmig, in sechsfacher Reihe übereinander 8; stehn und dafs sich über jedem Auge eine lange weifse Borste nebst drei kleineren von dunklerer Farbe befindet. Übrigens mag die hier beige- fügte Abbildung einstweilen eine ausführlichere Beschreibung ersetzen. Sie wurde gleich in den ersten Tagen, als das Thier noch mit seinem Pelz bedeckt war, verferügt, und stellı dasselbe in ruhender Stellung (1) Die Abbildung des Schädels stimmt, was die Form und Einfügung der Zähne betrifft, nicht ganz genau mit der Beschreibung und mit meiner obigen Angabe über- ein, doch glaube ich auf sie deshalb geringeren Werth legen zu dürfen, weil Fabricius sich in der Wahl seiner Worte überall sehr streng bewährt, dagegen beklagt, dafs er kein Zeichner sei, weshalb auch an den andern Abbildungen noch vieles zu wün- schen übrig bleibt. Lıicrtensrtein über die weifsen Robben. , mit mäfsig verkürztem Hals vor. Erst wenn der Kopf noch mehr an- gezogen und arıfwärts bewegt wurde, bildete sich über demselben die Kappe, deren Falten jetzt hier im Nacken erscheinen. Dagegen konnte sich der Hals auch um das doppelte seines hier gegebenen Maafses ver- längern und in solcher Stellung muls ihn Fabricius gesehn haben, wenn er auf die ganz unstatthafte Vermuthung geräth, Parson habe mit seinem langhalsigen Seehund (Ph. longicollis Penn.) diese Art gemeint. Eben so wenig läfst sich die Beziehung auf den Schildkrötenköpfigen Robben desselben Schriftstellers ( Phoca testudinea) und auf das von Perrault untersuchte Seekalb mit einigem Grunde rechtfertigen, denn beide werden immer wegen Unvollständigkeit der Beschreibung zweifel- hafte Arten bleiben. Dagegen kann ich die Vermuthung nicht unter- drücken, dafs diese Art ofı mir Ph. hispida verwechselt worden sei, wiewohl die Beschreibung dieser Art bei Fabricius, sie als eine von der unsrigen verschiedene Art darstellt. Ich kehre zurück zu dem eigentlichen Gegenstande dieser Abhand- lung. Es wäre sehr widersinnig, anzunehmen , das uns hier zugekom- mene Exemplar sei ein Junges vom Jalır gewesen, das eben bei uns sein Snodfell abgelegt. Denn wenn es auch nicht glaublich ist, dafs die Robben, wie einige Beobachter (1) versichern, bei der Geburt nicht gröfser als eine Maus seien, so geht doch ihr Wachsthum nach Aller Aussage langsam von Statten. Auch abgesehen von der ansehnlichen Gröfse un- sers Exemplars zeigte die Festigkeit aller Schädelknochen, und die Stärke des Gebisses, dafs man es mit einem muthmafslich wenigstens zweijähri- gen Thier zu tun habe. Überdies werfen die Robben erst im Februar und März, ein volles Jahr mufste es also wenigstens alt sein. Wer nun geneigt sein möchte, zu glauben, die Verwandlung die hier mit dem Thier geschehen, sei nur Übergang aus dem Zustand der Kindheit, würde damit zugleich behaupten , das Snodfell halte sich an den Robben wäh- rend des ganzen ersten Lebensjahres. Dagegen aber streiten nun die bestiimmtesten Aussagen aller Zeugen. So lange die Jungen dieses Snod- fell haben , bleiben sie auf dem Eise oder zwischen den Felsenspalten, denn sie können in diesem wolligen Pelz nicht gut schwimmen, und erst (1) Unter andern Fabricius a.a.O. S. 109. 8 LıicutEensteın über die wei/sen Robben. wenn sie ihn abgelegt haben, was schon nach vier Wochen geschieht, begeben sie sich ins Wasser und werden von der Mutter zum Fischfang angeleitet, die sie dann fortan auch nicht mehr säugt. Diese Thatsachen werden nicht irrig angegeben sein, denn der Geldgewinn treibt darauf hin, sie richüig zu kennen, und der grönländische Jäger wird wissen, wo und wie lange er die Jungen aufsuchen soll, deren Fell ihm theurer bezahlt wird, als das der Alten. Es bleibt also nichts übrig, als anzunehmen , dafs wo nicht alle, doch einige Arten von Robben, und zwar wahrscheinlich die am höchsten gegen den Pol hin sich aufhaltenden, also seltensten, so gut ein Winter- kleid haben, wie so viele andre warmblütige Polarthiere: einen weifsen dichteren Pelz, der zur Zeit ihres gröfsten Fettreichthums, im Herbst, sich bilde und sie während einer trägen Winterruhe, die sie in Eis- spalten und unter Schneedecken zubringen , bekleidet. Es ist nichts in dem Haushalt oder der Organisation dieser Thiere, das mit einer solchen Annahme strittie, dagegen die Analogie der mehrsten übrigen Polar - Säugethiere nur dafür sprechen kann. Warum auf diesen Hergang bis jetzt noch nicht gemuthmafst worden, daran kann die Ursache eines Theils darin liegen, dafs die an den bewohnten Küsten vorkommenden Arten an diesem Wechsel nicht Theil nehmen , andererseits dafs man die we- nigen Beispiele von lang und weifsbehaarten Robben immer auf ursprüng- liche Verschiedenheit bezogen, nicht für Folge eines periodischen Processes, sondern für constante Eigenthümlichkeit angesehn und so jede andre Deu- tung verschmäht hat. In der That aber bleiben für alle die obengenann- ten langhaarigen Robbenarten, wenn man ihnen dies Hauptmerkmal nimmt, keine anderen übrig, wodurch sie sich mit einiger Bestimmtheit von an- deren Arten unterscheiden liefsen und es ist mir sehr wahrscheinlich, dafs man sie dereinst zu gewissen bekannteren Formen zurückführen werde. Ich habe mit Fleifs in den Schriften , die solcher langhaarigen Robben erwähnen, nach einer Angabe der Jahrszeit, in welcher man sie gefunden, gesucht, aber eben so wenig etwas gefunden, das meine Mei- nung geradezu bestätigte, als etwas, das sie widerlegte. Ein einziges be- glaubigtes Beispiel von dem Vorkommen jener zweifelhaften Arten im hohen Sommer würde ihre Ächtheit bewähren und meine Vermuthung umstofsen. Allein ein solches finder sich nicht, vielmehr reden alle nur Lıicurtensteın über die weifsen Robben. 9 davon, dafs diese vermeinten Arten sich stets auf dem Eise aufhalten, lieber hungern als es verlassen, überhaupt träge und unbehülflich sind, welches alles auf den Winterzustand oder den Übergang von demselben in den Frühling vollkommen pafst. Selbst die von Pallas aufgestellte Phoca albigena von Kamtschatka scheint zu den haar - wechselnden zu gehören, denn das Exemplar, welches unser Museum aus der Hand des unsterblichen Naturforschers selbst empfing und welches mit dem Snod- fell bedeckt ist, scheint nach seiner Gröfse und Zahnbewallnung nicht für ein Junges gehalten werden zu können. g bervor, dafs die wollhaarigen Species: Ph. cucullata , leporina , hispida , foetida Soviel geht wenigstens unstreiug aus dieser Beobachtun nicht als wahre Arten angenommen werden können, bevor ihnen nicht andere Merkmale nachgewiesen werden , ferner dafs überhaupt die von der Färbung und Form des Haares hergenommenen Kennzeichen trüg- lich sind und dafs man sich in Zukunft vorzugsweise an die Schädelform und Zahnbildung, Stellung und Form der Bart - Borsten und Nasenlöcher, Gestalt und Verhälwmifs der Füfse und Nägel und des Schwanzes zu halten haben wird, wie denn schon Pallas am Schlufs seiner Beschreibung der Robben in dem angeführten Werk auf diese Kennzeichen als die besten aufmerksam macht und die Herrmannische Weise in Beschrei- bung der Thiere zur Nachahmung empfiehlt. Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne noch Emiges über die merkwürdige Gruppe, von Seesäugethieren , welche neuerlich auf Perons Vorgang unter dem generischen Namen Otaria (Öhren - Robbe) von den wahren Robben getrennt ist, hinzuzufügen. Diese Gattung, bisher immer mit den Robben verschmolzen , ist von denselben unter- schiedener als Ottern von Mardern oder Wiesel von Zibeththieren. Man hat es nur der Oberflächlichkeit der früheren Beobachtungen zuzuschrei- ben, dafs eine so unnatürliche Zusammenstellung nicht schon längst auf- gehoben worden. Es würde dann viel früher klar geworden sein, wie leise und allmählig die Übergänge sind von der Bildung der Ottern und Robben zu der der fischartigen See - Säugethiere. Phys. Klasse 1822 - 1825. B 10 : Licutensteiın über die weilsen Robben. Die Ohren -Robben haben zu unterscheidenden Merkmalen ıtens dicht neben einander stehende langstreckige Hinterfüfse mit verhälinifsmäfsig schwachen Nägeln, über welche eine lange schlaffe ge- schlitzte Schwimmhaut weit hinausreicht ; 2tens die Vorderfüfse ganz flossenartig ohne alle Spur von Nägeln, in der Mitte des Leibes fası gleich weit entfernt vom Kopf wie vom Schwanz ; 5tens eine äufsere Ohrmuschel, die in Gestalt eines eingerollien Zipfels über der Ohröffnung herabhängt ; Atens in der Form der Schnauze, so wie in der Stellung der Augen und Ohren mehr mit den Ottern, als mit den Robben gemein ; 5tens endlich : die obern Vorderzähne zweischneidig, die untern ein- passend mit einfacher Schneide in die Vertiefung zwischen den beiden Schneiden der oberen, die Backenzähne nicht in einer stetigen Reihe, sondern durch kleine Zwischenräume von einander getrennt und ke- gelförmig. Diese Gattungskennzeichen sind noch von Niemand vollständig zu- sammengestellt, da man sich mit Recht gescheut zu haben scheint, nach einem einzelnen Exemplar zu urtheilen. Ich habe deren mehrere ver- glichen und von auswärtigen Freunden Mittheilungen über von ihnen an- gestellte Vergleichungen erhalten. Danach habe ich es gewagt obige allge- meine Merkmale als auf die unterschiednen Arten zutreffend aufzustellen. Es gehören zu dieser Gattung von den bereits bekannten Robben- arten folgende: ıtens Phoca ursina der Seebär. zatens Phoca leonina der Seelöwe. (Ph. jubata Gmel.) tens Phoca australis Penn. (et. P. longieollis Pars.) rens Phoca aurita Penn. (P. flavescens Shaw) endlich Stens Phoca pusilla Schr. (P. nigra Pall.) Wahrscheinlich gehört auch Molina’s Ph. Zupina hieher ; zweifel- hafter bin ich wegen Ph. eristata oder elephantina,, die wohl ein ganz eignes genus ist. Von den unter 5, 4A und 5 aufgeführten Arten gehen die Verschie- denheiten nech nicht genau hervor. Es ist möglich , dafs sie alle auf die eine Art zurückkommen, die Buffon unter dem Namen Petit Lıcurensteiın über die weifsen Robben. 11 Phogue beschrieben und abgebildet. Diese wenigstens ist allein ganz kennt- lich, der schlechten Abbildung aber nicht nur gar kein Verdienst zuzu- schreiben, sondern sie mufs als das Haupthindernifs einer früheren besse- ven Einsicht angeklagt werden. Indessen nemlich Buffon ausdrücklich sagt, die Vorderfüfse säfsen genau in der Mitte des Leibes, werden sie auf der Abbildung vorgestellt, wie sie bei den wahren Robben stehn. Auch giebt der Maler ihnen Nägel, wovon Buffon (freilich auch etwas nachlässig) gar nicht spricht, und so ist dieses Bild in das Schreber- sche und viele andere Werke übergegangen und freilich damit auch nicht ähnlicher geworden. Da es nun ganz an einer Abbildung fehlt, die das Characteristische der Gattung wie der Art einigermafsen getreu darstellte, so halte ich es für nützlich sie hier beizufügen. Es ist in den Verhältnissen nichts übertrieben oder entstellt und die Messungen, wie ich sie hier gebe, sind an drei Exemplaren. in durchaus gleichen Verhältnissen befunden worden : Ganze Länge von der Schnauze bis zur Schwanzspitze SF. Von der Schnauze bis zum innern Augenwinkel ... - - 22. Dürckneseudss Augssıs en ut se une 5 lm. Vom äufsern Augenwinkel bis zum Ohr ...... -- 2-. 6- Nähe der, Ohrseiserten sale ars en ere ien e > Vom!Ohr:biswzum :Vorderätms, "si. 5. 8%... 0 IE ger" Ess Länge des. Vorderarms nüit.der Flösse ». ::... = - 7-..6- Von der Vorderflosse bis zur Hinterflosse . .... ı- A- =- Bängeyderulimierilosien home. Segen Se, EV Fee Länge der beiden: miuleren' Zehen . ... n zu. „== 1-. 2- Länge:.der'Schwimmhane:.. .. a ln uB2 2 wear BaneenlesiSchwanzest, 0 2 ai se ale ara Nr II 0 g und Vervollständigung der Be- schreibung füge ich noch folgendes hinzu. Zur Erläuterung der Abbildun Der ganze Leib ist mit zweierlei Haar bedeckt, nemlich einem un- gemein feinen und dichten Wollpelz und dazwischenstehendem Borsten- haar. Letzteres ist rund, an der Wurzel weifs, an der letzten Hälfte dunkelbraun mit feiner weifser Spitze, und um eine starke halbe Linie länger als das sechs Linien lange Wollhaar. Diese Spitzen des Bor- B2 12 Lıcuressteın. über die wei/sen Robben. stenhaars geben die Färbung, die an unserm Exemplar tief braun grau ist, nur die Seiten des Kopfes sind weifslich, nur der Unterleib hellgrau. Gegen die Extremitäten hin wird die Farbe immer dunkler und auf der Oberseite aller vier Füfse zuleızı glänzend dunkelbraun. Es isı das Borstenhaar, das hier diese Farbe annimmt, der dazwischen liegende Wollpelz ist sehr kurz und liegt dicht auf der Haut an. Die Unterseite der Flossen sowohl als der Füfse ist nackt, schwarz und der Länge nach fein runzlich. Die Flossen sind an ihrem hintern Rande blofs dünn- häuug, die Haut selbst lappig oder unregelmäfsig eingekerbt, bis auf drei Zoll von der Spitze ganz unbehaart, Die Reste von Zehen, die noch darin stecken, sind platt, breit und grofs, die letzten Phalangen scheinen ganz knorplig. An den Hinterfüfsen geht eine breite Schwimmhaut welche alle Zehen an der Unterseite verbindet, zwei Zoll lang über dieselben hinaus. Sie zeigt sich an ihrem Hinterrande in fünffacher Theilung nach der Zahl und Richtung der Zehen von denen die drei mittelsten deutliche Nägel haben, die, wiewohl nur einen halben Zoll lang, doch diese lose Haut hauptsächlich stützen. Die beiden äufseren Zehen haben keine ei- gentliche Nägel, sondern ihre Spitzen sind nur mit einer nackten etwas derberen Haut überzogen. Das Ohr ist sehr schmal, etwas über einen Zoll lang, nach innen aufgerollt mit dickerem hinteren Rande und durch seine Lage weit vom Auge und tief am Halse hinab merkwürdig. Nur die Seeouter (Phoca Lutris Pall., Lutra marina LinGm.) summı in dieser Stellung der Ohren und in dem ganzen Bau des Kopfes mit dieser Ant überein. Wie merkwürdig wird das Skelet sich zeigen, wenn man ein- mal zu seiner Untersuchung gelangt ! TE IINIIIIE Über äulsere Backentaschen an Nagethieren. Von H®- LICHTENSTEIN. [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 28. März 1822. ] Y\ er den zoologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehende mit ei- niger Aufmerksamkeit gefolgt ist, erinnert sich leicht der abenteuerlichen Vorstellung, welche Shaw, zuerst in den Verhandlunsen der Linnei- > S 5; schen Gesellschaft zu London, (1) dann in seiner allgemeinen Zoologie (2) von einem Nagethier gegeben, welches im Jahr 1798 in Canada entdeckt, und durch den General Prescot nach England gebracht worden war, und das mit den Namen Mus bursarius und Canada Rat von ihm belegt wird. An einem Thier von der Gröfse eines Hamsters ragt aus jedem Mundwinkel ein weit vorgeblasener nackter Sack von der Gröfse des Kopfes heraus, der tief auf dem Boden schleppt und den man sich als äufsere Backentasche vorstellen soll. Die Beschreibung in dem ersten Aufsatz ist ungemein dürftig und sagt nicht viel mehr, als was man an dem überaus fehlerhaften Kupferstich auch sieht; in dem zweiten wird dann dieser berichugt, aber über die Backentaschen erfährt man auch weiter nichts, als dafs sie mit Erde gefüllt gewesen, als der General das Thier ausgestopft von den Indianern erhielt. Es kommt dem Verfasser wahrscheinlich vor, dafs diese Ausfüllung von den Indianern künstlicher- weise bewerkstelligt worden, um die Backentaschen in der gröfsten Aus- dehnung zu zeigen. Er drückt übrigens kein weiteres Befremden über die Seltsamkeit dieser Erscheinung aus, sondern meint nur, unter allen mit Backentaschen versehenen Mäusearten sei diese die merkwürdigste (1) Transactions of’ the Linnean Society Vol. F. p.227. tab. 8. (2) General Zoology Vol.1I. P.I. pag. 100. j 14 LicHTENSTEIN wegen der verhältnifsmäfsigen Gröfse dieser Taschen. Was er weiter beibringt, betrifft die Farbe, die Gröfse, die Verhältnisse der Gliedmafsen, die Zahl der Zehen und deren Bau, und die Zähne, doch ist alles nur ungefähre Angabe ohne Genauigkeit. Von den Backenzähnen ist gar nicht die Rede, von den Vorderzähnen wird nur gesagt, sie seien stark und das untere Paar länger , als das obere, was ziemlich auf alle Nage- thiere zutrifft. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, dafs man dem ınerkwürdigen Thier seinen Platz in der Reihe der Nager mit Sicherheit anzuweisen bis jetzt nicht gewagt hat. Illiger nennt es zuerst unter der Gattung Cricetus, Cuvier und Oken sind ihm darin gefolgt und geben Bedauern über die mangelnde nähere Kenninifs, letzter auch aller- hand Vermuthungen über die Backentaschen zu erkennen. Es stellt sich nemlich leicht dar, dafs hier irgend eine Entstellung dieser Theile vorgegangen sein müsse. Ein in Höhlen unter der Erde lebendes Thier, wie dieses, nach dem Bau seiner Vorderfüfse zu urtheilen, ohne Zweifel ist, kann unmöglich mit solchen grofsen weit vorhangenden, noch dazu unbehaarten Säcken sich in seinen Röhren bewegen und einen Wintervorrath in dieselben eintragen, wie Herr Shaw meint. Die Ver- muthung liegt sehr nahe, dafs es die aus dem Munde hervorgezognen und völlig umgewendeten innern Taschen von der bekannten Bildung wie beim Hamster seien, die Herr Shaw ohne genauere Untersuchung hier abge- bildet, und es schien einer andern Voraussetzung wie z. B. Oken’s, dafs es sich hier etwa verhalte wie beim Paca, gar nicht zu bedürfen. Als ich im Sommer des Jahrs ı819 in London war, sah ich das von Shaw beschriebene Exemplar in der Bullockschen Sammlung, und überzeugte mich von der Richtigkeit meiner Vermuthung, soweit es der sehr mangelhafte und entstellie Zustand des Exemplars zuliefs. Die eiförmige Gestalt, die Nacktheit der Säcke schien mir keinen Zweifel zu lassen, dafs die ursprüngliche Bildung hier dieselbe wie beim Hamster sei. Es war unmöglich auf etwas Anderes zu schliefsen , denn dafs es von aufsen eingehende Vertiefungen seien, war weder aus dem ganz ver- schiedenen Beispiel des Paka noch aus dem Exemplar selbst zu vermu- then. Nichts desto weniger ist es gerade dieser merkwürdige, und bisher 5 in dieser Ausdehnung unerhörte Fall der hier an diesem Thier zu der über dufsere Backentaschen an Nagethieren. 15 ganzen Enitstellung Gelegenheit gegeben, wie ich aus genauer Untersuchung eines vor Kurzem unier mehreren nordamericanischen Thieren erhaltenen und hier zu beschreibenden Exemplars darzuthun im Stande bin. Es hat die Gröfse eines Hamsters und scheint ihm auf den ersten Anblick auch nach dem Verhältnifs seiner Gliedmafsen nicht wnähnlich, doch stellen sich bald die kürzeren Ohren, der etwas längere Schwanz, vor allem aber die kräfugen Zehen mit langen im Bogen gekrümmten Krallen als auffallende Abweichungen dar. Sucht man nach einer an- dern Form von Nagern , die besser damit übereinstimmte, so findet sich nur der capische Sandgräber (Mus maritimus LinGm., Bathyergus maritimus Zi.) an welchem jedoch die Form des Kopfes runder, die Stellung der Augen und Ohren der Schnauze näher und der Schwanz um das Vier- fache kürzer ist. Dies zur Versinnlichung des allgemeinen Eindrucks, den die Gestalt dieses Thieres macht. Die Dimensionen sind folgende. Ganze Länge von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel acht Zoll, Länge des Schwanzes drei Zoll, (1) Raum von der Schnauze bis zum vordern Augenrand ein Zoll, vom hin- tern Rand desselben bis zum Ohr ein halber Zoll, Höhe der Vorder- läufe vom Ellenbogen bis zum Handwurzelknorren eilf Linien, von da bis zur Spittze der mittleren Kralle siebenzehn Linien. Die Hinterläufe mes- sen vom Knie bis Hacken funfzehn Linien und eben so viel kommen auf den Fufs vom Hacken bis zur mittlern Krallenspitze. Der ganze Leib ist dicht und gleichmäfsig mit weichem feinen Haar bedeckt, das an der Hant tief blaugrau, an seinen Spitzen aber auf der Rückenseite röthlich braun, auf der Bauchseite gelbgrau ist, so dafs diese beiden letztgenannten Farben ohne sonderliche Verschiedenheit ihrer In- tensität die erste die ganze Oberseite, die andre die Unterseite vom Kinn (1) Shaw giebt die Länge bis zum Schwanz auf neun, die des Schwanzes selbst auf zwei Zoll an. Dies kann jedoch keinen Zweifel an der Identität der Species erre- gen, da diese Messungen, wie ausdrücklich gesagt ist, nur aufs Ungefähr gemacht sind und selbst nicht einmal mit den Abbildungen. stimmen. Uberdieg ist die Länge des Schwanzes kein sicheres Merkmal, wie das Beispiel vieler andern Nager, namentlich des Hamsters, beweist. Kuhl Beiträge IT. p. 66. giebt die Länge des Leibes zu sieben ein halb, des Schwanzes zu zwei ein drittel an. Er hat das Shawsche Exemplar bei Bullock gemessen. 16 LIicHTEnstein bis Schwanz bekleidei. Das Haar ist überall von gleicher Feinheit und Weiche ohne beigemischtes Borstenhaar. Nur an beiden Seiten des Oberkiefers stehen mehrere Reihen feiner weifser Borsten, ähnliche ein- zeln über und neben den Augen. Der Schwanz ist nach seiner ganzen Länge nackt und nur mit einem dünnen Anflug weifser Härchen über- zogen ; von Schuppen ist selbst durch die Lupe keine Spur an ihm zu entdecken. Von der Lage und Zahl der Säugwarzen kann ich nichts sagen, da ich sie an unserm Exemplar nicht habe auffinden können. Die Fufsbildung ist von der aller andern Nager auffallend verschie- den. Nur der Bathyergus hat erwas Ähnliches aufzuweisen, doch in an- dern Verhältnissen. Die Vorderfüfse sind zunächst unter dem Hand- wurzelgelenk mit einem auffallend vorspringenden Knorren versehn, wie ihn die kletternden Stachelschweine , die kleineren Ameisenfresser und andre langkrallige Säugethiere auch haben. Der Metacarpus ist kurz und die davon ausgehenden fünf Zehen haben jede nur ein äufserlich unter- scheidbares Glied, indem gleich das zweite schon mit der langen Kralle umkleidet ist. Die Kralle der Mittelzehe ist die längste und hat auf der Krümmung gemessen fası einen ganzen Zoll, die des vierten Fingers ist um einen viertel Zoll kürzer, die des kleinen ist vier einen halben und die des Zeigefingers fünf eine halbe Linie lang; der Daumen in gleicher Ebene mit den übrigen Zehen eingefügt, trägt eine nur zwei Linien lange Kralle. Alle diese Krallen sind im Bogen gekrümmt, scharf, weifs, durch- sichig und jede an der Wurzel, nach dem fünften Theil ihrer Länge, mit einer senkrecht abgeschnittenen Nagelhaut umkleidet, welche an den inneren Zehen noch Büschel von steiferen Haaren trägt, indessen die äufseren Zehen so wie die Mittelhand nur mit einem schwachen Haar- - anflug überzogen sind. Die ebenfalls fast nackten Hinterfüfse haben fünf Zehen, von welchen die mittlere die längste ist; auf sie folgt in Länge die zweite, dann die vierte, hierauf der Daumen, und die äufsere Zehe ist die kürzeste, nämlich mit Inbegriff des Nagels nur zwei Linien lang. Die Nägel an den mittleren Zehen sind stark, mäfsig gekrümmt, aber stumpf und kurz, der längste nur zwei Linien. Der Mittelfufs ist gestreckt und schmal und die dicht nebeneinander liegenden Zehen ragen nicht weit aus ıhm vor, so dafs auch hier, wie bei den Vorderzehen , nur ein Glied von jeder über dufsere Backentaschen an Nagethieren. 17 sichtbar wird, und die Mittelzehe mifst mit Einschlufs des Nagels nicht mehr als fünf Linien. Die Augen sind von mäfsiger Gröfse, die Ohren klein und nur mit einem schmalen , nach hinten etwas höheren Rande aus dem Pelz vor- ragend. Die nach Verhältnifs sehr grofsen und starken Vorderzähne sind, die unteren ganz, die oberen mit Ausnahme eines schmalen weifsen Ran- des gegen ihre Spitze hin, von braungelber Farbe ; die unteren ganz glatt und glänzend, die oberen etwas runzlich und jeder derselben nach seiner ganzen Länge durch eine schmale tiefe Furche in zwei ungleiche Hälften getheilt. Die Mundöflnung selbst ist eng, und wie bei so vielen andern Nagern, tief hinein mit Haar bewachsen. Da die Zahl und Bildung der Backenzähne bei den einzelnen For- men der Nagethiere sich so fest bestimmt zeigt und in so steter Über- einsimmung mit den äufseren Gattungsmerkmalen angetroffen wird , so war ich besonders begierig auf deren Beschaffenheit, um hieraus einen näheren Aufschlufs über die Verwandtschaft des räthselhaften Thieres zu einer der bekannteren Formen zu erlangen. Allein auch hierin zeigte es sich mir als von allem Bekannten abweichend. Wiewohl der Schädel an dem vorliegenden Exemplar gröfstentheils zertümmert war und die hintern Knochen desselben ganz fehlten, so waren doch die Kiefer an der einen Seite noch unversehrt und liefsen eine genaue Untersuchung zu. Der oberen Backenzähne sind fünf, der vordere derselben ist doppelt, gleichsam aus zwei an einander gewachsenen emfachen bestehend , die übrigen sind einfach, alle haben, aus den Alveolen hervorgezogen und für sich betrachtet eine fast cylindrische Form, eine hohle ungetheilte Wurzel und sind etwas gebogen und lang, der vordere fünf Linien auf einen Durchmesser von einer Linie. Die hinteren sind allmählig kürzer, doch eben so dick. Alle ragen kaum eine Linie hoch aus den Alveolen vor und haben platte in der Mitte etwas vertiefte Kronen mit einem ein- fachen Rand von Schmelz - Substanz , der oval oder kreisrund ist nach der Form des Zahns. Sie sind übrigens von einfachem Gefüge und es ist nichts von Falten oder Vertiefungen zu bemerken. Der unteren Backen- zähne sind vier und diese haben die einfache Gestalt der hinteren vier Oberzähne, mit deren mittleren sie auch in Länge übereinstimmen. Phys: Klasse 1822 - 1825. C 18 LicHTENSTEIN Eine ähnliche Bildung der Zähne finder sich bei keiner der bis jetzt bekannten Nagethiergattungen. Sie halten das Mittel zwischen de- nen der Stachelschweine und denen der Wühlmäuse ( Hypudaeus), doch sind sie einfacher als beide und auch der Zahl nach von beiden verschie- den. Am nächsten möchte auch in dieser Rücksicht wieder die Ver- wandischaft zu Bathyergus sein. Ich komme endlich zu dem merkwürdigsten Organ dieses Thiers, den Backentaschen nemlich. Es verhält sich damit folgendermafsen. Zu beiden Seiten über der Mundöflnung etwa einen halben Zoll von der Nasenspitze und in gleicher Höhe mit derselben fängı eine Haurfalte an, die sich in immer gröfserer Vertiefung nach hinten fortseizt und den Rand einer weiten Höhle abgiebt, die ganz in derselben Lage und Aus- dehnung wie bei den Hamstern sich bis an die Schultern erstreckt und an unserm getrockneten Exemplar eine Tiefe von ein und drei viertel Zoll hat, mithin fası den vierten Theil der ganzen Leibeslänge einnimmt. Die Hautfalte selbst aber erstreckt sich nur bis in die Mitte des Halses und die Öffnung ist kaum einen Zoll lang. Im natürlichen Zustand liegt diese Hautfalte glatt auf dem Unterkiefer an, so dafs man von der Höhle selbst nichts bemerkt. Ich erkannte das Thier nur an den Krallen und fand die Backentaschen erst nach einer eigends darauf angestellten Un- tersuchung, nachdem die Haut hinreichend erweicht war. Am lebenden Thier wird die Öllnung grofs genug und die Höhle geräumig genug sein, um den Daumen einer Mannshand hineinbringen zu können, und in die- ser möglichst geöffneten Lage stellt die Abbildung des Kopfes von der Unterseite die Backentaschen dar. Die innere Wand desselben ist nicht ganz nackt, sondern auf ähn- liche Weise wie der Schwanz und die 'Füfse mit zartem weifsen Haar bedeckl. Man könnte daraus schliefsen wollen, dafs sich diese Säcke möchten herauskehren lassen um die Gestalt anzunehmen, die sie in der Abbildung von Shaw haben, wie denn auch Oken an so etwas zu denken scheint, indem er sie den Schallblasen der Frösche vergleicht, allein abgesehn davon, dafs sich nicht gut begreifen läfst, durch welchen Mechanismus sie wieder eingezogen werden sollten , so ist jenes deshalb nicht möglich , weil die innere Duplicatur des Sacks mit der äufseren durch festes Zellgewebe so innig verbunden ist, dafs sie sich selbst völ- über aufsere Backentaschen an Nagethieren. 19 lig erweicht nicht anders als mit dem Messer von einander trennen liefsen, und es daher gewifs nur an einem frisch abgestreiften Thier möglich sein wird, die Backentaschen so herauszukehren, wie sie auf jener Ab- bildung erscheinen. Überdies kommt an der inneren Seite des abge- streiften Fells nichts von dem Sack zum Vorschein, indem ein starker Hautmuskel sie hier ganz überzieht. Ob in der inneren Mundhöhle noch Backentaschen vorhanden gewesen , liefs sich an unserm Exemplar nicht mehr beurtheilen. Es ist also wohl klar genug, dafs die Wilden welche dem General Prescot jenes berühmt gewordene Exemplar verkauften, es vorher künstlich und vielleicht mühsam genug so zugerichtet hatten , was auch durch die Anfüllung der Säcke mit Erde noch wahrscheinlicher wird, und dafs man also an äufsere Backentaschen in jener Form weiter nicht zu glauben hat. Es fragt sich dagegen wie sich diese Bildung zu den andern ähn- licher Art verhalte. Ich habe schon oben des Paca’s erwähnt, als des einzigen bis jetzt bekannten Beispiels von äufserlich eingehender Vertie- fung an den Seiten des Kopfes. Allein der Fall ist sehr weit von dem unsrigen verschieden. Am Paca nemlich reicht die Spalte nur vom Mundwinkel bis unter das Auge und wird nicht von der Haut, sondern von dem sonderbar flachen und breiten unteren Rand des Jochbogens gebildet. Man kann schwerlich glauben, dafs diese Höhle zum Einsam- meln von Nahrungsstoflen dienen könne, denn sie ist eng, nach unten geöffnet und nicht verschliefsbar. Überdies hat das Paca grofse innere Backentaschen , in denen es einsammelt und die, wenn sie gefüllt sind, den ganzen Ranmm unter dem Jochbogen einnehmen müssen, Eher kann man dagegen bei unserm Thier vermuthen , dafs diese äufseren Säcke zum Eintragen von Nahrungsstoflen dienen, denn sie sind dazu geräumig und tief genug und können durch den dehnbaren Haut- rand verschlossen werden. Freilich ist es immer noch schwer zu be- greifen, wie sie gefüllt werden, da wir aber schon vom Hamster wissen, dafs er zum Füllen und Leeren seiner inneren Säcke sich der Pfötchen bedient, so darf hier wohl etwas Ähnliches vermuthet und dabei die. seltsame Gestalt der Zehen, und ihre Lage nicht als bedeutungslos über- sehen werden. Wenn sich nemlich der Kopf den Füfsen nähert, passen Ca 20 Liıcutensteiın über äufsere Backentaschen an Nagethieren. die gewölbten Krallen nach Gestalt und Länge ganz in die Öflnung des Sackes. Sie scheinen vermöge der langen gespreizten Krallen ganz geeig- net, ein oder mehrere Saamenkörner aufzufassen und in den Sack hin- aufzubringen , wobei Schnauze und Zähne noch als mitwirkend gedacht werden müssen. Das Ausleeren bei der Rückkehr im Bau geschieht dann gewifs viel leichter als beim Hamster, so dafs die Vorrathskammern schnell genug gefülli werden mögen. Übrigens sind freilich erst noch Beobachtungen der Lebensart dieses Thieres und Nachrichten. über die Natur des Bodens, den es bewohnt, so wie über seinen Nahrungsstoff abzuwarten, ehe sich diese Vermuthung zur Gewifsheit erheben läfsı. Es ist im Obigen nachgewiesen , wie das hier beschriebene Thier nicht füglich zu einer der bekannten Gattungen gezählt werden könne, nnd wer auch sonst den zu häufigen Sonderungen abhold ist, wird in diesem Falle es nicht misbilligen können, dafs eine eigne Gattung dafür gebildet werde, die im System unmittelbar neben Dathyergus zu stellen ist. Ich bringe für diese Gattung den Namen 4scomys in Vorschlag und besiimme ihre Merkmale folgendermafsen. AuSUCHOFHMAESS:: DexTes primores exserti utrinque 2, scalpro cestriformi, inferiores pagina an- tica laevıgati, superiores sulco longitudinali exarati. Molares abrupti obducti, tritores , subcylindriei, coelorrhizi, coronide plana medio de- pressa, supra quini antıco didymo, infra quaterni. Rostaum compressum. Rhinarium cartilagineum prominulum. OcuLı mediocres. AvrıcuLAE brepissimae rotundatae. Saccunı buccales externi profundi, deorsum patentes. Caupa medieris nudiuscula nec squamata. Mammae: —— ! Prves distineti, antiei fossorü pentadactyü unguibus falewlaribus validis elon- gatıs; postici fere saltatorü, pentadactyli unguibus brevibus valıdıs. A. CANADENSIS 7. » Ascomvs. Mus bursarius Shaw. U, cc. Über dıe ägyptische Stachelmanus. Nachträgliche Bemerkungen zu der Abhandlung über die Stachelratten. Fo y Von H”- LICHTENSTEIN: [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 28. März 1822. I. dem naturhistorischen Theil des Prachtwerks: Description de Ü Egypte ist (Tab. 5. Fig. 4.) eine Art von Mäusen mit Stacheln unter dem Na- men Echimus d’Egypte (1) abgebildet, von welcher ich in meiner Ab- handlung über die Stachelratten (2) vermuthete, sie werde dieser Gat- tung mit angehören. Die Frage liefs sich nicht zur Entscheidung brin- gen, da der zu dieser Abbildung gehörige Text noch nicht geliefert ist, mithin über die eigentlichen Gattungsmerkmale nicht geurtheilt wer- den konnte. Die Thätigkeit meiner auf Veranstaltung der Akademie gegenwärtig in Ägypten reisenden Freunde, der Doctoren Ehrenberg und Hemprich, hat mich in den Stand gesetzt, diesen fraglichen Punkt jetzt aufzuklä- ren und jene berühmte Abbildung mit einer Erklärung zu versehn. Sie haben mehrere‘ Exemplare des merkwürdigen Thiers von unterschie- denem Alter aus Cahira übersandt, aus deren Untersuchung sich folgen- des ergiebt. Die cahirische Stachelmaus ist eine wahre Maus im engsten Sinne des Worts, und darf keinesweges der Gattung Loncheres zugesellt wer- den. Sie hat nemlich nicht nur alle äussere generische Kennzeichen mit der Hausmaus gemein, sondern auch die Zahl der Backenzähne und die (1) Mus cahirimus Geoffr., La souris du Catre Cuvier Regn. anim.I. p. 198. (2) Abhandlungen der Akademie von ıSı8 und ı819. S. 196. 22 LICHTENSTEIN Bildung derselben, bis in die feinsten Verhältnisse ihrer relativen Gröfse und Gestaltung. Sie weicht also darin von den übrigen mit Stacheln versehenen Na- gethieren ab, welche sämmtlich, mit Ausnahme des stachligen Eichhorns, vier schmelzfaliige Zähne, an jeder Seite im Ober - und Unterkiefer ha- ben und eine für sich bestehende Gattung bilden. Von allen andern wahren Mäusen ist aber nun diese eben durch die Stacheln hinreichend unterschieden. Um den specifischen Charakter zu vollenden, kann man hinzusetzen, dafs sie vier und einen halben Zoll lang 5 sei, einen eben so langen Schwanz, auflallend (beinahe zwei Zoll) lange 5 Bartborsten und breite zugerundete Ohren habe. In den Verhältnissen der Längenmaafsen stimmt sie mit der Hausmaus überein, in der Dicke des Leibes und der Kopfform hat sie mehr von der Ratte. An Gröfse der Ohren übertrifft sie beide, an Länge und Zahl der Barıborsten alle an- dere Arten. Die Füfse sind etwas stärker als bei der Hausmaus, doch ganz wie bei dieser gebildet, und auch hier mit einem Daumen ohne Na- gel. Auch die Farbe gleicht sehr der der Hausmaus, nur ist sie, zumal bei den jüngeren Individuen, reiner, vom Scheitel bis Mittelrücken ein- fach grau und an den übrigen Theilen ins bräunliche übergehend. An den alten Exemplaren isı sie am Kopf und um Nacken und Schulter verschos- sen graubraun und das Borstenhaar zeigt sich hin und wieder hellgrau, auf dem mit Stacheln versehenen Hinterrücken aber, dessen Grundfarbe dunkelbraun ist, sind der grauen ja fası weilsen Borsten viel mehr und sie stehn, wie bei andern alternden Thieren regelmäfsig zwischen den dunk- leren zerstreut. An den jungen Exemplaren bemerke ich viel Verschie- denheit der Färbung. Einige sind auf dem Rücken nach dessen ganzer Länge hellgrau, andre haben den Hinterrücken hellbraun, noch andre fast vostfarbig. Einzelne Exemplare, sowohl junge als alte, zeigen einen auf- fallenden weifsen Fleck hinter den Ohren, der sich auch schmaler nach vorn hinzieht und zuweilen das ganze Ohr an der Wurzel umgiebt. In- dividuen mit und ohne diesen Fleck finden sich an einem und demselben Ort, auch zeigt er sich an den Männchen sowohl als an den Weibchen. Der Unterleib ist an allen Exemplaren rein weifs. Nur von der Mitte des Rückens an verwandelt sich das Borsten- haar allmählich in Stacheln, je weiter nach der Schwanzwurzel hin, über die ägyptische Stachelmaus. 23 desto dichter gedrängt und desto länger und spitzer zeigen sie sich. Um die Schwanzwurzel her stehn endlich die längsten, welche vier Linien messen. Auch die Seiten der Schenkel tragen dergleichen, doch sind sie mehr zwischen dem Haar zerstreut und versteckt. Die Form dieser Stachein ist ganz dieselbe, wie bei den Zoncheres Arten; es sind platte breite Borsten mit einem nach der Oberseite sich aufschlagenden stärke- ren Rande, so dafs sie unten glatt, oben der ganzen Länge nach gefurcht erscheinen. Der Schwanz ist nackt, mit Schuppenringen, von hun- dert und zwanzig bis hundert und dreifsig an der Zahl, umgeben, zwi- schen ihnen brechen kurze Borsten hervor, die auf der Oberseite des Schwanzes sich früh abzureiben scheinen, aber auf der Unterseite sich länger erhalten. So wie der Schwanz schon an Dicke den der Hausmaus übertrifft, so zeigen sich auch die Ringe viel breiter und derber, an der Wurzel sind sie wahre Knochenringe, vergleichbar denen der Gürtel- thiere. Eben so derb sind die dazwischen stehenden Borsten, die man wohl Stacheln nennen kann, nur sind sie nicht platt sondern rund, und ohne jene Furche auf ihrer Oberseite, was aber freilich nur mit bewall- netem Auge zu bemerken möglich ist. Die Lebensart dieser Maus bietet wenig auffallendes dar. Um Cahira und im Fayum trafen unsre Reisende sie häufig im Freien an. Weiter Nilaufwärts, besonders bei Syene, war sie viel in den Häusern und Hütten. Aus Nubien sind uns keine Exemplare mitgesandt ; viel- leicht kommt sie also dort nicht mehr vor, Einen andern Namen, als den allgemeinen Namen der Mäuse Firan, wufsten die Eingebornen für dieses Thier nicht beizubringen. Die angeführte Abbildung in dem berühmten Prachtwerk über Ägypten versinnlicht die Gestalt des Thieres sehr gut und scheint mir, soweit es die gewählte malerische Stellung zu beurtheilen erlaubt, in al- len Verhältnissen treu. Nur die Form der Stacheln, die Fufsbildung, die Länge der Barthaare und die Färbung werden daraus nicht deutlich. Cuvier, welcher an der oben citirten Stelle dieses Thiers mit we- nigen Worten gedenkt, fügt hinzu, Aristoteles habe dessen schon er- wähnt. Dies ist allerdings gegründet. Im leizten Capitel des sechsten Buchs der Thiergeschichte sagt nemlich Aristoteles: ,,Die Mäuse ın ” „‚Agypten haben ein hartes Haar, fast wie die Erd-Igel” — und in dem 24 Lıicurtensteiın über die ägyptische Stachelmaus. Buche von wunderbaren Sagen: ‚‚In Syene sagt man, giebt es nicht „eine, sondern mehrere Arten von Mäusen, die sowohl in Gestalt als ‚Farbe verschieden sind, einige mit plattem Kopf wie die Wiesel, andre „mit Stacheln, die sie Igel nennen.” Beide Stellen hat auch Plinius, fast mit denselben Worten. Da nun in der ersten derselben die Stachel- maus geradezu dem Igel entgegengesetzt wird, in der andern aber zwei der Form nach verwandte Thiere zusammengefafst werden, so läfsı sich keine derselben auf den Igel selbst deuten, sondern es mufs dieses ein- zige aufser ihm noch Stachel tragende Säugethier in Ägypten, das über- dies dort sehr häufig anzutreflen ist, gemeint sein. Wie vielfaches Mifs- verständnifs übrigens diese Stellen erfahren haben, ist hier der Ort nicht, auseinander zu setzen. — aD — Über \ das Verhältnils der Krystallform zu den chemischen Proportionen 3 Von ma. MITSCHERLICH. Dritte Abhandlung: über die künstliche Darstellung der Mineralien aus ihren Bestandtheilen. [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Februar 1823. ] 0% das Urgebirge unserer Erde, deren Form einen flüssigen Zustand voraussetzt, in Wasser aufgelöst war, oder ob die Temperatur der Erde einst so hoch gewesen sei, dafs die Bestandtheile des Urgebirgs flüssig waren ? Diese Frage hat man verschiedentlich beantwortet, und die Ant- wort durch Gründe unterstützt, wie die geologischen Beobachtungen und der Zustand der Untersuchungen der chemischen Verbindungen, welche unsere Urgebirge zusammensetzen, diese Gründe herbeiführten. Neue Beobachtungen und die Entdeckung neuer Gesetze für diese Verbindun- gen müssen zugleich ein neues Feld zu Speculationen, zu Beobachtun- gen und Versuchen in der Geologie eröffnen. Von allen Entdeckungen unserer Zeit hat keine einen solchen Einflufs auf den Zustand der Mi- neralogie ausgeübt, als die Lehre von Jen bestimmten Verhältnissen, und insbesondere hat das Resultat von Berzelius Untersuchungen, dafs nämlich die chemischen Verbindungen, welche sich in der Natur finden, nach denselben Gesetzen zusammengesetzt sind, die er bei den künstlichen chemischen V erbindungen entdeckt hatte, den Standpunkt dieser W issen- schaft ganz verändert, und ein neues System der Mineralogie nothwendig gemacht, wodurch die Mineralien ganz in die Reihe unserer übrigen chemischen Verbindungen treten. Und dafs dies gegründet sei, zeigen Phys. Klasse 1822 - 1825. D 26 MITSCHERLICH auch die Gesetze der Krystallographie , die bei den künstlichen und na- türlichen chemischen Verbindungen vollkommen dieselben sind. Man hat jeder chemischen Speculation, durch welche man ver- suchte, die Gesetze, welche die künstlichen chemischen Verbindungen bedingen, auch wieder in den Mineralien aufzufinden, den Vorwurf ge- macht, dafs die Chemie wohl die Mineralien in ihre Bestandtheile zerle- gen könne ; dafs aber, bei der Bildung der natürlichen Verbindung, Kräfte der Natur thätig waren, die die Kunst nie wieder schaffen könne. Allein dieser Vorwurf ist unrichtig, denn die Kraft der chemischen Verwandt- schaft, die bei unsern künstlichen Processen thätig ist, ist eben sowohl eine Kraft der Natur, als die Verwandtschaften, die die Zusammensetzung der natürlichen chemischen Verbindungen bedingen, und man hat bei diesem Vorwurf modifieirende Umstände mit Gesetzen verwechselt. Am leichtesten wird der Chemiker diesem Vorwurf entgehn, wenn er ver- sucht, die Mineralien aus den Elementen, welche die Analyse gegeben hat, wieder zusammenzusetzen, und wenn er zeigen kann, dafs diese künstlichen Verbindungen in allen ihren Eigenschaften vollkommen den natürlichen gleichen. Solche Versuche werden auch für die Geologie neue Resultate geben, wenn wir viele der Erscheinungen, welche bei der Bildung der Erde statt gefunden haben, noch einmal wiederholen und viele Beobachtungen anstellen können, die zu neuen Resultaten für die Geologie und zu neuen Speculationen führen, und ihre Bestätigung durch geologische Beobachtungen erhalten können ; man kann auf diese Weise versuchen, die Beobachtungen, die man im Grofsen gemacht hat, im Kleinen zu wiederholen und zu bestätigen, und umgekehrt, die Be- obachtungen, die man im Laboratorium gemacht hat, wird man in der Natur wieder aufsuchen können; und alle solche Beobachtungen sind von grofsem Werthe, weil man, je nachdem man eine Ansicht verfolgt, die Versuche willkührlich einrichten und modificiren kann. Die Wichtigkeit solcher Versuche mag mich entschuldigen, wenn ich heute der Königlichen Akademie einige Resultate vorzulegen wage, die zwar hinreichend beweisen, dafs man die Mineralien durch Kunst darstellen könne, aber noch weit davon entfernt sind, den Erwartungen zu entsprechen, die man von solchen Versuchen hegen darf, wenn sie einmal gelungen sind. über die künstliche Darstellung der Mineralien. 27 ‚Berzelius hat in seinem chemischen System der Mineralogie ge- zeigt, dafs der gröfste Theil der chemischen Verbindungen , welche un- sere Erde und insbesondre das Urgebirg zusammensetzen, unsern Salzen und Doppelsalzen analog sind; dafs in diesen Verbindungen die Kiesel- erde, die Kohlensäure und das Eisenoxyd sich als Säuren verhalten; die Kieselerde verbindet sich mit der Alaunerde, dem Eisenoxyd, der Talk- erde, dem Manganoxydul, Eisenoxydul, dem Kali und Natrum, indem sie mit diesen Basen Salze und Doppelsalze in bestimmten Proportionen auf verschiedenen Stufen der Sättigung bildet; die Kohlensäure ist mit der Kalkerde und Talkerde verbunden, und das Eisenoxyd mit dem Eisenoxydul. Bei den Versuchen , die ich erwähnt habe, mufs es daher unser Zweck sein, das Verhalten der drei Säuren, insbesondere der Kieselerde, gegen diese Basen zu untersuchen. Glücklicherweise sind wir bei die- ser Untersuchung noch durch einen andern Umstand begünstigt; es be- ruht nämlich eine vollständige und gute Ausscheidung eines grofsen Theils der Metalle auf dem Verhältnisse der Kieselerde zu den Basen, die ich genannt habe, auf den Graden der Sättigung, auf denen sich die Kieselerde mit diesen Basen verbinden kann, und auf der Intensität der Verwandtschaft, womit diese Basen sich mit der Kieselerde vereinigen, und im Allgemeinen auf den chemischen Eigenschaften der verschiedenen Verbindungen. Der Hüttenmann mufs, um seinen Zweck vollständig zu erreichen, je nachdem seine Erze verschieden sind, verschiedene che- mische Verbindungen der Bestandtheile, die seine Erze zusammensetzen, hervorzubringen suchen, und zwar müssen diese Verbindungen nach be- stimmten Verhältnissen zusammengesetzt sein, welche er entweder durch die Auswahl der Erze, oder dadurch bewirkt, dafs er eine fremde Sub- stanz zusetzt; die Schlacke, welche der Hüttenmann auf diese Weise er- hält, sind gewöhnlich Mineralien, die man schon in der Natur gefunden hat, theils auch neue Species. Auf einer Reise in Schweden bemerkte ich zuerst in Fahlun, wo ich die Erze, die man verschmilzt, die Schlacke, und die Operation des Ausschmelzens selbst untersuchte, um mir eine Ansicht des chemischen Processes beim Ausschmelzen des Kupfers zu erwerben, nicht allein einzelne ausgebildete Krystalle in den Schlacken, sondern ich fand auch dafs die ganze Masse der Schlacke ein DR2 28 Mırtscnerviıch krystallinisches Gefüge habe, und dafs sowohl die Krystalle, als auch die Bläuterdurchgänge der derben Schlacken, wenn sie bei einer und dersel- ben Arı des Processes hervorgebracht waren, wenn auch zu sehr ver- schiedenen Zeiten, sich fortdauernd gleich geblieben waren und gleich blieben. Die Untersuchung der krystallinischen Figur dieser Schlacken zeigte bald, dafs die Krystallisation derselben zugleich die Krystallisauon desjenigen Minerals ist, welches eine der Schlacke analoge Zusammen- setzung hat. Ich habe bei den andern Hüttenprocessen, die ich in Schwe- den gesehen habe, fast bei jedem verschiedene krystallisirte Verbindun- gen, die den natürlichen entsprechen, gefunden ; so habe ich in Fahlun das Silicat und Bisilicat des Eisenoxyduls, in Garpenberg Glimmer, und Pyroxene an verschiedenen Orten gefunden, und zwar diese Körper ganz in derselben Krystallfigur und mit denselben physicalischen Eigenschaften, wie die ihnen entsprechenden Mineralien. Seit meiner Zurückkunft von Schweden habe ich diesen Gegenstand weiter verfolgt; ich habe verschie- dene Producte, die ich erhalten habe, analysirt, und die Analyse hat das, was das Äufsere zeigte, bestätigt; ich habe eine Reise zu verschiedenen Hütten in Deutschland gemacht und bin von meinen Freunden sehr bei dieser Untersuchung unterstützt worden, so dafs ich schon jetzt über vierzig krystallographisch verschiedene Substanzen (1), die durch Schmel- zung hervorgebracht sind, besitze, wovon ein grofser Theil bekannte Mineralien sind; ein Theil davon neue Arten, die man noch nicht in der Natur gefunden hat. Ich übergehe die Beschreibung und Aufzählung dieser einzelnen Arten, und ziehe es vor, der Königlichen Akademie die Exemplare selbst vorzulegen. (1) z.B. das Subsilicat, und das Silicat des Eisenoxyduls, das Silicat des Eisenoxyduls und des Kalks, das der Talkerde und des Kalks, (die primitive Form und die sekundären Flächen der Krystalle dieser Silicate sind die des Peridots), das Bisilicat des Eisenoxyduls, das des Kalks und Eisenoxyduls, die Bisilicate der Kalkerde und Talkerde ; in welchen (ich besitze davon viele Exemplare von verschiedenen Hohöfen) die relative Menge der Kalkerde und Talkerde sehr verschieden ist; die primitive Figur und die secundären Flächen der Krystalle dieser Bisilicate sind die des Pyroxens; ferner: das Trisilicat der Kalkerde, und das des Kalks und der Talkerde ; ferner : Glimmer, Kupferosydul, Rupferoxyd,. Zinkoxyd, oxydirtes Fisen (ferroso-ferricum ), Schwefeleisen, Schwefelzink, Schwefelblei, Arsenik- nickel (Kupfernickel), und viele andere Substanzen in sehr gut ausgebildeten Krystallen. über die künstliche Darstellung der Mineralien. 29 Um jedoch das Verhältnifs dieser Versuche und Untersuchungen zur Mineralogie, Geologie und Hüttenkunde zu zeigen, wähle ich zwei Körper aus, das Eisenoxydulsilicat und den Glimmer von Garpenberg, um an die Beschreibung der Eigenschaften, der Zusammensetzung und der Bildung dieser Körper eine ausführliche Auseinandersetzung dieses Verhältnisses knüpfen zu können. Das Eisenoxydul SU Cat: Diese Verbindung, die beim Ausschmelzen des Kupfers und Frischen des Eisens von vieler Wichtigkeit ist, findet man sehr häufig in schönen und ausgebildeten Krystallen ; und ich selbst besitze viele Exemplare und zwar von verschiedenen Orten. Ich habe einige Krystalle, die ich bis zur Gröfse eines Viertel Zolls besitze, zur Analyse ausgesucht ; fein zer- vieben und geschlämmt, werden sie leicht durch Salzsäure zersetzt ; die Kieselerde bleibt unaufgelöst zurück, und die Auflösung enthält Eisen- oxydul, denn sie giebt mit Ammoniak einen schwach grünen Nieder- schlag; die Krystalle vom Kupferschmelzen enthalten etwas mechanisch beigemengtes Schwefeleisen und Schwefelkupfer. Ich habe Krystalle von verschiedenen Orten analysirt nach der Methode, die Berzelius anwendet. Die Krystalle vom Kupferprocefs enthalten nach meiner Analyse, wenn ich das mechanisch eingeschlossene Schwefelkupfer und Schwefel- eisen (1), und einen kleinen Verlust abrechne, in hundert Theilen 69, 07 Eisenoxydul. 50, 95 Kieselerde. (1) Wenn man eine Auflösung von Kupferoxyd und Eisenoxyd mit Ammoniak im Über- schufs fällt, so fällt mit dem Eisenoxyd immer etwas Kupfer nieder, das sich durch Ammo- nıak nicht aus dem Eisenoxyde herausziehen läfst. Um es zu bestimmen, mufs man das vom übrigen aufgelösten Kupfer getrennte und geglülıte Eisenoxyd ın Salzsäure auflösen, und durch die Auflösung eine Zeitlang Schwefelwasserstoff streichen lassen; das Eisenoxyd ändert sich in Fisenoxydul um, und mit dem dadurch ausgeschiedenen Schwefel fällt zu- gleich Schwefelkupfer nieder, das man dann leicht bestimmen kann; es betrug bei dieser Schlacke kaum % p. C. 30 MirtscuertiıchH Krystalle dagegen, welche sich beim Frischen des Eisens gebildet hatten, enthielten, in hundert Theilen 67, 24 Eisenoxydul 51, ı6 Kieselerde 0, 65 Talkerde 99, 08. Ich habe noch verschiedene andere Krystalle, welche sich theils beim Kupferschmelzen, theils beim Frischen gebildet hatten , analysirt, die mir ganz dasselbe Resultat gegeben haben ; einige Krystalle jedoch, die sich im Hohofen gebildet hatten, enthielten zwölf Procent Kalkerde; das Verhältnifs der Kieselerde dagegen, und des Eisenoxyduls war so, dafs der Sauerstoff der Kalkerde und des Eisenoxyduls zusammen gerech- net, eben so viel als der der Kieselerde betrug. Aus diesen Analysen folgt, dafs die Substanzen, welche die krystal- linische Figur dieser Verbindung zeigen, Silicate von Eisenoxydul sind, wenn man nämlich nach der Natur des Processes keine andere, dem Eisen- oxydul isomorphe Basis erwarten kann; ferner folgt daraus, dafs in dieser Verbindung der Sauerstoff in der Kieselerde, dem Sauerstoff im Eisenoxy- dul gleich ist. Wenn man nach diesem Verhälwifs die Zusammen- setzung dieser Substanz berechnet, so enthält sie in hundert Theilen 51, ı6 Kieselerde 68, 84 Eisenoxydul. Die Schlacke, die sich beim Ausschmelzen des berühmten Österby- Eisen bildet, hat dieselbe Krystallfigur, wie die Krystalle, die ich so eben beschrieben habe ; sie besteht hauptsächlich nur aus dem Silicat der Talkerde, das mit einem Antheil vom Silieat und Bisilicat der Kalkerde gemischt ist. Ich hoffe in einer andern Abtheilung dieser Abhandlung, in der ich mich mit dem Ausschmelzen des Eisens beschäftigen werde, mehr über diese Schlacke anführen zu können. Der Fläche P (Fig. ı.) parallel zeigen diese Krystalle einen sehr deutlichen Blätterdurchgang; weniger deutlich ist er nach 7’, und nur mit Mühe erhält man ihn parallel mit 7; diese drei Bläuerdurchgänge sind rechtwinklig auf einander. Die Symmetrie der Flächen, ihr Verhälwnifs gegen einander und die Blätterdurchgänge, zeigen dafs die primitive über die künstliche Darstellung der Mineralien. 31 Figur dieser Krystalle ein gerades Prisma mit rectangulärer Basis ist. Den Parallelismus der Flächen sieht man am besten aus der Zeichnung , die ich hinzugefügt habe. Die Fläche z macht mit z» einen Winkel von 150° 28’, als Mittel mehrerer Messungen, und die T angente dev Hälfte des Winkels, den 2 mit z macht, verhält sich zur Tangente der Hälfte des Winkels, den s mit s’ macht, wie 2? ı. Die Fläche A neigt sich en k unter $Sı° 24”. Wir haben unter den Mineralien nur eine Verbindung der iso- morphen Basen, welche auf ein Atom Metall zwei Atome Sauerstoff ent- halten, mit der Kieselerde, die so zusammengesetzt ist, dafs der Sauerstoff der Kieselerde eben so viel beträgt als der Sauerstoff der Basis; diese Ver- bindung ist der Chrysolith , ein Silicat der Talkerde, welches mit einer kleinen Menge eines Silicats von Eisenoxydul zusammen krystallisirt hat. Vergleichen wir die Blätterdurchgänge des Chrysoliths mit den Blätterdurchgängen des Eisenoxydul-Silicats, so sind sie vollkommen die- selben, sowohl in der Richtung als in der Deutlichkeit. Auch die‘ W in- kel, die die Flächen bilden, nähern sich einander bei beiden Substanzen so sehr, dafs die verschiedenen Krystalle des Eisenoxydul - Silicats eine eben so grofse Abweichung unter einander zeigen, als von den Krystallen des Chrysoliths. Die Winkel, die zur Berechnung nothwendig sind, habe ich durch Versuche mit dem Reflexionsgoniometer bei beiden Substanzen bestimmt ; ich will sie hier mit den daraus berechneten Winkeln anführen ; doch mufs ich bemerken , dafs ich weder beim Chrysolith noch beim Eisen- oxydul Krystalle von der Schönheit habe erhalten, die eine Genauigkeit, wie der Quarz oder der Kalkspath, zuliefsen ; die Besimmung der Winkel kann daher bis auf 10’ vielleicht sogar 15’ von der Wahrheit abweichen. o ses Chrysolith. Eisenoxydul-Silicat. n 2:m:1:150° 26’ 190.28 RE Haha 1.242, 46 Ve ale 7! Sı° 24’ k2P 150° 38% 150% 42 Zuge” 90° EP RT N 94° 56° 2: Fed 192004 2% 32 MıITsSseueExtich Aus dieser Vergleichung folgt, dafs die Krystallfigur, welche ich so eben beschrieben habe, den Silicaten der Basen zugehöre, in denen ein Atom Metall mit zwei Atomen Sauerstoff verbunden ist; wohin die Kalkerde, Talkerde, das Eisenoxydul u.a. m. gehören. Theorie der Ausschmelzung des Kupfers. Ich besitze drei Verbindungen der Kieselerde mit dem Eisenoxy- dul, das Subsilicat, das Silicat und das Bisilicat, und wahrscheinlich giebt es auch ein Trisilicat, da es ein Trisilicat der Talkerde und ein Trisilicat der Kalkerde und des Manganoxyduls giebt. Die drei Verbindungen der Kieselerde mit dem Eisenoxydul zeigen ein verschiedenes Verhalten, wenn sie bei einer erhöhten Temperatur mit Kohlen niedergeschmolzen wer- den ; das Subsilicat giebt bei einer Hitze, bei der das Roheisen schmilzt, in Berührung mit Kohle, die Hälfte seines Eisenoxyduls ab, das in me- tallischen Zustand übergeht, bilder dann das Silicat, welches einer viel höheren Temperatur ausgesetzt werden mufs, damit ein Theil des Eisen- oxyduls, welches es enthält, reducirt werde. Durch die Bildung des Sili- cats, und Bisilicats, und indem er die Bildung des Subsilieats sorgfälug vermeidet, gewinnt der Schmelzer das Kupfer frei von den Substanzen, womit es verbunden und gemengt war. Ich will hier einiges von dem Processe erwähnen, dessen man sich in Fahlun bedient, denen übrigens alle andere Processe gleichen , wo- durch man das Kupfer aus Erzen gewinnt, die Schwefelkies, Kupfer- kies und Quarz, oder blofs Schwefelkies und Kupferkies enthalten , weil man zu solchen Erzen beim Verschmelzen Quarz, oder irgend einen an- dern kieselerdehaltigen Körper hinzusetzt, um die Verbindungen, die ich gleich anführen werde, zu erhalten. Der Procefs in Fahlun hat zwei Schmelzungen; die erste Schmel- zung dient dazu, das in den Erzen enthaltene Kupfer zu concentriren, In- dem man den gröfsten Theil des Schwefelkies und alle Bergarı wegschaft. Bei dieser Schmelzung erhält man Schwefeleisen im Minimum mit dem gröfsten Theil des Schwefelkupfers, welches in den Erzen verbunden ; 5 und unter dem Namen Kupfer- o° stein bekannt; aufser dieser Verbindung erhält man eine Schlacke, die beim Erkalten ein krystallinisches Gefüge annimmt, und ein Bisilicat des diese Verbindung ist sehr leichtflüssi über die künstliche Darstellung der Mineralien. 33 Eisenoxyduls ist. Diese beiden Produkte erhält der Schmelzer auf fol- gende Weise. Die Hütte, die ich besuchte, verschmelzt hauptsächlich zwei Sorten Erze; die eine Sorte bestand aus Schwefelkies und Kupfer- kies, die andere aus Schwefelkies, Kupferkies mit sehr vielem Quarz ge- mengt. Beide Sorten wurden geröstet, der gröfste Theil des Schwe- felkieses wird dabei in Magneteisenstein, ein Theil in schwefelsaures Eisen, und es wird auch wohl das Schwefelkupfer theilweise in schwe- felsaures Kupfer sich umändern; ein Theil Schwefelkies bleibt unzer- setzt. Der Schmelzer kennt nun aus Erfahrung, wie viel er von jener ıarzhaltisen Sorte, und wie viel von dem gerösteten Schwefelkies er zu- qu 5 > 5 1 A 3 4 , quarzhaluges Erz auf ‘, zusetzen habe, um das Bisilicat zu bilden, ( ge- rösteten Schwefelkies ). Wenn der Schmelzer nun seine Operation begonnen hat, so be- obachtet er die Schlacke, und beurtheilt aus dem Verhalten derselben, ob er mehr vom gerösteten Schwefelkies,, also mehr Basis, oder ob er mehr von den quarzreichen Erzen zusetzen soll ; indem so der Schmelzer durch sein geübtes Auge die Schmelzung leitet, erhält er in der Schlacke immer ein solches Verhältnifs des Eisenoxyduls zur Kieselerde, dafs ein Bisilicat daraus entsteht; diese Schlacke ist durch ihre ganze Masse hin- durch blättricht, und zwar mit Blätterdurchgängen nach den Seitenflächen einer geschobenen Säule von ungefähr 85° und nach den Abstumpfun- gen der scharfen und stumpfen Seitenkante. Sollte etwa das Erz zu stark geröstet sein, so dafs nicht genug Schwefeleisen vorhanden wäre, um das Schwefelkupfer in sich aufzunehmen , dann wendet der Schmel- zer auch ungerösteten Schwefelkies an, den er zusetzt. Der Stein, den man auf diese Weise erhält, besteht aus Schwefeleisen und Schwefel- kupfer in geringer Menge mit einigen andern Schwefelmetallen verbun- den, die sich in den Erzen finden. Diese Schwefelverbindungen werden nun sechsmal geröstet, und ich habe in einem solchen gerösteten Roh- stein nur noch eine unbedeutende Spur Schwefel entdecken können ; er wird vom Magnet angezogen, sieht geschmolzen aus wie der geschmol- zene Magneteisenstein; die ganze Masse hat ein krystallinisches Ansehn, hin und wieder bemerkt man kleine Octaöder ; er löst sich geschläimmt in Salzsäure auf und besteht aus einer Verbindung von Eisenoxydul, Eisenoxyd und Kupferoxyd. Phys. Klasse 1822 - 1825. E 34 MıiTScHErLich Bei der Aussonderung des Kupfers aus dieser Verbindung tritt wie- derum ein Procefs ein, in dem die Kieselerde als Säure benutzt wird, um das oxydirte Eisen damit zu verbinden ; bei diesem Procefs erhält man in Fahlun das Silicat des Eisenoxyduls, das ich so eben beschrieben habe, als Schlacke und Schwarzkupfer (Rohkupfer), und zwar auf die Weise, dafs der Schmelzer eniweder Quarz zusetzt, oder dafs er von den gerösteten quarzreichen Erzen wählt; auch kann er die Schlacke vom Steinschmelzen dazu benutzen, die noch einmal so viel Eisenoxy- dul aufnehmen kann als sie enthält; bei dieser Operation wird, indem der geröstete Rohstem mit Kohlen und einem von diesen Zuschlags- mitteln niedergeschmolzen wird, das Eisenoxyd durch die Kohle zu Ei- senoxydul reducirt ; alles Eisenoxydul verbindet sich mit der Kieselerde, und das Kupferoxyd wird reducirt. Auch bei der Bildung dieser Schlacke leitet den Schmelzer sein geübtes Auge; das Ansehn der Schlacke zeigt ihm an, ob die Säure, der Quarz, oder die Basis, das Eisenoxydul des gerösteten Rohsteins, fehlen; und er erhält auf diese Weise fort- dauernd ein bestimmtes Verhälwmifs zwischen der Kieselerde und dem Eisenoxydul. Was das Garmachen des Kupfers anbetrifft, so habe ich dies auf dem Harz besser beobachten können als in Avestad; der Hauptzweck ist dort, das Kupfer von Arsenik und Antimon zu reinigen ; beide bil- den zwei flüchuge Oxyde, die man dadurch fortschaflen kann , dafs man das Kupfer in eigenen Heerden verschmilzt; indem es von der at- mosphärischen Luft getroffen wird, oxydiren sich Antimon , Arsenik, und zugleich ein Theil des Kupfers, das Kupferoxydul bildet , welches sehr leicht schmelzbar ist; es ist der Hauptbestandtheil der Garschlacke, die aufserdem grofse Krystalle von arsenigter Säure erhält; in dieser Garschlacke linden sich gleichfalls Krystalle, und zwar ist ihre Krystall- form dieselbe wie die des natürlichen Kupferoxyduls. Ich habe bei dieser Beschreibung nur eine theoretische Ansicht die- ses Hüttenprocesses geben wollen, und dabei manches einzelne mit Fleifs übergangen, weil es nur mein Zweck war, recht deutlich zu zeigen, dafs die Kieselerde bei diesem Procefs sich ganz wie eine Säure ver- hält. Ich hoffe in einer der Abtheilungen dieser Abhandlung diesen Ge- genstand noch weiter verfolgen zu können; ich wünsche nämlich zu zei- über die künstliche Darstellung der Mineralien. 35 gen, wie die Silicate, eben so wie gewöhnliche Salze zerseizt werden, dafs die stärkeren Basen, z.B. Natrum und Kali, Kalı und Talkerde, die schwächern des Eisenoxyduls und Manganoxyduls auszutreiben im Stande sind; es beruhen auf diesen Zersetzungen die chemischen Erscheinungen, welche im Hohofen statt finden; und die Natur, und die guten und schlechten Eigenschaften des gewonnenen Eisens ist von der Bildung der Silicate und ihrer Zersetzung abhängig. Ich werde auch erst dann auf die chemische Theorie, die beim Frischen des Eisens statt finder, kom- men können, und jetzt will ich nur so viel davon anführen, als zur Er- klärung der Entstehung des Eisenoxydulsilicats nothwendig ist. Der Zweck beim Frischen ist, dem Roheisen einen grofsen Theil seiner Kohle zu entziehn, und zugleich (und dies ist gerade die schwerste Aufgabe ) andere dem Roheisen beigemengte Bestandtheile, die das Stabeisen un- brauchbar machen, zu entfernen. Die Producte die man beim Frischen erhält, sind Stabeisen und Eisenoxydulsilicat, das man gewöhnlich beim Frischen krystallisirt erhält. Dem Roheisen kann man die Kohle sehr leicht entziehn, wenn man es mit oxydirtem Eisen gemengt schmilzt ; der Sauerstoff des oxydirten Eisens verbindet sich dann mit der Kohle des Roheisens, und das Eisen des oxydirten Eisens und das Roheisen bleiben im gefrischten Zustand zurück ; es ist dies sogar die einzige Me- thode, um aus Stabeisen vollkommen kohlenfreies Eisen darzustellen, Würde man auf diese Weise das Roheisen frischen , so würden zugleich alle schädlichen Bestandtheile zurückbleiben. Diese aufzunehmen und zu entfernen, dient die Frischschlacke; zugleich dient die Frischschlacke auch dazu , mittelbar das Roheisen zu entkohlen. Indem nämlich, wenn der Frischer seine Arbeit anfängt, ein Theil Eisen sich oxydirt, so verbindet sich das so gebildete Eisenoxydul mit der Kieselerde, die theils durch die Kohle als Sand in den Heerd kömmt, theils durch die Oxydation des Siliciums des Eisens gebildet, zuweilen auch mit Fleifs zugesetzt wird, und bildet das Silicat; wird mehr Eisen verbrannt, so entkohlt dies theils das oxydirte Eisen, indem es mit dem Roheisen auf die Weise, die ich eben angeführt habe, in Berührung kömmt; theils verbindet es sich mit dem Silicat und bildet ein Subsilicat, das, da es sehr leicht schmelzbar ist, in vielen Punkten mit dem Roheisen in Berührung kömmt, und die- ses auf die Weise entkohlt, dafs die Hälfte des Eisenoxyduls zu Eisen E2 36 Mıtscuertiıcn reducirt wird, und sich ein Silicat bildet. Das Silicat nun nimmt, indem es häufig und innig mit dem Eisen in Berührung kömmt, zugleich die dem Stabeisen schädlichen Bestandtheile auf. Der Glimmer von Garpenberg. Auf den Schlackenhügeln beim Schlosse Garpenberg findet sich diese Substanz , die bei älteren Hüttenprocessen gebildet wurde ; diese sind häufig auch in den letztern Jahren verändert worden, und die Pe- riode der Schmelzung, wo der Zuschlag von der Art war, dafs dieser Glimmer gebildet wurde, hat nur einige Jahre gedauert. Die Substanz schmilzt leicht vor dem Löthrohre, eben so leicht wie die gewöhnlichen Kupferschlacken , so dafs es keinem Zweifel unterworfen ist, dafs sie nicht im Ofen im geschmolzenen Zustand gewesen sei. : Diese Schlacken bilden eine homogene Masse von angehäuften Glim- mermassen; die Glimmerblättchen haben häufig. die Gröfse von 2” bis 5”, sind leicht spaltbar und haben ein sehr blättriches Gefüge; Glanz, Härte, Biegsamkeit, Durchsichtigkeit, kurz alle physicalischen Eigenschaften ıthei- len sie mit dem Glimmer, der in der Natur vorkömmt. In den Dru- senhöhlen, die durch Abkühlung der Schlacke sich gebildet, haben sich sechsseitige durchsichtige Tafeln abgesondert. Nach der Analyse bestehen hundert Theile aus 47, 31 Kiefelerde 5, 74 Thonerde 28, gı Eisenoxyd 0, 48 Manganoxyd 6, 25 Kalkerde ı0, ı7 Talkerde 1, 05 Kali 99, 89. Dieser Glimmer enthielt ein wenig Schwefeleisen mechanisch bei- gemengt, das ich abgezogen habe. Das fein geschlämmte Pulver dieses Glimmers wird durch Salzsäure zersetzt; die Auflösung giebt mit Am- moniak einen rothen Niederschlag, das Eisen befindet sich also als Oxyd über die künstliche Darstellung der Mineralien. 37 darin; übrigens schliefst er sich nur schwer mit Säure auf, ich habe daher bei der Analyse salpetersauren Baryt zum Aufschliefsen anwenden müssen. Vergleicht man das Resultat dieser Analyse mit der Zusammen- setzung anderer von Klaproth analysirten Glimmerarten, so stimmt es am ersten mit der Zusammensetzung des schwarzen Siberischen Glimmers überein, bei dessen Analyse er in hundert Theilen Glimmer erhielt, 42, o Kieselerde. ı1, 5 Thonerde. 10, 0’ KRalı. 22, o Eisenoxyd. 9, o Talkerde. 2 ‚ o Mangan. Er unterscheidet sich nur davon durch einen geringern Gehalt an Kali und einen gröfsern an Kalkerde. Ich werde hieran einige Beobachtungen über den Zusammenhang geologischer Erscheinungen mit den Thatsachen, die ich so eben ange- führt habe, anknüpfen. Der Glimmer ist eine der Substanzen, die den gröfsten Theil un- sers Urgebirgs ausmachen ; viele andere Körper, die ich späterhin er- wähnen werde und die gleichfalls im Urgebirge sich finden , sind auf ähnliche Weise, wie der Glimmer, den ich so eben beschrieben habe, gebildet worden ; die Temperatur, bei der Glimmer und Feldspath schmel- zen, ist nicht weit von der entfernt, bei der der Quarz schmilzt, und es ist daher wenigstens aus chemischen Gründen als unbestritten anzusehn, dafs das Urgebirge einst eine geschmolzene Masse gebildet habe. Ein solcher flüssiger Zustand erklärt die Gestalt der Erde, die Zunahme der Temperatur nach dem Mittelpunkte zu, die heifsen Quellen und viele andere Erscheinungen. Ich berufe mich in dieser Hinsicht auf La Place, der ohne die chemischen Gründe, die ich angeführt habe, schon davon durch diese leiztern sich überzeugt hält. Nur einige Erscheinungen will ich noch anführen, um zu zeigen, wie leicht sich vieles, insbesondere viele chemische Erscheinungen in der Geologie, durch diese Annahme erklären lassen. 38 MITSCHERLICH Das Urgebirge ist über der ganzen Erde verbreitet, und diese Ver- breitung macht es nothwendig, dafs mit dem Urgebirge zugleich alle Be- standıheile der Erdenrinde die hohe Temperatur des Urgebirgs getheilt ha- ben; dadurch werden viele Umstände herbeigeführt, die die chemischen Verwandschaften der Körper gegen einander modificiren. Die hohe Tem- peratur des Urgebirgs hatte auch das Meer; der Kochpunkı des Was- sers richtet sich nach dem Druck der Atmosphäre; und wenn wir die Temperatur der Erde, z. B. um 80° R. erhöhen, so dürfen wir nur 52 Fufs von der mittleren Tiefe des Meers abgeben, um eine Atmosphäre Druck über der ganzen Erde mehr zu erhalten ; und durch diesen Druck wird dann auch der Kochpunkt des Wassers erhöht. La Place findet aus der Höhe der Ebbe und Fluth und den Gesetzen, von denen sie abhängig sind, dafs die mitilere Tiefe des Meers ungefähr vier Meilen be- trage. Nehmen wir z.B. an, dafs drei Meilen dieser Wassermenge durch die hohe 'Temperatur in dampfformigem Zustande sich befunden habe, so würde der Druck dieser Masse ungefähr 2250 Atmosphären bewragen ; dieser Druck mufs, nach den bisher bekannten Thatsachen , den Koch- punkt des Wassers so sehr erhöhen, dafs die Bestandtheile des Urge- birgs dabei eine homogene flüssige Masse bilden könnten, ohne dafs das sie bedeckende Wasser kochte, denn eine Meile Wasser wird nämlich, da es sich bei der Erhöhung der Temperatur nach einer steigenden Pro- poruon ausdehnt (und zwar ist diese Ausdehnung beim Wasser weit gröfser als bei der festen Masse unsers Urgebirgs) bei der Temperatur, bei der das Urgebirg flüssig ist, die ganze Erde bedecken ; und nach dieser Ansicht ist es nothwendig, dafs das Urgebirge unserer Erde unter einer glühenden Wasserdecke erkaltet sei. Dieser grofse Druck so vie- ler Wasseratmosphären modifieirt die Verwandschaft der Elemente, aus denen das Urgebirg zusammengeseizt ist. Das Urgebirg unterscheidet sich von den späteren vulkanischen Bildungen in chemischer Hinsicht besonders dadurch, dafs die Kalkerde und Talkerde, die im Urgebirge mit Kohlensäure verbunden ist, in den vulkanischen Bildungen mit der Kieselerde Silicate bilden; allein es ist natürlich, dafs die Kieselerde, die bei dem gewöhnlichen Druck der Atmosphäre und einer erhöhten Temperatur die Kohlensäure austreibt, sie unter einem Druck von so vielen Atmosphären nicht austreiben kann, und in chemischer Hinsicht über die künstliche Darstellung der Mineralien. 39 ist es nicht auffallend, wenn man Quarzkrystalle im Carrarischen Mar- mor findet; bei den vulkanischen Bildungen fehlte dieser Druck , und es mufste die Zersetzung statt finden, wie sie in unsern Laboratorien und beim Hüttenprocefs statt findet. Aus dieser Ansicht ersieht man leicht, wie das Urgebirge wasserhaltige Fossilien, z. B. Gyps und kohlensaure Salze, ja wie sogar Wasser sich im Quarz befinden kann. Und was gerade die letztere Erscheinung anbetriflt, so sind Davy’s Versuche ein neuer Beweis für die Richtigkeit der Ansicht, die ich angeführt habe. Übrigens wird diese Ansicht durch neue Versuche von Cagnard de la Tour über das Verhalten wropfbar flüssiger Körper bei hohen Tempe- raturen etwas modiflieirt, und nach seinen Versuchen ist es nothwendig, dafs die ganze Wassermenge unsrer Meere bei der Temperatur, wo die Bestandtheile des Urgebirgs fliefsen,, eine elastische Flüssigkeit gebildet habe; die da, wo sie das fliefsende Urgebirg berührten, sehr verdichtet gewesen sein mufste. Eine Erscheinung, die uns näher liegt, kann man gleichfalls auf diese Weise sehr leicht erklären; eine grofse Reihe von Erscheinun- gen machen einen »höhern Stand des Meeres als der jetzige ist, sehr wahr- scheinlich ; das Meer dehnt sich bei der Erhöhung der Temperatur viel mehr aus, als das Land; wenn die ganze Erde eine Temperatur von 8o° R. hat, und die mittlere Tiefe des Meeres vier Meilen beträgt, so steht das Meer schon 2000 Fufs höher als jetzt, wenn man nämlich die Ausdehnung der Gebirge durch die Wärme der Ausdehnung des Glases gleich setzt; und bei einer Temperatur von 200°, und sogar noch bei einer viel niedrigern Temperatur der Erde, wird das Wasser des Meers unsere höchsten Übergangsgebirge, oder im Allgemeinen alle Berge be- decken, auf denen wir Überreste von Meerbewohnern gefunden haben. Die Erklärung ist um so einfacher, da diese erhöhte Temperatur der Erde theils noch von der allmähligen Erkaltung, theils auch durch eine geologische Revolution , die zugleich die erste organische Schöpfung zer- störte , herbeigeführt werden konnıe, ist das Urgebirg und sind die vulkanischen Bildungen flüssig ge- wesen, und haben dann krystallisirt, so müssen wir gleichfalls auch in ihnen die Gesetze wieder aufzufinden suchen , die wir im Allgemeinen bemerken, wenn ein flüssiger Körper durch Erkalten fesı wird ; Geseıze, 40 MITScHeErricH die übrigens verschiedene Modificationen erleiden, nach der chemischen Natur der Körper, und der krystallischen Textur , die sie beim Erkalten annehmen. Für die Erscheinungen , welche in dieser Rücksicht bei den vulkanischen Bildungen, und insbesondere beim Basalt, statt finden, be- sitze ich einige erklärende Stücke. Bei Sahle sind die Schlacken so voll- kommen dem Basalte ähnlich , dafs das geübteste Auge sich dadurch täu- schen läfsı; selbst die Drusenhöhlen sind mit Krystallen von Pyroxen angefüllt ; diese Schlacken zeigen keine Absonderungsebenen , deutlicher sind aber die Absonderungsebenen des Bisilicats von Fahlun, welches mit dem Basalt im Allgemeinen eine analoge Zusammensetzung hat; und bei dieser Schlacke sieht man recht deutlich, wie die Axen fast aller einzelnen kleinen Krystalle, die den blätrigen Bruch der Schlacke hervorbrin- gen, perpendiculär auf der Erkaltungsebene stehn ; noch auflallender bemerkt man dieses an einem Exemplar , das ich Fig. 5 abgebildet habe, und das man dadurch erhalten hat, dafs man die Schlacke in eine Form gofs; beim Krystallisiren dieser Schlacke waren verschiedene Erkaltungs- ebenen, und man sieht es an ihr sehr deutlich, wie auf jeder Erkal- tungsebene die Absonderungsflächen perpendiculär stehen. Gerade wie bei dieser Schlacke, verhält es sich mit der Absonderung beim Basalt. Am besten können wir die Erscheinungen, wenn ein flüssiger Körper in einen festen Zustand übergeht, beim Schwefel beobachten ; und zwar kann man aus den Erscheinungen bei der Erkaltung des ge- schmolzenen Schwefels um so leichter einen Schlufs auf ähnliche Er- scheinungen im Urgebirge machen , da die primitive Figur des erkalte- ten Schwefels zu der Klasse gehört, wozu man die primitve Figur des Feldspaths rechnet; übrigens findet diese Erscheinung bei allen Kör- pern, die ich habe untersuchen können, z. B. auch beim Wasser, ohne Ausnahme statt. Wenn nämlich ein flüssiger Körper bis zu einem gewissen Punkt erkaltet ist, z. B. der Schwefel in irgend einem runden Gefäfs, und er fängt an fest zu werden, so legt sich nicht etwa, wie man doch erwar- ten sollte, eine Kruste erkalteten Schwefels an das kalte Gefäfs, und auf die Kruste wieder eine zweite, sondern im Gegentheil, wenn sich ein Krystall an die Wand des Gefäfses erst angeseizt hat, so setzt sich der Krystall nach der Richtung seiner Axe durch die ganze Masse fort, über die künstliche Darstellung der Mineralien. 41 und zwar so, dafs nachdem er sich von der einen Wand des Gefäfses zur andern erstreckt, die ganze Masse um den Krystall herum noch flüs- sig bleibt, und sehr häufig erkaltet, ohne dafs ihre Theile die Richtung des Krystalls angenommen haben. Wenn man nun die erkaltete Masse untersucht, so findet man, dafs da, wo der Krystall sich gebildet hatte, die Masse einen deutlichen blättrichen Bruch hat, und dafs um den Kry- stall herum die vorher länger flüssig gebliebene Masse viel weniger die krystallinische Textur zeigt. Auf diese Weise kann man leicht erklären, wie Gänge von grobkörnigem Granit den feinkörnigen durchziehen, und viele andere Erscheinungen. Diese Beobachtung erklärt noch eine andere Erscheinung: wenn wir nämlich, indem die Masse halb erkaltet ist, das noch flüssige ab- giefsen, so erhalten wir die Krystalle, welche sich in der flüssigen Masse gebildet hatten, einzeln, und man kann sie dann bestimmen. Giefsen wir die flüssige Masse nicht ab, sondern lassen sie lang- sam erkalten, so nimmt, wie dies bei den meisten Körpern der Fall ist, der feste Körper einen kleineren Raum ein als der flüssige, und es wird durch die Zusammenziehung der Masse dasselbe bewirkt werden , was beim Ausgiefsen statt findet; es werden sich Höhlen bilden, die mit schon ausgebildeten Krystallen besetzt sind. Dieser Erscheinung ist die Bildung der Drusenhöhlen im Urgebirge ganz analog. —222221020 m Phys. Klasse 1822 - 1829. F EN re ne kiserla | i isch hd Er opel works Ah, ae He ai x pi er A ar a FL ade E a BRAEN u EEE ern eur ae PR Ba Se ar nz satin eh 2 u x aha MR hot len ynintsdint: B. See ER a her ee Sintohhken u | ’ ner ug sap u ll: Be re h ’E RR an ige nk. ah rg te ie ae ee ai, | RR ug en Bi Bi: he £ ka ran ven. u, er re ni anne och Aa K:3: 2a h Fi 4 ur ae En ; SIT anreng en ee - We Er ES eg > BE ER Bw ; | 5 Über das Verhältnifls der Krystallform zu den chemischen Proport Ionen. JE Von VW mM IT SCHERLTCH. Vierte Abhandlung: über die Körper, welche in zwei verschiedenen Formen krystallisiren. [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. J'ny 1823. ] l. meiner zweiten Abhandlung findet sich eine Thatsache, die ich damals nur mit wenig Vertrauen bekannt gemacht habe, allein sie war so durch Versuche bestätigt, dafs ich durchaus keinen Irrthum , den ich begangen haben könnte, vermuthen durfie. Diese Thatsache , dafs nämlich ein Körper, wie z. B. das phosphorsaure Natrum , in zwei verschiedenen Formen krystallisiren kann, war bisher bei künstlichen Verbindungen noch nie beobachtet, und Hauy hält sich für überzeugt, dafs für eine solche Thatsache auch unter den Mineralien sich kein Beispiel finde. Es finden sich unter diesen zwar mehrere Beispiele, die sie bestätigen, aber unglücklicherweise treffen wir bei den Mineralien nur sehr selten auf Verbindungen , die ganz ohne fremde Beimischung sind; und wenn wir eine und dieselbe chemische Verbindung als Mi- neral in zwei verschiedenen Formen gefunden haben , so hat man auch immer bei dem einen oder andern Krystall Spuren von fremder Sub- stanz gefunden, die man als Ursache der Verschiedenheit der Formen ansehn konnte. Ich habe seit der Bekanntmachung meiner zweiten Abhandlung diesen Gegenstand weiter verfolgt, und ich darf es jetzt als eine aus- gemachte Thatsache ansehn: ,‚,‚dafs ein und derselbe Körper, es ist ° F 2 44 Mıtscueruicu über die Körper, „gleichgültig, ob er zusammengesetzt ist oder einfach, zwei verschie- ‚‚dene krystallinische Formen annehmen kann.” Ich habe diese Thatsache mehrere Male beobachtet; heute wün- sche ich aus den Beispielen, welche sie bestäuigen, den Schwefel zu wählen , welcher als einfacher Körper, die Richtigkeit dieser Beobach- tung zu beweisen, am besten sich eignet. D;err. ‚Sıekhiwie:t el. Die natürlichen Krystalle des Schwefels , die ich untersucht habe, finden sich in zwei verschiedenen Perioden der Revolution unserer Erde: im Kalkstein und in den vulkanischen Gegenden. Künstliche Krystalle habe ich mir auf zwei verschiedene Weisen verschaft, indem ich näm- lich Schwefelkohlenstoff, in dem Schwefel aufgelöst war, verdampfen liefs (1), und indem ich Schwefel schmolz und sehr langsam erkalten liefs (2). Die natürlichen Krystalle des Schwefels, und die Krystalle, die man aus dem Schwefelkohlenstoff erhält, haben dieselbe Krystallform mit denselben secundären Flächen , aber eine verschiedene von der des ge- schmolzenen Schwefels. Wenn man die natürlichen Krystalle des Schwe- fels schmilzt, so erhält man die Krystalle des geschmolzenen Schwefels, (1) Ich habe mir eine grofse Menge Schwefelkohlenstoff bearbeitet, und ihn so weit rectificirt, bis ungefähr ?, Theile übergegangen waren; den Rest, welcher die ganze Menge Schwefel, die der Schwefelkohlenstoff während seiner Bildung aufgenommen, enthielt, setzte ich in einem Gefäfse mit engem Halse der Luft aus. Indem sich nun der Schwefel- kohlenstoff langsam verflüchtigte, bildeten sich schöne Schwefelkrystalle; man mufs diese Krystalle, wenn man sie recht schön erhalten will, aus der Flüssigkeit herausnehmen, ehe aller Schwefelkohlenstoff ver dampft, weil sie sich gewöhnlich am Schlufs der Operation mit einer Rinde bedecken ; diese Krystalle sind durchscheinend, und gleichen vollkommen den natürlichen Krystallen. (2) Um recht grofse Krystalle von geschmolzenem Schwefel zu erhalten, habe ich in ei- nem gewöhnlichen Topf 50 Pfund Schwefel geschmolzen; ich liefs den Topf, umgeben mit schlechten Wärmeleitern, 4 bis 5 Stunden erkalten; auf der Oberfläche hatte sich eine dicke Kruste gebildet; diese durchstiefs ich, kehrte den Topf um, und liefs den Schwefel, der noch inwendig in der Masse flüssig war, herauslaufen; die Krystalle, welche ich auf diese Weise erhielt, hatten zuweilen den Durchmesser eines halben Zolls. Frisch bereitet, sind diese Krystalle durchscheinend; sie bleichen aber, der Luft ausgesetzt, sehr bald, und wer- den dann undurchsichtig. welche in zwei verschiedenen Formen krystallisiren. 45 und wenn man die Krystalle des geschmolzenen Schwefels in Schwefel- kohlenstoff, Terpentinöhl, oder in andern Auflösungsmitteln auflöst, so krystallisirt der Schwefel in der Form der natürlichen Krystalle heraus. Die primitive Form der Krystalle des natürlichen Schwefels und der Krystalle des Schwefels, die man aus Auflösungen erhält, ist ein Octaöder mit Rhombenbasis, so wie Hauy dieses bestimmt hat. Die Blätterdurchgänge sind parallel den Flächen ?; der Winkel, den ? mit P’ macht, beträgt nach meinen Messungen mit dem Reflectionsgonio- meter 84° 58’ und der den P mit P” macht, beträgt 145° ı7'; meine Messung entfernt sich nur wenig von den Winkeln, die Hauy ange- nommen hat. Über den Parallelismus der Kanten, und das Verhältnifs der Flä- chen , habe ich nichts anzuführen , weil man dieses aus den Zeichnun- gen selbst sehr leicht sieht, als etwa, dafs die Fläche s durch den Pa- vallelismus der Kanten — und — und der Kanten # und * bestimmt ist, denn es folgt aus diesem Parallelismus, dafs die Tangente des Winkels, den die Kante £ mit der Axe macht, sich zur Tangente des Win- p kels, welchen die Kante — mit der Axe macht, wie ı 2 5 verhalte. s Zeichen der Flächen. N Da die secundären Flächen durch ihre Lage bestimmt sind, so sind die Neigungen der Flächen , wenn man von den Winkeln, die ich so eben angeführt habe, ausgeht, folgende: Pius mir BERBSZHHN ER DE ER 1 rel Di, Du a0 dg Para s3 BE EN Dr Te 108: 245. ee N A ER eo ge ws Bit «Du = ,1062,38 HE — ro Yan VE ren a ya ch Die primitive Form der Krystalle des geschmolzenen Schwefels ist ein geschobenes Prisma mit Rhombenbasis (Fig. 7.); in dem M mit 46 Mıtscuzrticn über die Körper, . M, nach meinen Messungen mit dem Reflectionsgoniometer, einen Winkel von 90° 532’ macht, und ? mit M einen Winkel von 85° 544‘; die Flächen M passen sich besonders gut zu einer genauen Mes- ER, sung; die Blätterdurchgänge, welche sehr deutlich sind, sind den Flächen der primitiven Form parallel. , Der Parallelismus der Kanten , woraus das Verhältnifs der Flächen gegen einander folgt, ist genau in der Zeichnung angegeben. Die Kante 2 ist der schiefen Diagonale der Flächen ? parallel, die Kante — einer Fläche, die man durch die Ecken Z legt; die Kante 4 ist der Kante — parallel; aus diesem Parallelismus folgt, dafs die Tan- gente des Winkels, den die Kante r mit der Axe macht, sich zur Tangente des Winkels, welchen P mit der Axe bildet, wie ı 7 9 ver- halte; denn ich habe durch Messung gefunden , dafs die Tangente des Messungswinkels für die Decrescenzen auf der Ecke E sich zur Tan- gente des halben Winkels, den » mit z macht, wie 5 } ı verhalte. Die Krystalle des geschmolzenen Schwefels zeigen sich gewöhn- lich als Zwillinge von zwei verschiedenen Arten ; eine Art dieser Zwil- linge ist eine wirkliche Hemitropie (Fig. ı0.); diese Art von Zwilling findet sich sehr häufig bei allen den Krystallen ‚ deren primitive Figur ein geschobenes Prisma mit Rhombenbasis ist, z. B. bei der Hornblende und dem Augit. Die andere Art ist sehr merkwürdig, und sie hat sich bisher nur bei den Krystallen des geschmolzenen Schwefels gefunden. Der Kıystall ist, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen soll, nicht um die Hälfte, sondern nur um ein Viertel herumgedreht (Fig. ı1.); die Fläche d ist dann parallel mit der Fläche d des andern Krystalls, 4 ist die grade Abstumpfung der Kante 7; die Fläche n des einen Krystalls ist der Fläche zn’ des andern Krystalls parallel, womit sie nur eine Fläche bildet. Dieser Umstand giebt ein Mittel an die Hand, die Höhe des Prismas genau zu bestimmen, wenn man den Winkel, den die Sei- tenflächen unter sich machen, besimmt, und durch eine vorläufige Messung ausgemacht hat, durch wie viele Decrescenzen die Fläche n entstanden ist, und ich habe auf diese Weise die Höhe des Prismas be- summt., welche in zwei verschiedenen Formen krystallisiren. 47 Zeichen der Flächen. un sars 2 M H E D d n t Neigung der Flächen. o° ° Bud „052 AG n,sP — 195 0...0% MM. M.==1.1903:.32! nd 188 Bd = ‚BR wi rd '.42° Pi. ME... 88004 RT ET HN — OU ae... 197 400 IM. 26 — 238616. „De 2 = 127° '58 7 En. iD u 1.2: == 1405 u Ich habe den Schwefel nicht allein in Schwefelkohlenstoff, son- dern auch in Chlorschwefel und Phosphorschwefel aufgelöst ; der Schwe- fel löst bei einer erhöheten Temperatur sich sehr leicht in Chlorschwe- fel auf, und er krystallisirt aus der Auflösung heraus, wenn man die warme Auflösung erkalten läfst, hieraus folgt, dafs der Chlorschwefel bei einer höheren Temperatur mehr Schwefel aufzulösen im Stande ist, als bei einer niedrigern. Auf ähnliche Weise habe ich Phosphorkrystalle erhalten ; der Phosphor löst sich in Phosphorschwefel auf, der bei der gewöhnlichen Temperatur noch flüssig ist, und zwar löst sich auch der Phosphor bei einer höheren Temperatur darin in gröfserer Menge auf, als bei der gewöhnlichen, und er krystallisirt aus der erkalteten Auflösung , die flüssig bleibt, in grofsen und schönen Krystallen heraus. Man erhält auf diese Weise schöne und grofse Phosphorkrystalle, die reguläre Do- decaeder sind und keine secundäre Flächen zeigen (1). Der Schwefel löst sich in Schwefelkohlenstoff, in Phosphorschwe- fel und Chlorschwefel auf ; der Phosphor gleichfalls in Phosphorschwe- fel, und die Auflöslichkeit des Phosphors und des Schwefels nimmt mit der Temperatur zu; diese Erscheinungen sind vollkommen der Auflö- (1) Der Schwefelkohlenstoff löst auch eine grofse Menge Phosphor auf, aber ich habe daraus keine schöne Krystalle erhalten können, weder indem ich die Auflösung langsam er- kalten, noch indem ich sie langsam verdampfen liefs. 48 Mırscneruıcn über die Körper, welche u. s. w. sung der Salze im Wasser analog; es ist sehr wahrscheinlich, dafs sich das Arsenik eben so wie der Phosphor gegen den Schwefel verhält, ich meine nämlich, dafs die beiden Verbindungen des Schwefels und Arse- niks das Realgar ( 45°) und das Auripigment (45°), das Arsenik und den Schwefel gerade so auflösen, wie der Phosphorschwefel den Schwe- fel und den Phosphor, wie das Wasser die Salze auflöst, dafs wir aber nicht im Stande sind, den aufgelösten Schwefel vom Schwefelarsenik zu scheiden , weil wir das Schwefelarsenik nicht langsam genug erkal- ten lassen und nicht lange genug flüssig erhalten können. Und auf diese Weise kann man recht leicht die Beobachtung erklären, dafs Ar- senik und Schwefel mit einander, in welchem Verhältnifs man will, zusammengeschmolzen, eine homogene Masse bilden. Ich werde heute keine Betrachtungen über diese Thatsache hin- zufügen, eine Thatsache, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Untersuchung von Berzelius über den gewöhnlichen Schwe- felkies und über den weifsen Schwefelkies, steht; die Mineralogen bezeichnen mit diesen beiden Namen das Schwefeleisen im Maximum, welches , wie der Schwefel selbst, zwei verschiedene Formen annimmt. Dieselbe Thatsache finden wir beim Arragonit und Kalkspath, und ich hoffe, dafs die Erklärung, welche ich in meiner zweiten Abhandlung darüber gegeben habe, jetzt viel an Sicherheit gewinnen wird, da man jetzt im Stande ist, durch die beiden Krystallformen des Schwe- fels sich so leicht von der Wahrheit der Thatsache selbst zu über- zeugen. ——— DK DI Über die Verbindung des Eisens mit hohle. " Von. “ HM. .C..1..B. KARSTEN. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 17. April 1825.] D: Kenntnifs des Eisens ist so alt, als die Geschichte der Völker. Auch der Unterschied zwischen Eisen und Stahl, war schon vor vier- tehalbtausend Jahren den Egyptern bekannt. Die ersten Spuren von der Kenntnifs des Roheisens und von seiner Benutzung, finden sich aber erst zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts. Aus dem Elsafs ging sie nach England und Schweden über, und verbreitete sich fast gleichzeitig durch das östliche und nördliche Deutschland. Dafs man das Eisen erst so spät im Zustande des Roheisens kennen lernte, scheint auffallend zu seyn bei einem Metall, dessen Dar- stellung und Verarbeitung so früh und so allgemein der Gegenstand der Beschäfugung fast aller Nationen gewesen ist. Die Verfahrungsweise beim Zugutemachen der Eisenerze erklärt jene Erscheinung. Man be- diente sich nur solcher Methoden, durch deren Ausübung das Eisen im flüssigen Zustande nicht dargestellt werden konnte, Die Geschichte hat den Namen Desjenigen nicht aufbewahrt, welcher, zuerst auf den flüssigen Zustand des Eisens aufmerksam, den Grund zu einer ganz neuen Benutzungsarı dieses Metalles gelegt hat. Seitdem man das Eisen im flüssigen Zustande zu benutzen ange- fangen hatte, unterschied man auch schr bestimmt drei verschiedene ‚Zustände des metallischen Eisens überhaupt, und gelangte bald zu der Kenntnifs, das Metall aus dem einen seiner Zustände in den anderen zu versetzen. Die Benennungen Stabeisen, Stahl und Roheisen bezeich- nen diese verschiedenen Zustände. Auch jetzt noch hat man die Ein- theilung in geschmeidiges ünd ungeschmeidiges Eisen beibehalten und Phys. Klasse 1822 - 1825. G 50 Karsten unterscheidet das geschmeidige Eisen, welches durch schnelle Tempe- raturveränderung Geschmeidigkeit und Weichheit behält, von dem ge- schmeidigen Eisen, welches seine Geschmeidigkeit und Weichheit bei einem plötzlichen Übergange aus der erhöheten in eine niedrige Tem- peratur mehr oder weniger einbüfst, und sie erst durch die Glühhitze wieder erlangt. Aber der Übergang aus dem Stabeisen in Stahl ist so unmerklich, dafs es unmöglich wird, die Gränze zwischen dem härtesten Stabeisen und dem weichsten Stahl anzugeben. Noch weniger läfsı sich eine genaue Gränze ziehen, zwischen dem geschmeidigen und dem un- geschmeidigen Eisen, indem mancher Stahl eben so gut Roheisen als Stahl, und umgekehrt, manches Roheisen nicht mit Unrecht Stahl ge- nannt werden könnte. Ungehärteter Stahl und Stabeisen lassen sich auf der Bruchfläche nicht so leicht unterscheiden. In vielen Fällen erkennt nur ein sehr geübtes Auge diesen Unterschied. Auflallend verschieden ist dagegen das Ansehen eines und desselben Stahls im gehärteten und ungehärteten Zustande. Die Farbenänderung,, welche jedesmal mit dem Übergange aus dem harten Zustande in den weichen, und aus diesem wieder in jenen verbunden ist, würde schon allein zu der Vermuthung führen können, dafs Farbe und Härte durch ein verändertes Mischungsverhält- nifs der Masse bedingt werden. Noch gröfser und auffallender tritt diese Verschiedenheit der Farbe und der Härte bei dem ungeschmeidigen Eisen hervor. Das weiche, graue Roheisen zeigt so wenig äusserliche Ähnlichkeit mit dem harten , weifsen,, dafs man sie sogleich für zwei ganz verschiedene metallische Verbindungen erkennen wird. Und den- 5 noch reicht eine mehr. oder weniger schnelle 'Temperaturveränderung schon hin, um graues Roheisen in weifses und dieses in jenes umzu- ändern. Wir werden bald sehen, dafs das weiche Eisen, vom graue- sten Roheisen, durch alle Grade des weichen Roheisens und Stahls bis zum reinsten Stabeisen,, die eine Reihe, — und das harte Eisen , vom härtesten Roheisen mit glänzenden weifsen Flächen , durch alle Grade . des weilsen, harten Roheisens und des gehärteten Stahls bis zu dem durch Ablöschen härter gewordenen Stabeisen,, die zweite Reihe von Verbindungen des Eisens mit Kohle darstellen, welche wesentlich von einander unterschieden werden müssen. über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 51 So abweichend auch von jeher die Meinungen der Metallurgen über die Natur und über die Ursachen der Bildung des Roheisens, des Stabeisens und des Stahls gewesen seyn mögen, so stimmten sie doch alle darin überein, sie nur für Modifikationen eines und desselben Metalles zu halten. Wodurch diese Modifikationen bewirkt würden , darüber mufste die Chemie den Aufschlufs geben. Daher darf es nicht befrem- den, dafs dieser erst sehr spät erfolgen konnte, und dafs kaum vierzig Jahre verflossen sind, seitdem uns aus Schweden durch Scheele’s, vorzüglich durch Bergman’s und Rin man’s Untersuchungen ‚ die erste Belehrung über die eigentliche Ursache der Verschiedenheit des Roheisens, des Stabeisens und des Stahls, zu Theil geworden ist. Jene Untersuchungen schienen den Gegenstand aber auch mit einem mal durchaus und vollständig erschöpft zu haben, indem sie durch die Prü- fungen französischer, englischer und deutscher Chemiker allgemein be- stätigt worden sind. Die Annahme eines Sauerstoflgehaltes im weilsen Roheisen , wodurch man der Theorie der Schwedischen Gelehrten , ın Frankreich und zum Theil in Deutschland , eine gröfsere Vollständig- keit gegeben zu haben glaubte, zeigte sich bald als eine irrige, durch nichts bestätigte und eigentlich auch nur aus höchst schwachen Grün- den hervorgegangene Voraussetzung. Was die Verschiedenheit des Roheisens, des Stahls und des Stab- eisens hervorbringt, ist die mit dem Eisen verbundene Kohle, von welcher das Roheisen, nach jener Lehre, die gröfste, der Stahl eine geringere, und das Stabeisen die geringste Menge enthält. Der einfachste Versuch und die tägliche Erfahrung in den zur Gewinnung und zur Verarbei- wng des Eisens bestimmten Werkstätten, bestätigen die Richuigkeit dieser Theorie und erheben sie über jeden Zweifel. Die Menge der Kohle in den verschiedenen Arten des Eisens suchte Mushet näher zu bestim- men und glaubte aus seinen Erfahrungen schliefsen zu dürfen, dafs der weichste Gufsstahl etwa >. er gewöhnliche Gufsstahl ı , der härtere 1,1, der zu harte 2, das weilse Roheisen 4, das weifsgraue 5, und das dunkelgraue Roheisen 6 Prozent Kohle enthalte. Mit wenigen und unbedeutenden Ausnahmen, hat nun die Ansicht überall Eingang gefunden , dafs in der Menge des Kohlengehalts nicht allein der Grund der Verschiedenheit des Roheisens, des Stabeisens und G2 52 KARsTEn des Stahls, sondern auch des weifsen und des grauen Roheisens, zu suchen sei. Der praktische Hüttenmann huldigte dieser Lehre , weil er schon längst gewohnt war, das weifse Roheisen für ein an Kohlenstoff ärmeres, und das graue Roheisen für das reichere an Kohle anzusehen. Schon vor mehreren Jahren (1) glaube ich gezeigt zu haben, dafs sich durch die Menge der Kohle allein, die Verschiedenheit des grauen und des weifsen Roheisens nicht erklären lasse, sondern dafs die Art und Weise wie die Kohle mit dem Eisen verbunden sei, dabei ganz vorzüglich entscheide. Auch suchte ich damals schon darzuthun , dafs das weifse Roheisen nicht immer eine geringere Menge Kohle wie das graue enthalte. Neuere Erfahrungen haben mir zwar die Richtigkeit jener Angabe im Allgemeinen bestätigt, mich aber auch belehrt, dafs sie einer wesentlichen Berichtigung, besonders in Rücksicht der Zusammen- setzung des grauen Roheisens und des ungehärteten Stahls, bedürfe. Die Verbindungen des Eisens mit Kohle sind auch in neueren Zeiten der Aufmerksamkeit der Chemiker nicht entgangen. Dafs die Untersuchungen zu keinem Resultat geführt haben, liegt in der unge- mein grofsen Schwierigkeit, die Menge der Kohle genau zu bestimmen, indem die nicht gasförmig entweichende Kohle ganz neue, noch unbe- kannte Verbindungen eingeht und beim Auflösen des kohlehaltigen Ei- sens in Säuren, bald ein sehr übel riechendes Öl bildet, bald als ein röthlichbraunes Pulver zurückbleibt, welches Berzelius sehr treffend mit Extraktivstoff vergleicht, wie man ihn aus der mit thierisch - vegeta- bilischen Überresten geschwängerten Erde, oder aus dem sogenannten Humus erhält. Aber diese Schwierigkeit ist es nicht allein, welche bei der Untersuchung des kohlehaltigen Eisens eintritt. Eine zweite, noch gröfsere, besteht darin, dafs die, aus besiimmten Mischungsgewichten des Eisens und der Kohle zusammengesetzten Verbindungen , welche sich im Eisen aufgelöset befinden , für sich nicht rein dargestellt werden können , sondern fast in dem Augenblick wie sie sich durch den che- mischen Prozefs von der Masse des nicht mit Kohle verbundenen Eisens & erlitten haben. trennen, auch schon eine Zersetzung (1) Handbuch der Eisenhüttenkunde. Th. I. II., mit:zwei Kupfert. Halle 1816. über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 53 Um daher die Natur und Beschaffenheit der Verbindungen des Eisens mit Kohle richtig zu beurtheilen, genügt es nicht, die Gröfse des Kohlegehalts zu bestimmen , sondern es ist auch nothwendig, den Zu- stand anzugeben , in welchem sich die, im Überschufs von Eisen aufge- lösete Verbindung der Kohle mit Eisen, in dem kohlehaltigen Eisen be- findet. Bei der eben bemerkten grofsen Schwierigkeit, diese Verbindun- gen darzustellen, läfst sich ein richüges Urtheil über den Zustand , in welchem die Kohle in den verschiedenen Verbindungen des kohlehaltigen Eisens vorhanden ist, nur dadurch erlangen, dafs man alle Erscheinun- gen zusammen nimmt und mit einander vergleicht, welche das kohle- haltige Eisen in seinen verschiedenen Zuständen beim Glühen , Schmel- zen und Erkalten , so wie beim Auflösen in Säuren oder bei Zersetzun- gen anderer Art darbietet. Diejenigen Erscheinungen, durch welche der Zustand der Kohle in der Verbindung mit Eisen auffallend dargethan wird, hier kurz zusammen zu stellen, dürfte nothwendig seyn, weil sie der Aufmerksamkeit der Chemiker zu wenig werth gehalten, auch zum Theil vielleicht nicht zu ihrer Kennwnifs gelangt seyn mögen. I. Erscheinungen beim Glühen. Weiches Stabeisen bleibt beim Glühen in der Rothglühhitze weich, es mag zwischen Kohlen geglüht werden, oder nicht. In höheren Hitz- graden behält es die weiche Beschaffenheit, in so fern das Glühen zwi- schen Kohlen statt findet, nur dann, wenn es langsam erkaltet. Durch schnelles Erkalten, besonders durch Ablöschen im Wasser, erlangt es eine geringere oder gröfsere Härte, je nachdem es einer geringeren oder gröfseren Hitze, kürzere oder längere Z&t ausgesetzt war. Das weichste und zäheste Stabeisen wird durch anhaltendes Glühen zwischen Kohlen in der Weifsglühhitze mürbe, und scheint den Zusam- menhang seiner Theile verloren zu haben, welcher aber durch Glühen im offenen Feuer und durch Zusammenschweifsen wieder gewonnen wird. Langsam erkaltet, bleibt es weich und behält die weiche Be- schaffenheit, wenn es, von Neuem erhitzt, sich langsam abkühlt, woge- gen es durch plötzliche Abkühlung hart und spröde wird. In diesem Zustande erhält das Stabeisen bekanntlich den Namen: Cemenitstahl. Mit dem Ubergange aus dem weichen in den harten Zustand, ist eine 54 Kırsten Veränderung der Farbe jederzeit, und eine Ve ‚änderung des Gefüges in dem Fall verbunden, wenn Weifsglühhitze beim Härten angewendet wird, und wenn das Eisen vorher anhaltend in hinlänglich starker Hitze mit Kohle cementrt oder geglüht worden war. Der gehärtete Cementstahl unterscheidet sich von dem weichen , nicht gehärteten und langsam er- kalteten, durch die lichtere Farbe. Das Gefüge des in der Weifsglüh- hitze gehärteten Stahls scheint aus groben, sehr glänzenden , weifsen Körnern zu bestehen , und die Sprödigkeit ist dabei so grofs, dafs sich der gehärtete Stahl im Mörser zerpulvern läfsı. In diesem Zustande hat er auch seine Schweifsbarkeit zum Theil verloren. Der durch Cementiren oder Glühen des Stabeisens mit Kohle be- reitete Stahl verliert von seiner Eigenschaft: durch schnelle Tempera- turveränderung,, oder durch das sogenannte Härten , härter zu werden, immer mehr, je öfter er im offenen Feuer geglüht und zusammenge- schweifst wird. Bei dem aus Roheisen bereiteten Stahl , oder dem so- genannten Rohstahl, ist dies in einem geringeren Grade der Fall, und in einem noch geringeren Grade zeigt der Stahl diese Eigenschaft, welcher durch Schmelzen des Cementstahls oder des Rohstahls in ver- schlossenen Tiegeln erhalten wird und welcher unter dem Namen G ufs- stahl bekannt ist. Der in verschlossenen Tiegeln geschmolzene Stahl zeigt immer eine geringere Schweifsbarkeit,, erlangt aber bei geringerer Temperatur- verschiedenheit eine gröfsere Härte, als der Cementstahl, oder der Roh- stahl, woraus er bereitet worden ist. Cementstahl , welcher sich noch sehr gut schweifsen läfst, und eine lichtrothe Glühhitze beim Härten verträgt, verliert die Schweifsb&rkeit fast gänzlich ‚ nimmt dagegen aber schon in der braunrothen Hitze einen hohen Grad von Härte an, wenn er in Tiegeln umgeschmolzen worden ist. Wird er bei demselben Grade der Hitze gehärtet, bei welchem der Cementstahl den höchsten Grad der Härte bekommt, welchen er anzunehmen fähig ist, so verhält sich der Gufsstahl eben so wie der in zu grofser Hitze gehärteie Cementstahl, d.h., er wird mürbe und bekommt ein grobes, glänzendes Gefüge von weiflser Farbe. Der gehärtete Stahl wird durch Glühen im offenen Feuer oder zwischen Kohlen wieder weich, wenn er nach dem Glühen langsam oa [S71 über die Verbindung des Eisens mit Kohle, erkaltet. Die lichte Bruchfarbe ändert sich durch das Glühen in eine dunklere um, und das glänzend grobkörnige Gefüge, welches der in zu starker Hitze gehärtete Stahl erhalten hatte, wird feinkörniger und dichter. Bleibt das Stabeisen zu lange Zeit der Einwirkung der Kohle in der Weifsglühhitze ausgesetzt, so fängt es an zu schmelzen , und ver- wandelt sich dabei in graues Roheisen. Die Weichheit ist geblieben, aber die Geschmeidigkeit in der gewöhnlichen Temperatur vermindert und die Schweifsbarkeit ganz verloren. Zwischen dem so erhaltenen und dem aus den Eisenerzen dargestellten, möglichst grauen Roheisen, findet sich in keiner Art irgend ein Unterschied. Wenn hartes, weifses und sprödes Roheisen mit blätrigem oder strahligem Bruch, unter Luftzutritt anhaltend geglüht wird und lang- sam erkaltet, so verdunkelt sich die Farbe unter der Glühspandecke, womit sich das Eisen überzieht, immer mehr und mehr ; das Gefüge wird körnig, statt der Härte tritı Weichheit und statt der Sprödigkeit ein ziemlich hoher Grad von Geschmeidigkeit ein. Das Eisen erhält das Ansehen des grauen Roheisens. Derselbe Erfolg findet statt, wenn der Lufizutritt ganz, oder theilweise, durch Knochenasche, Thon, rei- nen Sand, Kreide, Holzasche, ja selbst durch Reifsblei und durch Kohle abgehalten wird. Die Bildung des Glühespans auf der Obertläche, durch Luftzutritt, beschleunigt übrigens die Umänderung aus einer harten, weilsen und spröden in eine weiche, graue und geschmeidige Masse, Wird das auf diese Weise ausgeglühete Eisen noch glühend in Wasser ab- gelöscht, so erlangt es wieder Härte und Sprödigkeit, und bekommt ein theils dichtes, theils grobkörniges, glänzendes Gefüge von weilser Farbe. Das weiche, graue und geschmeidige Roheisen erleidet nur dann durch anhaltendes Glühen und langsames Erkalten eine bemerkbare Veränderung, wenn der Luftzutritt nicht abgehalten wird, und wenn sich eine starke Glühspanrinde bilden kann. Unter dieser Rinde wird die Farbe lichter mit zunehmender Geschmeidigkeit, aber nicht bemerk- bar gröfserer Weichheit. Bei abgehaltenem Luftzutritt behält es die graue Farbe, wird grobkörniger und mürber, oder verliert an Geschmei- digkeit, und scheint auch einen etwas geringeren Grad von Weichheit, als vor dem Glühen, zu besitzen. Wird das, mit oder ohne Luftzutritt, 56 Karsten bis zum Weifsglühen erhitzte graue Roheisen, plötzlich in Wasser ab- gelöscht , so erhält es eine lichtere Farbe mit zunehmender Härte und abnehmender Geschmeidigkeit. Das sehr graue, besonders das in den Hohenöfen bei Koaks erblasene graue Roheisen, erleidet diese Verän- derungen am wenigsten. Fassen wir diese Erscheinungen beim anhaltenden Glühen und darauf folgenden plötzlichen oder langsamen Erkalten des Stabeisens, des Stahls und des Roheisens , zusammen ; so wird schon daraus ein- leuchtend, dafs das Hervortreten der dunklen Farbe und die damit ver- bundene Weichheit und gröfsere Geschmeidigkeit, eben so wenig einem zunehmenden Kohlegehalı, als das Hervortreien der lichteren Farbe und die damit verbundene gröfsere Härte und verminderte Geschmei- digkeit, einem abnehmenden Kohlegehalt des Eisens zugeschrieben wer- den können. Wohl aber werden wir auf ein verändertes Mischungs- verhälinifs der Kohle mit dem Eisen schliefsen und zugeben müssen, dafs sich die Kohle beim langsamen Erkalten vom Eisen abzuscheiden strebt, wogegen sie beim schnellen Erkalten mit demselben verbunden bleibi. Diese Beweglichkeit der Kohle in der Verbindung mit Eisen, vermöge welcher sie sich beim Erkalten der erhitzien Mischung, wieder vom Eisen zu trennen strebt, kann nicht auffallender und mehr be- fremdend seyn, als es die Aufnahme der Kohle durch das Eisen in der Weifsglühhitze selbst ist. Wir sehen hier eine Verbindung von zwei Metallen sich bilden , von denen sich keins im flüssigen Zustande befindet, die beide, ohne Luftzutritt, im höchsten Grade feuerbeständig sind, und von denen das eine ausserordentlich strengflüssig, das andere aber vielleicht ganz unschmelzbar ist. I. Erscheinungen beim Schmelzen. Cementstahl in verschlossenen Tiegeln, mit oder ohne Glasdecke, geschmolzen und im Tiegel selbst höchst langsam erkaltet, erlangt eine ungleich gröfsere Weichheit als vor dem Umschmelzen, und verdunkelt dabei seine Farbe , die jetzt graublau erscheint. Die blaue Farbe wird um so mehr durch einen grauen Schimmer verunreinigt, je härter der Cemenistahl gebrannt, d.h. je anhaltender und in je gröfserer Glühhitze das Stabeisen mit Kohle geglüht worden war. Wird der geschmolzene über die Ferbindung des Eisens mit Kohle, 57 Stahl im flüssigen Zustande ausgegossen , so zeigt er dieselben Erschei- nungen, welche sich beim Roheisen auflfallender und bestimmter nach- weisen lassen, in einem ungleich geringeren Grade. Rohstahl auf dieselbe Weise behandelt, erleidet eine weit gerin- gere Veränderung. In der Farbe und Weichheit des umgeschmolzenen und des nicht geschmolzenen Stahls, lassen sich keine Verschiedenheiten bemerken, nur das Gefüge ist. durch das Umschmelzen etwas gröber geworden. Graues Roheisen, bei Holzkohlen erblasen, im Thontiegel geschmol- zen und langsam erkaltet, bleibt weich, behält die dem grauen Roheisen eigenthümliche Geschmeidigkeit und erleidet keine andere Veränderung, als dafs es ein feinkörnigeres Gefüge annimmt. Beim Schmelzen im Kohlentiegel bleibt auch häufig das Gefüge unverändert. Erfolgt die Schmelzung mit einem Zusatz von Kohle — von ausgeglühetem Kiehn- rufs — und unter einer Kiehnrufsdecke, so erhält der Regulus, bei ei- nem sehr langsamen Erkalten, einen hohen Grad von Weichheit und Geschmeidigkeit, nimmt in unbestimmten Verhältnissen am Gewicht zu und zeigt sich mit einem sehr groben, körnigen Gefüge, von dunkel schwarzgrauer Farbe. Die Oberfläche ist mit Graphitblätuchen überzo- gen, welche sich auch auf der Bruchfläche deutlich bemerken lassen. Wird dies im Thontiegel geschmolzene graue Roheisen durch Ausgiefsen in feuchte Sandformen, oder in eiserne Formen, oder in kaltes Wasser, schnell zum Erstarren gebracht, so verwandelt es sich in hartes, weifses und sprödes Roheisen, und zwar um so vollständiger, je weniger der zum Flüssigwerden des Eisens erforderliche Hitzgrad über- schritten war und je plötzlicher die Erstarrung erfolgte. Bei dicken Massen sind die äufseren Ränder schon ganz in weifses Roheisen umge- ändert, während der innere Kern, welcher am langsamsten erstarrte, noch ganz graues Roheisen seyn kann und die mittlere Masse, zwischen dem Rand und dem Kern, aus einem Gemenge von weilsem und grauem Roheisen besteht. Läfst man graues Holzkohlenroheisen, in sehr dicken Massen, bis zu dem Grade erkalten, dafs die Oberfläche kaum noch braunrothglühend erscheint und beschleunigt dann das Erkalten dadurch, dafs man die ganze Masse in kaltes Wasser wirft; so zeigt sich auf der Bruchfläche des erkalteten Roheisens die umgekehrte Erscheinung, indem 0’ Phys. Klasse 1822 - 1829. H 58 Kirsten sich der innere Kern in weifses Roheisen umgeändert hat, während die äufsere Masse aus grauem Roheisen besteht. Der Kern war nemlich bei dem langsamen Erkalten der dicken Roheisenmässe noch nicht er- kaltet und ward durch das Ablöschen im Wasser plötzlich zum Erstar- ren gebracht. Das im Kohlentiegel umgeschmolzene graue Roheisen zeigt beim Ausgiefsen ganz dieselben Erscheinungen wie das im Thhontiegel umge- schmolzene. Bei dem mit Zusatz von Kohle geschmolzenen Roheisen bedarf es eines noch geringeren Grades von Abkühlung, um es gänz- lich in weifses Roheisen umzuändern. Bei der Anwendung des mit Zu- satz von Kohle geschmolzenen Roheisens, werden sich dieselben Formen mit ganz weilsem, hartem und sprödem Roheisen füllen, aus denen man von dem ohne Kohlenzusaiz umgeschmolzenen grauen Roheisen,, zu- weilen noch eine ganz graue, oder höchstens eine aus einem Gemenge von grauem und weifsem , oder aus sogenanntem halbirtem Roheisen bestehende Eisenmasse erhalten haben würde. Graues Holzkohlenroheisen welches in Schachtöfen, mit Kohlen geschichtet, vor dem Gebläse niedergeschmolzen wird, bekommt eine weilsere Farbe und erhält eine ungleich gröfsere Härte und Sprödigkeit als vor dem Umschmelzen. — Beim Umschmelzen auf dem Flammofen- heerde, ohne Kohlenzusatz, wird die Weichheit des Eisens vermehrt ; einer anderen Veränderung scheint es beim langsamen Erkalten nicht zu unterliegen. Wird die Erstarrung beschleunigt, so zeigen sich diesel- ben Erscheinungen wie bei dem in T'hontiegeln umgeschmolzenen grauen Holzkohlenroheisen, jedoch in einem um so geringeren Grade, je öfte- rer das Eisen umgeschmolzen worden ist. Graues Roheisen, bei Koaks und bei einem hitzigen Gange des Ofens geschmolzen , zeigt beim Umschmelzen in Thon - und Kohlentie- geln, mit oder ohne Zusatz von Kohle, und beim langsamen Erstarren, dieselben Erscheinungen, wie das graue Holzkohlenroheisen, nur dafs es bei einem Zusatz von Kohle mehr am Gewicht zunimmt als dieses. Beim Ausgiefsen und plötzlichen Erkalten findet eine sehr bedeutende Verschiedenheit zwischen beiden Roheisenarten statt. Das graue Koaks- roheisen ändert Farbe, Weichheit und Gefüge nur sehr schwer und wird selbst durch das Granuliren, oder durch das Ausgiefsen der geschmol- über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 59 zenen Masse in kaltes Wasser, nur unvollständig in weifses Roheisen umgeändert. Wird es mit Kohle und unter einer Kohlendecke im Tie- gel geschmolzen und anhaltend im Flusse erhalten, so nähert es sich in seinem Verhalten dem mit Kohle umgeschmolzenen grauen Holzkohlen- roheisen, d.h. es erstarrt leichter zu weifsem Roheisen. Beim Umschmelzen in Schachtöfen, vor dem Gebläse und mit Koh- len geschichtet, verliert das Koaksroheisen nur wenig von seiner Weich- heit und Geschmeidigkeit. — Auf dem Flammofenheerde umgeschmol- zen, verhält es sich noch weicher und zäher als vor dem Umschmelzen. Das graue Koaksroheisen erleidet daher, unter allen Verhältnissen, durch einen schnellen Wechsel der Temperatur, eine geringere Veränderung in seinem Mischungsverhältnifs, als das graue Holzkohlenroheisen ; beide nä- hern sich in ihrem Verhalten nur dann, wenn sie im Tiegel mit einem Kohlenzusatz geschmolzen und unter der Kohlendecke einige Zeit flüssig erhalten wurden. Weifses, ganz hartes und durchaus sprödes Roheisen, welches bei einem noch nicht eigentlich übersetzten Gange des Hohenofens erblasen ist, verhält sich , beim Umschmelzen in Tiegeln und höchst langsamen Erkalten, eben so wie das mit Zusatz von Kohle in Tiegeln umgeschmol- zene graue Roheisen. Es bildet nämlich einen weichen , grauen und ge- schmeidigen Regulus, bei welchem sich aber, durch Zusatz von Kohle beim Schmelzen, keine Gewichtszunahme bemerken läfsı, wenn das zum Umschmelzen angewendete weifse Roheisen nicht mit halbirtem Roheisen gemengt, oder wenn es nicht bei einem schon übersetzten Gange des Ho- henofens erblasen war. Läfst man das geschmolzene Eisen nicht höchst langsam im Tiegel erstarren, so ändert es sich sehr bald, ganz oder theil- weise, in weifses Roheisen um. Schon der Zutritt von kalter Luft zu dem nicht gehörig geschlossenen Tiegel, kann diese Veränderung bei dem manganhaltigen und deshalb leichilüssigeren Roheisen, wenigstens an der Oberfläche des Regulus, hervorbringen. Beim Ausgiefsen der flüssigen Masse, würde die zur Aufnahme derselben bestimmte Form, stark er- wärmt seyn müssen, um den Übergang der ganzen Masse in weifses Roh- eisen zu verhindern. Aber auch selbst bei dieser Vorsichtsmaafsregel wird man immer nur ein Gemenge von weifsem und grauem Roheisen, in welchem das erstere vorwaltend ist, erhalten. Ha 60 KA RS DEN Im Schachtofen, mit Kohlen geschichtet, läfsı sich dies weilse Roheisen vor dem Gebläse nicht ohne grofsen Gewichts - Verlust nieder- schmelzen, und die wirklich geschmolzene Masse besitzt alle Eigenschaf- ten des zum Schmelzen angewendeten weifsen Roheisens. — Wird das weifse Roheisen auf dem Heerde des Flammofens in starker und rasch er- folgender Hitze zum Schmelzen gebracht, so behält es seine Eigenschaf- ten ; wird es aber in dieser Hitze sehr lange erhalten, so verdunkelt sich die Farbe und es treten Weichheit und Geschmeidigkeit der Masse nach dem Erkalten immer bemerkbarer hervor, so wie die Härte und die Sprö- digkeit durch schnelleres Erstarren alsdann immer mehr abnehmen. Das bei einem übersetzten Gange des Hohenofens dargestellte weifse Roheisen, verhält sich, beim Umschmelzen in Tiegeln, eben so wie das weifse Roheisen, welches durch plötzliches Erstarren des grauen Rohei- sens von einem hitzigen Gange des Holzkohlenhohenofens, erhalten wor- den ist. Es bildet nemlich, beim langsamen Erkalten , einen grauen, weichen und geschmeidigen Regulus mit feinkörnigem Gefüge und än- dert sich, durch schnellen Übergang aus dem flüssigen in den festen Zustand, nicht so leicht in weifses Roheisen um, als das umgeschmol- zene weifse Roheisen, welches bei einem nicht übersetzten Gange des Ofens erhalten wird. Die Schlüsse welche sich aus diesen Erscheinungen beim Erstar- ren des geschmolzenen kohlehaltigen Eisens ziehen lassen, liegen noch deutlicher vor Augen, als die Folgerungen zu welchen die Erscheinun- gen beim Glühen führen mufsten. Das geschmolzene und noch flüssige kohlehaltige Eisen stellt eine Masse dar, in welcher sich das Kohlenme- tall, ohne ein bestimmtes Mischungsverhältnifs zu beobachten, in dem metallischen Eisen aufgelöset befindet. Bei einem schnellen Erstarren können sich Verbindungen mit bestimmten Mischungsverhältnissen nicht ausbilden, und die ganze Masse erkaltet zu einem weifsen, harten und spröden Körper. Je reicher das Eisen an Kohle ist, desto weniger läfsı sich das schnelle Erstarren verhindern und desto weifser, härter und spröder zeigt sich die erstarrte Masse. Je geringer der Kohlegehalt, desto mehr wird das Erstarren verzögert und es tritt nun fast dieselbe Erscheinung ein, welche das durch möglichst langsame Temperaturver- 5 5 5 minderung aufgehaltene Erstarren hervorbringt. Diese Erscheinung be- 5 5 5 5 über die Verbindung des Eisens mit. Kohle. 61 steht aber offenbar darin, dafs sich die Kohle vom Eisen zu trennen strebt, und dafs die Trennung um so vollständiger erfolgt, je langsamer die Erkaltung bewirkt wird. Ein gröfserer Kohlegehalt des Eisens be- fördert jederzeit die Erstarrung, weshalb das Eisen mit geringerem Koh- legehalt, unter gleichen Umständen, noch zu einer weichen, geschmeidi- gen und dunkel gefärbten Masse erkalten kann, wenn das an Kohle reichere Eisen schon zu einer harten, spröden und weifsen Verbindung erstarren wird. Von den Verhältnissen unter denen das flüssige kohle- haltige Eisen erkaltet, wird es folglich eben so sehr, als von dem Koh- legehalt des Eisens selbst abhängen, ob sich graues und weiches, oder weilses und hartes Roheisen bildet. IH. Erscheinungen beim Auflösen in Säuren. Es ist hier nur von den Erscheinungen die Rede, welche das koh- lehaltige Eisen beim Auflösen in Schwefelsäure, Salpetersäure und Salz- säure , darbietet. Dafs die quantitative Bestimmung der Kohle, durch die Auflösung des Metallgemisches in Säuren, nicht geschehen kann, so lange es an Mitteln fehlt, die bei dem Prozefs der Auflösung sich bil- denden neuen Verbindungen der Kohle zu sammeln, und so lange die Zusammensetzung dieser Verbindungen selbst noch unbekannt ist, be- darf keiner Erwähnung. Auch ist es längst bekannt, dafs manche Ei- senarten von der Salzsäure ohne allen Rückstand aufgelöset werden, welche bei der Auflösung in Schwefelsäure, und besonders in Salpeter- säure, noch bedeutende Rückstände hinterlassen. Wenn sich daher der ganze Kohlegehalt des kohlehaltigen Eisens, beim Auflösen des letzteren in Salzsäure, in Verbindung mit Wasserstoff gasförmig entwickelte, so würde sich aus der Analyse des Gases die Menge der Kohle, zwar nicht ohne grofse Schwierigkeit, aber doch wenigstens mit einiger Zuverläs- sigkeit bestimmen lassen; allein es entbindet sich zugleich ein übel riechendes Öl, dessen Zusammensetzung nicht bekannt und dessen Menge nicht mit Genauigkeit auszumitteln ist. Bei der Anwendung von Schwe- felsäure bieten sich ähnliche Schwierigkeiten dar, und die Salpetersäure verwandelt, bald den ganzen Kohlegehalt des Eisens, bald einen Theil desselben , in ein röthlichbraunes Pulver von unbekannter Zusammen- 62 Karsten = seızung, welches theilweise in der Säure aufgelöset bleibt. Die Bestuim- mung des Kohlegehalts durch schwefligte Säure, welche Vauquelin empfohlen hat, scheint noch schwieriger zu seyn, weil sich zugleich Schwefeleisen bildet. Auch die Behandlung des kohlehaltigen Eisens mit schwefelsaurem Eisenoxyd und mit salzsaurem Eisenoxyd, um die Ent- wickelung des Wasserstoffgases und den daraus entspringenden Kohlever- lust zu vermeiden, führt nicht zum Zweck, weil die Auflösung höchst langsam und unvollständig, und bei vielen Eisenarten gar nicht erfolgt, und weil sich , ungeachtet der Anwendung verschlossener Auflösungsge- fäfse, sehr leicht ein basisches Salz abscheidet. Obgleich also die Auflösung des Eisens in Säuren nicht dahin führt, das quantitative Verhältnifs der Kohle zu bestimmen , so werden doch die bei dem Prozefs der Auflösung sich darbietenden Erscheinun- 5 gen, dazu dienen können, einigermafsen den Zustand zu beurtheilen, in 5 welchem sich die Kohle mit dem Eisen in den verschiedenen Eisenarten vereinigt befindet. Stabeisen löset sich in verdünnter Salzsäure und in stark verdünn- ter Schwefelsäure langsam auf und hinterläfst einen geringen graphi- tischen Rückstand, welcher, nach dem Aussüfsen und Trocknen , vom Magnet gezogen wird, und beim Glühen im offenen Platintiegel rothes isenoxyd zurückläfst. Durch längeres Liegen in den verdünnten Säuren, ändert sich diese graphitische Substanz in schwarzbraune, dem Magnet nicht mehr folgsame Kohle um, und Salpetersäure verwandelt sie sehr bald in ein braunrothes Pulver, welches sich, ohne einen Rückstand zu hinterlassen , noch vor dem Glühen verbrennen läfst. Jn koncentrirter Salzsäure löset sich das Stabeisen ohne allen Rück- stand auf und starke Schwefelsäure hinterläfst nur Spuren von schwarz- brauner Kohle. Bei der Anwendung von Salpetersäure bleibt röthlich- braun gefärbte Kohle zurück, welche sich, durch Erhitzen der Flüssig- keit, sehr schnell und fast immer ganz vollständig auflöset und die Auf- lösung braun färbt. Cementstahl, so wie er aus dem Cementirofen genommen wird, verhält sich mit verdünnter Salzsäure und Schwefelsäure ganz so wie das Stabeisen, nur bleibt in sichtbar gröfserer Menge graphitische Sub- stanz zurück. Koncentrirte Salzsäure giebt gar keinen Rückstand. Starke über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 63 Schwefelsäure (aus ı Theil koncentrirter Säure und 2!; Theilen Wasser) löset den Stahl sehr schnell auf und es fallen dabei Graphitbläuchen ab, welche sich bald in schwarzbraune Kohle umändern. Wird die Flüs- sigkeit schnell von dem noch nicht völlig aufgelöseten Stahl abgegossen, ehe die Graphitbläuchen gänzlich in Kohle umgeändert sind, und wird die schon entstandene Kohle durch Ätzkali weggenommen , worin sie sich mit dunkelbrauner, fast schwarzer Farbe auflöset, so lassen sich die Graphitbläuchen ziemlich rein darstellen. Sie haben ein metallisches Ansehen, welches sie, unter Wasser aufbewahrt, behalten, aber bei der Einwirkung der Luft bald verlieren. Vom Magnet werden sie angezo- gen, hinterlassen beim Verbrennen im oflenen Platintiegel rothes Eisen- oxyd und erleiden durch koncentrirte Salzsäure die oben bemerkten Veränderungen. Koncentrirte Salpetersäure löset den Cementstahl sehr schnell nnd unter heftiger Entwickelung von Salpetergas auf. Die Auflösung färbt sich stark braunroth, indem die beim Auflösen abfallenden Graphit- blättchen in röthlichbraune Kohle umgeändert und zum grofsen Theil von der Säure aufgelöset werden. Aus der Auflösung des Cementstahls in koncentrirter Salpetersäure, läfst sich die graphitische Verbindung, auf die vorhin angegebene Weise, in gröfserer (Juantität als bei der Anwen- dung von starker Schwefelsäure darstellen. Hundert Theile dieser Ver- bindung hinterlassen, nach anhaltendem Kalciniren im offenen Platintiegel, zwei und achtzig bis vier und neunzig Theile rothes Eisenoxyd. Wird, statt der koncentrirten, schr verdünnte Salpetersäure angewendet, so er- folgt die Auflösung des Cementstahls langsamer und es scheiden sich keine Graphitbläuchen ab, sondern es bleibt blofs röthlichbraune, vom Magnet nicht anziehbare Kohle zurück , welche noch vor dem Glühen im Platintiegel explodirend verbrennt. Eben so wenig lassen sich die Graphitbläuchen, in abscheidbarer Menge, durch Auflösen des Cement- stahls in koncentrirter Salpetersäure darstellen, wenn der Stahl durch an- haltendes kaltes Hämmern vorher ein dichteres Gefüge erhalten hat. Fast eben so wie der Cementstahl, verhält sich auch der langsam erkaltete Gufsstahl, bei der Einwirkung der Säuren. Der einzige Unter- schied besteht darin, dafs die Auflösung in Salpetersäure langsamer er- folgt und dafs die Graphitbläuchen fast in dem Augenblick wie sie ab- 64 KARrsTten fallen, schon in röthlichbraune Kohle verwandelt werden, so dafs es schwer ist, sie abzuscheiden, oder sie ohne eine bereits erlittene Verän- derung zu erhalten. Hat der Gufsstahl durch Schmieden ein dichteres Gefüge bekommen , so läfst sich- die graphitische Masse durch Salpeter- säure gar nicht mehr darstellen, weil die Umänderung in röthlichbraune Kohle schon vor der Abtrennung von der aufzulösenden Stahlmasse statt findet. Die Flüssigkeit wird trübe, fast undurchsichüug, und bekommt eine dunkelrothe Farbe mit einem Such ins Violette. Auf dem Boden des Auflösungsgefäfses setzt sich ein braunrothes Pulver ab, welches in dem Verhältnifs an Menge zunimmt, als sich die Flüssigkeit durch Ruhe klärt. Ein grofser Theil der Kohle bleibt aber aufgelöset und ertheilt der Säure eine dunkelrothe Farbe. Wird der pulvrige Rückstand aufs Filvrum genommen und ausgesüfst, so behalten die Aussüfswasser fast ohne Aufhören eine bräunlichgelbe Farbe. Das Pulver hängı sehr fest am Filwrum und verbrennt, schon vor dem Rothglühen, mit Explosio- nen. — Auch in verdünnter Salzsäure löset sich der gehämmerte Gufs- stahl ungleich langsamer auf als der rohe Cementstahl. Die zurückblei- bende graphitische Masse ist daher mit schwarzbrauner Kohle stark ver- unreinigt, so dafs es nicht möglich ist, sie rein, und ohne bereits eine Zersetzung erlitten zu haben, darzustellen. Der weiche, nicht gehärtete Rohstahl, der daraus bereitete, lang- sam erkaltete Gufsstahl, und das, durch anhaltendes Glühen , in graues und weiches Roheisen umgeänderte weifse Roheisen, zeigen beim Auflösen in Säuren ganz genau dieselben Erscheinungen , wie der aus Cemenistahl bereitete, langsam erkaltete und durch Hämmern zu einem dichteren Ge- füge gebrachte Gufsstahl. Das Ablösen von Graphitblättchen ist kaum noch bemerkbar, weil sie sogleich in die röthlichbraune Substanz umge- ändert werden. Alle Arten von gehärtetem Stahl verhalten sich gegen die Säuren auf gleiche Weise, und dies Verhalten ist von dem Grade der Härtung abhängig, welche der Stahl erhalten hatte. Je unvollkommener der Stahl gehärtet ist, desto mehr nähern sich die Erscheinungen beim Auflösen in Säuren, denen, welche der ungehärtete Stahl darbietet. Stahl welcher den höchsten Grad von Härte erhalten hat, den er anzunehmen fähig ist, löset sich in verdünnten Säuren aufserordentlich schwer und unge- über die Verbindung des Eısens mit Kohle. 65 mein langsam auf, In verdünnter Salzsäure bedeckt er sich nach einigen Tagen mit einem schwarzen Staube und die Auflösung schreitet in einer Zeit von mehreren Wochen so wenig vor, dafs sie vielleicht erst nach vielen Monathen vollständig erfolgen dürfte. Wird der schwarze Staub mit Sorgfalt weggenommen und von den anhängenden unaufgelöset ge- bliebenen Eisentheilen, durch längeres Liegen in verdünnter Salzsäure, befreit, so verhält er sich wie Kohle und verbrennt ohne Rückstand. ändert sich aber durch Behandlung mit Salpetersäure, in das ofterwähnte röthlichbraune Pulver um. Verdünnte Schwefelsäure bewirkt einen etwas schnelleren Angrif, welcher mit denselben Erscheinungen wie bei der Anwendung von ver- dünnter Salzsäure verbunden ist. Jn starker Salzsäure erfolgt die Auf- lösung beim Digeriren,, und noch schneller in der Siedhitze, ganz voll- ständig. Es entwickelt sich Wasserstoffgas mit dem eigenthümlichen Ge- ruch, welcher beim Auflösen aller Eisenarten in Salz- und Schwefelsäure jederzeit zu bemerken ist, und es bleibt nicht die geringste Spur von Kohle zurück. Starke Schwefelsäure bietet zwar ganz ähnliche Erschei- nungen dar, allein es bleibt immer noch ein mehr oder minder bedeu- tender Rückstand von schwarzer Kohle. Verdünnte Salpetersäure wirkt ebenfalls sehr langsam. Wendet man Salpetersäure an von 1,5 specifischem Gewicht, so färbt sich die Flüssigkeit in der gewöhnlichen Temperatur, unter sparsamer Entwicke- lung von Salpetergas, nach und nach braunroth, bleibt aber immer klar und helle. Von dem Stahl lösen sich, so wie die Einwirkung der Säure vorschreitet, schwarze Flocken mit metallischem Glanz ab, welche nicht magnetisch sind, vom Ätzkali mit dunkelschwarzer Farbe aufge- löset werden und im Platintegel, ohne einen Rückstand von Eisenoxyd zu hinterlassen, detionirend verbrennen. Bei längerer Einwirkung der Säure verwandeln sich die schwarzen metallischen Flocken in bräunlich- rothes Pulver. Alle diese Erscheinungen treten schneller und mit star- ker Schaumbildung ein, wenn die Wirkung der Säure durch Siedhitze unterstützt wird. Das von der Umwandlung der schwarzen metallischen Substanz in das röthlichbraune Pulver herrührende Aufschäumen, ist so stark, dafs die Flüssigkeit in einer heftig kochenden Bewegung zu seyn scheint. Ein Theil des röthlichbraunen Pulvers wird von der Säure auf- Phys. Klasse 1822 - 1825. 1 66 KArRrsSsTteEn genommen, ein anderer Theil bleibt unaufgelöset zurück und verbrennt detonirend, ohne Rückstand von Eisenoxyd. Das weifse Roheisen zeigt ein mit dem gehärteten Stahl durchaus übereinsiimmendes Verhalten, nur sind die Erscheinungen noch arıffal- lender. Verdünnte Salzsäure und verdünnte Schwefelsäure wirken fast gar nicht mehr auf dieses Eisen, und erst nach Verlauf von mehreren Wochen, findet sich das weifse Roheisen mit einem schwarzen Staube bedeckt. Starke Salzsäure, von der Siedhitze unterstützt, bewirkt eine vollständige Auflösung, ohne allen Rückstand. Schwefelsäure hinterläfst, unter denselben Umständen, etwas Kohle von schwarzer Farbe und me- tallischem Ansehen. Salpetersäure scheidet in der gewöhnlichen Tempe- ratur schwarze Flocken ab, welche durch langes Liegen in der Säure braunroth gefärbt werden. In der Siedhitze witt ein heftiges Aufschäu- men ein, begleitet von den so eben angeführten Erscheinungen. 5 Ganz abweichend ist das Verhalten des grauen Roheisens zu den Säuren. Verdünnte Salzsäure und verdünnte Schwefelsäure wirken nur sehr langsam und geben, nach Verlauf von mehreren Monathen, ei- nen Rückstand, welcher die Kohle in einem sehr verschiedenen Zu- stande enthält. Ein Theil besteht aus Bläuchen oder Schuppen, mit vollkommen metallischem Ansehen und starkem Glanz. Diese widerste- hen allen Einwirkungen der Säuren und Alkalien, werden vom Magnet durchaus nicht gezogen, und verbrennen beim Glühen im offnen Platin- tiegel nur äufserst langsam. Schon längst ist dieser Körper als Graphit bekannt. Ein anderer Theil hat zwar auch ein graphitisches Ansehen, ist aber dem Magnet folgsam und verhält sich genau so wie die Rück- stände, welche der weiche Stahl mit Säuren giebt. Noch ein anderer Theil endlich hat eine schwarzbraune Farbe, ist nicht magnetisch, färbt die Kalilauge schwarz und verbrennt schon ehe der Tiegel glühend wird. Von diesen drei Körpern fehlt der Graphit niemals, dagegen läfst sich gewöhnlich nur die eine oder die andere von den beiden letzteren Ver- bindungen in den Rückständen auffinden. Starke Salzsäure bewirkt eine schnellere Auflösung, welche durch Beihülfe der Wärme noch mehr befördert wird. Das sich entwickelnde Wasserstoflgas reifst dabei mechanisch Graphit mit sich fort. Der Rückstand enthält die Kohle in keinem andern Zustande als in dem über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 67 des Graphits, aber niemals kann das graue Roheisen ohne diesen Rück- stand in Salzsäure aufgelöset werden. Starke Schwefelsäure, unter den- selben Umständen zur Auflösung angewendet, läfst, ausser dem Graphit, auch noch schwarze, leicht verbrennliche und dem Magnet nicht folg- same Kohle zurück. Salpetersäure von 1,5 specilischem Gewicht, wirkt in der gewöhn- lichen Temperatur nicht stark auf das graue Roheisen. Es bieten sich dabei Erscheinungen dar, die bald mit denen übereinzustimmen schei- nen, welche der weiche Stahl gab, bald mit denen, welche sich beim Auflösen des harten Stahls zeigten. Jene treten ein, bei den am dun- kelsten gefärbten und bei den weichsten und geschmeidigsten Arten des grauen Roheisens; diese bei den etwas leichteren und zugleich weniger weichen und geschmeidigen Abarten desselben. Die Einwirkung der Säure findet scheinbar nicht ununterbrochen statt, sondern die Auflö- sung schemt von Zeit zu Zeit ganz aufzuhören , stellt sich dann aber, bei der Ablösung eines Graphitbläutchens, mit sehr grofser Hefugkeit wie- der ein. Eben diese Erscheinung zeigt sich auch in einer, bis zum Siede- punkt erhöheten Temperatur, und jedesmal ist das heftige Fortschreiten der Auflösung, welches indefs nur mehrere Sekunden fortdauert,, mit der Abtrennung eines Graphitblättchens verbunden; so dafs der Graphit ganz deutlich als ein mechanisches Hindernifs wirkt, indem er das Eisen gegen den Angriff der Säure schützt und dadurch die Auflösung so sehr erschwert, dafs sie in der gewöhnlichen Temperatur erst nach mehreren Wochen, und in der Siedhitze erst nach Verlauf mehrerer Stunden, voll- ständig erfolgen kann. Die Färbung der Säure beweifst, dafs ein Theil von dem Kohlegehalt des Eisens mit aufgelöset worden ist; der Rück- stand besteht nur selten aus reinem Graphit, fast immer aus Graphit mit mehr oder weniger zu einem braunen Pulver veränderter Kohle. Um diese Erscheinungen beim Auflösen der verschiedenen Eisen- arten in Säuren richüg erklären zu können, ist es nothwendig, die Na- tur der Substanzen auszumitteln, welche sich während des Auflösungs- Prozesses abscheiden. Der Graphit läfst sich, vermöge seiner Unauflöfs- lichkeit in Säuren und Alkalien, ganz rein darstellen. In starker Glüh- hitze und beim Zutritt der Luft, verflüchtiget er sich langsam, ohne ir- gend einen Rückstand zu hinterlassen. Um achtzehn Gran Graphit unter Ia 65 Ka RS TıEeN der Muffel eines Probirofens zu verflüchtigen, bedurfie es einer Zeit von vier Stunden, obgleich die Muffel ununterbrochen weifsglühend erhalten ward. Diese ziemlich bedeutende Quantität Graphit hinterliefs auf dem Platinblech , auf welchem derselbe ausgebreitet war, um der erhitzten Luft eine gröfsere Oberfläche darzubieten, nur eine Spur von weifser, völlig farbenloser Kieselerde, welche der Wirkung des Actzkali entgan- gen war. Der Graphit nimmt bei diesem Glühen nach und nach an Um- fang ab und verschwindet zuletzt, ohne dafs die geringste Flammenbil- dung zu bemerken wäre. Wird der Verbrennungsprozefs unterbrochen, so zeigt sich zwischen dem schon kaleinirten und dem noch nicht kalei- nirten Graphit nur der Unterschied, dafs die Bläuchen des ersteren, ge- gen das Licht gehalten, an manchen Stellen durchscheinend geworden sind und eine eigenthümliche fasrige Struktur zeigen, wovon bei dem nicht kaleinirten Graphit nichts zu bemerken ist. Mit Salpeter geschmolzen, bringt der Graphit kein lebhaftes Verpuffen hervor, sondern er wird langsam verzehrt und das zurück- gebliebene Salz ohne Rückstand vom Wasser aufgelöset. _Schwefel- saures Kali durch Graphit in Schwefelkali umzuändern, hat mir nicht gelingen wollen. Der Graphit im grauen Roheisen ist folglich nicht, wofür er ge- halten worden, eine Verbindung von Kohle mit Eisen, sondern ganz reine Kohle, oder die metallische Grundlage derselben. Ob der natür- liche Graphit auch ein reines Kohlenmetall, oder wirklich eine Verbin- dung von Kohle mit Eisen ist, wird noch genauer zu uniersuchen seyn. Nicht so leicht ist es, die Zusammensetzung der Verbindung zu bestimmen , welche sich beim Auflösen des weichen Stahls in Säuren, entweder in Gestalt von graphitartigen Blättchen abscheidet , oder auch als eine graphitartige Masse zurückbleibt. Nur unter günstigen Umstän- den läfst sie sich, in kleinen (Juantitäten, von dem noch nicht aufgelö- seten Stahl trennen, und auch dann ist sie noch mit mehr oder weniger zersetzter Kohle verunreinigt. Obgleich die letztere durch Ätzkali ab- geschieden werden kann, so-ist doch nicht zu behaupten, dafs die Ab- scheidung vollständig erfolgt wäre. Auch die Verminderung des metal- lischen Glanzes, beim Trocknen der auf dem Filtro gesammelten und ausgesüfsten graphitischen Substanz in der Wassersiedhitze, deutet auf über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 69 eine schon begonnene Zersetzung, wodurch die Bestimmung des quanti- tativen Verhältnisses der Kohle und des Eisens,, in der nicht zersetzten Verbindung, ungewifs wird. Die graphitartige Masse, welche beim Auf- lösen des weichen Stahls in verdünnter Schwefelsäure zurück bleibt, eignet sich nicht dazu, die Zusammensetzung dieser Verbindung auszu- mitteln , weil sie sich in diesen Rückständen schon in einem gröfsten- theils zersetzten Zustande befindet. Am besten läfst sich diese durch Säuren so leicht zu zersetzende Verbindung, auf die schon angegebene Weise, aus dem Cementstahl darstellen. Mit aller Sorgfalt angestellte Versuche haben aber immer sehr abweichende Resultate gegeben, indem die Menge des, beim anhaltenden Kalziniren der Graphitblätchen zurück- bleibenden rothen Eisenoxyds, von 82 bis 94 Prozent diflerirte. Es würde diese Substanz mit einer Verbindung aus 40 Kohle und 60 Eisen am mehrsten übereinstimmen, folglich ein Sechskarburet, nemlich eine Ver- bindung aus sechs Mischungsgewichten Kohle mit einem Mischungsge- wicht Eisen seyn müssen. Eine solche Verbindung hinterläfst beim Kal- ziniren 86,5 Prozent Eisenoxyd, welcher Erfolg mit den gefundenen Resultaten, bei der Schwierigkeit die Verbindung rein zu erhalten, ziem- lich übereinsummend erscheinen würde, wenn sich nur überall der Zwei- fel, ob man es wirklich mit einer nicht schon zersetzten chemischen Verbindung zu thun habe , genügend beseitigen liefse. Sollte sich aber 5 bei künftigen genaueren Untersuchungen zeigen, dafs die aufgefundene Verbindung kein Sechskarburet, sondern ein in einem anderen Verhält- nifs zusammengesetztes Karburet wäre; so ergiebt sich doch unläugbar das Vorhandenseyn einer solchen, aus mehreren Mischungsgewichten Kohle mit einem Mischungsgewicht Eisen zusammengesetzten Verbindung, im Stabeisen, im weichen Stahl, in dem stark geglüheten und dadurch zu einer grauen und weichen Eisenmasse umgeänderten weifsen Roh- eisen, so wie in den grauesten und weichsten Abarten des grauen Roheisens. Das schon oben bemerkte Verhalten der Kohle, sich beim langsa- men Erkalten des stark erhitzten, oder des geschmolzenen kohlehaltigen Eisens, vom Eisen zu trennen, wird daher durch den Erfolg beim Auf- lösen der verschiedenen Eisenarten in Säuren, bestätigt. Nur das graue Roheisen enthält ungebundene Kohle, welche, in diesem Zustande, der 70 Karsten Einwirkung der Säuren widersteht und an den Veränderungen , welche das Eisen durch die Wirkungen der Säuren erleidet, nicht weiter Theil nimmt, als dafs sie auf mechanische Weise den Angrif schwächt. Beim plötzlichen Erstarren des Eisens kann das Bestreben der Kohle, sich zu isoliren, nicht wirklich eintreten, sondern alle vorhandene Kohle bleibt mit der ganzen Masse des Eisens zu einer homogenen Mischung verei- nigt. . Indem sie in diesem Zustande das mit ihr verbundene Eisen der Einwirkung der Säure zu entziehen sucht, nimmt sie an den Verände- rungen Theil, welche das Eisen durch Säuren erleidet, d.h., sie wird entweder gasförmig in Verbindung mit Wasserstoff verflüchtgt; oder sie nimmt Wasserstoff, Sauerstoff und wahrscheinlich auch noch andere Stoffe auf und bildet eine ölartige Flüssigkeit; oder sie bleibt als eine leicht brennbare schwarze Substanz zurück, welche ihren Metallglanz fast gänzlich verloren hat. In einem ganz andern Zustande des Gebunden- seyns findet sich die Kohle in dem weichen Stahl und zum Theil in grauen Roheisen. Hier ist sie nicht mit der ganzen Masse des vor- 5 handenen Eisens, sondern nur mit einem Theil desselben, zu einer Ver- dem bindung nach bestimmten chemischen Mischungsverhältnissen vereinigt und diese Verbindung befindet sich in der übrigen Masse des Eisens aufgelöse. Die Wirkung der Säuren kann daher zwar schneller als bei dem weifsen Roheisen und hartem Stahl erfolgen ; allein sie wird sich auch um so kräftiger auf die Kohle äufsern, weil sie nur an einer geringen Quantität Eisen chemisch gebunden ist. Die Salpetersäure ver- wandelt die Kohle daher bei den weichen Eisenarten schon in ein röth- lichbraunes Pulver , wenn sich ihre Wirkung bei den harten Eisenarten zunächst nur darauf erstreckt, die Kohle als eine schwarze Substanz abzuscheiden , welche erst bei der fortgesetzten Einwirkung der Säure, in jenes röthlichbraune Pulver, umgeändert wird. Der Zustand in welchem sich die Kohle im kohlehaltigen Eisen befindet, ist also unläugbar ein dreifacher, indem sie theils im ungebun- denen Zustande, als Graphit, vom Eisen aufgenommen wird, ıtheils mit der ganzen Masse des Eisens verbunden, theils endlich mit einer gewissen Quantität Eisen zu einer bestimmten chemischen Verbindung vereinigt ist und von der anderen überwiegenden Quantität Eisen, welche an jener Verbindung keinen unmittelbaren Antheil nimmt, aufgelöset gehalten über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 74 wird. Von der Menge der Kohle ist der Grad der Weichheit des Ei- sens niemals abhängig, sondern dieser wird blos durch das bestimmtere Hervortreten der Kohle bedingt, sey es als freie ungebundene Kohle (als Graphit) oder als ein Polykarburet, wenn es erlaubt ist, sich dieses Aus- drucks zu bedienen. Die Geschmeidigkeit in der gewöhnlichen Tempe- ratur, scheint mit der Weichheit im Verhältnifs zu stehen; in der Glüh- hitze werden aber neue Verbindungen eingeleitet, welche die Zusammen- setzung auf mannigfache Weise verändern. Das graue, weiche und in ge- wöhnlicher Temperatur ungemein geschmeidige Roheisen, verliert, wenn es im glühenden Zustande unter dem Hammer bearbeitet wird, die Ge- schmeidigkeit um so mehr, je höher der Grad von Hitze ist, in welchen es versetzt worden war. Wirklich zeigt auch die Analyse, dafs das in der Glühhitze gehämmerte graue Roheisen weniger Graphit und ungleich mehr gebundene Kohle enthält, als vor dem Glühen. Die Schläge des Hammers bewirken eine plötzliche Erstarrung, wodurch die Bildung des harten und spröden Eisens befördert wird. Dies ist auch der Grund, warum die Geschmeidigkeit des Eisens in den erhöheten Temperaturen, durch die Quantität der Kohle bedingt wird. In der gewöhnlichen Tem- peratur würde das graueste Roheisen denselben Grad der Geschmeigkeit wie das reinste und weichste Stabeisen besitzen müssen, wenn der Gra- phit nicht als ein mechanisches Hindernifs wirkte. In wiefern die Festig- keit des kohlehalugen Eisens mehr oder weniger von dem Zustande ab- hängt, in welchem sich die Kohle mit dem Eisen verbunden befindet, darüber fehlt es durchaus an Erfahrungen. Das graueste Roheisen be- sitzt den höchsten Grad der Weichheit, aber vielleicht nicht den höch- sten Grad der relauven Festigkeit, weil der Graphit abermals auf me- chanische Weise der genauen Verbindung der Eisentheilchen hinderlich ist. Das weilseste Roheisen besitzt den höchsten Grad der Härte, wo- durch sich aber nothwendig die relative Festigkeit vermindert. Es könnte wohl seyn, dafs ein Gemenge von beiden Eisenarten dasjenige Roheisen geben wird, welches, mit Verlust der gröfsten Weichheit auf der einen, und der gröfsten Härte auf der andern Seite, die gröfste relative Festig- keit besitzt. Fragt man nach der Ursache, warum sich die Kohle, beim lang- samen Erkalten des kohlehalugen Eisens, nicht jederzeit als reines Metall 72 Kursen abtrennt, oder warum sich, in dem flüssig gewesenen und langsam er- starrten kohlehaltigen Stabeisen und im weichen Stahl, kein Graphit, son- dern nur Polykarburet auffinden läfst; so ist eine befriedigende Antwort nicht leicht zu geben. Zunächst würde man wohl zu der Vermuthung geführt werden , dafs der Kohlegehalt des Eisens irgend ein Maximum erreichen müsse, um sich unter vorhandenen günstigen Bedingungen metallisch abzuscheiden , und dafs sich, so lange als jenes Maximum noch nicht erreicht ist, ein Polykarburet bilden werde. Diese Annahme würde das Vorhandenseyn einer bestimmten Verbindung von Polykar- buret mit Eisen voraussetzen, welches sich zwar nicht läugnen , aber doch auf keine Art nachweisen läfst, weil durch die Analyse, in vielen Arten des grauen Roheisens, eine geringere Menge von gebundener Kohle aufgefunden wird, als in manchen Arten des weichen Stahls. Mit gröfse- rer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen , dafs die Abscheidung des Gra- phit, im ersten Augenblick des Erstarrens, wirklich erfolgt, und dafs sich, in der noch lange anhaltenden Glühhitze, Verbindungen einleiten, welche wir beim fortgesetzten Glühen des Stabeisens mit Kohle entstehen sehen. Weil derselbe Erfolg eintritt, wenn Graphit, oder selbst graues Rohei- sen, statt der Kohle, beim Cementiren des Stabeisens angewendet wer- den, so gewinnt jene Annahme um so mehr Wahrscheinlichkeit, als in dem Stabeisen und in dem weichen Stahl ein überwiegendes Verhältnifs des Eisens zur Kohle statt findet, wodurch ein sehr hoher Grad von Hitze zum Flüssigwerden der Masse, folglich auch eine längere Zeit zum langsamen Erstarren derselben erfordert wird ; so dafs alle Bedingungen vorhanden sind, um den schon gebildeten und von der überwiegenden Masse des noch weissglühenden Eisens umgebenen Graphit wieder zu zer- stöhren. Je mehr der Kohlegehalt des Eisens zunimmt, desto mehr fal- len jene Bedingungen weg, indem die Masse schneller erkaltet und der aus- 8, geschiedene Graphit von einer geringeren Menge Eisen umgeben ist. Wo sich Graphit gebildet hat, kann man mit Zuverlässigkeit auf eine vorhergegangene vollkommene Flüssigkeit der Masse schliefsen. Des- halb scheidet sich auch beim langsamen Erkalten des glühenden, aber nicht bis zum flüssigen Zustande erhitzten harten Eisens, niemals Gra- phit aus, sondern die Mischung ändert sich in ein Polykarburet um, welches sich mit der übrigen Masse des Eisens verbunden befindet. über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 78} Dieser Mischungsveränderung liegt also dieselbe Ursache zum Grunde, welche beim Cementiren des Stabeisens mit Kohle zu Stahl, ganz oflen- bar und deutlich vor Augen liegt. Der einzige Unterschied besteht darin, dafs beim Cementiren die Kohle von aufsen hinzukommt, woge- gen sie beim Glühen des harten Eisens und Stahls von diesem selbst hergegeben wird, um das Polykarburet zu bilden. Ob sich, unter ver- schiedenen Umständen , Eisenkarburete mit verschiedenen Mischungsge- wichten Kohle bilden, oder ob nur ein solches Karburet, welches ein Sechskarburet zu seyn scheint, vorhanden ist; wird so lange unentschie- den bleiben, bis sich Mittel aufgefunden haben werden, die Karburete abzuscheiden, ohne ihre Mischung zu verändern, oder bis man die Kar- burete im abgesonderten Zustande wird kennen gelernt haben. Dafs das Eisen, bei einem zu grofsen Kohlegehalt, seine Geschmei- digkeit in den höheren Temperaturen gänzlich verliert, lehrt die täg- liche Erfahrung. Fände in der Glühhitze dasselbe Mischungsverhältnifs zwischen dem Eisen und der Kohle statt, wie in der gewöhnlichen Temperatur, so liefse sich kein Grund denken, warum das geschmeidige graue Roheisen, beim Hämmern im glühenden Zustande, seine Geschmei- digkeit nicht behielte, oder warum dieselbe nicht vielmehr noch ver- mehrt werden sollte. Diese einfache Erfahrung reicht schon hin, den Zustand der Verbindung beider Metalle in der Glühhitze zu beurtheilen. Es kann nur eine allgemeine Vereinigung statt finden, und der Grad der Erhitzung, die Quantität der-Kohle, so wie die Umstände beim Erstar- ren und Erkalten, entscheiden über die Natur und Eigenschaften, welche das erkaltete Metallgemisch erhalten wird. Die Menge der Kohle wird folglich in dem weichen Eisen genau so grofs seyn können, als in dem harten, aus welchem es entstanden ist. Forschen wir nach einem bestimmten Mischungsverhältnifs in den verschiedenen Verbindungen des kohlehaltigen Eisens, so ergiebt sich bald, dafs ein solches im Stabeisen und im Stahl nicht gesucht werden könne, weil das Karburet, welches sie im weichen Zustande enthalten, nur eine abgeleitete V erbindung ist, und weil von der Menge des Kar- burets der Grad der Härte und Geschmeidigkeit abhängt, welche das Stabeisen und der Stahl durch die Zersetzung des Karburets beim plötz- lichen Abkühlen erhalten. Daher wird es zwar in technischer Rück- Phys. Klasse 1822 - 1823. RK 2 74 Kırsten sicht höchst wichüg seyn, die Menge des Karburets im weichen Stahl zu ermitteln, welche durch die Zersetzung beim sogenannten Härten, dem Eisen die für jeden Zweck verlangten Eigenschaften der gröfseren oder geringeren Härte und der davon abhängenden geringeren oder gröfse- ren Geschmeidigkeit ertheilt; allein zur Auffindung von bestimmten Mi- schungsverhältnissen der Kohle zum Eisen, in dem harten Zustande des Metallgemisches, werden diese Untersuchungen nicht führen können. Ein bestimmtes Mischungsverhältnifs — wenn ein solches vorhan- den ist — wird daher nur im Roheisen zu finden seyn, und zwar in dem Roheisen , welches unmittelbar bei der Verschmelzung der Eisen- erze erhalten wird, und nicht in dem, dessen Kohlegehalt durch Um- schmelzen auf mannigfache Weise vermehrt oder vermindert seyn kann. Das graue Roheisen enthält theils freie, theils gebundene Kohle, folg- 5 lich abgeleitete Verbindungen, deren Bildung von dem Grad der Hitze, bei welchem das Roheisen erzeugt ward, und von den Umständen ab- hängig erscheint, unter denen die Erstarrung erfolgte. Es wird daher auch bei diesem Eisen kein bestimmtes Mischungsverhältnifs vorausgesetzt werden können. Dagegen läfst es sich bei dem weifsen Roheisen erwar- ten, welches bei einem guten Gange des Ofens und bei einem solchen Erzsatz erblasen ist, bei dem die Scheidung des Eisens von der Schlacke so vollständig erfolgt, dafs die Schlacke durch Eisenoxydul noch nicht dunkel gefärbt erscheint. Aus Gründen, deren Auseinandersetzung hier zu weit führen würde, ist es bekannt, dafs solches Roheisen, beim Be- twiebe der Koakhohenöfen nur mit grofser Schwierigkeit, und beim Be- wiebe der Holzkohlenhohenöfen, anhaltend und mit steis gleichbleiben- den Eigenschaften, nur bei Verschmelzung leichtflüssiger Eisenerze erhal- ten werden kann. Das weilse Roheisen, mit grofsen, stark glänzenden Spiegelflächen, welches deutlich eine krystallinische Struktur verräth und welches am vollkommensten und in gleichbleibender Beschaffenheit bei der Verschmelzung der Spatheisensteine erhalten wird, ist ein solches, bei dem sich ein bestimmtes Mischungsverhältnifs der Kohle am wahr- scheinlichsten erwarten läfst. Durch Auflösen des Eisens in Säuren ist der Kohlegehalt dessel- ben, wie vorhin gezeigt worden, um so weniger genau zu bestimmen, je geringer der Antheil Kohle ist, welcher sich im ungebundenen Zu- über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 75 stande in dem Eisen befindet, Ein zuverlässigeres Resultat wird bei der Zersetzung des geschmolzenen Hornsilbers durch das kohlehaltige Eisen erhalten. Der Prozefs mufs in verschlossenen Gefäfsen, mit vielem aus- gekochten Wasser und mit einem Zusatz von einigen Tropfen Salzsäure vorgenommen werden. Die zurückbleibende Kohle scheint aber auch bei diesem Zersetzungsprozefs schon eine Veränderung erlitten zu haben, wie aus den bei der Zersetzung sich entwickelnden Gasblasen und aus der Beschaffenheit der Kohle selbst hervorgeht, welche kein metallisches Ansehen besitzt und sich in der Glühhitze leicht und schnell verbren- nen läfst. Die weichen Eisenarten hinterlassen, beim Zersetzen durch Horn- silber, schwarzbraune, unmagnetische Kohle und eine graphitische Masse, ganz derjenigen ähnlich, welche hei der Behandlung mit Säuren erhal- ten wird. Mit der Zeit verwandelt sich aber auch diese graphitische Masse durch Hornsilber in sckwarzbraune Kohle, so dafs die Anwen- dung des Hornsilbers ebenfalls kein Mittel gewährt, jenes Karburet rein und ohne eine bereits erlittene Zersetzung darzustellen. Zwar läfst sich das Karburet durch Hornsilber in gröfserer Menge und vielleicht in gröfserer Reinheit erhalten ; allein es fehlt an einem sicheren Merkmal woraus sich beurtheilen liefse, ob die Zersetzung weit genug oder schon zu weit vorgeschritten ist. Das graue Roheisen läfst, ausser der Kohle und der graphitischen Masse, auch noch die ungebundene Kohle im Zu- stande des Graphits zurück. Die harten Eisenarten geben blofs schwarz- braune Kohle, wenn die Zersetzung vollständig erfolgt ist, aber der Zer- setzungsprozefs schreitet bei den harten Roheisenarten ungemein langsam fort, indem sich eine Kohlenrinde bildet, welche den noch unzersetzten Eisenkern umgiebt. Deshalb sowohl, als auch um die Menge der ge- bundenen Kohle in dem zu zersetzenden Eisen möglichst zu vermindern, und die aus den Veränderungen, welche die gebundene Kohle erleidet, entspringenden Irrthümer, bei den quantitativen Bestimmungen des Koh- legehalts, so viel als möglich zu beseitigen; ist es vorzuziehen, das harte Roheisen, durch Schmelzen in verschlossenen Thontiegeln und durch höchst langsames Erkalten, in weiches, graues Roheisen zu verwandeln und dieses durch Hornsilber zu zersetzen. Ka 76 KArsten Die Rückstände welche nach dem Aussüfsen längere Zeit in der Wassersiedhitze getrocknet werden, sind fast niemals frei von Eisen und Kieselerde. Sie müssen daher, nachdem sie gewogen worden, im offe- nen Platintiegel verbrannt und so lange kalcinirt werden, bis der Rück- stand, wenn ein solcher vorhanden ist, seine Farbe und sein Ansehen nicht mehr verändert, und nicht mehr vom Magnet gezogen wird. Der Eisenoxydgehalt dieses ebenfalls gewogenen Rückstandes wird durch Salz- säure weggenommen und die Menge durch das Gewicht der zurückblei- benden Kieselerde bestimmt, wobei es sich von selbst versteht, dafs das gefundene Gewicht des Eisenoxyds auf metallisches Eisens redueirt wird, wogegen die Kieselerde als Oxyd in Rechnung kommt, indem wohl an- genommen werden darf, dafs das Silicium durch das Hornsilber voll- ständig in Kieselerde umgeändert seyn werde. Bei den ‚grauen Roheisenarten ist es nothwendig, die Menge der ungebundenen und der gebundenen Kohle anzugeben. Weil die Rück- stände, aus den eben angeführten Ursachen, verbrannt werden müssen, so läfst sich die erforderliche Ausmittelung der Menge der ungebunde- nen Kohle am besten durch Auflösen einer andern Quantität Roheisen in Salpetersäure, welcher demnächst etwas Salzsäure hinzugefügt wird, bewerkstelligen. Der Rückstand wird, von der durch die Säure zer- setzten Kohle, die sich im gebundenen Zustande im Roheisen befand, so wie von der etwa vorhandenen Kieselerde, durch Ätzkali befreit und nach dem Aussüfsen getrocknet und gewogen. Das Gewicht giebt die Menge der ungebundenen Kohle an, woraus, durch Abzug von dem beim Zersetzen des Hornsilbers gefundenen Gewicht des ganzen Kohle- gehalts, die Menge der gebundenen Kohle gefunden wird. Durch die Anwendung von Salzsäure würde zwar alle gebundene Kohle unmittel- bar entfernt werden können; es ist aber nicht raıhsam, sich dieses Auf- lösungsmittels zu bedienen, weil das Wasserstoflgas immer etwas Graphit mechanisch mit fortreifst. Weifses Roheisen mit ausgezeichneten Spiegelflächen, von der Loh- hütte bei Müsen im Siegenschen, hinterliefs beim Auflösen in Salzsäure in der Siedhitze, ungeachtet der sorgfäliigsten Auswahl der Stücken, noch 0,2 Prozent Graphit. Es ist sehr schwierig, weifses Roheisen frei von über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 77 allem Graphit zu erhalten, wenn dasselbe nicht bei einem schon wirk- lich übersetzten Gange des Ofens gefallen ist. Dies Eisen hat aber be- reits eine Zersetzung erlitten und mehr oder weniger Kohle verloren, so dafs es nicht mehr eine, aus bestimmten Mischungsgewichten zusam- mengesetzte Verbindung ist. Der geringe Gehalt an ungebundener Kohle kann indefs keinen beträchtlichen Irrthum, in der Beurtheilung der wah- ren Zusammensetzung des weifsen Roheisens, welches bei einem guten Gange des Hohenofens erzeugt wird , veranlassen. Die Zersetzung des Hornsilbers erfolgte durch das Loher Spiegeleisen ungemein langsam und die Kohle fand sich jedesmal so zerstreut zwischen den reducirten Silberbläuchen, dafs es schwierig war sie zu sammeln. Der Kohlege- halt differirte von 4,5 bis 5,5 Prozent. Zum Versuch wurden jedes- mal ı2 bis 15 Gran Roheisen und So bis 90 Gran Hornsilber ange- wendet. Die Zersetzung war gewöhnlich nach Verlauf von zehn bis zwölf Tagen beendigt. Um das Hindernifs, welches aus dem Sammeln des sehr leichten und fein zertheilten kohligen Rückstandes entspringt, zu vermindern, ward das Spiegelflofs, um es in graues Roheisen umzuändern, in einem sorgfälug verschlossenen Thontiegel geschmolzen und der langsamen Er- kaltung überlassen. Eine andere Quantität ward im Graphittiegel in Flufs gebracht und mufste ebenfalls langsam erkalten. Eben dieses war bei einer dritten Quantität der Fall, welche in einem mit Kiehnrufs an- gefüllten Tiegel geschmolzen war. Die erhaltenen Eisenkönige zeigten auf der Bruchfläche ein ziemlich verschiedenes Ansehen. Der mit Kohle geschmolzene hatte zwar keine dunklere Farbe, aber gröbere Absonde- vungsflächen als der im Graphittiegel erhaltene, und schien daher einen gröfseren Glanz zu besitzen. Der im Thontiegel geschmolzene Regulus war weniger schwarz als dunkelgrau gefärbt, und hatte ein mehr feinkör- niges Gefüge. Er verhielt sich härter gegen die Feile als der im Graphit- tiegel geschmolzene, und dieser etwas härter als der mit Kohle geschmol- zene Regulus, welcher einen hohen Grad von Weichheit besafs. Der Kohlegehalt dieser drei Eisenkönige ward durch Zersetzung des Hornsilbers, und die Menge der ungebundenen Kohle demnächst durch Autlösen in Königswasser ausgemittelt. Es ergaben sich folgende Resultate : 78 Karsten In ı00 Theile Loher Spiegeleisen sind befindlich | gebundene \ungebundene ee Kohle Kohle Kohlegehalts Mit. Kohle’ geschmolzen... ....0.... 62,0.82.29,. Im Graphittegel geschmolzen... ... 5, 10, Im Thonuegel geschmolzen ....... 5 3.05% Das abweichende Verhältnifs der ungebundenen zu der gebunde- nen Kohle, ist unbezweifelt eine Folge der langsameren oder schnelleren Erstarrung. In dem mit Kohle geschmolzenen Regulus schien die ge- bundene Kohle nur als Polykarbureı enthalten zu seyn, wogegen die Erscheinungen bei der Zersetzung des im Thontiegel geschmolzenen Re- gulus, auf einen Gehalt von hartem Eisen hindeuteten. Alle drei Kö- nige enthalten dieselbe Menge Kohle, indem die unbedeutenden Diffe- renzen als gar nicht vorhanden angesehen werden können, und dieser ganze Kohlegehalt ist in dem weifsen und harten Roheisen bekanntlich mit der gesammten Masse des Eisens verbunden. Die genauere Prüfung der bei jenen Versuchen aufgefundenen Verhältnisse, führt zu dem sehr merkwürdigen Resultat, dafs das Spiegeleisen die gröfste Menge Kohle enthält, welche das Eisen im flüssigen Zustande aufzunehmen fähig ist, und dafs dasselbe eine wahre chemische Verbindung, aus zwei Mischungsgewichten Eisen mit einem Mischungsgewicht Kohle, darstellt. Legt man des Herrn Berzelius Atomengewichte zum Grunde , so würde eine solche Verbindung aus 94,7 Eisen und 5,5 Kohle zusam- mengeseizt seyn müssen, welche Zusammensetzung mit der aufgefunde- nen so genau übereinstimmt, als es bei Untersuchungen dieser Art nur erwartet werden kann. Das weifse Roheisen mit Spiegelllächen ist folg- lich ein wahres Subkarburet und wird durch Fe?C bezeichnet werden können. So wie die Kohle in der Schwefelkohle mit zwei Mischungs- 5 gewichten Schwefel, und im Kohlenwasserstoflgas mit zwei Mischungs- gewichten Wasserstoff verbunden ist; so findet sie sich in dem harten, weifsen,, bei einem nicht übersetzten Gange des Hohenofens erzeugten Roheisen, mit zwei Mischungsgewichten Eisen vereinigt. Wie ist nun das graue Roheisen zusammengesetzt, welches von den Chemikern und Metallurgen von jeher für das kohlehaltigere ange- über die Verbindung des Eisens mit Kohle. 79 sehen ward? Ein gröfserer Kohlegehalt als in dem weifsen Roheisen mit Spiegelflächen,, ist darin, nach den eben angegebenen Resultaten, nicht zu erwarten. Dafs es, bei demselben Gehalt an Kohle, diese in einem andern Zustande der Verbindung enthalten werde, würde die wahrscheinlichere Vermuthung seyn. Aber auch diese findet sich durch gen meh- rerer Arten von grauem Roheisen zeigen, welche theils bei Holzkohlen, die Analyse nicht bestätigt, wie die Resultate der Untersuchun theils bei Koaks, bei einem sogenannten gaaren und hitzigen Gange des Ofens erblasen worden sind. In ı00 Theiler grauem Roheisen befinden sich gebundene |ungebundene| Summe des Kohle Kohle Kohlegehalts' Von der Saynerhütte bei Coblenz , bei Holzkohlen aus Brauneisenstein er- Dlasents ep ee, ge ner une Se Von der Widdersteinerhütte im Berg- Revier Siegen, bei Holzkohlen aus Brauneisenstein mit einem Zusatz von Spatheisenstein erblasen ....... | Von der Malapanerhütte in Oberschlesien, aus Spatheisenstein bei Holzkohlen GARAGEN de Arien ee. se Von der Königshütte in Oberschlesien, aus | ockrigem Brauneisenstein bei Koaks | GERTARCHL „nee 2 See En 2. Ebenfalls daher, aber von einem weniger hitzigen Gange des Ofens. .... .| Alle diese Roheisenarten zeichneten sich durch eine sehr dunkle, fast schwarze Farbe, durch eine grofse Weichheit und Geschmeidigkeit in der gewöhnlichen Temperatur, und durch einen starken Metallglanz auf der Bruchfläche aus. Die gebundene Kohle schien, bei allen Roh- eisenarten, im Zustande des Polykarburets mit dem Eisen verbunden zu seyn. s0 KArRrsSTEn Ein bestimmtes Mischungsverhältnifs der Kohle zum Eisen läfst sich, wie zu erwarten war, bei dem grauen Roheisen nicht auflinden. Dagegen ergiebt sich das, allen bisherigen Annahmen widersprechende Resultat, dafs das graue Roheisen weniger Kohle enthält als das weifse, welches bei einem nicht eigentlich übersetzten Gange des Ofens erblasen wird. Der Kohlegehalt nimmt um so mehr ab, je gröfser der Grad der Hitze war, welcher bei der Ausschmelzung aus den Erzen statt fand. Deshalb enthält auch das bei Koaks erblasene, schr graue Roh- eisen, die geringste Menge Kohle. Das graue welches man erhält, wenn stark gebrannter Cementstahl, durch grofse Hitze in den Stahlkisten, in Flufs kommt, enthält 2,62 Prozent ungebundene und 0,68 Prozent gebundene, zusam- men 5,5 Prozent Kohle, also etwa so viel, als das bei einem hitzigen Gange des Ofens bei Koaks erzeugte graue Roheisen. Auch die Zu- sammensetzung dieses grauen Roheisen deutet nicht auf ein bestimmtes Mischungsverhältnifs hin und es ist, unter den Umständen wie es ent- steht, wohl zu erwarten , dafs der Kohlegehalt sehr veränderlich und um so gröfser seyn werde, je gröfser die Hitze war und je länger das Eisen in der Stahlkiste flüssig bleibt. Die Vergleichung des im weifsen und im grauen Roheisen aufge- fundenen Kohlegehalts, so wie des Zustandes der Verbindung der Kohle mit dem Eisen, giebt über die Beschaffenheit des sogenannten halbirten Roheisens, welches in sehr vielen Fällen absichllich, und zuweilen zu- fällig, bei dem Betriebe der Hohenöfen erzeugt wird, genügenden Auf- schlufs. Je nachdem sich der Gang der Öfen mehr oder weniger dem gaaren, d.h., demjenigen nähert, bei welchem nur graues Roheisen er- halten wird; müssen sich auch die Verhältnisse des weifsen zum grauen Roheisen mehr oder weniger abändern. Eine Vermischung beider Rohei- senarten findet, — wenn sie nicht durch absichtlich bewirkte plötzliche Er- starrung der flüssigen Masse herbeigeführt wird, — niemals statt, und daher scheint ls halbirte Robeisen zuweilen das Ansehen und die Eigenschaften des grauen, zuweilen die des weifsen Roheisens zu besitzen, wenn die eine oder die andere dieser Verbindungen überwiegend und vorwaltend ist. Das weifse Roheisen von einem guten und nicht schon übersetz- ten Gange des Ofens, ist aber sehr wesentlich von dem weifsen Roh- über die Verbindung des Eisens mit Kohle. si eisen zu unterscheiden, welches bei einem übersetzten Ofengange erzeugt wird. Die sogenannten luckigen Flossen, welche man zu Vordernberg in Steyermark darstellt, sind ein solches, bei einem stark übersetzten Ofen- gange gefallenes weilses Roheisen. Dies Roheisen enthält 5,25 Prozent Kohle in einem gebundenen Zustande, und zwar mit der ganzen Masse des Eisens vereinigt. Der gefundene Kohlegehalt darf indefs nicht als ein unveränderlicher für jene Eisenart angesehen werden, sondern er richtet sich ganz nach dem Gange des Ofens, und vermindert sich in dem Grade, wie die Versetzung des Ofens zunimmt. Von den sogenannten Spiegel- flossen findet auf diese Art ein Übergang durch die Hartflossen und lucki- gen Flossen, mit immer abnehmendem Kohlegehalt, bis zu einer stahlar- ugen Verbindung statt, welche bei starken Versetzungen des Ofens nicht selten als Frischklumpen, oder als eine stabeisenartige Masse aus dem Ofen gebrochen werden mufs. Dafs die Kohle in den luckigen Flossen an der ganzen Masse des Eisens gebunden ist, rührt nur von der schnell erfol- genden Erstarrung der Masse her. Auch beim Harıflofs (blumigen Flos- sen) ist die Kohle an der ganzen Masse des Eisens gebunden, und der Kohlegehalt dieses Eisens ist gröfser als der der luckigen, aber geringer als der der spiegligen Flossen. Bei dem grauen Roheisen deutet die dunklere und fast schwarze Farbe zwar auf einen gröfseren Gehalt an Kohle, aber die Farbe allein giebt kein sicheres Anhalten, indem auch die grauen Roheisenarten mit geringerem Kohlegehalt, häufig sehr dunkel gefärbt sind. Je weniger deutlich ein Stich ins Bläuliche zu bemerken ist, desto gröfser pflegt der Gehalt an Kohle zu seyn, und umgekehrt. Ein feines Korn mit abneh- mendem Glanz und mit abnehmender schwarzer Farbe, die von der grauen verdrängt wird, deutet nicht immer auf zunehmenden Gehalt von gebun- dener und auf abnehmenden Gehalt von freier Kohle. Noch schwieriger ist es, aus der Farbe und aus dem Glanz des weifsen Roheisens auf den Kohlegehalt zu schliefsen. Das, durch plötzli- ches Erstarren, aus dem grauen Holzkohlenroheisen erhaltene weifse Roh- eisen, dessen Kohlegehalt sehr abweichend seyn kann und mit dem des grauen Roheisens, woraus es erhalten worden ist, übereinstimmt, unter- scheidet sich häufig nicht von dem weifsen Roheisen, welches das Maxi- mum des Kohlegehalts erreicht hat. In den Fällen, wo sich deutliche Phys. Klasse 1822 - 1825. L 82 Karsten über die Verbindung u.s.w. Spiegelflächen bilden, ist das durch plötzliches Erstarren es grauen Roh- eisens erhaltene weifse Roheisen, vielleicht für ein Gemenge von Fe?C mit weifsem Roheisen ohne ein bestimmtes Mischungsverhältnifs, anzu- sehen ; in den mehrsten Fällen dürfte ein auf solche Art entstandenes weifses Roheisen aber nur für eine ganz unbestimmte Verbindung zu hal- ten seyn, in welcher die vorhandene Kohle nicht zureicht, um alles Ei- sen zu der Verbindung Fe?C zurückzuführen. Graues Roheisen entsteht beim Betriebe der Hohenöfen immer nur dann, wenn das Verhältnifs der Erze zu den Kohlen geringe ist, oder wenn die Kohlen in einem solchen Übermaafs vorhanden sind, dafs der Erzsatz ohne einen nachtheiligen Einflufs auf den Gang des Ofens, verstärkt werden kann. Aus dieser Art der Entstehung des grauen Roheisens, und aus seinem Verhalten beim Verfrischen, indem es sich schwieriger in Stabeisen umändern läfst als das weifse Roheisen, wird es erklärbar, wie die Überzeugung : dafs das graue Roheisen das reichere an Kohle sey, — bei allen Chemikern und Metallurgen so fest hat begründet bleiben können, dafs nicht einmal die Vermuthung eines an- dern Verhaltens jemals entstanden ist. Der Widerspruch, welcher zwi- schen dem geringeren Gehalt an Kohle, und zwischen der Entstehungs- art des grauen Roheisens in den Hohenöfen und seinem Verhalten beim Verfrischen statt zu finden scheint; wird sich bei einer näheren Beleuch- tung der Erscheinungen beim Hohenofen und beim Verfrischungspro- zefs — welche einem andern Vortrage vorbehalten bleiben mag — sehr leicht beseitigen lassen. Es ist zu hoffen, dafs diese Untersuchungen nicht ohne Nutzen für den praktischen Eisenhüttenmann bleiben, und dafs sie bald zur Ab- änderung und Verbesserung mancher bisher üblichen Verfahrungsarten ° ko) bei der Erzeugung und weiteren Verarbeitung des Roheisens führen werden. DB DPI 0 I— Über Dolomit als Gebirgsart. Von Hm. BUCH. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5r. Januar 1822. ] 1 ee erzählt in einem aus Malta am 50. Januar ı79ı an la Peyrouse geschriebenen Briefe (Journ. de Physique, AXAXIX. 5.) dafs er viele Kalksteine untersucht habe, welche wenig und langsam, oder auch fast gar nicht mit Säuren aufbrausen, ohnerachtet er sich durch andere Mittel völlig überzeugt hatte, dafs nicht beigemengte fremde Fossilien die Natur des Kalksteins verstecken. Er sagt nicht, wo ihm diese Erscheinung zuerst aufgefallen sei, sondern fährt fort, dafs er nun unter den römischen Marmorn viele von dieser nicht aufbrausenden Natur entdeckt habe. Viele, vorzüglich griechische colossale Statuen wären daraus gearbeitet; den römischen Bildhauern sei er unter dem Namen marmo greco duro bekannt. In der That unterscheide sich auch dieser Marmor von den mit Säuren aufbrausenden durch seine gröfsere Härte. Er sei auch schwerer, etwas weniger durchscheinend, und wi- derstehe weit mehr der Verwitterung. Sonst sei er sehr weifs und grob- körnig. Ohnerachtet man aus ihm, wenn man ihn mit Säuren behan- delt, nur nach vielen Minuten einzelne und seltene Luftblasen aufsteigen sieht, so werde er doch von diesen Säuren vollkommen aufgelöst und gebe durch die Calcination lebendigen Kalk. Später, im August 1789, erzählt Dolomieu weiter, habe er eine ungeheure Menge dieser nicht aufbrausenden Kalksteine in Tyrol gefun- La 84 Buvwcnu über Dolomit den, als er dies Land mit dem bekannten Naturforscher Fleuriau de Bellevue bereiste. Sie kämen vorzüglich bei Sterzing vor (l.c.p.8.); ein grofser Theil der Sirasse über den Brenner laufe darüber hin und diese Strafse sei bis fast nach Inspruck hin daraus gemacht. Aber nicht blofs im primitiven Gebirge, sondern auch zwischen Botzen und Trient in dem Kalksteine, welcher Versteinerungen enthält und dem Porphyre folgt, habe er dieselben Massen gefunden ; nur mit dem Un- terschiede, dafs die im höheren Gebirge feinkörnig und fası halbdurch- sichtig sind; die in den söhligen Flözschichten hingegen erscheinen dicht mit splittrigem Bruch, wie sonst der Flöz-Kalkstein. Doch sind sie weifser, und enthalten eine Menge kleiner Höhlungen, mit Rhomboe- dern besetzt, deren Oberflächen die Gonvexität und den Perlmutterglanz des Braunspaths besitzen, und auch, wie dieser, nur langsam und ohne Aufbrausen sich auflösen. — Die Brenner-Kaiksteine von dieser nicht aufbrausenden Natur sind sehr stark phosphorescirend, sowohl durch Reibung mit eisernen Spitzen , als gegeneinander ; dann sind sie auch viel schwerer wie gewöhnliche weifse Marmore; sie erreichen nahe 5000; da die specilische Schwere der aufbrausenden Marmore nie 2800 übersteigt. Dieser Brief machte bei den französischen Naturforschern grofses Aufsehen ; das für untrüglich gehaltene Kennzeichen der Kalksteine, das Aufbrausen mit Säuren, ward ihnen entrissen, ohne dafs man eine Ur- sache dieses Mifslingens des entscheidenden Versuchs angeben konnte. Schon kurze Zeit nach der Bekanntmachung erschien ein Aufsatz von Gillet Laumont, in welchem dieser beweist, dafs die Phosphorescenz den von Dolomieu entdeckten Kalksteinen nicht ausschliefslich eigen- thümlich sei, sondern auch manchen anderen sehr lebhaft aufbrausenden zukomme. Er bestäugt aber Dolomieu’s Angaben in Hinsicht des langsamen und schwierigen Aufbrausens vieler Kalksteine vollkommen, und nennt als auffallendes Beispiel dieser Erscheinung den primitiven Kalkstein, welcher südlich über Ste. Marie aux Mines im Elsafs in grofsen Bänken ansteht, und gänzlich aus einem verworrenen Gemenge von primitiven Rhomboedern zu bestehen scheint, in dem nur in den unteren Theilen wenig Glimmer und Speckstein eingemengt sind. Journ. de Physique. ÄL. 97. als Gebirgsart. 85 Saussure hatte sehr bald von Dolomieu solche Kalksteine er- halten, und sein Sohn unternahm es, durch eine chemische Analyse die Ursache ihrer Eigenthümlichkeiten zu erforschen. Es war, wie ich glaube, eine der ersten Arbeiten mit welcher dieser berühmte Chemiker öffentlich auftrat. Er meinte, man müsse diesen sonderbaren Kalkstei- nen den Namen des Entdeckers beilegen und nannte sie Dolomite, und dieser Name ist ihnen seitdem auch immer geblieben. Aber in der Analyse war er nicht glücklich ; der wesentliche Bestandtheil des Do- lomits, die Talkerde, entging ihm. Auch in den von Fleuriau de Bellevue als ausgezeichnet phosphoreseirend und elastisch biegsam bekanntgemachten Dolomiten von Campo Longo am Gotthardt, fand Saussure nur 0,8 p. C. Talkerde, welche nicht als wesentlich konnte angesehn werden. Es ist wahrscheinlich, dafs die Entdeckung der wahren Natur dieser Gebirgsmassen dem genialen Chemiker Smithson Tennant ge- bühre. Ein Zufall hatte ihn darauf geleitet. Er sah bei Doncaster (im Jahre 1792 Phil. Trans. 1799, 505.) die Felder mit gebranntem Kalkstein gedüngt, den man von Tagereisen weit herführte, da doch ganz in der Nähe sich viele Kalköfen befanden. Bei näheıer Un- tersuchung fand er dafs dieser Kalkstein der Gegend , weit entfernt die Vegetation zu beschleunigen, sie gänzlich zerstört haben würde, und von dieser sonderbaren Thatsache überzeugte er sich noch mehr durch viele von ihm zu diesem Zweck angestellte höchst merkwürdige Versuche. Sehr erstaunt über diese Wirkung unterwarf er die Steine einer sehr genauen und umsichtigen Analyse, und fand, dafs sie aus zwei Thei- len kohlensaurer Talkerde mit drei Theilen kohlensaurem Kalk zusam- mengesetzt wären; dagegen enthielt der zur Düngung angewendete Kalk keine Talkerde. Da jene so schädlich wirkende Steine sich nur sehr langsam in Säuren auflöseten, so ward Tennant darauf geleitet, sie mit Dolomiten zu vergleichen, und auch diese einer neuen Analyse zu unterwerfen. Nun entdeckte er, dafs der grofse Gehalt von Talkerde allen diesen Substanzen ebenfalls eigenthümlich sei, und dafs von diesem Gehalt alle Eigenschaften abhängen, welche Dolomite von Kalksteinen unterscheiden. So fand er s6 Buvucu über Dolomit Talkerde. Kalkerde. in dem Dolomit der colossalen griechischen Sta- ten. zur Rom ZH sen 21, 48 92. In den Massen, welche man gewöhnlich vom Vesuv ausgeworfen glaubt, und in denen sich gröfs- tentheils alle jene glänzenden Krystalle einge- schlossen finden, Glimmer, Hornblende, Vesu- vian, Feldspath, Meyonit, Nephelin. .... In Dolomit von Breedon bei Derby ..... In Dolomit von Jona der Hebridischen In- Bee and ee Der Weg, den Tennant in seinen Analysen befolgte, hat etwas Eigenthümliches ; der Dolomit ward nehmlich zuerst in Salzsäure auf- gelöst, im Platintiegel zur Trockne abgeraucht und einige Minuten roth- glühend erhalten. Es blieb nun im Tiegel salzsaurer Kalk und reine Talkerde zurück. Dieser Rückstand ward mit Wasser ausgewaschen, auf das Neue in etwas mehr verdünnter Salzsäure aufgelöst, als eben zur Wiederauflösung der Talkerde nöthig war, und die verhältnifs- mäfsige Menge der Talkerde aus dem Verlust bestimmt, welchen ein in die Auflösung gebrachtes reines Stück Kalkspath erlitt. Eisen und Thon- erden wurden ebenfalls durch diesen Kalkspath niedergeschlagen. Tennant fand nun bei weiterem Nachforschen , dafs die engli- schen Dolomite sich sehr weit erstreckten, und verschiedenen Forma- tionen angehörten. Der von Doncaster liefs sich durch die ganze Länge von England in einer bestimmten Lagerung verfolgen, nehmlich zwischen den Kohlenschichten und dem rothen, Salz und Gyps führen- den Mergel, und seitdem wird er von englischen Geognosten unter dem Namen magnesian limestone als eine eigene Formation aufgeführt. Auch in Derbyshire fand Tennant den Dolomit in einem Kalk- stein, von dem man gewöhnlich glaubt, dafs er unter dem Kohlengebirge liege, und so sonderbar, dafs bei Matlock im engen Thale, die eine Seite der Felsen aus Kalkstein, die andere aus Dolomit besteht. Die- ser letztere enthält einige Versteinerungen, doch höchst selten; der Kalk- 5 stein ist dagegen ganz damit angefüllt. — Übrigens macht Tennant als Gebirgsart. 87 noch die feine, aber ganz verloren gegangene Bemerkung, dafs der gröfste Theil dieser Dolomite fast durchaus von krystallinischer Stwruc- tur sei, und dafs man in diesen Krystallen, wenn sie gröfser werden, die Rhomboidalform erkennt. Diese Structur aber, sagt er, ist ein Be- weis, dafs beide Erden in der That in chemischer Vereinigung getre- ten sind, und dafs die Talkerde nicht etwa zufällig sich darinnen einge- mengt finde (1). Klaproth bestätigte diese Entdeckung, nicht allein durch Unter- suchung des Dolomits der griechischen colossalen Statuen, sondern auch durch neue Zerlegung desjenigen von Campo Longo am Gotthardt und aus der Kette der Apenninen-Gebirge von Castell a Mare bei Neapel. \ Kohlensaure | Kohlensaure | Kohlensäure | Kalkerde. Talkerde. allein. es 55,8% 48. 474 p-C. | Der körnige anuke Dolomit enthielt . . Von Campo Longo mit grünen Talk- | bläuchen: gemengt .......:... | Von Castell a Mare zerfallen ..... in derben Stücken Aus kaernthnerischen Alpen .... Klaproth hatte schon früher, und hat auch später viele Verbin- dungen der kohlensauren Talkerde und Kalkerde zerlegt, welche nach und nach unter dem Namen von Braunspath, Bitterspath, Guh- rofian, Miemit u. s. w. bekannt geworden waren. In jeden fand sich das Verhältnifs der beiden Erden verschieden, sogar unbeständig; und da man nun glaubte in diesen verschiedenen Fossilien die Form des Kalk- spaths zu erkennen, so machten diese Analysen auf die Mineralogen kei- nen grofsen Eindruck. Man scheint gröfstentheils den Talkerdengehalt für etwas zufälliges gehalten zu haben, für eine Wirkung von Talk- (1) Nach der chemischen Proportionsformel 1 Mc + ı Ce besteht die Verbindung aus = 45, 45 kohlensaure Talkerde. 5A; 55, 2. = vum Kalkerde. I0OO .... s8 Buvucn über Dolomit blättchen, Serpentin oder ähnliche, dem Kalkspathe eingemengten Fossi- lien. Auch hat selbst Klaproth nichts erwähnt, woraus man schliefsen könnte, dafs er im Braunspath, Bitterspath, Miemit u.s. w. den Dolomit wieder erkannt hätte (1). Die Aufmerksamkeit auf diese Verbindungen mufste aufs Neue erregt werden, als ı802 Wollaston seine Entdeckung der Verschie- denheit der Winkel des Bitterspaths von denen des Kalkspaths bekannt machte, Es war nun erwiesen, dafs Dolomit nicht Kalkstein sei, son- dern etwas Eigenthümliches, Selbstständiges, und die Untersuchung der Verhältnisse, in welchen diese Gebirgsarı in der Natur vorkommt, mufste ein neues Interesse gewinnen. Wenig ist indels darüber bekannt ge- macht worden, und vielleicht möchte das Vorzüglichste ein, vor wenig Monaten, sowohl in Thomsons Annalen, wie im Journal de Physique erschienener Aufsatz des Oxford’schen Professors Buckland seyn, in welchem dieser geschickte Geognost mit grofser Kühnheit die Reihe der englischen Flözschichten durch die Kette der Alpen verfolgt. Er meint, man könne in diesen Gebirgen fünf Arten von Dolomit unterscheiden, ı) den primitiven am Brenner. 2) Im schwarzen Übergangs-Kalkstein ; wahrscheinlich, weil man im Kalkstein dieser Formation in England, Rufsland und Nord-Amerika Talkerde gefunden habe. 5) Im so- genannten älteren Alpenkalkstein, welcher ganz mit der Formation des ‚„‚Magnesian Limestone” in England übereinkomme. Hierzu gehöre ein «grofser Theil der Rauhwacke und der Zechstein in Deutschland. 4) Im jüngeren Alpenkalkstein, zu welchem auch die Jura-Kalksteine und die Roogensteine gerechnet werden. 5) Endlich im sogenannten (1) Eine neue Analyse ward von Biot bekannt gemacht (Annales de Chimie XIV. 194). Sehr schöne, reine Krystalle aus piemonteser Thälern hatten bei 21, 25 C. Temp. ein specifisches Gewicht von 2, 9264 (der Kalkspatlı nach Malus nur 2, 7141) und ent- hielten nach Pelletier’s Versuchen Kohlensaure Kalkerde 51. Kohlensaure Talkerde 44, 52. Kohlensaures Eisen 4,68. Die Scheidung der Erden war nach Longehamp’s Methode bewerkstelligt wor- den. Biot fand, dafs die Divergenz der Strahlenbündel im Dolomit um » die ähn- licher Bündel im Kalkspath übertraf. als Gebirgsart. 89 ‚„‚calcaire grossier’’ der Bassin- (Becken-) Formation, welche die Stadt Die nä- Verona umgiebt und viele der Vicentiner Hügel bildet. here Angabe der Lagerung dieser Dolomite fehlt im Bucklandschen Aufsatz; er scheint auch wirklich zu glauben, es sei hierinnen keine Bestimmtheit zu beobachten, denn er redet öfters von Kalkstein, der in der Form von Dolomit erscheine, oder in Dolomit übergehe. — Der Zufall hat es gewollt, dafs ich im Sommer des verflossenen Jahres (1821) den Dolomit in gar mannigfalugen Verhältnissen zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, und jederzeit in einer sehr be- stimmten und überall höchst auffallenden und merkwürdigen Lagerung. Das Resultat dieser Beobachtungen in der Kürze vorzutragen ist gegen- wärtig meine Absicht. I: Dolomit in der Gegend von Coburg. Das Gebirge des Thüringer Waldes bei Sonnenberg, zwei Mei- len oberhalb Coburg, fällt mit Grauwacke und Thonschiefer in das flache Land herunter. Sogleich folgen die Schichten des Flözgebirges, wie man sie am Fufse dieses Gebirges auch an anderen Orten zu sehen gewohnt ist. — Das sogenannte rothe Todte nur an einigen Stellen, am Bles- berge, und nicht mächtig, weil es nur da ausgedehnt ist, wo der Por- phyr, von dem es wahrscheinlich seine Entstehung erhält, grofse Massen des Gebirges bildet, oder doch in der Tiefe vorkommt. Dann folgt am Schlofs von Sonnenberg selbst eine dünne Schicht von Zechstein; dann der rothe obere, oder bunte Sandstein in grofser Verbreitung, und in vielen Hügeln und Bergen fort; dann endlich der Muschelkalk in einer ausgezeichneten scharfen Reihe, von wenigen hundert Fufs Höhe und von gar geringer Breite; die Köpfe der Schichten gegen das Gebirge, die Fallungsfläche südwärts gegen das Land. Diese Reihe, oder dieser Kamm trennt sich von der gröfseren Masse des Muschel- kalksteins, wie sie zwischen Hildburghausen und Rodach durch- zieht, bei dem Dorfe Nieder-Wollsbach, zertheilt mit mehreren klei- nen Unterbrechungen, durch welche die Bäche bei Wollsbach, bei Münchröden, bei Nieder-Wasungen, bei Gerstungshausen ablau- fen, das Coburger Land in einem Bogen bis zu den Dörfern Beykum Phys. Klasse 1822 - 1829. M 90 Buenu über Dolomit und Schmölz und scheidet eine Zusammensetzung der Berge, die von beiden Seiten der Kette gänzlich verschieden ist. Der rothe Sandsıein fin- det sich auf ihrer Südseite gar nicht wieder, sondern nun, fast bis Schweinfurth hin, ja am Steigerwald fort fast bis tief in Schwa- ben, eine mächtige Folge von dünnen Schichten von rothem und grü- nem Thon, von grauem Schieferthon dazwischen , von einzelnen weissen Sandsteinschichten, und nicht selten von wenig weit fortseızenden Gyps- lagern zwischen dem Thon. Diese Folge ist in Thüringen wie in Hessen schon längst bekannt, als die sogenannte neuere Gypsformation, der obere Theil des zweiten oder bunten Sandsteins. Auch hier würde man sehr geneigt seyn zu glauben, dafs der Muschelkalk darauf liege, denn ähnliche rothe und grüne Thonschichten zeigen sich schon deut- lich unter dem Kalkstein am nordlichen Fufse des Culmberges bei Münchröden, und ein Aufliegen der Thonschichten auf dem Kalk- stein läfst sich nirgends auffinden (1). Diese Thonschichten sind wie farbige Bänder in allen Schluchten bei Coburg entblöfst, und fallen daher sonderbar auf; auch sind sie den Einwohnern unter der Provin- gar sehr bekannt. Sie werden von einem sehr feinkörnigen glimmerreichen Sandstein bedeckt, welcher nicht selten Ab- zualbenennung Keuper drücke von Schilfen, selbst einzelne Spnren von Steinkohlen enthält; grofse Steinbrüche haben ihn bei Ketschendorf und bei Neuses entblöfst. Auch Abdrücke von Fischen hat man zuweilen darinnen ge- funden, von denen noch jetzt mehrere Stücke in der Sammlung des Museums aufbewahrt werden und ein vortreflicher Abdruck in der Samm- lung des Herrn von Roeppert in Coburg, der diese ganze Gegend mit besonderem Fleifs, Sorgsamkeit und Kenntnifs untersucht hat. Dem (2) Doch scheint es nach Erfahrungen im südlichen Deutschland wieder ganz wahr- scheinlich, dafs eine ganz gleiche Folge von „Keuper - Schichten,” nehmlich die, welche Franken und Schwaben durchzieht, über den Muschelkalk gelagert sei. Herr von Roeppert glaubt dies zwischen Werneck und dem Mayn mit Bestimmtheit ge- sehen zu haben; und der Kalkstein von Wimpfen, welcher dem Salzgebirge aufliegt, den rothen Thon aber unterteuft, wird von den Herren Boue, Glenck, Hausmann und später auch, nach genauer Untersuchung von den Herrn von Oeynhausen und von Dechen für Muschelkalk gehalten. Dann würde freilich der Coburger Keuper auch zu dieser oberen Thon- und Letten-Formation gehören müssen. als Gebirgsart, 91 Sandstein folgen auf das Neue an den Abhängen der Berge einige Schich- ten von Keuper, dann wieder Sandstein und nun wie eine Krone darauf der Dolomit. Es ist das einzige Gestein, welches hier Felsen zu bil- den vermag, und als 40 ja bis 50 Fufs hohe, senkrechte Felsen sieht man ihn schon von weitem über den sanfteren und gröfstentheils be- wachsenen Abhängen. Kommt man ihnen näher, so sieht man sie durch groflse ‚senkrechte Klüfte zerspalten, durch welche oft ungeheure Wür- felblöcke losgetrennt und herabgestürzt werden. Aber nicht eine Spur von Schichtung ist sichtbar, die ganze Höhe ist nur eine einzige Schicht ohne Trennung. Schon dadurch unterscheidet sich dieser Dolomit gar auffallend vom stets sehr dünn geschichteten Muschelkalk ; eben so ver- schieden sind sie im Innern. Der Dolomit ist gelblichbraun , dicht grobsplitirig im Bruch, aber nicht matt wie der Kalkstein, sondern im Sonnenlichte an vielen Stellen feinkörnig. Untersucht man diese Stellen genauer, so erblickt man kleine Hölungen mit Krystallen. Auch gröfsere eckige Löcher durchziehen die Masse, stets mit Drusen besetzt, in welchen man das sogenannte primitive Rhomboeder erkennt; — und nur dieses. Nie eine andre Form. Darinnen liegt ein Hauptcharacter des Dolomits, der überall zu seiner Erkennung wesentlich beiträgt. Es ist bekannt, wie selten das primitive Rhomboeder des Kalkspaths in der Natur aufgefunden wird. Nur wenige Sammlungen mögen es auf- weisen können. Der Dolomit hingegen ist bisher noch kaum in ande- ren Krystallen gesehen worden. Findet man daher ein Gestein, welches man vielleicht für Kalkstein gehalten hätte, im Innern mit solchen Rhomboedern besetzt, so ist man zu der Vermuthung berechtigt, nicht Kalkstein, sondern Dolomit vor sich zu haben. Krystalle hingegen von anderen Formen würden die Natur des Kalksteins der Masse erwei- sen, wenn nicht diese Krystalle durch andere Kennzeichen von dieser Hauptmasse scharf geschieden seyn sollten. Dafs es aber wirklich das primitive und kein anderes Rhomboeder sei, erkennt man sehr leicht selbst in sehr kleinen Krystallen an dem Gleichlaufen der Sprünge des blättrigen Bruchs mit den Begrenzungsflächen der Krystalle. Der Dolomit ist im Stande, am Stahl einige Funken zu geben, und seine den Kalkstein übertreffende Schwere ist auch schon dem Gefühl, bei dem Aufheben der Stücke merklich. Er scheint völlig versteinerungs- M 2 92 Bucnu über Dolomit leer; keine einzige erhaltene und besimmbare Muschelgestalt hat sich bisher aus ihm hervorziehen lassen. Indefs bemerkt man doch wohl, wenn man viele der eckigen Hölungen aufmerksam ansieht, dafs sie aus der innern Hölung einer umgebenen Muschel entspringen. Ich glaube sehr deutlich und kaum zu bezweifelnd, die Form des Strombus er- kannt zu haben. — Dieser Dolomit ist von dem Sandstein, dem er aufliegt, nicht scharf geschieden. Die Sandkörner werden von der Dolomitmasse umwickelt, und verlieren sich darinnen nur nach und nach gegen die Höhe der Schicht. Deswegen sieht man in Dolomitstücken häufig Quarzkörner, selbst auch Feldspath nicht selten: denn dieser obere Sand- stein, den man häufig ‚Quadersandstein nennt, scheint wohl einem gra- nitischen Gestein seine Entstehung zu verdanken. Sehr häulig sieht man in den, ihn bildenden Körnern noch Quarz- und Feldspath in ei- nem einzigen Korn vereinigt. — Es giebt kaum einen Berg in der näheren Umgebung von Coburg, der nicht auf seiner Höhe mit einer solchen Felsreihe von Dolomit besetzt wäre. Am Festungsberge über der Stadt liegt er ohngefähr 410 Fufs über dem Spiegel des Flusses, an den gegenüber liegenden Ber- gen oberhalb Neuses ziemlich eben so hoch. An den Bergen unter der Stadt findet er sich immer weniger hoch, bis er oberhalb Scherneck, drei viertel Meilen unter Coburg, fast den Boden des Thals berührt, und seitwärts die wenig hohen Flächen und Hügel gegen Ober-Simmau bildet. Eben diese südliche Neigung scheint allen Schichten der Gegend 5 von Coburg gemein. Man würde also diesen Dolomit hier sehr re- gelmäfsig gelagert glauben , als oberste Schicht der rothen gypsführen- den Thonformation, welche dem oberen, bunten Sandstein aufliegt; dies scheint auch die Meinung des Herrn Professor Germar in Halle zu seyn, der, so viel ich weifs, diese Dolomite zuerst erwähnt hat (Leonh. Taschenbuch XV. 4ı.). Allein diese bleibt immer die oberste; wenn sie auch bis ins Thal herabkommt, sieht man sie doch von keiner an- dern bedeckt. Zwischen Ober-Simmau und Buch erscheint weifser Sandstein, dem Quadersandstein sehr ähnlich, welcher von hier aus alle kleine Gebirgszüge durch den Lichtenfelser Forst bildet, bis Kloster Banz und bis zum Mayn hin; es scheint, der Dolomit als Gebirgsart. 93 müsse sich unter diesem Sandstein, der höher liegt, verstecken. Ich habe es nicht auffinden können. — Auch ist wirklich diese Gebirgs- art ganz allein der Gegend von Coburg eigenthümlich. Herr von Roeppert hat sie in dem ganzen Strich zwischen dem Mayn und der fränkischen Saale nicht wieder gefunden, wo doch alle Keuper- schichten und weifse und graue Sandsteine darüber und Gypsschich- ten eben so mächug und ausgedehnt vorkommen, wie in Coburg. Ich habe sie eben so wenig bei Rothenburg an der Tauber wieder auffinden können, oder bei Schillingsfürst, Feuchtwang, Creilsheim, Schwäbisch - Hall, Waldenburg und Oehringen, oder bei Heilbronn, welches doch alles auf der Fortsetzung dieser rothen gypsführenden Thonschichten liegt, mit welchen alle übrige Schichten der Coburger Gegend sich ebenfalls finden, und ziemlich in eben der Ordnung. Ich meine daher, dafs schon in der Lagerung dieser Coburger Dolomite etwas Räthselhaftes, nicht Entwickeltes liege. — Sollten sie wohl einst zur Formation des Jura Kalksteins gehört haben? Etwa als die letzte, und nun zu Dolomit veränderte Schicht des Juragebirges in Franken? Versteinerungen , wenn sie einst noch deutlich aufgefunden werden, müssen darüber entscheiden. Bemerkens- werth ist es wohl, dafs sie nur in der Richtung der Fränkischen Jura- berge sich finden, aber aufserhalb dieser Richtung nicht. — II. Dolomit im Zuge des Juragebirges durch Franken. Staffelberg. Muggendorf. Es ist bekannt, wie das Juragebirge, als ein ausgezeichneter Damm, oder vielleicht als eine forJaufende Corallbank sich aus der Dauphine bis an die Ufer des Mayn’s verfolgen läfst, und hierbei stets in einer gewissen Entfernung den verschiedenen primitiven Gebirgs- reihen gleichlaufend bleibt; zuerst den Alpen; dann vom Rhein an dem Schwarzwald; endlich von der Altmühl aus dem Böhmer- waldgebirge, fast ohngefähr als das grofse Corallenriff, welches in einiger Entfernung auf gleiche Arı die Form der Neuholländischen Ostküste bezeichnet. Dies Kalksteingebirge endigt sich endlich steil 94 Bucu über Dolomit und weit sichtbar, da wo es sich dem vorliegenden Gebirge des Thü- ringer Waldes ‚gegenüber befindet, mit zwei grofsen Hörnern, dem Siaffelberge und dem Köttlesberge, beide unweit Lichtenfels. Wenn man vom Mayn aus zu diesen Bergen hinaufsteigt, so findet man am Fufs, und bis zwei Drittel der Höhe des Berges hinauf, immerfort den Sandstein, welcher schon gegenüber die Höhen von Banz bildet, und sehr wahrscheinlich auf den ‚‚Keuper’’ oder den rothen Thonschichten liegt. Man sieht diese Auflagerung deutlich zwischen Burgkunstadt und Ebnet etwa drei Meilen am Mayn höher hinauf. Der Sandstein enthält unten einige blaue Mergel-Lager; höher wird er fast gänzlich weils und kleinkörnig, dem Quadersandstein von Cotta und Pirna ganz ähnlich. Wenig weiter liegt die ganze Masse des Jurakalksteins dar- auf; und gar bestimmter Kalkstein der Juraformation. Es ist dieselbe ausgezeichnete Weisse des Gesteins , derselbe feinsplitirige oft ebene Bruch wie in der rauhen Alb, oder in den meisten Schichten des Jura der Schweiz. Und kaum hat man diese Schichten betreten, so sieht man in Menge die verschiedenen Abänderungen des ammonites pla- nulites Schlotth. welcher der Juraformation so ausschliefslich eigen- thümlich ist, und sich im Muschelkalk nicht findet. Andere Muschel- kalksteine sind dagegen zuweilen sehr dunkel gefärbt, wahrscheinlich von der organischen, durch den Kalkstein vertheilten Substanz der Muscheln. Durch Verwitterung oder Verbrennung, noch mehr in ho- her Temperatur, entweicht diese Farbe, und der Kalkstein bleibt weifs und nicht selten in Form von zerbrochenen Muschelschaalen zurück. — Diese Wirkungen bemerkt man an Jurakalksteinen nicht leicht. Man frägt sich verwundernd, wo hier wohl die animalische Substanz der Muscheln geblieben seyn mag, deren Schaalen doch in so 'unglaub- licher Menge in dem Gestein zerstreut liegen. Dies ist ein Character, wodurch der Kalkstein dieser Formation sich durch seine ganze Er- streckung, und wie es scheint, sogar-auch in mehreren Welutheilen wie- der erkennen und leicht von Kalksteinen anderer Formationen unter- scheiden läfst. — Über solche weifse Schichten erreicht man am Staffelberge end- lich eine Reihe senkrechter Felsen, vorspringende Altane und Basteien, nur in Klüften ersteiglich. Es ist Dolomit; wieder als höchster als Gebirgsart. 95 Gipfel und in höchst auffallender Form. Ungeheure Spalten durchziehen diese Felsen von einer Seite zur andern, oft Fufsmächtig, so dafs man tief hinein gehen kann; das Gestein ist gelb und ganz körnig, ohne Spur von Versteinerungen. Es brauset mit Säuren gar nicht, und die häu- figen eckigen Hölungen sind mit eben solchen Rhomboedern besetzt, als im Dolomit von Coburg, ja hier vielleicht in noch gröfserer Menge. Die Hölungen fehlen niemals; sie sind aber ganz unregel- mäfsig und klein, und lassen nie, wie die Coburger Dolomite, irgend eine umwickelte Muschelform errathen. Auch hier sucht man verge- bens irgend etwas, das an Schichtung erinnern könnte. Wären die grofsen senkrechten Spalten nicht, das Ganze wäre eine einzige solide Masse von vielleicht 60 Fufs Höhe. _ Der Köttlesberg zwischen Lichtenfels und Weifsmayn ist diesem ganz ähnlich. Der Dolomit liegt ganz oben, auf den Schichten des Jurakalksteins, und wird von gar nichts weiter bedeckt. Man ist so gewohnt, von den Muggendorfer und Gailenreu- ther Hölen, als von Hölen im Kalkstein zu reden, man hat, nach ih- nen, den Jurakalkstein selbst so wenig selten Hölenkalkstein genannt, dafs es fast auffallen könnte, wenn man behauptet, dafs keine einzige die- ser Hölen sich im Kalkstein finde. Sie sind alle im Dolomit. Beide aber, Kalkstein und Dolomit, sind in den Bergen von Streitberg und Muggendorf so scharf von einander geschieden, dafs man sie nicht leicht verwechselt. Da auch hier der Dolomit nur die gröfsten Höhen einnimmt, und von keiner Gebirgsschicht bedeckt wird, so mufs man überall aus den Thälern mehrere hundert Fufs über die dich- ten Kalksteinschichten des Jura wegsteigen, ehe man eine Höle er- reicht. Kommt man nun der Scheidung beider Gebirgsarten nahe, so scheint der Boden mit tiefem Sande bedeckt. Mitten zwischen Kalk- steinschichten hat dies etwas Auflallendes. Untersucht man aber den Sand etwas genauer, so ist jedes Korn ein deutliches und bestimmtes Rhomboeder ; es ist der zerfallene Dolomit, dessen senkrechte und kühne Felsen auch gleich darauf hervortreten. — Die Hölen senken sich dann wohl zuweilen sehr tief herunter, aber noch in keiner von allen, die bis jetzt untersucht sind, gehen sie über die Scheidung des 96 Buc u über Dolomit Kalksteins hinaus. Sie werden also für den Dolomit des Jura ganz auszeichnend und stehen wahrscheinlich mit den senkrechten Formen, mit dem Vorkommen, fast nur auf den Gipfeln im nächsten Zusam- menhange. Dieser Dolomit ist ebenfalls durchaus körnig, und daher glän- zend; doch bemerkt man sehr bald, dafs es mehr das Körnige eines sehr feinen Zuckers, als das eines feinkörnigen Marmors ist. Der Unter- schied ist characterisuisch und bedeutend. Im Kalkstein schliefst jedes körnig abgesonderte Stück genau an das Nebenliegende. Beide sind durch keinen Zwischenraum von einander getrennt, und man würde sie gar nicht von einander unterscheiden , lägen ihre Axen parallel, und würde daher der Glanz beider Bruchflächen bei gleichem Lichtein- fall zurückgeworfen. So ist es im Dolomit nicht. Jedes Korn ist bei diesem durch die Rhomboederflächen begrenzt, sie können sich daher nur in wenig Punkten berühren, und es bleiben zwischen ihnen mehr oder weniger grofse Öffnungen zurück; die Bruch- oberfläiche auf welcher die scharfen Kanten der Rhomboeder hervor- stehen, erscheinen rauh und sandig; — die ganze Masse sieht oft einem Sandstein ähnlich und wird auch dafür gehalten. Der Zusammenhalt der so wenig sich berührenden Rhomboeder löst sich leicht, und daher zerfällt dieser Dolomit bald, und viel eher, als der dichte Kalkstein darunter. — Am Heiligen Bühel, Gailenreuth gegenüber, bear- beitet man wirklich eine solche Sandgrube, deren Product zum Scheu- ren und Schleifen von sehr weit gesucht wird; die Schärfe nehmlich der Rhomboeder -Kanten ersetzt was der Härte abgeht. Bei der sogenannten Rüsenburg unweit Toos, Felsen deren aus- gedehnte Hölen am Abhange des Berges frei liegen, geht dieser Dolomit herunter bis in die Tiefe des Thales.. Man könnte daher wohl vermu- then, der dichte Kalkstein zwischen Toos und Muggendorf auf der Höhe, müsse diesem Dolomit aufliegen. Ich habe mich überzeugt, dafs auch hier der Kalkstein unter dem Dolomit hervorstehe. Viele Berge, wie Festungen auf der Höhe, welche den Basaltbergen ähnlich, schon von weitem den Dolomit verrathen, würden dies auch schon wahrscheinlich machen, allein in der Gegend des Heiligenbühels als Gebirgsart. 97 bleibt über diese Auflagerung durchaus gar kein Zweifel (1). Immer bleibt die Masse versteinerungsleer. So sehr grofs auch die Menge solcher Reste, vorzüglich des ammonites planulites im Kalkstein seyn mag, so ist doch dies alles verschwunden, sobald man die Hölen betritt; — auch in keiner Beschreibung findet man irgend jemals einer Versteine- rung im Gestein der Hölen erwähnt. Ich habe geglaubt, die Verwit- terung, welche so oft organische Formen aus den Gesteinen hervortre- ten läfst, wo man sie gar nicht vermuthet, würde auch bei diesem dar- über entscheiden ; und in der That glaube ich, an den steilen, der Luft ausgesetzten Wänden der Gailenreuther Hölen viele Puncte gesehen zu haben, welche durch die Loupe der Form von Ammoniten oder von Turbiniten ganz ähnlich waren. — Sie mögen das Aufbrausen mit Säu- ren dieser Steine an einzelnen Stellen verursachen. Gröfsere besumm- tere Formen treten aber auch hier nicht hervor. Zwischen Pegnitz und Herspruck häufen sich diese Dolomit- Kegel und Felsen in solchem Maafse, „dafs sie wie Reihen hinterein- ander fortliegen und die sonst ganz flache Gebirgsfläche auf die wun- derbarste. Art zerschneiden. Hier waren sie denn auch wirklich nicht unbeachtet geblieben. Herr Brunner erwähnt die Gebirgsart dieser Felsen als eines ganz eigenthümlichen Kalksteins in seinem Handbuch der Geognosie von 1805, und meint ein grofser Theil der Oberpfalz bestehe daraus, und Herr von Voith in Amberg beschrieb sie später (Moll, Ephemeriden F’, 195.) als eine ganz eigenthümliche, bisher nicht gekannte Gebirgsart, und verfolgte ihr Vorkommen in dem Theile des deutschen Juragebirges, welches sich in der Oberpfalz ausdehnt, zwischen Ingolstadt, Amberg und Nürnberg. Er hat auch sogar schon die Vermuthung geäufsert, alle Hölen möchten in diesem körni- gen Kalkstein vorkommen, daher auch die Muggendorfer und Gai- lenreuther. Sein Aufsatz, welcher noch viele andere schätzbare Un- tersuchungen über diese Gebirgsart enthält, hat die Aufmerksamkeit der Geognosten nicht erregt. (1) Wird aber diese Auflagerung wohl durch die ganze Erstreckung dieser Massen sich gleich bleiben? Mag wohl der Dolomit, der bis zum Thalgrunde herabreicht, auch noch Kalkstein zur Sohle haben? Phys. Klasse 1822 - 1825. N 98 Bucmu über Dolomit IM. Dolomit in Aichstaedt. Lagerung der Pappenheimer und Solenhofer Schiefer. Dafs die Fischabdrücke und die von Krebsen und Insecten in den Solenhofer und Aichstädter Schiefern , in einem Gesteine sich fanden, welches auch noch der Juraformation angehöre, hat man wohl immer vermuthet; doch giebt es durchaus keine Nachricht über die Lagerung dieser Schiefer, in Hinsicht der übrigen Schichten des Jurakalksteins. Einige Bestimmtheit liefs sich hierinnen wohl ver- muthen, ‘weil man diese sonderbaren Reste sonst auch. wohl in anderen Theilen der weiterstreckten Kette würde gefunden haben. Dafs aber vom Dolomit diese Bestimmung ausgehen solle, ist mir unerwartet ge- wesen, und wie ich glaube, bisher noch nicht beobachtet worden. Das Juragebirge wird im Aichstädtischen durch eine grofse und breite Spalte zertheilt, durch welche sich die Altmühl schwer, fast ohne Fall, der Donau zu windet. Der Flufs geht bei Treuchtlingen hin- ein, wird dann fortgesetzt von beiden Seiten durch senkrechte Felsen begleitet, und verläfst sie wieder bei Kelheim unweit der Donau. — Wenn man die Abhänge des Thales untersucht, so finder man. unten denselben dichten graulichweifsen Kalkstein, der überall die Jurafor- mation auszeichnet. Sogleich auch den characterisirenden Ammonites planulites und viele andere nicht besiimmbare Reste von Schaalen. Der Kalkstein ist splittrig im Bruch, völlig matt, und enthält nicht selten, fast überall kleine ehemalige Schwefelkiespuncte, welche nun in den meisten Fällen zu Brauneisenstein verändert sind. Man findet sie leicht, weil sie oft über Zollbreite von einer durch ihre gröfsere Weifse auf- fallenden Atmosphäre zirkelförmig umgeben sind. Oft ist dann der braune Punkt in der Mitte nur durch die Loupe zu erkennen, oft auch gar nicht mehr. — Dieser Kalkstein ist 5 bis 6 Fufs hoch geschichtet und liefert deshalb in dem grofsen und merkwürdigen Steinbruche unter der Wilibaldsburg bei Aichstaedt Blöcke von einer so colossalen Gröfse, wie vielleicht in ganz Deutschland nicht wieder. Diese Schichten bilden aber keine Felsen. Eiwa 50 Fufs höher im Thale liegt darauf der feinkörnige, zellige Dolomit, dem von als Gebirgsart. 99 Muggendorf ganz ähnlich; und nun stehen auch im Thale die Felsen hin, wie oben auf dem Gebirge von Streitberg und Pegnitz. Das Thal ist an vielen Orten ganz unersteiglich, und die Strafsen können in der ganzen Länge nur in Seitenthälern heraufgeführt werden. Oft glaubt man in der Ferne weit vorspringende Baseltsäulen zu sehen, wie an den Schlössern von Kipfenberg und Arnsberg. Immer fehlt ihnen alle Spur von Schichtung, ohnerachtet man die Felswände wohl bis 200 Fufs entblöfst sieht. Hat man die Höhe dieser Felsen er- reicht, so scheint das Gebirge oben eine Ebne, auf welcher kaum noch einzelne Kegel hervorstehen. Dann ist alles mit den dünnen stroh- und isabellgelben Platten der Solenhofer Schiefern bedeckt, welche in so grofser Menge die Fischabdrücke, die Insecten und Krebse ent- halten. Unten findet man sie dagegen niemals, sondern nur, wenn man die hohe Dolomitschicht überstiegen hat. Daher liegen auch die ge- waltigen Solenhofer Steinbrüche ganz oben auf dem Gebirge, und sind von vielen Meilen her sichtbar. Fischabdrücke hat man in den unteren dichten Juraschichten noch niemals gesehen, dagegen wieder die Ammoniten in den oberen Platten nur ganz klein und sehr selten, und Terebrateln, Pectiniien und Chamiten niemals. Der Dolomit scheidet daher zwei wesentlich verschiedene Naturen. Die einzige, den oberen Platten eigene Muschelversteinerung ist der räthselhafte Zellinites problematieus und Solinoides, welche bis jeızt nach Parkinson’s und Schlottheim’s Zeugnifs unter den Versteinerungen noch nichts ähn- liches gefunden haben, und in den unteren Kalkschichten nicht vor- kommen. Auch nur in diesen oberen Solenhofer Schiefern, über dem Dolomit, hat man die von Sömmering beschriebene fliegende Ei- dechse gefunden. Es ist freilich sehr auflallend, wie zwei in ihrer La- gerung so wenig entfernte Schichten, als die untere ammonitenhaltige und die obere Producte enthalten können, welche einer so ganz ver- schiedenen organischen Welt angehören ; ohnerachtet man beide doch kaum von einerlei Hauptformation wrennen kann. Selbst aufserordent- lich schöne Abdrücke von Libellen, von einer Gröfse wie sie in un- sern Climaten nicht mehr vorkommen, die Schlottheim nicht gekannt hat, finden sich in den, an solchen Abdrücken vorzüglich reichen Stein- Na 100 Bucn über Dolomit brüchen von Wintershof bei Aichstaedt. Der CGanonicus Halledel “in Aichstaedt bewahrt davon ein vortreflliches Exemplar mit den Flü- geln aufrecht; die Akademie in München einige andere mit ausgebrei- teten Flügeln (1). Der Dolomit in Aichstaedt ist also darin denen, im Ge- birge von Streitberg ganz ähnlich, dafs er über den wesentlichen Schichten des Jurakalksteins lieg; aber darin unterscheidet er sich, dafs er hier sich über grofse Flächen verbreitet und von den So- lenhofer Schiefern bedeckt wird. Alle Schichten haben eine sanfte, fast unmerkliche Neigung gegen Süd- oder Süd-Ost. Daher treten sie in Nord- und Nord-Ost hervor ; und deshalb sieht man, auf der Strafse von Aichstaedt nach Weissenburg, nach und nach alle Schichten auf der Höhe des Gebirges, welche am Abhang des Thales der Altmühl von oben herab vorkommen. Die fischhaltenden Platten verlieren sich nahe jenseits Rupertsbuch, und der Dolomit darunter tritt an der Oberfläche hervor, und bildet nun die Oberfläche, fast ohne Felsen bis zur Capelle von St. Thomas oberhalb Rotenstein. Da er- scheinen die unteren ammonitenführenden Kalkschichten bis zum Ab- hange des Gebirges nach Weissenburg, wo der braune Sandstein dar- unter hervorkommt. In dieser Streichungsrichtung und Breite zieht sich der Dolomit durch einen grofsen Theil des Aichstaedtischen hin, bis zur grofsen Unterbrechung durch das Thal von Berlingries und Berching, in welchem der unterliegende Sandstein überall unten im Thale erscheint. Dagegen setzt er in der Fall-Ebene viel weiter, er- reicht selbst die Ufer der Donau und bildet bei Abach ober Regensburg auf das Neue eine ganze Sammlung ‚‚colossaler Pyramiden und Obe- ‚„lisken, welche dem Wanderer Schrecken erregen.” Flurl über die Gebirgsformation in Bayern 555. Die Solenhofer Schiefer setzen nicht so weit fort. Schon bei Nassenfels, eine Meile von (1) Mehrere von denen, in diesen Schiefern vorkommenden Crustaceen sind von Schlottheim beschrieben worden, Nachträge zur Petrefactenkunde, 1822, und von Desmarest, Histoire naturelle des Crustacees fossiles, 1822. Der letztere bemerkt, dafs sie bisher die, von den lebendigen am meisten abweichende Formen ge- zeigt haben; ein ganz neues Genus Eryon Cuvieri (p. 129.) und eine Art Limulus (L. Walchü p. 159.), ein Geschlecht dessen Arten europäischen Küsten fremd sind. als Gebirgsart. 101 Aichstaedt, hören sie auf, und der unterliegende Dolomit erreicht nun freiliegend die Ufer der Donau bei Neuburg, welche auch das ganze Gebirge beendet. Die Regelmäfsigkeit der Lagerung in diesen drei, unter sich so verschiedenen Formationen des dichien Jurakalksteins, des körnigen Dolomit und der Pappenheimer Schiefer darüber, ist daher unver- kennbar; und man sieht keinen Grund, sie von der Hauptformation, der des Jura, zu trennen. Um so mehr nicht, da die Breite dieses Kalk- steingebirges in seiner ganzen Erstreckung so genau bestimmt ist, und Dolomit und die darüber liegende Schiefer doch nirgends über diese Breite hinausgreifen, wie es eine, vom Jura gänzlich verschiedene For- mation wohl thun würde. — Das unterscheidet die Pappenheimer Schiefer ganz wesentlich von den Oeninger Schiefern am Bodensee, mit denen man sie und ihre Producte noch häufig zu vergleichen pflegt. Die letzteren gehören den, in eingeschlossenen Räumen abgesetzten Braun- kohlen-Formationen; sie liegen unter dem lockeren Gerüll, welches ganz Oberschwaben bedeckt, und stehen durchaus mit gar keiner Hauptfor- mation in Verbindung. Auch sind alle organische Reste, welche sich darinnen finden, solche die dem festen Lande angehören, Blätter sogar von mannigfaltigen Dycotelidon-Bäumen. So etwas enthalten die Pap- penheimer Schiefer niemals ; und vom festem Lande nur höchst sel- tene Reste von geflügelten Geschöpfen, welche das Land freiwillig ver- lassen und weit in die See herausgeführt werden können. Herr Vogel in München hat auf meine Bitte mehrere der Aichstädter Dolomite chemisch zerlegt. Stücke von Aichstädt selbst, isabellgelb und mit vielen weissen Kalkspathpuncten, die sich nicht ausscheiden liefsen, brausten in Pulvergestalt so mächtig mit Säu- ren in die Höhe, als wenn die Säure auf Hirschhorn oder Auster- schaalen oder überhaupt dort einwirkt, wo eine animalische Substanz zugegen ist. Es ist auch wohl glaublich, dafs noch viele, dem Auge unbemerkbare Muscheltheile diesem Dolomit eingemengt seyn können. Bläulich grauer Dolomit von Rupertsbuch dagegen, brauste fast gar nicht. Auch bemerkte Herr Vogel bei der Auflösung der Aichstädter Stücke eine feine Haut auf der Flüssigkeit, welche sich auf dem Auf- lösungen anderer Dolomite nicht fand. Die Auflösungen in verdünnter 102 B vucmu über Dolomit Salpetersäure zur Trockne abgeraucht, in Wasser wieder aufgeweicht, und durch caustisches Ammonium gefällt, liefsen in beträchtlicher Menge Talkerde fallen, welche mehr als ein Drittel des Ganzen betrug. Das specifische Gewicht bei vierzehn Grad Reaumur des bläulich grauen Dolomits von Rupertsbuch war 2,958, des gelben von Aichstaedt 2, 79. — Der noch viel reinere von Nassenfels, welcher bei der Auf- lösung einen fast unbemerkbaren Bodensaätz zurückläfst, ist wegen seiner Porosität zu Bestimmung der specifischen Schwere nicht tauglich. — EV: Dolomit am Brenner. Es kann wenig Zweifel unterworfen seyn, dafs die Dolomite auf der Strafse des Brenners, welche Dolomieu zuerst beobachtete, Lager im Glimmerschiefer bilden. Ich habe sie jedoch nicht in ihrer ganzen Erstreckung verfolgt. Sie finden sich, von Inspruck her zu- erst über Steinach, bei dem Dorfe Stafflach, wo die Sill durch die Spalte einer Nebenkette hervorbricht. Diese Kette trennt sich von den Gletschern über dem Stubaythale und läuft mit einem ausgezeichneten Grat bis weit unter Zell im Zillerthale vor. Die Schichten sind der Richtung der Kette völlig gleichlaufend h. 5. von Süd-West in Nord- Ost, und fallen gegen funfzig Grad gegen Nord-West. Ihre Köpfe stehen daher mit grofsen Abstürzen gegen das Innere des Gebirges, ge- gen Süd-Ost und bestimmen den Thälern in der Gsehniz, von Dux und dem mittleren Theile des Zillerthales ihren Lauf. In dieser Kette findet sich vorzüglich der Dolomit in gewaltig mächtigen La- gern zwischen dem Glimmerschiefer,, weniger bei Lueg oder auf der Höhe des Brenners. Bei Sterzing aber, scheint er nicht mehr vor- zukommen; auch nicht in den Glimmerschiefer - Gebirgen, gegen das Pusterthal. Dieser Dolomit unterscheidet sich vom körnigen Kalk- stein sehr leicht durch seine gelbe Farbe, und durch grofse Feinkörnig- keit. Durch Verwitterung tritt diese gelbe Farbe noch mehr und deut- licher hervor ; oft möchte man eine Ausscheidung der Talkerde vermu- then, welche als ein feines Pulver den Stücken aufliege, und die ganze Strasse wird durch sie ausgezeichnet gelb gefärbt. Kalkspath ist fast als Gebirgsart. 103 jedem Stück eingemengt; kaum je ist er so feinkörnig als der Dolomit in dem er liegt, blaulichweifs, sehr durchscheinend, und scharf umgränzt und von der Dolomitmasse geschieden. Dadurch schon allein ist es deutlich, wie beiden eine gänzlich verschiedene Natur zukomme, und wie ein Übergang aus einem in den anderen nicht vorausgesetzt werden kann. Glimmer oder Talkblätchen sind diesem Dolomit fast jederzeit eingemengt, wodurch er sich gar sehr und leicht von denen in Flöz- gebirgen unterscheidet. — Sehr sonderbar ist es, wenn man ihn in Verbindung mit Quarz auffindet. Dann erscheint der Dolomit in un- endlich viel Risse und Klüfte zerspalten, in welchen der Quarz in Kıy- stallen angeschossen ist. Die Klüfte zeriheilen die Masse in wahre mannigfaltig gebogene Schaalen: einzelne Stücke hängen noch ganz frei in dem leeren Raum ; andere, welche noch in ihrer vorigen Verbindung mit dem Ganzen fortgeführt werden können, sind jetzt vom Quarz als Bruchstücke umschlossen. In einigen Klüften steigen Dolomit-Rhom- boeder über einander in Fäden auf, wie in den durch Humboldt be- kannt gemachten mexicanischen -Braunspäthen. Der Quarz durchsetzt aufserdem in häufigen Trümmern den Dolomit, nie aber dieser den (Quarz. Es scheint dieser Quarz etwas später Zugetretenes, was gewalt- sam in den Dolomit eindringt und ihn verändert. Von welcher Arı und Natur jedoch, welches die geognostischen Verhältnisse, der, zwischen Inspruck und dem Brenner, wie Inseln zwischen dem Glimmerschiefer aufsteigenden unglaublich schroffen und steilen Dolomitreihen seyn mögen, ist noch nicht hinreichend er- forscht. Eine dieser Reihen erhebt sich über der Waldrast bei Matrey 7755 Fufs über das Meer zum hohen Serlesberg und setzt fort südöstlich hin, zwischen den Thälern der Gscehniz und von Stubay bis zur Habichtspitze, mehr als vier Stunden weit. Die andere er- hebt sich mit dem Saileberg zwischen dem Stubay und Senderthale und zieht sich wohl zwei Stunden weit fort. Sie sind ganz vom Glim- merschiefer umgeben, scheinen aber doch nicht mit ihm zu wechseln. Auch ist diese Dolomitmasse von eingemengten Glimmer- und Talk- blätchen ganz frei. Ähnlich sind die grofsen Berge im Vintschgau ostwärts vonMals, ähnlich der Sasso Bianco auf dem Bernina. 104 ; Bvcn über Dolomut V; Dolomit im Fassathal. Noch kein Naturforscher hat das:Fassathal betreten, ohne von dem Anblick der hohen, weifsen, zackigen Felsen, welche dieses merk- würdige und lehrreiche Thal von allen Seiten umgeben, in Erstaunen gesetzt worden zu seyn. Ihre senkrechte Spalten zertheilen sie in so wunderbare Obelisken und Thürme, dafs man umsonst sich bemüht sich zu erinnern, in anderen Theilen der Alpen etwas ähnliches gesehn zu haben, Glatte Wände stehen ganz senkrecht mehrere tausend Fufs in die Höhe, dünn und tief abgesondert von anderen Spitzen und Zacken, welche ohne Zahl aus dem Boden heraufzusteigen scheinen, Oft möchte man sie mit gefrornen Wasserfällen vergleichen, deren man- nigfaltige Eiszacken umgedreht und in die Höhe gerichtet sind. Nir- gends bricht eine Zerspaltung in anderer Richtung das Senkrechte die- ser Linien; und die meisten erheben sich bis weit in die Region des ewigen Schnees. Dafs sie alle aus weifsem und kleinkörnigen Dolomit bestehen, und nur aus Dolomit; dafs zwischen ihnen Kalkstein niemals vor- kommt, mufs unsere Aufmerksamkeit auf das Höchste erregen. Denn ihre Lagerung unterscheidet sie so weit, als die colossale Form ihres Äufsern, von allen bisher betrachteten Dolomiten. Sie liegen mitten im Porphyrgebirge, und man kann es ziemlich als Gewifsheit be- trachten, dafs da, wo der Porphyr oder die ihm verwandten Gebirgsar- ten nicht mehr vorkommen, auch diese Pyramiden und Spitzen ver- schwinden, und mit ihnen der Dolomit. Der einfache, dichte, verstei- nerungsführende Kalkstein wird dann wieder herrschend. — So lehrt es das Gebirgs Profil von der Eysack bis über das Fassathal hin. Die Eysack, von Collmann unter Clausen, bis Botzen, läuft in einer ungeheuren Spalte fort, welche das Porphyrgebirge des süd- lichen Tyrols in seiner ganzen Ausdehnung zertheilt. Es ist rother Porphyr, der in einer feinsplittrigen Grundmasse von Feldspath kleine röthlichweifse , perlmutterglänzende nur durchscheinende, nicht durch- sichtige Feldspath - Krystalle umschliefst, weniger muschligen, grauen, glänzenden Quarz in Bipyramidaldodecaedern, und selten Hornblende als Gebirgsart, 105 oder Glimmer in wenig deutlichen, niemals scharfumgränzten Blättchen. Dieser Porphyr bildet, von Meran bis nach Clausen, eine grofse Kup- pel, ein sanft erhobenes Gewölbe, auf welchem keine Erhöhungen beson- ders hervortreten. Das würde man nicht glauben, wenn man die senk- vechten schreckenden Felsen unter Collmann fast einen ganzen Tag lang vor Augen hat. Allein man sieht es deutlich, wenn man sich dem Porphyrgebirge gegenüberstellt, etwa auf den Bergen, welche das Thal von Botzen vom Val de Non trennen. Dann verschwinden in der Ansicht die Spalten, durch welche die Eysack, der Talferbach und viele andere Nebenbäche herabstürzen, so gänzlich, dafs man nur mit vieler Mühe ihren Lauf durch hin und wieder wenig hervorsprin- gende Theile der steilen Felswände verfolgen kann. Diese grofse und tiefe Spalten fallen in der Ansicht des Ganzen nicht mehr auf, als ein Rifs in einem Kirchengewölbe thun würde. — Der Porphyr hebt sich deutlich an den meisten, ihn begränzenden Gebirgsarten herauf; man sieht ihn kaum andere Gebirgsarten bedecken; selbst der Granit, mit dem er südlich von Meran, zwischen dem Ullensthal und Tisens, in Berührung kommt, unterteuft ihn nicht; nur der Glimmerschiefer er- scheint darunter auf etwa eine halbe Stunde Länge unterhalb Coll- mann. Schwerlich würde aber dieser Glimmerschiefer unter der gan- zen Masse des Porphyrs sich durchziehen. Aber, wie bei Basaltbergen, so sind auch hier die ersten Schichten, ehe der Porphyr ganz herrschend wird, gewöhnlich Conglomerate aus Stücken der Gebirgsart selbst, mit eckigen Stücken von dem Gestein vermengt, Glimmerschiefer oder Gra- nit, welche man eben verlassen hat. Es wäre daher den Beobachtungen nicht zuwider, so wie ein- zelne Basaltberge, so auch diese ganze, über viele Quadratmeilen aus- gedehnte Masse aus der Tiefe erhoben zu glauben. Durch die Verthei- lung über einen gröfseren Raum würde sich das ungeheure Gewölbe zu Thälern gespalten haben, und durch die Reibung an den Rändern bei der Erhebung hätten sich die Conglomerate aus Stücken der Mas- sen gebildet, aus welchen sie selbst bestehn, und der Gebirgsarten, unter denen sie hervorkommen. Von Collmann steigt man an einer Wand dieses Porphyrs etwa zweitausend Fufs senkrecht vom Thale herauf, bis Castlruth. Dort Phys. Klasse 13822 - 1825. oO 106 Buven über Dolomit hat man die obere Fläche des Gewölbes erreicht, und deutlich sieht man es in das höhere Gebirge ostwärts hineinschiefsen. Nun liegen unmittelbar darüber Schichten von röthlichbraunem und rothem Sand- stein, völlig dem norddeutschen bunten Sandstein ähnlich, und offenbar ein Product des darunter liegenden Porphyrs selbst; denn sogar die darinnen eingewickelten Feldspathkrystalle finden sich im Sandstein wie- der. Diese Sandsteinschichten neigen sich, wie die Oberfläche des Por- phyrs, ostwärts in das Innere der Berge; ihre Köpfe und Abstürze stehen also gegen das Thal. Sie setzen gegen 800 Fufs in senkrechter Höhe fort, gegen die Seifser Alp hinauf; und wechseln dann mit ganz gleich gelagerten Schichten von Kalkstein. Unten enthalten sie keine Spur von Versteinerungen; — wenn sie aber dem Kalkstein nä- her kommen, umschliefsen sie Mytuliten in Menge, eben solche Ver- steinerungen, als der Kalkstein selbst enthält. Dieser Kalkstein ist dünn geschichtet, einen bis anderthalb Fufs hoch, dicht, rauchgrau, fein- splittrig, und. enthält nicht selten Feuerstein in Nieren und kleinen La- gern. Einige Schichten von rothem Sandstein folgen auf das Neue; dann körniger weilser Dolomit, wenig mächtig; endlich das merkwürdige Augithgestein, welches bald an Porphyr, bald an Basalt erinnert, und in diesen Bergen unzähligemal seine Form und innere Zusammen- seizung wechselt, Es ist nie roth, wie der Porphyr darunter, sondern stets von sehr dunkeln Farben; es enthält keinen Quarz, wie dieser Porphyr, dagegen’ aber Augith in Menge, und wahrscheinlich als we- sentlichen Bestandtheil der Grundmasse. Wieder unterscheidet es sich von allen Gesteinen der Basaltformation durch die fast. stete und we- sentliche Anwesenheit des Feldspathes in kleinen, nicht glasigen und nicht durchsichtigen Krystallen. Da sieh nun diese Gesteine über ganz Europa in völlig gleichen. Verhälwissen verbreiten, und wahr- scheinlich eine der wichtigsten Formationen in der Geognosie bilden , so scheint es mir, dafs man viel Verwirrung und Verwechslung mit andern Porphyren vermeidet, wenn man dieser ganzen Formation ei- nen eigenen, nur ihr eigenthümlichen Namen giebt. Ich nenne sie Augith-Porphyr, weil der Augith zuerst in dieser Gebirgsart her- vortritt, und ihr wahrscheinlich auch die sie auszeichnende dunkle Fär- bung giebt. als Gebirgsart. 107 Mit diesem Gestein erreicht man die letzte Stufe unter der Seifser Alp. Nun aber, ganz oben an der Fläche der Alp, zertheilt es sich in grofse kugelförmige Massen, welche aus grofsen Schaalen um einen Kern her, bestehen. Inwendig dicht, am Rande ganz blasig, mit Blasen den Krümmungen der Schaalen gleichlaufend. Die grofsen Kugeln sind durch schwarze kleine Brocken desselben Gesteins nur locker mit einan- der verbunden. Wahre Schlacken liegen in Menge dazwischen, und diese umgeben nicht selten Stücke von Kalkstein und Dolomit. So ungefähr sieht Madera aus im Innern, oder Gran Canaria. Auf der Höhe der Seifser-Alp, einer Fläche von fast einer Meile Länge, ist gar nichts Festes mehr zu finden. Der ganze Boden, überall wo er entblöfst er- scheint, besteht nur aus lockeren Rapilli in unregelmäfsigen Schichten, die sich in mannigfaligen Krümmungen neigen. Über solche Fläche steigen die weilsen, schreckenden, unersteiglichen Dolomitfelsen in die Höhe. Sie setzen fort, eine oder zwei Stunden weit; dann hören sie plötzlich auf; der Augith-Porphyr erscheint wieder ohne auffallende Felsen. Dann fängt eine neue Dolomitreihe an, welche wieder von einer folgenden, durch viele tausend Fufs tiefe Abstürze, gänzlich ge- iwennt ist. Jenseits der Dolomite, in das Fassathal herunter, trift man wieder dieselbe Folge der Gesteine; zuerst den Augith-Porphyr; darunter dichten, rauchgrauen Kalkstein mit Muschelversteinerungen, tiefer gar mächug, und in vielen Schichten den rothen feinkörnigen und schiefrigen Sandstein; endlich den rothen Porphyr zwischen Mo&na und Sorega. Aber auf dieser Seite nieigen sich alle Schichten, der Neigung der vorigen gerade entgegengesetzt; nicht mehr ostwärts, son- dern gegen Westen und wieder scheinbar unter den Dolomitfelsen in den Berg hinein. Und so habe ich es jederzeit gefunden. Immer fallen die unteren Schichten den Dolomitfelsen zu, und ihre Abstürze sind gegen den Abfall des Gebirges gekehrt. Ohnerachtet nun der Augith-Porphyr darauf liegt, so sieht man doch Sandstein oder Kalk- stein nie unter ihm fortsetzen. Wohl aber geht er sichtlich an mehre- ren Orten an diesen Gebirgsarten die Tiefe herunter. Der südliche Ab- hang des Duronthales bei Campidell zeigt dies mit der gröfsten Deut- lichkeit. Es ist hier ganz klar, wie der Augith-Porphyr sich aus dem Innern hervorhebt und nur mit den Köpfen über die unteren Schichten Ö2 108 Buen über Dolomit heraufiritt. — Dann aber folgt auch, dafs die drüberstehenden kühnen und furchtbaren Dolomitspitzen durch ihn in die Höhe gehoben, zer- spalten und zerborsten sind. Wie könnten solche Formen auch anders, als durch so gewaltsame Mittel aus den Händen der Natur kommen ! In der That liegt durch die ganze Länge des Fassathals hin der Augith-Porphyr stets unmittelbar unter dem Dolomit und schei- det ihn von den darunter liegenden Schichten, und, ich wiederhole es, Dolomit kommt nirgends vor, wo ihn nicht der Augith-Porphyr be- gleitet. Aber dieser liegt auch völlig darinnen. Die enge Kluft des Cipit, welche durch die in ihr vorkommenden vortrefllichen Drusen von Ichthyophthalm bekannt ist, eröffnet tief das Innere des Schlern eines unglaublich steil gegen Botzen abfallenden Dolomitberges. Im Innern der Kluft sieht man überall den Augith-Porphyr anstehen, in ganz unregelmäfsigen Formen, bis in die Tiefe herunter. Grofse Do- lomitmassen, ganze Felsen, sind hier von Augith-Porphyr völlig um- gar weit in dem festen Dolomit herauf, 5 Er geht aber nicht bis zu .dem äufsern Absturz des Schlern gegen geben, und dieser steigt wieder Westen hin fort; man sieht auf das Überzeugendste den Dolomit ihn gänzlich umgeben; welches gar nicht seyn könnte, wenn dies porphyr- artige Gestein eine regelmäfsig gelagerte Schicht wäre. Noch mehr; man sieht es in der Kluft des Cipit bis zu einer solchen Tiefe an- stehen, dafs wäre es söhlig fortgesetzt, es am äufseren Abhang schon bei den oberen Häusern von Seifs hervorkommen müfste; viele hun- dert Fufs unter den Stellen, wo man den Augith-Porphyr aufserhalb wirklich zuerst anstehend findet. So ist also der Augith-Porphyr eine Masse, welche durch alle übrige Schichten wahrscheinlich gewaltsam heraufsteigt, und oben die weilsen Dolomitspitzen trägt. Der Dolomit im ganzen Fassathal fällt mächtig auf, durch seine grofse Weifse, und durch das Körnige seines Gefüges. Er weicht in Beiden nur manchen primitiven Kalksteinen, und dafür ist er denn auch meistentheils gehalten worden. Nie ist ihm irgend ein anderes Fossil beigemengt, am wenigsten irgend eine Versteinerung. Die klei- nen Hölungen, welche mit Rhomboedern besetzt sind, durchziehen auch hier die ganze Masse, und tragen nicht wenig bei, ihr ein rauhes und als Gebirgsart. 109 wocknes Ansehn zu geben. Diese Hölungen werden gar oft und fast in jedem Block zu unregelmäfsigen Klüften und Zerberstungen, welche die treftlichsten, glänzenden Braunspath-Drusen umschliefsen. Das Licht der Sonne spiegelt sich auf den glänzenden Flächen, und verräth von überall umher diese Drusen, welches höchst überraschend ist, wenn man sich mitten zwischen solchen Felsen befindet. In der That sind diese Klüfte den Zerberstungen vollkommen ähnlich wie man sie an Kalkstei- nen in ausgebrannten Kalköfen sieht; und wenn man von la Cortina im Thale von Ampezzo nach Toblach ins Pusterthal herüber geht, wo auf dem Passe, fast zwei Meilen lang, die Dolomitfelsen senkrecht umherstehen, und Blöcke wie Berge unten im Grunde zerspalten und aufgehäuft liegen, so möchte man gern glauben, in den ungeheuren Heerd eines solchen Ofens versetzt zu seyn: so gehäuft sind die Drusen, so srofs, unregelmäfsig und rauh die Klüfte, welche sie enthalten. Wie offenbar scheint dies nicht alles eine Wirkung der hohen Temperatur, mit welcher der Augith-Porphyr unterliegende Schichten durchbricht, den Dolomit zu. senkrechten Säulen, Pyramiden und Thürmen in die Höhe stöfst ; (wie der Basalt) die dichten Gesteine zu körnigen umändert, und dadurch alle Spur von Schichtung vernichtet, Versteinerungen zer- stört und Zusammenziehungen, Klüfte und Zerberstungen bildet, in welchen Drusen hervortreten. Wie deutlich scheint es nicht, dafs es der stets unter dem Dolomit, über dem rothen Sandstein vorkommende dichte Kalkstein sei, welcher auf solche Art behandelt und verändert wird. Wirklich sieht man noch fast überall in den Dolomitstücken, welche die Bäche von oben herunterführen, eckige Stücke in grofser Zahl, theils gröfsere, theils so kleine, bis sie endlich verschwinden, welche dichte Kalksteine zu seyn scheinen, die noch nicht völlig zu Dolomit umgewandelt sind. Aber dieser Kalkstein enthält die Talkerde nicht. Sollte sie aus dem Augith-Porphyr, der im Augith von Taalkerde eine bedeutende Menge enthält, in die Masse eingedrungen seyn, so begreift man doch immer nicht, warum diese Erde allein, warum nicht auch Kieselerde in die neue Vereinigung hätte eingehen sollen, und dann auch, wie so regelmäfsig die Talkerde durch so ungeheure Massen sich hat verbreiten können. — Sollte überhaupt der Augith-Porphyr die Talkerde zu liefern im Stande seyn, so hätte man ähnliche Wirkungen 110 Bucn über Dolomit auch vom Basalt erwarten mögen, welcher an den Küsten von Antrim die Kreide durchsetzt und sie zu körnigem Kalkstein verändert. Allein dieser Kalkstein braust lebhaft mit Säuren, und enthält auch, nach Hn. Heinrich Rose Untersuchung einiger Stücke von Tennantsdyke am Divisberge bei Belfast, gar keine Spur von Talkerde. Dies sind Schwierigkeiten, welche zu lösen die Beobachtungen nicht hinreichen, Immer aber können sie die Schlüsse nicht aufheben, durch welche der Dolomit für ein hervorgestofsenes Product des Au- gith -Porphyrs erklärt wird, wenn auch die Art und Entstehung der Talkerde darinnen ein Räthsel bleibt. Das Fassathal liefert fast ın jedem seiner einzelnen Thäler neue Belege und Thatsachen für die An- nahme dieser Wechselwirkung. beider Gebirgsarten auf einander. Dieser Dolomit erstreckt sich noch weit über das Fassathal hinaus, zwischen dem Pusterthal und Italien hin, immer in ähn- lichen Formen und Verhältnissen. Seine unersteiglichen Spitzen umge- ben wie grofse Inseln, mit schmalen Canälen dazwischen, den oberen Theil des Grödnerthals, das Thal des Gaderbachs unter Colfosco, die Thäler von Buchenstein, Ampezzo und Toblach; sie bilden den südwestlichen Abhang des Sextenthals und ziehen nun ganz in das Italienische hinein, gegen die Piave, wohin sie noch nicht verfolgt wor- den sind. Nicht immer sieht man jedoch den Augith -Porphyr, welcher doch wahrscheinlich im Innern aller dieser Massen steckt. Ge- gen die Seite des hochliegenden Pusterthals erscheint zuerst unter dem Dolomit der dichte rauchgraue Kalkstein, dann der rothe Sandstein in grofser Mächtigkeit bis in die Tiefe des Thale. Man würde noch tiefer den Porphyr darunter finden, wäre das Thal tief genug entblöfst. Er zeigt sich wirklich in dieser Lage, da wo die Thäler tiefer herab gehen, im Gailthal gegen Luckau, bei Raibl in Cärnthen, unter dem Terglou in Crain. Der rothe Sandstein verräth allemal in den Alpen den unmittelbar darunter liegenden Porphyr; es ist das Rothe Todte, welches aus der Reibung entsteht das .die Hervorhebung der Porphyre begleitet, Daher kann man diesen rothen Sandstein auch nur als ein, vom Porphyr ab- hängiges Gestein betrachten, und keinesweges umgekehrt den Porphyr als dem Rothen Todten untergeordnet anschen. als Gebirgsart. lt So ist es auch westlich von Botzen, am westlichen Ufer der Etsch. Der rothe Porphyr bildet die unteren Hügel und den Fufs der steilen, in den oberen 'Theilen ganz senkrechten Wand des Men- delberges, welche sich ohne Unterbrechung auf diese Art vier Meilen 5 weit gegen Süden herabzieht. Da wo der Berg steiler anfängt aufzu- steigen, erscheint der rothe Sandstein wieder, mit Neigung der Schichten in die Wand hinein, mit den Köpfen hervor. Er ist wohl 400 Fufs mächtig. Dann liegt unmittelbar darauf der weifse, körnige Dolomit, und nun sind die Felsen ganz unersteiglich. Dieser Dolomit bildet gegen das Val de Non, wohin die Schichten des Sandsteins sich neigen, einen fortgesetzten, nicht unterbrochenen Abhang, bis Fondo im Thal, wo rother Sandstein wieder darauf folgt. Auch auf der westlichen Seite des Valde Non erhebt sich dann wieder eine ähnliche Wand von Dolomit mit sanftem Abhang gegen Westen, bis zu einer Linie, welche von Caldas im Val de Sol unter dem Rabbithal bis nach Meran gezogen werden kann, an welcher ihn Gneus und Glimmer- schiefer begrenzen. “Dieser Dolomit vom Mendelberg bei Botzen ist vom Professor Gmelin in Heidelberg chemisch zerlegt worden. Seine specifische Schwere bei zwölf Grad Reaumur war 2,87. Er löste sich völlig in Salzsäure auf. Die Auflösung, durch Schwefelsäure niedergeschlagen, bis auf ein Geringes abgedampft, filtrirt, dann ganz abgedampft und ge- glüht, liefs schwefelsaure Bittererde zurück, welche im Fossil 41,8 Theile kohlensaure Bittererde gegen 58, 2 Theile kohlensaure Talkerde ergiebt, daher fast genau eben so wie es die gleiche Proportion beider Substan- zen verlangt. Das ist der letzte Dolomit dieser Art, in den Alpen, gegen Westen hin. So wie man in der Schweiz den Porphyr nicht sieht, eben so wenig findet sich diese, hier nur an der Anwesenheit von rothem Porphyr und Augith-Porphyr gebundene Gebirgsart. Ich glaube, es verdient nicht übersehen zu werden, dafs alle so- genannten vom Vesuv ausgeworfene Kalksteine, ihren äufseren Kenn- zeichen und Tennant’s und Professor Gmelin’s Untersuchungen zu- folge, ebenfalls Dolomit sind, und so alle Blöcke, welche am See von Albano bei Rom im Peperino vorkommen. Die vesuvischen 112 Bu cn über Dolomit als Gebirgsart. Stücke sind aber auf ganz gleiche Art zersprengt und zerborsten wie die Dolomite von Fassa, und nur in diesen Zerspaltungen liegen als Drusen zuerst die Talk- und 'Thonerde haltenden Fossilien, dann die Talk- und Kieselhaltigen, endlich die Kieselhydrate. Alle diese Dolo- mitstücke sind schon längst für veränderte dichte Kalksteine der Apenninen gehalten worden, in welchen jene Fossilien sich erst spä- ter durch Infiltration oder Sublimation bilden ; dafs es keine abgeris- sene Stücke primitiver Gebirge sind, geht daraus hervor, dafs sie nie im Innern der Masse eine Spur eines fremden Fossils, Talks oder Glim- mers enthalten, welche doch in dem vom Glimmerschiefer umschlos- senen Dolomit fast nie fehlen. Aber nach Klaproth’s Untersuchun- gen enthält wieder der Kalkstein der Apenninen durchaus keine Spur von Talkerde. Über Dolomit als Gebirgsart. Von Ib, v.BUCE, Zweite Abhandlung. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 6. Februar ı823.] 2 meiner ersten Abhandlung habe ich gezeigt, wie der Dolomit in secundären Gebirgsarten überall wo er vorkommt, aus der Reihe der Gebirgsarten, als etwas zu dieser Reihe nicht Gehörendes, Fremdartiges, hervortritt, und dabei fast überall durch seine kühne Formen sich aus- zeichnet, welche schon von weit her die Aufmerksamkeit erregen und fesseln. So war es, über den Schichten von rothem Thon und von Gyps am Fufse des Thüringer Waldes in der Gegend von Coburg; so, auf den Höhen des Juragebirges zwischen Bayreuth, Nürnberg und Bamberg. Ich habe gezeigl, wie nur allein im versteinerungsleeren Dolomit die berühmten Hölen der Muggendorfer und Streitberger Gegend vorkommen, wie der Kalkstein keine Hölen enthält, wie danr der Dolomit im ganzen Thal der Altmühl herab, und über einen grofsen Theil des Aichstädter Fürstenthums die gröfsere Masse der Juraschichten von den Soienhofer Schiefern trennt; Schichten, die man, in ihrer Lagerung so wenig von einander entfernt, in verschiedene Haupt- formationen nicht zu setzen wagt, und welche doch in den mannigfalu- gen animalischen Producten, die sie umschliefsen, auch noch nicht eines aufweisen können, das ihnen beiden gemeinschaftlich wäre, ja welche darin so verschieden sind, dafs man in jeder von ihnen eine ganz neue Welt zu sehen glaubt. Ich habe mich ferner auseinander zu setzen be- müht, wie diese wunderbare Formen des Dolomits im südlichen Phys. Klasse 1822 - 1823. PB 114 Buceu über Dolomit Tyrol in ihrer Kühnheit stets zunehmen und endlich alles übertreffen, was die lebhafteste Einbildungskraft sich hätte vorstellen mögen ; wie dort dies Erscheinen solcher Gestalten ‘wesentlich an das Hervortreten des Augith-Porphyrs gebunden scheint, und wie am Ende man zu dem Resultat geführt wird, dieser Augith-Porphyr sey es eigentlich, der auf die Schichten des dunkelgefärbten, dichten Kalksteins einwir- kend, sie entfärbt, Versteinerungen und Schichten vernichtet, mit Talk- erde die Masse durchdringt, sie dadurch zu körnigem Dolomit umän- dert, und endlich sie als senkrecht zerspaltene Colosse über den Thälern in die Höhe stöfst. S Seitdem habe ich wieder mehrere Thatsachen zu beobachten Ge- legenheit gehabt, welche diese Ansichten erläutern und erweitern, und die deshalb einiger Aufmerksamkeit nicht ganz unwerth scheinen. Von der Fintstehung des Dolomits. Wenn man sich im Fassathale auch auf das Vollkommenste überzeugt hat, dafs die hohen Dolomitspitzen umher aus den verän- derten Schichten der unteren Kalkformation entstanden sind; wenn man auch nicht zweifelt, dafs diese verändernde Wirkung vom Augith-Por- phyr ausgegangen sey, so begreift man doch nicht leicht, wie gasför- mige Talkerde eine Masse, viele tausend Fufs hoch, ganz gleichförmig hat durchdringen und sie durchaus zu Dolomit umändern können. Auch sind keine der bis jetzt in diesem Thale angestellten Beob- achtungen geeignet, dies Räthsel zu lösen. Ich darf es deshalb als eine kleine Entdeckung ansehen, diese Lösung in der Gegend von Trient mit einer Klarheit gefunden zu haben, als sähe man noch jetzt die ganze Veränderung vor seinen Augen vorgehen. Die Strafse von Trient nach Venedig über Pergine läuft über die Abhänge, welche hier das Etschthal einschliefsen, durch eine plötz- liche Unterbrechung dieser, das Thal stets begleitenden Gebirgsreihe. Diese Kluft wird in der Tiefe zu einer wirklichen Spalte, durch welche der Fersina-Bach, an vielen Orten ganz unzugänglich , herabstürzt. Mitten in dieser Einsenkung über der Spalte erheben sich hinter einan- der zwei weilse Kegel mit unglaublich schroffen und steilen Abhängen, als Gebirgsart. 115 sonderbare Formen, welche nicht wenig beitragen, der Gegend von Trient ein höchst malerisches Ansehn zu geben. Der nächste und weniger hohe von diesen Kegeln liegt zwischen der Stadt und dem Dorf Pante, und wird von einer Capelle auf seinem Gipfel il dosso di Sta. Agatha ge- nannt. Wenn man gegen diesen Berg, auf der südlichen Seite des Fersina-Bachs, heraufsteigt, so findet man unten im Thale bei St. Bartolomeo noch ganz unerwartet den rothen Porphyr anstehen, von dem man sich, seit man ihn bei Gardolo, unweit Lawis verlassen hat, schon sehr entfernt glaubt. Viele braune Quarzdodecaeder liegen in der braunen Grundmasse, fast weniger weilse Feldspathkrystalle. Dann erhebt sich eine kleine Felsreihe von dunklen Schichten, gegen sechzig Fufs hoch, Schichten von wahren Rothen - Todten, die vielleicht noch viel höher unter den, alles bedeckenden Weinbergen hin, bis zu dem, eine Viertelstunde entfernten Fufs des hohen Dolomitberges von St. Marcello fortsetzen mögen. Rothe Porphyrstücke, Quarze, Grünerde und viele Glimmerblättchen, sind in diesen, in das Innere des Berges einfallenden Schichten, vereinigt. Dann folgen Schichten von blofs fleischrothem Kalkstein ; mit sanfter Neigung gegen Westen, gegen das Thal herunter, ohngefähr wie der Abhang der Oberfläche selbst. Nun erhebt sich darüber der weifse Absturz des Kegels von Sta. Agatha von allen Seiten, gänzlich von den übrigen Bergen getrennt, und nur durch Windungen am Abhang er- steiglich. — Ich sahe an den Abstürzen Arbeiter beschäftigt, das Ge- stein zu sieben, und blofs nur durch diese Arbeit einen feinen und gleichförmigen Sand zu bereiten, welches eine sehr auffallende Beschäfti- gung ist, wenn man einen Berg von Kalkschichten vor sich aufsteigen sieht. Wirklich ist das Gestein an diesem Berge so unendlich zerklüf- tet, dafs es nicht gelingt, Stücke mit frischen, unzerrissenen Flächen zu zerschlagen, welche auch nur von Nufsgröfse wären. Sehr verwundert über eine so gänzliche Zerrüttung des Berges, habe ich diese vielfachen Klüfte näher untersucht, und, ich läugne nicht, mit freudigem Erstau- nen gesehn, dafs alle Klüfte, auch die feinsten, die unbemerklichsten, welche nur der Schlag des Hammers zum Vorschein bringt, doch auf ihrer inneren Fläche gänzlich mit Dolomit-Rhomboedern besetzt wa- ven; eben so, wie man sie in reinem Dolomit zusammenhängend antriflt. Pr. 116 Bwucnu über Dolomit Solche Krystalle finden sich in den roıhen Kalkschichten nirgends, nicht auf Klüften, noch weniger im Innern der Masse. Sie müssen also auf diesen unendlichen Spaltungen etwas neues, zugetretenes seyn. Verfolgt man diese Beobachtung mit einiger Genauigkeit, so wird es nicht schwer, vorzüglich auf dem Gipfel selbst, in der Nähe der Capelle, Stücke zu finden, in welchen die Dolomit-Rhomboeder sich berühren und nun ein körniges Gestein bilden. Die Kalksteinmasse ist dann ganz ver- schwunden, und mit ihr die Wände; daher auch das ganze Daseyn der Risse und Klüfte. Diese vorausgehende Zerreissung und. Zerklüftung ist es also, welche der kohlensauren Magnesia aus dem Innern die Wege eröfnet, bis in das Tiefste und Verborgenste der Schichten des Kalksteins zu dringen, sich überall mit der kohlensauren Kalkerde zu verbinden, und eine neue Substanz, den Dolomit zu bilden, welcher in Form, in (Juantität des Wirkenden, in Natur und Wesen gänzlich vom Kalkstein verschieden ist. Dadurch geht dann auch Schichtung verloren, und es bleiben nur senkrechte Zerspaltungen, Risse und Klüfte zurück. Davon überzeugt man sich vollends, wenn man den Kegel von Sta. Agatha umgeht; den weifsen Abstürzen gegenüber, von dem Dorfe OltreGastello herauf, erscheinen an demselben Berge die rothen Kalk- steinschichten des Abhanges, hier fast senkrecht, oder doch sehr stark nach Westen geneigt. Diese Schichten setzen also durch den Berg und müssen auf der Seite der Abstürze sich wieder auffinden lassen. Dort aber findet sich nur das mit Dolomit-Rhomboedern zerklüftete Ge- stein. Sehr wahrscheinlich sind also dieselben Schichten des Berges an einem Ende noch unveränderter Kalkstein, am anderen fast gänzlich Dolomit. — Nicht anders ist der zweite, höhere Kegel la montagna della Gelva, der die gröfste Höhe zwischen den Thälern der Brenta und der Etsch bildet. Mit gewaltgem Absturz fallen die Schichten vom Gipfel bis zur Tiefe der Fersina herunter, zuerst mit siebenzig Grad Neigung gegen Westen, dann völlig senkrecht, aber in ihrem Fortlauf sonderbar wellig gebogen, endlich auf dem westlichen Abhang, mit gleich starkem Einschiefsen nach Osten. Wenn man, von Trient herauf, dieselbe Schichten so sanft aufsteigen sieht, so wird man nicht zweifeln, dafs sie in diese gewaltsame Form nur durch gewaltsame als Gebirgsart. 417 Kräfte gebracht worden seyn können. Noch bequemer und nicht we- niger auffallend beobachtet man diese Erscheinung, die unglaubliche Zerklüftung der Schichten und die gänzliche Besetzung der Klüfte mit Dolomit-Rhomboedern auf der grofsen Strafse selbst, die von Pergine nach Trient führt, ganz in der Nähe von Cevizzano, an den ersten Felsen, welche man erreicht, nachdem man diesen Ort verlassen hat. Sie stehen den Schichten des Monte della Gelva genau gegen- über und correspondiren völlig mit ihnen. Die höheren Berge in der- selben Richtung, welche sich bis gegen 5000 Fufs über die Meeres- fläche erheben, die sogenannte Montagna di sopra nördlich über Cevizzano und die lang gezogene Reihe des Monte di St. Marcello zwischen CGevizzano und Vigolo bestehen dann völlig, wie die Berge von Fassa aus reinem, weifsem, körnigem Dolomit, und verrathen es schon von weither aus dem Grunde des Thales durch das kühne Hervortreten der Felsen, durch die blendende Weifse und durch den sänzlichen Mangel an Schichtung. Dafs es aber auch hier der Augith-Porphyr sei, welcher diese Wirkung hervorbringt, daran wird man um so weniger zweifeln, da man ihn an vielen Orten zwischen den Schichten des Kalksteins hervor- kommen sieht. Geht man von Cevizzano die grofse Swafse herunter, so sieht man, etwas über der Kirche von Cognola, eine schnell abfal- lende Schlucht, mit finsteren schwarzen Wänden zur Seite; und gewils über vierzig Schritt weit läfst sich dieses Ausgehende in seiner Mächtig- keit verfolgen. Oben, der Dammerde zunächst, bestehen diese Wände aus schwarzem Tuff, Conglomerate aus blasigen Schlacken,, mit vielen feinen Trümmern von dichtem Stlbit durchzogen. Dann folgen grofse, schaalig von Tuff umgebene feste Kugeln aufeinander, wie auf der Seifser-Alp, oder wie sie Humboldt an den kleinen Hügeln des Jorullo gezeichnet hat, und wie sie in der That über jede Masse von Augith-Porphyr gelagert zu seyn pflegen, welche sich aus festen Ge- birgsschichten hervorhebt. Es ist die Wirkung der Reibung der her- vorbrechenden Massen gegeneinander. Das feste Gestein des Porphyrs sieht man bei Cognola nicht, denn die Entblöfsung ist dazu nicht tief genug. Aber es ist aus der Unregelmäfsigkeit und gröfstentheils kuppel- förmigen Biegung dieser Tuffschichten wohl sehr einleuchtend, dafs 1418 Bvucnu über Dolomit ‚man sie als ein regelmäfsiges, mit dem Kalkstein abwechselndes Lager durchaus nicht betrachten könne. Sie setzen fast senkrecht in die Tiefe, der Kalkstein aber fällt, seitdem sie erschienen sind, sanft gegen Trento herunter. Diese Massen von Cognola stehen genau dem westlichen Fufs des Dosso di Sta. Agatha gegenüber; in dieser Richtung sieht man sie noch weit fortsetzen, und wahrscheinlich würde man sie unter dem Fufse des Berges selbst noch anstehend finden, würde nicht jede Unter- suchung durch die Menge eingeschlossener Weingärten so schr erschwert, oder auch wohl gänzlich verhindert. Nördlich hin kommen diese Massen noch häufig hervor, und sehr bemerkenswerth ist es wohl, dafs gerade wo sie erscheinen, die sanftere Neigung der Schichten aufhört, und die Berge sich nun schneller und steiler erheben, bis zu den reinen Dolo- mitmassen der Gipfel. Was diese Berge von Trento also lehren, läfst sich unmittelbar auf die Colosse des Fassathals anwenden, welche in der Dolomit- bildung weiter vorgeschritten, nur den Weg ahnden, nicht mehr ver- folgen lassen, auf welchem diese Bildung geschehen ist. Aber auch viele andere Erscheinungen in den Bergen erhalten durch sie ein uner- wartetes Licht. Wie häufig trifft man nicht auf solchen, durchaus zerklüfteten Kalkstein, der vielleicht in der Dolomitbildung noch nicht weit vor- gerückt ist, ohne dafs man den, im Innern wahrscheinlich verborgenen Augith -Porphyr als Ursache der Erscheinung anzuführen gewagt, oder auch nur Grund gehabt hätte, an ihn als wirkende Ursache zu den- ken. Murren, twrockne Lavinen, grofse Schuttkegel von weifsen kleinen Gerüllstücken verrathen leicht in höheren Gebirgen solche zersprengte und zerrissene Massen, und nicht selten trifft man dann, ganz in der Nähe, den ausgezeichneisten Dolomit selbst. So ist es z.B. in der Kalkreihe, welche Bayern von Tyrol scheidet; so besonders in der Gegend von Mittelwald und zu den Quellen der Isar herauf, wo die Mauern an den Wiesen häufig vom schönsten körnigen Dolomit auf- geführt sind. Wenn man sich der alten berühmten Bergstadt Schwaz im Innthale gegenüber stellt, etwa in der Gegend des Eisenwerks von Jenbach, so sieht man am steilen und hohen Abhange, jenseit, schwar- D als Gebirgsart. 119 zen Kalkstein aus dem Grunde des Thales aufsteigen, mit hervorste- henden Felsen und deutlicher Schichtung, der in der Mitte 5 bis 400 Fufs in die Höhe steigt, und an den Seiten wie eine Kuppel sanfı ab- fällt, so dafs er im Thale aufwärts, den Boden bei Schwaz selbst be- rührt, abwärts aber bei dem Dorfe Rotholz. Es ist Transitions - Kalk- stein, der Kalkstein des Thonschiefers, in dem bisher noch kein Berg- bau geführt worden ist. Wo er aufhört, bildet der Alshang eine Art von Terrasse, auf welcher Dörfer und viele Wohnungen liegen. Da er- scheint, vorzüglich in tiefen Schluchten und Tobeln, rother Sandstein, sehr grobkörnige Quarz - und Kalksteingeschiebe, durch ein rothes Bindemittel vereinigt, ein wahres Rothe-Todte, eine mächtige Schicht, welche hinter dem Kalkstein schnell in den Berg hereinseizt. Nun er- heben sich darüber schroff und steil weifse Berge, an denen sich vom Gipfel an bis zum Fufs fast unzählige Schuttkegel, Murren herabziehen, Millionen kleine, weifse Bruchstücke übereinander, welche jeder Regen- gufs wie eine flüssige Masse weiter herabführt. Auch nur dann erst sieht man die grofsen Halden, und die Schächte des alten Schwazer Bergbaues an den Felsen in die Höhe. Dieses so mächug zerrüttete und zerklüftete Gebirge ist aber wirklich nicht mehr Kalkstein, sondern an den meisten Orten schon völlig Dolomit. Von dem unten am Fufse liegenden schwarzen Kalkstein hat er gar nichts ähnliches mehr. Die Erze, deren Reichthum einst Schwaz so berühmt gemacht hat, waren in diesen unendlichen Klüfien versammlet. Daher ist es begreif- lich, dafs man nie eine regelmäfsige Lagerstätte der Erze fand, und noch jetzt immer über den Namen verlegen ist, welchen man dieser Lager- stätte beilegen soll. Es geht aber hieraus die wichtige 'Thatsache her- vor, dafs die Ursache, welche den Kalkstein zu Dolomit umänderte, auch die Erze in die Klüfte einführte, denn wo das Gestein auf diese Art nicht zersprengt und verändert ist, da finden sich die Erze nicht. Daher sind auch sie wahrscheinlich von unten herauf in die Gebirgsart gedrungen, und wahrscheinlich durch dieselbe Kraft, welche die Talk- erde dem Kalkstein zuführte, durch die Erhebung des Augith-Porphyrs unter der Gebirgskette hin. Zwar ist dieses Augithgestein bei Schwaz noch nicht gesehn worden: aber im Fassathale lernt man hinreichend, dafs der so schnell in den Berg hineinfallende rothe Sandstein, den im 120 B vcm über Dolomit Innern hervorbrechenden Augith, und aufserhalb den durchbrochenen, rothen quarzführenden Porphyr anzeigt. Die heifsen Quellen von Baden bei Wien dringen aus eben so zerklüftetem Kalkstein, als der von Trento ist; und wenig entfernt er- scheint der weifse feinkörnige Dolomit ganz ausgezeichnet und deut- lich. Wir mögen also auch hier die Augith-Porphyre in der Nähe unter der Oberfläche vermuthen, und ihnen, eher als deın Kalkstein der umbherstehenden Berge, die Entstehung dieser heilsen Wässer zu- schreiben. Nicht anders ist der Bleiberg in Cärnthen. Er bildet, gegen die Ebene und den See von Villach, das letzte ungeheure Vorgebirge von einer Dolomitkette, welche zum Theil in den aufserordentlichsten Spitzen und Thürmen sich zwischen dem Gailthale und dem Drau- thale fortzieht. Oft ist die Dolomitreihe nur ganz schmal zwischen und über dem schwarzen Kalkstein am Fufs des Gebirges, wie über dem Weifsensee gegen Weifspriach; nirgends aber breiter als bei Blei- berg selbst; denn dieses Thal zertheilt die Kette in der Quere auf der Länge von mehr als einer halben Meile. Diese Zertheilung scheint eine wirkliche Zerspaltung des Gebir- ges, denn der Fufs des grofsen Bleiberges bis zu ansehnlicher Höhe zeigt von Dolomit wenig, wohl aber den Kalkstein ungefähr, wie er in der Tiefe vorzukommen pflegt. Dagegen besteht der kleine Bleiberg auf der nördlichen Seite des Thales fast durchaus, und vorzüglich am Gipfel, aus sehr schönem, körnigem Dolomit; sehr viele von den höher gelegenen Gruben wurden sonst unmittelbar in dieser Gebirgsart betrieben ; und nur die tieferen, bearbeiteten Gänge, welche vorlie- gende Kalksteinschichten durchsetzen. Nur auf der Seite, auf welcher Dolomit vorzüglich herrschend isı, am kleinen Bleiberge werden Gru- ben bebaut; an der Südseite in den Kalksteinschichten des grolsen Blei- berges hat man noch nie Erze gesehen. Also auch hier, wie in Schwaz, ist das Erscheinen der Erze an dem Vorkommen des Dolomits gebunden, und auch hier wird man nicht wenig geneigt zu glauben, dafs die Ursache, welche Dolomit zu bilden und zu erheben vermag, auch in den Klüften und Gängen die Erze eindrängt, vorzüglich wenn als Gebirgsart. 121 man sieht, wie es der ganze Bergbau im äufseren Bleiberg beweist, dafs diese Erze besonders dort vereinigt sind, wo Klüfte und Gänge sich kreuzen, wo also auf den Kreuzen die Öffnungen und Canäle sehr viel bedeutender sind, daher das Aufsteigen von unten leichtere Wege fin- det, als auf den wenig mächtigen, kaum offenstehenden Gängen selbst ; fast so als wie auf dem Westerwald, Basaltgänge dort mächtiger wer- den und zu freistehenden Kuppen heraufsteigen, wo sie Eisensteingänge durchsetzen, welche ihrer Verbreitung weniger widerstehen, als die feste Gebirgsart selbst. Geht man vom Bleiberg südlich gegen das Gail- thal herunter, so trifft man bald auf den rothen Sandstein ganz wie er im Gailthale herauf bis ins Pusterthal fortsetzt. Der tiefe Leopoldstollen ist auf ansehnliche Länge darin ge- trieben. Dieses Rothe-Todte setzt, wie überall, schnell in die Tiefe, und scheint hier auf dem Kalkstein zu liegen, weil Gebirgsarten, welche tie- fer im Thale herab nach einander erscheinen, ein sonderbarer Diorit mit einem, ihm eigenthümlichen Conglomerat, wahrscheinlich die, schon vorher senkrechten Schichten, bis zum Überstürzen zusammengeprefst haben mögen. Dieses Aufliegen des Rothen-Todten findet man nur am 5 Bleiberg; an anderen Orten des Gailthales nicht, weder bei dem 5° Kloster Luckau, noch auf der Strafse von Kötschach nach Ober- Drauburg, wo der rothe Sandstein den Zusammenhang der-Dolomit- berge völlig unterbricht, so dafs die nur wenig erhobene Strafse kaum irgendwo Kalkstein berührt. Untersuchen wir die Verhältnisse anderer Orte in der grofsen Kette der Kalkalpen, an welchen Erze in diesen Bergen bearbeitet wer- den, so treten uns jederzeit so genau dieselben Erscheinungen entgegen, dafs wir die Resultate, welche aus den Beobachtungen in Bleiberg und in Schwaz zu folgen scheinen, nothwendig für allgemeine, in der ganzen Reihe der Alpen anwendbare, halten müssen. Die Strafse von Inspruck gen Augsburg hebt sich von Telfs gegen Nassareith über Schichten von dunkelrauchgrauem Kalkstein, der am Fufse der höheren Kette überall in einer Hügelreihe von 800 bis ı200 Fufs vorliegt; Kalkstein der mit dem unterem des deutschen Flözgebirges übereinkommt, und den man oft in deutschen geognosti- schen Handbüchern Zechstein zu nennen gewohnt ist. Nahe vor Phys. Klasse 1822 - 1825. Q 422 Bwucn über Dolomit Nassareith trennt ein tiefes Thal diese Hügelreihe, von einer mächüg hoch und schnell aufsteigenden Wand von blendender Weifse. Man sieht wohl, es ist derselbe Kalkstein nicht mehr, aber man ist verlegen zu welcher Formation man ihn eigentlich zählen solle. Ich darf nicht wiederholen, dafs es zerklüfteter, zerborstner und gebleichter Kalkstein ist, wie der von Trient. — Dolomit-Rhomboeder besetzen sogleich diese Klüfte, und Dolomitblöcke liegen in den Wasserrissen umher. Am steilen Abhange dieser Wand hängen die Schächte des berühmten Gallmey- und Bleibergwerks vom Feigenstein. Nicht eher wird diese Erzführung sichtbar als wo die Kalkschichten emporgestofsen , zerrissen und zu Dolomit umgeändert worden sind. So ist völlig wieder die Lage der Gallmeygruben im Thale von Auronzo über la Pieve di Cadore, fast eben so die, der Gallmey- erze in Raibel. Da, wo bei Nassareith am Feigenstein die Hügelreihe von schwarzem Kalkstein aufhört, die hohe Dolomitwand sich erhebt, sollte unten der rothe Sandstein, das Rothe - Todte erscheinen, wäre die Gleichförmigkeit mit Schwaz und mit dem Bleiberg ganz voll- ständig. Man sieht ihn nicht, allein man kann sein Daseyn, selbst nahe unter der Oberfläche, gar nicht in Zweifel ziehen. Bei Schwaz selbst, scheint auch der weifse Dolomit die schwarzen unveränderten Kalkschichten unmittelbar zu berühren, allein mit dem tiefen Stollen, welcher im Kalkstein angesetzt ist, hat man im Innern der Grube das Rothe eben so gefunden, wie es bei Rotholz anstehend ist. An den Isarquellen über Mittelwald kommt dieses rothe Conglomerat häufig hervor, unmittelbar unter den Dolomitbergen, in welchen man auch dort Gallmeyerze bebaut hat. — Diese Einlagerung des Rothen-'Todten über dem Kalkstein, welcher dem Zechstein analog ist, könnte wohl manchem Geognosten den bisher bekannten Gesetzen nicht gemäfs schei- nen, weil das Rothe-Todte, unmittelbar auf dem rothen Porphyr gela- gert, und von ihm ausgehend, nur die Unterlage, niemals die Decke des unteren Kalksteins bilden kann. Allein man mufs sich erinnern, wie die hohe Dolomitwand darüber ein, vom Kalkstein getrenntes und erhobenes Stück ist, dafs daher die unterliegende Gebirgsart ebenfalls in neuer, den allgemeinen Gesetzen widersprechender Lage eingedrängt als Gebirgsart. 123 wird, ungefähr wie ein Gang, oder wie basaltische Kuppen in älteren Gesteinen. Selbst der rothe Porphyr erscheint wohl zuweilen auf diese Art, wenn auch nur selten und nur dort, wo die Thäler tief in das Innere einzudringen erlauben. So sieht man ihn auf dem Wege von Luckau nach Lienz, wo die Schichten von rothem Sandstein zwischen Glimmerschiefer und Dolomit fası senkrecht stehen; so sieht man ihn auch noch im Thale von Erlach über Luckau, zwischen Tarvis und Raibel, unfern von dem Wallfahrtsort Maria-Luschari über Ponteba, bei Weifsenstadt, unter dem Terglou, und noch an anderen Orten. Dafs aber in ursprünglicher Lage der Porphyr und der rothe Sandstein diese Kalksteinformauion unterteufen, dafür bürgen wieder die schönen Profile von Fassa. Die Form der Felsen des Feigensteins ist eine, nicht blofs in der Alpenkette, sondern, wie es scheint, auch über alle Welttheile sehr weit verbreitete; die nehmlich einer fast senkrechten Wand von weifsen Schichten, der gegenüber keine correspondirende steht, wie sonst etwa in Alpenthälern gewöhnlich. Am Fufse liegt eine, gegen die Höhe der Wand nur niedrige, aber von ihr durch ein Thal getrennte Hügelreihe, in welcher sich die Schichten der Gebirgsart, aus der sie besteht, von der Wand abwärts, gegen die Fläche hin neigen. Dieser Absturz zieht sich vielleicht halbe Erdgrade in gleicher Richtung fort, und besteht er aus Schichten, so sind diese in das Innere hinein, denen der Hügelreihe am Fufse entgegengesetzt, geneigt. Die Gleichheit dieser Form, wird aus der Gleichheit der Ursachen begreiflich. Die Schichten der Wand, wo man dergleichen bis jetzt hat etwas genauer untersuchen können, bestehen gröfstentheils aus Dolomit; nur einige der unteren erinnern an den Kalkstein, von dem sie losgerissen sind, dann folgt der rothe Sandstein darunter, oft noch bis nahe dem Viertheil des Absturzes, dann am Fufse rother Porphyr, oder andere, ihm verwandte Gebirgs- arten. In der vorliegenden Hügelreihe findet sich der unveränderte Kalkstein wieder. Der Augith-Porphyr, der alle diese Gebirgsarten, selbst den rothen Porphyr erhebt und durchbricht, bleibt gewöhnlich im Innern der Dolomitmassen versteckt. Das ist die Zusammen- setzung der sogenannten, sechs Meilen langen und mehr als 4000 Fufs hohen Wand auf der Fläche von Neustadt bei Wien; so ist der 3 124 Bucnu über Dolomit lange Mendelberg zwischen Botzen und Trient; ganz ähnlich, und gewifs auch gleich in der Bildung ist die Felsenreihe, welche die schöne Ebene von Terni von der Ostseite begrenzt (1); eben so der langge- zogene, steil gegen das Meer, und sanfter gegen das Innere, abfallende Taygetes in Messenien. Ich werde mir erlauben. diese Betrachtungen noch weiter auszu- dehnen, um aus ihnen noch einige Schlufsfolgen für die Bildung und Erhebung der Alpenkette zu ziehen. Wenn in der Reihe der Kalk- alpen fası in jedem Profil Dolomitberge erscheinen, welche ausı Schichten des Alpenkalksteins gebildet sind (zwischen Traunstein und Reichenhall, vom Dorfe Itzel an, bleibt man fast eine Stunde zwischen Dolomitbergen. Beudant Voyage en Hongrie I, ı6ı.), so ist es klar, dafs der Augith-Porphyr in der ganzen Erstreckung dieser Alpenkette gewirkt hat. Oberhalb Sonthofen im Allgau in Schwaben sieht man ihn wirklich mitten in dieser Kette auf ansehnlicher Höhe hervor- treten, auf der Gaifsalp bei Reichenbach, von rothem Sandstein be- gleitet (Uttinger in Moll neue Jahrbücher I, 459.), und oberhalb Ebna bei Obersdorf (Lupin Msrpt.). Daher werden nicht blofs die, zu Dolomit veränderten Schichten des Kalksteins der Erhebung unterworfen gewesen seyn, sondern auch die unveränderten, ursprüng- lich söhlig über die Fläche verbreiteten. Die Augithmassen werden sie mannigfaltig in die Höhe gewunden, geprefst, gebrochen und geklemmt haben, eben so, wie wir sie noch jetzt finden. Wenn man die wun- derbare Lagerung des Salzstocks von Hall, in Tyrol, mehr als 5000 Fufs über das Thal, etwas genauer erwägt; wenn man sieht, wie unre- gelmäfsig, unbesuimmt, gekrümmt und gebogen die Schichten der Kalk- berge umherstehen, so überzeugt man sich leicht, dafs nimmermehr der Salzstock sich in solcher Lage gebildet haben kann, sondern dafs diese Salzmassen und Thonschichten sich, wie in der Fläche in Niederungen des Kalksteins mögen abgesetzt haben, und dafs sie nur später zu ihrer jetzigen Höhe erhoben, und zwischen ihnen ursprünglich fremdartigen (1) So auch die Höhe der Montagna della Sibilla bei Rieti. Der Dolomit, dessen Blöcke im Gebirgsthale von Leonessa und Monte-Leone umherliegen , ist von dem grobkörnigsten, welchen ich gesehn habe. als Gebirgsart. 125 Schichten sind eingeklemmt worden. Der Kalkstein, welcher unter dem Salzstock weggeht und sich an seiner südlichen Seite hervorhebt, hat ein ganz entgegengesetztes Fallen, als der Salzstock selbst, mit allen Kalkschichten welche ihn bedecken. — Die Schichtung dieser Höhen bleibt sich höchstens für die Länge einzelner Thäler gleich, und auch dann noch nicht immer, wenn gieich es auch gewifs ist, dafs die Rich- tung des Fallens dieser Schichten im Ganzen immer gegen das Äufsere der Kette geht, die Abstürze gegen das Innere gekehrt sind, zum we- nigsten bis zu den Grenzen der Schweiz. Wenn wir bedenken, dafs Alles, was aus dem Innern der Erd- oberfläche hervordringt, jede Eruption keinesweges sich runde, crater- ähnliche Öffnungen bildet, sondern jederzeit in aufgesprengten und sich weit fortziehenden Spalten hervorsteigt, wie es der Natur einer jeden spröden, widerstehenden Masse gemäfs ist, auf welche eine zertheilende Kraft in irgend einem Puncte wirkt (vorausgesetzt, dafs diese nicht unverhältnifsmäfsig gröfser sey, als die Kraft der Cohäsion der zu zer- sprengenden Masse), — so wird es sogleich klar, dafs die ganze Rich- tung des Alpengebirges, so weit es zum wenigsten aus Kalkstein be- steht, die Richtung eines ungeheuern Ganges bezeichne, auf welchem der Augith-Porphyr hervordringt. Der Kalkstein darüber wird dann mehr oder weniger in die Höhe geworfen und verändert, je nachdem auf diesem Gange der Augith stärker oder schwächer sich heraushebt, und wo dieses Gestein nicht mehr die Oberfläche erreichen kann, da bleibt der Kaikstein in seiner ursprünglichen horizontalen Lage zurück. Dieselben Gesteine, die in dieser Kette von dem Ligurischen Meere an, bis Ungarn, oft bis weit über die Region des ewigen Schnees heraufsteigen, finden sich, fast ohne Neigung, fast ohne Erhebung, an den Ufern des Neckars und durch einen grofsen Theil von Franken g unter den Hohenlohe- schen Ländern hätte keiner übermäfsigen Kraft bedurft, um Schich- ten, welche über viele Quadratmeilen ausgedehnt sind, 8 oder 9000 Fufs, ein neues Alpengebirge in die Höhe zu stofsen. Daher können Unter- suchungen und Fragen, auf welche Art wohl der Stand des Meeres 8 verbreitet. Ein aufgebrochener Augithgan oder 10,000 Fufs über den jetzigen Spiegel hat erhöht seyn können, um Seegeschöpfe zu ernähren, deren Reste wir jetzt in solcher Höhe 126 Bwucn über Dolomit oft in unzählbarer Menge finden, — ähnliche Fragen können nicht von grölserem Werth scheinen, als ohngefähr die, auf welche Art wohl Bäume auf dem Eise der Gletscher wachsen und fortkommen mögen, weil man nicht selten Baumsaamen über das Gletschereis zerstreut fin- det, — Die Bäume wuchsen nicht dort, wo man die Saamen fand; eben so wenig haben die Thiere in der Höhe gelebt, in welcher man jetzt ihre Reste antrifft. Holen im Dolomit. Dafs die fränkischen Hölen nur allein dem Dolomit eigen- thümlich sind, den Schichten des Jurakalks nicht, bleibt an sich schon eine sehr merkwürdige Thatsache; sie wird es aber viel mehr durch die Betrachtung, dafs sie viel allgemeiner ist, als man glaubt, ja so sehr, dafs ich in der That anfange zu fürchten, es werden dem unveränderten Kalkstein nur wenig Hölen noch übrig bleiben. Im Herbste des ver- flossenen Jahres (1822) sahe ich die berühmten Hölen von Oliera an der Brenta, etwa eine Meile über Bassano. Sie liegen am Fufse der steilen, gröfstentheils senkrechten Wände, zwischen welchen die Brenta mehr als drei Meilen weit, von Ospidaletto bis nahe vor Bassano, hinläuft. Ihr Eingang ist ı20 Fufs hoch, ı00 Fufs tief, wenig über dem Dorfe von senkrechten Felsen umgeben. Nicht ein Bach, sondern ein ganzer Flufs stürzt aus ihr hervor, denn wenn er, nach wenigen Augenblicken, sich mit der Brenta vereinigt, so ist die Masse dieses nicht unbedeutenden Flusses um mehr als das Doppelte vergröfsert. Wenig entfernt brechen noch andere Bäche aus ähnlichen Hölen, und höher an den Felsen öffnen sich wiederum neue Hölen, die in das In- nere hineinführen. — Solche Wässer zu versammeln, setzt im Innern dieser Berge grofse, bedeutende, weiterstreckte Hölungen voraus, aus- gedehnt, wie vielleicht wenig ähnliche seyn mögen. Auch widerspricht dem nicht, was man bisher davon gesehn hat. Bei niedrigem Wasser- stande nehmlich ist es möglich, unter den, fast den Boden berührenden Felsen hin, noch weiter zu kommen. Die Felsen heben sich bald wie- der und wölben sich zu einer mächtigen Kuppel. Der Flufs breitet sich auf dem Boden aus und bildet hier in der Finsternifs einen klei- nen ruhigen See, auf welchen der treflliche Besitzer dieser Quellen, als Gebirgsart. 127 Hr. Parolini in Bassano, eine Gondel hat setzen lassen, mit welcher man den See umfahren kann. Hunderte von Proteen, von den Crai- ner Hölen hierher gebracht, beleben sein Wasser. — Im Hintergrunde dringen die Bäche von mehreren Seiten aus neuen Hölen hervor; allein weiter hat man sie noch nicht verfolg.. — Es ist der Ablauf aller Wässer des hohen Plateau der Sette Comune, das sich gegen 5200 Fufs über den Grund des Thales erhällt. Die Hölen gehen also zu- sammenhängend bis dort oben hinauf. — Alle sind im ausgezeich- nesten Dolomit. Er ist körnig, und enthält überall kleine Hölungen mit vortrefllichen Drusen von Braunspath, fast so schön, wie in den Bergen von Ampezzo. Höher, aber gewifs erst 2000 Fufs hinauf, liegen darauf dünne Schichten von rothem Kalkstein, welche Versteine- rungen in grofser Zahl enthalten; dann eine grofse Menge anderer Schichten des Jura, welche alle Berge der Sette Comune zusammen- setzen. Sehr bemerkenswerth ist es, dafs mitten auf der Höhe dieser Gebirgsfläche der Augith-Porphyr gar häufig hervorbricht. Graf Sternberg (Reise S. 46.) hat ihn bei Pufferle, zwischen Aziago und Rubio gesehn, dann wieder alli Ronchi, zwischen Valstagno und Galio; Fortis, im zweiten Theil seiner Memoiren, erwähnt noch viele andere Orte. Diese Massen müssen also den ganzen Dolomit durch- brochen haben, ehe sie aus den Schichten des Jura haben aus- brechen können. Der Dolomit zieht sich mit gleicher Bestimmtheit immer im Thale der Brenta herauf zu beiden Seiten, und wird stets auf der gröfsten Höhe des Thalabhanges, wie man dies von unten gar deutlich sehen kann, von den dünnen und rothen Schichten des Jura bedeckt. Er ist in der Gegend von Primolano nicht ganz ohne Versteinerun- gen. Grofse Pectiniten finden sich darinnen zuweilen, aber wie in Sandsteinen, undeutlich und wie zerstört. — Was unter dem Dolo- mit vorkommen mag, ist im Grunde des Thales verborgen; allein da wo die Engen aufhören, unweit des Weges von Ivano im Valsugana nach dem Thal von Tessin, sieht man deutlich, wie dort wieder der rothe Sandstein unter dem Dolomit einschiefst. Daher wird gewifs der Augith-Porphyr im Innern nicht fehlen, und ohnerachtet der scheinbar so regelmäfsigen Lagerung dieser unge- 1283 Bucm über Dolomit heuern Dolomitmassen im Thal herunter, steht doch nichts entgegen, auch von ihnen zu glauben, dafs sie einst dünne, versteinerungsvolle Schichten von dichtem Jurakalk waren, die durch gewaltsam eingedrun- gene Talkerde aufgesprengt und zu Dolomit umgeändert worden sind. Dafs Juraschichten ihn bedecken, und zum Theil in ansehnlicher Höhe, daran ist hier so wenig zu zweifeln, als im Thale der Lagarina, zwischen Roveredo und Verona, wo, ganz wie an der Brenta, der Dolomit unten im Thale immer fortsetzt, zum wenigsten auf der lin- ken Seite der Etsch, ununterbrochen von Ala bis zur Chiusa bei Rivoli. Man sieht auch hier die Juraschichten auf der Höhe; allein je mehr man sich der engen Spalte der Chiusa nähert, um so mehr senken sich die Schichten von oben; der Dolomit sinkt unter der Oberfläche, und in der Enge berührt man die dichten, oder von Trochitenresten körnige Juraschichten selbst, welche man einige Meilen vorher viele tausend Fufs hoch an den Bergen fortziehen sahe. Und so wie sie sich senken, so wendet sich auch ihre Richtung. Statt wie in der Lagarina herunter, nach Osten, fallen sie zuerst nach Südost; in der Chiusa selbst gegen Süden, und endlich ganz nach Westen, in der Richtung des Monte Bolce, der auf der linken Seite die Lagarina umschliefst. Im fränkischen Jura, in Aichstädt, und in den Bergen zwischen Nürnberg und Baireuth, liegt keine andere Juraschicht über dem Dolomit, aufser die anomalen Schiefer von Solenhofen und Pappenheim; in italienischen Alpen liegt keine Juraschicht darunter. Das. unterscheidet beide zwar wesentlich von einander; in- zwischen ist es nur ein Beweis, wie wenig eine Besummtheit im Allge- meinen in der Lagerung des Dolomits aufgefunden werden kann. Wo der Augith-Porphyr auf Kalkstein, er sey von welcher Art er wolle, einwirken kann, wird er daraus Dolomit bilden; daher wird man eben so gut Dolomit im ‚‚calcaire grossier’ finden können, wie in den Vicentiner Bergen, als in der Juraformation, im Zechstein oder selbst auch (zwischen Thonschiefer) im schwarzen Kalkstein. Dadurch erwächst aber diesen Formationen so wenig ein neuer Character, als man eine Eiche mit Galläpfeln für etwas anders ansehen wird, als eine, welche solche Aepfel nicht trägt. als Gebirgsart. 129 Ich kehre von diesen italienischen Gegenden nach Deutsch- land zurück. Was man seit vielen Jahrhunderten in Thüringen Rauchwacke genannt hat, ein Gestein das stets den Gyps zu begleiten pflegt, das was Heim unter dem Namen von Rauhstein, Freiesleben als Rauh- kalk aufgeführt haben, ist vom körnigen Dolomit nicht verschieden. Auf der südlichen Seite des Thüringer- Waldes erheben sich davon mächtige Felsen bei Liebenstein und Glücksbrunn, deren Zug und Eigenthümlichkeiten Heim mit seiner gewöhnlichen Genauigkeit und Aufmerksamkeit beschrieben hat. (Geol. Beschr. des Thüring. Wald. V,95.) Es ist ein Gestein, sagt er, welches durch seine zerrissene, löch- vige Masse, durch seine Klüfte, Hölen, Erdfälle und thurmähnliche Felsen die g 5 Menge kleiner und grofser leerer Räume und Hölungen von der Gröfse röfste Aufmerksamkeit verdient. Inwendig enthält es eine einer Faust, eines Kopfes, bis zu Öffnungen in die ein Mensch eintreten kann, und bis zu Gewölben, die Erstaunen erregen. Denn eben in die- sem Gesteine eröffnen sich die Liebensteiner und Glücksbrunner Hölen. In dem Zechstein hingegen, welcher dem Rauhstein nicht ähn- lich ist, hat man keine gefunden. Diese Hölen, sagt Heim, sind sich in ihrer Hauptanlage sehr ähnlich. Durch bogenförmige, gekrümmte Kalkstein (Dolomit-)bänke, geht in der Mitte eine Spalte hindurch, die sich bald weit aufthut, bald enge zusammenzieht. Das ist eine Bemer- kung welche als etwas Allgemeines sehr auffallen mufs. Freilich sind solche Spalten dem Dolomit ganz eigenthümlich; und bei weitem mehr, als irgend einer Art von Kalkstein. Es ist bekannt, wie häufig Landthierknochen in tiefen Spalten des Gesteins gefunden werden, bei Gibraltar, bei Cette, bei Nizza. Man nennt dies Gestein Kalkstein ; allein wahrscheinlich ist es überall Dolomit; — zum wenigsten waren die Stücke, welche ich von Nizza als Lagerstätte der Knochen bei Herrn Brogniart in Paris gesehn habe, so ausgezeichnet und schön, als hätte man sie von den Bergen des Fassathals herunter gebracht. Der Rauhstein bei Liebenstein unterbricht den Lauf des Zech- steins; dieser erscheint nicht eher wieder, als bis der Rauhstein auf- gehöri hat. Es ist mit dem Zechstein eine Veränderung vorgegangen, 5 Phys. Klasse 1822 - 1825. R 130 B vw cu über Dolomit meint Heim, welche ihn zu Rauhstein umgewandelt hat, und kommt, nach mancherlei Betrachtungen zu dem Resultat, dies könne nur durch den Ausbruch gazförmiger Flüssigkeiten geschehen seyn, deren Weg von unten hervor sich in vielen, zusammenhängenden Erscheinungen offenbare (1) Auch die Scharzfelder Höle am Harz, das Einhornsloch, finder sich im Dolomit. Freiesleben sagt ausdrücklich (Kupfer- schiefergebirge Il, 46.), das sie einschliefsende Gestein gehöre zur Rauchwacke oder zum Rauhstein, und Jordan führt von ihm an, es sei gelblichgrau, ohne Versteinerungen, mager und rauh, und voller Blasenlöcher, welche zum ‘Theil mit Kalkspath (Braunspath) ausgefüllt sind: Hausmann erzählt, es fände sich hier nicht selten auch körniger Kalkstein. Das alles charakterisirt hinreichend den Dolomit. Bestimm- ter noch erklärt sich darüber Buckland in seinem schönen Werk über organische Reste in Hölen. (Reliqwiae diluvianae p. ı15.). Er meint, und gewifs richüg, der Dolomit von Scharzfeld sei mit dem von Sunderland von einerlei Formation. Auch von den vielen Hölen in Derbyshire kann man kaum zwei- feln, dafs sie vorzüglich dem Dolomit eigen sind. Schon Smithson Tennant hat uns belehrt, wie häufig dieses sonderbare Gestein in den Thälern von Derbyshire vorkomme, eben dort, wo auch der Augith- Porphyr als Mandelstein ,‚,‚toadstone’’ fast durch alle Berge hinzieht. Aber die meisten Hölen liegen eben, mitten in der Region, welche den toadstone enthalten, oder doch wenig von ihm entfernt. Dies zeigt deutlich Greenough’s treffliche geognostische Charte von England, auch enthält Farey’s Beschreibung von Derbyshire viele Nachrichten, welche eine Durchbrechung und Veränderung des Kalksteins durch den (1) Die Rauchwacke, der Dolomit, ist ein steter Begleiter des älteren Gypses. Dieser aber, wo er vorkommt, zerstört die Regelmäfsigkeit darüber liegender Schichten, und erhebt sie, oft zu ansehnlicher Höhe, wie des Dr. Friedrich Hoffmann’s schöne Beobachtungen im nordlichen Deutschland hinreichend lehren (Beiträge zur geogn. Kenntnifs von Nord - Deutschland ı825.), am Harze, bei Sperenberg, Lüneburg, Segeberg. Tritt hier nicht wieder dieselbe Erscheinung hervor, eine Veränderung und Aufblähung des Kalksteins durch zutretende Schwefelsäure, wie bei dem Dolomit durch zutretende Talkerde ? als Gebirgsart. 434 toadstone wohl wahrscheinlich machen. Survey of Derbyshire I, 274. 276. Nähere Nachrichten suche ich in englischen geognostschen Schrifistel- lern vergebens (1). Dolomit im Rothen-Todten. Noch ein bisher nicht aufgeführtes Vorkommen des Dolomits scheint mir der Beachtung sehr werth. Es sind die Lager dieser Substanz, welche in den oberen Schichten des Rothen-Todten vielleicht nicht sel- ten, und an sehr von einander entlegenen Orten gefunden werden. Als ich mich vor zwei Jahren in der Gegend von Saarbrück aufhielt, besuchte ich in der Nähe von Ottweiler unterirdische Kalk- brüche, welche dort betrieben werden. Das Product was hervorge- bracht wurde, war bräunlichroth, ausgezeichnet körnig, sehr fest, und enthielt in eckigen Löchern nicht selten kleine Rhomboeder. Dafs dies wirklich wiederum Dolomit sei, bestätigte bald eine Analyse des Pro- fessors Gmelin in Heidelberg; er fand das specifische Gewicht des Steins 2,84 und in hundert Theilen enthielt er 29, 2 kohlensaure Talk- erde. Dasselbe Lager wird bei Nieder-Linxweiler bearbeitet. Es ist eins von den beiden, welche sich in wunderbarer Beständigkeit viele Meilen forterstrecken, von der Gegend von Saarbrück bis an die Lauter bei Wolfsstein. Die Lager sind nicht sehr mächtig und gänz- lich vom rothen Sandstein umgeben. Ganz dasselbe Gestein wird bei Rückingen in der Nähe von Hanau bebaut. Es ist das erste Gestein, was man, seit der Fläche von Hanau, anstehend findet. Bald hernach erscheint der rothe Sand- stein, der die Gneusfelsen des Spessart umgiebt. Dieser Dolomit ent- (1) Humboldt (Geog.275.) sagt: au Mexique en descendant des montagnes compo- sces de porphyres eminemment metalliferes Real del monte et de Moran vers les bains chauds de Totonilcoel Grande, on trouve une formation puissante, de calcaire gris- bleudtre, presque depourvu de coquilles, generalement compacte, mais enchässant des couches tres-blanches et grenues a gros grains. Ce calcaire est celebre par ses cavernes a Dantö et il est rempli de filons de plomb sulfure. Wären diese körnige Schichten Dolomit, so wäre hier alles vereinigt, was die Lagerung der Dolomite auszeichnet. Der Porphyr, der ursprünglich dichte Kalk, die Hölen. Ra 132 Bucen über Dolomit hält grofse Drusen, und in diesen nicht selten Kupferkies und Kupfer- lasur, welche die Rhomboeder überzieht. Man kann nicht zweifeln, dafs dies Lager zum rothen Sandstein gehöre. Eben so scheint das körnige Lager zu seyn, welches (auf viele Meilen Erstreckung) bei Trautliebersdorf unweit Liebau in Schle- sien verfolgt worden ist; und in den Kalklagern, welche Freiesleben aus dem Rothen-Todten der Gegend von Eisleben beschreibt, wird man ähnlichen Dolomit nicht verkennen. ame als Gebirgsart. 433 Soh IL.ıR!s. Diese Betrachtungen, wenn sie hinreichend sind, die Meinung oder die Vermuthung zu begründen, der Dolomit sei Kalkstein ge- wesen, aber gröfstentheils durch den Augith-Porphyr zur neuen Form umgeändert worden; wenn es gelingt, nachzuweisen, wie auch ein gro- ser Reichthum von metallischen Fossilien, durch Wirkung derselben Gebirgsart, auf neue Lagerstätten eingeführt worden ist, scheinen dann ein Feld der Untersuchung zu eröffnen, welches uns nach vielen Seiten hin wichtige Aufschlüsse verspricht. Denn es wäre sogar auch vielleicht nicht unmöglich, in Kurzem zu erweisen, dafs alle Gebirgsreihen, daher die ganze äufsere Ge- stalt der Oberfläche der Erde, dem Augith-Porphyr ihre Entstehung verdanken. Die Gebirgskeiten, so grofs sie auch seyn mögen, würden dann nichts anderes seyn, als Spalten, wie die vulcanischen Reihen, aus welchen der Augith-Porphyr sich erhebt, und die darauf liegenden hindernden Gebirgsarten, entweder in grofsen Massen, oder, wie in den Alpen und dem Himalaya, zu wunderbaren Spitzen und Thürmen hervorstöfst. Es wäre vielleicht nicht unmöglich, bald zu erweisen, dafs die Flöz-Formation alle primitiven Gebirgsreihen bedeckt habe, oder be- deckt haben könne. Die, sich nach und nach stets weiter ausdehnende Spalte hätte diese oberen Flözschichten auf die Seite geschoben, und keine Spur von ihnen hätte auf diese Art in den primitiven Bergen der kleineren Ketten zurückbleiben können; wohl aber in gröfseren Gebir- gen, in denen die "Hauptspalte stets von gleichlaufenden Nebenspalten begleitet ist, und daher einzelne Keile leichter umgeben, und mit den hervorsteigenden primitiven Massen erhoben werden können. Schon in den Alpen liegen solche Flözgebirgsreste auf den höchsten Spitzen von Bergen aus Granit und aus Gneus: an der Kette der Jungfrau, am Titlis, und anderen. Es ist wohl begreiflich, dafs dieser Porphyr unter der bedecken- sen kann, dafs er vielleicht an 5 manchen Gebirgsreihen gar nicht hervorkommt, und sein Daseyn nur den Masse sich nur selten hervordrän aus seinen Wirkungen geschlossen werden mufs. Indefs findet man ihn doch gar häufig am Fufs der Gebirge, da, wo sie in die Ebene aus- 134 Bwcu über Dolomit laufen; wo der Porphyr sich daher Luft gemacht und nun sich am Rande der Spalte zwischen der Ebene und den erhobenen Gebirgsmas- sen hervorgedrängt hat. Am Thüringerwald liegt auf der Südseite der Granit oder der Syenit; dann folgt in der Mitte der rothe, quarz- führende Porphyr; dann am nordlichen Fufs, und ganz am Fufs, der Augith-Porphyr in allen Thälern bei dem lezten Ausgang gegen die Fläche. Er ist hier stets von einem Gonglomerat bedeckt, das ihm we- sentlich angehört, und das vom Rothen-Todien, mit dem man es ver- wechselt, leicht unterschieden werden kann. Das (Reibungs-) Conglo- merat des Augith-Porphyrs enthält, mit vielen Stücken anderer Gebirgs- arten, stets auch wenig abgerundete Massen vom Augith-Porphyr selbst; das Rothe-Todte enthält solche Stücke niemals. Dies letztere wird vom ersteren stets getragen und fällt von ihm weg. — Am Harz bemerkt man fast dasselbe Verhalten, aber in umgekehrter Ordnung. Der Gra- nit des Brocken und Ramberges erscheint auf der Nordseite; der Augith-Porphyr in grofser Ausdehnung bei Ilefeld auf der Südseite, und wie viel weiter er noch, wenig unter der Oberfläche, verbreitet seyn möge, läfst der, eben auch auf der Südseite so sehr ausgedehnte Dolomit (Rauchwacke) und Gyps in gleichlaufenden Ketten vermuthen. Der Harz und der Thüringerwald gehören aber zu demselben System, oder zu einer Hauptspalte, welche in viele Nebenspalten geschieden ist. Ganz Deutschland nehmlich zertheilt sich in vier besondere der- gleichen, deutlich von einander geschiedene Systeme. Im ersteren, nordöstlichen Theile, ist die Richtung aller Gebirgs- ketten von Nordwest gegen Südost; nicht blofs der primitiven , des Harzes, des Thüringerwaldes, der Schlesisch-Böhmischen Berge, des Böhmerwaldes, sondern sogar auch aller einzelnen etwas bedeu- tendern Berge der Flöz-Formauon, des Kiffhäusers mit Bottendorf, der Finne, der Haynleite, des Seeberges, und so vieler kleinerer Gebirgsreihen bei Magdeburg, Braunschweig, Hannover, deren wahre Natur man durch die twrefllichen Untersuchungen des Doctors Friedrich Hoffmann hat kennen lernen. Dieser vorzügliche Geognost hat sogar gezeigt, wie noch Helgoland, Lüneburg, und der Seegeberg in Holstein sich diesem System einordnen. Die Sandsteinkette des Teutoburger Waldes durch Lippe, Minden, Osnabrück bis nach als Gebirgsart. 135 Overyssel beendet es scharf und bestimmt in Westen. Jede Oharte zeigt durch die Richtung der Flüsse, der Hauptniederungen , diese Richtung der Bergketten bis tief in die polnischen Flächen. Die Juraberge von Cracau bis Wielun folgen denselben Gesetzen; so auch noch die Bergreihen, welche Dresden umgeben. Wir finden dieses Richtungsgesetz in den griechischen Ketten wieder, und an den Albanischen und Dalmatischen Küsten; man möchte es für eines der ausgebreitetsten der Erdfläche halten, denn es scheint sogar die Richtung der mächtigen Alpenketie selbst zu über- winden, welche in den Bergen von Grain zu ihr übergeht. 2. Bis dahin war diese Alpenkette, soweit sie Deutschland be- rührt, von Südwest gegen Nordost gerichtet, und oflenbar gehört g sich fortziehende hohe Fläche von Schwaben und Baiern bis zu den Ufern der Donau, zu eben die- auch noch die in dieser Richtun sem System. Was die Alpen erhob, hat dann auch wahrscheinlich diese Fläche erhoben. Der weifse und scharfe Damm des Jura durch Deutschland .begränzt mit grofser Bestimmtheit dieses Alpensystem ge- gen Nordwest. 5. Schwarzwald, Odenwald, Spessart, und gegenüber das Gebirge des Wasgau, bilden neue Reihen fast von Süden nach Nor- den, deren Wirkung sich wieder bis an den Jura in Franken aus- dehnt, nordwärts bis an den Mayn, westlich bis zu der Fortsetzung des Jura durch Lothringen. 4. Das Grauwacken- und Schiefergebirge der Ardennen, von Hundsrück und Eyfel, des Westerwaldes, dann die Sandsteinkette des Teutoburger Waldes, umschliefsen ein viertes System, welches sich über den westlichen Theil von Westphalen, die Niederlande und Holland verbreitet, in welchem der schwarze Porphyr nicht sehr durch Spalten zu wirken scheint; denn einzelne, scharfe Ketten ver- schwinden, und kein Rothes- Todte oder rother Sandstein läfsı hier in der Nähe rothen Porphyr vermuthen. — Auch werden ältere Kalkstein- bildungen nicht sichtbar, und nur die obersten und neuesten sind, un- mittelbar auf den Steinkohlen, der Beobachtung dargelegt. Der schwarze (Augith-) Porphyr, von dem so grofse Wirkungen ausgehen, ist sich in seiner Zusammensetzung und in den Erscheinungen 136 Buvcn über Dolomit als Gebirgsart. seines Vorkommens, im Ganzen sehr ähnlich, man mag ihn an der Nahe, am Fufse des Hundsrücks, untersuchen, oder am Rande der Steinkohlengebirge in Schlesien, auf den Färöar, oder in dem mitt- leven Theile von Schottland, am Fufs und in der Richtung der Grampians, bei Christiania und im südlichen Norwegen, oder im Fassathale unter den Alpen. Doch scheint eine wesentliche Verschiedenheit aus den Fossilien hervorzugehen, welche später in Klüften und Hölungen dieses Porphyrs sich bilden. Wo Epidot vorkommt, und in Menge, da findet sich nicht leicht auch zugleich Mandelstein mit Zeolithen, oder mit Fossilien, welche Wasser enthalten. — Epidot aber ist eben so wenig ein Ge- mengtheil einer primitiven Gebirgsart, als ein wasser- oder säurehalten- des Fossil. Er findet sich jederzeit nur in Klüften, Drusen, Mandeln, in Oeffnungen der Gebirgsarten, nie als umschlossener Krystall. Da er, wenn Zeolithe fehlen, in so grofser Menge und überall den Ausgith- Porphyr durchzieht, so kann man wohl auf die Vermuthung geführt werden, dafs sein Erscheinen ebenfalls von dem Hervorkommen des Augith-Porphyrs abhängig ist; dafs die Wirkung des letzteren daher wohl geahnet werden kann, da wo man Epidot in anderen Gebirgs- arten in grofser Menge antrıflt, im Syenit und Granit am Thüringer- Wald, im Thonschiefer und Quarz unterhalb Bingen am Rhein, im Zirconsyenit und Granit, und selbst im Gneus des südlichen Norwegens. Der schwarze (Augith-) Porphyr von Ilefeld, vom Thüringer- Wald, von Schweidnitz, von Christiania, enthält Epidot in grofser Menge, aber keine Zeolitharı; der ähnliche Porphyr der Gegend von Glasgow, der Färöar, der Gegenden von Oberstein und Birkenfeld an der Nahe und des oberen Fassathals enthalten dagegen die Zeo- tithe in Überflufs, aber Epidot nicht. Die festere Begründung dieses merkwürdigen Unterschiedes und die Entwickelung licheren Beobachtungen erwarten. seines Einflusses mufs man von weiteren und gründ- ——— HH II— Über den Bau und die Wirkungsart der Vulcane ın verschiedenen Erdstrichen. Von H"- ALEXANDER v. HUMBOLDT. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 24. Januar 1823.] Y enn man den Einflufs betrachtet, den seit Jahrhunderten die er- weiterte Erdkunde und wissenschaftliche Reisen in entfernte Regionen auf das Studium der Natur ausgeübt haben, so erkennt man bald wie verschiedenartig derselbe gewesen ist, je nachdem die Untersuchung auf die Formen der organischen Welt oder auf das todte Erdgebilde, auf die Kenntnifs der Felsarten, ihr relatives Alter und ihre Entstehung ge- richtet war. Andere Gestalten von Pflanzen und Thieren beleben die Erde in jeglicher Zone, sei es wo in der meergleichen Ebene die Wärme des Lufikreises nach der geographischen Breite und den mannichfaltigen Krümmungen der isothermen Linien, oder wo sie fast scheitelrecht, an dem steilen Abhange der Gebirgsketten, wechselt. Die organische Natur giebt jedem Erdstrich seinen eigenen physiognomischen Charakter ; nicht so die unorganische, da wo die feste Rinde des Erdkörpers von der Pflan- zendecke enıblöfst ist. Dieselben Gebirgsarten, gruppenweise sich an- ziehend und abstofsend, erscheinen in beiden Hemisphären vom Aequa- tor an bis zu den Polen hin. In einem fernen Eilande, von fremdarti- gen Gewächsen umgeben, unter einem Himmel, wo nicht mehr die al- ten Sterne leuchten, erkennt oft der Seefahrer freudig erstaunt den hei- mischen Thonschiefer, die wohlbekannte Gebirgsart des Vaterlandes. Diese Unabhängigkeit der geognostischen Verhältnisse von der ge- genwärtigen Constitution der Climate mindert nicht den wohlthätigen Einflufs, welchen zahlreiche, in fremden Weltgegenden angestellte Beob- Phys. Klasse 1822 - 1823. S 138 Humsorpr über den Bau und die Wirkungsart achtungen auf die Fortschritte der Gebirgskunde und der physikalischen Geognosie ausüben, sie giebt derselben nur eine eigenthümliche Rich- tung. Jede Expedition bereichert die Naturkunde mit neuen Pflanzen und Thiergattungen. Bald sind es organische Formen, die sich an längst bekannte Typen anreihen, und uns das regelmäfsig gewebte, oft schein- bar unterbrochene Netz belebter Naturbildungen in seiner ursprüng- lichen Vollkommenheit darstellen. Bald sind es Bildungen,, die isolirt auftreten, als entkommene Reste untergegangener Geschlechter, oder als unbekannte, Erwartung erregende Glieder noch zu entdeckender Grup- pen. Eine solche Mannichfaltigkeit gewährt freilich nicht die Unter- suchung der festen Erdrinde. Sie oflenbart uns vielmehr eine Überein- simmung in den Gemengtheilen, in der Auflagerung verschiedenartiger Massen und in ihrer periodischen Wiederkehr, welche die Bewunderung des Geognosten erregt. In der Andeskette, wie in dem Centralgebirge Europa’s, scheint eine Formation gleichsam die andere herbeizurufen. Gleichnamige Massen gestalten sich zu ähnlichen Formen: in Zwillings- berge, Basalte und Dolerit; als prallige Felswände, Dolomit, Quader- sandstein und Porphyr; zu Glocken oder hochgewölbten Domen der glasige, feldspathreiche Trachyt. In den entferntesten Zonen sondern sich gleichartig, wie durch innere Entwickelung, gröfsere Krystalle aus dem dichten Gewebe der Grundmassen ab, umhüllen einander, treten in untergeordnete Lager zusammen, und verkündigen oft, als solche, die Nähe einer neuen unabhängigen Formauor. So spiegelt sich, mehr oder minder klar, in jedem Gebirge von beträchtlicher Ausdehnung die ganze unorganische Welt; doch um die wichtigen Erscheinungen der Zusammensetzung, des relativen Alters und der Entstehung der Gebirgs- 5, arten vollständig zu erkennen, müssen Beobachtungen aus den verschie- densten Erdstrichen mit einander verglichen werden. Probleme, die dem Geognosten lange in seiner nordischen Heimath räthselhaft geschie- nen, finden ihre Lösung nahe am Aequator. Wenn die fernen Zonen, wie schon oben bemerkt ward, uns nicht neue Gebirgsarten liefern, das heifst unbekannte Gruppirungen einfacher Stoffe; so lehren sie uns da- ‚gegen die grofsen, überall gleichen Gesetze enthüllen, nach denen die Schichten der Erdrinde sich wechselseitig tragen, sich gangartig durch- brechen, oder mittelst elastischer Kräfte gehoben werden. der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 139 Bei dem so eben geschilderten Nutzen, den unser geognostisches Wissen aus Untersuchungen zieht, welche grofse Länderstrecken um- fassen, darf es uns nicht befremden, dafs eine Klasse von Erscheinungen, mit der ich diese Versammlung vorzugsweise zu unterhalten wage, lange um so einseitiger betrachtet worden ist, als die Vergleichungspunkte schwieriger, man könnte fast sagen, mühevoller aufzufinden sind. Was man bis gegen das Ende des verflossenen Jahrhunderts von der Gestalt der Vulcane und dem Wirken ihrer unterirdischen Kräfte zu wissen glaubte, war von zwei Bergen des südlichen Italiens, dem Vesuv und dem Aetna, hergenommen. Da der erste zugänglicher ist, und (wie alle niedrige Vulcane) häufiger auswirft, so hat ein Hügel gleichsam zum Typus gedient, nach welchem man sich eine ganze ferne Welt, die mächtigen an einander gereihten Vulcane von Mexico, Süd-America, und den asiatischen Inseln gebildet dachte. Ein solches Verfahren mufste mit Recht an Virgil’s Hirten erinnern, der in seiner engen Hütte das Vorbild der ewigen Stadt, des königlichen Rom’s, zu sehen wähnte. Allerdings hätte eine sorgfäluigere Untersuchung des ganzen Mittel- meeres, besonders der östlichen Inseln und Küstenländer, wo die Mensch- heit zuerst zu geistiger Kultur und edleren Gefühlen erwachte, eine so einseitige Naturansicht vernichten können. Aus dem tiefen Meeresgrunde haben sich hier, unter den Sporaden, Trachytfelsen zu Inseln erho- ben, dem azorischen Eilande ähnlich, das in drei Jahrhunderten drei- mal, fast in gleichen Zeitabständen, periodisch erschienen ist. Zwischen Epidaurus und Trözene bei Methone hat der Peloponnes einen Monte nuovo, den Strabo beschrieben, und Dodwell wiedergesehen hat, höher als der Monte nuovo der phlegräischen Felder bei Bajae, vielleicht selbst höher als der neue Vulcan von Xorullo in den mexicanischen Ebenen, den ich von mehreren tausend kleinen, aus der Erde herausgeschobenen, noch gegenwärtig rauchenden Basalıkegeln um- vingt gefunden habe. Auch im Bassin des Mittelmeeres bricht das vul- canische Feuer nicht blofs aus permanenten Cratern, aus isolirten Ber- gen aus, die eine dauernde V erbindung mit dem Innern der Erde ha- ben, wie Stromboli, der Vesuv und der Aetna. Auf Ischia, am Epomäus und wie es nach den Berichten der Alten scheint, auch in der Lelantischen Ebene bei Chalcis, sind Laven aus Erdspalten geflossen, S2 140 Humsoruor über den Bau und die Wirkungsart die sich plötzlich geöffnet haben. Neben diesen Erscheinungen, die in die historische Zeit, in das enge Gebiet sicherer Traditionen fallen, und welche Ritter in seiner meisterhaften Erdkunde sammeln und erläu- tern wird, enthalten die Küsten des Mittelmeeres noch mannichfaltige Reste älterer Feuerwirkungen. Das südliche Frankreich zeigt: uns in Auvergne ein eigenes geschlossenes System an einander gereiheter Vulcane, T rachytglocken , abwechselnd mit Auswurfskegeln, aus denen Lavaströme bandförmig sich ergiefsen. Die lombardische seegleiche Ebene, welche den innersten Busen des adriatischen Meeres bildet, um- schliefst den Trachyt der Euganeischen Hügel, wo Dome von körnigem Trachyt, von Obsidian und Perlstein sich erheben, drei aus einander sich entwickelnde Massen, die den feuersteinhaltigen Jurakalk durch- brechen, aber nie in schmalen Strömen’ geflossen sind. Aehnliche Zeu- gen alter Erdrevolutionen findet man in vielen Theilen des Griechischen Continents und in Vorder-Asien, Ländern, die dem Geognosten einst reichen Stoff zu Untersuchungen darbieten werden, wenn das Licht da- bin zurückkehrt, von wo es zuerst über die westliche Welt gestrahlt, wenn die gequälte Menschheit nicht mehr unter der wilden Barbarei der Osmanen erliegt. Ich erinnere an die geographische Nähe so mannichfaltiger Erschei- nungen, um zu bewähren, dafs der Kessel des Mittelmeeres mit seinen Inselreihen dem aufmerksamen Beobachter alles hätte darbieten können, was neuerlichst unter mannichfaltigen Formen und Bildungen in Süd- America, auf Teneriffa, oder in den Aleuten, der Polargegend nahe, entdeckt worden ist. Die Gegenstände der Beobachtung fanden sich zusammengedrängt, aber Reisen in ferne Climate, Vergleichungen grofser Länderstriche in- und aufserhalb Europa waren nöthig, um das Gemeinsame der vulcanischen Erscheinungen und ihre Abhängigkeit von einander klar zu erkennen. Der Sprachgebrauch, welcher oft den ersten irrigen Ansichten der Dinge Dauer und Ansehen giebt, oft aber auch instineimäfsig das Wahre bezeichnet, der Sprachgebrauch nennt vulcanisch alle Aus- brüche unterirdischen Feuers und geschmolzener Materien; Rauch- und Dampfsäulen, die sporadisch aus den Felsen aufsteigen, wie bei Colares nach dem grofsen Erdbeben von Lissabon; Salse oder feuchten Koth, der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 141 Asphalt und Hydrogen auswerfende Lettenkegel, wie bei Girgenti in Sicilien, und bei Turbaco in Süd-America; heifse Geiser-Quellen, die von elastischen Dämpfen gedrückt sich erheben, ja im Allgemeinen alle Wirkungen wilder Naturkräfte, die ihren Sitz tief im Innern unseres Planeten haben. Im spanischen America und in den Philippini- schen Inseln unterscheiden die Eingebornen sogar förmlich zwischen Wasser- und Feuer-Vulcanen, »ılcanes de agua y de Juego. Mit dem ersten Namen bezeichnen sie Berge, aus welchen bei heftigen Erd- stöfsen und mit dumpfem Krachen, von Zeit zu Zeit, unterirdische Wasser ausbrechen. Ohne den Zusammenhang der so eben genannten Phänomene zu läugnen, scheint es doch rathsam, dem physischen wie dem oryctognosti- schen Theile der Geognosie eine bestimmtere Sprache zu geben, und mit dem Worte Vulcan nicht bald einen Berg zu bezeichnen, der sich mit einem permanenten Feuerschlunde endigt, bald jegliche unterirdische Ursache vulcanischer Erscheinungen. Im gegenwärtigen Zustande der Erde ist freilich in allen Welttheilen die Form isolirter Kegelberge (die des Vesuvs, des Aetna, des Pic’s von Teneriffa, des Tunguragua und Cotopaxi) die gewöhnlichste Form der Vulcane; ich habe sie von dem niedrigsten Hügel bis zu 17700 Fufs über der Meeresfläche an- wachsen sehen; aber neben diesen Kegelbergen findet man auch per- manente Feuerschlünde, bleibende Communicationen mit dem Inneren der Erde auf langgedehnten zackigen Rücken und zwar nicht einmal immer in der Mitte ihrer mauerartigen Gipfel, sondern am Ende der- selben, gegen den Abfall hin. So der Pichincha, der sich zwischen der Südsee und der Stadt Quito erhebt, und den Bouguer’s früheste Barometerformeln berühmt gemacht haben; so die Vulcane, die in der 10000 Fuls hohen Steppe de los Pastos sich erheben. Alle diese Gipfel von mannichfaltigen Gestalten bestehen aus Trachyt, sonst Trapp- Porphyr genannt, einem körnigen, rissig-zerklüfteten Gesteine von gla- sigem Feldspath und Hornblende, welchem Augith, Glimmer, blättriger Feldspath und Quarz keinesweges fremd sind. Wo die Zeugen des er- sten Ausbruchs, ich möchte sagen, das alte Gerüste sich vollständig er- halten hat, da umgiebt die isolirten Kegelberge circusartig eine hohe 5 Felsmauer, ein Mantel aus aufgelagerten Schichten zusammengesetzt. 142 Humsouor über den Bau und die MWirkungsart Solche Mauern oder ringförmige Umgebungen heifsen Erhebungs- Crater, eine grofse, wichuge Erscheinung, über welche der erste Geognost unserer Zeit, Leopold von Buch, aus dessen Schriften ich auch in dieser Abhandlung mehrere Ansichten entlehne, unserer Akade- mie vor fünf Jahren eine denkwürdige Abhandlung vorgelegt hat. Mit dem Luftkreise durch Feuerschlünde communicirende Vulcane, conische Basalthügel und glockenförmige, craterlose Trachyıberge, leız- tere bald niedrig wie der Sarcouy, bald hoch wie der Chimborazo, bilden mannichfaltige Gruppen. Hier zeigt uns die vergleichende Erdkunde kleine Archipele, gleichsam geschlossene Bergsysteme, mit Crater und Lavasırömen in den canarischen Inseln und den Azoren; ohne Crater und ohne eigentliche Lavaströme in den Euganeen und dem Siebengebirge bei Bonn: dort beschreibt sie uns Vulcane, in einfachen oder doppelten Ketten an einander gereiht, viele hundert Mei- len lange Züge, bald der Hauptrichtung der Gebirge parallel, wie in Guatimala, Peru und Java, bald die Axe der Gebirge senkrecht durchschneidend, wie im Lande der Azteken, wo feuerspeiende Trachytberge allein die hohe Schneegrenze erreichen, und wahrschein- lich auf einer Kluft ausgebrochen sind, die in einer Länge von ı05 geographischen Meilen den ganzen Continent, vom stillen Meer bis zum atlantischen Ocean, durchschneidet. Dieses Zusammendrängen der Vulcane bald in einzelne rundliche Gruppen, bald in doppelte Züge, liefert den entscheidendsten Beweis, dafs die vulcanischen Wirkungen nicht von kleinlichen, der Oberfläche nahen Ursachen, abhangen, sondern grofse, tiefbegründete Erscheinun- gen sind. Der ganze östliche, an Metallen arme Theil des amerika- nischen Festlandes, ist in seinem gegenwärtigen Zustande ohne Feuer- schlünde, ohne Trachytmassen, wahrscheinlich selbst ohne Basalte. Alle Vulcane sind, in dem, Asien gegenüber liegenden Theile vereinigt, in der meridianartig ausgedehnten, ı800 geographische Meilen langen Andes- Kette. Auch ist das ganze Hochland von Quito ein einziger vulca- nischer Heerd, dessen Gipfel Pichincha, Cotopaxi und Tunguragua bilden. Das unterirdische Feuer bricht bald aus der einen, bald aus der andern dieser Öffnungen aus, die man sich als abgesonderte Vulcane zu betrachten gewöhnt hat. Die fortschreitende Bewegung des Feuers der. Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 143 ist hier seit drei Jahrhunderten von Norden gegen Süden gerichtet. Selbst die Erdbeben, welche so furchtbar diesen Welttheil heimsuchen, liefern merkwürdige Beweise von der Existenz unterirdischer Verbindun- gen, nicht blofs zwischen vulcarlosen Ländern, was längst bekannt ist, sondern auch zwischen Feuerschlünden, die weit von einander entfernt sind. So stiefs der Vulcan von Pasto östlich vom Flufse Guaytara, drei Monate lang im Jahr 1797 ununterbrochen eine hohe Rauchsäule aus. Diese Säule verschwand in demselben Augenblick, als sechzig Mei- len davon das grofse Erdbeben von Riobamba und der Schlammaus- bruch der Moya dreifsig bis vierzigtausend Indianer tödteten. Die plötz- liche Erscheinung der azorischen Insel Sabrina, am 50. Januar ı8ı1, war der Vorbote der fürchterlichen Erdstöfse, welche weiter westlich vom Monat Mai ıSıı, bis zum Junius 1815 fast unaufhörlich, erst die Antillen, dann die Ebenen des Ohio und Missisippi, und zuleizt die gegenüberstehenden Küsten von Venezuela erschütterten. Dreifsig Tage nach der gänzlichen Zerstörung der Stadt Caracas erfolgte der Aus- bruch des Vulcans von Sanct Vincent in den nahen Antillen. In demselben Augenblick als diese Explosion erfolgte, am 50. April ıSıı, wurde ein Schrecken erregendes, unterirdisches Getöse in allen Theilen einer Landstrecke von 2200 geographischen Quadratmeilen vernommen. Die Anwohner des Apure, beim Einflufs des Rio Nula, verglichen dies Getöse eben so, als die fernsten Küstenbewohner, mit der Wirkung schweren Geschützes. Von dem Einflufs des Rio Nula in den Apure, durch welchen ich in den Orinoco gekommen bin, bis zum Vulcan von Sanct Vincent, zählt man in gerader Richtung ı57 geographische Meilen. Dies Getöse, welches sich gewifs nicht durch die Lüfte fort- pflanzte, mufs eine tiefe unterirdische Ursache gehabt haben. Es war wenig stärker an den Küsten des Antillischen Meeres, dem ausbrechen- den Vulcane näher, als in dem Innern des Landes. Es würde zwecklos seyn, die Zahl dieser Beispiele zu vermehren, aber um an eine Erscheinung zu erinnern, die für Europa historisch wichtiger geworden ist, gedenke ich nur noch des bekannten Erdbebens von Lissabon. Gleichzeitig mit demselben, am ı. November ı755, wurden nicht nur die Schweizer-Seen, und das Meer an den Schwe- dischen Küsten hefüg bewegt, selbst in den östlichen Antillen, 144 Humsoupr über den Bau und die Wirkungsart um Märtinique, Antigua und Barbados, wo die Fluth nie über 28 Zoll erreicht, stieg sie plötzlich 20 Fufs hoch. Alle diese Phänomene beweisen, dafs die unterirdischen Kräfte entweder dynamisch, spannend und erschütternd im Erdbeben, oder producirend und chemisch verän- dernd ın den Vulcanen sich äufsern. Sie beweisen auch, dafs diese Kräfte nicht oberflächlich, aus der äufsern Erdrinde, sondern tief aus dem Innern unseres Planeten durch Klüfte und unausgefüllte Gänge nach den entferntesten Punkten der Erdfläche gleichzeitig hinwirken. Je mannichfaluiger der Bau der Vulcane, das heifst der Erhebun- gen ist, welche den Kanal umschliefsen, durch welchen die geschmol- zenen Massen des innern Erdkörpers an die Oberfläche gelangen, desto wichtiger ist es, diesen Bau mittelst genauer Messungen zu ergründen. Das Interesse dieser Messungen, die in einem andern Welutheile ein be- sonderer Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen sind, wird durch die Betrachtung erhöht, dafs das zu messende an vielen Punkten eine veränderliche Gröfse ist. Die philosophische Naturkunde ist bemüht, in dem Wechsel der Erscheinungen die Gegenwart an die Vergangenheit anzureihen. Um eine periodische Wiederkehr, oder überhaupt die Ge- setze fortschreitender Naturveränderungen zu ergründen, bedarf es ge- wisser fester Punkte, sorgfälug angestellter Beobachtungen, die an be- stimmte Epochen gebunden, zu numerischen Vergleichungen dienen kön- nen. Hätte auch nur von tausend zu tausend Jahren die mittlere Tem- peratur des Luftkreises und der Erde in verschiedenen Breiten, oder die mittlere Höhe des Barometers an der Meeresfläche bestimmt werden können, so würden wir wissen, in welchem Verhältnifs die Wärme der Climate zu- oder abgenommen, ob die Höhe der Atmosphäre Verände- rungen erlitten hat. Eben dieser Vergleichungspunkte bedarf man für die Neigung und Abweichung der Magnetnadel, wie für die Intensität der magnetisch - electrischen Kräfte, über welche im Kreise dieser Aka- demie zwei treffliche Physiker, Seebeck und Erman, ein so grofses Licht verbreitet haben. Wenn es ein rühmliches Geschäft gelehrter Gesellschaften ist, den cosmischen Veränderungen der Wärme, des Luft- drucks, der magnetischen Richtung und Ladung beharrlich nachzuspü- ren, so ist es dagegen die Pflicht des reisenden Geognosten, bei Bestim- mung der Unebenheiten der Erdoberfläche hauptsächlich auf die verän- der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 145 derliche Höhe der Vuleane Rücksicht zu nehmen. Was ich vormals in den mexicanischen Gebirgen, am Toluca, Nauhcampatepetl und Xorullo, in den Anden von (Juito am Pichincha versucht, habe ich Gelegenheit gehabt, seit meiner Rückkehr nach Europa, zu ver- schiedenen Epochen am Vesuv zu wiederholen. Saussure hatte die- sen Berg im Jahr 1775 in einer Zeit gemessen, wo beide Ränder des Craters, der nordwestliche und südöstliche, ihm gleich hoch schienen. Er fand ihre Höhe über der Meeresfläche 609 Toisen. Die Eruption von 1794 verursachte einen Absturz gegen Süden, eine Ungleichheit der Craterränder, welche das ungeübteste Auge selbst in grofser Entfer- nung unterscheidet. Wir mafsen, Herr von Buch, Lussac und ich, im Jahr ı805 den Vesuv dreimal und fanden den nördlichen Rand, der der Somma gegenüber steht, la Rocca del Palo, genau wie Saussure; den südlichen Rand aber 7ı Toisen niedriger, als 1775. Die ganze Höhe des Vulcan’s hatte gegen Torre del Greco hin, (nach einer Seite, gegen welche seit dreifsig Jahren das Feuer gleichsam vor- zugsweise hinwirkt,) um den neunten Theil abgenommen. Der Aschen- kegel verhält sich zur ganzen Höhe des Berges am Vesuv wie ı zu 5, am Pichincha wie ı zu 10, am Pic von Teneriffa wie ı zu 22. Der Vesuv hat also verhältnifsmäfsig den höchsten Aschenkegel, wahrschein- lich schon darum, weil er, als ein niedriger Vulcan, am meisten durch seinen Gipfel gewirkt hat. Vor wenigen Monaten ist es mir geglückt, nicht blofs meine früheren Barometer-Messungen am Vesuv zu wieder- holen, sondern auch, bei dreimaliger Besteigung des Berges, eine voll- ständigere Besimmung aller Craterränder zu unternehmen. Diese Arbeit verdient vielleicht darum einiges Interesse, weil sie die Epoche grofser Eruptionen von ı805 bis 1822 umfafst, und vielleicht die einzige in allen ihren Theilen vergleichbare Messung ist, welche man bisher von irgend einem Vulcan bekannt gemacht hat. Sie beweist, dafs die Rän- der der Crater, nicht blofs da, wo sie, (wie am Pic von Teneriffa und an allen Vulcanen der Andeskette,) sichtbar aus Trachyt beste- hen, sondern auch sonst überall ein weit beständigeres Phänomen sind, als man bisher geglaubt hat. Einfache Höhenwinkel aus denselben Punkten bestimmt, eignen sich zu diesen Untersuchungen noch mehr, als voll- ständige trigonometrische und harometrische Messungen. Nach meinen Phys. Klasse 1822 - 1825. a 146 Hvunmsoror über den Bau und die Wirkungsart letzten Bestimmungen ‘hat sich der nordwestliche Rand des Vesuv’s seit Saussure, also seit neun und vierzig Jahren, gar nicht, der süd- östliche Rand, gegen Bosche tre Case hin, welcher 1794 um 400 Fufs niedriger ward, überaus wenig verändert. Wenn man in öffentlichen Blättern, bei der Beschreibung grofser Auswürfe, so oft der gänzlich veränderten Gestalt des Vesuv’s erwähnt findet, wenn man diese Behauptungen durch die pittoresken Ansichten bewährt glaubt, welche in Neapel von dem Berge entworfen werden: so liegt die Ursache des Irrıhums darin, dafs man die Umrisse der Ora- terränder mit den Umrissen der Auswurfskegel verwechselt, welche zu- fällig in der Mitte des Craters auf dem durch Dämpfe gehobenen Bo- den des Feuerschlundes sich bilden. Ein solcher Auswurfskegel, von Rapilli und Schlacken locker aufgeihürmt, war in den Jahren 1816 und ı8ı8 allmäl?g über dem südöstlichen Craterrand sichtbar geworden. Die Eruption vom Monat Februar ı$22 hatte ihn dergestalt vergröfsert, dafs er selbst 70 bis So Fufs höher, als der nordwestliche Craterrand, (die Rocca del Palo,) geworden war. Dieser merkwürdige Kegel nun, den man sich in Neapel als den eigentlichen Gipfel des Vesuv’s zu betrachten gewöhnt hatte, ist bei dem letzten Auswurf, in der Nacht vom 22. October, mit furchtbarem Krachen eingestürzt, so, dafs der Boden des Craters, der seit 1811 ununterbrochen zugänglich war, ge- genwärug 750 Fufs tiefer liegt, als der nördliche, 200 Fufs tiefer, als der südliche Rand des Vulcan’s. Die veränderliche Gestalt und relative Lage der Auswurfskegel, deren Öffnungen man ja nicht, wie so oft ge- schieht, mit dem Crater des Vulcan’s verwechseln mufs, giebt dem Vesuv zu verschiedenen Epochen eine eigenthümliche Physiognomie, und der Historiograph des Vulcan’s könnte aus dem Umrifs des Berg- gipfels, nach dem blofsen Anblicke der Hackertschen Landschaften im Pallaste von Portici, je nachdem die nördliche oder südliche Seite des Berges höher angedeutet ist, das Jahr errathen, in welchem der Künstler die Skizze zu seinem Gemälde entworfen hat. Einen Tag nach dem Einsturz des 400 Fufs hohen Schlackenke- gels, als bereits die kleinen, aber zahlreichen Lavaströme abgeflossen waren, in der Nacht vom 25. zum 24. October, begann der feurige Aus- bruch der Asche und der Rapilli. Er dauerte ununterbrochen zwölf der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 147 Tage fort, doch war er in den ersten vier Tagen am gröfsten. Wäh- rend dieser Zeit wurden die Detonationen im Innern des Vulcan’s so stark, dafs die blofse Erschütterung der Luft (von Erdstöfsen hat man durchaus nichts gespürt) die Decken der Zimmer im Pallaste von Portici spreng- ten. In den nahe gelegenen Dörfern Resina, Torre del Greco, Torre dell’Annunziata, und Bosche tre Case zeigte sich eine merkwürdige Erscheinung. Die Atmosphäre war dermafsen mit Asche erfüllt, dafs die ganze Gegend, in der Mitte des Tages, mehrere Stunden lang in das tiefste Dunkel gehüllt blieb. Man ging mit Laternen in den Strafsen, wie es so oft in (Juito bei den Ausbrüchen des Pichincha geschieht. Nie war die Flucht der Einwohner allgemeiner gewesen. Man fürchtet Lavasıröme weniger als einen Aschenauswurf, ein Phänomen, das in solcher Stärke hier unbekannt ist, und durch die dunkle Sage von der Zerstörungsweise von Herculanum, Pompeji und Stabiae die Ein- bildungskraft der Menschen mit Schreckbildern erfüllt. Der heifse Wasserdampf, welcher während der Eruption aus dem Crater aufstieg und sich in die Atmosphäre ergofs, bildete beim Erkal- ten ein dickes Gewölk um die 9000 Fufs hohe Aschen- und Feuersäule. Eine so plötzliche Condensation der Dämpfe, und wie Gay-Lussac ge- zeigt hat, die Bildung des Gewölkes selbst vermehrten die elektrische Spannung. Blitze fuhren schlängelnd nach allen Richtungen aus der Aschensäule umher, und man unterschied deutlich den rollenden Donner von dem innern Krachen des Vulcan’s. Bei keinem andern Ausbruche war das Spiel der elektrischen Schläge so auffallend gewesen. Am Morgen des 26. Octobers verbreitete sich die sonderbare Nachricht: ein Strom siedenden Wassers ergiefse sich aus dem Crater und stürze den Aschenkegel herab. Monticelli, der eifrige und ge- lehrte Beobachter des Vulcan’s, erkannte bald, dafs eine optische Täu- schung dies irrige Gerücht veranlafst habe. Der vorgebliche Strom war eine grofse Menge trockener Asche, die aus einer Kluft in dem ober- sten Rande des Crater’s, wie Triebsand, hervorschofs. Nachdem eine die Felder verödende Dürre dem Ausbruch des Vesuv’s vorangegan- gen war, erregte, gegen das Ende desselben, das so eben beschriebene vulcanische Gewitter einen wolkenbruchartigen, aber lang anhal- tenden Regen. Solch’ eine Erscheinung characterisirt, unter allen Zonen, Ta 148 Humsouor über den Bau und die W' irkungsart das Ende einer Eruption. Da während derselben gewöhnlich der Aschen- kegel in Wolken gehüllt ist, und da in seiner Nähe die Regengüsse am stärksten sind, so sieht man Schlammströme von allen Seiten herab- fliefsen. Der erschrockene Landmann hält dieselben für Wasser, die aus dem Innern des Vulcan’s aufsteigen und sich durch den Crater_ er- gielsen; der getäuschte Geognost glaubt in ihnen Meerwasser zu er- kennen oder kothartige Erzeugnisse des Vulcan’s, sogenannte eruptions boueuses, oder wie die alten französischen Systematiker sagten, Producte einer feurig- wässrigen Liquefaction. Wenn die Gipfel der Vulcane (wie dies meist in der Andeskette der Fall ist) über die Schneeregion hinausreichen, oder gar bis zur zwie- fachen Höhe des Aetna anwachsen, so werden, des geschmolzenen und einsinternden Schnees wegen, die so eben beschriebenen Inundationen überaus häufig und verwüstend. Es sind Erscheinungen, die mit den Eruptionen der Vulcane meteorologisch zusammenhängen, und durch die Höhe der Berge, den Umfang ihrer stets beschneiten Gipfel und die Erwärmung der Wände der Aschenkegel vielfach modifieirt werden: aber als eigentliche vulcanische Erscheinungen dürfen sie nicht betrach- tet werden. In weiten Hölen, bald am Abhange, bald am Fufs der Vulcane, entstehen unterirdische Seen, die mit den Alpenbächen viel- fach communiciren. Wenn Erdstöfse, die allen Feuerausbrüchen der Andeskette vorhergehen, die ganze Masse des Vulcan’s mächug erschüt- tern, so öflnen sieh die unterirdischen Gewölbe, und es entstürzen ihnen zugleich Wasser, Fische und tuflartiger Schlamm. Dies ist die sonder- bare Erscheinung, welche der Wels der Cyelopen (Pimelodes Cyclopum) gewährt, den die Bewohner des Hochlandes von Quito Prenadilla nen- nen und den ich kurz nach meiner Rückkunft beschrieben habe. Als nördlich vom Chimborazo, in der Nacht vom ı9. zum 20. Junius 1698, der Gipfel des 18000 Fufs hohen Berges Carguairazo einstürzte, da bedeckten Schlamm und Fische, auf fast zwei Quadratmeilen, alle Felder umher. Eben so wurden, sieben Jahr früher, die Faulfieber der Stadt Ibarra einem ähnlichen Fischauswurfe des Vulcan’s Imbaburu zugeschrieben. Ich erinnere an diese Thatsachen, weil sie über den Unterschied zwischen dem Auswurf trockener Asche und schlammartiger, Holz, der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 149 Kohle und Muscheln umwickelnder Anschwemmungen von Tuff und Trafs einiges Licht verbreiten. Die Aschenmenge, welche der Vesuv neuerlichst ausgeworfen, ist, wie alles was mit den Vulcanen und an- dern grofsen, schreckenerregenden Naturerscheinungen zusammenhängt, in öffentlichen Blättern übermäfsig vergröfsert worden, ja zwei neapo- litanische Chemiker, Vicenzo Pepe und Giuseppe di Nobili, schrie- ben sogar, trotz der Widersprüche von Monticelli und Covelli, der Asche Silber- und Gold-Gehalt zu. Nach meinen Untersuchungen hat die in zwölf Tagen gefallene Aschenschicht gegen Bosche tre Case hin, am Abhange des Conus, da wo Rapilli beigemengt waren, nur 5 Fufs, in der Ebne höchstens ı5 bis ı8 Zoll Dicke erreicht. Messungen die- ser Art müssen nicht an solchen Stellen geschehen, wo die Asche wie Schnee oder Sand, vom Winde zusammengeweht, oder durch Wasser breiartig angeschwemmt ist. Die Zeiten sind vorüber, wo man, ganz nach Art der Alten, in den vulcanischen Erscheinungen nur das Wun- derbare suchte; wo man, wie Otesias, die Asche des Aetna bis nach der Indischen Halbinsel fliegen liefs. Ein Theil der mexicanischen Gold- und Silbergänge findet sich freilich in wachytartigem Porphyr: aber in der Vesuv-Asche, die ich mitgebracht, und die ein vortrefllicher Che- miker, Hr. Heinrich Rose, auf meine Bitte untersucht hat, ist keine Spur von Gold oder Silber zu erkennen. So entfernt auch die Resultate, die ich hier entwickele und welche Monticelli’s genauern Beobachtungen entsprechen, von denen sind, dieman in den letzten Monaten verbreitet hat, so bleibt doch der Aschenauswurf des Vesuv’s vom 24. zum 28. October der denkwür- digsie, von dem man, seit des älteren Plinius Tode, eine sichere Nachricht hat. Die Menge ist vielleicht dreimal gröfser gewesen, als alle Asche, welche man hat fallen sehen, so lange vulcanische Erscheinungen mit Aufmerksamkeit beobachtet werden. Eine Schicht von ı5 bis ı8 Zoll scheint, auf den ersten Anblick , unwichtig gegen die Masse, mit der wir Pompeji bedeckt finden ; aber ohne auch der Regengüsse und Anschwemmungen zu gedenken, die freilich wohl diese Masse, seit Jahr- hunderten, vermehrt haben mögen; ohne den lebhaften Streit wieder aufzuregen, der, jenseit der Alpen, über die Zerstörungsursachen der campanischen Städte mit vielem Scepticismus geführt worden ist, darf 150 Hunmsorupr über den Bau und die Wirkungsart man wohl hier in Erinnerung bringen, dafs die Ausbrüche eines Vul- can’s, in weit von einander entfernten Zeitepochen, ihrer Intensität nach keinesweges mit einander zu vergleichen sind. Alle auf Analogien ge- stützte Schlüsse sind unzureichend, wenn sie sich auf quantitative Ver- hälinisse, auf Menge der Lava und Asche, auf Höhe der Rauchsäulen, auf Stärke der Detonationen beziehen. Aus der geographischen Beschreibung des Strabo und einem Uı- theile des Vitruvius über den vulcanischen Ursprung des Bimsteins, ersieht man, dafs bis zu Vespasian’s Todesjahre, das heifst bis zum Ausbruch, der Pompeji bedeckte, der Vesuv mehr einem ausgebrann- ven Vulcan, als einer Solfatara ähnlich sah. Wenn plötzlich nach lan- ger Ruhe die unterirdischen Kräfte sich neue Wege eröflneten, wenn sieSchichten von uranfänglichem Gestein und Trachyt wiederum durch- brachen, so mufsten Wirkungen sich äufsern, für welche die später erfolgten kein Maas abgeben können. Aus dem bekannten Briefe, in welchem der jüngere Plinius den Tod seines Oheims dem Tacitus be- richtet, ersieht man deutlich, dafs die Erneuerung der Ausbrüche, man könnte sagen, die Wiederbelebung des schlummernden Vulcan’s mit Eruption der Asche anfing. Eben dies wurde bei Xorullo bemerkt, als der neue Vulcan, im September 1759, Syenit- und Trachytschichten durchbrechend, sich plötzlich in der Ebne erhob. Die Landleute flohen, weil sie auf ihren Hüten Asche fanden, welche aus der überall geborste- nen Erde hervorgeschleudert ward. Bei den gewöhnlichen periodischen Wirkungen der Vulcane endigt dagegen der Aschenregen jede partielle Eruption. Überdies enthält der Brief des jüngeren Plinius eine Stelle, welche deutlich anzeigt, dafs gleich Anfangs, ohne Einflufs der Anschwem- mungen, die aus der Luft gefallene trockene Asche eine Höhe von 4 bis 5 Fufs erreichte. ,‚Der Hof,’ heifst es im Verfolg der Erzählung, ‚‚durch ‚den man in das Zimmer trat, in welchem Plinius Mittagsruhe hielt, ‚war so mit Asche und Bimstein angefüllt, dafs wenn der Schlafende län- ‚„ger gezögert hätte, er den Ausgang würde versperrt gefunden haben.’ In dem geschlossenen Raume eines Hofes kann die Wirkung Asche zu- sammenwehender Winde wohl eben nicht beträchtlich gewesen seyn. Ich habe es gewagt, meine vergleichende Übersicht der Vulcane 5 durch einzelne, am Vesuv angestellte Beobachtungen zu unterbrechen, der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 151 theils des grofsen Interesses wegen, welches der letzte Ausbruch erregt hat, theils aber auch, weil jeder starke Aschenregen- uns fast unwillkühr- lich an den classischen Boden von Pompeji und Herculanum erin- nert. In einer Beilage, deren Lesung für diese Versammlung nicht ge- eignet ist, habe ich alle Elemente der Barometer - Messungen und Noti- zen über die geognostische Sammlung zusammengedrängt, welche ich am Ende des letztverflossenen Jahres am Vesuv, und in den Phle- gräischen Feldern bei Puzzoli zu machen Gelegenheit gehabt habe. Diese kleine Sammlung, so wie die Gebirgsarten, welche ich aus den Euganeen und aus dem von Hrn. von Buch früher und gründlicher untersuchten Fleimserthale, zwischen Cavalese und Predazzo (im südlichen Tyrol) mitgebracht habe, werden dem Königlichen Museum einverleibt werden, einer Anstalt, die durch ihre Gemeinnützigkeit ganz 5 den edlen Absichten des Monarchen entspricht und deren geognostischer Theil, die fernsten Erdstriche umfassend, schon in dieser Hinsicht alle ähnliche Sammlungen übertriflt. Wir haben bisher die Gestalt und die Wirkungen derjenigen Vul- cane betrachtet, die durch einen Crater in einer dauernden Verbindung mit dem Innern der Erde stehen. Ihre Gipfel sind gehobene, durch Gänge mannichfaltig durchschnittene Massen von Trachyt und Laven. Die Permanenz ihrer Wirkungen läfst auf eine sehr zusammengesetzte Stuctur schliefsen. Sie haben, so zu sagen, einen mehr individuellen Character, der in langen Perioden sich gleich bleibt. Nahegelegene Berge geben meist ganz verschiedene Producte, Leucit- und Feldspathlaven ; Obsidian mit Bimstein und olivinhaltige, basaltaruge Massen. Sie gehö- ren zu den neueren Erscheinungen der Erde, durchbrechen meist alle Schichten des Flözgebirges, und ihre Auswürfe und Lavaströme sind späteren Ursprungs, als unsere Thäler. Ihr Leben, wenn man sich dieses figürlichen Ausdrucks bedienen dürfte , hängt von der Art und Dauer ihrer Verbindung mit dem Innern des Erdkörpers ab. Sie ru- hen oft Jahrhunderte lang, entzünden sich plötzlich wieder und enden als Wasserdampf, Gasarten und Säuren ausstofsende Solfataren. Zu- weilen, wie an dem Pic von Teneriffa, ist ihr Gipfel bereits eine solche Werkstatt regenerirten Schwefels geworden, und doch entfliefsen noch mächtige Lavaströme den Seiten des Berges, basaltartig in der 152 Humsoropr über den Bau und die Wirkungsart Tiefe, obsidianartg mit Bimstein nach oben hin, wo der Druck (1) “geringer ist. Unabhängig von diesen mit permanenten Cratern versehenen Vul- canen, giebt es eine andere Art vulcanischer Erscheinungen, die seltener beobachtet werden, aber vorzugsweise belehrend für die Geognosie, an die Urwelt, das heifst an die frühesten Revolutionen unsers Erdkörpers erinnern. Trachytberge öffnen sich plötzlich, werfen Lava und Asche aus, und schliefsen sich wieder, vielleicht auf immer. So der mächtige Antisana in der Andeskette, so der Epomaens auf Ischia im Jahre 1502. Bisweilen geschieht ein solcher Ausbruch selbst in der Ebene, wie im Hochlande von Quito, in Island fern vom Hecla, und in Euboea in den lelantischen Gefilden. Viele der gehobenen Inseln gehören zu diesen vorübergehenden Erscheinungen. Die Verbindung mit dem inneren Erdkörper ist dann nicht permanent: die Wirkung hört auf, sobald die Kluft, der communicirende Canal, wiederum geschlossen ist. Gänge von Basalt, Dolerit und Porphyr, welche in verschiedenen Erd- strichen fast alle Formationen durchschneiden, Syenit, Augithporphyr und Mandelsteinmassen, welche die neuesten Schichten des Übergangs- gebirges und die älteste Schicht des Flözgebirges characterisiren , sind wahrscheinlich auf eine ähnliche Weise gebildet worden. In dem Ju- gendalter unseres Planeten drangen die flüssig gebliebenen Stoffe des In- nern durch die überall geborstene Erdrinde hervor; bald erstarrend als körniges Ganggestein, bald sich überlagernd und schichtenweise verbrei- tend. Was die Urwelt von ausschliefslich sogenannten vulcanischen Ge- birgsarten uns überliefert hat, ist nicht bandartig, wie die Laven unserer isolirten Kegelberge, gellossen. Die Gemenge von Augith, Titaneisen, glasigem Feldspath und Hornblende mögen zu verschiedenen Epochen dieselben gewesen seyn, bald dem Basalt, bald dem Trachyt näher: die chemischen Stoffe mögen sich (wie es Herrn Mitscherlich’s neue wich- tige Arbeiten und die Analogie künstlicher Feuerproducte uns lehren) in bestimmten Mischungsverhältnissen krystallinisch an einander gereiht haben ; immer erkennen wir, dafs ähnlich zusammengesetzte Stoffe auf (1) Leopold v. Buch über den Pie von Teneriffa, in den Abhandlungen der Königlichen Akademie zu Berlin 1820-1821. pag. 99. der Fulcane in verschiedenen Erdstrichen. 153 sehr verschiedenen Wegen an die Oberfläche der Erde gekommen sind, entweder blofs gehoben, oder mittelst temporärer Spalten durch ältere Gebirgsschichten, das heifst durch die früher oxydirte Erdrinde hervor- brechend, oder aus Kegelbergen, die einen permanenten Crater haben, als Lavastıröme ergossen. Die Verwechselung dieser so verschiedenar- tigen Erscheinungen führt die Geognosie der Vulcane in das Dunkel zurück, dem eine grofse Zahl vergleichender Erfahrungen sie allmäh- lich zu entreissen angefangen hat. Es ist oft die Frage aufgeworfen worden, was in den Vulcanen brenne, was die Wärme errege, bei der Erde und Metalle schmelzend sich mischen. Die neuere Chemie antwortet: was da brennt, sind die Erden, die Metalle, die Alcalien selbst, das heifst die Metalloide dieser Stoffe. Die feste, bereits oxydirte Erdrinde scheidet das umgebende sauerstolfhaltige Luftmeer von den brennbaren unoxydirten Stoflen im Inneren unseres Planeten. Die Erfahrungen, die man unter allen Zo- nen in Bergwerken und Hölen gemacht, und die ich mit Herrn Arago in einer eigenen Abhandlung zusammengestellt, beweisen, dafs schon in geringer Tiefe die Wärme des Erdkörpers um vieles höher ist, als an demselben Orte die mittlere Temperatur des Lufikreises. Eine so merk- würdige und fast allgemein bewährte Thatsache steht in Verbindung mit dem, was die vulcanischen Erscheinungen uns lehren. Laplace hat so- gar schon die Tiefe zu berechnen versucht, in welcher man den Erd- körper als eine geschmolzene Masse betrachten könne. Welche Zweifel man auch, trotz der gerechten Verehrung, die einem so grofsen Namen gebührt, gegen die numerische Gewilsheit einer solchen Rechnung er- heben kann, so bleibt es doch wahrscheinlich, dafs alle vulcanische Er- scheinungen aus einer sehr einfachen Ursache, aus einer steten oder vor- übergehenden Verbindung zwischen dem Innern und Äufsern unsers Planeten entstehen. Elastische Dämpfe drücken die geschmolzenen, sich oxydirenden Stoffe durch. tiefe Spalten aufwärts. Vulcane sind, so zu sagen, intermittirende Erdquellen ; die flüssigen Gemenge von Metallen, Alcalien und Erden, die zu Lavaströmen erstarren, fliefsen sanft und stille, wenn sie, gehoben, irgendwo einen Ausgang finden. Auf ähn- liche Weise stellten sich die Alten (nach Platon’s Phaedon) alle vulca- nische Feuerströme als Ausflüsse des Pyriphlegethon vor. Phys. Klasse 1822 - 1823. U 154 Humsoupr über den Bau und die Wirkungsart Diesen Betrachtungen sei es mir erlaubt, eine andere noch gewag- tere anzuschliefsen. Vielleicht liegt auch in der innern Wärme des Erd- körpers, auf welche Thermometer - Versuche und Beobachtungen über die Vulcane hindeuten, die Ursach eines der wunderbarsten Phänomene, welche die Petrefactenkunde uns darbietet. Tropische Thiergestalten, baumartige Farrenkräuter, Palmen und Bambus-Gewächse liegen vergra- ben im kalten Norden. Überall zeigt uns die Urwelt eine Vertheilung organischer Bildungen, mit der die dermalige Beschaffenheit der Climate im Widerspruch steht. Zur Lösung eines so wichugen Problem’s hat man mehrerlei Hypothesen ersonnen, Annäherung eines Cometen , ver- änderte Schiefe der Eclipuk, vermehrte Intensität des Sonnenlichtes. Keine derselben hat den Astronomen, den Physiker und den Geognosten zugleich befriedigen können. Ich meines Theils lasse gern unverändert die Axe der Erde, oder das Licht der Sonnenscheibe, aus deren Flecken ein berühmter Sternkundiger Fruchtbarkeit und Mifswachs der Felder erklärt hat; aber ich glaube zu erkennen, dafs in jeglichem Planeten, unabhängig von seinen Verhältnissen zu einem Oentralkörper und von seinem astronomischen Stande, mannichfalüge Ursachen der Wärmeent- bindung liegen, durch Oxydationsprozesse, Niederschläge und chemisch veränderte Oapacität der Körper, durch Zunahme electrisch - magneu- scher Ladung, durch geöflnete Communication zwischen den inneren und äufseren Theilen. Wo in der Vorwelt die tiefgespaltete Erdrinde aus ihren Klüften Wärme ausstrahlie, da konnten vielleicht Jahrhunderte lang, in ganzen Länderstrecken, Palmen und baumartige Farrenkräuter und alle 'Thiere der heifsen Zone gedeihen. Nach dieser Ansicht der Dinge, die ich in einem eben erschienenen Werke: Geognostischer Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Hemisphären bereits an- gedeutet habe, wäre die Temperatur der Vulcane die des inneren Erd- körpers selbst, und dieselbe Ursach, welche jetzt so schauervolle Ver- wüstungen anrichtet, hätte einst, auf der neu oxydirten Erdrinde, auf den tiefzerklüfieten Felsschichten, unter jeglicher Zone, den üppigsten Pflanzenwuchs hervorrufen können. Ist man geneigt anzunehmen, um die wunderbare Vertheilung der Tropenbildungen in ihren alten Grabstätten zu erklären, dafs langbe- der Fulkane in verschiedenen Erdstrichen. 155 haarte Elephantenartige Thiere, jetzt von Eisschollen umschlossen, einst den nördlichen Climaten ursprünglich eigen waren und dafs ähnliche, demselben Haupt-Typus zugehörige Bildungen, wie Löwen und Luchse, zugleich in ganz verschiedenen Climaten leben konnten, so würde eine solche Erklärungsweise sich doch wohl nicht auf die Pflanzenprodukte ausdehnen lassen. Aus Gründen, welche die Physiologie der Gewächse entwickelt, können Palmen, Pisang-Gewächse und baumartige Monocoty- ledonen nicht die nordische Kälte ertragen und in dem geognostischen Problem, das wir hier berühren, scheint es mir schwer, Pflanzen- und Thierbildungen von einander zu trennen. Dieselbe Erklärungsart mufs beide Bildungen umfassen. Ich habe am Schlufs dieser Abhandlung den Thatsachen, die in den verschiedensten Weltgegenden gesammelt worden sind, unsichere hypothetische Vermuthungen angereiht. Die philosophische Naturkunde erhebt sich über die Bedürfnisse einer blofsen Naturbeschreibung. Sie besteht nicht in einer sterilen Anhäufung isolirter Beobachtungen. Dem neugierig regsamen Geiste des Menschen sei es bisweilen erlaubt, aus der Gegenwart in die Vorzeit hinüberzuschweifen, zu ahnen was noch nicht klar erkannt werden kann, und sich an den alten, unter vielerlei Formen wiederkehrenden Mythen der Geogonie zu ergötzen. Die Elemente der Barometer-Messungen, von welchen in dieser Abhandlung 5. 151. die Rede ist, sind nachmals vom Verfasser an Herrn Oltmanns übergeben worden, welcher dieselben mit andern Beobachtungen zusammengestellt und daraus die Resultate gezogen hat, die von ihm in einer eignen Abhandlung der Akademie vorgelegt worden sind. Diese Abhandlung folgı statt der oben erwälinten Beilage am Schlusse dieses Bandes hinter $. 373. g werden an einem andern Orte Die Notizen über die geognostische Sammlung gegeben werden. — HELLE —— u ih Ee ah ra: \ Eee 71773 ne Bi = a wir Da a in Ai ri "ir & oh “ Ye en! n a ala ji Pe N an sh nu i ir BEI u Ahlrieh By BR een iR a N N Kern Be ns N ie sa! DL RER be al gootlan ke BRAUN) VON INT Lay ara z: u j " Eee gel x Me NR Sr BEN a DRIENTEN ars Es u KLETTEEH un Dar ir sa rn ya Lalkgkgeh oe Deal Be 1A 1 iu sis rel, le FU gu il! LPT pa An Wr ku: a Y% | BR uk, sem nal I a arte Wir va Pre apache "2 dei a an jr % ya anne dt Be De te 3% # kooie udn, er ir A Ren hate, Fran re ar Er ah - a, nhnain Ds Fire anti u Be Ua oh BReNE = {g) . u me 5 5 . Re; {n = ’ . . . k h = = - er - ji ha BIETE erh ET, Baht PR Eee Perl mark “ ö - Aka it >! Es IE a FEN Tre lt gan, PT „ Eng Bent az „ ig ee DA PL. 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Was unter der Erde sich befindet, kann man nicht alles Wurzel nennen, weil aufser den Zwiebeln und andern Knospen auch noch Aus- läufer lang und weit unter der Erde fortkriechen, ehe sie aus derselben hervordringen und sich ohne weitere Veränderung als Stämme zeigen. Eher könnte man sagen, Wurzel sei dasjenige, wodurch sich der Stamm im Boden befestigt. Aber abgesehen davon, dafs es noch einer Erörte- rung bedürfte, wie sich der Stamm im Boden befestige, würde doch diese Bestimmung die Wurzeln der Wassergewächse ganz ausschliefsen, welche an den Knoten mit den Blättern hervorkommen, und nicht mehr zur Befestigung im Boden, oder wenn man auch sagen wollte im Wasser, beitragen, als die Blätter selbst. Genauer scheint der Begriff, dafs Wür- zel sei, wodurch die Pflanze ihre Nahrung aus dem Boden, mag er nun ° ke) seyn, von welcher Art man will, anziehe. Hedwig hat in einer 158 Lınwx: Bemerkungen über die natürlichen Abhandlung: ,‚,Was ist eigentlich Wurzel der Gewächse’’ (Sammlung seiner zerstreuten Abhandlungen 8.69.) mit einer ermüdenden Weitläuf- tigkeit gezeigt, man müsse nur die feinsten Enden der kleinsten Wur- zelfasern und die zarten Haare derselben, die nach seiner, aber unrich- tigen Meinung, Spiralgefäfse sind, mit diesem Namen belegen. Es kön- nen, sagt er, der Retüg, die Rübe, der Pasunack u.dgl. nicht Wurzeln seyn, eben so wenig, als der berindete Weidenpfahl, welchen man in die Erde setzt damit er Wurzeln tweibe. Wenn auch in der ganzen Untersuchung des berühmten Mannes vieles falsch und unrichtig ist, so sieht man doch, wohin jener Begriff führt, dahin nämlich, dafs Theile von so verschiedenem Baue und so verschiedener Natur als ein Weiden- pfahl und eine Pastinackwurzel, zusammengestellt werden. Auch kann man noch hinzufügen, dafs viele Pflanzen, z.B. die saftigen, nicht durch die Wurzeln allein, sondern gröfstentheils durch die Blätter ernährt werden, ja wenn eine wurzellose Zwiebel, oder jener von Hedwig angeführte Weidenpfahl Wurzeln treibt, so mufs doch etwas seyn, was vor den Wurzeln die Pflanze nährt, und sie dahin bringt, solche zu treiben. Treffender ist die Besummung, dafs zu den Wurzeln alle Theile gehören, welche unterwärts, das heifst, unter eine Horizontalfläche zu wachsen streben, Der Trieb, nach einer bestimmten Richtung zu wach- sen, ist von einer so grolsen Bedeutung im Pflanzenreiche, dafs man ihn gar wohl zum Unterscheidungsgrunde der Theile annehmen kann. Wo der Stamm anfängt niederwärts zu wachsen, oder wo die eigentliche Wurzel anfängt, schliefst sich die Markröhre, und das Holz läuft durch die Mitte der Wurzel fort bis zur Spitze, überall von der Rinde bekleidet. Dafs den Wurzeln das Mark fehle, hat zuerst Medicus als Kennzeichen derselben aufgestellt (Beiträge zur Pflanzen- Anatomie, Leipzig 1794. 2. Hft. S. 69.), obgleich es schon früher von Schmiedel bemerkt wurde. (Epistol. ad Burmann. adiect. hwius Diss. d. Geranüs L. B. 1759. 4.). Es ist auch allerdings ein sicheres Kenn- zeichen, wenn man auf die erste Entwickelung und den Ursprung der Wurzel Rücksicht nimmt. Nirgends ist in der jungen, eben erst entwickelten wahren Wurzel, Mark vorhanden, da es sich hingegen überall da zeigt, wo sich ein Stamm oder Ast entwickelt. Sehr viele Ordnungen der Gewächse. 159 Wurzeln bleiben auch beständig in diesem Zustande, und setzen nie Mark an; dieses gilt nicht allein von den jährigen Pflanzen, sondern auch von vielen Staudengewächsen, ja Bäumen und Sträuchern. Nur in eini- gen zweijährigen Pflanzen, ferner, doch seltener in den Staudengewäch- sen, so wie in manchen Bäumen und Sträuchern, dringt das Mark endlich in die Wurzeln, keilt sich aber doch in der Regel so schnell aus, dafs es nicht weit hineindringt, Nur sehr wenige Pflanzen machen hiervon eine Ausnahme. Bernhardi hat schon (Über Pflanzengefäfse Halle 1805. S. 20.) die Balsamine gegen das von Medicus gegebene Kennzeichen angeführt, und allerdings ist diese sehr merkwürdig. Indessen so lange die Wurzel sehr jung ist, zeigt sich in ihr durchaus kein Mark, doch dringt es bald ein, keilt sich nicht schnell aus, sondern verbreitet sich durch alle gröfseren Äste und hört erst gegen die feineren auf. Auch in einigen brasilischen Palmen habe ich das Mark auf eine ganz ähn- liche Weise tief in die Wurzeln eindringen gesehen. Hingegen sind die von Voigt (System der Botanik, Jena 1808. S. 25.) angeführten Pflan- zen Cyathea medullaris, Cochlearia Armoracia und Cynara Scolymus kei- nesweges Ausnahmen von der Regel. Was an Cyathea medullaris Wur- zel scheint, ist ein Rhizom, und an Cynara Scolymus und Cochlearia Armoracia findet man, genau betrachtet, kein Mark, sondern das Zell- gewebe ist überall zwischen die Holzbündel so eingedrungen, dafs man das Holz für Mark halten sollte. Die knolligen Wurzeln mancher Ge- wächse, z.B. ‚Spiraea Filipendula, haben allerdings Mark, aber es finden sich neben ihnen andere Wurzeln, welche nicht knollig geworden, und ganz ohne Mark sind. Wird diese Bestimmung der Wurzel angenommen, dafs nämlich das Mark niemals in ihr bis an die Spitze fortgehe, sondern in der Re- gel gar nicht vorhanden sei, oder sich bald auskeile oder nur äufserst selten sich weit hinein, doch nie bis ans Ende erstrecke, so begründet die Wurzel eine erste Hauptabtheilung der Gewächse ungemein scharf und schärfer als alle andern Theile. Zuerst kommen die Pflanzen mit ächten Wurzeln (Phanerophyta), dann die Pflanzen welchen die ächten Wurzeln fehlen, welche aber an deren Statt mit haarförmigen Theilen versehen sind, Moose (Musci) und endlich die Pflanzen, denen ebenfalls die ächten Wurzeln fehlen, an deren Statt sich aber oft Verlängerungen 160 Lıwx: Bemerkungen über die natürlichen des Pflanzenkörpers finden, welche sich in ihrem innern Baue von die- sen nicht unterscheiden (Cryptophyta). Zu der erstern Klasse gehören auch die Farrenkräuter, welche zwar, wie die übrigen Pflanzen dersel- ben Klasse, Spiralgefäfse haben, aber, nach den Grundsätzen der vorigen Abhandlung, verdienen getrennt zu werden, da ihre Blüten von einer ausgezeichneten Unvollkommenheit sind. Die Wurzeln der Moose haben einen besonderen Bau. Man findet in ihnen keine Zellen und keine Fasergefäfse ; sie scheinen nur einen Canal, wie die Haare, auszumachen; doch haben sie niemals Querwände. Es müssen die kotyledonenartigen Theile nicht mit Haaren verwechselt werden, welche gar oft auch sehr schmal und röthlich sind, und am Stamme wachsen. Von den Haaren unterscheiden sich jene Wurzeln dadurch dafs sie eine rothe Farbe haben, auch dicker sind, besonders dafs der Canal in ihnen, verhältnifsmäfsig zur ganzen Dicke, kleiner zu seyn scheint. Die unächten Wurzeln der Cryptophyta fehlen oft ganz. Durch den Mangel derselben werden einige Gattungen der Hauptabtheilung Conferva sehr gut bezeichnet. In den übrigen Algen mufs die Stelle für Wurzel gelten, wo der Thallus auf fremde Körper aufgewachsen ist, und zuweilen breitet sich der Thallus daselbst so sehr aus, dafs niemand ihm den Namen Wurzel verweigert hat. Viele Zichenen wurzeln durch die Körner, woraus ihr ganzer krustenförmiger Thallus besteht. Man kann also sagen, dafs ihnen die Wurzeln ganz fehlen. Andere wurzeln durch fadenförmige oder kegel- förmige Verlängerungen des Thallus von sehr verschiedener Gröfse, und diese Art der Wurzelung kann sehr gut dienen, die Gattungen zu bezeichnen. Auch den meisten Pilzen fehlt die unächte Wurzel. Sie sind mit ihrem Sporangium, oder mit den Theilen, welche dieses unterstützen, geradezu auf den fremden Körpern angewachsen. Strahlenförmige Haare oder Flocken bezeichnen zuweilen die Stelle; man kann sie als wurzel- artig betrachten, wie denn Herr Ehrenberg danach die Gattung Rhizopus von Mucor wennt. In der Regel ist es aber der flockige Thal- lus selbst, wodurch sich der Pilz anheftet und wurzelnd erscheint. -Aber nur in den Pilzen nimmt der Thallus eine wahre Wurzelgestalt Ordnungen der Gewächse. 161 an, wo er sich ästig verbreitet, wie an einigen Arten von JAgaricus, Merulius, Boletus a. s. w., in welchen er sich oft so sehr verbreitet, dafs man ihn für besondere Vegetabilien gehalten und in Gattungen und Arten getheilt hat. Die grofse Klasse der Phanerophyten theilte Richard statt der Eintheilung in Monokotyledonen und Dikotyledonen auf eine, seiner Meinung nach, gleich geltende, aber schärfer bestimmte Weise in En- dorhizen und Exorhizen ein, zwischen welche er noch die dritte Mit- telklasse der Synorhizen einschob. (S. Demonstrations botaniques ou Analyse du frwt par Cl. L. Richard publ. p. F. Ad. Duval. 8. Paris 1808. auch deutsch: Analyse der Frucht von C. L. R. übersetzt von F. S. Voigt. Leipz. ıSıı1.). Gegen diese Eintheilung ist ein Aufsatz von Aug. St. Hilaire (Annales d. Museum T.. 18. p. 461.) in sofern gerichtet, als darın gezeigt wird, es keime Tropaeolum, eine entschiedene Dikotyledone, auf eine ganz ähnliche Weise als die Monokotyledonen. Wir wollen aber gleich zeigen, dafs diese Unterscheidung , so wie sie Richard aufstellt, nicht ganz genau ist. Exorhizus nennt Richard einen Embryo, dessen Radicula sich zur wirklichen Wurzel verlängert; Zndorhizus einen Embryo, dessen Ra- dieula ein oder mehrere Radicalknötchen einschliefst, und Synorkizus ei- nen Embryo, dessen Wurzel noch mit dem Endosperm zusammenhängt. Es ist aber keinesweges richtig, dafs sich die Radicula des Embryo der Exorhizen in die wirkliche Wurzel verlängert, sondern nur der End- knoten treibt die Wurzel hervor. Wenn man das Würzelchen von Phaseolus vulgaris oder Fieia Faba, oder irgend einem andern Embryo, wo er von einiger Gröfse ist, genau untersucht, so wird man in dem- selben immer das Mark so ausgezeichnet finden, dafs man nicht zweifeln kann, die Radicula werde beim Keimen nicht zur Wurzel, sondern zum Stamme werden. Die Wurzel tritt dagegen aus einer kleinen Warze hervor, welche sich an der Spitze der Radicula befindet, und aus Zell- gewebe besteht, in denen sich weder Fasergefäfse noch Spiralgefäfse fin- den lassen. Ich habe die Sache schon auf diese Weise in den Grundleh- ven der Anatomie und Physiologie der Pflanzen, Göttng. 1807. S. 256. Fig. 75. vorgestellt und den Schlufs gezogen, dafs immer die Radicula sich in den künftigen Stamm, nicht in die Wurzel verwandele. Wäre Phys. Klasse 1822 - 1823. X 162 Lınx: Bemerkungen über die natürlichen mir damals schon Richard’s Eintheilung bekannt gewesen, so würde ich gegen ihn behauptet haben, dafs alle Pflanzen Endorhizen wären. Aber es giebt allerdings einen Unterschied. Die Exorhizen nach Richard, haben das Knötchen, woraus die Wurzel entsteht, auswärts als Anhängsel am Ende der Radieula: die Endorhizen haben es inwen- dig, oder die Wurzeln brechen aus dem Innern der Radicula hervor. Indessen wird es doch schwer seyn, den Unterschied festzuhalten. Je- ner Anhängsel, woraus die Wurzel der Exorhizen entsteht, ist oft so klein, dafs man ihn kaum, oder gar nicht gewahr wird, und in vielen Fällen scheint er gar nicht vorhanden zu seyn. Dann verschwindet der Unterschied ganz und gar. In den Endorhizen ist allerdings der Em- bryo überall mit einer Hülle umgeben, welche sich an den Exorhizen nicht findet, aber diese Hülle kann so zart werden, dafs es äufserst schwer ist, sie noch zu erkennen. So fällt aller Unterschied zwischen den Exorhizen und Endorhizen weg, der überhaupt so bedeutend nicht ist, als ihn Richard angab. Der Bau der Wurzeln ist übrigens in den Monokotyledonen und Dikotyledonen völlig derselbe. Man sollte glauben, er müsse verschieden seyn, da doch der dicht daran gränzende Stamm in den meisten Fällen sehr verschieden ist. Aber so wie sich die Markhöhle in den Dikotyle- donen da schliefst, wo die Wurzel hervorgeht, und der Holzbündel allein durch die Mitte fortgeht, so treten auch die verschiedenen Holz- oder Gefäfsbündel in den Monokotyledonen zusammen und bilden hier wie dort, ein Holzbündel, welches durch die Mitte der Wurzel fortläuft. Es bleibt also nur noch übrig, den Unterschied zwischen einer Pfahlwurzel und einer büschelförmigen oder Zaserwurzel, in Rücksicht auf die natürlichen Ordnungen, in Betracht zu ziehen. Schon längst habe ich gesagt, dafs alle Monokotyledonen büschelförmige oder Zaser- wurzeln, nie Pfahlwurzeln haben (Grundlehre der Anatom. u. Physiol. der Pflanzen, S. 127.) und es ist mir seitdem auch keine Ausnahme von dieser Regel vorgekommen. Alle Palmenwurzeln, deren ich viele seit der Zeit zu untersuchen Gelegenheit gehabt habe, gehören zu den büschelförmigen, nie sind sie Pfahlwurzeln. Aber umgekehrt gilt der Satz nicht. Denn es giebt auch Dikotyledonen mit büschelförmigen Wurzeln, obgleich nicht so häufig, als man glauben möchte. Viele, Ordnungen der Gewächse. 163 denen man eine solche zuschreibt, haben wirklich eine, obwohl kurze Pfahlwurzel. In einer natürlichen Ordnung, den Ranunkulaceen ist die Zaserwurzel in der Regel vorhanden, und sie geht nur in einigen Gat- tungen Jconitum und Delphinium in die Pfahlwurzel über. Auch kommt sie in solchen Pflanzen vor, welche ein Rhizom haben, wovon bald die Rede seyn wird. Übrigens ist es schwer in manchen Fällen beide Ar- ten von Wurzeln genau zu unterscheiden, weil nicht allein eine sehr kurze und wenig stärkere Pfahlwurzel eine büschelförmige scheinen kann, sondern auch weil auch wohl eine büschelförmige Wurzel, woran eine Zaser gröfser und stärker geworden ist als die übrigen, einer Pfahl- wurzel sehr gleicht. Die Farrenkräuter überhaupt, im Baue den Monokotyledonen am ähnlichsten, kommen auch hierin mit denselben überein. Sie haben niemals eine Pfahlwurzel, sondern es kommt aus dem Rhizom eine Menge einzelner Zaserwurzeln hervor. Auch ist der Bau derselben ganz verschieden von dem Baue der Stämme und Blatistiele, wie dieses in den Monokotyledonen auch der Fall ist. Ich finde in den Wurzelzasern der baumartigen Farrenkräuter, in der Mitte, ein Bündel von vier bis sechs grofsen Spiralgefäfsen, oft so grofs, dafs man die Mündung mit einer Loupe sehr gut erkennen kann. Diese nehmen die Stelle der Holz- bündel ein und sind von der Rinde durch eine Lücke gesondert. Die Rinde selbst ist ganz aus der braunen Haut zusammengesetzt, welche in dem Stamme und den Blättern die Spiralgefäfse umgiebt, und die Stelle der Fasergefäfse einnimmt. Sie besteht aus langen weiten Zellen, mit den Enden neben, nicht aneinander liegend, und folglich zu den Bast- zellen gehörig. Es unterscheidet sich also der Bau der wahren Farren- krautwurzeln von dem Bau aller andern Wurzeln, so wie auch der Stamm und die Blattstuele einen eigenthümlichen Bau in diesen Ge- wächsen zeigen. Die Wurzeln, welche aus den Zweigen der Pflanzen hervorkom- men, auch ohne Berührung von Erde und Wasser, und welche man daher Luftwurzeln nennt, bestehen, wie die -Wurzeln in der Erde und im Wasser, aus Holz in der Mitte und Rinde im Umfange, ohne alle Spur von Mark. Mir sind keine Ausnahmen bekannt. Sie finden sich nur an Pflanzen warmer Gegenden, und sind zwar einigen Gattungen X2 164 Lıwx: Bemerkungen über die natürlichen Ficus, Rhizophora u. s. w. besonders eigen, doch haben nicht immer alle Arten einer solchen Gattung, Luftwurzeln. Wenn wir aber zu den Wurzeln alle Theile rechnen, welche un- terwärts zu wachsen streben, so mufs auch der untere Theil des Stam- mes dahin gerechnet werden. Er wächst oft deutlich nach unten, wie man leicht gewahr wird, wenn man Pflanzen derselben Art in verschie- denem Alter mit einander vergleicht. Er treibt dort viele Gemmen, woraus Nebenstämme oder Äste sich entwickeln, und diese Gemmen ste- hen frei, nicht in dem Winkel eines Blattes, wie die Gemmen an der obern Pflanze. Zuweilen verdickt sich der Stamm dabei sehr ansehn- lich, und bildet gleichsam eine Zwiebel oder eine Knolle. Alle Farren- kräuter steigen auf diese Weise in die Erde, und da Ehrhart sich bei der Beschreibung der Farrenkräuter des Ausdruckes Rhizoma bediente, um diesen Theil zu bezeichnen, so mufs er den Namen ARhizom be- halten. Zwischen dem Stamme mit und ohne Rhizom giebt es mannich- faltige Übergänge ; der Stamm steigt oft gar nicht in die Erde, aber er verdickt sich über derselben und bringt dort viele Gemmen hervor, oder er steigt weniger oder mehr nieder, weniger oder mehr verdickt, hat mehr oder weniger Gemmen. Wo er sich in der Erde befindet, pfle- gen Wurzelzasern hervorzukommen. Der innere Bau ist wie der Bau des Stammes; das Mark ist in grofser Menge vorhanden. Da aber Ge- fäfsbündel zu den Gemmen abgehen, und dieser oft sehr viele vorhanden sind, so scheint dann das Parenchym mit diesen Gefäfsbündeln so durch- zogen, dafs es einige Ähnlichkeit mit den Knollen bekommt, in denen ebenfalls das Parenchym mit Gefäfsbündeln durchzogen ist. In Allium descendens ist das Niederwachsen des Stammes als Rhi- zom sehr auffallend und seit langen Zeiten bekannt. Eben so haben auch die Pflanzen mit abgebissener Wurzel ein Rhizom, keine eigentliche Wurzel. Das Rhizom findet sich bei allen Farrenkräutern, übrigens auch bei vielen andern sowohl Monokotyledonen als Dikotyledonen, und zwar zerstreut, nicht bestimmten natürlichen Ordnungen eigen. Es ist, wie die Zaserwurzel für die Monokotyledone, ein durchgreifendes Kenn- zeichen für die Farrenkräuter, aber auch ein übergreifendes in andere natürliche Ordnungen. Ordnungen der Gewächse. 165 Es giebt aber auch unterirdische Stämme, welche aus dem untern Theile des Hauptstammes, oder auch aus der Wurzel hervorkommen, und zuweilen, wenigstens im Anfange, gewöhnlich aber seitwärts fort- wachsen. Sie sind von einer doppelten Art. Einige steigen wiederum aus der Erde als Stamm unverändert hervor, nur dafs sie über der Erde vollkommene Blätter tragen, welche unter der Erde nicht gehörig auswachsen können, sondern sich dort nur als Scheiden an den Knoten zeigen. Hieher gehören die sogenannten Wurzeln von Tritieum repens und Carex arenaria. Sie sind häufig, und oft nur einzelnen Arten eigen, indem sie andern derselben Gattung fehlen; überhaupt bezeich- nen sie keine natürliche Abtheilung. Die andern bleiben immer unter der Erde verborgen, und verwandeln sich nicht geradezu in einen Stamm, indem sie über der Erde sich erheben, sondern entwickeln die Stämme aus Seitengemmen, oder senden nur Blüthenschafte hervor, welche an der Basis mit Blättern versehen sind. Unter der Erde sind sie dick, mannichfalug gebogen, mit dichten Ringen oder Knoten und ohne Scheiden oder Blätter, und im Äufsern so sehr von den wirklichen Stämmen verschieden, dafs man sie immer zu den Wurzeln gerechnet und knollige Wurzeln oder Knollen genannt hat. Der innere Bau stimmt, von der ersten Jugend an, so genau mit dem Baue der Stämme überein, dafs man sie durchaus nicht von einander trennen kann. Die Gefäfsbündel stehen in Kreisen zusammen, gewöhnlich in mehreren Krei- sen; alles übrige ist Parenchym, und stellt Mark und Rinde vor. Aufser den Monokotyledonen finden sie sich, soviel ich weils, an keiner Pflanze; aber dort sind sie verschiedenen Ordnungen ausschliefslich eigen. Sie kommen zuerst in der Ordnung der Seitamineae, und zwar sowohl der Cannaceae, als Alpiniaceae vor, und treiben hier wahre Stämme mit Knoten und Blättern über der Erde. Dann finden sie sich in den /rı- deis, und wechseln hier mit der Zwiebelknolle (Gladiolus, Crocus,) ab, senden aber nur Schafte aus. Eine etwas unregelmäfsige Gestalt haben sie in den Orchideis, und fallen hier mit den Rhizom zusammen. Sie bezeichnen mit der Zwiebel zugleich, insofern sie auch nur einen Schaft treibt, eine natürliche Ordnung in den Monokotyledonen, welche man Hemerocallideae nennen kann. Aufserdem haben diese Pflanzen eine regelmäfsige, gefärbte, unten meistens in ein Stück verwachsene 166 Lınx: Demerkungen über die natürlichen Blumenhülle (perigonium), und einen freien Fruchtknoten, in der Blüthe, nebst sechstheiliger Eintheilung der Blüthentheile. Hierher würde ich die dritte, vierte und fünfte Abıheilung der Jussieuschen Ordnung Asphodeli vechnen, und die erste Ordnung der Narcissi. Eben so könnte dieser Wurzelbau dazu dienen, um die Convallariaceae von den Dracaenaceae und Asparageae zu scheiden. Doch ist er hier etwas abweichend. Der unter der Erde befindliche Stamm von Convallaria, Paris, Trilium, schickt einen beblätterten, aber sehr dünnen Stamm ohne Äste hervor, so dafs man ihn als einen Blüthenschaft. ansehen möchte, und die Blätter als Brakteen. Zu diesen Kennzeichen kommt noch die Beerenfrucht, um diese Ordnung von den eigentlichen Zilia- ceae zu unterscheiden, welche eine Zwiebel und einen gleichfalls nicht ästigen Stamm haben. Es ist bekannt, dafs Jussieu mit der Abtheilung der Ordnungen in den Monokotyledonen selbst nicht zufrieden war, und Brown sah sich gezwungen, die schwarze, krustenartige, zerbrechliche Kruste als Haupt- kennzeichen der #sphodeleae anzusehen. Auch vereinigı Brown Aspa- ragus und die verwandten Gattungen mit den 4sphodeleae, welches mir unnatürlich scheint. Man darf also wohl empfehlen, die Aufmerksam- keit auf den Bau der unterirdischen Theile zu richten, um dadurch treffende Kennzeichen natürlicher Ordnungen zu finden. Wir können also folgende Bildungstufen der Wurzelung an- nehmen: ı) Keine Wurzel. Hieher gehören sehr viele Pilze, einige Algen und Lichenen. 2) Die Pflanze wurzelt durch unächte Wur- zeln oder Fortsätze des Körpers, welche im Baue nicht verschieden sind von dem Baue des übrigen Körpers, oder durch die Basis des Körpers selbst. Die übrigen Cryptophyten. 5) Haarförmige Wurzeln. Die Moose. 4) Ächte Wurzein, und zwar eine büschelförmige oder Zaser- wurzel. Hier ist nämlich der Hauptstamm die Wurzel, gleichsam un- entwickelt, zurückgeblieben, und die Äste derselben sind geradezu aus dem Stamme der Pflanze selbst hervorgetreten. Die Farrenkräuter, alle Monokotyledonen,, einige Dikotyledonen, besonders Ranunculaceae. 5) Ächte Wurzel, und zwar Pfahlwurzel. Die meisten Dikotyledonen. Was von den knolligen Wurzeln vorgetragen ist, gehört eigentlich zum Stamme. Ordnungen der Gewächse. 167 Der Stamm an und für sich betrachtet, ohne auf die Blätter Rücksicht zu nehmen, bietet keine grofse Mannichfalugkeiten dar. Wir treffen hier zuerst auf den Unterschied des Baues in den Mono- kotyledonen und Dikotyledonen, dessen im Allgemeinen schon in der vorigen Abhandlung gedacht worden ist. Desfontaines machte zuerst in einer Abhandlung auf diesen Unterschied aufmerksam (Memoires de U Institut des Se. phys. T.I,p.478.), und setzte den Unterschied zwischen dem Holze einer Palme und dem Holze eines Baumes aus der Abithei- lung der Dikotyledonen vortreflich auseinander. Er hat sich aber nur auf den Unterschied der holzartigen Stämme (tiges ligneuses) beider Abtheilungen eingeschränkt, und stellt die Anwendung auf die kraut- artigen Gewächse ferneren Untersuchungen anheim. Darauf hat man nicht geachtet, und den von Desfontaines angegebenen Unterschied als völlig durchgreifend zwischen den Monokotyledonen und Dikotyle- donen angegeben. Dafs er aber dieses nicht sei, zeigte ich in den Grundl. d. Anatom. d. Pfl. S. 142 folg. Der Unterschied ist, wie der von Pfahl- und Zaserwurzel, so zu sagen, übergreifend; das büschel- förmige Holz findet sich durchaus in allen Monokntyledonen, aber es findet sich auch in einigen Dikotyledonen. Der Stamm einer Palme besteht aus ziemlich gleichförmigen Zell- gewebe, in welchen sich zerstreute Gefäfs- oder Holzbündei befinden. Diese Holzbündel stehen zerstreut ohne Ordnung, und laufen in gerader Richtung von der Wurzel bis zum Schopf, wo die Blätter ausgehen. Ein ähnlicher Bau findet sich in den Stämmen der Dracaena, der baum- arugen Aloe u. s. w. Verschieden davon ist schon der Bau der Gräser, Cyperoideen, Scitamineen u.s. w. Der Stamm besteht ebenfalls aus ziemlich gleich- förmigen Zellgewebe, aber die Holzbündel liegen darin nicht zerstreut, sondern in concentrischen Kreisen, so dafs man Rinde und Mark durch jene Kreise unterscheiden könnte, obwohl in dem Zellgewebe selbst kein Unterschied vorhanden ist, auch das Äufsere mit dem Innern zwischen den Holzbündeln in vollkommener Gemeinschaft steht. In einigen (Commelina, Tradescantia,) zeigt sich im Umfange schon eine etwas verschiedene Schicht von Zellgewebe, welche man Rinde nennen kann. 16 Lınx: Demerkungen über die natürlichen (eo) In den übrigen Monokotyledonen und manchen Dikotyledonen findet sich ein völlig zusammenhangender Ring von Fasergefäüfsen, als innere Rinde, aber ohne alle Spiralgefäfse. Er trennt die äufsere, nur aus Parenchyma bestehende Rinde von dem innern Zellgewebe ganz und gar. Hierauf folgen die Holzbündel in concentrischen Kreisen, wie in den vorigen. Die beiden natürlichen Ordnungen, die kürbisartigen und die pfeflerartigen Pflanzen haben völlig denselben Bau, auch in holzigen Stämmen. So sieht man ihn in Carica Papaya, und den gröfseren hol- zigen Pfeflerarten, Wahrscheinlich ist Richard durch den innern Bau des Stammes in den Pfeflferarten auf den Gedanken gekommen, diese natürliche Ordnung zu den Monokotyledonen zu rechnen. Aber dieses ist gewifs unrichtig. In dem hiesigen Königl. botanischen Garten haben manche Pfeflerarten gekeimt, und ich habe mich genau überzeugt, dafs die beiden Saamenblätter, womit sie keimen, nicht später hervorgetre- tene Blätter, sondern wirklich die Kotyledonen sind. Aber auch die kürbisartigen Pflanzen haben völlig denselben Bau, ungeachtet niemand zweifeln kann, dafs sie zu den Dikotyledonen gehören. Der Unterschied des Baues in beiden grofsen Abtheilungen ist nicht ursprünglich, oder schon in den jungen Pflanzen und Ästen vorhanden, sondern zeigt sich erst später. Die Holzbündel der Dikotyledonen ste- hen zuerst von einander getrennt in concentrischen Kreisen, gerade wie bei den Liliaceen und andern monokotyledonen Pflanzen. Erst mit der Zeit wachsen die Kreise in einen zusammenhängenden Holzring zusam- men welcher nun das Mark von der Rinde vollkommen scheidet. Eine Mittelgestalt finde ich in Amaranthus. Nur die äufsern con- centrischen Kreise von Holzbündeln vereinigen sich in einen vollkom- menen Ring; die inneren bleiben immer getrennt, und der Bau der Monokotyledonen und Dikotyledonen ist hier vereinigt. Die Farrenkräuter haben den Bau der Monokotyledonen, doch mit einigen Abänderungen. Die Holzbündel stehen zerstreut im Zellge- webe des Stammes, woran man keine Spur von Rinde gewahr wird. Sie sind wie gewöhnlich zunächst vom braunen Zeligewebe umgeben, wie in den Blattstielen und Blättern, aber nicht rund oder rundlich wie in den Palmenstämmen, sondern zusammengedrückt und gebogen. In den älteren Stämmen wird die Biegung so stark, dafs die Ränder wieder Ordnungen der Gewächse. 169 zusammentreten, und ein vollkommner Holzring das Zellgewebe wie Mark umschliefst. Solche kleine Holzringe finden sich in Menge zer- streut in dem Stamme. Diesen Bau habe ich an einigen baumartigen Farrenkräutern bemerkt, welche ich zu untersuchen Gelegenheit gehabt. Es ist merkwürdig, dafs sich ein ähnlicher Bau zuweilen an versteiner- tem Holze findet (1). Unsere einheimischen Farrenkräuter haben nur Rhizom und Blattstiele, keinen eigentlichen Stamm. Der Stamm der Moose hat den einfachsten Bau. Man bemerkt keine verschiedene Schichten oder Lagen in ihm, sondern er besteht ganz und gar aus solchen länglichen Zellen, welche man Bastzellen zu nennen pflegt. Sie sind fast immer mit einer rothen Flüssigkeit ge- tränkt. Eben so der Stamm der Lebermoose. Aber hier verschwindet er plötzlich, und wir haben nichts ähnliches im ganzen Pflanzenreiche, wie der rasche Übergang von den mit einem Stamme versehenen Jun- germannien zu den stammlosen darbietet. Die Frucuficaton bleibt die- selbe, indem der Stamm mit deutlichen Blättern plötzlich verschwindet, und an dessen Statt eine blattartige Ausdehnung mit Nerven versehen erscheint. Diese Nerven enthalten schr lange, und grofse zähe Faser- gefälse, der übrige Theil besteht aus grofsen Zellen, wie die Zellen der Moose. Auch die Wurzeln sind bei dieser Veränderung beständig ge- blieben ; sie sind den Wurzeln der Laubmoose ganz ähnlich. Die büschelförmige Wurzel oder Zaserwurzel entspricht dem Stamme der Monokotyledonen. Auch in diesem liegen die Holzbündel von einander getrennt. Das Zellgewebe legt sich um die zerstreuten Holzbündel und tritt als Zaserwurzel hervor. In den Dikotyledonen hingegen hält sich das Holz in einem Ringe zusammen, und erzeugt eben so am Ende des Stammes die einfache Pfahlwurzel. So entspricht die einfache Haarwurzel der Moose ihrem einfach gebildeten Stamme. Aber dafs diese Kennzeichen, welche in einem grofsen Umfange mit einander übereinsimmen, in einigen Ordnungen aus einander laufen (1) Wahrscheinlich ist also die Bildung in dem versteinerten, sogenannten Staaren- holze, von welcher ich in dem Buche: Die Urwelt oder das Alterthum $.45. geredet habe, von einem Farrenkraute. Doch weicht sie von der hier beschriebenen allerdings noch ab; wenn sie auch viele Ahnlichkeit zeigt. Phys. Klasse 1822 - 1829. Ne 1709 Lıwx: Bemerkungen über die natürlichen würden, liefs sich nach der vorigen Abhandlung wohl erwarten. Die- ses ist nun der Fall in den kürbifsartigen Pflanzen auf der einen und den ranunkelartigen Pflanzen auf der andern Seite und eben so bei dem blattartiigen Lebermoose. Ich nenne Thallus in der Klasse der Kryptophyten den Theil, welcher austreibt, fortwuchert und dadurch die Pflanze vermehrt oder vergröfsert. Acharius gab zuerst der Unterlage der Lichenen diesen Namen, welchen sie auch wohl verdient. In den erustenförmigen Liche- nen ist der Bau dieses Theils sehr einfach ; er besteht aus unregelmäfsi- gen zusammengehäuften Körnern. Die blatförmigen hingegen bestehen aus zarten verwickelten Fäden oder Fasergefäfsen, mit einer Haut, welche aus kleinen Zellen besteht, umgeben. An jenen, den krustenförmigen Lichenen läfsı sich kein besonderer Theil als Wurzel angeben ; die Kör- ner sind geradezu an ihren Boden geheftet. Dieses ist auch der Fall mit den blattförmigen Lichenen Cetraria, Ramalina u.a., dagegen haben Peltidea und Parmelia besondere fadenförmige Fortsätze, durch welche sie wurzeln. Die aus einer einfachen nicht zelligen Membran bestehenden Was- seralgen schwimmen meistens ohne Wurzelung im Wasser. Hingegen diejenigen, welche wie die blattartigen Lichenen einen zusammengesetz- ten Bau haben und aus einer zelligen Haut bestehen, worin sich dicke, gallertartige, gewundene Gefäfse befinden, sind gröfstentheils aufgewach- sen. Auch diese Kennzeichen weichen aus einander. Es giebt blofs häuuige aber aufgewachsene Algen, und die Nostocharten sind schwim- mende gallertartige Algen. Die Gattung Collema steht ganz zwischen den Lichenen und den Algen in der Mitte. Ihr Inneres besteht aus einer Gallerte in welcher man eben so längliche, schlauehförmige Kör- per eingeschlossen findet, als in der Gallerte der Conferva fluviatilis. An den Pilzen kann nur das flockige Gewebe T’hallus genannt werden, denn dieses wächst allein durch Verästelung weiter. Es ist entweder ganz locker ausgebreitet oder verwickelt, und dann sind in dasselbe Zellen oder rundliche Schläuche oder wie man sie nennen will, verwebt, oft so sehr, dafs das Ganze einen festen Körper darstellt. Die- ses zellige Wesen hat Herr Ehrenberg in einer Abhandlung de My- cetogenesi (N. Act. Acad. Caesar. Leopoldin. Carolin. T.X. P.1.p. 174.) Ordnungen der Gewachse. 171 ganz geläugnet; aber durch den Widerspruch dieses trefllichen Beobach- ters aufmerksam gemacht, habe ich die Beobachtungen oft wiederholt, und jene Zellen oft gefunden, so dafs man an ihnen nicht zweifeln kann. Die lange Zelle oder das Fasergefäfs in der Verbindung mit der kurzen Zelle bilden die Dyas, woraus die Pflanzenformen hervor- gehen, nicht die blofse Verwachsung gleichartiger Fäden, wie Herr Ehrenberg meint. Einige höchst unvolkommene Pilze z.B. die Gat- tung Cacoma haben gar keinen T’hallus. Aufser den angegebenen sind nur noch wenige Verschiedenhei- ten des Stammes bekannt, welche auf die natürlichen Ordnungen Be- zug haben könnten. Die Gestalt des Holzes in den Dikotyledonen ist nicht immer rund, sondern eckig, und diese Form steht in Beziehung auf die Stellung der Äste und Blätter. Doch kommt hier nur die vier- eckige oder fünfeckige Form in Betrachtung; eine andere ist nicht vor- handen, oder nur scheinbar, und eine entstellte vier- und fünfeckige. Nicht immer summen die Ecken des Holzes mit den Ecken des Stammes überein, wie schon Hill gezeigt hat; diese werden von einer dicken Rinde nicht selten überdeckt und der Umfang des Stammes dadurch gerundet. Bündel von Fasergefäfsen ohne Spiralgefäfse durchziehen oft die Rinde, getrennt vom Holze, in einer geraden Richtung von oben nach unten. Am deutlichsten sieht man sie an den Zabiatis, wo sie die Kan- ten des Stammes einnehmen. Daher rührt auch die Sonderbarkeit an diesen Pflanzen, dafs die Ecken des Stammes nicht in die Blattstiele oder in die Hauptnerven des Blattes auslaufen, wie an den Aubiaceis, wo die Ecken des Stammes von den zu den Blättern laufenden Holzbün- deln herrühren, sondern in die Seiten des Blattes. Eben so durchzie- hen sie den Stamm der Casuarinen in bestimmten Zwischenräumen und zwischen ihnen liegt das der äufsern Rinde gewöhnliche lockere Zellge- webe. Man kann mit blofsen Augen gar leicht die feinen weissen Strei- fen der Fasergefäfse von dem dunkelgrünen Zellgewebe unterscheiden. An Ephedra liegen die Bündel nahe zusammen und sind nicht durch Furchen getrennt, wie an vielen Arten von Casuarina. An den letztern werden auch die Stellen des Überzuges, da wo die Fasergefäfse nicht liegen, früher braun, und verwelken, bis endlich die ganze Rinde eine Y.3 472 Lınx: Bemerkungen über die natürlichen braune Farbe annimmt, woraus man einen Nebenbeweis ziehen kann, dafs die Fasergefäfse vorzüglich den Safı herbeiführen und seitwärts ver- breiten. Wegen dieses sonderbaren Baues, wegen der fehlenden Blätter und anderer Sonderbarkeiten, verdienten wohl Zphedra und Casuarina von den Coniferis getrennt zu werden, aber doch wegen der grofsen Verschiedenheit der Staubbeutel und Frucht in diesen beiden Gattungen, zwei verschiedene Abtheilungen einer neuen Ordnung zu bilden. Jene Bündel von Fasergefäfsen in der Rinde bilden einen über- gehenden Charakter. Sie werden häufiger, zarter, die Gefäfse werden kürzer und nähern sich der Zellenform des Bastes oder Parenchyms, so dafs endlich die gewöhnliche Bildung der Rinde wieder erscheint. Man sieht sie an den Umbellenpflanzen auf diese Weise übergehend. Schon die ältern Botaniker nennen Knoten da wo ein Ast ent- steht. Man kann diesen Ausdruck behalten, nur mufs man nicht for- dern, dafs dieser Knoten angeschwollen sei. Die Gräser haben meistens solche angeschwollene Knoten, die Cyperoideae nicht, aber diese Re- gel ist keinesweges ohne Ausnahme, denn an Melica coerulea , welche man daher Zinodium genannt hat, fehlen die angeschwollenen Knoten. Inwendig ist aber an einigen Pflanzen die Markröhre da verschlossen, wo sich die Knoten befinden, d.h. die Zellenreihen, welche sonst im Stamme der Länge nach laufen, liegen hier in die Quere, und bilden eine besondere Mark- oder Zellenschicht. Diese Schicht bleibt länger saftig als das übrige Mark, ja sie bleibt noch stehen , indem sonst das Mark geschwunden ist und eine Hölung gemacht hat. Eine solche geschlos- sene Röhre bei den Knoten zeigt sich an den Pflanzen mit ganzen Schei- den, an den Pflanzen mit wahrhaft gegen einander überstehenden oder winkelförmigen Bläuern; dagegen fehlt sie an allen Pflanzen, wo die Blätter wechselnd sind, und in mehr als vier Reihen am Stamme ste- hen. Man kann die Knoten an diesen letztern Gewächsen so ansehen, als ob sie aus einander geschoben wären. Mit diesen Bestimmungen, nämlich einer geschlossenen Markröhre, liefern die Knoten gute Kenn- zeichen für die natürlichen Ordnungen. Sie sind auf diese Weise in den Gräsern, Cyperoideen, den eigentlichen J/unccinae, sie fehlen den He- merocallinae und Convallarinae, weil der Stamm unter der Erde sich be- findet; auch die Narcissinae, Aloinae und Dracaenaceae haben sie nicht Ordnungen der Gewaächse. ß 173 aus Mangel an Ästen. Alle Yertieillatae haben Knoten mit geschlosse- nen Markröhren, und solche Knoten trennen die ächten Scrofidarinae von den Solaneae, indem sie jene haben, diese nicht. Wenn man hier auch nicht die gröfsern natürlichen Ordnungen danach bestimmen will, so lassen sich doch die Unterabtheilungen vortrefllich dadurch be- zeichnen. Es könnte noch die Frage seyn, ob der Unterscheidung zwischen Bäumen, Sträuchern und Kräutern eine solche Bedeutung könnte ge- geben werden, dafs sie zur Unterscheidung der natürlichen Ordnungen zu gebrauchen wären. Die Alten stellten bekanntlich die Unterscheidung in Bäume, Sträucher und Kräuter oben an, und Linne war der erste der sich von diesem Vorurtheile losmachte. Jussieu hat vor den natür- lichen Ordnungen noch immer angegeben, ob die dahin gehörigen Pflan- zen Bäume oder Sträucher sind. Dafs der ausdauernde Stamm der Sträucher und Bäume keinen grofsen Unterschied mache, erhellt bald. So wie perennirende Pflanzen und jährige in einer Gattung zusammen- kommen, so treffen auch jährige und Sträucher gar oft nahe zusammen (Rieinus, Gossypium, Hieracium, Melissa ete. etc.) und bekanntlich kann man jährige Pflanzen zu Sträuchern ausbilden. Die perennirenden Ge- wächse stehen etwas weiter von den übrigen ab, doch ist der Unter- schied mehr klimatisch als diagnostisch. Schon Ray und Pontedera fanden den gewöhnlich angegebenen Unterschied zwischen Bäumen und Sträuchern, von der Dauer des Stammes hergenommen, unbedeutend, und suchten ihn in den Gemmen, oder den mit Deckblättern versehenen Knospen. Linne widerlegte dieses dadurch, dafs er zeigte, es gebe tropische Bäume ohne Gemmen in dieser Bedeutung z.B. Rhus, Ery- thrina, Citrus u. a., hingegen einheimische Sträucher z. B. Zonicera, Berberis, Ligustrum mit Gemmen. Aber nicht immer sind Linne's Angaben hierin ganz zuverlässig und die bedeckten Gemmen machen allerdings eine wesentliche Bestimmung für die natürlichen Ordnungen aus, wenn sie auch die Bäume als solche nicht bezeichnen , wovon ich aber, da diese Theile zu den Blättern gehören, in dem Folgenden um- ständlicher reden will. Die Gewächse mit holzigem Stamme; die Bäume nämlich, unter den Dikotyledonen, ferner die Sträucher mit einem dicken holzigen 174 Lınx: Bemerkungen über die natürlichen Stamm, der unter gehörigen Umständen baumartig werden kann, wenn dieses auch in der Regel nicht geschieht, haben einen ausgezeichneten Charakter, dafs sie nämlich Gemmen aus dem Stamme über der Erde, nicht von einem Blatte unterstützt, treiben können. Eine solche Gemme kömmt blofs aus dem Holze hervor; die Holzbündel irennen sich; es entsteht Parenchym zwischen denselben und bildet das Mark des künf- tigen Ästes, indem die Rinde des Hauptstammes den Ast begleitet. Wenn die Gemmen aus dem Stamme in den Blattwinkeln entspringen , setzt sich das Mark des Stammes in das Mark des Astes fort. Eben so ent- springen die Gemmen an den W urzeln. Man kann daher die holzigen Stämme Wurzeln über der Erde, oder aufwärts wachsende Rhizome nennen. Ich glaube dafs dieses Kennzeichen am besten bezeichne, was Baum oder Strauch zu nennen sei, wenn es gleich auf die natürlichen Ordnungen keinen besondern Bezug zu haben scheint. Die Bäume der Monokotyledonen haben nie Äste mit Blättern un- terstützt, sondern, wenn sie solche haben, treiben diese geradezu aus dem Stamme hervor. Die Holzbündel des Stammes wenden sich seit- wärts, theilen sich, das Parenchym wächst zwischen ihnen an, und der Ast bilder sich so aus, dafs der Stamm getheilt erscheint. Diese Art der Asıbildung ist verschieden von der gewöhnlichen, aus den Win- keln des Blattes; sie ist auch verschieden von der kurz vorher ange- gebenen der dikotyledonen Bäume. Sie kömmt auch bei einigen Di- kotyledonen Plumeria, Trheophrasta und andern vor. Diese seltene Erscheinung hat Du Petit Thouars mit der gewöhnlichen Astbil- dung zusammen geworfen. Sie ist ausgezeichnet für die Dracaenaeeae und die diesen sehr nahe stehenden Pandaneae, aber das Kennzeichen greift über zu den Palmen und Ayphaena cueifera hat Äste gleich dem Drachenbaume. mmnvnVe [S71 Ordnungen der Gewaächse. 217 Verhältnifs der Blätter zu den natürlichen Ordnungen. Die Blätter sind schon lange aus den Kennzeichen der Klassen, Ordnungen und Gattungen des künstlichen Systems ausgeschlossen gewe- sen. Rob. Morison sprach zuerst mit Strenge aus, dafs man vorzüg- lich auf dem Endzweck (inis ultimus) der Pflanze, folglich auf die Frucht sehen müsse, wenn man der Natur gemäfse Eintheilung machen wolle, und nur die Blüte liefs er zu, als einen Theil, weicher der Frucht stets vorangeht. Wenn er selbst und die folgenden Botaniker, dem Her- kommen gemäfs, zuweilen auf die Blätter Rücksicht nahmen, indem sie die Kennzeichen der Gattungen bestimmten, so geschah dieses doch nur nebenher, und das Wörtchen adde, welches diesem Kennzeichen voran- ging, zeigte, dafs sie einen geringern Werth darauf legten. Linne, der dem Herkommen nie nachgab, schlofs sie ganz von der Bestimmung der Klassen, Ordnungen und Gattungen aus, und wollte sie allein für die Bestimmungen der Arten angewandt wissen, war doch aber nicht im Stande, Kennzeichen von der Blüte und Frucht hergenommen, aus den Charakteren der Art ganz auszuschliefsen. Ein System nach den Blättern von Sauvages war eine vorübergehende Erscheinung ohne al- len Einflufs auf die Wissenschaft. Aber für die natürlichen Ordnun- gen liefs Linne die Blätter als Kennzeichen zu, wie die Namen Fa- ginales, Scabridae, Succulentae zeigen, seinen Grundsätzen gemäfs, da die Bestimmung derselben nach dem Eindrucke des Ganzen sollte ge- macht werden, und ein hervorstehendes, wenn auch nicht scharf be- stimmendes Merkmal konnte immerhin zur Benennung und Bezeichnung, wenn auch nicht zur Bestimmung der Ordnungen genommen werden. Jussieu hat später Blatiformen als Kennzeichen der natürlichen Ord- nungen aufgenommen; er unterläfst nicht zu sagen, ob die Blätter ent- gegengeseizt oder wechselnd sind. und ob sie eine Scheide haben. Auch bei den Gattungen führt er die Gestalt der Blätter und anderer Theile an, welche nicht zur Blüte und Frucht gehören, doch nur ne- benher. Man sieht aber nicht ein, warum die Blätter zur Bestimmung der Gattungen nicht sollten gebraucht werden, da man sie zur Bestim- mung der natürlichen Ordnungen anwendet, und wenn Jussieu und alle andere Botaniker sich von Linne’s Vorschriften nicht losreifsen 176 Lıiwx: Bemerkungen über die natürlichen können, so geschieht dieses wohl nur, weil man fürchtet, die Vermeh- rung der Gattungen dadurch gar zu sehr zu befördern. Der Unterschied der Monokotyledonen und Dikotyledonen ist von der Art, dafs man ihn nicht übersehen kann, er bezeichnet zwei auflal- lende Bildungstufen der Gewächse überhaupt. Auch können wir dafür nicht Kennzeichen ohne alle Ausnahmen finden, dieses wäre gegen das Combinationsgesetz der Gestalten, welches in der ersten Abhandlung umständlich entwickelt ist. Wohl aber kommt es darauf an, so viele Kennzeichen als möglich für beide grofse Haufen zu finden, welche so wenige Ausnahmen leiden, als möglich, und zugleich scharf und genau zu bestimmen sind. Abgerechnet, dafs der Begriff von Monokotyledonen und Dikotyledonen sehr schwer zu fassen und noch keinesweges allge- meingeltend bestimmt ist, leidet die Eintheilung nicht wenig Ausnah- men. Der Bau des Stammes giebt ein gar zu weit übergreifendes Merk- mal wie wir in der vorigen Abhandlung gesehen haben ; die Piperaceae und Cucurbitaceae, entschiedene Dikotyledonen, haben den Bau des Stammes der Monokotyledonen. Richard’s Unterscheidung in Endo- rhizen und Exorhizen ist, gehörig ausgedrückt, vortrefllich, aber schwer zu erkennen. Die Zaserwurzel giebt ein sehr übergreifendes Kenn- zeichen der Monokotyledonen, ist auch nicht immer leicht zu erkennen. Hier treffen wir ein Kennzeichen, welches gar wenige Ausnahmen lei- det, und zugleich ungemein leicht zu finden ist. Alle Monokotyledonen haben nämlich den Stamm ganz umfassende Wurzelscheiden. Diese Scheiden bleiben lange stehen, verwelken nicht so schnell wie die zu Saamenblättern aufgewachsene Kotyledonen, und wenn sie verwelken, lassen sie deutliche Spuren zurück, erscheinen auch oft unter den Zwei- gen wieder, so dafs man schliefsen kann, eine Pflanze mit vollkomme- nen Scheiden um die Äste werde auch Wurzelscheiden haben. Entschiedene Ausnahmen von der Seite der Monokotyledonen sind mir nicht bekannt. Undeutlich sind die Wurzelscheiden nur an den Gattungen Asparagus und Ruscus; sie umgeben hier den Stamm nicht ganz, wenigstens nicht an den Sprossen. Aber beide Gattungen haben fast scheidenartige Theile, z. B. unter den Blättern u. s. w. Um den Embryo der Monokotyledonen ist die scheidenartige Ein- schliefsung am vollkommensten, auch umgiebt die Wurzelscheide den Ordnungen der Gewächse. ' 177 Stamm noch ganz, aber nach oben nimmt sie gar oft ab, und die Brak- teen fangen zuerst an, zurückzutreten, um den Stamm nur zum Theil zu umschliefsen, wie wir an den Orchideen wahrnehmen können. Die- ses rechtferügt die Annahme der vorigen Abhandlung, dafs die Conval- larien ihren Stamm in der Erde haben, und nur einen mit Brakteen, nicht mit Blättern versehenen Ast. Convallarıa majalis und bifolia (Maianthemum) haben eine etwas von der gewöhnlichen, abweichende Form, weil nur ein Schaft wie an den Hemerokallideen aus der Erde hervorsteigt. Die eigentlichen Liliaceen sind den Convallarien in dieser Rücksicht ähnlich ; die Blätter umfassen ebenfalls den Stamm nicht ganz, und der Stamm ist gleichsam als ein Schaft anzusehen, welcher aus der Zwiebel hervortritt und nur Brakteen trägt. Sie machen eine natür- liche Ordnung, wenn man ihnen A/stroemeria nach Jussieu’s Vorschlag zugesellt, und Yucca von ihnen trennt. Diese natürlichen Ordnungen, die Convallarien und Liliaceen, ferner die Smilaceen und Asparageen ausgenommen, findet man an allen andern Monokotyledonen den Stamm ganz umgebende Blattscheiden. Asparagus und Ruscus haben einen sonderbaren Bau, dort kom- men die Blätter in Büscheln hervor, sind nicht scheidenartig, mit einer besondern Scheide unterstützt und umgeben. Hier ist das wohl aber einfache Blatt noch mit einer besondern kleinen Scheide unterstützt. Die sonderbare Verwachsung der Blütenstiele mit dem Blatte in Ruscus wird hieraus erklärlich; man kann das Blatt als einen blattartigen Blütenstiel ansehen, so wie in den Acacien der Blattstiel blatförmig geworden ist. Ganz ähnlich ist der Bau in den Arten der Gattung Phylanthus und Xylophylla. Das sogenannte Blatt woraus die Blüten hervorkommen, ist deutlich von dem Stamme durch einen Absatz gesondert und unter dem- selben ragt zu äufserst der Rand etwas hervor, die Stelle bezeichnend wo das Blatt gewöhnlich zu sitzen pflegt. An den Arten dieser Gattung, welche die Blüten in den Blattwinkeln wie gewöhnlich tragen, geht der Stamm in das Blatt über, ohne einen solchen Absatz zu bilden. Es ist also der Bau der Phylanthi mit blütentragenden Blättern nur darin von Ruscus verschieden, dafs in dieser Gattung, als zu den Monokoty- ledonen gehörig, die Blattscheide ausgebildet ist. Was sind aber die büschelförmigen Blätter von Asparagus? Nichts als blattartig gewordene Phys. Klasse 1822-1823. Z 178 Lınwx: Bemerkungen über die natürlichen unfruchtbare Blütenstiele, oder Äste. Asparagus albus zeigt dieses deut- lich. Die Scheide ist in einen Stachel ausgewachsen, in dessen Winkel sich entweder ein Büschel von wahren Blütenstielen, oder statt dersel- ben ein Büschel von fadenförmigen Blättern findet. Die Stellung beider ist völlig dieselbe. Zwischen den scheidenartigen Blättern der Monokotyledonen und den vollkommner vom Stamme gesonderten der Dikotyledonen deren Blattstiel an der Basis wenig erweitert ist, findet sich eine Mittelstufe. Die Scheide ist nämlich mit dem Stamme so verwachsen, dafs sie nur durch einen um den Stamm laufenden, hervorstehenden oder durch eine Kreislinie bezeichneten Ring sichtbar wird. Man erkennt diesen Ring auf die eine oder die andere Weise deutlich, wenn man die jüngern Zweige genau besieht, und am auffallendsten an den holzartigen Stäm- men an welchen die Blätter abgefallen sind, und die vollkommnern Ringe den Stamm beim ersten Blick auszeichnen. Man kann dieses Merkmal nur verkennen, wenn an Pflanzen mit entgegengeseizten Blättern, die Erhebung unter den Blattstielen (die console, pulvinus) von beiden Seiten zusammentritt und auf diese Weise einen Ring um den Stamm bildet. Aber die meisten mit einem Ringe bezeichneten Stämme haben wech- selnde Blätter. Dieser Ring, als ein Merkmal, welches den Übergang von schei- denartigen Blättern zum vollkommen vom Stamm gesonderten bezeich- net, und so eine Entwicklungsstufe bestimmt, ist von einer sehr grofsen Wichugkeit zur Unterscheidung der natürlichen Ordnungen. Ich will die einzelnen Ordnungen hier besonders anführen, zu deren Bestim- mung er dienen kann. Piperaceae oder Piperitae. Jussieu vereinigte sie zuerst, doch zweifelhaft, mit den Urticeae. De Candolle trennte sie als eine beson- dere Ordnung. Kunth stellt sie daher zwischen Characeae und Arvideae. Schon Linne Richard brachte sie zu den Monokotyledonen, und vereinigte sie mit den Aroideen, und Sprengel hat dieses wiederholt. Aber sie sind Dikotyledonen, wohin sie Jussieu richtig brachte. Die Blattscheiden sind nicht vom Stamme gesondert, wie an den Aroideen, sondern so durchaus verwachsen, dafs nur eine Kreisiinie übrig geblie- ben ist. Durch diesen Ring unterscheiden sich die Pfeflerkräuter beim Ordnungen der Gewachse. 179 ersten Blick. Die unvollkommnen Blüten, meistens ohne Kelch und Blumen sitzen auf einem Spadix, in die Rinde desselben eingesenkt. Die Frucht ist einsamig, der Same hat ein grofses Eiweifs. Das Holz besteht aus zerstreuten Bündeln wie an den Monokotyledonen. Die beiden Gattungen Piper und Peperomia sind leicht und treffend unter- schieden. Ficinae. Die hieher gehörigen Bäume rechnete Jussieu zu den Uriiceen und die folgenden Botaniker haben sie nicht getrennt. Die ganze natürliche Ordnung hat, so wie sie zusammengestellt ist, keine bestimmten Kennzeichen, und das äufsere Ansehen eines Morus, einer Nessel und eines Feigenbaums sind gar verschieden. Wir können aber durch den geringelten Stamm und die sonderbare Beschaffenheit des Fruchtträgers einen natürlichen Haufen davon trennen, welcher dann eine ausgezeichnete Ordnung bildet. Der Stamm ist in der Kegel baum- artig, geringelt, die Blätter wechselnd. (1) Die Gemmen haben ein oder mehrere Deckblätter, welche sie ganz einhüllen und beim Ausschlagen abfallen. Fast alle Botaniker nennen sie stipWlae, aber sie stehen nicht zu beiden Seiten des Blattes. Die Spathae des Brotfruchtbaums sind ohne Zweifel solche Deckblätter. Die Blüte ist sehr unvollkommen ; gewöhnlich ist nur ein kleiner Kelch vorhanden. Die Früchte machen mit dem fleischig gewordenen Fruchtboden einen Körper aus, und sind einsamig. An Carica sind sie beerenartig und liegen wie an Piper in den Blütenstiel versenkt, an Artocarpus wachsen oft die Fruchtknoten in eine fleischige Masse so zusammen, dafs gar oft der Samen verschwin- det; an Fieus schlägt sich, so zu sagen, der fleischige Fruchtboden herum, und schliefst die Früchte ein. Auch haben alle diese Bäume grofse eigene Gefäfse; Ficus und Artocarpus ergiefsen einen milchartigen Saft, wenigstens aus den jungen Zweigen, und Cecropia ergiefst einen zwar nicht milchigen, aber an der Luft sich leicht färbenden Saft. Die drei Gattungen Ficus, Artocarpus, Cecropia bilden die Haupthaufen die- ser natürlichen Ordnung. Dorstenia macht den Übergang von den Ur- ticeae zu dieser Ordnung. (1) Es giebt einige Arten der Gattung Ficus mit entgegengesetzten Blättern, welche aber noch einer genauern Untersuchung hedürfen. Z2 180 Lıyx: Demerkungen über die natürlichen Magnoliaceae. An allen die ich zu untersuchen Gelegenheit ge- habt habe, fand sich jener Ring. Die Blätter womit die Gemmen be- deckt erscheinen, sind wahre Blattansätze (stpuwlae), nicht Deckblätter, fallen aber meistens bald ab. Es ist merkwürdig, dafs die Fruchtkno- ten in der Blüte auf eine ähnliche Weise in eine Frucht verwachsen, wie in den vorigen die Früchte mehrerer Blüten zusammen verwachsen. Übrigens ist diese Ordnung genugsam bestimmt. Polygoneae. Alle Pflanzen dieser Ordnung haben einen geringel- ten Stamm. Er ist sehr oft, an den einheimischen beständig oben und rund herum mit einer Scheide versehen, daher Linne die Ordnung Faginales nannte. Willdenow gab der Scheide den Namen Ochrea, stellte sie aber mit der Scheide zusammen, welche die Blütenstiele der Cyperoideen umgiebt, aber von verschiedener Natur ist. ganz 5 und sind nicht so vollkommen mit ihm verwachsen, als die drei zu- Umbellatae. Die Scheiden der Blätter umgeben den Stamm erst genannten Ordnungen. Es sind sehr wenige swaucharuge Pflanzen in dieser Ordnung; ‚Selinum decipiens hat einen geringelten Stamm. Lorantheae. Jussieu hatte früher diese Ordnung mit den Ca- prifoliaceen vereinigt, schlug aber selbst die Trennung vor, welche 5 seine Nachfolger angenommen haben. Der Bau der Verbindung zwi- schen Blatt und Stamm ist etwas anders, als an den vorigen. Es ist nämlich nur der Zweig von dem Hauptstamme durch einen Ring ge- sondert, und dieser Ring gar oft mit einer schmalen Scheidenhaut um- geben. Die Blätter sind entgegengesetzt, verwachsen zwar mit ihren Grundlagen zusammen, bilden aber nicht immer einen Ring. JFiscum und Zoranthus gehören hieher. Die Rhizophorae haben einen ähnlichen Bau und stehen allerdings den Zorantheae sehr nahe. Dieses sind die Pflanzen an denen ich jene Bildung der Blätter bemerkt habe, doch ist die Zahl gewifs nicht erschöpft worden. Wir gehen nun zu der Gestalt des Blattes weiter. Sie ist sehr mannichfaltig und immer zur Unterscheidung ‚der Arten besonders ge- braucht worden. Einige Gestalten sind indessen manchen natürlichen Ordnungen besonders eigen, wie das Grasblatt, ein scheidenartiges Blatt mit parallelen von der Basis zur Spitze laufenden Nerven, an den Gräsern und Cyperoideen. An einigen Gräsern mit länglichen Blättern Ordnungen der Gewächse. 181 machen die Seitennerven einen Bogen. Aufser den genannten natür- lichen Ordnungen kommen solche Grasblätter auch unter den Dikotyle- donen vor, z. B. an einigen Skorzonneren, aber die Scheide ist nie so ausgebildet wie an den Gräsern und Cyperoideen, gewöhnlich gar nicht vorhanden. Die Scitamineen und Musaceen haben Blätter, aus deren Hauptnerven viele, sehr. zarte, parallele Seitennerven hervorkommen, welche ihnen ein gestreiftes Ansehen geben. Bald sind sie gerade und gehen unter einen rechten Winkel vom Hauptnerven ab, bald gebogen und dann machen sie einen spitzen Winkel mit demselben. Die Orchi- deen haben einen ähnlichen Nervenbau, nur laufen bei ihnen schon häufig kleine Verbindungsnerven von den Seitennerven aus. Diese kur- zen, fast unter einen rechten Winkel von den parallelen Nerven aus- laufenden kleinen Nerven sind den Wasser- und Sumpfpflanzen eigen, so haben sie Zostera marina, die Potamogitones, die Orchideen aus Sümpfen Malaxis Loeselü, paludosa, Goodyera repens, Philhydrum eine Wasser-Scitaminee u. a. m. Am ausgezeichnetsten ist diese Form an Hidrogiton fenestralis wo das Parenchym zwischen den Nerven fehlt, und das Blatt mit den langen parallelen und kurzen Seitennerven ein Gitter vorstellt. So wie diese Nervengestalt von dem Boden abzuhan- gen scheint, so giebt es eine andere klimatische nur an einigen tropi- schen Bäumen vorkommende, wo starke parallele Seitennerven aus dem Hauptnerven hervorkommen, aber nicht an den Rand gelangen, sondern sich bogenförmig krümmen und mit einander verbinden. Unter den gar vielen will ich nur Mangifera indica , Qualea americana, Mimusops Jolengi nennen. -Getheilte Bläuer sind selten in der Klasse der Monokotyledonen und kommen nur in einigen natürlichen Ordnungen, z. B. den Palmen und Aroideen vor. Sogar sind die wirklich gezähnten und gesägten Blätter äufserst selten, nämlich solche, wo ein Seitennerve in den Zahn ausläuft. In andern Abtheilungen kommen einfache und zertheilte Blät- ter in einer und derselben Gattung häufig vor. Der Übergang aus dem einfachen Blatte in das getheilte ist entweder angekündigt oder nicht. So deuten die drei- und fünfnervigen Blätter einiger Laurus Arten, z.B. Cinnamomum, Cassia, Camphora u.s.w. auf die gelappten Blät- ter des Zaurus Sassafras. 182 Lıwx: Bemerkungen. über die natürlichen Die Nervenvertheilung und die Zertheilung der Blätter selbst ge- ben allerdings Kennzeichen für einige natürlichen Ordnungen, aber nur vom zweiten Range oder beschränkende, weil sie gar zu vielen Über- gängen ausgesetzt sind. Noch mehr gilt dieses von der Gestalt der Blät- ter überhaupt. Kein Theil durchläuft so viele Entwicklungstufen , als die Blätter, wenn wir auf Gestalt und Zertheilung sehen, und das ist auch der Grund, warum man sie bald aus den Kennzeichen der Gat- tungen und Ordnungen ausgeschlossen hat, ohne zu bedenken, dafs die Anheftung und Stellung bei der Mannichfaltigkeit der Gestalt doch sehr beständig seyn könne, das heifst sich nicht verändere, ohne auf die ganze Blildung mehr oder weniger Einflufs zu haben. Wie die Blätter alle Gestalten durchlaufen können, indem alle andere Theile nur wenig sich verändern sieht man an der natürlichen Ordnung der Syngenesisten. Von den Grasblättern der Gattungen Scor- zonera und Tragopogon an, schreiten die Gestaltungen fort, durch die Gattung Conyza, wo sie sich auf die sonderbarste Weise häufen, zu der Gattung Mutisia welche zusammengesetzte Wickenblätter mit Ran- ken zeigt. So wie sehr verschiedene Thiergestalten sich in Neuholland verknüpfen, und dadurch die wunderbarsten Geschöpfe dieses Welt- theils hervorbringen, so verknüpfen sich die sonderbarsten Pflanzenge- stalten im innern Südamerika, und zwar auf der südlichen Halbku- gel besonders. Die Blattstiele zeigen ihrem Baue nach in den Verbindungen der Theile ähnliche Verhältnisse als wir am Stamme gefunden haben. Den einfachsten Monokotyledonen fehlen sie ganz, z.B. den Gräsern, den He- merokallideen, den Orchideen, den meisten Scitamineen. Nach und nach schiebt sich Blattstiel zwischen Blatt und Scheide ein, und verdrängt die letztern immer mehr und mehr. Es ist zuerst nur eine Verschmä- lerung des Blattes und ein flügelartiger Anhang läuft neben dem Haupt- nerven her, welcher den Blatıstiel bildet. Endlich verschwindet der An- hang und der Blattstiel zeigt sich wie an den übrigen mehr ausgebildeten Pflanzen. In die Blattscheide gehen viele Gefäfsbündel aus dem Stamme und treten getrennt in das Blatt. Dieses ist auch noch der Fall da, wo das verschmälerte Blatt selbst den Blattstiel macht. Nicht in den Palmen, sondern in den Aroideen Pflanzen, welche den Dikotyledonen am nächsten Ordnungen der Gewächse. 183 kommen, ist der Blattstiel am vollkommensten ausgebildet, ja er geht hier, was selbst in den Dikotyledonen selten der Fall ist, bis zur run- den Gestalt über, z.B. an Pothos digitata. Aber die Gefäfsbündel blei- ben in diesen Blattstielen beständig getrennt und bilden niemals einen halben oder einen ganzen Ring. In den Dikotyledonen treten die Gefäfsbündel des Blattstieles oder auch des Hauptnerven, welcher die Stelle des Blatistieles vertritt, bald näher zusammen und bilden einen halben Kreis. Es ist schwer zu sa- gen, wo das Zusammentreten anfängt. Die Bündel liegen oft. schon dicht zusammen (Cistus) aber sie bilden noch keinen strahlig gebauten halben Ring. Dieser strahlige Bau, ganz gleich dem strahligen Baue des Holzes im Stamme und auf eben die Weise “entstanden, ist an vie- len sehr deutlich zu sehen; ich will nur Camellia japonica anführen. In den ganz runden Blattstielen der Dikotyledonen treten die Gefälsbün- del rund umher zusammen und bilden einen strahlig gebaueten voll- kommnen Holzring, nach aufsen mit Rinde umgeben, inwendig mit Mark erfüllt, wie der Stamm. Dieser runde Blatistiel mit einem Holzringe giebt ein sehr gutes Merkmal einiger natürlichen Ordnungen, er ist al- len Malvaceen eigen, und bezeichnet die wahren Terebinthaceae z.B. Ju- glans, Spondias u. s. w. von welchen doch Pistacia auszuschliefsen ist, da sie zu den 4Amentaceae übergeht, oder ihnen schon angehört. Die natürliche Ordnung Sempervivae hat unter andern Merkmalen das am meisten in die Augen fallende, die saftligen Blätter. Es entsteht die Frage, ob sich ein bestimmteres Kennzeichen der Succulentae ange- ben lasse, als die Menge des Saftes allein. Sehen wir auf den Stamm, so finden wir ein Kennzeichen, welches sogar eine Eintheilung der Suec- ewlentae zuläfst. Es ist nämlich in den meisten saftigen Pflanzen nur die Rinde des Stammes verdickt und saftig geworden, Holz und Mark zeichnen sich vor der gewöhnlichen Bildung nicht aus. Alle Semper- vivae, die safugen Ficoideae, die Cacti haben eine solche saftige Rinde. Dagegen haben die saftigen Syngenesisten, nämlich die Cacalien, ein ver- dicktes saftiges Mark, indem Rinde und Holz sich nicht auszeichnen. Die Blätter sind aber in allen diesen Pflanzen von demselben Baue. Es liegt nämlich das Gefäfsnetz in den Blättern entweder dicht an der un- tern, oder seltner dicht an der obern Fläche, welches man auf dem 184 Lıwx: Bemerkungen über die natürlichen Querschnitt des Blattes deutlich gewahr wird, denn auf den Flächen selbst erkennt man diesen Unterschied nicht so leicht. In den saftigen Pflanzen geht nun das Gefäfsnetz durch die Mitte des Blattes und ist von beiden Seiten mit einer dicken Rinde umgeben. Wenn man auch Streifen und Erhabenheiten auf ihrer Oberfläche sieht, so zeigt doch der Querschnitt, dafs die Gefäfsbündel in einer Entfernung von der Oberfläche durch das Zellgewebe gehen. Einen nicht gar sehr verschiedenen Bau hat das folium acerosum, wodurch die Coniferae bezeichnet werden. Mit dem Hauptnerven paral- lel gehen äufserst zarte Gefäfsbündel durch das Blatt, mitten im Pa- renchym fort, so dafs auf der Oberfläche keine Nebennerven sichtbar sind, wie an den Succulenten. Aber die Gefäfsbündel laufen parallel wie an einem Grasblatte. Das Parenchym unterscheidet sich gar sehr. Es besteht aus ziemlich lang gezogenen Zellen mit vielen Lücken, ist mit grünem Farbestoff angefülll und sehr trocken. Der Bau ist derselbe, die Blätter mögen immergrün seyn, oder jährlich abfallen. Nnr durch diesen Bau läfst sich bestimmen, was folium acerosum sei; die gewöhn- lichen Angaben, nach welchen ein schmales, steifes, meistens immer grünes Blatt so genannt wird, lassen sich auf viele andere Blätter z. B. des Rosmarins, Zedum palustre, Andromeda polifolia und viele andere an- wenden, welche man niemals folia acerosa genannt hat. Hierbei ist noch eines besondern Baues der Blätter in der Familie Pinus zu erwähnen, denn man kann diese Gattung wohl als eine kleine Familie betrachten. Die Gattung Pinus Bauhini hat büschelförmige Blätter. Diese bilden gleichsam eine Röhre, denn wenn man die zwei Blätter von Pinus sylvestris oder die fünf Blätter von Pinus Strobus zu- sammenhält, so passen sie mit den Rändern genau zusammen. Um einen solchen Büschel von Blättern befinden sich viele braune, vertrock- nete Schuppen, deren schon Linne als einer besondern Bildung ge- denkt. Man hat daher jeden Blattbüschel als den Anfang eines Zweiges angesehen und mit Recht, denn viele Arten, z.B. Pinus Strobus, cana- riensis, haben unter dem Blattbüschel ein einzelnes Blatt, aus dessen Blattwinkel ein Blaubüschel wie sonst ein Zweig hervorkommt. Ver- gleichen wir damit den Bau der Casuarinen, so finden wir, dafs die blauartige Umgebung der Äste in jenen Bäumen, wodurch die Blätter Ordnungen der Gewächse. 185 ersetzt werden, hier in zwei, drei oder fünf besondere Blätter gespalten und der Ast zwischen ihnen zurückgeblieben ist. Abies Bauh., wozu Pinus Picea Linn. besonders gehört, ist im Baue der Blätter von der vorigen Gattung gar sehr verschieden und von gewöhnlicher Blatıbildung. An der Basis der Blatistiele ist keine häutige Scheide vorhanden, ungeachtet Linne es behauptet (Praelect. in Ord. natur. p. 589.). Viele Gemmen fallen ab, und ihre häutigen Scheiden bleiben stehen, welche Linne ohne Zweifel für Scheiden der Blätter gehalten hat. Die Zweige kommen nicht blofs in der Nähe der Spitzen hervor, sondern überall und aus den Blattwinkeln. Picea Bauhin. (P. Abies Linn. et affıin.) hat wiederum einen sehr eigenthümlichen Blätterbau. Nur darin, dafs die Blätter einzein stehen und keine Scheiden unter sich haben, kommen sie mit den Blättern von Abies überein. Aber es fehlt ihnen eine Seite, und betrachtet man die Blätter genauer, so findet man, dafs zwei oder vier Blätter, wie sie Pi- nus hat, mit einander verwachsen sind. An Picea vulgarıs sind zwei Blätter verwachsen, an Picea alba u.a. vier. Die Scheiden fehlen, doch sind die zwei- oder vierkantigen kurzen Blatistiele mit einer braunen Epidermis überzogen, welche von den festgewachsenen Scheiden herzu- rühren scheint, Larix Bauh. scheint nur in Rücksicht auf die Blätter mit Pinus übereinzustimmen, weicht aber in der That gar sehr ab. Zarix hat zwar büschelförmige, unten mit trockenen Scheiden umgebene Blätter, aber diese passen keinesweges zusammen, um ein Ganzes zu bilden. Auch stehen sie an den jungen Trieben einzeln, und werden erst mit der Zeit büschelförmig, dagegen die Blätter der eigentlichen Pinus-Arten schon an den jüngsten Trieben büschelförmig stehen. Dort ist also der Büschel ein Winkel von Blättern, wie an Casuarina, hier sind dagegen die Blätter nach und nach hervorgetrieben. Es lassen sich also diese vier Gattungen durch die Blätter sehr leicht und zugleich sehr bestimmt un- terscheiden. Phys. Klasse 1822-1829. Aa 186 Lıvwx: Bemerkungen über die natürlichen Ordnungen u. s.w. Nachtrag von Herrn Buttmann. Nichts ist mir peinlicher anzuhören, als die Vorlesung eines Bota- nikers der viel von den Dikotyledonen und Monokotyledonen zu reden hat. Unsere deutschen Sprachwerkzeuge sind nun einmal nicht dazu gemacht, eine längere Reihe kleiner einfacher Silben schnell hintereinan- der als Ein Wort rasseln zu lassen, ohne sie entweder unter einander zu verwirren, oder wenn wir dies mit Anstrengung vermeiden und doch nicht zu langsam sprechen wollen, unserer Lunge zu schaden. Erwürbe ich mir also wol nicht Dank bei diesen Gelehrten, wenn ich sie zu be- rechtigen strebte, diese Benennungen zu verkürzen? Aber eine solche Berechtigung mufs gründlich angelegt werden. Die Benennung cotyle- dones für die Samenläppchen ist schlecht gewählt. Das Wort schliefst nothwendig eine Höhlung in sich. Indessen das soll keine Ursach sein den einmal vorhandenen Namen dieser Blättchen selbst zu ändern. Das einfache Cotyledones läfst sich auch noch recht gut aussprechen. Nur liegt in der Endung don nichts bezeichnendes. Es ist ein alter zu Ho- mers Zeit schon üblicher Ansatz an das gleichbedeutende Wort xoruAn, ein Ansatz der seine Bedeutsamkeit, vielleicht ein altes Diminutiv, längst verloren hat. Ich dächte diesen Umstand benutzten wir in jenen Zu- sammensetzungen. Die Kotyledonen Kotylen zu nennen rathe ich, wie gesagt, nicht an: aber die Pflanzen die nur einen Kotyledon haben Mo- nokotylen zu nennen und die, welche zwei Dikotylen, (lateinisch mit dem Accent auf co, deutsch auf ty), das erlaubt die Analogie, und gebieten folglich die Eingangs erwähnten Rücksichten. ai Versuche über die Schwingungen gespannter Saiten, besonders zur Bestimmung eines sichern Mafsftabes für die Stimmung. FEN w on Bm EISCH ER: [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften amı 15. Juni 1822.] Geschichtliche Einleitung. Ara allen Aufgaben, welche die Naturlehre der Analysis vorlegt, ha- ben wenige dem Scharfsinn der gröfsten Analytiker so viele Mühe ge- macht, als die Theorie von den Schwingungen gespannter Saiten. Newton, der Schöpfer der höhern Mechanik, hat zwar in seinen Principiis die Schwingungen gespannter Saiten nicht unmittelbar un- tersucht; aber er trägt im zweiten Buch (Prop. 47-50) die Theorie von den Schwingungen der Luft vor, ein Problem das mit dem unsrigen in sehr genauer Verbindung steht. Auch war es Newton, der überhaupt die allgemeinen Gesetze gleichzeitiger Schwingungen, von welcher Na- turkraft sie auch bewirkt sein mögen, zuerst gründlich aus einander gesetzt hat. Der erste, welcher die Schwingungen der Saiten besonders unter- suchte, war der scharfsinnige Taylor. (1) Die Hauptresultate seiner Untersuchungen waren folgende: 1) Dafs kleine Schwingungen als voll- kommen gleichzeitig zu betrachten sind, für deren Dauer er zuerst eine Formel gab, von der wir weiter unten Gebrauch machen werden. 2) Er suchte ferner zu beweisen, dafs die Gestalt, welche eine Saite bei der (1) M. s. dessen Methodus incrementorum, Lond. 1715. p. 88 - 93. Aa2 188 Fıscuer: Fersuche über die Schwingungen Schwingung annimmt, eine sehr lang gestreckte Cycloide sei, und dafs. die Saite von selbst diese Gestalt annehmen müsse, wenn sie bei dem Anschlag eine andere erhalten habe. Seine Formel für die Dauer einer Schwingung ist die nämliche, welche alle Analytiker nach ihm, obgleich auf verschiedenen Wegen, gefunden haben. Aber über die Gestalt einer schwingenden Saite ist in der Folge lebhafı gestritten worden. Der nächste welcher nach Taylor das Problem auf einem eigen- thümlichen Wege aufzulösen versuchte, war Johann Bernoulli (1). Er fand aber auf seinem Wege keine andern Ergebnisse als Taylor. Beide waren von einer Voraussetzung ausgegangen, welche sie nicht bewiesen hatten, und welche in der That wenigstens nicht allgemein- gültig war, dafs nämlich alle Punkte der schwingenden Saite zu gleicher Zeit durch die gerade Linie gehen, die man zwischen .den beiden festen Endpunkten der Saite ziehen kann. Daher hielt es d’Alembert für nöthig, die Untersuchung nochmals von vorne anzufangen. Seine ersten Abhandlungen finden sich in den Schriften unserer Akademie von den Jahren 1747 und 1750; auch findet man sie in d’Alembert’s Opuseules Tom. I. p. 198 ff. Offenbar war das Problem durch die Weglassung je- ner Voraussetzung viel schwieriger geworden; indessen überwand dieser scharfsinnige Analytiker alle Schwierigkeiten, und die wesentlichen Re- sultate seiner Untersuchung waren; 1) dafs die Schwingungen gleichzei- 5 ug, und Taylor’s Formel für die Dauer derselben richüg sei, dafs aber 2) die Gestalt einer schwingenden Saite nicht an die Gestalt einer langge- streckten Oycloide gebunden sei, sondern dafs die Saite eine unendliche Menge von Krümmungen annehmen könne. Er gab für diese Krüm- mungen eine allgemeine Gleichung, die aber aus unendlich vielen Glie- dern bestand, und durch Veränderungen der unendlich vielen beständigen Gröfsen, eine unendliche Menge unähnlicher Curven unter sich begriff. Das auflallende dieser Ergebnisse, und die Schwierigkeit der Theo- vie, reizten den gröfsten Analytiker jener Zeit, Leonhard Euler, das Problem noch einmal vorzunehmen. Seine erste Abhandlung lieferte er (1) M.s. Comment. Petrop. Tom. IIl, vom Jahr 1728, S. 13. Desgl. Jo. Bernoulli Opera, Tom. III. p. 198 ff. gespannter Saiten. 189 in den Memoiren unserer Akademie für 1748. In der That waren die Ergebnisse seiner Rechnungen nicht wesentlich verschieden von dem, was d’Alembert gefunden hatte; aber in seinem Raisonnement über die Krümmung der Saiten ging er noch über d’Alembert hinaus; indem er behauptete, dafs eine schwingende Saite alle nur erdenkliche Krüm- mungen, die bei unendlich kleinen Ordinaten möglich sind, annelımen könne, und zwar nicht blofs regelmäfsige, die sich durch Gleichungen vorstellen lassen, sondern selbst die regellosesten, durch blofse Will- kühr gebildeten. Diese Verschiedenheit der Ansicht veranlafste zwischen diesen beiden berühmten Männern einen Wettstreit, der von beiden Sei- ten nicht ohne Bitterkeit geführt wurde. In den Abhandlungen der Berliner Akademie erschien im Jahr 1753 noch ein dritter Streiter in den Schranken, Daniel Bernoulli. Er war seinen Gegnern in der höheren Analysis wohl nicht gewachsen ; aber durch das Eigenthümliche seiner Ansicht, und durch eine grofse Klarheit des Vortrages, wufste er dennoch seinen Abhandlungen Interesse zu geben. Die unendlich vielerlei Krümmungen, welche eine Saite nach d’Alembert und Euler soll annehmen können, schien ihm eine ver- worrne Idee. Er suchte Licht hinein zu bringen. Und ist es ihm auch nicht gelungen das Ganze aufzuklären, so mufs man dennoch einräumen, dafs er einen Theil des Gegenstandes sehr ins Klare gebracht hat. Er ging von der unstreitigen und theoretisch erweislichen Thatsache aus, dafs bei jedem Ton einer Saite, ausser dem Grundtion, eine Reihe von Ne- bentönen, nach der Folge der harmonischen Reihe, mitklingen könne. Diese Nebentöne haben keinen andern Ursprung, als dafs mit den sen mehrerer ali- 5 quoten Theile entstehen können. Und man begreift leicht, wie die Schwingungen der ganzen Saite, zugleich Schwingun gleichzeitige Entstehung mehrerer solcher Schwingungen, der Saite noth- wendig in jedem Augenblick eine andere Gestalt geben müsse, als sie durch eine einzige Schwingungsart erhalten würde. Dan. Bernoulli suchte daher anschaulich zu machen, dafs wenn jede einzelne Schwin- gungsart für sich, nach Taylor’s Theorie, eine sehr verlängerte Oy- cloide bildete, doch aus der gleichzeitigen Verbindung von mehreren eine unendliche Mannigfaltigkeit von krummen Linien entstehn müsse. Er bildete nun eine Gleichung für die Curven, die aus der Verbindung 190 Fıscuer: Fersuche über die Schwingungen mehrerer solcher Cycloiden entstehen, und diese Gleichung hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit denen, die ’Alembert und Euler gefun- den hatten. Hieraus zog Bernoulli den freilich nicht sichern Schlufs, dafs die vielen Krümmungen, welche die beiden genannten Analytiker gefunden hatten, nichts anderes sein könnten, als eine Verbindung un- endlich vieler Cycloiden ; eine Vorstellung die innerhalb gewisser Grän- zen richtig, nur nicht erschöpfend ist. So viele Abhandlungen auch von diesen drei Gelehrten in den Schriften der Berliner und Petersburger Akademieen gewechselt wurden, so kann man doch nicht sagen, dafs die Streiter einander dadurch nä- her gekommen, oder die streitigen Punkte zu einer klaren Entscheidung gebrachı worden wären. D’Alembert hatte in einem spätern Zusatz zu seiner ersten Abhandlung, einen Beweis seiner Behauptung gegen Euler versprochen. Ehe dieser erschienen sei, hielt Euler eine neue Rechtfertigung für unnöthig, und da jener Beweis nicht erschien, so blieb auch die eigentliche Streitfrage unentschieden. Die gründlichste Entscheidung über diesen feinen Gegenstand war dem gröfsten Analytiker des vorigen Jahrhunderts Lagrange vorbehalten. In seinem Recherches sur la nature et propagation du Son (1), mufste er nothwendig das Problem von den Schwingungen der Saiten berühren. Mit dem bewundernswürdigen Scharfsinn, der diesen grofsen Mann her- vorstechend auszeichnet, umfafste er das Problem in der gröfsten Allge- meinheit, und vermied sorgfältig jede Voraussetzung, gegen welche Ein- würfe gemacht werden konnten. Das Resultat seiner tiefen Untersuchung war, 1) dafs Taylor’s Formel für die Dauer einer Schwingung voll- kommen richtig sei, 2) dafs, in Ansehung der Gestalt einer schwin- genden Saite, sich Euler’s Ansicht aufser allen Zweifel setzen lasse. Auch nach dieser entscheidenden Untersuchung hat unser Ge- genstand eine Menge analytischer Arbeiten veranlafstı. Von Euler und Lagrange finden sich mehrere, in den folgenden Bänden der Turiner Schriften, und von Dan. Bernoulli in den Schriften der Petersbur- ger Akademie von 1772 bis 1784. Sie enthalten aber nur entweder etwas abgeänderte Ansichten der Theorie, oder sie erörtern besondere (1) Miscellanea Taurinensia. Tom. T. gespannter Saiten. 1941 Fälle, z.B. die Schwingungen ungleich dicker Saiten, oder sie betreffen verwandte Gegenstände, z. B. die Schwingungen von Stäben, u.d.g.m. Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf eine lange Reihe von Ar- beiten gerichtet haben, welche länger als ein halbes Jahrhundert den Scharfsinn der gröfsten Köpfe zu eifersüchtiger Anstrengung gereizt ha- ben, ist die Frage sehr natürlich, was die Wissenschaft durch diese An- strengungen gewonnen habe? Man mufs gestehen, dafs die Naturlehre welche das Problem aufgestellt hatte, nur den geringeren Theil des Gewinnes gezogen hat. Die Frage von der Gestalt der schwingenden Saiten, die am schärfsten untersucht wurde, hatte nur ein geringes Interesse für die Akustik. Wichtiger war, dafs man den Einflufs welchen Spannung, Gewicht und Länge einer Saite auf den Ton haben, aus Taylor’s Formel genau und wissenschaftlich kennen lernte. Früher kannte man nur den Ein- flufs, welchen die Länge, nicht nur bei Saiten, sondern auch bei gleich- artigen Pfeifen auf den Ton hat; doch nur empirisch. Daher wufste man schon im Alterıhum, dafs jedem musikalischen Intervall ein Zah- lenverhältnifs entspricht; aber in welchem Zusammenhang dasselbe mit dem innern Wesen des Tones steht, indem es entweder die verhält- nifsmäfsige Dauer der Schwingungen, oder die verhältnifsmäfsige Anzahl der Schwingungen in gleichen Zeiten anzeigt, war den Alten unbekannt, und die halbe Kenntnifs der Sache veranlafste die mystischen Deutun- gen, welche besonders die Pythagoräer den Zahlen beilegten. Sonder- bar, dafs es im 19ten Jahrhundert Leute giebt, die in den Zahlen wie- der den Grund aller Weisheit finden wollen. Doch hatte man schon im 17ten Jahrhundert von den Schwingungen der Luft, und ihren Ver- hältnissen, richuge Begriffe, ob man gleich zu dieser Kenntnifs nicht auf einem sweng wissenschafilichen Wege gekommen war. Durch Taylor’s Scharfsinn hat also die Theorie der Töne eine feste wissenschaftliche Grundlage erhalten, obgleich seine Formel bei weitem nicht im Stände ist, alle Fragen zu beantworten, welche die Akustik gern aufgelöst se- hen möchte. Sehr grofsen Gewinn hat dagegen die Analysis von diesen Un- tersuchungen gehabt. Dieses akustische Problem war es, was Euler’n veranlafste die Behandlung höherer Differential-Gleichungen aus einan- 192 Fıscnuen: Versuche über die Schwingungen der zu setzen. Eben dieses Problem war es, wobei Lagrange den Grund zu seiner Theorie der höhern Mechanik legte, die er in der Folge in seinem unsterblichen Werke Mecanique analytique vollständig ausgeführt hat. Veranlassung und Zweck der gegenwärtigen Abhandluns. Mehrere Betrachtungen haben mich schon seit vielen Jahren ver- anlafst, eine grofse Menge von Versuchen über die Schwingungen ge- spannter Saiten anzustellen. Die gewöhnliche Angabe, dafs das unge- strichene € (der vierfüfsigen Octave) 256 Schwingungen in der Sekunde mache, geht aus einem Buche in das andere über, ohne bestimmte Nachweisung, worauf sich diese Bestimmung gründe. Vielleicht hat man bei der Schwierigkeit einer schr genauen Bestimmung, die annä- hernde Zahl 256 blofs deswegen gewählt, weil sie eine Potenz von 2 ist, so dafs alle hörbaren Octaven von C durch ganze Zahlen vorge- stellt werden können. Sauveur hat zwar schon im Anfang des vori- gen Jahrhunderts mit Orgelpfeifen Versuche angestellt, welche aber we- niger als 256 Schwingungen für diesen Ton gaben. Seine Versuche sind sinnreich, aber in der Ausführung schwierig, und können daher schwerlich entscheidende Resultate geben. Ausserdem werden in akust- schen Schriften hin und wieder einzelne angestellte Versuche, mit merklich abweichenden Resultaten, angeführt, aber ohne genaue Be- schreibung der Art, wie die Versuche gemacht worden. Wir werden aber in der Folge sehen, dafs vielerlei bei den Versuchen zu beobach- ten ist, um genaue Resultate zu erhalten. Endlich ensteht bei allen bisher angestellten Versuchen eine Unsicherheit daher, dafs man die Stimmung nie bestimmt wissen kann, auf welche sich die Versuche beziehen. Von dieser Unsicherheit sind selbst die Versuche nicht frei, welche Prony in seinen Zecons de Mecanique analytique, Parue II, p- 296 ff. darlegt, ob man gleich mit Sicherheit annehmen kann, dafs ein so ausgezeichneter Beobachter, alles was zur Genauigkeit der Ver- suche erforderlich ist, gekannt und befolgt habe. Diese zuletzt erwähnte Unsicherheit fällt indessen nicht eigent- lich den Beobachtern zur Last, sondern hängt von der Unsicherheit der gespannter Saiten. 193 Stimmung überhaupt ab, indem bis jetzt kein sichrer Mafsftab für die- selbe hat ausfindig gemacht werden können, ohne welchen nur Ver- hältnisse der Töne, nie aber die absolute Anzahl der Schwin- gungen eines Tones mit Sicherheit bestimmt werden kann. Ich hoffe in diesem Aufsatz darzuthun, dafs sehr genaue Beobachtungen über die Schwingungen gespannter Saiten, in dieser Rücksicht alles leisten, was verlangt werden kann. Es wird aber zu diesem Zweck nöthig sein, zuerst den Begriff der Stimmung etwas genauer zu erörtern. Das Wort bedeutet nichts anders als eine bestimmte Höhe, in welcher unsere ganze diatonische Tonleiter ausgeführt wird. Ein Ton, der seinen bestimmten Namen und seine bestimmte Stelle in einem Notensystem hat, z. B. das unge- strichene c, lautet an verschiedenen Orten etwas verschieden; aber in demselben Verhältnifs, in welchem er an einem Orte höher klingt, müs- sen alle Töne höher genommen werden. Man sieht also, dafs die ganze Stimmung nur von der Festhaltung eines einzigen Tones abhängt. Sul- len aber verschiedene Instrumente zusammen spielen, so begreift man leicht, dafs bei aller Ungleichheit derselben, dennoch in so fern etwas harmonisches in ihrem Baue sein mufs, als es die Möglichkeit einer völlig gleichen Summung erfodert,. Durch Versuche sind die Verfer- tiger der Instrumente nach und nach dahin gekommen, dafs sie den ver- schiedenartigsten Instrumenten dennoch eine solche Gröfse (worauf es be- sonders ankömmt) und überhaupt eine solche Einrichtung geben, wo- durch eine gleiche Summung allein möglich wird. Die meisten Instru- mente lassen sich zwar so einrichten, dafs eine kleine Veränderung der Stimmung, aber kaum innerhalb der Gränzen eines halben Tones, mög- lich ist. Es giebt aber auch einige Arten, bei welchen nur eine sehr ge- ringe, oder gar keine Veränderung der Simmung ausführbar ist. Dahin gehören namentlich alle Instrumente, die durch Tasten gespielt werden, also besonders Orgeln, Flügel, Fortepianos u.s.w. Wird ein solches Instrument bei einer Musik gebraucht, so mufs sich die Summung aller übrigen mit diesem in Einklang setzen. Die Stummung dieses Instru- ments aber wird gegenwärtig immer nach einer Stimmgabel regulirt; und hieraus ist klar, dafs die Stimmgabel, wonach der Flügel eines Orchesters gesimmt wird, eigentlich der Repräsentant der Summung Phys. Klasse 1822 - 1823. Bb 194 Fıscuen: Fersuche über die Schwingungen dieses ganzen Orchesters ist. Vergleicht man nun die Stimmgabeln zweier Orchester mit einander, so unterscheidet zwar ein geübtes Ohr in den meisten Fällen besummt genug, welches die höhere ist; aber der Bau einer Stimmgabel, ist nicht geeignet, das Verhältnifs zweier 'Töne in Zahlen genau anzugeben. Wo in. einem Orchester kein Flügel ge- braucht wird, da ist die Siimmung noch unsicherer, indem alle Instru- mente gewöhnlich nur nach der Höhe irgend eines Blasinstruments ge- stimmt werden müssen. Vor hundert und mehr Jahren scheint man die Stimmung ledig- lich dem Gutbefinden der Verfertiger musikalischer Instrumente überlas- sen zu haben. Die alten Orgeln haben daher sehr verschiedene Sum- mungen, und bei den meisten scheint eine unzweckmäfsige Sparsamkeit die Simmung so erhöht zu haben, dafs der Spieler, selbst bei unserer jetzigen schr hohen Stimmung, dennoch immer um zwei bis drei halbe Töne in die Tiefe transportiren mufs. Wollte man damals eine ewwas genauere Stimmung festhalten, so bediente man sich der Stimmpfeife, die aber nie etwas genaues geben kann, da ihr Ton durch blofses stär- keres Blasen sehr beträchtlich erhöhet wird. Durch die schätzbare Er- findung der Summgabeln hat zwar die Stimmung in ganz Europa eine viel gröfsere Bestimmtheit und Gleichförmigkeit erhalten; aber man be- greift doch leicht, dafs Stiimmgabeln, die an entfernten Orten und von verschiedenen Künstlern verfertigt werden, selten oder nie völlig im Ein- klang stehen werden. Daher kommt es, dafs man auch jetzt noch an verschiedenen Orten, ja, wie wir sehen werden, bei verschiedenen Orchestern desselben Orts, sehr merklich verschiedene Suimmungen hat, welches aus vielen Gründen zu bedauern ist, besonders auch deswegen, weil, wie schon erinnert worden, die Summung auf die Dimensionen aller Instrumente Einflufs hat, und hierin eine Übereinstimmung wün- schenswürdig ist. Auch haben die Siummgabeln nicht hindern können, dals man in den neuern Zeiten fast überall die Summung bis zu einer ungebührlichen Höhe hinauf getrieben hat, welche die einsichtsvollsten Tonkünstler aus guten Gründen mifsbilligen: denn man läuft dadurch Gefahr, die Kunst endlich in eine blofse Künstelei zu verwandeln. Schon jetzt haben die Instrumentenmacher, die Spieler, die Sänger nichts angelegentlicheres, als die höchsten erreichbaren Töne zu erkünsteln, und l gespannter Saiten. 195 die Componisten bleiben in diesen Bestrebungen nicht zurück. So kitzelt man das Ohr des Hörers, anstatt sein Gefühl durch die Gewalt der Har- monie und Melodie zu ergreifen und zu veredeln. Dafs hiedurch der Geschmack des Publikums verfälscht wird, ist wohl nicht zu bestreiten, und der reine Sinn würde verloren gehen, wenn nicht einige würdige Priester der Tonkunst im Geiste der ältern grofsen Meister arbeiteten, und den Geschmack an den klassischen Arbeiten derselben kräfug und mit Erfolg aufrecht zu erhalten suchten. Wahrscheinlich ist diese hohe Stimmung durch die Blaseinstrumente herbeigeführt worden, die jetzt weit häufiger als ehemals gebraucht werden. Diese Instrumente werden bei er- höhter Stimmung etwas kürzer, sind vielleicht auch bequemer zu spielen, und haben allerdings in der Höhe angenehme Töne. Aber schwerlich ist diese Summung für die Saiteninstrumente, und noch weniger für die menschliche Stimme vortheilhaft. Zwar behaupten geschickte Vio- linspieler, dafs auch ihr Instrument in höherer Stimmung besser klinge. Dieses mag richtig sein, nur mufs man erwägen, dals dieses nicht ei- gentlich unmittelbare Folge der höheren Siimmung, sondern des Umstan- des ist, dafs alle Saiten den klarsten Ton alsdann geben, wenn sie fast bis zum Springen gespannt sind. Würden die Dimensionen unserer Violinen um eine unbedeutende Kleinigkeit vergröfsert, vielleicht auch der Bezug um eine geringe Kleinigkeit verstärkt, so würde man bei ei- ner tieferen Summung, eben so schöne, vielleicht noch schönere Töne erhalten, wenn man nur die Saiten scharf genug spannen könnte. An den alten ehemals so hoch geschätzten Cremoneser Geigen, ist man ge- zwungen die Saiten durch Verrückung des Steges (aber nicht zum Vor- theil ihres Tons) zu verkürzen, weil man sonst die Saiten nicht zu der jetzigen Höhe summen kann. Vor ein Paar Jahren erhielt ich durch die Geschicklichkeit des pensionirten Cammer-Musikus Herrn Pichler’s, der ein äufserst feines .Gehör, und im Stimmen eine seltene Fertigkeit besitzt, eine Stimmga- bel, die auf das genauste mit derjenigen im Einklang steht, nach welcher er damals den Flügel bei dem Orchester des grofsen Theaters stimmte. Dieses veranlafste den Gedanken, durch sorgfältige Vergleichung mit dem Ton einer gespannten Saite, genau zu bestimmen, wie viele Schwingun- gen der Ton dieser Gabel in einer Sekunde macht: denn ich hatte mich Bb2 "196 Fıscurr: /ersuche über die Schwingungen durch eine Menge früherer Versuche überzeugt, dafs es möglich sei, die Schwingungen, welche eine Saite nach der Taylorschen Theorie macht, so genau zu bestimmen, dafs man um keine ganze Schwingung in der Sekunde fehlen könne. Später erhielt ich durch die Güte des Herrn Ritters Spontini noch drei Pariser Stimmgabeln, die eine für die Sum- mung der Grand Opera, die andere vom T’heätre Feydeau, auch Opera comique genannt, die dritte vom T'heätre italien. Dieses veranlafste mich, eine genaue Vergleichung dieser vier Stimmungen zu dem nächsten Zwecke meiner Versuche zu machen, um so mehr, da ich durch die Akademie in den Stand gesetzt war, sie mit einer viel genauern Geräth- schaft, als mir früher zu Gebote stand, zu machen. ’ Beschreibung eines für diese Versuche zweckmäfsig ein- gerichteten Monochords. Ein gewöhnliches Monochord, auf welchem die Saite horizontal ganz unbrauchbar zu dergleichen Versuchen, weil es über die Spannung der tönenden Saite nie genaue Auskunft geben kann. Denn wenn man auch die Saite durch Gewicht spannt, so mufs man dasselbe liegt, ist über eine Rolle leiten, und an dieser entsteht, wegen beträchtlicher Gröfse des Gewichts, eine so starke Reibung, dafs man nie mit einiger Sicherheit wissen kann, ob die Saite zwischen den beiden Stegen wirk- lich die dem Gewicht zugehörige Spannung habe. Die Saite mufs noth- wendig lothrecht und frei herabhängen, und zwar über einer sorgfälug getheilten Scale von Metall, damit man die Länge, welche die Saite bei einem bestimmten Ton hat, so genau als möglich messen könne. Ich habe daher dem Monochord folgende auf der zu dieser Ab- handlung gehörige Tafel abgebildete Einrichtung gegeben. Fig. 1. stellt das Instrument von vorne, Fig. 2. von der Seite vor. In beiden Figuren ist 42 ein dreieckiges auf Stellschrauben ste- hendes Fufsbrei, welches ungefähr 2 Zoll dick ist, und dessen Seiten etwa 21 Zoll lang sind. In der Mitte desselben erhebt sich eine vier- eckige inwendig hohle Säule von Holz CD. Ihre Höhe: ist 6 Fufs; die vordere Breite 21, Zoll; und jede der beiden Seitenwände ist 4 Zoll breit. Oben bei D hat sie einen Deckel, der abgenommen werden, und durch den der innere Raum rein erhalten werden kann. Dicht unter dem gespannter Saiten. 197 Deckel ist an der vordern Seite eine Klemmzange (zwischen Z und F Fig. 1. und G Fig. 2.) befestigt. Sie besteht aus zwei hinlänglich star- ken, und 2 Zoll langen Stäbchen von Messing, welche durch eine (bei F Fig. 1, und bei G Fig. 2. sichtbare) Schraube scharf zusammengeprefst werden können. Man sieht leicht, dafs diese Klemmzange zur Befestigung der Saite bestimmt ist. Unten wird die Saite durch ein angehängtes Gewicht 777 gespannt. In einer kleinen Entfernung von der vordern Seite der Säule, und parallel mit derselben, ist ein starker dreieckiger (1) Stab von Messing, blofs an seinen äufsersten Enden m und n an der Säule befestigt. Jede Seite dieses Stabes ist sehr sorgfälug eben geho- belt, und jede Seite hat eine Breite von ungefähr 1 Zoll. Der Stab kehrt der Säule eine scharfe Kante, also dem Beobachter eine Seiten- fläche zu. Auf dieser befindet sich die Scale, welche blofs Theilstriche für ganze Zolle, aber diese schr sorgfälug abgemessen, enthält, Oben bei m ist dieser Scalen-Stab mit einer dünnen Platte von Elfenbein be- deckt, deren vorderer Rand ungefähr 0, 4 Zoll über die Ebene der Scale hervorragt. Die vordere Seite dieser Platte ist ein wenig abge- schrägt, so dafs die obere Fläche mit derselben einen Winkel kleiner als 90° bildet. Diese Kante ist der obere feste Steg auf welchem die Saite dicht aufliegen mufs, weswegen das obere Ende der Saite ein wenig rückwärts in der Klemmzange zu befestigen ist. Dieser Steg, oder die obere Fläche der elfenbeinernen Platte ist der Nullpunkt der Scale. Bei Ä zeigt sich in beiden Figuren der zweite bewegliche Steg, der wie der obere, mit einer dünnen Platte von Elfenbein bedeckt, und überhaupt dem obern Stege ganz gleich ist, nur dafs er an der ganzen Scale auf und ab geschoben, und in jeder Stelle durch eine Schraube an der Seite befestigt werden kann. Um nun kleine Theile des Zolles mit Sicherheit messen zu können, ist oben auf diesem Stege eine kleine schmale Platte von Messing in der Gestalt eines Nonius befestigt, die man in Fig. 1 neben Z, in Fig. 2 unter / erblickt. Sie liegt unmittelbar auf der Ebene der Scale, ist ganz genau einen Zoll lang, und dieser (1) Dreieckig wurde der Stab auf den Ratlı des Künstlers gemacht, weil diese Ge- stalt Bequemlichkeiten bei der genauen Ausarbeitung gewährt. Für den Gebrauch ist die Gestalt gleichgültig. 198 Fıscuwer: Versuche über die Schwingungen Zoll ist unmittelbar in hundert Theile getheilt. Das blofse Auge un- terscheidet diese Theile noch sehr gut, und durch eine Loupe betrach- tet, erscheinen sie grofs genug um selbst Tausendtel mit vieler Sicher- heit zu schätzen. Man sieht leicht, wie dieser einzige getheilte Zoll, in Verbindung mit den Zollen des Stabes, dient, die Entfernung beider Stege in ganzen Zollen und Hunderteln genau, und selbst in Tausend- teln noch ziemlich sicher zu schätzen. Ich habe diese einfache Einrich- tung der unmittelbaren Eintheilung aller Zolle in kleinere Theile in Verbindung mit einem wirklichen Nonius vorgezogen, weil ich auf diese Art viel sicherer war, dafs die Theilung mit grofser Genauigkeit ausge- führt werden konnte. Auch werden dadurch die Kosten eines solchen Monochords bedeutend vermindert. Das Gewicht 47 ist rund, und besteht aus sechs einzelnen Stücken, deren jedes genau 5 Mark, oder 80 Preufsische Lothe wiegt. Sie sind so eingerichtet, dafs man sie an einander schrauben, und so Spannungen von 5, 10, 15, 20, 25, 30 Mark hervorbringen kann. Auf der hintern Seite der Säule ist noch bei O (Fig. 2.) ein besonderes Be- hältnifs angebracht, in welchem man die Gewichte aufser dem Gebrauch verwahren kann. Auch kann man eine oder mehrere abgewogene und gehörig vorbereitete Saiten in der innern Hölung der Säule aufheben, indem man sie an einem Häckchen an der untern Fläche des Deckels (D) aufhängt, und durch ein kleines angehängtes Gewicht spannt. Das beschriebene Instrument ist durch den geschickten Künstler Herrn Lomba, Inspector des hiesiegen Aichamtes, sehr sorgfälug und zu meiner völligen Zufriedenheit ausgeführt worden. Beschreibung der Versuche zur Bestimmung der Anzahl von (einfachen) Schwingungen, welche der Ton einer Stimmgabel in einer Sekunde macht. Wir werden sehen, dafs es vermittelst der beschriebenen Geräth- schaft allezeit möglich ist, die Anzahl der Schwingungen einer Gabel so genau zu bestimmen, dafs man nicht um eine ganze Schwingung in der Sekunde fehlt. Indessen ist der Versuch, wenn diese Genauig- keit gefordert wird, immer etwas umständlich. Aber man mufs erwä- senauen Versuchs nur selten ein- gen, dafs die Nothwendigkeit eines so g gespannter Saiten. 199 tritt, nämlich nur dann, wenn etwa die bei einem musikalischen Insti- tut übliche Suimmung aufs genaueste festgesetzt, oder eine etwas verän- derte Stimmung eingeführt werden soll. Für das gewöhnliche Bedürf- nifs leistet die Summgabel alles, was gefordert werden mag.. Wir wollen zuerst der Taylorschen Formel eine etwas verän- derte, für unsern Zweck bequemere Gestalt geben. Es sei Z die Länge, G das Gewicht, P die Spannung einer Saite, g die Fallhöhe eines Körpers in der ersten Sekunde, und z die Anzahl der einfachen (1) Schwingungen in einer Sekunde, so ist nach Taylor’s Theorie, und in der jetzt gewöhnlichsten Bezeichnungsart, Aus dieser Formel ergiebt sich, wie der Versuch im Allgemei- nen anzustellen ist. Der zu bestimmende Ton sei das ungestrichene a (EEE), so hat man zuerst eine Saite von angemessener Stärke zu wählen. Für diesen Ton pflegt man auf Clavieren No. 5. von Messing oder Eisen zu wänlen. Ich habe mich des ersten bedient. Diese Saite muls am Monochord aufgehängt, durch das bestimmte Gewicht ? ge- spannt, und durch Versuche die Länge Z bestimmt werden, bei welcher sie genau den Ton a giebt. Wir werden sehen, dafs diese Bestim- mung eigene Schwierigkeiten hat, indem ein einzelner noch so sorg- fäluger Versuch nie etwas genaues geben kann; aber wir werden auch zeigen, dafs man durch oftmalige Wiederholung des Versuches jeden er- forderlichen Grund von Genauigkeit erreichen könne. Dann ist nur noch das Gewicht @ des tönenden Theiles der Saite zu bestimmen. Zu dem Ende mufs nun ein etwas langes Stück der Saite, dessen Länge (bei der Spannung P genau abgemessen) A heilsen soll, gewo- gen werden. Das Gewicht dieses Stückes heifse y, so findet sich G durch die Proportion A!:Z=y:G. Setzt man den Werth von G, den diese Proportion giebt, in die Formel, so erhält man 1 y2arP } a — L y (1) Eine einfache Schwingung ist ein einzelner Hin- oder Hergang. Einen Hin- und Hergang zusammen, den Viele eineSchwingung nennen, nenne ich eine Dop- pelschwingung. 200 Fıscuer: Fersuche über die Schwingungen Die zur Berechnung von n erforderlichen Data sind also 8,1, y, P,Z, deren Besimmung wir einzeln durchgehen müssen. 1) g ist eine beständige und anderweitig bekannte Gröfse, die in Zollen ausgedrückt sein mufs, wenn Z in Zollen gegeben wird. Für die hiesige Gegend setzen wir g= 137, 5 Pr. Zoll. 2) Die genaue Bestimmung von A und y ist ein Theil des Ver- suches, der eine besondere Sorgfalt fodert. Denn es ist offenbar nicht genug, dafs man geradezu ein Stück der Saite abmesse und wiege, denn bei dem Versuche mufs die Saite durch das Gewicht P gespannt sein, und da ein starkes Gewicht die Saite ausdehnt, so mufs die Saite wäh- rend der Abmessung von A schon durch das Gewicht ? gespannt sein. Folgendes Verfahren giebt hinlängliche Genauigkeit. Man nehme einen starken hölzernen Stab (von 44, bis 2 Zoll ins Gevierte), und lasse eine Seite desselben aufs möglichste eben und ge- rade abhobeln. Die Länge A ist wenigstens 50 Zoll anzunehmen. (1) Der Stab mufs einige Zolle länger sein. Man fafse nach der Scale des Monochords mn aufs genaueste, vermittelst eines ‚guten Stangen- zirkels, die für A angenommene Länge, und trage sie auf den Stab, so dafs die eine Gränze dieser Länge von den einem Ende des Stabes etwa 1 Zoll entfernt sei. An diesem Ende des Stabes befestige man die Saite, so fest als möglich, etwa durch eine starke Schraubenzwinge, die man auf dem überstehenden Zoll anlegt, nur so, dafs der hier be- findliche Gränzpunkt der 50 Zoll unbedeckt bleibt. Man thut wohl, an dieses Ende der Saite noch eine Öhse zu drehen, und diese aufser- halb der Zwinge an einen Suft anzuhängen, damit hier die Saite auf das möglichste befesugt sei. Nachdem man nun die_Saite längs dem Stabe mit der Hand ausgespannt hat, schneidet man zuerst ein Stück ab, das noch 8 bis 10 Zoll länger ist als der Stab. An dieses Ende der Saite. dreht man eine tüchuge Öhse, welche bestimmt ist, das span- (1) Im Folgenden ist das Gewicht von 50 Zollen in Rechnung gebracht worden, ob ich gleich in der That 75 Zoll gemessen und gewogen habe. Diese Gröfsere Länge wurde ge- wählt, damit die gewogene Saite länger wäre, als die Scale meines Monochords. Mifst man nur 50 Zoll, so reicht die Saite, am Monochord befestigt, nicht bis unter die Scale. Dann mufs man ein Stück Saite unten anknüpfen, was indessen für das Wesentliche der Versuche keinen Nachtheil bringt. gespannter Saiten. 201 - nende Gewicht ? zu tragen. Dann stellt man den Stab lothrecht auf die äufserste Kante eines festen Tisches, so dafs das befestigte Ende der Saite oben ist. Hängt man nun das Gewicht P an, so wird die Saite von oben frei herabhängen, und die gehörige Spannung annehmen, wenn man nur den Stab um eine Kleinigkeit aus der lothrechten Lage bringt. Jetzt bringt man den Stab vorsichtig in die lothrechte Lage zurück, so dafs die Saite mitten am Stabe herabhängt, und von oben bis unten eine einzige gerade Linie bilde. Dann schneidet man mit einem scharfen Messer die Saite ab, genau auf dem untersten Gränzpunkt der abgemes- senen Länge, so wird man sie nur eben so auch oben dicht unter der Zwinge auf dem obern Gränzpunkt der abgemessenen Länge abschnei- den können. Die so abgeschnittene Saite hat dann sehr genau, bei der Spannung P, die angenommene Länge. In den folgenden Rechnungen ist aber immer A = 50 angenommen. 3) Diese Saite ist nun aufs genaueste zu wiegen. Ich bediene mich dazu einer sehr guten und empfindlichen Wage, und eines Nor- malgewichts, welches von dem Director des hiesigen Aichamtes, Herrn Oberbergrath Schaffrinsky, sorgfältig abgeglichen ist. Das Preufsische Loth ist in diesem Gewicht zehntheilig, bis zu Zehntausendeln abgetheilt. Nach einem Mittel aus vier verschiedenen Abwägungen, die um keine 0,0002 von einander abwichen fand sich y = 0,0889 Preufs. Loth. 4) Bei Bestimmung des spannenden Gewichts P ist zu bemerken, dafs eine Saite den schönsten Ton giebt, wenn sie fast bis zum Zer- reifsen gespannt ist. Nun bedarf eine Messingsaite No.5 zum Zerreifsen ungefähr 36 Mark. Daher ist 30 Mark eine schickliche Gröfse für ?. Es mufs aber dieses Gewicht in derselben Einheit als y ausgedrückt seyn; also setzen wir P = 480 Pr. Loth. 5) Wie der Werth von Z vermittelst des beschriebenen Mo- nochords zu bestimmen sei, bedarf einer umständlichen Erörterung. Nachdem ? und y nach No. 2 und 3. genau bestimmt worden, bringt man das eine Ende eben dieses abgemessenen Stückes an das Mo- nochord, und befestigt es in der Klemmzange (G Fig. 2.), ein wenig rückwärts, so dafs die Saite von da bis zum obern Steg (m) einen klei- Phys. Klasse 1822-1823. Ce 202 Fıscnuer: Fersuche über die Schwingungen nen Winkel mit einer lothrechten Linie macht. Von da hängt aber die Saite frei herab, und wird durch das angehängte Gewicht P (HT Fig. und 2.) gespannt. Hierauf mufs die Scale des Monochords lothrecht gestellt werden, wobei die Saite selbst die Stelle eines Bleilothes vertreten kann. Am leichtesten wird die Stellung, wenn man auf der obern Fläche beider Stege zwei correspondirende Punkte bemerkt, an welchen die gespannte Saite anliegen mufs, wenn das Instrument richüg steht. Der bewegliche Steg wird dann so tief als möglich heruntergerückt, und die Stellung des Instruments durch die Stellschrauben des Fufsbrettes bewerkstelligt. Rückt man nun den beweglichen Steg etwa bis auf. ungefähr 24 Zolle wieder in die Höhe, so wird die Saite einen reinen Ton angeben, wenn man blofs den zwischen beiden Stegen enthaltenen Theil in schwin- gende Bewegung setzt. Zu diesem Ende mufs man die Saite, die an den untern Steg blofs hinläuft, ohne ihn zu drücken, dicht unter diesem Steg, nicht andrücken, sondern blofs sanft berühren. Schnellt man dann die Saite nur schwach etwa mit einem Federkiel, so giebt sie einen klaren und bestimmten Ton, den man durch Verrückung des beweglichen Steges, beliebig verändern kann. r Die Summgabeln geben gewöhnlich das einmal gestrichene 2 (Fe) an, und es hat keine Schwierigkeit den beweglichen Steg so weit hinauf zu rücken, dafs die Saite diesen Ton angiebt, wozu eine Länge von 11 bis 12 Zoll erfoderlich ist. Ich habe mich aber durch viele Versuche überzeugt, dafs es leichter und sicherer ist, die tiefere Öctave (das ungestrichene a) mit der Summgabel in Einklang zu brin- gen, als das eingestwrichene @ selbst. Aus diesem Grunde habe ich vor- gezogen, die Anzahl der Schwingungen zu besiimmen, welche das un- gestrichene a, in einer Secunde, nach den oben angegebenen vier Summ- gabeln macht. Rückt man den beweglichen Steg auf 24 Zoll oder etwas höher, so giebt die Saite einen tieferen Ton als a. Rückt man nun den Steg immer höher, und setzt zugleich die Stimmgabel in Schwingung, so kommt die Saite dem Tone der Gabel immer näher. Sind beide Töne einander nahe genug so hört man das, was die Tonkünstler das Schwe- ben des Tones nennen, d.h. ein abwechselnd schärfer- und stumpfer gespannter Saiten. 203 - werden des Tones. Diese Schwebungen sind ganz gleichzeitig, und wer- den desto langsamer je näher die Töne einander kommen, bis endlich alle Schwebung verschwindet, und beide Töne, für das Ohr im Ein- klang sind. Es läfst sich aber zeigen, dafs alsdann noch nicht nothwen- dig der absolute Einklang da ist. Um dieses deutlich zu machen, ist es nothwendig, die Entstehung und das Wesen der Schwebungen ge- nau zu erklären. Gesetzt, es sind zwei Töne schon so nahe beisammen, dafs wäh- rend der höhere (unter der gemachten Voraussetzung, die Gabel), 100 Schwingungen macht, der tiefere (die Saite) deren nur 99 macht; so ist klar dafs die Schwingungen beider, nur immer bei der 100ten Schwin-. gung des höheren Tones zusammentreflen werden. So lange nun die Schwingungen genau, oder schr nahe zusammentreflfen, hört man den Ton schärfer; wo sie aber nicht zusammentreffen, ist der Ton stumpfer. Dieses ist der Ursprung der Schwebungen, und man sieht leicht, dafs dieselben nicht anders als gleichzeitig sein können, weil die einzelnen Schwingungen jedes Tones gleichzeitig sind. Nun nehme man an, dafs der tiefere Ton (der Saite), dem höheren noch näher gebracht wird, und zwar so nahe, dafs während der höhere 1000 Schwingungen macht, der tiefere nur 999 macht, so treffen die Schläge der Töne nur bei der 1000ten des höheren Tones zusammen; d. h. jede Schwebung wird zehn- mal so lang dauern als vorher. Es ist daher klar, dafs bei Annäherung der Töne die Schwebungen immer langsamer werden müssen; auch ist klar, dafs die Dauer einer einzigen Schwebung bei sehr starker Annä- herung der Töne so lang werden kann, als man will. Der vollkom- mene Einklang würde erst da sein, wenn wirklich gar keine Schwe- bung mehr statt fände. Man sieht aber leicht ein, dafs das Ohr die- sen Punkt nie mit absoluter Sicherheit beurtheilen kann. Hat man in- dessen zwei Töne, die beide sehr lange tönen, so kann man sie aller- dings sehr genau zum Einklang bringen. So hört man z.B. den Ton einer guten Stimmgabel 25 bis 30 Sekunden lang. Uebersteigt also eine Schwebung diese Dauer nicht, so wird ein geübtes Ohr noch immer die Abweichung vom Einklang wahrnehmen. Nur erst, wenn die Schwe- bungen viel länger als 50 Sekunden dauern, wird das Ohr keine Ab- weichung mehr wahrnehmen; aber dann stehen auch die Töne, für Ge2 204 Fıscuwenr: /ersuche über die Schwingungen jedes menschliche Ohr in völligem Einklang. Zwei Stimmgabeln können daher sehr genau in den Einklang gestimmt werden. Anders verhält es sich aber in unserm Fall. Der Ton der Saite am Monochord dauert kaum 3 bis 4 Sekunden deutlich hörbar. Sobald also die Dauer der Schwebungen beträchtlich gröfser wird als 4 Sekunden, so wird man keine Schwebung mehr hören, wobei jedoch die Töne noch merklich vom Einklang entfernt sein können. Denn wenn auch der Wechsel einer Schwebung gerade in die 4 Sekunden fiele, wo die Saite tönt, so ist das Bemerken eines einzigen Wechsels schwierig und unsicher. Denn überhaupt ist der Unterschied zwischen dem schärfern und stum- pfern Theil einer Schwebung nur gering, und ein ungeübtes Ohr hört die Schwebungen oft gar nicht, so deutlich sie auch ein geübtes unter- scheidet. Auch wird die Beurtheilung des Einklanges durch äufsere Zufälligkeiten unsicher. Man müfste eigentlich die Versuche in der Stille der Nacht machen, denn das Geräusch des Tages wirkt sehr stö- rend. Noch ist zu bemerken, dafs man die Schwebungen besser wahr- nimmt, wenn sie nicht sehr stark tönen. Denn der Unterschied des schärfern und stumpfern 'Tönens, ist so gering, dafs er bei starken, be- sonders sehr ungleichartigen Tönen nur mit Mühe wahrgenommen wird. Um genauere Versuche zu machen, mufs man daher Übung haben. Wiederholt man nun einen Versuch öfter, so bekommt man fast bei jedem Versuch einen etwas andern Werth von Z, und bei der grofsen Menge von Versuchen die ich gemacht habe, hat es sich gezeigt, dafs selbst bei ziemlich günstigen Umständen, und bei vielmaliger Wiederho- lung des Versuches, der Unterschied der gröfsten und kleinsten Werthe von Z, wohl auf 0, 030 Zoll, unter minder günstigen, auf 0, 050 Zoll steigen könne, so dafs, wenn / das Resultat eines einzelnen Ver- suches ist, man denselben nur innerhalb der Gränzen /+ 0, 015, oder unter ungünstigen Umständen innerhalb der Gränzen / = 0,025 für sicher halten kann. Hieraus ist aber klar, dafs ein einzelner Versuch nie den Werth von Z bis zu Tausendeln des Zolles genau geben könne. Aus der vorgetragenen Theorie der Schwebungen ist nämlich leicht einzusehen, dafs jeder einzelne Versuch eben so leicht in + als in — fehlen könne. Denn die letzte kaum merkliche kleine Verschie- bung des Steges, wodurch man scheinbar den Einklang erhält, kann gespannter Saiten. 205 eben so wohl den Steg über als unter den Punkt des absoluten Ein- klanges bringen. Man wird also den Versuch oft wiederholen müssen, welches, wenn einmal dies Geräthschaft in Ordnung ist, keine Schwie- rigkeit hat. Nimmt man dann aus vielen Versuchen das Mittel, so ist klar, dafs sich dasselbe dem wahren Werth von Z so sehr nähern könne als man will. Wie stark diese Annäherung sei, läfst sich aber jederzeit aus dem Anblick der gefundenen Resultate beurtheilen. Gesetzt, man hätte den Versuch zehnmal wiederholt, so vergleiche man den gröfsten und kleinsten der gefundenen Werthe von Z. Gesetzt, sie wären von 0,017 verschieden, so hat man den Versuch noch nicht oft genug ge- macht, um sich in dem Mittel auf die Tausendel verlassen zu können. Für diesen Zweck wird der Versuch mindestens noch sieben mal zu wie- derholen sein. Hätte man dagegen zwanzig mal den Versuch gemacht, und den Unterschied des gröfsten und kleinsten Werthes auch 0, 017 ge- funden, so müfste ein 21ster Versuch den man machte, um mehr als + 21 Tausendel von dem Mittel der Versuche abweichen, wenn da- durch in dem gefundenen Mittel ein Unterschied von mehr als & 0, 001 entstehen sollte. Ein Versuch aber, der nur + 0,021 vom Mittel aller Versuche abwiche, müfste nach den oben bestimmten Gränzen einen unter günstigen Umständen vermeidlichen Fehler enthalten, und müfste also gänzlich von der Rechnung ausgeschlossen werden. Macht man also nun eine hinreichende Anzahl von Versuchen, so ist es allerdings möglich, den Werth von Z so genau zu finden, dafs man sicher sein kann um kein volles Tausendel eines Zolles zu fehlen. Ergebnifs der Versuche über die oben angegebenen vier Stimmgabeln. Zur Berechnung der Anzahl der Schwingungen (z) in einer Se- kunde, nach der Formel nz y 2gr P L Y haben wir also zuerst gemeinschaftlich für alle Simmgabeln, die Werthe von 8, /, P, y; nämlich 28 =575; X! = 50; P.=:480 5.4: =)!0;0889. n = 206 Fıscumer: /ersuche über die Schwingungen Was unter dem Wurzelzeichen steht, bleibt also für alle Versuche unver- ändert, und läfst sich vorläufig logarithmisch berechnen. Man findet 2er pP ur 375. 50. 480 Log. ) Z = Log. V 10-0859; —'4,005340/7. daher Log. n = 4,0053407 — Log. Z. Es war also für jede Stimmgabel nur noch der Werth von Z auf die angegebene Art zu bestimmen. 1) Für die Stummgabel des Berliner Theaters wurde der Ver- such dreifsigmal wiederholt. Die erste Hälfte gab im Mittel Z = 23, 007; die andere Z = 23,009; also alle Versuche im Mittel L = 23,008 Pr. Zolle. Die stärksten Abweichungen von diesem Mittel waren + 0,014 und — 0,007; also waren das gröfsie und kleinste Resultat um 0, 021 ver- schieden, und es ist klar, dafs man durch noch so vielmalige Wieder- holung des Versuches kein anderes Mittel hätte finden können, wofern alle folgenden Versuche innerhalb der oben angegebenen zulässigen Grän- zen blieben. Man ist daher berechtigt, selbst die Tausendel für richtig zu halten. Berechnet man nun den Werth von z, nach der obigen Formel, so findet man n = 437,32 Schwingungen in 1”. 2) Für die Summgabel der Grand Opera in Paris, fand sich in einem Mittel aus dreifsig Versuchen L = 23,307 Die äufsersten Abweichungen vom Mittel waren + 0,025 und — 0,012 Ihre absolute Summe ist 0,036. Es ist also die Möglichkeit da, dafs dieser Werth von Z um 0,001 fehle. Für die Anzahl der Schwingungen in 1” findet man n.— ‚A331, 34 3) Für die Simmgabel des T’heätre Feydeau war das Mittel aus zwanzig Versuchen D=.98,630, Die stärksten Abweichungen vom Mittel waren + 0,022 und — 0,026. gespannter Saiten. 207 Also der Unterschied des gröfsten und kleinsten Resultats 0, 048. Durch öftere Wiederholung könnte sich also der Werth von Z noch um 0, 002 ändern. 3 Der Werth von z der sich hieraus ergiebt, ist 1: — 427, 61 4) Endlich für die Süummgabel des T’heätre italien, fand ich in ei- nem Mittel aus zwanzig Versuchen = 2357412 Die stärksten Abweichungen hievon waren + 0,014 und — 0,032. Ihre absolute Summe ist 0, 046. Der Fehler von Z kann also wohl auf 0, 002 steigen. Und hieraus ergiebt sich En .4244.47 Es ist noch übrig zu untersuchen: Wie weit man sich auf die gefundenen Werthe von x ver- lassen könne. Diese Untersuchung hat keine Schwierigkeit, wenn man die mög- lichen Fehler aller einzelnen Gröfsen als Differenuale behandelt. Wenn man in der Formel n—= — V ade z 2 alle Gröfsen (g nicht ausgenommen) veränderlich setzt, so ergiebt sich a, (ee a ankiar tan, L 2g 21 2P 2y Da aber die Fehler eben sowohl positiv als negativ sein können, und bei Beurtheilung der Unsicherheit der ungünstigste Fall zum Grunde zu le- gen ist, so müssen wir allen Gliedern in der Klammer das Vorzeichen + geben, weil es möglich ist, dafs die Fehler von Z und y denen der übrigen Gröfsen entgegengesetzt sein könnten. Da nun nach dieser Aenderung der Vorzeichen unsere Formel nicht mehr den eigentlichen Sinn einer Differental-Formel behält, so wollen wir die möglichen Feh- ler jeder Gröfse nicht durch ein d, sondern durch ein vorgesetztes f andeuten. Wir haben also Ben JE. fg . SP: SRsnıls f=n(7 Fat en en ) “2 205 Fıscuer: Versuche über die Schwingungen Seizen wir nun für jeden Zähler in der Klammer, den gröfst mög- lichen Fehler jeder Gröfse, oder vielmehr etwas was gröfser ist, als je- der unvermeidliche Fehler, (was nach dem bisher Vorgetragenen keine Schwierigkeit hat), für jeden Nenner aber entweder die Gröfse selbst, oder auch etwas kleineres als diese; multipliciren wir am Ende die Summe der 5 Quotienten mit einer Zahl die gröfser ist, als jeder gefun- dene Werth von z, so ist klar, dafs wir für den Fehler fn eine Gröfse er- langen, innerhalb deren jeder gefundene Werth von z nothwendig bleibt. Wir müssen in dieser Rücksicht die Gröfsen Z, g, P, A, y ein- zeln durchgehen. 1) Wir haben gezeigt, dafs jeder für Z gefundene Werth höchstens um etwas mehr als 0, 002 unsicher sei. Wir wollen aber, zu mehrerer Sicherheit, fZ < 0,005, und für Z eine Zahl setzen die kleiner ist als jeder gefundene Werth von Z, nämlich Z = 23, so ist =: < 0,000 22 2) Die Gröfse g ist bekanntlich von der Länge des Secunden-Pen- dels abhängig, welchen man für hiesige Gegend 38 Zoll annimmt. Diese Bestimmung ist zwar nicht so genau als man wünschen möchte; indes- sen würde sich durch Vergleichung von genauen anderwärts gemachten Beobachtungen zeigen lassen, dafs sie schwerlich um 0,01 Zoll von der Wahrheit abweiche. Berechnet man aber hieraus den Werth von g, so wird der Fehler beinahe fünf mal so grofs. Wir wollen daher Sg < 9,05 und 2g = 375 setzen. Dann ist FE < 0,000 13 28 3) Den Fehler von P könnte man, bei der Sorgfalt womit die Gewichte abgeglichen sind, — 0 setzen. Wir wollen indessen zum Über- flufs annehmen, dafs ? um 0,1 Loth fehlerhaft sein könne. Da nun P= 4803 '60°ist fP 5 < 9, 000 10 4) Die Quellen eines Fehlers in der Abmessung von ? lassen sich auf zwei zurückbringen. gespannter Saiten. 209 Zuerst kann ein kleiner Fehler vorfallen indem man die Länge A von der Scale des Monochords auf den hölzernen Stab wägt. Braucht man einen hinlänglich langen Stangenzirkel, und wendet alle erforderliche Sorg- falt an, so glaube ich nicht, dafs man um 0,02 Zoll fehlen könne. Durch die Art des Abschneidens kann nur ein sehr unbedeuten- der Fehler entstehen. Hängt die gespannte Saite am Stabe herab, so sieht man deutlich den untern Gränzpunkt der abgemessenen Länge, und kann die Saite scharf auf diesem Punkte abschneiden. Indem aber durch diesen Schnitt die Spannung der Saite plötzlich aufhört, kann man eine kleine Verschiebung der Saite am obern Gränzpunkt besor- gen. Hat man aber die Saite hier tüchtig befestigt, und besonders eine starke Zwinge dicht über dem obern Gränzpunkt angelegt, so ist nicht leicht ein bemerklicher Fehler aus dieser Ursache zu besorgen. Dehnt man die Saite während sie noch oben befestigt ist, mit der Hand längs dem Mafsstab, so findet sich, dafs 50 Zoll um nicht mehr als etwas über 0,1 Zoll durch Nachlassung der Spannung verkürzt sind. Man berechnet daraus leicht, dafs dieses auf die kurze Länge der Saite, die über dem obern Gränzpunkt frei ist, durchaus nichts bemerkliches be- tragen könne, selbst dann nicht, wenn sie sich vermöge des Stofses den die Saite durch die plötzliche Aufhebung der Spannung erhält, ein klein wenig unter der Zwingschraube zurückziehen sollte. Wir wollen indes- sen um mehrerer Sicherheit willen fA < 0,025 setzen, so wird fr _ 9.085 2? 100 5) Was endlich y beırifft, so habe ich zwar die Abwägung so sorgfältig gemacht, dafs ich in der That nicht leicht einen Fehler von der Gröfse 0, 000 1 Loth besorge. Da indessen ein Fehler dieser Gröfse auf den Fehler von z mehr Einflufs hat, als alle übrigen Fehler, so setze ich fy < 0,0003, und da 2y = 0,1778 so wollen wir über — 0500025 dieses noch 2 = 0,17 setzen, dann ist Sy 2200003: 4...:0,08 © 2 - “7 ar Br uw. oral sienke: ou ifo llae k work uk kin) ve, Fa Fu | ig au ET bu ae la ae Ei Pe u Ip A PLAN Aa Be a a “ PR ne x Be u 3 ANOnR tet) Kae SAL FUN ETIE DaeT Hanf: Fusählt je ee » br, Be. oh u a. les jr ee?" vn | fh Aa Dat) 3 # R Ha we She shhah bie ; Di N Bolten e or Isinh Ami Erz hi ae les bi [ a -f . an Bu äh 5! ie r 5 “ > Rs 9 Kr N Et let a Al sigrrt ee AR 7. Dr a = gr Rt BERaE EN" ale N i j ' DR ee Ü Ir r ’ >, E 0 5 i ’ a / ‚ - HART # u Ar . D E 7a b A ' i ; N \ ri = . & er Ati, z. u N a wi »atı n’% 1 Ei: 7 “ er ns 0 Im . % H ’ en f . u Ra. a u 5 er ” k “ 8 3 k ey = . . ‚ N L r r 2 5 * r Me Le BEI ZT s j be" SE Grundzüge der Theorie der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. entwickelt aus den Dimensionszeichen für ihre Flächen. “Von \ Ars WDTS. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 13. Februar 1823.] $. 1. D.: Folgerungen, sowohl für die Theorie des Zusammenhanges der Flächen eines sechsgliedrigen oder eines dreiunddreigliedrigen Krystall- systems, als auch für die Berechnung der an ihnen vorkommenden Win- kel und für die Auflindung ihrer geometrischen Eigenschaften, auf welche der Gebrauch jenes allgemeinen Dimensionszeichens führt, welches ich in einer früheren Abhandlung (ı) der Königl. Akademie vorgelegt habe, sind von mir dort, wo es nur darauf ankam, es aufzustellen und mit dem nöthigsten zu erläutern, nur mit wenigem angedeutet worden; .ich mache mir es jetzt zum Gegenstande, zu zeigen, wie einfach und kurz die Theorie der Körper, welche den genannten Systemen angehören, aus dem a. a. O. S. 321. aufgestellten allgemeinen Zeichen der Flächen hervorgeht. Es war dieses: (2) Y.c 1 A ee DR 2 / len? 2 " n—i 2 2 2 (1) S. den Band dieser Schriften für die Jahre 1816 und 17 S. 321 u. fgg. (2) Die Theile des Zeichens in ein Rechteck. einzuschliefsen, anstatt in ein Dreieck, wie a. a. O. geschehen war, zeigt sich in der Ausführung bequemer, und ist daher diese Form au die Stelle der früheren analog den Zeichen der anderen Krystallsysteme hier gesetzt worden. Phys. Klasse 1822-1823. Ee 248 = Weıss: Grundzüge der Theorie Hiebei bedeutet c die Längendimension mit einem variablen Coefficien- ten y, ferner a die drei unter sich gleichartigen, einander unter 60° schneidenden, gemeinschaftlich auf der Dimension c rechtwinklichen Queerdimensionen, eine in der Einheit, die angrenzende mit dem va- riablen Coeflicienten — genommen, durch welchen die Coeflicienten der folgenden vier Gröfsen bestimmt sind; s bedeutet die zwischen je zwei @ liegenden kleineren Queerdimensionen, in der Folge, wie sie im Raume zwischen je zwei a oder jenseit des letztgeschriebenen liegen; die s ver- halten sich zu den a wie der kleinste Halbmesser des regulären Sechs- ecks zum gröfsten, also wie V 3 zu 2; das Verhältnifs a: c oder sic cha- rakterisirt individuell die einzelnen Systeme, wie Quarz, Kalkspath u. s.f. Die Fig. 1. stellt nun die Lage einer einzelnen Fläche gegen die sämmtlichen erwähnten Dimensionen des Systems dar; Ca, Cb, Cd sind die drei gröfseren Queerdimensionen a; Ce, Cf, Cg die entgegengeseizten Richtungen in denselben; Cs, Ct, Cu sind die kleineren Queerdimen- sionen s; Cc die Längendimension c. Die gewählte Fläche sei ach, und ihre Durchschnitte mit Cs, Cb, Ct, Cd, Cu seien die Punkte i,n,o,m,h; 2 . 4 4 ° soit On=-a, Cm= -——za, Ci= 3,00 — s, und Ch= — 5. n+1 Wir nehmen hier y = 1, wenn wir die Fläche PN den Endruk ce der Längendimension Ce. gelegt denken. Die geschriebene Fläche gehört einem Sechsundsechskantner (Fig. 2.) an, oder auch seinem rhomboedrischen Hälftflächner (Fig. 3.), dem Drei- unddreikantner, wenn sämmtliche sieben angegebene Werthe in der Längendimension und in den (@ueerdimensionen endlich sind; alle drei z sowohl als alle drei s haben dann einen verschiedenen Werth. Sechsundsechskantner aber sind, wie ich hier nicht wiederholen zu dür- fen glaube, die Körper, welche von dem Maximum der Anzahl unter sich gleichartiger Flächen, wie viele es solcher im sechsgliedrigen Systeme geben kann (24), allein gleicher Ausdehnung genommen, begrenzt wer- den. Dreiunddreikantner aber, als von der Hälfte der Flächen des Sechs- undsechskantners begrenzt, (während die andre Hälfte aus der Begren- zung des Körpers verdrängt ist), sind eben so die das Maximum gleich- artiger Flächen enthaltenden Körper im rhombo&@drischen Systeme. Um nicht für eine und dieselbe Fläche eine verschiedene Form des Zeichens zuzulassen, wodurch ihre Idenutät sich in dem einen oder der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 219 andern Falle hinter einer doppelien oder mehrfachen Form verstecken könnte, und zugleich um in so gröfserer Bestiimmtheit der Ausdrücke uns bedienen zu können, nehmen wir immer das gröfseste a, dafern es endlich ist im Vergleich gegen die andern, in der Einheit, d.i. wir neh- men immer 2>2, (mit Einschlufs des Grenzfalles = 2); woraus dann folgt, dafs das £ das kleinste, -— das mittlere a der Gröfse nach i Fa - das mittlere, -. das gröfseste s. Das kleinste s steht senkrecht auf dem gröfsten a, umge- ist; wird dann jederzeit das kleinste s, > kehrt das gröfste s senkrecht auf dem kleinsten a, das mittlere s senk- recht auf dem mittleren a. Auf dem ersten, in der Einheit genomme- . . 2 . >) nen a nemlich ist senkrecht das „__— s, auf — ist senkrecht das re} auf = senkrecht das 5. Von jedem a@ rückt man zu dem nächst- angrenzenden s, und von diesem zum nächstfolgenden a u. s. w. immer um ein Azimuth von 30°; welches alles die Fig. 1. zu erläutern die- nen kann. Sofern nun die gegebene Fläche einen Sechsundsechskantner symmetrisch begrenzt, wird jede einzelne zur Begrenzungsfläche des Kör- pers innerhalb des Raumes, wo sie dem Mittelpunkt näher liegt als jede andere der ihr gleichartigen, d, h. innerhalb des Raumes zwischen den Endpunkten von yc, ihrem kleinsten a und ihrem —, o._ und yc; unsre in Fig. 1. gezeichnete Fläche cah also zwischen den Punkten kleinsten s, mithin zwischen den Gliedern unsers Zeichens n, oundc. Diese Punkte selbst und die von dem einen derselben nach dem andern gezogenen Linien hat sie mit einer andern ihr gleichartigen gemein; und so werden diese Linien zu den Kanten des Körpers; die von Ds . . . rn 5 nach ye gehenden die zweierlei Endkanten desselben, in & . Ei E le b) Fig. 2. die Linien zc und oc; die Linie von - nach 4 in Fig. 1. die Lateralkante, d.i. die Kante der gemeinschaftlichen Grund- - und von aber, d.i. nc fläche der doppelt zwölfseitigen (sechsundsechskantigen) Pyramide. Die gegen a gekehrte Endkante des Körpers (en, Fig. 2.) hat also den Ausdruck a? es ER MW Di a n“ n Ee [SS] 220 Weıss: Grundzüge der Theorie. Die gegen s gekehrte Endkante dagegen (co, Fig. 2.) den Ausdruck RT > 5 _ Var H On Zip gee ENTE On rt? Rz 2n—1 wobei zu bemerken, dafs für 4s? überall substituirt werden kann 3a?, wels=ay a Die Lateralkante des Körpers (no, Fig. 2.) findet sich leicht auf folgende Weise: ui SR Te vs Man Tea FB ao (Fig. 1)=V (Ca? + =-V + me a V (2n—1)” +3 0a VAn®—An+ı 2aVn—n+1 "m. Zn—i rs, 2n—1 Fin; Zum Aber wenn in Fig. 4. Cq die Verlängerung von Ct (Fig. 1.) bis zum Durchschnitt mit der verlänger ten ab, also 62g = ab, und g = 2. Ct=2s.ist, mithin Co 4.09 =z; a: :25s—=1:2n— 1, so verhält sich nach dem in dem Bande dieser Schriften für d.J. 1818 u. 19. 8.277 u.f. entwickelten Lehrsatze no:ao=bg.Co:ab.Cg+bg.Co=1.1:1. (2r—1)+1.1=1:2n;folglich ist die Lateralkante, d. i. zo aVYn—n+i NO ZN O0 m ne L 2n n (2n—1) SH Was die Neigungen der heiderlei Endkanten gegen die Axe ye betrifft, so ist für sich klar, dafs für die Neigung der gegen a gekehr- ten Endkante cn gegen die Axe ist sin:co—=— yeo=ainyo, so wie für die Neigong der gegen s gekehrten Endkante co sin!cos— ET UN 3:(2n—1)ye $. 4. Betrachtet man das sechsundsechswinklige Zwölfeck (Fig. 5.) der ge- meinschaftlichen Grundfläche der beiden Pyramiden des Sechsundsechs- kanters (Fig. 2.) oder den Querschnitt auf seiner Axe cc’ (Fig. 2.), so ist klar, dafs das Verhältnifs der zweierlei Radien des Zwölfecks (Fig. 5.) Cn und Co das nemliche ist, als das der Linien Cr und Co in Fig. 1. Also verhält sich (Fig. 5.) I der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 221 ver DIS NE Wars, nVvV3 CRr3Co- Der n— ls V 3 SA er Und da Cr=Cnx! 7, soit Cr!:Co=2n— 1 52 am folglich Co: Cr:ro=2n:2n— 1:1, oder ro; Co. Betrachtet man ferner die zweierlei Winkel des Zwölfecks, non’ und ono), so verhält sich für die Hälfte noC des einen non‘, also des an einem s anliegenden ER u PAR, k A sin .cos = Ca (Fig.4.): Een 2n—1:V3 und für die Hälfte on C des an einem a anliegenden ono, Su 2% . E ae a WS, 5) sin;cos= Ch(Fig.1.):Cna=;,5,:, =nV3:n—2 Nie können in den Krystallen diese beiden Winkel oden mit andern Worten die beiderlei Radien des Zwölfecks, — und a einander gleich werden, da z immer einen onellen Werth be- hält. Angenommen, sie würden gleich, so würde — = ey X . ’ / 1 En 2n—1=nV3, folglich a(2—V3)=1, oder n=5-,3 Dagegen kann nicht allein der stumpfere Winkel von beiden bald 5e5 I In—1 A, rund n also der an a, bald der an s anliegende sein, sondern es können auch die nemlichen Winkel in umgekehrter Lage gegen a und s sich für das Zwölfeck wiederholen. Die allgemeine Formel für diese Um- kehrung findet sich leicht so: Es seien die Werthe 2 und m diejenigen, wobei die Umkehrung der Winkel in Beziehung auf ihre Lage gegen « und s Statt findet; so hat man 2n—1:V3 = myV3:m— 2, also Sm=2nm—m-—4n-+2, mithin 4m —2=(2m— 4)n, oder 2m —1l=(m — 2)n; also 2m—1 2 R 2n—i1 n=——z, und umgekehrt m = a (ı) Dies findet, wie man sieht, seine Anwendung auch auf die Sei- tenflächen der sechsundsechskantigen Säulen, die gleichfalls mit densel- (1) Dieselbe Gleichung erhält man, wenn man davon ausgeht, dafs bei den zwei Wer- then » und m (für 2) das Verhältnifs der zweierlei Radien des Zwölfecks, On und Co sich umkehrt; also 2n—1:ny3=my3:2m-—1; folglich 3nm=Anm—2m—2n-+1, oder nm—2m=2n—1,(d.i. m(r—2)=2n—1, u.s.f. 222 Weiss: Grundzüge der Theorie ben Winkeln in umgekehrter Lage gegen a und s möglich sind, unter der Bedingung des eben entwickelten Verhältnisses zwischen z und m. Ueberhaupt ist klar, wie die Winkel des Zwölfecks oder des Queerschnit- tes von dem Werthe von yc gänzlich unabhängig sind, und daher bei allen sechsgliedrigen Systemen als dieselben vorkommen können; die Seitenflächen der sechsundsechskantigen Säulen aber kann man als Sechs- undsechskantner ansehen, deren Flächen der Axe c parallel, d. i. in de- ren Zeichen y = x wird. Sie sind eben deswegen den sechsgliedrigen und rhomboädrischen Systemen , welches individuelle Fundamentalver- hälwnifs von a : c auch für jedes derselben gelten mag, gemeinsam; und finden sich am regulären System in seiner rhombo&drischen Stellung wieder als die Flächen in den Kantenzonen des Granatdodekaeders, mit- hin als die Flächen der verschiedenen Pyramiden-Granatoeder, zwischen welchen eine ähnliche Umkehrung derjenigen Winkel, welche die Zu- schärfungswinkel der Granato@derkanten und derer, welche die Nei- gungen gegenüberliegender Flächen jenseit der Axe der auf die Gra- nato@derfläche aufgesetzten Pyramide sind, bei dem obigen Verhältnifs zwischen 2 und m in dem rhomboedrisch genommenen Ausdruck der Flächen eintritt. Die Neigung der Fläche des Sechsundsechskantners gegen die Axe hat zum Sinus das Perpendikel Cp (Fig.6.) aus dem Mittelpunkt C (Fig. 1.) auf die Linie ao, während der Cosinus ye ist. ‚Also ist ; 25 =& ie Gas Co ; 2n—1 Ss Sinus = Cp= —— = — un 22 2aVn—n+1 Va—_n+1 2n—1 . Ry und sin : cos = ——— ; yc VYn—n-+#1 Das doppelte Complement dieses Winkels zu 90° ist die Neigung je zweier Flächen des Sechsundsechskanters in der Lateralkante desselben. $. 6. Für die halbe Neigung der Flächen gegen einander in der gegen s gekehrten Endkante co (Fig. 2.) des Sechsundsechskantners, d. i. für der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 223 ihre Neigung gegen die durch ihr und yc gelegte Ebne C oc (Fig. 1.) ist der Sinus das auf dieser Ebene senkrechte a, d.i. Ca (Fig.1.), wäh- rend der Cosinus in dem rechtwinklichen Dreieck Coc, dessen Kathe- ten Co und Ce, d.i. _— und yc sind, das Perpendikel ist aus dem rechten Winkel auf die Hypothenuse, also das Product der Katheten, dividirt durch die Hypothenuse. Für die gesuchte halbe Neigung der Flächen des Sechsundsechskantners in den Endkanten co also ist SEK: sin:cos = a = Vils + (an —1)2yPcetiyeV3 > "Vas®+l@n—1y:e Für die halbe Neigung der Flächen des Sechsundsechskantners gegen ein- ander in der gegen ein @ gekehrten Endkante desselben Cn (Fig. 2.), » u lan In s 1 x a & - oder für ihre Neigung gegen eine durch — und yc gelegte Ebene Cnc (Fig. 1.) ist der Sinus das auf - und yc gemeinschaftlich senkrechte —*, der Fläche, d.i. Ch (Fig. 1.), während der Cosinus wieder ist das n—2 Perpendikel in dem rechtwinklichen Dreieck Cnc, dessen Katheten On und Cce.d.i. Z und yce sind, aus dem rechten Winkel auf die Hypo- thenuse. Folglich ist für diese halbe Neigung . ‘ 2 Ss ..a % @ / D > D 5% "ar, r 9 sin!cos = —— ! — = Va’+n?y?c?2.V3:yc(n—2) > Pet}, 2 PETER n—2 Va? un? y2c2 Diese zwei Neigungen sind zugleich nichts anders, als die Neigun- gen der geschriebenen Fläche, letztere gegen diejenige Seitenfläche DE Pr Dre. der ersten sechsseitigem Säule fr. 2:5. |, "welche der durch u und yc gelegten Ebne parallel ist, erstere gegen diejenige Seiten- oc fläche der zweiten sechsseitigen Säule | Er ‚ welche der 2 5 5 j durch das —.—_—- und yc unserer Fläche gelegten Ebne parallel ist; in Fig. 1. also sind es die Neigungen unserer geschriebenen Fläche cah gegen die geraden Abstumpfungsflächen der Lateralkanten des Dihexae- ders ag oder de, oder gegen die der Lateralecken a oder e. SE: So wie die Neigung gegen diese zwei Flächen der ersten und zweiten sechsseitigen Säule fast unmittelbar in unserem Zeichen ausge- drückt ist, eben so ist es die gegen alle übrigen Seitenflächen sowohl 224 Weıss: Grundzüge der Theorie der ersten als der zweiten sechsseitigen Säule. Es sind dies nehmlich immer Flächen parallel den Ebenen durch yc und eins unserer a oder unserer s gelegt. Stellen wir sie alle zusammen , so haben wir: für die Neigung unserer Sechsundsechskantnerflächen cak (Fig 1.) gegen diejenige Seitenfläche erster sechsseitiger Säule, welche senk- 2 ‚ recht ist auf Ct, ‘oder dem Co, d.i. dem „. derselben, oder mit anderen Worten, welche parallel ist der Ebne durch yc und a gelegt, also in Fig. 1. parallel der Abstumpfungsfläche von bd oder gf e 2s aye ; EEE sin sc = „—— ——— = Y/3. Va ry2 ei yc(2r—1) zn - I yes gegen die, welche senkrecht ist auf Cu oder Ch, d.i. dem derselben, oder parallel der Ebne durch n und yc gelegt, d.i. parallel der Abstumpfungsfläche von de oder ag (s. oben $. 6.) 2 Ss x ,a 5”. ce SIE 2 COS.E— . n—2 Ge See: Ze v3. Va: +n’y° c®: EC (rn —2) Va® + n?y?c? gegen die, welche senkrecht ist auf Cs oder Ci, dem Zn unserer Fläche oder parallel der Ebne Cde (Fig. 1.), die durch —- und n —i1 yc gelegt wird, also parallel der Abstumpfungsfläche von ab oder ef € PAR, r ay'c 2+1 "7 a? + (n—1)’y” ec? sınz eos; =V3.Va?+(n—1)?y?c?:ye(n+1) Eben so für die Neigung unserer Sechsundsechskantnerfläche gegen diejenige Seitenfläche zweiter sechsseitiger Säule, welche senkrecht . . 2 S ist auf ihrem 4 ‚ oder parallel der Ebne durch — und yc gelegt, d.i. der Ebne Cie (Fig. 1.) 2syc er 45? +(n+1)?y?c? :(n—1)yeV3 sin!cs=—— :— —— n—1 Y4s?+(n+1)?y?c? gegen diejenige, welche senkrecht ist auf dem 1a unserer Fläche, d.i. parallel der durch das en, und yc derselben gelegten Ebne Coc (Fig. 1.) (s. oben $. 6.) Sin. 72 1EH8. X, it —V4s2 +(2Rn ZI) y?e?:yey,3 der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 225 und gegen diejenige, welche senkrecht ist auf dem —, oder parallel der Ebne durch es und yc gelegt d.i. der Ebne Che (Fig. 1.) sin :cos—=« > cr En — V4s? + (n—2)? y? c?ı nyeYV3 VAs? + (n—2)? y? ce? Man kann alle diese Neigungen gegen die verschiedenen Seiten- flächen erster und zweiter sechsseitiger Säule betrachten als die halben Neigungen, welche eine Sechsundsechskantnerfläche mit gewilsen ihr gleichartigen desselben Sechsundsechskantners bilden würde, mit welchen sie zwar, abgesehen von den beiden genannten, an dem symmetrisch be- grenzten Sechsundsechskantner nicht an der Oberfläche in Kanten zu- sammenstöfst, mit welchen sie indefs theils bei zufällig unsymmetrischer Ausdehnung der einen Fläche vor der andern bald hier bald dort, theils vegelmäfsig bei der Reduction des Sechsundsechskantners auf seinen Hälft- flächner, den Dreiunddreikantner, wirklich zusammentrift; überdem kön- nen diese Neigungen auch unbeschadet des Nichtzusammenstofsens der Flächen gar wohl gemefsen werden und so zur Controlle bei der schär- feren Bestimmung der wirklichen Beschaffenheit einer zu bestimmenden Krystallfläche dienen. N Alle diese Seitenflächen der beiden sechsseitiigen Säulen sowohl als die verschiedenen Flächen eines und desselben Sechsundsechskant- ners lassen sich leicht in unserem Zeichen der Fläche selbst durch ver- schiedene Modificationen desselben ausdrücken. Man dürfte nur den zu unterscheidenden drei z der Folge nach, wie wir sie geschrieben haben, Beizeichen geben, etwa durch Punkte, a‘, a*, a", aufserdem den entgegen- geseszten Endpunkten derselben Dimensionen die gewöhnlichen Accente, a’, a und a’; eben so den s ihrer Folge nach in unserem Zeichen die Ne- benbestiimmungen s‘, s- und s-", nebst den s, s” und s- für die entge- gengesetzten Endpunkte derselben, wenn man nicht den Gebrauch der Buchstaben selbst vervielfäliigen, und z.B. a, b, d für die drei a, oder das Zeichen des Negativen, —, statt der Accente gebrauchen will (1). (1) Wir nennen also hiernach in Fig. 1. die Linien Ca, ‘Ch, Cd, a‘, a’, und a''; Gesch, Ca al, ar,.ar”% Cs, Ch, Cis, se, Se, .seu Ds. w. Phys. Klasse 1822-1823. rt 226 Weıss: Grundzüge der Theorie Diesem gemäfs ausgedrückt, gilt die erste der sechs obigen Formeln für die Neigung yec von | re | egen A N er ses für die halbe gegen | „.: Lam, a Die zweite Formel gilt für die Neigung PR yc — RC — von CDS ER. ER gesen — a Or a’; 3m a | o’o R R (ver same? Klemens für die halbe gegen lan di | Die dritte für die Neigung yc — | —— 0 von [«: Lg-: .. | gegen ja:a":0a-| oder für die halbe gegen lar:t ar: ı a | Desgleichen die vierte für die Neigung oc Die fünfte für die Neigung _—— yc a :— a: n n—t sezen für die halbe gegen | .-; De Fe | und die sechste für die Neigung ER. yo —— für die halbe gegen FROH BP TEEN a’ |: In allen Abtheilungen der Krystallsysteme ist das Verfahren in Be- zug auf die Unterscheidung der gleichartigen Flächen das nemliche; und im regulären Systeme selbst geben die nemlichen Mittel gleich leicht die Unterscheidung der acht und vierzig verschiedenen Flächen des Sechs- malachtflächners an die Hand. [S6) D I der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner, g. 9. Es sind im allgemeinen die Neigungen jeder Sechsundsechskant- nerfläche gegen die eilf übrigen ihr gleichartigen Flächen desselben Sechs- undsechskantners zu unterscheiden. Durch die obigen sechs Formeln des 8.7. hatten wir zugleich die Neigung gegen sechs derselben be- stimmt. Es sind fünf andere übrig in derselben Pyramide; - die der entgegengesetzten Pyramiden bedürfen, als die parallelen der ersteren, keine besondere Betrachtung; — diese fünf Neigungen aber sind ebenfalls aus unserem Zeichen ganz leicht zu finden. Eine ist die unserer Fläche gegen die ihr jenseit der Axe gegenüberliegende 22.0... | also die doppelte Neigung gegen die Axe, für welche n—1ı wir oben schon hatten ($. 5.) Sin cos ıye Ya"_n+1 Eben diese Formel führt uns zu denen für die vier übrigen Nei- gungen. Zwei von ihnen nemlich, die Neigung von Va = a”: 2 a' n—ı d.i. die Neigung von je zwei abwec hselnden Flächen des Sechsund- sechskantners, wie cno und en’o”, oder eno und cn’o (Fig. 2.) gegen einander sind die Neigungen zweier benachbarter Flächen in den Endkanten eines Dihexa@ders, dessen Fläche gegen die Axe geneigt wäre unter i . Ay sın ; c08 = — m ;Yc Vn®—n+1 Wir kennen aber die allgemeine Formel, welche für eine solche Nei- gung am Dihexaeder gilt. Sie giebt uns für die halbe gesuchte Neigung (1) ee euer} RE: n” sin:cs=V3.VS—— | + cd:y-= v (1) Am Dihexaöder nemlich ist für die halbe Neigung in der Endkante Sinus zu “ Cosinus, wie die Endkante x Y3 zur halben Axe. Ff2 228 Weıss: Grundzüge der Theorie Die beiden anderen aber, die Neigung von und gege d. i. die Neigung einer Fläche wie eno (Fig. 2.) gegen die an co’ nach hinten grenzende oder wie von co’n‘ gegen con”, von cn’o’ gegen cn” 0” u.s.f. sind die Neigungen zweier benachbarter Flächen in den Endkan- ten eines Rhomboeders, dessen Fläche gegen die Axe geneigt ist, wie vorhin. So folgt wiederum aus der allgemeinen Formel für eine solche Neigung am Rhomboöder, dafs für unsere gesuchte halbe Neigung ist(ı1) gr / es 4 Er eins Bos u Sr eye ey n"—n+l1l / yev So wären also die Neigungen der gegebenen Fläche des Sechs- undsechskantners gegen alle eilf übrigen des nemlichen Körpers (- die parallelen zählen wir nicht besonders -) mit Hülfe unsers Zeichens 8. 10. Alle die Winkel ferner, welche unser Zeichen angiebt durch das Verhältnifs eines jeden a und eines jeden s zu yc, jene als Sinus, ye leicht bestimmt. als Cosinus genommen, sind nicht blos, was man meinen möchte, Win- kel gewisser innerer Linien gegen die Axe des Sechsundsechskantners. Ihre Complemente zu 180° werden zu den ebnen Winkeln, welche unsere geschriebene Fläche auf den verschiedenen Seitenflächen der ersten und zweiten sechsseitigen Säule mit den Seitenkan- ten der Säule bildet. Es giebt also das Verhältnifs «:y.c das des Sinus und Cosinus für den ebnen Winkel, den die Fläche auf der Seitenfläche [r--:2--:x “| - :yc für den, welchen sie auf der Seitenfläche xc az a'ınar | a PR a a er oc »1:% für den, welchen sie auf der Seitenfläche [«:a:x«-: ] erster sechsseitiger Säule, oc er wa" oder (1) Am Rhomboeder ist für die halbe Neigung in der Endkante Sinus zu Cosinus, wie die Endkante zur ganzen Axe, dividirt durch Y3. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 229 :yc für den, welchen sie auf der Seitenfläche leer ar : 2 :yc für den, welchen sie auf der Seitentläche | Eur s „:yc für den, welchen sie auf der Seitenfläche T7-:1 «-:«-- la::% der zweiten sechsseitigen Säule mit den Seitenkanten bildet. Bei der symmetrischen Erscheinung der sämmtlichen Flächen ei- nes Sechsundsechskantners an der ersten sechsseitigen Säule ist es der ebene Winkel n. 1, der sich an der Oberfläche selbst wirklich zeigt; wie z.B. beim Apatit (Haüy’s traite de miner., zweite Ausg. Taf. 27. Fig. 14.), wo, wenn die Sechsundsechskantnerfläche z die gewöhnliche Ta:,a:,a| und das Verhältnifs von a:c ist =V 2:1, eben dieses Ver- hältnifs zu dem des Sinus und Cosinus des ebnen Winkels wird, welchen die Fläche z auf der Seitenfläche M mit der Seitenkante bildet. Beim Quarz, wo man an dem Ende einer und derselben Seiten- kante der Säule solche Flächen, welche einem Sechsundsechskantner an- gehören, nicht gepaart und vollzählich, wie beim Apatit, sondern immer einzeln findet, (vergl. Haüy’s traite, zweite Ausg. Taf. 57. Fig. 15.) er- scheint ausser dem vorigen, d.i. dem ebnen Winkel y (Fig. 15.) zugleich der ebne Winkel n. 3, d.i. y’ (Fig. 15.); und wenn die Sechsundsechs- kantnerfläche eine der beiden gewöhnlichen beim Quarz m——— m—— ( — la:za:ya| oder la:ta:ra| (s. beide zusammen Taf. 58. Fig. 15.) und das Verhältwifs von a :c - wir bleiben hier bei der Haüy’schen Bestimmung stehen, — das von V5:YV6 ist, so hat man für den ebnen Winkel wie y, in beiden Fällen eben dies Verhältnifs des Sinus zum Cosinus = Y5:Y6, für den ebnen Winkel y’ dagegen bei der erstgenannten Fläche, welche dem Haüy’schen u (Fig. 18.) entspricht, das Verhältnifs sin : cos = e :v6=V5:3V% und bei der zweiten, . 1. dem Bussi &, sin : cos = 7 op = V5:5 Vo =’1rYV 30 Es ist nicht nöthig zu bemerken, dafs ein ebner Winkel, wie 9, (ebendas. Fig. 15.) welchen die Kante zwischen der Dihexaederfläche as; und der der ersten sechsseitigen Säule auf der letzteren mit der Sechs- undsechskantnerfläche & oder x’ bildet, das Complement von y oder y', plus 90°, ist. Ebenso leuchtet ein, dafs, wenn in Taf. 26. Fig. 10, u 230 Weıss: Grundzüge der, Theorie und M dieselben Apatitflächen sind, wie Taf. 27. Fig. 14., der ebne Winkel, welchen je zwei Flächen z auf M bilden, das doppelte Com- plement des bei Fig. 14. Taf. 27. betrachteten, also identisch ist mit der Neigung zweier jenseit der Axe sich gegenüberliegender Endkanten des Dihexaöders [aa 8a; im gegenwärtigen Fall identisch mit der Neigung BEIDEN, 5 der gegenüberliegenden Zuspitzungskanten Fig. 2. und Fig. 6. Taf. 26., . . - . G— . welche durch die Dihexaederflächen & = [a:a:».a| gebildet werden. Man sieht ein,- wie man sich solcher ebnen Winkel, vorausge- setzt, dafs sie mefsbar genug sind, zur Besimmung des Werthes einer beobachteten Fläche, und zur Aufliindung ihres Dimensionsausdruckes sehr wohl mit bedienen kann. Damit auch der ebne Winkel n. 2. an der Oberfläche des Kry- stalls zum Vorschein känie, würde eine solche Ausdehnung einer ähn- lichen Fläche [5 wc senkrechten Seitenfläche 1a: a7: »a--] ——— y .c 1 J Tas ergeny „.)unhd. der..duf er Aa n—2 über die zwischenliegenden weg erforderlich sein, dafs sie einander schnitten; wie wenn die Quarzfläche x (Fig. 15. Taf. 57. bei Haüy) die unter 7’ liegende ” oder die ihr parallele schnitte; ihre Kante würde alsdann der Linie parallel gehen, welche von dem Endpunkt eines — nach dem von y c geht; und wirklich geschieht es oft genug, dafs solche unverhältnifsmäfsige Ausdehnungen der einen Fläche auf Kosten der andern Statt finden; es kommen überhaupt unsymmetrisch gebildete Krystalle in der Wirklichkeit in allen möglichen Graden und Richtun- gen der Abweichung von der vollkommenen Symmetrie so gern vor, und sie haben gerade für die Theorie das interessante und lehrreiche, dafs durch sie Eigenschaften der erwähnten Art an der Oberfläche sicht- bar werden, welche die Symmetrie blofs in das Innere des Krystalls verschliefst. Beim ıhombo&@drischen System kommen an der Combination der Flächen eines Dreiunddreikantners mit den Seitenflächen der ersten sechs- seitigen Säule eben die ebenen Winkel, von denen wir jetzt nur Bei- spiele aus dem sechsgliedrigen Systeme zur Erläuterung wählten, auf eine noch besonders überraschende Weise an den Tag, wie wir nach- her noch zu zeigen uns vorbehalten. ‘ der Sechsundsechskaniner und Dreiunddreikantner. 231 Kommen mit den Flächen des Sechsundsechskantners die Seiten- flächen der zweiten sechsseitigen Säule, d. i. die auf den dreierlei a senkrechten in Berührung, wie in der vorhin erwähnten Haüy’schen Abbildung des Apatitkrystalls Fig. 10. Taf. 26, wo e die een der zweiten sechsseitigen Säule, z aber wieder die Flächen [a :ya:ya] vorstellen, so ist der ebene Winkel, welcher wiederum bei der olikont men symmetrischen Ausbildung des Krystalls an der Oberfläche sich zeigt, der obige n. 6. oder sein sin! cos = P- 32%c; also der ehene Winkel, welchen die Apatitfläche x auf der Scheffläche e mit der Sei- tenkante bildet, wird, dan —=3, kein anderer en als der, dafs sein N PIE 279: V2=V6; vorausgeseizt dafs für > a re yı33 . 2 wäre, wie Haüy annımmt. Gestattet es der Mangel an symmetrischer Ausbildung, dafs die Sechsundsechskantnerfläche beide Seitenflächen der zweiten Säule schnei- det, welche in derjenigen Seitenkante dieser Säule zusammenstofsen, auf welche die erstere aufgesetzt erscheint, und welche sich in Fig. 10. Taf. 26. über M bilden würde, so ist es der ebene Winkel n. 4., welcher auf dieser anderen Seitenfläche, d.i. der auf ihrem Fa senkrechten (- die erstere war die auf E senkrechte —) durch sie gebildet wird. Von zwei benachbarten Flächenpaaren z und e Fig. 10. also würde die links liegende v auf der rechtsliegenden e, und umgekehrt die rechts- liegende vu auf der linksliegenden e mit der Seitenkante einen u bilden, für welchen sin : cos = = 77°C, im vorliegenden Fall=%s:c =YV3:YS nach den vorigen ra ren Auf der auf dem a der Sechsundsechskantnertläche senkrechten Sei- tenfläche einen ebnen Winkel mit der Seitenkante hervorzubringen, setzt wiederum eine unverhälinifsmäfsig grofse Ausdehnung dieser Seitenfläche oder der Sechsundsechskantnerfläche über die zwischenliegenden voraus, welche zwar zu den ungewöhnlicheren Erscheinungen, nichtsdestoweni- ger aber auch in den Kreis des Beobachtbaren gehört. In Fig. 10. Taf. 26. würden je zwei zusammenstofsende Flächen zu, wenn sie mit der dritten Seitenfläche e, die sie hier nicht berühren, zusammenstiefsen, den nemlichen ebnen Winkel mit der Seitenkante bilden; er wäre identisch mit der Neigung der zwischen ihnen sich befindenden Kante 232 Werıss: Grundzüge der Theorie gegen die Seitenfliche M; und eben so würden in Fig.14. Taf. 27. zwei zusammenstofsende Flächen u, beide den nemlichen ebnen Winkel auf der dritten Seitenfläche M bilden, gleich der Neigung der Kante zwi- schen diesen beiden u gegen die Seitenkante zwischen M und M. $. 11. Für die ebnen Winkel der Fläche des Sechsundsechs- kantners eno (Fig. 2.) findet man die allgemeinen Formeln aus den bekannten Werthen der Seiten des Dreiecks cezro, nemlich der "beiden Endkanten und der Lateralkante. Diese sind (vergl. oben $. 2.) 2 2 22 2 2 Pr N Ve Ve’+n’y = V3a?+(2n 2 ae Ä md aVn n+1 n j 2n—1 n (2 n—1) es verhält sich daher die Endkante an a, d.i. en (Fig. 2.) zur End- kante an s, d.i. zu co (Fig. 2.) und zur Lateralkante no, wie (2rn—4) Va’ +n’y’c’:n Var g@n IP Para re n+1 Hieraus findet sich für den ebnen Endspitzenwinkel der Fläche, d. i. für den Winkel zco (Fig. 2.) sin: cos:rad=aY s? +(n"—n+1)y’c’:2s®’+n(2n—1)y? ec’: V a? —+ Rn” y? C® . V %) a? + (2 n— 1° y° c? für den Lateralwinkel an a, d.i. für den Winkel czo (Fig. 2.) wird sin:cos:rad—=2nY) s®+(n"—n+1)yce:a(n—2):2Yn’—n+1. Va’+n?y°c° und für den Lateralwinkel an s, d.i. für den Winkel con (Fig. 2.) sin:cos:rd= (2r —1)VYs’+(n’ —n+1)y’c’:sV3: var +21) u | Wir begnügen uns hier der Kürze wegen mit der Anzeige der Resultate; die Rechnung selbst vorzulegen halten wir für überflüfsig. Was den oft vorkommenden Ausdruck 2°? — zn + 1 betrift, so kann in der Anwendung vielleicht mit noch gröfserer Bequemlichkeit ihm der ihm gleiche z (rn — 1)-+ 1 substituirt werden. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 233 $. 12. Am Dreiunddreikantner (Fig. 3.) verschwindet abwechselnd ein Paar von Flächen, welches in einer gegen das s gekehrten Endkante co’ oder co” (Fig. 2.) zusammenstöfst, während die anliegenden Paare in ei- ner Kante co oder co’ zusammenstofsender Flächen des Sechsundsechs- kantners über die verschwindenden sich ausdehnen. Die parallelen, der entgegengesetzten Pyramide angehörigen Flächen verschwinden zugleich mit den verschwindenden oben, oder wachsen mit den wachsenden ; und so reducirt sich der Sechsundsechskantner (Fig. 2.) auf die ange- gebene Hälfte seiner Flächen im Dreiunddreikantner (Fig. 3.) Wollten wir nach der ($. $.) angegebenen Methode die einzelnen Flächen alle in ihren Zeichen unterscheiden, so würden sie an einer und dersel- ben Pyramide nach einer Richtung herum gezählt, so auf einander folgen: So sind denn die Paare 1, 2; 5, 6; 9, 10 die bleibenden, wenn die drei übrigen 3, 4; 7, 8; 11, 12 die verschwindenden sind, und umgekehrt. Es wäre unnöthig, die parallelen Flächen, welche den ent- gegengeseizten Pyramiden angehören, besonders zu schreiben; man hätte wieder alle die vorigen verschiedenen Combinationen der a jedesmal mit dem accentuirten c' in yc'; die parallele Fläche einer gegebenen hat je- desmal zu ihrem Zeichen das der gegebenen, mit Umkehrung der Ac- cente in den sämmtlichen Theilen des Zeichens; so ist ee 5 ‚Zar: =—4 n—1ı Phys. Klasse 1822-1823, Gg 234 Weiss: Grundzüge der Theorie die parallele Fläche von no. 1. u.s.f. Ein jedes der geschriebenen Paare aber hat sein in der individuellen Form nach für beide oe Flächen gemein; so ist es das mi s’ für das Paar 1. und 2., das a "für no. 3. ur 4.; das ; = ee Tür no.5. und 6.; das; 2 31 5” für'no.7. und)8; das'3e use" "für no. us und 10; endlich das 5. — 2 ns : für no. 11. und 12. "Bei dem ausgesprochenen Gesetz des: Verschwinden für eine Hälfte von Flächen verschwindet an der Oberfläche des neuen Körpers die dem a zugekehrte Endkante des Sechsundsechskantners; denn von zwei Flächen, welche eine solche Kante unter sich bilden, verschwindet die eine, während die andere sich über sie ausdehnt; es sind Flächen, welche ein und dasselbe — a in seiner speciellen Form gemein haben; es sind Paare, wie no. 1. und 12., no. 2. und 3., 4. und 5. zusammen u.s.f. Eine Fläche no.2. stöfst an dem neuen Körper, statt mit no. 3., mit no.5., eine Fläche no. 6. mit no.9., und eine Fläche no. 1. statt mit no. 12. mit no. 10. zusammen, und zwar in einer Linie, welche von yc nach dem s, oder, der Gröfse nach, dem zweiten s gehen würde; en n+41 dieses s haben je zwei eben genannte Flächen auch der individuelleren Pr un nach, gemein, nemlich no.2 und 5. das — se. + n026% und 9. das u: s-"', und no.1. und 10 das s. Es würde dies in der obigen Nebeneinanderstellung der ndividnellen Zeichen für alle diese Flächen unmittelbar einleuchten, wenn wir dem Zeichen einer jeden die ihr zugehörigen s im Sinn dieser ausgeführten Schreibart hätten hinzu- fügen u was mir, indefs unnöthig schien, und dem Überblick viel- leicht mehr geschadet als Vortheil gebracht hätte. 8; 18. Indem wir aber jetzt zu dem allgemeineren nicht auf jene Weise individualisirten Zeichen der Fläche zurückkehren, so wenden wir unsere Aufmerksamkeit auf das bedeut- same, was die untere Reihe des Zeichens, die Reihe der s, in Verbin- dung mit dem yc, für den Dreiunddreikantner insbesondere hat. Wir wissen bereits (vgl.$.3.), das Verhältnifs Er s: yc giebt uns den Si- der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 2535 nus und Cosinus der Neigung gegen die Axe für diejenige Endkante an, welche der Dreiunddreikantner mit seinem Sechsundsechskantner ge- mein hat d.i. für co (Fig.3.); und (1) das Verhältnifs = des Sinus und Cosinus für die Neigung der an dem Dreiunddreikantner sıyc das neu construirten, durch das Verschwinden eines Paares der Flächen am Sechsundsechskantner bedingten Endkante cy (Fig.3.); jenes ist jeder- zeit die stumpfere, dieses die schärfere Endkante des Dreiunddrei- kantners; eine Folge davon, dafs „,— s jederzeit das kleinste, —— das gröfsere von beiden ist (vgl. oben, $. 1.). Aber nicht minder sprechend ist für den Dreiunddreikantner das Verhältnifs _ 2 Ss .2.%6; und dies war von mir, als ich meine erste Abhandlung über diese Be- zeichnungsmethode schrieb, übersehen worden (2). Während nemlich die ersteren beiden Verhältnisse die Neigungen der zweierlei Endkanten des Körpers gegen die Axe angaben, giebt dieses dritte die Neigung der Lateralkante desselben og gegen die Axe an, oder, was dasselbe ist, die der Endkante des eingeschlossenen Rhomboeders, d.i. desjenigen, welches seine Lateralkanten mit den Lateralkanten des Dreiunddreikantners coincidirend hat (Fig. 3.). Man lasse nemlich eine Fläche cog sich schneiden mit der parallelen von c’og, d.i. von der, mit welcher sie in der Lateralkante des Dreiunddreikantners zusammenstöfst, also mit co’g”, in einer Linie ch, welche von c, d.i. von dem End- punkte yc aus, über der schärferen Endkante cq’ zu liegen kommt, worin die zwischenliegenden zwei Flächen cog’ und cg’o’ unter sich zusam- menstiefsen; so wird die Linie ch offenbar der Lateralkante og parallel, und wird gehen von yc nach dem Endpunkte eines s, welches die zwei Flächen cog und co’q” gemein haben, und welches das dritte, oder das = s einer jeden seyn wird. Denn es sind dies immer zwei Flächen wie cah und cgh (Fig. 1.) oder wie no.1. und 6. ($. 12.), die ihr = san, oder wie 2 und 9, die ihr —ı s, oder wie no.5 und 10, die ihr „—, gemein erhalten. Die neu construirte Kante ch bekommt also für ihre se’ Neigung gegen die Axe zum Sinus s, zum Cosinus yc; eben dieses Re” . . n—2 . ist also auch das Neigungsverhältnifs für die ihr parallele Lateral- (1) Vergl. den Band dieser Schriften für 1816 und 17, S.325. (2) a.a.0.S.326. 327. Gg2 236 Weıss: Grundzüge der Theorie kante des Dreiunddreikantners, folglich auch wieder für die dieser parallele Endkante des eingeschlossenen Rhomboeders. Hieraus leuchtet also ein, dafs, sofern es darauf ankommt, uns die äufserlich am Körper hervorstechenden Eigenschaften im Zeichen der Fläche sichtbar zu machen, es für die Fläche des Dreiunddreikant- ners und für ihn selbst kein kürzeres und sprechenderes Zeichen geben kann, als das, welches die Werthe der Fläche in den drei Dimen- sionen s im Verhältnifs zur Dimension ce angiebt; dies thut das Zeichen yc gleichsam die Abkürzung unseres vollständigeren Zeichens der Fläche, angepafst der bequemsten Betrachtung des Dreiunddreikantners, oder als dem rhomboedrischen System angehörig, die s jedoch immer in ihrer Abhängigkeit von den Grundwerthen in @ betrachtet (1). Dagegen war Dreher ı ı GE) Welle a n Va=iE die natürliche Abkürzung des vollständigen Zeichens, sofern die Fläche eines Sechsundsechskantners, oder überhaupt als dem sechsgliedrigen Sy- stem angehörig, kürzer bezeichnet werden solle. So möchte man denn der Reihe der a mit dem yc zur kürzeren Bezeichnung der Flächen im sechsgliedrigen, der Reihe der s mit dem ye im rhomboädrischen Sy- stem sich bedienen; das vollständige Zeichen, welches beide Reihen auf- nimmt, und welches für das Studium der, Flächen in einem wie in dem anderen Falle ein wesentliches wissenschaftliches Bedürfnifs bleibt, ge- hört der Betrachtung des Gegenstandes in den Beziehungen des rhom- boödrischen Systems so gut als in denen des sechsgliedrigen. (1) Sofern die Abhängigkeit der s von den a gar nicht in Betracht käme, würde man, von den s unmittelbar ausgehend, wiederum das Zeichen ——y)C ——— sh Ss Zr — substituiren können, da die s unter sich durch das nemliche Gesetz verbunden sind, wie die a unter sich. Um der veränderten Werthe von z und y willen würde es aber rathsam seyn, sich in diesem Falle anderer Buchstaben als » und y zu bedienen, um in den hieraus abzu- leitenden Formeln keine Verwechslung zu veranlassen. f [86 [08 -JI der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 8. 14. Es leuchten ferner ein die Gesetze für die Neigungen der Flächen des Dreiunddreikantners gegen einander, sowohl in den End- als in der Lateralkantee Wir haben, wie oben ($.6.), für die halbe Neigung der Flächen gegen einander in der stumpfen Endkante R i 2s yc VRR FRE BIETET IE sin ».cos=a! —— = V4s? +(2n—1) y° c?::ycV3; VY4s®+(2n—1)? ce ( Jau ? für die halbe Neigung der Flächen in der schärferen Endkante ($.7.) RER EERT AN ye(n—1)V3 (ı) und für die halbe Neigung in der Lateralkante des Dreiunddreikant- ners ($. 7.) sin:cos= P 28 SC 3 , ; 5 en 3 sin: cos—= ——— —:t=yenVy3:VAs’ + (n—2) yo Vas®+(n—2)’y?’e?’'n das umgekehrte V erhältnifs von dem für die Neigung der Fläche gegen . 2 die durch yc und —,s gelegte Ebne. 18. Erinnert man sich ferner aus $.7, welche Gesetze gelten für die Neigungen der geschriebenen Fläche gegen die verschiedenen Seiten- flächen sowohl erster als zweiter sechsseitiger Säule, so gehen diese aus dem Sechsundsechskantner auf den Dreiunddreikantner, als seinen Hältt- (1) Aus dieser Formel findet sich leicht, in welchen Fällen die Neigung in der schär- feren Endkante 90° werden kann. Man erhält dann 2s? = (n’+ı— An) y” ce”, oder za ıi+in=n, alon=2+ VB + ar ‚ welches für » einen krystallonomisch möglichen Werth giebt, wenn V3+ 2% eine rationale Gröfse w ird; z.B. wenn s:ye= 1:Y2, d.i. beim Würfel ; in der ahömloälr 'ischen Stellung, wo beim Werthe » = 4 und y=1, der Dreiunddreikantner diese Eigenschaft bekommt; desgleichen beim Werthe n=5, wenn siyc=y3:1, wie in dem Berillsystem; beim Werthen = 2, wenns:ye=y13: Voussst. Scharf oder unter 90° wird die Neigung seyn, wenn 25? < (n’— An +1) y° Dafs beim Werthe n=3 keines von beiden je statt finden kann, ist aus diesen For nalı evident. 238 Weıss: Grundzüge der Theorie flächner, mit über, und man sieht leicht die Anwendung, welche auf die besondere Erscheinung dieser Flächen am Dreiunddreikantner zu machen ist. Die Seitenflächen der ersten sechsseitigen Säule erscheinen an ihm, wie in Fig.7, zunächst als Abstumpfungen der Lateralecken (wie 0,g,Fig.3.), in welchen eine stumpfe und eine scharfe Endkante, nebst zwei Late- valkanten, einander gegenüberstehen. Mit denjenigen zwei Flächen, die wie cCinr, cCin'r' (Fig. 7.), in der schärferen Endkante c’/ des Dreiund- dreikantners zusammenstofsen, bildet die Abstumpfungsfläche /nrn’ den schärferen oder weniger stumpfen Winkel; mit den zwei, welche in der stumpfen Endkante cr unter sich zusammenstofsen, wie ern?, ern”, den stumpferen Winkel. In Bezug auf erstere beide ist sie die auf CC — deren .. s senkrechte Seitenfläche, oder ihr . 2 letztere beide, die auf deren ;.— s senkrechte, oder ihr [..- Daher haben wir .), in Bezug auf ooc 2a o0izil- für die schärfere Neigung der Seitenfläche erster sechsseitiger Säule (als Abstumpfung der Lateralecke) gegen die Fläche des Dreiunddreikantners 2s „ aye n+1" Va®+ (ni)? y? ce: v3. Va’ +(n—1)’y’e’:ye(n-+1) (ı) und für die stumpfere Sn cos 25 „.aye RR EEG sin !cos=- : + ce: ye(2n—1 2n—1 Va? +y2 c? 7 Y ( ) Sehr leicht sieht man jetzt auch, welches die Flächen des Drei- unddreikantners sind, auf deren Neigung gegen die Seitenfläche erster sechsseitiger Säule die dritte der auf diese Neigungen sich beziehenden Formeln (vergl. $. 7.), nemlich sin ; cos = 25 Sp Be EBEN v3. Ye’ n’% "ec? :yc(n—2) n—2 Ya? rn? y?c? (1) Daher wird z. B. für den gewöhnlichen Dreiunddreikantner beim Kalkspath, wo n=3, undy=1, unter der Voraussetzung s:c = 1:1, diese Neigung die mit sin:cs=y3./++2?:4=y16:4=1:1, der gesuchte Winkel also 135°. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 239 pafst; es sind diejenigen, welche nicht zur Bildung derselben Lateral- ecke des Dreiunddreikantners gehören, deren Abstumpfung die gemeinte Seitenfläche ist, noch auch die parallelen sind von denen, welche diese Lateralecke bilden (wie wir überhaupt, da immer nur von Richtung der Flächen die Rede ist, der parallelen in der Regel nicht besonders gedenken); es sind also, in Bezug auf die Abstumpfungsfläche inrn (Fig. 7.), die Dreiunddreikantnerflächen ce’ i" n”r', ern” i', nebst ihren parallelen, jene einen stumpfen, diese den scharfen Winkel mit inrn bildend, unter dem angegebenen Verhältnifs des Sinus und Cosinus. 8. 16. Was die Neigungen gegen die Seitenflächen zweiter sechsseitiger Säule bewifft, welche an dem symmetrisch gebildeten Körper als gerade Abstumpfungsflächen der Lateralkanten og u.s.f. Fig. 3. erscheinen, so ist in der obigen Formel ($. 14) für die Neigung der Flächen in der Lateralkante schon die Neigung einer Fläche cog gegen die gerade Ab- stumpfung der Lateralkante og, d.i. gegen die auf dem Fr der Fläche senkrechte, durch ihr =. s und yc gelegte Ebne, unmittelbar mit aus- gedrückt; die beiden übrigen sind die, welche die Fläche cog mit der Abstumpfungsfläche der Lateralkante og’ oder 90’ macht, von denen die erstere in einer stumpfen, die andere in einer scharfen Endkante, die Fläche cog berührt. Die erstere Neigung, die von cog gegen die gerade Abstumpfungsfläche von og’ (Fig. 3.) ist im allgemeinen betrach- tet, die Neigung einer Fläche des Sechsundsechs- oder Dreiunddreikant- ners gegen die auf ihrem ET senkrechte Seitenfläche zweiter sechssei- üger Säule, also (vergl. $.7.) deren 25 yc a—1" VAs® +(n-+1)? y% c® 45° + (n+1)’ y’c® :ye(n—1) V3 dagegen die andere, d.i. die Neigung von cog gegen die gerade Ab- stumpfungsfläche von 40” (Fig. 3.), ist die einer solchen Fläche gegen sin: eos die auf ihrem a senkrechte Seitenfläche, also die, deren . 2 ° j 2 2.2 /« sin:>c0 = a: = VY4s’+(2n—1)’y’e’!yeV3 > VAs? + (2n —1)? y? c? 240 Weıss: Grundzüge der T'heorie S. 17. Mit gröfster Leichtigkeit ist in unserm Zeichen das Gesetz der ebnen Winkel unmittelbar zu lesen, welche auf den Seitenflächen der ersten sechsseitigen Säule, durch das Schneiden mit den Dreiunddreikanı- nerflächen, gebildet werden. Die Gestalt dieser Flächen, als Abstumpfungen der Lateralecken am Dreiunddreikantner, wird, wie bekannt, jenes symmetrische Trapezoid rnin' (Fig. 7.), dessen scharfer Winkel i, in der Reihe der auf ein- ander folgenden Trapezoide, um den Körper herum abwechselnd nach oben und nach unten gekehrt ist, der stumpfe r eben so, mit dem er- steren wechselnd. Der halbe stumpfe Winkel, d.i. n’ri oder zri, isı nun kein anderer als der, welchen die Linie von « nach yc mit der Axe macht, oder dessen sını„ LOSI— % 2, 90H weil die Seitenfläche der Säule, auf welcher er sich bildet, die auf dem € 5; $ der Fläche senkrechte ist, also parallel der durch das « und yc der Fläche gehenden Ebne. Der halbe scharfe Winkel des symmetrischen Trapezoids d.i. n'ir oder nir, ist der, dessen sin:cos—= —— : ye (ı) n—1 da es die auf dem . s der Fläche senkrechte, oder der durch ihr +41 und yc gelegten Ebne parallele Seitenfläche ist, auf welcher er a n—A von der Dreiunddreikanınerfläche mit der der Axe parallelen Linie ge- bildet wird. Dehnen sich die symmetrischen Trapezoide, wie in Fig. 8, zu Sei- tenflächen der sechsseitigen Säule aus, welche sich in den Seitenkanten (1) Beim gewöhnlichen Dreiunddreikantner des Kalkspaths ist deshalb unter der vorigen Voraussetzung der scharfe Winkel z des Trapezoids = 60°, weil für seine Hälfte sin : cos = V+:1=1:y3; und für den halben stumpfen Winkel desselben, r, ist sin: cs=y+: 1=2:y3=1: z - Daher wird die Längendiagonale ri des Trapezoids durch die Quer- diagonale r’r in Stücke getheilt, welche sich verhalten wie 2:1. Das Dreieck n’in ist gleichseitig, und das gleichschenkliche n’rn hat die halbe Höhe des ersteren, bei gleicher Grundlinie mit ihm. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner., 241 schneiden, so sind die ebnen Winkel, welche die Dreiunddreikantnerfläche auf denselben mit den Seitenkanten bildet, die Complemente der halben stumpfen und halben scharfen Winkel des Trapezoids zu 180°. Von den drei Gröfsen unseres Zeichens, a, — und =: sind es also die erste und dritte, oder die beiden gröfsesten, deren Verhältnifs zu yc die beiden vorigen Winkel giebt. Auch die kleinste, -, wird ei- nen dritten ebnen Winkel bestimmen, dessen sin : cos — Ziyc, welcher auf der Seitenfläche der ersten sechsseitigen Säule an der Seitenkante sich bilden würde, wenn die Fläche des Dreiunddreikantners dieje- nige Seitenfläche erreichte, welche auf ihrem — s senkrecht steht, (also eine Abstumpfung der Lateralecke ist, zu deren Bildung die erstere nicht gehört), wie wenn z.B. in Fig. 8. die Fläche c’”’r’r und die Sei- tenfläche !nmr’m”n” einander schnitten. Mit gleicher Leichtigkeit ersieht man aus dem obigen, welche eb- nen Winkel auf den Seitenflächen der zweiten Säule sich bilden, nicht allein, wenn durch die letzteren blos die Lateralkanten des Dreiunddrei- kantners abgestumpft erscheinen, sondern auch, wenn durch unsymme- twische Ausdehnung einer solchen Abstumpfungsfläche noch andere Flächen des Dreiunddreikantners von ihr geschnitten werden, als die, welche die abgestumpfte Lateralkante unter sich bilden. Dann sind es wieder die drei Gröfsen a, nn und > unseres Zeichens, deren Verhälwifs zu ye die gesuchten Winkel giebt. S. 18. Die Werthe der Endkanten, so wie der Lateralkante des Dreiund- dreikantners, in unsern Grundwerthen’ von a oder s und c ausgedrückt, finden sich mittelst der Fig.9, und es ergiebt sich zugleich, wie grofs im Verhältnifs gegen die Axe des Dreiunddreikantners die Axe des ın ihn eingeschlossenen Rhomboäders (Fig. 3.) ist. Es sey in Fig. 9. 4C 0 1 Er en De so ist 4B die Richtung der stumpfen Endkante, OD die der scharfen Endkante des Körpers, welche von dem entgegengesetzten Ende her der stumpfen entgegenkommt; da, wo die Verlängerung von 4B die Richtung der scharfen Endkante DO schneidet, d.i. in 7, bildet sich die Lateralecke des Körpers. Nun ist _E 25 2s 5 2s (n—2) DB = et 2n—1 (n+1)(2n—1)’ also Phys. Klasse 1822-1823. Hh 242 Weıss: Grundzüge der Theorie 2s (n—2) ET el (2 Fir 4) 21 et und nach dem an einem anderen Orte entwickelten Lehrsatz (1) ist AB: BE = "DB .» AC—+ BC... 04: CO ADB (d.i.a..a.O.v:w=na+m(a+b):bn) oder.da OC =.AC,.d..a—=b AB:BF=DB+2.BC:DB=n—2+2(n+1)/in—2=3n:!n—2 (v:w=n-+2m:n) folglich BF = "? AB; und wenn 7 parallel mit 3C, oder senkrecht ist auf 40, so ist auch AC:CH=AB:BE,wd CH= > 40 = 2, Aus der Betrachtung des Rhomboeders aber ist bekannt, dafs, wenn -C der Mittelpunkt und 7" die Lateralecke desselben ist, CH= 1 der Axe ZK des Rhomboeders FZLF'K. Wenn also HK gleich gemacht wird 2x CH, und CL= CK, so sind Z und K die Endpunkte der Axe des eingeschlossenen Rhomboeders, dessen Lateralecke in 7, und dessen Mittelpunkt in C ist. Man hat also CK=IC=3.CH= (2-2)ye, 7% verhält sich also die Axe 40 des Dreiunddreikantners zur n Axe LK des eingeschlossenen Rhomboeders, oder ihre Hälften TORE yon za nn. $. 19. Nun haben wir ferner in Fig. 9. 4F als die stumpfe Endkante des Dreiunddreikanıners, FO als die scharfe Endkante desselben, FK aber als die Endkante des eingeschlossenen Rhomboeders —= seiner La- DBERDOIE a a teralkante — der mit derselben coincidirenden Lateralkante des Drei- unddreikantners selbst. Es ist aber fürs erste RSDSTING RR VAs2 +.(2n—1)? y%c? ZB } ns ML FT u 2n—1 ee AF:AB=AB+BF:AB=3n+n—2:!3n=4n—2:3n=2(2n—1):3n Also die stumpfe Endkante De EN Irene de In an (1) S. den Band dieser Schriften für 1818 und 1819. S.278. Note. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. [NS} = (9%) Ferner ist 02 u 1 + (n+1)’y? ce? ve 79 n+1 und c h) et =2(n-+1):3n folglich FO, d.i. die scharfe Endkante 2 (n+1) a 2 (n—+1) . Vahs® + (n-+-1)°y? ce? Tea DO = 3n +1 2VAs? + (n+1)?,y?c? Ian Endlich die Lateralkanre = FK =YV(FH)’ + (HK) Aber DH.XDE = HA MCQ=2 nF) 3% —- 2 (+1) ln +-4}. 25 .R Bin also AH = NEE Ti DIE == an 4 = 5 2(n—2 und HK =2HC = en a4 2" 7 2.V 2 — 2)2 u? ce? mithin FK = VAs ie )?y?c "Es verhalten sich also die drei Seiten des Dreiecks der Fläche des Dreiunddreikantners, d.ı. die stumpfe Endkante : scharfe Endkante : Lateralkante In i 3n ä 3n VAs® + (2n—1)? y2c? : VAs® + (n+1)2 4202 : VAs® + (n— 2)? y?c® I Man sieht hieraus, dafs die sich verändernden Gröfsen in den drei Ausdrücken eben jene Divisoren in unseren Zeichen der Fläche sind, welche denjenigen Gliedern desselben angehören, in welchen die Sinus der Neigungen der nemlichen Kanten gegen die Axe yc ausge- drückt sind (1). Unnöthig ist es zu wiederholen, dafs immerfort in jenen Aus- drücken statt 4s” substituirt werden kann 3a°. (1) Beiläufig sieht man wieder für. das Beispiel des gewöhnlichen Dreiunddreikantners beim Kalkspath, welches an geometrisch überraschenden Eigenschaften so reich ist, unter den bekannten Voraussetzungen, dafs seine scharfe Endkante ee so grofs ist, als seine Lateralkante, da V4A+16:V4A+1=Yy20:yY5=2: 244 Weıss: Grundzüge der Theorie 8. 20. Suchen wir aus dem gefundenen Verhältnifs der Seiten des Drei- ecks cog (Fig. 3.) die allgemeinen Formeln für die ebnen Winkel der Fläche des Dreiunddreikantners, so ist das Resultat, welches ich hier nicht im Detail zu entwickeln für nöthig halte, dieses: Für den ebnen Endspitzenwinkel ocg des Dreiunddreikantners (Fig. 3.) ist sin :cos:rad—=sV12 Vs? + (n"—n+1) y’c?:25’+(2n—1)(n+1)y?c*: V4s’ + (n+1)’ y? ec’. YAs® + (2n— 1)? y? Ge für den stumpfen Lateralwinkel cgo (Fig. 3.) sin:cos:rd=sV12.Vs’-+ er 1)y? e:(na+1)(n—2)y°c? — 25°: 2 V4s? +(n+1)’ y’ ct. VAs? + (n— 2 yo) und für den scharfen Lateralwinkel cog sin!cos!:rad=sy12. Vs’ +" —n+1)y°c: 25°’ + Ge) (n—2)y’c’: VY4s? + (2n—1)’y?c?. V4s? + (n— 2)’ y’ ce? Man sieht wiederum nicht ohne Interesse, dafs, während der Sinus constant und der Radius das Produkt der den Winkel einschliefsenden Seiten des Dreiecks ist, die Gröfse, welche im Cosinus variirt, wieder das Produkt der nemlichen Divisoren -unsers Zeichens ist, welche im Ausdruck der einschliefsenden Seiten des Winkels mit enthalten sind. Aufserdem ist klar, dafs in dem Ausdruck des Sinus für s Y12 gesetzt werden kann 3a. Des Ausdrucks stumpfer Lateralwinkel im Gegensatze des schar- fen haben wir uns übrigens hier, wie bei den zweierlei Endkanten, nur der Kürze halber bedient für den, welcher von der schärferen oder kürzeren Endkante cg und der Lateralkante og eingeschlossen wird, während der scharfe Lateralwinkel cog von der stumpferen oder län- geren Endkante co und der Lateralkante og gebildet wird. Immer ist jener der stumpfere von beiden, wenn er auch unter 90°, oder 90° selbst wäre. Letzteres wird, wie man sieht, der Fall seyn, wenn (n+1) (r—2) y° ec’ = 2s’, also ein Fall, der selbst beim Kalkspath vorkom- men kann, wie schon Haüy ihn bemerkt hat an dem Dodekaeder sei- ner Fläche D, bei welcher unser n—5 und y=14; oder z.B. beim der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 245 Rhomboeder des Granatoeders (wo die Neigung in den End- kanten — 120°, unds:c=YV2:1) für die analoge Fläche der gewöhn- lichen beim Kalkspath, d.i. für die Fläche [7:12:24 |; ja für jeden Werth von z und y in Verbindung unter einander genommen, giebt es, wie man leicht sieht, ein gewisses Verhältnifs von s: c, welches der Be- dingung entspricht, dafs der stumpfere ebne Lateralwinkel der Fläche des Dreiunddreikantners ein Rechter wird. $. 21. Der Querschnitt auf der Axe des Dreiunddreikantners ist gleich dem seines Sechsundsechskantners (Fig. 5.), wenn er durch den Mittel- punkt des Körpers, folglich durch die Mitten der Lateralkanten og, og u.s.f. (Fig. 3.) gelegt wird. Wird er durch die Lateralecken 4,9’, 9"; oder 0, 0’, 0” gelegt, oder fällt er zwischen dieselben und die Endspitze c oder c’, so wird er ein drei- und- drei-winkliches Sechseck (Fig. 10.), des- sen abwechselnd stumpfere Winkel 0, 0’, 0”, denen o, o’ der Fig.5. gleich sind. Für die schärferen Winkel i, :’, i” (Fig. 10.), welche durch die Verlängerung der abwechselnden Paare on, on’ des Zwölfecks (Fig. 5.) über ihre angrenzenden hinaus entstehen, ergiebt sich aus Fig.1., deren Linie Ci in der Richtung zusammenfällt mit einer Linie Ci (Fig. 10.), dafs für die Hälfte derselben, d.i. für den Winkel o/C (Fig. 10. und 1.) sich verhält a 2 sin !cos ES Cm; Ci (Rgi1)= Fe En = n+1:(n—1)V3 folglich (vergl. 8. 4.) verhalten sich die Tangenten der Winkel oC und ioC (Fig. 10.) wie = zu 2n—1; die zweierlei Halbmesser oC, iC aber wie 25 25 2n—1" n+1 —=n+1:2n—1 S:22, Bekanntlich fand Haüy an dem gewöhnlichen Dreiunddreikantner (Fig. 3.) des Kalkspathes (unter der einfachen Voraussetzung, welche wir ausdrücken mit s=c) die zwei merkwürdigen Eigenschaften , auf welche der von ihm für diesen Körper gewählte Name metastatique sehr glücklich anspielt: dafs nemlich sein stumpfer ebner Winkel gleich ist 246 Weıss: Grundzüge der Theorie dem ebnen Endspitzenwinkel des Hauptrhomboeders (welches hier das ein- geschlossene zugleich ist), und dafs die Neigung seiner Flächen gegen einander in der scharfen Endkante gleich ist der Neigung der Flächen des Hauptrhomboeders (hier also auch des eingeschlossenen) in der End- kante desselben. Man könnte sonach die Eigenschaft der Metastasi- rung, in einem doppelten, sondern sogar in einem vierfachen Sinn nehmen, um sie in einer allgemeinen Formel auszudrücken, nicht allein je nachdem nicht allein das einemal die Gleichheit der ebnen, das an- dremal der Neigungswinkel angedeutet werden solle, sondern jedes wie- derum entweder in Beziehung auf das eingeschlossene, oder in Beziehung auf das Hauptrhombocder des Systems. Natürlich giebt die eine oder die andere von diesen beiden letzteren Voraussetzungen ganz verschiedene Gleichungen. Haüy hat in seinem, wenige Monate vor seinem Tode erschie- nenen Traite de Cristallographie, T.I. p. 528. auf eine sehr elegante Weise gezeigt, dafs, wenn die Vergleichung dem eingeschlossenen Rhomboeder gilt, beide Eigenschaften jederzeit verbunden seyn müssen. Ich fand dies Resultat, indem mich die Gleichheit jener ebnen Winkel sowohl als jener Neigungswinkel am Dreiunddreikantner mit denen an seinem eingeschlossenen Rhomboeder auf dieselbe Gleichung führte, nemlich auf diese: (Zu) Bi A (2--) s’, odrs:c=y(n—2) vn Ist aber das eingeschlossene Rhomboeder zugleich das Haupt- ıhombo@der — und dies ist die Haüy’sche Voraussetzung — so ist A < h . 3 . 2 e 3 2 y=-—;, also reducirt sich die Gleichung auf diese, ce? = (2— =) s”; h h . 35 woraus sich ergiebt n = „ı——. - #5 —C $. 23. Die Theorie der einzelnen Flächen eines Systems beruht auf der Besummung der Zonen, in welche die zu bestimmende Fläche gehört. Eine Zone aber ist bestimmt durch zwei gekannte Ebnen des Systems; die Linie, in welcher zwei Ebnen sich schneiden, ist die Axe einer Zone; alle Ebnen, welche einer solchen Axe parallel sind, gehören in die Zone, von welcher die Rede ist; alle, welche es nicht sind, nicht. Eine zu der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 247 bestimmende Fläche des Systems ist deducirt, wenn von zwei Zonen, deren Axen durch früher gekannte Ebnen des Systems bekannt sind, ge- zeigt wird, dafs die Fläche ihnen beiden angehört. So wie eine Ebne bestimmt ist, wenn zwei Linien in ihr bekannt sind, so liegen in der zu bestimmenden Krystallfläche die Axen aller der Zonen, welchen sie angehört, und sie ist somit durch zwei derselben bestimmt. $. 24. Unser Zeichen der Sechsundsechskantner- oder Dreiunddreikant- nerflächen giebt unmittelbar sieben Linien an, welche der Fläche zu- kommen: drei von jedem der drei « nach dem Endpunkt (ı) von ye, drei von jedem der drei s wiederum nach ye gezogen, die siebente in der durch die sämmtlichen « und s gelegten Horizontalebne. Es ist also, wenn von Bestimmung einer neuen Fläche die Rede ist, zu erwarten, dafs unter diesen sieben Linien mindestens zwei seyn werden, welche dem Durchschnitt je zweier schon gekannter Ebnen des Systems paral- lel sind, folglich als die Axen schon bekannter Zonen angesehen wer- den können; und mehr bedarf es zu der Deduction der neuen Krystall- fläche nicht. Erst in dem ungewöhnlichen Fall, wenn uns diese sieben Linien nicht zwei in der Art gekannte darbieien sollten, würden wir ge- nöthigt seyn, weitere Hülfsmittel zur genügenden Deduction der neuen Fläche aufzusuchen, als sie unser Zeichen unmittelbar darbietet; und auch in diesem Falle würde es uns nicht ohne eigenthümliche Hülfs- mittel lassen. Vorläufig möchte es aber gegen die Richtigkeit einer An- nahme der Fläche, wie sie etwa aus einer Messung hervorgegangen schiene, bedenklich und vorsichtig machen, und die gesuchte Fläche würde sich schon weit von der Einfachheit des Zusammenhanges der Theile eines Systems entfernen, wenn jene sieben Linien den Grund einer genügen- den Deduction der Fläche durch Zurückweisung auf früher gekannte Glieder des Systems, nicht enthalten sollten. Hingegen bietet der Be- griff einer Fläche, wie z.B. viele der Bournon’schen Kalkspathflächen (1) Das Wort Endpunkt gebrauchen wir hier immer kürzer für den äufseren Endpunkt einer Dimensionslinie; der innere, oder ihr Ausgangspunkt, ist der gemeinschaft- liche Mittelpunkt der Construktion € (Fig. ı.). 243 Weıss: Grundzüge der Theorie sind, in unser Zeichen übersetzt, viele der natürlichsten Vergleichungs- punkte dar, welche bei der Kritik über die Richtigkeit einer gemach- ten Bestimmung zu beachten sind. Aus irgend einem Begriff der Fläche aber das Verhältnifs ihrer « und s zum c, d.ı. unser Zeichen derselben zu finden, gehört zu den einfachsten, keiner besonderen Erörterung be- dürftigen Aufgaben. 8. 25. Sonach kann unser Zeichen zugleich als Prüfstein mancher angeb- lichen Bestimmungen dienen. Um dies einleuchtend zu machen, wird es hinreichend seyn, einige der Bournon’schen am Kalkspath beschriebe- nen Flächen, z.B. die von ihm mit no. 44, 45 und 46. bezeichneten, in die Sprache unseres Zeichens zu übersetzen (1). Es ist Bournon’s no.45.= no. 46.= Man sieht wohl ohne weiteres, wie diese Bestimmungen die Probe‘ unseres Zeichens nicht aushalten dürften, und wird bald dar- auf geführt, wenigstens wahrscheinlichere Werthe an die Stelle der Bournon’schen zu setzen. So hat Haüy es für zuläfsig gehalten (2), dem Bournon’schen no. 44. eine Fläche zu substituiren, deren Zeichen nach unserer Methode seyn würde (1) Man vergleiche die angehängte Tafel I. am Ende. (2) Ann. du Mus. d’hist. nat. t. XVII. p. 190. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 249 also das eingeschlossene Rhomboeder das erste stumpfere (für die Nei- gung seiner Kante gegen die Axe, sin:cs=%s:4ce=4s:c) Er schreibt indefs diese Fläche (die am ersten stumpferen Rhomboeder dem Haüy’schen Ausdruck > entspricht) am Hauptrhomboeder irrig (5 E &B°D°); sie sollte in seinem Sinne geschrieben seyn (252° D’); denn es ist gemeint die Fläche, deren unzweideutiger Ausdruck, welchen Haüy in dem Traite de Cristallographie jetzt zwar aufgenom- men (1), aber den technischen zu nennen für angemessen gefunden hat, folgender ist: (Z, 1D,2B,%xD). Haüy irrt in gleicher Art, wenn er die Fläche, wie sie von Bournon als sein no. 44. bestimmt worden ist, mit dem Decrescenzzeichen (5,25, D” B*) auszudrücken glaubt, da es heifsen müfste 7 statt „, = ;!”);, entsprechend dem unzweideu- tigen Ausdruck (E, 1D, #2 B, xD), welches gemeint ist. Von dem Bournon’schen no. 45. hat Haüy gezeigt (2), dafs es offenbar identisch zu nehmen sei mit der Fläche, welche er bei seiner var, identique beobachtet und mit 5 bezeichnet hat. Dies ist unser Wir lesen in diesem Zeichen leicht, dafs die stumpfere Endkante die- ses Dreiunddreikantners läuft wie die Diagonale der Fläche des ersten schärferen Rhomboeders; denn ?s: ce =s: 2c, und die Accente zei- gen, dafs die Abstumpfungsfläche der stumpferen Endkanten, so wie das eingeschlossene Rhomboeder, einem Rhomboeder zweiter Ordnung angehört. Auch das eingeschlossene Rhomboeder selbst (in dessen Kan- tenzone folglich die geschriebene Fläche gehört), ist ein bekanntes, das Haüy’sche /; ferner werden die schärferen Endkanten des geschrie- benen Dreiunddreikantners abgestumpft durch das erste schärfere Rhom- boeder vom eingeschlossenen; endlich zeigt schon der erste Blick, dafs die geschriebene Fläche eine Horizontallinie gemein hat mit der des be- (1) Vgl. den Band dieser Schriften für 1816 und 17. S. 292 u. ffg. (2) Ann. du Mus. d’hist. nat. 1. XV III. p.182; vgl. die zweite Ausgabe des Trraite de Mineralogie t. II. p. 337. Phys. Klasse 1822-1823. Ti 250 Weıss: Grundzüge der Theorie kannten gewöhnlichen Dreiunddreikantners Bere" oder, wie noch mehrere andere bekannte, in die vertikale Zone dieses Dreiunddrei- kantners gehört. Zwei von diesen vier leicht gelesenen Eigenschaften der geschriebenen Fläche reichen hin zu ihrer genügenden Deduktion im Systeme; die erste und die letzte der erwähnten machen sich als die wichtigsten bemerklich. Man kann hinzufügen , dafs diese Fläche zu dem Haüy’schen Rhomboeder /! = re] sich genau so verhält, wie die gewöhnliche |. :: a Br i la :za:ta] zum Hauptrhomboeder [a:a IRB Es ist abermals ein Irrthum der vorigen Art, wenn Hadis ag) Bournon’s Angaben führten auf das entsprechende Decrescenzgesetz 208 208 153 239 Br . 208. 2068. _:2208 a rn a da es heifsen sollte 8- statt ZI, .—= 95 - Die ee m ET eluienE für die gemeinte Fläche nemlich wäre 89 (E, 1D, 153 B, ICH D). Für die Bournon’sche Fläche no. 46. aber bietet sich als na- türlichste Vergleichung dar eine Fläche Das eingeschlossene Rhomboeder dieses Dreiunddreikanıners wäre das erste schärfere — | er »a |, Haüy’s f; oder wie wir uns auch aus- drücken, die Fläche würde gehören in die Diagonalzone des Hauptrhom- boeders, welche identisch ist mit der Kantenzone des ersten schärferen. Die scharfe Endkante des geschriebenen Dreiunddreikantners würde ab- gestumpft werden durch die Fläche des Gegenrhomboeders vom ersten schärferen, d.i. von gap 5 & c |, einem Rhomboeder erster Ord- nung. Die Abstumpfungsfläche der stumpfen Endkante würde einem Rhomboeder nicht beobachtet (1), wenigstens den sechsgliedrigen Systemen gar nicht —— Bo —— a . a':a':»a | angehören, welches, wenn gleich am Kalkspath fremd ist, einem Rhomboeder nemlich mit dreifachem Cosinus der Nei- gung seiner Fläche gegen die Axe (bei gleichem Sinus mit dem Haupt- (1) Allerdings hat Bournon ein Rhomboeder, sein no. 20., dessen Ausdruck 25 3 c . . ”- Terz 3e 21 ” .- .. a:a:o a |, also sehr wahrscheinlich in |@:@:o.a | zu berichtigen seyn möchte. der Sechsundsehskantner und Dreiunddreikantner. 251 rhomboeder) und zwar einem Rhomboeder zweiter Ordnung. Dieses Rhomboäder wäre folglich das Gegenrhomboeder vom ersten schärferen jenes würfelähnlichen, des Haüy’schen cuboide = ee 31: » Die Horizontallinie (a’;4- a’;...) aber hätie die geschriebene Fläche mit mehreren bekannten Flächen gemein, und unter ihnen eine besonders nahe Beziehung zu der Haüy’schen Fläche (1) vo—=E +3E sie hätte, verglichen mit letzterer, für ihre Neigung gegen die Axe, bei gleichem Sinus offenbar den doppelten Cosinus. 8. 26. Die Gesetze und Ausdrücke von Flächen der Sechsundsechskant- \ ner, wie man sie bei den sechsgliedrigen Systemen , insbesondere des (Juarzes, Berills und Apatites kennt, sind überaus einfach. Es sind bis jetzt keine andern beobachtet worden, als solche, welche in die Kanten- zone des Dihexa@ders gehören, d.i. der Endkante des herrschenden Di- hexa@ders parallel sind; ja, mit sehr geringer Ausnahme sind sie alle aus der Lateral-Hälfte, nicht aus der Terminal-Hälfte dieser Zone, und in folgender Reihe enthalten, welche, wenn wir sie mit der Di- hexaederfläche selbst und mit der Rhombenfläche beginnen, welche leız- tere in zwei solche Kantenzonen gemeinschaftlich gehört, und deshalb statt eines Sechsundsechskantiners ein Dihexaeder (zweiter Ordnung) durch das Zusammenfallen je zweier Sechsundsechskantnerflächen in eine giebt, das gröfseste Gepräge von Einfachheit erhält. —— — Es ist, wie man sieht, die Reihe, wo unser z die Werthe durch- geht 1,2,3,4,5,6, während immer y=1, Dafs Verhältnifs @:c kehrt (1) Tr. de Miner. 2.ed. t.I. p.302 und 349. li 2 252 Weiss: Grundzüge der Theorie in allen Zeichen wieder, in beiden ersten zweimal, und drückt eben so oft eine Kante des Haupt-Dihexaeders aus, welcher jede der bezeich- neten Flächen parallel ist; die beiden ersten sind es zweien, deren Lage gegen einander dem Auge sogar im Zeichen versinnlicht ist. Nimmt man in jedem Zeichen das Glied, welches auf den 14 und fc gemeinschaft- lich senkrecht ist, so hat man folgende Reihe derselben: i 2 2 2 2 De 25, 45,5, Syn In den Richtungen dieser Linien liegen die Sinus der Neigungen aller dieser Flächen gegen eine durch das 14 und 1c gelegte Ebne, d.i. gegen den Aufrifs der Kantenzone des Dihexa@ders; zum Cosinus haben sie alle eine und dieselbe Linie, das Perpendikel in dem rechtwinklichen Dreieck, dessen Katheten das {#4 und fc, aus dem rechten Winkel auf die Hypothenuse gefällt; folglich sind ihre Sinus, bei gleichen Cosinus = aa im Verhältnifs 27 4 2:4: Fe rrimTc- Umgekehrt also, wenn man ihnen gleichen Sinus gäbe, so würden ihre Cosinus seyn im Verhältnifs 1, 3, 5, 7, 9, 11. Darum nennen wir sie kurz die Flächen mit (einfachem), drei- fachem, fünf-, sieben-, neun-, eilffachem Cosinus (bei gleichen Sinus) aus der Kantenzone des Dihexaeders. Jedes spätere Zeichen enthält den Ausdruck von wenigstens zwei Linien in sich, die, anders combinirt, in den vorhergehenden vorkom- men; es sind dies Linien, die allemal verschiedenen Flächen eines und desselben Sechsundsechskantners gemeinschaftlich zukommen, also wirk- lich als Axen von Zonen angesehen werden können, welche von einer dieser Flächen nach jener andern gehen, und, ohne alle Nebenbetrach- tungen, schon an den Sechsundsechskantnern selbst construirt werden können. Man übersieht hieraus schon den Reichthum, der für die Be- stiimmbarkeit folgender oder secundärerer Glieder des Systems nur in der Erwägung der Verhältnisse liegt, welche unser Zeichen unmittelbar ausdrückt. Aber auch ohne dafs eins der späteren von den obigen sechs Gliedern des Systems die ganze Reihe der vorhergelienden voraussetzt, Oo giebt selbst die isolirtere Betrachtung eines jeden directere Nachweisun- gen, in welchen Zonen vorzugsweise die Begründung eines jeden zu suchen ist. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 253 So ist es für no.3., aufser der Linie von a nach ce, nicht allein die c von }a nach c gezogene, als die Endkante eines Dihexaeders I a::a: a = | 7.2:0a |, d.i. des mit doppeltem Cosinus aus der vertikalen Zone des _Haupt-Dihexaeders Mas2en ; sondern auch die Linie von !s nach es.d.i.. die Längendiagonale des nemlichen Dihexaeders T 7.2. g _1-y 41:7 = 2s 2 c; folglich‘ y = Sn oder n = 7 Ist sie dritter Abtheilung, so gilt für sie die Proportion 25 1 1+y . — . . jan: 0 ann Ey . = In: Ye=2s:o also y = RE oder z = 2, Das Grenzglied zwischen beiden letzteren Abtheilungen, der di- hexaödrische Körper, hat die Eigenschaften beider Abtheilungen ver- bunden. — Die beiden ersten Abıheilungen sind in dieser Zone zu- gleich erster Klasse, die dritte ist zweiter Klasse. B. Die Kantenzone des ersten schärferen Rhomboeders ist identisch mit der Diagonalzone des Hauptrhombocders; die Axe die- ser Zone ist eine Linie (s; c): Die Flächen erster Abtheilung aus dieser Zone haben also gemein YR) £ A . . 23 2 B Be 2 (y + 1) a: ye=s:60; mithin y = a oder gern Die Flächen zweiter Abtheilung aus der nemlichen Zone DS ; BR RR BE ngı:ye=stc; alo y= -——; Oder n = 3 Die dritter Abtheilung 2s 2 y+t 2 yet RR EB ee | sc; also y 5512 oder 35 der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner 257 Die zwei ersten Abtheilungen dieser Zone sind zweiter Klasse, die dritte ist erster Klasse. C. Die Kantenzone des ersten stumpferen Rhomboeders hat zur Axe eine Linie (4s; ec). Also hat man wieder für die erste Abtheilung dieser Zone 2s = 1 2 a 1 . N 1 ae Ay+i1 ag: ye=Aste; folglich y= 5 (m 37) undn = ge für die zweite ER a a AR 2 Re er, ir te 4:5 aoy= IIarı) undz = 17 und für die dritte 25 . N Ser ı+hı iR u FE 2y+1 a a na rin Die zwei ersten Abtheilungen dieser Zone sind abermals zweiter Klasse, die dritte ist erster Klasse. D. Eben so hat die Kantenzone des zweiten schärferen Rhomboöders, welche identisch ist mit der Diagonalzone des ersten schärferen, zu ihrer Axe eine Linie (s; 2c). Es ist also für die erste Abtheilung in dieser Zone ? 2 (y+: 28 :yc=s:2c; dahery= ——, und nel) n—?2 n—2 Yy für die zweite Abtheilung ZEN Ru ne | a 4 _ d-y aaa: ye=s: 26; folglich y = at und z = > und für die dritte 2:5 : [A Ver 4 —— } — ER 1 = _—_ — Y In21..: Ye s : 2c; folglich. y et und 3, Die beiden ersten Abtheilungen dieser Zone sind wiederum erster, die letzte zweiter Klasse. So fänden sich für jede Zone, deren weitere Unterscheidung zweck- mäfsig werden könnte, die analogen Formeln mit der directesten Be- ziehung auf unsere Zeichen. Man könnte die obigen Abtheilungen in der angegebenen Folge, als vierte, fünfte, sechste u.s.f. bis zwölfte fortzählen, und würde damit einige kürzere Ausdrücke erreichen, wie z.B. wenn man sagen wollte, der gewöhnliche Dreiunddreikantner des Kalkspathes, der Haüy’sche metastatische, sei erster und eilfter Abthei- lung zugleich; wodurch er bestimmt ist; das Gedächtnifs möchte indels Phys. Klasse 1822-1823. Kk 258 Weıss: Grundzüge der Theorie in dieser Sprache eine neue Schwierigkeit finden, und wir vermeiden sie deshalb; zu geschweigen, dafs die Grenze des fortzählens sich leicht allzu weit hinausschieben würde, und auch anderen Zonen die Betrach- tung vorbehalten bleiben mufs, welche in eine Reihe dieser Art gar nicht gehören. Gesetzt, dafs die dihexa@drischen Kantenzonen eine ähnliche Man- nichfaltigkeit darböten, wie beim Kalkspath u. s. f. die rhomboädrischen, so sieht man, wie sich ähnliche Abtheilungen von Sechsundsechskaniner unterscheiden, und durch bestimmte Verhältnisse eines « zu c in unse- rem Zeichen erkennen lassen würden. Es ist, wie man jetzt vollständi- ger übersieht (vergl. oben $.13.), die untere Reihe unseres Zeichens, die der s, welche die rhomboedrischen Kantenzonen, die obere, oder die der a, verglichen mit yc, die, welche die dihexaödrischen Kantenzonen, in welche die Fläche gehört, unmittelbar nennt; jene fallen zusammen mit den Diagonalzonen sowohl der Rhombocder als der Dihexaeder er- ster Ordnung; diese mit den Diagonalzonen der Dihexaöder zweiter Ord- nung = [| a: 2:2. Die eben genannten Dihexaöder zweiter Ordnung sind es, welche am rhomboädrischen System die Grenzglieder je einer zweiten und dritten Abtheilung von Dreiunddreikantnern bilden, und vollzählig auch im rhomboedrischen System vorkommen, während die Dihexaeder erster Ordnung Te:a:a] sich auf die Hälfte ihrer Flächen in den Rhomboedern reduciren. Die genannten Grenzglieder bilden wieder eine Zone unter sich, d.i. die vertikale Zone der zweiten sechsseitigen Säule, kürzer: die zweite vertikale Zone; denn sie sind sämmtlich auf die Seitenflächen der zwei- ten sechsseitigen Säule iger El gerad aufgesetzt; die Axe der Zone ist die Linie (a; 4a; a). $. 31. Die beifolgende Tafel I. gibt eine Übersicht der Dreiunddreikant- nerflächen, welche am Kalkspath von Haüy (1), Bournon (2) u. A. (1) Wir verweisen hier auf die zweite Ausgabe seines Trait de mindralogie, Pa- ris 1822. (2) Trait® complet de la chaux carbonatde et de larragonite, par M. le comte de Bournon. Vol. I-III. Londres, 1808. 4. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 259 angegeben worden sind; ihre Ausdrücke, die wir hier ausführlich ge- ben, ziehen sich beim gewöhnlichen, wiederkehrenden Gebrauch auf die oben erwähnte Art bequemer und kürzer zusammen. Es sind ihrer funfzig verschiedene, oflenbar von sehr ungleicher Zuverlässigkeit. Ich habe im 8.25. die Art und Weise und den Anfang einer Kritik der einzelnen Bestimmungen angedeutet. Die Betrachtung der Ausdrücke selbst mag zur Fortsetzung solcher Betrachtungen dienen; ich enthalte mich, der Weitläuftigkeit wegen, aller der Bemerkungen, die sich mir aus den einzelnen Zeichen für sich und aus ihrer Vergleichung ergeben haben, um so mehr, als jetzt eine Methode vorhanden ist, welche weit vollständiger und in Einem Überblick darlegt, was aufserdem nur theil- weise und vereinzelt bei der kritischen Betrachtung gegebener Flächen- bestimmungen erörtert werden könnte; ich meine die sinnreiche und. fruchtbare graphische Methode des Herrn F. E. Neumann (ı). Wir fügen vielmehr nur noch in der Tafel II. die Ausdrücke der verschiede- nen Rhomboederflächen des Kalkspaths, so wie die der Seiten- und Endflächen seiner Säuke, ebenfalls nach Haüy und Bournon, bei, welche nicht allein für sich ein ähnliches Feld der Betrachtung darbie- ten, sondern auch von der kritischen Betrachtung der Dreiunddreikant- nerflächen, als einem reellen, in sich harmonisch ausgebildeten Krystall- systeme angehörig, nicht getrennt werden können. Es steigt mit ihnen die Gesammizahl der am Kalkspath angegebenen verschiedenartigen Flächen auf 83; davon 28 verschiedenen Rhomboedern angehören. Man vermifst hierbei, gewissermafsen selbst ohne längeres Nach- denken unter den sechsundsechskantigen Säulen (Taf. II. B.a. 3.4.) die Fläche ezaee] ‚ welche nach allem, was wir vom Kalkspathsystem kennen, gewifs mehr innere Wahrscheinlichkeit besitzt, als die beiden angegebenen ar: za] und er; sie würde aufser der hori- zontalen Zone, zugleich in die vertikale Zone Taf.I. £. gehören, und zu dieser Zone sich verhalten, wie Peer zu der vertikalen Zone Taf.I. F. Es ist indefs bekannt, wie selten am Kalkspath überhaupt Flächen einer sechsundsechskantigen Säule zu beobachten sind, und wie (1) Beiträge zur Krystallonomie, von F.E. Neumann, erstes Heft. Berlin und Posen, 1825. Kk2 260 Weıss: Grundzüge der Theorie fast nur die Seitenflächen der beiden sechsseitigen Säulen, und vorzugs- weise der ersten, in der horizontalen Zone voszukommen pflegen. Dagegen wird man mit einer Art von Überraschung z.B. be- merken, wie Flächen, die wir oben $.26. unter den gewöhnlichen Sechs- undsechskantnerflächen aufführten, hier auf eine unerwartete Weise sich wieder zeigen; und die Identität der durch die Haüy’sche Kalkspath- Varietät: ‚‚paradoxale” u.a. wohl bekannten Fläche x (Taf.I. 2.1.) den Ausdruck d.i. der allgemeinen Function nach, mit der Trapezfläche des Quarzes u= [.: | versteckt sich durch die rhomboedrischen Verhältnisse am Kalkspath gegen die dihexa@drischen am Quarz so sehr, dafs sie durch unser Zeichen gewifs nicht ohne einige Überraschung ans Licht gezogen wird. $. 32. Betrachtet man die Reihe von beobachteten Dreiunddreikantner- flächen in einer und derselben Zone oder in deren Abtheilungen , wie in Tafl. 4.a.b.c.d., so sind die angeführten Flächen der ersten Ab- theilung, in der Folge, wie sie genannt sind, und ihre Neigungen gegen den Aufrifs der Zone (d.i. hier gegen eine durch ihr gemeinschaftlich 25 und ce gelegte Ebne) verglichen mit der Neigung der Hauptrhomboeder- fläche [, ae | gegen dieselbe Ebne, die Flächen mit: dreifacher, fünf-, sieben-, neunfacher, doppelter, —-, —-, —-, 4-, —-, 41-, 42-facher Cotangente, wie man nach den üblichen Ausdrücken des Trigonometers sagen würde, welche indefs hier nicht so zweckmäfsig sind, weil dadurch die Rich- tungen der Linien verändert werden, welche gemeint sind, und welche eonstant den Richtungen des Sinus und Cosinus sämmtlicher Neigungen bleiben. Deshalb sagen wir in allen solchen Fällen lieber: es sind die Flächen mit eben so vielfachen Cosinus ihrer Neigungen, nemlich bei gleichen Sinus-Linien. Die angeführten Flächen der zweiten Abtheilung sind in gleichem Sinn die Flächen mit doppelter, $--, —-, 5--, 4L-facher Tangente. oder nach unserm aus dem angegebnen Grunde vorgezogenen Ausdruck die mit eben so vielfachem Sinus, bei gleichen Cosinus-Linien. der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 261 Das Grenzglied der zweiten und dritten Abtheilung ist die Fläche mit dreifacher, die beiden angeführten Flächen der dritten Abtheilung sind die mit fünf-, und mit achtfacher Tangente im vorigen Sinn. 8. 33. Die Haüy’schen Decrescenz- Ausdrücke der Flächen lassen sich in die unsrigen sehr leicht übertragen, zumal wenn es gerade Decres- cenzen unter der Form D, B + =), sind. Die Dreiunddreikantnerflächen der ersten Abtheilung aus der Kan- tenzone des Hauptrhomboeders nemlich haben die Haüy’sche Bezeich- nung D, wenn wir m den Exponenten seines Decrescenzzeichens nen- nen. Ein solches Zeichen ist in das unsrige so zu übersetzen dafs un- 1 1 gner | ser „— „g, und uner y=,_, folglich das ganze Zeichen die- ses wird. | m—ı m ‘ ı ı D — ° n-ı ni a m == 2 Si "m-ı 3 Die Flächen aus der zweiten und dritten Abtheilung der- Kanten- zone des Hauptrhomboeders entsprechen dem Haüy’schen Decrescenz- zeichen DB, und zwar sind sie zweiter Abtheilung, wenn m>2, dagegen dritter Abtheilung, wenn mS:; der Fall m = 2 ist der des Grenzgliedes zwischen beiden. j In unser Zeichen übersetzen sie sich auf folgende Art: Ist das Haüy’sche Zeichen der Flächen zweiter Abtheilung 3 so ist m>ı2 1 5 unser n=m, und unser y= eg. folglich = m>2 m—|1 unser 72 '= ——— ; m+i1 -, undy= also m—1 262 Weıss: Grundzüge der Theorie m—ı mtı ‚, m-ı B a» — dad :(m-ı) a = — m a(m-—ı) ‚„2(m-ı) „am Y am-—ı * m+ı am In der Diagonalzone des Hauptrhomboeders, d.i. der Kantenzone des ersten schärferen, ist das Haüy’sche Zeichen im allgemeinen ”Z; für die erste Abtheilung in derselben ist m < 1; dann ist unser n = unser y= ei daher das ganze Zeichen 4—m’ m3, und dann unser m+ÄA 2 n— ‚ unser y= = daher das ganze Zeichen 2 —c Das Grenzglied beider Abtheilungen, das, wo m = 3, fehlt wie- der beim Kalkspath, wiewohl es beim Eisenglanz, Corund und mehre- ren gerade besonders häufig ist. Haben wir es mit Haüy’schen intermediären Decrescenzzeichen zu thun, so müssen diese erst in jene unzweideutigen, neuerlich von Haüy signes techniques im Gegensatz von signes theoriques genannten, der Sechsundsechskantner und Dreiunddreikantner. 263 übersetzt werden, ehe sich für sie allgemeine Formeln der Übertragung in die unsrigen geben lassen. Die Häüy’schen Deerescenzzeichen für abgeleitete Rhomboeder lassen sich unter die beiden Formen © und A bringen. Schreiben wir nun die Fläche eines Rhomboeders im allgemeinen so: ENSET, 186 . n+A n—2' Wenn n > 2, so ist diese Gröfse positiv, und das Rhomboeder für e, unser y= ist erster Ordnung; es bleiben also die Buchstaben in unserem Zeichen ohne Accente. Wenn 2 < 2, so wird unser y negativ, das Rhomboeder wird 5 . — Ye Ye wır schreiben es a:d:»a| = ara:»a |» zweiter Ordnung; Wenn n—=2, so wird y=%x, die Fläche also parallel der Axe d.i. sie wird die Fläche eines unendlich scharfen Rhomboeders, oder die Seitenfläche unserer ersten sechsseitigen Säule. Es ist also z = 2 die Grenze zwischen Rhomboedern erster und zweiter Ordnung, welche als Decrescenzen an e angesehen werden können. n—i x nE2 Isı n > 1, also y positiv, so ist das Rhomboeder wiederum er- ster Ordnung, und die Buchstaben bleiben ohne Accente. Bei Decrescenzen an 4, also für 4; ist unser y = Isı n < 1, so zeigt das Negativwerden von y wie vorhin, dafs es im umgekehrten Sinne, d.i. als yc’, zu nehmen ist; das Rhomboeder ist wieder zweiter Ordnung. It z= 1, also y = 0, so haben wir die Fläche des unend- lich stumpfen Rhomboeders, d.i. die Endfläche der Säule [a:4:=a| = c |wa:wa:»a . | Der Werth z = 1 ist hier wiederum die Grenze der Rhomboc- der erster und zweiter Ordnung, welche als Decrescenzen an 4 ange- sehen werden können. Umgekehrt, wenn wir unsere Zeichen von Rhomboedern in Haüy’sche Decrescenzausdrücke übersetzen wollen, so wird, wenn die Buchstaben ohne Accente (genauer a und c gleich accentuirt) sind 2y+1 Da —— y—i1 Ist y > 1, also (y—1) positiv, so ist das correspondirende Haüy’sche Deereseäsizreichin =e. 264 Weıss: Grundzüge der Theorie u. s. w. Ist y < 1, also (y— 1) eine negative Gröfse, so zeigt sie an, dafs die De nicht an e, sondern an 4 zu denken, oder = 4 ist, worin der positive Werth 1—y genommen wird. In diesen Ausdrücken liegt auch, dafs, wenn an es die Fläche des Hauptrhomboeders selbst, oder Haüy'se = A = P ist; des- gleichen, dafs, wen y=%, der Haüy’sche Deerescenzausdruck kein anderer ist als &, wie er es allerdings ist für die Seitenfläche der ersten sechsseitigen Säule. Ist endlich unser geschriebenes Rhomboeder zweiter Ordnung, also a oder c accentuirt, so wird 2y—1 n = y+1 Ist 2y > 1, also (2y— 1) positiv, so ist die Haüy’sche Decre- scenz an e zu denken, und sein Zeichen der Fläche ist 2. Ist dagegen 2y < 1, mithin (2y— 1) negativ, so ist das gesuchte Haüy’sche Zeichen 4 ‚ und in demselben 1 —2y positiv genommen. Auch hier ist eben so deutlich, dafs, wenn y= x, das Haüy’sche Zeichen e wird; desgleichen, dafs, wenn y=1, oder unsere geschrie- bene Fläche das Gegenrhombo&der des Hauptrhomboäders be- zeichnet, der Haüy’sche Ausdruck derselben — 5 seyn mufs. — BD — as Dreiunddreikantners #. a. 1. . s.oben ; 3. D. 0.1 0 aha =D, Mon ik, H,=D, Bournon’s no. 41. Annales des Mine ‚1 0. 1. sAH= D; Monteiro, | Journ.d. Min., 1813. II, 194. 20 —— 3e c— 1. A.d.,sobn ; 2. A a:ta:a a:ta:a si s:$sioos en: $s:05 vosıt sz&s:oos ö ze 10. |5a: Ha Ei 7 ; Haüy!s &, geschrieben Haüy) sd, geschrieben Bournon’s no. 31. Bournon' sn0.55. Se ee # (Et pB',ai. (E* B1D9), ai. von Haüy geschriehen Haüy’sno.d. =D BRnonlano. Al, (E,1D, 58, +D) (E,1D, 48, D) of @ BER, f { \ G. Gegen-Dodekaöder von einigen der vorigen. ic ur 4 7 = a ee]: = > TE ARE One HERNE, ksidsııs © Em er —- TE Ei 1. Gegen-Dodek. von A. a.1. 2. von A. a.2.| yaızaıya a 2 Haüysu=B Haüysg=B Bournon'sno.26.=B Bournon's n0.29.= B > vet 25 Bournon's no. 28. > + a7 x d. Grenzglied beider letzter Abtheilungen. r | 5 | 3. von A. a. 10. 4. von A. a.12.|4 “ a; ® ve Haüy'sg Haay's 20.3. Bournon's no.24.= B 2 H. aufserhalb aller voriger Abtheilungen. B. aus der Kantenzone des ersten schärferen Rhomboeders b. zweiter Abtheilung. c. dritter Abtheilung. a. erster Klasse. | era - - mn heufisasdsmiae 5 ” : : en ko ö Bournon’s no. 52. Hauy's xy geschrieben \ (EVE BAD) — TER b. zweiter Klasse. a. erster Abtheilung. b. c. zweiter und dritter Abtheilung,. N) - FC 3. 4 EL in 15} = ’ 4. Ha: ta: za 5 EEE ra Bournon’s no.51. ; 2.\y@: Vacat, | 3 ———. Haüy’s y, geschrieben am ersten stumpf. Rhomb. — D, rs ı (# E* B* DV); sollte heifsen geschrichen (2% 3° D9); sollte heiften | ee (TEF B:DN)=(E,1D,#B,4D), , (FEF DB D)=(E,AD, 18, } D); eh Bournon’s no.44. \ am ersten stumpferen Rhombodler = b von Haüy vermuthet statt Bournon’!s no, 44. N ID), sy Alam ren » des zweiten schärferen Rhomboä m 3 . aus der Kantenzone des zweiten schärleren Rhomboeder | 4:4: | | a, erster Abtheilung. 2. zweiter Abtheilung. c. dritter Abtheilung. Boutnon’s no. 45. Bournon's no. Ab. P t „ 1 Par FR 1 Tre ! | | a zarta s A. a.1. oben, ; 3. Ha: ! Fig sis E 7 re - ’ + E h ® ty syv=(£D’D'), Haüy's b, geschrieben Boyrnon's no. 43. Bournon's no.42. | d.i. (E,1D, 4D, 4.B); (5 E° D® 3°); sollte heifsen = \ y 3 am zweiten schärf. Rhomb. = D GE E3 Ds BS )=(E,1D,43,4D) FR * Zu Hrn. Weıss Abhandlung: Grundzüge der Theorie der Sechsundsechskantner u.s.w. Phys. Klasse 1822-1823. ae D - ll nt pamaae a2) 9. iekpreireagnen . © . j 4 Lan „IN m \ orig [8 U 2 Br ’ Ir r‘ ir oA sole, IE B ’ I A j 5, Karben Tau - < vr, rs monat. . * er ..; di i nZeie: 2 u, ann u nn De ae ET EIERN 72 a ee a aaa Yaoaiadin A. Kalkspath - Rhomboeder. a. Hauptreihe. A. Kalkspath- Rhomboöder. a. Hauptreihe. I 1 0 —en © 7.6 Hi; u; 2.[@: 0: ©a ; 3.Jara:oa Haüy's P zweites stumpferes, Bournon’s no. 8. erstes schärferes, Haüy’sf erstes stumpferes, Haüy’sg d. ähnliche Reihen. erstes schärferes desselben, Haüy’s erstes stumpferes des vorigen, Haüy’s $ Bournon’s no.10. Abstumpf. der stumpfen Endkante des Dreiunddreikantners 4. a.1. 2 ze a:wa|; [ei Haüy’s no.1. ei 2 & 2 Haüy’sy, Bournon’s no. 21. Abstumpf. der scharfen Endkante des Dreiunddreikantners A. a.2. erstes stumpferes erstes schärferes des vorigen desselben c. Gegen-Rhomboeder von einigen der vorigen. c rm—4e 1. Gegen-Rhomboöder | „’ Taloo.a|s 2. Gegen-Rhombhoder | „' . a . I» wa | ’ von a.1. von a. 5. Hauy’s n Haüy’s e d. aufserhalb der vorigen. @. erster Ordnung. 15c 1, BE : Haüy'si wa; = 00 a Bournon’s no. 12. Bournon's no. 9. 6: zweiter Ordnung. 76; #6 1 Dee 5 5 a a 2. la’sa'roal; Hauy’s d 4. al; ’ . vsa:;,oal; Bournon' on's no. 18, Bournon’s no. 15. Bournon’s no, 19. B. Seiten- und Endfläche der Säule. a. Seitenflächen. xc Haüy’sc, G Hauy’s u, erste sec) iti i iti 3 hsseitige Säule zweite sechsseitige Säule b. Endfläche. Bournon’s no.5. ac 46. de —— ; Alara:oa |; 5.|a:a:wa|; 6. |: drittes schärferes, Haüy’s no.3. zweites schärferes, Haüy’s m $ 4. a: Haüy’s A zweites schärferes desselben 7 ze 3. Gegen-Rhomboöder | 7’. 2: PR von 2, 8.2, Bournon's no. 16. 4 re a asa:swal; Bournon’s no. 6. Bournon’s no. 20. mit Bournon’s no.56. gemeint? Phys. Klasse 1822-1823, Grunds Zu Hın. Wrıss Abhandlung : üge der Theorie der Sechsundsechskantner u. 5. W lau es ns ER a UIID ee u . B ’ @ 3 w en u DER NEE On : 2 RE Yan Rande KT: ® ine Kari nr u en a eiinH De anT! Te fl U Li ER a ” Arm Br ET. mi E a Ben erh: j = u n he 2 2} “ era » fi aut ae TI ER ER Su tn ’ Pr : in + or: a er) dr r ein ee! ar Era | Magnetische Polarisation der Metalle und Erze durch Temperatur-Differenz. \/ Von H”- SEEBECK. [Auszug*) aus vier Vorlesungen, welche in der Akademie der Wissenschaften am 16. August, am 18. und 25. Oktober 1821 und am 11. Februar 1822 gehalten worden.] A meinen Untersuchungen über den Magnetismus der galvanischen Ketten in den Abhandlungen der Königl. Akademie von 1820 -- 1821 S. 259-346 hatte sich ergeben, dafs die Intensität des Magnetismus die- ser Ketten in geradem Verhältnifs zu der Energie der durch den feuch- ten Leiter begründeten chemischen Action stehe, mit dieser steige und falle; ferner, dafs wenn auch in den gewöhnlich angewendeten und manchen andern galvanischen Ketten ein festes und gleiches Verhältnifs zwischen der magnetischen und electrischen Polarisation besteht, — die leıztere, den herrschenden electrochemischen und electromagnetischen Theorien zufolge, als von dem Berührungspunkte der Metalle miteinan- der ausgehend angenommen, — dieses Verhältnifs dennoch nicht unver- änderlich sei, sondern dafs der feuchte Leiter auch auf die Lage der Metalle gegen die magnetischen Pole der Ketten einen entschiedenen Ein- flufs habe, und nicht selten gerade die entgegengesetzte Lage derselben von der, welche man als normal angesehen hatte, veranlasse. *) Zufällige Umstände haben veranlafst, dafs diese Abhandlung im vorhergehenden Bande der Denkschriften der Königl. Akademie nicht mehr erscheinen konnte, wohin sie dem gröfsten Theil ihres Inhaltes nach gehört. Ich habe hier den im Texte enthalte- nen Beobachtungen, welche sämtlich von Ende des Julius 1821 bis Anfang Februars 1522 gemacht worden, noch einige neuere Beobachtungen hinzugefügt, doch habe ich diese, zur Unterscheidung, in die Noten unter und am Ende der Abhandlung verlegt. Noch bemerke ich, dafs die in den Metallverzeichnissen mit Sternchen bezeichneten Körper später hinzugekommen sind. Sk. Phys. Klasse 1822-1823. L1 266 SEEBECK Bei Fortsetzung der Untersuchungen über das gegenseitige Ver- halten der electrischen, chemischen und magnetischen Thätigkeiten in den galvanisehen Ketten, stiefs ich auf Erscheinungen, welche mir an- zudeuten schienen, dafs auch wohl zwei Metalle für sich, kreisförmig mit einander verbunden, ohne Mitwirkung irgend eines feuchten Leiters magnetisch werden möchten. Auch noch andere Gründe schienen da- für zu sprechen. Denn aus mehreren Thatsachen und namentlich aus den S. 346 der oben angeführten Abhandlung erwähnten, schien hervor- zugehen, dafs nicht sowohl die Action an dem Berührungspunkte der Metalle mit einander, als vielmehr die Ungleichheit der Actionen an den beiden Berührungspunkten der Metalle mit dem feuchten Leiter die magnetische Polarisation der ganzen geschlossenen Kette begründe; auch war wohl nicht zu bezweifeln, dafs selbst dann, wenn der Action am zuerst genannten Berührungspunkte ein Antheil an der Erregung des Magnetismus zugestanden werden müfste, doch schon das Übergewicht der Action an einem der Berührungspunkte über die an den andern bei- den Berührungspunkten eine magnetische Spannung veranlassen könne; und dieses, glaubte ich, berechtige wohl zu der Erwartung, dafs bei ir- gend einem eintretenden Mifsverhältnifs in dem Zustande der Berührungs- punkte zweier kreisförmig mit einander verbundenen Metalle eine magne- tische Polarisation hervortreten könne. Zu den ersten, in diesem Sinne unternommenen Versuchen wählte ich zwei Metalle, welche ich als Glieder in den gewöhnlichen galva- nischen Keiten mit Kupfer verbunden in manchen Stücken abweichend und veränderlich gefunden hatte, Wismuth und Antimon. Durch beide sah ich meine Erwartung erfüllt, doch war ihre Wirkung verschieden. 1. Eine Scheibe von Wismuth unmittelbar auf einer Kupfer- scheibe liegend, zwischen die beiden Enden eines im magnetischen Me- vidian liegenden spiralförmig gewundenen Kupferstreifens von 40 Fufs Länge und 24 Lin. Breite gebracht, zeigte bei der Schliefsung des Krei- ses sogleich eine deutliche Declination der Magnetnadel. Lag die Spirale gegen Norden und die Enden derselben gegen Süden, so wich der Nordpol (—m) (1) der Nadel, welche innerhalb (1) Der Nordpol der Erde mit +M bezeichnet. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 267 der Spirale stand um einige Grade westlich ab, wenn das obere Ende der Spirale auf die Wismuthscheibe niedergedrückt wurde (Fig. 1.). Die Declination war dagegen östlich, wenn die Spirale in Süden, die Metallscheibe in Norden lag. Die Declinauon blieb dieselbe der Richtung nach, nur war sie schwächer, wenn die Kupferscheibe oben, die Wismuthscheibe unten lag und das obere Ende der Spirale auf die Kupferscheibe niedergedrückt wurde. Dieser Erfolg bestimmte mich in den folgenden Versuchen im- mer nur einfache Metallscheiben mit der Spirale in Berührung zu brin- gen, und auch die übrigen Metalle zeigten sich so am wirksamsten. n Umkehrung der Spirale, so dafs das vorher unten gelegene Ende nun oben zu liegen kam, änderte die Declination nicht, wenn nicht zu- gleich die Lage der Spirale gegen die Weltgegenden geändert wurde. Hieraus folgt, dafs nicht irgend eine in den Endstreifen der Spirale liegende Verschiedenheit die Ursache der magnetischen Spannung der Kette sei. Auch ein einfacher Streifen von Kupferblech, bügelförmig um die Boussole geschlagen und mit der Wismuthscheibe auf die an- geführte Art in Berührung gebracht, gab dieselbe Declination, obwohl schwächer als die Spirale. Betrug die ruhende Declination in dieser 7°, so gab ein + Zoll breiter Kupferstreifen nur eine Declination von 4°; ein 24-Lin. breiter einfacher Kupferstreifenbe wirkte eine noch schwächere Declination. 2. Eine Scheibe von Antimon zwischen den Enden der Spirale oder des einfachen Kupferstreifens verhielt sich anders. Lag die Spirale gegen Norden, die Enden derselben gegen Süden, so wich die Nadel innerhalb der Spirale östlich ab, wenn das obere Ende derselben auf die Antimonscheibe niedergedrückt wurde. Um- gekehrt war es, wenn die Spirale gegen Süden lag, die Declination war dann westlich. Das Verhalten des Antimons ist also dem des Wismuths gerade entgegengesetzt. Die Declination bei der Verbindung von Antimon mit Kupfer war schwächer als die in der Kette von Wismuth mit Kupfer, doch immer noch deutlich. 14,2 268 SEEBECK 3. Das dritte nun mit der Kupferspirale verbundene Metall, eine Zinkscheibe, zeigte abermals ein anderes Verhalten. Bei der Schliefsung des Kreises erfolgte hier keine Declination, die Magnet- nadel blieb vollkommen in Ruhe. 4. Eben so wenig erfolgte eine Declination als eine Scheibe von Silber oder eine von Kupfer an die Stelle des Zinks gesetzt wurde. Die Magnetnadel wich nicht im mindesten von ihrer Lage im magne- tischen Meridian ab, und dies eben so wenig, wenn jene Metalle mit Zink verbunden, als wenn sie einzeln angewendet wurden. 5. Bei allen diesen Versuchen hatte ich die Kette in der Art ge- schlossen, dafs ich die zu untersuchende Metallscheibe auf das untere Ende der Spirale oder des einfachen Streifens legte, und das obere’ frei schwebende Ende mit den Fingern auf die Scheibe niederdrückte. Es konnte daher bei den ersten Versuchen wohl die Frage aufgeworfen werden, ob nicht die Hand hier die Stelle des feuchten Leiters vertrete, und ob nicht Wismuth und Antimon nur dadurch entgegengesetzte De- celinationen bewirkten, dafs das eine unter Mitwirkung der Feuchtigkeit der Hand mit Kupfer +77 das andere — # werde. Das gänzliche Ausbleiben einer magnetischen Spannung bei Ver- bindung des Zinks mit dem Kupferstreifen, wo dieser Annahme zufolge eine stärkere Spannung hätte erfolgen sollen, mufste schon gegen die Zulässigkeit derselben Bedenken erregen. Einige Versuche, welche mit feuchten Leitern angestellt wurden, zeigten noch bestimmter, dafs Feuchtigkeit der Hand hierbei nicht mit- wirken könne. Denn wenn das obere Ende der Spirale vermittelst einer mit Wasser benetzten Pappscheibe auf die Wismuthscheibe gedrückt wurde, so fand keine Declination statt; und war die Pappe mit Salz- wasser benetzt, so erfolgte die entgegengesetzte Declinaion von der, welche sich bei Berührung mit der Hand ergeben hatte. Andere feuchte Leiter zeigten ein ähnliches Verhalten. 6. Vollständig wurde aber die Annahme, dafs wir es hier nur mit gewöhnlichen galvanischen Ketten zu thun haben, dadurch wider- legt, dafs auch dann noch, wenn das obere schwebende Ende des Ku- pferstreifens mit einem Stäbchen von irgend einem andern Metall auf die Wismuth- oder Antimonscheibe niedergedrückt wurde, ja dafs über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 269 selbst dann, wenn das obere Ende der Spirale, welche mit der Wis- muth- oder Antimonscheibe in Berührung stand, mit einer trockenen dünnen Glasscheibe bedeckt war, und diese mit der Hand berührt wurde und einige Zeit in Berührung blieb, innerhalb der geschlossenen Kreise ganz dieselben, obwohl schwächere Declinationen erfolgten, als bei der unmittelbaren Berührung der die Kette bildenden Metalle mit der Hand. Hierdurch war zugleich die Annahme widerlegt, dafs wohl eine Electricitätserregung durch den Contact jener beiden Metalle mit der Hand, als wockener Körper angesehen, die Ursache der magnetischen Spannung sein könnte. 7. Das obere Ende der Spirale wurde auf der Wismuthscheibe befesugt, und das untere Ende derselben an die untere Fläche des Wismuths mit der Hand gedrückt; es erfolgten jetzt die entgegen- gesetzten Declinationen von den in $. 1. angegebenen, wo mit der Hand oben geschlossen wurde. | Wurden die beiden Enden der Spirale oben und unten zugleich mit den Fingern an die Wismuthscheibe gedrückt, so zeigte sich keine Abweichung der Magnetnadel. S. Statt der Spirale oder des einfachen Bogens von Kupferblech wurden nun auch andere Metalle angewendet, namentlich dünne 1-4 bis 2 Fufs lange und 4 bis 6 Linien breite Streifen von Zink, Zinn, Blei, Silber und Platina.. Wismuth gab mit jedem derselben bei der Schliefsung dieselbe Deelination wie mit dem Kupferstreifen, nämlich eine westliche, wenn der Bogen mit der Boussole innerhalb desselben gegen Norden, Wismuth im Süden lag, und die Kette oben mit der Hand geschlossen wurde. Pa Antimon bewirkte mit allen jenen Metallstreifen die entgegen- gesetzte Declination, d. h. eine östliche in der angegebenen Lage und von oben geschlossen. Es verhielt sich also gleichfalls wie zwischen dem Kupferstreifen. Kupfer zwischen diesen Metallbogen zeigte keine Wirkung. 9. Von den übrigen Metallen, welche ich zu untersuchen Gele- genheit hatte, fand ich Nickel, Kobalt und Uran bei der Verbindung mit der Spirale von Kupferblech, dem Wismuth gleich; dagegen 270 SEEBECK Eisen, Stahl, Arsenik und Tellur dem Antimon gleich; jene in Süden zwischen den Enden der Spirale liegend und von oben geschlossen westliche, diese östliche Declinationen bewirkend. Dem Kupfer gleich verhielten sich Zink, Blei, Zinn, Queck- silber, Silber, Gold, Platina, Palladium, Chrom, Messing. Kei- nes derselben gab bei der Schliefsung mit der Spirale eine wahrnehm- bare Declinaton (1): 10. Auch mehrere gediegene Metalle und Erze, welche Hr. Weiss mir aus dem Königlichen Mineralienkabinet mitzutheilen die Güte hatte, wurden untersucht, Jene Metalle verhielten sich wie die auf den Hüt- ten gewonnenen, und von den Erzen zeigte sich nur ein kleiner Theil wirksam. Beider Verhalten wird weiter unten genauer angegeben werden. Hier will ich nur erwähnen, dafs in der Verbindung mit der Kupfer- spirale, und bei der Schliefsung mit der Hand dem Wismuth gleich wirkten, Bleiglanz, Schwefelkies, Kupferkies, Arsenikkies, Kupfernikkel, weifser Speiskobalt; und dem Antimon sich gleich verhielten, Kupferglas, Buntkupfererz und blättriger Magnetkies. 11. Bei allen diesen Versuchen war die Wirkung am stärksten, wenn die Metalle und Erze unmittelbar mit der Hand berührt wurden, sie waren schwächer wenn die Schliefsung mit dünnen Zwischenkörpern geschah, (welche aber nicht zwischen der Spirale und dem zu unter- suchenden Metall oder Erz liegen durften, wenn sie unmetallisch waren, sondern auf beiden), ja es fiel jede Wirkung auf die Magnetnadel weg, wenn die Enden der Spirale mit 2 Fufs langen Glas- Holz- oder Me- tallstangen auf die Metallscheiben niedergedrückt wurden. Doch bald zeigte sich eine Bewegung der Magnetnadel, wenn die Hand an das un- tere Ende der Metallstangen, nahe dem Orte wo sie den Bogen berühr- ten, gelegt wurde, und wenn sie dort einige Zeit verweilte. Nach die- sen Erfahrungen mufste sich der Gedanke aufdrängen, dafs nur die Wärme, welche sich von der Hand dem einen Berührungspunkte der Metalle stärker mittheilt, die Ursache des Magnetismus in diesen zwei- (1) Die seltenern dieser Metalle verdanke ich der Güte der Hrn. Bergemann, Frick, Goedeking, und Hermbstädt. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 271 gliedrigen Keiten sein möchte. Demnach war zu erwarten, dafs ein hö- herer Grad der Temperatur als der, welcher den Metallen von der Hand mitgetheilt werden konnte, auch eine höhere magnetische Spannung be- wirken müsse. Der folgende Versuch bestätigte dies. 12. Eine Wismuthscheibe wurde mit den beiden Enden einer Kupferspirale in Berührung gebracht, unter die geschlossene Kette eine kalte und auf dieselbe eine über einer Lampe erwärmte Kupferscheibe gelegt. Es erfolgte sogleich eine Declinaton, und dazu eine viel lebhaftere als bei den früheren Versuchen. Die Magnetnadel innerhalb der Spirale machte eine Bewegung von 50° bis 60° und blieb bei 17° stehen, übrigens war die Declination der in den vorigen Ver- suchen gleich, nämlich westlich bei der Fig. 1 angegebenen Lage des Apparates. £ Wurde die warme Kupferscheibe unter den sich mit dem Kupferstreifen in Berührung befindenden Wismuth gelegt, so er- folgte, wenn alles Übrige unverändert blieb, eine östliche Declination, welche eben so lebhaft war als vorhin die westliche. 13. Die Wismuthplatte selbst erwärmt, und unmittelbar auf das untere Ende der Spirale gelegt, erfolgte, wenn das obere Ende derselben den Wismuth berührte, gleichfalls eine östliche Declina- tion. Das untere Ende der Spirale war hier das wärmere, da es mit der Wismuthscheibe beständig in Berührung blieb; das obere Ende dage- gen, mit dem die Scheibe nur auf kurze Zeit in Berührung kam, war das kältere, und so mufste hier wohl dieselbe Declination erfolgen, wie in dem letzten Versuch des vorhergehenden Paragraphs. Wurden die beiden Enden der Spirale gleichzeitig und in gleicher Länge mit der heifsen Wismuthscheibe in Berührung gebracht, so zeigte sich keine Declination der Magnetnadel. 14. Eine Scheibe von Antimon in der Spirale, bedeckt mit einer warmen Kupferscheibe, bewirkte gleichfalls eine stärkere Decli- nation als vorher, der Richtung nach aber dieselbe, nämlich die entge- gengesetzte von der, welche der Wismuth in gleicher Lage hervor- brachte. Die Abweichung der Magnetnadel betrug in der Fig. 1. ange- gebenen Lage der Spirale 9° bis 10° östlich. 212 SEEBECK 15. Stäbe von Wismuth und von Antimon von 5 Zoll bis 2 Fufs Länge an dem einen Ende erwärmt und unmittelbar mit der Spirale, oder einem einfachen Metallbogen verbunden, zeigen ein gleiches Ver- halten wie die Metallscheiben. Die Declinauon innerhalb des Bogens ist, wenn der Stab in Süden und der Bogen in Norden liegt, beim W is- muth östlich, wenn das warme Ende unten, und westlich, wenn das warme Ende oben steht. Beim Antimon ist die Declination im ersten Falle westlich und im letzteren östlich (8. Fig. 2 und 3 wo A Antimon, 3 Wismuth und X Kupfer bedeute:). Die Declinationen der Magnetnadel oberhalb und unterhalb des geschlossenen Kreises sind immer denen innerhalb des Kreises entgegengesetzt. 16. Wird eine Stange von Wismuth oder Antimon genau in der Mitte erwärmt, so findet bei Anlegung der Spiralenden an die En- den der Stangen keine Declination statt. Werden beide Enden einer solchen Metallstange zugleich und gleich stark erwärmt, oder ist die ganze Stange gleichförmig erwärmt worden, so kann eine Declination erfolgen, und sie kann auch gänzlich fehlen. Der Erfolg hängt davon ab, ob die beiden Enden der Spirale freischwebend sind, wenn geschlossen wird, oder ob sie sich mit einem andern Körper in Berührung befinden, und mit welchem. Ist die Un- terlage, auf welcher das eine Ende der Spirale liegt, ein schlechter Lei- ter der Wärme, wie z.B. Pappe oder Holz, so kann dies Ende, wenn es mit der warmen Stange in Berührung steht, sich leicht als das wär- mere verhalten, und es wird dann eine Declination erfolgen. Ist aber die Unterlage ein besserer Leiter der Wärme, z.B. Metall oder Stein, so kann die Declination die entgegengesetzte sein, weil die Abkühlung der warmen Stange hier schneller erfolgt als am andern blofs den Me- tallbogen berührenden Ende. Wird die an beiden Enden gleich warme Metallstange mit den beiden freischwebenden Enden der Spirale gleichzeitig verbunden, so er- folgt auch hier keine Abweichung der Magnetnadel. 17. Eben so verhielten sich bei gleichem Verfahren die übrigen $. 3 und 9 angeführten Metalle, selbst die dort noch als unwirksam über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 273 bezeichneten. Alle erlangten, zu zweien mit einander verbunden, bei er- höhter Temperatur eines der Berührungspunkte, eine magnetische Pola- risation ; bei gleicher Temperatur beider Berührungspunkte keine. Ja einige anscheinend homogene Metalle zeigten ein gleiches Verhalten. 15. Aus allen diesen Versuchen geht hervor, dafs die erste und wichtigste Bedingung der Erscheinung des freien Magnetismus in diesen metallischen Kreisen Differenz der Temperatur an den beiden Berührungspunkten der Glieder ist. Magnetismus wird entschieden auch dann noch erregt, wenn beide Berührungspunkte der Metalle oder Erze zugleich und gleich stark er- wärmt werden; eine Wirkung auf die Magnetnadel kann aber hier nicht statt finden, weil durch dieses Verfahren eine doppelte und ent- gegengesetzte magnetische Polarisation in dem Kreise hervorgerufen wird, und weil diese dann überall von gleicher Stärke isı. Durch Erwär- mung des oberen Berührungspunktes (Fig. 2.) ist die Bedingung zur westlichen Declination und durch Erwärmung des unteren Berüh- rungspunktes die zur östlichen Declination gesetzt; beide halten ein- ander das Gleichgewicht, also mufs die Nadel in Ruhe bleiben. Auch durch die Berührung der Halbkreise für sich, ohne irgend eine Temperaturänderung mufs Magnetismus erregt werden, er bleibt aber latent, weil die Action der beiden Metalle auf einander an bei- den Punkten von gleicher Stärke ist und die dadurch erzeugten magne- uschen Polarisationen entgegengesetzte Richtungen haben. 19. Künstliche Erkältung eines der beiden Berührungspunkte wird also eben so wohl wie Erwärmung durch Aufhebung des mag- netischen Gleichgewichts eine magnetische Spannung in diesen zwei- gliedrigen metallischen Ketten hervorbringen müssen. Eine 15 Zoll lange Wismuthstange, welche, in einer Glasröhre eingeschlossen, im einer Mischung von Eis und Salz abgekühlt worden war, während das andere Ende so ziemlich seine vorige Temperatur be- hielt, verhielt sich in der Verbindung mit der Kupferspirale ganz so, als wenn die Differenz der Temperatur beider Enden der Stange durch Erwärmung des einen derselben bewirkt worden wäre. Befand sich das kalte Ende oben, so war die Declination östlich (wie in Fig. 2.), be- fand es sich unten, so war die Declination westlich. Die Bewegung Phys. Klasse 1822-1823. Mm 274 SEE BEICK der Nadel betrug 30° beim ersten Schliefsen. Eine Stange von Antimon auf dieselbe Weise behandelt, gab, wenn das kalte Ende oben stand, eine westliche Declination (wie in Fig. 3.), doch eine viel schwächere als der Wismuth (1). 20. Die magnetische Spannung in diesen metallischen Ketten ist um so stärker, je gröfser die Differenz der Tempe- ratur an den beiden Berührungspunkten ist. Wenn jene Span- nung auch nicht in allen Fällen bei der Erhöhung der Temperatur gleich- förmig fortsteigt, und Metall-Legirungen manche Ausnahmen machen, wie man weiter unten finden wird, so scheint dies Gesetz doch für die meisten Metall-Combinationen und namentlich für die reineren Metalle gülug zu sein. Wie die Erwärmung geschieht, ist gleichgültig, ob über einer Lampe, oder auf einem heifsen Bolzen, oder vermittelst eines Brennglases. ‘Die bestimmte magnetische Polarisation einer Kette bleibt bei dem einen wie bei dem andern Verfahren immer dieselbe. Gleichgültig in Beziehung auf diese Polarisation ist es auch, ob nur eines der "bei- den Metalle an dem einen Ende erwärmt wird, und welches, oder ob beide zugleich erwärmt werden; doch ist bei gleichzeitiger Erwärmung beider Metalle an dem einen Berührungspunkte die magnetische Polari- sation in der Regel stärker. Da bei diesen Versuchen darauf zu achten ist, dafs der andere Berührungspunkt nicht zugleich mit erwärmt wird, so ist leicht einzusehen, dafs man den beiden Gliedern der Kette eine (1) Später habe ich gemeinschaftlich mit Hım. H. Rose einige Versuche in höheren Graden der Kälte angestellt. Ein Ring halb aus Antimon von # Zoll Dicke und halb aus einem dünnen 4 Zoll breiten Kupferblech bestehend, wurde in eine Mischung von zwei Theilen Schnee und drei Theilen fein gepülverten salzsauren Kalk gestellt. Es erfolgte eine ruhende Declination der Magnetnadel innerhalb des Kreises von 8° östlich wenn Anti- mon im Süden und Kupfer im Norden stand, und die Temperatur der Kälte erregenden Mischung am unteren Berührungspunkte — 38° R., und die des Zimmers — 6° betrug. Ein viereckiger Rahmen von Wismuth und Antimon, welche durch Schmelzung mit einander verbunden waren, zeigte sich noch wirksamer. Die Declination der Magnetna- del innerhalb desselben, stieg. bis 35° westlich und hielt sich fast eine halbe Stunde so, als Wismuth im Süden, Antimon im Norden stand, und die Temperatur am unteren Berührungspunkte der Metalle — 43° R. und am oberen — 6°R. betrug. Beide zwei- gliedrige Ketten waren also genau so polar geworden, als wenn ihre oberen Berührungs- punkte erwärmt worden wären. über Magnetismus durch T: emperatur - Differenz. 275 im Verhälwnifs ihrer Wärmeleitungsfähigkeit angemessene Länge geben mufs, und dafs diese auch dann zunehmen mufs, wenn eine gröfsere Hitze angewendet werden soll. Die Wärmeleitungsfähigkeit der Metalle bestimmt auch die übrigen Dimensionen derselben. Die besseren Wär- meleiter müssen um so dünner sein, je kürzer sie sind; und je dicker die Metallstangen , desto länger müssen sie sein, wenn der höchste Grad der Wirkung erreicht werden soll. Eine Kette z.B. in welcher eine Antimonstange von 9 Zoll Länge und —- Zoll Dicke mit einem Kupferstreifen von 14 Zoll Länge, 4 Linien Breite und — Linie Dicke verbunden ist, erreicht einen höheren Grad des Magnetismus bei Er- hitzung des einen Berührungspunktes über einer Weingeistlampe, als verbunden mit einem 14 Zoil langen und 4-Zoll dicken Kupferbügel, aus keinem andern Grunde, als weil am dünnen Kupferstreifen die der Flamme ausgesetzten Theile sich schneller erhitzen, die übrigen Theile sich schneller abkühlen als am dickeren Kupferstabe, die Differenz der Temperatur an den Berührungspunkten im ersten Apparate also immer gröfser bleibt als im letzteren. 21. Vergröfserung der Oberfläche der sich berührenden Metalle scheint keine Verstärkung des Magnetismus zu bewirken. Wismuth- und Antimonscheiben von 6 Zoll ins Gevierte verbunden mit Kupfer- scheiben von gleicher Gröfse, gaben keine stärkere Declination als Schei- ben von 14 Zoll Durchmesser, bei gleich starker Erhitzung des sie verbindenden Kupferbogens. 22. Wird ein Blatt Papier oder ein Goldschlägerhäutchen zwischen die beiden Metalle am kalten Berührungspunkte geschoben, z. B. zwischen Antimon und Kupfer in a Fig. 4, während der Berührungspunkt 5 mit einer Weingeistlampe erwärmt wird, so zeigt sich nicht eine Spur von Wirkung auf die Magnetnadel. Eine starke Bedeckung der Metalle mit Oxyd an den Berührungspunkten hebt gleichfalls die Wirkung auf; ein geringer Anflug von Oxyd schwächt sie nur. Auch flüssige Leiter verhalten sich hier isolirend. Befindet sich in a Fig. 4. ein mit Was- ser benetztes Papierscheibchen, so bleibt die Magnetnadel vollkommen in Ruhe, wie sehr auch die Temperatur von b erhöht werde; es er- folgı aber sogleich eine Declination, wenn irgend ein drittes Metall- stäbchen in cd angelegt wird. Sind die Papier- ober Pappscheiben in Mm 2 276 SEEBECK a mit Säuren, oder kaustischen Kalien benetzt, so findet zwar eine De- clination der Magnetinadel statt, weil die Kette nun als eine galvanische wirkt, doch wird jene, bei kleinen chemisch wirkenden Flächen, nur schwache Declination durch Erwärmung des Berührungspunktes 5 nicht im mindesten verändert, wie stark auch der Magnetismus jener Metalle bei unmittelbarer Berührung in a, oder bei Anlegung eines dritten Me- tallsıreifens in cd sein mag (1). Unmittelbare Berührung der Metalle ist also eine zweite wesentliche Bedingung zur magnetischen Polarisation derselben durch Temperatur-Differenz. 23. Je vollkommener die Verbindung der beiden Metalle ist, desto stärker ist ihr Magnetismus. Apparate, in denen Stäbe oder Halb- kreise von Antimon und Wismuth durch Schmelzung mit Streifen von Kupferblech verbunden sind (Fig. 5, 6, 7, 8, 9.), erreichen bei gleicher Erhöhung oder Erniedrigung der Temperatur eine stärkere magnetische Polarität als solche, in denen sich die Metalle blofs ‚äulser- lich berühren. 24. Jene Apparate eignen sich auch vorzüglich, da sie gegen die oxydirende Einwirkung der Luft besser geschützt sind, die $. 15 bis 20 angeführten Veränderungen in den magnetischen Polarisationen der Me- talle, bei einseitiger oder beiderseitiger Erwärmung oder Erkältung der Berührungspunkte, — die Steigerung, Schwächung, Aufhebung und Um- kehrung der Polarität zu zeigen, Wird z. B. eine Lampe unter dem mit Kupfer verbundenen Antimon (Fig. 5) in a gestellt, so erfolgt eine östliche Declination des nPols der Magnetnadel zwischen 4K; steht die Lampe unter b so ist die Declination westlich. Werden zwei Lampen mit gleich grofsen Flam- men, und in gleichen Abständen von den Metallen, die eine unter a, die andere unter Ö gestellt, so bleibt die Magnetnadel im magnetischen Meridian stehen, weil dann die Temperatur in a und 2 gleichmäfsig er- höht wird; eine Declination der Nadel twitt aber sogleich ein, sobald die eine Flamme vergröfsert oder verkleinert, oder von ihrem Orte ge- rückt wird. Erwärmt man die Antimonstange oder den Kupfer- (1) S. Zusatz 1. am Ende der Abhandlung. u | über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. - 27 streifen in der Mitte, so bemerkt man keine Declination, sie zeigt sich aber sogleich, wie man die Lampe nur ein wenig den Enden a oder » nähert, doch ist sie dann immer schwächer, als wenn die Erwärmung am Berührungspunkte der Metalle selbst geschieht; u. s. w. Steht die Boussole unter # oder über X, so ist die Declination bei der Erwärmung von a westlich und bei der von 2 östlich; sie ist hier aber, bei gleichem Abstande der Magnetnadel von den Metallen, immer schwächer als zwischen 4/K. 25. Zur vollständigen Übersicht der magnetischen Polarisation die- ser Ketten nach ihrer Wirkung auf die Declinations- und Inclinations- 5 nadeln diene Fig.6, wo A Wismuth, X Kupfer bedeutet. ® Declination zwischen ÄX .B bei Erwärmung von a westlich } stärker -.- =: KB + - - - b östlich SA über Ä 2 i - ze - aöstlich u unter DB 4 F 2 schwächer. - => über Ä j -...- - 5b westlich - = unter 2 Inclinationen einer horizontal und 3 parallel gestellten Magnetnadel. An der Ostseite von 3 Erhebung des z Pols a Er - K Senkung - - Westseite von B Senkung - - - == 0.0 = - K Erhebung - - - bei Erwärmung von a. Entgegengeseizt sind die Inclinationen der Nadel bei der Erwär- mung von b. 26. Diese durch Temperatur - Differenz magnetischen Kreise, gleichen demnach in ihrem Verhalten gegen die Magnetnadeln vollkom- men den galvanischen Ketten, es mufs also auch die magneusche 'Thä- ügkeit in ihnen nach demselben Gesetze vertheilt sein (S. meine Abhand- lung über den Magnetismus der galvanischen Ketten in den Denkschriften der Königl. Akademie von 1820-1821, 8. 9. und $. 23. a. E.). Es ist also in den Rectangeln Fig. 5. und 6, und in den Ringen Fig. 7, 5,9. ein die Metalle erfüllender und umgebender magnetischer Wir- kungskreis um eine mitten durch die Metalle gehende Achse so gestellt, 278 SEEBECK dafs + m und — m kreisförmige, einander entgegengesetzte Richtungen in jeder auf der Ebene der Metallringe perpendikulär stehenden Durchschnitts- ebene haben, oder, anders ausgedrückt, jeder in einer solchen Durchschnitts- ebene vom Mittelpunkte der Metalle ausgehende Radius ist auf der einen Seite + m, auf der entgegengesetzten Seite — m, und dies in solcher Folge und Ordnung, dafs jedem + m des einen Radius ein — m des zunächst folgenden zugekehrt ist. Die Achsen dieser einfachen magne- tischen Atmosphären in den Ketten Fig. 7, 8,9. sind also Kreise. 27. Da nun alle einander diametral gegenüber stehende Theile der magnetischen Atmosphäre eines solchen Metallringes in einander greifen, und da jedes ursprüngliche + m und — m in der inneren Hälfte des Ringes durch ein zweites + m und — m, welches durch die Thätigkeit am diametral gegenüber liegenden Theile des Ringes ge- setzt ist, wegen gleicher Richtung beider, eine Verstärkung er- hält, — jedes + m und — m der äufseren Hälfte des Ringes aber durch das zweite eingreifende + m und — m, wegen entgegenge- setzter Richtung beider, eine Schwächung erleidet; (S. die oben ange- führte Abhandlung über den Magnetismus der galvanischen Kette $. 13.) so bekommt + m und — m in der inneren Hälfte des Ringes ein Über- gewicht über + m und — m an der äufseren Hälfte, d.h. der ganze geschlossene Kreis erhält hierdurch magnetische Pole, und es wird hierdurch die eine Seite (Grundfläche) des Ringes n Pol die andere sPol (1). i (1) Zur Erläuterung des oben gesagten füge ich noch Fig.10. hinzu, wo 4 und B zwei einander diametral entgegenstehende Durchschnittsebenen des Ringes von Antimon und Wismuth vorstellen. — An allen Radien sind + m und — m, innerhalb und aufser- halb der Metalle, auf die hier angegebene Art vertheilt. In der inneren Hälfte der Durch- schnitte des Ringes, Ar, Br haben + und — gleiche Richtungen ; das ursprüngliche + und — des Radius 4r erhält durch ein + und —, welches der äufseren Atmosphäre von B angehört, einen Zuwachs, und eben so wird das ursprüngliche + und — von B durch ein + und — von 4 her verstärkt. Der magnetische Wirkungskreis von 2 reicht aber über rA, und der von 4 über rB hinaus; jener wird also das ursprüngliche — und + von 4 bis r’ ‚dieser das ursprüngliche — und + von B bis r’ schwächen, weil — und + an den Radien der äufseren Hälfte des Ringes Ar’ und Br’ eine entgegengesetzte Lage haben von dem + und — der in sie eingreifenden Atmosphären von B und 4. Dasselbe gilt für alle Ar, Br, und Ar’, Br’ nahe liegenden Radien, woraus denn hervorgeht, dafs + m und — m in der über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 279 Solche durch Temperatur-Differenz magnetische Metallringe wer- den sich also, schwebend aufgehangen, eben sowohl gegen die Erdpole richten können, wie jede Magnetnadel, und die durch die Action der galvanischen Ketten magnetisch gewordenen Drathringe Ampere’s (1). 28. Bei Erwärmung der Berührungspunkte 2 liegt in der Kette Fig. 5. der zPol in Westen und in der Kette Fig. 6. in Osten. Nähert man eine Magnetnadel diesen beiden Apparaten von den angegebenen Seiten her, so wird der sPol derselben angezogen; an der Ostseite von Fig. 5. und der Westseite von Fig. 6. wird hingegen der nPol der Nadel angezogen. Boussolen im Innern dieser Ketten geben die Pole derselben noch einfacher an, da s und zPol der Magnetnadel hier eine gleiche Rich- tung mit dem s und zPol der Ketten anzunehmen streben. An der Seite wo der zPol der Magnetnadel bei. Schliefsung der Kette hervor- tritt, liegt auch der zPol vor dieser. inneren Hälfte der Ringe ein Übergewicht haben mufs über — m und + m in der äufseren Hälfte. Da nun alle übrige auf der Ebene der Ringe perpendikulär stehende Durchschnittsebenen sich eben so verhalten, so erhält der Ring dadurch fest stehende Pole, wie sie die Pfeile in der Mitte von Fig. 10. andeuten. Die Stärke der ursprünglich magnetischen Spannung ist in allen von den Mittelvunk- ten A und B gleich weit abstehenden Punkten als gleich anzusehen. Da aber ein solcher Punkt nicht blofs mit dem in ihm selbst hervortretenden # m, sondern zugleich mit einem ihm von dem entgegengesetzten Theil der Atmosphäre mitgetheilten £ m oder £ m wirkt, so mufs hierdurch wie leicht einzusehen, die Lage der Achse der magnetischen Atmosphäre im Innern der Metalle verändert, und etwas weiter nach dem äufseren Umkreis des Rin- ges zu gerückt erscheinen. (Vgl. hiermit die Resultate der Versuche 8. 28. der oben an- geführten Abhandlung.) -- Die Stärke der magnetischen Spannung innerhalb der Me- talle steht aber überall (d.h. in der ganzen inneren Masse) in geradem Verhältnifs zu dem Abstande von der Achse der magnetischen Atmosphäre; ausfserhalb der Metalle dage- gen im umgekehrten Verhältnifs zu dem Abstande von jener Achse; — die Stärke von # m nimmt also vom Mittelpwmkte jeder transversalen Durchschnittsebene an bis zur Ober- fläche der Metalle, an allen Radien, in irgend einem, noch auszumittelnden Verhältnisse zu, und von der Oberfläche der Metalle an, in irgend einem Verhältnisse ab. (1) Ich kann nicht unterlassen hier zugleich einen Druck- oder Schreibfehler zu ver- bessern, welcher sich in meiner Angabe über das Verhalten der Ampereschen Drathringe gegen Magnetstäbe in den Abhandlungen der Akademie von 1820-1821. S.341 findet. Zeile 15 v.u. ist zu lesen: ‚wurde der Ring abgestofsen; angezogen dagegen, „wenn er der äufseren Seite genähert wurde.” Sk. = 280 SEEBECK Werden die Ketten Fig.7, 8, 9. mit ihrem „Pol (— m) nach Nor- den (+ M) gestellt, so findet man, wenn der warme Berührungspunkt unten liegt, Antimon in Westen, es mag mit Wismuth oder Kupfer verbunden sein; Kupfer dagegen in Westen, wenn es mit Wismuth verbunden ist (1). 29. Alle Metalle werden so zu zweien mit einander verbun- den, bei eintretender Temperatur-Differenz der Berührungspunkte, zu Magneten; einige schon bei niedriger Temperaturveränderung, wie die ersten oben erwähnten Versuche gelehrt haben, ner starken’ Erhitzung oder Erkältung. andere erst nach ei- Das magnetische Verhalten der reineren Metalle scheint fest und unveränderlich zu sein, und nur durch Zumischung anderer Metalle ver- ändert zu werden, doch auch dies nicht in allen Fällen. Eine Kette in welcher Kupfer mit fliefsendem Wismuth verbunden ist, erhält die- selbe magnetische Polarität, wie bei der Berührung mit der Hand, — nur stärker. Die ruhende Declination einer Magnetnadel ns in dem Apparate Fig. 12, wo Wismuth in einem kleinen kupfernen Kessel im Flufs erhalten wurde, betrug nach der Schliefsung mit einer Wismuth- (1) Hohle Cylinder von diesen Metallen sind den gewöhnlichen Magnetstäben noch ähn- licher und erreichen auch eine stärkere magnetische Polarität als jene Ringe, wenn sie an einem Berührungspunkte vermittelst eines heifsen Bolzen von gehöriger Länge oder einer Reihe von Lampen erwärmt werden. Ein Cylinder von Antimon und Kupfer (Fig. 11.) dessen Länge 8 Zoll, der Durchmesser im Lichten 4 Zoll, die Dicke des Antimons Zoll, und die des Kupferblechs -; Linien betrug, bewirkte eine ruhende Declination der Magnet- nadel von 75°, wenn die Boussole die Enden des Cylinders berührte, und es wurde in z Fig. 11. der s Pol der Nadel, in s der n Pol derselben angezogen. Das beträchtliche Ge- wicht dieses Apparates und die zu schnelle Mittheilung der Wärme an den andern Berüh- rungspunkt erschweren die Stellung desselben gegen die Pole der Erde, wenn er frei schwe- bend aufgehangen ist, doch kann man ihm dann durch starke Magnetstäbe leicht jede belie- bige Richtung geben. Die Pfeile in Fig. 11. bezeichnen die Richtung von + m und — m in der magnetischen Atmosphäre des Cylinders, und die Nadel sn zeigt die Declination aufsen in der Mitte des Cylinders an. Aus diesem allen ist zu ersehen, dafs der magnetische Cylinder den gewöhnlichen Magnetstäben in der äufseren Wirkung auf die Declinations- Boussole ganz gleich ist. (Vgl. hiermit 8.23 und 25. nebst Fig. 21 und 24. der oben ange- führten Abhandlung über den Magnetismus der galvanischen Ketten). Antimon und Kupfer waren in dem Apparate Fig. 11. durch Schmelzung mit einander verbunden. Q über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 281 stange, welche an dem Kupferblechstreifen X befestigt war, 60° öst- lich. Bei der Erwärmung durch die Hand war sie 5° bis 6° östlich gewesen. Der zPol dieser Kette lag also gleichfalls in Osten, wie der von Fig. 6. (1). Ein ähnliches Verhalten zeigten auch Bogen von Kupfer in der Verbindung mit fliefsendem Zinn, Blei, Zink, Antimon, Mes- sing und Silber; desgleichen Bogen von Blei mit fliefsendem Zinn, oder umgekehrt Zinnbogen mit fliefsendem Blei; auch Bogen von reinem Golde mit fliefsendem Silber oder Kupfer verbunden. In allen diesen Ketten blieb die magnetische Polarität unverändert dieselbe, welche sie in niedrigeren Graden der Temperatur gewesen war, und die Stärke derselben war jederzeit der angewandten Hitze und der dadurch bewirkten Temperatur-Differenz der Berührungspunkte pro- portional. Bei den strengflüssigeren der genannten Metalle wurde fol- gendes Verfahren angewendet. Das im Tiegel geschmolzene Metall wurde entweder mit den Enden eines, aus den beiden zu untersuchenden Metallen zusammenge- setzten Bügels in Berührung gebracht, oder es wurde das eine Ende eines einfachen Metallbogens früher und das andere später in das zweite fliefsende Metall getaucht. Die Wirkung war in beiden Fällen dieselbe, und mufste es sein, da bei dem letzten Verfahren die Tem- peratur an beiden Berührungspunkten des Bogens eben so wohl ver- schieden war als bei dem ersten Verfahren; daher denn auch die De- clination, wenn das untere Ende 5 zuerst in das fliefsende Metall ge- taucht wurde, immer die entgegengesetzte von der war, welche erfolgte wenn das obere Ende « zuerst eingetaucht wurde. Die magnetische Po- (1) Beiläufig bemerke ich, dafs die Empfindlichkeit der Ketten von Wismuth und Kupfer für Temperatur-Unterschiede so grofs ist, dafs sie selbst geringe Veränderungen in der Wärme der Hände anzeigen. Man drücke zwei Stäbchen von Wismuth (ungefähr von 6 Zoll Länge und 4-Zoll Dicke) mit den Händen an die beiden Enden einer Spirale von Kupferblech, nachdem man die eine Hand eine kurze Zeit geballt, die andere offen gehalten hat, und bringe dann die beiden äufseren Enden der Wismuthstäbe in Berührung, so wird die Magnetnadel innerhalb der Spirale sogleich durch eine deutliche Declination anzeigen, dafs die Hand, welche geballt war, wärmer geworden ist. Phys. Klasse 1822-1823. Nn 282 SEEBECK larität war aber stärker bei dem ersten Verfahren als bei dem letzten und hielt sich auch länger in gleicher Stärke (1). Hier einige genauere Angaben von den Wirkungen solcher nach der ersten Methode construirten Ketten auf die Magnetnadel. Fliefsendes Wismuth mit Kupfer bewirkte bei der ersten Schliefsung eine Bewegung der Nadel von 180° und eine ruhende Declination von 60° Fliefsendes Zinn mit Kupfer bewirkte eine ruhende Decl. von 12° - Zink - Kupfer - - . ee - Silber - Kupfer - - Bew.d.Nadel - 50°-60° - Messing - Kupfer 2 = ee Br -To%e) - Antimon - Kupfer - - Bar = -.: 00° 30. Das Verfahren dessen ich mich bei Untersuchung des magne- tischen Verhaltens zweier Metalle gegen einander am häufigsten bediente, war folgendes. Die Erwärmung der sich in 5 (Fig. 2 und 3) berüh- renden Metalle wurde entweder durch eine heifse Scheibe von demselben Metall wie das zu untersuchende, an die Stelle von 3 und 4 Fig. 2 und 3 tretende war, bewirkt, oder, wo dies nicht geschehen konnte, da wurde eine heifse, stark oxydirte Kupferplatte angewendet, — und in (1) Bei diesen Versuchen (welche im August 1821 angestellt wurden) kam nicht selten das eine Ende des Bogens, oder ein Theil desselben, in Flufs, welches indessen die mag- netische Action nicht schwächte. — Noch bestimmter zeigten später angestellte Versuche, dafs ein beträchtlicher Theil beider Metalle flüfsig sein kann, und dafs auch dann noch die magnetische Polarisation der Ketten bei steigender Temperatur zunimmt. — Queck- silber in einer Porzellanröhre von 18 Zoll Länge zwischen zwei an den Enden befestig- ten Stangen von Wismuth eingeschlossen und mit einem 5 Fufs langen Bügel von Wismuth verbunden, bewirkte, als ein beträchtlicher Theil des Wismuths in Flufs ge- kommen war, eine ruhende Declination der aufsen auf dem Bügel stehenden Magnet- nadel von 14°. Im den ersten 5 Minuten stieg die Magnetnadel schnell, und bis 9°, nachher langsamer, so dafs sie erst nach 55 Minuten auf 14° kam. — In einem andern, ähnlichen Apparate, wo ‘Quecksilber sich zwischen zwei Antimonstangen befand, stieg die Declination der Magnetnadel bis auf 19°, als das Antimon in Flufs gekom- men war. — Die Metallstangen werden bei diesen Versuchen an dem Ende, welches er- wärmt werden soll, fest eingekittet, an dem andern Ende aber nur mit einer feuchten Blase umwunden, in welche mehrere feine Löcher gemacht werden, damit das bei der Erwärmung sich ausdehnende Quecksilber durch diese abfliefsen kann. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 283 beiden Fällen wurde die heifse Scheibe unter das Ende des Metallbogens gelegt. Dies letzte Verfahren kann unbedenklich überall angewendet werden, aus welchem Metall auch der Bogen bestehe, — und bei Unter- suchung einzelner kleiner Metallkörner ist es, wo nicht das einzige, doch das sicherste, dessen man sich bedienen kann; nur hat man immer darauf zu sehen, dafs die heifse Kupferscheibe nie das zwischen den Enden des Bogens stehende Metall berühre. Die sämmtlichen Resultate meiner bis zum 11. Februar 1522 an- gestellten Versuche über die magnetische Action der oben genannten, zu zweien mit einander verbundenen Metalle habe ich in Tabelle I zu- sammengestellt (1). In dieser Tabelle bezeichnet W die westliche und O die öst- liche Declinauon, und es ist angenommen, dafs ein einfacher Metall- bogen nebst dem mit ihm verbundenen zweiten Metall die in Fig.2 und 3 angegebene, oder die umgekehrte Lage im magnetischen Meridian habe, — die Boussole innerhalb des Bogens siehe, und der warme Berüh- rungspunkt sich immer unten belinde. Aus dieser Tabelle geht hervor, dafs die Metalle, — geordnet nach ihrer Wirkung auf die Declinationsnadel, also auch nach ihrer Lage gegen die in ihnen durch Temperatur - Dilferenz erzeugten magne- tischen Pole, — eine besondere magnetische Reihe bilden, welche mit keiner der bekannten, aus andern Eigenschaften der Metalle abge- leiteten Reihe übereinstimmt. eründen sich 5 auf vielfach wiederholte Versuche, und können für die ersten Grade der Die Ortsbestimmungen der Metalle in dieser Reihe Temperatur - Differenz als sicher und unveränderlich angesehen werden (2), mit Ausnahme einiger einander nahe stehenden Metalle, wie z.B. des (1) Eine ähnliche Tabelle, in welcher jedoch Gold1, Platina 2, 3, 4, desgleichen Ku- pfer 1 und 3 fehlten, wurde der Akademie schon am 18. Oktober 1821 vorgelegt. Ich bemerke zugleich, dafs das in den vorhergehenden Versuchen angewandte Kupfer zu der Sorte No.2 gehörte, die mehrmals erwähnte Spirale gleichfalls. (2) Sie gelten aber auch für die meisten Metall-Combinationen bei sehr beträcht- lichen Dilferenzen in der Temperatur der Berührungspunkte. Nn2 284 SEEBECK Kobalts gegen Palladium, des Quecksilbers gegen Platina 2, des Chroms gegen Zinn, ferner der Stellen von Kupfer3, Platina 4 und Cadmium in Beziehung auf einander. Von den meisten dieser Metalle besafs ich nur kleine Körner, es konnte daher ihr Verhalten ge- gen einander nicht auf die gewöhnliche Weise uutersucht werden, und ich ordnete sie also vorläufig nach der gröfseren oder geringeren Stärke ihrer Wirkung mit andern ihnen nahe stehenden Metallen, indem ich, — geleitet durch ein ähnliches Verhalten anderer genau bestimmten Glieder der Reihe, — denen, welche in der Verbindung mit mehreren in der Mitte der Reihe stehenden Metallen die stärkste Wirkung zeigten, eine Stelle näher nach den Enden der Reihe zu anwies. So wurde Kobalt über Palladium gesetzt, weil jenes in der Verbindung mit Kupfer 1 und Gold 1 stärker auf die Magnetnadel wirkte als dieses. Und wegen eines gleichen Verhaltens von Kupfer 3, Platina 4 und Cadmium gegen Silber und Zink, wurden jene drei Metalle in der angegebenen Ordnung unter Zink gestellt, — Später angestellte Versuche mit Strei- fen von Palladium und Cadmium bestäugten es, dafs die dem Ko- balt, so wie dem Kupfer 3 und Platina 4 in der Tabelle I ange- wiesenen Stellen ihnen auch nach ihrer magnetischen Polarisation in der unmittelbaren Verbindung mit den erstgenannten beiden -Meiallen zu- kommen. 31. Die vollständige magnetische Reihe aller in den Hütten oder Laboratorien hergestellten Metalle, welche ich bis jetzı zu unler- suchen Gelegenheit hatte, ist folgende; Östlich, 1. VVismuth.... a) wie er hier im Handel vorkommt, enthält etwas Eisen mit Schwefel verbunden, b) aus reinem Oxyd von Hrn. H. Rose re- ducirt. 2. Nickeli...::.% a) eine der Akademie gehörende Stange von Hrn. Richter verferügt, b) mehrere Stangen und Körner von Hrn. Frick aus reinem Oxyd hergestellt. über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 285 3: Rabalt .!%.»... 4. Palladium.... 5.Platina No.1. 6. Uran li: 7. Kupfer No. 0 * 8. Mangan *.... 9%, ıtan Fr, a 10. Messing No. 1. 11.Gold No.1 .... 12. Kupfer No.1.. a) von Hın. Hermbstädt, nach dessen Angabe nicht ganz frei von Eisen, b) ein von Hrn. Bergemann reducirtes Korn, c)‘ von Hrn. Barruel. Die letzteren beiden etwas stärker als das erstere mit Kupfer No. 1 wirkend. a) von Hrn. Wollaston, b)* von Hrn. Barruel. reine a) mehrere Stücke von Hrn. Bergemann, Frick, Jeannetty, Wollaston gereinigt, b) ein Tiegel aus Klaproth’s Laboratorium. ein von Hrn. Bergemann reducirtes Korn, in Farbe dem Kobalt nahe kommend, doch kein solches aber wohl etwas Eisen enthaltend. zwei zu verschiedenen Zeiten von Hrn. Bergemann aus reinem Oxyd mit schwarzem Flufs redu- cirte Körner. a) reducirt von Hrn. Poggendorff, ö) von Hrn. Barruel. aus Eisenschlacken von der Königshütte in Ober- Schlesien ausgeschieden von Hın. Karsten. eine Stange von ungrischem Ducatengolde aus dem Königl. Haupt-Münz-Comptoir enthielt nach der Analyse von Hrn. H. Rose 90,00 Gold, 0,66 Silber und 0,34 Kupfer und Eisen. Auch zu einem Blechstreifen ausgewalzt, nahm es dieselbe Stelle in der Reihe ein. a) hier im Handel vorkommend, enthält nach der Analyse von Hın. H. Rose weder Silber, Eisen, Blei noch Schwefel, b)* geschmolzenes von Neustadt- Eberswalde «) welches die Hammergare hatte, £) welches noch nicht hammergar war, y) welches über die Hammergare hinaus- getrieben worden. 19. 26 28 .Messing No. 2. 2) : ZINN ee) 2) SEEBEGCK Platına No. 2..ein kleines geschmiedetes Stück, unbekannten Ursprungs. e Quecksilber. .. vom reinsten im Handel vorkommenden. Blei . Hasın) käufliches, reines von Hrn. Karsten, englisches, böhmisches. .Platina No. 3 .. eine Stange 1802 von Jeanetty erstanden. . Rhodium ....a) b)* Chrom .......ein kleines von Hin. Bergemann reducirtes Korn, von stahl-grauer Farbe. ; Molybdän *.. von Hrn. Barruel. F Kupfer No. 2.. hier im Handel vorkommend, enthält nach der Analyse von Hın. H. Rose gleichfalls weder Silber, Eisen, Blei noch Schwefel. von Hın. Wollaston, von Hrn. Barruel. . Iridium *..... von Hrn. Barruel. .Gold No. 2 ....4) b)* »Sulber...swsil-ara) b) . Zink er b)* durch Antimon gereinigies aus der Fabrik der Herren Hensel und Schumann, aus dem Oxyd reducirt von Hrn. Frick. Kapellen-Silber in Stangen, aus dem Königl. Haupt- Münz -Comptoir, aus salzsaurem Silber reducirt von Herrn Hermbstädt. schlesisches, wie es in den Handel gebracht wird, gereinigtes von Hrn. Bergemann. Gab mit den meisten Metallen eine stärkere Wirkung als das erstere. A Kupfer No. 3 .. Cämentkupfer, a) sowohl mit Eisen als 2) mit Zink aus Kupfervitriol reducirt. . VVolfram * ..aus reinem Oxyd mit Kohle reducirt von Hrn. Poggendorff. über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 287 39. Platina No.4.. a) der Deckel von dem oben angeführten Pla- tinatiegel, b) ein Löffel, c) ein Spatel. 30. Cadmium ...: a) von Hrn. Bergemann, b)* von Hrn. Strohmeyer. 31. Stahl......... mehrere Stücke englischen und deutschen Gufs- und Cämentstahls. 32. Eisen ........a) von den besten hier im Handel vorkommen- den Stangen und Blechen. b)* chemisch reines Eisen von Hrn. Berzelius. 33. Arsenik ...... sublimirter, ganz reiner. 34. Antımon .....a) wie er im Handel vorkommt, b)* reines, von Hrn. Bergemann und c)* von Hrn. H. Rose. Das letztere zeigte sich wirk- samer als das käufliche. 35. Vellur .......ein Korn, von Hrn. Bergemann aus dem Oxyd Westlich. reducirt. 32. Jedes Metall dieser Reihe bewirkt, wenn es in die Fig. 2 und 3 angegebene Lage gebracht und in 5 erwärmt wird, mit jedem der in der Reihe über ihm stehenden (hier nun an die Stelle von B und 4 Fig. 2 und 3 tretenden) Metalle eine östliche Declination, und mit jedem der in der Reihe unter ihm stehenden eine westliche Declination der im Innern des Kreises stehenden Magnetnadel. Werden zwei mit einander verbundene Metalle mit ihrem nPol nach Norden gerichtet, so steht, wenn der warme Berührungspunkt sich unten befindet, das in dieser magnetischen Reihe höher ste- hende Metall in Osten, das in der Reihe tiefer stehende in Westen; und in dieser Beziehung wird also Wismuth das öst- lichste und Tellur (so wie nächst diesem Antimon) das west- lichste Metall der magnetischen Reihe zu nennen sein. 33. In der Stärke der magnetischen Polarisation zeigen die ZWei- gliedrigen metallischen Ketten, bei gleicher Vollkommenheit der Verbin- dung und bei gleicher Temperatur-Differenz dennoch eine beträchtliche Verschiedenheit. 288 SEEBECK Die stärkste magnetische Polarität erlangen Ketten von Wismuth mit Antimon. Auch manche andere an den entgegengesetzten Enden der magnetischen Reihe stehende Metalle erreichen, unter übrigens gleichen Bedingungen, eine starke Polarität, wie z. B. Zink in der Verbindung mit Wismuth; Nickel mit Antimon; Platina { mit Antimon u. s. w. Vergleicht man die Wirkung eines der Mitte der Reihe nahe ste- henden Metalls, z. B. die von Kupfer 2 mit. .den über und unter ihm stehenden Metallen, so findet man die magnetische Polarisation um so stärker, je näher das zweite mit diesem Kupfer verbundene Metall den Enden der magnetischen Reihe steht; um so schwächer hingegen, je näher jenes Metall dem Kupfer steht. Schwach ist überhaupt die Wirkung der meisten einander in der Reihe nahe stehenden Metalle, z. B. die von Palladium mit Pla- tina 1; von Blei mit Zinn; desgleichen die von Wismuth mit Nickel oder Kobalt; von Antimon mit Arsenik oder Tellur; ferner die von Silber mit Zink oder Kupfer 2. Durch diese Thatsachen könnte man veranlafst werden zu glauben, dafs unsere magnetische Reihe der Metalle, — obwohl gröfsten- theils nur hervorgegangen aus Bestimmungen der Lage dieser Körper gegen die magnetischen Pole der aus ihnen gebildeten zweigliedrigen Ket- ten, — zugleich eine magnetische Spannungsreihe sei, in welcher die Metalle sich nach der Stärke der magnetischen Spannung geordnet hätten, — und dafs ein dem Gesetz V olta’s für die electrische Span- nungsreihe der Metalle entsprechendes, ähnliches Gesetz auch für jene von ihr abweichende magnetische Reihe der Metalle gelte, dem zu Folge die magnetische Spannung der verbundenen äufsersten beiden Glieder der Reihe gleich wäre der Summe der magnetischen Spannun- gen der mit ihnen und mit einander, der Reihe nach, verbundenen Zwischen -Glieder, — wenn alle übrige Bedingungen gleich gesetzt sind. Die oben angeführten Thatsachen berechtigen jedoch noch keines- weges zur Aufstellung eines solchen Gesetzes, und es stehen sogar an- ere mit demselben in directem Widerspruch; denn es fehlt nicht an magnetischen Ketten, in denen zwei einander nahe stehende Metalle eine starke und zwei weit von einander abstehende eine schwache mag- über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 289 netische Polarität bei gleich grofser Temperatur-Differenz zeigen. — So z. B. ist die magnetische Polarität einer Kette von Tellur und Wis- muth viel schwächer als die von Antimon und Wismuth. Tellur wirkt überhaupt mit mehreren Metallen schwächer als Antimon, mit denen es, jenem Gesetz zu Folge, stärker wirken sollte; mit Silber wirkt Tellur stärker als mit den meisten über dem Silber stehenden Metallen. Antimon mit Kupfer 2 verbunden, ja selbst Antimon mit Cadmium wirken stärker als Antimon mit Quecksilber; Ar- senik mit Gold 1 wirkt schwächer als Arsenik mit Kupfer 2 oder mit Zink; Eisen wirkt mit den meisten Metallen schwach, namentlich mit Nickel oder Kobalt verbunden, — stärker mit Gold 1, Ku- pfer 1 oder Kupfer 2; Platina 1 wirkt lebhaft mit Wismuth oder Nickel, schwach mit Arsenik oder Eisen: verbunden, u. s. w. 34. Die magnetische Polarisation von Ketten, welche aus mehre- ren einzelnen Gliedern oder mehreren Gliederpaaren zusammengesetzt sind, wird eben sowohl durch die Ordnung der Metalle in der magneti- schen Reihe bestimmt, als die der zweigliedrigen Ketten. Sind drei Metalle mit einander verbunden, so verhalten sich im- mer zwei Berührungspunkte in polarisirender Action einander gleich, und dem dritten entgegengesetzt. Jene eine gleiche magnetische Pola- rität setzenden Berührungspunkte sind die der beiden äufseren Metalle mit dem in der Reihe zwischen ihnen stehenden, und der entgegenge- setzt wirkende Berührungspunkt ist der der beiden äufseren Metalle der Reihe mit einander. Wird z. B. der Berührungspunkt c (Fig. 13) allein erwärmt, so ist die Declination der Magnetnadel ns westlich. Der nPol der Kette liegt also in Westen; werden aber die Berührungspunte a und Ö er- wärmt, so ist die Declination östlich, der nPol der Kette liegt also ın Osten. Dieses entspricht vollkommen der magnetischen Polarisation der beiden Meulle Wismuth und Antimon in den zweigliedrigen Ketten mit Kupfer. Denn jene Kette (Fig. 13) würde, wenn der Kupferstrei- fen mit dem Antimon bei c in unmittelbare Berührung gebracht und « erwärmt würde, gleichfalls eine östliche Declination bewirken, und eben so würde eine östliche Declination erfolgen, wenn der Kupferstrei- fen bei c mit Wismuth in Berührung gebracht und 5 erwärmt würde. 5 Phys. Klasse 1822-1823. Oo 290 SEEBEICK Bei gleichzeitiger Erwärmung von a und 2 in den dreigliedrigen Keuen 4BK (Fig. 13) wird die magnetische Polarität stärker als sie bei einfacher Erwärmung des Berührungspunktes a „gder b ist, welches, wie leicht einzusehen, eine nothwendige Folge von der vergröfserten Temperatur-Differenz zwischen den Berührungspunkten c und den beiden gleichwirkenden durch zwei Lampen erwärmten Punkten a und 2 ist. Viergliedrige metallische Ketten können entweder aus zwei gleichen Paaren verschiedener wechselsweise mit einander verbundenen Metalle bestehen (Fig. 15), oder aus drei Metallen, von welchen zwei von einander veschieden an beiden Enden mit zwei einander gleichen ver- bunden sind (Fig. 14), oder aus vier von einander verschiedenen Meual- len (Fig. 16 und 17, wo P Platina und $ Silber bedeutet). Die Kette Fig. 14 unterscheidet sich von der Fig. 13 nur darin, dafs in ce zwischen Antimon und Wismuth ein zweiter Kupferstreifen eingeschoben worden; die Wirkung bei der Erwärmung der Berührungs- punkte a und 2 bleibt also auch dieselbe, der nPol der Kette liegt dann (Fig. 14) gleichfalls in Osten; bei Erwärmung von c und d dagegen in Westen, vorausgesetzt immer, dafs die Lage der Apparate die hier an- gegebene bleibe. In der Kette Fig. 15 müssen aber die in der Diagonale liegenden Berührungspunkte a und d erwärmt werden, wenn der zPol derselben gegen Osten gerichtet sein soll. Bei Erwärmung von db und c befindet er sich in Westen. — Auch hier ist die magnetische Polarität stärker bei Erwärmung beider Berührungspunkte und d als bei der eines ein- zelnen derselben; die magnetische Polarität ist aber dann nicht unter allen Umständen stärker als die von einer einfachen Kette derselben Me- talle von gleichem Umfang des Kreises. Z. B. in einer Doppeikg welche aus zwei Antimonstangen von 9 Zoll Länge und —- Zoll Dicke und aus zwei Streifen von Kupferblech von 3-;- Zoll Take — Zoll Breite und 0,2 Linien Dicke zusammengesetzt war, betrug die ruhende Declination der Magnetnadel 10°, als der Berührungspunkt a (Fig. 15) allein erwärmt wurde. Die Declination der Nadel stieg auf 20°, als, nach erfolgter Abkühlung des Apparates, beide Berührungspunkte a und d zugleich durch zwei Weingeist-Lampen erwärmt wurden. — Eine ein- fache zweigliedrige Kette aus einer Antimonstange von 9 Zoll Länge, über Magnetismus d urch Temperatur- Differenz. 291 4- Zoll Dicke und einem Kupferstreifen von 16 Zoll Länge, 4- Zoli Breite und 0,2 Linien Dicke bewirkte aber bei der Erwärmung mit ei- ner einzigen der vorher angewandten Lampen eine noch stärkere ru- hende Declination, nämlich von 21--°, Ein anderer ähnlicher Versuch mit drei Paar Antimon- und Wismuthstäben von 6 Zoll Länge und —- Zoll Dicke, welche mit ei- nem Kupferstreifen von 41 Zoll Länge verbunden waren, gab ein gleiches Resultat. Die Declination der Magnetnadel innerhalb dieser Kette, an welcher ein Berührungspunkt um den andern erwärmt war, betrug 40°. Eben so stark war die Declination der Magnetnadel innerhalb des Krei- ses eines mit dem vorigen Kupferstreifen verbundenen einfachen Paa- res jener Antimon- und Wismuthstäbe, wenn die Dauer der Erwär- mung des einfachen Berührungspunktes c (Fig. 13) der von jenen drei Berührungspunkten gleich war. Aus diesen Versuchen ergiebt sich, dafs die durch Vergröfserung der Temperatur-Differenz in den vielgliedrigen metallischen Ketten zu gewinnende Verstärkung des Magnetismus durch Vermehrung der Länge der schlechteren Wärmeleiter eine Verminderung erleidet, woraus folgt, dafs die Stärke der magnetischen Polarisation dieser Ketten über- haupt im umgekehrten Verhälwmifs zu der Länge der Leiter steht. Dies bestätigten auch Versuche mit Spiralen von verschiedenen Längen, deren verstärkende Wirkung verhältnifsmäfsig und in Vergleichung mit den einfachen Bügeln um so schwächer gefunden wurde, je länger die Spi- ralen waren. — Es wird also auch die Verstärkung des Magnetismus in den vielgliedrigen metallischen Ketten sehr bald ihre Gränze finden, welches Verhältnifs man auch den einzelnen Theilen derselben gebe, und es werden also unsere einfachen zweigliedrigen Ketten, die aus mehreren ihnen gleichen Gliederpaaren zusammengesetzten, in der Stärke der magnetischen Polarisation, unter übrigens gleichen Bedin- gungen, eben so übertreffen müssen, wie die einfachen galvanischen Ket- ten die voltaischen Säulen (1). (Vergl. 8. 14 der Abhandlung über den (1) Diese Beobachtungen wurden der Akademie im August und October 1821 vorge- legt. In wie weit sie durch später angestellte Versuche bestätigt worden, wird man aus einer der folgenden Abhandlungen ersehen. Oo2 292 SEEBECK e7 Magnetismus der galvanischen Ketten in den Denkschriften der Akademie von 1820-1821). In den Ketten, wo vier verschiedene Metalle mit einander ver- bunden sind, ist der Erfolg verschieden nach der Lage der beiden mitt- leren Metalle der magnetischen Reihe gegen die beiden äufseren. Es können hier zwei der einander gegenüber liegenden Berührungspunkte eine gleiche magnetische Polarität setzen, es können aber auch drei ne- ben einander liegende Berührungspunkte eine gleiche Polarität bei der Erwärmung oder Erkältung bewirken. Z.B. in der Kette Fig. 16 be- findet sich der zPol derselben m Osten, wenn a und 5 erwärmt wer- den; in Westen hingegen, wenn c und d erwärmt werden. In der Kette Fig. 17 ist aber der nPol nicht nur bei der Erwärmung von a und 5, sondern auch bei der von d nach Osten gerichtet, und nur bei der Erwärmung von e nach Westen. Diese Polarisationen entsprechen sämmtlich dem $. 32 aufgestellten Gesetz; es steht in diesen Ketten jedesmal das in der magnetischen Reihe höher stehende Metall in Osten, das tiefer stehende in Westen, wenn der zPol derselben nach Norden gerichtet ist, und der warme Berührungspunkt unten liegt. Ein gleiches Verhalten zeigen alle viel- gliedrigen Ketten, wie sie auch zusammengesetzt sein mögen; alle bestä- ugen also die $. 31 aufgestellte magnetische Metallreihe für die ersten Grade der Temperatur - Differenz. Noch ist zu bemerken, dafs die magnetische Polarisation der Ketten Fig. 16 und 17 bei alleiniger Erwärmung des Berührungspunk- tes c unverändert dieselbe bleibt, es mögen die Enden der Wismuth - oder Antimonstäbe a und 5 sich unmittelbar berühren, oder es mögen sich hier andere Metalle, in beliebiger Zahl und Ordnung, zwischen ihnen befinden; nur in der Stärke der Polarität zeigt sich eine Ver- schiedenheit. 35. Die gänzliche Abweichung der magnetischen Reihe der Me- talle, von der electrischen Spannungsreihe derselben wird als ein neuer und wichtiger Einwurf gegen die Hypothese von der Identität der Elec- wieität und des Magnetismus und besonders gegen die seit Oersted's Entdeckung aufgestellten electromagnetischen Theorien , welche aus der Circulauion der an den Berührungspunkten zweier Metalle mit einan- über Magnetismus durch Temperatur-Differenz. 293 der erregten Electrieität den Magnetismus derselben ableiten, angesehen werden müssen. Obwohl die Angaben der Naturforscher, welche sich mit Unter- suchungen über die electrische Reihe der Metalle beschäftigt haben, in manchen Stücken von einander abweichen, (theils eine Folge der Ver- schiedenheit der untersuchten Körper, theils aber auch der angewandten verschiedenen Methoden), so ist doch die Zahl der Metalle, über deren Stelle in der electrischen Reihe kein Streit obwaltet, nicht unbeträcht- lich, und eben solche sind es, welche in ihrem magnetischen Verhalten bei eingetretener Temperatur-Diflerenz die gröfste Abweichung zeigen ; z.B. Gold und Silber, welche als die negativsten, und Zink, welches als das positivste der Metalle von allen Beobachtern aner- kannt werden, ferner Platina und Quecksilber, welche als die ne- gativsten nächst den erst genannten beiden; und Blei und Zinn, welche als die positivsten nächst dem Zink angegeben werden; de- ren Ordnung in der magnetischen Reihe so gänzlich von der electri- schen Spannungsreihe derselben abweicht, wie die der Endglieder un- serer magnetischen Reihe, des Wismuths und Antimons, denen von allen Beobachtern eine mittlere Stelle in der electrischen Reihe ange- wiesen wird. In jeder electwromagnetischen Theorie wird man davon ausgehen müssen, dafs ein festes Verhältnifs zwischen der electrischen und mag- netischen Polarisation bestehe, und dieses wird überall demjenigen gleich seyn müssen, welches wir am Auslader der Leidner-Flasche finden, d.h. es wird, wenn der » Pol dssselben gegen N gewendet ist, und der Bo- gen oben steht, + Z von Westen durch den Zenith nach Osten gerichtet seyn müssen. Soll nun die im Centact der Metalle sich ent- bindende ERlectricität die Ursache der magnetischen Polarisation unserer zweigliedrigen Ketten seyn, so mufs die Differenz der Temperatur eine Aufhebung der Gleichheit der Electricitätserregung, welche vorher an diesen Punkten bestand, bewirken, und es wird die Trennung der Elecıri- citäten an einem der beiden Berührungspunkte das Übergewicht über die am andern haben müssen, es wird also an einem derselben die Quantität der frei werdenden und jener Hypothese zu Folge in Circulation gesetzten Electrici- täten gröfser seyn müssen als am andern Berührungspunkte. 294 SEEBECK Nun finden wir in einigen unserer zweigliedrigen metallischen Kreise, das — E Metall der electrischen Reihe Volta’s in Wesien, das + EZ Metall in Osten; in andern das + Z Metal in Westen das — E Metall in Osten, wenn der Nordpol derselben gegen Norden gerichtet ist, und der warme Berührungspunkt sich unten befindet. Es theilen sich also jene zweigliedrigen metallischen Ketten in electrischer Beziehung in zwei Arten, welche sich darin von einander unterscheiden, dafs in der ersteren + E und — E am kalten Be- rührungspunkte die zur magnetischen Polarisation geforderten Richtungen haben, und dafs in der zweiten Art von Ketten + £ und — E am kalten Berührungspunkte die entgegengesetzte Richtung von der gefor- derten haben. In der ersten Art von Ketten, d. h. in denen, in welchen das so- genannte — E Metall (dasjenige welches im Contact mit dem andern — E wird) unter den angegebenen Bedingungen in Westen liegt, wird also die Electricität am kalten Berührungspunkte als die überwiegende, die den Magnetismus erzeugende angesehen werden können, und es wird also die Wärme in dieser Art von Ketten die ursprüngliche Electrici- tätserregung schwächen oder umkehren müssen. In der zweiten Art von zweigliedrigen Ketten, wo das + Z Me- tall in Westen liegt, würde dagegen Wärme eine Verstärkung der ursprünglichen electrischen Polarisation bewirken müssen, und es würde der wärmere Berührungspunkt als der die magnetische Polarisation hervorbringende anzusehen seyn. Einige vergleichende Versuche, welehe ich über das electrische Verhalten einiger der wichtigeren Metalle anstellte, bestätigten jene An- nahme keinesweges; sondern es ergab sich vielmehr aus denselben, dafs die electrischen Polarisationen zweier Metalle aus jenen beiden Arten von Ketten immer dieselben bleiben, die Metalle mögen sich in gewöhn- licher Temperatur von 12° bis 14° R. befinden, oder es mögen beide gleichmäfsig in der Temperatur bedeutend erhöht seyn. Scheiben von denselben Metallen, deren ich mich zu den mag- netischen Versuchen bedient hatte, ordneten sich nach der Berührung und Trennung in gewöhnlicher Temperatur folgendermafsen : über Magnetismus durch T' emperatur- Differenz. 295 + E Zink, Blei, Zinn, Anumon, Wismuth, Eisen, Kupfer No.2, Platina No.1, Silber — E (ı) Auf gleiche Weise ordneten sich jene Metallscheiben, als die bei- den, welche mit einander in Berührung gebracht wurden, vorher gleich stark erwärmt worden waren. So fand ich +E — E Zink...... mit Wismuth Zink...... - Antimon Zimk .# 4... =. Silber Blei....... - Silber Antimon... - Kupfer 2. Wismuth.. - Kupfer 2. . Antimon... - Silber Wismuth.. - Silber In dem ersten, dritten, fünften und siebenten dieser Metallpaare hätte, der oben aufgestellten Hypothese zu Folge, Wärme eine Ver- stärkung und im zweiten, vierten, sechsten und achten Paare eine Schwächung der electrischen Polarisation bewirken sollen. Dies ge- schah nicht. Eine geringe Verschiedenheit der electrischen Spannung zwischen erwärmten und kalten Metallen wurde zwar einigemal bemerkt, doch keine die constant gewesen wäre, und den zu machenden Forderungen entsprochen hätte (2). < (1) Bei diesen Versuchen wurde bemerkt, dafs Blei mit rauher Oberfläche — E wird gegen Zinn mit polirter Fläche, dafs aber Blei mit polirter Fläche gegen das vorige Zinn + E wird. (2) Später unternommene umfassendere Untersuchungen über die electrische Polarisa- tion der Metalle nach der Erwärmung bestätigten die eben angeführten Thatsachen , es wurden aber zugleich noch andere entdeckt, welche der Lehre von der Identität der Electricität und des Magnetismus eben so wenig günstig sind als jene. Eine ausführ- liche Nachricht von diesen Untersuchungen wird in dem folgenden Bande der Denk- schriften der Königlichen Akademie erscheinen, woraus ich hier nur folgendes anführen will. Es hat sich aus einer beträchtlichen Zahl von Versuchen ergeben, dafs jedes Me- tall, wenn es bis zu einem bestimmten Grade erhitzt worden, — E wird in der Be- 296® SEEBEC-K 24 Wie nun aus diesen Versuchen vorzüglich die Unabhängigkeit der magnetischen Polarisationen jener zweigliedrigen Ketten von der Richtung der freien Electricitäten in den verschiedenen Temperaturzu- ständen der Metalle hervorgeht, so zeigen andere Thatsachen noch ent- schiedener als die vorhergehenden, dafs zwischen der Stärke der magne- tischen und electrischen Polarisation kein festes Verhältnifs besteht. Denn die magnetische Polarität ist stark in Kreisen deren electrische Spannung stark ist, schwach ist, Wismuth mit Zink Kupfer 2 mit Wismuth Antimon - Wismuth Die magnetische Polarität ist schwach in Kreisen deren electrische Spannung stark ist, schwach ist, Kupfer 2 mit Zink Silber mit Kupfer 2 Kupfer 2 - Blei Zinn - Blei Es ergiebt sich aus allen diesen Erfahrungen, dafs die magne- tische Polarisation jener Ketten nicht aus der an einem der Berüh- rührung mit einem zweiten Metall, welches kalt ist, und dafs dieses dann immer + E wird, es mag nun in der auf gewöhnliche Weise ausgemittelten electrischen Spannungs- reihe über oder unter dem ersteren stehen. Dies gilt nicht blos von Metallen, die in dieser eleetrischen Spannungsreihe einander nahe stehen, sondern auch von denen, die weit von einander abstehen, wie z.B. Zink mit Kupfer. Auf die magnetische Polarisation zweier Metalle hat es aber keinen Einflufs ob das an einem Ende allein erwärmte Metall mit dem andern dasselbe berührenden kalten Metall + E oder — E wird; die magnetische Polarisation der geschlossenen Kette bleibt nach der Umkehrung der electrischen Polarisation dieselbe, welche sie vor derselben war; auch ist es ganz gleichgültig, ob die beiden bei diesem Versuche mit einander verbundenen Metalle zu den Ketten der ersten oder der zweiten Art gehören. Dafs es jedoch auch Fälle giebt, wo in zweigliedrigen Ketten bei starker Er- hitzung einzelner Metalle und Metalllegirungen Umkehrungen der magnetischen Pola- risationen erfolgen, davon werden weiter unten mehrere Beispiele vorkommen, diese Er- scheinungen treten aber nur an einigen Metallen und hier auch erst in höheren Tem- peraturgraden ein, als bei den vorhergehenden Versuchen statt fanden, — in denselben und in niedrigern Temperaturgraden aber nur bei einigen der leichtflüssigen Metall- legirungen. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 297 rungspunkte sich trennenden, frei werdenden, und den Electrome- tern mittheilbaren gröfseren Quantität der Elecwrieitäten allein abgeleitet werden könne, und man also auch so lange nicht berechtigt sei, diese Ketten eleetromagnetische zu nennen, als bis etwa eine andere Quelle der Elecewicitätserregung als die an den Berührungspunkten der Metalle vorhandene, oder eine durch den Contacı der Metalle zwar er- regte, aber vielleicht (nach Volta’s Vorstellung) nicht genugsam cohibirte, und von der freien sich am Elecirometer auf unzweideutige Weise offenbarenden Electricnät, unabhängige, zuweilen dieser gleich, zu- weilen ihr entgegengesetzt eireulirende Electricität nachgewiesen worden u.s. w., kurz bis die oben angeführten, mit jenen electroma- gneuschen Theorien in Widerspruch stehenden Thatsachen befriedigend aufgeklärt sind. 36. Dafs die Weingeistflamme, welche gewöhnlich zur Erwärmung der Metalle angewendet wurde, nicht als das die thätige Eleetrieität in un- sern magnetischen Ketten erregende Glied angesehen werden könne, ergiebt sich schon aus den ersten Versuchen und auch aus den 8.19 und 20. ange- führten Thatsachen, welche keinen Zweifel übrig lassen, dafs es bei die- sen magnetischen Erscheinungen wohl auf die Temperatur-Differenz, nicht aber auf die Art, wie sie zu Stande gebracht wird, ankommt (1). In Beziehung auf Morichini’s Erfahrung, über das Vermögen des blauen und violetten Lichtes, Magnetismus in Stahlnadeln zu erre- gen, wurden auch einige Versuche mit jenen zweigliedrigen Ketten im farbigen Lichte angestellt. Die Resultate waren folgende. Fiel das Sonnenlicht durch eine tief gelbroth gefärbte, 4 Zoll im Durchmesser haltende, im Laden der dunkeln Rammer befestigte, ge- -schliffene Glasscheibe, und durch ein, nahe hinter derselben aufgestell- tes, vierzölliges Brennglas, so wurde die in den Focus dieser Linse ge- brachte Wismuthstange zwar langsam erwärmt, doch bewirkte sie mit (1) Auch von der Gegenwart der Luft scheint die Erregung des Thermomagnetismus unabhängig zu seyn. Denn in einem neulich angestellten Versuche fand ich die Deelina- tion der Magnetnadel in einer Kette von Kupfer und Wismuth, unter der Glocke einer Luftpumpe, bei einem Barometerstande von höchstens 4% Linien, der Richtung und Gröfse nach derjenigen Declination ganz gleich, welche nach zugelassener Luft bei der vorigen Temperatur-Differenz statt fand. Phys. Klasse 1822 - 1823. Pp 298 SEEBECK einem Kupferstreifen verbunden, ganz dieselbe Declination der Ma- gnetnadel, und dem Anschein nach auch weder schwächer noch stärker, als sie auf jede andere Weise erwärmt, bei gleichem Temperaturgrade gethan haben würde. Ein gleiches unverändertes Verhalten zeigte auch Antimon nach der Erwärmung im rothen Lichte, sowohl in der Ver- bindung mit Kupfer als mit Wismuth. — Fiel das Sonnenlicht durch dunkelblaues Glas auf die Linse, so erfolgte eine noch langsamere Erwärmung der Wismuth- oder Antimonstäbe als vorhin, und in demselben Grade war ihre Wirkung in der Verbindung mit Kupfer oder mit einander auch schwächer als beim vorigen Versuche. Die stärkste und schnellste Wirkung zeigte sich, wenn die Metallstäbe im reinen Sonnenlichte vermittelst der Linse erwärmt wurden, — wie zu erwarten war. 37. Die Ordnung verschiedener gediegenen Man in der magnetischen Reihe giebt folgende Tabelle an. Künstlich ET hergestellte Metalle. Gediegene Mexalle. Wismuth Wismuth von Schneeberg en rere Stufen. Nickel Meteoreisen aus Sıbirien - Zacatecas in Mexico - Einbogen - Agram | - Tucuman - Planb. Tabor (angeblich) - Gouv. Minsk - Eibenstock - New-Orleans - Tocavita bei * Bogota* über Magnetismus durch T. emperatur - Differenz. 299 Künstlich diesene Metalle. hergestellte Metalle. Ge ans Tetalle Platina No. 1. | Platina #/, von Cerro di Frio in Brasilien, mehrere Kör- ner. Gold No. 1. Zinn Gold 4, a) messingfarbiges ausSie- benbürgen, Fossiles gediegen Eısen von Grofs- b) von Peru Kamsdorf aus Klap- c) von Catharinenburg. roth’s Sammlung. Silber 4, gröfstentheils v. Kongs- berg, auch v. Wittichin im Fürstenberg. u.s. w. zusammen 10 Stufen. Kupfer No. 2. Gold No. 2. Gold Z, a) mehrere dodekaedri- sche Krystalle, b) aus Brasilien mehrere Stücke, worunter ein 4 Mark schweres Korn, c) aus der Bucharei, d) von Gora Blagodat an der Östseite des Ural.* Silber Silber 3, vier Stücke, worunter a) ein haarförmiges, b) ein 5% Mark schweres Stück mit Hornerz aus Peru, u.s.w. Kupfer No.3.| Kupfer, gröfstentheils aus Sibi- rien, doch auch aus Cornwall und Sachsen u.s.w. zwölf Stück. BE EEE EEE ESSENER 2 SEEN EEE EEE EEE GEH, 300 SEEBECK Künstlich hergestellte Metalle. Gediegene Metalle. Platina No.4.|Platina B, a) das grofse 4 Loth schwere Korn, welches Hr. A.v. Humboldt dem Königl. Mineralienkabi- net geschenkt hat. b) alles gröfsere Platinage- | Gediegen Eisen schiebe von Santa Fe u. von New Jersey. Choco. Cadmium* Stahl Aachner gediegen Eisen. Stabeisen Meteoreisen von der Collina di Bri- anza bei Villa in Mailand. | Unechtes gedie- gen Eisen von Grofs Kamsdorf. Gediegen Eisen aus der Grafschaft Sayn-Altenkirchn. Arsenik Arsenik (Scherbenkobalt) Antimon Antimon, mehrere Stücke von | Allmont. Tellur Gediegen Tellur, mehrere Stücke. | über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 301 Die in der ersten Spalte genannten Metalle sind dieselben, welche die $. 31. angeführte magnetische Reihe bilden, und welche auch hier, in Form von einfachen Bogen, zur Bestimmung des Verhaltens der ge- diegenen Metalle angewendet wurden. Den gröfsten Theil der gediegenen Metalle finden wir an densel- ben Stellen, welche die gleichnamigen künstlich hergestellten Me- talle einnehmen, mit Ausnahme von Gold 4, Silber 4 und den meisten gediegen Eisenstufen. Die gediegene Platina 4 aus Brasilien steht in der magnetischen Reihe an derselben Stelle mit der chemisch reinen Platina No. 1. Es be- findet sich aber auch jene gediegene Platina nach Wollaston’s Untersu- chungen (Philos. Trans. 1809) im Zustande von beinahe völliger Reinheit. Die unserer Platina No.4. sich gleich verhaltende gediegene Platina 3, ist die aus Neu Granada und Peru zu uns kommende, welche bekanntlich noch mehrere andere Metalle enthält. Dies scheint anzudeuten, dafs die $. 31. unter Platina No. 4. angeführten Geräthe nur aus roher peruanischer Platina verfertigt worden, und dafs auch die in den Tabellen mit No. 2 und 3. bezeichneten Platinasorten nicht völ- lig von den übrigen ihnen im natürlichen Zustande beigemischten Me- tallen befreit worden, und dafs jene beiden Sorten dadurch eine tie- fere Stelle in der Reihe erhalten haben (1). (1) Aus später angestellten Versuchen hat sich ergeben, dafs rohe Platina mit Ar- senik zusammengeschmolzen, bei einem Gehalt von ungefähr 9-4 Procent Arsenikmetall, eine noch tiefere Stelle in der magnetischen Reihe einnimmt, als Platina No. 4. Da man sich nun häufig des Arseniks zur Reinigung und weiteren Bearbeitung der Platina bedient hat, so könnte es seyn, dafs zu dem 8.31. angeführten Tiegeldeckel eben so wohl gereinigte Platina angewendet worden, als zu dem Tiegel selbst, dafs aber der Arsenik von jenem nicht vollständig abgetrieben worden. Das äufsere Ansehen jenes Deckels, welcher nebst dem Tiegel im Feuer gewesen, scheint dies zu bestätigen. Der Tiegel ist unverändert geblieben, der Deckel aber ist blasig geworden, und hat ganz das Ansehn der Platinakörner unmittelbar nach dem Abtreiben des Arseniks. Die thermomagnetische Action der Metalle giebt also ein leichtes Mittel an die Hand, die Platina, welche gegenwärtig für die reinste gehalten wird, von der, welche noch die den Platinaerzen beigemischten Metalle“öder Arsenik enthält, zu unterscheiden ; doch, wohl zu merken, nur so lange als eine mäfsige Wärme angewendet wird ; — denn in höheren Temperaturgraden ändert sich das Verhalten der letzteren, wie man aus wei- ter unten vorkommenden Angaben genauer ersehen wird. 302 SEEBECK Gediegen Gold B. Die dodekaedrisch krystallisirten Körner, nebst den übrigen sich ihnen gleich verhaltenden Goldstufen sind für reines Gold zu halten, da sie mit dem chemisch reinen Golde No. 2. eine gleiche Stelle in der Reihe einnehmen. Die Reinheit eines der Körner vom gediegenen Golde aus Brasilien ist auch durch chemische Analyse bestätigt worden. Als reines Silber können die vier Stufen gediegenen Sil- bers B angesehen werden, da sie sich dem reinsten künstlich darge- stellten Silber gleich verhalten. Die mit Silber 4 bezeichneten Stufen enthalten wahrscheinlich fremdartige Beimischungen, und eben so auch die mit Gold 4 unter den gediegenen Metallen angeführten Stücke. In einem messingfarbigen Golde von Eula in Böhmen hat Lampadius auf 96,9 Gold, 2,0 Silber und 1,1 Eisen gefunden (S. dessen Handbuch der chemischen Analyse S.252.). Sollte vielleicht der Eisengehalt diesen beiden gediegen Gold- stufen 4 die höhere Stelle in der magnetischen Reihe geben? Es wird dies um so wahrscheinlicher, da auch unser Gold No. 1. (dem jene in ihrem Verhalten nahe kommen), nach der Analyse von Herrn. H. Rose eisenhaltig ist, und da Goldstücke, welche blofs Silber oder Kupfer ent- halten, diese Stelle in der Reihe nicht einnehmen. — Das Gold von Peru und das von Catharinenburg haben eine hellgelbe Farbe, und letzteres sitzt auf Brauneisenstein; ein Grund mehr an den Eisengehalt, desselben zu glauben. Alles gediegen Kupfer befindet sich an derselben Stelle, welche das künstlich erzeugte Cämentkupfer (No.3. der Tabelle $. 31.) ein- nimmt. Sollte jenes vielleicht gleichen Ursprungs mit diesem seyn? Das häufige Vorkommen des braunen Eisenochers bei dem gediegen Kupfer, (S. Hofmanns Handbuch der Mineralogie B. III. 2. S.88.) scheint gleichfalls dafür zu sprechen. Unter den zu magnetischen Versuchen angewandten Kupferstufen befanden sich mehrere durch Krystallisation und Farbe ausgezeichnet schöne Stücke (1). (1) Das Cämentkupfer, welches durch Eisen aus Kupfervitriol hergestellt worden, behält, wie ich später gefunden habe, die Stelle zwischen Zink und Platına No.4. in der magnetischen Reihe nur so lange, als es in der ursprünglichen Form, wie es redu- eirt worden, bleibt. Wird es im Thontiegel für sich, ohne Zusatz irgend eines Flufs- über Magnetismus durch T. emperatur- DifJerenz. 303 Das gediegen Tellur enthält nach einer hier von Herrn Berzelius angestellten Untersuchung eine beträchtliche Quanutät Se- lenium. Das von Herrn Bergemann reducirte, jenem gleich wir- kende Tellur ist von Selenium gänzlich frei. Gediegen Eisen finden wir in der magnetischen Reihe an drei verschiedenen Stellen. Die höher stehenden enthalten fremdartige Bei- mischungen; die am tiefsten stehenden sind reines Eisen. Von den meisten der über Platina No.1. stehenden Meteor- eisen ist bekannt, dafs sie Nickel enthalten. Dieses Metall mag wohl vorzüglich dazu beitragen, dem Eisen eine so hohe Stelle in der Reihe zu geben; denn auch andere, im reinen Zustande in der magnetischen Reihe tief stehende Metalle, werden, gleich dem Eisen, durch Bei- mischung von Nickel über Platina 1. hinaufgerückt, .wovon man weiter unten einige Beispiele finden wird (1). mittels geschmolzen, so zeigt es nach dem Erkalten genau das magnetische Verhalten des Kupfers No.2. — Ob geschmolzene gediegene Kupferkrystalle sich eben so verhalten, habe ich nicht Gelegenheit gehabt zu untersuchen. Octaedrische und pyramidale Gar- kupfer-Krystalle unterscheiden sich von den gediegenen Kupferkrystallen gleichfalls da- durch, dafs sie die Stelle von Kupfer No.2. einnehmen. (1) Das Meteoreisen von New-Orleans würde eine Ausnahme machen, wenn es wirk- lich nach der demselben beigefügten englischen Etiquette, und der mit dieser überein- stimmenden, aus dem #Jmerican mineralogical Journal entlehnten Notiz im Journal des Mines 1812. Sept. p.235. keinen Nickel enthielte, da es in seiner thermomag- netischen Wirkung den übrigen nickelhaltigen Meteoreisen vollkommen. gleich kommt. Aber auch jenes Meteoreisen enthält Nickel, wie schon aus einem in den Göttinger gelehrten Anzeigen von 1819. Stück 47. mitgetheilten Auszuge aus dem oben erwähnten American mineralogical Journal zu ersehen ist, welches auch Herrn Chladni bestimmt hatte, dieses Meteoreisen in seinem Werke über die Feuermeteore $. 344. zu den nickelhaltigen zu zählen. Später hatte Herr Chladni Gelegenheit das American mineralogical Journal, in welchem von jenem Meteoreisen zuerst Nachricht gegeben worden, selbst zu sehen, und er führt daraus in seinen neuen Beiträgen zur Kenntnifs der Feuermeteore u.s.w. in Gilberts Annalen 1821. Stück 8. S. 343 an, dafs die Herren Gibbs und Siliman diese Eisen untersucht, und Nickel darin gefunden haben. Das Stück New-Orleanser Meteoreisen, mit welchem ich die thermomagnetischen Ver- suche angestellt habe, kommt im äufseren Ansehen dem Meteoreisen von Elnbogen am nächsten. Ich verdanke jenes Herrn Berzelius, welcher es mir im October 1822. zur Vergleichung mit dem 8. 31. angeführten reinen Eisen zu senden die Güte hatte. Auch von dem Bitburger, in Chladni’s neuen Beiträgen u.s.w., Gilberts Annalen 1821. Stück 8. S. 342 erwähnten, gleichfalls nickelhaltigen Meteoreisen 304 SEEBECK Das Meteoreisen von der Collina di Brianza in Mailand zählt Herr Chladni in seinem Werke über Feuermeteore S.349. zu den problematischen Meteoreisen , doch ist er geneigt, an den meteorischen Ursprung desselben zu glauben, sowohl wegen des äufseren Anschens der ganzen Masse als auch wegen der Weisse desselben, wodurch es sich von dem gewöhnlichen Eisen, welches dunkler ist, unterscheidet. Nach den Analysen von Guidotti, Klaproth und Gehlen enthält es keinen Nickel, und auch kein Chrom, Phosphor und Kohlen- stoff, sondern ist sehr reines Eisen, mit einer kleinen Spur von Braunstein und Schwefel. In der magnetischen Reihe nimmt dieses Meteoreisen (für welches es, nach allem was Herr Chladni davon an- führt, wohl zu halten ist), mit dem chemisch reinen Eisen von Herren Berzelius genau dieselbe Stelle ein. — Das gediegen Eisen von Grofs Kamsdorf ist dasselbe, welches Klaproth in den Beiträgen zur chemischen Kenntnils der Mineralkörper B. IV. S. 102. u.f. beschrieben hat, und welches 92,5 Eisen, 6,0 Blei und 1,5 Kupfer enthält, Das unechte gediegen Eisen von Grofs Kamsdorf, gleichfalls aus Klaproth’s Sammlung, steht unter dem Stahl, und isı ohne Zwei- fel nur Stabeisen, dem es auch in der Farbe gleicht. Dasselbe gilt von dem angeblichen gediegen Eisen aus der Grafschaft Sayn-Altenkirchen, ‘dessen Ursprung überdem ungewifs ist, da es nicht in einer Grube, son- dern auf einem mit Erz beladenen Karren gefunden worden ist. Das Aachner gediegen Eisen steht in der magnetischen Reihe noch über dem Stahl, doch unter Platina 4, (und wie ich später gefunden habe, auch unter Cadmium). Hierdurch könnte man veranlafst habe ich so eben durch gütige Mittheilung von Herrn Weifs Gelegenheit gehabt ein paar Stücke zu untersuchen. Auch dieses nimmt dieselbe Stelle in der magnetischen Reihe ein, wie die übrigen nickelhaltigen Meteoreisen, was auch noch besonders deshalb Aufmerksamkeit verdient, weil dieses Eisen im Frischfeuer bearbeitet worden war. Herr Karsten hat in diesem Eisen, 9,78 Procent Nickel und 1,47 Procent Schwefel, aber weder Kobalt, noch Chrom und Mangan gefunden, und schätzt den Kohlengehalt dessel- ben auf höchstens 4 Procent. Das Meteoreisen von Tocavita bei Bogota, welches Herr A. v. Humbold dem Königlichen Mineralienkabinet neuerlich geschenkt hat, enthält nach der Analyse der Her- ren Rivero und Boussingault 91,41 Eisen und 8,59 Nickel. über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 305 werden, es für ein dem gefrischten Eisen nahe kommendes Roheisen zu halten; (vgl. hiermit die weiter unten befindliche Tabelle über das Verhalten der Roheisen) (1). Das gediegen Eisen von dem Shulys-Gebirge in New-Jersey enthält Graphit. Auch dieses steht über Stahl, und auch über Cad- mium, doch unter Platina 4, mit welchem es schwächer als das Aach- ner Eisen wirkt. 38. Die Ordnung der schon oben $. 10. erwähnten Erze in der magnetischen Reihe der künstlich hergestellten Metalle ist bei der ersten Temperatur-Diflerenz der Berührungspunkte, folgende: (2). - Künstlich Dass £ hergestellte Metalle. Bleiglanz Wismuth Schwefelkies Wismuthspiegel Arsenikkies aus Deutsch - Pil- sen in Ungarn. weilser Speiskobalt Magneteisenstein grauer Speiskobalt a) zwei kleine Oc- taeder, b) zwei Stücke von Baltimore. Nickel ‚ |Kobalt-Nickelglanz Eisenglanz, spie- geltlächiger aus d. Kupferkies Schweiz. Nickel-Antimon von Wilmsdorf Platina No.1. Kupfernickel (1) Vielleicht ist es jedoch ein Meteoreisen, mit dem ein ähnlicher Versuch, wie mit dem Bitburger Eisen, es zu Stabeisen zu verarbeiten, gemacht worden, welcher aber wegen beträchtlichen Arsenikgehaltes der Masse (der nach Monheim 15 Procent Arsenikmetall beträgt), mifsglückte. (2) Diese vollständige Tabelle wurde der Akademie am 11. Februar 1822. vorgelegt. Phys. Klasse 1322-1823. Oq 306 SEEBECK _Künstlich Erze. hergestellte Metalle. Gold No. 1. (Straliger Grau- braunstein). (Zinngraupen). Kupfer No. 2. 5 (Glanzkobalt). Zink Englischer Graphit Stahl Stabeisen Bläuriger Magnetkies von Bo- | Silberhaltiger denmais Wismuthspie- gel aus Deutsch- Pilsen in Ungarn. Antimon £ . Kupferglanz Buntkupfererz Von allen metallhaltigen Körpern ist Bleiglanz bis jetzt der Einzige, welchen ich über Wismnuth stehend gefunden habe. Die am andern Ende der Reihe unter Antimon stehenden Erze, Kupferglanz und Buntkupfererz, weichen in ihrem Verhalten gegen die ihnen zunächst stehenden Metalle wenig vom Tellur ab; — ob sie über oder unter dieses zu stellen sind, hat noch nicht ausge- mittelt werden können. Merkwürdig ist die Vertheilung der Eisen- und Kupfererze in der Metallreihe nach ihrem verschiedenen Schwefelgehalt, indem dieje- über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 307 nigen dieser Erze, welche sich im Maximo ihres Schwefelgehaltes befin- den, wie Schwefelkies und Kupferkies, in der Nähe der öst- lichsten Metalle; diejenigen aber, welche sich im Minimo ihres Schwe- felgehaltes befinden, wie der bläurige Magnetkies, desgleichen Ku- pferglanz und Buntkupfererz in der Nähe der westlichsten Metalle der Reihe ihre Stelle erhalten. Dies ist um so merkwürdiger, da der Körper, durch welchen die Ortsbesiimmung jener Erze veran- lafst zu werden scheint, — der Schwefel — zu denen gehört, welche für sich mit den Metallbogen zu Kreisen verbunden, im festen Zu- stande, nicht magnetisch werden. Nicht alle Schwefeikiese, und auch nicht aller Dleiglanz wirken gleich stark mit den Metallbogen, und es verdient das abweichende Ver- halten einiger dieser Erze noch weitere Untersuchung. Bemerkenswerth ist ferner, dafs die geringe Zahl der wirksamen Erze sich an den äufsersten Enden der magnetischen Reihe anhäuft, und dafs keines entschieden über das sechste Metall an den beiden Enden unserer Reihe, gegen die Mitte zu, zu stehen kommt. Die in Klammern eingeschlossenen neben Kupfer 2. befindlichen Erze, Grau - Braunsteinerz, Zinngraupen und Glanzkobalt, sind nicht als Ausnahmen von jener Regel anzusehen; sie sind blos deshalb hierher gestellt worden, weil sie nur mit Kupfer 2, nicht aber mit den übrigen Metallstreifen eine hinlänglich deutliche Wirkung zeigten. Dafs sie in höheren Temperaturgraden als denen, welchen sie bei diesen Ver- suchen ausgesetzt wurden, sich auch mit den übrigen Metallen wirksam zeigen werden, ist sehr wahrscheinlich. Glanzkobalt zeigte auch wirk- lich bei stärkerer Erhitzung mit Gold 2, mit dem er vorher nicht ge- wirkt hatte, eine schwache Action, der zu Folge er unter dieses Metall zu setzen wäre (1). (1) In einer Reihe von Versuchen, welche im Juny und July 1822. angestellt wur- den, fand ich, dafs concentrirte Schwefelsäure und Salpetersäure in der ther- momagnetischen Reihe der Metalle über Wismuth, — und dafs concentrirte Na- tron- und Kali-Auflösungen unter Antimon und Tellur zu stehen kommen; dafs sich aber die Stelle der Säuren und Kalien ändert, wenn sie verdünnt werden. Eine ausführliche Beschreibung von diesen und andern hierher gehörenden Versuchen enthält eine Abhandlung, welche im nächsten Bande dieser Denkschriften erscheinen wird. Qq2 308 | SEEBECK Das von Herrn Weiss Wismuthspiegel benannte Erz ist das sehr seltene Fossil, welches von Heren v.Born Molybdänsilber und von Klapproth Wismuthglanz von Deutsch - Pilsen genannt worden. Es besteht nach der Analyse von Herrn Berzelius aus Tellur- und Selen- Wismuth. Das Eız, welchem Herr Weiss den Namen, silberhaltiger Wismuthspiegel gegeben hat, befand sich in der ehemaligen Samm- lung Klaproth’s, und war von diesem gleichfalls als Wismuth- glanz von Deutsch - Pilsen bezeichnet worden (1). Kobalt-Nickelglanz isı ein neues, von Herrn Weiss so be- nanntes Fossil, welches sich in Klaproth’s Sammlung unter dem Na- men Gediegen Arsenikal-Nickel befand (2). Die magneusche Wirkung der Erze ist in der Regel mit den ihnen in der Reihe nahe stehenden Metallen schwach; so z.B. erregen Schwefelkies, Arsenikkies, Wismuthspiegel und Magnet- eisenstein mit Wismuth verbunden nur schwachen Magnetismus während Speiskobald mit Wismuth bei gleicher Temperatur - Diffe- renz sich sehr wirksam erweist. Der englische Graphit zeigte mit Antimon keine deutliche Declination, aber wohl mit Zink und mit Stahl. Nicht aller Graphit verhielt sich diesem gleich; manche Sorten nahmen höhere Stellen in der Reihe ein, und die meisten wirkten schwächer, als der feine eng- lische Graphit. 39. Noch wurden folgende Erze untersucht: Glaserz, krystallisirtes Fahlerz = sprödes Graugültigerz Rothgültigerz Weifsgültigerz (1) Herr H. Rose, welchem Herr Weifs dieses Erz wegen der zweifelhaften Iden- tität des von Klaproth analysirten Wismuthglanzes von Deutsch - Pilsen (s. dessen Beiträge zur chemischen Kenntnifs der Mineralien. B.1S.253.u.f.) mit diesem Exem- plar oder mit dem von Herrn Berzelius bereits untersuchten, zur Untersuchung mit- getheilt hatte, hat gefunden, dafs es aus Tellur-Wismuth und Tellur-Silber mit geringer Spur von Selen und Antimon besteht (S. Gil. Ann. 1822. Stck. 10 S. 191). (2) Nach Herrn H.Rose’s Untersuchung mit dem Löthxohre besteht es gröfsten- theils aus Kobalt und Arsenik. über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 309 Zinnkies Titaneisen Spiefsglanzbleierz Iserin Zinkblende, schwarze, braune tutil und gelbe Hornsilber W ismuthglanz von Riddarhytta Hornblei Nadelerz Bleivitriol Rauschgelb Weifsbleierz Wasserblei Grünbleierz Rotheisenstein Eisenvitriol Chromeisen Kupfervitriol u.$s.w. Von allen diesen Fossilien erzeugte keines eine magnetische Po- larisation in der Verbindung mit Kupfer No. 2, und in den mäfsig er- höhten Temperaturzuständen , in die sie versetzt wurden. Ich zweitle jedoch nicht, dafs mehrere derselben sich bei stärkerer Temperatur-Dif- ferenz der Berührungspunkte wirksam zeigen werden. Gänzlich unwirk- sam wurden auch alle erdartigen Fossilien, die Salze und die unmetal- lischen brennbaren Körper gefunden, namentlich auch Steinkohlen. Ein einzelnes Stück Wismuthglanz von Riddarhytta bewirkte eine Declination der Magnetnadel, wenn eine bestimmte Stelle desselben den erhitzten Kupferstreifen berührte. Bei genauerer Untersuchung fand sich, dafs diese Stelle einen sehr kleinen Schwefelkies-Krystall ent- hielt, und dafs dieser es war, welcher mit jenem Kupfer, und auch mit Gold. No. 1. eine östliche Declinaton hervorbrachte. Die übrigen Theile dieses sonst reinen Wismuthglanzes verhielten sich eben so unwirk- sam als jedes andere Stück Wismuthglanz von Riddarhytta und Salberg. Durch Schmelzung bereitete Verbindungen von Wismuth und Schwefel in verschiedenen Verhältnissen zeigten sich wirksam und bei- nahe dem reinen Wismuth gleich. Ein jenem Wismuthglanze ähnliches Verhalten zeigte ein Stück Zinkblende von Christoph zu Breitenbrunn, an dem einzelne Stellen eine deutliche magnetische Polarität erregten, während der übrige Theil der Masse, so wie alle Zinkblende überhaupt unwirksam gefunden wurde. Hier war es fein eingesprengter Arsenikkies, welcher den Magnetis- mus hervorrief. 310 SEEBECK Bei Bestimmung des magnetischen Verhaltens der Erze ist also sorgfältig darauf zu achten, dafs nur homogene und von fremden Bei- mischungen freie Stücke angewendet werden. Die zu diesen Versuchen benutzten Erze und gediegenen Metalle waren sämmtlich aus dem reichen Mineralienkabinet der hiesigen Uni- versität. 40. Um weitere Aufschlüsse über den Einflufs fremdartiger Bei- mischungen auf die magnetische Action der Metalle bei eintretender Temperatur-Differenz zu gewinnen, wurden Versuche mit Alliagen von einigen der wichtigsten Metalle unserer Reihe, namentlich von Wis- muth und Antimon mit einander, und mit Zinn, Blei, Kupfer 2 und Zink unternommen. Jedes dieser Metalle wurde mit jedem der andern in drei verschiedenen Verhältnissen zusammengeschmolzen ; näm- lich: a) beide Metalle zu gleichen Theilen, 2) drei Theile des ersten zu einem Theil des andern, und c) ein Theil des ersten zu drei Thei- len des andern. Die Resultate der Versuche mit diesen siebenundzwanzig Allia- gen, mit Kupfer No. 2. zu Kreisen verbunden, sind in folgender Ta- belle zusammengestellt, wie sie sich bei mäfsiger Erhöhung der Tempe- ratur eines der Berührungspunkte und in der Fig. 2 und 3. angegebenen Lage der Apparate ergaben (1). (1) Diese Tabelle wurde der Akademie am 18. October 1821. vorgelegt. über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 344 Alliagen Drei Theile Zu Ein Theil zu einem Theil. |gleichen Theilen.| zu drei Theilen. er | O von less Wismuth und Kupfer - stark schwächer (@) 16) stark lebhaft schwach Wismuth und Zink w w o lebhaft schwächer schwach Ww Ww o lebhaft schwächer schwach o W Ww stark ziemlich lebhaft stark \W WW W lebhaft schwächer am schwächsten W W w lebhaft lebhaft schwächer Ww Ww w lebhaft lebhaft schwächer Ww Ww Ww stark stark etwas schwächer. Wismuth und Blei Wismuth und Zinn Wismuth und Antimon Antimon und Kupfer Antimon und Bleı Antimon und Zinn Antimon und Zink Wir finden hier, dafs Alliagen von Wismuth und Kupfer in allen drei Mischungsverhältnissen mit Kupfer No. 2. östliche De- clinationen bewirken, wie der reine Wismuth, dafs aber die magne- tische Polarisation um so schwächer wird, je mehr Kupfer sich in dem Alliage befindet. Wismuth und Zink verbinden sich so unvollkommen mit ein- ander, dafs aus den Versuchen mit diesen Alliagen wenig mehr zu fol- gern ist, als dafs auch hier die Wirkung des Wismuths überall vor- herrschend ist, wie die östliche Declination der Nadel in Ketten aus allen drei Verbindungen beweist. Die Alliagen von Wismuth mit Blei und Wismuth mit Zinn zeigen dagegen ein den vorhergehenden beiden Mischungen entgegenge- setztes und in mehr als einer Beziehung merkwürdiges Verhalten ; die 312 SEEBECK Declination ist hier westlich, wo die Menge des Wismuths über- wiegend ist, und wird erst wieder östlich, wo diese nur ein Theil auf drei Theile des andern Metalls beträgt. — Hieraus ergiebt sich denn zugleich, dafs es für diese beiden Alliagen (die von Wismuth mit Blei oder mit Zinn) in ihrer magnetischen Action mit Kupfer No.2. einen Nullpunkt geben mufs, wo ungeachtet der Differenz der Tempe- ratur der beiden Berührungspunkte keine magnetische Polarisauon er- folgt, — und dafs dieser Nullpunkt erst nachdem die dem Wismuth beigemischte Quantität des Bleies oder Zinnes das in der zweiten Spalte angegebene Verhältnifs überschritten, und das in der dritten Spalte an- gegebene noch nicht erreicht hat, eintreten mufs. Unter den Legirungen von Wismuth und Antimon, mufs gleichfalls eine vorkommen, welche bei einem bestimmten Mischungs- verhältnisse jener beiden Metalle, (das zwischen den in der ersten und zweiten Spalte der vorgehenden Tabelle angegebenen liegt), mit Kupfer No. 2. zum Kreise verbunden, bei vorhandener Temperatur-Diflerenz der Berührungspunkte, keine magnetischen Pole zeigt. Dafs die in diesen und ähnlichen Fällen fehlende oder aufhörende magnetische Polarität der metallischen Ketten nicht in Widerspruch stehe mit der Überschrift dieser Abhandlung und mit dem oben aufge- stellen Satz: dafs die erste und wesentlichste Bedingung des Magnetis- mus in unsern zweigliedrigen Ketten Differenz der Temperatur der Be- rührungspunkte sei, ist in die Augen fallend; denn es ist damit nicht behauptet worden, dafs jede Temperatur-Differenz der Berührungs- punkte auch eine frei hervortretende magnetische Polarität zur Folge ha- ben müsse, und es hat dies um so weniger behauptet werden können, da, wie oben 8. 29. bereits bemerkt worden, auch in manchen Ketten von reinen Metallen eine magnetische Polarität erst bei sehr beträcht- licher Temperaturerhöhung wahrnehmbar wird; sondern es sagt jener Satz nur aus, dafs Differenz der Temperatur in so fern eine we- sentliche Bedingung zur freien magnetischen Polarität der metallischen Ketten oder Kreise ist, als entschieden ohne dieselbe keine solche Polarität statt findet. Von den übrigen Alliagen des Antimons, welche sämmtlich (ihrer westlichen Declination zu Folge) unter Kupfer No. 2. stehen, über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 313 zeichnen sich besonders die von Antimon mit Zink aus; alle drei wirken mit jenem Kupfer stark und das aus drei Theilen Antimon und einem Theil Zink bestehende stärker als reines Antimon. Bei den übri- gen Alliagen des Antimons wurde die Wirkung durch Zusatz eines an- dern Metalls immer geschwächt, und dies um so mehr, je gröfser die Menge des letzteren war. Die Ordnung dieser Alliagen in unserer 8. 31. angeführten mag- netischen Metallreihe giebt folgende Tabelle an (1). Künsitlich hergestellte Metalle. Allia sen. Wismuth Wismuth 3Th. und Antimon 1 Th. Wismuth 3 - — Zink 1Th: Wismuth 3 - - Kupfer 1Th. Wismuth 1 - - “Kupfer 1Th. Wismuth 1 - = Kupfer..3’Th. Nickel Platina No. 1. Gold No. 1. Blei Zinn Wismuth 1 Th. und Zink 3 Th. Wismuth 1 - - .-Blei 3 Th. Platina No. 3. Wismuth 1Th. und Zinn 3Th. 186) Kupfer No. Wismuth 1 Th. und Blei 1 Th. Gold No. 2. Silber Wismuth 1Th. und Zinn iTh. d’Arcet’s leicht- flüssige Mischung. (1) Diese Tabelle wurde der Akademie im Februar 1822. vorgelegt. Phys. Klasse 1822-1823. Rr 314 SEEBECK tünstlich : ei Metalle. Allia 5% Zink Wismuth3Th. und Blei 1Th. Rose’s leichtflüs- sige Mischung. Wismuth 1 Th. und Antimon 1Th. Antimon 3 Th. und Kupfer 1Th.; Antimon 1Th. und Kupfer 1 Th.; Antimon 1 Th. und Kupfer 3 Th. Antimon 3Th. und Blei 1 Th.; Antimon 1 Th. und Blei 1 Th.; Antimon 1 Th. und Blei 3 Th. Antimon 3 Th. und Zinn 1 Th.; Antimon 1Th. und | Zinn 4 Th.; Antimon {1 Th. und Zinn 3Th. Stahl | Stabeisen |Wismuth 3Th. und Zinn 1 Th. Wismuth 1 - - Antimon 3Th. Antimonsd- - - "Zink‘3 Th. Antımon |Antimon 4A1Th. und Zink 1 Th. IAntımon 3 - -+.,.Zınk 1 Th: Die Alliagen von Wismuth und Antimon, finden wir hier ziemlich an den Stellen wo man Mischungen von den beiden äufsersten Metallen der Reihe erwarten konnte; nämlich dasjenige, welches die gröfste Menge Wismuth enthält in der Nähe des reinen Wismuths, dasjenige hingegen, welches die gröfste Menge Antimon enthält in der Nähe des reinen Antimons, und die Legirung aus gleichen Theilen Anumon und Wismuth nahe der Mitte der Reihe. Die drei Alliagen von Wismuth mit Kupfer stehen sämmt- lich zwischen dem ersten und zweiten Metall unserer Reihe, dem Wis- muth und Nickel, — und selbst ein Alliage von 75 Procent Kupfer- gehalt vermag nicht eine tiefere Stelle in der Reihe zu gewinnen, wor- über Magnetismus durch T. emperatur - Differenz. 315 aus zu schliefsen ist, dafs wohl schon eine geringe Beimischung von Wismuth dem Kupfer eine höhere Stelle in der magnetischen Reihe geben könnte (1). Noch deutlicher als in der ersten Tabelle tritt in dieser das von den übrigen Alliagen sich so auszeichnende Verhalten der Mischungen von Wismuth mit Blei und Wismuth mit Zinn hervor. Beide Arten von Alliagen finden wir an desto tieferen Stellen in der magne- tischen Reihe, und also um so entfernter von Wismuth, je mehr Wis- muth sie enthalten, — und hierin zeichnet sich das Alliage aus drei Theillen Wismuth mit einem Theile Zinn vor dem aus drei Theilen Wismuth mit einem Theile Blei aus, da jenes sogar zwischen Stab- eisen und Antimon steht. — Je mehr Zinn oder Blei die Mischung enthält, desto höher schen wir sie in der Reihe hinauf gerückt, doch bleiben auch noch die Mischungen von einem Theile Wismuth mit drei Theilen eines der andern beiden Metalle unter dem reinen Zinn und Blei. — Aus diesem allen folgt, dafs schon eine geringe Zu- mischung der letztgenannten beiden Metalle zum Wismuth die Stelle von diesem bedeutend verändern werde, und dafs also deren Gegenwart im Wismuth durch die magnetischen Erscheinungen leicht auszumitteln ist. — Zu bemerken ist noch, dafs wenn ein Alliage von Wismuth und Zinn oder von Wismuth und Blei in einem bestimmten Ver- hältnisse, zum Kreis verbunden mit Kupfer No.2, bei bestehender Temperatur-Differenz der Berührungspunkte ohne magnetische Polarität bliebe, daraus keinesweges folgt, dafs ein solches Alliage sich auch mit den übrigen Metallbogen eben so verhalten werde; sondern es ist viel- mehr aus den an reinen Metallen und Erzen wahrgenommenen Erschei- nungen zu schliefsen, dafs jene Alliagen mit mehreren höher oder tiefer stehenden Metallen sich wirksam zeigen können, während ihre Action mit einigen andern Null ist. Auffallend ist es nach den eben erwähnten Erfahrungen, dafs so verschiedenartige Metallmischungen, wie die von Antimon mit Kupfer, (1) Dafs die hohen Stellen unsers Kupfers No. 1. und No. 0. durch einen Wismuthge- halt veranlafst worden, ist nicht wahrscheinlich; eher wäre zu glauben, dafs dies Me- tall durch einen stärkeren Kohlengehalt dahin versetzt würde, wenn nicht vielleicht auch ein geringer Gehalt an Eisen dazu beiträgt. Rr2 316 SEEBECK mit Blei und Zinn, alle eine gleiche Stelle in der magnetischen Reihe, zwischen Zink und Stahl, einnehmen, und dafs sich bei diesen Allia- gen keine Verschiedenheit weiter als in der Stärke der magnetischen Po- larisation nach dem gröfseren oder geringeren Gehalte des einen oder andern Metalls zeigt. Wie Zinn und Blei auf Wismuth, so scheint Zink auf Anti- mon zu wirken; es giebt diesem eine tiefere Stelle in der Reike, und zwar nimmt ein Alliage von Antimon die tiefste Stelle in der Reihe ein, wenn es auf drei Theile nur ein Theil Zink enthält, und stellt sich höher, wenn der Gehalt an Zink gröfser wird. Alle diese Erfahrungen scheinen auf eine stärkere oder schwächere Verwandtschaft, eine vollkommenere oder geringere Verbindung der Me- talle mit einander zu deuten, und lassen erwarten, dafs sich aus der Fortsetzung dieser Untersuchungen noch bestimmtere Aufschlüsse über die den Magnetismus durch Temperatur-Differenz begründenden und än- dernden inneren Zustände der Körper ergeben werden. 41. An einigen der leichtflüssigen Alliagen, namentlich an dem von d’Arcet, desgleichen an ein paar Alliagen von Wismuth mit Zinn bemerkte ich ein verschiedenes Verhalten, je nachdem sie sich im festen oder flüssigen Zustande befanden, und einige derselben fand ich zugleich nach dem zweiten Erstarren an einer andern Stelle in der magnetischen Metallreihe als im ursprünglichen festen Zustande dersel- ben, unmittelbar nach dem Gufs. Die Resultate dieser Versuche sind in der folgenden Tabelle zu- sammengestellt (1). (1) Diese Tabelle wurde genau so, wie sie hier steht, der Akademie am 11. Februar 1822 vorgelegt. — Die beigefügten römischen Ziffern sollen blos zum leichteren Auf- finden eines und desselben Alliage in den verschiedenen Columnen dienen. über Magnetismus durch T' emperatur - Differenz. 317 Künstlich hergestellte Metalle. Wismuth Nickel Platina No. 1. Gold No. 1. Kupfer No. 1. Blei Zinn Platina No.3. Kupfer No.2. Alliagen. Im festen Zustande, nach dem zweiten Er- Im festen Zustande, Im flüssi Z Sure m flüssigen Zu- wie sie 3 ap stande, vom Gufs kamen. starren. er I Amalgam von Wismuth, Blei, Zinn u. Queck- silber. Wismuth 1 Th. u. Blei 3 Th. | Amalgam von Wismuth, Blei, Zinn u. Queck- silber. Wismuth 1 Th. usBle@s Ih, Wismuth {1 Th. Blei 3 Th. U. Wen BE u. Zinn 3 Th. ua. Zinn 3 Th temnich NR TIL " Wismuth 1Th. u. Zinn ti Eu Wismuth 1 Th. | Wismuth 1Th. moBler 1 "The u. Blei 1 Th. IV d’Arcet’s Al- asmurh 1 Th. u. Zinn 3 Th. Wismuth 1 Th. u. Blei 1 Th. liage. 318 SEEBECK Alliagen. Künstlich Li ne ee ea Fr By ey ern FE se. N. © Im festen Zustande ERInR: Im festen Zustande wie sie Im flüssigen Zu- nach dem zweiten Er- vom Gufls kamen. stande. starren. hergestellte Metalle. Gold No. 2. I Amalgam von Wismuth, Blei, Zinn u. Queck- silber. Silber AN ismurh ıTh. u. Zinn 1-TDh: IV d’Arcet’s Al- liage. Zınk Wismuth 3Th. | Wismuth 3 Th. u. Blei 1 Th. u; +Blei-:1 "Th. Rose’s Alliage. |Rose’s Alliage. Wismuth 3Th. u. Blei 1 Th. Rose’s Alliage. II Wismuth 1Th. u. Zinn 1Th. IV d’Arcet’s Al- liage. Stahl Stabeisen Wismuth 3 Th. | Wismuth 3 Th. u.'Zinn4Th;| w Zinn (Th. Wismuth 3 Th. u. Zinn 1Th. Antimon Diejenigen von diesen Metallmischungen, welche im flüssigen Zustande eine andere Stelle in der magnetischen Reihe einnehmen, als im festen, kommen in jenem immer höher in derselben zu stehen als in diesem. Der tiefere Stand, welchen einige Alliagen nach dem zwei- ten Erstarren einnehmen, möchte wohl häufig einer, während des flüs- sigen Zustandes, durch ungleiche Oxydation der Metalle, eingewretenen über Magnetismus durch Temperatur-Differenz. 319 Veränderung des Mischungsverhältnisses derselben zuzuschreiben seyn, wenn auch nicht in allen Fällen. Es ist einleuchtend, dafs für alle diejenigen Alliagen, welche im flüssigen Zustande eine höhere Stelle in der Reihe einnehmen als im festen, ein Moment des Aufhörens der entstandenen magnetischen Polari- tät (ein Nullpunkt) und eine Umkehrung derselben, sowohl während des Steigens als während des Fallens der Temperatur, bei ihrer Verbindung zu geschlossenen Kreisen mit denjenigen Metallen eintreten wird, welche zwischen ihren beiden äufsersten Stellen in der Reihe liegen, nicht aber mit den oberhalb und unterhalb dieser Gränz- punkte befindlichen Metallen. — So z.B. wird eine Kette, zusammen- gesetzt aus dem Alliage von Wismuth und Zinn zu gleichen Thei- len, mit den drei Metallen, Silber, Gold 2 und Kupfer 2, bei Er- höhung der Temperatur eines der Berührungspunkte, an der einen Seite (der Grundfläche der Kette), erst — m dann Om und nachher + m; — und dies ebenfalls nach dem zweiten Erstarren des Alliage in der Kette mit Zink, niemals aber in Ketten mit Wismuth, Nickel, Pla- tinai, Gold1, Blei, Zinn, Stahl, Eisen und Antimon. Eine Umkehrung der magnetischen Polarität wird auch bei der ersten Temperaturerhöhung eintreten in Ketten, gebildet aus dem in der Tabelle angeführten Amalgam (ı) mit Zinn, Blei, Kupfer 1, und Gold 1, nicht aber in den Ketten dieses Amalgams mit Pla- tina 1, Nickel, Wismuth und eben so nicht mit Platina 3 und allen unter diesem stehenden Metallen. Bei abnehmender Tempe- ratur hingegen werden, nach eingetretenem flüssigen Zustande des Amalgams, Verbindungen desselben mit Platina 3, Kupfer 2, Gold 2, nicht aber mit Silber, Zink, Eisen und Antimon eine Umkehrung ihrer magnetischen Polarität erleiden. Die Legirung von Wismuth und Zinn zum zweiten Mahl in Flufs gebracht, nahm wieder die höhere Stelle in der Reihe ein, und wurde nach dem dritten Erstarren wieder an ihrer vorigen Stelle, zwischen Zink und Stahl gefunden. (1) Dieses bestand aus Wismuth, Blei und Zinn, zu gleichen Theilen und einer ge- ringen Menge Quecksilber. 320 SEEBECK Ein anderes Verhalten zeigte d’Arcet's leichtflüssige Metallmischung welche anfänglich gleichfalls verschiedene Stellen im festen und flüssigen Zustande in der Reihe eingenommen hatte. Nach dem zweiten Erstar- ren desselben geschah dies nicht mehr, sondern es blieb nun in beiden Zuständen unter dem Zink; es verhielt sich also jetzt der leichtflüssi- gen Mischung von Rose gleich (1). Eben so finden wir alle Alliagen von Wismuth mit Blei, und die von Wismuth zu drei Theilen mit einem Theile Zinn im flüs- sigen wie im festen Zustande unverändert an derselben Stelle der Reihe; diese erleiden also keine Umkehrung der magnetischen Polarisation in der Verbindung mit den in der ersten Spalte genannten Metallen, weder bei steigender noch bei fallender Temperatur-Differenz der Berührungs- punkte. — An diesen Ketten zeigt sich in der Regel eine stärkere Po- larität im flüssigen Zustande der Alliagen als im festen. Wenn das gleichförmige Verhalten dieser letzteren Metallmischun- gen eines Theils andeutet, dafs sie bei den wiederholten Schmelzungen keine bedeutende Mischungsveränderung erlitten haben können, so scheint zugleich aus ihrer Unveränderlichkeit in jenen beiden Zuständen hervor- zugehen, dafs sie auch vollkommener gemischt und verbunden sind als die oben erwähnten in ihrem magnetischen Verhalten veränderlichen Alliagen. 42. Die einfachen Amalgame von Wismuth und Quecksil- ber, sowohl im festen als im flüssigsten Zustande wurden sämmtlich, gleich dem reinen Wismuth, über Nickel stehend gefunden, doch zeigten sie um so schwächere Wirkung mit demselben, je flüssiger sie waren. — Eine geringe Beimischung von Wismuth zum Quecksilber kann also durch die thermomagnetischen Erscheinungen leicht entdeckt werden. Auch Wismuth mit Kalium verbunden, behielt selbst dann, als es (nach Vauquelins Methode durch Schmelzung mit Weinstein (1) Das Alliage von d’Arcet besteht bekanntlich aus acht Theilen Wismuth fünf Theilen Blei und drei Theilen Zinn; — das von Rose aus zwei Theilen Wismuth, einem Theile Blei und einem Theile Zinn. über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 321 behandelt), eine beträchtliche Menge Kalium aufgenommen hatte, seine vorige Stelle in der magnetischen Reibe, über dem Nickel. Antimon auf dieselbe Weise mit einem beträchtlichen Antheil Kalium verbunden, nahm gleichfalls keine andere Stelle in der Reihe ein, als das reine Antimon. Kupfer No.2, mit Weinstein geschmolzen, schien kein Kalium aufgenommen zu haben; ces erfolgte wenigstens keine Gasentbindung wenn ein Stück davon in Wasser geworfen wurde. Auch die Stelle dieses Kupfers in der Reihe war nicht verändert. Legirungen von Kupfer und Silber — Probestangen vom zwei- bis zum sechzehnlöthigen Silber — zeigten folgendes Verhalten. Alle funfzehn bewirkten mit Kupfer No. 2 eine westliche, und mit reinem Silber eine östliche Declination der Magnetnadel. — Mit Gold No. 2 gaben die Probestangen vom zweilöthigen bis zum elflöthigen Silber östliche, und die vom zwölflöthigen bis zum sechzehnlöthigen westliche Declination. Die ersteren ste- hen also zwischen Gold No.2 und Kupfer No.2 und die letzteren zwischen Gold No. 2 und dem chemisch reinen Silber unserer Ta- belle $. 31. Zwei Probestangen, ein elf und ein halblöthiges und ein zwölflöthiges, welche nicht zu jenen funfzehn gehörten, stellten sich über Kupfer No. 2. Vielleicht bestand die Legirung von diesen aus einer andern Sorte von Kupfer. Preufsische Thaler von 18520 und 1821 wurden unter Kupfer No.2, — die zu diesen Versuchen angewendeten Friedrichsd’or hin- gegen über Kupfer No. 2, einige sogar zwischen Kupfer No.1 und Blei stehend gefunden. Ein Stück Eisen, welches mir Hevr Karsten als ein zwei bis drei Procent Zink enthaltendes Roheisen , mitgetheilt hatte nahm seine “ Stelle zwischen Platina No. { und Gold No. 1. Im äufseren Anse- hen glich dieses mehr dem Zink als irgend einem Roheisen. Doch auch eın aus reiner Eisenvitriol-Auflösung, mit einer einfachen galvanischen Kette von Zink und Platina reducirtes Ei- sen, wurde an derselben Stelle der Reihe gefunden. Ich hatte bei der Reduction dieses Eisens absichtlich Zink angewendet, in der Erwartung, dafs von dem Zink, welcher in einer Salmiak-Auflösung stand, ein Theil Phys. Klasse 1822-1823. Ss 322 SEEBECK durch die Blase, welche die Eisenvitriol-Auflösung von jener trennte, dringen, und mit dem Eisen vermischt am Platinadrahte werde reducirt werden. — Das dem reinen Eisen so unähnliche äufsere Ansehen des erhaltenen Kornes, seine blättrige Swuctur und grofse Sprödigkeit be- rechtigen wohl zu glauben, dafs es Zink beigemischt enthalte. (1) Ein gelber Stahl von Herrn Oberst Fischer in Schaffhausen, bestehend aus sechzehn Theilen Gufsstahl und fünf Theilen Kupfer wurde an zwei verschiedenen Stellen in der magnetischen Reihe gefun- ‘den; eine Folge der verschiedenen Beschaffenheit der beiden Enden die- ses Stahls. Berührte das eine Ende desselben den heifsen Theil der Bü- gel von Gold 1, Kupfer 1, Blei, Zinn und Platina 3, so erfolgte eine westliche Declination; berührte das andere Ende den heifsen Theil jener Bügel, so war die Declination östlich. Ein ähnliches Verhalten zeigte ein Stück Platina, dessen eine Hälfte aus reiner Platina, die andere Hälfte aus nicht hinlänglich von Arsenik befreiter (ähnlich unserer Platina No. 4.) bestand. Be- rührte die erstere das heifse Ende der zwischen Platina No. i und Platina No. 4 liegenden Metalle, so war die Declination der Magnet- nadel bei der oben mehrmals angegebenen Lage der Apparate, west- lich; — die Declination war dagegen östlich wenn die andere Hälfte das heifse Ende jener Metalle berührte. Dafs diese Erscheinungen dem 8. 32. aufgestellten Gesetz gemäfs erfolgen, ergiebt sich leicht aus der Vergleichung derselben mit den Angaben in 8. 31. Kohle von Fichten- und Buchenholz und von Haselstauden fand ich gänzlich unwirksam in der Verbindung mit den Metallbogen ; nur ein einziges Stück Kohle, von einem mir unbekannten Holze, welches ich von Herrn Schweigger vor mehreren Jahren unter dem Namen einer thermoxydirten Kohle erhalten hatte, zeigte sich mit einigen Me- tallen wirksam, namentlich mit Kupfer No. 2, Silber und Zink, und nahm unter diesen seine Stelle ein. (2) (1) Herr H. Rose, welcher späterhin die Güte hatte dies Eisen zu analysiren, hat gefunden, dafs es wirklich Zink enthält, und schätzt die Menge desselben auf ungefähr zwei Procent. (2) Eine Stange reines Selenium, hergestellt von Herın H. Rose, erregte in den Verbindungen mit den Metallbogen bei Erhöhung der Temperatur keinen Magnetismus über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 323 In der folgenden Tabelle findet man nicht nur die eben erwähn- ten, sondern auch einige später untersuchte Alliagen nach ihrem mag- netischen Verhalten geordnet. (1) Künstlich hergestellte Metalle. Wismuth Nickel Palladium Platina No.1. Kupfer No. 0. Alliagen. a) Alle Amalgame von Wismuth. b)* Legirungen von 2 Th. Kupfer mit 1 Th. Nickel. - - 10 - - - 1 - - - HOLE - = DE - = - 5Th. Kupfer, 7Th. Nickel und 7 Th. Zink. 2 - 16 Th. Kupfer, 6 Th. Nickel und 10-21h2 Zum k. - - 89,8 Kupfer 10,2 Nickel. = - 61,74Kupfer 7,01 Nickel und 31,.25, Anke s - 54,85 Kupfer 6,23 Nickel und 38,89 Zink. Suhler Weifskupfer. c) Roheisen, welches 2 bis 3 Procent Zink enthält. d) Eisen, reducirt durch eine galvanische Kette, auch 2 Procent Zink enthaltend. e) Messing No. 1. f) Fischer’s gelber Stahl, das eine Ende. so lange es sich im festen Zustande befand; — im flüssigen ist es nicht untersucht worden. — Dies Selenium verhielt sich gänzlich wie ein ıidioelectrischer Körper, es leitete nicht nur die Electrieität nicht, sondern es wurde auch mit Wolle gerieben entschieden negativ electrisch, obwohl schwächer als Schwefel. (1) Die Nickellegirungen verdanke ich Herrn Ober-Bergrath Frick, und die Wootze Herrn Geheimen Ober-Finanzrath Beuth. [08 [iS] > Künstlich hergestellte Metalle. Gold No. 1. Kupfer No.4: Blei Zinn Platina No.3. Kupfer No. 2. Gold No. 2. Silber Zink Platina No. 4. Stahl Stabeisen Antimon Tellur SEEBECK m Alliagen. 8) Messing No. 2. h)* Glockengut, bestehend aus 100 Th. Kupfer und 20-Rhr Zınn. ’) 3 Stück Doppel-Friedrichsd’or. k) 6 Stück Friedrichsd’or. /) Fischer’s gelber Stahl, das andere Ende. m) Tutania Metall. \ In) Preufsische Thaler von 1820 und 1821. o)" Ein Korn aus Rhodium, Palladium und einer kleinen Quantität Platina zusammengesetzt. p)* Spiegelcomposition aus 2 Th. Kupfer u. 1 Th. Zinn. 7) Probestangen vom 2 bis 11 löthigen Silber. r) Probestangen vom 12 bis 16 löthigen Silber. s) Kohle, angeblich ihermoxydirte. t)* Platina mit 9; Procent Arsenik. lu) W ootz v)* Wootz mit —; Platina. w)' Wootz mit ; Rhodium. a)" Regulus antimoni martäalis. über Magnetismus durch T. emperatur- Differenz. 325 43. Alle Arten von Roheisen nehmen eine höhere Stelle in der magnetischen Metallreihe ein als das Stabeisen. Aber nicht alle Flächen der Bruchstücke eines Roheisenflosses verhalten sich gleich in der Wirkung; man findet deshalb ein und dasselbe Stück an mehr als einer Stelle der magnetischen Reihe, wie aus der folgenden Ta- belle zu ersehen, wo die Roheisen nach dem Verhalten der genann- ten Flächen in der Berührung mit dem warmen Ende der Metallbogen geordnet sind. (1) Wismuth Nickel Roheisen No. f, von Geislautern im Saarbrückischen, alle Flächen. Platina No.1. Gold No. 1. Kupfer No. 1. Messing No.2. \Roheisen No. 2, aus dem Siegenschen, die Bruch- flächen und die untere Fläche. Roheisen No. 3, von Mariazell in Steyermark , die Bruchtlächen. Roheisen No. 4, eine gegossene ‚Stange. Blei | Zinn Kupfer No. 2.| Gold No. 2. Silber Zink Roheisen No. 2, die obere Fläche: Roheisen No. 3, die obere und untere Fläche. (1) Diese Tabelle wurde der Akademie am 11. Februar 1822. vorgelegt. 326 SEEBEOK Roheisen No. 5, von Vordernberg in Steyermark, alle Flächen. Rohstahl aus Steyermark. Dreimahl raffinirter Stahl aus Steyermauk. Stahl Englischer Gufsstahl. Gufsstahl von Herrn Fischer in Schaffhausen. Cämentstahl aus Schlesien. Stabeisen Antimon I Nach der Angabe von Herrn Karsten, welcher die Güte hatte, mich mit jenen Roheisen zu versehen, ist No. 1 von Geislautern im Saarbrückischen, ein graues, durch Schmelzung mit Eisenoxyd weils gemachtes Roheisen, welches sich von den übrigen Eisensorten noch dadurch unterscheidet, dafs es viel Silicium enthält. Zu bemerken ist noch, dafs dies Roheisen das einzige ist, welches mit den nickelhal- ügen Meteoreisen eine gleich hohe Stelle in der Reihe einnimmt. Das Roheisen No. 2 ist sogenanntes Spiegeleisen von der Lohliütte bei Müsen im Siegenschen, es hatte grofse Spiegelflächen und eine deutliche krystallinische Swuctur. Die obere Fläche desselben, welche während des Glühens der Einwirkung der Luft ausgeseizt gewe- sen, war dem gefrischten Zustande näher gebracht. Nachdem ein Theil dieser oberen Rinde abgeschliffen worden, zeigte die davon entblöfste Stelle mit allen Metallen ganz dieselbe Wirkung wie die Bruchflächen und die untere Fläche, woraus sich zugleich ergiebt, dafs alle Theile der Eisenkrystalle gleich wirken. Dies Eisen war auf Schlacken, also auf einen trockenen Heerd, abgelassen worden. Das Roheisen No.3 ist ein graues, ins weifse übergehendes, sogenanntes schwach halbirtes Roheisen. Die obere Fläche des- selben war durch Einwirkung der Luft, die untere Fläche aber wahr- scheinlich durch Wasserdämpfe dem gefrischten Zusiande näher ge- bracht; denn dieses Roheisen war auf feuchten Sand gegossen worden. No. 4 gehört zu den weichen grauen Roheisen. Das Roheisen No. 5 von Vordernberg in Steyermark ist ein in luckigen Flossen erzeugies weilses Roheisen, und kommt dem ge- über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. .. 327 frischten Zustande von allen am nächsten. Wir finden dieses Eisen, so wie das durch äufsere Einwirkung entkohltere an einigen Flächen von No. 2 und 3. am tiefsten in der magnetischen Reihe; es scheint also auch aus der Stellung jener verschiedenen Roheisen gegen einan- der, nicht minder wie aus der des Stahls gegen Stabeisen zu folgen, dafs die an Kohle reicheren Eisensorten eine höhere Stelle, die an Kohle ärmeren, eine tiefere Stelle in der magnetischen Reihe einnehmen. (1) Die in dieser Tabelle angeführten Stahlsorten wichen in ih- rem magnetischen Verhalten nicht merklich von einander ab und nah- men sämmtlich ihre Stelle unter dem am tiefsten in der Reihe stehen- den Roheisen. 44. In der Erregung des Magnetismus zeigten die dehnbaren und streckbaren Metalle, namentlich Gold No. 1 und No. 2, Silber, Kupfer No.2, Zinn, Blei und Zink ein gleiches Verhalten , sie mochten in dem Zustande, wie sie vom Gufs kamen, oder nachdem sie durch Hämmern und Walzen zu einem dichteren Gefüge gebracht worden, mit einander oder mit den übrigen Metallen verbunden seyn; in beiden Fällen nahmen sie die $. 31. angegebenen Stellen in der magnetischen Reihe ein. Anders verhielten sich diejenigen metallischen Körper, welche durch verschiedene Art der Abkühlung, durch langsame oder plötzliche (1) Den von Herrn Karsten in diesem Bande der Denkschriften S. 49-82. mitge- theilten Untersuchungen über den Kohlegehalt verschiedener Eisensorten zu Folge, bleibt dieser Satz nur noch für die weifsen Roheisen, den Stahl und das Stabeisen gül- tig, ist aber nicht anwendbar auf das graue Roheisen. Denn es enthält zwar das hoch in der Reihe stehende weifse Loher Roheisen 5,13 Procent (S. oben S. 78.) und das dem Stahl nahe stehende weifse luckige Roheisen von Vordernberg nur 3,25 Procent Kohle (S. oben S.81.); — aber das graue Roheisen von Malapane in Schlesien, welches laut der Angabe S. 79. der erwähnten Abhandlung, 3,9 Procent Koh le enthält, steht, wie ich später gefunden habe, an derselben Stelle mit dem Loher Spiegel- eisen (zwischen Messing No. 2 und Blei); — ja ein graues Roheisen von Brosely in England, welches nach Herrn Karsten nur 2,8 Procent Kohle enthält, stellte sich noch höher in der Reibe nämlich zwischen Platina No.1 und Gold No.1. Da nun die Kohle sich im grauen Roheisen, wie Herr Karsten gezeigt hat, in einem andern Zustande als im weifsen Roheisen befindet, so folgt aus den eben angeführten Thatsachen, dafs nichtallein die Menge der Kohle im Eisen, sondern auch der Zustand der Verbindung des Eisens mit der Kohle auf die Stellung desselben in der magnetischen Reihe Einflufs hat. 328 SEEBECK Erstarrung in entgegengesetzte Zustände von Sprödigkeit und Dehn- barkeit versetzt werden (1). Stahl, welcher glühend in kaltem Wasser abgelöscht worden, nahm jedesmahl eine höhere Stelle in der magnetischen Reihe ein, als der langsam an der Luft abgekühlte. Weiches graues Roh- eisen auf dieselbe Art behandelt, zeigte ein gleiches Verhalten. Beide Körper konnten durch die entgegengesetzte Art der Abkühlung mehr- mahls nach einander bald in die höhere, bald in die tiefere Stelle der Reihe versetzt werden. Ein Alliage von acht und siebzig Theilen Kupfer und zwei und zwanzig Theilen Zinn, welches (d’Arcet's Entdeckung zu Folge) an der Luft langsam abgekühlt, spröde ist, und nach plötzlichem Er- kalten im Wasser, unter dem Hammer streckbar wird; — nimmt nach der langsamen Abkühlung eine höhere und nach der jähen Abkühlung eine tiefere Stelle in der Reihe ein. Auch dies Alliage konnte durch das angegebene Verfahren mehrmals nach einander wech- selsweise höher und tiefer in der Reihe gestellt werden. (2) Alle drei Körper, das graue Roheisen, der Stahl und das ge verhalten sich also darin einander gleich, dafs sie im harten und spröderen Zustande höher, im weichen und ebengenannte A llia dehnbaren tiefer in der magnetischen Reihe zu stehen kommen, — worüber die folgende Tabelle noch speciellere Auskunft giebt. (5) (1) Die folgenden, in diesem $. angeführten Versuche wurden nach der Vorlesung vom Februar, doch noch in der ersten Hälfte des Jahres 1822 angestellt. (2) Ich bemerke noch, dafs das Alliage bei diesen Versuchen nur bis zum schwachen Rothglühen erhitzt wurde. — Auf dem Bruche erscheinen die langsam abge- kühlten Stücke [welche dem Zinn in der magnetischen Reihe nahe stehen] feinkörnig und gräulichweifs, — die plötzlich in kaltem Wasser abgelöschten [welche dem Kupfer No.2 in der Wirkung nahe kommen] grobkörnig und tombakbraun; — angefeilt aber haben beide eine ganz gleiche speisgelbe Farbe. In der Bestim- mung der magnetischen Polarisation verhalten sich die angefeilten Flächen den Bruch- flächen gleich, doch zeigt sich in der Stärke der Wirkung dieser Flächen eine Verschie- denheit, bei schwacher Erwärmung der Kettengbeder. (5) Die doppelte Stellung, welche Fischer’s gelber Stahl in der Reihe einnimmt, (S. den vorhergelienden $.) scheint auch eine Folge der ungleichen Abkühlung seiner beiden Enden zu seyn. Das eine Ende, und zwar das in der Reihe höher stehende, war entschieden härter als das andere. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 329 Künstlich hergestellte Metalle. Wismuth Nickel Platina No. 1. Langsam abgekühlt. Jähe abgekühlt. nam m nn m u U m m m — — — — — — ———————— Graues Roheisen. Gold Ro. 1. Kupfer No. 1. Messing No. 1. Graues Roheisen. Blei Zinn Alliage v.78Th. Kupfer und 22 Th. Zinn, Platina No. 3, Stahl. Kupfer No. 2. Alliage v. 78 Th. Kupfer 2.22 Th. Zinn. Gold No. 2. Silber Zink Stahl, Stabeisen Antimon Verschiedene andere Metalle und Metallmischungen, welche einer gleichen Behandlung wie die eben genannten unterworfen wurden, er- litten keine Veränderung in ihrem magnetischen Verhalten; namentlich wurden folgende sowohl nach jäher Erstarrung und Abkühlung, als nach langsamer Abkühlung an derselben Stelle in der magnetischen Reihe gefunden. Stabeisen Nickel Platina No. 1. Platina No. 4. Kupfer No. 2. Gold No.2. Phys. Klasse 1822-23. et 330 SEEBECK Silber Alliage von 3 Th. Kupfer u. 1Th. Wismuth - - -t-- Kupfer uw. 3 Th. Antimon = - 1 - Kupfer u. 1Th. Antimon 3 - Kupfer u. 1Th. Antimon 2 3.422, WäsnuthrusKEh.. Zinn: 45. Schon bei den ersten, oben 8. 12-17. erwähnten Versuchen war bemerkt worden, dafs Metalle, welche für homogen zu halten waren, eben so wohl einer magnetischen Polarisation durch Tempe- raturdifferenz fähig seyen, wie die kreisförmig verbundenen hetero- genen Meualle. Die in unserer Tabelle $. 31. angeführten Platina-, Gold- und Kupfersorten wurden nicht blofs magnetisch, wenn ihrer zwei von gleich- namiger Art in Form von Stangen oder Blechstreifen mit einander ver- bunden waren, wo dann schon eine mälsige Erwärmung eines der Berührungspunkte eine nicht unbeträchtliche Polarität erregte; sondern die meisten dieser Metalle wurden auch dann noch magnetisch polar, als sie nur einfache und durchaus gleichartige Kreise bildeten, und ein Theil derselben in der Temperatur erhöht oder erniedrigt wurde. Ein gleiches Verhalten zeigten mehrere andere Metalle, von denen einige zu den homogensten gezählt werden müfsten, die über- haupt zu diesen Versuchen angewendet worden. Alle einfachen Kreise erforderten jedoch, um in gleichen magnetischen Zustand mit den aus zwei Sorten eines Metalls zusammengesetzien Ketten verseizt zu werden, eine bedeutend stärkere paruelle Temperaturerhöhung als diese. Die magnetische Polarität wurde in den einfachen Metall- kreisen am stärksten gefunden, wenn ein Theil derselben sich im fliefsenden und glühenden Zustande befand, und wenn die Enden des die Boussole umschliefsenden gleichartigen Metallbogens wechselsweise in den fliefsenden Theil eingeiaucht wurden; oder wenn das eine Ende eines nicht oxydirbaren Metallbogens glühend mit dem andern kalten Ende desselben in Berührung gebracht wurde. Durch Cupellation gereinigtes Silber zeigte bei diesem Verfahren fol- gendes Verhalten. Wurde das untere Ende des die Boussole umschliefsen- den Silberbogens in das in Süden stehende, fliefsende, gleicharuge "über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 331 Metall getaucht, das obere Ende nachher, so erfolgte eine östliche Declination der Magnetnadel; wurde hingegen das obere Ende zuerst, das untere zuletzt eingetaucht, so war die Declination westlich. Vollkommen in Ruhe blieb aber die Nadel, wenn die beiden kalten Enden des Bogens zugleich in das fliefsende Metall eingetaucht wurden. Eine gleiche, obwohl schwächere Wirkung auf die Magnetnadel fand auch dann noch statt, als das Silber im Tiegel bereits erstarrt war, und aufgehört hatte zu glühen, wofern nur das eine Ende des Bügels längere Zeit mit jenem in Berührung blieb als das andere. Ein gleiches Verhalten, wie das Silber, zeigte, bey gleicher Lage der Theile, fliefsendes Zink mit einem Bogen desselben Zinks. Auch Gold No. 2. wurde in der Art seiner Polarisation den bei- den vorhergehenden Metallen gleich befunden. Denn wenn die Enden eines Bogens von diesem Golde gegen Süden lagen, und das untere Ende geglühı wurde, so erfolgte bei Berührung desselben mit dem oberen kalten Ende eine östliche Declination der Magnetnadel inner- halb des Bogens; wurde aber das obere Ende geglüht, so erfolgte bey Berührung desselben mit dem kalten unteren Finde eine west- liche Declination. Ein entgegengesetztes Verhalten zeigte Platina No. 1. Hier war die Declination der Magnetnadel innerhalb des Bogens, in der eben er- wähnten Lage desselben, westlich, wenn das untere Ende glühend, das obere Ende kalt war; östlich dagegen, wenn das obere Ende glühend und das untere kalt war, Dieser Platina gleich verhielten sich Kupfer No.1, Kupfer No.2, Messing No.2. Befand eines von diesen sich in einem Tiegel im Flufs, und wurde es mit dem unteren Ende eines gleichen Metallbogens zuerst, mit dem oberen zuletzt und nwr momentan in Berüh- rung gebracht, so erfolgte eine westliche Declination, welche schwächer auch dann noch statt fand, “als das Glühen jener Metalle aufgehört hatte. Die meisten der übrigen als einfache Bogen angewendeten Me- talle stellten sich, bei ähnlicher Behandlung, entweder auf die Seite des Silbers oder der Platina; nur einige wenige machten Ausnahmen, und blieben in allen Graden der Temperaturdifferenz unmagnetisch. ANKER 332 SEEBECK Blei namentlich und Zinn zeigten in Form von einfachen Bogen, auch unter den scheinbar günsugsten Bedingungen, keine Wirkung auf die Magneinadel. - Diese blieb vollkommen in Ruhe, sie mochte sich nun innerhalb eines einfachen Bogens oder einer Spirale von reinem englischen Zinn befinden, an deren Enden Stangen desselben Zinnes befestigt waren, welche eine nach der andern in gleichartiges fliefsen- des, ja selbst glühendes Zinn getaucht wurden. Eben so wenig erfolgte eine Declination bei der unmittelbaren Berührung der beiden Stangen, wie grofs oder wie gering auch die Temperaturdifferenz der- selben seyn mochte. Ein gleiches Verhalten zeigte Blei, das käufliche sowohl als das gereinigte. Eine deutliche, ja sogar eine ziemlich lebhafte Declination der Magnetnadel fand hingegen statt, wenn die Enden des die Boussole um- gebenden Zinnes in fliefsendes Blei, oder wenn die Enden eines Bogens von Blei in fliefsendes Zinn auf die mehrmahls erwähnte Weise getaucht wurden. In der folgenden Tabelle habe ich die Declinationen der Magnet- nadeln innerhalb der einfachen Kreise von allen Metallen angegeben, welche bei den vorhergehenden Untersuchungen und Reihenbesiimmungen als Bogen angewendet wurden, und es ist hierbei angenommen worden, dafs die Enden der Bogen sich in Süden befinden, und dafs das obere Ende das heifsere sey. Man finder hier einige Metalle, welche entweder wegen ihrer Sprödigkeit (wie Wismuth und Antimon) oder wegen ihrer die Be- weglichkeit der Magnetnadel hemmenden Wirkung (wie Eisen, Stahl und Nickel) nicht wohl als einfache Bogen anzuwenden waren. Von diesen waren Stangen und Blechstreifen, von mindestens einem Fufs Länge, an Spiralen oder Blechstreifen von solchen dehnbaren Metallen befestigt, welche mit jenen nur schwach magnetsch werden; und es war sowohl bei diesen Versuchen als bei den zur Reihenbestimmung unternommenen die Vorsicht beobachtet worden, die Enden jener Stan- gen entweder nur mäfsig, oder nur momentan stark zu erhitzen, auch war nicht eher zu einem zweiten Versuch geschritten worden, als bis diese sich gänzlich abgekühlt hatten, damit jede aus der Temperatur- über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 333 veränderung am Berührungspunkte der beiden den Bogen bildenden Metalle zu befürchtende Störung vermieden werde (1). Einfache Metallbogen. Declinationen der Magnetnadeln innerhalb derselben. 1) Wismuth schwach östlich. j 2) Nickel ziemlich lebhaft östlich. « ® * 3) Legirung von in apfei2 an sehr schwach östlich. Nickel 1 - 4) Palladium* stärker östlich. 5) Platina No. 1. - östlich. 77. Kupfer No. 0 ungleich, östlich sowohl als westlich. j 11) Gold No. 1. zuerst östlich, stärker erhitzt, westlich. 12) Kupfer No. 1. - östlich. 13) Messing No.2. zuerst östlich, stärker erhitzt, westlich. 16) Blei Null. 17) Zinn Null. 18) Platina No. 3. sehr schwach östlich. 21)-Kupfer No. 2. stärker östlich. - 24) Gold No. 2. - westlich. 25) Silber -- westlich. 26) Zink - westlich. 29) Platina No. 4.* Null. 30) Cadmium* - westlich. 31) Stahl . schwach westlich. 32) Stabeisen - westlich. 34) Antimon ungl., in einigen westlich, in andern östlich. Giebt man allen diesen einfachen Kreisen eine gleiche Stellung, so findet man, wenn der »Pol derselben (— m) gegen Norden (+ M) (1) Die in diesem 8. angeführten Beobachtungen und Versuche wurden schon in den Vorlesungen vom 16ten August und 18ten October 1821 angeführt. Die folgende voll- ständige Tabelle wurde aber (mit Ausnahme der mit Sternchen bezeichneten Körper) der Akademie am ilten Februar 1822 vorgelegt. 334 SEEBECK gerichtet ist, und der Berü hrungspunkt der beiden in der Tempe- ratur verschiedenen Enden sich unten befindet, an den meisten der zur obern Hälfte unserer magnetischen Reihe gehörenden Metallen (welche wir östliche genannt haben) das kalte Ende in Westen und das heifse in Osten (z. B. in Platina No. 1, Fig 18.), dagegen in.den meisten der zur unteren (westlichen) Hälfte der Reihe ge- hörenden Metalle, das heifse Ende in Westen und das kalte in Osten (z. B. im Silber Fig. 19). Die magnetische Polarisation jener Bogen von Platina No. 1. und von Silber, desgleichen von Gold No. 2 und Palladium*, (welche Metalle sämmtlich zu den dem chemisch reinen Zustande am nächsten kommenden gehörten), wurde von der ersten sich wirksam zeigenden Temperaturdilferenz an, bis zu der, wo ein Theil der Mesalle sich im glühenden oder fliefsenden Zustande befand, immer der Richtung nach gleich gefunden. Völlig gleichgüluig war es auch, welches Ende e g der einfachen Bogen von diesen Metallen erwärmt wurde; immer befand sich die Lage des heifsen Endes zum kalten, nach der Schliefsung, bei gleicher Richtung der Pole, wie oben angeführt worden. In diesen homogenen Metallbogen wird also die zur Erregung des Magnetismus erforderliche Heterogenität durch die partielle Temperatur- veränderung erst gesetzt, und dasselbe geschieht auch in den übrigen, jenen im magnetischen Verhalten gleich kommenden, wenn auch in der Reinbeit nachstehenden Metallen, -in der Art, dafs die obern (oder östlichen) Metalle unserer Reihe im heifsen Zustande eine höhere, im kalten eine tiefere Stelle in der Reihe erhalten; und dafs die untern (oder westlichen) Metalle der Reihe im heifsen Zustande eine tiefere Stelle als im kalten einnehmen. Heifser Wismuth ist also das östlichste und heifses Tellur das westlichste Metall der magnetischen Reihe. Dem Verhalten der Mebrzahl der einfachen Kreise zufolge, theilt sich also unsere magnetische Metallreihe in zwei einander bis zu dem Grade entgegengesetzte Hälften, dafs in Beziehung auf Erregung des Magnetismus Erkältung in der einen Hälfte gleichen Werth hat mit der Erwärmung in der andern, wie sich auch schon aus der Ansicht der beiden Kreise Fig. 18 und 19. ergiebt. “über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 335 Unter den in der vorstehenden Tabelle angeführten Körpern, welche eine ungleiche oder veränderliche magnetische Polarität zeig- ten, befindet sich eine Legirung und drei Metalle, von denen zwei entschie- den eine fremdartige Beimischung enthalten. In den beiden veränderlich gefundenen Metallbogen, von Gold No. 1 und Messing No. 2. schien die Mischung der Bestandtheile sehr gleichförmig zu seyn; denn: beide Enden derselben verhielten sich auf. den beiden eine entgegengesetzte Polarität bewirkenden Stufen der Temperatur - Differenz ziemlich gleich. — In den;andern beiden ein ungleiches Verhalten zeigenden Metallen dem Kupfer No.0. und dem Antimon, war eine bleibende Verschieden- heit der beiden Enden der Bogen die Ursache ihrer zwiefachen magne- üschen Polarisation, wie sich daraus ergab, dafs die Declinaton der Magnetnadel schon bei den ersten Graden der Temperatur-Differenz der beiden Enden entgegengesetzt ausfiel, je nachdem das eine oder das an- dere Ende das obere und zugleich das heifsere war. Zwei Streifen des Kupfers No.0* zeigten ein gleiches Verhalten bei gleicher Lage ihrer in der Temperatur verschiedenen Theile. Gegen die zunächst stehen- den Metalle (Platina No. 1 und Gold No. 1.) verhielten sich je- doch beide Enden dieser Bogen bei den ersten Graden der Temperatur- erhöhung eines der Berührungspunkte immer gleich. Die beiden Enden eines Bogens von diesem Kupfer verhielten sich also gegen einander wie zwei. Meialle von geringer Heterogenität, welche jedoch beträchtlich genug war, bei gleichzeitiger Erwärmung beider Enden eine schwache magnetische Polarität zu setzen; eine Erscheinung, erwähnten homogenen Metallen nicht statt fand, wo vielmehr die mag- welche bei den oben netische Polarität der einfachen Kreise in dem Verhältnisse abnahm, als die beiden sich berührenden Enden einander in Temperatur näher ka- men. — In einigen der aus Antimonstangen zusammengeseizten Bogen erfolgte bei gleicher Lage ihrer in der Temperatur verschiedenen Theile, immer eine westliche, in andern immer eine östliche Declination ; selten jedoch verhielten sich die vier Enden der mit einander verbun- denen Stangen in der Wirkung gleich. Meistens wurden drei Enden eines solchen Stangenpaares dem vierten, oder zwei Enden den beiden andern, bei der, nach mäfsiger Erwärmung, erfolgenden Schliefsung des Kreises, entgegengesetzt wirkend gefunden. Gegen die dem Antimon 336 SEEBECK in der magnetischen Reihe zunächst stehenden Metalle Tellur und Ar- senik, verhielten sich alle jene verschiedenen Antimonstangen, mit allen Enden gleich. 46. Nach der Erfahrung, dafs auch einfache und vor der 'Temperaturveränderung geschlossene Kreise von solchen Metallen, welche gleich den zuleızt erwähnten Stäben von Antimon ungleiche, wenn auch nur wenig von einander verschiedne Theile enthalten, einer magnetischen Polarisation fähig seyen, war es nun eine in mehr als einer Beziehung wichtige Aufgabe, zu erforschen, ob wohl in Ringen, welche aus Antimon, und andern ihm ähnlichen Metallen, in einem Gusse verfertigt worden, durch irgend eine äufsere Einwirkung eine so beträchtliche Verschiedenheit der Theile gesetzı werden möchte, als zur magnetischen Polarisation dieser Ringe erforderlich seyn könnte. Die Resultate mehrerer in dieser Beziehung unternommenen Ver- suche mit in Sandformen gegossenen Ringen und rectangulären Rahmen vom besten hier im Handel vorkommenden Antimon fielen bejahend aus; alle diese Körper zeigten eine schwache doch deutliche magnetische Polarität, welche jedoch bei Erwärmung gewisser Stellen am stärksten, bei Erwärmung anderer am schwächsten war, oder auch wohl gänz- lich fehlte. So z.B. wurde die Polarität in einem einen halben Zoll dicken und sechs Zoll im Durchmesser haltenden Ringe von Antimon am stärksten gefunden, wenn einer der beiden Punkte a oder b Fig. 20. allein erwärmt wurde; es war aber keine Polarität an demselben zu bemerken, wenn einer der Punkte ce oder d erwärmt wurde. Bei Er- wärmung eines zwischen a und b liegenden Punktes war die magnetische Polarisation verhältnifsmäfsig um so stärker, je näher er a oder b, und um so schwächer je näher er c. oder d lag. Bei gleichzeitiger und gleich starker Erwärmung von a und 2 blieb der Ring unmagnetisch Die beiden wie vorher, als die Temperatur desselben überall gleich war. Punkte a und 2 hatten also in Beziehung auf die magnetische Polari- sation des Ringes gleichen Werth mit den Berührungspunkten der he- terogenen Metalle in unsern zweigliedrigen Ketten, woraus zugleich ber- vorgeht, dafs dieser scheinbar homogene Ring nicht eiwa nur einzelne und zerstreut liegende heterogene Theile enthielt, sondern dafs er aus zwei ungleichen, einander entgegengesetzten Hälften bestand. Dies bestätigten über Magnetismus durch T: emperatur - Differenz. 337 auch die übrigen Versuche, aus denen noch die besiimmtere Angabe hervorging, dafs die Hälfte @cb dieses Ringes sich als westliches Me- tall und die Hälfte adb als östliches Metall verhalte, jene also tiefer, diese höher in unserer magnetischen Reihe zu stellen sey. Denn wenn einer der Punkte a oder 5 unten stehend erwärmt, und der Ring mit seinem »Pol nach Norden gerichtet wurde, so stand die Hälfte acd Fig. 20. in Westen und adb in Osten. — Die fehlende magnetische Polarisation bei Erwärmung der Punkte ce und d zeigt an, dafs die Wärmeleitung von ihnen nach a und 2 hin gleich sei, wodurch sie sich denn als Indifferenzpunkte in Beziehung auf die Erregung des Mag- netismus verhalten. In einem andern Ringe von Antimon hatten jene vier Haupt- punkte eine andere Lage gegen einander und gegen die Eingufsstelle, welche sich in dem vorigen Ringe in @ befand. Auch in keinem der rectangulären Rahmen war die Lage jener Punkte der in den andern völlig gleich; doch alle diese Körper bestanden aus zwei einander ent- gegengesetzten, obwohl meistens ungleichen Hälften. Die aus Wismuthstangen zusammengesetzten, in der Tabelle an- geführten Bogen hatten bei der Schliefsung sämmtlich eine gleiche Wirkung gezeigt. Hiernach zu urtheilen, war also nur eine geringe Verschiedenheit der Theile in massiven gegossenen Ringen und Rahmen dieses Metalls zu erwarten. Mehrere Versuche, welche mit solchen aus käuflichem Wismuth bereiteten Körpern angestellt wurden, erwiesen jedoch, dafs die in denselben beim Gufs sich bildende Heterogenität beträchtlich genug sey, um unter gleichen äufseren Bedingungen eine nicht minder deutliche magnetische Polarität als in den gleichgestalteten Körpern von Antimon zu begründen. In einem der Ringe von Wis- muth lagen die beiden die stärkste Polarität erregenden Punkte z und Fig. 21. einander beinahe diametral gegenüber, und fast in gleichem Abstande von der Eingufsstelle g. Die Hälfte ach verhielt sich als westliches und add als östliches Metall. 2 Die zur magnetischen Polarisation dieser Apparate erforderliche Heterogenität der Theile konnte aus einer während des Gusses sich bil- denden ungleichen, doch regelmäfsigen Veriheilung der der Hauptmasse . entweder ursprünglich beigemischten, oder während der Bearbeitung Phys. Klasse 1822-1823. Uu 338 SEEBECK erst hinzugekommenen fremdarugen Körper erklärt werden. Hiernach konnte man eine stärkere magnetische Polarität, als in den bisher ange- wandten einfachen Ringen, in ähnlichen, aus einigen der oben ge- nannten Alliagen verferugten, Apparaten erwarten. Ein Versuch mit einem, aus einer Mischung von acht Theilen Antimon mit drei Thei- len Zinn gegossenen , rectangulären Rahmen gab ein dieser Ansicht günstiges Resultat. Denn wenn die Declination der Magnetnadel in Rahmen von Antimon, welche mit jenem gleiche Gröfse hatten, und gleich stark erwärmt wurden, höchstens 2 bis 3 Grade betrug, so stieg sie in dem Rahmen vom Alliage, bei Erwärmung gewisser Stellen, bis auf 10°, während sie bei Erwärmung anderer Stellen auch hier Null blieb. Ein entgegengeseiztes Verhalten zeigten andere Alliagen. So z. B. war in gegossenen Rahmer von Messing nicht eine Spur von mag- netischer Polarität, bei Erwärmung einzelner Theile derselben, zu be- merken. In den dehnbaren und strengflüssigen Alliagen scheint sich überhaupt nicht so Jeicht die zur magnetischen Polarisation solcher ge- gossenen Ringe geforderte Heterogenität zu bilden, als in den spröderen und leich:flüssigeren Alliagen. An den vor der Temperaturveränderung geschlossenen ein- fachen Kreisen von den reinsten der dehnbaren Metalle, wie z. B. von Platina No. 1, Gold No.2, Silber und Kupfer No. 2, habe ich eben so wenig eine magnetische Polarität entdecken können, als in jenem Rahmen von Messing, es mochten nun die sich berührenden Enden jener Metalle oder irgend eine andere Stelle erwärmt werden. So war es auch nach allen im vorhergehenden Paragraphen angeführten Thatsachen zu erwarten, und die mit geschlossenen Kreisen ange- stellten Versuche bestäugen also, dafs keine bleibende, sondern nur eine durch die Ungleichheit der Temperatur an den Enden der Bogen von diesen Metallen erst geseizte und vorübergehende Heterogenität die Ur- sache der bei der Schliefsung zum Kreise eintretenden schwachen mag- netischen Polarisation sey (1). (1) Alle in diesem 8. angeführten Versuche wurden der Akademie am 16ten August und 18ten October 1821. vorgelegt. — Als später der Ring von Antimon (Fig. 20.) zerbrochen wurde, so fand sich, dafs die beiden Hälften desselben, welche sich als über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 339 47.* Die erste Bedingung zur Erzeugung eines freien Magnetis- mus in den einfachen homogenen Metallbogen ist ohne Zweifel die am Berührungspunkte der Enden derselben beginnende Aufhebung heterogene Theile gegen einander verhalten hatten, in der krystallinischen Structur ver- schieden waren. Die Hälfte, welche wir die östliche nennen, hatte ein feinkörniges krystallinisches Gefüge, die westliche Hälfte dagegen war sternförmig krystallisirt. Diese Verschiedenheit der Krystallisation ist eine Folge der ungleichen Art der Abküh- lung des Metalls. Beim Giefsen der Ringe wird nämlich der Theil der Form, durch welche das Metall zuerst fliefst, heifser als der übrige Theil, es erhält sich also in jenem länger flüssig und krystallisirt langsamer als in dem kälteren Theil, wo das Metall, schon abgekühlt ankommend, plötzlich erstarrt, und dadurch ein feinkörniges, unregelmäfsiges Gefüge annimmt. Alle in kalten Formen (zumahl in eisernen) gegossene Stangen von Antimon wurden entweder der ganzen Länge nach, oder doch an dem untern Ende feinkörnig krystallisirt gefunden; die obern Theile von diesen (unter dem Eingufs), und die in erwärmten Formen gegossenen Stangen waren dagegen stern- förmig, d. h. in Strahlen, welche von der äufseren Fläche gegen die Mitte zu ange- schossen waren, krystallisirt. Das Verhalten der einzelnen Theile eines Paares solcher kreisförmig mit einander verbundenen Stangen von Antimon, deren obere Enden von den untern verschieden waren, entsprach dem Verhalten der beiden Theile jenes Ringes von Antimon, wenn das untere Ende der einen Stange mit dem obern Ende der andern in Berührung gebracht wurde. Welches dieser beiden Enden auch das wärmere war, immer stand das untere (also feinkörnig krystallisirte) Ende in Osten, das obere (sternförmig krystallisirte) in Westen, wenn der warme Berührungspunkt‘sich unten befand und die Kette mit ihrem nPol gegen Norden gerichtet war. Wurden hingegen die gleicharti- gen Enden jener Stangen mit einander in Berührung gebracht, so fanden zwei verschie- dene Polarisationen statt. Waren es die Enden aus dem unteren Theil der Form, welche sich in einem verschiedenen Temperatur-Zustande befanden, so stellte sich jedes- mal das wärmere in Osten, das kältere in Westen. Waren dagegen die beiden Enden aus dem oberen Theile der Form in ungleichem Temperatur-Zustande, so stellte sich das kältere Ende in Osten, das wärmere in Westen. — Gegen die beiden dem Antimon in der Reihe am nächsten stehenden Metalle, den Arsenik und Tel- lur verhielten sich jene beiden Antimonstangen, wie sie auch verbunden seyn moch- ten, mit beiden Enden gleich; immer wurde Arsenik gegen sie als östliches, und Tellur als westliches Metall gefunden. Auch die Bruchstücke vom Antimonringe zeigten mit allen Flächen gegen Eisen ein gleiches Verhalten. Eine solche Verschiedenheit in der krystallinischen Structur wie am Antimon, war am Wismuth nicht zu bemerken, selbst an dem Ringe nicht, dessen beide Hälf- ten sich entschieden als heterogene Körper gegen einander verhalten hatten. Die ganze Masse desselben war überall sternförmig krystallisirt, und dies ziemlich gleichförmig. Auch an dem Alliage von Antimon mit Zink war auf dem Bruche keine bedeutende Verschiedenheit wahrzunehmen; die Krystallisation desselben war überall ziemlich gleich Uu2 feinkörnig. 3409 SEEBECK eines durch Temperatur -Verschiedenheit an diesen Enden hervorgerufe- nen Gegensatzes, nebst dem Widerstand, den jeder von diesen beiden, sich in entgegengesetzten Zuständen befindenden Theilen dem andern leistet, welcher ihn aus seinem einmahl erlangten Zustand plötzlich her- auszureilsen strebt. Wird ein Metallbogen an dem einen Ende a erwärmt, so wird er dadurch in einen Zustand versetzt, welchen wir mit £ x bezeichnen wollen. In der Richtung, -in welcher die Wärme sich durch die übri- gen kälteren Theile des Bogens verbreitet, setzt sie überall jenen £ x Zustand, und in der entgegengeseizten Richtung, d. h. in der, in wel- cher dıe Erkältung des heifsesten Theiles erfolgt, oder in welcher die Kälte sich vom anderen Ende 5 des Bogens fortpflanzt, wird in dem Körper & x gesetzl. Die Wärmeleitung in diesen Körpern ist also nach der einen Seite zu ein Erwärmungs- und nach der entgegengesetzten Seite zu ein Erkältungsact, und es befindet sich der noch offene Bogen an jedem Punkte in der Richtung der Längendimension nach der einen Seite zu in einem £ x und nach der andern Seite zu in einem &.x Zustande, doch ist das Verhältnifs dieser £ x und + x Zustände in jedem Theile ein anderes. War nun am Ende a £x und an 5 &x überwiegend, und dort (in dem noch oflenen Bogen) der Uebergang in den + x, und hier der Uebergang in den £.r Zustand am schwächsten gewesen; so wird da- durch, dafs « und 5 (nachdem sie aus der Wärme- oder Kälte-Quelle entfernt worden) mit einander in Berührung gebracht werden, der schon begonnene Uebergang von a in den &x und von b in den £ x Zustand plötzlich beschleunigt, und die Wärme wird, sich von a aus nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin ausbreitend, aber einen ungleichen Wi- derstand findend, so wie die Kälte sich von d aus nach entgegengesetzten Richtungen fortpflanzend, und gleichfalls ungleichen Widerstand findend, in dem ganzen geschlossenen Kreise eine Spannung seines Fax und &x Zustandes bewirken, welche um so stärker ist, je gröfser die Differenz der Fx und x Zustände von a und 5 ist, je gröfser also auch der Widerstand ist, den « der Einwirkung von 5, und 5 der Einwirkung von a enigegensetzt, indem das erstere in einem höheren £ x Zustande und 5 in einem höheren + x Zustande zu beharren und langsamer in - über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 341 die entgegengesetzten Zustände von + und £x überzugehen strebt, als jedes von beiden durch das andere überzugehen angeregt wird. — Wie nun an diesem, von dem Berührungspunkte ausgehenden , und hier am stärksten bestehenden Kampfe alle Theile des Kreises Antheil zu nehmen genöthigt sind, so ist es die allgemeine Spannung, in welche der ganze Kreis hierdurch versetzt wird, und die oscillirende Bewegung, durch welche das Gleichgewicht des x und + x Zustandes in allen Theilen des Kreises sich herstellt, aus welchen die magnetische Polarisauion des- selben hervorgeht. Einen je gröfseren Umfang der Kreis erhält, desto schwächer wird die durch die Action an dem Berührungspunkte der beiden Enden er- regte allgemeine Spannung im £ und + x Zustande des Kreises werden müssen. Ein einfacher Metallkreis von gröfserem Umfange wird also zur Verstärkung seiner magnetischen Polarisation in mehrere an den En- den in der Temperatur verschiedene Theile zerlegt, und so wieder zu- sammengesetzt werden müssen, dafs das warme Ende des einen Theils mit dem kalten des andern in Berührung kommt; doch nur von einer gleichzeitig in allen Theilen erfolgenden Schliefsung des Kreises ist eine entschiedene Wirkung auf die Magnetnadel zu erwarten. Bestimmt die Action an dem Berührungspunkte der Enden eines Kreises dessen magnetische Polarisation, so wird also auch zwischen die- ser und dem £ und #x Zustande ein festes Verhältnifs bestehen müs- sen, und es werden die einander polar entgegengesetzten Theile der ein- fachen Metallbogen folgendermafsen zu bezeichnen seyn. Nimmt man an, das warme Ende eines Metalls aus der obern Hälfte unserer magneti- schen Reihe sey $ x und das kalte Ende desselben &x, z. B. Wis- muth oder Platina No. 1. (Fig. 18); so werden wir das warme Ende eines Metalls aus der untern Hälfte unserer magnetischen Reihe mit + x, und das kalte Ende desselben mit £.x bezeichnen müssen. Z.B. Antimon oder Silber (Fig. 19.) In einem gleichen polaren Gegensatze, wie die in der Temperatur verschiedenen Theile der einfachen Bogen, befinden sich alle Metalle un- serer magnetischen Reihe gegen einander, und es verhalten sich je zwei derselben, welche mit einander zum Kreise verbunden worden, in einem doppelten Gegensatzze von X$x und x, und zwar in der Art, dafs 342 SEEBECK dasjenige, welches an dem einen Berührungspunkte ax ist, sich an dem andern Berührungspunkte 5 als + x Körper verhält, indem zugleich das andere Metall am Berührungspunkte a sich als + x und in 2 als =F x Körper gegen das erstere verhält. Im stärksten $# x und 4 x Gegensatze befinden sich die beiden äufsersten Metalle unserer magnetischen Reihe gegen einander. Ent- sprechend dem Verhalten im einfachen Bogen ist Wismuth am war- men Ende x gegen jedes in der Reihe unter ihm stehende Meuall und. Tellur oder Antimon sind am warmen Ende + x gegen jedes in der Reihe über ihnen stehende Meull.e Wismuth am kalten Ende ist dagegen + x gegen alle in der Reihe unter ihm stehenden Metalle, und Tellur oder Antimon sind am kalten Ende £ x ge- gen alle in der Reihe über ihnen stehenden Metalle. — In den 8.31. angeführten Körpern der magnetischen Reihe nimmt also am warmen Theil der x Zustand, und am kalten Theil der + x Zustand voni Wismuth an nach dem Antimon und Tellur zu ab, und vom Tellur an nimmt am warmen Theil der x und am kalten Theil der x Zustand vom Tellur an nach dem Wismuth zu ab; woraus folgt, dafs jedes in jener Reihe höher stehende Metall sich in den zweigliedrigen Kreisen, bei der ersten Erregung der magnetischen Polarität durch Temperatur -Diflerenz, am warmen Berührungspunkte in einem 7 x Zustande und am kalten Berührungspunkte in einem — x Zustande gegen das in der Reihe unter ihm stehende Metall be- findet, welches dann gegen jenes am ersten Berührungspunkte + x und am letztern =7x ist, — unabhängig davon, in welchem + x und x Gegensatze die Enden der aus jenen beiden Metallen gebilde- ten einfachen Bogen sich bei der ersten Temperatur-Differenz gegen einander befinden mögen. Dieser Gegensatz verschwindet nämlich und geht völlig unter in dem =x und 7x Gegensatze zweier heterogenen Metalle und Metallmischungen, welcher immer stärker ist als jener, wie nahe auch diese Körper in der magnetischen Reihe neben einander stehen mögen (1). (1) Folgendes Schema giebt eine allgemeine Uebersicht von den eben erwähnten ver- schiedenen Zuständen der Metalle und den Verhältnissen der verschiedenen Arten der ein- fachen Kreise zu den zweigliedrigen. über Magnetismus durch T. emperatur - Differenz. 343 Werden zwei Metalle aus den beiden entgegengesetzten Hälften der Reihe mit einander verbunden, z. B. Silber mit Platina, oder Antimon 4 (Fig. 22.) mit Wismuth 2, so dafs die beiden heifsen Enden dieser Metalle #4’ und die kalten Enden 22’ mit einander in Berührung kommen, so befinden sich / und B sowohl am Berührungs- punkte aa’ als am Berührungspunkte 22’ in entgegengesetzten Zustän- den, und da nun die Action in aa’ der Acuon in bb’ der Richtung nach gleich ist, so verstärkt die eine die andere. Die Wirkung des durch die Temperatur-Differenz an den beiden Enden der Metalle 4 und 3 hervorgerufenen +x und Z.x Gegensatzes wird hier noch da- durch verstärkt, dafs derselbe nach den entgegengesetzten Seiten hin durch einen Zwischenkörper (an / durch 3 und an 3 durch 4) auf- gehoben wird, zu welchem jedes der beiden Metalle sich am warmen Berührungspunkte aa’ in einem noch stärkeren x und + x Gegen- satze befindet als gegen sein eigenes kaltes Ende, und dafs am kalten Berührungspunkte 55’ ein ähnliches Verhältnifs bei der Aufhebung der 4x und x Zustände statt findet, wobei an jedem der Metalle 4 und B die in der Temperatur erhöhten und erniedrigten Theile dieselbe Lage nach O und /Y/ zu behalten, in welcher diese Theile sich auch in den einfachen Kreisen bei gleicher Richtung der magnetischen Pole be- — an sen | ı In einfachen Kreisen. In zweigliedrigen Kreisen. | Am warmen | Am kalten | Am warmen | Am kalten a... | Berührungspunkt Berührungspunkt | Berührungspunkt mt N warm £ a, | Wismuth f ER kalt = a En Senn | waım £ z HNäckel EX kalt a 57 . | . | 5 kalt =x Antımon E EX Er ) warm x Ex EX kalt Ex h er Tellur EX Fr | | warme | L_- a 344 SEEBEGCK finden würden, wie sich aus der Vergleichung von Fig. 22. mit Fig. 18 u. 19. ergiebt. — Obwohl nun dies leiztere in Kreisen aus zwei Me- tallen, welche einer und derselben Hälfte angehören, nicht statt findet, so wird doch auch in ihnen durch Ausgleichung des x und $ x Zu- standes am kalten Berührungspunkte 52’ eine der Richtung nach gleiche magnetische Polarität im ganzen Kreise gesetzt, wie durch die Ausgleichung des Fx und +.x Zustandes am warmen Berührungspunkte aa’, welches als eine nothv-endige Folge aus den sämmtlichen hier angeführten und aus den Erscheinungen abgeleiteten Gesetzen hervorgeht. Es ist leicht einzusehen, dafs es in Beziehung auf die F.x und —+ x Zustände der Metalle in dem Kreise 42 Fig. 22. gleich ist, ob der Berührungspunkt. aa’ erwärmt wird und 55° die gewöhnliche Tempera- wur behält, oder ob 5d' allein erkältet wird und aa’ die gewöhnliche Temperatur behält; dafs immer die +x und x Zustände, und also auch die Actionen an beiden Berührungspunkten dieselben bleiben, wie in dem Falle, wo aa’ erhitzt, und 55’ zugleich abgekühlt wird, — wo- bei nur der Unterschied statt findet, dafs in diesem letzteren Falle die Wirkung an jedem der beiden Berührungspunkte verstärkt wird, und dafs also auch die magnetische Polarität in diesem Falle stärker seyn wird als in den beiden ersteren. Befinden sich alle vier Enden der Metallbogen 4 und 3 (Fig. 23.) in gleichem Temperatur-Zustande, — oder sind die beiden Enden ab oder a’ b’ eines jener beiden Bogen gleichmäfsig in der Temperatur er- höht worden, die am andern Bogen aber unverändert geblieben, oder in der Temperatur gleichmäfsig erniedrigt worden, so findet zwar gleich- falls an jedem der beiden Berührungspunkte aa’ und bb’ ein +x und =F x Gegensatz statt, es hat aber bei Schliefsung des Kreises 42 die Action an dem einen Berührungspunkte die entgegengesetzte Richtung von der am andern, und ist dort eben so stark als hier; es hebt also die Action in aa’ die magnetische Polarisation, welche durch die Action in bb’ gesetzt wird, vollständig auf, der Kreis 42 (Fig.23.) wird also keine magnetischen Pole besitzen. Auch der Kreis 4B Fig.24, in welchem das warme Ende a von 4 mit dem kalten Ende 2’ von B und das kalte Ende 5 von 4 mit dem warmen Ende a’ von B in Berührung gebracht worden, ist dann über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 345 magnetisch unpolar, wenn der durch Erhöhung der Temperatur in a 4 Fig. 24. gesetzte + x Zustand dem durch Temperaturerhöhung in a’.B gesetzten 7 x Zustande in der Stärke gleich ist, oder wenn der durch künstliche Erkältung in 5.4 Fig. 25. gesetzte F x Zustand dem durch Erkältung in #’ B gesetzten + x Zustand gleich ist, weil auch in diesen beiden Fällen die die magnetische Polarität erzeugende Aötion am Be- rührungspunkte 5a’ der in ab’ gleich und die Richtung der einen der von der andern entgegengeselzt ist. Eine vollständige Aufhebung der magnetischen Polarität findet je- doch in dem Kreise Fig. 24. nicht statt, wenn beide Metalle 4 und B ein gleiches Volumen haben und die beiden Enden a und a’ gleichzei- tig in einer und derselben Wärmequelle in der Temperatur erhöht wer- den, während die Enden 5 b’ unverändert bleiben; sondern es bleibt dann immer eine schwache magnetische Polarität übrig, wobei die Metalle 4 und B in Fig. 24. dieselbe Lage gegen die Weltgegenden behalten, welche sie in Fig. 22. bei gleicher Richtung der magnetischen Pole hat- ten. Hieraus geht hervor, dafs der Berührungspunkt 2’ der wärmere und a’ der kältere ist. Diese Ungleichheit in der Temperatur der beiden Berührungspunkte ist eine Folge der verschiedenen Wärme- capacität der beiden Metalle 4 und 3, von welchen das erstere sich in a im Zustand einer gröfsern relativen Wärme befindet als das letztere in a’. Die Action am Berührungspunkte a2’ mufs daher der am Berührungspunkte da’ überlegen seyn, und es mufs die durch ab’ gesetzte magnetische Polarität vorherrschen, obgleich beträchtlich geschwächt durch die in entgegengesetzter Richtung von ba’ erregte magnetische Polarität. Eine völlige Aufhebung jener Polarität kann also dann erst erfolgen, wenn das Ende a’ von B stärker erwärmt wird, als es bei dem eben erwähnten Verfahren möglich ist. Wird die Tem- peratur von a noch weiter erhöht, während die von a unverändert bleibt, so müssen, wie leicht einzusehen, die Metalle 4 und 2 in Fig. 24. eine umgekehrte Lage, bei gleicher Richtung der magnetischen Pole des Kreises, erhalten, weil nun 5a’ der wärmere Berührungspunkt ist, und oben liegt u. s. w. Ein dem Kreise 4 B Fig. 24. ähnliches Verhalten zeigen, unter gleichen Umständen, alle übrigen zweigliedrigen Kreise, welchen Theilen Phys. Klasse 1822-1823. Xx 346 SEEBECK unserer magnetischen Reihe die beiden sie bildenden Metalle auch ange- hören mögen. Sind beide im Volumen gleich, und sind die Enden a a’ gleichzeitig in einem gleichförmigen Medium von hoher Temperatur er- wärmt worden, oder sind die Enden 5’ gleichzeitig in einem gleich- förmigen Medium von niedriger Temperatur abgekühlt worden, so be- hält immer derjenige Berührungspunkt das Uebergewicht über den an- dern, an welchem sich das warme Ende a oder a’ des Metalls befindet, dessen relative Wärme am gröfsten ist. — So z.B. ist die relative Wärme von Kupfer gröfser als die von Antimon und von Wis- muth; es wird also Kupfer in gleicher Wärmequelle stärker & xina gegen Wismuth werden, als dieses = x in a’ gegen Kupfer wird. Dagegen wird Kupfer unter den angegebenen Bedingungen in a’ als stärkerer 7 x Körper gegen Antimon hervorgehen, als dieses in a 4 x Körper gegen Kupfer ist. — In dem zweigliedrigen Kreise X B wird also der Gegensatz des + x und 7 x Zustandes am Berührungs- punkte Aa mit 3b’ gröfser seyn, als die am Berührungspunkte Ad mit Ba’; dagegen wird in dem Kreise / K der Gegensatz des + x und x Zu- standes gröfser im Berührungspunkte 45 mit Ka’ seyn, als im Berüh- rungspunkte fa mic K b’, und es bleibt also in beiden Fällen die durch die Action am ersten Berührungspunkte gesetzte und bis zu einem ge- wissen Grade durch die Action am zweiten Berührungspunkte geschwächte magnetische Polarität fortwährend wirksam, dort die von Xa BD’ und hier die von 4b Ka’ ausgehende Polarität. Wenn zwei Meıalle aus einer und derselben Hälfte unserer mag- nelischen ‚Reihe (Tabelle $. 45.) mit einander verbunden werden, so finden wir, 1) wenn die beiden Metalle der obern oder östlichen Hälfte der Reihe angehören, das in der Reihe höher stehende 4 (Fig. 26.) mit seinem warmen Ende a’ und dem kalten Ende 2’ ganz in derselben Lage, in welcher die beiden Enden dieses Metallbogens sich auch bei gleicher Richtung der magnetischen Pole befinden würden, wenn er als einfacher Kreis geschlossen würde. — Das andere in der Reihe tie- fer stehende Metall 7’ finden wir dagegen mit seinen Enden a und 5 in der entgegengeseizten Lage von derjenigen, welche es, bei gleicher Richtung der magnetischen Pole, im einfachen Kreise einnehmen würde. (Vergl. 7 und 7’ Fig.26 mit ? Fig.18). 2) Sind beide Me- über Magnetismus durch T. emperatur - Differenz. 347 talle aus der untern oder westlichen Hälfte der Reihe, so befinden sich die Enden a und 5 des tiefer stehenden 7’ (Fig. 26) in derselben Lage, welche sie im einfachen Kreise hatten, und am höher stehen- den Metall 77 befinden sich a’ und 2’ in der entgegengesetzten Lage. (Vergl. 7’ und 4 Fig. 26 mit $ Fig. 19). Sind nun die Metalle der obern Hälfte der Reihe, als einfache Kreise, bei der ersten Temperatur-Veränderung (wie oben angenommen worden) am warmen Ende ax und am kalten Ende + x, und sind die Metalle aus der untern Hälfte der Reihe am warmen Ende + x und am kalten Ende £ x; so mufs also 1) in den zweiglie- drigen, aus Metallen der obern Hälfte der Reihe zusammengesetzten Kreisen, H in stärkerem Grade in a’ £x seyn, als Tina Ex ist, und 4 mufs in stärkerem Grade in d’ + x seyn, als Tin b+ x ist; es wird sich also 7’am Berührungspunkte aa’ als & x und am Berührungs- punkte 55’ als £ x Körper gegen /7 verhalten müssen. 2) In zweiglie- drigen, aus Metallen der untern Hälfte der Reihe bestehenden Kreisen mufs 7’ in stärkerem Grade ina + x seyn, al ZH ina’ + x ist, und T mufs in stärkerem Grade in 5 Ex seyn, als 7 in 2’ £ x ist; und es wird sich also 7 am Berührungspunkte aa’ als £ x und an 52’ als + x Körper gegen 7 verhalten müssen. Es hat sich aus mehreren in dieser Abhandlung angeführten That- sachen ergeben, dafs jene + x und £ x Gegensätze in den zweigliedri- gen Kreisen von einigen der in der magnetischen Reihe einander nahe stehenden Metalle und Metallmischungen leicht eine Veränderung _erlei- den, deren Folge die auf den ersten Anblick paradoxe Erscheinung der Aufhebung und Umkehrung der vorher bestandenen magnetischen Polarität, bei fortdauernder Temperatur-Differenz der beiden Be- rührungspunkte aa’ und 52’ Fig. 26, ist. Es waren Alliagen , des- gleichen Metalle, welche fremdartige Beimischungen enthielten, an de- nen diese Aenderungen des Ex und + x Zustandes vornehmlich be- merkt wurden. So fanden wir $. 40 in Kreisen von Kupfer No. 2 mit Al- liagen von Wismuth und Zinn, von Wismuth und Blei, von Wismuth und Antimon, desgleichen von Antimon mit Zink, bei einem bestimmten Mischungsverhältnifs der Bestandtheile der a2 348 SEEBECK Alliagen, die magnetische Polarität, bei fortbestehender Differenz der Temperatur beider Berührungspunkte, aa’ und 5b’, Null werdend. Wir fanden ferner 8.41. ein Amalgam mit einigen ihm in der Reihe nahe stehenden Metallen, desgleichen ein Alliage von Wismuih und Zinn zu gleichen Theilen, in der Verbindung mit Kupfer No.2, oder Gold No.2, oder Silber bei einem bestimmten Grade der Erhitzung unmagnetisch, und dies Alliage, so lange es am Be- rührungspunkte aa’ erwärmt, diesen Grad der Temperatur noch nicht erreicht hatte, unter, und so wie es ihn überschritten hatte, über jenen Metallen in der magnetischen Reihe stehend. Auch fanden wir $.44. einige Alliagen nach Veränderungen, welche sie durch schnelle oder langsame Abkühlung in der Form der Verbindung erlitten, an verschiedenen Stellen der magnetischen Reihe, woraus sich ergiebt, dafs die magneusche Polarität derselben in der Verbindung mit den zwischen den äufsersten Stellen jener Alliagen liegenden Metallen, ungeachtet der Temperatur-Differenz der beiden Be- rührungspunkte «a’ und bb’, in einem gewissen Temperaturzustande Null werden müsse; die Legirung von 78 Theilen Kupfer mit 22Theilen Zinn in der Verbindung mit Platina No.3 und Kupfer No.2; Stahl in der Verbindung mit Zink, oder Silber, Gold, oder Kupfer No.2 (1). Eine Aufhebung und Umkehrung der magnetischen Polarisation zweigliedriger Kreise von Metallen, welche derselben Hälfte der magne- üschen Reihe angehören, kann durch Temperaturveränderung auf zwei- fache Art zu Stande kommen; 1) dadurch, dafs das eine der beiden Metalle 7’ oder 4 (Fig. 26), welches gegen das andere am Berührungs- punkte a«‘, bei gewissem Temperaturverhältnifs beider Berührungspunkte, schwächer £ x oder schwächer & x war, nach einseitiger stärke- rer Erhitzung in aa’ oder Erkältung in 52’ in Gleichgewicht mit jenem // oder 7’ kommt (z.B. Fig.27), oder das Uebergewicht im = x oder + x Zustande in aa’, und im & x oder £ x Zustande in (1) Das langsam und jäh abgekühlte Antimon, dessen in der Note zum vorigen $. Erwähnung geschehen, gehört hierher, wenn es sich gleich in jenen doppelten Zustän- den über keines der ihm zunächst stehenden Metalle der Reihe erhebt, und auch unter das tiefer stehende nicht hinabgeht, wie die übrigen der oben genannten Alliagen. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 349 bb’ erhält (z.B. Fig.28); 2) dadurch, dafs dasjenige Metall, 77 oder 7 (Fig. 26), welches am Berührungspunkte aa’ als überwiegend 7 x oder — x angeschen werden mufste, bei steigender Temperatur in jenem x oder 4 x Zustande eine Schwächung erleidet, welche so weit gehen kann, dafs es gegen sein eigenes kaltes Ende, und nicht minder gegen das andere Metall Z’ oder 7 sich endlich als + x oder x Körper am Berührungspunkte aa’ verhält, (in 25’ also umgekehrt als $ x oder + x Körper) je nachdem die Metalle der obern oder der untern Hälfte der Reihe angehören. Beispiele solcher Umwandlung des x in den + x Zustand fanden wir 8.45. an den einfachen Kreisen von Goid No.t, auch von Messing No.2 und Antimon. Es ist zu erwarten, dafs eine Aufhebung und Umkehrung der magnetischen Polarisation zweigliedriger Kreise, bei fortbestehender Temperatur-Differenz der beiden Berührungspunkte, aa’ und bb’, um so leichter erfolgen werde, wenn eines der Glieder desselben schon als einfacher Kreis ein doppeltes Verhalten zeigt, je nachdem das eine Ende desselben schwächer oder stärker erhitzt worden , wie z.B. unser Gold No. {, welches am heifsen Theile zuerst x und nachher + x in Beziehung auf den kalten Theil ist. Gehört ein solches Metall der obern oder östlichen Hälfte unserer Metallreihe an, (wie eben jenes Gold No.1) so wird es, ver- bunden mit einem in der Reihe unter ihm stehenden Metall, (z. B. mit Kupfer No. 1.) bei dem ersten Grade der Erwärmung (in der mehr- mahls angegebenen Lage der in der Temperatur verschiedenen Theile) in Östen stehen, und es befinden sich hier die Enden des Goldes No. 1 in derselben Lage gegen die Weltgegenden, wie im einfachen Kreise; aber Kupfer No. 1 befindet sich in umgekehrter Lage gegen die, welche es als einfacher Kreis annehmen würde. — Bei zunehmender Hitze am Berührungspunkte aa’ mufs nun aber die magnetische Polarisation da- durch abnehmen, dafs Gold No.1 in höheren Temperaturgraden ge- neigter wird + x zu werden, so wie Kupfer No. 1 in demselben Ver- hälınifs sich mehr dem ihm natürlicheren > x Zustande am heifsen Ende nähert; die Polarität wird Null, und bei noch stärkerer Erhitzung von aa’ die entgegengesetzte von der vorigen werden, wodurch also Gold No.i in W, und Kupfer No. 1 in O zu stehen kommen. 350 SEEBECK Ein später angestellter Versuch mit jenem Gold No.1 und Kupfer No.1 bestäugte dieses; jene beiden Metalle nahmen leicht, bei erhöhter Temperatur in aa', die umgekehrte Lage von der an, in welcher sie sich bei den ersten Graden der Erwärmung befanden. Als ein anderes hierher gehörendes Beispiel könnte die 8. 44 vor- gekommene Legirung von 78 Theilen Kupfer mit 22 Theilen Zinn in ihrer Verbindung mit Kupfer No.2 angeführt werden, wenn ange- nommen werden könnte, dafs diese Legirung sich rothglühend in demsel- ben — x Zustande befunden habe, in welchem wir sie im jäh abge- kühlten gegen Kupfer No.2 und gegen die langsam abgekühlte Legirung finden. Directe Versuche sind hierüber bisher noch nicht angestellt worden. Ist nun eines jener Metalle aus der obern Hälfte der magneti- schen Reihe, welches als einfacher Kreis einer doppelten Polarität fähig ist, mit einem in der Reihe über ihm stehenden Metall verbun- den, z.B. Gold No.1 mit Platina No.1, so wird ein solcher Kreis niemahls eine Umkehrung seiner magnetischen Polarität erleiten, wenn das zweite Metall (hier Platina No. 1) bei mäfsiger und bei starker Er- höhung der Temperatur in a’ unverändert 7 x bleibt, ja es wird in diesem Falle vielmehr die sich bei der ersten Temperatur -Veränderung zeigende magnetische Polarisation, bei zunehmender "Temperatur des Be- rührungspunktes aa’, fortwährend wachsen, weil das in Westen stehende Gold No.1, welches zuerst gegen Platina No. 1 in a nur als schwäche- rer 7 x Körper auftrat, sich in höherer Temperatur entschiedener als — x Körper verhalten mufs. Ein Metall aus der untern Hälfte der magnetischen Reihe, welches als einfacher Kreis einer doppelten magnetischen Polarität, nach dem höheren oder niedrigeren Grade der Temperatur eines der Enden, fähig ist, wird mit einem Metall derselben Hälfte, welches als einfacher Kreis auch bei beträchtlicher Temperatur -Differenz der Enden unver- ändert die ursprüngliche Polarität behält, zum Kreise verbunden, nur dann eine Aufhebung und Umkehrung der ersten magnetischen Polarität, bei steigender Temperatur am Berührungspunkte aa’, bewirken, wenn das andere Metall in unserer magnetischen Reihe über ihm steht. Dieses (7), welches sich zuerst in @’ als $ x Körper verhielt, und in über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 351 höherer Temperatur gegen jenes (7) schon allein + x in a’ werden könnte, wird dies um so entschiedener seyn, wenn der ursprüngliche + x Zustand von 7’ in höherer Temperatur gegen dessen eigenes kaltes Ende x wird. Als Beispiele einer durch die eben erwähnte Aenderung des + x Zustandes von 7’ bewirkten Umkehrung der magnetischen Polari- sation zweigliedriger Kreise, von Metallen aus der untern Hälfte unse- rer Reihe, können die $. 44 genannten Kreise von langsam und jäh abgekühltem Stahl mit Zink oder Silber oder Gold No.2 angeführt werden, und dies um so mehr, .da sich aus später angestellten Versuchen ergeben hat, dafs der Stahl bei starker Erhitzung gegen jene Metalle eben so wohl F.x Körper wird, als es der jäh abgekühlte Stahl ist. Auch die Kreise aus dem Alliage von Wismuth und Zinn zu gleichen Theilen, in der Verbindung mit Sılber oder Gold No. 2 (8.41) sind hier anzuführen, da dies Alliage, welches im festen Zustande zu den Metallen der untern Hälfte der Reihe gehört, im flüssigen Zu- stande in die obere Hälfte hinaufrückt. *Ein Alliage von 3 Theilen Kupfer und 1 Theil Antimon, verbunden zum zweigliedrigen Kreise mit Zink, ändert gleichfalls, wie später gefunden wurde, sehr leicht seine erste und ursprüngliche Polarität. Schon ehe der Zink fliefst, tritt die Aufhebung und Um- kehrung der magnetischen Polarisation des Kreises ein, und das Al- liage, welches vorher am a Ende + x Körper gegen Zink in a’ war, (S. 8.40) wird also schon in mäfsiger Temperatur gegen diesen x in.a. — Im zweigliedrigen Kreise dieses Alliage mit Kupfer No.2 erfolgte auch bei ziemlich starker Erwärmung des Berührungspunktes aa’ keine Um- kehrung der Polarisation. — Auch Kreise von Zink mit den andern beiden $. 40 angeführten Alliagen von Kupfer und Antimon be- hielten bei stärkerer Erhitzung ihre erste Polarität. Dafs Aufhebung 5 sation, bei fortbestehender Temperatur-Diflerenz der beiden Berührungs- und Umkehru ng der magnetischen Polari- punkte in den zweigliedrigen Kreisen, nicht blofs beschränkt sey auf Metalle, welche einer und derselben Hälfte unserer Reihe angehören, sondern dafs die Metalle oder Metallmischungen, welche in höherer Temperatur eine Veränderung ihres ersten +x oder 7 x Zustandes er- 352 SEEBECK leiden, auch in die entgegengesetzte Hälfıe übergreifen, davon finden wir in den oben angeführten Kreisen von Stahl mit Kupfer No.2, von dem Wismuth-Zinn-Alliage zu gleichen Theilen mit Kupfer No.2 Belege, wo der x Zustand des jäh abgekühlten oder sehr heifsen Stahls, desgleichen der x Zustand des flüssigen Alliage in a dem = x Zustande des Kupfers No.2 in a’ überlegen ist. Verändert sich nun in den beiden, den entgegengesetzten Hälften der Reihe angehörenden Metallen, bei starker NEN der erste x und + x Zustand derselben am Berührungspunkte aa’, so wird auch um so leichter eine Aufhebung und Umkehrung der ersten magnetischen Polarität eintreten müssen, wie leicht einzusehen. Der zweigliedrige Kreis von Stahl mit dem Alliage von 78 Theilen Kupfer und 22 Theilen Zinn ist hier als Beispiel anzuführen (1). (1) Folgende Schemata geben eine vollständige Uebersicht von dem Verhalten der Metalle, welche in höherer Temperatur eine Aufhe bung und Umkehrung der ursprüng- lichen magnetischen Polarität als einfache und zwei gliedri ige Kreise erfahren. Metalle der obern Hälfte der Reihe. In einfachen EN 2 AR Krei In zweigliedrigen Kreisen. reisen. heils £x e IZ es sehrheifs z£2) * x sehr kalt==2) # x Ka Fa ea warm X . TEN A It n # \ warm? X warm +x kalt =E% kalt$ x | ka ==r | warm x [774 I: Yale = 4 warm tx warm F$%X kalt, Er kalt=x itkalt Ex F Val, Heer sehr haifs x) Ex sehr katix 2) £$ x Metalle der untern Hälfte der Reihe. | In einfachen A : Krei In zweigliedrigen Kreisen. reisen. vr, Chels’==2 z 7: : sehr heifs £x) £ x sehr kalt=&= 2) & x kaltsı =&r kalt za eh et Fr N | waımFxX warm x kalt £x kalt=x =&; | kalt £x TE Er ı | warm# x warm £x kalt 2x kalt x I’ kalt Fx VRR sehrheifs x) # x sehr kalt x) £ x heifs +x über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 353 48.* Nach solchen Erfahrungen über die Veränderlichkeit des Standes der fremdartige Beimischungen enthaltenden Metalle in der magne- tischen Reihe bei verschiedenen Temperaturzuständen, wie im vorher- gehenden $. angeführt worden, mufste sich die Frage aufdrängen: ob nicht aufser dem Gold No. 1 auch die übrigen in der Tabelle I und 8.31 vorkommenden, gleichnamigen und mit verschiedenen Nummern be- zeichneten Metalle, nach stärkerer Erhitzung eines der Berührungspunkte derselben, in der Verbindung mit den zwischen ihnen liegenden Metal- len, eine andere Stellung gegen diese erhalten möchten, als in den bis- herigen Versuchen nach mälsiger Erwärmung, besonders nachdem sich 5, aus den ferneren Versuchen mit jenem Gold No. 1 ergeben hatte, dafs dies nicht blofs bei beträchtlicher 'Temperaturerhöhung des Berührungs- punktes aa’ Fig.26 unter Kup fer No. 1, sondern auch unter Blei und Platina No. 3 herabrücke. Ein gleiches Verhalten wurde auch wirklich an den beiden in der Reihe $. 31 hoch stehenden Kupfersorten No. 1 und No. 0, nach star- ker Erhitzung des einen Berührungspunktes derselben mit den eben ge- nannten Metallen wahrgenommen; beide rückten bis zum K upfer No.2 herab, wie aus Tabelle II zu ersehen, wo die Resultate der mit zwei- gliedrigen Metallkreisen in höherer: Temperatur als vorher unternomme- | Metalle aus den entgegengesetzten Hälften der Reihe, H aus der obern 7 aus der untern Hälfte. eh IE I Fre Tr ] j we . e E 2 2 = R I | In einfachen Kreisen. In zweigliedrigen Kreisen. | warmza\ kaltt#x W74 langsam abgekühlt ee = mälsig warm kalt £r WEL jäh abgekühlt heifs £x . | an en sehr heifs £$ xy sehr kalt + x} | I \H' jäh abgekühlt kalt x | sahräheits heile sehr heifs #x sehr kalt$ x waımtxr]| kalt$x 7° langsam abgekühlt EN = — mäfsig warm warmtx T und 7’ bezeichnen einen und denselben Körper, doch in verschiedenen Zustän- den, ehen so H und MH. Phys. Klasse 1522-1823. Yy 354 SEEBECK nen Versuche zusammengestellt sind (1). — Kupfer No. 1. trat schon bei Erhitzung des einen Berührungspunktes durch zwei Lampen unter Blei und Zinn; Kupfer No.0. nahm aber erst entschieden die Stelle unter Zinn und unter Messing No. 1 ein, wenn diese Metalle sich im fliefsenden und glühenden Zustande befanden. Messing No. 1. rückte schon bei mäfsiger Erhitzung unter Blei und Zinn. GoldNo.1. blieb zwar bei der bis zum Glühen getriebenen Erhitzung beider Me- talle über Kupfer No. 2; es ist aber wohl kaum zu zweifeln, dafs es sich auch unter dieses und dem Gold No. 2. näher stellen werde, wenn es sich im Flusse befindet, und wohl noch früher. Die reine Platina No. 1. finden wir unverändert an derselben Stelle in Tabelle II, welche sie in der Reihe Tabelle I und $. 31- ein- nahm; die Platinasorten No. 3 und No.4 dagegen, deren tieferer Stand in der Reihe, bei den ersten Versuchen, fremdartigen Beimischungen zugeschrieben wurde, schen wir hier, nach stärkerer Erhitzung des ei- nen Berührungspunktes derselben, mit allen zwischen den äufsersten Grän- zen jener Platinasorten der ersten Tabelle befindlichen Metallen, über diese zu der reinen Platina hinauf gerückt, gleichsam als ob die Pla- tina in jenen Legirungen No. 3 und No.4 erst in höherer Temperatur vorwirkend würde und als ob vorher die Beimischungen, oder die mit fremdartigen Theilen vermischte Platina (als einfacher Körper angesehen) das Uebergewicht gehabt und die magnetische Polarisation bestimmt hätte. Wir finden ferner in Tabelle II den Stahl, welcher rothglühend war, nicht nur über die im vorigen $. genannten Metalle, sondern auch über Kupfer No.0 und Messing No. 1. hinaufgerückt, und auch weiches Stabeisen (2) an derselben Stelle zwischen Zinn und Messing No.1. — Dem vermehrten Gehalt an Kohlenstoff im Stahl und Eisen, ihnen zu- geführt aus der zur Erwärmung angewandten Weingeisllampe, mag wohl (1) Sie sind sämmtlich nach der Vorlesung vom 11. Februar 1822 angestellt worden, weshalb auch dieser 8., als ein später hinzugefügter, mit einem Sternchen bezeichnet wor- den ist. Dasselbe Zeichen hat auch 8.47; dieser aher blofs deshalb, weil er manche neue Zusätze erhalten hat, welche nicht füglich in die Noten verlegt werden konnten. (2) Am Stabeisen hat Hr. Cum ming, Professor zu Dublin, welcher meine thermo- magnetischen Versuche aufgenommen und seinerseits weiter verfolgt hat, zuerst ein doppel- tes Verhalten gegen Zink, Silber, Kupfer, Gold und Messing, je nachdem eine [11 über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 35 vorzüglich die veränderte Stellung derselben gegen die vom Zink bis zum Messing No.1 in Tabelle II genannten Metalle zuzuschreiben seyn. Jener Kohlenstoff kann aber nur schwach mit dem Eisen und Stahl verbunden seyn, da beide bei abnehmender Hitze wieder in ihre ersten Stellen unter den Zink zurücktreten. Diese Erscheinung siimmt mit Ueber Zinn und den in $. 43 angeführten Thatsachen wohl überein. Blei, welche sich in Tiegeln im glühenden Fiusse befanden, erhoben sich weder das Eisen noch der Stahl, vielleicht nur deshalb nicht, weil hier kein Zuwachs von Kohlenstoff in denselben statt fand. In Tabelle IE befinden sich noch zwei Metalle in umgekehrter Stellung gegen diejenige, welche sie in Tabelle I einnahmen, — und zwar zwei sich in elektrischer Beziehung sehr auszeichnende Metalle, Silber und Zink. Das letztere dieser beiden finden wir hier nach stärkerer Erhitzung des einen Berührungspunktes in der magnetischen Reihe zwischen Kapellen-Silber und reinem Golde. Der zu diesen Ver- suchen benutzte Zink war schlesischer, wie er im Handel vorkommt. — Wurde ein die Boussole umschliefsender, halb aus diesem Zink und halb aus feinem Silber bestehender Bogen mit fliefsendem und bis zum Glühen erhitzten Zink geschlossen, so erfolgte, wenn das den unteren Theil des Bogens bildende Silber in das, in Süden stehende, fliefsende Metall zuerst und der Zinkstreifen zuletzt eingetaucht wurde, eine östliche Declinaion von ungefähr 40° Bewegung und ungefähr 15° festen Stand der Magnetnadel, woraus sich der in Tabelle II angegebene Stand des Zinks ergiebt. Wurde dagegen der der Zinksireifen zuerst und der Silberstreifen zuletzt in den glühenden Zink getaucht, so erfolgte zuerst eine westliche Declination, diese ging aber, wenn der Kreis geschlossen blieb, bald in eine östliche über, und blieb östlich so lange das fliefsende Metall rothglühend war. Hatte die westliche Declination 15° — 20° Bewegung der Nadel betragen, so war die nach- stärkere oder schwächere Hitze angewendet wird, wahrgenommen. Das Kupfer von Ur. Cumming scheint dem Kupfer No.2. unserer Tabellen gleich zu seyn; dann aber ist das Gold von Fir. C. nicht chemisch reines, sondern den oben in der Tabelle 8. 42. mit A bezeichneten Goldstücken ähnliches gewesen. Hrn. Cumming’s Versuche und Be- obachtungen findet man in den Annals of Philosophy. 1823, September und November, und in Schweigger’s Journal 1824 im Aten Heft. Yy2 356 SEEBECK folgende stehende östliche Declinaton 7° — 8°. — Nur so lange der Zink glühte, fand in dieser Lage der Glieder des Kreises eine östliche Declination statt; wie der Zink aber kälter wurde, so erfolgte immer nur eine westliche Declination, nicht blofs wenn der Zinksıreifen, sondern auch wenn der Silberstreifen zuerst in das fliefsende Metall eingetaucht wurde, übereinstimmend mit den früheren Beobachtungen, denen zu Folge Silber über Zink in der Reihe 8.31 und Tabelle I gesetzi worden war. — Aus diesen Erfahrungen geht hervor, dafs der + x Zustand, welchen der Zink bei mäfsiger Erwärmung am Ende a zeigt, bei stärkerer Erhitzung abnehmen mufs, und dafs Silber da- gegen, welches sich, bei mäfsiger Erwärmung, gegen Zink, am Berüh- rungspunkte aa’ als schwächerer +x (und deshalb als Zx) Körper verhalten hatte, bei stärkerer Erhitzung im + x Zustande fortwährend zunehme. Hieraus folgt, dafs in einem Kreise von Silber und Zink, geschlossen mit fliefsendem Silber, der Zink immer über Silber stehend werde gefunden werden, man mag nun das Zink- oder Silber- ende des Bogens zuerst in das fliefsende Metall tauchen. Zink glühend und selbst brennend, mit Kupfer No. 2, desgleichen mit Gold No. 2 zum Kreise verbunden, blieb unverändert unter diesen Metallen stehen. Wismuth und Antimon behaupteten auch nach der Erhitzung bis zum Glühen ihre ersten Stellen an den äufsersten Enden der Reihe, ja sie wurden dann viel stärker magnetisch als in niederen Temperatur- graden, glübender Wismuth in der Verbindung mit Platina No.1, und Antimon in der Verbindung mit glühendem und brennenden Zink (1). Von den leichilüssigen Metallen waren in Thontiegeln bis zum Glühen erhitzt worden: Blei .........in den Kreisen mit Kupfer No. 0, Platina No. 1, Ei- sen und Zinn. VAN ER - - KupferNo.0, PlatinaNo.1, Ei- sen, Stahl und Blei. Zink. ne - - KupferNo.2, Silber, GoldNo.2, Blei, Zinn und Antimon. (1) In der Tabelle IT ist in der letzten Zeile unter Zink /V, und in der dritten Zeile von unten unter Antimon O zu setzen. über Magnetismus durch T. emperatur - Dif eren2. 357 Platina No.1. Antimon - .- - Wismuth im - PlatinaNo.1. Messing No.1.- - - Kupfer No. 0. In allen übrigen in Tabelle II angeführten Versuchen waren die Metallstangen und Blechstreifen mit messingenen Schraubenzwingen (doch geirennt von diesen durch Porzellanscheibchen) an einander befestigt und über einer doppelten Weingeistlampe erhitzt worden. Eine Erscheinung verdient noch angeführt zu werden, welche an einigen zweigliedrigen Kreisen der letzteren Art mehrmahls wahrgenom- men wurde. In Kreisen von Kupfer mit Antimon oder von Kupfer mit Zink wurde nämlich bei schneller, starker Erhitzung des einen Be- rührungspunktes von Zeit zu Zeit ein Klang gehört, wobei jedesmahl die Magnetnadel, deren Bewegung etwas gestockt hatte, plötzlich weiter rückte, und von dem erreichten Stande nicht wieder zurückkehrte. Auch bei der Abnahme der Declinauion, nach ausgelöschten Lampen, glaube ich einigemahl eine solche plötzliche Beschleunigung in der nun rückgängigen Bewegung der Magnetnadel bemerkt zu haben, wenn sich jener Klang vernehmen liefs. — Selbst anhaltende Töne wurden in ei- nigen jener zweigliedrigen Kreise gehört, namentlich in Kreisen von Messing und Zinn, desgleichen von Messing und Blei, wo sogar Doppeltöne, ein sehr tiefer und ein hoher, beide schwach doch sehr deutlich zu hören waren. Die magnetische Polarisation in diesen beiden Kreisen war dabei sehr _schwach; die Declination der Magnetnadel in- nerhalb derselben betrug nicht über 1% bis 2 Grad. 49, Sobald gefunden war, dafs eine magnetische Polarität nicht nur in einfachen Metallbogen bei der Berührung der in der Tem- peratur verschiedenen Enden hervortrete, ($. 45.) sondern dafs sie auch in scheinbar homogenen, gegossenen Metallringen u. s. w. nach parteller Erhöhung der Temperatur nicht fehle, ($. 46.) so konnte man wohl erwarten, auch in einfachen, geraden Metallstangen und in Scheiben u. s. w. eine magnetische Polarität bei eintretender Tem- peratur-Diflerenz zu entdecken. — Die Erfahrung bestätigte dies, doch waren es nur die spröden und sich durch leichte Krystallirbarkeit aus- zeichnenden leichtflüssigen Metalle und einige Alliagen, welche in der 358 SEEBEGK oben erwähnten Form eine deutliche, obwohl schwache magnetische Po- larität zeigten (1). Die ersten Versuche wurden mit viereckigen Stangen von Antimon von 6 Zoll Länge und 5 Linien Dicke im Geviert, oder von 10 Zoll Länge und 4 Zoll Dicke angestellt. An den meisten derselben waren schwache magnetische Pole wahrzunehmen, wenn das eine Ende derselbe, « oder ß Fig. 29. allein erwärmt worden war, und zwar wurden die Pole entwe- der von zwei der einander gegenüber liegenden Seitenflächen, oder, noch häufiger, an den entgegengesetzien Kanten der Stange gefunden. War z.B. das Ende « erwärmt worden, so lag an mehreren Antimonslan- gen der s Pol in a’ und der z Pol in 2’ (s. Fig. 29. u. 30.), wie sich aus der anziehenden und abstofsenden Wirkung jener Kanten auf die Pole einer sehr beweglichen Magnetnadel ergab. Die Kanten c’ und d’ verhielten sich der magnetischen Mitte der gewöhnlichen Magnetstäbe gleich. Diese Stangen waren aber nicht der ganzen Länge nach magne- tisch polar, nicht von a’ bis a” s Pol und von 2’ bis d” n Pol (Fig. 29.); sondern die Ausdehnung des durch Erwärmung am « Ende polar ge- wordenen Theils wurde nur auf einen kleinen Raum beschränkt gefun- den, welcher sich auch nach plötzlicher, ziemlich starker Erhitzung an der zehnzölligen Stange nicht bis über die Mitte derselben ab erstreckte. Das Ende 8, welches weder erwärmt noch erkältet worden war, zeigte keine Wirkung auf die Magnetnadel. Der Magnetismus war immer in dem ersten Moment nach der Erwärmung des Endes der Stange am stärksten, nahm aber sehr bald ab, wie die Wärme sich in derselben weiter ausbreitete. An den kal- ten Metallstäben war keine Spur von Polarität zu entdecken, und eben so wenig, wenn sie der ganzen Länge nach gleichförmig erwärmt worden waren. — Für die Polarisation u. s. w. war es auch hier gleich- gülig, wie die Stangen erwärmt wurden, ob über Lampen oder auf heifsen Bolzen. (1) Alle in diesem und dem folgenden Paragraph vorkommenden Beobachtungen, Ver- suche u. s. w. wurden in der Königl. Akademie am 25. October 1821 vorgetragen. über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 359 In der Lage der Pole, so wie in der Stärke der Polarität sum- men selten zwei Metallstangen mit einander überein, und auch in der Polarisation der beiden Enden einer und derselben Stange findet man, nach alleiniger Erwärmung jeder derselben, eine beträchtliche Verschie- denheit. Tritt an einer Stange von Antimon, bei Erwärmung des En- des « der s Pol in a’ und der z Pol in 2’ (Fig. 29.) hervor, so kann, nach alleiniger Erwärmung des Endes 8 gleichfalls an der Kante @” der s Pol und in 5” der z Pol liegen. An einer andern Stange von Antimon, welche sich der vorigen am Ende « gleich verhält, findet man dagegen, bei Erwärmung des Endes @, den n Pol in a” und den s Pol in d" (s. Fig. 29. u. 30.); — und an einer dritten Stange desselben Anti- mons, welche sich den beiden vorhergehenden im « gleich verhält, kann man am Ende @ den rn Pol im c” und den s Pol im d”’ (Fig. 29.) oder umgekehrt finden, oder auch an zwei einander gegenüber liegen- den Seitenflächen; ja es kann die magnetische Polarisation nach Erwär- mung von ® so schwach seyn, dafs kaum eine Wirkung derselben auf die Magnetnadel wahrzunehmen ist, während die Polarität nach Erwär- mung des Endes « sehr deutlich gewesen war. — Manche Antimon- stangen werden auch, welches Ende man allein erwärmen mag, immer nur höchst schwach, kaum merklich polar. Werden die beiden Enden der Stange « und ß zugleich erwärmt, und bleibt die Mitte derselben kalt, so findet man « und ß eben so po- larisirt wie vorher, da sie einzeln erwärmt worden waren. Werden die Stangen in der Mitte («bed Fig. 29.) allein erwärmt, und bleiben die beiden Enden kalt, so zeigt sich abermals eine mag- netische Polarität, und zwar eine doppelte, die eben so wie die vorhin beschriebene am stärksten ist in der Nähe der erwärmten Stelle, und abnimmt nach den Enden « und ß zu. Die Pole haben in den ver- schiedenen Stangen auch verschiedene Lagen. — An denjenigen Anti- monstangen, welche als die regelmäfsigsten anzusehen waren, (eine Benennung, die weiter unten gerechtfertigt werden wird) wurden, nach Erwärmung der Mitte abed Fig. 29, links von a ein z Pol und links von db ein s Pol, — dagegen rechts von a ein s Pol und rechts von ein n Pol gefunden (s. Fig. 30.). 360 SEEBECK Wenn eine Stange von Antimon gleichförmig erhitzt worden, (was am besten auf einem heifsen Bolzen geschieht), so sind an ihr keine Pole zu entdecken; — es treten aber sogleich welche hervor, so- bald nur ein Theil jener Stangen plötzlich abgekühlı wird, — aber diese neuen Pole sind die entgegengesetzten von denen, welche sich bei der partiellen Erwärmung desselben 'Theils der Stange gezeigt hatten, während der übrige Theil kalt war. Z.B. hatte eine Antimon stange nach Erwärmung des Endes « (Fig. 29.) den s Pol ina’, den z Pol in 2’, so liegt an derselben Stange, nachdem sie gleichförmig erwärmt und in a plötzlich abgekühlt worden, der z Pol in a’ und der s Pol in 2’; — und so findet man an jedem Ende der Stangen, nach partieller Abküh- lung derselben, die entgegengesetzten Pole von denen, welche nach der partiellen Erwärmung derselben an den Kanten oder Flächen erschie- nen waren. Dies ist ein allgemeines Gesetz für alle einer magnetischen Polarisation fähigen geraden Metallstangen, wie verschieden auch die Lage der Pole an den beiden Enden, der Mitte u. s. w. seyn mag. — Die Abkühlung der heifsen Stangen kann im Wasser oder Wein- geist geschehen, der Erfolg bleibt immer derselbe; auch läfsı sie, so wenig als die partielle oder totale Erwärmung der Stangen, eine blei- bende Veränderung in denselben zurück. Nach jeder neuen Erwärmung findet man die Pole an denselben Stellen und in gleicher Stärke, wie bei der ersten Erwärmung und vor der plötzlichen Abkühlung. — Ist das Ende « durch Abkühlung polar geworden, so wird £, welches nicht abgekühlt worden, bis zur Mitte der Stange unpolar gefunden, ana- log dem Verhalten der kalten und blofs in « erwärmten Stange am Ende A. Der Magnetismus hält sich in den einfachen geraden Metall- stangen von der angegebenen Dicke länger als in dünnen Stangen, die übrigen Dimensionen gleich gesetzt. — Nach dem Zerbrechen einiger der wirksamsten Antimonstäbe fand sich, dafs diese oder die Enden derselben, welche eine stärkere magnetische Polarität bei parteller Er- wärmung gezeigt hatten, strahlen- oder sternförmig gegen den Mit- telpunkt zu krystallisirt waren. Nur in wenigen der feinkörnig krystal- lisirten Stücke war die Polarisation jenen in der Stärke gleich, in den meisten schwächer, und diejenigen, welche bei der Erwärmung am über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 361 schwächsten polar gefunden wurden, waren alle ohne Ausnahme fein- körnig krystallisirt. Da die meisten jener Stangen aus Antimon, wie er im Handel vorkommt, bestanden, dieser aber Eisen enthält, wenn gleich nur in geringer Menge, so wurde versucht, ob jene Stangen nicht auch durch Streichen mit starken Magnetstäben eine Polarität annehmen. Dies er- folgte nicht; ja selbst Bruchstücke von Antimonstäben, die durch Temperaturveränderung leicht magnetisch wurden, folgten nicht einmal dem Magnet, als sie in Papierschälchen auf Wasser oder Quecksilber schwammen. Stangen von reinem Antimon, doch gegossen in eiser- nen Formen, verhielten sich denen von käuflichem Antimon gleich. Stangen von Wismuth zeigten ganz dasselbe Verhalten wie die von Antimon. An den meisten derselben waren deutliche Pole zu erken- nen, wenn das eine oder das andere Ende der Stangen erwärmt wurde; und die Polarität jener Enden war die entgegengesetzte von der vo- rigen, wenn die gleichförmig erhitzte Wismuthstange an demselben Ende in Weingeist plötzlich abgekühlt wurde. An einfachen geraden Stangen von reiner Platina, feinem Silber (Brandsilber), Messing und geschmiedetem Kupfer war keine deutliche Polarisation, weder bei Erwärmung noch bei Abkühlung eines Endes derselben, zu bemerken. Nur an einer einzelnen gegossenen Kupferstange zeigte sich ein höchst schwacher Magnetismus, doch keine S des einen Endes derselben, eine schwache doch deutliche Bewegung der regulären Pole. Eine gegossene Zinkstange bewirkte, nach Erwärmung: Magnetnadel, und hatte bestimmte Pole. Betwrächtlicher war die magnetische Polarisation einiger Alliagen, namentlich der aus Wismuth mit Kupfer, und aus Wismiuth mit Antimon gebildeten. Die ersteren wurden in allen drei $. 40. ange- gebenen Verhältnissen, bei Erwärmung der Enden, stark magnetisch, die letzteren wurden schwächer, doch immer deutlich polar. — Die Alliagen von Antimon und Zink in den drei $.40. angegebenen Ver- hältnissen wirkten, nach partieller Erwärmung, stark auf die Magnetna- del. Auch die Alliagen von Antimon mit Kupfer zeigten, unter gleichen Umständen, eine schwache Polarität, welche in dem Alliage von Antimon mit Kupfer zu gleichen Theilen am stärksten und Phys. Klasse 1822-1823. DZ 362 SEEBECK in dem von einem Theil Antimon mit drei Theilen Kupfer am schwächsten war. ! In allen diesen Stangen kann nur dadurch eine Polarität bei par- tieller Erwärmung oder Abkühlung erfolgen, dafs die oberhalb und unterhalb der Pole gelegenen Theile der Stangen von verschiedener Be- schaffenheit sind (im Mischungsverhältnisse, der Dichtigkeit, Härte, Wär- meleitung u.s. w.). Es unterscheiden sich also diese geraden einfachen Meuallstäbe nur darin von den oben 8. 46 angeführten gegossenen Ringen von Antimon und Wismuth, dafs in jenen die beiden heterogenen Hälften unmittelbar ihrer ganzen Länge nach, in den Ringen aber nur die Enden mit einander in Berührung stehen. — Eine Antimon- stange aß Fig. 29, deren s Pol bei Erwärmung von « an der Kante «d, und deren rn Pol an der Kante 2’ liegt, ist also anzusehen wie ein zu- sammengedrückter Kreis, bestehend aus zwei heterogenen Theilen, @’ b’ec'cba und a’ b’ d’ dba, von welchen der obere Theil c’c sich als westliches (antimonartiges), der untere Theil d’d sich als östliches (wismuthartiges) Metall verhält, — in welchem Kreise d’ ec’ cd, durch die Temperatur - Differenz von d’ ec’ gegen dc, eine magnetische Polari- sation hervorgerufen wird, wenn gleich jene heiden heterogenen Hälften sich der ganzen Länge nach in a’ a b’b mit einander in Berührung be- finden. — Wäre nun die ganze obere Hälfte der Stange der ganzen Länge nach von c’ bis ce” westliches Metall und die untere Hälfte ‚von d’ bis d’ östliches Metall, so würde bei der Erwärmung des En- des @ der n Pol in a” und der sPol in 3” liegen‘ müssen; es würde sich ferner bei Erwärmnng der Mitte der Stange ein anomaler Magnet, „mit doppelten, entgegengesetzt liegenden Polen bilden müssen, wie der oben beschriebene, d. h. es würde hier links von a ein n Pol und rechts ein s Pol, und an der gegenüberliegenden Kante d links ein sPol und rechts ein n Pol hervortreten müssen (s. Fig. 30.), weil durch die Erwärmung in der Mitte zwei polare Kreise, d’c’ce d und d’ ce" cd, entstehen, welche sich gegen einander in umgekehrter Lage be- finden. — Es ist leicht einzusehen, dafs eine Stange, welche ihrer gan- zen Länge nach gleichförmig erwärmt worden, nach der partiellen plötzlichen Abkühlung der Enden oder der Mitte, die entgegengeseizie Polarität wie nach der parüellen Erwärmun gen müssen. g dieser Theile wird zei- über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 363 Wenn die schwache, sich im Gufs jener Metalle und Metallmi- schungen bildende Heterogenität diesen schon das Vermögen zur magne- uschen Polarisation ertheilen konnte, so war von Apparaten, in welchen zwei verschiedene Metalle der ganzen Länge nach durch Schmel- zung mit einander verbunden worden, eine beträchtlich stärkere Wir- kung zu erwarten, wodurch denn auch die schon aus jenen regulären einfachen Stangen, im Sinne der eben gegebenen Erklärung zu un- ternehmende genaue Bestimmung der Lage der heterogenen Theile in den übrigen, wenn auch noch so verschieden polarisirten einfachen Stan- gen, eine neue und wichuge Bestäuigung erhalten mufste. In dieser Beziehung wurden mehrere zweigliedrige gerade Me- tallstangen verfertigt, namentlich aus Wismuth mit Antimon, aus Glockengut mit Antimon, aus Kupfer mit Antimon und aus Zink mit Antimon, in welchen je zwei der genannten Metalle der ganzen Länge nach durch Schmelzung (nicht durch Löthung) mit einander verbunden waren (s. Fig. 31.). Die magneusche Polarität in diesen Stäben verhielt sich, nach parteller Erwärmung der Enden oder der Mitien derselben, genau so wie an den zuleızt erwähnten, ihnen ähnlichen einfachen Metallstäben, welche sie nur in der Stärke der Polarität übertrafen, nicht aber bedeutend in der Ausdehnung des bei der Erwärmung polarisirten Theils. In Fig. 31. ist die Lage der Pole an einem aus Kupfer und Antimon zusammengesetzten Stabe ange- geben, welche nach Erwärmung der Enden « und 8 erscheinen, wenn die Mitte kalt ist, woraus zugleich zu ersehen, dafs sich hier eben so wohl wie bei der Erwärmung der Mitte des Stabes, während die Enden desselben die gewöhnliche Temperatur behalten, Doppelmagnete bilden, wie oben beschrieben und Fig. 30. abgebildet worden. — Giebt man der zweigliedrigen Stan se Fig. 31. die Stellung, dafs der heilse Be- rührungspunkt (z. B. das Ende «) sich unten befindet, während der n Pol derselben gegen Norden gerichtet ist, so findet man auch hier das in unserer magnetischen Reihe ($. 31.) tiefer steliende Metall in #7, das andere in O; also genau so wie in den zweigliedrigen Kreisen, von welchen sich die zweigliedrigen Stäbe nur durch schwächere Action unterscheiden. Az 2 364 SEEBECK Aus diesem für alle Arten von einfachen und zweigliedrigen Kreisen und geraden Metallstangen geltenden Polarisations- Gesetze ergiebt sich also, dafs jede Abweichung der Lage der magnetischen Pole von der Fig. 30 und 31. angeführten regelmäfsigen Vertheilung der- selben, als eine sichere Anzeige von einer Ungleichheit in der Lage der heterogenen Theile der Apparate anzusehen sei. Würde z.B. an der ein- fachen Metallstange Fig. 29. bei Erwärmung von «.der s Pol in a’ der n Pol ın 2’, bei Erwärmung von 8 der s Pol in ce” und der n Pol in d” gefunden, so folgt daraus, dafs die heterogenen Theile an beiden Enden der Stange sich in der unregelmäfsigen Lage befinden, dafs am Ende « das west- liche Metall oben, das östliche unten, am Ende ß aber das westliche Metall vorne in a”’a, das östliche Metall hinten in 2” 5 liegt (1). Der aus Kupfer und Äntimon zusammengesetzte Apparat, welcher in der Fig. 31. angegebenen Form ein Transversal-Magnet zu nennen war, wird leicht in einen, den gewöhnlichen Magnetstäben ähnlichen Longitudinal-Magnet verwandelt, wie aus Fig. 32. zu ersehen. Dieser Apparat, welcher sich von dem Fig. 11. dargestellten darin unterschei- (1) Die an den gegossenen Ringen von Antimon gemachte Erfahrung, dafs die zur magnetischen Polarisation derselben erforderliche Heterogenität sich während des Gusses durch ungleiche Abkühlung des Metalls erzeuge, liefs erwarten, dafs die Heterogenität in den einfachen geraden Stangen denselben Ursprung habe. Später angestellte Ver- suche bestätigten dies. — An einer Stange von Antimon, welche in einer halb heifsen und halb kalten eisernen. Form gegossen worden war, wurden bei partieller Erwärmung oder Erkältung deutliche Pole gefunden, und zwar an den einander gegenüber liegenden Kanten, wo die kalte und warme Hälfte der Form mit einander in Berührung gewesen waren. Wurde das obere Ende der Stange («Fig.29.), welches sternförmigkrystallisirt war, alleinerwärmt, so befand sich, indem der s Pol desselben in a’, der n Pol in 2’ lag, der Theil der Stange, welcher in der heifsen Hälfte der Form erstarrt war, oben, der aus der kalten Hälfte der Form unten; e’c verlüelt sich also als westliches und d’d als östliches Metall. Bei Erwärmung des unteren Endes 2, welches feinkörnig krystallisirt war, lag der s Pol gleichfalls an der Kante «”, der n Pol in 5”, wenn der in der heifsen Hälfte der Form erstarrte Theil der Stange sich oben befand; hier verhielt m 5 : ‚ 2 R sich also c” ce als östliches und d” dals westliches Metall. In der Polarisation stimmt das obere Ende dieser Stange («) mit der des gegossenen Ringes von Antimon (8. 46.) völlig überein, nicht minder auch mit der Polarisation des aus zwei Antimonstangen zu- sammengesetzten und 8.46. in der Note beschriebenen Kreises, bei erhöhter Temperatur der obern Enden (« und «) dieser Stangen. Denn an diesem Apparate verhält sich « der Stange aus der heifsen Form als westliches und «’ der Stange aus der kalten Form als östliches über Magnetismus durch Temperatur -Differenz. 365 det, dafs die Kupfer- und Antimonplatten in demselbem der ganzen Länge und Breite nach durch Schmelzung mit einander verbunden sind, steht dem letzteren, bei gleicher Gröfse und Temperaturerhöhung der einen Seitenfläche, in demselben Verhältnisse nach, wie die zweiglie- drige Stange Fig. 31. dem zweigliedrigen, aus denselben Metallen zusammengesetzten. Kreise. In der Stärke und Dauer der magnetischen Polarisation übertrifft aber der Fig. 32. dargestellte Longitudinal- Magnet den Transversal-Magnet Fig. 31. bedeutend, wie aus der Verschiedenheit der plötzlich erregten Temperatur-Differenz in den äufsersten Berüh- rungspunkten « und @ jener beiden Apparate leicht zu ermessen ist. 50. Scheiben von Antimon oder von Wismuth wurden, nach Erwärmung einzelner Theile derselben, in nicht minderem Grade magne- üsch gefunden, als die einfachen Stangen von diesen Metallen. Auch in den Scheiben war die Polarität um so stärker, je dicker sie waren. — Aus der Fig. 33. gegebenen Darstellung der Polarisation einer 4 Zoll dicken Scheibe von Antimon ist zu ersehen, dafs jeder Theil einer solchen Scheibe, nach der Erwärmung jedes der einzelnen Purkte von Metall, wenn « und «@’ gleichzeitig erwärmt werden, hingegen 2 nnd 2’ jener beiden Stan- gen kalt bleiben; — und in der einfachen in halb heifser und halb kalter Form gegos- senen Stange fanden wir, bei Erwärmung des Endes «, den in der heifsen Hälfte er- starrten Theil gleichfalls als westliches, und den in der kalten Hälfte erstarrten Theil als östliches Metall. Das untere Ende 2 der einfachen Antimonstange weiclit aber von dem Verhalten des eben erwähnten aus zwei Stangen zusammengesetzten Kreises an den Enden £ und 2’ ab, indem an jener das Metall aus der heifsen Hälfte der Form sich alsöstliches, das aus der kalten Hälfteals westliches verhält; während in dem aus zwei Stangen zusammengeselzten Kreise die aus der heifsen Form sich fortwäh- rend als westlichesund die aus der kalten Form sich alsöstliches Metall verhält. — Das abweichende Verhalten dieser einfachen Ant imonstange am Ende 2 rührt wahrscheinlich daher, dafs das fliefsende Metall, welches gegen die heifse Hälfte der Form (c’c” Fig. 29.) zu gegossen wurde, in c abprallte und gegen d” zurückgeworfen wurde, von wo es, getrie- ben durch das nachfliefsende Metall, in die Hälfte ce” stieg und dort erst erstarrte; wodurch denn dieser Theil des Metalls sich gegen das in d” später erstarrte, als das aus der kälteren Hälfte kommende verhalten mufste. Die Polarität war am Ende 2 dieser Stange auch sehr viel schwächer als am Ende « bei gleicher Temperatur-Veränderung, entsprechend dem schwächeren Gegensatze,, welcher sich unter den angegebenen Bedingungen in 2 nur bilden konnte. Aneiner inhalb heifser und halb kalter eiserner Form gegossenen Stange von Glockengut war, nach Erwärmung-der Enden, keine solche magnetische Polarität zu entdecken, wie an jener Stange von Antimon. 366 STE ENB\EILCK A bis F und D, völlig in derselben Art polarisirt ist, wie es auch ein Segment der Scheibe gewesen seyn würde, wenn es in der Mitte allein in der Temperatur erhöht worden wäre. Denn eben so wie durch Er- wärmung der Scheibe 4 BC FED am Punkte 4/ sich ein Doppel- magnet bildet, an welchem links von 4 auf der obern Fläche ein nPol und auf der untern Fläche ein s Pol, rechts von 4 aber oben ein sPol und unten ein n Pol hervortritt, eben so würde auch das Seg- ment 4 BD bei alleiniger Erwärmung des Punktes „4 polarisirt seyn. — Eine so regelmäfsige Lage der Pole wie die in Fig. 33. abgebildete Scheibe nach Erwärmung der einzelnen Punkte 4 bis F und D zeigte, findet man nur selten; gewöhnlich sind an einigen der einander nahe liegen- den Punkte zwei gleichnamige Pole einander zugekehrt, wenn auch die Folge der Pole an den übrigen Punkten alternirend ist, wie in Fig. 33. In dieser Scheibe Fig. 33. unterschieden sich einige der erwärmten Punkte nur in der Stärke der Polarität von einander, auch lagen die entgegen- geselzten Pole an der obern und untern Fläche der Scheibe bald der Kante näher, bald entfernter von derselben. Eine hohle, in einem Gufs verferugte Kugel von Antimon wurde nach Erwärmung einzelner Stellen gleichfalls magnetisch polar, und zwar (analog der oben erwähnten Scheibe) völlig so wie auch ein ‚Segment der Kugel bei Erwärmung des Mittelpunktes desselben für sich polar geworden wäre, d. h. es zeigten sich diesseits und jenseits des erwärmten Punktes -/ an der äufsern Fläche ein z und ein s Pol. Jeder dieser Pole schien die Hälfte des Segments einzunehmen, so dafs man in einer Ebene, welche wir die Aequatorialebene der Kugel nen- nen wollen, diesseits „/ einen n Pol und jenseits 4 einen s Pol, des- gleichen in der die vorige rechtwinklig schneidenden Meridianebene oberhalb 4 einen z Pol und unterhalb 4 einen s Pol fand. Die Lage der Pole bei Erwärmung anderer Punkte der Kugel wich von der in 4 in manchen Stücken ab. — Wäre jedoch die Polarisation an ei- nem zweiten Punkte 3 der von 4 völlig gleich gewesen, so würde in. der Aequatorialebene der zn Pol von 3 dortlim fallen, wo der s Pol von 4 lag, der z Pol in der Meridianebene aber oberhalb 3 nahe neben dem z Pol oberhalb 4, und der s Pol unterhalb 3 nahe neben dem s Pol unterhalb 4. Es ist also leicht einzusehen, dafs in einer regulä- D über Magnetismus durch Temperatur - Differenz. 367 ren Kugel, in welcher die sämmtlichen in der Aeccmatorialebene lie- genden, in der Temperatur erhöhten Punkte einander in der Polarisation gleich wären, die in der Aequatorialebene liegenden Theile der magne- tischen Pole einander gegenseitig schwächen, und dafs dagegen die ın den Meridianebenen liegenden Theile jener Pole einander gegenseitig verstärken müssen, dafs also die Polarität in den Meridianebenen schon hierdurch das Uebergewicht über die in der Aequatorialebene erhält; dafs ferner jene in den Meridianebenen oberhalb und unterhalb der Punkte 4B CD... liegenden entgegengesetzten Pole noch beträchlich verstärkt und ausgedehnt würden, wenn die Endpurkte jener Meridiane stark abgekühlt würden, während die Mitten derselben erwärmt wer- den; dafs ferner jede im entgegengesetzten Sinne erfolgende Polarisauon eines einzelnen Punktes in der Aequatorialebene die durch die Mehrzahl jener Punkte gesetzte Polarität des ganzen Körpers schwächen mufs, und s. w. 51*. Eine viel stärkere magnetische Polarisation als jene einfache Metallkugel würde eine aus verschiedenen Erdarten, Erzen und Metallen zusammengesetzie Kugel zeigen, wenn die Erze und Metalle einen zu- sammenhängenden, symmetrisch geordneten Gürtel in derselben bildeten, und von den Berührungspunkten derselben einer um den anderen in der Temperatur erhöht würden. Befänden sich in einer ähnlichen Ku- gel mehrere einander parallel laufende Erz- und Metallgürtel, so würde die magnetische Polarität dieser Kugel stärker seyn, als die der vori- gen, von einem einfachen Erz- und Metallgürtel (von gleicher Dicke mit einem der Gürtel in dieser) in einem der gröfsten Kreise durchzo- genen Kugel, wenn die Ordnung aller in jenen Parallelzonen gelegenen Metalle nnd Erze gleicharug wäre, und die Temperatur-Differenz je zweier einander zunächst liegenden Berührungspunkte der in der erst- genannten Kugel gleich wäre. Die magnetische Polarität einer solchen mehrere parallele Erz- und Metaligürtel enthaltenden Kugel kann aber schwächer seyn, als die der Kugel mit einfachem Gürtel, wenn ent- weder die Ordnung der Metalle und Eıze in einer beträchllichen Zahl von Gliedern in jenen Gürteln der Ordnung in den übrigen entgegen- gesetzt, und die T’emperatur-Verschiedenheit der alternirenden Berührungs- punkte in allen jenen Gürteln gleich wäre, — oder wenn die Ordnung 368 SEEBECK der Metalle und Erze in allen jenen Gürteln zwar gleich, aber die Folge und Ordnung vieler der heifsen und kalten Berührungspunkte unsymmetrisch wäre; da in beiden Fällen ein Theil der Gliederpaare die durch die übrigen gesetzte magnetische Polarität aufheben würde. Als eine solche, von Erz- und Metallgängen durchzogene Kugel, kann die Erdkugel, welche wir bewohnen, angesehen werden. Ueberall, wo nur Differenz der Temperatur an den Berührungspunkten der mit einander zusammenhängenden Erz- und Metallgänge statt findet, wird Magnetismus hervorgerufen werden, welcher um so stärker seyn mufs, je grölser die Zahl der in gleichem Sinne wirkenden Gänge und je gröfser das Volumen derselben ist. Die in der Temperatur erhöhten Berührungspunkte werden dort liegen, wo die atmosphärische Luft zum Innern der Erdrinde bis auf beträchlliche Tiefen hinab Zutritt hat, also an den Orten wo sich Vulkane befinden oder in der Nähe derselben. Die kalten Berührungspunkte jener Erz- und Metallgänge wird man aber dort zu suchen haben, wo die Luft directe keinen Zutritt hat; und an solchen Punkten wird es ohne Zweifel im Innern der Erdrinde auch nicht fehlen. Wodurch auch der chemische Prozefs, welcher die Vulkane erzeugt, eingeleitet werde, so wird doch der Zutritt der atmos- phärischen Luft denselben befördern, und so wird er auch die etwa durch Einwirkung des Wassers auf Erze oder Metalle schon begonnene Temperaturerhöhung beträchtlich steigern, wie analoge in unsern La- boratorien vorkommende Erscheinungen erwarten lassen. Es ist, wie leicht einzusehen, eben nicht eine unerläfsliche For- derung, dafs die Temperaturerhöhung durch Einwirkung der atmosphä- rischen Luft den Berührungspunkt zweier verschiedenen Erze und Me- talle unmittelbar treffe; eine magnetische Polarisation wird auch dann entschieden statt finden, wenn der mit dem Vulkan zusammenhängende Theil des Metall- und Erzganges sich in der Nähe des Berührungs- punktes desselben mit einem andern Metall oder Erze befindet, und wenn der nächstfolgende Berührungspunkt derselben in der Temperatur bedeutend tiefer steht. Die beiden grofsen Herde unterirdischen Feuers in der Nähe des Erdäquators, die von Mexiko, Guatimala und Quito, — desgleichen die von den Sundainseln, den Molukken und Philippinen an der über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 369 andern Seite des stillen Meeres, würden, durch Gänge von Metallen und Erzen mit einander zusammenhängend, in Verbindung mit der Thätigkeit an den zwischen ihnen liegenden kälteren Berührungspunk- ten jener Erze und Metalle, für sich schon der Erde eine magnetische Polarität geben, welche eine entschiedene Wirkung auf die Declina- vuons und Inclinationsnadeln, wenn auch eine in manchen Stücken von der, welche wir jetzt auf der Erde finden, abweichende hervor- bringen würde. Die durch diese in der Temperatur verschiedenen Berührungspunkte der in der Aequatorialzone gelegenen Erz- und Metallgänge gesetzte Pola- rität der Erde würde noch beträchtlich verstärkt werden, wenn die übri- gen zu beiden Seiten des stillen Meeres liegenden, zum Theil meridianar- 5 tig auf dem magnetischen Aequator stehenden und die geographischen 5 Meridiane unter kleinen Winkeln durchschneidenden Reihen -Vulkane, nämlich die von Patagonien, Chili, Peru, Neu-Norfolk, vielleicht auch die von jenen in der Richtung verschiedenen der Halbinsel Alaschka und der Aleutischen Inseln, — desgleichen die in der West- australischen Reihe, den Marianeninseln, den Japanischen und Kurilischen Inseln und in Kamtschatka, gleichartig mit den beiden angeführten Herden unterirdischen Feuers in der Nähe der Aequatorialzone wirkten, indem die Ordnung der Metalle und Erze in jenen Parallelkreisen mit der in dieser Zone übereinstimmte. — Mögen diese Metall- und Erzgänge auch vielfach unter einander anastomosiren, ja mögen einzelne Theile jener oben als zusammenhängend angenom- menen Erz- und Metallgürtel auch immerhin stellenweise unterbrochen seyn, und durch die unter oder über ihnen liegenden Gürtel ergänzt und in Zusammenhang mit entfernter liegenden Theilen derselben Zone gebracht werden, kurz mögen diese Erz- und Metalladern vollkommen netzartig die Erdrinde durchziehen, so wird die magnetische Polarität des ganzen Erdkörpers durch die vermehrte Zahl der meridianartig ver- theilten und in gleichem Sinne wirkenden, in der Temperatur verschie- denen Berührungspunkte immer beträchtlich verstärkt werden. Manche jener durch Vulkane bezeichneten heifsen Berührungspunkte der Erze und Metalle mögen immerhin im entgegengesetzten Sinne wir- Phys. Klasse 1822-1823. Aaa 370 SEEBECK ken, dem Erdkörper bleibt stets eine magnetische Polarität, wofern nur die Mehrzahl der Berührungspunkte in gleichem Sinne wirkt. Noch eine dritte Reihe von meridianarlig auf unserer Erde ver- theilten Vulkanen könnte sich den beiden erstgenannten, das sülle Meer einfassenden Vulkanzügen gleichwirkend verhalten, nämlich die Vulkane von Island, den Azorischen, Canarischen, Cap Verdischen Inseln, der Insel Ascension, (*bis zur Insel Marquis de Tra- verse und dem Sandwichlande herab). — Ein unmittelbarer Zusam- menhang dieser Vulkane mit einander von Norden nach Süden ist zu dieser Wirkung nicht erforderlich; jeder derselben kann für sich auf ei- nen besondern Theil der Erz- und Metallgürtel wirken, so wie denn auch die Reihen-Vulkane in den erstgenannten beiden, das stlie Meer einfassenden Zügen diesen Central-Vulkanen darin vollkommen gleichen möchten, dafs die Herde derselben auch auf einen von den übrigen getrennten Raum beschränkt sind, welcher bei den ersteren vielleicht nur grölser als bei den letzteren ist; wie es denn z.B. von dem Herde der Reihen-Vulkane in Mexico, welcher den Continent in einer Länge von 105 geographischen Meilen von Og5 nach W/gN durchschneidet, desgleichen vielleicht von den Aleutischen Inseln u. s. w. gilt, welche die Central-Vulkane wenigstens in einer Dimension übertreflen, ohne dadurch in ihrem Werthe als einfache Erregungspunkte des Magnetis- mus der Erde sich von den Üentralvulkanen zu unterscheiden. — Erstreckte sich der Herd von einem oder dem andern jener Reihen- Vulkane auf mehrere hundert Meilen von Norden gegen Süden, so könnte wohl mehr als ein Erz- und Metallgang mit demselben verbun- den seyn; es zählen aber dann alle diese Gänge zusammen, in Bezie- hung auf die magnetische Polarisation des ganzen Erdkörpers, nur als ein einfaches Glied. Wären nun jene drei den magnetischen Aecquator meridianartig durchschneidenden Vulkanzüge gleichwirkend, so würde also die Mehr- zahl der die magnetischen Erdpole seizenden Erz- und Metallgürtel sechsgliedrig seyn, und es würden zwischen jenen drei heifsen Be- rührungspunkten drei kalte liegen müssen. Jene Gürtel können aber wohl tkeilweise durch die übrigen Vulkane, wie z. B. durch die der über Magnetismus durch T' emperatur - Differenz. 3M Sandwichinseln, desgleichen der Marquesas- Gesellschafts- und Freundschaftsinseln, so wie auch durch die Vulkane im Mittelmeere, an Arabiens Küste und auf der Insel Bourbon in noch mehrere Glieder getheilt seyn, und auch wohl in solche, die auf die magnetische Totalkraft der Erde schwächend einwirken, wie dies z.B. durch die Vulkanherde der Gesellschafts- und Freund- schaftsinseln und einiger andern Inselgruppen bis zu den neuen Hebriden hin, desgleichen auch durch die der Gallopagosin seln oder der Antillen, so wie durch die Vulkane im mittellän- dischen Meere u. s. w. geschehen könnte. Die Lage der verschiedenen Glieder in den Erz- und Metallgür- teln betreifend ist zu bemerken, dafs in allen die magnetischen Erdpole (+ M in Norden und — M in Süden) setzenden Gürteln dasjenige Erz oder Metall, welches bei dem hohen Temperaturgrade, dem es am heifsen Punkte im Innern der Erde ausgesetzt ist, in unserer magnetischen Reihe die höhere Stelle einnimmt, am heifsen Berührungspunkte in Osten, das in jener Reihe tiefer stehende in Westen liegt. Die grofsen periodischen Veränderungen in der magnetischen Po- larität der Metalle sind also eine Folge von Aenderungen der Verhält- nisse der jene Polarität erregenden, in der Temperatur verschiedenen Punkte im Innern der Erde, und der daraus hervorgehenden Aenderun- gen in der magnetischen Polarisation der netzarlig mit einander verbun- denen Erz- und Metallgürtel. Die regelmäfsige Fortschreitung der als magnetische Achse des ganzen Erdkörpers zu betrachtenden Linie wäh- rend eines gröfseren Zeitraums kann nur bei einer gleichzeitig und in einer bestimmten Richtung statt findenden Aenderung in dem Verhalten der Mehrzahl jener Punkte gegen einander, und wohl vorzüglich bei der Aenderung der nach gleicher Richtung sich fortpflanzenden Entzündungen oder sich weiter ausdehnenden Feuerherde eintreten. Der scheinbar so unregelmäfsige Uebergang des Systems von Linien gleicher Declination in- nerhalb eines Zeitraums von hundert bis hundertundfunfzig Jahren wird nun minder paradox erscheinen, wenn man erwägt, dafs in jenen gröfsten- theils isolirt liegenden Feuerherden die Thätgkeit nicht immer gleich stark seyn mag, und dafs manche derselben nur mit verhältniismäfsig schwachen Erz- und Metallgingen in Verbindung stehen mögen, oder Aaa2 \ 3:12 SEEBECK mit Gängen, welche der Erdobertläche nahe liegen, wodurch denn wohl locale, und nur auf kleinere Räume beschränkte Änderungen in den Declinationscurven eintreten können. Auch die merkwürdige Erscheinung, dafs einzelne Linien der gleichen Deklination unverändert blieben, während die übrigen sich in der Form beträchtlich veränderten, und dafs an den Orten, welche un- ter jenen Linien liegen, selbst in dem beträchtlichen Zeitraum von hun- dert und funfzig Jahren die Deklination unverändert dieselbe blieb, wie namentlich in Jamaika, St. Catharina, an der Ostseite der Insel Mada- gascar und in Cairo von 10675 bis 1759, besteht vollkommen mit den aus dem Zusammenhange des Erdmagnetismus mit dem Erdvulkanismus in der hier angegebenen Form sich ergebenden Gesetzen, wie umständ- licher an einem andern Orte nachgewiesen werden soll. Die Lage des magnelischen Aequators gegen den geographischen Aequator der Erde zeigt an, dafs die Mitte der den Erdkörper durch- ziehenden gröfseren Erz- und Metallgürtel in der Nähe des letzteren liegt, und dafs der gröfste dieser die magnetischen Erdpole seizenden Gürtel sich zum Theil nördlich, zum Theil südlich durch den Erdäqua- tor hinzieht; und der Parallelismus der übrigen Curven, in welchen die Inclination der Magnetnadel gleich grofs ist mit jenem magnetischen Aequator, spricht für die parallele Lage auch der übrigen, zur Erzeu- gung der magnetischen Erdpole mitwirkenden Erz- und Metallgürtel. Die aus Herrn v. Humboldt’s Untersuchungen sich ergebende Zunahme der Kraft des Erdmagnetismus vom magnetischen Aequator gegen die Pole zu, stimmt gleichfalls mit den sämmtlichen ‘in dieser Abhandlung 9? vanischen Kette, in dem vorigen Bande der Denkschriften der Königl. so wie in der Abhandlung über den Magnetismus der gal- Akademie, angeführten Thatsachen und den aus diesen abgeleiteten Ge- setzen über die magnetische Polarisation der aus ein, zwei oder mehr Gliedern zusammengesetzten metallischen Kreise, Cylinder u.s.w. voll- kommen überein. Zu den für ein festes Verhältnifs zwischen dem Erdmagnetismus und Erdvulkanismus sprechenden Thatsachen gehört auch die bei Erd- beben wahrgenommene Veränderung im Stande der Magnetnadel, vor- nehmlich die von Herrn v. Humboldt entdeckte bleibende Verminde- über Magnetismus durch Temperatur- Differenz. 3178 rung der Inclination der Magnetnadel .bei dem Erdbeben von Cumana im Jahre 1799. Ob man berechtigt sei auch die Veränderungen, welche bei Nordlichtern, Stürmen, Gewittern und plötzlichen Witterungsver- änderungen bisweilen im Stande der Magnetnadel eintreten, auch hierzu zu zählen, steht dahin; doch ist es wohl als sehr wahrscheinlich anzu- sehen, dafs diese in unserer Atmosphäre sich ereigenden Erscheinungen nicht blos auf den äufsern Lufikreis der Erde allein beschränkt sind, sondern auch wohl mit den im Innern derselben vorgehenden chemi- schen Prozessen und deren verschiedei:en periodischen Schwankungen in Verbindung stehen. Da nun Veränderungen der Magnetnadel häufig diesen meteorischen Erscheinungen vorhergehen, und Canton’s Erfah- rungen zu Folge die niedrigsten Nordlichter gerade den schwächsten Ein- flufs auf die Abweichung zeigen, so wird man die Veränderungen der Declinauon nicht diesen Meteoren selbst zuschreiben können, sondern man wird diese als gleichzeitig mit den magnetischen Veränderungen eintretende, und also auch von derselben Ursache, welche die leız- teren bewirkt, abhängige Erscheinungen anschen müssen; was auch noch dadurch bestätigt wird, dafs nicht selten Veränderungen der Mag- netnadel gleichzeitig mit jenen Meteoren statt finden, an Orten wo diese selbst nicht wahrzunehmen sind. Ohne in das Einzelne der übrigen tellurisch-magnetischen Er- scheinungen eingehen zu wollen, bemerke ich nur noch, dafs selbst die- jenigen, bei welchen eine Einwirkung von aufsen unverkennbar ist, wie z.B. die jährlichen und täglichen Variationen der Declinauonsnadeln, eine sie mannigfalug ändernde eigenthümliche Wirkung des Erdkörpers anzuerkennen nöthigen. Und so sprechen denn alle hier angeführte Thatsachen für die Erzeugung des Erdmagnetismus durch eigene, innere Thätigkeit des Erd- körpers, wo dann die vulkanische Thäugkeit, die mächüigste von allen, nothwendig auch den gröfsten Einflufs ausüben mufs. Die in der vorstehenden Abhandlung $. 22. versprochenen Zusätze werden in ei- nem der folgenden Bände der Abhandlungen der Königlichen Akademie erscheinen. „mn an nunnnnn “| e Sn ARE o|o BR o| o|o o| o!o o|e ololo olo| o Anlimon ..... : SEIEIEZENE o|o o|o [> ]|> |> |e Je | |o |> |> |° 6 | > | > lea le BwWeniKu..:..... © o| o| loJo[e| | o|lo o|o 2 |o |o oo le Be... 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Klasse 1822-1823 Tabelle HM. elslelelzlejeelsie einslzjglzigielee „BElElElSlE:S|S else eeleı se el; Ele|sız ala: |: |; Sir. ä a a u er 5 ; 19228 Bl . 8 a Fre Run el Bi 2 - In Süden. ° BES Be. (re a | |. | ° | 'o Sf per) | | | a n.-... "oO nn -- 5 Fhtina No:t..... w|w|w o oo ee || jo en Pu w o| !-Tolo|o | ke Falına No.A 4. I. ter :: oo een er. wW|Iw ololo 00 olo|o OT Dr PR w \ w a oo ) or Be. Be a a o|o a 0.1277 er | | w ww wi 7 7 10:0 lo| o an. | ? w wi vw w| |o| 3 o/ | jojo na Kupfer No.0..... www ww|ww 0o|lo| Kor Nr = w| w|w| w|iw|w | ol | Gold No.l....... « www w|w/w|w | lo[e| 3 Kupfer No.2..... wwiww|w| | 2 6 Im | Tea =: | 2 > GollNo.2.....-. | ai w Fu a "Folge Ben... =, |w|w| |w w| | ww Br: en. ; | en | nee Antimon cucecee. wi |w x sy a Phys. Klasse 1822-1823. Zu Hrn. Seepecr’s Abhandlung: Magnetische Polarisation der Metalle und Erze u. s. w. — en Ze ee N & Y Zu . 6777 N IE as u“ Darstellung der Resultate welche sich aus den, am Vesuv, von ALEXANDER vos HUMBOLDT und anderen Beobachtern angestellten Höhen-Messungen herleiten lassen. Von JABBO OLTMANNS. ——— I — Ergänzung der Abhandlung von ALEXANDER vos HUMBOLDT, über den Bau und die FWirkungsart der Vulcane. (Vergl. Abhandlung der Phys. Klasse in diesem Bande S.137 u. 151.) a. “ 1 ae 1 0 17 Dar ae En Ge Tr Ze AITanT Ry% ap wat BR OEN Bu. 2 ‚ f \ > ei u Erd j .- N 2 5 2 re terre walls a Ve . 4 ” ü i . 5 o. I u i z > . . uf © % € u . Ei u er u ’ DR, 4 es j i . . u e. ala re Ve . To Des ne N r pn 5 \ > u . - ) Ba: un: =. za & Ze 23 ; 7 ® . z = pas N ae Tele er er i j En a ae DIEBE: Betr ehr a Er zen Iured) wu Pd, Darstellung der Resultate welche sich aus den am Vesuv von Alexander von Humboldt und andern Beobachtern angestellten Höhen -Messungen herleiten lassen, D.: Frage über die Veränderungen, welche die Form der Vulcane er- leidet, ist von solcher geognostischer Wichtigkeit, dafs ich, um einen sicheren Anhaltspunkt zu erlangen, hier Alles zusammenstelle was bis- her über den Vesuv beobachtet worden ist. 1. Geographische Lage des Vesuvs. a) Beobachtungen. Nach Humboldt’s eigenen Beobachtungen im November und De- cember 1822, ist der Palo 1228,5 Metres = 630, 4 Toises über dem Mee- vesspiegel. Brioschi’s Repetiions-Kreis auf der Sternwarte zu Neapel, ist 166M. über der See, folglich 1062,5 M. unter dem Palo. Die irr- dische Stwahlenbrechung = 0,08 des Bogens gesetzt, finde ich: die Ent- fernung des Palo von Neapel 16304M. —= 8365T., den Längen-Un- terschied der Sternwarte 11’5”, den Breiten-Unterschied 2’ 42” südlich. Die Lage der Sternwarte 11° 55’ 30” östliche Länge und 40° 50'145” nörd- liche Breite augenommeu, ist die östliche Länge des Vesuvs..... 129, 6.839" nördliche Breite ..... 2.2.22... 4094 * 4 ÖLTMANNS Ein Metre Unterschied in der Höhe ändert die Entfernung des Vul- cans von Neapel um 15,3M. oder um acht französische Klafter, denn der scheinbare Erhöhungswinkel ist 3° 40’ 1”. Lord Minto, ein sehr verdienstvoller englischer Physiker und sehr geübter Beobachter, findet, meiner Rechnung nach, den Palo 1208,2M. über dem Meere oder 1042,2M. über Brioschi’s Kreis, die Entfer- nung des Vulcans von der Sternwarte 15996M. — 9207,1 Toises nördliche Breite..... 40° 47’ 36” östliche Länge ...... 100.200, Der berühmte italienische Astronom Brioschi findet, aus seinen eigenen Beobachtungen, den Höhen - Unterschied 1249,2 — 166,0 = 1083,2M; die Entfernung 16617M. = 9525,5 Toises nördliche Breite..... Solchemnach: Humboldt ....... & U Oa er a e Brioschiiiw.u.,.m21:.89255, )- un Mattel. ae ee er 830hoiges 4 östliche Länge »..... 12° 3 2 welches mit Humboldt ’s Beobachtungen ganz zusammenfällt. ß) Kritik des Beobachteten. Der rühmlichst bekannte französische Fregatten-Kapitain Gauttier (Conn. des temps 1824) setzt die Breite des Vesuvs 40° 48’ 40”, die Länge 12°7’0”. Da aber der Palo den nördlichen Rand des Kraters bildet, dieser selbst in S. 55° W. Richtung, 500 Klafter breit seyn soll; so dürfte der Vulcan etwa eine halbe Bogenminute südlicher und auf 40° A7T’0"” anzusetzen seyn. Brioschi hat das Azimuth des Vesuvs auf 72° 8’ südöstlich be- summt. Ein in der Entfernung verborgener Fehler kann daher eben keinen merklichen Einflufs auf den Breiten- Unterschied äufsern. Wenn nun die von Gauttier beobachtete Breite die richtigere wäre (und See- fahrer releviren immer die höchsten und kenntlichsten Punkte); so würde in Verbindung mit Brioschi's Azimuth von 72° 8’ Südöstlich, der Ve- suv nur 4895 T. von der Sternwarte liegen, da doch der nördliche, A. v. Humboldt’s Barometer- Messungen am Vesuv. 5 also der Hauptstadt wohl näher liegende Rand, bereits 5366 F. davon entfernt seyn soll. y) Sehlufs. Nördliche Breite des Vulcans..... 40° 47'33" östliche Lange! : msi 122.46435% 2. Ueber die Höhe der Kinsiedeley del Salvatore. a) Beobachtungen. Die Höhen-Messung des 22. Novembers mufs an die Einsiedeley geknüpft werden, weil, zu Portiei, der Barometer nicht unmittelbar am Meere beobachtet wurde. Nach Humboldt's Beobachtungen am 1. December 1822 giebt die erste Messung. ..... 312,6 Toises die zweite — 2.20.3135 4 _ im» Mittel, u 5.44% 458931840: Tores oder 314,33 T. für die Höhe der Einsiedeley über der Meeresfläche. Humboldt's Beobachtungen vom 25. November 1822 geben: nach der ersten Messung 301,4T., nach der zweiten 303,3 T., im Mittel 302,35 T. und 303,0T. für die Höhe der Einsiedeley über der See; denn am 1. December war der Barometer beim Abfahrtspunkte 1,33 TI am 25. November aber 0,67 T. über dem Meeresspiegel. Das Mittel aus beiden Messungen giebt 308, 7 Toises. Lord Minto, Humboldt’s nächster Vorgänger in der Messung des Vulcans, findet am 17. März 18522, aus der ersten Beobachtung, die Höhe der Einsiedeley 305,0 T., aus der zweiten 303,3 T., im Mittel, nach Minto’s Beobachtung und meiner Rechnung, 304,2 Toises. Minto’s Beobachtungs-Zimmer in Neapel war 21 Fufs (englisch) über dersSee#y a7. 8 ER. E85 —= 2,95 Toises folglich: Höhe der Einsiedeley .... 307,15 - über dem Meere. Derselbe Physiker beobachtete am 13. April 1822: die Höhe der Einsiedeley über Neapel... 305,0 T. nach der ersten Messung 306,6T. = -: zweiten — im Mittel ..... 2.2... 305,8 Toises. 6 ÖLTMANNS Neapel über der See.....crereereseenen 2,95T. folglich: Höhe der Einsiedeley über dem Me ..808, 75; und im Mittel aus allen vier Messungen....... 307,95T. Also‘; nach: ‚Lord Minto, : =... a: te OR ID. nach. Humboldt! Muss=..3..% he ae; BOSLLTOAT, Höhe des Hofraums (Piccolo largo) der Einsiedeley del Salvatore....«.. .\.0. 308,8 Toises. ß) Kritik des Beobachteten. Gay-Lussac, Buch und Humboldt fanden, im Jahre 1805, die Einsiedeley 299,0 T. nach der ersten, und 301,8 T. nach der zweiten Messung, im Mittel also 300,4 Toises über dem Meere. Brioschi beobachtete am 21. Februar 1810 die Höhe eines Ober- zimmers (in una delle stanze superiori) der Einsiedeley 320,1 T. = 623,9 M. (nach meiner Berechnung) über der See. Da nun Monticelli (siehe unten), den zwischen Humboldt und ihm gefundenen Höhen-Unter- schied (oder vielmehr: die Abweichung in den Höhen-Angaben zweier verschiedenen Stationspunkte) von 10 T. auf die Höhe des Thürmchens (del piccolo campanile) schiebt; so möchte Brioschi’s Standpunkt in der Oberstube wohl noch einige, etwa 6 Klafter, über dem Humboldt- Mintoschen anzunehmen und auf 614T. zu setzen seyn. Denn mehr als 10 Toisen dürfen für die Höhe der Einsiedeley-Kapelle vom Fun- damente bis zur Thurmspitze wohl nicht gerechnet werden. Der verdienstvolle Monticelli bemerkt, bei Gelegenheit der Gay- Lussacschen Beobachtungen vom 29. Julius 1805, „‚si e.supposta laltezza della casa del Eremo de tre tese al di sopra „‚del piccolo largo del Salvatore.” Dadurch liefse sich vermuthen, als steige man vom Hofraum treppen- weise 3 Klafter hoch zur Einsiedeley hinauf bis zur Schwelle; und, wenn dies sich so verhält; so möchte auch Brioschi’s Barometer in dem Oberzimmer, vorzüglich’ bei der luftigen italienischen Bauart, wohl höher noch als 6T. über dem Hofraum gehangen haben, wodurch die Höhe des letzteren noch unter 614T. anzusetzen wäre (nur Lokal-Kenntnifs kann hierüber entscheiden). Ad. v. Humboldt’s Barometer- Messungen am Fesuv. 7 Der berühmte italienische Gelehrte Visconti findet, durch Trian- gelmessungen, die Thurmspitze 312 T. = 328, 4 Passi = 608,15 M. über dem Meere. Hieraus folgt, mit Brioschi’s Beobachumng verglichen (1), dafs ds Oberstube in ee Einsiedeley etwa 63 Fufs = 20,5 M. unter der Thurmspitze liegt; ein Höhen-Unterschied, welcher mir für die kleine Kapelle doch etwas zu grofs zu seyn scheint, um so mehr noch, weil Monticelli für die ganze Höhe der Einsiedeley vom Fundament bis zur Spitze sich schon mit 10 Klafter begnügen will. ‚,‚Za differenze di 10 tese aparliene presso a poco al altezza del campanie,’” wobei er offenbar die Spitze (Punta) mit dem Hofraum in Vergleichung bringt. y) Schlufs. Ä Nach Lord Minto’s Beobachtungen vom 18. April 1822 liegt Portici 2,03T. = 13 englische Fufs unter Neapel. Er selbst dagegen setzt Portici nur 18 englische Fufs oder 2,8T. niedriger als sein Beob- achtungszimmer in der Hauptstadt. Wenn also Neapel 21 englische Fufs über dem Meere ist; so würde Portici, den Barometer-Beobachtun- gen zufolge, Senglische Fufs oder 0,5 T. höher liegen, als die direc- ten geometrischen Messungen dafür angegeben haben. Diesen Unter- schied kann man einigermafsen für die Be: der Zuverläfsigkeit von Minto’s Messungen ansehen, in so fern Unsicherheit der augen- blicklichen correspondirenden Thermometer- und Barometer-Stände nicht ungünstiger noch als atmosphärische Verbesserungen dabei einwirken. Humboldt, seiner Seits, bemerkt, dafs die Beobachtung vom 25. November 1822 ihm nicht so gut zu seyn scheint als die vom 1. Dezember. Will man also die relativen Werthe beider wie 1:2 annehmen; so wäre die wahrscheinliche Höhe aus Humboldt’s Beob- achtungen.. : 3. wewlr.a 0. 310,5 Toises; und nach Minto..... 307,15 - mit Portici verglichen, im-Mittel....... 308,8 Toises. (1) Nämlich, der höchste Punkt des Vesuvs ist nach Brioschi 1249,4 M.= 640,9 T. Oberzimmer der Einsiedeley... 623,9 M.= 320,1 T. Unterschieden aa scale rege 625,5 M. Nach Viscontis Dreiecken.... 605,0 vom Thürmchen angerechnet. 5 OÖLTMANNS Weil aber bei Annahme des Werthes 1:2 doch immer etwas Will- kührliches zum Grunde liegen möchte; Lord Minto’s, zu Portici ange- stellte, Beobachtungen für eine kleine Höhen - Verminderung zu spre- chen scheinen; so setze ich, auf alle Thatsachen gestützt, die Höhe der Einsiedeley del Salvatore: 408,0 Toises — 600,3 Metres. 3. Höhe der Rocca del Palo, am nördlichen und höchsten Rande des Vesuvs. a) Beobachtungen. Nach Humboldt’s Beobachtungen vom 25. Novbr. ist die Rocca del Palo, 630,4 Toises über der See. Nach Minto’s Messung vom 417. März 1822... ..620,05 T. vom 13. April 1823...... 619,75T. 619,90 Toises — 1208, 2 Metres, Humboldt’s Beobachtungen, unmittelbar mit der Einsiedeley verglichen, geben den Höhen-Unterschied beider Punkte 327,35 T., und, die Einsiedeley 308,0 T. über dem Meere angenommen, die Höhe der Rocca del Palo 635, 35 Toises. £) Kritik des Beobachteten, Die Messungen vom 25. November schliefsen stets eine Ungewifs- heit ein, welche aus dem schwankenden Barometerstande vor und nach der Reise zum Krater entspringen muls, weil nämlich alle Mittel fehlen, die successive Aenderung dieser 1,7 Linien grofsen Senkung, für Zeit und Stunde, mit erforderlicher Sicherheit zu bestimmen. Lord Minto setzt den Höhen-Unterschied zwischen der Rocca del Palo und der Einsiedeley 2000 engl. Fufs, oder 312,8T. = 609,9M. die Einsiedeley ist, nach meinen Untersuchungen 308,0T. die Rocca del Palo...... essen en sieh 020.84 Aber Meere, A. v. Humboldt's Barometer- Messungen am Vesw. 9 Visconti fand im Jahre 1816 vermittelst Dreiecke...... 622,0T. Monticelli, am 27T. Decbr. 1822, durch den Barometer... 624,0 - PoulettScrope(ı) am 27.Dechbr.1821 durch den Barometer 603,8 - nach meiner Rechnung. Letztere Bestimmung ist wohl zu niedrig, wegen fehlender Cor- rection des Nullpunkts. Nehmen wir daher, bei solchen Umständen, ein Mittel aus Humboldt's und Minto’s Beobachtungen ; so ergiebt sich die Höhe der Rocca del Palo 625, ı5 T. und ihr Unterschied mit der Einsiedeley 317,15 T. Und dieser Unterschied dürfte nicht stark von der Wahrheit sich entfernen. Denn ziehen wir von Visconti’s, mit Recht gepriesener trigonometrischen Messung, d.i. von 622,0 T., die Höhe der Einsiedeley zu 308,0 T. ab; so bleiben noch 314,0 T. für den Höhen-Unterschied beider Punkte übrig. Lord Minto’s Beobach- tungs-Resultat: 312,8 T., nähert sich meiner Annahme freilich mehr als das Humboldt’sche; Lord Minto aber befand sich in einer dop- pelt günstigeren Lage als Humboldt. Einmal, weil er die Beobachtungen mit Mufse wiederholen konnte, und zweitens: weil die Veränderung des Barometerstandes an beiden Tagen sehr unbedeutend war, athmos- phbärische Verbesserungen und Einwirkungen also die Höhen - Resultate (t) Beobachtungen des Poulett Scrope, am 28. December 1822. Resultate der Rechnung 100 Theil: Thermometer.| Barometer- h nac. Stand! (7): | tn un Bemerkung. am an M Monticelli. | Oltmanns. (en) (in Toisen.) | (in Toisen.) Zeit und Ort der Beobachtungen. Barometer. | der Luft. —— —_. 1322 den 28. December 7 Uhr Morgens am (*) Die Barometer- Meeresstrande 5 0,76946 Stände sind bereits | | | Um 9 Uhr Morgens, höchster Rand des Bratersi(itnParo) a neieddee.cciee 7,4 A 0,66599 auf die Temperatur der Luft zurückge- führt worden. Um 91 Uhr Morgens, niedrigsterRand des Kraters (Bosco gegenüber).... ei 0,6779 Anmerkung. Diese Beobachtungen des Herrn Poulett Scrope sind aus Monticelli’s Werke Storia del Fesuvio 1823, p. 111 entlehnt worden. Sollten die Höhen nicht darum zu niedrig ausfallen, weil Monticelli auf die Correction des Nullpunkts im Gefäfs- Barometer keine Rücksicht genommen hat? Aus diesem Grunde habe ich Anstand genommen, diese übrigens sehr schatzbare Beobachtungen in die nächst folgende Tafeln mit aufzunehmen. J. Oltmanns. 10 ÖLTMANNS ungleich weniger affıziren konnten, als am 25. November 1822, wo das Quecksilber, in 104 Stunden, um 1,7 Linien fiel. y) Schlufs. Höhe der Rocca del Palo 625,0 Toises über dem Meeresspiegel. 4. Zustand des Vesuvs im November 1822. Unterschied des höchsten und niedrigsten Krater-Randes. oa) Beobachtungen. Nach Humboldt’s Messung am 25. November 1822 ist der Rand des Kraters, welcher der Somma gegenüber steht, Rocca del Palo 625,0 T. über dem Meere; der niedrigste Punkt des Krater-Randes, Bosco tre case gegenüber 546,2; Unterschied beider Punkte 78, ST. Dieser Rand, direct mit Palo verglichen, giebt nach Humboldt’s Beobachtungen vom 25. November 12} Uhr und 1 Uhr.... S5,0TT. £) Kritik des Beobachteten. Gay-Lussac’s Beobachtungen zu Folge, war der höchste Rand... 602,5 T. der niedrigste...... 533,9 Unterschied ........ 68,6 Toises nach meiner, und 76,0 T. nach Monticelli’s Rechnung. Am 4. August 1805 fanden Gay-Lussac und Humboldt den niedrigsten Rand freilich nur 510,6 TT.; ihre Standpunkte scheinen aber nicht dieselben (identisch) gewesen zu seyn. Denn Monticelli be- merkt ausdrücklich, dafs ‚‚sul margine interno del cratere lo stromento era stato situato piu basso di qualche tesi di quelle del 29 Luglio’’ Deswegen scheint es mir zweckdienlicher zu seyn, blos die Gay-Lussac’schen Beobachtungen eines und desselben Tages mit einander zu ver- gleichen. Poulet Scrope, ein sehr kenntnifsvoller englischer Geognost, findet nach Monticelli’s Rechnung, den höchsten Rand des Kraters 603,5 T., den niedrigsten 528,9 T., Unterschied beider 74,6 T. Ich finde 4. v. Humboldt’s Barometer- Messungen am Vesw. 14 aus eben diesen Beobachtungen 603,5T., 529,2T. und 74,6 T. Palo direct mit dem Krater-Rande, Bosco tre case gegenüber, verglichen giebt den Höhen-Unterschied der Ränder 74,0 Toises. Humboldt’s Messung vom 25. November 1822 giebt also den Höhen-Unterschied 78,5 T. bis 55,0 T. im Mittel S1,9; Poulett Scrope’s Beobachtung macht ihn 74,3 Toises. y) Schlufs. Falls die Ränder seit 1805 keine besondere Aenderung_ erlitten haben; würde Poulett Scrope’s Beobachtung das Mittel zwischen bei- den Resultaten halten; so dafs der mehr erwähnte Unterschied der Rän- der auf 75,0 anzusetzen wäre. Uebrigens scheinen Gay-Lussac’s und Scrope’s Beobachtun- gen auch jene, von mir angenommene Verminderung der Höhe des Palo, so wie sie nämlich aus Humboldt’s Messungen ursprünglich folgt, zu vechtfertigen. 5. ‘Höhe des eingestürtzten Kegels. a) Beobachtungen. Brioschi findet nach Höhenwinkeln, welche er auf der Stern- warte, vermittelst eines Repetitions-Kreises, gemessen hat, dafs der höchste Punkt des Vesuvs um 19’58” gesunken, und da nun dessen Entfernung von der Sternwarte ohngefehr 16000 M. ist; so ist die Höhen- Aende- rung 93 M. = 47,7 Toises. Humboldt beobachtete am 25. November den Punkt mit wel- chem Brioschi den Gipfel des Kegels verglichen hatte und der dem Krater-Rande (Torre del Annunziata gegenüber) nahe liegt. Er war ohn- gefehr 588,0 T. über dem Meere. Rechnet man hierzu die Abnahme seit dem 25. Oktober 1822 oder 47,7 T.; so ergiebt sich für die Höhe des eingestürtzten Kegel 635,7 T. Und dieses siimmt besonders gut mit der Versicherung lokalkundiger Personen überein, dafs nämlich der ein- gestürtzte Kegel höher noch als der Palo gewesen sey. Bei der Messung vom 25. November wird zugleich und nach Schätzung bemerkt, (2°) 12 OÖLTMANNS dafs der Höhen-Unterschied an die 100 Fufs (16% T.) betragen habe. Wir fanden aber den Palo 625,0 T. über dem Meere, solchem nach die Höhe des eingestürtzten Kegels 6413 Toises. Nach Lord Minto’s eigenen Beobachtungen finde ich den Gipfel des neuen Kegels: aus der ersten Messung... . o -Io a) , 186) 29,8 Ti aus der zweiten — .....J9 7: im Mittel 2.02 ee 9341, 2H@oises: — 187,5 franz. = 199,8 engl. Fufs über dem Palo. Da aber der Baro- meter 4Fufs (englisch) unter dem Palo stand; so müssen solche von 199,8 abgezogen und auf 195,8 = 183,7 franz. = 30,6 T. reduzirt wer- den. Minto selbst berechnet den Höhen-Unterschied auf 45 + 157 —=202 engl. Fufs. Die Rocca del Palo ist aber hoch... 625,0TT. + 30,6TT. Gipfel des Kegels noch höher; also Gipfel des Kegels 655,6 T. über dem Meere(1). Minto’s Beobachtungen, für sich genommen, geben diese Höhe 3963 + 195,8 — 4158, 8 engl. = 3902, 2 franz. Fufs = 650,37 T. Monticelli (7) beobachtete am 27. Mai 1822 die Prominenza S$. E. di Cratere 24,0 T. über dem Palo und jenen Gipfel 648,0 T. über dem Meere. £) Kritik des Beobachteten. Brioschi folgert den Höhen-Unterschied aus zwei Beobachtun- gen, welche ein Jahr und vier Monate auseinander liegen, und wovon die eine im hohen Sommer, die andere im Herbste, also höchst wahr- scheinlich bei sehr verschiedener Temperatur angestellt wurden. Die irdische Stwahlenbrechung mischt hierbei, auf einer Distanz von S0O00T. einen sehr grofsen Einflufs mit ins Spiel, und jede Minute Aenderung am scheinbaren Erhöhungswinkel bringt eine von + 2,5, T. oder 15 franz. Fufs im Höhen- Unterschiede hervor. Dabei mufs Brioschi’s Messung (1) Mit der Einsiedeley direct verglichen .. 308,0 n.} pP eh Lord Minto sewzt den Höhen-Unterschied. ... 312,8 T.J Falo = 620,8. +30, 6.7: Gipfel.. 651, A T. Nach Monticelli 314,0 T. + 308,0 T. + 30,6 T. = 652, 6 Toises. 4. v. Humboldt’s Barometer- Messungen am Vesuv. 13 noch mit Humboldt’s barometrischer verglichen werden, womit dann wiederum eine kleine Unsicherheit verbunden ist. Selbst bei Lord Minto’s schönen Beobachtungen finden Ab- weichungen von 2,9 T. statt, wenn wir nämlich beide Höhen -Messun- gen des Gipfels über dem Palo mit einander vergleichen wollen. y) Schlufs. Unter so bewandten Umständen wird es denn erlaubt seyn, das Mittel aus folgenden Beobachtungen zu nehmen: () Humboldt und Brioschi.... 636,5 T. vor und nach dem Ausbruche. 2) Monticellim.. 2.0... 2%04- 648,0 T. vor dem Ausbruche. 3) Minto und Humboldt...... 655,6T. vor dem Ausbruche. Gipfel des eingestürtzten Kegels . 646,7 Toises. Will man die Schätzung der Höhen-Abnahme auf dem Vesuv, am 25. November, bei der Rocca del Palo, hinsichtlich angedeuteter Un- sicherheit der Strahlenbrechung bei Brioschi’s Messungen, nicht ganz ausschliefsen; so hätten wir nachstehende vier Resultate: Humboldt am 25. November..... 641,7T. % Humboldt und Brioschi...... 636,5 ei H.B. undM. Humboldt und Minto........ 655,6T.)J 646,05T. Monticelli . dl 5 20 220006 2/0, Das arithmetische Mittel aus Humboldt’, Brioschi’s und Minto’s Beobachtungen nähert sich einer, aus der Gesammtheit genommenen Mittelzahl so genau, als wir es von dergleichen Beobachtungen, ihrer Natur und den angedeuteten Umständen nach, nur irgends erwarten dürfen. Und überhaupt genommen, mufs man sich wundern, dafs diese Uebereinsiimmung unter den verschiedenen Beobachtungs-Resultaten so grofs ist. Denn, auf dem Abhange des Vulcans ist die Vertheilung o der Wärme ganz anders als Laplace’s Formel es erheischt. Es ist ungleich warm, oben wärmer als unten, und an einigen Stellen herr- schen Luftströme nach allen Richtungen hin. 14 OÖLTMANNS Barometrische Beobachtungen weiche A. v. HUMBOLDT, vom 25. November bis zum 1.December 1822 anstellte. Beobach-| Verbes- Thermometer teter serterr | mn | Rech- FR nn gr er nungs- Zeit und Ort der Beobachtung. Barome- | Barome- | Barom. |der Luft Res S terstand. | terstand. | (Reaum.) | (Fahrenb.) Reue | @ ß a4 Ö | (in Toisen.) Den 25. November 1822. | Neapel, im Garten des Palazzino, 4 Fuls über dem Meere. 7 Uhr Morgens. ..... PL SE ER) 61°,0 Bosco superiori »ı Porrıcı (Fasanerie). SenUhrs Morgens! ag... eg erdeine de 28. 3,0. |28. 2,99 | 14,0 60,0 29,5 Hofraum vor der Einsiedelei per Sar- FATORE. „A0 Uhr Morgens. enae as 26. 6,8 126. 6,18 13,0 58.0 301,4 Abhang des Aschen-Kegels, (wo man anfängt sich der Tragsessel zu bedienen). 1029UkryMorsenst Ariz MER, 26. 0,2 |25. 11,40) 13,0 58,0 394,3 Westlicher Rand des Kraters, (Resına | gegenüber). 11% Uhr Morgens........ 25. 0,7 |24.11,59| 13,4 57,0 560,2 Rand des Kraters, (Torre DEL GRECO ı gegenüber). Mittags 0 Uhr........... 24. 11,5 | 24. 10,36| 10,0 58,0 570,4 zıara gegenüber). O0 Uhr 15’ Nachmittags | 24. 9,7 | 24. 8,51 9,0 598,5 Rand des Kraters, (Bosco-TRrecAsE ge- genüber). 0 Uhr 30° Nachmittags ...... Rand des Kraters, (Örrayano gegen- über). 0 Uhr 49 Nachmittags. ........ Nördlicher Rand des Kraters, (der SommA gegenüber) auch Rocca per Pıro genannt, wegen eines Pfahls der, lange Zeit über, zum Signal für Dreiecks - Messungen diente). 4 Uhr Nachmittags .......... Westlicher Rand, (Resına gegenüber) 1."Uhr: 30) Nachmittags, : eaeer Aaeas er Am Abhange des Aschenkegels, (wo man der Tragsessel sich zu bedienen an- fängt). 1 Uhr 45 Nachmittags. ......-» BoccA nEL Franczsz, (Oeffnung worin der unglückliche Coutrel stürzte). 2Uhr Nm. EN Rand des Kraters, (Torte DEL ANuUN ‘ A. v. Humboldt’s Barometer- Messungen am FVesuv. 15 Fortsetzung. (Humb. Beob.) Rech- Zeit und Ort der Beobachtung. 8 nungs- Resultate. (in Toisen.) Am Fufs des Kegels. 2 Uhr Nachmittags | 10°, 0 Ebene von Arkrıo per CAavAuıo. 2 Uhr 20° Nachmittags . ..... . - Fr "2195; I95, 402.3 Hofraum vor der Einsiedelei peı Sır- VATORE. 2 Uhr 45’ Nachmittags .:...... .5,9 |26.5. ; 56,0 303.3 Pıcrrroxe Der Re. 3 Uhr 15’ Nachmittags | 26. Dr, 4 57,0 219,8 Kirche der Sta Marıa Pucuiana. 3 Uhr 15’ Nachmittags f 28. 0,9 Z; 356.5 Am Meere, 4 Fufs über dem mittleren Wasserstande. 5% Uhr Nachmittags.....}28. 3,8 5 60,0 Anmerkung. Humboldt bediente sich, bei diesen Messungen, eines Gefäfs-Barometers mit veränderlichem Niveau. Das Quecksilber bäuft sich, beim Aufsteigen des Berges, im Gefäfse an. Verbaltnifs der Röbre und des Gefäfses = 1 : 6. Zu den berechneten Höhen müssen 4Fufs oder 0,7 Toisen hinzugefügt werden, um sie auf den mittlereu Wasserstand zurückzuführen. Monticelli hat Humboldt’s Beobachtungen vom 25. November bis zum 1. December 1922 in seinem vortrefflichen Werke: Storia del Vesuvio p. 115, bekannt gemacht. Sie heben ihm überall zu kleine Höben gegeben, weil die Barometer- Stände unverbessert, das heifst: nicht von dem Fehler des, im Gefäfs-Barometer veränderlichen Nullpunkts befreit sind. Vielleicht hatte Humboldt, bei seinem kurzen Aufenthalte in Neapel, durch andere Pflichten zerstreut, vergessen, auf der Abschrift der Beobachtungen das Verhältnifs der Durchmesser des Gefäfses und der Röhre anzugeben. Alle diese wie die folgenden Höhen sind nach meinen eigenen hypsometrischen Tafeln (Recueil d’obs. astronomiques Yol.1.), welche auf Laplace’s Formeln gegründet sird, berechnet worden. J. Oltmanns, T € ’ Te a Fa a 16 OÖLTMANNS Fortsetzung. (Humb. Beob.) I \ Rech- Zeit und Ort nungs- Bemer- der Beobachtung. Resultate. kungen. (in Toisen.) Den 1. December 1822. Porrscı, 8 Fufs über dem mitt- leren Wasserstande, Mittags Kirche der Santa Marıa Puc- ııana. O Uhr 45° Nachmittags PAGLERONE DEL Re, in der Ebene DELLE GENESTRE. 1 Uhr 30’ Nachmittags ............- Hofraum vor der Einsiede- lei peı SaLvArTore. 2 Uhr 30’ Nachmittags... ......0.... Prımo Monte pı SomMA. 3 Uhr 0 Nachmittags...........- Gipfel der SommA, (höchster Punkt nahe beim Kreuze der Punta DEL Nasone. 4 Uhr 45’ See Peakstarn 24. { Mat N sehr heftiger Wind. Hofraum vor der Einsie- delei peL SaLvAToRrE. 8 Uhr INbendsa. Sack Re 20.120.» : scheufsliches Unwetter. |! PACLERONE DEL Re. 10 Uhr 15’ Abends. ei as Kirche der Santa MaArıa Puc- Am Meere, nahe bei der Schanze GrANATELLO zu PoR- rıcı [Abfahrtspunkt]. (wie ODen) Ss ee ee I Anmerkung. Zu den angegebenen Höhen müssen noch 1,33 Toisen hinzugefügt werden, weil der Barometer, zu Porrıcı, um so viel über dem mittleren Wasserspiegel erhaben war. J. Oltmanns. A. v. Humboldt’s Barometer-Messungen am Vesuv. 1 Fortsetzung. (Humb. Beob.) Rech- Zeit und Ort - / N nungs- Bemer- der Beobachtung. Resultate.| kungen. (in Toisen.) | Am 22. November 1822. \Porrıcı, (Gasthof, der Kaserne in der grofsen Strafse gegen- über). 7 Uhr Morgens..... 28. 16°,0 | 62°, 0 Bei der Kirche Srx Marra- Unter der Pucısana DE Resına. SI Uhr Einsiedelei Monpens.sanke/ade sonne 28.4, 2 DEL SALVATORE. |PAGLERoONE peL Re. 9 Uhr 15 Fufs des Aschenkegels vom Vesuv. 114Uhr Morgens... \Oeffnung am Abhange des Kegels, (aus welcher die Ueber der letzte Lava sich ergossen hatte) : 25.6 g1, Einsiedelei. Rand des Kraters, Torre DEL ANUNZIATA gegenüber... Anmerkung. Diese Beobachtungen sind weniger zuverlässig als die vorhergehenden, weil der Durchmesser der Röhre nicht ganz genau bestimmt worden ist. Der Barometer nehmlich zerbrach am Rande des Kraters. Das Quecksilber stand im Hofraum der Einsiedelei auf 26.2 7,’9 um 10 Uhr Morgens, bei 160 Reaum.; der Gleichförmigkeit wegen ist hier stets der obere Barometer-Stand rücksichtlich des Gefäfses verbessert worden, weshalb die drei ersten nicht in der zweiten Columne erscheinen. J. Oltmanns. (3) = 18 . ÖLTMANNS GAY-LUSSAQC’S Beobachtungen vom Jahr 1805. Therm. Resultate. Barome- an Ueber dem Meere nach Lerstand. . der Luft. Oltmanns.|Monticelli. (Reaum.) | (in Toisen,) | (in Toisen.) Zeit und Ort der Beobachtung. Am 28. Julius 1805. Am Meere. 7 Uhr Abends Einsiedelei pen SaLvaTorE. 10 Uhr Abends... Ebendaselbst, den 29. Julius. 2 Uhr Morgens.... Unterer Rand des Kraters. 3 Uhr Morgens. . 5 Uhr Morgens .. Höchster Rand des Kraters. 54 Uhr Morgens. Anfang des Aschenkegels. .74 Uhr Abends..| 311,5 Einsiedelei ver SaryArore. 11% Uhr Abends.. 317,1 Anmerkung. Die Temperatur des Quecksilbers ist derjenigen der Luft gleich gesetzt worden. GAY-LUSSAC'S, v.BUCH’S und HUMBOLDT’S Beobachtungen vom Jahr 1805. Them. Resultate. e Barome- Ueber dem Meere nach Zeit und Ort der Beobachtung. ER an Pre eren ° [der Luft. | Qltmanns.|Monticelli. | (Reaum.) (in Toisen.) | (in Toisen.) Am 4. August 1805. Hofraum vor der Einsiedelei pEL SALVATORE. 5 Uhr Morgens. ort. 02 aaa nee ee 315,4 17°,0 300,4 301,0 | Anfang des Aschenkegels. 55 Uhr Morgens. . 311,0 17,5 365,4 365,0 Schlacken-Hügel, am Mittelpunkte des Kraters. TUhR AMorgens.a 0. aa ee sn ege.ere 298,5 | 135,0 541,9 542,0 Niedrigster Krater-Rand. 8 Uhr Morgens. . . 300,7 15,5 510,6 511,0 Bontici.. 34- Uhr Morgens... .n gr. unse 337,0 16,0 | 2 Uhr Nachmittags ...........:. 0... 337,0 | 24,0 | Anmerkung. Vergleiche Humboldt: Relation Hist. T.1. p. 150. Der Barometer war zu Porrıcı 7,0 Toisen über dem mitt- leren Wasserspiegel. A. v. Humboldt’s Barometer-Messungeen am Fesuv. . 19 8 Beobachtungen des Lord MINTO. Recch- Zeit und Ort nungs- Bemer- der Beobachtung. Resultate.| kungen. (in Toisen.) — Am 17. März 1822. (mit einem Reise-Barometer von Cary.) Neapel, (21F. engl. über dem Meere.) 10 Uhr 30’ Vormitags. | 30,554 |......- Hofraum vor der Einsiede- lei per SALvAToRE. 1 Uhr 30 Nachmittags ....... 2... 4 Fufs (engl.) unter dem Paro. 4 Uhr 20° Nachmittags. ....- Hofraum vor der Einsiede- . 0 lei per SarLvAtore. 5 Uhr 35 Nachmittags... .....-- RAR: 6 Uhr 0’ Nachmittags... Neapel, (21F. engl. über dem t En Meere.) 9Uhr 15 Nachmittags. | 30,524 2 1251 .n ... + list 302,539 = 282. 7,56 angenommen worden. Anmerku » +. . Barometer-Stand in englischem Maafse. A — in französischem. Pas aana,a am Quecksilber. eis _ — ander Luft. Zu den Hohen müssen noch 2,95 Toisen hinzugefügt werden um solche nehmlich auf die See zurückzuführen. Rech- Zeit und Ort der Beobachtung. | B G 2), maus Resultate. (in Toisen.) Am 17. März 1822. (mit einem Gourdonschen Reise-Barometer.) Oeffnung woraus (im Febr. 1822) die Lava sich ergossen. 3 Uhr 20’ Nachmittags ....| 26,424 | 24. 9,52| 16°, 2 32,5 7,95 Spitze des Kegels, welcher durch diesen Ausbruch gebildet wurde, 4 Fuls (engl.) unter dem Paro. 4 Uhr 0° Nachmittags. | 26,290 24.7,98 | 19,5 8,5 29,8 4 Fufs (engl.) unter dem Pıro. 4 Uhr 20’ 27,3 Nachmittaes, es ae ee 26,476 en 17:0 5,0 e 1 RAS 24. 9,9 Ebendaselbst. 4 Uhr 0° Nachmittags ....... 26,440 9,0 8,0 Anmerkung. Die Höben sind über dem Standpunkte beim Paro gerechnet. Davon müssen 3,67 Fufs = 0,6 Toisen abgezogen werden, | um den Höhen-Unterschied zwischen dem Paro und dem Beobachtungs-Orte zu erhalten. Der Querschnitt der Gonrdonschen Rohre verhalt sich zum Gefäfse wie 1:53, worauf denn auch Rücksicht ge- nommen wurde. (3°) 20 Fortsetzung. (Lord Minto’s Beob.) Zeit und Ort der Beobachtung. Am 13. April 1822. (mit dem Cary schen Barometer.) Neapel, (21F. engl. über dem Meere.) 7 Uhr 25 Morgens... S Uhr 30 Morgens... Porriıcı, (3Fufs über dem mitt- leren Wasserstande.) 10 Uhr 402 Morgens \.Ha su han n 10 Uhr 50 Morgens. Hofraum vor der Einsie- delei DEL SALYATORE. 0 Uhr 45’ Nachmittags..........;. Pıro, (3 Fuls engl. unter dem Signale.) 2 Uhr 40 Nachmitt. 3 Uhr 15’ Nachmitt. 3 Uhr 35’ Nachmitt. 4 Uhr 45’ Nachmitt. Einsiedelei (Hofraum), [wie oben]. 5 Uhr 55’ Nachmittags. Neapel, (21 Fufs engl. über | dem Meeresspiegel.) 9 Uhr 30 Abends.......: ERPRRRR: "SBn. >28 10 Uhr 30’ Abends. . 11 Uhr 45’ Abends... 30,200 30,202 30,246 30,238 28,173 26,198 26,190 26,187 26,175 28,153 30,192 30,190 30,193 23.4,01 Ourmanns A.v. Humboldt!s Barometer-Messungen am Vesuv. Anmerkung. — am Rech- nungs- Resultate (in Toisen.) Lord Minto hat diese mit vieler Sorgfalt angestellten Beobachtungen handschriftlich an Herrn v. Hnmboldt mitgetheilt. Bemer- kungen. unter Neapel. Seite 206 Zeile - 211 - -. 219 - - 251 - 6. Verbesserungen. v.o. statt 4,0053407 lies: 4,0026703 (Der Fehler hat keinen Einflufs “Erin Dur Be Er EE, auf die Resultate). . in der Tabelle, statt 408 1. 428. o. statt d.i. zc 1. d.i. no. Dafs l. Das. Sechsundsechskantner 1. Sechsundsechskantnern. voszukommen |]. vorzukommen. den Ausdruck |]. dem Ausdruck. ihr gemeinschaftlich |. ihr gemeinschaftliches. des Trigonometers |. der Trigonometrie. den Richtungen |. die Richtungen. Speiskobald 1. Speiskobalt. Zinn zum zweiten |. Zinn zu gleichen Theilen zum zweiten. an derselben Stelle 1. an denselben Stellen. Metalle ]l. Metallen. derselben, mit |. derselben mit. der der Zinkstreifen |]. der Zinkstreifen. Madagascar und ]. Madagascar, und. auch hierzu |. hierzu. nYVVmmVYvYVVr. * 7 Horse Lechktesisterte Shan , nn ZH nd EEE A VIRGEL Pa Php WER Khaen Sophas Fels Fe . = Pi e TE Hayerda Schret BZ ER Äh meicfaliche I Wen EDEL dar Mae, or 1 GE DI HTE . % DL RL 723 gefressen. . WEM . VE HELE. «77 4 elehbe230 GI Äh CCFIE dee Ps VAR . AB x Agl wg Re B.7 Me LE N ee e ne De se ee ASCOMYS CANADENSIS x. ( Er 3 B y : U Added VHS re Ya DA mA SHIT. a 70 y>2 i A 7. Hat ? a vr unten yıahn J er. De EEE ZI VRR ARE Kaya. en) TUMOR. Bu ESTENG ER “ N SSS j Bi se fi ee RZ yrhwonsen) BER WIDER er ray "CET 081 ES E75 u ü “ = Fa L % Yan “ n 5 N . 5 4 x = ; . Bi u - S 3 5 e; Dr Fer! N eh a ur N ugs EN PER a TS Te N ÖNR x Pe on Wi Fe s u . ‚ ' ” x = E > . ü ” B =) 3 ur ‘ . - Di % gr - . \ . “ ö r Fo i u ” v \ * ru ni \ : . . on ‘ u 4 5 u SE . - H > # % x u y ' ‘ | vr en = ER B i h NN u“ N‘ = ’ - | _ r “ ] f u 5 “ y ' Kz- = »- I T Es ' j » A * u 1 0, Ri = j fr m Mn ar =... - Zr N) - ie u [1 . A . j - .*s - -- f Pen Ez « - | ” } ’ a x 4 e; er Y ZU HERRN MITSCHERLICHS ABHANDLUNG UBER DIE KORPER, WELCHE IN ZWEI VERSCHIEDENEN FORMEN IRYSTALLISIREN. . PHYS. KL.4822..23. { 3 Be) WERE Brain RR et u e“ 2 ö . j j “ 13 jur f * WII AZ/A > a wa C Klon Hear Tbhkendkumı BE: Weor le d EI =: und LIreimdirescaniner ü N = EN . f > 5 0 na. N . Ä Tr 2a BR) % se 3 N 5 au ' 2 u: 2. Auid int 4 . Le 2 a, e ro - “ Fi une Zoe nn & 24 7 ! g ; . f j B .. 4 Z , . + f j i er Te wre an a eb dehnen u), et LE g - 2 ee . v= 2 a m r r B D Paar =. RR [N . $ Ür un N ei ir r A - de - Fr 0 Arie - j 5 P E . 54 f DS RR * ' gs . i . ; i a F nn A . = ‚ j . f . 19 7 “ f 5 { n - ı AN 3 R ps D - } a ‘4 r ‚ 3 . a: l b R f ‘ E . \ . r ! Ü ie s F Ss) 2 ‘ N h } } 1. N Pe = ü ir T FR A N N a Pr f » h - Eu “ . Bi i 4 uf 2 t . } N | } Br: Re | 2, ä | n ms f) U ! 2 D i I ‘ i . b) u. ER ad j w E rn P u, , n 2 a } # A A | Br re s | ep 2 x 4 4 ? ö ’ » 0 j y 1 R h Bea a ı ' % 4 I: f A y " - 2 2 i i I - - n Er f x ri k a - i f. - « 5 f 2 wi Um ° - « 3 RR x \ + f Dr ' 4'959 « fl ' e E u - ‘ 4 i >= x | ri Pi v- & x . u Yı \ er u ö i BL ©) Fu ’ 2 f j MM ‘ En Yy i \ - i e hi R Yy £ e ! u A x en! ' > l 3 1 vs 7 Pu ’ . ’ 3 e j - | 4 i 2. AR . 5 1 Ä N Ä | ! ri . ’ f 4 « h Eon B r ‘ H > , sl, N ine . ’ - 2 = # { 5 RL £ { \ % ‘ ö H Io. t D a x nn h nee zr S - L N E ) a zu % - a ‚ ! f 5 h a r. .E £ en \ - F “ \ du EE N . A | w 5 ” 3 j \ i a 5 \ L re R J 5 3 e ! " ’ 0) Bi J Sue ©, Ir I ‘ ! . a . - - 5 r \ | 5 j R En. - zur h = | 5 N a eo 5 N i } h a - = = ” R j } N i % \ r Sep a x - “ SR. 2 F N ' h 5 . 2 : ” & . P ) j ” " £ R ' er - L N F u j -# 3 N 5 2 y A F “. | F Eu y 6 \ F u f Ei ‘ “ , ’ Er 70 R j : & E i 2 5 R: . hd * ı - a. « b u # i 2 I h “ y - ‘ ı JRR Ya | 3 ‚ \ t { a r a F B . 5 1: | Et A ‘ IE > nn x = ne ii Let . ; R & Mr 2 > ü I > v 7 b 2 k v Yon % \ / i > a ae - SCENE . Zu E N N j \ m N 2% ’ Y Pr 4 ‚ ‘ ” = E 5 N ir 405 i r P a e w F . f . $ R + f N u i D Dx 1 “ % g\ L, De ' r P) fa - “ Zapell b warm _— w72/% -,+ + @) n“ % BE E_ | a, % c x Yon Ir Br Abhundl db Mn durch EEE fern: RSS Please II2ZIE2B. UHR 9. 22 27/4 + FE EX +2 Er. Le [7277747777 c 407. 2203 2, Kalt BaHL +.# ++ GG: x Au RE beit ‘ = e „En b warm all eg. RU TRRASAN mm, %, NS PIAELM N Hy. 24. vll warm (Ex) +&% (F&£) eh a LAHM # 5% DE. hıcafa 2.30. XL rar TRRLFULR, = ) N Hg. IR MULLUM \\ . .) H munum 0 rat, zum. > A Go. R5 Kal warm Ara ER UEE) (EI) 3% el WAR alt m KO. AS, rull EA # tr Bere G , and üb N egnelem. durch “Sernperidlunr_ hnease 0 ZI Gh 7 CHI SFR - ar u; I E a us ZERO D 2 I “F ; ment Sr A E Be . ö f —r, = BLEND [ r- = Ba x KERTRR 1 s Abhandlungen der historisch -philologischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. ...annnn—uononannnannnn Aus den Jahren 1522 und 1 823. nun nennen. Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1028. 3 . east: ‚nılhäh: göhe hi; da ” da oe — of) has et N PN ER) e: r = 2 ee 2 . nik ul a 5° TE u we ee. ne ne # i FAR . n . # e p j L aD n u m ” . Ydiük weh N ° RS — - Br . r - Pen . 5 Fu . ns ‚ Przer, Ro 5 u £ er ar Br j . rn ee s u E Pr ji ® & ur . = h 5 . Li - . > oo. - ... = x * = nu 5 - “ © “sE0L Ih jeher >, - mail : ' 2 u ib . Pi Re ' ' u 5 2. - - ) (es ei Aa u wu B ei share v. Sıvıcny über den Römischen Colonat ....... REEL Seite Derselbe über die Römische Steuerverfassung unter den Kaisern .............- - Süvern über den Kunstcharakter des Tacitus ».....zze2csceeseeeeenenonnee en - Iperer über den astronomischen Theil der Fasti des Ovid ....22sseeneeeeeee - Burrmann von den Aleuaden.......cceesccsuececeen ERE SRLERNe Be I R- DR: - Derselbe über die Kotyttia und die Baptae .........reccneeercacncn ER - Derselbe über die alten Namen von Osroöne und Edessa ........222222cc 22 - Nıesuur: Zwei klassische lateinische Schriftsteller des dritten Jahrhunderts n. Chr. - Böck# über die kritische Behandlung der Pindarischen Gedichte.............- - Wirserm v. Humeoror über das Entstelien der grammatischen Formen und ihren Eırflufs auf,dıe Ideenentwickelung wen 8... 2. ae nemeenene = za... an. ar .; unky ur u ei w r IM) Frey? ie = 2 ü au ur% Zum, - . P3 ie, „® leugnen Le FAN PIE RER ER er FIR eh ihr u iR u" ’ im 5 i = = j . Ze Et uns j er Ian: As1 Ar re! DIN rer! iA; 5 ie year or 8 \ ıyHL u Be a Pre EEE 177 bin j Y uk, wie win! Pr Ei Kal Aline Ze \ I; u”, » 5 u Br _ ie Er 15 - 2a Ha Y nn een I us „H an ü & u . i ih DR AI ms f j A ae or NE 27 on M , Jh Er - - Keira um al Yin Tram" wu » ai, En a Er % 4 FR f 23 ’ a; y * A p ara \ Er 173 ir 5 a 5 N Va { ı Te ) j f fi: Br: Fe Ve ee ; R 2 I: N . z j 1 ode i 0 . a Be EL, Pi en AT ee Sn ra Gaza aueh j ad 200 - 7% ee u F A it li Aa) aa Eee won a wu er Ne 21 L, “e . 4 £ 5 j 5 j = }: #r u . » er Di FE Über des Hömischen Golenat Von Hm- yon SAVIGNY. [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. März 1822. l. den verschiedensten Zeiten und bei ganz verschiedenen Völkern hat die Culiur des Bodens eigenthümliche Standesverhältnisse hervorgebracht. In einem grofsen Theil von Europa sind dieselben in unsern Tagen, bald gewaltsam bald ruhig, umgebilder worden, und diese Umhildung hat die allgemeine Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Auch im Römischen Reich finden sich unter den christlichen Kaisern solche Verhältnisse ın grofser Ausdehnung neben dem Stand der Sklaven, welcher durch sie allmählich beschränkt und verdrängt worden ist. Die Darstellung dieser neurömischen Bauernverhältnisse wird nicht unnütz seyn, da sie in neue- ven Zeiten fast ganz unbeachtet geblieben sind. Die Quellen für &iese Untersuchung finden sich im Theodosischen Codex und den dazu gehörigen Novellen (1), noch weit reichhaltiger aber in dem Codex und den Novellen von Justinian (2). — In neueren Zeiten haben die systematischen Bearbeiter des Römischen Rechts so gut als gar keine Rücksicht darauf genommen, wovon die Gründe weiter unten angegeben werden sollen; und auch was sich bei exegetschen Schriftstellern darüber findet, ist äufserst dürftig. Die Schriften der (1) Cod. Theod. Lib. 5, Tit. 9. 10. 11. -- Nov. Valent. Tit. 9. (2) Cod. Just. Lib. ı1. Tit. 47. 49. 50. 51. 52. 63. 67. -- Nov. 54. 156. 157. 162. Justiniani const. de adseriptitiis (p. 671. ed. Götting.), Justini const. de ftlüs liberarum Cib. p. 672.), Tiberii const. de filüs colonorum (ib. p. 672.). Hist. plulolog. Klasse 1822 - 1823. A 2 Sıvıcnr über den Römischen Colonat. Glossatoren sind für diesen Gegenstand unbrauchbar, indem sie durch die willkührliche und grundlose Annahme vieler Arten von Colonen alles verwirren (1). Cujacius hat die Hauptansicht richüg aufgefafst, obgleich nicht im Einzelnen durchgeführt, und mit manchen Irrihü- mern vermischt (2). Jacob Gothofred, der hier als Haupıschrift- steller angeführt zu werden pflegt, hat viel Material zusammengehäuft, ohne es im geringsten zu verarbeiten: von der gänzlichen Grundlo- sigkeit seiner historischen Ansicht dieser Sache wird noch weiter unten die Rede seyn (5). Noch weit unbefriedigender aber ist die Arbeit von Heraldus, der den Begriff dieses Rechtsverhältnisses ganz unrichtig aufgefafst hat, weshalb ihm auch die Interpretation einzelner Stellen meist mifslungen ist (4). Die Namen für dieses Rechtsverhältnifs sind diese: Coloni, Origi- narı, Adseriptii, Inquilini, Trıibutarü, Censiti. Eine genauere Bestim- mung dieser Namen wird erst weiter unten möglich seyn. Ich will nun zuerst das Rechtsverhältnifs selbst, so wie es in un- sern Rechtsquellen bestimmt ist, darstellen, und dann einige historische Untersuchungen daran knüpfen. Zu der Darstellung des Rechtsverhält- nisses selbst gehören drei Stücke: die Entstehung desselben für jeden Einzelnen, die damit verbundenen Rechte und Verpflichtungen, und endlich die Auflösung dieses Zustandes. Die Entstehung dieses Rechtsverhältnisses war auf dreifache Weise möglich: durch Geburt, Verjährung und Vertrag. (1) Es gehören dahin folgende Stücke: ı. PrLrıus, Summa in tres libros (Fort- setzung der Summa des Placentinus), 2. Azo in der Summa und im Coramentar zum Codex, 3. die Glosse. Alle diese nämlich bei den oben angeführten Titeln im e!ften Buch des Justi- nianischen Codex. (2) Die Hauptstelle findet sich im Commentar zu den drei letzten Büchern des Codex, Buch XI. Tit. 47, (hier 48) de agricolis, vorzüglich in der Einleitung zu diesem Titel. Damit ist noch zu verbinden: Observationes IF. 28, und Comment. in L. 112. pr. D. de leg. ı. (Opp. F. 1077. ed. Neap.). (3) Iac. Gornorrevus ad Cod. Theodosianum Lib. F. Tit. 9. 10. ıı, beson- ders aber: paraüt. zu V. 9. -- Unbedeutend ist Amanuzzı ad Papianum Tit. 48. p-. 289. sg. (4) Heraroı quaestiones guotidianae Lib. 1. Cap. 8.9. Sıvıenr über den Römischen Colonat. 9 Die Entstehung durch Geburt war die regelmäfsige, und auf sie gründet sich die Benennung Originarius (1). Gehörten beide El- tern zu diesem Stande, und zugleich demselben Herın an, so war der Zustand des Kindes keinem möglichen Zweifel unterworfen ; dagegen be- dürfen folgende Fälle einer näheren Bestimmung : {. Der Vater war Colone, die Mutter Sklavin oder umgekehrt. — Hier richtete sich alles nach dem Stand der Mutter (2), sowohl was den Rechtszustand des Kindes überhaupt, als was die möglichen Ansprüche verschiedener Herren betrifft, wenn etwa solche vorhanden waren. Nach den Ausdrücken der Constitution von Justinian könnte man glauben, er habe dieses zuerst bestimmt, was jedoch sehr unwahrscheinlich ist, in- dem nach uralten Rechtsregeln ‚schwerlich jemals anders entschieden werden konnte (5). 2. Der Vater war frei, die Mutter Colona. — Die Kinder waren zu allen Zeiten Colonen, und gehörten dem Herrn ihrer Mutter (4). 3. Der Vater war Colone, die Mutter frei. — Für diesen Fall war die Gesetzgebung höchst veränderlich. Vor Justinian wurde das Kind, dem Vater folgend, gleichfalls Colonus (5), so dafs also für die- sen und den vorhergehenden Fall der Ausdruck des deutschen Rechts für ähnliche Verhältnisse gelten konnte: das ‚Kind folgt der ärgern (1} ‚, Originarıus.” L. un. C. Theod. de inquilinis (5. 10.) L. 7. ©. I. de agric. (11. 47.) -- ,, Originarius colonus.” L. ı1. C. I. de agrie. (11. 47.) -- ,, Colonus originalis.” L. un. C. Theod. de inguil, (5. 10.) -- ,, Originalis colonüs.. In 14 Cl. de agric. et mancıp. (11. 67.). (2) L. 21. C. I. de agric. (11. 47.) ‚,matris suae ventrem sequalur. _ (5) Gaius Lib. ı. 8. 56. 67. 80. Ulpian. Tit. 5. 8.3. Allerdings führt Gaius 8. 85 bis 86 positive Ausnahmen des Grundsatzes an, nach welchem die Kinder, deren El- tern kein Connubium hatten , der Mutter folgen sollten: allein eine solche Ausnahme er- wähnt die Justinianische Constitution nicht, vielmehr scheint sie anzunehmen , der Fall sei bisher ganz unentschieden gewesen, und dieses könnte nicht zugegeben werden. (4) L. un. C. Theod, de inguilinis (5. 10.) L. 16. 21. 24. C. I. de agric. (11. 47:) L. 4. C. I. de agrie, et manöip. (11. 67.). -- Nur wenn der Vater durch ein besonderes Dienstverhältnifs einer Stadt oder Corporation verpflichtet war, sollten in den ersten vierzig Jahren die Kinder getheilt werden, späterhin nicht mehr. L. 16. T’heod. de his qui con- dit. (12. 19.). Im den Justinianischen Codex ist das nicht übergegangen. (5) Nov. 54. pr. A2 ’ 4 Sıvıcenrv über den Römischen Colonat. Hand (1). Justinian hob dieses auf, und erklärte zuerst das Kind für vollkommen frei: nur gab er dem Herrn des Ehemannes das Recht, die Scheidung zu erzwingen. (2) Später beschränkte er wieder diese Frei- heit der Kinder auf folgende Weise. Eigenes Vermögen zwar sollten sie besitzen können, aber persönlich sollten sie verpflichtet seyn, in dem Grundstück zu bleiben, und es zu bauen, sie müfsten denn ein eigenes Gut beziehen und bauen wollen, welches er ihnen erlaubte (5). In einer noch späteren Constitution entzog er wieder den Kindern auch selbst diese beschränkte Freiheit, und unterwarf sie gänzlich dem Co- lonat (4). Allein nicht lange nachher wurde in Constitutionen von Jusun I. und Tiberius jene beschränkte Freiheit der Kinder als bekannt und geltend vorausgeseizt, ohne Erwähnung der letzten härteren Ver- ordnung von Justinian (5). 4. Beide Eltern waren Colonen, aber im Dienst verschiedener Herren. — Dafs hier auch die Kinder Colonen wurden, konnte nicht bezweifelt werden, aber welchem Herren sie zufallen sollten, darüber konnte man nicht zu einer bleibenden Regel kommen. Zuerst sollte der Herr der Mutter den dritten Theil der Kinder bekommen (6). Dann wurden ihm alle Kinder zugewiesen (7). Endlich wurde bestimmt, dafs jeder der beiden Herren die Hälfte der Kinder haben sollte, bei un- gleicher Zahl sollte die gröfsere Hälfte auf die Seite der Mutter fallen (8). (1) Eichhorn deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Th. ı. 8. 50. (2) 2.24. C.I. de agric. (11. 47.) Bestätigt in Nov. 54.pr.C.ı, und nur gegen Rück- wirkung verwahrt. -- Späterhin wurde die Ehe sogar für nichtig erklärt. Nov. 22. C. 17. (5) Nov. 162. Cie. (4) Const. de adseriptitis. (5) Justini const. de filiis liberarum. -- Tiberü const. de filüis colonorum. -- Das wahre Verhältnifs dieser widersprechenden Verordnungen ist schwerlich auszumitteln. Cujacius nimmt an (observ. IV.28.), die neueste Constitution von Justinian sei nie- mals wirklich eingeführt worden, und durch diese Voraussetzung erklärt sich freilich alles ganz leicht. (6) L. un. C. Theod. de inquilinis (5. 10.). (7) £.35. €. I. ut nemo (11. 55.). (8) Nov. 162. C.5. Nov. 156. -- Am zweifelhaftesten ist Z. 15. pr. C. I. de agrie. (11. 47.): „ Definimus,, ut inter inquilinos colonosve ... suscepü liberi, wel utroque Sıvıany über den Römischen Colonat. 5 Ganz im Widerspruch damit steht eine andere Verordnung von Justinian, nach welcher der Herr des Ehemannes alle Kinder, ja sogar auch die Ehe- frau soll behalten dürfen : allein diese Verordnung aus ungewisser Zeit ist nach der richtigen Erklärung des Cujacius eine blofse Localvorschrift und zugleich blofs vorübergehend, d. h. sie sollte nicht als bleibende Regel für künftige Zeiten gelten, sondern nur für die damals gerade bestehenden Ehen (1). Durch Verjährung entstand der Colonat in zwei verschiedenen Fällen: an Freien, und an fremden Colonen. Erstlich wenn ein.freier Mensch dreifsig Jahre lang als Colonus gelebt hatte, so war dadurch dem Gutsherrn Colonatsrecht über ihn und seine Nachkommen erwor- ben: jedoch mit einer bedeutenden Begünstigung in Ansehung des Ver- mögens, welche gleichfalls forterbte, und deren eigentlicher Zusammen- hang weiter unten entwickelt werden wird (2). — Zweitens wurde der Besitz an einem fremden Colonen nach einer bestimmten Zeit durch Verjährung gegen den Anspruch des ursprünglichen Herrn geschützt, und in diesem Fall entstand also gleichfalls durch Verjährung das Colo- natsrecht eines neuen Herrn : auch diese Regel kann erst weiter unten völlig deutlich gemacht werden. Für die freie Unterwerfung durch Vertrag war ursprünglich folgende Bestimmung gegeben. Freie Männer oder Frauen sollten Co- lonen werden, wenn sie diese Absicht gerichtlich erklärten, und zugleich 3 „velnmeutro parente censito stalum paternae conditionis agnoscant.’ Schon der Text ist sehr zweifelhaft. Pillius sagt: „uzroque parente censito vel ultro (utro?) 1. e. al- „tero ... Sed in multis codieibus inveni velneutro, quod subtilioribus relinguo.” Azo im Commentar zu dieser Stelle: „,in libro M. (Martini) deest vel utroque”. Die Glosse: „al. u troque i. e. altero ... alii habent vel utroque wel neutro.” Haloander liest alterutro anstatt neutro. Am besten ist es jedoch, die Leseart vel neu- tro beizubehalten, und damit folgende Erklärung des Cujacius zu verbinden: wenn beide Eltern Colonen sind, so werden es die Kinder auch , die Eltern mögen nun zugleich censiti seyn (d.h. steuerpflichtig, s. u.) oder nicht. Die paterna conditio kann man nun von dem Stand der Eltern überhaupt erklären, ohne unterscheidende Rücksicht auf die Ansprüche zweier Herren. (1) Nov. 157. Vgl. Cujacius im Commentar zu dieser Novelle. (2) 2. 18. CL de .agrie. (1. 47.). 2: 23..8.,1.eo0d. "6 Sıvıenr über den Römischen Colonat. mit einer im Colonat stehenden Person eine-Ehe eingingen. Dieses ver- ordnete Valentinian IHM (1). In den Justnianischen Codex wurde weder diese noch irgend eine andere ausdrückliche Bestimmung über einen solchen Vertrag aufgenommen, so dafs man glauben könnte, derselbe sollte nicht mehr zugelassen, d.h. Geburt und Verjährung sollten nun- mehr die einzigen Entstehungsarten seyn. Indessen mag wohl eine Oon- stitution von Justinian, obgleich sie einen andern Gegenstand zu haben scheint, zugleich und vorzüglich auch auf diesen Vertrag gerichtet seyn (2). In dieser Consutution ist die Rede vom Beweis des Colonats ; sie ver- ordnet, dafs ein einzelnes Beweismittel, z. B. ein schriftlicher Coniract, gerichtliches Geständnifs, Eintragung in die Steuerbücher nicht hinreiche, sondern wenigstens zwei solche Beweismittel vereinigt seyn sollen. Was nun hier als Beweismittel für ein schon bestehendes Colonatsverhältnifs ausgedrückt ist, konnte ohne Zweifel auch als Vertragsform gebraucht werden, wenn ein Freier in dieses Verhältnifs neu eintreten wollte ; denn wenn er einen schriftlichen Contract abschlofs, und nachher des- sen Inhalı vor Gericht genehmigte, so war dem Gesetz völlig genügt, und er konnte sich dem Colonat nicht wieder entziehen. Ja vielleicht war dieser Hergang eigentlich gemeint, und es liegt dann nur an der Ungenauigkeit des Ausdrucks, dafs lediglich vom Beweis die Rede zu seyn scheint. Die Rechte und Verbindlichkeiten aus dem Colonat sind von dreierlei Art: einige betreffen den persönlichen Zustand, andere - das Verhältnifs des Colonen zum Boden, noch andere das ührige Ver- mögen und die Stenern. Der persönliche Zustand der Colonen ist so zu bestimmen. Sie waren Freie, d.h. von den Sklaven verschieden, allein ihr Zustand hatte allerdings mit dem der Sklaven grofse Ähnlichkeit. Diese allge- meine Ansicht soll nunmehr im einzelnen theils bestätigt, ıheils näher bestimmt werden. — Für ihre Verschiedenheit von den Sklaven bewei- sen folgende Zeugnisse. In mehreren Constitutionen der Kaiser werden (1) Nov. Valentiniani Tit, 9. (2): "2 22: pr. C. 1. de agric, (11,47.). Sıvıacny über den Römischen Colonat. 7 sie neben den Sklaven genannt, und denselben entgegengesetzt (1). In andern wird ihnen geradezu die Ingenuität zugeschrieben (2). Bei ihnen ist ferner von einer wahren, eigentlichen Ehe die Rede (5), welche bei Sklaven bekanntlich nicht für möglich gehalten wurde (4). Eben da- hin deutet die Strafe, die ihnen einmal für den Fall der Entweichung gedroht wurde: sie sollten in Fesseln gelegt und so zur Strafe nach Art der Sklaven behandelt werden (5), welcher Ausdruck offenbar für ihre wesentliche Verschiedenheit von den Sklaven beweist. Auf der an- dern Seite aber war die Freiheit der Colonen so beschränkt, dafs sie mit dem Zustand der Sklaven freilich grofse Ähnlichkeit hatte (6). Diese Ähnlichkeit wird in mehreren Stellen im Allgemeinen aner- kannt (7). Sie heifsen deshalb servi terrae (8), und der Ausdruck Ziberi wird zuweilen gebraucht als Gegensatz der Colonen ebensowohl wie (1) Z. 21. ©. T. de agric. (11. 47.): „Ne diutius dubitetur, si quis ex adscriptitia „et libero, vel ex adseriptitia et servo, wel adscriptitio et ancilla fuisset „editus” etc. Vgl. L. 7. C. eod. Nov. Valent. Tit.9. (2) ZL. un. C.]. de colonis Thracensibus (11. 51.). „, ... ipsi quidem originario iure „teneantur: et licet conditione videantur ingenui, servi tamen terrae ipsius, „eui nati sunt, existimentur” etc. (5) Z. 24. C. I. de agric. (11. 47.). Nov. Valent. Tit. 9. (4) L.5. 8.1. D.de bonis damnatorum (48. 20.) „, ».. Nam cum libera mu- „lierremaneat, nihil prohibet, et virum maritiaffectionem, et mulierem uxo- „ris animum retinere.” (Also für den Sklaven war diese factische Grundbedingung aller Ehe unmöglich.) Nov. 22. C. 10. (5) 2.1. C. Th. de fugit. colonis (5. 9.) „,... 1psos etiam colonos, qui fugam medi- „tantur, in servilem conditionem ‚ferro ligari conveniet, ut oflicia quae liberis „congruunt, merito servilis condemnationis compellantur implere.” Die Worte ın ser- vilem conditionem erklärt Gothofred sehr richtig durch instar servi. (6) Heineccius fertigt diese ganze Untersuchung kurz ab, (antiquit. Lib. ı. Tit.3. 8. 8.) indem er die Colonen ohne weiteres für Sklaven erklärt, und nur beiläufig erwähnt, dafs Manche daran gezweifelt hätten. (7) Lars CHLNde agree an 7): \apietei Quae enim differentia inter servos et „adsceriptitios Inielligatur , cum wterque in domini sui positzus sit potestate” etc. L. 2. C. 1]. in quib. causis coloni (11. 49.). „, +». pene est, ut guadam dediti servitute vide- antur” etc. (5) S.o. Note. 2 8 Sıvıany über den Römischen Colonat, der Sklaven (1). Sie waren so gut als die Sklaven körperlichen Züch- tgungen unterworfen (2). Desgleichen wandte man auf sie die bei den Sklaven ohnehin geltende Regel an, dafs sie keine Klage gegen den Guts- herrn haben sollten ; doch wurden davon zwei Ausnahmen gemacht: bei willkührlicher Erhöhung des Canons (superexactio), und wenn sie den Herrn wegen eines Verbrechens anklagen wollten (5). Noch auffallen- der ist es, dafs sogar einmal der Grundsatz auf sie angewendet wurde, nach welchem der flüchtge Sklave als ein Dieb an der eigenen Person an- gesehen ward (4): eine Anwendung, die freilich mit ihrer anerkannten Ingenuität im Widerspruch zu stehen scheint, jedoch aus Analogien des älteren Rechts gerechtfertigt werden kann (5). Das Verhältnifs des Guts- herın zu dem Colonen wurde, in Ermanglung eines eigenen Kunstaus- drucks, mit dem Namen Patronus bezeichnet (6). Das Verhältnifs zum Boden bestand zunächst darin, dafs der Colone an denselben unauflöslich gebunden war, dergestalt dafs we- der durch ihn selbst, noch durch den Herrn eine Trennung bewirkt werden konnte (7). — Hatte also der Colone das Gut verlassen, so (1), W2.21.,C. 1. de ägrie.. (41. 47.) -- Li 164. 2, 2240 prsd. 24. e0d. == 70 weilen wird auch der Ausdruck gebraucht, um unter den CGolonen selbst eine freiere Classe im Gegensatz der weniger freien zu bezeichnen ; davon wird noch weiter unten die Rede seyn. (2) L. 52. 54. C. Thheod. de haereticis (16. 5.) L. 24. C. I. de.agric. (11. 47.). (5) 2.2. C. in quib. caus. coloni (11.49). -- Dafs auch über die Frage, ob sie Co- lonen seien, und ob das Gut in ihrem oder des Herrn Eigenthum sei ( was mit jener Frage zusammen hing) eine Klage zugelassen wurde nach Z. un. C. Thheod. utrumvi (4. 23) L. 20, 22. C. I]. de agric. (11. 47. ), ist nichts besonderes, denn auch in Beziehung auf den Sklavenstand war von jeher das liberale judicium zulässig. (4) L£. 23. pr. C. I. de agrie. (11. 47.) „secundum exemplum servi fugitivi sese „diutinis insidüs furari intelligalur” etc, (5) Gaius Lib. 5. $. 199. -- $. 9. J. de obl. quae ex. del. (4. 1.). (6) L.un. C. Theod. ne colonus (5. 11.) -- Die Namen Dominus und Possessor, die freilich auch vorkommen, bezeichnen nicht das persönliche Verhältnifs zum Colonen, son- dern das Eigenthum am Gute, wovon denn allerdings auch jenes Verhältnifs abhängig war. (7) Z. un. C. I. de col. Thrac, (11. 51.) „servi -- lerrae ipsius.” L, ı3, C. I. de agric. (11. 47.) „glebis inhaerere praecipimus”, Sıvıany über den Römischen Colonat. 9 konnte ihn der Gutsherr vindieiren. Diese Vindication ging gegen den dritten Besitzer, wenn sich der Colone auf einem fremden Gute auf- hielt (ı), in welchem Fall der wissentliche Besitzer des fremden Colonen bedeutende Geldstrafen bezahlen mufste (2). Sie ging gegen den Colo- nen selbst, wenn dieser als freier Mann lebte. Diesen sollte kein Stand, keine Würde schützen, auch nicht der Soldatenstand (5). Was den geistlichen Stand betrifft, so war Anfangs nur vorgeschrieben, dafs der Colone nicht aufser seiner Heimath ordinirt werde, und dafs er fort- während seine Kopfsteuer selbst zu zahlen habe (4). Dann wurde die Ordination von der Einwilligung des Gutsherrn abhängig gemacht, . so dafs dieser aufserdem den Colonen aus dem geistlichen Stand (und eben so aus dem Mönchsstand) zurückfordern durfte (5). Endlich kehrte Justinian wieder zu der ersten Regel zurück, so dafs der Colone in seiner Heimath auch ohne Einwilligung des Gutsherrn ordinirt werden durfte, dafs er aber seine Verpflichtungen an dem Gut auch ferner eı- füllen mufste (6). Die Bischoflswürde jedoch machte nach Jusunians Vorschrift ganz frei vom Colonat (7). Umgekehrt aber war es auch dem Herrn nicht erlaubt, den Co- lonen vom Gute zu trennen. Zwar mit dem Grundstück konnte er ihn unbedingt veräufsern, aber ohne dasselbe durchaus nicht (8). Ein solcher Verkauf war nichuüg, der Verkäufer konnte den Colonen wie- (1) Z. 1. €. Theod. de fugit. col. (5. 9.) L. un. C. Theod. de inguilinis (5. 10.) L.6.1L.23.$.2. C. I. de agrie. (ıı. 47.). (2) Z.2.C. Theod. de fug. col. (5. 9.) L. ı2. C. I. de agrie. (11. 47.) L. un. C. I. de col. Thrac. (ı1.51.)ı L. un. C. I. de col. Ulyr. (11.52.) L. 2. ©. I. de fug. col. (11. 65.). Die höchste dieser Strafen galt in Thracien : sie betrug zwei Pfund Gold. (5) Z.6. 11. C. I. de agrie. (11. 47.) L. 1.5. C. I. de fug. col. (11. 65.). (4) 2.35. C. Th. de epise. (16. 2.) d.h. L. 11. C. I. de epise. (1. 3.). (5) Z. 16. 1.37. pr. C. I.de episc. (1, 3.). (6) Nov. 123. C. ı7. (7). Nov. 125. C.4. (8) 2.7. ©. I. de agrie. (11.47.) 1... originarios absque terra ... vendi omnifariam „non licebit” L. a1. eod. ‚,... et possit (dominus) ».. adseriptitium cum terra do- „minio suo expellere.” Nov. Valent. Tit. 9. Hist. philolog. Klasse 1322 - 1823, B 10 Sıvıceny üler den Römischen Colonat. der zurückfordern, und der Käufer verlor das Kaufgeld; dieses sollte auch dann eintreten, wenn bei dem Verkauf zum Schein ein unbedeu- tendes Stück Land mitgegeben war, in der Absicht das Gesetz zu um- gehen (1). Nach einer Verordnung von Valentinian III, war es jedoch erlaubt, einen Colonen gegen einen andern zu vertauschen (2), welches indessen in den Justinianischen Codex nicht übergegangen ist. — Eben so war es ferner dem Gutsherrn verboten, das Gut zu veräulsern und den Colonen zurück zu behalten (5). — Dagegen durfte der Besitzer mehrerer Güter, wenn das eine Gut Überflufs, das andere aber Mangel an Colonen hatte, einen Theil derselben versetzen, und diese Versetzung blieb dann unabänderlich, auch wenn in der Folge eines der Grund- stücke veräufsert wurde. (4). Den Grund dieser Beschränkung des Gutsherin könnte man zu- nächst in einem eigenen Recht des Colonen selbst aufsuchen wollen, in welchem Fall die Einwilligung desselben jede Beschränkung aufge- hoben haben würde. Allein von einer solchen Einwilligun g ist nirgends die Rede, auch hatte in der That der Colone gar kein Recht am Bo- den. Dafs er nicht Eigenthümer war, also selbst den Boden nicht ver- äufsern konnte, verstand sich ohnehin von selbst (5): aber auch selbst ein beschränktes dingliches Kecht am Boden wird ihm niemals zuge- schrieben. Dafs es nicht vorhanden war, folgt sogar nothwendig aus den schon erwähnten Befugnissen des Herrn, den Colonen zu vertau- schen oder zu versetzen. Es war also in der That nur das öffentliche Interesse, welches jene Beschränkungen veranlafste (6), obgleich dadurch mittelbar die Colonen einen ähnlichen Schutz gegen die Willkühr der (1) L. 7. C. I. de agric. (11. 47.). (2) Nov. Palent. Tit. 9. (SZ. 2. C. 1. de agrie. (11. 47.) „,si quis praedium vendere voluerit, vel donare : „retinere sibi transferendos ad alia loca colonos privata pactione non possit” etc. Es ist dieselbe Stelle wie Z. 3. C. Theod. de censu sine adsceript. (135. 10.). 4) 2:13.6.2..0 100 agric. (11. 47.). (5) Z. 1. C. Theod, ne colonus (5. ı1.), L. ı7. C. I. de agric. (11. 47.)- (6) Darauf deuten auch unmittelbar die Worte privata pactione in L. a. C. I. de agric. s. 0. Note 5. Sıvıcny über den Römischen Colonat. 14 Gutsherren erhielten, wie durch ein eigenes Recht am Boden. Jenes öffentliche Interesse aber bestand zunächst und hauptsächlich in der po- lizeilichen Sorge für die Landescultur, die man durch die Begünstigung dieses Verhältnisses vorzugsweise zu befördern glaubte (1). Dazu kam noch das Steuerinteresse, wovon weiter unten die Rede seyn wird, Auf das Wohl der Colonen selbst war blos bei gewissen untergeordne- ten Bestimmungen gesehen, die allerdings auf Menschlichkeit beruhten, deren Bedürfn:fs aber allein schon hinreicht zu beweisen, dafs ihnen ein eigenes Recht am Boden gänzlich fehlte. So z. B. sollten bei der Theilung eines gemeinschaftlichen Gutes, zu welchem Colonen gehör- ten, Ehegatten und Verwandte von einander nicht getrennt werden (2). Wurden Colonen von einem Gut auf das andere versetzt, und dann das eine Gut verkauft, so sollten gleichfalls die Kinder mit den Eltern vereinigt bleiben (5). — Besonders merkwürdig ist es, dafs sowohl jene polizeiliche Sorge für die Landescultur, als auch diese menschliche Rücksicht auf die Schonung der Familienverhältnisse, nicht bei den Co- lonen stehen blieb, sondern auch auf die eigentlichen Sklaven ausge- dehnt wurde, sobald diese zur Landwirthschaft bestimmt, und als solche in die Steuerbücher eingetragen waren (4). Auch diese Gleichstellung bestäuigt es, dafs bei den Colonen ein eigenes Recht am Boden nicht vorausgesetzt wurde, indem ja ein solches Recht bei Sklaven gar nicht einmal denkbar war. . Aus dieser Herleitung der unzertrennlichen Verbindung des Co- lonen mit dem Gute folgt zugleich eine sehr natürliche Beschränkung (1) Nov. Valent. Tit. 9. ,,... ne ad alterum coloni, ad alterum possessio exchausta „perventat.” L.7. C. I. de agric. (11. 47.). „Neque vero ... id usurpet legis illusor „1... Ul parva porlione terrae emtori tradita, omnis integri fundi cultura adimatur” etc. (2) Z. 11. C. I. comm. ütr. jud. (5. 58.). (5) 2. 15.8.1. C.I. de agrie. (11. 47.). -- So war es auch in früheren Zeiten zugelassen, bei einer Vindication die Trennung von einem Ehegatten oder von den eigenen Kindern durch Vicarien abzuwenden. 2. un. C. Theod. de inquil. (5. 10.). Nov. Valentin. Tit. 9. (4) 2.7. C. I. de agric. (11. 47.). „, Quemadmodum originarios absque terra: ita „rusticos censitosque servos vendi omnifariam non licebit” ete. L. ıı. C.T. comm. utr. jud. (5. 58.) -- Früherhin war bei diesen nur der Verkauf aufser der Provinz untersagt gewesen. L.2. . Theod. sine censu (11. 5.). B2 12 Sıvıenr über den Rönüschen Colonal. er derselben. Sprach nämlich ein höheres öffentliches Interesse für die Trennung, und war auch der Gutsherr dazu geneigt, so hatte sie kein Bedenken. Dieses nun fand statt in folgendem wichtigen und häufigen Fall. Die Reerutirung des Heeres wurde von den Grundeigenthümern, je nach dem Werth ihrer Grundstücke, gefordert (1). Da nun keine Sklaven angenommen wurden (2), so war ohne allen Zweifel hauptsäch- lich darauf gerechnet, dafs die Gutsherren ihre Colonen als Recruten stellen würden. In einem solchen Fall war die Einwilligung des Guts- herrn vorhanden, und in Ansehung des Staats wurde die Sorge für die Landeultur und für die Steuern (5) durch die noch wichtigere Sorge für das. Heer überwogen. Auch sprechen die oben angeführten Stel- len, nach welchen der Colone selbst aus dem Soldatenstand zurückzu- fordern ist, (8. 9.) nur von flüchugen Oolonen, d.h. von solchen, die das Gut gegen den Willen des Gutsherrn verlassen hatten. Von einer andern Seite dagegen waren die Colonen durch un- mittelbares, eigenes Recht geschützt. Sie gaben nämlich dem Gutsherrn einen jährlichen Canon für den Genufs des Bauerhofs, den sie bewohn- ten (4). In der Regel sollte dieser Canon in Frucht entrichtet, baares Geld aber nicht gefordert werden (5): doch konnte auch eine Geld- zahlung begründet seyn, ohne Zweifel durch Vertrag oder Herkom- men (6). In Ansehung dieses Canons nun galt die wichtige Regel, dafs der Gutsherr ihn durchaus nicht gegen das bisherige Herkommen (1) Fegetius Lib.ı. C.7.-- L.7. C. Th. de tironibus (7. 15.) Nov. Theod. Tit.44. C.ı. (2) Z.8.C. Th. de tironibus (7. 13.). (5) Nämlich sobald der Recrute eingestellt war, wurde ohne allen Zweifel dessen Kopf- steuer dem Gute abgeschrieben. Eigentlich nun hätte er selbst fortwährend die Kopfsteuer tragen müssen; er jedoch gehörte unter die Zahl der besonders Eximirten, und es war mit grofser Genauigkeit bestimmt, in welchen Fällen die Exemtion ihm allein, oder zugleich den Seinigen zu gute kommen sollte. (Vgl. die Abhandlung über die Römische Steuerver- fassung). (4) „annuae ‚functiones.” L. 2. C. TI. in quib. caus. col. (11. 49.) -- „reditus” EL. 20. pr. L. 23. S. 1..C. I. de agric. (11. 47.). (5) 2.5. C. TI. de agrie. (ıı. 47-)- (6) Z. 20.8.2. C. I. de agric. (11. 47.). Sıvıcny über den Römischen Colonat. 13 erhöhen durfte (1), und durch diese Bestimmung war unstreitig das sonst harte Recht des Colonats um vieles gemildert. In Ansehung des Vermögens scheinen auf den ersten Blick die Colonen mit den Sklaven ganz auf gleicher Linie zu stehen. Was sie besitzen, wird so wie bei Sklaven Peculium genannt: es wird gesagt, dafs die Vindication des Herrn nicht blofs auf die Person des Colonen, sondern auch auf dieses Peculium gehe (2): ja dafs sie dem Herrn erwerben, und dafs das Erworbene nicht ihnen, sondern dem Herrn gehöre (5). Allein bei genauerer Betrachtung überzeugt man sich, dafs diese Ausdrücke nicht buchstäblich zu nehmen sind. Die Colonen waren vielmehr des Eigenthums fähig, und es war ihnen nur untersagt, ihr Vermögen ohne Einwilligung des Gutsherrn zu veräus- sern (4), indem freilich ein wohlhabender Colone für das Gut selbst und für den Gutsherrn vortheilhafter war, als ein armer. Diese Un- fähigkeit der Veräufserung ist das einzige, was mit jenen ungenauen Aus- drücken bezeichnet wird, und der Unterschied von den Sklaven war also hierin sehr grofs. Denn der Sklave hatte in der That nichts eigenes, und die wichügste Folge davon war, dafs ihm der Herr alles wegneh- men konnte was er besafs: der Colone hatte eigenes Vermögen, welches ihm nicht weggenommen werden durfte, und nur die willkührliche Ver- äufserung war ihm untersagt. Dafs es sich wirklich so verhielt, wird durch folgende Anwendungen aufser Zweifel gesetzt. Colonen, welche Donatisten waren, sollten zur Strafe ihrer Ketzerei, den dritten Theil von ihrem Peculium verlieren (5), eine Strafe die oflenbar eigenes Ver- mögen vorausseizt. Ferner war im allgemeinen vorgeschrieben, dafs (1) Z.1.2. CT. in quib. caus. coloni (11.49.) L. 25. 8. 1. C. I. de agrie. (11. 47.) Es war dieses der einzige Fall einer privatrechtlichen Klage, die dem Colonen gegen den Gutsherrn zustand. S. o. Seite 8. (2) Z. un. C. Theod. de inquilinis (5. 10.) L. 25. 8. 2. C. I. de agrie. (11. 47.). (5) 2.2. C. I. in quib. caus. coloni (11. 49.) „... guem nec propria quidem leges „sul juris habere voluerunt, et... domino et acquirere, et habere voluerunt.” L. ı3. C. I. de agric. (11. 47.). } (4) Z. un. C. Theod. ne colonus (5. 11.) L. 2. C. I. in quib. caus. coloni (11. 49.)- (5) L.54. C. Theod. de haereticis (16. 5.). 14 Sıvıenwy über den Römischen Colonat. Geistliche oder Mönche, wenn sie ohne Testament sterben, und keine Verwandte hinterlassen würden, von ihrer Kirche oder ihrem Kloster beerbt werden sollten. Von dieser Regel aber sollten folgende drei Aus- nahmen gelten: wenn der Verstorbene ein Freigelassener, oder Colone, oder Curiale wäre, so sollte die Erbschaft an den Patron, an den Guts- herrn, oder an die Curie fallen (1). Sowohl diese Vorschrift selbst, als die Zusammenstellung mit den Freigelassenen und den Qurialen, beweist, dafs die Colonen eigenes, einer Beerbung fähiges, Vermögen haben mufs- ten. — Diese beschränkte Verfügung über das eigene Vermögen machte nun zwar allerdings bei den Colonen die Regel aus, aber es gab da- von zwei, schon oben erwähnte, Ausnahmen. Die Colonen nämlich, welche durch Verjährung in ihr Dienstverhältnifs eingetreten waren, sollten völlig freies Vermögen haben (2): desgleichen diejenigen, welche aus der Ehe eines Colonen mit einer freien Frau erzeugt waren (5). Man kann daher, mit Rücksicht auf diesen Unterschied, überhaupt zwei Classen von Colonen annehmen, eine strengere, und eine weni- ger strenge (4). Eines der schwierigsten Verhältnisse der Colonen endlich ist das- jenige, welches die öffentlichen Abgaben betrifft. Dieses Ver- hältnifs indessen kann hier nur im allgemeinen angedeutet werden, in- dem die genauere Entwicklung desselben, so wie die Begründung durch geschichtliche Zeugnisse, nur im Zusammenhang mit dem ganzen Steu- erwesen möglich ist (5). Zur Zeit des ausgebildeten Colonats, und schon lange vorher, bestanden im Römischen Reich neben einander (1) Z.un. C. Theod. de bonis clericorum (5. 5.) L. 20. C. T. de episcopis (1. 5.). (2) Z. 18. 2.25.$. 1. C. I. deagric. (11. 47.). S. 0. Seite 5. (5) Nov. 162. C. 2. S. o. Seite 4. (4) So werden in Z. 25. &. ı. C. I. de agric. (11. 47.) diese begünstigten Colonen im Gegensatz der anderen /iberi genannt. Dagegen bezeichnet wohl der Ausdruck liberi coloni in L. un. C. I. de coll. Illyr. (11. 52.) die Colonen überhaupt im Gegensatz der Sklaven: und in Z. ı. C. I. de praed. tamiacis (11. 68.) wohl gar freie Bauern im Gegen- satz der eigentlichen Colonen, die dort adscriptitii heifsen. (5) Vgl. meine (gleichzeitige) Abhandlung über die Römische Steuerverfassung unter den Kaisern. Sıvıany über den Rönuschen Colonat. 15 zwei directe Abgaben: Grundsteuer und Kopfsteuer. Die erste wurde von allen Grundeigenthümern entrichtet (Possessores), die zweite von denjenigen, welche kein Grundeigenthum hatten, und auch von diesen nur insoferne sie weder durch Rang befreit waren (Plebeji), noch durch eine der besonders bestimmten Exemtionen. Aus diesen Grund- zügen des Steuerwesens ergiebt sich folgende Anwendung auf den Co- lonat. Die Grundsteuer des Bauerhofs war eine Last des Gutsherrn, weil diesem das Eigenthum zustand. In dieser Verpflichtung selbst konnte auch keine wesentliche Verschiedenheit eintreten, und alle Verschiedenheit beschränkte sich darauf, ob die wirkliche Einzahlung der Grundsteuer unmittelbar durch den Herrn, oder durch den Colo- nen besorgt wurde, welches freilich der Steuerkasse ganz gleichgültig war. — Dagegen waren in der Regel alle Colonen kopfsteuerpflich- üg, denn Plebejer waren sie ohne Ausnahme, und als Grundeigen- thümer waren sie nur selten frei, da sie an ihrem Bauerhof niemals Eigenthum hatten (S. ı0.), und ein anderwärts gelegenes Grundeigen- thum bei ihnen gewifs nur sehr selten vorkam. Ja sie waren für die Kopfsteuer überhaupt bei weitem dıe zahlreichste und einträglichste Classe, besonders seitdem die Städte von der Kopfsteuer befreit wor- den waren. Daher geschah es, dafs die Verbindung der Kopfsteuer mit dem Colonat, obgleich sie weder im Wesen des Colonats gegrün- det war, noch demselben ausschliefsend zukam, dennoch als das ge- wöhnliche und regelmäfsige betrachtet wurde. Als daher in einigen Provinzen die Kopfsteuer aufgehoben wurde, fand man es nöthig aus- drücklich hinzuzufügen, der Colonat daure demungeachtet fort (1). — Für die Kopfsteuer der Colonen wurde dem Gutsherrn die Vertretung auf folgende Weise aufgelegt. Die Kopfsteuer war bei der Grundsteuer des Guts eingetragen, der Gutsherr mufste sie an die Steuercasse be- zahlen, und es blieb ihm überlassen, die ausgelegte Steuer auf eigene Gefahr und auf seine Kosten von den Colonen wieder beizutreiben. Auf die gewöhnliche Verpflichtung der Colonen zur Kopfsteuer gründeten sich folgende Benennungen derselben: Zributarü, welcher Name also durchaus nicht von dem Canon an den Gutsherrn erklärt (1) Z. un. C. I. decol. Thrae. (11. 51.) L. un. C. I. de col. Illyr. (xı. 52.). 16 Sıvıeny über den Rönuschen Colonat. werden darf (1): ferner Censiti oder Censibus obnoxü (2): endlich die äufserst häufigen Benennungen: Adseriptitü, Adscriptitiae conditionis (35), Censibus Adscripti (4). Diese letzten insbesondere gehen nicht (wie man glauben könnte) auf das specielle Verhältnifs der Colonensteuer zu der Grundsteuer des Gutes, neben welcher jene als Anhang oder Zusatz mit eingetragen war: sondern sie sagen nur im allgemeinen, dafs der Colone in die Steuerrolle eingetragen, also (persönlich) steu- erpflichüg sei. Denn der Ausdruck Adscripio wird auch von den Grundstücken selbst gebraucht (5), ist also in der That nur die allge- meine Bezeichnung der Eintragung irgend eines Gegenstandes in die Steuerrolle, oder der Steuerpflichtigkeit desselben. In der erwähnten Steuervertretung übrigens lag denn das zweite öffentliche Interesse, um dessen willen man den Colonat- auf alle Weise zu begünstigen und fest zu halten suchte, und auch aus diesem Grunde war dem Gutsherrn die willkührliche Trennung des Colonen vom Gute untersagt. Ja nach manchen Äufserungen könnte man sogar glauben, die ganze Einrichtung sei ursprünglich von einer Vertheilung der ei- genthumslosen Menge unter die Grundeigenthümer, lediglich zum Zweck der Steuervertretung, ausgegangen (6), was jedoch aus anderen Grün- (nr) L.5. C..I. ut nemo (11. 53.) L. 12.C. I. deagrie. (11.47.) L. 2..C. Th. si vwagum (10. 12.) -- Dafs in der That der Name Tributarius von der Kopfsteuer an den Staat herkömmt, nicht von dem Canon an den Gutsherrn, folgt unwidersprechlich aus den Gesetzen über die Aufhebung der Kopfsteuer in einzelnen Provinzen. Hier heifst es, die Colonen seien zwar daselbst nunmehr frei von dem tributarius nexus, aber der Colonat daure dennoch unverändert fort. (Vgl. S. ı5.). (2) Z.4.6. 13. pr. C. I. de agric. ( 11.47.) (vgl. S.5.). Z. 1. C. I. de üron. (12.44.). Auch Capite censiti. Juliani epit. nov. Const. 21. C. ı2. -- Auch Sklaven konnten aus gleichem Grund Censiti seyn und heifsen. L. 7. C. I. de agric. (11. 47.) L. 10. C. I. de re milit. (12. 56.). (Vgl. S. ı1.). (5) Z.6. 21. 22. 25. 24. C.I. de agrie. (11. 47.) L. 11. C.comm. utr. jud. (5. 58.). (4) L. 19. 22. pr. 4. C. I. de agrie. (11.47.). L. 2. C. I. in quib. caus. col. (11.49.) L. 20. C. I: de episch (1:9): (5) Z.B. in 2.5. C. Th. ne collat. translatio (11. 22.). (6) L.26.C. Theod. de annona (11.1.) 5... Nullum gratia relevet: nullum inie „quae partlitionis vexet incommodum, sed pari omnes sorte leneantur : Ita tamen, Saıvıcenr über den Römischen Colonat. 17 den wenig wahrscheinlich ist, und höchstens in einzelnen Gegenden und für manche Zeiten angenommen werden könnte. Zuletzt ist noch von der Auflösung des Colonats für die ein- zelnen Colonen zu sprechen. Nach der Analogie der Sklaven könnte man hier zunächst eine Freilassung erwarten, entweder durch die blofse Willkühr des Gutsherrn, oder wenigstens mit Einwilligung des Colo- nen. Dennoch ist davon nirgends die Rede (1), und dieser Umstand erklärt sich leicht aus dem oben erwähnten Verbot, den Colonen vom Gute zu trennen. Denn dieselben Gründe, welche der V eräufserung des Colonen im Wege standen, mufsten auch die Freilassung verhin- dern, zu welcher überdem kein ähnliches Bedürfnifs hinführte wie bei den Sklaven. — Dagegen wird eine zwiefache Verjährung er- wähnt, wodurch der Colonat aufgelöst werden konnte, wenn nämlich der Colone eine gewisse Zeit hindurch entweder als ein Freier gelebt, oder in fremdem Besitz gestanden hatte. Für beide Fälle waren ur- sprünglich bei Männern dreifsig, bei Frauen zwanzig Jahre vorgeschrie- ben: für den zweiten Fall war die nähere Bestimmung hinzugefügt, unter mehreren successiven Besitzern sollte derjenige den Colonen er- halten, dessen Besitz am längsten gedauert hätte, bei gleicher Dauer der letzte (2). Justinian hat die erste Art der Verjährung, wodurch der Colone selbst die Freiheit erwarb, ganz aufgehoben, so dafs, von dieser Zeit an, gegen den Colonen die Vindication des Herrn niemals „ut si ad alterius personam transferatur praedium, ceui certus plebis nu- „merus fuerit adseriptus, wvenditi onera novellus possessor compellatur „agnoscere” etc. (1) Ja sogar deutet Z. ar. ©. I. de agrie. (11. 47.) ziemlich bestimmt auf ihre Unzu- lässigkeit: „,... ei possit (dominus) servum cum peculio manumilttere, et adsceriptitium „eum terra dominio suo expellere.” Also sine terra nicht. In der ganzen Stelle soll die Ähnlichkeit der Colonen mit den Sklaven hervorgehoben werden: darum wird bei den Sklaven die manumissio cum peculio erwähnt, die allerdings der Veräufserung des Colonen mit dem Bauerhof einigermafsen verglichen werden konnte, anstatt dafs die (un- streitig eben so zulässige) manumissio sine peculio in keiner Analogie bei Colonen nach- gewiesen werden konnte. (2) Z. un. ©. Theod. de inquil. (5. 10.) Nov. Valent. Tit. 9. Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. C 18 Sıvıcanyr über den Rönuschen Colonat. aufhörte (1). Über die zweite Art (die Verjährung des dritten Besitzers) hat er gar nichts bestimmt, auch die erwähnten Bestimmungen der frü- heren Kaiser nicht aufgenommen (2). Es scheint also, dafs für diesen Fall nunmehr die allgemeine Regel der Klagverjährung eintreten mufste, nach welcher der dreifsigjährige Besitz gegen die Vindication des Guts- herrn geschützt war, ohne Rücksicht auf die erwähnten abweichenden Bestimmungen. Aus dieser Darstellung des Einzelnen läfst sich nunmehr der Zu- stand der Colonen in folgender Uebersicht zusammen fassen. Sie wa- ven durch ihre Geburt an den Boden gebunden, nicht als Tagelöhner, sondern als Pächter, welche auf eigene Rechnung ein Stück Land bau- ten, und dafür Früchte oder Geld abgaben; davon, dafs sie auch Dienste auf dem herrschaftlichen Gute geleistet hätten, findet sich keine Er- wähnung. Ein eigentliches Recht am Boden hatten sie nicht; da aber der Staat aus polizeilichen und finanziellen Gründen darauf hielt, dafs sie bei dem Gute bleiben mufsten, und da ihnen der Canon nicht ge- steigert werden durfte, so war ihr Zustand beinahe eben so sicher, wie durch ein eigenes Recht. Vermögen konnten sie haben, nur war ihnen die freie Veräufserung desselben untersagt: doch waren einige Classen auch von dieser Beschränkung frei. In der Regel zahlten sie Kopf- steuer, wo aber auch diese erlassen war, blieb das Colonatsverhältnifs selbst dennoch unverändert (5). Vergleicht man ihren Zustand mit der alten Eintheilung aller freien Einwohner des Reichs in Cives, Latini, (v2. 23. pr. CT. de agrie.. (11% 47.) (2) L. 25. pr. C. I. de agrie. (11. 47.) spricht von der Vindication gegen den Colonen selbst, und verbietet dabei ausdrücklich alle Verjährung; der $. 2. spricht von der Vindi- cation gegen den dritten Besitzer, und erwähnt dabei die Verjährung gar nicht. (5) Es ergiebt sich hieraus, dafs bei den Colonen, als Ausnahme von der Regel, zwei ganz verschiedene Begünstigungen vorkommen konnten: Fähigkeit zur Veräufserung, und Steuerfreiheit. Beide hatten nichts mit einander zu schaffen, und es ist ein offenbarer Irr- thum des Cujacius, der sie zusammenwirft. Denn die Z. un. C. I. de col. Thrac. (11.51.) sagt ausdrücklich, dafs in Thracien die Colonen zwar steuerfrei seien, dafs aber dennoch der Gutsherr sie mit ihrem Peculium vindiciren könne. Sıvıcnr über den Römischen Colonat. 19 und Peregrini, so ist es unzweifelhaft, dafs sie nach Umständen jedem dieser drei Stände angehören konnten. Da aber in der späteren Zeit die Zatini und Peregrini nur noch seltene Ausnahmen gewesen zu seyn scheinen, so wareı wohl auch die meisten Colonen im Besitz der Rö- mischen Civität. In diesem Fall hatten sie wahres Connubium, nicht blofs unter einander, sondern selbst mit Freien. Zwar hat Jusunian die Ehe einer freien Frau mit einem fremden, ihr nicht gehörigen, Colo- nen verboten und für nichtig erklärt (1): allein. gewifs nicht deshalb, als ob das Connubium gefehlt hätte, in welcher Voraussetzung ja auch die Ehe der Freien mit dem eigenen Colonen, desgleichen die des freien Mannes mit einer Colonin auf gleiche Weise ungültig gewesen wäre: sondern lediglich in der Absicht, um durch dieses ganz positive Verbot das Gut gegen den Verlust jenes Colonen und seiner Nachkommen vecht sicher zu schützen. Die Benennungen dieser erbunterthänigen Bauern waren theils von der Erblichkeit des Dienstes hergenommen (Originarü): theils von der Kopfsteuer (Adseriputw, Tributarü, Censiti): theils von ihrem Verhältnifs zum Boden, welchen sie bauten und be- wohnten. Dahin gehört der allgemeine, in dieser Abhandlung stets gebrauchte, Name Coloni: ferner der Name /nquwilini, dessen Bedeutung jedoch sehr bestritten ist. In den meisten Stellen wird derselbe so un- bestimmt gebraucht, dafs es ungewifs bleibt, ob es die Bezeichnung ei- ner besondern Art, oder nur ein synonymer Ausdruck seyn soll (2): allein nach Einer Stelle ist die gleiche Bedeutung unzweifelhaft (5), und es ist wohl am wahrscheinlichsten, dafs nach Verschiedenheit der Gegenden der eine oder der andere Name für ein und dasselbe Rechts- verhältnifs gebräuchlicher war. (7) # Dar. 22.:C..ın. (2) Z. un. C. Theod. de inguil. (5. 10.) L. 2. C. Theod. si vagum (10. 12.) L. 6. C. TI. de agrie. (11. 47.) L. un. C. I. de col. Illyr. (11. 52.) L. ıı. C. I. comm. utr. iud>(3..38%. (5) Z. 15. pr. C. I. de agric. (11. 47.). ,,‚Definimus, ut inter inquilinos colonosve, „gquorum quanlum ad originem (1. e. prolem) vindicandam indiscereta eademque „pene videtur esse conditio, licet sit discrimen in nomine” etc. -- Ganz grundlos ist die Meinung des Cujacius, dafs Colonus und Inquilinus eigentlich die freieren Classen der erbunterthänigen Bauern, im Gegensatz des Adseriptitius, bezeichnen sollen. C2 20 Sıvıany über den Römischen Colonat. * Zulezt sind noch einige Bemerkungen über die Geschichte dieses techtsverhältnisses im allgemeinen hinzuzufügen, wobei aber gleich An- fangs erwähnt werden mufs, dafs eben diese Seite des Gegenstandes die dunkelste ist. In unsern Rechtsquellen finden wir den Colonat von Constantin an (1), und zwar hier sogleich in grofser Ausdehnung, durch alle Theile des Reichs hindurch, namentlich auch in Gallien und Ita- lien (2). Von dieser Zeit an wurde der Colonat stets als ein vorzüg- lich wichtiger Gegenstand der Gesetzgebung behandelt, und auch in Ju- stinian’s Sammlungen und eigenen Gesetzen erscheint er auf diese Weise. Dafs er dennoch in den Institutionen nicht vorkommt, erklärt sich dar- aus, dafs man ihn bei Gajus nicht vorfand: dieser Umstand aber hat die Folge gehabt, dafs ihn auch die neueren Juristen, auf deren An- sichten das Institutionensystem stets überwiegenden Einflufs ausübte, fası gänzlich unbeachtet gelassen haben. — Weiter aufwärts als in Con- stantin’s Zeit, finden sich nur zweifelhafte Spuren. In einer Pandekten- stelle spricht Marcianus von einem Testament, worin Inquilinen ohne das Grundstück, dem sie zugehörten, legirt waren: dieses Legat, sagt er, sei nach seinem ausgedrückten Gegenstand ohne Wirkung, wohl aber könne der Werth in Geld gefordert werden, wenn des Testators Absicht darauf gegangen sei (5). Diese Stelle ist allerdings aus dem oben dargestellten Colonat des neueren Rechts leicht zu erklären, aber sie (1) Z. 1. C. Theod. de fug. col. (5. 9.) ist von Constantin, und zwar vom J. 552. (2) Gallien. Z. 13. 14. ©. I. de agrie. (11.47.). -- Italien. Z. 5. C. Theod. de censu (15.10.) d.h. Z. 2. C. I. de agrie. (11. 47.). „Imp. Constantius A ad Dul- „eilium Conswlarem Aemiliae”.-- Palästina. Thracien. Hllyrien. Cod. Just. 11. 50. 51.52. u.s. w. Und zwar überall dieses Institut in derselben Gestalt. (BRTLD, pr.=D. delegın. (N quis inquilinos, sine praediis quibus ad- „haerent, legaverit, inutile est legatum. Sed an aestimatio debeatur, ex voluntate de- „funeti statuendum esse, Divi Marcus et Commodus rescripserunt.” -- Noch weit we- niger beweisend ist Z. 17.8.7. de excus. (Callistratus ) „Inguwilini castrorum a tutelis „excusart solent: nisi eorum, qui et ipsi inquilini sunt, et in eodem castro, eademque „eonditione sunt.” Diese Stelle deutet gar nicht auf das hier behandelte Verhältnifs erb- unterthäniger Bauern. Sıvıcany über den Römischen Colonat. 21 läfst doch auch noch eine Deutung auf gewöhnliche Mietheontracte zu, deren Recht oder Ertrag legirt gewesen seyn kann. Noch entschie- dener verhält es sich so mit einer Stelle des Ulpian über die Steuerpro- fessionen : wer dabei seinen Inquilinen oder Colonen nicht angebe, der mache sich für diese verantwortlich (1). Diese Stelle mufs von ge- wöhnlichen Miethern oder Pächtern erklärt werden, die der Grundeigen- thümer angeben sollte, weil sie sonst der Aufmerksamkeit der Steuer- beamten entgehen, und dadurch frei von Entrichtung der Kopfsteuer bleiben konnten ; ja sogar würde jene Stelle auf die erblichen Colonen des neueren Rechts nicht recht passen, indem diese ohnehin in die Steuerbücher eingetragen seyn mulfsten, also nicht erst durch die Pro- fession des Gutsherrn zur Kenntnifs der Steuerbehörde kamen. Sollten jedoch diese Pandektenstellen in der That als frühere Spuren des Colo- nats zu betrachten seyn, so könnte derselbe damals doch im äufsersten Fall nur erst ein sehr beschränktes Daseyn gehabt haben. Dieses folgt daraus, dafs theils die alten Juristen nicht mehr und unzweideutiger davon sprechen, ıheils auch kein sicherer Kunstausdruck dafür vor- handen ist; denn gerade die Ausdrücke Colonus und Inqulinus, die späterhin so entschieden dafür gebraucht werden, bedeuteten damals regelmäfsig etwas ganz anderes, nämlich gewöhnliche freie Pächter und Miether, die in gar keiner persönlichen Abhängigkeit standen. — Aus einer noch früheren Zeit kommt folgende Stelle des Varro in Erwä- gung (2): ‚‚Omnes agri coluntur hominibus servis aut liberis aut utrıs- „que. Liberis, aut cum ıpsi colunt, ut plerique paupereuli cum sua pro- „„genie: aut mercenarüs, cum conductieüs liberorum operis res majores, „ut vindemias, ac foenificia administrant: üque quos obaerarios nostri ‚„‚vocitarunt, et eliam nunc sunt in Asia, et degypto, et in Illyrıo com- ‚„‚plures.” Anstatt obaerarios lesen manche Handschriften odaeratos, und man hat das von den Schuldknechten (nexi obaerati) erklären wollen. Allein diese waren gewifs zu Varro’s Zeiten so selten und unbedeutend, (1) Z. 4. 8.8. D. de censibus: ,,.Si quis inquilinum, vel colonum non fuerit pro- „Jessus, vinculis censualibus tenetur.” -- Vgl. die Abhandlung über die Römische Steuerverfassung. Abschn. 5. (2) Yarro.de re rustıca L. ı. C. 17. 22 Sıvıcny über den Römischen Colonat. dafs sie in einem Buch über die Landwirthschaft unmöglich erwähnı werden konnten, auch soll ja keine dritte, von den pauperculis und mercenarüs verschiedene, Classe eingeführt werden, sondern nur eine besondere Bezeichnung der mercenarü selbst (üque für üque sunt ete.). Die natürlichste Erklärung ist also die, nach welcher operarius blofs als ein anderer Name für die mercenarios angegeben wird, man mag nun annehmen, dafs durch odaerarios die Ableitung von operarios angedeutet werden soll, oder man mag auch operarios selbst in den Text aufnehmen. Auf einen erblichen Colonat also deutet diese Stelle durchaus nicht hin. Cujacius freilich ist anderer Meinung, indem er (ohne Zweifel nur nach einer willkührlichen Combination dieser Stelle mit den angeführten Pan- dektenstellen ) folgende bestimmte Behauptung aufstellt: erbunterthänige Bauern hätten die Römer zu allen Zeiten gehabt, früher unter dem Namen Operarü, dann Inqulini oder Coloni, endlich Adseriputi (1). — Dagegen findet sich allerdings in einer noch weit älteren Zeit ein Ver- hälwnifs ähnlicher Natur, Auch die Clienten der ältesten Römischen Verfassung waren Bauern ohne Eigenthum, und auch sie lebten in einer erblichen Abhängigkeit. Nur wird wohl Niemand einen historischen Zu- sammenhang dieser alten Clientel mit dem Colonat behaupten wollen. In der Mitte zwischen beiden liegt eine Zeit von vielen Jahrhunderten, in welcher das einfache, strenge Sklavenverhältnifs an die Stelle fast aller andern Arten persönlicher Abhängigkeit getreten war. Auch der Ackerbau wurde fast blofs durch Sklaven betrieben, und wenn man späterhin für diesen wieder andere Einrichtungen, den ältesten ähnlich, „ einführte, so geschah dieses gewifs nicht durch Nachahmung eines längsı suntergegangenen Rechisverhältnisses, noch überhaupt durch Erfindung der Gesetzgeber, sondern weil der eigene Vortheil der Gutsherrn darauf führte. Nunmehr bestanden die Sklaverei und der Colonat neben ein- ander, aber jene wurde selbst zum Theil dem Colonat näher gebracht (2), welcher den herrschenden Ansichten und wohl auch den Bedürfnissen der Gegenwart mehr als sie entsprach. Indessen ist es nicht leicht zu erklären, wie der Colonat eigentlich anfangen konnte. Der Einzelne trat durch (1) Cuiacius ad L. ıı2. pr. de leg. ı. Opp. T. 7. p. 1077 ed. Neap. (2) S. 0. Seite rı. Sıvıenvy über den Römischen Colonat. 23 Geburt in denselben, das wissen wir, aber wie der ganze Stamm ur- sprünglich herein kam, wissen wir aus unsern Rechtsquellen nicht. We- nigstens späterhin war, wie es scheint, eine ganz willkührliche Unter- werfung unter dieses Verhältnifs nicht zulässig (1), so dafs man also annehmen mülste, es seien in irgend einer unbekannten Zeit einmal viele solche Colonen angesetzt, dann aber die Zahl derselben geschlossen, oder wenigstens die Ansetzung neuer Colonen erschwert und beschränkt worden. Auch den Grundsätzen des älteren Rechts war eine solche willkührliche Unterwerfung keinesweges angemessen. Indessen spricht gerade dafür die einzige bestimmte historische Notiz, die wir haben. Es ist dieses eine Stelle aus einem Buch des Salvian, geschrieben um die Mitte des fünften Jahrhunderts (2). Er klagt über den grofsen Druck der Grundsteuer, die hauptsächlich auf den Armen laste, weil die Reichen alle Erleichterungen sich allein zuzueignen wülsten (5). Die Folgen dieses Drucks giebt er in folgender Abstufung an. Einige begäben sich in den Schutz der Reichen, überliefsen diesen ihr Grundeigenthum, und wür- den Pächter derselben ; nun würden sie aber so durch hohes Pachtgeld gedrückt, dafs sie doch eigentlich die Grundsteuer fortwährend tragen müfsten, der sie hätten entgehen wollen (4). Andere verliefsen ganz ihr eigenes Gut, und würden Colonen auf den Gütern der Reichen (5). Noch andere endlich erführen das allerhärteste Schicksal, indem sie zu- (1) S.o. Seite5. (2) Salvianus de gubernatione Dei Lib. 5. Cap. S.9. (5) Damit stimmt ganz überein Ammianus Lib. 16. C. 5. (4) L.ec. Cap.8. „Cum rem amiserint, amissarum tamen rerum trıbula patiuntur, „cum possessio ab his recesserit, capitatio non recedit. Proprietatibus carent, et vecti- „galibus obruuntur.” Hier heifst offenbar capitatio Grundsteuer, nicht Kopfsteuer, wie es freilich die Meisten verstehen; der Beweis liegt theils in dem rerum tributa, theils in der Klage über den unerträglichen Druck, da doch die Kopfsteuer gewifs nicht so hoch war, dafs die Pächter darüber hätten zu Grund gehen können. (Oh zlac: Cap. 8. „Fundos maiorum expetunt, et coloni divitum fiunt ... ZUgo se IN- „quilinae abiectionis addieunt, in hanc necessitatem redacti ut extorres non facultatıs „tantum sed eliam conditionis suae ... et rerum proprietate careant, et lus libertatis „amittant.” 24 Sıvıany über den Römischen Colonat. erst als freie Fremdlinge aufgenommen, dann aber zu wirklichen Sklaven gemacht würden (1). Hierher nun gehört die zweite Classe, die aller- dings einen möglichen Eintritt in den Colonat durch freie Unterwer- fung voraussetzt. Indessen ist dabei nicht angegeben, unter welchen Bedingungen und Einschränkungen dieser Eintritt möglich sei; ganz be- sonders aber bleibı dabei noch der Zweifel übrig, ob von einem Rechts- institut, oder blofs von einem factischen Mifsbrauch die Rede sei: we- nigstens die dritte von Salvian angegebene Classe der Bedrückten ist ganz unstreitig nur von einer factischen Anmafsung, also von einer offen- baren Ungerechtigkeit, nicht von einer rechtsgülugen Handlung, zu ver- stehen. — Eine sehr natürliche Annahme würde darin bestehen, dafs die ursprünglichen Colonen (alle oder zum Theil) Sklaven waren, die man mit dieser Einschränkung frei liefs, und der für den Gutsherrn gebrauchte Name Patronus (S. 8.) könnte zur Bestäigung dieser Ansicht angeführt werden. Nur würde auch selbst in einer so modificirten Ma- numission etwas ganz neues, dem alten Recht völlig fremdes, gelegen haben. J. Gothofred hat über den Ursprung der Colonen folgende ganz unbegründete Vermuthung aufgestellt (2). Sie seien zum Theil aus Rö- mern entstanden (/nguilini), zum Theil aus Ausländern ( Coloni), welche sich den Römern unter dieser Bedingung freiwillig unterworfen hätten : diese letzten nun seien wegen dieser Unterwerfung für Deditti zu halten. Abgesehen davon, dafs er diese Behauptung ohne alle Beweise läfst, scheinen darin auch Zeiten und Begriffe gänzlich verwechselt. Zur Zeit der Republik nannte man Dedititü diejenigen besiegten Völker, welche sich auf Discreiion unterwarfen, wofür besondere feierliche Formeln eingeführt waren. Die Zex AJelia Sentia wandte den Namen, als blofsen Kunstausdruck, auf solche Freigelassene an, die während ihres Sklaven- (Rezee: Cap. 9. „,gquos esse conslat ingenuos, wertuntur in servos. ” Wenn man die hier dargestellte Abtheilung verkennt, so wird die ganze Stelle unverständlich. Auf diese Weise ist sie mifsverstanden von Naudet administration ... sous les regnes de Diocle- lien.ete. *T.. 2. p- 108. (2) J. Gothofred. parat. Cod. Theod. 5. 9. p- 496, und Comm. ad.L. un. C. Theod. de inquil. (5. 10.). Sıvıcny über den Römischen Colonat. 25 standes schimpfliche Strafen erduldet hatten, und die deshalb durch die Manumission nicht Cives, sondern nur Peregrinen, und zwar mit ganz beschränkten Rechten, werden sollten. Weder das eine noch das an- dere pafst auf den von Gothofred vorausgesetzten Fall, allein er scheint bei der Wahl des Ausdrucks an beide alte Bedeutungen zugleich ge- dacht zu haben, ohne sich dieselben recht klar zu machen. Zum Schlufs ist noch das Verhältnifs des Römischen Colonats zu der deutschen,Hörigkeit zu erwähnen, die von sehr alter Zeit her gen vorkommt. Die allgemeine Ähn- 5 lichkeit beider Einrichtungen leuchtet auf den ersten Blick ein, aber in den verschiedensten Abstufun eine historische Verbindung zwischen denselben anzunehmen, scheint mir durchaus kein Grund vorhanden. So glaube ich nicht, dafs die Entstehung des Römischen Colonats aus einer Nachahmung der deutschen Hörigkeit erklärt werden darf, obgleich den Römern das Daseyn einer solchen Einrichtung bei den Deutschen längst bekannt war (1). Noch weniger Grund aber ist vorhanden, die Entstehung der deutschen Hö- rigkeit aus dem Römischen Colonat zu erklären, wiewohl bei der latei- nischen Abfassung der deutschen Völkergesetze hier, wie bei anderen Gegenständen, Römische Kunstausdrücke zur Bezeichnung deutscher Rechtsbegriffe gebraucht worden sind. Ein wichtiger Unterschied aber in der Entstehung beider Verhältnisse ist vorzüglich zu bemerken. Die Bildung des Römischen Colonats fällt in die Zeit der Auflösung der Nation, er ist hier um eines einzelnen Bedürfnisses willen willkührlich angenommen worden, hat aber niemals eine besondere politische Wich- tigkeit erhalten. Die deutsche Hörigkeit fällt mit der ursprünglichen Bildung der Standesverhältnisse in der Nation zusammen, und hat da- durch den wichtigsten Einflufs auf Verfassung und Privatrecht erhalten: in dieser Rücksicht war ihr ohne Zweifel die uralte Clientel weit mehr zu vergleichen als der Colonat, obgleich sie mit diesem leızten der Zeit nach unmittelbar zusammen traf. (1) Taeiti Germania Cap. 25. „,Ceteris servis, non in nostrum morem descriptis „per familiam ministerüs, utuntur. Suam quisque sedem, suos penates regit. Fru- „menti modum dominus, aut pecoris, aut vestis, ut colono, iniungit: el servus hacte- „nus paret.” Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. D 26 Sıvıcny über den Römischen Colonat. Nach der Eroberung des westlichen Reichs durch die deutschen Völker kamen beide Institute nun auch in unmittelbare Berührung, und eine Vermischung derselben war unvermeidlich. Dadurch aber wurde der gänzliche Untergang der alten Sklaverey beschleunigt, welcher schon durch die Einführung des Colonats vorbereitet worden war. — ME — Über die Römische Steuerverfassung unter den Kaisern. Von Hr. vor SAVIGNY. [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 27. Februar 1823. ] D:: Einnahme des Römischen Reichs war, so wie die der meisten neueren Staaten, aus sehr verschiedenartigen Bestandtheilen zusammen- gesetzt, gröfstentheils aus directen und indirecten Steuern von mancher- lei Art. Die wichtigsten und bleibendsten derselben waren zwei directe Steuern, de Grundsteuer und die Kopfsteuer, und auf diese allein ist die gegenwärtige Untersuchung gerichtet. Zwei Umstände machen es räthlich, in dieser Untersuchung von einer sehr späten Zeit auszugehen: erstens rühren die reichhaltigsten Quellen aus dieser Zeit her, und zweitens haben fast alle neuere Schrift- steller ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise auf dieselbe gerichtet. Daher sind eben über diese Zeit einige Irrthümer herrschend, welche vor al- lem weggeräumt werden müssen, wenn die gegenwärtige Untersuchung Eingang finden soll. Ist nun der Zustand dieser späteren Zeit einmal festgestellt, so wird dadurch auch für die frühere Zeit ein fester Bo- den gewonnen seyn, und es wird alsdann möglich werden, den Anfang und die Entwicklung dieser Einrichtungen im vollständigen Zusammen- hang zu übersehen. Erster Abschnitt. Steuerverfassung unter den christlichen Kaisern. Unter Constantin und seinen Nachfolgern bestand eine regelmäfsige, sorgfältig bestimmte Grundsteuer, und diese enthielt ohne Zweifel D 2 28 Sıvıcsrvr über die Römische $ teuerverfassung. den gröfsten Theil aller Staatseinkünfte überhaupt. Sie wurde gewöhn- lich capitatio genannt, zuweilen auch iugatio oder terrena iugatio (1). Um dieser Steuer willen war das ganze Land in abgeschätzte Steuerhu- fen eingetheilt, und von jeder Hufe wurde dieselbe Geldsumme als Grund- steuer entrichtet. Eine solche Steuerhufe hiefs caput (2), und daher hat ohne Zweifel die Steuer selbst den Namen capitatio erhalten (5). Diese Grundsteuer wurde stets in baarem Gelde entrichtet, und ganz verschieden von derselben war die Naturallieferung (annona); jedoch wurde diese gleichfalls auf die Grundbesitzer ausgeschlagen, und als ein Zusatz der Grundsteuer angesehen, so dafs sie nach dem Verhält- (1) Hauptstellen für das Daseyn einer Grundsteuer unter dem Namen capitatio : L. 9. C. I. de act. emti (4. 49.) „,capitatio praedü venditi.” L. 1. C. Th. de immun. concessa (11. 12.) „lugorum capitationibus „.. amputatis.” L. 5. C. Th. sine censu (11.5.) L.2. ©. I. de fundis rei priv. (11.65.). -- Daher werden iugatio und capitatio als gleichbe- deutend zusammen genannt. L.8. C. Th. de censu (15. 10.) (d.h. L. 9. C. I. de agrie. 11.47.) L. 1. C. Th. ne quid publ. laet. (8. ı1.) L. 11. C. Th. de exact. (11. 7.). -- Nach anderen Stellen waren die Conscription und die Natnrallieferungen mit der capi- tatio verbunden, was nur denkbar ist, wenn man diese als Grundsteuer erklärt. Z. 7. C. Th. de tiron. (7. 15.) L.2. C. Th. de immun. concessa (ı1. ı2.) L. ı5. C. Th. de annona (11. 1.). (2) 2.2. C. I. de immun. (10. 25.) „pro iugerum numero vel capitum quae possi- „dere noscuntur.” deutend zusammengestellt. Z.6. ©. Th. de coll. donatar. (11. 20.) L. ı. C. Th. de pro- lostasia (11.25.) L. 1. C. 1. de palatin. sacr. larg. (12. 24.) L. 5. C. Th. de milit. veste (7: 6.) L. 1. C. Th. de impon. luer. deser. (12. 4.).-- Eben so kommt caput vor in der bekannten Stelle des Sidon. carm. 15. v. 19. 20. (an Majorian gerichtet): „,Geryones nos So werden in vielen Stellen zuga oder iugera und capita als gleichbe- „esse pula, monstrumgue tributum. Hie capita, ut vivam, tu mihi tolle tria.” (d.h. er wünscht Nachlafs von drei Steuerhufen für seine Landgüter). -- Die Stellen des Ammian und des Eumenius können erst weiter unten erklärt werden. (5) Diese Ableitung ist unstreitig einfacher und natürlicher als die des I. Gothofred. ad L. 2. C. Th. de censu (15. 10.): das Grundstück sei als das Capital betrachtet worden, wovon die Steuer als Zins entrichtet worden sei. Allerdings kann man nun weiter fragen, woher der Ausdruck caput (für Steuerhufe) entstanden sei. Ich glaube auf dieselbe Weise, wie caput für den Abschnitt eines Gesetzes, eines Buchs u. s. w. gebraucht wird. Es be- zeichnet in allen diesen Anwendungen den begränzten Theil eines Ganzen, welcher selbst wieder als ein Ganzes für sich betrachtet werden kann; so auch in Anwendung auf die Steuerhufe als Theils eines Landgutes. Sıvıenrvr über die Römische $ teuerverfassung. 29 nifs derselben vertheilt wurde, und dafs der Erlafs der Steuer zugleich von der Lieferung befreite (1). Neben der Grundsteuer bestand eine Kopfsteuer, als eine zweite directe Steuer, eben so umfassend als jene. Sie wird bald capı- tatio schlechthin genannt (2), bald kumana capitatio, capitalis Wlatio (5), auch capitatio plebeia, von welchem letzten Ausdruck bald noch weiter die Rede seyn wird. Die Höhe dieser Kopfsteuer ist unbekannt (4). Das Simplum derselben wurde ursprünglich von jedem einzelnen Mann ganz, von jeder Frau zur Hälfte entrichtet: Gratan und seine Mitkai- ser setzten die Steuer für die Männer auf zwei Fünftheile, für die Frauen auf ein Viertheil des ursprünglichen Simplum herab (5). Bei dieser Kopfsteuer ist zuerst die regelmäfsige Verpflichtung zu derselben, dann eine Reihe von Ausnahmen festzustellen, wodurch sie allmählich eingeschränkt worden ist. In der Regel waren zur Kopf- steuer verpflichtet alle Plebejer, welche nicht schon Grundsteuer zahl- ten. Zuerst also machte der blofse Rang frei von der Kopfsteuer, so dafs nur derjenige steuerpflichtig war, welcher im Rang unter den (1) 2. 15.C. Th. de annon. (11. 1.). ,„, Unusquisque annonarias species pro modo „Ccapltationis et sortium praebiturus” ete. L. 2. C. Th. de immun. conc. (11. 12.) (2) Dieser Gebrauch des Ausdrucks für ganz verschiedene Gegenstände hat die Neueren besonders irre gemacht. Selbst in derselben Stelle kommt das Wort, ohne nähere Bestim- mung, erst in der einen, dann in der anderen Bedeutung vor. Z. 7. C. Th. de tiron. (7. 15.). (5) Z. un. C. I. de col. Thrae. (11. 51.). „‚sublato... humanae capitationis censu, „iugalio lantum terrena solvatur.” L.6. C. Th. de coll. donatar. (11.20.) L. 23: pr. C. I. de agrie. (11. 47.). (4) Die Vermuthung von Placentin (‚Summa in tres lib., tit. de annona) , das Simplum habe einen Aureus betragen, ist ganz ohne Grund; wahrscheinlich war die Steuer weit geringer. (5) Z. 10. C. I. de agrie. (11. 47.): „Cum antea per singulos viros, per binas vero „mulieres, capitis norma sit censa, nunc binis ac ternis viris, mulieribus autem quaternis, „unlus pendendi capitis attributum est.” etc. Die Constitution selbst war nur an den Praefectus Pr. Orientis gerichtet, ihre Vorschrift scheint aber schon vor der Aufnahme in den Justinianischen Codex allgemein geworden zu seyn. --: Bini ac terni virisind je zwei oder drei, abwechslend, d. h. fünf Männer sollten zwei Simpla zahlen. 30 Sıvıceny über die Römische 5 teuerverfassung. Decurionen stand (1). Der Beweis dieses Satzes liegt schon in dem Ausdruck plebeia capitatio, welcher sehr gewöhnlich zur Bezeichnung der Kopfsteuer gebraucht wird, und aus welchem unwidersprechlich folgt, dafs diese Steuer eine eigenthümliche Last der Plebejer war (2). Dazu kommt aber noch eine einzelne Constitution, wodurch einige un- tergeordnete Steuerbeamte die persönliche Befreiung von der Kopf- steuer erhielten; diese Befreiung sollte nämlich nur gelten so lange das Amt daure, denn am Ende desselben würden sie Entweder wegen Un- treue bestraft, und verdienten keine Befreiung, oder sie würden (im Fall des Wohlverhaltens) zu einem höheren Rang erhoben, der sie dann von selbst befreie, folglich das Privilegium überflüssig mache (5). Hier ist also der Rang, als regelmäfsiger Grund der Befreiung, deutlich anerkannt. Zwar könnte man an der Richtigkeit dieser Behauptung zweifelhaft werden durch eine andere Stelle, nach welcher diejenigen Excomites und Expraesides, die ihren Rang nicht durch ein wirkliches Amt, sondern nur als Ehrentitel erhalten haben, die gewöhnlichen bürgerlichen Lasten tragen sollen; hier nun heifst es: ,‚,plebeiam quoque sustineant capitationem” (4). Kıklärt man dieses mit J. Gothofred so, dafs sie für ihre Person die Kopfsteuer zahlen sollten, so kann diese durch den blofsen Rang nicht ausgeschlossen worden seyn. Allein nach 5 dem ganzen Zusammenhang der Stelle, so wie nach anderen ähnlichen (1) Dafs der Decurionat die äufserste Gränze gegen den Plebejerstand ausmachte, be- weist Z. 7. C. Th. de tiron. (7. 15.) „ut sive senator, honoratus, principalis, decurio, „vel plebeius tironem ... ex agro ac domo propria oblaturus est” etc. (2) Capitatio plebeia. L. 4. C. Th. de censu (15. 10.) L.2. C. Th. de protostasia (11. 25.) L.56. ©. Th. de decur. (12. 1.). -- Exactio plebis. L.6. C. Th. de censu (15. 10.). -- Eben dahin gehört die besondere Erwähnung der plebs urbana und rusü- cana bei dieser Steuer. L. 2. C. Th. de censu (15. 10.). L. un. C. I. de capit. civ. (11. 48.) L. 1. C. I. ne rusticani (11. 54.). (5) Z.5.C. Th. de numerarüs (8. 1.) »-.- capitationem quoque ipsorum (sc. anno- „aariorum et acluariorum) lanlum, qui ex his censiti sunt, faciat haberi immunem „quoad in actu fuerint constituli: nam postea vel laus eos et dignitas honorabit, vel, si „in culpa fuerint deprehensi, poena comitabitur.” (4) 1.56. C. Th. de decur. (12. 1.). Sıvıcny über die Römische Steuerverfassung. 31 Stellen (1), ist hier gar nicht die Rede von der Entrichtung der Kopf- steuer, sondern von der Erhebung derselben ; diese gehörte (wahrschein- lich nach einer Reihefolge) zu den gemeinen bürgerlichen Lasten, und davon sollten jene Ehrentitel nicht befreien können. Zweitens befreite regelmäfsig von der Kopfsteuer jedes Grunde- genthum, so dafs nur derjenige Kopfsteuer zahlte, welcher gar keine Grundlasten zu tragen hatte. Der Beweis dieser Behauptung liegt in einer Stelle, die jedoch erst weiter unten vollständig erklärt werden kann, wo von der Steuerpflicht der Colonen die Rede seyn wird (2). Hieraus folgt, dafs die Kopfsteuer eigentlich nur als Ergänzung der Grundsteuer betrachtet wurde, nämlich als eine directe Steuer, wodurch diejenigen herangezogen wurden, welche aufserdem ganz steuerfrei ge- blieben wären, weil sie kein Grundeigentbum hatten. Und dieser Zu- sammenhang dient zugleich zur Erklärung des Begriffs der Possessores. Schon ziemlich früh werden diese als ein eigener achtbarer Stand, ne- ben den Decurionen, folglich von diesen verschieden, erwähnt (5). Eben so werden sie als eine der vier Classen genannt, woraus, nach der Verordnung des Honorius, der Landtag zu Arles gebildet werden sollte (4). Desgleichen kommen sie sehr oft bei Cassiodor als ein aus- gezeichneter Stand vor, bald allein, bald neben anderen Ständen (5), (1) Z.2.C. Th. de protostasia (11.25.) L. ı8.$. 8. D. de muner. (50.4.). Ganz falsch erklärt diese letzte Stelle Heraldus quaest. quotid. Lib. ı. C. 9. $. 7- (2) Z.4°C. I. de agrie: (11. 47.). (5) Z. 1. D.de decr. ab ord.fac. (50.9.). Der Ordo und die Possessores sollten gemein- schaftlich die Stadtärzte wählen. -- Es ist unbegreiflich, wie dennoch Pancirol. de mag. muni- eip. C. 1. beide für gleichbedeutend nehmen kann; in Z.6. C. de omni.agro deserto liegt dafür durchaus kein Grund. Völlig widerlegt wird diese Meinung schon durch Z. 2. GC: Uhz ne collationis transl. (11. 22.) „,... discant ordines, discant reliqui possessores” etc. (4) Savigny Rechtsgeschichte B. ı. S. 59. (5) Cassiodori Var. II. ı7, III.9, III. 49, IV. 8. VI. 24, VII. 27, PII. 29. (verbunden mit anderen); IIT. 44, V.9, F. 15, P.58. (allein). In der ersten Stelle z. B. heifst es: Honoratis, Possessoribus, Defensoribus, et Curialibus Tridentinae civitatis. Hier und in den übrigen Stellen ist Honoratis nicht, wie man nach den Ausgaben glauben sollte, ein Beiwort der Possessores, sondern es bezeichnet den ersten Stand, gerade so wie in der angeführten Verordnung des Honorius. 32 Sıvıcny über die Römische Steuerver assung. und eine ähnliche Zusammenstellung findet sich auch an anderen Or- ven (1). Diese Possessores sind nichts anderes als die Grundeigenthü- mer, und dafs sie einen besonderen, ausgezeichneten Stand bildeten, er- klärt sich daraus, dafs sie Grundsteuer zahlten, und von der Kopfsteuer frei waren, woraus eben eine scharfe Gränze zwischen ihnen und den blofsen Plebejern, d. h. den Kopfsteuerpflichtgen, entstand. Endlich läfsı sich aus diesem Zusammenhang mit grolser Wahrscheinlichkeit schliefsen, dafs das Simplum der Kopfsteuer nur gering gewesen seyn kann. Denn da jeder, auch der geringste, Grundbesitz von der Kopf- steuer frei machen sollte (2), so würde es leicht gewesen seyn, die Steuercasse in Nachtheil zu bringen, wenn die Kopfsteuer der Einzel- nen einige Bedeutung gehabt hätte. Nach dieser negativen Begränzung wird es leicht seyn, diejenigen Classen anzugeben, von welchen die Kopfsteuer hauptsächlich getragen wurde. Erstlich gehörten dahin die freien Einwohner der Städte, welche weder Rang noch Grundeigenthum hatten, z. B. viele Handwerker und Tagelöhner. Wie diese späterhin allgemein befreit wurden, wird unten bei den Ausnahmen dargestellt werden. Zweitens, auf dem Lande, die Colonen. Drittens, in den Städten und auf dem Lande, sämmt- liche Sklaven. Von den beiden letzten Classen, die bei weitem die wichtigsten waren, soll nun noch besonders gehandelt werden. Das Steuerverhältnifs der Colonen war folgendes. Da das Eigen- thum der Bauerhöfe, auf welchen sie lebten, nicht ihnen, sondern dem Gutsherrn gehörte, so war auch die Grundsteuer eine Last des Guts- herrn, nicht des Colonen. Dagegen war der Colone, eben weil er kein Grundeigenthum hatte, der Kopfsteuer unterworfen. Und für diese Kopfsteuer der Colonen hatte man, zur Bequemlichkeit und Sicherheit des Steuerfiscus, eine Vertretung in folgender Art eingeführt. Der (1) Inschrift bei Ducange v» Possessores: „,Ordo Possessoresgue Brixillanorum.” Stelle aus dem Ziber diurnus ebendaselbst: ,,Presbyteris, Diaconibus, Clericis, Honoratis, „Possessoribus, et cunctae plebi ill. ecclesiae.” -- Eine besonders wichtige Stelle aus dem Salischen Gesetz wird am Ende des zweiten Abschnitts angeführt und erklärt werden. (2) Z. 4. ©. I..de agric. (11.47.). „Sane quibus terrarum erit quantulacungue „possessio” etc. Sıvıeany über die Römische Steuerverfassung. 383 Gutsherr mufste die Kopfsteuer aller seiner Colonen an den Fiscus be- zahlen (1). Deshalb war die Kopfsteuer aller zum Gut gehörigen Co- lonen in der Steuerrolle bei der Grundsteuer des Gutes mit eingetra- gen, und wurde mit dieser Grundsteuer in Einer Summe entrichtet. Dennoch war dieses blofs eine besondere Form der Erhebung; die Ver- pflichtung selbst lag stets persönlich auf den Colonen (2), und der Gutsherr, der für sie die Auslage gemacht hatte, zog sie wieder von ihnen ein. Seine Verbindlichkeit zur Vertretung dauerte aber fort, auch wenn er zufällig den Besitz des Colonen verlor. Erlangte er nun diesen verlorenen Besitz wieder, so mufste der Colone selbst, wenn er einstweilen als freier Mensch gelebt hatte, die ausgelegte Steuer erset- zen: hatte er sich dagegen bei einem Fremden, als dessen Colone, auf- gehalten, so war dieser Besitzer zum Ersatz verpflichtet (5). Nichts würde irriger seyn, als wenn man diese Verbindlichkeit des Gutsherrn zur Steuervertretung auf die Grundsteuer des Bauerhofes beziehen wollte. Diese Grundsteuer trug ohnehin der Gutsherr, als eigene Last, weil er der Eigenthümer war; auch konnte in diesem Punkt eine zufällige Ver- schiedenheit des Rechts gar nicht vorkommen. Nur in der Art der Entrichtung fanden sich solche Verschiedenheiten, indem nach willkühr- licher Übereinkunft bald der Colone die Entrichtung besorgte, bald ‘der Gutsherr: da denn im ersten Fall ein geringerer, im zweiten ein höherer Grundzins.an den Gutsherrn zu entrichten war (4). Diese Ver- schiedenheit, die eben so bei gewöhnlichen Pächtern vorkommen konnte, (1) L. 14. C. Th. de annona (ıı. 1.), oder Z. 4. C. I. de agric. (11. 47.). (Die Er- klärung derselben wird weiter unten gegeben werden). Z. 26. C. Th. de annona (11. 1.). (2) ZL. 25. pr. C. I. de agrie. (11. 47.) „... et sit suppositus una cum omni sobole „sua ... hujusmodi fortunae, et capitali illationi.” (5) Z. 1. C. Th. de fug. col. (5. 9.): „Apud quemeungue colonus turis alieni fuerit „inventus, is non solum eundem origini suae restituat, verum super eodem capitationem „temporis agnoscat” ete.-- L. 8. C. I. de agrie. (11. 47.). L. 23. $. 2. eod. (4) Dafs diese zufällige Verschiedenheit wirklich vorkam, sagt ausdrücklich Z. 20. $.5. C. I. de agrie. (11. 47.). „Et si quidem coloni more solito eas (publicas functiones) „dependebant, ipsi maneant in pristina consuetudine ... Sin autem moris erat dominos „toltam summam accipere, et ex ea partem quidem in publicas vertere Junctiones, par- „tem autem in suos reditus habere: tunc” etc. Hist. philolog. Klasse 1822 -1823° E 34 Sıvıany über die Römische Steuerverfassung. war der Steuercasse völlig gleichgültig, indem überhaupt der Steuerpflich- tige seine Steuer entweder selbst überbringen, oder durch andere Perso- nen einzahlen lassen konnte. Wesentlich verschieden davon mufste dieje- nige Steuer seyn, die als eigene, persönliche Last des Colonen bezeichnet wird, so dafs dem Gutsherrn blofs die Erhebung und Vertretung derselben oblag: und für diese ist eine andere Erklärung, als die von der Kopf- steuer der Colonen, ganz unmöglich. Völlig bestätigt aber wird diese Er- klärung durch den merkwürdigen Umstand, dafs die Verordnung, worin die Kopfsteuer überhaupt herabgesetzt wurde (S.29.), in unserm Codex mitten unter den Gesetzen über den Colonat steht: diese Stellung läfst sich nur daraus erklären, dafs eben die Golonen vorzugsweise der Kopfsteuer unterworfen waren. — Jetzt erst ist es möglich, eine der wichtigsten Verordnungen über das ganze 'Steuerverhältnifs zu erklären, von welcher schon an einigen Stellen dieser Abhandlung Gebrauch gemacht worden ist. Sie rührt her vom K. Valens, und drückt sich so aus (1): ‚Hi, ‚„penes quos ‚Jundorum dominia sunt, pro his colonis originalibus, quos in locıs ‚„‚eisdem censitos esse constabit, vel per se wel per exaclores proprios re- ‚‚cepta compulsionis sollicitudine, implenda munia functionis agnoscant. Sane 55 quibus terrarum erit quantulacungue Possessto, qui in sus conscripti locis ‚„‚proprio nomine libris censualibus detinentur: ab hujusmodi praecepti com- „munione discernimus: eos enim convenit propriae commıissos mediocrilati, „‚annonarias functiones sub solito exactore agnoscere”. Das heifst: In der Regel haben die Colonen Kopfsteuer zu zahlen, welche der Gutsherr auslegt, und von ihnen wieder beitreibt: er darf sich aber dazu nicht der öffentlichen Steuererheber bedienen, sondern mufs die Steuer entweder selbst, oder durch eigene, von ihm anzustellende Erheber einfordern (2). Anders verhält es sich in den (selineren) Fällen, wenn der Colone an- (1) Esist 2. 4. C. I. de agric. (11. 47.) oder L. ı4. C. Th. de annona (11. ı.). Ich befolge die Leseart des Justinianischen Codex, von der die des Theodosischen nicht bedeu- tend abweicht. (2) Beide Hälften der Stelle bilden einen unverkennbaren Gegensatz: im letzten Fall soll der solitus exactor (der öffentliche Steuererheber) die Eintreibung besorgen, im ersten Fall dagegen soll dieses der Gutsherr thun, entweder selbst, oder durch Leute, die er dazu an- stellt (per exactores proprios). Ganz unrichtig zieht J. Gothofred die Leseart vor: per actores proprios ; und eben so unrichtig construirt er die Worte vel per se vel per exactores Savısny über die Römische Steuerverfassung. 35 derwärts, d. h. aufser seinem Bauerhofe, mit eigenen Grundstücken an- gesessen ist, mögen diese auch noch so klein seyn: denn nun hat er über- haupt nichts zu tragen, als die Grundlasten von diesem Eigenthum (1) (folglich gar keine Kopfsteuer ), diese werden da erhoben, wo die eige- nen Grundstücke liegen, und von dem gewöhnlichen öffentlichen Steuer- erheber, so dafs die Steuer solcher Colonen von ihrem Gutsherrn weder vorzuschiefsen, noch einzutreiben ist. Eben so, wie die Colonen, waren auch sämmtliche Sklaven im Keich der Kopfsteuer unterworfen, und aus gleichem Grunde: nämlich weil sie, gleich jenen, Plebejer ohne Grundeigenthum waren. Deshalb wurden von jeher alle Sklaven in den Steuerrollen eingetragen (2). Die- jenigen, welche zur Landwirthschaft gebraucht wurden, trug man bei der Grundsteuer des Guts ein, und sie traten dadurch in ein ähnliches Verhältnifs zu demselben wie die Colonen, indem sie als unzertrenn- liche Bestandtheile des Bodens betrachtet wurden (5). Allein es würde proprios zu agnoscant, und erklärt sie von der Zahlung an die Casse, anstatt von der Ein- treibung, worauf sie wegen des erwähnten Gegensatzes nothwendig bezogen werden müs- sen. Auch wäre der Zusatz vel per se ete., wenn man ihn von der Zahlung an die Casse ver- stehen wollte, völlig überflüssig, anstatt dafs er jetzt einen recht guten Sinn giebt. (1) annonarias functiones, d. h. die auf den Ertrag des Bodens gelegten Lasten, also Grundsteuer und Naturallieferung zusammen, und gewifs mit absichtlicher Aus- schliefsung der Kopfsteuer, die unmöglich unter der annonaria functio mitbegriffen seyn kann. J.Gothofred nimmt unrichtig an, in beiden Hälften der Stelle sei von derselben Art der Steuer die Rede: ohne Zweifel in beiden von der Grundsteuer. Dieses ist verwerf- lich, weil die Grundsteuer des Bauerhofes gar nicht eine Last des Colonen war. Aber selbst wenn sie dieses wäre, so würde dennoch die Erklärung von J. Gothofred unhaltbar seyn. Denn wenn die Grundsteuer des Bauerhofes vom Gutsherrn vorgeschossen, und vom Colonen wieder erstattet würde, so könnte dieses ja nicht durch den zufälligen Umstand gehindert werden, dafs der Colone aufser dem Bauerhof auch noch in einer anderen Gegend eigenes Land besäfse. Vielmehr würde die Grundsteuer des einen Grundstücks von der des andern völlig unabhängig seyn müssen. (2) Z. 4. 8.5. D.decensibus (von Ulpian) „In servis deferendis observandum est, „utelnationes eorum, et aelates, el oflicia, et artificia specialiter deferantur.” -- Lactan- tius de mortibus persecutorum C. 25. (Vom Census.unter Galerius) „,„... unusquisque „cum liberis, cum servis aderant” ete.-- L. 7. C. de donat. (8.54). (3) servi censiti, censibus adseripti. L. 7. C. I. de agrie. (11.47.).-- L.5. C. Th. de re milit. (7. 1.) oder L. 10. C. I. eod. (12. 56.).-- L.2. Th. sine censu (11. 5.). E2 36 Sıvıeny über die Römische $ teuerverfassung. ganz irrig seyn, auf dieses specielle Verhältnifs die Steuerpflichtigkeit der Sklaven beschränken zu wollen, die vielmehr ganz allgemein war. Der vollständige Beweis dieser Behauptung liegt in einer der zahlreichen Verordnungen, wodurch Befreiungen von der Kopfsteuer ertheilt wur- den. Eine solche Befreiung erhielten alle freigeborene Maler, für sich, ihre Frauen und Kinder, und selbst für ihre Sklaven, jedoch nur wenn diese Ausländer von Geburt waren (1); hier ist es nun ganz einleuch- tend, dafs die regelmäfsige Steuerpflichugkeit der Sklaven als etwas ganz persönliches vorausgesetzt wird, unabhängig von allem Grundbesitz. — Aus dieser allgemeinen Steuerpflicht der Sklaven folgt zugleich, dafs dieselben als selbstständig betrachtet wurden, so dafs sie persönlich steuer- pflichug waren, ohne Rücksicht, ob ihr Herr durch Rang oder Grund- besitz von der Kopfsteuer frei war. Auf der andern Seite aber war diese persönliche Belastung der Sklaven, da sie kein eigenes Vermögen hatten, doch nur etwas scheinbares , und in der That eine Besteuerung der Herren ; insbesondere für die Reichen lag darin eine Art von Luxus- steuer. Nachdem so die regelmäfsige Verpflichtung zur Kopfsteuer festge- stellt worden ist, sind nun noch die Ausnahmen von derselben anzuge- ben. — Ausgenommen waren zuvörderst einzelne Olassen von Personen, ausgezeichnet durch Alter, durch Stand oder Gewerbe. ı. Über die Befreiung durch das Alter galten folgende Regeln. Zur Zeit Ulpians waren in Syrien frei Alle, welche jünger als zwölf oder vierzehn Jahre, oder älter als fünf und sechszig waren. Später sollten allgemein frei seyn Männer unter zwanzig Jahren , Jungfrauen aber schlechthin , ohne Rücksicht auf Alter. Endlich wurde für beide Geschlechter der Anfang der Steuerpflichtigkeit auf volle fünf und zwanzig Jahre gesetzt (2). — 2. Wittwen und Nonnen sollten gleichfalls frei seyn (5). — 5. Von der (1) 2.4. C. Th. de excusat, artificum (15. 4.). „Picturae professores, si modo „ingenui sunt, placuit, neque sui capilis censione, neque uxorum aut etiam liberorum „nomine, tribulis esse munificos, el ne servos quidem barbaros in censuali adscriptione „profiteri”. etc. (2) . 2.5. D. de censibus (50. 15.)-- L.4. C. Th. de censu (13. 10.).-- L.6. eod. (5) 2.4.6.0. Th. de censu (13. 10.) Sıvıcnv über die Römische Steuerverfassung. 37 Befreiung der freigebornen Maler, ihrer Frauen und Kinder , so wie ihrer ausländischen Sklaven, ist bereits die Rede gewesen (8.56). — 4. Eine gleiche Befreiung genossen zwei Arten niederer Steuerbeamten, die annonari und actuari, so lange sie im Amt standen (1). — 5. Sol- daten und Veteranen waren persönlich steuerfrei, und aufserdem war es mit vielen Abstufungen bestimmt, wie sie durch mehr oder weniger Dienstjahre bald nur ihre Frauen, bald auch Vater und Mutter befreien könnten (2). — Dagegen war bei den Geistlichen ausdrücklich bestimmt, dafs sie durch ihren Stand nicht frei von der Kopfsteuer werden soll- ten (5). Andere Befreiungen betrafen ganze Landstriche. So wurde unter Theodos II. und Valentinian II. die Kopfsteuer in der ganzen Diöcese Thracien aufgehoben (4); eben so unter Valentinian I. und seinen Mit- kaisern in Illyricum (5). — Umfassender war die Veränderung, deren (1) Siehe o. S. 50. (2) Z. ı8.8. 29. D. de muneribus (50.4.) L. 6.7. C. Th. de tiron. (7. 15.) L. 4. C. Th. de veteranis (7. 20.). Hier kommen die Ausdrücke vor: suum caput excusent, unum capul excuset, duo capita excusaturis ete. (3). Z. 11. C. I. deepise. (1. 5.) oder L.55. C. Th. eod. (16. 2.).-- L. 16. C.T. eod. (4) Z. un. C. I. de colonis Thracens. (11. 51.). „„Per universam dioecesim Thra- „eiarum sublato in perpetuum humanae capitationis nexu, iugatio lantum terrena sol- „vatur. Et ne forte colonis tributariae sortis absolutis, vagandi ... facultas permissa vi- „deatur” etc. Auch hier wieder ist die oben bemerkte genaue Verbindung der Kopfsteuer mit dem Colonat unverkennbar. (5) Z. un. C. I. de colonis Illyr. (11.52.). „,... Inserviant terris, non tributario „nexu, sed nomine et titulo colonorum” etc. -- Die chronologische Bestimmung dieser Constitution hat folgendes Schicksal gehabt. Die ältern Ausgaben, soweit sie sich auf In- scriptionen einlassen, überschreiben sie: Yalentin. Theod. et Arcad., und haben keine Subseription. Cujacius giebt im Commentar (ohne allen Zweifel aus einer Handschrift) die Inscription: Yalentin. Valens et Gratianus, und die Subscription Gratiano A. II. et Probo Coss., d.h. 371. Nachher hat man unglücklicherweise die alte Inseription beibe- halten, und die völlig widersprechende Subscription hinzugefügt; ich finde diese Zusam- menstellung zuerst in der Ausgabe von Baudoza, und sie ist noch ganz neuerlich in die Span- genbergische übergegangen. J. Gothofred scheint die Inscription und Subscription‘ des Cujacius ganz übersehen zu haben, denn in der chronol. cod. Theod. p. CXXAXVI. ed. Ritter steht noch die Constitution unter denen von Falent. Theod. et Arcad. von unge- wissem Jahr. 38 Sıvıcny über die Römische $ teuerverfassung. Zeitpunkt wir nicht wissen, nach welcher die Kopfsteuer den städtischen Plebejern ganz erlassen, folglich auf das platte Land beschränkt wurde. Diese Befreiung der Städte bestand schon unter Diocletian : Galerius hob sie wieder auf (1): bald nachher aber wurde sie von Licinius in folgender Verordnung wiederhergestellt (2): ‚‚Plebs urbana, sicut in orientalibus quo- que provincls observatur , minime in censibus pro capitatione sua conveniatur, sed iuxta hanc iussionem nostram immunis habeatur: sieuti etiam sub domino et parente nostro Diocletiano seniore A. eadem plebs urbana immunis fuerat. 4 Die Verordnung ist an den Präses von Lycien und Pampbhilien gerichtet, welche Provinzen zur Diöcese von Asien gehörten: sie erwähnt zugleich, die Befreiung gelte noch jetzt in der Orientalischen Diöcese, und es ist daher wahrscheinlich, dafs die Aufhebung derselben unter Galerius nur auf ein- zelne Provinzen gerichtet war. Die Befreiung selbst scheint vorher und nachher sehr weit verbreitet gewesen zu seyn, welches auch durch die Auf- nahme der Verordnung in beide Constitutionensammlungen wahrscheinlich wird. Ob sie aber ganz allgemein, oder vielmehr auf die östlichen Provir- zen beschränkt war, ist ungewifs; für die letzte Annahme liegt einige Wahrscheinlichkeit in einer Stelle des Salischen Gesetzes, die am Ende des zweiten Abschnitts erläutert werden wird. — Von dieser Zeit an also fiel die Kopfsteuer weg für alle Einwohner der Städte, sowohl für die freien Plebejer, als für die Sklaven, so dafs die reichen Städter einen Hauptvortheil von dieser Neuerung zogen. In der Verordnung selbst ist diese Meinung deutlich ausgesprochen durch den Ausdruck plebs ur- bana: in der Titelrubrik des Justinianischen Codex heifst es capitatio ci- vium, und auch hier darf unter civis nichts anderes verstanden werden als ein Städter, so dafs der Ausdruck nicht die geringste Beziehung auf die Römische Civität hat, die zuverlässig niemals von der Kopfsteuer (1) Zactantius de mortibus persecutorum C. 25. Er schildert die Härte des Census unter Galerius, und sagt dabei unter andern: „in civitatibus urbanae ac rusticae plebes „adunatae.” (2) Z.2.C. Th. de censu (15.10.), oder Z. un. C. I. de capitatione civium censibus eximenda (11. 48.), wo jedoch der letzte Theil der Stelle (von Sicuzi an) weggelassen ist. Das Geschichtliche dieser Verordnung hat J. Gothofred gründlich behandelt, von seinen Irrthümern in der eigentlichen Erklärung derselben wird weiter unten die Rede seyn. Sıvısny über die Römische Steuerverfassung. 39 befreite (1). Seit dieser wichtigen Änderung war also nicht mehr die plebs überhaupt der Kopfsteuer unterworfen, sondern nur noch die pleds rusticana, und in der That findet sich eine unverkennbare Hinweisung hierauf in einer Constitution von Diocletian und Maximian (2). Bisher ist gezeigt worden, dafs das Wort caprtatio zwei Hauptbe- deutungen hat: Grundsteuer, und Kopfsteuer. Aufser denselben kom- men aber auch noch einige andere, weniger häufige und wichtige, vor. So bezeichnet capitatio animalium eine Viehsteuer,, welche einmal neben der Kopfsteuer erwähnt wird (5). — In einigen anderen Stellen wird un- ter capttatio die Fourage verstanden (4), wofür sonst capitum oder capitus gebräuchlicher ist (5). Mit den hier aufgestellten Sätzen , sowohl über die Grundsteuer und Kopfsteuer selbst, als über die Bedeutungen des Worts capitatio , (1) Nämlich von der Befreiung von Italien wird unten die Rede seyn, aber die Cives in den Provinzen waren gewifs nicht frei; aufserdem würde ja seit Caracalla die Kopfsteuer beinahe nur noch eine Sklavensteuer gewesen seyn. (2) Z. 1. C. TI. ne rusiicani (11.54.): ,,Ne quis ex rusticana plebe, quae extra „muros posita capltalionem suam detulit” etc. (5) 2.6.C. Th. de collat. donatarum (11. 20.). „,... Exceptis his, quae in capila- „tione humana atque animalium diversis qualicunque concessa sunt” etc. -- Der Zu- sammenhang dieser schweren Stelle, so weit sie hierher gehört, ist folgender. Wenn Steuern erlassen worden sind, so soll: ı. für die vergangene Zeit, von Arcadius an gerechnet, ein Fünftheil der erlassenen Grundsteuer nachgezahlt werden, von der Kopfsteuer und Vieh- steuer aber nichts (,,Eorum iugorum ... concessa sunt”); 2. was aber die Zukunft be- trifft, so wird aller von Theodos I. an ertheilte Erlafs reducirt: beträgt derselbe weniger als 400 capita, so fällt die Hälfte desselben weg, beträgt er mehr, so gelten nur 200 als er- lassen; und zwar betrifft diese Reduction für die Zukunft auch die bei der Grundsteuer ein- getragene Kopfsteuer und Viehsteuer („Ita ut omnium ... beneficium impetrabit). Je- doch soll diese Einschränkung wegfallen, wenn der Grundeigenthümer die wirkliche Un- fruchtbarkeit, als Grund des Erlasses, nachweist (,, Nisi si quis ... tributa publica solu- „tiurus””).-- Die Erklärung von J. Gotliofred beruht auf einer ganz falschen Abtheilung der Stelle; noch unrichtiger ist die Erklärung in Heraldi quaest. quotid. I. 9. $. ı2., der zugleich den Text durch grundlose Conjecturen entstellt. (4) 2.3. C. Th. de erogat. (7.4.). „Militibus ad kal. Aug. capitatio denegetur, ex „Aal. dug. praebeatur.” -- L.ı1.cod. (5) Soz.B.in Z. un. C. I. de annonis (1.52.), wo die ächte Leseart capıtu in Hand- schriften und Ausgaben vielfältig entstellt ist: eben so in mehreren Stellen. Vgl. Arnizen ad panegyr. vet. T. 2. p. 450. 40 Sıvıeny über die Römische $ teuerverfassung. stehen die Meinungen der neueren Schriftsteller völlig im Widerspruch. Diese gehen fast durchaus von der stillschweigenden Voraussetzung aus, capitatio könne nur Eine Bedeutung haben, und aus dieser völlig willkühr- lichen Annahme sind die wichtigsten Irrthümer entstanden. Die meisten älteren Schriftsteller hatten , dem blofsen Anstofs des Namens folgend , die capitatio für Kopfsteuer erklärt, unbekümmert um die vielen Stellen, worin der Ausdruck unwidersprechlich Grundsteuer bedeutet. Diesen Irrıhum entdeckte J. Goihofred, der aber nun in den entgegengesetzten verfiel, und keine andere capitatio als die Grundsteuer zulassen wollte. Seine in mehreren Stellen zerstreute Meinung ist im Zusammenhang fol- gende (1). In früheren Zeiten , und namentlich zu Ulpian’s Zeit, hatte noch eine Kopfsteuer freier Menschen bestanden , unter den christlichen Kaisern hatte dieselbe ganz aufgehört (2). Die Grundsteuer aber, die jetzt allein den Namen capitatio führt, beruhte auf einer Bonitirung der Grund- stücke ; dabei wurden alle Bestandtheile derselben angeschlagen , auch die zu dem Gute gehörenden Colonen und Sklaven, und aus diesem Bestand- ıheil der Grundsteuer entsteht der falsche Schein, als ob auch in dieser Zeit noch eine Kopfsteuer gegeben worden wäre (5). So weit J. Gotho- fred, und mit dieser Meinung stimmen im Wesentlichen mehrere neuere Schriftsteller überein (4). — Unwahrscheinlich mufs diese Meinung schon (1) J. Gothofredus paratitl. Cod. Th. de censu (15. 10.); Comm. in L. 2. et 4: eod.; Comm. in L. 15. et55. de annona (11. 1.); Comm. in L. 6. de coll. donatarum (11. 20.), (2) Comm. in L. 4. C. Th. de censu. (15. 10.) ,, Plerique vero Interpretum id de „iributo capilis, seu capitis censu, quod pro capite dabatur, accipiunt. De quo est sane „»L.5. D. de censibus ... Verum cum nullum iam amplius hoc aevo capitis seu pro ca- „pie libero tributum, usurparetur : es! omnino haec lex, ut et d. I. 6. accipienda de „‚capıtatione el zugatione pro capitibus et ıugıs seu possessionibus. (3) Comm. in L. 2. eod. ‚Ergo capitatio est modus collationis pro iugorum seu ca- „pllum numero, non pro capite hominis, ut vulgo creditum, etiam Cuiacio ... denique „terrena haec capitatio seu Tugatio fuit .. sic tamen terrena fuwit, ut ratio haberetur quo- „que hominum et animalium, welut quae paris capitis seu substantiae et facullatum es- „sent: unde et capitatio humana ... non quasi pro capiiibus eorum separalim capitatio „vel iugatio fieret aut praestaretur, verum quia in censum veniebant referebanturque „onnia, quae possessionum, capitum, sortiumque et iugorum aestimationi accederent.” (4) Hegewisch, römische Finanzen, Altona 1804. 8. S. 275. 275. 289. Manso, Leben Constantin’s, Breslau 1817. 8. S. 185. -- Bosse, Finanzwesen im röm. Staat, Braunschweig Savıany über die Römische Steuerverfassung. 41 aus wirthschaftlichen Gründen werden, indem der reine Ertrag eines Gutes, worauf doch die Grundsteuer beruht, durch die gröfsere Zahl der erforderlichen Arbeiter nicht erhöht, sondern vielmehr vermindert wird: ganz anders verhält es sich mit dem Viehstand, da dieser einen selbst- ständigen Ertrag geben kann, was bei den menschlichen Gehülfen in der Landwirthschaft (Colonen und Sklaven) nicht statt findet. Man könnte freilich versuchen, , diesem Einwurf durch die Wendung zu entgehen, die Kopfsteuer der Colonen sei nachher dem Gutsherrn eingezahlt wor- den, habe also den Ertrag des Guts erhöht, und deshalb bei der Boni- tirung allerdings berücksichtigt werden müssen. Allein auch dieses kann die Ansicht der Römer unmöglich gewesen seyn. Denn jede Grund- steuer kann doch nur einen Theil des reinen Ertrags absorbiren. Wäre also die Kopfsteuer der Colonen als Bestandtheil des Reinertrags in Be- tracht gekommen, so hätte die übrige Grundsteuer nur um einen Theil jener Kopfsteuer erhöht werden können, anstatt dafs in der That der Gutsherr die ganze Kopfsteuer baar erlegen mufste. — Völlig wider- legt aber wird diese Meinung durch folgende schon oben erwiesene That- sachen. Die Capitation wird ausdrücklich als eigene, persönliche Last der Colonen angegeben, (S. 55.) nicht als Last des Gutsherrn. Des- gleichen erscheint bei den zahlreichen Befreiungen stets die Capitation als eigene Last, so wie die Befreiung als persönliche Begünstigung für denjenigen, für dessen Kopf die Steuer zu entrichten war. Besonders deutlich ist dieses bei der Befreiung der Maler und der Soldaten nebst ihren Angehörigen (S. 56 und 57), welche Befreiung ja offenbar gegeben war, um diese Personen selbst zu ehren, nicht um irgend einen Guts- herrn zu begünstigen. Ganz entscheidend endlich ist der Umstand, dafs auch die Plebejer in den Städten ursprünglich der Kopfsteuer unter- 1804. 8. B. 2. S. 115. 210. spricht so unbestimmt, dafs man ihm nicht mit Sicherheit die- selbe Meinung beilegen kann. -- In den Hauptpunkten hat eigentlich schon dieselbe Mei- nung Heraldus quaest. quotid. Lib. 1.0.8. 8.15, C.9. $. 7-15, und es ist nicht zu begreifen, warum J. Gothofred ihn als einen Gegner behandelt. Im Einzelnen freilich hat Heraldus noch manche Unrichtigkeiten voraus; so z. B. soll die ganze Grundsteuer eines Gutes aus zwei Theilen bestanden haben, deren einer nach der Zahl der Colonen und der Sklaven berechnet wurde (capitatio humana), der andere nach der Zahl des Viehes (capi- tatıo animalium). Hist. phlolog. Klasse 1822 - 1823. F 42 Sıvıeny über die Römische Steuerverfassung. worfen waren, und erst später davon befreit wurden ; bei diesen aber ist an ein gutsherrliches Verhältnifs gar nicht zu denken. Diesem leız- ten Grund kann auch J. Gothofred nicht anders begegnen, als durch eine Erklärung, Meinung zu enikräften ; er erklärt nämlich die Verordnung von solchen städuschen Plebejern , welche kleine Landgüter besafsen : diesen sei die deren Unhaltbarkeit allein schon hinreichen würde, seine Grundsteuer geschenkt worden (1). Übrigens weicht die ganze Meinung von J. Gothofred im letzten Resultat weniger von der Wahrheit ab, als man auf den ersten Blick glauben möchte. Denn seitdem die Städte von der. Kopfsteuer befreit waren, lag dieselbe allerdings gröfstentheils auf den Colonen und den ackerbauenden Sklaven ; und da der Gutsherr sie für jene und für diese neben der Grundsteuer bezahlen mufste, so kann man sie gewissermafsen als eine Erhöhung der Grundsteuer betrachten. Nur darf man dabei nicht vergessen, erstlich dafs die Kopfsteuer früher auch in den Städten bezahlt wurde, zweitens dafs auf dem Lande die Kopfsteuer von den Colonen selbst getragen, und von dem Gutsherrn nur vorgeschossen wurde. Einen ganz anderen Weg schlägt Gibbon ein (2). Auch nach ihm gab es nur eine einzige Capitation, aber diese war Kopfsteuer und Grund- steuer zugleich. Der Form nach war sie eine Kopfsteuer, dem Wesen nach eine Grundsteuer, ındem man sie nicht auf wirkliche Personen legte, sondern auf ideale Steuerpersonen, deren jede durch ein gewisses Maafs von Grundeigenthum bestimmt wurde. Ein Reicher also konnte mehrere solcher Personen in sich vereinigen, mehrere Arme machten zusammen nur Eine aus. Ob diese künstliche Einrichtung durch Ab- (1) Comm. inL.2. Th. decensu (15. 10.). „Ergo huius leg. haec perspicua sen- „ientia est, plebem urbanam, si modicum forte quid possideret iugorum seu capitum „rurl, a capitatione immunem esse.” Es würde wohl überflüssig seyn, diese Erklärung besonders zu widerlegen. (2) Gibbon Fol. 5. Chap. 17. -- Das Wesentliche dieser Ansicht findet sich eigentlich schon bei Dubos Liv. ı. Ch. ı2. Denn obgleich dieser die Steuer eine blofse Kopfstener nennt, so sagt er doch, mehrere Arme hätten als Eine Person gezahlt, und Ein Reicher für mehrere Personen. Nur darin unterscheiden sie sich, dafs Gibbon diese (falsch erklärte) Steuer für die einzige hält, anstatt dafs Dübos daneben noch eine eigentliche Grundsteuer annimmt. Savıacenrv über die Römische $S teuerverfassung. 43 sicht oder Zufall entstanden sei, läfst er dahin gestellt. — Diese ganze Erklärung ist offenbar nichts anders als ein Einfall, der von der fal- schen Voraussetzung ausgeht, capitatio könne nur einerlei bedeuten, und dazu bestimmt ist, diese vermeintliche Schwierigkeit zu lösen. Eine Rechtfertigung aus Quellen hat er selbst gar nicht versucht, und in der That ist es unmöglich, diese damit zu vereinigen. Dennoch hat es auch ihm nicht ganz an Nachfolgern gefehlt. (1). Einige andere Schriftsteller dagegen haben richtig eingesehen , dafs zwei verschiedene direete Steuern neben einander bestanden , Grundsteuer und Kopfsteuer (2). Dafs ihre Meinung nicht allgemeineren Eingang fand, lag zum Theil an eingemischten einzelnen Irrıhümern, noch mehr aber dar- an, dafs sie dieselbe nur im Allgemeinen andeuteten , anstatt sie vollstän- dig durchzuführen , und auf die Erklärung der Quellen anzuwenden. Zweiter Abschnitt. Entstehung und Dauer dieser Steuerverfassung. Die Grundlage der hier dargestellten Steuerverfassung fällt in die Zeit der freien Republik. Gleich im Anfang der Kaiserregierung wurde sie weiter ausgebildet, und im zweiten Jahrhundert erhielt die Grundsteuer und die Kopfsteuer im Wesentlichen die Gestalt, worin wir sie noch unter Constantin finden. Dieses alles ist nunmehr durch geschichtliche Zeug- nisse zu erweisen. Als die Römer anfıngen , grofse Eroberungen aufser Ttalien zu machen, und aus denselben Provinzen zu bilden , gingen ıheils die bis- herigen Abgaben dieser neuen Unterthanen an die Römische Republik (1) Gibbon’s Ansicht wird unbedingt gebilligt von Naudet, des changemens ... de l’ad- ministration de l!empire Romain sous les regnes de Diocletien etc. T. 2. p. 522. In einer früheren Stelle (7. ı. p. 545.) hatte Naudet ganz richtig angenommen, es gebe zweierlei Capitation, Grundsteuer und Kopfsteuer. y (2) Dahin gehören folgende: Zipsius excurs. ad Taciti annales I. 51.-- Dubos mo- narchie Francoise Liv. 1. Ch. 12.-- Schwarz de iure Italico 8. 9. -- Darin aber irren wie- der Dübos und Schwarz, dafs sie den Ausdruck capitatio auf Kopfsteuer beschränken ; eine andere Verwirrung bei Dübos ist so eben gerügt worden. F 2 44 Sıvıany über die Römische Steuerverfassung. über, theils wurden ihnen neue Lasten aufgelegt. Die Steuerpflichtgkeit der Provinzen war allgemeiner Grundsatz , aber die Form und das Maafs der Steuern war. verschieden , theils wegen der verschiedenen Umstände bei der Unterwerfung, theils weil man es bequem und vortheilhaft finden mochte, manches von der vorgefundenen Steuerverfassung beizubehalten. Cicero giebt in einer merkwürdigen Stelle Nachricht von dem Rechtszu- stand, der hieraus hervorgegangen war (1). Alle Provinzen aufser Sicilien, sagt er, geben entweder eine fixirte Grundsteuer, oder aber veränderliche Abgaben, (d.h. Zehenten oder andere Quoten von Früchten) welche leız- ten in Rom von den Censoren verpachtet werden (2). Sicilien hat dage- g: Zwei föderirte Städte und Fünf andere sind steuerfrei ; einige wenige, die durch Eroberung unter Römische Herrschaft gen folgende Verfassung : gekommen waren, haben ihr Grundeigenthum verloren, und gegen solche Abgaben wiederbekommen, die von den Censoren verpachtet werden (d.h. sie haben gleiches -Recht mit anderen Provinzen): alles übrige Land ist zehentpflichtig,, jedoch so dafs die alte Arı der Verwaltung , nach der lex Hieronica , beibehalten ist (d. h. so, dafs die Zehenten einzeln und im Lande verpachtet wurden, und gewöhnlich an die Zehentpflichtigen selbst, unter leidlichen Bedingungen). Aber ohne Rücksicht auf diese Verschie- denheiten nennt Cicero ebendaselbst alles Land in den Provinzen über- haupt agri vectigales , welches also damals der allgemeine Ausdruck für steuerpflichtiges Land war (5), und eben diese Steuerpflichugkeit des Bo- dens setzt er deutlich als den allgemeinen Character aller Provinzen voraus, so dafs davon nur einzelne Städte ausgenommen waren. (1) Cicero in Verrem Lib. 5. C.6. (2) ‚Inter Sieiliam, ceterasque provincias, ludices, in agrorum vectigalium ralione „hoc interest, quod ceteris aut impositum vectigal est certum, quod stipendiarium dieitur, „ut Hispanis et plerisque Poenorum ... aut censoria locatio constituta est, ut Asiae, „lege Sempronia.” (5) Etwas verschieden ist der Sprachgebrauch in einer anderen Stelle (pro Balbo €. 9.): „„ Nam et stipendiarios ex Africa, Sicilia, Sardinia, ceteris provinciis multos civitate do- „naltos videmus.” Hier bezeichnet stipendiarius die Steuerptlichtigkeit überhaupt, ob- gleich es nach dem genaueren Sprachgebrauch der ersten Stelle eigentlich nur hei Einer Art der Besteurung gebraucht werden sollte. Sıvıany über die Römische Steuerverfassung. 45 In einer ganz andern Lage war Italien. Auch hier waren ursprüng- lich die Rechtsverhältnisse sehr verschieden , so wie sie sich bald durch Eroberung , bald durch friedliche Unterwerfung, gebildet hatten. Allein diese Verschiedenheiten hatten sich in Folge des Italischen Krieges ausge- glichen,, und es war daher schon zur Zeit der Republik durchgehender Grundsatz geworden, dafs das Land in Ttalien steuerfrei, in den Provinzen aber, der Regel nach , steuerpflichtig sei. Die Haupteinnahme des Staats beruhte nunmehr auf den regelmäfsigen Grundabgaben der Provinzen, und Italien wurde von diesen übertragen, was bei der ungeheuren Ausdehnung der steuerbaren Länder ausgeführt werden konnte, ohne diese zu erdrük- ken. In diesem Zusammenhang erscheint es als etwas sehr Natürliches, dafs die alte Eigenthumssteuer der Römischen Bürger , die auf dem Servia- nischen Gensus beruhte , ganz entbehrt werden konnte, Gleich im Anfang der Kaiserregierung scheint das Bestreben auf Einführung einer gleichen Steuerverfassung in den Provinzen gegangen zu seyn, indem man die Grundsteuer allgemein machen, und dagegen die veränderlichen Abgaben (Zehenten u. s. w.) aufheben wollte. Darauf deuten die Nachrichten von grofsen Katastrirungen unter August, welche nur für die Grundsteuer Bedürfnifs seyn konnten (1): ja man könnte deshalb geneigt seyn anzunehmen , damals sei wirklich die Grundsteuer allgemein gemacht worden (2), wenn nicht das folgende merkwürdige Zeugnifs aus der Zeit von Trajan damit im Widerspruch stände. Hyginus spricht in dieser Stelle von der Arı der Vermessung, und er stellt dabei die Regel auf, das steuerbare Land (d. h. das der Provinzen) müsse anders vermessen werden, als das steuerfreie Land der Colonien. Bei dieser Gelegenheit beschreibt er in folgenden Worten die verschiedene (1) Dahin gehört der Census von Gallien, im J. 727, welcher ausdrücklich als etwas ganz neues in der Rede des K. Claudius bezeichnet wird; vgl. auch Zivü epit. lib. 154. Dio Cass. LIII. 22.-- Eine Erneuerung dieses Census wird im J. 767 erwähnt. Tacıti anna- les I. 51.-- Eben dahin gehört wohl der Census von Palästina zur Zeit von Christi Geburt. Ev. Lucae, Cap. 2. -- Ganz allgemein endlich spricht /sidor. orig. V.56: „,Era singu- „lorum annorum constituta est a Caesare dugusto & quando primum censum exegit ac „ Romanum orbem descripsit.” (2) Dieses ist in der That die Meinung von Sigonius de iure Italiae I. 21, und von Schwarz de iure Italico 8.9. 46. Sıvıany über die Römische $ teuerverfassung. Steuerverfassung der Provinzen (i). ‚, Multi huiusmodi agrum (vectigalem) more colonico .. diviserunt „.. Mihi autem videtur huius soli mensura alia. ratione agenda. Debet enim aliquid interesse inler agrum immunem et vech- galem .... Agri autem vectigales multas habent constitutiones. In quibusdam propinclis fructus partem conslitutam praestant: alü quintas, alii septimas : nunc multi pecuniam , et hoc per soli aestimationem. Certa enim pretia agrıs constitula sunt, ut in Pannonia arvi primi, aryi secundi, parüs, sylvae glan- diferae, sylvae vulgaris pascuae. His omnibus agris vectigal ad modum uber- talis per singula tugera constitutum, Horum aestimatio ne qua usurpatione per jalsas professiones fiat, adhibenda est mensuris diligentia. Nam ut in Phrygia et tota Asia ex hwusmodi causis tam ‚Jrequenter disconvenit, quam et in Pannonia.” Aus dieser Stelle geht derselbe Sprachgebrauch wie bei Cicero hervor, indem ager vectigalis alles steuerbare Land bezeichnet. Auch das Rechtsverhältnifs ist noch dasselbe, denn alles Land in den Provinzen ist steuerbar, und zwar auf. zwiefache Weise, indem bald ein Theil der Früchte, bald Grundsteuer gegeben wird, in welchem letzten Fall eine Bonitirung des Landes zum Grunde liegt. Darin aber ist eine Änderung sichtbar, dafs nun in vielen Gegenden Grundsteuer eingeführt ist, wo früherhin Früchte abgegeben wurden. Dafür beweist die allge- meine Bemerkung: nunc multi pecuniam, et hoc per soli aestimationem, welche offenbar auf neue Einführung deutet; ferner die Erwähnung von Asien unter den Ländern, die Grundsteuer gaben, anstatt dafs hier zu Cicero’s Zeit noch die Naturalabgaben verpachtet wurden. Offenbar also hatte man sich in der Zwischenzeit dem Zustand einer gleichförmigen Steuerverfassung angenähert, und diese Annahme wird zugleich durch die oben angeführten neuen Einrichtungen von August bestäigt. Auch ist nicht zu zweifeln, dafs diese Ablösung der Zehenten und der noch drückenderen Naturalabgaben auf den Wohlstand der Provinzen den heilsamsten Einflufs haben mufste. Allein unter Marc Aurel war, wie ich glaube, die Grundsteuer allgemein geworden, also die neue Steuerverfassung vollendet. Darauf deutet zuvörderst der veränderte Sprachgebrauch. Gajus sagt, alle Pro- (1) Hoginus de limitibus constituendis p. 198. ed. Goesü. Sıvıcny über dıe Römische Steuerverfassung. 47 vinzialgrundstücke führten ‘den Namen stipendiaria oder tributaria: den Namen ager vectigalis hat er dabei nicht mehr (ı).. Eben so. kommen in den Vaticanischen Fragmenten steis die Ausdrücke fundus stipendiarius und tributarius als Bezeichnung der Provinzialgrundstücke vor (2). Jene Ausdrücke aber deuten offenbar auf allgemeine Geldabgaben, anstatt dafs der unbestimmtere Ausdruck agri vectigales sowohl auf Grundsteuer als auf Zehenten pafste. Dagegen wird eben dieser letzte Ausdruck von Paulus und Ulpian in einer ganz veränderten Bedeutung gebraucht, nämlich für die von den Municipien in Erbpacht gegebenen Grundstücke (5). Auch finder sich bei den alten Juristen keine Spur mehr von fortdauernden Zehenten und ähnlichen Naturalabgaben in den Provinzen. Zur Zeit der classischen Juristen war die Steuerverfassung fol- gende. Alle Grundstücke in den Provinzen zahlten in der Regel Grund- steuer. (4), und die Verpflichtung zu derselben wurde aus einem allge- meinen Obereigenthum des Römischen Volks oder des Kaisers über den (1) Gaius Lib. 2.8.21. „In eadem causa sunt provincialia praedia, quorum alia „stipendiaria, alia tributaria vocamus. Stipendiaria sunt ea, quae in his provincüs „sunt, quae proprie populi Romani esse intelliguntur. Tributaria sunt ea, quae in his „provincüs sunt, quae proprie Caesaris esse ereduntur.” Stipendium und tributum wa- ren wohl blofs im Namen verschieden, und daher werden beide Ausdrücke von Pomponius und Ulpian für gleichbedeutend erklärt. Z.27. 8.1. D. de F.S. (50. 16.). Die Erklä- rung des Unterschieds bei Theophilus ad. 8. 40. I. de div. rerum (2. 1.) ist offenbar ohne geschichtlichen Grund. (2) Fragm. Vaticanum 8.61, aus welcher Stelle Z. ı. pr. D. quibus modis ususfr. 7. 4.) genommen ist, jedoch so dafs der hier angeführte Theil der Stelle fehlt. Desgleichen 59. 285. 285. 289. 295. (5) L. 1. pr. D. si ager vect. (6.5.). „Agri eivitatum alü vectigales vocantur, alil „non. Vectigales vocantur, qui in perpetuum locantur ... Non vectigales sunt, qui ita „,colendi dantur, ut privatim agros nostros colendos dare solemus.” L. 15. &. 26.27. D. de damno infecto (59.2.) L. 12.8. 2. D. de public. (6.2.) L. 71. 8. 5.6.,de leg. ı. (50.).-- Unsicherer, sowobl in Ansehung des Sprachgebrauchs, als des Rechts selbst, sind die Stellen bei Gösius p. 205. 46. 76; vgl. Trekell deutsche Aufsätze S. 59. (4) Agri tributum. L. 4.8.2. D. de censibus (50. 15.). -- Die Allgemeinheit dieser Verpflichtung ist deutlich ausgesprochen in den angeführten Stellen des Cicero, des Hygin, und des Gajus. 48 Sıvıany über die Römische Steuerverfassung. Provinzialboden abgeleitet (1). Daneben bestand eine Kopfsteuer (2), deren genauere Bestimmungen jedoch in dieser Zeit. nicht erwähnt wer- den. Auch ihre Entstehung fällt wahrscheinlich in die Zeit der Unter- werfung der Provinzen. — Jtalien dagegen war frei von Grundsteuer und Kopfsteuer. In Ansehung der Grundsteuer folgt dieses schon aus den angeführten Stellen, welche die Steuerpflichigkeit als den unter- scheidenden Charakter des Provinzialbodens bezeichnen; in Ansehung bei- der Steuern, theils aus dem zus Italicum, wovon sogleich die Rede seyn wird, theils aus der bestimmten Nachricht von der späteren Einführung der Steuern. Die einzige mit der Grundsteuer verwandte Last, welche auch Italien, dem gröfsten Theile nach, zu tragen hatte, war die Na- twurallieferung. In dieser Rücksicht unterschied man die Italia urbicaria und annonaria, indem jene auch davon frei war, diese aber nicht. Zur 5 präfecten stand, das heifst ein Theil von Thuscien und ein Theil von urbicarıa gehörte nur die Umgebung von Rom, welche unter dem Stadt- Picenum: das ganze übrige Land war die Ztalia annonaria (5). — Von (1) Gaius Lib. 2. 8. „non fieri, quia in eo solo dominium populi Romani est, vel Caesaris: nos autem pos- 7: „Sed in provinciali solo placet plerisque, solum religiosum „sessionem tantum et usumfructum habere videmur.” Aggenus in Frontin. p. 46. ed. Goes. ,, Nam ideo publica hoc loco eum dixisse aestimo, quod omnes eliam privali agri „tributa alque vectigalia persolvant.” Dieses Obereigenthum war nichts wirkliches, son- dern eine publieistische Hypothese zur Erklärung der Grundsteuer. Die allgemeine Richtig- keit derselben scheint mir nach Cicero in Verrem L. 5. C. 6. sehr zweifelhaft; am wenig- sten aber ist sie nöthig, um die Unmöglichkeit des quiritarischen Eigenthums am Provin- zialboden zu erklären. Aus jener Hypothese, gegen welche sich auch Niebuhr (77. 551.) erklärt, ist die in neueren Zeiten sehr verbreitete Ansicht entstanden, nach welcher die Grundabgaben in den Provinzen als ein an den Obereigenthümer zu leistender Grundzins (Canon) angesehen werden sollten. Diese Ansicht aber, welche ich selbst ehemals ver- theidigt habe (Zus Italicum S. 7.) mufs gänzlich verworfen werden, da die erwähnten Ab- gaben durchaus den Charakter einer an den Staat als solchen zu entrichtenden Grundsteuer an sich tragen. (2) Tributum capitis. L.8. 8.7. D. de censibus (50. 15.). Vgl. L.5. eod., und, über das Daseyn der Grundsteuer und Kopfsteuer überhaupt in dieser Zeit, Tertullian. apologet. C. 15. „„Sed enim agri tributo onusti viliores : hominum capita stipendio censa ignobiliora.” (5) Sehr gründlich handelt davon Salmasius ad Trebell. Poll. 50. iyrann. Cap. 23. Vgl. auch 7. Gothofred. in L.9. C. Th. de annona (tı.ı.). Über die Bedeutung der Sıvıeny über die Römische Steuerverfassung. 49 dieser Regel jedoch, nach welcher die Provinzen steuerpflichug waren, Italien aber frei, sind noch einige wichtige Ausnahmen zu bemerken. In den Provinzen nämlich kommen viele Städte vor, welchen das zus Italieum beigelegt wird. Schon dieser Name deutet darauf, dafs sie gewisse Vorzüge der Städte in Jtalien genossen, und in der That be- standen diese Vorzüge in drei Stücken: freie Verfassung, Möglichkeit des quiritarischen Grundeigenthums, und Steuerfreiheit (1). Dafs über- haupt Steuerfreiheit zum zus Italicum gehörte, läfst sich schon daraus schliefsen, dafs die Stellen der alten Juristen über das zus Italieum in den Pandektentitel de.censibus eingerückt sind. Auch deuten mehrere Stellen dieses Titels auf Steuerfreiheit hin (2). Aber die eigentliche Bedeutung dieser Steuerfreiheit erhellt vollständig aus folgender Stelle des Paulus (5): „„D. Vespasianus Caesarienses colonos fecit non adiecto ut et iuris Italici es- sent: sed tributum his remisit capitlis. Sed_D. Titus etiam solum immune factum interpretatus est.” Das heifst: Vespasian gab dieser Stadt nur das Recht einer Colonie, ohne zus Ztalieum, jedoch verlieh er ihr Einen Bestandtheil dieses Rechts, indem er ihr die Kopfsteuer erliefs; Titus aber erweiterte diese Begünstigung, und gab ihr noch ein zweites Stück des zus /talicum, die Freiheit von der Grundsteuer. Offenbar sind hier diese zwei Arten der Steuerfreiheit als im zus Ztalicum enthalten aus- gedrückt. Damit ist aber gar nicht gesagt, dafs die Stadt nun das ganze, vollständige ius Ztalicum hate: vielmehr sagt von ihr Ulpian geradezu das Eintheilung schwankt Salmasius; mir scheint die hier angenommene Erklärung unzweifel- haft, denn dafs in späterer Zeit auch in und um Rom Lieferungen vorkommen, ist für die frühere Zeit ganz gleichgültig, da ja späterhin sogar die Grundsteuer auch auf Italien ver- breitet worden ist. (1) Vgl. meine Abhandlung über das zus Jtalicum in den Memoiren von 1814 - 1815. In denselben ist die Steuerfreiheit, als Bestandtheil des dus Zralicum, nicht genau genug angegeben worden, weshalb das hier Gesagte zur Ergänzung und Berichtigung dient. (2) L.8. pr. D. de censibus (50. 15.). „In Lysitania Pacenses, sed et Emere- „tenses luris Italiei sunt. Idem ius Falentini et Lieitani habent. Barcenonenses quo- „que ibidem immunes sunt.”--L.8.8.5. eod. „„D. Antoninus Antiochenses colo- „nos fecit salvis tributis” (also, will der Jurist sagen, zwar zu einer Colonie, aber nicht zu einer col. iuris Italici). (3) Z.8.8.7. D. de censibus (50. 15.). Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. G 50 Sıvıeny über die Römische $ teuerverfassung. Gegentheil (1). Denn sie konnte noch immer die andern Stücke des zus Ttalicum enibehren, die freie Verfassung nämlich, und die Möglichkeit des quiritarischen Grundeigenthums. — Darüber, ob sich die Befreiung der Städte, welche das zus /talieum hatten, blofs auf die eigentliche Grundsteuer, oder auch auf die Naturallieferung bezog, finde ich keine Nachricht. Es ist aber wahrscheinlich, dafs sie nur von der eigentlichen Grundsteuer befreit waren, d. h. dafs sie in dieser Rücksicht gleiches Recht mit der Ztalia annonaria , nicht mit der urbicaria hatten. — Eine ähnliche Steuerfreiheit, wie die eben genannten Städte, genossen ohne Zweifel diejenigen, welche unter dem Namen diberae. eivitates erwähnt werden. Zwar in der früheren Zeit mögen, in Ansehung der Stener- freiheit derselben, manche Verschiedenheiten vorgekommen seyn «(2): allein seitdem das Steuerwesen auf eine gleichförmige Weise geordnet war, ist wohl an der Freiheit jener Städte kaum zu zweifeln (5). Die wichtigste Änderung, welche späterhin in dieser Steuerverfas- sung eintrat, betraf Italien, indem dieses seine Steuerfreiheit verlor, und den Provinzen völlig gleichgestellt wurde. Entscheidende Beweise für diese Änderung liegen in mehreren Verordnungen, wodurch in ein- zelnen Gegenden von Italien die Grundsteuer heruntergeseizt wurde (4). Aber auch von der Zeit dieser Änderung, und von der Veranlassung derselben, haben wir eine ganz bestimmte Nachricht. Bei der Theilung des Reichs unter Diocletian und seinen Mitkaisern fiel Italien und Afrika an Maximian, und bei dieser Gelegenheit wurden die Provinzialsteuern in Italien eingeführt. Dieses bezeugt Victor in folgender merkwürdigen (1) 2.1. 8. 6. eod. „In Palaestina duae fuerunt coloniae, et Caesariensis, et „Zfelia Capitolina, sed neutra ius Italicum habet.” -- Schwarz de iure Italico $. 10. nimmt zwischen beiden Stellen einen Widerspruch an, und sucht diesen dadurch zu vermitteln, dafs das zus Italicum, welches Titus gegeben habe, vor Ulpian (etwa von Se- verus) wieder weggenommen worden sei. Nach der hier im Text gegebenen Erklärung ist diese willkührliche Annahme ganz entbehrlich. (2) Vgl. die Stellen in Spanheim orbis Rom. II. 10. (3) Niebuhr B. 2. S. 552. .Dirksen Versuche zur Kritik S. 145. 148. ı50. Ein Haupt- beweis liegt in der Stelle des Scholiasten zur Rede pro Scauro (p. 54. ed. Heinrich) : „Aliae „elvitates sunt stipendiariae, aliae liberae.” (4) 2.2.4.7. 12. C. Th. de indulgent. debitorum (11. 28.). Saıvıcny über die Römische Steuerverfassung. 51 Stelle (1): ‚,‚Zine denique part Italiae (2) invectum tributorum ingens ma- lum. Nam cum omnis eadem functione moderataque ageret, quo exercitus atque Imperator, qui semper aut maxima parte aderant, ali possent (5), pen- sionibus inducta lex nova (4). Quae sane illorum temporum modestia tolera- bilis in perniciem processit his tempestaubus.” Nach dieser sehr glaubwür- digen Erzählung darf die Ursache der Neuerung nicht in die Habsucht der Kaiser gesetzt werden, sondern sie war vielmehr eine unvermeid- liche Folge der Theilung des Reichs. So lange Italien mit den alten Provinzen unter einer und derselben Herrschaft stand, konnte es von die- sen ohne grofse Beschwerde übertragen werden; als es aber mit Afrika zu einem abgesonderten Reiche veremigt war, hätte der ganze Steuer- bedarf desselben von Afrika allein getragen werden müssen, was kaum möglich war. Freilich war diese Theilung nicht dauernd, indem bald wieder das ganze Reich vereinigt war, bald andere Theilungen an die Stelle traten. Allein es war natürlich, dafs die einmal aufgehobne Steuer- freiheit nicht wiederhergestellt wurde, besonders da man sich immer mehr davon entwöhnte, Italien als das herrschende Land anzusehen. — Eine natürliche Folge dieser Änderung war es, dafs auch in Italien selbst der Vorzug der urbicarischen Region wegfiel, so dafs jetzt auch in diesem Theil des Landes die Naturallieferungen vorkommen (5), und dafs der Name der /talia annonaria seiner ursprünglichen Bedeutung nicht mehr entsprach. — Allein auch nach dieser in Tualien selbst eingetrete- nen Veränderung dauerte die Steuerfreiheit der Italischen Städte in den Frovinzen fort, und selbst der Name zus Ztalieum wurde dabei fortwäh- (1) Aurelius Ficior de Caesaribus Cap. 59. (2) pars Italiae heifst hier nicht ein Theil von Italien, sondern das Land Italien, so wie schon bei classischen Schriftstellern partes nicht selten Land oder Gegend bedeutet. Vgl. auch Ducange v. pars. (5) -d. h. bis dahin trug Italien keine anderen Grundlasten als die mäfsigen Naturallie- ferungen für die Verpflegung des Heers und des Hofes. (4) d.h. jetzt wurde durch die Grundsteuer ein neues Recht, eine neue Last in Italien eingeführt. (5) 2.5. C. Th. tributa in ipsis spec. (11.2.). L.ı4. C. Th. de indulgent. debito- rum (11. 28.). J.Gothofred erklärt diese Stellen nicht richtig. G 2 52 Sıvıceny über die Römische $. teuerverfassung. vend gebraucht, obgleich er nicht mehr passend war. Auch ist diese Fortdauer sehr natürlich, da das Bedürfnifs, aus welchem die Änderung in Italien hervorgegangen war, auf jene Städte, die in Vergleichung mit dem ganzen Lande so unbedeutend waren, keinen ähnlichen Einflufs ha- ben konnte. Einige nenere Schriftsteller haben im Gegentheil angenom- men, jene Städte hätten zugleich mit Italien ihre Steuerfreiheit ver- loren (1). Sie berufen sich auf mehrere Constitutionen , worin mit scheinbarer Allgemeinheit die Steuerexemtionen für ungülug erklärt wer- den (2). Allein neben diesen stehen andere, worin Exemtionen ausdrück- lich anerkannt werden (5). Offenbar gehen jene verbietende Gesetze auf solche Exemtionen, welche von einzelnen Personen erschlichen wur- den (4), aber nicht auf solche, die in der alten Verfassung und in all- gemeinen gesetzlichen Vorschriften gegründet waren. Unter diese letzten aber gehörte unstreitig die Steuerfreiheit der Italischen Städte, die also unbedenklich neben jenen Verboten fortdauern konnte. Dafs sie wirk- lich fortgedauert hat, folgt unwidersprechlich daraus, dafs wir sie noch unter Justinian wiederfinden werden. Unmittelbar an die hier dargestellte Veränderung in Italien schliefst sich das Zeitalter der christlichen Kaiser an, und von der Entwicklung der Steuerverfassung dieses Zeitalters ist die gegenwärtige Abhandlung aus- gegangen. Es bleibt also nur noch übrig, die neuesten Spuren von der Fortdauer derselben Verfassung zusammenzustellen. Unter Justinian hat dieselbe im Wesentlichen eben so wie unter seinen Vorgängern bestanden. Dieses erhellt aus eigenen Constitutionen dieses Kaisers (5), worin die Behandlung des Steuerwesens im Ganzen eben so, wie im Theodosichen Codex, beschrieben wird. Ja es folgt (1) Spanhem. orbis Rom. Ex. 2. Cap. 10. Schwarz de iure Italico $. 12. (2) Z. ı. C. Th. de annona (11. ı.). L. 20.eod. Vgl. auch Z. 8. C. Th. de censu (13. 10.) L.ı. C. I. de immun. (10. 25.) L. 7. C. I. de annona (1o. 16.). (3) 2.2. 242.16. "Th..de: eensu (13. 209). (4) Soz.B. spricht Z. ı. C. Th. de annona (11. ı.) nur von Exemtionen, die der- selbe Kaiser gegeben hatte, Z. 20. eod. von Exemtionen durch Rescripte. Ausdrücklich von solchen per odreptionem erlangten Exemtionen handeln auch Lid. ı1. Tit. 12. 15. C. Th. (5) So z.B. Nov. 128. Sıvıcıy über die Römische Steuerverfassung. 53 auch schon daraus, dafs in den Pandekten und dem Codex die Steuer- verfassung mit Stellen aus den klassischen Juristen und mit Constitu- tionen der früheren Kaiser dargestellt wird. Nicht nur ist daselbst über- haupt die Grundsteuer und Kopfsteuer in der oben beschriebenen Weise theils angeordnet, theils vorausgesetzt, sondern auch das zus Ztalicum wird in den Pandekten (1) als Befreiung von Grundsteuer und Kopf- steuer erwähnt. Ja man kann mit grofser Wahrscheinlichkeit behaup- ten, dafs diese Steuerfreiheit die einzige noch übrig gebliebene prak- tische Seite des zus /talicum war. Denn die freie Verfassung hatte sich in jenen Städten schwerlich in der alten Art erhalten: und die Mög- lichkeit des quiritarischen Grundeigenthums hatte seit Justinian’s Ge- setzgebung gänzlich aufgehört, ein Vorzug einzelner Städte zu seyn. Auch pafst es zu dieser Annahme sehr gut, dafs die Stellen der alten Juristen über das zus Ztalicum gerade in den Titel de censibus eingerückt wurden, in welchem allein sie nach jener Voraussetzung noch prakti- schen Werth hatten (2). In Italien findet sich unter den Ostgothen eine Steuer, welche den Namen bina et terna führt, und ausdrücklich der alten Verfassung des Landes zugeschrieben wird (5). Ohne Zweifel war dieses keine andere als die alte Kopfsteuer. Denn da nach der neuesten Bestimmung das Simplum dieser Steuer nicht mehr von einzelnen Männern, sondern nur abwechselnd von zwei und drei Männern (‚,nune binis ac ternis viris” ) entrichtet wurde, (S. 29.), so konnte leicht von dieser besonderen ge- setzlichen Bezeichnung des Steuersatzes die Abgabe selbst den Namen (1) Tit. D. de censibus (50. ı5.). Siehe o. S. 49. (2) Schwarz de iure Italico 8. ı2. 14. nimmt an, das ius Italicum habe als Steuerfrei- heit unter Constantin, und in allen anderen Beziehungen unter Justinian aufgehört. Da- bei würde es ganz unerklärlich seyn, warum es in den Pandekten so häufig, und zwar ganz als geltendes Recht, erwähnt wird. i (5) Cassiodori Var. III. 8. ‚pridem tibi, secundum morem veterem, exactionem bi- „norum et ternorum fuisse delegatam. ”-- VII. 20. „Et ideo binorum et ternorum litu- „los, quos a provincialibus exigi prisca decrevit auctoritas” etc. -- VII. 21. ‚, Quam- „vis prisca consueludo, binorum et ternorum exactionem ad te iusserit perlinere” ete.-- VI.»2. ‚quae de binis et ternis quantitas solenniter postulatur.” -- Vgl. meine Ge- schichte des R. R. im Mittelalter B. ı. S. 286. 54 Sıvıany über die Römische Steuerverfassung. bina et terna erhalten (1). Ja es findet sich bei Cassiodor selbst eine Hinweisung darauf, dafs die Grundeigenthümer frei von dieser Steuer waren (2). — Aufserdem dauerte die Grundsteuer unter den Ostgothen ganz eben so fort, wie sie unter den Römischen Kaisern bestanden hatte. Denn bei Cassiodor finden sich aus zwei verschiedenen Jahren Rescripte an die Provinzialstatthalter mit dem Auftrag, von den Possessores für die bevorstehende Indiction die gewöhnliche Steuer zu erheben, und dabei die hergebrachten drei Zahlungstermine zu beobachten (5). Noch deutlichere Spuren der Römischen Steuerverfassung finden sich unter den Franken. Als diese die Herrschafi von Gallien erlangt hatten, blieb für die Römischeu Unterthanen die Steuerverfassung und der darauf gegründete Unterschied der Stände unverändert, alles Land aber, was in die Hände Fränkischer Eigenthümer kam, wurde steuer- frei. Von jenem fortdauernden Zustand der Römer zeugt folgende be- rühmte Stelle des Salischen Gesetzes über das Wehrgeld (4): „SU qıus Romanum hominem convivam regis occiderit, 12000 den. qui faciunt sol. 500. culpabilis iudieetur. — Si Romanus homo possessor, id est qui res in pago ubi commanet proprias possidet, occisus fuerit, is qui eum occidisse con- pincitur, 4000 den. qui faciunt sol. 100 culp. iud. — Si quis Romanum iributarium occiderit, ı800 denar. qui faciunt sol, 45. culpabilis iudicetur.” Offenbar soll hier eine erschöpfende Classification der Römischen Ein- wohner, zum Behuf des Wehrgeldes angegeben werden. Den ersten Stand bilden die convivae Regis, die offenbar erst aus der Fränkischen (1) Diese Erklärung hat schon Dubos, Monarchie Francoise L. ı. Ch. ı2, der jedoch viele Irrthumer damit verbindet. (2) Cassiodori Var. VII. 22. ‚sic tamen, ut nec aerarium nostrum aliquid minus a „consueludine percipiat, nec possessor supra modum possessionis (al. professionis) ex- „solvat.” Diese letzten Worte erkläre ich so: keinem Grundbesitzer soll diese Kopfsteuer noch neben seinen, aus dem Kataster hervorgehenden, Grundlasten abgefordert werden. (5) Cassiodori Var. Lib. 12. 0.2. ,,... Possessores praecipimus admonere, ut tri- „buta Indictionis tertiae decimae devota mente persolvant: quatenus trinae illationis mo- „deramine custodito, debitam reipublicae inferant functionem.” Eine ganz ähnliche Stelle über die zwölfte Indietion findet sich Zib. 11. C. 7. -- Über die Indietion und die drei Ter- mine vgl. den folgenden Abschnitt. (4) L. Salica emend. Tit. 45. art. 6-8. Sıvıcny über die Römische Steuerverfassung. 55 Verfassung herrühren, und worin ohne Zweifel die angesehensten Römer enthalten waren. Darauf folgen, als zweiter Stand, die Possessores, und es wird ausdrücklich hinzugefügt, dafs darunter alle Grundeigenthümer zu verstehen seien. Der dritte Stand also kann nur diejenigen Römer enthalten, welche ohne Grundeigenthum sind, und wenn diese hier tri- butarü genannt werden, so erklärt sich das ganz einfach daraus, dafs eben sie, und sie allein, Kopfsteuer zahlten. Könnte man diese Erklä- rung der Stelle an sich selbst zweifelhaft finden, so müfste doch aller Zweifel durch die Vergleichung mit den Stellen des Römischen Rechts verschwinden, worin Tributarius nichts anderes als den Kopfsteuerptlich- ügen bezeichnet (1). Auch in unsrer Stelle also soll diese Benennung nicht, wie man gewöhnlich annimmt, den Gegensatz gegen die Steuer- freiheit der Franken ausdrücken, sondern vielmehr gegen die den Rö- mischen Grundeigenthümern zukommende Freiheit von der Kopfsteuer. Eben so ist es nicht genau richtig, wenn man diese irıbutarı durch Un- o? freie erklärt; denn obgleich die meisten derselben wirklich Colonen wa- ven, so war doch selbst bei diesen das Zusammentreffen der Kopfsteuer mit dem Colonatsverhältnifs etwas zufälliges, und aufser ihnen gab es gewifs auch manche tributarü, die in gar keiner persönlichen Abhängig- keit standen, sondern völlig frei waren. Ja sogar könnte man eben aus diesem Gesetz vermuthen, die Zahl dieser letzten, völlig freien, trıbutarı sei in Gallien weit gröfser gewesen als in anderen Theilen des Reichs. In den östlichen Provinzen nämlich war schon frühe die Kopfsteuer in den Städten aufgehoben worden, weshalb fast nur noch die Colonen und die ackerbauenden Sclaven für die Kopfsteuer übrig blieben, (S. 58.). Ob diese Änderung auch in den westlichen Ländern, und namentlich in Gallien eingetreten sei, wissen wir nicht; nach der angeführten Gesetz- stelle aber ist es nicht sehr wahrscheinlich. Denn sonst müfsten in die- sen Vorschriften über das Wehrgeld die städuschen Plebejer entweder vergessen, vder aber mit einem Ausdruck bezeichnet worden seyn, der seit Jahrhunderten nicht mehr auf sie pafste. Nimmt man dagegen an, (1) 2.5. C. I. ut nemo (11.55.) L. 12. C. 1. de agrie. (11.47.) 1. 2. C. Th. si vagum (10. 12.) ; besonders aber L. un. C. IT. de col. Thrac. (11. 51.) Z. un. C. 1. de col. Illy- ric. (11. 52.) -- Vgl. meine Abhandlung über den Colonat S. 15. 56 Sıvıceny über die Römische $ teuerverfassung. dafs in den Gallischen Städten die Kopfsteuer nicht, wie im Orient, auf- gehoben war, so ist der Ausdruck des Gesetzes genau und erschöpfend, indem er dann auch die Städte umfafste. Aber wie dem auch seyn möge, so machten doch gewifs auch in Gallien die Colonen die grofse Mehr- zahl der Kopfsteuerpflichtigen aus, und es erklärt sich hieraus, dafs in der Sprache des gemeinen Lebens die Ausdrücke tributarü und tributales gebraucht wurden, um die Colonen zu bezeichnen. Beispiele dieses Sprachgebrauchs finden sich in Urkunden nicht selten (1). Zum Schlufs dieser Untersuchung will ich nochmals: kurz zusam- menstellen, was über die Geschichte der Grundsteuer, als der wichug- sten unter allen, im Einzelnen dargeihan worden ist. Diese Steuer reicht im Wesentlichen hinauf bis zur ersten Unterwerfung der Provin- zen, und es ist ganz ohne Grund, wenn einige neuere Schriftsteller die Erfindung derselben in die Zeit von Diocletian seizen (2). Die grofsen Veränderungen, welche damit während der Kaiserregierung vorgingen, waren diese: Schon frühe wurde die Grundsteuer in den Provinzen allgemein gemacht, anstatt dafs ursprünglich in vielen Provinzen Zehen- ten oder andere veränderliche Abgaben ähnlicher Arı bestanden hatten; seit Maximian aber wurde sie auch in Italien eingeführt, das bis da- hin keine Grundsteuer gezahlt hatte, Alle übrigen Änderungen, wovon in alten Schriftstellern die Rede ist, betrafen nicht die Steuerverfassung selbst, sondern die davon völlig unabhängige Höhe des Steuersatzes. — Auf der andern Seite aber würde es auch ganz unrichüig seyn, die Grundsteuer mit dem alten Census des Servius in irgend eine geschicht- liche Verbindung setzen zu wollen. Dieser war eine Eigenthumssteuer der römischen Bürger, die Capitation aber eine Grundsteuer der Provin- zialen. Auch hörte jene Eigenthumssteuer seit dem Macedonischen Krieg (1) Urkunden bei Ducange v. Tributales und Tributarü, z. B. „Dedit ... idem „Theodo dux, de Romanis tributales homines 30. cum colonüs suis in diversis locis.” Ferner: „, Tradiditque tributales Romanos ad eundem locum in diversis locis colonos cen- „tum sedecim.” (2) Hegewisch römische Finanzen S. 295 - 298. Manso, Leben Constantin’sS. 184. Die eigentliche Veranlassung dieser Meinung scheint darin zu liegen, dafs unsre meisten Nach- richten über die Grundsteuer im Theodosischen Codex stehen, der freilich erst mit Con- stantin anfängt. {i au Sıvıeny über die Römische Steuerverfassung. gänzlich auf, und alle spätere Erzählungen von Vermögenssteuern be- treffen nur einzelne vorübergehende Erpressungen, keine regelmäfsige, bleibende Einrichtung. Dritter Abschnitt. Geschäftsgang bei Bestimmung der Grundsteuer und der Kopfsteuer. Als Grundlage der erwähnten Steuern diente ein allgemeines Ka- taster, dessen Einrichtung Ulpian ausführlich beschreibt (1). Bei jedem Grundstück wurde bemerkt der Name, die Stadt und der Pagus worin es lag, zwei Gränznachbaren , ferner die Morgenzahl der Äcker , Wie- sen, Ölgärten, Weiden und Wälder: bei Weinbergen die Zahl der Stöcke, bei Ölgärten die Zahl der Bäume: aufserdem Seen und Salz- werke die zum Gute gehörten : als Feld und Wiese aber galt nur das- jenige, was die letzten zehen Jahre hindurch so genutzt worden war. Der Eigenthümer gab dieses alles an (professio censualis) und fügte eine eigene Schätzung hinzu (2). Solche Kataster wurden wahrscheinlich von jeher geführt, wenigstens stimmt damit die oben aus Hygin angeführte Nachricht überein (S. 46), die sogar noch einige nähere Bestimmungen enthält, indem sie auf eine Olassification der Felder hinweist. Eben so kommt damit aus einer spätern Zeit die Nachricht überein , welche Lactantius von dem Census unter Galerius giebt (5). Im späteren Mit- telalter nannte man diese Grundbücher capitastra, weil es Verzeichnisse der Steuerhufen (capita) waren: daraus hat sich catastrum gebildet , welches noch in unsern Tagen die übliche Bezeichnung geblieben ist (4). (1) Z.4. D. de censibus (50.15.).-- Die Aufnahme der Professionen, woraus das Ka- taster entstand, war ein personale munus. L. 18. $. 16. D. de muner. (50. 4.). (2) L.4. pr. cit. „„omnia ipse, quidefert, aestimet.” Eine Prüfung durch die Steuer- behörde war dabei natürlich vorbehalten. (5) Zactantius de mortibus persecutorum C. 25: „ÄAgri glebatim metiebantur, vites „„et arbores numerabantur, animalia omnis generis scribebantur, hominum capita nota- „bantur,; in civitatibus urbanae ac rusticae plebes adunatae, fora omnia gregibus fa- „miliarum referta, unusquisque cum liberis, cum servis aderant, tormenta ac verbera „personabant” etc. Die bitteren Klagen, welche er hinzufügt, betreffen nicht die An- stalt selbst, sondern die damalige Härte der Ausführung und vielleicht auch die Höhe des Steuersatzes. (4) Diese Ableitung hat schon J. Gothofred paratitl. Cod. Theod. XIIT. 10. Hist, philolog. Klasse 1822 -1823° H 58 Sıvıeny über die Römische Steuerverfassung. Das Kataster wurde von Zeit zu Zeit erneuert, ıheils um die Fehler der vorhergehenden Abfassung zu verbessern (1), theils um die eingetretenen Änderungen einzutragen. Man könnte sich dieses so vor- stellen, dafs für jedes einzelne Grundstück eine neue Profession auf Be- gehren des Eigenthümers , oder bei eingetretenen Veränderungen , statt gefunden hätte. Allein aus der angeführten Stelle des Lactanuus, so wie aus mehreren Verordnungen der Kaiser (2), erhellt vielmehr deut- lich, dafs von Zeit zu Zeit alle Grundstücke neu katastrirt wurden. Zu Ulpian’s Zeit trat diese regelmäfsige Erneuerung. wie es scheint, alle zehen Jahre ein: darauf deutet wohl die Bestimmung, dafs nur diejeni- gen Grundstücke als Äcker oder Wiesen gelten sollten, welche als solche binnen den letzten zehen Jahren (d. h. wohl seit dem letzten Census ) genutzt worden wären (5). Für die spätere Zeit nimmt man eine funf- zehenjährige Periode an ; ein Zeugnifs ist darüber nicht vorhanden, al- lein eine grofse Wahrscheinlichkeit geht aus dem chronologischen Ge- brauch der Indietionen herwor, wovon sogleich weiter die Rede seyn wird (4). Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dafs diese Zeiträume mit dem Zeitraum des alten Lustralcensus der Römischen Bürger zusam- menhingen, indem sie gerade doppelt und dreifach so grofs sind als die- ser (5). — Aber auch ehe ein neues Kataster gemacht wurde, konnte der Eigenthümer von der Steuerbehörde Nachlafs fordern, wenn er be- weisen konnte, dafs das Grundstück ohne seine Schuld schlechter gewor- (1) ZL.2.D. de censibus (50. 15;) „,Fitia priorum censuum editis novis professioni- „bus evanescunt.” (2), "Vgl. z:B. 2.5.C.'Zh. de censu (13..10.,). (5) Z.4. pr. D. de censibus (50. 15.) ... „el id arvum, quod in decem annos proxi- „mos satum erit, quot iugerum sit... pralum, quod intra decem annos proximos sectum „erit, quol iugerum.” ... (4) Es wäre sogar möglich, dafs die funfzelinjährige Periode von jeher gegolten hätte, und dafs also die zehen Jahre bei Ulpian davon ganz unabhängig wären. (5) Man könnte sogar noch an eine unmittelbarere Verbindung beider Schatzungen den- ken, indem man annähme, dafs der Provinzialcensus mit dem Bürgercensus gleichzeitig ge- halten worden wäre, jedoch diesen stets einmal übersprungen hätte. Allein vor August kann kaum eine etwas gleichförmige Steuerverfassung der Provinzen angenommen werden, und schon unter August kommt kein fünfjähriger Bürgercensus mehr vor, indem er überhaupt nur dreimal den Census veranstaltete. Sueton. dugustus C.27. Monumentum Ancyranum, tab. 2. Savıany über die Römische Steuerverfassung. 59 den war, als zur Zeit des Katasters (1). Und dieser regelmäfsige Nach- lafs, der von den Steuerbeamten ausging, ist von dem willkührlichen Nachlafs zu unterscheiden, den die Kaiser nicht selten aus persönlicher Gunst, oder aus Schonung gegen verarmte Besitzer ertheilten (2% Die Anwendung des Katasters aber war diese. Durch dasselbe waren in jedem Theil des Reichs die Steuerhufen (capita) genau be- stimmt, d.h. solche Portionen von Grundstücken, welchen ein gleicher Ertrag zugeschrieben, und darum eine gleiche Summe an Grundsteuer auferlegt wurde. Für jedes Steuerjahr, welches den Namen /ndietio führte, und mit dein ersten September anfing, wurde die Summe der Grundsteuer im Ganzen bestimmt, und dann durch die aus dem Kataster bekannte Zahl der Steuerhufen dividirt, wodurch man unmittelbar er- fuhr, wie viel jede Steuerhufe für dieses Jahr an Grundsteuer zu zahlen habe. Die Zahlung selbst erfolgte in drei gleichen Terminen, den ersten Allerdin g5 ist nun Januar, den ersten May, den ersten September. diese Einrichtung, so wie ich sie hier angebe, nirgends vollständig be- schrieben, allein die zwei Hauptbestandtheile derseiben lassen sich einzeln durch unwidersprechliche Zeugnisse erweisen : Erstlich der in jedem Jahr neu bestimmte Steuersatz, (/ndicto oder Delegatio) woher eben das Steu- erjahr selbst den Namen /ndietio erhielt (5): Zweitens die völlig gleichen (1) L.4.$.1. D.de censibus (50. 15.). -- Vgl. L.5. 12. 14. C. Th. de censitor. (15. 11.). -- Durch diese billige Einrichtung widerlegt sich der Tadel von Hegewisch S. 292. und von Manso S. 189. -- Waren ganze Landgüter verlassen und dadurch steuer- frei geworden, so sollte eine aufserordentliche Katastrirung, aufser der gewöhnlichen Zeit, eintreten. L. 4. C.I. de censibus (11. 57.). (2) Darauf geht z. B. Z. 2. C. Th. de indulg. debit. (11. 28.). (5) ZL.8.C. Th. de extr. s. sord. mun. (11. 16.) ,,... ul indictione anniversarüis viei- „bus emissa, iubeamus inferri merito pensitanda.” L.5. C. Th. de indict, (ı1. 5.) sy... NE per ignorantiam collatores ad: anni prioris exemplum ante delegationem missam „ea cogantur exsolvere, quae postmodum indebita, missa delegatione, ‚forsitan provoca- „bit eventus” etc. -- L. ı5. C.I. de annona (10. 16.). „,... Tripertito autem omnia „Siscalia inferantur ... videlicet cal. Tanuarüs, et cal. Maiis, et ad finem indictionis.... „Quod si velint tripertito solvere, habeant ad dilationem totum Septembrem mensem futu- „rae indietionis. Ante missum vero, ut convenit, inferant in exordio cuiusque indictio- „nis; nam et hoc eius significat appellatio.” -- L. ıS. C. Th. de ann. (11.1.).... eius „anni alque Indictionis exordio. ...” L.55. eod. Cassiodori Var. XI. 7. XI. >. (s. o. S.54.). -- Über die drei Termine vgl. auch Z. 15. 16. C. Th. eod. (11. 1.). H:2 60 Sıvıeny über die Römische Steuerverfassung. Steuerportionen, die von jedem einzelnen caput entrichtet werden mufs- ten (1). Damit wird jedoch nicht behauptet, es sei nur für das ganze Reich ein Ansatz gemacht, und dieser sogleich durch die Zahl aller Steuer- hufen dividirt worden. Vielmehr ist es nieht unwahrscheinlich, dafs zu- erst die Hauptsumme durch Rechnung unter die einzelnen Ländermassen (Provinzen, Diöcesen, oder Präfecturen) vertheilt, und dann die auf jede derselben fallende Quote auf die in ihr enthaltenen Steuerhufen ausge- schlagen wurde. Dann war es möglich, das Kataster jeder Landschaft nach ihren besonderen Verhältnissen einzurichten, und die Steuer einer Hufe konnte dann in Gallien z. B. höher oder niedriger ausfallen als im Orient. Auch findet sich eine Stelle, welche einigermafsen darauf hindeutet, dafs. diese an sich wahrscheinliche Einrichtung wirklich statt fand (2). Vorzügliche Aufmerksamkeit verdient der Gebrauch, welcher von diesen Steuereinrichtungen bei der Zeitrechnung gemacht wurde. Be- kanntlich wird von Constantin an in Gesetzen und Urkunden sehr häufig die Indietion bemerkt, und dieser Gebrauch hat sich im ganzen Mittel- alter, und zum Theil selbst bis auf ganz neue Zeiten, erhalten (5). Man ging dabei von einem fest bestimmten Jahre als Anfangspunkt aus (4), (1) Entscheidende Beweise für diese Behauptung liegen in den Stellen des Ammian und des Eumenius, welche im folgenden Abschnitt vorkommen werden. (2) Eumenü gratiarum actio ad Constantinum Cap. 5. ,, Nec tamen iuste queri pote- „rat, cum et agros qui deseripti fuerant haberemus, et Gallicani census communi „formula teneremus.” Hier scheint es also, dafs die Präfectur Gallien ihren eigenthüm- lichen Census hatte. -- Nicht beweisend dafür ist der Umstand, dafs (nach Gothofred’s wahrschemlicher Angabe) vom Kaiser Eine allgemeine delegatio ausging, die dann von den Präfecten in particulares delegationes für die einzelnen Provinzen zerlegt wurde; denn diese Einrichtung hätte auch bei einem gleichen Steuersatz für das ganze Reich bestehen können. Dafs sie wirklich statt fand, wird wahrscheinlich durch Z. ı. C. Th. de annona (11.1.) und 2.5.4. C. Th. de indiet. (11. 5.). Vgl. I. Gothofredi paratitl. C. Th. Lib. 11. Tüt. 5. (5) Von den chronologischen Indietionen ist das allgemeine kurz, aber sehr befriedigend, dargestellt, in: Art de verifier les dates ... depuis la naiss. de N. ‚Seigneur T. 1. p. 56. ed. Paris 18:18. 8. Vgl. auch 7. Gothofredi prolegom. Cod. Theod. p. CCV II. Scaliger de emend. temp. lib. 5. p. 501-506. ed. Col. Allobr. 1629. f: (4) : Es kommen verschiedene Indietionenrechnungen vor, deren eine vom Jahr 512 aus- geht, andere von 515. 514. oder 515. Sıvıcny über die Römische $S teuerverfassung. 64 und berechnete von da an, fortgehende funfzehenjährige Perioden. In- dem nun die Indietion angegeben wurde, so liefs man dabei ganz un- bestimmt, welche unter jenen Perioden gemeint sei, und drückte blofs die Zahl des einzelnen in die Periode fallenden Jahres aus. Dieses ein- zelne Jahr, und nicht der funfzehenjährige Zeitraum, führt den Namen Indicto. Wird also z. B. bei einer Urkunde die siebente Indiction be- merkt, so ist diese Urkunde in dem siebenten Jahr irgend einer unter jenen funfzehenjährigen Perioden (unbestimmt in welcher) abgefafst (1). Dieses alles ist unmittelbar gewifs, folgendes aber läfsı sich mit grofser Wahrscheinlichkeit hinzufügen, obgleich es keine ausdrücklichen Zeug- nisse für sich hat. J/ndictio war, wie oben bemerkt worden ist, der ei- genthümliche Name der auf ein Jahr bestimmten Steuer, und zugleich der Name des vom ersten September anfangenden Steuerjahres (S. 59.). Aus dieser Übereinsimmung der Benennung, welche einersejts im Steuer- wesen, andererseits in der Zeitrechnung vorkommt, wird es nun höchst wahrscheinlich, dafs auch die in der Zeitrechnung gebrauchte funfzehen- jährige Periode nichts anderes als eine Steuerperiode, d.h. ein Zeitraum von Funfzehen Steuerjahren war (2). Dieses wird fast gewifs durch den Umstand, dafs die chronologische Indiction (so wie sie von den griechi- schen Kaisern gebraucht wurde) genau mit demselben Tage anfängt, wie das Steuerjahr, nämlich mit dem ersten September (5). Fragt man nun (1) Der hier beschriebene Gehrauch der Indictionen bildet viele Jahrhunderte lang die allgemeine Regel. Erst in schr späten Zeiten, namentlich im zwölften Jahrhundert, kommt hie und da eine ganz willkürliche Umbildung vor. Man siennt nun Indiction die funfzehen- jährige Periode selbst, und bezeichnet, von Christi Geburt an, sowohl die Anzahl der Indietion in diesem Sinn, als des einzelnen in dieselbe fallenden Jahres, z. B. Indictionis LXXIX. anno F.-- Vgl. Art. de verifier les dates 1. c. -- Scaliger I. ce. p. 502. 505. stellt die Sache so dar, als ob ursprünglich das Wort Indictio bald das einzelne Jahr, bald fünf Jahre, bald funfzehn Jahre bezeichnet hätte: gewifs ohne Grund. (2) sealiger I. c. p. 502. sagt, der Anfang der Indietionen (J. 512.) falle in die Quin- quennalia von Constantin, der 507 zur Regierung kam; von da bis zu seinen Ficennalia seien gerade funfzehn Jahre gewesen, und nun habe man sich gewöhnt, diesen Zeitraum als ei- nen chronologischen Abschnitt zu betrachten. Allein es läfst sich durchaus nicht erklären, wie gerade diesem Zwischenraum irgend eine besondere Wichtigkeit sollte beigelegt worden seyn. (35) Die Behauptung von Scaliger l. c. p. 505, dafs die auf den ersten September berech- neten Indietionen erst in der Zeit von Justinian anfangen sollen, ist wegen der im Text er- wähnten Übereinstimmung sehr unwahrscheinlich. 62 Sıvıaenr über die Römische Steuerver assung. weiter, welche Einrichtung im Steuerwesen- darauf führen konnte, diese Perioden auszuzeichnen, so bietet sich keine natürlicher zur Erklärung an, als die allgemeine Erneuerung aller Kataster im Reich. Diese war eben so wichüg, als allgemein bekannt, und konnte deshalb wohl in der Zeitrechnung angewendet werden. Ja diese Erklärung hat so viel innere Wahrscheinlichkeit, dafs eben um ihretwillen die sonst unerweisliche Thatsache der funfzehenjährigen Kataster selbst angenommen werden darf (S. 58.). — Dieser Zusammenhang der chronologischen Indietionen mit dem Steuerwesen liegt so nahe, und ist besonders in den Rechtsquellen so unverkennbar angedeutet, dafs er selbst im Mittelalter nie ganz in Vergessenheit gerathen ist (1). Was aber die genauere Bestimmung die- ses Zusammenhangs betrifft, so finden sich darüber bei einigen neueren Schriftstellern folgende, von der hier dargestellten ganz abweichende, Meinungen. So ist behauptet worden, im Anfang der Funfzehen Jahre ser die Steuersumme auf den ganzen Zeitraum bestimmt worden (2): allein dieser Behauptung widerspricht die oben erwiesene jährliche Be- stimmung des Steuersatzes (S. 59.). Eine andere Meinung geht dahin, die Grundsteuer sei nach dem Ertragsdurchschniti der letzten Funfzehen Jahre bestimmt worden (5). Auf dieses Verfahren aber deutet kein ge- schichtliches Zeugnifs, vielmehr sind die vorhandenen Nachrichten dem- selben gerade entgegen. Denn wenn man die Erfahrung vom wirklichen (1) So sagt Placentinus, Summa in tres lib., tit. de indietion. (11. 17. ), die Römer hätten ihre Steuern ‘nach fünfjährigen Zeiträumen gezahlt: in den ersten fünf Jahren Gold, dann Silber, endlich Kupfer, also das Ganze erst nach funfzehen Jahren. Die Glosse zu dem- selben Titel hat diese Meinung wiederholt, und viele neuere Schriftsteller sind ihr beige- treten. (H.Lincken de indict. Rom., Ienae 1673. C. 4- $.4.). -- Lucas de Penna in L.2. C. de annon. ( 10.16.) sagt, im ersten Lustrum habe Asien Steuern gezahlt, im zwei- ten Afrika, im dritten Europa. -- Die allgemeine Anerkennung jenes Zusammenhangs liegt auch zum Grunde dem alten deutschen Ausdruck : Römerzinszahl, als Übersetzung von in- dietio, welcher Ausdruck unter andern in der Notariatsordnung von 1512. $. 5. vorkommt. Aventinus (epit. annal. ed. 1522.) hat einige Urkunden des neunten und zwölften Jahr- hunderts in deutscher Übersetzung mitgetheilt; er übersetzt darin die Angabe der indictio so: der Kaiserlichen stewr anlegung (oder: der Römer steur Anlegung) im XII Jar. u. s. w. Schilter glossarium p. 426. 451. 452. (2) Dubos Monarchie Francoise Liv. ı. Ch. ı2. (5) Abhandlung von Ze Beau in den Memoires de l Acad. des Inser. T. 41. p. 159. Sıvıcny über die Römische Steuerverfassung. 63 Ertrag der Landgüter zum Grunde legen wollte, so bedurfte es gar nicht der genauen Verzeichnisse der einzelnen Äcker, Wiesen, Weinberge, mit Angabe der Morgenzahl, der Zahl der Weinstöcke u. s. w., wie diese Verzeichnisse von Ulpian beschrieben werden. Auch die Kopfsteuer wurde auf den Grund allgemeiner Verzeich- nisse erhoben , allein es wurden zu diesem Zweck keine abgesonderten Steuerrollen angelegt, sondern die für die Grundsteuer angelegten wur- den zugleich zu diesem. Nebenzweck benutzt. So sagt Ulpian, indem er das Kataster beschreibt, jeder Herr müsse seine Sklaven angeben mit Bezeichnung ihrer Eigenschaften (1), und jeder Grundeigenthümer messe die auf seinem Boden wohnenden Miether und Pächter , bei Ge- fahr eigener Vertretung, namhaftı machen (2). Dieselbe Verbindung bei- der Steuern bei der Anfertigung der Steuerrollen bezeugt auch Lactanuus (S.57), und eben so kommt sie in einer bekannten Stelle des Codex vor (5). Indessen hat eben diese Verbindung, bei der wesentlich ver- schiedenen Natur beider Steuern, allerdings etwas auffallendes; ja dieser Umstand könnte leicht über die selbstständige Natur der Kopfsteuer täuschen, und zu der Meinung des J. Gothofred führen, nach welcher das, was wir Kopfsteuer nennen, blofs ein Bestandiheil der Grundsteuer gewesen wäre. Allein die Sache erklärt sich auf folgende einfache Weise. Die Kopfsteuer war überhaupt nur eine Ergänzung der Grundsteuer, (1) L.4. 8.5. D. de censibus (50. 15.) „In servis deferendis observandum est, ut „el nationes eorum, ci aetates, et officia, et artificia specialiter deferantur.” (2) 2.4. 8. 8. eod. „Si quis inquilinum, wel colonum non fuerit professus, vinculis Es ist offenbar von dem gewöhnlichen Mieth - und Pachtcontracte die Rede, und die Verpflichtung des Eigenthümers war eine blois finanzielle Einrichtung, „censualibus tenetur. um zu verhüten, dafs die Miether nicht übersehen würden. Es ist also ganz falsch, wenn Einige in dieser Stelle eine Spur des späteren Colonats sehen wollen. (3) .L.7. C. I. de donat. (8. 54.). ,, Censualis quidem professio domino praeiudicare „non solet. Sed si in censum, velut sua mancipia, deferenti privigno tuo consensist, „ donationem in eum contulisse videris.” -- Schulting ad Ulp. I.S. irrt doppelt, indem er erstlich diese Stelle auf den alten Laustraleensus bezieht, und zweitens darin eine eigene Form der Eigenthumsübertragung sieht. Sie sagt aber in der That nichts, als dafs in jenem Consens die Absicht zu schenken unzweideutig ausgesprochen sei, wobei die Form der Ver- äufserung nicht besonders berührt wird, indem es darauf in dem vorliegenden Rechtsfall wohl nicht ankam. 64 Sıvıenr über die Römische $ teuerverfassung. indem sie gerade von denjenigen gefordert wurde, die zur Grundsteuer nichts beitrugen (S. 51.). Wollte man nun gewifs seyn, dafs Niemand in den Steuerrollen übersehen würde, so gab es dazu kein besseres Mit- tel, als die Steuerrollen für beide Steuern zu gleicher Zeit und von den- selben Beamten anlegen zu lassen, indem jeder Einwohner, der sich nicht auf eine besondere Ausnahme berufen konnte, unfehlbar entweder für die eine oder für die andere dieser Steuern eingetragen werden mulste. Als späterhin der Colonat aufkam und bald eine ungemeine Wichtigkeit erlangte, mag wohl eben diese Verbindung darauf geführt haben, die Kopfsteuer der Colonen bei der Grundsteuer des Gutsherrn einzutragen, und von diesem vorschiefsen zu lassen (S. 55.). War aber dieses ein- mal Rechtsregel geworden, so lag dann darin ein neuer Grund für die unzertrennliche Verbindung beider Steuerrollen. Auch bei der Kopfsteuer mufsten sehr häufig vor der Abfassung der nächsten Steuerrolle Veränderungen eintreten, und in solchen Fäl- len wurden folgende Regeln beobachtet. War der Eingetragene gestor- ben, oder in eine Lage gekommen, die ihn von der Kopfsteuer befreite, so hörte die Steuer desselben augenblicklich auf. Dagegen soliten die- jenigen, welche in der Zwischenzeit durch ihr Alter Kopfsteuerpflichug wurden, nicht schlechthin herangezogen werden, sondern nur soweit es nöthig war, um die durch Jie erwähnten Lücken entstandenen Ausfälle 5 zu ersetzen (1). Vierter Abschnitt. Wahrscheinlicher Betrag der Grundsteuer. Über die Einnahme des Römischen Reichs finden sich bei neueren Schriftstellern hie und da Angaben von Summen, die auf keinem ge- schichtlichen Boden ruhen, und darum wenig Aufmerksamkeit verdienen. Von einzelnen Provinzen sind aus der ältern Zeit gleichzeitige Zeugnisse vorhanden, aber auch diese deuten mehr auf vorübergehende Thatsachen, als auf dauernde Einrichtungen (2). Nur allein über den Betrag der (1) Z.7. C. Th. de censu (13. 10.). 2.7. C.Ih..de: tron.' (7- 19.) (2) Vieles ist zusammengestellt bei Lipsius de magnitud. Rom. Lib. 2, Cap. 5. Er selbst schätzt die ganze Einnahme unter August auf mehr als hundert und funfzig Millionen heu- a Savıcny über die Römische Steuerverfassung. 6 Grundsteuer finden sich aus der Zeit von Constantin und seinen näch- sten Nachfolgern zwei von einander unabhängige Nachrichten, deren Ver- bindung zu mehr als blofsen Vermuthungen führt, und dieser Aufschlufs ist um so wichtiger, da die Grundsteuer ohne Zweifel den gröfsten Theil der ganzen Staatseinnahme ausmachte. Die eine dieser Nachrichten führt auf die Anzahl der Steuerhufen in Gallien, die andere auf die von jeder Hufe zu entrichtende Steuer. Die erste Stelle ist aus-einer Lobrede des Eumenius auf Constan- tn (1). Dieser Kaiser hatte der Civitas der Äduer mancherlei Wohltha- ten erwiesen , worunter hier vorzüglich ein Nachlafs auf die Grundsteuer dankbar gepriesen wird. Zwar hatten auch vor diesem Erlafs die Ein- wohner über kein augenscheimliches Unrecht klagen können, indem ihnen nicht mehr Land zugeschrieben war, als sie wirklich hatten, und nicht mehr Steuer aufgelegt, als der Steuersatz für Gallien mit sich brachte. Dennoch, sagt der Redner, war die Last unerträglich, weil ihr Boden von Natur und durch Mangel an Fleifs vorzüglich unfruchıbar war (2). Hierauf bezieht sich der Nachlafs, welchen der Redner in folgenden Wor- ten angiebt: ,, Septem millia capıtum (5) remisisti, quintam amplius par- „„lem nostrorum censuum.... Jemissione ısta septem millium capttum > VI- „„gint quinque millibus dedisti vires, dedisti opem, dedisti salutem ; _ plus- „que in co consecutus es, quod roborasti, quam recidisti in eo, quod re- ‚„‚misisti; quatenus tantum tıbi firmum, certumque redditum est id, quod tigen Geldes, ich weifs aber nicht welches Geld er meint. Gibbon Fol. ı. Chap. 6. nimmt für dieselbe Zeit funfzehen bis zwanzig Millionen Pfund Sterling an. (1) Eumenii gratiarum actio Cap. ıı1. in Panegyr. vet. ed. Arntzen T. 2. Trai. 1797. 4. p. 450. (2) 2.c. Cap. 5. 452. (s.0.8.60.). Cap. 6. p. 455. „Habemus enim, ut dixi, et ho- „minum numerum qui delati sunt, et agrorum modum, sed utrumque nequam, homi- „num segnitia, terraeque perfidia.” (5) d.h. sieben Tausend Steuerhufen auf die Grundsteuer. Mehrere erklären den Erlafs von der Kopfsteuer für sieben Tausend Personen; so z. B. Dubos Mon. Francoise I. 12. Schwarz de iure Ital.$.9. Allein in der ganzen Rede ist so deutlich von der Grundsteuer die Rede (vgl. die vorige Note), dafs schon deshalb auch für unsere Stelle jede andere Erklä- rung verworfen werden mufs. Arntzen hat diesen Punkt gründlich ausgeführt. Hist, philolog. Klasse 1822 - 1823. I 66 Sıvıany über die Römische Steuerverfassung. „„irrito petebatur. Siquidem desperatio perferendi debiti etiam id, quod dari ‚„‚poterat, inhibebat; nec erat ralio conandi, cum non esset spes ulla com- „‚plendi. O divinam, Imperator, tuam in sananda civitate medieinam ! Si- „cut aegra corpora ... resecata aligqua sul parte sanantur, ul Immuinuta ‚‚vigeant, quae exaggerata torpebant; ita nos, nimia mole depressi, levato ‚„‚onere, consurgimus.” Einige Schwierigkeit bei dieser Stelle machen die Zahlen. Nach der Erklärung aller Neueren, ohne Ausnahme, hat Con- stantin von fünf und zwanzig Tausend Hufen sieben Tausend erlassen, so dafs achtzehen Tausend übrig blieben. Dazu aber pafst nicht das quintam amplius partem, da sieben Tausend sogar mehr ist als der vierte Theil von fünf und zwanzig Tausend. Die Meisten emendiren daher quartam, was, wie es scheint, durch keine einzige Handschrift unter- stützt wird. Der neueste Herausgeber hat deshalb gıuntam wiederher- gestellt, und diese Leseart durch den sehr schwachen Grund zu recht- fertigen gesucht, dafs doch in der That sieben Tausend mehr sei als fünf Tausend. Allein es ist einleuchtend, dafs schon die Genauigkeit des Ausdrucks den nächsten möglichen Bruch zur Vergleichung for- derte, also ein Viertheil, nicht ein Fünftheil; noch mehr ward dieser Ausdruck nothwendig durch den Zweck des Redners, der dahin ging, die Grofsmuth des Kaisers recht vollständig zur Anschauung zu bringen. Alles aber erklärt sich leicht, wenn man annimmt, dafs es ursprünglich zwei und dreifsig Tausend Hufen waren, die durch den Nachlafs auf fünf und zwanzig Tausend vermindert wurden: denn sieben Tausend ist in der That um etwas weniges mehr als ein Fünftheil von zwei und dreifsig Tausend, so dafs nun die Leseart quintam ganz unzweifelhaft wird. Die Richtigkeit jener Annahme aber wird, auch abgesehen von diesem Vortheil den sie gewährt, durch den Zusammenhang der ganzen Stelle bestätigt. Ein krankes Glied, sagt der Redner, welches mit ge- sunden Gliedern zusammenhängt, kann selbst diese lähmen ; wird es ab- genommen, so treten diese wieder in ihre natürliche Thätigkeit zurück. So hat der Kaiser durch den Erlafs von sieben Tausend Hufen die Zah- lung der fünf und zwanzig Tausend möglich gemacht und gesichert. — Es ist ganz einleuchtend, dafs in diesem Bilde die fünf und zwanzig Tausend Hufen die natürliche , angemessene Summe darstellen , welche blofs durch die Verbindung mit dem unnatürlichen Zusatz der sieben Savıcny über die Römische Steuerverfassung. 67 Tausend selbst unzahlbar wurde, und seit der Aufhebung desselben wieder zahlbar geworden ist. Demnach sind die fünf und zwanzig Tau- send Hufen das übrig bleibende Steuermaafs, und das ursprüngliche mufs zwei und dreifsig Tausend betragen haben. — Gibbon hat ver- sucht, aus dieser Summe die Hufenzahl des heutigen Königreichs Frank- reich zu berechnen (1). Er bestimmt die Civitas der Äduer so, dafs darauf nach den statistischen Angaben seiner Zeit fünf mal hundert Tausend Einwohner fallen (2), und indem er zugleich für ganz Frank- reich vier und zwanzig Millionen annimmt, so folgt daraus, dafs jenes Gebiet ein Acht und Vierzigtheil des Ganzen betrug, welches Verhält- nifs auch noch durch andere Gründe unterstützt wird (5). Legt man nun die von Constantin bestimmte Summe von fünf und zwanzig Tau- send Hufen als das richtige Maafs der Äduer zum Grunde, so folgı daraus für ganz Frankreich die Summe von einer Million zwei mal hun- dert Tausend Hufen (4). Über die Grundsteuer einer einzelnen Hufe findet sich bei Ammian folgendes merkwürdige Zeugnifs aus der Zeit von Julian’s Verwaltung von Gallien (5): ,‚,‚Primitus partes eas ingressus, pro capiubus singulis tributi (1) Gibbon history Fol.5. Chap. 17. p. m. 92. 03. (2) Allerdings stellt er zwei Angaben als möglich neben einander: fünf mal hundert Tausend und acht mal hundert Tausend. Allein er selbst zieht die erste Angabe aus guten Gründen vor. (5) Die Notitia Galliae vor Dubos Monarchie Francoise giebt für das damalige Gal- lien (weit mehr als unser Frankreich) siebenzehen Provinzen an; unter diesen hatte die Lugdunensis prima dvei eivitates und zwei castra, worunter die civitas der Aduer gehörte. Dieses führt auf ein ähnliches Verhältnifs wie das im Text angegebene. (4) Ich habe hier einige Data von Gibbon benutzt, seine eigene Berechnung aber gänz- lich verlassen. Diese ist in folgenden Hauptpunkten fehlerhaft. r. Er nımmt, mit allen übrigen neueren Schriftstellern, achtzehen Tausend Hufen der Äduer an, anstatt fünf und zwanzig Tausend. 2. Er bestimmt daraus die Hufen für ganz Frankreich in runder. Summe auf fünf mal hundert Tausend. Diese Folgerung ist nur erklärbar aus der Voraussetzung, dafs das Gebiet der Äduer zu Gibbon’s Zeit acht mal hundert Tausend Einwohner (d.h. ein Dreifsigtheil aller Einwohner von Frankreich) hatte, welche Zahl aber von Gibbon selbst verworfen wird, so dafs er hier mit sich selbst im Widerspruch steht. (5) Ammianus Lib. 16. Cap.5. p. 128. ed. I. Gronov. L. B. 1695. 4. I 2 68 Sıvıany über die Römische $ teuerverfassung. ‚„‚nomine vicenos quinos aureos reperit flagitari: discedens vero septenos „„tantum, munera universa complentes.” Also im Anfang seiner Verwal- twıng gab das caput (jährlich) fünf und zwanzig Aurei, und er brachte diese Summe bis auf sieben herab. Mehrere haben auch diese Stelle von der Kopfsteuer erklärt (1), aber eine so ungeheure Kopfsteuer ist völlig undenkbar, welche willkührliche Modificaionen man auch hinzu- fügen möge. Ammian kann also durchaus nicht anders verstanden wer- den, als von der auf die Hufe gelegten Grundsteuer. Es liegt dem- nach in dieser Stelle, so wie in der des Eumenius,, der entscheidende Beweis, dafs jedes caput dieselbe Grundsteuer zahlte, und dafs also in der That hierauf, wie oben angenommen worden , das ganze Verfahren Zur Reduction jener Summe auf un- bei dieser Steuer gegründet war. ser heutiges Geld mögen folgende Bemerkungen dienen. Der Aureus oder Solidus , welcher früherhin ein Fünf und Vierzigtheil Pfund feines Gold enthielt, wurde seit Constantin’s Zeit nur noch zu ein Zwei und Siebenzigtheil ausgemünzt, Dieses Gewicht ist gleich fünf und achtzig fünf Zwölftheil Pariser Gran (2), und da die französische Carolin hun- dert drei und funfzig drei Fünftheil Gran hält (5), so verhält sich jener leichte Aureus zur Carolin = 556 : 1000. Rechnet man nun ferner die Carolin zu sechs Thaler Sächsisch , so beträgt der Gonstantinische Aureus etwa drei Thaler acht Groschen , oder etwas mehr als einen Ducaten. Nach dieser Rechnung zahlte die Hufe im Anfang von Julian’s Admi- nistration drei und achtzig ein Dritheil Thaler, am Ende drei und zwanzig ein Drittheil Thaler (4). (1) Z.B. Yalesius ad Ammian. l.c. Dubos Liv.ı. Ch.ı2. Dieser letzte behauptet, un die Sache wahrscheinlicher zu machen, so lange die Sklaverei bestand, seien alle freie Men- schen sehr wohlhabend gewesen, und hätten grofse Kopfsteuer zahlen können. (2) Vgl. über diese Angaben Naudeı T.2. p. 511.512. Hauptstellen sind: Z. un. C. Th. de oblat. vot. (7.24.). L.15. C. Th. de susceptor. (12.6.).-- Rome de (Isle Me- trologie p. 126. giebt das Gewicht nur zu vier und achtzig Gran an. (3) Nelkenbrecher S. 115. (4) Eigentlich müfsten diese Summen noch um etwas Weniges vermindert werden, da zu Constantin’s Zeit das Verhältnifs des Silbers zum Golde wie ı : 14 zwei Fünftheile stand (Rome de ÜlIsle p. 144.), heutzutage aber die Differenz etwas gröfser angenommen wird, nämlich gegenwärtig (1825) etwa wie ı : 15 vier Fünftheile. Sıvıcny über die Römische Steuerverfassung. 69 Da nun nach der oben aufgestellten Berechnung für den Um- fang des heutigen Frankreich eine Million zwei mal hundert Tausend Hufen angenommen werden können, so betrug in demselben Gebiet die höhere Grundsteuer hundert Millionen Thaler, die geringere acht und zwanzig Millionen Thaler. — Hierbei wird vorausgesetzt, dafs im der That Constantin durch die Herabsetzung der Äduer auf fünf und zwanzig Tausend Hufen das richtige Maafs getroffen hatte. Nimmt man dagegen an, dafs diese Herabsetzung entweder auf blofser Begünstigung, oder auch auf ganz individuellen Umständen beruhte (worauf allerdings - Eumenius hindeutet), so würde die Hufenzahl von Frankreich vielmehr nach den zwei und dreifsig Tausend Hufen berechnet werden müssen, die den Äduern ursprünglich auferlegt waren. Dadurch würden sich alle Zahlen um sieben Fünf und zwanzigtheil erhöhen, und die zwei angegebenen Steuersummen würden sich in hundert acht und zwanzig Millionen Thaler und fünf und dreifsig Millionen acht mal hundert und vierzig Tausend Thaler verwandeln. Die Vergleichung dieses Zustandes mit dem heutigen giebt folgende Resultate. Im Jahr ı818 betrug die eigentliche Grundsteuer (contribu- tion fonciere en principal) hundert und zwei und siebenzig Millionen sie- ben mal hundert und drei Tausend Franken (1), oder ungefähr vier und vierzig Millionen Thaler, d. h. etwas mehr als jene kleinere Grund- steuer, aber ungleich weniger als die gröfsere (2). Das Resultat dieser (1) Moniteur ı818. p.569. (2) Gibbon a. a. O. kommt auf ein ganz anderes Resultat. Er nimmt aus den fünf und zwanzig und sieben Aurei als Mittelzahl sechzehen an, wogegen sich nichts einwenden läfst, und berechnet diese zu neun Pfund Sterling. Diese mit den von ihm angenommenen fünf- mal hundert Tausend capita multiplieirt, geben als Hauptsumme der ganzen Steuer vier eine halbe Million Pfund. Indem er nun ferner sämmtliche Abgaben von Frankreich zu seiner Zeit auf achtzehen Millionen Pfund anschlägt, so schliefst er daraus, dafs im Römi- schen Reich die Abgaben nur den vierten Theil der französischen betragen haben. Abge- sehen von den schon früherhin gerügten Irrthümern (S.67.), begeht er hier noch den Hauptfehler, dafs er bei dieser Vergleichung anf die eine Seite alle Abgaben in Frankreich stellt, auf die andere hingegen eine einzige Abgabe im Römischen Reich; dabei übersieht er also nicht nur die Kopfsteuer (die er freilich nicht anerkennt), sondern auch die Ge- werbesteuer, alle indirecten Abgaben u. s. w. 70 Sıvıcsy über die Römische Steuerverfassung. Vergleichung hat etwas sehr Auffallendes, indem im heutigen Frankreich Verwaltung und Wohlstand gewifs weit höher stehen, als zur Zeit der christlichen Kaiser, folglich vielmehr das umgekehrte Verhältnifs erwar- 5 sonderbare Erscheinung einigermafsen zu erklären. Erstlich würde ohne tet werden dürfte. Folgende Bemerkungen mögen dazu beitragen, diese Zweifel ein ganz anderes Verhältnifs herauskommen , wenn es möglich wäre, die Hauptsumme aller Steuern aus beiden Reichen mit einander zu vergleichen. Denn es ist wahrscheinlich, dafs die Grundsteuer im Römischen Reich weit mehr betrug, als alle übrigen Abgaben zusammen, anstatt dafs in den neueren Staaten die indirecten Abgaben einen so wich- tigen Theil der ganzen Einnahme bilden. Zweitens würde man irren, wenn man die hier berechnete Steuersumme auch nur als ungefähren & ansehen wollte. Viel- 5 mehr darf man annehmen, dafs, bei unveränderter Steuerverfassung, die Maafsstab für die ganze Zeit der Kaiserregierun Höhe der Steuern bis ins Unglaubliche vermehrt worden war, ja dafs unter der aussaugenden Regierung vieler der späteren Kaiser das Ganze weniger die Gestalt einer regelmäfsigen, geordneten Steuer, als einer stets erneuerten Brandschatzung hatte. Dafür spricht schon die unglaubliche Herabsetzung von fünf und zwanzig auf sieben unter Julian (S. 68.:), welche nur bei einem ganz unordentlichen Zustand vorkommen konnte. Eben dafür sprechen die Zeugnisse des Lactantius, des Salvian und des Ammian, welche von dem Druck der Steuern ein fürchterliches Bild auf- stellen, und geradezu sagen, dafs dadurch eine grofse Zahl von Grund- eigenthümern ihr Eigenthum gänzlich verloren habe (1). Noch be- stimmter als diese ist die Stelle des Victor, welcher ausdrücklich sagt, zu Maximian’s Zeiten sei die Steuer noch bescheiden und erwäglich ge- wesen, seitdem aber sei sie bis zu einer zerstörenden Höhe hinaufgeırie- ben worden (2). Damit hängt endlich drittens der Umstand zusammen, dafs man wohl diese Steuer nicht so, wie in einem geordneten Zustand, (1) Lactantius de mortibus persecutorum C. 25. (s. 0. S. 57.). Salvianus de guber- natione Dei Lib. 5. C. 8.9. (s. die Abhandlung über den Colonat S. 25.). Ammianus Lib.16..C. 5. (2) Aur. Victor de Caesaribus C. 59. (s. 0. $.51.). Sıvıcny über die Römische Steuerverfassung. 71 als eine wirklich gezahlte anzusehen hat. Sie wurde in einer ungeheuren Summe angesetzt, und man nahm davon so viel man bekommen konnte. Die Steuerreste aber mögen aufserordentlich grofs gewesen seyn, und darauf deutet auch schon die Menge von Indulgenzen aller Art, wovon der Theodosische Codex voll ist. Soll nun nach diesem allen ein Endurtheil über das hier darge- stellte Steuerwesen erlaubt seyn, so möchte man sagen, die Steuerverfas- sung selbst sei so beschaffen gewesen, dafs dabei ein blühender Zustand des Landes recht wohl bestehen konnte, sie sei aber durch die Ausfüh- rung, unter den Händen unweiser und gewissenloser Fürsten, höchst ver- derblich für das Reich geworden. —HMANNAN— Über den HRunstcharacter des Tacıtus. _ Von HU "SÜUVERN. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 6. und ı5. März ı1855.] Kir den schriftstellerischen Character des C. Cornelius Tacitus noch zu reden, mögte überflüssig scheinen nach Allem, was in Lob wie in Tadel darüber schon geurtheilt ist. Allein das über ihn vielfach Bemerkte betrifft vornehmlich des Geschichtschreibers Beruf und Willen, Wahrheit zu erforschen und unparteiisch zu erzählen, die Gesinnung, welche in seinen Werken sich ausdrückt, den Scharisinn, die Welt- und Menschenkenninifs, die sich durch sein Eindringen in die Tiefen der Charactere und ins Innere dev Verhältnisse offenbaren , die Feinheit und Kraft, Fülle und Klarheit, womit er diese in wenigen, aber bedeutungsvollen und erschöpfenden, Zügen zu entwickeln versteht, die Lebendigkeit seiner ganzen Darstel- lung in einer zwar kurzen, aber gediegenen und dem Geiste seiner Werke angemessenen Sprache — kurz es fafst ihn mehr von seiner kritischen, pragmatischen und rhetorischen Seite, und erkennt, wo es die künstlerische berührt, diese fast nur im Einzelnen. Allerdings hatte Tacitus bei Abfassung seiner historischen Werke auch noch andre Zwecke, aufser der freien Darstellung selbst, wie denn Eins das Andre nicht ausschliefst, vor Augen. Er beabsichtigt nicht minder durch eröffnete Einsicht in die psychologischen und politischen Quellen und den Zusammenhang der Begebenheiten zu belehren und zu warnen, als es ihm an vielen Stellen um den Eindruck auf Gemüth und Phantasie augenscheinlich zu thun ist. Ganz besonders ist er jener pragmatisirenden Richtung sich sehr besummt und deutlich bewufsı, und diese auch ist es eben, welche, verbunden mit einer sich durchweg Hist. Philolog. Klasse 1822-1823. RK 74 Süvern über den Kunstcharacter des Tacıtus. hinflechtenden, bald in offnen Bemerkungen, bald nur in einzelnen Wor- ten, Wendungen und Stellungen sich kund gebenden, unausgesetzt zum Nachdenken reizenden und Betrachtungen anregenden, Reflexion, zuerst und zumeist an ihm in die Augen fällt, und wodurch er nicht blofs dem Sprach- und Geschichtforscher, sondern auch dem Welt- und Ge- schäftsmann , höchst anziehend und lehrreich wird. Allein erschöpfend ist Tacitus historiographischer Character durch dies Alles nicht bezeichnet. Wenn gleich die Neigung zur Reflexion ihn unüberwindlich hinderte, Werke von piastischer Gestaltung , wie Thukydides, zu bilden, so beweiset doch schon die durchgängige ori- sıs ginelle Einwebung und Haltung dieser Reflexion seine grofse Überlegen- heit über den Stoff. Und läfsı er gleich sein tiefes Gefühl ofı durch- blicken, oder giebt wohl zu erkennen, dafs ihm auch der Effect nicht gleichgültig sey, so spiegelt sich doch in der Freiheit seiner Schilderun- gen und scenischen Gemählde von Überladung , selbst wo Reiz dazu liegen mogte (1), und ganz besonders in seiner Mäfsigung und Ruhe bei pathetischen Anlässen (2), derjenige richtige Tact und reine Sinn ab, welcher in der Rede die Sache nicht untergehn läfsı, und nicht durch leeren Klang und Schein, sondern nur durch einen die Wahr- heit anschaulich und stark wiedergebenden Ausdruck die beabsichtigte Wirkung zu erreichen strebt (5), und selbst Reden, welche sich dem ganz subjectiven Ansehn der meisten Livianischen nähern, können aus Taeitus noch vorhandenen Werken nur höchst wenige, ja aufser den beiden im Leben des Agricola c. 50 bis 54 wohl keine, nachgewie- sen werden. Diese besonnene Kraft, diese Enthaltsamkeit und Selbstbeschrän- kung, Rom von Natürlichkeit, Einfachheit und Absichtlosigkeit entfernt war, um so bedeutender im Tacitus, je weiter das damalige Leben in je stärker die gezierte rhetogische Bildung des Zeitalters und Tacitus eigner mit Auszeichnung geübter Rednerberuf auf ihn eindrang, darf (1) z.B. An. I, 40. folg. 61. 62. IH, 1.2. XII, 16. XV, 58. Hist. II, 42. III, 22. folg. Jul. Agrie. 57. 58. u. a. m. (2) z.B. An. II, 72. XIII, 16. selbst Jul. Agrie. 44. folg. (5) Vergl. Manso vermischte Aufsätze und Abhandlungen S. 58. Süverv über den Kunstcharacter des Tacıtus. 75 man schon als Zeichen des künstlerischen Talents betrachten, womit er in Bildung des von ihm gewählten Stoffes zu Werke ging. Dafs, wenn hier von Kunst die Rede ist, an irgend eine, mit der Geschichtschreibung unverträgliche, Willkühr nicht gedacht werde noch zu denken sey, bedarf, dem Obigen und der Natur der Sache nach, kaum der Erinnerung. Von Gefahr der Entstellung wird die Geschichte durch künstelnden rhetorischen Vortrag bedroht, nicht durch besonnene, dem Inhalte sich anschliefsende, Kunstbehandlung. Schon Aristoteles bekannter Ausspruch (1): ‚‚Der Historiker und der Poet seyen darin ‚von einander verschieden, das jener das wirklich Geschehene vortrage, ‚„‚dieser was da geschehn könnte und was möglich sey nach der Wahr- ‚„‚scheinlichkeit oder Nothwendigkeit,” enthält ungezweifelt die Forde- rung innerer Wahrheit auch an den Dichter. Und wenn gegenseits ein andrer alter Kunstrichter (2) die beiden grofsen Werke des Herodotos und Thukydides Poesieen nennt, so giebt er dadurch zu erkennen, dafs er Wahrheit und Dichtung in der Historie keineswegs so unverträglich mit einander halte, dafs jene durch diese nothwendig verfälscht werden müfste. Auf der Wahrheit beruhn nemlich Poesie und Historiographie in ihrem tiefsten Grunde. Wenn aber diese in Hinsicht auf äufsere Wahrheit gebundener ist, so kann in ihr doch in dem Bilden des Stof- fes von innen heraus zu einer die innern und äufsern Motive, ihr Zu- sammengreifen, und die Thatsachen, worin sie erscheinen und ausbrechen, klar und lebendig vor Augen bringenden Darstellung ein schöpferi- sches, ein po@tisches Princip wirken, und ihre Producte zu Kunstwer- ken stempeln (5). Eines Werkes, dem dies Prädicat zukommt, gleichwie eines Epos oder Drama, erstes und wesentlichstes Merkmaal ist nemlich Einheit in (1) Zoe a, (2) Dionysius Halicarn. epist. ad Pompeium III, 21. ed. Krüger. "la de auve- Yıv eimw, Zara MV ci marmrTes auborsgau er Yüg dv airyyuSein murzsıs aüras reyav. Ver- gleiche Judic. de Thucydide LI, 5. ib. Krüger. (5) Lucıan. quomodo historia sit conscribenda Opp. Vol.IV, p. 210. ed. Bip. "Orus 62 vonstov ToV isogicen suyygaborree Bardic Y Ilga£ırersı Kenven Zorzevan , 7 Arzausver, Y Sl: Re) nFw arm Ereivwv Eic. Ka 76 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. dem ersten und allgemeinsten Motive und dadurch in der Grundidee des Ganzen. Von Aristoteles (1), der da meint, nur für die genannten beiden Dichtungsarten , nicht auch für die Historie, gehöre es sich, ganze und vollendete Handlungen, und gleichsam lebendige Organisatio- nen darzustellen, zwar verkannt, ist die Auffindung und Festhaltung des einen historischen Stoff durchdringenden Grundgedankens doch ein so wichtiges Erfordernifs, dafs sie, obwohl in der That künstlerischer Art, von Historikern selbst (2) als eine allgemeine Aufgabe der Geschicht- schreibung betrachtet wird, und sich auch in den ausgezeichnetsten Pro- ducten derselben finden läfsı. So ist, um nur an den von Dionysios als Po&sieen bezeichneten Mustern dies nachzuweisen , die gegen die Perser gerettete Freiheit der Hellenen der Grundgedanke, welcher, vom Meister selbst bei jedem grofsen Gelenke seines Werks hervorgehoben, die ganze reiche und mannigfaltige Historie des Herodotos zusammen- hält, und die kleine Hellas zu dem Mittelpuncte macht, um welchen die Anschauung der ganzen bewohnten Erde, so weit sie damals reichte, und ihrer Geschichten, ohne dafs in der bunten Abwechselung je der Faden verloren ginge, sich anschliefst (5). So ist der Kampf zwischen Sparta und Athen und der beiderseitigen Staatenverbindungen,, um die Hegemonie nicht blofs, sondern eben so sehr um Verfassung,. der An- gel, um welchen die thukydideische Geschichte des peloponnesischen Krieges sich dreht (4). Und auf-ähnliche Art wird, indem der Ge- (1). Pod. ZXUL,@—3. (2) u. a. Heeren in seiner Denkschrift auf Johannes von Müller, S. 67. folg. Die Forderung der Einheit historischer Darstellungen machen auch Diodoros von Sicilien, XFT, ı. und Dionysios von Halikarnafs, epist. ad Pomp. III, 14. (5) Creuzer historische Kunst der Griechen, S. 155. folg. (4) Creuzer a. a.0. S. 267. Allein übersehen werden durfte von ihm nicht, dafs der Kampf sehr wesentlich die Verfassung galt. Dafs Oligarchie und Demokratie den spartanischen und atheniensischen Staatenbund von einander unterschieden, und dafs wo der eine auch die andre siegte, unterläfst Thukydides nirgends als Hauptpunkt des Kampfes zu motiviren. (S. der Kürze wegen Kortum zur Geschichte Hellenischer Staatsverfassungen, S. 41. 61.68. und die daselbst angeführten Stellen, denen noch meh- rere zugefügt werden könnten). Und zuletzt war es ja auch die Einsetzung der Olh- garchie in Athen durch die Spartaner, welche die Überwindung Athens besiegelte. Süvern über den Kunstcharacter des Taeitus. 17 schichtschreiber die Begebenheiten in ihrer richügen natürlichen Folge darlegt, der historische Künstler des ihnen gemeinschaftlichen Inhalts, woraus sie alle, wie aus einem Keime, entspringen,. und in ihm der er- sten einfachen, in allem Einzelnen, mehr oder minder bewufst, sich in Handlung setzenden, Triebfedern sich bemächtigen. Er wird aber auch ferner ihr Wirken und Gegenwirken nicht nur begreiflich, sondern an- schaulich machen ; und wenn an dem blofsen Geschichtschreiber eine anspruchlose, treue, lichtvolle Erzählung schon ein grofses Verdienst ist — weil da, wo nicht die Aufmerksamkeit auf die Beziehung der Theile zum Grundgedanken unablässig klar sich richtet, Gefahr des gänzlichen Verlierens in rhetorische Färbung am meisten droht — so wird der mit Kunstsinn begabte hauptsächlich auch durch den Bau und die Anlage des Ganzen , welche dessen Grundansicht entweder durch sich selbst, klar macht, wie im Herodotos, oder, war jene durch die Natur des Ge- genstandes und die Folge seiner Bestandtheile geboten , wie im Thuky- dides, dentlich hervorhebt, und mehr durch die That selbst abbildet, als in dürren Worten erklärt, seinem Erzeugnisse Werth verleihen. Überhaupt kann man, um die Sache kurz zu fassen, sagen, ein Ge- schichtschreiber habe als Künstler gearbeitet, wenn er seines Stofles äufseres Leben als ein Abbild dessen innern Lebens kräfüg und klar darzustellen gewufst hat (1). Und in diesem Geiste, mein’ ich, hat Tacitus gearbeitet, den man nur mit dem schlicht erzählenden Dio Cassius zu vergleichen braucht, um den Unterschied zwischen dem historischen Künstler und dem Ge- schichtschreiber deutlich zu erkennen. Einleuchtender mögte dies allerdings seyn an den Historien, denen das Ringen des römischen Reiches, das Prineipat, nach dem Erlöschen des Julischen Geschlechts, an einem hervorragenden und kräftigen Stam- me wieder aufzurichten, eine sehr besiimmte und in der Ausführung, so weit wir sie noch besitzen, herrlich abgerundete Sphäre zeichnet, als an den Annalen, wo der erste Anblick nichts als eine Reihe von Ereig- (1) Ich kann mich hierüber auf des Herrn Wilhelm v. Humboldt nunmehr in den Abhandlungen der Akademie aus den Jahren ı820 und ı821 gedruckte Vorlesung über die Aufgabe des Geschichtschreibers beziehn. 78 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. nissen, in der vom Autor selten verlassenen Zeitfolge, wie es die Auf- schrift mit sich bringt, darbietel. Allein gerade hier offenbarı sich das historische und Kunstgenie, welches nicht das Äufsere des Stoffes, wie es sich gab, zu nehmen ertrug, sondern in seinen Kern zu dringen, und von ihm aus das nach einander Folgende auch als ein mit einander aus Einem Keime Erwachsenes zu entwickeln verstand. Hierin sind die An- nalen dem Werke des Thukydides ähnlich, indem jene wie dieses durch die Einheit ihres Grundgedankens über das äufsere chronologische Schema ihres Stoffes sich erheben. Um dies bestimmter zu sehn, bemerke man, dafs Tacitus auch in den Annalen weder darauf ausgeht, durch Verzeichnifs aller öffentlichen merkwürdigen Begebenheiten ohne Unterschied Masse zu häufen, und, wie es wohl mancher gleichzeitige Geschichtschreiber mogte (1), sein Werk auszudehnen, noch auch, aus eigner Affection, oder unzeitiger Rücksicht auf die Leser, für seinen Zweck irgend bedeutende Thatsachen unbemerkt läfst, wie ebenfalls andre Geschichtschreiber pflegten. In ersterer Beziehung weiset er ausdrücklich an einer Stelle (An. XI111, 51.) Thatsachen zurück, die man nur für denkwürdig halten könne, wenn man Bände zu füllen Lust habe. Und in der andern Beziehung giebt er die noch wichtigere Erklärung (An. FI, 7.): ‚‚Ich weils gar wohl, ‚„‚dafs von den meisten Geschichtschreibern die peinlichen Anklagen und ‚„‚Bestrafungen Vieler übergangen sind, weil die Menge sie ermüdete, ‚oder weil sie fürchteien, was ihnen zu stark und traurig gewesen, ‚„‚mögte den Lesern eben so unbehaglich werden. Uns hat sich das ‚Meiste, wenn auch von Andern nicht hervorgehoben, als denkwürdig ‚„‚dargeboten.” Beides deutet auf eine überlegte Auswahl nach einem be- stimmten Gesichtspunkte, wovon weder im Dio Cassius noch in Suetonius biographischen Charakteristiken in gleicher Arı Spuren bemerkbar sind, und worin bildnerischer Sinn sich zu erkennen giebt (2). Welches aber das von Tacitus in den Annalen positiv ins Auge gefafste Ziel sei, darüber läfst keinen Zweifel seine eigne Äufserung an (1) Juvenal. Sat. X, 08. sg. (2) Fr. Roth Vergleichung des Thukydides und Taeitus, S. 17. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 79 einer Stelle, wo er bekennt (#n. IV, 52.55.): ‚‚Es sei ihm nicht un- ‚‚bewufst, dafs das Meiste von dem, was er berichtet habe und berich- ‚„‚ten werde, geringfügig und unbedeutend scheine, im Vergleich mit dem ‚„‚grofsen Inhalte der Jahrbücher früherer Zeiten des römischen Volks ,,— dafs es aber nicht unerspriefslich seyn dürfte, ins Innere jener auf ‚„‚den ersten Anblick unbedeutenden Dinge zu schauen, aus denen oft ‚„‚„die Bewegung grofser Verhältnisse entspringe — weil, wie vormals, da ‚„‚die Gemeinen mächtig waren, oder als die Väter das Übergewicht hat- ‚„‚ten, wer des Volkes Natur kannte und wie es richtig behandelt würde, „oder, die des Senats und der Vornehmen Charakter am meisten durch- ‚„‚schaueten, für zeitverständig und weise galten, so jetzt, bei der verän- ‚„‚derten und von eines Einzigen Herrschaft nicht verschiedenen Verfas- ‚„‚sung des römischen Staats, die Sammlung und Überlieferung jener ein- „zelnen Züge zur Sache gehöre.” In dieser Erklärung stellt Tacitus das Prineipat im Allgemeinen und dessen jedesmaligen Inhaber, den Einflufs seiner Denk- und Hand- lungsweise auf die Lage und Würde des Staats, und die wechselseitige Einwirkung zwischen ihm und ausgezeichneten Individuen , als das Ziel hin, worauf er in den Annalen alles Einzelne bezieht. Es ist keines- wegs eine, alle Zweige der öffentlichen Bestrebungen und alle Lebens- verhältnisse umfassende Geschichte, wozu vieles in andern gleichzeitigen Schriftstellern zerstreut Liegende, von ihm aber Vorbeigelafsne, gehören würde, noch sind es ausführliche Charakterschilderungen und Biogra- phieen der Cäsaren, sondern es ist die Darstellung des eigentlich poliu- schen Lebens des römischen Staats unter diesen Machthabern, worauf er ausgeht, in deren gelungener Objectivität sich aber sowohl die Cha- raktere der Hauptpersonen als der Zeiten überhaupt aufs lebendigste ausprägen. Dies Ziel hält er durchgängig so fest, dafs seine Auswahl der Begebenheiten nach dem Verhälwnifs ihrer Wichtigkeit für dasselbe sichtbar und oftmals ausdrücklich sich richtet. So legt er, um nur ei- nige Beispiele anzuführen, auf die Geschichie des Germanicus so vor- zügliches Gewicht und behandelt sie mit unverkennbarer Liebe, weil dessen Schicksal entscheidend für den ganzen Staat und den Charak- ter des Principats insonderheit, und weil sen Tod der W endepunct in Tiberius Leben war. Mehrere Begebenheiten unter diesem, namentlich 80 Süvern über den Kunstcharakter des Tacitus. den Procefs des Scribonius Libo, (An. ZI, 27.) erzählt er, weil sie den Anfang oder Fortschritt der Mittel, die Macht des Principats zu befesti- gen und zu despotischer Willkühr zu erhöhen, bezeichnen. Eines bekannten Senatsbeschlusses, der den Syracusanern die für jedes Fech- terspiel vorgeschriebene Zahl von Gladiatoren zu überschreiten erlaubte, erwähnt er ausdrücklich nur wegen der Abstimmung des Paetus 'Thrasea darüber (#n. X/II, 49.), um diesen anzukündigen in dem bedeu- tenden Charakter, den er unter Nero’s Herrschaft im Gegensatz mit die- ser behauptete. Und gleicher Weise deutet Tacitus selbst öfter, auch bei minder wichtigen Anlässen, die Beziehung an, worin er das Ein- zelne heraushebt, und wie er es dem Hauptigedanken seines Werkes unterordnet. Die Annalen und die Historien haben sonach — obwohl man letz- tere mit Unrecht auch als eine blofse Fortsetzung der erstern betrachtet hat, was sie ihrer ganzen Form nach nicht seyn können — in dem Ver- Se meinschaftlichen Inhalt. Die Befestigung und schnelle Ausartung des hältnifs des Principats zum Staatsleben des römischen Volkes ihren Prineipats ist der besondere Antheil der Annalen an demselben, und der Kreis, den er ausfüllt, reicht bis zum Ausgehn des Julischen Geschlechts, wo die Historien sich anschliefsen. Sehen wir ferner auf das Leben und die Bewegung, worin Tacitus den Inhalt seiner Werke gesetzt hat, so erblicken wir darin eine rege Handlung d.h. ein lebhaftes Wirken und Gegenwirken enigegengesetzter Principien, und somit ein treues Abbild der Geschichte selbst, die in Handlung besteht, und einen wahrhaft dramatischen Charakter, der je- dem historischen Kunstwerke im Wesentlichen eigen ist, so wie umge- kehrt die gröfsten Dramen im höchsten Grade historisch , d. h. aus ei- ner so wahren als tiefen Ansicht der Geschichte entsprungen sind, wie die alte Tragödie und Komödie, und von den Neuern am meisten Shakespeare und Göthe beweisen. Auffallender isı nun ebenfalls die Handlung in dem uns übrigen Theile der Historien, als in den Annalen, weil sich dort alles in be- stimmtere äufserlich geschiedne und wieder gleichzeitig auf einander wir- kende Partieen sondert. Das ganze römische Reich, nachdem man ent- 5 deckt, dafs auch anderswo, als in Rom, der Princeps gemacht werden Süvernx über den Kunstcharacter des Tacıtus. an a könne (ı), in allen seinen Theilen ist da in Bewegung um das Principat. Von Germanien und Gallien, vom Oriente, von Pannonien und Ilyrien drängen sich die Massen nach dem durch die Entnervung des Volkes und Heeres und Ausartung des Senats am wenigsten selbständigen Mit- telpuncte, und nach wiederholten raschen Wendungen und Schlägen erfolgt im Herzen des schwankenden Reichs, in dessen Bewegung auch die Barbaren, mit Hoffnung, sich zu befreien, eingreifen, die Enitschei- dung, den Kräfugsten und des römischen Namens Würdigsten als neues Oberhaupt hinstellend, der das Wogen hemmt und das Stürmen wieder beschwichugt. Wenn aber gleich in den Annalen die Handlung minder in Par- tieen zusammengedrängt und der Zeit nach viel ausgebreiteter ist, als in den Historien, so ist sie doch nicht minder vorhanden, beruht vielmehr, wie es bei der Gemeinschaftlichkeit des Hauptinhalts nicht anders seyn konnte, ganz auf denselben Prineipien und Ansichten, welche auch in den Historien wirken und hervortreten. Diese sind die Gröfse und Würde des römischen Reiches und Namens, das Principat und dessen Nothwendigkeit bei dermaliger Lage und Beschaffenheit des Staates und Volks auf der einen Seite, und auf der andern der allgemeine Character der Zeit, dessen Ausartung auch das Streben des Prineipats nach Willkühr und Zügellosigkeit aller Arı begünstigt, und in welchem zwar Spuren ächt römischen Geistes gegen das einbrechende Verderben sich regen, die aber untergehn in der Über- macht, in der allgemeinen Nichtswürdigkeit und Erschlaflung. Eine nätürlichere und in politischer Hinsicht erhabnere Unterlage konnte der Römer, der in nicht gemeinem Style die Geschichte einer Periode auch aus der Zeit seines zerrütteten Vaterlandes schreiben wollte, seinem Werke nicht geben, als dies Vaterland selbst, die alte Roma in ihrer Gröfse und Macht, und die Würde des ächt römischen Characters. Diese war das ewige Ideal, dem alles, was in der bestimmten Zeit auf- trat und geschah, dem Princeps und Senat, Volk und Heer zustreben söllte, der Maafsstab, alle Erscheinungen der Zeit zu messen , auf ihr Heil kam alles an. Wie sehr dahin den Tacitus sein eignes Gemüth (1) Hist. I, 4. Evulgato imperü arcano, posse principem alıbi, guam Romae, fieri. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. L 82 Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. zog, offenbart sich in der unverkennbaren Theilnahme , womit er alles begleitet, was zu Roms Verherrlichung gereicht, und die ihn hin und wieder wohl zu einiger Parteilichkeit, verleiten mag (1), in der Liebe und Auszeichnung, womit er alles behandelt, woraus römische Zucht und Denkart im Staate wie im Heere, im öffentlichen wie im Privat- leben , hervorleuchtet , so wie in dem innigen Widerwillen, dessen er kein Hehl hat gegen alles, worin Entartung des römischen Characters in der öffentlichen Sitte wie im Benehmen Einzelner sich zu erkennen giebt, und der hiedurch gereizten Stimmung, die sich oft im Style selbst ausdrückt (2), in dem Selbstgefühle, womit er bei bedeutenden Gele- genheiten Roms Ehre und Gröfse durch die von ihm gebrauchten Aus- drücke sich mit zueigneı (5), in den häufigen Rückblicken in die alten besseren Zeiten und Sitten des römischen Volks, welche durchaus nicht immer eine blofs antiquarische Bedeutung haben (4). Was also ein (1) So scheint er die Thaten der Römer in Germanien etwas auszuschmücken und ihre ungünstigen Erfolge zu beschönigen. Dafs z. B. die erste Schlacht des Germanicus gegen Arminius nicht, wie Tacitus sagt, unentschieden geblieben sey (An. I, 65. et aequis manibus abscessum), und dafs er das Unglück der Römer lieber habe andeuten als erzählen wollen, macht die Art und der Ton der Erzählung selbst, der plötzliche Rückzug des Heeres, das nahe und fortdrängende Nachrücken der Feinde und deren gleich erfolgende so schnelle Ausbreitung, dafs sie kurz darauf das Castell Aliso an der Lippe belagern (An. IT, 7.) mehr als wahrscheinlich. (Vergl. Mannert Geographie der Gr. und Römer, Th. 5, $. 98. Cellarius de expeditionibus Germanici in dessen opusculis academicis, 8.55.) Auch die Schlacht auf dem campus Idistavisus war schwer- lich so entscheidend, als sie freilich Germanicus eigne Inschrift an dem auf dem Schlacht- felde errichteten Tropäum (An. I/, 22), nicht eigentlich Tacitus, vorstellt. (Mannert a.a.0. S. 115. Justi von den römischen Feldzügen in Deutschland, (Leipzig 1748) S. ır.) Auch von der Niederlage der Britten durch Suetonius Paullinus (An. A1Y, 57.) läfst sich Ähnliches sagen. (2) Über den Einflufs des patriotischen Gefühls des Tacitus, hauptsächlich auf seine Manier, sagt viel Wahres Hegewisch in der Abhandlung über den schriftstellerischen Character des Tacitus. S. dessen historische und literarische Auisätze S. 77 folg. (5) u. a. An. IV, 5. Et alüs regibus, qui magnitudine nostra proteguntur ad- versum externa imperia. An. II, 16. vor der Schlacht auf dem campus Idistavisus : Noster exercitus sie incessi. (4) wa. An. I, 72 bei Gelegenheit des Majestätsgesetzes. X, 20. Corhulo’s Aus- ruf: beatos guondam duces Romanos. Ib. 5, 22, bei Gelegenheit der Quästur: Apud maiores virtulis id praemium Juerat. XII, 25. hei dem ius proferendi pomoerü: Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. 3 blofs besonnener und seine Aufgabe recht verstehender Historiograph derselben Zeiten als Hauptmotiv ihrer Geschichte erkannt und benutzt haben würde, das gewinnt in Tacitus Werken durch seine römische Natur und Persönlichkeit ein so wahres und eigenthümliches Leben, dafs, wenn das Urtheil eines geistreichen Kritikers vom Leben des Julius Agricola: ‚‚Nach der Denkart, die in ihm herrsche , sey die höchste ‚Bestimmung des Menschen, mit Erlaubnifs des Imperator zu twiumphi- ‚„ren!” den Sinn hat, in ihm gehe das Ideal des Menschen in dem des Römers auf, dies Urtheil eine viel begründetere Anwendung auf die übrigen Werke des Tacitus findet (1), indem selbst die vortheilhaften ‚Schilderungen der alten Deutschen in der Germania, so weit sie auf all- gemeine Tugenden gehn , weniger in allgemein menschlicher Beziehung, als im Gegensatze mit dem Verderbnifs des vordem auch mannhaften und strengen römischen Nationalcharacters zu nehmen sind (2). Als Tadel könnte aber jenes Urtheil ohne ungehörige Verrückung des gan- zen Standpunctes nicht gemeint seyn. Denn was anders konnte der rö- misch gesinnte Historiker wünschen , dafs sich überall im Staate mögte geltend gemacht haben, als Römertugend und Römerchre. Diese waren der Lebenstrieb, welcher, der natürlichsten Forderung nach , das ganze römische Wesen durchdringen sollte, der also auch überall in Tacitus Werken, sey es positiv oder negativ, durchscheinen mufste. Nec tamen duces Romani, quamquam magnis nationibus subactis, usurpaverant, nisi L. Sulla et D. Augustus. Hist. II, 69. Et vires luxu corrumpebantur contra wvete- rem disciplinam et instituta maiorum, apud quos wirtute quam pecunia vis Romana melius stetit. III, 72. beim Brande des Capitols: Id facinus post conditam urbem luetuosissimum foedissimumque reipublicae populi Romani accidit etc. _Vornehmlich III, 51. Sed haec aliaque ex veteri memoria pelita, quoliens res locusque exempla recti aut solatia mali poscet, haud absurde memorabimus. (1) Denn jener Ausspruch (Athenäum, B, ı, St. 2, S. 59.) ist in Hinsicht auf den Julius Agricola nur halb wahr. In der Stelle, worauf seine Beziehung sich concen- trirt (c. 44. Quippe et vera bona, quae in wirtutibus sita sunt, impleverat, et con- sularibus ac triumphalibus ornamentis praedito quid aliud adstruere fortuna poterat?) wird die innere menschliche Vollkommenheit von jenem Gipfel äufserer Gröfse mit Ausdrücken der stoischen Schule sehr bestimmt unterschieden. (2) Besonders Germ. 19. 20. Vergl. Rühs ausführliche Erläuterung der zehn ersten Kapitel der Schrift des Tacitus über Deutschland S. 56. folg. T .2 84 Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. Wo aber sollte er gesunder und kräfuger leben, als in dem Ober- haupte, welchem der von krampfhaften Bürgerkriegen zerrüttete Staat sich anvertraut hatte? von wem hing es mehr ab, ob er überall frei sich regen und den Staatskörper durchdringen könne, als von dem Princeps ? Sonach mufste in einer wohl angelegten Geschichte Roms aus den Zei- ten des Principats dieses selbst als ein Hauptelement der Handlung mo- uyirt werden. Die im Tacitus ausgedrückte Grundansicht desselben ist ganz aus der Wahrheit geschöpft und dem damaligen Stande der Sachen angemes- sen, und es ist nicht unwichüg, sie näher zu erörtern, da auch über Tacitus politische Gesinnung noch unbestimmte Vorstellungen herrschen. Ausgehend nehmlich von dem Erfahrungssatze, ‚,dafs Herrschbegierde „unter den Menschen alt und ihnen eingepflanzt sey’’ (Hıst. 11, 58.), und gestützt auf die daraus erklärten Thatsachen der römischen Ge- schichte, ,‚,‚dafs die ursprüngliche Gleichheit nur so lange der Staat ‚klein war habe bestehn können, dafs bald, bei zunehmendem Wachs- „ihum der Herrschaft, das Ringen der grofsen Gliedmaafsen der Verfas- „sung mit einander begonnen habe und darauf in die blutigen Kämpfe ‚der Parteihäupter um das Prineipat übergegangen sey, dafs fer- ner ‚‚nach zwanzig Jahren der Zwietracht, wo nicht Sitte noch Recht ‚galt, das Schlechteste ungestraft war, das Gute ofı Verderben brachte” (An. III, 23.), ‚‚die durchgängige Erschöpfung nach den Bürgerkrie- ‚„„gen unter dem Namen des Prineipats Augustus Herrschaft herbeige- ‚„„führt’’ (An. I, ı.), und ‚‚Erhaltung des Friedens Übertragung der ‚höchsten Gewalt an Einen erheischt habe” (1), verbindet sich jene Grundansicht, wahrscheinlich in Beziehung auf die Meinungen alter Po- litiker, und selbst des Cicero (2), mit dem allgemeinen politischen Grund- satze, ‚‚dafs eine aus Demokratie, Aristokratie und Monarchie zusammen- ‚‚ gesetzte Staatsverfassung leichter gepriesen werden, als entstehn, oder, ‚wenn sie ja entstanden, nicht dauerhaft seyn könne’ (An. IV, 55.), und stellt die Bestäigung dieses Grundsatzes in dem scharfen und bün- (1) Hise. I, 1. Omnem potestatem ad unum conferri pacis interfuit. (2) Aristoteles polit. II. cap. 5, $. 10. ed. Schneider. Polybius VI, 5. Cicero de republica I, 29. 55. 45. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 55 digen Abrisse der Regierungsmaafsregeln des Augustus, „wodurch das ‚„„ganze Verhältnifs des Staats umgekehrt worden, vom alten ursprüng- „lichen Character jede Spur verwischt, alles, der Gleichheit sich ent- ‚„‚schlagend, auf des Princeps Befehle zu achten gewöhnt sey’’ (An. 1, 4.), an die Spitze der Annalen. Daraus ergiebt sich die Anerkennung der Nothwendigkeit des Principats, welche Tacitus am deutlichsien ausspricht in Galba’s Worten bei der Adoption des Piso (Hist. 7, 16.): ‚Wenn ‚der unermefsliche Körper des Reichs ohne Herrscher bestehn und im ‚Gleichgewicht bleiben könnte, so war ich würdig, die Republik zu be- ‚„‚ginnen; nun aber ist es schon längst zu der Nothwendigkeit gediehen, „dafs mein Alter dem römischen Volke nichts mehr schenken kann, als ‚„‚einen guten Nachfolger, noch deine Jugend mehr, als einen guten ‚, Princeps.’’ Nicht also auf Rückkehr zu einer freien Verfassung, de- ren das Volk längst unfähig geworden war, wenn es auch, sich selks nicht recht kennend, in den ersten Zeiten des Principats einige Hofl- nung darauf unterhieit (1), kommt es im Tacitus an, sondern allein auf des Oberhauptes Beschaffenheit. Der ebenfalls in Galba’s Worten @Hist#7,: 169 „Über Menschen wirst du gebieten, welche weder die ‚volle Knechtschaft ertragen können, noch die volle Freiheit,’ richtig gezeichnete Character des Volks hat nach Tacitus das entsprechende Ideal eines Princeps gefunden in dem von ihm gepriesenen (2) ‚,seeligen Zeit- „alter, in welchem Nerva zwei vorher unverträgliche Dinge, das Prin- ‚„‚ecipat und die Freiheit, mit einander verschmolzen hatte, und Nerva ‚, Trajanus täglich das Glück des römischen Reiches vermehrte.’ In solcher Zeit, unter einem Oberhaupte, das Mäfsigung genug besafs, sich selbst in den Grenzen der Verfassung, wenn auch nur nach dem be- kannten Senatusconswito de V 'espastani imperio, zu halten, konnte, nach Taeitus Meinung, die Majestät des Reiches mit der Wohlfahrt der Einzelnen bestehn und römischer Geist und Character sich entwickeln. Aber freilich konnte sie Tacitus nur für ein ‚, seltenes Glück’ (5) halten, (1) An. I, 4. Pauci bona libertatis incassum disserere. cf. c. 55. (2) Jul. Agrie.. 3. cfec. 44» (5) Hist. I, ı. Rara temporum felicitate, Hegewisch über die für die Menschheit glücklichste Epoche in der römischen Geschichte S. 156. folg. 86 Süvsnrn über den Kunstcharacter des Tacıtus. mit geringem Glauben an dessen Dauer (1). Und wenn nun das Ge- schick und das Verführerische der Macht lasterhafte, despotische und blutdürstige Herrscher herbeiführte, so konnte es nach ihm auf kei- nen Fall Herstellung der Republik unter ‚‚einem so verdorbenen Ge- ‚„„schlechte’’ (2) seyn, was dann zu erstreben war, und worauf demzu- folge die Handlung in den Annalen sowohl als in den Historien bezo- gen werden konnte. Diese Grundansicht vom Principate erhellet auch aus der Anwen- dung, welche Tacitus in Hinsicht auf das Benehmen Einzelner in selbi- 5, ger Staatsverfassung von ihr macht, aus der Lehre, welche der römische Staats- und Geschäftsmann von ihm entnehmen soll. Die Absicht auch einer solchen oder ähnlichen Anwendung ist mit der Würde und Selb- ständigkeit eines Werkes der historischen Kunst so wenig unverträglich, als auch ein didactscher Zweck mit einem Werke der Dichtkunst, und dafs Tacitus sie wirklich gefafst habe, läfsı sich selbst gegen den etwas zu raschen und zu starken Ausspruch eines den Historiker übrigens schön würdigenden Schriftstellers (5) nachweisen. Denn viel Lehrreiches über Staats- und Regierungskunst überhaupt schon ist in Tacitus Werken niedergelegt; aber als sein eigentlicher pragmatischer Zweck in Anse- hung der meisten einzelnen von ihm aufgenommenen Thatsachen er- scheint, besonders in den Annalen, den Character des Principats und sei- rer verschiedenen Gestaltungen zu schildern, damit man ersehe, wie un- ter demselben, und selbst in mifslichen Zeiten, der verständige Mann mit Würde bestehn, und die von beiden Seiten gefährlichen Klippen vermeiden könne. Er gehe so ins Einzelne, erklärt er an einer schon (1) S. die oben angeführte Stelle An. IF, 55. Die Worte im Jul. Agricola 1. c. nec spem modo ac votum securitas publica, sed ipsius voti fiduciam ac robur adsump- serit, gehn nur auf die wirklich vorhandene Gesetzmäfsigkeit und allgemeine Sicherheit n - % unter Trajanus. (2) Hist. II, 57. Corruptissimo saeculo. (5) Fr. Passow über Tacitus Germania in Wachlers Philomathie B. ı, S. 56 u. 57. „Und gewifs war auch Tacitus von der Würde seines Berufs genugsam erfüllt, um in „der Geschichte die Lehrerin und Wohlthäterin des Menschengeschlechts zu erkennen, „ohne ihr erst fremdartiges Nebenwerk aus wohlfeiler Sittenlehre und trüglicher Lebens- „‚klugheit anzufälschen.” Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. 37 benutzten Hauptstelle (An. IV, 55.), ‚‚weil Wenige durch Einsicht „das Gute vom Schlechten, das Nützliche vom Schädlichen unterschei- „den, die Meisten durch Andrer Schicksaale belehrt werden”. Was er in dieser Beziehung bei Erwähnung des M. Lepidus (An. IV’, 20.) als eines Mannes von würdigem und weisem Character, ‚‚der von den ‚„‚übertriebenen Schmeicheleien Andrer Vieles zum Bessern gelenkt, und ‚„‚dabei doch Maafs zu halten gewufst, da er in gleichmäfsigem Ansehn ‚und Gunst bei Tiberius gestanden habe, ’’ zweifelhaft äufsert, ‚‚ob Zu- „‚neigung der Fürsten gegen diese, Widerwille gegen andre, durch das ‚, Verhängnifs und das Loos der Geburt bestimmt werde, oder ob etwas ‚in unserm Betragen liege, und es möglich sey, zwischen gefährlichem ‚„‚Starrsinn und verächtlicher Kriecherei eine Bahn zu wandeln frei von ‚„‚Ehrsucht und von Gefahren,” das stellt er im Agricola (e. 42.), wo er von diesem rühmt, ‚, Domitianus, obwohl jähzornig, und je versteck- & und 5 ‚„‚ Klugheit besänftigt worden, weil jener nicht durch eiles Grofsthun ‚ter desto unversöhnlicher, sey dennoch durch Agricola’s Mäfsigun ‚und Freisinnigkeit das Gerücht und Geschick herausgefordert,'' so be- stimmt und stark hin, dafs man nicht zweifeln kann, er habe, wahr- scheinlich aus eigener Erfahrung, da er selbst unter Domitianus nicht nur sich erhalten hatte, sondern auch gestiegen war, eben auf diese Lehre grofses Gewicht legen wollen. ,‚,Wissen sollen,’ spricht er, ‚‚ die steten Bewundrer des Unerlaubten, dafs auch unter schlimmen Für- ‚„‚sten grofse Männer bestehn können, und dafs Fügsamkeit und Mäfsi- ‚„‚gung, mit Geschick und Thätgkeit verbunden, zu derselben Stufe des ‚„„Lobes gelangen, auf welcher die Meisten mittelst verwegener Thaten, „aber ohne allen Nutzen für den Staat, durch ehrsüchtigen Tod be- ‚„‚rühmt geworden sind.’”” Und zwei Männer zeichnet er noch aus, wahr- scheinlich in keiner andern Absicht, als zu Beispielen für diese Lehre, den Pontifex L. Piso unter Tiberius (An. FT, 10.), ‚‚welcher, selten „auf so glänzender Stufe, eines natürlichen Todes starb, der nie eines ‚„‚ knechtischen Antrags Urheber war, und bei eindringender Nothwen- „digkeit weislich mäfsigte,’’” und den Memmius Regulus unter Nero (An. XIV, 47.), „welcher durch Würde, Festigkeit, guten Namen ‚„‚glänzte, so weit es bei überstrahlender Hoheit des Herrschers möglich ‚‚1st,” den Nero, von einer Krankheit ergriffen, sogar als Nachfolger 35 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. für den Fall seines Todes bezeichnete, und welcher demohngeachtet, von diesem unbeneidet, nachher noch lebte, und eines natürlichen To- des starb. Auf der andern Seite aber ist, mit Vorsicht und-Würde zu leben, dem Tacitus nicht das Einzige und Höchste, und konnte es nach seiner römischen Denkart auch nicht seyn. Dazu hebt er viel zu bedeutsam aus alle Züge von Freimüthigkeit, wo es darauf ankam, von Seelengröfse und Muth selbst im Tode, und belegt mit zu oflner Verachtung das Gegentheil, wie er denn ganz besonders auszeichnet die Freigelassne Epi- & unter 5 Nero, durch die Folter zerfleischt, als sie des folgenden Tags zu neuer charis, welche bei Untersuchung der Pisonischen Verschwörun Marter gewagen wurde, sich selbst erdrossehe (An. XY’, 57.), „mit „um so glänzenderm Beispiele, eine Freigelassne, ein Weib, in so grofser ‚„‚Noth Fremde und wohl gar Unbekannte verschweigend, während Frei- ‚„‚geborne, und Männer, und römische Ritter, und Senatoren , unbe- „rührt von der Folter, jeder seine eignen theuersien Pfänder verriethen,” und hingegen über die ‚‚sclavische Geduldigkeit” der vielen Opfer, die bei Gelegenheit der nehmlichen Verschwörung und bald darauf ,‚,so ‚„‚„thatlos umkamen ‚” sich innigst betrübt und ihrer von Herzen müde erklärt (An. XYT, ı6.). Hieraus kann man folgern, dafs, wenn Tacitus auch als Welt- und Geschäftsmann vielleicht der Regel geneigter ist, welche Eprius Marcellus im Senate aufstellt (Hist. IF, 8.): ‚Gute ‚„‚„Herrscher zu wünschen, wie sie immer seyen, sie zu ertragen," oder die Petilius Cerialis den empörten Treverern und Lingonen giebt (Hist. IV, 74.): ‚Wie Mifswachs, oder Platzregen, oder andre Land- „plagen, so ertraget der Herrscher Üppigkeit und Habsucht,” doch sein Gefühl als Römer sich gegen die äufserste Befolgung dieser Regel ge- stwäubt und eine Grenze derselben gegen das Übermaafs blutiger Will- kühr, wie der des Nero, anerkannt habe. Dies mögte demnach die Summe der ganzen im Tacitus herrschen- den Ansicht vom römischen Prineipate seyn: Dasselbe’ sey notlıwendig bei der Lage und Gröfse des Reichs und dem Character des Volks; für die unter ihm Lebenden und zumal auf dem Schauplätze der öffentlichen Geschäfte Handelnden komme es darauf an, sich mit Würde und Klug- heit zu benehmen, den Herrscher nicht ohne Noth zu reizen, ihm nicht Süvenn über den Kunstcharacter des Taeitus. sg kriechend zu schmeicheln , müsse es dennoch seyn, auf eine des Rö- mers würdige Art zu fallen, aber doch auch nicht übergeduldig die grausamen Launen der Tyrannei zu ertragen. Diese Ansicht steht also nicht im Widerspruche mit dem Geiste des Römerthums, welcher den Grundzug im Character des Tacitus ausmacht. Ja es ist die Frage, ob sein pragmatischer Zweck nicht auch auf die Principes selbst mit gerich- tet sey, ob seine Darstellungen nicht auch diesen zum Spiegel der Be- lehrung und Warnung dienen sollten. Er selbst spricht sich zwar nir- gendwo hierüber aus, konnte es auch nicht wohl, und aus andern Spu- ven läfst sich bei der fragmentarischen Gestalt, worin wir seine Haupt- werke besitzen, nicht bestimmt darüber urtheilen. Allein seine politische Denkungsart, seine Lobpreisung des Nerva und Trajanus, und die All- gemeinheit seiner Erklärung (An. III, 65.), ‚‚er halte es für das vor- ‚„‚nehmste Geschäft der Annalen, dafs Tugenden nicht unbekannt blie- „ben, und schlechten Reden und Thaten Furcht vor der Nachwelt „und der Schande erzeugt würde,” giebt jener Annahme einige Wahr- scheinlichkeit. Wie nun der allgemeine Character der Zeit im Princeps wie im Volke sich verhalte zu der Idee des ächtrömischen Characters im Gan- zen wie im Einzelnen , das drückt sich aus in dem Conflict zwischen diesem und jenem, in welchem die eigentliche Handlung der Anna- len besteht. „Nicht alles ,” spricht zwar Tacitus (4n. III, 55.), ‚‚war bei ‚„‚den Vorfahren besser, auch unsere Zeit hat viel Feines und Löbliches, ‚„‚den Nachkommen zum Beispiele, hervorgebracht;” aber gewisser- maafsen sich tröstend über das bei weitem überwiegende Verderbnifs, welches er so tief fühlt und ofı so stark dem, was eigentlich seyn sollte, gegenüberstellt. Dies Verderbnifs hatte die bürgerlichen Kriege und die Auilösung der Republik herbeigeführt ; wie konnte sein Fortschritt und seine Wirksamkeit still stehn unter Gewalthabern, deren eigensüchtigem Streben nichts mehr zusagte, als Einschläferung des Volkes, nichts we- niger, als dessen Rückkehr zu väterlicher Gesinnung und Sitte? Was in dieser Hinsicht das frühere Zeitalter, was Augustus als Princeps vor- bereitet hatte, dessen zunehmendes Wachsthum und Vollendung zeigen uns die Annalen. Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. M 90 Süvzenn über den Kunstcharacter des Tacitus. Man sieht in ihnen , wie das Prineipat auf dem von Augustus gelegten Grunde durch List und Gewalt, durch Anwendung der von jenem geerbten und neugewonnenen Maximen der Herrschaft (arcana imperü), durch feine Benutzung selbst verfassungsmäfsiger Formen, durch Wegräumung aller wirklichen und möglichen Gegner, durch Aufbietung der Selbstsucht zu Falschheit und Verrath, durch Beschwich- ugung des Volks in Wohlleben und Zerstreuung, unterstützt und ge- veizt von Weibern , Freigelassnen und Vertrauten (amici), begünsugt von der durch alle Stände herrschenden Stimmung, und trotzend auf die Schwerter der Prätorianer, mit unglaublicher Schnelligkeit zu unum- schränktem Despotismus heranwächst, der in Tiberius tückischer immer gespannter Schlauheit und consequenter Bosheit noch einen kräftigen gehaltnen Character behauptet, aber in Caligula’s, von einem leider ver- lorenen Theile der Annalen geschilderter, Tollheit, in Claudius Indolenz und Nero’s Eitelkeit, Üppigkeit und kalter Grausamkeit, ausgelassen und aller Rücksicht entbunden , des leicht und völlig errungenen Sieges ge- niefst, und sich alles erlaubt, was nur Übermuth , Zügellosigkeit und Menschenverachtung der Schlaffheit und Niederträchtigkeit bieten darf. Die mit einander in diesem Confliete ringenden Prineipien treten durch den grellen Contrast zwischen dem täuschenden Scheine und der wahren Absicht und That, zwischen dieser und dem Bessern, wogegen sie gerichtet ist, den 'Tacitus so scharf aufzufassen und sichtbar zu machen weils, schr bestimmt nnd thätig hervor. Schon unter Augustus ist Prin- ceps der Name, die Sache /mperium (1). Tiberius läfst sich zuerst von den Consuln schwören, ‚von denen er alles begann, wie wenn die Re- „publik noch bestände, und er unschlüssig wäre zu herrschen” (An. 7, 7.11. 12.), und vom Senate das Principat aufdringen ; aber des Heeres hat er sich gleich versichert und Wachen begleiten ihn in die Curie wie auf das Forum. Herrn will er, gleich dem Augustus, sich nicht nennen lassen, aber die Freiheit hafst und fürchter er (An. II, 87.); spricht (1) #n.T, 1. Um Mifsverständnisse mancher Art zu verhüten, ist es vielleicht nicht überflüssig, zu bemerken, dafs es hier, und überhaupt in dieser Abhandlung, auf Darle- gung der römischen Geschichte lediglich, wie sie im Tacitus und nach seiner Ansicht erscheint, ankomme. Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. 91 von Herstellung der Republik (#n. IY’, 9.), aber zerstört oder enı- kräftet was von republikanischer Form und Gesinnung noch übrig ist. Durch glänzende Verheifsungen über sein Regierungsverfahren täuscht Nero den Senat (An. AJ1I, 4.); aber welch einen schneidenden Gegen- satz dazu bildet seine Regierung selbst! Jene von der Republik geerbtien Verfassungsformen sind gröfstentheils in ihrem gewiesenen Gange, aber schon in der ersten bessern Zeit des Tiberius in wichugen Sachen ohne Bedeutung, oft nur zum Schauspiele, wie wenn das Alte noch wirklich bestände (1), oft als Deckmantel für die Absichten des Machthabers (2), und bedroht und untergraben, selbst wo ihnen mit schönen Worten das Ansehn der gröfsten Freiheit gegeben wird (5). Die Gesetze, unter alten Namen, werden zu Waffen in den Händen der Herrschsucht und Hab- sucht; wo sie Schwierigkeiten machen, weifs die Verschlagenheit sie durch neue Wendungen zu umgehen (4), und die Freiheit der Rechts- pflege im Senate, selbst in den Gerichten (5), wird gebunden unter den gefürchteten Augen, oder der Beobachtung, und durch die Weisungen des Cäsar, lange vorher ehe Schaaren Bewaflneter um den Senat dro- hender die Entscheidung erzwingen (An. X7/71, 28.). Rühmliche Kriegs- thaten in Germanien und Britannien , im Orient und in Afrika, bewäh- ren die.noch nicht ausgegangene römische Tapferkeit; aber die Eifer- sucht des Imperator hemmt die glorreichsten Feldherrn mitten im Lanfe ihrer Siege (An. II, 5. 26. XI, 20.), und läfsı schimpfliche Niederlagen (1) #n.I, 77. Bei der Intercession eines Tribun im Senate: Siülente Tiberio, qui ea simulacra libertatis senatui praebebat. III, 60. Sed Tiberius, vim principatus sıbi fir- mans, imaginem libertatis senatui praebebat, postulata provinciarum ad disquisitionem patrum mittendo — magnaque eius diei species fuü, cf. II, 51. III, >25. (2) An. IV. 19. Proprium id Tiberio fuit, scelera nuper reperta priscis verbis obtegere. (5) An. I. Sı. Bei Gelegenheit der Consulwahlen: ‚Speciosa verbis, re inania aut subdola, quantoque maiore libertatis specie tegebantur, lanto eruptura ad infensius servitium. (4) An. II, 50. Callidus et novi luris repertor Tiberius. (5) An. I, 75. Nec patrum cognitionibus satiatus iudieüs adsidebat in cornu tribu- nalis, ne praelorem curuli depelleret, multaque eo coram adversus ambitum et polen- tum preces constituta ; sed dum weritati consulitur, libertas corrumpebatur. M 2 92 Süvzenrn über den Kunstcharacter des Tacitus. ungerächt, damit nur durch Tapferkeit und Kriegsglück sich niemand erhebe (1). Das von Augnstus schon, sey es aus ähnlichem Grunde, oder aus Einsicht in die durch die Gröfse des Reichs gebotene Nothwen- digkeit, angenommene (#n. J, ı2.), von den Nachfolgern auf jeden Fall aus staatsklugem Neide befolgte, System, die Grenzen nicht zu erwei- tern, die Auswärtigen mehr durch listiige Unterhaltung innerer Zwie- aracht, als mit den Waffen in der Hand, zu bekämpfen (An. IT, 20.64), kündigt wenigstens den Sullstand der römischen Welteroberung an, und vielfache Empörungen der Heere, von den zügellosesten Ausschweifun- gen begleitet, die Auflösung der alten Kriegszucht, welche einzelne Bei- spiele strenger und entschlossener Anführer, eines Blaesus, Apronius, Corbulo, nicht hemmen. Römischer Geist bewährt sich noch im Le- ben und in Handlungen, in freimüthigen Reden und Urtheilen ausge- zeichneter Männer und Frauen, welche durch Adel des Geschlechts oder der Gesinnung an alte Zeiten erinnern, eines L. Arruntius, Cn. Piso (An. T, 74.), L. Calpurnius Piso (An. IT, 54.), Cremutus Cordus, Helvidius Priscus, Paetus Thrasea, vor allen des Germanicus und der ältern Agrippina ; allein hervorstechendes Verdienst ist nicht beliebt (2), und was über das Gewöhnliche sich erhebt wird gefürchtet, beargwohnt, verfolgt, und büfst gemeiniglich seinen Werth mit dem Leben. Dage- gen umstrickt Schmeichelei (5) die Herrscher, und jener Grundsatz von der zur Erhaltung des inneren Friedens nothwendigen Einheit der Herr- schaft wird nicht blofs von selbstsüchtigen Rathgebern, um Verfolgung der ihren Absichten im Wege Stehenden anzufachen, gemifsbraucht (4), sondern dient allgemein den empörendsten Greuel- und Gewaltuthaten zur (1) An. IV, 74. Clarum inde inter Germanos Frisium nomen, dissimulante Tiberio, ne cut bellum permiltteret. (2) An. I, So. von Tiherius: Neque enim virtutes sectabatur, et rursum vitia ode- rat; ex optimis periculum sibi, a pessimis dedecus publicum metuebat. (5) An. II, 52. Vetus id in republica malum. (4) So reizt Seianus den Tiberius gegen Agrippina und ihre Kinder An. IF, ı7: Di- ductam civitatem ut civili bello, esse qui se partium Agrippinae vocent, ac ni resistatur, Ffore plures, neque aliud gliscentis discordiae remedium, quam si unus alterve maxime promti subverterentur. Süvenn über den Kunsicharacter des Tacitus. 93 Beschönigung und Vertheidigung (1). Wenn auch ein reinerer Volkssinn in mancher dreisten Rede und Äufserung sich regt (An. I, 46. II, 82. III, 2. V,5. XIV, 61.), so ist er doch zu unbeständig und schwach, und verliert sich in der vom Pallaste und von der Curie aus tönenden Summe, die alles, auch die abscheulichsten Frevel eines Nero, als Grofs- thaten rühmt (2), und Mutter- und Gattinnen-Mord durch Dankfeste und Triumphe feiert (5). Knechtsinn der höheren Stände, dessen Spur durch die Annalen von Anfang (4) bis zu Ende hinläuft, spricht sich dagegen mit solcher Schaamlosigkeit bei jeder Veranlassung aus, dafs schon der zum Kampfe selbst mit freierer Gesinnung gefafste Tiberius ihn zu entgegenkommend und verächtlich findet, und so oft er die Curie verläfst, ausruft: ‚,O der zur Knechtschaft willigen Menschen’ (5)! Die Ansteckung, welche von den Lastern der Herrscher, ihrer Weiber und top} Günstlinge ausgeht, die Gelegenheit und selbst Aufmunterung zu den frechsten Ausschweifungen, welche sie darbieten, mufs die Sitte vollends verpesten und die Kraft brechen, und so kann der Despotismus gedei- hen und wuchern in dem Boden allgemeinen Verderbnisses, den er selbst bearbeitet und pflegt. Die Entdeckung wirklicher und vorgegebner Ver- schwörungen, wie die des Seianus, werden nur benutzt, die Guten mit (1) An. XIT, ı7. heifst der an Britannicus begangene Brudermord des Nero fucinus, cui plerique etiam hominum ignoscebant, antiquas fratrum discordias et insociabile regnum aestimantes. Ähnlich wird der Mord des Flavius Sabinus beurtheilt Hist. IIT, 75. und die Hinrichtung des jüngern Vitellius Hist. IF’, So. (2) An. XIV, 60. Postguam cuncta scelerum suorum pro egregüs accipi videt. (5) 4n. XIV, 10 - ı5 und 64, wo Tacitus anmerkt: Quod ad eum finem memoravi- mus, ut quicumque casus temporum illorum nobis wel alüis auctoribus noscent prae- sumtum habeant, quotiens fugas et caedes iussit princeps, totiens grates Deis actas, quaeque rerum secundarum olim tum publicae cladis insignia fuisse. (4) An. T, 2. Caeteri nobilium, quanto quis servitio promtior, opibus et honoribus extollerentur. c.7. It Romae ruere in servitium consules, patres, eques, quanto quis inlustrior tanto magis falsi et festinantes. (5) An. III, 65. O homines ad servitutem paratos ! seilicet ilum, qui libertatem publicam nollet, tam proiectae servientium patientiae taedebat. Vergl. IV, 74. vom Seianus: ‚Satis constabat auctam ei adrogantiam , foedum illud in propatulo servitium speclanti. 94 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. den Schlechten zu verderben , die Versuche Anderer gegen die des Reiches Verfall beeilende T'yrannei (1), wie die Pisonische Verschwö- rung, scheitern an der Theilnehmer Unvorsichtigkeit, Unentschlossenheit und Verblendung, und schlagen zu noch gröfserer Niederlage aus. Rö- mischer Character kann sich häufig nur bewähren und vor der Menge auszeichnen durch Muth und Standhaftigkeit im Tode, und die Erinne- rungen an die Vergangenheit werfen nur ein um so trüberes Licht auf die der grofsen Vorzeit unwürdige Gegenwart. Was sich demnach als die Handlung der Annalen kund giebt und man als solche näher bezeichnen kann, ist der Todeskampf des alten Römergeistes im Ringen nicht so wohl mit dem Principate, als mit dem um sich greifenden Verderben , wovon das in Despotismus ausartende Prineipat Hauptsymptom und wechselwirkende Ursach zugleich ist. Betrachtet man weiter die Form und den Gang der Handlung in den beiden grofsen Geschichtwerken des Tacitus, so mögte wohl mancher beim ersten Anblick in einen Ausspruch (2), welcher dieselben für ganz kunsilos erklärt, und dafür hält, Tacitus habe, wie Thukydides, haupt- sächlich nur auf Genauigkeit bedacht, sich überall nur an die Zeitfolge gehalten , einzustiimmen geneigt seyn. Allein oflenbar hat der Urheber dieses Ausspruchs nur die Annalen im Auge gehabt, sich der Historien nicht besonnen, sodann auch daran nicht gedacht, dafs selbst durch die Zeit getrennte Begebenheiten dennoch auf einander hinweisen und in in- nerm und äufserm Zusammen- oder Entgegenwirken stehn können, und dafs gerade die Auflassung und lebendige Darstellung dieses Zusammen- hangs das Schwierigste, und wo es gelungen das Kunstvollste ist. Die historische Kunst hat diese Aufgabe mit der dramatischen gemein, deren Hauptgeschäft es auch ist, die Wechselwirkung durch Zeit und Raum (1) An. AV, 50. Dum scelera principis, et finem adesse imperü, deligendumque qui fessis rebus succurreret, inter se aut amicos laciunt. (2) Fr. Roth a. a. ©. S. ı6. Es ist auch nicht immer, wie es hier heifst, um auszuruhn von den einförmigen Geschichten des Innern, dafs Tacitus die Zeitfolge ver- läfst, und etwas länger bei auswärtigen Händeln verweilt, sondern dies geschieht auch des Zusammenhangs wegen. An. XII, 40. Haec, quamquam a duobus, Ostorio Di- dioque propraetoribus , plures per annos gesta, coniunxi, ne divisa haud perinde ad memoriam sul valerent. XIII, 9. Quae in alios consules egressa coniuni. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. ) a oft sehr gesonderter, aber dynamisch einander naher, Begebenheiten und Personen zu einem bestimmten Resultate anschaulich zu machen. Jede von beiden leistet dies in der ihr eigenthümlichen Form , diese indem sie ein Bild der Handlung unmittelbar vor Augen stellt, jene indem sie durch die Art ihres Vortrags und ihre ganze Behandlung die innere An- schauung anregt und leitet, sich ein solches zu entwerfen und die Hand- lung zu construiren. Sie vermag, sich dabei der wesentlichsten Mittel und Momente des Drama völlig zu bedienen, und die Anschaulichkeit und Wirkung desselben dadurch zwar nicht zu erreichen, aber doch in einem hohen Grade sich ihr zu nähern. Was hiezu gehört liegt in dem Leben und der Geschichte selbst, dem Urbilde des Drama wie der Historie. Der Sinn dafür, es wahr- zunehmen, und die Geschicklichkeit, es zu einer vollen lebendigen Dar- stellung Jer Handlung zu verarbeiten, ist dem historischen Künstler nicht minder erforderlich , als dem dramatischen. Das Product des er- stern ist zwar minder sinnlich, kann auch nicht gleich unmittelbar wir- ken, wie das des letztern in theatralischer Vorstellung, die seine Bestim- mung erst vollendet; aber eine nicht minder tiefe, und im Einzelnen noch entwickeltere, Anschauung kann es hervorbringen. Die äufsere Zerstreuung der Bestandtheile einer Handlung kann und darf es nicht, wie das letztere, aufheben ; vermag aber, das dem gewöhnlichen Blicke verborgne Gewebe, worin jene verflochten sind, aufhellend, nicht min- der das Leben in seiner vollen Wahrheit, wie die Aufgabe der Historie ist (1), abzubilden. Auf der andern Seite hat auch die Form der al- ten Tragödie von dem epischen Zweige ihres Ursprungs her darin etwas dem referivenden Character der Historie Verwandtes, dafs sie die wenig- sten Hauptereignisse ihrer Handlungen selbst vorstellt, sondern sie durch den Mund oft sehr untergeordneter Personen vorführen läfst, ohne da- durch in ihrem dramatischen Wesen im mindesten sich zu schmälern. Es ist aber die dramatische Behandlung der Geschichte, wie das Drama selbst, aus der Auffassung des Lebens in seiner Concentration, (1) Bodinus in methodo ad facilem historiarum cognitionem p. 45 (ed. Amstelod. a. 1650). Cum historia nihil aliud esse debeat, quam verltatis imago et rerum gestarum velutl tabula. 96 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. gleichwie das Epos und die epische Behandlung der Geschichte, womit sie in Herodotos, als ihrem ersten grofsen Meister, anfing, aus der Auf- fassung des Lebens in dem Flusse seiner Ausbreitung , enisprungen. Diese war natürlich die erste, da der Sinn eher über die Fläche sich verbreitet, die Tiefe unter ihr nur ahnend, als in diese Tiefe sich senkt und aus ihr in das Gebiet der Erscheinungen, diese nun in ihren Wur- zeln und deren Verzweigung erkennend, wieder hinaufsteigt. Aber jene hat sich aus dieser in naturgemäfsem Fortschritt entwickelt, indem das Dramatische in dem Epischen schon lag (1), sein besonderes Hervortre- ten, wie in der Poesie also auch in der Historiographie, daher nothwen- dig erfolgen mufste, welches zwar schon im Thukydides in dem Geiste und den Beziehungen der gröfsern Partieen seines Werks auf einander, aber in keinem Historiographen im Einzelnen wie im Ganzen so stark, als im Tacitus, geschehn ist, der solchergestalt in den Bildungstrieb hel- lenischer Kunst in diesem Zweige lebendig eingreift. Er hat in den Geschichtkreisen seiner beiden grofsen Werke das Leben derselben in seinem Mittelpuncte gefafst, hat die äufsern Erschei- nungen, worin dieser sich entfaltet, in ihm zusammengehalten, und sie durch aufmerksames Beachten und treflfendes Hervorheben aller, den Zu- sammenhang der von ihnen umfafsten Handlungen offenbarenden, und zu deren dramatischer Durchführung deshalb wesentlichen, Züge zu so weuen als scharfen Gegenbildern der Geschichte selbst gestaltet. Das Erstere ist in dem nachgewiesen, was über den Grundgedanken und die Handlung in seinen historischen Kunstwerken vorgetragen worden ; wie auch die Form, ‘worin er diese Handlungen darstellt, ihrem dramati- schen Character entspricht und diesen vollendet, wird aus dem Folgen- den erhellen. Wer nehmlich die Historien und Annalen von diesem Gesichts- puncte betrachtet, dem kann nicht entgehn die einfache und doch er- schöpfende Entwicklung der Handlung in jedem ihrer Theile aus ihren Triebfedern und nach den in ihr thätigen Kräften, eine genaue Bezeich- nung ihrer Steigerungen und Ruhepuncte und dadurch gleichsam ihrer (1) Das erkennt Aristoteles (Poet. IV, ı2.), auch zum Theil Dionysius Longinus de Sublim. IX, ıı. Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. 97 Acte, eine geschickte Vorbereitung und Einleitung ihrer Hauptwendun- gen, ein oft schlagender Ausdruck jeder Peripetie, eine sehr überlegte Wahl der Stellen, von wo sich Licht über das Ganze oder über ein- zelne Theile verbreitet, ein so gemessener Gang der Handlung, dafs bei dem wachsenden Interesse, welches unerwartete Fortschritte, und wieder Hemmungen wo schon der Ausgang nahe scheint, erzeugen, doch nir- gends Übereilung, bei dem lebhaften Ineinandergreifen der sich oft sehr durchkreuzenden Fäden nirgends Verworrenheit, überall Ruhe und Klar- heit herrscht, eine bedachtvolle Einführung und oft bedeutsame Grup- pirung der Hauptpersonen und ihrer Rollen, ein scharfes Hervorheben der Contraste, und zu dem Allen häufiges Einflechten versinnlichender scenischer Gemälde und Andeutungen, Einwebung von Reden, oder Übergang in indirecte Rede der Handelnden, welche, unterstützt durch die Kürze und Lebendigkeit des Styls, die Handlung versinnlichen und oftmals wie auf ihren Schauplatz versetzen (1). Das alles zeugt so we- nig von Kunstlosigkeit, dafs es vielmehr ein anhaltendes künstlerisches Sinnen und Bilden zu erkennen giebt. Eine kurze Übersicht sowohl des Ganges der Handlung in den Historien als ihrer Form in den Annalen ist hier unerlafslich, um das Gesagte, so weit es ein nur die wesentlichsten Puncte berührender Um- vifs vermag, ins Licht zu setzen und zu bestätigen. Wir betrachten zu- erst die Historien, aus deren Structur im Ganzen der dramatische Cha- racter am leichtesten und deutlichsten zu erkennen ist. Galba, an welchem das römische Reich, nachdem es der Tyran- nei des Nero endlich sich entledigt, ein an Character diesem zwar ganz ungleiches, allein wegen seiner alterthümlichen Starrheit und Strenge dem Zeitalter zu fremdes und widerwärtiges (2), und, da Altersschwäche hinzukommt, dem Verderben, vornehmlich in der Stadt selbst, nicht ge- wachsenes Haupt wieder erhalten, reizet gerade durch die Handlung, B Ä ß Eee (1) Lucıan. quom. hist. sit conser. Opp. Vol. IV, p. aıı, ed. Bip. Kai orav rıs > ’ 4 m er ’ m > m ’ > GRgOWMEVOS eiyre Were TRUTA eocv re Asyoneva zu Er FTOoUTO EraWNy ToTE ö7 Tore dmyngi- 2 \ \ Lt, Y 3 ja EN Fa Mrs. € ’ ‚ Mwriat, Aa FOV OIZEIOV ETEIVOV amsırnde Fo Foyav Tw TrS 1ogtes Berdie. (2) Hist. I, 18. Nocuit antiquus rigor et severitas, cul iam pares non sumus. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. N 98 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. welche ihn und das Reich stützen soll, durch die Adoption des Piso Licinianus, eines Mannes von verwandtem Character (1), den Gährungs- stoff zum Ausbruche, der in seiner Nähe sich bereitet, während er selbst nur des Vitellius Aufstand mit zwei Legionen in Oberdeutschland als die im ganzen Reich einzige, doch nicht furchibare, Unruhe er- blickt (2). An den weichlichen und schwelgerischen M. Otho, der selbst auf die Adoption gerechnet, und von welchem die Unzufriedenen Her- stellung der üppigen Neronischen Zeit erwarten (Hist. I, 55.), schliefst sich die Gährung; aber von sehr kleinem Anfange, von zwei geringen Soldaten , geht der Wechsel der Herrschaft , von dreiundzwanzigen der erste Aufstand aus (5). Indefs Galba opfert und betet, sind die Götter, zu denen er fleht, schon nicht mehr die Götter seines Reichs (4), sondern der beim Opfern ihm am nächsten gestanden (5), und unter demselben in verrätherischer Absicht ihn verlassen, Otho hat an der Spitze der Truppen die Gewalt ihm schon entrissen. Rasch wächst die Empörung und ereilt den unschlüssigen durch falschen Rath bethörten Galba. Verlassen von seinen letzten Begleitern, und zu Boden gestreckt, wird er getödtet und liegt unbeerdigt schmachvoll lange da, während Senat und Volk dem Otho zuströmen,, dessen Tod dieses noch kurz zuvor begehrt hatte (6). Auch Piso fällt, und vier Tage nach seiner Erhebung (7) weidet sich am Anblick seines blutigen Hauptes sein nun triumphirender Gegner. (1) Hist.T, 14. Piso — vultu habituque moris anliqui et recta aestimatione severus, deterius interpretantibus tristior habebatur, ac pars morum eius, quo suspectior sollici- tis, adoptanüi placebat. (2) ıb.c. ı6. Ne tamen territus fueris, si duae legiones in hoc concussi orbis motu nondum quiescunt. (3) ıb.c.25. Suscepere duo manipulares imperium populi Romani transferre, ei transtuerunt, und c. 27. (4) ib. c. 29. Ignarus interim Galba et intentus sacris fatıgabat alieni iam impe- rü Deos. (S)ezdrc. 27. Nam proximus adstiterat. (6) 6. c. 52. vergl. mit c. 45. und 48. (7) i2.c. ı9. Nec aliud sequenti quatriduo, quod' medium inter adoptionem et cae- dem fuit, dietum a Pisone in publico factumve. c. 29. Sextus dies agitur — a quo Cae- sar ascltus sum. c.48. Fpse diu exsul quatriduo Caesar. Süvern über den Kunstchäracter des Tacttus. 99 Noch hat die Stadt von ihrer Bestürzung sich nicht erholt, als die bis dahin verhaltene volle Kunde von dem allgemeinen Aufstande der ganzen germanischen Heeresmacht unter A. Vitellius, dessen Ge- schichte hier, nun er handelnd aufiritt, erst eingeflochten wird, die Erinnerung an alle Schrecken der alten Bürgerkriege in ihr aufregı (Hıst. I, 50. folg.). Durch sein eignes Feuer gewrieben wälzt sich des Vitellius, auf dem Zuge noch wachsendes, Heer, während er selbst in wägem Schlemmen seine Erhebung feiert (Hist. 7, 62.), heran an die Alpen. Es ergiefst sich, durch die Nachricht von Galba’s Tode nicht irre gemacht (Hist. 7, 64.), zum grofsen Theile noch im Winter (Hist. I, 70. II, ı7.), in die Ebnen des obern Italiens, und ihm ent- gegen zieht, nach kurzer Täuschung des Unterhandelns (Zlist. 7, 7a); Otho unter Zujauchzen des leicht beweglichen Haufens ( Hist. T, 90.), aber, im Gegensatze von Vitellius, der gewohnten Schwelgerei sich ent- schlagend (ist. I, 71.). Der Knoten des grofsen Drama ist nun zum Theil geschürzt. Das Reich ist getheilt, der Orient und Spanien, letz- teres jedoch nicht lange, sind für Otho (Hist. T, 76.), der gröfste Theil des Occident für Vitellius, das vielfach erschütterte Rom , nach langer Zeit selbst wieder vom Kriege berührt, harrı der Entscheidung in sei- ner Nähe (1). Nach den ersten Vorspielen,, worin das Glück dem Otho, dessen Völker Italien wie ein erobertes Land durchstreifen (Hıst. II, ı2.), wäh- rend Vitellius Feldherr Cäeina Wildheit und Zügellosigkeit jenseits der Al- pen gelassen hat (Mist. IT, 20.), verführerisch zu schmeicheln scheint (2), deren Erfolg aber die Vitellianer besonnener und vorsichtiger macht (5), hält sich der Krieg eine Weile am Po; und diesen Augenblick der Ruhe vor dem entscheidenden Schlage nutzt Tacitus mit künstlerischer Weis- heit, beide Nebenbuhler selbst (Hist. II, 5ı. init.), die innern Verhält- (2) Hist. I, c. 89. Tum legiones classesgue, et quod raro alias praetorianus miles, in aciem deducti, Oriens Occidensque, et quidquid utrimque virium est, a lergo. (2) Hist. II, ce. ı1. Laeta interim Othoni principia belli. ce. ı2. Blandiebatur coeptis fortuna. (5) zb. ec. 27. Haud perinde id damnum Pitellianos in metum compulit, quam ad modestiam composult. 3 Na 100 Süvenrn über den Kunstcharacter des Tacıtus. nisse ihrer Heere, bei den Vitellianern Verstummen der Eifersucht un- ter den Anführern (Hist. IT, 50.), Einigkeit, festen Entschlufs, ruhige Achtsamkeit auf die Fehler des Feindes (Hist. II, 54.), bei den Otho- nianern von allem das Gegentheil, und vornehmlich, als Otho selbst das Heer verlassen — der Anfang des Unglücks (1) — Übergewicht der Un- verständigen, Schwanken, wechselseitiges Mifstwrauen, Mangel an Zucht, in scharfen Zügen gegen einander zu stellen, die Ansichten der Kriegs- führung, auch selbst die angenommene , aber wegen der wilden Kriegs- lust beider Heere unstatthafte, Möglichkeit ihrer Einigung für einen Drit- ten bessern, abzuwägen, und durch eröffnete Einsicht in die Bedingun- gen des Ausgangs auf diesen vorzubereiten. Otho, in verhängnifsvoller Verblendung zum entscheidenden Kampf treibend (2), beschleunigt selbst sein Geschick. Aber nicht sowohl der unglückliche Ausfall des so unbesonnen von ihm beeilten als verwirrt geführten Treffens bei Bedriacum, noch selbst der Übergang seines Hee- res an Vitellius, entscheidet jenes, als sein eigner Sinn. Die rasch ge- fafste Hoffnung giebt er eben so rasch, und nach dem ersten mifslun- genen Versuche verzweifelnd, wieder auf (5), und er, der sonst weich- liche Mann, aber nicht weichliches Geistes (4), endet, den an Galba begangenen Verrath an sich selbst büfsend, durch das unerwartete kurze Moment seines freiwilligen Todes einen noch reichliches Stoffes nicht ermangelnden und beim ersten Beginn weit aussehenden Kampf (5). Den Siegern aber wird das leicht errungene Glück zur Versuchung. In Zügellosigkeit jeder Art ergiefst sich das Heer (Hist. IT, 56.), in Über- (1) Hist. II, 55. Is primus dies partes Othonianas afflixit. c. 59. (2) Suetonius Paullinus Rath war c. 52, festinationem hostibus, moram ipsis uti- lem. Dagegen Otho c. 55, pronus ad decertandum , c. 59, per litteras flagitat ut decer- tarent; nec perinde diiudicari potest, quid optimum factu fuerit, quam pessimum,fuisse quod factum est. (3) ib. I. 40. deger mora et spei impatiens. c. 46. Nec Othonem quidem dueis arte aut exercitus vi, sed praepropera ipsius desperatione viclum. (4) Hist. I, c.22. Non erat Othoni mollis et corpori similis animus. Vergl. H, ı1. 47 folge. (5) .b. c.89. Si ducibus alüs bellatum foret, longo bello materies. II, 44 fin. ce. 48. Ut nemo dubitet potuisse bellum renovari atrox, lugubre, incertum victis et victoribus. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. 101 muth (Hist. IT, 59. fin.), Völlerei und Lüste (Hist. IT, 62.), Vitellius, nicht ahnend, was auf dem nehmlichen Schlachtfelde, an dessen Anblick er sich weidet, ihn seibst bald erwarte (ı). In grofsem, langsamem, das Land aussaugendem Zuge naht er, täglich verachteter (Hist. II, 87.), der Stadt, woselbst seines Bruders Frau Triaria Übermuth und Grausamkeit übt, und nur seine Gattin Galeria, noch mehr seine Mutter Sextilia, ein schönes Bild der Unsträflichkeit und Bescheidenheit zwischen all der Aus- schweifung und Vermessenheit darstellen (Hist. ZT, 64.). Kaum enthält er sich, in die Stadt wie in eine eroberte einzuziehn (Zist. IT, 89.), und nachdem er auf dem Capitol vor Senat und Volk sich mit unwahrem Lobe gekrönt (Hist. IT, 90.), geniefst er mit seinem Anhange des Sieges wie eines Raubes. In dem Momente. wo hier der Knoten gelöset scheint, schürzt er sich nur noch fester; denn unter Vitellius wankt schon der kaum erstrebte Boden, und mitten im Taumel trifft ihn die umsonst ver- kleinerte, bald mit aller Macht eindringende, Nachricht von dem Auf- stande des Orients und der meisten Provinzen unter Vespasianus. Auf diesen als den vom Schicksal bestimmten Löser der grofsen Verwirrung ist, gleich bei ihrem Beginn, auf seine und seiner Söhne Herrschaft von Anfang des Werkes an hingewiesen (2), und seine Er- scheinung im Fortgange der Handlung immer heller vorbereitet worden. Zuerst als nach Galba’s Falle die Meisten schon eine Beziehung auf Vespasianus in seines Bruders Flavius Sabinus Ernennung zum Praefeetus urbi schn (Hist. I, 46.) ; dann als bestimmter die Erwartung Vieler her- vortritt, zwischen Otho und Vitellius werde Vespasianus einschreiten, vorzüglicher als beide, obwohl nicht ohne neuen Krieg und neue Nie- derlagen, und der Zweideutigkeit des Rufes, worin er damals noch stand, seine vortheilhafte Änderung als nachheriger Princeps vorgreifend entgegengestellt wird (ZHist.-/, 50.). Zwar huldigt er noch dem Otho (Hıst. 1, 76.); aber während dieser mit Vitellius kämpft, bereitet schon, (1) Hist. II, c.70. Eterant quos varia fors rerum lacerimaeque et misericordia su- biret; at non Fitellius flexit oculos, nec tot millia insepultorum civium exterruit, laetus ultro el tam propinquae sortis ignarus instaurabat sacrum Dis loci. (2) Hist.T, c. 10. Occulta lege fati et ostentis ac responsis destinatum Vespasiano liberisque eius Imperium post fortunam credidimus. 102 ’ Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. wie das zweite Buch der Historien, den Character der Herrschaft des Vespasianus und seiner Söhne in voraus ankündigend , herrlich anhebt, ‚„‚„das Glück in dem entgegengesetzten Theile der Erde Anfang und Grund „einer Herrschaft, die mit abwechselndem Loose freudig dem Staate oder ‚schrecklich, den Herrschern selbst heilbringend oder verderblich seyn ‚„‚sollte.’ Dem Titus deuten die kyprischen Orakel eine glänzende Zu- kunft (Hist. IT, 4.); durch seine -Vermittelung einigen sich die beiden grofsen Feldherrn des Orient, Vespasianus und Mucianus, welche beide verschmolzen den treflichsten Princeps würden gebildet haben (1), und die ganze ansehnliche Macht jener Provinzen steht nun bereit kampf- lustig und abwartend den Ausgang des Kriegs in Italien (Hist. II, 7.). Durch dessen Tumulı scheint Vespasianus durch gleich nach Vitellius Siege (Hist. II, 67.), und während diesen die täuschende Nachricht von der Huldigung des Orient in das Übermaafs der Verblendung und Aus- schweifung versenkt (Hıst. IZ, 75. 74.), schaut jener besonnen um- her, auch das Widerwärtige erwägend, bis Mucianus eignes öffentliches Zureden auf ihn eindringt, neue Orakel und alte Vorbedeutungen ihn selbst und das Volk begeistern, endlich die ausbrechende Stimmung des Heeres zur Entscheidung fortweifst, und in dem, wie er Morgens hervortritt, als Imperator begrüfsten, Vespasianus das neue Gestirn auf- geht, würdevoll und bescheiden in demselben höchsten Glückswechsel (Hist. IT, So.), von welchem Vitellius gleich zu eiller Überhebung be- ıhört war (Hist. IT, 59.). Wie nun gegen diesen unter dem Scheine des Glücks, durch den Unmuth der zum Theil gemifshandelten Othonianer, durch seine eigne Schläfrigkeit und Verächtlichkeit, durch seines Heeres Ausgelas- senheit und Verweichlichung in der Hauptstadt (Hıist. //, 95 und 99.). der Anführer Eifersucht und des Cäcina vorbedachten Treubruch, Ver- derben sich zusammenzieht; so bindet jener in seiner eignen Energie, in seines Sohnes Titus und seines ersten Feldherrn Mucianus ‚Einigkeit (Hist. IT, 5 und 74.), in den verständigen Plänen und der kräftigen Kriegsrüstung, in der herrschenden guten Meinung von ihm, in dem Beitriu aller nähern Provinzen und dem unterhaltnen Einverständnifs (1) Hist.II, c.4.5. Egregium principis temperamentum, Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. 1053 auch in den entferntern des Occident (Hist. IT, S6 und 98.), alle Bedingungen des Glückes für sich, und auch hier ist der Ausgang vorbereitet noch ehe die ihn ankündigenden Begebenheiten eintreffen. In rascher Folge werden diese vorübergeführt, von dem Einbruch des Antonius Primus von Pannonien her in Italien, durch das Treffen bei Bedriacum, wo zum zweiten Male Bürgerblut im Kampf um die Herr- schaft fliefst (1), die furchtbare nächtliche Schlacht bei Cremona, durch den Aufgang des Mondes den Flavianern günsug, durch den Aufgang der Sonne für sie entscheidend (Hist. III, 25 — 25.), die darauf fol- gende Erstürmung und Verwüstung dieser wohlhabenden Colonie ge- vade zur Zeit einer volkreichen Messe, und die Übergabe des Vitellia- nischen Heers, dann die Ausbreitung der nun auch übermüthig geword- nen Flavianer in dem gleichsam eroberten Italien, und alle die andern Ereignisse, durch welche, wie Tacitus, den Punct der Katastrophe be- zeichnend, sich ausdrückt: ‚‚die Weltherrschaft auf ein anderes Haupt „, übergeht” (2), unterwebt auch mit einzelnen das volle Maafs der Greuel des Bürgerkriegs ausmahlenden Scenen (Hist. IT, 25. III, 51.). Aber noch treten Schwierigkeiten und Hemmungen dem völligen Ablauf der Katastrophe entgegen und der letzte Ausgang der Handlung hält sich ungewifs. Italien ist durch die Apenninen zwischen Vespasianus und Vitellius getheilt (5), ihr Übergang ist mühsam und erfordert Vor- sicht. Die Flavianer sind erschöpft, ein zeitiger Angriff auf sie mit star- ker Heeresmacht, die dem Vitellius noch zu Gebote steht, kann das Glück wenden (ZHist. III, 55. 56.). Aber Vitellius, während aller Schläge, die ihn treffen, selbst noch feige Grausamkeit übend, ist in Stumpfsinn und Rausch begraben, und so ‘durchzieht, indefs auch im untern Italien der Abfall sich verbreitet, das Flavianische Heer das Ge- birge, und das des Vitellius ergiebt sich. (1) Hist. IT. c. 25. Inter Veronam Cremonamque situs est vicus, duabus iam Ro- manis cladıbus notus infaustusque. (2) Hist. III, c.49. Dum hac totius orbis mutatione forluna imperü transit. (3) 1b. c. 42. Omnisque Italia inter Vespasianum et Vütellium Apennini tugis dividebatur. 104 Süverv über den Kunstcharacter des Tacitus. Allein, je näher die Lösung des festgeschürzten Knotens seiner Mitte rückt, desto hartnäckiger hält er, und bietet bis zum Äufsersten die Möglichkeit eines nochmaligen Wechsels und des dem Sieger schon nahe am Ziele entrissenen Preises. Der letzte Kampf steht nun bevor, der um die Hauptstadt selbst, und gerade dieser wird der scheufslichste, wider Erwarten und Absicht. Denn lieber von fern her, durch Ab- schneidung der Zufuhr aus Egypten, wollte Vespasianus Rom zwingen, als mit Gewalt (1), seine Heerführer wollten die Waffen mehr ihr zei- gen, als gebrauchen (Hist. IIT, 78.), Vitellius selbst versteht sich in 5 Güte zur Entsagung, und zieht in Trauerkleidern, von den trauernden 97 Hausgenossen umgeben, mit seinem noch jungen Sohne, wie in einem Leichenzuge, kurz zuvor noch Herr des Menschengeschlechts, von dem Sitze seines Glücks, durch das Volk, durch die Stadt, aus der Herr- schaft aus (Hist. ZIT, 67. 68.), und zu Flavius Sabinus wendet sich schon alles (ist. ZIT, 69. init.). Aber treuer sind dem Vitellius die Sei- nen, als er selbst (2), und somit wird alles vereitelt. Sabinus mit gerin- gem Anhange flüchtet vor ihnen auf das Capitolium, und die Stadt sieht in ihrer Mitte dessen Belagerung, Erstürmung und Einäscherung, wie ei- ner feindlichen Burg — das Bejammernswertheste und Schmählichste, das seit ihrer Erbauung geschah, dafs, wie Tacitus sagt (Hist. JII, 72.), ‚‚ohne auswärtigen Feind, und, so unser Sinn es gestattete, bei gnädi- ‚„‚„gen Göttern, der unter günstigen Auspicien von den Vorfahren er- ‚„‚bauete Sitz des Jupiter o.m., der Herrschaft Unterpfand, das nicht ‚‚ Porsena nach Übergabe, nicht die Gallier nach Eroberung der Stadt ,, verunglimpfen mogten, durch der Herrscher Raserei zerstört wurde.” Nun wird auch Sabinus, vor kurzem noch hochgeehrt, schmählich getöd- tet, und kurzes Glück lächelt dem Vitellius vor seinem Scheiden. Denn unaufhaltsam stürmen jetzt des Antonius Krieger heran, und ihrem Kampfe mit den Vitellianern sieht das Volk prassend und schwelgend (1). .Hist..IIT, ıc. 48: 2Eo properantius Alexandriam pergit, ut, fracto Fitelliano exercitu, urbem quoque externae opis indigam fame urgeret. (2) 12. c. 66. Quod si tam facile suorum mentes flexisset Vütellius, quam ipse ces- serat, Incruentam urbem Vespasiani exercitus intrasset Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. 105 zu, ‚wie wenn zu den Freuden der Saturnalien noch dies Schauspiel „hinzugekommen wäre (1).” Diese erliegen nur nach der-tapfersten Gegenwehr, aber ihr Imperator fällt lebendig in der Feinde Gewalt. Galba trug den Verräther im Busen, gegen Otho stand der Rächer schon da, als er durch Frevel sich des Reichs bemächtigte, unter Vitellius schwankte der Boden schon als er zum Siege zog, und stürzte ein als er im unverdienten Glücke sich berauschte. Galba fiel ein Gegenstand des Mitleids, Otho, zwar nicht der Bewunderung, doch der Achtung, Vitellius stirbt unter Schmach und Spott. Rom selbst fühlt schwer die Hand des Siegers und bietet manches Beispiel des wandelbaren Glückes, das kurz vorher noch Mächuüge nie- derschlägt, und eben Gestürzte zu Ehren bringt (2). Doch allmählich vertobt der Sturm, Vespasianus, nun feierlich als Princeps anerkannt, hilft der Stadt durch Zufuhr, die er durch Hunger zwingen wollte, und wirkt durch Befehle von fern her zur Ordnung (Hist. IY', 52.), wie Mucianus durch persönliche Gegenwart. Rom gewinnt sein voriges An- sehn wieder (5) und die neue Weihe des Kapitols besiegelt die in des Reiches Mittelpuncte hergestellte Ruhe (Hist. 17’, 55.). Aber in dessen Umfange dauert noch heftige Bewegung. Nicht allein dafs im Orient die Hauptstadt des empörten Judäa der römischen Macht hartnäckig widersteht, sondern auch in den von Truppen ent- blöfsten westlichen Provinzen, von der Insel der Bataver aus, verbreitet sich, durch den Bürgerkrieg entzündet, und von Claudius Civilis erregt, anfangs unter dem Vorwande der flavianischen Partei (Hist. IV, 2ı.). bald, nach deren Siege, offen für Germaniens und Galliens Freiheit (Hist. IV, 54.), ein furchtbarer Aufstand, der durch den Oberrhein und bis an die Alpen dringt (4), und ‚‚durch Nachlässigkeit der Anfüh- ‚„‚rer, der Legionen Empörung, fremde Gewalt und der Bundesgenossen ‚‚ Treubruch den römischen Staat fast erschüttert hätte ( Hist. III, 46.).” (1) AHAist. III, c. 78. init. vergl. c. 85. (2) Hist. IV, 47. Magna documenta fortunae summa et ima miscentis. (3) 6.0.59. Redit urbi sua forma legesque et munia magistratuum. ib. c.70. Tutor hätte den Oberrhein und die Alpenpässe besetzen können. 7 penp; Hist. philolog. Klasse 1822-1823. (3) 106 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. Dieser grofse Kampf bildet eine eigne, wiewohl mit dem Bürgerkriege zusammenhängende, und auch schon während desselben in den Histo- rien von fern her vorbereitete (1) Handlung von hohem Interesse und mannigfachem Wechsel, in deren Mitte der Hinblick auf den in Alex- andrien verweilenden, durch wundersame von ihm verrichtete Heilungen und prophetische Erscheinungen, die er empfängt, als einen Gesegneten und Liebling der Götter bezeichneten Vespasianus (Hist. IV, 8ı.) die Hauptperson des Ganzen gegenwärtig erhält und eine wohlthuende Scene der Ruhe und des Friedens einflicht. Das dem Senate schon bei Vespasianus Anerkennung als Princeps vor Augen schwebende Ziel (Hist. IV, 5.), ‚wo der in Gallien und ‚Spanien begonnene Bürgerkrieg, nachdem er Germanien, bald auch I- „‚Iyrien, aufgeregt, dann Egypten, Judäa, Syrien durchzogen, wie nach ‚„‚vollbrachter Sühnung des Erdkreises sein Ende erreicht hatte,” und den Schlufs der ganzen grofsen Handlung würde die völlige Beruhigung Galliens und Germaniens und die Eroberung von Jerusalem, kurz vor welchen der uns erhaltne Theil der Historien abbricht, die darauf fol- gende Ankunft Vespasians in Italien und sein triumphirender Einzug mit seinem Sohne Titus in Rom, ankündigen. Denn da erst ist der seit Nero’s Ende den Staat zerrüttende Zwiespalt, nachdem er alle Mifstöne mit unglaublicher Raschheit durchlaufen, und in ihnen ausgetobt, wie- der gelöset, und Vespasianus erhebt sich über der Niederlage aller Schlech- ten als neues würdiges Haupt des Reiches und Gottbegnadigter Sühner alles Unheils. Dehnten sich nun gleich die Historien weiter aus und umfafsten auch die Herrschafı des Vespasianus und seiner beiden Söhne; so läfsı sich eines Theils aus dem Prologe des ganzen Werks, so wie bei den frühern Hinweisungen auf jene, und den vorbereitenden und einleitenden Winken über ihren Character, welche durch die noch vorhandenen Bücher von Anfang an hingestreut sind, nicht ohne Grund annehmen, dafs die verloren gegangenen mit den noch übrigen in dem Zusammen- hange einer höhern Einheit stehn konnten, andern 'Theils ist auch das (1) Hist. II, 69. Principium interno simul externogue bello parantibus fatis, gleich nach Otho’s Niederlage. Pr Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 107 Übriggebliebene für sich ein so schönes innerlich und äufserlich wohl verbundenes Ganze, dafs zu seiner vollen Abrundung nur der oben be- zeichnete Schlufs zu vermissen ist, um ein vollendetes und keiner wei- tern Ergänzung bedürfendes historisches Kunstwerk zu bilden. Die An- lage und Ausführung desselben ist völlig dramatisch. Durch Schürzung und Lösung der Hauptknoten der Handlung bilden sich ihre scharf und richüg bezeichneten Acte, alle Gegensätze in den Personen und den Ver- hältnissen, in den Absichten oder E:wartungen und deren Erfolgen, worauf nur ein Dramatiker, und ein Tragiker insonderheit, Gewicht le- gen würde, treten beziehungsreich hervor, bedeutsame Züge weisen auf- regend und vorbereitend auf die fernere Entwickelung hin, oder, die Erfolge aufhellend, auf das Frühere zurück, in allem Einzelnen ist der Hinblick aufs Ganze nie verloren, in ‘dem Kampfe der Parteien der hö- here und weitere Gesichtspunct auf den ganzen Staat und Rom als des- sen Mitte immer gerichtet, und die ganze Handlung in ihren allgemei- nen wie in ihren besondern Interessen, in ihren Triebfedern wie in den Ereignissen, erschöpfend und befriedigend durchgeführt, so dafs, wenn sie ein blofses Werk der Kunst wäre, man in dieser Hinsicht gewifs nichts in ihr vermissen würde. Eine gleiche Form war nun zwar der Handlung in den Annalen nicht angemessen , weil das factische Argument, worin diese sich klei- det, bei weitem weniger concentrirt ist, als das der Historien , sondern durch einen viel gröfsern Zeitraum und Principate von längerer Dauer sich ausdehnt. Allein kunstlos ist auch dessen Behandlung keineswegs zu nennen; vielmehr liegt in ihr, bei groiser Übereinstimmung mit dem Character der Historien im Wesentlichen, etwas Eigenthümliches, und eine noch höhere Erhebung über das, dem Stoffe übrigens anpassende, äufsre chronologische Schema, als schon durch die Einheit des Grund- gedankens angekündigt wird. Im Allgemeinen fällt der dramatische Character gleich in die Au- gen, welchen fast jede einzelne Frzählung, Beschreibung und Schilde- vung, sey es Verhandlung im Senat, Vorgang im Pallast oder in Privat- wohnungen, sey es Feldschlacht, Belagerung, oder Begebenheit in der Stadt, angenommen hat. O2 108 Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. Man erinnere sich zum Beispiele, um nur von den kleinern Par- tieen eine herauszuheben, der Geschichte des Titius Sabinus (An. IV, 68--70.), welcher, um seiner Anhänglichkeit an Germanicus und, nach dessen Tode, an sein Haus willen, von Sejanus gehafst, von einem ver- stellten Freunde zu vertraulichen Klagen über das Elend der Zeiten ver- lockt, von Helfershelfern behorcht, verrathen, angeklagt, von Tiberius gestürzt, und am ersten Tage des Jahrs , unter furchtbarem Eindrucke auf die geängstete Stadt, zum Tode geschleppt wird. So einfach und gering an Umfang sie ist, so sieht man in ihr doch eine durch alle dramatisch wichtigen Momente fortschreitende Handlung, durch sceni- sche Andeutungen noch versinnlicht und durch starke Bezeichnung des Eindrucks reflecurt,, und selbst die Kürze und das rasche Drängen der Sätze, deren jeder einen wirksamen Zug mehr einflicht, beleben die Darstellung. Ein reicheres tragisches Gemählde bietet das Ende der Messalina dar, welche, unersäulich in Ausschweifungen und Grausamkeit, endlich durch rasende verhängnifsvolle Leidenschaft für den Schönsten der rö- mischen Jugend, den ©. Silius, gefesselt wird (An. AT, ı2.). Der Gat- un des Silius Verdrängung von ihm, dessen anfängliches Schwanken zwischen Schande und gewissem Tode, entschieden durch den augen- blicklichen Genufs und die in diesem Falle entferntere Gefahr, obgleich nicht ohne Vorahnung des Ausgangs, bald aber sein eigner Übergang zu dem Gedanken, auch der fernen Gefahr durch ein noch kühneres Wagestück, durch Ehe mit Messalinen und die Ermordung des Claudius, zuvorzukommen, deren Ersterem diese, des Gewöhnlichen überdrüssig, des Kecken und Unerhörten solcher That wegen, nachgiebt (1), darauf die feierliche Vermählung zwischen der Gattin des Princeps und dem de- signirten Consul, vor den Augen der ganzen Stadt und in tiefster Sicher- heit während Claudius Abwesenheit in Ostia, damit aber auch die Loo- sung zum Verderben ; — dem gegenüber die künstlichen Anschläge der Umgebungen des Princeps, diesen über seine Schande und Gefahr auf- zuklären, sein Kleinmuth, sein Schwanken, sein endlich durch Narcissus (1) An. ATI, c. 26. Nomen tamen matrimonü concupivil, ob magnitudinem infamiae, eulus apud prodigos novissima cupido est. Süverx über den Kunstcharacter des Tacıtus. 109 bestimmter Entschlufs zur Rückkehr nach Rom ; — dann wieder die ver- blendete Ausgelassenheit der Messalina und des Silius, ihre schwärmende Feier der Weinlese durch ein wildes Bachusfest, dessen taumelnde Lust plötzlich das Vorzeichen des von Ostia her drohenden Ungewitters (An. AT, 51. fin.) und die wiederholte Botschaft, der Rächer ziehe herbei, aus ein- ander sprengt, der Genossen Flucht und Verhaftung, der nun verlafsnen Messalina Versuche, das Verderben abzuwenden, ihr einsames Schreiten durch die Stadt, ihre Fahrt in einem gemeinen Gartenwagen (ı) auf der Östiensischen Strafse dem Claudius entgegen, das Begegnen beider, das Verschmähen der von Narecissus überschrieenen Messalina, die Zurück- weisung ihrer dem Vater entgegengesandten Kinder, die Vertröstung der zur Fürbitte für sie aufgebotenen ersten Vestalin; — weiter Claudius völlige Überzeugung durch den Anblick des Hauses des Silius, die Be- rufung der Prätorianer, vieler Schuldigen und auch des Silius Bestra- fung, Messalinens noch trotziger Sinn und dämmernde Hoffnung, ja die aus Claudius erwachendem Mitleid sehr nahe Möglichkeit einer Wendung zu ihrer Rettung und dem Untergange der Gegner, der aber Nareissus durch den eigenmächtigen Befehl, ihren Tod zu vollstrecken, zuvor- kommt (2); — und nun ihre letzte Scene in den Lucullischen Gärten (An. XI, 57. 58.), wohin der von allen Genossen ihres vorigen Glückes Verlafsnen nur die während ihrer Blüthe von ihr zurückgezogne Mutter Lepida gefolgt ist, und die auf den Boden Hingestreckte, neben ihr sitzend, zu einer männlichen That zu bereden sucht, ihr Weinen und vergebliches Klagen, plötzlich unterbrochen durch das Klopfen der zu ihrem Tode gesandten Schaar an den Thüren, des Tribuns sullschwei- gendes Hinzutreten, dagegen des elenden Freigelafsnen Hohn, das ihr nun erst aufgehende Innewerden ihres Schicksaals, welchem unter ih- ven olınmächtigen Versuchen, es selbst zu vollziehn, der Todesstoofs des Tribun ein Ende macht, worauf ihr Körper der Mutter zur Bestattung überlassen wird; und nun zum Schlufs noch die stumpfsinnige Gleichgül- ügkeit, womit Claudius den Bericht, sie sei umgekommen, aufnimmt, — (1) An. AT,c.52. Fehiculo, quo purgamenta hortorum eripiuntur. (2) 6.0.57. Ac ni caedem eius Narcissus properavisset, verterat pernicies in ac- cusalorem. 110 Süvzenrn über den Kunstcharacter des Tacitus. das alles bildet sö viele ächt dramatische Situationen, Wendungen und Gegensätze, enthält alle zur Vollständigkeit der Handlung wesentlichen Züge, und keinen überflüssigen, und bringt sie in so wirksame Verbin- dung, stellt die Personen so objectv hin und in so anschaulichen Ver- hältnissen handelnd, dafs, wenn Messalina eine wirklich tragische Person wäre, was sie, auch nach einer Bemerkung des Tacitus (1), nicht ist, oder doch nur durch eine wesentliche po@tische Versetzung ihres Cha- racters werden könnte, nicht blofs der Stoff, sondern beinahe der Ent- wurf einer Tragödie daraus zu entnehmen wäre. Man denke nicht, als ob jede, nur treue, Erzählung ähnlicher Be- gebenheiten denselben Erfolg haben würde. Auch Dio Cassius hat die beiden erwähnten Geschichten (Hist. Rom. LF/II, ı. LX,5ı.), aber auf eine Art erzählt, der alles dramatisch Motivirende und Versinnlichende abgeht, so dafs sie in seinem Vortrage Niemanden als objecive Hand- lungen erscheinen können. Und wenn uns, wie Sejanus erstes Wirken und Wachsthum, so auch sein Ende, in den Annalen erhalten wäre, so würde auch an diesem Beispiele, in Vergleichung mit der Erzählung des Dio (ib. LFIII, 6. folg.), der Unterschied zwischen der letzteren und einer darstellenden Behandlung ohne Zweifel noch einleuchtender wer- den, Der mit Kunstsinn arbeitende, seinen Stoff geistig durchdringende, Historiker hat ein Auge für alles in dessen Inhalt und Form, woraus sein volles Leben entspringt und wodurch es sich offenbart, was einem Andern entgeht, und indem er dieses so rein, wie er es beobachtet, ohne Anspruch und Affectation, hinstelli, führt er den Leser vor die Bühne des Lebens selbst und verwandelt ihn unvermerkt in einen Zu- schauer. Auf der andern Seite weifs derselbe wohl zu unterscheiden, welche Begebenheiten und in welchem Maafse einer solchen Behandlung fähig sind. So liegt in der Geschichte der Pisonischen Verschwörung (An. XY’, 48. folg.) offenbar viel dramatisches, dessen ganz ins Indivi- duelle gehende Ausführung aber, durch die vielen einzelnen darin ver- flochtenen Fälle, beinah die Monotonie der Acten eines Criminalprocesses mit sich gebracht haben würde. Darum hat Tacitus ihrer sich enthalten, (1) An. AT, c. 52. Nulla culusqguam misericordia, quia flagitiorum deformitas praevalebat. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 114 aber durch Auszeichnung der Hauptmomente und gröfstentheils einfache aber lebendige Darstellung der bedeutungsvollsten Scenen die drama- tische Haltung dieser Geschichte im Ganzen erreicht. Ein Ähnliches findet nun in Ansehung der gröfsern, durch einen längern Zeitraum sich erstreckenden, und in der annalistischen Ordnung von andern Ereignissen unterbrochnen Begebenheiten Statt. Unter diesen ist in den noch vorhandnen Annalenbüchern, aufser den Geschichten der Imperatoren selbst, am bedeutendsten die Geschichte des Cäsar Germanicus, weil auf diesem an Körper und Geist ausgezeich- neten (1) Sohne des ältern Drusus, so lange er lebte, der Gegensatz ge- gen das schlechte Element der damaligen römischen Welt, und auf dem Einflufs seiner Person. und Stellung der Character der ersten bessern Zeit des Tiberius beruht. Er wird auf eine Weise eingeführt, die sein ganzes Verhältnifs zu seines Vaters Bruder Tiberius und seiner Grofs- mutter Livia, seinen edlen Character und die glänzenden Hoffnungen seines Lebens, aber auch gleich in ihrem Beginn die Vorahnung seines Geschickes klar und anziehend entwickelt. Tacitus zeigt ihn von seinem Grofsoheim Augustus, dessen Wahl eines Nachfolgers zwischen ihm und Tiberius geschwankt (An. IV, 57.), diesem als Adoptivsohn gegeben und über die grofsen germanischen Heere geseizt (An. 7, 5.), dabei Er- ben der Gunst und Hoffnungen des Volks von seinem Vater Drusus, die er selbst durch ein offnes leutseliges, dem düstern Stolze des Tiberius entgegengesetztes, Wesen befestigt (An. /, 55.), eben deshalb aber auch diesem verdächtig und von ihm gefürchtet ‚‚als wolle er die Herrschaft ‚„‚lieber haben denn erwarten (An. I, 7.).” Und an der Spitze einer ansehnlichen, gleich bei Tiberius Antritt im Aufruhr begriffenen Kriegs- macht, die da rühmt, ‚‚in ihrer Hand liege das römische Reich (An. J, (1) An.II, 72. Dio Cass. LXVII, ı3. Suetonius Calig. c.5. Den Vorwurf, welchen Casaubonus zu der letzten Stelle (vergl. auch Gronov. zu Taecitus Agricola c. 27.) dem Vellejus macht, dafs er (Hist. Rom. II, 125,) aus Schmeichelei gegen Tiberius den von Allen gepriesenen Germanicus der Feigheit bezüchtigt habe, tilgt zwar Ruhnken durch Her- stellung der richtigen Lesart im Vellejus nach Boeclers Vorgang (p. 1216. ed. Ruhnken) ; doch steht nicht zu läugnen, dafs Vellejus den Germanicus verkleinert und Tiberius bösen Willen gegen ihn nicht der Wahrheit gemäfs geschildert habe. S. Morgenstern Prolus. de fide historica Velleü Paterculi p. 29. 142 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. ‚„„51.), und hoflt, ‚‚Germanicus Cäsar werde die Herrschaft eines An- ‚„‚dern nicht ertragen können,” hängt auch in der That das Loos des Reiches und des Princeps von ihm allein ab. Aber ‚‚wiewohl nicht un- ‚besorgt wegen des heimlichen ungerechten Grolls seines Oheims und ‚„‚seiner Grofsmutter gegen ihn (4n./, 55.),” denkt er zu grofs und zu treu, um den ihm günstigen Augenblick zu benutzen, und ‚,je näher „selbst der höchsten Hoffnung , desto eifriger strebt er für Tiberius.” Die ihm angebotene Herrschaft stöfst er mit Abscheu und mit Gefahr seines Lebens von sich, und ‚‚will lieber sterben, als die Treue brechen „(An. I, 55.).” Nachdem er mit Mühe den Aufruhr gedämpft und die Zucht hergestellt, führt er das Heer gegen einen der römischen Tapferkeit würdigen Feind, durch den nächtlichen Überfall der Marser die Germanen gleichsam ausfordernd, und sich den Schauplatz ruhmvol- ler Thaten bereitend. Bevor aber Tacitus diesen eröffnet, warnt er durch den Rückblick auf Tiberius und die Aufnahme, welche Germanicus Be- tragen bei ihm findet, sich über des leiztieren Glück nicht zu sehr zu freuen (1). — Auch auf der Bahn des Kriegsruhmes,, wo er die Nie- derlage des Varus rächt und die Gebeine der in ihr Gebliebnen bestat- tet, geht ihm die Eifersucht zur Seite, die jene so patriotische als mensch- liche That mifsbilligt (2) und den Heldenmuth , womit Agrippina der dem Heerhaufen unter Cäcina beim Rückzuge drohenden Gefahr sich entgegenstellt, aufs ungünstigste auslegt (5). Noch indefs sieht man nicht, wohin Alles zielt. Klarer wird dies bald in der überraschenden Ankündigung (An. II, 4.): ‚‚Dem Tiberius übrigens waren die Un- „ruhen im Orient nicht unwillkommen, um unter deren Vorwande den ‚‚ Germanicus von den gewohnten Legionen zu trennen und, neuen Pro- ‚„‚vinzen vorgesetzt, der Nachstellung zugleich und Unglücksfällen Preis ‚„‚zu geben.” So wird, indefs Germanicus einen neuen Feldzug beginnt, (1) An.T, c.52. Nunciata ea Tiberium laetitia curaque adfecere. Gaudebat oppres- sam seditionem, sed quod largiendis pecunüs et missione festinata favorem militum quaesivisset, bellica gquoque Germanici gloria, angebatur. (2) db. ce. 62. Quod Tiberio haud probatum, seu cuncta Germanici in deterius Ira- henii etc. (5) ib. c.69. Id Tiberü animum altius penetravit. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. 113 sein künftiges Schicksal vorbereitet; aber je näher dieses rückt, desto mehr wird er erhoben. Das Ziel seines Siegeslaufes setzt er sich selbst in dem Denkmale, worin er allen Ruhm seiner Thaten dem Tiberius zuwendet, seiner selbst nicht gedenkend (An. //, 22.); denn gleich darauf, in dem Zeitpuncte der Entscheidung, wo niemand zweifelt, der 8, Feind könne, bei Fortsetzung des Krieges nur noch einen Sommer hin- durch, völlig besiegt werden, wird er abgerufen und unter dem Scheine des Wohlwollens und der Ehre von dem ihm ergebnen Heere entfernt (An. II, 26.). Der Glanz des Triumphes, womit er in Rom einzieht, verschönert durch die Darstellung seines häuslichen Glücks (1), ist der Gipfel seines Lebens. Aber dem Glück gesellt sich auch da die Furcht, und die Erwägung der Zuschauenden , ‚‚kurz von Dauer und unglück- ‚„‚lich sey was das römische Volk liebe,” erschwert die Ahnung des ihm und seinem Hause bevorstehenden Geschickes. — Auch zieht sich des- sen Netz nun fester um ihn zusammen. Tiberius sendet als Legaten nach Syrien den En. Piso, einen rauhen, störrigen und auf edle Her- kunft trotzenden Krieger, und mit ihm seine stolze Gattin Plancina, beide geeignet, des Germanicus und seiner Gatin Loos zu verbittern, beide wahrscheinlich nicht ohne geheime Aufträge des Tiberius und der Livia (An. IT, 45.). Die hier, wo die Handlung in engere Verhält- nisse eintritt, geschickt angebrachte Zusammenstellung des Tiberius und der Livia, des Piso und der Plancina, des Germanicus und der Agrip- pina, und des zwischen aller Parteiung mit Germanicus unerschütterlich einträchtigen Drusus, vereinigt die Hauptpersonen der Handlung in einer Gruppe, nur dafs Sejanus verborgenes Einwirken aufser derselben von fern erscheint (#n. 7, 69. fin.). Der Weg, den Germanicus nun sei- ner Bestimmung entgegen wandelt, umgiebt ihn in Griechenland und Kleinasien mit neuer Verherrlichung, aber auch mit trüberer Ahnung seines frühen Todes, den das Kolophonische Orakel ihm verkündigt (An. IT, 54.). Ihm auf dem Fufse folgt Piso, dessen erstes Auftreten in Athen, wo er die Bürger schilt, die Germanicus geehrt hatten, deut- lich ausspricht, was von ihm zu erwarten ist. Verhängnifsvoll ist das (1) An.II, ec. 41. Augebat intuentium visus eximia ipsius species currusque quin- que liberis onustus. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. P 114 Süvzern über den Kunstcharacter des Tacıtus. Zusammentreffen Beider an der Insel Rhodus, wo Germanicus seines Todfeindes Leben , das ein heftiger Sturm in seine Hände siebt,, rettet ’ 5 5 > (An. II, 55.), aber mit Undank belohnt wird für solche Grofsmuth. Denn in der Provinz, wohin Piso mit der Plancina ihm nun zuvorgeeilt, um das Heer für sich und gegen Germanicus einzunehmen , schreitet jener von Anfeindungen zum Ungehorsam, bald erfolgt offner Bruch in einer 5 5 5 persönlichen Zusammenkunft, wobei Germanicus Sanftmuth gegen Piso’s Rauhheit und rücksichtlosen Trotz schön absucht (An. IT, 57.). End- lich, als nach Germanicus, von Tiberius auch aus der Ferne beob- ’ achteter, Reise durch Egypten Piso’s überall sichtbare geringschätzige Widersetzlichkeit den Ausbruch des heftigsten Zornes herbeigeführt (An. II, 69. folg.), erliegt jener, und stirbt nicht ohne Schein der Versiftung, zwar erbittert gegen seine Feinde und gegen sie Rache auf- 5 5 ses ses rufend, aber mit hohem Muthe. Die Trauer, nicht blofs der römischen Provinzen, sondern des ganzen Orient, der ihn mit Alexander dem Grofsen vergleicht (An. II, 75.), die bald in iloffnung und Freude, bald in Furcht und Betrübnifs wechselnde Stimmung aller Stände in 5 kom, je nachdem täuschende oder ungünstige Nachrichten über ihn sich J 5 5 verbreiten (4n. II, 82. folg.), und die allgemeine Niedergeschlagenheit bei der Gewifsheit seines Todes, endlich der Agrippina von allem Volk gefeierter Trauerzug durch Italien, ihr Einzug in Rom mit dem Aschen- 5 kruge ihres Gauen (An. 11, 57. III, ı. folg.) und in Begleitung ih- ver Kinder — der Gegensatz von Germanicus früherm Triumphe — ist der glänzendste und rührendste Leichenpomp , des Volkes, Urtheil und unverstellte Betrübnifs die rühmendste Lobrede dem Todten , der dieser Ehren entbehrt, und der würdigste Ausdruck des Verlustes, den Volk und Staat in ihm erlitten. Dagegen wirft des Tiberius und der Livia kaltsinnige Zurückhaltung Licht auf die tiefere Quelle der Begebenheit; und was durch die ganze Darstellung ihres Verlaufs schon hervorleuch- tet, dafs Piso und Plancina wenigstens nicht ohne Tiberius Gunst und der Livia Mitwissen gehandelt (1), dafs diesen Beiden der Tod ihres Neilfen und Enkels willkommen ist, dafs Mächtige gewisse Thaten oft gern sehn, auch begünstigen, aber nicht vertreten mögen, und ihre (1) An. II, c.77. Est ubi Augustae conscientia, est Caesaris favor. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus; 115 Werkzeuge Preis geben, das erhellt aufs deutlichste aus dem Processe gegen Piso und Planeina und dessen Ausgange, welcher das Ganze, in dessen Triebfedern zurückgehend, gleichsam epilogisch vollendet. Tacitus selbst kündigt diesen Schlufs der Handlung an (1), und bezeichnet ihn mit einer ergreifenden Betrachtung über .das täuschende Spiel mensch- licher Geschicke, am Ende auch auf der Agrippina künftiges Schicksal hindeutend (2). i So wie in dieser grofsen tragischen Handlung von hohem, nicht blofs römischen, sondern allgemein menschlichen, Interesse nicht alles Einzelne ausgeführt, aber die fortschreitende genetische Entwicklung der- selben sichtbar gemacht, und jedes dramatische Moment mehr oder min- der hervorgehoben ist, so nın auch in den Geschichten der Imperatoren selbst, auf welche die Haupthandlung der Annalen sich am meisten con- eentrirt. Jedes Principat macht von dieser einen Theil aus, in jedem stellt sich das Wirken und Gegenwirken im Ganzen auf eine eigenthüm- liche Weise dar, und die Persönlichkeit jedes Princeps, somit auch seine Einwirkung auf das römische Wesen, mit allem, was sie begünstigt oder erschwert, was benutzt oder bekämpft wird, entwickelt sich durch ihre natürlichen, wo nicht mit Absicht genau bezeichneten, doch immer sehr kenntlichen, Stadien, wie ein Drama durch seine Acte. Am erschöpfendsten läfst sich dies nachweisen in der Geschichte des Tiberius, welche in vier von einander bestimmt unterschiedenen Entwickelungsstufen vollendet wird. Das Interesse der ersten dersel- ben dreht sich hauptsächlich um die Beziehung zwischen ihm und dem Germanicus. Die Rücksicht auf diesen bestimmt den Tiberius noch zur Vorsicht und Zurückhaltung, unter welchen aber sein wahres Wesen und Streben durchscheinen und die Keime des für die Zukunft drohenden Un- heils vorbereitet werden. Der Tod des Germanicus, welcher ihn des ver- meinten Nebenbuhlers entledigt, bald aber durch das tragische Ende sei- nes eignen, umsonst nun durch Beilegung der tribunieischen Gewalt als (1) An. III, 19. Is fuit finis uleiscenda Germanici morte, non modo apud illos ho- mines, qui tum agebant, etiam secutis temporibus vario rumore laclata. (2) ibid. Paucosque post dies Vipsania excessit — una omnium Agrippae liberorum mitt obitu. r.2 116 Süvenrn über den Kunstcharacter des Tacıtus. Nachfolger angekündigten Sohnes Drusus vergoltien wird (An. III. 56.), schliefst dies Stadium, worin das schmeichelnde Volk ihn noch Vater des Vaterlandes begrüfst (An. I, 72. II, 87.), und diese Epoche scheint dem Tacitus so wichtig, dafs er sie für den Wendepunct in Tiberius Principat erklärt (1), und bei ihr verweilt, um sie durch eine kurze Schilderung der Verwaltung des Reiches und Hofes, wie sie bis dahin gewösen, zu bezeichnen (2). — Gleich zu Anfang des zweiten Stadii tritt der schon früher eingeführte (An. T, 24.), dann in seinen Ab- sichten und seiner drohenden Stellung gegen Germanicus angekündigte (An. T, 69. III, 29.72.) Sejanus oflen hervor (5). Germanicus Tod hatte auch ihn von einem Gegner befreit; in dem des Drusus bricht sein geheim wirkender Einflufs auf einmal furchtbar aus. Jetzt kühn durch das Gelingen des ersten Frevels rüstet er sich zu weitrer Voll- führung seiner Plane (4), bemächtigt sich immer mehr des Tiberius, und bekommt ihn ganz in seine Gewalt, als er ihn zu dem schon früher vor- bereiteten (An. III, 5:1.) gänzlichen Rückzuge aus der Stadt nach Cam- panien und der Insel Caprea beredet (An. IV, 57.67.), und auf die- ser Reise ihm das Leben gerettet (An. IV, 59.), vollends aber als Livia gestorben ist, deren wohlbegründete Ansprüche dem Tiberius läsug waren (An. IV, 57.), die er selbst aber ehren und die Sejanus scheuen mulste. Hier beginnt der dritte Act, in welchem, wie Tacitus sagt (An. V,5.), ‚‚die Herrschaft scharf und drückend wird, denn bei Leb- „zeiten der Augusta war noch eine Zuflucht, weil dem Tiberius Erge- „‚benheit gegen die Mutter eingewurzelt war, und Sejanus nicht wagte, „an Einflufs die Mutter zu übertreffen ; jetzt brachen sie, wie der Zü- (1) An. IV, ı. Nonus Tiberü annus erat compositae reipublicae, florentis domus (nam Germanici mortem inter prospera ducebat) cum repente turbare fortuna coepit, saevire Ipse aut saevientibus vires praebere. (2) ıb.c.6. Quando Tiberio mutati in deterius principatus initium ille dies attulit. (5) ib.c. ı. Initium ei causa penes Seianum. (4) 2b. c.ı2. Nam ‚Seianus, ubi videt, mortem Drusi inultam interfectoribus sine moerore publico esse, JFerox scelerum et quia prima provenerant, volultare secum, QUo- u oe s I S nam modo Germanici liberos perverteret, quorum non dubia successio. Vergl..c. 54 und 60. Süvern über den Kunstcharacter des Tacıitus. 117 „‚gel entlöst, hervor.” Bei diesem Culminationspuncte der Handlung ist leider ihr Faden durch die hier in die Annalen gerissene Lücke ab- gebrochen, und man fafst ihn erst wieder, als die Rache auch den Sejanus in dem Augenblicke, wo er seinen Hoffnungen am nächsten stand, von dem ihm auflauernden Tiberius ereilt hat, und in weiter Ausdehnung sein Weib und seine Kinder, wie seine Anhänger und Schmeichler , in sein Verderben hineinzieht. — Auch den Tiberius twifft die vergeltende Nemesis. Der letzte Acı öffnet den Blick in das zerfleischte Innere (1) des in Lüsten und Grausamkeit erschöpften und noch immer ihnen fröhnenden (An. FT, ı.), nun allein stehenden grauen Tyrannen, und sein Ende zeigt ihn, wie er noch auf dem Tod- bette, als sein nochmaliges Erwachen verlautet, Entsetzen und Flucht verbreitet, und unter den auf Geheifs seines ersten Trabanten über ihn geworfenen Decken einsam und hültlos stirbt (An. FT, 50.). Hier stellt Taecitus das Bild dieser ganzen Lebenstragödie an ihren Schlufs, auch ihre Acte entwerfend, indem er spricht (An. FT, 5ı.): ‚‚Auch seines ‚Verhaltens Perioden waren verschieden ; vortrefllich im Leben und Ruf, ‚„‚so lange er Privatmann war, oder unter Augustus Heere befehligte; ‚„‚versteckt und heuchlerisch, so lange Germanicus und Drusus lebten ; ‚dann war er gemischt aus Bösem und Gutem bei Lebzeiten seiner Mut- „ter; verabscheuungswürdig an Grimmigkeit, aber geheim in Ausschwei- ‚„‚fungen, so lange er den Sejanus liebte oder fürchtete; zuletzt brach ‚„‚er aus in Frevel und Schande zugleich, als er, befreit von Scheu und „Furcht, nur seiner Neigung folgte.’ Nicht minder wird in dem, was von Qlaudius Prineipat übrig ist, dessen auf den ganzen Staat einwirkender Umschwung, als der Princeps aus den Händen eines wollüstigen Weibes in die eines herrschsüchugen übergeht, als solcher angemerkt, zuerst gleich nach Messalinens Bestra- fung vorbedeutend in den Worten (An. XI, 58.): ,‚Alles zwar zur ‚„„Steuer des Lasters, aber von den schlimmsten und für Viele traurigen „Folgen, dann als die jüngere Agrippina zu ihrer Nachfolgerin gewählt (1) #n. FT, c.6. Adeo facinora sua ipsi quoque in supplieium verterant. — Quippe Tiberium non fortuna non solitudines protegebant, quin tormenta pectoris suasque Ipse poenas fateretur. 118 Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. ist, vollständig und besummt (An. AIT, 7.): ‚Von nun an wandelte „sich der Staat, und alles unterwarf sich einem Weibe, das nicht in ‚„‚Üppigkeit, wie Messalina, mit Roms Angelegenheiten spielte; streng „und wie männlich ward die Herrschaft, im Äufsern Ernst und oft- „malen Übermuth, im Hause nichts Unsittliches, aufser so fern es der ‚Macht frommte, unersätliche Geldgier hatte einen Vorwand, wie wenn ‚„‚Hülfsmittel für die Herrschaft gesammelt würden.” Hier stellt Tacitus den Inhalt des zweiten grofsen Actes in Claudius Prineipat, in höchster politischer Beziehung, an dessen Spitze, und läfst ıhn dann handelnd sich entfalten, bis Claudius das Verderben trifft, das er durch seine Ver- mählung mit seiner Niftel Agrippina, durch Adoption ihres Sohnes und Zurücksetzung seines eignen sich selbst bereitet hat (1). Die ganz dramatische Geschichte des Nero eröflnet sich mit Zu- sammenstellung der Hauptpersonen , auf denen die Handlung darin be- ruht (#n. XIII, 2.), seiner Mutter Agrippina, welche nun am Ziele zu stehn und durch ihren Sohn herrschen zu können glaubt, des Seneca und Burrus, welche, obgleich von jener erhoben, darauf ausgehn, wo nicht ihn selbständig, doch wenigstens der Mutter die Herrschaft über ihn streitig zu machen, des Freigelassnen Pallas, des Gehülfen der Agrippina, und des Nero selbst, der keineswegs gesonnen ist, der Mutter und dem Freigelassnen, oder dem Erzieher und dem Obersten der Prätorianer, un- terthänig zu seyn. Diese Verhältnisse bilden die Mouve, von denen die ganze Handlung abhängt. Zuerst der scheinbar gute Anfang, die vorei- ligen, unbesonnenen und unstäten Versuche der Mutter, des Seneca und Burrus Gegenwirken und des erstern Übergewicht (An. XIII, ı2. ı5.), dann die durch Agrıppina’s wrotziges und stürmisches Betragen herbeige- führte Entfernung des Pallas, endlich der durch ihre Drohungen be- schleunigte Tod des Britannicus, in welchem Nero’s ganze wilde und wückische Natur auf einmal sich enthüllt, und der noch den Leser, wie da- mals die Anwesenden, vor Entsetzen erstarren macht (An. XIII, 16.) — Nun Beginn offner Ausschweifung und gemeiner Lüderlichkeit und der Buhlschaft mit der Poppäa , unter immer heftigerer, aber immer mehr ihres Zweckes verfehlender, bald Erbitierung bald Zudringlichkeit der (1) An. AUT, 2. Claudius nuptüs incestis et adoptione exitiosa semet perverterat. Süvenrn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 119 Asrippina, endlich die schauderhafte Ausführung des lange vorbedach- Sannna: 5 5 ten (1) Muttermordes, und dessen günstige Aufnahme bei Senat und Volk. — ‚‚Hiedurch übermüthig ‚,” spricht Tacitus (An. XIYF, ı5.), ‚„‚und als Obsieger der allgemeinen Knechtschaft, ging er aufs Kapitolium, ‚„‚brachte den Göttern seinen Dank, und ergofs sich nun in alle Lüste, ‚welche, bisher schon schwach gezügelt, doch noch durch einige Ehr- ‚„‚furcht vor der Mutter gehemmt waren.” Denn jetzt folgen in schnel- lem Steigen alle die Herabwürdigungen und Greuel, welche Nero’s Herr- schaft bezeichnen. Burrus und Seneca, nicht ohne Mitwirkung bei jener Unthat (#n. XIV, 7.), erndten nicht den davon erwarteten Gewinn, sondern müssen dem ihrer Vormundschaft Entwachsenden nachsehn, um ihn nicht ganz zu verlieren (An. XTF,, ı4.). Weiterhin bricht Burrus, ungewifs ob durch Gift des Nero erfolgter (An. XIV, 51.), Tod auch Seneca’s Einflufs (An. XIV, 52.), und des leiztern freiwilliger Rück- zug öffnet einem dem Nero zusagendern Genossen, dem Tigellinus, und der Poppäa freien Spielraum (An. XIP, 857.) ==" Die - Ver- mählung mit dieser zieht bald die Verstofsung und gleich darauf auch die Ermordung seiner schuldlosen Gattin Octavia (An. XIV, 60. folg.) nach sich, und die entdeckte Pisonische Verschwörung giebt ihm er- wünschte Gelegenheit, zu allgemeiner Niederlage der Besten, in welcher auch Seneca fällt, und der bald mehrere Hinrichtungen ausgezeichne- ter Männer, zuletzt die des Paetus Thrasea und Barea Soranus, ‚‚in de- „nen er die Tugend selbst auszurotten trachtete (An. XYT, 2ı.), folgen, während sein eigner Jähzorn durch den Tod seiner geliebten Poppäa ihn straft. So werden die Stadien dieses von den empörendsten ’ Greuelthaten , schauderhaften Unglücksfällen und. eigner Entwürdigung angefüllten Prineipats durch lauter Abscheulichkeiten des Princeps selbst kenntlich. Aber Tacitus Klagen über das ungeheure Blutvergiefsen und über die knechtische Gelassenheit der so thallos Umkommenden (An. XFT, ı6.), und die von ihm bemerkte Vorbedeutung des von Nero auf dem Capitolio dem Jupiter Vindex geweiheten Dolches (An. XV, 74.), lassen eine Zeit der Vergeltung erwarten, deren immer vermessnere Her- (1) An. XIII, c. 20. Nero trepidus et interficiendae matris avidus. 120 Süvenrn über den RKunstcharacter des Tacitus. ausforderung und endliches Einbrechen die verlorenen letzten Annalen- bücher berichteten. Durch das Alles flicht sich nun das in sich selbst höchst tragische Schicksal des Julischen Geschlechts, eine so reiche Saat von Shen. raschenden Begegnissen , verschuldeten und unverschuldeten Unglücks, schwerer Greuelthaten und ihrer Vergeltung, wie kaum das Geschlecht der Pelopiden oder der Labdakiden, in schauderhafter Verkettung um- fassend. Hier erscheint das auf eine blühende Nachkommenschaft ge- stützte Haus des Augustus durch frühen Tod und die Ränke einer Suef- mutter (1), zum Vortheil ihres eignen zugebrachten Sohnes Tiberius entvölkert, und durch diesen, gleich nach seiner Gelangung zum Princi- pat, auch Augustus letzter Enkel Postumus Agrippa getödtet; — dann auf ähnliche Weise Germanicus von der Grofsmutter und dem Oheim verfolgt und endlich erliegend, dennoch aber des letztern Absicht verei- telt, da bald sein leiblicher Sohn Drusus den Nachstellungen eines Frem- den, des Sejanus, und seiner eignen, durch Buhlschaft mit diesem ver- bundnen, Gattin Livia, einer Schwester des Germanicus, dessen Manen ein Opfer, fällt; — nun wieder Tiberius gezwungen, zu des ihm ver- hafsten Germanicus Söhnen zurückzukehren (Ar. /Y, 8.), und an diese des Volkes Hoffnung sich lehnend , aber zerstört durch Sejanus Verfol- gung und Ränke, welche dies unglückliche Geschlecht, durch Aufrei- zung des, wider Bitten des sterbenden Gatten, immer beftigen und trotzi- gen Sinnes der Mutter Agrippina, durch Anstifiung der Gattin gegen den Gatten, des Bruders gegen den Bruder, und durch Tiberius Grimm, auf die jämmerlichste Weise gröfstentheils in sich selbst aufreiben (An. IV, 17. 59. 54. 60. F, 4. FT, 25--25.), und dennoch ein Zweig dessel- ben nach Tiberius Tode Erbe seiner Macht (An. FT, 46.) ; — weiter, nach Caligula’s Ermordung, ein Mann zum Gipfel erhoben, an den man vorher am wenigsten dachte (#n. 71], ı8.), Claudius, des Germanicus Bruder, und dieser, nachdem er die gerechte Swrafe der Ausschweifun- gen seiner ersten Gattin zuzulassen genöthigt, in seiner Niftel, der jün- gern, ihrer Mutter an Hefugkeit und Herrschsucht, aber nicht an Keuschheit,, gleichen Agrippina, eine Tochter des Germanicus sich ver- (1) An.I, c.5. Mors Jato propera vel novercae Liviae dolus. Sivenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. > ek mählend, aber auch eine Stiefmutter seiner Kinder, die, der ältern Livia ähnlich, den zugebrachten Sohn Nero an die Stelle des leiblichen, Britannicus, eindrängt, Claudius selbst aus dem Wege räumt, und ihrem Sohne dadurch das Reich verschafft, zwar in der Absicht, durch dessen Vermählung mit Britannicus Schwester Octavia die Thaten zu sühnen und durch Entgegenstellung des Britannicus den Nero zu zügeln,, aber grausam in ihren Planen getäuscht, indem Nero, um dessentwillen sie auch einen noch übrigen Urenkel des Augustus, den Jun. Silanus, opfert, den Stiefbruder, die Mutter, die Gattin, welche zugleich Stief- schwester , kaltblütig tödtet; — und da diesen der frühe Tod seiner Tochter mit der Poppäa, dann seine eigne Rohheit gegen die schwan- gere Gattin, mit dieser selbst auch der Nachkommenschaft berauben, und er selbst kinderlos elend umkommt, so ist der an edlen Spröfs- lingen reiche Stamm der Cäsaren, wenig durch natürliches Geschick, mehr durch sich selbst und durch politische Unthaten,, binnen nicht viel mehr, als einem halben Jahrhundert, ausgetilgt, das zu Anfang der Annalen volle und blühende Haus des Augustus steht an deren Schlusse — die griechische Tragödie würde sagen durch einen dumwv ÜNdsup — verödet und leer, und Rom, das sich, um vor den gefürchteten Bür- gerkriegen sicher zu seyn, diesem Geschlechte unbedingt in die Arme geworfen, ist, nur tiefer durch dasselbe verderbt und entwürdigt, neuen Zerrüttungen Preis gegeben. Es gleichen also, dieser Analyse zufolge, die Annalen einem grofsen dramatischen Gewebe, in welchem sich viele kleinere und gröfse- re, theils einzelne, theils mit der Haupthandlung enger verschlungene, alle aber der letztern untergeordnete und auf ihr Thema sich beziehende, Handlungen, auch von Nebenscenen und Episoden, die aber nicht min- der zur Characteristik des Ganzen gehören , unterbrochen , neben und durch einander hinflechten, jedoch ohne dafs diese über das annalisti- sche Skelet hingesponnene Kunstform das Ansehn hat, als sey sie von Tacitus gesucht worden, sondern vielmehr sie habe sich dem reinen und hellen Blicke, womit er seinen Stoff aufgefafst, und der Treue, womit er ihn in seiner wahren Gestalt abgebildet, von selbst ergeben. Schwie- riger war dieser Stoff allerdings in hohem Grade, als der der Historien, und die ihm gegebne Form erforderte bei weitem reifere Klarheit und Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. Q 122 Süverw über den Kunstcharacter des Tacitus. Kraft des Geistes, was auch mit für die Annahme späterer Abfassung der Annalen, als der Historien, spricht. Aber der übereinsiimmende Kunstwerth jden beiden grofsen Ge- schichtiwerke ist, um das Resultat des Vorgetragnen kurz auszudrücken, in die dramatische Behandlung des Stoffes zu setzen, von welcher nun kaum mehr zu erinnern nöthig seyn wird, dafs sie keineswegs in der häufigen Einflechtung von Reden, worin man sie gewöhnlich sucht (1), allein bestehe, obwohl diese, wenn das rechte Maafs darin gehalten wird, wenn Reden nur da angebracht sind, wo sie wirksam eingreifen, und wenn dem Ganzen das Wesentliche nicht fehlt, welches alles im Taecitus zusammenirifft, mit dazu beitragen kann, den dramatischen Cha- racter eines Geschichtwerkes zu verstärken (2). Noch deutlicher würde die dramatische Anlage und Abrundung eines jeden der beiden Werke in seiner Sphäre erhellen, wären nicht die Annalen überhaupt so sehr, und besonders um den Schlufs, die Historien um mehr, als ihre ganze zweite Hälfte, verstümmelt, indem Tacitus, wie es seine künstlerische Art ist, auf die handelnden Personen, nachdem er sie durch ihr Leben selbst hat erklären lassen, an dessen Ende noch einmal helles Licht zu- rückzuwerfen (5), wahrscheinlich eben so die durch jedes der beiden (1) uw a. Creuzer de Xenophonte historico p. 87. folg. Creuzer die historische Kunst der Griechen, S. 166. 167. 205. 519. Über die dramatische Behandlungsart der Geschichte, in der deutschen Monatsschrift, Juliusheft 1798. (2) Livius u. a. gefällt sich, wie bekannt, sehr in Einschaltung ausführlicher Re- den, weifs auch das Dramätische einzelner Begebenheiten, wie Meierotto z. B. an der Geschichte des Syphax und der Sophonisbe gezeigt hat (im Programm des Joachims- thalischen Gymnasii vom Jahre 1795, S.20—50.), durch seine Darstellung auszu- drücken, allein seine Historien gewinnen dadurch nicht den dramatischen Character, der nur von der Haltung des Ganzen ausgehn kann. — Sehr treffende Bemerkungen über das richtige Anbringen von Reden in Geschichtwerken macht Krüger pracfat. ad Dionys. Halie. Historiographica, p. XXIX sg. (5) Z. B. bei der Livia, An. 7, ı; dem Tiberius, An. FI, 50. 5ı.; dem Otho, Hist. II, 50; dem Fabius Valens, Hist. IT, 62; dem Flavius Sabinus, 16.75. u.a.m. Doch ist Tacitus hierin nicht einförmig. Hist. IV, 5 schildert er z. B. den Helvidius Priscus sehr vollständig, als er ihn einführt, und läfst ihn dann durch sein Handeln im öffentlichen Leben selbst diese Schilderung bewähren. Die Characteristik des Sejanus stellt er An. IY, ı. an den Anfang des Culminirens seiner Macht. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 123 Werke im Ganzen verbreiteten Strahlen an seinem Schlusse zu einem hellleuchtenden Reflex versammelt hatte. # Die den Annalen wie den Historien häufig eingemischten , die Verificauion der Thatsachen, oder auch ihre Anordnung, angehenden Be- merkungen löschen dies jenen Werken eigne Kunstgepräge nicht aus, so wenig als die eingestreueten Erklärungen über den Zweck des Autors oder seine Ansichten der Geschichte, welche als Theile einer in den Or- ganismus des Werkes selbst verwebten Vorrede betrachtet werden kön- nen. Alles dies stört den Zusammenhang und hindert seine Festhaltung nicht, sondern klärt oft gerade an der Stelle, wo es befindlich, mehr über ihn auf, und versetzt wirksamer in den rechten Standpunct der Be- trachtung, als wäre ihm ein abgesonderter Platz aufser demselben ange- wiesen. Dabei eröffnen doch Prologe sowohl die Historien als die An- nalen, aber von ganz andrer Art, wie gewöhnliche Vorreden, sondern als organische Bestandtheile und Grundlagen der Werke selbst, welche, den dramatischen Prologen vergleichbar, mit inhaltschwerer Kürze auf die Handlung selbst vorbereiten durch Motivirung des rechten Stand- punctes wie der Ansicht von der Unbefangenheit des Autors, von wo aus die Betrachtung an dieselbe gehn müsse, durch Angabe ihres Um- fanges, und in den Historien auch ihres Characters, der Prolog zu den Annalen aber auch darin den Prologen der alten Tragödie ähnlicher, dafs er sich minder von der Darstellung scheidet, sondern allmählig in sie übergeht. Wollte man nun sagen, der von Tacitus umfafsten Geschichte selbst sey die dramatisch - tragische Anlage eigen, und nicht das Werk seiner Kunst, so ist dies in so fern ganz richtig, als er eine falsche Kunst geübt, als er gekünstelt haben würde, wenn er sie willkührlich hätte hineintragen wollen. Aber dafs er sie so richtig ohne alles falsche Suchen erkannt, so klar und vollständig aufgefafst, so treflend und ergreifend dargestellt hat, das ist das Eigenthümliche seiner Behand- lung, und die Eigenschaft, worauf ein bedeutender Theil ihres Wer- thes beruht. Daher denn auch seine Werke von Tragikern nicht un- benutzt geblieben sind, obwohl sie noch mehr Stoff und Gesichts- puncte für tragische Darstellungen darbieten, als bis jetzt aus ihnen D Q 2 124 Süvzenn über den Kunstcharacter des Tacitus. Pr / geschöpft ist (1). Auch Historienmalern, sowohl zu ihrer Vorbereitung als auch zur Kunstübung, würden sie ein sehr erspriefsliches Studium gewähren. Um aber den Kunstcharacter des Tacitus vollständig zu entwickeln, bleibt noch übrig, den tiefsten Punct, worin die Historie und das tra- gische Drama einander berühren, näher zu betrachten. Beide haben nehmlich, wie schon bemerkt worden, einen gemein- schaftlichen Gegenstand und ein gemeinsames Urbild, das Leben und die Geschichte selbst. Sie streben beide, in die Quellen und Triebfedern der- selben einzudringen, und deren Wirksamkeit in der einer jeden angemes- sensten Form darzustellen. Durch die Verschiedenheit der Gesichtspuncte, von welchen aus, und der mehrern oder mindern Tiefe, womit dies ge- schehn kann, ergeben sich auch in beiden parallele Unterschiede. Diese entspringen daraus, je nachdem die Geschichte als das Product blofs menschlicher Factoren betrachtet, oder auch der Einflufs einer über- menschlichen Macht in ihr anerkannt wird. Die letztere Ansicht führt den Gang der Begebenheiten entweder auf die Gouheit, oder auf das Verhängnifs, d.h. auf das allgemeine Naturgesetz, die erstere auf psycho- logische und sociale Motive und Verhältnisse zurück und erklärt ihn aus solchen. Jene ist die älteste, aus der einfachsten und allgemeinsten Auffassung des Lebens entsprungene ; diese bildete sich mit der bestimm- teren Gestaltung der politischen und übrigen socialen Verhältnisse, mit den darin entstehenden Verwickelungen, und der hiedurch hervorge- brachten gröfsern Spannung der Menschen auf das Besondre, und in sie hat sich allmählig das Drama wie die Historie, mit wenigen Ausnahmen, verloren. Allein beide können zusammen bestehn, wie im Leben selbst (1) Viele tragische Züge im Tacitus hat ausgezeichnet Ad. Gottl. Lange in seinen Findieüs tragoediae Romanae (Lips. 1822.) S. 55 und 54. Racine’s Britannicus kommt übrigens dem Geiste des Tacitus weit näher, als Corneille’s Otho, der sehr viel Will- kührliches in der Fabel wie in der Manier enthält, und das wahrhaft Tragische der Bege- benheit in einer Hofintrigue untergelin läfst. In Arnault’s Germanieus sind wenigstens die Motive und die Verhältnisse ziemlich richtig ausgedrückt, überhaupt ist Taeitus gut darin benutzt, indefs nicht ohne starke Anatopismen, Anachronismen und andre Abände- rungen, und mit Hineinlegung vieler zur Sache selbst nicht gehörender temporeller und localer Anspielungen. Süvern über den Kunstcharacter des Tacıtus. 125 das freie Handeln jedes Einzelnen für sich mit der höhern Ordnung des Ganzen besteht. Beide sind auch, obwohl man die Methode der Ge- schichtbehandlung nach der letztern ausschliefslich die pragmatische ge- nannt hat, fruchtbar zur Lehre und Warnung, diese in Hinsicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die darin möglichen Collisionen , jene in Hinsicht auf die von Menschen nicht erfundene noch zu mo- delnde Regel des Lebens, das tiefste allgemeine Gesetz der Geschichte, und die zerstörenden Wirkungen, welche Abweichung davon und Auf- lehnung dagegen immer nach sich ziehn. Es ist hier nicht der Ort, diefs weiter und mit Rücksicht auf mehrere Beispiele auszuführen, da es zunächst nur um Anwendung auf Tacitus zu thun ist. Dafs dieser pragmatische Zwecke in dem gewöhnlichen Sinne gar sehr vor Augen habe, und deswegen in die psychologischen und socialen Causalverhältnisse uef eingehe, wird allgemein anerkannt, und ist be- reits oben das Nöthige hierüber bemerkt worden. Nicht minder ist aber, wie aus den obigen Entwickelungen hervorgeht, auch der höhere reli- giöse Zusammenhang der Begebenheiten in seiner Darstellung ausge- drückt. Wie einmaliger Abfall von den ewigen allgemeinen Gesetzen des Lebens oft eine Verkettung des Unheils nach sich zieht, die sich fort- pflanzt von Geschlecht zu Geschlecht, Unsehuldige mit den Schuldigen verstrickend, und ganze Staaten ins Verderben reifsend; wie menschliche Selbsisucht und Kurzsichugkeit Plane macht, die nicht Plane der Vor- sicht sind, und deshalb in sich selbst zerfallen; wie auf Überhebung und Vermessenheit jäher Sturz folgt, das Verbrechen, seine Absichten ver- fehlend, sich selbst straft, unter dem Scheine des Glücks und des Ge- lingens schon das Unglück und die Rache sich bereiten und unerwartet die Verblendeten ereilen, das spiegelt sich im Ganzen wie im Einzelnen seiner Werke, und trägt nicht wenig bei, den ihnen eignen dramatisch- tragischen Character in seinem tiefsten Wesen zu vollenden. Dies aber brachte die rein objective Auffassung und Darstellung der Geschichte von selbst schon mit sich, wie auch das Werk des Thukydides, obwohl er selbst der religiösen Ansicht der Geschichte, auf welcher Herodotos gänzlich beruht, geradezu abgewandt ist, schon aus der blofsen Verknüpfung der Begebenheiten den Finger der walten- 126 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. den Nemesis erkennen läfst (1). Es kommt indefs darauf an, in wie fern Tacitus dieses religiösen, in seinen Werken auch ausgedrückten, Characters der Geschichte sich bewufst war, und wie er den übersinn- lichen Grund der Geschichte sich selbst dachte, eine Frage, die in einer Vergleichung zwischen ihm und Thukydides nicht hätte unerörtert blei- ben dürfen. Zuvörderst ist Tacitus Urtheil über des Lebens Wandelbarkeit und Täuschung, über die dem Menschen ziemende Mäfsigung und Be- scheidenheit, und die dem Gegentheil folgende Strafe, aus der Art, wie er Züge davon erwähnt, und den Bemerkungen, die er einflicht, zu er- sehen. Die Veränderungen in der Stadt nach dem Siege der Flavianer und der Ankunft des Mucianus merkt er an (Hıist. IV, 47.), ‚als ‚„‚grofse Beispiele des unbeständigen, in Erhebung und Erniedrigung „wechselnden , Glückes.’”’ ,,Mir,’” spricht er bei Gelegenheit des vor seinem Principat ganz übersehenen Claudius (An. ZII, ı8.), ‚‚mir „schwebt, je mehr älterer oder neuerer Geschichten ich erwäge, um ‚‚so mehr die Täuschung des menschlichen Lebens in allen Angelegen- „heiten vor, denn durch Gerücht, Erwartung, Verehrung wurde jedem ‚„Andern vielmehr die Herrschaft zugedacht, als dem, welchen als künf- „tigen Princeps das Glück im Verborgenen hielt.” Nero’s Freudebe- zeigung, als ihm eine Tochter von der Poppäa geboren war, nennt er (2) ‚„‚gröfser, als Menschen gezieme,’’ und bemerkt gleich darauf ihre Nich- ügkeit, da nach vier Monaten schon das Kind gestorben. Er mifsbilligt die Ehre, die Vitellius nach der Schlacht bei Bedriacum und seiner Ankunft in Italien seinem jungen Sohne erweisen liefs, als zu grofs (Hist. II, 59.), sein Verweilen auf dem Schlachtfelde und die ihm von den Cremonesern bezeigten Verehrungen als ‚Menschen nicht angemes- „sen (5). Und als derselbe nach Vespasians Siegen vom Sitze der Herrschaft auszieht, bemerkt er (Hist. III, 68.): ‚‚Niemand sey des ‚„‚Looses der menschlichen Schicksale so uneingedenk gewesen , dafs ihn ’ „dieser Anblick nicht gerührt hätte.’ (1) Vergl. Kortum a.a. O. S. 200. (2) An. XV, c.25. Ultra mortale gaudium. (5) Hist. IL, c.70. Nec minus inhumana (d. i. 2 zer avSgwrov) pars viae etc. Süvzenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 127 Diese Anerkennung, dafs der Mensch nicht Meister seines Ge- schickes sey, und sich deshalb in Übermuth nicht erheben dürfe , wei- set auf ein höheres Walten über den menschlichen Angelegenheiten hin, welches Tacitus häufig den Göttern beilegt, deren Ungnade er grofses Unglück und Elend, Glück dagegen ihrer Güte, ausdrücklich zuschreibt. Sie veranstalten die Enthüllung böser Thaten, wie sie u. a. die Nacht, worin Nero seine Mutter unter dem Scheine des Zufalls zur See umkommen lassen wollte, ‚‚sternhell machten und das Meer ruhig, ‚gleichsam um die Frevelthat zu offenbaren (An. XIV, 5.).” Die Rettung der Stadt von der äufsersten Hungersnoth unter Claudius (Zn. XIT, 46.) wird nicht dem gelinden Winter allein, sondern auch der Gnade der Götter, zugeschrieben , und die plötzliche Umkehr der schon siegenden Gallier, Bataver und Germanen zur Flucht in der Schlacht gegen Peulius Cerialis. (Hıst. //, 78.) göttlichem Einflusse beigemessen. Ausgezeichnete Beweise dieses Einflusses sind die Wun- derheilungen, welche Vespasianus in Alexandrien verrichtet und die Er- scheinungen, die ihm dort begegnen, welche Tacitus so erzählt, dafs man sieht, er habe an ihrer Wahrheit nicht gezweifelt (1). Dage- gen ist ihm alles Leiden , welches den Staat durch die Herrscher und ihre Günstlinge trifft, Wirkung göttlichen Zornes gegen Rom. Sejanus fesselte den Tiberius (4n. 7/7, ı.) ‚„‚nicht sowohl durch seine Schlau- „heit, denn durch gleiche Ränke wurde er besiegt, als durch den „Zorn der Götter gegen Rom, zu dessen Verderben er gleicherweise OR} ° „blühte und fiel Die unter Otho und Vitellius gegen einander käm- pfenden Heere werden, ‚wie die Heere in den frühern Bürgerkriegen, „durch gleichen Zorn der Götter, gleiche Wuth der Menschen, gleiche ‚„‚Reizungen des Frevels, zur Zwietracht getrieben (Hist. IT, 58.).” Die zahllosen Hinrichtungen unter Nero (An. XYT, ı16.), wie die gleich- zeitig herrschenden Ungewitter und Seuchen (An. XYT, 15.), sind Wir- kungen des Zornes der Götter gegen den römischen Staat. i Sehr oft wird aber auch das Verhängnifs (fatum), oder die Glücksfügung (jortuna), als Grund von Ereignissen angenommen, (1) Hist. IV, c.3ı1. Utrumque qui interfuere nunc guoqgue memorant, posiquam nullum mendacio pretium. 128 Sivreran über den Kunstcharacter des Tacitus. welche aufser der Berechnung lagen, oder deren Ursprung sich nicht nachweisen läfst, von verdunkelten Gemüthsstimmungen, von besonders glücklichem Ausgange. Dem Verhängnisse überläfst Tiberius, unschlüs- sig und auf eigne Wahl endlich verzichtend , die Bestimmung seines Nachfolgers (1). Es ist eine ‚‚verhängnifsvolle Feigheit,’” welche die Häupter der Pisonischen Verschwörung lähmt (An. XY, 6ı1.). Der dem Galba unerschütterlich ireu gewesene Celsus bewahrt, nachdem Oıho ihm verziehen, auch diesem (Hist., 71.), ‚‚wie durchs Verhäng- ‚„‚nifs, ungeschmälerte und unglückliche Treue.” Senat und Volk trau- ern (Hist. I, 50.), ‚‚dafs Otho und Vitellius, die beiden an Unkeusch- „heit, Schlaffheit, Üppigkeit schlechtesten aller Sterblichen , wie zum ‚‚Verderben des Reichs vom Verhängnifs gewählt sind.’ Es ist das Verhängnifs, welches die Keime zum Aufstande des Claudius Civilis (Hist. IT, 69.), und das Glück, welches den Grund bereitet zur Herr- schaft des Vespasianus, dessen Gelingen überhaupt von den Göttern, wie vom Verhängnifs und Glück begünstigt (2), und nicht minder oft unterstützt wird, als durch die Klugheit seiner Feldherrn (5). Hiemit hängt zusammen die häufige Erwähnung von Vorbedeu- tungen und Zeichen, von Orakeln und Vorhersagungen , wodurch der Wille der Götter oder die Bestimmung des Verhängnisses angedeutet, woran er erkannt und wodurch er erforscht wird. Tacitus spricht theils zu positiv, theils oft mit einer gewissen Scheu , von dergleichen That- sachen, als dafs man nicht annehmen dürfte, er sey im Allgemeinen von ihrer Wahrheit überzeugt gewesen. Gleich an die Spitze der Historien, nachdem er den grausenhaften Character der Zeit, deren Geschichte er vortragen will, geschildert, und die Vorbedeutungen und Wunderzeichen, wovon sie voll gewesen, erwähnt, stellt er die Betrachtung (4): ,‚, Und „niemals ist es durch schrecklichere Unglücksfälle des römischen Volks (1) An. FI, ce. 46. Consilium, cui impar erat, falto permisüt. (2) Hist. IT, c.ı. ib. c. 82. Suflicere videbantur in Fitellium pars copiarum et dux Mucianus et Vespasiani nomen, ac nihil arduum fatis. (3) Hist. IT, c. 59. Ni Vitellium retro fortuna verlisset, quae Flavianis dueibus non minus saepe quam ralio adfuit. (4) Hist. I, e.5. Dafs in dieser Stelle nichts Epikuräisches liege, haben durch deren richtige Erklärung die Bipontiner bereits gegen Lipsius erwiesen. Süvern über den Kunstcharacter des Tacıtus. 129 „und wahrhaftere Zeichen bestätigt worden, dafs die Götter nicht uns ‚„‚sicher zu stellen, sondern uns zu strafen bedacht sind.’ Die Erzäh- lung des Anzeichens von dem für Otho ungünstigen Ausgange der Schlacht bei Bedriacum, welches sich am Tage derselben zu Rom ereignet, leitet er mit der Eıklärung ein (Hist. II, 50.): ‚Wie ich Märchenhaftes „zusammenzusuchen, und durch Erdichtungen die Leser zu ergötzen, ‚dem Ernste meines Werkes ganz unangemessen halte, so wage ich es „nicht, des allgemein Bekannten und Überlieferten Glaubhaftigkeit zu „‚schmälern.’”’” Und so erwähnt er mit Bestimmtheit u. a. die Wunder- zeichen vor Claudius Tode (An. XIT, 64.), als eine schlimme Wendung der öffentlichen Angelegenheiten vorbedeutend, die Prodigien vor der Pi- sonischen Verschwörung als Boten bevorstehenden Unglücks (An. A, 47.), und eine Menge anderer Vorzeichen in ähnlicher Beziehung (1), un- terläfst es auch nicht, Orakel, wie die dem Germanicus und dem Titus ge- gebnen (An. II, 55. Hist. II, 4.), und Vorhersagungen, wie die des kunstverständigen, von Thrasyllus unterrichteten, Tiberius über Galba (An. VI, 20.), über Macro, über Caligula und seinen Enkel Tiberius Gemellus (2), die der jüngern Agrippina über ihren Sohn Nero und über sie selbst von Chaldäern gesprochnen (An. XIV, 9.), die des Sohnes des Thrasyllus über die Herrschaft des Nero (An. FT, 22.), sorgfältig anzu- merken, und erklärt seine eigne Meinung won ächter Weissagekunst, weiche nur durch menschliche Kurzsichuigkeit in Deutung der Sprüche ir- vig werde, bei Gelegenheit der astrologischen Prophezeihung (An. IV, 58.), Tiberius werde von seiner Entfernung nach Campanien nicht wieder zurückkehren, aus welcher Viele zu ihrem eignen Verderben auf ein nahes Ende des Princeps schlossen. ‚‚Bald,’ sagt Tacitus hier, ‚‚zeigte es sich, ‚„‚wie nahe die Kunst und der Irrıhum an einander grenzten, und durch ‚„‚ welches Dunkel die Wahrheit verschleiert wurde; denn dafs er nicht in ‚„‚die Stadt zurückkehren werde, war nicht zufällig gesprochen, aber das ‚, Weitre wufste man nicht, da er in der Nähe, auf dem Lande oder an „der Küste, oft an den Mauern der Stadt weilend, das höchste Alter er- „reicht hat.’’ Hieraus scheint zu erhellen, dafs Tacitus nicht um der rö- (3), „us a. Ans I ei 2 L], 17, #7Btst.,1;462: (2) An. VI, c. 46. Vergl. Sueton. Calıg. c. 25. Hıst. phiolog Klasse 1822-1823. R 130 Süvzenn über den Kunstcharacter des Tacıtus. mischen Staats- und Volksansicht von Vorbedeutungen, Weissagungen und Anzeichen willen, sondern aus eigner, der stoischen Weltansicht angemefsnen, Überzeugung von dem Eingreifen einer höhern Macht in die menschlichen Schicksale, und die Möglichkeit, ihre Bestimmungen an ge- wissen Zeichen zu erkennen, jene der Erwähnung werth hielt. Zwar kommen nun auch viele Aufserungen vor, in denen man einen Widerspruch gegen alle jene Ansichten erblicken könnte. Dieser Widerspruch ist indefs, bis auf ein Paar Fälle, nur scheinbar; vielmehr geht aus dem gröfsten Theile der Stellen, worin man ihn suchen mögte, mit den obigen verglichen , erst die vollständige Ansicht des Tacitus über die Triebfedern des Lebens und der Geschichte hervor. Wenn er nehmlich Vorbedeutungen und Wunder nur als vom Volke für solche gehalten anführt (1), wenn er Ereignisse erwähnt, die man nur in Unruhen und Gefahren für aufserordentlich und bedeutüngs- voll ansah, in andern Zeiten als gewöhnlich betrachtet haben würde (2), wenn er von Naturbegebenheiten,, die für Vorboten von Nero’s Tode gehalten wurden, sagt (5): ‚‚Sie haben sich so wenig unter besondrer ‚‚Theilnahme der Götter ereignet, dafs Nero vielmehr noch viele Jahre „nachher seine Herrschaft und Frevelthaten fortgesetzt habe,’’ wenn er endlich Fälle angiebt, in denen man erst nach dem Erfolge auf die ihn ankündigenden Zeichen und Prophezeihungen geachtet, und die Bestim- 5 mung des Verhängnisses darin erkannt habe (4); so ist dies der in obi- (1) u.a. An. XIII, ı7. Utvulgus iram Deum portendi crediderit. ibid. e. 41. Adüeitur miraculum velut numine oblatum. AIF ,47. Hune illum numine Deum destinari credebant. (2) Hist. I, 86. Prodigia insuper terrebant diversis auctoribus vulgata — et plura alia rudibus saeculis etiam in pace observata, quae nune tantum in melu audiuntur. Hist. IV, 26. Apud imperitos prodigü loco accipiebatur ipsa aquarum penuria — quod in pace fors, seu natura, tunc fatum et ira Dei vocabatur. (5) An. XIY, ı2. In dieser Stelle epikurisirt weder Tacitus, wie Lipsius behauptet, noch spottet er, wie Ernesti am Schlufs seiner Anmerkung dazu anzudeuten scheint, über die portenta überhaupt. Vielmehr ist Ernesti’s erste Erklärung, apparuit, in his portentis nil divini fuisse, die richtige, und der Satz quae adeo sine cura Deum eveniebant sagt nichts anders, als das vorhergegangne irrita, denen die rata, iusta omina, portenta entge- gengesetzt sind. (4) An. XV, 74. In praesens haud animadversum, post arma Juli Findieis ad auspi- cium et praesagium futurae ultionis trahebatur. Hist.I, 10. Occulta lege fali et ostentis ac responsis destinalum Vespasiano liberisque eius imperium post fortunam eredidimus. Süvern über den Kunstcharacter des Tacitus. 131 gen klaren Aussprüchen liegenden Ansicht von den Erkennungszeichen der Zukunft nicht entgegen (1), sondern beweiset nur, mit jenen zn- sammengenommen , Tacitus Meinung , dafs nicht alles bedeutsam sey, was gewöhnlich oder in gewissen Stimmungen dafür gehalten werde, dafs Irrthum in der Erklärung und ‘ein Nichtachten auf gewisse Dinge möglich sey, in denen man nach späterer Erfahrung die wahre oder eine angenommene Bedeutung entdecke, kurz, dafs die Beachtung und Erklärung der Vorzeichen und Prophezeihungen nicht immer von relati- gig geschehe. So auch, wenn er an vielen andern Stellen mit dem übernatür- ven und subjectiven Bedingungen unabhän lichen Einflusse, dem ein Ereignifs zugeschrieben werden konnte, und den Zeichen, woran dieser zu erkennen war, auch die natürliche Ursach b) > zugleich mit angiebt (2), oder wenn er letztere mit dem Verhängnifs und seinen Zeichen so zusammenstellt, dafs die Wahl zwischen beiden un- entschieden bleibt (5), oder wenn er auch die Mitwirkung der durch Offenbarungen der Zukunft in Menschen, welche sie betreffen, hervor- gebrachten Gemüthssiimmungen als den Erfolg weibend und fördernd, wie bei Vespasianus (4), mit in Anschlag bringt, so stimmt dies alles zwar mit seiner Neigung zu psychologischer Erklärung der Begebenheiten sehr (1) Eben so wenig, wenn An. XV, 54. und Hist. I, 27. verschiedne Erklärungen der- selben Vorbedeutungen angegeben werden, indem für den Einen günstige Zeichen wohl für den Andern ungünstig seyn mufsten, und umgekehrt. (2) wa. An.I,c.55. Sed Farus fato.et vi Arminü cecidit. ib. XFI, ı. Inlusit Neroni ‚Fortuna per vanitatem ipsius et promissa Cesellii Bassi. Hist. II, 76. Juxta Deos in manu tua positum est. ib. III, ı. Meliore fato fideque partium Flavianarum duces consilia belli tractabant. ib. III, 56. nach Erwähnung mehrerer dem Vitellius ungünstiger Vorzeichen: ‚Sed praecipuum ipse Fitellius ostentum erat, ignarus militiae, improvidus consilil ete. (5) u.a. An. XIII, c. ı2. Fato quodam, an quia praevalebant inlieita. ib. AI, 26. Sive fatali vaecordia, an imminentium periculorum remedium ipsa pericula ralus. ib. AT, 5ı. Sive ceperal ea species, seu forte lapsa vox in praesaglum vertit. ib. LIT, 30. Fato potentiae raro sempiternae, an satias capit aut illos cum omnia tribuerunt, aut hos cum nihil iam religuum est quod cupiant. ib.V,4. Fatali quodam motu seu prava soller- dia. Hist. I, 18. Observatum id antiquitus comitüs dirimendis non terruit Galbam, quo minus in castra pergerel, contemtorem talium, seu quae fato manent, quamvis significata, non viltanlur. (4) Hist. II, 75. Der dort vorkommende Ausdruck nec erat intactus tali superstitione ist nur nach dem Sinne, welchen das Alterthum mit superstitio, als dem Glauben an über- natürlichen Einflufs und seine Erforschung, verband, zu deuten. R 2 132 Süvenrn über den Kunstcharacter des Tacitus. überein, läfsı aber doch Götter und Verhängnifs und Glück neben den Überlegungen, Entschlüssen und Leidenschaften der Menschen stehn. Äufsert er aber Zweifel (An. IV, 20.): ‚‚Ob, wie das Übrige, ‚‚so auch die Neigung der Fürsten zu Diesen, ihre Abneigung von An- „dern, durch das Verhängnifs und Loos der Geburt bestimmt werde, „oder ob dabei etwas auch auf unser Benehmen ankomme,’’ und bekennt er bei der Erzählung, wie Thrasyllus in der von Tiberius angestellten gefährlichen Probe seiner Wahrsagekunst bestanden (An. FT, 22.): ‚Er „‚sey ungewils, ob vom Verhängnifs und einer unabänderlichen Noth- ‚„‚wendigkeit, oder vom Zufalle, die menschlichen Schicksale abhan- „gen, mit Rücksicht auf die hierin verschiedenen Systeme der Stoiker und Epikuräer; so gesteht er hiemit ein Schwanken nicht allein zwischen den psychologischen und den von menschlicher Klugheit und Macht un- abhängigen Ursachen der Begebenheiten, sondern auch zwischen ver- schiedenen Ansichten über die letztern, welches jedoch am Ende zu dem gemeinen und auch stoischen (1), Glauben: ‚‚Dafs bei eines Jeden erster „Entstehung seine Zukunft bestimmt werde, dafs aber Einiges anders, „als vorhergesagt worden, ausfalle, wegen des Trugs derer, welche Un- ‚„‚verstandnes verkündigten, und dafs so die Zuverlässigkeit der Kunst „verfälscht werde, von welcher glänzende Beispiele die alte sowohl als ‚„‚die neue Zeit aufzuweisen habe,’ sich zu neigen scheint. Entschieden räumt er dagegen zu Anfang der Historien (Hist. 7, 4.), wo er die Lage der Stadt und des Reiches schildert, damit, wie er sagt, „nicht nur die Ereignisse und die Erfolge, welche gröfstentheils zufäl- ‚„‚lig wären, sondern auch Grund und Ursachen, erkannt würden,” dem Zufall grofsen Antheil an der Geschichte ein, und zwar nicht den Göt- tern, sondern der Causalität der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber, und nachdem er kurz zuvor alle die schweren Drangsale der Zeit für Zeichen des göulichen Zornes über Rom erklärt hat. Und gegen das Ende der Annalen, wo er den Göttern Gleichgültigkeit gegen gute und böse Thaten anschuldigt (2), wirft er sich, mit nicht abzuläugnendem c e 4 & - : (1) Seneca de providentia e.V’, 5. Fata nos ducunt, et quantum cuique restet prima nascenlium hora disposuit. (2) An. AYT,55. Aequitate Deum erga bona malaque documenta. Süvenrn über den Kunstcharacter des Tacıtus. 133 Epikurismus, dem Zufall geradezu in die Arme, indefs wohl nur im Ausbruch der Erbitterung über die gehäuften Gräuel der Neronischen Zeit, welche auch in andern Äufserungen darüber sich ausspricht. Es ergiebt sich aus diesem Thatbestande das allgemeine Resultat, dafs Tacitus in der Geschichte nicht eine Reihe blofs natürlicher Ursachen und Wirkungen sieht, sondern auch das Walten einer höhern Macht in ihr anerkennt, dafs seine Vorstellung von der letztern und von der Ver- bindung beider mit einander, zwar stoische Grundzüge enthält, indem auch jene verschiedene Bezeichnung des metaphysischen Grundes der Ge- schichte als Gottheit, Verhängnifs, Glücksfügung aus der stoischen Philo- sophie, welche Gottheit und Verhängnifs zu vereinigen wufste (1), und alle jene Bezeichnungen einer und derselben Sache gestattete (2), erklärt werden kann, dafs sie aber ihrer selbst nicht völlig gewifs, sondern ein Schwanken und Zweifeln in ihr nicht zu verkennen ist (5). Zu verwun- dern ist dies nicht, da Taeitus, wenn er sich gleich zur Lehre der Stoiker am meisten hinneigt, und vorzüglich ihrer Moral Beifall zu geben scheint (4), (1) Seneca de providentia c. V', 6. Ille ipse omnium conditor ac rector scripsit quidem Jata, sed sequitur ; semper paret, semel iussit. (2) Plutarch. de Stoicorum repugnantüs ce. 54. Opp. T. XIII, p. 585. ed. Hutten "Or ö%r zw Pürıs zu 5 zowös 775 dussws Aoyos sijacegiagvn zei eoVvOL«e zur Zeig Esw, 2ö2 rs avrimodas Herne. cf. e.9. Seneca de benefictis IV,S. Si hune naturam vocas, fatum,for- tunam, omnia elusdem Dei nomina sunt, varie utentis potestate sua. (5) Dies Schwankende in Taeitus Ansicht wird auch bemerkt in des Muzio Conside- razioni sopra il primo libro di Cornelio Tacito (Venet. 1645.) p. 117, einem übrigens keine Ausbeute gebenden Buche. ; (4) S- die oben schon angeführte Stelle aus dem Jul. Agricola c. 44. vergl. das ausge- zeichnete Lob, womit er (Hist. 17’, 5.) den Helvidius Priscus characterisirt, von welchem er sagt: Doctores sapientiae secutus est qui sola bona quae honesta, mala tantum quae turpia, polentiam, nobilitatem caeteraque extra animum neque bonis neque malis adnu- merant Überhaupt aber giebt die Auszeichnung derer, welche stoische Festigkeit in Ge- fahren und im Tode bewiesen, die sie, wie Rubellius Plautus (4r. XIV, 59.) auch zum Theil im Umgange mit stoischen Philosophen schöpfen konnten, eine Vorliebe für die Mo- ral dieser Schule zu erkennen, welche Tacitus ächtem Römersinne natürlich war. Und die Art, wie er das Benehmen des Seneca, bis auf dessen Tod, darstellt, so dafs man sehn mufs, ihm sey das Bekenntnifs dieser Moral nicht durchweg Herzenssache gewesen, seine bittre Bemerkung über den P. Egnatius (An. XYTI, 52.) verglichen. mit der über den Se- cundus Carinas (Hist. III, 51.) spricht keineswegs Spott über die stoische Philosophie, sondern Unwillen über diejenigen aus, denen es nicht rechter Ernst damit war. 134 Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. doch wohl minder Philosoph, als scharfer Beobachter und erfahrner Welt- mann war. Auch hat es auf die Bildung seiner Werke selbst keinen we- sentlichen Einflufs gehabt, da dieselbe, auch von aller Reflexion über den Quell und Grund der Geschichte überhaupt abgesehn, diesen in dem Con- flicte menschlicher Willkühr und Verblendung mit einer über Alles erhabe- nen Macht, und dem ewig siegreichen Durchbrechen der letztern, darstellt, und, wie immer er über diese denken mag, selbst den Hauptinhalt der Handlung, das Leiden, die Zerrüttung und das Verderben des Staats durch seinen Abfall von ächtrömischem Geist und urväterlicher Sitte, an den Zorn der Götter (1) und das Verhängnifs, als letzte und höchste Ursach, anknüpft. Allein, sollte einmal eine solche höchste Reflexion sich über und durch das Ganze hinziehn, so war allerdings eine in sich selbst so übereinsum- mende und von Zweifeln ungestörte, wie die des Herodotos, in welcher, wie im Chore der alten Tragödie, das, freilich nach sehr untergeordneter Vorstellungsart aufgefafste, höchste unwandelbare Gesetz des Lebens durch dessen Getümmel hindurchtönt, für die Vollendung der Werke auch in ihrem Kunstcharacter erwünschter und für den Eindruck günstiger, in- dem, je undankbarer, wie Tacitus selbst nicht verkenni (An. IV, 52. 59. AVT, 16. Hist. T, 2.5.), wegen des Übergewichts des Schlechten und des passiven Standes, worin das Bessere danach erscheinen mufste, der Stolf überhaupt ist, desto wohlthätiger eine leichte und freie, mit sich selbst ei- nige, die Aussöhnung aller Gegensätze in einer höhern Einheit erblickende, Betrachtung auf die Erhebung des Gemüths würde gewirkt haben. Der Anblick dieses ungeheuren Staatskörpers, in welchem die ur- sprüngliche Kraft von dem wuchernden Verderben immer mehr verzehrt wird, den Tacitus darbietet, ist in der That nichts weniger, als erhebend und erfreulich. Zwar erscheinen in den Historien Vespasianus und Titus Frieden verkündend über der Verwirrung ; aber es wartet schon Domitianus mit den erneueten Greueln der Neronischen Zeit auf das Vorübereilen je- ner kurzen Erholungsfrist. Und wenn Tacitus das glückliche Zeitalter des Nerva und Trajanus im Hintergrunde hält, so ist dies doch zu wirkungslos für das Ganze, als dafs es den trüben Anblick der Gegenwart erheitern (1) Auch ein der stoischen Philosophie nicht angemefsner Ausdruck, nach welcher nchmlich die Götter wohl strafen, aber nicht zürnen. Süvenn über den Kunstcharacter des Tacitus. 135 und die sich aufdringende Gewifsheit des schon von Cicero (1) in seinen Keimen geahneten, nunmehr völlig entschiedenen, unheilbaren Erkran- kens des römischen Staats beseitigen könnte. Zwar regen sich auch schon in diesem Erkranken selbst, und fal- len in den Kreis der Annalen wie der Historien , die Keime einer in dem Absterben der römischen sich entwickelnden neuen Welt — das Ehristen- thum, obwohl noch in seiner Märtyrergestalt, und die frische Jugend der germanischen Stämme, aus deren Verein die neue Gestaltung der Dinge hervorgegangen ist. Wer aber könnte es Tacitus ansinnen (2), dafs er sie recht hätte verstehn, den in ihnen liegenden Stoff, das höhere tragische In- teresse, welches aus der Anschauung des durch allen Wandel des Äufsern bleibenden und aus dem Tode in neuer Gestaltung sich ewig verjüngenden Lebens hervorgeht, anzuregen, benutzen, und von der Scene der an ihrer Auflösung arbeitenden römischen Welt die heitre Aussicht in eine sich von fern vorbereitende neue Zeit öffnen sollen? Merkwürdig genug ist schon jener tiefe politische und historische Blick, der in der Germania (ec. 55.) in den ahnungsvollen Wunsch ausbricht: ,‚‚Bleiben möge doch ‚„‚und dauern den Völkern, wenn nicht Liebe zu uns, wenigstens der Hafs ge- »»8 ‚‚Gröfseres nıehr das Glück gewähren kann, als Zwietracht der Feinde!”’ gen sich selbst, da, unter dem drängenden Verhängnifs des Reichs, nichts Und sieht man auf das Einzelne, so findet zwar auch von der Zeit der Annalen Statt, was zu Anfang der Historien (5) gesagt wird: ‚Doch „war die Zeit nicht so unfruchtbar an Tugenden, dafs sie nicht auch gute ‚Beispiele erzeugt hätte — Mütter ihre flüchtigen Kinder begleitend, Gat- „‚tinnen ihren Gatten in die Verbannung folgend, kühne Verwandte, stand- ‚„‚hafte Eidamme, auch gegen die Folter beharrliche Treue der Sclaven, (1) Cicero de amicitia ce. 12. und nun auch de republica IIT, 29. (2). Passow’s Meinung (a.a.0.), Tacitus habe nicht verkannt, dafs einzig von Germanien her eine Wiedergeburt des Menschengeschlechts beginnen könnte, erhebt diesen auf einen universalhistorischen Standpunct, dessen der Römer und der Heide wohl nicht fähig war, der auch aus seinen Schriften nicht nachzuweisen ist. Genug, dafs er das Schicksal seines Vol- kes verstand und dessen Vollendung durch das Volk richtig voraussah, das schon über zwei- hundert Jahre, bevor er die Germania schrieb, Roms Vormauern, die Alpen, überstiegen und etwa hundert Jahre später in seinem eignen Lande Roms Legionen vernichtet hatte, da- bei kräftig und unverdorben blieb, während dieses immer mehr ausartete und erschlaffte. (5) Hist. I, c.5. Vergl. An. III, c.56. Es ist nicht unbemerkenswerth, dafs bei Hist. I, 2 und 5. dem Tacitus die Stelle der Einleitung zu dem thukydideischen Werke T, 25. scheint vorgeschwebt zu haben. 136 Süvzern über den Kunstcharacter des Tacitus. ‚„‚grofser Männer äufserstes Geschick, dies Geschick selbst muthvoll ertra- „gen, und alter Helden gepriesenem Tode gleicher Untergang!’’ Aber alle diese Züge, wie edel und erhaben sie sind, können das Gemüth nicht an- ders ansprechen, als jede Kraft und Gröfse, die sich gleich bleibt im Swurz und über die Flachheit des allgemeinen Ruins hervorragt, nicht das Herz freudig erweiternd, doch auch nicht narkotisch lähmend, sondern zu stoi- scher Fassung die Seele stählend. Dies ist der Eindruck, den Tacitus her- vorbringt, und das a Damnosa quid non imminuit dies ! Jetas parentum, peior avis, tulit Nos nequiores, mox daturos Progeniem witiosiorem! ist die Betrachtung, worin er mit dem, die Geschichte seines Volkes auch g fassenden, um ein Jahrhundert ältern, Dichter, sie überall bestätigend, zusammenırifft ! nicht blofs nach der äufseren Erscheinun Jener Eindruck fliefst aber nicht aus dem Stoffe allein , sondern eben so sehr aus dem Gefühle, womit Tacitus ihn verarbeitet hat. Auch der von Thukydides gewählte historische Stoff gestattete Gesichtspuncte, von wo er, mit dem Gefühl eines Atheniensers, und noch mehr dem hö- hern eines Hellenen, aufgefafst, einen höchst tragischen Eindruck hätte hervorbringen müssen, indem nicht nur Athen in diesem Kriege durch in- nere Parteiungen und manches andre Staats- und Volksgebrechen sich selbst lähmte und endlich seiner Nebenbuhlerin erlag, sondern auch in ihm alle die in dem Character der verschiedenen hellenischen Volksstämme, und zum Theil in der Natur des Landes, liegenden Keime der Zwietracht und Spaltung zu einem allgemeinen Ausbruche kamen, dessen zerrüttende und entkräftende Wirkungen sich bald genug in dem Emporkommen einheimi- scher Gewalthaber zeigten, weiterhin dem Eindringen fremder Herrschaft vorgearbeitet, endlich barbarischer Despotie das Land und Volk Preis gege- ben, und bis auf unsre Tage sich fortgepflanzt haben. Allein die Composi- tion des Thukydides hält sich so rein in dem Gebiete der Anschauung, dafs sehr zu zweifeln ist, ob sie, auch von den angedeuteten Gesichtspuncten aus angelegt, aus diesem Gebiete herausgetreten seyn, und einen andern Eindruck, als den einer klaren und rühigen Anschauung, würde hervor- gebracht haben. en 22452 222 Über den astronomischen Theil der Fastı des Ovid. Von Hm IDELER. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am ı8. April 1822.] V or sechs Jahren habe ich der historisch - philologischen Klasse der Königlichen Akademie eine auf astronomische Rechnungen gegründete Untersuchung über die zahlreichen in dem Kalendergedichte des Ovid erwähnten Auf- und Untergänge der Gestirne vorgelegt. Ich habe diesen Gegenstand seitdem nicht aus den Augen gelassen, die Rech- nungen zum Theil nach richügern Elementen von Neuem geführt, und will nun nicht länger anstehn, meine Arbeit der Akademie und dem gelehrten Publikum zu übergeben, in der Hoflnung , dafs ich dadurch den Pbilologen , die sich mit Lesung und Erklärung dieses Gedichts be- schäfugen, ein Hülfsmittel zum Verständnifs und zur richtigern Beur- theilung seines astronomischen Theils liefern werde. Es ist zwar schon manches Einzelne, unter andern von Petavius, Pontedera und beson- ders von Hrn. Pfaff untersucht und erläutert worden; allein der Ge- genstand schien mir noch keinesweges erschöpft. Ovid besingt bekanntlich in den Fastis die erste Hälfte des von Julius Cäsar geordneten Kalenders; denn nur die Hälfte des Gedichts in sechs eben so viele Monate betreffenden Büchern ist von ihm vollen- det worden oder doch nur auf uns gekommen. Die Fixsternerscheinun- gen, die er in diesem Kalender aufgeführt fand, gaben ihm Anlafs, die an die Gesurne geknüpften Mythen zu erzählen, und es bedarf keiner besondern Kenntnifs der Astronomie, um sich zu überzeugen , dafs es ihm mehr um die poetische, als um die astronomische Wahrheit zu thun war. Was sich aber nicht ohne Rechnung gründlich ausmitteln 5 Hist. philolog. Klasse 1822-1823. S 138 Inrren über den astronomischen Theil liefs, ist, dafs er, des gestirnten Himmels wenig kundig, sich die gröbsten Mifsgriffe hat zu Schulden kommen lassen. Dieses Ergebnifs mufs die Kritik, die ihn gern von einzelnen Flecken reinigen möchte, vorsich- ig machen. Es sind überhaupt zwei und zwanzig Gesurne und einzelne Sterne, von deren Auf- und Untergängen er spricht. Hier sind ihre Namen mit Bemerkung der Sterne, die ich in Rechnung gezogen habe, wo die Wahl sich nicht schon von selbst verstand. ı) Bootes, auch von ihm Custos ursae, Arctophylax und Lycaon genannt. 2)Die nörd- liche Krone, bei ihm Corona Gnosis. 5)Capella. 4) Die Leier, Lyra, bei Columella und Plinius Fides und Fidicula. 5) Der Schlangenträger, von ihm durch Iuvenis telis adflatus avitis als Äsculap kenntlich gemacht, den man sich in diesem Bilde dachte. Ich habe den Stern zweiter Gröfse am Kopf berechnet. 6) Der Adler, von ihm durch die poetischen Umschreibungen Fulva avis Iovi grata und praepes adunca Iovis bezeichnet. 7) Der Delphin. 8) Pe- gasus, bei ihm Equus Gorgoneus. Ich habe den Stern y am Flü- gel in Rechnung gezogen. 9) Der Widder, pecus Athamantidos Helles. ı0) Die Plejaden, von ihm Pleiades oder Pliades, sonst gewöhnlich von den Römern Vergiliae, d.i. Frühlingsgestirn, genannt. ıı) Die Hyaden, Hyades und Sidus Hyantis, auch Thyene und Suculae. ı2) Der Krebs, worin sich nur Sterne höchstens vierter Gröfse finden, von denen ich den Asellus boreus gewählt habe. ı5) Der Löwe oder vielmehr der Stern qui micat in medio pectore leonis, wie sich der Dichter ausdrückt. ı4) Der Winzer, bei ihm Vindemitor, bei den Neuern Vindemiatrix, der Stern e am nördlichen Flügel der Jungfrau. 15) Die Wage, in der ich sowohl « als £ berechnet habe. ı6) Der Skorpion, Scorpius, beim Columella Nepa. ı7) Der Wassermann, Puer Idaeus, in welchem ich den Stern # vierter Gröfse an der Hüfte in Rechnung ge- zogen habe, weil der Dichter von der Mitte des Bildes spricht. ı8) Der nördliche Fisch, worin nur Sterne fünfter Gröfse befindlich sind. Ich habe ® gewählt. ı9) Orion, mit den Beinamen Ensiger, Boeo- tos, auch Proles Hyriea. Es sind « am Kopf, e am Gürtel und ß am Fufs berechnet worden. 20) Sirius, Canis Erigoneius genannt. der Fasti des Ovid. 139 21) Der Becher, Crater. 22) Der Centaur, vom Dichter Chiron genannt. Da ihm die beiden hellen Sterne « und ß an den Füfsen nicht aufgingen, so habe ich e dritter Gröfse am Pferdekörper gewählt. Die Elemente meiner Rechnung sind folgende: Ich habe sie für das Jahr 44 vor Christi Geburt, das zweite der durch Cäsar verbesserten römischen Zeitrechnung, und für die Polhöhe 4ı° 54° des Dichters geführt. Wenn ich die Polhöhen von Alexan- drien und Athen berücksichtigen mufste, habe ich jene auf 51° ı1/, diese auf 58° gesetzt. Die Sternpositionen sind aus dem in der Berliner Sammlung astronomischer Tafeln befindlichen Verzeich- nisse entlehnt, weil es zu diesem Zweck hinlänglich genau ist und mir den Vortheil gewährte, dafs es die Längen und Breiten angiebt, auf die ich die geraden Aufsteigungen und Abweichungen anderer Verzeichnisse erst hätte reduciren müssen. Die jährliche Präcession habe ich zu 50,1 Sekunden und die Schiefe der Ekliptik zu 25° 46’ ange- nommen. Die Sonnenörter sind nach Hın. Delambre’s Tafeln berechnet. Ich setze voraus, dafs die Kunstausdrücke Frühaufgang, Spät- aufgang, Frühuntergang und Spätuntergang, die nun durch den Commentar zu Vossens Übersetzung der Georgica sanctionirt sind, für einen jeden, der auch nur eine oberflächliche Kenntnifs der schein- baren Bewegungen der Gestirne hat, verständlich sind. Die wahren Auf- und Untergänge finden Statt an den Tagen, wo die Sterne zugleich mit der Sonne im Horizont stehn, sei es an derselben Seite oder ihr ge- genüber. Sie sind ein Gegenstand der blofsen Berechnung, die schein- baren dagegen zugleich der Beobachtung. Ursprünglich war in den Kalendern der Alten nur von den letiztern die Rede; aus aswrologischer Klügelei setzte man an ihre Stelle mit der Zeit die wahren, wodurch viel Verwirrung entstand, weil beide Arten von Auf- und Untergängen, wenigstens in der Volkssprache, nicht durch besondere Kuns{wörter un- terschieden wurden. Cäsar hatte, wie aus den Bruchstücken seines Ka- lenders beim Plinius erhellet, unter die scheinbaren Auf- und Unter- gänge sehr viele aus ägyptischen und griechischen Parapegmen entlehnte wahre gemischt. Wenn ich unten von einem Auf--oder Untergange schlechthin spreche, so meine ich immer den scheinbaren. Sa 140 Inprvenr über den astronomischen Theil Ein Hauptelement für diese Berechnung ist der Sehungsbogen, wodurch man die wahren Auf- und Untergänge in die scheinbaren ver- wandelt, d. i. die senkrechte Tiefe der Sonne, bei der der auf- oder un- tergehende Stern zum ersten- oder zum letztenmahl im Horizont. sicht- bar ist. Ich habe in meiner Abhandlung über den Kalender des Ptolemäus gezeigt, dafs dieser Bogen unter dem Himmel der Griechen und Römer für die Sterne erster Gröfse zu ı1 oder zu 7, und für die der ‘zweiten zu ı4 oder zu 81,° angenommen werden müsse, je nach- dem sie mit der Sonne an einerlei Seite des Horizonts oder ihr gegen- über auf- oder untergehn; wenigstens sind dies die Werthe, die ihnen Ptolemäus beigelegt hat. Ich bin ihm bei den gegenwärtigen Unter- suchungen gefolgt. Für die Sterne dritter und vierter Gröfse nehme ich dieser Analogie gemäfs den Sehungsbogen im ersten Fall zu 16 und 17, im letztern zu ı0o und ı4° an. Für noch kleinere Sterne wird die Gränze der Dämmerung, bekanntlich ı8° Tiefe, zu setzen sein. 1... B.0. 01. 4 Dieses Gestirn kommt an folgenden Stellen der Fasti vor: l) Tertia nox weniat: Custodem protinus Ursae Adspicies geminos exseruisse pedes. (116,198> 2) Cum croceis rorare genis Tithonia coniux Coeperit, et quıntae lempora lueis aget, Sive est Arctophylax, sive est piger ille Bootes, Mergetur, wisus effugietlque tuos. At non effugiet Vindemitor. (III, 403.) 5) JÄuferat ex oculis veniens aurora Booten. (V,:733,) 4) Tertia post nonas removere Lycaona Phoebe Fertur, et a tergo non habet Ursa metum. (VI, 235.) An der ersten Stelle wird deutlich der Spätaufgang des Bootes auf die dritte Nacht vom V Id. Febr., von welchem Tage kurz zuvor die Rede gewesen, also auf den ıı1. Februar gesetzt. Die Rechnung giebt den scheinbaren Spätaufgang des Arctur, des ausgezeichnetsten der Fasti des Ovid. 141 Sterns dieses Bildes, am 27. Februar, also sechzehn Tage später. Be- denkt man aber, dafs hier von dem ganzen, einen grofsen Raum ein- nehmenden , Bilde die Rede ist, so kann man füglich seinen Aufgang sechzehn Tage früher ansetzen, als den jenes einzelnen Sterns. Bei die- ser Erscheinung wäre also vom Dichter die astronomische Wahrheit eben nicht verletzt. Der wahre Spätaufgang des Arctur ereignete sich noch sieben Tage später, am 6. März. Geminos exseruisse pedes, weil Bootes liegend aufgeht, seine Beine also schnell hinter einander em- porkommen., Columella setzt den Spätaufgang des Arctur auf den 21. Fe- bruar, und Plinius nach Cäsars Kalender auf den 25sten. Jener sagt: IX Cal. Marti Arcturus prima nocte oritur. R. R. XI, 2, 2ı; dieser: 4A Favonio in aequinoctium vernum Caesari sıgnificat XIV Calendas Mar- ti triduum varie, Et VIII Calendas hirundinis visu et postero die Ar- eturi exortu vespertino. H. N. XVII, sect. 65. An einer andern Stelle (IX, 14.) läfsı Columella den Arctur ganz unbestimmt nach den Idus, also etwa um die Mitte, des Februars aufgehn : Ortus Arcturi qui est ab dıbus Februanüs. An der zweiten Stelle des Dichters ist deutlich vom Frühunter- gange des Bootes die Rede, der, wie der Zusammenhang lehrt, auf den 5. März gesetzt wird. Ein paar Handschriften haben guartae, und so hat auch der Verfasser des alten aus den Fastis gezogenen Kalendarii gele- sen, das sich in den Handschriften findet und den Ausgaben gewöhnlich vorgedruckt ist. Auch die dritte Stelle spricht vom Frühuntergange des Bootes. Die veniens anrora ist die des VH Cal. Jun. oder des 26. Mai. In der vierten steht Lycaon offenbar für Lycaonides, den En- kel des Lycaon oder den Arcas, den man sich unter dem Bootes dachte. Phoebe für nox läfst zweifelhaft, von welchem Untergange die Rede ist. Da aber der Spätuntergang erst im November erfolgte, so will der Dich- ter nochmals den Frühuntergang andeuten. Das Datum ist der 7. Ju- nius. Er spricht also von einerlei Erscheinung an drei beträchtlich von einander entfernten Tagen, am 5. März, am 26. Mai und 7. Junius. Man kann sagen, da Bootes auf dem Westhorizont steht, also viel Zeit zu seinem Untergange gebraucht, wohin auch das Epithet piger an der 142 InpzLer über den astronomischen Theil zweiten Stelle zielt, so dürfe man sich nicht wundern, dafs der Dichter denselben in einem Zeitraum von drei Monaten dreimahl erwähnt. Al- lein einer der ersten untergehenden Sterne dieses Bildes ist gerade der zwischen den Beinen stehende Arctur, dessen scheinbarer Frühunter- gang, wie die Rechnung giebt, erst auf den ı0. Junius traf (der wahre ereignete sich am 28. Mai). Es ist daher wahrscheinlich, dafs er an der zweiten Stelle irrig den Frühuntergang für den Spätaufgang setzt, und dies um so mehr, da er den Vindemitor oder den Stern e am nördlichen Flügel der Jungfrau , gleichzeitig nennt. Er bringt zwar durch das zon efjugiet diesen Stern in Gegensatz mit dem Bootes , als wenn der eine aufginge, wenn der andere untergeht. Es ist dies aber nicht der einzige Fehlgriff dieser Art, den man bei ihm anıriffi. Er fand in einem Kalender die Aufgänge des Arctur und Vindemitor ne- ben oder kurz hintereinander angesetzt (so heifst es in dem Parapegma beim Geminus am ı2ten Tage der Fische: & ö& 7 ı@ Eürrnuov "Agurd- ges Enmegios EmITEAMEL, Hal Hgerguynrns &zbavys), und wirklich war auch für seine Zeit und seinen Ort der scheinbare Spätaufgang des Vindemitor fast gleichzeitig mit dem des Arctur; aus Mifsverstand macht er den letztern zum Frühuntergang. . Da der wahre Frühuntergang des Arctur auf den 28. Mai und der scheinbare auf den ıo. Junius traf, so sieht man, dafs die dritte Stelle ganz gut auf jenen, und die vierte eben so gut auf diesen pafst. Auch Columella und Plinius gedenken des Frühunterganges des Arctur zweimahl. Jener sagt zuerst: XJ et X Cal. Jun. (am 22. und 25. Mai) Arcturus mane occıditt, und dann: /II Idus Jun. (am 7. Jun.) Areturus occidit. R. R. XI, 2, 45 und 45. Die erste Angabe gilt vom wahren, die zweite vom scheinbaren Frühuntergange. Plinius erwähnt die Erscheinung zuerst mit den Worten: 4 Vergiliarum exorlu significant Caesari postridie Arcturi occasus matulinus. Gleich nachher sagt er: Tertio Nonas Juni Caesari et Assyriae Aqula vespert oritur; octavo Idus Arcturus matutino occidit, Italiae sexto. H.N. XVIU, 67. . Den F rühuntergang der Plejaden seızt er auf den VI Idus Mau, mithin den des Arctur auf den V Idus oder ıı1. Mai. Cäsar, dem diese Bestimmung zugeschrieben wird, mufs den wahren Frühun- ke) tergang aus einem alten griechischen Kalender entehnt haben. Die der Fastı des Ovid. 143 zweite Angabe siimmt, wie man sieht, bis auf einen Tag mit der des Columella und Ovid überein. Der Dichter hat übrigens das ganze Bild statt des einzelnen hell- sten Sterns, dessen Erscheinungen er in den Parapegmen angegeben fand, substituirt, um Gelegenheit zu haben, die an dasselbe geknüpften Mythen zu erzählen. II. Die nördliche Krone. Nachdem Ovid von dem Aufgange des Pegasus in der auf die Nonas des März folgenden Nacht gesprochen hat, sagt er: Protinus adspicies venienti nocte Coronam Gnosida. (III, 459%) Durch das protinus, wenn es nicht eine blofse Übergangspartikel sein soll, scheint der Spätaufgang der Krone angedeutet zu werden, und es kann auch nur dieser gemeint sein, da der Frühaufgang im An- fange des Oktobers erfolgt. Die astronomische Wahrheit stimmt mit dieser Annahme recht gut überein, indem der scheinbare Spätaufgang, den die Rechnung am ı0. März giebt, nur zwei Tage früher ange- setzt wird. Columella und Plinius erwähnen diese Erscheinung nicht, aber wohl den Frühaufgang. D2. Capella. Ovid spricht vom Aufgange der Capella am ı. Mai: Ab Iove surgat opus. Prima mihi nocte videnda Stella est in cunas officiosa Iovis. Nascitur Oleniae signum pluviale Capellae: Illa dati coelum praemia lactis habet. (W111) Dafs er den Frühaufgang meint, leidet keinen Zweifel, da der Spätaufgang am 26. August erfolgte. Der Frühaufgang twaf aber auf den 7. April; man sieht also, dafs er ihn für seine Zeit und Polhöhe um mehr als drei Wochen zu spät ansetzt. 144 Ipeınenr über den astronomischen Theil Columella giebt diese Erscheinung um zwei Tage früher an: tertio Cal. Maias mane Capra exoritur. R. R. XI, 2, 57; und Plinius oder vielmehr Cäsar sieben Tage später: I Nonas Maü Caesari Su- culae matutino exoriuntur et VIII Idus Capella pluvialis. HA. N. XVIU, 66. Ovid und Columella scheinen griechischen Parapegmen gefolgt zu sein, entweder dem des Meton, oder dem des Eudoxus; denn diese hatten, wie der leiztere R. R. IX, ı4. sagt, bei den Römern die meiste Aucto- rität. Cäsar’s Angabe pafst ziemlich genau auf den Parallel Alexan- driens. Ich bin daher geneigt, anzunehmen, dafs er, oder vielmehr der alexandrinische Mathematiker Sosigenes, den er bei seiner Kalenderre- form zu Rathe zog, hier eine Erscheinung ohne Reduction vom alexan- drinischen Horizont auf den römischen versetzt hat. Es kommen in Cäsars Kalender mehrere Bestimmungen vor, die sich nur unter dieser Voraussetzung rechtfertigen lassen. Vom wahren Frühaufgange kann hier überall nicht die Rede sein; denn dieser ereignete sich bereits am ı0. März. Wenn Columella des Frühaufgangs der Capella noch einmahl unter dem 25, 26 und 27. Mai gedenkt — YIIIT, YVII ea VI Cal. Iun. Capra mane exoritur. R. R. XI, 2, 45 — so läfsı sich zur Recht- fertigung dieser Angabe nichts sagen. Sie mufs auf einer Verwechslung des Spätuntergangs mit dem Frühaufgange beruhen, iv. Due Beier Dieses Gestiim wird an folgenden Stellen der Fasti erwähnt: l) Institerint Nonae: missi tibi nubibus atris, Signa dabunt imbres, exoriente Lyra. (173155) 2) ‚Septimus hinc oriens cum se demiserit undlis, Fulgebit toto iam Lyra nulla polo. (T, 653%) 5) Proximus Hesperias Titan abiturus in undas, Gemmea purpureis cum duga demit equis ; Illa nocte aliquis, tollens ad sidera vultum, Dicet, ubi est hodie, quae Lyra fulsit heri? (11,735) 4) Hunc Lyra curva sequi cuperet; sed idonea nondum Est via: nox aptum tertia lempus erit. (V, 415.) der Fasti des Ovid. 145 Die Lesart an der ersten Stelle schwankt; ich glaube aber, beson- ders wegen der Parallelstelle IV, 904 , dafs die hier-aufgenommene die richtige ist. Auf jeden Fall wird ein Aufgang der Leier auf die Nonas des Januars oder auf den öten gesetzt. Dafs es der Frühaufgang sein soll, lehren folgende Worte des Plinius: pridie Nonas Ianuarü Caesarı Delphinus matutino exoritur, et postero die Fidieula. H. N. XVIH, 64, und des Columella: Non. Januarüs Fidis exoritur mane. R. R. XI, 2, 97. Im Cäsar’s Kalender stand also der Frühaufgang der Leier beim 5. Januar bemerkt, um ganze zwei Monat zu spät; denn der scheinbare Frühaufgang erfolgte am 5. November und der wahre noch früher. Da sich weiter keine Erscheinung der Leier dem 5. Januar nahe brin- gen läfst, als etwa der Spätuntergang für den Parallel von Alexandrien, so hat Cäsar einen Fehlgriff geihan, den sich auf seine Auctorität auch Ovid, Plinius und Columella zu eigen gemacht haben. An der zweiten und dritten Stelle ist von einem Untergange der Leier die Rede. Jene bezieht sich, wie der Zusammenhang lehrt, auf den 25. Januar (oriens steht hier für dies geradehin), und diese auf den 2. Februar. Zwischen beiden Tagen lag der scheinbare Spät- untergang der Leier, welcher am 28. Januar erfolgte. Der Dichter hat vermuthlich aus zwei verschiedenen Parapegmen geschöpft, und un- eingedenk des fulgebit toto iam Lyra nulla polo der zweiten Stelle, an der dritten die Leier noch am ı. Februar glänzen lassen — quae Lyra ‚fidsit heri. Solche Sachen begegnen ihm nicht selten ; sie dienen zum Be- weise, wie wenig er über diese Gegenstände nachgedacht hat. Columella setzt den Untergang der Leier gar viermahl an: X7 Cal. Febr. (22. Jan.) Fidieula vespere occıdit. III Cal. Febr. (50. Jan.) Delphinus incipit oc- cidere, item Fidicula occidit. Cal. Febr. Fidis incipit occidere , ventus eurinus. III Non. Febr. (5. Febr.) Fidis tota oceidit. R. R..-XL,,23: As Wegen des incipit occidere sollte man fast glauben, dafs ihm Fidis ein anderes Gestirn sei, als Fidicula; es kommt aber keine Spur einer solchen Unterscheidung weiter vor. Beim Plinius heifst es: Pridie Nonas Februarias Fidieula vesperi (occidit). H. N. XVIU, 64. Alle hier bemerkte Data umfassen den Zeitraum vom 22. Januar bis zum 4. Februar; sie reichen also bis gegen den wahren Spätuntergang hin, der am 9. Februar erfolgte. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. 1% 146 InpeLen über den astronomischen Theil Nachdem Ovid beim 5. Mai vom Spätaufgang des Centauren gesprochen hat, fährt er mit den Worten fort, die in dem vierten Bruchstücke gelesen werden. Die tertia nox soll den 5. Mai bezeich- nen, und auf diesen seızt er, wie das segqui cuperet lehrt, den Spätauf- gang der Leier, um ein und zwanzig, oder, wenn wir den wahren Spätaufgang nehmen wollen, um dreizehn Tage zu spät. Von dem letz- tern spricht offenbar Columella, wenn er beim 25. April bemerkt: Prima nocte Fidicula apparet. R. R. XI, 2, 56. Cäsar hatte diese Erscheinung in seinem Kalender gar erst an den ı5. Mai geknüpft, wie Plinius sagt: a Vergiliarum exortu significant Caesari postridie 4Areturi occasus matutinus: tertio Idus Mai Fidiceulae exortus. H. N. XVUI, 67. Columella macht weiterhin durch ein grobes Versehn einen Frühauf- gang daraus: tertio Idus Maias Fidis mane oritur, und bald nachher noch einmahl: Zdibus Maüs Fidis mane exoritur. R. R. XI, 2, 40-43. Der scheinbare Frühaufgang erfolgte den 5. November; auch hat der Schriftsteller am 5. November Fidieula mane exoritur. V.. Der Schlan genträger. Vom Spätaufgange dieses Gesurns ist in folgenden Versen die Rede: Hanc quoque cum patrüs Galatea receperit undis, Plenaque securae terra quielis erit; Surgit humo iuvenis telis adflatus avitis, Et gemino nexas porrigit angue manus. @V17335) Telis adflatus avitis, weil man sich im Schlangenträger den Äsculap dachte, den Jupiter tödtete, weil er den Hippolytus ins Leben zurück- gerufen hatte. Der Tag ist der 20. Junius; denn v. 725 hat es ge- heifsen : iam sex et totidem luces de mense supersunt:. Huie unum nu- mero tu tamen adde diem, wodurch deutlich der XII. Cal. Iul. bezeich- net wird. Hierauf heifst es weiter v. 729: Jam tua, Laomedon, oritur nurus etc., wodurch der folgende Tag angedeutet werden soll, an welchen dann obige Erscheinung geknüpft wird. Aus der Rechnung ergiebt sich aber, dafs der Spätaufgang des Sterns am Kopf, des hellsten im Bilde, zwei Monat früher im Jahr, nämlich am ı9. April, erfolgte. Das Bild der Fasti des Ovid. 147 ist zwar sehr grofs; da es indessen in liegender Stellung aufgeht, so kommen die hellern Sterne, der Kopf, die beiden Schultern und die linke Hand, schnell hinter einander empor. An den Frühaufgang ist nicht zu denken; dieser trat um die Mitte des Novembers ein. Nur einen Tag später, als Ovid den Spätaufgang des Ophiuchus ansetzt, hat Columella den Frühuntergang: AZ Cal. Juli Anguifer, qui a Graecis dieitur "Ogi2yxes, mane occidit. R. R. XI, 2, 49; aber fast um einen Monat zu früh, wenn er nicht etwa den wahren Frühunter- gang unter der Polhöhe von Alexandrien gemeint hat, denn dieser er- folgte nur einige Tage später. Vielleicht hat auch Ovid diesen Früh- untergang in dem Parapegma, dem er gefolgt ist, angemerkt gefunden, und durch einen Fehlgriff einen Spätaufgang daraus gemacht. VI. Der Adler. Nachdem der Dichter von dem Tage gesprochen hat, an welchem der Fortuna Publica ein Tempel geweiht war, d. i. vom VIII Cal. Iun., sagt er: Hanc ubi dives aquis acceperit Amphitrite, Grata Iovi fulvae rostra videbis avis. (N; 235) Er setzt also den Spätaufgang des Adlers auf den 25. Mai, rur um einen Tag später, als ihn die Rechnung giebt. Noch einmahl ge- denkt er dieser Erscheinung beim ı. Junius: Haec hominum monumenta patent. Si quaeritis astra, Tune oritur magni praepes adunca Iovis. (VE, 195») Letztere Angabe kommt mit der des Columella und Plinius überein. Der erste sagt: Cal. Jun. et IV Non. Aqula exoritur. R. R. XI, 2, 45; der letztere : tertio Nonas Juni Caesari et Assyrıae Aqula vesperi oritur. H. N. XVIH, 67. In Cäsar’s Kalender stand also der Aufgang des Adlers am 5. Junius bemerkt, und zwar, wenn vom wahren Spätaufgang die Rede ist, ganz richtig. 148 Inerter über den astronomischen Theil VII. Der Delphin. Bei dem Tage, an welchem die Agonalia zu Rom gefeiert wur- den, also beim 9. Januar, spricht der Dichter von einem Aufgange des Delphins: Interea Delphin clarum super aequora sidus Tollitur, et patrüs exserit ora wadıs. (1, 457.) Er meint den Frühaufgang, der sich am 51. December, also neun Tage früher ereignete. Genauer setzen diese Erscheinung Columella und Plinius an, jener am 27. December: sexto Cal. Ianuarias Delphinus in- cipit oriri mane,. R. R. XI, 2, 94; dieser am 4. Januar: pridie Nonas Januarü Caesari Delphinus matutino exoritur. HA. N. XVIH, 64. Von dem Spätuntergange redet Ovid in folgenden Versen: Quem modo caelatum stellis Delphina wvidebas, Is fugiet visus nocte sequente tuos. (11792) Der Zusammenhang lehrt, dafs er den 5. Februar meint. Columella setzt den Spätuntergang auf den 50. Januar: //I Cal. Febr. Delphinus in- cipit occideree. R. R. XI, 2, 5; und Plinius auf den 8. Januar: ad FT Idus Ianuarü eiusdem Delphini vespertino occasu continui dies hiemant Ttaliae. 1. c. Die Angaben des Ovid und Columella passen ziemlich gut-auf den wahren Spätuntergang, der am ı. Februar eintraf ; die des Plinius mehr auf den scheinbaren, welcher am 15. Januar erfolgte. Nach dem Feste der Vestalia und unmittelbar vor dem der Matronalia, also am IV Idus oder ıo. Junius, spricht der Dichter vom Spätaufgange dieses Gesürns: Navita puppe sedens, Delphina videbimus, inquit, Humida cum pulso nox erit orta die. (VI, 471.) Columella und Plinius stimmen damit überein. Der erste sagt: IV Idus Iun. Delphinus vespere exoritur. R. R. XI, 2, 45; der an- dere: /Y/ Idus Delphinus vesperi exoritur. H. N. XVII, 67. Die An- gabe ist vollkommen richtig, wenn vom wahren Spätaufgange die Rede ist. Der scheinbare erfolgte bereits am 26. Mai. der Fasti des Ovid. 149 Noch einmahl gedenkt der Dichter des Spätaufgangs : Continua Delphin nocte videndus erit. (VI, 720.) Der Zusammenhang giebt den ı7. Junius. VIE Becasus,. Ovid spricht vom Aufgange des Pegasus in folgenden Versen : Jamque ubi caeruleum wariabunt sidera coelum, Suspice: Gorgonei colla widebis equi. (TIL, 449.) Er setzt ihn auf die Nonas des März, von denen er v. 429 zu handeln angefangen hat, oder auf den 7. März. Ohne Zweifel soll der Frühaufgang gemeint sein, wenn gleich die Worte eine Erscheinung in der Abenddämmerung anzudeuten scheinen ; denn der Spätaufgang erfolgte in einer ganz andern Jahrszeit. Der zuletzt aufgehende Stern des Pegasus ist Algenib am Flügel; mit ihm stellt sich das grofse Bild erst ganz dar. Die Rechnung giebt seinen Frühaufgang am ıı1. März. Columella hat dasselbe Datum: Nonis Marti equus mane oritur. R.R. XI, 2, 24. Beim Plinius heifst es H. N. XVIO, 65: tertio Nonas Marti Caesar Cancri exortw id fieri observavit. Vom Krebs liegen beide Aufgänge weit vom 5. März entfernt. Pontedera (1) emendirt daher ohne Zweifel richig: Equi exortu. Dann weicht Cäsar’s An- gabe nur um zwei Tage von der des Ovid und Columella ab. IX. Der Widder. Von einem Untergange des Widders ist am VII Cal. Maii oder am 25. April die Rede: Sex ubi, quae restant, luces Aprilis habebit, In medio cursu tempora veris erunt; Et frustra pecudem quaeres dthamantidos Helles. (IV, 901.) (1) »Epist-" XLIV, p. 379. 150 Ipeten über den astronomischen Theil Es kann nur der Spätuntergang gemeint sein, der aber viel zu spät angesetzt ist; denn der scheinbare Spätuntergang erfolgte am 20. März und der wahre am 5. April. Der Verfasser des alten Calen- darii vor den Fastis mufs die astronomische Unrichügkeit dieser Angabe gefühlt haben; denn er sagt beim VI Cal. Maii oder dem 26. April: Aries oritur heliace. Aber auch der Frühaufgang, wenn sich wirklich die Worte des Dichters auf ihn deuten liefsen, würde zu spät angesetzt sein; denn der scheinbare erfolgte bereits am ı5. April. Columella knüpft ihn an den '25. März: X Cal. Apr. Aries ineipit exoriri, Hat er nicht etwa den Spätuntergang mit dem Frühaufgang verwechselt, so ist seine Angabe mehr auf den wahren Frühaufgang zu deuten, der am ı0. März erfolgte. Wenn der Dichter die Mitte des Frühlings auf den 25. April setzt, so folgt er nicht der Bestimmung des Caesar. Dieser theilte, wie wir aus Varro (R.R.1, 28.), verglichen mit Plinius (H. N. XVIIL, 59.) und Columella (R.R. IX, ı4.) ersehn, das Jahr in achı Zeiten, denen er eben so viel gleiche Bogen der Sonnenbahn anwies. Die Einschnitte wurden durch die Nachtgleichen und Sonnenwenden bestimmt, hätten also eigentlich dem Anfange des Widders, der Mitte des Suers, dem An- fange des Krebses, der Mitte des Löwen, dem Anfange der Wage, der Mitte des Skorpions, dem Anfange des Steinbocks und der Mitte des Wassermanns entsprechen sollen. Allein Cäsar setzte die Nachtgleichen und Sonnenwenden auf die achten Grade ihrer Zeichen, indem er die An- fänge derselben um eben so viele Grade von den Cardinalpunkten west- lich schob. Dadurch wurden die vier übrigen Einschnitte aus den ıöten Graden der Zeichen in die 25sten gebracht, und es ergaben sich nach seiner Rechnung folgende Data für die acht eintretenden Jahrszeiten : Bruma FIIT Cal. Januarü 25. December. Veris initium FII Id. Februarü 7. Februar. AJequinoclium vernum VIII Cal. Aprils 25. März. Aestatis initium VII Id. Maü 9. Mai. Solstitium VIII Cal. Iulü 24. Junius. 4dutumni initium III Id. August ı1. August. A4equinoctium autumni VIII Cal. Octobris 24. September. Hiemis initium III Id. Novembris ı1. November. der Fasti des Ovid. 151 Der Anfang des Frühlings, welcher durch keine Himmelserschei- nung bezeichnet wurde, machte sich durch den Favonius oder lauen Westwind bemerklich, der dann zu wehen begann, daher « Favonio nach römischem Sprachgebrauch so viel als vom Anfange des Früh- lings heifsı. Für das Signal des anfangenden Sommers wurde von Cäsar der Frühaufgang der Plejaden (Yergiliarum exortus matut- nus), für das des eintretenden Herbstes der Frühuntergang der Leier (Fidiewlae occasııs matutinus), und für das des beginnenden Winters der Frühuntergang der Plejaden (Jergiliarum occasus matutinus) erklärt. Wie sich die beiden hier gedachten Erscheinungen der Plejaden zu obi- gen Datis verhielten, werden wir sogleich sehn. Der scheinbare Früh- untergang der Leier erfolgte zu Rom am 24. August, also dreizehn Tage später als der Anfang des Herbstes, den er bezeichnen sollte. Bes- ser stimmt der wahre Frühuntergang, doch dieser konnte kein Signal abgeben. Man sieht hiernach, dafs Cäsar welcher am ı6. August erfolgte; die Mitten der Jahrszeiten auf die Aequinoctien und Solstitien gesetzt haben müsse. Von welchem Gesichtspunkt Ovid oder sein Gewährs- mann bei obiger Besiimmung der Mitte des Frühlings ausgegangen sein mag, ist schwer abzusehn, X ,..Die;Plejaden: Ovid sagt, nachdem er von den Calendis des Aprils geredet hat: Nox ubi transierü, coelumque rubescere primo Coeperit, et tactae rore querentur aves, Semustamque facem wigilata nocte wiator Ponet, et ad solitum rusticus ibit opus; Pliades incipiunt humeros relevare paternos, Quae septem dici, sex tamen esse solent. (TV; 165.) Dafs er den Untergang der Plejaden meint, zeigt das incrpiunt hu- meros relevare paternos,; denn untergehend erleichtern sie die Schultern ihres Vaters, des Atlas. Eben so klar ist es, dafs er eine Erscheinung in der Morgendämmerung andeuten will. Seine Worte gehn mithin ganz deutlich auf den Frühuntergang. Dieser erfolgte aber zu Rom 152 Inrrer über den astronomischen Theil - am 9. November. Dagegen trat der Spätuntergang am 8. April, nur sechs Tage nach dem von ihm angegebenen Datum, ein. Er hat also hier wieder einen Fehlgriff gethan, indem er den Spätuntergang, den er aus irgend einem Kalender entehnte, als einen Frühuntergang dar- stell. Salmasius (ı) denkt an den Frühaufgang, wefshalb ihn Petavius (2) zurecht weiset, ohne jedoch das Versehn des Dichters zu rügen. Columella setzt den Spätuntergang auf den 6. April: octavo Idus Aprilis Vergiliae vespere celantur, R.R. XI, 2, 54, und Cäsar auf den öten: //T. Nonas Aprilis in Attia Vergiliae vespere occultan- tur; eaedem postridie in Boeotia: Caesari autem et Chaldaeis Nonis. Plin. H.N. XVII, 66. Richtiger spricht Ovid vom Frühaufgang der Plejaden, den er auf den ı4. Mai setzt: Pleiades adspicies omnes, tolumque sororum Agmen, ubi ante Idus nox erit una super. Tum mihi non dubüs auctoribus incipit aestas: Et tepidi finem tempora weris habent. (V,59%) Er folgt hier einem griechischen Gewährsmann; denn zu Meton’s Zeiten und unter dem Parallel Athens gingen die Plejaden am 16. Mai auf, dahingegen sie zu des Dichters Zeiten und unter dem römischen Parallel sich erst am 28. Mai zeigten. Columella gedenkt des Früh- aufgangs dieses Gestirns an drei verschiedenen Tagen: decimo Cal. Maias Vergiliae cum sole oriuntur. — Nonis Maüs Vergiliae exoriuntur mane. — VI Idus Vergiliae totae apparent. R. R. XI, 2, 56 und 3g. Zuerst scheint er von dem wahren Frühaufgang reden zu wollen, der sich zu Rom am ı6. April, unter dem Parallel Athens aber nahe um die von ihm angegebene Zeit ereignete; dann zweimahl von dem schein- baren, nach irgend einem griechischen Vorgänger. Auch Plinius knüpft den Frühaufgang der Plejaden an den VI Idus oder ı0. Mai: sic fere in VI Idus Maü, qui est Vergiliarum exortus, decurrunt sidera. (1) Exercitt. Plin. p. 746. (2) Uranolog. 1. VII, c.6. der Fasti des Ovid. 153 H. N. XVIH, 66. Es war dies die Bestimmung Cäsar’s, in dessen Ka- lender der Frühaufgang der Plejaden und zugleich der Anfang des Som- mers am VII Idus oder 9. Mai angesetzt war, wie wir aus der nach seinem Kalender bestimmten Dauer der acht römischen Jahrszeiten beim Varro ersehn. (S. die oben unter dem Widder eitirte Stelle. ) Zugleich bemerke ich, dafs sich der Spätaufgang der Plejaden am 25. September und der Frühuntergang am 9. November ereignete. Letzterer war den Griechen und Römern von grofser Wichtigkeit, weil er ihnen den Eintritt der stürmischen Jahrszeit und das Ende der Schift- fahrt bezeichnete, so wie der Frühaufgang das Signal der beginnenden Schifffahrt war. Columella setzt diese Erscheinung zweimahl an, ein- mahl am 28. Oktober und dann am 8. November: 7 Calendas Novem- bris Fergiliae occidunt. — VI Idus Novembris Vergiliae mane occidunt. R. R. XI, 2, 78 und 84. Die erste Bestimmung geht auf den wahren Frühuntergang, der am 29. Oktober erfolgte, die zweite auf den schein- baren. Plinius spricht vom ı1. November: Hoc (das Abfallen der Blätter) zpso Vergiliarum occasu fieri putant aliqui a. d. III Idus No- vembris. H. N. XVIII, 60. Es war dies, wie wir aus Allem ersehn, der Tag g, den Cäsar angesetzt hatte. XI. Die Hyaden. Den Spätuntergang der Hyaden setzt Ovid nur um drei Tage früher, als sie die Rechnung giebt, auf den ı7. April, indem er sagt: Sed iam praeteritas quartus tibi Lucifer idus Respiet. Hac Hyades Dorida nocte petunt. (IV, 677.) An denselben Tag war diese Erscheinung in Cäsar’s Kalender ge- knüpft, den der Dichter hier vermuthlich vor Augen gehabt hat: X/Y Calendas Mai Aegypto Sucwlae occidunt vesperi, sidus vehemens et terra marique turbidum: XVT Atticae, XV Caesari. Plin. H. N. XVIH, 66. Columella setzt sie einen Tag früher an: X/Y Cal. Maias Suculae se vesperi celant. R. R. XI, 2, 56. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. U 154 Iprter über den astronomischen Theil Des Frühaufgangs der Hyaden gedenkt Ovid an fünf verschie- denen Stellen. Zuerst in folgender unter dem 2. Mai: At simul inducunt obscura crepuscula noctem, Pars Hyadum toto de grege nulla latet. Ora micant Tauri septem radıantia flammis, Navita quas Hyadas Graius ab imbre vocat. (V, 163.) Durch einen besondern, bei ihm nicht ungewöhnlichen, Fehlgriff stellt er den Frühaufgang als den’ Spätaufgang dar. Auch hier folgt er bei Bestimmung des Datums dem Cäsar. Plinius sagt nämlich: 77 Nonas Maü Caesari Suculae matutino exoriuntur. l.c. Columella hat dasselbe Datum: FT Nonas Mai Sucula cum sole exoritur. I. c. Die Angabe weicht aber von der Wahrheit sehr ab und kann unter keiner Voraussetzung gerechtfertigt werden; denn der wahre Frühaufgang er- folgte den 16. Mai und der scheinbare gar erst am 9. Junius. Der wahre Spätuntergang traf für Rom auf den 5. Mai, so dafs hier ein Versehn von Cäsar im Spiel zu sein scheint. Zum zweitenmahl erwähnt der Dichter den Frühaufgang der Hyaden am Tage vor den Idus des Mais oder am ı/ten: Idibus ora prior stellantia tollere Taurum Indicat. (V, 603.) Columella gedenkt dieser Erscheinung zum zweitenmahl am 21. Mai: X7/ Calend. Junü Suculae exoriuntur. R. R. XI, 2, 45. Der wahre Frühaufgang lag, wie man sieht, zwischen den beiden hier ge- nannten Tagen. Zum drittenmahl spricht Ovid von den Hyaden in folgenden Versen : Auferat ex oculis veniens aurora Booten; Continuaque die sidus Hyantis erit. womit er sein fünftes Buch schliefst. Er setzt hier den Frühuntergang des Bootes anf den 26sten und eine Erscheinung der Hyaden auf den 27sten. Aber welche? Seine Worte sind dunkel. Es kann aber keine der Fasti des Ovid. 155 andere sein, als wieder der Frühaufgang, dessen er zum viertenmahl beim 2. Junius gedenkt: Postera lux Hyadas, Taurinae cornua frontis, Evocat, et multa terra madescit aqua. £VI, 197.) Ungewöhnlich ist es, dafs er hier die Hyaden zu Hörnern des Stiers macht. Noch einmahl spricht er von dieser Erscheinung in fol- genden Versen: Tertia lux veniat, qua tu, Dodoni Thyene, Stabis Agenorei fronte videnda bovis. (VI,-711.) Thyene, oder wohl richtiger Thyone, wie einige Handschriften lesen, soll hier ein Collectivname für die Hyaden sein. Hygin bemerkt, Pherecydes der Athener habe gesagt, die Hyaden wären die Ammen des Bacchus gewesen und hätten vorher Nymphae Dodonides geheifsen. Der Tag, den der Dichter meint, ist der dritte nach den Idus des Ju- nius, also der ıöte. Man sieht, dafs das Datum des scheinbaren Früh- aufgangs unter dem Parallel Roms zwischen den beiden zuletzt von ihm genannten in der Mitte liegt. XI. Der Krebs. Vom Untergange des Krebses ist in folgenden Versen beim 5. Ja- nuar die Rede. Ergo ubi nox aderit venturis tertia Nonis, Sparsaque coelesti rore madebit humus, Octipedis frustra quaeruntur brachia Cancri: Praeceps occiduas ille subivit aquas. ) Seine Worte lassen den Spätuntergang vermuthen. Da aber dieser am 9. Junius erfolgte, so können wir nur an den Frühunter- gang denken, welcher auf den Januar traf, nämlich der scheinbare auf den 2gsten, der wahre auf den öten. Man sieht also, dafs seine Angabe auf den letztern pafst. Auch Columella sagt: 777 Nonas Ja- nuari Cancer occidit. R. R. XI, 2, 97. Beide haben mithin aus einer Quelle geschöpft, vermuthlich aus Cäsar’s Kalender, nur dafs der Dichter Ü.2 156 InperLenr über den astronomischen Theil durch einen bei ihm nicht ungewöhnlichen Fehlgriff zwei Erscheinun- gen mit einander verwechselt hat. XII. Der Löwe. Nachdem Ovid von dem Spätuntergange der Leier gesprochen hat, fährt er fort: Sidere ab hoc ignis, wvenienti nocte, Leonis Qui micat in medio pectore, mersus erit. (17655%) Der Tag, auf den er hier den Untergang des Löwenherzens setzt, ist der 24. Januar; denn des Untergangs der Leier gedenkt er am 25sten. Er meint den wahren Frühuntergang, denn dieser ereignete sich gerade an dem von ihm bemerkten Tage, dahingegen der schein- bare erst am 6. Februar eintraf. Plinius giebt als das Datum dieses Untergangs den 2östen und Columella den 27. Januar an: YIIT Ca- lendas Februarii stella regia adpellata Tuberoni in pectore Leonis occidit matutino, H. N. XVII, 64. VI Cal. Febr. Leonis quae est in pectore clara stella occidit. R. R. XI, 2,5. Der Spätuntergang erfolgte fünf Monat später, am 6. Julius. An die Verse Proximus Hesperias etc. in der dritten oben unter der Leier citirten Stelle schliefsen sich folgende an: Dumque Lyram quaeret, medii quoque terga Leonis In liquidas subito mersa notabit aquas. (I, 77.) Hier wird der Untergang des Löwen mit dem der Leier so zu- sammengestellt, als wenn sich beide Erscheinungen in gleichen Tags- zeiten ereignen könnten. Columella mufs hier mit Ovid aus gleicher Quelle (vermuthlich Cäsar’s Kalender) geschöpft haben; denn er sagt: III Nonas Febr. Fidis tota et Leo medius occidit. R. R. XI, 2, ı4. Von der Leier ist der Spätuntergang, und von der Mitte des Löwen der Frühuntergäng gemeint. Nach Ovid ereignete sich letzterer am 2ten, nach Golumella am 5. Februar. Welchen Stern man sich unter leo medius oder unter medii terga leonis, d.i. dem Rücken des bis zur Mitte aufgegangenen Löwen, zu denken habe, ist unge- der Fasti des Ovid. 157 wifs; y an der Mähne ging fast drei Wochen, und & am Rücken gar über sechs Wochen später als das Löwenherz unter. Wahrscheinlich stand in dem Kalender, dem Ovid, so wie Columella, folgte, blofs leo medius, ohne terga, das ein poetischer Zusatz zu sein scheint. In diesem Fall möchte es erlaubt sein, wieder an das Löwenherz, gı. micat in medio pectore, zu denken, auf das die Rechnung leitet; denn es ging zu des Dichters Zeiten am 6. Febr. in der Morgendämmerung. unter. XIV. Der Winzer. Die zweite unter dem Bootes angeführte Stelle ist hier zu ver- gleichen. An dem Tage, sagt der Dichter, auf den der Frühuntergang des Arctur twifft, am 5. März, geht der Vindemitor auf; denn so ist das non effugiet im Gegensatz des vorangehenden efügiet zu nehmen. Auf den ersten Blick sollte man glauben, dafs dieser Aufgang gleichzeitig mit dem angeblichen Frühuntergange des Arctur sein solle, oder dafs der Frühaufgang gemeint werde; allein dieser erfolgte um die Mitte des Septembers. Wir müssen also an den Spätaufgang denken. Der scheinbare traf auf den ı4. Februar, der wahre auf den 26sten. Von dem ersten weicht die Angabe um fast drei Wochen, von letzterm um sieben Tage ab. Etwas näher kommt der Wahrheit Columella, indem er den Spätaufgang auf den 2. März setzi: 7I Nonas Martü Vindemia- tor apparet, quem Graeci rguynraga dieunt. R.R. XI, 2, 24. Auch Plinius spricht von dem Aufgange des Vindemitor um den Anfang dieses Monats, ohne jedoch das Datum bestimmt anzugeben. H. N. XVII, 65. ; Weit wichtiger, als der Spätaufgang des Sterns, war den Alten der Frühaufgang, weil ihnen derselbe als Signal der beginnenden Wein- lese diente, woher sich auch der Name schreibt. Diese Erscheinung erfolgte unter dem Parallel von Rom am ı8. September. Columella spricht vom wahren Frühaufgang, der auf den 5ı. August traf, wenn er beim 27sten dieses Monats sagt: Findemiator exoritur mane. Cäsar ging noch fünf Tage weiter zurück: X7 Cal. Septembris Caesari et Assyriae stella, quae WVindemitor adpellatur, exoriri mane incipit, vin- dem:ae maturitatem promittens. Plin. H. N. XVII, 3ı. 158 Inderer über den astronomischen : Theil XYy....Due.W ase. Von dieser spricht der Dichter in den Versen : Plura locuturi subito seducimur imbre. Pendula coelestes Libra movebat aquas. (IV, 385.) Es kann hier von keiner andern Erscheinung als dem Frühun- tergange der Wage die Rede sein. Auf einen Untergang mufs auch das Epithet pendula hindeuten, wovon man sonst keine Kraft sieht. Aber von welchem Tage spricht der Dichter? Am 4. April nahmen die Megalesia ihren Anfang (s. die Ausleger zu v. ı79 desselben Buchs). Nachdem Ovid von diesem Fest ausführlich gehandelt hat, sagt er v. 5735: Postera cum coelo motis Pallantias astris Fulserit.... Dadurch bezeichnet er den Tag der Nonae. Dann heifst es v.577: Tertia lux, memini, ludis erat. Dies scheint nun den dritten Tag der Megalesia oder VII Id. Apr. andeuten zu sollen, so dafs also der Dichter den Frühunter- gang der Wage auf den 6. April setzte. Das alte Calendarium da- gegen nimmt Zertia lux für den dritten Tag nach den Nonis oder für VU Id. Aprilis, indem es bei diesem Tage anmerkt: Zibra oceidit cosmice. Ich besimme mich aber für jenen Tag; denn unmittelbar auf obige zwei Verse folgen die Worte: Ante tamen, quam summa dies spectacula sistat, Ensiger Orion aequore mersus erit. Hier können keine andern Spectacula gemeint sein, als eben die Megalesia. Da nun durch den leizten Tag dieses Festes der Untergang des Orion bestimmt wird, so wird auch terta lux von demselben zu nehmen sein. Wir haben mithin nach Ovid für den Frühuntergang der Wage den 6. April. Die Rechnung zeigt, dafs von dem wahren Frühuntergang die Rede sein müsse, der zu Rom mit dem ı0. April anfıng, wo der zuerst in diesem Bilde untergehende Stern « den west- lichen Horizont beim Aufgange der Sonne erreichte. Der zweite helle Stern, ß, ging am 2. Mai, drei Wochen später, unter. Der schein- bare Untergang weicht vollends von des Dichters Angabe ab; denn für « erfolgte er am ı8. Mai und für £ am 4. Junius. Plinius setzt nach der Fastı des Ovid. 159 Cäsar den Frühuntergang auf den 8. April: Caesarı sexto Idus (Aprilis) significatur imber librae occasu. H. N. XVOI, 66. Columella’s Angabe stimmt mit der Rechnung völlig überein: 77 Idus Aprilis, sole oriente, libra occidere incipit. R. R. XI, 2, 54. Noch einmahl gedenkt er ihres Untergangs drei Tage später: Zdibus Apriis libra occidit, was vom fort- währenden Untergange zu nehmen ist. XVI. Der Skorpion. Vom Skorpion ist an folgenden drei Stellen der Fasti die Rede: Postera cum teneras durora refecerit herbas, Scorpios a prima parte widendus erit. (DIT; 711.) Dum loquor, elatae metuendus acumine caudae Scorpios in wirides praecipitatur aquas. (EV, 163.) Scorpios in coelo, cum cras lucescere Nonas Dicimus, a media parte notandus erit. (V, 417.) Die postera an der ersten ist der Tag nach den Idus des März, also der ı6te. Das Phänomen, von welchem der Dichter spricht, scheint der Frühaufgang sein zu sollen, und dafür mufs es auch das alte Ca- lendarium genommen haben, das am ı6. März anmerkt: Scorpius oritur ; allein dieser traf auf eine ganz andere Jahrszeit. Es mufs also entwe- der vom Frühuntergange oder vom Spätaufgange die Rede sein; jener pafst zum ersten, dieser besser zum zweiten Verse. Vermuthlich hat er in dem Parapegma, aus dem er hier schöpfte, den Frühunter- gang gefunden; denn beim CGolumella heifst es: /dib. Mart. Nepa incipit occidere ; significat tempestatem. XVII Cal. Apriis Nepa oceidit, hiemat. R. R. XI, 2, 50; und Plinius sagt: Caesar et Idus Martias ferales sibi adnotavit Scorpionis occasu. H. N. XVIH, 65. Die astrono- mische Wahrheit scheint sich freilich schlecht mit dieser Angabe zu ver- tragen ; denn der wahre Frühuntergang des hellsten Sterns traf zur Zeit des Dichters auf den 26. April, der scheinbare gar erst auf den 15. Mai. Allein man mufs bedenken, dafs der Skorpion ein grofses Bild isı, und dafs Cäsar, und mit ihm Ovid und Columella, wahrscheinlich griechi- 160 Ipernenr über den astronomischen Theil schen Gewährsmännern gefolgt sind. Im Parapegma beim Geminus heifst es: m x (am 29sten Tage der Fische) Evarnuovi 78 Onopmis ci moBreL üseges dvvzrı, und wirklich ging zu Euctemon’s Zeiten und unter seiner Polhöhe der Stern y im Skorpion, der zuerst in diesem Bilde den Westhorizont erreicht, mit dem 29sten Grade der Fische der Sonne gegenüber unter. Dem 29sten Grade der Fische entsprach aber zu Euctemon’s Zeiten der 25. Mätrz. An der zweiten Stelle des Ovid ist abermahls vom Frühunter- gange des Skorpions die Rede, den der Dichter, hier einer andern Au- ctorität folgend, auf den ı. April seızt. Auch Columella sagt: Cal. April. Nepa occidit mane. l. c. Noch einmahl des Frühuntergangs gedenkt die dritte Stelle an dem den Nonis des Mais vorangehenden Tage oder am 6ten, wieder ganz übereinstimmig mit Columella, bei dem es heifst: pridie Nonas Maias Nepa medius occidit, aus welchen Worten zugleich erhellet, wie das a media parte in der dritten, und das « prima parte in der ersten Stelle des Ovid zu nehmen ist. Betrachten wir den Antares als die Mitte des Skorpions, so liegt der 6. Mai in der Mitte zwischen den Tagen seines wahren und scheinbaren Frühaufgangs für Rom. Vermuthlich hat- ten aber Ovid und Columella hier wieder griechische Parapegmen vor sich. Man sieht, wie sie, ohne etwas Arges daraus zu haben, von ei- nerlei Erscheinung, verschiedenen Vorgängern folgend, mehr als ein- mahl sprechen. XVII. Der Wassermann. Am Tage der Nonae des Februars oder am 5ten gedenkt Ovid des Wassermanns: Jam puer Idaeus media tenus eminet alyo Et liquidas mixto nectare fundit aquas, (IL, 145.) mit Anspielung auf den Mythus vom Ganymedes, den man sich unter diesem Bilde dachte. Das alte Calendarium sagt: Nonis Aquarius vadit ad occasum. Allein, nicht zu gedenken, dafs der Wassermann stehend auf- und liegend untergeht, also das media tenus eminet alvo nur von - der Fasti des Ovid. 161 dem aufgehenden Bilde gesagt werden kann, heifst es beim Columella: Nonis Februarü mediae partes Aquarü oriuntur. R. R. XI, 2, 14. Ovid, der hier wieder sichtbar mit Columella aus gleicher Quelle geschöpft hat, spricht demnach vom Frühaufgange. Für die Mitte des Was- sermanns kann der Stern $ an der Hüfte gelten, und von diesem traf der wahre Frühaufgang auf den 22. Januar, und der scheinbare auf den 25. Februar. Zwischen beiden Tagen liegt obiges von den Römern angegebene Datum. XVII. Die Fische. Unter dem 5. März spricht Ovid von dem Untergange eines der beiden Fische im Thierkreise : Tertia nox emersa suos ubi moverit ignes, Conditus e geminis Piscibus alter erit. Nam duo sunt: austris hic est, aquilonibus iülle Proximus, a wento nomen uterque tenet. (EI, 399.) Von welchem Fische die Rede ist, sagen Columella und Plinius, jener mit den Worten: ZJI Idus Marti piscis aquilonius desinit oriri. R. R. XI, 2, 24; dieser:... /III Idus (Marüi) aquilonii piscis ex- ortu, H. N. XVIH, 65. Beide reden also vom Aufgange des nörd- lichen Fische. Ob Ovid durch einen Fehlgriff oder absichtlich den Untergang substituirt, bleibt unentschieden. So viel ist gewifs, dafs der Spätuntergang zu dem von ihm angegebenen Datum besser stimmt, als der Frühaufgang; denn von dem Stern $ in der Mitte des nörd- sans; lichen Fisches erfolgte jener am 7. März, dieser am ı. April. sie ] I SINE. Oo Den Spätuntergang des*Orion erwähnt der Dichter zweimahl ; zuerst in folgenden Versen : Ante tamen, quam summa dies spectacula sistat, Ensiger Orion aequore mersus erit. (IV, 387.) Die Spectacula sind die Megalesia, von denen er vorher ge- sprochen hat. Sie fingen den 4. April an und dauerten, wie aus alten Hist. philolog. Klasse 1822-1823. x f 162 IpeLenr über den astronomischen Theil Calendarien erhellet, bis zum ıoten oder ııten. S. Neapolis Anmerkung. Die Erscheinung erfolgte also nach des Dichters Sinn um den 9. April. Der scheinbare Spätuntergang des mittelsten Sterns im Gürtel trat am ı9. April ein, der des Rigel acht Tage früher, der des Betelgeuze neun Tage später. Des Dichters Datum entspricht mithin ungefähr dem be- ginnenden Spätuntergange des gesammten Bildes. Der wahre Untergang der gedachten drei Sterne fällt in den Zeitraum vom 26. April bis zum ı1. Mai, und gerade am letztern Tage, nämlich am mittelsten des Festes Lemuralia (s. Neapolis) läfst der Dichter den Orion noch einmahl untergehn : Quorum si medüs Bocotum Oriona quaeres, Falsus eris. (V, 493.) Man sieht also, er hat aus zwei Parapegmen geschöpft, wovon das eine den Anfang des scheinbaren und das andere das Ende des wah- ven Untergangs des grofsen Bildes angab. Auch des Frühaufgangs gedenkt er zweimahl. Zuerst in fol- gender Stelle: At pater Heliadum radios ubi tinxerit undis, Et cinget geminos stella serena polos, Tollet humo walidos proles Hyriea lacertos. (VI, 717.) Der Zusammenhang lehrt, dafs das Datum der ı6. Junius ist. Am 2ısten erfolgte der wahre Frühaufgang des mittelsten Sterns im Gürtel; die linke zum Stier emporgehobene Hand stand einige Tage früher mit der Sonne im Horizont. Die Zeit wäre also gerecht- ferügt; nur wird die ganze Erscheinung irrig als ein Spätaufgang dargestellt. Nachdem er vom Feste der Fortuna fortis am VII Cal. Iulii, wo es, wie er sagt, nicht schimpflich war, potus redire domum, geredet hat, setzt er hinzu: " Ecce suburbana rediens male sobrius aede, Ad stellas aliquis talia verba iacit: Zona latet tua nunc, et cras fortasse latebit, Dehine erit, Orion, adspicienda mihi. (VI, 785.) der Fasti des Ovid, 163 Er läfst also den Gürtel am VI Cal. Iul. oder 26. Junius auf- gehn. Der wahre Frühaufgang erfolgte zu Rom, wie so eben bemerkt worden, 5 Tage früher. Der scheinbare trat erst am ı95. Jul. ein. Columella übergeht diese Erscheinungen ganz. Plinius seızt den Aufgang des Orion auf den 9. März: .... /11I Idus (Marui) aquw- loni Piscis exorlu, et postero die Orionis. H. N. XVIH, 65. Dies Da- tum läfst sich durch keine Voraussetzung rechtfertigen. Ich vermuthe daher, dafs das Wort Orzonis verdorben ist, und dafs Plinius von ir- gend einem andern Gestirn geredet hat. Denn er würde, hätte es mit dem Orion seine Richtigkeit, beim geringsten Nachdenken das Unstatt- hafte gefunden haben, das in der frühern Ansetzung des Aufgangs als des Uniergangs liegt. Er sagt nämlich bei den Nonis des Aprils: 4e- gypto Orion et gladius eius incipiunt abscondi. Ib. Übrigens weicht auch diese Angabe bedeutend von der Wahrheit ab; denn der schein- bare Spätuntergang des Gürtels erfolgte zu Alexandrien 7 Tage später als zu Rom, also am 26. April, der wahre noch beträchtlich später. INIh> sSLT Lu, Auf die drei unter dem Widder citirten Verse läfst der Dichter nachstehenden folgen : Signaque dant imbres, exoriturque Canis. (IV, 904.) Hier wird der Aufgang des Sirius auf den Tag der Robigalia oder den 25. April geseizt, durch ein grobes Versehn ; denn der Früh- aufgang, der diesem Zeitpunkt noch am nächsten kommt, erfolgte über drei Monat später im Jahr, am 2. August. Dagegen ereignete sich der Spätuntergang am ı. Mai, nur sechs Tage später, als der Dichter sagt, so dafs es keinen Zweifel leidet, dafs er von demselben sprechen will. Neapolis will effugietque Canis emendiren ; allein es sind schon so viel ähnliche Mifsgrifle nachgewiesen worden, dafs wir gerade diesen nicht verbessern wollen. Columella setzt den Spätun- tergang des Hundes auf den 50. April: pridie Calendas Maias Canis se vespere celat. R. R. XI, 2, 57. Plinius giebt die Erscheinung ein paar Tage früher an: 77 Cal. Mai Canis oceidit, sidus et per se vehe- x-2 164 Ipeuen über den astronomischen Theil mens et cu praeoccidere cuniculam necesse sit. H. N. XVIH, 69. Die canicula, von der hier die Rede ist, soll nicht etwa, wie Salmasius glaubt (1), der Procyon sein; es ist ein Hund, den man zur Verhü- tung des geglaubten schädlichen Einflusses des untergehenden Hunds- sterns auf das in Blüthe stehende Getreide am Feste der Robigalia dem Gotte Robigus opferte, wie Ovid im weitern Verfolge obiger Stelle sagt. Das Fest scheint in sehr alten Zeiten eingeführt zu sein, wo Sirius ei- nige Tage früher zu Rom unterging, als es obiges auf Cäsar’s Zeitalter passendes Datum giebt. Noch einmahl und wenig treffender spricht der Dichter vom Auf- gange des Sirius in folgendem Verse: Nocte sequente diem Canis Erigoneius exit. (V, 723.) Die Zeit ist der XI Cal. Iun. oder 22. Mai; denn er hat unmit- telbar vorher der Agonalia gedacht, deren wiederhohlte Feier auf den XII Cal. Iun. waf (s. Neapolis v. 721.). Dafs er unter dem Ca- nis Erigoneius den grofsen Hund versteht, erhellet aus Fast. IV, 959, wo er ihn mit Anspielung auf denselben Mythus Zcarius nennt. Wollte man aber auch mit Hygin (P. A. I, 4.) beim Hunde der Erigone an den Procyon denken, so wäre damit wenig gewonnen ; denn Procyon ging zu Rom nur acht Tage früher als Sirius auf. Richtiger sprechen Columella und Plinius von dieser Erschei- nung. . Der erste setzt sie auf den 26. Julius: FII Cal. Aug. Canicula apparet. R. R. XI, 2, 55. Dieser Zeitpunkt lag in der Mitte zwischen dem ı9. Jul. und 2. August, den Tagen des wahren und scheinbaren Frühaufgangs. Nach letzterem geht der Hund auf sole partem primam Leonis ingresso. Hoc fit post solstiium XXIII di. H. N. XVII, 68. Der wahre Frühaufgang erfolgte in der That am 25sten Tage nach der Sommerwende, also nach Cäsar, der die Aequinoctien und Solsti- ven auf die achten Grade der Zeichen setzte, mit dem Eintritt der Sonne in den Löwen. (1) WExercitt. Plin. p. 305. der Fasti des Ovid. 165 XXI. Der Becher. Continuata loco tria sidera, Corvus et Anguis, Et medius Crater inter utrumque iacet. Idibus illa latent: oriuntur nocte sequenti. Quae sıbi cur tria sint consociata, canam. (1,9243. Der Tag, an welchem der Aufgang dieser drei Bilder erfolgen soll, ist der, welcher auf die Idus des Februars folgt, also der ı4te. Auf eben denselben setzt Columella den Spätaufgang des Bechers: AVI Cal. Martü vespere Crater oritur. R. R. XI, 2, 20. Von diesem Spätaufgange hat also auch Ovid ohne Zweifel reden wollen. Da er aber zugleich die Wasserschlange und den Raben zu erwähnen hat, in- dem er einen den drei Bildern gemeinschaftlichen Mythus erzählen will, so läfst er auch alle drei an Einem Tage aufgehn, nicht bedenkend, dafs sich die Schlange fast um den vierten Theil des Himmels zieht. Ja was noch mehr ist, und zum Beweise dient, dafs er über die ganze Erschei- nung nicht nachgedacht hat, er stellt den Spätaufgang als den ersten sichtbaren dar, da es doch der letzte ist.. Es ist indessen wahrschein- lich, dafs er den Spätaufgang mit dem Frühaufgang verwechselt hat. Übrigens liegt der von ihm angegebene Zeitpunkt zwischen dem 8 und 25sten Februar, den Tagen des scheinbaren und wahren Spätauf- gangs des Bechers. XXlH. Der Centaur. Vom Aufgange dieses Bildes spricht Ovid am IV Non. Maii oder am 4. Mai: Nocte minus quarta promet sua sidera Chiron Semivir, et flavi corpore mixtus equi. (Va 3295) Er kann nur den Spätaufgang meinen, den auch Columella um dieselbe Zeit ansetzt: 7 Nonas Maias (den 5. Mai.) Centaurus to- tus apparet, R. R. XI, 2, 59. Einer der letzten den Römern aufgehen- den Sterne dieses Bildes, (die beiden hellsien « und 8 an den Vorder- füfsen kommen nicht über ihren Horizont), ist > ’ > (1) "Arsvaden, ci Ev Aagissy vn5 Osrrarias süyevesaror amo’Arslou Qaurırews To YEvos EyovreS. Sud. u. a. B3 e ’ er 3 Pa) R 5 ’ » (2) H isogıe oUrws. Arsvoes amoyavos TIS TOU “Hoazrtovs, Ozrran.s, ETUGAVVEUTE FWV Osrra- rav. ira ot rovrov meidss. Ulpian. ad Demosth. Olynth. ı. Den Verfolg des Scholions wer- den wir unten sehn. von den Aleuaden. 175 „Aleuas, ein Abkömmling des Herakles, ein Thessaler, herrschte ‚„‚(war Tyrann) über die Thessaler, und nach ihm auch seine Kinder,” Plutarch von der Bruderliebe im letzten Kapitel erzählt folgendes : „Auczvas der Thessaler ward, weil er von stolzer und wilder Gemütlıs- ‚„‚art war (dyegwxes) , von seinem Vater unterdrückt: sein Vaterbruder „aber nahm sich seiner an. Als nun die Thessaler Wahlloose nach „Delphi schickten, wer ihr König sein sollte, da schob der Oheim, „ohne Wissen des Vaters, auch eines für den Aleuas unter. Die Py- ‚‚thia ernannte diesen. Da aber sein Vater erklärte, dafs er kein Wahl- ‚‚Joos für ihn hineingelegt habe, so glaubte jedermann, es sei ein Irr- ‚„‚thum im Aufschreiben der Namen vorgefallen. Man sandte also eine „‚abermalige Anfrage an den Gott. Allein die Pythia, gleich als bestä- ‚„‚ügend ihre erste Antwort, sprach: Tev mußßv rel dm Tov "Apxedien rene malda. Ihn den Rothkopf mein’ ich, ihn, der Archedikens Sohn ist. ‚Und auf diese Art ward Aleuas vom Gott zum Könige gemacht, durch „seinen Oheim: worauf er selbst nicht nur seine Vorfahren weit an ‚Ansehn übertraf, sondern auch die Nation durch ihn an Macht und „Ruhm stieg.’ Harpokration sagt bei Gelegenheit der Tewarchien die Philipp in Thessalien eingerichtet, folgendes: Thessalien sei, laut Hellanikus, in dessen Buch 'Thessalischer Geschichten, in Viertheile (rergades) eingetheilt, Thessaliotis, Phthiotis, Pelasgiotis, Hestäotis; und nach Aristoteles in dessen Buch von Thessalischer Verfassung, sei das Land in vier Theile getheilt worden £ri "Areva red Mvggev. So ist dort betont, und man spricht nun von einem Aleuas dem Sohne des Pyrrhus, und will sogar auch jenes Orakel dahin zwingen. Aber Böckhs umge- kehrtes Verfahren ist zu gewifs. Ted IIvögev mufs hier betont, und dies als der historisch gewordne Beiname des Rothkopfs für den Aleuas selbst genommen werden. Endlich gehört noch hieher eine Nachricht beim Scholiasten zur angeführten Stelle des Theokrit, auf den dort ge- nannten Aleuas sich beziehend, Euphorion (s. ob.) habe alles gesam- melt ra eg: ’Arevav rev Sıuicv; und eine bei Aristoteles in der Politik 5, 5, 9., wo er eine Revolution anführt die sich zutrug zu Larissa em ans av AAcvadav doxns Tav megl Yauov. Dafs hier eine Verderbung im 176 BvttTtmANnNNnN Namen ist, ist klar. Da nun aber ein Aleuaden - Name aus der spätern Zeit, Yiuos, bei Demosthenes feststeht, und dieselben Namen in solchen Familien gewöhnlich wiederkehren ; so ist es durch zuverlässige Kritik heut zu Tage gewifs (s. Böckh), dafs bei dem Theokritischen Scholiasten statt rov Bıuisv gelesen werden mufs rv Ziucv, und bei Aristoteles ray wegi Siuov. Also haben wir einen Aleuas, den Sohn des Sımus, den Freund des Simonides, und einen Simus, ohne Zweifel eben den Vater dieses Aleuas, auf den und die ihn betroffen habende Revolution wir unten zurückkommen werden. Böckh nun, der, wie schon gesagt, den Aleuas des Simonides für den Stammvater des Hauses ansah, versuchte alle diese Angaben zu vereinigen, indem er, da von Aleuas dem Roth- kopf der Vatername bei Plutarch nicht angeführt ist, diesen als den Sohn des Simus und der Archedike, und Gönner des Simonides annahm. Aber so erwächst ein neues Bedenken gegen diese Ansicht; indem die Stelle in der Politik des Aristoteles diesen Simus und seine Familie schon als Herrschende aufführt, gegen welche eine Revolution nöthig war. Es tritt als wichtiger Umstand hinzu, dafs von Aleuas dem Roth- kopf Macht und Ruhm der Nation erst ausgehn sollten, Aleuas der Sohn des Simus aber nicht nur an Antiochus und an den Skopaden Wetuteiferer des Glanzes und Ansehns hat, sondern gleich auf ihn die Perserkriege folgen, durch welche wenigstens der Thessaler Macht und Ruhm nicht stieg. Dagegen scheint aber jene Simonideische Zeit der Gipfel des Glanzes gewesen zu sein; der also, nach der Überlieferung, von einem ältern Aleuas herzuholen ist. So sind wir glaub’ ich völlig berechtigt, Aleuas den Rothkopf, dessen Mutternamen wir zufällig durch ein Orakel kennen, den Vaternamen aber nicht, von dem Sohne des Simus zu trennen. Da er nun wenigstens der Grofsvater dieses jüngern Aleuas wird gewesen sein, so rückt ihn dies fürerst schon in die Zeiten des Solon. Ob er nun auch der in jenen kurzen Notizen der Gram- matiker erwähnte älteste Stammvater des ganzen Geschlechts der Aleua- den ist? Um hierüber zu urtheilen müssen wir noch das Fäbelchen bei Aelian, in dessen Thiergeschichte (8, ı1.) in Erwägung ziehen. Es lautet dort so: „Hegemon in seinem Gedicht Dardanika erzählt von „Aleuas dem Thessaler unter andern auch dieses, dafs ein Drache „sich in ihn verliebt habe. Dafs nun dieser Aleuas goldnes Haupthaar von den Aleuaden. 177 ‚‚gehabt habe, das ist ohne Zweifel von Hegemon nur ins wunderbare ‚„‚gezogen. Ich nehme an es war blond ( EaySy). Und so erzählt er nun „von ihm, dafs er im Ossa die Rinder gehütet habe, so wie Anchises „im Ida (1). Indem nun das Vieh bei der Quelle Hämonia, welches „auch soviel als, eine thessalische Quelle, sein mag, weidete; habe ein „ungeheuer grofser Drache sich in den Aleuas verliebt, habe sich ge- ‚wöhnlich an ihm heran gewunden, sein Haupthaar geküfst, mit um- ‚„„herleckender Zunge sein Gesicht gereinigt, und von eigner Jagd ihm ‚viele Geschenke gebracht.”’ Ich habe an einem andern Ort geäufsert, dafs diese Sage mir den Stammvater Aleuas ganz in die mythische Zeit zu versetzen scheine (2); nicht nur wegen des fabelhaften der Sache selbst, sondern ganz besonders wegen des königlichen Hirten und dessen Zusammenstellung mit Anchises. Ist diese Ansicht die richtige, so hatte man den altadelichen Stamm der Aleuas und Aleuaden auf einen rein mythischen Aleuas zurückgeführt, und schmeichelnde Dichter hatten selbst das in der Familie vielleicht vorherschende hochblonde Haar durch einen Ahnherrn mit goldnem Hauptihaar begründet. Eine gröfsere Wahrscheinlichkeit führt mich jedoch jetzt soweit zu Böckhs Meinung, dafs ich Aleuas den Rothkopf und diesen goldhaarigen des Hegemon für einen und denselben halte. Wir haben gesehn dafs der Vater des Rothkopfs, natürlich, er schon einer der Edlen des Volks, diesen seinen Sohn, seiner wilden Gemüthsart wegen zurücksetzte. Ohne Zweifel bestand in der vollständigen Überlieferung diese Zurücksetzung eben darin, dafs er ihn zu den Heerden in das Gebirg entfernte. Sehr begreiflich nun, dafs diese Jugendgeschichte des nachherigen Herschers und Stammvaters des edelsten 'Thessalischen Fürstengeschlechts ins Wun- derbare ausgemalt, und von Dichtern nicht nur eigen behandelt, sondern ren 2 \ 27 x Mr ne IE v9 y (1) Kar Bovzoreiv mev avrov Ev HR Osom dueiw, vs Edsıre rn Iön Frov "Ayyızyv. Ich Y n on H H EN weifs für das verderbte Wort nichts vorzuschlagen als &xe (2) Not.ad Plat. Meno. ı. Ein Aleuas aus der ganz mythischen Zeit findet sich wirklich, aber hieher ganz unbrauchbar. Der Vater des hundertaugigen Argos wird sehr verschieden angegeben: in Schol. deschyl. Prom. 570. heifst er Aleuas: doch möchte ich nicht einmal für die Echtheit dieser Angabe stehn. Hist, philolog. Klasse 1822-1823. Z 178 BurtrmAnNn auch episodisch in ihre Werke verflochten ward (1). Denn ohne der Zeit zwischen Kodrus und Pisistratus ihr historisches rauben zu wollen, ein Feld mythischer Sagen ist auch sie, wie die Lesung des wenigen, was wir bei den alten Schriftstellern über sie finden, einen jeden belehrt. Also nehme auch ich an, dafs der Name Aleuas und Aleuaden nicht weiter hinaufgeht als auf diesen Aleuas den Rothkopf, für welchen wir, in dem eben benannten Zeitraum, die Epoche so früh oder so spät annehmen können, als es die Natur der Überlieferung zu erfodern scheint. Und so scheint mir diese romantisch genug, um sie in die An- fänge der griechischen Geschichte jenseit der Olympiaden zu setzen. Die- ser Aleuas also gehörte zu einem Geschlecht, das, wie so viele andre, seinen Adel auf HrrAaxres durch einen von dessen unzähligen Söhnen zurückführte. Diese Notiz haben wir aber nicht blofs aus jenem Scho- liasten, sondern aus einer weit bessern Quelle, Pindars ıo. pyth. Ode, in deren Anfang Lakedämon und Thessalien selig gepriesen werden, auch aus diesem Grunde: marges Ö° auderegus EE £vös > ’ ’ e ’ , Agısouayou Yevos Hoanxreos Barırevaı. Es wifft sich, dafs der Stammvater aller peloponnesischen Herakliden, des Herakles Urenkel, ein Aristomachos ist. Da nun dieser auf ei- nem der verunglückten Versuche gegen den Peloponnes umkam , wor- auf die Herakliden wieder nach Thessalien zurückkehrten, so wäre es wohl denkbar, dafs, als im letzten Zuge dessen bekannte drei Söhne, Temenos, Kresphontes, Aristodemos, den Peloponnes eroberten, die Über- lieferung einen vierten Sohn in Thessalien hätte zurückbleiben lassen, von dem dann der dortige Fürstenstamm herkäme. Dies also müfste man freilich annehmen ; so auffallend es auch wäre, wenn von diesem unmittelbaren Zusammenhang der Herakliden im Peloponnes und in Thes- (1) Der Hegemon, welcher wol allein hieher gehören kann (S. Yossius de Hist. Gr.), schrieb ein episches Gedicht von dem Leuktrischen Krieg. Er wird also zu den Zeiten der zuletzt noch mächtigen Aleuaden gelebt haben. Da in seinen Dardanicis Anchises eine Hauptrolle spielen musste, so war eine Episode jener Art, wenn er mit den reichen Herren in Freundschaft lebte, ganz am rechten Ort. von den Aleuaden. 179 salien, von dieser Verschwisterung zwischen Argos, Sparta, Messene und Thessalien, nur in einer Dichterstelle eine schwache Spur geblieben wäre. Allein die grammatische Verbindung und Stellung der Worte sträubt sich gänzlich gegen diesen Sinn; und mit Recht tritt daher jetzt Böckh der Erklärung bei, welche, wie man in den Scholien sieht, die der al- ten Kritiker war, und wonach ägtsoudyev Beiwort des Herakles ist: — ‚„‚denn über beide herscht das Geschlecht Eines Vaters, des kampfbe- ‚„rühmten Herakles.’’ Bei der Frage, auf welchen Sohn dieses Helden denn nun die thessalischen Fürsten ihr Geschlecht zurückgeführt hätten, bringt Böckh, aufser dem Thessalos, noch den Antiochos, wiewohl dieser sonst nur als attscher Heros und als Ahnherr der Bacchiaden in Korinth bekannt ist, auch hier in Vorschlag, veranlasst durch den Namen, den, wie wir gesehen haben, einer wenigstens dieser Fürsten trug; indem solche Namen-Gleichheit mit einem Heros so häufig auf g; Abstammung von demselben deutet; die indessen auch von weiblichen Seiten herkommen kann. Mir scheint keine Ursach zu sein, um zu zweifeln, dafs diese heraklidische Genealogie durch Tnuessaros ging. Oerrarci war der Name des Völkerstammes, der, von Thesprotien her, die alte äolisch-achäische Bevölkerung dieser Thäler sich unterwarf, sie zu seinen Penesten oder Leibeignen machte, und von dem nun das Land den Namen bekam (1). Von den Häuptern dieser eigentlichen Thessaler stammten natürlich die Aleuaden und übrigen herschenden Familien des Landes ab. Jeder mythische Held nun, der den Namen Thessalos führt, kann nur als Stammvater dieser Nation gedacht in die Mytholo- gie gekommen sein. Wie gewöhnlich gab es deren mehre, von deren je- dem es denn auch wirklich gesagt wird. Bei der Leichtfertigkeit, wie diese ethnologischen Mythen bis in die spätere Zeit und in die Anfänge der eigentlichen Litteratur hin sich bildeten, wird man sich nicht wun- dern, wenn solche Stifter mit Namen Thessalos auch auf eine mit den angeführten historischen Notizen nicht übereinstimmende Art genealogi- sirt sind, und einer unter andern durch Iason in die achäisch - äolische (U)7. Herodaany 762,8. ThucT, 12. 180 BuUuTTMANN Mythologie hinein gespielt wird (1). Ein besseres historisches Funda- ment hat der Thessalos, der Sohn des Herakles; und auch von diesem wird Thessalien und die Thessaler ausdrücklich abgeleitet bei Vellejus ı, 5. und Schol. Apollon. 5, 1090. Was diesem Thessalos aber noch mehr Gewicht gibt, ist, dafs er bei Homer vorkommt; wiewohl dort, was auffallend ist, als Vater der auf Kos und andern südlichen Inseln des ägäi- schen Meeres herschenden Fürsten Pnınpırros und Antırnos (2). Doch auch hier hat uns die Epik zu unserm Zweck nicht im Stiche gelassen. Sie läfst den Phidippos auf der Rückkehr von Troja nach Thesprotien verschlagen, wo er die Stadı Ephyra baute (Vellejus a. a. O.). Nehmlich Antiphos war, nach Homer, vor Troja geblieben. Surabo jedoch, sagt ausdrücklich, dafs nach einigen die Nachkommen von Phidippos und Antiphos aus Ephyra in Thesproten kommend , Thessalien nach ih- rem Ahnherren benannt hätten. Polyän (8, 44.) weifs sogar ein Ge- schiehtchen für seine Sammlung aus dieser Einwanderung zu entneh- men, die man bei ihm nachlesen mag. Wir merken uns nur soviel daraus, dafs Araros, Sohn des Phidippos (5), und seine Schwester Polyklea, beide Herakliden,, an der Spitze des Heeres waren, das über den Acheloos zog und die Böoter aus Thessalien vertrieb. Dafs bei Polyän dieses Geschwisterpaar sich heiratet und zum Überflufs wieder einen Thessalos zeugt, von dem das Land den Namen erhält (4), geht uns nun weiter nichts an. (1) S. Diod. Sic. 4, 56. — Durch Thessalos, den Sohn des Hämon, des Sohnes von Pelasgos, wird auf die alte pelasgische Bevölkerung zurückgegangen bei Strab. 9. extr. Of. not. Casaub. et Steph. Byz: in Aiucvie. (2) Im Schiffsverzeichnis Il. 2, 676. 0: 8’ age Nirugov 7 iv, KodraSov rs Kasov 78, Kai Kür. Elgurvroo mworw, vrrous re Ktervdves, Tav av Seldımmös TE ga "Avrıbos Yynsasoyv, Ossr@r00 vie Öuw “Haazrsiöco avanros“ Teis 8 Tamzovree Yahbugei vess EsıyoWvro. (35) Irrig steht dort noch ®irırros statt Beidırros. (4) Hieraus ist Vell. 1, 5, 2. 5. zu erklären, wo ein Thessalus natione Thespro- tus von einem ältern Thessalo Herculis ‚Klio unterschieden wird. Nehmlich durch das Unfeste, das in allen mythischen Begründungen liegt, ward auch das bewirkt, dafs der von den Aleuaden. 181 Wir sehn nun zur Genüge, wie die epische Sage die Thessaler und deren Fürsten von den Thesprotern, vom Herakles, und von dessen auf Kos herschenden Enkeln, abzuleiten wufste. Nehmen wir diese Kunst weg, so bleibi soviel, dafs auf Kos und einigen benachbarten Inseln ein griechischer Stamm wohnte, der einst zur thessalischen Nation sich rechnete: denn nur das besagt der Ahnherr Thessalos: und dies hat auch nicht das mindeste auflallende, da man dieselben Namen griechi- scher Stämme und Städte so vielfältig aui' den entferntesten Punkten, ja in fremden entlegenen Landen findet. Sehr natürlich erklärte man sich dies durch Kolonie-Führungen, und hiezu, da einmal die Sage vom twojanischen Feldzug in der Epik an- und ausgesponnen war, gab nichts vortrefllichere Gelegenheit, als jener grofse mythische Gemeinplatz, die Nescı oder Rückfahrten, deren Zweck schon in der ersten Idee des my- thischen Dichters lag, welcher die Griechen auf ihrer Heimfahrt durch jenen verhängnisvollen Sturm zerstreuen liefs; woraus nun neben den Irrfahrten des Odysseus eine Unendlichkeit von Verschlagungen erwuchs, wodurch Teukros nach Kypros, Pyrrhos nach Epirus, Diomedes nach Italien u. s. w., kamen; alles um ethnologische Fakta jener Art zu er- klären. So also auch hier. Es mufs mythische Sagen gegeben haben, wonach Phidippos und Antphos nicht aus Kos, sondern aus Thespro- tien stammten. Dies erhellet am deutlichsten aus dem Aristotelischen Epigramm auf sie, in seinem Peplos trojanischer Helden (27.), wo Ephyra dieser beiden Vaterland genannt wird: Beidır rev Tocımv megTaut 0° "Avrıdov new Taia margis zwun N "Eovpa KUTEYE. Held Pheidippos, der Troja zerstört, liegt hier in dem Flecken Ephyra, Antiphos auch, schweigend im Vatergefild. Unmöglich kann, wer dies schrieb , die Stelle im homerischen Schiffs- verzeichnis vor Augen gehabt haben. Die Sache ist einfach diese , dafs die verwandten Stämme, die auf Kos und in Thessalien wohnten, auch Stammname bald weiter oben, bald weiter unten in demselben Stammbaum steht. So ward also Thessalos auch zum Sohn des Aiatos gemacht und diesem die entscheidende Eroberung des Landes zugeschrieben. S. Steph. Byz. in fragmento, v. Auzıor. 182 BurTtemAnNn dieselben Heroen in ihrer Mythologie hatten, und zwar, wie gewöhn- lich, in beiden Gegenden als bei sich einheimisch ; folglich in Thessa- lien, da die dortige Sage den Ursprung ihrer Nation aus dem benach- barten Thesprotien bezeugte, als Thesproter. Die epische Sage, die, mit dem Schiflsverzeichnis übereinstimmend , sie als Koische Helden an- nahm , wufste beides herkömmlich zu vereinigen. Fast von selbst er- gab sich für diese, dafs Phidippos und Antiphos nach Troja gezogen und auf der Rückfahrt nach Epirus gekommen seien; von wo aus sie „der ihre nächsten Nachkommen nun an der Spitze der Thespro- ter, über den Acheloos in das nachherige Thessalien ziehen, und die Böoter in das nachherige Böotien verdrängen müssen ; unbekümmert darüber, dafs nun der trojanische Zug, mit allem was daran hängt, von vorn anfangen mufs. Denn das Schiffsverzeichnis läfst bekanntlich die Böoter schon ganz im kadmeischen Böotien und allen dessen bekannte- sten Städten wohnen. Über welche Widersprüche und Verwirrungen (sie sind der wahre twojanische Krieg und die wahren Irrfahrten in der Geschichte) am einsichtvollsten spricht K. OÖ. Müller in seinen Hel- lenischen Geschichten, $. 591. MH. Ungeachtet der unzähligen Beispiele dieser Art ist doch. kein Zwei- fel, dafs was überhaupt aus der Mythologie mit einiger Sicherheit als historisch entnommen werden kann, nur das ethnographische und geo- graphische im grofsen ist; wenn man nur keine chronologische, am al- lerwenigsten synchronistsche Bestimmungen verlangt. Dies. historische kann, als Produkt der Epik, seiner Natur nach nicht über die früheren Epochen der Kultur hinaufreichen: und nur die Phantasie ergänzt es weiter oben durch kosmogonische, theogonische und moralische Ge- bilde. Es ist interessant an den zwei Hauptpunkten Thessaliens grade diese Epoche auch in der Mythologie gleichsam angedeutet zu sehn durch den Gegensatz und den Kampf der Bildung mit der Wildheit. Die zwei Haupttheile dessen was wir im weitläuftigsten Sinne Thessalien nennen, und was wir für jene älteste Zeit südlich noch längs der Küste bis nach Böotien hin verlängern müssen, sind der nördliche am Peneos, und der südöstliche an der um Euböa herum sich biegenden Küste. In jenem zeigt uns die älteste Sage die Lapithen im Kampf mit den Kentauren, in diesem die Minyer im Gegensatz gegen die Phlegyer ; [0 >) >> [9] von den Aleuaden. ! 1 wie ich dies beides in meiner Abhandlung über die Minyer (S. 197 ff.) dargelegt und zugleich gezeigt habe, dafs diese Namen, was auch von dem der Lapithen und der Minyer durch die Epik als einzele Bezeich- nungen hie und da in die etwas spätere Geschichte geflossen ist, ursprüng- lich rein mythische Namen sind. Diese Mythen sind überall einhei- misch, kommen mit den sich verbreitenden Völkern überall hin, und fügen sich überall den Örtlichkeiten an. Der Sinn ist nun, ohne Zweifel auf eine Menge einzeler Begebenheiten sich stützend, dieser: jene Ro- hen und Wilden, oder vielleicht besser, jene Roheit und Wildheit, sind verulgt oder in das innere, gebirgige, nördliche Land vertrieben. Und so blieb jene durch Handel und Verkehr, durch Gastfreundschaft, durch Poesie und eine verschönerte Religion, in den ersten Graden der Verfeinerung lebende griechische Bevölkerung zurück, die wir in der Epik leben sehn, und eben daher und durch die ältere Sage die Kunde haben, dafs sie gröfstentheils zu dem Achäischen und Aeolischen Stamme gehörte. Aber bald wendete es sich wieder. Nicht zwar Wilde jener Art; aber rauhere kriegerische Stämme aus dem gebirgigen Innern rückten, angezogen durch den Wohlstand dieser Thäler und Küsten, viel- fälug herab und unterwarfen sich allmählich einen grofsen Theil von Griechenland ; jene frühere Bevölkerung aber ward theils den Eroberern dienstbar, oder zog sich als freie Nationen in einige kleinere Distrikte zurück, oder wanderte gänzlich aus. Die Anführer dieser in körper- lichen Eigenschaften, in Sitte und Lebensart gegen jene weichlichere Bevölkerung abstechenden Stämme (von deren früheren Sitzen zwischen Thessalien und Epirus wir sogleich sprechen werden) hiefsen sehr be- greiflich Sönse oves Herakıes, den sie als Helden und Gott verehr- ten: und von welchem wir auch in dem noch nördlichern Macedonien den Herscherstamm sich herleiten sehn. Durch Hülfe der Sänger aber bildete sich dieses Atwnibut der Herscher bald in eine Menge kunst- mäfsiger Genealogien aus, deren Bruchstücke auf uns gekommen sind. Die Herakliden von Argos, Lakedämon und Messene bildeten ohne Zwei- fel gleich Anfangs wirklich einen gröfsern Zusammenhang, traten in gröfsern Massen und in bedeutenderen Ereignissen auf; und beschäfug- ten daher vor allen andern die Sage, deren Reichhaltgkeit bald eine ausführliche Epik weckte; auf deren lieblichen Wegen allein — wie 184 ButrtmANnNNn dies die Erzählungen selbst, und Nachrichten und Bruchstücke genug uns lehren — eine Geschichte dieses Einzugs der Herakliden auf die Nachwelt kam (1). Worauf denn einer der ersten Anfänge wissen- schaftlicher Geschichtkunde sich damit abgab, diese Erzählungen chrono- logisch, genealogisch und, wenn das ohne Lächeln sich hinzusetzen läfst, pragmatisch zu gestalten und abzufassen und der Wifsbegierde, die nichts anderes hatte, hinzustellen als alte Geschichte. Aber nicht über- all hatte sich die Kunde dieser ethnologischen Veränderungen in so aus- führlichen und bleibenden Sagen fortgepflanzt: nur die kurze mythische Notiz von einem Herscherstamm heraklischer Abkunft stand hie und dort isolirt da, ohne irgend etwas das zu Zeitverbindungen Wink ge- ben konnte. Daher denn zu den Zeiten der Epik selbst solche verein- zelte Mythen und Angaben bald oben bald unten sich anflochten, um späterhin dem unbefangnen Geschichtforscher, dem das Auftreten der Herakliden in Griechenland, als das Eines grofsen Stammes, und als Eine grofse in Eine Epoche gehörende Begebenheit vor der Seele stand, chronologische Probleme darzubieten : ein Punkt den ich von meinem dortigen Gesichtspunkt aus ebenfalls schon in meiner Abhandlung über die Minyer (S. 189. f.) berührt habe. Eine der gröfseren Erscheinungen dieser Art ist denn auch diese Ein- wanderung der Thesproter in Thessalien, durch gleiche Ursachen veran- lafst wie die der Dorier in den Peloponnes. Wenn aber eine Einwande- (1) Die Anerkennung des epischen Ursprungs der ganzen Herakliden-Geschichte liegt in dem Worte Herodots 6, 52. wo er eine Abweichung dessen, was die Spartaner von der ersten Besetzung ihrer Stadt angaben, von der angenommenen Erzählung so anführt: A«- ’ Ay € = , Sr \ I . 1° . zedcmovic yao oMoAOyEoVTES oVOEVı moryeNn AEYOUTI--. Dafs eın Hauptgedicht zu diesem Zweck die alte dem Hesiod zugeschriebne Epopöe, Aegimios, war, hat Groddeck zuerst dargelegt in der Bibliothek der A. Litt. u. Kunst II. p. 86. Und völlig bestätigt wird dies durch ein unbedeutendes Fragment, das blofs mit dem Namen des Hesiodus angeführt wird 5 ’ ın Schol. Apollon. I, 824. ’ x r N BG ’ Osssanevos yeverv Kisadarov zudarmono. Der Sohn des Kleodäos (denn Krsodcias wird er sonst überall geschrieben) ist Aristomachos, von welchem wir oben gesprochen haben. Dieser Vers kann aber in keiner andern von den dem Hesiod zugeschriebenen Epopöen gestanden haben, als im Aegimios, da die andern alle in der ältern Mythologie spielen. von den Aleuaden. 185 rung die aus entfernteren ersten Sitzen und nur auf beschränkten Wegen, dem Isthmus, oder gar zu Wasser bei Naupaktos geschah, ihrer Natur nach wirklich mehr einen Haupt-Einfall und einen Haupt-Zeitpunkt zu bedin- gen scheint; so ist dies ganz ein andres zwischen zwei an einander gren- zenden Ländern, wo das allmähliche Vorrücken, welches jedoch einzele gröfsere Ereignisse nicht ausschliefst, sogar wahrscheinlicher ist. Auf jeden Fall scheint mir die Vorstellung dafs die Thessaler lange Zeit in Epirus gleichsam verborgen gewesen und dann auf einmal in der nach- wojanischen Zeit Thessalien überzogen hätten, eine falsche zu sein. Die Thessaler waren ein altbekannter Stamm ; dies erhellet schon allein dar- aus dafs sie als mythische Person, nehmlich als T'hessalos Herakles Sohn, im Homer vorkommen. Also wo wohnten diese? Sie waren ein Stamm der Thesproter in Epirus. Sonderbar dafs gerade dieser Stamm, der be- stimmt war nach der mythischen Zeit in jene achäisch -äolischen Lande einzubrechen, schon lange vorher in der Person des Thessalos in die my- thische Genealogie verwebt war. Doch ich will meine Ansicht der Sache ohne weiteres vortragen. Wir haben gesehn dafs Thessalien d. h. der Länderverein dessen herschende Nation die Thessaler waren, schon von alten Zeiten her — wie aus dem Zeugnis des Hellanikus, Herodots Zeitgenossen, erhellet — in vier Theile getheilt war, Thessaliotis, Pelasgiotis, Phthiotis, Hestiäotis. Diese Namen entstehn nach Gesetzen der Sprache aus Gen- tilnamen , Oesrarıäreı, Narasyıara, PSıaru, Esıuara; deren jeden man sich, da in allen diesen Landschaften die Thessaler nun herschten, mit dem Namen ®srrarcl zusammenzudenken hat. ®errarc PSıaraı waren also die Thessaler die in dem alten achäischen Lande Phthia wohnten, u. s. f.; folglich Oerrara Berrardru die Thessaler, welche in dem Lande ®sssarie im engsten Sinne wohnten. Dies ist auf keine andre Art denkbar als so, dafs, als alle andre benachbarte Lande noch von Thessalern frei waren, die Thessaler hier schon wohnten. Womit denn das vollkommen übereinstimmt, dafs alle bekannte und berühmte Orte von Thessalien im weiten Sinne in einer der drei übrigen Landschaften lagen ; Thessaliotis hingegen, als der Sitz des in das älteste Verkehr der mythischen Periode nicht verflochtnen Volks, von solchen so entblöfst war, dafs nur einige, gröfstentheils unbekannte , Ortschaften davon aus Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. 2 Aa 186 Butrtrmann Ptolemäus oder durch Schlüsse sich angeben lassen (1). Die Lage die- ses Viertheils aber ist mit Gewifsheit soweit zu bestimmen, dafs es nach dem Pindos und dem Acheloos hin sich erstreckte, also gerade nach der Gegend, wohin die Sage die Einwanderung aus Epirus legt. Hier also müssen die Thessaler, wenn wir der mythischen Geschichte folgen, in und vor den Zeiten des trojanischen Kriegs gewohnt haben. Jene Sage vom Aiatos, dem Sohn des Phidippos, deren Genealogie wir ohnedas schon mit diesem Kriege in chronologischem Widerspruch erfunden ha- ben, tritt nun noch weiter hinauf, da der Übergang über den Acheloos eine Besetzung dieses ältesten Thessaliens von Thesprotien her andeu- tet; aber sie ist auch nichts als eine der tausend Stuftungsmythen (xrireis), deren Zweck nur ist, den ethnischen Zusammenhang zweier Lande my- 5 thisch zu begründen. Ohne also über die Zeit der Besetzung verlegen zu sein — denn chronologische Beziehungen sind in keinem Mythos zu suchen — haben wir nichts daraus zu entnehmen, als dafs hier von Alters her die Thes- saler wohnten, ein alt-hellenisches Volk, das mit seinen westlichen Nachbarn, den Tursrrorers, für verwandten Stammes galt; womit denn auch die Einerleiheit der Hauptsilbe in beiden Namen überein- stimmt (2). Eben dies Volk breitete sich aber erobernd in die benach- barten Lande am Peneos und am Meer aus; wovon die neusten und bedeutendsten Ereignisse wirklich in die Epoche kurz vor der eigentlich (1) Man sche Stroths Bearbeitung in dem Handbuch der alt. Erdb. S. 747.: denn bei Mannert ist diese alte Eintheilung Thessaliens wenig berücksichtigt. (2) Ich vergleiche damit noch den Namen Thespiae und die damit verbundnen Heroen - Namen Thespios und Thestios, nebst einem von dem Thessalos oder Thettalos ausdrücklich unterschiednen andern Sohn des Herakles, Thestalos, von Augeas Stamm, lauter Namen aus der benachbarten ätolischen und böotischen Verwand- schaft. So ist mir also ©srrgwre? (um jeder künstelnden Deutung zuvorzukommen) weiter nichts als eine rauhere Endungsform desselben Wortstammes, wovon jene sich auf andre Art Osrr«rc oder Osrr«roi nannten. — Eben so hiefsen zwei anerkannt verwandte Völker in Italien Sabini und Samnites oder Navırzcı: wie nun auch die Überlieferung die Verwandschaft beider gestalten möge, in der etwas mehr gebogenen Namensform der letztern liegt zuverlässig nichts, das eine Abstammung von jenen andeuten soll, so wenig als in den beiden Landschaftsnamen Sabinum und Samnium ; sondern beide hatten als ursprünglich Ein Volk, denselben Namen, der aber in verschiednen Gegenden von den Aleuaden. 187 geschichtlichen Zeit gehören mögen ; wiewohl die Sage in ihrem my- thischen Vortrag alle solche ältere und frühere, wahre und episch ge- schaffene, Zeitpunkte und Ereignisse verwirrt. Die alte achäisch-äolische Bevölkerung des überzogenen Landes trat, so weit sie darin blieb, als Penesten in ein dienendes Verhältnis, wie uns das gleiche der Pelopon- nes in Lakedämon und Argos darbietet. So wie dort ferner wurden auch hier die Häupter dieser erobernden Nation von der Sage als En- kel und Urenkel des Herakles aufgeführt, und auf sie führten , so wie dort, die spätern Fürsten des Landes ihre Stammliste zurück und hiefsen folglich Hrraxuıpes. Noch eine sehr bedeutende Übereinstimmung zwischen diesen bei- den Ereignissen ist die des früheren Sitzes jeder dieser erobernden Na- tionen. Wenn man sich nach den Landen umsieht, wo denn die Völ- kermacht, welche den ganzen Peloponnes überschwemmie, vorher wohnte, so weist ein Theil der alten Nachrichten uns nach dem kleinen Ländchen zwischen dem Oeta und dem Parnafs, wo noch späterhin ein Dorischer Staat bestand. Doch man belehrt sich bald eines bessern , wenn man denn auch findet, dafs Hestiäotis ehedem Doris geheifsen und dort die dorische Nation gewohnt habe. S. Herod. ı, 56. Strab. 9, 457. Diod. 4, 57. Heyn. ad Apollod. 2, 7, 7. Hestäotis aber liegt nord- westlich über Thessaliotis. Genauere ethnische Geographie aus dieser vorhistorischen Zeit zu verlangen, wäre unverständig. Wir haben was wir brauchen. In den gebirgigen Landen zwischen dem östlichen Thes- salien und der epirischen Küste wohnten in der ältern Zeit die Völker, die zu dem einen Haupttheil der griechischen Nauon, nach Herodot (a. a. O.), dem hellenisch-dorischen, gehörten; namentlich Dryopen und Dorier, Thesproter und Thessaler. Hier lagen die uralten selli- schen und hellenischen Städte und Gauen, namentlich bei den Thes- protern Dovoxa, und in Thessaliotis Hrıras (s. Strabo 9, p. 451. 452.); wiewohl dies schon früh der achäischen Bevölkerung von Phthia sich nach verschiedner Mundart gebildet war, ‚Sabini und Sasxes oder Samnes, woraus der Landesname Samnium und hieraus wieder eine neue Form des Volknamens Samnites sich bildete; gerade wie aus Cures, das, wie alle solche pluralische Städtenamen, der Name des Volks oder der Bürgerschaft ist, doch wieder, weil es nun Stadtname war, Curetes und Quirites gebildet ward. Aa LS} 188 BurttmAnNn zugemischt zu haben scheint (Il. ß, 685. 684.) (1). Und aus diesen grofsen Landstrichen verbreiteten sich die erobernden Völkermassen, welche wir in der geschichtlichen Zeit Griechenlands als Herren vom Peloponnes und von Thessalien sehen. Die gröfsere Erscheinung im Peloponnes fand, wie gesagt, bald eine redselige Epik, welche diese Ero- berung auszuschmücken , und, da die Anführer sich Herakliden nann- ten, das Ganze mit der übrigen Mythologie in Verbindung zu bringen, und die nun geschehene Eroberung auch mit herrlichen mythischen An- sprüchen, von Herakles und Eurystheus her, zu unterstützen wulste. Die Thessalische Invasion, die nur ein sehr natürliches und vermuthlich allmähliches Vorrücken in die vorliegenden Thäler war, scheint nur durch eine dürftiige Sage an die Grenze der Geschichte gelangt zu sein. Dafs also Turssauos der Sohn des Herakles ist, auf welchen die Thessalischen Fürsten, und unter diesen die Aleuaden, ihr Ge- schlecht zurückführten,, und durch ihn Herakliden waren, ist nach al- lem diesem, wie mich dünkt, als gewifs anzunehmen ; und als ein un- verwerflicher Nebenbeweis tritt nun das hinzu, dafs, wie auch Böckh bemerkt, in der Aleuaden-Familie zweimal der Name EuryryrLus vor- kommt (s. unten bei den Perserkriegen und in der letzten Note zu d. Abhandl.), welches der Name des Königes von Kos war, mit dessen Tochter Chalkiope Herakles den Thessalos zeugte. Dafs aber diese ge- meinsame Abstammung von Herakles, der Lakedämonischen Könige durch Hyllos, der Thessalischen Fürsten durch Thessalos, dem Pindar hinreichen konnte, davon den Eingang zu einer Ode herzunehmen , wird wol nie- mand bezweifeln. Wenn wir übrigens annehmen , dafs nicht blofs die Aleuaden, sondern überhaupt die edelsten Geschlechter Thessaliens für Herakliden galten, so ist dies freilich nirgend ausdrücklich gesagt: denn Pindars (1) Gewifs hängt es hiemit zusammen, dafs die Herscher in Epirus sich von den Aeakiden herleiteten. Achill und sein Stamm waren National-Heroen von diesem alt- thessalischen Hellas, das mit den thesprotischen Sellern zu Einer Nation gehörte. Ohne Zweifel also waren Achill und die Acakiden auch von jeher die National- Heroen des griechischen Stammes in FEpirus überhaupt, und die Ahnherren der dortigen Fürsten. Dies zu erklären, liefs die Epik den Aeakiden Pyrrhos, eben so wie den Herakliden Phidippos, nach dem trojanischen Zuge nach Epirus kommen. von den Aleuaden. 189 Ausdruck läfst sich allenfalls auf die Aleuaden allein und ihre Hegemo- nie deuten: aber es liegt schon allein darin, dafs Thessalos, Herakles Sohn, der Heros der Nation überhaupt ist, von dem sie ihren Namen hat. Von andern Geschlechtern würden wir es wol eben so gut wissen, wenn mehr von ihnen gesagt wäre. Einen Eurylochus, der blofs ein Heraklide genannt wird, werden wir unten mit ziemlicher Gewils- heit als Aleuaden erkennen. So haben wir also unsre Aleuaden und ihren Stammvater in Ana- logie mit allem gebracht, was wir von ähnlichen vornehmen Familien wissen. Schwerlich war eine von Bedeutung, die nicht ihren Adel bis in die altmythische Zeit, auf einen Aias, Ödipus u. s. w. hätte zurück- zuführen gewufst. Aber die gangbaren Familien-Namen sind nicht ‚leicht von Helden aus jener Zeit genommen. Alle solche Namen wie Pelopiden, Labdakiden etc. sterben in der Mythologie selbst gleichsam aus. Die berühmten patronymischen Familien-Namen haben in der Re- gel den Ahnherrn in jener Übergangs-Periode zwischen Mythos und Ge- schichte, zwischen dem Herakliden-Zug und Pisistratus. Selbst die be- rühmtesten von allen, die beiden Häuser in Sparta, nannten sich nicht nach jenen zwei hochgefeierten epischen Namen der Brüder Eurysthenes und Prokles, sondern die gangbare Benennung war Agiaden und Eury- pontiden, nach zwei im Dunkel der ersten Geschichte lebenden, Sohn und Enkel jener. ,‚,‚Eurypon, sagt man,’” — dies sind Pausanias Worte (5, 7.) — ‚‚sei zu solchem Ruhme gelangt, dafs dieses Haus 7 5 5 „von ihm den Namen bekam, da sie bis auf ihn Prokliden geheifsen.’”’ Dieser Vortrag darf uns nicht täuschen. Das historisch zuverlässige das darin liegt, ist dieses: Agiaden und Eurypontden hiefsen die zwei he- raklidischen, und, wenn man will, verwandten Königshäuser in Sparta von jeher; das heifst, bis auf die Stammväter Agis und Eurypon zu- rück, zu welchen hinauf die echt historische Sage reicht. Was über jenen steht, ist Fabelsage, ist Epik, ist Werk jener alles gestaltenden Dichtung und jener alles regelnden Geschichtforschung, welche die zwei herschenden Häuser ausgehn liefs von zwei Brüdern, Abkommen des Herakles im sechsten Gliede. Ganz ähnlich ist das was von den Bac- chiaden in Korinth berichtet wird. Auch dieses Haus waren Herakliden, doch nicht zu jenem hochberühmten Stamme des Hyllos gehörig, sondern 490 £ BurTTmANnNN so wie deren im Peloponnes mehre auftraten, die auf andre Söl:ne des Herakles zurückgeführt wurden. Die epische Sage liefs dıese von Herakles Sohn Antiochos ausgehn und die Herrschaft in Korinth gründen durch einen Aletes, von welchem man daher auch, aber nur im Dichtervor- trag, den Namen Aletiden finder (‚Callim. fr. 105. Pind. Ol. ı5, 17.). Der vierte Abkomme dieses war Bacchis, ‚‚welcher weit berühmter ‚„‚ward,’”” sagt Diodor (im 2. Fragm. des 7. Buches), ‚‚als seine Vor- ‚„‚fahren : daher es denn kam, dafs die folgenden Herscher nicht mehr, ‚wie vorher, Herakliden, sondern Bacchiaden genannt wurden.’ Ist die Analogie zwischen diesem Bacechis und dem Eurypon, und zwischen der Art, wie dasselbe von beiden bemerkt wird, nicht auffallend ? Sicht- bar sind hier die Spuren der dies alles anordnenden Geschichiforscher, welche überall zwar vollständige epische Genealogien vorfanden, aber nirgend einen wirklich gangbaren Familien-Namen, der von dem epi- schen Ahnherren gebildet gewesen wäre. Und gerade so spricht auch Plutarch in der oben angeführten Stelle von Aleuas dem Rothkopf, nur dafs er nicht ausdrücklich hinzusetzt, dafs von ihm die nachfolgenden den Namen Aleuaden führten; nehmlich, weil er das nicht als Chronist spricht, sondern diesen Aleuas nur als Beispiel anführt. s Diesen Analogien zufolge, verbunden mit den obigen Angaben, setzen wir also diesen Aleuas den Ersten ungefehr in dieselbe Periode mit andern Familienhäuptern, in die halbmythischen Anfänge der eigent- lichen Geschichte, die zwischen der sogenannten Rückkehr der Herakli- den und Pisistratus hin und her schwanken. Hier mufs ich einen Nebenblick auf die Familie der SkorApEn richten. Die etwas ungenaue Note von Perizonius zum Älian (V.H. ı2, ı.) hat Spalding zum Quinulian (11, 2, 15.) dahin berichugt, dafs nothwen- dig drei mit Namen Skopas gewesen sein müssen. Nehmlich zwei sind mit Gewifsheit zu bestimmen: der eine, von dem Älian a. a. O. er- zählt, dafs er dem jüngern Cyrus ein Halsgeschmeide verehrt habe: der andre der zu Simonides Zeiten bei dem bekannten Einsturz eines Hauses über der Mahlzeit umgekommen. Jenen nennet Älian Skopas den jüngern. Aber auch von diesem älteren sagt Quinulian a. a. O., dafs mit ihm nach Einiger Meinung umgekommen seien (perüsse) ortos plerosque ab alio Scopa qui major aetate fuerit: ev will sagen, ‚‚die von den Aleuaden. 191 ‚meisten übrigen Skopaden damaliger Zeit: denn Skopaden hiefsen sie „auch damals schon von einem älteren Skopas.’”’ Dieser älteste Skopas gehört also auf jeden Fall in die Zeiten vor Pisistratus. Bestimmteres geht vielleicht daraus hervor, dafs ein Skopas aus dieser Familie, der als aufserordentlicher Trunkenbold berühmt war, bei Athenäus (10, 498.) genannt wird Kreons Sohn und Skopas des Alten Enkel (Zx0ra rov raAaıcd videos), Nun war der Simonideische Skopas, wie wir aus Theokrit (1) und dessen Scholiasten wissen, Kreons Sohn, und der Ausdruck raracs von dem Grofsvater , scheint den Ahnherrn des Ge- schlechts zu bezeichnen. Also wird der Simonideische und der Trun- kenbold Skopas ein und derselbe sein. Nur das erregt Zweifel , dafs Athenäus seine Notiz beibringt aus des Phänias Buch von Tyrannen, die durch Rache umgekommen (Tugavvavy avasperıs Ex rınmgias), da doch dieser Skopas anerkannt durch jenes zufällige Unglück umgekommen. Wollten wir dagegen, mit Perizonius , Älians jüngern Skopas für den Trinker annehmen, so dafs Athenäus unter 5 rar«ıcs den Simonideischen verstünde; so kann zwar dieser jüngste Skopas, dessen Vater wir nicht kennen, füglich auch der Sohn eines jüngern Kreon gewesen sein ; al- lein der Zwischenraum zwischen Simonides und dem jüngern Cyrus, wenigstens ı20 Jahre, ist viel zu grofs für Grofsvater und Enkel. Also müssen wir bei dem Simonideischen Skopas, als dem Zecher, bleiben, und annehmen, dafs Phänias, indem er entweder den ältesten oder den jüngsten Skopas, als durch Rache umgekommen aufführte, jenen mittle- ven und dessen Lebensart beiläufig erwähnte. — Plutarch (Stud. divit. 8. Cat. Maj. ı8.) erzählt von ‚‚Skopas dem Thessaler,’’ dafs, als ihn jemand um etwas angesprochen ‚ das ihm ja überflüssig sei, er geant- wortet habe, eben dadurch sei er ja reich und glückselig, dafs er un- nöthiges und überflüssiges besitze. Hier ist nichts was uns zwischen Skopas dem zweiten und dem dritten besiimme ; es müfste denn die (1) In dessen oben angeführten Versen ist nehmlich dieser Skopas unter dem Namen Kzesivdcı begriffen. Wenn man aber diese Benennung als eine gangbare für die Familie der Skopaden überhaupt ansieht, so ist dies hiedurch nicht begründet. Blofs als Dichter kann Theokrit den Skopas, der noch Brüder wird gehabt haben, nach ihrem Vater Kreontiden genannt haben. 192 BuUurTrTtmÄAÄNnNN Tliberalität der Antwort sein, die nicht übel sich anschliefst an Handlung und Rede des zweiten, der den Simonides um die Hälfte des für sein Sie- gesgedicht besprochnen Honorars betrog, sagend, er solle sie von Kastor und Pollux fodern, von welchen der Dichter nehmlich in der grofsen Episode seiner Ode mehr zu sagen gewufst hatte als vom Helden selbst. In dem Prachtgeschenk Skopas des dritten an den Perser Cyrus erkennt man nur den anmafsenden Reichen. Und zu der Hoflart eines solchen gehörte auch das was von ihm, und von Archelaus von Macedonien und von Eurylochus von Larissa gemeldet wird, dafs nehmlich jeder von 5 diesen dem Sokrates Geld anbot und ihn einlud an seinem Hof zu leben, dafs dieser aber sie verschmähte (1). — Einen der ältesten Sko- paden nennet Herodot (6, ı28.), den Diaktorides aus Krannon, der sich um Klisthenes des Sikyoniers Tochter bewarb. Dieser gehört also in die Zeiten des Pisistratus, und mag ein Bruder des Kreon gewesen sein. Und so führt uns also für Skopas den ältesten alles auf die näch- ste Zeit vor Pisistratus, Merkwürdig ist, dafs Ovid, indem er im Ibis seinem Feind das Schicksal des Skopas wünscht, diesen so bezeichnet (V. 512.): Lapsuramque domum subeas ut sanguws Aleuae, Stella Leoprepidae cum fwit aequa vIro. Dafs bei einem Schriftsteller wie Ovid und in einer so allbekannten Ge- schichte, an eine Verwechselung der Skopaden mit den Aleuaden nicht zu denken ist, sieht jedermann ein: und Böckh beweist daher hieraus, dafs beide Familien mit einander verwandt waren. Gewifs mit Recht: aber nicht genug. Dafs sanguis von einem consanguineus gesagt werden kann, wenn die Personen genannt sind und das Verhältnis bekannt, dies ist gewifs. Aber unmöglich konnte ein verständiger Dichter diesen all- gemeinen und noch dazu irre führenden Ausdruck brauchen um, aufser allem Zusammenhang, von einem Vetter des Aleuas und vom Skopas verstanden zu werden. Weiter oben im Gedicht kommt auch der ge- walısame Tod des Aleuas vor, wovon wir unten reden werden. Folgten . , \ \ , m 4 (1) Diog. Laert. a, 25. von Sokrates: “Vregechgovnse de zur "Apyeraov ToÜ Meazedovos, \ ’ a r ’ \ E) ’ &, ’ 2 ’ ’ ER. aa Izome roU Kocvvuviou, za EvauAoxov ToU Acgıraaiov, a RUTLV ’ > > \ > a’ unrE mag MUVFOUS AmEADTur. von den Hleuaden. 193 nun beide Distichen auf einander, was bei einem Gedicht ohne Plan und Anordnung leicht gewesen wäre, so könnten dann Aleuas und san- guis Aleuae sich auf einander beziehen und ein acumen poelicum sein. Aber es sind beinah 200 Verse dazwischen. So wie es jeizt da steht kann also sanguwis Aleuae nach aller Analogie nichts sein als des Aleuas Sohn oder Nachkomme ; und dafs dies Skopas war, mufs also zu der Zeit, wie noch so viele , jetzt verlorene Schriften, in jedes Gebildeten Hand waren, etwas bekanntes gewesen sein. Zu allem bisherigen aber fügt auch dieses sich vortreflich. Den Stammvater Aleuas haben wir uns veranlafst gesehen sehr hoch über Pisistratus Zeiten hinaufzurücken ; den ältesten Skopas aber, sehen wir dicht vor dieser Epoche. Um jene Zeit also theilte sich die zahlreiche Sippschaft, und die Skopaden bil- deten einen mächtigen Neben-Zweig des in der uralten Hauptstadt La- rissa wohnenden Hauptstammes, von welcher Krannon nur wenig Meilen entfernt war. Als Krannonier aber werden jener Skopade Dia- ktorides bei Herodot, die Skopaden des Simonides bei Theokrit und Kallimachus (fr. 71.), und auch noch der jüngste Skopas bei Diogenes Laertius aufgeführt: und nur das war nach Quintilian zweifelhaft, ob jenes eingestürzte Haus in Krannon oder in Pharsalos lag. Von die- ser letztern Stadt, die ebenfalls einer der bedeutenden Staaten in Thes- salien war, ist also anzunehmen, dafs die Skopaden auch dort ansässig und mächug waren; wiewohl von den Machthabern, die wir in der Fol- gezeit dort auftreten sehn, wenigstens nicht bekannt ist, ob und wie sie mit den Skopaden zusammenhingen (1). (1) Um nicht zu weitläuftig zu sein übergehe ich hier die Erörterung der Geschichte von dem eingestürzten Hause, verweisend auf Quintilian II, 2, ı1-16. mit Spaldings No- ten; und will nur noch die darauf bezüglichen Dichterstellen hieher setzen. Zuförderst die Verse des Kallimachus. Nehmlich ein Agrigentinischer Feldherr hatte, nach Suidas v. Eıawviörs, das wahre Grabmal des Simonides bei der Belagerung von Syrakus zerstört. Kallimachus machte daher ein Epitaphium, worin die Geschichte in Simonides Person er- zählt wird. Suidas führt daraus zwei Stellen an, aber so entstellt, dafs wir sie gleich nach Bentley’s vortrefflicher Herstellung (fr. Callim. 71.) hieher setzen wollen: SE F — nn vdE Tr r) Ovuds ro Yoclace > ’ Ä j} ’ w ! HıdssSn 76 Asyov 2° vie Asumgemeos Hist. philolog. Klasse 1822-1823. Bb 194 ButTrTttrtmAÄAnNn Wir haben nun von dem ältesten Aleuas, als Mittelpunkt, aus das Geschlecht nach oben und unten so gut wir konnten beleuchtet; und müssen jetzt bei dem, was von ihm selbst gesagt wird, noch etwas verweilen. Er war auf die oben -erwähnte Art König der Thessaler geworden, übertraf weit an Macht seine Vorfahren, hob aber auch wie- der die Nation an Macht; und zu seiner Zeit geschah, nach Aristoteles, die Eintheilung Thessaliens in vier Theile. Wir haben also hier ein thessalisches Gesamtwesen, an dessen Spitze, wie aus den Stellen her- vorzugehn scheint, ein Oberhaupt aus einer jener Herakliden -Familien zu stehn pflegte. Heinr. Valesius in seiner Note zu Harpokrations Stelle (p. 186. extr.) rührt hiebei mit einem Worte eine Vergleichung an, mit dem zu den letzten Zeiten der griechischen Freiheit in Thessalien bestehenden Verhältnis, wie es hervorgeht aus Xenophon in dessen griechischer Geschichte (6, ı, 8. und ı8. ı9.), wo lason der Pheräer r w rl. „ Kasse Kriov avöge. (Bei Suidas: oude ro yaceyayı" NoerSm TO Asyonevov viov Osorgeroüs #2. 2. a@.). Dann nach einer Lücke von wenigstens dem halben Hexameter und dem ganzen Pentameter : E} 2 x e ’ u Io Oiö vnexs, IloAudsuzss, Umergsrev, 0: ME 1HERETgOU ıE ; EEE MeAAovros MITTE ERTOS EIERDTE MOTE ; ’ 2 4 er = ‚ an Acırumovwv ro MoUvov, OrTE Koavvwvios, a ct, Pax Q I, 5 >. IS MısTev JHEYRAOUS oıRoS Em Zroradas. (Bei Suidas: OVö’ Yucas, U. —- — EHTOG ETETT MOrE -—— -— OrE Koavuviav adas wWAurSe ueyas oi2os !mi szomeres.). Darf man es wagen zu einer solchen Herstellung noch etwas hinzu zu fügen, so möchte ich rore für or? vermuthen. — Simonides selbst hatte einen Threnos auf dies Unglück gemacht, woraus Stobäus (Tit. CHT. p. 562.) ein Fragment an- führt, zwar nur im allgemeinen aus dessen Threnis: aber anderswo (p. 562, 4.) bringt er eine Stelle des Philosophen Favorinus bei, worin dieser die ersten Worte desselben Frag- mentes anführt und nach dem Wort ?sserc: hinzusetzt: @rr& und” cizov' woreg aErsı 6 manrns ryv ruv Izoraduv a>gcav AErWAsLcEV ÖrsEegyeran: er also auch, wie die ‚,Einige’’ bei Quintilian, das Umkommen der Mehrzahl der damaligen Skopaden annehmend. Die Verse lauten wie folgt: "AuSgwrres Euv Mnmore drens o,r1 YivErcet @ügıov, und avdga du 02.ßıov, oFFoV Ygevov ErTeran WAEL« Yag ovde Tavumreguyau jaulas 07 e ’ OVUTUS K METRTATIS. Die beiden Worte aelgıov und oA ro» hat Favorinus uns gegeben, und ich sehe nicht ein, wie von den Aleuaden. 195 den Gewalthaber der Pharsalier, Polydamas , beredet sich zu ihm zu schlagen, weil er, wenn Pharsalos und die davon abhangenden Städte auf seiner Seite seien, ohne Hindernis r«yss von ganz Thessalien werden würde, und dabei bemerkt, dafs, wenn Thessalien unter der Anführung eines Tagos stehe (erav raysiyraı ®srraria), es ein Heer von 6000 Reutern und mehr als 10,000 Hopliten haben werde. Wor- auf denn auch dies zu stande kommt, und Iason erst von den Pharsa- liern, dann einmüthig, als Tagos anerkannt wird (öusroysunevws rayds — xaSeısyrei). Er ordnet hierauf jedem Staat die zu stellende Mannschaft an, den Bewohnern des platten Landes aber legt er dieselben Steuern auf, wie sie unter Skopas gewesen (goeire de zal rols megisinos ması Tov bagav WOTEg mi Eröma rerayusvos W). Dann wird (c. 4, 28. und 55. 1) gesagt, dafs Iason nun grofs und mächtig war, theils weil er gesetz- mäfsiger Tagos war, theils durch seine Söldner: daher auch Plutarch man es wagen will das eine oder das andre zu verstofsen. Im übrigen hat Favorinus nur noch folgende kleine Abweichungen @v undzrors Prs -—- Ererca: die sich freilich leicht beurtheilen lassen. Im übrigen bestätigt er ganz in Form und Stellung die beiden ersten Verse, wie sie Stobäus am ersten Orte anführi. Brunck ging ganz willkürlich, nach einem Metro das er sich machte, damit um, und setzte (mit Weglassung jener zwei nothwendigen Wörter) yaryrercı statt yivarca und irseireı ygevev, blofs die Form Zrreire: mit einem Codex belegend. Bessere Metriker als ich werden sagen, ob etwas davon nöthig ist. Ich finde an der Präsens- form in yivsrca celgıov nichts zu tadeln. — Fine Vermuthung von Meineke in seinem Eu- phorion p. 82. verdient hier der Erwähnung. Aus Quintilian a. a. ©. ist bekannt, dafs es streitig war, ob das berufene Gedicht des Simonides, worin er die Diosknren gelobt, dem Skopas, oder dem Leokrates, oder dem Agatharchus, oder dem berühmten Athleten Glaukus von Karystos gegolten habe. Nun sagt Lucian (Pro imagg. c. 19.), nachdem er von der schicklichen Art einen Milo von Kroton, einen Glaukus von Karystos, einen Polydamas durch Vergleichung zu loben gespr Oele folgendes: ara mus Emyvere RoIyrHS sldozınos sv DMaüzov; oüde Morvdsvzeos Aiav Pnras avarsivasr$aı av aür G Evav- Ties Tas Werpas, ouds sıdagsor Arzudvac rexoc, cpds eroiac auröv Seois Sizarev. Es ist gewifs sehr verführerisch, wit Meineke zu glauben, dafs dies ein Fragment aus jenem Siegesgedicht des Simonides, und folglich Glaukus wirklich der Besungene sei. Aber wie? Wenn das Gedicht noch vorhanden war, so dafs Lucian es vor Augen hät wie konnte der Streit unter den Gelehrten entstehn, welchem von vier ganz Verschirdnen Männern das Lied gegolten habe? Oder hatte Simonides in vier solchen Siegesgedichten, die alle vorhanden waren, eine so lange Episode auf die Dioskuren gemacht? Und pafst das odös Horuöevzeos Pie dvarsıram' dv airl Evavrıas r@s Yergas in ein Gedicht, das, weil es mehr jener Göt- ter Lob als des Siegers enthalten habe, von diesem lau sei aufgenommen worden ? Bba 196 Burttmasn (Apophth. Reg. im Abschnitt vonyEpaminondas) ihn 79 @ersuräv nevag- ey nennet. Aber schon unter seinen Brüdern, wie Xenophon weiter be- richtet, die ihm als raycı folgten, artete diese Würde in Tyrannei aus; der dann, wie bekannt, durch Philipp ein Ende gemacht ward. Schneider hält es für zweifelhaft, ob der hier erwähnte Skoras der Simonideische oder der dritte gewesen sei. Allein in solchem Zusammenhange, und ohne or, kann wol ein Machthaber aus den Zeiten vor den Perserkrie- gen schwerlich gemeint sein. Ich zweifle also nicht, dafs der Skopas, den wir in Verhältnis mit Cyrus dem jüngern gesehn haben, Tagos von Thessalien gewesen , dafs aber nach dessen Tod die Würde eine Zeitlang nicht besetzt war: daher denn auch Xenophon den Jason so sich aus- drücken läfst: ‚‚wenn Thessalien unter einem Tagos stehe.” Wir sehn also, dafs die Würde verfassungsmäfsig war und sich über ganz Thes- salien erstreckte, dafs sie aber, damals wenigstens, nicht nothwendig war, sondern sich auf wirklichen oder zu erwartenden Krieg beschränkte. Dies als eigentliche Bestimmung des Tagos, geht auch hervor aus Pollux, der in dem Kapitel von militarischen Benennungen (1, 128.) zusammen- stellt den Böotarchen der Thebaner, den König der Lakedämonier, den Polemarch der Athener (in dessen ursprünglicher Bestimmung nehmlich ) und den Tagos der Thessaler (1). Dionysius von Halikarnafs braucht statt rayss die Benennung «9%, in einer Stelle, welche das vorüberge- hende der Würde noch deutlicher ausspricht (5. p. 557.), indem er bei Gelegenheit der Diktatur sagt, wenn nach abgeschaflter königlicher Würde in den Staaten bei eintretenden Fällen zur Herstellung der Ordnung die schnelle Entschliefsung eines einzelen erfoderlich gewesen wäre, so hät- ten sie die königliche und tyrannische Gewalt unter anständigen Namen wieder hervorgerufen , die ü'hessaler als «gxeVs, die Lakedämonier als Harmosten etc. (2). Auch ich zweifle also nicht, dafs diese spätere Dik- tatar in Thessalien ausging von jenem Königthum, was es nach Plutarchs Worten war (in der angeführten Stelle von der Königswahl: $euxzrei reg Barırdws), das zu des ältern Aleuas Zeiten bestand: wobei sich Ar N 2 R » (1) Onbamv ds 1dtov Bawragyns - - zu Ocrrarlv Faryos. \ \ \ > 7 x x a = (2) Oerranoı per yap KoyX,aüs, Ausedcmovecr de agloses ARAOUUTES 2. 7. A von den Hleuaden. 197 aber schwerlich jemand herausnehmen wird zu bestimmen, in welchem Verhältnis an Macht die ältere Würde zu dieser neuesten stand, und ob der Name 'Tagos wirklich von jeher der dort einheimische Name der obersten Gewalt auch jenes alten Königes gewesen ; oder ob aus dem Barı- Aeis, so wie in Athen ein dexwv, so dort ein rayts oder @gx$s ward. (1) Indessen kann auch noch gezweifelt werden, ob jener alte Aleuas wirklich schon König, mit welchem Grad von Macht es auch sei, von ganz Thessalien gewesen ; oder ob die bei den Schriftstellern so oft vor- kommende Unbestummtheit der Ausdrücke nicht auch in der Plutarchi- schen Stelle statt finde, so dafs dort hlofs Larissa, als die vornehmste Stadt Thessaliens mit den davon abhängigen Städten, gemeint sei. Nur zu dieser Voraussetzung würde Böckhs Vermuthung passen, dafs bei je- ner Theilung Larissa und Krannon zweier solcher Theile Hauptstädte gewesen sein möchten: denn diese Städte liegen nicht weit von einander und beide zusammen in einem jener vier Haupttheile des grofsen 'Thes- saliens, in Pelasgiotis (s. Steph. Byz. in Kowwv). Es müfste dies dann als eine Theilung unter vier Hauptzweige herschender Familien gedacht werden, so dafs seitdem eben Krannon der eigenthümliche Sitz der Skopa- den gewesen wäre. Allein wenn Aristoteles so absolut spricht, Thessa- lien sei getheilt worden, so kann er schwerlich etwas anders meinen als eine zu Zwecken der Staatsverwaltung geschehene Eintheilung des Thes- salischen Gesamtwesens; und so ist kein Anlafs zu einer andern Annahme als dafs er jene Eintheilung der Thessalischen Lande in vier Tetraden verstehe, die so alt war, dafs Hellanikus, Herodots Zeitgenofs, sie als die bestehende erwähnte, und so dauernd, dafs wir sie in Philipps Te- tradarchien noch mit alter politischer Bedeutsamkeit finden. Es ist also wol kein Zweifel, dafs die Überlieferung diese Eintheilung durch die Epoche eines berühmten Herschers begründete. Und eben dahin führt auch schon der Umstand allein, dafs Aristoteles diese Notiz in dem Buche (1) Valesius a. a. O. sagt viel zu bestimmt: AReges Thessalorum raycı proprie di- cebantur et ab üs tempora numerabantur. Für diese letzte Angabe beruft er sich ganz kurz auf das Em: "Arede und das 2mı Yzore in den angeführten Stellen (S. ob. S. 175. und 195.): als wenn nicht, auch ohne alle feststehende Zeitrechnungsform, bei Einrich- tungen, die zur Zeit eines Machthabers, und natürlich nicht ohne Willen und Wirken desselben statt fanden, jene Ausdrücke die einzig gebräuchlichen wären. 198 BurtmAnn von der zw OerraAwv zorrreie vortwrug. Sehr wreffend bemerkt nehm- lich Schneider, dafs so wie derselbe Verfasser eine own "Agradwv Ferırsia schrieb, neben welcher doch noch die Verfassung einzeler Arkadischer Staaten, als eine Teyearav Ferrreie, von ihm angeführt wird; so auch in jenem Werke ganz Thessalien als ein Gemeinwesen geschildert war, im Gegensatz z. B. von Larissa und dem Aleuaden-Staat. In diesem Buche war also das Thessalische Gemeinwesen als von ältesten Zeiten her, vor Aleuas dem Rotlıkopf, und jene Eintheilung als von dessen Zeit an bestehend, dargestellt. Wir haben uns also den Sinn der Überlieferung so vorzustellen und zu ergänzen. Seit der Einwanderung der eigentlichen Thessaler war das von da an im weitern Sinn sogenannte T'hessalien ein grofses Gemisch von aristokrauschen oder oligarchischen Staaten, die aber ein Gesamtwesen bildeten, das, auch wenn es einen Anführer oder König an der Spitze hatte, eben dieser Vielheit wegen in Anarchie ausartete. Unter Aleuas also, und ohne Zweifel auf seine Veranlassung, als er König war, ward für gut gefunden, statt des einen grofsen,, vier klei- nere Staaten- Vereine aufzustellen, in deren jedem sich die durch Ört- lichkeiten und durch Nationalität der Landbewolner enger verbundenen werden zusammengethan haben: also ı) Tuzssarıorıs (1), das alte Stammland der herschenden Nation; 2) Purnıorıs, das Vaterland der (1) Wunderlicherweise will Mannert Th. 7, S. 522. diese Landschaft wegleugnen, blofs weil die Hauptstelle bei Strabo 9, p. 450., da wo die Lage der einzeln Landschaften bestimmt wird, etwas verwirrt ist, und erklärt lieber die andre Stelle p. 458. falsch; keine Rücksicht nehmend auf die weit bessern Autoritäten als Strabo, des Hellanikus bei Harpokration (ob. S. 175.) und des Apollodor in Schol. 4pollon. 5, 1089, welche die- selbe Eintheilung erwähnen. Dafs die verwirrte Stelle im Strabo verderbt ist, zeigt schon _ die Variante Osrraddreı statt Hereryıarcaı in folgenden Worten: r«& öe Aorr« (nehmlich das übrige Land aufser Phthiotis und Hestiäotis, Eygusıw) or re Umd rn Esıaiwridı veuonevan ra media, »urolusvor de Herasyınraı, Fuvarravrss Yon rois zarw Mazedorı, zer oi ebeEns ra HEyge Mayvnrizys magaA ces Ermingoüvres Yugiee. Hier ist Herasyınrar der Lage nach unzweifelhaft richtig: aber das folgende zu oi &ps&rs ist störend. Sobald man aber jene angebliche Va- riante Osrradıarcı zwischen co; und &pe&7s einschaltet, so ist die ganze Stelle in Ordnung: zur oi Osrrararen (nehmlich &yeusw) Zpe£rs re neygı etc. Nehmlich das Magnesische Land an der Ostküste wird politisch nicht zu Thessalien gerechnet; westlich von demselben lie- gen, an der Südküste Phthiotis, über diesem, und westlich ins Innere gestreckt, Thessa- liotis, und am Peneos Pelasgiotis. si von den Aleuaden. 199 zur Trojanischen Zeit berühmtesten Völkerschaften dieses Swiches, und der Minyä der noch ältern Zeit; 5) Prrascıoriıs, die Lande am Unter- Peneos, der Sitz der mythischen Lapithen, wo wahrscheinlich die alte pelasgische Bevölkerung Thessaliens am längsten kenntlich sich erhalten hatte; 4) Hrsrräorıs, der Sitz einer andern alten, späterhin dem Na- men nach verschwundenen Nation, der Hestiier, am Ober-Peneos ; früherhin, nach andern Berichten, Sitz der Dorischen Nation, welche in den Peloponnes zogen. Jede von diesen vier Verbindungen machte vermuthlich ihre be- sondern Angelegenheiten unabhängig von den andern ab: aber alles ganz allgemein hauptsächlich Krieg und Frieden betreflende hing von dem Hauptverband aller vier Landschaften ab, deren Gesamtführung eben durch diese Zurückbringung von einer grofsen ungeregelten Summge- bung auf vier stimmende Körper vereinfacht war. Diese Verfassung, von der wir freilich nicht wissen, ob sie auch nach Aleuas dem Ersten gewöhnlich, oder nur zuweilen, unter einem Oberhaupt oder König stand, war doch bedeutend genug, dafs sie Aristoteles in. einem eignen Buche beschrieb : und sie, oder vielmehr das dadurch bestehende Gemeinwesen, ist es, wie Böckh bemerkt, was Pindar Pyih. 10. extr. veuov Ocrrurav nennet und die Aleuaden seiner Zeit lobt als vouov @srrarav auEovres. Der Sitz der Hauptmacht nehmlich und des Wohlstandes dieser Lande, der in der mythischen Periode in Phthious war, zog sich in der Thessalischen Periode nach dem Peneos in Pelasgious, wo Larissa nun die vornehmste Stadt Thessaliens ward und blieb. Dort ıhat sich nun die reiche Dynastie der Aleuaden auf, und in dem benachbarten Kran- non ihre Brüder, die nicht minder reichen Skopaden ; und diese Macht und Wohlstand, sowohl des ganzen Thessalischen Gemeinwesens als des Geschlechts der Aleuaden (wozu wir nun die Skopaden mit rechnen) insbesondre, leitete man von jenem Aleuas her. Ohne Zweifel nehmlich erlangten sie eben von ihm an, durch Reichthum und Einflufs die mehr unmittelbare Herrschaft in Larissa und vielleicht in allen übrigen Städten von Pelasgiotis; denn dafs sie in vielen Städten herschten geht aus vie- len Spuren hervor und ist deutlich ausgesprochen in dem schon er- wähnten Schlufs der ı0. pyth. Ode, wo es heifst: '&v 8° ayaseirı neira margwiaı zedval FoAWwv nußegvarıss, „und von Trefllichen wird das von den 200 BurTTMmANnnN Vätern her ehrwürdige Steuer der Städte geführt.’ Zugleich aber er- warben sie sich eine Hegemonie im Thessalischen Staatenverband über- haupt, und vermuthlich ward aus ihnen häufig oder gewöhnlich der König oder der Tagos gewählt. Die Art aber wie in Larissa, in Kran- non, und so in den übrigen Städten die Gewalt zwischen den vielen Gliedern dieser zahlreichen Familien sich vertheilte; und wie hinwieder auch einer allein als Tyrann genannt wird, ist historisch nicht. darzule- gen. Wir begnügen uns daher die fragmentarischen Züge aus ihrer Geschichte nach Aleuas dem Ersten in der Zeitfolge beizubringen. In dem krisäichen oder kirrhäischen Kriege Ol. 47. wird als der Anführer des Amphiktyonischen Heeres, der auch den Krieg beendigte, und in Gefolg dieses Sieges einer der Erneuerer der Pythischen Spiele war, genannt Euryrocnus der Thessaler, bei Stwabo (9, p. 418. 421.) und in den Scholien zum Pindar zu Eingang der pyth. Gesänge. Die- selbe Geschichte erwähnt Thessalus Hippokrates Sohn in seiner Rede an die Athener (s. Hippokr. Briefe etc. p. 942. VDL.) und nennet den Eurylochus einen Herakliden (1). So könnte er nun freilich auch aus einer der andern edeln Geschlechter Thessaliens sein. Aber Meineke bringt diesen alten Eurylochus mit Recht zusammen mit einem spätern bei Diogenes Laertius, wo dieser von Sokrates sagt: ‚‚Er verschmähte ‚den Archelaus von Makedonien, den Skopas von Krannon und den „Eurylochus von Larissa, indem er weder Geld von ihnen annahm, „noch zu ihnen (auf ihre Einladung nehmlich) hinging.’’ (2) Dafs dieser reiche und mächtige Larissäer ein Aleuade war, ist an sich schon nicht leicht zu bezweifeln; die Analogie der Namen aber und die Be- stimmungen, Heraklide, Larissäer, bestätigt es nun für beide. Vermuth- lich war jener ältere, der in der 47. Olympiade eine so wichuge Rolle spielte, das damalige Haupt der Familie und der thessalischen Nation. (1) --- roü Eiguroyou 05 yıyeiro roU morsuou, Osrsadös Ewv ze avuSev 2E Howzrsıöwv. (2) S. ob. S. ı92. Dieselbe Nachricht hat Libanius Deel. 29, wo die Lesart der Hand- schriften Edsiroyos Yazirıs oder Yagısıos, anstatt nach Menagens Bemerkung aus Diog. La. in Aggırraios zu bessern, fälschlich in Kagvsıos geändert ist. Derselbe Eurylochus ist wol auch gemeint, wenn nach des Scholiasten zu Aristoph. Plut. 179. Bericht, einige Schrift- steller die Hetäre Lais zu dem Eurylochus nach Thessalien ziehen Jassen. von den Aleuaden. 201 Aristoteles in der Poliuk (5, 5, 9.) erwähnt unter den Beispielen der Orıgancmıev und ihrer demagogischen Künste die rerrrepVrazss als die Oligarchen von Larissa; und weiterhin an der Stelle wo, wie wir gesehn haben, der Name S«uss in Siues geändert werden mufs, führt er unter den verschiedenen Arten wie Oligarchien sich auflösen, dieses an: .„‚„Im Frieden aber übergeben sie die Bewachung aus gegenseitigem Mis- ‚„‚tauen an Soldaten und einen vermittelnden Anführer oder Magistrat” — dgyovri Aeriöiw, was man von einem aus der Bürgerschaft genomme- nen erklärt — ‚‚welcher zuweilen Herr von beiden wird, wie sich dies ‚„‚zutrug zu Larissa unter der Herrschaft der Aleuaden , nehmlich des „Sınus und derer die mit ihm waren” (1). Wir haben gesehn , dafs dieser Simus der Vater des von Simonides besungenen Aleuas und der Grofsvater der in den Perserkriegen auftretenden Aleuaden war, folglich zu den Zeiten des Pisistratus lebte. Zu Simonides Zeiten sehn wir den Axtıocnhus und diesen zweiten Arcuvas einzel als die Häupter der mäch- tigen und reichen Aleuaden genannt, und in äufserm Glanz , in Pferde- 5 zucht in Gönnerschaft gegen geistvolle Männer, dieselbe Rolle spielend, 5 wie etwa ein Hiero und späterhin ein Dionysius in Sicilien; neben ihnen aber besteht auf gleiche Weise ein Skoras in Krannon , bei dessen unglücklichem Tode die Streitigkeit der Scene, ob zu Krannon oder zu Pharsalos , zu beweisen scheint, dafs er oder sein Haus an beiden Orten zu den Machthabern gehörte. Den Axtıocuus haben wir bereits oben , so lange keine andre Nachrichten entgegen stehn, als einen der Alenaden im engern Sinne, das heifst, der von Larissa, angenommen. Der Scholiast zu der Theo- kritischen Stelle nennt ihn, auf Simonides sich berufend, einen Sohn des Echekratides und der S yris (2)- Wir werden auf den genealogi- EEE rn SL, Se, N taaaz) ; , \ RER , (1) Ev de af eipnun die auv amısıav vv mgos AAANAOUS Eyysızıgousı rnv DuAazmv rgarıwrans NEE) ’ ’ 9, 2 ‚ > ’ 27 ıNn > )) 3 n n Au RI JOVTE METLÖL, 05 EVIOTE YWETra ZUgLos aacborzpuv' orsp TUvveon EV Acgısan er TTS Twv sn . E 5 ü 5 5 D P "Arsvadav AEYNS av megı Sinov. (2) Der etwas vorher stehende alberne Einschub "Avrioyos de Barıreus Iygies verdient keine Rücksicht. Aber jene Worte selbst lauten dort so: “O ö2 "Avrioy,os Eyexgarıdos zu Iyge- dos vies Zu us nme Zıuwviörs. Die Form eines Frauennamens, "Eyezgerıdos, ist ein gewöhn- licher Fehler, und die Herstellung 'Eyszgeriöcv gewifs. Wir werden den Namen unten wie- derkommen sehn. Eine Echekratia, Gattin des Kreon und Mutter Skopas des zweiten, hat derselbe Scholiast zu Vers 56. ohne Zweifel war sie aus dem Hause des Antiochus. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. G:c 202 Burtmann schen Zusammenhang dieses Echekratides unten zurückkommen, und dabei den Antiochus als Larissäer zu befestigen Gelegenheit haben. Was aber die Mutter des Antiochus betrifft, so hat der Redekünstler Aristides in seiner Trauerrede auf einen Eteoneus folgende Stelle: ‚, Welche Thessa- „‚lische Dyseris hat wol solche Trauer empfunden über den Tod des „„Antiochus, als die Trauer ist welche der Mutter dieses bereitet ist?” Es ist kein Zweifel, dafs der Sophist mit diesem Blümlein sich bezieht auf das- selbe Gedicht des Simonides, das der Scholiast des Theokrit und Theokrit selbst vor Augen hatten. Valesius zweifelte daher nicht, dafs in dem Scholion statt Zupudos zu schreiben sei Ausgides. Aber eine genauer prü- fende Kritik hält uns bei der Syris des Scholiasten. (1) Aber auch über den Antiochus selbst erfahren wir noch etwas bedeutendes mehr, nehmlich , dafs er König oder Tagos von Thessalien war, aus bei- läufiger Erwähnung. Philostratus nehmlich (Epist. 15. p. 920.) führt aus des Aeschines Dialogen , als Beispiel einer gewissen Schreibart fol- gendes an: ‚‚Thargelia kam nach Thessalien und lebte mit Antiochus ‚‚dem Thessaler, welcher König aller Thessaler war” (2). In diesen Wor- ten ist jene Würde zu deutlich ausgesprochen. Thargelia war übrigens eine berühmte Hetäre aus Ionien, von welcher aus Plutarch (Pericl. 24.) bekannt ist, dafs sie den berühmtesten und mächtigsten Männern in Grie- chenland beiwohnte, sie zu der Partei der Perser zu bringen wufste, und so diesen den Weg zu dem grofsen Feldzug in Griechenland bahnete. Von dem Anzuas des Simonides wissen wir eben so wenig etwas bestimmtes mit Sicherheit beizubringen. Aber Ovid führt unter den tragischen Todesfällen in seinem Ibis V. 225. auch dieses auf: Quosque putas fidos, ut Larissaeus Aleuas, V ulnere non fıdos experiare tuo. (1) Die griechischen Worte des Aristides (To. ı. p. 75. Ed. Jebb.) sind: How de Q 3 4 Alsygıs Oerrarn Fosoüro mevdos EmevOnsev em’ "Avrioy,w FeAsuryravrı, OTov vüv unrgt N Fourou mevSos moozeıran. Der Name Avssgıs hat durchaus keine griechische Analogie : diese Schriftsteller aber, die selbst wenig besser sind als die Scholiasten, haben fürwahr kein Präjudiz zu gunsten der Reinigkeit ihrer Abschriften vor jenen. Bei dem Rhetor geht vor ‚jenen Worten ein schöner rednerischer Schweif von #eiss radre Iıumviörs Sayıyrer; y- IL N ‚ N = « . B rıs Hwoagos ---; is %os0s —-; hieran schlofs sich als Steigerung der Mutterschmerz mit ’ N \ ’ moic de On Bipis -—- woraus dann Alsygıs ward. aan > > ’ „n ‚ D - (2) OapynAa erIoüse sis Osrraniev Euvzv "Avyruoy,u Osrrard Pasıksvorrı mavruv OsrraAdı. von den Aleuaden. 203 Es erhellet freilich nicht welcher Aleuas dies war: aber Ovid hat ohne Zweifel die umständliche Geschichts-Erzählung von einem Tyrannen oder Oligarchen-Haupt vor Augen, und wol gewifs die von Euphorion ge- schriebene, von welcher der Scholiast des Theokrit spricht, wenn er sagt: Euphorion habe alles gesammelt, was den Aleuas den Sohn des Simus angehe: s. ob. S. ı75. Die Söhne nun dieses Aleuas, Tuorax, Euxvevuus und Turasypäus waren die Häupter dieses Geschlechts vor und zu der Zeit der Perserkriege: sie sind es denn auch hauptsächlich von welchen Herodot spricht, wenn er sagt: ‚‚Von Thessalien waren Abgesandte von ‚den Aleuaden gekommen , welche den König aufloderten zum Zuge „gegen Griechenland und ihm dabei allen Vorschub zu leisten verspra- ‚‚chen. Diese Aleuaden waren Thessaliens Könige” (ı). Schon dieser Plural zeigt, dafs hier Barırevs nicht in jenem Sinn eines verfassungsmäfsi- gen Königs, wie Aleuas der Erste war, zu verstehn ist, sondern Barıryes den höchsten und herschenden Adel in eineın Volke bedeutet. Daher liest man denn bei demselben Herodot (7, ı72.), dafs die Tuxrssauer nicht nur den Anschlägen der Aleuaden entgegen waren, sondern auch Abge- ordnete an die Griechen auf den Isthmus sendeten, um diese aufzufo- dern eiligst Völker nach Thessalien zu schicken, da sie sonst, durch ihre Lage genöthigt, es mit den Persern halten müfsten. Und weiter oben (7, 150.) sagt Herodot, da die Aleuaden , die zuerst unter den Griechen sich dem Perser ergaben , Thessaler waren, so habe Xerxes geglaubt, sie hätten diese Freundschaft ihm von seiten dieser ganzen Nation erbo- ten (2). Aus allem diesem, dünkt mich, erhellet, dafs sie nur die Oli- garchen von Larissa und dem dazu gehörigen Strich Landes waren, über Thessalien aber nur eine Hegemonie übten, die denn aber durch jeden entscheidenden Einflufs von den übrigen Griechen her hätte vernichtet werden können. Dafs aber auch als Herscher von Larissa ihre Macht grofs ng ! m ’ \ Ss dan ‚ > ’ nd - > .’ Pr (1) 7,6. «mo rs Osssaras wage Fuv Arsuadewv amıyızvor ayyercı EmEzUAEOVTO Basırya x ‚ ‚ ER , \ ‚ ET y 3 TaFaV mEoSUuWnv Tragen auEvOor Erb rrv Erica. ci d2 Arsvadcı ovro Erav Osssarins Barırnec. goSummv TagEY, jes r .. r n x 7 we‘ x (2) Nach Anführung von Xerxes Worten , Yeper avögss zisı Osssarcı z. 7. %. setzt . 2 vor y. ’ m Fu n , s Herodot hinzu: Taur« de EYOVFE ErEyE EG roüs "AAsisw maidas, or mewTor "Eirryvuv, Eovres EN e \ ) She N ’ Fa , PR, ’ Osssarcı, Edorev Euvroüs OusırRa" dorewv 6 BEDENS, ano mavros Tibens FoÜ EDveog Erayyehker- < Ser Ta diene. Ce2 204 Busrtmanın war, erhellet unter andern aus Strabo welcher sagt, dafs die Larissäer das ganze benachbarte Land der Pernrnäser unter sich hatten, und Steuern daraus zogen bis zu Philipps Zeiten der diese Gegenden sich un- terwarf (1). — Tmorax war ohne Zweifel der älteste und vornehmste des ganzen Hauses. Wir sehn ihn früherhin in denselben Verhältnissen des Glanzes und Ansehns, wie vorher seinen Vater, als Freund des da- mals noch sehr jungen Pindar, und den im Wettlauf errungenen Sieg des Hippokleas von Pelinna mit Pracht feiernd,, wie dies die schon ange- führte 10. pyth. Ode besagt. Dafs er den Chor dazu von den zu Kran- non gehörigen Ephyräern nimmt (s. Böckh zu Pind.) scheint mir eine damals wenigstens noch bestehende Familien -Oberhauptschaft der Aleua- den über die Skopaden anzudeuten ; und eben jenes königliche Benehmen gegen den Kampfsieger, der ein Fürst in Hestiäotis war‘, ein dem könig- lichen ähnliches Verhältnis der Aleuaden in Thessalien überhaupt. Wo- hin ich auch das rechne, dafs nach Ktesias (beim Photius 72. p. 58.) bei Xerxes Macht Thorax und die Gewalthaber der Trachinier (rav Tgaywiav ei ware) sich befanden, welche Trachinier zu Phthiotis ge- hörten. Nach den Perserkriegen behaupteten sich die Aleuaden,, wie es scheint, so ziemlich in ihren alten innern Verhältnissen. Aus Herodot (6, 72.) und Pausanias (3, 7.) ist bekannt, dafs Leotychides von Sparta, nach Vertreibung der Perser, Krieg in Thessalien gegen sie gefüh- ret, und ganz Thessalien sich hätte unterwerfen können; dafs er aber, von den Aleuaden bestochen , abstand. 5 Um die 80. Olympiade kam nach Thucydides Erzählung, Orestes „der Sohn des Thessaler-Königs Ecnexrartınes” als Flüchtling nach Athen und beredete die Athener ihn wieder herzustellen (2). Diese mach- ten wirklich einen Zug gegen Pharsalos, konnten aber die Stadt nicht erobern und kehrten unverrichteter Sachen mit dem Örestes zurück. Meineke (in seinem anfangs erwähnten Aufsatz) stellt diese Nachricht zu- ’ \ > 2 © =: A « „3 x ‚ EL a ’ 0 Ausızzaaı) zarsiygv vems wyv Depgefıav za dezovs Emgarrov zus PDı- v ToRuv. > . | © ’ > I% ri Er ae N } ’ (2) ‘1, 11. ’Ex ö2 Osssaries Ozesrs 6 "Eyezgeridev vios vo) Oessanuiv Parıraus deuyuv 2 Pc $ / EWEITEU A>rvmcvs ERUTOU AUFaJEW. von den Aleuaden. 205 sammen mit einer im Pausanias, der bei Erwähnung eines kleinen Apolls, den ein Echekratides aus Larissa nach Delphi geweiht hatte, hinzu- fügt, dafs, nach der Sage der Delpher von allen dortigen Weihgeschenken dieses zuerst aufgestellt worden sei (1). Freilich setzt dieses ein sehr hohes Alter, wenigstens über Krösus und Solon voraus; aber wir haben schon einen Echekratides gehabt, der zwischen diesen in der Mitte steht, den Vater des Simonideischen Antiochus. Zuverlässig geht also diese ganze Reihe von Larissa aus und gehört zu den dortigen Aleuaden, wohin wir schon nach Anleitung der theokritischen Stelle den Antiochus gerechnet haben. Also war vermuthlich der älteste Echekratides einer der ersten Abkömmlinge des ersten Aleuas: der zweite Echekratides etwa des ersten Enkel, dessen Sohn Antiochus zugleich mit Simonides, also vor der 70. Olympiade blühte. Also führen uns die Zeiten und die Ana- logie der Namen von selbst dahin, dafs der Echekratides des Thucydides des Antiochus Sohn war, der also gegen die 80. Olymp. wird gestor- ben sein, worauf sein Sohn Orestes in die erwähnte Lage kam. Dieser Echekratides nun wird von Thucydides genannt 5 Oerrarav Barırevs. Ich kann nicht glauben , dafs dies blofs wie das Herodotische ©ersarzv Barnes zu verstehen sei, da offenbar der Sohn durch diese dem Vater beigefügte Bestimmung selbst näher bestimmt werden soll. Es mufs also auf etwas ausgezeichnetes beim Vater gehn; zur herschenden Aleuaden- Familie aber gehörte der Sohn eben so gut als der Vater. Ohne Zwei- fel war also Echekratides Tagos: welche Annahme, so wie die, dafs er Antiochus Sohn war, sich also gegenseitig bestätigen ; da Antiochus es ebenfalls gewesen war. Der Sohn hatte sich also in der Würde des Vaters behauptet; aber nicht ohne grofse Regung der Parteien; die denn nach dieses Tod wieder, seinen Sohn Orestes selbst aus der angestamm- ten Herrschaft in den Larissäischen Landen vertrieb: denn die Herstel- lung in diese allein verstehe ich in dem Worte zara@yeı bei Thucydides. Nach den übrigen Worten desselben scheint Pbarsalos der Hauptort des Orestes gewesen zu sein: möglich, dafs diese Stadt, von welcher übrigens mehre andre Städte abhingen (s. ob. S. 195.) , überhaupt der 2 > IN \ Sa m \ > Ne In \ [4 \ ( I ) 10, 16. Eyszgerıöns de und Aggırzaics rov ArmodAuva aveonzE Tov mazgov' At ’ e m Q»r 55 > Q , vw, e 7 amavruv TmOWFoV FETTVa Fuv avazyıaruv FoUFro char cı Asior. 206 ButrtrmAnNnN besondre Sitz der Echekratidisch - Antiochischen Linie der Aleuaden war ; aber manches andre ist auch möglich, was vielleicht durch Kombination andrer Notizen sich ergeben wird; woraus denn auch er- hellen würde, in welchem Verhältnisse Menon der ältere und jüngere (s. die Untersuchung vor dem Menon des Plato); ferner der Polydamas welchen wir oben erwähnt haben , zu den Aleuaden standen. Auch in der Folgezeit findet man die Aleuaden in Larissa nie ohne Erwähnung von Spaltung und Bürgerkrieg. Im peloponnesichen Kriege (Ol. 87,2.) waren Anführer Thessalischer Hülfstruppen bei den Athenern Polymedes und Aristonous aus Larissa, dvd r1s sarews Endregos, was ich nicht anders verstehn kann, als dafs sie zu der Facton gegen die bestehende Regierung gehörten : also vielleicht gegen den EuryLocnus, den wir als den zu Sokrates Zeit herschenden Aleuaden oben erkannt ha- ben. Etwas später sehn wir den Arısrırrus bedrängt von der Gegen- partei in Larissa (mısloueves Ürs Tüv cixcı avrısarıwrav) von Cyrus Hülfe erhalten: Xen. Anab. ı, ı, 10: welches derselbe Aristippus ist, von dem wir aus Plato wissen , dafs er zu den ersten unter den Aleuaden gehörte, dafs er und andre Angesehene Thessaliens, Bewunderer und Schüler des Gorgias waren, so lange dieser in Larissa sich aufhielt, und dafs der zu den Edeln in Pharsalos gehörige Menon als Jüngling sein vertrauter Freund war (1). Ob innerhalb dieser Zeit die Würde eines Tagos zuweilen bei den Aleuaden war, wissen wir nicht: bei den Skopaden, Skopas dem. drit- ten, war sie, wie wir oben gesehn haben. Nach dem peloponnesischen Kriege stieg dagegen das Ansehn einer andern Thessalischen Dynastie, der Gewalthaber von Pherä. Schon Ol. 94, ı. sehn wir den Lykophron von Pherä, wie Xenophon (Gr. Gesch. 2, 5, 4.) erzählt, nach der Herrschaft von ganz Thessalien streben, und die Larissäer und andre in einer Schlacht überwinden. Diese Händel dauerten noch Ol. 96, 2. wo, nach Diodor, Mepıus, Machthaber von Larissa, kriegführend gegen Lykophron (2), die Thebaner und übrigen gegen die Lakedämonier ver- (1) Meno. Cap. ı. "Adızonevos ya u pyies) eis ryv Mor (Aspızaav) igusas Zmı Fopia 5 ’ > m sirndev "Arsvadv re Tols wewWrous, av 6 rös &g0 Ense ‚”Agis ImTOS, 20 wv arm Osrrardv. (2) 14, 82. Mydtov Ö& roÜ ans Aagısays Övvesslovros Öemorsuoüvrog maos Avzccbgovie HTeR: von den Aleuaden. 207 einigten Griechen zu Hülfe rief, und dadurch in Stand gesetzt wurde, das von den Lakedämoniern (die also mit dem Pheräer vereinigt waren) besetzte Pharsalos zu erobern. Medius liefs die Bürger von Pharsalos als Sklaven verkaufen. Mit diesem Ereignis ist, wie Schneider erinnert, in Zusammenhang zu bringen, was in Aristoteles Thiergeschichte er- zählt wird: ‚‚Zu der Zeit als des Medius Fremde (d. h. seine Miet- ‚„‚soldaten) in Pharsalos umkamen , waren Attika und der Peloponnes ‚von Raben ganz verlassen; so dafs man schliefsen mufs, dafs diese ‚„‚ Vhiere Empfindung von Mittheilung unter einander haben” (ı). Dies Geschichtchen ist brauchbar, weil es nicht entstehn konnte, wenn nicht das Ereignis ein ungeheures Gemetzel war, wobei die Leichname , als ven Barbaren, in einem grofsen Umfange liegen blieben. Man sieht also, dafs es ein bedeutender Krieg zwischen den beiden Machthabern war ; und zugleich ahnet man die Ursach der grofsen Erbitterung des Medius gegen die Nachbarstadt. Immer jedoch ist das feindliche Verhältnis zwi- schen Larissa und Pharsalos auffallend, da noch wenig Jahre vorher Aristippus mit Menon in so genauer Freundschaft stand. Doch wer könnte über die Menge von Möglichkeiten in Unruhen dieser Art auch nur Ver- muthungen wagen wollen. Hat übrigens Medius durch die erwähnte Hülfe wirklich das Übergewicht erhalten , so war es nicht von langer Dauer. Jason ward Tyrann von Pherä, und Ol. 101, 2. Tagos von 'Thessalien, welche Würde auch seine nächsten Nachfolger behaupteten. Natürlich traten jetzt die Aleuaden sehr in den Schatten. Als aber die Gewalt der Pheräischen Tyrannen überhaupt in Unterdrückung auszuarten begann, beschlossen , wie Diodor (15, 61.) berichtet, einige der Aleuaden in Larissa dieser Herrschaft ein Ende zu machen, gingen nach Macedonien und riefen den König Alexander. Diodor nennet eben diese gleich darauf Flüchtlinge aus Larissa (reÜs &x Aagıraas duyadas), woraus erhellet dafs die Pheräer diese Stadt in ihrer Gewalt hatten. Durch Hülfe nun dieser Flüchtlinge drang Alexander in dieselbe ein, eroberte sie nebst Krannon, behielt aber auch beide. Man sieht aus - x \ \ » > CE | f e 7 ‚ 44 > ’ > w I 9, 30. Iscı Öz Fov ygovov Ev w amwrovro ci Motu Eevor iv Baprarw, ori Ev Fors 9 (2 2 5 w, Eon > ' Rx N \ ’ 3 ’ e ’ DAR= ‚ > FomolS Fors TEOL Ayrvas cu MsAorovvnsov EYEVETO FODaAnV ws EX DU Fu aoynrw Tıva Fr MOD ER : v rar ruv OÖTANTEWS. 208 BUTTMANN dieser Erzählung dafs die Aleuaden nur noch eine aristokratische Partei waren. — Wie es sich mit einem HeLLanoxrATes von Larissa ver- hält, welchen, nach Aristoteles (Poldit. 5, 8, ı2.), Alexander, nachdem er in gröfster Vertraulichkeit mit ihm gelebt, doch in sein Vaterland nicht herstellte, und deswegen von ihm in Verbindung mit andern er- mordet ward, läfsı sich nicht ar.geben. Als nachher durch Pelopidas die alten Verhältnisse in Thessalien wieder hergestellt waren , bald darauf aber auch die Pheräische Tyran- nei sich wieder hob ; da wiederholten die Aleuaden dasselbe Verfahren. Diodor erzählt die Sache so : ‚‚Die in Thessalien so genannten Aleuaden, „welche durch ihren Adel in grofsem Ruhm und Ansehn daselbst stan- ‚„‚den, arbeiteten gegen die Tyrannen: da sie aber für sich allein dem ‚Unternehmen nicht gewachsen waren, riefen sie den Philippus zu Hülfe. ‚‚Dieser kam also wieder nach Thessalien , überwälugte die Tyrannen, „verschaffte den Städten die Freiheit wieder, und bezeigte sich über- ‚„‚haupt so wohlwollend gegen die Thessaler , dafs er sowohl , als nach ‚ihm Alexander, in allen folgenden Unternehmungen sie zu Gehülfen ‚„„hatte” (1). Die Aleuaden namentlich schmiegten sich nun so ganz an die Macedonische Oberherrschaft an, dafs Philippus in seinen Absichten auf ganz Griechenland sich ihrer vorzüglich bediente. Demosthenes (de Cor. p. 241.) nennet in dieser Beziehung den ‚‚Eupıxus und den Sımus die Larissäer”: und dafs sie Aleuaden waren, besagt hier , aufser dem Namen des zweiten die ausdrückliche Notiz in Harpokrations Glosse zu der Stelle, wiewohl nur vom Simus allein (2). Dafs sie damals noch mächtig genug waren, sehn wir aus einer Nouz beim Polyän (4, 2, ı1.), (1) 16. 14. Oi Ö° "Arevadıı zaAoUmevo Taga Oerrardis dr’ euyevaıav de agınaa Eyavres mesı@drrov dvremaarrov Ts Tugavvas. oUr Ovres O8 zu S” Eauroüs arcues sorsra@ovro Bı- 21007 ov (v7 garroı os 7 gwvvors ovu2 01 5 E14 ERUTOUG aziolse ot MIOT. AGNovrO rırmov sunmeyov rov Mezsdovumw Basırca. euros 6" EraverSuv eis mv Osrranar zaremoriunTe TOUG FUgEVVOUS, zo Too morETIV AVELTNTaMEVOS TRV EreuTegiav, neyarıv slvorev sis roüs Osrre- rRoüs Evsösıgcero: Önomeg Ev Faig MErE FAÜTE meabesw ası Fuvaywvısds Erysv 0U Movov wirds Arc za Werd Teer 6 vos "ArzEcvögos. Man vergleiche noch, wegen der Art wie Philippus sich der Zwistigkeiten der Thessaler, worunter genannt werden die der Pelinnäer ge- gen die Pharsalier, der Pheräer gegen die Larissäer, bediente, Polyaen, 4, 2, 19. x ,! S r \ a x © UN) ns N) 3 (2) Zmos (oder Zins), AyuosSevrs Umeg Krysipuvros. eis rwv Arsvadav. oVros Est TWV N u R dorovvruv sunmgaga: Fo Maxsdon. von den Aleuaden. 209 p4 wonach Philippus, dem sie ohne Zweifel sobald er seinen Zweck er- reicht hatte, vielfälug auch im Wege waren, sich einer List bediente, um sie zu vernichten. Er kam nehmlich selbst nach Larissa und stellte sich krank, in der Absicht die ihn besuchenden aufheben zu lassen ; aber den Aleuaden wurde es verrathen, und so mislang die List (ı). Trauen wir indessen dem obenangeführten Scholion des Ulpian zu Demosth. Olynth. ı., so möchte es ihm auf anderm Wege später gelungen sein. Denn so heifst es dort (2) gleich auf die uralte Notiz, dafs Aleuas der Rothkopf und nach ihm dessen Kinder in Thessalien geherscht hätten : „Als nun die Thhessaler die Tyrannei nicht ertrugen, und doch nichts ‚„„dagegen vermochten, riefen sie den Philippus zu Hülfe; welcher denn „auch kam und die Aleuaden aus ihrer Herrschaft vertrieb: wofür hie- „rauf die Thessaler aus Dank Pagasä ihm einräumten”. Und zu Ol. 2. wo Demosthenes sagt: ‚‚nun aber da die Thessaler kranken und in Spal- ‚„‚tungen und Unruhen sich befinden , kam er ihnen gegen das Haus der ‚„‚Tyrannen zu Hülfe” (5); erklärt Ulpian dies Haus ebenfalls von den Aleuaden. Wesseling zu Diodor ı6, ı4. äufsert seinen Zweifel über diese Scholien mit einem Wort. Aber wer mit der Zeitgeschichte nur einigermafsen bekannt ist, weifs mit Gewifsheit, dafs Demosthenes an der zweiten Stelle, so bestimmt die Tupavvıny cizia in Beziehung auf die Thes- saler nennend,, nur die Pheräischen Tyrannen meinen kann; das erstere Scholion aber mit der Nachricht im Diodor verglichen, zeigt deutlich, dafs der unwissende Zusammenstoppler Ulpian die Larissäischen Her- r Salt e , 3 EN AR Er (1) Biımmos apızousvos eis Augıssav, va Foüs ruv "Arsvaduv CE E j 3 Al n « VHS ARTEN, VOTE UTE- ’ J BR b) \ IE) ı PR 2) AIWATO, OTWS EITIOVTAS AUTOUS WG EMITZENONMEVOUS FUAARKOL Boiszos ZEnyysnns Folie "Arsucdcıs Fyv EmiSerw, ac Öe rolro rEroc oUz Eryzv % me@eıs. In den gewöhnlichen Ausgaben steht wa rag 7. A. EEoimies z. Toup ad Schol. Theocr. ı6, 54. schlägt mit seiner gewöhnlichen Zuversicht vor suvorzies. Aber was ich hier gegeben habe, ist wirkliche Lesart, welche Coray ohne Nothwendigkeit und ohne Wahrscheinlichkeit in die geläufigere Verbindung roüs 22 rs r. A. oiziaes veränderte. (2) ’AAslas — Erugavunre Osrrardv, site zo 08 rourov wurde. un egovres cv Fr FUgav- vida oi Osrrarcı zur amogolvres vi det morziv, neremenbavro eis Fummaykav Fov Didrmmov" eire 2. Suv Erstvos 2EeBars roüs "Arsuadas Ex 775 Tupavvdos. PM Ümep Fourou Yazıv url ÖmoAoyoüvres ci Qer- ruroı ÖeÖwzarw ur vensr Ten Hayasas KESEIURS (5) Nun d: Osrrardis vorodri zur araralousı ai TETEERYWEVORS emı Frv Tuganvıznv oliv Bon Snrev. Hist. philolog. Klasse 1822 - 1823. Dd 210 Burtrmann scher mit den Pheräischen verwechselt. Doch um auch die Polyänische Geschichte nicht zu übereilt verdächtig zu machen, darf man nur hö- ren wie Demosthenes a. a. ©. von den Aleuaden spricht: ,,so lange ‚„‚„hiefsen Eudikus und Simus die Freunde des Philippus, bis sie Thes- ‚„‚salien ihm in die Hand gespielt hatten” (1). Dieser Ausdruck reicht völlig hin um einen Auftritt wie den von Polyän erzählten, höchst wahr- scheinlich zu machen. Nachher aber werden die Füchse, die in das Haus des Löwen nicht gehn wollten, wol verständig geworden sein; und auch Philippus einen Mittelweg, sie mächtig und unterthänig zugleich zu er- halten, gefunden haben. Diese Maafsregel fand sich denn darin, dafs er für jeden der vier Theile Thessaliens einen Oberherren , seinen Diener, setzte. Demosth. Phi. 3. p. 117. ,‚Nun, und wie siehts mit Thessalien aus? Hat er „ihnen nicht die einzeln städuschen Verfassungen genommen und Tetra- „darchien bei ihnen eingeführt, damit sie nicht blofs städteweise, son- ‚„‚dern völkerweise dienstbar seien” (2)? Hiezu bemerkt Harpokration (in Tergagy.) mit Beziehung auf die vier genannten Theile Thessa- liens folgendes: ‚‚dafs aber Philippus einem jeden dieser Theile einen ‚„‚Befehlshaber vorgesetizt, das berichtet unter andern Theopompus im ‚44. Buche” (5). Und aus demselben Buche dieses Geschichtschrei- bers führt Athenäus (6, p. 249.) an, dafs Philippus den Turasypäus den Thessaler (den auch Demosthenes schon, de Corona. p. 524., unter denen nennet, welche Griechenland dem Philipp verrathen haben) zum Tyrannen seines eignen Volkes gesetzt, einen Menschen von niedriger : A Dr ER 3 Ye : Hy ER n ee (:) Meygı Foürovu Evödizos za Iimog or Aagırrarcı (HıRa wvorafovro BirımroV), ws Osrrarıav e x a ’ ’ vwno Pırimzw Eroiycav. > \ ’ Euer En 7 \ \ »= ‚ \ S N (2) Ara Osrradia mWs eygız 0Uyı Tas moAırsias Aa TAG MOREIS MAONENTOL, A FETIRÖREY LAS aeSescene mag’ auroıs, tv 1% 110VOV zur WOREIS RAR zu zur em dovrsuwru; So las ich vor Erscheinung von Bekkers Ausgabe diese dem Sinn nach deutliche aber mit Varianten geplagte Stelle, indem ich nach Reiskens Apparat urtheilend «yrsv nach dem ersten ers wegliefs, und die Formen rergedagyie und z«Sts«ze (dieses wegen des vorherge- henden Perfekts) beibehielt. Ich lasse es für jetzt dabei: wünsche aber lesen zu dürfen Tag zurE MORE rorırsics, welches der Gegensatz Tergaöagytaı fast beweist. - u \ ). ac ’ 1 = 7 ’ ’ ER (3) Or de Birınros za ERUSNV FOUTUV TOV MoloWv ARYCvFUS HUTESNTE, deörAwzarıv aAAcı \ 7 > n m 4 FE za Osoronmos ev Fr FETFASAROSN FTETADTN. von den Aleuaden. DAR Gemüthsart, und vollendeten Schmeichler (1). Der Name Thrasydäus, den wir schon in den Perser - Zeiten gesehen haben, zeigt, dafs dieser Mensch ein Aleuade war, der also dem Lande Pelasgiotis vorgesetzt ward. Aber auch von dem obenerwähnten Evpıxuvs sagt ein ähnliches Harpokration, nehmlich dieser sei gewesen einer von denen, die von Philippus zu Herren von ganz Thessalien gesetzt worden (2). Dafs dieser Eudikus, welchen Demosthenes unter der Benennung Larissäer mit Simus zusammen und zwar zuerst nennet, ein Aleuade war, ist kein Zweifel. Man könnte also annehmen, dafs er des Thrasydäus Vorgänger oder Nachfolger gewesen. Aber noch wahrscheinlicher ist, dafs die Aleuaden sich so zu fügen wufsten, dafs Philipp mehr ais eine Tetradarchie aus ihrer Familie besetzte. — Aufser den genannten Aleuaden findet sich in Philipps Diensten noch ein Anführer Euryrocuus (Demosth. Phil. 5. p. ı26, ı.) der dieses Namens wegen von Meineke mit Recht zu derselben Familie gerechnet wird, und ein Enkel des zu Sokrates Zeiten lebenden Eurylochus gewesen sein kann. Wie lange die Tetradarchien-Einrichtung bestanden, werden viel- leicht andre zu sagen wissen: ich will nur noch den letzten Rest der Aleuaden nachweisen, den die Geschichte aufführt. Dies ist erstlich ein Mepvıcs, wahrscheinlich des erstern Enkel, von welchem Plutarch an- führt, dafs er Alexanders Trink- und Schwärm-Genosse war (5). Densel- ben vermuthlich erwähnt Strabo (11. p. 550.), einen Medius von Larissa, der den Alexander auf dem Zuge nach Asien begleitet habe (Fuverga- reunus "Arefavdow), als Schriftsteller anführend für die Notiz, dafs einer Namens Armenos aus Armenion bei Larissa mit Jason dem Argonauten nach Armenien gezogen und diesem Lande den Namen gegeben habe. Er hat also von Thessalischen oder Larissäischen Alterıhümern geschrie- Im ! 4 > - ’ \ wm me x IN (r) Birımrov Ö8E ons Ozomoumos, Ev Fn FETagrN aa TEeTTaganosy rwv Arrogiwv, Ogasvdarov Tov a a2 n € Q m ’ x 7 x 4 Im x ’ Osrrarov AGTASYTO TWV OMOETVWn FUgavvoV, Jauzgov MEV ovTa FnV yri Mrv, AOARRAG de MESJISOV. > = I EN LER % Ss Br (2) Evdızos, AruooSevng Ev ru umeg Krysibwvros. eis ÖE Zrıv oVroS av zurasaSevruw me Bi- AITTOU zugia errarias drarre. - - 7 at . . .. - . ” (5) De Trang. ı5. —- rovrov de (nehmlich wer zugleich wünschte ein Löwe und ein u . EINS 2 ’ 2 ’ E x 5 Re B\ ‚ Schooshündchen zu sein) oudsv Qsrriwv 6 Bovrouevos wu nev "Eursdorrns 9 Drarav 7 Anac- = 10 , 5 R FE # ’ HgLToS zivan mEgt KOTWOV Ypacbuv -—— -—— ua ÖE -—- Tu Emı Rllov "ArsEavdgw cvwmrivsw, ws Mndtos. Ddza 242 Burrmann von den Aleuaden. ben (ı). Ein andrer durch Namen und Vaterland sich kund thuender Aleuade ist Tuorax der Larissäer, der Freund des Antigonus, der nach Plutarch Demetr. 29. bis auf den letzten Augenblick bei dem unterlie- genden König blieb, als alle andern ihn verlassen hatten. Und so fühle ich wenigstens kein Bedürfnis mich nach einem noch spätern umzusehn. (1) Noch einen Schriftsteller aus der Familie erwähnt Quintilian ı1, 2, 15.: denn dafs der Eurypylus von Larissa, der unter denen, die von dem Einsturze des Hauses über Skopas geschrieben, genannt wird, ein Aleuade gewesen, das macht das Zusam- menkommen dieser Namen mehr als blofs wahrscheinlich. — Ob die Bildhauer, Aleuas (Plin. 54, 8.) und Skopas der Parier, in Berührung mit den thessalischen Häusern gestanden, weifs ich nicht. KK en Über dıe hotyttia und die Baptae. " Von H®- BUTTMANN. Era den mysteriosen Feiern des alten Griechenlands pflegen auch die Kotyttia aufgeführt zu werden und insbesondere, wiewohl mit dem Stempel gesteigerter Verwerfung, athenische Kotyttien, deren Theil- nehmer , unzüchtige Männer, den Namen Baptä geführt. Die Haupt- stelle ist eine Schilderung davon bei Juvenal, womit Notizen verbunden werden, dafs Eupolis eine Komödie gegen diesen ärgerlichen Gottes- dienst unter dem Namen Baptä geschrieben habe. Ich setze zuförderst die Juvenalische Stelle her. Sie ist in der gegen die in Rom herschenden Schändlichkeiten des männlichen Geschlechts geschriebenen zweiten Sa- 5 türe. Indem er dort gewisse geheime und unzüchtge Gelage, welche der 5 Bona Dea zu Ehren von Weiber nachahmenden Männern gehalten wurden, beschreibt, sagt er im gı. und 92. Verse: Talıa secreta coluerunt orgia teda Cecropiam soliti Baptae lassare Cotytio. Die Worte sind deutlich: wiewohl einige das Verbum lassare falsch ver- standen haben. Es heifst, wie Rigaltius und Perottus richtig es fassen, weiter nichts als häufig anrufen ; wie das gleichbedeutende Verbum in dem horazischen Prece qua fatıgent Virgines sanctae — Festam ? Wir wollen nun nur die bekannten Notizen über die Kotytto übersehn. Strabo ı0. p. 470. unten, führt unter den enthusiastischen und mystischen Gottesdiensten der Ausländer, auch die in Thrakien üb- lichen Kotytiien und Bendidien an, und erwähnt dabei der Kotys als 214 BurTrTMmANN einer edonischen Gottheit, welcher lärmende sacra gefeiert wurden (1). Nachher merkt er an, dafs ‚‚die Athener eine grofse auch von den Komi- ‚„‚kern durchgezogene Sucht hatten, dergleichen fremde Feiern aufzuneh- „men, insbesondre die thrakischen und phrygischen”, wobei er aber nur die Bendidia, die Sabazia und die Metroa nennet (2). Von den Kotyttien finden wir dies in Bezug auf Athen weder bei ihm noch sonst irgendwo. Aber von Korinth wird Kotys als einheimische Gottheit erwähnt. Sıud. Körus, dumwv apa KogwStas TıuWuevos Ebogos av ainygav. Hier haben. wir die deutlich bezeichnete Gottheit , mit Worten maskulinischer Form. Eine zwiefache Vorstellung des Geschlechts einer Gouheit könnte bei der Analogie ähnlicher Fälle eben nicht befremden. Aber das Wort darımv kommt auch sonst ohne Unterschied des angeblichen Geschlechts der Gottheit als Maskulinum vor, und gleich in der unten anzuführenden Stelle des Hesychius wird die unzweifelhaft femininische Form Korurrw mit dem Prädikat doprinds daiuwv verbunden. Suidas führt übrigens zu seiner angeführten Glosse blofs eine Stelle des Synesius aber unvollstän- dig an, so dafs der Name Kotys nicht darin erscheint; in der Stelle selbst aber ( Calv. Encom. p. 85.) werden gewisse lüderliche Menschen Sıuararaı 795 Korvcs genannt. Hiezu füge man eine Stelle aus einem alten codice Proverbiorum des Meerman, welche Burmann anführt in der Mantissa zum ı. Band der lat. Anthologie (ol. II. p. 728.): Cotyi sacrificare, calamistratum esse: huic enim deae apud Corinthios cultae intemperantes ac calamistraturae studios! Jormamque venditantes sacrifieabant. Und im Scholion zu Theokrit 6, 40. wird der Name Korurragis, den eine Art Beschwörerinn dort führet; erklärt, als gebil- det von dem Namen einer bei den Doriern verehrten Korrw, welche Gottheit dann in der Geschichte der Herakliden mythisch begründet ’ „7 x mw \ ’ pr ’ x ’ ei (r) Tovros Ö core zur 78 Mage rols OgeEi, ra re Korvrsıe zcr va Bevöidsıe, mag os x x > x x DZ n \ „= 71 m > m e) m > ’ zu re Oobiza Fyv HaFEOynV eoyYe. Tas mev ouv Korvos ns £v Tors Höuvors Arsy,uros ‚ MERUYTAL #4. Te A, 2 sAaQ > ER) \ Wr n N m u \ \ \ ’ (2) ASyvaioı Ö woersg Meg: Te arra PiARoEsvoüvres dinrerfrw oUrw Aa megt TOoUS "TEOUS. \ N n m e m ’ 077 “ss In \ \ \ \ ’ \ TOA« Yap rwv Esvizdv teguv mugeÖeEuvro, WIE A ERWUWÖHTNTEV, zu On zu Te Ogarıce zu \ r Br x \ ’ ’ 2 n ü , ’ A Te Povyıo. vuv ev yırg Bevöidsıuw IMarwv nepunra, av de Povyınv AnynooQevng --- ---, TEÜT«E ’ > ’ x - Yyap Est Zaßagın rc Myrgwe. über die Kotytta und die Baptae. 215 wird (1). Denn, dafs in diesem Scholion zweimal Kerurreüs, Korurru gelesen werden mufs, erhellet doch wol eben daraus, dafs jene Benen- nung Korurragis davon abgeleitet wird. Aus Griechenland kamen diese Kotyttien nach Italien und Sicilien wie die Erwähnung derselben beweist in den Katalekten zum Virgil Carm. 5. (Anthol. Lat. ı. Epigr. 246. et ibi Intpp.), Horat. Epod. ı7, 56. Plutarch. Proverb. 78. an welcher letzten Stelle die Kotyuia als eine sicilische Lustbarkeit mit Volks- Spielen erscheinen (2), Eben so gut könnten also solche Kotyttien auch in Athen ge- feiert worden sein, und dies schliefst man denn eben aus der Stelle des Juvenal verbunden mit Synesi Epist. 52., wo es heilst, ein gewisser schlechter Mensch diene der Korurrei zul reis amAas Arrızds zovirsarcıs, welches eine Benennung für schmutzige Gottheiten ist. Aber mit dieser Möglichkeit ist dem gründlichen Aufklärer des Alterthums nicht gedient. Wir müssen die Sache und insbesondere die Notizen von des Eupolis Komödie näher beleuchten. Die Baptä des Eupolis werden öfters eitirt. Verwirrt und zu- sammengeschmiert wie gewöhnlich ist das Scholion zu Juvenals Stelle. Baptae titulus Libri, quo impudici describuntur ab Eupolide , qui inducit viros Alhenienses ad imitationem feminarum saltantes lassare psaltriam (5). Baptae ergo molles, quo titulo Eupolis comoediam seripsit, ob quam ab Aleibiade, quem praecipue perstrinxerat, necatus est. Dafs dies keine jener aus der Luft gegriffenen Notizen sind, dergleichen diese Scholien so viele haben,: beweist die zwar kürzere aber solide Nachricht in dem bekannten A ‚ Q ‚ Ei er \ PS r . ns 5 \ (1 ) =—- 1 UrRO 715 TROE Angısvsı TUALAEUNG Korzcis. Tv de Tiuavögews TUYETEZES \ ’ \ DER € > e Pur \ \ 2 Q SER \ \ ar EN za EvauTenıs, as ertunsav Hoazrstöcı die 0 FUVRAYUNTATTA AUTOS AUTE TYV EIS Ils?.orov- a e re IK: ’ > ’ vrTov adıEw ws cı megı Immosgerov amobamwousı. = 5 u € \ r ’ y \ e ‚ = A > ‚ RW AN E} U (2) Agraya Korvrios. Koruris Eoprn Ts Est Nızerızy Ev megı FWas zAKDOUS EEuemrovres "32 n Ne. , ei ec u) TOTER ie azgcögva ETETIETOV GOTWESEW. (5) Man sieht, dafs hier die schlechte Erklärung eines Unkundigen eingewirrt ist, der Kotytto für den Namen einer Zitherspielerin nahm. Hieraus erkennt man also, dafs folgende verwirrte Glosse, welche Burmann ad Anth. Lat. ı. p. 477. aus des Papias Glossen anführt: Cocitos fuit dea Atheniensium quam solae feminae colebant, quae psaltriam exercebant: blofs aus Juvenal und dessen Scholien zusammengestoppelt ist, und also in der Untersuchung über die athenische Kotytte nicht weiter änzuführen ist. 216 Burtmann gelehrten Fragınent des Platonius über die Komödie, das vor den Aus- gaben des Aristophanes steht. Von der Gefahr sprechend, worein jene alten Komiker öfters durch ihre Verspottungen geriethen, sagt er: iruev yovv rov Eimorw Emi Th Adafaı reüs Barras aromviyeyra eis TYv Sararcav Um’ Eukivuv eis cus zuSgze rols Barras: ‚„, Wir wissen ja, dafs Eupolis, weil er „seine Baptä aufgeführt, von denjenigen, gegen welche das Stück ge- „richtet war, im Meere ersäuft worden ist”. Durch diese Stellen und vielleicht besonders durch den historischen Ton worin Juvenal spricht, hat man sich veranlafst gesehn zu glauben, Eupolis habe jenen besumm- ten ausgelafsnen Gottesdienst der Kotyttien durchgezogen ; und so setzt man nun diese unter die Athenischen Sacra, und führt ganz ernsthaft den Namen Barr«ı als den Namen der Priester der Kotytto auf, und erklärt ihn von irgend einer Weihe (ı). Man wird gar nicht durch den bei solchen Gegenständen sehr bedeutenden Umstand aufmerksam gemacht, dafs dieser Priester- oder Eingeweihten-Name durchaus nirgend anderswoher als eben aus des Eupolis Komödie und der so deutlich darauf bezüglichen Stelle Juvenals bekannt ist; und dafs es überhaupt ganz unbegreiflich wäre, wenn von einer so berüchtigten in der berühm- testen aller Städte üblich gewesenen Feier, so gar sonst nichts irgendwo sollte zu lesen sein. Oder um es kurz zu machen, man bedachte nicht, dafs man einen Komiker vor sich hatte. Wir wollen diesen Gesichtspunkt fester halten und unsern Blick zunächst auf diese Glosse des Hesychius werfen. Korurrw 6 uev Euroris ar’ EySos ro mp&s roüs KogıvSious doprixev rıva duinsva ÖarıSerau. Ich über- setze dies so: ‚„‚Unter dem Namen Kotytto stellt Eupolis, aus Hafs gegen ‚die Korinthier, eine unsittliche Gottheit zur Schau”. Was auch für Unzucht und Ausgelassenheit zu Athen in der Form gottesdienslicher Gebräuche mag vorgegangen sein, aus dieser Stelle geht mit Sicherheit gerade das hervor, dafs zu Eupolis Zeiten keine Kotytien dort waren, keine Kotytto dort verehrt wurde. Irgend etwas anders ward von Eupolis durchgehechelt: was er darstellte war blofs seine Erfindung, und der Name der Kotytto war gebraucht, um den eigentlichen Gegen- (1) $. die Erklärer zu Zucian. adv. Indoet. 27.; Ste Croix sur les Mysteres; etc. über die Kotyttia und die Baptae, 217 stand gehässiger zu machen: woraus man also vielmehr_sieht, dafs die Athener auf diese bei dorischen Stämmen und in peloponnesischen Städ- ten übliche üppige Feier eine Verachtung geworfen hatten. Es bleibt also übrig zu muthmafsen was der wirkliche Gegenstand von Eupolis Satire war. Doch über die Person brauchen wir nicht zu muthmafsen, da uns Juvenals Scholiast den Alcibiades nennet, dessen Sitten hinreichend bekannt sind. Aber auch die bestimmten Handlungen worauf Eupolis anspielte, wären sicher längst erkannt worden, wenn nicht alle durch die falsche historische Ansicht des ganzen eine ablen- kende Richtung bekommen hätten. Denn wer kennt nicht die Anklage gegen Alcibiades, dafs er und seine Genossen ihren Weingelagen aus Muthwillen ganz die Form der Geheimweihen gaben, und namentlich die der Demeter nachahmten ? Uns genügt hier die bekannte Stelle aus Plutarchs Aleibiades p. 200: ’Ev Ö& rourw ÖcvAcus Tıvas zul MErOIRCUS mOONya- pP u 00nY ev "Avdgondns 5 Önmaywyos army T’ dyarıarav megIno mas za Husmgiuv mag’ a > 7 Aa NN \ > D Fe 3, IN oivov ameuiunres To) Arrılıadeov zul av diAwv zurmyopovvras. ereyov Ocodwpov ja ArzıWaıad 2 yog Asyov @cod e KEv rıva dagv Ta TeU ungUNDS , Iloeruriwva dE ra 78 Öwdougou, ra de vol isgobav- w \ m ’ mageiva nal Mueirtu Musas FIOT- ‚ \ > N. IN \ Ne ©] e rov rov AAzılıaoyv, ToUSs 0 aAAoUs ETWLO n c@ n wyogsvonevous. FTAUTA Yag Ev N EITayyerıa YEYgaTTUL, Osssarsd ToV Kıuwvos eirayysiravros, "Arrılıadyv areßeiv mei rw IYew. „‚Zu dieser Zeit führte Androkles der Volksführer einige Sklaven und Beisassen vor, welche Anzeige machten, wie Alcibiades nebst seinen Freunden die Götterbilder geschändet, und bei Weingelagen die Mysterien nachgeahmt habe. Sie sagten, ein gewisser Theodorus mache den Herold, Polyion den Fackel- träger, den Vorsteher der Weihe aber Aleibiades selbst; und die übri- gen Gesellen kämen herzu und liefsen sich weihen,, und würden Mystä genannt. Denn so besagt es die Anklage des Thessalus, Cimon’s Sohns, worin er den Alcibiades belangt, dafs er Gottlosigkeit übe gegen die bei- den Göttinnen”. Mich dünkt es ist augenscheinlich , dafs diese Gelage es waren, welche Eupolis, als sie vielleicht noch nicht vor Gericht gezogen waren, einstweilen vorm Volk durchzog. Man kann schon erwarten , dafs die Ausschweifungen die dabei vorfielen, nicht blofs in der Kategorie des Weines blieben ; und noch gewisser ist, dafs die Stadtgespräche und Eupolis Darstellung sie erbaulich zu steigern wufsten. Die Göttin welche Hist. philolog. Klasse 1822-1823. Ee 218 BuTtTtMmansn solchen Mysterien vorstand , nannte der Komiker , zum Gegensatz gegen die attische Demeter, Kotytto. Woraus allein schon erhellen würde, dafs die Schilderung auf Unflätereien ging, worin Weiber nachgeahmt wurden. Denn nicht nur wird diese Gattung lüderlicher Menschen, die SnArögiu, an der zuerst angeführten Stelle des Synesius Suarara ris Körucs genannt, sondern an den beiden Stellen in den Katalekten und in Horazens Epoden werden die Kotyttia ausdrücklich als weibliche Orgien erwähnt; besonders an der leiztern,, wo Canidia dem Dichter vorwirft, dafs er die Kotyttien entweiht und unter die Leute gebracht habe: /nultus ut tw riseris Cotyttia Vulgata? Und ausdrücklich sagt denn auch der angeführte Scholiast zum Juvenal von dieser Komödie des Eupolis, gıu indueit viros Athenienses ad imitationem feminarum_sal- tantes. Zu des Dichters Erfindung gehörte denn auch ohne Zweifel, dafs er statt der Benennung Mys«ı den sie sich selbst gaben , sie Barras nannte, und dies vermuthlich durch eine scherzhaft erdachte Form der Weihe begründete. Und in deutlicher Beziehung auf diesen seinen Ein- fall steht das was von seiner Todesart erzählt wird. Was nehmlich an der oben angezogenen Stelle Plawonius allgemeiner vorträgt, ward ganz bestimmt vom Alcibiades erzählt, wie wir aus Cicero ad 4tt. 6, ı. wis- sen, wo unter Beispielen irriger oder widersprechender geschichtlicher Angaben auch dies angeführt wird: Quuis enim non dixit, Eupolin, rev ns ay,aias, ab Alcıibiade navigante in Sıciliam dejectum esse in mare ?_ Red- arguit Eratosthenes: affert enim quas ile post id lempus fabulas docuerit. Num ıdeirco Duris Samius, homo in historia diligens, quod cum multis erravit, irridetur ? Dafs die Anekdote nicht wahr ist, darauf kommt nichts an: man sieht, dafs sie sehr alt ist. Sei es also Alcibiades oder die dichtende Sage; die Todesarı des Eupolis, der eingetaucht ward um nicht mehr hervorzukommen , ist als grausamer Muthwille gedacht, in Beziehung auf seine Barras d.h. Tauch- oder Taufgesellen. Diese Ver- muthung hatte sich mir von selbst dargeboten, als ich eine ausdrück- liche Angabe darüber fand, die mich aber in Verlegenheit seızt. Georg Valla nehmlich macht in seinem Kommentar zum Juvenal zu dem Na- men Baptae eine Note, worin er des Scholiasten Notuz von Eupolis und Alcibiades mit folgendem Zusatz schliefst: 05 quam Alcibiades — necuit Ipsum in mare praecipitando, dicens, Ut tu me in theatris made- über die Kotyttia und die Baptae. 24% ‚fecis!, nunc ego te in mari madefaciam. Ich kann durchaus nicht fin- den, woher Valla diese Notiz hat. Aber diese Erklärer des ı5ten Jahr- hunderts welche die Schelien zum Juvenal handschriftlich vor sich hatten, eitiren hie und da etwas aus diesem Probus, wie sie den gewöhnlichen Scholiasten nennen, was in unsern Ausgaben desselben nicht steht (1). Auch hier hatte Valla kurz vorher den Probus genannt, und die ange- führten Worte schliefsen so unmittelbar an die in unserm Scholion be- findlichen Worte sich an, dafs ich. nicht zweifle, sie sind aus einem vollständigern Exemplar, dergleichen noch manche in den Bibliotheken sein sollen. Gewifs wird dadurch auch das alte Anekdötchen, so we- nig geschichtlichen Werth es auch habe, vollständiger; und meine An- nahme, dafs die ganze Schilderung solcher Feier, mit samt dem Namen Baptä, Eupolis Erfindung sei, wird dadurch fast gewils. Ohne nun untersuchen zu wollen, ob die so sehr verbreiteten Kotyttien in spätern Zeiten doch auch noch nach Athen kamen, so bleibt es bei unserer Leugnung der Sache für die Zeit des Eupolis , dessen Komik gerade durch die Wirklichkeit ihr ganzes Salz verlieren würde. Des Strabo Bemerkung , den Feiern von ihren Komikern durchgezogen wurden — wiewohl dies dafs die Athener wegen ihrer Sucht nach frem- 5 bezog sich zunächst unstreitig auf den Aristophanes, von welchem Cicero eine Nebenbeziehung auch der eupolidischen Baptä kann gewesen sein — de Legg. 2, ı5. sagt: Novos vero deos et in his colendis noclurnas per- vigilationes sic Aristophanes — wexat, ut apud eum Sabazius et qwdam alii di peregrini, judicati e civitate ejiciantur. Den Ausdruck Cecropiam (1) Seitdem dies geschrieben, ist die Ausgahe dieses Scholiasten von A. G. Cramer erschienen, welche viel dankenswerthe Vermehrungen enthält; aber die oben berührte Quelle ist nicht so benutzt, wie ich gehofft hatte. So vermisse ich gleich zu Sat. ı, 155. das bei Lubinus befindliche Scholion, und zu 155. das bei Calderinus; und zu 2, 55. wo die verschieden lautende Glosse aus Valla angeführt ist, fehlt die Notiz, dafs eben daselbst die Lesart des folgenden Verses, Dives eris, magno quae dormis tertia lecto, aus Probus angeführt ist. Es bleibt also zu wünschen, dafs alle diese Kommentatoren zu diesem Zweck nochmals genau durchgesehn werden. Auch Ferrarius de Re Fest. führt Scholien an, die ich bei Cramer nicht finde z. B. 2, 1. und 5, 24. zu ‚Sat. 1, 78. und ırı. aus einer Handschrift der Ambrosianischen Bibliothek; wobei er bemerkt, dafs in dieser mehre Scholiasten Juvenals sich befänden. Will keiner der dor- tigen Aufseher Mai’s Nachfolger werden und diese Scholien excerpiren ? Ee 2 220 Burrmann über die Kotytta etw. ’ Cotytto aber braucht blofs Juvenal im Gegensatz der wahren Kotytio anderer Völker; und ich glaube daher nicht, was sonst wol scheinen könnte, dafs er die Notiz von den Baptä, da er sie so in historischer Form vorträgt, wirklich historisch genommen habe. Er meint, wenn man will, wirklich den Alecibiades und dessen ausschweifende Gesellen, drückt aber die Sache aus, wie sie in Eupolis allgemein bekannter Ko- mödie dargestellt ist. Ja ich trage kein Bedenken, für diese Meinung den Scholiasten anzuführen. Dieser wenigstens würde gewifs sein Scholion mit einem, Baptae fuerunt homines impudici, begonnen haben: aber wrotz dem diese Vorstellung wirklich begünstigenden Vortrag des von ihm erklärten Textes, lesen wir bei ihm nichts anders als: Baptae ttu- lus libri — und, Baptae, quo ttlo Eupolis comoediam seripsit: zum deutlichen Beweis, dafs die alte und gelehrte Grundlage dieses Scholions von keinen andern Baptae wufste, als dem so lautenden Titel jener Ko- mödie (1). Ob aber Synesius, wenn er die Kotytto gleichsam an der Spitze der attischen Schmutzgötter nennet, spätere Wirklichkeit vor Au- gen hatte, oder den Eupolis selbst etwas zu historisch fafste, mag ich nicht entscheiden. (1) K.L. Struve, der in seinem 15. Programm Königsb. 1819 den Namen Barrcı behan- delt, läfst sich durch Juvenals Vortrag allein bei der Meinung festhalten, Baptä sei in Athen wirklich Benennung gewisser Menschen gewesen, die, um der Unzucht unge- störter zu fröhnen, in geheimen Gelagen die Feier der Kotytto nachgeahmt hätten. Dafs es nicht der Name wirklicher Priester der Kotytto gewesen, erkennt auch er an, und ich darf hoffen, dafs auch meine übrige Darstellung im wesentlichen ihn befrie- digen wird. —ae BD — Über dıe alten Namen von Osroene und Eidessa. Von Hm "BUTTMANN. ' der mosaischen Geschichte ist zwischen Noach und Abraham ein grofser historischer Raum, der fast mit nichts als einem ganz dürren Stammbaum ausgefüllt ist. Dieser würde so wie ähnliche Listen in der spätern biblischen Geschichte, für alle Untersuchung gänzlich leer sein, wenn nicht schon den allerfrühsten Betrachtern, auf welcher Stufe der Kenntnis sie auch stehn mochten, die geographische und ethnogra- phische Natur dieser Genealogie sich sogleich aufgedrängt hätte. Aber eben dadurch war nun auch Thür und Thor den weitestgehenden Un- tersuchungen von den verschiedenartigsten Ansichten aus geöffnet, durch welche mit jedem richtigen und vernünftigen, für die Geschichte er- sprieslichen Gedanken, hundert Irrthümer und Thorheiten in das Feld der Geschichte sich verbreiteten. Der Wunsch, dafs bei der heutigen Erweiterung der Quellen für diesen Theil der Forschung, eine nüch- terne Behandlung auch jetzt wieder diesen ältesten Namen-Rollen zu Theil werde, ist sehr natürlich und gerecht; aber eben so gerechtfertigt durch die Erfahrung ist auch die Sorge, dafs eine das Ganze auf ein- mal behandelnde, die Aufklärung des Ganzen als nothwendig sich vor- setzende Unternehmung, doch immer noch den Unsegen der Oberfläch- 5 Förderlicher scheint daher jeder Versuch, der, den Blick auf das Ganze lichkeit und der Systematisirung des halbgekannten über uns führe. nie verabsäumend, einzele Punkte die eine verständige Combination dar- bieten heraushebe, und wohl erörtert, für künfuge Behandlung des Ganzen hinstelle. 222 ButrtrmAnNn Zu einer solchen Behandlung bietet sich mir gegenwärtig ein Name aus der späteren Hälfte der Stammtafel dar, deren geographischer Ge- genstand schon in dem engern Kreise der Lande an und um den Eufrat liegt. Dieser Theil unterscheidet sich von dem oberen auch dadurch, dafs jener wie bekannt nichts als lauter rein-geographische Namen ent- hält, bei welchen selbst der Gedanke an ehmalige Ausfüllung durch persönliche Mythen nicht aufkommen kann; in diesem hingegen, so wie er den bekannten Personen aus der Abrahamischen Familie sich nähert, auch diejenigen Namen sich mehren, welche auf Persönlichkeit wenig- stens Anspruch machen. Hier ist es also besonders gut die einzelen Fälle welche auf eine oder die andere Art Sicherheit gewähren, auszu- sondern; wie ich mir gegenwärüg dazu den Serug gewählt habe. Serve ist der Urgrofsvater des mit voller Persönlichkeit auftre- tenden Abraham, und Urenkel des Eber, welches ein reiner Volks- name, die Personifikation der hebräischen Nation ist. Serug selbst, 9? zattung mythischer Namen. Unweit von Haran und Edessa liegt noch oder genauer Srug, gehört ohne Zweifel ebenfalls zu dieser letzteren jetzt ein Ort Sarug oder Serug, den aüch die Landkarten haben und der im Syrischen ebenfalls Srug geschrieben wird (1). Assemani in der Bibl. Orient. I. p. 284 sg. handelt umständlich davon, und wir ler- nen dort, dafs es diesen einfachen Namen nur bei spätern Schriftstellern führet, in ältern syrischen Schriften aber Batnon da - Srug oder dba - Srug d.h. Batna von oder in Sarug heilse. Dieser Ausdruck gibt also ziemlich deutlich Srug als eine Landschaft zu erkennen; und diese er- innert durch Namen und Lage sogleich an jenen mosaischen Serug: da- her auch Assemani mit der Bemerkung schliefst, dafs sie vielleicht von jenem Serug den Namen habe; eine Vermuthung, die wir, mit der noth- wendigen Änderung dafs der mosaische Serug die Personifikation des Stammes sei der ehedem in diesem Bezirke wohnte, zu der unsrigen machen. Denn eben so unverändert hat auch der Ort Haran oder Charan seinen Namen bis in die neueren Zeiten erhalten (s. Bruns zu Danvillens Atlas S. 159.); und wenigstens in der Chronik des Josua s (1) Versteht sich mit einem Semkath (Samech), da die syrische Sprache das wie $ gesprochene ‚Sir der Hebräer nicht kennt. über Osroene und Edessa. 223 Stylites zum Jahre Christi 505 (bei Assemani I. p. 277.) glaubt man noch in der mosaischen Zeit zu sein, wenn man Araber in Serug einfallen und die von Haran mit Heeresmacht gegen sie ausziehen sieht. Wenden wir uns nun zu den griechischen und lateinischen Schrift- stellern eben dieser spätern Zeit, und sehen dafs bei ihnen die ganze Provinz worin Edessa, Batnä u. s. w. lagen, Osnorne genannt wird; so mufs denke ich sogleich die Vermuthung entstehn dafs dieser Name einerlei sein möge mit jenem Sruc, das zu leichterer Aussprache so natürlich überging in Osrug, Osruh. Wenn die folgende Darstellung, dafs dem wirklich so sei, nicht genügend sein sollte, so wird sie wenig- stens alles was zu diesen Untersuchungen gehöriges mir zu Gebote stand in Übersicht bringen. Den Namen Osroene, "Orgenvn führt, wie gesagt, die Landschaft worin unter andern Edessa liegt; und namentlich wird auch das kleine Reich der zur Zeit der Parther entstandenen Könige von Edessa z. B. bei Dio Cassius 77. p. 875. (zur Zeit der Vernichtung desselben durch Karakalla) so genannt. Prokopius gibt uns noch eine Notiz mehr. Denn wenn er (de Bell. Pers. ı, 17.) von den besondern Namen einiger mesopotamischer Distrikie spricht, sagt er: ‚,Edessa mit den Ortschaften „umher führt den Namen Osroene von Osrozs, einem Manne der ‚„‚in ehemaligen Zeiten hier König war, als die Bewohner dieser Gegen- ‚„‚den den Persern pflichug waren’ (1). Eben dies Land wird aber von Steph. Byz. (V. Barva) ORRHOENE genannt. Da nun der gangbarste einheimische Name der Stadt Edessa Urmoı ist, so verbindet Assemani (Bibl. Or. I. p. 588. not. und 417.) hiemit, und mit der Nachricht aus Prokopius, sehr natürlich die Angabe eines syrischen Chronisten, des Patriarchen Dionysius, welcher als ersten König von Edessa in der 161. Olympiade einen Oruoır Sohn des Hevia anführt, und ausdrück- lieh sagt, dafs von ihm die Stadt den Namen Urhoi führe. Assemani findet also hier den Osroes des Prokopius, in dessen Worten er folglich unter den Persern die Parıher versteht. Er nimt also auch (p- 470.) die Schreibart im Stephanus Orrhoene, und folglich Orrhoes, für die PER, EN ro, 3 > ZEN ‚ > ’ > , EREN? ’ > RUSSEN > nQ, (©) Eödss« re Gwv ras amd avryv Ywoicıs Ossoyvn Osgoou ErWVUMOS ESiW, avögos EVTRUTE RR ey Ik Sn E) ‚ el. ‚ e ’ a ” of WebasıReuzoros zv FOS Aw Ygovos, Nviza Hoss or FUN cvıFgumor evsmorda rar. 224 Buvttmiaenn genauere an, wovon Osroene eine griechisch - römische Verderbung sei, welche jedoch die spätern syrischen Schriftsteller selbst angenommen hätten, und Osroina als einen, aus der griechischen Form erst gemach- ten Namen, bald mit einem Dsain bald mit einem Semkath, schrieben. Nach dieser Darstellung, die sehr viel innere Konsistenz hat, käme also der Name Osroöne von dem inländischen Namen der Hauptstadt des Lan- des, Urhoi oder Orhoi; womit denn unsere Ableitung von Serug unver- träglich wäre. Dies macht nöthig dafs wir auch die bekannten Untersuchungen über die Namen von Enzssa vornehmen müssen ; worüber hauptsäch- lich Michaelis im Spicllegio ad Bochartum I. p. 220. sq. Th. S. Bayer in der Historia Osroena p.5. sg. Vater zu Gen. ı0, ı0. zu vergleichen sind. Das Erecn in der angeführten Stelle der Genesis, welches in den Dialekten und Übersetzungen auch Arach und Orech lautet, wird nehmlich von den alten Kirchen-Schriftstellern, namentlich von Efreın, der selbst in Edessa lebte, und von Hieronymus, für Edessa, ganz als eine damals und dort bekannte Sache, erklärt: und Michaelis hat auch diese Erklärung so ziemlich durchgesetzt, während Bayer eine wirklich sehr ungründliche Gegenmeinung aufstellie, die man bei ihm selbst nachlesen mag. Dafs die Edessener sich selbst Orochoje nennen, führt Bayer, ich weifs aber nicht woher, selbst an, scheint dies aber ein- zig aus der Überzeugung zu erklären, in welcher auch die Edessener gestanden, dafs jenes mosaische Orech ihre Stadt sei; eine Ansicht die wenig befriedigt. Vielmehr, da der Name Edessa anerkannt nur der neuere, von der gleichnamigen Stadt in Macedonien übergetragene ist (wovon wir sogleich reden werden), die Stadt aber doch nothwendig vorher schon einen inländischen Namen gehabt haben mufs; so geht eben aus jener Sicherheit, womit die Syrer selbst sich dieses Namens be- dienten, hervor, dafs entweder jener mosaische Name damals fortdauernd in Gebrauch gewesen, oder doch ein solcher der mit demselben soviel übereinkommendes hatte, dafs man eben dieser Ähnlichkeit wegen (denn andre Spuren über das mosaische Erech als der Name und die Nachbar- schaft waren ja nicht vorhanden) jene alte Stadı für Edessa annahm. Und hier kann ich mich nicht genug über Michaelis wundern, dafs, da er doch selbst Oroch oder Orech als alten Namen von Edessa über Osroene und Edessa. 225 annimt, er den zu Efrems Zeiten selbst wirklich gangbaren Namen Orkoi nicht als damit zusammenhangend erwähnt, sondern, mit an- dern, diesen für eine asiatische Verderbung des griechischen Namens Karrınnmor hält. Plinius nehmlich (5, 24.) wo er von dieser Ge- gend handelt, erwähnet auch Zdessam, quae quondam Antiochia diceba- tur, Callirrhoen a fonte nominatam, womit Stephanus übereinstimmt, der unter den Städten mit Namen Antiochia auch eine anführt 4 &mı As Karrıgens Aruvns. Und Bayer bestätigt diesen Namen noch durch eine Münze von Antiochus IV. mit der Schrift ’Avrıoyewv av Eri Kadrıgen: was auch, für mich wenigstens, völlig überzeugend ist: wiewohl einige Münz- kenner seitdem geglaubı haben, diese Münze von Edessa wieder trennen zu müssen. Doch ich hebe diesen Gegenstand einer besondern Anmer- kung zu Ende dieses Aufsatzes auf, und glaube hier ungehindert fort- fahren zu können, da des Plinius Stelle allein der Stadı Edessa den Namen Kallirrhoe sichert. Ist es nun aber glaublich, dafs mitten unter Griechen und gelehrten Christen durch eine so unförmliche Verstüm- melung, wie Orhoi aus Kallirrhoe, der alte Name der Stadt selbst so 5) gänzlich, und zwar in den Schriften so vieler Syrer, verdrängt worden wäre? Oder vielmehr, bietet sich nicht der entgegengesetzte Fall ganz von selbst dar? Diesen hat denn auch Bayer aufgefafst; wiewohl auf eine sehr mangelhafte Art. Neben dem syrischen Urhoi ist nehmlich in den arabischen und andern verwandten Mundarten auch die Namens- form Rama, Roha, Ruha und mit dem Artikel Zrraha, allgemein gang- bar (1). Von dieser Form wrennt Bayer sehr ungeschickt, wie es mir scheint, und mit schlechter etymologischer Kunst den Namen Urhoi, (wunderbar, gerade wie Michaelis denselben Namen von Orech trennt), und sieht nur darin unstreitig richüug, dafs er in Kallirrhoe den Namen Roha, Erroha mit griechischer Zusammensetzung erkennt; wobei er Roha, das im Arabischen einen Bach bedeute, für den Flufs bei Edessa nimt, den die Griechen Karrıgöen genannt hätten, dessen Name aber auch auf die Stadı übergegangen sei. Dafs ein ausgezeichneter und hei- liger Quell und Teich, und ein reicher üppiger Swom bei Edessa ist, zeigt am vollständigsten Mannert (V. Th. 2. 8.277.) aus alten und neuen (1) S. Michaelis p. 221. Bayer p. ı1.ı2. Elmacin Erpenü p. 14. Hist. philolog. Klasse 1822-1823. Ff 226 Burrmann Berichten, wozu noch Stephanus (v.’Eders«) kommt, aus welchem wir ersehen, dafs eben wegen ihrer reichen Wasserströmungen (diı« ryv rüv Üdarwv öuunv) diese Stadt nach der macedonischen Stadt Edessa be- nannt worden sei. Dafs also auf die erwähnte Art mit Urhoi und Roha die griechische Namens-Verschönerung Kallirrhoe zusammenhängt, kann wol ferner keinen Zweifel leiden. Und ich glaube auch. nicht zuviel zu sagen, wenn ich die Ableitung des Namens Urhoi oder Roha von der Wurzel rah, ravah, welche auch in den orientalischen Sprachen übereinstimmend mit dem griechischen jew, 07, gahvw und so vielen ver- wandten Wörtern anderer europäischer Sprachen, den Begriff des rin- nen, wässern führt, sehr wahrscheinlich ist. Allein. da nun eben durch den Namen Kallirrhoe in Verbindung mit obigen Stellen, auch ohne die Münze, es so gut wie erwiesen ist, dafs schon unter den Seleuciden jene einheimische Benennung die gang- bare war; so ist eben so gewifs, dafs die Deutung des Efrem von Erech, Orech auf Edessa, und der Name der Edessener Orochoje (wenn die- ser authentisch ist) mit dem Namen Urhoi oder Roha zusammenhangen mufs, d.h. dafs auf jeden Fall diese Syrer nicht blofs in jener mo- saischen Stadt die ihrige, sondern hauptsächlich in dem Namen Orech den Namen Orhoi erkannten; und dafs nur in dieser V erbindung weiter über die Richtigkeit dieser Deutung des mosaischen Erech kann nachge- forscht werden. Sollte übrigens der in den aramäischen Sprachen, soviel ich weifs, nicht eben gewöhnliche Übergang der Buchstaben Kaf und Ze Michaelis abgehalten haben, Orhoi und Orech zu kombiniren ; so hätte derselbe, aus ähnlicher Ursach, auch eine andere arabische Namensform für die- selbe Stadt — Orfa — nicht so leicht aus Orhoi sollen entstehn lassen. Und doch hatte er hierin unstreitig recht, Denn allgemeine Sprachge- setze walten über jedes engere, und wenn nur wirklich gefunden wird, dafs dieselbe Stadı, Orch, Orh, und Orf genannt worden, so wollen wir auch an der Einerleiheit dieser Namen keinen Augenblick zweifeln. Aber das ist nun für unsern Zweck erwiesen, dafs der Mann Orhoi des Dionysius der Stadt nicht den Namen kann gegeben haben, der schon unter den Seleuciden so gangbar war. Ja grofser Verdacht 5 fällt dadurch selbst auf das Dasein dieses Mannes Orhoi,; und auch der über Osroene und Edessa. 227 Osroes (1) des Prokop verliert seinen Glauben, wenn wir das be- kannte Streben der Chronisten erwägen, die Namen der Städte und Län- der von solchen ersten Herschern abzuleiten : wie uns denn Bayer (p.5.) gleich auch zwei verschiedene Männer mit Namen Roha, und aus ver- schiedenen Zeiten, den einen nehmlich im fünften Glied von Noach, nachweist, von welchen arabische Schriftsteller eben diese Stadt er- bauen lassen. Wobei nicht zu übersehn ist, dafs das Chronicon Edes- senum, wie Bayer (p. 65.) bemerkt, den Anfang des Edessenischen Reichs in eine Epoche seızt, wodurch jener Orkoi des Dionysius gerade abge- schnitten wird. Aber auch so bleibt immer noch die ganz befriedigend scheinende Darstellung übrig, dafs von dem orientalischen Namen der Hauptstadt Orhöi der ganze Distrikt benannt worden sei und daher bei den Griechen Orrhoene, Osroene heifse. - Auffallend ist indessen schon dies, dafs auf diese Art die Griechen, um das Land zu benennen , eine griechische Endung an denjenigen Namen der Stadt gehängt hätten, der gerade von ihren Schriftstellern auch nicht einmal erwähnt wird: und umgekehrt, dafs bei den inländischen Schriftstellern dieser Name des Landes gar nicht vorkommt, als, wie wir gesehen haben, bei ganz späten erst, und auf eine von dem Namen Urhoi ganz abweichende, sichtbar nach der griechischen Form erst gebildete Art, Osroina. Aber noch weit auffallender ist, worüber man so leicht hinweg schlüpft, die Verder- bung des rh oder rr in sr. Auf jeden Fall kann dies keine griechische Verderbung sein, da in dieser Sprache wohl 55 und or verwechselt wird, der Ton sg aber, aufser der Zusammensetzung, ganz barbarisch ist. Zuverlässig hörten also die Griechen das sr in diesem Namen schon in Asien. Ja ich glaube behaupten zu können, dafs in Asien selbst kein mit Orho anfangender Name der Landschaft kann gangbar gewesen sein; (1) Wenn es späterhin Männer dieses Namens gab, so kann dies nichts für diesen be- weisen; aber der parthische Fürst Osroes wie ihn Pausanias 5, ı2. oder Hosroes wie ihn Dio Cassius c. 68. nennet, ist ein Chosro&s oder Khosru, wie er auch anderswo genannt wird z.B. bei dur. Fiet. de Caesarıb. 15., und dasselbe gilt also auch von dem Parther Osroes oder Oxyroes bei Dio Cassius 71. und Zucian. de scr. Hist. 18. sgq. Dahingegen Osroene niemals Chosroene genannt wird. Ff2 228 i BuvurtrtmaAnNn weil die dortigen Griechen, von welchen doch alle diese Nachrichten ausgehn, sonst nothwendig blofs "Oddenvn und allenfalls "Oprenvn, das aber nie vorkommt, gebildet haben würden. Da nun aber alle Schriftsteller, aufser Stephanus, das ungriechisch und unlateinisch lautende Osroöne und zur Erleichterung der Aussprache sogar Osdroene haben ; so sieht man wie fest dies sr sals: und selbst das nur einmal vorkommende "Oßbenvn wird dadurch verdächug; Stephanus im Artikel Zuvodoriov ’Orgenvn schreibt. Schreiben wir also und mehr als verdächtig, da derselbe dafür, wie schon Holstenius empfahl, auch an der erstern Stelle Barvaı morıs 795 "Orgenvns, so ist es schwer dies nicht für eine Übersetzung des obigen Batnon da-Srug zu halten. Die Schwierigkeit ein Wort mit sr anzufangen brachte zuverlässig schon bei vielen Asiaten den Ton Osrug zuwege, den also besonders die dort wohnenden Ausländer ergriffen ; wozu wir das auffallendste Gegenstück in dem Namen ’Ox»v& finden, sriechischen 5 Grammatiker gezeigt habe, das Land C'hnaan oder Kanaan auf demsel- gezeis welchen wie ich in einer andern Abhandlung (1) aus einem ben Wege von Syrien nach Griechenland erhielt. Dabei ist gar nicht zu zweifeln dafs im Lande Srug steıis, nach der Analogie aller andern Länder, auch von einem alten Herscher Srug, woher es den Namen habe, die Rede war. So sah man ohne Zweifel in ganz alten Zeiten den mosaischen Patriarchen Serug an: und so können wir uns den Osroes des Prokopius erklären, ohne bei ihm den Stifter des Edesse- nischen Reiches zu finden, der in seinen obigen Worten gar nicht liegt, da er anderswo (z.B. de bell. Pers. 2,5. p. 95. Paris.) die Perser und Parther wohl unterscheidet. Wahrscheinlich setzte er nehmlich den alten Herscher Snuc oder Osruc, den er dort nennen hörte, in die alte Perser-Zeit; während Dionysius, dem es um vollständige Kö- nigsreihen zu thun ist, seinen edessenischen Orhoi, den ihm die edes- senische Sage auch mag dargeboten haben, an der Spitze jener bekann- ten Dynastie hat. (1) Über den Mythos v. Noachs Söhnen. Jahrg. 1816. 1817. S. ı61. T AVVVVWVLUVYPUUVUVUUYUUVET DD [58) Ko} über Osroene und Edessa. Anmerkung. Wir haben oben mit der ausdrücklichen Notiz bei Plinius, dafs Edessa in Mesopotamien auch Antiochia und von dem dortigen Quell Kallirrhoe geheifsen habe, und mit der bei Stephanus, der eine Stadt Antiochia mit dem Beinamen 4% &mı r7s Kandugoens Aluyns aufführt, ohne Bedenken, mit Bayer, die Münze verbunden welche die Inschrift führt "Avrıoxewv rav Erl Kaddıgoy. Und gewifs wird es jeden Unbefange- nen befremden dafs die Münzgelehrten seitdem der Stadt Edessa diese Münze doch wieder absprechen. S. Eckhel Doetr. Mum. III. p. 505. sq. Ja Pellerin trägt kein Bedenken die Erklärung dieser Münze von jenen beiden Stellen ganz unabhängig zu machen, und dafür von einer ganz willkürlichen Annahme auszugehn: dafs sie nehmlich von denjenigen Antiochenern, aus Antiochia in Syrien, sei geschlagen worden, die sich, wie er voraussetzt, des Handels wegen bei den Bädern Kallirrhoe jenseit des Jordan aufgehalten. Ich würde gegen ein Verfahren der Art ohne weiters protestiren; wenn mich nicht das besorgt machte, dafs der besonnene Eckhel selbst dieser Ansicht nicht abgeneigt ist. Unter dem Abschnitt nehmlich von Antiochia in Syrien hat er eine Rubrik De Numis Antiochenorum extra Antiochiam signatis, und bringt darunter dreierlei Münzen mit den Inschriften: ı) ’Ayrioytuv Tüv mais Achvnv 2) "A. rau Ev IIroreualdı 5) ’A. rav Emi Karrdıger. Hier ist mir höchst auf- fallend Eckhels Urtheil über die ersten dieser drei. Weil nehmlich die allerdings übergrofse Zahl der Münzen von Antiochia den Zusatz mgös Achvyy nicht hat, so nimt er von denen, die diese Inschrift ha- ben, an, dafs sie von denjenigen Antiochenern geschlagen worden die an dem Walde Daphne als in einer Vorstadt gewohnt. Aber da der gewöhnliche Beisatz wodurch das syrische Antiochia von andern unter- schieden ward, &ri Aapvn ist, wie ist es denkbar dafs das erwähnte ges Acpvyy etwas anders bezeichne? Der Unterschied 79% und &ri kann doch eine solche Entscheidung unmöglich begründen: sondern gewifs ward der Zusatz ‚‚bei der Daphne’’ der gewöhnlich für überflüssig geachtet ward, aus irgend einer Ursach auch wol gesetzt. Indessen sieht Eckhel die Antiochener &v IIroreuakdı und die &mi Karrıgen für eben solche Vereine von Antiochenern an, die sich anderswo (die &mi Karnıger bestimmt 230 BurtmıaAnn über Osroöene und Edessa. er in Absicht auf die Frage wo, nicht näher) aufgehalten und dort auch Münzen geschlagen hätten, und beruft sich dabei auf mehre Inschriften welche von den ‚‚Berytensern in Puteoli,’’ von den ‚‚Cittiensern in ‚„„Sidon’” u. s. w. geseizt worden. Aber schwerlich können Inschrif- ten beweisen dafs solche Vereine auch Münzen geschlagen hätten. Die Antiochener von Ptolemais zu erklären liegt mir nicht ob. Aber wenn wir nun auch blofs aus Stephanus wüfsten dafs es ein ’Avrıoysıa emi vhs Kaanıöpons Aluvns gab, das als eine besondere von dem grofsen Antiochia verschiedene Stadt aufgeführt wird, so scheinen überwiegende Gründe dazu zu gehören, eine Münze welche gerade diese Schrift führt, den- noch, mit irgend einer Voraussetzung, dem grofsen Antiochia zuzu- schreiben. Diese Gründe sind nun, wie ich von einem Münzkenner höre, diese, dafs die erwähnte Münze denen moös Aapyn völlig ähnlich sind im Metall, in beiden Geprägen, und selbst in Anordnung der Zeilen. Mein Freund weifs sich dies ebenfalls nicht anders zu lösen als dafs unweit des grofsen Antiochia auch eine Kallirrhoe gewesen und ein Theil der Antiochener dort als in einer Art Vorstadt gewohnt habe. Ich stelle dies alles hier zusammen, damit andre darüber urtheilen ; und er- laube mir nur eine Frage. Wenn wir annehmen dafs es von einer grofsen und anschnlichen Stadt ‚‚an andern Orten’ Vereine von Bür- gern solcher Stadt gegeben, die sich dort gewöhnlich aufhieltien, und selbst Münzen schlagen liefsen; so war dies eine Art Kolonie. Ist es also nicht denkbar, dafs solche Antiochener aus Syrien sich in oder bei Edessa aufgehalten; und dafs von ihnen eben der Name Antiochia an der Kallirrhoe herkomme, den entweder eine Vorstadt von Edessa führte, oder auch Edessa ‘selbst bei diesen Antiochenern ? Und ist es nicht denkbar, dafs diese Kolonisten ihre Münzen in ihrer Metropolis, die ja gar so weit nicht entfernt war, schlagen liefsen ? nn LO DD U nen Zwei classiısche lateinische Schriftsteller des dritien Jahrhunderts n. Chr. Von v == BGENMTEBUHR. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. August 1825.] r D. Frage, in welche Zeit der Geschichtschreiber Q. Curtius gehört, ist keine von denen, deren Ankündigung ein geneigtes Gehör vorbereiten kann; denn, wem ihre Entscheidung nicht völlig gleichgültig ist — wie “ jedem nicht ganz unfreundlichen Beurtheiler der römischen Litteratur — der wird doch leicht an ihrer oft wiederholten und eben nicht mit neuen Gründen unterstützten Erörterung bis zum Überdrufs genug haben, und entweder für eine von den zwei oder drei mehrmals widerlegten und im- mer erneuerten Annahmen entschieden seyn, oder auch dafür halten, dafs sich darüber gar nichts darthun oder widerlegen lasse. Mehr als einer auch von denen, die keine der bisher vertheidigten Meinungen so ergriffen haben, dafs sie sich darin nicht stören lassen mögen, dürfte sich die Aufstellung einer neuen Ansicht fast verbitten, wofern nicht ausdrückliche und entscheidende neue Beweisstellen vorgebracht werden können. Solche habe ich nun nicht: bin auf die nämlichen Stellen be- schränkt, aus deren Deutung drei ganz verschiedene Meinungen entstan- den sind, und weifs sehr wohl, dafs auch diese neue sich nur wahr- scheinlich machen, mit nichten streng erweisen läfst: ja obwohl sie für mich eine intuitive Evidenz hat, so verspreche ich mir keineswegs diese dem Hörenden mitzutheilen. Was indessen meine Darstellung nicht ver- mag, wird vielleicht bei Unbefangenen eigene Beschauung des Gedankens thun, der entweder sehr zufällig Niemanden eingefallen ist, oder, wenn 232 Nıerguur: Zwei lateinische er einem in den Sinn kam, aus Ursachen die ich evörtern werde, zu- rückgehalten, und nicht ausgesprochen ward (1). _ Nur beiläufig will ich bemerken, dafs die Meinung, nach welcher dieser Schriftsteller in August’s Zeit gehört, viel früher aufgekommen ist, als die, welche ihn unter Vespasian setzt. Eine Prachthandschrift in der Vaticana, die, nach den unzweideutigsten Kennzeichen, zu de- nen gehört, welche Sixtus IV. für die Bibliothek schreiben liefs, auf dem gröfsten und feinsten Pergament, mit Marginalien in Goldschrift, bemerkt zu der bekannten Stelle des zehnten Buchs : Fuctor commendat Augustum cuius tempestate floruisse putatur. Möge nur niemand hierin ein altes Scholion sehen! Höchst wahrscheinlich kommt die Anmerkung von Pomponius Lätus, nach dessen Recension bekanntlich dieses Werk in einer der ersten Ausgaben erschienen ist; gewifs von irgend einem Philologen jener Zeit, welcher sich diese Meinung aus denselben Ver- anlassungen gebildet, welche sie späteren Gelehrten annehmlich gemacht haben. Ja wer weils, ob nicht der Beiname Rufus, welcher die Iden- utät des Geschichtschreibers und desjenigen, von dem Tacitus und Plinius reden, und Suetonius geschrieben hatte, zu zeigen scheini, auf einer nicht besseren Autorität beruht. Er mufs häufig fehlen; denn Modius bemerkt, dafs einige Handschriften ihn hätten : die edino prin- ceps hat ihn nicht; eben so wenig zwei Handschriften des alten Fonds der Vaticana, und eine Heidelberger. Dafs die vier übrigen der ei- gentlichen Vaticana ihn geben, beweist nichts, da alle sechs sehr jung und gewifs nach 1450 geschrieben sind: älter ist vielleicht eine Hei- delberger, welche den Schriftsteller mit allen drei Namen nennt, als dafs man einem italiänischen Philologen der zweiten Hälfte des ıöten Jahrhunderts die Interpolation bestimmt zuschreiben könnte. Aber eine tappende und aus Unkenntnifs verwegene Philologie regte sich schon früher, und um mit einiger Wahrscheinlichkeit auszumitteln, ob der (1) Diese Abhandlung ward schon im Jahr 1821 geschrieben, und zufällig nicht über- sandt. Vor nicht langer-Zeit im Winter 182%, ersah ich aus dem Journal des Debats, dafs in der Lemaireschen Ausgabe des Curtius eine von den bisherigen ganz verschiedene Hy- pothese über diesen Punkt aufgestellt sei. Ist es vielleicht eben diese? Ich weifs es eben so wenig, als ich von den Varianten, welche jene Ausgabe gewähren möchte, Vortheil zie- hen kann. Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 233 Name Rufus einige Autorität habe, müfste man die relativ alten un- tersuchen, von deren Daseyn die Rede ist; denn augenscheinlich sind alle aus einer einzigen lückenhaften geflossen; und wenn der Name in denen fehlen sollte, welche die Mittelglieder zwischen ihr und der grofsen Menge, die nach dem Aufleben der Philologie abgeschrieben worden, ausmachen, so mufs man ihn wohl als interpolirt betrachten. Ich bitte mich nicht unrecht zu verstehen: ich behaupte nicht, dafs der Beiname, der einem Curtius des ersten Jahrhunderts gehörte, dem Geschichtschreiber abgesprochen werden solle: aber ich wünsche Unter- suchung, ob er ihm nicht vorwitzig beigelegt seyn dürfte. Fiele dieser weg, so würden die Meinungen, die ihn in das erste Jahrhundert setzen, an Scheinbarkeit viel verlieren. Ungleich twiftiger, als jene ältere Meinung, ist die zweite, welche Männer von hohem Rang in unsrer Wissenschaft fafsten, als die Philo- logie zu vollkommnerer Ausbildung gekommen, und wahre Kritik ent- standen war. Sie könnte einen jeden befriedigen, wenn zwischen den Kriegen der Diadochen, und dem inneren Kriege der nach Nero’s Ab- strafung aufgestandenen Imperatoren eine Parallele wäre, wie Curtius Worte sie fordern: wenn die vermeinte Anspielung auf die nächtliche Schlacht von Cremona nicht so ganz seltsam wäre: und wenn endlich die zweite der beiden Stellen, auf die wir beschränkt sind um das Alter des Verfassers zu errathen, scharf untersucht, nicht bestimmt auf ein ganz anderes Zeitalter hinzeigte. Es wäre schr überflüssig, die so viel besprochene und allgemein bekannte Haupistelle (X. c.9.) abzuschrei- ben; aber ich benutze gern die Gelegenheit, um sie hin und wieder zu verbessern. Zuerst mufs mit einer Vaticanischen Handschrift, und einer des Modius, anstatı collegere vires geschrieben werden collisere vires. Gleich darauf geht es, wie es bei allen Büchern gehen mufs, von denen alle Handschriften aus einer einzigen kommen: der Text ist unleidlich; und so wenig die bisher verglichenen Handschriften Heil verschafft ha- ben, so schwach ist die Hoffnung, nach künfug zu vergleichenden ihn berichtigt zu erhalten. Wer erträgt: dum pluribus corpus quam capiebat onerassent, celera membra discordia deficere coeperunt? Was steht den ce- teris membris entgegen? Welchen Sinn hat das erste Komma? Ich glaube dafs geändert werden mufs: dum pluribus corpus capitibus onerassent, Hist. philolog. Klasse 1822-1823. Gg 234 Nızeguvun: Zwei lateinische cetera membra etc. War einmal capiebat verschrieben — aus capitib. — (1), so folgte, dafs quam eingeschoben ward, um eine Construction, wenn auch keinen Sinn herauszubringen. Das folgende: quodque (hier haben zwei Vaticanische Handschriften — 1865 — quod quwidem, welches Er- wägung verdient) imperium sub uno stare potuisset, dum a pluribus susti- netur, ruit, sieht aus, als ob hier verschrieben wäre: man erwartete ab uno sisti, oder etwas ähnliches; doch ist wohl die Schuld der Incon- cinnität bei dem Schriftsteller. — Nun gelangen wir an.die berühmten Worte eui noctis — sidus illuxit: und hier helfen schon die wenigen und jungen Handschriften der Vaticana, die ich habe nachschlagen können. Drei nämlich (1866. 1867 und 5295) lesen qui noctis: — von den drei übrigen nur 1868 cu n., und 1865. 4597: cuwius n. Einzig wahr aber ist Heinsius Verbesserung qui nocti: welche um so mehr ohne Beden- ken, wie er selbst sie mit überzeugter Sicherheit vorträgt, hätte ange- nommen werden müssen, da jeder weifs, wie unzähligemal ew. und gıw gegenseitig verschrieben werden. Nach dieser Verbesserung ist es überflüssig, uns mit der angeb- lichen Beziehung auf die nächtliche Schlacht zu beschäfugen. Es bleibt also die Paraliele zwischen den Kriegen der Nachfolger Alexanders und denen römischer Imperatoren : und hier frage ich: wie findet sich diese, wenn man in den letzten Nero’s Nachfolger zu sehen glaubt? Ich weils wohl, dafs wer Parallelen haben will, sie findet und aufstellt, wo sie auch nur schr gezwungen erscheinen; und dafs ein Schmeichler es so genau nicht nehmen darf: aber seine Worte, müssen sich anpassen. Die Kriege der Diadochen waren Conflict der Theile, der Glieder eines Ganzen, welches sein Haupt verloren hatte: mit einer Wiedervereinigung des Ge- sammikörpers schmeichelte sich weder Ptolemäus, noch Kassander, noch selbst Antigonus. Der gröfste mögliche Anwuchs an Stücken war alles, worauf sie sich Hoffnung machen konnten, und wonach sie trachteten. Aber Vitellius wollte nicht mit Otho theilen, noch Vespasian mit Vitellius: es war der Besitz des Ganzen, um den gekämpft ward. Das Reich war nicht zerspalten : es waren nicht membra discordia, die ohne Haupt zappelten : es waren mehrere, die einziges Haupt seyn wollten. (1) Pal. 914. hat capiat, und emendirt capiebat. Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 235 Der Zustand, welcher an das Schicksal des macedonischen Reichs erinnerte, und den Curtius Worte um so mehr ausdrücken, da wir an ihm zwar einen flachen und leichtfertigen, aber keinen schlechten Schriftsteller zu vernehmen haben; wo das römische Reich zerspalten sich bekriegte, und mit Trennung bedroht war; trat zum erstenmal mit dem Ende des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung ein, und wie- derholte sich von der Zeit an in verschiedenen Gestalten, bis Constantin das getheilte Reich wieder vereinigte. Er erschien zuerst nach Pertinax Ermordung, als vier Kaiser zugleich ausgerufen wurden: als der Orient, mit den heimlichen Wünschen des Senats, nachdem Didius Julianus vernichtet war, drei Jahre unter Niger aushielt, und Albinus fünf Jahre lang die Oberherrschaft über den Umfang der nachmaligen Präfectur von Gallien behauptete: als es die Besiegung dieser Nebenbuhler durch schwere Kriege erfoderte, ehe die Einheit des Reichs hergestellt ward. Noch ähnlicher dem Zustand des macedonischen Reichs nach Alexander war der unter Gallienus, als die Provinzen eine noch gröfsere Zahl abgesonderter, und unter sich feindseliger Staaten bildeten: und in Diocletian’s System möchte man am vollkommensten die Überladung des Körpers mit mehreren Köpfen zu erkennen glauben, von der Curtius, nach meiner Emendation, geredet; so wie, aus diesem System, nach Diocletian’s Tode die unseligsten Kriege zwischen den Theilen des Reichs folgten, und erst in der Wiedervereinigung des Ganzen erloschen. Von diesen drei Epochen sind die beiden späteren dadurch aus- geschlossen, dafs, als Curtius schrieb, das Reich der Parther noch bestand (V, 7. 8. VI, 2.), dessen Untergang in das Jahr 226 gesetzt wird. Wäre diese Stelle nicht, so möchten hartnäckige Vertheidiger des verschriebenen ci vielleicht dafür eine Beziehung auf das angeblich Constantin in den Lüften erschienene Kreuz finden: und diese seltsame Deutung wäre wahrlich nicht so unleidlich, als die doch nicht neue von dem Gestirn des Mondes in der Nacht der Schlacht. Und war der Zustand des Reichs, als Severus erschien, nicht etwa einer Nacht des Untergangs ähnlich ? Die nordischen Völker, drit- tehalbhundert Jahre lang auf Vertheidigung beschränkt, hatten schon unter Marcus, gedrängt durch die erobernden Slaven, verstärkt durch fortgezogene Krieger der deutschen Völkerschaften, welche vordem die Gg2 236 Nıegsunr: Zwei lateinische. polnischen Ebenen bewohnten, und ermuntert durch die sichtbar wer- dende Krafilosigkeit des römischen Reichs, einen Angriffskrieg unter- nommen, den Rom zwar noch, sich zusammennehmend, bestand, aber nicht ohne tiefe Erschöpfung. Zum erstenmal seit vielen Jahrhunderten waren Italien und die meisten Provinzen durch eine Pest verheert wor- den. Das Gefühl des Verfalls, dem die Güte und Heiligkeit des Kaisers in nichts Einhalt that, mufs in schwülen Ahndungen allgemein gewesen seyn, wenigstens bei denen, die über ihren eigenen Kreis hinaus- schauten. Mochte im Allgemeinen, nachdem die Pest ausgewüthet hatte, der Krieg überstanden war, das Reich nicht mehr gelitten haben, als eine milde Regierung bald hätte in Vergessenheit bringen können, so folgte nun die wahnsinnige Tyrannei des Commodus, unerträglicher als die der ersten Cäsarn für ein Geschlecht, welches durch achızig Jahre anhaltender, kaum in Hadrian’s leizten Jahren gestörter, glücklicher Be- haglichkeit zu andern Ansprüchen veranlafst war, als die Unterihanen des Claudius oder Nero sich erlauben konnten. Pertinax Ermordung, und Julian’s Erhebung, gräfslicher und schmählicher als Galba’s Tod und Vitellius niedrige Laster, vollendeten die Schrecknisse dieser Nacht. Dennoch war Julianus, als Erwählter der Prätorianer (damals noch Tta- liäner), der Kaiser Roms, und die Erwählung dreier Gegenkaiser durch die Armeen, für deren Behauptung ein sehr grofser Theil der Provin- zialen leidenschaflliche Partei nahm — ganz anders als im Kriege der Legionen nach Nero’s Tode — bedrohte das Reich, wie jenes Alexanders, mit Theilung. Man hat sich über jene leidenschaftliche Anhänglichkeit mehrerer orientalischer Städte, namentlich von Byzantium, an die Sache des Pescennius, gewundert: ich glaube sie ist eben daher zu erklären, dafs der griechische Orient eine Trennung vom lateinischen Oceident wünschte; und leicht möchte der Gedanke, Byzantium zur Hauptstadt des Ostens zu machen, weit früher als von Constantinus gefafst seyn, Also wenn Severus nicht ein aufserordenlicher Mann gewesen wäre, vor dem der Stern seiner Nebenbuhler erblich, so war es allerdings nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich, dafs das Reich da- mals, wenigstens auf lange Zeit, zerrissen ward: und wenn uns, nach den Begebenheiten des folgenden Jahrhunderts. wo sich die Theile doch immer noch wieder vereinigten, wahrscheinlicher dünken mag, dafs doch Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 237 einer von den vier Kaisern das Ganze unter seine Herrschaft gebracht haben würde, wenn auch keiner, wie Severus, mit dem Charakter be- gabt gewesen wäre, der den umwiderstehlichen Feldherrn macht; so hat- ten die Zeitgenossen diese Erfahrung nicht, und wir brauchen uns nicht, um zu erklären, mit der Dreistigkeit der Schmeichelei zu helfen, welche eine erdichtete Gefahr vorgeben könnte. Die Phantasie, welche einem meiner liebsten Freunde zur Palingenesie der Biographie und der Cha- racterschilderung des Curtius behülflich gewesen ist, versagt mir ihre Hülfe, vielleicht weil ich jenes ihr anmuthiges Werk nur als ein Traum- bild gelten lassen kann ; aber ich sche in jener ganzen Stelle nichts, was nicht ein sehr ehrenwerther Mann geschrieben haben könnte, der die Wirklichkeit nahm, wie man sie nehmen mufs, um nicht das Leben zu verträumen, und sich darein ergab, dafs Severus kein Trajan war, zu- frieden dafs er das Reich gerettet hatte. Mufste etwa dies nicht das allgemeine Gefühl seyn? Häue es nicht wenigstens es seyn sollen? Noch spricht uns, jedesmal wenn wir vom Campo Faccino nach dem Capitol hinaufgehen, am Arco di Settmio die Inschrift an, welche verkündigt, dafs dieses Denkmal OB RESTI- TUTAM REMPUBLICAM errichtet ist; und wir können sie nicht der Unwahrheit zeihen. Solcher Denkmäler hat es gewifs mehrere gege- ben (1), und entsprechende Senatusconsulte und Acclamationen gewifs die Fülle. Denn weltkundig ist schon eine professio populi Romani, se principi suo salutem debere. Mag der Senat ein solches Bekenntnifs mit weniger Dankbarkeit, ja mit heimlichem bitterm Groll ausgesprochen haben, so war es doch wahr: die Intriguen der Senatoren, welche den herben Feldherrn zu Grausamkeiten reizten, kamen aus undankbaren und schlechten Seelen : verweichlichte Vornehme, höchstens mit ein bifschen Geschmack und ein bifschen Litteratur, fanden ihre Eitelkeit durch die Geringschätzung des Mannes verwundet, den das Schicksal gesandı hatte, und der besafs, was damals vor allem Noth that. Wie das Reich unter (1) Ein Fragment, gerade einer solchen Inschrift, die gewifs auch Severus betrifft, ist im ı5ten Jahrhundert von einer grofsen Ruine, die der ältere San Gallo gezeichnet hat, auf dem Forum boarium abgeschrieben worden: Mazochi giebt sie. Sie ist, wie alle andern die er aus diesen Ruinen erhalten hat, jetzt verloren. 238 Nıesunr: Zwei lateinische ihm blühte, wie schnell die Wunden der vergangenen Zeit heilten, zeigt die bekannte Stelle Tertullian’s (de anima e.50.). Man begreift doch wohl Severus tiefe Indignation, als er die unverzeihlichen hochverräthe- rischen Intriguen der Senatoren mit Albinus entdeckte: und wie an- stöfsig es auch klingen mag, ohne bestimmte Zeugnisse über unglücklich gewordene sonder Mitleid zu reden, — es mochte sehr faules Blut seyn, was er vergofs. Ich wollte, er hätte es nicht gethan. Ich wollte auch, dafs er nach dem Beispiel seiner besten Vorgänger die nichtig geworde- nen überlieferten Formen nicht mit Geringschätzung behandelt hätte: doch darf man nicht verkennen, dafs seine neuen Einrichtungen dem unmittelbaren Bedürfnifs entsprochen zu haben scheinen, und dafs Cä- remonien, wenn bei keinem von denen, die sie aufführen, ein Funke des Sinnes übrig ist, in dem sie eingerichtet wurden, einem praktischen Menschen, wenn sie ihn stören, unausstehlich werden. Für diese Ge- ringschätzung sind diejenigen verantwortlich, welche sie haben zu lee- rem Schein werden lassen: ihre Lobredner, die sich auf das berufen, was sie fühlen, und doch fast immer nur in ihrer Phantasie haben, sollten das nicht verkennen. Wer sich an meiner Apologie des Severus ärgern möchte, den mufs ich erinnern, dafs die christlichen Schriftsteller ihn dankbar und wohlwollend beurtheilen, und dafs er die Christen nicht geschont ha- ben würde, wenn er nicht nach den Verhältnissen seiner Zeit gedacht und regiert hätte. Denn, Diocletian ausgenommen, fallen die Verfolgun- gen nach Domitian unter Kaiser, die sich mehr oder weniger in einer Vergangenheit dachten, in der sie nicht leben konnten: Trajan, die Antonine, Decius, Valerian, Julian. Das Reich grünte nicht nur auf’s neue, es blühte: das mafsen die Römer zunächst durch. Kriegsglück: unter Severus waren die Gränzen überall unangetastet, und die Heere siegreich; der Umfang des Reichs ward erweitert: freilich damals ein nutzloser Gewinn, aber wann erkennt man das? Auch der Triumphbogen und das Denkmal vom Forum boarium vühmt: PROPAGATVM IMPERIVM. Der plötzliche Fall des Julianus, die unverhoflte Errettung der Stadt von den gräfslichsten Schicksalen, war wohl ein schwarzes Unge- witter, welches die Heitere in einem Augenblick vertrieb. Die Fackeln Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 239 zum Mordbrand, die Schwerter zum Mord drohten, und schienen unab- wendbar: aber Severus lähmte die Arme der Verbrecher durch seine entsetzende Erscheinung und Annäherung. So glücklich waren die Rö- mer im Kriege des Vitellius und Vespasianus nicht entkommen. Unangenehm bleibt in unsrer Stelle das huius hercwe, non solis ortus. Wollte ich tändeln, so würde ich an Severus Glauben an Astrologie, und an seine aufserordentliche Nativitätsconstellation erinnern. Aber ich sehe in dem Ganzen nichts anderes, als eine rhetorische Figur, und da die ganze Stelle so voll Verderbnifs ist, möchte ich lesen: ceu solis ortus. Wie on aus ew wird, ist nicht nur in der Minuskel, son- dern in ihrer Mutterschrift welche ich semiquadrata genannt, ganz au- genscheinlich; und in einer zerrissenen Handschrift, wie die des zehnten Buchs, fehlt es auch nicht an ganz unkenntlich gewordenen Buchsta- ben. Ob die Handschriften Varianten geben, weifs ich nicht, da jetzt alle Bibliotheken geschlossen sind, und ich selbst nur eine Handaus- gabe besitze. Will man endlich das sidus nicht als Metapher gelten lassen, so findet sich dafür auch eine buchstäbliche und ganz ungezwungene Er- klärung. Als Didius Julianus das Opfer für seinen Regierungsantritt darbrachte, erschienen um die Sonne drei Sterne, welche von den Sol- daten und dem Volk auf die drei von den Armeen ausgerufenen Kaiser öffentlich gedeutet wurden (1). Vor dem Stern des Severus waren, nach buchstäblicher Anwendung dieser Erscheinung, als Curtius schrieb, die seiner Nebenbuhler erloschen, und von diesem allein konnte hier die Rede seyn. Es wäre gewils sowohl von Severus, als von Vespasian als eine sehr ungeschickte Äufserung der Anhänglichkeit aufgenommen worden, G ı) Xiph ılın, aus Dio LXXIIT, c. 14. Tosis du Före auögse — dveruovro rüv Fgay- unz Fr IE . naruv, 0,78 za 6 Niygos, za 6 Ar les -- zu Tourum age or wseges 08 Fgeis y J wel EN I7 > 4 \ > ’ \ „N D E72 eEaipuns av: vres zu ToV mov MEgITyovrES, OTE Ta Eirirngice 0 TE PERSONEN & > = \ er e D 7 x lovr.ıavos, magorrum NV, UmNUIRTOUTO. OVrW Yo Euhavtsaroı 1Fav Wse zu FoUs SEAT m > Ko ww RE N , \ FUVvEY WS FE AUTOUS opav, zu arınAos avrsmidsizvusv, zur mgOTErL za ÖueIgoeiv 6 Erı deıwou „in rt \ > \ \ fa \ Dur tr IS eu a \! ausw SunLonTereı. YlAEIS Yaz, Er Zu Ta Aare za NUYOMETE TRuS [4727] YEVETTaL, Ri Yd= "% migousw, Ar” Umo ye ro magevros Ölovs o0d” dvaßmew eis avrols, ei MN maaoguvris mu zıS A vmO JE TOU magovroS ÖEOVS 000 wvalherem EIS AVTOVUS, EI Mm MWpoguvres TuS, > \ n x m Fü ‚ STOAMWMEV. Zu TOOUTO MEV ToUTo od Yıvolevor. 2409 Nızrsunr: Zwer lateinische wenn ein Schriftsteller den Wunsch, dafs ihre Nachkommen bis in die spätesten Zeiten herrschen möchten, mit der Besorgnifs begleitet hätte, dafs der Neid dies Glück verderben könne. Nämlich — durch glück- liche Empörungen und Thronrevolution! — Aber Curtius redet nicht von der Regierung der Nachkommen des Kaisers, sondern von einer langen, wo möglich bis an’s Ende der Zeiten reichenden Folgereihe der Urenkel; und diese konnte doch der Neid nicht abbrechen : — aufser wenn der Sieger das kaiserliche Geschlecht ausrottete: und einen so un- seligen Gedanken hätte kein Römer, auch jener Zeit, sich entwischen lassen. Und Neid ist dem Souverain am wenigsten furchtbar: Neid ist seinem Wesen nach ohnmächtig. Doch von Neid ist nicht die Rede: wir dürfen annehmen, dafs Curtius nach dem Sprachgebrauch der besten Zeit geschrieben, wo invidia noch nicht mit Zwor gleichbedeu- tend geworden, wo es. nur der allgemeine Gegensatz von benevolen- ta war, Ungunst (nicht Abgunst), und wenn es in einem engern Sinn gebraucht wird, ungünstiges Vorurtheil, wonach es eben so eine gerechte und würdige, als eine ungerechte und unedle nvidia gab, und Neid nur etwa als diese schlechte Art mit dem Worte bezeichnet ward; ja wohl kaum, da Cicero dafür invidentia, wie es scheint, er- fand. Allein, auch so gefafst, wird die Äufserung wenig erträglicher. Aber Curtius dachte nicht daran, dergleichen zu sagen. Man braucht ihn nicht schr aufmerksam zu lesen, um wahrzunehmen, wie durch- gängig er Livius vor Augen hat, und ihn nachahmt. Hier nun ist dies wieder der Fall: und absit invidia bei dieser Verkündigung der endlo- sen Fortdauer des Kaiserhauses ist nichts anders als absit invıdıa verbo bei Livius (IX, c. ı9.) wo er rühmt, dafs die Römer der übrigen Völ- ker Tapferkeit und Kriegskunst unüberwindlich seien — Formel der Vorsicht bei Äufserungen welche die Nemesis reizen konnten. In der 5 angeführten Stelle des Livius fehlt in einigen Handschriften das Wort verbo; und dies würde den Text des Curtius rechtfertigen, wenn es die wären, welche in der ersten Dekade unter den bisher verglichenen allein gelten können; aber gerade diese haben jenes Wort, und so möchte wahrscheinlicher bey Curtius das unbequeme modo in verbo zu ändern seyn. Überhaupt ergiebt jede zufällige Prüfung irgend einer Stelle dieses Schriftstellers, dafs sein Text unbeschreiblich schlecht consttuirt Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 241 ist: da aufser Modius, Acidalius und Heinsius sich kein Philolog höherer Art ernsthaft genug mit der Kritik desselben beschäftigt hat. Von Handschriften ist nur zu hoflen, dafs sie uns den Text verschaffen, wie er vor den übertünchenden Recensionen der Italiener des ıdten Jahrhunderts war; damit wäre aber doch schon sehr viel gewonnen. Vielleicht sind Münzen des Severus mit seinem und Caracalla’s Bilde, oder mit Caracalla’s und Geta’s, und der Aufschrift Seternitas im- perä (Eckhel VII. p. ı79.) der eben besprochenen Stelle nicht fremd. In der zweiten, ebenfalls von Allen, die über Curtius Zeitalter geschrieben haben, berücksichtigten Stelle, der, wo von Tyrus Schick- salen die Rede ist (IV, 4.) sollte Hirt’s Verbesserung (tandem staut ta- men) ohne Bedenken aufgenommen werden. Es mufs einem jeden der Gedanke kommen, dafs Curtius wahr- scheinlich eine besondere Veranlassung hatte, über die weitern Schick- sale von Tyrus zu reden, da er, zum Beispiel, bei der Gründung von Alexandria keine ähnliche Digression über diese Stadt macht, deren schnelles Emporwachsen und bleibende Gröfse den Geschichtschreiber Alexander’s fast verpflichteten, zum Ruhm seines Helden, bei dem Er- folg seines grofsen Gedankens zu verweilen. Zwar ist die Nachahmung der livianischen Notiz über Sagunt handgreiflich; aber man beruhigt sich damit doch nicht. Indem ich einst, das nicht sehr lehrreiche Buch müfsig durchblätternd, diesem Gedanken nachging, fiel es mir ein, nach- zusinnen, welche Epochen unter der römischen Herrschaft für Tyrus merkwürdig gewesen wären; und da mufste mir wohl die Stelle Ulpian’s (Cl. ı. pr. D. de censibus ) einfallen, nach der diese Stadt von Severus, zur Belohnung ihrer Anhänglichkeit im Kriege gegen Niger, die Rechte einer Colonie erhalten hatte, nachdem sie bis dahin eine freie und ver- bündete gewesen war; um so mehr einfallen, als ich mir die Haupt- stelle schon früher auf Severus bezogen hatte. Über diese Auszeichnung ist es genug, auf Eckhel’s Meister- werk zu verweisen (III. p. 587. 588.). Die Stadt empfing als Colonie den Namen Colonia Septimia Tyrus, und behielt den Titel einer Metro- polis von Phönike. Aufserdem läfst sich nicht bezweifeln, dafs sie auf Kosten von Berytus mit Land und Gebiet beschenkt seyn wird. Dafs Tyrus des Kaisers Gunst so ausgezeichnet genofs, erklärt wohl, was 5 Hist. philolog. Klasse 1822-1823. Hh 242 Nızgsuur: Zwer lateinische sonst so seltsam ist. Noch andre Veranlassungen, die sich als möglich ersinnen lassen möchten, gehören nur in die unbegränzte Reihe des Denk- baren: es könnte Curtius selbst, durch seine Vorfahren, aus Tyrus ab- gestammt seyn. Eben wie Ulpian, den’ man ja nicht für einen gebor- nen Tyrier halten mufs.. Er sagt: unde mihi origo est: so konnte er nicht schreiben, wenn er dort geboren war. Und so wie Ulpian Latein, schreibt man keine erlernte Sprache, und wie er, ergründet man kein fremdes Recht. Überdies war er, als Severus die Stadt zur Colonie er- hob, auf jeden Fall schon ein reifer Mann, und bis dahin hatten die Tyrier das römische Bürgerrecht nicht gehabt. Es mufste eine Veranlassung für den Schriftsteller da seyn, gerade diesen Stoff zu wählen. Nun ist es freilich wahr, dafs zu Vespasian’s Zeit, im ersten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung, die Geschichte Alexander’s ein glücklicher Stoff für einen Rhetor war, der sich unfähig fühlte, gleichzeitige Geschichte zu schreiben (und dafs Curtius dies nicht ver- mocht hätte, beweist schon seine völlige Unkunde in militärischen Din- gen), da selbst im griechischen damals über den reichen Gegenstand noch nicht gut geschrieben war. Indessen war doch die römische Lit- teratur das nächste Augenmerk, und wann immer Curtius geschrieben haben mag, men: und unter Severus gab es besondre Umstände, die den, der durch so war ihm in dieser kein andrer Schriftsteller zuvorgekom- sein Werk bei Hofe zu gefallen suchte, für jenen Gegenstand ent- scheiden konnten: Gründe, die unter Vespasian durchaus nicht vor- handen waren. Severus liebte die Litteratur — welche Vespasian verachtete und eigentlich hafste; — ein Buch konnte unter ihm wohl das Glück des Ver- fassers machen. Seine parthischen Kriege wandten seine eigene und die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem Orient, und machten die Ge- schichte der Zerstörung des ersten persischen Reichs für den Augen- blick doppelt interessant. Hoflnungslos wie Constantius persischer Krieg war, gab er doch Veranlassung das /unerarium Alexandri an diesen Kai- ser zu richten: und selbst Arrıan, ein Schriftsteller, der doch an sei- ner Fähigkeit Beruf genug hatte, dürfte an Trajan’s Krieg eine solche gefunden haben, sich zu entscheiden, seiner Litieratur zu geben, was ihr mangelte. Eine andre, und ganz besondere, gab sehr wahrscheinlich Classiker des. dritten Jahrk: n. Chr. 243 Caracalla’s, des früh ernannten Mitregenten, phantastische Vorliebe für den macedonischen Helden ; der Unsinn, bis zu dem er diese trieb, ist bekannt: und wie er sich diesem schon in den ersten Jahren seiner Alleinregierung überliefs und ihn bis an sein Ende forttrieb, ist es wahrscheinlich, dafs er jene Leidenschaft schon von früher Jugend an genährt hat. Da alle diese Umstände sich bei einiger Kenntnifs der vö- mischen Geschichte ungesucht darbieien, und ein Unbefangener wohl nicht läugnen wird, dafs sie die aufgestellte Hypothese mit grofser Evi- denz empfehlen, so möchte der Umstand, dafs von den ausgezeichneten Philologen, welche die Frage bisher erörtert haben, keiner sie vorgetra- gen hat, ein ungünstiges Vorurtheil gegen sie erregen. Ich würde es niemanden verargen, der sagen möchte: eben weil sie so viel Wahr- scheinlichkeit habe, müfsten Männer wie Rutgersius, Vossius, Lipsius, von denen sich doch voraussetzen lasse, dafs sie alle zu- lässige Hypothesen sich vorgestellt und geprüft hätten, entscheidende Gründe gehabt haben, sie nicht einmal zu erwähnen. Auch ich glaube, dafs sie an sie gedacht haben werden, wenigstens einer oder der andere; es scheint aber, dafs man sich erklären kann, warum sie sie beseitig- ten, und sich für Meinungen erklärten, die mir so viel weniger halt- bar scheinen. Wahrscheinlich zwangen sie sich zu sehr, eine histo- rische Schreckensnachricht aufzusuchen ; doch vielleicht beschränkte sie auch eine andre Rücksicht, nämlich das Vorurtheil , dafs ein elegantes Werk, in so guter Sprache, nicht nach der Zeit Trajan’s geschrieben seyn könne, mit der man gewohnt ist, ungefähr das Zeit- alter classisch geschriebener lateinischer Werke abzugränzen. Wer viel reiner und fliefsender schreibt, als z.B. Gellius, Apuleius, Tertullian, kann nicht jünger als die beiden ersten und Zeitgenofs des leizten gewesen seyn. Ohne in eine genaue Untersuchung der Sprache im Curtius einzugehen, glaube ich das sagen zu dürfen, dafs kein Kundiger ver- kennen wird, wie völlig fremdartig seine Schreibart gegen die Schrift- steller des sogenannten silbernen Zeitalters absticht, in deren Mitte die Anhänger der Meinung, welche Vespasian zu seinem Helden macht, ihn setzen. Dieses Zeitalter hat in der Manier einen so eigenthümlichen allgemeinen Character des Strebens nach Witz, Effect und Esprit, dafs Hh2 244 Nızrsunur: Zwei laternische es gegen das augusteische nicht anders contrastirt, als das Zeitalter Ludwig des XV. gegen das Ludwig des XIV. In der Mitte einer solchen Litteratur schreibt niemand mit der alten Einfachheit, weil je- dermann bemerkt seyn will, zumal wenn sehr viele schreiben, auch hat alsdann jeder, der nicht dumm ist, etwas Geist und Witz: und am we- nigsten wird jemand anspruchslos und einfach schreiben, wenn er einen Stoff behandelt, den ihm willkührliche Wahl, nicht Umstände der Zeit zuwenden. Das Streben nach Effect, welches ursprünglich durch die griechi- schen Declamatoren aufgebracht war, trieben die römischen Schriftstel- ler immer toller, und einige Schriften des Apuleius, und durchaus Tertullian, zeigen bis zu welcher Monstruosität man schon im 2ten Jahrhundert gelangt war, um die stumpfen Gaumen zu reizen. Seltene Worte, der unnatürlichste Ausdruck, Schwulst und Preuosität wurden aufgeboten, und das Schreiben ward wirklich so sauer, dafs die Sel- tenheit der Schriftsteller gar kein Wunder ist: und mehr als ein schö- nes Talent, wie, fast am Schlufs der Reihe der römischen Autoren, Sidonius Apollinaris, den Leser eben so jammert als quält. Die Leute schreiben wie ein Maler darstellen würde, der nicht die Natur, wie gesunde Augen sie sehen, abbilden wollte, sondern wie sie durch optische Kunststücke in Spiegeln verzerrt erscheint: und da ihr Spiegel oft falsch geschliffen ist, versagt manchmal jeder Versuch, das Urbild ihres Gedankens in bestimmten Umrissen zu entdecken. Indessen sagte diese Manier doch nicht Allen zu, und unter denen, die schreiben sollten und wollten, suchten einige den Reiz, welchen Ge- würze nicht erregen konnten, durch Eiswasser zu bewirken. In Tacitus Jugend hatte Calvus übertriebene Bewunderer und von Hadrian an erscheint eine litterarische Secte, die sich an das graue Alterthum hält, (dem es auch unter August nicht an Liebhabern gefehlt hatte) und die Epoche der reifen Bildung der ceäsarischen Zeit nicht minder schnöde verachtet, als die folgende, welche durch Streben nach Geist und Ver- stand an oder auf Abwege gerathen. Als Bild dieser Secte ist Fronto merkwürdig. Er war eigentlich dumm, und hätte lieber irgend ein mechanisches Gewerbe, als den Beruf eines Redners und Schrifistellers erwählen sollen: ihm boten sich keine Gedanken in Fülle ungesucht an, Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 245 wie den Classikern von Cäsar’s Zeit; noch wufste er sie durch Wen- dung und Erhellung interessant zu machen, wie die der folgenden Periode: und doch hätte er Seneca und Plinius überbieten müssen — wie etwa Sidonius sie zu überbieten sucht — um nur bemerkt zu werden, wenn es keine andre Schreibart gab als die ihrige. Er machte aus Noth Tugend, und fafste gegen die Fehler des sogenannten silber- nen Zeitalters einen recht aufrichugen Hafs: ja es ist gar nicht zu läug- nen, dafs er, da er einmal schreiben wollte, nichts zweckmäfsigeres hätte thun können, als was er that: — die Nüchternheit seiner Gedanken mit erlesenen alten Worten zu kleiden, ohne je einen Versuch zu machen, über sich selbst hinauszuspringen. Einfälugkeit und Nüchternheit haben einen Schein von Verwandtschaft, wie Naivetät und Albernheit: und so war auch Fronto’s Wohlgefallen an Cato und Ennius wohl recht ehrlich. Cicero und die Schrifisteller des augusteischen Zeitalters konnten ihm nicht anders als mifsfallen, und dies Mifsfallen machte er sich verdienstich, indem er sie als Verderber der alten Sprache, Verfälscher der Nationalität, und schuldig an der Ausartung des Ge- schmacks behandelte. Die falsche und flache Neigung für das Alter- thümliche und Nationale ist auch in manchen Erwägungen bei Gellius sehr anschaulich. Wie verkehrt nun auch diese Richtung war, und wie wenig sie mehr als vorübergehende Mode werden konnte, so mochte sie immer heilsam wirken, um die falsche geistreiche Manier zu hemmen, und das Fieber der Schreibart zu brechen. Da man erreicht hatte, das Pein- liche und Falsche verkehrt finden zu dürfen, konnten Geistreichere sich auch wieder zu den classischen Schriftstellern wenden. Aber von ihnen zu lernen, und sich nach ihnen zu bilden, ohne sie nachzuahmen, war mehr als die Kräfte jenes Zeitalters, — höchst wenige Individuen aus- genommen, von deren einem im zweiten Abschnitt dieser Abhandlung die Rede seyn wird — gestattet zu haben scheinen; auch mag es die reifsend schneile Ausartung der lebenden Sprache sehr schwer gemacht haben, wie es etwa einem Amerikaner, der nur Creolisch hört, unmög- lich seyn dürfte, gut zu schreiben, ohne sich ängstlich an bestimmte Muster zu halten. So ahmten Minucius Felix und Lactantius Cicero bis zur Übertragung ganzer Stellen nach: so ist Curtius, bis 246 Nırsuur: Zwe lateinische zum Ausschreiben, Livius Nachahmer, und zwar ein sehr gewandter und glücklicher; auch in der Reinheit der Sprache, und im Vermei- den unclassischer Ausdrücke dem etwas älteren Zeitgenossen Minucius Felix sehr überlegen. So weit er Arrian auch sonst nachsteht, so bildet er doch sein Muster nicht minder geschickt nach, als jener das seinige: denn auch die Griechen waren zum Nachahmen des Alterthums gekommen, wie Arrian und Pausanias zeigen, und ihr Beispiel mag auch hier, wie immer, auf die Römer gewirkt haben. Curtius Manier und Sprache ist die des augusteischen Zeitalters so augenscheinlich, dafs dies mehr als alle andre Argumente verführen könnte, ihn in oder nahe an dasselbe zu bringen ; sie beweisen aber nichts mehr, als die Manier und Sprache Arrian’s, man müfste denn einem Römer die Fähigkeit zu gleicher Gewandtheit absprechen, oder sich durch eine vermeinte Unmöglichkeit, Livius nach dem Verlauf zweier Jahrhunderte nachzubilden, betrügen. Aber der gröfste Virtuos in Nachahmen wird kaum vermeiden kön- nen, dafs ihn nicht hin und wieder ein Wort oder Ausdruck seiner Zeit verriethe, derjenigen fremd, in die er sich hineinzuarbeiten trachtet. Ist es Curtius gelungen, diese Gefahr ganz zu vermeiden ? oder verräth auch in seiner Sprache einiges sein Zeitalter? Diese Frage können mit Autorität und völliger Sicherheit nur Grammatiker beantworten, vor deren tieferen Einsichten und befugten Urtheil ich meme Meinung nur zweifelnd äufsern darf, wenn einmal ein solcher diese Untersuchung sei- ner Mühe werth achten wird; ein Geschäft, welches ich gar nicht unter- nommen habe. Doch sind mir bei dem jetzigen Durchsehen zwei Stellen ungesucht aufgefallen, die ich wenigstens für solchen berufenen Richter zur Prüfung anzeigen will: es dürften sich manche andre finden. VI.5. Quorum urbs erat obsessa a defectione, anstatt a populis qui defecerant, ist ein solcher Ausdruck, von dem ich behaupten möchte, dafs er das Zeitalter der ausartenden Sprache unbestreitbar verräth. Dieser Gebrauch der Abstraction zur Bezeichnung der collectiven Zahl derer, von denen sie gilt, ist zuverlässig der guten Zeit ganz fremd, so wie sie mit dem Verfall der Sprache erscheint, häufig wird (namentlich bei den Kirchenschriftstellern) und zum Theil in die abgeleiteten neuern Idiome übergegangen ist. Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 247 In der bekannten Stelle über Tyrus scheint mir der Ausdruck : sub tutela Romanae mansueludinis acquiescit, ebenfalls eine späte Zeit zu verrathen. Mansuetudo tua, ist wie pietas tua u. dgl. gebräuchlich, und vom Aten Jahrhundert an nachzuweisen, in Anreden an den Kai- ser, und mir scheint es klar, dafs wenn auch in der guten Zeit hätte geschrieben werden können: sub mansuetudine imperü populi Romanı, der Schriftsteller hier, mit einer gesuchten Wendung, nichts anders hat aus- drücken wollen, als was früher schlecht und recht sub maiestate pop. R. geschrieben worden wäre. Sonst, wer hätte denn Recht, sich zu ver- wundern, dafs Curtius Sprache, solche Flecken ausgenommen, rein und correct ist? Wie schr gut schreibt nicht Ulpian, ähnliche unbedeu- tende Dinge abgerechnet, der doch kein Rhetor war, sondern als ein Geschäftsmann, unbekümmert ob seine Sprache classisch sei ? Wird nun eingeräumt, dafs Curtius in die angegebene Zeit ge- hört, so kann man sich noch weniger wundern, dafs er nirgends er- wähnt wird. Aber im Grunde hätte dies Sullschweigen nicht befremden sollen, und ich will es keineswegs als ein verstärkendes Argument be- nutzen. Wohin man ihn auch setzen mag, ist das Sullschweigen des Itinerarü Alexandri leicht zu erklären; der schlechte Schriftsteller wollte die Überflüssigkeit seiner eigenen Schrift gewifs nicht bekennen. Eine Veranlassung, wo irgend ein uns erhaltenes Werk grade aus ihm etwas hätte anführen sollen, möchte sich nicht leicht angeben lassen, und den Grammatikern bot er in seiner nachgebildeten Sprache vollends gar nichts dar. / Ich wüfste nur eine Gelegenheit, wo er hätte genannt werden können: von Lampridius — oder Spartian — Alex. Sev. c. 50. Denn Alexander’s Leben, welches zu den Lieblingsbüchern seines na- mensgenannten jungen Kaisers gehörte, wird von dem Biographen so aufgeführt, dafs es sicher eins von den wenigen lateinischen Büchern ist, die er las. Der Biograph aber übergeht den Namen des Verfassers, weil wohl keine andre lateinische Geschichte Alexander’s geschrieben war, und er davon reden wollte, wie der junge Fürst diese Geschichte auffafste, nicht dem Schriftsteller eine Ehre erzeigen. Quintilian’s Stillschweigen würde vollends gar nichts entschei- 5 den, da Curtius durchaus nicht original ist, und die, welche sich am 248 Nızsuur: Zwei lateinische meisten an seiner anmuthigen und leichten Erzählung erfreuen, es doch wohl nicht wagen werden, ihm das Lob der Gedanken und Krafı zu geben, welche Quintilian vor allen Dingen vom Geschichtschreiber fordert: er ihn also mit Andern übergangen haben könnte. Er der von Fabius Rusticus schweigt (recentium eloquentissimus: Tacitus,) hätte von Curtius reden sollen, wenn dieser auch zu denen gehört hätte, von denen er nach seinem klugen Plan reden konnte? Auch mir sei es erlaubt, bei dieser Veranlassung Vermuthungen über Quintilian’s räthselhaften Ungenannten zu äufsern. Wie schlimm ist es aber, über einen solchen Gegenstand zu Rom zu schreiben, wenn man sich nur mit Handausgaben versehen hat, und namentlich von die- sem Schriftsteller auf den Bibliotheken nichts besseres als die Ausgabe von Capperonnier findet! So kann man leicht längst bemerkte Dinge als neu vorbringen. Tacitus wird dieser Ungenannte freilich wohl nicht seyn, denn die Worte superest adhuc würde ein so correcter Schriftsteller schwer- lich von einem andern als einem betagten Manne gebraucht haben, nicht von dem, der in der Fülle der Kraft lepte. Sonst brauchte Tacitus freilich nichts weiter als die erste Ausgabe von Agricola’s Leben be- kannt gemacht zu haben, um von Quintilian anerkannt zu werden. Nämlich die Erwähnung einer solchen früheren Ausgabe, bald nach Agricola’s Tode, scheint mir in der ganz unverständlichen und sicher verdorbnen Stelle at mihl — capitale fuisse enthalten zu seyn. Wie? Tacitus, vor dessen Augen Helvidius in.den Kerker geführt ward, Senecio starb, hätte gelesen, aus Büchern gewufst, dafs ihre Schriften ihnen den Tod gebracht? Und dieser widersinnige Satz, in welchem Zusammenhange stünde er mit dem Vorhergehenden? Um kurz zu seyn: mir scheint es ganz ausgemacht, dafs geäudert werden mulfs: legimus, cum Aruleno Rustico Paetus T'hrasea, Herennio Senecioni Priscus Helvidius laudati capitales fuissent, so wie ich anstatt at mihi nunc lesen möchte: at mihi n uper; dann nunc demum redit animus; und der Verstand der Stelle dieser: ‚‚meine Geschichte Agricola’s bedurfte nachsichtiger Beurtheilung; man mufste nicht mehr fordern, als ich be- sonnenerweise sagen konnte, da ich sie vorlas, als Helvidius und Senecio Opfer ihrer freien Kühnheit in ähnlichen Schriften geworden waren.’’ Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 249 Jetzt konnte er frei schreiben. Diese Vermuthung habe ich unserm seligen Spalding, als er jenes Capitel bearbeitete, mündlich geäufsert, ohne zu forschen, was ich hier nicht kann, ob sie von Ändern vorge- bracht und discutirt sei. Da aber Tacitus, seines Alters wegen, wahrscheinlich doch nicht gemeint ist, so bleiben uns noch Andre, an denen Quintilian sein Lob, wäre es auch für jeden andern als Tacitus zu lebhaft ausge- sprochen, nicht verschwendet haben dürfte. Zuerst Herennius Senecio. Diesen sehr ausgezeichneten Mann scheint eine Art Scheu mitten unter den Bösewichtern geschützt zu haben: und vielleicht wäre er einer Anklage entgangen, wenn nicht Bäbius Massa, um sich zu retten, ihn des Majestätsverbrechens angeklagt hätte. (Plinius VII. Ep. 55., vgl. mit Tacitus Agricola 45., iam tum (?) Massa Baebius reus erat). Wir wissen durchaus nicht, wann er die Schrift verfafst hatte, welche ihm das Leben kostete: zuverlässig ist ganz und gar kein Grund zu behaupten, dafs sie nicht Jahre lang, ehe sie ihm die Anklage zuzog, geschrieben und bekannt gewesen sei. Gift hatte das Gesindel natürlich gleich daraus gezogen, aber es auszuspeien, dazu gehörte eine Gelegen- heit: und als Agricola starb, hatte Metius Carus nur erst ein Opfer. Herennius war Senator, und erst in den drei letzten Jahren wütheten Domitian und seine Delatoren kecklich gegen Männer seines Standes. Kühn blieb die Schrift, auch nachdem er, den Bitten seiner Freunde nachgebend, Wahrheit und freie Worte unterdrückt, die er vor- gelesen hatte; daher erlangte sie den Ruf nicht, den sie ohne solche Kühnheit erhalten hätte, welche manchen ängstlich machte, sich bewun- dernd zu äufsern: diese Milderungen waren, wenn das Übel nicht auf's Al- leräufserste kam, hinreichend um Gefahr abzuwenden: wie es wenigstens Maternus Freunde hofften, wenn er ihrem Rath gefolgt wäre (Taeitus de oratorıbus). Die Vorlesung war eine Probe, und selten mag ein guter Schriftsteller unverändert bekannt gemacht haben, was er vorlas. Aber den Verfasser eines so kühnen Buchs sollte Quintilian so gefeiert haben, den doch Furchtsamkeit zum Schmeichler herabwürdigt? Dals es ein kühner Schriftsteller war, den er so ehrte, sagt er ja aber selbst; und wenn Jahre vergangen waren, ohne dafs dem Verfasser ein Wort gesagt war; wenn er im Senat blieb; wenn die Buben ihren Hıist. philol, Klasse 1822-1823. Ti 250 Nıesunmur: Zwei lateinische Grimm noch hinter ein Bedauern versteckten, dafs ein sonst so braver und tüchtiger Mann sich so ganz unnütz mache, und die vortwefflichen Freigelassenen und die Delatoren, jene Eiferer um den Staat, verkenne und verunglimpfe, — so konnte auch dieser furchtisame Quintilian, der in seinen leidigen Verhältnissen, und ohne einigen Beruf ein Mär- tyrer zu werden, doch ein Mann von eben so viel Herz als Geist war, wohl andeuten, was er gern laut gesagt hätte: was er nicht verschwei- gen konnte, wenn er edlen Männern, etwa Tacitus, wollte in's Auge sehen dürfen. Überdies giebt die Bewunderung dessen, was eigentlich in unsern unmittelbarsten Gedankenkreis gehört, auch dem Ängsllichen oft Muth, oder vielmehr es reifst so hin, dafs der Ängstliche seine gewöhn- lichen Rücksichten vergifst. Doch ist dies Lob so behutsam, und verwahrt sich gegen den Verdacht, dafs er von den Gesinnungen des Gelobten er- griffen seyn könne! Dafs die Schrift des Herennius nur eine Biographie war, schliefst ihren Verfasser doch wohl nicht von den Historikern aus? Wem aber diese Hypothese, an deren. Richugkeit ich selbst kaum einigen Zweifel habe, nach der Vorstellung, die er sich von Quintilian macht, nicht gefallen, und wer einwenden sollte, dafs wir doch auch Herennius Alter nicht bestimmen, und zeigen können, dafs jenes su- perest adhuc auf ihn passe; dem lassen sich zwei andere Geschichtschrei- ber anbieten, die damals als betagte Männer noch leben konnten. Der erste wäre Fabius Rusticus, den Tacitus den beredtesten unter den Neueren (Agric. 10.) neben Livius nennt; er hatte Seneca gekannt, und war als junger Mann durch ihn bekannt geworden : also 5 wenigstens alt genug für superest adhue. 5 Der zweite, Cluvius Rufus, welcher unter Galba als Consular zum Statthalter in Spanien ernannt war. Dafs dieser die Geschichte mit grofser Freiheit, und ohne Anschen der Person schrieb, wissen wir durch die Anek- dote, welche der jungere Plinius von ihm und Virginius erzählt; und wenn in dieser der Feldherr dem Schrifisteller fast demüthigend antwortet, so folgt daraus doch mit nichten, dafs dieser nichts_weiter als keck gewesen sei. Und für ihn möchte ich mich, schon dieser Anekdote wegen, unter beiden ebengenannten entscheiden; wozu kommt, dafs Quintilian einem. Bewunderer Seneca’s schwerlich mit Lebhaftigkeit huldigte: ein Bewun- derer Seneca’s hatte ohne allen Zweifel nur zu viel von seiner Manier. Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 251 Ich kann freilich nicht beweisen, dafs einer von ihnen, oder beide, noch lebten, als Quintilian schrieb, aber in welchem Jahre schrieb er? Darüber läfst sich nur hin- und her reden. Würden wir nun ein so hohes Lob, sei es für Herennius, sei es für Cluvius, passend finden, wenn wir ihre Schriften lesen könnten ? Ich bezweifle es nicht, eben weil hier keine Rücksichten verführen konn- ten, und Quintilian doch wohl fähig war zu urtheilen. Wir finden nirgends ein übereinsimmendes Lob. Aber auch kaum eine Erw ähnung: und wenn Tacitus Schriften verloren wären, würden wir eine Ahnung davon haben, was er gewesen sei? Des jüngeren Plinius Lob müfste uns eher eine ganz falsche, und also nachtheilige Meinung von ihm geben. Wir würden einen Rhetor in seiner eignen gezierten Art erwarten. Ein Lob Quintilian’s ist etwas ganz andres. Plinius ausgenommen, wird Tacitus nur genannt, und sehr selten genannt. Dafs seine Schriften sich zum Theil erhalten haben, ist, menschlich zu reden, blofs zufällig: sie waren keineswegs, wie Virgil, Horaz, ein Theil der Bücher Cicero’s, und Andre, als klassisch geachtet, beständig in den Schulen geblieben. Vielleicht ist die Möglichkeit ihrer Erhaltung den vervielfältigten Ab- schriften zu danken, welche der Kaiser Tacitus, weise genug, um auf seinen Vorfahr stolz zu seyn, anfertigen liefs; und wahrscheinlich ist es, dafs unsere Voreltern im karolingischen Zeitalter, von unserm National- beruf zur Philologie geführt, durch die Germania auch auf die übrigen Werke des Mannes aufmerksam geworden sind, der ihr Volk hoch ehrte. Il: Im Jahre 1819 entdeckte man zufällig in der Villa Pamfili, dafs unter den hügelähnlichen Schutthaufen, die, wenn man die grofse Allee vechts, längs der Mauer, welche die Villa gegen die Landstrafse begränzt, hinaufgeht, von Hecken in Quadraten eingeschlossen und versteckt sind, eine grofse Zahl römischer Gräber verborgen liegen. Die Landstrafse ist die alte Fia Aurelia. Das Daseyn dieser Gräber war gänzlich vergessen: und doch ist es augenscheinlich, dafs sie erst bei der Anlage der Villa absichtlich unter Schutt und Erde begraben worden sind. Auch ist man des Aufgrabens bald müde geworden; denn von Dingen, um deren Willen man Geld an eine solche Arbeit wendet, fand sich nicht das fi 2 252 Nızssunn: Zwei lateinische Classiker u. s. w. geringste; alles war längst durchwühlt. Manche Grabsteine mit In- schriften haben unsern Antiquaren Weide gewährt; sie sind fast ohne Ausnahme sonder einigen Werth; wie immer, erscheinen fast nur Frei- gelassene darin, und sie gehören in das zweite und dritte Jahrhundert. Interessant ist indefs die Zierlichkeit dieser Todtenhäuschen, und ihre Ordnung in Strafsen, welche sich vom Rand des Hügels, unter dem die Landstrafse geführt war, in die Villa hinein, nach dem Casino zu, parallel neben einander erstreckt haben mögen. Das Mauerwerk ist von vollkommener Vortrefllichkeit. Einen evidenten Beweis, dafs diese Grä- ber auch den Antiquaren der verflossenen Jahrhunderte nicht unbekannt waren, gewährt die Inschrift, die man bei der jetzigen Ausgrabung zu allerersı fand, und die keinesweges gleichgültig, wie die übrigen, ist. Sie findet sich nämlich schon in Muratori’s Sammlung p. 1521. aus den Papieren eines römischen Gelehrten. Unsere Antiquare haben da- her jetzt gar nicht von ihr geredet; sie müssen übersehen haben, dafs sie bei Muratori unvollständig und fehlerhaft steht; so wie es ihnen nicht eingefallen ist, durch welche Umstände sie sehr interessant wird. Sie befindet sich auf einer Platte von bläulichem, sehr schlechtem Marmor; die Buchstaben sind klein, dicht und schlecht gehauen. Die folgende Abschrift unterscheidet die verschiedenen Schriftarten : der gröfste Theil ist die gewöhnliche Quadraischrift auf Steinen: aber die erste und vorletzte Zeile (jene ist hinzugefügt) ahmt die Quadratschrift der Perga- mente nach, welche die meiländischen Fragmente des Cicero und Plautus, die römischen des Livius und Sallust u. s. f. darbieten. Die griechische ist ungeschickt und häfslich: merkwürdig durch die seltene Form des w», welche nach Eckhel auf Münzen nur in der Zeit von Severus bis Gallienus vorkommt, auf Steinen mir hier sonst nie vorgekommen ist, wohl aber in einigen Nubischen, eben aus jenem Zeit- raum, und in den Asiatischen, die Hessel’s Vorrede zu Gudius In- schriften enthält; ebenfalls aus der Zeit des Severus. Für die Richtigkeit der Abschrift bürge ich: die augenblicklich zu hebenden Fehler der beiden griechischen Epigramme, bei deren Verbesse- rung ich nicht verweilen mag, und die Corrupuon des letzten Pentameters, die ich ohne desperate Conjectur nicht zu tilgen wüfste, stehen genau so da: weiches von den lateinischen Barbarismen niemand bezweifeln wird. D CERELLIAE FORTVNATAECON SP WNGICMRISSIMAE CVMQVAM.. V: ANN-Xi SVQ, M-ANTONIVS-ENCOLPVS-FECIT-SIBI-ET-ANTONIO-ATHENAEO LIBERTO-SVO-KARISSIMO-ET-LIBERTIS-LIBERTABVSQVE:EORVM ET-POSTERIS-EXCEPTO'M-ANTONIO-ATHENIONE-QVEM-VETO- IN-EO-MONIMENTO-ADITVM-HABERE-NEQVE-ITER-AMBITVM- INTROITVM-VLLVM-INEO-HABERE-NEQVE-SEPVLTVRAE-CAVSA- RELIQVIAS-EIVS-POSTERORVMQVE:-EIVS-INFERRI-QVOD-SIQVIS-AD VERSVS-HOC-QVIS-FECERIT-TVNC:IS-QVI-FECERIT-POENAE-NOMINE PONTIFICIBVS-AVT-ANTE-SCOLARIS-VIRGINVM HS’L’M-N-INFERRE-DE BEBIT-IDEO-QVIA:-ME-POS-MVLTAS-INIVRIAS-PARENTEM-SIBI-AMNEGAVERIT: ET-A'LELIO-APELLITI-CLIENTI-KARISSIMO-QVEM-BOLVERIT-DODATIONIS-CAVSA'SARCOFA GVM-ELIGAT-SIBI-OPTER-QVOD-INTAMMANA-CLADE-NON-ME-RELIQVERIT-CVIVS-BENEFICIA-ABEO- (1) MHMOYMAPEAOHELTOENITPAMMAOAOIMOPEAAAALTAGBEILAKOYEKAIMAOWNANI OYKEETIENAAOYMAOIONOYFIOPOMEYEXAPWN OYKAIAKOCLKAEIAOYXOLOYXI KEPBEAOLKYWN: HMEIEAENANTELOIKATWTEONHKOTEL OLTEATE®PAFEFONA MENAAAOAEOYAEEN EIPHKALOIOPOWEYFIAFEOAOIMOPE MHKAITEONAKWLAAEAEL XOLLOIPANW: MHMYPAMHLETE®ANOYELTHAAHXAPICHAIOOLELTINMHAETONYP ®AEZEIEIEKENONHAAMANHZWNTIMOIEITIEXEIEMETAAOLTE®PANAEMEOYEKWN MHAONNMNOIHLEIEKAIOYKOOANWNNIETAI TOYTOELOMAITAPEFWLYAE TOYTOIEFHNENIXWEACEINEOIEOYKHNTOYTONAAINFEFONA H. M- D: M: A: A-LAELIVS-APELLES.IN HOCMONIMENTO-ADITUM-AMBSTUM-IVBEO-HABERE- INSSO-ANTONI-ENCOLPI. OLO:LELIO-APELLETI-VNO-SARCHOFAGO-ITVM-AMBITVM-HABERE-DEVEVET-AMICO-OPTIMO. (1) Brunck Anal. a@össm., DCXACIU. 254 Nızegsunr: Zwei lateinische Es mufs wohl jeden, der Trimalchio’s Gastmahl im Gedächt- nifs hat, frappiren, dafs wir hier die Namen unserer werthen Bekannten aus der Zahl des süfsen Pöbels finden: Dame Fortunata und Encolpus selbst. In einer und der nämlichen Inschrift! Auch Apelles kommt hier und dort vor: Plocrimus rühmt sich einer Zeit, wo er ihm als Schauspieler und Sänger nicht nachgestanden. (Im Roman, wie in der Inschrift, wird Apelletis declinirt.) Wenn das Zufall ist, so ist er wohl ohne Beispiel. Zwar, Encolpus ist hier Fortunata’s Gemahl; aber wer wird denn auch erwarten, die Personen jenes Drama’s pünktlich in ih- ren historischen Verhältnissen wiederzufinden? Da mülste es zuerst keine Injurienklage gegeben haben. Lesen wir nun aufmerksam, so gleicht M. Antonius Encolpus, durch seine Ungebehrdigkeit, seine Hoflart, seine Barbarismen, durch die Epigramme (vgl. im Roman: eheu — quam totus homuncio nil est! ‚Sie erimus cunct! u. Ss. W.), leibhafüug unserm unschätzbaren Gönner C. Pom- pejus Trimalchio: es mufs auffallen, dafs der Dichter für diesen als römischen Namen, einen solchen gewählt, der an die Zeit des Triumvir Antonius erinnern konnte, und da wohl kein Mensch jemals Trimalchio geheifsen, so konnte dem Schöpfer des Namens eben so wohl in den Sinn kommen, den Namensgenannten des Triumvirs kenntlich zu machen, als auf divitias tribus amplas regibus anzuspielen. Wenn es zu Rom überhaupt wohl keiner selinen Sprachkennwnifs bedurfte, um zu verstehen, was Malech im Syrischen bedeute, so wufste es doch gewils jedermann, seitdem Rom syrische Kaiserinnen hatte, und durch sie mit Syrern angefüllı war. Wer ferner in Registern sucht, ob sich Anto- nius Encolpus nicht noch anderswo finden sollte, der wird wenigstens einen M. Antonius Hermeros finden (Gruter p. DCLXXAT. 8.), und sich also eines vierten Bekannten erfreuen, der ohne Zweifel wirk- lich ein collibertus des Helden gewesen ist. Und sollten wir nicht an M. Antonius M. F. Primigenius, medicus factionis russatae (Gruter p. CCCEXXXIX. ı.), Primigenius, den ältern Sohn jenes Echion (es ver- steht sich M. Antonius Echion), haben, der so gnt zu schätzen wulfste, wie nützlich es sey, in der Jugend etwas zu lernen (c. 46.)? Der Junge, der an den Festtagen zur Stadt kam, hat sich freilich nicht an die ju- risuschen Bücher gehalten, die der Vater ihm gekauft hatte: ist auch Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 255 weder Barbier, noch Mäkler, noch Redner geworden, zwischen welchen freien Künsten er wählen konnte, wenn die Jurisprudenz ihm nicht schmeckte: aber der Vater konnte billigerweise zufrieden seyn, da er Doctor ward; auch so wird sein goldener Spruch wahr geworden seyn: litterae thesaurum est, et artificium nunquam moritur (1). Niceros und Phileros kommen wenigstens bei Gruter als Antonier nicht vor; aber wohl M. Antonius Anteros, und M. Antonius Eros. Wer möchte also verzweifeln, dafs nicht auf andern Steinen das Andenken jener beiden, so wie des Ganymedes, Agamemnon’s, des Habinnas und der Seintlla einst zur Erlustugung unserer Nachkommen an’s Licht kommen dürfte, oder behaupten, dafs es sich nicht schon jetzt von Einem und dem Andern finden liefse, wenn es einem ehrlichen Menschen anzusinnen wäre, in den zahllosen und zerstreuten lateini- schen Inschriften bewandert zu seyn? Ein so sonderbares Zusammentreffen rechtfertigt nun wohl fol- gende Hypothese. Der Glückspilz, den Petronius auf seine Bühne brachte, hiefs nicht Trimalchio, sondern M. Antonius Encolpus; aber mit diesem seinem Namen durfte er ihn nicht aufführen, denn es hätte eine ernsthafte Injurienklage gesetzt, und die Zs hätte sehr hoch ästi- mirt werden können. Er übertrug also den, aus begreiflichen Ursachen unter den Freigelassenen gar nicht selinen Namen Encolpus oder Encolpius (2), auf den Taugenichts, von dessen Wanderjahren wir (1) Da Echion’s Sprache ausgezeichnet volgarisirt, so schreibe ich in dem ange- führten Capitel, wo der Kleine gelobt wird, ohne das allergeringste Bedenken, bono ftlio, anstatt Bono flo. Italien gewährt blutwenig zum anschaulicheren Begriff der Philologie: aber diese Gespräche kann man nur, wenn man hier einheimisch geworden ist, ganz schmecken. So denken und so sprechen die Leute bis auf diesen Tag, wenn sie sich nicht geniren. Auch die Sitten würden durchaus die nämlichen seyn, wenn Entfernung alles äufsern Zwangs der Schamlosigkeit Luft machte, wie vor dreihundert Jahren. — Cicaro hat die Erklärer verlegen gemacht: ein Name kann es nicht wohl seyn, kommt vielmehr für zwei Knaben im Ton einer Liebkosung vor. Ich vermuthe, dafs es das heutige eicalone (Schwätzer) ist, wofür man zu Rom gewöhnlicher Chiaccherone sagt. (2) Ein Encolpus war am Hofe des Kaisers Alexander Severus vertraut, und es wird eine Biographie des Kaisers von ihm angeführt (Alex. Sev. c. 17. 48.). Sehr möglich, dafs es der unsrige war, und die zammana clades, welche ihn betraf, die Verfolgung des Maximinus, die den nichtswürdigen Domestiken, wie den rechtschaffenen Diener getroffen 256 Nırsunr: Zwei lateinische Fragmente haben (1); den wahren Encolpus bezeichnete er so, dafs jedermann ihn erkannte, nur der Richter hatte es nicht nöthig. For- tunata’s Name Cärellia zeigt, dafs sie wenigstens keine colliberta des Encolpus war, welches auch in den Gesprächen vorkommen würde, wenn es der Dichter hätte andeuten wollen; vielmehr läfst der Ausdruck eupatria Üla bemerken, dafs sie ein Fräulein, ohne Zweifel ein blut- armes, gewesen seyn mufs. In diese Zeit fällt Q. Cärellius, der Mäce- nas des gelehrten Censorinus, römischer Ritter und in seinem Munici- pium adelich (de die natali e. 15.). Nicht ohne Vergnügen vernehmen wir nun aus der Inschrift, dafs das blinde Glück, welches, von gehöriger Schändlichkeit gefördert, Trimalchio - Encolpus gehoben hatte, ihm nicht bis an sein Ende treu geblieben ist. Das Unglück, in dem alle Clienten, aufser einem, ihm den Rücken wandten, ja sein eigener Sohn — wahrscheinlich das von ihm freigelassene Kind einer Magd — ihn als Vater verläugnete, mufs ein böser Handel gewesen, und nahe an den Hals gekommen seyn. Jenes Monument, worin die Tafel gefunden, ist ein zierliches Gebäude, verräth aber keinen steinreichen Erbauer; sieht dem, welches der Ge- vatter Habinnas aufführen sollte, wenig ähnlich. Also, wiewohl er heil davon kam, wird der gröfste Theil seines Geldes dabei zum Henker ge- gangen seyn. Die Antescholariü virginum (Vestalium ) werden, so viel ich finden kann, aufser dieser Inschrift nirgends erwähnt, und welches Amt das ihrige gewesen, läfst sich schwerlich errathen. Eben so unerklärt durch andere Stellen war der Titel des antescholanus Menelaus bei Petronius haben wird (Omnes Alexandri ministros varüis modis interemit: Jul. Capit. Maximini ©. 9.). Unser Encolpus trägt seine Ansprüche auf Litteratur durch die griechischen Epi- gramme zur Schau; Trimalchio macht wahrlich sehr grofse Ansprüche dieser Art. Dafs er keine Zeile orthographisch und grammatisch schreiben konnte, beweist nichts ge- gen die Möglichkeit, dafs ein Buch unter seinem Namen ging; es konnte ihm an mehr als einem hungrigen Agamemnon nicht fehlen, um es zur Herausgabe zu corrigiren. Oder noch wahrscheinlicher, er liefs es ganz schreiben, wie es wohl noch heut zu Tage hier zu Lande geschieht. (1) Wie ist es möglich, dafs in allen Ausgaben die Angabe der Handschrift von Trau, dafs alles Vorhandene dem ı4ten und ı5ten Buch angehört, übersehen ist? Classiker des. dritten Jahrh. n. Chr. 257 (e.8ı.), wo nach unserer Inschrift wohl gewifs antescholarius geschrie- ben werden mufs. Die Sprache der Inschrift ist merkwürdig; und wenn der Accu- sativ 4. Zaclius Apelles barbarisch heifsen mag, so sind die Nominative Olo Lelio Apellii amico optimo vollkommen wolgare (1). Hieraus läfst sich freilich nichts über das Alter beweisen ; schon zu Pompeji steht an die Wand gemahlt: abiat Venere Pompeiana iradam. Indessen deutet eine ganze Masse intuitiver Evidenz auf die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts. Ich habe schon die Form des w angeführt; und Olus statt J/ulus läfst sich aus diesem Zeitraum nachweisen, früher nicht. Später als 250 kann man sie wohl nicht setzen, da nach dieser Zeit der Schwarm der Ziberti auf einmal verschwindet, so wie das altrömische Namensystem so gut wie aufhört, Nun gehört die Meinung, dafs der Dichter Petronius Nero’s Zeitgenosse gewesen sei, wohl zu den Vorurtheilen des unmündigen Zeit- alters der Philologie, welche jetzt so gut als vertilgt sind. Die Gründe der Valesier sind unwiderleglich, und erschöpfend ; und ihnen gebührt die Ehre, diesen Punkt, den sie zuerst zur Sprache brachten, entschie- den, so wie Monsignor Gradi die, eine Wahrheit die er anfänglich halsstarrig bekriegt, nachher unbefangen bekannt, und ihre Begründung sehr schön ausgeführt zu haben. Ignarra’s Bemerkungen über Sprich- wörter und Redensarten, die in der civitas graeca noch bis auf den heu- ugen Tag fortleben, sind wohl sehr anmuthig, aber ıhun hier nichts zur Sache, und der einzige Grund, den er zu den hinreichenden jener Philologen hinzufügt, ist nicht nur falsch, sondern es ist unbegreiflich, wie er ihn hat vorbringen können. Nondum basilica facta erat, sagt nichts weiter, als wie ein gemeiner Neapolitaner jetzt sagen möchte: als das alte Theater noch stand: — und es gehört zum Komischen , dafs der Erzählende dies an Fremde sagt, als ob man in der ganzen Welt wissen mülste, wann die Basilika zu Neapel gebaut ward. Eine colonıa Augusta nennt sich reßarri, nie Barırımn. (1) TZammana dürfte, wie es geschrieben ist, ein Wort seyn, allerdings aus zam magna entstanden, — wie das spanische zamano, und mit der Bedeutung dieses Worts. Bonaventura Vulcanius hät bemerklich gemacht, wie viel rustikes Latein nur im Spanischen fortlebt. Hist. philol. Klasse 1822-1823. Kk 258 Nızesunr: Zwer lateinische Täuscht mich die scheinbare Beziehung zwischen der Panfilischen Inschrift und dem Roman nicht, so mufs nun Petronius um etwas später gesetzt werden, als die Valesier für das höchste Alter, das ihm angewiesen werden könnte, bestimmt haben. Und hier bietet uns das Buch einen, so viel ich weifs, nicht beachtetien Wink, ihn sogar nach Alexander Severus zu setzen. Tirimalchio rühmt sich (ec. 69.) die 5 psam......: und das ist nicht die Frau seines Herren: mit der rühmte Gunst der Mammea genossen zu haben: Mammeam (I. Mammaeam ) er sich auch wohl, aber später, als er wieder nüchtern geworden war (e.75) und hier bittet er selbst, betrunken, seine Zunge, nicht weiter zu schwatzen, Ist es nicht höchst wahrscheinlich, dafs Mammaea ipsa keine andre ist, als die Mutter des Alexander Severus? Der Ruf ihrer Keuschheit konnte nicht sonderlich seyn, da auch sie sich rühmte, ihren Sohn im Ehebruch mit ihrem Veuer Caracalla erzeugt zu haben: dafs Lampridius (oder vielmehr Spartanus) keine schändliche Geschichten von ihr erzählt, beweist nichts, weil er das Andenken des Alexander Severus mit Respect behandelt; und die Sitten der römischen Frauen jener Zeit waren so, dafs Keuschheit von einem Lobredner als uner- hörte Ausnahme gepriesen worden wäre, welches er nicht thut. - Übri- gens war Mammäa allgemein verhafst, besonders als Ursache, dafs die römische Welt ihren liebenswürdigen Sohn verloren hatte; und eine leichtferuge Erwähnung dieser Fürstinn konnte eben so wenig das öffent- liche Gefühl indigniren, als dem verwegenen Schriftsteller, nachdem ihr ganzes Geschlecht untergegangen war, eine Majestätsklage zuziehen. Und so sehen wir, vielleicht mit einigem Erstaunen, dafs einer der geistvoll- sten und reichsten Dichter um die Mitte des dritten Jahrhunderts ge- schrieben hat, welche Zeit wir, nach dunkeln Gefühlen, gewohnt sind, als eine Epoche schon befestigter Barbarei zu betrachten. In Hinsicht der bildenden Künste ist diese Vorstellung auch richtig; ist es nicht weltbekannt, dafs Petronius sagt, die Malerei sei zu seiner Zeit ganz untergegangen? Wie man damals malte, sehen wir mit Entsetzen in den Gemälden, die in der prächtigen Villa zu Tor Mararcia gefunden sind, welche wohl ausgemacht in jenes Zeitalter gehört. — Die ägypüsche Kunst, in der er eine Ursache des Ruins der Malerei sieht, möchte ich für die Glasmosaik halten. Classiker des dritten Jahrh. n. Chr. 259 Ich erinnere nur beiläufig, dafs wer sich von den Valesiern be- lehren läfst, auch Terentianus Maurus nicht mehr, nach den nichug- sten Gründen, unter Domitian setzen kann, .da er Petronius anführt. Die Vaticanische Handschrift, aus der das Epigramm genommen ist, welches Petronius ausdrücklich zu Nero’s Zeitgenossen macht, ist mit nichten ait (wie man sie genannt hat), sondern vielmehr sehr jung; und Julius, der als Verfasser des Epigramms angegeben wird, gewils nicht älter. Sollte es der sogenannte Julius Sabinus seyn? Man hat aus Versen des Sidonius gefolgert, dafs Petronius ein Massilienser gewesen sei. Diese Folgerung scheint ganz unbefugt: jene Verse sagen nichts weiter, "als dafs die Massilienser seine Statue anstatt der eines bekannten Gottes in ihren Gärten aufstellten. Man sieht nicht ein, weswegen sie dies nicht gethan haben sollten, wenn er ihr Mitbür- ger nicht. war? Er hat eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Grafen Gozzi, ganz besonders mit den burlesken Werken des letzten. Beide sind im höch- sten Grade Meister darin, einer niederträchugen Wirklichkeit ein so ge- waltiges Leben zu geben, dafs sie poeusch wird. Beide besitzen die al- lerseltenste Kunst, nicht nur selbst so zu schreiben, dafs man sie leb- haft reden hört — sogar ihre Verse sind wie improvisirt gesprochen — sondern Jeden, den sie aufführen, grade so reden zu lassen, wie er wirk- lich denkt und redet. Beide lebten in einem Zeitalter, wo aus ganz ähnlichen Ursachen, die bildenden Künste erbärmlich geworden waren; wobei nur zu erwägen ist, dafs die Kunstakademien des achtzehnten Jahr- hunderts, die Kupfersuchkunst und andere Hülfsmittel eine mechanische Kenntnifs der Proportionen erhalten hatten, welche im dritten Jahrhun- dert so vergessen waren, wie sie es bis zum funfzehnten blieben, — wo es gar nicht an gelehrten Männern fehlte, aber die Litteratur, nachdem sie ein Zeitalter der Preziosität und Affectation durchgangen, zu grofser Flauigkeit gedämpft war: — wo von allen Gegenständen grofser Gedanken und Gefühle gar keine Rede mehr war, und es gar keinen edlen Stoff zum Schreiben gab: dieser Beruf mit gröfster Dürfuigkeit im Stoff, und Sklave- rei in der Form, (sie selbst mit sehr wenigen andern ausgenommen) (1), (1) Das ist ganz augenscheinlich, dafs Petronius von vornehmem Stande war. Kk2 260 Nıegunr: Zwei lateinische Classiker u. s.w. an eine vom Glück wenig begünstigte Classe als ein andrer Broder- werb gekommen war. Bei dieser Ähnlichkeit der Verhältnisse in ganz Italien des achtzehnten Jahrhunderts, und Rom im dritten, zeigt Ve- nedig noch andre Verwandtschaften mit jenem Rom. Reichthum und Üppigkeit in der Gegenwart, aber ein sich aufdringendes Gefühl des alles durchdringenden Verfalls, und Ahnung des für nahe Nachkommen drohenden Untergangs: allenthalben ewige Denkmäler unsterblicher Vor- fahren, aber ein Geschlecht, welches sich aus seinem trägen Schlafe nicht wecken liefs, und die Gröfse des Alterıhums nicht empfand; grän- zenlose Unsittlichkeit, nur verschieden gestaltet. Doch war Venedig kein Ort für Trimalchione. — Jene Beiden waren ganz original, ge- nährt durch die Klassiker ihrer Nation, ohne irgend eine Manier nachzu- bilden ; ihren Zeitgenossen an Geist absolut unähnlich, nicht in Eigen- thümlichkeiten der Sprache, die sie doch vielleicht mehr wählten, als nicht vermieden. Ihr Cynismus läfst sich nicht entschuldigen, so wie man etwa Juvenal’s Rohheiten ohne Prüderie mufs ertragen können: Unsittlichkeit war so allgemein, dafs niemand mehr ein Gefühl von Schamhaftigkeit hatte. Ich möchte auch von Petronius gern glauben, dafs er, bis auf diese traurige Makel, eben wie Graf Gozzi, durchaus ein Ehrenmann war, — UNE ——— w Über die kritische Behandlung der Pindarıschen Gedichte. „Non H”-“BOECKH. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. Februar 1820, 15. Juli 1821 und 7. März ı822.] 1. B: dem gegenwärugen Zustande der Philologie des classischen Alterıhums scheint es ein wesentliches Bedürfnifs zu sein, dafs nach- dem von allen Seiten viel versucht und in manchen Zweigen Entgegen- gesetztes aufgestellt worden, auch einmal wieder der Blick auf das For- s und 5 nicht besonders eindringend gedacht ist. Denn die Meisten, welche sich male und Methodische gerichtet werde, über welches noch weni mit dem Studium des Alterthums beschäftigen, haben kaum einen Be- griff von dem innern Zusammenhange der verschiedenen Theile dessel- ben, und von dem Wesen und Leben der dabei in Anwendung kom- menden Thätigkeiten, sondern betreiben die Philologie mit einer ge- wissen Gedankenlosigkeit als ein gewohntes Geschäft oder eine Liebha- berei, höchstens von einem dunklen Gefühle der innern Vortrefflichkeit des Gegenstandes daran festgehalten ; und selbst diejenigen, welche ein sogenanntes Lehrgebäude der Philologie haben entwerfen wollen, zeigen eine nicht geringe Unfähigkeit Begriffe zu bilden, und einen so auffal- lenden Mangel an Bewnfstseyn von ihrer eigenen mit ausgezeichnetem Glück geübten Thätigkeit, dafs man, um nur ein Beispiel anzuführen, die Grammatik, welche oflenbar einen Theil des Stofles der Philologie enthält, mit der Hermeneutik und Kritik als eine blofs formale W issen- schaft zu dem Organon der Philologie verbunden hat. Betrachter man diese und ähnliche Erscheinungen, so könnte man sich verwundern, wie man bei solchen Vorstellungen dennoch so weit gekommen sei, als 262 Borcexı über die kritische Behandlung man wirklich doch scheint gekommen zu sein; wenn man sich andererseits nicht erinnerte, dafs der gesunde Sinn fast bewufstlos weiter reicht als die ausgebildeiste Reflexion. Dennoch ist die Vernachlässigung des Forma- len und Methodischen ein Haupthindernifs schönerer Blüthe unserer Wis- senschaft: die Folgen davon zeigen sich besonders bei der Erklärung und Kritik der Schriftsteller, welche, im Ganzen genommen, so weit zurück sind, dafs ausgezeichnete Erscheinungen, wie unseres Schleiermacher’s höhere Erklärung der Platonischen Schriften, von der Masse der philo- logischen Gelehrten nicht einmal begriffen werden, und eben darum sehr selten sind; meistens werden Kritik und Erklärung spielend und ungeregelt betrieben, und sowohl das Ziel, wohin sie sweben, als die Gesichtspunkte, nach welchen sie geleitet werden müssen, schweben nur dunkel und unvollkommen vor; Kunst sind sie, wenn wir ehrlich sein wollen, noch nicht mehr geworden, als zur Zeit des Hippias und Antisthenes, welche sogar auf der andern Seite vor der unsrigen eine genauere Aufmerksamkeit auf die Eigenthümlichkeit des Ausdruckes und der Schreibart voraus hatte. Nicht als ob man nicht einzeln eingesehen hätte, wie wichug die Methode einem Studium sei, auf dessen schwan- kem Boden kein Schritt ohne Gefahr geschieht; aber die ehemals auf- gestellten Grundsätze der Hermeneutik und Kritik sind so flach und zu- sammenhangslos gerathen, dafs sich niemand lange dabei aufhielt: und da, wie überall, so auch in der Philologie, Theorie erst gedeihen kann, wenn bedeutende Muster der Ausübung vorangegangen sind, so wird die Theorie nicht tiefer gehen als die jedesmalige Ausübung; indem sie jedoch was dem einen und andern der Ausübenden klar geworden ist, geprüfter, vollständiger und zusammenhängender darstelli, wird sie den Blick der Nachfolger schärfen und sie vor Verirrungen hüten, und end- lich das bewirken, dafs man in jedem Augenblicke der philologischen Thäugkeit seines Zweckes sich völlig bewufst ist, und das Geschäft des Philologen wahrhaft künstlerisch wird. Nach den mannigfaltigen philo- logischen Bestrebungen fehlt es aber jeizo nicht mehr an Stoff für den philologischen Theoreuker, um mit philosophischem Sinne ausgestattet darzustellen, was nach allen Seiten hin die Aufgabe der Kriuk und Er- klärung sei, und wie sie umfassend und so sicher als möglich gelöst werden könne. der Pindarischen Gedichte. 263 ‘ 2. Nicht um dieses zu leisten, was ohnehin die Grenzen einer aka- demischen Abhandlung weit überschreiten würde, habe ich diese Be- trachtungen vorangestellt, sondern um sie auf meinen besondern Fall an- zuwenden. Nachdem ich mich nehmlich an der Kritik des Pindar aus- übend versucht habe ,- finde ich, dafs dem Überzeugenden meiner Dar- stellung wenigstens für diejenigen, welche sich nicht auf demselben Standpunkte befinden, weil sie nicht denselben Weg gegangen sind, die Einsicht in die Methode fehle, welche beim Finden geleitet hat; so dafs also, wenn das Einzelne anders und wieder anders gemacht wird, am Ende jegliche dieser Behandlungen auf gleiche Weise gülug_ er- scheinen könnte. Denn es liegt hier ein Unbekanntes vor, welches wir ausmitteln sollen; wenn nun der Eine dies, der Andre jenes ausgemit- telt hat, läfst sich, wer das Wahre gefunden hat, nicht immer an dem Gefundenen selbst erkennen, weil das Eine und das Andere im Allge- meinen möglich ist: die mittheilbare Überzeugung beruht daher vorzüg- lich auf der Sicherheit der Methode, welche aber bei der kritischen Behandlung eines Schriftstellers, wo alles vereinzelt erscheint, nicht zur völligen Klarheit kommen kann. So wie ich daher für Erklärung und Kritik überhaupt jetzo eine Methodik für vorzüglich wichtig halte, so scheint mir eben auch bei diesem besondern Gegenstande die Betrach- tung des Methodischen sehr nützlich, damit nicht nach Einfällen und Willkühr verfahren werde, sondern kunstmäfsig und auf eine begrün- dete Weise; und nachdem mir das Bedenken, welches leicht eintritt, wenn man über die Methode, welche man selbst hat befolgen wollen, sich erklären soll, durch unseres Buttmann’s Aufforderung und Er- munterung dazu gehoben worden, habe ich mich entschlossen , diesen Gegenstand hier abzuhandeln, so jedoch, dafs ich das zu Allgemeine; und alles, was vom Besondern bei jedem Schriftsteller ebenso in An- wendung kommt, möglichst aussondere, und nur dasjenige berücksich- ige, was aus der eigenthümlichen Beschaffenheit dieser kritischen Auf- gabe hervorgeht. Ganz neue Ergebnisse werden, nach der Natur der Sache, nur wenige hierbei ausgemittelt werden können; vielmehr kommt es darauf an, vereinzelt schon gesagtes in Zusammenhang zu bringen und dadurch fester zu begründen; und da die Gegensätze nach dem al- ten Sprichworte sich erläutern, ‘werde ich mir zugleich erlauben, im 264 Boscexru über die kritische Behandlung Vorbeigehn gegenüber zu stellen, was kürzlich auf ganz unmethodischem Wege, nicht ohne Anmafsung, aber ohne Erfolg, versucht worden ist. 3. Die Aufgabe der hermeneutschen Kunst ist das Verstehen; die Aufgabe der Kritik das Urtheilen: da man aber nicht urtheilen kann, ohne verstanden zu haben, so wird von der Kritik die hermeneutische Aufgabe als gelöst vorausgesetzt. Allein man kann sehr oft das zu Ver- stehende auch nicht verstehen, ohne schon ein Urtheil über dessen Be- schaffenheit gefafst zu haben; daher seızt das Verstehen auch die Lö- sung der kritischen Aufgabe voraus: woraus ein Cirkel entsteht, welcher uns bei jeder nur einigermafsen schwierigen hermeneutischen und kriti- schen Aufgabe hemmt, und der es eigentlich ist, mit welchem die Phi- lologen bei ihrem ganzen Geschäfte fortwährend kämpfen, um diesen magischen Kreis durch die Beschwörungsformeln ihrer Kunst zu lösen. Allein sie sind nicht blofs in diesen grofsen Kreis gebannt, welchen wir hier nicht weiter berücksichtigen wollen, sondern es liegen in demselben wieder immer neue und neue, indem jede Art der Erklärung und Kri- tik wieder die Vollendung der übrigen hermeneutischen und kritischen Aufgaben voraussetzt; das mufs jeder Philolog einsehen, wenn er sich dessen, was er thut, bewufst wird; doch steht es in keiner Theorie, und ich will mich auch nicht rühmen, es erfunden zu haben, da ich es von Schleiermacher gelernt habe. Die verschiedenen Arten der Kritik aber, welche sich wechselsweise vorausseizen, glaube ich am besten so bestimmen zu können. Das Urtheil bezieht sich nehmlich erstlich auf die Sprachelemente: ob jedes Sprachelement an jeder gege- benen Stelle angemessen sei oder nicht, welches in dem letzteren Falle das angemessenere sein würde, und ob das angemessenere oder das ent- gegengesetzte das ursprünglich wahre sei; dies nennen wir die niedere Kritik, oder die grammatische oder Wortkritik. Ihr zur Seite geht die historische Kritik, deren Aufgabe ganz dieselbe ist, aufser dafs statt des Sprachelementes die in einer gegebenen Stelle überlieferte Thatsache in Betracht gezogen und jene Fragen theils in Bezug auf die Stelle, ıheils in Rücksicht der geschichtlichen Wahrheit selbst unter- sucht werden; wie beide Arten sich wechselsweise voraussetzen, wird Jeder leicht finden. Wenn nun in beiden Fällen das Urtheil sich im- mer auf eine Einzelheit bezieht, so ist dagegen das Geschäft der soge- der Pindarischen Gedichte. 265 nannten höhern, oder wie ich sie lieber nenne, Individual -Kritik, eine ganze gegebene Schrift als ein geschlossenes Ganzes mit einem be- stimmten Individuum als Verfasser zu vergleichen, und die Angemessen- heit oder Unangemessenheit beider gegeneinander festzustellen, und zu entscheiden, ob diese Unangemessenheit, wo sie gefunden wird, ur- sprünglich statt gefunden habe, oder die Schrift einem andern angehöre, welchem sie angemessen ist; daher man diese Kritik die des Ächten und Unächten genannt hat: ihr zur Seite geht aber die Gattungskritik, welche das gegebene Ganze überhaupt mit der Idee der Gattung, unter welche sie fällt, nach den Gesetzen der Kunst vergleicht, und welche wir, abgesehen von einzelnen Schriften, welche keinen ästhetischen Ge- sichtspunkt erlauben, nach der Mehrheit die ästhetische nennen. Auch beide letztere können nicht bestehen, ohne ihre Aufgaben wechselseitig gelöst vorauszusetzen, welches aber hier zu entwickeln zu weit führen würde; und ebenso setzen die beiden letzteren Arten die beiden ersteren, und umgekehrt, voraus. Übrigens entsprechen diese Arten der Kritik eben so vielen gleichlaufenden Arten der Erklärung und des Verständnis- ses. Alle zusammen kommen auch beim Pindar in Betracht, und sind alle mit eigenthümlichen Schwierigkeiten gerade hier verbunden; wir be- schränken uns jedoch, da die übrigen Gattungen der Kritik wie der Er- klärung bei ihm noch wenig zur Sprache gekommen sind, jetzo auf die niedere Kritik und denjenigen Theil der individuellen und ästheti- schen, welcher die äufsere Form der Gedichte oder das Versmafs be- trifft; welche Gesichtspunkte im genauesten Verhältnisse stehen, so dafs die Entscheidung über das eine die über das andere streng genommen immer schon voraussetzt, da jedes Sprachelement der metrischen Form angemessen sein mufs, und die Bestimmung der metrischen Form von der Gesammtheit der Sprachelemente abhängt. 4. Gleich hierin liegt die Hauptschwierigkeit der Kritik bei Pindar und allen übrigen Resten der Hellenischen Lyrik gleicher Art. Könnte nehmlich die metrische Form wirklich als bekannt vorausgesetzt wer- den, so wäre die Beurtheilung der Sprachelemente und Lesearten we- nigstens in Beziehung auf die metrische Form keinem Zweifel mehr unterworfen; aber da die mewische Form, in welcher die Lyriker über- ° liefert sind, unsicher ist, so wird die Festsetzung derselben sehr oft von Hist, philol, Klasse 1822-1823. Li 2066 Borcxkm über die kritische Behandlung der Verschiedenheit der Leseart abhangen, wie umgekehrt. bei der Be- urtheilung der letztern die metrische Form als gegeben vorausgesetzt werden muls. Von welcher Seite man also die Lösung der Aufgabe anfangen mag, wird man auf die andere hingetrieben; und wenn ich gleich nicht nur zugebe, sondern auch behaupte, dafs das durch Übung geschärfie künstlerische Gefühl den Kreis mit Einem Schlage lösen könne, so ist dies dennoch nicht genug; theils weil man, um zur Klarheit zu gelangen, das Gefühl in Begriffe aufzulösen bestrebt seyn muls, und das Gefühl selbst, wenn davon keine Rechenschaft gegeben werden kann, wenigstens in vielen Fällen, verdächtig wird; ıheils weil das Gefühl nicht unmittelbar mitgetheilt werden kann, und folglich, wenn Über- zeugung hervorgebracht werden soll, Gründe angegeben werden müssen, welche den Urtheilsfähigen, unabhängig vom Gefühl, zur Einsicht zwin- gen. Die ohne Kritik und Methode kritisiren, pflegen nun gewöhnlich nach gewissen allgemeinen und unbestimmten Vorstellungen von Schön- heit, Symmetrie, Eleganz und was dergleichen Ausdrücke mehr sind, sowohl die Lesearten als die Versmafse zu beurtheilen; oder sie bauen in Rücksicht der letztern sogenannte Theorien auf, welche diesen Na- men nicht verdienen, weil sie in der Luft stehen als Hirngespinste und subjeetive Ansichten; ja um den Mund noch voller zu nehmen, hat man von einer a priori zu entwerfenden Metrik gesprochen, welche die Gesetze der Sylbenmafse, wie der Generalbafs die der Melodie und Har- monie angebe, und wonach man die Dichter regeln müsse. An einer solchen Theorie der Metrik und an ıhrer Nothwendigkeit wird kein Mensch zweifeln; und sie wird recht nützlich sein, wenn sie folgerecht und a posteriori wie a priori vichüg ist; was aber die derer, welche so sprechen, von keiner von beiden Seiten ist: dagegen ist es eben so un- gereimt, Pindars Versmalse aus einer solchen Theorie zu beurtheilen, als wenn man irgend eines Philosophen System so oder anders fest- stellen wollte, weil der Geschichtschreiber der Philosophie, der ihn be- handelt, dieses oder jenes philosophische System für wahr hält. Wer da sagt, man mufs Pindars Gedichte nach metrischen, a priori gefun- denen Grundsätzen beurtheilen, kann eben so gut sagen: ‚‚man braucht sich nicht zu bemühen, das Heraklitische oder Pythägorische System aus den Quellen zu studiren; ich habe einen philosophischen Generalbafs, der Pindarischen Gedichte. 267 woraus sich ohne weiteres a priori ergiebt, was jene Männer gedacht haben.’’ Nur wer von allem historischen Sinn entblöfst ist, kann mit einer allgemeinen Theorie auszureichen glauben; der metrische Sul ist, wie jeder andere, nach der Eigenthümlichkeit des Schreibenden so ver- schieden, dafs ein Bestimmteres zu wissen nöthig ist; und in verschie- denen Zeitaltern und bei verschiedenen Völkern sind so abweichende Formen ausgeprägt worden, dafs man aus einer allgemeinen, nicht ge- schichtlich unterstützten und entwickelten Theorie nicht beurtheilen kann, was zur Zeit der Perserkriege diesem oder jenem Hellenischen Dichter metrisch schön war. Erst alsdann, wenn man aus dem Dich- ter hervor sein Gefühl gebildet, und in seinen Geist versenkt, die Form seines Geistes sich angeeignet hat, kann man aus dem Gefühle des Schö- nen und der eigenthümlichen Gestaltung, welche die allgemeine rhyth- mische Möglichkeit bei ihm angenommen, ein Urtheil fällen: aber dies bringt uns vom Anfang herein der Lösung der Aufgabe um nichts näher, weil sie hier schon als aufgelöst vorausgeseizt wird. Es ist da- her einleuchtend, dafs man nur mittelst allmähliger Annäherung bald aus der Leseart das Versmafs, bald aus dem Versmafse die Leseart be- stimmen könne; und betrachtet man, wie viele einzelne Thätigkeiten zu dieser fortschreitenden Lösung der Aufgabe erfordert werden, so er- scheint die Kritik eines solchen Schriftstellers wie eine grofse Kette von Rechnungen, durch welche aüfeinanderfolgend eine Menge unbekannte Gröfsen mittelst verschiedener Formeln gefunden werden: und manche werden auch nicht vollkommen genau gefunden. Natürlich kann der Anfang der Lösung nur vom Bekannten ausgehen: was ist aber in die- sem Felde bekannt? Etwa die Metrik im Allgemeinen? Das Allgemeinste davon freilich; aber das ist für diese Aufgabe ein Nichts; die näheren Bestimmungen, auf welche es ankommt, sind eben die unbekannten Gröfsen. Oder der Sprachschatz in lexikalischer und grammatischer Hinsicht? Auch hiervon ist ein grofser Theil bekannt; aber bei den schwierigern Aufgaben fällt auch dieser in das Gebiet der unbekannten Gröfsen, und mufs erst eben durch solche Untersuchungen noch näher bestimmt werden. Vielmehr kommt es, da das allgemeine Bekannte zu allgemein ist, darauf an, etwas Bekanntes zu haben an dem zu behan- delnden Werke selbst, was uns bei dessen Betrachtung im einzelnen Fall L12 268 Bozcexu über die kritische Behandlung und unmittelbarer leiten kann, als das Allgemeine des Metrischen und des Sprachschatzes; dies kann aber nur das sein, was auf sicherer Über- lieferung oder auf einer einfachen Zerlegung des Werkes beruht und aus beiden mit voller Klarheit hervorspringt. Die Überlieferung leitet zunächst bei der niedern, die Zerlegung bei der metrischen Kritik: doch ist bei keiner von beiden das andere Hülfsmittel ausgeschlossen; und aller- dings mufs auch das allgemeinere Bekannte des Metrischen und Sprach- lichen zu Hülfe kommen: auch versteht es sich von selbst, dafs alle Ge- sichtspunkte der Beurtheilung der Lesearten, ihre Angemessenheit in Be- ziehung auf Zusammenhang und Zweck des Dargestellten und dergleichen, auch hier eintreten: welches aber, als nichis dieser Krivik Eigenthümliches, hier übergangen wird. Läfsı man diese Hülfsmittel gehörig in einander greifen, so unterstützen sie sich von allen Seiten so mächtig, dafs ein fester und sicherer Gang entsteht, und nur Weniges unauflöslich bleibt. 5. Das erste, allgemeinste und sicherste Ergebnifs, welches aus ei- ner einfachen Zerlegung der Pindarischen Gedichte hervorgeht, ist die- ses, dafs aus keinem Verse in den andern ein Wort übergehe. Denn da wir gewils wissen, dafs die Verse untereinander durch den Hiatus, die Endsylbe von unbestimmtem Mafs und die häufig wiederkehrende Interpunction sich trennen, unter unzähligen Beispielen aber ein so be- stimmtes Vers-Ende so gut als niemals in die Mitte eines Wortes fällt, und umgekehrt, kein angenommenes Vers-Ende, wodurch die Worte zer- schnitten würden, von jenem Kennzeichen bestätigt wird (1); so ist das Gesagte so erwiesen, dafs ich überzeugt bin, diejenigen, welche strenge Beweise würdigen können, ich meine die Mathematiker oder welche mathematisch gebildet sind, müssen es zugeben ; zweifeln können nur solche, welche, wie Philolaos sagte, den Danaidenfässern ähnliche Seelen haben, in welchen keine feste Überzeugung hafıet. Was man dagegen gesagt hat, diese Weise, die Verse von hinten zu bestimmen, komme gerade so heraus, als wenn jemand in einem Musikstück, in welchem die Taktstriche ausgelassen seien, von der letzten Note zu singen anfan- gen, und dadurch Melodie und Takt ausfindig machen wollte (2), lautet (n)IM&Meir. Pind.'S. 318: fi (2) Ahlwardt Vorrede d. Pind. VII. der Pindarischen Gedichte. 269 recht lusuig, wie mehres andere gegen diese Lehre Vorgebrachte, ist aber eben weiter nichts als lächerlich; denn es ist handgreiflich , dafs man vom Gewissen zum Ungewissen übergehen mufs, das Gewisse mag hinten oder vorn liegen ; und wer darauf bestehen wollte, schlechter- dings vom Anfange anzufangen, würde eben so unvernünftig handeln, als wenn ein Mathematiker in einer Formel, worin mehre unbekannte Gröfsen vorkommen, durchaus die erste zuerst suchen wollte, ungeachtet die Art der Aufgabe es mit sich. bringen kann, dafs er die letzte zuerst suchen mufs: nicht zu gedenken, dafs, da ja der erste Anfang des Ge- dichtes schon bestimmt ist, durch die Aufsuchung des ersten Endes eben der Anfang des zweiten Verses bestimmt wird, und so fort; so dafs diese @ posteriori, das heifst auf die Erfahrung gegründete Methode gar nicht von hinten anfängt und folglich der Witz sein Ziel gänzlich verfehlt hat. Weit scheinbarer kann man sagen, der Hiatus, die unbe- stimmte Sylbe und die Interpunction kämen doch auch anerkannt in der Mitte des Verses vor; folglich seien diese Kennzeichen nicht schlechthin entscheidend. Dies ist wahr; aber es ist ein grofser Unterschied, ob jene drei Erscheinungen vereinzelt vorkommen, oder massenweise in die- selbe Stelle fallen: und Hiatus und unbestimmte Endsylben unterschei- den sich in erlaubte und unerlaubte in der Mitte des Verses, so wie die Interpunctionen häufig Cäsuren bezeichnen ; auf welches alles der Kritiker aufmerksam sein mufs: endlich hebt eine grofse Anzahl Hiatus das Digamma, und auch die erlaubten sind vermieden worden. Über mehre dieser Punkte sind die Gelehrten freilich nicht einig; aber hier- über wird die Zeit entscheiden: doch kann man schon jetzo getrost sa- gen, das Digamma verläugnen und den Hiatus ohne Unterschied verthei- digen nur diejenigen, welche gar nicht oder schlecht untersucht haben oder nun einmal schlechterdings nichts davon wissen wollen, wenn man ihnen auch die schlagendsten Beweise in die Hand giebt (1). Am schein- barsten ist es endlich einzuwenden, es sei unwahr, dafs wenn man die Vers-Enden nach obiger Weise bestimme, kein Wort getheilt werde, in- (1) Über das Digamma bei Pindar verweise ich, aufser den Büchern de metris Pindari, auf meine Staatsh. d. Ath. Bd. II. S.537 ff. 270 Borcexm über die kritische Behandlung dem man doch etliche Stellen verändern müsse (1); allein diese sind gegen die gewaltige Masse der übrigen ganz unbedeutend, und rechnet man diejenigen ab, welche aus andern Gründen verdächtig sind, und aus guten Handschriften und den Scholien hergestellt worden, so blei- ben nur drei übrig, Olymp. IX, 18. 19. Nem. X, 41. welche gegen die übrigen völlig verschwinden ; und da sie der Dichter leicht anders wen- den konnte, als sie ehemals gelesen wurden, so müssen sie für verderbt erklärt werden. Denn man kann nicht annehmen, dafs er unter un- zähligen Stellen dreimal und zwar zweimal nacheinander von seiner so allgemeinen Regel abgewichen sei. Will man, wie neulich geschehen ist, um solcher Stellen willen Asynarteten im Pindar annehmen, so müfste man dafür erst andere Beweise bringen ; die Beispiele aber, welche man angeführt hat, beweisen nichts. Endlich kommt der me- trischen Zerlegung der Gedichte auch die Überlieferung zu Hülfe ; denn nicht allein sagt Hephästion, I@v mergov eis reAsiav megarovra Acgıv (2), welchen ganz allgemeinen Ausspruch man vergeblich von der chori- schen Lyrik auszuschliefsen versucht, sondern ein glücklicher Zufall hat auch noch einige sehr unscheinbare Scholien erhalten, aus welchen deut- lich erhellt, dafs, was sich früher nur vermuthen liefs, die Alten selbst bei Pindar diese Lehre anerkannten (5). Denn wir wissen jetzt aus dem Breslauer Scholiasien, dafs Olymp. AT, 24. 25. vulg. (22). HeAwgiov eguaraı PN no Seod lv TaAdug, eine Periode von siebzehn Sylben sei: und es ist erfreulich, dafs hier zugleich durch das Ansehen eines Alten, der mehr als die gewöhnlichen Grammatiker von der Metrik verstanden haben mufs, die von mir be- folgte Versabtheilung bestätigt wird gegen die neueste übrigens nicht schlechte, wornach Ep. 9. ı0. so getheilt wird: SyEus dt ne Bivr’ agerz morl meAugiov r I ’ m A ! opuaTaı uAEos avag Geo) UV FaAane: (1) Metr. Pind. S.319. (2) Metr. Pind. S.8». (3) Vorr. zum Schol. B.UI. S. XXXII. der Pindarischen Gedichte. 274 wiewohl unsere Abıheilung auch schon durch zwei Interpunctionen Ep. y.0. durch einen aus den besten Büchern hergestellten Hiatus Ep.y‘. und durch einen andern Ep. €’. gerechtfertigt ist, welchen der letzte Herausgeber gegen seine sonstige Leichtigkeit den Hiatus zu ver- tragen, mittelst einer auf keine Handschrift gegründeten Textveränderung entfernt hat. Derselbe Scholiast lehrt auch, dafs Olymp. IX, 194. 159. (95.) die Verse, Olcv 0’ EN EIER E) , AWTEIS WYEVEIWV 5 a ev Magazwvı CU- ein Ganzes bilden, wie es jetzo angenommen ist; einen dritten Fall will ich übergehen, weil leider, da das Scholion verstümmelt ist, die Mei- nung des Grammatikers sich nicht genau angeben läfsı. Nach diesen Beweisen gegen die Brechung der Worte braucht man nicht einmal darauf sich zu berufen, dafs Vertheilung eines Wortes zwischen zwei Verse, wenn nicht etwa eine scherzhafte Mahlerei dadurch bezweckt wird, schon an sich eine Ungereimtheit ist; was man schon längst würde eingesehen haben, wenn nicht lange Gewohnheit und gedanken- loses Ansehen dieser Brechungen den Sinn abgestumpfi hätte. 6. Kaum bedarf es der Bemerkung, dafs auch Vers-Enden vorkom- men können, welche durch kein sicheres Kennzeichen ausgezeichnet sind ; hilft hier nicht die rhythmische Analogie, welche aus dem durch sichere Kennzeichen erlernten gezogen werden mufs, so bleiben diese unsicher, welches besonders bei kurzen Gedichten und vorzüglich in den Epoden eintritt: wovon später Beispiele vorkommen werden. Aber in der Regel reichen die sichern Kennzeichen zu, und hat man aus diesen die Vers-Enden besummt, so kann man in der Beurtheilung der vhythmischen Eigenthiümlichkeiten, inwiefern die Lesearten sicher sind, weiter schreiten, wovon ich etliches Einzelne anführen will. Sehr häufig ist die Erscheinung, wovon sich auch der Grund leicht findet, dafs die Verse gern mit gewissen Partikeln geschlossen werden, wie mit &rei, er, drap, dem enkliuschen rc (1); indem nehmlich die Summe auf einem (1) Explicatt. ad Olymp. FI, 47. Eben so im Senar, wie örı in dem Verse bei Aeschines g. Timarch S. 155. Reisk. und Plin. Briefe IV, 27. und hier und da in den Dramatikern, z. B. Sophokl. Philoct. 525. 549. Doch eine grofse Menge Beispiele liefert schon die einzige Antigone. Eben dies finder bei Zrst statt, und bei +2 yas. 272 Bozcexm über die kriische Behandlung solchen dieweil, jedoch, aber ausruht, wird diese Partikel nachdrück- lich hervorgehoben, was bisweilen eine gute Wirkung hervorbringt. Zweifelhafter kann es sein, dafs Verse mit hypotaktischen Partikeln oder Enclitieis anfangen; und Bender’s (1) bekannte aber nicht für die Lyriker aufgestellte Regel, dafs wev, de und dergleichen Partikeln den Vers nicht beginnen, möchte sich allerdings auch für diese bewähren. Jedoch lasse ich zer’ im Anfang des Verses, weil dies nicht blofs hypotaktisch ist, sondern auch protaktisch ganz im Anfange einer Rede gefunden wird; auch lasse ich Enclitica, die durchaus hypotaktisch sind, zu, wenn ich einen Grund sehe, weshalb der Dichter sich diese Freiheit genommen haben kann, und ich finde diesen Grund in etlichen Stellen in dem musicalisch-mahlenden Ausdruck - des Schrecklichen , welches durch diese Zerrissenheit des Sprachzusammenhanges vortrefflich darge- stellt ist (2). Ich schweige von /sthm. FIT, 9-ı2. um am Schlufs dar- auf gelegentlich zurückzukommen ; aber Nem. IV, 65. 64. ovuy,as öfurarous drmav Te deworarwv Yaraıs ödovrwv, möchte ich mir den herrlichen Eindruck durch die neuliche Verbesse- rung xal dewor@rwy nicht verkümmern lassen , obgleich in allen übrigen Strophen der zweite Vers mit einer Länge beginnt; zumahl da in jener Verbesserung die gezwungene Stellung des z«ai auch darum noch an- stöfsiger ist, dafs dasselbe von dem Worte, wozu es gehört, nehmlich von @zuav, durch den Vers eben so getrennt ist wie das re. Lassen wir also das re, und stofsen uns nicht an der Kürze; diese scheint eben hier aus der bezeichneten Ursache absichtlich vorgezogen zu sein. Wem dergleichen Mahlerei unwahrscheinlich vorkommt, den verweisen wir auf den Horaz, einen viel geringern musicalischen Künstler, der dennoch dieser Schönheit nicht entbehrt (5): bei Pindar kommt noch hinzu, dafs der Zweck dieser rhythmischen Andeutung durch die musicalische und orchestische Begleitung noch deutlicher und wirksamer konnte her- vorgehoben werden. Der neueste Herausgeber ist dieser Ansicht entgegen, ı) Fragm. Menandr. S. 108. ) Meır. Pind. S.3ı2. ( (2 (3) S. Meır. Pind. S. 82.85. der Pindarischen Gedichte. 273 hat aber dennoch vw einmal zu Anfang des Verses gestellt, wo ich es selbst nicht einmal billigen würde. Eine verwandte Frage ist die, ob apostrophirte Worte zu Ende des Verses geduldet werden können; zu der Beantwortung derselben ist schon Metr. Pind. S.51ı8. der Grund gelegt. So lange nehmlich Olymp. III, 26. Boa” nicht entfernt seyn wird, bleibt es unleugbar, dafs man apostrophirte Worte zu Ende des Verses zulassen darf; und dadurch wird Pyth. IV, 9. @yreuruS ge- schützt, und Nem. FTIIT, 58. zerilauw, wiewohl in letzterer Stelle der Rhythmus fortgehen dürfte. Auch Pyth. 7, 72. könnte Yagvovr’ da- durch vertheidigt werden; aber die Verbindung von Ep. 7. 8. ist ohne Zweifel vorzuziehen. Wiewohl nun auch die andern Beispiele leicht entfernt werden können, wenn man Nem. YIII. die Verse zusammen- hängt, Olymp. III. und Pyth. IV. aber Wglu« und ayzoulra schreibt, so kann ich mich dennoch dazu noch nicht entschliefsen, so lange nicht Handschriften zu Hülfe kommen, verwerfe jedoch unbedingt das Nem. IV, 52. gesetzte &uraf’, so wie das alte eures’. Auch habe ich mich durch genauere Erwägung der Stellen überzeugt, dafs Pindar sich nicht erlaubte, was Sophokles sich seit der grammatischen Tragödie des Kallias in den Trimetern häufiger als das Apostrophiren gröfserer Worte erlaubt hat, nehmlich ein ös oder re zu apostrophiren. Die meisten Fälle der Art werden durch leichte Verbindung der Verse ge- hoben: Olymp. IIT, 46. (und zugleich damit der Apostroph in akovS Vs.50.), wo das Zusammentrefllen zweier apostrophirten Worte die Ver- knüpfung der Verse noch stärker empfiehlt; Olymp. IX, 47. AT, 16. Pyth.IX, 101. Zsthm.I7',29. In dem vierzehnten olympischen Gedichte Vs. ı5. kann durch andere Abtheilung geholfen werden (s. Abschn. 41.): Pyth. IV, 55. wird weiter unten beseitigt werden (s. Abschn. 20.); und ebendaselbst 179. in raygws d° tilge ich ohne Bedenken ö° aus: denn das Asyndeton ist dort einzig schön und dem Sprachgebrauch angemessen, weil die Ausführung des Vorhergesagten folgı; Pindar mufste, möchte ich fast sagen, das ds weglassen, wenn es auch vom Versmafse so sehr empfohlen würde, als das Gegentheil statt findet. Eben so verhält es sich mit Zsthm. VII. 5ı., wo ich ö° entferne, und das Asyndeton eben- so erkläre (vgl. über die Versabtheilung in jener Stelle der Strophe Abschn. ı4.). Das ö& rührt von Grammatikern oder Schreibern her; Hist. philol, Klasse 1822-1823. Mm 274 Borcxu über die kritische Behandlung vgl. Nott. eritt. Olymp. VT,74. So ülge ich denn auch Zsthm. VII, 17. 5 aus, wie man längst, auch ohne das Versmafs zu kennen, wünschte, und Dissen auch aus andern Gründen verlangt hat: wie es herein kam, läfsı sich leicht erraihen. Auch Zsthm. 7, 29. hat wohl die Austilgung des 7 hinter Megorwv kein grofses Bedenken, da es durchaus nicht noth- wendig ist. 7. Ein Hauptergebnifs jener einfachen Zerlegung der Gedichte nach jenem sichern Verfahren ist ferner auch dies, woran man noch immer einen besondern Anstofs nimmt, dafs längere und kürzere Verse ab- wechseln, ja manche sehr lang, andere sehr kurz sind. Gestützt auf die Festigkeit der metrischen Analyse überlasse ich Jedem, sich darüber zu verwundern (1); wiewohl eine verständige Betrachtung der Natur des Iyrischen Gedichtes, besonders in Rücksicht des musikalischen Ge- haltes und des Eindruckes auf die Empfindung, nicht nur die Ange- messenheit, sondern sogar die Nothwendigkeit dieser Erscheinung lehrt: und wenn in der neuern Lyrik dieses anders ist, so liegt davon der Grund nicht in dem Wesen der Iyrischen Dichtung, sondern in der eigenthümlichen Beschaflenheit unserer Poesie, welche keine grofsen rhythmischen Formen zu bilden fähig, und durch den Reim gezwungen ist, gleichartige Glieder zu bauen. Mit völliger Zuverlässigkeit behaupte ich, dafs alle Versuche, die kürzern und längern Verse zu verdrängen, (1) Wer da glaubt, die Verse wären zu lang, um in Einem Athem gelesen zu wer- den, vergifst, dafs sie für den Gesang geschrieben wurden, oder mufs sich vorstellen, die Hellenischen Sänger, die gewifs eine gute Brust hatten, wären schwindsüchtig ge- wesen. Man hat mir auch erzählt, dafs Einige sagen: die Verse könnten unmöglich so lang gewesen sein, weil die Hellenen kein so breites Papier gehabt hätten. Abgesehen davon, dafs man auch auf das schmalste Papier lange Verse schreiben konnte, weil sie nicht in Eine Zeile brauchten geschrieben zu werden, so weifs ich im Gegentheil, dafs das Hellenische Papier sehr breit war, und die Hellenen so lange Zeilen schrieben, dafs es dem Auge schwer fällt, sie zu überschauen. Doch was sollte es fruchten, jedes Ur- theil der Unberufenen zu widerlegen? Blofs zur Ergötzung mag gesagt sein, dafs der Eine derselben, ein gewisser Alf, unter vielem Ähnlichen auch dies vorträgt, da die menschliche Stimme eines Individuums nur drittehalb Octaven umfasse, könne man so lange Taktmassen nicht annehmen. Dieser Kunstrichter kann also den Takt nach Octa- ven messen. Seine kritisch-grammatische Kenntnisse und Fertigkeiten sind von dersel- ben Vortrefflichkeit; und schwerlich wird sich jemand die Mühe geben, ihm seine Phantasmen zu zerstören. der Pindarischen Gedichte. 275 mifslungen sind und immer mifslingen werden; und dafs man sich rühmte, dieses Kunststück durchgeführt zu haben, ist um so auffallender, da man, abgesehen von der Verkehrtheit des Verfahrens, dadurch häufig nichts weiter bewirkt hat, als dafs angeblich zu kurze oder zu lange Verse, wo sie vorher waren, verdrängt, anderwärts aber neue der Art gebildet worden sind: und auch die willkührlichste Kritik hat es Pyth.T, str. 6°, wo der lange Rhythmus am Schlufs der Strophe höchst vortrefllich ist, nicht zwingen können, ihn zu zertheilen, sondern hat sich begnügen müssen, vier Strophen für verderbt zu erklären, ohne sie verbessern zu können; verständige Kritiker werden nicht daran denken, dafs irgend eine dieser Strophen verderbt sei. Dafs die Hellenen lange rhythmische Perioden bildeten, beweisen schon die Systeme &£ öuciwv; der alles durch- dringende Geist Bentley’s sah sehr wohl, dafs die Ionische Dekapodie, welche sechzig Moren hat, Ein Vers sei, und er theilt sie nur aus Be- dürfnifs, nach Einschnitten (zu Hor. carm. IIT, ı2.). Er, der Gelehr- samkeit mit Geist und historischem Sinn vereinigte, wäre im Stande ge- wesen, eine Lehre zu würdigen, welche man mit nichts sagenden Gründ- chen beseitigen zu können glaubt; er, der zugleich den Muth hatte, sich über die Vorurtheile der Kunstgenossen hinwegzusetzen, würde dieselbe Lehre aufgestellt haben, wenn ihn sein Weg zum Pindar geführt hätte. Eine geringe Aufmerksamkeit lehrt bald, dafs der Dichter längere Rhyth- men besonders am Schlufs liebt, welches ich auch bei den Tragikern bemerkt habe; der Rhythmus sucht gleichsam das Ende, ohne es gleich zu finden, und indem er diese und jene Wendung nimmt, fügt sich ein Glied an das andere an, damit ein befriedigender Fall und Ausgang ent- stehe. Die auffallendste Ungleichheit ist übrigens ohne Zweifel Olymp. FI. str.5., wo auf einen katalektischen trochaischen Trimeter ein iam- bischer Monometer folgt und vor einem bedeutend langen Verse hergeht. Obgleich nun auch hier des Dichters Kunst ganz augenscheinlich hervor- tritt, da er solche kurze Reihen niemals durch Trochäen bildet, welche zu schwach und schlaff sind, sondern nur durch den mittelst seiner auf- steigenden Bewegung lebhaftern Tambus, und in den von der musikali- schen Begleitung ohne Zweifel stark hervorgehobenen kurzen Vers über- all bedeutsame und kräfug zu betonende Worte und Gedanken gelegt Mm 2 276 Boscexu über die kritische Behandlung sind, welches auch in der glücklichen Übertragung von Thiersch ge- fühlt werden kann; so wäre es dennoch nicht zu verwundern gewesen, wenn Metriker, die mit den Fingern und Augen, nicht mit Ohr und Sinn messen, sich daran ärgerten, hätte der Dichter nicht gerade hier seine Versabtheilung so deutlich bezeichnet, dafs keine Gewalt sie ver- wischen kann: ’ ’ ’ 17 EN S r vo ae ES ’ ’ ’ = Vo — U UV UV u u - VU UV w fi Ant.c. ’ > I \ \ ! avdgarıy TEIITUV, YAURUV AUITOV pgevos IMarzouc Oiruumie IuSc re virwvrerew. 6 0° oAßıos, ov bauaı Aurey,avr ayasıu. Hier ist der kleine Vers beiderseits abgetrennt, vom vorhergehenden durch die unbestimmte Sylbe, vom Folgenden durch den Hiatus. Str. @. \ > ! INS Q»r G Evvov ayyerAuv diopYwran Aoyov “HoaxAeos eügunIevel yerya. TO ME yag margaIev En Ars euxgovra To 6’ "Auuvrogiduu. Hier ist der kurze Mittelvers beiderseits durch die unbestimmte End- sylbe abgetrennt. Ant. y'. \ n ’ > \ en/ zu TUgEAHE TORYMaTwV 6oIav cdov eu hgeväiv. nal Tol Yap aideiwus Exovres mega’ aveßav pAoyos cu: TevEav ö° dmugois iegois. Vom vorhergehenden ist hier der kurze Vers durch die ‘unbestimmte Sylbe deutlich geschieden. Str. d. ebenso: : nal fa MV Ywoas drAagurev Almov ayvov Seov. ’ \ \ EN / UL [4 > "4 > y avasIevrı O8 Zeus au marov MEAdev Jeuev. AAAA MV oUr EIaTEv‘ Emei morLds. Und ebenso scheidet ihn Ant. 8. die unbestimmte Sylbe vom folgenden : der Pindarischen Gedichte. 277 welgas avreivan. Dewv ö° Coxov nEyav un magbauer, arra Koovov suv madı veoru, busvvov Es aidega Mıv meubIETay Et nedard, so wie endlich nach str. €. ihn der Hiatus vom vorhergehenden trennt. Diese Beweise, wobei nicht einmal die Interpunctonen in Anschlag ge- bracht worden sind, treflen so schlagend zusammen, dafs man nur bei gänzlicher Urtheilslosigkeit daran denken kann, dafs die Stellen verderbt seien; die vorgeschlagenen und in den Text aufgenommenen Änderun- gen, welche nicht durch Eine Spur in den Handschriften gerechtfertigt werden, sind auch alle völlig unwahrscheinlich: man hat nehmlich den kleinen Vers an den vorhergehenden angeschlossen, und ant. «. dgevav, ant.y'. ög9as &dovs, endlich str. 6° axragwrev y’ &rrrev geschrieben, in letz- terem Fall mit einem Tribrachys statt des lambus, welches in Gedich- ten dieser Art nicht zulässig ist; und selbst diese metrisch mangelhafte Änderung hat nicht bewirkt werden können, ohne das Flickwort y’ an unrechter Stelle einzuschieben. Wer an solcher Kritik Vergnügen findet, dem wollen wir dasselbe unverkümmert lassen. S. Von einer grofsen Anzahl fruchtbarer Bemerkungen, zu welchen eine fortgesetzte Zergliederung der Gedichte führt, - will ich nur noch eine anführen, auf welche Hermann zuerst aufmerksam gemacht hat, die jedoch auch den Alten nicht entgangen war (1), wie ich später er- wiesen habe; ich meine die Verschiedenheit des rhythmischen Baues nach der Verschiedenheit der bei dem Gedichte zum Grunde gelegten Tonart. Hierdurch werden wir in den Stand gesetzt, musicalische Charactere zu unterscheiden, welche sich dann auch bis zu ihren Gründen verfol- gen lassen ; und wenn die Zergliederung bis zu diesem Puncte gediehen ist, bilden sich rhythmische Analogien (2), ohne deren Kenntnils der Kritiker weder auf diesem Felde noch in den Iyrischen Theilen des Drama irgend einen Schritt thun kann. Doch kann zu deren Erkenntnifs nur ein eindringendes Studium führen, und es würde vergeblich sein, denen, welche dies nicht gemacht haben, Vorschriften und Lehren dar- (1) S. die Vorrede zu den Scholien. (2) Meır. Pind. S. 275 ff. 278 Borcexm über die kritische Behandlung über zu geben. Der neueste Herausgeber ist bis dahin nicht durchge- drungen, und er giebt uns daher Versabtheilungen, welche der vhyıh- mischen Analogie völlig widersprechen, so wie sie denn auch von keinem entscheidenden Kennzeichen unterstützt werden. Olymp. III, str. 3. 4. nöthigt schon die rhythmische Analogie zu dieser durch die Kennzeichen hinlänglich erwiesenen Abtheilung : , 1 ’ vu _ - u - Vvv- vu - [DV —- yuvo ’ ’ ‚ ’ ’ - —- uv- -— - U- -- - U - - [VV-VUVVU-—- u. Statt dessen hat man so getheilt:: ’ r = - UV uUuVU-—_- — v-. ‚ ’ NV UVvv-—_- .u-—_ ’ 2 ’ ’ -.u-—- — U-_--uVv-uVv._- u wo die Zerstörung der Analogie in der ersten Zeile abgerechnet, gleich ant. «'. in Seriv die Kürze statt der Länge eintritt, welche gar nicht ver- theidigt werden kann, str. y’. aber in derselben Stelle der Hiatus: ein so starker Beweis für das wahre Vers-Ende, dafs man sich nicht einmal auf die ebendahin fallenden Interpunctionen str. ß'. ant. y'. zu berufen braucht. Dieselbe Bemerkung hebt die Obmp. FT, str. 5. 4. kürzlich gemachte falsche Versabtheilung gänzlich auf, wo überdies ant. y’. der Hiatus, da zumal noch ant. €’. die unbestimmte Endsylbe zukommt, das Wahre lehrt. Wer aber nicht einmal in diesen Dorischen Oden, deren Analogie leicht fafslich ist, sich ein Urtheil erworben hat, kann vollends bei den Lydischen und Äolischen, von welchen besonders die letziern einen viel verwickeltern Rhyıhmus haben, nicht glücklich sein, und eben so wenig die zuletzt noch in Betracht kommende besondere Ana- logie der einzelnen Gedichte richtig würdigen: daher man, um auch hiervon nur ein Beispiel anzuführen, neulich Olymp. F,, ep. 2. gegen die Analogie dieses Liedes auf die unpassendste Art gespalten hat. Hat man dagegen diese Analogie sich eingeprägt, so ist man sogar in den Bruch- stücken im Stande das Versmafs sicher zu beurtheilen, und selbst wo die Leseart verderbt ist, das Wahre zu finden; denn obgleich die Ana- logie auch ihre Ausnahmen leidet, so unterscheidet sich doch meistens bald, ob der Dichter eine Ausnahme gemacht oder der Schein dersel- ben in einer irrigen Leseart ihren Grund habe: ja es ist für die Herstel- der Pindarischen Gedichte. 279 lung der Bruchstücke nichts von gröfserer Wichtigkeit als die Kenntnifs der rhythmischen Analogie, ohne welche man nicht einmal entscheiden kann, welche Bruchstücke Einem Gedichte angehört haben können. So ist Fragm. Hymn. I. in dem zweiten Verse eine verschiedene Leseart, . Ir a z IN X m e ,\ B > m . . indem von den Worten 4 Kadusv 4 amagrav iegov Yevos üvdowv in einer an- dern Anführung das letzte Wort fehlt; nun aber ist der Rhythmus jener Swophe streng Dorisch : ’ ‚ en Geh ’ ‚ in Eins a ’ Ey ’ ’ a a a IL ’ ‚ en U man > EI HF ’ ‚ ’ er ad I m a Zn m me = daher mufs Vs. 2. wenn ein Vers hier endigen soll, avdaav hinzugefügt werden; so wie eben aus diesem Grunde Vs. 4. die Leseart 75 ravv statt 76 ravreiucy ausgeschlossen wird: ein um so schlagenderes Beispiel, da ein glücklicher Zufall die Gegenstrophe erhalten hat (Fragm. Hymn. 2.), aus welcher die Richtigkeit dieses Urtheils sich bewähren läfst. In dem ebenfalls Dorischen Bruchstücke Prosod. ı. ist im zweiten Verse eine Leseart, welche der rhythmischen Analogie zuwider läuft: Yale’, & Seoduare, ArrepomAonducu mardos Aurovs inepoenrarov Egvos: denn der doppelte Spondeus zu Anfang des zweiten Verses ist ohne Bei- spiel in der Dorischen Form: so zwingt daher das Versmaafs das zu setzen, was ohnehin der Sinn erfordert, rar! Aaroüs, oder weil dies leich- ter aus raudes hervorgeht, besser rwderri. ’ ’ =- —-U- —- —- UV uVu—o ‚ ‚ a I ES MO LE IE. So kurz das Bruchstück Fragm. ine. 71. ist: » / re m > > >3N m w Tome, co ATaTaTaı haovris Ebanegiwv cur EIOUIG, so sicher ist die Dorische Bewegung darin, welcher aber cix eidvi« durch- aus widerspricht, so dafs die Verbesserung erfordert wird, welche sich von selbst ergiebt, via. ’ ’ — UV NV u u U U ’ —iNr her Bde Sellin) 10a "Ne 250 Borcexm über die kritische Behandlung 9. Was von der rhythmischen Analogie bei Pindar gesagt worden, gilt eben so sehr von allen übrigen Resten der Lyrik und den drama- tischen Chören ; und was in letztern Chören Dorischer Tonart ist, läfst sich, wenn man seinen Sinn nach Pindar gebildet hat, welchem sie gröfstentheils analog sind, mit der leichtesten Mühe herstellen, Von dieser Art sind die Chöre in der Euripideischen Medea zum Theil, worauf schon Hermann in den Zlementis doctrinae metricae aufmerk- sam gemacht hat; und zwar läfst der Dichter jederzeit auf einen Do- $ einen andern in freiern Rhythmen folgen; was auch 5 Aschylos im Prometheus gethan hat. Hermann hat diese Strophen rischen Gesan nicht abgetheilt, indem sie jeder selbst ordnen könne; da jedoch die Er- fahrung das Gegentheil lehrt, und ınein Weg mich gerade dahin ge- führt hat diese Anordnung zu machen, so will ich dieselbe hier mitthei- len; zumal da sie auch Porson wegen seiner geringen Kenntnisse von den strophischen Gedichten ungeordnet gelassen hat. Wer die Dori- sche Form kennt, wird zugleich bemerken, dafs Euripides und vor ihm schon Äschylos das Ende aller Strophen mit einem Rhythmus gemacht hat, welcher von der Dorischen Form gänzlich abweicht, aber einen schönen Schlufs und passenden Übergang zu der folgenden freiern Form giebt (1). Zurp. Med. Vs. hıı. ’ ’ U ww Uyv-—_-— VUu_-— ’ 2 u = vo. UV yuy— ’ 3 ’ = vv Ve —_— — — VU-— — UV UV-— w ’ ’ ’ m Vo u VO nV ey —yo—— ou ’ ’ ’ vu nn nn ’ ’ AIR - vv UV Vv-— —- - vu_- u vu-XU (1) Abweichungen von der strengsten Dorischen Form findet man hie und da auch in den Pindarischen Dorischen Gedichten, wie schon früher bemerkt worden. Dahin ge- hört auch in den Bruchstücken des Dichters, auf die ich ehemals nicht Rücksicht genom- men habe, Z’hren. 2. der Diiambus zu Anfang des letzten Verses, den ich hier bemerk- bar machen will, weil er in meiner Ausgabe durch einen Schreib- oder Druckfehler ver- dunkelt ist: ’ ’ ’ v = u | — vo —- vv uvu— N} A m I) OEIRVUTI FEOTUWV ecbegroav ARAETFUV TE ag. der Pindarischen Gedichte. 281 Str. "Avu Torauav ieg@v Xwpevaı Fayak, nal Öina nal mavra Farm Frocbere. avdgarı mev doruaı Bevrai- Seav 6° einerı miers agapev. Tav 0’ Euav eundsıav eyew Qıorav Frgeboun: panar- EEYEFUL TI Yuvameim Yevaı“ eünerı Öusaeiades daua yuvalnas Egeı. Ant. Mora dE wararyeviwv Anfour” dor rav Euav Unveura dmicroruvar. oÜ Yag ev auerege Yin Augas wrare Sermiv acıdav ®eißes aynrug MEAEWV“ Emei dvrayıd av Uuvov aprevwv yeyva. Muxgos 8° aimv Eye \ \ e ’ >» N» m Su TOAAG WEV AUETEIUV avogwv TE Molgav EITEIW. [s.6 Vs,637: RR r ZEUEIO = vV— vv U vu UV ’ r er ’ ’ ’ D ’ er ge a ee ee ae Str. "Egwres Ümsg tv ayav &ASovres cün eudogiav ud” ügerav mugedunuv avdgasıy ei 0° ars EASc Kurgıs, cur ara Seds EUXagıs eur. unmor, © dermav, em Euol ugureuv roEuv Ebeins iusgw Xeirar’ abunrov oirrov. Ant. Zregya de me Fwogoruva, Öwgnua adAAıgrev Seüv' unde wor” dubıAoyous epyas dnögerra TE veimn Suudv Enmingar” Eregois Emi Aeurgais maosQarcı dewa Kürgıs: amrertuous 6’ eivas eßigevn” dEupgwv nai- vor Aeyn Yuvannıv. Str. Vs.2. hat Porson aus Unkenntnifs des Metrums & dvögarıy geschrie- ben, welches, wenn es dagestanden hätte, würde zu tilgen gewesen sein. Übrigens mufs xgörewv gelesen werden. Vs. 820. ’ ’ U- vv— vv U vuo ’ ’ ’ ’ - U- —- —- Dvuv— UV - - - U- - - DU uu—- ’ ’ I ’ - um wuyvuoo- vyuo—_ u uvv—_— —- U-—_- - VVv-VVv—— ’ r AR -uv—_ wu —- u—VJ x ’ III HIT Hıst. philol. Klasse 1822-1823. Nn Str. Ant. Bozcxm über die kritische Behandlung DA / "EgeysSeldar Tomarucv orßıcı m m m ij ! zul Seav maldes Handgwv, iegas Kupas amegInTs 7’ amegpepßcuevcr > / n > nAeworarav Fobiav, als dia Aumgorars Baivovres «ßgüs aiSegos, &vIa moS° ayvas Evvea Tlıegidas Mevras Acyeurıv EavSav "Aguoviav duredsu U R “ FEN, Ted zarııvasv 7’ dmo Kybırov foas av Kumgw nAnlousw dburrausvav wugus HUTURVEUTAL METDIUIS Gveluwv 2 ’ „ sım > Y ’ a RO) SH: Adurvocus augas’ aeı ö erıßarrsusvav Kaurarıy euwon bodewv mAOoRoV avoav m , N 7 D] TE Tode mugedgovs TEHTEN EgWTaS ” m 2 TUavToas ageras Evvepyous. Ant. Vs.5. ist in augas eine unregelmäfsige Zusammenziehung, welche ohne Zweifel im Gesange durch die Modulation versteckt wurde, was bei einem solchen Diphthong wie av, sehr leicht ist. Ebenso ‚Sophokles Antıg. 825. zwei Töne Sir. Ant. Ant.\s.ı. in rayzravreıs. Sicherlich sind in der Melodie auf dieses «u gesetzt worden. Vs. 972. ’ 7 SH ee ’ ’ ee ah ’ ’ ne ’ ’ bei Ken nn je Mijn au x ’ ’ ’ ’ u De Ze en A AZ Nüv &Arides oUnerı mo mawv loas, oÜnerı" Trengourı Yag &s bovov dh. defera vunba Ygurewv dvaderuüv, RE N/ & 673 eEerar ÖUTTavos aravı EavS& Ö’ dupi none Syreı röv "Ada noruev aura y’ Ev Yegoiv Außevra. Ieireı Kagıs außgorucs 7 alya memAous WOUFOTEUHTOV TE Trebavov mELIEr Tu ’ >» ! r vegregois Ö’ nn Tage vunboroumzei. Toiov Eis Eonos TETEITUL, 2 y e t % nu nolgav Savars mgosimberu durravos, arav d’ oüy, Ümegdganeiru. hat Porson rerrwv, Ald. rerrcu: der Sinn erfordert rerAous, woraus sich die Verbesserung des zweiten Verses xguröreunrov re, statt des unmetrischen xguresrevzrov von selbst ergiebt. Übrigens beweisen der Pindarischen Gedichte. 283 auch diese Strophen, dafs man, wie die Pindarische Kritik lehrt, am Schlusse längere Verse liebt. Ähnliche Dorische Strophen findet man, wie schon Hermann bemerkt hat, bei Äschylos; wie im Prometheus S86 ff. eine solche Strophe und Gegenstrophe von der gröfsten Schön- heit, die, gut gelesen, wahrhaft erhebend ist, und welche man sich nicht im ersten Verse durch die Kritik des Triklinius verderben lassen mufs: ’ ’ ’ ’ — VW DV UV U m yy uu n ’ ’ 2 u - VvV_-—- - vw. gu. ‚ 7 = U- —- UV u : ‚ - vv. —_- —- vu. ’ ’ 1; - vv. u--. °H vopos 4 Topos Av, 65 moüres Ev yruug Tod’ elarrare na yAurac demuScAoynsev, us TO undeugar naS’ Eaurev dgımrevsı Hang®. al unre ray mAcUry ÖaSgumrouevwv, HATE Tav YEvva MEYaAUvoHEUWV Ovra Xegvaray Egunreügan. Nur wer ohne musikalisches Gefühl ist, kann etwa an dem ersten langen Rhythmus anstofsen ; aber in diesen Strophen bedarf es vorzüglich der mu- sikalischen Beurtheilung, durch die man auch erkennen kann, dafs Vs. 5.4. die gleichmäfsige Endung einen harmonischen Zweck habe, daher sie auch in der Gegenstrophe wiederkehrt. Ganz verschieden von dem Dorischen Charakter aber, welchen die*Strophen haben, ist, wie bei Euripides, so auch bei Äschylos, die Epode, welche auf diese Strophen folgt: ’ ’ fi Br rn rn mn mn vo vuvvvuvVvvuvVvuueo Use Dre ’ ’ sk v me I ’ FR Fr en ‚ el vv vvVuvvVvvvvuVv | vv vu ’ ’ ur =uv—-v-v-_- wov-uU Ich setze noch dıe andere Strophe aus dem Prometheus Vs. 526 ff. her: ’ = vv— uvu— ’ ’ — Vo — UV a NV ——— ’ ’ ’ _— Vu — UV UV — DU wv— ’ ’ ’ = U- - - UV - U U - u. v ’ =-uv—_uv—_ ’ N ' je - uv- - U vuv-1v-X\T 284 Borcxm über die kritische Behandlung Mndan’ 6 mavra veuwv SET EuE yvuua ng@res ayrimancv Zeus, und’ Ewuramı Seods örias Soivas FOTWITTOMEV« Rovpovars, mag’ "Qneavod Margos anßesrov mögov, And” ariremı Acyaıs“ aa nor To” Eumevor nal u wor’ Enraneı. 10. Aus dem Bisherigen erhellt zur Genüge, dafs unser Gang durch- aus analytisch ist, weshalb auch von der Bestimmung der Grenzen aus- gegangen wird; wollte man synthetisch verfahren, so würde man nie sicher sein, ob man dem Dichter, welcher durch Synthesis diese Grenzen gebildet hat, richtig nachgegangen sei oder nicht: ohnehin könnte die Synthesis nur von schon bekannten Thatsachen und Grundsätzen aus- gehen, deren Anwendbarkeit aber erst durch die mittelst der Analyse zu erwerbende Bekanntschaft mit der eigenthümlichen Form dieser Ge- dichte entschieden werden müfste: und ehe dies geleistet ist, läuft man immer Gefahr, etwas Fremdartiges hereinzutragen. So hat man dakıy- lische Hexameter im Pindar zu finden geglaubt; die unbefangene Ana- lyse lehrt aber, dafs dergleichen nicht in ihm seien, und denkt man nach, so findet man auch den Grund dazu: nur mufs man niemals von solchen Gründen ausgehen und dadurch Thatsachen setzen wollen, sondern die Thatsachen erst analytisch ausmitteln und dann dazu die Gründe suchen, weil unsere Kenntnisse von der Iyrischen Dichtung der Hellenen fast ausschliefslich auf den wenigen Resten derselben be- ruhen, und folglich nichts aus allgemeinen Grundsätzen zusammenge- setzt, fast alles auf dem Wege der Zergliederung gefunden werden mufs. Wie leicht man sich irren kann, wenn man aus allgemeinen Grund- sätzen urtheilen will, zeigt ein mit dem eben Gesagten genau zusam- menhangendes Beispiel. Derselbe Grund nehmlich, weshalb der daktyli- sche Hexameter ausgeschlossen ist von der Pindarischen Rhythmik, kann auch auf die Ausschliefsung des dramatischen Senars ausgedehnt werden; nichts desto weniger findet sich dieser NVem. Y, str. 4. unzweifelhaft. Indessen ist die sichere Überlieferung über die Beschaffenheit der alten Rhythmen deshalb nicht ohne Einflufs auf die metrische Kritik : viel- mehr darf in derselben nichts angenommen werden, was der Überlie- ferung durchaus widerspricht, und eben so wenig, was den sichern all- 5 R der Pindarischen Gedichte. 285 gemeinen Grundsätzen zuwider läuft. Kein Hellenischer Dichter, dessen Werke zur musikalischen Aufführung bestimmt waren, kann Rhythmen gebildet haben, welche nach der Beschaffenheit der Hellenischen Musik in seinem Zeitalter unausführbar waren. Da wir nun aus den alten Phi- losophen und Musikern zuverlässig wissen, dafs aufser den drei Rhyth- mengeschlechtern, dem gleichen oder daktylischen, dem doppelten oder iambischen, und dem anderthalbigen oder päonischen, keines vorhan- den war, aufser dafs in den frühesten Zeiten noch das epitritische oder Einunddreiviertelgeschlecht geübt und nachher verworfen worden; so schliefst ein kritisches Verfahren alle die Rhythmen aus, welche der hochverdiente Hermann erfunden hat, namentlich auch die von den Kretikern unterschiedenen Päonen und die Epitriten, inwiefern sie nicht blofse trochäische Dipodien sind (1). Zwar kann man in Bezug auf die Epitriten sagen, wir wüfsten nicht bestimmt, ob sie zu Pindar’s Zeit noch einen besondern Rhythmus gebildet haben oder nicht; allein wir brauchen dies für unsern Zweck gar nicht zu wissen. Denn da man die Epitriten in den schweren trochäischen Dipodien sucht, welche in den Dorischen Gedichten vorkommen, diese Dipodien aber wie im Pindar noch vielfälig im Platonischen Zeitalter vorkommen, so genügt es, um zu zeigen, dafs man ohne Grund und Beweis die Epitriten in den Dorischen Gedichten als einen besondern Rhythmus ansehe, wenn man bewiesen hat, dafs im Platonischen Zeitalter, in welchem jene Epi- triten vorkommen, kein eigenthümlicher epitritischer Rhythmus aner- kannt wurde: denn alsdann ist auch kein Grund mehr vorhanden, eine Erscheinung, die in Platon’s Zeitalter nicht aus einem besondern Rhyth- mus erklärt werden kann, Sondern auf den trochäischen zurückgeführt werden mufs, gerade im Pindar aus dem epitritischen Rhythmus zu er- klären. Dafs aber Platon den epitriüschen Rhythmus nicht kennt, ist bereits anderwärts bemerkt; und doch war er der Liebhaber Dorischer Musik, welcher gerade jene Epitriten eigen sein sollen. Hiermit sind denn alle im Pindar gemachte Änderungen, welche blofs der Epitriten- theorie zu Liebe erdacht sind, als unbegründet ausgeschlossen. (1) Vergl. meine Vorrede zu den Scholien. 286 Borcxu über die kritische Behandlung 14. Dies ist in der Hauptsache der Gang, welchen die Kritik zu nehmen hat; ihn weiter ins Einzelne zu verfolgen, würde zu weit füh- ren. Auf diesem analytischen Wege mit Zuziehung der sichern Über- lieferung und des allgemeinen Metrischen, so weit es zuverlässig ist, habe ich mein in den Abhandlungen de Meiris Pindari enthaltenes System ge- baut, und den Thatsachen, nachdem sie gefunden waren, Gründe un- tergelegt ; aber in der wissenschaftlichen Darstellung mufste die Art der Findung gen werden: die Gründe gehen voran, die Thatsachen folgen, und die verwischt, und das Ergebnifs der Analyse synthetisch vorgetra- Einzelheiten belegen sie; aber in der Findung steht alles umgekehrt. "Wo die Analyse nebst allem Übrigen zur Entscheidung nicht hinläng- lich ist, habe ich dies gröfstentheils angezeigt, und beide Arten die Verse zu ordnen angemerkt. Der neueste Herausgeber weicht nun ge- rade in den letztern Fällen häufig ab, und hierüber ist wenig zu sagen, da die Entscheidung unmöglich ist: dagegen hat er bei einer grofsen Menge Stellen das Versmafs so besummt, dals es den Gedichten wider-- spricht und also geschnitten und geflickt werden mufste. Ich habe bei demselben wenig zugleich Neues und Gutes gefunden ; um dem Leser das Urtheil vorzubereiten, wıll ich was ich von bedeutenden Abweichun- gen bemerkt habe, hier zusammenstellen. Olymp. I, str. 5-5. folgen sich drei kurze Verse, und ihnen ein bedeutend langer ; die Leichtigkeit der Bewegung in jenen und das Anschwellen des Rhythmus in diesem befrie- digen ein wohlgewöhntes Ohr: und durch Verbindung von Vs. 4.5. ist nichts gewonnen als zwei Hiatus in der Mitte ant. «'. str. 6. Brechungen finden sich nach meiner Anordnung nicht; eine würde nur dann Statt finden, wenn Vs. 62,65. 7° &öwxev statt re Öörev eine richtige Änderung wäre. Zp. ı. 2. lese ich so: Zupanonıov Immoy,dguav Barırya. Adumeı de ol #Acos &v eüdvogı Audev TleAoros dronie. Der neueste Herausgeber theilt dagegen so: Zupanonıov Immoyapuav Barırya. Aaumeı de ci nAcos mag eüdvogı — dronie. Hermann hat irgendwo bemerkt, dafs, wer über Versmafse urtheilen wolle, sich im Lesen üben müsse; sowohl diese als viele andere Vers- der Pindarischen Gedichte. 287 abtheilungen lassen mich vermuthen, dafs dies nicht beherzigt worden: wie denn auch diese neue Versabtheilung das Ohr nicht befriedigt. Ep. «. ist rag’ ohne Zweifel falsch, und &, die wahre Leseart, welche aber der neuesten Anordnung widerspricht: und ep. @. fällt nun ein häfslicher Hiatus in die Mitte des Verses. Zp. Vs.6. hat man den Vers nach D) Sauyuare vorr« geschlossen, vermuthlich um ep.ß av statt &v beibehalten zu können; dieser Abtheilung wollte sich aber ep. y'. nicht fügen: üs Evverev* ou’ üngavras Ebanbar’ wv Ererı. Tov MEv dyamlwv Seas: daher wird ohne eine Spur in den Büchern umgestellt: WS Evverev: oÜd” av Edanbar dngavros Erenı. Tv m&.S. und doch ist es nicht bewirkt worden, das Versmafs herzustellen ; son- dern statt der mittlern Länge in dngavras wird eine kurze Sylbe erfor- dert. Olymp. IT, str. 6. 7. hat man verbunden ; die dabei zum Grunde gelegte Leseart str. @«‘. yeywvyre’ Omı (man wollte wol öri schreiben), rev dizacy Zevav kann zwar so nicht angenommen werden; indessen gebe ich diese Verbindung zu. Da nehmlich Vs. 6. or: (era) zu lesen ist, bleibt dieses zu kahl, wenn man nicht mit Hermann Zevwv schreibt; wodurch die unbestimmte Endsylbe, welche in Zevev war, entfernt wird. Ant. @'. ist zwar in "AAbeod |iavSeis ein Hiatus, aber kein unerlaubter. So ver- schwinden die Kennzeichen des Vers-Endes bei Eevuv, und der lästige An- fang eines Verses mit de str. @. empfiehlt nun die Zusammenknüpfung beider Theile. Ep. 5.6. sind ebenfalls verbunden, welches möglich ist, aber nicht gewifs; die daraus entstehende Länge des Schlusses ist aller- dings etwas, was für die Verbindung spricht; doch möchte ich mich da- durch in Fällen, wo auch die Trennung einen angenehmen und genü- genden Fall giebt, wie hier und Olymp. IF’. am Ende der Epode, und sonst, nicht allein leiten lassen, will jedoch die nicht tadeln, welche solche Verse lieber verknüpfen, wenn ihrem Gefühl der Zusammenhang derselben einleuchtend ist. Die falsche Abıiheilung von Olymp. III, str. 4. 5. ist schon oben (Abschn. 8.) gerügt; wogegen ich überzeugt bin, dafs die noch unverbundenen Verse ep. 4. 5. zusammenzuziehen sind (vgl. oben Abschn. 6.), welches auch von einigen andern gilt, wo jetzt noch ein ö° am Ende des erstern vorkommt. Olymp. IF‘. über- gehe ich ganz; meine Abtheilung habe ich ausführlicher gerechtferugt & 288 Borcxmu über die kritische Behandlung Metr. Pind. III, 25.; eine Verbesserung des Punctes, der mir in der- selben anstöfsig war, habe ich jetzt gefunden, und werde sie unten (Abschn. 41.) vortragen. Von Olymp. F. ist oben (Abschn. 8.) das Nöthige angedeutet worden; woselbst auch die falsche Theilung von Olymp. FI, str. 3. 4. bereits gerügt ist; aufserdem ist aber Olymp. VI, ep. 2. gewennt: eirev &v Orßaurı rasürev Tı Ewos: moIew argarias öhIaAuov Eucs, gegen die deutliche Fortsetzung des Rhythmus und ohne irgend ei- 5 nen Grund. Die Neuerungen in Olymp. FII. habe ich schon vorhin (Abschn. 7.) beleuchtet; die ebendaselbst ep. 2.5. gemachte Abtheilung lasse ich gelten, sie ist aber schon in meinen Anmerkungen gegeben. Olymp. FIIT, str. 5.6. sind verbunden worden; die unbestimmte End- sylbe lehrt die Trennung, und nur insofern hangen diese Verse zusam- men, als zu Ende des erstern für den Takt nicht pausirt wird (1). Da- gegen hat man ep. 6. gespalten; die kräftigste Analogie erfordert aber, sie zu verbinden (2). Obymp. IX, str.6.7. können allerdings verbunden werden (s. zott. critt.), und wegen ant. ß'. wo sonst areg ö° ans Ende des Verses käme, ziehe ich dies jetzt vor: aber 8.9. sondern sich durch sichere Kennzeichen; in der Epode mag man Vs, ı. 2. trennen oder ver- binden: denn Kennzeichen und Analogie verlassen uns hier; Vs. 35. 4. würde ich nur dann für verbindungsfähig halten, wenn nicht ep. &.,; uev die richtige Leseart wäre: ep. 8. ın zwei zu zerschneiden, verbietet die Analogie. Olymp. X, ı9. 20. sind verbunden worden, vermuthlich damit 7° yag nicht von Zupuls getrennt werde, welcher Grund aber leicht widerlegt werden kann; man lese nur die Tragiker, z. B. Sophokl. Antig. 67. 258. Oed. Tyr. 252. Obrmp. AI, str. 3. ist‘ gespalten, und dadurch der herrliche Rhythmus seiner Zierde beraubt. Zp. 4.5. kön- nen, wie ich schon früher’ zugegeben habe, verbunden werden, und ich ziehe dies zur Vermeidung des apostrophirten ds ep. «. vor; aber 7.8. müssen getrennt bleiben, wie sich unten bei der Kritik der Lesearten zeigen wird; über 9. 10. habe ich mich schon oben (Abschn. 5.) erklärt. (1) Vgl. Meır. Pind. S. 77. Explicatt. ad Olymp. FI. zu Ende der Einleitung. (2) Vgl. die Metr. Pind. S. 127. unter dem Trimeter catalecticus in disyll. ange- führten mit bis bezeichneten Stellen. der Pindarischen Gedichte. 289 Übrigens hat dies Gedicht so viele metrische Eigenthümlichkeiten, und weicht dem Gesammteindruck nach so sehr von den andern Pindarischen ab, dafs ich mich noch mehr von der Vermuthung (Metr. Pind. S. 279.) überzeugt habe, es folge der Lokrischen Harmonie. Olymp. XIT, str.6. welchen Vers man gespalten hat, entscheidet die Analogie für die Ver- bindung, die dem Gefühl ganz einleuchtend ist: in der Epode habe ich diejenigen Verse getrennt gelassen, deren Verbindung nach der Natur der Sache nicht erwiesen werden kann, und die Unsicherheit der Abthei- lung angemerkt; jedoch gebe ich zu, dafs Vs. 2. und 3. so wie Vs.5. und 6. gut verbunden sind. Ganz verwerflich ist dagegen der Schlufs so getheilt: zal dis &4 IuSavos IrSuc r’, "Eoyoredss, Feguc Nuudav Aourpa Barralcıs 5uAHv mag oizeiwıs agevgaus: denn ein nach der Pindarischen Analogie auch nur mäfsig gebildetes Ohr und das apostrophirte re lehrt, dafs "Epyorerss zum Vorhergehenden ge- hört; dann mufs sich also Segu« Nyupav dem folgenden Vers anschliefsen, welcher als Schlufs, wie gewöhnlich, länger ist. Was Olymp. XIIT. geneuert ist, kann, weil die Wortkritik dabei in Betracht kommt, hier noch nicht berücksichtigt werden. Olymp. XIV. übergehe ich hier; nur glaube ich bemerken zu dürfen, dafs durch die neueste Ausgabe dieses schöne Gedicht, um mich des Ausdruckes eines Freundes zu bedienen, ganz struppig geworden ist. 12. Kürzer als bei den Olympischen Oden können wir uns bei den Pythischen fassen. Möglich, aber nicht gut ist Pyth.T, ep.7. die Tren- nung nach der zweiten Dipodie; und Pyth. II, ep. ı. wird, wer den Fall der Pindarischen Rhythmen kennt, nicht nach xagıs (ep. «'.) schliefsen : ep.6.7. können allerdings verbunden werden; aber die Trennung ist nicht übel, besonders auch wegen ro Vs. 94. welches wie oben (Abschn. 6.) bemerkt worden, gerne den Vers schliefst. Ganz schlecht ist Pyth. ZIT, str. 4. nach Kocveu geschlossen ; die Länge des daktylischen Rhythmus, ’ a u erfordert durchaus noch einen Zusatz, damit der Sinn beruhigt werde. Dafs Pyth. F, ep. 7. 8. verbunden werden können, habe ich schon in den zott, critt. anerkannt, und ich ziehe diese Verbindung jetzt vor, wegen Hıst, philol. Klasse 1822-1823. Oo 290 Boscxm über die kritische Behandlung Vs. 72. (s. Abschn. 6.). Pyth. VI. beruht die Verbindung von Vs. 2.5. auf gänzlicher Unkenntnifs des Versmafses; ist Vs. 2. nicht selbständig, so muls er eher dem ersten Verse verbunden werden, wie ich ns in den nott. critt. (S. 482. vgl. zu Vs. 58. 59.) erwähnt habe: um aber Vs. 6.7. die unstatthafte Verbindung zu bewerkstelligen, hat man mit Zuziehung des berühmten Flickwortes ys schreiben müssen z«i nav Be- vorgare y'; Vs.8.9. zu verbinden, hätte schon der Hiatus str. «’. hin- dern müssen, nicht zu gedenken des häfslichen Rhythmus, welcher er- sonnen worden. Pyth. VII. mufs beim Mangel sicherer Kennzeichen unentschieden bleiben, ob die Verse, wie ich sie das weniger Kühne vorziehend gelassen habe, getrennt bleiben oder verbunden werden sol- len. Pyth. VIIT, str. 5.4. hat man verbunden ; für die Trennung ent- 5 scheidet der in dieselbe Stelle wreflende Hiatus ant. y'. €. Dals ep. 3.4. in meiner Ausgabe nur durch Versehen getrennt erscheinen, ist in den nott. eritt. bereits bemerkt. Pyth. IX, str. 6. ist nach diesem Mafse: er A, der Vers geschlossen ; ich bin aber völlig überzeugt, dafs der Heraus- geber eine Cäsur für ein Vers-Ende gegrillen hat; und wenn Vs. 118. die keinesweges ganz verwerfliche Verlängerung von xegov anstöfsig ist, kann sie leicht verbessert werden (Metr. Pind. S. ı28.). Ebendaselbst ist ep. 2. nach dem Mafse it se Brig ohne Grund geschlossen ; da dies Vs. ı22. nicht passen will, wird auf die schlechten Varianten der ganz unbrauchbaren Neapolitanischen Hand- schriften, die wir noch näher werden kennen lernen, eine Änderung ge- gründet, welche höchst verwerflich ist. "Avdg« wird nehmlich blofs, aus genannten Handschriften Tori yganız ev IN ygaunz Tori nv verändert, eine Leseart, welche selbst Vermuthung in avegı verwandelt, und aus den dann, wenn gute Bücher sie hätten, nicht zu billigen wäre: und den- noch ist damit keine Gleichheit des Mafses erreicht worden, sondern es g IR Sa vorausgesetzt, welche man, wo sie nicht aus innern Gründen oder auf diplomatischem Wege sicher ist, ist eine Auflösun nicht annehmen darf, wenn man die Kritik mit Verstand üben will. Pyth. X. ist der erste Vers der Strophe mit der Hälfte des zweiten ver- bunden ; aber ant. y'. beweiset die Unrichuügkeit dieser Abtheilung durch der Pindarischen Gedichte. 291 die unbestimmte Sylbe in $uyevres; welche man durch das geflickte u- yevres y für den Verständigen nicht gehoben hat. Den angeblich er- sten Vers schliefst man nach Haruupa Osrraria; str. ß. ist durch Druck- fehler der Schlufs nach derw gemacht, statt dafs dies in den folgenden Vers gehört hätte; jene Abtheilung ist aber nur scheinbar, weil nach dem Choriamben eine Cäsur ist: str. y. Vs. 58. pafst sie auch nicht, sondern zerschneidet awersgalrı ruvr&: was man dafür gesetzt hat aberegons drayra, würde recht gut sein, wenn ein Grund da wäre, den Vers hier zu schliefsen. Auch ep. F’s. ı.2. hat man verbunden ; Vs. 49. trennt sie aber der Hiatus. Dafs Pyth. AT. ep. ı. 2. verbunden werden kön- nen, habe ich schon in den nott. eritt. erinnert. 15. Über die Nemeischen Oden müssen wir etwas ausführlicher sein. Nem.J,str.4.5. sind verbunden worden, gegen den Hiatus Vs. 58. aber Vs. 7. ist in zwei getheilt worden; wobei jedoch scharf geschnitten werden mufste: denn Vs. 25. wird statt xpm Ö° &v eüldeluus ödeis areiyevra geschrieben gm 8° odeis areigovr’ &v eüSeiuı, welche Wortstellung schlecht ist, weil das Wort, welches den Hauptnachdruck hat, zu spät kommt; ebenso mufste Vs. 45. 5 0° 60-Sov WEV aulreıvev naoa in 6 Ö’ ayrewe nv 09:Fov zagu verwandelt werden; beides ohne eine Spur in den Handschriften, und nur Vs.68. wo giraisı zewov haudinav in prrais renvs rav padimav Ver- ändert ist, geben diese Leseart die Neapolitanischen Handschriften, welche durchaus interpolirt sind. NVem.II, str. 4. ist nach @yavwv getheilt; schon der Gang des Rhythmus lehrt die Unrichtigkeit dieser Trennung, wenn auch zicht Vs. 19. in Hagva|rö eine Brechung entstände. Denn Hlagvarz ist die einzig wahre Leseart, die auch in den Scholien befolgt ist; was hier in den Neapolitanischen Handschriften dafür steht, rerge Secl, ist eine kläglich allgemeine Bezeichnung, welche auf viele andere Felsen gehen könnte und Pytho gar nicht hinlänglich bestimmt; dafs diese Leseart auf Interpolation beruhe, ist mir nach der Beschaffenheit jener Hand- schriften ganz gewifs: wiewohl ich nicht einsehe, wodurch diese Inter- polation veranlafst wurde, wenn nicht in der Handschrift des Kritikers eine Lücke war. Dafs Nem.III,ep.ı. nach rr«yav getheilt werden kann, ist freilich klar, und in den note. critt. schon angezeigt: überzeugt bin ich jedoch davon nicht; aber da man, wo der Zusammenhang der Verse nicht deutlich ist, die Trennung vorzuziehen geneigt sein mufs, finde ©50*2 292 Borcexn über die kritische ‚Behandlung ich diese hier lobenswerth, da zumal den Schwachen dadurch weniger Ärgernifs gegeben wird. Nem.IV, str. 2.3. sind zusammengezogen wor- den; Vs.10.54.82.90. liefern durch Hiatus und unbestimmte Sylbe den Gegenbeweis; denn wie man das Versmafs erklärt hat, um die unbe- stimmte Sylbe zulässig zu machen, davon zu reden lohnt nicht der Mühe. Nem. F, str. ı. ist nach dem iambischen Dimeter -u-s2u- ein Vers geschlossen; welches nach der Schreibart der guten Bücher nicht an- geht, weil Vs.7.57. Brechungen eintreten; aber diese glaubt der neueste Herausgeber überwunden zu haben, indem er aus den schlechten Le- searten der Neapp. Mss. Vermuthungen gebildet hat. Statt der Lese- art der guten Bücher Vs: 7. &x d& Kocvou zal Zuvös Nawas geben nehmlich die Neapp. Mss. Nawas en d8 Koovou #al Zuves, welche Wortstellung theils wegen des ö&, theils auch aufserdem schlecht ist; aber was soll man erst zu der sagen, welche daraus gebildet worden ist, Newas &n Koovou de nal Zuvos? Vs. 37. steht yaußgev Ieredcuva Feiras, 65 Alyatey: die Neapp. Mss. haben: IHeradıwva ci reiSwv: hieraus ist, indem auch &s in Osmep verwandelt worden, nunmehr gemacht: YayBgov Iloreıdav’ ci mı9wv, OsTeg Alyasev. Auf diese Weise kann freilich alles bewirkt werden. Die Lese- arten jener Handschriften sind gemachte; und sie haben deshalb, dafs ich nicht finden kann, warum sie so gemacht sind, nicht mehr Ansehen, als die andern, bei welchen man die Gründe erkennen kann, warum sie gemacht sind. Nem. V, str. 2. ist hinter dxarw geschlossen, welches darum nicht möglich, weil, während kein Kennzeichen des Schlusses da ist, gleich fünf Sylben später sich ein sichrerer Schlufs darbietet durch den Hiatus Vs. 26. und die wiederkehrenden starken Interpunctionen. Ep.ı. ist nach Yauasaa, ep. 2. nach &ireiv getrennt, weil ich nicht ge- getrennt hatte; der Leser wird leicht finden, welches von beiden besser sei. Dem vierten Verse ist aus unserem fünften ein Kretkus (ep. d. zegölwy) zugesetzt; es gereicht mir zum Vergnügen, dies als vortrefflich hervorheben zu können, da es die Worte &£ eügavev Vs. 54.55. in Ver- bindung bringt. Umgekehrt ist Vem. YT. str. der Schlufskretikus des vierten Verses dem fünften vorgeschlagen worden; und diese Abtheilung kann man einen Augenblick für wahr halten, da Vs. ı1. und 27. die . Interpunctionen sie empfehlen. Allein man kommt bald davon zurück, wenn man Vs.50. sieht, dafs die unbestimmte Endsylbe in Trr0IEv VEer- der Pindarischen Gedichte. 293 langt, diesen Kretikus an das Ende des vorhergehenden Verses zu brin- gen; denn die Leseart 77%09ev Y, welche man aus der Ald. genommen hat, ist Flickwerk, um der falschen Abtheilung zu Hülfe zu kommen. Dazu kommt, dafs Vs. 27. #38 rcı nach einer oben gemachten Bemer- kung den Vers sehr gut schliefst (s. Abschn. 6.): und man kann sich also nur wundern, warum der Dichter gerade zweimal vor dem Kreu- kus interpungirt habe. Der kritische Metriker mufs auch auf solche Kleinigkeiten aufmerksam sein; und je weiter die Wissenschaft gediehen ist, desto besser kann man auch in diese eindringen. Hier mag es ge- nügen, darauf aufmerksam zu machen, dafs der Dichter gerade vor dem Schlufskretikus zu interpungiren pflegt; den Grund dieser unläugbaren Erscheinung kenne ich noch nicht: Beispiele starker Interpunctionen an dieser Stelle sind Olymp. III,9. 15. Pyth. I, ı6.17. III, ıg.40. Nem. FII,6. IX, 9. 17.55. /sthm.IV,ı6.; auch bei aufgelösten Kretikern, Pyth. I, 55. 75. Nem. III, 5.; schwächere Interpunctonen der Art sind DYKSTLE17863293. ZX 5 Ay: ZT, 3:65 Nem. Sy» Frgır A % In demselben Gedicht Nem. YT, str. 6. ist der letzte Ditrochäus (str. «. aus rerucs) dem nachfolgenden Verse zugetheilt worden ; Vs. 15. ist aber der Hiatus dagegen, und wenn auch dieser fehlte, wäre die Abtheilung doch unrichtig, weil sie keinen Rhythmus giebt: denn ein solches Mafs, 9’ =u---|w-w-uru- ist im Pindar ein Unding: daher mufs -0-= ans Ende des vorher- gehenden Verses, indem hier die unbestimmte Endsylbe der trochäischen Dipodie den Schlufs vollkommen beweiset. Zp.6.7. sind verbunden worden; dafs Vs. 44. rer’ im Anfange des Verses nichts gegen sich hat, und folglich nicht für die Verbindung beweiset, ist schon in den nott. eritt. erläutert; denn 7’ ist öfter protaktisch ganz im Anfang des Satzes gebraucht worden; und Vs. 20. ist die unbestimmte Endsylbe vor Eraure raSay gegen die Verbindung. Um sie zu bewerkstelligen, hat man denn umgestellt Aa«Sav Eravse, welche willkührliche Wortstellung auch der Sinn nicht empfiehlt; denn der Nachdruck liegt auf eravse. Wenn diese beiden Verse zusammenzuziehen sind, so mufs man zarraurs AuSav schrei- ben. Nem. FIT, ep. 5. ist in dem, dem häufigen Gebrauche nach etwas längern Schlufsverse, wie ich ihn gegeben habe, nach maSey getrennt; um dies zu bewerkstelligen, hat Vs. 84. viv zu Anfang des Verses gestellt 294 Borcxu über die kritische Behandlung werden müssen, was ich nicht irgendwo ıhun würde, wenn nicht ein malender Ausdruck es erfordert, der hier nicht statt findet (vergl. oben Abschn.6.). Wie nun aber der Kritiker, der 8. 152. so erbost ist, dafs ich enklitische Wörtchen den Vers anfangen lasse, es selbst thun konnte, mögen Andere begreifen. Doch nicht genug: Vs. 105. widerspricht oben- drein jener Abtheilung in renvolloı are: vasch schreibt er rexvaıs were, un- bekümmert darum, dafs ser statt des Tribrachys einen Trochäus in die Stelle bringt, welchen der Dichter hier nirgends gebraucht hat. em. FTIT, str. 1. ist nur getheilt, weil ich verbunden habe; auch sir. 5. ist getrennt, wogegen sich aufser dem ant. £. (Vs. 25.) ans Ende kommen- den ö° Vs.42. stemmte: gsiu d& ravrolla pirwv dvögwv: statt dvdgav haben die Neapp. Mss. evri: daraus ist nun die unwahrscheinliche Leseart ge- bilder: 1geia BiRwv de | evri mavreia. Dem zweiten Verse der Epode ist aus dem dritten das Mafs „u-7-u- zugefügt; den Gegenbeweis liefern Vs. ı2.29. die Hiatus und Vs. 46. die unbestimmte Endsylbe in Aaßger, welche man durch die Änderung Aaßgev y' kläglich versteckt hat. Ep.7. ist nach @ureuSeis getrennt; möglich, aber nicht wahrscheinlich. Nem. IX, str.2. ist nach diesem Mafse ein Vers geendigt worden: I ee er Meistens endet ein Wort hier, welches aber nur in der Cäsur, nicht im Vers-Ende gegründet ist; und schon das 8° Vs. ı4. (uns. Ausg.), welches ans Ende kommt, ist dagegen. Vollends aber Vs. 22. wo 'Irjurv& gespal- ten werden müfste, beweiset für die Verbindung ‚mit dem folgenden. Dies hat jedoch der Herausgeber seiner Meinung nach gehoben. Denn statt &vreriw: "Ir|unved 8° &m° ou Surı yAuzv schreibt er: Evresw- Em’ | 0% 9airı 8° ’Irunv& yavzlv. Aber abgerechnet, dafs diese Wortstellung rhetorisch schlechter, und dafs &r’, ganz abgetrennt nach beiden Seiten hin, stüm- perhaft ist, enthält diese Leseart zugleich einen metrischen Fehler, in- dem auch in der unbestimmten Endsylbe die Kürze nicht statt der Länge stehen darf, wenn sie vor dem Apostroph steht (Metr. Pind. S.62.). Ebendaselbst str. 4. ist nach folgendem Mafse getheilt: ee lin 5 ee ohne das geringste Kennzeichen: zwei Stellen sind dagegen, Vs. 29. EyXewv Taurav Savarsvu megt zu Lwläs dvaßarrouaı, und Vs. 54. üradilgur. An letzterer halfen die elenden Neapp. Mss. durch die Leseart Uarmıs der Pindarischen Gedichte. 295 wv: diese hat man aufgenommen, aber &uv schreiben müssen, weil «v nicht Pindarisch ist. An der andern Stelle ist geschrieben worden: &y- xEuv Qwas megı nal Savarcıo | rav 8° avaßarrouuı; einigermafsen auch mit Hülfe jener Handschrifsen, welche geben: &yxswv ravde Lwas reg zu Sa- vers avaßarrcucuı; aber gesetzt auch, dafs dieselben besser wären, so be- wiesen sie doch immer noch nicht für jene willkührliche Veränderung. 14. Wir kommen zu den Isthmien. Zsthm. I, str. 5. 4. sind ver- bunden worden; Vs. 26. macht der, obgleich nicht unerlaubte Hiatus die Trennung dennoch wahrscheinlicher. Derselbe Fall, auch in Rück- sicht des Hiatus (ep. «'.) ist /sthm. IT, ep. 2. 5. so wie ep. 5. 6. welche verbunden werden können; warum ich es nicht gethan habe, ist nott. erit. 5. 561. gesagt. /sthm. III. in den Epoden sind nach meiner Ab- theilung die vier ersten Verse kurz, die zwei letzten lang: dies kann frei- lich Vielen anstöfsig sein, bedarf aber nach allem schon Gesagten keiner Rechtfertigung, und geht aus der unbefangenen Zerlegung als Ergebnifs hervor. Jetzt hat man Vs. 2.5. verbunden, ungeachtet Hiatus, unbe- 5 stimmte Endsylbe und Interpunetionen durch alle vier Epoden so zusam- mentreflen, dafs kein Zweifel an der Trennung übrig bleibt. Vs. 5. ist ohne irgend ein Kennzeichen nach suvveuer getrennt, da doch der Rhyth- mus augenscheinlich ununterbrochen fortgeht ; Vs. 6. wird ebenfalls ge- trennt, wo aber gleich Vs. ı8. geändert werden mufste, weil die beliebte Trennung das Wort &£arrafev nach der ersten Sylbe zerschneidet. Nun ist zwar die gemachte Änderung anders | arrufev statt dor’ &E|arrafev scheinbar. sehr leicht; aber abgesehen von der Analogie, welche den langen Schlufsvers vertheidigt, schon deshalb unverzeihlich, weil durch- aus nicht begreitlich ist, wie e£arra£ev hätte entstehen sollen. Denn wenn man noch sag um die unbesummte Endsylbe zu verdrängen, die nach sonstiger Abthei- en könnte, aAror’ E£arrafev hätte ein Metriker geschrieben, lung in die Mitte des Verses gefallen sei, so wäre das etwas gesagt; al- lein die Alten schlossen den Vers gerade mit «Aror’ £E- und so hätte das <£ eher wegfallen können am Ende des Verses, als dafs es irgend Einer zusetzen konnte. Zsthm. IF. ist stark verbunden, erstlich str. 5. 4. dann 5.6. beides als möglich in den nott. eritt. schon zugegeben: ja ich habe noch mehr zugegeben, dafs nehmlich 5-7. verbunden werden können; und wenn einmal Einer hier ans Verbinden geht, mufs er nicht auf 296 Borcxkı über die kritische Behandlung halbem Wege stehen bleiben. Wenigstens ist ein Grund vorhanden, Vs. 6. und 7. zu verbinden, was ich jetzt thue, damit nehmlich str. £'. das apostrophirte de zu Ende des Verses entfernt werde. Hierdurch ent- steht ein langer Schlufsvers, wie er so oft vorkommt. Zp. 5. 4. sind ohne allen Grund verbunden; durch alle drei Epoden treffen die Kenn- zeichen, Hiatus und starke Interpunction, wie auch ep. y. ein erlaubter Hiatus ist, so zusammen, dafs die Verbindung unzulässig wird. /sthm. F,' str. 5. ist nach & Zed getheilt, möglich, aber unwahrscheinlich ; da ich jedoch, wo sichere Kennzeichen der Verbindung fehlen, die Trennung vorzuziehen pflegte, wäre es folgerechter gewesen, wenn ich dort ge- trennt hätte, da zumal die Länge des Rhyıhmus vielen Anstofs geben konnte. Ep. 4. 5. ist die gemachte Verbindung möglich, und ist mir auch wahrscheinlich ; da niemand an ihr Anstofs nehmen wird, möchte ich sie befolgt haben. /Zsthm. FT, str. 5. ist der Schlufs --u-u- zu einem eigenen Verse gemacht; widerlegt kann dies nicht werden ; aber die Analogie spricht für das Gegentheil. Ep. 5. 4. ist die schon in mei- nen Anmerkungen als möglich anerkannte Verbindung ungewifs; ep.6. 7. sind auch verbunden; und wenn Vs. 55. der Hiatus, den man nicht er- tragen kann, gehoben sein wird, werde ich dagegen nichts einzuwenden haben. So lange dies nicht geschehen ist, kann man die Verse nur so, wie ich gethan habe, abtheilen: die Leseart der Neapolitanischen Hand- schriften aber, "OixAeos re raid, welche verwandelt in ruid« 7’ "OixrYos dem Hiatus abhelfen würde, kann man nicht berücksichtigen, da jene Handschriften aller diplomatischen Glaubwürdigkeit entbehren, wie ge- naue Untersuchung mich belehrt hat. /sthm. VII, ı. 2. sind verbunden worden zu diesem Unding von Versmafs: a, ES SE Te Will man nicht das Ende von Vs.ı. und den Anfang von Vs.2. an ver- schiedenen Stellen ändern, so können beide nicht verbunden werden ; denn es würden aus den jetzigen Lesearten zwei unvereinbare metrische Figuren entstehen, Str. a‘. ß'. 8’. (wenn man esre liest) s'. C. N] ’ ’ ’ m m ER I RE TE ER SA lee und Str. y'. €’. RN ’ = Ü ’ u--u-wu-u-|---0-02w- der Pindarischen Gedichte. 297 und will man auch str. e‘. Vs. 41. mit Hermann eöSö schreiben, so bleibt doch str. y‘. Vs. 21. 22. übrig, wo Hermann’s Veränderung zu hart und gewaltsam ist, als dafs sie angenommen werden könnte. Hermann, des- sen grofse Verdienste nicht nur um die Metrik, sondern auch um den Pindar insbesondere wiederholt anzuerkennen mir heilige Pflicht ist, hat sehr wohl eingesehen, dafs jene beiden metrischen Figuren unverein- bar sind, und daher die eine durch Veränderungen zu vernichten ge- sucht; so lange nun diese nicht anerkannt werden können oder durch bessere ersetzt sind, mufs eine andere Auskunft getroffen werden. Diese liegt aber in der Trennung der Verse, welche jene beiden metrischen Figuren einzig vereinigen kann: [7 ] ’ m N a A 2 © JO Ep Ba RE 1 ee So wobei nur die Auflösung der Anakruse des zweiten Verses Anstofs erregt, welcher aber gering ist, weil die Auflösung in den Eigennamen 'FAevav fällt. In derselben Ode ist jetzt Vs.5. in drei getheilt; ein Setzerkunststück, wo- durch dieser zwar lange aber äufserst schöne und kunstreiche Rhythmus, der nur in dieser Einheit vollständig begriffen werden kann, in bezie- hungslose Glieder zerstückelt wird. Dieser systematische Rhythmus kann eben so wenig abgeläugnet werden, als die Alkaische Ionische Dekapodie; will man ihn aber für das Auge, nicht für Stimme, Ohr und Sinn, nach Einschnitten in Kola theilen, wie Bentley jene Dekapodie, so werden diese Abschnitte allerdings am besten nach dem dritten und fünf- ten Choriamben gemacht; nur mufs man sich nicht einbilden, es seien dadurch drei Verse entstanden. Endlich hat man noch Vs. 8.9. verbun- den: allein dies Vers-Ende, welches auch Hermann verdunkeln will, ist eines der klarsten. Die str. ö'. Vs. 58. stehende Schlufslänge statt der in dem Gedichte herrschenden Kürze will ich zwar nicht als Beweis an- führen, da die Leseart des folgenden Verses unsicher ist und je nach der Art der Verbesserung auch der vorhergehende dadurch eine andere Ge- stalt erhalten kann: aber str. @. Vs. ı8. wiflft in diese Stelle ein Hiatus, der allein den Beweis zu führen hinreichte: und unter sieben Strophen treffen ebendahin fünf starke Interpunetionen, die nicht einmal als Kenn- zeichen einer Cäsur hier angesehen werden könnten, und wovon nur die letzte Vs. 68. zweifelhaft gemacht werden kann, weil sie auf einer nach- Hist. philol. Klasse 1822-1823. Pp 298 Boercxm über die kritische Behandlung her zurückgenommenen Veränderung von Hermann beruht: wir wollen uns aber das nicht nehmen lassen, was er ehemals richüg eingesehen und aus dem Bestreben, noch Besseres zu finden, wieder aufgegeben hat. 15. Wir verlassen jetzt die meirische Zergliederung des Werkes, wobei uns zugleich schon die Überlieferung und das allgemeine Me- tische zu Hülfe kam, und wenden uns zu dem zweiten Haupthülfs- mittel der Kritik, der sicheren Überlieferung in Bezug auf die Lese- arten, wobei denn wieder das Allgemeine aus der Kenntnifs der Sprache uns unterstützen mufs; zugleich werden wir hierbei auf die metrische Analyse wieder zurückkommen und zeigen, wie diese und die Überlie- ferung über die Lesearten einander die Hand bieten, und durch ihre Vereinigung in vielen Punkten die Untersuchung abgeschlossen wird. Unter der sichern Überlieferung in Bezug auf die niedere oder Wort- kritik verstehen wir aber alles dasjenige, was durch geschichtliche Be- wachtungen mit möglichster Zuverlässigkeit ausgemittelt worden über die ursprüngliche Beschaflenheit des Textes und die Veränderungen, welche er allmählig erlitten hat. Jede Leseart ist ein geschichtlich Gegebenes; es kommt darauf an, aus der Masse dieser gegebenen kleinen Thatsachen ein Ganzes zu bilden, in welchem zugleich die Geschichte des Textes überhaupt und die Geschichte jeder einzelnen Stelle, wobei ein Beden- ken statt finden könnte, enthalten sei. Da alle geschichtliche Überliefe- vung auf den Quellen beruht und nach deren Beschaffenheit beurtheilt werden mufs, so ist die Würdigung der Quellen hierbei eine Haupt- sache, um so mehr bei der Geschichte eines Textes, bei welcher die Quellen mit dem Stoffe, welchen sie überliefern, zum Theil eins sind: denn jeder Text einer Handschrift ist zugleich Quelle und zugleich als Text der Stoff der Überlieferung. Es kann natürlich auch hier nicht die Absicht sein, in eine ausführliche Erörterung allgemeiner kritischer Grundsätze einzugehen, sondern ich wende mich gleich zu unserer be- sondern Aufgabe, nur weniges voraus erinnernd. Die geschichtlichen (Juelien der Leseart sind die Anführungen, Anwendungen und Nachahmungen der Alten, die Scholien, Handschriften und er- sten Ausgaben, welche aus Handschriften gezogen sind; letzterer ha- ben wir bei Pindar zwei, die Aldinische und Römische; doch ist bei letzterer der Text hier und da von Kalliergos schon nach den nn der Pindarischen Gedichte. 299 Scholien fesigesetzt. Die Anführungen, Anwendungen und Nachahmun- gen zeigen, was der, von welchem sie herrühren, in seinem Texte ge- lesen hat; sie sind meist älter als die übriggebliebenen Handschriften : nur mufls man wissen, ob der Schriftsteller, bei welchem sie vorkom- men, wirklich so geschrieben hat, oder auch seine Worte entstellt oder aus einem spätern Texte des angeführten Schriftstellers verändert und demselben angepafst seien; auch ob der Anführende oder Nachahmende nicht absichtlich oder aus Nachlässigkeit oder Gedächtnifsfehler die Stelle anders gegeben habe, als er sie vorfand. Die Scholien, welche die Hand- schriften enthalten, geben die Lesearten, welche die Grammatiker in ih- ven Handschriften vorgefunden oder hineingeseizt hatten: die Handschrif- ten, von welchen die ersten Ausgaben, wenn sie nicht mit kritischer Auswahl der Lesearten gemacht sind, nicht unterschieden zu werden brauchen, geben aufser den Schreibfehlern und einzelnen Irrungen, wo- hin die Aufnahme von Glossemen statt der glossirten Worte gehört, irgend einen zu einer gewissen Zeit gangbaren Text. Zeigt sich bei Vergleichung aller dieser Quellen eine bedeutende Verschiedenheit der Leseart, so verliert sich die Wahrscheinlichkeit, dafs diese Verschieden- heit zufällig entstanden sei, und des Kritikers erstes Bestreben mufs als- dann sein, die absichtlichen Recensionen zu entdecken, welche der Text erlitten hat, und sie auf ihre Urheber zurückzuführen , sei es auf den Verfasser selbst, ‚woran man bei Pindar nicht denken kann, oder auf Grammatiker. Hat man erst Recensionen aufgefunden, so wird man nicht mehr blofs die einzelnen Lesearten aus sich selbst beurtheilen, welches häufig nicht zum Ziele führt, sondern die Kritik wird gleich- sam systematisch und geht aus ihrer gewöhnlichen Kleinlichkeit ins Grofse; mit Einem Schlage eröffnen sich weite Aussichten und das Ur- theil erstreckt sich zugleich auf ganze Massen von Lesearten. Diese Art Kritik gewährt nicht nur eine gröfsere Sicherheit, sondern sie befrie- digt auch den Geist weit mehr als das schwankende Abwägen der ver- schiedenen Lesearten, wo man häufig eben nur von der Schönheit der einen oder andern Leseart reden, keinesweges aber zu einer geschicht- lichen oder diplomatischen Überzeugung gelangen kann. Nicht als ob dieses Abwägen ausgeschlossen wäre: vielmehr wo Auffindung und Be- urtheilung der Recensionen erst aus den Einzelheiten zusammengesetzt Pp 2 300 Borcxkm über die kritische Behandlung werden mufs, geht auch diese Kriuk von jenem aus, und überall mufs bei derselben Kenntnifs der Sprache, allgemeine und analytische Beur- theilung des Versmafses und alles, was sonst zur Würdigung der Lese- arten gehört, mitwirken; hat man aber an gewissen Stellen, wo die Enı- scheidung mit gröfserer Gewifsheit möglich ist, ein sicheres Urtheil ge- bildet, so entscheidet dies für die Gesammtheit der Lesearten aus der- selben Recension, vorausgesetzt, dafs die Einerleiheit der Recension nicht im Zweifel sei. Freilich kann man nicht läugnen, dafs die Auffindung der Recensionen und die Vertheilung der Lesearten unter dieselben bis- weilen mit grofsen Schwierigkeiten verbunden ist: und darum darf man sich nicht wundern, dafs dieses kritische Verfahren bei manchen Schrift- stellern, wo es sehr nothwendig wäre, wie bei Herodot, noch nicht bedeutend angewandt worden; wo es aber, wie bei Pindar, weder an geschichtlichen Zeugnissen über die Veränderung des Textes, noch an deutlichen Kennzeichen für die Beurtheilung der Handschriften fehlt, kann diese Kritik völlig zur Klarheit gebracht werden, und würde sich noch leichter üben lassen, wenn die verglichenen Handschriften alle gleich vollständig und nach derselben Ausgabe verglichen wären. So weit die bis jetzo bekannten Quellen reichen, wollen wir nun im Folgenden die Geschichte des Textes in allgemeinen Umrissen darstellen, und mit ein- zelnen Beispielen belegen; von welcher Untersuchung alle Lesearten aus- geschlossen bleiben, welche nicht aus den obenberührten Quellen her- rühren: denn aufser den beiden ersten Ausgaben sind alle übrigen ohne Ansehen, und brauchen in der Kritik nicht berücksichugt zu werden. 16. Wollen wir aber diesen Gegenstand bei der Wurzel fassen, so müssen wir wo möglich bis in das Pindarische Zeitalter selbst zurück- gehen. Aus den Händen des Dichters kamen die Gedichte einzeln; wer sie zuerst gesammelt und wie man über die Anordnung gestritten habe, ist nicht unbekannt (1); und dafs bei der Sammlung und Anordnung die Grammatiker den Text in eine ihren Zeitgenossen leserliche Gestalt brachten, versteht sich von selbst, wenn es auch nicht überliefert wäre. Fragt man aber, wie die frühesten Handschriften beschaffen waren, so (1) $..die Vorrede des Scholienbandes, Bd. II. $.ıx ff. und die Einleitung zu den Bruch- stücken, desgleichen die Einleitung Bd. II. Th. II. $. 19. unten. der Pindarischen Gedichte. 301 kommt hier vorzüglich dreierlei in Betracht: in welchen Zeiten, mit welcher Schrift, und wie treu sie geschrieben waren. Man müfste sehr unbekannt mit dem Schriftwesen des Alterthums sein, wenn man glau- ben wollte, die Alten vor den Grammatikern hätten diese Verse, welche, wie man sie auch ordne, sehr ungleich sein mufsten, abgesetzt geschrie- ben; heroische Hexameter, elegische Distichen und solche gleichartige und ungefähr gleich lange Verse schrieb man häulig abgesetzt, wie meh- rere Inschriften zeigen; aber diese ungleichartigen wurden gewifs in der Regel ohne Unterscheidung geschrieben, da man ja auch die Sätze und Worte nicht regelmäfsig abtheilte, sondern nur hier und da theils Sätze, theils Worte, selbst solche welche zusammengehören, wo es nö- thig schien durch Interpunction trennte, namentlich durch :, nachher :, welche beide Formen der Interpunction, wie die Inschriften zeigen, die ältesien sind; und auch diese warf man nachher weg, bis die Gramma- uker neue erfanden. Höchstens kann man zugeben, dafs ähnliche Zeichen auch in zweifelhaften Fällen zur Unterscheidung der Verse gebraucht wurden; übrigens waren sie gewils so zusammengehängt, wie die Verse in unsern Gesangbüchern. Soll dies bewiesen werden, so beweiset es die Überlieferung, dafs Aristophanes von Byzanz und Ändere die Ge- dichte der Lyriker, und namentlich des Pindar, in Glieder (z@r«) theil- ten (1); ohne Zweifel auch mit Zulassung von Brechungen, welche, wie wir gesehen haben, Andere wieder aufhoben : hieraus erhellt, dafs keine Abtheilung, wie sie überliefert worden, ein geschichtliches An- sehen hat, weil keine ins höhere Alterthum reicht. Aber in welcher Schrift waren die ältesten Texte abgefafst? Bekanntlich bedienten sich die Hellenen zuerst des sogenannten Kadmeischen oder Attschen, und nachher des Simonideischen (2) oder Ionischen Alphabetes, beider je- doch mit gewissen Abweichungen je nach der Gewohnheit einzelner Städte und Zeitalter oder auch einzelner Menschen: die Beschaflenheit beider Alphabete ist bekannt, und weder sie noch die verschiedenen Eigenheiten der Städte, Zeitalter und Finzelner in der Schreibart hat (1) . Vorr. z. den Schol. S.x. (2) Ich nenne. es nach dem Haupturheber das Simonideische, ohme auf den Antheil, welcher dabei dem Epicharmos zugeschrieben wird, Rücksicht zu nehmen. 302 Bozcku über die kritische Behandlung - für die Kritik Wichtigkeit, wenn man das Digamma, die Doppelung oder einfache Schreibung der Mitlauter und die Selbstlauter ausnimmt. Ich übergehe die beiden erst genannten Puncte der Kürze wegen ; bei den Selbstlautern aber ist es sowohl in Rücksicht des Dialektes als auch wegen vieler Lesearten sehr wichtig zu wissen, in welcher von beiden Schriften diese Gedichte ursprünglich geschrieben waren: was ich frü- herhin nur leise zu berühren wagte (1). Folgendes sind die Haupt- fragen: Ist in den ältesten Handschriften Kpsilon, Eta und EI unter- schieden worden, oder sind sie alle mit E bezeichnet gewesen, und ist demnach der Zug H noch zur Bezeichnung des Hauches gebraucht, oder das Zta schon mit H, der Hauch aber mit F oder gar nicht bezeichnet worden? waren Omikron, Omega und OY verschieden oder alle mit O bezeichnet? die Lösung dieser Fragen hängt von der Geschichte des Al- phabeıs ab, welche aber noch nicht so ins Einzelne betrachtet ist, dafs wir uns auf Andere berufen könnten; die sicherste Quelle sind ‘aber die Inschriften, welche in jenen einfachen Zeiten unmöglich in einer andern Schreibart als der jedesmal gewöhnlichen verfafst sein können, aufser dafs an einigen Orten die öffentlichen Schriften des Staates länger als anderwärts in einer alterthümlichen Schrift konnten geschrieben wer- den, die aber doch noch allgemein verständlich sein mufste. Man weifs, dafs bis auf den Archon Euklides Olymp. 94, 2. zu Athen alle öffent- liche Staatsverhandlungen in der alten Attischen Schrift abgefafst wur- den, und dafs man sich zuerst bei der Aufschreibung der damals be- kanntgemachten neuen Gesetze auf den Vorschlag des Archinos des Io- nischen Alphabets bediente: daher bildet jene Epoche in den von Staats- wegen geschriebenen Inschriften der Athener einen so festen Abschnitt, dafs man ohne Ausnahme angeben kann, ob ein in einer Inschrift auf- behaltenes Denkmal, welches von Staatswegen abgefafst worden, vor oder nach dem Beschlufs des Archinos verfafst worden; und unter so vielen Denkmälern findet sich nur ein einziges, noch nicht herausgegebenes, wo das H vor Euklid etliche mal vorkommt. Da dies aber auf einer Ver- ordnung beruht, welche der Staat ausgehen liefs, und diese erst dann erfolgen konnte, wenn das Ionische Alphabet nicht mehr ungeläufig war, (1) Nott. erütt. Nem. I, 24. X, 62. Pyth. XI, 58. ü> der Pindarischen Gedichte. 303 so folgt hieraus nicht, dafs früher das Simonideische oder Ionische Al- phabet nicht schon sehr häufig im Gebrauch gewesen (1): indessen würde es eben so verkehrt sein zu glauben, man habe sich desselben seit Simonides allgemein und ausschliefslich anderwärts oder in Athen bedient. Eine neue Schreibart wird nur allmählig allgemein, und man fällt oft wieder in die alte zurück: davon geben die Auischen Inschrif- ten selbst des Staates, bei welchem wir dies am leichtesten verfolgen können, den deutlichsten Beweis, indem in denselben keinesweges völlige Gleichheit herrscht. Das H als Bezeichnung des Hauches fehlt schon ‚sehr häufig in den Inschriften vor Euklid in einzelnen Wörtern, die den- noch aspirirt gesprochen wurden; Olymp. 94, 2. verschwindet es ganz, sg des 2: 5 statt QI findet man dennoch später nicht selten Ol. In der Schrift vor indem es Zeichen des Zta wird, zugleich mit der Einführun Euklid wird statt OY in der Regel O geschrieben; aber dennoch ist in gewissen Worten, wie cöres, cöx und in Eigennamen selbst in den Auischen Inschriften OY gesetzt worden (2), in Eigennamen bisweilen auch Y statt OY; nach der Einführung des Ionischen Alphabetes wird noch bis weit über die 100. Olymp. hinaus cu mit O bezeichnet, und in der Sandwicher Steinschrift aus Olymp. ı01. findet man gar OK statt eöx, wofür früher OYK gefunden wird. E für El ist vor Euklid nicht selten, nach ihm seltener, aber nicht ohne Beispiel; und dies alles findet sich in öffentlichen, offenbar mit nicht geringer Sorgfalt geschriebenen Actenstücken. Schon hiernach leuchtet also ein, dafs man schr irren würde, wenn man glauben wollte, als Simonides und Epicharmos das Alphabet vervollständigt hatten, habe man diese Schreibart allgemein angenommen, und nur der Atische Staat habe aus Eigensinn die alte Weise zu schreiben beibehalten, sondern die neue Schreibart, zu der auch vor Simonides hier oder dort die Elemente schon verborgen lagen, griff allmählig um sich. Schon lange hat Wolke seine neue Schreibweise die Deutschen gelehrt und eigene Bücher darin drucken lassen ; sollten die Deutschen je so thöricht sein sie anzunehmen, wie (1) Dafs Euripides im Theseus (Fragm. 5.) das H schon beschreibt, ist bekannt, und er und seines gleichen schrieben also gewifs im Ionischen Alphabet. (2) S. Staatshaush. d. Athen. Bd. II, S. 201. 261. 525. 304 Borexm über die kritische Behandlung die Hellenen so klug waren die Simonideische einzuführen, so würden doch die Spätern sehr irren, wenn sie glaubten, unsere Zeitgenossen hät- ten sich so schnell bekehrt. Auch enthält die Geschichte selbst Spu- ren, dafs die neue Erfindung so rasch nicht Eingang fand; daher denn Kallistratos erst wieder das Verdienst haben soll, die Buchstaben, welche man zugesetzt hatte, mit den alten zusammen in eine Reihe oder Ordnung gebracht zu haben, und das neue Alphabet zuerst in Samos öffentlich soll gebraucht worden sein (1). Es bleibt also, um zu er- fahren, wie Pindar’s Zeitgenossen schrieben, nichts übrig, als die In- schriften zu befragen; da wir aber das Zeitalter der ältesten so genau nicht bestimmen können, so will ich, ohne mich hier auf Zeitbestim- mungen einzulassen, die wichtigsten der schon herausgegebenen (2) nicht- Atwuischen zu Rathe ziehen, und bemerken, was aus jeder klar wird: eine werde ich hier übergehen und sie weiterhin nachholen; eine an- dere, nehmlich die Krissäische, von Hughes herausgegebene, erwähne ich gar nicht, weil sie noch Keiner entzilfert hat; und obgleich mir dies gelungen ist, würde es doch zu weit führen, dies erst zu entwickeln. Folgendes ist kürzlich das Ergebnifs. In der Eleischen Rheira ist statt des Q immer O; El kommt darin bereits vor. Dagegen scheint in in der sehr alten Inschrift von der Burg Larissa zu Argos KAeiros KAETOZ ohne EI geschrieben zu sein. In der untern Schrift des Sigeischen Steins kommt EI in eiui und sonst vor, aber auch E statt &ı; cu ist immer durch O bezeichnet, 71a und Omega durch E und O; in der obern jüngerer Weise folgenden Schrift ist 21a und Omega schon mit H und Q bezeichnet; statt &ı ist in eiui E gesetzt; cu noch mit O durchgängig bezeichnet. Das Polykratische Weihgeschenk zeigt E statt Zta; ebenso der Kumäische Kessel bei Payne Knight, welcher auch O statt Q hat. Die Petilische Erztafel bezeichnet Q mit O, wo- hin auch die Worte AAMIOPFOZ, EMIKOPOZ, gehören, da es wahr- scheinlich ist, es sei Auuumpyos und ’Erizwges gesprochen worden. Die Delische Inschrift der Bildsäule bezeichnet cu mit O, statt EI giebt sie E in eu. Auf dem Melischen Säulenschaft steht O statt Q, (1) Vgl. Wolf. Prolegg. z. Homer. S. LXII. ( 2) Die mir bekannten ungedruckten führen ebenfalls zu keinem andern Urtheil. der Pindarischen Gedichte. 305 aber wie es scheint, OY in röre, wenn, wie ich glaube, reür’ ErererTe zu lesen. In der einen jedoch nicht ganz sichern Pembrokeschen In- schrift steht O statt Q in MEAMOMEN; E in EANOOKAPENON. Die andere ebenfalls nicht völlig unverdächige Pembrokesche Inschrift, einen Sieger im Fünfkampf betreffend, giebt regelmäfsig OY und El, aber das H als Zia kommt darin noch nicht vor: über Q läfst sich nicht ur- theilen, da keine Veranlassung dazu in der Inschrift ist: welche Bemer- kung auch von den übrigen Inschriften bei den Buchstaben gilt, von welchen ich nichts gesagt habe. 17. Diejenigen dieser Inschriften, welche ganz zuverlässig sind, schei- nen theils älter als Pindar, theils gehen sie gewifs bis in die Zeit sei- nes hohen Alters oder noch weiter herab: nur einige sind nicht völlig sicher; die Sigeische ist, meiner Ansicht nach, zwar sicher, aber nicht so alt, als die Schriftart derselben. Aus allen erhellt, dafs H als Eta und N durchaus nicht sehr alt sind: und ehe sie Simonides in Um- lauf setzte, waren sie gewifs fast nirgends in Hellenischen Staaten in ir- gend bedeutendem Gebrauche; sie erscheinen nur in dem modernen Theile der Sigeischen Inschrift; so dafs, wenn man zumal die Fortdauer der ältern Schrift zu Athen bis Olymp.94, 2. bedenkt, kaum gezweifelt werden kann, dafs E statt H, und OÖ statt Q im Pindarischen Zeitalter noch so allgemein war, dafs vielleicht fast niemand als Simonides die neue Schreibart befolgte, wenigstens nicht aufser Samos und lonien, wo sie, wie der Name sagt, zuerst angenommen worden. Zwischen E und El schwankt dagegen der Gebrauch in der Sigeischen Inschrift, selbst in der, welche die ältere Schriftform hat; denn ob ich gleich die ganze Sigeische Inschrift für das Werk einer spätern, Altes nachahmenden Zeit ansehe, so bleibt sie doch als ein Bild älterer Schrift nicht ohne Beweiskraft. Die Eleische Rhetra giebt uns ebenso das EI beständig, so wie die Pembrokesche den Sieger im Fünfkampf betreffende: wiewohl die letztere wie gesagt nicht ganz unverdächüg, und wenn sie auch als ächt anerkannt wird, auf keinen Fall sehr alt ist. Dagegen findet sich OY nur in der letztern, und wahrscheinlich auf dem Melischen Säulenschaft, aber nur in röre, worin es auch in den Attischen In- schriften vor Euklid nicht selten war. Überschaut man diese Bemer- kungen, so wird man es schon sehr wahrscheinlich finden, dafs Pindar Hist. philol. Klasse 1822-1823. Oq 306 Bosckm über die kritische. Behandlung H noch für den Hauch schrieb, für Zta aber E, und für Q noch ©: dafs er El schon gebrauchte, wenigstens theilweise, kann nicht geläugnet werden: dafs er OY schrieb, ist aufser einzelnen Worten, wie euros, oör, höchst unwahrscheinlich; denn diese letztere Schreibart ist, wie schon. oben bemerkt worden, bis über die 160. Olymp. hinaus nicht all- gemein geworden; sonst würde sie in den Attschen Inschriften auch nach Aufnahme des Simonideischen Alphabetes nicht so lange fehlen. Um zu gröfserer Sicherheit zu gelangen, wäre es wünschenswerth, eine Anzahl nicht-Attischer Inschriften zu besitzen, welche mit völliger Sicher- heit in Pindar’s Zeitalter gesetzt werden könnten; aber es sind nur zwei Denkmäler dieser Art auf uns gekommen, deren eins so wunderliche Schicksale gehabt hat, dafs es kaum angeführt werden kann. Ich meine das Epigramm des Simonides, welches Bekker aus Fourmonts Papie- ren abgeschrieben hat und das von mir anderwärts herausgegeben ist (1); es war nach den Schlachten bei Salamis und Mykale, Olymp. 75, 2. oder kurz darauf zu Megära in Stein gehauen, und wurde in barba- rischen Zeiten, vielleicht im fünften oder sechsten Jahrhundert unsrer Zeitrechnuns, in den Schriftzügen dieser Zeit erneuert. Betrachtet man &, die fehlerhafte Übertragung desselben in die damalige Schrift, soweit sich aus Fourmont’s ebenfalls fehlerhafter Abschrift urtheilen läfst, so wird wahrscheinlich, es sei ursprünglich in Simonideischer Schrift ge- schrieben gewesen, indem statt des Hauchzeichens H das andere H darin gebraucht gewesen zu sein scheint: denn für gewifs will ich es nicht ausgeben: alsdann folgt von selbst, dafs H Zta war. Allein wenn dies auch gegründet ist, so folgt hieraus nichts für alle Schriftsteller aufser Simonides. Denn es versteht sich von selbst, dafs das Epi- gramm nach Simonides Handschrift eingehauen wurde, und dieser sein Alphabet befolgte. Dagegen sind wir so glücklich, ein anderes zwar kleines aber unvergleichlich erhaltenes Denkmal aus der Blüthezeit des Pindar, Olymp. 76, 5., vor Kurzem erhalten zu haben, die Aufschrift des T'yrrhenischen Helmes, welchen Hieron, der König von Syrakus, nach Olympia geweiht hatte (2); also ein Freund des Simonides, der (1) Vorrede zum Verzeichnifs der Vorlesungen der hiesigen Univ. Sommer 1818. (2) S. die Einleitung zu Pyth. 1. in meinen Erklärungen des Pindar. der Pindarischen Gedichte. 307 gerade damals bei jenem lebte; denn wir finden den Simonides schon Olymp. 75, 4. bei Hieron in Sicilien (1), wo er Olymp. 77, 4.-78, ı. starb. In dieser Inschrift findet sich zu einem Zta zwar keine Veran- lassung; aber da in dem Worte BIAPON das alte Zeichen des Kia B Zeichen des Hauches ist, so folgt, dafs Zta, wenn es vorkäme, noch mit E würde bezeichnet worden sein, wiewohl, wie bisweilen in den Attischen Inschriften vor Euklid, in dem Artikel ö der Hauch nicht bezeichnet erscheint; statt Q aber findet sich in dem genannten Denk- mal O in TOI (75) und BIAPON (Isgwv): für cv ist darin keine Gele- genheit, El kommt in AEINOMENEOZ vor, wobei jedoch bemerkt wer- den mufs, dafs Eigennamen, worin & oder cv vorkommen, mit EI und OY geschrieben wurden, während die andern Worte noch mit E und ©. Nach dieser Inschrift wird man das von Pindar’s Schreibart - oben Be- merkte fast für unbezweifelt halten müssen; und eine einfache Über- lesung bringt mich vollends zu der festen Überzeugung, dafs Pindar das Zta und Omega noch nicht mit den Zeichen H und Q schrieb. Be- denken wir nehmlich, dafs Pindar’s Jugendbildung, da er nach wahr- scheinlicher Rechnung schon Olymp. 64, 5. geboren wurde, in die Zeit fiel, da Simonides entweder erst kürzlich oder noch gar nicht seine Neuerung bekannı gemacht hatte; so wird man nicht glauben , dafs Pindar nach derselben unterrichtet und daran gewöhnt worden sei: erst die nächstenm-Zeitalter, in welchen die Jugend nach dieser Schreibart angelehrt wurde, konnten dies Alphabet aufnehmen; die nach dem al- ten gelehrt worden waren, blieben, wie Hieron, gewifs auch beim Al- ten. Nehmen wir nun als sicher an, was mir kein Bedenken hat, dafs Pindar in der alten Schrift (apxaiıs ygauuası) schrieb, die in den In- schriften vor Euklid zu Athen herrschte, so sind seine Werke erst nachher in die gewöhnliche Ionische und später gebräuchliche Schrift übertragen worden; wann, wissen wir nicht; theilweise konnte dies schon vor den Alexandrinern geschehen sein: aber eine vollständige und nach Grundsätzen geleitete Übertragung aller Werke in jener frühern Zeit hat keine grofse Wahrscheinlichkeit, da die Gedichte erst im Alexandrinischen Zeitalter gesammelt wurden. Auch läfst sich nicht (1) S. die Einleitung zu Pyıh. IT. ebendas. Qq 2 308 Bozcexu über die kriische Behandlung läugnen, dafs die ersten Alexandriner, namentlich Zenodot, noch alte Handschriften aus der Pindarischen Zeit haben konnten. Von Olymp. 84,5., in welchem Jahre nach meiner Rechnung Pindar wahrscheinlich starb, bis zur Flucht des Phalerer’s Demetrios von Athen nach Theben und dann nach Ägypten, wo dieser den Lagiden Prolemäos zur Gründung der Alexandrinischen Bibliothek besummte, Olymp. 118, 2., sind 156 Jahre: warum sollte Zenodot, der unter dem ersten Ptole- mäos lebte, nicht von einzelnen Theilen der Pindarischen Werke ı50 Jahr alte Handschriften gehabt haben? Dem sei wie ihm wolle, im- mer hatte doch irgend wer die Übertragung gemacht; diese war aber keinesweges ganz leicht, und mufste vielfach dem Zweifel unterworfen sein: auch konnte es nicht an Versehen und Unregelmäfsigkeiten fehlen, welche hierbei unterliefen. Eine vollkommen sichere Spur hiervon ist Nem. I, 24. (54.) sogar in den Scholien übrig geblieben: dort hatten noch Aristarch’s Texte &r?ss, ohngeachtet die zweite Sylbe nothwendig lang ist; daher Aristarch bemerkt: zarerererau de 7 apyare anmarıg ro Erros- 9 ya@g dvrirrgebes üryreı 70 v. Man sieht also, dafs Pindar’s älteste Handschriften O statt OY hatten, welches letztere, wie Aristarch anmerkt, hier erfordert wird; aber durch ein Versehen ist hier die alte Schreibarı geblieben. Wir werden auf diesen früher nicht hinlänglich berücksichtigten Punct wieder zurückkommen: fügt man hierzu die Un- gewifsheit über Omikron und Omega, welche das O bedeutete, das zu- gleich für ev gesetzt wurde, und das Schwanken zwischen E, H und vielleicht hier und da auch El, so wird man begreifen, wie bedeutend der Einflufs der Übertragung der alten Schrift in die neue auf das Ur- theil über den Dialekı und einzelne Lesearten sein müsse. 18. Da diese Übertragung nun keinesweges eine unbedeutende und mit keiner Schwierigkeit verbundene Sache war, so befremdet es, fast keine Spur zu finden, dafs sie unter die Beschäfugungen der Gramma- tiker gehörte; denn wenn dieselbe auch gröfstentheils vor den Gramma- tikern gemacht sein mochte, so war sie doch jederzeit dem Urtheil der letztern wieder unterworfen, und konnte von ihnen unmöglich unbe- rücksichtigt bleiben. Daher bin ich auf den freilich nicht sichern Ge- danken gerathen, dafs in einer Erscheinung, die schon im Zeitalter des Julius Cäsar hervortritt und ohne Zweifel auch diesem nur aus einem der Pinaarischen Gedichte. 309 ältern überliefert war, noch ein Rest jener frühern umfassenden Be- schäfugung lag; zumal da kaum begreiflich ist, wie das wovon ich rede, so früh hätte entstehen können, wenn es nicht ursprünglich einen tie- fern Grund gehabt hätte. Ich meine die sogenannten Epimerismen. Boissonade hat unter dem Namen des Herodian Epimerismen heraus- gegeben, worin nach alphabetischen Rubriken gelehrt wird, mit welchen Vocalen jegliches Wort geschrieben werden müsse, z.B. ob ein Wott, welches mit dem Laute Ze anfängt, mit Re, Rn oder Bar zu schreiben ; wenn es mit dem Laute Zi anfängt, ob es mit A, %n, Ası zu schreiben, und ebenso in den mittlern und Schlufssylben; denn man benannte, um mit Boissonade (ı) zu reden, mit dem Namen Zpimerismen die Anfangs- Mittel- und Endsylben, in deren Schreibung wegen der zwei- felhaften Aussprache der Vocale eine Schwierigkeit oder Ungewifsheit statt findet: oder vielmehr, um eine Erklärung zu geben, welche aus dem Folgenden sich rechtfertigen wird, ein Zpimerismos war eine Dar- legung der Worte nach ihren verschiedenen Sylben mit Bestimmung der Vocale, mit welchen sie zu schreiben sind, im Verhältnifs zu an- dern, welche mit andern Vocalen geschrieben werden müssen. Offenbar richtete sich die Anfertigung solcher Zpimerismen nach dem Zeitalter, und um sie zum Nachschlagen gebrauchen zu können, wurden sie al- phabetisch eingerichtet, mit Beifügung von Etymologien und Wortbe- deutungen,, Accentverschiedenheiten und dgl. weshalb auch die Zprme- rismen häufig im Ztym. M. angeführt werden: ein Gebrauch, der aus der Bestimmung diese; Schriften ganz einfach folgte. Die Epimerismen, welche Herodian’s Namen führen, sind aus später Zeit, und gründen sich auf die verderbte Aussprache des Griechischen: und eben nachdem die alte Aussprache sich zu verlieren angefangen hatte, wurden die Zpx- merismen sehr nothwendig, damit man orthographisch schrieb: sie bil- deten einen Theil der Schedographie (2). Indessen ist ihr Ursprung äl- ter: obgleich das Buch, welches Herodian’s Namen trägt, nicht von ihm ist, was schon Eustathius und der Verfasser des Ziym. M. wulfste, (1) Boissonade Vorrede S. ıx. (2) Boissonade ebendas. S.xı. Vergl. über die Schedographie die von Wilken an- geführten Stellen Rerum ab Alex. I. gestar. p. 488. 310 Borcexm über die kritische Behandlung so hatte doch Herodian ’Erwuegirnoüs oder eine Megunnv rooswöav geschrie- ben, und zwar schon alphabetisch, weil sein Zweck allgemein gram- matisch war: aber man schrieb sie auch blofs in Bezug auf einzelne Schriftsteller oder Theile ihrer Werke, seibst noch in den spätern Zei- ten, und diese möchten älter als die allgemeinen sein. Freilich die Zpr- merismen zum Psalter, welche Ztym. M. S. 29. ı. anführt, sind jung: Georg Choeroboskos hatte solche Zpimerismen über den Psalter ge- schrieben, welche sich nebst ähnlichen Sachen handschriftlich zu Paris befinden (1); aber schon Didymos hatte einen Zpimerismos über das erste Buch der Iliade verfafst (Schol. Odyss. 8, 797.), in einer Zeit, wo man schwerlich so schale Bemerkungen brauchte, wie sie der falsche Herodian enthält. Wohl aber konnte man, wenn zumal Ältere dies an- gefangen hatten, auch nach der Festsetzung des Homerischen Textes Un- tersuchungen über die Vocale anstellen, mit welchen die Worte bei Homer geschrieben werden müfsten, zumal über das erste Buch, aus welchem sich für das Ganze alsdann schon das Nöthigste ergab; einge- denk der ursprünglichen Beschaffenheit der Homerischen Handschriften, welche gewifs in der alten Schrift geschrieben waren (2). Und so scheint mir überhaupt diese Art Schriftstellerei zuerst von Bemerkungen über einzelne Schriftsteller ausgegangen zu sein und mit dem steigenden Be- dürfnifs eine weitere Ausdehnung erhalten zu haben. Auch möchte der Name 'Eripegiruss ursprünglich schwerlich auf die alphabetische Verthei- lung und lexikographische Anordnung nach den Sylben sich bezogen haben, sondern nur auf die Zutheilung und gleichsam Ausıtheilung der Vocale, welche pwuyevres avrirrery,ı heifsen, unter die verschiedenen Wör- ter, so dafs der Epimerismos in Bezug auf die Rechtschreibung gerade das war, was in Bezug auf den Begriff der Worte eine Bestimmung der verschiedenen Bedeutung sogenannter Synonymen ist. Die ältesten Zpr- merismen möchten sich daher vorzüglich darauf bezogen haben, ob ein Wort mit O, N oder OY; OY oder Y; E, H oder EI zu schreiben (1) Boissonade ebendas. (2) Hierauf hat schon Heyne aufmerksam gemacht in der Abhandlung de antigua Ho- meri lectione Commentatt. Gott. Bd. XIM. S. 175. 177. (1795-1798.), und früher Chishull Antt. Asiat. S.4. der Pindarischen Gedichte. 34 sei, worüber zum Theil in den ältesten Schriftstellern die Handschriften im Zweifel liefsen; daran konnten sich aber auch viele andere Fragen knüpfen, z.B. ob ein Wort mit E oder Al zu schreiben, worin schon in den frühesten Zeiten bisweilen geschwankt wird, wie in "Evives, Aivıayes: oder mit El oder I, wie in raun und rımn, verrsoua virsoua u. dgl. 19. Bei der Übertragung aus der alten Schrift in die neue, einem Verfahren, welches mit der von den Masorethen bewirkten Punctation im Hebräischen eine Ähnlichkeit hat, konnte nur ausdrückliche schriftliche oder mündliche Überlieferung, auf die lebende Sprache gegründete Ana- logie, und wo der Zpimerismos, um mich gfeich dieses Kunstausdruckes, wie ich seine Bedeutung in Bezug auf die ältesten Schriftsteller bestimmt habe, ohne Scheu zu bedienen, nicht blofs die Rechtschreibung sondern eine den Sinn verschieden machende Leseart betraf, eine verständige Kritik, endlich in vielen Stellen das Versmafs leiten. Ich will gleich ein- zelne Beispiele geben, und zuerst eines, wobei freilich zugleich die ver- bessernde Kritik in Thätigkeit wat. Nem. ZV, 59. wo jeizt r& dadarw de meywge steht, las man ehemals Acwsarov; in den alten Handschriften stand gewils nur AAIAAAO, indem das JZota zufällig weggefallen war; dies wurde dann fälschlich in Audars übertragen, bis Didymos mer- kend dafs Dädalos hier nicht an seiner Stelle sei, den Zpimerismos die- ser Stelle richtig bestimmte: Tgapev de dia 73 @ neyars. Der Accusativ des Plural auf os ist Vem. III, 28. und Olymp. II, 78. in &r?cs und v@rcs sicher; das Versmafs erfordert dort die Kürze, und der freiere Rhythmus, in welchem jene Gedichte geschrieben sind, gestaltete die Anwendung dieser Formen. Aber auch wo das Versmafs die Länge zu- läfst, findet man die verkürzte Form untermischt mit der langen, welches seinen Grund in der alten Schreibart zu haben scheint, bei welcher der Epimerismos nicht vollständig und folgerecht bestimmt worden war: so ist Nem. III, 25. ürsgoyes stehen geblieben, wiewohl andere Mss. ws und eus geben; Vs. 45. aber ist numgeus re gesetzt, welches mit jenem nicht übereinsiimmt. Nem. X, 62. ist Zueves oflenbar die ursprüngliche Lese- art, weshalb Aristarch und ihm folgend sein Schüler Apollodor äue- vov schrieb; Didymos wollte yuevos oder Auevws; es kam nur auf die Be- stimmung des Zpimerismos an, so konnte man auch, was ich aus gewissen Gründen gethan habe, Augvevs schreiben. Dies hatte der Ältere, welcher 312 Borcxm über die kritische Behandlung die alte Schrift in die neue umsetzte, hier nicht gethan; Aristarch aber fand den Text schon umgeschrieben vor; denn er würde gewifs nicht HEMENOZ in #usvov, sondern in Augvzs verwandelt haben. In dieser Um- schreibung äber ist der Accusativ des Plural, die oben angeführten Bei- spiele und Olymp. IT, 55. ausgenommen, beständig auf cus bestimmt; wenn auch vereinzelt einmal in einer Handschrift ein Accusativ auf ws vorkommt, so erhellet dagegen, dafs schon Aristarch das cus anerkannte, nach Schol. Nem. J, 24. (54.). Hier tritt nun aber eben die Frage ein, wie man bestimmen konnte, ob dieser Accusativ bei Pindar ws oder ous gelautet habe: weshalb ich hier gerade von diesem Gegenstande rede. Offenbar ist die für cus ausgefallene Entscheidung entweder durch münd- liche Überlieferung möglich gewesen, indem man die Pindarischen Lieder sang und mit der Melodie auch die Vocale einlernte; oder es wurde die Entscheidung durch einen aus der Analogie gezogenen Schlufs bewirkt, welchen man zunächst auf den Simonides bauen konnte. Denn wenn es auch nicht sicher ist, ja sogar nicht wahrscheinlich, dafs Simonides OY schrieb, so schrieb er doch Q: stand also bei ihm AOFOZ, so war klar, dafs dies nicht Acyws, sondern Asyovs heifse, wenn nehmlich die letzte Sylbe lang war; und ebendasselbe gilt von dem Genitiv Aoyev, welcher im Pindar herrscht, nicht A°yw»: von Simonides aber war man - auf Pindar zu schliefsen völlig berechügt, da beide zu Einem dichte- rischen Character gehören und mit einigen Andern zusammen gleichsam Eine Schule bilden. 20. Verfolgt man die hier aufgestellte Ansicht, so wird Manches in der jetzigen Beschaffenheit des Textes klarer als vorher, Anderes dunkler ; aber offenbar ist man erst hier auf den Punct gekommen, wo die Kritik den Text bei seiner ursprünglichen Form ergreift. Die wenigen Stellen, wo die älteste auf uns gekommene Recension statt ous ohne Noth cs giebt, werden nun sehr verdächtig als entstanden aus einer unrichtigen Übertra- gung der alten Schrift in die neue; aber zur Sicherheit kann man den- noch nicht gelangen, weil der Dichter in einzelnen Gedichten das os viel- leicht auch ohne metrische Nothwendigkeit zuliefs. So ist Olymp. I, 55. Hana yogos von der alten Recension überliefert; und wie ich Metr. Pind. 5.65. vermuthet habe, konnte dies zur Bezeichnung des Vers-Endes vom Dichter selbst benutzt sein; wobei denn freilich angenommen werden der Pindarischen Gedichte. 313 müfste, die Form auf os sei musicalisch-grammatisch gerade hier überlie- fert gewesen: aber das cs kann man auch nur der Unvollständigkeit der Übertragung verdanken. Wie dem auch sei: diese Leseart ist die einzig alte, und darf bei dem Schwanken des Urtheils nicht verdrängt werden. In Bezug auf den Genitiv auf ov oder w ist es mir immer aufgefallen, dafs ungeachtet die erstere Form durch eine überwiegende Mehrheit der Stellen und die Analogie des Accusativs auf eus als die einzig richtige gerechtfertigt ist, dennoch etliche Male das w mit Gewalt in cv ver- wandelt werden mufs; die Lösung liegt in der jetzt aufgedeckten Ver- schiedenheit der ursprünglichen Schrift von der spätern; denn dafs die jüngern Abschreiber blofs durch Fehler » statt ov in den Text gebracht hätten, dies anzunehmen, verbieten viele Gründe; vielmehr rühren jene Genitive auf » aus einer Unachtsamkeit bei der ersten Übertragung her. So steht Pyth.7,5g. in den Mss. theils Hagvaro, theils Hagvaroa, wofür man Ilagvar® als Genitiv wollte: und wirklich ist der Genitiv nothwen- dig; ich zweifle nicht, dafs wirklich hier ursprünglich in den Alexan- drinischen Texten Hapvars als Genitiv stand, welcher durch einen Irr- thum aus Magvaro übertragen war. Noch deutlicher ist dies Vem.JIT, 10. wo aus OPANO falsch eugav@ übertragen war; die Grammatiker hielten es dann für den Dativ, da es doch nothwendig Genitiv sein mufs, und für letzteren nahm es der ältere Scholiast, indem er es für Äolisch er- klärt. Wie zweifelhaft nun alle verschiedenen Lesearten werden, wo es sich um O, OY, Q handelt, und wie selbst derjenige, welcher das diplomatische Verfahren ehrt, freieren Spielraum erhalte, ist klar genug; ob man Pyth. X, ı. Aazsdaiuov oder Aareduruuv, Pyth. X], 58. ausurımogwv oder Aueusimopev, Torodwv oder TgLodov schreibe, ist diplomatisch fast gleich- sülug; ‚will man duEUTTmöRoUS, Teıodaus schreiben , wie der Greifswalder Herausgeber thut, und schon früher vorgeschlagen worden, so empfiehlt sich dies allerdings durch die von demselben geschickt angeführten Stel- len, wo dweirSe »zara rı vorkommt (Odyss. ı, 155. Jliad. g, 680.): man entfernt sich aber in demselben Grade von der diplomatischen Wahr- scheinlichkeit, und der Genitiv scheint nicht unerträglich zu sein. Wo gerade etwas Auffallendes, wie Olymp. I, 55. naray6gcs, übrig geblieben ist, wird man freilich geneigter sein, eben dies wieder höher zu schätzen. Nem. IV, 25. VII, 4ı. Isthm. III, 54. VII, 52. finden wir die Lese- Hıst. philol. Klasse 1822-1823. a Rr 314 Borcexm über die kritische Behandlung art Towia (statt Tgoia), und ebenso TowiaSev, Towavde, obgleich in beiden erstern Formen das w sogar kurz ist; und diese Lesearten sind alt. Denn Eustathius zu Zlad. R',S.65. mitt. oder vielmehr die Alten, welche er ausschrieb, sagen, es sei schwer zu vertheidigen, dafs man Toon, die Stadt, mit Omikron schreibe, und die Verlegenheit werde noch dadurch vermehrt, dafs Pindar Tooıav in den Isıhmien Towiav nenne. Pindar schrieb TPOIAN, und was das war, ob Towav, Towiav oder Tociav, läfst sich diplomatisch nicht entscheiden; der‘aber die Übertragung machte, scheint wirklich das QI vorgezogen zu haben (1), und wir werden siche- rer gehen, wenn wir diesem folgen, und darnach die wenigen Stellen (Olymp. IT, 89. Nem. II, ı4. 111, 537. Isthm. V, 27.) verändern. Die- selbe Unsicherheit entsteht zwischen H und E, so dafs uns selbst gegen die ältesten Quellen der Leseart das Urtheil offen bleibt: welches unter andern Pyuh. IF’, 4. bei «ierav und aiyrav gilt, und Olymp. AIIT, 6. bei arbarys und arbares: wer hier arbarys, was die meisten Mss. haben, in «rparss verwandelt, weil er es aus andern Gründen besser findet, dem kann von diplomatischer Seite nichts eingewandt werden. Geringere Freiheit scheint zwischen E und EI gestattet, da es oben (17.) wahr- scheinlich erschienen ist, dafs Pindar wenigstens theilweise EI geschrie- ben habe; aber aller Zweifel ist nicht ausgeschlossen. Nur zwei Stellen sind noch im Pindar, wo statt der herrschenden Form des Infiniuvs auf ew die seltenere auf ev vorkommt (2), die eine sogar gleich im An- fange der Olympien, wo gar nicht daran gedacht werden kann, dafs man sie den jüngern Abschreibern verdanke; denn so wie diese über- haupt bei Werken solcher Art genauer waren, als die meisten glauben, so besonders im ersten Anfange: wohl aber kann man zweifeln, ob Pindar die Ferm hier aus demselben Grunde, wovon ich bei naRayogos gesprochen habe, absichtlich gesetzt, oder zwar TAPYEN geschrieben, aber Yagvaı gelesen habe. Auch in der Sigeischen Inschrift finden wir MEAEAAINEN, ohne Zweifel statt neredewew, und Ähnliches häufig in den Auuschen Inschriften; und dies könnte zu der Voraussetzung be- rechtigen,, dafs aus irgend einem Grunde gerade in den Infinitiven für (1) Man vgl. hierzu Lachmann de chorie. Syst. trag. Gr. 8.155. (2) Metr. Pind. S.293. der Pindarischen Gedichte. 315 das gesprochene « häufig noch E geschrieben wurde. Glaubt man dies, so wird man mit mir sehr geneigt sein, Pyth. 7V’, 55.56. nach Thiersch xg0vw Ürregw, mit einem Komma, und dann «yayeiv zu lesen, und das ohnehin metrisch anstöfsige ö° auszutilgen: denn war einmal AFATEN falsch in «yayev übertragen, so konnte das ö2 leicht hinzugesetzt wer- den: und nur dies Eine könnte noch zurückhalten, dafs die alten Scho- lien ds für d4 erklären, und also ayaysv als Infinitiv nehmen: so dafs man annehmen mülste, @yaysv wäre zwar ursprünglich falsch aus ATAFEN übertragen und deshalb de zugesetzt worden, die Spätern hätten aber dies nicht mehr gewulst, und während sie richtig einsahen, dafs der Infinitiv stehen müsse, diesen durch Accentveränderung hereingebracht und das falsche ö2 durch Erklärung zu reiten gesucht: eine Vorstellung, die al- lerdings die richtige scheint, 21. Offenbar hatte der Text nach dem Bisherigen durch die Um- schreibung erst die Gestalt erhalten, in welcher wir ihn jeizo im Gan- zen genommen haben; blieben einzelne Reste der alten Schreibart in aararycgos, Yagvev und ähnlichen Formen übrig, von welchen sich nicht entscheiden läfst, ob sie nicht noch andere Gründe hatten, so ist es auf jeden Fall gerathen, mit Verzichtung auf völlige Gleichförmigkeit. jene Formen als echrwürdigen Rost des Alterıhums beizubehalten, inwiefern sie nicht, wie Nem. X, 62. von einer falschen Ansicht des Sinnes her- rühren, oder wie Nem. J, 24. das Versmafs einen andern Epimerismos fordert. Das letztere Beispiel ist jedoch einzig in seiner Art; und wenn die Übertragung überhaupt viele Kenntnisse erforderte, so scheint ge- rade das Metrische nicht die schwächste Seite der Übertragenden gewe- sen zu sein; wenn nicht etwa in Stellen, wo wir den feinen Sinn in der Anordnung des Textes bewundern, äufsere Zeichen leiteten. Be- kanntlich theilten die Alten‘die Worte in der Regel nicht ab: wie konnte man nun in Fällen, wo eine verschiedene Abtheilung möglich war, das finden, was der Dichter gemeint hatte? Bei einer solchen Stelle wie roreßgexs, welches vor! Qgexe und wor’ &@gexe sein kann, woher war da die Entscheidung zu nehmen? Wollte man sagen, man sei einer allgemeinen Überlieferung gefolgt, so pafst dies nicht auf die Beispiele, welche gerade die merkwürdigen sind. Denn freilich konnte eine allge- meine Überlieferung lehren, das Augment werde beibehalten und das vor- Rr2 316 Boescknm über die kritische Behandlung hergehende Wort apostrophirt, wo es anginge: aber an etlichen Stellen wie Olymp. VII, 54. more Bacxe und Olymp. X], 55. EYE Rosxero hat man gerade das Gegentheil gesetzt, und augenscheinlich richtig. In bei- den Stellen herrscht nehmlich eine mewische Diäresis, welche Fort Rgexe (s. nott. critt.) und &pxs, Pgexero vorzuziehen zwingt; obgleich sie ver- nachlässigt werden kann und auch in einzelnen Strophen vernachlässigt erscheint. So sicher diese Theilung ist, so zweifelhaft mufs es bleiben, wie sie bestimmt worden. Da ın Handschriften und auf Steinen die apostrophirten Buchstaben häufig zugesetzt gefunden werden, kann man annehmen, dafs wenn das Augment weggeworfen wurde, geschrieben war moreßgey;s, wenn beibehalten, morseßdgey,e (1): wahrscheinlicher ist es, dafs schon der Dichter durch Interpuncuon zu Hülfe kam, MOTE:! BPEXE und APXE: BPEXETO; wer Inschriften aus der ältesten Zeit gelesen hat, wird an einer solchen Interpuncuon nicht zweifeln, da man selbst zwischen genau zusammenhangenden Worten, wo es nöthig schien, in- terpungirte. Aber man kann auch glauben, dafs die Ordner des Textes aus metrischer Kenntnifs mit Berücksichtigung der Abschnitte verfuhren. Dagegen gab die ununterbrochene Schrift auch Anlafs zu Irrungen, wo- von Olymp. VII, 61. aurarov statt du FaAov ein Beispiel giebt, über welches ich nach meinen Anmerkungen nichts zuzusetzen finde. 22. Nachdem wir die Art der Schrift in den ältesten Exemplaren betrachtet haben, müssen wir noch die Frage beantworten, wie tweu die- selben geschrieben sein mochten. Wie die Inschriften, so waren gewils auch die Bücher sorgfältig und genau geschrieben; aber Fehler mufsten sich dennoch früh einschleichen, und es giebt einige schlagende Beispiele, dafs schon vor den Alexandrinern sich manche, zum Theil sehr auffal- lende Verderbungen eingeschlichen hatten. Dafs nach Olymp. II, 48. vulg. ein ganzes Kolon: gıreovrı de Meicaı in den Text gekommen war, welches zuerst Aristophanes ausmerzte, ist vorzüglich merkwürdig, und es könnte Einer sogar sagen, es seien solcher einzelnen Verse mehr dagewe- gestanden hätten 5 und von einem besondern zwischen das Übrige einfallenden Chor wären sen und verloren gegangen, weil sie aufser den Strophen (1) In der Vorrede z. Pıindar Bd. I, S. XXXV]. ist eine hiervon abweichende An- nahme, die ich nicht mehr billige. der Pindarischen Gedichte. 317 gesungen worden; aber ich halte dies Kolon für einen reinen Fehler. Olymp. IT, 7. vulg. scheint man vor Zenodotos dxgo9övia gelesen zu haben, wenn dem Breslauer Scholiasten zu trauen ist, nach welchem Zenodotos zuerst das 7 gesetzt hatte: wenn es auch den Anschein ha- ben könnte, diese Anmerkung beziehe sich darauf, dafs Zenodotos statt der wahren Leseart @xge9wa unrichüg @zg5Swıa geschrieben habe, so wird dies doch dadurch unglaublich, dafs auch Olymp. AZ, 67.69. in dem- selben Scholiasten üngoSovia vorkommt: so möchte also Zenodotos erst durch die Etymologie unterstützt (vgl. Vorrede z. Schol. B. U, S.X.) das Wahre gesetzt haben. Olymp. AT, 55. vulg. las man "Ar: richüg ist aber ”"Arrw, welches erst die Alexandriner in den Text setzten, Aristodemos Aristarch’s Schüler, Leptines, Dionysios der Phase- lite; mit Recht erkannte man dies an, wie Pausanias, der dieser Lese- art folgt. Pyih. IV, 195. vulg. war aueregav und apyedizav überliefert; das wahre äuereguv und apxgeöizav ist eine Änderung des Chäris. Obgleich nun frühzeitig Fehler in den 'Text kamen, ist dennoch nichts wichtiger zu wissen, als was die Alexandriner oder die noch Frühern gelesen haben, indem man, wenn dies ausgemacht ist, die ganze nachfolgende Zeit über- sprungen und die Lescart bis zur höchsten Quelle, soweit wir nehmlich dringen können, verfolgt hat; und offenbar darf man einer Leseart, weiche der Alexandrinischen widerstreitet, kein diplomatisches Gewicht beilegen, so lange nicht klar wird, dafs die für Alexandrinisch gehal- tene etwa blofs durch Verbesserung eines Grammatikers entstanden sei, zumal wenn die widerstreitende Leseart aus einer später gemachten will- kührlich interpolirten Recension herstammt. Um aber die ältesten Lese- arten kennen zu lernen, dazu dienen vorzüglich auch die Anführungen der Alten, welche, wo nicht auf die Urexemplare, doch auf die Alexan- drinischen Recensionen gegründet sind. a 23. Aufser Chamäleon von Heraklea, einem Zeitgenossen des Theophrast und Pontischen Heraklides, beschäftigte die Sammlung, An- ordnung, metrische Abtheilung, Verbesserung und Erklärung des Tex- tes, soviel aus den bisherigen (Quellen bekannt ist (1), den Ephesier (1) Vorrede z. Schol. Bd. II. S. 9 ff. 318 Bozckı über die kritische Behandlung Zenodotos, Kallimachos, Aristophanes.von Byzanz, den Sıoiker Chrysıpp, die Aristophaneer Kallistratos und Diodoros, den Lep- tines, Aristarch, Krates, Artemon den Pergamener, Apollonios den Eidographen, die Aristarcheer Ammonios von Alexandrien und Aristodemos, den Asklepiades, Aristonikos, Chäris, Dionysios von Phaselis, Dionysios von Sidon, endlich den Didymos, dessen Commentare die Reihe der Alten abgeschlossen und den Hauptgrund zu den alten Scholien gelegt zu haben scheinen. Regelmäfsige Recensio- nen machten nur Wenige; die erste ist offenbar die Aristophanische; da Aristophanes die Werke ordnete, die Strophen in Glieder theilte, und auch sein Obelos angeführt wird, kann man sicher sen, dafs er eine Recension machte. Aristarch wird nächst Didymos in den Scho- lien am häufigsten angeführt; und da auch andere Spuren (1) auf zwei Alexandrinische Recensionen hinweisen, wird man am sichersten auf Aristarch rathen, dessen Text Didymos als sein Schüler zum Grunde gelegt haben möchte. Was der Eleatische Palamedes und Andere nach Didymos geleistet haben mögen, läfst sich nicht bestimmen, und ich übergehe dies und manches Andere, was ich bereits in meiner Vor- vede zu den Scholien ausgeführt habe; nur bemerke ich, dafs es nicht wahrscheinlich ist, es sei nach Aristarch bis auf die Byzantinischen Grammatiker irgend eine neue Recension des Pindarischen Textes ge- macht worden: und auch die. beiden alten Recensionen scheinen, die Folge der Haupuheile der Pindarischen Werke abgerechnet, nicht so verschieden gewesen zu sein, dafs wir nicht berechugt wären, im Allge- meinen alles was vor den Byzantinern geleistet worden, als ein Ganzes an- zusehen und diesem die Byzantinische Kritik gegenüber zu stellen, welche dem Text eine ganz andere Gestalt gegeben hat, oflenbar aber auf die Siegeslieder beschränkt war. Denn die andern Werke scheinen früh ver- loren gegangen zu sein. Die genauere Beobachtung des eben aufgestell- ten Grundsatzes ist die Hauptsache in der Kritik der Lesearten, und der gröfste Theil des Folgenden wird sich daher mit‘ der Darstellung der Be- schaffenheit der neuern, Byzantinischen Kritik beschäfugen, um auszu- (1) S. Prooem. Fragm. der Pindarischen Gedichte. 319 scheiden, was diese unüberlegt dem Dichter aufgedrängt hat (1), indem sie sich bemühte, die Anstöfse zu entfernen, welche sich ihr darboten, und weiche zum Theil auf den mittlerweile entstandenen Fehlern der Handschriften beruhten. 24. Den Reigen der neuern Grammatiker, welche sich mit Pindar be- schäfuigten, führt Thomas Magister, welchem Manuel Moschopnlos der Ältere von Kreta folgte: an ihn schliefst sich Demetrios Trikli- nios an: dafs diese die Verfasser der neuern Scholien sind, ist glaub- hafı überliefert (2); dafs Thomas zugleich die alten überarbeitet habe, scheint mir eine nicht gewagte Vermutbffng (5). Doch sind wir über die Arbeit des Thomas am wenigsten unterrichtet; von Moschopulos und Triklinios wissen wir gewifs, dals sie sich mit der Festsetzung der Le- searten nach den Regeln der Syntax und metrischen Gründen beschäf- ügten und um beider willen vieles änderten, wessen sich Triklinios selbst rühmt, während er dem Moschopulos dasselbe Lob giebt (4). So entsteht die Aufgabe, zu finden, welche Leseart in jeder Stelle von den Neuern herrühre und welche vor ihnen dagewesen sei: hat man dies erst gefunden, so wird in der Regel das Urtheil nicht schwer sein, ob die Leseart der Neuern gemacht oder ob sie von ihnen aus alten Handschriften genommen ist, welche nicht überal! mit dem gewöhnlichen Texte übereinstimmten. Glücklicher Weise bietet uns die Überlieferung nicht geringe Hülfsmittel zur Unterscheidung des Alten und Neuen. Das Alte bezeichnen die zahlreichen Anführungen der Schriftsteller und die alten Scholien; das Neue bei den Olympien die neuern Scholien; wozu ich auch die kleineren von mir herausgegebenen Bemerkungen über die Lesearten rechne. Es kommt nur noch darauf an, zu wissen, welche Handschriften nach den alten, welche nach den neuen Recensionen ge- schrieben sind. Diejenigen Handschriften nun, welche älter sind als das vierzehnte Jahrhundert, können nur den alten Text enthalten, welches (1) Die ersten Linien des Folgenden findet man schon in der Vorrede zum Text, BELHISCIREF. arm ISchell:S#3! (5) Vorrede zu den Scholien Bd. IT, S. XXVII. wo mehr von diesen Grammatikern. (4) Schol. Olymp. VIII, ı. extr. Vgl. Vorrede Bd. I, S. XII. Bd. II, S. XXXV. 320 Borcxkm über die kritische Behandlung Urtheil sich von selbst auf die jüngern, welche mit jenen übereinstim- men, überträgt; den neu gemodelten Text enthalten diejenigen > un welchen wir die, noch dazu mit besondern Bemerkungen ausgestatteten Lesearten finden, welche den neuern Scholien zum Grunde liegen. Überdies läfst sich der neuere Text noch in zwei Recensionen sondern; denn in den Handschriften, welche in diese Klasse gerechnet werden müssen, findet sich wieder diese Verschiedenheit, dafs ein Theil mehr, ein anderer weniger Neuerungen, und auch mehr oder weniger Scho- lien enthält; wir sind berechtigt anzunehmen, dafs die erstere der jün- gern Recensionen von MoschdPpulos, die zweite von Triklinios ab- geschlossen war: Thomas scheint wenig geneuert zu haben, und was er etwa änderte, läfst sich schwerlich von dem Moschopuleischen unter- scheiden. Anzunehmen, die erstere der jüngern Recensionen sei von Thomas, die andere enthalte das Moschopuleische und Triklinische zu- sammen, verbieten manche Umstände, unter welchen ich nur diesen an- führen will, dafs sich ein Kennzeichen für die aus der Triklinischen Recension geflossenen Handschriften findet, diejenigen aber, welche nicht zu dieser gehören, dennoch so viele Änderungen enthalten, dafs man ‘die letztern nicht blofs dem Thomas zuschreiben kann: denn dieser wird gar nicht als Neuerer aufgeführt, wogegen wir gerade von Moschopulos wissen, dafs er viele willkührliche Änderungen machte. Dies alles lafst sich bei den Olympien zur völligen Klarheit bringen, weil wir bei ih- nen mehr Hülfsmittel haben ; hat man sich aber an ıhnen geübt, so ist es leicht, diese Arı Kritik auch auf die übrigen Theile anzuwenden. Ich beschränke mich zuerst auf die Olympien. Die Handschrift Par. 4. wird ins dreizehnte Jahrhundert gesetzt, die Göttinger in dasselbe oder ins vierzehnte; diese enthalten sicher die alte Recension, so wie die alten Scholien, obgleich die Göttinger auch Randbemerkungen aus den neuern Scholien darbietet; mit diesen Mss. stimmen in den Olympien Ald. Pal. C.Mosc. A. Aug. B. Vatie. Ciz. und andere überein, und mit der ganzen Klasse alle Quellen der alten Leseart, namentlich die alten Scholien. Die völlig interpolirte Recension giebt Mose. B. mit den dazu gehörigen Scho- lien und Bemerkungen; und damit stimmt besonders die Römische Aus- gabe in den Olympien. Die mittlere Moschopuleische Recension enthal- ten im Durchschnitte Pal. 4. B. Lips. Guelph. Cygn. Aug. A. Bodl. «.ß.y. der Pindarıschen Gedichte, 321 Leid. A.B. und andere; das Hauptkennzeichen, wodurch sich diese Hand- schriften von der Triklinischen Recension unterscheiden, habe ich nott. eritt. Obimp. IT, 29. angegeben, doch giebt es auch andere, von welchen ausgehend ich auch den Cygn. hierher ziehe, obgleich auf ihn jenes Kennzeichen nicht anwendbar ist. Indessen ist’ nicht zu läugnen, dafs in den Handschriften dieser Klassen noch Verschiedenheiten vorkommen ; Lesearten der einen Klasse konnten leicht einzeln in Handschriften einer andern Klasse übertragen werden, zumal da viele Bücher nicht aus einer, sondern aus mehrern abgeschrieben wurden. Daher ist es unmöglich, dafs nicht Ausnahmen vorkommen, deren Gründe theils gefunden werden können theils nicht; wo sie gefunden werden können, würde es oft zu weitläuftig sein sie klar zu machen, und der Kritiker mufs sich auf den Verstand des Lesers verlassen, dafs er die gehörigen Ausnahmen von selbst begreife. Nur gröfsere Abweichungen müssen bezeichnet werden ; wohin dies gehört, dafs in mehrern Handschriften die Olympien und die einzelnen übrigen Abtheilungen des Werkes aus Büchern ganz anderer Recension abgeschrieben sind. Dies gilt sogar von einzelnen Gedichten. Die Göttinger Handschrift enthält den alten Text, auf Baumwollenpa- pier; aber das erste Olympische Gedicht ist später auf Lumpenpapier aus einer andern Handschrift vorgesetzt, worden, und zwar aus einer interpolirten Recension. Von den übrigen Theilen der Siegeslieder will ich nur bemerken, dafs in den Pythien Bodl. C. und Par. B. interpo- lirte Recensionen enthalten ; die bedeutendsten Veränderungen aber lie- fern die Neapolitanischen Handschriften in den Pythien, Nemeen und Isthmien, so wie sie auch in den Olympien interpolirt sind. Der Urhe- ber dieser elenden Recension ist so unbekannt als die übrige Beschaf- fenheit der Handschriften; die Thatsache ist nicht zu bezweifeln, und schon anderwärts von mir nachgewiesen (1): von keiner der auffallend abweichenden Lesearten findet sich eine Spur in den alten Scholien ; die Gründe der Interpolation sind fast überall leicht zu erkennen; die Le- searten nach gewissen Grundsätzen gemacht, deren Anwendung öfter wiederkehrt; und wo wir alte Zeugnisse über die Leseart haben, wie (r) Anhang zu Bd. II. Th. II. meiner Ausgabe. Hıst. philol. Klasse 1822-1823. Ss 322 Borzcxu über die kritische Behandlung Nem. III, ı0. von Aristarch, dem ältern Ammonios und dem Scho- liasten des Euripides, und /sthm. I, 25. von Tryphon und dem jün- gern Ammonios, widersprechen diese jenen Lesearten durchaus. Übri- gens führt die Unterscheidung der Recersionen nicht weiter als zur Beurtheilung des diplomatischen Gewichtes der Leseart, indem sie den Werth einer solchen, wenn sie aus der spätern Recension herstammt, aufhebt. Aber es ist möglich, dafs sie dennoch gut sei, als eine das Wahre treffende Muthmafsung ; sagt werden, und ist auch einzeln wirklich richtig, dafs eine von dem ja es kann auch nicht ohne Schein ge- Texte alter Recension, wie er auf uns gekommen, abweichende Leseart aus einer andern ältern Handschrift stammt: da jedoch letzteres nicht diplomatisch unterschieden werden kann, so bleibt in beiden Fällen zur Beurtheilung nichts übrig als andere von den diplematischen verschie- dene Gründe. Aber diese anzuwenden kommt man selten in den Fall, sobald man erst das Verhältnifs der alten und neuen Recensionen gehö- vig festgestellt hat. Bei dem Gegeneinanderhalten der Lesearten bemerkt man nehmlich leicht, dafs die Byzantnischen Kritiker, von gewissen Grundsätzen der Metrik, Prosodie, Syntax und anderer Theile der Grammatik ausgegangen sind, und darnach ihre Lesearten gestempelt haben; jene Grundsätze entdecken sich theils durch Vergleichung der Lesearten selbst, theils werden sie durch die kritischen Bemerkungen in den Scholien und durch den metrischen Scholiasten klar; und es kommt daher nur darauf an zu untersuchen, ob sie richüg oder falsch seien. Hier tritt denn wieder theils die metrische Analyse ıtheils die Sprach- kunde ein; und die Übereinsimmung beider mit den Lesearten, welche die diplomatische Kritik als die gewichtigern vorzuziehn genöthigt ist, krönet das Werk. Die g menstellen werde, wird die Wahrheit des Gesagien zeigen und das Ver- rofse Anzahl der Beispiele, welche ich zusam- fahren anschaulich machen. 25. Billig eröffnen den Zug diejenigen Stellen, bei welchen uns kritische Scholien aus einer Handschrift späterer Recension von der ge- machten Änderung unterrichten, zumal da sich dabei zugleich Gelegen- heit findet, den spätern Grammatikern, wo sie es verdienen, Ehre zu erweisen. Das wichtigste Scholion hierüber ist Olymp. VIIT, 8. (in meiner Scholiensammlung bei Olymp. VIIT, ı. extr.), wo die alte Lese- der Pindarischen Gedichte. 328 art averar ÖE mels Yagıv eüreßias üvdowv Arrais, theils aus andern Gründen, theils weil söreßeies geschrieben war, so verändert wurde: mAmgEOVTaL mo0s wagw eüreßeuv 6° üvdgav Arrai, das letzte Wort nach Asklepiades fal- scher Muthmafsung: so erscheint die Leseart im Mosc. B. und den da- mit übereinsiimmenden (Quellen, ausgenommen der Römischen Ausgabe, in welcher eine vom Herausgeber aus den Scholien gezogene Leseart steht; das neuere Scholion, dessen Verfasser ohne Zweifel Triklinios ist, erklärt sich unverholen, wie man schreiben müsse, und dafs der Verfasser dieser Anmerkung nebst Moschopulos vieles andere, welches dem Versmafse nicht angemessen sei, geändert habe; als Grund der Veränderung werden Syntax und Versmafs angegeben. Kürzer sind die andern kritischen Scholien, welche, wie ich (Vorrede der Scholien, Bd. II, S.XXVIIL.) vermuthet habe, von Triklinios zu sein scheinen; doch mögen auch etliche den Moschopulos zum Verfasser haben, oder aus ihm gezogen sein, indem sie Triklinios wieder aufnahm: wenigstens wenn das Kreuz (7) nicht trügt (1), müssen wir dem Moschopulos die Bemerkung zu Olymp. I, 80. (128.) zuschreiben: ci wyarrigas yoa- Dovres oün ivanı Ta megt HETgWV* Xen roivuv Egwvras Yoaben, iv’ oinelev 4 TO nu- Aov 74 orgopy. Mein diplomatisch verfahren, müfste hier Mvaorngas VOr- gezogen werden, welches die Mss. alter Recension nebst Gregor. Cor. und ‚Schol. Lycophr. haben ; allein dabei treten bedeutende Bedenken ein: einmal die rhythmische Analogie, welche den Spondeus statt des Iam- bus hier verwerfen mufs; dann dafs die meisten Mss. nnorngas haben, welches wegen des Dialektes als Glossem verdächtig ist. Philostratos Imagg. I, 17. wo er unsere Stelle berührt, nennt dort diese Freier frei- lich auch wvarrages, nach gewöhnlicher Sprache; aber eine andere Stelle ], 50. wo er von Oenomaos sagt: „rewwv (res) vis Immodansias Eguvras, kann mit diesem auffallenden Ausdrucke gerade die andere Leseart zu be- stäiigen scheinen, da er häufig Pindarische Ausdrücke gebraucht. Eben- daselbst Vs. 104. ist die Leseart @AAcv 4, wie es scheint, nicht alt: die Göttinger Handschrift giebt die in meinen kritischen Anmerkungen mit- getheilte, in den Scholien ausgelassene Bemerkung: ci Yoapovres dua ayvo- oürı Ta Merga: en Teivuv aAAov ygaperw. Es ist schwer dieser Bemerkung (1) Vgl. Vorrede der Scholien, Bd. II. S. XXXVU. Ss 2 324 Bozcxu über die kritische Behandlung Glauben zu schenken; da jedoch Hermann’s Verbesserung «ra za hart ist (vergl. Hand de partie. Gr. Diss. 1. S. 10.),. so weifs ich für jetzt kei- nen Ausweg. Ich füge noch etliche Beispiele bei, wo der kritische Scho- liast gut urtheilt. Olymp. IT, 78. (129.) ist die Bemerkung ganz richug: varos yon ygabeı da 76 Mergov; so wie auch Vs. 85. üregrarev die wahre Leseart scheint, wozu das Scholion gehört: Yaabovres Umarev ayvooürı Ta verga. Zweifelhafter ist die Kritik 77, 67. (109.), wo ebenfalls ein solches Scholion vorkommt. X7, 66. (74.) ist die bessere Leseart &v do&« auch in guten Mss. wie Par. A. erhalten, und mit Recht sagt das Scholion: ci Yoabovres Evdegav cü zaAas ygapousw. XIII, ı4. sagt der älteste Scholiast, UmegeAIcovrwv, welches die wahre Leseart ist, stände für ÜmegeASovaw: dies leiztere ist in die Mss. der mittlern Klasse gekommen, sei es als Glossem oder aus Interpolation; aber mit Mecht ist in der jüngsten Recension wieder die Leseart der ältesten aufgenommen, mit der Bemerkung: UmegeASovrwv Xen Ypapeıv, oüy, UmegeAGoünw: curw Yap Exeı mpOs TO Mergov öp- S&s; auch erklärt sich ein anderes ausführlicheres Scholion gegen Umeg- er9eVrw. Dies ausführlichere Scholion fehlt im Cygn., worin gerade die Triklinischen Scholien nicht enthalten zu sein scheinen (1). Triklinios scheint es also zu sein, der die alte Leseart wieder herstellte. Dagegen beruht der weit gröfsere 'Theil der mit Scholien versehenen Änderungen offenbar auf Willkühr. Obrmp. II, 61. (102.) steht in dem alten Text eruuwrarov, daher der alte Schol. @inSwwrarev zur Erklärung gebraucht; auch las man ervucv und Eryruuev, welches letztere richtig ist; und Vs.62. ist die alte Alexandrinische Leseart &%wv, welche auch Aristarch aner- kannte, da er & rıs cidev verband: &e findet sich erst in den neuern Scholien, und ebendasselbe haben die Mss. neuerer Recension, so wie aAaIıwov statt Eryruuov. Beides empfiehlt dıe Bemerkung: AraFıwov Yoads, iv” oinelov 7 FO MErgov, nal mM Erumov. nu EXEI, UN Eywv* oÜ Yag Eye naAus To Eeyav moös ryv aüvrafıw. FI, ı8. 19. (31.) ist folgende Bemerkung vor- handen: Nüv ragerı Yache Öla TO mergov, zal oü Öusepis rıs‘ ei d' aAAws ygaupeıs, ix do9ov Erran Das erstere, Fagrrı, ist eine ganz fabelhafte syn- kopirte Form; die wahre Leseart TÜgeFTI, ohne vöv, ist keinem Zweifel unterworfen, sobald man die-metrische Analyse verständig angestellt hat: (1) Vgl. Vorrede zum Schol. Bd. I. S.XXVI. der Pindarischen Gedichte, 325 die andere Leseart ist aus der alten sure dusegis gemacht, welche freilich dem Versmafs entgegen ist; aber gute Mss. haben das wahre ourE Öusngis erhalten, und was man neulich dagegen gesagt hat, ist nicht werth wider- legt zu werden; übrigens schrieb Pindar AYZEPIZ, und man hat hier ein Beispiel, wie Kenntnifs des Versmafses zugleich und der Sprachfor- men den RER leiten mufste. Eine ebenso deutliche Interpolation ist 711,52. wo die Bemerkung: c« zn oa eu.SUV rgös To mAoov- drivranrov yapı AMa TrEAdE A Treu‘ cÜrw yag Eye 609@s. Von. dersel- ben Art sind folgende Stellen: 7X, 62. (88.) rald« ygape dia 75 mergov, ou Suyarega, za Oroüvros, cü wmv ”Orsevros, welche letztere Ver- schiedenheit jedoch blofs orthographisch ist; und X7, 26. eurws auswov YgaperIar Bin “Hoandeos: ci yag Yaahovres & Eregov oür öoIws Ygadovsw: der alte Text, welchen auch die Scholien anerkennen, war: Bwusv EFagıSuov "HoarAens; er erwartet noch seinen Verbesserer. AZ, 75. sagt das Scho- lion: eurws auewov YgaperSa Heidero: cs Ö’ ads Ygadıı, cÜ zaAws Ygaaaız wo selbst der Dialekt des 7&dsro die Be beweiset. Die wahre Leseart ist, wie ich gezeigt habe, wAugoSiou: dafs der vierte Päon statt des Kretikus steht, hat kein Bedenken, da Eigennamen eine Verände- rung des Versmafses, welche. der Rhythmus gestattet, begründen; was dagegen neulich beigebracht worden, verdient kaum Erwähnung. Denn von den aufgestellten Muthmafsungen geben zwei, «7° Mavrıeas Saucs ö ErıßboIou und eumıdßoSou die unzulässige Nachsetzung des Artikels, wäh- rend das folgende Wort mit dem, wozu der Artikel gehört, nicht in der Verbindung des Genitivs steht; denn als 5 Aarovs u. dgl. kann gar nicht verglichen werden; und wie kann ein Kritiker glauben, weil bei Pausan. VIII, S. erzählt wird, die Mantineer hätten zm Peloponnesischen Kriege den Eleern und Athenern geholfen, darum werde Mantinea im Pindar die hülfreiche heifsen in einer Erzählung von der ersten Feier der Spiele unter Herakles? Nicht zu gedenken, dafs derselbe Mann, der den vierten Päon in einem Eigennamen nicht vertragen kann, zuletzt den ersten Päon statt des Kretikus setzt, und zwar so, dafs das ab- weichende Mafs in ein Adjectiv fällt. Fernere mit Scholien bezeichnete Änderungen der Byzantiner sind A7, 75. Umeo arayras ygaps, za wm Umeo drdvruv: ourw Yag ExXgı moös zav suvrafıv ooIws: wovon das Gegen- theil der erklärende Commentar lehrt; - XJIT, 80. (116.) dia ro mergov 326 Borcexn über die kritische ‚Behandlung mAngel yachs, cd rerel, ungeachtet jenes ganz unpindarisch ist; XIII; 108: un didoı Yoads, arra dıdovus- curw yag zarrıy. Die alten Quellen der Lese- arı geben öde, die Dorische Form des Imperativs; und nach dem was ich in den zott. ceritt. gesagt habe, finde ich nichts weiter zu erinnern, als dafs die neulich aufgenommene Veränderung des @v@ in jener Stelle in @ys das Gepräge der Willkührlichkeit hat, die Vorausstellung des ava dagegen vor Zed bei einem Lyriker, dessen Wortstellung freier als die epische ist, nicht das mindeste Bedenken haben kann und keines Be- weises durch Parallelen bedarf. 26. Diesen Beispielen füge ich andere bei, in welchen die neuern Urheber der Recensionen Änderungen gemacht haben, weil sie an dem Sprachlichen Anlafs zur Änderung fanden. Olymp. I, 28. geht aus den Handschriften alter Recension und den alten Scholien klar hervor, dafs man so las: za vcu rı zul Rgorav darıs Umso Tov ÜAaIN Aoyov dedundaruevorn Vev- derı rarırcıs &ararövrı uw0So: nur kommt aufser darıs noch die Schreib- art dar in den alten Scholien vor, welche ich für einzig richug halte (s. nott. eritt, und den erklärenden Commentar). ®arw erklärte man durch $gevas, nicht übel; nehmlich das Gerücht, oder die das Gerücht glaubenden und fortpflanzenden Sinne der Menschen: diese werden getäuscht von den Fabeln, welche über die wahre Rede, d.i. über die Wahrheit hinaus geschmückt worden. Der Gedanke ist unta- delig, auch ist er schön ausgedrückt; nur ein ganz grobkörmiges Urtheil kann sagen, die Leseart sei schlecht, weil $arıs und Acyos einerlei sei: denn »arıs als Sage oder Gerücht ist schr verschieden, von dAyS7s Aoyos, ja selbsı in den meisten Fällen von Asyes. Das Glossem $gevas ist aber in die neuere Mss. gekommen, und endlich geben die Neapp. Mss. eine ganz neue Leseart, Roorüv daevas Ümep ro: «raSy parıw. Mit geradem Sinn und gesunder Beurtheilung mufs jeder erkennen, dafs dies eine plumpe Interpolation ist. Doevas ist ja ausdrücklich Glossem zu par; darıy stand also da, wo in andern Handschriften $gevas oder warıs steht: $gevas fand auch der Urheber der Neapolitanischen Recension vor, und da sarıs wirklich durch Asyos erklärt wird, hielt er, wie Heyne, roycv für Glos- sem von darw, welches er als Variante angemerkt fand, und seızte par an die Stelle von Asyov. Nun war aber röv ara$y varıy falsch, und rav er- laubte das Versmafs nicht; also schrieb er üreg ru aA. par. indem er das der Pindarischen Gedichte. 327. rcı als Flickwort gebrauchte, wie sonst ye. Dasselbe hat ebenderselbe Pyth. V’, 42. gethan, wo »«S9ersavre, uovodgorev stand; die wahre Leseart, welche anzuerkennen man sich vergeblich sträubt, ist KaSETTav, TV Mov., welches geschrieben war TOMMON; daher das eine M (oder N) leicht wegfiel; die Neap. Mss. geben aber wieder das ganz falsche re: zwSer- ray ro uov. Und eine dritte Interpolation der Art findet sich Vem. III, 72. schon in dem sonst reinen Gotling. narges ra aidv statt ö Hungos aiwv, in welchem der Artikel ö verloren gegangen war und dann die angeführte In- terpolation gemacht wurde, welche aber nicht nur gegen den Sprachge- brauch, sondern auch gegen das Versmafs ist: denn rc mufs hier abge- kürzt werden, was im iambisch-twrochäischen Rhythmus aufser den drei- sylbigen Füfsen nicht zulässig ist. Schon dieses diplomatische Verfahren lehrt also die Unrichtigkeit der Leseart pgevas üreg ro aAeSY Bar: aber auch von Seiten des Gedankens ist sie schlecht. Man kann wohl sagen : ‚das Gerücht, welches leicht irre geführt werden kann, täuschen Fa- „beln, die über die Wahrheit hinaus geschmückt sind;’’ aber nicht: „die Sinne der Menschen werden getäuscht durch Fabeln, die über das „wahre Gerücht hinaus geschmückt sind;’’” denn das Gerücht kann zwar bisweilen wahr sein, ist aber häufig falsch: da also das Gerücht nicht vorzugsweise die Eigenschaft der Wahrheit hat, so ist es unge- reimt, das wahre Gerücht zum Markstein der Wahrheit zu machen, wie nach jener Leseart geschieht. Nicht minder bedeutend ist in dieser Hin- sicht Olymp. III, ı8. ı9. wo die Interpolation völlig aus falscher Sprach- ansicht entstand, da bei der vorigen Stelle zwar auch etwas Sprachliches zur Veränderung Anlafs gab, nehmlich dafs man glaubte, Acysy sei Glos- sem von barw, aber zugleich eine wirkliche Verwirrung‘ der Leseart Ne- benursache der Interpolation wurde. Folgendes ist die diplomatisch über- lieferte Leseart der Stelle nach altem Texte: Aauov Wregßogewv meiras "AmoAAwvos Segamovra Aoyu. TITTa dgevemv Auds are Tavdonm ara Frıagev re direuua Euvev dvrIgwreis Frepavov 7’ ügera. die Leseart dgerais scheint eine absichtliche Änderung, um, was nicht ein- mal schön ist, ein Entsprechendes zu @vSgwrcis hervorzubringen, und sie kommt nur in den Mss. neuerer Recension vor, welche noch öye statt Acyw haben; eine garstige Interpolation, gemacht, um ein Subject zu «re zu 328 Borcexnm über die kritische Behandlung gewinnen, das diese Kritiker, wie die neuern Scholien zeigen, für das Verbum erkannten: auch mochte Aoyw überflüssig scheinen. Einen an- dern Weg schlug der Kritiker der NVeapp. Mss. ein. Wir sehen nehm- lich aus Eustathios und Gregorios, dafs man sich vorstellte, aireı sei in dieser Stelle von einem unbekannten Worte «ircs, &vdiairnua; nun con- struirte man entweder ırra bgeveuy Aıcs aireı, oder man sah Ars aireı und ravderw arzeı als Apposition an. Dies war allerdings schlecht: daher isı in den Neapp. Mss. für arreı geschrieben worden @rsı,, welches der nicht ungelehrte Grammatiker aus dem Ztym. M. kannte. Um die Kühn- heit zu vollenden, hat der neueste Herausgeber noch "Arreı statt arreı ge- schrieben. Ob Olymp. IIT, extr. co My eine wegen unzulänglicher Kenntı- nifs der Grammatik gemachte Änderung oder aus eV uw zufällig entstan- den sei, mag dahin gestellt bleiben; dagegen bietet Olymp. VI, 85. wie- der ein deutliches Beispiel der Interpolation aus grammatischem Grunde. Dort steht in den Mss. alten Textes, ja selbst noch in denen der ersten Byzantinischen Recension, moosegmei mit dem Accusativ; erst Triklinios offenbar hat dafür rgeserzeı geschrieben, weil er in seinem Sophokles rgeseoreı mit dem Dativ fand. Olymp. VII, ı1. ı2. las man gewöhnlich aduunersi I aua EV Bogmıyyı randbwvarı 7 &v evrerw aurav: welche Stelle ich aus guten Büchern durch die Schreibart Sau« geheilt habe. Wie sie vorher war, konnte re und w!v nicht zusammen bestehen ; darauf grün- dete der Kritiker der Neapp. Mss. die Veränderung aöuuere 9° aua £ &. welche nicht ungeschickt, aber auch nicht schön ist. Olymp. VIII, 32. steht weARevres Ei repavov rede: die Mss. der mittlern Recension vorzüg- lich, namentlich Guelph. Lips. Leid. A. B. Aug. A. vier Bodleianische, auch der neuere Scholiast, geben dagegen reifew. Ich habe oben gesagt, dafs Moschopulos diese mittlere Recension abgeschlossen haben mufs; da nun gerade er und sein Vorgänger Thomas den Aorist bei uw verwerfen, so ist die absichtliche Änderung augenscheinlich ; das Seltnere wurde dem Gewöhnlichen aufgeopfert. Nach einem ähnlichen Grund- satz verfuhr man auch bei andern Verben, und es ist nicht zu bezwei- feln, dafs auch bei &Arsuaı der Aorist dem Futurum, wo Varianten sind, vorzuziehn, wie duevrarSc, statt des gemeinen dusurer Su Pyih2, 43% Der neueste Herausgeber hat diese Art Verderbungen vermehrend, auch Pyih. IV, 245. rgafarSaı in rgaferScı verwandelt. In allen diesen der Pindarischen Gedichte, 329 Stellen ist obendrein der Aorist grammatisch richüger (s. Wunderlich Vorr. zu Demosthenes und Äschines de cor.). Olymp. VIII, 58. steht in den alten Texten der Mss. ci dVo usv zarerev oder zarrerow: die Stelle des Alkman, wo z«ßavwy vorkommt, vertheidigt hinlänglich das »arerov, und mufste vor der Umstellung #«rrsrev ci öde utv warnen; denn beide Stellen, des Pindar und Alkman, zu verändern, verstöfst gegen die ersten Grundsätze der Kritik. Die Neapolitanischen Handschriften sind hier, weil man an z«rerv anstiefs, höchst lächerlich interpolirt: «ei do zaddersrov: nahm der Grammatiker dies für z«ad d° Ererov, so steht das ö& falsch, und /sthm. FIT, ı5. welches man zur Unterstützung an- führt, pafst nicht von ferne. Die alten Scholien lasen ver. Auch das aut 7 drul. welches man statt aut 8° aru£. aus denselben Mss. genom- men hat, ist unnöthig. Olymp. VIII, 59. ist ebenfalls der Sprache we- gen &x mayzgarıov in der Byzantinischen Recension in &v rayzgariw ver- wandelt, und gerade so Olymp. XIT. extr. &#x IIvSaves in &v IlvSavı. Olymp. XI, 21. 22. liest man gewöhnlich Sy£as de ze puvr” üger& worl me- Awgıov WenaTE »Aeos. Betrachtet man die alten Quellen der Leseart mit Einschlufs des Schol., so sieht man, dafs ursprünglich "OPMAZAI stand; da dies aber theils öguara, theils weuarc geschrieben wurde, konnte man die Structur nicht begreifen, und so entstand die Leseart ugnune. Aber WeuurE ze giebt keinen richtigen Sinn, welchen dagegen eouaraı 3 giebt. Da WeLaTE nun blofs eine Veränderung ist, darf man darauf nicht leicht eine weitere Verbesserung gründen; die neulich vorgeschlagene de re ist um so unzulässiger, da de re, eine epische Partikel, im Pindar nicht vorkommt; bei Bacchylides in dem Bruchstück, welches ich Metr. Pind. 8.557. hergestellt habe, steht es auch nur scheinbar; denn setzt man dort Vs.2. nach @vSe« ein Komma, so entspricht sich rizreı de re und daıdarcwv 7’ mi Buuäav. Olymp. AIIL, 87. ist die alte Lese- art dlarwrarsuu ci negev &yw, mit einer Auflösung des letzten Kretikus in den vierten Päon, welche durch die in dem raschern Mafse darge- stellte Vorstellung des jähen Todes begründet ist; Versmafs und Sprache zusammen verführten die Grammatiker zu der Änderung derıyareuai a- 7 nigov. Aber derwrarsua ist sicher; das Wort ist Äolisch, wie ich in dem Commentar nachträglich bemerkt habe. Durch die neue Ände- rung Öarıwragoual ei wegev &yw hat man nun dies seltene Wort ausge- Hist. philol. Klasse 1822-1823. Pt 330 Borzcxku über die kritische Behandlung‘ merzt, und noch dazu ebendaselbst dann r&pvs statt Errecbvev schreiben müssen; und um die Sache zu vollenden, ist auch Zsthm. T, 63. serw- rauevov durch das gemeine reriyanuevev verdrängt. Pyth. IT, 56. mufste die alte Leseart wert zu F6v ixcvr’ allerdings Anstofs geben von Seiten der Sprache: in den Neapp. Mss. steht wor’ Eneivov ikovr’, und werı xıvov izovr', woraus der neueste Herausgeber er! zeıvöv ixcvr’ gemacht hat; die Beschaffenheit der Mss. nicht allein, sondern auch, dafs die Hauptschwie- vigkeit, welche in der Verkürzung der ersten Sylbe von ikevr’ liegt, nicht gehoben ist, zeigt hinlänglich, woher die Leseart stamme. Der Irrthum als ob ixw mit kurzem Zota ein Wort sei, bedarf keiner Widerlegung ; doch werde ich nachher darauf zurückkommen. Übrigens zweifle ich jetzt nicht mehr, dafs an der alten Leseart nichts zu ändern sei, als ikovr’ in Erovr’: za rov heifst auch ihn. Pyth. IV, 56. ist ei statt vw in den Neapp. Mss. offenbar eine syntaktische Interpolation, welche man indessen aufgenommen hat und noch verschlimmert durch das N in @mi- Sure. Pyth. X, 28. steht Rasreov eSvos arrousesSa, nicht ohne metrische Schwierigkeit: handgreifliche Interpolation ist Rgorea &Svs@ in den Neapp. Mss. woraus der neueste Heransgeber @gore' €$vn gemacht hat; der alte Kriuker wollte die Verbindung des Baorzov €Svos mit dem Plural weg- schaffen, so wie er Nem. Y’,45. dadurch, dafs er uerai£av (oder ueratfav, wie er vielleicht wollte) statt uerai£avra« schrieb, die hinlänglich gesicherte Verbindung von uer@iZavra vos entfernt hat: aus einem ähnlichen Grunde war in andern Mss. uerai£as gesetzt worden. Doch diese Beispiele mö- gen genügen. 27. Besonders häufig sind die Interpolationen, welche der Mangel an Kenninifs der Pindarischen Prosodie erzeugt hat, theils überhaupt, theils in solchen Fällen, wo die Aussprache durch die alte Art der Orthographie verdunkelt wurde; wie viel in dieser Hinsicht verändert wurde, besonders in den Neapp. Mss., würde unglaublich sein, wenn es nicht augenscheinlich wäre: nur der Greifswalder Herausgeber hat den ältern Kritikern auch hierin den Preis entrissen. Es sei erlaubt, ehe wir auf die Beispiele der Interpolation kommen, Weniges von der Orthographie zu sagen. Welcher Schreibart sich der Dichter in ein- zelnen Worten bedient habe, ist ein Gegenstand geschichtlicher Unter- suchung, welche auf Zeugnissen und Combination beruht; die letztere der Pindarischen Gedichte. 334 mufs häufig aus Analogien schliefsen; von den erstern verdienen die ältern den Vorzug, zumal wenn sie etwas Seltenes aufbewahrt haben, welches eben, weil es selten war, leicht verändert werden konnte, Um zuerst von der Analogie zu sprechen, so mufs Jeder, der den Pindar unbefangen studirt hat, Hermann’s auf den Gang der Litteratur selbst gegründete Bemerkung bestätigt finden, dafs der epische Dialekt Grund- lage des Lyrischen und Pindarischen sei. Hiernach mufs man auch das Prosodisch -Orthographische beurtheilen, so lange sich nicht deutliche Spuren des Entgegengesetzten finden. Dies ist zum Beispiel bei der Ver- längerung der Sylben durch die muta cum liquida ohne Hülfe des para- gogischen N keinesweges der Fall: die Mss. führen, wo ich nicht sehr irre, dahin, dafs in solchen Fällen das N im Pindar nicht zu Hülfe genommen ist; der Greifswalder Herausgeber hat dagegen auch hierin den Text verunstaltet, durch Schreibarten wie diese: Olymp. I, 46. &vve- mev nguba, IX, 5. ügnesev Kooviov, ÄXT,22. Wonurev ureos, 68. Forsiv TREX,WV, &711,-37. ’ASavaıy rei, Pyıh.I,55. üvöganıy moWra, IT, 51. &raunbev Res- 79, 1X,117. mag Ievorw, meiv, Nem. XI, 7. cpw Rosuera, Isıhm. IF, ı8. Svarcısw moere, F, 27. TigwvStoow mecpgova, Pyth. X, 60. Ureuvıfev bge- ves. Anderwärts hat er es vergessen, wie Pyth. XII, 22. in üvdgarı IVa- rois, Isthm. VII, 14. dvögarı »geuarcı. Vorausgesetzt dafs der Dichter, der überall eine genaue Aufmerksamkeit auf die Sprache zeigt, sich gleich blieb, darf man nun auch nicht Olymp. VIIT. extr. odıw Zeus schreiben; denn das N ist das paragogische, und rpı kommt auch Nem. FI,52. vor. Dafs vor ci kein paragogisches N angewandt worden, auch niemals ein Wort vor demselben apostrophirt wird, hat Hermann längst bemerkt, und dies lehren ebensowohl die Mess. als die Combina- von. Mangel an Untersuchung hat dagegen folgende Lesearten erzeugt: Olymp. II, 46. Erehvev ci, Pyth. II, 42. aveu 0° di, IV, 56. arı9yrev ci, IX, 87. rene ö° ci, Nem. IX, 5g. oureuev ei, VII, 22. Wevderiv ci, X, 79. ruSev ci, Isthm. III, 82. rexev ci. Nach derselben Analogie richtet sich cs statt &s; daher isı ralda &v Pyth. VT,56. untadelig, und schon um des Auffallendern willen der Leseart der Neapp. Mss. raiö’ &v vorzuziehen. Die guten Handschriften des alten Textes liefern aber eine Menge ortho- graphischer Eigenheiten, welche zugleich durch anderweitige Gründe wieder unterstützt sind, und von welchen man nicht ohne Grund ab- Tr 2 332 Boszcexm über die kritische Behandlung weichen darf. Wie genau sie sich an den alten Text halten, wie er den Alexandrinern gegeben war, und dafs erst die spätern Kritiker diese Eigenheiten entfernten, kann man schon an jenen orthographischen Ab- weichungen sehen, von welchen oben gesprochen worden; so ist Olymp. 13: Yaguev wohl erhalten worden in guten Büchern, wogegen die Neapp. Mss. das gemeine yagveıy geben; Olymp. I, 55. haben mehrere Bücher »azayoges, und nur Mosc. 4. obgleich er zur alten Recension gehört, giebt hier RUHR YogWs, indem in der ersten Olympischen Ode auch in ei- nigen guten Büchern, die später geschrieben waren, Interpolationen vor- kommen; denn die Spätern verdrängten die Eigenheit: daher hier der neuere Scholiast narayogws verlangt, widersprechend dem ältern, der »axcyogos ohne v ausdrücklich erklärt, und darin mit andern alten Gram- matikern, namentlich Schol. Theoer. F/, 84. Hort. Adon. S. 187. A. völ- lig übereinstimmt. Man mag über diese Formen urtheilen wie man will, s anerkennen müs- 5 sen; und diese hat uns eben in vielen Stellen in diesen orthographisch- so wird man wenigstens die Sorgfalt der Überlieferun dialektischen Kleinigkeiten das Wahre erhalten. So lehrt eine leichte Induction, dafs Pindar in der Regel nicht wsre sondern wre in der Be- deutung Wie schrieb: Olymp. AI, 90. giebt zwar der durchaus in- terpolirte Mose. B. allein, jedoch gewifs nicht nach einer absichtlichen Veränderung öre, die andern, so weit die Collationen zureichen, wsre; allein aufser Pyth./V,64. Nem. VII, 7ı. wo wsre ebenfalls vorkommt, führen überall, Pyth. X, 54. Nem. VII, 62. 95.:Isthm. III, 56. die (Quellen der Leseart auf diese seltnere Form, welche der Schol. Nem. ausdrücklich anerkennt (vgl. nott. eritt. Olymp. XI,90.), und es wäre da- her Urtheilslosigkeit, wsre beibehalten zu wollen. Ich habe es NVem. Y1I, 7ı. entfernt, weil in demselben Gedicht in zwei andern Stellen die Quellen sre darbieten, und Were nur Pyth. IV, 64. stehen gelassen, weil die Handschriften nichts anderes geben, und der Gebrauch des Dichters, als er jene Ode schrieb, aus keiner andern Stelle gelernt wer- den kann. Olymp. IX, ı20. findet sich in den Handschriften der ver- schiedensten Recensionen die alte Schreibart ’Iıada, welche der alte Schol. ausdrücklich als Pindarisch anerkennt; Pindar war des Digamma in dem Worte noch eingedenk ; Oirad« hat nur ein und der andere Schreiber in den Text gebracht. Statt 72w geben die Mss. alter Recension, ja selbst der Pindarischen Gedichte. 333 noch andere :xw, welches als Homerische Form anerkannt ist, worüber uns Eustathius hinlänglich unterrichtet (vgl. nott. eritt. Olymp. IV, ı1.): da nun die Handschriften eben dahin führen, so sieht man leicht, dafs Yzw nur aus der spätern Sprache in Pindar’s Text gekommen ist. Die Bemerkung des neuesten Kritikers: ‚‚Ixw penultimam eorripit; ubi longa „,syllaba requiritur, rw scribendum,‘“ ist um so bedauernswerther, da ix mit kurzem ı so gut als gar nicht nachgewiesen werden kann (vgl. nott. critt. Pyth. II, 56. Reisig Aristoph. Nub. S. ı29.). Ein ganz besonderer und vorzüglich merkwürdiger Fall, der nicht übergangen werden soll, ist die Verschiedenheit der Schreibart: ngurng nonrig, "Aubiagass "Audıd- gnos. Koarng und "Aupiagaos ist das bekanntere und später gangbare: man kann daher, obgleich zg7r7g auch in den Auischen Dichtern vorkommt, wie Jristoph. Acharn. 955., dennoch nicht glauben, dafs das seltenere aonrng und "Audıapnes von den jüngsten Kritikern oder von den Abschrei- bern herrühre. Aber sonderbar ist es, dafs Ohrmp. FT, gı. xgarıg ge- rade in den Büchern der alten Recension vorkommt, auch im Pal. C. welcher in den nott. eritt. noch nicht angeführt werden konnte; dagegen in dem andern ronrig: Nem. IX, 49. hat sich xzonrng« als gewöhnliche Leseart erhalten; Med. B. hat nebst dem Lemma des Schol. »garnge; doch sieht man aus dem Scholiasten des Lucian (Conviv. 52.), der obgleich schlecht, dennoch älter als alle unsere Pindarischen Mss. sein dürfte, dafs auch hier zeyragı eine alte Schreibart war, und dieselbe Leseart steckt in dem verderbten ragayrgnrmg bei Orion ın Baxy,s: Isthm. 7, 2. geben die Bücher zgurng, bis jetzt ohne Variante. Audid- gnov geben Olymp. FT, ı5. die Mss. der neuern, aber auch die meisten der ältern Recensionen ; dasselbe hat sich Pyth. VIIT,58. Nem. IX, ı3. in dem gewöhnlichen Texte erhalten, in welchem dagegen Isthm. VI, 55. die Form mit A bis jetzt ohne Variante steht. Man sieht, dafs nonrAg und "Auduagnos auch schon vor den Byzantinischen Kritikern bestand ; man könnte also sagen, die gemeineren Formen seien auch in den Mess. der alten Recensionen nur von den Schreibern geseizt. Allein es ist viel wahrschemlicher, dafs beide Schreibarten schon von den Alexan- drinern gebilligt waren, die eine von Diesem, die andere von Jenem. Odyss. 0, 244. las Zenodot "Audiagyov, Aristarch "Aubidgaov. Es scheint daher, dafs auch bei Pindar in der einen Alexandrinischen Recension 334 Borexm über die kritische Behandlung das A, in der andern das H vorgezogen war. Wollen wir uns aber für das eine oder andere bestimmen, so können wir nicht einen Augenblick anstehen, uns für das H zu entscheiden. Denn wie hätte Jemand auf den Gedanken gerathen sollen, dem dorisirenden Pindar das H aufzu- dringen, wenn nicht in den alten Mss. H oder E sich vorgefunden hätte? Wohl aber konnte man, um eine Regel durchzuführen, welche der Do- rismus zu erfordern schien, die alte Leseart verändern und das dem Dialekt des Dichters angemessener scheinende in den Text setzen; doch rechtfertigt sich das H aus dem Dorismus selbst, welcher dasselbe in mehreren Worten nach dem P dem A vorzieht, wie in xeyaSau. 28. Da das Prosodische, zu welchem ich jetzt übergehe, nicht über- zeugend erörtert werden kann, ohne zugleich das Versmafs in Betracht zu ziehen, so tritt hier einer von den Fällen ein, wo metrische Analyse und Kritik der Lesearten so zusammenstofsen, dafs an gewissen Sıellen über Versmafs und Leseart auf einmal entschieden werden mufs; eben deshalb ist der Unkundige hier schwer zu überzeugen; aber denjenigen, welcher in solchen Untersuchungen geübt ist, zwingt die Gewalt der Inducton unwiderstehlich. Wenige Beispiele werden die Sache klar machen. Man hat vor Hermann angenommen und darauf auch neu- lich wieder gefufst, dafs bei Pindar in den daktylischen Versen wie in den Epikern statt des Daktylus der Spondeus stehen könne. Unter- sucht man diese Mafse, so ergiebt sich, dafs in der allergröfsten Mehr- heit die Spondeen nur an gewissen Stellen stehen, und in eben diesen Stellen zuweilen auch der Trochäus vorkommt. Da nun der Trochäus nicht statt des Daktylus gebraucht werden kann, so ist klar, dafs in diesen Stellen der Spondeus nicht statt des Daktylus, sondern statt des Trochäus stehe, das ist, die daktylischen Rhythmen haben da, wo der Spondeus oder Trochäns vorkommt, eine Katalexis, z.B. "uw-w-s|2w-w-9 Zugleich folgt, dafs statt eines solchen dem Trochäus gleich bedeutenden Spondeus nicht könne der Daktylus gebraucht werden, weil dieser der Katalexis widerspricht: worauf wir später zurückommen werden. Aufser den Katalexen dagegen findet sich der Spondeus fast nirgends in dakty- lischen Versen: wo er gefunden wird, steht er entweder in einem Ei- gennamen, wobei die Dichter sich die Freiheit genommen haben, die der Pindarischen Gedichte, 335 metrische Regel zu verlassen und das Wort nur dem Rhythmus anzu- passen ; oder die Stellen sind von der Art, dafs alsbald ein Zweifel über die Leseart, die Form oder die Prosodie entsteht (vgl. nott. eritt. S. 459.). Das klarste Beispiel vom letztern giebt das Wort xgUress, welches diesen scheinbaren Spondeus am häufigsten erzeugt: Pyih. IT’. war er aufser den Katalexen dreimal angemerkt, aber immer nur aus diesem Worte; ähnlich in andern Gedichten. Aber er verschwindet, wenn man Agureos dreisylbig liest, so dafs die erste Sylbe kurz ist: und hieraus folgt, da zumal auch andere Stellen des Pindar zu Hülfe kommen, und über- dies in den Tragikern dieselbe Erscheinung eintritt, unmittelbar, dafs xgöress wirklich dreisylbig und mit der Kürze in der ersten Sylbe zu lesen sei. Wo nun die Kritiker, welche so feine Unterschiede zwischen dem Gebrauche des Daktylus und Spondeus nicht ahneten, %gUress durch Annahme des Spondeus statt des Daktylus für richüg hielten, findet sich nirgends eine Interpolation: aber kam xgiress mit kurzer erster Sylbe aufserdem vor, so mufsten sie zur Änderung schreiten. Olymp. I, 87: las man gewöhnlich : &dwxev dibaov wolreov &v Treociriv T ürauavras Immous Ss =, Wu pa2 X exe) /[ FED ıTı Ararı TmOUs vr aber treflliche Mss. alter Recension haben: &dwxev dipgev re Agureov mregoi- siv 7° az. i. Nach der in den metrischen Scholien aufgestellten Ansicht ist der hier in Betracht kommende Vers epionisch : um] |0u- Nimmt man hier Kgureov, die alte Leseart vorausgesetzt, zweisylbig, so steht statt des Ionicus a maiori ein Molossus: Edwxev örlbgov re Aoulreov mregol- welches zwar im Allgemeinen nicht falsch scheinen konnte, wohl aber in Bezug auf solche Rhythmen, in welchen ein Molossus statt des To- nicus a maiori nicht vorkommt und von den Grammatikern nicht aner- kannt wird. Daher kann man nicht umhin zu muthmafsen, dafs die Grammatiker aus Unkenntnifs der Prosodie die Stelle verändert haben; die andere Leseart entspricht dem Versmafs, welches sie setzten, und zwar so, dafs Agureov die erste Sylbe lang hat: wogegen die alte Leseart jener guten Mss. nur dann dem Versmafs entsprach, wenn xgüreev in der ersten Sylbe kurz genommen wurde. Dafs dennoch auch in bessern Büchern die Leseart vorkommt, welche wir als Interpolation betrachten, kann nichts beweisen, indem in der ersten Olympischen Ode die Lese- 336 Borcxkm über die kritische Behandlung arten verschiedener Recensionen vielfach gemischt sind; auch möchte ich nicht zuversichtlich behaupten, dafs diese Interpolation erst von den spätesten Grammatikern herrühre. Wenn nun WgUTEOS mit kurzer An- fangsylbe gebraucht worden ist, so konnte eben dies in xgurcs gesche- hen, obgleich es seltner sein mufs, weil die Bequemlichkeit des Dichters xguress abzukürzen öfter erfordert als xgurös. em. VII, 78. ist indefs ein unverfängliches Beispiel: #A& xguröv ev re Asunov eAkpav9’ du: um jedoch die Kürze zu verbannen, ist ohne Sinn und Verstand in den Neapp. Mss. xgoxev statt Xgurev gesetzt worden, als ob Arokus die Farbe oder Blume gefügt, geleimt, gelöthet werden könnte; der Herausgeber dieser feinen Lesearten hat aber noch etwas Schöneres ausgedacht: xgv- Fov »orr& &v r. (lies zerr& ’v), unbekümmert darum, dafs nun ein Spon- deus statt des Daktylus sogar in eine logaödische Reihe gebracht ist, welcher diese Vertauschung am wenigsten ansteht. Ein anderes Beispiel von Interpolation aus Unkenntnifs der Prosodie und der Pindarischen Me- iwik zugleich, bietet das Wort Ierrava, Olymp. XIII, 105. wo die guten Texte haben: Ierrava re za Zıruwvy -- wu -wu-, so dafs also die letzte Sylbe kurz ist, I&Aava. Will man dies nicht gelten lassen, so mufs re ausgestrichen und der Spondeus statt des Daktylus durch den Eigennah- men entschuldigt werden. Allein es wird bald klar, dafs IIerrava voll- kommen richüg sei. Der Achäische Ort dieses Namens, welcher hier gemeint ist, hiefs im gemeinen Dialekt IIerAyyy, wie der Lakonische; da aber der Lakonische bei Pausan. IIT, ı, 4. III, 29, 2. IIrava heifst, so hiefs, da der Name beider derselbe ist, auch der Achäische Ierrava. Allein wie sollte Pausanias darauf kommen, die Dorische Form in dem Lakonischen Namen zu nennen, wenn IIeAAava statt IIerrAvn war? Nennt er doch das Lakonische ®egarvn nicht Osgarva. Um kurz zu sein, die ältere Form, welche sich in dem Lakonischen Pellana hielt, war Il&AAavz, und man mufs den Accent bei Pausanias ändern; nun ‘begreift man, warum er nicht IleAryyn schrieb. Dazu kommt die Analogie von Alyıya, Kaucpwae und ähnlichen Namen. Schon dies wird lehren, dafs auch der Achäische Ort IIArava& hiefs, obgleich nachher die andere Form, die dann auch Pausanias hat, IIsrr%y nehmlich, für den Achäischen Ort gebräuchlicher wurde. So wird man ablassen, das re auszustreichen, welches jedoch in den Neapp. Mss. durch Interpolaion geschehen ist, \ der Pindarischen Gedichte. 334 weil man die Prosodie des Wortes nicht kannte. Um den Beweis zu vollenden, betrachte man Olymp. FIT, 86. Dort steht in den interpo- lirten Mss. beider Byzantinischen Recensionen: Alyıya TIerrava re, mit langer Endsylbe in Terre: aber die alten Quellen der Leseart haben durchaus Ierrava 7° Alywa re, wo IlArava die letzte kurz, Aiyiva aber lang hat. Beides bewog den Kritiker, der jene Leseart gemacht hat, &: aber setzt man die 5 alte Leseart in ihr Recht ein und schreibt Aiyive als Dativ, so ist alles vermuthlich den Moschopulos, zur Umstellun in Ordnung. Indessen, um wieder zu den falschen Spondeen zurück- zukommen, haben die Alten weit weniger dergleichen Fehler begangen, als der letzte Kritiker, welcher den Unterschied zwischen Daktylus und Spondeus bei Pindar nicht bemerkt hat: häufig wiffi man bei ihm auf Daktylen statt Spondeen, wo sie nicht stehen können, so wie überhaupt auf Auflösungen, welche selten oder gar nicht statt hatten; welche zu finden man nur die metrischen Schemata zu durchlaufen braucht, ob- gleich diese, wie Pyth. X, str. 4. nicht immer dem Texte entsprechen; häufig auch auf Spondeen statt der Daktylen. Ein solcher aus verkehr- ten prosodischen Begriffen entsprungener Spondeus ist Nem. FI, 25. durch die Veränderung des Anapästen viewv in vi@v entstanden; und Pyth. XI, ı1. 27. in Erramirccıw Orßas, aAAorglaurı yAwrraıs, weil der Heraus- geber nicht begriff, dafs Vs. 45. statt IIuSwovixw zu lesen sei HuSoviuw, welche Form aufser den in den kritischen Anmerkungen und dem Com- mentar angeführten Beispielen durch den Namen IuSevizes bei Andokides de myst. S.6f., und durch das Feminin IIuSovizn in Inschriften gerecht- fertigt wird. Der schlechteste Spondeus ist aber vielleicht Pyth. IX, 109. in de£av reov, wo £av rev den Spondeus bildet, und die Leseart nicht einmal dem Sinne angemessen ist. Besonders hat solche derselbe Kriti- ker auch dadurch hervorgebracht, dafs er nicht einsah, in Aawes und den davon abgeleiteten Formen werde das » bisweilen gekürzt. Von diesem giät vollkommen wie von WOUTEOS, dafs man schon aus der me- trischen Analyse, wenn auch weiter keine Beweise da wären, die Kürze erkennen könnte, weil, wenn das w lang gemacht und eine Zusammen- ziehung angenommen wird, dadurch ein Mafs entstände, welches immer nur darauf beruhte, dafs w nicht gekürzt wird; man sehe Pyth. 2, 55. III, 7. 1V,°58.. Nem. VII, 46.. Im'Homer, Odyss. 2, 505. . könnte Hıst. philol, Klasse 1822-1823. Uu 338 Borcexm über die kritische Behandlung man zwar zusammenziehen; doch hat sich Butimann (ausführl. Gr. Gramm. Bd. I, S. 257.) mit Recht für die Abkürzung erklärt: bei Pindar aber ist die Zusammenziehung völlig unmöglich. 5 29. Sehr viele Interpolationen, welche der Prosodie wegen gemacht sind, bedürfen dagegen keiner Untersuchung über das Versmafs, weil es klar da liegt, und was daher geneuert ist, wurde blofs darum versucht, weil in der Prosodie eine wahre oder eingebildete Schwierigkeit lag: die wahre hat ihren Grund in kleinen Fehlern, die leicht gehoben werden können, die eingebildete in der falschen Vorstellung, dafs es keine ver- schiedene Prosodie in denselben Worten gebe. Wir wollen von beiden einige Proben geben. Pyth. II,82. las man: ruvuv Tori vavras @yav FAyyy diamiezei: wo a@yav, sehr, aufser dem dafs es dem Sinne nicht ganz ge- mäfs ist, eine Länge in der ersten Sylbe hat, die man nicht anneh- men kann. Das Wahre ist @yav. Ayy ist die Brechung; aus dem Bruch entstehen Krümmungen, Wellenlinien; daher ist «4 dann die Krüm- mung, wie hier; und so kommt bei Arat «yy und Zrıayn vor, welches anzuerkennen man sich vergeblich sträuben wird. Dagegen haben die Neapp. Mss. eine grillenhafte Interpolation: 709° @ravras (und meös drav- Tas) amrav mayyp damit. Offenbar soll arrav aus «rarev synkopirt sein, wie ein anderer Grammatiker Olymp. FI, ı8. magsrı aus mügerTı synkopirt hat. Das aus jener Interpolation gemachte rawuy Fort draray aravras Tayyp Öuriexsı ist gegen Sinn und Rhythmus. Nem. XI, 40. stand sonst raraıs Erewv Fegiedcıs, worin eine metrisch-prosodische Schwie- vigkeit liegt, weil statt regöcıs ein Anapäsı erfordert wird. Zwar hebt sich das Bedenken leicht, indem es sicher ist, dafs man egi apostrophi- ren konnte (s. zott. eritt. Olymp. FT, 58. Fragm. ine. 25.), was selbst die Inducton aus Pindar allein lehren konnte, Olymp. VI, 58. weg araare, wo neulich megi @rr. geschrieben worden, wie ehemals stand, als ob damit etwas geholfen wäre; Pyth. IV, 265. Yävev weg’ auras, WO man wieder re9 zurückgerufen hat, welches unpassend ist; Pyıh. III, 52. megdmruv, wo man Fagamruy ausgedacht hat. Indessen dergleichen In- duction ist nicht die Sache fahrlässiger Grammatiker; daher in der Stelle der Nemcen in den Neapp. Mss. die Interpolation rayressı (schreibe Tav- TeIT’) Erewv zUrAoıs; #uxAcıs soll nehmlich den Anapäst vertreten, indem der Urheber nicht wufste, dafs in dem daktylischen Mafse ohne beson- der Pindarischen Gedichte. 339 dern Grund nicht so dürfe rhythmisirt werden: --uu-—- Wie die andere Leseart der Neapp. Mss. rarus &reuv ödeis entstanden sei, habe ich anderwärts gezeigt: die daraus geschöpfte Vermuthung raras irewv &v odols ist so schlecht, dafs sie nicht aufgenommen werden könnte, wenn sie die besten Handschriften hätten: erewv regiodeı ist ein trefllicher Aus- druck, erewv &dei ungereimt. Pyth. I, 45. steht das bekanntlich sichere de gnbaus, dafür ist 0° &xgnb. von einem unwissenden Grammatiker in den Text gebracht worden. Pyıh. II, 76., wo man in den guten Büchern findet auporegas diaßeor.&v ürebarıss hat der Kritiker der Neap. Mss., um die Länge in driaßorıav wegzuschaflen , zarayogıav gesetzt, welches ihm aus Vs. 55. im Andenken war. Die Stelle des Theognis (524.) r&So- MEVOS Y,aAErn, Kugvs, diaßerm, beweiset die Richtigkeit des diaßerıav, welche auch schon in meinen noit. critt, anderweitig begründet ist. Hört man freilich den letzten Herausgeber, der überall von Glossemen träumt, so wäre dtaßerv ein Glossem zu zarayogiav: aber nicht nur ist zaxayegiav kein Wort, was ein Glossem veranlassen könnte, sondern diaßeri« ist auch ein so seltenes Wort, dafs es kein Glossator würde gebraucht ha- ben; dieser hätte wenigstens draßorav gesetzt. Indessen hat dieser zaxa- Yopiay aufgenommen, nebst ÜUmohdroges für das allerdings unrichuge üre- parıss, nach dem kühnsten greifend: zugleich findet man gegen das Me- trum @udersgersı geschrieben, indem hier zwei Recensionen dieses Kriti- kers sich sonderbar gemischt haben; denn che seine Handschriften ihr »arayogiav brachten, hat er offenbar durch die Veränderung duberegaum diaßerıcv der prosodischen Noth abhelfen wollen, damit nehmlich ri di« statt öi@ stände; nachher ist diese Besserung mit der anderen zusammen- geflossen. Pyth. IF‘, 150. steht riuvuv, gewils richüg, indem das ı vor «ı, ungeachtet es gewöhnlich in diesem Worte lang ist, leicht kurz werden konnte; nirgends zeigt sich eine Spur von Variante, als in den Neapp. Mss., welche Arrawvuv geben; eine klare Interpolation, obgleich rıavay wieder Glossem zu Arrawwvy sein soll: das eine Wort ist aber so bekannt wie das andere, und also kein Grund vorhanden, ein Glossem anzunehmen: Hesychius erklärt ArravSeis durch rıevSes, aber auch wieder rıawerw durch Arrawerw, rıaweı durch Arrawa, Tiavarw durch Arra- varw. Pyth. VIII, 4. lesen die Mss. zrüdas, »Aüdas, „Acldas, worin ganz deutlich zAai das liegt, nach Homerischem Gebrauch; da man dies nicht ÜUw2 340 Borcxu über die kribischie Behandlung bemerkte, sondern das Wort zweisylbig nahm, ist in dem interpolirten Par. B. ras xrmdas geschrieben worden; und weil Pyth. IX, 40. und in einem Bruchstücke, welches man ohne Grund dem Pindar zugeschrie- ben hat, wirklich »Aaides mit kurzem ı vorkommt, hat man ras xAddas aufgenommen. Und doch fehlt es nicht an Beispielen des doppelten Mafses dieses ı, wovon noch einige unten vorkommen werden. Aus Homer, Apollonios von Rhodos und Andern ist bekannt, dafs drrw gewöhnlich mit langem 4 vorkommt (1); die Versicherung des neuesten Herausgebers (S. 157. S, 195.), dafs dies nicht so sei, wird trotz der Be- rufung auf Porson, der etwas ganz anderes meint, nichts helfen; und das Gegentheil hätte er schon aus @rreı Nem. VIIT, 40. was er stehen läfst, sehen können. Doch theilt der Urheber der Neapolitanischen Re- cension diese Unkunde; daher ist Zsthm. III, 24. ereisrwv in &rauyikwv oder erayıkwy verwandelt; ob dieselbe falsche Ansicht auch auf die Schreibart nercizav, wenn diese NVem. F/, 45. wirklich in den Neapp. Mss. gemeint ist, Einflufs hatte, will ich unentschieden lassen, da die Interpolation jener Stelle oben (26.) schon befriedigend erklärt ist. Nem. IX, 7. glaube ich rargwwv hinlänglich vertheidigt zu haben; wenn der neueste Herausgeber (S. 175.) nicht begreifen kann, warum ich irr&es in Yrmıss verwandle, und dennoch nicht Targywy in Targiwv, so mag ihm gesagt. (1) Vgl. Pierson zu Mör. S. 501. Dieselbe Bemerkung habe ich wie mehrere an- dere, die hier in methodischer Hinsicht wiederholt sind, in dem Anhang des Pindar Th. II. Bd. II. S. 691. bereits gemacht: wenn ich daselbst blofs von der Länge rede, hat dies in dem polemischen Zweck seinen Grund, da der Gegner den Gebrauch desselben läugnet, und S. 157. bei der von Hermann und mir befolgten Leseart von einer labes versus spricht. Beispiele der Kürze hat schon Pierson a.a.©. etliche gesammelt; von der Länge spricht er wie wir nur im Allgemeinen, weil an derselben kein Zweifel sein konnte. Auch halte ich es für sicher, dafs die Länge in &rrw das ursprüngliche Mafs war: da aber Vocale vor Vocalen sich leicht kürzen, ist Ausnahmsweise auch diese Messung entstanden, und es gehören hieher drei Beispiele, Eurip. Hek. 51. und die beiden dort von Porson in anderer Beziehung angeführten Stellen, welche noch mit andern aus den Tragikern ver- mehrt werden können, wie Eurip. Suppl. 986. Soph. Oed. Col. 1499. In der Regel sagen die Tragiker &rsw oder wie Porson schreiben will «sw: wo sie die unzusammengezo- gene Form haben, scheint die Kürze allerdings häufiger bei ihnen. Doch findet sich auch 4 $40. nach Hermannischer Lescart; wiewohl Seidler de vers. dochm. S. 19. die Stelle an- ders ansieht. bei den Tragikern die Länge, wie Eurip. Troad. 157. und wie es scheint Soph. Trach. der Pindarischen Gedichte. 34 sein, dafs das eine geschieht und das andere nicht, weil irreiss mit kur- zem /ota eben nichts anderes ist als gerade Irmıos, Tarowdwv aber nicht einerlei mit margiwv, sondern ein anderes Wort und ein anderer Laut. So viel über diese Art Interpolation in den Handschriften; und wahr- lich es wäre der Thorheit genug und übergenug gewesen, wenn man sie auch nicht vermehrt hätte. Aber was finden wir erst in der neuesten Ausgabe! Olymp. T, 359. soll &x« 8° ararancv Bicv falsch sein, weil auch @rdrauss vorkommt; wer weils nicht, dafs der rhythmische Gebrauch dies / verlängert, wie in aSavarıs, ob es gleich ursprünglich kurz ist? Daher wird geschrieben «rarauev d& &ye Biv, nicht nur mit einem gar- stigen Hiatus, sondern auch mit einer Auflösung einer Länge, welche in keiner Strophe erscheint, und nirgends ohne Spur der Handschriften oder grofse Noth erdichtet werden darf, wenn sie in dem Liede selbst nirgends vorkommt. Olymp. XI, ı5. ist die seline Messung Kuzvei@ be- reits von Hermann mit einem Beispiele. gerechtfertigt; um sie wegzu- bringen, wird rgare d& Kizvaac uaya in game Kunveia de uay,a verändert, mit einer höchst seltenen und fast überall, einige besondere Fälle aus- genommen, verdächtgen Stellung des ö:, in welche dieser Kritiker ganz verliebt ist, weil sie ihm oft in der Noth beispringt. Pyih. VIII, 49. soll Kaöusy ausgemerzt werden, weil sonst Kaöuss im Pindar gemessen wird; warum wird nicht auch d&@pv«, »Fdves und dergleichen verwiesen ? Aber die Umstellung vuuärr« Kadusu voärev &v mUAcıs taugt nichts; Pindar ist ein grofser Künstler in der Wortstellung, und wollte lieber Kadusu in der ersten Sylbe abkürzen, als die das Gefühl einzig befriedigende Folge der Worte vunävre roürer tv Kadus murus aufgeben. Aber kaum traut man seinen Augen, wenn man sieht, dafs, weil auch Kgeviwv vor- kommt, die Form Kgeviwv nicht weniger als fünfmal, ohne die mindeste Spur in den Handschriften, vertrieben und Kgevid«s dafür gesetzt worden ist, ..Pyih. III, 57. IV, 25%. Nem. I, ı6. IX, 28:.X, 76. und das»m einem Worte, in welchem die Verschiedenheit des Gebrauches allgemein bekannt ist. 30. Ausführlicher müssen wir noch von einer prosodischen Rleinig- keit, nehmlich von dem bestrittenen Mafse des ray und ürav sprechen. Der Unterschied des Mafses in diesem Worte kann sich nach dem Zeit- alter richten, indem früher diese, später jene Aussprache statt fand ; 342 Bozcexn über die kritische Behandlung . die älteste Aussprache liegt aber gewöhnlich beim Epos zum Grunde, die jüngere beim Atuschen Drama, während die Lyrik in der Mitte stehet, mehr jedoch dem Epischen folgend. Ein zweiter Grund der Verschiedenheit kann das Versmafs sein: dieser aber löseı sich in das Vorige auf, wenn man auf die Ursachen zurückgeht; im Trochäisch- iambischen Mafse hielten sich nehmlich die, über welche wir völlig ur- theilen können, die Dramatiker, mehr an die Prosodie ihrer Zeit, im Dakıylisch-anapäsuschen aber näherten sie sich der alten epischen Pro- sodie. Ein dritter Grund verschiedener Messung kann in dem Dialekt liegen, welches sich jedoch zum Theil wieder auf den Unterschied der Zeitalter und deren Nachahmung zurückführen läfst; ein vierter kann darin gesucht werden, dafs z@v als einfaches Wort anders gemessen wird, als in der Zusammenseizung zu einem mehrsylbigen. Betrachten | wir die Sache zuerst ohne Rücksicht auf Pindar. Im Homer, welcher uns für das früheste Zeitalter zeugt, ist rav in allen mehrsylbigen Woör- tern anerkannt kurz, wie arav, moomav, TlaverAyves: das einsylbige Tray ist dagegen im Homer als lang angesehen und daher circumflectrt worden. Indessen findet sich das letztere nicht sehr oft, und zwar niemals vor einem Vocal,, wo man seine Länge deutlich erkennen könnte, aufser vor Eoyov und eioyro, wovon jenes sicher, dies wahrscheinlich ‚das Digamma hat: man kann daher mit Butimann (z. Schol. Odyss. v, 51.) annehmen, dafs selbst das einfache av im Homer kurz war, weil keine sichere Länge vorkommt; denn die Länge vor digammirten Wörtern ist keine sichere; aber man kann nicht völlig entscheiden, weil kein vollkomme- ner Beweis der Kürze des rav vorhanden ist, welcher nur dann da sein würde, wenn Odyss. v,5ı. mit Aristophanes wre av Aug getrennt zu lesen wäre. Doch bin ich nicht abgeneigt anzuerkennen, dafs auch dies einfache Neutrum im Homer kurz war: dafs es aber die Grammatiker grofsentheils für lang hielten, auch im Homer, ist nach dem herrschen- den Circumflex nicht zu bezweifeln. Sehen wir nun auf das andere Ende, das Drama, so finden wir in dem ijambischen Dialog, welcher der Regel Auischer Mundart am meisten folgt, das einzelne r@v durchaus lang; bei dem mehrsylbigen Vorkommen schwankt der Gebrauch. Die Verlängerung der zweiten Sylbe in @rav und ähnlichen wird theils als Atusch angegeben, ıtheils nur gesagt, dafs diese Sylbe in den Attikern der Pindarischen Gedichte. 343 lang gefunden werde. Man lese Zex. Seg. S. 416. ei usv "Iwves aurrer- Acusı zul ci mweimral, clev, av Ö arau EmrrirSn mediov- zul oil "Arrınal enreiveuct riv ÜrTregav. nu Toragamav euciws zul arayra a rowira: dasselbe sagt Drakon S. 24.18. Aber derselbe Drakon S. 29. ıg. erklärt das kurze rav für Äolisch und Dorisch, bemerkt aber dann, dafs es in mehrsylbi- gen Worten regelmäfsig kurz sei und wieder bei den Athenern lang gefunden werde. Hiermit stimmt im Wesentlichen der Verfasser der prosodischen Regeln bei Hermann de em. rat. Gr. Gr. 8.459. überein: ’EREI oUv mavros Asyousv nara TuTroAv, zul TO mv nard wuTrorNu WeiRomev Aeye. 9 Mevror mag” Kai Enrarıs TOO a nal mug’ "Arrtındd nal maga Tals ur apegunv Eye TOO Tegusmäu rev Tovov. ore Mevroı 70 may ArunAdalws Aryırar, vers ee N @ TuverraAusiov, FUurau, amav, 7) d8 Arav eugyrau map’ ’ASyvaraıs &xreivov 70 «. Die Länge beweiset die von Buttmann (ausführl. Gr. Gram. Bd. I, S. 254.) angeführte Stelle des Menander bei Athen. 7, S.ı42. F. arav Emm ci dE Tav örüv augav: obgleich Porson, Advers. S. 70., der in den mehrsylbigen Worten nur die Kürze anerkennt, diese hat verändern wollen (1). Die Länge hat also das Unglück gehabt, ent- fernt werden zu sollen; der Kürze ist es nicht besser gegangen, welche Porson’s Nachahmer (z. Pind. S. 15.) hat wegschaflen wollen. Zwei Verse des Aristophanes sollen verbessert werden, Plut. 962. Acharn. 1011. N ns &ded Tomagdmav Auagrnzaner. nal mel TO Ywolov amav Abus Ev nundm. In der ersten Stelle schreibt er rorav TUNWUGTNKUNLEV, wenn es nöthig wäre, gut; die zweite ist ein vierfüfsiger päonischer oder kretischer Vers, wie die ganze Stelle zeigt, von diesem Mafs, IT ICH IT BE und also offenbar verderbt. Unseres Kritikers Verbesserung, welche in der Auswerfung des &v besteht, hilft aber nichts, wenn nicht zugleich &Aaidas geschrieben wird; und so wollen wir sie uns auch gefallen las- sen, nur nicht deshalb, damit @rav die zweite Sylbe verlängere, worauf auch Hermann bei seinem Verbesserungsversuche mit Recht keine Rücksicht genommen hat. Denn gesetzt auch, die Annahme, &rav ver- (1) Noch eine Stelle, des Metrodor, giebt Meinecke z. Menander S. rt. r& ver va SA LI& ’ UTray vunsov Eger Aa TORSV. 344 Boxzscexu über die kritische Behandlung längere die letzte Sylbe in den Tamben beständig, wäre so gegründet als sie ungegründet ist, so liefse sich daraus noch nicht auf den Gebrauch in den päonischen Partien schliefsen. In den Daktylen und Anapästen finden wir @r&@v mit kurzer Endsylbe in der von Buttimann angeführten Stelle Zurip. Phoen. 1509. und in der, auf welche sich Porson stützt, Aristoph. Plut. 495., und es bedarf dies nicht der Erklärung aus der Nachahmung der Epiker, da dasselbe im Dialog gefunden wird. Lange Endsylbe hat erjzav bei Aeschyl. Pers. 45. wiewohl, wie Buttmann be- merkt, ebensowohl &rı r&@v geschrieben werden kann; denn wenn ein metrischer Grund es erfordert, kann der Dichter solche Worte als eines und als zwei anschen, je nachdem er es bequem findet. Wir kommen jetzt auf Pindar, um zu sehen, welche der ausgemittelten Regeln er folgte. Beobachtete er den epischen Gebrauch, so konnte er in den mehrsylbigen von r@ gebildeten Worten diese Sylbe nur kurz brauchen; das einsylbige, wenn er mit der Lehre, welche im gemeinen Texte herrscht, übereinsiimmte, nur lang, wenn er der andern von Buttmann aufgestellten Ansicht folgte, nur kurz: war seine Regel der Autischen gleich, so konnte er das einsylbige nur lang, das mehrsylbige lang oder kurz gebrauchen: folgte er dem, was Dorisch und Äolisch genännt wird, so konnte er auch das einsylbige kurz gebrauchen. End- lich kann man bei ihm, wie bei den Attikern, an einen Unterschied nach dem Versmafse denken. Der Unterschied, welchen das Versmafs zu bedingen scheint, liegt jedoch nicht im Versmafse selbst, sondern in dem bei jeglichem Versmafse gewöhnlichen Ton der Rede, welcher sich von dem gemeinen mehr oder minder entfernt, und daher auch eine von der gemeinen Aussprache verschiedene Prosodie mehr oder minder zuläfst; da nun aber die Lyrik unsers Dichters überhaupt einen höhern Ton hat, so kann nicht davon die Rede sein, dafs er die Prosodie an- ders in iambischen, auders in daktylischen Versen festgesetzt habe: denn sie hängt, wie gesagt, vom Tone der Rede ab. Der Ton der Rede ist im Pindar freilich in anderer Hinsicht verschieden, nur nicht in dem- selben Gedichte, wenigstens hier nicht bedeutend, sondern in verschie- denen Gedichten nach den musikalischen Charakteren, welche allerdings auch prosodische Unterschiede zeigen: darum ist es denkbar, dafs Pindar in den Äolischen oder äolisirenden Gedichten, welche einen höhern Ton der Pindarischen Gedichte. 345 haben, eine seltnere, in den andern eine gewöhnlichere Prosodie habe; und in jenen könnte er am ersten das kurze av gebrauchen. Doch um auch das Unmögliche zuzugeben, wollen wir sogar annehmen, dafs Pindar nach der Verschiedenheit des Mafses in einem einzelnen Ge- dichte verschiedene Prosodie haben könne in Einem Worte; nur mufs alsdann gefordert werden, dafs man dies richtiger ansehe, als geschehen ist. Setzen wir zum Beispiel, er habe in daktylischem Mafse aräv ge- sagt, im iambisch-trochäischen @r@v, so muls letzteres wieder von den Tribrachen ausgeschlossen werden: denn die Tribrachen folgen wegen der Mehrheit der Kürze dem daktylischen Gesetze in der Prosodie, wo sie aus dem Versmafse entspringt. In unaufgelösten IJamben und Tro- chäen kann ein langer Vocal im Hiatus nicht verkürzt werden, aber in Tribrachen, nach der daktylischen Regel. Ich mufs noch einmal erklä- ven, dafs ich diese ganze Betrachtungsweise in Bezug auf das r@ ver- werfe: denn die Prosodie eines solchen Wortes ist vom Rhythmus an sich unabhängig, die Abkürzung des langen Vocales vor einem Vocal im andern Worte ist dagegen unabhängig vom Tone der Rede, und nur durch die Natur des Rhythmus bedingt: aber ich will, wie ich gesagt habe, auch die Annahme unmöglicher Unterschiede zugeben, um selbst für die Spitzfindigsten die Sache zur Entscheidung zu brin- gen. Sehen wir nun, was Pindar selbst an die Hand giebt, und zwar zuerst nach den unbestrittenen Stellen. Zsthm. III, 66. ist das einfache ray lang: also befolgt Pindar nicht die Homerische Regel, wie sie Buttmann nicht unwahrscheinlich festsetzt; in allen Zusammensetzun- gen aber ist diese Sylbe kurz, wie in IlaveAAavss, ravayugıs, maverss, FAu- zav Olymp. II, 76. wo raurav ddirwv Eygıy so steht, dafs die zweite Sylbe von raurav in den Anfang des Tribrachen fällt. Streitige Fälle sind Pyth. II, 49. Olymp. II, 95. Dort beginnt der Vers: Ses arav em &midersi; die Endsylbe von «rav ist kurz, und zwar gerade wie Olymp. II, 76. im Anfang des Tribrachen. Man beurtheile es wie man wolle, so ist es richtig, nach Pindar’s Gebrauch, nach der epischen Regel, selbst nach der Ansicht welche das Versmafs über die Prosodie entscheiden läfst, sobald nur bemerkt ist dafs im Tribrachys dann dakty- lische Prosodie eintreten müfste. Doch die Neapp. Mss. haben Sees ray £m’ &Xr. welches man aufgenommen hat; es ist aber offenbar eine Inter- Hist. philol. Klasse 1822-1823. Ex 340 Borcxu über die kritische Behandlung polation eines Grammatikers, der von seinen Vorgängern oder aus ir- gend einer Autschen Sıelle das «r@v kannte, und nicht daran dachte, dafs man auch dräv sage: die Leseart bringt obendrein einen Trochäus statt des Tribrachys in das Versmafs, ungeachtet sonst überall der Tri- brachys steht, welchen Pindar also auch hier vorziehen mufste, da kein besonderer Grund den Trochäus empfahl: obendrein kommt noch ein lambus statt des Tribrachys herein, von dem alles Gesagte ebenfalls gilt. Der Hiatus &ri &ir. ist zwar durch jene Leseart weggeschaflt, aber dieser ist durch das Digamma gerechifertigı (Metr. Pind. S. 510.). Obmp. ]1, 95. las man sonst: &s de ro way Eguyveuv Yarka, wo av dritte Kürze eines vierten Päon ist und folglich auch eines Tribrachys. Beurtheilen wir dies nach der Regel der Atuschen Dramatiker, so ist es unrichüg; denn das einfache r@v haben diese nie gekürzt: beurtheilen wir es nach epischer Regel, wie Buttmann sie annimmt, so ist es richüg; aber Pindar hat diese nicht befolgt, wie wir gesehen haben; so bleibt nur zweierlei übrig, um diese Stelle zu rechtfertigen. Erstlich da die zweite Olympische Ode einen höhern Ton und freiern Rhythmus hat, so kann der Dichter diesem freiern musikalischen Charakter gemäfs ray nach Dorisch - ÄAolischer Prosodie abgekürzt haben. Dies rettet schon die Stelle; indessen habe ich einen andern Weg eingeschlagen, den ich noch immer für den richtigern halte. ’Es 70 r@v und &srorav ist grammatisch einerlei, wie insgemein und ins gemein; nur prosodisch und ortho- graphisch ist darin ein Unterschied; und wie im Deutschen, so im Grie- chischen haben diese Wörtchen einen natürlichen Hang zum Zusammen- wachsen. Ich nehme daher, um dem Pindar keinen aus ihm selbst nicht bewährten Gebrauch aufzudringen, &srorav als ein Ganzes, wovon nur das &s nach gewöhnlicher 'Tmesis wieder getrennt ist (1). Man bil- lige, welches von beiden man wolle, so wird man erkennen, dafs der neueste Herausgeber den Pindar verderbt hat, wenn er umstellt: egun- veuv Ö° & 70 z@v. Nicht zu gedenken, dafs &s r0 r&u schöner voraustritt, als Gegensatz des letzten Wortes ruvereisw, und weil jenes den Haupt- nachdruck hat; so ist durch die Änderung nicht einmal das Meirum (1) Über den Accent s. Reisi g zu Sophokl. Oed. Kol. S.66. Ich hatte ehemals sre- z«v nach der nicht zureichenden Analogie von izizav, Tomagamav u. dgl. geschrieben. der Pindarischen Gedichte. 347 erreicht worden, sondern willkührlich ein Kretikus statt des vierten Päon gesetzt: welches nicht geschehen darf, wenn die Handschriften nicht dahin führen, oder eine unabwendbare Nothwendigkeit eintritt, welche aber ohne diplomatische Gründe nicht leicht eintreten wird. 51. Merkwürdig und bei weitem noch nicht hinlänglich beachtet ist es, dafs fast durchgängig wo der Dichter sich einer Form bedient, welche eine Zusammenziehung aus zwei Sylben enthält, die Mss. alter Recen- sion das Unzusammengezogene geben, welches doch als das Schwierigere Niemand in den Text gesetzt haben würde, wäre es nicht ursprünglich überliefert gewesen. Hieraus erhellt, dafs Pindar, und ohne Zweifel die meisten seiner Zeitgenossen, aufser den Atukern, die unzusammen- gezogenen Formen schrieben, und die Mischung der Laute den Singen- den überlassen blieb: die Attiker führten es offenbar zuerst durch, den neugebildeten Mischlaut auch durch die Schrift darzustellen, weil er bei ihnen Regel war, wogegen er bei den Andern nur eine Ausnahme bil- dete; wenn auch einzelne Krasen schon in den- Inschriften der ältesten Form auch aufser Athen vorkommen. Die Wahrheit des Gesagten ist schon aus den Meir. Pind. S. 289 f. gesammelten Stellen klar; indessen ist in dem jetzigen Texte keine völlige Gleichheit mehr, sondern in vielen Worten ist die unzusammengezogene Form erhalten, in andern die zusammengezogene; ja ich habe selbst einige zusammengezogene ein- 5 geführt, wo die Zusammenziehung nicht deutlich genug schien, um rich- 5 tig getroffen zu werden, wenn sie nicht geschrieben wurde, wie "Hga- »Aeüs statt "Hoazdeos Pyih. X, 5. IeAvdevzeus statt Ilorudeuxeos Isthm. IV, 37. und ich bin auch jetzt noch der Meinung, dafs man in diesen Dingen nach den Umständen, und nicht völlig folgerecht verfahren müsse. “Hg«- »Aels und HeoAvdeuzess zum Beispiel, und zveöv (ver) zu schreiben, halte ich für räthlicher, weil doch einmal Asıyoueveus, "Agınroßaveus, Jeuuepos, schon im Pindar herkömmlich ist; und in IToAudsvxess ist es um so nö- thiger die Art der Mischung anzudeuten, da man ja auch ganz unpin- darisch IIAudevzeus sprechen könnte. Im Ganzen jedoch war ich be- müht, die unzusammengezogenen Formen so viel wie möglich wieder herzustellen: hat man so den ursprünglichen Text der Mss. alter Recen- sion wieder zu Ehren gebracht, so entdeckt man auch die Gründe vieler absichtlicher Änderungen, welche aus Unkunde der Zusammenziehung Xx 2 348 Borcxu über die kritische Behandlung gemacht worden sind. Augenscheinlich schrieb Pindar nicht &saly im Fut. Med., sondern &paYeaı, wie auch die ältesten Mss. des Homer in solchen Formen gaben, da noch jetzt aus Homer diese Regel nicht ver- drängt ist; eben so dırda, dirdav, durerew und ähnlich in allen ähn- lichen Formen; desgleichen gewifs durchweg ders, «eSAos, dezwv, wie die Spuren der Mss. lehren (vgl. nott. eritt. Olymp. I, 5. VII, 67.). Dennoch mag ich dies nicht in dem Texte durchführen. Bei manchen Worten war es übrigens nicht gleichgültig, welche von beiden Formen, die zusammengezogene oder aufgelöste, geschrieben wurde, weil andere Eigenheiten der Aussprache davon abhiengen: wie wenn ars oder derıes gesetzt wurde, der Hauch sich änderte; ohne Zweifel blieb aber auch in dem dreisylbigen «russ (arıes) der Hauch weg. Pindar schrieb ebenso nicht dwdeze, sondern duwödera, selbst wenn es dreisylbig war (nott. eritt. Pyth. V, 52. Nem. XI, ı0.), nicht ’Orsvvros, sondern "Oroevros Olymp. IX, 62. wie dort die Mess. lehren; das metrische Scholion zeigt daselbst, dafs 'Orcivres blofs von den neuern Kritikern herrührt: und wenn ich mir Pyth. III, 4. veöv aus guten Büchern zu schreiben erlaubt habe, und dies jederzeit hun werde, damit man nicht zweisylbig lese, wozu dort gar leicht Einer verleitet werden könnte, bin ich dennoch nicht der Mei- nung, dafs Pindar so geschrieben habe; man sang voöv, schrieb NOON. Dasselbe gilt von pwvasıra pwvayra (mott. critt. Olymp. II, 95.), obgleich hier schon zusammengezogene Formen theilweise in die alte Recension gekommen waren, wie dwveivra bei Eustathios, welches dieser aber für pwveovr« erklärt und mit Recht; in Olymp. XIII, 96. haben die al- ten Mss. durchaus nebst Eustathios nur das zusammengezogene &p- y@yra (1). Wo nun die Grammatiker erkannten, wie die aufgelöste Form zusammengezogen werden müsse, haben sie nichts verändert oder nur die zusammengezogene Form gesetzt; wo sie jenes nicht einsahen, wurde interpolirt. So ist Zsthm. IV, 57. statt IIeAudsvzecs in den Neapp. Mss. Ilerudevans gesetzt. Die von deigw zusammengesetzten Formen mit der Endung «ogos sind im Pindar immer mit «o geschrieben; die zusam- mengezogene Form kommt an keiner Stelle vor, ehe sie der neueste Herausgeber Olymp. IT, 5. Pyth. X, 65. Isthm. III, ı7. darum ein- (1) Man vgl. über diese Punkte auch meine Vorrede Bd. I, S.XXXV. der Pindarischen Gedichte, 349 führte, weil Pyth. IT, 4. rergaogies ohne Zusammenziehung vorkommt, und weil rerg«eges und solche Formen keine Krasis erlaubten; als ob ein Beispiel gegen das andere bewiese, und es nicht gedankenlos wäre, die Möglichkeit der Krasis in rergaopos zU läugnen, während man sie eben dadurch, dafs man rergwges schreibt, wirklich macht. Indessen würde gegen die Schreibung des Mischlautes wenig zu sagen sein, ‘wenn nicht andere Fehler dadurch entstanden wären, wie Nem. FII, 95., wo keine Zusammenziehung, sondern eine hinlänglich begründete Abkürzung re- rgdegersıv vorkommt, durch rerguge ein falscher Spondeus hereinge- bracht und Olymp. IX, 90. durch rıuwgos statt rıuaoges der Accent ver- legt wird, welcher bei der Pindarischen Zusammenziehung gewils auf seiner Stelle blieb: rıuacges, in der Zusammenziehung rapos. Pyih. F, 104. war Koundogu ®ctßev in diesem Mafse gesetzt: -—-uo-v, mit drei- sylbigem xgurasge, welches der Kritiker der Neapp. Mss. nicht begriff und daher xgurasga Seev schrieb, indem er das Versmafs so änderte: ’ --u--v, ungeachtet diese Auflösung nirgends in den entsprechenden Strophen erscheint, und Pindar sehr ungeschickt hätte sein müssen, wenn er sie hier ohne Grund gestattet hätte. Der diese Leseart aufge- nommen hat, stattet sie zugleich mit einer Anmerkung aus, welche nicht das mindeste zur Sache beiträgt, als dafs sie lehren soll, auch bei Hesiod. Theog. 281. Orph. Lap. 545. wo in demselben Wort dieselbe Zusam- menziehung vorkommt (xgvrawg, %gurzegw) müsse man ändern. Dies Ver- fahren würdigt sich selber; ich bemerke nur, dafs das Wort %guracgos nebst KEUTEWD von derselben Wurzel desw stammt, wie rergaegos und die übrigen, in welchen die Zusammenziehung sicher ist. Gehen wir zu einem andern Beispiel. Nem. XT, ı8. ist nerıgeuev dodais ganz richtig, sobald im Lesen in was zusammengezogen wird: dies bedarf keines Be- weises, findet sich aber zum Überflufs schon im Hesiod so. Die Neapp. Mss. geben dagegen zwei andere Lesearten, die eine &rewy asıdais, wo- von freilich der Grund nicht einzusehen, da sie weder dem Versmafse noch der Structur angemessen ist; die andere ‚hat &rerw asıdew, schreib erersw: jeder sieht, dafs dies seinen Ursprung der Interpolation verdankt. Kürzlich hat man nun statt dessen ueressw deidew gesetzt, und gesagt die seltene Form werersw habe den Schreiber bewogen, werleuev dordeis zu setzen, welches doch noch viel seltener ist. Pyth. 7, 56. ist Ses zu 350 Borexm über die kritische Behandlung einer Kürze zusammengezogen, welches Hermann schon mit einem Bei- spiele vertheidigt hat; in den Neapp. Mss. wird diese Seltenheit höchst kühn verdrängt, indem statt curw Ö Tegwvi Sess 60Iwrng EXT geändert ist: eurws Iegwvi Ts &0Iurng Sewv; der neueste Herausgeber ‘aber hat darauf eine schon durch die gezwungene Stelle des ö& sich als falsch bezeich- nende Veränderung gegründet: üs Ieav D’ ‘egwvi rıs 69Surrno ercı. Nach derselben Analogie lasse ich jetzt Pyih. X, 28. Qgöreov als Pyrrhichius stehen. Ein schlagendes Beispiel solcher Interpolation ist noch Nem. IT, ı2. wo jetzt gelesen wird: un nAaSev "Qawva veir>au. "Nptwva ist eine zusammengezogene Form statt 'Qagiwva (Isthm. III, 67.); Pindar schrieb auch dort das unzusammengezogene "Qapiava, welches Par. 4. Med. B. haben, in Übereinstimmung mit den Anführungen der Alten Athen. AT, S. 490. F. Schol. Nem. I, 5. und Eustathios z. Odyss. e, S. 1555. 50. wo verderbt +7ARcSı "Oap. Da der Urheber der Neapolitanischen Recen- sion jene alte Leseart vorfand und sie mit dem Versmafse nicht reimen konnte, schrieb er "Qagiwva y7e veirSa. In mehrern dieser Fälle läfst sich noch ein näherer Grund angeben, warum die zusammengezogenen Formen dennoch in der Schrift unzusammengezogen dargestellt wurden. Setzen wir nehmlich, dafs Pindar TETQWLOS, wor, TıuWgos zusammengezo- gen hätte schreiben wollen, so würde dies in seiner Schreibarı so aus- gesehen haben: TETPOPOZ, OIAA, TIMOPOZ. Dies mufste aber ganz unnatürlich scheinen, da man des darin steckenden A sich noch ganz bewufst war, und in dieser Schreibarı dasselbe so gänzlich verschwand, dafs nicht einmal der Ersatz für das verlorene A, nehmlich die Länge, in die Augen fiel. Dies wende ich auf Pyth. IT, 92. an, wo wyriovrau mit kurzer zweiter Sylbe steht. Um diese Kürze wegzubringen, hat man kürzlich unrıövra geschrieben, welches mir Anfangs einleuchtend war: denn wrrivra konnte durch einen falschen Epimerismos aus METI ONTAI übertragen sein, da es vielmehr in uyrıwvraı hätte umgeschrieben werden müssen. Allein ich gebe diese Ansicht auf; denn wenn wyrıöv- raı gemeint gewesen wäre, so würde dies in den ältesten Mss. METIA- ONTAI geschrieben gewesen sein; und so verliert jene Änderung die di- plomatische Wahrscheinlichkeit. Es bleibt also noch die allgemeine kri- tische Beurtheilung übrig; diese aber verlangt uyrıövrar nicht. Das Jota sondern richtet sich nach der metri- in wnrioua ist nicht an sich lang, der Pindarischen Gedichte. 351 schen Bequemlichkeit: daher ist es im heroischen Mafse in unrı«w kurz, in wnrioucı lang; denn dies ist für diese Versart nothwendig: aber beim Lyriker fällt diese Nothwendigkeit weg, und der Gebrauch der Länge und Kürze steht ihm ohne Unterschied frei; da er sogar Prth. II, 9. Vox gaıgae gegen den gewöhnlichen Gebrauch hat, ist kein Grund vorhan- den, an wyriovras zu zweifeln. Ähnliche Beispiele schwankender Mafse wird man bei Thiersch Gr. Gramm. 8.218. 2. Ausg. finden. Eine besondere Betrachtung verdient noch das Wort iegcs. Dafs die- ses Olymp. III, 22. nach epischem Gebrauch zweisylbig sei, ist aufser Zweifel: denn obgleich allgemeine metrische Grundsätze dort die Auf- lösung der Länge erlauben würden, so widerstreitet ihr doch theils der Dorische Charakter des Gedichtes, theils ist es eben klar, dafs die Auf- lösung dort wirklich nicht gebraucht ist, weil sie aufser dem Worte iegös in der Ode nicht vorkommt, in diesem aber die Neigung zur Zwei- sylbigkeit nicht geläugnet werden kann; auch geben ig«v dort Bücher beider Texte, wiewohl ich nicht bestimmen will, ob Pindar wirklich IPAN schrieb. Länger schwanken kann das Urtheil Pyth. IV, 5. wo ich so lese: oüx ümedaus "ArcAAuves ruxevres igea; die Mss. haben theils iegea, theils iepea; dafs letzteres richug accentuirt sei, ist nott. eritt. S. 459. bewie- sen: an Auilösung der Arsis aber kann ıman aus denselben Gründen wie Olymp. III, 52. nicht denken, und folglich ist igea, wo nicht zu schrei- ben, doch zu lesen nötig. Nur kann man bei der ganzen Leseart ein doppeltes Bedenken haben, einmal, dafs gleich der nächste Vers wieder mit iegav schliefst, dann dafs ruyeyres eine Kürze am Schlufs hat, welche obgleich erlaubt, in den übrigen fünfundzwanzig Strophen nicht vor- kommt. Allein der erste Grund gegen diese Leseart ist nicht allein des- halb nichug, weil ähnlich wiederholte Worte doch auch anderwärts beim Pindar vorkommen; und wenn dies eben nicht gerade schön ist, so ist es doch unbedenklich in einer solchen Stelle, in welcher weder derselbe Begriff! wiederholt ist noch derselbe Klang: denn igea und iegav klingt nicht auffallend gleich. Das andere aber bestäugt mir gerade die Wahr- heit der Leseart. Denn aus der metrischen Analyse geht hervor (Mer. Pind. S. 282.), dafs die Kürze am Schlufs einer twochäischen Dipodie oder in der daktylischen Katalexis in den Gedichten Dorischen oder do- risirenden Charakters, wo sie vorkommt, meistens gerade in der ersten ko) 352 Borcexu über die kritische Behandlung Strophe, Gegenstrophe oder Epode erscheint: wozu ein Grund vorhan- den gewesen sein mufs, den ich noch nicht klar einsehe. Auch ist in guten Mss. nicht eine Spur von verschiedener Leseart; nur die inter- polirten Neapp. Mss. haben statt iege« die Leseart IIvSi«, wodurch die scheinbaren Schwierigkeiten gehoben würden. Mag sich täuschen lassen, wer will; mir ist das Urtheil sicher. Hätte ursprünglich IHvSi« gestan- den, so würde kein Mensch iege« geschrieben haben ; ’iegea kann kein Glossem zu IvSia« sein; eher konnte ersteres durch letzteres erklärt wer- den. Man sagt zwar der Schol. scheine IIuSi« gelesen zu haben; dies ist aber unwahr. Zu Vs. 9. macht der Schol. eine Anmerkung über den Accent von iegeQ, welches er also las; die andere Stelle des Schol. aber, aus der man IlvySi« hat ziehen wollen, beweiset gerade für iegea: A Tv Aourav 78 Aus derov magedges za jegeia rov ArcAAwvos MvSia; denn hier ist IySi« offenbar Erklärung, und iegeic rev "AroAAwvos ist aus dem Texte gezogen, indem zu den leiztern Worten, wenn nicht iegeu oder iegeu im Texte stand, gar keine Veranlassung vorhanden war. Um kurz zu sein, IwSi« ist absichtliche Änderung durch ein aus diesem Scholion aufgegriffenes Wort, um das Versmafs auszugleichen, vorzüglich um die letzte Sylbe von ruyevres zu verlängern. Endlich geben Pyıh. FT, 4. igov noch die Neapp. Mss. in der Leseart AIovos Es vaov ipov oly,ouevor: und wirklich könnte man nicht, wie gemeint worden, iegov hier dreisylbig lesen, sondern es würde zweisylbig sein müssen, wenn diese Lescart die mindeste Berücksichtigung verdiente: unläugbar ist sie aber eine Inter- polation, um das von Hermann richtig verbesserte %9oves &s vaov moos- erypuevor, welches dem Versmafse widersprach, wegzuschaffen. Dafs ich übrigens nicht behaupten will, Pindar habe irgendwo igöv geschrieben, ist schon bemerkt worden ; doch scheint es mir nicht sicher, dafs er es nicht gethan habe. Denn es giebt allerdings gewisse Formen, wo es nicht nöthig schien, die beiden Sylben, welche zu Einer zusammenge- zogen werden, schriftlich darzustellen. Trotz den Mss. habe ich gewagt, Olymp. XIII, 102. Pyth.'V III, 104. Nem.I, 72. IV,9. X, 56. Isthm. FIT, 55. den einsylbigen Dativ von Zeis mit Einem Jota Al zu schrei- ben; denn Au kann nicht bleiben, und Au widerspricht der eingeführ- ten Schreibart des Griechischen ; wogegen A:dırcs und ähnliche. Namen, worin jene Sylbe zwei /ots enthält, dem von mir eingeführten ange- der Pindarischen Gedichte. 353 messen sind. Au’ ist in die Mss. nur deshalb gekommen, weil Al ver- schollen war. Die alten Denkmäler, namentlich Payne Knight’s von Gell gefundene Olympische Erztafel und die Inschrift auf dem Helm, welchen Hieron nach Olympia weihte, geben Ar: letztere Inschrift ist aus Pindar’s Blüthezeit. 32. Nach den bisher angeführten Beispielen von Interpolationen aus Verkennung der Mischung der Vocale, kann es nicht befremden, wenn mehrere Krasen, welche bekannt sind, von dem einen oder anderen Grainmatiker, der daran anstiefs, entfernt wurden. Hierin sind die Neapp. Mss. einzig. Isthm. IV’, 6. haben sie @varr« statt des unbedenk- lichen & 'varsa, Isthm. IT, 9. wo ragysicv in den übrigen Büchern steht, und durch 7° r&gyeiv leicht geheilt wird, geben sie r2 y’ "Apyeiov, welches weit schlechter ist, und eben wegen der mit der Herstellung des Vers- mafses verdrängten Krasis Verdacht gegen sich hat, um so mehr, da auch Vs. ı0. in denselben Handschriften «ria«Ssias Seias eine nach einem öfter angewandten kritischen Grundsatze gemachte Interpolation ist (s. den Anhang zu unserem Pindar Bd. II, Th. H.). Am autfallendsten ist aber die Veränderung von & roArluvıds in @ Beßnids Isthm. I, 5. Dafs alle diese Lesearten als wichtig angesehen worden, könnte auffallen, wenn man nicht sähe, dafs das Urtheil der Gelehrten überhaupt sehr gegen die Krasen eingenommen sei. Meines Erachtens lassen sich die Grenzen der Vermischung der Laute nicht ohne Beispiele bestimmen; sie ist et- was dem Volke Eigenthümliches, und kann nur nach Erfahrung oder Überlieferung erlernt werden, auf deren Grund Buttmann den Gegen- stand mit grofser Vollständigkeit abgehandelt hat (ausführl. Gr. Gramm. Th.I, S. 115. ff.). Es liegen genug Beispiele vor, um zweifelhafte Fälle darnach zu beurtheilen, von welchen ich einige behandeln will. Pyth. IV, 225. ist yeviwv zweisylbig; ich habe dafür yraSwv gesetzt, welches Pindar auch schreiben mufste, wenn yevvwv anstöfsig war: aber ich stimme jetzt vollkommen mit Hermann (Elem. doectr. metr. S.55.) über- ein, dafs yeviwv richtig sei, und es ist nach der Anführung ähnlicher Beispiele aus den Tragikern nicht nöthig, mehr darüber zu sagen. Was man an dieser Stelle herumgemodelt hat, indem statt 0) #roy’ ars EavSav yeviwv mveov (mveiv) geschrieben wird ci yeyuwv EaySav pAay’ Erveov, ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, indem Worte umgestellt, «5 ausgestrichen, Hist. philol. Klasse 1322-1823. Yy 354 Borcexm über die kritische Behandlung und rv&v noch in Erveov verwandelt worden, sondern noch obendrein schlecht, da das Versmafs nicht erreicht, sondern statt -u -——- das Mafs -.&- gegen den rhythmischen Charakter des Gedichtes gesetzt ist. IIveov kann man auch behalten; doch halte ich es der Deutlichkeit wegen für besser, zveiv zu schreiben, damit man wisse, wie die Laute sich mischen, zumal da &U statt © in anderen Formen bei Pindar herkömmlich ist (s. Abschn. 51.). Drei andere Krasen hat Hermann verworfen: Aacicı Pyth. XII, 12. ara: ei Pyth. X1,55. ad obw Nem. X, ı5., und eine vierte in "Awsheges Isthm. III, 42. wird auch geläugnet. In der ersten Stelle evanig re Zepipw Aaoir! re ueigav @yav, hat man sich viel gedünkt Aacisı in raus zu verwandeln, und jenes für ein Glossem zu diesem er- klärt: dieses rar! soll durch die Redensart rades "Erryvwv erläutert wer- den; denn ra«ides "Erryvwv sei Aucl "EAAyvwv, maides Zegihov sei Acoı Zegipou: aber wer sieht nicht, dafs beides keine Vergleichung leider, und oben- drein auch raides "Erryvwv gar nicht Acc "ErRyvwv bedeutet? Eine Kritik, welche methodisch zu Werke geht, wird so sprechen müssen: Aasisı steht in allen Handschriften und genügt dem Sinn; soll es aber metrisch richtig sein, so müssen die Laute gemischt werden: leitet die Analogie zur Möglichkeit der Mischung, so mufs sie angenommen werden und ist für diesen Fall historisch sicher, weil sie auf einer diplomatisch ge- wissen Leseart beruht. Es ist nur zu erweisen übrig, dafs die Analogie zur Möglichkeit der Mischung leite. Nun ist gewifs, dafs der Stamm Aacs eine Neigung zur Mischung der Laute hat, zweitens, dafs dieser Mischung auch von Seiten der Vocale «or nichts im Wege steht. Eirste- res ist schon in den not£. eritt. nachgewiesen; die Neigung zur Mischung ist nehmlich angedeutet in dem Bestreben der Atuker die erste Sylbe zu kürzen, Aacs Aews: denn das E ist in diesen Formen ganz schwach, so unbedeutend, dafs es für den Accent als nicht vorhanden angesehen wird; daher MeveAews, nicht MeverAdws, wie mOrEWS, nicht rorews: ja die Beispiele von der wirklichen Mischung Meverz@s, wie roA&as, sind nicht selten, wie bei Euripides. Und auch aufser dieser Atuischen Form ist in Meveras, "Agzeriäas und allen ähnlichen die Mischung wirklich vollzo- gen: nicht in der Schrift, aber in der Aussprache kommt sie /sthm. F, 27. in Aaonedovriev vor, wo man kürzlich Aausdovriev geschrieben hat, richtig für das Lesen, aber gegen die Pindarische Schreibart. Von Sei- der Pindarischen Gedichte. 355 ten des Wortes A«ös wird also die Mischung in Aacirı sogar empfohlen; aber auch von Seiten der Vocale «s: kann man unbesorgt sein. Dies zeigen schon die Dative Meverg, "Agzeritg, welche zu Mevaray, "Agrerıraw sich vollkommen verhalten wie Azsırı zu Accirı: wollte einer sagen, diese Formen seien metaplastisch nach der ersten Declination gebildet, so ist dieser Einwurf ganz unbedeutend. Denn die Sprache wird gemacht, ehe man an Unterscheidung der Declinationen denkt; die Declinationen sind nach Analogie vom Volke gebildet; das eben bemerkte analogische Verhältnifs behält also seine Beweiskraft. Ferner mischen sich die Vocale acı leicht; den Beweis giebt dcıöy won. Dafs Aacicı ein langes A hat, door ein kurzes, ist nicht dagegen; denn c: mischt sich mit dem langen Vo- cal eben so gut als mit dem kurzen, wie & oißuge, Wu. Wie endlich Asus schon die Neigung zur Mischung des Aads beweiset, so zeigt für Aacıs dasselbe das Attische Aess. Dieser Beweis ist durch alle Stücke durch so schlagend, dafs kein Zweifel Raum behält. Nach derselben Analogie ist ’‘Awspeges Isthm. III, 42. zu betrachten. So wie nehmlich in weAews, Meverews, Asus die Neigung zur Mischung erscheint, so in &ws statt dws oder As: wenn also, was Hermann zugiebt, Ewsoges die Mi- schung leidet, so leidet sie auch dws®oges: denn von Seiten der Vocale ist hier eben so wenig als bei Aacisı eine Schwierigkeit, indem «w eben so gern als ew sich mischt, wie in rawy rüv. Es ist jedoch für die Aus- sprache ein wesentlicher Unterschied, ob £wspegos oder dwshoges, Aews oder Accs geschrieben werde, dort nicht allein wegen des Hauches, son- dern in beiden noch wegen eines anderen Umstandes. In allen diesen Mischungen befolgen nehmlich die Atuker und die Äolisch - Dorischen Stämme den entgegengesetzten Grundsatz. Die Attiker eilen nach dem Ende und geben daher dem w den Vorzug, welches in der Mischung der überwiegende Laut wird: rawv, rüv; Aus, Acws; MeveAaos, Meverews; dus Aus, ws. Die anderen aber geben dem « den Vorzug, indem sie den ersten Vocal hervorheben: raw, ray; MeveAaos, Meveras; und so mufs man auch Aasirı nicht in Ayrı, sondern in Adrsı mischen, welches aber nur in der Aussprache geschieht. Eben dies gilt. von dwspeges. Man glaube jedoch deshalb nicht, dafs der Laut O gänzlich verschwunden sei; gewifs war das A in r&v, MeveAas und allen ähnlichen Worten das- jenige, welches in verschiedenen Sprachen ein Mittellaut zwischen A und Yy2 356 Borcexm über die krüische Behandlung Ö ist, wie in Abo, dem Englischen all und in der Sprache der Schwei- zer und der angrenzenden Deutschen Bergbewohner. Die Berge selbst erzeugen diese Verschiedenheit der Aussprache durch die klimatische Einwirkung auf die Organe; und der Dorer Mundart ist in den Bergen gebildet, in welchen sie wohnten. Die Stelle Pyth. X7, 55. will ich nicht für unverderbt halten; nur mufs man nicht von der Unmöglich- keit der Mischung der Vocale in «re: ei einen Grund hernehmen wol- len. Wenn eirarıım 9 yauss, wenn # eisoxev Mischung erlauben, warum soll @r« &i nicht gemischt werden, welches &ry &i ist? Eiwa wegen des Jota in «re? Mischt man doch za ei und xzal eira in zei, z@ra. Aber man wird sagen, die Interpunction arg’ & hemme die Mischung. Allein dafs diese eben so wenig dieser Freiheit entgegen sei als im Lateinischen der Eli- sion, lehrt Homer’s üsßerry: süöe Jliad. g, Sg. Ich möchte also döch wissen, warum man jenes eine ineptam synizesin genannt hat. Nicht an- ders verhält es sich Nem. X, ı5. mit ci obıw. Dieser Mischung steht von Seiten der Vocale nichts entgegen: cı oder w, was in dieser Hinsicht keinen Unterschied macht, mischt sich mit o ohne Anstofs, wie in swyAw: der einzige Unterschied jenes und dieses Beispieles liegt darin, dafs TW- x%rw eine aus der Sprache des Umganges gewöhnlich gewordene Mischung ist, welches von & cYıw nicht bewiesen werden kann: aber der Dichter kann, wo er es bequem findet, der Analogie nachgeben, und ich wülste nicht, weshalb «cl eine härtere Mischung sein sollte als arßerrw: cüde oder ’Evvariy "Apyeıpovry. Wenn die Kritiker sich werden gewöhnt haben, ihre besonderen Ansichten dem aufzuopfern, was handschriftliche Überlie- ferung und Analogie lehrt, und die Sucht des Verbesserns, welche auch uns, die wir derselben heutzutage entgegenarbeiten, als ein angelerntes und vererbtes Übel leider noch oft in den Nacken schlägt, durch eine bessere philologische Schule wird verbannt sein, wird man in Zukunft solche Stellen nicht mehr antasten. An dem letzteren Orte hat man übri- gens kürzlich statt TrAeßoas Evagev. za c ovıw, nunmehr geschrieben: Ty- reßdas &vag’. rcı ch ob, und dadurch die Katalexis des daktylischen Rhyth- mus mit cinem Daktylus beschenkt, welcher eben so sehr der Theorie als dem Ergebnifs einer verständigen metrischen Analyse widerspricht: aber die Leseart der Neapp. Mss. Evapev. Ara ci war gewils so gemeint, und &vagev statt evag’ ist ohne Zweifel nur ein Schreibfehler; auch dies der Pindarischen Gedichte. 357 ist eine der vielen Interpolationen, welche der Mangel an Aufmerksam- keit auf die Mischung der Vocale in jenen Handschriften erzeugt hat. Nur der Unkunde des Versmafses verdanken wir die Rettung der Lese- arten in etlichen Stellen, wo die Laute gemischt werden; wie ‘Hgaxaess, Pyth. X, 5. wo ich die Mischung durch die Schreibart “Hoazdeis aus ei- nem besonderen Grunde bezeichnet habe (s. oben 51.); Pyih. N, 25. veagov, Isthm. VI, 8.9. % re: denn man glaubte die zwei Sylben, welche zusammengezogen werden müssen, wären zwei Kürzen statt einer Länge: wogegen Analyse und Analogie das Gegentheil beweiset. 33. Wir beschliefsen die Bemerkungen über die Prosodie mit der Er- wähnung einer Stelle, wo eine einzige Krase Ursache wurde, dafs alle Strophen einer Ode schimpflich interpolirt wurden ; glücklicher Weise haben sich aber in den Handschriften alter Recension alle ursprüng- lichen Lesearten vollkommen erhalten. Olymp. XIII, 7. steht nehm- lich Tania dvögaTı, wo « mit « zusammenfliefst, was schon ehemals und jetzt von neuem mit hinlänglichen Beispielen gerechtfertigt worden; da die Byzantinischen Kritiker dies nicht bemerkten, fehlte ihnen in allen übrigen Strophen eine Sylbe, welche sie dann in jeder hineirzwängten, und dadurch Vs. ı5. 29. 57. 51. 5g. 73. 8ı. 95. 103. zu Grunde rich- teten. Hier kann nicht von zweifelhafter Kriuk die Rede sein; die Sache ist diplomatisch und von Seiten der Sprache vollständig erwiesen (nott. critt. S. 418. ff.); und ich würde weiter nichts darüber sagen, wenn nicht die Neapp. Mss. neue Interpolationen statt der schon früher bekannten darböten, wobei nur zu bedauern ist, dafs wir, wie sie jetzo verglichen sind, nur wenige Versuche jenes Kritikers kennen. Vs. 59. ist die wahre alte Leseart: reirı uev ’Efeuyer’ &v arrei Ieıgavas peregev Ta- rgö5 agyav; die gewöhnliche Interpolation ist aperegev mEv warges; die Un- richügkeit dieser Leseart erhellt schon ohne Rücksicht auf den diplo- matischen Werth aus reis: uev. Der Neapolitanische Kritiker schrieb ros- TegoU Ex margos, was selbst dem Sinne nicht recht angemessen ist: doch hat man es aufgenommen. Vs. 75. ist die richtige Leseart der alten Bücher: norraguro vURT” dro xeivou KonFos, Ws TE ci aürad, wo üs re dem vor- hergegangenen wsre entspricht. Die geschickteste Interpolauon ist die früher bekannte srrws re ci: ganz ungeschickt, um nur eine Sylbe zu ergänzen, schrieb der Neapolitaner z«i wsre, gegen das Versmafs: nicht 358 Borcku über die kritische Behandlung viel besser ist die Verderbung des neuesten Herausgebers #0° üsre. Vs. 105. 104. las man sonst: z dub’ "Agyel 3’ ersa zal iv Oyßaıs ora re “Agrar” dvassuv Magrugnrei Auzasv Bwues avaf. Dafs hier «up’ eine Interpolation statt &v sei, zeigen die Handschriften ; der Dichter hat in dieser Stelle theils die Länge theils die Kürze ge- braucht: ebenso ist &r« re eine freilich sehr kleine Interpolation, um die scheinbar fehlende Sylbe zu ergänzen: die guten Mss. haben oa 7 und or« r’. Eine andere Schwierigkeit in "Apndr’ avarswv hat Hermann’s weilliche Besserung "Agzas ävarswy gehoben. "Avgsrswv ist aufsteigend, welches man neulich geläugnet, aber nicht widerlegt hat; dies Beiwort pafst ganz vorzüglich für den hochgethürmten den Peloponnes beherr- schenden Altar des Lykäischen Zeus auf der Bergspitze, wie der Commen- tar lehrt: "Agzas finder sich auch in dem Cod. Brunck. dessen Worte, Errı nal &v reis Agzarıw nur das sagen wollen, was wir wissen, dafs Andere 'Agzar’ als Dativ lasen. Sehen wir nun gegen diese Lesearten, welche sich genau an den nicht interpolirten Text anschliefsen, was die Neapp. Mss. geben: ära &v ’Agnarıv örcev. Das öra &v ist offenbar gemacht, um die fehlende Sylbe zu ersetzen: und "Apnasıv örscev schrieb man, um das allerdings unbrauchbare "Agras’ dvarswv wegzubringen. Dürfte man irgend etwas auf die Neapolitanische Leseart geben, so müfste man nach Aus- merzung der falschen Sylbe und Ilerstellung des Versmafses, wie es sich aus den guten Mss. ergiebt, so schreiben: aup "Apyel S’ örca, nal Ev Onaus 67’, Ev "Apnanıv onaor. Aber dann ist orrev anstöfsig; denn da Pindar überall in dieser Stelle cr hat, auch der Singular &rrev dem Gedanken unangemessen ist, so hätte Pindar nothwendig das vom Versmafs zugelassene, vom Sinn er- forderte orr« schreiben müssen. Dies hat der neueste Herausgeber auch gethan. Aber gerade dafs die Handschriften nicht ers« haben, sondern °rrov, worauf durch einen Schreibfehler nicht leicht zu kommen war, wohl aber durch Interpolation, macht es deutlich, rev sei nur dadurch entstanden, dafs der Kritiker "Agzar’ avarswv auf die leichteste Weise entfernen wollte. Freilich konnte er auch ö7s« gar nicht brauchen; denn da er den Vers nicht mit ’Agr«r’ wwarswv schlofs, sondern dies in die Mitte eines Verses fiel, so bedurfte er einer Positionslänge, welche der Pindarischen Gedichte. 359 durch örsev erzeugt wird. Indessen wäre nach besserer Einsicht als der der spätern Grammatiker die Kürze, auch wenn der Vers nicht mit ors« geschlossen würde, erträglich, obgleich in dieser Stelle nirgends von dem Dichter gebraucht; also könnte Einer sagen, erTcv sei zwar eine Interpolation, aber nur statt crra, welches ehemals hier gestanden habe. Dies liefse sich hören, wenn irgend eine Handschrift aufser den Neapp. von örr« an dieser Stelle eine Spur zeigte: da dies nicht ist, müssen wir diese Ansicht zurückweisen. Fafste Einer aber auch Muth, sich über alle diplomatische Bedenken hinwegzusetzen, so triflt er auf das höchst unangenehme Asyndeton bei &v "Agrarıv. Aber diesem hat man mittelst folgender Leseart abzuhelfen gesucht: dub’ "Apyel S’ 77a, zul &v Onßaıs 87, &v T "Agnadsı erva, Hagrugnrei Avzatov Bwuss avaf, und es wird dabei versichert: ‚,‚Zeetione et interpunctione mutata turbae „‚variarum lectionum et interpretum concidunt, et omnia optime cohaerent.” Wundersam! denn erstlich ist gegen das wahre Versmafs, wie es die nicht interpolirten Mss. geben, der erstere Vers um die öfter besprochene Sylbe zu lang, und sein Schlufs 07°, © 7 kläglich zusammengestoppelt und voll Mifston; sodann hat die Stelle allen Verstand verloren. Denn entweder steht jetzt nagrupnre Auxalev Bwuos @va£ einzeln und unver- knüpft, oder die Construction ist diese: Magrugirei d& Aunuiov Rwuss avaf, TIAava re zul Sırudv — Eißee ra Em öpgli Hapvarız — &v 7’ "Agnasıv Tore, ihre Thaten am Parnafs und wie viel sie in Argos und Theben und Arkadien siegten, wird der Lykäische Altar und Pellana und Sikyon und Megara und Ägina und Sicilien und Euböa und Eleusis und Marathon bezeugen. Dies ist Unsinn. Ganz an- ders nach der richtigen Leseart: Ihrer Thaten beim Parnafs und in Argos, wie viel sind sie, wie viel in Theben, wie viele wird der Lykäische Altar in Arkadien bezeugen, wie viele Pellana, Sikyon, Megara, Ägina, Eleusis, Marathon, Euböa, Sicilien bezeugen! Wollte man aber uaprupyra Avzalsv Bunos ava£& abgesondert als Parenthese nehmen, so fehlt es an einem Verbum zu IIArava und allen übrigen Namen. Kurz die Stelle ist so gründlich verderbt, dafs man den Triumphton nur belächeln kann. 360 Borcexm über die kritische Behandlung 34. Von diesen Irrsalen uns wegwendend, müssen wir uns leider wieder in ein neues Labyrinth begeben, aus welchem wir jedoch glück- lich zu entkommen hoffen an dem Ariadnischen Faden, welcher aus der diplomatischen Kritik und der mit ihr zusammengeschlungenen metri- schen Analyse gesponnen ist. Die Grammatiker haben nehmlich aufser ihren auf die Prosodie bezüglichen Änderungen eine Menge Stellen inter- polirt, um die entsprechenden Sylben der Strophen einander gleich zu machen, welches wir an einer Anzahl Beispielen klar machen wollen. Schon oben (28.) ist erwähnt, dafs der Iyrische daktylische Vers, die Eigennamen ausgenommen, den Spondeus nur in den Katalexen auf- nimmt, wo der Spondeus zugleich mit dem Trochäus erlaubt ist, da- gegen wiederum nicht der Daktylus: der Daktylus wird hier sogar von der Natur des Rhythmus selbst ausgeschlossen, und die metrische Ana- Iyse führt eben dahin, nicht blofs bei Pindar, sondern ebenso gut bei den Dramatikern; wogegen die Trochäen an solchen Stellen nicht selten sind, s. oben 9. u. Meır. Pind. S. ı28. Eben dahin leitet die diploma- tische Kritik, indem sie die Nichtigkeit der entgegengesetzten Lesearten zeigt, welche hier und da in den Text gebracht wurden, weil die Gram- matiker, den Aristarch (Schol. Pyıh. III, 75.) nicht ausgenommen, diese metrischen Regeln nicht verstanden. Die einzige Stelle, wo gute Bücher den Daktylus geben, ist Olymp. VIII, ı6. bei der Leseart 0: € we; aber gleich Olymp. FIIT, ı7. nebst den Gegenstrophen giebt von der Interpolation ein augenscheinliches Beispiel. In der ersten Epode haben wir folgenden Vers: "Arzıuedevra de mag Koovev Aohw ; ö Me ae worin die daktylische Reihe mit einem Trochäus endet. Pindar zieht nun zwar meistens den Spondeus vor; indessen ist der 'Trochäus hier sicher, einmal weil er in der ersten Epode steht, wo, wie schon be- merkt worden, die Kürze häufig ist in diesen abweichenden Mafsen; dann weil die Abweichung in einen Eigennamen fällt; endlich weil der kurze Vocal vor der Ziquida steht, wo gerade diese Erscheinung am häu- figsten eintritt (Metr. Pind. S.285.). Der Neapolitanische Kritiker fand jedoch Anstofs, und da er nicht wulste, dafs der Daktylus in diesem der Pindarischen Gedichte. 361 Fufse nicht für den Spondeus stehen darf, setzte er, um den Trochäus zu verdrängen, Kgoviw statt Koeven. Diese Änderung lehrt zugleich, dafs der Kritiker in den entsprechenden Epoden den Spondeus vorfand; sonst würde er hier nicht den Daktylus gesetzt haben: und den Spondeus ge- ben auch die Bücher alten Textes durchaus; wogegen die Mss. der in- terpolirten Recension des Moschopulos und Triklinios durchweg den Trochäus haben, weil die Urheber dieser Recension den Trochäus in der ersten Epode vorfanden, die erste Strophe aber von jenen Kritikern gewöhnlich als Regel zur Änderung der anderen genommen wurde, wenn sie nicht durch die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, lieber einmal auch die erste Strophe nach den übrigen änderten. So ist denn Vs. 85. 84. statt &v apw Zeis yevaı "Qrarev in der genannten Recension geschrieben ev oh wrarev Zeüs ya; Vs. 61. (ep. y.) war dagegen keine Veränderung nöthig, weil das Mafs des Wortes areıgärwv zweifelhaft ist. Vs. 40. (ep. ®.) haben alle Bücher alter Recension Yuyxe@s, welches Pindar’s Sprach- gebrauche angemessen ist (zott. critt. S. 594.) und von ihm wie hier so anderwärts von Schlangen gebraucht wird; Yvy4 ist ursprünglich Hauch, und so auch in diesen Stellen zu nehmen; der Hauch enthält aber die Seele. In den interpolirten Mss., deren Vergleichung meine Ausgabe giebt, findet sich dagegen Tvods, aus Interpolation zur Hervorbringung der Kürze; nur eine nicht eindringende Kritik, welche am Einzelnen klebend, diese oder jene Leseart nach zufälligen Vorstellungen für bes- ser erklärt, während sie unfähig ist allgemeine Ansichten zu gewinnen und die Geschichte des Textes zu entwerfen, kann Yuyas als Glossem zu rveas ansehen, da zumal rveas Barrew von Schlangen gesagt kaum ir- gend einer durch Yuyas Barreıv wird erklärt haben; und alle Stellen der Tragiker, womit man zeigt, dafs man rveüu« apeva und dergleichen sage, beweisen nichts gegen das viel schönere Yuyas, welches nicht nur aus Pindar’s Sprachgebrauch gerechtfertigt, sondern auch diplomatisch empfohlen ist. Von derselben Art ist die Interpolation Pyth. XIT, 51. wo der Trochäus in der Katalexis des daktylischen Verses in derrriav Gerwv in der letzien Epode vorkommt, aber die Kürze in ein Jota fällt, wodurch eine gewisse Mittelzeitigkeit entsteht, wie "Azadyuia "Aradrusia und unzählige Beispiele zeigen: und gerade in solchen findet sich die scheinbare Kürze oft (Metr. Pind. S.285.): dies zu verdrängen ist in Hist. philol. Klasse 1822-1823. Zz 3062 Bozcxm über die kritische Behandlung den Neapp. Mss. derrras eußarwv geschrieben. Eben dahin gehört die Leseart aegakleıv statt zepaißev Pyth. IX, 21. Nicht selten hat Pindar ferner statt der trochäischen Dipodie in der Gestalt des zweiten Epitri- us die reine trochäische Dipodie, meistens jedoch so, dafs der Vocal der vierten Sylbe entweder ein Zota ist’oder vor einer Ziguida steht, wo- durch die vorhin berührte Mittelzeitigkeit entsteht, und auch dies ge- wöhnlich nur in den ersten Strophen, Gegenstrophen oder Epoden, wo- von, wie gesagt, der Grund noch nicht mit Bestimmtheit angegeben werden kann: natürlich haben sich die Interpolatoren an dieser Stellen viel versucht. Ein höchst merkwürdiges Beispiel der Art Obmp. VI, ı8. ist schon oben berührt worden, wo ragern in vv ragrrı verwandelt wurde: die Kürze steht hier in der ersten Epode vor der Ziquida 8. Olymp. FIT, 2. ist evdev dureAcv mit der Kürze vor der Zyuida A in der ersten Strophe; sowohl die guten Mss. als Athen. AT, p.505. F. zeigen dafs dies die wahre alte Leseart ist; aber einige Handschriften und un- ter diesen Mose. B. Bodl. C. welche vorzüglich stark interpolirt sind, geben durerev evdov, um die Kürze wegzubringen. Schwieriger zu be- urtheilen ist Olymp. ZII, 27. Irrgiav vw evSa Auroüs Imroroa Suyarne: wo die Kürze vw zwar in der zweiten Epode aber in einer Zigwda steht, und folglich kein Bedenken hat; aber diplomatisch verhält sich die Stelle anders als gewöhnlich: denn Mess. alter und neuer Recension ha- ben durcheinander Irrgiav vv und Irrgavav; doch stehen die der Trikli- nischen Recension für Irraavnv. Es scheint zu folgen, dafs auch diese Leseart alı sei, in der letzten Recension aber vorgezogen wurde, weil sie die kurze Sylbe entfernte. Obgleich nun vıw meines Erachtens un- entbehrlich ist, will ich dennoch, weil Andere anders urtheilen, darauf kein Gewicht legen, sondern nur diplomatisch schliefsen. In den alten Scholien finden sich drei Lesearten, Irrgia vv, Irrgiev vv, Irrgiavav: die dritte ist von Seiten des Dialektes unrichtig; doch mag zugegeben wer- den, dafs nur die Schreiber, jedoch schon vor Triklinios, den Feh- ler begangen haben, und statt Irrgıavyv ursprünglich Irrgiavav oder Irrgı- av gemeint war: es fragt sich nur, welche der drei Lesearten die in. den Alexandrinischen Mss. überlieferte war, welche dagegen blofs von Vermuthungen herrühren und folglich diplomatisch so anzusehen sind, als wären sie nicht da. Hier wissen wir so viel, dafs Aristarch ’Irrgia der Pindarischen Gedichte. 363 vw las, und dies zum Folgenden construirte, "Irrgie vıv &vIa Aareüs imme- oa Suyarng dekar” EISwv "Agradias are Ösıgav; von den zwei andern Lese- arten wissen wir nichts Bestimmtes. Setzen wir aber den Fall, dafs Irreiav vv oder Irremvav (Irrgavav) schon vor Aristarch vorhanden war, ist es dann wohl wahrscheinlich, dafs Aristarch die Leseart "Irrgi« vw würde befolgt haben? Ich zweifle: denn in der Leseart "Irrgiav vr wer. keine Schwierigkeit aufser von Seiten der Kürze, welche sie mit der Aristarchischen Leseart gemein hat, und jene Leseart, wenn sie vor- handen war, mufste sich gleich vor der andern Jedem empfehlen: und auch in Irromvav war weiter nichts Anstöfsiges, als dafs zu mogevew das vw fehlt, welches aber auch bei der Aristarchischen Leseart eintritt; da- gegen konnte sie von Seiten des Versmafses vorzüglicher scheinen. Um kurz zu sein, Aristarch hat bei seiner allerdings nicht empfehlungs- werthen Erklärung, erst durch den Satz evSa Aarsis — uuy@v eine unklare und verquert nach welcher & yalav äufserst kahl voran steht, und nachkommende Bestimmung erhält, nichts anderes gethan, als der über- lieferten Leseart aufgeholfen ; "Irrgiev vıy aber ist eine leichte an die ur- sprüngliche Leseart angeschlossene Vermuthung, des N; Andere gingen dann weiter, und schrieben zugleich auf das Vers- durch Verdoppelung mafs gestützt Irromvav oder Irrguavav, zu yaav: denn Irrgimvav von &- SFovra abhängig zu machen, hat bis auf Hermann Niemand gewagt. Geht man also auf die älteste Beschaffenheit des Textes zurück, so er- weiset sich bei unbefangener Betrachtung vw und die Kürze als ur- sprünglich, und nur über Irrgi« und Irrgiev kann noch Zweifel obwal- ten; doch scheint mir der gerade Sinn die Tüchugkeit des letztern gleich darzubieten. Freilich ist es auffallend, dafs Hermann mit grofser Be- stimmtheit sagt, der Name des Landes könne auf keinen Fall mit yatav verbunden werden; was er sich dabei gedacht habe, kann ich nicht be- greifen: denn an dem Übergang des Satzes in die Epode kann er un- möglich zweifeln; und man kann im Gegentheil, denke ich, sehr sicher sein, dafs jener Name nicht mit &xSevra könne verbunden werden. 35. Ich habe diese Beispiele hervorgehoben, um das Verfahren in solchen Stellen zu zeigen, wo die metrische Analyse zusammengehalten mit diplomatischen Gründen zur Beurtheilung der Lesearten und zu- gleich des Versmafses führt; eine vollständige Erörterung des Gegen- - Zrz 2 304 Bozrcxm über die kritische Behandlung standes ist um so überflüssiger, da meine kritischen Anmerkungen eine Menge solcher Interpolationen nachweisen, von welchen ich, um andere zu übergehen, nur auf Olymp. IT, 55. VIII, 54. IX, 60. 62. 75. 74. 9. AIII, 66. 80. verweise; manche sind auch schon oben unter einem an- dern Gesichtspunkt vorgekommen. Jedoch legen mir die Neapolitani- schen Handschriften die Pflicht auf noch nachzuweisen, wie ihre Lese- arten in gewissen Stellen, verglichen mit früher schon bekannten Inter- polationen, sich würdigen lassen. Olymp. IX, 71. kannten wir früher schon die Interpolation Asay statt Aaev, welche gemacht ist, um eine me- 5 tisch richtige Länge zu. entfernen; nunmehr kommt noch in den Neapp. Mss. eine zweite Interpolation derselben metrischen Stelle Vs. 4ı. zum Vorschein: dort steht zauyarSaı mit der mittlern Länge statt der Kürze, welches die früher bekannten metrischen Versuche nicht zu entfernen gewufst hatten; in den Neapp. Mss. ist dies durch die Interpolation zeurara (nicht zeurara) geleistet. Doch Vs.ı01. bleibt noch die Länge, welche auch dieser Kritiker, wenn anders die Vergleichung hier nicht eine Lücke läfst, nicht wegzubringen im Stande war. Einer ähnlichen Gleichmachung verdanken wir Pyth. VII, ı0. das rei der Neapp. Mss. so wie ich auch jetzo zugebe, dafs daselbst Vs. 2. die Leseart &gırSever in dem interpolirten Par. B. darauf beruhe. Doch ist es immer mög- lich, dafs diese Leseart dennoch nicht zu verwerfen sei; denn die Gleich- machung ist nicht schlechthin zu verwerfen, sondern nur dann, wenn sie keine Gründe hat; dort aber läfst sich ein Grund dafür angeben, welchen ich auch angedeutet habe; indessen wird man sicherer gehen, wenn man den besseren Handschriften folgt. Olymp. IX, 50. ist der Gleichmachung wegen d4 statt d& geschrieben worden; d4 pafst aber nicht; also hat der Dichter dort die Kürze in der ersten Epode, nach der öf- ter berührten unumstöfslichen Beobachtung, deren Grund unklar ist, offenbar zugelassen. Dagegen hat man wieder die zwingende Nothwen- digkeit der Gleichmachung nicht eingesehen, wo kein Grund vorhanden ist eine Ungleichheit anzunehmen, weil sie nicht diplomatisch begründet ist, wie Pyth. IV, 4. in aisrav oder alyrav: denn hier steht es, weil der Sinn derselbe ist, frei zu schreiben welches von beiden man will, da Pindar beides AIETON schrieb; so dafs hier jener Grund, der von der ersten Strophe hergenommen werden kann, nicht anwendbar ist. Eben so der Pindarischen Gedichte. 365 ist zu mifsbilligen, dafs Pyth. III, 87. FI, 28. &yevero geschrieben wor- den mit einer in jenen Stellen jener Oden nicht vorkommenden Auflö- sung: das Wahre ist eyevro, wodurch die Ungleichheit an beiden Orten gehoben wird; und der Einwurf, &yevro sei neuer Dorismus, widerlegt sich eben daraus, dafs die Übereinsimmung dieser beiden Stellen lehrt, eyevro sci Pindarische Form, indem man, wenn man dies nicht annehmen wollte, eine sonst nicht vorkommende Auflösung gerade nur in diesem Worte annehmen müfste: welches ungereimt ist. Doch um von dieser Abschweifung wieder auf die Neapolitanischen Handschriften zurückzu- kommen, so geben diese Pyth. FIII. wieder neue zu den alten hinzu- kommende Interpolationen, welche mit den frühern zusammengehalten sich verrathen: denn diese Ode ist sehr stark interpolirt worden, wie wir auch nachher an einem andern Beispiele sehen werden, und ich führe hier nur noch an, dafs auch die Leseart wöves Pyih. VIII, 54. die man kürzlich wieder aufgenommen hat, darauf beruht (s. nott. crit.). Be- sonders haben die Kritiker den letzten Vers der Epode entstellt, wie Vs. 84. vizaus vorraus statt virus rgırreis geschrieben wurde, und Vs. 108. ragiety statt z@y@9o, worüber in den zott. critt. hinlänglich gesprochen ist. Hierzu kommen aus den Neapp. Mss. Vs. 42. und 84. neue Versuche, dort @4ßBus yevovs für vieds Onßaıs, hier viraus leg y': der Kritiker setzte nehmlich das Versmafs nach ep. «'. wo sonst viov ee gelesen wurde, und nach ep. y. so fest: -—-u- wobei ich bemerke, was man schon aus Früherem wird gesehen haben, defs dieser Kritiker keine Kunde von den Interpolationen hatte, welche früher bekannt waren; sonst würde er wenigstens lieber das Torraıs statt raussals beibehalten haben, statt das ganz unverständige rgıriv y' auszusinnen. Zugleich erhellt aus diesem Beispiel, dafs man, um den Gründen solcher Interpolationen auf die Spur zu kommen, vorzüglich suchen mufs, was für ein Versmafs der Kritiker angenommen habe; wozu der metrische Scholiast meistens gute Dienste leistet. Ich begnüge mich mit einem einzigen Beispiele aus den Neapp. Mss. Der erste Vers von Nem. IV‘. ist nach dem metrischen Scholiasten als brachykatalekuscher iambischer Dimeter behandelt wor- den, welcher nach den verkehrten Vorstellungen der Metriker dies Mafs zuläfst: s-|u-|w- 366 Borcxku über die kritische Behandlung Der erste Fufs vertrug den Spondeus, aber der zweite nicht; dennoch. findet sich dieser im zweiten Fulse: Vs. 17. Kiswlvaiu r’| m’ aya- Vs. 49. &v 0° Eilfevw | merayaı. Leicht geholfen war in der letzteren Stelle; man schrieb, wie meine An- merkungen lehren, EvöZevw, welches zwar nicht sprachwidrig, aber deswe- gen nicht desto weniger hier unächt ist; und um auch in der ersten Stelle den Spondeus statt des Jambus zu verdrängen, weil es wohlfeil war, gingen einige noch weiter, und setzten &v EiZevw., An die erstere Stelle wagten sich bescheidene Interpolatoren nicht, dachten vielleicht auch die vorletzte Sylbe von KAswvaisy sei abzukürzen: aber die Neapp. Mss. geben eine Leseart, von welcher man vergeblich die Quelle suchen würde, wenn man den metrischen Scholiasten nicht vor Augen hätte: Kaiswvailou 90° | ar’ ayw- Hat man aber den Scholiasten verglichen, so erkennt man, dafs der Me- iwriker den Spondeus aus der zweiten Stelle entfernen will. Dies zu be- wirken, setzt er, um Wortstellung unbekümmert, statt 7° ein %0°, damit die letzte Sylbe von KAewvarv kurz werde, und zieht die zwei ersten Sylben dieses Wortes zusammen, welche Art der Zusammenziehung ihm aus rer&us, Meverzus, bei den Tragikern, scheint geläufig gewesen zu sein. Dals er damit nichts bewirkt hat, selbst das nicht was er wollte, ist da- raus klar, weil die letzte Sylbe von KAewvaisv im iambischen Metrum diese Verkürzung kaum zuläfst; aber der neueste Herausgeber, der we- der die Prosodie noch das diplomatische Verfahren versteht, hat beide eben genannte Interpolationen, wie andere mehr, bei welchen ich es nicht gesagt habe, in seinen Text aufgenommen. Wie nichüg ist doch dies Bestreben! Setzt man das Versmafs im Einzelnen und die metrische Form des Pindar im Ganzen auf analyischem Wege fest, so verschwin- den alle diese Nebelgebilde, und es findet sich, dafs alle diese Änderun- gen überflüssig und falsch sind. 36. Im Zusammenhange mit dem bisher Vorgetragenen steht eine grofse Anzahl Interpolationen, welche aus falscher Versabtheilung ent- standen sind; denn da des Verses Endsylbe ein unbestiimmtes Mafs hat, so entsprechen sich häufig die Mafse der Strophen nicht mehr, sobald das Ende des Verses in die Mitte verlegt worden ist; und gewisse Arten der Pindarischen Gedichte. 3067 von Abweichungen der Leseart in den interpolirten Handschriften kön- nen daher sogar auf die wahren Enden der Verse führen. Diese Inter- polationen sind in der Regel die armseeligsten, und die Byzantiner haben sich häufig damit begnügt, die kurze auf einen Mitlauter endigende Syibe, wenn das folgende Wort mit einem Vocal begann, durch das sogenannte Fulerum y’ zu verlängern: doch mufsten sie hier und da weiter greifen, wandten auch andere ähnliche Mittelchen an. Obrmp. FI, 55. genügte zu schreiben Rgebes Y’, 75. ögouov y’, wie auch 28. mitten im Verse Fa- negöv y' geschrieben worden, wofür die Handschriften zum Theil nur Fitiuepov haben, ich aber Faegev «° seize; wahrscheinlich war in dem al- ten Texte ZAMEPOMM. Vs. 68. mufste wegen des falschen Versmafses margos I statt margı gesetzt werden. Olymp. FII, 8. hat man bgeves Y, 46. ödov y’, 5g. Arrov9” statt Armov gesetzt; str. ß'. war bei dieser Kritik vergessen, und erst Pauw hat rcycv y' erfunden. Man vergleiche noch Olymp. IX, Sı. voov Y, 111. gesıyausor Yy, XIII, 14. wraray y und umasavr’, 95. ausboregwse y', Pyth. VIII, 15. dirrarev y’, 69. Emayayes y(r), Nem. V, 50. rnAoSev y’, und sonst. Olymp. I, 84. 85. bei cöres dsS%os reichte man mit diesem einfachen Mittel nicht aus; es ist daher geschrieben eöreri| 3225 y', auf alle Weise fehlerhaft. Vorzüglich häu- fig ist diese Art Interpolation in den Olympien, die, soweit wir bisher urtheilen können, am meisten von den Byzantinern durchgearbeitet wur- den; doch giebt es auch in den Pythien aufser den angeführten nicht selten Beispiele, wie Pyth. IV’, 154. weyagev TIeria statt Hera neyagov. Pyth. YIIT, 55.54. aber ist zweierlei versucht. Die wahre Leseart ist daselbst 70 6° &v wooi mar reayov Irw rev xpeos: da aber ro@yev nicht zu Ende des Verses gesetzt war, wurde statt seiner kurzen Endsylbe eine lange erfor- dert; daher steht im Zen. D. ganz schlecht TOEXwV, in anderen Büchern ist umgestellt: 78 8° &v wor! nur Irw roeyev rev peos. Dies hat man neu- erlich aufgenommen, nicht fühlend, dafs diese Wortstellung auch abge- sehen von ihrem diplomatischen Werthe weniger gut ist; ebenso hat man die hinlänglich bewiesene seltene Form rg«%v verbannt, und oben- drein ohne Notih Vs. 55. zvi£r geschrieben. Zu diesen Verderbungen aus falscher Versabtheilung gehört auch avrers’ statt mas Pyth. IX, 106. In allen diesen Stellen ist die Kürze verdrängt; bisweilen hat man auch die Länge entfernt. Olymp. XT, str. 4. ist am Ende des Verses zufällig 308 Borcxu über die kritische Behandlung die Kürze herrschend; da nun das Vers-Ende in die Mitte gerathen war, kam man Vs. 70. und 99. wo der Vers mit Längen schliefst, die durch Position entstehen, in Verlegenheit, indem diese Stellen den anderen Strophen nicht entsprechen. In dem ersteren Verse nehmlich, wo man vorfand AöpunAcs ö° Ebege Tuyuas reics, war 7&%ss durch Position lang, im anderen %agis, weil rgepevr: folgte. Letzteres wurde gehoben, indem man &ovrı schrieb: an ersterer Stelle setzte man um: AopunAos de TEAOS ruyuas pege, und verdarb so das Versmafs, indem man es verbessern wollte. In der neuesten Ausgabe sind nicht nur solche Interpolationen aufgenommen, sondern aus metrischer Unkunde und Ungeschick neue erschaffen worden, wie Olymp. AI, ep. 7. geschehen ist, weil, nachdem das Vers-Ende verfehlt worden, dreimal die Kürze weggeschafft werden mufste. Vs. 65. ist daher aus den interpolirten Büchern reramıv Y', Vs. 107. xgovev y' aus der letzten, Triklinischen, Recension aufgenom- men worden; Vs. 85. konnte mit demselben Rechte eorınrumov Aus y, welches in derselben Recension vorkommt, beibehalten werden; aber um doch neues zu geben, ist ögrixrürcıo Arts geschrieben, damit die Länge durch zwei Kürzen ersetzt werde, die der Dichter nirgends in dieser metrischen Stelle gebraucht hat. Denselben Ursprung hat eben- daselbst die Leseart der Neapp. Mss. öger. Znvos, wodurch der Tambus ersetzt werden soll, indem wenigstens ein anderer dreizeitiger Fufs an seine Stelle gesetzt wird: freilich würde derselbe Kritiker an einer an- deren Stelle wieder einen solchen statt des Tambus stehenden Trochäus wegzuschaflen gesucht haben; aber folgerecht ist sich kein Interpolator geblieben, und ein unverständiges Unternehmen mufs natürlich zu wi- dersprechenden Mafsregeln führen. Jeder Verständige wird dagegen ein- sehen, dafs das dreimal eingeflickte y’ ein Kennzeichen des Vers-Endes ist, und mit den besseren Büchern ausgelassen werden mufs. Gelegent- lich füge ich bei, dafs dies gemifsbrauchte y’ auch Pyth. XT, 47. in der Leseart der Neapp. Mss. "Oruuri« y’ zur Füllung angewandt ist. 37. Einige Interpolationen der Grammatiker fallen endlich in Stellen, welche wirklich metrische Fehler enthalten; nur haben die Urheber der neuen Lesearten in bedeutendern Änderungen selten das Wahre getrof- fen, weil sie weder Fleifs genug anwandten noch hinlängliche Kenntnisse 5 hatten; und mehrere Stellen der Art sind noch jetzo nicht verbessert. der Pindarischen Gedichte. 369 Aufser denen, welche schon unter andern Gesichtspuncten vorgekom- men sind, führe ich folgende Beispiele an. Olymp. 17, 69. ist die Leseart der Bücher alter Recension &rAsi degzevra: dem Versmafse entgegen, welches statt der dritten Sylbe eine Kürze fordert. Ich bin keinesweges der Mei- nung, die Stelle sei von mir richtig hergestellt; eine der Vermuthungen aber, welche in den erklärenden Anmerkungen nachgewiesen sind, wird wol richtig sein und die schönste ist meines Erachtens dedegravrı Brov. Die beiden Interpolationen, welche in den Handschriften vorkommen, schiefsen dagegen offenbar fehl. Die eine ist erAcı veucvraı, deren Ursprung in den nott. eritt. schon nachgewiesen ist; die andere degrovrau errcı blofs in den Neapp. Mss. obgleich der neueste Herausgeber aufser jenen noch multos codices dafür anführt. Diese Umstellung ist schon ohne Rück- sicht auf den diplomatischen Unwertli der Leseart vollkommen unzuläs- sig, weil die leizte Sylbe von ösgzevra dadurch, dafs darauf ein Vocal folgt, im iambischen und trochäischen Mafse nicht kurz wird; man fin- det davon kein hinlänglich begründetes Beispiel; die man sonst hatte, beruhten blofs auf falschen Besserungen, wie Nem. FIIT, 25. Nur bei Tribrachen, welche im iambischen, trochäischen oder kreuschen Rhyth- mus eingemischt sind, findet diese Abkürzung nach daktylischer Analo- gie statt (Metr. Pind. S. 102. nott. critt. Pyth. VIII, 29. Vgl. Nem. /II, 57.). Dafs auf der Unkenninifs dieser in der Erfahrung gegrün- deten Regel viele Interpolationen beruhen, ist öfter beiläufig gezeigt wor- den; hier mag hinzugefügt werden, dafs der letzte Herausgeber aufser vielen andern Stellen auch bei Olymp. XIII, 47. in dieser Hinsicht ge- fehlt hat, indem er &yw d4 idıcs schrieb: das Wahre ist d&, welches nicht anzutasten war, weil iss bisweilen digammirt wurde (s. Comment.): dafs der Schol. &4 gelesen habe, weil er ö9 cüv in seiner Erklärung hat, ist ein unrichtiger Schlufs. Eine andere falsche Verbesserung einer wirk- lich verdorbenen Stelle geben die Neapp. Mss. Pyth. IV’, 184. AuıSesitiv ye m0Sov evöaev: die alte Leseart ist AuIEausıv moSIev Evdauev; höchst unge- schickt hat der Kritiker das ye vor #Sov eingeschoben, wodurch eine Auflösung in den Vers kommt, welche eben so unzulässig ist als Pyth. IF, 255. die gemeine Leseart: geschickter, obgleich auch gewifs falsch, hatte ein Anderer #°9cv y’ geschrieben. Pyth.IX,gı. war ehemals die ge- meine Leseart «dei oder «is uewvaraı; da statt «ie ein Pyrrhichius erfordert Hist. philol. Klasse 1822-1823. Aaa 370 Borcxmu über die kritische Behandlung wird, so sind hieraus drei Interpolationen in verschiedenen Handschrif- ten entstanden ; &mıuzuvaraı statt aisı ueuy. im Par. B., dei auuvaraı und ava- newvarı in den Neapp. Mss. Das letzte ist nun aufgenommen, ungeach- tet ae ueuvarcı klar das Wahre; «@ wird ausdrücklich als Pindarisch ange- führt, und damit ist der Fehler vollständig geheilt. Pyth. X, 69. fehlte eine Sylbe nach &derpesis, welche man vielfach versuchte zu ergänzen (s. nott, eritt.); unter allen Versuchen geben die Neapp. Mss. den schlech- testen: @derdecüs zaı &m. Nem. I, 15. war die aus dem Schol. hervor- gehende Leseart rege vuv dyAaiav wa varw gewils die älteste: CPEIPE ging aber in EFEIPE, Eyeıpe, über: nun war das Versmafs falsch: man versuchte allerlei, es herzustellen ; höchst kühn und unbedachtsam schrieb der Kritiker der Neapp. Mss. vöv ye r£9° @yr. und eben nicht viel besser der letzte Herausgeber varw eyeıge rw’ ayAalav vu. Nem. VII, 57. stand ehemals: ixovro ö° eis Ed. mrayySevres: die Form rAayy,Sevres widerspricht dem Versmafs, ist aber so antik, dafs sie gewifs nicht statt einer ge- meinern in den Text gekommen ist: daher suche ich den Fehler in der Wortstellung, die ich verändert habe. Die Neapp. Mss. haben dagegen das rAayy,Sevres durch ein sehr gemeines Wort rAavares (mAayyrss) ver- drängt, um dem Versmafse zu Hülfe zu kommen. 38. Bei den grofsen Veränderungen, welche dem Bisherigen zufolge der Text erlitten hat, leuchtet von selbst ein, dafs die Kritik überall unsicher wird, sobald sie sich auf die neue Recension im Widerspruch mit der alten stützt: obgleich nicht zu läugnen, dafs Einiges von den Neuern richtig verbessert worden, wovon schon oben (25.) Beispiele vorkamen. Starke Fehler waren hier und da schon im ältern Texte, von welchen einige entweder aus andern Handschriften oder durch Vermuthung glücklich geheilt worden. Olymp. IT, 84. haben die Alexan- driner statt Kgeves gelesen Ts (s. nott. critt. und zum Schol. $.81.); aber Kgeves scheint ganz richüig. Obmp. I, 50. ist die nüchterne Leseart devrara alt; aber ich halte devuera trotz dem Gespötte für wahr, und dafs diese Schreibart ebenfalls alt sei, lehren die Scholien. Olymp. XIF, 2ı. ist iSı aus der neuern Recension dem &?1S8 der alten der Strophe wegen vorgezogen worden; allein ich gestehe, dafs mir die Sache bedenklich ist: denn schreibt man in der Strophe Vs. 9. zeaga- r 1 = A R N N ‚ er . veorsiv, SO Ist EASE richtig, und dafs rogavsaırıy IN Holgaveovri überging, der Pindarischen Gedichte. 374 ist dort um so leichter möglich, da die ganze Ode viel gelitten hat. Ungeachtet dieser und ähnlicher Beispiele bleibt es gewifls, dafs ein me- thodisches Verfahren überall auf den ältesten Text zurückgehen, und nöthigenfalls auf diesen die Vermuthungen gründen mufs; und es kann nicht gebilligt werden, wenn Einer, ohne Berücksichtigung des Alters der Lesearten, Vermuthungen auf jede andere jüngere Leseart gründet, oder eine Weise, wie die Verderbung entstanden sei, annimmt, welche mit dem Alter der Leseart nicht verträglich ist, Dies wird selten beob- achtet; und gern gestehe ich, dafs, da mir bei der Feststellung des Tex- tes nicht alles zur Hand war, auch ich etliche Lesearten stehen gelassen oder eingesetzt habe, welche den ältesten Quellen gemäfs zu verwerfen waren; häufiger jedoch hat der letzte Herausgeber geirrt, welchem die- ser diplomatische Gesichtspunkt ganz fremd ist. Pyth. FIII,ıo0. stand sonst avSgwrei, welches sich durch den Hiatus als falsch verräth; ich habe auSgwmres geschrieben, und die Wahrheit dieser Leseart bewährt sich aus der ältesten Anführung bei Plutarch, ferner beim Schol. Nem. und Eustathios; nur der Scholiast des Sophocles hat avggwrrt. Isthm. I,25. steht in den guten Mss. zal ArSwas ömore Öirnas iev: örore ist gegen das Sylbenmafs; mit Hermann’s auf jene Leseart gegründeter Verbesse- rung örer’ &v ist aber die Stelle geheilt. Denn dafs &rere hier ursprüng- lich in den alten Texten stand, zeigen die obgleich entstellten Anfüh- rungen der Alten, des Tryphon bei Eustathios ArSwas sera dirnou- cı, und des Ammonios AıSiyas Tor ava dirzarı. Hierauf mufs man sehen; dann erkennt man, dafs die Leseart der Neapp. Mss. Ausweis ersreis eine Interpolation sei, durch welche man das Versmafs herstellen wollte, und wird darauf keine neue Vermuthung gründen, wie der letzte Herausgeber sein AuSwarw ercs. Isthm. I, 56. hatten, wie in den nott. eritt. gezeigt ist, die Alexandrinischen Handschriften: & 8° APETAI Kara- zeırau: kann dies irgendwie gerettet werden, so darf man nicht ager« schreiben; ich habe mit Aristarch &gerz gesetzt, und Dissen hat ge- zeigt, dafs dieses auch dem Sinne am angemessensten sei und dem Sprachgebrauch nicht unangemessen; der gegen diese Leseart, und nicht sowohl gegen uns als gegen Aristarch, angewandte Schulwitz führt seine Streiche in die Luft. Olymp. IT, 44. ist bei &yevrı, wozu ode aus Vs.40. das Subject ist, ein Bedenken; Hermann, welchem Pindar unendlich Aaa2 372 Boscxku über die kritische Behandlung viel verdankt, will &y4evsı, und schreibt die Leseart &ygvrı grammatiets Dorismi studtosis zu; &%svrı, welches auch Handschriften hätten, gehöre zum Folgenden, indem nach &av nicht zu interpungiren sei. Ich will es im Zweifel lassen, ob diese neue Leseart schön oder gezwungen sei: aber dafs keine Handschrift sie hat, aufser übergeschrieben als Glossem zu &yevri, ist gewifs; nicht minder gewils, dafs &xevrı nicht von den Grammatikern herstammt. Nicht von den Grammatikern nach Didymos; denn dieser las &eyrı und construirte es wie ich; nicht von den Gram- maukern nach Aristarch, denn auch dieser las &yovrı. Die Stelle in den Scholien über Aristarch’s Erklärung und die Widerlegung dersel- ben ist freilich dunkel; so vıel ist deutlich, dafs der Scholiast meint, der Accusativ digav gehöre zum Vorhergehenden, und mit moemEL rov Al- vnruöaus beginne ein nener Satz, ferner dafs Didymos sich darum ge- gen Aristarch erklärt hatte, weil nach dessen Auslegung ruyyavguev überflüssig sei: aber bei allem diesem weifs ich mir Aristarch’s Mei- nung aus den Scholien nicht zu gestalten, aufser dafs er nach &xevrı nicht interpungirte, aber &xevr: doch las und sich mit dessen Erklärung abquälte. Also mufste, wenn &%evrı von einem Grammatiker herrührte, dieser es vor Aristarch in den Text gesetzt haben, etwa Zenodotos oder Aristophanes. Allein es ist unwahrscheinlich, dafs Aristarch dies nicht mehr gewufst, und sich mit einer Leseart so viele Mühe ge- geben hätte, welche nur ein Grammatiker aus Mifsverstand erschaflen hätte: auch würde ein geschickter Grammatiker wie jene &xovrı nicht in &xevrı, sondern in das sich näher anschliefsende &%arı verwandelt haben. Das letztere gilt auch dagegen, wenn Einer sagen wollte, die Änderung sei vor den Alexandrinern bei der Umschreibung aus der alten Schrift in die neue gemacht. Folglich verschwindet Hermann’s Voraussetzung, sobald man die Leseart bis zu der ältesten Quelle verfolgt. Ebenso mufs man em. IIT, 10. bewachten, wo ougavov Schwierigkeit macht. Die alte Leseart war oüpavo, nachher ougavo , welches oben besprochen worden; die Veapp. Mss. geben aber devwisw und dwwerw, worauf Hermann die schöne Vermuthung 8’ @v varw gegründet hat, ehe er im Stande war, die Lesearten der Neapp. Mss. im Ganzen zu überschauen: jetzo, bin ich überzeugt, wird er darauf nichts mehr gründen. Mag in jenen Schreibfehlern der NVeapp. Mss. enthalten sein was da wolle: sie sind der Pindarischen Gedichte, 373 unbrauchbar. Denn es ist augenscheinlich, dafs eügavs die alte Leseart war, welche aufser dem Schol. Eurip. schon Aristarch und sein Schü- ler Ammonios hatten. Wollte man sagen, Aristophanes habe viel- leicht anders gelesen, und seine Leseart stecke in jenen Schreibfehlern, so braucht man nur zu sehen, wie sich die Grammatiker abmühen, dem eugavo oder oügavz einen Sinn abzugewinnen, um sich zu überzeu- gen, dafs diese Leseart die überlieferte der Handschriften war. Nem. IIT, 25. lasen die Alten theils ö« 7, theils id 7’, und soviel wir wissen egeuvare; es kommt darauf an zu wissen, welches von jenen beiden das ursprüngliche ist. Ich vermuthe, di« 7’ ist das ursprüngliche in den voralexandrinischen Exemplaren gewesen: denn nur unter der Voraus- setzung, dafs durch dı« die letzte Sylbe von üUregoxes eine Positionslänge erhielt, ist es, wenn man nicht einen Irrthum wie NVem. I, 24. anneh- men will, begreiflich, dafs sich in dieser Stelle die alte Schreibart vreg- eyes statt Üregoxeus erhielt. Schwieriger ist das Urtheil Olymp. IT, 47. wo noch Eoımovri steht, ungeachtet die guten Mss. Egımevri haben. Über beide Lesearten spricht Apollonios v. d. Syntax, III. S. 270. 50. Tou- Tuv olv THdE Eypvrwv Emigrareov TO egimw innarı, ei Fuvwvuuel Tu TinTu, W Fage- ZEIT Kara ÖldAenrov Yevolevn öEUrovos METOYN erw" nal ei TO mETWv oür EXE rasnrınöv, Ourrarov de Eori bavaı merevtı, MAcv orı zul 79 Egımavru IIorv- velner mag Ilvdagy dvaAoywregov kararıngeru dia To © Yoabousver. amX Ei Av AANIES TO Fuvwvuueiv TO egimw To mintu, cür dv UmNEXE 1) Epimeran, ws oUde 70 mirtera. WAmore Yag uam ra Bar ruvwvune, nal ws Qurıw 78, ov- Tws eoimw ve, zul us OAnSevri, ourws Egımevri. Ich übergehe das Übrige, denn es kommt nicht darauf an, wie Apollonios dies rechtfertigen will: die Rechtfertigung der Passivform £greis liegt schon in der Ana- logie anderer intransitiver Zeitwörter, wie &pun statt epuv, und egpunv: sondern wir wollen nur wissen, was er vorfand. Da er in der Pinda- rischen Stelle Egimovri giebt, so kann er dies vorgefunden zu haben scheinen; aber bei näherer Betrachtung entscheide ich mich für das Ge- gentheil. Ich will nicht anführen, dafs die Bücher alter Recension zgı- revrı haben, die der neuen nebst dem neuern Schol. &gimovri: denn man könnte sagen, die Lehre des Apollonios, games sei gut, habe früh um sich gegriffen, und £&urevr: sei in den Text gewandert: wiewohl dennoch nicht begreiflich wäre, warum dies geschehen sein sollte, da 374 Borcexu über die kritische Behandlung doch zgırevrı keinen Anstofs gab. Aber Apollonios sagt zararrıreru im Futurum: "Egımovri mit © geschrieben bei Pindar wird analoger sein. Daraus ist offenbar, dafs &grevrı ursprünglich ist; irgend ein Grammatiker aber schrieb der Analogie wegen Egimovri; so wurde diese Stelle ein Gegenstand der grammatischen Betrachtung, und Apollonios, die öfter besprochene Stelle aufgreifend, giebt erst seinem Vorgänger zu, egirövr: würde hier analoger sein, erklärt sich aber nachher dagegen, und rechtfertigt die überlieferte Leseart. Wäre £grrevrı nicht überlieferte Leseart gewesen, so konnte Apollonios gar nicht darauf kommen, ge- rade hier Egimevri gegen Egrmövri vertheidigen zu wollen. Denn Egimuv ist öfter im Homer, und deshalb anerkannt; hätte also &grovrı bei Pindar in dem überlieferten Texte gestanden, warum sollte es dem Egimevri, des- sen Analogie zweifelhaft war, weichen, dagegen aber das im Homer vorkommende Egımwv nicht einmal erwähnt werden? Also mufs Egimevri gelesen werden. Wäre damals, als ich meinen 'Text herausgab, durch Bekker’s Auszug aus dem Chöroboskos schon bekannt gewesen, dafs Isthm. F 1,51. IivSci alte Leseart war, so würde ich nicht mit Hermann IvSiev geschrieben haben; auch würde ich Pyth. I, 26. rgosıderIar nicht verändert haben, wenn ich aus den vor Pindar gedruckten Ausgaben des Gellius (s. den Commentar) gesehen hätte, dafs dies die alte Lese- art sei, die Gellius hatte; nicht minder gewinnt Pyth.], ı5. die Lese- art arigovra durch die dreimalige Anführung bei Plutarch (s. den Com- mentar) an Gewicht. Pyıh. I, 85. mag einrıguE, welches Stobäos, Palladas und einige Mss. haben, um jener Willen vorgezogen werden, nicht aber wegen dieses Grundes: ‚‚/ulgata librario, cui ex N.T. ö va- 3» 798 ruv oinrıguwv obversabatur animo, fortasse debetur.’ Pyıh. II, 72. scheint zaros rc, welches Galen schon las (s. Commentar), die ein- zige alte Leseart, die ich jedoch nicht erklären kann, xares rıs aber eine Interpolation. 39. Zum Schlufs dieser Betrachtungen über die Beschaffenheit des ründende Kritik, erlaube ich mir die alten Textes und die darauf zu g bekannte Bemerkung, dafs man auch die Schrifizüge bedenken mufs, 32 aus welchen die Verderbungen erklärbar sind. Die heutzutage gewöhn- lichste Arı zu verfahren ist diese, dafs man aus der Leichtigkeit der Verwechselung der Züge in der gewöhnlichen Cursivschrift der griechi- der Pindarischen Gedichte. 375 schen Schreiber, etwa nach der Anleitung wie sie Bast giebt, Schlüsse zieht, oder aus der Möglichkeit der Verwechselung durch einen Gleich- klang. Das letztere beruht vorzüglich auf der Vorstellung, dafs die Bücher dietirt seien, oder dafs im Geiste des Schreibers sich die Züge ähnlich lautender Buchstaben mit den Buchstaben selbst verwirren und verwechseln ; beides ist einzeln wahr, auf Pindar aber unanwendbar; denn er eignete sich weder zum Dictiren noch zu einem so höchst nach- lässigen Abschreiben: wenigstens ist gar keine Wahrscheinlichkeit vor- handen, dafs bei ihm Fehler so entstanden sind. Auch die Verwechse- lung der Buchstaben nach gewöhnlicher Qursivschrift ist bei Pindar ein trügliches Hülfsmittel. Hermann hat richüg bemerkt, dafs diese Art Kritik vorzüglich bei solchen Schriftstellern anzuwenden sei, wovon nur wenige Handschriften vorhanden sind: wo eine so grofse Anzahl Handschriften vorliegen, wie bei Pindar, verschwindet die Wahrschein- lichkeit, dafs solche Fehler sich in alle verbreitet haben, zumal da die Handschriften des Pindarischen Textes meistens sorgfältig geschrieben sind. Diejenigen Fehler im Pindar, deren Verbesserung aus Muth- mafsung nothwendig ist, sind gröfstentheils viel älter, als diese Cursiv- schrift. Die Cursivschrift ist freilich uralt: aber die Texte unseres Schrift- stellers sind später erst darin geschrieben worden , und dann gleich in ziemlicher Anzahl. Dagegen mufs eine Zeit gewesen sein, da der Text des Pindar selten war; aus wenigen in älterer Schrift geschriebenen Exemplaren wurde er dann vervielfältigt; jene Exemplare waren aber alt und verblichen, wohl auch zerrissen. Dies ist bei Olymp. XIF. am deut- lichsten ; dies Gedicht ist aus einer Handschrift geflossen, die auf jenem als dem letzten Blatte fast unleserlich gewesen sein mufs; daher die vie- len Fehler und die Schwierigkeit der Kritik. Zu Ende der Isthmien ist ein Theil des Werkes verloren gegangen; also mufs in der Hand- schrift, woraus unsere Texte geflossen sind, das Ende weggerissen gewe- sen sein; und man hatte nur diese Eine unvollständige. Hieraus kann man 'schliefsen, dafs manche Fehler auf der Unleserlichkeit der älte- ren Handschrift beruhen, und zwar zunächst auf der Unleserlichkeit einer solchen, welche in einer meist runden, jedoch alten grofsen, und nicht cursiven Schriftart geschrieben war, wie etwa das Bruchstück aus einer Tragödie, welches Herr Hase aus einem codex rescriptus entziffert 376 Bozcexmu über die kritische Behandlung‘ hat (1). So erklärt sich wie Nem. FIT, 20. Saua, was gewifs das wahre, in raue überging; © war halb erloschen und wurde für C genommen ; aus eben solcher Schrift erklärt sich Pyth. YIIT, 21. wie Ilapvarıdı in Iegvarıg überging: A wurde für A genommen. Aber Pindar ist durch viele Schriftarten durchgegangen; diese mufs man alle wohl in Erwägung ziehen, und zugleich bedenken, in welches Zeitalter die Verderbung fiel. So ist Nem. I, 15. Eyeige aus oreige erst nach der Zeit des Scholiasten geworden, der aber alt ist: man wird einsehen, dafs dies aus jener eben berührten Schrift entstanden, indem CPEIPE als EFEIPE gelesen worden, wie ich oben sagte. Andere Verderbungen sind dagegen aufserordentlich alt und gehen über die Alexandriner hinaus: dies ist Olymp. IT, 62. der Fall, wo die Lescart ei de mw eXwv rıs eidev 75 ERAev älter als Aristarch ist. Ohne Zweifel gab es auch in jenem früheren Zeitalter einen Zeit- punkt, wo fast alle Exemplare eines einzelnen Gedichtes aus Einem ab- stammten, und so konnten sehr leicht durch Buchstabenverwechselung Fehler entstehen. Hierauf gründe ich dort die Vermuthung, dafs der Satz sich ans Vorhergehende anschliefst und & ye nu &ywv zu lesen sei: ye wurde nach ‚alter Schrift AE oder NE geschrieben, welches sehr leicht in AE oder DE überging. Zwar kann es bedenklich scheinen, dafs wir & ye im Pindar, so viel von ihm erhalten ist, nirgends finden; aus welchem Grunde wir anderwärts ö& re nicht bei ihm zugelassen haben: allein diese beiden Partikeln sind von sehr verschiedener Art. As re hat den Ursprung im Epischen, aus welchem es unser Dichter so wenig als z«i re aufgenommen hat: & ye aber ist eine allgemeine, keinem Sul ei- genthümliche Redensart, und es läfsı sich keine Ursache auffinden, wes- halb sie der Dichter, wenn sie dem Sinne nach pafste, sollte ausgeschlos- sen haben. Bei allen Fehlern, welche alt sind, mufs man die Schrift- steller wie Inschriften behandeln, weil sie in derselben Schrift geschrie- ben waren. (1) Ich meine das Bruchstück aus Euripides Phaäthon, welches seither durch Hermann leserlich geworden. Wünschenswerth wäre es gewesen, wenn dieser treff- liche Gelehrte das Facsimile hinzugefügt hätte, welches Herr Hase der jüngere hat in Kupfer stechen lassen, wenn es auch nur auf etliche Verse bezüglich ist. Auf diesen Kupferstich bezieht sich die obige Bemerkung. der Pindarischen Gedichte. - 3m 40. Nachdem wir den diplomatischen Gesichtspunkt von den wich- tigsten Seiten verfolgt haben, das Metrische aber in den allgemeinsten Grundzügen behandelt ist, scheint nichts mehr übrig zu sein, was we- gen der besondern Natur der Anfgabe bei der Pindarischen Kritik beson- ders hervorgehoben zu werden verdiente. Die durch Vermuthung ver- bessernde Kritik ist vom Diplomatischen, was eben berührt worden, ab- gesehen, überall die gleiche; und Pindar hat kein besseres Schicksal als andere Schrifisteller gehabt, sondern ist mit Conjecturen geplagt wor- den, wie die übrigen: die ernste Beschäftigung ist bei Vielen zum Spiel der Willkühr geworden; Mifsverstand, Mangel an Eindringung, an Sprach- und Sachkenntnifs, Vernachlässigung tiefgehender Erklärung und der be- kannte kritische Kitzel sind die Quellen der meisten Conjecturen ; die hei- lige Scheu vor den ehrwürdigen Resten des Alterthums ist verschwun- den; die Kritik ist ein Messer geworden in Kinderhand. Doch fangen die Älteren an umzukehren; wenige schreiten so unbesorgt als der Greifs- walder Kritiker auf der Bahn des Irrthums einher. Der bedeutendste Theil dessen, was derselbe ersonnen oder aus trüben Quellen zu Tage gefördert hat, ist im Vorhergehenden mit oder ohne Hinweisung auf ihn berührt, weil Andeutung zu genügen schien; das Übrige will ich nach der Ordnung der Gedichte noch kürzer durchgehen, nur Weniges vorbeilassend, weil es entweder zu unbedeutend, oder nicht neu, oder schon so besprochen ist, dafs es unnöthig scheint, darauf zurückzukom- men. Olymp. TI, 64. ist aus Ald. &Serav geschrieben ; die Auflösung kommt aber an dieser Stelle nirgends vor, und da die Form Serrav dem Mafs entspricht, mufs sie aufgenommen werden: gute Bücher der alten Re- cension geben diese, andere Serav: &9erav ist Erklärung von Serrarv. IT, 25. erırvev, willkührlich. 109. haben zwar gute Handschriften zazeives: aber da Pindar statt des einzelnen Iambus nie den Spondeus setzt und das Asyndeton angenehmer ist, mufs &zeives vorgezogen werden. Eben so halte ich dafür, dafs das zai Olymp. IV, 21. ungeachtet der guten Bücher nicht einzufügen sei, da es leicht aus dem vorhergehenden entstanden sein kann und der Schol. es nicht hat. Noch vorher Olymp. IT, 8o. ist gesetzt devdbewv 5°, unnöthig und unangenehm; Y7, 75. rası ers, nach ° einer falschen Vorstellung vom Wohlklang von Hermann ehemals ver- muthet, nachher mit Recht zurückgenommen. IX, ı9. ıra re Karrarig, Hist. philol. Klasse 1822-1823. Bbb 378 Bozcexu über die kritische Behandlung mit einem Tribrachys statt des Trochäus, daher nicht sehr wahrschein- lich. AZ, 67. hat Thiersch durch Vermuthung das Richtige gefunden, oradisv m. d. euSuv rovov, und eben dies hatte der Kritiker, hier einmal glücklich, in die Neapp. Mss. gesetzt: der Herausgeber hat Schmid’s Tradıv m. d. eüSVdgeuev beibehalten, welches zwar schlecht ist, doch bes- ser als die eigenen Vermuthungen, welche er beibringt. XIII, 20. irre- cısıw Evrersw, nicht übel, aber unnötig und gemeiner als die gewöhn- liche Leseart. In der Epode dieses Gedichtes Vs. 5. ist eine doppelte Abıheilung möglich, die meinige, und die neulich von Hermann auf- gefundene, welche ich vorziehe (s. Explicatt.): ‚ ’ ’ — V- - V--— —- vv uvyv— wie Hierdurch wird Vs. 2ı. die Leseart der alten Bücher &re9yx’ gerettet, und man braucht daselbst nicht diöyuvov für diöuuov zu schreiben; nur ist Barırea statt Barır?9e zu schreiben, und dreisylbig zu lesen, welches ohne Bedenken ist. Man bemerke noch wie schön Ep. «'.ö‘. nach dem vorgeschlagenen Anapästen des zweiten Verses interpungirt ist, und Ep". d. €. neue, einen heftigen Anlauf nehmende Sätze mit diesen kraftvollen Anapästen beginnen: so dafs wir dem trefllichen Hermann für diesen herrlichen Rhythmus, durch welchen das ehemals so verwirrte Gedicht nun völlig zur ımetrischen Klarheit gebracht ist, recht dankbar sein müs- sen. Dagegen ist nun eine dritte Abtheilung, ohne allen Sinn für rhyth- mische Analogie, ausgedacht: ’ ’ ’ — vu Vo vv— ’ ’ rn mn ’ _— III Er KANN Nicht zu gedenken, dafs dadurch in mehreren Epoden an diese Stelle eı- was höchst Unzierliches gekommen ist, hat Vs. 21. Barırya didumev in di- öuuev BarırE umgestellt werden müssen. Olymp. XIV, 7.8. billige ich meine ehemalige Veränderung der Stelle keineswegs; aber die neueste Umstellung reuv@v Seo ist ganz verwerflich, selbst schon wegen der Wort- stellung, die keinesweges überall willkührlich ist; und um nur einen Schein von Entsprechung hervorzubringen, hat auch in der Gegenstrophe vuv MEAUVTEIYM Statt MeAavreryga vov geschrieben werden müssen: dennoch mulste aber eine wochäische Dipodie von dem unerhörten Mafs +,-— angenommen werden! So wie gleich hernach (Vs. 6. Ahlw.) ein dakty- der Pindarischen Gedichte. 379 lischer Rhythmus dieser Gestalt: -uu-T7, ein Blendwerk, welches oben zerstört worden. Völlig abgeschmackt ist Vs. 10. ı1. die von den Neapp. Mss. gelieferte Leseart ragu z«@ ISıv; aber auch so mufste noch in der Gegenstrophe Vs. 22. veagav statt veav geneuert werden. Vs. 17. ist höchst unzierlich geschrieben Audio — &v rgorw re nererainiv 7’ aeıdun. Auch spielt das Flickwort ye zweimal seine Rolle in diesem Gedicht. Pyth. I, 54. &oırera 6° &v zul rereur& pegr. v. willkührlich und unzierlich; T, 52. «uerbovras, schon in meinen nott. critt. widerlegt; ZZ, 17. piAwr, wol rıvos! bedarf keiner Bemerkung. Dafs ebendas. 55. die Leseart dazes adıwöv, zarayegiav falsch sei, davon wird man sich aus meinen erklären- den Anmerkungen überzeugen. Ebendas. Vs. 66. mag man lesen wie man wolle, so ist die Leseart rer! @ravr« mit dem Hiatus falsch. Vs.79. ist öyseinas gesetzt; dafs &yeiras die einzig richtige Leseart sei, zeigen die Quellen; nur aus der Rom. kann &xsiras mit Sicherheit nachgewiesen werden; der Sprachgebrauch erlaubt beides (vgl. unsere erklärenden An- merkungen). Vs. 80. ist das Komma nach Eoxos, welches ich, angeblich ‚‚loco male intellecto et interpunctione male mutata’’ gesetzt hatte, wieder getilgt: der Beweis wird nie geführt werden können. 77, 84. iav, unnö- thig. ZIT, 28. zowavı, IIT, 88. uav Rooräv y’, beides nichug. /Y, 55. 56. welche Stelle schon oben berührt worden, ist die Falschheit der An- sicht, dafs die Worte von xgevw Ö° bis Koevida parenthetsch zu fassen seien, durch die beigefügten Zeichen der Parenthese recht anschaulich gemacht. /Y, 206. ist ArIwv Rwpeio Sevag nicht sicher; die guten Hand- schriften haben AiSıev, und ArSwv blofs der interpolirte Bodl. C.: aber durch die neueste Umstellung Sevag Bwued ArSıwov, in welcher die Worte wenigstens nach meinem Gefühle nicht richüg geordnet sind, ist die Wunde nicht geheilt, sondern versteckt. Auch ist ArSwv gut, wie un- gefähr Thukyd.I, 95. ci yag Seutrıcı vavreiwv Arduv ümorewru. IV, 255. mug de vw aicrcı cu, eine Umstellung, die leider mit Olymp. FIT, 48. ver- theidigt werden kann: aber meine nott. critt. werden jeden Unbefange- nen überzeugen, dafs das Alte richtig ist, und nur &crcı statt aicrcı zu lesen sei: denn dafs Apollon. Rhod. III, 47ı. verdorben sei, wird dem Kritiker niemand glauben. Ebendas. 255. öyras 7, ohne allen Grund; unverbundene Participien finden sich ja überall, und re steht nicht ein- mal am rechten Orte. Ebendas. 295. 7Qav, werranıs Ev re ropels, höchst Bbb 2 380 Borcxu über die kritische Behandlung verkehrt interpungirt. 7, 55. dwder« Öbcuwv, vichüg, aber schwerlich aus richigem Grunde; das Wahre hat Thiersch gefunden, welchem ich in dem erklärenden Commentar in Rücksicht der Leseart beigetreten bin. 7, 49. 50. pvauniov- TETTUgENOVT« yag WETOVTETT” Ev AvioW.als, völlig willkührlich. Pyıh. F, 118. gebe ich meine Verbesserung FoAoımiv omITS, © Kg. u. nicht für gewils, wiewohl, wer an der Häufung von rercımev ömıs$° Anstols nimmt, die Figur & Tagan Aov nicht kennen mufs (vgl. Explicatt. S.294. 8. 861.); ganz unbrauchbar ist aber die neueste Ver- muthung 70 Aoımev, a mwAeiTTe, Ko. u. Pyth. VIII, 69. las man ehemals revras9Aıcv; Hermann will revraSiiv schreiben; dem Setzer beliebte aber revraSrıa zu setzen, und des letztern Fehler hat unser Kritiker in den Text aufgenommen, natürlich gegen Sinn und Versmafs; um letz- teren aufzuhelfen, hat er süv in Ziv verwandelt, woran Hermann nicht dachte. Ebendas. Vs. 91. ist ohne Noth dedeyusver geschrieben; Vs. 96. aber rAovrcı, mit einem Daktylus statt des Spondeus, für welchen hier nur ein Trochäus gesetzt werden kann. Pyth. IX, 100. 101. ist statt za TeAerais vpias Ev IIerrades geschrieben , zdv rererais upiauı TIarrados, völlig willkührlich; denn Pindar verseizt &v oft. IX, ı28. rorra w: die Leseart re7r« nv ist in den zott. critt. hinlänglich gerechtfertigt, und wenn ww in yı verwandelt werden kann, wird es auch in u verwan- delt werden dürfen. Die Widerlegung dieser Änderung von Seiten des Herausgebers ist von der Art, dafs ich nicht Ein Wort dagegen zu sa- gen nöthig finde, indem sie die eigentlichen Puncte gar nicht trifft. Pyth. X. Anfg. ’Orßia Aursdaruov ! Maxaıga Ossraria! eine wunderliche Ausrufung, gegen allen antiken Geschmack. Vs. 6. ist dvdgav zAurav Oma ohne Handschrift in zAurav avdowv öra« umgestellt und dadurch der Vers zu Grunde gerichtet; dafs er irre, hätte der Herausgeber leicht merken können, da er Vs. 24. in derselben Stelle der Strophe wieder ohne Handschrift umstellen mufs aeSrwv rorue Te za 9a &ry, nöch dazu mit einem seltenen Hiatus, statt deSAuv &An rerua re nal 7SEva. Der Sitz des Irrthums ist Vs. 50. die falsche Leseart Sauuerrav, wo er nicht be- griff, wie sicher Sauuarav ist, und Vs. 60. wo ürexvifev durch leichte Änderung von uns entfernt worden. Pyth. XI, 5. ist statt nayrıwv eine prosaische Form uavrızev geseizt; weder diese noch eine ähnliche kommt im Pindar vor. Ebendaselbst ist Vs. 4. das Sylbenmafs falsch so be- der Pindarischen Gedichte. 381 stimmt: 255-uu--, immer weil man nicht sah, dafs Spondeus und Daktylus beim Pindar nicht wie in den Epikern verwechselt werden ; dennoch mufsten, um dies Metrum durchzusetzen, von acht Strophen sechs ohne Handschrift verändert werden, Vs. 4. warsgı statt nargı, 9. o:- uw S° statt Oduw, 25. Zvviycr statt evvuyar, Au. 09 statt de, 52. üva wrorw statt @u reAw, wo nur dya diplomatische Hülfe hat; Vs. 56. ist noch stär- ker geändert. AZ, 25. &xvıfev, gegen das Versmafs; 55. vea zepar« nach Heyne, gut. 36. Aa cüv "Agsı Ye Kaov, eine üble Umsetzung der schlechten alten Leseart, in weicher das ys Interpolation ist; 54. PIeve- geös 8° @uuv’ "Ara, nach den Neapp. Mss. gebildet, die jedoch auuvev araı haben, welche Leseart offenbar eine gemachte ist; 56. 57. uerava ds, zuA- Alova ’Eryarıcv, Savarov zrare, zum Theil aus den Neapp. Mss. welche haben uerava d8 äryarıcv zardlova Savarov araro: worin die Interpolation schon durch das unerhörte Imperfect verrathen wird: auch ist aufserdem der Ausdruck höchst gezwungen. Pyth. XII. 5. vo avarr, nach Schmid, eben so unnöthig als anstöfsig; 24. einAswv Aaorrcov, welches schon in meinen erklärenden Anmerkungen beseitigt worden. Nem. I, 59. Parı- Als statt Barıra, ungeachtet schon bewiesen war, dafs Barır?7 vorkommt, wofür Basırca die ursprüngliche Schreibart ist; Barıris kannten wir als Schmid’s Conjectur, fanden diese aber zu trivial, als dafs wir sie nur hätten anführen mögen. Denn wer wollte Barıris in das ganz antike Barircıe verwandelt haben? Nicht unwahrscheinlich dürfte Baris« so- gar als fehlerhafte Übertragung aus der Urschrift BAZILEA entstanden sein, weil E und Ei in der ältesten Zeit im Schreiben nicht immer un- terschieden wurden. 65. 78 &4Sgerarp püre vw Öwrew uogw, zum Theil gut; aber Besseres giebt Dissen (vgl. Abschn. 42.). 69. av &y eipavee Tov &mayra Xpovov y’ Ev oyegd, wo y’ nach fünf Wörtern noch zu uav ge- hören soll. 77, 24. wird zwud£ere Druckfehler sein. III, ı9. "Agırroba- veos* oüRErL mogTu, aus Verkennung des Versmafses; 49. iTa-T' aveuoıs, mit einem Komma, damit es zum Vorhergehenden gehöre, wobei r’ über- flüssig ist und Pindar vielmehr irev @veucıs geschrieben haben würde; Ah. Asovressi 7, ohne Grund; 48. rov &Saußee © "Agreuıs, unerträglich. Vs. 4g. ist aus den Neapp. Mss. oAev 7’ Ereırev ygövev geschrieben; Ersırev habe ich zwar auch vermuthet, halte es aber nicht für sicher genug, > um aufgenommen zu werden, wo es nicht Neth thut: 7’ scheint auch * 382 Borcxm über die kritische Behandlung meine Vermuthung, ist aber in meinen nott. eritt. ein Druckfehler, und S, verdient keine Rücksicht. 7, 65. Sgarsuv naxar re Asovruv statt Spu- resuay@w und Sgarvnayav; wirklich schön. Denn hier ist das nach dem zweiten Worte stehende re nicht zu tadeln, weil Sgarewv udyav Ein Be- griff’ ist. Indessen ist auch Hermann’s Sgarunayavuv untadelig. Eben- daselbst 79. 5 res Y’, aeirare, ra, mit dem gewöhnlichen Fulerum. V, 10. SEerav, magd re Awuov, statt Sersavro map Buwnev und ıı. Firvavr statt Tir- vav 7’, höchst verwerflich; 19. 1u«xg’ &ucıy’, ohne allen Grund und über- dies anstöfsig: wogegen Thiersch’s uarg« ö4 AüroSev, ohne nor, sehr empfehlungswerth ist. Ebendas. 52. reüye d° öoyav, offenbar schlecht. 47. Magvavraı, ohne Grund. Nem. FT, 7. cd’ @vrw, ohne ordentliche Structmr (s. Dissen); 29. 50. euSw’ im rörev Era, Ay’, Oügov eunre, W Meirc, ohne die mindeste Zierlichkeit; 51. dadı ra zara zal Acyıcı, eine unangenehme Versetzung, durch welche nicht einmal das Versmafs er- reicht ist, indem statt des Trochäus ein Tribrachys in den Text gekom- men. Vs.52.55. obgleich übel ausgebessert, will ich übergehen, weil die Stelle sehr im Argen liegt; nur bemerke ich, dafs dabei Vs.7. ein Rhyth- mus vorausgesetzt wird, welcher metrisch unzulässig ist: + —--- vu u. s. w. Vs. 55. ravde statt raurav, aus Verkennung des Versmafses. Vs. 60. "Arzınidd 70 Y’ Emügnerev nAcırz yeveg: Pindar gebraucht zwar Nem. VII, 70. Eö£eviög, welche Stelle sich jedoch der Herausgeber selbst entzogen hat; aber hier würde der Dichter gewifs nicht "Arxınid& gemes- sen haben, da er durch 5 statt 75 die Abkürzung hervorbringen konnte; den Dativ könnte man ertragen, obwohl der Nominativ zrEıTa yevea ei- nen schönern Sinn giebt (s. Dissen), und dadurch auch das Verbum &ragzere eine nachdrücklichere Bedeutung erhält. YIT, 4. adeAdeav rav statt reav @deäpew, völlig willkührlich. "Aderpess ist oft dreisylbig. Pindar konnte auch «derpav schreiben; aber diese Form ist weder Pindarisch noch Homerisch. 20. ist statt raua zu schreiben Saua (s. 59.), nicht aber «ua, wie der Herausgeber giebt; 61. habe ich xorewev statt arorei- voy in den Text gesetzt, und wieder in dem Anhange gemifsbilligt, ohne deshalb die Vermuthung selbsı für unwahrscheinlich zu halten; dieser Meinung bin ich noch; der Greifswalder Kritiker will dagegen überall mit Umstellung der Worte helfen, hilft aber gewöhnlich nur so, dafs er neue Versfüfse annehfnen mufs. So stellt er hier um Zeives in’ are- Ez der Pindarischen Gedichte. 383 av grerewov Woyev: wobei, um nicht von der minder guten Wortfolge zu reden, eine Zusammenziehung zweier Kürzen in eine Länge ange- nommen wird, die man dann gern zuliefse, wenn sie durch leichtere Änderung gewonnen würde, wo sie dann einen Schein hätte: diesen hat sie aber hier schwerlich. Nicht als ob eine Umsetzung gänzlich zu ver- werfen sei; aber sie ist eines der schlimmsten und gewaltsamsten Ret- tungsmittel, welchem man meines Erachtens nur dann wauen kann, wenn das Versmafs, wie es die andern Strophen bieten, unmittelbar erreicht, nicht aber durch dieselbe etwas Neues von Bedeutung darin fest- gesetzt wird; denn dieses Neue steht ja sonst ganz ununterstützt in der Luft. 70. ist gemacht & Eifeida warge Zuyeves, öuviu; nach einer ver- kehrten metwrischen Ansicht, und gegen das richtige Versmals; öuviw statt dreuviw geben nur die interpolirten Neapp. Mss. margaIe ist gegen alle Wahrscheinlichkeit in r«rg« verwandelt, und ö vorangeschoben mit ei- nem Hiatus. 85. ist die wahre Leseart dursdev av rede Yagvepev aeg, worin nur das leizte Wort Verbesserung aus Seuneg& und Seueg& ist; hier findet man mit wilder Willkühr geschrieben: Sesucgw daredev red’ ava Yagvan. 84. ist Margodoxaus vermuthlich Druckfehler. YIII, 2. rugSe- velois cire, überflüssig; 5. aumeixes, falsch (s. Dissen); 50. z«i zeivos statt zeivos x, vielleicht Druckfehler. ZX, ı7. statt meiner Vermuthung Y) 7oIev, grammatisch und metrisch minder gut eve 1. X, 5. mora Ö Ayirrw nurd arrea waısIev marauaıs ’Erapev, welches eine gute Verbes- serung wäre, wenn blofs zarwasSev acrrn, nicht auch reis ’Eradeov Tard- jsaıs hätte verändert werden müssen: geführt hat darauf die Leseart der Neapp. Mss. narwnıaIev arten Tarauaıs ’Erdbev, welche höchst wahr- scheinlich in einer verunglückten Interpolation gegründet ist. Hermann hat schon bemerkt, dafs der Schol. sr« gelesen hat: sehr scharfsinnig vermuthet derselbe &xrı$ev: aber man kann wzırev (statt WrırSev) stehen lassen, da das Subject "Agyes hier ebenso gut wie Vs. ı0. hei ügırreicı ergänzt werden kann, so dafs es genügt zu lesen: rerAa d’, Alyurry oma wxırev arrn.. Indessen glaube ich, dafs selbst dies nicht nöthig ist. Der Schol. mag ein Relativum gelesen haben, was er freier erklärt: und man kann zerwzırev beibehalten, also die alte Leseart, mit der kleinsten - > .. A . . \ Veränderung, wenn man nach Aiyirrw blofs r« (für «) einschiebt: rerr« 384 Boxzckm über die kritische Behandlung 8 drrı, a waırev arrn: welches gerade dem Zusammenhange, der dort ist, am angemessensten scheint. 51. yvür’ dedu Seh re, ohne vernünftigen Sinn. 62. Auevos, nüchtern. 75. Segua TEyywv dE rovanals dangua statt Segua dt reyywv Öargua arovaydis, immer wieder nach der öfter berührten Methode kühner Umstellungen, und rhythmisch matter als in der ge- wöhnlichen Wortstellung. 76. marep Koovidas statt mareg Kooviwv: die pro- sodische Willkühr ist schon oben gerügt;- hier mache ich nur auf das dem Sprachgebrauche zuwiderlaufende Kgevidas statt Koovida aufmerksam. Isthni. IT, 52. ohne Grund ”Arrıw statt aAros, nach Villoison; Vs. 45. erei Tol y, statt &rei rei: wie dies entstanden sei, würde man schwerlich finden, wenn man nicht Hermann’s Zlem. D. M. S.651ı. nachsähe, wo rei rei y vermuthet wird, weil Hermann den Vers nicht mit diesen Worten schliefsen will; aber in dieser Ausgabe steht era ro y am Ende des Verses, und ist dennoch aufgenommen. JIT, 56. wsre dowizearw, err avSos, bodaus, völlig unverständlich. 54. &8 stau ö, ohne Grund. 197,56: FUVagrIAWV , nach Hermann, obgleich der Grund, weshalb Hermann dies wollte, gar nicht in dieser Ausgabe statt findet, indem anders abgetheilt ist. 77, ı2. @viza 0990, mit unerträglichem Hiatus; avız’ ag’ &. ist unzweifelhafte Verbesserung; was 9a hier bedeute, lehrt 53 die tiefer gehende Erklärung. 27. aluaros diNlas margas statt aim. vgo di- Aus margas, der Leseart der Neapp. Mss. eos bırlas zu Gefallen; aber man sagt nicht ara margıs, sondern &iAa. 28. halte ich Thiersch’s Ver- muthung Auyov avra Pegwv Evavriy argarß für einzig richüg: statt der ge- wöhnlichen Leseart Asıysv auivwv evarııv orgars, welche dem Versmafse widerspricht, geben die Neapp. Mss. zwei häfsliche Interpolationen Aoı- yov dueiwv dvri vriv argard (vgl. Append. Pind. Th. Il. Bd. 1I.), und Aaı- yov anivuv ai’ Evavriw orgarö. Aber das Verwerflichste hat unser Kritiker ausgedacht: Asıyev üvrıaueiuv @vriv orgara: ohne handschriflliches Ansehen und ohne Noth isı eine Länge in das Versmafs gebracht, wo die ent- sprechenden Strophen die Kürze haben, und @vrausvwv ist eine unregel- mäfsige Form, welche nur wenn sie in den Handschriften stünde, ver- theidigt werden könnte, weil andere ähnliche vorhanden sind, wie avrı- aveıpa, avrıoyeiw: ohne diplomatisches Zeugnifs aber ist sie nicht zulässig. Bei Kallimach Del. 52. ist avrıaucıes ebenfalls blofs Vermuthung; die der Pindarischen Gedichte. 355 Handschriften haben @vrrmuaßev. Isthm. FT, 44. 5 d& vr. aus den Neapp. R „4 Pl Mss. und nach Heyne’s Vermuthuns. 77T, 09. ı0. steht in meiner MW: l h Hey g Ausgabe nach gewöhnlicher Leseart: ereıudn Tov Ümeg Keburas 4 ‚IQ ! 7 ! Ed (a1 ‚ ye Tavrars Aryov maga rıs ETGEVVEV all TESS, wo die Worte schön geordnet sind und nichts getadelt werden kann, als dafs ye zu Anfang des Verses steht, welches ich oben zu rechtferti- als daf Anfang des V teht,, Ich h ol hifert gen gesucht habe. Die Neapp. Mss. geben die Worte höchst wunder- lich durcheinander gewürfelt: zeparas ergeLe Tavrancv ye raga ArIov rıs „ . . - . aunı eos, eine Stellung, deren Absicht ich zwar nicht errathen kann, die aber wahrscheinlich auf einer Interpolation beruht; sicheres Urtheil wäre möglich, wenn diese Bücher vollständiger verglichen wären. Auf diese Leseart gründet der Herausgeber die seinige: > A \ N nm > ETEION TOV vreg rebaAas % ergeVe Tavraroıo vaga Ardov rıs auıı Seos: wodurch die Wortstellung höchst unangenehm wird, ohne dafs wir das Mindeste gewännen: denn indem ye von dem Anfange des Verses weg- geschafft ist, tritt es nun apostrophirt ans Ende, wie es niemals bei Pindar vorkommt aufser in den von unserem Kritiker verderbten Stel- len. FIT, ı35. ist r&rsı beibehalten; das Wahre haben Thiersch und Dissen, rxoreiv. Vs. 55. halte ich meine Vermuthung für sicher: der Greifswalder Herausgeber beliebt wie immer Umstellungen mit zukom- menden Änderungen der Formen: degregov Tarsgos avarrı yovov Teneiv. ım Schlufs die Bemerkung, dafs auch Vs. 55. 57. 65. in den Neapp. Zum Schlufs die B kung, dafı hV 7. 6 den N Mss. Interpolaionen vorkommen, deren Besserung in dem Anhang zu Th. II, Bd. I. unserer Ausgabe nachgewiesen ist, wovon jedoch die erste und dritte sich unseres Kritikers Beifall erworben hat. 41. Schon in dem kritischen und nachher in dem erklärenden Com- mentar zum Pindar nebst den dazu gehörigen Anhängen habe ich Manches an meiner Recension verändert; Anderes hat Dissen in seinen Erklärungen oder ich in den daselbst eingeschalteten Bemerkungen ver- bessert; Anderes habe ich in dieser Abhandlung nach meiner jetzigen Überzeugung berichtigt. Zum Schlufs sei es erlaubt, was ich aufser- dem noch, zum Theil von verständigen Wegweisern wie Hermann und Thiersch geleitet, zu ändeın nöthig finde, zusammenzufassen, mit Hist. philol. Klasse 1822-1823. Cce p 386 Borcexu über die kritische Behandlung Übergehung dessen, was noch nicht zur Klarheit gebracht werden kann und also einer bessern Zukunft überlassen bleiben mufs. Olymp. I, 79. schreibe ich rgeis re xai, die Leseart von älterem Ansehen, erinnert von Hand (De parte. Gr. Diss. I. S. 2ı.). Ebendaselbst ı10. »rei£ev nach Thiersch, 77, 59. stelle ich agi£yAcs wieder her, da agigarcs nicht be- weisbar ist; und ı01. audaroue, welches durch die Quellen der Leseart stärker unterstützt ist als audarouev. III, 4. ziehe ich ragerra jetzt vor, und zwar deshalb, weil Meir« de nicht scheint Vocativ sein zu können; denn man setzt dem Vocativ das de nicht unmittelbar bei, sondern im- mer dem folgenden Wort, so: Meica, eurw de. Übrigens scheint eirw sich auf das Vorhergehende zu beziehen. Olymp. IV, str. 4. und Olymp. IX, ep. 5. habe ich Molossen zugelassen ohne zu verkennen, dafs sie ganz gegen die Pindarische Analogie sind (Metr. Pind. S. ı56.). Ich sehe jetzt ein, dafs sie entfernt werden können. Olymp. IX.ep.5. mufs man nehm- lich mit getrennten Spondeen oder Trochäen (vgl. Metr. Pind. S. 115.), die der Basis verwandt sind, so messen : ; ur welches nicht anstöfsig ist, da einzelne Spondeen oder Trochäen we- nigstens, am Schlufs der Verse nicht selten sind; und das umgekehrte -3-5200- ist sicher Pindarisch. Olymp. IV. aber hilfı die Verbin- dung von Vs.5.6. ab, indem so zu messen: ’ x ’ ’ = oa m ea u uyu— Vgl. nott. critt. S.489. So erhalten wir die gewöhnliche Folge von un- verbundenen Trochäen, welche wie gesagt basenartig sind, und deren erster, wie häufig, eine Anakrusis hat. Es ist leicht glaublich, dafs auch der folgende Vers noch mit dem vorhergehenden zusammenhängt: da man indefs verschiedener Meinung darüber sein kann, bleibe ich einst- weilen beim Alten. Olymp. F, ı1. mufs man mit den bessern (Juellen der Leseart "Qavıv lesen, und 2ı. offenbar Ioradaviusıw (s. Explieatt.): auch gebe ich zu, dafs Vs. ı6. wu 8° &x,. die einfachste Verbesserung ist, da Pindar #0 und ed EV schrieb, und er in den zusammengesetzten Worten sich jene Form erlaubt hat; obgleich eö &n &x. nicht zu ver- werfen wäre. Obmp. FT, 92. wäre ich nach Buttmann’s genauer Un- tersuchung (z. Platon’s Menon Exc. ı.) sehr geneigt, eircv wieder her- zustellen statt eircv, welches ich gesetzt habe und Stephanus schon der Pindarischen Gedichte. 387 ehemals, auf welchen ich in meiner Kritik aus den oben angegebenen Gründen nie Rücksicht genommen habe: indessen hält mich das An- sehen des Älius Dionysius zurück, der doch viel älter ist als alle Ac- ‘centuation in den Handschriften, auf welche Buttmann’s Beweisführung sich gründet. ı01. setze ich wieder aresziupIu statt arerriubYu: das iv scheint nehmlich die Stelle des n (sziurrw st. sxnrrw) zu vertreten. YIII, 25. ülge ich jetzt das Komma nach @Savarwv, wodurch die Ce- danken eine raschere Folge erhalten, und die Verbindung besser wird. Olymp. IX, 5ı. kann ich mich, wenn auch oiuss vom Wege des Gesan- ges gesagt wird, auch jetzt noch nicht von der Verbesserung gügov los- machen, da alles für diese zusammenstimmt, die Leseart ohnehin von Alters her schwankend war, und opov, welches der erste Scholiast las, dahin führt. Übrigens schrieb Pindar OPON, wenn er oUgov schreiben wollte; um so leichter konnte daraus &guev entstehen. “Yuvev scheint aber der neue Schol. nicht gelesen zu haben, wie ich in den note. eritt. aus Mifsverstand ehemals glaubte. 115. habe ich reies statt odieı schon im erklärenden Commentar zurückgenommen; es ist im Mose. B. ohne Zweifel nur ein Schreibfehler: dagegen hüte man sich ı20. Alayrsov an- zuzweifeln; Aidvrsies Iruadov Bwuss ist eine bekannte Wendung. Olymp. AT, 8. setze ich nach der alten Recension &aov, da ducv Interpolation scheint, wie «u® oder «u® in der Triklinischen Ausgabe des Sophokles Antig. 857. Herm. und verwerfe auch Vs. 5. «was als eine schwach un- terstützte und überflüssige Vermuthung des Mingarelli. Vs. g. ist Hermann’s röxe5 &varug (ONATQP) ohne Artikel ohne Zweifel das Rich- tige, indem die alte Leseart rxs5 Svarav (ONATQN) ist; da ich aus die- ser nichts zu machen wufste, hatte ich eine zusammengesetzte Hypothese bilden müssen, um zu erklären, wie sie entstanden sei. Vs. 46. haben die guten Bücher Aaiav oder Auiwv: die Glosse Mose. B. lehrt, dafs Asıav Verbesserung ist. Es ist Aaiav zu schreiben, nach Hesychios in Auıav: Awgıeis Aula (Auiav) eri r7s Asias, wie dort zu lesen. 6g. ist Teycay statt Teysav zu schreiben, da Pindar Teye« sagte, Nem. X, 47. Vs. 74. aber ist, wie ich schon ehemals vermuthete, und Thiersch gethan hat, das ö° auszutilgen, welches die guten Quellen der Leseart nach axevrı haben; nachher ist es versetzt worden. Offenbar ist es an die erstere Stelle, wo es nicht gedultet werden kann, nur zur Vermeidung des Asyndeton Ccce 2 388 Bozcxu über die kritische Behandlung gekommen (vgl. nott. eritt. 8.579 f.), und gerade dies Asyndeton macht hier die kräftigste und schönste. Wirkung. Dafs das ö&& nach zwei Worten überhaupt selten, ist anerkannt; das einzige sichere Beispiel im Pindar ist Olymp. XT, 99. rad’ &garov Ö° "Apyerrgarev, welches aber sehr ungezwun-* gen und nicht so hart ist als axevrı Poarrug de. Olymp. XIIT, 9. ist aXe- Zav zu schreiben, da «@refew im Präsens nicht vorkommt. Dafs Vs. 5o. co vor Zirupev auszutlgen, habe ich schon in den nott. critt. bemerkt; Vs. 51. ist nach Thiersch «ir& zu schreiben, und darnach auch Pyth. II, 54. IV, 265. IX, 64. zu ändern. Olymp. XIIT, 66. setze ich aus dem Yatic. vw, weil ich zwischen ww und vw die guten Mss. mit Be- rücksichtigung des Klanges entscheiden lasse (s. zott. eritt. S,401 I. bes. S. 405. extr.): die Neapolitanischen können dabei nicht in Betracht kom- men. Pyth. III, ı2. wird es ebenfalls sicherer sein nach zwei wenig- stens mittelmäfsigen Handschriften vw zu setzen. Vs. 69. ist der Accent zu verändern, eraar. Obmp. XIYF. kann man auf Sicherheit der Her- stellung keine Ansprüche machen, und mufs sich begnügen, etwas Er- wägliches und den Regeln einigermafsen Genügendes zu geben. Sir. ı. aber ist 7° am Ende des Verses nicht erträglich (s. oben): die Abthei- lung ist also eben so gewifs falsch als wenn man &wAyril|uerre twennen will. Aber auch die Verbindung von str. ı. 2. hat keine Wahrscheinlich- keit. Dagegen finde ich, dafs die Analogie der folgenden logaödischen Rhythmen, welcher ich nott. eritt. S.429. gefolgt bin, für den ersten auf- regenden Vers wol eine Ausnahme gestattet, und ziehe daher die daselbst 5 schon angegebene Abtheilung vor, durch welche der zweite Vers einen lieblichen Einschritt erhält: eye ’ ’ U v-uv- u. u- u-o Kapırıwv dreisylbig zu nehmen kann ich mich nicht entschliefsen : wenn jetzt auch unzweifelhaft isı, dafs das Zota von Andern mit dem folgen- den Vocal in Eine Sylbe zusammengeschlungen wird, so wird man bei Pindar doch vergeblich nach einem Beispiele suchen. Im Übrigen bin ich darauf bedacht gewesen, so wenig als möglich zu ändern, wie die kritischen Anmerkungen zeigen. Vs. 8. ist meine Leseart ri, wie ich selbst anerkenne, leeres Flickwerk ; aber die bis jetzt vorgetragenen Ver- besserungen dieser Stelle sind auch nicht viel besser. Nachdem ich alles der Pindarischen Gedichte, 389 versucht habe, weifs ich nichts besseres ausfindig zu machen, als in der „ Strophe sure Yap Sei, und in der Gegenstrophe reÜ &zarı in den folgen- den Vers zu werfen, und weravreryga etwas zu ändern: aber ich mufs zu einer Freiheit greifen, die ich mir ungern erlaube, und bei der jede Vermuthung an Zuverläfsigkeit verliert, so wenig sich auch, wo die Leseart sicher ist, dagegen einwenden läfst, nehmlich die Basis in der Strophe spondeisch, in der Gegenstrophe tribrachisch zu machen: Hu-u—stw-u8 Dies Metrum kommt, den Spondeus statt des Tribrachys abgerechnet, Isthm. VIT, str. 5. vor; die Abwechselung des Mafses der Basis aber ebenso Pyth. V. epod. extr. Schreibt man in der Gegenstrophe weravo- rery,ga, Wie MEAUVEYgLIL LOS, MeAavoSguE, MEAaVordUNS, HeAavordgdios u. dgl.; so hat man einige Entsprechung; lange bis unvermuthete Heilung geleistet wird. Möglich wäre, dafs der und ich folge dieser Vermuthung so Dichter in der Gegenstrophe den Tribrachys für den in der Strophe be- liebten Spondeus gesetzt hätte, um dem Satz, womit er der Echo zum Hades zu eilen aufträgt, einen raschern Anfang zu geben, da er solche Mahlerei liebt (s. Metr. Pind. IIT, ı9.): dafs aber unser Dichter auch in kleinern Oden verschiedenes Mafs zuliefs, vielleicht weil er sie rasch ar- beiten mufste, sieht man zum Beispiel Pyth. VII. Von Str. 9. ist schon oben (Abschn. 58.) die Rede gewesen. Vs. ı5. hat mir die ältere Ver- besserung von Hermann immer noch die meiste Wahrscheinlichkeit, indem sie klar und ungezwungen ist; auch möchte Vs. ı7. schwerlich der metrische Scholiast Avd® gelesen haben, da dessen Lesearten gewöhn- lich in den Mss. neuerer Recension gegeben sind. Vs. ı8. ziehe ich Hermann’s Vermuthung & re uereras vor, und messe also darnach auch in der Strophe r« yAvzca als ersten Päon. 42. Pyth. I, 48. nehme ich die Änderung euginnorro zurück, da sie nur von zwei Handschriften unterstützt ist. Das Subject zu eügirzovro sind die Brüder, und der Dichter mochte eügirzevro schreiben, weil Hieron nicht allein, sondern vor ihm schon Gelon die Herrschaft er- kämpft hatte. 70. nehme ich y’ zurück, nicht weil es schlecht wäre, sondern weil 7’ vertheidigt werden kann; Vgl. Nem. XT, 45. und da- selbst Dissen. Vs. 94. lasse man sich nicht durch Hermann’s katego- rische Entscheidung irre machen an der Richtigkeit der Leseart pSIiweu. 390 Borcxm über die kriiische Behandlung Das Futurum $Swel ist ganz unpassend; und wie Pindar in ises und xa- ?6s die erste Sylbe abkürzt, so thut er es wie die Attiker auch in p9ww, nicht allein in pSworugis und pSwozagros, sondern auch in zar&pSwe Isthm. V1I,46. Pyth.II, 87. setze ich wieder Aaßgos: Aalgos der Mss. welches auch in andern Stellen vorkommt, scheint ein blofser Schreibfehler, weil ß und v in manchen Mess. ähnlich sind. 7/77, 56. gebe ich jetzt wie der neueste Herausgeber reArav 8° ögeı (statt 7’), indem ich der Mehrheit und Güte der Bücher folge (vgl. nott. crıtt.). IV, 57. kehre ich zur alten Lese- art 7 $@ zurück. Dafs Vs. 89. ’Egiarra als Paroxytonon wieder herzustel- len, ist schon in den nott. ‚eritt. erwähnt. Vs. 209. ist diduua in diduma zu verwandeln; Pindar gebraucht das Femininum döuue viermal, einmal sogar in dieser Ode selbst, aber nie dafür döunes. Pyth. V, 64. wollte ich mit Vergnügen meine Erklärung und Leseart der.Stelle aufgeben, wenn ich irgend eine Befriedigung bei der gewöhnlichen fände; ist ra- vuv anstöfsig, so schreibe man ra vüv. Vs. 10. stelle ich aber sudiav &s wieder her, weil Pindar gern auf diese Arı anknüpft, wie Pyth. VIIT, ı8. und öfter. Pyth. V, 47. ist red« (nicht r&d«) beizubehalten, da die Äoler die Präpositionen in ihrer gewöhnlichen Betonung lassen (s. Osann Syllog. S. 187 fl). 7T, ıg. dürfte man. oxs$wv schreiben wollen; ich bleibe aber, obgleich die aoristische Natur dieser Form nicht zu läug- nen, aus Gründen die Buttmann auseinandersetzen wird bei der Schreibart oy&Sw. Pyth. VII, 1.9. stelle ich ueyarororıss und FoAkcı wieder her, obgleich Hermann meine Änderung billigt: denn da Buttmann (ausf. Gr. Gramm. Bd.I, S. 182.) die letziere Form hinlänglich gerechtfertigt hat, so ist kein Grund mehr vorhanden, in der Strophe von den Handschriften abzuweichen. YIIT, 76. ist row durch die Quel- len der Leseart stärker unterstützt; übrigens bleibt der Sinn derselbe wie wenn Kpovw stände. Dafs Pyth. IX. ep. 7, 8. zusammenzuziehen, geht aus dem Obigen (Abschn. 6.) hervor, und ich habe diese Verbindung schon in den zott. critt. empfohlen. Vs. 99. bestätigt sich die Leseart ruv ye Öxe auch durch Nem. IX, 44. Pyth. X, 26. könnte aurois für richug gehalten werden, wenn nicht nachher wieder Vs. 28. egawe folgte; daher ich aörw noch für das wahre halte. X7, 57. habe ich meine Leseart schon in den nott. critt. als Flickwerck verworfen; da die Handschriften zum Theil für erxev nur &v haben, so hat man ziemlich freie Hand; allen der Pindarischen Gedichte. 394 Forderungen genügt ayare, welches Thiersch vorgeschlagen hat, und was so lange in dem Texte zu stehen verdient, bis eine sichere Hülfe gefunden ist. Indessen ist nicht zu verbergen, dafs der Scholiast etwas ganz anderes las; wenn auch seine Stwuctur, wonach er duvvovrau & Tıs verbindet, schwerlich richüg sein dürfte. Überhaupt liegt die ganze Stelle im Argen. 43. Nem. I, 55. mufs ohne Zweifel &r&i wieder hergestellt und folg- lich Vs. 57. etwas geändert werden. Da nun daselbst “s cö in cirau zu verwandeln nicht rathsam scheint, und die Leseart der Augsburger Hand- schrift &s rev 7 cd wohl nur ein Schreibfehler ist, so ist es meines Erachtens das Einfachste, daselbst das r’ auszutilgen, so dafs üs nach ei- nem Zwischensatze wieder aufgenommen ist, wie auch Hermann an- deutet: re hinzuzusetzen konnte Einer leicht durch das vorhergehende ws veranlafst sein. Ebendas. 66. halte ich Dissen’s Verbesserung »are vi dwrew uogw für sicher: Vs. 65. schlägt derselbe statt rev vor zer zu le- sen, welches mir ebenfalls gefällt: doch möchte ich den Artikel nicht schlechthin verwerfen, da avdgav rwa rev &,Sgerarov nicht ganz unerklär- lich ist: Manche Männer, die verhafstesten. Nem. III, 54. ist zwar dyraoxgavov eine handschriftliche Leseart: doch will ich mit Welcker üyAaonagmov für zulässig halten. Nem. IF, 25. 5ı. ist das Attische Züv und Zuwieis zu entfernen (vergl. Explicatt. S. 862.): 54. ist wol ugaı klein zu schreiben (vergl. Pyth. IV, 247.). In Nem. VI, 54. ist "Acos das wahre; wie IIuSoi von Pindar gesagt ist, so mufste er auch "Adcs sagen, wo das Metrum der übrigen Strophen so festgesetzt war, dafs "Acss ihm genauer entsprach als ’Acös. Nem. VII, 89. halte ich jetzt @vexer, was Schneider und Thiersch wollen, für zuverlässig. Andere Änderun- gen in diesem Gedichte hat Hermann in der geistreichen Abhandlung „De Sogenis Aeginetae victoria quinquertü” vorgeschlagen, in Verbindung mit einer Erklärung jenes Gedichtes. Ich würde meinem Mitarbeiter vorgreifen, wenn ich mich darüber ausführlich erklären wollte, wozu ge mir erlaubt sein zu äufsern, dafs 5 ich davon nicht überzeugt worden bin, und daher die vorgeschlagenen auch hier nicht Raum ist: doch mö Verbesserungen nicht annelımen kann; und zwar schon aus dem ein- fachen Grunde, weil Vs. 50. durch Aryıwa, reav Aus 7° Eryovuv nur die Aakiden, nicht aber die Agineien, welche Hermann annehmen muls, 392 Borexn über die kriusche Behandlung bezeichnet sein können. Man führe nicht Nem. FT, ı7. wo Aluatduıs gar nicht die Agineten bezeichnet (s. Dissen), oder ähnliche Stellen an; nicht etwa aus Obmp. XIII. die radas ’Arara, da Aletes zu der Dori- g von Korinth ein ganz anderes Verhältnifs hat als die Aakiden zu der Dorischen von Agina. Man müfste also die Erklärung ganz anders wenden, und diejenigen Agineten, von welchen dort die schen Bevölkerun tede sein soll, die Euxeniden, für Äakiden halten; aber diese Euxe- niden sollen doch in Delphi nach Hermann selbst noch niemals ge- siegt haben; und da wäre denn die Zuversicht des Dichters, dafs das Delphische Spiel ihren glänzenden Tugenden der Weg zum Ruhme sei, als blofse Hoffnung, die noch keine Beweise hat, etwas stark ausgedrückt. Doch auch ohne dies möchte es schwer sein, Alles aus der Hermannischen Ansicht, so fein sie auch ausgedacht ist, zu er- klären. Nicht weniger mufs ich gestehen, durch die gedachte Schrift, wotz der darin herrschenden Zuversichtlichkeit, nicht überzeugt worden zu sein, dafs nicht einer im Pentathlon das Ringen, wenn der Gegner zu stark war, aus Furcht zerqneischt zu werden, aufgegeben habe, und dafs in demselben Fünfkampf das Ringen nicht das Letzte gewesen sei. Es läfst sich kurz zeigen, dafs die letztere von Hermann angefochtene Meinung das Meiste für sich, und nichts gegen sich hat. Erstlich nehm- lich spricht noch immer dafür der Umstand, dafs das Ringen das Müh- vollste und Lebensgefährlichste ist, durch welches man die Kräfte nicht zuvor für die übrigen Leistungen erschöpfen durfte; und es ist in der That kaum denkbar, dafs abgearbeiteten und ermüdeten Ringern, deren Glieder oft ganz verrenkt sein mochten, noch Diskus- und Speerwerfen zugemuthet werden konnte. Sodann setzt Simonides diese Ordnung: ara, molwzemv, dirzov, azovra, arm. Simonides aber ist der gröfste Epigrammatist der Hellenen, und ein so ausgezeichneter Dichter, dafs man von ihm erwarien kann, er habe in einem Epigramm, was oflen- bar ein Kunststück sein soll, weil sonst nicht statt des Pentathlon die einzelnen Kämpfe desselben genannt sein würden, die einzelnen Theile nicht durcheinander gewürfelt, sondern gerade darin die Schönheit des Epigramms gesucht, dais er die Theile in ihrer Ordnung folgen liefs, und dennoch alle in Einem Verse aussprach. Wäre die Ordnung eine andere gewesen, hätte er auch leicht die andere in einen Pentameter der Pindarischen Gedichte, 393 bringen können, wie mich ein Versuch überzeugt hat; z.B. wenn die Ordnung diese war: Sprung, Lauf, Ringen, Diskos, Wurfspiefs, konnte er schreiben: f arua, Öoeumu, ar, diraov, azcvra Scev, und so etwas mufste er setzen, wenn das Ringen das dritte war. Mit Simonides aber kann man auf keine Weise die andern Dichter ver- gleichen, die allerdings die Ordnung der Kämpfe nicht beobachten, und von denen der Eine das Ringen zum zweiten macht; der Andere läfst es selbst in der fünften Stelle, setzt aber den Diskos in die zweite, den Lauf in die vierte. Überdies stellen zwei der Grammatiker das Ringen als das letzte, Schol. Pind. Isthm. I, 59. Schol. Soph. Electr. 691. und nur der Schol. Plat. S. 87. setzt r«aryy zuerst; dafs aber dieser Unrecht habe, ist hinlänglich klar, da die drei Epigramme und beide Scholiasten übereinstimmend @ru« zuerst setzen, und eben dahin auch der Umstand weiset, dafs zu demselben (als Anfang des Pentathlon) das Pythische Flötenspiel aufgespielt wurde (Pausan. F’, 7. extr.). Man darf nicht übersehen, dafs gerade in Rücksicht auf das erste und letzte, arua und 7«?Y, die Meisten unter sich und mit dem Simonides stimmen, und nur in den mittleren Kämpfen von einander abweichen: ganz natürlich, da man auf das erste und letzte am meisten aufmerksam ist, und darin we- niger irren wird. Zwar sucht Hermann aus der Stelle des Pausanias (IT, ı1. ı.), welche nicht genau betrachtet zu haben, er mit Unrecht mir vorwirft, zu zeigen, dafs das Ringen das dritte gewesen sei: aber dieser Beweis ist unvollständig; g; es folgt aus jener Stelle nichts, als dafs Lauf und Sprung vor dem Ringen unternommen wurden; und man darf pruns 5 3 gewifs auch darauf nicht fufsen, dafs Pausanias den Lauf vor dem Sprung nennt, weil es ihm hier nicht darauf ankommen konnte, ob er den einen oder andern voranstellte. Pausanias sagt nehmlich, Tisamenos habe den Hieronymos von Andros im Lauf und Sprung überwunden, sei aber von ihm im Ringen besiegt worden; so habe er gesehen, dafs das Orakel ihm nicht den Sieg im Pentathlon verkündet habe. Nun sagt man, wenn das Werfen mit Diskos und Spiels vor dem 5 > D Ringen hergegangen wäre, so hätte Pausanias angeben müssen , dafs 5 sezans > 5 Tisamenos den Hieronymos auch schon in jenen beiden Kämpfen überwunden hatte; da nach Herodot (7X, 55.) nur das Unterliegen Hıst. phlol. Klasse 1822-1823. Ddd 394 Boecxmu über die kritische Behandlung im Ringen dem Tisamenos den Sieg entzogen habe. Aber dabei ist nicht in Rechnung gebracht, dafs beide Kämpfer im Wurfspiefs- und Diskoswerfen gleich sein konnten; so dafs davon gar keine Entschei- dung hergenommen werden konnte, und erst das Ringen, in welchem Tisamenos unterlag, ihm den Sieg raubte. Man bemerke, dafs sowohl S, nach dem Ausdruck des Herodot als des Pausanias, besonders des er- stern, nur diese beiden Kämpfer aufgetreten waren; von andern Mit- kämpfern ist nicht die Rede, und es können andere nicht dabei gewesen sein, weil sonst die Schriftsteller sich ganz anders hätten ausdrücken müs- sen; leicht konnte also eine Gleichheit im Werfen statt finden, indem beide das vorgeschriebene Ziel trafen oder erreichten. Und dies ist ohne Zwei- fel der Sinn des Pausanias, der keinesweges meint, gleich beim Ringen, vor dem Diskos- und Wurfspiefswerfen, habe Tisamenos gesehen, dafs er das Orakel mifsverstanden habe; sondern er will nur sagen, Tisamenos habe daraus, dafs er bei seinem ersten Auftreten den Sieg nicht erlangt habe, gesehen, dafs das Orakel ihm diesen nicht verheifsen hatte; der Grund aber, weshalb er den Sieg nicht erlangte, .war das Unterliegen im Ringen. Darum giebt er an, worin jeder von beiden den anderen überwand, und übergeht die Theile, in welchen keine Entscheidung lag. Meinte er es nicht so, so wäre es, selbst wenn das Diskos- und Wurfspiefswerfen zuletzt kam, dennoch wunderlich, dafs er nicht auch angäbe, Tisamenos habe im Wurfspiefs- und Dis- koswerfen den Hieronymos ebenfalls übertroffen: eine Sonderbarkeit, welche wegfällt, sobald ınan sich die Sache so vorstelit, wie ich gesagt habe. Da ferner Tisamenos und Hieronymos die einzigen waren, welche um den Preis zusammen kämpften, so frage ich, warum der Kampf durch alle fünf Spiele fortgesetzt wurde, wenn das Ringen das dritte war. Hieronymos war schon im Lauf und Sprung überwunden: Tisamenos wird im Ringen überwunden; sie sind also beide um den Sieg herum. Warum werfen sie noch den Diskos und den Speer? Dafs sie dies geihan, mufs man aus Herodot schliefsen, da dieser behaup- tet, Tisamenos hätte rag« iv rarusua gesiegt. Folglich mufs das r«- Aasua das letzte gewesen sein. Oberflächlich betrachtet, spricht- für Hermann’s Meinung die Stelle des Xenophon (Hellen. VIT, 4. 29.), in welcher gesagt wird, bei der Ankunft der feindlichen Eleer in Olyınpia der Pindarischen Gedichte. 395 hätte man schon vollendet gehabt ri imrodgeuiav na 7a Ögouna Too mev- r@S?s: und dann werden als zunächst aufiretend gesetzt ol eis rar daı- »ouevor. Allein aus dieser Stelle folgt zwar, dafs der Lauf mit unter die ersten Theile des Pentathlon gehört, gerade wie es Simonides setzt; aber ei eis varn apırousva sind nicht die Pentathlen, sondern die Rin- ger, die hierauf eintreten, damit den Pentathlen Ruhe gegönnt werde: und nach diesen Ringern treten erst die Pentathlen wieder mit den übri- gen Übungen auf, unter welchen der Diskos und Wurfspiefs den Anfang machen konnten, wenn diese sich nicht schon an die ögsuiz« anschlossen, und von Xenophon als unbedeutender übergangen sind. Wir sehen also, dafs der Ordnung des Simonideischen Epigramms nichts entgegen steht, und verbleiben bei derselben, bis sie wirklich widerlegt ist, da zumal Simonides gerade für die ältere Zeit entscheiden kann. 44. Fernerhin bemerke ich über die Nemeischen Oden folgendes. IX, 25. ist @usbızuriraıs zu schreiben (s. Jacobs z. Anthol. Palat. S. 159.). X, 84. gebe ich Schmids zereyra auf, und halte allerdings dafür, dafs etwas, was den Sinn von cizeiv rüv Zuci giebt, aus dem Schol. in den Text gesetzt werden mufs: aber ich kann mich noch nicht über- zeugen, dafs Pindar Sir statt &Sereıw gebraucht habe, so wenig als Homer; und natürlich ist diese verderbte Stelle am wenigsten geeignet es darzuthun: da also gerade mehrere Bücher &$eA&ıs statt des gemeinern Sereis haben, möchte ich es nicht in Szreıs verwandeln. Ich lasse daher dahin gestellt sein, wie jene Lücke sich füllen möge. Es wäre möglich, dafs der Dichter in dem letzten Vers der Strophe, der zweiten trochäi- schen Dipodie das Mafs — v-- gegeben hätte, wie er öfter nur ein- mal unter vielen Strophen sich ein abweichendes Mafs erlaubt hat; da man denn schreiben könnte: auros OvAuurev &IErsıs varsıy (oder eizeiv) Eusı civ r’ AS. Aber man kann dieser Ansicht hier nicht vertrauen, weil sie erst durch Vermuthung gesetzt wird. Dafs /sthm. IIT, 65. eizwv zu schreiben, wie Meineke vermuthet hat, bestätigt sich durch die Leseart der Römischen Ausgabe eizwv, welche ich ehemals übersehen hatte. mh Ddd 2 396 Verzeichnifs der Pindarischen Stellen. Olympia I, str. 3-5. vs. 62. 63 ep. 1. III, str.-3. ws..4: 48. 26: ap. 30. 32. extr. IK ,ustr. 4. vs.21. ep. extr. . vulg. . vulg. j . (102.) 62. .(109.) . . (129.) ar IE Zee ee er ren Teen —————————m . Abschn. 19.20. 19.2 115 Olympia V, ep.?2. . vs.11. 16. PETE. SIR. 208 86. WII, ste:d. ep. 6. vs. 8. 16. 25: 40. 59. 61. 4. . 19. (31.) EIESEWERNE 49, . zweimal . - Abschn. 29. Olympia IX, 62. (88.) . De 3 8. DD. 401. 471. 115. 120. X, 19: AI, str.'3- - 4. ep. 4. XI, str. 6. ep. 2. extr: AL, -ep. 5: vs. 6. Verzeichnifs der Pindarischen Stellen. 20. vs.:70: 99. . 5 7. v3.:63:-107. 85. I 6 rer 9. 410. . 25. (vulg. 22.) . vulg. . (74.) ‚51. . (Ahlw.) ET I TE Te Varel ee IE ZEIT Zee ee ee ee #12 » or nD or Olympia XIV, vs.8. . . Absc vs. 4. BEAME -——u 2.57. . 56. 397 hn.6. 40.41. Abschn. SER TITAN ee Ta ee ee Te re PN) [o}) 38. 40. 41. ‚4. 38. 40. 398 Ferzeichnifs der Pindarischen Stellen. Pythia IV, vs.89. 134. 150. 429. 184. 195. 206. 209. 225. 233. 235. 243. 253. 265. 295. P5.€p:7: VS. 10. 33. 42. 47. 49. 50. PB KER 404. zweimal . 118. VI, vs. 2. 4105 IX ‚'str: 6. vs.418. . ar WOrde de Fe ‚34. . zweimal . . Abschn. DT TATEN U R l T TSLSU a ae net ara a 20) m 42. Pythia IX, vs. 91. na 99 100. 101. 101. . 106. 109. 447. 128 X. Anfa str. A Ten RL Eye . str. y’ vs.38. 9, ve. 49. 25. 36. 54, .zweimal . 5; Zn, 3 . 12. 22. 24. 3. u Nemea I, str. 4. 5 IT sin. 4. . v8: 2. 49.68. >37 . 66. vs. 19. Abschn. ATI AED EI IT EDER IE TOT Sms 26. m = 37. 417. Nemea II, vs. 19. 2, 804 2: vs: 1: vs. 4. Ferzeichnifs der Pindarischen Stellen. . 44. 64. . ve: 50. 7. 75.20.44. . 30. 31. Er 84. 105. . zweimal ‚84. . Abschn. 20. 419) 39. 13. 40. 13. 38. 40. 38. 19. 40. Nemea VII, vs.89. 9: XI, vs. 18. 40. ra... nnnn Isthmia I, str. 3. vs=9: 3. BETKIE sin. Ar .42 - 46 3. 1 2267 - 29. 34. 59. ; il 76. 4. . zweimal Busch 399 . Abschn. 27. 31. va Reel ter BEE en Ta 19.21: nn xy 43. 13. 400 Isthmia IV, vs. 18. 26 Ferzeichnifs der Pindarischen Stellen. . Abschn. . zweimal es 2. v5.41.21.22. 20.27. 27. 6 Isthmia VI], str.5. Fragm. Hymn._ 2. Thren. 2. Incert. 7A. — UIID 3. Über das Entstehen der grammatischen Formen, und ıhren Kinflufs auf die Ideenentwicklung. Von _ H”- WILHELM v. HUMBOLDT. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am ı7. Januar 1822. ] | Pe ich versuchen werde, den Ursprung der grammatischen Formen, und ihren Einflufs auf die Ideenentwicklung zu schildern, ist es nicht meine Absicht, die einzelnen Gattungen derselben durchzugehen. Ich werde mich vielmehr nur auf ihren Begriff überhaupt beschränken, um die doppelte Frage zu beantworten: srammatischer Ver- 5 „‚hältnisse entsteht, welche eine Form zu heifsen verdient?’ und ‚„‚wie in einer Sprache diejenige Bezeichnungsart „inwiefern es für das Denken und die Ideenentwicklung wichtig ist, ‚ob diese Verhältnisse durch wirkliche Formen, oder durch andere „Mittel bezeichnet werden ?’’ Da hier von dem allmählichen Werden der Grammatik die Rede ist, so bieten sich die Verschiedenheiten der Sprachen, von dieser Seite aus betrachtet, als Stufen in ihrem Fortschreiten dar. Nur mufs man sich wohl hüten, einen allgemeinen Typus allmäh- lich fortschreitender Sprachformung entwerfen, und alle einzelnen Er- scheinungen nach diesem beurtheilen zu wollen. Überall ist in den Sprachen das Wirken der Zeit mit dem Wirken der Nationaleigenthüm- lichkeit gepaart, und was die Sprachen der rohen Horden Amerikas und Nordasiens charakterisirt, braucht darum nicht auch den Urstäm- men Indiens und Griechenlands angehört zu haben. Weder der Sprache einer einzelnen Nation, noch solchen, welche durch mehrere gegangen sind, läfst sich ein vollkommen gleichmäfsiger, und gewissermafsen von der Natur vorgeschriebener Weg der Entwicklung anweisen. Hist. philol. Klasse 1822-1823. Eee 402 Humsouvor über das Entstehen Die Sprache, in ihrer gröfsesten Ausdehnung genommen, kennt aber einen letzten Mittelpunkt im Menschengeschlecht überhaupt, und wenn man von der Frage ausgeht: in welchem Grad der Vollendung der Mensch bisher die Sprache zur Wirklichkeit gebracht hat? so giebt es alsdann einen festen Punkt, nach welchem sich wieder andere, gleich feste besummen lassen. Auf diese Weise nun ist eine fortschreitende Entwicklung des Sprachvermögens, und zwar an sicheren Zeichen, er- kennbar, und in diesem Sinn kann man mit Fug und Recht von stu- fenartiger Verschiedenheit unter den Sprachen reden. Da hier nur von dem Begriffe grammatischer Verhältnisse über- haupt, und ihrem Ausdruck in der Sprache die Rede seyn soll, so haben wir uns nur mit der Auseinandersetzung des ersten Erfordernis- ses zur Ideenentwicklung, und der Bestimmung der untersten Stufen der Sprachvollkommenheit zu beschäftigen. Es wird aber zunächst sonderbar scheinen, dafs nur der Zweifel erregt wird, als besäfse nicht jede Sprache, auch die unvollkommenste und ungebildetste, grammatische Formen im wahren und eigentlichen Verstande. Nur in der Zweckmäfsigkeit, Vollständigkeit, Klarheit und Kürze dieser Formen wird man Verschiedenheiten unter den Sprachen aufsuchen. Man wird sich noch aufserdem darauf berufen, dafs gerade die Sprachen der Wilden, namentlich die Amerikanischen, vorzüglich zahlreiche, planmäfsig und künstlich gebildete aufweisen. Alles dies ist vollkommen wahr; es fragt sich nur, ob diese Formen auch wahrhaft als Formen anzusehen sind, und es kommt daher auf den Begriff an, den man mit diesem Worte verbinde. Um dies vollkommen deutlich zu machen, mufs man zuvörderst zwei Mifsverständnisse aus dem Wege räumen, die hier sehr leicht entstehen können. Wenn man von den Vorzügen und Mängeln einer Sprache redet, so darf man nicht das zum Mafsstabe nehmen, was irgend ein, nicht ausschliefsend durch sie gebildeter Kopf, in ihr auszudrücken im Stande wäre. Jede Sprache ist, trotz ihres mächtigen und lebendigen Einflus- ses auf den Geist, doch auch zugleich ein todtes und leidendes Werk- zeug, und alle tragen eine Anlage nicht blofs zum. richtigen, sondern selbst zum vollendetsten Gebrauche in sich. Wenn nun derjenige, welcher seine Bildung in andern Sprachen erlangt hat, irgend eine der grammatischen Formen. 403 minder vollkommene studirt, und sich ihrer bemeistert, so kann er, vermittelst derselben, eine ihr an und für sich fremde Wirkung ler- vorbringen, und es wird dadurch in sie eine ganz andere Ansicht hin- übergetragen, als welche die allein unter ihrem Einflusse stehende Na- tion von ihr hegt. Auf der einen Seite wird die Sprache ein wenig aus ihrem Kreise herausgerissen; auf der andern wird, da alles Ver- stehen aus Objectivem und Subjectivem zusammengesetzt ist, eiwas an- deres in sie hineingelegt; und so ist kaum zu sagen, was nicht in ihr, und durch sie erzeugt werden könnte. Sieht man blofs auf dasjenige, was sich in einer Sprache aus- drücken läfst, so wäre es nicht zu verwundern, wenn man dahin ge- riethe, alle Sprachen im Wesentlichen ungefähr gleich an Vorzügen und Mängeln zu erklären. Die grammatischen Verhältnisse insbeson- dere hängen durchaus von der Absicht ab, die man damii verbindet. Sie kleben weniger den Worten an, als sie von dem Hörenden und Sprechenden hineingedacht werden. Da, ohne ihre Bezeichnung, keine , Rede, und kein Verstehen denkbar sind, so mufs jede noch so rohe Sprache gewisse Bezeichnungsarten für sie besitzen, und diese mögen nun noch so dürftig, noch so seltsam, vorzüglich aber noch so stofl- artig seyn, als sie wollen, so wird der einmal durch vollkommenere Sprachen gebildete Verstand sich ihrer immer mit Erfolg zu bedienen, und alle Beziehungen der Ideen mit denselben genügend anzudeuten verstehen. Die Grammatik läfsı sich in eine Sprache viel leichter hin- eindenken, als eine grofse Erweiterung und Verfeinerung der Wort- bedeutungen ; und so mufs man nicht überrascht werden, wenn man in den Darstellungen ganz roher und ungebildeter Sprachen die Namen aller Formen der höchstgebildeten antrifft. Die Andeutungen zu allen sind wirklich vorhanden, da die Sprache dem Menschen immer ganz, nie stückweise beiwohnt, und der feinere Unterschied, ob und inwie- fern diese Bezeichnungsarten grammatischer Verhältnisse nun wirkliche Formen sind, und als solche auf die Ideenentwicklung der Eingebornen einwirken, wird leicht übersehen. Dennoch ist dies gerade der Punkt, auf den es ankommt. Nicht, was in einer Sprache ausgedrückt zu werden vermag, sondern das, wo- zu sie aus eigner, innerer Kraft anfeuert und begeistert, entscheidet Eee 2 404 Humsoupr über das Entstehen über ihre Vorzüge, oder Mängel. Ihr Mafsstab ist die Klarheit, Be- stimmtheit und Regsamkeit der Ideen, die sie in der Nation weckt, welcher sie angehört, durch deren Geist sie gebildet ist, und auf die sie wiederum bildend zurückgewirkt hat. Verläfst man aber diesen ihren Einflufs auf die Entwicklung der Ideen und die Erregung der Empfindungen; will man prüfen, was sie als Werkzeug überhaupt her- vorzubringen und zu leisten vermöchte: so geräth man ‚auf einen Bo- den, der keiner Begränzung mehr fähig ist, da der bestimmte Begriff des Geistes fehlt, der sich ihrer bedienen soll, alles durch Rede Ge- wirkte aber immer ein zusammengesetztes Erzeugnifs des Geistes und der Sprache ist. Jede Sprache mufs in dem Sinne aufgefafst werden, in dem sie durch die Nation gebildet ist, nicht in einem ihr fremden. Auch wenn die Sprache keine ächten grammatischen Formen be- sitzt, kann, da es ihr doch niemals an anderen Bezeichnungsarten der grammatischen Verhältnisse mangelt, nicht nur die Rede, als materielles Erzeugnifs, recht gut bestehen, sondern es kann auch vielleicht jede Gattung der Rede in solche Sprachen übergetragen, und in ihnen ge- bildet werden. Dies letztere ist aber nur die Frucht einer fremden Kraft, die sich einer unvollkommneren Sprache in dem Sinn einer voll- kommneren bedient. Darum, dafs sich mit den Bezeichnungen fast jeder Sprache alle grammatischen Verhältnisse andeuten lassen, besitzt noch nicht auch jede grammatische Formen in demjenigen Sinne, in dem sie die hochgebil- deten Sprachen kennen. Der zwar feine, aber doch sehr fühlbare Un- terschied liegt in dem materiellen Erzeugnifs und der formalen Ein- wirkung. Dies wird die Folge dieser Untersuchung deutlicher darstel- len. Hier war es genug, abzusondern, was eine beliebig angenommene Kraft mit einer Sprache hervorzubringen, und was sie selbst durch ste- tigen und habituellen Einflufs auf die Ideen und ihre Entwicklung zu wirken vermag, und dadurch das erste hier zu befürchtende Misver- ständnifs zu heben. Das zweite entsteht aus der Verwechslung einer Form mit der andern. Da man nehmlich gewöhnlich zu dem Studium einer unbekann- ten Sprache von dem Gesichtspunkt einer bekannteren, der Mutter- sprache, oder der Lateinischen, hinzugeht, so sucht man auf, wie die der grammatischen Formen. 405 grammatischen Verhältnisse dieser in der fremden bezeichnet zu werden pflegen, und benennt nun die dazu gebrauchten Wortbeugungen oder Stellungen geradezu mit dem Namen der grammatischen Form, die in jener Sprache, oder auch nach allgemeinen Sprachgesetzen dazu dient. Sehr häufig sind diese Formen aber gar nicht in der Sprache vorhan- den, sondern werden durch andere ersetzt und umschrieben. Man mufs daher, um diesen Fehler zu vermeiden, jede Sprache dergestalt in ihrer Eigenthümlichkeit studiren, dafs man durch genaue Zergliederung ihrer Theile erkennt, durch welche bestimmte Form sie, ihrem Baue nach, jedes grammatische Verhältnifs bezeichnet. Die Amerikanischen Sprachen liefern häufige Beispiele solcher irrigen Vorstellungen, und das Wichtigste, was man bei Umarbeitungen der Spanischen und Portugiesischen Sprachlehren derselben zu thun hat, ist, die schiefen Ansichten dieser Art wegzuräumen, und den ursprüng- lichen Bau dieser Sprachen sich rein vor Augen zu stellen, Einige Beispiele werden dies besser ins Licht setzen. In der Karai- ben-Sprache wird aveiridaco als die 2. pers. sing. imperf. conjunct. wenn du wärest angegeben. Zergliedert man aber das Wort genauer, so ist veiri seyn, a das Pron. 2. pers. sing. das sich auch mit Substantiven ver- bindet, und daco eine Partikel, welche Zeit anzeigt. Es mag sogar, ob- gleich ich es in den Wörterbüchern nicht so aufgeführt finde, einen bestimmten Zeittheil bedeuten. Denn oruacono daco heifst am dritten Tage. Die wörtliche Übersetzung jener Beugung ist also: am Tag dei- nes Seyns, und durch diese Umschreibung wird die in dem Conjuncuv liegende hypothetische Annahme ausgedrückt. Was hier Conjunctiv ge- nannt wird, ist also ein Verbalnomen mit einer Präposition verbunden, oder wenn man es einer Verbalform annähernd ausdrücken will, ein Ablatuv des Infinitivs, oder das lateinische Gerundium in do. Auf die- selbe Weise wird der Conjunctiv in mehreren Amerikanischen Sprachen angedeutet. In der Lule-Sprache wird ein part. pass. angegeben, z. B. a-le-u- pan, aus Erde gemacht. Wörtlich aber heifst diese Sylbenverbindung: Erde aus sie machen (5. pers. plur. praes. von &e, ich mache). Auch der Begriff des Infinitivs, wie ihn die Griechen und Römer kannten, wird den meisten, wenn nicht allen Amerikanischen Sprachen 406 Humsoupor über das Entstehen nur durch Verwechslung mit anderen Formen zugeschrieben. Der Infi= nitivus der Brasilianischen Sprache ist ein vollkommenes Substantivum ; Z/uca, ist morden und Mord; caru, essen und Speise. Ich will essen heifst entweder che caru ai-pota, wörtlich: mein Essen ich will, oder mit dem Verbum einverleibtem Accusativ ai-caru-pota. Nur darin be- hält diese Wortstellung die Verbalnatur bei, dafs sie andere Substantiva im Accusativ regiert. Im Mexikanischen ist dieselbe Einverleibung des Infinitivs, als eines Accusativs, in das ihn regierende Verbum. Allein der Infinitivus wird durch diejenige Person des Futurum vertreten, von der die Rede ist, zu-tacotllaz-nequia, ich wollte lieben, wörtlich: ich, ich werde lieben, wollte. Nineguia heifst ich wollte, und indem dies die ı. pers. sing. fut. Uacotlaz, ich werde lieben, in sich aufnimmt, wird aus der ganzen Phrase Ein Wort. Dasselbe Futurum kann aber auch dem regierenden Verbum, als ein eignes Wort, nachstehen, und wird dann nur, wie im Mexikanischen überhaupt geschieht, im Verbum durch ein eingeschobenes Pronomen, ec, angedeutet; ni-c-nequia Uacotlaz, ich das wollte, nehmlich: ich werde lieben. Die gleiche doppelte Stellung zum Verbum ist auch den Substantiven eigen. Die Mexikanische Sprache verbindet also im Infiniüvus den Begriff des Futurum mit dem des Sub- stantivs, und giebt jenen durch die Beugung, diesen durch die Construc- ton an. In der Lule-Sprache läfst man die beiden Verba, von denen das eine den Infiniüivus regiert, blofs als zwei verba finita unmittelbar auf einander folgen; caic tucuec, ich zu essen pflege, aber wörtlich: ich esse, ich pflege. Selbst im Alt-Indischen ist, wie Herr Professor Bopp scharfsinnig gezeigt hat, der Infinitivus ein im Accusativ stehendes Verbal- nomen, in der Form vollkommen dem Lateinischen Supinum ähnlich (1). Er kann daher nicht so frei gebraucht werden, als der Griechische und Lateinische, welche der Natur des Verbum näher bleiben. Er hat auch keine passive Form. Wo diese erforderlich ist, nimmt sie, statt seiner, das ihn regierende Verbum an. Man sagt demnach: es wird essen ge- konnt, statt es kann gegessen werden. Aus diesen Beispielen folgt, dafs man in allen diesen Sprachen den Infinitiv nicht als eine eigne Form aufführen, sondern vielmehr die (1) Ausgabe des Nalus, p. 202. nt. 77. p. 204. nt. 85. der g' ammatischen Formen. 407 Arten, durch welche er ersetzt wird, in ihrer wahren Natur darstellen, und bemerken sollte, welche Bedingungen des Infinitivs durch jede der- selben erfüllt werden, da keine allen ein Genüge leistet. Sind nun die Fälle, wo die Beziehung eines grammatischen Ver- hältnisses dem Begrifl' der wahren grammatischen Form nicht genau ent- 5 spricht, häufig, machen sie die Eigenthümlichkeit und den Charakter der Sprache aus, so ist eine solche, wenn man auch im Stande wäre, Alles in ihr auszudrücken, noch weit von der Angemessenheit zur Ideen- entwicklung entfernt. Denn der Punkt, auf dem diese besser zu gelin- gen beginnt, ist der, wo dem Menschen, aufser dem materiellen End- zweck der Rede, ihre formale Beschaffenheit nicht länger gleichgültig bleibt, und dieser Punkt kann nicht ohne die Ein- oder Rückwirkung der Sprache erreicht werden. Die Wörter, und ihre grammatischen Verhältnisse, sind zwei in der Vorstellung durchaus verschiedene Dinge. Jene sind die eigentlichen Gegenstände in der Sprache, diese blofs die Verknüpfungen, aber die Rede ist nur durch beide zusammengenommen möglich. Die grammati- schen Verhältnisse können, ohne selbst in der Sprache überall Zeichen zu haben, hinzugedacht werden, und der Bau der Sprache kann von der Art seyn, dafs Undeutlichkeit und Misverstand dabei dennoch, we- nigstens bis auf einen gewissen Grad, vermieden werden. Insofern als- dann den grammatischen Verhältnissen doch ein besiimmter Ausdruck ei- gen ist, besitzt eine solche Sprache für den Gebrauch eine Grammatik ohne eigentlich grammatische Formen. Wenn eine Sprache z. B. die Casus durch Präpositionen bilder, die an das immer unverändert blei- bende Wort gefügt werden, so ist keine grammatische Form vorhanden, sondern nur zwei Wörter, deren grammatisches Verhältnifs hinzugedacht wird; e-tiboa in der Mbaya-Sprache heifst nicht, wie man es übersetzt, durch mich, sondern ich durch. Die Verbindung ist nur im Kopf des Vorstellenden, nicht als Zeichen in der Sprache. Z-emani in derselben Sprache ist nicht er wünscht, sondern er und Wunsch oder wünschen, ohne etwas dem Verbum Eigenthümliches, verbunden, um so ähnlicher dem Ausdruck: sein Wunsch, als das Präfixum Z eigentlich ein Besitz- pronomen ist. Auch hier wird also die Verbalbeschaffenheit hinzuge- 408 Humsoupvr über das Entstehen dacht. Dennoch drücken jene und diese Form hinlänglich bequem den Casus des Nomen und die Person des Verbum aus. Soll aber die Ideenentwicklung mit wahrer Bestimmtheit, und zu- gleich mit Schnelligkeit und Fruchtbarkeit vor sich gehen, so mufs der Verstand dieses reinen Hinzudenkens überhoben werden, und das gram- matische Verhältnifs ebensowohl durch die Sprache bezeichnet werden, als es die Wörter sind. Denn in der Darstellung der Verstandeshand- lung durch den Laut liegt das ganze grammatische Streben der Sprache. Die grammatischen Zeichen können aber nicht auch Sachen bezeichnende Wörter seyn; denn sonst stehen wieder diese isolirt da, und fordern neue Verknüpfungen. Werden nun von der ächten Bezeichnung grammatischer Verhält- nisse die beiden Mittel: Wortstellung mit hinzugedachtem Verhältnifs, und Sachbezeichnung ausgeschlossen, so bleibt zu derselben nichts als Modification der Sachen bezeichnenden Wörter, und dies allein ist der wahre Begriff einer grammatischen Form. Dazu stofsen dann noch gram- matische Wörter, das ist solche, die allgemein gar keinen Gegenstand, sondern blofs ein Verhältnifs, und zwar ein grammatisches, bezeichnen. Die Ideenentwicklung kann erst dann einen eigentlichen Schwung nehmen, wenn der Geist am blofsen Hervorbringen des Gedankens Ver- gnügen gewinnt, und dies ist allemal von dem Interesse an der blofsen Form desselben abhängig. Dies Interesse kann nicht durch eine Sprache geweckt werden, welche die Form nicht als solche darzustellen gewohnt ist, und es kann, von selbst entstehend, auch an einer solchen Sprache kein Gefallen finden. Es wird also, wo es erwacht, die Sprache umfor- men, und wo die Sprache auf einem andern Wege solche Formen in sich aufgenommen hat, plötzlich durch sie angeregt werden. In Sprachen, welche diese Stufe nicht erreicht haben, schwankt der Gedanke nicht selten zwischen mehreren grammatischen Formen, und begnügt sich mit dem realen Resultat. In der Brasilianischen Sprache heifst zuba ebensowohl in substantivischem Ausdruck sein Vater, als im Verbalausdruck er hat einen Vater, ja das Wort wird auch für Vater überhaupt gebraucht, da Vater doch immer ein Beziehungsbe- griff ist. Auf dieselbe Weise ist xe-r-uba, mein Vater, und ich habe der grammatischen ‚Formen. 409 einen Vater, und so alle Personen hindurch. Das Schwanken des grammatischen Begriffs in diesem Fall geht sogar noch weiter, und zuba kann, nach anderen in der Sprache liegenden Analogien, auch er ist Vater heilsen, so wie das ganz ähnlich, nur im Süd - Dialekte der Sprache, gebildete zada, er ist Mensch, heifst. Die grammatische Form ist blofs Nebeneinanderstellung eines Pronomen und Substantivs, und der Verstand mufs die dem Sinn entsprechende Verknüpfung hin- zufügen. Es ist klar, dafs der Eingeborne sich in dem Worte nur Er und Vater zusammen denkt, und dafs es nicht geringe Mühe kosten würde, ihm den Unterschied der Ausdrücke klar zu machen, die wir darin mit einander verwirrt finden. Die Nation, die sich dieser Sprache bedient, kann darum in vieler Rücksicht verständig, gewandt und lebensklug seyn, aber freie und reine Ideenentwicklung, Gefallen am formalen Denken, kann aus einem solchen Sprachbau nicht hervorgehen, sondern dieser würde vielmehr nothwendig gewaltsame Änderungen erfahren, wenn von anderen Seiten her eine solche intellecwuelle Umwandlung in der Nation herbeigeführt würde. Man mufs daher bei Übersetzungen so gearteter Phrasen solcher Sprachen wohl im Auge behalten, dafs diese Übertragungen, soweit sie die grammatischen Formen angehen, fast immer falsch sind, und eine ganz andere grammatische Ansicht gewähren, als der Sprechende dabei gehabt hat. Wollte man dies vermeiden, so müfste man auch der Über- tragung immer nur soweit grammatische Form geben, als in der Origi- nalsprache vorhanden ist; man stöfst aber dann auf Fälle, wo man sich aller möglichst enthalten müfste. So sagt man in der Huasteca - Sprache nana tanin-tahjal ich werde von ihm behandelt, aber genauer übersetzt: ich, mich behandelt er. Es ist also hier eine active Verbalform mit dem leidenden Object als Subject verbunden. Das Volk scheint das Ge- fühl einer Passivform gehabt zu haben, aber von der Sprache, die nur Activa kennt, zu diesen hinübergezogen zu seyn. Man mufs aber be- giebt. Nana als pron. ı. pers. sing. ist ebensowohl ich, als meiner, mir denken, dafs es gar keine Casusformen in der Huasteca - Sprache und mich, und zeigt blofs den Begriff der Ichheit an. In zn und dem vorgesetzten ia liegt grammatisch auch nur, dafs das Pronomen ı. pers. Hist. philol, Klasse 1822-1823. Fff 440 Hvmsourvr über das Entstehen sing. vom Verbum regiert wird (1). Man sieht daher deutlich, dafs von dem Sinn der Eingebornen hier nicht sowohl der Unterschied der Pas- siv- oder Activform gefafst, als blofs der grammatisch ungeformte Be- griff der Ichheit, mit der Vorstellung der auf dieselbe gemachten frem- den Einwirkung verbunden wird. Welch eine unermefsliche Kluft ist nun zwischen einer solchen Sprache, und der höchstgebildeten, die wir kennen, der Griechischen. In dem künstlichen Periodenbau dieser, bildet die Stellung der gramma- tischen Formen gegen einander ein eignes Ganzes, das die Wirkung der Ideen verstärkt, und in sich durch Symmetrie und Eurythmie erfreut. Es entspringt daraus ein eigner, die Gedanken begleitender, und gleich- sam leise umschwebender Reiz, ohngefähr eben so, als in einigen Bild- werken des Alterthums, aufser der Anordnung der Gestalten selbst, aus den blofsen Umrissen ihrer Gruppen wohlgefällige Formen hervorgehn. In der Sprache aber ist dies nicht blofs eine flüchuge Befriedigung der Phantasie. , Die Schärfe des Denkens gewinnt, wenn den logischen Ver- hältnissen auch die grammatischen genau entsprechen , und der Geist wird immer stärker zum formalen, und mithin reinen Denken hinge- zogen, wenn ihn die Sprache an scharfe Sonderung der grammatischen Formen gewöhnt. Dieses ungeheuern Unterschiedes zwischen zwei Sprachen auf so verschiedenen Stufen der Ausbildung ungeachtet, mufs man jedoch ge- stehen, dafs auch unter denen, welche man grofser Formlosigkeit ankla- gen kann, viele sonst eine Menge von Mitteln besitzen, eine Fülle von Ideen auszudrücken, durch die künstliche und regelmäfsige Verbindung weniger Elemente vielfache Verhältnisse der Ideen zu bezeichnen,, und dabei Kürze mit Kraft zu verbinden. Der Unterschied zwischen ihnen, und den vollkommener gebildeten liegt nicht darin; sie würden in dem, was ausgedrückt werden soll, mit Sorsfalt bearbeitet, sehr nahe dasselbe ’ O © o° (1) Die Huasteca-Sprache hat nehmlich, wie die meisten Amerikanischen, verschiedene Pronominal-Formen, je nachdem die Pronomina selbstständig, das Verbum regierend, oder von ihm regiert gebraucht werden; nin dient nur für den letzten Fall. Die Sylbe ’a deutet an, dafs das Object am Verbum ausgedrückt ist, wird aber nur da vorgesetzt, wo das Object in der ersten oder zweiten Person steht. Die ganze Art, das Object am Verbum zu bezeichnen, ist in der Huasteca-Sprache sehr merkwürdig. der grammatischen Formen. 411 erreichen; indem sie aber wirklich so Vieles besitzen, fehlt ihnen das Eine, der Ausdruck der grammatischen Form, als solcher, und die wich- tige und wohlthäuge Rückwirkung dieses auf das Denken. Bleibt man aber hierbei einen Augenblick stehen, und blickt man auf gleiche Weise auf die hochgebildeten Sprachen zurück, so kann es scheinen, als fände auch in ihnen, wenn auch in etwas anderer Art, Ähnliches statt, und als geschehe jenen Sprachen Unrecht durch den ihnen gemachten Vorwurf. Jede Stellung, oder Verbindung von Worten, kann man sagen, die einmal der Bezeichnung eines bestimmten grammatischen Verhält- fe) nisses gewidmet ist, kann auch für eine wirkliche grammatische Form 5 gelten, und es kann nicht soviel darauf ankommen, wenn auch jene Bezeichnungen durch für sich bedeutsame, etwas Reales anzeigende Wörter geschehen, und das formale Verhältnifs nur hinzugedacht wer- den muls. Auch die wahre grammatische Form kann ja kaum je an- ders vorhanden seyn, und jene höher gestellten Sprachen von künst- licherem Organismus haben ja auch von roherem Baue angefangen, und tragen die Spuren desselben noch sichtbar in sich. Diese unläugbar sehr erhebliche Einwendung mufs, wenn die ge- genwärtige Untersuchung auf sicherem Grunde ruhen soll, genau beleuch- tet werden, und um dies zu thun, ist es nothwendig, zuerst, was in ihr unbestreitbar wahr ist, anzuerkennen, und dann zu bestimmen, was demungeachtet auch in den angegriffenen Behauptungen, als richüg, zu- rückbleibt. Was in einer Sprache ein grammatisches Verhältnifs charakteris- üusch (so, dafs es im gleichen Fall immer wiederkehrt) bezeichnet, ist für sie grammatische Form. In den meisten der ausgebildetsten Sprachen läfst sich noch heute die Verknüpfung von Elementen erkennen, die nicht anders, als in den roheren, verbunden worden sind; und diese Ent- stehungsart auch der ächten grammatischen Formen durch Anfügung be- deutsamer Sylben (Aggluunation) hat beinahe die allgemeine seyn müs- sen. Dies geht sehr klar aus der Aufzählung der Mittel hervor, welche die Sprache zur Bezeichnung dieser Formen besitzt. Denn diese Mittel bestehen in folgenden: Fff 2 412 Humsouprt über das Entstehen Anfügung, oder Einschaltung bedeutsamer Sylben, die sonst eigne Wörter ausgemacht haben, oder noch ausmachen, Anfügung, oder Einschaltung bedeutungsloser Buchstaben, oder Syl- ben, blofs zum Zweck der Andeutung der grammatischen Ver- hältnisse, Umwandlung der Vocale durch Übergang eines in den andern, oder durch Veränderung der Quantität, oder Betonung. Umänderung von Consonanten im Innern des Worts, Stellung der von einander abhängigen Wörter nach unveränderlichen Gesetzen, Sylbenwiederholung. “Die blofse Stellung gewährt nur wenige Veränderungen, und kann, wenn jede Möglichkeit der Zweideutigkeit vermieden werden soll, auch nur wenige Verhältnisse bezeichnen. In der Mexikanischen, und einigen anderen Amerikanischen Sprachen erweitert sich zwar der Gebrauch da- durch, dafs das Verbum Substantiva in sich aufnimmt, oder an sich an- schliefst. Allein auch da bleiben die Gränzen immer noch enge. Die Anfügung und Einschaltung bedeutungsloser W ortelemente, und die Umänderung von Vocalen und Consonanten wäre, wenn eine Sprache durch wirkliche Verabredung entstände, das natürlichste und passendste Mittel. Es ist die wahre Beugung (Flexion) im Gegensatz der Anfügung, und es kann eben sowohl Wörter geben, welche Be- griffen von Formen, als welche Begriffen von Gegenständen entsprechen. Wir haben sogar oben gesehen, dafs die letzteren im Grunde zur Be- zeichnung der Formen nicht taugen, da ein solches Wori wieder durch eine Form an die anderen angeknüpft seyn will. Es ist aber schwer zu denken, .dafs jemals bei Entstehung einer Sprache eine solche Bezeich- 5 nungsart vorgewaltet habe, die eine klare Vorstellung und Unterschei- dung der grammatischen Verhältnisse voraussetzen würde. Sagt man, dafs es wohl Nationen gegeben haben kann, die einen auf diese Weise klaren und durchdringenden Sprachsinn besessen haben, so heifst dies den Knoten zerhauen, statt ihn zu lösen. Stellt man sich die Dinge natürlich vor, so sieht man leicht die Schwierigkeit ein. Bei Wörtern, die Sachen bezeichnen, entsteht der Begriff durch die Wahrnehmung der grammatischen Formen. 413, des Gegenstandes, das Zeichen durch die leicht aus ihm zu schöpfende Analogie, das Verständnifs durch Vorzeigen desselben. Bei der gram- matischen Form ist dies Alles verschieden. Sie kann nur nach ihrem logischen Begriff, oder nach einem dunkeln, sie begleitenden Gefühle erkannt, bezeichnet und verstanden werden. Der Begriff läfst sich erst aus der schon vorhandenen Sprache abziehen, und es fehlt auch an hin- reichend bestimmten Analogien, ihn zu bezeichnen, und die Bezeichnung deutlich zu machen. Aus dem Gefühl mögen wohl einige Bezeichnungs- arten entstanden seyn, wie z. B. die langen Vocale und Diphthongen, mithin ein ünhaltenderes Schweben der Summe im Griechischen und Deutschen für den Conjunetivus und Optativus. Allein da die ganz lo- gische Natur der grammatischen Verhältnisse ihnen auch nur sehr wenig Bezienungen auf die Einbildungskrafi und das Gefühl verstattet, so kön- nen dieser Fälle nur wenige gewesen seyn. Einige merkwürdige finden sich jedoch noch in den Amerikanischen Sprachen. In der Mexikani- schen besteht die Bildung des Plurals bei Wörtern, die in Vocale aus- gehen, oder ihre Endconsonanten absichtlich im Plural wegwerfen, da- rin, dafs der Endvocal mit einem, dieser Sprache eignen, starken, und dadurch eine Pause in der Aussprache verursachenden Hauche, ausge- sprochen wird. Hierzu tritt zuweilen zugleich die Sylbenverdopplung ahuatl, Weib, teotl, Gou, plur. ahud, teteö. Bildlicher läfst sich durch den Ton der Begriff der Vielheit nicht bezeichnen, als indem die erste Sylbe wiederholt, der letzten ihr scharf und bestimmt abschneidender Endeonsonant genommen, und dem dann bleibenden Endvocal eine so verweilende und verstärkte Betonung gegeben wird, dafs der Laut sich gleichsam in der weiten Luft verliert. Im südlichen Dialect der Guara- nischen Sprache wird das Suffixum des Perfectum yma in dem Grade mehr oder weniger langsam ausgesprochen , als von einer längeren oder kürzeren Vergangenheit die Rede ist. Eine solche Bezeichnungsart geht beinahe aus dem Gebiete der Sprache heraus, und gränzt an die Ge- berde. Auch die Erfahrung spricht gegen die Ursprünglichkeit der Beu- gung in den Sprachen, wenn man einige wenige, den eben berührten ähnliche, Fälle ausnimmt. Denn so wie man eine Sprache nur genauer zu zergliedern anfängt, zeigt sich die Anfügung bedeutsamer Sylben auf allen Seiten, und wo sie nicht mehr nachzuweisen ist, läfst sie sich aus 414 Humsouor über das Entstehen der Analogie schliefsen, oder es bleibt wenigstens immer ungewifs, ob sie nicht ehemals vorhanden gewesen ist. Wie leicht oflenbare Anfü- gung zu scheinbarer Beugung werden kann, läfst sich an einigen Fällen in den Amerikanischen Sprachen klar darthun. In der Mbaya-Sprache heifst daladi, du wirst werfen, nilabuitete, er hat gesponnen, und das Anfangs-d und n sind die Charakteristiken des Futurum und Perfectum. Diese durch einen einzigen Laut bewirkte Abwandlung scheint daher alle Ansprüche auf den Namen wahrer Beugung machen zu können. Den- noch ist es reine Anfügung. Denn die vollen Charakteristiken beider tempora, die auch wirklich noch oft gebraucht werden, sind gwde und quine, aber das gqıw wird ausgelassen, und de und ze verlieren vor an- deren Vocalen ihren Endvocal. Qxiuide heifst spät, künfug, co-quwdi (co von n0co, Tag) der Abend. Quine ist eine Partikel, die und auch be- deutet. Wie manchen solcher Abkürzungen von ehemals bedeutsamen Wörtern mögen die sogenannten Beugungssylben unserer Sprachen ihren Ursprung verdanken, und wie unrichtig würde die Behauptung seyn, dafs die Voraussetzung der Anfügung da, wo sie sich nicht mehr nach- weisen läfst, eine leere und unstatthafte Hypothese sey. Wahre und ursprüngliche Beugung ist gewifs in allen Sprachen eine seltene Erschei- nung. Demungeachtet müssen zweifelhafte Fälle immer mit grofser Be- hutsamkeit behandelt werden. Denn dafs auch ursprünglich Beugung vorhanden ist, scheint mir, nach dem Öbigen, ausgemacht, und sie kann daher eben so gut als die Anfügung in Formen vorhanden seyn, wo sie jetzt nur nicht mehr zu unterscheiden ist. Ja man mufs, glaube ich, noch weiter gehen und darf nicht verkennen, dafs die geistige In- dividualität eines Volks zur Sprachbildung und zum formalen Denken (welche beide unzertrennlich zusammenhängen) vorzugsweise vor ande- ren geeignet seyn kann. Ein solches Volk wird, wenn es ursprünglich, gleich allen übrigen, zugleich auf Agglutination und Flexion kommt, von der letzteren einen häufigeren und scharfsinnigeren Gebrauch machen, die erstere schneller und fester in die letztere verwandeln, und früher den Weg der ersteren gänzlich verlassen. In anderen Fällen können äufsere Umstände, Übergänge einer Sprache in die andere, der Sprach- bildung dieser schnelleren und höheren Schwung geben, so wie entge- der grammatischen Formen. 415 gengeseizte Einwirkungen Schuld seyn können, dafs die Sprachen sich in schwerfälliger Unvollkommenheit fortschleppen. Alles dies sind natürliche, aus dem Wesen des Menschen und den Ereignissen der Nationen erklärliche Wege, und meine Absicht ist nur, nicht die Meinung zu theilen, welche gewissen Völkern, vom ersten Ur- sprunge an, eine blofs durch Flexion und innere Entfaltung fortschrei- tende Sprachbildung zuschreibt, und anderen alle Bildung dieser Art ab- g scheint mir aus dem na- turgemäfsen Wege menschlicher Entwicklung hinauszugehen, und wird, spricht. Diese viel zu systematische Abtheilun wenn ich den von mir angestellten Forschungen trauen darf, bei ge- nauem Studium vieler und verschiedenartiger Sprachen durch die Er- fahrung selbst widerlegt. Es kommt aber zur Agglutination und Flexion auch noch eine dritte, schr häufige Bildungsart hinzu, die man, da sie immer absicht- lich ist, in dieselbe Klasse mit der Beugung setzen mufs, nehmlich wo der Gebrauch eine Wortform ausschliefslich zu einer bestimmten gram- matischen stempelt, ohne dafs sie, weder durch Anfügung, noch durch Beugung, etwas gerade dieser Charakteristisches an sich trägt. Die Sylbenwiederholung beruht auf einem durch gewisse gram- matische Verhältnisse erregten dunkeln Gefühle. ‘Wo dies Wiederho- lung, Verstärkung, Erweiterung des Begriffs mit sich führt, steht sie an ihrer Stelle. Wo dies nicht ist, wie so oft in einigen Amerikanischen Sprachen, und in allen Verben der 5. Conjugation im Alt-Indischen, entspringt sie aus blofs phonetischer Eigenthümlichkeit. Dasselbe läfsıt sich von der Vocalumänderung sagen. In keiner Sprache ist diese so häufig, so wichtig, und so regelmäfsig, als im Sanskrit. Aber nur in den we- nigsten Fällen beruht auf ihr das Charakteristische grammatischer For- men. Sie ist nur mit gewissen derselben verbunden, und dann meisten- theils mit mehreren zugleich, so dafs das Charakteristische jeder einzel- nen doch in etwas anderem aufgesucht werden mufs. Immer bleibt also die Anfügung bedeutsamer Sylben das wich- tigste und häufigste Hülfsmittel zur Bildung grammatischer Formen. Hierin sind sich die rohen und gebildeten Sprachen gleich; denn man würde sehr irren, wenn man glaubte, dafs auch in jenen jede Form so- gleich in lauter in sich erkennbare Elemente zerfiele. Auch in ihnen 416 Humsoror über das Entstehen beruhen Unterschiede von Formen auf ganz einzelnen Lauten, die man eben so wohl, ohne an Anfügung zu denken, für Beugungslaute halten könnte. Im Mexikanischen wird das Futurum, nach Verschiedenheit der Stammwörter, durch mehrere solcher einzelnen Buchstaben, das Im- perfectum durch ein End-ya, oder End-a bezeichnet. O ist das Aug- ment des Praeteritum, wie @ im Sanskrit, e im Griechischen. Nichts in der Sprache deutet an, dafs diese Laute Überreste ehemaliger Wör- ter sind, und will man im Griechischen und Lateinischen ähnliche Fälle 3? mufs man auch der Mexicanischen Sprache hier, so gut wie diesen nicht als Anfügung, von jetzt unbekanntem Ursprung, gelten lassen, so classischen, Beugung zugestehen. In der 'Tamanaca-Sprache ist tareccha (das Verbum bedeutet ıragen) ein Präsens, tarrecche ein Präteritum, tarecchi, ein Futurum. Ich führe diese Fälle nur an, um zu beweisen, dafs die Behauptung, welche gewissen Sprachen Anfügung und anderen Beugung zutheilt, bei genauerem Eindringen in die einzelnen Sprachen, und gründlicherer Kenntnifs ihres Baues, von keiner Seite halıbar erscheint. Wenn man daher genöthigt ist, auch in den hochgebildeten Spra- chen Anfügung anzunehmen, und in mehreren Fällen dieselbe sogar sichtbar erkennt, so ist die Einwendung ganz richtig, dafs man, auch bei ihnen, das wahre grammatische Verhälwifs hinzudenken mufs. In amayit und ereimr«es kommen, wie sich wohl nicht läugnen lassen dürfte, Bezeichnungen des Stammworts, des Pronomen und des Tempus zu- sammen, und die wahre, in der Synthesis des Subjects mit dem Prädi- cat liegende Verbalnatur hat darin keine besondere Bezeichnung, sondern mufs hinzugedacht werden. Wollte man sagen, dafs, ohne gerade über diese Formen entscheiden zu wollen, einigen derselben Art das Hülfs- verbum einverleibt seyn, und diese Synthese andeuten könne, so reicht dies nicht aus, da doch auch das Hülfsverbum erklärt werden mufs, und nicht immerfort ein Hülfsverbum in dem andern eingeschachtelt lie- gen kann. Alles hier Zugegebene aber hebt den Unterschied zwischen wah- ren grammatischen Formen, wie amavit, &reinras, und zwischen solchen Wort- oder Sylbenstellungen, als die meisten roheren Sprachen zur Bezeichnung der grammatischen Verhältnisse brauchen, nicht auf. Er der grammatischen Formen. 417 liegt darin, dafs jene Ausdrücke, wirklich wie in Eine Form zusammen- gegossen, in diesen die Elemente nur an einander gereiht erscheinen. Das Zusammenwachsen des Ganzen bringt die Bedeutung der Theile in Vergessenheit, die feste Verknüpfung derselben unter Einem Accent ver- ändert zugleich ihre abgesonderte Betonung, und oft sogar ihren Laut, und nun wird die Einheit der ganzen Form, die oft der grübelnde Grammatiker nicht mehr zu zergliedern vermag, die Bezeichnung des bestimmten grammatischen Verhältnisses. Man denkt als Eins, was man nie getrennt findet; man betrachtet als wahren, einmal fest organisirten Körper, was man nicht auseinander nehmen, und in andere beliebige Verbindungen bringen kann; man sieht nicht als selbständigen Theil an, was auf diese Weise sonst nicht in der Sprache erscheint. Wie dies entstanden, ist für die Wirkung gleichgültig. Die Bezeichnung des Verhältnisses, wie selbständig und bedeutsam sie gewesen seyn mag, wird nun, wie sie soll, zur blofsen Modification, die sich an den immer gleichen Begriff heftel. Das Verhältnifs, das zu den bedeutsamen Ele- menten erst blofs hinzugedacht werden mufste, ist nun in der Sprache, eben durch das Zusammenwachsen der Theile zum festen Ganzen, wirk- lich vorhanden, wird mit dem Ohre gehört, mit dem Auge gesehen. Die Sprachen, welche der Vorwurf twiflt, dafs ihre grammauischen Formen nicht so formaler Natur sind, gleichen in Vielem den oben beschriebenen allerdings auch. Die, wenn auch nur lose an einander gereihten Elemente fliefsen meistentheils auch in Ein Wort zusammen, und sammeln sich unter Einen Accent. Aber einestheils geschieht dies nicht immer, und an- derntheils treten dabei andere, die formale Natur mehr oder weniger störende Nebenumstände ein. Die Elemente der Formen sind trennbar und verschiebbar; jedes behält seinen vollkommenen Laut, ohne Abkür- zung oder Veränderung; sie sind in der Sprache sonst selbständig vor- handen, oder dienen auch zu anderen grammatischen Verbindungen, z.B. Pronominal-Aflixa als Besitzpronomina bei dem Nomen, als Personen bei dem Verbum; die noch unflectirten Wörter tragen nicht, wie es in ei- ner Sprache seyn mufs, in welche die grammatische Bildung tief ein- gegangen ist, schon Kennzeichen verschiedener Redetheile an sich, son- dern werden erst zu denselben durch die Anfügung der grammatischen Hıist. philol. Klasse 1822-1823. Sg 418 Humsouvr über das Entstehen Elemente gemacht, der Bau der ganzen Sprache ist so, dafs die Unter- suchung gleich auf die Absonderung dieser Elemente geführt wird, und diese Absonderung ohne bedeutende Mühe gelingt, neben der Bezeich- nung durch Formen, oder diesen ähnliche Wortverbindungen, werden dieselben grammatischen Verhältnisse auch durch blofses Nebeneinander- stellen, mit offenbarem IHlinzudenken der Verknüpfung, angedeutet. Je mehr nun in einer Sprache die hier aufgezählten Umstände zusammenkommen, oder je mehr sie sich nur einzeln finden, desto we- niger oder mehr befördert sie das formale Denken, und desto mehr oder weniger entfernt sich ihre Bezeichnungsart der grammatischen Ver- hältnisse von dem wahren Begrifl!' grammatischer Formen. Denn nicht was einzeln und zerstreut in der Sprache vorkommt, sondern dasjenige was ihre Wirkung auf den Geist ausmacht, vermag hier zu entscheiden. Diefs aber hängt von dem Totaleindruck, und dem Charakter des Gan- zen ab. Einzelne Erscheinungen können nur angeführt werden, um, wie es im Vorigen geschehen ist, zu allgemein gewagte Behauptungen zu widerlegen. Sie können aber nicht machen, dafs man die Verschie- denheit der Stufen verkenne, auf welchen zwei Sprachen, dem Ganzen ihres Baues nach, stehen. Je mehr sich eine Sprache von ihren Ursprung entfernt, desto mehr gewinnt sie, unter übrigens gleichen Umständen, an Form. Der blofse längere Gebrauch schmelzt die Elemente der Wortstellungen fester zusammen, schleift ihre einzelnen Laute ab, und macht ihre ehemalige selbständige Form unkenntlicher. Denn ich kann die Überzeugung nicht verlassen, dafs doch alle Sprachen hauptsächlich von Anfügung ausge- gangen sind. So lange die Bezeichnungen der grammatischen Verhältnisse, als aus einzelnen, mehr oder weniger irennbaren Elementen bestehend an- gesehen werden, kann man sagen, dafs der Redende mehr die Formen in jedem Augenblick selbst bildet, als sich der vorhandnen bedient. gröfsere Vielfachheit dieser Formen zu entstehen. Denn der menschliche Geist strebt schon in seiner na- Daraus nun pflegt eine bei weitem türlichen Anlage nach Vollständigkeit, und jedes, auch noch so selten vorkommende, Verhältnifs wird in demselben Verstande, als alle übri- gen, zur grammatischen Form. Wo dagegen die Form in einem stren- der grammatischen Formen. 419 geren Sinne genommen, und durch den Gebrauch gebildet wird, nun aber fernerhin das gewöhnliche Reden nicht in neuem Bilden besteht, da giebt es Formen nur für das häufig zu Bezeichnende, und das selt- ner Vorkommende wird umschrieben, und durch selbständige Wörter bezeichnet. Zu diesem Verfahren gesellen sich noch die beiden anderen Umstände, dafs der noch uncultivirte Mensch gern jedes Besondere in allen seinen Besonderheiten, nicht blofs in den, zu dem jedesmaligen Zweck nothwendigen darstellt, und dafs gewisse Nationen die Sitte ha- ben, ganze Sätze in angebliche Formen zusammenzuziehen, z.B. den vom Verbum regierten Gegenstand, vorzüglich wenn er ein Pronomen ist, mit- ten in den Schoofs des Verbum aufzunehmen. Hieraus entsteht, dafs ge- rade die Sprachen, denen es an dem wahren Begriff der Form wesentlich gebricht, doch eine bewundernswürdige Menge, in strenger Analogie, zusammen Vollständigkeit bildender, angeblicher Formen besitzen. Hinge der Vorzug der Sprachen von der Vielheit, und der stren- gen Regelmäfsigkeit der Formen ab, von der Menge der Ausdrücke für ganz besondere Verschiedenheiten (wie in der Sprache der Abiponen das Pron. der 5. Person verschieden ist, je nachdem der Mensch ab- oder anwesend, stehend, sitzend, liegend, oder herumgehend gedacht wird), so müfste man viele Sprachen der Wilden über die Sprachen der hochcultvirten Völker stellen, wie denn dies auch nicht selten, selbst in unsern Tagen, geschieht. Da aber der Vorzug der Sprachen vor einander vernünftiger Weise nur in ihrer Angemessenheit zur Ideen- entwicklung gesucht werden kann, so verhält es sich damit gerade ent- gegengesetzt. Denn diese wird durch diese Vielfachheit der Formen vielmehr erschwert, und es ist ihr läsig, in so viele Wörter Neben- besiimmungen mit aufnehmen zu müssen, deren sie durchaus nicht ın jedem Falle bedarf. Ich habe bisher nur von grammatischen Formen gesprochen ; al- lein es giebt auch in jeder Sprache grammatische Wörter, auf die sich das Meiste von den Formen geltende gleichfalls anwenden läfst. Solche sind vorzugsweise die Präpositionen und Conjuncuonen. Als Bezeich- nungen grammatischer Verhältnisse stehen dem Ursprunge dieser Wör- ter, als wahrer Verhältnifszeichen, dieselben Schwierigkeiten, wie dem Ursprunge der Formen entgegen. Es liegt nur darin ein Unterschied, Gs3 2 420 Humsouor über das Entstehen dafs sie nicht alle, wie die reinen Formen, aus blofsen Ideen abgeleitet werden können, sondern Erfahrungsbegriffe, wie Raum und Zeit, zu Hülfe nehmen müssen. Man kann daher mit Recht bezweifeln, wenn es auch noch neuerlich von Lumsden in seiner Persischen Grammatik wit Heftigkeit behauptet worden ist, dafs es ursprünglich Präpositionen und Conjunctiionen im wahren Sinne des Wortes gegeben habe. Alle haben vermuthlich, nach Horne Took’s richtigerer Theorie, ihren Ur- sprung in wirklichen, Gegenstände bezeichnenden Wörtern. Die gram- matisch-formale Wirkung der Sprache beruht daher auch auf dem Grade, in welchem diese Partikeln noch ihrem Ursprunge näher, oder entfernter stehen. Ein merkwürdigeres Beispiel zu dem hier Gesagten, als viel- leicht irgend eine andere Sprache, liefert die Mexikanische in den Prä- positionen. Sie besitzt drei verschiedene Arten derselben: ı) solche, in welchen sich, so wahrscheinlich gleich auch bei ihnen dieser Ursprung ist, schlechterdings nicht mehr der Begriff’ eines Substantivum entdecken läfsı, z.B. c, in. 2) Solche, in welchen man eine Präposition mit ei- nem unbekannten Element verbunden findet. 5) Solche, die deutlich ein mit einer Präposition verbundenes Substantivum enthalten, wie z. B. ztie, in, aber eigentlich , zusammengesetzt aus ie, Bauch, und c, in, im Bauch. J/hweatl itie heifst nun nicht, wie man es übersetzt, im Him- mel, sondern im Bauche des Himmels, da Himmel im Gen. steht. Pro- nomina werden nur mit-den beiden letzten Arien der Präpositionen ver- bunden, und da alsdann nie die persönlichen, sondern die possessiven genommen werden, so zeigt dies deutlich das in der Präposition steckende Substantivum an. Notepotzco wird zwar durch hinter mir übersetzt, es heifst aber eigentlich hinter meinem Rücken, von zeputz, der Rücken. Man sieht hier also die Stufenfolge, in welcher die ursprüngliche Be- deutung sich verloren hat, und zugleich den sprachbildenden Geist der Nation, der, wenn ein Subst. Bauch, Rücken im Sinne einer Präpo- siion gebraucht werden sollte, demselben, um die Wörter nicht gram- matisch unverbunden zu lassen (nach Arı des Lateinischen ad instar und des Deutschen immitten) eine schon vorhandene Präposition hinzufügte. Die in diesem Punkt grammatisch unvollkommner gebildete Mixteca-Sprache drückt vor, hinter dem Hause, geradezu durch, chisi, sata huahı, Bauch, Rücken, Haus aus. der grammatischen Formen. 421 Das Verhältnifs, das sich in den Sprachen zwischen den Beugun- gen und grammatischen Wörtern bildet, begründet neue Verschiedenhei- ten unter denselben. Dies zeigt sich z. B. darin, dafs die eine mehr Bestimmungen durch Casus, die andere mehr durch Präpositionen, die eine mehr Tempora durch Beugung, die andere durch Zusammensetzung mit Hülfsverben: macht. Denn diese Hülfsverba, wenn sie blofs Ver- hältnisse der Theile des Satzes bezeichnen, sind gleichfalls nur gram- matische Wörter. Von dem griechischen ruyy@vay ist eine wahrhaft materielle Bedeutung gar nicht mehr bekannt. Im Sanskrit wird auf dieselbe Weise, aber viel seltener schtha, stehen, gebraucht. Es läfst sich aber die Norm zur Beurtheilung der Vorzüge der Sprachen in die- sem Punkt nach allgemeinen Grundsätzen aufstellen. Wo die zu be- zeichnenden Verhältnisse sich, ohne Hinzukunft eines besondern Begrifls, blofs aus der Natur eines höheren und allgemeineren Verhältnisses erge- ben, da geschieht die Bezeichnung besser durch Beugungen, sonst durch grammatische Wörter. Denn die an sich durchaus bedeutungslose Beu- gung enthält nichts, als den reinen Begriff des Verhältnisses. In dem grammatischen Wort liegt aufserdem der Nebenbegriff, der auf das Ver- hältnifs, um es zu bestimmen, bezogen wird, und der, wo das reine Denken nicht ausreicht, immer hinzukommen mufs. Daher sind der dritte und selbst der siebente Casus der Sanskrit-Declination nicht eben beneidenswerthe Vorzüge dieser Sprache, da die durch sie bezeichneten Verhältnisse nicht besiimmt genug sind, um des schärferen Abgränzens durch eine Präposition entbehren zu können. Eine dritte Stufe, welche aber wahrhaft grammatisch gebildete Sprachen immer ausschliefsen , ist wenn ein Wort in seiner ganzen materiellen Bedeutung zum gramma- tischen Worte gestempelt wird, wie wir weiter oben an den Präpositio- nen geschen haben. Man mag nun die Beugungen, oder die grammatischen Wörter vor Augen haben, so kommt man immer auf dasselbe Resultat zurück. Sprachen können die meisten, vielleicht alle grammatischen Verhältnisse mit hinlänglicher Deutlichkeit und Bestimmtheit bezeichnen, ja sogar eine grofse Vielfachheit angeblicher Formen besitzen, und es kann ihnen dennoch der Mangel ächter grammatischer Formalität im Ganzen und im Einzelnen ankleben. 422 Humsouprt über das Entstehen Ich habe bis hierher vorzüglich gestrebt, Analoga grammatischer Formen, wodurch die Sprachen sich erst diesen zu nähern versuchen, von diesen selbst zu unterscheiden. Dabei überzeugt, dafs nichts dem Sprachstudium so empfindlichen Schaden zufügt, als allgemeines, auf nicht gehörige Kenntnifs gegründetes Raisonnement, habe ich, soviel es ohne übermäfsige Weitläufüigkeit geschehen konnte, jedes Einzelne mit Beispielen belegt, obgleich ich wohl fühle, dafs die wahre Überzeugung nur aus dem vollständigen Studium wenigstens einer der hier betrachte- ten Sprachen hervorgehen kann. Um zu einem entscheidenden Resultat zu gelangen, wird es aber nun noch nothwendig seyn, die ganze hier berührte Frage, jetzt ohne Factisches beizumischen, in ihren Endpunk- ten zusammen zu fassen. Dasjenige, worauf Alles bei der Untersuchung des Entstehens, und des Einflusses grammauscher Formalität hinausläuft, ist richtiges Unter- scheiden zwischen der Bezeichnung der Gegenstände und Verhältnisse, der Sachen und Formen. Das Sprechen, als materiell, und Folge realen Bedürfnisses, geht un- mittelbar nur auf Bezeichnen von Sachen ; das Denken, als ideell, immer auf Form. Überwiegendes Denkvermögen verleiht daher einer Sprache For- malität, und überwiegende Formalität in ihr erhöhet das Denkvermögen. 1) Entstehen grammatischer Formen. Die Sprache bezeichnet ursprünglich Gegenstände, und überläfst das Hinzudenken der redeverknüpfenden Formen dem Verstehenden. Sie sucht aber dies Hinzudenken zu erleichtern durch Woristel- lung, und durch auf Verhältnifs und Form hingedeutete Wörter für Gegenstände und Sachen. So geschieht, auf der niedrigsten Stufe, die grammatische Bezeich- nung durch Redensarten, Phrasen, Sätze. Dies Hülfsmittel wird in gewisse Regelmäfsigkeit gebracht, die Wortstellung wird stetig, die erwähnten Wörter verlieren nach und 5 nach ihren unabhängigen Gebrauch, ihre Sachbedeütung, ihren ur- sprünglichen Laut. dar So geschieht, auf der zweiten Stufe, die grammatische Bezeich- nung durch feste Wortstellungen, und zwischen Sach- und Formbedeu- tung schwankende Wörter. A der grammatischen Formen. 423 Die Wortstellungen gewinnen Einheit, die formbedeutenden Wör- ter treten zu ihnen hinzu, und werden Affıxa. Aber die Verbindung ist noch nicht fest, die Fugen sind noch sichtbar, das Ganze ist ein Aggregat, aber nicht Eins. So geschieht auf der dritten Stufe die grammatische Bezeichnung durch Analoga von Formen. Die Formalität dringt endlich durch. Das Wort ist Eins, nur durch umgeänderten Beugungslaut in seinen grammatischen Beziehungen modifieirt; jedes gehört zu einem bestimmten Redetheil, und hat nicht blofs lexikalische, sondern auch grammatische Individualität; die form- bezeichnenden Wörter haben keine störende Nebenbedeutung mehr, son- dern sind reine Ausdrücke von Verhältnissen. So geschieht auf der höchsten Stufe die grammatische Bezeich- nung durch wahre Formen, durch Beugung, und rein grammatische Wörter. Das Wesen der Form besteht in ihrer Einheit, und der vorwal- tenden Herrschaft des Worts, dem sie angehört, über die ihm beigege- benen Nebenlaute. Dies wird wohl erleichtert durch verloren gehende Bedeutung der Elemente, und Abschleifung der Laute in langem Ge- brauch. Allein das Entstehen der Sprache ist nie ganz durch so me- chanische Wirkung todter Kräfte erklärbar, und man mufs niemals darin die Einwirkung der Stärke und Individualität der Denkkraft aus den Au- gen setzen. Die Einheit des Worts wird durch den Accent gebildet. Dieser ist an sich mehr geistiger Natur, als die betonten Laute selbst, und man nennt ihn die Seele der Rede, nicht blofs weil er erst das eigent- liche Verständnifs in dieselbe bringt, sondern auch, weil er wirklich un- mittelbarer, als sonst etwas in der Sprache, Aushauch der die Rede be- gleitenden Empfindung wird. Dies ist er auch da, wo er Wörter durch Einheit zu grammatischen Formen stempelt; und wie Metalle, um schnell und innig zusammenzuschmelzen, rasch und stark glühender Flamme be- dürfen, so gelingt auch das Zusammenschmelzen neuer Formen nur dem & strebenden 5 Denkkraft. Sie offenbart sich auch an den übrigen Beschaffenheiten der energischen Act einer starken, nach formaler Abgränzun Formen, und so bleibt es unumstöfslich gewifs, dafs, welche Schicksale 424 Humsouor über das Entstehen auch eine Sprache haben möge, sie nie zu einem vorzüglichen gramma- uschen Bau gelangt, wenn sie nicht das Glück erfährt, wenigstens einmal von einer geistreichen, oder tiefdenkenden Nation gesprochen zu werden. Nichts kann sie sonst aus der Halbheit träge zusammengefügter, die Denk- kraft nagends mit Schärfe ansprechender Formen retten. 2) Einflufs der grammatischen Formen. Das Denken, welches vermittelst der Sprache geschieht, ist ent- weder auf äufsere, körperliche Zwecke, oder auf sich selbst, also auf geistige gerichtet. In dieser doppelten Richtung bedarf es der Deutlich- keit und Bestimmtheit der Begriffe, die in der Sprache grofsentheils von der Bezeichnungsart der grammatischen Formen abhängt. Umschreibungen dieser durch Phrasen, durch noch nicht zur sichern Regel gewordne Wortstellungen, selbst durch Analoga von For- men bringen nicht selten Zweideutigkeit hervor. Wenn aber auch das Verständnifs, und damit der äufsere Zweck geborgen ist, so bleibt doch sehr oft der Begriff in sich unbestimmt, und da, wo er, als Begriff’, offenbar auf zwei verschiedene Weisen ge- nommen werden kann, ungesondert. Wendet sich das Denken zu wirklicher innerer Betrachtung, nicht blofs zu äufserem Treiben, so bringt auch die blofse Deutlichkeit und Bestimmtheit der Begriffe andere, und auf jenem Wege immer nur schwer zu erreichende Forderungen hervor. Denn alles Denken geht auf Nothwendigkeit und Einheit. Das Gesammtstreben der Menschheit hat dieselbe Richtung. Denn es be- zweckt im leıizien Resultat nichts anderes, als Gesetzmäfsigkeit forschend zu finden, oder bestimmend zu begründen. Soll nun die Sprache dem Denken gerecht seyn, so mufs sie in ihrem Baue, soviel als möglich, seinem Organismus entsprechen. Sie ist sonst, da sie in Allem Symbol seyn soll, gerade ein unvollkommenes dessen, womit sie in der unmittelbarsten Verbindung steht. Indem auf der einen Seite die Masse ihrer Wörter den Umfang ihrer Welt vor- stellt, so repräsentirt ihr grammatischer Bau ihre Ansicht von dem Or- ganismus des Denkens. Die Sprache soll den Gedanken begleiten. Er mufs also in steti- ger Folge in ihr von einem Elemente zum andern übergehen können, der grammatischen Formen. 425 und für Alles, dessen er für sich zum Zusammenhange bedarf, auch in ihr Zeichen antreflen. Sonst entstehen Lücken, wo sie ihn verläfst, statt ihn zu begleiten. Obgleich endlich der Geist immer und überall nach Einheit und Nothwendigkeit strebt, so kann er beide doch nur nach und nach aus sich, und nur mit Hülfe mehr sinnlicher Mittel entwickeln. Zu den hülfreichsten unter diesen Mitteln gehört für ihn die Sprache, die schon ihrer bedingtesten und niedrigsten Zwecke wegen, der Regel, der Form, und der Gesetzmäfsigkeit bedarf. Je mehr er daher in ihr ausgebildet findet, wonach er auch für sich selbst strebt, desto inniger kann er sich mit ihr vereinigen. Betrachtet man nun die Sprachen nach allen diesen, hier an sie gestellten Forderungen, so erfüllen sie dieselben nur, oder doch vorzugs- weise gut, wenn sie ächt grammatische Formen, und nicht Analoga der- selben besitzen, und so offenbart sich dieser Unterschied in seiner gan- zen Wichtigkeit. Das Erste und Wesentlichste ist, dafs der Geist von der Sprache verlangt, dafs sie Sache und Form, Gegenstand und Verhältnifs rein ab- scheide, und nicht beide mit einander vermenge. So wie sie auch ihn an diese Verinengung gewöhnt, oder ihm die Absonderung erschwert, lähmt und verfälscht sie sein ganzes inneres Wirken. Gerade aber diese Absonderung wird erst rein vorgenommen bei der Bildung der ächt gram- matischen Form durch Beugung, oder durch grammatische Wörter, wie wir oben bei dem stufenartigen Bezeichnen der grammatischen Formen geschen haben. In jeder Sprache, die nur Analoga von Formen kennt, bleibt Stoflartiges in der grammatischen Bezeichnung, die blofs formartig seyn sollte, zurück. Wo die Zusammenschmelzung der Form, wie sie oben beschrie- ben worden, nicht vollkommen gelungen ist, da glaubt der Geist noch immer die Elemente getrennt zu erblicken, und da hat für ihn die Sprache nicht die geforderte Übereinsimmung mit den Gesetzen seines eigenen Wirkens. Er fühlt Lücken, er bemüht sich sie auszufüllen, er hat nicht mit einer mäfsigen Anzahl in sich gediegener Gröfsen, sondern mit ei- ner verwirrenden halb verbundener zu thun, und arbeitet nun nicht Hist. phiol, Klasse 1822-1823. Hhh 4206 Humsoupr über das Entstehen mit gleicher Schnelligkeit und Gewandtheit, mit gleichem Gefallen am leicht gelingenden Verknüpfen besonderer Begriffe zu allgemeineren, ver- mittelst wohl angemessener, mit seinen Gesetzen übereinstimmender Sprach- formen. Darin nun oflenbart es sich, wenn man die Frage auf die äufser- ste Spitze stellt, dafs, wenn eine grammatische Form auch schlechter- dings kein anderes Element in sich schliefst, als welches auch in dem sie nie ganz ersetzenden Analogon liegt, sie dennoch in der Wirkung auf den Geist durchaus etwas anderes ist, und dafs dies nur auf ihrer Einheit beruht, in der sie den Abglanz der Macht der Denkkraft an sich trägt, die sie schuf. In einer nicht dergestalt grammatisch gebildeten Sprache findet der Geist lückenhaft und unvollkommen ausgeprägt das allgemeine Schema der Redeverknüpfung, dessen angemessener Ausdruck in der Sprache die unerlafsliche Bedingung alles leicht gelingenden Denkens ist. Es ist nicht nothwendig, dafs dies Schema selbst ins Bewufstseyn gelange; dies hat auch hochgebildeten Nationen gemangelt. Es genügt, wenn, da der Geist immer unbewufst danach verfährt, er für jeden einzelnen Theil einen solchen Ausdruck findet, der ihn wieder einen andern mit richtiger Be- stimmtheit auflassen läfst. In der Rückwirkung der Sprache auf den Geist macht die ächt grammatische Form, auch wo die Aufmerksamkeit nicht absichtlich auf sie gerichtet ist, den Eindruck einer Form, und bringt formale Bildung hervor. Denn da sie den Ausdruck des Verhältnisses rein, und sonst nichts Stoflaruiges enthält, worauf der Verstand abschweifen könnte, die- ser aber den ursprünglichen W ortbegriff darin verändert erblickt, so muls er die Form selbst ergreifen. Bei der unächten Form kann er dies nicht, da er den Verhältnifsbegriff nicht besiimmt genug in ihr er- blickt, und noch durch Nebenbegrifle zerstreuet wird. Dies geschieht in beiden Fällen bei dem gewöhnlichsten Sprechen, durch alle Classen der Nation, und wo die Einwirkung der Sprache günstig ist, geht allge- meine Deutlichkeit und Bestiimmtheit der Begriffe, und allgemeine An- lage auch das rein Formale leichter zu begreifen, hervor. Es liegt auch in der Natur des Geistes, dafs diese Anlage, einmal vorhanden, sich im- mer ausbildet, da, wenn eine Sprache dem Verstande die grammatischen der grammatischen Formen. | 427 Formen unrein und mangelhaft darbietet, je länger diese Einwirkung dauert, je schwerer aus dieser Verdunkelung der rein formalen Ansicht herauszukommen ist. Was man daher von der Angemessenheit einer nicht solchergestalt grammatisch gebildeten Sprache zur Ideenentwicklung sagen möge, so bleibt es immer sehr schwer zu begreifen, dafs eine Nation auf der un- verändert bleibenden Basis einer solchen Sprache von selbst zu hoher wis- senschaftlicher Ausbildung sollte gelangen können. Der Geist empfängt da nicht von der Sprache, und diese nicht von ihm dasjenige, dessen beide bedürfen, und die Frucht ihrer wechselseitigen Einwirkung, wenn sie heilbringend werden sollte, müfste erst eine Veränderung der Sprache selbst seyn. Auf diese Weise sind also, soviel dies bei Gegenständen dieser Art geschehen kann, die Kriterien festgestellt, an welchen sich die gram- matisch gebildeten Sprachen von den anderen unterscheiden lassen. Keine zwar kann sich vielleicht einer vollkommenen Übereinstimmung mit den allgemeinen Sprachgesetzen rühmen, keine vielleicht ist durch und durch, in allen Theilen geformt, und auch unter den Sprachen der niedrigeren Stufe giebt es wieder viele annähernde Grade. Dennoch ist jener Un- terschied, der zwei Olassen von Sprachen bestimmt von einander abson- dert, nicht gänzlich ein relativer, ein blofs im Mehr oder Weniger be- stehender, sondern wirklich ein absoluter, da die vorhandene, oder feh- lende Herrschaft der Form sich immer sichtbar verkündet. Dafs nur die grammatisch gebildeten Sprachen vollkommene An- gemessenheit zur Ideenentwicklung besitzen, ist unläugbar. Wieviel auch noch mit den übrigen zu leisten seyn dürfte, mag allerdings der Ver- such, und die Erfahrung beweisen. Gewifs bleibt indefs immer, dafs sie niemals in dem Grade, und der Art, wie die anderen, auf den Geist zu wirken im Stande sind. Das merkwürdigste Beispiel einer seit Jahrtausenden blühenden Litteratur in einer fast von aller Grammatik, im gewöhnlichen Sinne des Worts, entblöfsten Sprache bietet die Chinesische dar. Es ist bekannt, dafs gerade in dem sogenannten alten Sul, in welchem die Schriften des Gonfucius und seiner Schule verfafst waren, und der noch heute der allgemein übliche für alle grofsen philosophischen und historischen Hhh2 428 Humsouor über das Entstehen Werke ist, die grammatischen Verhältnisse einzig und allein durch die Stellung, oder durch abgesonderte Wörter bezeichnet werden, und dafs es oft dem Leser überlassen bleibt, aus dem Zusammenhang zu errathen, ob er ein Wort für ein Substantivum, Adjecuivum, Verbum, oder für eine Partikel nehmen soll (1). Der Mandarinische und literarische Sul haben zwar dafür gesorgt, mehr grammatische Bestimmtheit in die Sprache zu bringen, aber auch in ihnen besitzt sie keine wahrhaft grammatischen Formen, und jene eben erwähnte Literatur, die berühmteste der Nation, ist von dieser neueren Behandlung der Sprache durchaus unabhängig. Wenn, wie Etienne Quatremere (2) scharfsinnig zu bewei- sen gesucht hat, die Coptsche Sprache die Sprache der alten Ägyptier gewesen ist, so kommt auch die hohe wissenschaftliche Bildung, auf welcher diese Nation gestanden haben soll, hier in Betrachtung. Denn auch das grammatische System der Coptischen Sprache ist, wie Silvestre de Sacy (5) sich ausdrückt, vollkommen ein synthetisches, das heifst, ein solches, in welchem die grammatischen Bezeichnungen den, Sachen be- deutenden Wörtern abgesondert vor- oder nachgeseizt werden. Silvestre de Sacy vergleicht es namentlich hierin dem Chinesischen. Wenn nun zwei der merkwürdigsten Völker die Stufe ihrer in- tellectuellen Bildung mit Sprachen zu erreichen vermochten, die ganz, oder gröfstentheils der grammatischen Formen entbehren, so scheint hier- aus eine wichtige Einwendung gegen die behauptete Nothwendigkeit die- ser Formen hervorzugehen. Es ist indefs noch auf keine Weise darge- than, dafs die Literatur dieser beiden Völker gerade diejenigen Vorzüge besafs, auf welche die Eigenschaft der Sprache, von der hier die Rede ist, vorzüglich einwirkt. Denn unläugbar zeigt sich die durch eine reiche Mannigfaltigkeit bestimmt und leicht gebildeter grammatischer Formen be- günstige Schnelligkeit und Schärfe des Denkens, am glänzendsten im dialektischen und rednerischen Vortrag, daher sie sich in der Auischen (2) Grammaire Chinoise par M. Abel-Remusat. ».55.57. (2) Recherches eritiques et historiques sur la langue et la litterature de ÜEgypte. (5) In Millin’s Magasin encyelopedique Tom. IV‘. 1808. S.255, wo zugleich eben so neue, als geistreiche Ideen über den Einflufs der hieroglyphischen und alphabetischen Schrift auf die grammatische Bildung der Sprachen entwickelt werden. » der grammatischen Formen. 429 Prosa in ihrer höchsten Kraft und Feinheit entfaltet. Von dem Chine- sischen alten Sul geben selbst diejenigen, welche sonst ein günstiges Ur- theil über die Literatur dieses Volkes fällen, zu, dafs er unbestimmt und abgerissen ist, so dafs der auf ihn folgende, dem Bedürfnifs des Lebens besser angepafste dahin trachten mufste, ihm mehr Klarheit, Bestimmt- heit und Mannigfalugkeit zu geben. Diefs beweist daher im Gegentheil für unsere Behauptung. Von der Alt- Ägyptischen Literatur ist nichts bekannt; was wir aber sonst von den Gebräuchen, der Verfassung, den Bauwerken und der Kunst dieser merkwürdigen Länder wissen, deu- tet mehr auf streng wissenschaftliche Bildung, als auf ein leichtes und freies Beschäftigen des Geistes mit Ideen hin. Hätten indefs auch diese beiden Völker gerade die Vorzüge erreicht, die man billigerweise An- stand nehmen mufs, ihnen beizulegen, so würde dadurch das oben Ent- wickelte nicht widerlegt seyn. Wo der menschliche Geist durch ein Zu- sammentreflen begünstigender Umstände mit glücklicher Anstrengung sei- ner Kräfte arbeitet, gelangt er mit jedem Werkzeuge zum Ziel, wenn auch auf mühevollerem und langsamerem Wege. Allein darum dafs er die Schwierigkeit überwindet, ist die Schwierigkeit nicht minder vor- handen. Dafs Sprachen mit keinen, oder sehr unvollkommenen gram- matischen Formen störend auf die intellectwuelle Thätigkeit einwirken, statt sie zu begünsugen, fliefst, wie ich gezeigt zu haben glaube, aus der Natur des Denkens und der Rede. In der Wirklichkeit können andere Kräfte diese Hemmungen schwächen, oder aufheben. Allein bei der wis- senschaftlichen Betrachtung mufs man, um zu reinen Folgerungen zu ge- langen, jede Einwirkung als ein abgesondertes Moment, für sich und so, als würde sie durch nichts Fremdartiges gestört, beurtheilen, und dies ist hier mit den grammatischen Formen geschehen. In wie fern auch in den Amerikanischen Sprachen eine höhere Bil- dungsstufe erreicht ward, darüber läfst sich keine reine Erfahrung zu Rathe ziehen. Die Schriften von Eingebornen in (1) Mexikanischer Sprache, die man besitzt, rühren nur von der Zeit der Eroberung her, und atlıımen daher schon fremden Einflufs. Doch ist sehr zu bedauern, (1) A. v. Humboldt's Essai politique sur le royaume de la Nouvelle Espagne. p.95. Desselben Fues des Cordilleres et monumens des peuples de U dmerique. p. 126. 450 Humsoupr über das Entstehen grammatischer Formen. dafs man keine davon in Europa kennt. Vor der Eroberung gab es kein Mittel schriftlicher Aufzeichnung in jenem Welttheil. Man könnte schon “dies als einen Beweis ansehen, dafs in demselben kein Volk mit der ent- schiedenen Stärke der Denkkraft aufgestanden seyn mufs, welche die Hin- dernisse bis zur Erfindung des Alphabets durchbricht. Allein diese Er- findung ist wohl überhaupt nur sehr wenige male geschehen, da die meisten Alphabete, durch Überlieferung, eines aus dem andern ent- standen sind. Die Sanskrit-Sprache ist unter den uns bekannten die älteste und erste, die einen wahrhaften Bau grammatischer Formen und zwar in einer solchen Vortrefllichkeit und Vollständigkeit des Organismus besitzt, dafs in dieser Rücksicht nur wenig später hinzugetreten ist. Ihr zur Seite stehen die Semitischen Sprachen; allein die höchste Vollendung des Baues hat unstreitig die Griechische erreicht. Wie nun diese verschie- denen Sprachen sich in den hier betrachteten Rücksichten gegen einan- der verhalten, und welche neue Erscheinungen durch das Entstehen unserer neueren Sprachen aus den classischen, hervorgegangen sind, bietet reichlichen Stoff zu weiteren aber feineren und schwierigerern Untersuchungen dar. —nw— Verbesserungen. Seite 76, Zeile 4. von unten im Text lies den statt der. = ee - lies die, gleich in den beiden ersten Worten der Annalen hervortretende, alte Roma. =. 87 7» - 17. lies mit Freisinnigkeit statt und Freisinnigkeit. mrrvVvannnivinnn Au ae N En ME lege RE LE EI NETR TE AN ET 1 2 14 NEE a; SE Bi: TER TEN IR ER; 27 een Me BEREITEN H BET CR | DER SE ENT Ta net Re ner er ee” BEER BRUFERLEEI TEIPRE RATE, 01 207) Sta Br A \ A ‘ x ‘ v [ N „ n wu ' N A raa Da | . L i “0 . \ NE ö j FOR H > [ Du D 5 Hi in D 2 H 2 Va 2 Med ER I ' v i i 0 ! nu . Ne; b 0 . i ur (X {in . ü j l ’ u 5 . D = [0 T . I ’ E j ; j j j I 1 mL ö h l 5 r 4 0 ü Rn 0 z = 2 In BD 7 i . . . Ö L B f 2 4 . D = . [ c ’ er v BD , r8 . ü DB s ? = ü . Br f . - rt i ’ . 3 L Tb . ‘ I a . ) + ‚si D Ai 4 i Ü . Fi 2 . N B ’ ü IK 5} ‘ . El 5 u ; . f 1: . I r [rar 2 b y ur mar HN FOR, BE iR IK ii Bun " I Sa a Bi GH ey