er ee ee er an See Bee SE un nn Remagen hehe The de Deere siehe = ET WET Ne Vene ee er gen. ts les heünk- Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. — ud Fe BI s ir ul } | Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. ana nano. n Be Aus dem Jahre in YE pi 1825, Nebst der Geschichte der Akademie in diesem Zeitraum. Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1828. In Commission bei F. Dümmler. u situ FEN 2 rc En dt mob: #u.h, Ri | * ne ee Mesa “ S . u e. A . j . u Br .. . Bj land mr LIE ak . 14 Ln.nle MT Historische Einleitung .............- ee ee Seite I Verzeichnifs der Mitglieder und Correspondenten der Akademie........errr0r.: - V Abhandlungen. Physikalische Klasse. RURsTEen. uber.das Roheisen; „+ 30.0.“ 00 0cL0 a sisteldeiete defsisin are sjarnidereaihfe ana ai Seite 1 “ Link über die natürliche Ordnung der Gräser... .....2eeseeeenesneeeenennenenne A, Ruvorenı Beschreibung einer seltenen menschlichen Zwitterbildung nebst voran- j geschickten allgemeinen Bemerkungen über Zwitter-Thiere..... - 45 Sezseck von dem in allen Metallen durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus - 7 v. Buch einige Bemerkungen über Quellen-Temperatur........erersneeeeernenn - 93 Erman über einen anomal scheinenden Erfolg beim Freiwerden der latenten Wärme, mit Beziehung auf die Thermologie des Aristoteles............. - 107 "Licntenstein über die Springmäuse oder die Arten der Gattung Dipus ......... - 133 Weıss über die Verhältnisse in den Dimensionen der Krystallsysteme, und ins- besondere des Quarzes, des Feldspathes, der Hornblende, des Aus ıtessundidessEipidotes zen er este tn e ee ehn rasen - 163 “Mirscneruich über die Ausdehnung der krystallisirten Körper durch die Wärme.. - 201 Mathematische Klasse. Eyrerweın über die Prüfung der Normal-Maafse und Gewichte für den Königlich- Preufsischen Staat und ihre Vergleichung mit den französischen Maafsen und Gewichten... seen nee ee elen eimeire Seite 1 “ Besser Neue Untersuchungen über die Geraden - Aufsteigungen der 36 Fundamen- talsterne ses sin. ale. meer sereeten.e. see ehe ee aaa. - 23 ” OLımanns über die Bildung eines Erdkatalogs ......000ressenenonennennncnenee - 37 Posercer von Konoiden-Schnitten ....... ee SE Eee eteistele ek - 97 Philosophische Klasse. Ancırron über die Extreme in der Philosophie und allen moralischen Wissen- Schaften:ae® a2 ea. sn data euere een leere areas ei en ee Seite 1 SCHLEIERMACHER über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz.... - 15 Historisch-philologische Klasse. Wirnserm v. HumsorLor über die unter dem Namen Bhägavad-Gitä bekannte Epi- sodeides Maha-Bhärata rs. aus o eredrensiasre siereinieleia ne ne sam aae ae are Seite 1 Uupen über drei antike Musiv-Gemälde im Königlich-Preufsischen Museum ..... - 65 V“Süvern: über den historischen Charakter des Drama......c..222ee202 seecsenes Ira 77} WWirserm v. Humsoror über vier Ägyptische, löwenköpfige Bildsäulen in den hie- sigen Königlichen Antikensammlungen .......2eseeeeneeneeen - 145 Iperer über die von den Alten erwähnten Bestimmungen des Erdumfanges und die von den Neuern daraus abgeleiteten Stadien .......eer...... ....- 169 “ Borr Vergleichende Zergliederung des Sanskrits und der mit ihm verwandten Sprachen (zweite Abtheil.). ces cacsesseersnnesse innen. - 191 J.a.hi.448:2:5, An 24. Januar hielt die Königliche Akademie der Wissenschaften eine öffentliche Sitzung zur Feier des Jahrstages Friedrichs des Zweiten, welche der Sekretar der philosophischen Klasse, Herr Schleiermacher, eröffnete, und in welcher Herr von Buch über die Insel Palma, Herr Schleiermacher über den Unterschied zwischen Natur- und Sittengesetz, und Herr Weifs über das Vor- kommen der Edelsteine im Riesengebirge las. Die öffentliche Sitzung am 3. Julius, dem Leibnitzischen Jahrstage, eröffnete der Sekretar der historisch-philologischen Klasse, Herr Buttmann, mit einer Mahnung an Leibnitz Ver- dienste um die Sprachforschung, worauf er die unten folgende von der philosophischen Klasse aufgegebene Preisfrage bekannt machte, und von den seit einem Jahr bei der Akademie vorgefal- lenen Veränderungen Bericht erstattete. Der ehrwürdige Veteran, Herr Bode, ist, seinem so spät erst geäufserten Wunsche zufolge, von seinen Verpflichtungen bei der Akademie und Sternwarte ent- bunden worden. Die hierdurch erledigte Stelle eines Vorstehers der Königlichen Sternwarte ist dem Astronomen Herrn Professor Encke zu Gotha ertheilt, und derselbe zugleich zum ordentlichen Mitgliede der Akademie, und zum Sekretar der mathematischen Klasse ernannt worden. Schon vorher war die bereits im Jahr 1810 getroffene Wahl des Herrn Oltmanns zum Mitgliede der- selben Klasse, welche Wahl aber durch den langjährigen Aufent- halt im Auslande ohne Erfolg geblieben war, den Statuten gemäfs II erneuert worden, und seitdem hat die Akademie auch die hiesigen Professoren Herrn Dirksen und Poselger zu Mitgliedern der ma- thematischen Klasse ernannt. Für die physikalische Klasse ist Herr Berzelius zu Stockholm als ordentliches auswärtiges Mitglied ge- wählt worden. Die historisch-philologische Klasse hat die Herren Meier in Halle, Schömann in Greifswald, Thiersch in München und Abel Remusat in Paris zu ihren Correspondenten ernannt. Nach diesen Vorträgen des vorsitzenden Sekretars begrüfs- ten die drei neu eintretenden Mitglieder, die Herren Dirksen, Oltmanns und Poselger, die Akademie mit kurzen Anreden, welche von dem ältesten Mitgliede der mathematischen Klasse, Herrn Grüson, beantwortet wurden. Zuletzt las Herr Wilhelm von Humboldt eine Abhandlung über das Bhagavad-Gita, worin er die in diesem altindischen Gedicht enthaltene philosophische Lehre des Krischna entwickelte. Preisfrage der philosophischen Klasse für das Jahr 1827. Cartesius, Leibnitz und Locke haben versucht, die T’hat- sachen des Ihierischen Instinkts und des Kunsttriebes ins- besondere in Übereinstimmung mit ihren allgemeinen Theorien zu erklären. Spälere Systeme hingegen haben diesen Gegenstand theils ganz übergangen, theils sich nur sehr im ‚Allgemeinen darauf eingelassen. Die Akademie wünscht diesen Mangel ergänzt zu sehen, und fordert daher, dafs einerseits der Versuch gemacht werde, Erklärungen jener Thatsachen zu geben, in dem Geiste der verschiedenen neuen Systeme der Philosophie ; nächstdem aber auch dargestellt werde, mit welchen Eigenthümlichkeiten der Schulen es zusammenhänge, da/s die einen diesen Gegenstand behandeln, die an- dern ihn übergehen. „‚„Es wird der Akademie nur angenehm sein, wenn die Bear- beiter der Aufgabe bei Aufstellung des Begriffs alles berücksich- 111 tigen, was die Beobachtungen der Naturforscher hierüber bisher an die Hand gegeben haben, indem auf diese Weise am sichersten der Gegenstand in seinem ganzen Umfange aufgefafst werden wird. Auch wird es ihr keinesweges zuwider sein, wenn jemand glaubt, das, was man thierischen Kunsttrieb und Instinkt nennt, nicht iso- liren zu können, und daher als Mitel zum Zweck seine Unter- suchung auf alle Erscheinungen des thierischen Lebens richtet, welche eine Analogie mit menschlichen Seelenkräften darbieten.” Die Abhandlungen müssen in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache, leserlich geschrieben, am 31. März 1827 bei dem Sekretar der Klasse eingegangen sein. Der Name des Ver- fassers ist in einem mit dem Denkspruch der Abhandlung bezeich- neten versiegelten Zettel beizufügen. Die Ertheilung des Preises von 50 Ducaten geschieht in dem- selben Jahr in der öffentlichen Sitzung am 3. Julius. Am 3. August hielt die Königliche Akademie der Wissen- schaften zur Feier des (reburtstages Seiner Majestät des Königs eine öffentliche Sitzung, welche der Sekretar der physikalischen Klasse, Herr Erman, eröffnete. Eine von dem Lieutenant Herrn von Reinhard entworfene Stammtafel des Königlich-Preufsischen Hauses ward als ein der Feier des Tages angemessenes genealo- gisches Kunstwerk ausgestellt. Hierauf las Herr Ideler über das Geburtsjahr Christi mit Bezug auf den Stern der Weisen. Herr Ritter hielt einen Vortrag über Capitän Smith’s Karte zu den vom Major Denham und Lieutenant Glapperton im Innern von Afrıka gemachten Entdeckungen. Herr Link las den Entwurf eines Pflanzen-Systems nach phytologischen Grundsätzen. Für das Unternehmen der neuen Himmelskarten, nach dem Vorschlage des auswärtigen Mitgliedes Herrn Bessel, (s. die Ein- leitung zum vorigen Bande der akademischen Schriften) ernannte die b IV Akademie im Laufe dieses Jahres eine Commission, bestehend aus dem auswärtigen Mitgliede Herrn Bessel und den ordentlichen Mitgliedern Herren Dirksen, Encke, Ideler und Oltmanns, und bestimmte eine für den angegebenen Zweck vorläufig hin- reichend scheinende Summe, welche aus den jährlichen Einkünften der Akademie sechs Jahre hindurch entnommen werden soll. Die Commission versandte an die Haupt-Sternwarten des In- und Auslandes einen von Herrn Bessel entworfenen Prospectus des Unternehmens, in welchem aufser den näheren Bestimmungen über die Art der Zeichnung und Reduction, jedem T'heilnehmer für ein Blatt von einer Stunde in der geraden Aufsteigung und 30° in der Declination, ein Preis von 25 Dukaten versprochen wurde. Der Prospectus war begleitet von einer Probekarte, welche Herr Bessel entworfen; zur gröfseren Verbreitung erlaubte Herr Pro- fessor Schumacher noch die Einrückung in seine astronomischen Nachrichten. Als vorläufiger Termin der Beendigung jedes Blattes ward das Ende von 1825 angesetzt. Das Unternehmen erfreute sich einer regen Theilnahme, so dafs die Commission schon am Ende dieses Jahres vorläufig alle Stunden vertheilen konnte. Die gröfsere Mehrzahl der Theilneh- mer erklärte sich mit den Bestimmungen der Commission zufrie- den, und die letztere sah sich selbst in die unangenehme Noth- wendigkeit versetzt, etwas später eingehende Meldungen einst- weilen noch mit der Bitte ablehnen zu müssen, etwanige Lücken in der Vertheilung, oder eine Erweiterung des Unternehmens ab- warten zu wollen. Ueber den Erfolg und die wirkliche Ausführung werden die späteren Bände weiter berichten. nn mm nn Verzeichnifs der Mitglieder und Correspondenten der Akademie. December 1825. I. Ordentliche Mitglieder. Physikalische Klasse. Herr /Yalter, Veteran. Herr Lichtenstein. - Hufeland. - Weiß. - Alexander v. Humboldt. - Link. - Hermbstädt. - Seebeck. - m. Buch. - Mlitscherlich. - Erman, Sekretar der Klasse - Karsten. - Rudolphi. Mathematische Klasse. Herr Bode, Veteran. Herr Oltmanns. - Grüson. - Erncke, Sekretar der Klasse - Eytelwein. - Dirksen. - Fischer. - Poselger. Philosophische Klasse. Herr Ancillon. Herr v. Savigny. - ‚Schleiermacher, Sekretar der Klasse. Historisch-philologische Klasse. Herr Hirt, Veteran. Herr Boeckh. - Buttmann, Sckretar der Klasse. - Bekker. - Milhelm v. Humboldt. - Süvern. - Uhden. - Wilken. - Niebuhr. - Ritter. - Ideler. - Bopp.: ba II. Auswärtige Mitglieder. Physikalische Klasse. Herr Berzelius in Stockholm. - Blumenbach in Göttingen. - Cupier in Paris. Sir Humphry Davy in London. Herr Jussieu in Paris. Scarpa in Pavia. Sömmering in Frankfurt am Main. Volta in Como. Mathematische Klasse. Herr Bessel in Königsberg. - Gaufs in Göttingen. Herr Graf la Place in Paris. Philosophische Klasse. Herr ®. Göthe in Weimar. Herr Stewart in Edinburgh. Historisch -philologische Klasse. Herr Gottfried Herrmann in Leipzig. - ‚Silvestre de Sacy in Paris. Herr 4. WW. v. Schlegel in Bonn. J. H. Vofs ın Heidelberg. Il. Ehren-Mitglieder. Herr €. F. $. Freih. Stein vom Altenstein in Berlin. - Graf Daru in Paris. - Imbert Delonnes in Paris. - Dodwell in London. - Ferguson in Edinburgh. Sir FVilliam Gell in London. Herr Villiam Hamilton in Neapel. - Graf v. Hoffmannsegg in Dresden. - Colonel Zeake in London. - Herr Lhutlier in Genf. v. Loder in Moskau. Gen. Lieut. Freih. v. Minutoli in Neufchatel. Gen. Lieut. Freih. v. Müffling in Berlin. Prevost in Genf. Fr. Stromeyer in Göttingen. Thaer in Mögelin. v. Zach in Genua. IV. Correspondenten. Für die physikalische Klasse. Herr Mohs in Freiberg. Herr Accum in Berlin. - Autenrieth in Tübingen. - Balbis in Lyon. - Biot in Parıs. - Brera in Padua. - Rob. Brown in London. - Caldani in Padua. - Chladni in Kemberg. - Configliacchi in Pavia. - Florman in Lund. - Gay-Lussac in Paris. - Hausmann in Göttingen. - Hellwig in Braunschweig. - Jameson in Edinburgh. - Kielmeyer in Stuttgard. - Kunth ın Paris. - Larrey in Paris. - Latreille in Paris von Moll in München. van Mons in Brüssel. itzsch in Halle. Oersted in Kopenhagen. Pfaff in Kiel. C. Sprengel in Halle. ‚Schrader in Göttingen. v. Stephan in Petersburg. Tenore in Neapel. Thenard in Paris. Tiedemann in Heidelberg. Tilesius in Mühlhausen. Treviranus d. ält. in Bremen. Trommsdorf in Erfurt. Vauquelin in Paris. FWahlenberg in Upsala. FViedemann in Kiel. Für die mathematische Klasse. Herr Bürg in Wien. - Legendre in Paris. - Olbers in Bremen. - Oriani in Mailand. Herr Piazzi in Palermo. Poisson ın Paris. de Prony in Paris. FWoltmann in Hamburg. Für die philosophische Klasse. Herr Bouterweck in Göttingen. - Degerando in Paris. - Delbrück in Bonn, Herr Fries ın Jena. Ridolfi in Padua. vn v1 Für die historisch - philologische Klasse. Herr Avellino in Neapel. Beigel in Dresden. Böttiger ın Dresden. Bröndsted in Kopenhagen. Cattaneo in Mailand. Graf Clarac in Paris. Dobrowski in Prag. Del Furia in Florenz. Anthimos-Gazis ın Griechenland. Göschen in Göttingen. Halma in Paris. v. Hammer in Wien. Hase ın Paris. Heeren in Göttingen. van Heusde in Utrecht. Jacobs ın Gotha. Jomard in Paris. vw. Köhler in Petersburg. Herr Kumas in Smyrna. - Lamberti in Mailand. - Lang in Anspach. - Letronne in Paris. - Linde in Warschau. - Mai in kom. - Meier in Halle. - K.O. Müller in Göttingen. - Münter in Kopenhagen. - Mustoxides in Corfu. - Et. Quatremere in Paris. - Abel-Remusat in Parıs. - ‚Schömann in Greifswald. - Simonde-Sismondi in Genf. - Thiersch in München. - Thorlacius in Kopenhagen. - Vater in Halle. wammnnmmanmanaVdvVvn Im Jahre 1825 hat die Akademie folgende Mitglieder durch den Tod verloren: I. Von den auswärtigen Mitgliedern. a) der mathematischen Klasse. Herr von Fu/s in Petersburg. Herr J. F. Pfaff in Halle. N. Von den Ehren-Mitgliedern. Herr Marchese G. Zuccesiniin Lucca. Herr Baron J. F. Perey in Paris. Il. Von den Correspondenten. a) der physikalischen Klasse. Herr R. Des- Fontaines in Paris. Herr Schreger d. ält. in Erlangen. - Desgenettes in Paris. - Masalli- Eandi in Turin. - Kausch in Liegnitz. 6) der philosophischen Klasse. Herr Z’ydemarn in Leyden. e) der historisch-philologischen Klasse. Herr Barbie du Bocage in Paris. ———— mn = er N s ‚Aal y De A a E nchem- Ars we ulranlot nl äh AN ENENUAUREPE u Ei EMMEN er meraberrchbuf oh dl vb, iy “ „ ne, “ arabsiigiiift ng Nina at A 0 - „eh rauldetiinahr Be a rundet ain le we * Be ar u u ta ara li > BIT ab ol, „Az 5 al ge u £ a r fl Rt Er Ar ea rt ht ee reolt j I \ 5 ö lage a „and Ai at — 2 netz Twain IE beoslal audit eg al Alk re rt „et I mr. ot a RN al ee BNERLSerENN - sogshk st Araieh wo. ‚see a ln a a 5 I oa ae ak eanldl elonigolutnla-ilnarsogeid uhr en u ‚Ari ai ss BERN nal =, B: A = i k Abhandlungen der physikalischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. ana annnneneoneeen Aus dem Jahre 1823. nannte Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. 1828. Is Commission bei F. Dümniler Pe | | | | rund asdyzilsdierıdg . „adsitpinsn = u r wollen tb ah ‚ll ın DE oo . u . i wu mad on 5 u SER . u w— en nn Is bale wann KARsten uber das’Roheisen s.. 0... au. susanne EUER Link über die natürliche Ordnung der Gräser........-seeeeeeneneeeeennnen Re Ruvorpnı Beschreibung einer seltenen menschlichen Zwitterbildung nebst voran- geschickten allgemeinen Bemerkungen über Zwitter-Thiere...... Sesseck von dem in allen Metallen durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus v. Buc# einige Bemerkungen über Quellen-Temperatur.......2sereeenenenene Ermax über einen anomal scheinenden Erfolg beim Freiwerden der latenten Wärme, mit Beziehung auf die Thermologie des Aristoteles. ...........- Licutexstein über die Springmäuse oder die Arten der Gattung Dipus .........- Weıss über die Verhältnisse in den Dimensionen der Krystallsysteme, und ins- besondere des Quarzes, des Feldspathes, der Hornblende, des Augites und des Epidotes ...... BE EEE EEE Mırsc#ereicu über die Ausdehnung der krystallisirten Körper durch die Wärme... —— m mu 93 133 163 201 . . E ne 5 | u u 5 " . . ; . . . R : 4 ei = j “ ” | . i j u . B z. i u . . u PIE a air wet nat ala Fr Über das Roheisen. „Von v HI=RARSTEN:. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 17. März 1825.] No ist der Unterschied der Temperatur nicht bestimmt, welche erfor- dert wird, um ein Metall zu schmelzen und dasselbe aus seinen Oxyden ver- mittelst der Kohle, zu reduciren. Fs findet aber in diesem Verhalten eine sehr grofse Verschiedenheit bei den Metallen statt, indem einige eine ungleich geringere Temperatur zum Schmelzen, als ihre Oxyde zur Reduction erfor- dern; bei anderen der Schmelzpunkt des Metalles und die zur Reduction seines Oxyds nöthige Temperatur sehr nahe zusammen fallen, und bei noch anderen die Schmelzung sehr viel später eintritt, als die Reduction seines Oxyds. Zu dieser letzten Classe von Metallen gehört das Eisen, dessen Schmelzpunkt von derjenigen Temperatur, in welcher die Reduction seiner Oxyde erfolgt, sehr bedeutend entfernt ist. Der Prozefs der Reduction ist von merkwürdigen Erscheinungen be- ‚gleitet. Metalle, die mehrerer Oxydationsstufen fähig sind, stellen sich, wenn das Peroxyd redueirt werden soll, in der Regel zuerst auf die nächst niedrige Oxydationsstufe, ehe sie in den metallischen Zustand übergehen. Das Per- oxyd des Eisens wird zuerst in ein magnetisches Oxydul-Oxyd, vielleicht in dasjenige wie es in der Natur in den Magneteisensteinen vorkommt, umgeän- dert, überspringt aber den Zustand des Oxyduls und tritt sogleich aus dem des Oxydul-Oxyds in den metallischen. Der Grund dieses Verhaltens liegt darin, dafs das Oxydul für sich, und ohne Verbindung mit anderen Körpern, nicht bestehen kann. Deshalb bleibt auch, wenn aus dem natürlichen koh- Phys. Klasse 1825. A 2 KARsTeEn lensauren Eisenoxydul, — dem Spatheisenstein, — die Kohlensäure durch Glühhitze ausgetrieben wird, nicht das Oxydul, sondern ein Oxydul-Oxyd zurück, indem jenes, um sich in dieses umzuändern, eine angemessene Menge Kohlensäure in Kohlenoxydgas zerlegt. Merkwürdiger ist aber die Erscheinung, dafs sich die auf der Ober- fläche eingeleitete Reduction, ohne unmittelbare Berührung mit Kohle, bis zum Mittelpunkt fortpflanzt. Eine Masse von Eisenoxyd wird in einem Koh- lentiegel vollständig reducirt, ohne geschmolzen zu seyn und ohne dafs das Innere dieser Masse mit Kohle in Berührung kommt. Ein Stück Eisenerz wird im Schmelzofen, ungleich früher als die Schmelzung eintritt, vollständig in regulinisches Eisen umgeändert, ohne einmal seine äufsere Gestalt zu ver- ändern. Die Wirkung der Kohle, dieses höchst feuerbeständigen und äufserst strengflüssigen Körpers, erstreckt sich also auf, eine unbegreifliche Weise bis zum Mittelpunkt der oxydirten Masse, gerade so, wie bei der Reduction ei- nes mit Säure verbundenen Metalloxyds auf dem nassen Wege, das reducirte Metall selbst, die Reduction vollendet, wenn es vermittelst eines Leiters mit dem niederschlagenden Metall in Verbindung steht. Hier ist das Wasser und dort die Wärme der Leiter, das verbindende Glied, welches eine unmittel- bare Berührung des zu reducirenden Körpers mit dem Reductionsmittel un- nöthig macht. Die Reduction der Eisenoxyde durch Kohle erhält dadurch ein neues Interesse, dafs sich das Metall, im Augenblick der Reduction, mit der Kohle selbst verbindet, eine Verbindung die bekanntlich auch dann eintritt, wenn das Metall in der Weifsglühhitze zwischen Kohlen geglühet wird. Wie ver- schieden die Eigenschaften sind, welche die Kohle, nach ihrer verschiedenen Menge und nach ihrem Verbindungszustande, dem Eisen mittheili, habe ich früher zu zeigen versucht; es kommt nun darauf an, näher nachzuweisen, wie diese Verbindungen bei der Reduction und beim Schmelzen der Eisenoxyde gebildet werden. Die Reduction des reinen Eisenoxyds in Kohlentiegel, wird schon in einer anhaltenden starken Rothglühhitze vollständig bewerkstelligt; das re- ducirte Metall behält aber die äufsere Gestalt und den Umfang, die es im oxydirten Zustande besafs und erst durch eine bedeutende Erhöhung der Temperatur treten die Theilchen näher zusammen und vereinigen sich zuletzt zu einem Regulus, der bald die Eigenschaften des Gufsstahls, bald die des über das Roheisen. 2 weifsen oder des grauen Roheisens besitzt. Die Bedingungen unter denen das Produkt der Schmelzung, bald diese bald jene Eigenschaft erhält, sind noch nicht mit der nöthigen Vollständigkeit ausgemittelt; im Allgemeinen liefert aber schnelle und starke Hitze ein mit dem weichen Stahl, und lange anhaltende und zuletzt bis zur Schmelzung erhöhete Temperatur, ein mit dem grauen Roheisen übereinstimmendes Produkt. Anders wird der Erfolg seyn, wenn die Reduction nicht in einem ver- schlossenen Gefäfs, sondern vor dem Gebläse vorgenommen wird. Der Luft- strom welcher dem Feuer durch das Verbrennen der Kohlen Nahrung giebt, trifft nothwendig auch das schon reducirte Eisen, wodurch eine neue Einwir- kung des sich bildenden Eisenoxyds auf das reducirte kohlehaltige Eisen ver- anlafst wird. Die deutsche, französische und italienische Luppenfrischerei bewirken die Darstellung des Stabeisens aus den Eisenerzen zwar auf eine etwas verschiedene Weise; allein sie stimmen alle darin überein, dafs das Oxyd zuerst in einer geringeren Temperatur und gegen den Windstrom des Gebläses geschützt, reducirt, dafs das reducirte Metall alsdann vor dem Winde geschmolzen und dafs durch das sich bildende oxydirte Eisen, der gröfste Theil der Kohle aus dem reducirten Eisen entfernt wird. Es gehört also zu dem Wesen dieser Arbeitsmethoden, einen Theil des schon zur Metallität ge- langten aber noch nicht geschmolzenen Eisens wieder zu oxydiren, um dem anderen Theil die bei der Reduction aufgenommene Kohle zu entziehen und dadurch in ein mehr oder weniger stahlartiges Stabeisen umzuändern. Bei diesen Schmelzprozessen sind folglich die Reduction des Oxyds, und die Schmelzung und gleichzeitige Entkohlung des reducirten Metalles, zwei ganz von einander getrennte Operationen, welche zwar in demselben Schmelz- raum, aber in verschiedenen Zeitperioden vorgenommen werden. Was bei der Luppenfrischerei in den Schmelzheerden geschieht, er- folgt genau auf dieselbe Weise in den Stücköfen. Die Temperatur wird nicht höher als bis zur Reduction des Oxyds gesteigert und das reducirte aber noch nicht geschmolzene Metall dem Windstrom des Gebläses ausgesetzt. Gewäh- ren die Rennarbeit und die Stückofenwirthschaft auf der einen Seite den Vortheil, dafs durch sie das Eisen aus dem Oxyd sogleich im Zustande des Stabeisens dargestellt wird; so veranlassen sie doch andererseits den grofsen Nachtheil des geringen Ausbringens an Eisen, weil die Bildung des stab- eisenartigen Produkts, durch die gleichzeitige Oxydation und Verschlackung A2 4 KARrsSTEn eines anderen Theils des Eisengehalts des Oxyds, bedingt wird. Stückofen- schlacke von Suhl fand ich zusammengesetzt in 100 Theilen aus: Kiselerde Seesccctausas. 201 Thonerde ‚uenssunusns 4,3 Kaälkerdesecrssassnesn 250 Bitlererdesucunasenenms 942 Busenoxydul .cescaesseı DL; 1 Manganoxydul......... 2,9 aly ass casseerrness na DPUT 00,8 und mit dieser Zusammensetzung stimmen alle Schlacken von den Stücköfen und von den Rennheerden im Wesentlichen überein, so dafs sie als ein reiches Eisenerz betrachtet werden können. Wird die Temperatur in dem Stückofen, durch Verminderung des Verhältnisses des zu reducirenden Oxyds zu den Kohlen, erhöhet; so erfolgt die Reduction in einer gröfseren Höhe über dem eigentlichen Schmelzpunkt, oder über der Form. Das reducirte und gleichzeitig mit noch mehr Kohle in Verbindung getretene Metall bleibt dem Windstrom weniger lange ausge- setzt, weshalb die chemische Einwirkung des durch die Wirkung der Ge- bläseluft wieder gebildeten oxydirten Eisens, auf das mit einer gröfseren Quantität Kohle verbundene Metall, nur unvollkommen erfolgen kann. Der Erfolg wird daher eine weniger eisenreiche Schlacke, so wie ein mehr Kohle haltendes Eisen seyn müssen. Ein solcher Erfolg tritt auch wirklich ein und wird in manchen Gegenden absichtlich herbeigeführt. So erzeugt man z.B. zu Vordernberg in Steyermark, in denselben Öfen welche früher als Stück- öfen dienten, die so genannten luckigen Flossen, nämlich ein Roheisen, welches wenig Kohle enthält und sich dem Zustande des Stückofeneisens ziemlich nähert, nur dafs es durch den Gehalt an Kohle noch den Grad der Flüssigkeit behalten hat, dafs es im flüssigen Zustande aus dem Schmelzraum abgelassen werden kann und nicht, wie das Stückofeneisen, aus dem Heerde ausgebrochen werden mufs. So wird im Hennebergischen in denselben Öfen, welche noch jetzt als Stücköfen gebraucht werden, durch noch gröfsere Ver- minderung des Erzsatzes wie zu Vordernberg, ein noch etwas kohlereicheres Roheisen, gewöhnlich im Zustande der blumigen Flossen, dargestellt. über das Roheisen. 5 Die Temperaturunterschiede sind es also, welche den Zustand be- stimmen, in welchem das Eisen ausgebracht wird, sei es als ein kohlereicher Stahl (Stückeisen), oder als ein kohlearmes weilses Roheisen (Weichflofs, luckiges Flofs, blumiges Flofs). Aber in beiden Fällen fand die Reduction des Oxyds gleich vollkommen statt; wenigstens wird der Erfolg des Schmelz- prozesses — in so fern derselbe nicht mit ganz reinen Eisenoxyden im Koh- lentiegel, sondern mit den reinsten Eisenerzen in Luppenheerden oder in Öfen vorgenommen wird — nicht durch die mehr oder weniger vollkom- mene Reduction, sondern ganz allein durch den Grad der chemischen Ein- wirkung des wirklich schon redueirten und durch die Gebläseluft wieder oxydirten Eisens, auf das in der Schmelzung begriffene mehr oder weniger kohlehaltige Eisen herbeigeführt. Würde die Temperatur bis zu dem Grade vermindert, dafs selbst die Reduction des Oxyds nicht vollständig erfolgen könnte, so mufs das Ausbringen aus leicht begreiflichen Gründen noch ge- ringer ausfallen, und bei einer sehr niedrigen Temperatur wird gar keine Reduction mehr erfolgen, sondern die ganze Schmelzmasse verschlackt wer- den müssen, wie dies wirklich dann geschieht, wenn das Verhältnifs des Erzes zu den Kohlen aus Unvorsichtigkeit zu schr erhöhet worden ist. Je mehr die Temperatur im Schachte des Ofens zunimmt, desto früher erfolgt die Reduction des Oxydes und desto mehr Kohle wird mit dem redu- cirten Eisen in Verbindung treten, ehe die Erzsätze den eigentlichen Schmelz- punkt vor der Form erreicht haben. Der gröfsere Kohlegehalt bewirkt aber zugleich eine gröfsere Schmelzarbeit des Eisens und das kohlehaltigere Eisen wird daher auch der Einwirkung des Windstroms schneller als das Eisen mit geringerem Kohlegehalt entzogen, d.h. es wird in geringerer Menge oxydirt werden und die Einwirkung des sich bildenden Oxyds auf das Kobhleeisen wird in demselben Verhältnifs abnehmen. Den ganzen Kohlegehalt wird das reducirte Eisen aber nur dann behalten können, wenn es schon über der Form im tropfbar flüssigen Zustande vorhanden ist und sich in diesem Zu- stande, beim Niedertropfen vor der Form, der Wirkung des Luftstroms schnell entzieht. Wie schnell aber auch dies Niedertropfen erfolgen mag, so wird die Oxydation doch niemals vollkommen verhindert werden können und daher dürfte man schwerlich dahin gelangen, das neutrale Roheisen, nämlich das Roheisen mit den Spiegelflächen, welches das Maximum von Kohle aufgenommen hat, durch die Reduction von ganz reinen Eisenoxyden 6 KARsTEn im Schachtofen zu erhalten. Noch weniger wird es aber gelingen, das Eisen im Zustande des grauen Roheisens, aus den ganz reinen Oxyden im Schacht- ofen auszubringen, aus Gründen welche bald einleuchten werden. Die reinsten Eisenerze — der Magneteisenstein, der Spatheisenstein, der Roth- und Brauneisenstein — enthalten fremde Beimischungen, vorzüg- lich Kieselerde, Kalkerde, Bittererde, Manganoxyd und Titanoxyd, können also nicht als völlig reine Eisenoxyde betrachtet werden. Aufserdem würde es fast unmöglich seyn, sie von aller Gangart gänzlich zu befreien; auch werden durch die Asche der verbrennenden Kohlen und durch den Sand, welcher allen Kohlen unvermeidlich mechanisch anhängt, fremdartige Sub- stanzen in die zum Schmelzen bestimmte Masse gebracht. Alle diese Oxyde reduciren sich aber später als die Oxyde des Eisens, und sie alle, vielleicht nur mit Ausnahme des Manganoxyds, gelangen in der Schmelzhitze des Roh- eisens noch nicht in den metallischen Zustand. Sie scheiden sich daher beim Schmelzen des reducirten kohlehaltigen Eisens als oxydirte Gemische, im verglafsten oder verschlackten Zustande, ab, und schützen das Metall beim Niedergehen vor der Form vor dem Windstrom, tragen also in so fern zu einem reicheren Eisenausbringen aus den Erzen bei. Dies ist der Grund weshalb ganz reine Eisenoxyde, auch bei einer Temperatur, welche die reine Ausscheidung des Eisens am mehrsten begünstigt, nicht ohne Eisenverlust in den Öfen verschmolzen werden können. Durch die Schlackendecke wird es ferner nur möglich, das Eisen aus den reinen Eisenerzen im Zustande des Spiegeleisens, oder in der mit Kohle gesättigten Verbindung, darzustellen. Ist es also die Absicht, ein solches Roheisen aus den reichen und reinen Eisenerzen zu erhalten, so kann dieselbe nur durch Zusatz von Schlacke, oder von anderen leicht verschlackbaren Substanzen erreicht werden, um dem Metall einen Schutz gegen den Windstrom zu gewähren und dadurch die sonst theilweise erfolgende Oxydation des schon reducirten und geschmol- zenen Roheisens, und die Einwirkung des sich bildenden Oxyds auf das Koh- leeisen, zu verhindern. Der Zweck würde aber auch ohne das Sinken der Temperatur im Ofen unerreicht bleiben, wenn der Zuschlag so gewählt wird, dafs die sich bildende Schlacke, in der Temperatur, in welcher das Roheisen mit Spiegel- flächen schmelzt, noch nicht in dünnen Flufs kommt, sondern eine teigartige Konsistenz erhält. Das weilse Roheisen ändert sich nun mehr oder weniger über das Roheisen. 7 in graues um; ein Erfolg, welcher selbst dann bei einer Beschickung welche reines Spiegeleisen giebt, fast immer eintritt, wenn sich die Hitze im Ofen durch leichtere Erzsätze erhöhet, und wenn mit dieser Temperaturzunahme zugleich eine Abnahme der Schmelzbarkeit der Schlacke, oder eine Vermin- derung des Zustandes der Flüssigkeit derselben, verbunden ist. Das reducirte, mit dem ganzen Gehalt von Kohle den es aufzunehmen fähig war, verbun- dene und bereits geschmolzene Eisen, wird durch die steife Schlacke län- ger in koncentriter Hitze erhalten und es entsteht nun eine wechselseitige chemische Einwirkung der Schlacke und des Kohleeisens, welche bei einer dünnflüssigen Schlacke nicht statt finden konnte, indem sich das geschmol- zene Kohleneisen, vermöge seines gröfseren specifischen Gewichtes, in der {e) gen Schlacke schnell niedersenkte. In beiden Fällen ist die Schlacke gaar, d.h. fast ganz frei von Eisenoxydul, oder es viel leichteren tropfbar flüssi war kein schon reducirtes Eisen wieder oxydirt worden, weil die Schmel- zung des Kohleneisens schon über dem Windstrom statt gefunden hatte, und weil das geschmolzene Eisen durch die Schlacke vor der Oxydation geschützt worden war. Aber in Rücksicht der Schmelzbarkeit sind beide Schlacken sehr verschieden; die Schlacke vom Spiegeleisen ist fast tropfbar flüssig, die vom grauen Roheisen wälzt sich wie eine breiartige Masse über den Vor- heerd des Ofens, oder ist wohl gar so steif, dafs sie von Zeit zu Zeit mit Werkzeugen aus dem Heerd genommen werden mufs. Sind die Zuschläge bei den reinen Eisenerzen strengflüssig gewählt und ist die Temperatur des Ofens, durch das Verhältnifs der Schmelzmasse zu den Kohlen, oder durch andere zufällige Umstände, so sehr gesunken, dafs das reducirte Eisen erst vor der Form zum Schmelzen gelangt, so müs- sen die früher erwähnten Erscheinungen, welche mit der Bildung des weilsen, weniger kohlehaltigen Roheisens verbunden sind, in einem noch höheren Grade eintreten, weil die Schmelzmasse noch länger vor der Form zurück gehalten und daher eine gröfsere Menge Kohleneisen oxydirt wird. Die Schlacke erhält nun eine dunkelbraune und zuletzt eine ganz schwarze Farbe, die das Eisenoxydul ihr mittheilt, und erlangt einen fast noch höhe- ren Grad von Flüssigkeit als die Schlacke, welche mit der Spiegeleisenbil- dung in Verbindung steht. Aber diese Flüssigkeit ist nicht mehr die Folge der hohen Temperatur des Ofens, sondern der durch das leichiflüssige Eisen- oxydul-Silicat bewirkten leichteren Schmelzbarkeit. s KArsTen Am häufigsten tritt der Fall ein, Eisenerze verschmelzen zu müssen, welche nicht reine Oxyde sind, sondern bei denen das oxydirte Eisen mit Erdarten auf mannigfaltige Weise, theils chemisch, theils mechanisch ver- einigt ist. Diese Erze erfordern in der Regel ebenfalls Zuschläge, aber nicht um eine Schlackendecke für das auszubringende Eisen zu erhalten, sondern um die Verschlackung der mit dem oxydirten Eisen verbundenen Erden zu befördern. Die Art und Menge der Zuschläge ist von der Beschaffenheit der Erden in den Eisenerzen, so wie von dem Zustande abhängig, in welchem sich das oxydirte Eisen mit den Erden verbunden befindet. Je leichtflüssiger die Beschickung eingerichtet wird, desto mehr wird, bei gleich bleibenden Verhältnissen der Erzsätze zu den Kohlen, die Temperatur im Ofen sich er- höhen, desto vortheilhafter wird also die Schmelzung erfolgen; vorausge- setzt, dafs der Zustand der Verbindung des oxydirten Eisens mit den Erden im Erz, nicht von der Art ist, dafs umgekehrt die Leichtflüssigkeit des Erzes vermindert und dadurch die zu leichte Verschlackung, wegen der sonst un- vollständig erfolgenden Reduction, verhütet werden müfs. Temperatur des Ofens und Konsistenz der Schlacken, bestimmen auch bei den armen Eisen- erzen die Beschaffenheit des auszubringenden Roheisens; allein das mit Kohle gesättigte Roheisen mit Spiegelflächen, läfst sich bei armen Erzen nicht an- haltend und ununterbrochen darstellen, weil es bei der grofsen Schlacken- masse sehr schwierig wird, stets eine dünnflüssige gaare Schlacke zu erhal- ten, indem der geringste Umstand eine Erhöhung oder eine Verminderung der Temperatur des Ofens zur Folge hat, wodurch eine steife gaare, oder eine flüssige ungaare Schlacke, also graues, oder weifses Roheisen mit ver- mindertem Kohlegehalt, erzeugt wird. Um den Einflufs der Temperatur auf die Beschaffenheit der Schmelz- produkte bei dem Hohenofenprozefs bestimmt nachweisen zu können, ward die Hammhütte im Sayn - Altenkirchenschen gewählt, welche wegen ihrer einfachen Betriebsverhältnisse und wegen der reinen und reichen Eisenerze, die sie ohne Zuschläge verarbeitet, am mehrsten zu solchen Versuchen ge- eignet schien. Es werden auf diesem Hüttenwerk Spatheisenstein von der Grube Hohegrethe, und Brauneisenstein von der Grube Huth verschmolzen. Diese Erze kommen auf Gängen vor, welche in Grauwacke aufsetzen. Die Gangart ist Quarz. über das Roheisen. 0) Der Hohegrether Spatheisenstein enthält in 100 Theilen: 50,410 Eisenoxydul 7,515 Manganoxydul 2,350 Bittererde 38,635 Kohlesäure 0,320 Bergart 0,770 Wasser und Verlust. 100 Der Huther Brauneisenstein besteht in 100 Theilen aus: 86, 125 Eisenoxyd 0,750 Manganoxyd 1,700 Kieselerde 11,425 Wasser 100 Die Kieselerde gehört wesentlich zur Zusammensetzung des Erzes, weil es mit Säuren gelatinirt. Das Erz ist ein Eisenoxydhydrat. Diese Erze werden zwar ohne Zuschläge verschmolzen, allein die Gangausfüllungen, welche aus Quarz und aus Thon bestehen, können nicht vollkommen abgesondert werden und gewähren in diesem Fall sogar den Vortheil, dafs sie beim Verschmelzen der Erze eine Schlackenmasse zur Decke für das auszubringende Eisen bilden. Bei den hier anzuführenden, speziell durch den Hüttenbeamten Herrn Stengel geleiteten Versuchen, bestand die Beschickung aus 14 Theilen Hohe- grether Spatheisenstein und aus 9 Theilen Huther Brauneisenstein. Der Koh- lesatz im Ofen blieb stets derselbe, nämlich 9,38 rheinl. Kubf. für jeden Satz, oder für jede Gicht; aber das Verhältnifs der eben erwähnten Erzbe- schickung zu den Kohlen, oder der Erzsatz, ward erhöhet oder vermin- dert, je nachdem die Temperatur des Ofens vermindert oder erhöhet wer- den sollte, um Roheisen mit Spiegelflächen, oder weifses Roheisen mit ver- mindertem Kohlegehalt, oder graues Roheisen zu erzeugen. Wenn auf die angegebene Quantität Kohlen dem Volum nach 5 Theile (gerade ein Berliner Scheffel) Beschickung gesetzt wurden, so erfolgte das neutrale weifse Roheisen mit Spiegelflächen; — bei 8 Theilen Beschickung ward ein dem luckigen Vordernberger Roheisen sehr nahe stehendes weifses Roheisen mit vermindertem Kohlegehalt, und bei 2 Theilen Beschickung ein ziemlich graues Roheisen erhalten. Phys. Klasse 1825. B 10 KARSTEN Die Analyse der erhaltenen Roheisenarten und der dazu gehörenden Schlacken ist mehreremale angestellt worden. Die hier folgenden Zahlen sind die mittleren Durchschnitte der gefundenen, unter sich sehr wenig ab- weichenden Resultate. 100 Theile dieser verschiedenen Eisenarten enthielten: Graues Spiegel- | Luckiges Roheisen. eisen. Eisen. Mansansee ch 7,421 4,1496 1,79 Silctum een 1,3125 0,5565 0,001 Kohlemetall ». ...:..: 2,375 0 0 Gebundene Kohle... .. 2,08 5,14 2,91 Schwefel. 2... cu... 0,001 0,002 0,01 Ehosphorn „ee seen 0,08 0,08 0,08 ’Maeniume 02... 00. Spur Spur 0 Die Schlacken bestanden aus: vom vom vom grauen Spiegel- | luckigen Roheisen. eisen. Eisen. Kieselerde........... 49,57 48,39 37,80 Thonerde.i... 0% 9,00 6,66 2,10 Eisenoxydulis,. or eek. 0,04 0,06 21,50 Bittererde. ..........» 45,45 10,22 8,60 Manganoxydul ....... 25,84 33,96 29,20 Schwefel ans tee. 0,08 0,08 0,02 99,68 99,37 99,22 Ob der bei den Schlackenanalysen erhaltene Verlust vielleicht von einem Alkaligehalt herrühre, ist nicht weiter untersucht worden, weil diese mühsame analytische Untersuchung für den vorliegenden Fall gar kein be- sonderes Interesse gehabt haben würde. Es geht aber aus diesen Analysen hervor: 1) Dafs nur das graue Roheisen ungebundene Kohle enthält. 2) Dafs der Kohlegehalt im Spiegeleisen am gröfsten ist. 3) Dafs der ganze Eisengehalt des Erzes, bei der Erzeugung von grauem Roheisen und von Spiegeleisen, vollkommen ausgebracht wird, woge- über das Roheisen. AA gen bei der Gewinnung des luckigen Eisens ein bedeutender Theil des reducirten Eisens wieder verschlackt wird. 4) Dafs das luckige Eisen die wenigsten fremdartigen Beimischungen enthält. 5) Dafs das graue Roheisen am mehrsten mit Mangan und Silicium über- laden ist und dafs die gröfsere Strengflüssigkeit der Schlacke bei die- sem Roheisen dadurch bewirkt wird, dafs ein Theil des Manganoxyd- gehalts der Schlacke, durch die Kohle des ausgebrachten Eisens redu- cirt, der Schlacke also entzogen wird. 6) Dafs das luckige Eisen zehnmal mehr Schwefel enthält als das graue, wogegen die Schlacke vom grauen Roheisen und vom Spiegelflofs wenigstens viermal mehr Schwefel als die vom luckigen Flofs aufge- nommen hat. Die Erscheinungen bei den Analysen von anderen, an Schwefel noch reicheren gaaren Hohenofenschlacken, haben mich be- lehrt, dafs der Schwefel in der Schlacke nicht am Eisen, sondern am Me- tall der Kalkerde gebunden ist. Diese Schlacken enthalten aber nicht eine Spur von Kalkerde, so dafs der Schwefel wahrscheinlich mit dem Mangan, oder auch mit dem Metall der Bittererde verbunden seyn mag. 7) Dafs blofs der Unterschied der Temperatur des Ofens, welcher in die- sem Fall absichtlich, durch das veränderte Verhältnifs einer und dersel- ben Beschickung zum Kohlesatz herbeigeführt ward, die grofse Ver- schiedenheit in der Zusammensetzung des Roheisens und der Schlacke bewirkte. Eine solche Verschiedenheit der Temperatur wird aber fast bestän- dig, unabsichtlich und unvermeidlich statt finden, je nachdem sich die Wir- kung des Gebläses verändert, die Kohlen mehr oder weniger feucht sind, die Erze stärker oder schwächer geröstet werden, mehr oder weniger Bergart enthalten, die Kohlen- und Erzsätze mit mehr oder weniger Genauigkeit ge- geben werden und was dergleichen zufällige Umstände mehr seyn mögen; so dafs sich wohl behaupten läfst, dafs kein Erzsatz genau in derselben Tempe- ratur reducirt und geschmolzen wird, wie der andere. Aufserdem ist bei einer aus verschiedenartigen Eisenerzen zusammengesetzten Beschickung auch zu berücksichtigen, dafs die zur Reduction und zur Schmelzung erforder- lichen Temperaturen verschieden sind, so dafs häufig Fälle eintreten kön- nen, wo graues und weilses Roheisen gleichzeitig entstehen. Eisenerze, in B2 12 KARrsTen welchen das Oxyd sich als ein Silikat befindet, gelangen schwer zur Re- duetion, und die dazu erforderliche Temperatur ist zuweilen (Eisenfrisch- schlacken) von derjenigen, in welcher das Erz flüssig wird, nicht sehr ver- schieden. Aus solchen Erzen läfst sich nur dann graues Roheisen darstellen, wenn sie Zuschläge erhalten, welche, indem sie die Kieselerde sättigen, zu- gleich die Schmelzbarkeit der Masse vermindern. Auch erfordern alle die- jenigen Eisenerze, welche das oxydirte Eisen im Silikatzustande enthalten, ein schwächeres Gebläse, um die Schmelzbarkeit der Masse zu vermindern und die Zeitpunkte der eintretenden Schmelzung und der Reduction einan- der näher zu bringen. Eben so ist oft ein unbedeutender Zusatz von Quarz oder von Sand, zu einer Beschickung aus welcher Spiegeleisen erzeugt wird, schon hinreichend, um durch Bildung einer strengflüssigeren Schlacke, graues Roheisen zu erhalten. Manches weifse Roheisen steht, in Rücksicht des Kohle- gehalts, dem Spiegeleisen so nahe, dafs man, um dieses zu erhalten, nichts weiter nöthig hat, als das Gebläse zu schwächen, theils um den Gichten- zug zu vermindern und dadurch die Aufnahme einer gröfseren Menge Kohle, welche sich mit dem Eisen verbindet, zu befördern; theils vielleicht auch, um das Kohleeisen dem starken Windstrom weniger auszusetzen. Die Schlacke von diesem Eisen unterscheidet sich von der des Spiegeleisens nur dadurch, dafs sie beim Erkalten auf der Oberfläche eine braune Haut ab- setzt, welche durch das schon geschmolzene und durch den Luftstrom wie- der oxydirte Kohleeisen gebildet wird. Ist die Schwächung des Gebläses nicht zureichend, so mufs die Temperatur durch Verminderung des Erzsatzes so weit erhöhet werden, dafs zuerst Spiegelflofs mit grauem Roheisen (mit grauer Nath) entsteht, worauf der Erzsatz vorsichtig so lange nach und nach verstärkt wird, bis die Bildung des grauen Roheisens aufhört und nur reines Spiegeleisen fällt. Im speeifischen Gewicht, in der Festigkeit, Härte und im Verhalten zur Wärme, zeigen sich diese Roheisenarten sehr verschieden. Das Spiegeleisen differirt im specifischen Gewicht von 7,214 bis 7,889, erreicht also fast das Gewicht des reinsten ausgeschmiedeten Gufsstahls, welches nach Pearson 7,916 betragen soll. Mit einer aufserordentlichen Härte verbindet dies Eisen eine grofse Sprödigkeit und eine sehr geringe Festigkeit. Es ist von allen Eisenarten das leichflüssigste und erstarrt daher am langsamısten. über das Roheisen. 113 Das weifse Roheisen vom übersetzten Gange ist, wie schon die Ent- stehung desselben beweifst, eine schr unbestimmte Verbindung des Eisens mit Kohle. Es ist specifisch leichter, in Gränzen zwischen 7, 100 bis 7,700, weniger hart und weniger spröde wie das vorhergehende, auch strengflüssi- ger und erstarrt daher auch schneller. Das graue Roheisen besitzt das geringste specifische Gewicht, in Grän- zen zwischen 6,400 bis 7,000. Es ist am wenigsten hart und besitzt die gröfste Festigkeit. Unter den Roheisenarten ist es am strengflüssigsten und erstarrt daher am schnellsten. Beim Verschmelzen von Eisenerzen einerlei Art, die zufällig ungleich stark geröstet sind, sich in einem ungleichen Feuchtigkeitszustande befinden, oder bei deren Verarbeitung die Beschaffenheit der Kohlen von einer Gicht zur andern etwas abweicht, auch wohl die Erzsätze zufällig etwas ungleich ausfallen u. s. f. entsteht, bei einem gaaren Gange, häufig graues Roheisen neben dem Spiegeleisen. Beide Eisenarten vermischen sich nicht im Gestell des Ofens, sondern sie lagern sich sehr bestimmt nach der Verschiedenheit ihres specifischen Gewichtes über einander ab, so dafs das Spiegeleisen den unteren, das graue Eisen den oberen Theil des Abstiches bildet, wodurch das sogenannte Spiegeleisen mit grauer Nath entsteht. Die Leicht- und Dünnflüssigkeit des neutralen Kohleeisens und sein überwiegend gröfseres specifisches Gewicht, erleichtern diese mechanische Absonderung. Auch beim Verschmelzen verschiedenartiger Eisenerze vermischen sich das graue und das weilse Roheisen nicht mit einander im Gestell; allein beide Roheisenarten trennen sich nicht so bestimmt, sondern sie scheinen ein Ge- menge von grauen und weilsen Theilen zu bilden, wodurch das sogenannte hal- birte oder getiegerte Eisen entsteht. Dieses verschiedene Verhalten hat einen doppelten Grund. Es wird nämlich entweder neben dem grauen Roheisen, das weifse Kohleeisen mit einem geringeren Kohlegehalt gebildet, welche beiden Arten im specifischen Gewicht weniger differiren, und sich daher auch nicht so bestimmt von einander trennen. Ein solcher Erfolg tritt dann ein, wenn wegen des verschiedenen Verhaltens der gattirten Eisenerze in Rücksicht der leichteren oder schwierigeren Reduction, ein gaarer und ein übersetzter Gang gleichzeitig statt finden, wobei die Schlacke auch weder gaar noch roh ausfällt. Oder es werden bei einem vollkommen gaaren Gange, Eisenerze von 8 abweichenden Mischungsverhältnissen verschmolzen und dadurch verschie- 14 KAıRsTten dene Legirungen von Eisen und Mangan gebildet, wodurch sich die specifi- schen Gewichte des grauen und des weifsen Roheisens mehr mit einander ausgleichen und die vollkommene mechanische Trennung erschweren. Obgleich sich beide Roheisenarten, die graue und die weifse, sowohl im Zustande der Flüssigkeit, als demnächst beim Erstarren, sehr bestimmt trennen und nicht mit einander vermischen; so läfst sich doch nicht wohl annehmen, dafs das Kohlemetall sich schon im geschmolzenen Zustande des grauen Roheisens von dem Eisen abgeschieden habe. Dafs beide Roh- eisenarten im flüssigen Zustande sich nicht mit einander vereinigen, kann so auffallend nicht seyn, indem sogar zwei Auflösungen eines und desselben Salzes in Wasser, von ungleichem specifischem Gewicht, nicht so leicht, son- dern erst nach erfolgtem Umschütteln oder Umrühren, eine homogene Flüs- sigkeit bilden. Wodurch aber die Trennung des Kohlemetalles von dem Eisen in dem grauen Roheisen veranlafst wird, wenn dasselbe erstarrt, da- von läfst sich bis jetzt noch kein Grund angeben. Aus den Analysen des Roheisens würde für die praktische Anwendung hervorgehen, dafs man den Gang eines Eisenhohenofens immer so einzurich- ten habe, dafs weilses übersetztes Roheisen entsteht und dafs die Bildung des grauen Roheisens möglichst vermieden werden mufs, wenn dasselbe zur weiteren Verarbeitung zu Stahl oder zu Stabeisen bestimmt ist. Mangan und Silicium sind es aber nicht, die der Eisenhüttenmann zu fürchten hat, wenn er gutes Stabeisen erzeugen will, weil beide Metalle sich beim Verfrischen des Roheisens leicht abscheiden. Den nachtheiligsten Einflufs auf die Be- schaffenheit des Eisens äufsern ohne Zweifel der Schwefel und der Phosphor. In der hohen Temperatur, in welcher das weifse Roheisen sich in graues um- ändert, findet gleichzeitig, und wahrscheinlich ais die nothwendige Ursache dieser Umänderung, Schlacke statt. Dies scheint nach aller Erfahrung, welche auch durch die die chemische Einwirkung des Kohleeisens auf die Analyse der Schmelzprodukte eine Bestätigung erhält, der Zeitpunkt zu seyn, wo die Kohle des Eisens reducirend auf die Schlackenmasse wirkt und wo das aus der Schlacke reducirte Metall sich mit dem Kohleeisen verbindet. Enthielt die Schlacke, wie dies beständig der Fall ist, entweder Kalkerde oder Bittererde in ihrer Mischung, so tritt das redueirte Erdenmetall an den im Kohleeisen befindlichen Schwefel und bildet ein Schwefelsalz, welches sich nicht mit dem Eisen, sondern mit der Schlacke verbindet und auf diese über das Roheisen. 15 Weise den Schwefelgehalt des Eisens vermindert. Dies ist der Grund, warum man bei Eisenerzen, die Schwefel oder schwefelsaure Verbindungen, welche sich wenigstens theilweise zu Schwefeleisen reduciren, in ihrer Mischung führen oder beigemengt enthalten, graues Roheisen zu erzeugen und den Vortheil, das an fremden Metallen und Erdbasen reinere weifse Eisen von einem übersetzten Gange darzustellen, aufzugeben genöthigt ist. Ob der Phosphor ein ähnliches Verhalten zeigt, darüber fehlt es bis jetzt noch an zureichenden Erfahrungen. Wie die schwefelsauren Eisensalze zu Schwefel- eisen, so werden auch die phosphorsauren Eisenoxyde zu Phosphoreisen reducirt, und wie das Schwefeleisen so tritt auch das Phosphoreisen mit dem Kohleeisen in Verbindung. Ob aber in der hohen Temperatur, in welcher die durch den Kohlegehalt des Eisens aus der Schlacke redueirten Basen der Kalkerde oder der Bittererde, dem Kohleeisen den Schwefel wie- der entziehen, ein solcher Austausch auch bei dem Phosphor statt findet, scheint deshalb problematisch, weil wiederholte Analysen von Schlacke, welche bei einem gaaren Gange von der Verschmelzung Phosphorsäure hal- tender Eisenerze gefallen war, nicht eine Spur von Phosphor oder von Phosphorsäure in dieser Schlacke auffinden liefsen, obgleich das auf dersel- ben Hütte erblasene graue Roheisen selbst, über fünf Prozent Phosphor ent- hielt. Sollte sich dies, von dem des Schwefels sehr abweichende Verhalten des Phosphors, durch fernere Analysen bestätigen, so würde sehr wenig Hoffnung vorhanden seyn, das Roheisen aus Eisenerzen welche Phosphor- säure enthalten, durch einen zweckmäfsig geleiteten Hohenofenprozefs zu verbessern. Dies wird aber bei einem, freilich nicht sehr grofsen Schwefel- oder Schwefelsäure -Gehalt der Erzbeschickung, wie oben gezeigt worden, allerdings möglich seyn, und es wird hieraus einleuchtend, wie nothwendig es ist, in solchen Fällen und vorzüglich bei der Anwendung von Koaks als Brennmaterial, stets auf die Erzeugung von sehr grauem Roheisen mit mög- lichst steifer Schlacke hinzuarbeiten. Auch dürfte sich daraus wohl erge- ben, dafs ein zu schneller Gichtenwechsel, bei solchen nicht gutartigen Erzen, oder bei der Anwendung von Koaks, besonders in niedrigen Öfen, nicht ge- eignet ist, das Roheisen möglichst vom Schwefel zu befreien, sondern dafs ein langsamerer Gichtenwechsel bei völlig gaarem Gange, nothwendig dazu beitra- gen wird, ein besseres und von Schwefel reineres Roheisen zu erhalten. 16 Kıaınsrtexn über das Roheisen. Die Metalle der Alkalien sind bis jetzt noch nicht im Roheisen aufge- funden worden, auch das Kalcium scheint mit dem Eisen nicht in Verbin- dung zu treten, wenigstens habe ich die Kalkerde in den Auflösungen des Roheisens, welches bei den an Kalkerde sehr reichen Beschickungen erhal- ten war, nicht finden können. 'Thonerdenmetall habe ich ebenfalls vergeb- lich aufgesucht und von der Bittererde nur Spuren in den Auflösungen des grauen Roheisens und des weilsen Spiegeleisens gefunden. Arsenik ist glück- licherweise kein Begleiter von Eisenerzen die der Hüttenmann verarbeitet. Das Titan scheint sich mit dem Eisen in geringen Verhältnissen zwar häufig zu verbinden, ohne demselben jedoch wesentlich nachtheilig zu werden. Blei und Zink verflüchtigen sich wahrscheinlich in der Schmelzhitze des grauen Roheisens, denn sie lassen sich in dem Roheisen, welches aus bleii- schen und zinkischen Eisenerzen erzeugt wird, nicht auffinden. Ein geringer Chromgehalt des Roheisens kommt nicht selten vor, ist aber auf die Güte des Eisens nicht von Einflufs. Aber es ist vielleicht kein Roheisen vorhan- den, welches nicht mehr oder weniger Mangan enthält. Der Mangangehalt der Eisenerze wird zwar gröfstentheils verschlackt, allein er gewährt den Vortheil, dafs bei der Umwandlung des weifsen Roheisens in das graue, das Manganoxydul als der am leichtesten redueirbare Bestandtheil der Schlacke, von dieser an das Eisen zuerst abgetreten wird, wogegen bei nicht mangan- haltigen Eisenerzen, die Kieselerde aus der Schlacke redueirt wird und an das Roheisen tritt, indem sie sich, wenigstens in Verbindung mit Eisen, früher und in einer geringeren Temperatur zu reduciren scheint, als die Oxyde des Titan, des Magnium, des Kalcium und des Aluminium. Welches aber auch die verschiedenartigen Substanzen seyn mögen, mit denen sich das Eisen bei der Ausschmelzung aus seinen Erzen verbindet; so ist es doch immer das Kohlemetall das dem Roheisen den eigentlichen Charakter giebt und dessen Abscheidung nothwendig ist, um dem Eisen die ihm eigenthümliche Dehnbarkeit, Zähigkeit und Geschmeidigkeit im Zu- stande des Stabeisens und des Stahls zu ertheilen. Nach der verschiedenen Menge und nach dem verschiedenen Verbindungszustande der Kohle mit dem Eisen, wendet man dazu verschiedene Mittel an, deren genauere Prü- fung ich mir bei der Untersuchung des Frischprozesses vorbehalte. Uber die natürliche Ordnung der Gräser. von HE INK nr... [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 15. December 1825.] D ie Gräser machen eine natürliche Ordnung aus, welche seit den ältesten Zeiten als eine solche anerkannt ist. Das Wort Gras bezeichnet die Gestalt eines Gewächses, nicht die Gröfse und Ausdauer, wie Baum oder Strauch, auch nicht den Gebrauch, wie viele andere, und es mufs also die Gestalt der Gräser immer als ausgezeichnet vor allen andern Gewächsen anerkannt sein. Wirklich gehört auch die natürliche Ordnung der Gräser zu den seltenen, deren Ausdruck nach den Bestimmungen, welche in einer frühern Abhand- lung gegeben wurden, beinahe ganz aus beständigen Gliedern besteht. Unter den phanerogamischen Gewächsen ist mir keine natürliche Ordnung bekannt, in welcher jene Übereinstimmung i in einem gröfsern Maafse statt fände, und also keine, welche auf den Rang einer natürlichen Ordnung, in der eigent- lichen Bedeutung des Wortes, mehr Anspruch machen könnte, als diese. Unter den normalen Gewächsen, den Phanerogamen, sind die Gräser diejenigen, deren Theile auf der untersten Stufe der Entwicklung stehen. Die Wurzel ist eine Faserwurzel, wie an allen Monokotyledonen; die Wurzelchen sind klein und dünn, selbst an grofsen Gräsern, z. B. dem Zuckerrohr, auch kommen sie nicht nur an der Basis des Stammes, sondern überall hervor, wo sich der Stamm in der Erde befindet. Sie sind mit Haa- ren bedeckt, und zwar mit jenen einfachen nicht durch Querwände geschie- denen, stumpfen Haaren, welche sich an den Wurzeln vieler Pflanzen, kei- nesweges aber an allen Wurzeln befinden. Die äufsere Rindenschicht be- steht aus Parenchym, in welchem einzelne Bündel von Fasergefäfsen liegen, Phys. Klasse 1825. C 18 Lin x und zwar so, dafs sie in den Zwischenräumen einer Zellenreihe hinabzusteigen scheinen. Innerhalb der äufseren Rindenschicht findet sich eine andere, sehr zarte aus Prosenchym (1) bestehend. Die Spiralgefäfse nehmen die Mitte ein, sind dort dicht gehäuft und fast ohne Fasergefäfse; ihre Windungen verwachsen früh, und glätten sich dabei ab, so dafs die Gefäfse an den Rän- dern eingekerbt erscheinen. Mark ist wie in allen wahren Wurzeln nicht vorhanden, dringt auch nie in die Wurzel der Gräser. Das Holz der Wurzel, aus lauter Spiralgefäfsen zusammengesetzt, ist sehr fest und fault nicht leicht. Diese Festigkeit des Holzes und seine verhältnifsmäfsig bedeutende Menge in jedem Wurzelchen macht dafs die ganze Wurzel nicht leicht fault, und wenn daher viele Wurzelchen in einen kleinen Raum zusammengedrängt sind, wie an den Cerealien, so verderben sie den Boden eben so sehr dadurch, dafs sie eine nicht leicht faulende Masse in der Erde zurücklassen, als durch das Aus- saugen desselben vermittelst der vielen Haare, womit sie bedeckt sind. Der Stamm der Gräser ist dadurch ausgezeichnet, dafs es ihm durch- aus an Rinde fehlt. Nur der Stamm der Cyperoideen, der Scitamineen und der Orchideen hat dieselbe Bildung. Ein gleichförmiges Zellgewebe (Par- enchym) dessen Zellen nur gegen die Mitte nach und nach etwas gröfser werden, nimmt den ganzen Stamm ein. Die Bündel von Spiralgefäfsen und Fasergefäfsen stehen einzeln in Kreisen, und zwar in wechselnden Kreisen, so dafs eine gerade Linie aus dem Mittelpunkte nach dem Umfange gezogen nie durch zwei Gefäfsbündel in zwei nächsten Reihen geht. In der Mitte befinden sich zwei, drei, selten mehr grofse Spiralgefäfse, und eine unbe- stimmte Anzahl kleiner. Die Umgebung machen sehr viele Fasergefäfse, wo- durch die Pflanze ernährt wird. Es wachsen nie mehr Gefäfsbündel in der Pflanze heran, wenn sie gröfser wird; in der Jugend liegen die Bündel nur dichter zusammen, gehen nachher mehr auseinander und machen dem Zellge- webe (Parenchym) Platz, dessen Zellen ebenfalls sich nur auszudehnen, nicht zu vermehren scheinen. Der Stamm der Gräser unterscheidet sich in dieser Rücksicht gar sehr von dem Stamme der Palmen, der Dracaenaceen und der Aloeartigen Pflanzen. Gegen die Mitte des Stammes erweitert sich das Zell- gewebe sehr und stellt ein Mark dar, welches aber in keinen sichern Gren- 1 . . . (*) Ich nenne Prosenchym das Zellgewebe, dessen Zellen mit ihren Enden nicht auf- einander, sondern nebeneinander liegen. Siehe meine Element. Philos. Botan. p.77. über die natürliche Ordnung der Gräser. 19 zen eingeschlossen ist. Sehr oft zerreifsen bei fortgesetzter Erweiterung die Zellen des Markes, und der Stamm wird hohl. Die Gräser haben geschlossene ganze Knoten. Wo nämlich die Blät- ter mit ihren Scheiden anfangen, ist das Mark durch eine viel dichtere Schicht von Zellgewebe, sowohl von dem darüber als darunter befindlichen lockern Zellgewebe getrennt. Auch hat die Lage der länglichen Zellen eine andere Richtung bekommen; sie liegen nicht nach der Länge des Stammes wie ge- wöhnlich, sondern in die Quere (nodus clausus. Element. Philos. Botan. 8.95.). Das Blatt ist mit seiner Scheide rund umher angewachsen. Alle Pflanzen mit vollkommen scheidenartigen Blättern zeigen diesen Bau. Nur haben die Grä- ser angeschwollene Knoten, hingegen die Cyperoideen eingezogene. Der Un- terschied ist von Bedeutung; bei derselben innern Beschaffenheit des Kno- tens, streben die Gefäfsbündel im ersten Falle nach Ausdehnung, im letz- tern nach Zusammenziehung. Der hervorstehende Knoten ist ein verän- derliches Glied in dem Ausdrucke für die Gräser, denn Znodium oder Mo- linia (Melıca coerulea) hat unter den Gräsern zusammengezogene Knoten wie die Cyperoideen. Alle Monokotyledonen pflegen oft den Stamm unter die Erde zu wer- fen und nur Blütenzweige hervorzuschiefsen; auch die Gräser, doch in einem geringen Grade. Viele Gräser bekommen nämlich zwiebelartige Knoten am unteren Theile des Stammes, wo er in der Erde sich befindet, z. B. Phalarıs coerulescens, nodosa, die Abänderung von Phleum pratense, welche Linne Phleum nodosum nennt, Avena bulbosa u.a.m. Sie dienen zur Vermehrung der Pflanze; sie entstehen in trocknem Boden als Zurückhaltung des Triebes, wodurch Behälter sich bilden, in welchen der Saft für die Entwicklung der Pflanze aufbewahrt wird; sie verlieren sich an feuchten fruchtbaren Orten. Die meisten Gräser treiben aus dem untern Theile des Stammes Nebenstämme, welche eine Seitenrichtung nehmen, die Erde durchboren und zuletzt sich umkehren und mit den Spitzen über der Erde hervordringen. Diese Stämme sind saftiger, da sie die Luft nicht austrocknet; sie sind blafs von Farbe, da sie vom Licht nicht getroffen werden, aber die Blätter entwickeln sich nicht an ihnen und die Blattscheiden erscheinen sogleich verwelkt; sie treiben Wur- zelchen, besonders an den Knoten, und das Gras wird dadurch kriechend. Diese Nebenstämme (stolones) entstehen, sobald die Pflanze verblüht ist; sie wachsen unter der Erde während des Winters, und mit dem ersten Frühlinge C2 20 Lınmk dringt die Spitze aus der Erde hervor und macht einen neuen Stamm. Im Winter führen diese Pflanzen ein unterirrdisches Leben, und der Sommer lockt sie erst über die Erde hervor, wie denn überhaupt, so wie das aus- dauernde Gewächs aufgehört hat über der Erde zu treiben, der Trieb unter der Erde anfängt. Ein zusammengesetztes Zellgewebe habe ich sehr oft in der Epidermis des Stammes gefunden, wie es sonst nur in den Wasserpflanzen, oder den Blüten anderer Gewächse vorkommt. Die Gefäfse welche einen eigenen Saft führen, sind an den Gräsern, wie in allen Gewächsen, welche keinen gefärb- ten Saft führen, schwer zu erkennen. Sie fehlen indessen wohl nicht. Man bemerkt oft lange, gerade, an den Rändern gekerbte oder aus Zellen zusam- mengesetzte Gefäfse, deren Ähnlichkeit mit den eigenen Gefäfsen anderer Pflanzen so grofs ist, dafs man wohl auch diese dafür halten kann. Die ei- genen Gefäfse der Pflanzen überhaupt sind nämlich aus Zellen zusammenge- setzt, welche in einander münden, oder deren Querwände durchbrochen sind. Däfs sich der Zuckersaft der Gräser in den Zellen befinde, ist wohl kein Zweifel. In den Gräsern finden sich die Ringgefäfse gar häufig. Da sie an einigen Stellen deutlich in die Spiralgefäfse übergehen, so glaube ich noch immer, dafs sie aus diesen entstapden sind. Die Spaltöffnungen, wie man sie gewöhnlich nennt, liegen auf dem Stamme, wie auf den Blättern, in Reihen. Alles ist gereiht in den Gräsern, sogar die mit Grünstoff gefüllten Zellen. Die Scheide des Blattes stellt die Rinde des Stammes vor, zwar nur ihren äufsern Verhältnissen nach, nicht ihrer inneren Zusammensetzung, denn sie hat Bündel von Spiralgefäfsen, wie die Blätter, welche der Rinde durch- aus fehlen. Um jeden Knoten ist rund umher die Scheide angewachsen, und es kann daher in der Ordnung der Gräser nur sehr genäherte, keine wirklich entgegengesetzte Blätter geben. Die Blätter der Gräser stehen in vielen Reihen; nur an den Gräsern, welche im tiefen Schlamme wachsen, findet man sie nach zwei Reihen hingedrängt (fol. disticha). Da die Knoten des Stammes in den unentwickelten Theilen einander genähert sind, und jeder seine Blattscheide hat, so stecken diese Blattscheiden in einander, und ein Querschnitt durch den Stamm trennt viele auf einmal, ein Kennzeichen, wo- ran man die erste Abtheilung der Monokotyledonen beim ersten Blicke un- terscheidet, zu welcher die Cyperoideen, Seitamineen, Orchideen u, s. w. ge- hören. Den Stamm der Gräser hat man Halm (culmus) genannt. Nun ist über die natürliche Ordnung der Gräser. 21 kein Grund vorhanden, den Theilen der Gewächse, so fern sie zu einer na- türlichen Ordnung gehören, besondere Namen zu geben, wenn nicht der Theil auf eine besondere Weise gebauet ist. Der Name Halm läfst sich allein rechtfertigen, wenn man ihn auf die eben erwähnte Bildung bezieht, in welchem Falle man ihn auf den Stamm der Orchideen u.s.w. ausdehnen mülste. Übrigens haben die Blattscheiden durchaus den Bau der Blätter. Ein Blattstiel ist äufserst selten vorhanden, auch stellt die Blattscheide nicht den Stiel vor, denn die einzigen Blattstiele in dieser Ordnung, die lan- gen von Pharus, die kurzen von Olyva, sind unten in eine Blattscheide er- weitert. Oben wo die Blattscheide sich endigt, ist sie oft zusammengezogen, gleichsam Anfang des Stieles. Die Blattscheide ist gespalten, meistens bis an den Knoten. Adanson bemerkte zuerst, dafs dieses an Melica nicht der Fall sei. Nach ihm ist zuerst wiederum Herr Dupont (Journ.d. Phys. 89. p. 24.) auf diesen Gegenstand aufmersam gewesen. Er hat gefunden dafs an manchen Gräsern die Scheide gar nicht gespalten ist, an anderen bis unter die Hälfte, an noch anderen bis über die Hälfte, an den meisten ganz. An allen, deren Blattscheiden er ungespalten angiebt, finde ich doch den Anfang einer Spalte; am wenigsten indessen an Poa aquatica. Zwischen Blatt und Scheide tritt ein Häutchen oft hervor, welches die Neueren Zigula genannt haben. Linne bediente sich dieses Ausdrucks zuerst in seinen Vorlesungen über die natürlichen Ordnungen ; in der Philosophia botanica sagt er unrichtig stipula intrafoliacea. Leers und Pollich gebrauch- ten ihn zwar später als Linne seine Vorlesungen hielt, aber früher als sie in Druck erschienen. Die beiden trefflichen Beobachter benutzten auch die- sen Theil zur Unterrcheidung der Arten. Er ist eine Fortsetzung der innern Haut der Scheiden und des Blattes, also eine Duplicatur derselben. Gefäfs- bündel habe ich darin nicht gefunden, auch keine Spaltöffnungen, wohl aber an deren Statt bläschenartig hervortretende einzelne Zellen. Dieses Blatthäutchen ersetzt also keinen anderen Theil, sondern ist wie die Haare, Stacheln und ähnliche Theile, nur ein Auswuchs zu den Bedeckungen ge- hörig. Gar oft wird es durch Haare ersetzt, welche ohne Querwände sind. Das Blatt selbst ist, wie bekannt, immer einfach, am Rande nicht ein- geschnitten; der knorpliche Rand aus länglichen, von den anliegenden gar verschiedenen Zellen hat oft scharfe Spitzen, wodurch das Blatt gleich einer Säge, sehr verwunden kann. Aber diese Zähne sind als Ansätze zu betrachten, 232 Lunx wie die Stacheln u. s. w., denn sie bestehen aus der knorplichten Substanz des Randes, aus blofsen, einfachen, zugespitzten Zellen ohne Gefäfsbündel. Die Gestalt des Blattes ist schr einfach, über der Zusammenziehung der Blatt- scheiden erweitert sich das Blatt schnell, und läuft dann verschmälert der Spitze zu. Dieses ist die gewöhnliche Form. Es giebt einige Ausnahmen, wo die Erweiterung sehr langsam nach und nach geschieht, wie an einigen Arten von Andropogon und Panicum. Selten zieht sich die Scheide gar nicht zusammen, sondern geht ohne Unterbrechung in das Blatt über, wie an Sporobolus diandrus. Die Verschmälerung gegen die Spitze nimmt an einigen Gräsern schnell zu, vorzüglich an einigen Panieum-Arten, welche zuwei- len folia oblongo-lanceolata haben; an den meisten geschieht dieses langsam. Die Nerven laufen von der Basis des Blattes bis ans Ende in einer geraden und parallelen Richtung fort, ohne Äste. Verschmälert sich das Blatt an der Basis schnell, so machen sie dort einen kleinen Bogen und gehen dann wie- der in gerader Richtung weiter. Gegen das Ende, wo sich das Blatt immer verschmälert, hören die Nerven nach und nach auf, die äufseren eher, als die innern; keine dringt bis zum Rande. In einigen wenigen kommen die Sei- tennerven aus dem untern Theile des Hauptnerven, und bei einigen gehen sie sogar bis gegen die Mitte aus dem Hauptnerven hervor und das Blatt nä- hert sich dem Blatte der Scitamineen z.B. wie Panicum plicatum. Ehe sich die Blätter entwickeln sind sie von einer Seite her in der Regel eingerollt. Linne sagt: dafs Dactylis glomerata nur zusammenge- schlagene Blätter (f. conduplicata) habe, und macht aufmerksam auf diese Bildung, welche, meint er, zur Bestimmung der Unterabtheilungen dienen könne. Der Wink des trefflichen Beobachters ist nicht benutzt worden. Ich habe gefunden, dafs Linn€’s Bemerkung von der Gattung Dactylis gilt, wenn man die etwas anders gebildeten D. repens, littoralis und fasciewlarıs Smidt. sondert, welche eingerollte Blätter haben. Aufser diesen habe ich nur an Avena planieulmis, pratensis, pubescens diese zusammengeschlagenen Blätter bemerkt. Die Blätter sind rechts oder links eingerollt, doch scheint dieses nicht beständig. Der innere Bau der Blätter zeigt manche Sonderbarkeiten. Die Ner- ven ziehen sich sowohl an der obern als der untern Seite hin, doch die ersten feiner und in einer viel geringern Anzahl. Die feinen Nerven überhaupt, so- wohl die auf der obern als der untern Seite, haben ihre Gefäfsbündel in der über die natürliche Ordnung der Gräser. 23 Mitte mit Spiralgefäfsen, nicht so der Hauptnerve. Ihn umgeben Gefäfs- bündel in einen Bogen gestellt, und die Mitte nimmt lockeres Zellgewebe ein, so dafs er auch oberflächlich betrachtet sich ganz anders zeigt, als die übrigen Nerven. Im Innern des Blattes liegt das Zellgewebe (Parenchym) regelmäfsig vertheilt. Elliptische Bogen vom grüngefärbtem Zellgewebe lie- gen zwischen den ungefärbten Zellen und kehren ihre offene Seite der obern Blattfläche, mit welcher sie in Verbindung stehen, ihre gewölbte der untern zu, von welcher sie etwas entfernt sind. Das ganze Blatt ist mit einer Schicht von grünen Zellen umgeben; auf ihm befinden sich in Reihen die Spalt- öffnungen, welche oft ziemlich grofs und mit der Lupe schon zu erkennen sind. Auch hat sie Guettard bereits als Glandeln aufgeführt, welche sich sonst sehr selten in dieser Klasse finden. Ehe wir zu der Blüte der Gräser übergehen, wollen wir einige Be- merkungen über die Knospenbildung derselben machen. Das Fortwachsen der Gräser geschieht wie bei allen Pflanzen durch Knospen, welche sich am Ende des Stammes entwickeln. Die meisten Pflanzen sind jährig oder Stau- dengewächse, und es entsteht an der Wurzel eine zusammengesetzte Knospe, welche, wie dieses auch bei andern Pflanzen oft der Fall ist, alle Ansätze künftiger Zweige nur zusammengeschoben hervorbringt. Da diese Ansätze durch Knoten an den Gräsern bezeichnet sind, so erkennt man sie sehr leicht. Die oberen Glieder entwickeln sich mehr als die unteren, und die letzten bleiben daher mehr zusammengeschoben. Die Zahl dieser Glieder oder der Endäste ist bei derselben Art doch nicht immer dieselbe, aber es ist oft schwer die Zahl zu ermitteln, da die unteren Knoten sehr zusammen- geschoben sind. Die strauchartigen Gräser in unsern Gewächsen treiben aus der Spitze keine neue Knospen, wie es mir scheint, sondern sind nur Ent- wicklungen der schon vorgezeichneten Knospen, unterscheiden sich also nur in der Dauer von den Stauden, nicht in Bildung. Unsere einheimischen Gräser sind selten ästig, wenn man nicht die unten am Stamme hervorkom- mende Nebenstämme für Äste halten will. Sie kommen zwar wie diese aus dem Winkel der Blattscheiden hervor, gehen aber entweder als Ausläufer in die Erde, oder als Stämme gerade in die Höhe, ohne einen bestimmten Win- kel des Astes zu bilden. Auch kommen seitwärts aus den Ausläufern Neben- stimme hervor, welche wie die vorigen gerade in die Höhe steigen. Die 8 Knoten sind endlich unten an den Stämmen und Nebenstämmen weit mehr 24 Lısk zusammengedrängt als an den Ästen. Dagegen haben die tropischen Gräser sehr viele Äste, auch schon die Gräser des wärmern Europa. Unter den ein- heimischen ist 4grostis alba sehr ästig, und hat sich daher den Ökonomen als Fioringras empfohlen. Der Ast entsteht aus einer wahren Knospe ; die unte- ren Blätter sind nämlich kleiner und gehen in Deckblätter über. Solche Deck- blätter oder Scheiden, — denn das Deckblatt ist immer ein verstümmeltes, nicht ausgebildetes Blatt, — sind hier eins oder zwei. Das eine steht immer an dem Ursprunge des Astes auf der innern Seite, gerade dem Blatte gegen- über, aus dessen Winkel der Ast hervorkömmt. Aufser diesem kleinen Deckblatte steht noch eins an der Seite, so dafs diese beide mit dem unter- stützenden Blatte die Dreizahl der Monokotyledonen bilden. Der Blütenstand der Gräser verdient unsere besondere Aufmerksam- keit. Sehr scharfsinnige Bemerkungen darüber hat Herr Trinius in seiner Dissert. bot. de Graminibus unifloris et sesquifloris. Petrop. 1824. 8. gemacht. Er unterscheidet zuerst spica oder spicula von caduceus; jene hat eine Spin- del (axis), welche in regelmäfsig kurzen Absätzen gegliedert ist, und jedes Glied bringt aus der Basis wechselseitig die Blüten hervor, daher sich auch das Glied unter seiner Blüte sondert; dieser hat eine Spindel, welche eben- falls in regelmäfsig kurzen Absätzen gegliedert ist, aber jedes Glied bring aus seiner Spitze sitzende oder kurz gestielte Blüten hervor, und es löst sich das Glied über der Blüte ab. Trinius erläutert dieses durch das Bei- spiel seiner Zprphystis, wo die Spindel nur eine Zusammensetzung von Blü- ten ist. Es scheiut mir aber, dafs man auf den Bau des Knotens zurückge- hen müsse, um die Inflorescenz der Gräser hier zu erläutern. Nur die End- blüte einer Ähre ist als die Zerlegung des Stammes anzusehen, alle Seiten- blüten sind als Äste zu betrachten. Nun entsteht, wie wir eben gesehen haben, die Knospe oder der Anfang des Zweiges immer aus einen Blattwinkel: ein allgemeines Gesetz, welches nur Ausnahmen durch Verkümmerung oder Verschiebung des un- terstützenden Blattes erleidet. Hier an den Gräsern, ist der Unterschied, dafs sich an einigen die Glieder der Spindel an den Knoten oder eigent- lich über der Scheidewand derselben lösen, folglich auch über der Blüte, oder dem Ährchen, welches aus der Scheidewand hervortritt. An ande- ven hingegen löset sich die Blüte oder das Ährchen geradezu von seinem Unterstützungspunkte, folglich geschieht die Lösung unter der Blüte. Immer über die natürliche Ordnung der Gräser. 25 entsteht die Knospe an der Seite des Gliedes, sie kann nicht anders ent- stehn, und wenn es so scheinen möchte, so rührt dieses daher, dafs der Stiel des Ährchens mehr oder weniger entwickelt ist. An den Caduceatis lösen sich die Glieder der Spindel selbst, über der Scheidewand des Knotens, wie immer, und da das Ährchen an der Scheidewand des Ährchens hervorkomnt, über demselben; an den Spicatis löset sich das Ährchen von dem Gliede selbst, also geschieht die Lösung unter dem Ährchen. Auf eine ähnliche Weise lösen sich an Poa die Glieder der Spindel des Ährchens, an Eragrostis dagegen löset sich nur das Blütchen von der Spindel. Epiphystis scheint zwar eine Zusammensetzung von blofsen Blüten. Aber ist hier nicht der Stamm in den Nerven der einen Klappe zusammenge- drängt? An vielen Gräsern wird die Spindel durch die Trennung der Blüte oder des Astes so verschmälert, dafs es nur eines Verwachsens mit der in- neren Klappe bedürfte, um eine Übereinanderstellung der Blüten zu zeigen. Trinius hat vergessen, die Blüten anatomisch zu untersuchen um den Bau gehörig ins Licht zu setzen. Die Opuntiae haben einen so flach gedrückten Stamm, dafs er blattartig scheint, aber er ist und bleibt ein wahrer Stamm. Der Unterschied zwischen panicula und juba, wie Trinius ihn be- stimmt, ist aber sehr richtig und von Bedeutung. An der ersten ist die Axe besonders nach unten in bestimmten Zwischenräumen gegliedert, und sendet aus einem Punkte mehr als einen Stiel aus; an der zweiten ist die Axe nicht gegliedert, und die Stiele kommen einzeln und zerstreut aus der Axe hervor. Es ist hier der Unterschied zwischen einem ganzen und zertheilten Knoten, wie ich ihn Element. Philos. Botan. 8.95. angegeben habe. Die juda hat einen zertheilten Knoten, und die Rispen, wenn sie nach oben sich ver- ästeln, gehen zu der Form der Dikotyledonen über, so wie die juba sie schon angenommen hat. Es ist nicht ungewöhnlich, dafs die Pflanze in den oberen Theilen eine höhere Form annimmt. Die Unterscheidung von thyrsus als einer zusammengezogenen juba ist ebenfalls in der Natur gegründet. Diesen Unterscheidungen will ich noch hinzufügen, dafs bei der Rispe entweder allen Zweigen, welche aus einem Punkte entspringen, nur zusam- mengenommen ein Ausschnitt in der Spindel entspricht (rachıs excisa), oder dafs für jeden Ast eine besondere Rinne vorhanden ist (rachis non excisa). Das erste findet bei Festuca statt, und ist zugleich ein gutes Kennzeichen dieser Gattung; das letztere bei Zromus und anderen. Phys. Klasse 1825. D 26 LT € Crista nennt Trinius eine Inflorescenz, deren Axe ungegliedert, flachgedrückt oder dreiseitig ist, die Blüten an der untern Seite auf kurzen Stielen in zwei Reihen trägt, so dafs ihre äufsere Kelchklappe die obere ist; racemus, deren Axe ungegliedert, ziemlich rund ist, und die ungestielten oder kurzgestielten Blüten einseitig, oder fast einseitig so trägt, dafs die äufsere Kelchklappe die untere ist. Der letztere Umstand rührt von einer Drehung des Ährchens her. Was nun aber die von Trinius bestimmten Kunstausdrücke betrifft, so glaube ich, dafs wir ihrer füglich entbehren können. Sie erschweren erst- lich die Wissenschaft, denn man kann eben so bequem sagen Panicula ramis sparsis und ramis fasciculatis wie juba und panieula, und dann sind sie auch gegen eine gute Methode. Man mufs mit einfachen Kunstwörtern anfangen, und in der Zusammensetzung schrittweise und behutsam fortgehen. Der Be- griff von Rispe (panzcula) ist ein verästelter Blütenstand, dieses ist die ein- fache Bedeutung. Fügt man Nebenbestimmungen hinzu, so entstehen Arten der Rispe von welchen eine juba sein kann, aber dann müssen auch die an- deren Arten gehörig bezeichnet werden. Die Blüte ist eine Gemme oder Knospe; die Theile derselben verhal- ten sich zu einander, wie die Blätter welche aus einer und derselben Gemme entwickelt sind. Ich habe dieses schon früher in meinen Grundlehren der Anatomie und Physiologie der Pflanzen (S. 173.174.) und wiederum in den Element. Philos. Botan. p. 243. darzuthun gesucht. Es ist nun die Frage, wie verhalten sich die Blüten der Gräser zu den Blüten der übrigen Ge- wächse, Dafs die äufseren und unteren Klappen der ein- und vielblättrigen Gräser, hinter welchen sich Staubfäden und Staubwege befinden, die Blät- ter vorstellen, in deren Winkeln die Blüten, nämlich Staubfäden und Staub- wege hervorbrechen, fällt in die Augen. Sie gehören also zu einer andern Genmme als die Blüte. In den vielblütigen Ährchen scheinen sie selbst alle zu derselben Gemme zu gehören; sie haben die Stellung gegen einander, wie die Blätter eines und desselben Stammes oder eines und desselben Astes. Es verdienen daher diese zusammengestellten Blüten den Namen eines Ährchens (spieula). Aber wohin gehören die inneren Klappen, welche Staubfäden und Staubwege von der inneren Seite umschliefsen. Man rechnet sie schon seit langer Zeit mit der äufseren Klappe zu einem Theile, welchen Scheuchzer Ffollieulus, Linne corolla nannte, eben deswegen, 'weil beide Klappen zu- über die natürliche Ordnung der Gräser. 24 sammen die Bestäubungstheile einschliefsen. Rob. Brown meint, dafs diese innere Klappe aus zwei Theilen bestehe, weil sie gar oft zwei Nerven an der Seite, und eine häutige Mitte habe, und so mache sie mit der äufseren Klappe drei Blumenblätter. Turpin hat treffliche Bemerkungen über die- sen Gegenstand gemacht (Mem.d. Mus. T.V.p.426). Er vergleicht die in- nere Klappe mit der inneren kleinen Scheide der Blütenrispe an der Palme; er wird dadurch auf die Vergleichung mit der Scheide geführt, welche die Äste der Gräser von der inneren Seite einhüllt, und er zeigt nun gegen Brown dafs die äufsere Klappe mit der inneren nicht au me&me axe ou plutöt au m&me degre de vegetation gehöre. Was er so ausdrückt, habe ich dieselbe Gemme genannt. Ungeachtet Turpin diese innere Klappe nicht für einen Theil der Blumenkrone (corolla) hält, so glaubt er doch mit Brown, dafs sie aus zwei zusammengewachsenen Theilen bestehe und beruft sich dabei auf die innere Scheide der Palmenrispe, welche in einigen Fällen zweitheilig sei. Auch findet man die innere Klappe der Gräser an der Spitze zuweilen ge- theilt. Aber die beiden Nerven und die Zertheilung rühren von dem Drucke her, welchen die innere Klappe, theils von dem Umfassen der äufseren Klappe, theils von der Axe des Ährchens erleidet. Die innere stets einfache Scheide der Äste an den Gräsern — man vergleiche sie nur an Agrostis alba — hat so grofse Ähnlichkeit mit der inneren Klappe der sogenannten Corolla der Gräser, dafs man nicht einsieht, warum man hier eine ursprüngliche Theilung in zwei Theile annehmen soll. Die innere Klappe gehört also zur Gemme der Blüte, welche sich im Winkel der äufseren Klappe befindet, und beide Klappen zu verschiedenen Gemmen. Sie sollten also nicht zu einem Theile gerechnet werden, und einen Namen bekommen. Aber da die beiden Klappen zugleich die Bestäubungstheile einschliefsen, so mag man der Be- quemlichkeit wegen einen Namen annehmen. Ja die öftere Wiederholung des Ausdrucks dractea, oder auch spathella, wie Turpin will, würde nur Ver- wirrung erregen. Linne& nannte sie corolla, Jussieu calyx, Richard gluma, R. Brown perianthium, Palissot de Beauvois stragulum, Desvaux glu- mella. Die Namen calyx, corolla und periantkium sind unrichtig, gluma heifst bei den meisten Pflanzenkennern der Kelch, siraguwlum und glumella blei- ben allein übrig, und der letztere Ausdruck möchte wohl den Vorzug ver- dienen. Dafs Beauvois die einzelnen Klappen paleae nennt, führt zu einer unpassenden Zusammenstellung mit den paleae der zusammengesetzten Blüte, D2 28 Lıne& und ich sehe nicht ein, warum man den Ausdruck valvula verwerfen will. Zu- weilen fehlt die innere Klappe; ein im Ganzen unbedeutender Umstand. Unter diesen Klappen, welche Bestäubungstheile einschliefsen, finden sich gewöhnlich zwei andere, hinter welchen sich dergleichen nicht befinden. Linn& nannte diese beide Klappen calyx, Jussieu gduma, Richard /epi- cena, Palissot de Beauvois tegmen und die einzelnen Klappen glumae. Der von den älteren Botanikern, z.B. Scheuchzer, schon angenommene Name gluma ist unstreitig der beste; jede Klappe heifst dann besonders valva. So stimmen valva und valvula, gluma und glumella leicht und be- quem zusammen. Panzer nennt peristachyum, was wir gluma, und bestimmt überhaupt die Theile nach ihrem groben oder zarten Bau. Sollte dieses Kennzeichen nicht zu schwankend und unsicher sein? Die äufsere Klappe beider Theile ist immer die untere, die innere im- mer die obere. Sie sind Blätter, und das untere Blatt umfafst immer das obere. Män kann die Ausdrücke nach Belieben wählen, denn bald ist der äufsere Stand, bald der untere kenntlicher, und eben so bald der innere, bald der obere. Zuweilen findet man eine oder die andere überzählige Klappe. Rob. Brown hat zuerst richtig ihre Bestimmung nachgewiesen; sie sind An- fänge, nicht entwickelter Blüten. So schrieb Linn Panicum einen dreiklap- pigen Kelch zu, aber die innerste Kelchklappe ist der Anfang einer Blüte; ja man sieht oft auch die innere Klappe zu dieser äufseren entwickelt, und das Ährchen wird zweiblütig. Die inneren Klappen an Phalaris zeigen den Über- gang zum vielblütigen Ährchen. In Anthoxanthum deuten die beiden von Gluma und Glumella sehr verschiedenen, rauhen, braunen und gegrauten Klappen auf Blüten von anderm Geschlecht als die mittlere und stellen die Pflanze in die Nähe von Heleochloa. Der innere Bau dieser Theile ist völlig wie der Bau der Blattscheiden, nur werden die Spaltöffnungen desto seltener, je mehr die Theile nach in- nen liegen. In der Gluma findet man eine oder mehr Blüten oder Glumellen. »‚Wodurch wird ein Gras in der That (nicht abänderlich) einblütig,’” frägt Trinius de Gr. unifl.p.24. Dadurch, antwortet er: dafs die Blüte nur aus einem nicht aus mehreren Internodien besteht. Das Kennzeichen des inter- nodium ist der callus, welcher sich an vielen unter der glumella findet, und über die natürliche Ordnung der Gräser. 29 diese sind sesquiflora. Wir können dieses dem Verfasser nicht zugeben. Wie oft ist ein internodium zugegen ohne callus, wie die Ähren axi continan zeigen. Die glumella ohne callus löset sich an vielen sehr wohl vom Kelch, also mufs ein internodium da sein. Zur Unterscheidung der Gattungen mag also der callus wohl dienen, aber nicht zur Begründung solcher Abtheilungen. Der callus ist nur eine stärkere Bezeichnung des Knotens, wie er auch am Stamme, bei einigen mehr, bei anderen weniger, bei Molinia gar nicht hervortritt. Sehr oft sind die glumellae, selten die glumae mit Grannen, aristae, versehen. Palissot de Beauvois unterschied Borsten von Grannen, und hat sogar danach Gattungen bestimmt; jene sollen von Nerven entspringen, diese nicht. Ich habe in den Element. Philos. Botan. 8.156. gezeigt, dafs dieser Unterschied nichtig ist. Immer entstehen diese Verlängerungen aus Nerven, und werden desto zarter und unscheinbarer je mehr sie von anderen äufseren Theilen bedeckt sind. An Avena ist dieses gar deutlich zu sehen. Die Grannen bestehen aus Fasergefäfsen — die Spiralgefäfse sind durch die Zusammenziehung verschwunden —, vom Zellgewebe (Prosenchym) umge- ben und mit einer Epidermis überzogen, worin sich auch Spaltöffnungen be- finden. Palissot de Beauvois hat auf die Gegenwart der Granne viel ge- rechnet in der Unterscheidung der Gattungen; sonderbar genug, da ihre Ge- genwart so unbeständig ist, dafs an einer Abänderung von 4grostis alba manche Ährchen auf derselben Pflanze gegrannt sind, manche nicht und zwar an un- bestimmten Stellen. Die Gegenwart der Granne ist also ein veränderliches Kennzeichen. Weniger ändert die Stelle der Granne unter der Spitze, in und unter der Mitte ab. Innerhalb der äufseren Glumellenklappe bemerkt man oft zwei kleine Schuppen oder Blättchen dicht neben einander, von verschiedener Gestalt, doch meistens eiförmig ‚oder lanzettförmig, oft zart, häutig und weils, oft dicker und etwas saftig. Micheli erwähnte ihrer zuerst, Linne rech- nete sie zu den Nectarien, übersah sie aber sehr oft. Schreber folgte Linn& in der Benennung, untersuchte sie aber sehr genau, stellte sie jedoch in seinen Abhandlungen in natürlicher Gröfse, folglich so klein vor, dafs man ihre wahre Gestalt nicht erkennt. Richard nennt sie glumellulae und die einzelnen Theile paleolae, Palissot de Beauvois lodiculae, welchem Trinius folgt. Die meisten Schriftsteller bezeichnen sie kurz durch squamae. 30 Lıwk& Eine dreifache Meinung herrscht über diese Theile. Dieverste reiht'sie der gluma und glumella an, wie die obigen Benennungen beweisen. Aber der Bau widerspricht:ganz; sie sind zart,. bestehen aus Zellgewebe, und haben gar keine Gefäfsbündel, auch die Stellung stimmt nur dann überein, wenn man die beiden Schuppen für eine hält. Diejenigen, welche sie für Necta- rien halten, verstehen darunter wahrscheinlich Nectarien, wie sie um die Fruchtknoten zu sitzen pflegen, von der Art, welche ich perigynia nenne. Allerdings stimmt der Bau vortrefillich damit überein, nur kommt es darauf an, ob sie innerhalb oder aufserhalb der Staubfäden stehen. — Man darf nur die Blüte eines Grases sorgfältig zergliedern, so wird man bald gewahr wer- den, dafs sie die Staubfäden umgeben, und sich an der Stelle befinden, wo man sonst die Blumenkrone (corolla) sucht. Auch giebt es einige Gattungen, wo nicht zwei, wie gewöhnlich, sondern drei solcher Schuppen vorhanden sind, welche dann eine entwickelte Blume darstellen. Da indessen der Bau von dem Baue eines Blumenblattes sehr abweicht, so rechne ich sie zu den Theilen, welche ich parapetala nenne, wie ich schon in den Element. Philos. Botan. (8. 156.167.) ausgesprochen habe. An der Basis sind sie gewöhnlich saftig, mehr oder weniger, zuweilen sogar gewölbt; die Spitze ist gar oft zweizähnig, ja nicht selten sieht man mehr Zähne. Versteht man also unter dem Ausdrucke Nectarien solche Theile, welche zwischen Blumenblättern und Staubfäden, oder an der Stelle der erstern sitzen, so hat man ganz Recht, sie so zu nennen. Auch habe ich den Namen parapetala nur darum gewählt, um sie von dem vieldeutigen Worte Nectarium zu unterscheiden. Eine sonderbare Meinung sowohl über diese Theile, als über den Bau der Gräser überhaupt, hat Herr Raspail geäufsert (S. Annal.d.scienc.naturell. T.IV. p. 271.422. T.V.p. 287.433). Er geht in seiner Theorie von dem Bau der inneren Blumenklappe aus. Sie hat, besonders an den vielblütigen Ähren, wo hinter ihr die Spindel des Ährchens in die Höhe steigt, zwei Ner- ven, welche an den Seiten in die Höhe steigen, und die Mitte ist nervenlos. Es hat sich also, sagt Herr Raspail jene Spindel auf Unkosten des Mittel- nerven gebildet; der Mittelnerve hat sich von der Klappe gesondert, und macht nun die Spindel der Axe aus. Er wendet diese Beobachtung auch auf andere Theile an. Die Nectarien oder Schuppen von welchen eben die Rede war, hält er für die Überbleibsel der Staubfäden, die sich von dem Häutchen getrennt und jene Schuppen zurückgelassen haben. Seine Schlüsse am Ende über die natürliche Ordnung der Gräser. 31 der Abhandlung, über die Bildung des Embryo, sind folgende: Der Em- bryo ist nur die Spitze eines Zweiges, welcher durch die Wirkung der Anthe- renflüssigkeit von der Stelle, wo er befestigt war, losgerissen, und in einem unteren Blatte eingeschlossen geblieben ist, dessen Zellgewebe mit Stärk- mehl gefüllt, ihm zum perispernuum (Biweils) dient. Dieser losgerissene mitt- lere Nerve nährt die Pflanze aus dem Eiweifs (perispermium) und macht daher den wahren cotyledon aus. Durch die Befruchtung wird der Mediannerve von dem Blatte losgerissen. Der Griffel und die Narbe sind nur die unentwickelt gebliebenen Verlängerungen des Halms (chaume terminal). Wenn Herr Raspail die innere Klappe irgend einer Grasblume und die daran liegende Spindel genau untersucht hätte, so würde er sich von dem Ungrunde seiner Meinung bald überzeugt haben. Die Nerven in den Blü- tenklappen der Gräser, so wie auch in den Blättern, bestehen aus einem Ge- fäfsbündel, und dieser enthält Fasergefäfse und Spiralgefälse wie gewöhnlich. Wäre also die Spindel ein, von der inneren Klappe getrennter Mittelnerve, so müfste sie aus einem Gefäfsbündel bestehen, mit den Umgebungen, welche der Nerve auf seiner Oberfläche hat. Aber die Spindel ist ganz anders ge- baut. Sie besteht wie der Stamm aus mehreren Gefäfsbündeln im Umfange und lockerem Zellgewebe in der Mitte; ist daher oft hohl. Gewöhnlich sind drei Gefäfsbündel vorhanden und zwar eins auf der convexen, von der in- neren Klappe abgekehrten Seite, zwei auf der flachen, dieser Klappe zuge- kehrten Seite. Gerade also, wo der Gefäfsbündel in der Mitte der Klappe fehlt, findet sich in der Spindel ebenfalls keiner; ja wenn die beiden Seiten- nerven nach der Mitte der Klappe zu liegen, befinden sich die beiden Ner- ven der Spindel den Nerven der Klappen gerade gegenüber. An jedem viel- blütigen Grase, an 4gropyrum, Avena, Bromus, wird man sich leicht von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugen können. Woher die beiden Ge- fälsbündel, da doch die ganze Spindel nur ein von der Klappe getrennter Gefäfsbündel sein soll? Es ist also weit mehr der Natur der Sache angemessen zu sagen, dafs die Abwesenheit des mittleren Nerven der inneren Blumenklappe, durch den Druck der Spindel hervorgebracht sei. Herr Raspail führt zwar seine Gründe an, um diese von Cassini geäufserte Meinung zu widerlegen. Druck, sagt er, kann kein Gefäfs zerstören, und hier würde das Schwächere das Stärkere verdrückt haben, denn das Stielchen am Rücken der Klappe ist 32 Lınsk oft zarter als der Mittelnerve derselben unter anderen Umständen ist. Aber das Erste versichert Herr Raspail ohne es zu beweisen, und im zweiten Falle, der überdies der seltnere ist, denn in der Regel übertrifft doch die Spindel die Dicke des Mittelnervens bei weitem, weifs ja Herr Raspail nicht, ob der Mittelnerve nicht gerade hier ursprünglich viel dünner war. Es ist auch hier nicht von der blofsen mechanischen Einwirkung des Drucks die Rede, sondern von der dynamischen, der verhinderten Entwickelung des Gefäfsbündels. Wir sehen aber ganz deutlich, besonders an den Haferarten, dafs die Nerven der Blumenklappen, da wo sie von der Kelchklappe bedeckt werden, schr zart, kaum sichtbar sind, hingegen da, wo die Bedeckung auf- hört, plötzlich eine beträchtliche Dieke annehmen. Da ein geringer Druck die Entwicklung des Gefäfsbündels so bedeutend verhindern kann, so wird auch ein stärkerer die Entwicklung ganz aufheben können. Indessen mag auch die Einbiegung zur Verhinderung der Entwickelung beitragen. Herr Raspail hat auch auf die Gegenwart der Mittelrippe in der oberen und inneren Blumenklappe seine ganze Eintheilung der Gräser ge- gründet. Das ist ein willkührliches Herausgreifen eines Kennzeichens. Es hat die Unbequemlichkeit dafs der gröfste Theil der Gräser auf die eine Seite fällt, ein schr kleiner auf die andere; die meisten Gräser haben eine innere Blumenklappe ohne Mittelrippe und sind parinerviae, die wenigsten haben eine solche, imparinerviae. Genau hat Herr Raspail auch nicht immer gesehen; er spricht der inneren Klappe an Phalaris die Mittelrippe ab, da sie doch wirklich vorhanden ist, nur tritt sie auf der Oberfläche nicht hervor. Übrigens kommen diese inneren Blumenklappen und die Axe der Spindel aus einem und demselben Knoten hervor, und gehören zu derselben Gemme. Es ist hier wie beim Stamme. Die äufsere Blumenklappe (valvula) gehört zum unteren Ast, und hat in ihrem Winkel, zwischen sich nämlich und der Fortsetzung des Stammes, die Gemme. Diese Fortsetzung ist die Spindel, die Gemmen sind die inneren Blumenklappen mit den übrigen in- neren Blütentheilen, und so ist die Analogie der inneren Blumenklappe, mit dem inneren (ersten Blatte) der Gemme, welches eben so sich nicht voll- kommen entwickelt, sehr deutlich. Da nun der Grund der ganzen Theorie wegfällt, so ist es nicht nö- thig, sich bei den Folgerungen aufzuhalten. Doch muls ich einen Irrthum über die natürliche Ordnung der Gräser. 33 berichtigen, den Herr Raspail in Rücksicht auf die parapetala begeht. Er behauptet nämlich, dafs diese Schuppen nicht mit den Staubfäden wechseln, sondern hinter jedem Staubfaden eine Schuppe stehe, damit der Staubfaden der Mittelnerve der Schuppe sei. Aber der wahre Stand ist wirklich wech- selnd. Zwischen den beiden Schuppen, und da, wo sie mit dem Rande sich berühren, liegt der dritte Staubfaden; die beiden stehen zur Seite, und wenn auch die breite Schuppe sie bedeckt, so liegen sie noch neben der Stelle, wo die Schuppen aus dem Fruchtboden hervorkommen. Die Theorie des Herrn Raspail findet also auf diese Schuppen keine Anwendung. Übri- gens hat er sie an vielen Gräsern beschrieben, und der Tadel, den er über Palissot de Beauvois ausspricht, ist sehr richtig; alle diese feineren Theile werden von dem letzteren Schriftsteller so schlecht beschrieben, dafs man sich nie darauf verlassen kann. Die Staubfäden weichen von dem gewöhnlichen Bau gar nicht ab, und die Antheren der Gräser sind sehr ausgebildet. Die Zahl ist gewöhnlich drei, und diese stehen auf der äufseren Seite des Fruchtknotens hinter der äufseren und unteren Blumenklappe. Durch sechs wird erst der ganze Umfang um den Fruchtknoten ausgefüllt, und so viel sind auch an manchen Gräsern vor- handen. Zuweilen fehlt ein Staubfaden von dreien, gewöhnlich der vordere, und die beiden zur Seite des Fruchtknotens sind geblieben; in einigen Fäl- len fehlt auch noch einer der letzteren. Die Staubwege haben den gewöhnlichen Bau. Dafs sie zwei Gefäfs- bündel haben ist nichts besonderes; die Mitte eines jeden Staubweges nimmt Zellgewebe ein, und an den Seiten laufen die Gefäfsbündel, zwei oder mehr hinab. Ich habe dieses in den Element. Philos, Botan. 8.175. gezeigt. Ge- wöhnlich sind zwei Staubwege vorhanden, oder ein Staubweg, aber zweige- theilt; sehr selten ist er einfach (Nardus), und auch selten sieht man drei Staubwege (Phleum trigynum u.a.m.). Zuweilen findet man eine wieder- holte Theilung (G/yceria u.a.m.). Die Staubwege sind bis unten mit Haaren besetzt. Die Haare haben Querwände und bestehen eigentlich aus sehr klei- nen runden Gliedern, sind folglich zusammengereihte Papillen. Ihre Länge ist verschieden ; entweder sind sie alle kurz (st. pilosus auch subpilosus) oder alle lang (st. plumosus), oder sie sind unten kurz und oben lang (st. penicillaris). Herr Raspail tadelt diese Bestimmungen, weil sie in einander übergehen ; Phys. Klasse 1825. E 34 Lı'n & er unterscheidet nur Stigmata sparsa und disticha. Stigma nennt er nämlich jedes einzelne Härchen. Nun stehen diese Härchen aber niemals in zwei Reihen, wie man an den grofsen Staubwegen von Alopecurus (der Stigmata disticha haben soll), schon mit einem mäfsig vergröfsernden Glase schen kann. Sind aber diese Härchen lang, so scheiteln sie sich, und wenn man eine Eintheilung mit ungewissen Grenzen haben will, so mufs man diese wählen. Raspail’s System der Gräser gründet sich auf die oben angeführte Zahl der Nerven in der oberen Blumenklappe, dann auf die eben erwähnte Gestalt des Griffels, ferner auf den Blütenstand, endlich vorzüglich auf die Nerven der Klappen überhaupt, und die Gestalt der Schuppen (parapetala). So ist er unter andern zur Gattung Cynodon gekommen, welche begreift: Eragrostis, Jeptochloa, Poa sect. trinervia, Phragmites, Donax Beauv., Cy- nodon, Diplachne, Mühlenbergia Schreb., Eleusine, Chondrosium, Campulo- sus, Spartina Schreb. Ohe jam satis est! Die beiden Staubwege liegen oft dicht zusammen und machen bei- nahe einen aus, so dafs der Übergang zur Monogynia leicht ist; sehr oft aber sind sie ziemlich weit von einander getrennt, so dafs der obere Theil des Samens zweispitzig erscheint. Aber die Gefäfsbündel von beiden Staubwegen kommen auch bei diesen gar oft zusammen und vereinigen sich in einen, welcher in der Furche des Samens herab zum Embryo läuft. Wo keine Furche vorhanden ist, sieht man die beiden Bündel in einiger Entfer- nung über den Samen hinlaufen. Es ist hier von einem Dreifachen keine Spur, sondern die Theilung der Staubwege ist ein neuer Ansatz, wie die Entwicklung der Blüte über dem Fruchtknoten vieler Pflanzen. Wenn der Fruchtknoten sich vergröfsert, verschwinden diese Gefäfsbündel endlich ganz und gar. Dafs der Same der Gräser kein nackter Same sei, hat zuerst Tre- viranus zu Breslau durch die Untersuchung des jugendlichen Fruchtknotens erwiesen. Dieses peridium verwächst aber nachher so sehr mit der zesta des Samens nicht allem, sondern auch mit der inneren Haut desselben und dem albumen, dafs man sie nicht mehr unterscheiden kann. Nennt man die Frucht der Cyperoideen eine caryopsis, so verdienen die Gräser doch einen anderen Namen, denn in jenen verwächst das peridium zwar mit der testa, aber die innere Haut mit dem Kern bleibt immer getrennt; eine Tren- über die natürliche Ordnung der Gräser. 35 nung die bedeutend genug scheint, um darauf bei der Benennung Rücksicht zu nehmen. Auch geschieht an den Cyperoideen gerade das Gegentheil von dem, was an den Gräsern geschieht ; die äufserste Schaale oder das peridium wird dort gegen die Reife dicker und gefärbter, hier schwindet es immer mehr, und überzieht endlich als ein äufserst feines Häutchen die testa. Ich würde also der Frucht der Gräser einen andern Namen geben, und sie wegen der Ähnlichkeit mit dem Samen selbst, seminium Samenhülle nennen. Der Kern des Samens besteht aus dem Eiweils, albumen, wie es Gärtner nennt, ein schr passender Name, viel besser als perispermium, wie Jussieu sagt, oder als epispermium, wie es Richard ohne Noth verändert hat. Auf der äufseren Seite, nämlich auf der der äufseren und unteren Blumenklappe zugekehrten, an der Basis, befindet sich der Embryo. Er liegt dort nicht frei, sondern er ist unten mit dem Schildehen oder dem Eidotter (seutellum oder vitellus Gärtn.) verwachsen. Dieses Schildchen bildet eine längliche Platte, hinten gar oft in einen vorspringenden Rücken erweitert, welcher sich in das albumen gleichsam einkeilt. Die Substanz dieses Schildehens ist von der Substanz des albumen völlig gesondert, gar oft zeigt sie sich weifs und mehlig, indem das albumen hornartig ist; so dafs man bei Querschnitten die Grenzen zwischen dem albumen und »itellus deutlich sehen kann. Der Embryo liegt entweder oben frei und unten nur verwachsen auf dem »itellus, oder die- ser umgiebt jenen ganz und gar, entweder nach vorn zu mit einer ziemlich dicken Schichte (Oryza) oder einer dünnen (Zea Mays). Wo der Embryo nach vorn frei ist, steht oft ein Anhängsel, eine kurze, abgestumpfte Mem- bran, welche Richard epiblaste nennt, gleichsam, wie auch Richard schon erinnert hat, ein Ersatz für den von vorn, den Embryo umschliefsenden Theil des »rtellus. Der »itellus hat zu einer Streitigkeit zwischen den französischen Bota- nikern die Veranlassung gegeben, welcher zum Nutzen der Wissenschaft ge- führt worden ist. Mirbel bestimmte diesen »itellus als den wahren Cotyledon der Gräser. Richard behauptete dagegen in seiner Schrift über die Frucht, er sei das erweiterte Wurzelende. Mirbel vertheidigte seine Meinung, und Richard suchte dagegen die seinige, in einer äufserst genauen und sinn- reichen Abhandlung zu erweisen. Richard hält dagegen die Scheide oder den Überzug des Embryo am oberen Ende für den Cotyledon. Es hat mir immer geschienen (Grundlehren der Anat. u. Physiol. d. Pflanz. S. 240. E2 36 Lın x Annal. der Wetterauisch. Gesellsch. 2. Bd. 2. Hft. S.315. (!) Zlem. Philos. Botan.p.350.) als ob die Annahme von Kotyledonen für die sogenannten Monokotyledonen ganz unstatthaft sei. Das Schildchen der Gräser weicht doch dadurch von dem Kotyledon schr ab, dafs es nicht auswächst, sondern sogleich wie das albumen beim Keimen verzehrt wird. Die Scheide oder der Überzug wächst zwar mit dem Embryo beim Keimen aus, aber er ver- welkt nicht, nachdem er zur Ernährung beigetragen hat. Mirbel’s sowohl als Richard’s Meinung scheinen mir nicht zulässig. In den Elem. Philos. Botan. habe ich den »itellus mit den Anhängseln des Blattstiels verglichen, und im Ganzen scheint mir dieses noch richtig. Doch es liegt ein Vergleich viel näher. Der Embryo aller übrigen Monokotyledonen verlängert sich; es bricht dann nach unten an der Seite die gemmula oder plumula hervor und geht nach oben, die radiculae streben nach unten. Wie vergleichen wir nun dieses mit den Gräsern? Sehr leicht. Die gemmila in den Gräsern ist mehr entwickelt, der Theil des Embryo welcher die gemmula einschliefst ist hier geöffnet, zurückgeschlagen und bildet den »itellus. An einigen ist er es nicht ganz, wie vorhin von Oryza und Zea angeführt wurde, und zeigt noch mehr die hier angedeutete Analogie. Nennen wir den obern Theil des Embryo aus dem die gemmida hervorbricht mit Gärtner bacıllus, so ist der wvtellus der Gräser ein geöffneter dacillus. Es ist in der Regel, dafs man an das zunächst liegende zuletzt denkt. In der Ordnung der Gräser findet sich in einigen, im Ganzen seltenen Fällen, die sonderbare Abweichung, dafs der Embryo die Wurzel nicht aus einem Knötchen, sondern aus mehreren treibt. Semper solitaria occurrit, sagt Gärtner von der radieula, praeterguam in seminibus Secales, T'ritei atque Hordei, quibus solis in vastissimo cognitorum seminum agmine, ternae, qua- ternae aut senae radiculae rite formatae et bene a se invicem discretae ad sin- gulum embryonem concessae sunt. Richard setzt diesen Gattungen noch (') Ich mufs erinnern, dafs diese Abhandlung durch einige Auslassungen — vermuth- lich Schreibfehler — hier und da undeutlich ist. Es ist Richard’s Meinung über die Kotyledonen der Gräser, auch Mirbel zugeschrieben, welches einen Widerspruch macht. Es ist die Rede so, als ob gar kein vitellus in den Gräsern vorhanden sei, aber es wird auf den Zustand Rücksicht genommen, wo der Same gekeimt hat und der ganze vitellus verschwunden ist, um zu zeigen, dafs der vitellus kein vom Embryo wirklich verschiedener Theil sei. über die natürliche Ordnung der Gräser. 37 Avena und Coix hinzu (Anal. der Frucht. S. 64). Er fand nehmlich an Coix drei, aber vom Wurzelende eingeschlossene Knötchen (Annal. du Museum T.XVI.), und an #Avena sativa bald ein, bald zwei Knötchen. Es ist also sehr merkwürdig, dafs diese Abweichung besonders gebauete Gras- arten betrifft. — Coix wird in Ostindien gebauet, und die Samen werden nach Rumpf gegessen. 4vena ist vielleicht nicht lange genug gebauet, um schon beständig jene Abweichung zu zeigen. Zea Mays und Oryza sativa, ebenfalls eultivirte Grasarten, haben nur einen einfachen Wurzelknoten, aber man könnte dieses als einen Beweis ansehen, dafs sie nicht so lange, als die übrigen Getreidearten cultivirt sind. Mirbel meint (Annal. du Museum T. XIH. p. 149), diese Erscheinung könne nicht von der Cultur herrühren, denn in dem frühsten Zustande zeige der Embryo nur ein Knötchen. Aber wenn dem auch so wäre, so würde doch die Anlage, in mehr Knötchen aus- zuwachsen, nur an gebauten Gewächsen die gröfste Aufmerksamkeit verdie- nen, und es bliebe noch immer die Frage, ob man sie nicht der Einwirkung der Cultur zuschreiben, und für eine erbliche Anlage halten müsse. Mirbel fügt hinzu, auch nicht gebauete Gräser hätten an ihrem Embryo mehr Knöt- chen, und er führt 4grostis an. Welche Art er meint ist mir unbekannt. An Agrostis alba finde ich nur ein Knötchen. Wenn ich auch Mirbel’s Angabe nicht ganz läugnen kann, so bleibt doch diese Erscheinung an nicht gebaue- ten Grasarten höchst selten, und ein oder das andere Beispiel nimmt der Merkwürdigkeit jener Erscheinung nichts. Die Entwickelung des Embryo in den Gräsern hat Treviranus in Breslau an einigen Beispielen genau beschrieben. Ehe der Embryo erscheint besteht das Ei aus zwei Umhüllungen, dem pericarpium und der testa senunis, wovon die erstere immer dünner wird, und endlich als ein zartes Häutchen den Samen überzieht, wie schon oben erwähnt wurde. Dann erscheint in- wendig eine Hölung, welche ein an beiden Enden verschmälerter Körper aus- füllt, das Eiweis (albumen), und zwischen diesem und der Umhüllung die in- nere Membran. Zuerst nimmt die Hölung von unten an, kaum die Hälfte des Samens ein, später erweitert sie sich nach oben und mit ihr das Eiweifs. Nun erscheint am Grunde der Höle, innerhalb eines Fortsatzes, in welchem die innere Samenhaut sich ausdehnt, der Embryo, also aufserhalb des Ei- weifses. So verhält es sich auch mit wenigen Abänderungen bei anderen Grä- sern. Herr Raspail hat auch Beobachtungen über die Entwickelung des 38 Lis x 4 Embryo angestellt (Annal. des sciene. naturell. T.VI.p.224). Er sagt auf funfzehn Seiten noch nicht so viel als Treviranus auf anderthalb. Aber eine treffliche Bemerkung welche Herr Raspail in dem Verfolg jener Abhandlung (p. 304.) macht, dürfen wir nicht übergehen. Er bemerkte nehmlich, dafs sich die äufsere Hülle des Eies durch Jod blau färbt, nicht aber das Innere desselben, welches zum Eiweifs (perisperme) wird, dafs hier- auf aber das Eiweifs und endlich der Embryo gefärbt wird. Er schliefst dar- aus sehr richtig, dafs zuerst die äufserste Umhüllung nur Stärkmehl zur Er- nährung des Eiweifses enthalte, dafs nachher dieses Stärkmehl enthält, und endlich es dem Embryo übergiebt. Derselbe Schriftsteller glaubt auch die Entdeckung gemacht zu haben, dafs jedes Korn von Stärkmehl, sowohl der Grasarten als anderer Pflanzen, erstlich aus einer Haut bestehe, welche Wasser und Säuren bei der gewöhn- lichen Temperatur nicht angreifen, und welche vom Jod dauernd gefärbt wird; zweitens, aus einer auflöslichen Substanz, welche beim Verdunsten die Eigenschaft verliert sich mit Jod zu färben, und welche alle Eigen- schaften eines Gummi hat. Er röstete Stärkmehl, brachte Weingeist hinzu, und sah unter dem Mikroskop den Weingeist eine flüssige Substanz auflösen und die Häute liegen. Das ist wohl möglich; es hatte sich ein empyreu- matisches Ol erzeugt und das zog der Weingeist aus. Er brachte Kartoffel- stärke mit Salzsäure zusammen, und jene wurde aufgelöst, aber Verdünnung mit Wasser stellte die Häute wieder her. Davon sehe ich nichts. Salzsäure löst alles Stärkmehl auf und Wasser stellt kein Häutchen her. Hat Herr Raspail sich durch Luftblasen täuschen lassen? Es ist sehr richtig was Parmentier sagt dafs Mays wenig Stärkmehl enthält, denn das Samen- korn besteht gröfstentheils aus einem äufserst feinen Zellgewebe, und die ge- bogenen, zerdrückten Amylumkörner, welche Herr Raspail im Maysmehl sah, waren unstreitig dergleichen Zellen. Die grofse Unregelmäfsigkeit der Stärkmehlkörner, besonders in den Kartoffeln, hätten den Verfasser schon von der Meinung abbringen können, dafs die Stärke ein solches regelmäfsiges Gebilde sei, wie die Zelle selbst. Aber die schätzbare Beobachtung des Herrn Raspail, dafs auch die Antheren durch Jod blau gefärbt werden, ist nicht zu übergehn. Wir kommen nun zu der Eintheilung der Gattungen, welche wir auf eben die Weise, und nach eben den Grundsätzen hier abhandeln wollen, über die natürliche Ordnung der Gräser. 39 wie dieses mit den Kryptophyten (Abhandl. d. Akad. d. Wissensch. 1824.) geschehen ist. Nur scheint es mir jetzt, als ob die Zeichen, welche dort ge- braucht wurden, die Übersicht mehr erschweren als erleichtern, und ich werde mich ihrer dieses Mal enthalten. Warum die Wurzel, der Stamm und die Blätter von der Eintheilung der Gräser auszuschliefsen sind, ist schon oben gesagt worden. Die Wurzel bietet keine bedeutende Verschiedenheiten dar, der Stamm eben so wenig, den Mangel der hervorspringenden Knoten ausgenommen, und dieser trennt nur die Molinia (Enodium), die Blätter können zugleich zusammengeschlagen und eingewickelt sein. Wir gehen also sogleich zum Blütenstande fort. Hier erscheint der Unterschied von Ähre oder Traube und Rispe, ein Unterschied, der seit Scheuchzer schon zur Eintheilung der Gräser gedient hat. Aber diesem Unterschied reihet sich noch ein anderer an, nehmlich, wo Ährchen (nicht einzelne Blüte) von verschiedenem Geschlecht auf besonderen Stielen stehen. Er ist von doppelter Art: Entweder sind Ährchen mit Zwitterblü- ten, und männlichen oder weiblichen neben einander gestellt (Polygamae), oder männliche und weibliche Blüten sind ganz getrennt (Dielinae). Die Ähre geht in die Rispe über, auf eine doppelte Art. Die Ähre wird zur Traube und dann zur Rispe; ein Unterschied der kaum Grenzen zuläfst. Wir wollen daher die Gräser mit Trauben nicht von denen mit Äh- ren trennen, wenigstens sie in einer Folge gehen lassen. Oder der Übergang geschieht durch Seitenähren. Dafs die Ähre eine Seitenähre ist, zeigt sich durch den Ausschnitt an der Spindel, welcher nicht vorhanden sein würde, wenn die Ähre die Endähre eines Astes wäre; auch sind die einzelnen Ähren fast immer einseitig. Der Fall, dafs die Ähre ästig wird, gehört, wie man leicht einsieht, nicht hieher; die Seitenähre ist nie ästig. So entstehen folgende Unterordnungen : I. Spicatae terminantes (monoclinae). I. Spicatae terminales (monoclinae). III. Paniculatae (monoclinae). IV. Polygamae. V. Diclinae. 40 Liınx I. Spicatae terminantes. Die Bractee aus deren Winkel die Ährchen hervorgekommnn, ist hier zuweilen 4. noch vorhanden. Die Ährchen passen 1) in eine Aushölung der Spindel; der einfachste Fall, und eine Ähre in der eigentlichsten Be- deutung des Wortes, Ophiurinae: Epiphystis, Ophiurus, Psilurus, Orope- tium, Lodicularia, Stenotaphrum, Rotiboella. Sie sind alle einblütig oder halbzweiblütig. Oder 2) das Ährchen pafst nicht in eine Aushölung der Spindel Zoliaceae: Lolium. Sie sind alle vielblütig. Die Bractee fehlt, 3. Gewöhnlich ist an ihrer Stelle ein Zahn vorhan- den. 1) Die Bälglein (vaivae) fehlen ; Ähre einseitig, Nardinae: Nardus. Die einseitige Spindel, gleichsam als fehle der Hauptstamm, das einblütige Ährchen, der einfache, gar nicht getheilte Griffel, der einzige Fall unter den Gräsern, bezeichnen eine niedrige Entwickelungsstufe. 2) Die Bälglein (valvae) fehlen; Ähre nicht einseitig, Perotideae: Perotis. 3) Die beiden Bälglein stehen neben einander, Jegllopinae: Aegilops. 4) Die beiden Bälg- lein (valvae) stehen seitwärts geschoben, Hordeinae: Asprella Humb. Ely- mus, Hordeum. 5) Die beiden Bälglein stehen mit der inneren Fläche gegen einander über, Triticeae: Secale, Triieum, Agropyrum, Brachypodium, Trachynia (Festuca distachyos), Gaudinia, Brizopyrum (Poa sicula), Cata- podium (Triticum loliaceum), Wangenheimia (Cynosurus Lima), Oreochloa: (Sesieria disticha). Wo die Stellung der Bälglein die gewöhnliche ist, wol- len wir in der Eintheilung weiter gehen. Alle diese Familien sind vielblütig und haben gar keine Ährchenstiele oder kurze und dicke, oder feine Stiele. Also 6) Einblütige Ährchen, die Stiele an die Spindel gewachsen, Zoysinae: Zoysia. 7) Einblütige Ährchen, die Stiele kurz und dünn ; Chamagrostideae: Sturmia. 8) Zweiblütige Ährchen, eine Blüte männlich, eine weiblich; Cha- maeraphis.? C. Eine besondere Hülle umschliefst die Ahrchen. Diese Hüllen haben oft eine Neigung sich zu verdicken und hart zu werden, um einen falschen Fruchtbehälter zu bilden. Statt dessen verdichten sich auch ein- zelne Bälglein (valvae) oder Spitzen (valvulae). Auf diese Weise haben wir: 1) Eine einblättrige, an der Seite stehende Hülle, Critha Willd. Herb. 2) Eine Hülle, welche die Ährchen ganz umgiebt, Cenchrinae: Cenchrus, Antephora. 3) Das innere Bälglein ist verdichtet, Zappagineae: Lappaga. über die natürliche Ordnung der Gräser. 41 D. Vier Staubfäden. Die Gattung Tetrarrhena Brown. scheint hie- her zu gehören. II. Spicatae laterales. A. Die Ährchen sind in eine Hölung der Spindel ganz oder fast ein- geschlossen. Die Blüten Zwitter und männlich, Trachysiaceae: Trachys. Entspricht I. 4. 1. und schliefst sich dort an. 2) Die Blüten männlich und weiblich: Nerochloa. B. Die Bälglein sowohl als die Spelzen kielförmig gebogen, und seit- wärts einander umfassend. 1) Einblütige Ährchen, Spartinaceae: Spartina. 2) Einblütige Ährechen; ein Stielcehen deutet eine zweite Blüte an, Cyno- donteae: Cynodon. 3) Zwei und mehrblütige Ährchen, Chlorideae: Echino- laena, Dineba, Tetrapogon, Leptochloa, Chloris, Tleusine, Dactyloctenium, Diplachne s. unten Campulosus, Beckmannia. 4) Ährchen zwei und mehr- blütig; eine Blüte in eine mehrzackige Granne übergegangen, oder die männliche und unfruchtbare Blüte mehr gegrannt, Chondrosiaceae : Chon- drosium, Jtheropogon, Heterostega, Triaena, Pentarrhaphis, Polyodon. C. Die Bälglein sowohl als die Spelzen flach, am Rande nur umfas- send. 1) Einblütige Ährchen, Paspalaceae: Mierochloa, Reimaria, Paspa- Jus, Helopus. 2) Halbzweiblütige Ährchen, Paniceae: Digitaria, Strepto- stachys, Hymenachne. D. Die Ährchen sind mit Haaren umgeben. Die Haare stellen eine Hülle vor und sind also von Bedeutung, Eriochloinae: Eriochloa, Axonopus, Dimeria, Xystidium? Diese Familie verbindet sich mit den borstentragen- den Paniceae. IN. Paniculatae und zwar Uniflorae. 4. Die Rispe ist noch nicht entwickelt. 1) Die Rispe zusammenge- drängt, die Stiele von Anfang an verdickt, Chaeturinae: Chaeturus. 2) Die Ahrchenstiele stehen wirtelförmig g, und haben unter ihrem Ursprunge Bra- cteen, Coleanthi: Schmidta. B. Die Rispe ist entwickelt. 1) Die Rispe bildet einen thyrsus. Selten ist ein vollkommner thyrsus vorhanden, das heifst, wo die Spindel auch unten nicht gegliedert, oder mit Knoten versehen ist. Schon in der Abthei- Phys. Klasse 1825. F 42 Lrnx lung von Phleum, welche Palissot de Beauvois Chilochloa nennt, sind an der Basis des Straufses zwei bis drei und mehr Knoten. Doch gehen die Knoten an der wahren Rispe bis dicht an die Spitze, hier sind ihrer nur drei oder vier von unten vorhanden, Phleodeae:, Phalarıs, Achnodon, Phleum, Crypsis, Colobachne, Alopecurus, Cornucopiae, Polypogon, Gastridium, Echinopogon. 2) Die Rispe ist ausgebreitet, Agrostideae : Agrostis, Mühlenber- gia, Clomena, Podosemum, Anemagrostis, Calamagrostis, Limnas? Cinna, Sporobolus, Colpodium, Pentapogon? Die Familie reiht sich 1.2.7. an. Da sie schon bedeutend grofs ist, so mag man folgende trennen. 3) Die Glumelle hat einen kurzen, dicken, kegelförmigen Stiel, ist selbst knorplig mit flachen Spelzen, Miliaceae: Milium, Urachne. 4) Die Glumelle hat einen sehr dünn und spitz zulaufenden, kegelförmigen Stiel, Süpaceae: Aristida, Stipa, Streptachne, Lachnagrostis, Pentapogon? Anisopogon? Hätte diese und die vorige Familie drei parapetala, so wäre dieses ein treflliches Kenn- zeichen. Aber ich sehe sie nicht. 5) Die Bälglein fehlen, #sperellinae: Leersia. C. Die Ährchen sind mit Haaren oder einer Hülle umgeben. 1) Mit Haa- ren, Zaguroideae: Lagurus. 2) Mit einer Hülle, Amphupogon, Diplopogon. D. Sechs Staubfäden, Oryzınae: Oryza. IV. Paniculatae subbiflorae. Zwei oder drei Blüten, einander ungleich, eine oder zwei immer männ- lich oder ganz geschlechtslos. 4. Eine der Blüten ist Zwitterblüte. 1) Die fruchtbare Blüte knorplig, die unfruchtbare männliche oder geschlechtslose dem Kelch ähnlich, Paniceae: Orthopogon, Echinochloa, Panicum, Pen- nisetum, Setaria, Gymnothrix, Penicllaria, Anthenanthia? Neurachne? Schliefst sich an I. €. 2. und wegen der knorpligen Blüte, an IH. 2.3. 2) Die unfruchtbare Blüte dem Kelch unähnlich; männlich, oder geschlechts- los, Trristeginae: Tristegis, Acratherum (gram. nov.) Arthraxon. Eetrosia Br., Triraphis Br. 3) Die unfruchtbare Blüte ist in eine Granne übergegangen ; Deyeuxia, Pleuroplitis? Trin. 4) Eine Zwitterblüte, eine geschlechtslose und eine unvollkommene knorplige: /chnanthus? 5) Eine Zwitterblüte, und zwei geschlechtslose, einspelzige, jener ganz unähnlich, Anthoxantheae: über die natürliche Ordnung der Gräser. 43 Anthoxanthum. 6) Eine Zwitterblüte, und zwei geschlechtslose, einspel- zige, jener an Structur nur nicht an Form ähnlich, Phalarideae: Phalaris. 7) Eine Zwitterblüte und eine weibliche, Coelachne. B. Eine männliche und eine weibliche Blüte in einem Kelche: /sachne, Spodiopogon, Zeugites. C. Sechs Staubfäden, Zhrharunae: Ehrharta. V. Paniculatae Multiflorae. A. Ein Thyrsus, Echinariaceae: Echinaria, Trichaeta, Psilathera (Sesleria tenella), Sesleria, Echinolysium, Pappophorum, Streptogyne. BD. Die Spindel ist ausgeschnitten, mit einem einfachen, höchstens zweifachen Abschnitt. 1) Die G/uma ist kürzer als die untere Blüte, so dafs die Ähre pyramidenförmig erscheint, Festucaceae: Festuca, Fulpia, Sclero- chloa, Arthrostachya, Dactylis, Diplachne, Ceratochloa, Libertia, Calotheca, Aeluropus? Uniola, Diarrhena, Chasmanthium (Uniola gracilis), Uralepsis. 2) Die Gluma ist länger als die unteren Blüten, Nelieaceae: Melica, Schis- mus, Triodia. C. Die Spindel hat mehrere Ausschnitte, oder vielmehr zarte Reife. 1) Die Ährchen pyramidenförmig wie 3.1, Glycerinae: Koeleria, Bromus, Schoenodorus (Poa violacea), Tridens, Glyceria, Hydrochloa, Poa, Era- grostis, Briza, Molinia. 2) Die Gluma ist gröfser als die untere Blüte, Avenaceae: Avena, Trisetum (Festuca segetum), Campella (Deschampsia), Corynephorus, Pentameris, Arrhenatherum, Holeus, Airochloa, Aıra, Phrag- mites, Gynerium (dieicum), Ampelodesmos, Arundo, Scolochloa, Triplasis? Friachne ? D. Die Ährchen haben unten Bracteen, oder sind davon unterstützt. Drei Staubfäden, zwei Parapetala ; Cynosurus. E. Die Ährchen haben unten Bracteen, drei Staubfäden, drei Para- petala, Triglossinae: Ludolfia. F. Die Ährchen haben unten Bracteen, sechs Staubfäden, Bambu- saceae: Bambusa, Nastus. G. Vier Staubfäden: Microlaena. 44 L ı x x über die natürliche Ordnung der Gräser. VI. ‚Polygamae. Hier wiederholen sich alle obigen Formen des Blütenstandes. Da der Gattungen aber nicht viele sind, so wollen wir sie nur neben einander setzen: Haemarthria, Homoplitis, Ischaemum, Aegopogon, Andropogon, Pollinia, Sorghum, Saccharum, Imperata, Eriochrysis, Lycurus, Elionurus, Diectomis, Manisuris, Apluda, Anthesteria, Hilarıa. VN. Dicelinae. Laufen alle Formen, wie die vorigen, durch: T’ripsacum, Lepeocercis, Heteropogon, Pariana, Catospermia (Milium amphispermum Pursh.), Zi- zania, Melinum., Olyra, Pharus, Cox, Zea, Thuarea, Potamophila, Luziola. Ganz abweichend ist Zygeum dadurch, dafs die Hülle in ein wirk- liches Pericarpium übergeht. ——— BB DR u— Beschreibung einer seltenen menschlichen Zwitterbildung nebst vorangeschickten allgemeinen Bemerkungen über Zwitter-Thiere. Von H® D, KR. A, BUDOLPHT nimriniridirrvV [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Oktober 1823. ] D. Naturforscher sind darin einverstanden, dafs es, im Verhältnifs ge- gen die Pflanzen, unter den Thieren nur wenige wirkliche Zwitter, oder Hermaphroditen, giebt, das heifst Thiere, die mit beiderlei Geschlechts- theilen versehen, sich selbst begatten nnd dadurch fortpflanzen. Allein alle Naturforscher haben bisher noch viel zu viele Thiere für solche Zwitter ge- halten, da es eigentlich nur drei ganz verwandte Gattungen niedrig stehen- der Thiere giebt, deren ganz eigenthümlicher Bau des Körpers einen sol- chen Hermaphroditismus gestattet. Bei keinem Wirbelthiere findet sich derselbe, und wenn man ihn bei einigen Fischen angenommen hat, so läfst sich das leicht widerlegen. Cavolini (*) hat in seinem vortrefflichen Werke über die Erzeugung der Fische und Krebse eine Fischart (Perca marina) als hermaphroditisch beschrieben und abgebildet, wo es natürlich auffallen mufste, dafs erstlich zugleich zwei Hoden und zwei Eierstöcke vorhanden sein sollten, und zwei- tens, dafs diefs bei einem Fisch vorkommen sollte, der äufserlich in seinem Bau von den zahlreichen verwandten Arten nichts Abweichendes zeigt. Wie ich daher im Sommer 1817 zwei Monate in Neapel verlebte, hatte ich nichts Angelegneres, als mir über diesen Punct Licht zu verschaf- (*) Memoria sulla generazione dei pesci e dei granchi, di Filippo Cavolini, Napoli 1787. 4. p. 97. Fig. 16.-18. In der deutschen Übersetzung, Berlin 1792. 8. S. 84. 46 Renouemı fen, und ich fand es sehr leicht. Die beiden Geschlechter jenes Fisches haben, wie es schon von mehreren Fischen beobachtet ist, verschiedene Farben, erhielten daher auch verschiedene Namen und wurden für beson- dere Arten gehalten. Das gröfsere Weibchen ist blau, das etwas kleinere Männchen roth; jenes wird für Perca marina, dieses für Perca cabrilla ge- halten; sie haben aber, jene Grundfarben abgerechnet, dieselben schwar- zen Schattirungen und sehen sich sonst durchaus gleich; ich fand auch unter den vielen (über zwanzig) Individuen, die mir von den Fischern in Seewasser lebend auf mein Zimmer gebracht wurden, ein Paar Weibchen von minder blauer Farbe; die Männchen hingegen waren immer roth. Cavolini hatte nur die Weibchen untersucht; diese haben nur Eier- stöcke, allein ein grofser Theil der letzteren hat an der untern Fläche eine weifsere Farbe und dichtere Consistenz, und das hielt Cavolini für Ho- den. Dieser weifse Theil hängt aber durchaus mit den Eierstöcken zusam- men, und bildet geradezu einen Theil ihrer Wand, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man die Eierstöcke aufschneidet; diese haben auch blos ihre gewöhnlichen Öffnungen , und jener dichtere, weifsere Theil ihrer Wände hat nichts von einem Ausführungsgange (was deferens), noch in sich die sogenannte Milch oder Samenflüssigkeit. Wenn Cavolini die Substanz des Theils damit vergleichen zu können glaubte, so sagt das nicht viel, da der unentwickelte Hoden oft wenig Eigenthümliches zeigt, und andern zellstoffigen Theilen sehr ähnlich sieht. Ich habe diese Fische nur im Junius und Julius gesehen, und hielt jenen weifseren, dichteren Theil der Eierstöcke für eine unentwickelte Par- thie derselben, da sich bei manchen Fischen die Eierstöcke nicht mit einem Mal ganz entleeren. Eine fortgesetzte Beobachtung, wozu ich unsern trefflichen v. Olfers aufgefordert habe, der sich jetzt in Neapel aufhält, wird bald entscheiden, ob das der Fall ist, oder ob es eine Eigenthüm- lichkeit jener Eierstöcke ist, dafs ein Theil ihrer Wände dicker ist und so bleibt. Eben so wenig findet sich ein Hermaphroditismus bei der Gattung Petromyzon, wo ihn Everard Home (*) angenommen hatte. Von der Lamprete (Petromyzon marinus) fand ich schon 1817 Präparate im anato- (*) Aus den Philos. Transact. in seinen Vorlesungen über die vergleichende Anatomie. über Zwitterbuldung. 27 mischen Kabinet zu Pavia, die den Ungrund jener Meinung beweisen soll- ten, die ich aber nicht Gelegenheit hatte, näher zu untersuchen ; und über das Neunauge (P. Hluviatilis) habe ich selbst eine Reihe von Beobachtungen angestellt, die dasselbe Resultat gaben. Ich liefs mir nämlich im Jahr 1818 von acht zu acht Tagen frische Neunaugen aus Pommern senden, fand Milcher und Rogner, und in beiden allmählige Entwicklung ihrer Geschlechtstheile, wie sich erwarten liefs. Bojanus hat auch den Ungrund der Home’schen Beobachtung bei dem Neunauge dargethan, und Jeder wird ihn sehr leicht finden. Einen äufser- lichen Unterschied der Geschlechter findet man aber bei diesen so wenig, als bei sehr vielen andern Fischen. Von dem verwandten Geschlechte Gastrobranchus (Myxine Linn.) ist dasselbe zu erwarten, und vielleicht erhalten wir bald darüber Nach- richt durch Retzius, dem wir schon andere interessante Bemerkungen über diefs seltsame Geschlecht verdanken. So wenig als bei den Wirbelthieren, ist bei irgend einem Insect im Linneischen Sinn, oder nach der jetzigen Eintheilung, bei den Crusta- ceen, Arachniden und Insecten, ein Hermaphroditismus beobachtet. Bei den Mollusken ist es sehr verschieden. Die Cephalopoden sind ohne Ausnahme getrennten Geschlechts. Von den Gasteropoden ist ein Theil eben so beschaffen; ein anderer ist androgyn, das heifst, die dahin gehörigen Thiere, wie z. B. die nackten und sehr viele mit einem Gehäuse versehene Schnecken besitzen beide Geschlechtstheile, können sich aber nicht selbst begatten, sondern leisten nach einander oder zugleich, immer aber mit andern Individuen, Dienste des Männchens und Dienste des Weib- chens. Ein dritter Theil der Gasteropoden,, die Pteropoden, die Acepha- len und die Cirropoden werden hermaphroditisch genannt (*), allein sie besitzen erstlich keine Theile, wodurch eine Begattung geschehen könnte, man sieht hier auch nur zweitens irgend einen Theil, selbst zuweilen die Wände der Eiergänge als befruchtend oder männlichen Samen ergiefsend an, ohne diefs jedoch irgend erweisen zu können, so dafs die ganze An- nahme, wenigstens zur Zeit, willkührlich ist. (*) Der Bau der Geschlechtstheile der Brachiopvden ist noch nicht bekannt, wahrschein- lich aber besitzen sie einen ähnlichen, als die Acephalen. Ruvourrmı N je.) Die Gliederwürmer oder Ringwürmer (Annulata) sind wohl sämtlich androgyn; bei den gröfseren und bekannteren ist diefs wenigstens erwiesen. Unter den Eingeweidewürmern ist die allerzahlreichste Ordnung, nämlich die der Rundwürmer (Nematoidea), ohne Ausnahme getrennten Geschlechts, so dafs eine wirkliche Begattung unter zwei Individuen statt findet, und dasselbe gilt von der kleineren Ordnung der Hakenwürmer (Acanthocephala). Die dritte Ordnung, die der Saugwürmer (Trematoda), ist nach der gewöhnlichen Ansicht hermaphroditisch, jedoch ohne Begat- tung. In der vierten Ordnung, (Cestoidea), scheint ein Theil von dersel- ben Beschaffenheit; ein Paar Gattungen jedoch sind rein hermaphroditisch ; wovon gleich mehr. Die fünfte Ordnung der Blasenwürmer erscheint ohne Theile, denen man eine Geschlechtsverrichtung zuschreiben könnte. Die Strahlthiere (Radiata) sind zum Theil in eben dem Falle, gro- fsentheils gehören sie jedoch zu den Thieren, welche sich zwar nicht be- gatten, allein in eigenen Organen die Keime bereiten, wie die obengenann- ten Saugwürmer. Die eigentlichen Zoophyten oder die polypen-artigen Thiere pflanzen sich nur durch Theilungen oder Sprossen fort. Die eigentlichen Infusions- thiere scheinen wenigstens zum Theil in eben dem Fall; die andern mögen sich nie fortpflanzen, sondern immer neu gebildet werden. Es versteht sich aber, dafs man sich diese Ordnung von den vielen jetzt darunter ge- rechneten, zum Theil sehr zusammengesetzten Thieren, getrennt denken mufs, deren manche den Crustaceen, andere aber vielleicht einer eigenen an die Rundwürmer gränzenden Ordnung anheimfallen. Für streng hermaphroditisch kann ich nur einige Gattungen der Cestoiden unter den Eingeweidewürmern halten, nämlich 7zenta, Bothrio- cephalus und ZLigula, wovon die beiden ersten an Arten sehr zahlreich sind. Bei den ersten beiden Gattungen ist der lang gestreckte, oft mehrere, ja zu- weilen sehr viele Fufs lange Körper in einzelne deutliche Glieder getheilt, so dafs Vallisnieri, Linne und manche andere Naturforscher sich ehmals verführen liefsen, jedes Glied für ein eigenes Thier und das Ganze für eine Reihe an einande: geketteter Thiere zu halten. Bei Zigula ist die Theilung minder deutlich, allein die Reihe der aufeinander folgenden männlichen und weiblichen Geschlechtstheile ist von der gewöhnlichen Art der Anord- mung bei jenen nicht verschieden. über Zwitterbildung. 49 Ich habe nämlich eine eigenthümliche Bildung bei Taenia scolecina (aus dem Cormoran) entdeckt: statt dafs sonst jedes Glied den männlichen und weiblichen Theil zugleich enthält, ist bei ihr die vordere Strecke der Glieder blos männlich, die hintere blos weiblich. Bei allen diesen Thieren ist natürlich die Selbstbegattung der Glieder unter sich sehr leicht, so dafs auch schon Carlisle diese Ansicht fafste, und ihm alle darin beistimmten; doch ist es nicht nöthig, dafs die Thiere dazu Knoten schlagen, sondern indem sich die Glieder aneinander legen, können sich ganze Reihen derselben begatten. So habe ich auch selbst ge- sehen, was ein hiesiger junger vielversprechender Naturforscher, Ferdinand Schultz (*), entdeckt hatte. Er brachte mir nämlich Bandwürmer, wo Glie- der desselben Wurms, aber auch die von ein paar Individuen untereinander in der Begattung waren. Vergleicht man hiermit den Bau der Acephalen, und anderer für her- maphroditisch gehaltenen Thiere, so sieht man bald den grofsen Unter- schied, und wo bei einfachem Körper keine wechselweise Begattung oder ein Androgynismus statt findet, darf man nicht deswegen auf Hermaphrodi- tismus schliefsen. Die Eier mögen in verschiedenen Theilen entstehen, und sich ausbilden, namentlich auch die Überzüge erhalten; nichts berechtigt uns aber einen derselben als männlich und befruchtend anzusehen. Wenn aber dem Obigen gemäfs ein wahrer, nicht zu bezweifelnder, Hermaphroditismus, im Thierreich höchst selten erscheint, so ist es dagegen unter den Thieren, die im normalen Zustande ganz getrennten Geschlechts sind, nicht selten, dafs monströs in einem Individuum einzelne Theile männ- lich, andere weiblich sind, und zwar auf eine doppelte Weise, nämlich dafs entweder die äufsern und innern Theile darin unter sich abweichen, oder dafs die Organe der einen Seite männlich, die der andern weiblich sind, und mit diesen werde ich mich nur gegenwärtig beschäftigen. In der ganzen Klasse der Würmer ist bis jetzt kein seitlicher Herma- phroditismus beobachtet, und man sollte vermuthen, dafs er auch nie vor- kommen werde, weil nicht die Geschlechtstheile nach beiden Seiten sym- metrisch vertheilt sind, so dafs die eine Hälfte männlich, die andere weib- lich werden kann. (%) Leider ist derselbe im Sommer 1826 an einer Brustkrankheit verstorben. Phys. Klasse 1825. G 50 Rvwpo u? mı Unter den Insecten im strengeren Sinn kommt diese Abweichung hin- gegen sehr häufig vor, und zwar fast allein bei den Schmetterlingen. Zwar sagt Germar (in seinem Magazin 1.B. 1.St. S. 134.) wo er von dem seit- lichen Hermaphroditismus spricht: ‚‚,Auch von der Käfergattung Melolontha hat man einzelne Beispiele;”’ allein in Meckel’s Archiv 5. Bd. S. 366. sagt er blos, dafs er sich erinnere, einmal irgendwo eine Melolontha solstitialis gesehen zu haben, die einen männlichen und einen weiblichen Fühler hatte. Das ist also ein einziger, wenig ausgezeichneter Fall (*). Die erste Beobachtung eines Zwitterschmetterlings theilte Jac. Chr. Schäffer mit (Der wunderbare und vielleicht in der Natur noch nie er- schienene Eulenzwitter. Regensb. 1761. 4.). Sie betraf den in seinen beiden Geschlechtern so sehr verschiedenen und daher benannten Bomby.x dispar. Die rechte Seite (Fühlhorn, Körper, Flügel) war männlich, die linke weib- lich. Der bekannte holländische Entomolog Voet hatte sie 1756 aus der Raupe gezogen. J. Ant. Scopoli (I/ntroductio ad historiam naturalem. Prag 1777. 8. p- 416.) beschrieb den zweiten, ihm von Piller mitgetheilten Fall. Zwei Raupen des Dombyx Pini sollten sich nämlich in einen Cocon eingesponnen und in eine Puppe verwandelt haben, aus der ein Zwitter hervorkam, des- sen eine Seite männliches Fühlhorn und männliche Flügel zeigte, während die andere weiblich war: welche, ist nicht gesagt, auch sind die gröfseren Flügel fälschlich die männlichen genannt. Die männliche Seite soll das Zeu- gungsglied ausgestreckt und die Eier der weiblichen Seite befruchtet haben, aus denen vollkommne Raupen hervorkamen. Hier ist viel Falsches und Unwahrscheinliches, wovon in der Folge. Nachher gab Esper (Beobachtungen an einer neuentdeckten Zwitter- Phaläne des Bombyx Crataegi. Erlangen 1778. 4.) die Beschreibung eines aus der Raupe gezogenen Spinners (B. Cr.) wo die rechte Seite (Fühlhorn, Körper, Flügel) männlich, die linke weiblich war. (*) Ein desto merkwürdigerer ist dagegen von einem hoffnungsvollen jungen Studirenden, Eduard Wiebel aus Wertheim, der leider hier am 5. Novbr. 1827 am Typhus gestor- ben ist, beobachtet. Er fand nämlich im Jahr 1826 einen todten Hirschkäfer, dessen eine Seite mit dem Geweih versehen und durchaus männlich ist, während die andere sich ganz weiblich zeigt. Das Exemplar ist auf unserm zoologischen Museum, und Klug wird es be- schreiben und eine Abbildung davon mittheilen. über Zwitterbildung. 51 Bei einem Zwitter der Bombyx Quereus, welchen Hettlinger (Rozier Observ. de Physique T. 26. p. 270.) beschrieb, war die rechte Seite (Flügel und Fühlhorn) weiblich, die linke männlich; von einer Verschie- denheit der Körperhälften sagt er nichts; das Thier legte auch gleich Eier, so wie es aus der Puppe geschlüpft war; vielleicht war also der Körper ganz weiblich, wie bei dem folgenden. Capieux (Naturforscher 12.St. S.72. Taf.2. Fig. 6.) beschreibt näm- lich einen Zwitter des kleinen Pfauenauges (Bomby.x Pavonia minor oder Carpini) an dem die Flügel und das Fühlhorn an der linken Seite männ- lich, an der rechten weiblich waren, der Körper sich hingegen blos weib- lich zeigte. Ernst (Papülons d’Europe T.II. Paris. 1782. 4. p.123. Taf. 122. n. 114.) bildet einen Zwitter des Sphinx Convolvuli ab, dessen Fühler und Flügel rechts männlich, links weiblich sind; an dem Körper kann ich keine Theilung bemerken ; das rechte Auge scheint mir aber etwas gröfser. Frz.v.P.Schrank (Fauna Boica. I. 1. Ingolst. 1801. 8. S. 192.) führt einen Papilio 4talanta an, den er selbst aus der Raupe gezogen, der zwar an Farbe und Zeichnung nicht von den übrigen Individuen abwich, aber, ohne verschrumpft zu sein, alle Theile der rechten Seite kleiner hatte. Doch scheint dies nur von den Fühlern und Flügeln zu gelten, da er deren Maafse angiebt, allein gar nicht vom Unterleibe spricht. Ferd. Ochsenheimer (Die Schmetterlinge von Europa. 4. Bd. Lpz. 1816. 8. 3.186. u.fg.) hat mehrere Zwitter beschrieben, die ich grofsen- theils vor acht Jahren bei ihm in Wien gesehen habe. Er theilt sie in voll- ständige und unvollständige: jene wo Fühlhörner und Flügel beider Ge- schlechter deutlich wahrnehmbar sind ; diese, wo das eine oder andere Ge- schlecht vorherrscht. Als vollkommene Zwitter führt er folgende auf: 1. Papilio (Argynnis) Paphia. Rechts männlich, links weiblich ; die Fühler gleich, die Unterseite mit beiden Geschlechtern übereinstimmend, der Hinterleib rechts mit einem Afterbüschel. 2. Papilio (Lycaena) Alexis. Die Fühler gleich, die rechte Seite weib- lich, mit einem schwachen Anfluge von Blau am Innenrande des Hinterflü- gels; die linke männlich. Die Unterseite wie bei den verschiedenen Ge- schlechtern, der Hinterleib weiblich, oben hellblau gefärbt. G2 52 R6D0 WB mI 3. Bombyx (Saturnia) Pyri. Rechts männlich, links weiblich. Der Hinterleib ist etwas geschmeidiger (soll wohl schlanker heifsen) als bei dem Weibe; am Ende desselben zeigen sich beide Geburtsglieder in ihrem vollkommnen Zustande sehr deutlich nebeneinander. 4. Bombyx (Saturnia) Carpini, von vorzüglicher Gröfse. Die linke Seite ist männlich, die rechte weiblich; der Hinterleib weiblich, nur mit dem deutlichen weiblichen Zeugungsgliede. 5. Bombyx (Endromis) versicolor. Rechts männlich, links weiblich; der Hinterleib weiblich, aber auf der rechten Seite wie bei dem Mann ge- färbt. Die Geburtstheile sind wegen des stark behaarten Afters nicht zu sehen. 6. Bombyx (Harpyia) Vinula. Die rechte Seite ist männlich, die linke und der Hinterleib weiblich. Das männliche Geburtsglied ist zurückgezo- gen, das weibliche sichtbar; an ihm hängen fünf braune Eier, die nicht, wie gewöhnlich bei unbefruchteten der Fall ist, eingefallen sondern erha- ben sind. 7. Bombyx (Liparis) dispar. Links männlich, rechts weiblich, der Hinterleib breit und lang, doch nicht so dick, wie ihn das Weib gewöhnlich hat. Der starke Wollenafter bedeckt die Zeugungsglieder. Als unvollkommene Zwitter beschreibt Ochsenheimer: 1. Zwei Exemplare von Papilio (Pontia) Cardamines (S.155.). Eins, ein Männchen, das auf dem rechten Vorderflügel wie das Weib gezeichnet ist; und das zweite, ein Weibchen, das einige Farben des Männchens zeigt. 2. Bombyx (Saturnia) Carpini. Ein Weibchen mit zwei männlichen Fühlern und dem weiblichen Geburtsgliede an der gewöhnlichen Stelle. Die Vorderflügel haben die Gestalt des Männchens, allein die Farbe des Weibes, nur ist die Wurzel des linken und der erste Queerstrich rothbraun gefärbt und auf der Unterseite ist der Vorderrand rothgelb. Die Hinterflügel sind weiblich: auf dem linken steht in der Mitte und auf dem rechten am Aufsen- rande ein rothgelber Fleck. Die rechte Seite des Rückens ist rothbraun. 3. Bombyx (Liparis) dispar. A. ein Männchen, mit männlichen Füh- lern und mehr weiblichem Hinterleibe, die Flügel in einem sehr gemischten Zustande. Ochsenheimer fing das Thier selbst, welches wenig Lebhaf- tigkeit zeigte. B. ein Exemplar, dessen rechtes Fühlhorn männlich, dessen linkes weiblich ist; der Hinterleib ist schmal, jedoch mehr weiblich, gelb- über Zwitterbildung. 53 grau, mit einem schwarzen Afterbüschel. Die Vorderflügel sind mehr oder weniger weils, aber auf beiden Seiten ungleich braun gemischt. Der rechte Hinterflügel ist mehr männlich, nur mit einzelnen, weilsen Streifen; der linke weils, mit einem braunen Streif am Innenrande und einem gleichfar- bigen bindenartigen Fleck am Aufsenrande. 4. Bombyx (Gastropacha) Quereus. Zwei Exemplare. 4. Körper und Fühler weiblich, die rechten Flügel männlich, die linken weiblich. B. Der Körper und die rechte Seite weiblich, die linke männlich; der linke Fühler ist kaum etwas stärker als der rechte, aber beide sind kastanienbraun und gekämmt. Germar (in Meckel’s Archiv für die Physiologie B.5. 1819. S. 365- 368.) beschreibt aus seiner Sammlung folgende Zwitter: 1. Papilio (Vanessa) dtalanta. Die linke Seite männlich, die rechte weiblich; das linke Flügelpaar ist beträchtlich kleiner, stärker gezackt und tiefer geschweift, die Färbung aber nicht verschieden. Der linke Fühler um eine Kolbenlänge kürzer, als der rechte. In den Tastern und Beinen kein symmetrischer Unterschied. Der Hinterleib ist wie bei den weiblichen Individuen gebaut, aber auf der männlichen Seite beim getrockneten Exem- plare weit stärker zusammengeschrumpft als auf der weiblichen. Ward bei Dresden im Freien gefangen. 2. Papilio (Vanessa) Antiopa, bei Halle gezogen. Die rechte Seite männlich, die linke weiblich. Die Unterschiede, wie bei dem vorigen, der rechte Fühler aber auffallend kürzer. 3. Papilio (Melitaea) Phoebe, von Germar selbst auf der Insel Lesian in Dalmatien gefangen. Der linke Fühler etwas kürzer als der rechte und das linke Flügelpaar kleiner, übrigens Zeichnung und Umrifs mit dem rech- ten Flügelpaare gleich. Der Hinterleib wie bei männlichen Insecten. 4. Sphine Euphorbiae, ın Halle gezogen, und von Germar in Ahrens Fauna Insectorum Europae Fasc. 1. Tab. 20. beschrieben und abgebildet. Links männlich und mit etwas kleineren Flügeln. Der ganze Körper erscheint auf der Mittellinie der Länge nach getheilt; was auf der männlichen Seite liegt, ist durchaus mit einem grünen Staub bedeckt; die weibliche Hälfte aber hat einen weifsen Taster, weifse Schienen, rosen- rothe Brust und Hinterleib mit grell weils gefranzten Einschnitten. Der Hinterleib ist weiblich. 54 B»w,D801%ıR #1 5. Sphinx Galü, bei Leipzig gezogen. Die linke Seite männlich, der rechte Fühler und das rechte Flügelpaar auffallend länger als die männlichen, übrigens aber findet sich nicht die geringste Abweichung in Farbe und Zeich- nung. Der Hinterleib ist weiblich. Aus dem Tagebuche der Linneischen Gesellschaft in London (Trans- actions of Ihe Linn. Soc. T'.xıv. p.584.) vom 15. Junius 1824. wird erzählt, dafs der Secretaire der Gesellschaft einen aus Rio de Janeiro von Dixon an Mac-Leay gesandten Zwitter-Schmetterling vorgelegt habe, der links Papilio Laodocus Fabr., rechts Papilio Polycaon Fabr. sei, so dafs man dadurch diese sonst für verschieden gehaltenen Schmetterlinge als Männchen und Weibchen einer Art kennen lerne... P. Polycaon sey der Mann. Dafs jene Schmetterlinge zu einer Art gehören, war schon früher be- kannt, wie mir unser treflliche Entomolog Klug gesagt hat; dieser hat auch einen ähnlichen angeblichen Zwitter aus Rio de Janeiro erhalten; wie er ihn aber aufweichte, fand er, dafs er künstlich zusammengesetzt war. Bei manchen der angegebenen Fälle könnte der Zweifel entstehen, ob hier von wirklichen Zwittern die Rede sei: denn so gut bei Menschen eine angeborne Ungleichheit ın der Gröfse der Extremitäten, der Augen u. s. w. bei entschiedenem Geschlecht statt finden kann, so mag es auch wol bei den niedern Geschöpfen sein, und der z. B. von Schrank er- wähnte Fall von Papilio Atalanta könnte ganz zweifelhaft scheinen. Man war ehmals von dem Sammeln so eingenommen, dafs man dar- über nicht selten den Geist desselben verkannte, und ich hatte oft beseufzt, dafs die Entomologen nie einen solchen Zwitter anatomirt hatten. Endlich erhielt unser Klug im Sommer 1824 einen auf den Müggel- bergen von dem fleifsigen Studiosus Häberlin gefundenen Zwitter des Papilio (Melitaea) didymus ganz frisch und unterwarf ihn der näheren Unter- suchung. Rechts war das Auge gröfser und hervorstehender, die Frefsspitze unverkennbar länger, der Fühler um eine Viertellinie länger (auch weder weils geringelt, noch an der Spitze rothgelb, wie der linke), die Flügel männlich; der Hinterleib von ziemlicher Dicke, auf beiden Seiten gleich gefleckt; auf der rechten Seite die männliche Schaamzange vollständig und ausgebildet, auf der linken auffallend kürzer und weit weniger entwickelt. Bei der Zergliedrung fand Klug links den Eierstock mit hellgrünlichen o Eiern angefüllt, ohne jedoch eine deutliche Gebährmutter, noch die Ver- über Zwitterbildung. 55 bindung des Eierstocks mit einem andern Theil deutlich wahrnehmen zu können, sondern der Eierstock lösete sich hinten ab: der Körper war von unten aufgeschnitten, und dabei wahrscheinlich der Eierstock getrennt. Rechts hingegen waren die männlichen Geschlechtsiheile vollständig und mit dem äufsern Gliede im Zusammenhang. Diese aus dem Körper gelöseten Theile sind durch meines Freundes Güte jetzt auf dem anatomischen, der Schmetterling selbst ist auf dem zoologischen Museum. Im zehnten Bande der Froriepschen Notizen S. 183. ist eine kurze Nachricht davon gegeben, allein der Schmetterling aus Versehen ?. Cinxia genannt worden. In diesem Jahre hat ein anderer, sehr hoffnungsvoller Studirender unserer Universität, Ferd. Schultz, dessen ich schon oben erwähnte, einen Zwitter des Bombyx (Gastropacha) Quercifolia welchen der Professor August hieselbst aus der Raupe gezogen und ihm zur Zergliederung ge- schenkt, sorgfältig untersucht, und den Körper, rechts mit weiblichen und links mit männlichen Geschlechtstheilen versehen, ebenfalls dem anatomi- schen Museum geschenkt. Die Flügel der männlichen Seite kleiner; die Fühler gleich grofs, doch der männliche etwas dicker. Die beiden Hälften des Körpers von der Spitze des Kopfs an bis zum After auf beiden Seiten verschieden und die Verschiedenheit durch eine gerade Linie scharf begrenzt. Der Kopf war auffallend schief, auf der männlichen Seite gewölbter, das Auge hervor- stehender und gröfser als auf der weiblichen. Der Hinterleib auf der weib- lichen Seite ausgedehnter und dünner behaart, und die Segmente sichtbarer als auf der männlichen, wo er schmächtiger, etwas eingebogener und stärker behaart war, so wie die Haare am After dieser Seite länger waren, und die auf der weiblichen um eine Linie überragten. In der Mitte der Rückenseite zeigte sich eine sehr stark ausgedrückte Haarnaht, welche von aufwärts ste- henden Haaren und Haarbüscheln gebildet ward, so dafs es fast das Ansehn hatte, als seien beide Hälften an einander gesetzt. Am After waren einige Spitzen der Ruthe sichtbar, und auf jeder Seite neben derselben eine kleine rundliche braune Hornplatte, wie sich immer bei dem männlichen 2. querei- Jolia befindet; übrigens war das Hinterende breit abgestutzt, wie bei dem Männchen, nicht verlängert und verschmälert, wie es bei dem Weibchen ist. Bei der Zergliederung fand Schultz nur einen und zwar einen ein- fachen Eierschlauch, welcher vom Fettkörper bedeckt, gröfstentheils auf 56 Röw'noiu PP ni der weiblichen Seite lag, sich jedoch an dem vordern Ende des Unterleibs völlig auf die männliche Hälfte, von da nach einer einfachen Krümmung wieder auf die weibliche Seite hinüber zog. In demselben befanden sich achtzehn grüne, weifsgeringelte Eier von der normalen Gröfse und Gestalt; hinter denselben lagen ohngefähr halb so viele kleine unentwickelte Eier, und die Spitze des Eierschlauchs war leer. Der mit Eiern gefüllte Theil ging in eine Erweiterung, und diese in einen dünnen Kanal über, welcher in eine Erweiterung des Samengefäfses einmündete. Diese Verbindung des Eier- schlauchs mit dem Samengefäfse war ohngefähr zwei Zoll von dem Ausgange des letztern entfernt. Ferner lag auf der weiblichen Seite in der Nähe des Afters neben dem Darmkanal eine runde Blase, welche ohngefähr zwei Linien im Durchmesser hielt, und mit einer durchsichtigen grünen Flüssigkeit ange- füllt war. Von ihrem obern Ende ging ein weifslicher Gang aus, welcher geschlängelt einige Linien in die Höhe stieg, dann sich an das untere Ende der Blase legte, durch einen dünnen kurzen Gang an dieser Stelle wieder mit ihr in Verbindung stand, sich hinter den Mastdarm durchzog und in die Ausführungserweiterung des Samengefäfses endigte. Ohne Zweifel ist er das Organ durch welches die Eier einen Überzug benommen. Auf der männlichen Seite fanden sich an dem vordern Ende des Hin- terleibs zwei Hoden hinter einander und durch einen Gang verbunden. Der zweite Hode hing an einem dünneren Gefäfse, welches dann dicker ward, darauf in einen vielfach gewundenen weifsen Schlauch einmündete, welcher auf der männlichen Seite, zum Theil aber auch in der Mitte des Hinterleibs lag. An dieser Stelle trat ein langer, dünner, weifser, unpaarer Schlauch in ihn ein. Auf diese Vereinigungstelle folgte ein kurzer Samengang, welcher in eine rundliche, faltige, etwas harte Erweiterung überging, in welche sich der oben erwähnte Kanal der grünen Blase einsenkte. Diese Erweiterung stand mit einem kurzen Schlauche in Verbindung, der Scheide für die voll- kommen ausgebildete Ruthe. Von dem untern Ende dieser Scheide stieg ein zwei Linien langer Muskel derselben in die Höhe und setzte sich an die Bauchseite des Hinterleibs fest. Überdies besitzt das zoologische Museum noch folgende Zwitter von Schmetterlingen, die mir Klug nicht blos gezeigt, sondern wovon er mir die Beschreibung gütigst mitgetheilt hat. über Zwitterbildung. 57 1. Papilio (Pontia) Daplidice. Der rechte Vorderflügel ist männlich, der Hinterflügel hingegen nähert sich dem weiblichen mehr; die linke Seite ist aber entschieden weiblich. Zwischen den Fühlern und Frefsspitzen bei- der Seiten ist kein merklicher Unterschied. Der Hinterleib ist jedoch dün- ner, als er bei dem Weibchen zu sein pflegt, und die äufsern Geschlechts- theile sind den männlichen ähnlich. 2. Bombyx (Saturnia) Carpini, aus der Hellwig-Hoffmannsegg- schen Sammlung, schön erhalten, und wie es scheint aus der Puppe gezogen; gegen Ochsenheimer’s Beobachtung, dafs solche Zwitter gröfser zu sein pflegen, kleiner wie gewöhnlich, so dafs selbst die weiblichen Flügel kaum die Gröfse erreichen, welche die männlichen bei andern Exemplaren des Königlichen Museums zeigen. Rechts sind Fühler und Flügel weiblich, links männlich. Der Hinterleib ist schmächtig, wie bei dem Männchen, allein gefärbt wie bei dem Weibchen; eine deutliche Trennung ist nicht daran wahrzunehmen. 3. Bombyx (Liparis) dispar, aus der ehmaligen Bergschen Samm- lung. Fühlhorn und Flügel der rechten Seite männlich; die der linken weiblich. Auch auf dem Rücken bemerkt man die Trennung der männ- lichen und weiblichen Seite. Der Hinterleib ist nach seinem Wollenafter weiblich, jedoch nur wenig dicker, als ein männlicher Körper zu sein pflegt. Eine Scheidungslinie ist nicht bemerklich, und an der Spitze sind männliche Geschlechtstheile ungewöhnlich stark und deutlich hervorgetreten. 4. Ein wahrscheinlich aus der Raupe gezogener, ziemlich klein ge- bliebener Zwitter des Bombyx (Gastropacha) Medicaginis, ebenfalls aus der g. Die rechte Seite ist männlich, die linke weib- lich; der Hinterleib dem des Weibes ähnlich, doch schmächtiger, und verräth nur eine geringe Spur einer den Geschlechtstheilen entsprechenden Theilung. 5. Der merkwürdigste Zwitter stammt aus der von der Wittwe des ver- Bergschen Sammlun storbenen Kriegsraths Kirstein an das Museum geschenkten Sammlung; es ist Bombyx (Gastropacha) castrensis. Keine Seite ist ganz männlich oder weiblich, doch herrscht das männliche Geschlecht unverkennbar vor. Der Kopf ist blafsgelb, trägt rechts ein weibliches, links ein männliches Fühl- horn. Der Haarkragen ist gelb behaart, nach der rechten Seite mit unter- mischtem Braun; in die gelbe Behaarung des Rückenschildes mischt sich Phys. Klasse 1825. H 58 RıuimolL ®$ a1 linkerseits und in geringer Ausdehnung auch in der Mitte die bräunliche Be- haarung des Weibchens. Der Hinterleib ist nach Gestalt und Färbung durchaus männlich. Auf der rechten Seite, wo das weibliche Fühlhorn ist, sind die Flügel ganz wie bei einem Männchen gezeichnet, nur dafs sie fast unmerklich gröfser sind, und dafs die obern an der Wurzel und am Vorder- rande eine solche bräunliche Färbung haben, die mit der braunen Farbe des weiblichen Körpers Ähnlichkeit hat. Auf der linken Seite, wo das männliche Fühlhorn ist, sind deutlich weibliche Flügel. Die braune Binde der Vor- derflügel ist hier von einer schwachgelblichen Schattirung unterbrochen. Bemerkt zu werden verdient, dafs Klug die sämtlichen Zwitter des Königl. Museums aufgeweicht und von Neuem ausgespannt hat, so dafs über ihre Ächtheit kein Zweifel statt finden kann. Bei den Crustaceen, wo der Unterschied der Geschlechter so grofs ist, dafs er jedem Layen bekannt ist, ward bisher nur ein Fall eines Herma- phroditismus lateralis beschrieben, der aber auch keinen Zweifel erlaubt. Nicholls (Philos. Transact. N. 413. S. 290-294.) giebt nämlich die Beschreibung eines Hummers (Cancer Gammarus), der rechts weiblich, links männlich ist, so dafs jene mit einem Hoden versehene Seite auch die Öffnung seines Ausführungsgangs am letzten Fufse, kleinere Blättchen am Schwanze und diesen schmaler zeigt, während an der linken breiteren Seite der Eierstock die Öffnung seines Ausführungsgangs am vorletzten Fufse hat. Von Fischen mit seitlichem Zwitterzustande sind Beispiele genug, obgleich kein einziges ganz genau beschrieben ist. Zuweilen war es die Köchin, die den Fall bemerkte, und häufig fand man ihn erst bei den ge- kochten Fischen. Da es aber gewöhnlich Layen waren, die auf der einen Seite einen Hoden (die Milch), auf der andern einen (Rogen) Eierstock beobachtet haben wollten, so mag auch mancher Fall gar nicht hieher gehö- ren. Mir sind zweimal solche angebliche Zwitter -Geschlechtstheile gebracht worden; das einemal von einer Karausche (Cyprinus Carasstus), wo der Eierstock von Eiern strotzte, der angebliche Hoden mir aber ein entleerter Eierstock zu sein schien; das andere Mal von einem Karpfen (C. Carpio), über Zwilterbildung. 59 wo der Eierstock wie gewöhnlich beschaffen war, der angebliche Hoden mir aber eine blofse Fettgeschwulst schien. Da die Theile gekocht und aus dem Zusammenhange gerissen waren, konnte ich nichts Bestimmteres darüber sagen. Es ist indessen auch möglich, dafs das, was ich für eine Fettge- schwulst hielt, eine ausgeartete Leber war, wie Du Hamel (Traite general des pesches et histoire des poissons P.2. p. 130.) vom Weilsling (Gadus Mer- langus) anführt, dafs der angebliche Hoden bei Zwitter- Weifslingen nach mehreren Naturforschern vermuthlich ein Theil der Leber war, weil man daraus Öl ausdrücken konnte, da die Milch hingegen keine fette Substanz enthält. Auf eine ähnliche Art urtheilt Horkel (in Frid. Jacoby Diss. de mammalıbus hermaphroditis alterno latere in sexum contrarium vergenuibus. Berol. 1818. 8. S. 15.) über einen Fall, dessen Bloch erwähnt, wo angeb- lich bei einem Karpfen ein Eierstock und ein Hoden gefunden sein sollten. Pallas (Reise durch verschiedene Provinzen des Russ. Reichs. 2. Th. S.341.), wo er Sokolof’s Bemerkungen über die Caspischen Fischereien mittheilt, spricht auch von den Zwittern auf eine Weise, die Zweifel erregen mufs. ‚„‚Im Frühling findet man in wenig Belugen Rogen, sondern die meisten sind Milcher. Die Fischer betheuern aber durchgängig, dafs zuweilen sowohl unter den Belugen, als andern Störarten, solche gefunden werden, welche an einer Seite Milch, an der andern Rogen haben, und also wahre Herma- phroditen sind, welches in Holland schon verschiedene Male bei dem Ka- beljau ist angemerkt worden”. Dafs im Frühling mehr Milcher gefunden werden sollen, scheint blos darauf hinzudeuten, dafs man die leeren Eier- stöcke für Hoden hält, und ist dies richtig, wie es fast nicht anders sein kann, dann sagt auch die zweite Beobachtung nichts. Bei Ascaninus (/cones rerum naturalium Fase. 3. Kopenh. 1775. fol. n.27.) findet sich die Bemerkung, dafs von dem Kabeljau auch Zwitter vorkämen, dafs sie aber sehr selten und weniger gut wären. Also eine blofse Behauptung. Joh. Baster (Opuscula subseciva T.1. p.138. Tab. 16.) bildet die angeblichen doppelten Geschlechtstheile eines Gadus ab, allein so deutlich die Eierstöcke sind, so wenig kann ich das für Hoden halten, was er dafür angiebt. Auch die Abbildung der Geschlechtstheile eines Zwitters des Gadus Lota, von Jos. G. Pipping (Vetensk. Acad. Nya Handl. T.21. for 1500. H2 60 RıwiDvo'nvp.HI p: 33-35. Tab. 1. Fig. 1.) läfst mich sehr zweifelhaft. Der angebliche Hoden war weifsgelb und ist so grofs abgebildet, dafs ich ihn für die Leber halten möchte; der kleine Eierstock dagegen ist natürlich beschaffen. J.Hnr. Stark (Eph. Nat. Cur. Dec. Il. Ann.T et S. obs. 109. p. 190.) spricht von einem Piscis melanurus (womit wohl nur der Gründling, Cypri- nus Gobio gemeint sein kann) der gekocht auf einer Seite die Milch, auf der andern Seite den Rogen zeigte, näher ist aber nichts angegeben. In den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Paris (Histoire de l’ Academie, annee 1737. p.51.n. IX.) ist ein Fall sehr bestimmt angegeben, doch leider auch nicht beschrieben. Morand zeigte nänfich einen grofsen Karpfen vor, wo man auf einer Seite deutlich die Eier, und auf der andern die Milch sah. Bei dieser Gelegenheit sagte Reaumur, dafs er mehrere Male dieselbe Sache bei dem Hecht, und Marchant bei dem Weifsfisch (Merlan) gesehen habe. Die Abbildung der Milch und des Rogens aus einem gekochten Kar- pfen, welche Brückmann (Commere. Litt. Nor. 1734. p. 305. Tab. IX. Fig. 1-6.) mittheilt, kann auch Niemand befriedigen, da aus dem Zusam- menhang gerissene Theile dargestellt sind. Eher können sie Zweifel erre- gen, und so viel von Zwittern der Fische geredet ist, so haben wir doch noch keinen nur leidlich beschriebenen Fall davon vor uns. Von Amphibien haben bisher die Naturforscher keine ähnliche Fälle erzählt, doch steht bei dem Doppeltsein ihrer innern, ja selbst zum Theil ihrer äufsern Geschlechtstheile gar nichts einem solchen Hermaphroditismus lateralis im Wege. Bei den Vögeln sind die weiblichen Geschlechtstheile einfach, wenn wir nicht die wenigen Ausnahmen eines doppelten Eierstocks bei einigen Fal- ken zu hoch anschlagen wollen; ein weibliches Individuum scheint daher wohl nie zum Zwitter werden zu können; ein Anderes wäre es mit den Männchen, da diese bei den allermehrsten Vögeln alle Theile zweifach haben, so dafs blos die undurchbohrte einfache Ruthe einiger Vögel eine Einzelnheit darbietet. Es sind, so viel ich weils, nur zwei Beispiele von Vögelzwittern an- gegeben, allein beide ohne Gewicht. Ant. de Heide (#natome Mytuli, Subjecta est Centuria obss. Amst. 1684. 8. p. 193. os. 95.) giebt selbst seinem Fall die Überschrift: Galli, gu putabatur hermaphroditus, anatome rudis, und mehr ist es auch nicht. Zwei über Zwitterbildung. 61 Verwandte haben ihm nämlich ihre Beobachtungen über einen Hahn mitge- theilt, der wie ein Huhn zu Nest ging, jedoch ohne Eier zu legen. In sei- nem Leibe fand man eine Menge Eier; einige die grofs waren und aus blofsem Eigelb bestanden; andere von der Gröfse des Sperlingseies, in einer dicken Haut (putamen) nur Eiweifs enthaltend. Hinten fand man die Öff- nung des Eiergangs ( foramen ovis excludendis aptum), und eine Ruthe; über- dies in der Unterleibshöle einen ziemlich grofsen Hoden. Den andern Fall hat Bechstein. Er sagt (Naturgeschichte der Vögel Deutschlands S. 1219.) er habe vom Haushahn einen wahren Zwitter besessen. Dieser hatte einen dicken gefranzten Kamm, lange Kehllappen und war übri- gens in allen Stücken das Mittelding zwischen einem Hahn und einer Henne. Er hatte also mittelmäfsig gebogene und zugespitzte Steifs- und Halsfedern, einen halbgekrümmten Schwanz und einen doppelten Sporn. Er verabscheute die Gesellschaft der Hühner, und mufste sich äuch vor Hahn und Hühnern beständig fürchten, indem sie auf ihn bissen. Er ging daher immer allein und war so einfältig, dafs er fast alle Abend gesucht und nach Hause getrie- ben werden mufste. Er krähte beständig, aber nur, wie es die Hennen zu- weilen thun, sang aber auch wie diese. Nie sah Bechstein, dafs er Lust bezeugt hätte, ein Huhn zu treten, oder sich vom Hahn treten zu lassen. Bei der Öffnung fand sich die doppelte Ruthe, nur ein Testikel, aber auf der andern Seite ein Eierstock, dessen Eierchen nicht gröfser als Hirsenkörner waren. Auch die Galle war nur wie ein Kiel von einer Rabenfeder und wurmförmig gestaltet. Er war zweijährig und inwendig und auswendig wie mit Speck überzogen. Seine Farbe war schneeweils. Ich begreife nicht, wie Bechstein hierin hat einen Zwitter sehen können; es war nichts als ein verkrüppelter Hahn. Die beiden angeblichen Ruthen oder die Enden der Samenleiter sprechen ja deutlich dafür; bei einem Zwitter hätte er den Eiergang einerseits und andererseits eine solche Ruthe finden müssen; jenes Theils erwähnt er aber gar nicht. Was er für einen Eierstock hielt, war ohne Frage, wie schon die nierenförmige Gestalt zeigt, ein in Hydatiden ausgearteter Hoden. Es war also blos ein kranker Zustand. Heide’s Fall ist so obenhin angegeben, dafs man nichts Gewisses darüber ‚sagen kann. Die Eier aus Eiweifs mit den dicken Schalen waren gewifs Hydatiden, die ich bei dem Hühnergeschlecht häufig gefunden habe. 62 Revo euı Übrigens aber sagte dieser Fall sehr viel mehr, als der Bechsteinische, wenn er eine bessere Auctorität für sich hätte. Unter den Säugthieren sind auch nur sehr wenige Fälle eines seit- lichen Hermaphroditismus bekannt, ja mit Sicherheit ist nur einer zu nennen. Ich spreche demnach hier meinem Plane gemäfs nur von diesem und über- gehe die von Hunter, Mascagni, Meckel(*), Borkhausen, Scriba und andern bekannt gemachten Fällen, wo aufser den mehr oder weniger vollständigen Geschlechtstheilen einer Art, noch die des andern wenigstens im Rudiment vorhanden waren. Diefs ist ein Mehrfachwerden der Theile und weicht daher durchaus von der Misbildung ab, welche ich hier durchgehe. Im dritten Heft des zweiten Bandes des Archivs für Thierheilkunde (Zürich 1824. 8. S. 204-6.) theilt der Thierarzt Schlumpf einen Fall mit, dessen Beschreibung nur wenig zu wünschen übrig läfst. Ein Kalb ward zu rechter Zeit mit sehr geringen Lebenszeichen geboren. Äufserlich zeigten sich daran männliche Geschlechtstheile, nur endigte sich der Schlauch etwas mehr nach hinten und von dem Nabel entfernter mit den an dieser Stelle verlängerten Haaren. An der Stelle wo sonst die Hoden stehen, standen die Euter mit der gewöhnlichen Anzahl Zitzen. Die Gebärmutter hatte nur ein Horn mit einer Trompete und einem Eierstocke, welche durch ein Band an die rechte Seite der Lenden befestigt waren. Der Hals derselben verlor sich, da weder Mutterscheide noch Schaam vorhanden war, in das Zellgewebe unter dem Mastdarm. Etwas hinter und unter der rechten (linken?) Niere befand sich ein durch Zellengewebe mit demselben verbundener, etwa um die Hälfte zu kleiner Hode, von welchem aus ein mit der Bauchhaut verbundener Samenstrang gegen den Bauchring ging, und sich hier im Zellgewebe verlor. Weiter fand sich nichts, dafs auf diese Theilung Bezug hatte; da der Verfasser von beiden Theilen die Lage an der rechten Seite angiebt, so (*) Vergl. darüber Meckel in Reil’s Archiv, XI. Bd. S.331-338. Dahin gehört auch der bekannte Fall von einer Zwitterratte, die bei Hernandez beschrieben ist; beiderlei Geschlechtstheile waren nämlich ganz vollständig. Eine minder vollständige Duplicität der Geschlechtstheile bei einer Ratze, beschreibt Jo. Jac. Döbelin den Nov. Zitterarüs Maris Balthiei von 1698. S. 238. über Zwitterbildung. 63 könnte man wohl darin einen Schreibfehler vermuthen. Auch erregt es einen, doch nur geringen, Zweifel, dafs sich die Theile blos im Zellgewebe endigten. Doch kann es recht wohl so gewesen sein. Der von Valmont de Bomare (Journ. de Phys. T.1I. p. 506-509.) erzählte Fall eines Damhirsch-Zwitters, welchen die Schriftsteller hieher rechnen, scheint mir gar nicht hieher zu gehören. Es waren beide Testikel mit ihren Samensträngen vorhanden; Fallopische Röhren und Eierstöcke hingegen fehlten; was für einen mifsgestalteten ungehörnten Uterus gehalten ist, scheint mir die vereinigte Samenblase. Es war also wohl nur ein Dam- hirsch mit Hypospadie. Otto hat mir auch erzählt, dafs er bei Renner in Jena einen ähn- lichen Fall von einer Ziege gesehen zu haben glaube, als der ist, den ich gleich von einem Kinde beschreiben werde. So häufig bei dem Menschen ein solcher Zustand erscheint, wo einzelne Theile der Geschlechtsorgane wenig ausgebildet sind, oder in das andere Geschlecht übergehen, so dafs etwas mehr dem männlichen, anderes mehr dem weiblichen angehört, so selten sind dagegen die Beispiele wo ein seitlicher Hermaphroditismus vorkommt. Desto angenehmer war es mir daher, im März d.J. einen solchen Fall selbst untersuchen zu können. Ich fand nämlich bei einem auf das Anatomische Theater gelieferten Kinde, dessen Alter zu sieben Wochen an- gegeben ward, das seiner Gröfse nach jedoch über ein Vierteljahr nach der Geburt gelebt zu haben schien, äufserlich eine unten gespaltene Ruthe (Hypospadie), in der rechten Hälfte des Hodensacks einen Hoden, die linke Hälfte hingegen klein und ohne Hoden. Inwendig zeigte sich eine Gebär- mutter, deren linkes oberes Ende mit einer Fallopischen Röhre versehen ist, und hinter welchem der mit seinem Bande versehene Eierstock liegt, so wie sich auch der Fledermausflügel und das ganze breite Band, nebst dem in den Schamberg dringenden runden Mutterbande ganz wie gewöhnlich ver- hieli. Auf der rechten Seite hingegen endigte sich oben die Gebärmutter stumpf, und hatte weder Fallopische Röhre, noch Eierstock, weder breites noch rundes Mutterband. Dagegen fand sich auf der rechten Seite ein völ- lig ausgebildeter Hoden, dessen Nebenhoden in einen Samenleiter übergeht, von ganz gewöhnlicher Bildung, ja es fehlte sogar nicht das kleine blinde 64 Rw»2o Le uı Gefäfs desselben. Unter der Gebärmutter liegt ein ovaler, platter harter Körper der geöffnet eine ringsum geschlossene Höle mit dicken Wänden zeigt. An diesem Körper endet sich die Gebärmutter, jedoch ohne dafs ihr Mund in seine Höle dringt, sondern ihre Wände gehen in seine Aufsen- wand über; eben so geht auf der rechten Seite der Saamenleiter in seine Wand, ohne in die Höle zu dringen; endlich geht unten von diesem rings- umgeschlossenen Körper die Scheide ab, welche durch ihre hinteren und vorderen Säulen kenntlich ist, und sich nach unten blind endigt. Die Harn- röhre öffnet sich in die gutgebildete Blase; After und Mastdarm sind natür- lich beschaffen, so wie ich auch keine andere Anomalien an dem Kinde wahrgenommen habe. Der Körper an dem sich oben der Uterus, unten die Scheide, rechts das Samengefäfs blind endigen, scheint mir ein Rudiment der Vorsteher- drüse und Samenblasen zu sein. Dafs er einfach ist macht nichts aus, denn in einem von dem trefflichen Heim an das Museum geschenkten Präparat von einem Hypospadiäus habe ich auch die Samenbläschen in eine grofse Blase (wie bei Hasen und Kaninchen) vereinigt gesehen, welches die sich unten daran endigenden Samenleiter beweisen. Dadurch ist der sogenannte Uterus cystoides, den manche Schriftsteller bei Hypospadiäen gefunden ha- ben wollen, zugleich erklärt. In Gautier’s Observations sur U’ histoire naturelle (Annee 1752. T.]. 2.Part. p. 71. Tab.C.) ist die Anatomie der Geschlechtstheile eines drei- zehn bis vierzehn jährigen Kindes von Sue mitgetheilt, der sie (1746) unter Verdier’s Augen anstellte, welcher letztere auch das Präparat aufhob. Das Kind war männlichen Geschlechts geglaubt, da es mit einer Ruthe und mit einem Hodensack versehen war. Bei der Section fand sich eine Gebär- mutter an gewöhnlicher Stelle, welche rechts den Eierstock, die Fallopische Röhre und das runde Mutterband zeigte, das in die Weiche ging. An der linken Seite hingegen war ein Kanal, der sich in einem schmächtigen und verlängerten Hoden zeigte; an seinem obern Theil war ein Körper, der die Stelle des Nebenhodens versah. Von dem Testikel sah man zwei Röhren abgehen, die sich in den ersten Kanal neben seiner Einsenkung in die Ge- bärmutter, einmündeten. Die Scheide endete sich mit einer sehr kleinen Öffnung vorne am Scrotum, so wie die gespaltene Harnröhre der Ruthe. über Zwitterbildung. 65 Hier war also Hypospadie, wie in dem von mir beschriebenen Falle; allein die Scheide war unten offen, und der Samenleiter öffnete sich in die Gebärmutter, welches wichtige Unterschiede sind. DerFall, welchen Pinel (Memoires de la Societe medicale d’emulation. A.annee. Paris. an IX. p. 341-3.) aus den Abhandlungen der Gesellschaft in Dijon anführt, scheint in mancher Hinsicht mit dem meinigen sehr übereinzu- stimmen. Bei einem Handlungsburschen von ungefähr achtzehn Jahren fand Varole sehr grofse Brüste, Hypospadie, ein getheiltes Scrotum, doch nur in der rechten Hälfte einen Hoden, dessen Samenleiter in eine einfache mehr rechts gelegene Samenblase überging, doch nicht wie gewöhnlich hinten in ihren Hals, sondern in die Mitte ihres äufsern Randes. Zwei Ka- näle gingen von der Samenblase ab, durch den einen communicirte sie mit der Harnröhre, und durch den andern, anderthalb Zoll langen, mit einer kleinen ovalen, etwas abgeplatteten Gebärmutter ohne Hals, die aber mit einem Eierstock, mit einer Fallopischen Röhre, mit einem breiten und run- den Mutterbande versehen war; das letztere verlor sich im linken Sack des Scrotums. Die Ähnlichkeit dieses und meines Falls würde noch gröfser sein, wenn hier nicht die Samenblase offen gewesen wäre. Hier fehlte auch die Scheide. Der andere Fall, welchen Pinel (p. 340.) nach Petit anführt, war ein Hermaphroditismus mit Duplieität und gehört nicht hieher. Eben dahin gehört auch der von Marot in den Mem. de Dijon beschriebene Fall, und man könnte noch mehrere aus Arnaud aufzählen. Der von Arnaud (Memoires de Chirurgie T. 1. p. 283.) beschriebene Fall, welchen Horkel hieher zieht, scheint mir blos einen unvollkommenen männlichen Zustand darzustellen. Es war Hypospadie vorhanden. Beide Samenstränge natürlich, der eine Hoden, wie gewöhnlich, der andere ver- kümmert und im Becken liegend; ich kann wenigstens keine Gebärmutter darin finden, da weder Eierstock noch Trompete noch Mutterbänder daran vorhanden waren. Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich, dafs die Fälle von einem seitlichen Hermaphroditismus bei den Schmetterlingen, besonders bei den Phys. Klasse 1825. : I 66 Ruvouenı Spinnern häufig; bei den Fischen vielleicht nicht selten; in allen andern Thier- klassen aber sehr selten, Jain einigen noch nicht beobachtet sind. Noch mehr aber ergiebt sich, bei wie wenigen eineirgend genügende Untersuchungangestellt ist, so dafs jeder neue Fall die gröfste Aufmerksamkeit des Finders verdient. Bei den Vögeln weiblichen Geschlechts scheint ein solcher einfacher seitlicher Hermaphroditismus unmöglich, weil alle Geschlechtsorgane bei ihnen einfach sind. Bei den Tagschmetterlingen, wo sich nur ein einfacher Hoden findet, scheint aus ähnlichem Grunde der Fall eben so wenig denkbar, allein nur wenn man den früheren Zustand übersieht. Bei der Raupe liegen zuerst zwei seitlich getrennte Organe, die erst späterhin zu einem Hoden ver- schmelzen; da nun aber diese Zwitterbildung in die allerfrüheste Zeit des Embryo fällt, so ist die Sache ohne Schwierigkeit. Es ist ohne Frage bei dem ersten Keim des Embryo so wenig ein Ge- schlecht, als manche andere Organe des Unterleibs, die sich erst späterhin bilden. Das erste Rudiment der Geschlechtsorgane ist noch nicht entschie- den, und daher müssen bestimmte Ursachen, die wir jedoch nicht ken- nen, das eine oder andere Geschlecht veranlassen; und können wir die- sen Satz nicht läugnen, wie es wirklich der Fall ist, so ist leicht begreiflich, wie Einzelnes in demselben Individuum hier oder da, oder an einer bestimm- ten Seite, männlich oder weiblich werden kann. Jene Ursachen müssen im Allgemeinen von grofsem Einflufs sein, da wir so entschiedene Verhältnisse sehen. Bei dem Menschen überall ein sehr gleiches Verhältnifs beider Geschlechter, bei so vielen Thieren hingegen ein ungeheures Übergewicht der weiblichen Zahl, so dafs wir darin, wie in so vielen andern, die wohlthätigen Spuren einer höheren Anordnung erblicken. Wo ein Hermaphroditismus mit Duplicität hingegen eintritt, da müssen wir auf ein mehr oder minder starkes Durchdringen der Keime im Zeugungsaet schliefsen, wobei Manches der Entwicklung unfähig bleibt, bald weniges, bald vieles; so können Kinder fast ganz doppelt erscheinen, oder haben nur einzelne äufsere oder innere Theile doppelt. Eine vollkommne Ausbildung beiderlei Geschlechtstheile ist nur da zu erwarten, wo durchaus alle Theile doppelt sind, wie bei den Crustaceen, den Arachniden, den mehrsten Fischen, bei vielen Amphibien, bei den mehrsten männlichen Vögeln. über Zwitterbildung. 67 Bei keinem Insect ist eine vollkommne Entwicklung beider Ge- schlechtstheile zu erwarten, da namentlich die äufsern Theile, aber auch einige innere nicht doppelt sind. Die beiden von Schultz und Klug untersuchten Fälle beweisen dies zur Genüge. In dem von Scopoli ange- führten Falle ist sogar eine wirksame Befruchtung der Eier angenommen, allein die Eier werden ja nicht bei den Insecten aufserhalb des Körpers befruchtet, wie bei den Fischen. Waren wirklich Raupen aus den Eiern des Spinners gekommen, so mufste Begattung mit einem andern Schmetter- ling statt gefunden haben. Bei den Säugthieren ist so wenig eine zur Fortpflanzung genügende Ausbildung dieser Zwitter beobachtet als bei dem Menschen, und bei der Einfachheit mehrerer Theile ist auch nicht daran zu denken. Sollte bei ihnen eine Befruchtung möglich sein, so müfste nothwen- dig ein Hermaphroditismus mit Duplieität statt haben. III 12 68 ReuınD ou.» u.ı Erklärung der Kupiertafeln. m Tat. Der Körper des Kindes mit seitlicher Zwitterbildung, woran nur die hieher gehörenden Theile bezeichnet sind. a. ai, Die Gebärmutter. a. der Grund, ar. der Hals derselben, zum Theil aufgeschnitten. . Die Fallopische Röhre. Der Eierstock. . Der Hoden. . Der Samenleiter, welcher in den vielleicht die Prostata vorstellenden Körper f. übergeht, der aufgeschnitten ist. 8. Die Scheide, aufgeschnitten. h. Die Harnblase. i. Der obere, k. der untere Theil des linken Harnleiters. !. Der obere, m. der untere Theil des runden Mutterbandes. n. Die linke Nabelpulsader. US mu Taf. I. Derselbe Körper, woran die männlichen Organe mehr auseinander gelegt sind. . Die Gebärmutter. . Die Fallopische Röhre. Der Eierstock. . Der Hoden. Der Nebenhoden. Der Samenleiter. Die Vorsteherdrüse? von aufsen. Rn mn Taf. IN. Fig. 1. Die Ruthe und der Hodensack des Zwitterkindes. a. Die zurückgezogene Vorhaut. über Zwitterbildung. 69 b. Die Eichel, unter welcher die Harnröhre gespalten ist. c. Der Hodensack. Der Übergang der Gebärmutter a. der Scheide c. und des Sa- menleiters d. an den inwendig hohlen, aber rings geschlossenen Mittelkörper 2., der einige Analogie mit der Vorsteherdrüse hat, ungeöffnet. Dieselben Theile, eben so bezeichnet. Das Ende der Gebär- mutter und der Scheide, so wie der Mittelkörper sind aufgeschnit- ten, und man sieht, dafs sie, wie auch der Samenleiter, sich blind daran endigen. — ME — EN ee SR ge r rn Rudotphis Abh über Zwitter bildung. Phys Il. 1825 I a f F I . GEEEE GGG, —— — = == N = ARE DIE? KHHHIIRZZ HE? DIE IRA? BDörbeck ji Dr B.d Altın 7 de ad nat Taf... h. Rudoiphis Abh über Zwiuterbildung. Phys. BU. 1825 UA : I Ni N IN Nun HL, AN AN N Z N N NN N NN, N N NN SS EN II EZ SER Nm BDörbeck je PrEdAlton z. del .ad nat 2‘ Taf. IM. ACH Prvn 1. 1ß. Zu Hrn Budolphis Abhandl.üb.Zwiter bildung - [24 14.8. w47 S I BDrbds so Von dem in allen Metallen durch V ertheilung zu erregenden Magnetismus. h Von H”" SEEBECK. m... [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 9. Juni 1825.] 1): Decemberheft der Annales de Chimie vom vorigen Jahre enthält die Anzeige von einer Entdeckung des Hrn. Arago über den Einflufs, welchen die Metalle und mehrere andere Substanzen auf die Magnetnadel ausüben, welcher darin besteht, dafs sie die Weite der Oscillationsbogen jener Nadeln vermindern, doch ohne merkbaren Einflufs auf die Dauer der Öscillationen. Bestimmte Angaben von den Resultaten der Versuche und von dem ange- wandten Verfahren sind weder in diesem noch in den beiden folgenden Hef- ten der Annales de Chimie gegeben worden. Einige genauere Angaben von Hrn. Arago’s Versuchen brachte uns in der Mitte des vorigen Monats das Londen Journal of Science, Literature and the Arts.1. No.XXXVI. Hier wurde S.447 mitgetheilt, Hr. Arago habe gefunden, dafs eine Declina- tionsnadel, welche in einem Holzringe aufgestellt, von ihrer natürlichen Stellung bis 45° entfernt, und sich selbst überlassen worden, 145 Schwin- gungen gemacht habe, bis sie zur Weite von 10° herabgekommen sei; dafs aber dieselbe Nadel in einem Kupferringe aufgestellt, nur 33 Schwingungen gemacht habe, bis sie aus einer Entfernung von 45 bis zu 10° gekommen sei. In einem andern leichtern Kupferringe habe dagegen die Zahl der Schwin- gungen von 45 bis 10° 66 betragen. Das Verhalten anderer Metalle war nicht angeführt. Die Verminderung der Gröfse der Bogen und der Zahl der Schwin- gungen in dem Kupferringe deutete an, dafs in diesem Magnetismus erregt worden, und es konnten diese Versuche als die umgekehrten von denen angesehen werden, welche Coulomb 1812 dem Institut vorgelegt hatte. Coulomb hatte Nadeln von Kupfer, Gold, Silber, Zinn u.s. w. 72 SerseEcek: Fon dem in allen Metallen zwischen zwei Magnetstäben schwingen lassen, und hatte gefunden, dafs die dureh die Torsionskraft der Seidenfäden bewirkten Öscillationen dieser Nadeln durch die Magnetstäbe vermehrt werden, an einigen Metallen mehr an andern weniger. In den Versuchen Arago’s schwebt ein Magnet zwischen den zu untersuchenden Metallen, erleidet nun aber eine Vermin- derung in der Zahl seiner Schwingungen. — Wie sich auch die Wider- sprüche in den Resultaten der Versuche dieser beiden Physiker, die Ge- schwindigkeit der Oscillationen betreffend, einst aufklären mögen, so geht doch aus den von ihnen mitgetheilten Erfahrungen eine Empfänglichkeit der genannten Metalle für den Magnetismus durch Vertheilung hervor. Zu wichtig war es mir, das Verhalten auch der übrigen Metalle zu kennen, und zu erfahren, ob zwischen der aus diesen Erscheinungen sich ergebenden Ordnung der Metalle und der aus meinen thermomagnetischen Versuchen hervorgegangenen Reihe irgend eine Beziehung statt finde, als dafs ich hätte unterlassen können jene Versuche Arago’s aufzunehmen und weiter zu verfolgen. 1. Das erste Resultat meiner Versuche fiel, ich kann wohl sagen, glücklicher Weise, höchst ungünstig aus, da es mich auf die zweckmäfsigste Vorrichtung zu diesen Versuchen führte, und mir dadurch Zeit und manche Kosten ersparte. Eine Magnetnadel, welche innerhalb eines Glascylinders, an einem Coconfaden schwebend, aus der Stellung 45° vom magnetischen Meridian bis 10° in 116 Schwingungen gekommen war, während die Boussole auf einer Marmorplatte stand, machte eben so viel Schwingungen von 45-10°, als die Magnetnadel von einem !, Zoll breiten Ringe von Kupferblech umschlossen war. Auch als, in Ermanglung eines diekeren Kupferrin- ges, die Nadel mit Kupferstäben von % Zoll Dicke umgeben wurde, zeigte sich keine entschiedene Verminderung der Öscillationen der Nadel, wenigstens keine, die mehr als eine, höchstens zwei Schwingungen be- tragen hätte. Dieser Erfolg konnte als ein Beweis angesehen werden, dafs der Ab- stand der Magnetnadelspitzen von den Kupferstäben (welcher über 7 Linien betrug), für den im Kupfer zu erregenden Magnetismus noch zu grofs gewesen sei; da aber auch die im Zondon Journal angeführten That- sachen die Resultate von Versuchen mit ganz kupfernen Boussolen seyn durch Fertheilung zu erregenden Magnetismus. 13 konnten, deren übrige Theile zur Verminderung der Bogen beigetragen haben konnten, so hielt ich es für nöthig, vorläufig zu untersuchen, welche eun- Wirkung unter der Magnetnadel gelegte Metallscheiben auf die Schwing gen derselben haben möchten. 2. Der erste Versuch wurde mit einer Zinkscheibe von 5, Zoll im Geviert und von $ Linie Dicke angestellt. Hier zeigte sich sogleich eine be- trächtliche Verminderung der Weite der Oscillationsbogen ; denn die Nadel kam schon nach 70-71 Schwingungen von 45 auf 10°. 3. Eine noch stärkere Verminderung der Öscillationsbogen bewirkte eine eben so grofse, doch nur ‚\, Linie dicke Kupferscheibe. Die Nadel machte hier von 45 bis 10° Abweichung nur 61-62 Schwingungen. Bemerken mufs ich noch, dafs in diesen, so wie in den folgenden Ver- suchen, die Metallscheiben auf der oben angeführten Marmorplatte lagen, welche eine gleichförmige blafs gelbliche Farbe hatte, und mit einem dün- nen Blatte Papier bedeckt war. Die Compafsrose war gleichfalls von Papier, und die Magnetnadel schwebte ungefähr 2} bis 3 Linien über derselben. Stand die Boussole unmittelbar auf dem Marmor, so machte die Magnet- nadel 116 Schwingungen; eben so viel Schwingungen machte sie auch, wenn sich eine Glasscheibe oder Pappscheibe von } Linien Dicke zwischen der Boussole und Marmorplatte befand. 4. Als jene beiden Scheiben von Zink und Kupfer mit einander verbunden, die letztere oben liegend, unter die Boussole gebracht wurden, machte die Nadel nur 47-48 Schwingungen. 5. Jede neu hinzugefügte Kupfer- oder Zink platte verminderte die Weite der Schwingungsbogen und somit auch die Zahl der Schwingun- gen der Magnetnadel, wie man jene Platten auch schichten und ordnen mochte, doch fand immer eine beträchtlichere Verminderung statt, wenn die hinzugefügten Kupferplatten der Nadel näher lagen als die Zin kplat- ten, weil Kupfer die Öscillationen stärker hemmt als Zink, wie schon die zwei ersten Versuche lehrten. 6. Vier Zink scheiben unmittelbar auf einander liegend, verbunden mit vier Kupferscheiben, auf welchen die Boussole stand, verminderten die Zahl der Schwingungen der Nadel bis auf 25. 7. Diese 4 Zink-und 4 Kupferscheiben mit ihren blanken Flächen wechselsweise auf einander geschichtet (von unten herauf ZA, Z Ku. s. w.) Phys. Klasse. 1825. K 74 SeEegeEck: Fon dem in allen Metallen wirkten nicht völlig so stark wie bei der vorigen Anordnung; die Nadel machte nun 26 Schwingungen bis sie auf 10° kam. 8. Eine eben so grofse Verminderung der Zahl der Oscillationsbogen als dieser Apparat bewirkte schon eine einfache Kupferscheibe von 4 Li- nien Dicke (welche also um -;; Linie dicker als ein einfaches Paar jener Kupfer- und Zinkplatten war); denn auch über dieser machte die Nadel nur 26 Schwingungen. 9. Aus diesen Versuchen geht also hervor, dafs die gröfsere Vermin- derung der Weite der Schwingungsbogen in den Versuchen $. 4 und 6 nicht electrischen Einflüssen zugeschrieben werden könne, sondern dafs sie eine Folge der auf die Magnetnadel wirkenden gröfseren Masse der Metalle sei. 10. Auch Voltaische Säulen von einigen Paar Kupfer-, Zink- und mit flüssigen Leitern benetzten Pappscheiben zeigten weiter keinen Ein- flufs, als dafs sie die die Oscillationen hemmende Wirkung der Metalle in dem Grade schwächten, als es auch trockene, zwischen den Metallen ein- geschobene Pappscheiben dadurch thaten, dafs sie einen Theil der Metall- platten weiter von der Magnetnadel entfernten. Es versteht sich, dafs hier nur von ungeschlossenen Säulen die Rede ist, an welchen jedoch immer am unteren Ende eine Ableitung angebracht war. 11. Die die Oseillationen der Magnetnadel hemmende Wirkung der Metalle wächst zwar, wie wir gesehen haben, im Verhältnifs der Höhe der unter der Nadel aufgeschichteten Scheiben; dies geschieht aber nur bis zu einer gewissen Grenze, über welche hinaus keine Verstärkung jener Wir- kung weiter erfolgt, wie sich aus folgenden Versuchen ergiebt. 12. Hatte die in den vorhergehenden Versuchen angewandte pfeil- förmige Magnetnadel, von 2 Zoll Länge, über Einer Kupferplatte von 47 Zoll im Geviert und 2, Linien Dicke 26 Schwingungen gemacht, so be- trug die Zahl derselben über 2 solcher Kupferplatten nur 17-18 Schwingungen Fe = 14 2. — 4 — — 13 —_ — de — 12 — und etwas darüber — 06 .— — 12 _ genau Hal == 11 = und etwas darüber — 58 — —_ 11 —_ genau durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus. 75 über 9 solcher Kupferplatten nur 11 Schwingungen genau — 10 —_ _ 11 = _ — 20 _ _ 11 E — — 530 —_ —_ 14 — —_ FREI BEREER = ti m au 13. Zur Vergleichung wurden auch Versuche mit Zinkplatten von derselben Gröfse wie die eben erwähnten Kupferplatten, doch von 2 Linien Dicke, angestellt. Die Magnetnadel von 45-10° Deecl. über 1 Zinkplatte 51 Schwingungen —ı 9 — 47 — Am: =— 42 —_ er — 42 — nicht völlig. In der Dicke kamen diese 4 Zinkplatten den vorbenannten 9 Kup- ferplatten nahe, im Gewicht aber waren 5 Kupferplatten jenen 4 Zink- platten fast gleich. In der die Oseillationen hemmenden Kraft steht also Zink dem Kupfer beträchtlich nach. 14. Die Wirkung der Metalle auf die Magnetnadel nimmt in geradem Verhältnifs mit der Entfernung der Nadel von den Metallen ab. — In der Zahl der Schwingungen der Magnetnadel fand ich bei gleichem Abstande der Boussole von den Metallen keine Verschiedenheit, es mochte sich zwischen denselben Luft, Glas, Holz oder Pappe befinden. 15. Erwärmung der Metallscheiben scheint keine bedeutende Ver- änderung in ihrer Wirkung auf die Magnetnadel hervorzubringen; die Zahl der Schwingungen betrug wenigstens über einer bis zum Anlaufen erwärm- ten Kupferplatte genau so viel als vorher in gewöhnlicher Temperatur. 16. In dem Vermögen die Weite der Oseillationsbogen zu vermin- dern wurde das Kupfer noch vom Silber übertroffen. Denn die Magnet- nadel, welche über einer -, Linie dieken Kupferscheibe von 45 - 10° in 62 Schwingungen gekommen war, machte über einer gleich grofsen, doch nicht völlig / Linie dieken Scheibe von Kapellensilber nur 55 Schwin- gungen, und über einer 4, Linie dicken Silberscheibe 38 Schwingungen. 17. Am beträchtlichsten wurden die Oscillationsbogen der Magnet- nadel vom Eisen vermindert. Schon eine mit einer Mischung von Eisen- feilspänen und Baumwachs ganz dünn und gleichförmig bestrichene K2 76 SEEBEckK: Fon dem in allen Metallen Pappscheibe liefs die Magnetnadel nur 59 Schwingungen vollbringen, welche für sich zwischen denselben Abweichungswinkeln 116 Schwingungen machte. Eine -, Linie dicke und 49 IZoll grofse Scheibe von Eisenblech, welcher vorher durch Glühen alle Polarität genommen worden, brachte die Zahl der Schwingungsbogen jener Nadel sogar bis auf 6 herab, als sie sich in einem Abstande von beinahe 4 Zoll von der Scheibe befand. 18. Über das Verhalten sämmtlicher bisher untersuchten einfachen Metalle gegen die zu den vorhergehenden Versuchen benutzte Magnetnadel giebt folgende Tabelle Auskunft. Die 2! Zoll lange Magnetnadel machte in einem Abstande von 3 Li- nien von den Metallflächen über Quecksilber von 2 Linien Dicke 112 Schwingungen — Wismuth a 22406 Ra — Platina - 4 - Pe 94 E — Antimon a Aue 90 ae — Bley - 3:3 — u 89 “2 — Gold - 1 — i: 39 u — Zink 14 — ee ze ee — Zinn u = 63 Fr — Messing - 4 - _ 62 — — Kupfer - 5 - Zu 62 u — Silber - 5 —- E 55 zu = Bisen _ m er ee 6 en Die Magnetnadel für sich auf der Marmorplatte oder blofs in 3% Fufs Höhe über dem Fufsboden schwebend, machte 116 Schwingungen. In dieser Tabelle sind die Metalle nur nach der Zahl der Schwingun- gen, nicht nach ihrer Wirkung im Verhältnifs der Dicke geordnet. Würde diese mit berücksichtigt, so würde Platina und besonders Gold, welches das dünnste von allen war, eine tiefere Stelle in der Reihe erhalten, und auch Zink unter Zinn zu setzen seyn. Die Länge und Breite dieser Metallscheiben war verschieden, doch waren auch die kleinsten 1 Zoll, andere 2-3 Zoll im Geviert gröfser als die Magnetnadel lang war. 19. Durch Zunahme der Länge und Breite der Platten über die Länge der Magnetnadel wird die hemmende Wirkung derselben nicht ver- durch Fertheilung zu erregenden Magnetismus. 77 stärkt, wohl aber wird sie vermindert, wenn die Platten schmäler und kür- zer gemacht werden, als die Nadel lang ist. Die Oscillationsbogen von dieser werden dann wieder gröfser. 20. Schmale Stangen und Blechstreifen vermindern die Weite der Oscillationsbogen der Magnetnadel nur dann, wenn sie der Länge nach in- nerhalb der Fläche liegen, über welche die Nadel spielt, also wenn sie im magnetischen Meridian liegen, oder diesen bei unsern Versuchen höchstens unter einem Winkel von 45° schneiden, doch ist in letzterem Falle die Ver- minderung der Schwingungen geringer als im ersteren. Keine, oder eine höchst geringe Verminderung der Oseillationsbogen findet dagegen statt, wenn diese schmalen Stangen oder Blechstreifen von Osten nach Westen gerichtet sind. Die vorige Magnetnadel machte über einer viereckigen Kupferstange von 1 Fufs Länge und 5 Linien Dicke, welche im magnetischen Meridian unter derselben lag, 49-50 Schwingungen von 45-10°. Sie machte aber 116 Schwingungen (also genau so viel wie für sich allein), als die Kupfer- stange unter dem Mittelpunkt der Nadel lag und den magnetischen Meridian rechtwinklig schnitt. 21. Zwei solcher Kupferstangen neben einander von O. nach W. liegend, bewirkten dagegen schon eine Abnahme der Schwingungsbogen, weil die Fläche, welche sie der Magnetnadel in der Richtung von N. nach S. zukehrten, nur eine Breite von 10 Linien hatte. Die Nadel über dersel- ben machte 82 Schwingungen innerhalb der Gränzen der bekannten Decli- nationswinkel. Viel stärker war aber die Wirkung dieser beiden Metallstäbe als sie von N. nach S. neben einander unter der Magnetnadel lagen. Diese machte nun nur 40 Schwingungen. 22. Lagen die beiden Kupferstäbe, oder auch drei derselben in der Richtung vonN. nach S. auf einander unter der Nadel, so war die Hem- mung der Öscillationen minder stark als in dem vorhergehenden Falle. Die Nadel machte nun noch 48-49 Schwingungen. 23. Eine Verminderung der Öscillationen fand auch statt, obwohl eine sehr geringe, wenn nur ein kleiner Theil der Enden der Mag- netnadel über zwei von N. nach S. liegenden Kupferstäben schwebte, welche aber in dem Verhältnisse zunahm, als die beiden Stäbe dem Mittel- 78 Srersecxk: Yon dem in allen Metallen punkte der Nadel genähert wurden, und abnahm als sie weiter nach N. und nach S. entfernt wurden. 235). Eine St Zoll lange pfeilförmige Magnetnadel, welche für sich 35 Schwingungen machte, oscillirte über einer 4 Zoll langen und breiten und #, Linie dieken Kupferplatte 29 mahl; über einer 1 Quadratfufs grofsen und -; Linie dicken Platte aber nur 22 mahl. 24. Das Verhalten der Ringe wurde nun auch genauer untersucht, und es ergab sich, dafs diese zwar gleichfalls, doch viel schwächer als die Scheiben, Stangen und Blechstreifen wirken, und auch bei gröfserem Volumen und bei gleichem Abstande von der Nadel die Zahl der Schwin- gungsbogen bei weitem nicht so beträchtlich vermindern als die viel dünne- ren unter der Nadel liegenden Blechstreifen und Platten, wie folgender Versuch beweist. 25. Eine dünne, aus einer Uhrfeder verfertigte Magnetnadel von 3Zoll 7 Linien Länge und 1! Linie Breite, welche an einem Coconfaden aufgehängt, für sich 30 Schwingungen machte, erlitt innerhalb eines % Zoll dicken und 4 Zoll im Lichten haltenden Kupferringes eine Verminde- rung der Weite der Öseillationsbogen, so dafs sie nun nur 26 Schwingun- gen machte. Über einer 4 diese Nadel in einemAbstande von 3 Linien schon in 19 Schwingungen von 45-10°. 26. Eine Magnetnadel von 8} Zoll Länge und 2 Linien Breite, mit Linie dieken Kupferplatte kam dagegen der flachen Seite vertikal gestellt, welche für sich 103 mahl innerhalb jener Grenzen oscillirte, machte, umgeben in einem Abstande von 3 Linien mit einem Kupferringe von 2 Linien Dicke und 1 Zoll Breite, 62 Schwingun- ö gen, während sie über einer Kupferplatte von # Linien Dicke und in einem Abstande von 6! Linien nur 27-28 Schwingungen vollbrachte. 27. Das Verhalten einer Magnetnadel von Nickel, deren Länge 2 Zoll betrug, und welche für sich 114 Schwingungen von 45 - 10° machte, wurde von einer 2} Zoll langen und 120 Schwingungen machenden Magnet- nadel von Stahl darin abweichend gefunden, dafs die Schwingungsbogen von jener in geringerem Grade als die von dieser vermindert waren, obwohl die letztere etwas höher über den Metallplatten stand als die erstere. TI Oo durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus. So z. B. machte Die Stahlnadel. Die Nickelnadel. Uber einer; Linie dicken 2 Platte 61-62 Schw. 75-79 Schw. a a a 44-45 — 0-4 ra BR — ln au En fer ee er ee ER Noch ist zu bemerken, dafs jene Nickelnadel nicht nur kürzer, sondern anch leichter war als die Stahlnadel. — Steht nun schon eine Nickelnadel einer Stahlnadel von gleicher Form und gleichem Gewicht in der Stärke des Magnetismus nach, wenn beide bis zur Sättigung magnetisirt worden, so mufste die zu diesen Versuchen angewendete Nickelnadel der Stahlnadel in der Intensität des Magnetismus um so mehr nachstehen. Und dieses ist als die Hauptursache des verschiedenen Verhaltens der beiden Nadeln gegen die Metallscheiben anzusehen. Diese Versuche sollen übrigens noch mit gleichartigen Nadeln wiederhohlt und weiter verfolgt werden. 25. Den von Herrn Arago bemerkten Isochronismus der Schwin- gungen betreffend, wurden nun auch einige Versuche angestellt, welche, wie zu erwarten war, bestätigend ausfielen. Die Magnetnadel von 2} Zoll Länge machte über 6 Kupferplatten von 42 Zoll im Geviert und , Linie Dicke genau 12 Schwingungen von 45-10° innerhalb 20 Secunden 32, 6 Tertien. Dieselbe Magnetnadel über Eine der vorigen Kupferplatten schwe- bend, machte von 45-10° 26 Schwingungen. 12 solcher Schwingungen vollbrachte sie, nach dem Mittel aus mehreren Versuchen, in 20 Secunden 29, 6 Tertien. Diese Nadel auf der blofs mit einem Blatt Papier bedeckten Marmor- platte stehend, kam von 45-10° in 120 Schwingungen. Von diesen wurden 12, im Mittel, in 20 Secunden 41, 8 Tertien vollbracht. Diese Nadel über einer mit Eisenfeilspäne und Baumwachs bestrichenen und mit einem Blatt Papier bedeckten Pappscheibe schwe- bend, von 45-10° 60 mahl oscillirend, machte ihre 12 Schwingungen, gleichfalls in 20 Secunden 38, 6 Tertien. 29. Wir wenden uns nun zur Erklärung dieser Erscheinungen und zur Angabe der Gesetze im Allgemeinen, denen zu Folge eine Verminde- 80 SEEBECK: Fon dem in allen Metallen rung der Öscillationsweite der über Metallen schwebenden Magnetnadeln und Isochronismus der Schwingungen statt findet. Wie alle Körper im Lichte leuchtend werden, so werden auch alle durch Magnete magnetisch, doch giebt es für beide Zustände, den leuch- tenden wie den magnetischen, unzählige Stufen. Brugmanns und Cou- lomb nennen uns eine grofse Zahl von Körpern, welche dem Magnete folgen; unter diesen zeichnen sich vorzüglich die Metalle aus, welche, wie auch unsere Versuche bestätigen, durch Magnete am leichtesten und stärk- sten zu gleicher Thätigkeit und zur Gegenwirkung gegen die ihnen zu- gewendeten Pole angeregt werden. Denn nur in so fern als sie durch Vertheilung magnetisch werden, sind die verschiedenen Metallschei- ben, Stäbe und Ringe im Stande, die Weite der Öscillationsbogen der Magnetnadeln zu vermindern. — Die Magnetnadel selbst setzt sich ihre Hemmung, indem sie in den unter und neben ihr befindlichen Metallen die entgegengesetzten Pole hervorruft. Und da sie nun dasselbe an jedem Punkte, über oder neben den sie schwebt, thut, so mufs ihre Bewe- gung nothwendig vermindert werden, und dies um so mehr, eines je höheren Grades des Magnetismus das in der Nähe der Nadel aufgestellte Metall fähig ist. Die Magnetnadel wird also auch, wenn sie ihrer ganzen Länge nach über einer Metallscheibe schwingt, wo jeder Theil derselben bis zum mag- netischen Mittelpunkt der Nadel hin, hemmend wirkt, in ihren Öscillations- bogen eine stärkere Verminderung erleiden müssen, als innerhalb eines Metallringes, in welchem zwar das Ende der Nadel bei gleichem Abstande auch mit gleicher Stärke den entgegengesetzten Magnetismus erregt, wie über der Scheibe, die übrigen Theile der Nadel aber um so schwächer wirken, je gröfser ihr Abstand von dem Ringe ist. 30. Wenn nun der Magnetismus, welchen die Magnetnadeln in den unter ihnen liegenden Metallen erregen, und die Rückwirkung jenes Magne- tismus auf den der Nadeln die Ursache der Verminderung ihrer Schwingungs- bogen ist, so werden schwache Magnetnadeln, unter übrigens gleichen Umständen, eine geringere Verminderung in der Weite ihrer Oseillations- bogen erleiden müssen als stärkere Magnete. Das Verhalten der oben erwähnten Nickelnadel, welche über allen Metallen gröfsere Bogen beschrieb, bestätigt dies. durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus. s1 Wenn nun ferner die Vermehrung der unter den Metallen aufgehäuf- ten Metallmasse über eine gewisse Grenze hinaus keinen Einflufs weiter auf die Schwingungsbogen hat, wie oben gezeigt worden, und wenn hieraus folgt, dafs die Stärke des in den Metallen durch Vertheilung erregten Mag- netismus im umgekehrten Verhältnifs des Abstandes der Theile von der Magnetnadel steht, so werden starke Magnete in gröfseren Metall- massen einen wirksameren Magnetismus durch Vertheilung erregen müs- sen, als schwache, und es wird also die Weite der Schwingungsbogen auch hierdurch in den stärkeren Magneten eine beträchtliche Verminde- rung erleiden. Die Resultate einiger vergleichenden Versuche, welche in dieser Be- ziehung mit einer Magnetnadel von 7 Gran, und einem Magnetstabe von 11 Drachmen Gewicht, und 3} Zoll Länge, beide bis zur Sättigung magnetisirt, angestellt wurden, entsprachen völlig der Erwartung, wie fol- gende Tabelle zeigt. Die leichte Magnetnadel, welche für sich in 30 Schwingungen von 45-10° kam, machte über Einer Kupferplatte von 42 Zoll im Geviert und 2 Linie Dicke .......e.s00s0e0n00n0n00r. 21 Schwingungen über 2 solcher Kupferplatten 19 — a: > — 47 — idee _ 15 _ und etwas darüber 5 — _ 15 — genau N > 15 ee nicht völlig ERER zu 15 —_ wie vorhin. Der Magnetstab, welcher für sich erst nach 500 Schwingungen von 45-10° kam, machte über Einer Kupferplatte von ; Linie Dicke 32 Schwingungen über 6 Kupferpl. von 45 Zoll im Geviert und #; Linie Dicke 12 — — 10 solcher Kupfe rpl. 10 — Fe _ 9 _ _— 30. — = 9 - wie vorhin (*). (*) Hierzu ZusatzI. am Ende der Abhandlung. Phys. Klasse. 18235. L 32 Serseox: Fon dem in allen Metallen 31. Nicht blofs die Schwingungen der Magnetnadeln und Stäbe in der Horizontalebene, sondern auch die in der Vertikalebene (die eigent- lichen Pendelschwingungen (*) werden durch die unter denselben befindlichen Metalle vermindert, und zwar mehr oder weniger nach der verschiedenen Natur und dem gröfseren oder geringeren Volumen der Metalle, über welchen sie schwingen, wie dies auch nach allem, was bereits angeführt worden, nicht anders zu erwarten war. 32. Die Wirkung der Metalle auf die in der Horizontalebene schwingende Magnetnadel besteht also in einer nur vorübergehend an jeder einzelnen Stelle durch die Magnetnadel selbst hervorgebrachten Hemmung der Bewegung, und es kann diese einigermafsen mit derjenigen Hemmung verglichen werden, welche die Nadel durch die Torsionskraft eines Fadens oder Drathes, an dem sie hängt, oder durch Friction einer Metallspitze, auf der sie schwebt, erleidet. Denn auch bei der durch Friction bewirkten Hemmung bleiben die Schwingungen einer Magnetnadel isochronisch, sie mögen in weiten oder engen Bogen osecilliren. Folgende Versuche mit einer Branderschen 8} Zoll langen Declinationsnadel bestätigten dies. Auf einer Stahlspitze schwebend machte diese Nadel von 45 - 10° genau 12 Schwingungen. Diese vollbrachte sie, dem Mittel aus mehreren Versuchen zu Folge, in 1 Min. 12 Sec. 34 Tertien. Am Coconfaden hängend, kam diese Nadel in 103 Schwingungen von 45-10°. 12 solcher Schwingungen machte sie, nach dem Mittel aus mehreren Versuchen in 1 Min. 12 Sec. 15 Tertien. 33. Nicht blofs durch die künstlichen Magnete, auch durch den Mag- netismus der Erde mufs in den Metallen eine magnetische Polarität hervor- gerufen werden, wenn sie einmahl derselben fähig sind, und es wird auch diese nothwendig auf das Spiel der Magnetnadel einigen Einflufs haben müssen. Dieser kann aber, so lange die Polarität der Nadel, oder vielmehr die richtende Kraft derselben überwiegend bleibt, nur darin bestehen, dafs er die Zahl der Schwingungen der Nadel vermehrt, weil der terrestrische Magnetismus gleichnamige Pole in den Metallscheiben mit denen der über ihnen schwebenden Magnetnadel erregt, wodurch Abstofsung und also auch Beschleunigung der Bewegung der Nadel erfolgen mufs. (*) Hierzu Zusatz II. am Ende der Abhandlung. durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus. 83 Bei den Apparaten, welche zu den vorhergehenden Versuchen ange- wendet worden, kann die Einwirkung der durch terrestrischen Magnetismus erregten Polarität auf die Oseillationen der Nadel nicht beträchtlich ge- wesen seyn, weil sie grölstentheils eine für die Polarisation in der Richtung des magnetischen Meridians ungünstige Form hatten, da sie aus breiten Plat- ten bestanden. Dies bestätigt auch der Erfolg in dem oben angeführten Versuch mit der Eisenscheibe, obwohl diese die übrigen Metalle in jener Polarität übertreffen müfste. 34. An allen Metallen zeigt sich eine Abnahme der die Oscillationen der Magnetnadel vermindernden Wirkung, wenn sie schmäler gemacht werden. Eine viel beträchtlichere Abnahme jener Wirkung als bei den übrigen Metallen findet, unter gleicher Bedingung, bei'm Eisen statt, weil es, in schmalen Streifen, von N. nach S. liegend, durch die Einwirkung des Erdmagnetismus eine starke Polarität annimmt, welche dann repellirend auf die Magnetnadel wirkt. 35. Ein 7 Linien breiter und 8 Zoll langer, gänzlich unpolarer Strei- fen von demselben Eisenblech, über welchem die 2} Zoll lange Magnet- nadel in dem 8.17 angeführten Versuch nur 6 Schwingungen vollbracht hatte, verminderte die Zahl der Oseillationen derselben Magnetnadel unter übrigens gleichen Umständen so wenig, dafs sie nun noch 98 Schwingungen machte. Über einem Kupferstreifen von denselben Dimensionen machte diese Magnetnadel nur 50 Schwingungen; ein Beweis einerseits von der Ver- mehrung der Öscillationen durch die vom Erdmagnetismus in dem Eisen- blechstreifen gesetzten Polarität, anderseits aber auch von der geringen Wirkung dieses Magnetismus auf den Kupferstreifen, woraus zu schliefsen ist, dafs er auch auf den gröfsten Theil der übrigen Metalle keinen bedeu- tenden störenden Einflufs gehabt haben könne (*). 36. In mehr als einer Beziehung wichtig war es, nun auch das Ver- halten der Metalle, welche durch Vertheilung einen beträchtlichen Grad des Magnetismus annehmen, wie Eisen, Nickel und Kobalt in ihrer Ver- bindung mit solchen Metallen zu untersuchen, welche jenes Vermögen zu schwächen im Stande sind. — Zu diesen zählt man das Antimon, welches nach der Angabe von Gellert und Rinmann eine beträchtliche Menge von (*) Hierzu Zusatz III. am Ende der Abhandlung. 54 Serszeexk: Fon dem ın allen Metallen Eisen enthalten kann, ohne dadurch einer magnetischen Polarisation fähig zu werden. Durch einen Versuch, welcher mit einem Alliage von 4 Theilen An- timon und 1 Theil Eisen angestellt wurde, wurde dies nicht nur bestätigt, sondern es ergab sich aus demselben das merkwürdige Resultat, dafs beide Metalle dieser Verbindung in einander gegenseitig das Vermögen, durch Vertheilung magnetisch zu werden, bis zu dem Grade schwächen, dafs es als Null angesehen werden kann. Denn eine Magnetnadel, welche über einer 36 DZoll grofsen und 2 Linien dieken Scheibe von Antimon Metall, wie es im Handel vorkommt, in 90 Schwingungen von 45-10° gekommen war, machte über einer Scheibe von jenem Alliage aus Antimon und Eisen (welche der vorigen im Volumen gleich war), 116 Schwingungen ; d.i. genau so viel als sie frei, und nur über einer dünnen Papierscheibe schwebend, machte. 37. Eine ähnliche Wirkung wie in der Verbindung mit Eisen zeigte das Antimon auch in der Verbindung mit Kupfer. Über einer 5 Linien dicken Stange eines Alliages von 3 Theilen Kupfer mit 1 Theil Antimon vollbrachte eine Magnetnadel genau so viel Schwingungen, als für sich, ohne metallische Unterlage. Alliagen von gleichen Theilen Kupfer und Antimon, und von 4 Theil Kupfer mit 3 Theilen Antimon bewirkten dagegen wieder eine Verminderung der Weite der Schwingungsbogen der Magnetnadel. Über einer 5 Linien dieken Stange des ersteren machte die Nadel 96 Schwingun- gen, und über einer Stange des letztern 100 Schwingungen. 38. Auch durch Zusatz von Wismuth wird das magnetische Polari- sationsvermögen des Kupfers vermindert, und zwar, wie folgende Versuche zeigen, in demselben Verhältnisse, wie die Menge des Wismuths zunimmt. Über 5 Linien dicken und 10 Zoll langen Stangen von Alliagen aus 3 Th. Kupfer mit 1 Th. Wismuth macht die Nadel 94 Schwing. — 1 — Kupfer — 1 — Wismuth = 10. — — 1 — Kupfer — 3 — Wismuth no 104° — 39. Wie Antimon und Eisen, so zerstören auch Kupfer und Nickel wechselseitig in einander die Empfänglichkeit für den Magnetismus, wie Lampadius entdeckt hat. Ein unmittelbar unter der Magnetnadel lie- gender 1 Fufs langer, 7 Linien breiter und Linie dicker Blechstreifen durch Vertheilung zu erregenden Magnetismus. 85 von einem Alliage aus 2 Theilen Kupfer und 1 Theil Nickel bewirkte nicht die geringste Verminderung in der Weite der Oscillationsbogen; ob- wohl ein Streifen Kupferblech, von gleichen Dimensionen mit jenem, diese Nadel, welche für sich 116 Schwingungen machte, auf 49 herab- brachte (*). 40. Überall, wo man es nöthig finden könnte, sehr bewegliche und lange oscillirende Magnetnadeln anzuwenden, hat man sich also der Nickelnadeln zu bedienen, und diese in Kapseln von Holz oder von einem aus Kupfer und Nickel bestehenden Alliage einzuschliefsen ; dort aber, wo man Magnetnadeln braucht, welche sich schnell in den magne- tischen Meridian stellen, da wird man stark magnetische Stahlnadeln an- wenden und diese in kupfernen Kapseln mit dickem Boden einschliefsen müssen. Te I. (Zu $. 30.). Später angestellte Versuche mit Eisenfeilspänen, welche in verschiedener Dicke in Pappschachteln aufgehäuft waren, gaben ähnliche Resultate. Eine Magnetnadel, welche in einer Höhe von ungefähr 3 Linien 116 Schwingungen von 45-10° machte, vollbrachte 1. Ueber einer + Linie dicken Schicht von Eisenfeilspänen, welche mit einer — Linie dicken Pappscheibe bedeckt war, 63 Schwingungen; 2. Ueber einer 1 Linie dicken Schicht Eisenfeilspäne 35 Schwingungen ; 3. Ueber einer 9 Linie dicken Schicht derselben Späne 29 Schwingungen von 45-10°. Diese Magnetnadel erregte also einen um so stärkeren Magnetismus durch Verthei- lung in dem unter ihr liegenden Eisen, je gröfser die Masse desselben war, wodurch denn auch die Zahl der Schwingungen vermindert werden mufste, da die von allen Theilen der Nadel in der Eisenfeile erregten vorübergehenden oder veränderlichen entgegengesetzten Pole anziehend, und also die Bewegung der Nadel hemmend wirken mufsten. 4. Dieselbe Magnetnadel in derselben Höhe über einer 9 Linien dicken Schicht von Dreh- spänen einer Legirung von Kupfer mit 3 Procent Eisen machte 97 Schwingungen, und (*) Hierzu Zusatz IV. am Ende der Abhandlung. 86 Serseck: Fon dem in allen Metallen 5. Ueber einer 9 Linien dicken Schicht von Drehspänen einer Legirung von Mes- sing mit 5 Procent Eisen machte sie 87 Schwingungen von 45 -10°. 6. Wurde diese Magnetnadel in der vorigen Höhe von ungefähr 32 Linie über einer 9 Linien dicken Schicht von angeblich reinen Kupfer-Drehspänen gestellt, so vollbrachte sie 116 Schwingungen von 45-10°; also eben so viel als für sich und ohne diese Unterlage. 7. Als aber dieMagnetnadel der Kompafsrose bis aufl5 Linie Abstand genähert wurde, so bewirkte diese Masse von Kupfer-Drehspänen schon eine Verminderung der Schwin- gungen; die Zahl derselben betrug nun von 45-10° nur noch 107-108. Wäre ein stärkerer Magnet statt jener Nadel angewendet worden, so würde die Differenz in der Zahl der Schwin- gungen über diesen Spänen und ohne dieselben verhältnifsmäfsig gröfser ausgefallen seyn. Alle hier angeführte Thatsachen scheinen mir die 8.30. dieser Abhandlung gegebene Erklärung von der Hemmung, welche Magnetnadeln und Magnetstäbe über ruhenden Metallscheiben erleiden, vollkommen zu bestätigen. Wir ersehen hieraus zugleich, dafs das Vermögen der Metalle, durch Vertheilung eine magnetische Polarität anzunehmen, viel gröfser ist, wenn sie eine feste Masse bilden, als wenn sie fein zertheilt sind. Wenn nun dies Vermögen in einem Metall, welches dasselbe in so hohem Grade besitzt, wie das Eisen, schon so beträchtlich durch den aufgehobenen Zusammenhang und durch feine Zertheilung vermindert ist, wie aus der Vergleichung dieser Versuche mit den übrigen in dieser Abhand- lung angeführten Versuchen mit Eisenblechen hervorgeht, so kann es nicht befremden, die hemmende Wirkung der Kupfer-Drehspäne im sechsten Versuch dieser Note Null zu fin- den. Aus Versuch 7 ersehen wir aber zugleich, dafs dem Kupfer selbst dann, wenn es sich in der ungünstigsten Form, d.h. in mehr oder weniger fein zertheiltem Zustande befin- det, das Vermögen durch Vertheilung magnetisirt zu werden, niemals ganz fehlt. Wie wichtig der vollkommene Zusammenhang der Metallmassen in Beziehung auf die Einwir- kung derselben auf die schwingende Magnetnadel, folglich auch, nach unserer Ansicht, auf das magnetische Polarisationsvermögen der den Magneten genäherten Metalle ist, haben uns auch Herschel’s d. Jüng. interessante Versuche mit Kupferscheiben, in welche einige Einschnitte gemacht waren, gelehrt; denn schon bedeutend war hierdurch die Wir- kung dieser Scheiben auf die oscillirende Magnetnadel verringert. Aus dem vierten und fünften Versuch dieser Note geht hervor, dafs die magnetische Polarisation des Kupfers und Messings um so gröfser ist, je mehr Eisen sie enthalten, und man könnte hierdurch veranlafst werden zu fragen, ob nicht vielleicht die Metalle überhaupt erstdurcheinen, wenn auch nur geringen Gehaltvon Eisen dasVermögen erlangen, magneti- sche Pole durch Vertheilung anzunehmen? Es ist nicht zu läugnen, dafsin vielen Fällen der Eisengehalt der Metalle ihre Capacität für den Magnetismus vermehre ; dafs er sie aber erst erzeuge, kann keinesweges als allgemein geltend angenommen werden. Aus den $.36 angeführten Beobachtungen ersehen wir, dafs das Eisen selbst sein Vermögen magnetisch zu werden in Alliagen verliert, in denen es in beträchtlicher Menge vorhanden ist, oder dafs wenigstens seine Capacität für den Magnetismus durch Zusatz von andern Metallen in hohem Grade vermindert wird. Auch wissen wir ja längst, dafs andere, und dazu für sich des Magnetismus nicht fähige, oder doch im schwächsten Grad fähige Körper, wie die Kohle, dem Eisen das Vermögen ertheilen, den in ihm durch Vertheilung erregten Magnetismus fester zu binden, danernder zu machen; eine Erfahrung, welche wohl die Frage veranlassen könnte, ob nicht der Magnetismus im Eisen selbst erst bedingt sey durch die Gegenwart durch Ferthellung zu erregenden Magnetismus. 87 eines andern mit ihm verbundenen Körpers? Ohne ein grofses Gewicht darauf zu legen, will ich nur an diese schon mehrmals aufgeworfene Frage, welche aher noch immer unbeant- wortet geblieben, erinnern. Man hat ferner im Nickel, welches mit ler gröfsten Sorg- falt bereitet worden, und welches einen starken Magnetismus durch Vertheilung annahm, nicht eine Spur von Eisen entdecken können. Und die $. 39. angeführten Thatsachen belehren uns, dafs das Vermögen des Nickels zur magnetischen Polarisation durch ein anderes Metall, als beim Eisen (laut 8.36.) erforderlich ist, geschwächt und bei einem bestimmten Mischungsverhältnifs desselben zum Nickel aufgehoben werden kann, näm- lich dem Kupfer, welches das magnetische Polorisationsvermögen des Eisens nicht auf- hebt, und in welchem das eigene Polarisationsvermögen noch durchZusatz von Eisen, oder Vermehrung seines ursprünglichen Eisengehalts, verstärkt wird. Alle diese Thatsachen sprechen entschieden gegen die Hypothese, der zu Folge der Magnetismus der Körper lediglich einem Eisengehalt derselben zugeschrieben wird. Zugleich scheinen mir aber auch die hier mitgetheilten Erfahrungen anzudeuten, dafs wenn es Metall- verbindungen giebt, welche gegenseitig das Vermögen zur magnetischen Polarisation durch Vertheilung in einander schwächen, und in bestimmten Mischungsverhältnissen sogar ver- nichten, — in andern Metallverbindungen ebensowohl das Gegentheil hiervon statt finden könne, nämlich Verstärkung dieses Vermögens durch gegenseitige Einwirkung der Metalle auf einander. Zur Aufklärung hierüber möchten wohl zunächst Versuche mit Alliagen von Metallen, welche eines dauernden Magnetismus fähig sind, mit andern, in dieser Bezie- hung schwächeren Metallen nothwendig seyn, z. B. mit Alliagen von Kupfer und Eisen, von Platina mit Nickel, Gold mit Nickel, von Platina mit Eisen und nicht min- der mit Alliageu von Kupfer mit Platinau.s.w. Das Eisen gehört zwar zu denjeni- gen Metallen, welche sich in gröfserer Menge nur mit wenigen andern Metallen verbinden, in geringer Menge geht aber das Eisen fast mit allen sehr innige und gleichförmige Ver- bindungen ein, und es ist zu erwarten, dafs ein sehr geringer Antheil von Eisen in den dichteren Metallen, z.B. im Kupfer und im Golde u.s. w. den Magnetismus bedeutend erhöhen werde. Von dem Quantitätsverhältnifs dieser Körper abhängige Wendepunkte, Maxima und Minima, werden hier ohne Zweifel auch vorkommen. Die Aufmerksamkeit der Experimentatoren wird aber bei diesen Versuchen nicht allein auf die Quantitätsver- hältnisse, sondern auch auf die Art der Verbindung der Körper, und die äufseren Bedingun- gen, unter denen sie erfolgt, gerichtet seyn müssen u. s.w. Beiläufig bemerke ich noch, dafs ich nach meinen bisherigen Erfahrungen über das mag- netische Verhalten der Eisenfeilspäne schliefsen mufs, dafs Scheiben von diesen, statt der von Herrn Barlow erfundenen Correetionsscheiben von massivem Eisen (um den stö- renden Einflufs des übrigen Eisens auf den Schiffen abzuwenden), nicht nur angewendet werden können, sondern dafs jene vor diesen in einer Beziehung noch den Vorzug verdienen möchten. Scheiben von Eisenfeilspänen nehmen zwar eine schwächere magnetische Polari- tät durch die Stellung (d.h. durch Einwirkung des Erdmagnetismus) an, sie behalten ihn aber bei weitem nicht so lange als massive Eisenscheiben, welche schon durch Stellung, und wenn sie sich einige Zeit in der Nähe von Magneten befinden, feste Pole annehmen, welche nicht immer so leicht oder so bald aufzuheben sind, als bei weiterer Anwendung derselben wohl nöthig seyn möchte. Die Verfertigung gleichförmiger Scheiben von Eisen- feile hat ihre Schwierigkeiten, doch glaube ich, dafs ein geschickter Künstler diese wird s8 SersEcK: Jon dem ın allen Metallen überwinden können. Am zweckmäfsigsten möchte es seyn, die Eisenfeilspäne mit einem nicht zu weichen harzigen Kitt zu vermischen, diesen gut durchzukneten, und ihn in eine flache kupferne Schale einzuschliefsen. D. (Zu $. 31.) Die Zahl der Pendelschwingungen und die Weite der Bogen einer an einem Faden hängenden Magnetnadel nimmt, wenn diese über Metallplatten horizontal schwebt, schneller ab, die Nadelkommt auch als Pendel früher zur Ruhe, als wenn sie frei für sich oder über Papier, Marmor oder Holz, in derVertikalebene in kleinen Bogen schwingt. Die Pendel- schwingungen einer solchen Magnetnadel sind aber, bei gleicher Länge des Fadens und der Schwingungsbogen in beiden Fällen ebensowohl isochronisch, wie dieSchwingungen der Nadel in der Horizontalebene , wie aus folgenden später angestellten Versuchen zu ersehen ist. Ein Magnetstäbchen von 41-Zoll Länge, Zoll Breite und 4 Zoll Dicke, welches stark mag- netisch war, und an einem Seidenfaden in einer 221 Zoll hohen Glasglocke hing, machte über einer horizontal gestellten Marmorplatte, von welcher beide Pole des Magnetstabes ungefähr 24 Linie entfernt waren, 100 Pendelschläge in der magnetischen Äquatorialebene, wobei der Magnetstab innmer im magnetischen Meridian gerichtet blieb, nach dem Mittel aus mehreren Versuchen in Zeit von 1 Minute 11 Secunden 55 Tertien.: Dasselbe Magnet- stäbchen über 3runden Kupferscheiben, welche 10 Zoll im Durchmesser halten, und zusammen 6+ Linie dick waren, zugleich aber auch zwischen 2 vertikal gestellten Kupfer- massen von 25 Zoll Fläche und 8 Linien Dicke so gestellt, dafs die Pole desselben sowohl von den horizontalen als ven den vertikalen Kupfermassen ungefähr 24 Linie abstanden, machte 100 Pendelschläge in der magnetischen Aquatorialebene, nach dem Mittel aus meh- reren Versuchen in 1 Minute 12 Secunden 1 Tertie. Diese Versuche wurden unmittelbar nach einander und bei gleicher Temperatur angestellt. Schon nach 150 Schwingungen befand sich der Magnetstab im letzteren Fall in Ruhe, da er im ersteren Fall über 900 Schw in- gungen machte, ehe er dem blofsen Auge zu ruhen schien. Hieraus ergiebt sich also, dafs die Pendelschwingungen eines Magnetstabes durch Metallmassen in der Nähe desselben eben so gehemmt werden, als wenn eine dichtere Luft denselben umgeben hätte, oder als wenn das Gewicht des Stabes vermindert worden wäre. Eine Kupfermasse, über oder zwischen den Polen von Magneten pendelförmig schwingend, wird also ebenfalls früher eine Verminderung der Weite ihrer Oscillationsbogen erleiden, als eine frei schwebende Kupfermasse. Ferner wird von den metallischen Körpern ein Pendel von Quecksilber am wenigsten durch Magnete gehemmt werden, und ein Pendel von Holz, mit einem Ge- wicht von eisenfreiem weifsen Marmor oder von reinem Kieselglase wird durch Magnete (und durch den Magnetismus der Erde?) gar nicht gehemmt werden u. s. w. IH. (Zu $. 35.) Noch überzeugender als die $. 35. am Ende angeführten Thatsachen, sind folgende später angestellte Versuche. Ein Eisenblech (ein halbes Sägeblatt), von 2 Fufs 74 Zoll Länge, 44 Zoll Breite und 5 Linie Dicke, welches durch Stellung in der magnetischen Inclinationsebene magne- tisch geworden war, auf einer horizontalen Marmorplatte in dem magnetischen Meridian so gelegt, dafs der s. Pol (+ m.) des Eisenblechs gegen S. (—M.) und der rn. Pol durch Ferthelung zu erregenden Magnetismus. 89 (— m.) desselben gegen N. (+ M.) gerichtet war. Die Boussole, welche aus einem 10 Zoll hohen Glascylinder bestand, welcher oben mit einem hölzernen Deckel, und unten mit einer Compafsrose von Papier verschlossen war, über welcher die 24 Zoll lange Magnetnadel, deren Pole beträchtlich stärker als die des Eisenblechs waren, in einer Höhe von 2+ Linie horizon- tal an einem Coconfaden schwebte, wurde auf einer Unterlage von einigen Pappscheiben mit ihrem Mittelpunkt über der magnetischen Mitte des Eisenblechs (oder doch der magnetischen Mitte desselben so nahe als möglich), gestellt, indem zugleich darauf gesehen wurde, dafs die Magnetnadel vor dem Anfang des Versuchs, eben so wie das Eisenblech, im magnetischen Meridian stand. Diese Nadel, welche für sich, und ohne irgend eine andere Unterlage als die Compafsrose, 104 Schwingungen von 45-10° gemacht hatte, durchlief in einer Höhe von 7% Linie über der obern Fläche des Eisenblechs denselben Raum in 34 Schwin- gungen; in einer Höhe von 5 Linien über dem Blech in 17-18 Schwingungen, und in einer Höhe von 4 Linien in 8 Schwingungen. 2. Als das Eisenblech umgewendet wurde, so dafs es mit seinem n. Pol (—m.) gegen S. (— 7.) und mit seinem s. Pol (+ m.) gegen N. (+ 7.) lag, so machte jene Magnetnadel «) im einer Höhe von 7% Linie über dem Eisenblech (und über der magnetischen Mitte dessel- ben) 98-99 Schwingungen; 2) in einer Höhe von 5 Linien 64, und %) in einer Höhe von 4 Linien 44-45 Schwingungen. Aus diesen Versuchen geht hervor, dafs das Eisen die Weite der Schwingungsbogen und damit auch die Zahl der Schwingungen einer Magnetnadel, welche hinlänglich stark polar ist, jederzeit, und selbst dann noch vermindert, wenn das Eisen ziemlich starke magnetische Pole hat, dafs aber das Vermögen des Eisens, die Bogenweite der oscillirenden Magnetnadel zu vermindern, immer durch die feste oder veränderliche Polarität desselben gestört oder geschwächt wird, und dies um so mehr, je stärker die Polarität des unter der Nadel liegenden Eisens ist, wie sich aus der Vergleichung der hier beschriebenen drei ersten Versuche mit dem oben 8.17. angeführten Versuch, mit dem 49 QZoll grofsen unmagneti- schen Eisenblech ergiebt, da diese durch die Einwirkung des Erdmagnetismus in ihrer hori- zontalen Lage, während der kurzen Dauer des Versuchs, und dazu durch ihre Form begünstigt, nur eine schwache Polarität annehmen konnte, bestimmt eine viel schwächere, als das bei den letzten Versuchen angewendete lange Eisenblech, welches dadurch, dafs es mehrere Mo- nate in der magnetischen Inclinationsebene gestanden hatte, eine nicht unbeträchtliche feste Polarität angenommen hatte. Hieraus folgt, dafs das Vermögen die Weite der Schwin- gungsbogen der Magnetnadeln zu vermindern, in allen Metallen, welche eine feste magne- tische Polarität anzunehmen im Stande sind, (wie Eisen, Kobalt und Nickel), immer mehr oder weniger geschwächt seyn wird, und zwar, wenn sie nur durch Einwirkung des Erd- magnetismus eine Polarität erhalten, im Verhältnifs ihrer Capacität zum Magnetismus. Bei Metallen, welche schon eine feste Polarität besitzen, hängt der Erfolg theils von der Form derselben, theils von dem Verhältnifs ihrer Polarität zu der der Magnetnadel ab, so wie auch von dem Orte, an welchem sich die Nadel über diesen magnetischen Unterlagen befindet. Nur dadurch, dafs das in den letzten Versuchen angewendete Eisenblech eine mäfsig starke Po- larität und eine beträchtliche Länge haite, wodurch dessen Pole weit von der Nadel entfernt waren, und dadurch, dafs es breit genug war, so dafs die Nadel in der ganzen Weite ihrer Schwingungsbogen von 90° über dem Blech blieb, und dazu über Theilen desselben, in denen der Magnetismus amschwächsten war, konnten die Erscheinungen eintreten, welche oben ange- Phys. Klasse. 1825. M 90 SEEBEcK: Fon dem in allen Metallen geben worden, nämlich dafs die die Oscillationen der Nadel hemmende Wirkung bei zuneh- mender Annäherung desselben, bis zu 4 Linien Abstand vom Eisenblech, ungeachtet des störenden Einflusses der Pole desselben, dennoch bedeutend zunahm; ferner, dafs die Ungleich- heit in der Störung, bei der entgegengesetzten Lage der Pole des Eisenblechs gegen die in Beziehung auf die Erdpole in unveränderter Richtung sich erhaltenden Pole der Magnet- nadel, nachgewiesen werden konnte. In beiden, in diesem Zusatz unter 1. und 2. angeführten Fällen wirkte die Polarität des Eisenblechs auf die Bogenweite der oscillirenden Nadel störend ein, doch in verschiedenem Grade, so wie auf verschiedene Weise. Im ersten Falle nämlich, wo die gleichnamigen Pole der Magnetnadel und des Eisenblechs einander zugekehrt, und zugleich gegen die ungleich- namigen Pole der Erde gerichtet waren, wurde die hemmende Wirkung des Eisenblechs durch die Repulsion seiner Pole vermindert; in dem zweiten Falle dagegen, wo die ungleich- namigen Pole der Magnetnadel und des Eisenblechs einander zugekehrt waren, wirkten die Pole des letzteren in gleichem Sinne mit den Polen der Erde; diedie Magnetnadel richtende Kraft war also hier vermehrt, wodurch denn auch ihre Bewegung beschleunigt werden mufste. Die Schwingungen der Nadel können mithin auch in den beiden angeführten Fäl- len nicht isochronisch seyn, wie leicht einzusehen. Ich kann nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, dafs Coulombs Versuche mit eisenhaltigen Silbernadeln und mit Nadeln von Wachs, welche Eisenfeilspäne in verschiedener Quantität enthielten, den Resultaten, welche ich mit Magnet- nadeln, welche über Eisenfeilspänen und über Legirungen von Kupfer mit Eisen und von Messing mit Eisen erhielt, in vollkommener Uebereinstimmung sind, und dafs also auch jene Versuche Goulombs für die hier gegebene Erklärung jener Erscheinungen sprechen. Denn Coulomb fand an jenen Körpern die Zahl der gleichzeitig vollbrachten Schwingungen um so gröfser, je mehr Eisen sie enthielten. Je mehr Eisen sie enthielten, desto stärker mufste also auch die richtende Kraft der Magnetstäbe, zwischen deren Polen sie schwebten, auf diesel- ben wirken, folglich die Zahl der von ihnen in gleichen Zeiten zu vollbringenden Schwingun- gen vermehrt werden. Eben diese Körper vermindern aber auch die Weite der Schwingungsbo- gen der über ihnen befindlichen Magnetnadeln um so mehr, je mehr Eisen sie enthalten. Cou- lombs Versuche mit Nadeln von Gold, Kupfer und Silber stimmen in ihren Resultaten mit denen, welche ich mit Platten von diesen Metallen erhalten habe (s. 8.18.), gleichfalls überein. Coulombs Nadeln von Gold und Kupfer machten in gleicher Zeit ziemlich dieselbe Zahl von Schwingungen, aber eine geringere Zalıl als die Nadeln von Silber; das Silber wurde also stärker magnetisch als jene beiden Metalle. Eben so verhielt sich das Sil- ber in unsern Versuchen, wo sich sein stärkerer Magnetismus aus der Verminderung der Weite der Schwingungsbogen ergab. Abweichend von den 8. 18. angegebenen Resultaten ver- hielten sich blos Coulombs Nadeln von Zinn und Blei, in welchen das Vermögen zu einer vorübergehenden magnetischen Polarisation gröfser war als im Kupfer und Silber. Solche Verschiedenheiten in den Resultaten können jetzt um so weniger auffallen, da man aus den hier mitgetheilten Beobachtungen ersehen hat, wie leicht diese durch fremdartige Bei- mischung auf mehr als einem Wege entstehen können. Immer werden Versuche mit Mag- netnadeln, und besonders mit Magnetstäben, welche nahe über ruhenden Metallplatten schwingen, entscheidendere Resultate über den Grad der Empfänglichkeit der Metalle für den Magnetismus geben, als Versuche mit kleinen Nadeln von diesen Metallen, welche zwi- durch Fertheiung zu erregenden Magnetismus. 9 schen den Polen von zwei Magnetstäben oscilliren, da dort alle Theile der Magnetstäbe, ihrer ganzen Länge nach, auf die zu untersuchenden Metalle, im letzteren Falle aber nur die Enden der Magnetstäbe auf kleine Massen derselben wirken. Die Metalle, welche keines bleibenden Magnetismus fähig sind, nehmen hier nur eine höchst schwache vorübergehende magnetische Folarität an, und es haben deshalb Coulombs Versuche selbst manchen geübten Experimentatoren nicht gelingen wollen. (s. T. Youngs Course of Lectures on Natural Philosophy, Vol.1l. p.439.). IV. (Zu 8. 39.) Versuche, welche späterhin mit Platten von einigen andern Metalllegirungen ange- stellt wurden, gaben folgende Resultate: . Eine 2‘, Zoll lange Magnetnadel, welche für sich und über einer in Grade getheilten Scheibe von dünnem Kartenpapier von 45-10° Decl. 116 Schwingungen machte, voll- brachte 1. über einer 4Linien dicken und 3% Zoll im Durchmesser haltenden Platte aus einer Legirung von 3 Theilen Kupfer und 1 Theile Antimon 105-106 Schwingungen; 2. übereinerScheibe von Packfong, welche von Hrn. v. Gersdorf in Wien berei- tet war, 2% Zoll im Durchmesser und 3% Linien Dicke hatte, 104-105 Schwingungen; 3. über einer Legirung von 18 Theilen Kupfer, 2 Theilen Antimon und 1 Theil Zink, deren Durchmesser 3% Zoll und die Dicke 4 Linien betrug, 81 Schwingungen; 4. über einer Scheibe von Glockengut, welche aus 5 Theilen Kupfer und 1 Theil Zinn bestand, 3 Zoll im Durchmesser hatte, und 3‘, Linien dick war, erfolgten 82 Schwin- gungen. V. (Zu $. 40.) Wichtiger noch als die Anwendung zu Boussolen, würde die Benutzung der 8.39. angeführten Legirung von Kupfer mit Nickel zu Pendeln seyn. Für die Erregung des Magnetismus durch Vertheilung unempfänglich, würde sie besonders zu den Unter- suchungen über die beschleunigende Kraft der Schwere allen andern bisher angewandten Metallcompositionen, namentlich auch dem Messing, vorzuziehen seyn, da bei ihrer An- wendung der hier so nachtheilige und so schwierig zu ermittelnde Einflufs des Erdmagne- tismus vermieden wird, und da jene Kupfer- und Nickel-Legirung dehnbar ist, sich also auch gezogene Stäbe aus derselben verfertigen lassen, welche wegen der gleichför- migeren Dichtigkeit der Masse immer den gegossenen Stangen vorzuziehen sind. Der meiste im Handel vorkommende Messing enthält Eisen, und auch der Zink, dessen man sich zur Bereitung eines Messings zu solchen Apparaten bedienen möchte, enthält gewöhnlich Eisen. Durch einen Zusatz von einer geringen Menge Antimonium-Me- talls könnte man zwar die Capacität des Eisens für den Magnetismus aufheben, doch schwer- lich ohne Nachtheil für die Ductilität des Messings. Indessen auch eisenfreier Messing wird immer eine Empfänglichkeit für den Magnetismus behalten, welche, wie schwach sie auch sey, bei den genannten Untersuchungen, wenn es um die höchste Genauigkeit zu thun ist, wohl nicht unberücksichtigt bleiben darf. Zu den rostförmigen Pendeln würde die Kupfer- und Nickel-Legirung gleichfalls allen andern Metallen vorzu- ziehen seyn, wo sie mit Quecksilber -Säulen verbunden werden müfste. Vergleichende M2 92 Serseck: Ton dem in allen Metallen u.s.w. Versuche mit zwei Pendeln, — einem von der genannten Kupfer- und Nickel-Legi- rung, und einem von reinem unmagnetischen Eisen, — möchten in mehr als einer Bezie- hung zu empfehlen seyn, z.B, schon als Controlle zu den mit Inclinationsnadeln angestell- ten Untersuchungen über die Variationen, welche in der Intensität des Magnetismus zu gleichen Zeiten an verschiedenen Orten, und in verschiedenen Zeiten an einem und demsel- ben Orte statt finden, u. s. w. YL Eine Beobachtung, welche ich so eben gemacht habe, finde hier noch eine Stelle. Ein Blechstreifen von chemisch-reinem Silber, welches aus Chlorsilber mit Sorgfalt reducirt worden war, hatte sich bei Untersuchungen, welche ich im May 1827 anstellte, von aller übrigen Silber darin unterschieden, dafs es zwischen sehr starken Magnetstäben keine feste Stellung annahm (*). Eine 24 Zoll lange Magnetnadel, welche für sich 98-100 Schwingungen von 45-10° machte, wurde jetzt in einer Höhe von 2 Linien über drei neben einander liegen- den, doch an den Rändern einander bedeckenden Streifen dieses Silbers, welche zusammen eine Fläche von 3 Zoll Länge und 13 Zoll Breite bildeten, gestellt. Die Zahl der Schwingun- gen, welche die Nadel hier von 45-10° machte, betrug 94-95; sie war also um 4-6 vermin- dert. Dieses Silber wäre demnach in der 8. 18. angeführten Metallreihe hoch oben, und nahe unter dem Wismuth zu stellen. Das in jener Reihe unter dem Kupfer stehende Sil- ber war durch Abtreiben mit Blei gewonnen worden. Man könnte fragen, ob das aus Chlor- silber redueirte Silber auch wirklich ganz rein und frei von Eisen gewesen sey? Durch die chemische Analyse hat kein Eisen darin entdeckt werden können. Enthielte es jedoch wirklich noch eine geringe Quantität Eisen, so würde diese Erfahrung als eine Bestäti- gung der in Zusatz I. aufgestellten Hypothese, dafs einige Metalle in der Verbindung mit einander gegenseitig ihr Vermögen, eine magnetische Polarisation anzunehmen, vorzugs- weise verstärken, wie andere sich hierin gegenseitig schwächen, anzuschen seyn. Denn die Quantität des Eisens, welche in diesem Silber vorhanden seyn könnte, wird der Ana- lyse zu Folge nur als höchst gering angenommen werden können, und würde sicher in der Ver- bindung mit manchen andern Metallen, welche auch zu denen gehören, deren Magnetismus durch Eisengehalt verstärkt wird, durch das hier angewendete Verfahren nicht zu entdecken seyn. Aus diesem Versuch geht ferner aufs deutlichste hervor, wie sehr das von Hrn. Arago entdeckte Verfahren bei Untersuchungen über die Empfanglichkeit der Körper für den Mag- netismus durch Vertheilung vor jedem andern den Vorzug verdient. (1828. Januar.) (*) s. Poggendorf’s Annalen der Physik und Chemie. 1827. St. 6. $.210. (Eine Fortsetzung dieser Untersuchungen mit Beziehung auf die neueren Entdeckungen Arago's wird in einem der folgenden Bände der Denkschriften der Königlichen Akademie erscheinen). Einige Bemerkungen uber Quellen -Temperatur. Von Hm- yon BUCH. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften d. 3. März 1825.] BE; ist eine schöne Anordnung in der Öconomie der Natur, deren Ent- deckung wir Herrn Wahlenberg verdanken, dafs die Wärme des Bodens die mittlere Temperatur der Luft um so mehr übertrifft, je weiter man gegen Norden heraufgeht. Denn dadurch werden polarischen Gegenden eine Menge Gewächse erhalten, welche sonst untergehen müfsten, ja es wird das Leben selbst in Gegenden gebracht, welche sonst ganz todt und dürr und von allem Lebendigen geflohen seyn würden. Wer kann sich Anbau und Cultur denken, in einem Boden, dessen Temperatur 1 oder 2 Grade unter dem Gefrierpuncte steht? Nicht höher ist aber die Temperatur der Luft in Gegenden, in welchen Städte liegen, und Kombau mit Regsamkeit und Vortheil getrieben wird. Es ist die Temperatur eines grofsen Theiles von Sibirien, von Finnland im oberen Theile und von mehreren bewohnten Thä- lern in Schweden. Die Wahlenbergischen Beobachtungen, aus denen ein so merkwür- diges Resultat hervorgeht, sind von mir in Gilbert’s Annalen bekannt gemacht, in eine Tabelle gebracht und mit der Luft-Temperatur verglichen worden. Aus diesen hebe ich folgende vier Angaben aus, welche die Natur der Erscheinung vollkommen darstellen werden. Quellen-Temp. Luft-Temp. Differenz. ln ni In Carlscrona.........56,- Grad 6,5R. 63 R. 0,5 - Upsalacceereoseee.n.60 - 5,2 - 445- 0,75 EUmed...s6ssue DB 0,061 47 - Giworten fiäll....66 - 0,96- —3-- 3,96 (Enontekis). (1600 Fuls über dem Meere). Wahlenberg sucht die Ursache dieser Erscheinung in der beschützen- den Schneedecke, durch welche, vermöge ihrer geringen wärmeleitenden 94 Bvcnuh Kraft, die Winterkälte abgehalten werde, in den Boden zu dringen, und auch andere haben diese Meinung vorgetragen. Sie beruht auf der falschen Vor- aussetzung, dafs die Luftwärme in den Boden, durch Mittheilung in der Masse selbst, welche diesen bildet, eindringe. Wie langsam eine solche Vertheilung geschehe, wie sie, um 30 Fufs zu durchlaufen, schon sechs Monate Zeit brauche, haben Saussure’s Beobachtungen gelehrt, und die, welche später in Genf während zehn Jahren in einem Brunnen angestellt worden sind, welche stets das Minimum zeigten, wenn oben die gröfste Wärme herrschte, das Maximum zur Zeit der gröfsten Kälte. Schwerlich würde die Schneedecke zureichen, um bei ihrer langen Dauer während so vieler Monate das Ausstrahlen der Wärme des Bodens zu verhindern. Da überdiefs der Einflufs zweier ungleich erwärmter Körper auf einander immer geger- seitig ist, so folgt, dafs im Laufe der Jahre auch die beste wärmehaltende Decke nicht verhindern könne, dafs der Boden die mittlere Temperatur der Luft nicht annehme. Es würde auch um so weniger begreiflich seyn, wie nördlichere Ge- genden mehr für solches Ausstrahlen beschützt werden, als südliche, da die Menge des fallenden Schnees sich mit der Zunahme der Breite bedeutend vermindert, daher die Schneedecke weniger hoch ist. Man sieht mit eini- ger Befremdung, dafs auch der berühmte Leslie an diese Mittheilung der Temperatur durch den Boden glaubt, eben weil es eine nothwendige und mathematisch zu beweisende Folge der Gesetze der Wärme ist. Er bemüht sich deshalb vergebens, Beobachtungen, welche Ferguson mit Thermome- tern in verschiedenen Tiefen des Bodens angestellt hat, auf ein gemein- schaftliches, von der Wärme der Atmosphäre abhängiges Vertheilungsgesetz zu bringen. Es scheint daher nothwendig, zu wiederhohlen, wie dieses Gesetz von einem schneller wirkenden modifieirt und gänzlich versteckt wird, wie nämlich diese Vertheilung fast nur allein von dem Eindringen der atmos- phärischen Wässer abhängen könne, durch welche die Temperatur so schnell durch den Boden und in die Tiefe verbreitet wird, dafs die unmit- telbare Einwirkung durch Mittheilung sehr bald und in weniger Tiefe über- wogen und völlig unkenntlich gemacht werden mufs. Deswegen aber wirkt die grofse Winterkälte des Nordens so wenig auf den Boden, und mit so gröfserer Differenz, je niedriger die Temperatur ist, weil im Winter keine über Quellen- Temperatur. 95 Wässer fliefsen, und Temperaturen unter dem Gefrierpuncte durch dies schnell wirkende Medium überhaupt gar nicht verbreitet werden können. Ich bin daher völlig überzeugt, dafs alle Nachrichten, welche behaupten, dafs der Boden in vielen Fufs Tiefe sich, selbst im Sommer noch gefroren gefunden habe, in Gegenden, welche noch im Stande sind, strauchartige Gewächse zu ernähren, für ganz unzuverlässig angesehen werden müssen, und Gmelins Nachrichten, dafs man in Brunnen in Jakutsk noch in 100 Fufs Tiefe den Boden gefroren fand, sollte nicht mehr in physischen Lehr- büchern, wie es doch so oft geschehen ist, wiederhohlt werden. Was Cosacken ausgesagt haben, die, als Gmelin diese Nachricht aus Acten in Jakutsk zog, lange schon todt waren, und denen es sehr leicht zu beschwer- lich seyn konnte, eine harte Brunnenarbeit fortzusetzen, sollte nicht gebraucht werden, eine so auffallende und so wenig glaubliche physikalische Thatsache zu bestätigen. In der Hudsonsbay, deren Mittel-Temperatur tief unter dem Gefrierpuncte steht, laufen Quellen, den ganzen Winter hindurch, unter einer Decke von Schnee und Eis. (Capt. James. 1631.) Da, wo die Winterkälte nicht so grols ist, dafs die Temperatur wäh- rend einiger Zeit unter dem Gefrierpuncte bleibt und den Kreislauf der Wäs- ser verhindert, ist die Temperatur der beständigen Quellen auch fast gänz- lich mit der Temperatur der Atmosphäre übereinstimmend. Eine starke Quelle bei Edinburgh, in welcher sich das Thermometer fortwährend auf derselben Höhe erhält, zeigt 6,96 Grad R., die Mittel-Temperatur dieser Stadt aber ist nach Playfairs sechs Jahre fortgesetzten Beobachtungen 7,04GradR., welches gar kein Unterschied ist (Z’hom. Annal. Feb. 1818.). So findet man es im ganzen atlantischen Theil von Europa. Damit ist dann auch die Temperatur tiefer Brunnen übereinstimmend, solcher nämlich, welche wirklich gebraucht werden und in welchen dadurch ein Kreislauf der Wässer erhalten wird; nicht aber solcher, welche in Ruhe stehen, in denen daher die kalte Luft der Atmosphäre sich herabsenkt und die Wände in der Tiefe mehr erkältet, als das Gesetz der Mittheilung erlaubt haben würde. Im mittleren Europa darf man also wohl die Angabe beständiger Quellen für einen leicht zu findenden Ausdruck der mittleren atmosphärischen Tem- peratur halten. Durch Humboldt erfahren wir aber, und durch ihn zuerst, dafs dies keinesweges der Fall in wärmeren Ländern sey; dafs die Angabe der 96 Bvcı Quellen, daher auch die Wärme des Bodens fast überall einige Grade tiefer sey, als die Temperatur der Atmosphäre darüber. Er hat diese Thatsache in der hiesigen Akademie in einer Abhandlung vorgetragen, von der nur ein Auszug in Gilberts Annalen gedruckt ist (B.24. p.46.). In den Gebir- gen von Cumana und Caracas, sagt er, habe er viele Quellen stets kälter gefunden, als man nach ihrer Höhe hätte vermuthen sollen; so z.B. eine Quelle in 680 Toisen Höhe von 13,2R., eine andere in 505 Toisen Höhe von 13,5R., eine dritte in 392 Toisen Höhe von 16, SR. Alle waren also wenigstens drei Grade kälter, als sie es nach der mittleren Temperatur der Gegend seyn sollten, wo sie ausbrachen. Eine Quelle bei Cumanacoa von 48 Grad Temperatur und in 179 Toisen Höhe hätte 20 Grad angeben müssen, wäre sie mit der Luft-Temperatur übereinstimmend gewesen. Auch geben Bestimmungen von John Hunter von Quellen in Jamaica ein ähnliches Resultat (Phil. Transact. 1788. 59sqq.). Coldspring ist 3892 P. Fufs hoch und 13,22 Grad R. warm; man hätte 16 GradR. erwarten sollen. Ganz in der Tiefe am Meere scheint doch dieser Unterschied weniger bedeu- tend. Humboldt findet aus vielen Zusammenstellungen und Beobachtun- gen, dafs die mittlere Wärme der Aequatorialgegenden 21,5R.sey, und sagt dann ferner, dafs er die Wärme des Bodens bei Cumana zwischen 20 und 21 Grad wechselnd gefunden habe. Cumana selbst giebt er zu 22, 4R. an. Hunter sah die Temperatur in 100 Fufs tiefen Brunnen, bei Kings- ton nur um 1 Grad höher oder niedriger als 21,33 Grad R., und eine starke Quelle in der Nähe bei Rock fort zeigte 20,9 GradR. Ferrer fand die Wärme im Wasser eines 100 Fufs tiefen Brunnens bei der Havana 18,84R., die mittlere Luft-Temperatur 20,56R. Dies Alles würde den Unterschied zwischen der Wärme der Luft und des Bodens der Tropenlän- der am Meere auf höchstens 1 Grad R. feststellen. So ungefähr fand es auch Prof. Smith auf den Cap verdischen Inseln. Ein Brunnen, 18 Fufs tief, nahe bei St. Yago, aus dem alle Ein- wohner ihr Trinkwasser holten, zeigte 19,55 R., eine schöne Quelle aber 1000 Fufs höher, sogar 20R. Schwerlich kann die Luft-Temperatur der Insel sich noch höher erheben. Aber im Innern von Congo fand Smith wieder ein Resultat, dem Humboldtschen ähnlich. Auf der Höhe von 1360 P. Fufs zeigten über Quellen- Temperatur. 97 starke Quellen nicht mehr als 18,22 R. Wärme; die mittlere Luft-Tem- peratur würde 20,5 R. verlangt haben. In Nepaul bei Khatmandu, 28Grad N.Br. 4140 P.Fufs über dem Meere fand Buchanan die Temperatur der Quellen 14,23 Grad R., die Temperatur derLuft 14,13 GradR. Tropische Regen fallen im Sommer, und auch im Winter regnet es viel. Daher ist diese Übereinstimmung der Tem- peratur der Luft und des Bodens begreiflich. Am Fufs des Gebirges bei Bichakor zeigte eine Quelle 18,64Grad R. Temperatur; das Mittel der atmosphärischen Wärme würde hier wohl nahe an 20 Grad R. erreicht haben. (Hamilton Zecount of Nepaul. Vol.11.). Dies sind alle Beobachtungen, welche bis jetzt über Temperatur des Bodens tropischer Länder bekannt geworden sind. Weder von Sierra Leona, noch aus Ost-Indien, aufser denen in Nepaul, oder von den Molucken sind ähnliche Beobachtungen jemals erschienen. Über die Ursachen dieser Erkältung ist bisher nichts gesagt worden; es sey denn eine Äufserung von Humboldt, dafs es ein Rest der kälteren Temperatur höherer Berge seyn könne, welcher durch die Quellen herab- gebracht würde; ein Grund, der nicht gänzlich befriedigt, da solche Berge gewöhnlich zu entfernt sind, als dafs man von ihnen noch untere Quellen herleiten könnte. Die Erscheinung fängt schon an im südlichen Europa beobachtet zu wer- den, und wahrscheinlich würde man in Portugal, in Spanien und in Italien viele Quellen finden, welche in ihrer beständigen Wärme von der Luft-Tem- peratur noch weit mehr abweichen würden, als die Quellen tropischer Länder. Eine herrliche Quelle bei St. Cesareo unfern Palestrina bei Rom fand ich am 29. August von 91 Grad R. Temperatur, bei 22 Grad Wärme der Luft, dadoch die mittlere Temperatur 12, 6 Grad R. verlangt haben würde. So viel ich auf den Canarischen Inseln Quellen habe erreichen kön- nen, welche zu solchen Beobachtungen sich eigneten, habe ich mich bemüht, ihre Temperatur mit einiger Genauigkeit zu erforschen, und ohnerachtet diese Beobachtungen nicht in solcher Menge vorliegen, dafs man Gesetze daraus ableiten könnte, so glaube ich, sind sie doch nicht ganz ohne Beleh- rung. Herr Erman hat die Güte gehabt, das vorzüglich von mir gebrauchte Thermometer mit denen zu vergleichen, welche ihm zu seinen Beobachtun- gen in den hiesigen Gegenden gedient haben, und welche wiederum mit dem Phys. Klasse 1825. N 95 Buch Thermometer correspondiren, mit welchem Wahlenberg bis 71 Grad herauf Beobachtungen angestellt und die Temperatur des hiesigen so bestän- digen Louisenbrunnens bestimmt hat. Das von mir gebrauchte Thermo- meter von W. Jones in London stand nach diesen Vergleichungen 3 Fah- renheitische Grade höher, als Wahlenbergs Beobachtungen es verlangten ; ich habe hiernach den Canarischen Bestimmungen diese 2 Grade abgenom- men, und dadurch kann man sie mit allen Ermanschen und Wahlenbergi- schen Angaben als völlig vergleichbar ansehen, (Juellen am Meeresufer oder wenig davon entfernt. TENERIFFA. 6.May 1815. Quelle von ungemeiner Stärke und Schön- heit unter einem Lavenstrom hervor, am Cap Martia- nez, unter la Paz, unweit Puerto Orotava.......... 14, 2°R. So ist sie fortwährend geblieben, ohne je ihre 'Tempe- ratur merkbar zu ändern. Die mittlere Temperatur der Luft ist, nach Don Fran- cisco Escolar: zu St. Cruz 17,3°R. 8.May. Quelle von El Rey, zwischen Ria lejo und Puerto, welche nach Puerto Orotava geführt ist....14,3° RR. 1: Juny und OS pibEE ee en ie ABER: 1.Juny. Treffliche Quellen, ganze Bäche, wie Wasser- fälle aus den Felsen unter der Mühle von Gordaxuelo beich 1a. le 10. seat en ee am 0, Optbr; Aber... sata a er PALMA. 9.Sptbr. Wasser in einem Brunnen, 20 Fufs tief, am Strande bei der Stadt St. Cruz, und nicht weit von einigen schönen und grofsen Cocospalmen................ 15,77’ R. LANCEROTE. 18.Octbr. Aus Rapilli, in einem Thale zwischen Aus- bruchskegeln, welche den Ort bedecken wo sonst über Quellen- Temperatur. 99 das Dorf Tigayfe lag, kommt stets Wasser aus dem Grunde eines 5 Fufs tiefen Brunnens, trocknet nie aus, und wird von den Umherwohnenden in Menge geholt. Es ist ein sehr gutes Wasser. Temperatur......14,11°R. Das gäbe im Mittel eine Wärme des Bodens von 14,4GradR., daher fast volle 3 Grad weniger, als die Mittel-Temperatur der Luft. Mehrere dieser Quellen kommen aus kleinen Abstürzen, welche sanfte und sehr bebaute Abhänge beenden, wie die schöne Quelle von la Paz; man mufs also wohl glauben, dafs sie die Wärme des Innern dieses Abhan- ges anzeigen. So höchst sonderbar und auffallend auch diese Erkältung seyn mag, wenn man sie im heifsen Sommer untersucht, so wird man sich doch sehr bald überzeugen, dafs sie aus keiner anderen Ursache entsteht, als aus der, welche im Norden den Boden erwärmt. Vom südlichen Europa an bis zu den Wendekreisen giebt es nur eine Regenzeit, vom November bis zum April. Vom May an regnet es nicht mehr. Die Sommerwärme wird also eben so wenig von den Wässern in das Innere verbreitet werden können, als die Winterkälte in gefrornen Ländern. Es kann nur die Temperatur eindringen, welche der Regen während seines Falles vorfindet, und mit die- ser werden die Quellen wieder hervorbrechen. Die Wärme der Quellen bei Orotava ist daher wahrscheinlich die mittlere der Monate Februar und März. Bei St. Cruz würde diese Temperatur wohl etwas höher steigen, aber es finden sich dort keine Quellen in geringer Höhe über dem Meere, von welchen wir darüber belehrt werden könnten. Das Wasser in einem Brunnen, 20 Fufs tief, im Baranco de los Santos, unweit St. Cruz, zeigte 16,4 GradR., Luft 20,6 GradR. Es war der Überrest des Wassers, welches im Winter im Baranco geflossen war. (uellen auf Höhen bis 3000 Fufs. TENERIFFA. Juny und August. Fuente del Drago unter Laguna, eine mächtige Quelle unter dichtem Gebüsch aus Basalt- schichten hervor, 1200 Fufs über dem Meere ............ 14, 2°R. N2 100 Bvcu 14.May. Fuente de los Negros, nicht sehr starke Quelle, ostwärts über Laguna, unter einem grofsen Bubusbüschh aus. Basaltritzen.... ar... 0... 14,3 RR. Die Stadt Laguna liegt 1640 Fufs hoch auf einer Ebene; Fuente del Drago liegt unmittelbar darunter, und wird noch von den Einwoh- nern zu häuslichem Gebrauche benutzt. Ihre unveränderliche Temperatur kann daher wohl als bezeichnend für die innere Wärme des Bodens von Laguna angesehen werden, und somit würde diese innere Wärme vom Meere bis zur Höhe dieser Fläche sich noch gar nicht verändert haben. Die mittlere Temperatur der Luft in Laguna steht doch mehr als 2 Grad R. unter der von St.Cruz. Gar schnell vermindert sich aber nun die Wärme der Quellen, fast ohne zwischenliegende Grade, und was ganz merkwürdig ist, ziemlich gleichförmig im ganzen Umkreis der Insel. Ich werde die Quellen anfüh- ren, wie sie von Laguna aus gegen Orotava hin in einer Art von Nivel- lements-Linie die Insel umgeben. 21. August. Agua de las mercedes, 2200 Fufs hoch, im Walde del Obispo über Laguna, unter einem prachtvollen Gewölbe von riesenmäfsigen Lorbeeren, und zwischen Büschen von Mocanera und Fiburnum.....11,2° R. 19.May. Quellen, unfern der Kirche des Eremiten bei Esperanza, unter Bäumen von /lex Perado und Lau- rus foetens, 2100 Fufs hoch........ RE LE IHEE RTAR ERTL IE 7000 5 August. Fuente Guillen, zwischen Esperanza und Matänza,: 2556.Hulsfhoch.u.. ee een 1 PR 16. Juny und 29. August. Agua Garcia, im Walde über Tacaronte, auf dem Wege nach Matanza, unter hohen Zricabäumen und von prächtigen Büschen von Farnkräutern umgeben, 2465 Fufs hoch...................11,2°R. August. Fuente la Vica, über Matanza, 2600 Fufs. 11°R. Sptbr. Fuente de Vero und Fuente de los Villa- nos, zwei Quellen wie Bäche, unmittelbar aus dem Felsen, in den Bergen zwischen Esperanza und Ba- ranco Hondo; beide genau von gleicher Temperatur, 2800 Fuss nn sn ar RR en 10,0 über Quellen - Temperatur. 4101 May. In einem Circus von Felsen über Ria Lejo d’ariba stürzt eine mächtige Quelle hervor, welche, wie die An- wohner sagen, bei Regenwetter warm ist, bei Sonnen- schein kalt, welches immer ein Beweis der Unveränder- lichkeit ihrer Temperatur ist. Fuente de la Madre nanaus26 00. u Bone IA: May. Juny. Quelle auf dem Berge von Tigayga, zwi- schen Ria lejo und Icod el alto, nicht völlig DOOD EHVR Och 1 ae IR, Eine andere Quelle an der linken Seite des Baranco, der nach Rambla herabführt, und auf gleicher Höhe.. 11, 7° R. May. Fuente del Rey; Grofse, starke und schöne Quelle über Icod los vinos, 1362 Fufs hoch.......... 11, 7°R. Juny. Quelle in einem offenen Bassin, im Val St.Yago, 2ER PubechssssedneHorR. Die Unterschiede zwischen diesen Beobachtungen sind nicht so grofs, dafs man nicht vermuthen sollte, die Übereinstimmung würde noch weit gröfser seyn, wäre die Wärme dieser Quellen häufiger und zu gleichen Zeiten bestimmt worden. Immer geht hieraus hervor, dafs die Wärme des Bodens in 2500 Fufs Höhe auf Teneriffa gar wenig von 11 Grad R. abweichen wird. Daher wäre die Abnahme von Laguna’s Fläche an auf 860 Fufs schon 3,2 Grad R. oder 279 Fufs (46! Toise) für 1 Grad R., welches über- aus viel ist. Vom Meeresufer an würde aber diese Abnahme 1 Grad R. für 735 Fufs betragen. Nach denen von Humboldt aufgestellten Grundsätzen, nach welchen aus vielen Zusammenstellungen hervorgeht, dafs in niederen Breiten die Temperatur der Atmosphäre für 726 Fufs gröfsere Erhebung 1 Grad R. abnimmt, würde diese Temperatur der Luft in 2500 Fufs Höhe 13,9 GradR. betragen; fast so viel, als die Quellen nahe am Meere zeigen, und wieder nahe an 3 Grad von der Temperatur verschieden, mit der sie wirklich in dieser Höhe heryvorkommen. Die schr starke Quelle der Agua manza, welche als ein Bach nach Villa Orotava geleitet ist, und in 4100F. Höhe hervorkommt, hatte im September eine Wärme nn SEEN RE RAENENEIRECE BL NONE REN EREBRALT RE ERO RC. S 102 Bvuvcuı So sehr dies auffallend und anomal scheint, so glaube ich doch, möge sich bis über 4000 Fufs die Temperatur der Quellen nicht sehr verändern. Es ist die Region der Wälder, und zugleich auch der, den ganzen Sommer durch, von 9 oder 10 Uhr an bis 4 oder 5 Uhr Nachmittags hervortretenden Wolken. Der Nebel hängt sich an die Blätter der Bäume und erhält den Boden stets feucht. Die Quellen, welche hieraus reichliche Nahrung zie- hen, verbreiten schnell die obere Temperatur auf tiefer liegende Orte. Es würde wünschenswerth seyn, zu wissen, ob nun über der Region der Wälder die Abnahme wieder schneller fortschritte. Allein in solcher Höhe giebt es entweder keine Quellen mehr, oder sie sind so schwach, dafs sie von der Temperatur der umgebenden Luft gar bald verändert werden müssen. Die Fuente della montana blanca über Villa Orotava in 6103 Fufs zeigte am 24. August 7,11 GradR. Eine schwache Quelle aus Felsritzen in der Angostura, im Circus des Pic, auf dem Wege nach Chasna, 6400 Fufs hoch, im May 4,9 Grad R.; Luft 10,5 Grad R. Diese Temperaturen scheinen daher nach den Monaten sehr veränder- lich; könnten aber vielleicht trefflich dienen, den jährlichen Gang der Wär- mezunahme in diesen Höhen zu erforschen. (Juellen auf Gran Canaria. 12. July. Agua Madre de Moja. Herrliche starke Quellen im tiefen Schatten von Tilbäumen aus Basalt- schichten hervor, 1337 Fufs hoch. Le Bin ganzer Bach ae ee er SER: 2. Andere Quelle, tief unter Steinen hervor......... 13, 4°R. 3. Nahe am Baranco, von unten aus dem Boden herauf ua ses se ee ee a TR. Sauerquelle unter Moja, die weder im Gehalt an Koh- lensäure, noch an Masse sehr stark ist............0........17,2°R. Stärkere Sauerquellen, unter grofsen Felsblöcken her- . vor, in der Tiefe des Baranco della Virgine, unter Kleine Quellen über den Häusern von Rio Secco, nahe dem Baranco della Virgine, 1400 Fufs hoch........ 13, 3° R. Luft 20°R. über Quellen - Temperatur. 1053 Stärkere Quelle auf dem Wege zum Berge gegen Moja 13, 3° R. Starke, aber nur schwach gesäuerte Quelle, eingefafst, aus zwei Steinröhren hervor, im Baranco unter Teror 161 Piaibach ee NR Es scheint daher, dafs 131 Grad wohl als der Ausdruck der Tempera- tur des Bodens für die nordlichen Abhänge von Gran Canaria bis 2000F, Höhe angesehen werden können. Die Temperatur der Luft würde nahe an 16 Grad R. verlangt haben. Eine kleine laufende Quelle unter Tonte in Tiraxana, in der Caldera und in 2250 Fufs Höhe aus Granitmas- senHland ich amd, Joly.. nase neun BR, (Es ist ein sehr geschützter und sehr warmer Ort). Eine Quelle unterhalb der Kirche von Texeda, im engen Thale, von ziemlicher Stärke, und 2600 Fufs hoch...... 16, 5° R. Sehr auffallend ist es, wie eine schwache Menge von Kohlensäure die Temperatur dieser Quellen so bedeutend zu ändern vermag; ohnerachtet die Quellen nur wenig von einander entfernt liegen, so ist doch zwischen ihrer Wärme ein Unterschied von nahe an 4GradR. So merkwürdig diese Erscheinung aber auch seyn mag, so ist sie dieser Insel nicht eigenthünlich, sondern ziemlich allgemein. Zum wenigsten habe ich bis jetzt noch kein Sauerwasser auffinden können, dessen Temperatur nicht jederzeit die der laufenden und reinen (Juellen übertroffen hätte. Man begreift dies leicht, wenn man etwas untersucht, wie Sauerwässer auf der Erdfläche vorkommen. Sie sind nämlich jederzeit nur der Ausflufs der heifsen, mineralischen, viele Stoffe enthaltenden Quellen, welche in der Tiefe, in Spalten und in engen Thälern hervorbrechen. Die Kohlen- säure, vom heifsen Wasser zurückgestofsen, entweicht, dringt durch die Risse der Felsen in die Höhe, verbindet sich dort mit den kälteren Wässern, und kommt mit ihnen zu Tage hervor. Daher werden denn diese Wässer von dem emporsteigenden Gaz erwärmt und über ihre ursprüngliche Temperatur um etwas erhoben. Unter den vielen hundert der reichsten Sauerquellen in der Wetterau und zwischen der Lahn und dem Mayn ist nicht eine, welche nicht mehrere Grade über dem gewöhnlichen Puncte kalter Wässer erwärmt wäre. Selters, 800 Fufs über dem Meere, steht auf 13 GradR.; Grofs- Karben zwischen Friedberg und Frankfurth, eine der stärksten 104 Bvch und dabei wasserreichsten aller bekannten Sauerquellen, auf 12 Grad R.; Schwalheim auf10 GradR., und nie eine tiefer. In derSpalte der Lahn, in der Vertiefung gegen den Rhein, erscheinen die heifsen Wässer von Ems und von Wisbaden und oben aufdem Gebirge zwischen ihnen beiden liegen in mehreren Reihen fort bis zum Vogelsberg hin, die Sauerquellen, welche mit ihnen zu einer gemeinschaftlichen Entstehungs-Ursache gehören. Unter diesen auch sogar noch die sogenannten Salzquellen der Wetterau. Hätte man die Quellen der grofsen Saline von Nauheim nicht zum Salzsie- den benutzt, man würde in ihr nie etwas anderes als eine Sauerquelle mit schwachem Salzgehalt gesehn haben. Sie liegt tief, kommt aus Grauwacke und ist vom Flözgebirge weit entfernt. Ihre Temperatur erhielt sich bisher beständig zwischen 18 und 20 Grad R.; sie perlte und schäumte bei dem Hervorbrechen und war stets mit einer Schicht von kohlensaurem Gas bedeckt. Die glücklichen Versuche auf Steinsalz am Neckar, welche der grofsen Saline von Nauheim den Untergang drohten, verleiteten auch bei Nauheim zu bohren, als hätte man es hier mit einer wirklichen Salzquelle im Flözgebirge zu thun und als wäre es denkbar, dafs ein solches Bohrloch auf eine Salzschicht führen könne. Vom September bis December 1822 hatte man ein Bohrloch 60 Fufs tief gestofsen, und wirklich hatte sich die Sohle von 2 auf 3 p.C. Gehalt vermehrt. Ihre Wärme war 22 GradR. Im Fe- bruar 1823 ward die Arbeit bis 80 Fufs Tiefe fortgesetzt. Es erschien nun eine unglaubliche Menge Wasser, wenigstens 36000 QGubicfufs in 24 Stunden; die Quelle stieg schäumend und brausend bis 10 Fufs unter der Schacht- wand. Sie hatte jetzt 25 Grad R. Temperatur gewonnen, dampfte sehr stark, und war, durch die Menge der entbundenen und im Schacht mehr als 1 Fufs hoch stehenden Kohlensäure sogar gefährlich geworden, aber der Salzgehalt hatte sich jetzt nicht vermehrt. Solche Zunahme von Wärme und von Kohlensäure würde wahrscheinlich überall das Resultat seyn, wenn man den Sauerwässern der Tiefe durch tiefe Bohrlöcher neue und tiefere Auswege eröffnen wollte. Ein anderes, und sehr merkwürdiges Beispiel dieser Einrichtung der Natur liefert die Gegend von Carlsbad. Die heifsen Quellen dringen mit bedeutender Wärme (68 GradR.) aus Granit in einem engen Thale, in einer Art von Spalte am Ausgang des Thales gegen die Ebene. Dieser Gra- nit bildet aber, wie so häufig in Gebirgen, so auch in diesem Theile von über Quellen- Temperatur. 105 Böhmen, eine Art von Elypsoid über demBoden, oben von Gneus und Horn- blendschiefer bedeckt. Es ist auf diese Art ein von den übrigen reihen- förmigen Ketten ganz getrenntes Gebirge, und wird nördlich durch das Eger- thal vom Erzgebirge, westlich vom weiten Thale, in dem Königswartha und Plan liegen, vom Böhmer Waldgebirge geschieden. Der Granit, der die Felsen von Carlsbad bildet, findet sich ununterbrochen am unterem Abhang dieser elypsoidischen Masse hin, und zuweilen auch bis zu einer grofsenHöhe. Wäre dem Carlsbad entgegengeseizt auch ein so tiefer Abfall bei Königswartha oder Plan, ein eben so tief geöffnetes Thal, so würden wahrscheinlich auch dort eben so heifse Wässer heryorkommen. Marien- bad aber, am westlichen Abfall dieses Gebirges, liegt noch mehr als 1000 F. über Car!sbad; es erscheinen also nur die Sauerquellen über den heifsen, und diese in solcher Menge, dafs nicht allein bei dem Marienbade ganze Sauerbäche abfliefsen, sondern dafs auch die meisten Dörfer bis auf dem Ge- birge in ihrer Nachbarschaft eine Sauerquelle besitzen. Sehr viel Kohlen- säure, noch bei weitem mehr als mit den Wässern vereinigt ist, entweicht unmittelbar in der Luft. Zwischen Marienbad und Einsiedel sind alle Moräste so mit Kohlensäure erfüllt, dafs sie durch grofse hölzerne Trichter auf- gefangen, und als Niederschlagungsmittelin mehreren Fabriken genutzt wird. Was ungestört, wohlthätig und geräuschlos mit heifsen Wässern und mit Sauerquellen aus der Erde hervorsteigt, ist wahrscheinlich nichts anders, als was in Vulcanen Hindernisse zersprengt, zerschmilzt, und gewaltsam und zerstörend weit umher über die Flächen verbreitet. Eine fortwährende Oxy- dation oxydirbarer Stoffe unter dem Granit. Was auf dem festen Lande mit Wässern fortgeführt wird, mufs unter dem Meere zurückbleiben, bis der zu starke Druck der gefangenen Mächte sie zu zerstörenden und wieder neu bildenden Ausbrüchen zwingt. une VOL D rn Phys. Klasse. 1825. Ö Über einen anomal scheinenden Erfolg beim Freiwerden der latenten Wärme, mit Beziehung auf die Thermologie des Aristoteles. Von Hm "ERMAN. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. April 1827.] (*) Wan Wasser durch ruhigen Stand und Beschützung gegen die Berührung der äufsern Luft um viele Grade unter dem Nullpunkt erkältet, und dann durch eine Erschütterung zur plötzlichen Krystallisation gebracht wird, steigt das Thermometer augenblicklich auf 0, und ein verhältnifsmäfsiger Antheil des Wassers bleibt flüssig. Bekanntlich ist die an sich sehr richtige Erklärung des Phänomens die, dafs jedes Theilchen des Wassers zur starren Aggregation übergehend seine 60° Liquefaktions-Wärme frei werden läfst, und so 60 Molekeln des Wassers um einen Grad erwärmt. Nichts hindert diese Vorstellung auf je- den noch so kleinen Bruch eines Grades anzuwenden, um einzusehen wie im Allgemeinen die bei der Erstarrung des Wassers frei werdenden 60° Liquefaktions-Wärme sich so in der ganzen Masse vertheilen, dafs keine wenigstens am Thermometer wahrnehmbare Erhöhung der Temperatur über 0 statt findet, selbst bei einem sehr plötzlichen Gefrieren. Berücksichtigt man jedoch die ungemein geringe Wärme-Leitungsfähigkeit des Wassers, wenn man von seinen hydrostatischen Ströhmungen abstrahirt, so könnte (*) In diesem Bande aufgenommen statt zweier der Zeit des Vortrages nach hierher ge- hörigen Abhandlungen desselben Verfassers, über magnetische Abweichung, Neigung und Intensität in Berlin, für welche jedoch es wünschenswerth war, die später fortgesetzten Beobachtungen mit aufnehmen zu können. 02 108 Erman: über einen anomal scheinenden Erfolg man wohl an eine lokale und momentane Anhäufung der frei werdenden Liquefaktions-Wärme denken, die nicht schnell genug den gleichmäfsigen Vertheilungs-Prozefs durch die schlecht leitende Masse eingeht. Die im gefrierenden Wasser entstehenden Blasen mögen wohl der auf diese Weise viel über 0 expandirten Luft und den Wasserdämpfen ihren Ursprung verdan- ken; aber von keinem Thermometer, selbst vom beweglichsten Luftthermo- meter ist zu erwarten, dafs es diese etwanigen lokalen Temperatur - Erhö- hungen angebe, sie geschehen nur an den Molekeln des Wassers und gleich- sam in den Elementen der Zeiteinheiten. Denkt man sich aber das gefrierende Wasser in Berührung mit einer heterogenen Molekel die ein viel gröfseres Leitungs-Vermögen hat als die Wasser-Theilchen, so scheint man berechtigt zu erwarten dafs diese hetero- gene Molekel instantan viel mehr von der frei werdenden Wärme absorbi- ren werde, als das schlecht leitende Wasser, und es wäre denkbar dafs ein Metalltheilchen wenn es die Wärme sechszig mahl besser leitete als das Wasser, die ganze Liquefaktions-Wärme eines erstarrenden Wasser-Theils momentan absorbirte, und folglich sich um 60° erwärmt hätte, ehe das um- gebende Wasser einen Theil dieser Wärme sich zugeeignet hätte, es sei vom gefrierenden Wasser her, oder späterhin auf Kosten des überschüssig er- wärmten Metalls.. Doch hiebei hat es nicht sein Bewenden ; die Wärme - Kapazität des dem gefrierenden Wasser dargebotenen Heterogenen mufs nicht minder berücksichtigt werden, und mufs für den Erfolg von sehr grofser Bedeutung sein. Bleiben wir bei dem gewählten Fall wo eine Me- tall-Molekel mit einer erstäarrenden Partikel Wasser in Berührung sich be- findet, und dies Metall sei zum Beispiel Gold, so ist dessen Wärme -Kapa- zität nur 4 derdes Wassers, woraus folgt, dafs die 60° Liquefaktions -Wärme die eine Masse gefrierenden Wassers frei werden läfst, ein gleiches Gewicht Gold auf 1200° erwärmen würde, und diese Temperatur - Erhöhung, gleich 2,5 mal der des glühenden Eisens könnte man erwarten, wenn ein Massen- theil Gold, von einem gleichen Massentheil Wassers in einem untheilbaren Augenblick durch vorzügliche Leitung die frei werdenden 60° Liquefaktions- Wärme absorbirte. Freilich kann, oder vielmehr mufs man sagen, dafs im vorliegenden Fall die spezifische Wärme nicht nach der Masse, sondern nach dem Volum zu schätzen sei, da von Berührung der Theilchen die Rede ist, welche sich nach dem Volumen richtet; dann würde allerdings der Tem- beim Freiwerden der latenten IV ärme. 109 peratur-Gewinn des Goldes wegen der spezifischen Wärme, weit geringer ausfallen als wenn man nach den Massen rechnet, aber ganz würde er doch nicht wegfallen, und es bleibt immer noch die Frage: mufs nicht ein Metall- theilchen als vorzüglicher Leiter der Wärme und ganz umgeben von plötz- lich an ihm erstarrenden Wasser, bedeutend mehr sich erwärmen, als die hinter ihm liegende Schicht des noch liquiden Wassers, welches die Wärme so ungemein schlecht leitet, dafs man ihm jede Leitungsfähigkeit abgespro- chen hat; wie wir denn in der That unter andern sehen, dafs eiu Thermo- meter lange stationär bleibt, und nur ganz unbeträchtlich steigt wenn eine Wasser-Schicht von nur einigen Linien ihn von der an der Oberfläche des Wassers brennenden Naphta trennt. Freilich ist in diesem Problem nur die Rede von der instantanen Wirkung in einer unendlich kleinen Zeit, und es versteht sich ohngesagt, dafs ein gewöhnliches Thermometer viel zu träg ist, um den etwanigen Überschufs der Wärme anzugeben, welchen ein guter Leiter der Wärme mit geringerer Wärme-Kapazität, vom plötzlich erstar- renden Wasser instantan überkommen mag, im Vergleich mit dem schlecht leitenden Wasser von gröfserer Wärme -Kapazität. Man führt ja ein auch noch so sensibeles Thermometer schnell durch die Flamme ohne dafs es steigt, eben so wie man das Blech der beweglichsten Windfahne mit der Büchsenkugel durchbohrt ohne dafs sie wankt, oder wie man eine weifs glü- hende Haarnadel durch die zusammengeprefsten Finger zieht, wo die Haut so tief eingebrannt wird, dafs der Drath nachher ganz genau in die einge- brannte Furche pafst und der Geruch von gebrannter Hornsubstanz der Epi- dermis im ganzen Zimmer wahrnehmbar ist, aber von Empfindung hat man keine Spur gehabt. Die neuere Physik ist gleichsam durchdrungen von der Wichtigkeit solcher Wirkungen in den kleinsten Zeitmomenten, die, sich addirend, ein totales Resultat geben ganz unähnlich dem Anschein nach, den elementaren Wirkungen aus welchen er sich in den kleinsten Zeiteinheiten zusammensetzt. Nicht blos das Anschmelzen der Degenklinge in der unver- sehrten Scheide, sondern der ganze Mechanismus der elektrischen Entladun- gen, der Unterschied der trockenen und feuchten Säule, das Glühen des Platins in Wasserstoffgas, und unzählige andere, auch rein chemische Wir- kungen zeugen nicht blos von der Realität, sondern von der grofsen Wichtig- keit solcher Thätigkeitsäufserungen in den kleinsten Theilen der Materie und der Zeit, die meistentheils gänzlich für die Beobachtung verschwinden wenn 110 Enman: über einen anomal scheinenden Erfolg man bei der totalen Wirkung in einer gröfseren Zeiteinheit stehen bleibt. Die etwanige höhere Temperatur die ein guter Leiter von geringerer Wärme- Kapazität von dem plötzlich erstarrenden Wasser erhalten müfste, gehört offenbar zu dieser Klasse von Beobachtungen; das träge Thermometer kann diese etwanige, auf jeden Fall schnell wieder abgeglichene Temperaturerhö- hung nicht angeben, und doch wäre es sehr wichtig zu wissen ob etwas der Art wirklich statt findet, sei es auch nur weil wir von der Wärmeleitung in Beziehung auf die Zeit noch fast gar nichts Positives wissen, und auch weil alles was das Wasser, und seine Veränderungen des Aggregat-Zustandes an- geht, in der Haushaltung der Natur von entschiedener Bedeutung ist. Oft hatte ich auf Mittel gesonnen diese Beobachtung möglich zu machen, als ich mit der überraschendsten Freude auf folgende Stelle des Aristoteles regt Savuariuv dxsruarwv stiels. (Casauboni Aureliae Allobrogum 1605.) Tom.1. S. 877. Litt.B. rov nangirepev rov KeArinov TYnerIaı darı ToAU Tay,ov nerulde. Znuelov Ö8 vis eürnElas Erı rinenIau donel nal Ev Try idarı. Kouger Yav ws Eone TaYU. Tyxrerar nal Ev rols Wiyeriv, OrE yEvoıto mayy, EYnararisıonevg (urgarı) ul auwvwIsulvs TE Segus TE evumdpyovros aurw da ryv drSevaav. „Man be- richtet dafs das keltische Zinn viel schmelzbarer ist als das Blei. Der Beweis dieser Leichtschmelzbarkeit ist dafs es auch im Wasser schmilzt; das Metall giebt einen guten Strich. Auch schmilzt es durch die Kälte wenn Eis entsteht, und dadurch die innere Wärme die das Metall noch hat, ein- geschlossen und kondensirt wird. Das Schmelzen hiebei ist bedingt durch die geringe Kohäsions -Kraft. Ich werde mich weiter unten bemühen die Ansicht und Divination nach welchen einiges Detail der Übersetzung gegeben worden, aus der Wärme - Theorie des Aristoteles zu rechtfertigen; vor der Hand nehmen wir die Stelle in dem natürlichsten Sinne den sie darbietet, und finden darin drei höchst merkwürdige Faktizitäten: 1) Aristoteles hat ein dem Newton- schen, Darcetschen oder Roseschen ähnliches leichtflüfsiges Metall ge- kannt. 2) Aristoteles hat die Fixität des Siedpunkts gekannt, da er die Wärme, die das Wasser annehmen kann, als eine bestimmte Temperatur- Grenze die nicht überschritten wird, betrachtet, und sie als einen festen Maafsstab ganz richtig anlegt; und 3) Aristoteles hat die Thatsache dafs sein leichtflüfsiges Metall durch den Gefrierungs-Prozefs des umgebenden Wassers beim Freiwerden der latenten Wärme. 111 zum Schmelzen gebracht werden kann. Da die zwei ersten Faktizitäten mit den Erfahrungen der Neuern vollkommen übereinstimmen, so war kein Grund, die dritte, die man noch gar nicht geprüft hat, von der Hand zu weisen, und zwar um so weniger da die eben erwähnten Gründe unter besag- ten Umständen eine Steigerung der Temperatur des Metalls nothwendig zu machen scheinen, und was das Thermometer nicht anzugeben vermag, könnte vielleicht hier wahrgenommen werden. Ein Körper-Theilchen welches als Metall die Wärme sehr viele mahl besser und schneller leitet als Wasser, zum Schmelzen nur 75° bedarf, und dessen spezifische Wärme nur 0,0338 ist nach Herrn Adolph Erman’s Bestimmung, könnte wohl in einer Zeit- — Terzie, Quarte oder Quinte, von den rings umgebenden Wassermolekeln deren jede 60° Liquefaktions- Wärme frei werden läfst so viel gewinnen dafs es bei einem sehr plötzlichen Erstarren trotz der Ableitung des umgebenden Wassers momentan auf 75° stiege, und flüssig würde. Die Wichtigkeit die- ses Versuchs, wenn er gelänge, wäre ungemein grofs; denn da für das Metall und das Wasser alle in Betrachtung kommenden Elemente mit ihrem numerischen absoluten Werth bekannt sind, ausgenommen nur die Lei- tungsfähigkeiten, von welchen man überhaupt so gut wie gar nichts weils, so hätte man gleichsam an dieser Sache einen Fundamental-Versuch, um zu Bestimmungen zu gelangen über schnellere oder langsamere Fortpflanzung der Wärme bei den Heterogenen. Nach diesem Bevorworten nehme ich keinen Anstand zu gestehen, dafs ich Skeptiker genug war an die Thatsache des Aristoteles zu glauben, und leidenschaftlich genug um den Wunsch sie wahr zu finden nicht ganz unterdrücken zu können, nicht aber wegen des blofsen Genusses etwas rein unerhörtes zu erleben, das Schmelzen eines Metalls durch Frost-Kälte. Dich jedoch die Naivetät nicht bis zu der Erwartung trieb als könnten grofse Massen des Metalls in Flufs gerathen, so wurden Metall-Körner des Roseschen Gemisches, von beiläufig 4 Gran schwer, möglichst dünn gefletscht, die Blättchen unter das Mikroskop ge- bracht, und mittelst eines Mikrometers die feinen Spitzen und Winkel des äufsersten Randes genau beobachtet, und möglichst treu in ihren Kontouren nachgezeichnet, und dann an sehr zarte Fasern des Fischbeins, als schlechte Wärme-Leiter befestigt. Sehr viele Gefäfse mit Wasser wurden nun wäh- rend der kältesten Nächte der letzten Frostperiode, und auch anderweitig 112 Enuan: über einen anomal scheinenden Erfolg bei künstlicher Kälte-Erregung so vorgerichtet, dafs sie durch die bekann- ten Mittel möglichst tief unter 0 erkaltet wurden, ohne dafs das Wasser erstarre. Die Metallblättchen wurden in dieses Wasser getaucht, in dem Augenblick, wo durch das Aufkorken das Schütteln oder das Hineinwerfen einer Eisnadel, und oft durch alle drei Mittel zugleich die schnellste Kon- eelation bedingt wurde, aber nie konnte ich, selbst an den zartesten Spitzen fe) te) ’ B) I und Kanten des mikroskopisch untersuchten Metalls eine bestimmte Spur von Schmelzung wahrnehmen. Ich versuchte sogar, aber ohne Erfolg für eine etwanige Schmelzung, das erkaltete Wasser zur Kongelation zu bringen durch einen harten Schlag auf den das Wasser sperrenden Stempel eines Kompressions- Apparats. Oft auch um der Schmelzung des Metalls gleich- } Pl ö & sam auf halbem Wege entgegen zu kommen, tauchte ich das Metallblättchen ö 868 » ein, mit 30° Wärme unmittelbar aus der Mundhöhle in das plötzlich er- starrende Wasser. Vor der Hand also, und bis etwa irgend ein versteckter oder überse- hener Umstand, wie bei derlei Versuchen schon sehr oft der Fall war, das Resultat noch modifizirt, scheint es sein Bewenden dabei zu haben, Aristo- teles habe uns eine falsche Thatsache überliefert, das leiehtflüssige Metall- D 5 gemisch schmelze zwar im heifsen Wasser, nicht aber im gefrierenden, wie er behauptet, oder vielmehr wie wir seine Behauptung auslegen. In Ermangelung der von Aristoteles vorgespiegelten direkten Methode sollte nun versucht werden, ob vielleicht gehörig vorgerichtete Thermome- ’ o {o) ter nicht wenigstens eine Approximation gewähren sollten hinsichtlich auf 5 Pt 5 die überschüssige Temperatur, die ein vollkommener Wärme-Leiter von io F ’ geringerer Wärme-Kapazität mitten in einer plötzlich erstarrenden F lüssig- keit erhalten mag, wenn er sich der frei werdenden Liquefaktions -Wärme schneller bemeistert, als das umgebende Wasser von gröfserer Kapazität und D 5 P geringerer Leitungs-Fähigkeit. Angewendet wurden ein sehr empfindliches 5 5 5 5 ie) Luft-Thermometer, sehr dünn an Glas, mit einer kleinen äufserlich im p) 2 Feuer gut vergoldeten Kugel, und ein zweites Luft-Thermometer, das statt der Kugel ein zylindrisches Gefäfs hatte von dünnem Silber-Blech, 19 Linien hoch und 6 Linien im Durchmesser. Bei der grofsen Empfindlichkeit dieser 5 Thermometer und ihren Skalen-Dimensionen von 1 Linie für jeden ihrer Grade und beiläufig 8 ihrer Grade für Einen des Quecksilber -Thermome- & beim Freiwerden der latenten Wärme. 1183 ters, wodurch die Sechszehntheile des Reaumurschen Grades ganz bestimmt abzulesen und die Zweiunddreifsigtheile noch sehr gut abzuschätzen waren, konnte man hoffen, etwanige momentane Temperatur-Erhöhungen des Me- talls über den O Punkt beim Erstarren des Wassers wahrnehmbar zu finden. Mit grofser Bewunderung fand ich, dafs diese metallisirten Thermometer während des beschleunigten Erstarrungs-Prozesses des Wassers doch nicht über Null kamen, und dafs also keine Spur wahrzunehmen war von einer ihrer schnelleren Leitung und geringeren Kapazität entsprechenden Wir- kung, denn ich rechne Ss dahin die Fälle, wo bei den sehr häufigen Wie- debefaggen einige Male ein Überschufs von 4 oder + o 16 10 schien, weil dieser Erfolg nicht konstant war, weil er manchmal sich negativ [© sich zu ergeben ergab, und also über der Grenze der zu erlangenden Genauigkeit lag, theils weil es unmöglich ist, Thermometer unter sich absolut genau zu vergleichen, und die Luft-Thermometer ihre Skale nur durch Vergleichung mit einen Quecksilber-Thermometer erhalten konnten, theils weil das entstehende Eis immerhin durch äufseren Druck die Figur der Luft-Thermometer um den Werth des geringen beobachteten Überschusses verändert haben konnten. Sehr grofs war zuffeden Fall der Abstand dieses gänzlichen Se eines Überschusses oder der selbst zweifelhafte Überschufs von etwa „5° gegen die 1200°, die man für das Gold nach der Berechnung ansetzen En wenn der Erfolg sich rein nach Leitung und Kapazität ohne Abzug richtete, oder selbst nur gegen die Schmelzungs-Wärme von 75°, die Aristoteles behauptet. Wie paradox es sei, dafs ein guter Leiter von geringer Wärme - -Kapazität sich nicht bedeutend über die Temperatur des umgebenden Wassers momen- tan erhebe, springt in die Augen durch folgende Reihe der Erkältungs-Zei- ten eines Thermometers, welches bei — 15,5° R. der äufseren Luft in dem Wasser eines Glasgefäfses von beiläufig 1,5 Zoll hoch und 1 Zoll Durch- messer tauchte. Phys. Klasse 1825. P 114 Erman: über einen anomal scheinenden Erfolg Thermometer Chronometer 0’ 0” + nzagor FRUER 55” To 8 50” Be... 65” ge 60” u 0 70” 75” u, 93” SED. * 205” .....480” und darüber. EN: Mehr als 8’ zum Fallen von 0,0 auf — 0,5 während nur 50” zum Fall von +6 auf +5,5 gehören, machen recht anschaulich, welche Menge von Wärme frei werden mufs bei der plötzlichen Erstarrung. Weiter wie —0,5 wurde der Versuch nicht fortgesetzt, um der Deformirung der Kugel durch Druck des Eises zu entgehen. Man sieht jedoch, dafs man die Menge der Liquefaktions-Wärme nicht nach dem für die Erkältung fester Körper gel- tenden Gesetze berechnen könne, denn die unmittelbare Leitung des Was- sers an sich ist ungemein gering gegen die Hauptquelle der Wärme-Leitung durch hydrostatische Ströhmung; dieses spricht sich sehr deutlich in obiger Beobachtungs-Reihe aus. Je näher nämlich das Wasser seinem Punkt der gröfsten Dichtigkeit kommt, je langsamer erkältet sich das Thermometer am Boden des Gefäfses, und so wie dieser Punkt überschritten ist, nehmen die Erkältungs- Zeiten für gleiche Thermometer-Intervalle wieder zu. Von 5° — 45 = 50” 4,5 —40= 65 4.0 =.9,5 = 412 3,5, = 3,0108 Dann wieder von 3,0 — 2,5 = 60 2,5 — 23,0= 7u.sw. beim Freiwerden der latenten VFärme, 115 Dieser Umstand trägt mit dazu bei, die kleinen Anomalien zu erklä- ren, die, wie oben erwähnt, sich bei den Angaben der Thermometer im erstarrenden Wasser ergeben, je nachdem sie sich in den aufwärts oder abwärts gerichteten Ströhmungen befinden, die das Wasser um den Punkt seiner gröfsten Dichtigkeit einleitet. Wenn der Einflufs des Leitungs-Vermögens und der Wärme-Kapazi- tät der metallisirten Thermometer auf ihre momentane Erwärmung durch Liquefaktions-Wärme des Erstarrenden, sich beim Wasser nicht aussprach, so konnte immerhin noch der Grund darin liegen, dafs man das Wasser nur um wenige Grade unter dem Gefrierpunkt erkälten kann, und zwar nur in geringen Massen, und nur bei umgebenden Temperaturen unter 0, sie seien natürlich oder künstlich hervorgebracht. Die plötzliche Erstarrung krystalli- sirbarer Salzlösungen ist frei von allen diesen Beschränkungen, und liefs erwarten, dafs ein metallisirtes Luft-Thermometer im Augenblick der Erstar- rung bedeutend über den Punkt steigen würde, auf welchen es nachher zurücksinkt, und auf welchen ein Thermometer von blofsem schlecht lei- tenden Glase gleich Anfangs verbleiben würde. Lösungen von schwefelsau- rem Natron in dem günstigsten Verhältnisse von 200 Grammen Wasser zu 208, 016 Salz wurden in der Siedhitze bereitet, und noch warm in Gefäfsen verschlossen, durch deren Korke die Thermometer hineinreichten. Wenn nun nach dem Erkalten der Stöpsel etwas gelüftet wird, gerinnt die ganze Masse in einigen Sekunden, und die Temperatur steigt auf den 17. bis 18.° de Lücscher Skale, selbst wenn das beschleunigte Krystallisiren bei einer Tem- peratur von +8, -+4 ja von + 3° eingeleitet wird. Doch trotz dieser bedeu- tenden Entwickelung von latent gewesener Wärme konnte ich nie bei den metallisirten Luft-Thermometern einen Überschufs von Erwärmung wahr- nehmen, der von besserer Leitung und geringerer Wärme-Kapazität her- rührte, sondern sie stiegen immer, und zwar sehr schnell, nur bis auf das Maximum, auf welchem sie sich in den folgenden Momenten behaupte- ten, und welches im Durchschnitt ganz genau mit den von nicht metallisir- ten trägern Quecksilber-Thermometern angegebenen Graden übereinstimmt. Es ist nicht leicht, diesen negativen Erfolg zu erklären. Vielleicht bringt er uns auf die Spur, unsere Vorstellungen von Wärme -Leitung, in Beziehung auf die Zeit, korrekter zu fassen, als bis jetzt geschehen; dies war die eigentliche Tendenz meiner Versuche, und der Zweck wäre P2 116 Enman: über einen anomal scheinenden Erfolg erreicht worden, wenn die Beobachtung am leichtflüssigen Metall, oder mindestens die an den metallisirten Luft-Thermometern, irgend einen posi- tiven Werth für den Erfolg gegeben hätte, aus welchem man hätte schätzen können, wie viel Wasser-Molekeln eine Metall-Molekel repräsentiren, hin- sichtlich auf die Wärme, die sie fähig sind, in unendlich kleiner Zeit durch Leitung sich zuzueignen nach der spezifischen Verschiedenheit ihres Lei- tungs-Vermögens. Vielleicht gelingt es uns dermaleinst, durch besser gewählte Kombinazionen ein positives Resultat zu erhalten; bis dahin halte ich folgendes für die passendste Ansicht, die man den Erscheinungen abge- winnen kann. Wenn eine Flüssigkeit auf den Punkt gekommen ist zu erstarren, und sie ist in Berührung mit einem vorzüglichen Leiter der Wärme, so sollte man erwarten, dafs sie vorzugsweise an diesem anschiefsen sollte, da er am fähigsten ist, die Liquefaktions-Wärme. zu entführen und die fernere Krystallisation dadurch zu begünstigen. Aber gerade das Gegentheil geschah ganz konstant in meinen sehr oft wiederholten Versuchen. Krystallisirte das schwefelsaure Natron allmählig, so setzten sich nie Krystalle an das metallisirte Thermometer; höchst auffallend war dieser konstante Erfolg bei dem als Luft-Thermometer vorgerichteten silbernen Zylinder; nie sah ich an ihm eine Spur von Krystallen, immer aber, ohne Ausnahme, die ausgezeichnetste Bekränzung von Krystallen an dem Korkstöpsel, der am oberen Theil des Zylinders hervorragte, um die Thermometer - Röhre luft- dicht aufzunehmen. Von diesem Korke aus verzweigten sich meistens die Krystalle in Gestalt gebogener Prismen, gleichsam wie Zweige eines Kande- labers, oder wie die Wasserstrahlen eines Springbrunnens, von der Axe des Gefäfses aus, wo sich der Korkstöpsel des Zylinders befand, bis zu den Wänden der Schale. Das hier obwaltende Spiel der Kräfte ist offenbar die- ses: Die Salzmolekel erstarrt wirklich am Metall als besserem Wärme-Leiter, aber im selben Differential der Zeit erwärmt sich die entsprechende Stelle des Metalls, das Erstarrte löst sich augenblicklich wieder auf durch über- kommende Erwärmung, und steigt als hydrostatisch leichter geworden; so wie aber die Salzmolekeln oberhalb des silbernen Zylinders, am Korke desselben, eine Stelle finden, die frei ist von dieser überschüssigen Wärme des Metalls, schlagen sie sich augenblicklich nieder, und durch die- ses fortgesetzte Anschiefsen des Aufströmenden entsteht der so konstante beim Freiwerden der latenten Wärme. 117 Kranz von Krystallen mit seinen so paradox gebogenen Prismen. Bei der plötzlichen Erstarrung der ganzen Masse läfst sich diese Wirkung eines gleichsam reziproken Differenzirens und Integrirens zwischen Temperatur und Krystallisation an der Oberfläche des Metalls nicht wahrnehmen: aber der totale Effekt ist nichts destoweniger da, denn nie wird die goldne Ther- mometer-Kugel oder der silberne Zylinder von der plötzlich entstandenen Krystallmasse dicht umschlossen und gleichsam wie fest eingefroren befun- den, sondern immer ist Spielraum genug da, um diese Körper aus der Masse frei herauszuziehn, und namentlich findet man die Kavität, in welcher der Silber-Zylinder gesteckt hatte, bedeutend gröfser als er selbst ist; während also das erstarrende Salz sich an die Glaswände dicht anlegt und andrückt, bleibt es von den Metallflächen bedeutend abstehend. Durch das bessere Leitungs-Vermögen des Metalls als blofses Erkaltungs -Prinzip sollte gerade das Gegentheil statt finden; es mufs also während des instantanen Prozesses der Gefrierung ein instantaner Überschufs der Temperatur entstanden sein, welcher die Krystallisation an der Berührungs -Fläche des Metalls hinderte. Die Lösung des Problems wäre dem zu Folge: dafs elementar eine sphä- rische Molekel zassiregos zeArızes, umgeben von seinen zwölf Molekeln Wasser, allerdings schmelzen würde, ere yevcıro vayn, dafs aber im totalen Effekt die Erwärmung des r7xerS« wiederum der z«yn antagonirt, und es giebt keine Hoffnung zur analysischen Behandlung dieses Probleme indeter- mine, als etwa eine komparative möglichst genaue Messung der Hölungen, in welchen ein hölzerner und ein silberner Zylinder beim Krystallisiren der Masse sich abgeformt haben; dieses allein könnte Zahlenwerthe geben, die wir von den Thermometern nicht erhielten; immer aber wird dieses Problem eines der intrikatesten der ganzen Wärmelehre bleiben, da die Funktionen der Leitungsfähigkeit in sehr mannigfachen Beziehungen, die noch keinen Zahlenwerth haben, und nach entgegengesetztem Sinn, zum totalen Effekt konkurriren. Es sei mir erlaubt in einer folgenden Abhandlung, über die Fort- setzung dieser Untersuchung zu berichten, vor der Hand aber einige vor- läufige Bemerkungen über die Krystallisation des schwetelsauren Natrons episodisch mitzutheilen; sie beziehen sich auf Erscheinungen die mir we- nigstens neu waren, und nicht unwichtig scheinen. 118 Enman: über einen anomal scheinenden Erfolg Eine warm eingefüllte Lösung des schwefelsauren Natron, in dem Verhältnifs von 49 Wasser zu 51 Salz, zum Erkalten hingestellt, erstarrt plötzlich wenn man den Stöpsel lüftet bei 8° oder darunter. Die Ursache ist sicher nicht, wie man oft behauptet, eine etwanige Erschütterung die das Einschwenken der Theilchen nach ihren Krystallisationspolaritäten erleich- terte, in dem Sinne wo eine Boussol-Nadel das Reibungsmoment leichter überwindet und genauer einspielt durch eine leichte Erschütterung. Stöfse, klingende Schwingungen den Glaswänden ertheilt, ja ein förmliches Durch- einander-Schütteln der Flüfsigkeit, bewirkte nie die Krystallisation, die tu- multuarisch erfolgte beim Lüften des Stöpsels. Davy und mehrere andere Physiker beziehen die Wirkung auf den Druck der Luft. Allerdings entsteht durch Erkältung und partiellen Nie- derschlag der Dämpfe im gesperrten Raume ein geringerer Druck als der totale der freien Atmosphäre. Paradox ist jedoch nach dieser Ansicht, dafs ganz ausschliefslich an dem beschränkten Punkt 8 beginnt der zuerst von der eindringenden Luft berührt wird; mit der gröfs- die Krystallisation immer nur ten Bestimmtheit sieht man sie sich von da aus nach allen Richtungen aus- breiten, der wiederhergestellte Druck der Luft mufs doch die ganze Fläche der Salzlösung zugleich treffen. Durch den schliefsenden Korkstöpsel wurde eine am oberen Ende zugeschmolzene Glasröhre luftdicht eingekittet; die untere Öffnung der Röhre ragte im Inneren beiläufig anderthalb Zoll über die Fläche der Flüfsigkeit. Wie nun bei gehörig herabgestimmter Tempe- ratur die äufsere Spitze abgebrochen wurde, entstand der Erstarrungs- Kern unmittelbar unter der Glasröhre, und genau nur von der Gröfse die dem Durchmesser der Röhre im Lichten entsprach. Eine ähnliche Glasröhre wurde in ein Knie gebogen, und die Spitze mitten in einer Weingeistflamme abgebrochen, da entstand keine Krystallisation, wenn gleich der Druck der Luft ungehindert wiederhergestellt wurde. Um zu entscheiden ob die hinzuströhmende Luft die Krystallisation bedingt durch Erniedrigung der Temperatur, als blofs kälter seiend wie die eingeschlossene, oder durch Vermittelung einer stärkeren Verdampfung, da die eingeschlossene nothwendig auf das Maximum der Feuchtigkeit ist für ihre Temperatur, die äufsere hingegen nothwendig eine viel gröfsere Dampf- Kapazität besitzt, habe ich zwar mehrere Versuche angestellt, indem ich die beim Freiwerden der latenten Wärme. 119 Luft hinzutreten liefs aus Gefäfsen wo sie lange mit Chlorkaleium gesperrt gewesen war, oder im Gegentheil im Maximo der Feuchtigkeit, indem ich sie unmittelbar durch Wasser streichen liefs; es war aber schwer in diesen verschiedenen Fällen absolut gleiche Temperaturen zu erhalten, um durch diese Gleichheit die Wirkung der Erkältung genau zu eliminiren; und es ergaben sich aufserdem so besondere Anomalien, dafs die Entdeckung der wahren Ursache des tumultuarischen Krystallisirens beim Zutritt der Luft, erst durch sehr anhaltend fortgesetzte Prüfungen gelingen kann. Denn in der That, dieser so einfach scheinende Prozefs ist ein schr zusammengesetz- ter, da ich ganz unvermuthet gefunden habe, dafs man es hier mit zwei ver- schiedenen Salzen zu thun hat, wovon das Eine ohne den Zutritt der Luft krystallisirt, und zwar langsam und progressiv wie in offenen Gefäfsen, aber mit verschiedener Krystallisationsform; während das zweite nur bei Einströh- mung der äufseren Luft und ganz tumultuarisch mit einem Schlage ent- steht. Folgendes ist das geschichtliche dieser Wahrnehmung, die vielleicht zu interessanten Aufschlüssen von gröfserem Belang führen wird. Wenn ich die heifsverstopften Salzlösungen, welche bestimmt waren plötzlich zu krystallisiren, zur allmähligen Erkältung hingestellt hatte, geschah es sehr oft, ja fast in der Mehrheit der Fälle, dafs, wenn eine Erkältung die ich beiläufig auf 10 bis 12° schätze, eintrat, sich am Boden der best verstopften Flaschen Krystalle bildeten, deren Menge allmählig zunahm. Ausgehend nun von der wie ich glaube ganz allgemein angenommenen Ansicht dieser Klasse von Erscheinungen, hielt ich damals den Versuch für verfehlt, indem keine plötzliche Krystallisation erwartet wird, wenn einmahl die langsam pro- gressive eingeleitet ist. In dieser Voraussetzung wurden die verstopften Fla- schen in welchen sich diese langsame Krystallisation eingestellt hatte, wieder von neuem in Arbeit genommen, und durch Siedehitze zur klaren Auflösung zurückgeführt; meistens aber geschah dasselbe wieder bei der nächsten Er- kältung, trotz dem dafs ich diese durch Einhüllungen und Zugabe von aphlogistischen Lampen möglichst langsam einleitete. Allerdings fiel mir bald genug der ganz abweichende Habitus dieser in verstopften Gefäfsen all- mählig entstehenden Krystalle sehr auf. Von den gedehnten Nadeln und Prismen des schwefelsauren Natron war keine Spur; niedrige komprimirte Gruppen hatten sich in gerundeten Anhäufungen auf dem Boden gebildet, 120 Enman: über einen anomal scheinenden Erfolg erhoben sich aber nie in den bekannten Spiefsen und Prismen in das Innere der Flüfsigkeit. Dies hielt ich jedoch mehr für einen äufseren Habitus der Krystallisation in ihren Gruppirungen,, und bezog es auf den Umstand dafs in den verschlofsnen Gefäfsen die Oberfläche der Flüfsigkeit gehindert war ihre Wärme und ihren Dampf abzugeben, so dafs die in offenen Gefäfsen vorwaltende Beziehung der Oberfläche auf die im Innern entstehenden Kry- stalle, in den verschlofsenen Gefäfsen wegfiel. Aber schon damals fiel eine gröfsere Unauflöslichkeit dieses Salzes auf; weil ich aber bei der Behand- lung des schwefelsauren Natrons dazumahl keinen andern Zweck hatte als die Beobachtung des Verhaltens der metallisirten Thermometer beim instantanen Krystallisiren, so wurden die verstopften Gefäfse in welchen allmählige Krystallisation sich zeigte sogleich zur weiteren Bearbeitung geöffnet, ehe sie die zur tumultuarischen Erstarrung erforderliche Erniedrigung der 'Tem- peratur erreicht hatten; und so entging mir lange der sehr unerwartete Um- stand, dafs, nachdem in einem verstopften Gefäfse bereits durch allmählige Krystallisation ein sehr bedeutender Antheil des Salzes aus der Auflösung ausgeschieden worden, nichts desto weniger die übrig gebliebene Flüfsigkeit im Augenblick des Aufkorkens mit einem Schlage erstarrt. Die Produkte beider Arten von Krystallisation sind nach äufseren Kennzeichen und ander- weitigen Verhältnissen eben so verschieden von einander wie sie es sind hin- sichtlich auf ihre Entstehungsart. Eine summarische Beschreibung des Phä- nomens mufs uns vor der Hand genügen, hier wo diese Sache blos gelegent- lich erwähnt wird, als eine nicht wesentlich zum Gegenstand dieser Abhand- lung gehörigen Episode. Eine Flasche mit beiläufig anderthalb bis zwei Pfund konzentrirter Lösung des schwefelsauren Natrons sei dicht verkorkt worden bei 60 bis 65°, und dem allmähligen Erkalten ausgesetzt, so bildet sich in der Mehrheit der Fälle, (nicht in allen) die erste Art der Krystalle, bei der abgeschätzten Temperatur von beiläufig 10 bis 12°, und nimmt allmählig zu, so dafs nach 24 Stunden der Boden manchmal 1 Zoll hoch davon bedeckt ist. Von dem Habitus dieser Krystalle ist schon gesagt worden, dafs sie keine Spur von den Prismen und Nadeln zeigen, die für das im Freien krystallisirende Salz so karakteristisch sind. Ob diese gedrückten gleichsam kontrahirten Kry- stalle zu einer andern Grundform gehören, habe ich wegen der gleich zu er- wähnenden Schwierigkeit noch nicht ermitteln können; so viel man aber beim Freiwerden der latenten MFärme. 121 durch die Glaswände hindurch und ohne Anwendung des Goniometers urtheilen kann, scheint es mir nicht der Fall zu sein, so dafs wirklich mehr der Krystallisations-Habitus, als die Krystallform abweichend zu sein scheint; dies jedoch mufs nachträglich genau bestimmt werden. Übrigens sind diese Krystalle vollkommen klar und durchsichtig. So wie man nun die Spitze der im Korkstöpsel eingekitteten Röhre abbricht, erscheint die plötzliche Krystallisation. Diese fängt an genau an dem Punkt, den die einströmende Luft berührt, namentlich in unserm Beispiele bildet sich unter der Glasröhre eine Rose von den allerzartesten Fäden, die Schraffirungen und Bergstriche des geschicktesten Zeichners sind grob dagegen. Diese Krystall-Fäden (wahr- scheinlich prismatische Nadeln), verlängern sich von Sekunde zu Sekunde, und bald hat die halbkugelförmig wachsende Rose oder Rofs-Kastanie die Wände erreicht und das ganze Gefäfs gleichsam mit ihren Fäden durchspon- nen, so dafs die ganze Masse den Anschein eines schön polirten Zylinders vom zartesten Faser-Gyps gewinnt. Wenn man das anmuthige Schauspiel dieser feinen Organisation bei einem tumultuarischen Prozesse von einigen Sekunden Dauer betrachtet, und ausgeht von der Idee, das Bedingende sei Entweichen von Wärme, so glaubt man die Anschauung zu haben des genia- len Philosophems des Hrn. Link, wie ein Starres nur scheinbar von einem Flüssigen sich unterscheide, und wie die entweichende Wärme strahlend die fibröse oder lamellöse Textur bedinge. Geht man hingegen aus von der Annahme, das Bedingende der Erstarrung sei die Verdampfung, die statt findet an der Stelle wo Luft von gröfserer Dampf- Kapazität eindringt, so hat der Prozefs mehr Schwierigkeit; denn nach der Analogie der im Freien durch Verdampfung der Oberfläche krystallisirenden Lösungen, müfste man erwarten, dafs die Krystallisation am Boden anfinge, indem ein Theilchen der Lösung, welches durch Verdampfung sein Wasser an der Oberfläche verloren hat, es, um die bestimmte Proportion zu behaupten, von dem unmittelbar darunter liegenden entnimmt, dieses von dem Folgenden, und so fort bis zum letzten am Boden liegenden, welches, keinen Ersatz von Wasser erhaltend, als starr ausscheidet. Dieser Vorstellung, die man glück- lich genug auf die polarisch galvanischen Zersetzungen anwendet, ist Jedoch die eben erwähnte Erscheinung nicht günstig, denn die Erstarrung fängt an der verdampfenden Stelle an, und scheint sich nur durch Kohäsions- Affini- tät des noch Flüssigen an das bereits Erstarrte fortzusetzen. Aber trotz dem Phys. Klasse. 1825. Q (86) 122 Erman: über einen anomal scheinenden Erfolg findet wiederum eine Annäherung zu dieser Vorstellungs-Art statt in folgen- dem höchst merkwürdigen Umstande. In dem Augenblick, wo das tumul- tuarisch entstandene fasrige Salz die Krystalle des langsam entstandenen berührt, verlieren diese letzteren alle ihre Durchsichtigkeit; sie waren klar wie Glas, und den Augenblick darauf sind sie undurchsichtig und weifs gefärbt, wie Porzellan; man könnte sie halten für zerfallenes schwefelsau- res Natron, aber ihre grofse Härte unterscheidet sie sattsam, denn nur mit einem starken Instrument kann man sie herausbrechen. Auch ist das so modi- fizirte Salz der langsamen Krystallisation nach seiner Umwandlung ungemein schwer auflöslich: taucht man das ganze Gefäfs in ein Wasserbad von 80°, so ist die fasrige Krystallisation sehr bald aufgelöst; die porzellanartige hin- gegen ist nach 3-4 Stunden, trotz dem beständigen Umrühren und Schüt- teln, noch nicht ganz zergangen, und selbst im reinen Wasser zeigt sie sich schwer auflöslicher als gemeines Glaubersalz. Offenbar sind diese drei verschiedenen Zustände des schwefelsauren Natrons bedingt durch den gröfseren oder geringeren Antheil von Wasser, welchen die Krystalle in den verschiedenen Temperaturen und bei den ver- schiedenen Entstehungs-Arten binden und wieder fahren lassen. Es ist jedoch angenehm, einen Prozefs kennen zu lernen, wo diese Formationen so deutlich geschieden vorkommen, und ich werde mich bemühen, die Na- tur der verschiedenen Salze, die genaue Temperatur, bei welcher jedes ent- steht, die Perioden ihrer Entstehungen u. s. w. zu bestimmen, wie auch die sonderbaren Metamorphosen, die an ihnen statt finden, wenn man sie anhal- tend der entwässernden Wirkung der hygroskopischen Substanzen aussetzt. Wenden wir uns nun schliefslich noch zur kritischen Beleuchtung der Stelle im Aristoteles, die gleichsam die Gelegenheits-Ursache abgab zu den obigen Untersuchungen über das Verhalten der Metalle zu der Liquefak- tions-Wärme der erstarrenden Flüssigkeiten, so mufs die Untersuchung nach drei verschiedenen gleich wichtigen Momenten geführt werden. 1. Was ist Karsıreges Keirızes? Entstand dieses leichtflüssige Metall un- mittelbar aus der Schmelzung etwaniger Erze wo Zinn reduzirt wurde mit Blei und Wismuth legirt, oder vielleicht auch mit Quecksilber amalgamirt? Der Zufall hätte leicht eine so gemengte Beschickung herbeiführen können. Oder war die Legirung absichtlich gemacht worden? Dafs in den ältesten Zeiten reines Blei zu Münzen ang gewendet wurde, ist bekannt; solche sind beim Freiwerden der latenten Wärme. 123 vorhanden mit uralten Etruszischen Inschriften ; späterhin legirte man das Blei mit Zinn; diese, obgleich viel neuer, findet man wegen der elektri- schen Heterogeneität ganz in weilses Oxid zerfallen; man vermuthet bei ihnen einen Antheil Arsenik. Vielleicht war zu irgend einer solchen Legi- rung zufällig oder absichtlich Wismuth hinzugenommen, beiläufig in den ie) Verhältnissen des Darcetschen oder Roseschen Metall- Gemisches, vielleicht auch noch &gyugev Yurev (Quecksilber), wodurch das noch viel leichtflüssi- gere Metall-Gemisch der Engländer entsteht, zu Theelöffeln, die bereits schmelzen in der Temperatur, bei welcher man das Getränk zu geniefsen pflegt. Wenn man annehmen dürfte, der Zweck bei diesen versuchten Le- girungen sei gewesen, Griffel zu verfertigen, um damit auf Pergamen zu schreiben, so erklärte sich ganz ungezwungen das so schwierige yg@geı yodv Üs£sıre rayd, es färbt gut ab, (es giebt einen guten Strich, es ist brauch- bar zu Griffeln). Nur in dieser Voraussetzung wird denkbar die sonderbare Zusammenstellung der zwei disparaten Eigenschaften, im heifsen Wasser, und selbst durch Gefrierung des Wassers zu schmelzen, und Farbe abzuge- ben, welche letztere sogar als von der ersteren abhängig dargestellt wird: pwdeı yevv, daher färbt es ab. Aristoteles betrachtet nämlich die Leicht- Schmelzbarkeit als herrührend von einem Mangel an Kohäsion, dia ray dr-Se- verav, und demselben Mangel schreibt er zu die Tauglichkeit zum Schreiben und Zeichnen, gage yeıv ös &ıze, wie sich es gehört, sowohl nach der Bestimmung, als wegen der Weichheit. Wenn übrigens der zarsireges zerrızös in keinem anderen Schriftsteller des Alterthums vorkommt, als in dieser einzigen Stelle des Aristoteles, so werden wir wohl nie mehr Sicher- heit darüber erhalten, als uns die Analogie mit den jetzt bekannten Natur- körpern gewährt. Eben so wie wir von den von Aristoteles erwähnten Fossi- lien, ozivos, uagıry und Magı$a nur wissen, sie mufsten Arten von Kies oder Alaunschiefer gewesen sein, da er von ihnen sagt, dafs sie sich von selbst entzünden, wenn man sie zerschlägt, in Haufen aufschüttet und mit Wasser besprengt oder anfeuchtet, nicht übergiefst (erıpgawenevov Üdarı. Mirabilia auditu. S.1. 876.). 2. Dafs Aristoteles die Leichtflüssigkeit des zarsiregos zerrızes durch den Umstand beweist, dafs es selbst unter Wasser schmilzt, ist höchst merkwür- dig; denn die Anerkennung der Fixität des Siedpunktes scheint ganz unum- wunden darin zu liegen; denn wenn das Wasser jeden höheren Grad von Q2 124 Enman: über einen anomal scheinenden Erfolg Wärme annehmen könnte, so müfsten auch schwerflüssige Körper darin schmelzen; nun schmilzt Blei nicht darin, wohl aber »ursiregos HEATIKOS, also gilt von diesem das r4zerIu werd rayuıov uerußdev. Wer hält sich nicht überzeugt nach dieser Stelle, Aristoteles habe gewufst, das Wasser sei be- schränkt auf einen bestimmten Grad der Temperatur, und zwar auf einen ziemlich niederen, bei welchem Blei nicht schmilzt; und man ist um so mehr geneigt zu bedauern, dafs die Alten nicht bereits zum Thermometer kamen, wenn sie das wesentlichste bei der ganzen Sache gekannt hätten, fixe Punkte der Temperatur. Hüthen wir uns jedoch, auf andere Zeiten und andere Sprachen unsere Ansichten und unseren Sprachgebrauch zu über- tragen, und vorgefafste Meinungen dem Texte aufzudrängen. Aristoteles ist in der That so entfernt, die Fixität des Temperatur-Punktes des sieden- den Wassers zu kennen, dafs er an einer andern Stelle die Frage aufwirft Problemat, Sect. 24. Tom.IIl. 606. (c.): Aı« ri ro Udwp £viere Seguöregov Tns hAoyos yırouevov cÜ zarazdeı (MaAAov) ra Lura, A de PA0E rarazaeı, und nun folgt die Erklärung (denn als Philosoph kommt ihm zu, Alles vollkommen zu erklären): ‚‚,Warum das Wasser, welches manchmal heifser wird als die Flamme, doch das Holz nicht zündet, welches die Flamme doch zündet;’” weil nämlich die Molekeln der Flamme kleiner und zarter sind (Aerroueges), die Molekeln des Wassers hingegen gröber (keyarouegts), wes- halb sie nicht in das Holz einzudringen vermögen: eine demokritisch- ato- mistische Erklärung, die man dem Aristoteles nicht zugetraut hätte! Das Grelle, ja Widersprechende des Gegensatzes in diesen beiden Stellen verschulden aber eigentlich nur wir, indem wir dem Beweise für die eurn£i« des Metall-Gemenges, dafs es nämlich im Wasser schmelze, un- sere modernen Vorstellungen von einer Fixität des Siedpunktes unterle- gen, an die Aristoteles auch von fern nicht gedacht hat. Thatsache war: Blei schmilzt nicht im Wasser, wohl aber das zarsiregos zerrızes, also ist das letztere leichtflüssiger als das erstere. Mehr weifs Aristoteles von der Sache nicht, und mehr will er nicht von ihr behaupten. Etwa wie wir auch sagen: Backstein ist strengflüssiger als Eisen, ohne nothwendig dabei an eine Grenze der Temperatur für den Hohen-Ofen zu denken, und er hat unsere ihm ganz fremde Mifsgriffe nicht zu verantworten, wenn wir auch hier, später ersonnene Dogmen mit Gewalt in seinen Text hinein esegesiren, welches eigentlich das Wort sein sollte. Freilich hätte Aristoteles sich fragen sol- beim Freiwerden der latenten Wärme. 125 len, warum denn das Blei nicht auch im Wasser schmilzt, wenn das Was- ser fähig ist, jede, sogar eine zündende Temperatur, anzunehmen. Wahr- scheinlich hätte ihn hier, wie beim Holze, ein Verhältnifs von Aswreweges und ueyarousgts ausgeholfen, und dieses mag am Ende die «rSevaa sein, die er vom zarsiregos zeArızos behauptet. Wenn das eben Gesagte nicht genü- gen sollte, und man bestünde darauf, es sei ein Widerspruch zwischen der Stelle: Sauuarıwv axeuruarwv, über das Schmelzen unter Wasser, als Zeichen einer grofsen Leichtflüssigkeit, und zwischen der Stelle aus den IIgoQrnuaruv, das Wasser könne selbst Glühhitze annehmen, ja überstei- gen, so bliebe noch die jetzt in der Philologie sehr beliebte Weise der Konziliation, nämlich zu behaupten: Eine der zwei Schriften sei nicht von Aristoteles; oder vielleicht sogar keine von beiden sei von ihm entworfen. Die Möglichkeit ist allerdings da, doch glaube ich, müssen andere for- melle Gründe für die Realität angeführt werden, als solche materielle, die entnommen wären von der Inkohärenz oder dem Widersprechenden der An- sichten und der Erklärungs- Gründe. Denn eine solche Inkohärenz kommt sehr häufig vor beim Aristoteles, nicht blos wie hier, zwischen Stellen von zwei verschiedenen Werken, sondern ungemein oft in demselben Buche, ja in demselben Kapitel desselben Buches. So z.B. Hooßdnudruv, Sectio Ae (trigesima quinta), erklärt er, warum an den Lippen der Kitzel leicht erregt wird. Der Grund ist: je näher dem Sensorium, desto mehr ist ein Theil für den Kitzel empfänglich: dia ri ere ra yeiay narırra yagyarızonede. "H diorı dei To Yagyarıdonevov un mooTW red aisOyrızev eva. Hierbei vergifst er aber, dafs er in demselben Kapitel, drei Paragraphen früher, gesagt hat, die Fufssohle sei für den Kitzel bedeutend empfänglich, worauf die Nähe des Sensoriums gar nicht pafst; und solche Verstöfse gegen die logische Kon- sequenz, ganz ähnlich dem in Rede seiendeu über die Temperatur-Verhält- nisse des Wassers, kommen in den empirischen Werken des Aristoteles so häufig vor, dafs man in Versuchung kommt, diese Schriften für blofs rubri- zirte Kollektaneen, als Materiatur eines zu verfassenden Werkes zu halten, nicht aber für das Werk selbst. Manchmal wäre man noch mehr geneigt, sie als zusammengetragene Hefte aus den Vorlesungen des Aristoteles zu nehmen; so liefsen sich die so auffallenden Wiederholungen desselben Satzes gewissermafsen erklären; so z.B. kommt Problematum Sect. XXXI. auf zwei Seiten fünf mal und mit denselben Worten die Frage vor, warum bei den 4126 Erman: über einen anomal scheinenden Erfolg - Organen des Sehens und Hörens das Linke eben so scharf empfindet, wie das Rechte, da bei den übrigen Gliedmafsen das rechte immer das vorzüg- lichere ist. Auch ist die Lösung immer dieselbe; nämlich: es sei theils Gewöh- nung, theils darum, weil der naturphilosophische Gegensatz zwischen Rechts und Links sich nur auf das Wirken, nicht aber auf das Leiden bezieht, «ır- SaverIaı Erriv FaTygw TI, Ta de de£ie Ötapegei 7% memrınWregu eivan zul araserrega rav agıreg@v. Nur ganz zu letzt bei der fünften Wiederholung der Frage in demselben Kapitel kommt eine neue naturphilosophische Ansicht zur Sprache, nämlich: Die Elemente selbst stehen nicht unter dem Gegen- satz von Rechts und Links, wohl aber die Körper, die aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt sind, wie z.B. die Hand oder der Fufs; das Sehen hingegen ist ganz Licht, das Hören ganz Luft. Doch wie man auch über die Konstruktion und die Logik der empiri- schen Schriften des Aristoteles denken mag, sie bleiben nichts desto weniger ein Schatz, und eine Fundgrube der scharfsinnigsten Ansichten und Fragen. Da wir es so eben mit der Thermologie des Aristoteles zu thun haben, sei es erlaubt, ein Beispiel aus derselben anzuführen. Schon längst war mir der Umstand aufgefallen, dafs das Auge von der Kälte gar nicht affızirt wird: die kriebelnd stechende Empfindung an den nervenreichen Fingerspitzen, und das so häufige Erfrieren der Nase sind bekannt; das Auge aber bleibt in der gröfsten äufseren Kälte frei von jedem Schmerz, da man berechtigt wäre einen ungeheuren zu erwarten, wenn man die scheinbar freie Hinge- bung des so zarten und so ausgebreiteten optischen Nerven mit den so gut verwahrten Nerven der Fingerspitzen parallelisirt; aber von einer krankhaf- ten Affektion des Auges, analog dem Erfrieren der Nase, findet man in keiner Nord-Polarischen Expedition irgend eine Spur; auch die Refraktion beim astronomischen und geodätischen Gebrauch des Organs zeigt nicht die min- deste Abweichung. Sehr oft hatte ich mich gewundert in keinem der mir bekannten physiologischen oder pathologischen Werke die Erwähnung dieser Frage gefunden zu haben. Endlich fand ich sie im Aristoteles, Problematum Sectio XXXII. (S. 632. G.) Aıd rı 6 8pSaruos uovov TE FWuaros, dnSevesaros vv, 3 dıyei; N orı minv Esiv 6 Eh Iaryos, Fagnös Ö8 adev- Ta de Tolaüra agıya eaive ö Yag N orı ye müg Erw dh oıs, dia Tara d öryol, & yap ToLOUToVv YE Esı To mUR urrE Seguai- vew. Das Verdienst die Frage aufgeworfen zu haben bleibt ihm; die Lösung ist schr mangelhaft: denn dafs das Auge ganz Fett sei und nichts Fleischiges, beim Freiwerden der latenten Wärme. 4127 ist unwahr und nichts sagend; interessanter für die Thermologie des Aristo- teles ist seine Aussage vom Feuer der sb. Er erklärt bekanntlich das Se- hen durch Emanationen vom Auge aus nach Aufsen hin, gleichsam durch Fühlfäden mit welchen wir die Gegenstände betasten. Den Stoff dieser Fühlfäden nennt er überall miß, nie d&s meines Wissens; hier aber sagt er ausdrücklich: dieses müg sei kein wärmendes; ein Satz, der für seine Kon- struktion der Elemente von der gröfsten Wichtigkeit ist, da er durchgängig das Feuer als den Repräsentanten und Träger von Warm und Trocken auf- stellt, hier aber verneint er von ihm die grundwesentliche Qualität, und nimmt für das Sehen ein 2%) an, ohne Seguev. Dem sei wie ihm wolle, uns Neueren läge es ob, unsere Wärme- Theorie auf diesen Umstand der Physiologie des Auges zu wenden, was noch nicht geschehen ist. Die schlechte Wärme-Leitung des Fettes, womit das Auge, so wie das Herz selbst bei den ausgemagertsten Individuen immer versehen ist, und woran Aristoteles wahrscheinlich dachte, langt bei wei- tem nicht aus, selbst wenn man auf frei werdende Liquefaktions-Wärme des Fettes bei zunehmender Kälte denken wollte, welches ich an sich sehr gegründet glaube; sondern es wird sehr wahrscheinlich ein Ducarlascher Wärme-Kondensations -Apparat bedingt durch die verschiedenartigen Feuch- tigkeiten des Auges, dessen Mechanısmus eine gründliche Untersuchung um so mehr verdient, da er das Auge nur gegen abgeleitete Wärme schützt, ganz und gar nicht gegen die Erfolge der Ausstrahlung. Unbesorgt kann man aus einer russischen Badstube in die grimmigste Kälte gehen; wer aber im Tropen-Lande sein Nachtlager so wählt, dafs das, selbst geschlossene Auge gegen den freien Himmel ausstrahlt, erwacht als blinder Mann; eine einfache Mousselin-Gase oder ein Palmenblatt schützen hinlänglich. Eben dieser Anschein von Widerspruch macht es noch auffallender, dafs sich noch Keiner mit dem vom Aristoteles schon zur Sprache gebrachten Pro- blem im Sinne der neuen Thermologie beschäftigt habe. Doch wir kehren nach dieser Abschweifung zurück zur kritischen Be- leuchtung der Stelle über das Schmelzen der leichtflüssigen Metalle, und zwar zum dritten und paradoxesten Moment der Untersuchung, zur Schmel- zung durch Frost. 3. Türeraı Ö8 nal dv role Wuyerıw, dre yevarro mayn‘ EYRaTaRAEIolEvcv (ws darı) \ = S ’ „a n a ’ EB N \ > , Hal TUVWTOUMEVSU TOU TEDWOU FOU EVURAOYOVTES AUT) OL TAV ar Ieveiar. 1283 Enrman: über einen anomal scheinenden Erfolg Die Thatsache ist an sich nicht absolut unmöglich, aber wir fanden sie falsch durch alle Prädikamente, da sogar die empfindlichsten Metall- Thermometer um keine wahrnehmbare Gröfse durch die frei werdende Li- quefaktions-Wärme der erstarrenden Flüssigkeiten zu einem überschüssigen Steigen gebracht werden. Es handelt sich also blos um die thermologische Ansicht, nach welcher Aristoteles dieses vermeinte Schmelzen durch Frost denkbar macht, und die Stelle ist wichtig, weil sie einen höchst klaren Be- leg zu der Hauptlehre der avrızsgirrarıs oder Polarität der Wärme darbietet. Beccaria hat bekanntlich den Versuch gemacht, die zu seiner Zeit noch kahotisch durcheinander verschlungenen Phänomene der Elektrizität unter einem Prinzip zu subsumiren. Er nannte es electricitas vindex. Durch eine Art von qualitas occulta stellt der Körper seine elektrische Spannung wieder her, wenn sie von aufsen beschwichtigt wurde: es ist eine Tendenz da, sich, trotz der äufseren Einwirkungen, immer dieselbe elektrische Temperatur zu vindiziren. Äpinus und Wilke zeigten die Realität der Thatsachen, stellten es aber auf den Gegensatz zweier sich wechselseitig bindenden und beschränkenden Zustände (das Franklinische elektrisch Warm und elektrisch Kalt) oder Stoffe, +eund—e. Gerade so findet Aristoteles eine grofse Mehrheit verwickelter und paradox widerspenstiger Erscheinungen der Wärme; er sucht ebenfalls, sie zu subsumiren unter dem Prinzip der Beharrlichkeits-Tendenz der Körper für die Wärme- und Kälte-Zustände, gleichsam ein calor et frigus vindex sul, +6 Feglov avrımept- irraSaı rÖ Vuygy, weicht aber von der Äpinus- und Wilkischen Ansicht darin ab, dafs er annimmt, nicht die beiden Entgegengesetzten binden sich, sondern im Gegentheil diese steigern wechselseitig ihre Spannung; das Yuygev steigert das Sepuov, so wie umgekehrt die umgebende Wärme den kalten Körper noch kälter macht. An sich ist diese Art des Gegensatzes eben so denkbar wie die andere; + könnte eben so gut —e abstofsen als anziehen, und das Südende des einen Magneten das Südende des andern anziehen. Die Neueren sind jedoch von diesem polarischen Gegensatze der Temperaturen, mit Abstofsung der ungleichnamigen unter sich, gänzlich ab- gegangen, und erklären durch Leitung, Strahlung, Verdampfung, spezifische Wärme u.s. w., die Fälle, die Aristoteles auf sein avrırsgirrasıs der Wärme bezog. Es ist sogar unwahrscheinlich, wenn gleich nichts weniger als un- möglich, dafs man je bei der Wärme-Lehre zu einem polarischen Gegensatz beim Freiwyerden der latenten Wärme. 129 des calor vindex rückkehren werde, mindestens nicht auf den Grund der Thatsachen die Aristoteles zu dieser Annahme bewogen, und deren fast vollständige Aufzählung zusammengedrängt vorkommt in folgender Stelle Merewgoroyizav 1.12. (I. 420, 421.), die nebenbei an sich interessant ist, da sie die Aristotelische Theorie des Hagels enthält. Er hebt an mit der Be- merkung: der Hagel gehöre dem Frühjahre und Herbst, weniger dem Som- mer, und dem Winter gar nicht. Er fühlt die Schwierigkeit, dafs zwar die Wasser -Tropfen des Regens durch Zusammenfliefsen zunehmen können, nicht aber die starren Hagel-Körner. Einige, sagt er, meinen, die Hagel- Wolken steigen sehr hoch, da wo grofse Kälte herrscht, dia 0 Ayysıv Exel Tas ame Tns yas Ta durivwv avanrareıs. Aber Aristoteles kennt schon die That- sache, die Herr von Buch zum Wendepunkt der ganzen Hagel-Theorie aus eigenen Beobachtungen aufgestellt hat: ‚‚es hagelt nie in bedeutend hoch liegenden Örtern” (& reis apodga ührAcis Nasa yiverdu Yare- av). Er unterstützt diese treffliche Bemerkung durch einige Neben - Um- stände: dafs die Hagel-Wolken sichtbarlich niedrig ziehen, so dafs man ihr Geräusch wahrnehmen kann; und dafs je gröfser der Hagel, desto eckiger seine Körner: nun ründet er sich ab durch Stofsen und Schleifen während des Fallens; also ist der grofskörnige nicht aus bedeutender Höhe herabge- kommen. Was nun die Entstehung des Meteors betrifft, so führt sie Aristo- teles ganz zurück auf den polarischen Gegensatz zwischen Kalt und Warm. So wie durch diese Antiperistasis das Unterirdische der tiefen Keller kalt wird durch die äufsere Wärme, und warm durch die Winter-Kälte, so ge- schieht es auch in den Höhen der Atmosphäre. Wenn die obere umgebende Luft warm ist, so spannt und erregt sie die Kälte der dahin gestiegenen Wolke; es fällt Regen oder nach Umständen Hagel. Er tadelt den Anaxa- goras, behauptet zu haben, die Wolke werde zu Hagel kondensirt durch die Kälte der oberen Regionen. Gerade umgekehrt: der Hagel entsteht ördv 6 vebos Eis Tev Seguev aega vaSeA9N, zul marısra örav narırra. ,,Wenn die Wolke sich in die wärmeren Luft-Schichten senkt: und je wärmer diese sind, desto eher entsteht der Hagel.’ Trefflich wahr! nur dafs uns Herr von Buch die wichtige Beziehung auf das bedingende Mittel- glied der Verdampfungs-Fähigkeit gelehrt hat. Sehr fein ist auch die Be- merkung, dafs Hagel nur entsteht, wenn der antiperistatische Prozefs schnel- ler ist als das Fallen aus der Höhe; auch die, dafs der Hagel -Bildun Phys. Klasse 1525. R B° 130 Enrman: über einen anomal scheinenden E rfolg Prozefs je energischer ist, je wärmer das Wasser ist aus welchem er entsteht. Diese Ansicht unterstützt Aristoteles durch zwei andere That- sachen, die seine Gegensatz-Theorie mit begründeten. «) Viele, wenn sie ihr Trink-Wasser schnell abkühlen wollen, stellen es vorläufig in den Son- nenschein; und £) Die Fischer am Pontus, wenn sie zur Eis-Fischerei Rohr- Hütten von Schilf errichten wollen, begiefsen die Reiser mit heifsem Was- ser, wodurch das Anfrieren schneller bedingt wird, als wenn man kaltes an- wendete. Mit Übergehung einiger anderer Stellen, die im Aristoteles vorkom- men, als Anwendungen der Antiperistasis auf Erscheinungen des organischen Lebens, wenden wir uns schliefslich zu der Weise, wie er das Schmelzen des keltischen Zinns durch den Frost in vorliegender Stelle erklärt. Sie giebt die klarste Einsicht des Fundamental-Satzes seiner Thermologie. ‚,‚Das Me- tall, sagt er, schmilzt durch die Kälte, wenn Eis entsteht, weil alsdann die Wärme, die noch im Metall übrig ist (&vumapyovres aurs rou Ieg- AV) eingeschlossen und zusammengedrängt wird (wie man sich ’’ ausdrücken könnte, ws darı').”” Zynaranreısuevov nal TuvwSouueveu Tov Segpou- das heifst mit andern Worten: Die eingetretene äufsere Kälte vermehrt die Spannung der noch im Metall vorhandenen Wärme, oder — Wärme konden- sirt + Wärme, gerade wie bei Entstehung des Hagels; und diese Konden- sation der Wärme langt hin zur Schmelzung des Metalls, d« ryv arSevaer, wegen seiner geringen Kohäsions-Kraft, oder wegen des Aerrouegss, die es anderweitig geeignet machten einen Strich zu geben (4g@gew). Wohl hat das ws $arı etwas auffallendes, und pafst nicht gut auf einen Satz, den Aristoteles überall ganz apodiktisch als die Grundlage seiner Thermologie aufstellt. Daher glaube ich das ös dası beziehen zu müssen nicht auf den Satz selbst, sondern auf den bildlichen, gleichsam mechanisch erklärenden Ausdruck desselben: £yzaranrsısnevou nal auvwSounevov rou Seguoo. In der That kommt dieses anschaulichere Bild vom Einschliefsen und Zusam- mendrängen der Wärme in keiner andern mir bekannten Stelle des Aristo- teles vor, sondern die avrızegirrarıs wird überall als ein prius, nicht weiter mechanisch zu Erklärendes aufgestellt, eben so wie in der Symmerschen Theorie blos behauptet wird, +: stöfst {? ab, und kondensirt es, rein dy- namisch ohne weitere mechanische Erklärung, ob es geschieht etwa durch gehindertes Ausstrahlen (eyzaraxrsısusvev) oder durch wechselseitigen impul- siven Stofs (suvwSovmevov). beim Freiwerden der latenten Wärme. 131 Wenn wir nun im Reinen sind mit der Erklärung, die Aristoteles giebt vom Schmelzen eines Metalls durch Gefrieren des umgebenden Was- sers, so kehrt immer wieder die Frage: Wie es sich mit der Thatsache selbst verhält? Nicht gern möchte ich sie für einen Irrthum ohne allen faktischen Grund erklären. Es ist uns oft sehr übel bekommen, Überlieferungen der Alten so eigenmächtig von der Hand zu weisen, und am allerwenigsten möchte dieses auf die von Aristoteles behaupteten Thatsachen anwendbar sein, die in der Regel nicht ohne irgend eine Begründung vorkommen. Viel- leicht führt uns dermaleinst der Zufall auf eine Kombination, wo sich eine Approximation zu seiner Behauptung darthut, und wodurch eine neue nicht uninteressante Modifikazion der Wärme -Leitungs- Fähigkeit zur Sprache ge- bracht ‘wird. Schliefslich will ich jedoch eine Divination über die erwähnte Stelle im Aristoteles nicht ganz mit Suillschweigen übergehen, wodurch ich versucht habe, seiner Behauptung eine Bedeutung abzugewinnen, die frei wäre sowohl von dem Irrthum, ein Metall könne durch das Gefrieren des Wassers zum Schmelzen gebracht werden, als auch von der Inkonsequenz, einmal die Fixität des Siedpunktes zu postuliren, und in einer anderen Stelle zu behaup- ten: Wasser könne sich bis zur zündenden Temperatur erwärmen, wo es fähig wäre, das Holz in Brand zu versetzen. Diese Lösung des Knotens gienge aus von der Zvreideutigkeit des Wortes rnx27>cu, welches beim Aristo- teles (wie auch in unsern Sprachen das Wort Schmelzen im gemeinen Sprachgebrauch), jede Liquefaktion bedeutet; sowohl die durch Wärme, als die durch Auflösung in einer Flüssigkeit. Nun hat Aristoteles ein ver- meintliches Naturgesetz aufgestellt (Problem.IV. xxxı. Sect.11.541 h. or« egi apgodisue): Was im Feuer schmilzt, kann nicht auch im Was- ser schmelzen. Die Stelle ist: dı@ ri &v 70 üdarı yrrev duvavrın apodiriagew ci vSgwrar' N orı Ev Udarı oüdev razera 07a Umd mugos Tnneras eıcv merulddes 9 unpos. Dies ist zwar offenbar falsch, wenn wir an Zucker, Alaun u.s. w. denken. Wir lassen es jedoch auf sich beruhen, und supponiren, zarsireges zeArınds sei kein regulinisches Metall gewesen, sondern irgend eine Schwefel- oder Arsenik -Verbindung des Zinnes, zur Mahlerei anwendbar, welche einerseits im Feuer schmelzbar wäre, und zwar leichter als Blei, riz.sI« vor) rayısv wordßßdov; andrerseits durch Oxydation im Wasser zerfallend, mit Färbung der Flüssigkeit als Pigment, gwSeı yoiv ws esize. Dieses würde Aristoteles Hh2 132 Erman: über einen anomal scheinenden Erfolg u.s.w. gemäfs, als das Zeichen einer sehr grofsen eörn£i« betrachten, dafs derselbe Körper im rnRss > Ev Vdarı nennen, und es, seinem obigen Philosophem Feuer schmelze, und auch im Wasser zu zergehen scheine, smueslov de ns Eurnäias orı rrner Sau boxei naı &v TD vdarı, wobei das dexer gleichsam zur Ehren- rettung des allgemeinen Satzes: kein Körper zergehe im Feuer und im Was- ser, dienen möchte. Der Kies zergeht zwar im Wasser, aber nicht etwa wie Zucker oder Kochsalz, sondern doch so, dafs er dem Wasser ein Pig- ment überläfst, r4xerIaı denei zal &v ra Vdarı Yawleı yov ws Eoıze rayu. Dafs endlich ein Körper, den das Wasser durchdrungen hat, sehr geneigt sei zu zerfallen, wenn dieses in seinem Innern gefriert, ist bekannt genug, und diese dritte Art des Zergehens könnte ebenfalls gemeint sein durch das rıxe- rau nah Ev Luyssw re yevarro rayn, wovon er die Erklärung in seinen thermo- logischen Prämissen zu finden glaubt. Allerdings kann man finden, diese Auslegung der Stelle im Aristoteles sei etwas gezwungener als die erste; es ist aber die Frage, ob sie ganz ver- werflich ist, und ob nicht der Karakter einer gröfseren Ungezwungenheit, der ersteren Auslegung blofs deshalb beigelegt wird, weil sie sich näher an- schliefst an unsere Vorstellungen von der Wärme und an unsere Termino- logie. Wer verbürgt uns aber, dafs sie sich nicht eben deshalb um so mehr entfernt von dem Ideen-Gang und von der thermologischen Nomenklatur des Aristoteles. So schwer ist es, selbst in faktisch anschaulichen Dingen und bei einem rein doktrinalen Vortrag, den wahren Sinn der Überlieferun- gen aus einer todten Sprache zu übertragen. Sicher, aber niederschlagend ist die Überzeugung, dasselbe Schicksal werde dermaleinst, selbst die präzisesten und bündigsten unserer jetzigen wissenschaftlichen Werke nicht minder tref- fen. Immer wird es eben so schwer als nothwendig sein, die Gabe der Divination zu verwenden, nicht auf die künftigen Dinge, sondern auf die ver- gangenen, durch die Zeit verdunkelten, wie Aristoteles vom Epimenides sagt: eü megl TuV ETcHEvWV, AAAR Movov megi TV YEyevororwv Ev, dönAuv de sei er ein (rückwärts gestellter) Prophet gewesen. —— IIND Über dıe Springmause fe) oder die Arten der Gattung Dipus ‚ v Von H”= LICHTENSTEIN. — [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Januar 1525.] E, kann wohl kaum einen irgend erheblichen Gegenstand der Zoologie geben, bei dessen Abhandlung die Verdienste des unsterblichen Pallas sich nicht gleichsam von selbst vergegenwärtigten, oder bei welchem sein Name irgend füglich mit Stillschweigen übergangen werden dürfte. Obgleich nicht Schöpfer eines Systems und überhaupt um den Streit der Systematiker wenig besorgt, hat Pallas dennoch auf alle Theile der Zoologie eingreifend ge- wirkt und durch seine eben so zahlreichen und eleganten, als gehaltvollen und gründlichen Werke in jeden derselben ein Licht verbreitet, das noch lange auch solchen leuchten wird, denen es gerade um Erfindung geschick- ter und consequenter Eintheilungen und Zusammenstellungen, wie sie jede Zeit anders fordert, am mehrsten zu thun sein möchte. In viel höherem Sinne aber sind seine Werke Muster für die Arbeiten von der beschreibenden Art, denn indem er nicht blofs beschreibt, sondern alle Beziehungen seines Gegenstandes aufzufinden, zu untersuchen und aufzuklären versteht, giebt er seinen Abhandlungen einen über das momentane Interesse seiner Zeit weit hinaus gültigen Werth. Alle sind reich an Stoff für weitere vergleichende Betrachtung, reich an Materialien für litterarische und kritische Untersuchung, eben so unentbehrliche Vorarbeiten für jede Folgezeit, als leuchtende Vor- bilder einer geschmackvollen Behandlung und Anordnung. Je mehr aber diese grofsartige Weise des unsterblichen Meisters von den jetzigen Zoologen vernachlässigt wird, je mehr sich unsre Zeit in dem Spiel der Classification und Namengebung gefällt, destomehr scheint es mir Pflicht, dafs man zoolo- 134 Lıcntensteis: gische Arbeiten überall, wo es nur geschehen kann, an die Pallasschen an- knüpfe und diese überhaupt als solche betrachte, die ihre Fortsetzung und Vollendung von der gegenwärtigen Zeit erwarten und fordern, die, eben weil sie so viel reicher an Kenntnifs von einzelnen Formen und von besonderen Thatsachen ist, um so weniger des festen Grundes entbehren kann, der in früheren Meisterwerken gelegt ist. Indessen Pallas’s Abhandlungen vom Moschusthier, von der Kropf- Antilope, von den Pleifhasen und mehrere von ähnlich seltenen Thieren han- delnde, fürs Erste wohl nicht leicht eine neue Überarbeitung erfahren werden, scheinen andre eine solche allerdings jetzt schon zuzulassen, ja derselben wirklich zu bedürfen. Zu diesen rechne ich die unter der Überschrift Mus Jaculus et Mus Sagitta in dem Werk von den siberischen Nagern (1) gege- bene, und zwar besonders defshalb, weil, obgleich diese von Pallas hier gebrauchten Namen schon längst ihre Vollgültigkeit verloren haben, und seine Bestimmungen allgemein bestritten worden sind, dennoch bisher Nie- mand mit nur einigermafsen genügenden Beweisen gegen dieselben hat auf- treten können. Die Thiere nemlich, von denen es sich hier handelt, gehören zu den seltensten Schätzen in den Naturalien- Sammlungen, ihre Arten sind ungemein schwer zu unterscheiden, daher wohl bisher Niemand, selbst wenn er die eine oder die andre Art davon gesehen hatte, sich ein Urtheil über die ganze Gattung anmafsen durfte. Ein günstiges Zusammentreffen der Um- stände, das uns zugleich aus Ägypten und Nubien und aus Siberien und der Kirgisischen Steppe einen reichen Vorrath solcher Thiere zuführte, setzt mich in den Stand, vollständiger davon zu berichten und nach eigner Untersuchung und Vergleichung vieler Individuen von zehn unterschiedenen Arten, von welchen bis jetzt nur zwei bekannt waren, auch über die generischen Verhält- nisse mehr Licht zu verbreiten. Ich verstehe nemlich hier unter den Namen der Springmäuse nur die wirklich springenden, sehr langbeinigen, die Arten der Gattung Dipus im engen Sinne der Neueren, einer Gattung, über deren wesentliche Merkmale ich mich nachher näher erklären werde und von welcher ich hier nur vor- läufig bemerke, dafs ihre Arten den Steppenländern des nördlichen Africa und des westlichen Asiens angehören. Die eine nordamericanische Art ist (') Novae species Quadrupedum e glirium ordine Erlang. 1778. 4. p.275 sqq. über die Springmäuse. 135 sehr zweifelhaft und die südafricanische Form ist in sehr auffallenden Merk- malen von dieser Gattung verschieden. Sie sind also m Ländern zu Hause, die den Alten zugänglicher waren als uns, und wir finden sie daher häufig bei griechischen und römischen Schriftstellern erwähnt unter dem Namen der zweibeinigen Mäuse, uves dirodes, mures bipedes. Die Stellen beim Herodot, Aristoteles und Aeclian sind die wichtigsten, doch aber so kurz und all- gemein gefafst, dafs sich die Frage, welche Arten etwa diesen Schriftstellern bekannt gewesen, und was sie von ihren Lebensverhältnissen gehalten, dar- aus gar nicht beantworten läfst und nur ihre ganz allgemeine Kenntnifs des Gegenstandes daraus hervorgeht (!). Einen etwas höheren Werth als diese Angaben haben die bildlichen Darstellungen solcher Thiere auf Münzen und Tempelverzierungen (wie sie denn hauptsächlich auf den eyrenischen Mün- zen neben dem Silphium vorkommen), aber man darf wohl schwerlich diese Bilder für treu genug halten, um daraus Thatsachen für die Zoologie ablei- ten zu können, und auf jeden Fall haben diese Denkmäler viel gröfsere Wich- tigkeit für die Frage nach den Beziehungen, in welchen sich die Alten diese Thiere gedacht haben mögen. Das Wenige was sich mir aus der Vergleichung solcher Bilder ergeben hat, werde ich bei den einzelnen Arten bemerken. Die Stellen bei arabischen Schriftstellern, die diese Thiere unter dem Namen Aljarbuo (wovon der nachher in Gebrauch gekommene Namen Jer- boa) erwähnen und viel Interessantes von ihrer Lebensart berichten, hat Bochart gesammelt, und auch davon findet sich das Wichtigste bei Pallas (Not. f.). Die erste Spur einer Kenntnils von diesen Thieren in neuerer Zeit fin- det sich bei Aldrovand (?), der eine ganz erträgliche Abbildung einer fünfzehigen Art unter dem Namen Cuniculus seu Lepus indieus, Utas dietas liefert. Leider geschieht im Text dieser und einer andren ihr gegenüber ste- henden Abbildung keine weitere Erwähnung, als dafs (S.390.) gesagt wird, nach Oviedo’s Bericht gebe es in Westindien grofse Kaninchenartige Mäuse, die Utias genannt würden, indessen die eigentlichen Kaninchen Cories hiefsen. (') Pallas hat diese Stellen (a.a. ©.) angegeben und zum Theil in den Noten voll- ständig mitgetheilt, auch jede nach ihrem Werthe richtig gewürdigt. Nur einen Irrthum (S.277. Not.c.) will ich beiläufig berichtigen, dafs nemlich unter Echines nicht Stachel- schweine, sondern Stachelmäuse zu verstehen sind. (*) Ulyss. Aldrovandi de quadrupedibus digitatis Lab.11. p.395. 136 LIicuTEnsTteın Dies beweist, dafs der Name Utas gar nicht zu unserm Thier, sondern zu dem gegenüberstehenden westindischen Thier gehört, welches aber nichts anders ist, als ein /gut, das noch jetzt durch ganz Südamerica Cotia (!) heifst. Hier ist beim Druck höchst wahrscheinlich eine Verwechselung der Holzschnitte vorgegangen, wie wir sie in damaliger Zeit so häufig finden, und unserm Thier kommt nichts als die Überschrift Cunieulus indieus alter zu. Es ist übrigens eine asiatische Art, die der gröfseren Varietät des Jaculus des Pallas am nächsten kommt. Olearius, deBruyn, Lucas und andere vom Morgenlande be- richtende Reisende, die Pallas in seiner Abhandlung aufgezählt hat, haben dann dieser Thiere unter meist sehr unbestimmten und gleichgültigen An- gaben erwähnt; der einzige Shaw ist etwas ausführlicher, aber sichtlich un- genau, denn er giebt der Art, die er Jerboa (?) nennt, nicht weniger als 6 Zehen an den Hinterfüfsen und an den Vorderfüfsen nur 3, so dafs ich Pallas nicht beistimmen kann, wenn er glaubt, es sei hier nur eine Ver- wechselung von hinten und vorn, wie sich eine ähnliche im Text der einen Aristotelischen Stelle nachweisen läfst (°). Bald erscheinen auch mehr Abbildungen von Jerboa’s. Dergleichen liefert Haym im Thesaurus britannicus von einer asiatischen Art, die er zur Erklärung der eyrenischen Münzen anwendet; später Joh. Georg Gmelin in den Verhandlungen der Petersburger Akademie, und 'sein Neffe Samuel Georg Gmelin in der Beschreibung seiner Reise; ferner Edwards in sei- nem bekannten Kupferwerk, und Hasselquist in den Acten der Stokholmer (') Bei Bomare heifst das leuchtende Insect, bei dessen Glanz diese Thiere gejagt werden, Acudia,. Der Name Utias mag übrigens eine sehr weite Bedeutung haben. So wird z. B. auch das auf Cuba von Herrn Fournier neuerlich entdeckte Nagethier, das Herr Desmarest Capromys Fournieri genannt hat, dort mit dem Namen Utia belegt. (?) Die andre Art, Jird, ist wahrscheinlich ein Meriones. Denselben Namen Dscherd Dscherad führen auch Hemprich und Ehrenberg für die Meriones- Arten an. (°) Für die, welche die Pallassche Abhandlung hier vergleichen, will ich noch bei- läufig bemerken, dafs Pallas in seinem Vertrauen auf Shaw’s Genauigkeit viel zu weit geht, wenn er blofs, weil dieser die langen Hinterfüfse des Daman Israel mit denen des Jerboa vergleicht, ersteren fur einen Dipus anspricht, da er doch vorher die Erklärung des biblischen Saplan durch den Hyraz (Cavia capensis) so richtig gefunden und Shaw selbst den Daman und Saphan für einerlei erklärt, was sie auch wirklich sind, nemlich nichts anders, als die von dem capischen Älipdas wirklich verschiedene Art: Hyrax syriacus. von den Springmäusen. 137 Akademie (?). Obgleich fast jeder dieser Schriftsteller eine andre Art vor sich gehabt und abgebildet zu haben scheint, so werden sie doch dieser Verschiedenheit nicht inne und glauben Alle von demselben Thier zu reden, das denn auch noch von Linne& als eine einzige und wahre Species unter dem Namen Mus Jaculus in das Natursystem eingeführt wird. Die bedeu- tenden Abweichungen in der Gestalt und in den Verhältnissen der einzelnen Körpertheile blieben also unbeachtet, weil keiner von allen diesen Beob- achtern Gelegenheit hatte, den Gegenstand seiner Untersuchung mit den andern Arten in der Natur zu vergleichen. Die Abbildungen mochten wohl nur zu geringe Verschiedenheiten zeigen, die sich auf Nachlässigkeiten des Malers schieben liefsen. Erst Buffon ward eines wesentlichen Unterschie- des inne, den die Abbildungen der Einen von denen der Andern hatten, nemlich dafs die langen Hinterfüfse bald 3, bald 5 Zehen zeigten, und wie- wohl er nie auch nur ein Fragment eines solchen Thiers zu sehn bekommen, trennte er (?) die dreizehige Art unter dem Namen Gerbo von der fünf- zehigen, welcher er den von Messerschmid zuerst angegebnen mongo- lischen Namen Alak-daagha (buntes Füllen) beilegte. Er fehlte aber wieder darin, dafs er den beutelthierartigen ostindischen Tarsier und Shaw’s dun- keln Daman (den syrischen Hyrax) zu Gattungs-Verwandten der Jerboa’s machte und die Zahl der Arten also auf vier festsetzte. Die von Buffon gegebne Unterscheidung der beiden Hauptarten wurde aber erst bedeutend, als Pallas im Anhang zu seiner Reisebeschrei- bung (I, p. 706.) die Merkmale beider genau und vollständig nach eigner Beobachtung bekannt machte, und erhielt erst vollen Werth durch die er- schöpfende Untersuchung dieses Gegenstandes in der oben erwähnten Ab- handlung, die ich als die einzige genügende Vorarbeit zu rühmen habe. In dieser Abhandlung wird nach einer sich mehr auf das Litterarische beziehen- den Einleitung ein vollständiger Bericht vom Aufenthalt, der Nahrung und Lebensart dieser Thiere gegeben, sodann folgt die genaue, mit Abbildungen begleitete Beschreibung und den Beschlufs macht die Angabe des anatomi- schen Befundes. In der Beschreibung der fünfzehigen Art, welcher Pallas den Linneschen Namen Jaculus läfst, ergeben sich drei Varietäten: eine (‘) Die Stellen werden im Verfolg genau angegeben. (?) Histoire naturelle XIII. p.141. Phys. Klasse 1825. S 138 LıcuteEensteiın sehr grofse, eine mittlere und eine kleine. Dies sind aber unleugbar eben soviel verschiedene Arten, wie Pallas selbst auch wohl anzunehmen geneigt war. Denn indem er S.285. anführt, die von der mittleren Gröfse wären, als die am weitesten verbreiteten und zahlreichsten wohl als die eigentliche Grundform zu betrachten, fügt er hinzu: Fateor tamen, hos (medioceris statu- rae Jaculos) ut e particulari descriptione perspici poterit, proportione aurium artuumque, forma capilis, crassilie et rotunditate caudae, qwbus omnibus po- tus Murem Sagittam referunt, ita differre a grandibus et pygmaeis deserti tatariei Jaculis, ut eos fere pro distincta vel hybrida specie declaras- sem, quum lantae et lam constantes difjerentiae vix a climate alüsve acciden- talibus causis produci posse videantur. Sed debuisset tunc etiam pygmaea a gigantea wvarietate, licet forma simillima, ob nimiam molis differentiam segregart. Der dreizehigen Art giebt Pallas den Namen Mus Sagitta und schreibt ihr eine weite Verbreitung durch das südliche Asien und das ganze nördliche Africa zu, ohne weitere. Verschiedenheit der Arten zu ahnen oder auch nur Varietäten zuzulassen. Seine Namen -Bestimmung geht in die da- mals zahlreich erscheinenden systematischen Handbücher über, doch erhe- ben Pennant, Zimmermann, Gatterer, Erxleben und Storr die Jerboa’s bald unter diesem, bald unter jenem Namen zu einer eigenen Gat- tung, bis Schreber den Namen Dipus dafür anwendet, der denn bald all- gemeine Annahme findet. Jedoch wird nun Alles mit dieser Gattung ver- einigt, was sich durch Länge der Hinterfüfse nur irgend auszeichnet, also nicht allein der capische Springhase, die Kenguruhs und andere springende neuholländische Thiere, sondern auch die von Pallas zuerst unter dem Namen Mus longipes und Mus tamaricinus genauer beschriebenen Mittel- formen zwischen Jerboa’s und Ratten, die nicht mehr auf den Hinterbeinen allein sich fortbewegen und die Pallas (S.276.) eben als Ursache angiebt, warum er aus den Jerboa’s nicht eine eigene Gattung machen könne, da sie durch jene zu genau mit den Mäusen verwandt wären. Inzwischen erhält auch die Kenntnifs der Arten einige Bereicherung. Bruce macht nemlich eine Art aus der libyschen Wüste bekannt, dieMeyer unter dem Namen D. abyssinicus in seiner Übersicht der neuesten zoologi- schen Entdeckungen aufführt, Pennant liefert eine neue Abbildung, die sichtlich keine Copie ist, es wird aber nicht gesagt, wo sich das Original be- über die Springmäuse. 139 finde. Es ist damals nicht selten geschehn, dafs lebende Thiere dieser Gattung nach England, Holland und Frankreich gebracht wurden; die Abbildungen welche Haym, Edwards und Allamand geliefert haben, sind nach sol- chen Exemplaren gemacht, wahrscheinlich auch die Pennantsche. Seit jener Zeit ist aber meines Wissens kein lebendes Exemplar eines wahren Dipus nach Europa gekommen (') und alle die in neueren Werken gegebenen Ab- bildungen, sind sämtlich Copien der älteren und zwar meist der von Pallas gelieferten. Man hat sich dagegen, in Ermangelung der Materialien zu einer speciellen Behandlung, seitdem eifriger damit beschäftigt, die Grenzen der Gattung Drpus genauer zu bestimmen und sie zu diesem Behuf in mehrere Gattungen zu zerlegen. Um solche schulgerechte Sonderung hat besonders Illiger grofses Verdienst. Nachdem Lacepede und Geoffroy die Ken- guruhs als Beutelthiere aus der Gattung Dipus entfernt, erkannte er zuerst den capischen Springhasen als ein Thier eigner Gattung ( Pedetes) und son- derte dann die oben erwähnten Halb-Jerboa’s (D. meridianus ete.) als nicht springende, unter dem Gattungs-Namen Meriones ebenfalls davon ab. Zu- gleich erkannte er die von Pallas angegebenen drei Varietäten für ebenso- viele Arten und belegte sie, sowie einige andre ihm verschieden vorkom- mende Arten mit Namen, unter welchen sie in seiner hier vorgelesenen Ab- handlung über die Verbreitung der Säugethiere aufgefürt sind. Er nimmt nemlich sieben Arten der Gattung an: 1. D. Jaculus ..... .... M. Jaculus Var. major Pall. 2. D. halticeus........ „M. — — Jar. media Pall. 3. D. pygmaeus ....... M. ____ Var. minor Pall. RI DER Ye 7 7 ARRAERNE M. Sagitta Pall. Desire 4Jegyptian Jerboa Penn. 6b. D. Locusta cceene .Gerbo Allam. T. D. abyssinieus...... Jerboa Bruce. Eine ähnliche Behandlung erfahren die vorliegenden Materialien von den französischen Systematikern, denen man jedoch wohl den Vorwurf (‘) Das neuholländische Thier, welches Blainville 1814 in London sah und Dipus maximus nannte, gehört schwerlich dieser Gattung an, und die sehr mangelhafte Beschrei- bung läfst überhaupt gar keine nähere Deutung zu. 52 140 LıcHutTensteın machen darf, dafs sie von den Illigerschen Arbeiten, die sie sonst wohl be- nutzen oder tadeln, für diese Gattung gar wenig Notiz genommen. Herr Fr. Cuvier trennt 1813 den capischen Springhasen unter dem Gattungs- namen Helamis statt Pedetes, und dem Namen Mertones substituirt Des- marest 1815 den von Olivier früher für eine der bekannteren Arten als specifisch gebrauchten Namen Gerbillus. Georg Cuvier (der übrigens die letzte Gattung für entbehrlich hält), erwähnt denn doch wenigstens der Dligerschen Namen in seinem Regne animal, doch später im Dictionnaire des sciences naturelles bei den Artikeln Gerboise und Gerbille werden sie wieder mit Stillschweigen übergangen. In diesem, sowie in dem neuesten grofsen Werk über die Säugethiere (Mammalogie) von Desmarest, wo unserm Illiger schon wieder mehr Ehre widerfährt, finden sich nun der Dipus- Arten fünf aufgeführt, nemlich folgende: 1. D. maximus Blainville, aus Neuholland, nach einem verstümmelten Exemplar sehr flüchtig beschrieben, wahrscheinlich kein Dipus. 2. D. Gerboa ..........M. Sagita Pall. 3. D. Jaculus .........M. Jaculus Var. major Pall. 4. D. brachyurus ..... M. __—_ Var. media Pall. D.. DD). Mint seen — — Par: mmor Pall. Nach allem diesem ist es wohl einleuchtend, dafs die Kenntnifs von diesen Thieren selbst, seit Pallas’s Entdeckungen, also seit vollen funfzig Jahren fast um nichts zugenommen habe, indem man von keiner einzigen der ihm bekannten Arten mehr erfahren, als er gewufst, und aufser diesen auch nicht eine mit Sicherheit unterschiedne neue Art kennen gelernt hat. Zu verwundern ist allerdings, dafs der Feldzug der Franzosen in Ägypten nicht auch für diese Gattung einige Aufklärung ergeben hat, doch erklärt sich das Räthsel wohl ziemlich leicht daraus, dafs das eigentliche Nilthal, in welchem die französischen Naturforscher damals fast ausschliefslich sammel- ten und beobachteten, äufserst arm an Jerboa’s ist, die mehr auf den höhe- ren Ebenen und in den Wüsten ihren Standort haben. Ausnehmend glücklich für die hiesigen Königl. Sammlungen und die durch dieselben zu gewinnende Belehrung hat es sich gefügt, dafs gerade zur selbigen Zeit, als die Doctoren Hemprich und Ehrenberg Ägypten, über die Springmause. 141 Nubien, Arabien und Syrien bereisten, Dr. Eversmann in Siberien und in der kirgisischen Steppe für uns thätig gewesen ist, ohne welches Zusammen- 8 58 > treffen die höchst interessante Vergleichung der Thiere, welche in beiden 8 ö > Continenten die unwirthbaren Hochebenen bewohnen, nicht möglich ge- D 8 ö wesen sein würde. Diese aber führt zu dem überraschenden Resultat, dafs die Faunen von Agypten, Arabien, Syrien und den nördlicheren asiatischen Steppen nicht nur nicht, wie man sonst glaubte, gleich, sondern in der That jede von der andern ungemein verschieden seien, so dafs mit Ausnahme einiger weniger sehr weit verbreiteter Arten, jedes dieser Länder seine ihm ganz eigenthümlichen Thiere aufzuweisen hat. Zwar sind es dieselben Gat- tungen, die sich in allen diesen flachen und offenen Ländern wiederholen und die Verschiedenheit der Arten stellt sich einer oberflächlichen Betrach- tung nicht dar, dennoch zeigt sich diese in so deutlichen und constanten Merkmalen, dafs sie selten bezweifelt, nie geradezu geleugnet werden kann. > > ö SeUs Die vorliegende Gattung (statt welcher man aber auch irgend eine 8 andre von, ihrer Natur nach, stationären Säugethieren wählen könnte), mag dies beweisen. Wir erhielten aus ihr im Ganzen zehn Arten, nemlich ’ folgende: 1) D. aegyptius N. Aus den Wüsten längs der Nordküste Africa’s, zwischen den Nilmündungen und Cyrene. 2) D. tetradactylus N. Aus dem Innern der libyschen Wüste. 3) D. hirupes N. Aus der Wüste westlich von Sakhara, desgleichen aus der Wüste bei Dongola und aus Syrien. 4) D. Spieulum N. Aus der Gegend des Altai, am Ob. 5) D. pygmaeus Ill. M. Jaculus Yar. minor Pall. Aus der kir- gisischen Steppe. 6) D. lagopus N. Ebendaher. 7) D. Elater N. Von den Küsten des Aral- Sees. 8) D. platyurus N. Ebendaher, am Kuwan - Darja. 9) D. Telum N. Aus der Gegend des Aral - Sees. 10) D. decumanus N. Vom Ural bei Slatoust. Wir besitzen also sieben Arten aus Asien, drei aus Africa. Von den er- sten sind vier, welche in den gemäfsigteren Gegenden gefunden wurden, fünf- zehig, die aus Syrien und der Gegend von Buchara aber dreizehig. Unter den 142 LiıcHTensTein . africanischen ist dagegen keine fünfzehige, und nur die eine aus der libyschen Wüste sehr sonderbarer Weise vierzehig. Unter allen diesen ist nur eine, die sich auf eine der Pallasschen Arten zurückführen läfst, nemlich die kleinste seiner fünfzehigen, Illigers D. pygmaeus, die auch mit den aus Pallas’s eige- nem Nachlafs durch Willdeno w unserm Museum zugekommenen Exemplaren vollkommen übereinstimmt. Die übrigen weichen alle von den Pallasschen Be- schreibungen zu bedeutend ab, als dafs ein irgend gewissenhafter Zoolog sie damit vereinigen könnte. Überdies hat Pallas aufser diesen Beschreibungen auch noch Ausmessungen aller einzelnen festen Theile, wie sie sowohl an dem lebenden Thier als am Skelett angestellt wurden, mit hinzugefügt und in diesen besonders zeigt sich viel Abweichendes. Doch darf man leider den in den Pallasschen Abhandlungen angegebenen Maafsen nicht unbedingt trauen; mancher innere Widerspruch, auf den man stofst, läfst auf Schreib- fehler und Nachlässigkeit der Zahlen - Correctur schliefsen. Bei der offen- baren Manchfaltigkeit, die aber in dieser Gattung Statt findet und nach welcher allein die libysche Wüste drei ganz verschiedne Arten, die kirgisische Steppe deren nicht weniger als fünf aufzuweisen hat, kann es gar nicht be- fremden, die von Pallas in wieder ganz andern Gegenden beobachteten Arten unter diesen nicht anzutreffen. Bevor ich nun die einzelnen mir bekannt gewordenen Arten aufzähle, beschreibe und mit den bisher bekannt gewordenen Darstellungen in nähere Vergleichung bringe, scheint es mir nöthig, über die Bildung dieser Thiere im Allgemeinen in Beziehung auf ihre Lebens-Verhältnisse und auf das schon mehrfach berührte Erfordernifs einer genauern Charakteristik der Gattung noch Einiges voranzuschicken. Indem ich nemlich hier zunächst nur von den eigentlichen Spring- mäusen, den Arten der Gattung Dipus im engsten Sinn, reden und die ver- wandten Gattungen fürerst ausschliefsen will, zeigt es sich, dafs diese Tren- nung bis jetzt nur auf eine sehr unbestimmte Weise ausgedrückt und also noch nicht vollständig gerechtfertigt worden ist. Hauptsächlich ist die Länge der Hinterschenkel und des an der Spitze zweizeilig behaarten Schwanzes als Merkmal von Dipus angegeben, dazu sehr passend von Desmarest der verlängerte einfache Mittelfufsknochen, an dessen Ende die mehreren Zehen sich einlenken, als wesentlich unterscheidend für diese Gattung im Gegensatz gegen die andern Mäuse (auch Meriones), die so viel Mittelfufs- über die Springmäuse. 143 knochen haben als Zehen, bezeichnet worden. Allein von allen diesen Merkmalen giebt es schr allmählige Abstufungen von Dipus zu Meriones und das letzte derselben dürfte, da es eine anatomische Untersuchung fordert, in vielen Fällen keine Auskunft gewähren. Es ist also wohl ganz erwünscht, dafs die sorgfältigere Vergleichung ein bestimmtes äufseres Merkmal zur leich- ten Unterscheidung beider Gattungen ergeben hat. Dies besteht darin, dafs die ächten Dipus- Arten nie mit mehr als 3 Zehen ihrer Hinterfüfse den Bo- den berühren, indessen alle Meriones mit 5 Zehen auftreten und immer den vierbeinigen Gang haben, selbst wenn ihre Hinterfüfse ansehnlich lang sind. So wenig nemlich als die Flügel allein dem Vogel das Vermögen ge- ben würden zu fliegen, wenn nicht alle übrigen Theile seines Leibes dieser Bewegungsart gemäfs gestaltet wären, eben so wenig reicht die Länge der Hinterschenkel allein zur Sprungbewegung hin und es war voraus zu schn, dafs ein Säugethier, das in aufrechter Stellung eine so wunderbare Schnell- kraft seines Sprunges zeigt, wie Bruce und andre Augenzeugen von dem Jerboa rühmen, dem Anatomen manche höchst wichtige Eigenthümlichkeit in der Bildung seiner festen Theile werde zu erkennen geben müssen. In der That fanden sowohl Rudolphi, als Otto, welchen Beiden in Weingeist über- sandte Exemplare von D. aegyptius, D.tetradactylus und D. hirtipes zur Unter- suchung übergeben werden konnten, diese Vermuthung vollkommen bestätigt. Hier nur Einiges von den vielfachen Merkwürdigkeiten, die sie mir mitgetheilt haben. Fast alle Knochen der hintern Hälfte des Leibes sind an den ausge- wachsenen Exemplaren hohl, ohne alle Diplo@, dabei spröde und hart, wie Vögelknochen, daher die von so vielen Beobachtern gerühmte zarte Durch- sichtigkeit der Tarsen; die Halswirbel sind bei einigen Arten sämtlich, bei andern gröfstentheils untereinander fest verwachsen, in ansehnlicher Krüm- mung nach vorn (Zordosis), wodurch der Hals, an und für sich schon kurz, sich noch mehr verkürzt, und wodurch der Kopf ohne besondre Anstrengung fixirt wird. Am Schädel fällt die ausnehmend grofse zum Schlafbein gehö- rige Bulla des Ohrs zunächst auf, die hier mit dem Schädel nicht durch Näthe, sondern durch eine Symphysis vereint, also etwas beweglich ist. Diese und mehrere andre nicht minder wichtige Eigenthümlichkeiten, von welchen Otto in einer besondern Abhandlung Rechenschaft zu geben denkt, stehn alle in näherer oder fernerer Beziehung zu der sonderbaren Fortbewe- gungsart, die keinesweges mit dem schwerfälligen Hüpfen der Kenguruhs 444 LıicuTEenstein übereinstimmt, sondern die von allen Beobachtern älterer und neuerer Zeit mit dem Springen der Heuschrecken verglichen wird. Jeder Sprung beträgt nemlich mehrere Körperlängen und kann bei einiger Anstrengung so ver- gröfsert werden, dafs man, nach den ungefähren Angaben, sein höchstes Maafs auf etwa zwanzig Körperlängen festsetzen darf. Dabei ist die Gewand- heit so grofs, dafs ein wohldressirter Windhund, den Bruce in einem mäfsig geräumigen Hofraum auf ein Jerboa losliefs, immer eine Viertelstunde zu thun hatte, ehe er des armen Thierchens mächtig wurde; daher auch die Araber, um ihre Hunde zur Antilopenjagd geschickt zu machen und sie auf schnelle Wendungen zu dressiren, ihnen häufig diese Thiere zu jagen geben. Wir finden bei allen warmblütigen Thieren die Schnelligkeit der Fort- bewegung im umgekehrten Verhältnifs zur Complication der Bewegungs- Werkzeuge. Die Hufthiere, besonders das Pferd, unter den Vögeln der Straufs und die andern Laufvögel mit den mancherlei Abstufungen in der Ausbildung der Hinterzehe, liefern dafür auffallende Beweise. Auch die Springmäuse zeugen dafür, denn ihre Fufsbildung gehört zu der einfachsten die wir kennen. Die 3 Zehen, die sich durch tiefe Gelenke mit dem ein- fachen Mittelfufsknochen verbinden, haben in der Regel nur zwei Phalangen und sind ungemein kurz. Sie haben keine Seitenbewegung und können sich nur gleichzeitig bewegen. Die mittelste ist meistens um ein Geringes länger als die seitlichen. Beim Lauf berührt nur die äufserste Spitze des Nagel- gliedes den Boden und hier liegen mindestens eine, oft drei- und vierfache Pelotten von elastischer Knorpelmasse übereinander. Die Kralle selbst, grade und pfriemenförmig, ist im rechten Winkel auf das Nagelglied ein- gefügt und kann so beim Springen auf keine Weise hinderlich werden. Die ganze Unterseite der Zehen ist mit steifem Borstenhaar dicht besetzt, das gewöhnlich nach hinten an Länge zunimmt, den Fufs vor jedem Gleiten beim Aufspringen sichert und vermöge seiner Elastieität zum Ab- schnellen gewifs viel beiträgt. Einige Arten, die deshalb vier- oder fünf- zehig genannt werden, haben am Tarsus noch 1 oder 2 Afterzehen, die an eigenen dünnen Mittelfufsknöchelchen sitzen und mit zwei Phalangen und einer Kralle frei an den Tarsus angedrückt sind, aber mit der Spitze nie weiter als bis an die Wurzel der eigentlichen Zehen reichen, also nie den Boden berühren. Wo nur eine Afterzehe ist, da sitzt sie aulsen am Tarsus. Es ist also auch hier der Daumen, der fehlt. Die ungemein starken Beuge- über dıe Springmäuse. 145 muskeln finden an den harten und knorrigen Ober- und Unterschenkel- beinen, so wie an dem verhältnifsmäfsig grofsen Becken vielfache Ansatz- punkte, daher der Umfang des Leibes am gröfsten um die Hüften, und zwar um so mehr, als sich auch hier starke Muskeln zur Bewegung des Schwanzes befinden. Die ersten Schwanzwirbel haben ansehnlich breite und lange Querfortsätze, und soweit diese reichen, ist der Schwanz so umwachsen, dafs es schwer ist, seinen Anfang genau zu bezeichnen. Hierauf beruht eins der auffallendsten Merkmale im Habitus der Springmäuse. Der Schwanz ist meist um etwas, zuweilen um vieles länger, sehr selten um etwas kürzer als der Leib, und gegen das Ende an beiden Seiten mit längerem Haar von bunter Färbung zweizeilig bewachsen, was ihm grofse Wirkung bei der Rich- tung des Sprunges, die noch in der Luft geändert werden kann, aber auch zugleich die Ähnlichkeit mit dem befiederten Ende eines Pfeiles giebt, die sich in den Namen dieser Thiere so häufig angedeutet findet. Die Vorderfüfse sind ungemein kurz, in der Regel werden sie um das sechsfache von der Länge der Hinterfüfse übertroffen, sie scheinen aber an dem lebenden Thier noch kürzer, weil es beim Sprung die Vorderfüfse dicht an den Leib zieht und unter dem Haar fast versteckt. Es sitzen an ihnen allemal vier Zehen mit Krallen und eine Daumwarze, die bald mit, bald ohne Kralle gefunden wird, daher die grofse Verschiedenheit in der Angabe der Vorderzehen, deren der eine 4, der andre 5 gezählt haben will. Die Krallen sind nur von mäfsiger Länge, aber gekrümmt und scharf, zum Ge- schäft des Grabens geeignet. Eine ausgezeichnete Kopfform erleichtert vollends das Auffassen des generischen Habitus. Der Kopf ist nemlich breit, mit flacher Stirn und kurzer, stumpf abgeschnittener Schnauze. Alle Sinneswerkzeuge verrathen eine hohe Entwickelung, das Auge ist grofs und lebhaft, die Ohren sind nie kurz, bei einigen Arten länger als der Kopf, ungemein dünn behaart, am lebenden Thier durchscheinend, die Nasenlöcher weit und in ansehnlichem Umfang nackt, die Bartborsten zahlreich und von ausnehmender Länge; die mittelsten, welche allemal weils sind, haben nicht selten die Länge des ganzen Leibes. Die Bedeckung des Körpers besteht aus einem ungemein weichen und seidenartigen, aber kurzen Haar, in dessen Färbung alle Arten auf eine auf- fallende Weise übereinstimmen. Auf der Rückenseite ist nemlich alles Haar Phys. Klasse 1825. T 146 LicHTEnsTEın am Grunde blau-grau, wird dann isabellfarbig und hat schwarze oder dunkelbraune Spitzen. Die Unterseite, so wie die innere Seite der Extre- mitäten ist blendend weifs. Die einzige Verschiedenheit, die sich findet, beruht in der Ausdehnung des Schwarz an den Haarspitzen. Ist dessen viel, so erscheint der ganze Balg dunkler, und auf dem Rücken bilden sich von den zusammengedrängten Haarspitzen wellenförmige Queerbinden. Ist des Schwarzen wenig oder gar nichts, so tritt die reine Isabellfarbe hervor, wie besonders an den kleineren Arten der Fall ist, die die arabischen Schrift- steller daher auch sehr passend den Gazellen (nemlich der Dorcas) gleich- gefärbt nennen. Die dunklere Seitenfarbe des Leibes wird bei allen Arten von einem hellen Streifen unterbrochen, der sich im Bogen von der Schwanz- wurzel gegen den Bauch an der Aufsenseite der Schenkel hinaufzieht. Bei einigen Arten ist dieser Streif rein weifs, und wenn die Rückenhaare dunkle Spitzen haben, noch von ihnen nach oben mit einem eieganten schwarzen Rand begleitet, der auf manchen Abbildungen, z. B. der von Edwards, übermäfsig und unnatürlich stark und breit vorgestellt wird. Die jüngeren Individuen haben diesen Streif immer schwächer, bei manchen Arten aber bildet er sich nie deutlich aus. Der Schwanz hat oben die hellere Rücken- farbe, ist unten weifslich und endigt sich in eine rein weifse Spitze, vor welcher aber gewöhlich noch ein breiteres oder schmaleres dunkelschwarzes Band die ohnehin schon angenehme Form der Schwanzspitze noch zier- licher macht. Bei dieser grofsen Übereinstimmung in der Färbung lassen sich be- greiflicher Weise die Merkmale zur Unterscheidung der Arten von ihr nicht hernehmen, wie bisher so häufig geschehn ist. Das innerhalb der Gattung Variable, den Arten aber constant Beibleibende, liegt dagegen allein in den Körper - Verhältnissen, wie ich mich vollkommen überzeugt habe, da es mir möglich gewesen ist, von den mehrsten Arten drei bis vier, von einigen sogar acht bis zehn Exemplare untereinander zu vergleichen. Es ist die Länge und Gröfse der Ohren, die Länge der Tibien und Tarsen (deren Ver- hältnifs wegen ihrer frühen Ausbildung und Erhartung als sehr constant an- genommen werden darf), die Länge und Bildung der Zehen und endlich die Länge des Schwanzes, auf die es hauptsächlich ankommt. Die Kralle an der Daumenwarze, die Behaarung an der Unterseite der Zehen, die Deutlich- o° keit des Seitenstreifs und die Färbung der Schwanzspitze, können als Neben- über die Springmäuse. 147 kennzeichen zu Hülfe genommen werden. Die Zahl der Afterzehen giebt die Unterabtheilungen der Gattung, und wo sie vorhanden sind, können von ihrer Länge und von der Höhe ihrer Insertion sehr bestimmte specifische Merkmale hergenommen werden. So lassen sich, trotz der grofsen Ähnlich- keit aller Arten untereinander, doch sehr scharfe und bestimmte Diagnosen der Species geben, wie ich weiter unten zeigen werde. Die Springmäuse leben in ziemlich künstlichen Bauen unter der Erde, die Pallas und Bruce genau beschrieben haben und die manche Ähnlich- keit mit den Hamsterbauen zu haben scheinen, z. B. die doppelte Öffnung (Auslauf und Fall-Loch), die geräumigere Binnenkammer n. s.w. Unsre Rei- sende stimmen in ihren Berichten darin mit Pallas überein, dafs die Jer- boas in der libyschen Wüste sich in den Ebenen von festerem Boden, doch auch zuweilen im gemischten Sande, nie aber im Flugsande oder felsigen Terrain aufhalten. In Gegenden, wo sie Überschwemmungen ausgesetzt wären, finden sie sich nicht, und selbst in den Hochebenen wählen sie kleine Anhöhen am liebsten zu ihrem Aufenthalt. Die Hauptöffnung des Baues (der Auslauf) geht in schräger Richtung hinein, vor demselben liegt die von der Schnellkraft der Hinterfüfse weit hinausgeschleuderte Erde. Ist das Thier im Bau, so zeigt sich die Röhre verstopft; ein Bau mit offener Röhre ist leer. Dem Auslauf gegenüber liegt, nach Pallas, noch eine andre Röhre, die nicht ganz bis an die Oberfläche durchgeht, sondern noch mit einer dünnen Rinde verschlossen ist, die das Thier, von Feinden in seinem Baue bedrängt, leicht durchbricht, um sein Heil in der Flucht zu suchen, daher die arabischen Schriftsteller der Wohnung des Jerboa vier Öffnungen zuschreiben nach der Richtung der vier Winde, eine jede unter besonderem Namen, deren einer eine mit Erde bedeckte Öffnung bezeichnet, worüber Bochart das Weitere zusammenstellt. Eine Bestätigung dieser Angabe geht auch aus den Berichten unsrer Reisenden hervor, denn nicht selten glückte es den sie begleitenden Beduinen, die Springmäuse in ihren Bauen durch lange, gerade Gerten so zu beängstigen, dafs sie plötzlich ganz unerwartet an einem entfernten Ende zum Vorschein kamen. Dasselbe erfolgte beim Einblasen von Rauch. Es sind übrigens nächtliche Thiere, die sich bei Tage nicht freiwillig aus ihren Höhlen entfernen. Dr. Eversmann sah in der kirgisischen Steppe das Lager nicht selten von vielen dieser Thiere umringt, und beschreibt den T2 148 LıcHtensrteiın Anblick ihrer Sprünge im Mondschein als ungemein belustigend für die ganze Reisegesellschaft. Pallas spricht sehr bestimmt von ihrem Winterschlaf (S.292.) und dafs sie keinen Vorrath sammeln, in der Gegend von Astrachan aber schon Mitte Februars wieder zum Vorschein kommen. Bei Thieren, die so sehr eine gleichmäfsige Temperatur verlangen, dafs sie eben so wenig die Sonnen- hitze, als die durch Verdunstung entstehende Wärme - Abnahme an regnigen Tagen ertragen, und an solchen mitten im Sommer mit eingerolltem Leibe in Schlaf fallen, klingt diese Meinung sehr wahrscheinlich; doch scheint mir der vermeintliche Winterschlaf nicht mit dem asphyctischen Zustand der Murmelthiere und Billiche verglichen werden zu können. Pallas wundert gung gung gesehn zu haben; Eversmann sah die gröfste Menge dieser Thiere und in sich selbst, sie zuweilen in sehr kalten Nächten in so lebhafter Bewe besondrer Lebhaftigkeit in der Nacht vom 11“ zum 12‘ November in einer kalten Gegend, am Aral-See, als dort schon alle Flüsse längst zugefroren waren. Hemprich und Ehrenberg haben uns die mehrsten Springmäuse von ihrem ersten unglücklichen Streifzug in die libysche Wüste gesandt, den sie im November und December 1820 angestellt hatten, und sie erwähnen dieser Thiere nie anders als unter Bezeugung ihrer grofsen Lebhaftigkeit. Es ist also unleugbar mehr Trockenheit als Wärme, welcher sie bedürfen, kein eigentlicher Winterschlaf, sondern Torpidität durch Feuchtigkeit der Atmosphäre, der sie zuweilen im Winter, aber gewils nicht in allen Gegen- den unterliegen. Alle die Gegenden, die sie bewohnen, vom 20°“ bis 53" Grad N. Br. sind in ihren Temperatur -Verhältnissen eben so verschieden als übereinstimmend in der fast beständigen Trockenheit ihrer Luft. Die Nahrung der Springmäuse besteht, nach Pallas, in dem Kraut der salzigen Steppengewächse und in Liliaceen. Letzteres bestätigen beson- ders unsre Reisenden. Eversmann fand die Zwiebeln von Tulpen in ihrem Magen und Ehrenberg die Stengel von Liliengewächsen in Menge vor ih- ren Höhlen zerstreut. Alle diese Nachrichten wurden uns bisjetzt nur bei- läufig gegeben; genauere Angaben behielten sich die Reisenden zu eigener Mittheilung vor. u narnnnn über die Springmäuse. 149 Systematische Übersicht der Gattung DIPU.S. SR gehört der Ordnung der Nager an und kann mit den beiden Gattungen Pedetes (Helamys) und Meriones zu einer eignen Familie vereinigt wer- den, der man mit Illiger den Namen der langbeinigen Nager (Macropoda) geben mag. Jedenfalls ist die Verwandtschaft dieser Familie zu der der wah- ren Mäuse (Murina)) sehr nahe, so dafs beide an den Grenzen der Gattungen Mus und Meriones fast ineinander verfliefsen. Die Gattungs-Kennzeichen bestehen in Folgendem: Der Backenzähne sind an jeder Seite oben und unten 3 (zusam- men 12), seltner im Öberkiefer jederseits 4 (zusammen 14). Dieselben sind nur äufserlich mit Schmelz überzogen und haben fein-höckrige Kronen, deren Vertiefungen aus der Seiten-Ansicht am mehrsten zum Vorschein kom- men. Die Vorderzähne sind lang und schmal, mit gewölbter Vorderfläche und bogiger Schneide. Der Kopf ist von mäfsiger Gröfse, mit flacher Stirn, weit ausein- ander stehenden grofsen lebhaften Augen, stumpfer nackter Schnauze, sehr langen Bartborsten und länglich zugerundeten, sehr dünnbehaarten, fast durchscheinenden Ohren. Die Vorderfüfse erscheinen im Verhältnifs zur Leibesgröfse ebenso auffallend klein, als die Hinterfüfse in allen ihren Gliedern unverhälsnifs- mäfsig grofs sind. Eine besondre Dicke des Hinterleibes und die Stärke der Keulen vermehren das Misverhältnifs zwischen dem Hinten und Vorn. An dem stark heraustretenden Bürzel fügt sich ein ungemein lan- ger, Anfangs dünnbehaarter, gegen die Spitze mit längerem, zweizeilig ge- stelltem Haar bewachsener Schwanz. Der Zehen sind vorn fünf, deren innere sehr kurz, aber meistens mit einem Nagel versehn ist, der Hinterzehen, die den Boden berüh- ren, sind immer nur drei, an einem einfachen hohlen Mittelfufsknochen befestigt; ihre Unterseite ist mit starken Borsten, die des Nagelgliedes mit 150 LicHTensteın mehreren Schwielen - Lagen bewachsen (vergl. oben S. 144. und Abbildung Tab. VII.: die Schwielen nach Hinwegnahme der Borsten);, aufser ihnen fin- den sich bei gewissen Arten eine, häufiger zwei kleine, den Boden nicht be- rührende Afterzehen, jede an einem eignen Mittelfufsknöchelchen befestigt. Das Haar ist fein, weich, dicht, glatt anliegend, mit seidigem Glanz. Die Farbe der Rückenseite, ist bei allen Arten aus Rostgelb und Grau zusammengesetzt, in denselben vielfachen Mischungen und feinen Über- gängen, wie bei der Gattung der Hasen, vom reinen Isabell bis zum dunkeln Mäusefahl, auch wechselnd an Intensität nach Alter und Jahrszeit. Die Bauchseite ist immer rein weifs und diese Farbe herrscht auch an der Vorderseite der Tarsen und an der Aufsenseite der Keulen, wo sich meist ein von der Farbe des Rückenhaars scharf und geradlinig begrenzter weifser Streifen nach der Schwanzwurzel hinzieht. Weifs ist auch die Spitze des Schwanzes, gleich hinter derselben aber das Haar dunkel, gewöhnlich schwarz, in gröfserer oder geringerer räumlicher Ausdehnung. Wo die schwarze Farbe sehr tief und der Haarwuchs entschieden zweizeilig ist, bil- det sich deutliche Pfeilzeichnung. : Diese Übereinstimmung aller Arten in Gestalt und Färbung macht natürlich die Unterscheidung derselben und die Bestimmung ihrer wesent- lichen Kennzeichen sehr schwierig. Doch begegnet das aufmerksamer ver- gleichende Auge noch festen Merkmalen genug, um durch sie die Verschie- denheit der Arten auch wörtlich ausdrücken zu können. Diese beruhn haupt- sächlich auf folgenden Puncten: 1) der oben berührten Verschiedenheit der Zahl und Bildung der Hinterzehen; 2) der Körpergröfse im ausgewachsenen Zustand; 3) der Länge der Ohren; 4) der Zeichnung der Schwanzspitze; 5) einzelnen merkwürdigen Abweichungen von der generischen Färbung; 6) den constanten Längen-Verhältnissen der einzelnen Glieder. Auf diese Puncte gründet sich die folgende systematische Diagnostik aller mir bekannt gewordnen Arten, in welcher ich, um mich und den Leser der beschwer- lichen Angabe der Ausmessungen in Zollen und Linien zu überheben, die Bestimmungen der oben erwähnten Längen -Verhältnisse in einem gemein- samen Maafs, nemlich in Zwölftheilen der Leibeslänge (von der Spitze der Schnauze bis zur Schwanzwurzel) wiederzugeben versucht habe. über die Springmäuse. 4151 jr Hinterfüfse ohne Afterzehen. 1. D. Sıcırrı Gmel. Leibeslänge (siehe oben) 6 Zoll; Ohren von der halben Länge des Kopfes; () Schwanz 13:12, mit nicht ganz deutlicher Pfeilzeichnung, des- sen Spitze 1 Zoll lang weij/s, vor derselben 1 Zoll lang schwarz (**); Fufs (Tarsen und Zehen zusammengenommen) 5:12, mit fast gleich langen Zehen; Farbe graugelb, nach dem Hinterrücken dunkler. Mus Sagitta Pall. Glir. p.306. tab. X X]. Lebt in den hügligen Gegenden Siberiens, zwischen dem Don und der FWolga, auch am südlichen Theile des Irtisch. 2. D. Aceyrrıus Hempr. et Ehrenb. (Tab.]I.) Leibeslänge 6‘, Zoll; Ohren °, der Kopflänge; Schwanz 15',:12, mit deutlicher Pfeilzeichnung, die Spitze 1 Zoll weifs, vor derselben 1% Zoll schwarz; Fufs 5:12, auf der Sohlenseite mit braunem Haar bewachsen, auch das lüngere Borstenhaar unter der Zehenwurzel dunkelbraun, gegen die Spitze der Zehen weifs; die Zehen selbst von fast gleicher Länge; Farbe gelblich-aschgrau. Dipus Gerboa Desmarest Mammalog, n.509. Mus aegyptius Hasselquist Act. Holm. 1752. XIV. p.123 tab. IP. fig. 1: et Tün: Palaest. 9.198.) Egyptian Jerboa Pennant Hıist. of Quadrup. Vol. II. p.427. Gerbua Edwards Gleanings of nat. hist. I. tab. 219. Cuniculus s. Lepus indieus Aldrovand. Quadrup. p.395. Gerbo ou Gerboise Buffon Hist. nat. XIII. p. 143. (*) Zur genaueren Verständigung über die Maafse erkläre ich noch, 1) dafs die Länge des Schwanzes immer von der Stelle, wo sein kürzeres Haar unter dem längeren Rücken- haar hervortritt, bis zur Spitze des letzten Wirbels (also der Haarbüschel nicht mit) gemes- sen ist; 2) dafs die Kopflänge von der Nasenspitze bis zum ersten Halswirbel gilt; 3) dafs die Länge des Fufses vom Hacken his zur Nagelspitze der Mittelzehe gedacht ist. Feinere Ausmessungen kleinerer Glieder, der Zehen, Phalangen, Nägel u. s. w. dürften sich zu den Diagnosen eben nicht eignen und können auch nur am Skelet angestelit werden. (**) So giebt es Pallas im Text an, die Abbildung stimmt damit nicht wohl, sie zeigt ‚des Schwarzen viel mehr, als des Weiisen. (**) Eine genauere Beurtheilung der zu dieser Art angeführten Stellen, findet sich in den hinten angeführten Noten 1. 2.4.5. und 6. 152 LicHTEnsTEın Findet sich in Ägypten am untern Nil-Lauf, desgleichen im nördlichen Theil Arabiens (*), vielleicht auch in Tunis (**). 3. D. Locvsna lllie. Leibeslänge 6% Zoll; Ohren wiel länger als die Hälfte des Kopfes; Schwanz 144:12; das Übrige wie bei der vorigen Art oder nicht zu be- stimmen. Gerbo Allamand. Buffon Hist. nat. Suppl. VI. p. 265. (**) Terwm N. (Tab. I.) Leibeslänge 5', Zoll; Ohren zugerundet, klein, weniger als ein Drittheil der Kopflänge; Schwanz 13:12, ohne alle Pfeilzeichnung, das n= S längere Haar an dessen Seiten ist nur gegen die Spitzen schwarz; Fufs 4:12, Mittelzehe länger als die seitlichen; Farbe gelblich-aschgrau mit vielem Schwarz (der Haarspitzen) untermischt, erste Hälfte des Schwanzes und Aujsenseiten der Unterschenkel isabellfarbig ohne schwarze Puncte. Hinterseite der Tarsen und Borstenhaar der Zehenwurzel braun. Aus der kirgisischen Steppe; von Herrn Dr. Eversmann Ende Aprils 1821 entdeckt. 5. D. Lacopvs N. (Tab. V.) Leibeslänge 5 Zoll; Ohren zugerundet, *, der Kopflänge; Schwanz 125:12, mit schwacher Pfeilzeichnung an der Obersei. die Spitze > Zoll schneeweifs, vor derselben 1', Zoll mattbraun; Fufs 5%,:12, die Zehen sehr langgestrecht, alle von gleicher Länge, an der Unterseite mit sehr langen weijsen Borsten a auch die Unterseite der Tarsen weifs. Farbe sehr hell, fast rein isabell, nur auf dem Hinterrücken mit einigeu schwärz- lichen Wellenlinien von den dunkleren Haarspitzen, der weifse Keulenstreif sehr breit und blendend weis. An den Ufern des Aral- Sees; von Herrn Dr. Eversmann. 6. D. nırrıres N. (Tab. IV.) Leibeslänge 5 Zoll; Ohren mäfsig, etwas über halbe Kopflänge; Schwanz 16:12, mit deutlicher Pfeilzeichnung oben und unten, die welfse Spitze °, Zoll, vor derselben 1% Zoll braun; Fufs 54:12, Zehen mäfsig (*) Diese Art läfst sich ohne grofse Mühe zähmen und gewöhnt sich unter gehöriger Sorgfalt sogar an unser nordisches Klima. Von sechs Individuen, die Herr Professor Ehren- berg lebend aus Ägypten mitbrachte, erhalten sich vier seit länger als zwei Jahren gesund und munter, die zwei andren starben im Sommer 1827. (**) S. Note 6. über die Springmäuse. 153 lang, die mittlere die längste, die Borsten an deren Unterseite schmutzig weifs und besonders lang unter dem Nagelglied, das sie ganz überwachsen. Die Unterseite der Tarsen mit einer schmalen braunen Längslinie. Farbe matt gelbgrau, mit dunklen IV ellenlinien über der ganzen Rückenseite, von welchen auch der Keulenstreif nicht rein ist. Fom oberen Nil-Lauf von Syene bis Dongola. Eine Entdeckung der Herren DD. Hemprich und Ehrenberg, die diese Art Anfangs mit dem Namen D. MACROMYSTAX belegten. Die längsten Barthaare reichen nemlich mit ihren Spitzen bis an die Schwanzwurzel, doch findei sich eine ähnliche Länge auch an andern Arten dieser Gattung. fr Hinterfüfse mit einer (äufsern) Afterzehe. 7. D. TEeTRADACcTYLUs N. (Tab. II.) Leibeslänge 5‘; Zoll; Ohren von der ganzen Länge des Kopfes; Schwanz 12:12 (genau von der Länge des Leibes), mit deutlicher Pfeil- zeichnung, an der Spitze %; Zoll weifs und ebensoviel schwarz; Fufs 44:12, mit dunkelgefärbter Sohle (Hinterseite), Mittelzehe ansehnlich länger als die seitlichen, Zehenbalien ungemein stark und hoch, nur schwach von den Zehenborsten bedeckt; Farbe des Mittelrückens gelbgrau mit vielem Schwarz untermischt, die fast reine Isabellfarbe der Seiten setzt sich ziemlich scharf in einer von den Ohren bis fast zur Schwanzwurzel reichenden graden Linie von der dunkleren des Mittelrückens ab. The Jerboa of the Cyrenaicum, Bruce Travels Vol.V. Tei22.()) Dipus abyssinicus, Meyer Übers. d. zool. Entdeckungen 8.82. Bis jetzt ist diese Art nur in der libyschen IWVüste gefunden worden. irr Hinterfüfse mit zwei Afterzehen. Jacurvus Gmel. o z Leibeslänge 7 Zoll; Ohren won der ganzen Länge des Kopfes; Schwanz 18:12 (anderthalb Leibeslängen) (**), mit sehr entwickelter und gesättigter Pfeilzeichnung, die weifse Spitze 1 bis 1',, das schwarze Band (©)2S- Note ll. (*) In den Pallasschen Ausmessungen (Glir. p. 296.) ist die Angabe von der Schwanz- länge des Weibchens: 0.9 ollenbar ein Druckfehler und statt dessen 10.9 zu lesen. Phys. Klasse 1825. U oo 10. lah- D. Lichtenstein 2 Zoll lang; Fufs 55:12, mit schwärzlicher Sohle, Mittelzehe länger als die seitlichen, Zehenballen deutlich, Zehenborsten schwach; Farbe grau- gelb, die Seiten der Schenkel hellgelb. Mus Jaculus, Var. major, Pallas Gär. p.292. tab. XX. Cuniculus Pumilio saliens, J. Georg Gmelin Comm. Acad, Petropol. 1754 et 55. p.351. tab. XT. (*) Cuniculus saliens, S. Gottl. Gmelin Reise durch Rufs- land 17710. ]. p.26. tab.2. Mus saliens, Haym Thesaur. britann. 11. p.449. tab.17. Mongul, Vieq d’Azyr Syst. anat. des anım. Dipus Alagtaga, Olivier Bullet. d. I. soc. philom. nr. 50. Hält sich in den Thonsand- Ebenen der tatarischen FVüste, zwischen dem Dniepr und Ob, auch jenseits des Baikal, auf. DEcumAanvs N. (Tab.VI.) Leibeslänge 9 Zoll; Ohren beinahe von der Länge des Kopfes; Schwanz 12:12, mit schmaler Quaste, 2 Zoll Weifs, 2, Zoll Schwarz; Fufs 4%:12, mit brauner Sohlendecke, langer Mittelzehe, wenigem und kurzem Borstenhaar; Färbung graugelb mit Hinneigung zum Oliven- Jarbigen, Spitzen der Ohren weijs. Aus der Gegend von Slatoust am Ural, von Herm Dr. Eversmann gesandt. SrıcuLum N. (Tab. VO.) (**) Leibeslänge 7 Zoll; Ohren beinahe von der halben Kopflänge; Schwanz 9%,:12, mit sehr breiter Quaste und starker Pfeilzeichnung, 1 Zoll Weifs, 1', Zoll Schwarz; Fufs 5%,:12, mit schwärzlicher Sohle, Mittelzehe viel länger als die seitlichen, die Zehenballen aufserordentlich hoch und von sehr langen Borsten überwachsen; Färbung graugelb, aus- gezeichnet durch Schwärze der Schnauze und weifse Spitze der Ohren. Aus der Gegend von Barnaul am Ob, im N. IV. des Altai-Gebirges, won Herın Dr. Gebler gesandt. HALTICUS 11]. Leibeslänge 4% Zoll; Ohren *, der Kopflänge; Schwanz 134:12, mit wenig ausgebildeter Quaste und undeutlicher Pfeilzeichnung, kaum an (*) S. Note 7.8.9. und 10. (**%) Durch einen Irrthum ist auf die ersten Abdrücke dieser Tafel statt des wahren Namens der Name Jaculus gesetzt worden, welches ich zu berichtigen bitte. 14. über die Springmäuse. 155 der äufsersten Spitze weifs; Fufs 45:12, Mittelzche um FWVeniges länger als die seitlichen; Fürbung die des D. JacuLus. ü . ‚2 Mus Jaculus, Varietas media, Pallas Glir. p.285. et 297. In der mongolischen Steppe, jenseits des Baikal. eycmaAeus Ill. (Tab. VII.) Leibeslänge 4‘, Zoll; Ohren °, der Kopflänge; Schwanz 12',:12, 3 mit deutlicher Pfeilzeichnung, obgleich nur ‘, Zoll IVeifs an der Spitze und 1 Zoll Schwarz; Fufs 41:12, Mittelzehe ansehnlich überragend, Zehen- borsten sehr kurz; Fürbung durch nichts ausgezeichnet. Mus Jaculus, YVarietas minor, Pallas Gör.!.c. p.296. Dipus Acontion Pallas Zoogr, rosso-asiat. I. p.182. In der kirgisischen Steppe und (nach Pallas) überall mit dem JacuLus (Nr. 8.) ErLarter N. (Tab. IX.) Leibeslänge 4" Zoll; Ohren von der Länge des Kopfes; Schwanz 15:12, mit sehr bestimmter Pfeilzeichnung, die Spitze ', Zoll weifs, dann 1 Zoll dunkelbraun und noch ein weifser Ring von " Zoll, der vorzüg- lich an der Unterseite auffällt; Fufs 42:12, Mittelzehe stark überragend, Zehenborsten unmerklich; Färbung die gewöhnliche, nur durch die Breite des Keulenstreifes ausgezeichnet. Aus der kirgisischen Steppe, von Dr. Eversmann gesandt. pLaATyurus N. (Tab. X.) Leibeslänge 5° Zoll; Ohren über °, der Kopflänge; Schwanz 10:12, nur an der Basis rund, dann lancettförmig abgeplattet, mit brei- tem Knorpelrand der Schwanzgräte, in der Mitte 4 Linien breit, gegen die Spitze allmählig schmaler und in ein zweitheiliges Büschelchen dunkel- brauner Haare endend; Fufs A:12, die Zehen sehr kurz, die mittlere die längste, mit starken Springballen, fast ohne Borsten; Fürbu ng der Rückenseite die gewöhnliche, die der Unterseite und Füfse schmutzig graugelb. Am Flusse Kuwan-Darja, unweit seines Ausflusses in den Aral- See, vom Dr. Eversmann entdeckt. 156 LicHuTEensTtein Ich habe es für dienlich gehalten, die Bemerkungen, durch welche ich die Deutung der älteren Angaben auf gewisse der hier aufgezählten Arten rechtfertigen zu können glaube, nicht unter den Text zu setzen, weil sie zu vielen Raum erforderten und lasse sie hier unter den oben eingeschalteten Nummern folgen als Kritische Noten. 1) Hasselquist entdeckt in Ägypten im Jahr 1751 eine Art der Gattung Dipus und beschreibt sie in einem Aufsatz, datirt Smyrna den 14" November desselben Jahres, der in den schwedischen Abhandlungen vom Jahr 1752 (14 Band S.129 und ff. der deut- schen Übersetzung) abgedruckt ist. Beschreibung und Abbildung sind gleich schlecht, und sie müssen einander, wie auch bei den andern Schriftstellern meistens der Fall ist, gegenseitig ergänzen. Die in der Beschreibung gegebenen Maafse werden durch die Ab- bildung hinreichend widerlegt: der Kopf 1 Zoll, Leib 2 Zoll, Hinterfüfse 3 Zoll, Schwanz 9 Zoil u.s.w. Welch ein Unding in diesen Verhältnissen! Die Abbildung hat dagegen: Kopf 1 Zoll, Leib 2%, Hinterfüfse 2';, Schwanz 5 Zoll; doch ist sie sehr ungeschickt und roh, nach einem ausgestopften Exemplar gezeichnet. Kaum bleibt ein Zweifel, dafs dieses Thier unser D. aegyptius sei, so sehr stimmen Fuudort (die Berge um das Nilthal neben den Pyramiden), Körperverhältnisse, besonders Ohren und Tarsen (die nach dem Bilde erstere %, letztere 1%; Zoll halten) und Färbung mit ihm überein. Die Beschreibung in Hasselquist's Reise nach Palästina ist blofse Wiederholung der ersten Angabe und enthält durchaus nichts Neues oder Berichtigendes, obgleich sie acht Jahre später erschien. 2) Pennant's Aegyptian Jerboa (History of Quadrupeds Fol. Il. p.427.) mufs eben- falls zu D. aegyptius bezogen werden, denn die Verhältnisse stimmen hier am besten; näm- rin lich Länge des Leibes von Nase bis Schwanz 7',’, des Schwanzes 10”, Hinterfüfse (wahr- scheinlich ist der Tarsus allein gemeint) 2',”. Seine Exemplare waren also im Leibe 5”, im Schwanz über 2” länger als unsre. Vielleicht könnte man sie als einerlei mit Allamands Gerbo bei Buffon annehmen, mit welchem sie in ihren Verhältnissen besser übereinzustim- men scheinen; doch ist dafür kein vollgültiger Grund vorhanden, da die Ohrenlänge nicht angegeben ist, die hier entscheiden könute. Es ist indessen noch nicht als ausgemacht an- zusehn, ob dieser Gerbo Allamands (D. Locusta N.) nicht einerlei mit dem D. aegyptius sei. Leider sagt Pennant nicht, woher die Exemplare, die er lebend in London sah, ge- kommen waren, doch läfst der Name, den er giebt, schliefsen: aus A gypten. 3) Desselben Schriftstellers Siberian Jerbca (ibid. p.429.) ist gleichbedeutend mit Mus Jaceulus Pall. Auch Pennant nimmt die drei Varietäten davon an, und was er von der Lebensart sagt, ist ganz aus Pallas abgeschrieben. Aber seine Abbildung der gröfsesten Vartetät ist abweichend und scheint nach einem ausgestopften Exemplar gemacht zu sein. Sie stellt das Thier auf beiden Hinterfüfsen schreitend dar, in einer sehr gereckten Stellung. Die im Text angegebenen Maafse: Leibeslänge 85", Schwanz 10”, stimmen weder mit dem Jaculus, noch mit unserm Decumanis, noch mit der Abbildung selbst. Der Schwanz ist hier im Verhältnifs zu kurz, und die weifse Spitze, die nach dem Text nur 1” messen soll, über die Springmäuse. 157 aber den vierten Theil der Schwanzlänge einnimmt, offenbar zu lang und zu breit. Die ganze Angabe und das Kupfer haben also wenig Werth, denn auch die Tarsenlänge, Ent- fernung der Afterzeben u. s. w. pafst nicht zu den übrigen Maafsen. 4) Edwards Gerbua (Gleanings of natural history I. tab.219.) stellt unverkennbar unsern D. aegyptius vor. Im Text sind keine Maafsen gegeben, da wegen derselben auf die Abbildung (in natürlicher Gröfse) verwiesen wird. Diese scheint auch sehr treu und ist nach einem lebenden Exemplar, das in London war, und auf welchem vielleicht auch Pennants Kenntnifs dieser Art beruht, entworfen. Die Dimensionen dieser Abbildung stimmen fast vollkommen mit unsern Exemplaren; besonders charakteristisch sind die kurzen Ohren und die langen Tarsen. Der Lendenstreif ist zu schwarz, überhaupt das Colorit zu dunkel ge- halten. Übrigens gehört die ganze Darstellung offenbar zu den bessern. 5) Aus Aldroyand's Abbildung (Cuniceulus indieus) ist nicht viel zu machen, ob- gleich sie nicht geradezu schlecht zu nennen ist. Sie ist fünfzehig, die Afterzehen sitzen aber so niedrig, den Mittelzehen so nahe, wie bei keiner mir bekannten Art; die Tarsen sind so dick, die Zehen so grob und mit so runden Klauen, dafs der Zeichner hier einer grofsen Nachlässigkeit verdächtig wird, und also, obgleich er den Totalhabitus gut aufgefafst hat, für die Einzelnheiten nicht so grofsen Glauben verdient, dafs man daraufhin aus seinen Bilde eine neue Art machen dürfte. Ist die Art fünfzehig gewesen, so pafst sie am besten zu dem eigentlichen Jaculus, nach der Gröfse und nach den meisten Verhältnissen. Dann sind aber die Ohren zu klein. Es ist mir aber überhaupt wahrscheinlicher, die beiden äufse- ren Zehen seien von dem Zeichner, der gewöhnlicheren Fufsbildung bei den Nagethieren gemäfs, hinzugedacht, und dann pafst das ganze Bild schr gut auf den D. aegyptius. 6) Buffons Beschreibung der beiden hieher gehörigen Arten: Gerboise und Alagdaga (XII. p. 141 uff.) ist ganz aus den damals bekannt gewordenen Angaben von Hasselquist, Edwards und Gmelin entlehnt und erthält nichts Eignes. Die Abhandlung ven Alla- mand dagegen, die in dem 6'* Supplementband des Bulfonschen Werkes S.262. eingeschaltet und mit Abbildungen begleitet ist, gründet sich auf eigne Anschauung und Untersuchung eines von Innis nach Amsterdam gesandten lebenden Exemplars. Die Abbildungen sind nach diesem gemacht und stellen keine irgend erheblichen Abweichungen vom D. aesyptius dar. Aber die Maafse, welche Allamand von dem im Kobinet zu Leyden enthaltenen Exemplar (das er wahrscheinlich nur im Irrthum mit jenem lebenden für einerlei hält), an- giebt, weichen so schr von der Abbildung und den Maafsen aller mir bekannten Arten ab, dafs ich es nicht wagen kann, es einor derselben zuzugesellen und dafs ich lieber mit Illiger es einstweilen als eine eigene Art (D. Zocusta) aufstelle, um die Aufmerksamkeit der Sy- stematiker dafür rege zu erhalten. Leider hat Allamand die Maafse nicht ganz vollständig gegeben, z. B. nur den ganzen Hinterschenkel (zu 55 Zell!) gemessen, nicht aber den Fufs allein, was entscheidender sein würde. Auch über das Vaterland läfst er uns ungewifs. 7) Hayms Abbildung und Beschreibung im T’hesaur. britann. II. p.149. tab.17. lassen ziemlich vollständige Deutung zu. Sie sind nach dem Leben, und wenn auch nicht künstlich, doch sichtlich treu gemacht. Dr. Sherard hatte, dem Haym zu gefallen, zum Behuf der Erklärung jener bekannten eyrenischen Münze, einige Exemplare aus Aleppo kommen lassen. Zahl und Stellung der Zehen, Länge der Ohren, Gröfse des Leibes und 158 LIicHtTEnusTeın Schwanzes, alles dies pafst zu Pallas Jaculus major. Das Abweichende ist allein, dafs von dem weifsen Keulenstreif nicht die Rede ist und auch die Abbildung keine Spur davon zeigt, was indessen, da es ein fast allen Arten gemeinsames Kennzeichen betrifft, das sich zuweilen leicht verwischt, nicht für sehr erheblich gehalten werden kann, so wenig wie das andre, dafs die buschige Schwanzspitze 14, Zoll weifs ist, mit einer etwa Zoll breiten schwarzen Binde in der Mitte, indessen diese Maafse sich umgekehrt verhalten sollten. Des- halb eine eigene Art daraus zu machen, würde sich wenigstens nicht wohl rechtfertigen lassen. 8) Shaw führt in seinen Foyages dans plusieurs provinces de la Barbarie et du Le- want II. p.321. der französischen Übersetzung, zwei nahe verwandte Thiere an. Er fand sie beide in grofser Zahl im Sahara, doch auch von der zweiten Art in der Nähe von Oran. Die erste heifst Jird und ist deutlich ein Meriones, mit fast gleich langen, sämtlich gleichgebildeten fünfzehigen Füfsen und kürzerem stark behaarten Schwanz. Für die Unter- scheidung der Species sind die Angaben: Gröfse einer Ratte, etwas zugespitzter ganz be- haarter Kopf, runde und hohle Ohren, unten weils, oben fahl (fauve), der Schwanz kür- zer als bei der gemeinen Ratte, aber stärker behaart — wohl zu unvollständig und schwan- kend. Man könnte nur auf M. libycus Hempr. muthmafsen. Möglich bleibt aber doch, dafs es eine eigene Art sei. Die zweite Art heifst Jerdoa oder Yerboa, weiterhin auch Jerboa de Barbarie, und trägt alle Kennzeichen eines Dipus. Sie hat die Gröfse und Farbe der ersten von Shaw erwähnten Art, aber stumpfen Kopf, mit platter haarloser Schnauze (les naseaux plats et degarnis, elant presque de niveau avec la bouche), worin sie, sagt Shaw, von der Art aus Aleppo, die Haym beschrieb, abweicht. Die sehr kurzen Vorderfüfse haben nur drei Zeben (sollte er wohl recht zugeschn haben ?), die Hinterfüfse sind fast von der Länge des Leibes und haben jeder vier Nägel und zwei Spornen, wenn man diesen Namen den zwei kleinen Klauen geben kann, die einen Zoll über dem Fufse sitzen. Der Schwanz ist so lang als der Leib, gelblich von Farbe und hat gegen das Ende ein Büschel von langen: Haar. Er ist gut zu essen, springt auf den Hinterfüfsen mit Hülfe des Schwanzes, lebt in der Erde u.s.w. So sichtlich *die ganze Beschreibung sehr oberflächlich und z. B. in Angabe der Hinterzehen falsch ist, so ergiebt sich doch aus der Beobachtung der beiden Afterzehen, deren Entfernung von den andern sogar angegeben wird, dafs es eine fünfzehige Art gewe- sen sein müsse, und da uns eine solche aus Nord-Africa noch nicht bekannt ist, so liefse sich daraus auf eine neue, der Sahara eigene Art, schliefsen. Sollte aber Shaw nicht viel- leicht, in Ermangelung eigner hinreichender Beobachtung, diesen Punct aus Haymı sup- plirt haben? — 9) Joh. Georg Gmelin beschreibt im 5'" Bande der Nov. Comment. Acad. Petro- politanae von den Jahren 1754 und 1755. p. 351. eine Art Dipus, die er am oberen Laufe des Argun gefunden, unter folgenden Kennzeichen: der Leib 6 Zoll lang, der Schwanz 8%, die Ohren 14; der Haarbüschel am Schwanz ist erst weifs, gegen die Spitze tief schwarz, und zuweilen an der äufsersten Spitze wieder weifs. An den Hinterfüfsen sind vier Zehen, von denen drei den Boden berühren, die vierte aber einen Zoll höher als diese eingefügt ist. Pallas, der den Gmelinen überhaupt nicht sehr gewogen ist, tadelt die letzte Angabe über die Springmäuse. 159 (Glir. p.285.) geradezu als falsch, indem es eine solche vierzehige Art, wie er bestimmt ver- sichern könne, in jener Gegend Asiens nicht gebe, und es ist wohl möglich, dafs Gmelin hier nicht genau genug gewesen, aber Aufmerksamkeit verdient sie auf jeden Fall wegen unsers D.tetradactylus, von dem diese Art freilich in den Maafsen zu schr abweicht, als dafs man sie für identisch halten könnte. Die Abbildung (ab. IX. Cuniculus pumilio saliens) ist leider so schlecht, dafs daraus für die Frage, ob eine innere Afterzehe vorhanden ist, nichts entnommen werden kann. Dagegen dient sie den in der Beschreibung angegebenen Maafsen zur vollkomnnen Bestätigung, und diese stimmen so vortrelflich zu den Verhältnissen des Pallasschen Jaculus major (der gleich an den langen Ohren kennllich und eben deshalb schon von Strahlenberg Lepus volitans genannt worden ist), dafs cs schwer ist, sich der Vermuthung zu erwehren, es sei derselbe hier gemeint, und Gmelin habe «die innere Alterzehe übersehn. Zwei Arten, die eine vier-, die andre fünfzehig, und beide in allen Dimensionen so gleich, das wäre in der That auffallend, noch dazu gerade aus derselben Gegend, in welcher Pallas zwanzig Jahr später so sorgfältige Untersuchungen anstellte. Ungenau, wie diese, sind nun überdies auch Gmelins andere Arbeiten, namentlich die Beschreibungen der übrigen asiatischen Thiere in dieser Abhandlung, und so kommt zu den äufseren Gründen des Zweifels noch ein innerer, der vielleicht der stärkste ist. — Des ältern Gmelins Cuniculus saliens bleibt also zum D. Jaculus gestellt und wird keine neue Art. 10) Diese Meinung bestätigt sich noch durch Vergleichung der freilich eben so un- zuverlässigen Angaben des jüngern Gmelin (Samuel Gottlob Gmelins Zeise durch Rufsland, Petersb.1770. Erster Bd. 8.26 und ff. sub III.). So wie die Beschreibung fast nur Übersetzung jener Abhandlung des Oheims ist, so scheint auch die Abbildung, die er liefert, wie nach demselben Exemplar gemacht zu sein, das sie nur von einer andern Seite darstellt. Und hier kommt nun die einzige unter diesen Umständen schr wichtige Abweichung vor, dafs dem Thiere zwei Afterzehen ausdrücklich (jedoch olıne Rüge des Fehlers in des ältern Gmelins Beschreibung) zugeschrieben werden, obgleich gar nicht angedeutet wird, dafs irgend eine specifische Verschiedenheit zwischen den beiden Thieren statt finden solle, die überdies auch ganz aus derselben Gegend herstammen. Hieraus wird also sehr wahrscheinlich, dafs das von den beiden Gmelinen angedeutete Thier kein an- dres, als das nachmals von Pallas genauer beschriebene, der Dipus Jaculus major, sei. Dabei darf man freilich auch nicht vergessen, dafs alle damaligen Schriftsteller (vor Pallas und Buffon) von einer specifischen Verschiedenheit der Springmäuse keine Vorstellung haben, und nur eine Species davon annehnen. 11) Bruce, Travels to discover the sources of the Nile, Fol. YV. Appendix (Se- lect specimens of natural history) 1790. p.121. beschreibt eine Art Dipus, unter Bei- fügung eines Bildes, die nachher von Meyer in der Übersicht der neuesten zoologischen Entdeckungen, 8.82. unter dem Namen D. abyssinieus, als eine von allen früher bekann- ten verschiedene dargestellt worden ist. Darin hatte Meyer Recht, nur der Beiname ist schlecht gewählt, denn Bruce sagt nirgends, dafs er dies Thier in Abyssinien gefunden, sondern nur, dafs es in der Wüste vorkomme, und die genauere Beschreibung fängt er mit den Worten an: The Jerboa of the Cyrenaicum is 6 inches and a quarter in length etc. Er hat es also aus der Rüsten-Gegend, was noch aus dem Nachlerigen bestätigt wird, 160 LICHTENSTEIN wo er (S.127.) erzählt, wie die Araber in Tripolis ihre Jagdhunde auf dies Thier abrichten, um sie zum Gazellenfange geschickter zu machen. Dieser Fundort aber ist hier wichtig, weil er gleich die Identität mit einer der andern in der libyschen Wüste vorkommenden Arten vermuthen läfst. In der That kann ich nicht anders als die Brucesche Art für unsern D. tetradactylus halten. Sie hat, nach Bruce, 6', Zoll Länge, der Schwanz mifst genau ebensoviel, die Ohren haben * Zoll. Diese Maafse, von denen nachher hesonders das erste des Leibes und der Füfse, auch auf eine andre, aber noch weniger bestimmte Art gegeben werden, bedürfen einer Berichtigung, die nur aus der Abbildung genommen werden kann. Bruce sagt nämlich, das Thier, so wie es in der Zeichnung stehe, habe 6%, Zoll Länge, es würde aber reichlich 4 Zoll länger sein, wenn man es gleich nach dem Tode ausstreckte. Hier sind also die Füfse mitgerechnet. An einem andren Orte heifst es: von dem weifsen Streif an den Keulen bis zum Auge sind 3 Zoll, und von demselben bis zur Spitze der Zehen ebensoviel. Dies ist schr unbestimmt, da nicht gesagt wird, eb vom Anfange, der Mitte oder dem Ende des Streifs gemessen werden soll, giebt auch kein richtiges Maafs, da nach der Abbildung der Leib des Thieres unnatürlich gestreckt ist. Dimensionen einzelner Theile werden zwar gegeden, aber sehr undeutlich, ungenau und nachlässig ; so soll z.B. die Nase > Zoll über dem Unterkiefer vorragen (also ‘, der Kopflänge, was unmöglich ist). Es ist also nicht viel darauf zu geben. Der Kopf wird indessen zu 14 Linien angegeben, die Entfer- nung des Augenwinkels von der Schnauze 6 Linien. Aus diesen Gröfsen lassen sich die an- dern nach der Abbildung einigermafsen ermitteln und danach hätte der Schwanz die angegebene Länge 6 Zoll, die Tibien fast 2”, die Tarsen 15”. Diese Maafse stimmen schon ziemlich zu unserm D. teiradactylus, nur die Ohren erscheinen kürzer, doch ganz von der- selben Form, die Bruce überdies auch genau beschreibt. In der Färbung stimmt der D. tetradactylus ganz mit den Bruceschen Angaben, die Schwanzspitze ausgenommen, von welcher Bruce nicht deutlich angiebt, wie weit sich das Schwarz ausdehne. A beautiful ‚feather of long hair, the middle white, the edges jet black, das pafst allenfalls, wenn er den Schwanz von der Unterseite besehn hat, wo mehr weifs ist. Die Abbildung aber, die die Oberseite zu sehn giebt, hat Schwarz und Weifs in derselben Vertheilung, wie der D.tetradactylus, nämlich eine etwa 1Zoll lange rein weifse Spitze und vor derselben 1 bis 1', Zoll schwarz. Der Hauptpunct betrifft nun die Zehenbildung. Hier heifst es wörtlich: He has four toes on his hind-foot and a small one behind hıs heel, where is a tuft of hair coloured black. Te forefoot hath three toes only. Das Erste ist hier von Meyer so verstan- den, als wären zusammen fünf Zehen an den Hinterfüfsen, wovon vier den Boden be- rührten und eine die Afterzehe wäre. Dies streitet aber durchaus gegen die Bildung des Dipus-Fufses, und darum ist es viel natürlicher, Bruce’s überhaupt (selbst in der Ortho- graphie) nachlässige Schreibart so zu verstehn, dafs im Ganzen nur vier Zehen da seien, von welchen der eme kleine (statt und ein kleiner) hinter dem Hacken, wo ein Büschel schwarzer Haare steht. Hier ist mit Hacken offenbar nur die hintere Seite des anftretenden Fufses in der rohen Vorstellung und nicht der wahre Hacker gemeint, denn dieser hat nie Haarbüschel und auch auf der Abbildung ist der schwarze Haarbüschel hinter dem Insertionspunct der Zehen angedeutet. Nun aber ist es eins der auszeich- über die Springmäuse. 161 nenden Merkmale des D. tetradactylus, dafs die Haare an der Hinterseite des Tarsus schwarz sind, und wie bei den andern Arten, so werden sie auch hier hinter den Zehen dichter und länger. Es wird also aus diesem Grunde die Identität beider Arten schon sehr plausibel. Dagegen läfst sich wieder anführen, dafs die Abbildung die im Text erwähnte Afterzehe gar nicht zeigt, weder an der inneren noch äufseren Seite des Tarsus. Das ist aber nur der Nachlässigkeit des Zeichners und der Schwierigkeit zuzuschreiben, ein so kleines dicht anliegendes Zehenknöchelchen in einer verkleinerten Abbildung ge- nügend hervorzuheben. Dabei sind aber, was von Wichtigkeit ist, in der Abbildung nur drei auftretende Zehen angedeutet, was die obige Meinung bestätigt, indem es viel wahr- scheinlicher ist, dafs von dem Zeichner eine Afterzehe, als dafs eine Mittelzehe übersehn wurde. Dieses alles zuammengenommen, läfst nun den ziemlich sicheren Schlufs zu, dafs hier der Dipus tetradactylus gemeint sei, und es bleibt von allen Zweifeln nur einer nicht gelöset, nämlich der über die Verschiedenheit der Ohrenlänge, deren Maafs sowohl in der Beschreibung als in der Abbildung gleich, und zwar kürzer angegeben wird, als dieser Theil heim D. tezradactylus ist. Doch scheint eine so geringe Diflerenz von etwa einem Viertheil der Länge an einem Theil, der überhaupt so schwer genau zu messen ist, und von einer überhaupt so unsicheren Autorität angegeben, nicht hinreichend, um die Aufstellung der Rruceschen Art, als einer neuen, zu rechtfertigen, noch dazu, da deren Fundort derselbe ist, aus welchem wir jene uns genau bekannte Art erhielten. 12) Die sonderbare Art Feldmäuse, Jerbua genannt, die Olearius in der persia- nischen Reisebeschreibung (im 6‘ Buch Cap.19.), als von ihm bei der Stadt Terki ge- sehen, erwähnt, ist zu kurz beschrieben, als dafs sich über die Species etwas mit Sicher- heit sagen liefse. Der Fundort indessen, die angegebene Gröfse, die Länge der Ohren, und der weifse Endbüschel des Schwanzes lassen kaum zweifeln, er habe entweder den äch- ten Jaculus oder unsern D.decumanus vor sich gehabt. — III — Phys. Klasse 1825. X 2 * ’ © Ä Pr D a v vi 6 == 2 air is u Pin en iR ee) u IP PR vo iateri r 17 N ET a zer 5 u “ 7E ai Ash agree, Es aa th “ ih neue A sro, ru a oe a ing > Fi 20717 ee A Ze A, Pre ki | ln BEIN NIE an 4 Wehr A I Du wart Pen Hin Ari Br. Ye ale Zu. aha } db u L_ “ re iD - on, een! m w En R;4 I vom "als sun hn, ae ala ‚ a I KR or Dre uni han Da A j B ur uk Pre ET nt bug - a ra he TTnT, a ee u re E . rw: . . 2 j Bu TE Haile ae Ka u er len: 1: . . \ - Anz . ztelı er Br Fi sr vi Ir. IP R Int PR IT TE Bu FL we ren ae = u = u 5 j ey N: u. ea ee © = i 8, I u sa ab ch i | Ki Sa re vb ph Meile aushlhg al al Zeroaie 5 Ba Te ann zarte nu y all Ar au j ',. Bil a u ea we m = ER ur ar a, ne wre A ur x ei sank le verih 2 E: "de rar it he, Dre ee ri al nn a) rt re “ a Penn BIT . va nr Pal TEE willen Br wre A ». er ERS er 4 pi a ee Te 70T “fh Je ae einer - IE en” Ib hen. (an acht sap Fee genialen Saw. dA ink ‚nr ri er era 5 Ba ww >, er - Ben ur 1 " ve Ber Eee? en ‚ee < Ei r [I si “un a ı Er sf Asa Be ‘ . al ag za 9 ae n E . Ka nen um 2 PET De u an) = al PUR © er w ‚sah _— ea. a a un) ae « ih net = ’ R Dr a ae ET, won au % —.# a \ ' u %. a R = . ü a r \ . Er 1 . 5 8 u ä j _ + . 5 — une: Zus a 1 r * en : 3 ner ” u . ’ . 4 : - i _ 5 Ei 2 = . = u Fe - i ’ D * _ au: - A RR j . . | er. “ E u Pi F u i 4 = . Di \ = B . . = 0 . D \ . 4 . . u) Ds “A vr 3 . . . u E = 5 - ö ee! B ad 4 . B % ec 4 r ee . j f £ © In Hon: Lechstonsterns ACH: Diys Kl: 1828 Tab L. Dipus aegyptius H.& E. T. Dar aus Unter - Aegypten ‚Sen em Homo! tik Smttut Berlin 18% Nah Der Votargem. u Lliwgr 0. FA: Seht OrL GL OAIHD 2 MD IR70f° 402 yay dass ep In2IPFUF Wr Jömay rg 7 ısny usyasAgı] »p sne ayprg snjAppepens) sn dıdy u QeL FUMEZZPULZWIT Ag Ze. 0 4 ORG KLARA 9 WULDITTD 420 yory* WAR DERTDEUE YT POUSS U W005 N »ddsIs wsyosısısuy ıop sne pr wnp] sndıq u arL DL DE TP YO VRR IIZZIUESZETE MED PLZ erupg: 21230000 7 MD ANTOS AD OD KDSL WS IRTDPUL YO OmU 09 wog og -[ery we oddayg yo sndose] sndig AgeL 224222 RG IE UEDEBZYLZZE UL 92 HRS HN. VL IIBPHL YP JORUSY NO ARE App ZZ HbBZ 7 UDO yo E E ? "UPIANN gyrg sodyuy sndig AT AL COM AH By: ZH IURZFUDZZE, Berg 2X din Horn: Licttlonsteins ADK Kg Hl 1825: nr = u: deeumanus Licht. vom Ural. G Na der. Wirtur gem: a: Aitbegr w F- A. Sohrucl. Geor. un Komopt tik. Drustite Berten 1823 Re Pa Fer 3 j j BE NL 5 | „ i I . 1 ad Re rk u = = L BR. DOOR ö Bw Kö Ian, ER D WA MOBBaR IE AR, 5 N IL SZ: VRyG VPE PERL EA NE AH” 977 IA W%L na 2 a ” BLEND] na yon MDR Pneu yp2y PbRl 27 m wong: »ddsy3s >ydsısıa.uy Sıpp snoewsAd sndiq "MA 'a®L 706817 ZH wOYG VPE USE UL YES UA RE AIRMGDS 2 ZA ADD ESL IND 00 yon - PVP 22 HN Zu ya VLWGERG TYP ULYID PONY U 2200 MWILIIGIS pi wnpnoıdg sncieg # "IA ae&L 002 2 BUG PL SUEZEADIETS U in 4 Ku [1 u Bi ran 2 ft .Du = [a UM 2 Br R vr u 4 Zu . I \ En De H “ I N 2 Ik I ui . | I it 03 —ı“ \ Z f 5 me \ i ö D Zu s E. u # "x. ," Me ee - Ki } Br R' E EC u A ‚aa SL gez 0 BR ı j r N u Zen, ı Are Ayr® % . Br Di j v. 12 1% . ei ‚ i E u . 14 | h. 2 u u nn ET u = mn m en Fi - . er DE ra XI WeL FELL IL vg aaa Ka erg 1° 4 RZ HD Art are rg ® z Fanz mpeg Imrugypy ns ar z40ß „ddog syasısızuy 64 pp SninAyejd sndig ZN ’9eT, ZI Aug JE PURZIUDYOGS WALL RZ Dad ud Ad le AÖIYNZ I SE TO BT YO ANZ "UPLIIGIS 3yppr aoyefg sndig by BY ERDOULLEE TEE e - ECT ZA 7 Zaat ZUt Cı A < XI a®eL 4 Über die Verhältnisse in den Dimensionen der Krystallsysteme, und insbesondere des Quarzes, des Feldspathes, der Hornblende, des Augites und des Epidotes. Von kn Ww EISS. nmnnmnnnnnvvun [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. Febr. 1825.] SER D er streng geometrische Begrif irgend eines Krystallsystems ist nächst der naturhistorischen Kenntnifs der Gattung, welcher dasselbe zukommt, noch von höherem Interesse für die Wissenschaft insofern, als wir zu hoffen be- rechtiget sind, mit Hülfe desselben einer künftigen physikalischen Theorie der unorganischen Gestaltung vorzuarbeiten. Es beruht aber der strenge geometrische Begrif eines Krystallsystems, wenn er klar auf sein einfaches Element zurückgebracht wird, auf nichts andrem, als auf der Kenntnifs des Verhältnisses auf einander rechtwinklicher Linien, von welchen alle übrigen Theile und Eigenschaften des Systemes abhängen. Winkelangaben reichen allerdings hin zur naturhistorischen Unterscheidung; aber für die physika- lische Theorie des Krystallbaues sind sie kein schickliches Element. Der Winkel entsteht erst in der erstarrenden Masse durch die ihn spannenden Linien, durch ein bestimmtes Verhältnifs in Sinus und Cosinus, sey es des ganzen Winkels, wenn er ein einfacher, sey es sei- ner Hälften, wenn er ein symmetrisch zusammengesetzter ist; er selbst ist ein sekundäres Erzeugnifs dieser Fundamentalgröfsen. Die Spannung keiner von beiden der im rechten Winkel auseinander- tretenden Linien aber ist möglich ohne den innern Gegensatz einer jeden in sich und in ihrer Verlängerung jenseit des rechten Winkels, ohne dafs sie gleichsam auf diesen ihren Gegensasz selbst sich stütze. Deshalb bildet die Natur keinen Krystallwinkel einzeln für sich, sondern nur gleichzeitig meh- X2 164 Weiss über die Verhältnisse rere im Gegensatz nach entgegengesetzten Seiten der spannenden Linien, und es werden die nach auswärts gekehrten Schenkel des Winkels nichts an- ders als die Radien zu den innerlich gegebenen Sinussen und Cosinussen, und sind gleichfalls abgeleiteter, als diese. Die Thätigkeit in den auf einan- der rechtwinklichen Linien, in ihrem gegenseitigen Verhältnifs zu einander, ist das erste, womit die Bildung anhebt,; der Radius, als die die Endpunkte der Katheten verbindende Hypothenuse, wird erst durch sie bestimmt und eingesetzt; in jenen liegen natürliche Einheiten, im Radius nicht. In diesen Worten sind, wie mich dünkt, zugleich mit dem Gepräge der phy- sikalisch einfachsten und nothwendigen Betrachtungsweise der Krystall- elemente, auch die rechtfertigenden Gründe der Sprache ausgedrückt, de- ren ich mich bisher überall bediente, auch wo sie von der gewöhnlichen etwas abwich; die letztere hat lediglich in der einmal eingeführten Form der Tabellen ihren Grund und Ursprung, für welche man den Radius = 1 gesetzt hat, anstatt etwa Sinus oder Cosinus —1 zu setzen. Wenn nun aber von einem Krystallwinkel die Rede ist, und die ihn hervorbringenden Kräfte und Gesetze in der Richtung des Sinus und des Cosinus liegen und wirken, so ist es physikalisch nicht gleichgültig, sondern unpassend, das Verhältnifs, welches zwischen diesen beiden Linien in Beziehung auf den Winkel selbst zu denken ist, umzulegen in das freilich ihm gleiche Verhältnifs von Tan- gente und Radius, von Radius und Cotangente; denn dies verändert mit dem Ausgangspunkt der Betrachtung die Richtungen, wenn gleich nicht das quantitative Verhältnifs unter den betrachteten Gröfsen. Der Ausgangs- punkt der Betrachtung soll der rechte Winkel bleiben, in welchem Sinus und Cosinus sich kreuzen; nicht der Punkt, in welchem Radius und Co- sinus, oder zwei Radien sich schneiden; die Sinus- und Cosinuslinien sol- len nicht allein in ihrem richtigen Verhältnifs unter einander, sondern auch in ihren wahren Richtungen fort und fort gedacht werden. 8.2. Das reguläre oder sphäro@drische Krystallsystem, als dessen Grund- gesetz die Gleichheit dreier rechtwinklicher Axen, jedem Zwei- felnden unangreifbar, feststeht, liefert uns eben dadurch schon eine natür- liche Bürgschaft sowohl für die Richtigkeit unseres allgemeinen Grundsatzes, dafs überall in den unter einander rechtwinklichen Linien, und in nichts an- in den Dimensionen der Krystallsysteme. 165 drem, die wahren Elemente der Krystallbildung liegen, die Winkel aber samt und sonders eine sekundäre Abkunft aus ihnen haben, als auch für das Gegründete der Hofnung, die wir hegen, dafs es möglich sey, auch bei den übrigen Systemen zu einer gleichen Strenge und Naturgemäfsheit ihres geo- metrischen Grundbegriffes zu gelangen, wie sie dem Begrif dieses Systemes selbst eigen ist. Was das erstere anlangt, so ist es völlig evident, dafs der Grundlage dieses Systems, der Gleichheit dreier unter einander rechtwink- licher Dimensionen, das Gepräge der höchsten, unübertreffbaren Ein- fachheit aufgedrückt ist; demnächst aber tritt auch die Art und Weise der Abhängigkeit aller Winkel, die diesem Systeme zukommen, von sei- nem Grundgesetz, an ihm auf die lehrreichste Weise ans Licht; denn seine Winkel erhalten ihren wahren strengen Ausdruck überhaupt nicht durch die Zahl der Grade, Minuten und Sekunden, welche nur annäherungsweise, und nicht mit geometrischer Schärfe das auszusprechen vermögen, was sie ausdrücken sollen, sondern lediglich durch den rein geometrischen Ausdruck der sie spannenden Linien; und es ist vollkommen evident, dafs z. B. der Neigungswinkel der Flächen des regulären Octaeders nur der ist, für dessen Hälfte sich verhält der Sinus zum Cosinus, wie VY2 zu 1. Drücken wir ihn aber in Zahlen der Grade, Minuten, Sekunden und Theile der Sekunden aus, so ist es unmöglich, ihn jemals vollkommen richtig oder geometrisch streng auf diesem Wege auszudrücken; das Verhältnifs des Mafs- stabes zu dem zu messenden ist ein irrationales. Aus der Gleichheit dreier unter einander rechtwinklicher Dimensio- nen, als der einfachst denkbaren Grundlage eines Krystallbaues, folgt aber zunächst, dafs in den Verhältnissen 1:Y2:Y3 sich darstellt das Verhältnifs jener drei Grunddimensionen zu den mittleren zwischen je zwei, und den mittleren zwischen je drei derselben, und zwar beim Würfel in der obigen angegebenen Folge 1:Y/2:Y3, beim regulären Octaeder in der umgekehrten 1:V4+:Y-£=+:75:77. Von diesen neuen Gröfsen sind aber wiederum einige auch rechtwinklich auf einander, oder auf einer der drei ersten; nemlich auf jeder der drei Grunddimensionen sind rechtwinklich zwei der mittleren zwischen je zwei, und auf je drei der letzteren ist rechtwinklich eine mittlere zwischen je drei. Daraus entsteht, dafs schon bei diesen ersten Schritten der Entwickelung das reguläre System rechtwinkliche Linien 166 Weıss über die Verhältnisse in sich erhält im Verhältnifs 1:Y2, und Y2:y3. Wir haben anderwärts schon erörtert, auf was für Gröfsen die weitere Verfolgung eines solchen Ganges der Betrachtung führt, indem wir immer die mittleren aufsuchen zwischen den schon gegebenen. Wenn wir damit die Rücksicht verbinden, welche der gefundenen wieder rechtwinklich werden auf schon gekannten, so möchte dies eine passende Vorbereitung seyn zur Erforschung der innern Dimensionsverhältnisse auch in andern Krystallsystemen (!). Denn wenn wir nun gewahr werden, wie oft und in welcher Mannich- faltigkeit von Substanzen und Mischungen die Natur das reguläre Krystall- system, unverkennbar in seiner vollkommenen Strenge, hervorbringt; wie es vielleicht keine Substanz giebt, die nicht in eine Mischung mit eingienge, welche unter dem Gesetz des regulären Systems krystallisirt: so ist uns da- mit unverkennbar verbürgt, dafs irgend ein innerer Zusammenhang statt finden mufs zwischen den Krystallsystemen, welche dieselben Substanzen in anderen Verbindungen annehmen, und dem regulären, diesem festen Stütz- punkt unserer strengeren geometrischen Kenntnis irgend eines Systems. Eine jede Substanz nimmt ja doch ihre ganze Natur mit hinüber in jede Mischung, die sie eingeht, und in jede Gestaltung, die sie darin erleidet und erwirbt! so mufs ja auch zwischen den verschiedenen Gestaltungen, de- ven sie in den verschiedenen Verbindungen theilhaftig und fähig wird, ein bestimmtes inneres, wenn auch noch so verborgenes Band statt finden; und so dürfen wir hoffen, vom- regulären Systeme aus den Faden aller strengen geometrischen Verhältnisse der übrigen Krystallsysteme zu finden. Es ist von vielen Seiten her überaus wahrscheinlich geworden, dafs die Verhältnisse der elementarsten Linien der Krystallgestalt Verhältnisse von Quadratwurzelgröfsen sind; ein starkes Argument dafür ist das regu- läre System selbst; denn alle seine abgeleiteten Lineargröfsen bekommen Werthe von Quadratwurzelgröfsen, während die Fundamentalgröfse die Ein- heit ist. Aus der Gleichheit wiederum der drei rechtwinklichen Grund- dimensionen geht dieses Verhältnifs für alle übrigen Dimensionslinien her- (‘) Am überraschendsten und einfachsten zeigt seine Dimensionsverhältnisse abgeleitet aus denen des regulären Systems der Staurolith. Es würde uns aber die Übereinstimmung der Winkel weniger genügen, wenn nicht seine beiderlei Zwillingskrystalle die voll- kommene Bürgschaft leisteten, dafs dem wirklich so ist. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 167 vor. Es liegt unverkennbar in der Natur des Raumes selbst, dafs die einfachste Erscheinung der Gröfsen in der Linearausdehnung die als Quadratwurzelgröfse ist. Und es ist eine gewifs beachtungswerthe Empfeh- lung einer durchweg auf solche Grunddata sich stützenden Methode: dafs ihr jeder Krystallwinkel in aller Strenge geometrisch con- struirbar wird, ohne dafs Tabellen oder irgend ein zufälliges Hülfsmittel dabei concurriren, so vielmehr, dafs die Frage nach der Eintheilung in Grade, Minuten, Sekunden u. s. w. eine ganz aufserwesentliche bleibt. Auch das möchte noch eine vorläufige Lehre seyn, die sich aus der Betrachtung des regulären Systems ziehen läfst: dafs das Krystallisirende seinen Raum von seinem Innern aus gleichförmig eonstruirt und beherrscht, unabhängig von einem Mittelpunkt der Wirkung aufser sich, und dafs daher dem inneren Gesetz der krystallinischen Gestaltung die kosmischen oder pla- netarischen Einflüsse fremd sind, welche den verschiedenen Richtungen im Raume einen spezifischen Unterschied beilegen. Die Krystallbildung folgt einem solchen Unterschiede nicht. In drei unter einander rechtwinklichen Richtungen verhält sich das im regulären System krystallisirende vollkom- men gleich; jene Differenzen also haben an seinem Gestaltungsgesetz kei- 8.3. Wenn wir nun auch von denjenigen Krystallsystemen, die vom regu- nen Theil. lären abweichen, die genaueste Kenntnifs ihrer letzten Grundlagen aufzu- finden uns bestreben, so concentrirt sich die Wichtigkeit einer solchen die geometrische Strenge anstrebenden Kenntnifs unläugbar vorzugsweise auf diejenigen Fossilien, welche für die Zusammensetzung der Erde selbst die wichtigsten sind. Das Interesse, das der Quarz einflöfst, wird dann in die- ser Beziehung gewifs hinter keinem anderen zurückbleiben; das Problem, das er dem Krystallforscher giebt, als ein Hauptproblem anzusehen, gebietet die ausgezeichnete Stelle, die er unter den unorg ) Erde einnimmt; überdem noch charakterisirt die Einfachheit seiner Mischung anischen Bildungen der ihn als ein Elementarproblem, welches unter den ersten zu lösen wäre, wo irgend vom Zusammenhang zwischen Mischung und Gestaltungsprinzip die Rede seyn soll. “ So halten wir uns denn auch überzeugt: das Verhältnifs der Längen- richtung c zu den drei unter sich gleichen Querrichtungen a ist es, worin 168 Weıss über die Verhältnisse die Angel der Quarzstructur sich dreht. Bekanntlich war die Haüy’sche der Wahrheit schon sehr genäherte Annahme, in unsre Sprache übersetzt, a:c=V5:YV6; oder wenn wir statt der gröfseren Querdimensionen a des Dihexaeders die kleineren s im Verhältnifs gegen die Längendimension c angeben, ssc=V5;V8 Die Messungen von Malus (!), ohnstreitig die zuverlässigsten unter den bisher bekannten, und sehr nahe übereintreffend mit allen seitdem be- kannt gewordenen, mit einziger Ausnahme der Mohs’schen (?), welche noth- wendig in irgend einer Zufälligkeit ihren Grund haben müssen, gaben be- kanntlich — und alle folgenden stimmten bei — das Dihexaeder ein wenig, aber doch merklich schärfer, die Neigung der Dihexaäderfläche gegen die Axe etwa 38° 14’ statt 35° 20’, und bei so nahe liegenden Werthen ver- suchte ich es (*), das so einfache Haüy’sche Verhältnifs als Fundamental- verhältnifs für den Quarz aufrecht zu erhalten, indem ich davon ausging, dafs die wirklichen Formen unserer Krystalle zusammengesetztere Erzeugnisse sind, nicht von den krystallinischen Gesetzen allein abhängig, sondern von den- selben, modificirt theils durch den Einflufs aller übrigen mitwirkenden, und nothwendig störenden, mechanisch -physischen Kräfte der krystallisirenden Masse selbst, theils durch die Einwirkungen, die sie von aufsen erleidet. Es ist mir indefs bei fortgesetzter Betrachtung ein Gesetz aufgestofsen, das wenigstens ausgesprochen zu werden verdient, und in dem für sich einneh- menden Lichte einmal betrachtet werden mag. Sey es Zufall oder nicht — genug, die Malus’schen Messungen stimmen vollkommen mit dem Ver- hältnifs a:c=YV2.3.4:V2? +3: 4 (‘) S. die Memoires de la societ€ d’Arcueil, T. Il. p.181. (?) S. dessen Grundrifs der Mineralogie, Th.1. S.568. Th.II. S.368. wo der Verfasser eben so, wie in seiner „Charakteristik’’ (Dresden, 1820.) nur seine eignen Messungen wiedergiebt, und alle andere mit Stillschweigen übergeht; was den Unerfahr- nen falsch leitet, dem Erfahrneren, bei einem Gegenstande, wie der Quarz, sehr anstöfsig seyn mufs. (°) Vergl. den Band dieser Schriften für die Jahre 1820 u. 1821. S. 188. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 169 Das scheint in der That sonderbar (!). Es giebt dieses Verhältnifs a:c=YV24:Y29 die Neigung der Fläche gegen die Axe, 38° 143’ 56,”66; Malus fand 38° 14’; für die Neigung der Flächen des Rhomboeders in der Endkante, 94° 16’ 14,’37; Malus fand 94° 16’; für die Neigung der Flächen des Dihexaeders in der Endkante, 133°44'53,”26, Malus fand 133° 44’4 (?). Wir überlassen es der Zukunft, zu entscheiden, ob an einem so ein- fachen Faden, wie die Gröfsen 2, 3, 4, in Functionen, wie sie in dem obi- gen Ausdruck am Tage liegen, das wahre Grundgesetz eines Krystallsystemes wie des Quarz, zu finden sey (°). S.4. In den von mir angegebenen Grundverhältnissen des Feldspathsystems liegt eine ähnliche Simplieität, die ich weit entfernt war, etwa eben, weil sie mir so erschienen wäre, dem Feldspath unterzulegen, die sich mir viel- mehr als Resultat ganz anderer Erwägungen ergab, ja sich fürs erste unter einem entgegegengesetzten Anschein befremdender Verwickelung vielmehr verbarg, wie das obige Quarzverhältnifs Y24:y29 denn wohl auch nicht an und für sich in einer solchen Simplieität erscheint, als es dieselbe vermittelst unserer obigen Schreibart gewinnt. Beim Feldspath nemlich hatten wir für die drei unter einander rechtwinklichen Grunddimensionen a, b, c, | - a:b5b=1:V3, unda:c=YV13:y3 = Y2?’-+-3° :V3 (') Das Verhältnifs s:c wird hienach = V2.3.3:V? +3? +4? = 3y2:y2, weil s=ay-. (?) Herr Kupffer zieht in seiner Preisschrift: über genaue Messung der Winkel an Krystallen, Berlin, 1825. 4. S.49. aus der ersten Reihe seiner Messungen dieses Winkels, „bei denen man das Instrument mit grofser Sorgfalt gestellt hat, um einen constanten Fehler zu vermeiden ,’’ das Resultat: dafs das Complement des Winkels nicht weit von 46° 15,'1 entfernt seyn kann; das wäre 133° 4454”; ganz der obige Werth. (°) Auch das Haüy’sche Gesetz für den Quarz unverändert gedacht, würde man bei der Vergleichung mit dem obigen geneigt seyn sich vorzustellen unter der Form a!c = V?+3:V2.3= y5:y6; so wie sic unter der Form = V2+3:V2.4. Phys. Klasse 1825. Y 179 Weiss über die Ferhältnisse alle drei in der einfachsten arithmetischen Gestalt so dargestellt: act Ft ‚a; a re So gefafst freilich hätten wir es sichtlich auf die Gröfsen 1, 2, 3, redu- cirt, diese wiederum in ähnlichen Functionen unter sich combinirt, wie bei dem obigen Quarzbilde die Gröfsen 2, 3,4. Man kann wohl nicht anders, als solche Spuren mit Interesse verfolgen; sie scheinen ein überraschend einfaches Licht zu versprechen, das auf die inneren Verhältnisse des Krystall- baues fallen würde; man könnte sich diesem Interesse nicht gänzlich ent- ziehen, selbst auf die Gefahr hin, von solchen Spuren irre geleitet zu werden. Was nun den Feldspath betrift, so sind freilich neuerlich meinen An- nahmen mancherlei Winkelangaben entgegengestellt worden; aber man hat dabei nirgends Rechenschaft gegeben über die Widersprüche, in welchen sich diese verschiedenerlei Angaben mit dem befinden, was über den Feld- spath schon unbezweifelt feststeht; und es ist daher nothwendig, hierauf wieder zurückzukommen. Fürs erste steht für den Feldspath vollkommen fest, und ist durch die Zwillings-, Drillings- und Vierlingskrystalle des Adulars und der Kry- stalle von Baveno in aller Strenge verbürgt:- a) dafs die beiden Flächen des vollkommensten blättrigen Bruchs ? und M (bei Haüy) genau rechtwinklich gegen einander sind; 5) dafs die Fläche n, unsere Diagonalfläche, als die gemeinschaftliche Ebne bei diesen Zwillingen, gegen welche P sowohl als M umgekehrt liegen, genau 45° und 135° gegen P sowohl als gegen M geneigt ist. Hier läfst sich nichts hinzuthun noch abnehmen; jede Messung mufs im Irrthum seyn, er befinde sich, wo er wolle, welche hiemit nicht stimmt (!). (') So die Angabe von Breithaupt (s. dessen vollst. Charakt. d. Mineralsyst. Dres- den, 1823. S.67.), wenn er meinte, 90° 6’ statt 90° 0’ für die Neigung von P gegen M7 ge- funden zu haben. Auch Herr Mohs drückt sich (in seinem Grundrifs der Mineralogie, Th. 1. S.290.) ungenau aus, wenn er von jenen Vierlingskrystallen des Adulars mit den Worten spricht: „es entstehen fast rechtwinkliche Prismen’ u.s.w. Er sagt dies lediglich in dem Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Messung von 126° 12’ für 0 gegen o statt 126° ın den Dimensionen der Krystallsysteme. 171 Wem beim Zwilling allein die Evidenz nicht genügen sollte, mit welcher die Richtung des ersten blättrigen Bruchs des einen Individuums zu- sammenfällt mit der des zweiten im andern Individuum (!); wer daher es auch verkennen wollte, wie gerade das Vertauschen der einen Richtung in einem mit der andern im andern Individuum mit dem ganzen Wesen die- ser Zwillingsbildung im Zusammenhang steht: dem würde doch die Evidenz beim Drilling schon keine Wahl mehr lassen, wo in der erdenklichsten Voll- kommenheit die Richtung des zweiten blättrigen Bruches im dritten In- dividuum genau in die nemliche des ersten zurückkommt. Am Vierling aber wiederholt sich dies eben so in Bezug auf das zweite und vierte Individuum unter einander; und jedes Individuum zeigt sich genau in dem- selben Verhältnifs zu beiden Seiten, so dafs jedes als das vierte gedacht, ge- nau in demselben Verhältnifs zum ersten steht, wie das erste zum zweiten, das zweite zum dritten, das dritte zum vierten; der Kreis schliefst sich mit diesen vier Individuen; ein fünftes in gleichem Sinne zutretendes giebt es nicht mehr; es ist dann das erste wieder. Dies alles verbürgt mit einer geometrischen Strenge, wie keine Mes- sung je einen Winkel verbürgen kann, was wir eben aufs neue als fest- stehende Thatsache über den Feldspath aussprachen, und von dem wir for- dern, dafs alle neuen Messungen an ihm sich erst damit in Einklang setzen, ehe sie auf Glaubwürdigkeit Anspruch machen können. Fürs zweite aber scheint es mir eine nicht minder erwiesene Thatsache: dafs die Flächen « bei Haüy wirklich gleiche (und umgekehrte) Neigung gegen die Axe der Säule 7’/ haben, wie ? (?). Es sind wiederum Zwillings- 52', aus welcher freilich, wenn o = | a’: —b:c |» und zu — a2 2:0 \, folgen würde, dafs n 134° 35’ oder 45° 25’ gegen P, und 44° 35’ gegen 37 geneigt wäre, statt 45° 0’ gegen beide. “(') Diese Evidenz ist schon am Zwilling ganz vollständig da, wo durch Abweichungen vom Gleichgewicht beider Individuen die Grenze zwischen beiden, statt die gewöhnliche symmetrische zu seyn, in allerhand zackigen Umrissen vor- und zurückspringt, und dann so scharf die Lage von 47 des einen in der verlängerten P des andren, und umgekehrt, beob- achten läfst. (*) Seit Herr Mohs, wenn gleich nicht beim Feldspath, doch sonst in sein System die „Abweichungen’’ eingeführt, oder mit andren Worten, eben so wie Haüy, auch Octaeder mit schiefen Axen als Grundgestalten aufgenommen hat, sind unsre beiderseitigen Vorstellungen von der Beschaffenheit solcher Krystallsysteme wesentlich geschieden; er Y2 172 Weiss über die Verhältnisse erscheinungen, welche die Gewähr dafür leisten, und zwar solche, welche aus dem Zwillingsgesetz hervorgehen, unter welchem die Karlsbader Zwil- linge stehen. Die Bürgschaft ist aber wieder doppelt; theils in Erscheinungen der äufseren Gestalt, theils in Erscheinungen des Bruches. In Erscheinungen der äufseren Gestalt: Das Königliche Mineralien- kabinet besitzt Zwillinge dieser Art aus dem Riesengebirge, wo, gegen die selbst ist aber auch dadurch in Widerspruch mit seinem eigenen Begrif von Grundgestalten gerathen (vergl. seinen Grundrifs Th.I. S.89.90.). Was mich betrift, so halte ich fürs erste fest an der oben 8.1. ausgesprochenen Überzeugung: dafs jeder schiefe Winkel auf rechtwinkliche Linien zurückweist, und lediglich in ihnen sein Gesetz, seinen Ursprung findet. Fürs zweite ist mir die Analogie der übrigen Systeme, des regulären, des vierglie- drigen, zwei- und zweigliedrigen, sechsgliedrigen und rhomboädrischen, wo alles evident und eingestandnermafsen auf rechtwinklichen Dimensionen beruht, eine starke Bürgschaft, wie in der Natur gegründet dies Ausgehen von rechtwinklichen Axen ist, und nirgends sich verläugnen wird. Ferner ist das wirkliche Hemi@drischwerden oder Wegfallen einer Hälfte gleichartiger Flächen an eben diesen Systemen, am regulären zumal, vollkommen factisch erwiesen ; und eben dasselbe ist es, was, von den zwei- und zweigliedrigen Systemen aus, Erscheinungen, wie die der zwei- und ein-, und ein- und eingliedrigen Systeme hervor- bringen mufs. Den neueren Winkelmessungen, welche mit dieser Ableitung der Erschei- nungen vermeintlich in Widerspruch gefunden seyn sollten, ist bis jetzt, wie sich durch- weg zeigt, ein zu grofses Zutrauen von den Beohachtern geschenkt, und die theils allge- meinen, theils individuellen Störungen, mit welchen es der Krystall bei und seit seiner Bil- dung zu thun hat, fast nirgend in Erwägung gezogen worden. Mit einem Wort, die Angabe von Systemen mit schiefwinklichen Axen mag dem Bedürfnifs der ersten naturhistorischen Betrachtung entsprechen und genügen; sie fordern zu weiterer Entwickelung auf, und wer- den zuletzt doch in den rechtwinklichen Axen enden müssen! Öfters wird es auch reine Willkühr seyn, ein Octaöder mit schiefen Axen an die Stelle der Betrachtung der recht- winklichen Axen zu setzen; denn freilich ist jederzeit eine beliebige Menge von Octaädern mit schiefen Axen (also, wenn dies Grundgestalten seyn können, gegen die von Herrn Mohs a.a. ©. S.90. ausgesprochenen Regeln) von dem zwei- und eingliedrigen Systeme mit rechtwinklichen Axen ableitbar; und es bedarf überhaupt nur der Combination zweier verschiedener Paare von Flächen des zwei- und eingliedrigen Systems aus ver- schiedenen Zonen (seyen es zweierlei augitartige Zuschärfungsflächen, oder auch die einen Seitenflächen); je zwei solcher Paare geben sogleich,.ein Mohs’sches Octa@der mit schie- fen Axen. Endlich wird die Beschaffenheit der Grundgestalten, wie der ganzen Systeme, durch die gestattete Schiefwinklichkeit der Axen, der ganzen Regellosigkeit aller geometrisch denkbarer Verhältnisse wiedergegeben. Es schien mir ein Fortschritt, durch Auffindung eines allgemeinen Naturgesetzes hier die Anwendung des geometrisch denkbaren auf die Wirklichkeit in engere Grenzen einzuschliefsen. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 173 gewöhnlichere Erscheinung, welche die Karlsbader Zwillinge zeigen, nicht die Flächen y, sondern x mit P die Endigung bilden; und bei solchen Zwillingen liegt die Fläche x des einen Individuums voll- kommen in der Verlängerung von ? des andern; ein einleuch- tender Beweis, dafs beide durchaus gleich geneigt sind gegen die Seitenkante der Säule. Es giebt viele Zwillinge dieser Art, welche, ohne unter ihren Endigungsflächen & selbst zu haben, die Flächen aus der Diagonalzone der- selben, unsere Rhomboidflächen o, zeigen; so kommen sie unter andern am Thüringer Wald in Menge, wenn auch selten frisch genug, vor. Durch die Art, wie alsdann die Flächen o des einen Individuums die Flächen ? des andern, welche wieder mit den Flächen aus ihrer Diagonalzone z umgeben sind, in lauter parallelen Kanten schneiden, ergeben sich eine Reihe von Be- stätigungen für das nemliche Resultat; sie dienen wenigstens dazu, eine ge- wisse Gröfse der etwanigen Abweichung direct zu widerlegen, wenn sie auch minder geeignet sind, die Beobachtung bis zu der Schärfe zu bringen, wie bei dem Aneinandergrenzen des P des einen mit x des andern Individuums. Auch Zwillingskrystalle aus Sibirien, die mit Topas zusammen vorkommen, besitzt das Königliche Mineralienkabinet, welche zum ferneren Beleg dieses für die Theorie des Feldspathsystems ganz besonders wichtigen Resultates dienen können. In den Erscheinungen des Bruches geben die Karlsbader Zwillinge selbst ein schönes und deutliches Gegenstück zu dem, was die eben erwähnten äufseren Krystall- Erscheinungen lehren. Die Karlsbader Krystalle nemlich springen leicht so, dafs der vollkommene blättrige Bruch ? des einen Indivi- duums sich fortsetzt, wiederum genau in seiner Verlängerung, in einen blättrigen Bruch parallel x im andern Individuum, welcher, sonst verborgen, eben dadurch deutlich zum Vorschein kommt. Wenn nun bei diesem allem nicht eine Spur von abweichender Nei- gung zwischen x und P gegen die Axe der Säule sich zeigt, so möchte die Rechtwinklichkeit der Axen des Feldspathes hinreichend erwiesen seyn; dann aber folgt wiederum mit aller Strenge, dafs, weil nz = (1) genau (') Diese Werthe der Flächen in Beziehung auf die entsprechenden Dimensionen a,b, c sind durch das Fallen in die Zonen, in welche sie gehören, ein- für allemal genau erwiesen. 174 Weiss über die Verhältnisse 45° oder 135° mit P und M macht, die Flächen | a’:-.bie.|, d.i. ound o ge- gen einander 126° 52', d. i. den Winkel des Rhomben, dessen Diagonalen sich verhalten, wie 2:1, und nicht mehr oder weniger, machen müssen, und für die Dimensionen des Systems folgt die strenge Richtigkeit der Gleichung Es bleiben übrig die Winkel der Säule 7’, /, M selbst. Diese Säule für eine unsymmetrische zu erklären nach Messungen, welche auch hier Ab- weichungen von der symmetrischen haben finden wollen, dagegen sträubt sich einerseits die gewöhnliche Zwillingskrystallisation des Feldspathes selbst. Wäre nicht 7 und / gleich geneigt gegen M, so würde es schwerlich eirie Zwillingskrystallisation des Feldspathes geben, wie die gemeinen Karlsbader Zwillinge sind; die Säule würde dann gar nicht beiden Individuen wirklich gemein seyn (wie sie es in allen analogen Fällen, der Hornblende-, Augit-, Gipszwillinge u. s. f. ist); die Richtungen 7’ des einen würden mit denen Z des andern gar nicht zusammenfallen; und doch findet man so häufig beide Individuen mitten in einer solchen Fläche an einander grenzen, und die beiderlei Flächen vollkommen in den gegenseitigen Verlängerungen von ein- ander, so dafs wenigstens eine gewisse Gröfse sich schon durch diese ein- fache Beobachtung verbürgen läfst, welche die vermeintliche Differenz nicht betragen kann. Eben so verlöre, wenn die Säule des Individuums nicht symmetrisch wäre, die sechsseitige Zwillingssäule den Parallelismus je zweier gegenüber liegender Flächen. Da alle abweichenden Angaben über die Säulenwinkel am Feldspath auf diesen Umstand wieder gar nicht eingehen, so müssen wir zuvörderst einer jeden zu bedenken geben, wiefern sie mit dieser wesentlichen That- sache über den gemeinen Feldspath vereinbar ist oder nicht. Allein unter den verschiedenerlei, unter einander wenig stimmenden neueren Angaben finden sich ebensowohl solche, welche die Symmetrie der Säule bestätigen, als solche, welche derselben entgegen sind. Möge man doch überhaupt mit mehr Kritik zu Werke gehen bei der eg des Resultats einer auch sorgfältig angestellten Messung auf den Charakter de Gattung! Wenn in der Natur säldhe Störungen der Kırall? in den Dimensionen der Krystallsysteme. 175 bildung vorkommen, wie sie Herr Kupffer in seiner Preisschrift (1) S.84.85. beschreibt, wo er an einem und demselben Berillkrystall den Winkel von s gegen s, an zwei benachbarten Endkanten gemessen, um vierzehn Minuten differiren sah; wenn dies am Berill, dessen Endigungsflächen vergleichungsweise so wenig zu Biegungen geneigt sind, vorkommen kann, welches wird überhaupt die Grenze der Störungen bei gewöhnlichen, ohne grofse Auswahl genommenen Krystallen seyn! Das Werk von Phillips (*), gewifs eines der schätzbarsten, das wir besitzen — dessen Verfasser wir den Rome de Lisle der Epoche des Wollaston’schen Goniometers zu nennen allen Grund haben — ist voll von Belegen hiezu, und dürfte einen guten Theil der Materialien zur Lösung jener Frage enthalten; die Resultate der Messungen sind hier mit einer Änspruchslosigkeit und einer ungeschminkten Wahrheitsliebe mitgetheilt, welche den gerechtesten Anspruch auf unsern Dank und auf unsere Achtung haben; man würde gewils sehr ungerecht seyn, wenn man den überall so offenbaren Mangel an Übereinstimmung der Messungen unter sich, welcher dem Verfasser selbst am wenigsten entgehen konnte, und ihn nur um so mehr bestimmt zu haben scheint, sich aller theoretischen Erörterungen zu enthalten, für Fehler der Beobachtung an- sehen, und nicht vielmehr für individuelle Störungen der Krystallgestalten selbst erkennen wollte; freilich aber liefern sie insgesamt das vorläufig trau- rige Resultat, dafs alle diese Messungen mit dem Reflexionsgoniometer kaum innerhalb geringerer Grenzen zweifelhaft lassen, als sie es beim Gebrauch des gemeinen Goniometers sind. Was aber die Messung der Seitenflächen des Feldspaths, und des Adu- lars insbesondere, anlangt, so gesellen sich hier zu den allgemeinen Ur- sachen der Störungen noch die ganz besonderen, welche in seiner so grofsen Neigung zu seiner bekannten Zwillingskrystallisation liegen. Wie stark und wie individuell die Störungen sind, welche hier gerade an der Zwillings- grenze, und für die Nettigkeit der Seitenflächen vorzugsweise, ganz einhei- misch sind, hat gewifs jeder Mineralog beobachtet. Sie sind aber ein Um- (‘) Preisschrift über genaue Messung der Winkel an Krystallen, von D'. A. Th. Kupffer. Berlin, 1825. 4. () Will. Phillips elementary introduction to the knowledge of mineralogy, third edit. Lond. 1823. 8. 176 Weıss über die Verhältnisse stand, der beim Adular nie übersehen werden darf, der für viele der so ab- weichend gefundenen Neigungswinkel der Schlüssel seyn möchte, und der nur mit der gröfsten Behutsamkeit erlauben wird, aus allen diesen Messungen ö ein sichreres Resultat zu ziehen, als bisher. So halte ich noch fest an der Einfachheit jener Verhältnisse beim Feldspath, welche das Gesetz seines Säulenwinkels zu 120° geben; ja es wäre möglich, selbst mit aller Strenge den Beweis durchzuführen, dafs seine Säule genau diese und keine andre ist, abgesehen von dem bedingten Be- weise, welchen ich in meiner früheren Abhandlung (!) aufstellte, vielmehr auf ähnlichem Wege, wie wir vorhin die zwei zuerst genannten Eigenschaften desselben bewiesen haben. Es finden sich nemlich auch Zwillinge am Feld- spath nach dem Gesetz: dafs beide Individuen durch einander gewachsen sind, so, dafs sie eine Seitenfläche | a:5:o0c | gemein, die zweite gleich- artige in umgekehrter Lage gegen die gemeinsame liegen haben (?). Ist nun die Säule 120° genau, so folgt, dafs die umgekehrt liegende Fläche des einen Individuums genau in die Richtung des zweiten blätt- rigen Bruchs, d.i. der Fläche | b:»a: oc] des andern zu liegen kommt, und umgekehrt. So weit an den im Königlichen Mineralienkabinet vorhan- denen Beispielen solcher Zwillinge sich mit Schärfe urtheilen läfst, bestätigen sie diese Coincidenz des | 4:»a:% e| des einen Individuums mit einem [a:b:o0c] des andern sehr befriedigend. Es wird das Zutrauen in die Zu- verlässigkeit dieser Beobachtung weiter verstärkt durch das, was die hinzu- tretenden Flächen [3a:5:00c |, die Haüyschen z, an denselben Exemplaren zeigen. Es müssen nemlich, wenn die Feldspathsäule streng 120° ist, zwei Flächen | 3a:b:0c | beider Individuen, und zwar die auf dem gemeinschaft- lichen senkrechten, ebenfalls beiden Individuen gemein und der zweiten Grenzebne der Durchwachsung parallel seyn, äufserlich aber an je- nem Zwilling wieder genau in der Verlängerung des einen vom andern lie- en; und in der That, man sieht nicht eine Spur von Abweichung von dieser $) ’ P o (') S. den Band dieser Schriften für 1816 u. 17. S.259. (*) Dies ist das gewöhnliche Gesetz bei den Zwillingskrystallen der zwei-und-zwei- gliedrigen Systeme; bei Arragonit, Weifsbleierz, Binarkies u.s.f. Sie kommen beim Feldspath, wie beim Arragonit, theils an einander gewachsen, theils durch einander ge- wachsen, vor. 2) in den Dimensionen der Krystallsysteme. AT geforderten Lage; die eine Fläche |3@:5:»c| des einen Individuums er- scheint genau in der Verlängerung einer [3a:6:000 des andern. Wiederholte sich dieses, im Allgemeinen schon seltnere Zwillings- vorkommen zum Drilling, so stiege die Strenge und Evidenz des über den wahren Säulenwinkel des Feldspathes daraus zu ziehenden Schlusses noch höher. Wenn nemlich das zweite Individuum mit seiner zweiten Fläche a:b:oc | zusammenwüchse mit einem [a:b:o0e eines dritten Indivi- duums, wie bereits mit einer der Flächen [a:2: »c| gegen das erste In- dividuum, so sieht man ein, dafs, wenn die Säule genau 120° ist, der Kreis des Drillings sich wieder vollkommen schliefst, und das dritte Individuum genau eben so steht gegen das erste, wie das erste gegen das zweite u. s. f. Im Gegentheil aber, wenn der Säulenwinkel von 120° abweicht, so werden bei der Wiederholung des Zwillings die Abweichungen von der Coincidenz in Bezug auf die Flächen [« :b:ooc | des ersten und des dritten Individuums verdoppelt, und um so weniger der Beobachtung entgehen können. Der- gleichen Nutzen läfst sich von genauem Beobachten der Zwillinge und ihrer Wiederholungen für die Kenntnifs ihrer Dimensionsverhältnisse, und somit für die strengere Theorie und Kenntnifs der Krystallsysteme allerwärts ie) ziehen; und wir möchten wohl die Aufmerksamkeit der Beobachter auf solche Feldspathzwillinge, wie die eben beschriebenen, wo sie mit gröfserer Nettigkeit noch vorkommen mögen, gern insbesondere lenken. Es würde noch ein besonderes Interesse gewähren, sonach im Feld- spath einen Cychus von Zwillingsvorkommen zu haben, welche zusammen alle Verhältnisse der Dimensionen dieses Systemes vollkommen genau er- wiesen, das letzterwähnte nemlich die Säule von 120°, die gewöhnlichen (Karlsbader u.a.) Zwillinge die Gleichheit der Neigungen von P und x ge- gen die Säule, und somit die Rechtwinklichkeit der Axe c auf den Axen a und 2, endlich die Adularzwillinge u. s. f. die sämtlichen übrigen Winkel, 4ac gesichert durch die dann von ihnen verbürgte Gleichung = Var ‚ das 7 Aen R ee Ganze, wie wir es ausgesprochen haben in der Form C)- 5, 1 (') Es wird erlaubt seyn, beiläufig noch zu gedenken, in welcher Art Herr Haüy nach Erscheinung meiner (ersten) Abhandlung über den Feldspath, seine Darstellung des- Phys. Klasse 1825. Z 178 Weıss über die Verhältnisse 8. 5. Die Hornblende, wiederum eine der wichtigsten Gattungen, würde, wenn wir die Haüy’schen Angaben für sie streng beibehalten, uns ein Bild selben verändert, und in seinem Traite de cristallographie, T.1l. p.356 u. fgg. neu gege- ben hatte. Aus der Zusammenstellung der Winkelangaben: Haü y’s ältere neuere meine Angabe Neigung von ? gegen die stumpfeSeitenkante | 115° 0’ 7” 415° 14’ 115° 39' 32” Ebner'Winkel auf D.!irecaeanessneesennacene ts 1415 0 7 | i14 54 38” | 114 Ag 11,5 Neigung von P gegen T oder L..ceeeeeeenene 411 28 111 40 112 1 27,5 von P gegen & ceeneenneeenn ae I ER 128 40 56 VONFRIHEBENEN 2 agenesnennasaessonnan 99 A1 12 99 29 9 551 VonkBarepenkgieesnsensehseren se dadeen 445 18 4A 145 17 11 145 14 37 geht deutlich hervor, dafs er sich in der neueren Darstellung meinen Angaben näherte, ohne sie selbst annehmen zu wollen. Statt des mit seiner früheren Bestimmung verbundenen verwickelten Ausdruckes für die Neigung von P gegen die Axe sin:cos= /V2 1:93 —1 nahm er nunmehr an sin:cos=3:y2 (anstatt meines Y13?y3), gab die Gleichheit dieses Neigungswinkels mit dem ebnen Winkel der Endfläche auf, behielt die Säule von 120° ge- nau bei, und eben so die Neigung von n gegen P und gegen M genau zu 135°. Hieraus folgt das übrige. Der wahrhaft hendyoedrische Charakter des Systems wurde somit nicht hergestellt; sondern die Neigungen der Flächen der vertikalen Zone gegen die Axe erhielten zu Ausdrücken : für P, sin:cos=3: y2 für x, sin:cos=3} — y2 für y, sin:cos=3: 3 — y2 für g, sin:cos=3: — y2 Die erstere Neigung, wie sie Haüy hier nahm, unverändert gelassen, würde der hendyo@drische Charakter des Systems nur dann in die neue Haüysche Darstellung über- gegangen seyn, wenn er die Seitenkante H seiner primitiven Form im Vergleich gegen die übrigen angegebenen Linien gesetzt hätte = statt y33. Dann würde aber die Eigenschaft von z, genau 135° geneigt zu seyn gegen PundM, verloren gegangen seyn, wie wir a.a. O. gezeigt haben, dafs diese Eigenschaft mit der Säule von 120° und dem wahrhaft hendyoedrischen Charakter des Systems nur bestehen kann bei dem Verhältnifs a:c=Yy13: y3. . Bemerkenswerth möchte noch seyn, dafs auch bei dieser neueren Haüy’schen Dar- stellung die sonderbare Eigenschaft der Flächen der vertikalen Zone yund g fortbesteht, dafs für beide die Neigungswinkel gegen die stumpfe Seitenkante und gegen ? sich umkehren. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 179 geben, das bei der Vergleichung mit dem obigen des Quarzes nur über- raschen könnte, nemlich FR TERET} . a:5b=V2.2.2:)2°+3°+4°, d.i, =V8:y29 für das Verhältnifs der beiden Querdimensionen, oder für die Diagonalen ihrer Säule, und a:c=Vi’+2?+3°:4, di. = Vi4:1 für das Verhältnifs der kleineren Quer- zur Längendimension. Mit dem ersten der angegebenen Verhältnisse treffen mehrere neuere Messungen sehr nahe überein ; andre weichen merklich von demselben ab, und scheinen einander zu bestätigen. Herr Nordenskiold (!) fand statt 124° 35’, wie der Haüy’schen Annahme zufolge die Seitenflächen der Säule gegen einander geneigt seyn würden, 124° 14,7 oder 124° 15’; Herr Hai- dinger (?) 124° 13’. Wir können das Mittel dieser beiden Angaben aus- drücken mit abe V3 rl: Vi, di. =V7:5 und die Analogie dieser Correction der Haüy’schen Werthe mit den obigen Ausdrücken kann wieder nur überraschen; sie giebt den genannten Winkel zu 124° 13’ 44”. Wenn in dem zweiten Hornblend- Verhältnisse @:c eine Correction zu treffen ist, so neigt sie sich nach den übrigen Nordenskiold’schen und m. a. Messungen zu dem Verhältnifs hin a:c—=V2’+3°?:1, d.i.=V13:1 gleich dem von dic beim Feldspath; und es würde die Einfachheit des Aus- drucks des so in doppelter Beziehung corrigirten Hornblendbildes der des Haüy’schen keineswegs nachstehen. (') S. Nordenskiold bidrag till närmare kännedom of Finlands Mineralier och Geognosie, Stockholm, 1820. I, 48. und Bonsdorff’s nova exp. nat. pargasitae illusir. Abo, 1817. p.25. (2) S. Gilberts Annalen, 1823. Bd. XV. S.374. 1 80 Weıss über die Ferhaltnisse 8. 6. Der Augit ist neben der Hornblende eine Gattung von beinahe gleich grolsem Interesse und Umfang; sie gehört zu den Gattungen, deren Bearbei- tung Haüy gewifs die vorzüglichste Sorgfalt geschenkt hat, und möchte das richtige Maafs der Schärfe anzugeben geeignet seyn, welche die Haüy’schen Arbeiten irgendwo erreicht haben. Die Correctionen sind zweifelhaft und jedenfalls schwach, welche neuere Messungen mit den jetzt üblichen schär- feren Messungsinstrumenten hier zu erheischen gegründeten Anspruch haben. Das Haüy’sche Bild aber giebt a:b—=V2?+3°:2y3, d.i. =V13:V12 und a2 rl, di = M2EHz also 1 1 1 2. . . 1 . .c = . . ® u 2y3 ° Va? 3? 4.3 ©) so einfach an die vorigen Beispiele sich anschliefsend, dafs wenigstens eine gröfsere Analogie oder engere Verbindung mit ihnen bei keiner Abweichung von diesem Bilde zu finden seyn würde, zumal wenn man bedenkt, wie ich bei einer früheren Gelegenheit bereits bemerkte (?), dafs man die Verhältnisse des Feldspathes selbst in denen des Augits wiederfindet, indem sich die eine Gröfse in demselben nur gegen die andre verdoppelt, um ein Grundverhält- nifs des Feldspathes zu einem Grundverhältnifs des Augites gleichsam umzu- prägen, eine solche Verdoppelung aber das einfachste ist, was in einem und demselben Krystallsystem bei der Entwickelung seiner verschiedenen Glieder vorkommt; mit andren Worten, wenn man bedenkt, dafs das a:b (Augit) =a:2c (Feldspath), und a:c(Augit) =2b:a (Feldspath). Von den Haüy’schen Werthen für den Augit, auf welche diese Ver- gleichung sich gründet, nicht leicht abzugehen, daran erinnert uns noch ins- besondre die diesen Werthen inhärirende, um ihrer Einfachheit willen be- merkenswerthe Eigenschaft, welche bei einer guten Übereinstimmung mit (‘) Nicht zu vergessen, dafs dieser Divisor des dritten Gliedes das Quadrat ist von dem des ersten. F (2) S. den Band dieser Schriften für 1820 u. 1821. S. 213. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 181 den Messungen in dieser Einfachheit selbst den wohl zu beachtenden Stem- pel gröfster Wahrscheinlichkeit und Natürlichkeit trägt, die Eigenschaft nem- lich: dafs die Rhomboidflächen gegeneinander genau unter 120° geneigt sind. Diese Eigenschaft ist abhängig, wie man leicht sieht, von einem be- stimmten Verhältnifs der drei rechtwinklichen Grunddimensionen unter ein- ander, so dafs, wenn zwei von ihnen gegeben sind, der Werth der dritten bestimmt ist für den Fall, dafs jene Eigenschaft dem System zukommen soll. Die Rechnung ist leicht. Man hat für die halbe Neigung der Flächen gegen einander R ; 2 f R f 2y3 sin:cos—YV3:14, also 5: — © —y3 :1, folglich 2 = sa ar. Va?-r.c? Va’-+c? Ist also a: c gegeben, so findet sich a:b=Va’-+e?:cyYın. Sucht man c, wenn a:b gegeben ist, so hat man zuvörderst R 1.07 c® = — —, odera’d#’+b’c=i2a’ ce? a?-=-c? ’ - Ar i 2#7:5 2 a ne ab folglich a’ 2° = (124°— b°) c”, mithin ce = =; 12a? — b? und a:c=Yı2a? —b’:b. _ Dies schränkt, wenn anders das Verhältnifs @:c durch ein einfaches Gesetz ausgesprochen werden soll, die Werthe, welche die Winkel der Säule haben können, ohne die ‘genannte Eigenschaft des Systems aufzugeben, in sehr enge Grenzen ein. Denn wenn z. B., um etwa die Endigungsflächen des Augites mit denen der Hornblende in unmittelbareren Zusammenhang zu bringen (?), beim Augit statt a:c=Y12:1, gesetzt würde a:c=V13:1, so forderte die Neigung der Rhomboidflächen = 120°, für das Verhältnifs der Säule a:b=YV14:yV12=YV7:Yy6 welches die Säule gäbe zu 85° 35’18”, was durch die Messungen gänzlich (') Was den anscheinend so nahen Zusammenhang der Säulenwinkel des Augites und der Hornblende betrift, so wiederholen wir nicht, was wir bereits in dem Bande dieser Schriften für 1820 u. 1821, S.214. 215. über diese beiderlei Säulen sowohl, als über die des Topases gesagt haben. 182 Weiss über die Verhältnisse verworfen wird. Wollte man aber für den Augit setzen a:c=Y11:1, so fände sich das andrerseits bemerkenswerthe Resultat a:b=V12:V12=1:1 d.i. die Säule würde rechtwinklich (!). Die Messungen mit dem Reflexions-Goniometer haben nicht so zu- verläfsige Abweichungen von den Haüy’schen Winkeln gegeben, dafs man durch sie zur Veränderung des obigen Bildes eine hinreichend sichere Grund- lage gewönne. Herr Nordenskiold fand den Säulenwinkel zu 87° 33’, die Neigung der Schief-Endfläche gegen die Seitenkante 106° 0’30”; man kann dies kaum Abweichungen von den Haüy’schen Angaben nennen, welche 87° 42’ und 106° 6’ waren; wenigstens sind innerhalb weniger Minuten die Bestimmungen im Allgemeinen noch durchgängig zweifelhaft, und die in- dividuellen Abweichungen gröfseren Differenzen ausgesetzt, als die eben genannten. Allerdings könnten die Messungen des Herrn Phillips, da sie an so verschiedenen Varietäten der Gattung ihm den Säulenwinkel zu 87° 5’ gaben, eine entschiednere Correction des Haüy’schen Winkels zu erheischen schei- nen; (dieser Phillips’sche Winkel würde auf das Verhältnifs 4:4 =Yy31:y28 führen, welches ihn zu 87° 5’7”,4 gäbe;) allein abgesehen von den im näch- sten Zusammenhang hiemit stehenden Phillips’schen Messungen, namentlich der Neigung der Seitenfläche gegen die Abstumpfungsfläche der stumpfen Sei- tenkante, welcher letzteren zufolge die Säule 87° 30’ statt 87° 5’ seyn müfste, so wird das Gewicht, welches man auf sie legen möchte, durch die Nor- denskiold’sche Messung, wenn auch an anderen Varietäten vorgenommen, schon fast aufgewogen, und noch mehr durch den Mangel an Übereinstim- mung mit den übrigen angegebenen Winkeln, bei welchen der Säulenwinkel mit concurrirt. Die Neigung der schief angesetzten Endfläche gegen die Axe findet Herr Phillips, gegen |a:»od:ooc| direct gemessen, — 106° 15’ beim Augit, 106° 12’ beim Sahlit, 106° 30’ beim Diopsid, in allen drei Fällen also die (‘) Die nemliche Eigenschaft also käme auch verstecktererweise einem vierglie- drigen Systeme zu, dessen a?c=y11:1, in Beziehung auf seinen Vierundvierkantner BE ane |: in den Dimensionen der Krystallsysteme. 183 Neigung gegen die Axe noch ein wenig schärfer als Haüy, der jenen Com- plementwinkel 106° 6’ angiebt; dagegen geben alle übrigen Phillips’schen Messungen die Neigung der Schief-Endfläche gegen die Axe nicht allein nicht schärfer, sondern um ein viel bedeutenderes stumpfer; die Neigung der Schief-Endfläche gegen die Seitenfläche aber befindet sich um nicht weniger als einen vollen Grad, und selbst drüber, im Widerspruch mit der Messung des Säulenwinkels und des Neigungswinkels der Schief- End- fläche gegen die Axe. Wenn nemlich beim Augit der erstre Winkel 87°5’, der andre 106° 15° (73° 45’) genommen wird, so folgt, dafs die Schief-Endfläche gegen die Seitenfläche geneigt seyn mufs unter 101° 7’; Herr Phillips findet durch directe Messung statt dessen 100° 10’. Differenz 57’. Oder nähme man umgekehrt den letzteren Winkel als gegeben an, so wie den Säulenwinkel zu 57° 5’, so würde die Neigung der Schief-Endfläche gegen die Abstumpfung der scharfen Seitenkante 104° 51’ seyn müssen, statt der 106° 15’, welche Herr Phillips fand. Differenz 1° 24’. Eben so beim Diopsid, wo Herr Phillips die Schief- Endfläche ge- gen die Seitenfläche geneigt findet unter 100° 25’. Aber wenn die Säule 87°5’, und der Neigungswinkel der Schief-Endfläche 106° 30’, so folgt 101° 17’ statt 100° 25’. Differenz 52’. Umgekehrt, wenn der letztre Win- kel zu 100° 25’ angenommen wird, und der Säulenwinkel 87° 5’ beträgt, so folgt für die Neigung der Schief-Endfläche [a:e:b] gegen [@:00B:o0c] 105° 13’ statt 106° 30’. Differenz 1° 17’. Bei so stark sich widersprechenden Messungen ein Resultat mit eini- ger Schärfe ziehen zu wollen, wäre vergeblich. Den Neigungswinkel beider Schief-Endflächen am Zwilling gegen einander giebt Herr Phillips zu 145° 30’ an, da er nach der Messung des Winkels von 106° 15’ vielmehr 147° 30° betragen sollte; an einem und demselben Individuum würde nach Hrn. Phillips die vordere gegen die hintere Schief-Endfläche unter 148° 25’ geneigt seyn; denn die Neigung der letzteren gegen | a:»b: oc] giebt er zu 105° 20’ an. Beim Fassait findet sich jener Winkel, sehr nahe überein- stimmend, zu 148° 23’ angegeben. Wir sind diesem letzteren Winkel eine Erläuterung schuldig. Herr Phillips beschreibt die Krystallform des Fassaites (a. a. O. p. 61.) auf eine den Kenner sehr befremdende Weise. Man glaubt nach der Zeichnung und 184 Weiss über die Verhältnisse allen angegebenen Winkeln eine Reihe neuer Flächen vor sich zu haben, gar nicht im Einklang mit allen sonst bekannten, und in sonderbar schwierigen Verhältnissen zu dem, was bekannt ist. Das Befremden aber löst sich, wenn man inne wird, dafs Herr Phillips sein 7 und sein g3 verwechselt hat. Sein g3 ist das M der vorhergehenden Figuren, und umgekehrt sein M das g3 der Augitkrystalle, in der umgekehrten Stellung gezeichnet. Nun wird klar, dafs sein fs das g2 des Augites, sein f2 das gı desselben bedeutet, folglich a das ci des Augites, und c2 dessen h. Allerdings, wenn solche Misverständnisse nicht in der Wurzel gehoben würden, so würde die Krystall- beschreibung in Gefahr seyn, durch ähnliche an sich dennoch sehr verdienst- liche Messungen in die grölste Verwirrung zu gerathen; daher die Berichti- gung dieses Irrthums für die, welche sich mit dem detaillirteren Studium des Krystallsystems des Augites beschäftigen, nützlich, und dem von uns auf- richtig hochgeachteten Herrn Verfasser selbst willkommen seyn wird. Sn Der Epidot führt uns, ungeachtet der noch unzuverläfsigen Bestim- mung seiner wichtigsten Winkel, doch auf einige vergleichende Betrachtun- gen, welche in der Reihe der vorigen billig ihre Stelle finden. Die drei für den eigenthümlichsten Charakter des Systems besonders entscheidenden Win- kel, M gegen T, M gegen r, T gegen r (die Haüy’schen Buchstaben hier beibehalten), sind neuerlich verschieden angegeben worden ('). Sehr nah (') Wohl kaum als Folge neuer Messungen, sondern vielmehr als eine durch meine Abhandlung über den Epidot veranlafste Modification der ältereren Haüy’schen Angaben, darf man die neueren ansehen, welche der verstorbene Haüy im Traitd de ceristallographie, T.1. p.374-377., an die Stelle der früheren gesetzt hat. Folgende Zusammenstellung der Winkelangaben ergiebt das weitere: Haüy’s ältere neuere meine Angabe Neigung von M gegen T'.. ARE 114° 50°’ 114° 40’ von M gegen r..| 116 40 116 12 116 6 von 7 gegen r... 128 43 128 58 129 44 von n gegen N... 109 10 | 108 56 Nadı ale Er nimmt nemlich für den ganzen Neigungswinkel von M gegen 7 ein angenähertes einfaches Verhältnifs von Sinus zu Cosinus an, d.i. y14:y3, für den Querschnitt der Säule MT aber ein Verhältnifs der Seiten in ganzen Zahlen, nemlich wie 15:13. Wie verwickelt in den Dimensionen der K rystallsysteme. 185 übereinstimmend zwar mit meinen in der Abhandlung über den Epidot (') annäherungsweise versuchten Angaben von 114° 40, 116° 6’ und 129° 14', fand sie Herr Kupffer (?) zu 114° 30’, 116° 8’ und 129°22’, Herr Haidinger (°) dagegen zu 115° 24, 116° 17’ und 128° 56, welche jedoch zusammen ad- dirt einen Fehler von 37’ beweisen, welcher nur in so fern in Verwunderung setzt, als aus einer solchen Messung doch mit aller Bestimmtheit eine Gröfse von 0° 33’ für eine vermeintliche „Abweichung der Axe” gefolgert wird (*). Herr Phillips (°) giebt den ersten wirklich zu 114° 40’, den zweiten aber zu 115° 41’ an, woraus also der dritte zu 129° 39’ folgen würde. Die Zeichnung des Herrn Phillips, nach Krystallen entworfen, wie die von Chamouny und sonst aus den Alpen sind, giebt übrigens, obwohl nur unvollständig mit Messungen begleitet, manches theils neue, theils die Zonenverhältnisse des Epidotsystems schön erläuternde an. Schon aus den beiden genannten Winkeln mufs man folgern, dafs das 7’ der Phillips’schen Figur das M von Haüy, das M des ersteren das aber hieraus die Verhältnisse der beiderlei Neigungen, von M7 und von 7’ gegen r, sich ge- stalten, zeigt die Rechnung. Statt dafs ein hendyoedrisches System es verlangt (vergl. meine Abhandlung über den Gips in dem Bande dieser Schriften für 1820 u. 21. S.200.), dafs, wenn beiden Neigungen gleicher Sinus gegeben wird, die Cosinusse zu einander (und zu ihrer Summe) in einfachen Zahlenverhältnissen stehen, wie nach meiner Darstellung des Epidotes in den Verhältnissen 3:5:8, so folgt dies Verhältnifs aus den neueren Haüy’schen Prämissen = - 2573 — 195 y51 : 3825 — 195 y51 : 6698 — 390 yJl = 1480,421462 : 2432, 421462 : 3912, 842924. (') S. den Band dieser Schriften für 1818 u. 19. 8.265. (*) S. dessen Preisschrift über genaue Messung von Krystallwinkeln, Berlin 1825. S.93. (°) S. das Edinburgh Philos. Journal, 1824. Vol.X. p. 309. (‘) Im Gegentheil stimmen die Haidinger’schen Winkel, wenn man die beiden ersten zum Grunde legt, und den dritten wegläfst, mit meiner Annahme, dafs die Cosinusse der Neigungen von M und 7’ gegen r bei gleichem Sinus sich verhalten wie 3:5, bis auf 2’, welche wohl gegen jene Differenz von 37’ nicht in Betracht kommen. Die Kupffer’schen Messungen stimmen ebenfalls mit jenem Verhältnifs 3:5, — so drückt sich Herr K. selbst aus — „‚so nah als man es nur wünschen kann.'’ (°) In seinem oben angef. Handbuch der Mineralogie, dritte Ausg. Lond. 1823. p. 42. Phys. Klasse 1825. Aa 186 Weıss über die Ferhältnisse Haüy’sche r, das f2 der Figur aber das Haüy’sche 7’ist. Hiernach ist d=n,H.; cı=0, c2=h, H. und51=z, H.; womit alle angegebenen Winkel ganz wohl stimmen. Die für e angegebenen Messungen zeigen, dafs es das s von Haüy, mein | a’:t1c: ob], ist, und die für fı angegebene, dafs dies meine suppo- nirte Schief- Endfläche selbst ist = [ a:c:005 |, wie ich diese bis dahin nur supponirte Fläche bald nach dem Druck meiner Abhandlung über den Epi- dot eben auch an Chamouny’er Krystallen selbst beobachtet habe. Nun sind die zwei Parallelismen der Kanten, von d, a2, aı, und 7 einer- seits, und 7), 22, 1, (und dem zweiten d)) andrerseits, welche die Phillips’sche Figur so deutlich und hervorstechend angiebt, nichts anders als die Parallelismen jener Zone, welche wir die Kantenzone von M genannt haben, und zwar jene ersten an einer Stelle der Zone, die wir eine stumpfe Hälfte, die letztern an einer, welche wir eine scharfe Hälfte dieser Kantenzone nen- nen, nach der stumpfen oder scharfen Kante, welche daselbst 7’mit d bildet. Nun ist a2 ganz klar unser x = Kre:b:e ‚ wie aus dem Fallen in diese Zone und ihrer Lage gegen e einleuchtet; und eben daher ist der Paral- lelismus der Kante wieder genau, welchen cı zu beiden Seiten mit a2 und bı bildet; es ist der Parallelismus der Kanten solcher Flächen, welche das (zb:c) gemein haben. Folglich ist a1 eine von Phillips neu beobachtete Fläche, welche aller Analogie nach keine andre seyn wird, als |-@’!-b:e|, ein interessanter neuer Beitrag zur Kenntnifs der am Epidot vorkommenden Krystallflächen. Was ist aber das noch übrige 52 von Phillips? Es ist zufolge der ange- gebenen Messung offenbar nicht etwa unser =d, Haüy, und kann demnach nicht gerade aufgesetzt seyn auf fı, wie bı auf f2 u. s. f.; sondern die angegebene Neigung gegen 7’ läfst keinen Zweifel, dafs es das | a’: bie |, die sonst so gewöhnliche Rhomboidfläche der zwei- und eingliedrigen Systeme ist. Diese also, und die Fläche fı = Feze:»2 |, bringen gerade das zum Vorschein, was beim Epidot sonst so schr aus der Erscheinung zu verschwin- den pflegt, und ergänzen vollständig, was in der gewöhnlichen Erscheinung des Epidotes gleichsam übersprungen schien (vergl. meine Abhandlung über den Epidot, S.260.). Wenn wir an diese Fortschritte in der naturhistorischen Kenntnifs des Epidotes einige theoretische Betrachtungen über seine Dimensionsverhältnisse in den Dimensionen der Krystallsysteme. 157 anknüpfen, so können dies, der Lage der Sachen nach, nur Nebenbetrach- tungen seyn. Herr Hessel(') versicherte im Jahre 1821, die Neigungen von M ge- gen ZT’ und A/7 gegen r seyen einander gleich; er gab beide zu 116° 34, so dafs der dritte Winkel 126° 52’ wurde, welches aber entschieden nach den Messungen verworfen werden mufs. Indefs führte dies eine ganz neue An- sicht vom Epidotsystem ein, welche geprüft werden mufste, wonach die Art des Hemiödrischwerdens des Epidotsystems eine ganz andere wäre, von wel- cher freilich kein anderes Beispiel bekannt ist, dafs nemlich zwischen den gleichartigen Flächen einer symmetrischen Säule 7’r sich ein physikalischer Unterschied einsetzte, der in ihren vertikalen Zonen, und durch das ganze System weiter sich fortsetzte; denn allerdings würden dann z.B. z und eben so zusammengehörig, und in ihren Neigungen gleichartig seyn, wie T und r u. s. f. Von einer anderen Seite gaben die Haidinger’schen und die Phillips’- schen Messungen, obgleich auf sehr verschiedene Weise, die Differenzen der beiderlei Neigungen von 7’ und von r gegen M etwas geringer. Mir selbst aber erschien an einem schönen Zwilling von Arendal, dessen beide Indivi- duen mit 7’ zusammengewachsen waren, der von den beiden einander zu- gekehrten Fiächen M gebildete Winkel, welcher der Voraussetzung nach 130° 40’ seyn sollte, so nahe um 129°, dafs ich dadurch auf die Folgerung geleitet wurde: sollte wohl demnach die Neigung von M gegen 7’, beiläufig (180° — ‘=°, d.i.) 115°, jenem bekannten Neigungswinkel beim Feld- spath (?), d.i. dessen Neigung der Schief-Endfläche gegen die Axe gleich seyn? Und es fand sich: dafs, wenn dem so wäre, d.i. wenn für die Neigung von \a’:3c 006| gegen sin:cos=V13:V3, auch die Neigung von gegen die Axe ebenfalls sin: cos—=V13 ;Y3 d.i. in der That jene zwei Winkel unter sich gleich werden würden, wie die Rechnung leicht giebt. (') S.v. Leonhard’s Handb. d. Oryktognosie, S.439. (*) Beim Feldspath genauer 115° 39'32”,; Hrn. Haidinger’sMessung am Epidot gab ihm 115° 24°; Herr Phillips aber fand sonderbarerweise den andern Winkel, den stumpferen zwischen beiden, d.i. 4/7 gegen r, 115° 41’; das ist, wenn man will, genau der obige Feldspathwinkel Aa2 188 Weıss über die Verhältnisse Es ist nemlich die Neigung von |a’:30c:%©b| gegen a:5c:oob] die Summe ihrer Neigungen gegen die Axe, für welche sin: cos=a:3c bei gungen 5 > der einen, und sin:!cos—=a:5c bei der anderen; für ihre Summe also sin: cos— sac: a? — 15c°. Ist nun dieses Verhältnifs = V13:y3, so hat man 3 5 2 sac V- = a’—1ı5c’, oder 2 3 2 ®— sac V— + 150°. 13 Setzt man nun c=1, so findet sich durch Auflösung dieser unreinen quadratischen Gleichung 16.3 3 a=4y- ER ENG 5=4V + 9Y- = 13V -=V 13.3 oder a:c=V39:1 (!). Aber auch die Neigung von [@‘: sc:&b| gegen die Axe erhält sin:cos—=Y39:3 = V13 : V3 folglich wird unter dieser Voraussetzung die Neigung von M gegen r= der von M gegen T". Aber wie überraschend wäre es, jenes Grundverhältnifs der vertikalen Zone beim Feldspath hier wiederzufinden in der des Epidotes, so dafs das Grundverhältnifs des letztern a:c kein andres wäre, als beim Feldspath das Neigungsverhältnifs der bekannten Fläche 3a';c:»b| gegen die Axe, wie umgekehrt beim Epidot das der Fläche |: 3c:005 identisch mit dem der Schief- Endfläche selbst beim Feldspath. Eine andere Einfachheit der Epidotverhältnisse und ihre Verwandt- schaft mit den übrigen einfachsten Verhältnissen scheint sich durch das Ver- hältnifs a: zu erweisen, welches nach den neueren Messungen — Herr Haidinger findet die Neigung von n gegen n 109° 27’, Herr Kupffer 109° 22’ — schwerlich ein anderes seyn möchte als das von V2:1. Vergleichen wir aber Feldspath und Epidot, diesen Voraussetzungen nach, in der Säule in der Endigung Feldspath 4:2=1:Y3 a:c—= V13:Y3 Epidt a:5b=V2:1 ac VE ey3I 1 (') Statt meiner Annahme a.a.0. a:c=y75:Y2. in den Dimensionen der K rystallsysteme. 189 so wäre gleich interessant zu sehen: die grofse Verwandtschaft in ihrer En- digung, und die gänzliche Verschiedenheit und Inconeciliabilität ihrer Säule, die letztere ausgedrückt durch die einfachsten, gänzlich unter sich disparaten Verhältnisse 1 :Y2, und 1:V3. RYVVV Aubane. Die Eigenschaften des Systems, welche aus dem Verhältnifs a:c=V39: 1 (oder einem dieses Verhältnifs durch krystallonomischen Zusammenhang in- volvirenden) hervorgehen, sind so bemerkenswerth, dafs wir uns bei ihnen noch etwas verweilen zu dürfen glauben; sie wären es nicht allein als Eigen- schaften des Epidotsystemes, wenn diesem jenes Verhältnifs wirklich zukäme, sondern sie fallen auch auf das Feldspathsystem zurück, in welchem 3a:c = v39:1, also das letztere in dem Verhältnisse @:c des Feldspathes krystallo- nomisch involvirt ist. Es kehren nemlich zwar jederzeit die Winkel der Säule in den Win- keln der Flächen aus gewissen Diagonalzonen, es kehren die Winkel der Flächen irgend einer Diagonalzone in denen einer bestimmten andern wie- der. Bei dem Verhältnisse «:c=Y39:1 oder einem dasselbe involvirenden aber sind die Flächen, deren Diagonalzonen diese wiederkehrende Winkel zeigen, von besonders grofser Einfachheit. Es sey nemlich das Verhältnifs a :2 beim Epidot, welches es wolle, so würden, wenn bei ihm a:c=Y39:1, die Neigungen der Flächen „a:zb:c| gegen einander gleich den Neigungen der Seitenflächen [a:6 sooc|; oder erstere würden gegen die Fläche ‚ in deren Diagonalzone sie liegen, eben so geneigt seyn, wie gegen [a:005:0c|], dei, mit sin:cos=a:b. Die Neigung der ersteren hat nemlich Fi; +a.c R ac b sın ; cos = S———Hhb= ——!-; (+)? a? +.c? Ve?+2c? 53 also bei jenen Werthen von a und e, /3 b ya: =Vn:b=a:b; 190 Weiss über die Ferhältnisse woraus die Gleichheit der beiden genannten Winkel für jedes Verhältnifs von a:b einleuchtet. Unmittelbar ergiebt sich hieraus, dafs in den zwei verglichenen Zo- nen je zwei andere Flächen wieder gleiche Neigung haben würden, z. B. la: eb:oc| mit [Tas tb:clu.s.L. Aber auch für den Feldspath leuchtet nun sogleich ein, welche seiner Schief-Endflächen die Eigenschaft haben mufs, dafs in ihrer Diagonal- zone die Flächen dieselben Neigungswinkel haben, wie die der Säule des Feldspathes, es möge nun der Feldspathsäule wirklich der Winkel von 120° (u. 60°) zukommen, oder welcher andre sonst, wenn nur für ihn gilt a:c=Y13:Y3, also 3a:c=V39:1. Es mufs offenbar die Diagonalzone der Fläche , so wie, was in den Winkeln gleich gilt, |3@’:5c:ood |, also jener in der That dem Feldspath wirklich zukommenden Fläche seyn (!), in welcher sich die Gleichheit der Winkel mit denen der Säule des Feld- spathes wiederfindet; denn da statt a:c=YV39:14 hier zu setzen ist 3a:c—V39:1, so ist es auch statt die Fläche a u. s. f. oder a zbic = a’: 50:Z0], deren Neigung gleich wird mit |a:b:»c |, wie die Rechnung bestätiget. Wenn nemlich a:c=YV13:Yy3, so wird für die Neigung von |za’:45:Zc)| gegen |za’:—c:®b|, d.i. 3a’ 250 2b] j t+a.+c i ac i Via a4 Sın, COS —— —— — Ihe ———— ':—;b= VS? a? + (4)? c? V9a? + 235c? Vi Vi3.3 —:;b=Va:b=a:b, sy3 und=1:V3, wenn a:b:c=YV13:Yy39:Y3. Eben so wird es die Fläche |;-@:z,5:Zc) beim Feldspath seyn, de- ren Neigung gleich wird mit der bekannten Fläche — | 3a:b:© e], d.i. mit s beim Feldspath. Gewifs würde um der Gleichheit dieser Winkel willen niemand in Versuchung gerathen, sich aus den Flächen |a!»d:o0c| und |3@’:5c:o5| eine symmetrische geschobne vierseitige Säule zu construiren, und aus dieser das Feldspathsystem auf eine ähnliche Weise als ein hemiedrisches zu deduciren, wie mit dem Epidot geschieht, wenn man ihm mit Herın Hessel eine sym- (‘) S. den Band dieser Schriften für 1820 u. 21. S. 146. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 19 metrische Säule 7’r zum Grunde legt, M als gerade Abstumpfung der schar- fen, Z als gerade Abstumpfung der stumpfen Seitenkanten ansieht, und die weitere Eigenthümlichkeit durch einen physischen Gegensatz der Flächen E :bzooc |und |a:d’: e] erklärt, welchem die übrigen Flächen in gleicher Beziehung auf den physikalischen Unterschied von 5 und Ö', richtiger von a:b und a:b’ folgen. Denn so würden wir diese Art von hemiedrischem Verhalten eines solchen Systemes — es würde immer ein ein-und-zwei- gliedriges genannt werden können — auszudrücken haben. Wir stellen gar nicht in Abrede, wie einfach eine solche Ansicht für das Epidotsystem, falls die fragliche Gleichheit der Winkel bei ihm statt fände, wirklich wäre, machen aber doch darauf aufmerksam, wie nicht allein im Feldspathsystem, sondern mehr oder weniger versteckt in allen übrigen, dieselben Eigen- schaften verborgen liegen, und unter gewissen Verhältnissen nur leichter und für einfachere Glieder des Systems an den Tag kommen, ohne dafs sie darum im mindesten zu einer gleichen Deutung etwa des Feldspathsystemes veranlassen können. Für die Gleichheit der Neigungen in anderen Diagonalzonen unter den angegebenen Voraussetzungen, wählen wir beim Epidot das zunächst dargebotene Beispiel unsrer Diagonalfläche |a:—b:e | aus der Diagonal- zone unserer schief angesetzten Endfläche [a :c:»b| selbst, mit welcher gleiche Winkel bekommen würde unsere Fläche | 7@: 5b: e| in der Diagonalzone der Fläche ra’ic:ood], d.i. [a’zırc:»5|, welcher sie an- gehört. Denn für die erstere haben wir, wieder allgemein, wenn a!c=YV39:1 Se ac b v3, 6 v3, b sn:cos= ————— =! — Se Ve®+c? "4 yo” 4 yo’ 2 für die letztere > ac Br v3 b v3 ,b v9, db sınya COS —— —__—— fe a nel ee el Va? +it.tte? 8 Vs +12 ° 8 vi" 8 vo" 2 beide Neigungen sind also wieder sich gleich. Überhaupt sind es die Flächen einer vertikalen Zone, welche gleiche und umgekehrte Lage gegen eine andere Fläche derselben Zone haben, in deren Diagonalzonen die Winkel gleich sind. 192 Weıss über die Verhältnisse Für den Epidot ist dieses Gesetz unmittelbar klar, da M bei dem- selben unter den gemachten Voraussetzungen als gerade Abstumpfungsfläche der scharfen Seitenkante einer symmetrischen geschobnen vierseitigen Säule Tr angesehen werden kann, mithin die gegen M gleich und umgekehrt lie- genden Flächen in Bezug auf diese Säule durchaus gleichartig sich verhalten. Für den Feldspath ist es von uns als eine Eigenthümlichkeit an seinem Sy- steme schon bemerkt worden, dafs in seiner vertikalen Zone gleiche und umgekehrte Neigung gegen seine Schief-Endfläche |a:c:® b| besitzende Flächen vorkommen; eine Folge davon ist es, dafs zu den übrigen Merk- würdigkeiten seines Systemes die Eigenschaft sich noch hinzugesellt, dafs für die Diagonalzonen eben dieser umgekehrt liegenden Flächen, die nem- lichen Winkel wiederkehren. Eine solche gleiche und umgekehrte Neigung gegen |@:c:»Ö | wür- den z. B. beim Feldspath haben die Flächen und [@:96 2002]; in der Diagonalzone der letzteren also finden sich dieselben Winkel wieder, wie in der Diagonalzone der Schief- Endfläche und ihres Gegenstückes selbst. Allerdings also bekäme z. B. die Feldspathfläche [Ha:zb:e], d.i. eine Ab- stumpfungsfläche der stumpfen Endkante, welche zugleich in der Diagonalzone von [a:9e:o0b läge, gegen die zugehörige za: 6: e] genau die Nei- gung der Rhomboidflächen gegen einander, d.i. unter dem Winkel des Rhombus, dessen Diagonalen =2:1. Denn 4y13.3 1 1 5 nd 1 1 1 1 /S che ae = : ea RR +V39: — re ———— er a Me rer a Her te Va®B+3 V13 + 31.3 y256 e.} Die Fläche 4a:-/;bie| aber bekäme in ihrer Diagonalzone die gleiche Nei- TE gung, wie unsre Diagonalfläche in der ihrigen, d.i. genau 135° Neigung gegen |a:9c:»b |, wie gegen biooa:oc]. Die entgegengesetzte Lage von a :30:00b] gegen |a:c:oob| beim Feldspath würde haben a:rc:»b|, Denn wenn wir die Summe der Nei- gungen von und [d: 3e:cob| gegen die Axe ausdrücken wollen, so hat die erstere sin:cos—=V13:Y3, die andere sin : cos = V13 : 33: also ist für ihre Summe sin : cos = 4V13.3:13— 9 =V39 : 4 in den Dimensionen der Krystallsysteme. 193 Für die Summe y der Neigungen |a:c:Öb| und [@”: zcıoob| aber, da für erstere sin:cos=V13:Y3, und für die letztere, sin: cos—=Y13:7Y3, siny:cosy=8V/13.3:13—21=V39: — Und wirklich erhält nun z. B. mit 40 :+5:e] gleiche Neigung eine Fläche |-+a’:4bie| (abermals eine Abstumpfung der Endkante des Hendyoe- ders, und zwar der scharfen, wie |@a’:—b:c| und fe ta.c Eis +a.c year "Year 5 7 /39 ac /39 139 denn u un N — = } — ES Va?+3?c? vw Va? 72 ce? Yı6o ya daher die Richtigkeit der obigen Proportion einleuchtet. Wie [a’:7c:b| von die gleiche und umgekehrte Neigung hat gegen la:c: ob, so ist es die main 1420: :006], welche gegen [e: Pr | die gleiche und umgekehrte Neigung hat abermals von |a’:3c! = Denn für die Differenz der Neigungen |a’:3c:%b| und gegen die Axe ist sin: cos —=2acYa? +3c? = 2/39:13 +9 = Y39: ı1 für die Summe der Neigungen von Ta:c:00b] und ja’:c:oob| gegen die Axe aber sin: cos = sac: 7a? — ec” = sY39:A1 — 3 — Y39 : 11 In der That bekäme nun eine Fläche c| (gleichfalls eine Ab- stumpfung der scharfen Endkante des Hendy nn. in ihrer Diagonalzone wieder eine Neigung, bestimmt durch das Verhältnifs : ; er Zu une GerC EREE ac EEE z y39 sin:cos=-b: Vermrerzwc gr Hama ABET7- 0 vorne el AT Free b: ‚) Va?+ (4? c Ta”+c ye4 4y40 also die nemliche Neigung, welche |-@': 6: bie] und in a Diagonalzonen haben würden; und umgekehrt eine Fläche Sn En würde es seyn, die die gleichen Neigungen hätte mit den obigen Flächen ER] und Barmen) (') Zur leichteren Vergleichung mit den vorhergehenden Werthen behalten wir diese Form bei. Phys. Klasse 1825. Bb 194 Weiss über die Verhältnisse Diese Betrachtungen lassen sich, wie man sieht, ins unbestimmte weiter fortsetzen, und zeigen aufs neue, durch welche sonderbare Gleich- heiten der Winkel die versteckteren Eigenschaften des Feldspathsystemes sich auszeichnen. Wir wollen hier nur noch das nächste Resultat aus der Fort- setzung der obigen Betrachtungen erwähnen, dafs nemlich, wenn man frägt, welches die Fläche der vertikalen Zone seyn würde, welche wiederum gegen arceroob] die umgekehrte Lage haben würde von 1450200], und in deren Diagonalzonen also abermals die vorigen Winkel ein- heimisch bleiben, die Rechnung das Resultat giebt: es würde seyn die Fläche [29a :43c:o0b|. Der Beweis ist folgender: Die Differenz der Neigungen von [a :c : 006] B . . . und \7a:c:oob| gegen die Axe ist die, deren sin:cos=T7ac—ac:Ta.atc.c=6ac:Ta’-+c? Wiederum aber ist die Neigung der gesuchten Fläche gegen die Axe die Difterenz zwischen letzterem Winkel und der Neigung von | a:c:b | gegen die Axe. Folglich für die gesuchte Neigung sin?!cos—=a.ra’+a.c’—bac.c!a.sac+c.(Ta+c’) = a.(ta®—5c°)2c(6a’+7a’+c’)=a(ra®—5c°) ce (13a°-+c°) Drücken wir also diese Neigung im Werthe unserer Dimensionen a und c aus, in welchen der Sinus und Cosinus derselben wirklich liegt, so sehen wir, dafs der Werth der Fläche seyn mufs = (Ta’— 5?) a: (132°+c?)e:@b=(7.13—5.3) a: (13.1343) c!xb= sarırncıwb— [1944363000] Und es würde z.B. die Fläche gonalzone gleiche Neigung narse, wie -arzzb: 55. seyn, welche in ihrer Dia- za:—bic und |>a a:+b:c| in den ihrigen. Auf dieselbe Weise, wie hier, verfuhren wir bei der Lösung der ähn- lichen Probleme oben, und würden auf eben dieselbe jedes fernere Glied finden, das wir in Beziehung auf die erörterten Eigenschaften zu bestimmen die Absicht hätten. So würde z.B. die nächste Zone, in welcher die Nei- gungen gleich gefunden werden würden mit denen in der Diagonalzone von |a:c:oo 2 selbst, aufser der vorhin bestimmten Diagonalzone der Fläche [e: :9c :00c |, sich finden als die der Fläche [11a:29c: Sa; ; und [5«: Ib: re] in den Dimensionen der Krystallsysteme. 195 würde geneigt seyn genau unter 135° gegen [1a:290:00b ‚ wiela:—bic was a] RE BETSUEE Frg . . n gegen la :c:o0b| oder wie |Sa:z.b: e| gegen a: 9c ob]. 9" e+7T6 Eine einfache Formel für die Fläche der vertikalen Zone, welche ge- gen eine gegebene derselben gleiche und umgekehrte Lage hat, als eine ge- gebene andere, ist diese: Es werde die erste gegebene Fläche vorgestellt als E :c:oobl|, eine zweite, auch gegebene, sey Ina'zc:o06l. Wir denken sie uns hier, wie das Zeichen es ausspricht, als der entgegengesetzten Seite des Endes angehörig, als die erste, so dafs die Neigung beider gegebenen gegen einander die Summe ihrer Neigungen gegen e ist; läge die zweite auf der nemlichen Seite, wie a:cı&b ,so würde das z in der folgenden Formel negativ zu nehmen seyn. Es wird also gesucht eine dritte Fläche, welche gegen le; :oob| gleiche und entgegengesetzte Neigung hat als ına’zc:oob|; so ist der Aus- druck der gesuchten Fläche a(na — (n+2)c?)2c ((2n+1)a—c’):&b Sie wird in dieser Formel ausgedrückt, als der gleichen Seite des Endes zu- kommend wie 1a c3o0b |- Fällt sie auf die entgegengesetzte Seite, so ist der Coefficient von a eine negative Gröfse, während der von © eine posi- tive bleibt. Der Beweis ist einfach. Für die Neigung von a:c:005 gegen na';c:oob,, als die Summe der Neigungen beider Flächen gegen die Axe c hat man sin!cos=(n+1)ac:na’— c’ Die Neigung der gesuchten Fläche gegen die Axe c aber ist die Diffe- renz des eben ausgedrückten Winkels und desjenigen, dessen sin: cos=a:c. Also für die gesuchte Neigung sin!cos=a.na’— (nac’+ac’+ac’)ina’c+a’c+narc—c’t— a (na’— (n+2)c”) ec (en +1)a’— c”) daher der obige Ausdruck der gesuchten Fläche. Es geht aus ihm unmittelbar hervor, welches die Fläche ist, die, in- dem sie gegen eine in der Form |@:c:%05 gegebene Fläche der vertikalen Zone umgekehrt liegt als |a:»05:00c |, in ihrer Diagonalzone die Winkel der BE Säule |a:b: c] u.8. f. bekommt. Denn [a :cob:ooc|, in die Form Bb2 196 Weıss über die Ferhältnisse na’:c:oob| gebracht, ist = |za’!c:oodb|. Es ist also in unsrer Formel n==o; also ist die gesuchte Fläche — a (20?) 2c (a? —c’) ob und die Fläche liegt, wie der Ausdruck giebt, nothwendig auf der entgegen- gesetzten Seite des Endes, wie |a:c:»b|. Es lassen sich alle Fälle bequem unter die obige Form bringen. Wollte man indefs die erste gegebene Fläche nicht unter den jedesmaligen Ausdruck erst bringen, sondern in ihrem allgemeineren Ausdruck als [na :c:oob| beibehalten, und nunmehr die zweite gegebene Fläche nennen, so erhielte man für die gesuchte Fläche den Ausdruck a (nn’a’— (en +n) c’):c ((n’+2nn)a’—c’):xb Die Beweisführung wäre die nemliche; und die gegen umge- kehrt wie liegende Fläche, deren Diagonalzone also die Win- kel der Säule | a:b:ooc| zukämen, würde seyn —a(enc’):c(n’a’—c’): ob Die Säulenwinkel des Feldspathes kehren also z.B. auch wieder in der Diagonalzone von 9a’: 7c:oob|, als der umgekehrt wie |@:005:o0e| lie- 8 Be genden Fläche gegen |a’:3c:»b|, und eben so in der Diagonalzone von E 2190: ob], als der umgekehrt wie liegenden gegen 3a’ 10:05]; und diejenigen Flächen in beiden, deren Neigung gleich wird der Feldspath- säule selbst, sind |+@’:Z,b5:+ec| und 5a: 5b: >e]. Denn EP | TE BRIRRERNGE Du DRG EEE PR 2 " Ve.usrr.3 2°’ yo may desgleichen v3, V13.3 1,4 . a» Von rI00.3 © ° Yızo u, oder allgemeiner, wenn a=Y13, c=Y3, und 5 unbestimmt gelassen wird, RN LEIRE: in den Dimensionen der Krystallsysteme. 197 Dafs nun aber in den Diagonalzonen der Flächen, welche umgekehrte Lage haben gegen irgend eine Fläche der vertikalen Zone (!), die nemlichen Winkel für je zwei bestimmte Flächen immer wiederkehren, oder durch ra- tionelle Vervielfachung der Sinusse gegen die Cosinusse die einen aus den andern ableitbar sind, wird bewiesen seyn, wenn gezeigt wird, dafs der Co- effhicient x von 2 in der Fläche \(na’ — (n+2) ce?) arx.bi((en+1) a’ — ec’) e| einen rationalen Werth hat unter der gemachten Voraussetzung, dafs das Verhältnifs von Sinus zu Cosinus für die Neigung der geschriebenen Fläche in ihrer Diagonalzone gleich sey dem irgend einer Fläche aus der Diagonal- zone von [nd’zc: 0b]. Es sey eine solche Fläche |za’:yb:c|\, so ist ihre Neigung in ihrer Diagonalzone ausgedrückt durch . nac sın ? cos a : Vraze Fra: CC Die Gleichung heifst also ac (na’—(n+2)c?) (@n-+1)a?—c?) nac — ah x.b: V(na® — (n-+2) c?)? a? + ((2n +1) a?— c?)’c? y (na? — (n+2) c?) ((en-+1) a? —c?) Vn?a?+c? n V(na?— (n+2) c?)” a’+((en+1)a?— c?)? c? soitx= und es bleibt zu zeigen, dafs dies & eine rationale Gröfse ist. Aber der unter dem Wurzelzeichen begriffene Factor des Divisors ist 8 na re en’ao Tea ran ca -F20c (n’ a’ +c’) (a +c'+2a’c’) = (a? + c°) Ina-rc Ma y (na? — (n+2) c?) ((en+1) a? —.c?) = n (a?-+c?) woraus einleuchtet, dafs x eine rationelle Gröfse ist, wenn es a’ und ce’ sind, wie dies der Fall ist, wenn @:c im Verhältnifs von Wurzelgröfsen zu einan- der sind; die gegebenen y und n sind jederzeit rationell. (‘) Es leuchtet von selbst ein, dafs das Analoge von jeder Zone gilt, deren Axe parallel ist einer der drei Grunddimensionen. 198 Weiss über die Verhältnisse Umgekehrt werden die Diagonalzonen derjenigen Flächen jederzeit ungleiche und unvereinbare Winkel haben, welche umgekehrt liegen gegen eine unmögliche Fläche des Systems, d.i. gegen eine solche, deren Aus- druck irrationale Coeffieienten der Grunddimensionen erhalten würde. So z.B. wenn wir fragen, welches wäre die Fläche, gegen welche arc:&b| und |a’:3c:00b, beim Feldspath umgekehrt lägen? — Die Nei- gung dieser Flächen gegen einander ist sin:cos—=YV39: —ı für ihre halbe Neigung gegen einander also ist R DE Te VIER VEEESALE sin: cos = V+ (ı — — (——) :Vz+(+5)=VVoH+ı:YVio—ı Die Differenz zwischen diesem Winkel aber und einem der gege- benen a:e (odera:sc) d.i. dessen sin:cos—=y13:Y3 (oder =V13:Y27) ist die Neigung einer Ebene gegen die Axe c, gegen welche (so wie gegen die auf ihr senkrechte derselben Zone) |a:c:»5b | und |d:3c:»b| umge- 8 kehrte Lage haben würden; diese Ebene würde den scharfen, die auf ihr senkrechte den stumpfen Winkel der beiden gegebenen Flächen gerad ab- stumpfen. Nun ist die Differenz des obengenannten halben Neigungswinkels der gegebnen Fläche und des gegebnen sin: cos—=Y13:YV3, der Winkel, dessen sin: cos— Yıs (Vio — 1) — V3 (Vio-+1): Vı3 (VA +1) + V3 v 410—1)(!). Die gesuchte Fläche, die den scharfen Winkel zwischen den beiden gegebnen Feldspathflächen gerad abstumpfen würde, hätte demnach obige Neigung gegen die Axe; die aber, welche den stumpfen Winkel zwischen beiden gerad abstumpfte, hätte das umgekehrte Neigungsverhältnifs gegen die Axe, also (') Dies ist = Vs, 2192139 — V 21, 9736659 : Vs, 2192159 + V/ 15, 9736659 = = 3, 319508 — 4, 637609 : 9, 755032 4 3,996707 = = 3,632199 (wovon log = 0, 5601696, 8) : 13, 734739 (wovon log = 1, 1384523, 3) Aber 10, 5601696, 8 — 1, 1334523, 3 = 9, 4217173,5 = 1. tang. 14° 47’32”,5 und M 05754" 64° 20'289” — 14° 47'32”,5 = 49° 32/55”, 5 In als Rechnungsprobe. in den Dimensionen der Krystallsysteme. 199 sin: cos— Yı3 (Vao+1) +3 (Vo — 1) : Yız Vie — 1) — V3 (Vio+1) = a (VVao+ + VE Vo N);:clVE Vo — 1) — Wio--ı), worin, wenn es anders nöthig wäre, die irrationale, d.i. die krystallono- misch unmögliche Beschaffenheit der Co@fficienten der Grunddimensionen, welche der gesuchten Fläche angehören würden, vollkommen einleuchtet. nannnnvvvn Nachtra». 8. 8. Über den Gips möge schliefslich noch die Bemerkung erlaubt seyn, wie auffallend nahe jener charakteristische Winkel seines schiefwinklich- blättrigen Bruchs, die Neigung von M gegen 7’ bei Haüy, von 113° u.s. w. einem der einfachsten Winkel beim Quarz ist, nemlich der Neigung der Di- hexa@derfläche in ihrer Kantenzone, d.i. ihrer Neigung gegen diejenige Seiten- fläche der Säule, welche mit ihr in Einer Kantenzone liegt, nach unserer e C_— Schreibart der Neigung von [a :a :ooa'- gegen [= var 200 a; die letz- tere Fläche schneidet nemlich die erstere parallel einer Endkante des Dihexae- ders. Haüy gab den genannten Winkel am Gips an zu 113° 7'48”; den ent- sprechenden am Quarz zu 1330 48’ 47” 2 so dafs für ihn seyn würde sin : cos = V11 :Y2. 180° — ade. zu 1130636”, 5, Legen wir dem Quarz nach $.3. die corrigirten Werthe unter, so er- halten wir aus den dort angegebnen Verhältnissen der Dimensionen diesen Winkel zu 230 44’ 54” ee ja nach der Malus’schen Messung unmittelbar zu 133° 44’ 30” 2 eine Übereinstimmung, welche bis auf diese Schärfe offenbar ein Werk des 180° — „du 11387 45°: Zufalls ist, dagegen es doch sehr wahrscheinlich bleibt, dafs die Dimensions- verhältnisse von @:c beim Gips aus den Dimensionsverhältnissen der Kanten- zone am Quarzdihexaeder sich ableiten lassen. 200 Weıss über die Verhaltnisse u. s. w. In meiner Abhandlung über den Gips (!) bemerkte ich, wie sonder- bar nah die Säulenwinkel des Gipses einem Werthe sind, der sie aus den Dimensionsverhältnissen @:c des Feldspathes, oder eben so leicht aus denen der horizontalen Zone a:b des Augites ableitbar macht. So mufs man wohl mit einer gewissen Überraschung bekennen, dafs es denn doch merkwürdig ist, so ungesucht die Dimensionsverhältnisse des Gipses, die einen der verti- kalen, die andern der horizontalen Zone, jene aus denen des Quarzes, diese aus denen des Feldspathes ableiten zu können. (') S. den Band dieser Schriften für 1820 u. 21. 5.214. —. II DPI u—— Über die Ausdehnung der krystallisirten Körper durch die Wärme. x Von W H” E. MITSCHERLICH. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 10. März 1825.] IR den letzteren Jahren haben wir eine grofse Anzahl neuer und wichtiger Thatsachen über das Verhältnifs der wägbaren Materie zur Wärme erhalten, und die Resultate dieser Thatsachen würden noch bedeutender geworden sein, wenn eine genaue Bestimmung nicht durch die Art, Versuche über diesen Gegenstand anzustellen, mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft wäre. Zwei Hauptfragen sind in dieser Hinsicht zu beantworten: wie grofs nämlich die relative Quantität Wärme ist, die sich mit den Kör- pern verbindet, und welchen Gesetzen die Veränderungen, die diese durch die Wärme erleiden, unterworfen sind. Die erste Frage ist durch Dulong’s Untersuchungen für die einfachen Körper beantwortet. Die zweite Frage ist für die Gasarten durch Gay-Lussac’s Beobachtungen beantwortet; für die tropfbar-flüssigen und festen Körper haben wir dagegen noch kein Ge- setz, und über die festen Körper, in denen die Materie regelmäfsig ange- ordnet ist, auch noch keine Beobachtung. Die Wärme, wenn sie zur wägbaren Materie hinzukömmt, dehnt diese, wenn sie ihren Aggregatzustand nicht ändern, aus, nur das Wasser, so weit unsere Beobachtungen reichen, macht von 0° — 4,1° eine Ausnahme. Ist Materie nach allen Richtungen gleich angeordnet, so wird die Ausdehnung nach allen Richtungen dieselbe sein; ist sie verschieden nach verschiedenen Richtungen angeordnet, so mufs unter gewissen Bedingungen die Ausdeh- nung nach den verschiedenen Richtungen verschieden sein, z. B. wenn wir uns vorstellen, dafs die Repulsivkraft der einzelnen Theile der Materie durch Phys. Klasse 1825. Ce 202 Mırscueruicn über die Ausdehnung hinzukommende Wärme vermehrt wird, so mufs in der Richtung, in welcher die Atome sich am nächsten liegen, die Ausdehnung am stärksten sein. Für jede Speculation über die Natur der Materie und über das Verhältnifs der Materie zur Wärme ist die Bestimmung dieser Thatsache nothwendig, be- sonders wichtig ist sie noch, da auf der Anordnung der Materie die Krystall- form der Körper beruht. Ich werde die Beobachtungen, die ich über die Ausdehnung der krystallisirten Körper angestellt habe, so zusammenstellen, wie die Resultate derselben mit denen, die wir über die Krystallform und doppelte Strahlenbrechungen erhalten haben, zusammenhängen. Die Ausdehnung der Körper nach einer bestimmten Richtung hat man bisher nur mit grofsen Stäben beobachtet, eine Methode, die bei den kry- stallisirten Körpern, die man von keiner hinreichenden Länge erhalten kann, nicht anwendbar ist. Da aber die Krystalle, wenn sie sich in verschiedenen Richtungen verschieden ausdehnen, ihre Winkel ändern, so hat mich das Repetitionsgoniometer (!) in den Stand gesetzt, Veränderungen zu beob- achten, die bisher noch nicht bemerkt werden konnten. Ich habe an dieses Goniometer eine Vorrichtung angebracht, auf welche der Krystall befestigt, und in erwärmtes Quecksilber so eingetaucht wird, dafs nur die Fläche des Krystalls hervorragt, welche das Bild eines Gegenstandes reflectiren soll; der Krystall bewegt sich leicht im Quecksilber; dieses kann erhitzt werden, und der Krystall nimmt alsdann die Temperatur des Quecksilbers an; übri- gens geschieht die Messung so, dafs die Fläche des Krystalls nur wenige Augenblicke aus dem Quecksilber hervorragt, um die Abkühlung zu ver- hüten. Bei den einzelnen Messungen, die mit diesem Apparate angestellt wurden, konnte ich nur an einem Nonius ablesen. (') Ich habe versucht, ein Instrument mir verfertigen zu lassen, welches mir den- selben Grad von Genauigkeit, den man bei andern Winkelbestimmungen erreicht, bei Mes- sung von Krystallen zu erlangen verstattet. Ich werde dieses Instrument bei einer andern Gelegenheit beschreiben; die unten angeführten Beobachtungen sind mit diesem Instru- ment, und einem Fernrohre, das zwanzigmal vergröfsert, angestellt; die Ablesung geschieht an vier Nonien und die Mittel von 10 Messun- gen weichen nur 3’”— 4” bei den verschiedenen Beobachtungen von einander ab. An diesem Instrumente wird durch den Stift der Appa- rat befestigt, die Kante B des Krystalls, der auf diesem Apparate be- festigt wird, kann genau in die verlängerte Axe des Instruments ge- bracht werden. der krystallisirten Körper durch die Wärme. 203 Ich habe noch Versuche angestellt, um die Ausdehnung der Krystalle nach verschiedenen Richtungen dadurch zu bestimmen, dafs ich z.B. zwei Stückchen Kalkspath so schleifen liefs, dafs eine Kante des einen Krystalls mit der Hauptaxe des Krystalls 4/4’ und eine Kante des andern Krystalls mit einer Axe, die perpendi- >z kulär auf der Hauptaxe steht, c # parallel geschlif- / fen wurde; ich legte alsdann die beiden Krystalle so zusammen, dafs die beiden Kanten derselben sich berührten, und eine ebene Fläche von beiden Kry- stallen gebildet wurde; an den beiden entgegen- gesetzten Enden der Linie, die von beiden Kanten der Krystalle gebildet wurden, machte ich einen Strich perpendikulär der Linie selbst auf der ge- meinschaftlichen Fläche der beiden Krystalle: ich legte dann die zusammen- gelegten Stücke in Quecksilber und beobachtete, um wieviel sich die Striche, die bei gleicher Ausdehnung der beiden Stücke zusammen bleiben mufsten, von einander entfernt hatten, und mafs die Entfernung mit einem Mikroskop, das mit einer Mikrometerschraube versehen war. Ich beobachtete eine sehr be- merkbare Verschiebung der Striche; allein diese Methode giebt kaum den sechs- ten Theil der Genauigkeit, die man durch das Repetitionsgoniometer erreicht. Bei den Körpern, deren Form zum regulären Systeme gehört, z.B. beim Spinell und bei der Blende, habe ich keine Veränderung der Winkel bemerkt; die Krystallform dieser Körper zeigt, dafs die Materie darin nach aller Richtung gleich geordnet ist; auch verhalten sie sich in jeder Richtung gleich gegen das Licht. Wir haben zwei Klassen von Krystallformen, die dadurch hervor- gebracht werden, dafs die Materie in einer Richtung verschieden angeordnet ist, als in den anderen Richtungen, die perpendikulär auf dieser stehen; zur ersten gehört das Quadratocta@der, zur zweiten Klasse das Rhomboeder und das sechsseitige Prisma. Von der letzteren Klasse habe ich sehr schöne Exemplare zu meinen Versuchen anwenden können, und da besonders der Kalkspath der ersten entscheidenden Resultate mir gegeben hat, so will ich die Versuche, die ich damit angestellt habe, weitläuftiger anführen. Die ersten Versuche habe ich bei der Temperatur des Zimmers ge- macht, des Morgens und des Mittags; die angeführten Zahlen sind das Mittel der Beobachtungen an den vier Nonien des Instruments. 204 Mıtscueruicn über die dusdehnung TV, 8327 Rs105° 473227 213° 1 “ . + n n 24 n a {9} Pe: A® Ar n 3 533, ” Er} 30% N 4 0) A: n 4 10 ee u nn 29 nn 0 9 er) 243, Ex) N 64, 104° 4'298” 104° 47 31" T. 13°R. 105° 3’ 514” T. 1440 106° 37 524" » 4 5% n 4 0 ...: Hab eb sb: en we nn 4b Be een Bug» a0, n er ma dot „3 533, 105° 4° 64° 105° 3° 53/3 Ich habe dann den Kalkspath auf die oben erwähnte Weise in heifsem Quecksilber gemessen. Tr 8ER.40593 59 f7 72 „ 10457 231 also für 64° eine Veränderung von 0° 6’ 36” i 5 Ba 7) ru = — „727 191.5 5 BO 72 — — „11 59% ee en, = — „4121344 ee N 33 31. AN —_ —_ „8 8" Der spitze Winkel gab ein vollkommen hiermit übereinstimmendes Resultat. : der krystallisirten Körper durch die Wärme. 2...001,, 24>55° 15% 136 „ 75 9 8 n 74 55 25 151 » 75 9415 — Ann 150 — Inn 24 — nn 25 — Das Mittel aus diesen beiden Beobachtungen die — 123 63 65 65 — 436° 80° 15 also für 123° eine Verschiedenheit von 0° 14’ 0 Stücken angestellt worden sind, beträgt für so°R. 8-32, 205 „ 14 0 6 35 730 6 50 48’45” 856" ” ” mit den besten Bei einem anderen Exemplare gab der scharfe Kantenwinkel 7 und der stumpfe 183°R. 79 79 80 87 17L°R. 79 3 Bei einem anderen Exemplare ie 74° 47T’ Ton #3 3 3 3 10574 104 57 104 57 104 57 107 25 50 40 30 206 Mırtscuerricn über die Ausdehnung Bei einem anderen Exemplare T. 18° R. 106° 8'281? 1214» 104 51 40 122 mn n 5150 122 » n 51 50 122, 5 im 51-8 123 »n » 52.410 Bei einem Exemplare T.- 442°R. 106° 4 19” 100 „ 104 55 40 108 na nn 54 25 107.n nn 54.5 106 n n 54 25 4104 nn » 54 50 102 nn » 5445 16 2,105 3.55 Ich habe aufser diesen Versuchen, von denen die beiden erstern die zuverlässigsten sind, noch bei verschiedenen andern Exemplaren Messungen angestellt, die ich als überflüssig nicht anführe. Ich habe dann die drei Winkel des Rhomboöeders an einem Exemplare bei verschiedenen Temperaturen gemessen, und die Veränderung derselben gleich gefunden, woraus folgt, dafs das Rhombo&der sich in jeder Richtung, die der Hauptaxe perpendikulär ist, gleich gegen die Wärme verhalte. Beim Quarz war dies noch leichter zu untersuchen, weil der Winkel des regulären sechsseitigen Prismas diese Bestimmung direct zuliefs; der Winkel war bei der gewöhnlichen Temperatur und bei einer Temperatur von 100° nur we- nige Sekunden von 120° entfernt. Bei allen andern Krystallen, die zu dieser Klasse gehören, habe ich ganz dasselbe Verhalten bemerkt. Aus der Klasse von Krystallformen, in denen die Materie verschieden nach drei perpendikulär auf einander stehenden Richtungen angeordnet ist, zu denen das Rhombenoctaeder, das vierseitige Prisma mit gerade angesetzter Endfläche und andere Formen mehr gehören, will ich den Aragonit anführen, bei dem ich die Neigung der End- und Seitenflächen gemessen habe. der krystallisirten Körper durch die Wärme. 207 Neigung der Seitenflächen: T. 14°R. 116° 11’ 462 114 » 4116 15 284 100°, n 3’ 41% SON Tr 2’ 46 Neigung der Endflächen: der Winkel wurde schärfer von 10m, 1192721so für. 105 um. ©7715 = 2-16 —-——- 9 64 ee a 2a. era ee = nm rl. ee th — 455 le at ie 673° — 39'30” 80° — 5’29” Dasselbe Resultat der ungleichen Ausdehnung der drei Axen haben mir alle Krystalle, die ich aus dieser Klasse untersucht habe, gegeben. Nachdem ich aus diesen Beobachtungen das Resultat erhalten habe, dals die Ausdehnung der Krystalle von den Axen derselben abhängig sei, und dafs beim Kalkspath eine gröfsere Ausdehnung nach der kleineren Axe statt finde, also nach der Richtung, in welcher die Atome sich am nächsten liegen, habe ich zu bestimmen versucht, welchen Einflufs die relative Gröfse der Axen auf die Ausdehnung habe; ich habe dazu die Verbindungen der Kohlensäure mit den drei isomorphen Basen, mit der Kalkerde, dem Eisen- oxydul und der Talkerde gewählt. Kohlensaure Kalkerde und Eisenoxydul aus dem Pfitschthale (1): die Neigung zweier Rhomboederflächen gegen einander beträgt bei 14° R. 107° 22’32”, dieser Winkel wurde schärfer (') Herr Magnus hat die Güte gehabt, dieses Mineral zu analysiren; er fand es zusammengesetzt aus Kohlensaurem Eisenoxydul .......... 15, 59 Kohlensaurer Bittererde seereeeeeeerr 82, 91 208 Mırtscueruicn über die dusdehnung von 18°R. — 126° also für 108° um 4'375” ae te io — Yan un nos — alel - nn -12 — — 15 — aa 418° — 18'140” 800 287207 Bei einem anderen Exemplare von 18°R: — 134° also für 119° um 5’10” 30 15, 2 ne st 345° — 15’ 10" 800 = 73734” Si X Voge Kohlensaures Eisenoxydul (!); die Neigung zweier Rhomboeder- flächen gegen einander beträgt 107° 0’?” (2); dieser Winkel wurde schärfer von 16°R. 74135 Also’ für 119° um #’37 20° Te Der oe 3 en ee er ee Bag 0 UDO" Der gewöhnliche Bitterspath (°); die Neigung zweier Rhomboeder- flächen beträgt 106° 15’?”;, dieser Winkel wurde schärfer (') Herr Magnus fand es zusammengesetzt aus Kohlensaurem Eisenoxydul..... u.» 09,099 Kohlensaurem Manganoxydul ..... 40, 66 100, 65 Es enthielt keine Spur von Kalkerde; es ist unter „‚Spatheisenstein von Ehrenfriedersdorf’’ bekannt. (°) Die Bilder, die das kohlensaure Eisen, und der gewöhnliche Bitterspath gaben, waren nicht scharf genug, um die Sekunden genau zu bestimmen zu können, ebenso die Endflächen beim Aragonit; ich habe sie etwas poliren müssen, um die Winkelveränderung bei verschiedener Temperatur bestimmen zu können. (°) Er besteht aus einer Proportion kohlensaurer Bittererde und einer Proportion kohlensaurer Ralkerde. der krystallisirten Körper durch die Wärme. 209 von 15°R. — 131° also für 116° um 5’ 483” _— aa i2 — — MT. .5488 een er EHE 62 351° — 18’ 14" Be Bei einem anderen Exemplare von 15°R. — 123° also für 108° um 5’ 11” —- nn — 129 — — 114 — 537 222° — 10’ 48" ee Die Veränderung des Winkels für SO°R. betrug beim Kalkspath .......... lea I beim Bitterepalb eu 46 beim Bitterspath von Pfitschthal........ 3 29 beim kohlensauren Eisen................. PR) Von diesen Rhomboädern ist das des Bitterspaths von Pfitschthal das stumpfste, das des Kalkspaths das spitzeste; und zwar verhält sich bei die- sem Bitterspathe die kleinere oder die Hauptaxe zur gröfsern, wenn man die Tangente des Winkels, den die Kante der Rhomboederflächen mit der Haupt- axe macht, als das Verhältnifs der Axen annimmt, wie 1:2,136, beim Kalk- spathe ist das Verhältnifs wie 1:2,028; wäre die ungleiche Ausdehnung der Krystalle allein abhängig von der ralativen Länge der Axen, so müfste sie am geringsten beim Kalkspathe, und überhaupt bei diesen vier Rhomboedern nicht um eine Minute verschieden sein. Die Entfernung der Atome in den verschiedenen kohlensauren Verbindungen kann gleichfalls nur eine höchst unbedeutende Verschiedenheit hervorbringen; man findet sie bei den iso- morphen Körpern aus dem Atomengewichte und dem speeifischen Gewichte. Es wäre noch möglich, dafs z. B. der Bitterspath sich in aller Richtung nur halb so stark ausdehnte als der Kalkspath; nach einem Versuch jedoch, den ich mit dem Bitterspath nach Dulong’s Methode anstellte, fand ich die absolute Ausdehnung beider Körper nur wenig verschieden; so dafs aus die- sen Beobachtungen folgt, dafs wir die Ursachen dieser ungleichen Ausdeh- Phys. Klasse 1825. Dd 210 Mırtscueruicu über die dusdehnung nung nicht aus dem Verhältnisse der Länge der Axen der verschiedenen Rhom- boeder abzuleiten im Stande sind. Die Messungen mit dem Goniometer zeigen nur die relative Ausdeh- nung an, um wieviel nemlich sich die Körper in einer Richtung mehr aus- dehnen, als in der andern; beim Kalkspath beträgt die Ausdehnung nach der Hauptaxe, wenn die Veränderung des Winkels 85’ beträgt, für 80° R. 0,00342. Diese Ausdehnung ist gröfser, als die des Bleies, welches sich unter den festen Körpern am meisten ausdehnt. Schon dies auffallende Re- sultat und insbesondere der Wunsch, das Verhältnifs der absoluten Ausdeh- nung der Körper nach verschiedener Richtung zu bestimmen, welcher für die Bestimmung des Verhältnisses der Wärme zur Materie von der gröfsten Wichtigkeit ist, bewog mich Dulong, dem wir die genauesten Versuche über die Ausdehnung der Körper verdanken, zu bitten, diese Ausdehnung nach seiner Methode mit mir gemeinschaftlich zu bestimmen. Wir wandten dazu ein gläsernes Rohr an, das ungefähr von 800 Gr. Kalkspath gefüllt wurde; vorn an der Röhre wurde ein capillarisches Glasrohr angelöthet; an dem entgegengesetzten Ende wurde der Kalkspath hineingebracht und nach- her das Glasrohr zugeblasen. Das Gewicht des Glasrohrs und des Kalk- spaths wurden bestimmt; dann füllten wir das Rohr mit Quecksilber, koch- ten das ganze Rohr sehr sorgfältig aus, bis keine Spur einer Glasblase sich mehr zeigte; wir erkalteten alsdann das Rohr in gestofsenem Eise bis auf 0° und erwärmten es nachher, indem wir es in kochendem Wasser etwas liegen liefsen bis SO°R. Wir bestimmten dann die Menge des herausgeflossenen Quecksilbers, und des Quecksilbers, das sich im Glasrohre befand, und be- rechneten aus der bekannten Ausdehnung des (Juecksilbers und des Glases die Ausdehnung des Kalkspaths. Wir fanden, dafs sich der Kalkspath um 0,001961 seines Volumens ausdehnt. Ich hatte vorher gefunden, dafs sich der Kalkspath in einer Richtung um 0,00342 ausdehne; es war daher die Ausdehnung in einer Richtung gröfser, als die ganze Ausdehnung; er mufste also, indem er sich erwärnte, sich in einer Richtung ausdehnen, und in den Richtungen, die auf dieser perpendikulär stehen, zusammenziehen. Dies unerwartete Resultat bedurfte einer neuen Bestätigung; ich liefs mir zwei Stückchen Kalkspath so schleifen, dafs die breiteren Flächen des einen Stückchens perpendikulär, die des andern Stückchens parallel mit der der krystallisirten Körper durch die Wärme. 211 Hauptaxe des Krystalls waren. Beide Stücke wurden alsdann zusammen- gelegt und ihre Flächen vollkommen parallel geschliffen; ich legte sie dann auf die Platte des Sphärometers, stellte diesen in ein Gefäfs mit Wasser, das ich erwärmen konnte, über das Wasser gofs ich eine Schicht Öhl, um das schnelle Erkalten des Wassers zu verhindern. Ich mafs dann mit dem Sphäro- meter die Dicke der Platten, aber immer so, dafs ich bei jeder Beobachtung jede Platte abwechselnd zweimal mals, und die Messung nicht als richtig an- sah, wenn die zweite Messung nicht genau mit der erstern übereinstimmte. Die Dicke der einen Kalkspathplatte betrug 13,”” 263; die andere, deren Fläche perpendikulär der Hauptaxe, also parallel der Fläche ZEE geschlif- fen war, die also die Ausdehnung der Hauptaxe nach anzeigte, war bei 12°C. 0,” 010 dünner, als die andere, bei 83° ©. aber 0,””020 dicker; die Beob- achtungen waren folgende: T. 121°. — 0,””010 T. 64°. + 0,"”013 Ba: 0, 000 70°." :0,) 045 50 ..-+0, 006 75 .-+0, 018 5 +-0, 008 837.252 0,n6.020 DR 6290, 200) 0 Für eine Temperaturveränderung von 704° C. betrug also die Ausdeh- nung eines Kalkspaths von der angegebenen Dicke in der Richtung der Haupt- axe 0,””0030 mehr als in der andern; folglich dehnt sich der Kalkspath in der Richtung der Hauptaxe von 0° — 100°C. um 0,00321 mehr aus, als in den darauf perpendikulär stehenden Richtungen ; das Goniometer gab 0,00342 an, welches eine Übereinstimmung ist, die man kaum erwarten durfte. Ich liefs darauf ein Stückchen Kalkspath mit zwei Flä- chen, die der Hauptaxe, also der Fläche 4. E.4’e pa- rallel waren, mit einem Stückchen Glase so zusam- men schleifen, so dafs das Glas und der Kalkspath gleiche Dicke hatten; indem ich die Beobachtung auf dieselbe Weise, wie bei dem vorigen Versuche, anstellte, erhielt ich folgendes Resultat: Tb 7 Ti 760242 193 ei 80 — 16 57 — 10 92 — 19° oo — 1 93-— 49 Dd2 212 Mıtscueruicn über die dusdehnung u. s.w. Bei 151° nemlich war der Kalkspath, durch dessen Ausdehnung die Ausdehnung der Nebenaxe bestimmt wurde, um 0,””007 dicker, bei 93° um 0,””019 dünner als das Glas. Das Glas dehnte sich folglich für 100°C. um 0,””=0336 mehr aus, als der Kalkspath in der Richtung perpendikulär der Axe; die Dicke des Glases war 23,””657, die Ausdehnung des Glases betrug also 0,091424 mehr, als die des Kalkspaths; die Ausdehnung des Glases ist nach Dulong’s Versuchen 0,000861 (47). Woraus also folgt, dafs der Kalkspath sich in der angegebenen Richtung um 0,00056 zusammengezogen hatte. Da nun der Kalkspath sich in der Richtung der Hauptaxe um 0,00342 stärker ausdehnt, als in der Richtung der andern Axen, so findet in der Rich- tung der Hauptaxe eine wirkliche Ausdehnung von 0,00286 statt; davon die Zusammenziehung nach den Nebenaxen abgezogen, giebt für die absolute Ausdehnung 0,001737, statt 0,001961, welches durch den Versuch gefun- den, welche Resultate so genau, wie man es nur bei so complicirten Beob- achtungen erwarten darf, übereinstimmen. Die Thatsache, dafs der Kalkspath, ohne seinen Aggregatzustand zu ändern, sich in einer Richtung ausdehnt, in der andern zusammenzieht, schliefst einige Hypothesen, die man nach dem bisherigen Zustande der Wissenschaft über das Verhältnifs der Wärme zur Materie gemacht hat, aus, und ich würde es wagen, eine ziemlich genügende Erklärung dieser Erschei- nung zu geben, gegründet auf die grofse Verschiedenheit der Axen des Kalk- spaths, wenn ich nicht beim Gypse, bei dem man eine so grofse Verschieden- heit wohl nicht annehmen kann, eine viel gröfsere Ausdehnung gefunden hätte; es verändert sich nämlich beim Gypse die Neigung der Flächen f und f’ um 10’50”, die Neigung der Flächen / und /’ um 8’ 25” und die Neigung der Kanten a5 um 7’ 26”; alle drei Winkel werden stumpfer. Mit dieser Veränderung der Winkel hängt die Veränderung der doppelten Strahlenbrechung durch die Wärme zusammen; ich bin im Stande, durch ein neues Instrument diese Veränderung von Grad zu Grad zu messen; also viel genauer diese Veränderung zu bestimmen, als die der Winkel; ich ziehe es vor, diese Beobachtungen in einer besonderen Abhandlung zusammen zu stellen, ehe ich es wage, irgend eine Hypothese über die Ausdehnung der krystallisirten Körper aufzustellen. —— NEE Abhandlungen der mathematischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. nennen. Aus dem Jahre Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. 1828. In Commission bei F. Dümmle:. wmermlbaeihlA, N. | EZ Ze ara Kr ee vnlpine ar u) re 4 *, ER u Br 2 | | L.n a1; EyreLweın über die Prüfung der Normal-Maafse und Gewichte für den königlich- preufsischen Staat und ihre Vergleichung mit den französischen Maafsen und Gewichten .....er22 2.000: SaLeiaie ehelarsiarekekeie see Delle 1 Besser: Neue Untersuchungen über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamen- talsterne 22n 004 @ieerersnese are ia rasersreie ee else seele een er 28 Orrmanns über die Bildung eines Erd-Katalogs. .....neeeeeneseeennnene nei er 2 BOSELGER Von Konoiden-Schnitten...os«= ass oa eltıe:e areraie.oie. ers)n. sunin.nneie.a.en siaie ai eraye.e - 97 Verbesserungen. Seite 19, Z.10. statt Gewicht lies Geeicht. mm un Über die Prüfung der Normal -Maafse und Gewichte für den königlich-preufsischen Staat und ihre Vergleichung mit den französischen Maalsen und Gewichten. Pr Von me 'EYTELWEIN. nn a [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 23.Juni 1825 und 27. April 1826.] 1% Da die Maafs- und Gewichtordnung für die preufsischen Staaten vom 16.Mai 1816. ist 8.2. festgesetzt worden, dafs zur Erhaltung der mathema- tisch genauen Richtigkeit für alle folgende Zeiten, ein beglaubigtes Exem- plar der Normalmaafse und Gewichte, bei der mathematischen Klasse der Akademie der Wissenschaften, nachdem es von derselben den gesetzlichen Bestimmungen gemäfs erkannt worden, niedergelegt werden soll. Auf die erhaltene Anzeige, dafs die Probemaafse und Gewichte bis zu der noch erforderlichen Beglaubigung vollendet wären, ernannte die könig- liche Akademie der Wissenschaften den Professor Herrn Erman und den oben angeführten Berichterstatter zu ihren Kommissarien, um sich mit dem Geheimen Ober-Baurath Herrn Grelle, Geheimen Postrath Herrn Pistor und Ober-Bergrath Herrn Schaffrinski, welche von Seiten des könig- lichen Ministeriums für Handel, Gewerbe und Bauwessn zu Kommissarien ernannt waren, zur Prüfung der in vier Exemplaren verfertigten Probemaafse und Gewichte zu vereinigen. Weil die Gröfse des preufsischen Fufsmaafses nach der des französi- schen gesetzlich bestimmt ist, so fehlte es nicht an dem hierzu erforderlichen Meter und Kilogramm zur Ermittelung der Gröfse der preufsischen Maafse Mathemat. Klasse 1825. A 2 EYTELwEIN und Gewichte. Der vorhandene Meter so wohl als das Kilogramm waren beide von Fortin aus Platina verfertigt und mit einem, auf dem königlichen Observatorium zu Paris von den Herren F. Arrago und A. v. Humboldt am 24. Oktober 1817, ausgestellten Atteste versehen. Durch dieses mit dem Siegel des Bureaus für die Längenmessungen versehene Attest wird beschei- nigt, dafs der bei Fortin verfertigte Maafsstab von Platina, mit dem Län- genmaafse von demselben Metall aus den französischen Archiven und mit dem, welchen das Bureau für die Längenmessungen besitzt, völlig gleich- förmig sey. Das Instrument dessen man sich zu dieser Vergleichung be- dient hat, würde einen Unterschied von des Millimeters haben erken- nen lassen. Eben so wird in Absicht des Kilogramms bescheinigt, dafs dasselbe bei der Vergleichung mit dem aus den Archiven, vermittelst einer Waage die schon bei einem Gewichte von zwei Milligrammen sehr empfidlich zün- gelte, vollkommen abgeglichen geschienen habe. Die hiernach zu prüfenden Maafse und Gewichte bestanden in vier Stück eisernen Fufsmaafsen, in eben so viel messingenen Pfunden, Quarten und Scheffeln. Die Fufsmaafse waren von Herrn Geheimen Postrath Pistor, die Pfunde und Hohlmaafse von Herrn Ober-Bergrath Schaffrinski verfertigt. II. Prüfung des preulsischen Fufsmaafses. Die Maafs- und Gewichtordnung setzt fest, dafs der preufsische Fufs 139,13 Linien, des in wissenschaftlichen Verhandlungen allgemein bekann- ten pariser Fufses seyn soll. Nun ist das Verhältnifs des pariser Fufses zum Meter bekannt, daher läfst sich die Gröfse des preufsischen Fufses mittelst eines richtigen Meters genau angeben. Der vorhandene Platinameter war in Absicht seiner Länge bis auf —, Millimeter genau, daher mufste bei der Bestimmung des gesetzlichen preufsischen Fufses, mindestens diese Grenze der Genauigkeit beobachtet werden. Das deshalb erforderliche Instrument war ein von Herın Geheimen Postrath Pistor verfertigter microscopischer Comparateur, welcher aus einem, auf ein gufseisernes Gestell fest geschraub- ten starken stählernen Lineal besteht, dessen Kanten mit der gröfsten Sorg- falt grade und parallel mit einander bearbeitet sind. Auf diesem bewegt über preufsısche Normal-Maa/se und Gewichte. 3 sich ein 14 Zoll langer Schlitten auf dieselbe Art, wie solcher unter dem Na- men des Roller, nebst der ganzen Einrichtung, in den Plllosophical Trans- actions v. J. 1809, S. 135. u.f. von Eduard Trughton vollständig _be- schrieben und durch Zeichnungen erläutert ist, nur dafs die Roller des Pistorschen Instruments nach den Umständen mit drei bis sechs Microsco- pen, sämmtlich mit gleicher Mierometerbewegung für ihre Fadenkreuze, ver- sehen werden könnnn, wodurch eine gröfsere Mannigfaltigkeit der zu gleicher Zeit zu messenden Abstände herbei geführt wird. — Alle Microscope deren Entfernungen von einander sich auf das vielfältigste verändern lassen, beob- achten eine und dieselbe grade Linie, parallel mit den Kanten des stähler- nen Lineals und zugleich durchschnitten von der Bewegung eines Schneide- stifts, der auf eben diesem Roller so befestigt ist, dafs der von ihm gezogene Strich, von einem der darüber angebrachten Mieroscope beobachtet und dessen Fadenkreuz auf ihn eingestellt werden kann. Dies letztere wird da- durch bewirkt, dafs dem Mieroscop selbst, eine nach vorne zu geneigte Lage gegeben ist, wodurch das Gesichtsfeld desselben, nicht durch das Reifser- werk eingenommen wird. Um aber Beobachtungen anstellen zu können ohne den Leib über das Instrument zu biegen, wodurch die Temperatur des Instruments geändert werden könnte, ist zwischen der Collectiv- und Ob- jectiv-Linse des Microscops ein Glasprisma eingeschoben, wodurch das Bild im rechten Winkel zurück gebrochen und dem Ocular eine solche Richtung gegeben wird, dafs man die Beobachtung mit Bequemlichkeit vornehmen kann. Diese ganze Vorrichtung mit Ausnahme einiger Verbesserungen ist dieselbe deren sich Capitain Kater im Jahre 1820 zur Bestimmung der en- glischen Längenmaafse bedient hat und welche in den Philosophical Trans- actions v.J. 1821. S.75. u.f. beschrieben ist. Die Vergröfserungskraft und Fortbewegung des Fadenkreuzes in den Microscopen des Pistorschen Instruments war so eingerichtet, dafs 100 Umdrehungen des Schraubenganges einem Centimeter gleich waren und da die Köpfe der Micrometerschraube 100 gleiche Theile enthielten, so konn- ten hiernach Saar Centimeter oder Millimeter angegeben werden, ob- gleich die Genauigkeit des vorhandenen Platinameters nur bis — Millimeter genau versichert war. Zur Erlangung der erforderlichen Überzeugung, dafs die Bewegung des Fadenkreuzes der Microscope so beschaffen sei, dafs 10 Schrauben- Aa 4 EyYyTELweın umgänge einem Millimeter entsprechen, bediente man sich mehrerer Milli- meter, die sich auf einem, in ein kleines Stück Eisen eingelegten Silber- streifen befanden. Durch verschiedene Nachmessungen mit den Microsco- pen fand man 998 Theile des Micrometerkopfs. 1005 —_ —_ —_ GRILL a1 & im Mittel 1000,2 Theile = 10 Umdrehungen der Schraube, woraus hervor- geht, dafs die Theile des Mierometerkopfs — Millimeter angeben. Die Ver- fertigung dieser Millimeter wird hiernächst noch beschrieben werden. Nach vollendeter Prüfung und anerkannten Genauigkeit des zur Län- genmessung erforderlichen Werkzeugs, entstand die Frage: wie der vorhan- dene Platinameter zur Bestimmung der Länge eines auf einen eisernen Stab abzutragenden preufsischen Fufses angewandt werden könne? Der Platina- meter hatte keine Unterabtheilungen und ist nur für die Mitten seiner ihn begrenzenden Endflächen als Meter auzusehen, weshalb es nöthig war, um die erforderlichen Unterabtheilungen genau zu erhalten, die gegebene Länge des Platinameters auf ein eisernes Lineal überzutragen, solches mit der nö- thigen Eintheilung zu versehen und hiernach die Länge des preufsischen Fufses zu bestimmen. Die Abtragung eines Meters von Platina auf Eisen, erfordert die be- sondere Rücksicht, dafs der Meter nur bei der Temperatur des thauenden Eises, oder bei 0 Grad des hunderttheiligen Thermometers, ein Meter ist, dafs daher der Platinameter mit dem Eisenmeter für diese Temperatur über- einstimmen mufs, weil wegen der Verschiedenheit in der Ausdehnung beider Metalle durch die Wärme, keine Übereinstimmung in der Länge beider Me- ter für andere Temperaturen möglich ist, sie alsdann auch aufhören die Nor- mallänge eines Meters unmittelbar anzugeben. Während der Zeit in welcher die richtige Abtragung des Meters ge- prüft werden sollte, war wenig Gelegenheit eine Temperatur von 0 Grad zu erhalten, weshalb man sich begnügen mufste die vorhandenen Temperaturen, mit den erforderlichen Rücksichten zu benutzen, um zu der Überzeugung zu gelangen, dafs der bei 0 Grad auf Eisen getragene Meter, mit dem Platina- meter, für diese Temperatur übereinstimme. über preufsische Normal- Maafse und Gewichte. 5 Weil die Endflächen des Platinameters, unter den Mieroscopen des Comparateurs nicht unmittelbar sichtbar gemacht werden konnten, so wa- ren zwei rechtwinkligt gearbeitete messingene Parallelepipeden, von gleicher Breite und Dicke mit dem Platinameter verfertigt und in jedes, sehr nahe der äufsern Kante desselben, ein Platinastift eingebohrt, abgeglichen und mit einem feinen Strich versehen, so dafs wenn beide Stücke unmittelbar an ein- ander geschoben waren, die Entfernung der beiden Striche in dem Felde des Mieroscops, durch die Bewegung des Fadenkreuzes gemessen werden konnte. Brachte man nun diese beiden Messingstücke mit denjenigen Flächen welche sich vorher berührten, gegen die Endpunkte des Platiname- ters und die auf den Platinastiften gezogenen Striche unter die Fadenkreuze zweier Microscope des Comparateurs, so erhielt man die Länge des Platina- meters nebst der oben bemerkten Entfernung beider Striche. Bei einer Temperatur von 5 und 7 Centes. Graden, fand man mittelst des Compara- teurs den Abstand beider Striche, wenn die Messingsstücke zusammen ge- schoben waren —= 0,000 2665 Meter, welches auch mit den Ausmessungen bei 0 Grad übereinstimmt, weil die gefundene Länge zu gering ist, um bei so kleinen Temperaturveränderungen einen Unterschied bemerklich zu machen. Hiernach beträgt die Entfernung der beiden Striche auf den Pla- tinastiften, wenn der Platinameter dazwischen gefügt wird, bei einer Tem- peratur von 0 Grad: 1,000 2665 Meter. Auf einem eisernen Stabe waren zwei eingebohrte silberne Stifte be- festigt und durch gezogene Endstriche die Länge des eisernen Meters für die Temperatur von 0 Grad angegeben. Die auf diesem Stabe befestigten beide Thermometer, zeigten eine Temperatur von 7,1 und 7, 4 Centes. Grad, also im Mittel 7,25 Centes. Grade, als man die Fadenkreuze der Microscope, deren Index auf 0 gebracht war, auf die Endstriche des Eisenmeters ein- stellte. Hierauf bei derselben Temperatur, den Platinameter nebst den bei- den Messingstücken, mit dem einen Strich unter das Fadenkreuz des einen Microscops gebracht und das zweite so lange mittelst der Stellschraube be- wegt, bis das Fadenkreuz mit dem zweiten Strich zusammen fiel, fand man, dafs der Micrometerkopf um 245,3 Theile zurück gedreht werden mulste, N oder der eiserne Meter war um 0,000 2453 Meter kürzer als der Abstand 6 EyTELweın beider Striche nebst dem dazwischen enthaltenen Platinameter. Der Eisen- meter ist hiernach 1, 000 2665 — 0, 000 2453 = 1, 000 0212 Meter lang, bei 7,25 Cent. Grad, also für diese Temperatur 0, 0000 212 Meter länger als der Platinameter. Nach der Base du systeme metrique, Tome II, p. 440. ist der Unter- schied der Länge zweier Meter von Eisen und Platina für jeden Grad des Cent. Thermometers = 0,000 0030 Meter, also für 7, 25 Grad= 0,000 02175 Meter, welche der Eisenmeter länger seyn sollte; dies giebt mit der Aus- messung verglichen, einen Unterschied von 0, 000 00055 Meter, welcher hier nicht in Betrachtung kommt. Eine zweite Prüfung bei 5 Cent. Grad, gab 252 Theile des Micrometerkopfs, also für den Eisenmeter eine Länge von 1,000 0145 Meter. Nun ist nach der Rechnuug, die Ausdehnung für die vorstehende Temperatur — 0, 000 0150 Meter, also der Unterschied 0,000 0005 Meter. Hiernach ist der Eisenmeter als gleich grofs mit dem Platinameter, bei einer Temperatur von 0 Grad anzunehmen. Die Art wie man auf diesem eisernen Meter zu den Unterabtheilun- gen desselben und hiernächst zur Gröfse eines der oben erwähnten Millimeter kam, welche sich auf einem in ein kleines Stück Eisen eingelegten Silber- streifen befanden, war dieselbe welche Troughton in der vorerwähnten Abhandlung über die Theilung eines Kreises durch den Roller beschrieben hat; nur dafs dieses Verfahren hier auf eine grade Linie angewendet wird und die erste Unterabtheilung des Meters bis zu 0,05 Meter, durch Hülfe des mieroscopischen Comparateurs, ohne Beihülfe einer Theilung des Rollers, dargestellt werden konnte. Dies Verfahren gewährt den Vortheil, dafs die Theilung des Meters bis zu dieser Gröfse herab, keiner Correctionstabellen bedarf, weil durch die neue Einrichtungen des Reifserwerks, nach welchem der Strich unmittelbar unter dem Gesichtsfelde des einen Microscops ge- macht werden kann, die Möglichkeit entseht, diese Striche auf der gegebe- nen Stelle mit eben der Genauigkeit zu ziehen, welche die Microscope selbst zur Beobachtung der Striche gewähren. Von 0,05 Meter ab, war die Thei- lung mit Hülfe des Rollers und seiner Abtheilungen bewirkt; aber auch hier war, um den gröfsten Grad der Genauigkeit zu erreichen, die vorläufige Theilung nicht einfach, sondern in drei verschiedenen Exemplaren bewirkt, für jedes die Fehlerreihe beobachtet und in drei Correctionstafeln eingetra- über preufsische Normal- Maafse und Gewichte. 7 gen, auch durch Beobachtung mit drei Microscopen, hiernach der gefun- dene Mittelwerth, auf den Silberstreifen des vorhin erwähnten Stücks Eisen, aufgetragen. Durch sorgfältige Prüfung der auf dem eisernen Meter angegebenen Unterabtheilungen desselben, welche auf eingebohrten silbernen Stiften durch feine Striche bemerkt waren, überzeugte man sich, mittelst des Com- parateurs, von der Genauigkeit und Richtigkeit dieser Eintheilung sowohl als von der Richtigkeit der besonders aufgetragenen Millimeter. Um nun mittelst des eingetheilten eisernen Meters und Comparateurs einen preufsischen Fufs auf ein eisernes Lineal mit der nöthigen Genauigkeit abtragen zu können, da dessen Gröfse gesetzlich nicht nach Meter sondern nach pariser Linien bestimmt ist, mufste zuvörderst ermittelt werden, wie viel Theile des eisernen Meters einem preufsischen Fufs gleich sind. Aber der Meter ist nur ein Meter bei einer Temperatur von 0 Grad (Base du sy- steme metrigue Tom.Il, p.136.) und der pariser Fufs oder der sechste Theil der Toise von Perou, welche als Normal für den pariser Fufs gilt, ist nur ein pariser Fufs von 144 Linien, wenn sich diese Toise unter einer Temperatur von 13 Grad Reaumur oder 16-- Cent. Grad befindet (a. a. O. p- 622.), daher ist auch der preufsische Fufs von 139, 13 pariser Linien nur 1 Fufs bei 13 Grad Reaumur. Der Meter bei 0 Grad hält 443, 295 936 pa- riser Linien (a.a.O. p. 106.) wenn der preufsische Fufs, bei 164-Cent. Grad, 139, 13 dieser Linien enthält, daher entsteht die Frage, wie viel Theile des Meters auf einen preufsischen Fufs gehen, wenn sich beide Maafsstäbe unter einerlei Temperatur befinden, weil es nicht ausführhar war, auf dem Meter bei einer Temperatur von 0 Grad eine Länge zu nehmen und diese auf einen eisernen Stab zu tragen, welcher sich unter einer Temperatur von 13 Grad Reaumur befand. Man setze die Länge eines Körpers bei 0 Grad eines Thermometers = 1 und den Zuwachs an Längenausdehnung der Materie dieses Körpers, für jeden Grad desselben Thermometers —= A, so ist die Länge dieses Kör- pers bei £Grad=1-+A%t. Sind nun u und m die Längen irgend eines Kör- pers von derselben Materie bei r und £ Grad, so wird = m = und wenn für einen zweiten Körper von derselben Materie die Längen #’ und m’ den Temperaturen von r und 2’ Grad entsprechen, so wird #’=m!’ +2 folglich A+rt m IHR ' mw Ari Dr — 8 EYTELWEIN Diesen allgemeinen Ausdruck auf den vorliegenden Fall angewandt und «= 1 preufsischen Fufs, @’ = 1 Meter, m = 139,13 pariser Linien, m’ — 443, 295936 pariser Linien, 2= 16-- Cent. Grad und = 0 Grad ge- setzt, so erhält man wenn beide Maafsstäbe aus geschmiedetem Eisen bestehen, r2 = 0, 000 01156 (a.a.O. p.440.), daher nı —.— 0, 31385 354275 und m 1-- Rt 1 i — - folglich IFAL 1, 0001 8785 a = 0, 31379 45965 u’ oder man findet für jede Temperatur unter welcher sich beide eiserne Maafsstäbe zugleich befinden ein preufsischer Fufs = 0, 31379 45965 Meter, wobei aber wohl zu bemerken ist, dafs der preufs. Fufs nur bei einer Tempe- ratur von 161- Cent. Grad oder 13 Grad Reaum. als ein solcher gelten kann. Von den verfertigten vier eisernen Normalmaafsstäben, welche die ein- gegrabene Überschrift führten: Preufsischer Normalfufs, bei 13 Grad Reau- mur, enthielt jeder 3 preufsische Fufs und jeder derselben war in 12 Zoll, der letzte Zoll aber in 12 Linien eingetheilt, so dafs die Endpunkte der Zolle durch feine Striche auf eingebohrten silbernen Stiften, die Linien aber auf eingelegten Silberstreifen bemerkt waren. Zur Prüfung ob die ganze Länge der 3 preufsischen Fufse mit der Länge von 0, 941 384 Meter übereinstimmte, mufste der letzte Decimeter mit seinen Unterabtheilungen gebraucht werden. Um aber jeden etwani- gen Fehler der Theilung zu vermeiden, bewirkte man die Abtragung dieses Maafses, bei durchgängig gleicher Temperatur, auf eine doppelte Weise, einmal durch Messung des Abstandes vom Endpunkte des Meters und das andere Mal, durch Messung des Abstandes von einem der Decimaltheile des Meters, welches dadurch geschehen konnte, dafs man zwei Microscope mit dem dazwischen befindlichen Microscop des Schneidestifts so in Verbindung brachte, dafs nach den Unterabtheilungen des Meters, dieser Abstand auf der einen Seite von dem Endpunkte des Meters | 0, 058 616 und auf der andern Seite, von dem neunten Decimeter 0,041 384 Meter enthielte. über preufsische Normal- Maafse und Gewichte. 9) Die ganze Länge der aufgetragenen 3 Normalfufse auf diese Weise zweimal wiederholt gemessen, gewährte durch die genaue Übereinstimmung der Eudpunkte mit den Fadenkreuzen der Microscope, die Über zeugung von der Richtigkeit der ganzen Länge dieser 3 preufsischen Fufse. Hiernächst überzeugte man sich durch Prüfung der einzelnen Fufse, Zolle und Linien, mittelst des Comparateurs, von der erforderlichen, genauen, gleichförmigen Eintheilung und es wird nur noch bemerkt, dafs die gröfste Verschiedenheit welche man bei der Eintheilung der einzelnen Fufse fand, 1-; Theile des Micrometerkopfs oder Millimeter betragen hat, welches weniger als die verbürgte Genauigkeit des Platinameters von rn Millimeter beträgt. Nun ist nach dem oben gefundenen Verhältnifs 1 Meter = 3, 1867 9802 preufsische Fufs, also - Meter = 0,0000 0637 preufsische Fufs 0,0009 1780 preufsische Linien, folglich ist mit Rücksicht auf die verbürgte Genauigkeit des Platinameters, das verfertigte preufsische Normalmaafs, bis auf 100 000 Theile des preufsi- schen Fufses oder bis auf 1000 Theile der preufsischen Linie genau. I. Prüfung des preufsischen Pfundes. Nach der angeführten Maafs- und Gewichtordnung sches Pfund dem sechs und sechszigsten Theil von dem Gewichte eines soll ein preufsi- preufsischen Kubikfufses destillirten Wassers, im luftleeren Raume, bei einer Temperatur von 15 Grad des reaumurschen (uecksilberthermometers, gleich seyn. Um daher den gesetzlichen Bestimmungen gemäfs, das Normalpfund mittelst des vorhandenen Platinakilogramms zu prüfen, war es nöthig, weil dem Platinakilogramm keine Unterabtheilungen beigefügt waren, zuvörderst ein vollständiges Grammensystem bis zu den kleinsten Abtheilungen genau zu erhalten. Ein solches System war von Herrn Ober-Bergrath Schaffrinski in Messing ausgearbeitet und dabei dasjenige messingene Kilogramm als Ein- heit angenommen, welches der. verstorbene Ober-Medizinalrath Klaproth von dem pariser Nationalinstitut, von Fortin verfertigt, zum Geschenk er- halten und dem Ober-Bergrath Herrn Schaffrinski abgetreten hatte. Die Mathemat. Klasse 1825. B 10 EYTzLwesın erste anzustellende Prüfung mufste also darin ‚bestehen, ob die einzelnen Theile des vorhandenen Gewichtsystems hiernach richtig waren und ob das Messingkilogramm mit dem Platinakilogramm, im lüftleeren Raume, gleiches Gewicht hatte. Durch Tariren auf, dazu geeigneten sehr genauen Waagen überzeugte man sich von der Richtigkeit sämmtlicher: Unterabtheilungen des Messingki- logramms, vom Hektogramm an bis zum Zehntel des Milligramms und von der Genauigkeit eines zweiten messingenen Kilogramms. Die Waage deren man sich hierauf zur Vergleichung des Platina- und des Klaprothschen Mes- singkilogramms bediente, war doppelarmig, mit durchbrochenen eisernen Schenkeln versehen, jeder 9 preufsische Zoll lang. Am Ende des einen Schenkels befand sich in der Verlängerung desselben, anstatt der sonst ge- wöhnlichen Zunge, ein frei beweglicher Stift, welcher auf einem festen Grad- bogen den Stand der Waage bemerkte, so dafs wenn der Stift auf 0 zeigte, die Waage im Gleichgewicht war oder keinen Ausschlag gab. Die ganze Waage nebst den beiden messingenen Waageschaalen, welche an dergleichen Stan- gen hingen, ruhte in ihrer Mitte, mittelst einer prismatischen stählernen Kante, auf einer festen stählernen Pfanne. Zur Prüfung der Genauigkeit dieser Waage, welche unbelastet auf 0 des Gradbogens stand, legte man in jede Schaale ein messingenes Kilogramm und die Waage blieb noch auf 0 stehen, welches auch beim Umlegen oder Verwechseln beider Gewichte der Fall war. Hierauf legte man ein halbes Milligramm zu dem einen Kilogramm, und fand einen Ausschlag von — Grad und bei 5 Milligramm Übergewicht, einen Ausschlag von 2 Grad, wodurch die zureichende Genauigkeit der Waage bewiesen war. Bei einer durchgängig gleichen Temperatur von 15 Grad Reaumur und einem Barometerstande von 28 Zoll 3 Linien pariser Maafs, konnte man nun zur Abwiegung des Platinakilogramms übergehen. Die leere Waage mit ihren beiden Schaalen versehen, zeigte auf 0 Grad. Das Platinakilogramm auf die eine Schaale gesetzt und auf die andere so lange Gegengewichte gelegt bis die Waage auf 0 Grad zeigte, dann anstatt des Platinakilogramms so lange Gewichte des messingenen Grammensy- stems aufgebracht bis die Waage wieder auf 0 Grad stand, fand man das Gewicht des Platinakilogramms in der Luft, bei der angegebenen Tempera- tur = 1000, 0898 Grammen der Messinggewichte. Hierauf anstatt der einen messingenen Waageschaale, eine eben so schwere messingene runde Scheibe über preufsische Normal- Maafse und Gewichte. 11 mit einem Haken versehen, an das Ende des Waagebalkens aufgehangen, so zeigte die leere Waage auf 0 Grad. Nun hing man ein aus äufserst dünnem Drath verfertigtes Gitter an den Haken und brachte die Waage durch Ge- gengewichte ins Gleichgewicht. Das Platinakilogramm ins Drathgitter ge- setzt, durch Gegengewichte ins Gleichgewicht gebracht und mit dem Drath- gitter in destillirtem Wasser versenkt, wenn das Drathgitter bis zu einem vorher bemerkten Punkte eingetaucht war, so mufsten 49, 3850 Grammen zur Widerherstellung des Gleichgewichts auf die messingene Schaale gelegt werden. Versenkte man das Drathgitter allein im Wasser bis zu dem ange- merkten Punkt, so war der Wasserverlust 0, 0855 Grammen, daher beträgt der Wasserverlust des Platinakilogramms 49, 7995 Grammen oder das Ge- wicht im Wasser beträgt 050, 2903 Grammen. Bei der Abwiegung des Messingkilogramms von Klaproth, fand man durch ein ähnliches Verfahren das Gewicht desselben in der Luft 1000 Gram- men und wenn man dasselbe mit dem Drathgitter im destillirten Wasser, bis zu dem vorhin bemerkten Punkte des Gitters versenkte, verlor dies Kilo- gramm nebst dem Drathgitter, ein Gewicht von 123, 9920 Grammen des messingenen Gewichtsystems. Senkte man das Drathgitter ohne Kilogramm eben so tief ins Wasser, so war sein Gewichtsverlust 0, 0855 Grammen, also beträgt der Wasserverlust des Messingkilogramms 123, 9065 Grammen oder das Gewicht im Wasser ist 576, 0935 Grammen. Um nun aus diesen Ermittelungen eine Vergleichung der Gewichte der abgewogenen Kilogramme für den luftleeren Raum und hiernächst das Gewicht eines preufsischen Pfundes, nach den Grammen des messingenen (Gewichtsystems zu erhalten, da sich die Grammen auf das dichteste Was- ser und die preufsischen Pfunde auf Wasser beziehen, dessen Temperatur 15 Grad Reaumur beträgt, vereinigte man sich dahin, die in den Abhand- lungen der londoner Societät vom Jahr 1792 und 1794 beschriebenen Blag- den- und Gilpnischen Versuche über die Dichtigkeit des Wassers bei ver- schiedenen Temperaturen um so mehr als Grundlage zu wählen, als bei der Verfertigung der zu prüfenden Normalgewichte und Hohlmaafse, diese mit vieler Genauigkeit angestellten Versuche, zur Grundlage dienten. Zur Be- stimmung der specifischen oder Eigengewichte der Luft, bei verschiedenen Thermometer- und Barometerständen, wählte man die Angaben von Gay- Lussac, nach welchen unter gleichem Druck oder Barometerstande die Bz 12 EyYtEeLweiın gleichförmige Ausdehnung der Luft beim Siedepunkt 1,375 beträgt, wenn die Ausdehnung derselben beim Frostpunkt = 1 gesetzt wird. Ferner ist bei einem Barometerstande von 0,76 Meter — 28, 075 pariser Zoll und bei einer Temperatur von 0 Grad, das Eigengewicht der trocknen Luft = 0,001299073, wenn das Eigenwicht des Wassers bei 3, 42 Cent. Grad — 1 gesetzt wird (Biot Zraute de physique, Tome I. p. 394.). Wird ferner nach Biot (a.a.O. p. 425.) das Eigengewicht des reinsten Wassers bei 3, 42 Gent. Grad = 1,0000 T46angenommen, wenn das Eigengewicht des Wassers bei 0 Grad = 1 gesetzt wird, so findet man 0, 001299075. 1, 0000746 = 0, 0012991719 für das Eigengewicht der Luft bei der Temperatur von 0 Grad und bei einem Baromestand von 28, 075 pariser Zoll, wenn das Eigengewicht des Wassers bei eben diesem Wärmegrad — 1 gesetzt wird. Bezeichnet nun g das Eigengewicht der Luft bei £ Grad Reaumur und h den zugehörigen Barometerstand in pariser Zollen, so findet man, den vorstehenden Bestimmungen ‚gemäfs, wenn das Eigenwicht des Wassers bei 0 Grad = 1 gesetzt wird a gi LTE 640 3 l Weil sich die Gilpinschen Versuche auf Grade des Fahrenheitschen Thermometers beziehen, die Temperatur des Wassers in der Maafs- und Ge- wichtordnung aber in Graden des Reaumurschen Thermometers angegeben ist, so mufsten zuvörderst die deshalb nöthigen Ermittelungen bewirkt wer- den. Nun enthalten die Gilpinschen Tafeln folgende Angaben für das Eigen- genwicht des Wassers, wenn man die Fahrenheitschen Grade durch F und die Reaumurschen durch R bezeichnet: 32 Grad F. | 1, 00082 zugehöriges Eigengewicht des Wassers. 30 — | 4. 00094 — en in 0 °— —d 4r 00094 2 Be > 60 — — | t, 00000 = 2 en 65 — —| 0, 99950 = — ee 70. 00002. en u 75, .— ‚1.0, 00850 ze E ENT über preufsische Normal-Maafse und Gewichte. 15 Sucht man mit Hülfe der vier letzten Werthe die Eigengewichte für 614-GradF. und 65-- Grad F., so erhält man nach bekannten Interpo- lationsformeln 614.Grad F.|0, 9998795 65% — — |0, 9994210 Das dichteste Wasser entspricht nach den Trallesschen Versuchen (Mem. del’ Acad. 1804 p.12.) einer Temperatur von 39, 8°F. und es sind 32° F.— 0°R., 39, 5° F.—34°R., 614° F.= 13°R. ünd 614° F.= 15°R., daher erhält man für folgende Grade des Reaumurschen Quecksilber Ther- mometers die entsprechenden Eigengewichte des Wassers: 0° R. | 1,00082 32° R. | 1, 00094 (I) 1 ı13°R. | 0, 9998795 15° R. | 0, 9994210. Nun ist für 13 Grad. R. ein preufsischer Fuls = 0, 31385354274937454 Meter, wenn sich der Meter unter der Eistemperatur befindet, daher ein preufsischer Kubikfufs = 0, 030915 843905 252666 Kubikmeter und weil der französische Liter dem tausendsten Theil eines Kubikmeters gleich ist, so findet man einen preufsischen Kubikzoll — 0, 017891 113371 09529 Liter. Es ist aber 1 Liter des dichtesten Wassers im luftleren Raume — 1000 Grammen, daher wiegt 1 preufsischer Kubikzoll des dichtesten Was- sers, 17, 89113 371095 29 Grammen. Das Eigengewicht des dichtesten Wassers verhält sich zu dem bei einer Temperatur von 15°R., wie 1,00094 zu 0,999421, daher, wird das Ge- wicht von einem preufs. Kubikzoll Wasser bei 15°R. = 17,863 9622 919 Grammen. Nach der Maafs- und Gewichtordnung ist 1 preufsisches Pfund = — Kubikfufs Wasser bei 15°R., dies giebt das Gewicht eines preufsischen Ku- bikzolls Wasser bei 15°R. = — preufsische Pfund, also sind für den luft- 228 leeren Raum: 14 EYTELweEeın —- preufsische Pfund = 17,86396 22919 Grammen, folglich 1 preufsisches Pfund = 467, 711 012 733 Grammen. Zur Vergleichung des Gewichts vom Platinakilogramm mit dem Mes- singkilogramm, für den luftleeren Raum, nach den oben angeführten Ab- wiegungen in der Luft, setze man, dafs P das Gewicht eines Körpers in der Luft, Q das Gewicht desselben im Wasser, F. den Inhalt der Gewichte, /V den Inhalt des Körpers, g sein Eigengewicht, ? das Eigengewicht der Luft, » das Eigengewicht des Wassers bezeichnen, wenn sich sämmtliche Gröfsen auf die Temperatur bei der Abwiegung beziehen und y das absolute Gewicht eines Liters Wasser, bei OGrad R. bezeichnet, so findet man, wenn 7’ den Inhalt des Gewichts, Q und MH das Eigengewicht der Materie. dieser Gewichte bedeutet, den Druck auf jede Wageschaale beim Abwiegen in der Luft EV —-1ISV = unyV —ıyV und für das Abwiegen des Körpers im Wasser gyVW —uyW =uyV'—ıyV". Mit den Gliedern dieser in die vorstehende Gleichung dividirt, giebt gr _ @-NF _F/ _IP g—:. a R Tr FPRFT also zero folglich (MD) ge Aus gyW—iyW = P—ıyY erhält man ferner den Inhalt des Körpers für den Wärmegrad bei der Abwiegung oder P—-ıyF N 7Z FE und wenn 7 = W wird, a N ART EB über preufsische Normal- Maafse und Gewichte. 15 Nun ist nach (I) A = 0, 00122139 das Eigengewicht der Luft bei 15°R. und 284 Zoll Barometerstand, 1, 00082 7 4,.00094 - 1000 = 999, 880112 Grammen, das Gewicht eines Liters Wasser bei 0 Grad R., wenn das Eigengewicht des- selben für 0 Grad R. = 1 gesetzt wird, daher findet man für das Messing- kilogramm P = 1000 Grammen, Q = 876, 0935 Grammen, — EM 0,9986021, folglich 1, 00082 wP—3Q e : R R R o I ao 8, 05068, Eigengewicht des Messings bei 15° R. und = Fr = 0, 124228 Liter, Inhalt des Messingkilogramms. Für das Platinakilogramm wird: P = 1000, 0898; Q= 950, 2903 Grammen und p — 10,088 1000 1, 24228 = 0, 124239 Liter, folglich a Fa = 20,030948, Eigengewicht der Platina bei 15°R. und ig en = 0,049929 Liter, Inhalt des Platinakilogramms bei 15°R. Sind nun ferner von zwei Gewichten, welche aus verschiedenen Ma- terien bestehen, N nnd M die Inhalte derselben, wenn beide im luftleeren Raume gleiches Gewicht P haben sollen und es bezeichnet A das Eigenge- wicht der Luft, beim Abwiegen in der Luft, y das Gewicht eines Liters Wassers bei 0 Grad R. und » dasjenige Gewicht welches man dem einen Ge- wichte ? zulegen mufs, wenn ein Gleichgewicht auf der Waage in der Luft entstehen soll, so findet man wenn m den Inhalt des Gewichts p bedeutet, für das Gleichgewicht in der Luft P—-iyN=P—?iyM+-p—iAym. 16 EYTELweın bezeichnet nun g das Eigengewicht der Materie des Gewichts p, so istm = — und man findet das Gewicht, welches dem Gewichte P, dessen Inhalt 7 ist, beim Abwiegen zugelegt werden mufs oder LS ’ (VI) >= I (M— N) Nun war nach den Abwiegungen des Platina- und Messingkilogramms, M = 0,124228, N = 0,049929 Liter, g = 8, 05068, A = 0, 00122139, y = 999, 880112 Grammen; soll daher das Messingkilogramm mit dem Pla- tinakilogramm gleiches Gewicht im luftleeren Raume haben, so mufs nach der angenommenen Temperatur bei der Abwiegung in der Luft, dem Mes- singkilogramm ein Gewicht a = (M— N) = 0, 09075 Grammen für das Gleichgewicht zugelegt werden. Das unmittelbare Abwiegen hat ein Gewicht von 0, 08980 Grammen gegeben, daher beträgt der Unterschied nur 0, 00096 Grammen, also kein ganzes Milligramm, weshalb beide Gewichte um so mehr als einander gleich anzunehmen sind, da nach dem angeführten pariser Attest, die Waage keine so kleine Abweichung angab. Nach der hierdurch erlangten Überzeugung von der Richtigkeit des vorhandenen Grammensystems, konnte die Prüfung der vorläufig berich- tigten vier preufsischen Normalpfunden bewirkt werden. Jedes dieser mes- singenen Gewichte war vergoldet und eylindrisch gearbeitet, oben mit einem runden Knopf versehen, neben welchen zu der erforderlichen Berichtigung, ein kleiner Pfropf von Platina eingeschlagen war. Auf eine Schaale der oben beschriebenen Waage legte man 467 Grammen und 711 Milligrammen des messingenen Gewichtssystems und brachte die Waage durch Gegenge- wichte, welche man in die zweite Schaale legte, ins Gleichgewicht. : Hier- auf die 467, 711 Grammen abgenommen und anstatt derselben ein Normal- pfund aufgesetzt, so erkannte man das aufgesetzte Gewicht für ein richtiges preufsisches Pfund, wenn die Waage ganz genau ihre vorige Stellung wieder annahm, Dasselbe Verfahren mehrmal wiederholt, dann das Gewicht von über preufsische Normal- Maafse und Gewichte. 17 der Waageschaale genommen, auf den eingehämmerten Platinapfropf das Zeichen der Normal-Eichungs-Commission sowohl als auf die Mitte des Knopfs und auf jede Seite dieses Zeichens, einen königlich-preufsischen Adler geprägt, hierauf zur Überzeugung, dafs durch die vorgenommene Ar- beit keine Veränderung in der Schwere des Pfundes entstanden war, das Ge- wicht nochmals auf die Schaale der unverändert gebliebenen Waage gesetzt, und nur dann, wenn sich die vorige Übereinstimmung der Waage zeigte, wurde das Gewicht als ein richtiges preufsisches Normalpfund, wie es die Maafs- und Gewichtordnung vorschreibt, anerkannt. Auf dazu geeigneten Waagen prüfte man nun durch Tariren, mit Hülfe dieser Normalpfunde, die zur Abwiegung der Quarte und Scheffel be- stimmten messingenen Gewichte von 10 Loth bis zu einem hunderttausend- theil Loth und von 2 Pfund bis zu 55 Pfund, welche man durchgängig als richtig anerkannte. IV. Prüfung des preulsischen Quarts. Die vorhandenen vier Quarte, waren von Messing gegossen, cylin- drisch abgedreht, 35-preufsischen Zoll weit und an ihrem obern Rande glatt abgeschliffen, so dafs darauf eine ebene mattgeschliffene runde Glasplatte, luft- und wasserdicht genau pafste. An dem äufsern Umfang dieser Gemälse war ein königlich- preufsischer Adler nebst der Inschrift: Normalmaals, Preufsisches Quart. 1816. bei 13° Reaumur, eingegraben. Bezeichnet nun bei irgend einer unveränderten Temperatur Y den Inhalt eines Hohlmaafses, P das Gewicht des in demselben enthalteneu reinsten Wassers, Q das auf der Waageschaale in der Luft erforderliche Gegenge- wicht, zur Erhaltung des Gleichgewichts mit dem Wasser des Hohlmaafses, g das Eigengewicht von Q, ? das Eigengewicht der Luft während der Abwiegung und y das Gewicht eines preufsischen Kubikzolls Wasser bei 0 Grad R.., so findet man, wenn der Inhalt des Gewichts Q= W ist, für das Gleichge- wicht auf den Waageschaalen in der Luft: Mathemat. Klasse 1825. C 18 EYTELWEIN P—-iryV =Q-—?ryW oder wegen =, erhält man das erforderliche Gegengewicht NDi.Qm FT Nun war bei der Prüfung der Quarte die Temperatur des Wassers und der Gefäfse = 13 Grad R., bei einem Barometerstand von 27 pariser Zoll 10 Linien, daher findet man nach (1) % = 0, 00121401, — LM „4 —_ 41,223933 Loth, 0,9991 9 g = 8, 05068 und weil nach der Maafs- und Gewichtordnung, der Inhalt eines preufsischen Quarts — 64 preufsische Kubikzoll ist, 7 = 64, also 0, 9998759 70, 9994210 64 = 78, 2581079 Loth, folglich nach dem vorstehenden allgemeinen Ausdruck (VI) Q= 178, 174801 Loth welche dem Gewichte eines Quarts des reinsten Wassers, bei 13° R. und einem Barometerstande von 27 Zoll 10 Linien gleich sind. Die gleicharmige Wage deren man sich zur Prüfung der Quarte be- diente, war der früher beschriebenen ähnlich, hatte 14 Zoll lange durch- brochene eiserne Schenkel und einen in 20 gleiche Theile eingetheilten Gradbogen. Stand die Waage mit leeren Schaalen auf 0 und man legte in jede Schaale 4 preufsische Pfund, so behielt sie den vorigen Stand. Ein Tausendtheil Loth noch aufgelegt, gab einen Ausschlag von einem halben Grad und 4 Tausendtheil Loth einen Ausschlag von 2 Grad, wodurch man sich von der zureichenden Genauigkeit um so mehr überzeugte, da die Ver- wechselung der Gewichte diese bestätigte. Hierauf das leere Probequart nebst der runden mattgeschliffenen Glas- tafel auf die eine Waageschaale gelegt und die andere Schaale so lange mit über preufsische Normal-Maafse und Gewichte. 19 Gegengewichten beschwert, bis der Zeiger auf 0 Grad stand; dann die Glastafel nebst dem (Quart, welches seit 24 Stunden in einer Temperatur von 13 Grad R. gestanden hatte, mit destillirtem Wasser von eben der Temperatur bis zum Rande gefüllt; die im Gefäfse befindliche Luft heraus- getrieben, die Glastafel darauf geschoben und durch die übrig gebliebene kleine Öffnung die Temperatur nochmals untersucht, dann schnell die Glas- tafel auch noch über die zurück gebliebene Öffnung geschoben, das mit der Glastafel verschlossene Gefäfs sorgfältig abgetrocknet und auf die Waage- schaale gesetzt, nachdem vorher auf die andere Schaale ein Gewicht von 78, 1748 preufsische Loth zugelegt war, gab die Überzeugung, wenn der Zeiger der Waage auf 0 Grad stand, von der Richtigkeit und Genauigkeit des verfertigten preufsischen Probequarts, welches hierauf auf seinem ober- sten Rande mit einem kleinen Zeichen der Normal-Eichungskommission und einem kleinen Adler schwach gestempelt wurde. Auf gleiche Weise wurde mit den übrigen drei Quarten verfahren und deren Richtigkeit anerkannt. V. Prüfung des preulsischen Scheffels. Die vorläufig berichtigten vier Scheffel waren von gegossenem Mes- sing, cylindrisch abgedreht, mit einem obern, ebenen, mattgeschlifienen Rande, auf welchen eine ebene, mattgeschliffene runde Glasplatte, luft- und wasserdicht pafste, versehen, und hatten jeder an den Seiten zwei ab- gerundete starke messingene Handhaben. Auf dem äufsern Umfange befand sich die eingegrabene Inschrift: Preufsischer Normalschetfel. 1816. Gewicht bei 13° Reaumur, nebst einem eingegrabenen königlich - preufsischen Adler. Diese Scheffel hatten jeder eine Weite von 22 preufsische Zoll und leer ein Gewicht von 79 bis 93 preufsische Pfund. Zur Abwiegung des im Normalscheffel enthaltenen destillirten Was- sers, bediente man sich einer gleicharmigen Waage, mit eisernen 22 Zoll langen Schenkeln und einer 17 Zoll langen Zunge. Die Waageschaalen be- standen aus quadratförmigen, mit Oelfarbe angestrichenen und durch eiserne Bänder verstärkten eichenen Brettern, von welchen jedes mittelst vier eiser- nen Ketten an das Ende des Waagebalkens aufgehangen war. Leer gab die Ca 20 EYTELWEIN Waage keinen Ausschlag. Auf die eine Waageschaale —;Loth gelegt, gab einen Ausschlag von einer Linie und „Loth gab 2 Linien Ausschlag. Auf jede Schaale 55 Pfund gelegt, gab keinen Ausschlag; durch Hinzulegung von ;55Loth erhielt man 4Linie und von ;;Loth, 1--Linien Ausschlag. Auf jede Schaale 117 Pfund gelegt, gab bei einer Zulige von -; Loth, einen Ausschlag von — Linien. Hierdurch von der erforderlichen Genauigkeit der anzuwendenden Waage überzeugt, fand man die Temperatur des Zimmers in welchem sich die Waage nebst dem destillirten Wasser und den Scheffeln befand, 13°R. bei einem Barometerstande von 28 pariser Zoll. Dies giebt nach der Formel (T) i = 0, 00122128; terner wird nach dem allgemeinen Ausdruck (VD) y= 1,223933 Loth, g= 8, 05068 und weil nach der Maafs- und Gewichtordnung der Inhalt des Scheffels = 3072 preufsische Kubikzoll ist, 7 = 3072 also P=- 9.4. 3072 = 3756, 389179 Loth, 0,9994210 9 folglich nach on Q = 3752, 36649 Loth oder 117 Pfund 8, 366 Loth, welche dem Gewichte eines Scheffels destillirtem Wasser, bei 13 Grad R. und einem Barometerstande von 28 Zoll gleich sind. Hierauf setzte man einen der vorhandenen Normalscheffel auf die Waageschaale und legte auf die andere so lange Gegengewichte, bis die Waage im Gleichgewicht stand und der obere Rand des Scheffels voll- kommen waagerecht war. Auf die Schaale mit den Gegengewichten noch 117 Pfuud 8755, Loth der als richtig anerkannten Gewichte gesetzt und mit- telst eines Hebers so lange destillirtes Wasser, von dessen Temperatur zu 13 Grad R. man sich fortwährend versicherte, in den leeren Scheffel gelei- ‚ bis derselbe mit sämmtlichen Gewichten der andern Waageschaale ins Gleichgewicht kam, gab zwar die Überzeugung, dafs der Scheffel dem An- scheine nach, das erforderliche Wasser in sich enthalte. Um aber zur über preufsische Normal-Maafse und Gewichte. 21 Gewifsheit zu gelangen, dafs der Inhali dieses Wassers genau dem gesetz- lichen Inhalte des Scheffels gleich sey, diente die oben angeführte mattge- schliffene, +Zoll dicke Glasplatte, welche man behutsam von einem Ende des obern Scheffelrandes bis zum andern fortschob und nur alsdann den Schefiel als probemäfsig und richtig anerkannte, wenn die den ganzen Rand bedeckende Glastafel weder Lufiblasen zurück liefs, noch bei dem Fort- schieben Wasser ausgedrängt hatte. Ganz auf ähnliche Weise verfuhr man mit den übrigen drei Probescheffeln und als deren Richtigkeit anerkannt war, stempelte man jeden obern Rand derselben mit zwei kleinen preufsi- schen Adlern und zweimal mit dem Zeichen der Normal-Eichungskommis- sion. In Absicht der hier beschriebenen Scheffel und (Quarte ist noch allge- mein anzuführen, dafs solche nur bei einer Temperatur von 13 Grad Reaum. preufsische Normalscheffel und Quarte sind und daher, für diese gemäfsigte Temperatur, von den im gemeinen Verkehr vorkommenden Hohlmaafsen weniger abweichen, als dies bei den französischen Hohlmaafsen der Fall ist, welche nur bei einer nicht weit vom Frostpunkte entfernten Temperatur ihre wahre Gröfse haben. Dasselbe gilt von dem preufsischen Fufs, welcher bei 13 Grad Reaumur ein Fuls ist, anstatt dafs der Meter nur beim Frostpunkte des Thermometers seine wahre Länge hat. Ohne noch weiter auf die Vor- theile einzugehen, welche durch die Einführung der Maafs- und Gewicht- ordnung entstanden sind, nach welcher es leicht ist, mittelst eines richtigen preufsischen Fufses, sowohl die Gröfse der Hohlmaafse als der Gewichte zu bestimmen, auch das Loth des Kaufmanns, mit dem Loth der Münze und des Apothekers einerlei ist, darf doch nicht unbemerkt bleiben, dafs die vorgeschriebenen neuen Maafse und Gewichte von den früher gebräuchlichen so wenig abweichen, dafs der Unterschied auf den gemeinen Verkehr keinen Einflufs hat. Den - r 5 er A se re a. wur z 2 ee NR sn ie Fa ö Au A) Im rail see rn ß ‚ Herchia® senden Fr pe ne et > ran on Kill ab weit ri TER, Wit ra ie: 2 ee en SF 5 aa Den E Pi u Co u B- , 5 . ID re re äR Held Pre en Tagen. #5 ERDeR = un ORTES A te ll j a NR MONTIEREN u > 4 are, ae 1 ‘F; art Eee} role ek, Augen . j . eh hi 4 7 TEL Ze T Br AA ee See En A EuN . z, arena Ale dar B 3 Vu j er x TR iS ‚inuntt r ulnladäshe' Teil ee LPCL7? i [RT Are ee nr Bam a ee 7 sale Ma ae er er Gl en Dre «. A Pas "as Ir . 2, u (De ke er Ru eine me. m pe Se Em Ti Fi ANTEELEER Er an, a fie m 2. Er rn DE mE Praliepp, | arena run u ! man Sa ah vote; Se D ak lan Gen Fe) m hart vi A u vo via au TEILE u un a1 Be Iren a; ‚ae 0 a Meisner Hisıla Now \ wer TE ee . P t u 2 D slampeir! ib yalzagıı IM we ‚Hikd u Dh 3 ua DIeemETTE Ne De 5 Ma RR j Pr u) da Ah sr Ps aha u an dr u a iz PA Pr ya dr, E 3 m = u B ag up Iaacı Ay alien) ir ei 2 AU 5 B £ > ir ey rer j u h BoZ Half E “u hi Im mai % [WIR 197 PS Eee Een i u a m arsch wies va Ip: I. er Baer. :1* ‚Pe ade u N SR, ae, 5 —.h ar . a a 17 2 ee oa u ü w u & = wi. B P I P 4 5 m ra \ Pan Tg % u f \ \ ı. = Dr j nr E D ' u t % . . - - > 2 - 14 en pr u 5 f 1 ID Fr a ir v ww 3 - l ie a ' :r x =. 5 . Fr > x R I E Be . ie & “ E; u n v 5 wi r ; N L # { Be i Neue Untersuchungen über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. „Von ” Hm- 'BESSEL ee VE [Der Akademie der Wissensehaften vorgelegt am 24. März 1825.] 1 Bi im Jahre 1819 legte ich der Akademie eine Bestimmung der Fun- damentalsterne vor, welche auf fünfjährigen, mit den älteren Instrumenten der Sternwarte gemachten Beobachtungen beruhete. Jetzt theile ich ein neues Verzeichnifs dieser Art mit, berechnet aus gleichfalls fast fünfjährigen Beobachtungen mit dem Reichenbachschen Meridiankreise, welche vom März 1520 bis gegen das Ende des Oktobers 1524 gehen. Herr Rosenberger, dessen Hülfe bei den Geschäften der Stern- warte ich mich erfreue, hat die Berechnung dieses Verzeichnisses geführt und auch dabei die Genauigkeit und Sorgfalt angewandt, welche seinen Ar- beiten eigen sind. Die Beobachtungsart selbst, so wie die an den unmittelbaren Anga- ben des Instruments angebrachten Verbesserungen, und die zur Reduction erforderlichen Elemente, darf ich hier mit Stillschweigen übergehen, indem die Einleitungen der VI. und VII. Abtheilungen meiner Beobachtungen, darüber alle nothwendigen Nachweisungen geben. Die Berechnungsart war im Ganzen dieselbe, welcher ich bei dem früheren Cataloge folgte: Herr Rosenberger bestimmte zuerst die Rectascensionen der Sterne, welche unter der Annahme von « Jquiae = 19“ 42’ ıW, 692 für 1825, statt finden; dann reducirte er, mit dem daraus entstandenen Cataloge, die Rectascen- 24 Besser: Neue Untersuchungen sionen der Sonne, und bestimmte, durch Vergleichung der daraus folgenden Declinationen mit den beobachteten, die Lage des Ganzen gegen die Nacht- gleichenpunkte. Von den einzelnen Elementen dieser Rechnung so wie von den Änderungen, durch welche das frühere Verfahren den Eigenthümlich- keiten der neuen Beobachtungsreihe angemessen gemacht wurde, werde ich jetzt Rechenschaft geben. 2. Bei der geringen Gröfse der zufälligen Fehler einer Beobachtung mit dem Reichenbachschen Kreise, hängt die Genauigkeit eines Resultats weniger von der grofsen Zahl der Beobachtungen, als von der sorgfältigen Vermeidung aller fremden Fehlerursachen ab; es wurden daher nicht alle Beobachtungen ohne Unterschied, zur Erfindung der relativen Rectascen- sionen angewandt, sondern diejenigen ausgeschlossen, für welche der Gang der Uhr, durch vorhergehende und folgende Beobachtungen, nicht so sicher bestimmt werden konnte, dafs die aus dieser Ursache hervorgehende Un- sicherheit einigermafsen erheblich erschien. Durch die Befolgung dieser Regel wurde die Anzahl der zum Resultate gezogenen Beobachtungen, vorzüglich bei unbeständigem Wetter, welches die Prüfung des Uhrganges durch unun- terbrochene Beobachtungen nicht verstattete, vermindert, allein die Ver- mehrung der Sicherheit derselben scheint einen vollständigen Ersatz zu gewähren. M Weil ich, wenn das Wetter oder andere Beobachtungen nicht hin- derten, die Culminationen der drei Sterne im Adler sowohl, als die des Procyon und der beiden hellen in den Zwillingen, ungern versäumte, und weil, bei Sternen welche nur wenige Minuten Rectascensions- Unterschied haben, selten eine Störung durch den bewölkten Himmel vorkömmt welche nicht gemeinschaftlich wäre, so finden sich, in den Tagebüchern der Stern- warte, häufige Beobachtungen, wodurch die Unterschiede zwischen den drei ersten Sternen sowohl, als zwischen den drei letzten, bestimmt werden können. Diesen Umstand bemutzte Herr Rosenberger, die Culminations- zeiten von « Aquilae und « Canis minoris noch sicherer zu erhalten, als sie unmittelbar beobachtet wurden, dadurch, dafs er nicht die Beobachtungen dieser Sterne allein nahm, sondern die von y und ® Aquilae auf « Aquilae, und die von B Geminorum auf « Canis min. veducirte; mit « Geminorum über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. 25 verfuhr er nicht ähnlich, weil dieses ein Doppelstern ist, dessen Beobach- tungen vielleicht etwas weniger sicher seyn mögen, als die der anderen Sterne. Da die Lichtstärke des Instruments erlaubt, die drei Sterne im Adler zu allen Zeiten des Jahrs im Meridiane zu beobachten, und da der Besitz und die An- wendung der Mittel, die Abweichung des Instruments vom Meridiane, immer mit der gröfsten Genauigkeit berechnen zu können, dem grofsen Declinations- unterschiede von « Canis min. und ß Geminorum keinen erheblich nachthei- ligen Einflufs auf die Uebereinstimmung der Beobachtungen gelassen hat, so ist auch die gröfsere Genauigkeit, womit man die Culminationszeiten von a dquilae und « Canis min. erhalten konnte, ein Grund mehr, diese Sterne zu Vergleichungspunkten für die übrigen zu wählen. 3. Herr Rosenberger fing also damit an, y und £ Aguilae und ß Ge- minorum, in Beziehung auf « Sqwlae und « Canis min. zu bestimmen, und durch die Anwendung dieser Bestimmungen, die Culminationszeiten der bei- den letzten Sterne genauer zu suchen. Dann erhielt er, aus 50 Vergleichun- gen mit a Jquilae, die Gerade - Aufsteigung « Canis min. = 1“ 30 3", 227. Die übrigen Sterne verglich er, wenn sowohl « 4quilae als « Canis min., an einem Tage vorkamen, mit demjenigen von beiden welcher der nächste ist; wenn aber nur einer derselben vorkam, mit diesem. Dadurch entstand eine dop- pelte Bestimmung der meisten Sterne, welche ich hier mittheile: Mathemat. Klasse 1825. D 26 Besseu: Neue Untersuchungen a Aquilae. Beobb. |« Can. min.| Beobb. Mittel. Beobb. 00 2 14”, 184 31 14”, 032 27 0% 4 414”, 113 58 N 2 53 8, 522 21 8, 427 2 2 53 8, 468 49 TAU... ee 274 95753, 364 23 53, 296 43 53, 320 66 > td in ar ArlElIS am aha AETMIE 727 13 19, 642 22 1:57 19, 674 35 a.durigae........ 5 3 46, 614 4 46, 555 66 5328) 46375709 407% ß Orionis;...-. weh 3,405. 75 891 10 7, 885 2 53 6 7,886 52 BTauri .........| 5 15 14, 208 17 14, 175 49 5 15 14, 183 66 a :Orionis nn d.h 5 45 42, 005 13 42, 021 58 5 45 42, 018 71 « Canis maioris...\ 6 37 26, 038 4 26, 107 59 6 37 26, 103 63 a Geminor. (med.).| 7 23 = _ 24, 902 118 7 23 24, 902 418 a Canis minoris...!| 7 30 8, 227 50 _ _ T 30 "8, 22 50 ß Geminorum ..... 7 34 = -_ 35, 699 172 7 34 35, 699 172 a Hydrae........ 9 18 59, 174 13 59, 217 57 9 18 59, 209 70 a Leonis ......... 9 59 2, 556 13 2, 618 58 9 59 2, 607 mA. BBeonis sum den 11 40 7, 590 16 7, 652 34 11 40 7, 632 50 B Pürginis. ...... „18 44.34, 770 9 34, 808 23 11 41 34, 798 2 a Pirginis.ey..e.. 13 15 59, 152 32 59, 183 64 13 15 59, 173 96 Bots» Jin .n.. ART 445001 4 40, 938 51 14 7 40, 966 2 1: Libraesnc ie nies 14 4 a3 u 1, 422 47 441 41:1 5444722 17 2a Librae......... RE Pt 13 12, 848 11 14 41 12, 793 24 | longer. 15 27 16, 880 2 |Jı6,875| 35 |Jıs ar ı6,801s| 7 | RISCHREREIS 2ulheeıs a 15 35 39, 293 50 39, 314 2 15 35 39, 299 77 BUSBOTRIU» ae elaerere 16 18 41, 532 2 441, 641 16 16 18 4, 572 44 a Herculis ....... [17 6 40, 329 34 40, 363 18 17 6 40, 341 52 a Ophiuchi 2.2.2... 17 26 48, 874 34 48, 872 45 17 26 48, 873 49 alyraeiss ge 18 31 0, 891 31 0, 836 3 18 31:0, 886 34 yAquilae........ 19 37 56, 426 131 — — 19 37 56, 426 131 @.Aquilae........ 19 42 14, 692 _ _ _ 19 42 14, 692 _ BAguwlae........ 19 46 43, 079 132 _ _ 19 46 43, 079 132 1a Capricorni...... 20 7 56, 550 29 _ _ 20 7 56, 550 2 2a Capricorni...... 20 8 20, 382 23 = —_ 20 20, 382 23 BUCHEN ne en ei 20 35 28, 144 2 28, 142 3 20 35 28, 143 83 a Aquarü........ 21 56 47, 661 36 47, 557 12 |21 56 47, 635 48 a Piscis austrini...|22 47 57, 858 29 57, 926 4 122 47 57, 866 33 ÜDEDOSE en 22 56 3, 064 28 2, 988 26 |22 56 3, 028 54 « Andromedae ....|23 59 21, 639 34 21, 514 42 123 59 21, 570 76 4. Diese Zusammenstellung zeigt, dafs auch hier, so wie bei meiner frühe- ren Untersuchung, noch kein Grund vorhanden ist, die Abwesenheit aller, den Beobachtungen selbst fremden Fehlerursachen anzunehmen. Der wahr- über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. 27 scheinliche Fehler eines Rectascensions - Unterschiedes zweier Sterne, ohne Rücksicht auf die Gröfse desselben genommen, findet sich — 0”,.0s06, welches für jede einzelne Beobachtung 0”, 0570 giebt; diese geringe Unsicherheit hätte die beiderseitigen Bestimmungen der Sterne äufserst übereinstimmend machen müssen, was sie, nach dem Erfolge, aber nicht immer sind. Den Grund hier- von glaube ich, in einer Veränderlichkeit der Aufstellung des Instruments, welche mit so vieler Vorsicht als möglich eingerichtet wurde, nicht suchen zu dürfen; ob aber ein kleiner mittlerer Unterschied entsteht, wenn die Nacht oder der Tag zwischen zwei aufeinanderfolgenden Culminationen liegt, ist schwierig zu entscheiden. Ein kleiner Fehler in der Compensation der Uhr, oder in der Aberration, oder eine kleine jährliche Parallaxe der Sterne, wür- den Wirkungen dieser Art erzeugen, und man würde diese so bestimmen kön- nen, dafs die gefundenen Unterschiede verkleinert würden oder verschwän- den; die Ueberzeugung, dadurch die Wahrheit getroffen zu haben, würde aber schwer zu erlangen sein. Da die Unterschiede von welchen ich hier rede, durch eine Verände- rung der Geraden - Aufsteigung des Procyon nicht merklich verkleinert wer- den, so bleibt nichts übrig, als das Mittel, mit Berücksichtigung der Anzahl der Beobachtungen, zu nehmen; dieses giebt die in der letzten Columne enthaltenen Zahlen. Es ist aber klar, dafs man Unrecht haben würde, wenn man die wahrscheinlichen Fehler derselben, nach der gewöhnlichen Regel, aus der Anzahl der Beobachtungen berechnen wollte. 5. Nach der Vollendung dieses ersten Theils der Untersuchung, wurden aus allen Sonnenbeobachtungen, welche in den Tagebüchern, nicht als durch den Zustand der Luft zweifelhaft gemacht, angegeben sind, die geraden Auf- DRZA steigungen, und hieraus, unter Annahme der Schiefe der Ekliptik =23° 27’ 54”, s für 1800, ihrer jährlichen Veränderung = — 0”, 457, und der Nutation + 5”, 97707 Cos N — 0”, 08773 Cos 2% + 0”, 57990 Cos 2© die Declinationen berechnet. Die Vergleichung derselben mit den beobach- teten, ergab dann die wahrscheinlichsten Werthe der allgemeinen, den im D2 28 Bzrsseu: Neue Untersuchungen 3!“ Art. angeführten Geraden -Aufsteigungen der Sterne hinzuzufügenden Ver- besserung, der Schiefe der Ekliptik, und der Quantität, welche man zu den aus den Beobachtungen reducirten Declinationen der Sonne hinzusetzen mufs, damit sie keinen mittleren Fehler behalten; diese letztere Quantität wurde für alle Declinationen als gleich angenommen. ö Da es bei dieser Untersuchung nicht sowohl darauf ankömmt, dafs das Instrument absolut richtige, als darauf, dafs es beim Auf- und Niedersteigen der Sonne gleiche Declinationen ergebe, so wurde für zweckmäfsig erach- tet, die Voraussetzung, dafs die in Rechnung gebrachte Biegung stets einen gleichen Werth habe, dadurch aus der Rechnung zu schaffen, dafs die Örter des Pols auf dem Instrumente, nicht aus den Beobachtungen der beiden Po- larsterne, sondern aus den, so wie die Sonne, südlich vom Scheitelpunkte culminirenden Fundamentalsternen bestimmt wurden, wobei die Declinatio- nen derselben angenommen wurden, welche ich aus den Beobachtungen von 1820 und 1821 gefolgert habe. Auf diese Weise konnte man sicher sein, selbst wenn die Biegung sich mit der Zeit etwas geändert haben sollte, (wor- über in der That eine Andeutung vorhanden ist), die Declinationen immer gleichförmig zu bestimmen, und keinen, aus dieser Ursache entstehenden Fehler, in die sehr delicate Untersuchung der absoluten Rectascensionen zu bringen. Es wurden daher sämmtliche Beobachtungen der Fundamental- sterne mit meinem Cataloge der Declinationen verglichen, daraus, unter An- wendung der in der VII. Abtheilung meiner Beobachtungen angegebenen Ver- besserungen, die Örter des Pols auf dem Instrumente bestimmt, und diese, statt der aus den Polarsternen folgenden, zur Reduction der Sonnendeclina- tionen angewandt. Die Zahlenangaben hierüber werde ich in der X. Abthei- lung meiner Beobachtungen bekannt machen. 6. In dem Ausdrucke des wahrscheinlichen Fehlers des Unterschiedes einer unmittelbar beobachteten, und aus der Rectascension berechneten Declinati e g 8 2 no = € VYfı+nn tigt w* Cos d? Cos a’} welchen ich bei meiner früheren Untersuchung angewandt habe, hat‘ Herr Rosenberger n=1 gesetzt, indem der Reiehenbachsche Meridiankreis über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. 29 die Rectascensionen und Declinationen der Sonne, mit nahe gleicher Sicher- heit giebt. Unter dieser Annahme hat er die drei Endgleichungen 0= 33", 05+30,16 Ac+ 8,33 Aw— 2,105 Ad = 5, 364 8,383 Aa + 191,958 Aw — 95,531 Ad 0=— 24, %6— 2,105 Aa — 195,531 Aw + 356,590 Ad und daraus die wahrscheinlichsten Werthe Aa = — 0”, 8215; Gewicht = 29,75 Beobb. Aw — 14-0, 40085 eaeeweosesese 104,34, = Ad 4 0,1178955 eicshesteeiee 308,905 - gefunden; den wahrscheinlichen Fehler einer beobachteten Sonnendeclina- ton, — 1,114. Fügt man den im 3‘ Art. angeführten Geraden - Aufsteigungen der Sterne in Zeit, 5A«a—=— 0”, 05/s hinzu, so erhält man folgenden Catalog für 1825, in welchem die jährlichen Veränderungen durch Vergleichung mit den Örtern für 1755 bestimmt worden sind: 30 Besser: Neue Untersuchungen a Aurigae ß Orionis . B Zaur!.. a Orionis. a Hydrae a Leonis . ßLeonis . P Firginis a Virginis a Bootis.. 1a Librae . 2a Librae . a Scorpü. y Aquilae a Aquilae ß Aquilae B Geminorum a Serpentis a Herculis a Pegasi . a Canis maioris .... a Geminorum (med.) a Canis minoris .... 18 ,Capricornie sonne. BO GADTICORML anne se. a Cygni.. a Agnarü « a Piscis austrini.... Beobb. Ne} Po re--ı<{be- vb A.R. 1825. mn 0% ZW 14”, 059 1 57 19, 619 2 53 8, 413 4 25 265 3 46, 523 6 7,831 128 1, 963 048 , 848 172 645 154 552 sit 743 118 911 1, 368 738 823 245 517 256 15 nn wur DD m m m m oa ua m» wi # ausser rt *) Unterschied der beiden Sterne — 0", 365, aus 120 Beobb. Jährliche Veränderung. 1825. mn 3”, 0790 3, 3566 3, 1232 3, 4298 4. 4139 8785 7857 2453 6441 3430 1471 6351 9474 2050 0667 1244 1459 7323 3000 3020 5364 9491 6616 7306 7771 0300 8549 9286 9501 3331 3375 0413 0838 3402 9512 „0777 von vw wis Be a) ER TT ER Ne ip “ bo von wu ww kb Ww Se voran vun bb IL, I, DD WM Saec. Äend. mn 0”, 0097 0201 0097 0109 0184 0043 0089 0031 0004 0125 0044 0122 > oo —2 DES ++44444 +4 © “ 0015 0102 0077 0006 0112 0012 0156 ns 0155 0024 0063 0157 0037 0035 0016 0008 0014 0015 0081 00841 0024 0043 0217 0053 0177 444 tttHHrr rt | .-_—..——...„—._— 1.1... ss SO So 2 oO So Oo 2 SS SS 2 2 2 So 2 Oo > SS 2 S2S >>> Unterschied des Catalogs für 1825. + +++ oo 922 Orr + Dub [=] w | MH Tr | | = 9.9900 0 98,205 0000900%© » wo oo we ntobur-wor vnaoaaoavrano br run bb m Ww * et » a oa oO OO0O0»0°0 sub ak © vanvr w o a D ©.:©. © © ©,9048 ©.©0 ©'© © ©0708 © 8 ©S198 Su9409.0 0901038 97970 8,9.0 (>) a & FH tt Hr HHrHHH HH HH HH HH über die Geraden-dufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. 31 T Die letzte Colunmme dieses Catalogs zeigt, dafs die Unterschiede der Geraden - Aufsteigungen der einzelnen Sterne, in dem früheren Cataloge und in dem gegenwärtigen, oft mehr von einander abweichen, als nach den wahr- scheinlichen Fehlern beider Bestimmungen zu erwarten gewesen sein würde, wenn nicht schon die Vergleichung mit beiden zum Grunde gelegten Ster- nen, ähnliche gröfsere Abweichungen gezeigt hätte. Indessen ist der Unter- schied beider Cataloge, wenn man den für « Squilae stattfindenden abzieht, 16 Mahl unter einer halben Bogensecunde, 11 Mahl zwischen 0”, 5 und ı", o, 7 Mahl zwischen ı", o und ı”, 5 und 2 Mahl zwischen ı”, 5 und ı", 9. Diese Unterschiede sind meistens unerheblich und, selbst in den äufsersten Fällen, nicht sehr bedeutend; hätte man die Sicherheit beider Cataloge nach der Übereinstimmung der Mittel aus immer zehn aufeinanderfolgenden Beobach- tungen, beurtheilen wollen, so würde man sie noch gröfser haben schätzen müssen, als sie sich jetzt zeigt. Meiner Meinung nach sind die Angaben des neuen Catalogs, denen des älteren vorzuziehen. Der Unterschied der Lage der beiden Cataloge gegen die Nacht- gleichen, beträgt nur 0”, s2 und ist nicht gröfser als man, bei dieser schwie- rigen Bestimmung erwarten durfte. Ein Theil derselben hat übrigens einen bestimmten Grund darin, dafs die Declinationen der Sonne, bei der frühe- ren Rechnung, mit der Refractionstafel in den Fundamentis Astronomiae pro 4.1755, bei der gegenwärtigen aber mit der Königsberger Refractionstafel reducirt wurden, in welcher letzteren die Änderungen für die Temperatur etwas kleiner angenommen worden sind, so wie die Beobachtungen es erfor- dern. Da nämlich das Maximum der Jahreswärme lange nach der Sonnen- wende eintritt, und der Unterschied der Temperatur für beide Nachtgleichen, in Königsberg, im Mittel etwa 20° F. beträgt, so sind, bei der früheren Rech- nung, die Declinationen beim Aufsteigen der Sonne, vergleichungsweise mit dem Niedersteigen, etwas südlicher angenommen, als die berichtigte Re- fractionstafel sie gegeben haben würde; hieraus mufste in der That eine kleine Vergröfserung der absoluten Rectascensionen folgen. Ich glaube da- her, dafs auch hier der neue Catalog den Vorzug vor dem älteren verdient; nach der Übereinstimmung zu urtheilen, welche die einzelnen, von Herrn 323 Besser: Neue Untersuchungen Rosenberger abgesondert verglichenen Jahre gegeben haben, mufs die übrig gebliebene Unsicherheit ganz unerheblich sein. Die Schiefe der Ekliptik für 1825, folgt aus dem gefundenen Werthe von Aw or aus den Beobachtungen mit dem Caryschen Kreise, nahm ich, in meiner früheren Abhandlung, für 1815, 23° 27’47”, 56, welches 0”, 79 weniger ist. Von diesem Unterschiede kömmt wiederum ein Theil auf Rechnung der ver- besserten Strahlenbrechung. Die allgemeine Verbesserung der Declinationen der Sonne, welche =+0', 79 gefunden wurde, deutet an, dafs diese Declinationen um so viel nördlicher sind, als sie, nach denselben Reductionselementen, welche mei- nem Cataloge der Declinationen der Fundamentalsterne zum Grunde liegen, aus den Beobachtungen berechnet werden. Nimmt man an, dafs diese Ver- besserung auch den Sternen zukömmt, so werden diese, in der Gegend des Äquators, so viel nördlicher; allein man ist dann gezwungen, sich von den Beobachtungen über die Biegung des Fernrohrs, welche ich 1820 und 1821 gemacht habe, zu entfernen, weshalb über die wahre Ursache dieser kleinen Verschiedenheit, noch nicht entschieden werden kann. Damit es deutlich vor Augen liege, welche Übereinstimmung die, aus den beobachteten und mit dem gegenwärtigen Fundamental - Cataloge redu- eirten Rectascensionen, folgenden Declinationen, mit den beobachteten ge- währen, habe ich das vollständige Verzeichnifs der Unterschiede der in die Rechnung gezogenen 395 Beobachtungen, dieser Abhandlung beigefügt; die Zeichen sind so zu verstehen, dafs + andeutet, dafs die berechnete Declina- tion nördlicher ist als die beobachtete; — das entgegengesetzte. über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. 33 1820 März.... 27 | — 0”,4 | 1820 August .. 6 | + 0”,4 | 1821 April... 9 | + 1",6 25s|+0,7 2 08 10|1|+2,7 April.... 6|)+2,2 9|-1,4 181—-0,4 70=4,2 40 0,3 21 0,0 4101 —1,5 35|+0,1 a 141|+2,5 1656| — 0,8 N 439,3 18|+0,9 Pa EEE 14 | +1,3 24 | — 2,2 26| —1,2 151 +0,3 25|+0,9 27|—0,6 16-| +1, 4 29|\— 3,7 A ee 21|+0,8 September 1| — 1,7 2939| + 2,1 23|+0,2 0A Mayıe..4% 4| —0,9 26 | + 2,8 10|+1,2 311,0 BEIN-FT, 0 151 —0,8 6|+0,9 301+0,6 16|+0,6 sI|—-0,2 Mai.. 2/| +0,41 231—-3,5 171—0,6 3[—-1,8 241 — 0,2 18| —-1,2 5|+2,7 26| — 2,6 26| —1,9 91|+0,7 2 — 1,8 Juni 2... LI 058 10\)+1,5 Oktober.. 2 | — 0,3 31-42 ee 15 | +1,3 41 +1,0 413.1 4,6 16|—- 3,0 210,8 44 | — 0,3 22|+0,9 14|+2,3 15° 3,3 November 5 | — 0, 4 16| +1,2 16 | — 0,6 December 1 | + 1,0 171 +0,5 17 =.0,5 = 4.ä 188,7 18) +1,0 15 2.0 19) +0,7 23|—0,5 161-0, 4 26| +1,5 24 +1,35 17|+1,3 271—-0,7 25|+0,9 20 | — 1,3 25) —0,5 Juni.:.. 5|+0,6 22|—-0,1 29| — 0,1 Tale20..6 58.1-.0,.9 Juli..... 31+0,5 1|—- 2,8 SH 084 9|+0,6 2 + 2,2 25| — 2,0 161 0,9 2 — 2,1 18241 Janvar... 31 —=41,2 17|—-0,2 25|+0,2 31|+0,6 RR ee 27)+0,1 Februar.. 9| +2, 4 20|+2,7 dub ii. 14|+0,1 10|+1,3 August... 22 | +2, 2 151+0,1 12|+0,2 23|+2,0 16|+0,9 141+0,3 2a 0, A DC U) 19|1—-0,3 25/1+0,6 23| +1,0 2 Cu I Br) 3141| +0,14 31)+4,3 28|—-3,2 September 2 | + 0,3 August... 1|+0,7 März a... 2331| + 2,4 5/|+2,6 Bar 0.8 TEE 0,2 10|—- 2,5 20,8 31|- 2,1 1 +41,3 Re) Apsil.... 1[—-2,0 | 9,4 Mathemat. Klasse 1825. E Besser: Neue Untersuchungen 34 Dee nn = nu 1 ne al us 72 a m nn S nn pe |\arnoansa-unnuanvonsannesrHranaasurnaasan-unanrunnenm ui uakrkskoscuschcicic.«.giignuuigsuiinkigsugicde Fa a ae ee u u Se a ae Su ae Se a a ae Se a Be Se Be a Be Be a Be a Be a ee a ee a a a a Be Be a ee “08 rd an vs Ho o NO OS SO N O2 DO AAO NAD Tas m Howe a SO me yvyvr nn 1 an 1 mn aaa SS Sec m zsaaamn erden dr AM I MN ea a 5 5 ; A i 5 2 5 E See . N . 2 E g- = 8. R j ! © S 5 3 ER = x .- = De = Pa RT ‚o g E 25 a Ei EI ee) U} je} ar} SE < = Ei a m a a & ee} — —_ vu amogowoe«onvounmosoosstnnyuutHt mono u ıyco99 «rn «ur «4 o0 SJuas-schtusscusiinsksshkossc«u«<«kuuisn«nkoias«.in (See le ee za a ee ee I ne len I Er ee era werean ar ooaosenmnmvvvtr 39 9 - aa ıy ya re u Nm 0 ro 9 oO nam man nm wu 9 an to aam ed er xy aagea Hd ea a a1 a aaa am ee aa a I u 05 Be u u : . 5) = En E 2 E 3 = ni 5 5, S 2 5 Ps = Er e: E ie = zZ «4 ei ar) s<« 107) (S) a a [72) _ Say vb ao «ah go—yt no oa mn nu mn DV Oo OS nn a a ana «dooyoo mwaon $ . . . . u: 2 3 : " ! ! f-] o en rt [> = . S a 5 = S 5 = 4 [e} © © Di z N = ”n - > © ei er>\ m En Fr A [e} © | Pi} iS Du 177] [@) A Aa = Er a 4 —_ a eı a 8 n o - 35 über die Geraden-Aufsteigungen der 36 Fundamentalsterne. m “ wer es Bar Sci | us le rger +0,2 + 10 weoamnvoan-t eaadadga 4l dultere.. 1824 Juni ... oaovbvovavbuamn no austinmawastn n © asgouooosäs.«as- ne a I er ER ee il no anno na osteeHan [tin an “a - Er . = E E R- = ° = -_ 2 Pr 77) ®} Dnmasnmoavurst+HWwoomunwwnomonoswann- Haan bur Hu Soaukkasakkadaisceskhkagsn Saskia gsäc a 2 8 I 1 Ne 2 a a DM I ae ae Ds I 1 Se er Ir+riliI+ri+trr+tiH+ir+rr+rr+ Hr tm no mmsteuam wo Han mnmstu mm oo Hanna Ha Ha a 0 - a yaaa a [Team HAN mM = A e e $ ’ Er pr ! B : . as g ; : N ä 85 5 5 E £ E 3 a Pr} 3 3 8 B) S Es 5 E As Eu ei < = = m a © [e oe >) Se aynao an oaauana- m var son mu bt hr u mbar «© Ouossaunmeonsommoasscecnänäashnechnenging I RIFF FF NE Her FH Leer teelleelere mumstomuaun nn nworsvbavn -mab ro no HnamosonoHumorn “«ugaaaaaaa a a I BL Dur ur u 1 ee «dmnN Aa 2 F 3 F 8 5 = = 5 E E 3 3 2 3 5 ._ en De} » © = Fe} Su -_ ‚2 SD. ler) << A oO E a nm ER an -_ nr HE a 2 IE £ ar ee En en si has IR u De Eu u il: Ä | . er ar ER ruft Wi u & kan vr DE > “44 . a) Ri BE ee i n = ra re use x wi . ef - An Eu, ° ig ey Er on wre Al) mr 4. Je pr i bit van Ti Hanle al R ib % a # rn Por 2 ZEEZEIBIRnZIE TE ERBE T at u ji nn nn Bez ion a m ws ‚a & £ £ & ni r ee a & Tuer ai ae as ee 13 . Bart [ir =: Dan a, u De = D met = & u , u ı7E Über die Bildung eines Erd-Katalogs. Von ” H”- OLTMANNS, nv [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 19. Mai 1825.] D er unsterbliche französische Geometer Laplace behauptet in seiner Dar- stellung des Weltsystems: dafs Erdkunde gerechte Ansprüche an die Astronomie machen dürfe, damit endlich die Lage der Örter auf unserem Planeten mit einer, des Ge- genstandes würdigen, Schärfe und Genauigkeit dargestellt werden könne. v. Zach, mehr Praktiker als Laplace, spricht sich über den Nutzen, den letzterer blofs anzudeuten sich begnügte, sehr kurz und bündig in fol- genden Worten aus: Quantum ad Geographiae et Astronomiae incrementum intersit, veras loco- rum positiones geographicas nosse, neminem latere potest nisieum, qui, quid in hac re absolutum, qıud perficiendum restet, vel nescit vel qw quem scien- tiae illae cum populi et patriae emolumento nexum habeant plane ıgnorat (de vera Longitudine et Latitudine E rfordiae). Diese beiden Aussprüche unserer gröfsten Astronomen und Geo- graphen haben mich bewogen, den Versuch zu machen, einen Erd-Kata- log zu entwerfen, welcher (mit vollkommener Genauigkeit darf ich nicht sagen) doch mit annähernder Vollständigkeit die Lage der Örter, der Länge und Breite und wo möglich auch der Höhe über dem Meere nach angiebt. Solch ein Unternehmen kann nur allmählig der Vollendung sich nähern, gleich, wie so manche andere Wissenschaften aus allen Zweigen. Doch mufs, dünkt mich, einmal der Impuls zur Revision der Erde ge- geben werden. 38 ÖOLTMANNS Denn während der Astronom die Lage der telescopischen Sterne bis auf Secunden am Himmel bestimmt, sucht der Geograph noch vergebens nach festen Punkten auf der Erde, so wie der Seemann nach warnenden Signalen, und die Lage vieler Städte oscillirt noch um ganze Minuten. Wie der Astronom bei Kometen-Beobachtungen, so sieht der Geograph nach Anhaltspunkten sich um und betrachtet sie als Präservative vor mög- liche Verschiebungen seiner topischen Darstellung. Für jenen scheint die Wissenschaft besser gesorgt zu haben, als für diesen. Vlugh Beys Tabel- len enthalten, wie Tycho Brahes, nur wenige 100 Sternpositionen, während Bodes Uranographie, gröfstentheils auf Lalandes Fleifs gegründet und gebaut, an 17000 lieferte. Man hat das Zeitraubende von Untersuchungen geographi- scher Fixpunkte durch besondere Sammlungen zu erleichtern gesucht. Aber es erfordert eine vertraute Bekanntschaft mit dem ganzen Systeme und mit der Geschichte astronomischer Berechnungen, um aus diesen, oft unter sich schwankenden Angaben, die wahrscheinlich richtigste auszuwählen. Manche gründen sich nämlich auf ältere, unvollkommene Rechnungs- Elemente, andere dagegen sind Resultate chronometrischer Bestimmungen ; sie bleiben oder wechseln mit der Länge des ursprünglich generiren- den Punktes. Pomponius Mela, so grofser Kompilator er immerhin seyn mag, hatte daher wohl Recht zu äufsern: orbis situm dicere impeditum opus. Der Geograph, wenn er nämlich die Beobachtungen ins bürgerliche Leben praktisch übertragen will, hat noch mit ganz anderen und schwieri- geren Aufgaben zu kämpfen, als der Astronom. Während dieser mittelst einer leichten Bewegung des Passage -Instruments sich in einem Augenblicke vom Äquator zum Pole versetzen und ruhig die Gestirne, blofs nach dem Pendelschlage der Uhr, bestimmen kann, mufs der Erdkundige vielleicht die Fährte des reisenden Astronomen nachspüren; vielleicht durch zeitrau- bende Rechnungen erst die Beobachtungen des sedentairen auf die des wandernden zurückführen, und die Gestirne befragen, bevor er sagen darf, wo er selbst denn beobachtete. Diese Schwierigkeit ist noch von einer anderen begleitet, welche um so grölser wird, je mehr man in die Vergangenheit geht. Bei geographischen _ Untersuchungen dieser Art mufs man sich, meiner Meinung nach, in den Ge- sichtspunkt stellen, weichen die Geographie, Nautik, wie der Zustand mecha- über die Bildung eines Erd-K atalogs. 39 nischer Wissenschaften damals selbst behaupteten. Der Nautiker wird ge- wils schwerlich eines Lächelns sich erwehren, wenn über Identität von In- seln u. s. w. abgesprochen wird, die, vor zweihundert Jahren, ein Mendanna, Quiros u. s. w. entdeckt haben sollen. Denn abgesehen vom guten Willen jener Geographen müfste man, dünkt mich, jede ähnliche Untersuchung mit der der Mefswerkzeuge anfangen. Der berühmte spanische Admiral Sarmiento beobachtete am 27. Okto- O0 00’ ber 1580 die Sonnenhöhe 19° 22’, Anton Pablos 19° 50’ und Fernando Alonzo 199 5! ... Der Unterschied geht hier auf 11 deutsche Meilen und am 5. April belief sich dieser zwischen Sarmiento: und seinem Steuermann auf 9 bis 10 Meilen. Um. das Jahr 1650 waren auf dem holländischen Schiffe Experiment sechs Steuerleute an Bord, und bei der mittäglichen Höhe gingen die Unter- schiede doch noch bis auf 50° im Bogen, d.i. auf 12% deutsche Meilen. Eine dritte Schwierigkeit bietet sich dem Geographen dar, d. i. der Mangel an Vertrauen, welches ältere Karten oft verdienen. Als der Papst Alexander VI. die berühmte Demarcationslinie zwischen Portugal und Spa- nien, 100 Meilen westwärts von den Azoren zog, bemühte man sich recht absichtlich, die Lage der Örter zu entstellen, selbst wenn sie aus brauchba- ven Beobachtungen waren abgeleitet worden. Portugiesen machten, mit be- dächtigem Vorwissen, falsche Karten von den afrikanischen Küsten bekannt, blos um ihre Etablissements den spähenden Augen von Spanien und Holland zu entziehen, und erstere setzten alle Breiten des südlichen Amerikas weit, und zwar um mehrere Grade zu weit nach Süden, blos um den spanischen Hof glauben zu machen, als sei das Christenthum bereits so weit vorge- schritten, wovon La Cruz Olmedilla’s und Solano’s Karten vom Orinoco sprechende Beweise liefern. Noch eine Schwierigkeit bei genauer Längenbestimmung liegt in dem Calcul selbst, dessen die Beobachter sich unterziehen und ins Publikum zu bringen sich bemühen. Eine neue Beobachtung ist eben noch keine ver- besserte. Basilius Hall, ein Engländer, der jetzt an den Gestaden von Chili und Peru landet, beobachtete in Valparaiso Sternbedeckungen vom Monde, da, wo er sie nur finden konnte; das Resultat der Rechnung seines Piloten wich um fast eine ganze Zeitminute von demjenigen ab, welches man, durch Übertragung von Chronometern, für Callao de Lima gefunden und aus einem 40 ÖOLTMANNS von Alexander v. Humboldt beobachteten Merkursdurchgange (1802) hergeleitet hatte. Die wiederholte Rechnung aber zeigte eine Harmonie zwischen beiden Beobachtern, als man solche nur von europäischen Stern- warten vermuthen darf. Die Länge des Berliner Observatorii nämlich ist auf 31° 2’ bis 2’ 30” aus astronomischen Beobachtungen bestimmt worden. Die Messungen des königl. preufs. Generalstabes, welche sich von den Ufern des Rheins bis an die Hauptstadt erstrecken, und mit den vollendetesten Werkzeugen neuer Mechanik ausgeführt worden sind, scheinen solche um 6 Zeitsecunden, auch des, leider! für die Wissenschaften zu früh verstorbenen Tralles, die Breite um 12” bis 15” zu vergröfsern. — Certant et adhuec sub judice lis est. Allerdings mufs ich mich bescheiden, dafs meine Arbeit nur unvoll- ständig bleiben mufs; aber der Privatmann kann nicht immer über die geo- graphischen Schätze gebieten, welche in den Archiven aufbewahrt und dort nicht selten mit einer Ängstlichkeit vergraben werden, welche nur zu grell absticht gegen die Offenkundigkeit ihrer ersten und ursprünglichen Gründer. Zahlen lassen sich nachrechnen, wie v. Zach mit Recht bemerkt, und eben deswegen möchte ich stets den Beobachtungen selbst die Rechnun- gen zur Seite stellen. Eine Maxime, welche ich in den Anlagen befolgte. Ich habe den Anfang meiner Revision mit Deutschland gemacht. Denn von und aus den entfernteren Zonen läfst sich wenig revidiren — blofs in verba magistri — sagen, dafs die geographische Orts - Bestimmung so und so anzunehmen. Um die geographische Darstellung mit der politischen zu ver- binden, glaubte ich, mit dem nordwestlichen Deutschland beginnen zu müssen, wo jetzt das Königreich Hannover die Grenze bildet. Eine Arbeit wie diese kann nicht momentan seyn; sie ist bereits vor ein Paar Jahren unternommen — was bis 1818 auf dem klassischen Boden beobachtet wor- den, habe ich gesammelt und discutirt. Ich lasse die Arbeit ganz in ihrer ursprünglichen Gestalt, mit geographischen Girouetten oder Wetterfahnen kann dem Staate ja eben so wenig gedient seyn als mit politischen, und was ich damals thun wollie für mein damaliges Vaterland, glaube ich jetzt noch leisten zu können, für das angestammte, und dies wird stets mein Bestreben seyn und bleiben. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 41 Versuch einer Darstellung der Geographie des Königreichs Hannover und der Churfürstlich - Braunschweigschen Länder in ihrem gegenwärtigen Zustande. Te Astronomische OÖ peralionen. Hannover. I: verstorbene Christian Mayer beobachtete am 11. August 1773 die Be- deckung Aldebarans vom Monde; er sah den Austritt des Sterns um ı2v. 13 9”, 6 mittlerer Zeit (!). Hieraus ergiebt sich mit Zuziehung correspondirender Beobachtungen folgendes Resultat : Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Eintritt. Austritt. Conjunction. , Kremsmünster.... | Nicht gesehen | 12u 21'560”, 0 |12u 5135”, 0| (47’ 10”, 0) | Hannover .......... desgl. 12 13 9,6112 34 5,5 29 40”, 5 l Länge der Stadt 27° 25’ 7”. Fünfundzwanzig Jahre später bestimmte Professor S eyffer den Mit- tags-Unterschied zwischen Hannover und der Göttinger Sternwarte, Er fand ihn (?), vermittelst eines Chronometers: am 13. May 1798 0’ As”, 50 in Zeit amid. — — 051’, 05 ami6. — — 049”, 57 In Nitlelerssenseet . 0.49”, rı in Zeit westlich von Göttingen. (') v. Zach monat!. Correspondenz 1803. August. p. 120. (°) Dessen geogr. Ephemeriden 11. 183 fg. Mathemai. Klasse 1325. Fri 42 ÖOLTMANNS Da nun, wie wir in der Folge sehen werden, die Länge der Göttinger Sternwarte 30 25’, o östlich ist, so würde die von Hannover 29 35”, 3 in Zeit = 27° 23’ 50” östlich wie Ferro seyn. Seyffer stellte seine Beobachtungen im Georgs-Institute an; auf welchen Punkt der Stadt sich Mayer’s beziehen mögen, wird nicht näher angegeben. Der General-Major von Lecogq fand dagegen die Länge des Markt- thurms 27° 22’ 40’ (1). Hierzu müssen aber ı' 35” addirt werden, weil, wie ich in der Folge darthun werde, der Meridian seiner Vermessung um so viel zu weit nach Westen gerückt worden ist. Die verbesserte Länge ist da- her 27° 2X 18”. Nehmen wir, in Ermanglung der benöthigten Reductions- Angaben, das Mittel aus den drei Bestimmungen ; so finden wir die Länge vom Markt- thurm zu Hannover = 27° 21 25”. Die Breite des Marktihurms kann mit Lecogq auf 52 setzt werden. ° 22.26” ange- Südwestlicher Theil des Königreichs Hannover. «) Im Innern des Reichs. Die südwestliche Gegend des Königreichs, die Provinzen Bentheim, Osnabrück u.s. w. sind nur arm an astronomischen Fixpunkten ; reicher an geodätischen Bestimmungen. Aber die zahlreichen benachbarten Grenzpunkte können jeder Verschiebung an der südwestlichen Seite vorbeugen. Osnabrück. Hauptort der Provinz gleiches Namens. Der verstorbene Hofrath Lichtenberg suchte die Länge dieser Stadt aus beobachteten Verfinsterungen der Jupiters-Trabanten zu bestimmen. Er 5 P fand den Mittags- Unterschied zwischen Osnabrück und Hannover 7’ 47” in o° Zeit, mithin die Länge 25° 27 40” östlich von Paris (wenn wir nehmlich Han- nover 27° 21 25’ setzen) welche Länge indessen viel zu westlich ist. (') v. Zach monatl. Corresp. 1803. Sept. in der Tabelle der Coordinaten. über die Bildung eines Erd-Katalogs. 43 Lecogq’s Vermessung giebt 25° Ar’ 34” für den Katharinen - Thurm. Die Breite ist nach Lichtenberg 52° 16 1X’; nach Lecog, aus astrono- mischen Beobachtungen etwa 20” nördlicher. Ich setze daher: die Länge von Osnabrück 25° 42’ 34” Ds Katharinen-Thurm). Nördlliche Breite........... 52° 16' 25” } ( ) Münden. An der Werra. Seyffer beobachtete hier die Breite unter ungünstigen Umständen und fand sie sı? 26° 52” (!). Gaufs beobachtete am 8. August 1810 die Breite von Münden (Frey- tagswerder) 51° 25’ 22”; den Mittagsunterschied mit Göttingen 1’ 9”, 3 im Mittel westlich, daher Länge 29’ 15”, 7 östlich von Paris oder 27° ıs’ 56” von Ferro (?). Also Länge von Münden (Freytagswerder) 27° 15’ 56” Nördliche Breite.....uue.sscdeodesseucnenn at 25 29° \ nach Gaufs Beobachtung. ß) Grenzpunkte und Enclaven. K,aus; ss: se dl: An der Südwest-Grenze des Reichs. Graf Schmettau (°) hatte bereits im Jahr 1750 den Vorsatz, einen Längengrad des Berliner Parallel-Kreises zu messen; auch seine Dreiecke wirklich bis Kassel gebracht und durch astronomische Beobachtungen be- richtigt, als er sich genöthigt fand, sein eigentliches Vorhaben, den Rhein mit der östlichen Grenze Deutschlands zu verbinden, aufzugeben. Die Ge- brüder Rhode, Geographen der Akademie, theilen die Resultate dieser Ver- messung in der ersten Sammlung Berliner astronomischer Tafeln mit, in welchen die Länge von Kassel zu 27° ı’ 10”, die Breite zu 51° 19’ 16” nördlich angegeben wird (*). ‘) v.Zach geogr. Eplıem. B. 11. S. 152. ”) v. Zach monatl. Corresp. 1810. Sept. S.289. ) Bodes Jahrbuch. I. suppl. Band S. 294. *) Sammlung astron. Tafeln. I. Bd. S.6. = nn. t 44 ÖOLTMANNS Diese Länge ist aber wohl etwas zu klein. Denn da v. Schmettau solche für Göttingen nur 27° 2 5”, statt der wahren 27° 36 15” findet, so wird es uns vielleicht erlaubt seyn, auch jene um (7’ 10”) diesen Unterschied zu ver- gröfsern und auf 27° ’ 20’ zu bringen. Fünfunddreifsig Jahre später, nehmlich 1785 den 27. Oktober wurde die Länge von Kassel 27° ı4 25’ gefunden; welche aber nach v. Zach’s Äufserung (!) zweifelhaft seyn möchte. Professor Matzko hat sich ebenfalls Mühe gegeben, die Lage von Kassel zu bestimmen, ohne sie in befriedigende Grenzen einschliefsen zu können ; eine Äufserung welche auch die späterhin bekannt gemachten Beob- achtungen dieses Astronomen zu rechtfertigen scheinen (?). Ich habe inzwischen den Versuch gemacht, aus diesen schwankenden Beobachtungen sowohl als aus denen eines Anonymen vom Jahre 1719 (°) die Lage von Kassel herzuleiten und folgende Resultate gefunden: Bedeckung a Stier am 22. April 1719. DeLisle der jüngere, beobachtete zu Paris im Hotel de Taranne ) o ’ ’ 18° 51’ 17’ nördliche Breite und 0”, 5 in Zeit westlich von der grofsen Stern- warte, den Eintritt des Aldebaran um 7v. 42’ 52”, 6, den Austritt um su. 32’ 34", 2 mittlere Zeit. Beide wurden zu Kassel um stv. ı/ 48”, 6 und sv. 24 22”, 3 ’ 3 mittlere Zeit gesehen. Hieraus finde ich die Conjunction aus dem Eintritt am dunkelen ) Mond -Rande: zu. Bassel u nnssssianeshr ßen ZUR 10.207, 8 ZU Darisı.oranansnaennnen ee BE 46 59, A 29 30”, 7 Reduction auf die Sternwarte...... +0", 5 ’ „ Länge von Kassel. sasusnugdineenene 29 3, 2=U 2 WM. Der Astronom Henry fand aus eben dieser Beobachtung 27° 20 12” (*). ) Tabulae motuum solis. p.16. Editio 1792. ) Bodes Jahrbuch für 1783. 8.159. °) dasselbe für 1798. S. 161 fg. ) ZL.et Loco cit. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 45 Sonnenfinsternifs vom 14. Junius 1779. Matzko beobachtete den Anfang der Finsternifs um sv. 7’ 21 Ende um 9u. 20° 57” (!). Mittlere Zeit. Orts-Name. |- Conjunction. Länge. ! Eintritt. Austritt. an Ra ae | Kassel. Ness Man .e- Nicht gesehen | 21u 20'37”,6 | 21 u 39’38”,7 +1,16 AB Banıs(Hen.. desgl. 20 43 49,1 | 21u11’ 6,3 +4,03 AB f & k U oprapr, A Kremsmünster... desgl. 21 23 6,9 | 21u59’13”,4 | j +18,26AB (*) Marine Sternwarte, AD — Breitenverbesserung ist — 4”, ı angenommen worden. Matzko beobachtete auch am 4. Januar 1779 die Bedeckung yKrebs, so wie am 29. Junius desselben Jahres den Eintritt r Schütze; allein bei erste- rer Beobachtung walten erhebliche Schreibfehler ob, welche das Resultat unsicher machen. Zu der zweiten habe ich keine correspondirende auffinden können; beide daher zur Längenbestimmung unbenutzt lassen müssen. Merkur-Durchgang durch die Sonne am 7. May 1799. Matzko der Jüngere beobachtete zu Kassel die innere Berührung um 2ıv. 48' 9”, 7 mittlerer Zeit (*). Mittlere Zeit. Orts-Name. Menfsore Linke Conjunction. Länge. Berührung. Berührung. seneledsages Nicht gesehen |. 21u As’ 9",7 | Au 43° 50”, 8 | 28’ 26”, 9 SER TILEER desgl. 21 516,8 |ı 48 58,9 | (3335, 0) (‘) Bodes Jahrbuch für 1783. S.159. (2) v. Zach geogr. Ephem. III. Bd. S. 640-649. 46 OÖOLTMANNS Triesnecker fand aus eben dieser Beobachtung die Länge von Kassel 28’ 29”, s, Wurm dagegen 28’ 26”, 93 (1). Diese schwankenden Resultate unter einen Gesichtspunkt gestellt, geben also: aus der Bedeckung « Stier am 22. April 1719 29 31”, 2 aus der Sonnenfinsternifs am 14.Junius 1779 25’ 32”, A Merkur vor der Sonne am 7.May 1799 ........ 28’ 26”, 9 aus v.Schmetltaus ANNE HAIE E37 aus v. Zach s Chronometer „ui lsseesnsansinende 08 577,9 neh nennen 2837, 9 aus den letzten vier Beobachtungen. gleich dies Resultat sich der Wahrheit nähern mag; so wage ich es Obgleich dies Resultat sich der Wahrheit nähe ag; ge icl doch nicht, die Länge von Kassel darauf zu gründen. Dazu wird die Posi- ion des nahe gelegenen Lustschlosses Weissenstein besser dienen können tion d } leg Lustschl W tein ] 1 k : wenn man solche, vermittelst seines Meridian-Abstandes von der Residenz- stadt, auf diese überträgt. Und da solche etwa 15”, s in Zeit ausmacht, so darf man die Länge von Kassel = 28’ 33” in Zeit = 27° 8’ 15 die Breite.............. = 51° 19° 16” setzen, bis anderweitige Beobachtungen sie entweder genauer angeben oder diese bestätigen. Weissenstein. Lustschlofs in der Nähe von Kassel. v.Schmettau bestimmte bei Gelegenheit der, vom Herrn v. Zach un- ternommenen, Gradmessung die Lage der Wilhelmshöhe bei Kassel, des west- lichen Punkts dieser Operationen. Er fand die Breite, vermittelst dreitägiger Beobachtungen vom 15. 16. und 18. August 1803 51° 19 32”, s (?). Lecogq bestimmte sie früher zu 51° 19 21”, 7; aus welchen beiden Resultaten man das Mittel 51° 19 27” nehmen darf. Co) Zeeit- LI: Bd. S.67.u. 223. (°) v. Zach monatl. Corresp. 1804. Oktober. S.293 fg. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 47 Für die Länge wurden gleichzeitige Pulversignale beobachtet. Sie ga- ben den Herkules auf dem Winterkasten 5 15’, 30 in Zeit östlich vom Seeberg oder 27° X 55”, 5 von Ferro. Dies Resultat läfst sich durch die Sonnenfinsternifs vom 17. August des Jahres 1803 bestätigen. v. Schmettau sah nehmlich den Anfang dersel- ben um sv. 39 11”, 1; das Ende um sv. 20 36’, 5 mittlerer Zeit Morgens ('). Sonnenfinsternifs vom 17. August 1505. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. i der Länge. Anfang. Ende. Zusammenkft. | | I zu. Darisscsc: Pe RT Seleeseetees 7u50' 11%, A18u 34 9” (0' 0”, 0) zu Weissenstein..|6u 39” 11”,1|8 20’ 36”,5|9u 2 28. 42057 — 2,60AB| —0, 4sS AB AB ist aus einigen Beobachtungen + 2”, 0 gefunden worden; wodurch die verbesserte Länge 25’ 11”, 74 wird. Vier, auf die grofse Sternwarte redu- eirte, Pariser Beobachtungen gaben die Zeit der Zusammenkunft im Mittel sv. 34 8”, 4, die Länge der Wilhelmshöhe 28’ 13”, 14. Die Astronomen Triesnecker und Wurm berechneten sie auf resptv. 28’ 14”, 4 und 2813’, 6 (?). Wir haben demnach: aus den Pulversignalen... 28 15 ,3 aus der Sonnenfinsternifs 28 13 , 1 10: Mattel newer ans nennen BB AA .. T» . ! Länge von Weissenstein: 27° 333 Dre ehe oe ei 10 a. Der Stauffenberg. An der Weser ohnweit der Sabbaburg. v. Schmettau beobachtete auf dem Gipfel des Berges, aus vier cor- respondirenden Sonnenhöhen, die wahre Mitternacht des 21. Augusts; aus ) Z.cit. 1803. Oktober. S.352. *) L.cit. 1805. Oktober. S.352. Ephem. Vindoborenses 1806. p.270. 48 ÖOLTMANKNS vierzehn anderen, den Mittag des 22. August. Pulversignale, deren Momente sich auf diese Zeitbestimmung gründeten, gaben die Länge des Gipfels vom Stauffenberge 27° 14 3” ('). Zwölf Paar Sonnenhöhen welche am 25. August, am Fufse des Berges, beim Dorfe Frekenhagen, genommen wurden, geben die Länge dieses Punktes 27° 16 57”. Die Breite des Fufses vom Stauffenberge ist nach zweitägigen Son- nenhöhen 51° 30 10". Länge des Gipfels vom Stauffenberge 27° 14 3 Breite des Fulses-.......4-50 7: 51° 30 410" M,i.n..d en. An der Weser. Die Lage dieser Stadt wurde von Lecogq bestimmt. Er fand sie aus den gemessenen Dreiecken unter 26° 33 21”, ı der Länge, und 52° ı7 42” nördlicher Breite. Um dieses Resultat zu berichtigen, beobachtete er am 25.Februar 1799 die Bedeckung dSkorpion vom Monde. Er sah den Ein- tritt um ı7u. 2X 25’, s mittlere Zeit, den Austritt um ısv. 38’ 34”, 7. Hieraus finde ich nun folgendes, mit Zuziehung einer gleichzeitigen Pariser Beobachtung des Herrn Mechain (?): Mittlere Zeit. en s Mittlere Zeit Ei- oder 10 a u Orts- Name. ER j deı Länge. Anke: Eintritt. Austritt. Zusammenkft, | | } 1 ee 47u 45’'/59”,8| (0" 0”,0) —1,048 AB | | Minden ccceeeeeeeeer: 17 24 25,8lı8 38 34,7|17uAs’An,as| 25 36,8 |a.d. Eintritt. t +,0,225 AB [3e} > ® „= a Parisissssesccsneaenee 16u 52’ 25”, 8) 18u | 18u Al’ 31”,9 26 30%.7 a. d. Austritt. | — 0,657 AB 18 u12’15”,38 | +0.022 AB | (‘) v. Zach monatl. Corresp. 1804. Oktober. p. 295 fg. (*) ZL.cit. 1803. Sept. S.204. Ephem. Vindob. 9801. p.357. v.Zach geogr. Ephem. IV. Bd. S.498. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 49 nt AB ergiebt sich hieraus + 14”, 4 und damit die Länge aus dem Eintritt 25’ 36”, s aus dem Austritt 26’ 30”, 7 in Zeit östlich von Paris. Ich wage es nicht, aus zwei so stark von einan- der abweichenden Resultaten das Mittel zu nehmen. Diese Bedeckung ist bereits früher von vier Astronomen berechnet worden, die eben keine befriedigendere Resultate erhalten haben. Tries- necker hielt sich blofs an den Eintritt, welcher ihm 25’ 40”, ı für die Min- dener Länge giebt; der Austritt macht sie 26° 27”, 7 (t). Wurm berechnet sie zu resp. 25’41”,2 und 26’27”,7; er glaubt dafs bei dem Austritte die Minute verschrieben sei (?). Gaufs soll sie, nach Lecogq’s Versichrung, im Mittel aus beiden Momenten 26’ 12”, 7 gefunden haben (°) und Henry setzt sie gar auf 26’ 34”, 9 an (*). Der Eintritt geschah am hellen, der Austritt aber am dunklen Mond- rande, sechs Tage nach dem Vollmonde. Der Beobachter mag also den Stern wohl zu früh aus dem Gesichte verloren haben. Die Länge läfst sich indessen noch durch eine andere Himmels - Beob- achtung prüfen und zwar vermittelst eines Vorübergangs des Merkur vor der Sonne am 7. May 1799. Lecogq sah die innere Berührung der Ränder von der Sonne und den Planeten um 2ıv. 45’ 24” mittlere Zeit (%). Mit Zuziehung einer auf dem See- berge gemachten correspondirenden Beobachtung finde ich folgendes: I —— | Orts- Name. Tee Berührung. Mittlere Zeit. Länge. Zusammenkft. | Seeberg ............. 21053’16”,8 | 1u 48’58”,9 | (33’ 35”, 0) Mindener esse 21 4524,01 4 3,2 25 39,3 (') Ephem. Find. 1801. p.358. (*) v. Zach geogr. Ephem. Bd. IV. S.498. (°) v.Zach monatl. Corresp. 1803. Oktober. S. 204. (*) Bode’s Jahrbuch für 1803. S. 235. (°) v.Zach geogr. Ephem. Bd. IV. S.498. Mathemat. Klasse 1825. G 50 ÖOLTMANNS Triesnecker findet aus derselben Beobachtung 25’ 43”, 2, Wurm 25’ 41", 72.(?). Dies Resultat stimmt freilich mit dem aus den Eintritt ö Skorpion be- rechneten nahe genug zusammen ; dem ohngeachtet trage ich Bedenken diese Beobachtungen für die Länge zu benutzen. Sicherer möchte sie sich aus den Lecogschen Dreiecken herleiten lassen, welche, nach Anbringung der nothwendigen Verbesserung von + 135” im Bogen, dem Marienthurm 26° 34' 59” Länge geben, oder in runden Zahlen 26° 35’0”. Ich setze also: „ Länge des Marienthurms zu Minden 26° 35’ 0 Breitekm sn aan ee DA, nach Lecog’s und Pistor’s Beobachtungen. Synopsis der Geographie des südwestlichen Theils des Königreichs. ’ Methode Breite. der Bemerkungen. rn | Beobachtung. Orts-Name. Ar Im Innern des Reichs. Osnabrück (Kathar. Thurm) Münden an der Werra Breite nicht ganz sicher. B. Grenzpunkte und Enclaven. Cassel Weissenstein (Wilhelmsh.).| 27. Stauffenberg DieBreite bezieht sich auf] den Fufs des Berges. Minden an der Weser (') v.Zach geogr. Ephem. B.IV.S.68 und 223. über die Bildung eines Erd-K. atalogs. 51 Nordwestlicher Theil des Königreichs Hannover. «) Im Innern des Reichs. Die nordwestliche Gegend des Königreichs begreift einen Theil der Provinzen Kalenberg, Osnabrück, Lingen, Bentheim und Lüneburg, Mep- pen, Ostfriesland und Bremen mit Verden. Oldenburg und Jever bilden die Enclaven; die Küsten der Nordsee, die Mündungen der Jahde, Weser und Elbe sind für die Hydrographie besonders interressant. Emden. Seestadt am Dollart. Die Breite dieser Stadt wurde im Jahre 1817 von den Herren Ulfers und v.Schrenk in meiner damaligen Wohnung beobachtet. Sie bedienten sich dabei eines guten Schiffer-Sextanten mit künstlichem Horizonte und fanden aus C’rcummeridianhöhen der Sonne: N am 16. März 53° 21’ 56 am 17. März DON 0% am 2.May 22’ 22” am 9.May 21’ As” am 17. May 22’ 7” Im Mittel.... 53° 22’ 3”, 5 nördlich. Zu Längenbestimmungen fehlte uns eine gute Uhr. Der Beobach- tungsort liegt etwas südlich vom Rathhausthurm, dessen Breite man hiernach ansetzen könnte auf 53° 22’ 4”, welches mit Krayenhoff’s geodätischen Beobachtungen sehr gut zusammenstimmt. Wittmund. Marktflecken an der oldenburgischen Grenze. Hier beobachtete ich im Jahre 1812 die Breite des Kirchthurms und fand sie: Ga 52 ÖLTMANNS am 22. August 53° 34’ 53” am 236 fi — 23” am 25. — 58” amt 2 ee 52” Im Mittel...... 53° 34’ 42” nördlich. Stade. Grenzfestung, südlich ohnweit der Elbe. Hier beobachtete Lichtenberg (!) am 11. August 1773 die Be- deckung « Stier vom Monde. Er sah den Austritt dieses Sterns um ı2v. 14/3”, 6 mittlere Zeit; eine correspondirende ist bereits bei Hannover angeführt. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit. Orts-Name. f Eintritt. Austritt. Zusammenktft. Länge. Kremsmünster.... | Nicht gesehen | 12u 51’56”, 3|12u 51’35”, 0 (47’-11”) 12044..3,6142732255°,0 28 31,0 Länge von Stade 27° 7’ 45 Nördliche Breite 53° 36' 5”. Verden. Stadt an der Aller. Die Lage dieser Stadt wurde zuerst vom Freiherrn v. Zach bestimmt, welcher im September 1800, ihre Länge 26° 52’ 15”, ihre Breite 52° 55’ 46” fand (?). Da Herr v. Zach auf derselben Reise auch die Längen von Bre- men, Lilienthal, Braunschweig und Celle bestimmt und solche alle mitein- (') v. Ende Ortsbestimmungen im Anhang. (*) v. Zach monatl. Corresp. 1801. März. über die Bildung eines Erd-Katalogs. 53 ander um + ı’ 30” im Bogen zu klein gefunden hat (wie ich in der Folge zeigen werde); so erlaube ich mir, auch die Lage von Verden um so viel zu vergröfsern und auf 26° 53’ 45” anzusetzen. Nach Lecoqgs AA wäre sie noch etwa 15” östlicher, die Breite etwa s” südlicher. Ich setze daher: Länge von Verden 26° 53’ 45 Nördliche Breite.. 52° 55 Rehburg; Gesund-Brunnen ohnweit des Steinhuder Meers. „ ü A P ‘ Fon Olbers und Pistor beobachteten die Breite dieses Brunnens 52° 26 44 nördlich ('). Die Länge möchte man auf 26° 54’ 30” ansetzen dürfen. t 7 Länge des Rehburger Brunnens 26° 54 30 Nördliche Breite.....eeseseseree.. 52° 26’ 44 Kanvent hat. Herrn Justizrath Schrötter’s Sternwarte. Die Resultate der frühesten Beobachtungen welche auf dieser Stern- warte angestellt worden sind, stimmen nicht sonderlich unter sich zusammen und der Geograph würde aus der gesammten Darstellung leicht die Über- zeugung entnehmen, dafs nur die späteren seit dem Jahre 1800 von den Professoren Harding und Bessel, in Gemeinschaft mit dem Justizrath Schrötter angestellten Beobachtungen, die Länge der Sternwarte am zu- verlässigsten begründen. Zudem hat der Bremer Senator Gildemeister den Meridianabstand der Schrötterschen Sternwarte vom Ansgarii-Thurm aus trigono- metrischen Messungen auf 26”, 55 östl. in Zeit bestimmt. Weil nun die Länge dieses Thurms aus Olbers astronomischen Beobachtungen hergeleitet wer- den kann; so wird auch die Länge einer Sternwarte durch die andere ge- prüft und berichtigt werden können. Die Beobachtungen also, welche die Lage unserer Sternwarten fest- setzen sollen, sind, mit dem daraus abgeleiteten Resultate, folgende: (‘) v. Zach monatl. Corresp. 1802. S.273 fg. 54 OÖOLTMANN Spica vom Monde am 30. März 1801 Ss CO). Mittlere Zeit. Orts-Name. Eintritt. Austritt. Mittlere Zeit der Zusammenktft. Länge. 150 21”33”,10° | 14045’512, 3 (0 0”, 0) 15 1212,3 26 21,0 | 15 47 57,9 ö Steinbock vom Monde am 3. November 1802 Ö). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit der Länge. | Zusammenkft. | Orts-Name. Eintritt. Austritt. su 19 56",0|9u 42 er 3’ 30”, 0|7u Ag 12”, 1 19 14,818 5 25,0 Amsterdam......... Tulsenthal........... 8 (10' 41”, 6) 26 24,5 Merkur vor der Sonne am 9. November 1802 Mittlere Zeit. Mittlere Zeit der Zusammenktft. Orts-Name. Innere Aeufsere Länge. Berührung. | Berührung. Bemerkung. | | 23u 50 45”, 6| 230 52719”,8|21u 9 0”,8| (0 0”,0) Bee Lilienthal....| 0 16 57,5) O0 18 36, 26 16,4 | Nach Harding’s Beobacht. 5.121 735: 17,2 Mit den Beobachtungen der Pariser Astronomen verglichen; ergeben sich überhaupt folgende Resultate: aus der inneren Berührung nach Schrötter 26’ 13”, 9 nach Harding 13”, 9 aus der äufseren Berührung nach Schrötter 14”, 4 nach Harding 18", A Im Mitteleessnsesenee. 26° 16°, A v. Zach monatl. Corresp. Novhr. S. 385. L. cit. 1803. Dzbr. S. 566. L..cit. 1802. Dzbr. S. 574. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 55 Sonnenfinsternifs am 17. August 1803 C)- Mittlere Zeit. Mittlere Zeit der | Zusammenktft. Orts-Name. Bemerkung. Anfang. Ende. Nach vier auf die grofse | 21u 50’ 11”, 4 20u 34 9”, 4 — 2,12 AB Paris a...ht leeren en ( 0,0) Sternwarte reduzirten Beobachtungen. Lilienthal.... | 18u 41’ 11”, 4|20 15 30, 4)421u 0'253”, 6| +2,16 AB E21u 028”, 7 — 3,04 AB Wenn wir die gleichnamigen Phasen miteinander vergleichen und AB wie vorhin, thal 26’ ıs”, 5. 2’,o annehmen; so erhalten wir die Länge von Lilien- Atlas Pleyaden vom Monde am 31. Oktober 1803 (?). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. Eintritt. 6u 54 43”, 7 67 4802320 Austritt. 7u 29 52”,1 der Zusammenkft. | Tu 53’ 4$”,0 U 46 37 A Länge. (33' 35”, 0) 26 24,1 ‘#Krebs vom Monde am 4.Nov. 1805 Ö)- Mittlere Zeit. Orts-Name. i Eintritt. Austritt. SEEbersf.ushee Tresen eteeseh nenn Lilienthal.... |10u 54 6”, 1 |11 4819,14 Mittlere Zeit | der Zusammenkft. 410517 1”,5| 12044 32”, 0 42231 4551 L. cit. 1803. Dzbr. S.532. Ibid. v. Zach monatl. Corresp. 1803. Oktbr. S.352. Länge. (33° 35”, 0) 26 18,9 Nach drei Beobachtern. Bemerkung. 56 OLTMANNS Sonnenfinsternifs vom 416. Junius 1806 ('). Mittlere Zeit. Orts-Name. Anfang. | Ende. I Utrecht.suseceas. 5u 3'26”,0| 6u 14 6”,0 Lilienthal .......... a a! | ne eeenenses Mittlere Zeit 1 der Länge. | Zusammenkft. | | Au Ar 27°,2|.(11’ 8,1) | 4 56 39,0| 26 19,9 a & Zwillinge vom Monde am 7.September 1806 (°). Mittlere Zeit. Orts-Name. | I} Mittlere Zeit der Länge. Zusammenkft. | 15u 47’ 36”,0 | (56' 10”, 0) 17 46 26’ 20”, 0 Eintritt. Austritt. I Wiener ssesssceri 44u 8° 0”,0|45u 6 45”,1 | Lilienthal .......... 13 4443,7|1ı4 38 40,9 » Wassermann vom Monde am 22. Julius 1807 (). | Mittlere Zeit. Orts-Name. | 1 Aloesconece» | Eintritt. | | | Zusammenkft. | Mittlere Zeit der Länge. 12u 20’ 30”,0 | (56’ 10”, 0) 11 50 38,5 26 18,5 [mn ee nn nd Mittlere Zeit. Orts-Name. Eintritt. Austritt. Wien. 2...6eslesanfee. | Lilienthal .......... 8 57 | 9u Ar’ 14”,0 40,1 desgl. Nicht gesehen | 10u 16’ 25”, 0 Mittlere Zeit der Zusammenkft, (56° 10”, 0) 9.346,37, 1 26.22,9 v. Zach monatl. Corresp. 1806. Sept. S.274. Bode’s Jahrbuch 1810. S. 208. Lscit2 1811.8:1061. L.cit. 1811. S.162. ee — — — — ——————— über die Büdung eines Erd- Katalogs. HM '! Schütze vom Monde am 6. Julius 1808 0). Mittlere Zeit. Orts-Name. Eintritt. Austritt. ge Seeberg uuunennnnnnee | Lilienthal .......... 10.33 57,7 desgl. Mittlere Zeit der Zusammenkft. 10u 43’21”,3 | Nicht gesehen | 11u 15’ 52”, 8 14 Bas (33 35”) | Länge. | | | 26’ 19”, 9 | ö' Stier vom Monde am 28.September 1809 (°). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit | \ Orts-Name. | der Länge. Bemerkung. Eintritt. | Austritt. Zusammenkft. | | | | Kopenhagen........ G015L4107,2 1 anesn dann tnenenr 10u 20’ 10”, 1 (40 59”, 0) Lilienthal........... Ss 56 30,2|9u 37’23”, 110 5 23,0| 26 11,9 | zweifelhaft. Dies Resultat scheint mir sehr zweifelhaft zu seyn, weil es sich be- sonders weit von den übrigen entfernt. ö” Stier vom Monde am 28. September 1809 (°). | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. | Eintritt. Austritt. Zusammenkft. | | Kopenhagen ....... 9u 36° 16”,0 | 10u 36’ 11,0 | 100 51’ 10”,0) (40 59”, 0) | Lilienthal .......... 9 17 51,710 16 32,0|10 36 34,5| 26 23,5 -£ 4 2° Zwillinge vom Monde am 28. Oktober 1809 (°). r ee - — | Mittlere Zeit. Mittlere zei | Orts-Name. der Länge. Eintritt. | Austritt. osammenktt en ee 12u 2 51”,2|130 11° 6”,0|13u 36° 40”, 1 | (56° 10”, 0) Inhenthalesces tl ssnenndsenentsnsee 123213, el 217,8 | (') Bode’s Jahrbuch 1811. S. 162. () Ibidem. (?) Ibidem 1813. S.186. (*) Ibidem S.187. Mathemat. Klasse 1825. H 58 ÖOLTMANNS Sammeln wir nun diese verschiedene Resultate unter einen Gesichts- punkt so erhalten wir folgendes für die Länge der Schrötterschen Stern- warte zu Lilienthal: Beobachtung. | Bedeckung & IM am 30. März 1801 6 5 am 3. November 1802...ueerseneseenern 50 am 9. November 1802 Sonnenfinsternils am 17. August 1803.... Pleyaden am 31. Oktober 1803.......222...- M 65 am 4. November 1803 ..ueceneeesseece- Sonnenfinsternils am 16.Junius 1806 & IL am 7. September 1806 xx% am 22. Julius 1807 1NnY am 4. Junius 1808 Bi am 6. Julius NBOBM Eee arnseaeeasnrenste 6?% am 28. September 1809 2°IT am 28. Oktober 1809 Mittel aus den dreizehn Beobachtungen 26’ 20”, 04 oder 26° 35’ 0”, 6 östlich von Ferro. Triesnecker findet sie aus sechs von diesen Beobachtungen 26’ 21”, 2, aus fünf andern 26’ 22”, 5 (!). Wurm setzt sie aus zehn Beobachtungen 26° 20,7 (2). v. Lindenau aus drei Beobachtungen 26 19”, ı (°). v. Zach bestimmte im Jahre 1800 diese Länge, vermittelst eines Chro- nometers auf 26° 33° 30’; höchstwahrscheinlich um anderthalb Minuten zu klein. Die Breite fand er 53° 3’ 327 (*); neuere Beobachtungen geben sie etwas kleiner nehmlich 53° s’ 25’ (%). Ich setze: Die Länge der Lilienthaler Sternwarte 26° 35’ 0” ’ „ Nördliche. Breite... isses. 5P 8’ 28 (>) Sammlung astronomischer Beobachtungen III. S.91. IV.S. 138. (°) v. Zach monatl. Corresp. 1812. August S. 184. (°) Ibid. Mai 1809. S.421. (*) Ibid. März 1807. (°) Bode’s astronom. Jahrbuch 1812. S.126. über die Bildung eines Erd-Katalogs. 59 £) Grenzpunkte und Enclaven. Vexserr: Jetzt grofsherzoglich oldenburgische Grenzstadt mit der Provinz Ostfriesland. Der holländische General v. Krayenhoff beobachtete hier im Jahre 1811 die Breite des Schlofsthurms und fand sie aus ein paar hundert Höhen des Polarsterns in dem oberen und unteren Durchgange durch den Meridian im Mittel 53° 34 23”, 45 (1). Oldenburg. Residenz des Grofsherzogs. Die Länge welche man der Stadt Oldenburg anzuweisen pflegt, grün- det sich auf eine trigonometrische Verbindung derselben mit dem Ansgarii- Thurm zu Bremen. Wessel, der das Herzogthum triangulirte, konnte blofs eine Mond- finsternifs beobachten, eins von den Hülfsmitteln welche nur approxi- mative Resultate für die Länge geben. Er fand jedoch den Mittagsunter- schied zwischen der Copenhagener und Oldenburger Sternwarte 17’ 19”, 4 in Zeit, statt dessen er sich aus den Dreiecken ı7' 24”, ır ergeben hatte (?). Die Breite wurde zu 53° s’ 24” beobachtet (°). Sehr genau läfst sich aber die Lage Oldenburgs aus geodätischen Operationen herleiten, welche sie, mit grofser Zuverlässigkeit, folgender- mafsen geben: „N Nördliche Breite 53° s’ 24 Bremen. Dr. Olbers Sternwarte. Hier hat der berühmte Entdecker zweier Planeten mehrere Beobach- tungen angestellt, aus welchen sich die Länge seiner Sternwarte mit grofser (‘) Krayenhoffs Verzaameling etc. XI. (*) Bugge Vermessungs Methode S. 167. (°) v.Zach geogr. Ephem. Bd. 1V.S.22. folg. 60 ÖOLTMANNS Genauigkeit herleiten läfst. v. Zach hat sie überdem durch Chronometer bestimmt; auch ist sie durch Dreiecke mit Lilienthal sowohl als früher schon von Wessel mit Copenhagen verbunden worden. Ich habe bereits vor einigen Jahren den Versuch gemacht, die Länge aus den vorerwähnten Sternbedeckungen zu bestimmen; die gefundenen Resultate stehen in Bode’s astronomischen Jahrbüchern, daher ich das Specielle hier nicht wiederhole. Mit Zuziehung einiger von Wurm und Triesnecker berechneten Resultate, finden wir folgendes: Beobachtung. | Länge Bezeichnet von 2 ı von Bremen. 1794 am 8. November a Y% „an... | 25. 50,3 Triesnecker. 1797 am 24. Junius Sonnenfinsternifs | 58,9 Derselbe. 1799 am 6.Mai VS on... 56,8 Triesnecker und Wurm, RN Ei © 54,0 Dieselben. | 1800°am! 5.Maı YUP Sunserssesnnnreneene 51,0 Dieselben. 1502 am 5. April CGeleno-Pleyaden .. 5343 Oltmanns. Electra (eodem) ... 53,1 Derselbe. | 1805 am 6.Mai X sceeeneeeeneennnenn | 55,6 | Derselbe. Im+Mittelo. eos .nrianen erde lestensnaee 25’ 54", 13 Reduction auf den Ansgarii- Thurm 47,83 Länge des Ansgarii- Thurms..... 25’ 52”, 2s wir fanden Lilienthal ............. 26 20 , 04 Meridian - Differenz ............... 27 , 76 nach Gildemeisters Dreiecken 26,55 Unterschied beider Resultate .... ı , 2ı in Zeit= ıs”’ im Bogen v.Zach bestimmte durch seinen Chronometer die Länge des Ansgarii- Thurms auf 26° 26’ 42”,0o = 25’ 46”, s in Zeit östlich von Paris; auch hier um 5” bis 6” zu klein. Ich setze: die Länge des Ansgarii- Thurms 26° 23’ 4 Nördliche Breite ..ussicssunawams.1530 4.50 über die Bildung eines Erd- Katalogs. 61 Synopsis der Geographie des nordwestlichen Theils. . j Methode Orts- Name. Länge. Breite. der Bemerkungen. [e) ’ n ° / „ Beobachtung. | | A. Im Innern desReichs. | Emden.....escoossnnnsnonnunnne [orsensnonsonsnne 53. 22. 3. © Le A rar 53. 34.. 42: [O) Stade ee Er DIE TB 53 365 * | Vierdenlunstestedeseessst cast 26. 53. 45. | 52. 55. 40. ©.AA | Rehburger Brunnen ......... 26. 54. 30. | 52. 26. 44. © Länge aus Interpolationen | Lilienthal (Sternwarte) ..... 26: 35. .0.1.53; #8, 28.1.6) B. Grenzpunkte und Enclaven. Jever“ (Schlofstkunm) ..censeullezerssessaseseoss 53. 34. 23. * Oldenburg (Schlofsthurm) | 25. 53. 3 2 fi Bremen (Ansgarii-Thurm) | 26. 28. 4. w >» in SS} * (6) | m m - Nordöstlicher Theil des Königreichs Hannover. «) Im Innern des Reichs. Die nordöstliche Gegend des Königreichs begreift einen kleinen Theil der Provinz Bremen mit Verden, fast die ganze Provinz Lüneburg und etwas weniges von den Braunschweigischen Ländern. In diesem nordöstlichen Theile des Reichs sind mehrere astronomische Beobachtungen angestellt worden, unter welchen die, vom Oberappellations- rath v. Ende gemachten den ersten Platz einnehmen. Seine Längenbe- stimmungen gründen sich aber auf die Lage von Celle, welche wir daher vor allen andern zu bestimmen suchen müssen. 62 ÖOLTMANNS G e hlıe; Sitz der hohen Justizcollegien u.s. w., Stadt an der Aller. Der Oberappellationsrath v. Ende hat die Breite des südöstlichen Schlofsthurms auf 52° 37° 23” (aus 778 Beobachtungen der Sonne), die Länge auf 27° 42’ As” bestimmt. Die Beobachtungen selbst sind in einem beson- deren Werke bekannt gemacht worden, worauf ich mich hier beziehen mufs. Die von mir berechneten Resultate sind folgende: a Stier vom Monde am 14. September 1794. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenktft. 13u 12’ 56”, 0|414u18’ 45”, 2| 14u 22’ 16”, 0| (56’ 10”, 0) 12 54 41,613 50 32,8|13 57 0,4| 30 54,6 a. Stier vom Monde am 2.Januar 1795. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenkft. Wien... gan dastueese 3u 58’ 26,9 |Au 51’ 22”,7|5u 419 12”,0| (56 10”) Geller teten: 3 39 2,6|4 34 48,5|)4 53 58,0 30 56,0 & Zwillinge am 7. September 1795. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Eintritt. Austritt. Zusammenkft. 13u 15’58”, 4| 14u 10’ 14”, 1 | 14u56° 7”, 0 (56’ 10”) 015,2|13 49 0,5 | 14 3058,0 31), 150 über die Bildung eines Erd-K.atalogs. Jupiter am 23.September 1795. 63 Orts-Name. Mittlere Zeit. Eintritt. Austritt. Wiers..Mb:..0. oT Ar ATS mE 25”,7 Celle &...18-:..18- 6 40 1,917 Mittlere Zeit der Zusammenktft. Tu 20’ 25”, 0 23 a1 ,6.|..60'55 40,7 Länge. (56° 10”) 30 55,17 Sonnenfinsternifs am 24. Junius 1797. Mittlere Zeit. ‚Orts-Name. Ende. Anfang. desgl. Nicht gesehen] 6u 58’ 12”,0 |5u 10’ 44”, 3 6,1:5359,, 2.5 Mittlere Zeit der Zusammenkft. Länge. (33’ 35”, 0) 30 42,8 Bemerkung. zweifelhaft. e Zwillinge am 8. August 1798. Mittlere Zeit. Orts-Name. Eintritt. Austritt. 13..27 49) 55,1142.13,.29% Mittlere Zeit | der Zusammenkft. 2lı4 53 23,7 Länge. 13u 57’27”, 6 | 140 35’37”,2)|15029'16”,0|) (1u 6’, 49”) 30° 56,7 Bemerkung. aus dem Austritte. 4 Jungfrau am 5.May 1800. Orts-Name. Eintritt. 10 43.36 ‚8.141 Mittlere Zeit. Austritt. Mittlere Zeit. Zusammenktft. Yu 4 17”, 8|10u. 40’ 12”, 1 |A10u: 22’35”, 2 18.42 ,3|10 43 32,3 Länge. (0’ 0”, 0) 30 56,1 64 ÖOLTMANNS Spica Jungfrau am 30.März 1801. | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit ] | Orts-Name. £ der Länge. | Eintritt. Austritt. Zusammenkft. | Paris RT) 14v 12° 19,9 | 450 21 33”,0.|14u As 51”,3| (0 0”,0) | Gellet5.MRessasiet- 14 © 46 34,715 54 30,12.115 (16 54,3 31...3.>0 | L nn y Krebs am 14. März 1802. | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit | Orts-Name. der Länge. | Eintritt. Austritt. Zusammenkft. | Paris.cossesanckesscrs 22' 33”, | 13u 30’ 20”,8|12u 12’ 55”,5 (9% 0”, 0) IK 015 1 EERZA RBEPER ERBE EN CORE 1] WE 12 43 49,5| 30 54,0 | Celeno-Pleyaden am 5.April 1802: r | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit ‚Orts-Name. der Länge. Bemerkung. | Eintritt. Austritt. |Zusammenkft. | Seeberg...... Yu 35’ 177 F Ylenanasetaunetn 8:0 40' 37% 21(33°35”,:0) Celle ......... u TE RE ee s 3742,5| 30 10,3 zweifelhaft. | Electra-Pleyaden am 5. April 1802. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenkft. | Berlin... ERBE TEE 21 WER STRRLRNE" gu As’ 26” (Ad 10”,0) | Geller .seak 9. 196 40,8 | eeddmuctkec 80.435. 125.3.|...30.5658 ’ über die Bildung eines Erd-Katalogs. 65 » Löwe am 2. April 1803. Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Eintritt. Austritt. Zusammenkft. —_ 7u 31’ 4,0| Yu 33’45”,5| 9u 20° 17,6 (56° 10”) 54 45,0 | 30’ 53”, 4 Merkur vor der Sonne am 9. November 1802. a — me nn, Eintritts- Austritts - Mittlere Zeit ‚Orts-Name. Berührung. | Berührung. der Länge. Bemerkung. H Zusammenktft. Paris........ 2305045”, 6|23u52°19”,8| 210 9 0”,8| (0 0”, 0) Geller... 0 2140,8| 0 23 9 s|21 3958,7| 30 57,9 |Conjunction aus der inne- | | ven Berührung. | —— | Sammeln wir nun diese zahlreichen Resultate unter einen Gesicht- punkt, so erhalten wir folgendes für die Länge von Celle: Beobachtung. Länge. Bemerkung. 1794 am 14. September 4% nee... | 30’ 56”, 9 1195) ame 2. Januar a Ga. 2craunedansern 56,0 7. September ETL 61,0 23. September 2) BAT. . 1797 am 24. Tonins Sonnenfinsternils 12,8 Der Mondrand zitterte 1798 am 8. August eIE 56,7 und wallte. (l.c.p.231.). 1800 am 5.Mai 7NY..... Re 56,1 1804@am 304 Marz AP Auasesnesessesene 6320 | 1802 am 14. März Y Senne 54,0 | 5. April Celeno Pleyaden ... 10,3 zweifelhaft. Electra (eodem) ... 30,3 | 9. November O nssen. 57,9 1803" am 2 APALV TI een 53,4 | Im Mittels.g0es2cussasactosshtdess susanne 30’ 57”,00 ohne d. beiden zweifel- Reduction auf den Schlofs- Thurm.. — 1”,S0 haften Beobachtungen. Länge des Schlofs-Thurms 30’ 55”, 20 (num. rot.) = 27° 43’ 4s’ von Ferro, Mathemat. Klasse 1825. I 66 ÖLTMANNS v. Ende hat noch zahlreiche Beobachtungen von Jupiters-Trabanten, Mondsabständen und Mondsverfinsterungen angestellt, und diese in seinem bekannten Werke über ‚,geographische Ortsbestimmungen im Niedersächsi- schen Kreise”’ dargelegt, worauf ich mich Kürze halber beziehen darf. Er findet daselbst p. 180. die Länge seiner Wohnung vor dem Hehlen-Thore (1”, s in Zeit östlich vom Schlofsthurme) aus den Jupiter-Trabanten -Finsternissen...... 30° 50”, 6 aus den. Montisabständen..cinsecssnsssupessnshusne 56”, 9 aus der Mondfinsternifs am 4. December 1797 49", 4 aus 6 Stermbedeckungen.uuisingssssnsusntesege Ba aus chronometrischen Bestimmungen. seereeeee. 50", 9 11 Mittel 000er 30 F2 SChlolsthiikm see een Ich erlaube mir, einige Bemerkungen beizufügen welche die allei- nige Annahme des, aus Sternbedeckungen gefolgerten Resultats rechtferti- gen mögen. Die chronometrische Bestimmung der geographischen Länge ist vom Freiherrn v. Zach gemacht worden. Dieser grofse Astronom beobachtete auf seiner, im Sommer 1800 unternommenen gelehrten Reise den wahren Celler Mittag am Chronometer, und fand, nach allen nöthigen Reductio- nen, die Länge am 10. September 30’ 51”, 77 am 12. September 51”, 07 am 24. September 49”, 73 im Mittel ........... 3050”, s6 oder 30’ 49”, 06 für den Schlofsthurm. Wenn wir aber einen Blick auf die durch v. Zach bestimmten Län- gen von Lilienthal, Bremen und Verden werfen, und zugleich bemerken wollen, dafs solche auf einen und denselben Chronometer gegründet wor- den sind; wenn wir ferner und vorzüglich in Erwägung nehmen, dafs die Länge von Braunschweig auf der Hinreise nach Celle beobachtet wor- den; so werden wir den Verdacht nicht unterdrücken können, dafs v. Zach’s Längen-Uhr auf der Reise vom Seeberge nach Braunschweig gelitten und über die Bildung eines Erd- Katalogs. 67 eben dadurch auch die Lage von Celle um einige Secunden (etwa 6) zu west- lich angegeben habe. Ich setze demzufolge die Länge des südöstlichen Schlofsthurms von Celle = 27° 43’ 48” NördlicheBreite „sea ee mesiuinnh 2.520 35’ 29” nach v. Ende und v. Zach’s Beobachtungen. Auf diese Länge wollen wir nun die übrigen durch v. Ende vermit- telst Chronometer daran geknüpften gründen. Lüneburg. An der Ilmenau, 2 Meilen südlich von der Elbe. v. Ende beobachtete im Schütting am Markte, dem Schlofs und Rathhause gegenüber. (') Er fand am 16. Junius die Breite seines Beobachtungsorts 53° 15’ 3” ams19, Jumussassesse rear weeks 15’ 5" am-20,.Jünius«.si. FEN NANERETEER, RER REINER AN 158,5 im Mittel..... ee see EEE SEHET 5 Einzelne Sonnenhöhen gaben den Mittagsunterschied ı' 25”, 46 in Zeit östlich von Celle (v. Ende’s Wohnung); also Länge von Ferro = 25° 5’ 37”. Der Beobachter hält die Bestimmung dieses Mittagsunterschiedes nur bis auf 5 Zeit-Secunden genau. Länge von Lüneburg —= 28° 5' 37” Nördliche Breite ..... = 53° 5 7” Uelzen. Die Breite dieser Stadt ist durch v. Ende auf 52° 57 55” (Hauptkirche) bestimmt worden. (?) Der Mittagsunterschied mit Celle wurde ı' 51”, 15 östlich beobachtet, also die Länge 2s° ı2° 2”. Die Ungewifsheit dieser Bestimmung wird, vom Beobachter selbst, auf 3” in Zeit beschränkt. (') v. Ende Ortsbestimmungen etc. S. 183. foig. (*) ibidem S. 190. folg. 65 ÖOLTMANNS Wir haben also: Länge der Hauptkirche zu Uelzen = 28° ı2' 2 Nördliche Breite..cecseeseneseneeenee 520 57 55” „ Giffhorn. Nach v. Ende’s Beobachtungen, welche er am 13. Julius 1800 in Sen, Giffhorn anstellte, ist die Breite dieser Stadt 52° 29 Az”, der Mittagsunter- ’ 5 schied mit Celle 2’ 11", 6s östlich. (') Daher Länge von Giffhorn 28° 17’ 10° Nördliche Breite .... 52° 29° 42” Knesebeck. Ein Kirchdorf 3 Meilen nördlich von Giffhorn. Am 14. Julius 1800 bestimmte v. Ende, (?) auf seiner zweiten geo- graphischen Reise, die Breite von Knesebeck 52° 40 41’, 5; den Mittagsun- terschied mit Celle 2’ 56”, 57; folglich Länge von Ferro 28° 28’ 24”. Länge von Knesebeck = 28° 23’ 24” Nördliche Breite...... 52° 40 42” Witting.emn. Ein Städtchen nahe an der Preufsischen Grenze. Die Lage dieses Orts wurde am 16. Julius 1800 vermittelst Sonnen- höhen auf 52° 43' 52” Nördliche Breite und 3'4”, 16 in Zeit östlicher Länge von Celle bestimmt. (?) Daher Länge von Wittingen 2s° 30’ 17" Nördliche Breite...... 52° 43’ 52” Die Sonnenhöhen liefsen einen Zweifel von etwa 3” hinsichtlich der Zeitbestimmung zurück. (') v. Ende Ortsbestimmungen S. 198. folg. (°) ibidem S. 198. folg. (°) ibidem S. 200. folg. über die Büdung eines Erd- Katalogs. 69 Bodenteich. Städtchen zwischen Uelzen und Wittingen, nahe an der Preufsischen Grenze. Die Breite der Stadt ist nach v. Ende’s Beobachtung vom 17. Julius 1800, 52°49'53”. Der Längenunterschied mit Celle 2'51"33 in Zeit, also Länge von Ferro 25° 27’ 5”. (1) Länge von Bodenteich = 2s Nördliche Breite....... Herr v. Ende findet durch einen Additionsfehler die Länge um 20 Zeitsecunden oder 5 Bogenminuten zu klein; ein Fehler, der sich in vielen Oo "n 275 20 19! 53" a Längen - Registern und Charten fortgepflanzt hat. Lüchow. Städtchen 5 Meilen östlich von Uelsen, ohnweit der preufsischen Grenze. Am 19. Julius 1800 gaben mehrere Sonnenhöhen die Breite von Lüchow 52° 53’ 7”. Der Mittagsunterschied mit Celle 451” 45 in Zeit östlich. (?) Daher Länge von Lüchow = 28° 57’ 7” Nördliche Breite... 52° 58’ 7” Bergen an der Dumme. An der preufsischen Grenze. Am 18. Julius 1800 beobachtete v. Ende mehrere Sonnenhöhen, woraus die Breite dieses Ortes 52° 5344”, der Mittagsunterschied mit Celle X 8’,s4 in Zeit berechnet wurde. (°) Also Länge von Bergen = 28° 46’ 2 Nördliche Breite.. = 52° 53’ 44” Dannenberg. v. Ende hat hier am 20. Julius 1800 mehrere Sonnenhöhen beobach- tet, woraus Länge sowohl als Breite abgeleitet werden konnten. Letztere fand er 53° 5 55”; den Mittagsunterschied mit Celle 4 30”, 07 in Zeit. (*) (') v. Ende Ortsbestimmungen S.201.folg. (?) ibidem S. 206. folg. (°) ibidem S.207.folg. (*) ibidem S. 208. folg. 0 ÖLTMANNS Daher Länge von Dannenberg 25° 51’ 46" Nördliche Breite........ 53° 5’ 55” Bindskbias v. Ende beobachtete hier, am 20. Julius 1800 die Breite des Ortes 53° 9’ 0’, den Mittagsunterschied zwischen Celle und Hizakker 4 17,7 in Zeit (!); folglich Länge von Hizakker: 25° 48’ 40” (2 n Nördliche Breite.... 53° 9’ o £) Grenzpunkte und Enclaven. Hamburg. So wie mit Bremen hatte ich auch früher mit Hamburg den Versuch zu genauerer Längenbestimmung gemacht, wovon die Resultate in den Bodeschen Jahrbüchern für 1809 und 1810 dargelegt worden sind. Statt diese zu wiederholen, füge ich hier die, seit der Zeit bekannt gewordenen, neueren Beobachtungen und ihre Resultate bei. (?) Beobachtung. Länge. Berechnet von | . Mai 7 np 30’ 34”, 0 . April Celeno Pleyaden.... 32,0 . April Electra (eodem) ... 33,0 am 2. April vN 27,3 am 17. August Sonnenfinsternifs 29,0 am 31. März 1wY% 24,0 am 18. Sept. 4% 33,2 am am am ; Wurm, v. Lindenau, OÖltmanns. DD Oo Im Mittel 30’ 30”, 4 in Zeit Die Breite von Hamburg wird anf. 53° 33’ 0” angegeben. Repsolds Sternwarte hat 53° 3245” bis 50” nördliche Breite und liegt im südwestlichen Theile der Stadt. (') v. Ende Ortsbestimmungen S.210.folg. (*) Man sehe den sehr lesenswerthen Aufsatz des Strombau-Directors Reinke über die Lage von Hamburg in v.Zachs geogr. Eph. 3.B. S. 570. sgg.- über die Bildung eines Erd- Katalogs. 7 Ich setze daher Länge des Michaelis-Thurms zu Hamburg 27° 37’ 36 Nördliche Breite.r..........:. 2 cccheessenee 53° 33° 0 / „ Altona Die Breite ist nach Niebuhr’s Beobachtung 53° 32’ 24”. Die Länge dieser Stadt läfst sich aus einer daselbst beobachteten Be- deckung « Stier vom Monde bestimmen. Der Eintritt des Sterns wurde da- selbst am 18. September 1810 um 100 3957”, o der Austritt um 11 u 3640”, 3(') gesehen. m—— = . = | 1 az | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenkft. | Panisceacsenaeen 10u 3’ 29”, 1|10u 56’ 28”, 8 | 11u 27’ 12”,0 (0 0”, 0) Altonan sus 10 39 57,011 36 40,3|11 57 41,0| 30 29,0 ! _ Mi] Mit Hamburg seyn. Sollte sich also die Beobachtung vielleicht auf Hamburg beziehen, weil Repsold, der doch in dieser Stadt wohnt, sie angestellt hat, und blos das Schreiben, worin Schumacher sie mittheilt, aus Altona datirt ist. verglichen scheint mir diese Länge etwas zu östlich zu Lauenburg. Stadt am rechten Ufer der Elbe. Die Sonnenfinsternifs vom 4. September 1793, welche in dieser Stadt beobachtet worden ist, giebt ein sehr verdächtiges Resultat für die Länge, nehmlich 3/32”, 0 (?), die Bedeckung Jupiters vom Monde am 7. April 1792 macht sie 33°7”,6 (°), und wird sich der Wahrheit weit mehr nähern. Herr v. Ende beobachtete am 23. und 24. Julius 1800 die Länge ver- mittelst seines Chronometers, und fand sie aus zweitägigen Sonnenhöhen 2’ 15”, 75 in Zeit östlich von Celle oder 23° ı3’ 11” östlich von Ferro. (*). 72 OÖOLTMANNS Die Breite wurde am 23. und 24, Julius 1800 aus zahlreichen Son- nenhöhen auf 53° 22’ ı” bestimmt. Also Länge 28° ı7' 32”, Breite 53° 22’ 1”. Professor Harding fand im Jahre 1793, 53° 21’ 5”. (') Lentzen. Städtchen *; Meile nördlich von der Elbe. Hier beobachtete der Postrath Pistor die Breite des Posthauses am 6. und 7. October 1800, 53° 550". (?) Synopsis der Geographie des nordöstlichen Theils. Methode Orts- Name. Länge. Breite. der Bemerkungen. on o + n |Beobachtung. A. Im Innern desReichs. Celle (Schlofsthurm) ........ 27. 43. 48. | 52. 35. 28. | x. Lüneburg (Schütting) ...... 28, 25: 30. | 58.45: Te [0) Die Länge auf 1%’ungewils. Uelzen (Hauptkirche) ....... 28. 12. 2. | 52. 57. 55. [O) desgl. auf ?/. Gifhommselecessensensentesseee 28. 17. 10. | 52. 29. 42 © Kneseheck in art. uatae den: 28. 28. 24. | 52. 40. 42 [©) itimpene ee 28. 30. 17. | 52. 43. 52 © Bodenteich.e.osnceescnesceseee 28. 27.. .5.'| 52.249. 53 [O) | Lüchow 28. 57 Miı|-5241 58T | Bergen a. d. Dumme........ 28. 46. 28. | 52. 53. 44. © Daunenbenzwreessscassassesses 28. 51. 46. | 53. 5. 58 © Hizalcker.seeresaecenseaaa aener 28. 48. 40. | 53. ) [O) B. Grenzpunkte und Enclaven. | Hamburg (Michaels-Thurm) 27.37. 36.:| 53..33} 0: |: «@) Altona esesesageres esssnenen 21::37. 48: | 53,32... 24. * Die Länge ist wohl etwas Lauenburg ua 28. 17. 32. | 53. 22. 1. zu östlich. Venzen (Dosthaus)esseesesuse | nssssseeserssrae: 53. 3.450. (0) J (‘) Bode astr. Jahrbuch 1797. 8.149. (”) v.Zach M.B. März 1802. S. 203 folg. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 73 Südöstlicher Theil des Königreichs Hannover. «) Im Innern des Reichs und der Braunschweigischen Länder. Diese südöstliche Gegend begreift einen Theil der Provinzen Calen- berg, fast sämmtliche Braunschweigische Länder, die Provinzen Hildesheim und Göttingen. Hildesheim. v.Ende beobachtete am 15. Julius 1801 die Breite von Hildesheim und fand sie 52° 9’ 31” (?). Braunschweig. v. Zach bestimmte am 7. September 1800 die Länge der St. Andreas- Kirche, vermittelst seines Chronometers auf 25° 9” 19” von Ferro, die Breite auf 52° 15’ 54” (2). Bei Gelegenheit der von v.Zach projectirten Längengradmessung wurden in dieser Stadt mehrere astronomische Beobachtungen angestellt, woraus die Länge mit erforderlicher Genauigkeit bestimmt werden kann. Sie sind folgende: Gaufs sah am 9. November 1802 die innere Berührung des Sonnen- und Monds-Randes um ov. 23’ 16”, 5 mittlere Zeit (°). Mittlere Zeit. Orts-Name. Tas Länge. Berührung. Zusammenktft. SERIEN 23050 45”,6|21u 9 o@,s| (0 07,0) | Braunschweig... 0 23 16,5\21 41 33,9| 32 33,1 Die Beobachtung wird für etwas unsicher ausgegeben. 1 (') v.Zach monatl. Corresp. August 1801. S.177. (2?) Ibid. Dzbr. 1800. S. 564. (°) Ibid. Dzbr. 1802 S. 570. Mathemat. Klasse 1825. K 74 ÖOLTMANNS e Widder vom Monde am 9. August 1805. Gaufs beobachtete den Austritt dieses Sterns um ı0u. 38’ 39”, 5 mitt- lere Zeit. v. Ende sah ihn s” später ('). Triesnecker zu Wien um 100. 51’ 59”, 3 mittlere Zeit (?). Mittlere Zeit. Orts-Name. Länge. Bemerkung. Austritt. | Zusammenkft. | I Wienisssesassennen 10u 51’59”,3 | 11u 13’ 34”, 4 (56’ 10”, 0) Braunschweig... | 10 38 39,5 | 10 50 13,0 | 32 48,6 (nach Gaufs.) Triesnecker findet aus ebenderselben Beobachtung die Länge N] 48,2. David 32’ 50”,o.. Wurm 32’ Ar”, 6 (3). Sonnenfinsternifs am 17. August 1803. pr . . [2 v. Ende beobachtete den Anfang der Finsternifs um ısu. 44’ 34”, 6 . . . . ’ "n mittlere Zeit (*). deLambre zu Paris rue de Paradis um ısv.3 8 ,2. Mittlere Zeit. Orts-Name. — Länge. Bemerkung. Anfang. |Zusammenkft. Bass 18u 3’ 8”,2| 20u34'18”,5 (0° 0”, 0) | Zusammenkunft auf die grofse +1,67 AB Sternwarte reducirt. Braunschweig] 18 44 31,6|21u 637”,1|32’18”,6 + 0,23 AB +1,90A2 —:32:41%,.0 Ä | Triesnecker findet 32’ 21”, s. Wurm 37’ 22”, 4. David 32’ 20”, 6 (°). Bei der vorerwähnten Gradmessung unternahmen es die Astronomen Gaufs und v.Ende die Lage von Braunschweig zu bestimmen. Sie fan- den die Meridiandifferenz der Stadt mit der Seeberger Sternwarte (°): Ibid. v. Zach monatl. Corresp. Jun. 1811. S. 534. Ortsbestimmung von Güntersberg. v.Zach monatl. Corresp. Oktbr. 1803. S. 352. ’) Ephem. astr. Findob. 1806. p.279. v.Zach. monatl. Corresp. Okthr. 1805. f. 352. v. Zach monatl. Corresp. Oktbr. 1804. S. 303. über die Bildung eines Erd-Katalogs. 75 am 9. August 1803 46”, ıs in Zeit r „ am 15. — — 45.,.32 ” am 17. — — . 48. ,.39 / am 18. — = 50° 44 Im Mittel..............47", 66 in Zeit, um soviel Braunschweig östlich vom Seeberge liegt. v.Ende’s Beobachtungsort war in der Steinstrafse. Gaufs’s 7” im Bogen westlich und 583 Toisen südlich vom Andreas- Thurm. Beide liegen 1”, 5 in Zeit auseinander und v.Ende’s ist der östlichste (!). v. Zach scheint alle Zeitmomente auf v. Ende’s Wohnung ge- bracht zu haben, denn er sagt: ‚‚nach dieser Beobachtung liegt v. Ende’s „, Wohnung in Braunschweig 32’ 47”, 34 von Paris und Köppe’s Garten ” Hierbei mufs aber ein Fehler 4 „(wo Gaufs beobachtete) 32’ 4s”, s4.’’ obwalten; denn v. Zach sagt kurz zuvor, dafs von Ende’s Wohnung öst- lich von Köppe’s Garten liegt. Soll dies vielleicht westlich heifsen? Gaufs fand überdem durch Azimuthbeobachtungen die mit den be- kannten Breitendifferenzen zwischen dem Brocken und Braunschweig ver- bunden wurden, den Längenunterschied zwischen beiden Punkten 22”, 9 in Zeit oder 32’ 45”, ı von Paris. | Wir haben demnach folgende Längenresultate. Beobachtung. v. Zach’s Chronometer 1800 Merkurdurchgang am 9. Novbr. 1802. 2Y am 9. August 1803 Sonnenfinsternils am 27. August 1803 Pulversignale ...eeeereeee. aletsaern Blaitiss.. Azimuthe Wählen wir aber hiervon die drei besten (wenigstens die wahr- scheinlich besten) aus, reduziren solche auf den Andreas-Thurm, so erhalten wir dessen Länge (‘) v. Zach monatl. Corresp. Oktbr. 1804. S. 304. 305. A [97 76 ÖOLTMANNS aus e Widder am 9. August 1803 32’ 49”, ı aus Pulversignalen 1803.......... 49", 3 aus Azımnthen 4803... 45",6 32’ 48”, o = 28° ı2’ 0” von Ferro. Die Breite von Braunschweig ist nach Gaufs auf 52° 15’ 35” für Köppe’s Garten und 52° 16’ 11” für den Andreas-Thurm bestimmt worden. v.Ende beobachtete die Breite seiner Wohnung 52° 15’ 52”,5. Lecogq hatte früherhin unter ungünstigen Umständen 52° 19’ 2” gefunden (vergl. Ephem. III. S. 202). Wolfenbüttel. Bei der gothaischen Gradmessung wurde die Länge des Pavillons des Drosten von Rodenberg nahe beim Schlosse 32’ 47”, 5 östlich von Paris, 28° 11’ 52”, 5 östlich von Ferro bestimmt. Zehn Circum -Meridianhöhen der Sonne gaben die Breite 52° 9’ 29” (t). v.Zach fand, vom Brocken aus, die Länge 28° 11’ 39”, die Breite 8" 44” (2). Ich gebe der erstern Beobachtung den Vorzug und setze: oO 52 die Länge von Wolfenbüttel 28° 11’ 52” Nördliche Breite ..uscsecenee. 52° 9729”. Helmstädt. Gaufs und v. Ende beobachteten hier am 19. und 21. August 1803 die von v. Zach auf dem Brocken gegebenen Pulversignale und fanden daraus die Länge dieser Stadt 34 44”, 03 = 28° 11’ 0”, 5 östlich von Ferro. v.Ende und Gaufs fanden die Breite am 29. August 52° 13’ 37”,7, am 21. Aug. 52° 13’ 57”, 5; erstere gilt für Pfaff’s Garten, letztere für den Gast- hof zum Erbprinzen, die beide in einem Meridian liegen sollen. Wie grofs der wahre Breitenunterschied beider Beobachtungsorte ist, darüber wird nichts bemerkt (°). (') v.Zach monatl. Corresp. Okthr. 1804. S.???. (*) Bode’s erster Supplement-Band u.s.w. S.250. folg. (*) v.Zach’s monatl. Corresp. Oktbr. 1804. über die Bildung eines Erd - Katalogs. 51 v.Zach hatte bereits im Jahre 1793, durch Winkelmessungen auf dem Brocken und durch Interpolation die Länge der Hauptkirche 28° 40’ 10”, die Breite 52° ı2’ 52” gefunden (!). Ich setze daher: Länge von Helmstädt (Gasthof zum Erbprinzen) 25° 11’ 0” Nördliche Breit asus dsunseaheinsen Blankenburg. v.Zach bestimmte aus drei etwas weit vom Mittage entfernten Son- nenhöhen die Breite 57° 47’ 55” und glaubt dafs sie nicht über 20” fehlerhaft sein könne. Neunzehn einzelne Sonnenhöhen gaben die Länge 34’ 28”, o, in Zeit östlich von Paris = 2s° 37’ 0” von Ferro. Beide beziehen sich auf den Gasthof zum Hirsch (?). Also: Länge von Blankenburg 25° 37’ 0” Nördliche Breite......... 51° A7’ 55”, Klausthal. Bergstadt, 1740 Fuls über der Ostsee. Nach den von v.Zach angestellten astronomischen Beobachtungen ist die Länge von Klausthal 37’ ı", ı östlich von Paris, die Breite dieses Orts 51° As’ 30” (3). Länge von Klausthal (auf der Bremerhöhe) 25° 0’ 17” Nördliche, Breite‘). Jesiennicksneienkun sen, 3 Osterode. Stadt, 627 Fufs über der Ostsee. Am 14. Junius 1793 beobachtete v. Zach die Länge von Osterode (im sogenannten hannöyrischen Gasthofe und Zollhause vor dem Thore) Bode’s erster Supplement-Band u.s.w. 8.250 folg. Ibid. S. 253. 0) ©) (°) Iöid. S.261 folg. 73 OLTMANNS 31’ 46”, 6 östlich von Paris, die Breite 51° 44° 15” nördlich, wobei die Wit- terung den Beobachtungen besonders günstig war ('). Länge von Osterode 27° 56’ 39” Nördliche Breite ..... 51° A4’ 15”. Goslar. Stadt vor dem Harze, am Fufse des Rummelbergs. Harding beobachtete die Breite des südwestlichen Endes der Stadt 54°. 54° 27" (2). Herzberg. Flecken am Fufse des Harzgebirges. Die Breite dieses Fleckens ist nach Harding’s Beobachtungen 51° 39’ 26” nördlich (°). Seesen. Flecken im Braunschweigischen am Fufse des Harzes. Nach Harding’s Beobachtungen ist die Breite dieses Fleckens S 51° 53’ 4” nördlich (*). Gortinagen, Universität. Der unsterbliche Tobias Mayer bestimmte im Jahre 1753 die ” Länge seiner Sternwarte auf 27° 27’ 0” östlich von Ferro, die Breite zu 52° 32" 18” 9 In seinen Sonnen- und Mondtafeln setzt er dagegen die Länge 27° 34’ 0” (°). Pingr& berechnete sie in den Denkschriften der Pariser Akademie der Wissenschaften auf 27° 32’ 45” (7). Lagrange findet sie aus der Son- nenfinsternils vom 24. Juny 1778. 27° 41’ 45” (°) und Lambert aus einer Mondfinsternifs des Jahres 1764 gar 27° 44 0 (2). ) Bode’s erster Supplement-Band S. 263. ) v.Zach monatl. Corresp. 1802. °) Ibidem. *) Ibidem. ) Commentarü Soc. Götting. Tom.lll, 1753. ) Tabulae motuum solis ete. ) Histoire de ! Academie 1761. ) Bode’s Jahrbuch 1782. S. 69. ), Ze cu. 1779. S.164. über die Bildung eines Erd-K. alalogs. 79 v. Zach bestimmte im Jahre 1788 vermittelst eines Chronometers die Länge der Göttinger Sternwarte auf 27° 37’ 30”; hält aber selbst das Re- sultat für etwas zu östlich (!). Zwei Jahre nachher, 1790 wurde dieselbe Länge durch Seyffer 27° 31'0” gefunden; sie ist aber höchst unzuverlässig. weil der Chronometer, welcher die Zeit vom Seeberg nach Göttingen brachte, einen unregelmäfsigen Gang hatte und eben deswegen zur Ausbes- serung nach England geschiekt wurde (2). Eine Mondfinsternifs, die am 22. Oktober 1790 sich ereignete, gab die Länge nach v. Zach’s Berechnung, 27° 33’ 9" (2). Lalande berechnete in der Connaissance des temps pour U’an V1. (1798) eine Bedeckung Jupiters vom Monde und fand daraus die Länge von Göttingen 27° 34° 0” bis 27° 35’ 15” und wiederum 27° 26’ 15” aus einer daselbst beobachteten Sonnenfinsternifs (*). Diese schwankenden Resultate waren keinesweges den Beobachtern selbst zur Last zu legen, sondern vielmehr dem damaligen dürftigen Zustand der Sternwarte selbst, welche mit keinem Passageinstrument verschen war; weshalb denn auch das wesentlichste Requisıt der Ortsbestimmung, die Zeit, nur mit grofsen Schwierigkeiten erhalten werden konnte. Triesnecker und Wurm, zwei um die Geographie hochverdiente Männer, berechneten gegen das Ende vorigen Jahrhunderts einige neuere Sternbedeckungen, um die Länge der Sternwarte zu begründen. Ersterer findet sie 27° 35’ 0”, letzterer 27° 35’ 40” (°) und diese Resultate scheint man für die endliche Bestimmung angenommen zu haben; wenigstens pflegte man darauf die geographische Lage anderer Orte zu gründen, wenn solche mit Göttingen in Verbindung gebracht werden konnten. Aber in den letzteren Jahren ist nicht nur die alte Sternwarte mit den vortrefllichsten Werkzeugen ausgestattet; sondern auch der Bau zu einem neuen, dem heutigen Bedürfnisse der Wissenschaften angemesseneren Tem- pel Urania’s angefangen und fast schon vollendet worden. Die Professoren Gaufs und Harding und zahlreiche, der grofsen Lehrer würdige Schüler, Bode’s Jahrbuch 1782, S.179. Decıt. 1.193. 8-177; L.cit. 1794. 8:174. Connaissance des temps pour l’an VI. p.260. v.Zach monatl. Corresp. Septbr. 1800. 8.267. s0 ÖOLTMANNS haben bereits eine Masse von Beobachtungen angestellt aus welchen die Länge der Göttinger Sternwarte mit einer Genauigkeit hergeleitet werden kann, die nichts zu wünschen übrig lassen dürfte. Hier die Beobachtungen selbst, nebst den daraus berechneten Län- gen-Resultaten:: Sonnenfinsternifs am 5.September 1795 ('). Mitlere Zeit. Orts-Name. Anfang. Ende. Seeberg.seeeececenu Nicht gesehen | 1u 44 43”, 4 Göttingen.........- desgl. W 39 27,4 Mittlere Zeit der Zusammenktft. Länge. 0:0.38”357;9 (33’ 35%, 0) 0 35 27,9 30 27,0 y Stier vom Monde am 11. Januar 1794 (?). Orts-Name. Eintritt. Austritt. 53 57,7| desgl. | | Mitilere Zeit. 12u 30’39”,3 | Nicht gesehen |12u 9 40”, 0 Mittlere Zeit der Zusammenktft. (48’ 20”, 0) 14 51 39,7| 30.49,7 y Jungfrau am 21. Januar 1794 . (°). | Mittlere Zeit. Orts-Name. Eintritt. Austritt. Nicht gesehen |15u 18’ 8”, 8 desgl. 44 2541,2 Mittlere Zeit der Zusammenktft. Länge. 15u 37’ 31”,8 |(1u 649”, 0) 5 1 5,7 30 22,9 Der Eintritt als zweifelhafte Beobachtung wurde nicht berücksichtigt. (9) () Ö) 7 Ibid. 1797. S.223 und für 1795. S. 117. bid. 1797. S. 224. Bode’s Jahrbuch 1797. S.230. zweiter Supplement-Band S. 83. Ti über die Bildung eines Erd- Katalogs. si #Ceti am 5. März 1794 (*). | Mittlere Zeit. Mittlere. Zeit Orts-Name. N der Länge. | Eintritt. Austritt. Zusammenkft. | genen en or ern | HVVhen.scesseruesau.: Su 21’ 36”, 6 | Nicht gesehen |7u 25’ 56”, 1| (56’ 10”, 0) -0,53 AB | | Palermo....... a 87 29 38,52 desgl. Tu 18 410”,2| (44 6,0) | — 2,385 AB | Göttingen .......... 7 48 8,8! desgl. Tu s0. :9°,2| 30.25 54 —0,21A2 AB=-+7",s, aus Vergleichung der Wiener und Palermoer Beob- „ achtungen deren Meridiandifferenz — 12’ 4”, 9 angenommen worden ist. r Suer am 27.Oktober 1798 (°). I ——————— Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts- Name. der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenktft. ! ’ IiSesberoe men Nicht gesehen | 9u 7’38”,5 | Yu 33’ 35”, 3 (337352, 0) | Göttingen anna. desgl. 9 458,2 | 9 30 27,3| 30 27,0 ö Skorpion am 25.Februar 1799 (°). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Anfang. Ende. Zusammenkft. Länge. Bemerkung. 16u 52’25”,8|18u 2’ 48”,8 IruAsaw,r| ( 0 0”,0) 31 A,1ılıs 44 35,0|ı8s 1616,0| 30 31,3 | Eintritt zweifelhaft um 1’ (') Bode’s Jahrbuch 1797. S. 22 (?) v.Zach Corresp. II. Bd. S.575. (?) Ibid. IV.Bd. S.498. Mathemat. Klasse 1325. L 82 ÖOLTMANNS Merkur vor der Sonne am 7. May 1799 ('). —— Bu nu = Mittlere Zeit. | Mittlere Zeit Orts-Name. Innere Aeulsere der 1 Länge. Sa E Zusammenktft. Berührung. Berührung. | | Secberet...caeenaren 21u 53’ 16”,8| Nicht gesehen |4u 48’ 58”,9| (33’ 35”, 0) Göttingen...neennee 21 50 9,4) desgl. 17 45 5850|, 30.,27,4 I Sonnenfinsternifs am 16. Junius 1806 (°). Mittlere Zeit der Länge. ı Ende. Zusammenkft. | Mittlere Zeit. Orts-Name. Anfang. 5u 3’ 26”,0| 6u 1X 6”,0 | Au Ar’ 27”,2 | (17 8”,1) 1 6.2341 95370. 175 0 36,0 302 02,9 1 Jungfrau am 4. Junins 1808 (’): —— - _ —— : : 1} Mittlere Zeit. Mittlere Zeit | Orts-Name. = der Länge. Eintritt. | Austritt. Trsammenkft | Wien een. Yu At’ 14,0 | Nicht gesehen | 10u 16'25”,0| (56° 10”, 0) | Göttingen te 9 3 39,0 desgl. 9 50 38,3 30/2353 | Bon % EUR: s 4 # Schütze am 6. Julius 1808 (*). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Eintritt. | Austritt. Zusammenkft. a VE | a ee re | | DEEHERD ER 10u 43’21”,3 | Nicht gesehen | 11u 15’ 52”,8| (33’ 35”,0) Göttingen zeeeneneee 10,739 65 2 desgl. 11° 12 450 30: 23.42 ) ) 3) Bode’s astronom. Jahrbuch 1811. S.139. ) Ibidem. r - —- Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Bemerkung. | Eintritt. Austritt. |Zusammenktft. | Seeberg nass AAa.Ay: SRG nen eacaueee nase Zu 18 54”, (83:35'% 0) | aus dem Eintritte. Göttingen ...|11 42 43,8 112u52°58”,2|12 1143 “ 30 23,9 En | l ei _ı D über die Bildung eines Erd - Katalog. öFische am 10. Angust 1808 ('). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit | Tas der Länge. | Eintritt. Austritt. Zusammenkft. } 1 Padua 2.200000: 12u 2’ 299,5 Orts-Name. | Bez 13u 18’29”, 0|12u 58’ 14”,0| (38’ 10”, 0) Gütlırgeußiess des oligessene.sedtsaeeen | 1344 1805651171224 150: 29 5:5 30 25,5 «Stier am 18.September 1810 (°). | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit | | Orts- Name. der Länge. | + . . Eintritt. | Austritt. Zusammenkft. | 11u 34 15”,9|12u 0'435”, (334 3510) 32 18,7 aStier am 1.März 1511 ('). | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit der Länge. Eintritt. | Austritt. Zusammenktft. Orts- Name. VW ee Nicht gesehen | 10u 21’52”,8|8u 37’ 17”,0| (56’ 10”, 0) Göttingen .......... desgl. | 9 4716,4|8 11 34,4| 30 27,4 oLöwe am 7. März 1811 (*). 1 4 ©) () ©) C) Bode’s astronom. Jahrbuch 1812. S. 143. v.Zach monatl. Corresp. Oktbr. 1810. S. 406. Ibid. März 1811. S. 301. Ibidem. L 2 83 ( % ( ( 1 3 4 ) ) ) ) OLTMANNS ? Wassermann am 2.September 1811 ('). pn, — = — = — . | | Mittlere Zeit. | Mittlere Zeit | Orts-Name. der Länge. Eintritt. Austritt. | Zusammenkft. | J Manbheim............ 10u 8 22”,7|10u 40° 1”,0|10u 16'37”,2| (24 30”. 0) Göttiugen cereeene.. 10046 917,3 | 10 51 40,4|10. 22 29,0| 30 21,8 | [u yStier am 19. Februar 1812 (?). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Eintritt. Austritt. Zusammenkft. — 6u A0' As”, 3| Tu 59' 29”, 8|6u 50’ 50”, 1| (33° 35”, 0) 30227 ,9 4! Stier am 19. Februar 1812 (°). m en — Mittlere Zeit. | Mittlere Zeit | ÖOrts-Namo' | der Länge. Eintritt. Austritt. ee saleine 10 58 57,4 desgl. (197 14: 75.0 30 26,9 | N a IR A | Seeberg ....s0..40.: 11u 2’ 59°, 0 Be gesehen | 10u 17’15”,1| (33 35”, 0) | | 4° Stier am 19. Februar 1812 (*). | Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. "ZgzT der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenkft. BRONREBE TEN Seeberg....ruc.ecer0 11u 2’29”,9 | Nicht gesehen | 10u 18° 6”,0| (33 35”, 0) Göttingen. .eeeneeeee 10 58 12,0 desgl. 410.144 57, 51% »30) 265,5 L - nun v. Zach monatl. Corresp. Oktbr. 1811. 5.395. Ibid. Febr. 1812. S.206. Ibid. S. 206. Ibidem. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 85 85 Stier am 19. Februar 1812 ('). nn Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. |— der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenkft. Seebeip.eeuuncraosess 12u 30’ 32”, 2| Nicht gesehen | 11u 39’ 38”, 4| (33’ 35”, 0) Göttingen..........- 12 26 27,5 desgl. 11 36 28,3] 30 24,9 4 111 Suer am 20. Februar 1812 (?). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit N a der Länge. Eintritt. Austritt. Zusammenkft. Seeberg...useuseeee 11u 12’ 23”,6 | Nicht gesehen | 10u 38’ 20”,3) (33° 35”, 0) Göttingen.......... 11 746,8 desgl. 107.35.1050 30 24,7 Sonnenfinsternifs am 31. Januar 1815 (°). Mittlere Zeit. Mittlere Zeit Orts-Name. der Länge. Anfane | Ende Zusammenkft. g- i SERDEIE. 2. atenseenei Nicht gesehen |22u 22° 56”,5 |21u 33’ 26”,1) (33’ 35”, 0) Göttingen... desgl. 22 419 1,2121 3045,0} 30 23°,9 | u jjjj————————————————————————————————————————————————————— (’) v.Zach monatl. Corresp. Febr. 1812. S.206, (?) Zbid. S. 207. (°) Ibid. April 1813. S. 397. OÖOLTMANNS 05) [e}) Stellen wir endlich die bisher berechneten Resultate unter einen Gesichtspunkt zusammen: so erhalten wir die Länge der alten königlichen Sternwarte zu Göttingen aus Beobachtung. Länge. Bemerkungen. Sonnenfinsternifs am 5. September 1793. | 30’ 27”, 0 Y% Jam. 44. Januar 1794 zunsneseseees a 19,7 YNP am 21.Janvar 1794 erecnnesunneneene 22,9 % Ceti am 5. März 1794 ersonossanesecnne 25,4 7.5: am 27. Oktober1798ssocscenseaneunes 27,0 NP am 25. Februar 1799rneeeeseseeeee 31,3 8.) am-7:Mai 1799 srassnereenenisnene 27514 Sonnenfinsternifs am 16.Junius 1806.. 17.9 INP am A.Junius 1808.ceeeneceeneneneen 2353 ku "am 6. Iulıus 1808.0.u000 s0es0uzuenn- 23,2 OU am 10. August 1808. .unrecnnenneenone 25,5 %% am 18.September 1810 25,5 &% am 414 März 11T saprssesnisunene DT SA 06) am 7.Mäız ISA ..eunausstesesssaeesee 23,9 ASS am 2.September 1811... 21,8 Yö am 19. Februar 1812 ....cereeceecner» 27,9 2 Se ldEsale a ren 26,9 lad: AR 10:21. BRRSAUNREE REF SERRRRE IE ORSERERERF 26,5 85% desgl 24,9 411% am 20. Februar 1812 ............- BUBEN, Sonnenfinsternils am 31.Januar 1813. 23,9 Im Mittel aus allen ....eseseeresseseeeene en 30’ 24”, 94 | oder in runder Zahl. 30 25”;'0 oder 27° 36’ 15”, 0 östlich von Ferro. “ _ 1 Die Breite von Göttingen ist bereits im Jahre 1753 durch den be- 4 rühmten Tobias Mayer auf 51° 32’ ıs” nördlich besummt worden. Seit der Zeit haben Seyffer, Harding und Bohnenberger sie zu 51° 3273” beobachtet. Als endliche Bestimmung ist aber wohl die von Gaufs ge- machte anzusehen, welcher sie, mittelst eines Reichenbachschen Repe- titionskreises 51° 31’ 56” gefunden hat. über die Bildung eines Erd- Katalogs. 87 £) Grenzpunkte und Enclaven. Magdeburg. Preufsische Grenzfestung am linken Elbufer ('). Der preufsische Lieutenant Vent beobachtete im Jahre 1790 (im Prinz von Preussen) den 11. und 12. Junius die Breite von Magdeburg, vermittelst eines Sextanten 52° 6’ 13”. Inspector Köhler fand sie, im Gast- „ hofe neben der Post 52° s’ 27”, die Länge s’ 9”, 37 in Zeit westlich von Dresden oder 37’ 26”, 4 östlich von Paris = 29° 21’ 36” von Ferro. Der Post- rath Pistor bestimmte sie im Jahre 1801 auf 52° s’o” (?) und Lieutenant Kühnemann endlich aus viertägigen Beobachtungen, die Breite des Dom- thurms 52° 3’ 4” (3). Für die Länge von Magdeburg hat man folgende Resultate: Kühnemann beobachtete am 9. August 1803 den Austritt e Widder aus dem dunkelen Mondrande um ıov. 42’ 22”, o mittlere Zeit; Triesnecker sah ihn zu Wien um ıov. 51’ 59”, 3 mittlere Zeit (*). Mittlere Zeit. (ee — Länge. Austritt. Zusammenkft. Wien.nssesensssieses 12u 51’ 59",3 |11u 13’ 34”,4| (56’ 10”, 0) Magdeburg. ........ 10 42 22,0/10u 54 40,8 37 16,4 Triesnecker fand aus eben dieser Beobachtung 37’ 16”, 9, David 37’ 18”,5, Wurm 37’ 14”, 9. Bei Gelegenheit der gothaischen Gradmessung wurden auch die auf dem Brocken gegebenen Pulversignale beobachtet. Es zeigten: ) Bode astronom. Jahrbuch 1794. S$. 183. ?) v.Zach monatl. Corresp. Mai 1802. S. 208. ) Jbid. Oktbr. 1804. S. 298. ) Ephem. Vindob. anni 1806. p.278. v.Zach monatl. Corresp. Novbr. 1803. S. 468. 88 OL TMANNSs 6 Signale am 9. August 1803... 3739”, 23 Mittagsunterschied 0. Sl — nennen 39”, 40 # zwischen Magdeburg u. 1- -15. — — asuseseene 1138", 59 dem Seeberge. Im MNittelectseuscasascosascanscessenansensnnss ‚DB 39,07 östlich, Magdeburg von Paris... on SLamAN oT Bedeckung eWidder am 9. August 1803 37’ 16”, 40 Im Mittel aus beiden.esessuscrunscnussenene 37. 157, 2 — 29° 18 48”, Ich setze daher: Länge des nördlichen Domthurms von Magdeburg — 29° 13’ 48” Nördliche ‚Breite s..0dssäsccsase aussen een 520 8 a", Halberstadt. v. Zach fand im Jahre 1793 die Breite der Dom-Dechantey 51° 53’ 55”, ihre Länge 25° 43’ ıs” östlich von Ferro ('). Herr v. Wahl beobachtete das Ende der grofsen Sonnenfinstemifs am 11. Februar 1804 sehr genau um 2v. s’ 30”, 4 mittlere Zeit, v. Zach auf „4 dem Seeberge um 2v. 7’ ı2”, 2 mittlere Zeit (?). Mittlere Zeit. Orts-Name. ; == Länge. Ende. Zusammenktft. Seeberg 2u 712,2 | 00 639,8 | (33° 35”, 0) Halberstadt... | 2 8 30,4 0 753,8 34 51,0 Auf dem Seeberge beobachtete noch mit v. Zach zugleich: Professor Bürg das Ende um 2v. 7’ s”, 7 giebt die Länge 34’ 54”, 5 _ Pfaff — — — u.rTw,2 — — — 53”, 5 Herr Werner — — — zurTn’,2 — — — 51”, 0 Im Mittel 34’ 53”, o (') Bode’s astronom. Jahrbuch erster Supplement-Band. 8.261. (*) Bode’s astronom. Jahrbuch 1808. S.153. v.Zach’s monatl. Corresp. März 1804. S. 256. über die Bildung eines Erd. Katalogs. 89 v. Wahl’s Beobachtungsort war nahe bei dem Morizthurm, dessen Länge, nach seiner eigenen Berechnung, 34’ 50”, 64 sein würde, Triesnecker hat diese Finsternifs auch berechnet und findet daraus die Länge nur 34’ 39”, 6, obschon wir bei andern Beobachtungen eben dieses Phänomens sehr genau miteinander übereinstimmen. Da man inzwischen einem strengen Calcul einen andern dritten entgegenstellen kann; so setez ich die Resultate meiner Rechnung her: Geocentrische Data. Scheinbare Data. Elemente der Rechnung. — — — — — — — — ——— Seeberg. Halberstadt. Seeberg. Halberstadt. Mittlere Zeiten 2, A228 20: 8230% A Mondsbreite ...uaeeeneeer- 47 59,38) 47 59,38 Horizontale Orts-Parallaxe des Mondes 58 42,87 58 42,70 Horizontaler Mondhalbmesser .... 167.:37,18 16 3,18 Sonnenhalbmesser ....erz0s2222ee0nenenen er 16 12,61 16 12,61 Sonnenparallaxe...... Sesenedaaeeatse 8,80 8,80 Unterschied d. Breiten v. Sonne u. Mond |..........ssz..z..lessssssnennnenonnee +4 24,27 | + 3’ 57", 59 | Unterschied der Vänsenparallaxen.zuse |ennanersecsssehesselssarssenazsssssense] 38. 1,45) 33% 5,42 Mondhalbmesser...2..00sc.sssassesseeesensan [sassanssnsuseneses ]anrsnnse seen 416, 9,47 16 5,91 Das Resultat dieser Sonnenfinsternifs müfste nun freilich auf die Dom- Dechantei zurückgebracht werden. In Ermangelung eines Grundrisses von Halberstadt nehme ich geradezu das arithmetische Mittel aus v.Zach’s und v.Wahl’s Bestimmungen 34’ 52”, ı, um so mehr, weil der Morizthurm nahe im Meridian des Märtensthurms und dieser wiederum nahe bei der Dom- Dechantei sein soll (!). v.Zach’s Breitenbestimmung ist um s” von Pistor’s Beobachtung vom Jahre 1798 verschieden ; aber auf welchen Punkt der Stadt sich dieser (51° 54’ 3”) beziehen mag, wird nicht näher angegeben (?). Deswegen setze ich: Die Länge der Dom-Dechantei zu Halberstadt 2s° 43’ 2” Nordliche Breite. ..0esreemnnesse sen reset BR E37 3A. Bode’s astronom. Jahrbuch 1809. S.216. 220. 0) (°) Bode’s Jahrbuch erster Supplement-Band S. 261. v. Zach’s geograph. Ephem. II. Bd. S.189. Mathemat. Klasse. 18325. M 90 OÖOLTMANNS Qu edilin biur'gl Stadt, eine Meile von der braunschweigischen Grenze. Die Lage dieser Stadt ist bereits im Jahre 1793 durch v. Zach be- O1 ay! stimmt worden, der solche in 25° 47’ 24" östliche Länge und 51° 47’ 53” nörd- liche Breite fand (!). Hierbei wurde aber die Lage des Brockens 28° 16’ 20” und 51° 48’ 29” nördliche Breite angenommen; da solche aber späterhin, bei der gothaischen Gradmessung und durch bessere astronomische Hülfsmittel auf resptv. 25° 17’ 1” und 51° a8’ 12” festgesetzt worden ist; so kann man auch Quedlinburg in 25° 4s’ 5” Länge und 51° 47’ 41” Breite annehmen. Dreizehn Jahre später (1806) beobachtete v. Wahl die Polhöhe des Marktthurms 51° 47’ 46” (2). Prediger Fritsch setzt diesem Resultate die Worte hinzu: ‚‚welches wohl nur wenig zu viel sein mag’, ohne sich je- doch über die Richtigkeit der Breitenbestimmung näher zu erklären. Er selbst beobachtete sie in den Jahren 1808 und 1809 51° 47’ 38”. Fritsch besonders hat sich Mühe für die Ortsbestimmung seiner Stadt gegeben und zu dem Ende einige astronomische Beobachtungen ange- stellt, woraus sich Länge und Breite werden ableiten lassen. So beobachtete e } 3 z n ‘rn SR, er am 17. August 1803 den Anfang der Sonnenfinsternifs um ısv. 46 29°, 9, das Ende um zov. ıs’ 26”, 7 mittlere Zeit (3). Mittlere Zeit. Orts-Name. Länge. Ende. Zusammenkft. \ Daristeseeresensaeeee 19u 50’10”,0 |20u 34 8”, 4 20 18 26,7 9% 24°, 4135’, 16”, 0 LT ! AR = + 2",0 angenommen, ist die Länge 35’ 14”, s, wobei der wahrscheinlich zu spät beobachtete Anfang vernachlässigt worden ist. (') Bode’s Jahrbuch 1799. p.142. (*) Zbid. 1810. p. 217. (?) Idid. 1809. p.234. über die Bildung eines Erd - Katalogs. 91 Ü)» Triesnecker und Wurm fanden zwar 35’ 46”, s und 35’ 39”, 1} 4 legten aber unrichtige Zeitmomente bei der Rechnung zum Grunde a. Sonnenfinsternifs am 11. Februar 1804. v.Zach beobachtete das Ende auf dem Seeberge um au. 7’ 12”, 2; Fritsch, zu Quedlinburg, um 2v. 9° 2”, o mittlere Zeit (3). Mittlere Zeit. Orts-Name. | Ende. Zusammenktft. l | SL ER 207 .127,.2.1.00.,0' .39%.8 Wurm findet ebenfalls 35’ 14”, ı (*). Merkur vor der Sonne am 9. November 1802. Fritsch beobachtete die innere Berührung der Sonne - und Merkur- Ränder um ov. 26 s”, o, die äufsere um ov. 27’ At”, ı mittlere Zeit (>) Mittlere Zeit. Orts-Name. Länge. Innere Beriheung Zusammenkft. erl rung. Paris... [270 50'45”,6|210U° 9 0”,8| (0 0”,0) Quedlinburg... 0 26 8,0|21 44 26,4| 35 25,6 I Wurm findet 35’ 25”,7 Triesnecker 35’ 23”, 4 (®). 1 (') Ephem. Findob. 1506. p.279. v.Zach’s monatl. Corresp. Okthbr. 1805. S.353. (?) v.Zach’s monatl. Corresp. Oktbr. 1805. 8.355. (°) Ibidem. (*) Bode’s Jahrbuch 1810. (°) Ephem. Vindob. 1806. p.281. v.Zach’s monatl. Corresp. Oktbr. 1806. S.278. 2 Ma 92 ÖOLTMANNS Wir erhalten also für die Länge der Stadt: aus dem Merkur vor der Sonne am 9. November 1802 35’ 25”, 6 Sonnenfinsternifs am 17. August 1803...cacenseneenennnn 14,8 Sonnenfinsternifs am 11. Februar 1804 ..reeeeneeneenee en ah, Im Mittel 35’ ıs”, 2, ich gebe aber dem Resultate der Sonnenfinsternifse den Vorzug und setze demzufolge: Länge von Quedlinburg.. 23° 4s’ 37” (Fritsch’s Wohnung) Breite (des Marktthurms) 51° 47’ 42”. Aschersleben. Stadt, etwa fünf Meilen von der braunschweigischen Grenze. Die Breite von Aschersleben ist nach Lieutenant Vent’s Beobach- tungen 51° 446” (1). Der Brocken. Die Lage des Brockengipfels ist für die Geographie des Königreichs besonders wichtig, weil er vermöge seiner dominirenden Höhe von sehr vielen Punkten aus sowohl gesehen werden, als man auch vom Gipfel herab unzählige Städte und Ortschaften releviren kann. v.Schmettau bestimmte, bei seiner im Jahre 1750 vorgenommenen Längengradmessung die Lage des Berges, nach der Gebrüder Rhode Be- rechnungen, auf 25° 15’ 44” Länge und 51° 51" 22” nördliche Breite (2). Der Consistorialrath Silberschlag fand die Breite gar 52° ı’ ı7" und zwar mit seinem Uranometer, womit er einzelne Secunden zu beob- achten sich vermafs (°). v.Zach hat aber zuerst die Lage des Brockens astronomisch be- stimmt; denn auf einer im Jahre 1793 zu diesem Endzweck unternomme- (‘) Bode’s Jahrbuch 1794. S. 183. (*) Sammluug astronom. Tafeln I. Bd. S.61. (°) Geogonie S.123. über die Biüdung eines Erd-Katalogs. 93 . . . . Eu ! nen Reise beobachtete er die Breite 51° As’ 29”, die Länge 28° 16’ 20” von Ferro, oder 33’ 5”, 36 in Zeit östlich von Paris ('). Aber mit grofser Genauigkeit wurden Länge und Breite des Brocken- gipfels bei der gothaischen Gradmessung im Jahre 1803 bestimmt. v.Zach und Bürg fanden nehmlich aus fünfhundert und achtuundzwanzig Sonnen- und Sternbeobachtungen die Breite des Brockenhauses 51° 4s’ 11", 6. Sechsundneunzig auf dem Brocken und dem Seeberge beobachtete, 8 correspondirende Pulversignale gaben den Mittagsunterschied zwischen bei- den Punkten 27”, 26, die Länge 33’ 7”, 74 östlich von Paris oder 28° 16° 56", ı von Ferro (?). Also: Länge des Brockenhauses — 23° 16’ 56” Nördliche Breite.......... — 51° As’ 12”. Heinrichshöhe. v. Zach beobachtete auf der Heinrichshöhe vier Sonnenhöhen nahe am Meridian, aber zwischen Schneegestöber, woraus die Breite 51° 47’ 50” nördlich hergeleitet wurde. Die Länge würde auf 2s° 27’ 36” anzusetzen sen. (le), Wernigerode. Stadt am Abhange eines hohen Berges. ’ „ i v.Zach fand im Jahre 1793 die Länge von Wernigerode 33° 4s", 85 östlich von Paris, die Breite 51° 30° 34” (*). Man könnte diese Länge vielleicht um einige Bogensekunden weiter nach Osten rücken. Denn erstens findet v.Schmettau den Längenunter- schied zwischen Wernigerode und dem Brocken 11’ 37” im Bogen; v. Zach vermittelst des Chronometers vor und nach seiner Brockenbesteigung 10 53°. Das Mittel aus beiden wäre 11’ 15” und da nun das Brockenhaus = all .. . . unter 23° 16° 56° der Länge liegt; so könnte man 7 (‘) Erster Supplement-Band zu Bode’s Jahrbüchern. S.257 folg. (?) v. Zach monatl. Corresp. Septbr. 1804. S.209. (°) Erster Supplement-Band zu Bode’s Jahrbüchern S.256. (*) Jöid. S.255. 2 4 94 OLTMANNS die Länge des Schlosses zu Wernigerode auf 23° 23’ 11” die nördliche Breite auf..ecseseeeeenneeneene u. 519 50° 34 ‚setzen. Fritsch beobachtete im Jahre 1810 die Breite der Öberkirche und fand sie 519 49’ 44” (t). tigenbur® Marktflecken, 750 Fufs über der Östsee. Auf dem Marienhofe, einem Landhause in Ilsenburg beobachtete v. Zach achtzehn einzelne und zwei Mittagshöhen der Sonne (?). Sie gaben ihm die .. G N Länge von Ilsenburg = 28° 19 37" Nördliche Breite... = 51° 51’ 46” Fritsch fand im Jahre 1801 die Breite (im Gasthofe zur rothen Fo- relle) 51° 51’ 52” (3). Sioellbers Stadt, nahe an der südöstlichen Grenze. v. Zach (*) fand im Jahre 1793 die Länge des Schlosses 25° 36’ 35” Nördliche Breite..... BR N En Nordhausen. Stadt, am südlichen Abhange des Harzgebirges. v. Zach beobachtete im Jahr 1793, beim Reichspostmeister Filter P im Königshofe (°) L die Länge von Nordhausen 25° 28’ 44 Nördliche Breite........... . 519 30’ 22” Bode’s Jahrbuch 1814. S. 234. Erster Supplement Band zu Bode’s Jahrbüchern S. 261.262. Bode’s Jahrbuch 1812. S.145. Erster Supplement-Band zu Bode's Jahrbüchern S.253. Ibid. S.253. über die Bildung eines Erd-Katalogs. 95 Harding beobachtete im Jahre 1802 in Nordhausen am Kornmarkte o die Breite 51° 30° 5” ('). Heiligenstadt. Stadt an der Leine, eine Meile von der südlichen Grenze. Nach von Ende’s Beobachtungen vom 18. Julius 1801 (?). Breite von Heiligenstadt 51° 237 10". Mühlhausen. Stadt an der Unstrut, etwa vier eine halbe Meile von der südlichen Grenze. Im Jahre 1794 beobachtete v.Zach (auf dem Blochberge vor dem Liebenfrauenthore) (°) die Länge von Mühlhausen 25° s’ 37” 8 Nördliche Breite........ 51° 12’ 59”, Allendorf. Städtchen an der Werra, etwa zwei Meilen von der südlichen Grenze. Am 10. Oktober 1798 beobachtete Professor Seyffer die Mittags- höhe der Sonne 32° 10’ 52”, 5, woraus die Ortsbreite 51° 16° 41” abgeleitet wurde. Die Länge ist von ihm ı3”, 623 in Zeit östlich von der Göttinger Sternwarte gefunden worden (*). Deswegen: Länge von Allendorf an der Werra 27° 40’ 54” Nördliche Breite sec. (') v. Zach’s monatl. Corresp. Oktbr. 1802. S.369. (*) Ibid. August 1801. S.177. (°) Bode’s astronom. Jahrbuch 1799. ( ) *) v. Zach’s geograph. Epbem. II. Bd. S. 486. 96 Ourtmanns über die Bildung eines Erd- Katalogs. Synopsis des südöstlichen Theils des Königreichs. j . Methode Länge. Breite. der Örts- Name. Bemerkung. o r n| o + n |Beobachtung. A. Im Innern des Reichs und der braunschweigischen Länder. | Hildesheim. .„„aersesssnsenaeeoenensne Inenanadasnsesenes 52. 9.31. [0) Braunschweig (Andreasthurm)| 28. 12. 0. | 52. 16.11. | «© F Wolfenbüttel (am Schlosse)..... 28. 11.52. | 52. 9.29. 6) Helmstedt (Gasth. z. Erbprinz.)| 28. 41. 0. | 52. 13.58. [0) Blankenburg (Gasth. z. Hirsch) | 28. 37. 0. | 51. 47.55. [0) Klausthal (Bremerhöhe).......... 28. 0.17. | 51. 48. 30. [0) Osterode (Zollhaus v.d. Thore). | 28. 56. 39. | 51. 44. 15. [0) Goslar (südwestl. Ende d. Stadt) |................- 51. 54.27. [0) Herzberg. ..uauessenosossenenonnunnen Joassnsonennunenen 51. 39. 26. [0) INEESCHE Een. as saR eh ann n ee äneneneh Ineen ers ans aeeee 51.53. 4. [0) Göttingen (Sternwarte). 27. 36:15. | 51. 31.:50. B. Grenzpunkte und Enclaven. | Magdeburg (Domthurm)........- 29.18.48. | 52. 8. 4.| © Halberstadt (Domdechantey).... | 28. 43. 2. | 51. 53. 55. 6) Quedlinbureeeesseseeasssensesscaes 28.48.37. | si. 47.42. [0) [Aschersleben Aue esnesssensanseenl|erseeenksas sense 51.44. 6. [0) | Brocken (Brockenhaus) .......... 28. 16.56. | 51. 48. 12. O*+ | Hemrichshöhe..e..eseen sensesnnn 28. 17.36. | 51. 47. 50. [O) | Wernigerode (Schloßs)..........: 28. 28.11. | 51. 50.34. [0) Länge nicht ganz sicher. Ilsenburg (Marienhof)..........- 28. 19.37. | 51. 51.46. [0) Stollberg (Schlofs)................. 28. 36.38. | 51. 35. 0. [O) Nordhansen (Königshof)......... 28. 28.44. | 51. 30. 22. [O) Heiligenstadt...esssseneesnnassosnnns faöanenonenosannne 51. 23. 10. [O) Mühlhausen (Blochberg)......... 28. . 8.37. | 51. 12. 59. [O) Allendorf (an der Werra)....... 27. 40.54. | 51. 16. 41. [O) BB 77 477 0025 Von Konoiden- Schnitten. Von m "POSELGER. nmavwvYvnnanvu [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. November 1825.] 1, enn die Geometrie der Griechen in ihrem uns überlieferten Reichthum an Erfindungen, durch die neuere Anwendung der Rechnung auf sie, und dadurch bewirkte höchste Verallgemeinerung ihrer Begriffe, eine wesentlich andere geworden ist in Geist und Methode, so scheint sie eben dadurch um so mehr zu einer Vergleichung jener alten mit dieser neuen Wissenschaft aufzufodern, um, aus der Verschiedenheit das Eigenthümliche und dessen auf die eine oder die andere Seite sich neigende Vorzüge zur An- schauung zu bringen. Die gegenwärtige Abhandlung beabsichtigt, hierzu einen geringen Bei- trag zu liefern. Die Konoiden-Schnitte, deren früheste Untersuchung zu des grofsen Archimedes Werken gehört, sollen den erwähnten Vergleichs- punkt darbieten, und eine allgemeine Übersicht des mit Hülfe der Analysis abgeschlossenen und erschöpfenden Systems der Konoiden und Sphäroiden zur Erläuterung dienen. Zuvor noch aber scheint es zweckmäfsig, einiges, das geschichtliche des Gegenstandes angehendes, zu berühren. 2. Die höhere Geometrie der alten Griechen, wie sie sich zeigt in ihren Forschungen über Kegel-Schnitte, ist ein Gegenstand ihres wissenschaft- lichen Eifers lange vorher gewesen, ehe Euklides, genannt der Stoicheiote, die Elemente der gemeinen Geometrie in einen späthin nach Form und Ge- halt als unveränderliches Muster geachteten Zusammenhang gebracht hatte. Nach Pappus Zeugnifs (*) waren, schon funfzig Jahre vor Euklides, fünf Bücher von Aristäus vorhanden über körperliehe Örter, im Zusammen- (*) Libr. VII. mathem. Collect. Mathemat. Klasse 1525. N 98 PosEzuLcer hange mit der Theorie der Kegelschnitte. Archimedes, funfzig Jahre vor dem Pergäischen Apollonius, setzt diese Theorie in einem grofsen Umfange, als bekannt voraus. Bemerkenswerth ergiebt sich hieraus die, unermüdet, Jahrhunderte hindurch, verfolgte Untersuchung, fast blos, wie es scheint auf den Anreiz ihrer innern Würde und Schönheit, und dabei zugleich die Langsamkeit der Fortschritte darin, indem, nach anderthalb hundert Jahren das Genie eines Apollonius noch so viel darin zu thun übrig fand, dafs die Wissenschaft durch ihn gleichsam als geschaffen angesehen werden konnte, und zuerst von ihm auf den höheren allgemeineren Standpunkt erhoben wurde, über der Grundlage des schiefen Kegels, statt des bis dahin immer nur in Anwendung gebrachten geraden. Wie nach Eutokius (*) die älteren Lehrer der Elemente den allgemei- nen Satz, dafs in jedem Dreieck die drei Winkel zusammen zweien rechten gleichen, nicht für das ganze Dreieck überhaupt, sondern für jede Art des- selben einzeln erwiesen, so wurde, selbst noch zu Archimedes Zeit, einer jeden Art des Kegelschnitts eine besondere Art des Kegels zum Grunde ge- legt, und es war erst eine glückliche Neuerung des Apollonius, dafs er zeigte, wie sich, aus jedem Kegel, jeder Kegelschnitt bilden lasse, was auch für einen Winkel das durch die Axe des Kegels gelegte Dreieck zwischen den in die Oberfläche fallenden Seiten enthalten möge. Eben so war er der erste, welcher die Begriffe einer Orthia und Plagia (Haupt- und Zwerg-Axe), nicht blos auf die Haupt-Axen sondern auch auf conjugirte Durchmesser derselben in Anwendung brachte. In dem von ihm verfafsten grofsen Werke hat er nach seiner eignen Angabe (in seinem Zueignungsschreiben vor dem ersten Buch) eine vollständigere und mehr ins Allgemeine gehende Bearbei- tung gegeben der Entstehungs-Theorie der Kegel-Schnitte, wie diese von andern Schriftstellern vorgetragen war; ferner, die Theorie der Durch- messer und der Axen der Schnitte; viel Neues zur Lehre von körperlichen Örtern; endlich durchaus Neues von den Schnitten verschiedener Curven untereinander. Leicht führte der Begriff einer Kegel- Oberfläche auf die allgemeinere Vorstellung einer ähnlich durch einen Kegelschnitt überhaupt, wie jene durch eine gerade Linie, erzeugten Oberfläche eines Konoids. Aus ihr (*) Commentar zur Zueignungs-Shrift des Apollonius zum ersten Buch. von Konoiden - Schnitten. 99 ergaben sich neue mit krummen Oberflächen umgrenzte Körper zu denen der Elementar-Geometrie, und es entstand die Aufgabe, ihre Eigenschaften so wie die der Schnitte solcher Konoiden zu ermitteln. Der erste wirkliche Schritt dahin blieb dem Scharfsinn des erfindungs- reichen Archimedes vorbehalten, wie er selbst sich darüber ausspricht in der Zueignungsschrift seiner Abhandlung von den Konoiden und Sphäroiden. Er hatte sich zuerst nur auf das durch Umwälzung einer Parabel uw ihre Axe entstehende Konoid eingelassen, welches in der That die wenigsten Schwie- rigkeiten darbietet. Die Ergründung der übrigen hieher gehörigen Körper setzte ihn, nach seinem eignen freimüthigen Geständnifs, anfänglich in Ver- legenheit, und es gelang ihm erst später die Fragen zu beantworten, welche das hyperbolische Konoid und die von ihm Sphäroide genannten Körper betreffen. 3. Archimedes hat nur die einfachsten der Körper untersucht, welche unter die Gleichung vom zweiten Grade gehören, und die einzelnen Eigen- schaften derselben durch eine seiner würdige Geometrie zur Anschauung gebracht. Eine allgemeine Definition eines Konoids giebt Archimedes nicht, sondern nur insbesondere des parabolischen Konoids, „wenn eine um ihren unbewegten Durchmesser’’ — d.h. nach späte- rem Sprachgebrauch, um ihre Axe — ‚‚herumgeführte Parabel dort ‚„, wieder inne hält, von wo ihre Bewegung ausging, so wird die durch ‚sie umfafste körperliche Figur ein parabolisches Konoid, der „unbewegte Durchmesser desselben, die Axe” — nämlich Axe der Bewegung, welche hier mit der Axe der Parabel eins ist — ‚‚und der ‚‚ Punkt, wo die Axe mit dem Mantel zusammen trifft, der Scheitel ‚„‚genannt’’ (*), und des hyperbolischen ‚wenn eine Hyperbel auf ähnliche Weise, wie vorhin die Parabel, ‚durch Bewegung um ihre Axe eine Oberfläche beschreibt.’ Zu diesen Konoiden zählt er zugleich solche Körper, welche aus ihnen entstehen, wenn man durch einen Punkt ihrer Oberflächen eine () Nizze Archimedes Werke S. 151. Na 100 Posevucer berührende Ebene legt, und mit einer derselben parallelen ein Stück von dem Konoid abtrennt. Den sphäroidischen Körper läfst er ganz auf dieselbe Weise entstehen, entweder durch Umwälzung einer Ellipse, um eine ihrer beiden Haupt-Axen, oder durch Abtrennung eines Stückes zwischen einer berüh- renden und einer dieser gleichlaufenden Ebene, eines solchen elliptischen Körpers. Durch die Unterscheidung aber des sphäroidischen Körpers von dem Konoid, ungeachtet ihrer gleichmäfsigen Entstehungsweise, giebt Archimedes deutlich genug zu erkennen, dafs er sich unter Konoid nur einen solchen Körper gedacht haben will, der sich vom Scheitel nach der Richtung der Axe ohne Ende erweitert, welches bei einem Sphäroid in der durch den Mittelpunkt gelegten Ebene seine Grenze findet. 4. Auf die von Archimedes angegebene allgemeine Entstehungsweise eines Konoids und Sphäroids wollen wir nun einen allgemeinen analytischen Aus- druck gründen, und denselben zunächst auf die von ihm betrachteten Ober- flächen und Schnitte in Anwendung bringen, nachdem wir daraus zuvör- derst eine allgemeine Übersicht der Kegelschnitte im eigentlichen Sinne des Wortes abgeleitet und vorausgeschickt haben werden. Eine vollständige Darstellung der Oberflächen zweiter Ordnung, wie sie sich auf dem hier be- tretenen Wege ergiebt, wird zur genauen Bestimmung des Verhältnisses die- nen, in welchem die von Archimedes in diesem Gebiete gemachten Ent- deckungen zu der umfassenden Wissenschaft der gegenwärtigen Zeit von den dahin gehörigen Begriffen stehen. Allgemeiner Begriff eines Konoiden-Schnittes. 5. Sei 4B (Fig.1.) ein Kegelschnitt, 4 dessen Scheitel, 4C dessen Axe. 4 und /C werden als fest im Raume und 4/2 als in £ unveränder- lich mit 4C verbunden gedacht. B durchlaufe um 4C den Kreisumfang, auf dessen Ebene also 4C in dem Mittelpunkte € lothrecht steht. Konoid ist der Körper welchen 4.2 durch den angegebenen Umlauf erzeugt. 4 dessen Scheitel; die Ebene des von 2 beschriebenen Kreises, der Fufs des Konoids. von Konoiden- Schnitten. 101 Alle der Oberfläche des Konoids mit einer durch Scheitel und Axe gelegten Ebene sind ähnlich und gleich dem erzeugenden Kegel-Schnitt. Stelle ZDFKH den Schnitt vor, irgend einer beliebig gelegten Ebene mit der Oberfläche des Konoids; 7K, Durchschnitt der Ebene mit dem Fufs; O Mitte von HK; OF, in der schneidenden Ebene rechtwinklig auf 77K, in F die Oberfläche treffend; OC, Entfernung der Mitte O von der Mitte C des Fufses, senkrecht auf 7K. Aus irgend einem Punkte D im Umfange des Konoiden-Schnitts fälle man DM senkrecht auf den Fuls in M, ziehe MI senkrecht auf Z7K und MN parallel der ZK bis zum Durchschnitt mit der verlängerten CO, so ist auch D/ senkrecht auf HK, und MN=IO. Man verbinde ferner M mit C und vollende das Rechteck DC; setze j CH=2, NN=y: MD=,, so ıst GD-CMeVe+r); Setzen wir ferner Org den Neigungswinkel D/M der schneidenden Ebene gegen den Fufs des Konoids —D die aufeinander rechtwinkligen Ber 70 daher z=a+uc0os.d; y=t; z=usin do. Unter 4G, GD werden zwei rechtwinklige Coordinaten zur Bestim- mung des Punktes D in der Oberfläche gedacht; ihr Anfang in dem Scheitel 4 des Konoids; die Axe desselben, die Ordinaten- Axe der /G. Die Höhe des Konoids, 4C, sei= h, also dJG=h-—-z. Nun ist GD irgend eine, durch die Natur der Curve ADE bedingte Function von 4G. Es ist also ee Sh—2)=V(@+J’) 102 PosEeLGeEr die Grundgleichung irgend eines Konoiden-Schnitts. Und in diese Gleichung obige Werthe von x, y, untergelegt: Q)......f(h—usin. 6) = V(a+u cos. 6)’+%, wodurch der Punkt D auf die rechtwinklige Coordinaten t und u in der schneidenden Ebene, und den Anfang O bezogen wird. Es ist daher (2) die allgemeinste Formel für irgend einen Konoiden- Schnitt und daraus sind alle Eigenschaften eines solchen herzuleiten. Kegel-Schnitt. 6. Ist (Fig. 2.) der erzeugende Kegel -Schnitt eine gerade Linie so ist das Konoid ein gerader Kegel. Sei dann w der spitze Winkel C4E zwischen der Axe des Kegels und der erzeugenden, so ist GD=AGtgu; mithin, nach (5, 2) 1. ig.» (h—u sin. d) = V(a+u cos. 9)’ + 2. tg. w’ (h—usin.d)’= (a+u cos. $)’+t 3. "= (tg. w* sin. #°— cos. $°) u? — 2 (htg. w” sin. d-+acos. $) u + h’ig.w’—a®. Die allgemeine Gleichung zwischen rechtwinkligen Coordinaten, eines Kegel-Schnitts. Setzen wir, der Kürze wegen, 4. tg.w”sin.d’— cos.d’=&k 5. hig.w’sin.d +acos. dp —=ß 6. hrig.w’— a’ = 8, und jederzeita ig. w* sin. ®° cot. 6’ >tg. w?, also A negativ, so wird aus (8) 2 ß z k ß? 9, "=—k G + z) + RI Allgemein ausgedrückt, wenn wir k= —_ setzen, erhalten wir aus (8) und (9) zwei charakteristisch verschiedene Formen für den Kegel-Schnitt. 10. AdY— BU’ =cC 142 rACE Bur—=e worin 4, B und C als absolut positive Constanten und t*, v*, als Quadrate veränderlicher Gröfsen zu betrachten sind. Von den Vorzeichen der Constanten hängt die Natur der Curven die- ser Gleichungen ab: also isi die Gröfse k die Charakteristik derselben, de- ren Vorzeichen die Curve bedingt. Die beiden Gleichungen E=k; e— u ’ lassen von den drei den Kegel-Schnitt bestimmenden Gröfsen A, g, ß, eine unbestimmt und überlassen sie einer beliebigen Wahl, mit Rücksicht auf die Bedingungen der Formeln (4), (5), (6). Die drei Gleichungen (4), (5), (6) aber lassen von den vier Gröfsen w, d, h, a, wovon die ersten drei den Kegel selbst, welchem der Schnitt angehört, bedingen, eine unbestimmt; es hindert also nichts, mehrer Ein- fachheit wegen, beliebig a=o zu setzen, d.h. den Schnitt der Ebene durch den Mittelpunkt des Fufses, C (Fig. 2.), zu führen, wodurch also für jede Gleichung von der Form AU’Y&BU”=C ein gerader Kegel und die Lage der Ebene zu bestimmen ist, welche auf dessen Oberfläche einen Kegel-Schnitt bildet, dessen Eigenschaften mit de- nen aus dieser Gleichung zu entwickelnden ganz übereintreffen. Wird der Factor des constanten Gliedes in (8) h cos. p+asin.o=o der Schnitt geht dann durch den Scheitel des Kegels. so ist 3 104 Poszicger Die Gleichung (8) wird dem gemäfs, t=uVa, die einer geraden Linie. Die Gleichungen AU+BU”=C so dargestellt C=Bvu? GeAE 12. = VE; v=+YV geben geometrisch construirt Curven, die auf beiden Seiten der Coordinaten- Axen der iz, und v symmetrisch sind, und folglich einen Mittelpunkt ha- ben, welcher zugleich hier der Anfang der Coordinaten ist. Ist A negativ, so gilt das obere Vorzeichen von 3; die Curve ist nach beiden Richtungen der Coordinaten - Axen begrenzt, mit der hohlen Seite gegen den Mittelpunkt gekehrt, und hat vier Scheitel durch welche gerade den Axen parallel gezogenen Linien sie berühren. Ellipse (Fig. 2. e.). Ist A positiv, so gilt das untere Vorzeichen von 2; die Curve besteht aus zwei von einander getrennten gleichen und ähnlichen Zweigen, die ihre erhabene Seiten, dem Mittelpunkte zugekehrt, einander entgegen setzen, und sich über jede gegebene Entfernung von dem letzteren hinaus im Raume ausbreiten. Hyperbel (Fig. 2. a). Ob A positiv oder negativ, der Kegelschnitt also eine Ellipse oder eine Hyperbel darstelle, hängt ab von (4), ob ig. > cot. $° Pd > W— u oder ob PP 90°— w so mufs die schneidende Ebene die über den Schei- tel des Kegels hinaus fortgesetzte Mantel-Hülle treffen, mithin eine Hyperbel von Konoıden - Schnitten. 105 bilden, und dieses wird für jeden Winkel $ der Fall sein, der zwischen den Grenzen 9°—w, und 90°+w liegt, über welche hinaus die elliptischen Schnitte wiederkehren. It A=o, d.h. v=9—# so wird die obige Formel (7) (ar ee: „=—:ßu+g woraus sich sofort ergiebt, dafs dieser Kegelschnitt nur nach einer Rich- tung der Coordinaten-Axen der zu begrenzt ist, also eines Mittelpunktes entbehrt. Parabel (Fig. 2.6.). Er steht in der Mitte zwischen den ellip- tischen und hyperbolischen Schnitten, und ist der natürliche Übergang aus der einen dieser beiden Gattungen in die andere. Die Charakteristik ist also nur den Kegelschnitten mit einem Mittel- punkte eigen. Da es nun in den Formeln (8), (9) ganz beliebig ist den Coefficienten k durch Division in 7- zu verwandeln, so können wir jederzeit A als einen Bruch betrachten zwischen o und + 1. Für 6=o wird nach (4) . k=—1 und nach (5) En daher die Gleichung für die Ellipse (9) "= — (u+a)’ + (g+a°); oder, nach 6. "+ (u+a)’— h?’ tg. w?, wobei zu bemerken ist, dafs dann der Punkt D, welcher der Ordinate u angehört, in den Umfang des von 2 in Fig. 1. beschriebenen Kreises fällt; und in der That ist die eben gefundene Gleichung die eines Kreises, dessen Halbmesser = h tg. w. Setzen wir k= +1 also nach (4) j 2__ 1+.cos. $° ig. 0° = — — — —-,, woraus 1— cos. #? sin.6= X cos.uYV2, Mathemat. Klasse 1825. Ö 106 Poseucer so giebt Formel (8) e = (u—P)’+ (82°) die Gleichung einer gleichseitigen Hyperbel. Nennen wir r den Halbmesser der Grundfläche des Kegels, so ist hte.u=r Dies in die Formel (3) gesetzt, giebt © = (tg. w* sin. 9° — cos. $*) u? — 2 (rtg.w” sin. P+acos.d) urr’— a? Wird dann r als constant betrachtet, und w kleiner angenommen als jede gegebene Gröfse, so nähert sich der Kegel je mehr und mehr einem Cylinder, je kleiner w gesetzt wird. Für „=o wird also die obige Gleichung eines Kegel-Schnittes, die eines Cylinder-Schnittes, nämlich: 13. = — cos. d’ u?’ — 2a c0s.d.u+ (r+a) (r—a). Hier ist die Charakteristik A= cos. #°, absolut positiv, daher die Gleichung mit Formel (9) zusammentrifft, und der Schnitt eine Ellipse dar- stellt, so lange nicht = 9°, in welchem Falle die Gleichung die, zweier geraden ae gleichlaufenden Linien ist. Kugel-Schnitt. 7. Sei die erzeugende 4DE (Fig. 1.), ein Viertelkreis. Die Axe 4C ist darm der dazu gehörige Halbmesser, den wir =r setzen wollen; das so beschriebene Konoid eine halbe Kugel, deren Mittelpunkt C; und CB=r. Dann aber ist offenbar Insel Venenesuan GD=+Y (r’—u? sin. ®°). Dies in den allgemeinen Ausdruck eines Konoiden -Schnitts (5, 2) ge- setzt giebt: Berne (da+U cos. 9)” + —=r’— u”sin. $°; Die Bedingung des Schnittes einer Ebene mit der Oberfläche eines Kugelabschnittes. Die Entwickelung hievon giebt: Senn. + (ua cos. $)’—=r? — a’ sin. d°. von Konoiden- Schnitten. 107 Diese Gleichung mit (6, 9) verglichen ist die einer Ellipse mit einer negativen Charakteristik k=— ı, d.h. die eines Kreises, dessen Halb- messer =) (r’—.a” sin. #*) und welcher von der Neigung der schneidenden Ebene unabhängig wird, wenn a=o, d.h. wenn dieselbe durch den Mittel- punkt geht. Ellipsoiden-Schnitt. 8. Wird die Gleichung (6, 11) die der Ellipse entspricht, durch das Produkt 42 dividirt, so ergiebt sich Setzen wir uun B>4 und VZ=s; Vz =; so wird die . A B Gleichung ß? E > av? — a?ß? ; daraus v=-+ [2 V(a’— t?), oder, = = kgesetzt, v=+VkV(a’— t?). In (Fig. 1.) sei {DE der Quadrant einer Ellipse; 4 ihr Scheitel; C der Mittelpunkt; so leuchtet ein, dafs wir, wenn 4C die halbe grofse und CB die halbe kleine Axe derselben darstellt, CG=t; GD=u; und CA =.a setzen können. Danun CG=usin.$, so erhalten wir GD=&VkY(a’ — u? sin. $°). Die allgemeine Gleichung also in (5, 2) des Konoiden-Schnittes giebt für das Ellipsoid (a+1uc0s.9)’ + = k(a’— u? sin. ®°). Diesen Ausdruck entwickelt, und nach Potenzen von u geordnet, so kommt (1)...2° = — (cos. #°+ k sin. °) u’— 2a c0s.6 » ur ka’— a’, wo u und i die, auf einander rechtwinkligen Coordinaten des Konoiden- Schnittes in der das Konoid unter dem Winkel & schneidenden Ebene, vorstellen. Ö: 108 PosEeuLcer Werde nun gesetzt: cos. d’+ksin.g’—=K, so läfst die Gleichung (1) sich umbilden in Din =—h (ur) „EEE ERTL . In dieser Gleichung ist A als absolut positiv zu betrachten; und es ist k nnabhängig von dem hier vorkommenden Neigungswinkel & der schneiden- den Ebene. Hieraus folgt, dafs 4’ eine absolut positive Gröfse, daher obige Formel nach (6, 9) die Gleichung einer Ellipse ist, für jede beliebige Nei- gung der schneidenden Ebene. Wird $=0 gesetzt, so ist A’ —=1. Dann ist die Gleichung (2) die eines Kreises, und der Schnitt wird senkrecht auf die Axe geführt. Nach der Construction ist die Figur ein Ellipsoid durch Umwälzung um die gröfsere Axe 2«. Der Kreis-Schnitt ist hiernach ein der kleineren Axe parallel geführter. Es ist aber leicht einzusehen, auf welche Weise der Ausdruck (2) ganz die nämliche Anwendung findet auf ein Ellipsoid durch Umwälzung um die kleinere Axe. Wird $ = 90°, also cos. 9 =o, k =k so verwandelt sich die Gleichung in F"—=—ku? + ka’—a’, oder auch, Bye sen Ü—kla— u?) — a” welche Gleichung mit der obigen der erzeugenden Ellipse einerlei Charak- teristik hat, welche die Ähnlichkeit unter ihnen bedingt. Wird a in (3) =o gesetzt, d.h. der Schnitt durch den Mittelpunkt des Konoids und zugleich senkrecht auf dessen Grundfläche, also durch die Axe 4C geführt, so wird (Feen esnneaea gestern U — k(a’— u’); der dadurch entstehende Schnitt ist der erzeugenden Ellipse 4DE gleich und ähnlich. Die hier entwickelten Eigenschaften eines Ellipsoiden -Schnittes führt Archimedes in seinem erwähnten Werke (Satz 12, 3) als bekannt an. von Konoiden- Schnitten. 109 ‚„‚ Wenn,” sagt er daselbst, ‚ein Sphäroid der einen oder der andern ‚Art durch die Axe, oder parallel derselben geschnitten wird, so wird ‚der Schnitt eine Ellipse sein.’ (Dies ergiebt sich aus den obigen Formeln (2) und (3),) ‚und zwar, wenn durch die Axe, die Ellipse selbst, uuter welcher der ‚Körper enthalten ist;’ (s. No. 4.) ‚wenn aber parallel der Axe, eine ähnliche.’ (s. No.3.) „Der Durchmesser” so heifst bei Archimedes die Haupt-Axe ‚‚der „Ellipse wird der Durchschnitt der schneidenden Ebene und einer „senkrecht gegen sie durch die Axe geführten Ebene sein.” (Dies ergiebt sich aus der Construction der Fig. 1, nach No.5.). „, Wenn dagegen die schneidende Ebene zu der Axe senkrecht ist, so ‚wird der Schnitt ein Kreis sein, dessen Mittelpunkt in der Axe liegt." (folgt, wie oben bemerkt worden ist, aus (2)). Ferner beweist derselbe: Satz 15. (1). ,‚Wenn das längliche Sphäroid von einer gegen die Axe ‚„‚nicht senkrechten Ebene geschnitten ist, so wird der Schnitt eine „Ellipse, deren grofse Axe aber diejenige Sehne des Sphäroids sein, „in welcher die den Körper schneidende Ebene und eine senkrecht zu „ihr durch die Axe gelegte sich durchschneiden.”’ Der erste Theil dieses Satzes ergiebt sich aus (2) und der zweite aus der Construction selbst des Konoids in (Fig. 1.). Dasselbe aber wiederhohlt er unter No.2. desselben Satzes von einem geplatteten Sphäroid. Wir sehen aus dem Angeführten, dafs die ganze Kenntnifs von Schnit- ten elliptischer Konoiden bis zu Archimedes Zeit sich auf wenige einzeln dastehende Eigenschaften beschränkte: Dafs ein durch die Axe gehender Schnitt gleich und ähnlich sei der erzeugenden Ellipse; ein ihr parallel geführter ähnlich der letztern ; ein darauf senkrechter, ein Kreis. Archimedes erweiterte von hier aus die Wissenschaft, indem er auch den schrägen Schnitt, wo der Winkel $ irgend ein beliebiger sein mochte, 110 Pöseh@ER in Betrachtung nahm, sowohl für das längliche, als für das abgeplattete Sphäroid. Doch sind ihm beide nur Ellipsoide durch Umwälzung einer Ellipse um eine ihrer Haupt-Axen. Der Begriff von einem Ellipsoid dreier verschiedener Haupt-Axen scheint damals noch nicht gefafst worden zu sein: daher auch nur, in sofern derselbe ausgeschlossen bleibt, der Satz Allge- meingiltigkeit hat, dafs jeder schräge Schnitt des Sphäroids eine Ellipse giebt, und der Kreis nur bei senkrechter Richtung der schneidenden Ebene gegen . die Axe des Konoids statt findet. Hyperboloiden-Schnitt. 9. Die Gleichung (6, 10) die der Hyperbel entspricht, giebt durch 43 dividirt EL 6) ee ABr’ oder, wie in 8, oder auch vafe_e)erle_e. Hier ist « die halbe reale, und @ der reale Factor der imaginären hal- ben Axe der Hyperbel. Sei nun in (Fig. 1.) 4DE ein hyperbolischer Bogen; 4 der Schei- tel der Hyperbel; 4C=h; AG=h—z=h—usin. 6, so ist in obiger Formel = 4G: = GD; daher GD=+YVk.Ya+h—usin.9)’— a’; woraus vermöge der allgemeinen Gleichung in (5, 2) sich ergiebt: (1)...(a+ucos 9)’ + "= k(a+h—usin.$)’— «°. Diesen Ausdruck entwickelt und nach Potenzen von zu geordnet, so kommt © = (k sin. #° — cos. $°) u? — 2(aksin.d+ hsin. d-+a cos. d) u +2ah— a’—a, oder, wenn wir setzen von Konoıiden - Schnitten. 4144 k sin. 6° — cos. 6°— k' (ak+h) sin.o+aco.d=M zaah— —ua—=N, “= kwW—2Mu+N M\® M—KN = K (u-,;) Eve: = Auch hier ist, wie oben in (8) das A unabhängig von $, da jenes der erzeugenden Hyperbel, dieses aber dem dadurch erzeugten Konoid angehört. Wenn aber, für das elliptische Konoid, die Charakteristik 4’ weder negativ noch = o werden, daher jeder Schnitt desselben nur eine Ellipse oder ein Kreis, nicht aber eine Parabel oder Hyperbel sein konnte, so kön- nen dagegen für A’ des hyperbolischen Konoids alle drei Fälle statt finden. 4) dafs 4’ positiv, d.h. A > cot. ®°. 2) dafs A’ negativ, d.h. k< cot. ®°. 3) dafs k = eot. #*, und daher'k' = o. Mithin werden aus einem hyperbolischen Konoid eben sowohl Hyper- beln, als Ellipsen, als Parabeln können geschnitten werden. Für$=o wird A =— ı, daher der Schnitt ein Kreis. Setzen wir A=+1, so wird der Schnitt eine gleichseitige Hyperbel. Dies ist der Fall, wenn sin. =+V - sndo= 17 Für = 9° wird A’ =%k. Der Schnitt ist dann eine der Erzeugen- den ähnliche Hyperbel. Einige andere Eigenschaften dieses Konoids sollen weiter unten, ver- glichen mit den darüber von Archimedes anfgestellten Sätzen, angegeben werden. Paraboloıden-Scehnitt. 9. Die Gleichung für die Parabel (6, 12) "= —:ßu+ 8 wird, wenn wir u=— u + I setzen, u 112 PosEL@ERr wodurch der Coordinaten-Anfang in den Scheitel der Curve verlegt wird. Dann ist 2 8 der Parameter derselben. Sei nun in (Fig. 1.) die erzeugende 4DB eine Parabel, deren Para- meter —=2ß; die Haupt-Axe derselben falle in 4C und ihr Scheitel in 4, so giebt die allgemeine Gleichung in (5, 2) für das Paraboloid, weil GD’=:2ß.AG. (Heise (a + u cos. 9)’ + ?—=2ß(h— usin. $). Dies entwickelt und nach den Potenzen von u geordnet, wird N«& 2 9 2 H,.n 2 acos. $+sin.d |” 2) 0059 lu + ara . 2 acos..p+Psin.p |? + mar ! cos. d \ Hier ist die Charakteristik k= cos. #° eine absolut positive Gröfse zwischen = o und = 90°. Jeder Schnitt des Paraboloids mit einer gegen dessen Axe schräge geneigten Ebene giebt eine Ellipse. Wird =, so wird der Schnitt offenbar ein Kreis (*). Für $ = 9° aber wird die Gleichug (1). (S)seaser reine „a+rt=ıßh—2ßu. = 2ß .dG welche Gleichung identisch ist mit der der erzeugenden Parabel. Da alle Schnitte des Paraboloids zwischen den Neigungen 9=o und & = »° der schneidenden Ebene Ellipsen sein müssen, so werden sie, gehö- vig verlängert, die entgegengesetzte Seite des Mantels treffen. Sei nun in Fig.2. d, EB der Durchschnitt der Ebene eines ellipti- schen Schnittes. Er stehe senkrecht auf einer durch die Axe 4H des Para- boloids schneidenden Ebene B4E, und werde in EZ und D von der Ober- fläche des Paraboloids begrenzt. Hiernach wird das a in der Formel, = BH, negativ, wenn BH aus B senkrecht auf die Axe 4C gefället ist. Es ist aber = AH; daher eßh—a’—=o. (‘) Die Gleichung für denselben ist: (ayuenteres sen kaeseneese ?=— (u+a)?+ 2%.h, woraus sich ergiebt, dafs der Halbmesser dieses Kreises die mittlere Proportionale ist zwisehen der Höhe der erzeugenden und dem Parameter derselben. von Konoiden- Schnitten. 44:3 Dadurch wird die Formel (2) E= — cos. ou _ .0008.$— ® sin. & Y4 E cos. b 2 sin. b Y . cos. cos. & Setzen wir nun acos.h—Psin.d __ cos. & u u— 17 so ist die Gleichung (Dirrsosauese „2° + cos. $° u — (a—B tg. 9)? woraus die beiden Haupt-Axen der Ellipse sich ergeben. 2(«a— tg. ), parallel den t; = 2(a —_— ß tg. $) cos. p ‚ parallel den x. Nun aber ist BE die gröfsere Haupt-Axe der Ellipse, _ 2a—Ptg.$), nz cos. & ; also die kleinere — BE c0:. daher, wenn wir aus dem Endpunkte Z auf BH eine senkrechte fällen, die Entfernung des Punktes D von dem Einschnitte dieser senkrechten in BH die kleinere Haupt-Axe des elliptischen Schnittes ist. Vergleichen wir nun mit dem obigen die von Archimedes vorgetrage- nen Lehrsätze: Satz 12,1. ‚‚Wenn ein parabolisches Konoid von einer Ebene durch die „Axe, oder parallel mit derselben, geschnitten wird, so wird der „Schnitt eine Parabel sein, und zwar dieselbe, unter welcher der Kör- „per enthalten ist.’ (Der Beweis liegt oben in (3).) „Ihr Durchmesser wird der Durchschnitt der schneidenden Ebene „‚selbst mit einer Ebene sein, welche senkrecht zu ihr durch die Axe „gelegt ist.’’ (Dies ergiebt sich durch die Construction unmittelbar.) „‚ Wenn dagegen die schneidende Ebene senkrecht zu der Axe geführt „ist, so wird der Schnitt ein Kreis sein, dessen Mittelpunkt in der „Aze liegt.’ (Es erhellet dieses aus der Gleichung (4) oben.) Mathemat. Klasse 1825. 114 P oös.E ng ER Die oben angeführten Eigenschaften des Paraboloids setzt Archime- des, ohne Beweisführung, als bekannt voraus. Er selbst fügt folgenden Satz hinzu, den er geometrisch beweist: Satz 13. ‚Wenn ein parabolisches Konoid von einer Ebene geschnitten ‚„‚wird, die weder durch die Axe geht, noch parallel derselben, noch „senkrecht zu ihr ist, so wird der Schnitt eine Ellipse, und deren ‚„,grofse Axe diejenige Sehne des Konoids sein, in welcher die den Kör- ‚„„per schneidende Ebene selbst und eine senkrecht zu ihr durch die „„Axe des Konoids gelegte sich durchschneiden; die kleine Axe aber „wird gleich sein der Entfernung derjenigen geraden Linien, welche „man aus den Endpunkten der grofsen Axe parallel der Axe des Ko- „‚noids zieht.’ Und der Beweis dieses Satzes, den Archimedes geometrisch führt, ergiebt sich analytisch aus dem vorhin aus der Gleichung (5) hergeleiteten. Allgemeine Übersicht der Oberflächen zweiter Ordnung, zu welchen die Konoiden und Sphäroiden des Archimedes gehören. 1. Die allgemeine Form für Oberflächen zweiter Ordnung ist es ed EB PCzeanD Es werden rechtwinklige Coordinaten: x, y,z, voraus gesetzt; ihr Anfang ist für die dadurch bestimmte Oberfläche ein Mittelpunkt. Diese Form begreift sechzehn verschiedene Fälle unter sich, wie sie aus den verschiedenen möglichen Combinationen der Vorzeichen sich erge- ben. Darunter ist (D)ensamesserse AR EBY FC =D welches keine Oberfläche giebt, sondern nur einen körperlichen Punkt. Die übrigen lassen sich auf folgende drei wirklich von einander verschiedene, reale, zurückführen: GO) rel Brite ee . AR By —Cr’=D Yen da By C#’=mD von Konoiden- Schnitten. 115 2. Die Gleichung dx’-+By’+C2’=D giebt dx’+ By’=D— 03° die eines elliptischen Schnittes parallel der Ebene der xy, woraus sich so- fort ergiebt, dafs die Oberfläche nach jeder Richtung der Coordinaten- Axen begrenzt, und der Inbegriff parallel liegender einander ähnlicher Ellipsen ist, die von der Mitte der Oberfläche nach ihren Scheiteln hin continuirlich im Umfange abnehmen und zuletzt verschwindend die Oberfläche berühren. Hiedurch nun ist eine Oberfläche bestimmt, welche Ellipsoid heifst. Fig. 3. 3. Die Gleichung (1, 3, 2.) dx’+ By’ —C3’=D giebt een Ar + By’=D+Cz? woraus sich eine von der Mitte aus nach den beiden entgegengesetzten Rich- tungen hin, der coordinirten Axe der z, sich continuirlich erweiternde ellip- tische Röhre ergiebt, welche zwei in der Ebene der xy zusammenstofsende Zweige hat, deren Umfang gerade da, wo sie zusammentreffen, ein Klein- stes ist. Dieselbe Gleichung giebt u Die nähere Betrachtung dieser Gleichung zeigt, dafs nach ihr eine continuirliche Reihe von Hyperbeln die Oberfläche bildet. Die Oberfläche also, welche der obigen Gleichung 4x°+ By’— Cz’—=D angehört, ist eine nach zwei entgegengesetzten Seiten hin sich ins Unendliche erweiternde Röhre; ihre eben gezeigte Entstehung würde den Namen recht- fertigen: einer elliptisch hyperbolischen Doppelröhre. Fig. 4. 4. Die Gleichung (1, 3, «.) Ax’+ By’ — C’=—D, läfst sich umbilden in dx’+ By’=Cz3’—D und in C2’— By’=Aax°’+D. 116 PosetLcer Es ist dies die zweite Gattung regelmäfsiger elliptisch hyperbolischer Oberflächen, von derselben Natur wie die vorhergehende, nur dafs sie sich in zwei einander entgegengesetzte getrennte gleiche und ähnliche ins unend- liche sich erweiternde körperliche Zweige zerlegt: daher sie die Gestalt hat einer , hyperbolischen Doppelschale. Fig. 5 5. Die in 2. 3. und 4. dargestellten drei Oberflächen zweiter Ordnung sind die einzig möglichen, welche der allgemeinen Gleichung (1, 1) in ihrer Vollständigkeit entsprechend gebildet werden können. Sie haben jede einen Mittelpunkt, und auch jede den Coordinaten-Ebenen der x, y, z, parallele Schnitte geben Kegelschnitte mit einem Mittelpunkt. Da aber die allgemeine Gleichung einer Parabel diese ist: Ax’— By=o, vorausgesetzt, dafs der Anfangspunkt der auf einander rechtwinkligen x und y, in dem Scheitel, und die Axe der & in der Haupt-Axe der Parabel liegt so läfst sich leicht die Gleichung für eine Oberfläche finden, deren Durch- schnitt mit einer der Coordinaten -Ebenen eine Parabel sein solle. Diese Gleichung mufs nämlich, wie sofort in die Augen fällt, abgese- hen von den Vorzeichen ihrer Glieder, diese Form haben: Ax+By’+C:3=D, woraus sich ergiebt, wenn wir setzen ee u 3 = U, Ax+By°— Cı=o, wo v in der Richtung der z liegt. In dieser Gleichung sind offenbar nur zwei von kr wahrhaft verschiedene Fälle begriffen : Ax’+ By’— Cv=o und Ax’— By’ —Cı=o. 6. Die erste der Gleichungen in (5) Ax°+ By’ — Cı=o von Konoiden - Schnitten. 417 giebt sowohl für = o.alsy=o parabolische Schnitte in der Richtung der Coordinaten-Ebenen der yz und der xz; und für s=7 elliptische Schnitte in der Richtung der Coordinaten -Ebene der xy. Ihre nähere Betrachtung zeigt, dafs die ihr angehörige Oberfläche, eine elliptisch parabolische Schale darstellt welche sich nach der Richtung der negativen s hin ins Unendliche erweitert nach der entgegengesetzten aber in einem Scheitelpunkte endigt. Sie führt daher den Namen eines elliptischen Paraboloids. Fig. 5. 7. Die zweite der Gleichungen in (5) dx’— By’— Cv=o giebt sowohl für =o als y = o parabolische Schnitte in der Richtung der Coordinaten -Ebenen der yz und der &z, und für s= 3’ hyperbolische Schnitte in der Richtung der Coordinaten -Ebene der xy. Die nähere Betrachtung dieser Gleichung zeigt, dafs die ihr angehö- rige Oberfläche eine hyperbolisch parabolische Röhre darstellt, welche aus zweien zusammentreffenden, sich in entgegengesetzter Richtung ins Unend- liche erweiternden Stücken besteht. Sie führt daher den Namen eines hy- perbolischen Paraboloids. Fig. 6. 8. Die fünf von (1) bis (7) aufgeführten Oberflächen sind die der einzig möglichen regelmäfsigen Körper zweiter Ordnung, wovon die zwei letzten des Mittelpunktes entbehren, als parabolischer Natur, wie die drei ersten einen Mittelpunkt haben, als elliptischer und hyperbolischer Natur. Der Kürze wegen wird eine umständlichere Erörterung der Eigenschaften dieser Körper hier übergangen, um so mehr, als die aufgestellten Formen der ih- nen entsprechenden Gleichungen, bezogen auf die angefügten Figuren, voll- kommen hinzureichen scheinen, um überall davon deutliche Vorstellungen zu gewähren. Zu unserem Zweck aber, der Vergleichung der Theorie des Archimedes mit der neueren Analysis, wird erfoderlich sein, eine allgemein giltige Gleichung für den Schnitt irgend eines der obigen Körper mit einer Ebene, nach jeder beliebigen Richtung aufzustellen. Zu dem Ende nehmen wir in Fig. 7. an: € sei der Anfang des Coor- dinaten-Systems der auf einander rechtwinkligen &, y, 2; 7 sei ein darauf bezogener Punkt; durch denselben eine neue Coordinaten-Ebene gelegt, welche die der xy in H, F, und die Axe der x in 7 schneide. Sei F der 118 POsEkheER Anfangspunkt der neuen auf einander rechtwinkligen Coordinaten t= FH, und u= HI. Der Winkel ZHK = 9 sei die Neigung der Ebene der ut ge- gen die der xy. Der Winkel ZF’C, des Durchschnittes der neuen Coor- dinaten-Ebene mit der Axe der x, sei =w’'; die vorigen Coordinaten des Punktes Z seien CE =32, AK=y:,Kl=z; und CR se =YF, soıst x—=f-+u cos. $ sin. w — £ cos. w’ y=u cos. $ cos. w’+tsin. w z=u sin.d: Werden diese Werthe in der Gleichung dx’+ By’+ C2’—D=o untergelegt, so ergiebt sich AU+-BwW+C'u+Dt+Eu—F=o A'—= A cos. w”+B sin. w” B'= A cos. 9° sin. wW”+ B cos. $° cos. W’-+C sin. #° C=2(B— A) sin. w’ cos. w' cos. ® D'=—24f cos. w’ E’=2Af cos. 6 sin. w’ F=D—Ä4Af. 9. Archimedes hat keine andere Konoiden als solche, welche durch Um- wälzung eines Kegelschnittes um eine seiner Haupt-Axen entstehen. Be- schränken wir uns auf diesen Begriff, so läfst die vorhin gefundene allge- meine Gleichung eines Konoiden-Schnittes sich sehr vereinfachen. Die Gleichung der Oberfläche bezogen auf die drei rechtwinkligen Coordinaten &%,Y, 2, kann nämlich geschrieben werden: By?” Br a? y’y°’+ a? ß? 2? = aß?y?, wo .«,ß,y, die drei halben Haupt-Axen der Oberfläche parallel den x, y, 2, darstellen. Denken wir uns nun die Ebene der xy; als die, worin die Drehung der Erzeugenden um die Coordinaten- Axe der z geschieht, so wird a=£, woraus hervorgeht, y’ (x°+Y?) Bs—ß?y, von Konoıden - Schnitten. 119 oder auch , x+r" + ” —=ß%. Hiernach wird 3 d=ı, B=1, — —=cC Es sind aber @ und y die halben Haupt-Axen der in die Coordinaten- Ebene der xz oder der yz fallenden Schnitte. Verbinden wir die End- punkte dieser Haupt-Axen mit einer geraden Linie, und es mache diese mit der Axe 2y, den Winkel w; so ist, da @ und y aufeinander senkrecht stehen, =tgu, also C=ig.w”. Hiernach wird Ad —— B'= cos. #’+ 19. w* sin. #° e — 6) D'=— 2fcos.w' E'=2fcos. $ sin. w’ A Die allgemeine Gleichung aber läfst sich leicht in diese umbilden : (+2 Zu (u+ a) Br a2 +F}=o. 21 2B° a 2 tr 38 Setzen wir —. N so ist A absolut positiv, und diese Gleichung die einer Ellipse, für jeden schrägen Schnitt, dessen Neigung zur Ebene der xy = sei. Für =, wenn der Schnitt parallel geführt wird der Ebene der xy, d.h. rechtwinklig auf die Umdrehungs-Axe, ist k=1; der Schnitt ein Kreis. Für $=%°, wenn der Schnitt parallel der Umdrehungs-Axe geführt wird, ist 2’ =te.w”’: woraus folgt, dafs alle nach dieser Richtung gehenden ’ te) tokf) {o) Schnitte unter sich ähnliche Ellipsen geben. 10. Um die Gleichung für den Schnitt einer elliptisch hyperbolischen Doppelröhre zu erhalten, dürfen wir, nach 3. nur den Coefficienten C ne- gativ setzen. Also wird nach (9) y’ (x + 7°) PR ß? 2? — ß?’y? 120 PoseLeger die Gleichung sein für eine solche Röhre, wenn sie durch Umwälzung einer Hyperbel um eine in ihrer Ebene durch den Mittelpunkt auf der realen Haupt-Axe senkrechten geraden Linie entstanden ist. Die der Ebene der xy (in welcher nach der Voraussetzung die Umwälzung geschieht) parallelen Schnitte sind dann nicht Ellipsen, wie in (3), sondern Kreise. Der Körper von einer solchen Oberfläche befindet sich nicht unter den von Archimedes untersuchten Konoiden. Er ist von ihm nicht be- trachtet, weil es offenbar an aller Analogie zwischen ihm und einem Ele- mentar-Kegel, namentlich an einem Scheitel, mangelt. Für ihn wird in der allgemeinen Gleichung B'= cos. #°— tg. w” sin. #°; also k= cos. #* — tg. w” sin. ®*, mithin lassen sich durch den Schnitt einer Ebene mit einer solchen Röhre alle die drei Arten von Kegelschnitten bilden. Setzen wir =o, so geht der Schnitt durch den Mittelpunkt und seine Gleichung ist Hier ist aber y der Faktor der imaginären halben Axe und ß die halbe reale Axe der Erzeugenden: daher 90°— w der halbe Winkel der Asymptoten. 11. Das von Archimedes wirklich betrachtete Hyperboloid ist das in (4) unter dem Namen: elliptisch hyperbolische Doppelschale auf- geführte. Die Gleichung in (10) verwandelt sich sofort in die des letzteren, wenn wir das constante Glied negativ setzen (er) A — Bi. Hiedurch bleibt A ungeändert, wie in (10) = cos. d°— 18. w” sin. $*. Wird der Schnitt parallel der Axe der Umdrehung (der z) geführt, also o= 90°, so wird k=— teuw? fe) ’ mithin der Schnitt eine Hyperbel; und alle nach derselben Richtung geführ- ten Schnitte einander ähnlich. von Konoiden - Schnitten. 121 - In diesem Falle aber, da die Richtung der z in die reale Haupt - Axe y fällt, ist der halbe Asymptoten-Winkel=w. Mithin, für den Schnitt des die Hyperbel umspannenden Kegels, die ihm zugehörige Charakteristik k'= tg. w* sin. #°— cos. $°. Archimedes (Satz 12. No. 2.) sagt von dem hyperbolischen Konoid, (welches offenbar ein durch die Umdrehung einer Hyperbel um ihre reale Axe entstandener Zweig der hyperbolischen Doppelschale ist) ‚„‚wenn ein hyperbolisches Konoid von einer Ebene durch die Axe, ‚‚oder parallel derselben, oder durch die Spitze des umspannenden ‚„‚Kegels geschnitten wird, so wird der Schnitt eine Hyperbel sein: und ‚„‚zwar, wenn durch die Axe, eben die Hyperbel unter welcher der ‚‚Körper enthalten ist; wenn parallel der Axe, eine ähnliche; wenn „aber durch den Scheitel des umspannenden Kegels, eine nicht ähn- „‚liche.”’ Alles dieses ergiebt sich aus dem obigen. Geht nämlich der Schnitt durch die Axe oder parallel derselben, so ist, wie wir gesehen haben A —= — tg. 0°. Geht er aber durch die Spitze des umspannenden Kegels, ohne durch die Axe zu gehen, so wird offenbar tg. u” > cot. $*, daher A negativ, also der Schnitt eine Hyperbel und zwar eine der durch die Axe gehenden unähnliche, indem beide eine verschiedene Charakteristik haben. Ferner (Satz 14.): „Wenn ein hyperbolisches Konoid von einer Ebene geschnitten wird „welche alle Seiten des umspannenden Kegels trifft, und nicht senk- „recht auf der Axe ist, so wird der Schnitt eine Ellipse, und deren ‚„‚grofse Axe diejenige Sehne des Konoids sein, in welcher die den Kör- ‚„‚per schneidende Ebene und eine senkrecht zu ihr durch die Axe des „, Konoids geführte sich durchschneiden.”’ In den obigen Ausdrücken für A und A’ haben die Durchschnittswinkel & verschiedene Lagen gegen die Umdrehungs-Axe, so dafs wenn wir in je- nen setzen k = cos. #’— tg. w* sin. b*, für das Konoid, "= tg. w° sin.” — cos. $p”, für den Kegel immer zu gleicher Zeit sein müssen : Mathemat. Klasse 1525. 0) 1232 PosEeLGser PP Wo—w; und umgekehrt; wie sich dieses durch eine leichte Construction ergiebt. Ist alo B<90°—w; cot.$>tg.w, mithin Ak positiv, so ist auch cot. $’ 90° + uw oder auch < 90°— w und daher cot.$ >tg.w, vom Vorzeichen abgesehen, also A positiv, mithin der Schnitt eine Ellipse. Das übrige was Archimedes hinzufügt, ergiebt sich aus der Construction der Fig. 1. 12. Die Gleichung für das elliptische Paraboloid in (No.5.) Ax’+By’+Cz3=D verwandelt sich unter den vorigen Voraussetzungen in yY(arr’)— ay’—2)=o. Dies ist die Gleichung eines durch Umwälzung der Parabel um ihre Haupt-Axe erzeugten Paraboloids, also das von Archimedes untersuchte, welches schon oben betrachtet worden ist. 13. Das hyperbolische Paraboloid, dessen Gleichung (No.7.) Ax”— By’ — Cı=o kann, wie sich sofort aus der Form derselben ergiebt, auf keine Weise durch Umdrehung erzeugt werden, und ist daher von den Archimedischen Konoi- den gänzlich ausgeschlossen. 14. Wird die allgemeine Formel des Konoiden-Schnittes auf das kreis- förmige Paraboloid angewendet, so erhält man 4’=1; B’= cos. $* und daher für jeden Schnitt, für welchen & nicht — 90° ist, die Charakteristik positiv; folglich eine Ellipse. Eben so wird der schräge Schnitt des hyper- bolischen Paraboloids eine Hyperbel. u EDDIE m von Konoiden- Schnitten. 123 Erklärung der Figuren. Fig.1. Konoid, nach der allgemeinen Definition. AB, Kegelschnitt, von dessen Scheitel A, bis zu einem beliebigen Punkte B. AC, Axe, um welche 42 gedreht das Konoid erzeugt; zugleich die Richtung der Hauptaxe des Kegelschnittes 4.B. BKPLOQHB, Umfang des von B, bei Umdrehung von AB um AC beschriebenen Kreises; dessen Ebene die Grundfläche des Konoids. HKI, eine das Konoid in beliebiger Richtung schneidende Ebene. Die Punkte H,D,F,K, fallen in die Oberfläche des Konoids. Die durch sie gehende Kurve: Schnitt des Konoids. CEA, eine durch die Drehaxe 4C und einen beliebigen Punkt D des Konoiden-Schnitts gelegte Ebene. In dieser DM parallel der auf der Grundfläche lothrechten A C. DI, in der Ebene HKF, rechtwinklig in / auf HK. MI also ebenfalls rechtwink- lig auf HK. O, Mittelpunkt der Chorde HK: folglich COB senkrecht auf HK, parallel der 77. F, Durchschnitts-Punkt der Ebenen ACB, HKF. DG, parallel der CE. DIN, parallel der HK, also rechtwinklig auf COB, in N. LDIM, Neigung des Schnittes gegen die Grundfläche des Konoids, =h CO=a; OI=NM=t=y; ID=u; CN=afucosd=xz; DM=zusungo=z. Fig.2. Geradlinigtes Konoid. HDFK, ina: Hyperbel; in 5: Parabel; in c: Ellipse. FF‘, in a: reale Haupt-Axe der Hyperbel; inc: Haupt-Axe der Ellipse, parallel den u. Die übrigen Buchstaben in Fig.2.a,b,c, bezeichnen dasselbe, was in Fig.1. Fig.3. Ellipsoid. ; GHFABEG, deren halbe Haupt-Axen: CA,CB, parallel den Coordinaten-Axen der x und der y. CD, lothrecht auf jener Ellipse, in deren Mittelpunkt C, dritte halbe Haupt-Axe des Ellipsoids, Richtung der Coordinaten-Axe der z. DEIFD, irgend ein beliebiger Schnitt des Ellipsoids mit einer durch die Richtung der z gelegten Ebene, eine Ellipse, deren halbe Haupt-Axen: EC, CD; die letztere unveränderlich, die erstere gleich dem halben Durchmesser der Ellipse GAHB, durch welchen jener Schnitt geführt wird. Geht dieser Schnitt durch die Haupt-Axe G4, oder durch die darauf senk- rechte ZB, so istes eine Haupt-Ebene des Ellipsoids, wie die Ellipse GAHB selbst. Fig.4. Elliptisch-hyperbolische Doppelröhre. GHFABEG, gegebene Ellipse, deren halbe Haupt-Axen: CA, CB, parallel den Coordinaten-Axen der x und der y. ICD, lothrecht auf jener Ellipse in deren Mittelpunkt C, Richtung der Coordinaten- Axe der z. Q2 124 Poseurcer von Konoiden-Schnitten. DEIFD, irgend ein beliebiger Schnitt.des elliptischen Hyperboloids mit einer durch die Richtung der z gelegten Ebene, eine Hyperbel, deren beide Zweige: FFF und EEE, und deren reale Haupt-Axe: CF; der reale Factor der imaginären unveränderlich; die veränderliche reale gleich dem halben Durchmesser EF, durch welchen der Schnitt geführt wird. Fig.5. Elliptisch-hyperbolische Doppelschale. GKMILNG, zwei von der Ebene BCA, der Coordinaten x und y, gleich weit, um CD, entfernte Ellipsen, deren halbe Haupt-Axen DI, DZ, parallel den Coor- dinaten-Axen der & und der y. DCD, lothrecht auf diesen Ellipsen, in deren Mittelpunkte D, und dem Coordi- naten-Anfange C. MEN, MEN, irgend ein beliebiger Schnitt des elliptischen Hyperboloids, mit einer durch die Richtung der z gelegten Ebene, eine Hyperbel, deren beide Zweige: DEN, MEN, und deren halbe unveränderliche reale Axe: CE; der reale Factor der imaginären veränderlich, mit dem Durchmesser M N, durch welchen der Schnitt geführt wird, sich ändernd. Fig.5. Elliptisches Paraboloid. GKMILNG, eine gegebene Ellipse, in der Ebene der x und y; die halben Haupt- Axen: DI,DL, DC, lothrecht auf dieser Ellipse in deren Mittelpunkt D. MEN, irgend ein beliebiger Schnitt des elliptischen Paraboloids, mit einer, durch die Richtung der z gelegten Ebene, eine Parabel, deren Scheitel: D, und deren Zweige EM, EN, den Umfang einer Ellipse schneiden. ED, Abstand des Scheitels dieser Parabel, unveränderlich; liegt in der Richtung der Haupt-Axe der Parabel. Der Parameter der letzteren ändert sich mit 7 N, dem Durchmesser, durch welchen der Schnitt geführt wird. Fig.6. Hyperholisches Paraboloid. GMN,IMN, Uyperbel, deren Mittelpunkt: D; halbe reale Haupt-Axe: DI, DG; Ebene der x und y; D, Coordinaten-Anfang. DC, lothrecht auf dieser Ebene ın D. NCHM, irgend ein Schnitt des Paraboloids mit einer durch die Richtung der z,DC, gelegten Ebene; eine Parabel, deren Scheitel C ist, und deren Zweige den Um- fang jener Hyperbel schneiden. CD, Abstand des Scheitels dieser Parabel, unveränderlich. ; Der Parameter ändert sich mit M N, dem Durchmesser, durch welchen der Schnitt geführt wird. Jeder Schnitt, MIND parallel, giebt eine Hyperbel. Alle diese Hyperbeln sind einander ähnlich. In C, dem Scheitel der Parabeln, stofsen die Scheitel der Hyperbel zusammen und die Zweige derselben gehen über in ihre Asymptoten. Zu der gegebenen Figur (6) gehört eine zweite, ganz auf dieselbe Weise .construirte, in C rechtwinklig mit jener zusammentreffende, hier der Kürze wegen weggelassene, deren wesentlicher Bestandtheil eine andere beliebige die IC37 rechtwinklig in C, wo ‚beide Scheitel zusammen fallen, kreuzende Parabel, welche ihre Zweige nach entgegengesetzter Richtung der ersteren ausbreitet. — aan mann En Dee ERDE Dre Macher RR IE Abhandlungen der philosophischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. u.a nano Aus dem Jahre 1825. ee nn nr Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. ® al esdaitsine 2 fee ah PTR En un gen nn En rdst woh 2 — an un nn = t . ; I y f < . Pr .. v x k . ersarser B 1 f z 5 3 ig i ersten ar num . = f . Zu A ‚ F f ya) Ik 4 ? t Ihm: ’ % E j 5 ' 72 f \ f | Über die Extreme in der Philosophie und allen moralischen Wissenschaften. en HB" ANCILLON. mummmnminVvr Erster Theil. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 14. July 1825.] D.- Ideen und der Vorstellungen giebt es zwei Hauptarten. Wir erhalten sie von Aufsen, oder wir tragen sie in uns selbst, und sie sind äufsere oder innere Thatsachen. In beiden Fällen mufs man das Ganze der Thatsachen, die sich wechselseitig beleuchten und begründen, auffassen. Denn begnügt man sich, eine einzelne Thatsache aufzufassen, als wenn die entgegengesetzte nicht existirte, so würde diese isolirte Thatsache eben deswegen falsch wer- den, und unmöglich zur Wahrheit führen können. Man kann die Evidenz nicht erklären, noch mit Worten sagen, was sie ist. Die Evidenz ist etwas so einfaches, so unwillkührliches, dafs sie gar nicht Anderen mitgetheilt werden kann. Ich sage nicht kann mitgetheilt wer- den, denn ich kann eine Sache nicht evident machen, wenn, um ihr einen solchen Charakter aufzudrücken, es nicht hinlangt, dieselbe auszusprechen. Die Evidenz einer Wirklichkeit oder einer Existenz läfst sich eben so wenig auf andere Worte zurückführen, als die Evidenz einer Anschauung oder einer Empfindung. Die Evidenz einer Thatsache ist etwas ganz von der Evidenz eines Begriffs oder eines Vernunftschlusses verschiedenes. Die Thatsache mufs wahrgenommen werden, der Begriff kann und mufs entwickelt werden. Alles was in einem Begriff, oder in einem Vernunftschlufs, oder in einer Definition, oder in einer Construction niedergelegt worden ist, kann später aus ihr wie- Philosoph. Klasse 1825. A 2 Ancıtnvoxn: über die Extreme in der Philosophie der herausgezogen oder von ihr abgeleitet werden. So verfährt man in der Mathematik. Man leitet aus den Constructionen oder Definitionen alles ab, was man in dieselben hineingelegt hat, oder was sich in ihnen vorfindet. Diese Art von Evidenz ist mittelbar; die der Thatsachen, unmittelbar. Diese Evidenz mufs allen philosophischen Systemen zum Grunde lie- gen, oder die Evidenz der Thatsachen reicht hin, um dieselben zu wider- legen. Es giebt eigentlich nur drei Klassen von Philosophen, die Dogmati- ker, die Pyrrhonier, die Skeptiker. Die Ersten gehen von der Wirklichkeit aus, es sei nun dafs sie dieselbe zu beweisen versuchen, es sei dafs sie die- selbe als gegeben annehmen. Die Pyrrhonier läugnen die Realität ab, und behaupten beweisen zu können dafs nichts kann bewiesen werden. Die Skeptiker finden keine Gewifsheit in den Demonstrationen beider Partheien, halten mit ihrer Meinung zurück, und anstatt zu behaupten, dafs es nichts Gewisses giebt noch geben kann, begnügen sie sich zu sagen, dafs für den Augenblick es nichts Gewisses giebt. Die Ersten haben Recht an die Realität zu glauben, aber sie haben Unrecht zu wollen, dafs dieselbe das Produkt einer Demonstration sei. Die Pyrrhonier haben ein doppeltes Unrecht; ein- mal die Realität zu läugnen, und dann ihre Verneinung aller Realität auf eine Demonstration stützen zu wollen. Die Skeptiker haben Recht zu behaupten, dafs alle diese Demonstrationen willkührlich sind, da sie das annehmen, was gerade in Frage stehet, und dafs es gleich unmöglich ist, die Existenzen und die Realitäten zu beweisen, oder zu beweisen, dafs man nichts beweisen kann. Aber sie haben Unrecht, darauf das Zurückhalten ihres Urtheils zu gründen, dem gesunden Menschenverstande Hohn zu sprechen, und ihr eige- nes Gewissen Lügen zu strafen, indem sie behaupten dafs es keine Realität giebt, da sie doch, in ihren Reden so wie in ihren Handlungen, eine Menge Realitäten annehmen, und annehmen müssen. Für die Dogmatiker giebt es nur drei verschiedene Arten Systeme zu erbauen, die einzige wahre, und zwei andere, die nicht zum Zweck füh- ren. Nehmlich man gehet von Grundsätzen, die zugleich Thatsachen sind, aus, oder man nimmt Definitionen als Grundlagen an, oder man leitet alles von verallgemeinerten Thatsachen ab. Der erste Weg ist allein der gute und sichere, wenn die Thatsachen wirkliche Grundsätze oder Real-Existen- zen sind, und man nicht leeren Schein für solche annimmt. Die zweiten verdienen gar nicht den Namen eines Systemes, es sind willkührliche Defini- und allen moralischen Wissenschaften. 3 tionen oder eigenmächtige Gonstructionen, denen nie Existenzen entsprechen können, und wenn man solche Definitionen oder Constructionen entwickelt oder auseinandersetzt, so findet man nur immer in denselben was man hinein- gelegt hat. Die verallgemeinerten Thatsachen können freilich einem Systeme in der Physik zur Grundlage dienen, wenn die Thatsachen wahr sind, und man sich nicht mit der Generalisation derselben übereilt hat. Allein die allgemeinen Ideen sind Kunstprodukte, und werden uns nie allgemein gültige oder Universalideen abgeben. Die Urideen oder die Grund- sätze sind die einzigen Universalideen. Sie sind nicht Produkte der Seele, noch werden sie von derselben erschaffen, noch weniger kommen sie nur von den äufseren Gegenständen her, aber sie treten bei Gelegenheit des sinn- lichen Eindrucks aus den Tiefen der Seele hervor. Wenn die Grundsätze nichts anders als verallgemeinerte Ideen wären, die Ideen verarbeitete sinnliche Empfindungen, und die sinnlichen Empfin- dungen nichts anderes als Schein, so existirte gar nichts und alles würde sich auf eine Phantasmagorie reduciren. Was man bis jetzt Ontologie genannt hat oder die Wissenschaft der Wesen überhaupt, ist nichts als eine Nomenclatur der feinsten Abstractionen und der allgemeinsten Klassificationen. Diese Begriffe, von aller Realität entblöfst, können auf alles angewendet werden, eben wegen ihren totalen Mangels an Inhalt und Gehalt, allein eben deswegen lehren sie uns nichts, und wenn man auch Jahrhunderte sich mit denselben beschäftigte und be- lustigte, würde die Wissenschaft nicht um einen Schritt weiter kommen. Die Wesen, werden uns gegeben; vermittelst einer inneren und objectiven Anschauung, fassen wir dieselben auf; und fafsten wir sie nicht auf diese Art, so würden wir sie nie fassen. Das Wesen ist nicht die allgemeinste der Eigenschaften, aber alle Eigen- schaften sind nichts, oder werden gewissermafsen zu nichts, zu getrennten, zerstreuten, umherirrenden Bruchstücken, ohne das Wesen, nehmlich ohne das thätige und wirkende Prineip, welches allein reel, alle Eigenschaften in sich vereinigt, und ihnen das Daseyn und das Leben schenkt. Es ist unstreitig ein grofser Unterschied zwischen der Substanz und dem Substantiv, aber der Mensch hätte nie den Substantiv erschaffen, wenn er nicht das Bewufstseyn seiner eigenen Substanz und von Substanzen, die aufser ihm existiren, gehabt hätte. A2 4 Ancıuros: über die Extreme in der Philosophie Wir nehmen eigentlich nur die Eigenschaften wahr, und die Adjective drücken diese Eigenschaften aus, aber die Eigenschaften selbst setzen etwas, das sie trägt, voraus. Sie bieten sich nur auf diese Art dar. Alles was trägt, ohne getragen zu werden, was den Adjectiven zur Grundlage dient, ist für uns die Substanz, und dieses drücken wir vermittelst des Substantivs aus. Die Real-Wissenschaft ist immer ein Wissen von Thatsachen; die ideelle Wissenschaft ist eine Zusammensetzung der Ideen, die uns nichts lehrt als das, was wir ursprünglich hineingelegt haben, und uns zu keiner Existenz führt. Das Wissen von Thatsachen ist entweder ein Wissen von Urthatsachen, von Thatsachen des innern Sinnes, welche nur wirkliche Existenzen offenbaren, oder ein Wissen abgeleiteter Thatsachen, die von der Einwirkung der Objecte auf unsere Organe herrühren. Dieses zweite Wissen kann uns nur immer über die Existenz der Verhältnisse belehren. Logische Grundsätze können nie Urthatsachen ersetzen. Die logischen Axiome als da sind: der Grundsatz des Widerspruchs und der der Identität, dienen nur den Vernunftschlüssen zur Norm, und zeichnen ihnen ihr Geleis vor. Der Grundsatz des Widerspruchs giebt uns nichts, aber wenn uns etwas gegeben ist, ist uns dieser Grundsatz ein sicherer Gewährleister, dafs das Ge- gentheil davon uns nicht zugleich gegeben werden kann. Der Grundsatz des zureichenden Grundes kann nur auf das was im Raume und in der Zeit geschiehet, angewendet werden. Er setzt voraus, dafs etwas geschiehet; und das was geschiehet, mufs eine Ursache haben. Aber in diesem Systeme selbst, damit alles seinen zureichenden Grund habe, mufs man annehmen, dafs etwas ohne zureichenden Grund existirt. Wenn man annimmt, dafs es Wirkungen giebt, mufs man vermöge dieses Princips auch wohl Ursachen annehmen, und sagen, dafs nichts ohne zureichenden Grund geschiehet;, es wird dann ein und dasselbe auf zwei verschiedene Arten gesagt. Aber diejenigen die da läugnen, dafs es reelle Wirkungen gebe, und dafs etwas geschiehet, und die welche sich damit begnügen zu sagen: es giebt nur ein Wesen, eine Existenz, läugnen das Prineip des zureichenden Grundes, weil sie desselben nicht bedürfen. Sie sagen nichts anderes als: was ist, ist, und mit dem Grundsatze des zureichenden Grundes allein kann man sie nicht widerlegen. Das berühmte Axiom, welches der Cartesianischen Philosophie zum Grunde liegt, bedarf auch einiger Berichtigung oder Beschränkung. Cartesius und allen moralischen Wissenschaften. 5 sagt: alles was in einer denkbaren und bestimmten Vorstellung einer Sache enthalten ist, kann von derselben bejahet werden. Dieses Axiom läuft da- hinaus zu sagen: alles was ist, ist; aber wie es da stehet, scheint es nur auf die zusammengesetzten Ideen anwendbar zu seyn. Sie allein bestehen aus mehreren Elementen und zeigen uns die Mannigfaltigkeit in der Einheit; und doch giebt es einfache Ideen, um so einleuchtender und evidenter als sie ein- fach sind, und die mit einer unwiderstehlichen Gewalt uns den Eindruck der Evidenz geben. Es findet ein grofser Unterschied zwischen Wissen und Verstehen statt. Eine Sache wissen oder erkennen, heifst dieselbe wahrnehmen, und die Über- zeugung ihrer Objectivität haben. Eine Sache verstehen, ist wissen, wie sie entstehet, sich bildet, sich entwickelt, die Ursache in ihrer Wirkung sehen. Man erkennt durch den inneren Sinn oder durch die Sinne; man verstehet nur vermittelst des Verstandes. Man begreift oder verstehet nur endliche Dinge; das Unendliche kann man nur wissen, das heifst, von seinem Daseyn überzeugt seyn, ohne dasselbe zu verstehen. Wir können also von allen Dingen, die zu einer höheren Ordnung gehören, nichts verstehen. Alle Urexistenzen, alles Ewige, Unendliche, ist von der Art. Es wäre ein Irrthum zu glauben, dafs wenn die Seele von den Orga- nen getrennt seyn wird, sie alles was sie jetzt nicht erkennen kann, voll- kommen erkennen wird. Ihre Gränzen bestehen ja nicht im Körper allein. Man kann nur mit Wahrheit sagen, dafs sie dann nicht mehr vermittelst die- ser Organe erkennen und dafs sie die Gegenstände ohne dieses Medium wahr- nehmen wird. Die verschiedenen Wesen können sich nur verstehen, in so fern sie eine identische Natur haben. Wenn diese Identität nicht Statt findet, so können sie sich wechselseitig gar nicht verstehen. Wenn diese Identität ‘vollkommen wäre, und keine Verschiedenheit zuliefse, so würden solche Wesen sich verstehen können, aber sie hätten gar nichts sich zu sagen. Wenn diese Identität Statt findet, aber wenn individuelle Verschiedenheiten über sie sich aussprechen, und dieses sogar auf eine grelle und auffallende Art, so verstehen sich die Wesen, aber sie sind deswegen nicht einverstan- den. Daher kömmt es, dafs die Thiere derselben Art sich wenig oder nichts mitzutheilen haben, dafs die Thiere verschiedener Art sich nicht verstehen 6 Ancıunuon: über die Extreme in der Philosophie würden, wenn sie sich auch mittheilen könnten, dafs die Menschen selbst die Thiere nur auf eine unvollkommene Art verstehen, und dafs die Menschen selten unter sich einverstanden sind. Je weniger es Individualität zwischen den Menschen giebt, um so mehr verstehen sie sich leicht. Die specifischen Charaktere der Gattung überflügeln dann die Individualitäten, und üben eine Art von Oberhand über sie aus. Je mehr es Individualität unter den Menschen giebt, um so mehr ist diese Individualität bestimmt ausgesprochen und originell, um so weni- ger werden sie sich verstehen, weil sie sich in Hinsicht der Meinungen und der Neigungen gar nicht ähnlich sind. Daher aller Unterschied zwischen Volk und Volk in Hinsicht der Gewohnheiten, der Grundsätze, der Religion, der Nei- gungen, derSitten. Daher auch die Unterschiede zwischen Mensch und Mensch, die nur da in hohen Grad statt finden, wo die Menschen eine verschiedene Le- bensart führen und eine verschiedene Erziehung erhalten haben. Das Wissen, das vollkommene Wissen, würde in einer objectiven Anschauung der Wesen bestehen. Gott allein besitzt dieses Wissen in seiner Vollendung und Vollständigkeit. Doch mangelt diese objective Anschauung den endlichen Wesen nicht ganz. Der Gelehrte hat weniger von derselben als er zu besitzen wähnt, der Unwissende hat von derselben weit mehr als er glaubt. Die beiden Extreme der vollkommenen Unwissenheit und des voll- kommenen Wissens existiren nicht. Man fängt mit der Unwissenheit an und bleibt in derselben mehr oder minder befangen; man schreitet vorwärts zur Wissenschaft, oder wenigstens nimmt man früher diese Richtung, aber zu ihr gelangt man nur theilweise. Es giebt eine Unwissenheit, die zu keinen Irrthümern führt. Denn in diesem Zustande begnügt sich der Mensch sinnliche Empfindungen zu empfangen, und sich leidend verhaltend, spricht er über dieselben kein Ur- theil aus. Dieses ist der höchste Grad der Unwissenheit. Ist man minder un- wissend, so hat man eine gröfsere Menge von Irrthümern, weil man Urtheile fällt, und weil, indem man Eindrücke der Gegenstände für Eigenschaften der Wesen nimmt, man von den einen auf die anderen schliefst. Wenn von Urgefühlen die Rede ist, welche uns das Bewulstseyn der Existenzen geben, kann man mit Wahrheit sagen, dafs das Gefühl die Vernunft in einem latenten Zustand, und die Vernunft das entwickelte Gefühl ist. und allen moralischen Wissenschaften. 2 Wäre die Vernunft nur das Vermögen, auf eine willkührliche Art, will- kührliche Vorstellungen und Begriffe zusammenzusetzen und zu verbinden, so würde die Vernunft nur eine Art von Spiel seyn. Aber wenn der innere Sinn die Realität giebt, oder vielmehr wenn der innere Sinn das Bewufst- seyn gewisser Existenzen ist, dann hat die Vernunft einen Ausgang und einen Stützpunkt, und nur dann kann sie Realitäten zusammensetzen. Dann haben auch die Systeme eine feste und sichere Grundlage, an- ders schweben sie in der Luft. Ein System ist eine künstliche Verkettung von Grundsätzen und von Thatsachen. Es kann durch das Fundament oder durch die Construction schlecht gerathen und baufällig werden. Der erste Fehler tritt viel öfter als der zweite ein. Denn statt einer festen Grundlage nennt man in der Regel solche zweifelhafte Thatsachen, Grundsätze, die die- sen Namen nicht verdienen und keine sind, oder vielmehr ein willkührliches Annehmen dessen was in Frage steht. Öfters geht man zwar von einer festen Grundlage aus, allein man verfällt in den zweiten Fehler. Dann giebt es ge- fährliche Lücken in dem ganzen Bau, oder das Bindungsmittel, welche alle Theile zu einem Ganzen verbinden soll, ist nicht stark genug um eine voll- kommene Verbindung hervorzubringen. Ein System ist öfters nur ein Gerüste, aber öfter auch nimmt man ein Gerüste für ein Gebäude. Sich ein System bilden oder ein System annehmen, sein Heil nur in einem solchen finden, ist unstreitig ein Extrem, das beschränkte Ansichten voraussetzt oder die Ansicht beschränkt, welches die Thätigkeit des Geistes lähmt, indem es ihm seine Freiheit raubt, und die Intelligenz aller That- sachen die nicht mit dem Systeme harmoniren und aller neuen Einsichten ausschliefst. Daher kömmt es, dafs man oft mit einem Systeme anfängt und damit endigt, keinem mehr anzuhängen; man findet, dafs es besser und zweckmälsiger sei, sich selbst seine Armuth einzugestehn, als sich über sei- nen vermeintlichen Reichthum zu täuschen; man ziehet dem falschen Wissen die Unwissenheit vor. Die Systeme verabscheuen und fliehen, das Streben nach denselben so wie alle Ansprüche auf ihren Besitz verdammen, die Ver- bindung und die Verkettung der Ideen fürchten und ihnen kein Vertrauen schenken, das Unzusammenhängende lieben und sich in ihm gefallen, ist ein anderes Extrem, welches dem Denken seinen Reiz, seine Wirksamkeit und einen grofsen Theil seines Nutzens benimmt. 8 Ancınuon: über die Extreme in der Philosophie In allen Systemen verfährt man entweder synthetisch oder analytisch, oder man versucht beide Wege nach einander. Aber beide sind nichts an- ders als wahre Spielereien des Verstandes, wenn dem Menschen nichts ur- sprünglich gegeben ist in Hinsicht der Existenzen. In diesem Fall kann man sich zwar damit belustigen, die Leiter auf und abzusteigen; allein wenn eine solche Leiter keinen reellen festen Stützpunkt hat, kann sie auch zu nichts Reellem führen. Es ist bestimmt nicht die Leiter, auf welcher die Engel auf und abgehen, welche auf der Erde ruhet und zum Himmel führt. Was hilft es, vermöge der Analysis bis zu den allgemeinen Begriffen hinaufzusteigen, um dann durch die synthetische Methode bis auf die besonderen Vorstel- lungen herabzusteigen, wenn die allgemeinen Begriffe nichts anderes als Produkte oder Spiele des Verstandes sind, und leere Abstractionen. Aber alles nimmt einen anderen Charakter an, wenn Existenzen in dem inneren Sinn gegeben sind. Dann ist die Analysis das Mittel, vermittelst der Phäno- mene, welche die Sinne nur wahrnehmen lassen, zu den ursprünglich gege- benen Wahrheiten zu gelangen, und die Synthesis das Mittel, zu allen Folge- sätzen, die vou diesen gegebenen Wahrheiten herstammen herabzusteigen. Es wäre ein verderbliches Extrem, nur einer dieser beiden Verfahrungsarten sich ausschliefslich hinzugeben und die andere zu verwerfen oder zu ver- nachlässigen. Durch Definitionen kömmt man auch nicht weit. Eine jede gute De- finition, sagt man, soll die allgemeine Art, zu welcher eine Sache gehört, und zugleich ihre specifische Differenz angeben. Da die Begriffe der Art und der Categorie immer unser eigenes Werk sind, und da wir diese Begriffe nur bilden indem wir die Ähnlichkeiten auffassen und in Eins vereinigen, so frägt es sich: was würden wir erkennen, wenn das ganze Gebäude unserer Erkenntnisse nur auf Definitionen solcher Art beruhte, da in der Realität der Existenzen, der Art und der Categorie nichts entspricht und diese klas- sificationen einzig und allein unsere eigene Arbeit sind. Es sind weder seine Ähnlichkeiten mit anderen Wesen derselben Art, noch seine specifischen Un- terschiede, sondern seine individuellen Differenzen, welche das Wesen bil- den. Wenn man also richtig und gründlich das Wort Definition oder Er- erklärt, so ergiebt sich, dafs eine solche Erklärung nie einem Wesen klärung, entsprechen mag. Man mufs also voraussetzen, dafs gegebene Existenzen statt und allen moralischen Wissenschaften. 9 finden einfache Urthatsachen, die auszusprechen und nicht zu erklären sind, oder vielmehr die man erklärt indem man sie ausspricht. Die Definitionen beziehen sich alle auf die Eigenschaften der Dinge, oder vielmehr sie sind nur die Aufzählung der charakteristischen Eigenschaf- ten derselben. Aber eine jede Eigenschaft findet immer nur bis zu einem ge- wissen Grade Statt. Der höchste Grad kann nicht existiren, weil er in sich ein Unding ist. Allein es heifst wenig oder gar nichts sagen, wenn man ei- nem Wesen eine Eigenschaft zuschreibt, ohne zu bestimmen oder bestimmen zu können, in welchem Grade er dieselbe besitzt. Eine jede Qualität existirt immer nur in einer gewissen Quantität, oder bis zu einem Punkt von Gröfse, von Stärke und von Ausdehnung. Die Bestimmung dieser Quantität bleibt immer die Hauptsache, aber diese Bestimmung ist in allen Fällen sehr schwer, und in vielen unmöglich. Alle Qualitäten können nicht abgeschätzt und in Hinsicht ihrer Quan- tität bestimmt werden, weil wir die nothwendigen Werkzeuge und Melfsin- strumente zu einem solchen Verfahren nicht besitzen, aber alle Qualitäten sind in Hinsicht ihrer Quantität bestimmbar. Gerade weil alle Qualitäten bestimmbar sind, sind sie einer Vermeh- rung oder Verminderung, einer Erhöhung oder eine Herabsetzung fähig, nehmlich man kann sich solche bei einer jeden Gradation denken und der- gleichen annehmen. Eine Eigenschaft, die man sich in einer reinen und totalen Abson- derung im höchst möglichen Grade denken würde oder die auf diese Art existirte, wäre eine absolute Eigenschaft. Eine Eigenschaft die in einem höhern Grade in einem Individuum sich vorfindet als andere Eigenschaften desselben, oder eine Eigenschaft von derselben Art, die in einem Menschen höher existirt als in einem andern, ist eine relative Eigenschaft. Eine Eigenschaft, einzeln betrachtet, in einem abstracten Sinn genom- men, unabhängig von allen denjenigen die mit ihr verbunden sind und die- selbe modificiren, sie beschränken, oder sie ausdehnen, kann als extreme Eigenschaft angesehen werden. Das dieser im höchsten Grade existirenden Eigenschaft entgegengesetzte Extrem wird entweder dessen vollkommene Abwesenheit, oder der Gegensatz dieser Eigenschaft im höchst möglichen Grade seyn. Philosoph. Klasse 1825. B 10 Asucıruvon: über die Extreme in der Philosophie Wenn wir vom höchst möglichen Grade sprechen, so denken wir ihn uns rein von allem Fremdartigen in der Abstraction, denn in der Wirklich- keit zeigt sich nie der höchst mögliche Grad in seiner Absolutheit. Was wir Extreme nennen, ist es also immer nur auf eine relative Art und vergleichungsweise. Keine Eigenschaft existirt auf eine isolirte Art. Eine jede Eigenschaft ist immer nur mit anderen gepaart. Daher kömmt es, dafs eine jede Eigen- schaft durch andere modifieirt oder von anderen beschränkt in ihrer Wirk- samkeit wird. Die eigenthümlich sogenannten Extreme existiren nicht. Es sind immer nur relative Extreme, welche die Wirklichkeit uns darbietet. Die Extreme im absoluten Sinn existiren nur in dem Gedanken. Eine Eigenschaft im höchst möglichen Grad, eine Eigenschaft dersel- ben Art im möglichst niedrigen Grad, können freilich als zwei Extreme be- trachtet werden. Aber man würde den Begriff der Extreme gar zu sehr ein- schränken, wenn man ihn nur darauf beschränken wollte. Zwei Eigenschaf- ten, von welchen die eine nicht allein die Verneinung der andern ist, sondern die zwei entgegengesetzte Zustände bilden, sind auch extreme Eigenschaften. Von der Art sind die Bewegung und die Ruhe, der Muth und die Feigheit, die Kraft und die Schwäche des Willens. Man kann wohl sagen, dafs eine dieser Eigenschaften die Verneinung der andern ist, aber zugleich bietet eine jede derselben etwas sehr Positives dar, und dieser doppelte Charakter macht sie zu Extremen. Wenn man eine Idee, einen Zustand, ein Wesen, von welcher Art es auch sei, auffafst, und von ihm wie von einem Ausgangspunkt anhebt, um eine Linie zu entwerfen, und man auf einem jeden Punkte dieser Linie diese Idee, diesen Zustand, diese Eigenschaft, dieses Wesen um einen Grad ver- mindert und verringert, so gelangt man allmählich zu einem andern Zu- stand, einer andern Eigenschaft, einem andern Wesen, welches die Vernei- nung der vorigen seyn wird, aber zugleich etwas schr Positives. So wird man zwei Extreme haben. Die Extreme berühren sich ohne sich zu vermischen. Spricht man von extremen Graden, so ist die Sache deutlich und evident. Man gelangt durch die Zwischengrade vom höchsten Grade zum niedrigsten, oder vom niedrigsten Grade zum höchsten. In diesem Sinn hat man oft gesagt, dafs und allen moralischen Wissenschaflen. 11 das Vergnügen und der Schmerz Geschwister wären. In der That führt der höchste Grad von Vergnügen zum ersten oder zum niedrigsten Grad der Schmerzen, und die Abwesenheit des Schmerzes ist der erste Grad des Ver- gnügens. Wenn von entgegengesetzten Eigenschaften die Rede ist, so kann man auch noch sagen, dafs die Extreme sich berühren, weil der Mifsbrauch, den man mit einem Extreme getrieben hat, in das entgegengesetzte wirft, weil um sich von seinen eigenen Irrthümern zu retten, man glaubt, sich nicht genug von ihnen entfernen zu können. Kein Wesen, es sei körperlich oder geistig, ist vollkommen einfach oder vollkommen isolirt. Die Wesenheit besteht nie in einer bis auf das Höchste gesteigerten einzigen Eigenschaft ohne Correctiv, ohne Gegenge- wicht, ohne irgend eine Mischung; aber alle Wesen haben verschiedene Eigenschaften die nach Verhältnissen gemischt, ihre Natur bestimmen. Daher kömmt es, dafs in keinem Wesen eine Eigenschaft existire ohne auf alle sei- nen anderen Eigenschaften einzuwirken und ohne wieder wechselseitig der Gegenstand ihrer Einwirkung zu seyn. Um irgend ein Wesen aufzufassen, mufs man also alle seine Eigenschaften in ihrer Wirkung und Gegenwirkung auffassen, und ihre Quantität-Verhältnisse bestimmen und angeben. Man ver- fehlt gewifs das Wesen, wenn man eine seiner Eigenschaften einzeln wahr- nimmt ohne ihre Verwandschaften und Gegensätze. Da alle Wahrheiten endlich auf die Existenzen bezogen werden müssen, und ihre Gewifsheit von ihrer Identität mit den wirklichen Dingen abhängt, so wird es auch nur in so fern Wahrheit in den Thätigkeiten des Verstandes, und in den Ideen Com- binationen geben, als man die Extreme vermeidet, und man auf dem vermit- telnden Wege in das Geheimnifs der Zusammensetzung der Wesen eindringt. Man hat manchmal behauptet, dafs die Eigenschaften der Wesen nicht wesentlich verschieden wären, sondern nur in Hinsicht des Grades differirten. Sind die Wesen selbst specifisch und wesentlich verschieden, oder unterschei- den sie sich nur durch den Grad der ihnen inwohnenden Kraft? Diese Frage ist freilich von der höchsten Wichtigkeit in der ganzen Philosophie, und ganz besonders, wenn es sich von den Extremen handelt. Giebt es keinen andern Unterschied als den des Grades, so nimmt man das Gesetz der Stetigkeit in dem. Sinn von Leibnitz an, und von der einfachsten Crystallisation bis zur reinen Intelligenz sind alle Wesen welche die grofse Leiter der Existen- zen bilden, nur die fortschreitende Entwickelung identischer Naturen, und B2 12 Axcıtwvon: über dıe Extreme in der Philosophie gleichartiger Eigenschaften. Nimmt man an, dafs die Wesen nicht allein in Hinsicht des Grades sondern durch ihre innere Natur verschieden sind, dann giebt es keine strenge Stetigkeit im eigentlichen Sinn des Worts zwi- schen den verschiedenen Arten der Wesen, sondern es giebt nur noch, mehr oder minder auffallende Ähnlichkeiten. Kein anderes Gesetz der Stetigkeit findet dann statt als das der engen Verbindung und des innigen Zusammen- hang, der Wesen, als Ursachen und Wirkungen, und in ihren mannigfaltigen Verhältnissen. Sind die Wesen wesentlich verschieden, giebt es specifisch- getrennte Eigenschaften, so können die Extreme noch in denselben auf eine relative Art statt finden, weil dieselbe Eigenschaft sich in einem Wesen im niedrigsten Grade und in andern im höchsten existiren kann, und so kann doch eins dieser Wesen, gerade durch diese Mischung seiner Eigenschaften der Gegensatz eines andern seyn. Wenn von Vorstellungen, sinnlichen Empfindungen, Gefühlen und zu- mal von Begriffen und Ideen die Rede ist, so ist es auf der einen Seite leich- ter zu sagen was die Extreme sind, und auf der andern noch viel schwerer dieselben zu vermeiden. Hier wird eine Sache extrem, sobald sie einen ausschliefslichen Charakter annimmt. Denn eine jede Vorstellung und ein jeder Begriff behält nur sein wahres Maas, ja sogar Wahrheit, in sofern beide ihr Verhältnifs zu allen anderen Vorstellungen beibehalten, Vorstel- lungen, welche die erste beschränken oder ausdehnen, und indem sie die- selbe modifieiren, sie da wo sie hingehört festhalten und sie in ihr eigen- thümliches Licht stellen. Die Ideen und die Vorstellungen sind doppelter Art. Entweder empfangen wir dieselben von aufsen, oder wir tragen sie in uns selbst, und sie sind entweder Thatsachen der äufseren Sinne oder innere. In beiden müfste man das Ganze in Thatsachen die sich wechselseitig beleuchten und beschränken auf und zugleich fassen. Begnügt man sich damit eine einzige zu betrachten und zu berücksichtigen, als wenn andere Thatsachen und viel- leicht die entgegengesetzten nicht wirklich wären oder nicht existirten, so würde die vereinzelte Thatsache dadurch leicht zum Extrem werden, und also falsch seyn und irre führen. Diese Thatsachen der inneren und der äufseren Sinne geben uns die Überzeugung einer objectiven Realität. ‚Ganz anders verhält es sich mit den sinnlichen Empfindungen und mit den Gefüh- len, die immer nur von einem einfachen Verhältnisse der Gegenstände zum und allen, moralischen Wissenschaften. \ 13 Vermögen Schmerz oder Vergnügen zt empfinden, herrühren, und die eben deswegen mehr oder minder relativ und. individuell sind. Aber. in diesem Fache, wo es einzig und allein auf den Grad ankömmt, finden sich die Ex- treme in der gröfstmöglichen Stärke oder Schwäche der sinnlichen Empfin- dung oder der Gefühle; Die sinnliche Empfindung und das Gefühl sind ein- fach, oder sie rühren von einem Gegenstande her, der von verschiedenen aber gleichartigen Bestandtheilen: zusammengesetzt ist, die zugleich Mannig- faltigkeit und Einheit darbieten. Es ist klar, dafs die Mehrheit oder die Ge- sammtheit der Menschen sich nur in einem Punkt begegnen werden, der von der gröfsten Stärke und von der gröfsten Schwäche gleich weit entfernt seyn wird, oder in Gegenständen die zugleich Mannigfaltigkeit und Einheit dar- bieten. Aber es ist gewifs, dafs eine für den Einen zu starke Empfindung, für den Andern vielleicht zu schwach seyn wird, dafs da, wo eine träge Phan- tasie und ein beschränkter oder langsamer Geist eine ermüdende Mannigfal- tigkeit erblickt die ihm nicht erlaubt die Einheit aufzufassen, eine thätigere Phantasie und ein höher strebender Verstand sich nicht mit Unrecht bekla- gen werden, dafs die Mannigfaltigkeit nicht‘grofs genug sei, und dafs die Einheit ihren Werth verliert, wie sie im Grunde sich nur als eine verdeckte Leere zeigt. Sobald man annimmt wie man es annehmen mufs, dafs alle Wesen ein einziges Ganze bilden, dafs sie innig mit einander verbunden sind, dafs sie auf einander eine Wechselwirkung ausüben, und dafs die Realität nur in dieser Wirkung und Gegenwirkung zu finden ist, so ergiebt sich daraus, dafs die Wirklichkeit und die Wahrheit sich nicht in den Extremen finden werden. Die extreme Lage eines Wesens wäre die, wo man es allein sehen würde, wo man nur eine einzige seiner Eigenschaften auffassen würde, und wo man es unabhängig von allen anderen, mit welchen es im Verhältnifs stehet, be- trachten könnte. Das Extrem eines Gefühls, einer Empfindung, einer Idee, wäre der Punkt wo man sie allein abgesondert von allen fremdartigen haben würde, wo sie auf den höchst möglichen Grad getrieben wäre, wo sie von keiner andern modificirt, beschränkt, bestimmt würde. Es ist klar, dafs auf diese Art man weder zur Wahrbeit noch zur Realität gelangen würde, weil kein Wesen, rein abgesondert von jedem andern, keine Eigenschaft einzeln, von einer jeden verwandten oder entgegengesetzten Eigenschaft getrennt, in der Welt existirt. 14 AscıuLLo.n: über die Extreme in der Philosophie u. s. w. Man stelle sich das Weltall oder das ganze System unserer Vorstel- lungen und unserer Ideen, unter der Form oder dem Bilde eines Kreises vor. Der Punkt, in welchem alle Linien, die von der Peripherie ausgehen, sich berühren und sich durchschneiden, wäre derjenige, welchen man einnehmen, und auf welchem man sich stellen müfste, um das wahre System oder den wahren Zusammenhang unserer Ideen aufzufassen. Zu diesem Punkte, nehmlich im Mittelpunkte des Kreises, würden sich alle Extreme berühren, und in diesem Mittelpunkte würde die Wahrheit und die Realität ihren Sitz haben. Daraus folgt mit einer unwiderstehlichen Evidenz, dafs wenn man sich auf einem beliebigen Punkt der Peripherie des Kreises befindet, man immer nur ein Extrem fassen, und weder die Wahrheit noch die Realität besitzen wird. Über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz i ö Von Hr: SCHLEIERMACHER. ann [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 6. Januar 1825.] B:.. vereinzelte Untersuchung, wie die hier angekündigte, welche damit beginnt, zwei Begriffe aus ihrem natürlichen Ort herauszureifsen, den hier der eine in der Naturwissenschaft hat, der andere in der Sittenlehre, um sie vergleichend neben einander zu stellen, ist immer schon wegen des Scheines von Willkühr mifslich; und soll überhaupt etwas dadurch erreicht werden, so ist es nothwendig, dafs gleich von vorne herein die Absicht des Verfah- rens bestimmt dargelegt werde. In dem gegenwärtigen Falle sind nur zwei Absichten denkbar. Entweder, da beide Begriffe unter dem höheren des Gesetzes als Arten oder Anwendungen zusammengefafst sind, kann die Un- tersuchung auf dieses höhere, auf die Bestimmung seines Umfanges und die Eintheilung desselben gerichtet seyn, welches aber hier nicht der Fall ist; oder sie mufs das Verhältnifs der untergeordneten Begriffe zu den wissen- schaftlichen Gebieten, denen sie angehören, feststellen wollen. Von diesen aber habe ich es, wie ich denn überhaupt mit meinen Studien der Naturwis- senschaft weniger angehöre, eigentlich nur mit der Sittenlehre zu thun, und möchte etwas beitragen, um durch Vergleichung mit dem entsprechenden naturwissenschaftlichen Ausdruck ‚‚Naturgesetz’’ die Bedeutung des Begriffes ‚„‚Sittengesetz”’ für die Sittenlehre genauer zu bestimmen. Es ist eine alte wissenschaftliche Form, Naturwissenschaft und Sitten- lehre einander zu coordiniren und also entgegenzustellen; sie ist so alt als die Eintheilung aller Wissenschaft in Logik, oder nach dem ältern Sprach- 16 SCHLEIERMACHER gebrauch Dialektik (*), Physik und Ethik. Denn in dieser ist offenbar, dafs die beiden letzteren sich zur ersteren verhalten sollen, eine wie die andere, nicht aber etwa auch Logik und Physik zur Ethik eine wie die andere, oder umgekehrt Logik und Ethik zur Physik. In der Hellenischen Philosophie aber war in keiner von beiden Wissenschaften eigentlich von Gesetzen die Rede; theils aber wurden übrigens beide in gleicher Form behandelt, theils auch nicht. Namentlich, um bei den beiden Weltweisen stehen zu bleiben, welche auf die späteren Formationen den bedeutendsten Einflufs ausgeübt haben, gilt dies von Platon und Aristoteles. So behandelte Platon beide Wissenschaften auf gleiche Weise, denn sie waren ihm beide Gonstructionen aus der verschieden gewendeten Idee des Guten; Aristoteles aber behandelte sie ungleich, in so fern wenigstens, als er aus der Naturwissenschaft die Idee des Guten verbannte, in seiner Ethik aber diese noch ihre Stelle fand als Maafs, um unter dem in der menschlichen Seele und den menschlichen Le- bensthätigkeiten vorkommenden und auf sie bezogenen das Bessere als Ziel und Gegenstand des Bestrebens von dem Schlechteren zu unterscheiden. Will man nun sagen, hier habe doch schon der Begriff des Gesetzes latitirt, so will ich freigebig seyn und dieses in gewissem Sinne zugeben; nur gestehe man, zum rechten Bewufstseyn und somit zu einem eigenen bestimmten Ein- flufs auf die Behandlung der Wissenschaft ist dieser Begriff damals nicht ge- kommen, und zwar in der Naturwissenschaft eben so wenig als in der Ethik, sondern dies blieb der neueren Zeit vorbehalten. Denn wenn gleich bei den Stoikern der Begriff der Pflicht — so fern es überhaupt richtig ist ihr narog- Swna und z«9%xov unter diesem Ausdruck zusammenzufassen — eine gröfsere Rolle spielte: so war es doch wieder nur die Idee des Guten, woraus die Pflichten abgeleitet wurden und nicht eigentlich der Begriff des Gesetzes. In der neueren Zeit hingegen finden wir diesen Begriff in beiden Wissen- schaften in einem ganz andern Sinne vorherrschend und die Form dersel- ben bestimmend, indem beide, Ethik und Physik, nach nichts anderem zu streben scheinen als nach einem System von Gesetzen. Aber sobald dies recht zum Bewufstseyn gekommen war, wurde auch festgestellt, dafs der (*) Vielleicht liefse sich nachweisen, dafs diese Änderung des Sprachgebrauchs auf nichts weiter als auf dem Aufhören der dialogischen Methode beruht; wenigstens ist ein Unterschied in Absicht auf den Gehalt beider Ausdrücke in dieser Zeit durchaus nicht vorhanden. über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz. 17 Begriff Gesetz in dem Ausdruck Naturgesetz etwas anderes bedeute, also nicht derselbe sei als in dem Ausdruck Sittengesetz; und der Einflufs, den dieses seit Kant und Fichte auf die ganze Gestaltung der Sittenlehre gehabt hat, hat mich vornehmlich zu der gegenwärtigen Untersuchung angeregt. Nun kann man freilich sagen, die hier bezeichneten Formen der Philoso- phie, die Kantische und Fichtische, seien schon lange antiquirt, und also sei auch weder die eine noch die andere von beiden Sittenlehren als die einzige oder auch nur vorzüglich geltende anzusehn; neuere Gestaltungen aber wür- den schon von selbst den Begriff des Gesetzes wieder mehr zurücktreten lassen, und somit auch jenem Gegensatz zwischen Naturgesetz und Sitten- gesetz keine so grofse Bedeutung einräumen. Mögen diese neuen Formen der Ethik auf das trefflichste gerathen; meine Meinung ist weder ihnen vor- greifend zum Vortheil der einen Methode und zum Nachtheil einer andern zu entscheiden, noch überhaupt zur bessern Gestaltung dieser Wissenschaft selbst durch die gegenwärtige Untersuchung etwas eignes beizutragen. Meine Untersuchung ist vielmehr nur rückwärts gewendet, und ich will nur kritisch und geschichtlich jene Formen der Sittenlehre würdigen helfen, welche, dafs ich so sage, auf der Gentralität des Begriffes ‚,‚Sittengesetz’’ beruhen. Die Ausdrücke Naturgesetz und Sittengesetz scheinen freilich schon durch ihre sprachliche Zusammensetzung sich einer genauen Beziehung auf einander verweigern zu wollen: denn was bilden wol Natur und Sitte für einen Gegensatz? Allein eine solche Kritik halten wol wenig wissenschaft- liche Terminologien aus; und um diese beiden Ausdrücke gleichmäfsiger zu machen, dürfen wir ja nur, da beides so oft als gleich bedeutend gebraucht worden ist, Sittengesetz verwandeln in Vernunftgesetz, wobei nur zu bevor- worten ist, dafs hier lediglich von dem, was man praktische Vernunft ge- nannt hat, vorläufig die Rede sein kann; Vernunftgesetz also, mit Ausschlufs der logischen oder anderweitig theoretischen Vernunftgesetze, zu verstehen ist. Dann sind unsere Ausdrücke auf den Gegensatz Natur und Vernunft zurückgeführt, der noch immer häufig genug gebraucht wird, um hier keiner besonderen Feststellung zu bedürfen. Nun sollen aber beide Ausdrücke noch auf eine andere Weise verschieden sein, als schon durch jenen Gegen- satz bezeichnet wird. Das Sittengesetz soll nicht etwa auf dieselbe Weise ein Gesetz sein, wie das Naturgesetz, so dafs dieses auf dem Gebiet der Natur eben so viel gölte als jenes auf dem Gebiet der praktischen Vernunft; sondern Philosoph. Klasse 1825. C 18 SCHLEIERMACHER das Naturgesetz soll eine allgemeine Aussage enthalten von etwas, was in der Natur und durch sie wirklich erfolgt, das Sittengesetz aber nicht eben so, sondern nur eine Aussage über etwas, was im Gebiet der Vernunft und durch sie erfolgen soll. So dafs in dem einen Fall Gesetz eine Aussage wäre über ein Sein, ohne dafs im eigentlichen Sinne ein Sollen daran hinge, in dem andern eine Aussage über ein Sollen, ohne dafs demselben sofort ein Sein entspräche. Dafs also das Wort Gesetz, so verstanden, in der einen Zu- sammensetzung eine andere Bedeutung hat als in der andern, das ist für sich klar. Die Frage, die ich hier zuerst aufwerfen möchte, welche von diesen beiden Bedeutungen wol die richtigere oder wenigstens ursprünglichere sei, erscheint zwar ganz grammatisch; wir können sie aber doch nicht umgehen, ) weil sie mit einem Hauptpunkt unserer Untersuchung zusammenhängt, näm- 5 lich mit jenem Sollen, welches auf dem Gebiet der rationalen Sittenlehre, wie sehr wir auch schon daran gewöhnt sind, doch immer etwas geheimnifs- volles und unerklärliches an sich hat. Das Sollen nämlich geht ursprünglich immer auf eine Anrede zurück ; es setzt einen Gebietenden voraus und einen Gehorchenden, und spricht eine Anmuthung des ersten an den letzten aus. Denn der Gehorchende sagt: Ich soll, wenn der Gebietende ihm etwas angemuthet hat, und er sagt dieses ohne Rücksicht darauf, ob er selbst das Angemuthete zu thun gedenkt oder nicht, niemals aber ohne die genaueste Beziehung auf ein dem Anmuthen- den beiwohnendes bestimmtes Recht. Wer soll nun aber in diesem sittlichen Sollen der Anredende sein, und wer der Angeredete? Mancherlei zu diesem Behuf gebrauchte Gegensätze treten uns hier vor Augen, aber keiner will sich recht angemessen zeigen. Die praktische Vernunft oder das obere Be- gehrungsvermögen redet an; dann aber mufs angeredet werden das untere Begehrungsvermögen oder die Sinnlichkeit, aber dann auch ihr nichts zuge- muthet, was sie nicht wirklich vollziehen kann. Kann aber wol die Sinn- lichkeit darauf angeredet werden zu vollziehen, was z.B. in dem Kan- tischen kategorischen Imperativ enthalten ist? unmöglich. Denn in ihr liegt kein Trieb auf allgemein gesetzmäfsiges, ja auch nicht einmal ein Urtheil darüber, ob etwas, was sie wirklich vollziehen kann, dem Gesetzmäfsigen widerspreche oder nicht. Ja sie vernimmt überhaupt schon nicht das blofse Wort, sondern es giebt mit ihr keine andere Sprache als die der Empfindung oder des Reizes sei es in der unmittelbaren Gegenwart oder in Furcht und über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz. 19 Hoffnung. Eben so ist es mit dem Fichteschen Princip der Sittlichkeit so- wol dem formalen Ausdruck desselben, sich die absolute Selbständigkeit zum Gesetz zu machen, als auch dem realen, die Dinge gemäfs ihrer Bestimmung zu behandeln. Denn die Sinnlichkeit besteht nur in der Wechselwirkung, und hat überall keine Selbständigkeit, noch auch kennt sie eine andere Bestimmung der Dinge als deren Beziehung auf sie selbst. Oder soll die Vernunft anre- den, und das obere Begehrungsvermögen angeredet werden? Denn man hat beide auch irgendwie unterschieden, und wir wollen gern zufrieden sein, wenn wir unserm Sollen zu Liebe auch nur einen halb eingebildeten Unterschied herausbringen. Will man aber beide unterscheiden: so mufs doch die prak- tische Vernunft nicht begehren, sofern sie nicht soll das Begehrungsvermö- gen sein. Im Aussprechen des Sollens aber begehrt sie, denn das Anmuthen ist doch ein Begehren; und man kann nicht sagen, dafs sie als nichtbegeh- rend von sich selbst als begehrendes etwas begehrte. Oder ist es die Ver- nunft überhaupt und an sich, welche anmuthet der Vernunft des Einzelnen, wenn anders dies nicht schon ein Unterschied gar nicht mehr ist, sondern nur scheint. Aber wenn es auch einer ist: so spricht doch der Einzelne die Pflicht aus in sich selbst für sich selbst, und das Begehren, selbst etwas zu thun, ist nur ein Wollen, kein Sollen, so wie das Anerkennen des Begeh- rens sich selbst etwas anzumuthen, nur ein Selbstanerkennen ist, nicht ein Anerkennen eines Andern; so dafs auf beiden Seiten das Sollen ganz seine Bedeutung verliert. Doch es ist noch eine andere Ansicht der Sache möglich. Nämlich indem die Vernunft in der Construction der Sittenlehre oder des Systems der richtigen menschlichen Handlungen begriffen ist, befindet sie sich in einer wissenschaftlichen Thätigkeit, in welcher alles im Zusammenhange in grofser Klarheit erscheint. Im Leben kommt die Anwendung davon nur vereinzelt vor und zerstreut; die Vernunft aber im wissenschaftlichen Zu- stande muthet sich selbst als im Leben bandelnder zu, dann doch immer aus diesem klar gedachten Zusammenhange heraus zu handeln und unter ihn zu subsumiren. Hier wäre also eine Zweiheit, wenn gleich nur verschiedener Momente, der wissenschaftliche wäre der gebietende und der handelnde der gehorchende, und das Sollen spräche eigentlich aus, dafs, wenn in einem thätigen Augenblick der Willensact der Vernunft nicht diesem Zusam- menhange entspräche, er falsch sein würde. Hiegegen ist nur einzuwenden, C2 20 SCHLEIERMACHER dafs das sittliche Verhältnifs derer, die auf einen wissenschaftlichen Zusam- menhang zurückgehn,, durchaus nicht unterschieden wird von dem sittlichen Verhältnifs derer, welche von einem solchen gar nichts wissen. Ja auch die- jerigen, denen dieser Zusammenhang zugänglich ist, gehn doch im Au- genblick des Entschlusses und der That nicht auf ihn zurück, sondern das Soll, was sie in sich vernehmen, bezieht den jedesmaligen einzelnen Fall auf ein mehr oder minder allgemeines oder besonderes, immer aber als einzeln gedachtes Gebot, ohne dieses als Glied eines allgemeinen Zusammenhanges vorzustellen. Also kann auch dies die Bedeutung dieses sittlichen Solls nicht sein. Diese gar nicht leicht zu überwindenden Schwierigkeiten führen ganz natürlich darauf, zu fragen, woher doch eigentlich dieses Soll uns entstan- den ist mit dem Gesetz zusammen in der Sittenlehre? Zuerst kennen wir das Sollen in dem Gebiet des häuslichen und bürgerlichen Lebens; es ist der Ausdruck, durch welchen Einer in dem Andern einen Willen hervorruft, welcher vor dem Soll gar nicht vorausgesetzt wird: der Gehorchende er- kennt aber an dem Soll den Willen des Gebietenden, und was also allerdings vorausgesetzt wird in dem Angeredeten, das ist sein allgemeiner Wille zu gehorchen. Mit dem Gesetz als dem Willen des Gebietenden hängt also hier allerdings das Soll zusammen, keinesweges aber etwa mit der Strafe. Viel- mehr wenn man Zuflucht zur Strafe nehmen mufs: so verliert das Soll seine Kraft, und man sagt dann richtiger: Du mufst dieses thun, sonst wird Dir jenes begegnen. Man kann sich auch denken, in einem Gemeinwesen Alle Einzelnen so bereitwillig, dem allgemeinen Willen nachzukommen, dafs keine Androhung von Strafen nöthig ist den Gesetzen hinzuzufügen, aber doch wird ihnen das Soll anhängen als Zeichen des Willenbestimmenden An- sehns. Es läfst sich allerdings noch eine höhere Stufe denken, auf welcher, weil der Wille nicht erst bestimmt zu werden braucht, auch das Soll, aber dann mit dem Soll zugleich auch das Gesetz verschwindet, wenn nämlich zu der allgemeinen Bereitwilligkeit noch eine eben so allgemeine richtige Einsicht in das allgemeine Wohl hinzukommt, so dafs nur die vorhande- nen Umstände dargelegt zu werden brauchen, um einen gleichmäfsigen Be- schlufs aller Einzelnen herzorzurufen. Was also hier das Soll bedeutet auf dem Gebiet positiver Willensbestimmungen, das ist klar. In der jüdischen Gesetzgebung aber war der theokratischen Verfassung gemäfs das allgemein über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz. 24, menschliche mit dem besonderen bürgerlichen und religiösen gemischt, wie es auch nothwendig war für ein Volk, welches so lange in einem Zustande gänzlicher Unterdrückung des Gefühls für das allgemein menschliche gelebt hatte, dafs es nur zu geneigt sein konnte, alles für erlaubt zu halten. Der göttliche Wille wird hier gedacht wie der oberherrliche, einen Willen her- vorrufend vermittelst des allgemeinen Willens ihm zu gehorchen. Als nun unter eben dieser Form jene Festsetzungen des sittlichen auch in den christlichen Unterricht aufgenommen wurden: so entstand die Gewöhnung, mit der sittlichen Erkenntnifs das Soll zu verbinden, und diese erhielt sich hernach auch, seitdem man angefangen hatte, die sittliche Erkenntnifs in eine allgemeine Gestalt zu bringen, wobei auf einen äufserlich bekannt gemachten göttlichen Willen nicht mehr gesehen, sondern die menschliche Vernunft selbst als gesetzgebend gedacht wurde. Wieviel nun aber von der ursprünglichen Bedeutung des Soll bei dieser Übertragung übrig bleibt? Wol nur dieses. Das Soll des bürgerlichen Gebotes ergeht an alle, die unter derselben anmuthenden Autorität stehn. Sofern ich also etwas will, und mir dabei bewufst bin, dafs dieser Wille ein allgemeiner Act der menschlichen Vernunft ist, unter deren anmuthendem Ansehen Alle stehen, so drücke ich ihn durch Soll aus, weil alle Andere mir dasselbe anmuthen können, so gut als ich ihnen. Dieses angenommen, wird man nun wol sagen können, dafs auf dem sittlichen Gebiet Gesetz und Sollen genau mit einander verbunden sind, indem auch das Soll nichts anders aussagt, als die Allgemeinheit der sittlichen Bestimmung. Ob nun aber alles sittliche unter dieser Form aus- gesprochen werden kann, das wäre eine andere Frage. Denn jeder Ent- schlufs, der als ein rein individueller entsteht, kommt nicht mit diesem Soll zum Bewufstsein, sondern als ein eigenthümlicher aber vernunftmäfsiger Wille, und nur die zweite Frage, in wiefern einem solchen ohne Soll auf- tretenden auf ein sogenanntes Erlaubtes gehenden Willen gefolgt wer- den darf, läfst sich wieder auf ein Gesetz zurückführen. Und dies wäre dann freilich ein Unterschied zwischen Naturgesetz und praktischem Ver- nunftgesetz, dafs alles natürliche, wie es geschieht, sich auf Gesetze zu- rückführen läfst, vermöge deren es geschieht, nicht aber im Gebiet der praktischen Vernunft alles auf solche Gesetze, vermöge deren es geschehen soll; nur ganz ein anderer Unterschied ist dies, als der gewöhnlich ange- nommene, 22 SCHLEIERMACHER Ehe wir aber diesen näher betrachten, entsteht uns noch die Frage, wie es damit steht, dafs die sittlichen Formeln, um sie von andern auch mit dem Soll behafteten auf demselben Gebiet auftretenden Gesetzen oder Im- perativen zu unterscheiden, kategorische genannt werden, die andern aber hypothetische. Zunächst würde man nun nach der Kantischen Tafel ver- sucht zu beiden noch einen dritten aufzusuchen, dessen er aber nirgends erwähnt, nämlich den disjunctiven, welcher lauten müfste: Du sollst ent- weder dieses thun oder jenes. Die hypothetischen Imperative aber theilt Kant wieder in solche, die als praktische Prineipien assertorisch, und in solche, die nur problematisch sind, wogegen der kategorische Imperativ apodiktisch ist. Doch gesteht er selbst zu, dafs beide zusammenfallen wür- den, wenn die Klugheit auf einen richtigen Begriff leicht zu bringen wäre. Wenn aber nun alle besagten Regeln hypothetische Imperative sind, weil unentschieden bleibt, ob die Absicht, zu welcher sie gebraucht werden, gut ist: so mufs der kategorische Imperativ ebenfalls hypothetisch bleiben, wenn man nicht darauf zurückgehn will, dafs der Begriff des Guten vor Aufstel- lung der sittlichen Gesetze bestimmt sein mufs. Denn sonst ist noch nicht entschieden, ob vernunftmäfsig handeln wollen, gut ist; und das Gebot dazu kann demnach nie anders lauten, als so, Wenn Du vernünftig sein willst, so handle so. Nehmen wir aber an, dafs natürlich alle verschiedenen Methoden und Style einer Kunst in ihren Verhältnissen zu einander einer Construction fähig sein müssen, und in dieser angeschaut ein Ganzes bilden, so dafs je- der, der etwas tüchtiges hervorbringen will, nach einer von diesen verfahren mufs: so wird offenbar in diesem Fall der technische Imperativ ein dis- junctiver, und diese Lücke wäre demnach ausgefüllt. Vergleichen wir nun hier mit dem individuellen sittlichen Handeln das Einzelne, und denken uns, wie kaum. anders möglich, wenn wir die menschliche Natur als Gattung be- trachten, die verschiedenen Gestaltungen der Intelligenz innerhalb derselben auch als einen Cyelus: so ergiebt sich von selbst das gleiche, dafs nämlich der ursprünglich kategorische Imperativ an die Gesammtheit der Einzelnen gerichtet als Ausdruck des allgemeinen sittlichen Willens ebenfalls in der Anwendung der Formel auf die Einzelnen disjunetiv werden mufs. Der all- gemeine Wille vernünftig zu sein mufs sich an dem Einzelnen entweder so gestalten oder so. Ja noch auf andere Weise kann man sagen, wenn man auf die Gesammtheit der sittlichen Handlungen sieht, dafs, wenn in dem über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz. 23 Vernunftwesen der allgemeine sittliche Wille gesetzt ist, alle besondern For- meln, welche sich auf einzelne Klassen von Handlungen beziehn, wie dies mit den Pflichtformeln der Fall ist, nichts anders sind, als technische Impe- rative, um jenen allgemeinen Willen, dessen Ausdruck allein der katego- rische ist, zu realisiren. Man nehme noch hinzu, dafs die isolirte Betrach- tung des kategorischen Imperativs am wenigsten geeignet ist, eine wissenschaft- liche Basis zu werden, weil sie nichts darbietet zwischen der Einheit des Prin- eips und der Unendlichkeit einzelner Fälle der Anwendung, also die Vielheit gar nicht gestalten kann; und nur das disjunctive ist auch bei Kant das Prin- cip aller wissenschaftlichen Zusammenstellung der Vielheit. Der kategorische Imperativ kommt also erst zur Klarheit des Bewufstseins, wenn er hypothe- tisch wird. Nur indem das Dilemma aufgestellt wird, Entweder vernünftig sein und so handeln, oder nicht so und unvernünftig, wird das Sittengesetz nach Kants Ausdruck pragmatisch, welcher Ausdruck in der That weit mehr sagen will als jener, wenn gleich Kant ihn nur für den untergeordneten con- sulativen Imperativ der Klugheit aufbewahrt. Denn das Soll, sobald es sich nicht mehr auf eine äufsere Autorität gründet, kann nur wie ein Zauber er- scheinen, wenn es nicht jenen assertorischen Charakter annimmt, Weil Du vernünftig sein willst: so handle also. Der kategorische Einst ist dem gemäfs nur die bewufstlose, unentwickelte Form Des Sittengesetzes, und be- kommt erst eine praktische Realität und eine wissenschaftliche Tractabilität, wenn er sich in den hypothetischen und disjunctiven entwickelt. Doch dieses war nur beiläufig; aber wie steht es nun um den durch ein entgegengesetztes Verhältnifs beider zum Sein begründeten Gegensatz zwischen Sittengesetz und Naturgesetz? Besteht — denn darauf laufen die Kantischen und Fichtischen Erklärungen hinaus — besteht die absolute Gül- tigkeit des Sittengesetzes darin, dafs es immer gelten würde, wenn auch nie- mals geschähe, was es gebietet, weil ja doch das Soll desselben besteht, auch wenn ihm ein Sein gar nicht anhängt, die absolute Gültigkeit des Naturge- setzes hingegen darin, dafs immer geschehen mufs, was darin ausgesagt ist? Was das erste betrifft, so ist allerdings wahr, dafs die Gültigkeit des Gesetzes nicht abhängt von der Vollständigkeit seiner Ausführung; ja es ist der richtige Ausdruck für unsere Annahme des Gesetzes, dafs, ohnerachtet wir keine einzige menschliche Handlung für schlechthin vollkommen also ganz dem Gesetz entsprechend erkennen, die Gültigkeit des Gesetzes dadurch 24 SCHLEIERMACHER dennoch gar nicht leidet. Allein auf der andern Seite mufs doch immer et- was vermöge des Gesetzes geschehen, sonst wäre es auch kein Gesetz. Denn wenn wir auf den Prototyp des Sollens, nämlich das bürgerliche Gesetz zu- rückgehn: würde wol jemand sagen, das sei wirklich ein Gesetz, was zwar ausgesprochen sei als solches, aber niemand mache auch nur die geringste Anstalt dem Gesetz zu gehorchen? Gewifs würden wir verneinen, aber dann auch hinzufügen, der Gesetzgeber sei auch keine Obrigkeit mehr, weil seine Aussprüche nicht anerkannt werden, und das ganze Verhältnifs nur im Anerkennen bestehe. Werden wir nun nicht auf dieselbe Art auch vom Sit- tengesetz sagen müssen, wenn in keinem Menschen die geringsten Anstalten gemacht würden, demselben zu gehorchen, und das, was Kant die Achtung für das Gesetz nennt, gar nicht vorhanden wäre, denn diese ist doch immer schon ein wenn gleich unendlich kleiner Anfang des Gehorchens: so wäre auch das Sittengesetz kein Gesetz, sondern nur ein theoretischer Satz, von welchem man sagen könnte, er würde ein Gesetz sein, wenn es ein Aner- kenntnifs desselben gäbe? Aber die Vernunft wäre dann auch gar nicht prak- tisch, so wenig als jener Gesetzgeber, dem niemand im mindesten gehorchte, eine Obrigkeit wäre. Jene Achtung für das Gesetz, ein gewifs unter den ge- gebenen Umständen sehr wohlgewählter Ausdruck, eonstituirt also eigentlich erst das Gesetz und ist die Wirklichkeit des Gesetzes. Denn das einzige, was man an dem Ausdruck tadeln könnte, ist nur dieses, dafs er zu trennen scheint was unmöglich getrennt werden kann. Denn nicht existirt das Sittengesetz zuerst als Gedanke, und hernach bringt die Vernunft die Achtung dafür her- vor; sondern es ist nur ein und dasselbe oder ein und derselbe transcenden- tale Act, wodurch die Vernunft praktisch wird, das heifst als Impuls be- steht, und wodurch es ein Sittengesetz giebt. Kann man also wol sagen, das Sittengesetz würde gelten, wenn auch nie etwas demselben gemäfs geschähe? Wol nur, wenn man bei der äufsern Vollbringung der Handlungen stehen bleibt; diese aber sind auf der einen Seite gar nicht Producte des Gesetzes oder des Willens allein, auf der andern Seite ist aber doch immer, wenn nur irgend das Gesetz dabei mit eingetreten ist, auch etwas in ihnen, was rein dem Gesetz gemäfs geschieht. Denn wird überhaupt nur auf das Gesetz bezogen: so wird auch entweder dem Gesetz gemäfs gewollt, oder das Ge- gentheil wird nur unter der Form des Unrechtes gewollt; und auch das ge- schieht dann dem Gesetz gemäfs. Wird aber dem Gesetz gemäfs gewollt: über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz. 25 8 so ist nothwendig auch in der erscheinenden Handlung etwas, wodurch das Gesetz repräsentirt wird. Eben dieses aber ist ja ein Sein, es ist die innerste Bestimmtheit des Ich, und aus unserm Gesichtspunkt weit mehr ein Sein als die äufsere That und was aus derselben hervorgeht; denn die bestimmende Kraft der Gesinnung ist das eigentliche und ursprüngliche sittliche Sein, wo- durch allein jede erscheinende That, sie sei nun vollkommener oder unvoll- kommner, an der Sittlichkeit Theil nimmt. Ja wenn man auch bei dem ohn- streitig dürftigern Ausdrucke der sich selbst setzenden Selbstthätigkeit oder der Gesetzmäfsigkeit um des Gesetzes willen stehen bleibt, was freilich in einer Hinsicht etwas leeres ist, weil daraus niemals eine bestimmte Handlung hervorgehen kann, so ist doch auch dann die Gesinnung in der That das Sein bestimmend, weil sie den Verlauf jeder Thätigkeit hemmt, welche der Gesetzmäfsigkeit und der Selbstthätigkeit schlechthin etwa zuwider wäre. Das Gesetz ist also nur Gesetz, insofern es auch ein Sein bestimmt und nicht als ein blofses Sollen, wie denn auch ein solches streng genommen gar nicht nachgewiesen werden kann. Können wir also hier auf dem Gebiet des Vernunftgesetzes das Sollen nicht trennen von der Bestimmung des Seins; ist die Vernunft nur praktisch, sofern sie zugleich lebendige Kraft ist: wie wird es nun auf der Seite des Naturgesetzes stehn? Werden wir dort dieses, dafs das Gesetz wirklich das Sein bestimmt, ganz trennen können davon, dafs dem Gesetz auch ein Sollen anhängt? Freilich, wenn man allein dabei stehen bleibt, dafs das Sollen eine Anmuthung an den Willen enthält: so kann hier von keinem Soll die Rede sein, weil in der Natur kein Wille gesetzt ist. Alsdann ist aber durch den Unterschied, von welchem wir handeln, auch keine Verschiedenheit zwischen Naturgesetz und Vernunftgesetz ausgedrückt, sondern nur zwischen Na- tur und Vernunft. Es liegt aber allerdings in dem Sollen, aufserdem dafs es eine Anmuthung an den Willen ausdrückt, auch noch dieses, dafs bei der- selben zweifelhaft bleibt, ob der Anmuthung wird Folge geleistet werden oder nicht. Wenn wir nun nachweisen, dafs Naturgesetze auch eine Anmu- thung enthalten, wenn gleich freilich an ein willenloses Sein, aber doch eine solche Anmuthung ebenfalls, bei welcher zweifelhaft bleibt, ob sie wird in Erfüllung gehen oder nicht: dann wäre das Verhältnifs zwischen Sollen und Seinbestimmung in beiderlei Gesetzen so sehr dasselbe, als es bei der Verschie- denheit von Natur und Vernunft nur möglich ist. Die Gesetze nun, welche Philosoph. Klasse 1825. D 26 SCHLEIERMACHER sich auf die Bewegungen der Weltkörper beziehen, und welche die Ver- hältnisse der elementarischen Naturkräfte und Urstoffe aussagen, wollen wir in dieser Hinsicht übergehen. Denn wenn die einzelnen Fälle hier nicht mit dem Gesetz zusammenstimmen, so behaupten wir entweder, dafs in dem ein- zelnen Falle noch etwas anderes thätig gewesen als dasjenige, wovon das Gesetz redet; oder wir erkennen unsern Ausdruck nicht mehr für das wahre Naturgesetz, sondern modifieiren ihn, und hoffen so es immer besser zu tref- fen, lassen aber nicht von der Voraussetzung, dafs wenn wir erst das richtige gefunden haben, alsdann auch alles, worauf das Gesetz anwendbar ist, dem- selben völlig entsprechen werde. Eben so mit den Formeln für die Bewe- gungen. Wenn diese nicht genau zutreffen: so sieht das freilich aus, als hät- ten wir dem Weltkörper etwas zugemuthet, was er nicht geleistet habe; al- lein statt uns dabei zu begnügen, nehmen wir an, dafs noch andere bewe- gende Kräfte müfsten eingewirkt haben. Aber wir können dieses zugeben, ohne dem Eintrag zu thun, was wir hier über das Naturgesetz behaupten möchten. Denn eine Formel für die Bewegung allein als das blofse Massen- verhältnifs ist doch nur eine abstracte mathematische Formel. Erst wenn wir aus der Genesis der Sonne und der Planeten die Massen und Raumverhält- nisse selbst begreifen könnten, so dafs auch alle Veränderungen in den Mas- senverhältnissen der Weltkörper und in ihrem Verhalten zu ihren Bahnen mit darin begriffen wären, erst dann würden wir ein wahres Naturgesetz haben auch für die Bewegungen. Aber würde denn dieses rein zutreffen? Wol nicht leicht; sondern wenn wir auf diese Art ein Bewegungsgesetz für das Son- nensystem an sich gefunden hätten: so würde es doch irgendwie wenn auch auf eine für uns gänzlich unmerkliche Weise durch den allgemeinen Zusammen- hang affieirt werden; und wir werden mit Recht sagen können, es solle sich so bewegen, erleide aber bisweilen Perturbationen, und ein Gesetz, das ein vollkommener Ausdruck des Seins wäre, würden wir erst gefunden ha- ben, wenn wir das ganze Universum auf eine Formel bringen könnten. Das- selbe gilt von den Urstoffen und den elementarischen Kräften. In welchem Umfange wir sie als ein Ganzes begreifen könnten, wenn es nicht das abso- lute Ganze wäre, so würden wir immer nur ein Gesetz haben, nach welchem das Sein sich nicht vollkommen richtete; und die Abweichung würde uns über jenen Umfang hinaus weisen, wo wir aber eine ganz zutreffende For- mel haben, die wird sich nur auf sehr bedingte Factoren beziehen, deren über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sistengesetz. 27 Erscheinen unter diesen Bedingungen wir wieder nur als ein zufälliges be- greifen, so dafs kein Sein durch die Formel bestimmt wird. Doch hierbei länger stehen bleiben, das hiefse nur die Frage ins Un- endliche hinausschieben, bis wir etwa zu Naturgesetzen gelangen, die dem Begriff besser entsprechen. Allein wir haben dergleichen schon auf einem andern uns näher liegenden Gebiet, und die uns nur um so mehr als wahre Naturgesetze erscheinen werden, wenn wir sie mit jenen vergleichen. Nämlich alle Gattungsbegriffe der verschiedenen Formen des individuellen Lebens sind wahre Naturgesetze. Denn die lebendigen Wesen, die Vegetation mit eingerechnet, entstehen aus Thätigkeiten und bestehen in Thätigkeiten, welche sich immer auf dieselbe Weise entwickeln; wahre Gattungsbegriffe nun sollen der vollständige Ausdruck sein für alles, was eine bestimmte Le- bensform constituirt an sich und in ihrer Differenz von andern verwandten, und zwar so dafs sie in ihrem Zusammenhange, den wir auf bestem Wege sind immer vollkommner zu begreifen, das Naturgesetz des individuellen Lebens auf unserm ganzen Weltkörper ausdrücken. Weiter hinabzusteigen bis z.B. auch auf die Formen der Krystallisation, deren allerdings jede auch nur begriffen werden kann als eine Entstehung der Gestalt aus der Bewe- gung, werden wir dadurch verhindert, theils, dafs hier die Gattungsbegriffe überall auf das dem krystallisirten analoge derbe zurückweisen und die blofse Regel der Krystallisation doch nur eine abstracte Formel sein würde das Naturgesetz aber sich auf die Entstehung und Gestaltung des starren überhaupt erstrecken müfste, theils auch dadurch, dafs uns hier der Prozefs selbst nicht gegeben ist, sondern nur das Resultat desselben. Die Vegetation aber und Animalisation zeigen uns in jeder ihrer verschiedenen Formen ein abgeschlofsnes Ganze, dessen Begriff das Gesetz ist für ein System von Fun- etionen in ihrer zeitlichen Entwicklung. Werden wir nun gefragt, Ist jedes solche Gesetz, gleichviel ob es der untergeordnete Begriff einer Art ist oder der höhere einer Gattung oder der noch höhere einer natürlichen Familie, ist jedes solche Gesetz bestimmend ein Sein? so werden wir offenbar bejahen müssen, denn die sämmtlichen Individuen dieser Art oder Gattung entstehen nach diesem Gesetz und ihr ganzes Dasein in seiner allmähligen Entwick- lung, Culmination und Entkräftigung verläuft nach demselben. Wenn wir aber nun auf der andern Seite gefragt werden, Hängt diesem Gesetz auch ein Sollen an? so werden wir so viel ebenfalls bejahen müssen, dafs wir das Gesetz D2 28 SCHLEIERMACHER aufstellen für das Gebiet, ohne dafs in der Aufstellung zugleich mit gedacht werde, dafs alles rein und vollkommen nach dem Gesetz verlaufe. Denn das Vorkommen von Mifsgeburten als Abweichungen des Bildungsprozesses, und das Vorkommen von Krankheiten als Abweichungen in dem Verlauf irgend einer Lebensfunction nehmen wir nicht auf in das Gesetz selbst, und diese Zustände verhalten sich zu dem Naturgesetz, in dessen Gebiet sie vorkom- men, gerade wie das unsittliche und gesetzwidrige sich verhält zu dem Sit- tengesetz. Noch eine Betrachtung, mit welcher wir schliefsen wollen, wird die Identität des Verhaltens beider Begriffe zur vollen Anschauung bringen. Le- gen wir die elementarischen Kräfte und Prozesse und den Erdkörper in sei- ner durch die Scheidung des Starren und Flüssigen bedingten Ruhe zum Grunde; und können wir dann mit Recht sagen, hypothetisch wenigstens und mehr ist hier nicht nöthig, mit der Vegetation trete ein neues Prineip, nämlich die specifische Belebung, in das Leben der Erde, ein Prineip welches in einer Mannigfaltigkeit von Formen und Abstufungen erscheinend sich in seinem Umfange den chemischen Prozefs sowol als die mit der Bil- dung der Erde gegebene Gestaltung unterordnet und beides auf eine indivi- duelle Weise fixirt; und fragen wir dann weiter, worin denn das gegründet sei, was auf diesem Gebiet als Mifsgeburt oder Krankheit angesehen werden mufs, was hier freilich fast immer sehr einfach auf Mangel oder Ueberflufs, das heifst auf ein quantitatives Mifsverhältnifs zurückgeführt werden kann: so werden wir doch nur antworten können, nicht in dem neuen Prineip an und für sich, denn für dessen reine Wirksamkeit sei der Begriff der Vegetation der reine und vollständige Ausdruck, sondern in einem Mangel der Gewalt des neuen Prineips über den chemischen Prozefs und die mechanische Ge- staltung. An diesem Mangel aber scheine zugleich die zeitliche Beschränkt- heit der vegetativen Einzelwesen zu hangen; wenn also diese vergänglich sein sollten, so mufste auch jener Mangel mit seinen anderweitigen Folgen sein. Weiter gehend werden wir dann sagen müssen, mit der Animalisation trete abermal ein neues Princip nämlich der specifischen Beseelung ein, welches sich in seiner ganzen Erstreckung, wenn gleich nicht überall in gleichem Maafse sowol den vegetativen Prozefs als auch das allgemeine Leben unter- ordnet, und ebenfalls in einer Mannigfaltigkeit von Formen und Abstufungen erscheint, welche nun auf dieselbe Weise Gesetze sind für die Natur. Und über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz. 29 wird nun weiter gefragt, worin denn die auf diesem Gebiet vorkommenden schon weit complicirteren Abweichungen gegründet sein: so werden wir wol auch antworten müssen, Nicht in dem Prineip selbst; denn für dieses ist der Begriff des thierischen Lebens in der Mannigfaltigkeit seiner Formen der reinste Ausdruck , sondern in einem relativen Mangel an Gewalt dieses Prin- cips über den vegetativen Prozefs sowohl als über das allgemeine Leben, und natürlich wären also die Abweichungen auf diesem Gebiet auch complieirter und nicht in so leichte Formeln zu fassen. Und können wir nun wol noch um- hin der Steigerung die Krone aufzusetzen, indem wir sagen, mit dem intel- lectuellen Prozefs trete nun abermals ein neues, denn wir brauchen nicht zu behaupten das letzte, Prinzip in das Leben der Erde, welches jedoch nicht in einer Mannigfaltigkeit von Gattungen und Arten, sondern nur in einer Man- nigfaltigkeit von Einzelwesen einer Gattung erscheine, so dafs eine Mannigfal- tigkeit der Gattungen nicht gedacht werden kann, als nur in Verbindung mit der Mehrheit der Weltkörper. Wie aber der Geist nun hier erscheine in der Einen Menschengattung: so werde er sich auch in seinem Umfange nicht nur den Prozefs der eigenthümlichen Beseelung und Belebung, sondern auch das allgemeine Leben unterordnen und aneignen. In diesem geistigen Lebens- gebiet wiederholten sich nun auf die seiner Natur gemäfse Weise die Abwei- chungen, die innerhalb des Gebietes der Animalisation und der Vegetation vorkommen; aber es entständen zugleich neue, welche dem obigen zufolge ihren Grund nicht haben in der Intelligenz selbst, denn für das Wesen und die Wirksamkeit dieser sei das Gesetz, welches hier aufgestellt werden müsse, ebenfalls der reine und vollkommene Ausdruck, sondern wie oben darin dafs der Geist eintretend in das irdische Dasein ein Quantum werden mufs, und als solches in einem oscillirenden Leben im Einzelnen unzureichend er- scheint gegen die untergeordneten Functionen. Und wenn gleich dieses eben so hypothetisch gesetzt ist, wie das woraus es folgt: so ist doch dies gerade dieselbe Hypothese, von der auch diejenigen ausgehen, welche das Sittenge- setz als ein reines Sollen beschreiben; denn sie sagen es sei ein solches, weil mit der Vernunft und dem Vernunftgesetz zugleich eine Insuffieienz gesetzt sei. Was also folgt, das folgt vermöge eben jener Hypothese. Und das Ge- setz, welches hier neu aufgestellt werden mufs, so dafs es die ganze Wirk- samkeit der Intelligenz vollständig verzeichnet, wird das wol etwas an- deres sein als das Sittengesetz? und die neuen Abweichungen, in welchen 30 SCHLEIERMACHER die Begeistung unzureichend erscheint gegen die Beseelung, werden sie et- was anderes sein als das, was wir böse nennen und unsittlich? Schwerlich wird jemand verneinen wollen, es müfste denn einer fragen, wo denn nun der Unterschied bleibe zwischen der theoretischen und practischen Vernunft, und woher denn entschieden worden, dafs das hier aufzustellende Gesetz allein das der praktischen Vernunft und nicht beider sei, oder dafs nicht vielleicht aus- schliefsend das der theoretischen hierher gehöre. Oder es möchte mir jemand das Schreckbild des Wahnsinns vorhalten und sagen, dieser und alles was eine Annäherung dazu bildet, sei die hier neu aufzustellende Abweichung, das Böse aber müsse einen andern Ort haben. Dem ersten würde ich antworten, da hier nur die Rede sei von einem neuen Prineip für ein System von Thä- tigkeiten: so könne auch die Vernunft hier nur betrachtet werden als prak- tisch, das heifst als thätig, und der ganze theoretische Vernunftgebrauch gehe doch als Handlung immer vom Willen aus. Dem Andern aber würde ich aus demselben Grunde sagen, dafs von unserm Standpunkt aus der Wahnsinn und das Böse nicht zwei verschiedene Oerter haben könne, sondern jedes sei auf das Andere zurückzuführen, und jeder Wahnsinn entstehe nur dadurch, dafs die Intelligenz als Wille zu ohnmächtig sei, um den Angriff einer unterge- ordneten Potenz auf ihren unmittelbaren Organismus abzuweisen. Bleibt es also bei der Bejahung beider Fragen: so stimmt auch das hier gesagte vollkommen zusammen mit dem oben gesagten über die Art, wie das Sitten- gesetz sowohl Seinbestimmend ist, als auch ihm ein Sollen anhängt. Hier aber entwickelt es sich uns durch eine Steigerung als das höchste indivi- duelle Naturgesetz aus den niederen. Die Seinsbestimmung in demselben ist also von derselben Art, und das Sollen ist auch von derselben Art, nur mit dem einzigen Unterschiede, dafs erst mit dem Eintreten der Begeistung das Einzelwesen ein freies wird, und nur das begeistete Leben ein Wollen- des ist, also auch nur auf diesem Gebiet das Sollen sich an den Willen rich- tet. Im Allgemeinen aber ist es überall die Forderung der Gewalt des indi- viduellen Seins über das elementarische und allgemeine, als des höheren über das niedere, und das Naturgesetz liegt nicht auf der entgegengesetzten Seite wie das Sittengesetz, sondern beide auf derselben. Also werden auch, was wenigstens das Verhältnifs des Gegenstandes zum Gesetz betrifft, Natur- wissenschaft und Sittenlehre keinesweges zwei verschiedene Formen haben müssen, sondern sie werden sich füglich hineinbilden lassen in eine gemein- über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Siltengesetz. 31 schaftliche, sobald nämlich die Sittenlehre sich befreit hat von der Analogie mit dem politischen, und die Einsicht hervorgetreten ist, dafs, da das poli- tische selbst nur durch die Sittenlehre construirt werden kann, die Form desselben unmöglich als die Urform angesehen werden darf, nach welcher die Sittenlehre gebildet werden mufs. Sondern die Form der Sittenlehre wird die beste sein, in welcher die Intelligenz dargestellt wird als aneignend und bildend und sich so in einer eigenen in sich abgeschlossenen Schöpfung of- fenbarend; ein Typus, welcher nirgend so deutlich als bei der Platonischen Construction zum Grunde liegt, aber nicht zu seiner vollkommenen Entfal- tung gediehen ist. — aa \ - * Mr - i answer. a: er A eehne u eur. ea. a | » - = re oe laden dei gdalnäge, Se Blei, tazılledee ih „ein BR nah Iog5 areıl Kite Hi "Ir asmiklon ach Me f . ) j j j j . ET) oo ! ya Yaııy arg iR, Sri ehe jedes lauht 4 f + . f_% il a - E 5 vo far vos an ee AR er RU Bud! aa u h \ Ä nf Er 1 . EI IOLI TITTEN I EURE SERE TI lim abet Er ra e = v a = fi R e Tas u h s ü E - wlan sb une ab ee ale rer | iv arlyreiet enar eb nz ne aerahrebe burfrlid: ; a,» br eleihı ve uni als gi sahne ’ i ha u i Di a) 4 sen at Sursiaen ; j Rn PR VERNG . oo ! DU 200) 7 Ip ze P a \ 5 . { . a Ä i ° 5 i . 3 u % EL u . a * — EZ + & ‘ 2. B 5 \ x N . i . Pr . re . 1 - e® \, z ı $ _- j * ı - u J eure RE “ eh: = u Br 0 1 . . Eu - ‘ ’ 5 j gu . . OD Pi Abhandlungen der historisch-philologischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. una nn nn nn. Aus dem Jahre 1825. 2. Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. | m. Endailyinar | | " snofinilnenemei} anb si er | . © sähe Pe . . . . u . = Erz) “bh eG un le r .- . Im hart, amnawmwwwwrn Wirserm v.Humsorpr über die unter dem Namen Bhagavad-Gitä bekannte Episode des Maha- Bhäratar.e.n cn Sn asaseote a eßfelstieisteistereistetsiatets Unpen über drei antike Musiv-Gemälde im Königlich-Preufsischen Museum ..... Süvern über den historischen Charakter des Drama......... euere, hamjerr ee ei als Wiruerm v. Humsoror über vier Aegyptische, löwenköpfige Bildsäulen in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen ....... SER Ioerer über die von den Alten erwähnten Bestimmungen des Erdumfangs und die von den Neuern daraus abgeleiteten Stadien ....... lea Borr Vergleichende Zergliederung des Sanskrits und der mit ihm verwandten Sprachen (zweite Abhandlung.) ......... LE DER ORRSENDE % ——a un u uanı 191 : j - . " L ; ; ! . j ; i Dis : E # ! Pr = : j e RN e e . A a2 i B- r . B ‘ v ki * e Pe se 5 R ! . i I j Pr ‚ u ° * ‘ = 8 ib * a 5 j u . . I 2) ° \ R . £ ‘ Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Maha-Bharata. () Von H'" WILHELM vox HUMBOLDT. nnnnnnnnnnnnvnn [ Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 30. Juni 1825 und 15. Juni 1826. ] I: D.. Gott Krischnas, die eigentliche und vollständige Incarnation Vischnus, begleitet, nach der Dichtung des Mahä-Bhärata, den Ardschunas, den dritten und vorzüglichsten, eigentlich vom Gott Indras gezeugten Sohn Pändus, als Wagenlenker, in den Kampf gegen die nah mit ihm verwandten Söhne des Königs Dhritaräschtras. Als Ardschunas in den Schaaren der Feinde sein eignes Geschlecht, seine Religionslehrer und Freunde erblickt, geräth er (*) Die gegenwärtige Abhandlung hat keinen andern Zweck, als den, in möglichster Kürze einen treuen und vollständigen Begriff von dem oben erwähnten Gedicht, und vor- vorzüglich von dem darin vorgetragenen philosophischen System auf eine, auch des Indischen nicht kundigen Lesern verständliche Weise zu geben. Ich habe mir daher nur selten eine Vergleichung der Lehre der Bhagavad-Gitä mit anders woher bekannten Indischen Lehrsätzen erlaubt. Ein Werk das so reichhaltig an philosophischen Ideen ist, verdient abgesondert für sich, als ein Ganzes, behandelt zu werden, und ich glaube auch aufserdem, dafs es schwerlich ein anderes Mittel giebt, die mannigfaltigen Dunkel- heiten aufzuklären, welche noch in der Indischen Mythologie und Philosophie übrig blei- ben, als jedes der Werke, die man als Hauptquellen derselben ansehen kann, einzeln zu excerpiren, und erst vollständig für sieh abzuhandeln, ehe man Vergleichungen mit an- dren anustellt. Genaue und vollständige, blofs in dem Sinn und der Absicht treuer und vollkommener Darstellung des mythologischen und philosophischen Gehaltes gemachte Bearbeitungen sämmtlicher Hauptwerke der Indischen Literatur, der Vedäs, des Gesetz- buchs des Manus, der beiden grofsen Heldengedichte, der achtzehn Puränäs und der vor- züglichsten philosophischen Lehrbücher würden eine Grundlage abgeben, alle Indischen philosophischen und mythologischen Systeme, ohne Gefahr der Verwirrung, mit einander Hist. phlolog. Klasse 1825. A 24 Hunmsoupr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita in Zweifel, ob es besser sey, dafs er die, ohne welche das Leben selbst keinen Werth für ihn haben würde, besiege, oder von ihnen besiegt werde, verfällt in zaghaften Kleinmuth, läfst Bogen und Pfeil sinken, und fragt Krischnas um Rath. Der Gott ermuntert ihn aus philosophischen Grün- den zum Kampf, und es entspinnt sich zwischen ihnen im Angesicht bei- der Heere ein Gespräch, das in achtzehn Gesängen (etwa siebenhundert Distichen) ein vollständiges philosophisches System durchläuft. Golebrooke, dessen neuesten Abhandlungen in den Denkschriften der Englischen Asiatischen Gesellschaft wir die ersten bestimmten und ausführlichen Nachrichten über die verschiedenen Indischen philosophi- schen Systeme verdanken, hat dieser Episode des Mahä-Bhärata nicht erwähnt, vermuthlich weil seine Absicht darauf ging, nur aus wirklichen Lehrbüchern der Philosophie (die aber, nach Indischer Sitte, auch in Ver- sen abgefafst sind) und ihren Commentatoren Auszüge zu liefern. Krischnas Lehre scheint nun zwar wohl im Ganzen mit dem von Colebrooke dar- gestellten Systeme Patandschalis überein zu kommen, sie entwickelt sich aber auf eine ganz eigenthümliche Weise, ist, soviel ich zu urtheilen ver- mag, reiner von Spitzfindigkeit und Mystieismus, und verdient schon, da sie als ein freies Dichterwerk in das eine der beiden grofsen und ältesten Indischen Heldengedichte verwebt ist, besondere Aufmerksamkeit. vergleichen und zur Benutzung der übrigen Schriften und der Denkmäler übergehen zu können. Wieviel aber auch bereits hierfür geschehen ist, und von wie unschätz- barem Werthe namentlich Colebrooke’s treffliche Auszüge aus den Vedäs und den wich- tigsten Werken über die verschiedenen philosophischen Systeme sind, so fehlt doch offenbar noch sehr viel an der Vollständigkeit dieser unerlafslich nothwendigen Vorar- beiten, und man ist noch viel zu schr in der Nothwendigkeit, bei dem Vortrag der Indischen Philosophie und Mythologie, Materialien aus allen Quellen mit einander ver- binden zu müssen, ohne der Vollständigkeit der Benutzung der einzelnen gewifs zu seyn, und ohne jede hinlänglich einzeln in ihrer Eigenthümlichkeit zu kennen. Auch mufs man offenherzig gestehen, dafs man wenigstens in den meisten Fällen im Stande seyn müfste, die vorhandenen Auszüge und Uebersetzungen mit den Originalen zu vergleichen, was bis jetzt noch theils unmöglich, theils ungemein schwierig ist. Noch lange also wird das Uebersetzen, Bearbeiten, und vorzüglich das Herausgeben der einzelnen Schrif- ten allgemeinen Darstellungen vorangehen müssen. Wegen der richtigen Betonung der Indischen Namen und Wörter erinnere ich hier, dafs ich das lange a, i, u mit einem Accent bezeichnet habe, e und o dagegen nie, weil sie im Sanskrit nie kurz seyn können. bekannte Episode des Maha- Bharata. 3 Ich will versuchen, dieselbe hier kurz zusammenzufassen, ohne mich an die Anordnung des Originals zu binden, und ohne für jetzt darauf ein- zugehen, welche Vergleichungspunkte diese Lehre mit bekannten griechi- schen philosophischen Systemen darbietet. Die beiden Hauptsätze, um welche sich das in dieser Dichtung ent- haltene System dreht, sind, dafs der Geist, als einfach und unvergänglich, seiner ganzen Natur nach, von dem zusammengesetzten und vergänglichen Körper geschieden ist, und dafs von dem nach Vollendung Strebenden jede Handlung ohne alle Rücksicht auf ihre Folgen, und mit völligem Gleichmuth über dieselben, vorgenommen werden mufs. Es sind dies die beiden natürlichsten Beziehungspunkte auf Krischnas Absicht, seinen Heldenfreund zum Kampf zu bewegen. Denn Tod und Handlungen verlieren ihr Gewicht, und werden gewissermafsen gleichgültig wenn jener nur den ohnehin vergänglichen Körper trifft, und diese, frei von Leidenschaft und Absicht, blofs Werk der Natur oder Gebot der Pilicht sind. Durch die bestimmte Scheidung des Geistigen und Körper- lichen, und die ewig eingeschärfte Uneigennützigkeit der Handlungen aber wird reine Intelleetualität die Grundlage des ganzen Systems, und, wie die Folge bestimmter zeigen wird, die Erkenntnifs an die Spitze aller mensch- lichen Bestrebungen gestellt. Die Körper der ihnen inwohnenden Seele sind endlich und ver- änderlich, wie die ewig strömenden Elemente, aus denen sie bestehen, (U. 14. 18.) die Seele ewig, unvernichtbar, fest und unveränderlich. (I. 24. 25.) Sie verbindet sich mit neuen Körpern, wie der Mensch neue Kleider annimmt, (II. 22.) wie im Körper selbst Kindheit, Jugend und Alter wechseln. (U. 13.) Diese Unvergänglichkeit ist wahre Ewig- keit, ohne Anfang, wie ohne Aufhören. Denn die Unmöglichkeit eines Überganges vom Seyn zum Nichtseyn, und umgekehrt, ist ein Hauptsatz der Indischen Philosophie. (1) Kein Grund ist eigentlich ein hervorbringender, in jedem ist die Wirkung, gleich ewig mit ihm selbst, vorhanden. (‘) Et plures non scientes dieunt, quod mundus cum ariijice primum non-est fuit et deinde e & non-est ens (existens) factus est. O purum desiderans, ex hoc non- est ens quomodo possit fieri? hoc omne primum ens unicum, sine simili fuit, Oup- nek’hat op. Anquetil Duperron. Oupn. 1. Brahmen. 16. p. 52. Aa 4 Humsorpr über die unter dem Namen Bhagavad -Gita Des Nichtseyenden ist nicht Seyn; Nichtseyn ist nicht des Seyenden. Die Scheidung beider durchschaut wird von den Wahrheit Erkennenden. (IL. 16.) Darin erklärt Krischnas sich, als Gott, mit den Menschen gleich. In keiner Zeit ich nicht da war, du, diese Völkerfürsten, nicht, und niemals werd’ ich nicht da seyn; von jetzt fortan wir alle sind. (11. 12.) Mit eben dieser Vorstellungsart hangt es zusammen, dafs der unver- meidlichen Nothwendigkeit des Todes die gleich unvermeidliche Nothwen- digkeit der Wiedergeburt entspricht, und das Todte nicht todt bleiben kann. Es ist daher in dieser Hinsicht gleichgültig, ob man sich die Seele als unvergänglich, oder als immer sterbend und wieder werdend denkt. Wenn aber werdend stets auch du sie denkst, und wieder sterbend stets, auch also dennoch, Grofsarmger, du nimmer sie bejammern mufst. Denn dem Werdenden steht fest Tod, fest steht Geburt dem Sterbenden. Nicht zu ändernden Schicksals Loos darum du nie bejammern mufst. Die Geschöpfe unsichtbaren Ursprungs, sichtbarer Mitte dann, und unsichtbaren Ausgangs sind; wie ist da Trauer, Bhäratas? Gleich einem Wunder erblickt eineu jemand, gleich einem Wunder darauf spricht ein andrer, gleich einem Wunder ihn hört dann ein andrer; doch keiner, auch hörend ihn, weifs, noch kennt ihn. Die Seel’ ist unverletzbar stets im Körper Jedes, Bhäratas, Darum der Wesen Allzahl auch du nimmer doch bejammern mufst. (I. 26-30.) Der Geist ist unsichtbar, unvorstellbar, überall hindringend, (I. 25.) der Körper hat die entgegengesetzte Natur. Auf die Einfachheit und Un- getheiltheit des Geistigen werden wir aber noch einmal bei Gelegenheit der Natur der Gottheit zurückkommen. Denn der überall waltende Geist ist einer und ebenderselbe. (VIII. 20. 21. XIH. 27.) Das Handeln fesselt den Geist, indem es ihn den Bedingungen der Wirklichkeit unterwirft, und vom reinen Nachdenken abzieht. Es hat daher in der Welt von alter Zeit her zwei Systeme gegeben, des Han- delns und der Erkenntnifs (II. 3.) und die Beobachtung des Rechten in Absicht des Handelns ist schwer, da man sowohl auf das Handeln, als Nichthandeln achten mufs. (IV. 17.) Man hat bald das eine, bald bekannte Episode des Maha- Bharata. 5 das andre vorgezogen. (XVII. 2. 3.) Aber die Wahrheit ist, dafs das erstere vor dem letzteren den Vorzug verdient. (II. s. V.2.) Es kommt nur darauf an, sich von den Fesseln der Handlungen (II. 39.) loszu- machen. Dies aber geschieht, wenn man alle Rücksicht auf den Erfolg verläfst, und nur handelt um zu handeln. Alsdann vereinigt man beide Systeme, vernichtet gleichsam die Handlungen , indem man sie ihrer fes- selnden Natur beraubt, und handelt, mitten im Handeln, eigentlich nicht. (IV. 20. XVIO. 17.) Denn dies ist nothwendig, weil es immer wahr bleibt, dafs das Handeln weit unter der Erkenntnifs steht. (II. 49.) Man würde aber auch umsonst versuchen, das Handeln gänzlich aufzugeben. In keinem Augenblick kann der Mensch ohne Handlungen bleiben, sie gehen unabhängig von seinem Willen vor, und entstehen aus der Natur und ihren Eigenschaften. (II. 5.) Der Weise läfst in ihnen die Natur walten, und sieht sie, blofs in ihr vorgehend, als von sich geschieden an. (IV. 21. XIV. 19. XIU. 19. IH. 28.- V.8— 10.) Diese Behauptung der Unvermeidlichkeit der Handlungen gründet sich darauf, dafs in diesem System unter Handlung alle und jede körperliche Verrichtung, eigentlich jede Veränderung der Materie, verstanden wird, was wieder damit zusammenhängt, dafs die Vollendung des Weisen, wie wir bald schen werden, in die höchste Ruhe, die Vertiefung und den Über- gang in die Gottheit gesetzt wird. Eine andre Nothwendigkeit der Handlun- gen entsteht aus den verschieden vertheilten Pflichten der Stände, welchen jeder, selbst wenn Schuld damit verbunden wäre, getreu bleiben mufs. (XVII. 47.48.) Endlich liegt in dieser Lehre ein nothwendiger Fatalis- mus, da die mit der Gottheit gleich ewige Natur das Rad ihrer Verände- rungen unaufhaltsam umwälzen mufs, und dadurch die jedes einzelne Seyn in sich fassende Gottheit, genau gesprochen, zum einzigen wahrhaft Han- 8 delnden wird. Mit Recht kann daher Krischnas zu Ardschunas sagen : Drum auf zum Schlachtkampf jetzt! erringe Ruhm dir! den Feind besiegend, geneufs Herrschaftsfülle! durch mich vormals diese geschlagen sind schon; nur Werkzeug werde du, links gleich Geübter ! Den Dronas, Bhischmas und den Dschayadrathas, Karnas, die andren des Kampfs Helden alle, die ich geschlagen, du schlag’ unverzagend! Auf, kämpfe, dein wird im Streite der Sieg seyn. (XI. 33. 34.) + 6 Humsouor über die unter dem Namen Bhagavad -Gita Nur die irdisch Verblendeten setzen den Grund ihrer Handlungen in sich, der bescheidene Weise hält nie sich für den Thäter. (XVII. 16. XIV. 19. XI. 29.) Das Verzichten auf die Früchte der Handlungen wird auch durch ein Niederlegen der Handlungen in die Gottheit ausgedrückt. (X. 6. II. 30. XVIH. 57.) Es befreit von den Fesseln der Handlungen, (IV.41.) und wer es übt, bleibt unbefleckt von Sünde, wie das auf dem Wasser schwimmende Lotusblatt (V. 10.) nicht benetzt wird. Auf die Nothwendigkeit des Verzichtens auf die Früchte der Hand- lungen, und des Gleichmuths, ja der Gleichgültigkeit über ihre Erfolge kommt der Dichter fast in jedem Gesange in mehr als einer Stelle zu- rück, und verbunden mit dem eben so oft wiederholten Dringen auf Handlung, bezeichnet sie unläugbar philosophisch eine an das Erhabne gränzende Seelenstimmung, und bringt zugleich eine grofse poetische Wirkung hervor. Den einfachsten Ausdruck der Verzichtleistung möchten folgende Verse enthalten: Im Handeln sey des Werths Würdgung, in den Früchten dir nie und nie. Nicht sey, dem Handelns Frucht Grund ist; Sucht nicht sey vach Nichthandeln dir. Vertieften Geists, von Sehnsucht frei, so handle, Goldverschmäher, du, ob erfolgreich, erfolglos, gleich ; Gleichmuth Vertiefung wird genannt. (U. 47.48.) Auf diese Weise lösen sich Handeln und Nichthandeln vor dem Geist in denselben Begriff auf. Wer sieht im Handeln Nichthandeln, im Nichtbandeln das Handeln wer, unter den Menschen der weis’ ist, vertieft, an alles Handelns Ziel. (IV. 18.) Der Gleichmuth ist mit einem eignen Worte, der Freiheit von der Zwiefachheit, dem gelingenden oder mifslingenden Erfolge, bezeichnet. Die aus Wunsch und Abscheu entspringende Verblendung dieser Zwie- fachheit bringt alle Verirrungen unter den Geschöpfen hervor. (VII. 27.) Der Weise macht sich davon los, und für seinen Gleichmuth kann kein Ausdruck stark genug gefunden werden. Nicht blofs Hitze und Frost, Vergnügen und Schmerz, Gelingen und Mifslingen, Glück und Unglück, Sieg und Niederlage, Ehre und Unehre müssen ihm dasselbe seyn, auch bekannte Episode des Maha- Bharata. 7 zwischen Freunden und Feinden, Guten und Bösen mufs er partheilos da stehen, gleich achten Erde, Steine und Gold. (1.38. V1.7-9. AI. 17-19.) Diese seine Abgezogenheit von der Bewegung des irdischen Seyns, der Gegensatz, in dem er hierin mit dem grofsen Haufen steht, wird in die- ser, sonst bilderkargen, Dichtung in mehreren Bildern geschildert. Wer den Gliedern der Schildkröte gleich, zurückziehet überall die Sinne von dem Sinnreizstofl', des Geist in Weisheit fest besteht, (I1.58:) Dem nie sich füllenden, unschwankend stillen Weltmeer wie einströmet der Wasser Menge, wem einströmt so aller Begierden Fülle, der Ruh’ erlangt, nicht der Begierbegierge. (II. 70.) Welche jedem Geschöpf Nacht ist, in der wacht der Gesammelte, in der jeglich Geschöpf wachet, ist des schauenden Weisen Nacht. (11.:69.) Die reine Scheidung des Geistigen von dem Körperlichen und die Vernichtung der Handlungen führen beide, jene positiv durch die Ei- nerleiheit alles rein Geistigen, diese negativ durch die Entfernung der Störungen, in welche das Handeln den Menschen verwickelt, zu der Erkenntnifs und Anschauung der Gottheit, aus welchen die höchste Vollendung hervorgeht. Es ist daher nothwendig, gleich den Begriff richtig aufzufassen, den Krischnas, dessen Lehre nicht blofs eine phi- losophische, sondern ganz eigentlich eine religiöse ist, von der Gottheit aufstellt. Ich werde auch hier versuchen, die Hauptsätze durch Stellen des Originals selbst zu belegen. Ich habe auf die Auswahl derselben absichtlich grofse Sorgfalt verwandt, und wünschte sehr, dafs diejenigen, welche Ge- genständen dieser Art eine gröfsere Aufmerksamkeit schenken, die Mühe nicht scheuen möchten, diese Stellen nachzulesen, wozu auch denen, welche nicht Sanskrit wissen, A. W. von Schlegels lateinische, seiner Ausgabe der Gitä angehängte Uebersetzung eine trefilliche Gelegenheit darbietet. Diese Uebertragung ist so meisterhaft und zugleich von so ge- wissenhafter Treue, von so geistvoller Behandlung des philosophischen 8 Humsoupr über die unter dem Namen Bhagavad -Gita Gehaltes des Gedichts und von so ächter Latinität, dafs es ohnehin un- endlich zu bedauern wäre, wenn sie blofs zum besseren Verständnifs des Textes gebraucht, und nicht von allen denjenigen recht fleifsig gelesen würde, die sich mit Philosophie und Alterthumskunde beschäftigen. Da wo ich einzelne Stellen selbst metrisch zu übersetzen versucht habe, mufs ich, mich mit Nachsicht zu beurtheilen bitten, da man noch lange nicht genug die Eigenthümlichkeiten und Feinheiten des Indischen Versbaues, sondern nur sein Sylbenmaafs und seine Hauptabschnitte kennt, wodurch für die wahrhaft gelingende Nachbildung einer Versart wenig geschehen ist. Was die Stellen an sich betrifft, so habe ich durchaus nicht gerade die schönsten und gefälligsten ausgewählt, worüber das Ur- theil ohnehin verschieden ausfallen dürfte, sondern dem Zweck dieser Ab- handlung gemäfs, diejenigen, aus welchen die Eigenthümlichkeit des philo- sophischen Systems am meisten hervorgeht. Ich habe aus dem gleichen Grunde mit möglichster Genauigkeit Wort für Wort wiederzugeben ver- sucht, und würde auf das Metrum gänzlich Verzicht geleistet haben, wenn nicht eine metrische, selbst weniger gelungene Übersetzung immer einen anschaulicheren Begriff von dem Originale gewährte. Auch ‘kann in un- srer Sprache eine metrische Übersetzung gerade an Treue gewinnen. Der Übersetzer wird durch den Rhythmus in eine, dem Original ähnliche Stimmung versetzt, die bindenden Gesetze der Sylbenzahl und Sylben- länge machen schleppende prosaische Umschreibungen unmöglich, und schneiden die sonst leicht zu weit gehende Unschlüssigkeit über die Wahl der Ausdrücke auf eine wohlthätige Weise ab. Die in den Versen, als Anreden vorkommenden Namen Bhäratas, Pärthas, Kaunteyas, sind Sans- kritisch geformte Zunamen des Ardschunas, von seinen Voreltern her- genommen. Zum Verständnifs der hier bald folgenden Stellen mufs ich bemer- ken, dafs, wenn Krischnas, der in ihnen meistentheils der redend Einge- führte ist, von sich spricht, damit die höchste Gottheit, oder was der Reinheit dieser Lehre besser entspricht, die Gottheit absolut gemeint ist. Krischnas begleitet den Ardschunas als Mensch, (IX. 11.) als einer der Nachkommen des alten Königs Yadus, und Ardschunas, da er ihn als Gott erkennt, bittet ihn (XI. 41.42.) wegen der Vertraulichkeit um Verzeihung, bekannte Episode des Maha- Bharata. 9 mit der er mit ihm umgegangen ist. Nach der Indischen Mythologie ist Krischnas (!) die achte der zehn Irdischwerdungen, oder Niedersteigungen (Avatäräs) Vischnus. (?) Von diesen Erscheinungen der Gottheit in ver- schiedenen Thier- und Menschengestalten kommt zwar in unsrem Gedicht, das überhaupt von mythologischer Dichtung frei ist, nichts vor, aber Krisch- nas erwähnt doch, dafs er von Weltalter zu Weltalter auf die Erde zurück- kehrt. (IV. 6-8.) Indem aber Krischnas eine Emanation der Gottheit ist, bleibt diese, oder vielmehr er in ihr in ihrem ewigen Seyn, und in diesem Verstande spricht er wohl, jedoch soviel ich habe sehen können, nur in dieser einzigen Stelle des Gedichts, von sich und Gott, wie von zwei ver- schiedenen Wesen, wenn er sagt: Zu diesem urersten Geist hin mich richt’ ich, von wannen alles Geschöpfs alter Strom fliefst. (XV. 4.b.) Gott nun ist das ewige, unsichtbare, ungetheilte und daher einfache, von allen vergänglichen, sichtbaren und in Individuen vertheilten Wesen verschiedene Princip. (ATI. 3. VI. 24. 25.) Verschieden ist vom sichtbaren ein unsichtbares, ewges Seyn, das, wenn vernichtet ist jedes Geschöpf, nicht mit vernichtet wird, das unsichtbar Untheilbare, das sie preisen den höchsten Pfad, den erringend, man nicht rückkehrt, dort wo mein höchster Wohnungsort. (VII. 20. 21.) Unvernichtbar das ist, wisse, was ausgespannet dieses All. Vernichtung dieses Urewgen keiner, wer irgend, machen kann. (II. 17.) Gott ist allwissend, Alles durchdringend, keines Zuwachses fähig, unendlich, der Herr aller Dinge; es giebt nichts über ihm; er ist Eins und mufs in Einheit angebetet werden. (VI. 26. IH. 15. 22. XI. 19. 20. IX. 11. 17.18. VI. 7. VI. 31.) Ardschunas sagt von ihm: (‘') Mehrere Abbildungen von ihm kann man in Guigniauts religions de lantiquite, IV.13.nr. 61-66. nachsehen. Man vergleiche auch I. 210. 211. (°) Guigniaut. 2. c. I. 181-193. „” Hist. phiolog. Klasse 1825. B 10 Hunmsoror über die unter dem Namen Bhagavad-Gitd Nicht Ende, noch Mitte, noch irgend Anfang dir schau ich, Allherrschender, Allgestaliger. (XI. 16.) Der Welt, des Festen, des Regsamen, Vater, der Lehrer ehrwürdigster, höchster bist du; nichts ist dir gleich, unermefsbarer Herrscher, wer höher könnt’ in der Dreiwelt, als du, seyn? (XL. 43.) Der Wohnsitz Gottes ist über alle Schöpfung hinaus und aufserhalb derselben. Den dort erleuchten nicht Sonnen, nicht Mondesscheibe, Feuer nicht, wohin gehend man nicht rückkehrt, ıhn meinen höchsten Wohnungsort. (XV. 6.) Gott ist der Schöpfer der Welt, Alles ist nur durch ihn, er ist der unvergängliche Ursprung aller Dinge. (IX. 4. 10. 13. VI. 6.7. 10.) Was jegliches Geschöpfs Samen ist, das bin ich, o Ardschunas; nichts ohne mich im Weltkreis ist, nicht Festes, nicht Bewegliches. (X. 39.) Von dem der Wesen Ausflufs ist, der ausgespannet dieses All, nach seiner Art den anbetend, hin zur Vollendung strebt der Mensch. (XVII. 46.) Wie Gott Alles hervorgebracht hat, so ist er auch Alles, und Alles ist in ihm. Dies ist ein Hauptsatz dieser Lehre, der auf die mannigfaltigste Weise durchgeführt wird. Er scheint auf der einen Seite mit dem Begriff der göttlichen Unendlichkeit zusammen zu hangen, die Alles in sich be- greift, auf der andern mit der, der Indischen Philosophie eigenthümlichen Vorstellungsart von der Entstehung eines Dinges aus einem andren. Da es, wie wir im Vorigen gesehen, keinen Übergang von dem Seyn zum Nicht- seyn, oder umgekehrt, giebt, sondern beide zwei ins Unendliche fortlau- fende Linien bilden, so ist alle Schöpfung aus Nichts unmöglich ; jede Wir- kung mufs also schon in ihrer Ursach, und gleich ewig mit ihr, vorhanden seyn. (Colebrooke in den Transactions of the royal Asiatie Society, Fol.l. part.]. p. 35.) Wenn daher Gott der Schöpfer aller Dinge ist, so müssen alle Dinge, schon vor seinem Schaffen, in ihm vorhanden gewesen seyn. In bekannte Episode des Maha- Bharata. 11 unsrem Gedicht ist diese Schlufsfolge selbst nicht ausgesprochen, allein da der Grundsatz (II. 16.) klar und bestimmt aufgestellt wird, so liegt sie von selbst am Tage. Alles Geistige ist mit einander verwandt und Eins und dasselbe, und der Mensch kann in sich, d.h. in seinem geistigen Selbst (da die Sprache den Begriff des Geistes und der Selbstheit in demselben Wort mit einander verbindet) alle übrigen Geschöpfe und in ihnen Gott erkennen, Indem aber der göttliche Geist in Geschiedenheit in die einzelnen Indivi- duen vertheilt ist, ist er zugleich in Einheit unsichtbar, unvergänglich und ungetheilt vorhanden, und diese seine ungetheilte Natur ist der wahre Ur- quell alles Daseyns. Was jedem Dinge den ihm eigenthümlichen Vorzug giebt, das ist Gott, der Glanz der Gestirne, das Leuchten der Flamme, das Leben der Leben- digen, die Stärke der Starken, der Verstand der Verständigen, die Erkennt- nifs der Erkennenden, die Heiligkeit der Heiligen. (VIL.S-11.X.38.) Was irgend für ein Verhältnifs zwischen ihm und der Welt gedacht werden kann, in dem steht er, als Vater, Mutter, Erhalter, Zuflucht u. s. f., er ist die Lehre, die Reinigung, die heiligen Schriften, das Stillschweigen des Ge- heimnisses (IX. 16-18. X. 38.) die nie aufhörende Zeit. (X.33.) Im zehnten Gesange geht Krischnas die ganze Schöpfung durch (19-42.) von den Fischen im Wasser bis zu den Göttern hinauf, die Berge, Meere, Winde, die Jah- reszeiten und Zeitabschnitte, die Heerführer, Weisen, Heiligen, Dichter, Heldengeschlechter, und in jeder Gattung nennt er sich das oder den, welche in jeder das Vorzüglichste sind, unter den Nachkommen Pändus Ardschunas, unter den Heiligen Näradas, unter den Einsiedlern Vyäsas, un- ter den Dichtern Usanas u. s. f. Selbst die grammatischen Formen und Buch- staben werden nicht vergessen. Er ist unter den zusammengesetzten Wör- tern die zwei Begriffe unabhängig von einander verbindende Gattung, unter den Buchstaben das a, wobei, wenn es nicht blofs die Ehrfurcht andeutet, mit der man die Erfindung der Schrift betrachtete, vermuthlich mystische Vorstellungen zum Grunde lagen. Ich hebe aber dies ausdrücklich heraus, weil es beweist, dafs, wenn dieses Distichon (X. 33.) nicht ein späteres Einschiebsel ist, zu der Zeit, in welcher das Gedicht entstand, schon ein Alphabet vorhanden war. Denn das deutliche Absondern eines Vocals vor der Reflexion, kann kaum durch irgend einen Zeitraum von der Bezeichnung B> 12 Hunsoupr über die unter dem Nameu Bhagavad -Gita desselben getrennt seyn. Alles einzeln Aufgezählte aber, sagt Krischnas beim Schlufs, habe er nur beispielsweise angeführt, denn die ganze Zahl der Wesen, in welchen er durch seine Wunderkraft erscheine, zu nennen, werde kein Ende gefunden. Was irgend grofs, ausgezeichnet und vorzüglich, sey seines Glanzes theilhaftig und diese ganze Welt habe er mit einem Theile seiner Natur ausgestattet. (X. 40-42.) Hieraus geht nun auch deutlicher hervor, in welchem Sinne er sich Eins mit den Dingen der Natur nennt. Was in den hier angeführten Stellen einzeln angegeben ist, wird in ei- ner andren (VI. 19.) in den kurzen Ausdruck: Vasudevas (d.i. Krischnas, der Sohn des Vasudevas) ist das All, zusammengezogen. Auf diese Weise mufs das göttliche Wesen einander entgegengesetzte Eigenschaften in sich fassen, deren Widerspruch sich nur in der Allheit seiner Natur auflöst. In demselben Distichon sagt Krischnas von sich: Der Krafıbegabten Kraft bin ich, von Begier frei und Leidenschaft, Begier bin ich, die kein Recht hemmt, in den Geschöpfen, Bhäratas. (VII. 11.) Ein Gott, der das Rasen der ungebändigten Naturkraft mit der Ruhe in sich verbindet, die in reiner Herrschaft des Geistigen über allem End- lichen schwebt, regt alle Bilder in der Phantasie an, welche eine grofse dichterische Wirkung hervorzubringen im Stande sind. Diesem entspricht nun auch die Körpergestalt, die Gott zugeschrieben wird. Sie ist nichts anders, als eine sinnliche Übertragung seines geistigen Begriffes, nach welchem er, alle Wesen in sich fassend, sich in alle einzelne ergiefst und doch zugleich in seiner Einheit, als wahre Monas dasteht. Man darf diese Vorstellung eines göttlichen Körpers nicht mit der menschlichen Gestalt verwechseln, welche die Mythologie andrer Völker und in einem andren Verstande, die Indische selbst ihren Göttern anbildet. In diesem philosophischen, nicht mythischen System wird die ganze Körperwelt zum Körper des Unendlichen, und zwar nicht wie sie sich allmählich und ein- zeln in ihren Wirkungen entwickelt, sondern in ihren, alles Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige zugleich in sich fassenden Urkräften. Ardschunas bittet Krischnas (XI. Ges.) sich ihm so zu zeigen, wie er sich ihm (seinem Wesen nach, denn bis dahin ist im Gedicht nicht von Kör- perform die Rede) geschildert hat. Krischnas gewährt seine Bitte, leiht ihm ein göttliches Auge, da menschliche dies nicht zu schauen vermögen, und bekannte Episode des Maha- Bharata. = 15 offenbart sich ihm in seiner glanzgebildeten, allumfassenden, unendlichen, uranfänglichen, von niemand bis dahin erblickten Gestalt. Ardschunas sieht ihn nun zu dem Himmel emporragend, ohne Anfang, Mitte, noch Ende, mit vielen Köpfen, Augen und Armen, Tausende von göttlichen, an Farbe und Umrissen verschiedenen Gestalten in sich vereinigend, das Weltall mit seinem Glanz erwärmend, und in ihm alle Götter von dem im Lotuskelch sitzenden Brahmä an, alle Weisen, und die ganzen Schaaren der Geschöpfe jeglicher Art. Wenn hoch am Himmel urplötzlich von tausend Sonnen rings empor Licht flammte, gliche sein Strahlen dem Glanz dieses Erhabenen. Das Weltganze, als Eins stehend, und mannigfaltig doch vertheilt, in dem Körper der Sohn Pändus des Gotts der Götter schauete. (XI. 12.13.) So hatte sich ihm Krischnas auch angekündigt, Das Weltganze, als Eins stehend, was sich bewegt, was nicht, erblick’ in meinem Körper, Haarlockger, und was du sonst begehrst zu schaun. (AL.sl.) und wer sich diese Ansicht zu eigen macht, erreicht die höchste Vollendung. Wer, als in Einheit da stehend der Geschöpfe getheiltes Seyn, und verbreitet von da schauet, der erhebet zur Gottheit sich. (XII. 30.) Die niedrigste Stufe der Erkenntnifs ist die, auf der man das Einzelne, getrennt von seinem Ursprung, als wäre es selbst das Ganze, betrachtet; die mittlere, wenn man im Einzelnen nur das Einzelne sieht, ohne zum All- gemeinen aufzusteigen. (XVII. 20-22. Es ist aber bemerkenswerth, dafs Krischnas ausdrücklich sagt (XI. 47.) dafs er dem Ardschunas diese seine höchste Gestalt durch Wirksam- keit seines Selbst gezeigt hat, d.h. durch die Wunderkraft (!), von (‘) Diese Kraft wird als ein wahrer Zauber (mäya) geschildert, und diese Brahma- mäyd findet sich auf Bildwerken so dargestellt, dafs sie das zwiefache Wesen, welches sie in sich vereinigt, nicht blofs durch ihre mannweibliche Gestalt anzeigt, sondern auch auf der einen Seite der halb nach dem Munde hinaufgezogene Fufs auf das über sich selbst brütende Brahma, auf der andren die tanzende Bewegung auf die schaffend gau- kelnde Mäy& hindeutet. (Guigniaut. IV.1. nr.2. pl.1. Fig. 2.) 14 Hunsonor über die unter dem Namen Bhagavad-Gita der in der Folge die Rede seyn wird, vermöge welcher Gott und Menschen im Stande seyn sollen, indem sie sich, abstrahirend und auf Einen Punkt heftend, in ihr Innres vertiefen, ihr Wesen umzuformen, und Unmögliches hervorzubringen. Man darf vielleicht hieraus schliefsen, dafs der Dichter diese Erscheinung Krischnas wirklich nur als einen Schein genommen wissen will, da sein von wahrem Spiritualismus durchdrungenes System dieser Vor- stellung von vielfachen Gliedern, Sonnenglanz u.s.f. nicht bedarf, auch, wie wir gesehen, das göttliche Wesen sonst von ihm blofs als unsichtbar und ungetheilt geschildert wird. Gott umfafst aber nicht blofs alle Arten des Seyns, auch das Nicht Seyende ist er. Unsterblichkeit und Tod bin ich, was ist, was nicht ist, Ardschunas. (IX. 19.) Auf ganz ähnliche Weise wird in Manus Gesetzbuch (I. 11.) die ewige, unsichtbare Grundursach, aus der Alles, auch Brahma selbst, entsprungen ist, zugleich seyend und nicht seyend genannt. Ich glaube nicht, dafs dies, wie wohl geschehen, so zu verstehen ist, dafs mit dem Seyn das Wesen Gottes an sich, mit dem Nichtseyn unsre Unmöglichkeit es sinnlich wahrzu- nehmen gemeint sey. Wenn man sich vollständig in die hier herrschende Vorstellungsart hineindenkt, so wird in dieser Bestimmung gleichsam die letzte Schranke der Allheit Gottes niedergerissen, das Allwesen umfafste nicht Alles, wäre nicht unendlich, wenn seinem Seyn noch ein Nichtseyn entgegengesetzt werden könnte. Auch ist es in höherem und reinerem phi- losophischen Sinne richtig, dafs die Gottheit dadurch, dafs sie den Grund alles Seyns in sich fafst, nothwendig auch den Grund des Nichtseyns in sich enthalten mufs. Überhaupt aber ist ein Seyn, das sich individuell in unzählige Geschöpfe vertheilt, und zugleich, als ein allgemeines, sie alle in sich ver- einigt, mit keinem andren Seyn vergleichbar, und darum wird an einer an- dren Stelle gesagt: Die höchste Gottheit, anfangslos, heifst nicht unseyend, seyend nicht. (XIII. 12.) was mit dem oben angeführten Verse im Grunde derselbe, nur von einer andren Seite genommene Gedanke ist. In einem andren Sinne wird das Nicht-seyende genommen, wenn es das Gegentheil des Seyenden, als reales Seyn, als gediegene Wesenheit be- bekannte Episode des Maha-Bharata. 15 trachtet, andeuten soll. Es wird alsdann (XVII. 28.) der Tugend und Wahrheit entgegengesetzt. Die Geschöpfe sind in Gott. (VII. 12.) Den höchsten Geist erstrebt, Pärthas, Dienst, schauend unyerrückt nach ihm, dem die Geschöpfe inwohnen, der ausgespannet dieses All. (VIII. 22.) Zum Wohnort deine Natur habend, freut sich, du Sinnenherrscher, die Welt, dir gehorchend. (XI. 36.) Er aber ist nicht in ihnen. (VI. 12. IX. 4.) Durch diesen letzten Satz wird jedoch nur ausgedrückt, dafs er von ihnen unabhängig ist, sie wohl mit seiner unendlichen Natur umfafst, selbst aber nicht in ihrer endlichen befangen ist. Denn in andren, ihn nicht ein- engenden Beziehungen ist er allerdings in ihnen, geht in ihre Körper ein und verläfst sie, und wohnt im Herzen jedes Menschen. (XV. 7-11. XII. 15.17.) Doch wird dieses Seyn in ihnen, nicht, wie das ihrige in ihm, als absolut und reell angenommen, sondern nur mit Beschränkung, als ein gewisser- mafsen, gleichsam Inwohnen. (XII. 16.) Auch dagegen verwahrt sich diese Lehre sorgfältig, dafs das Seyn der endlichen Geschöpfe in dem unendlichen Schöpfer nicht seine Natur herabziehe. An einer Stelle folgt unmittelbar auf den Satz, dafs die Geschöpfe in Gott sind, der gerade ent- gegengesetzte, und auf dieses, zugleich Seyn und Nichtseyn wird als auf die höchste Wunderkraft des göttlichen Wesens aufmerksam gemacht, worunter, nach der Analogie andrer Stellen, die Anspannung des göttlichen Geistes zu verstehen ist, durch welche er alle Wesen mit sich verbindet, und doch alle beschränkende Folgen dieser Verbindung aufhebt. (IX. 4.5.) Dichterisch wird darauf dieser Widerspruch durch folgendes Gleichnifs gelöst. So wie des Aethers Raum füllet, allhindringend, die weite Luft, der Geschöpfe Gesammtheit so mir inwohnend betrachte du. (IX. 6.) Dasjenige, was die Geschöpfe mit Gott verbindet, ist die geistige Na- tur. Sie ist dieselbe in allen. Gott ist eigentlich der jeden beseelende Geist. (X. 20.) Jeder kann daher in sich die übrigen Geschöpfe und sie in Gott erkennen. 16 Humsouor über die unter dem Namen Bhagavad-Gita Nicht zur Verblendung, Sohn Pändus, kehrst du zurück, erkennend das, wo der Wesen Gesammtheit du in dir erst schauest, dann in mir. (IV. 35.) Wer in jedem Geschöpf selbst sich, und die Geschöpfe all’ in sich in fromm vertieftem Geist siehet, Eins und dasselbe überall, wer überall nur mich schauet, und Alles schauet nur in mir, in dem unter ich nicht gehe, und er nicht untergeht in mir. Wer den Geschöpfen inwohnend mich ehrt, an Einheit hangend fest, der, wo er immer mag weilen, verliefet doch nur weilt in mir. Wer immer in des Selbsts Gleichheit dasselbe schauet, Ardschunas, wenn er empfindet Lust, wenn Schmerz, am tiefsten der vertiefet ist. (VI. 29-32.) Jene Wunderkraft Gottes wird auch eine magische, einen Schein her- vorbringende genannt, und dadurch angedeutet, dafs das einzige wahre Seyn doch nur das unvergängliche, ewige, alles übrige, dem Wechsel unterwor- fene aber nur ein durch die Gottheit erzeugtes Scheinbild ist. Da es aber schwer ist zu erkennen, dafs Gott durch diesen Antheil an der Endlichkeit nicht beengt wird, und sein eigentliches, unsichtbares Seyn nicht mit jenem Seyn des Scheins zu verwechseln (VII. 25.) so täuscht jene Wunderkraft die Menschen. Der Herr der Geschöpfe, heifst es an einer andern Stelle, sitzt in der Gegend des Herzens, und macht die an dies rollende Rad der End- lichkeit Gehefteten durch seine Magie irre. Wer aber zu Gott gelangt, über- windet diesen Zauber. (VH. 14. 15. XVIH. 61.) Er erkennt nemlich nicht nur die doppelte Natur, die nach diesem System in Gott angenommen werden mufs, sondern täuscht sich auch nicht über das Verhältnifs beider zu einander. Erde, Wasser und Glutlodern, Luft und Aether, Gemüth, Vernunft, Selbsigefühl, so in acht Theile ist die Natur gespalten mir; die niedre, denn getrennt, wisse, von ihr ist andre, höchste mir, lebenathmende, Grofsarmger, durch die fortdauert diese Welt; denn als aus diesem Schoofs spriefsend, alle Dinge betrachte du. (VII. 4-6.a.) Zur Erläuterung dieser Stelle mufs ich bemerken, dafs die drei, hier der niedren Natur Gottes zugesellten geistigen Vermögen in der Indischen Philosophie überhaupt gewissermafsen den Sinnen gleichgestellt werden. bekannte Episode des Maha- Bharata 17 Das Gemüth (manas, der Etymologie nach, das lateinische mens) ist die Kraft, welche in der Seele dem körperlichen Wahrnehmen und Han- deln entspricht. Denn die Indier nehmen, aufser den fünf Werkzeugen der Sinne, fünf Werkzeuge des Handelns an, und setzen diese zehn mit dem manas, als dem eilften, in Eine Klasse. Das Selbstgefühl (ahankära, wörtlich das, was das Ich bildet) wen- det die äufseren und inneren Eindrücke auf die Persönlichkeit an, und schliefst also das Selbstbewufstseyn und die Selbstsucht in sich ein. Die Vernunft (buddhi) beschliefst. Über diesen dreien ist der reine, mit der eigentlichen göttlichen Na- tur verwandte Geist (atman, woher unser athmen, puruscha). (Man sehe Colebrooke /. c. p. 30.31. und Burnouf’s Auszüge aus dem Padmapuräna, Journal Asiatique, VI. 99-101.) In unsrem Gedicht wird dies System nicht ausdrücklich auseinander gesetzt, aber der Anfang des 13. Gesan- ges und mehrere andre Stellen zeigen, dafs es auch das des Dichters war. Man sieht hieraus, dafs die menschliche Natur nur eine Nachbildung, eine Vereinzelung der göttlichen ist, und wenn diese Körper schafft oder in Vernichtung sinken läfst, geht sie in dieselben ein, oder scheidet aus ihnen, und bedient sich der die Verbindung der Seele mit der Aufsenwelt bewir- kenden Werkzeuge. Denn in des Lebens Welt ziehet, lebenathmend, mein ewger Theil an sich aus der Natur Schoofse Gemüth und Sinne, sechs an Zahl. Wo in den Körper eingehet, wo wieder ihn der Herrscher läfst, da sich eint er, sie losreifsend, wie Wind vom Lager Blüthenduft. Umfassend da Gehör, Auge, Gefühl, Geschmack, Geruch zugleich und das Gemüth in Herrschaft so, durchwirket er den Sinnenstofl. (XV. 7-9.) Gott verbindet sich also mit sterblichen Leibern und handelt, indem er sie hervorbringt, und menschliche Einrichtungen gründet. Er ist sogar genöthigt zu handeln, wenn das Weltenrad nicht still stehen soll. Aber die Verbindung mit der Endlichkeit befleckt, das Handeln fesselt ihn nicht, er läfst darin blofs die Natur walten. Hier kehrt nun, von der Gottheit aus- gesagt, dieselbe Lehre zurück, die oben den Menschen eingeschärft wurde, dafs gehandelt werden mufs, dafs nur das Hangen an den Erfolgen die Frei- heit des Geistes bindet, und seine Ruhe stört, der völlige Gleichmuth aber auch das wirkliche Handeln in Nichthandeln auflöst. (IX. 8. 9.) Hist. philolog. Klasse 1825. C 18 Humsounr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita Nichts, Parthas, ist zu thun übrig in den drei Welten irgend mir, unerstrebt nichts Erstrebbares, doch web’ ich sichtbarlich in That. Wenn unermüdet rastlos ich einmal in That nicht webete — denn, Pärthas, meines Fufstritis Spur die Menschen folgen überall — diese Welten in Nichts sänken, wenn ich nicht fürder thäte That, und Thäter des Gewirrs wär’ ich, und dies Geschlecht ich mordete. (III. 22-24.) Ich stiftete die vier Kasten, nach Eigenschaft, Beruf getheilt, doch sieh’ in mir, der so handelt, den Ewigen, Nichthandelnden. Denn mich beflecket Handlung nicht, nicht ist nach Handelns Frucht mir Lust. Wer also mich im Geist kennet, der, handelnd, wird gefesselt nicht. (IV. 13. 14.) Unter mir die Natur zeuget, was sich bewegt, und nicht bewegt. Aus diesem Grunde, Kaunteyas, die Welt herum sich, rollend, dreht. (IX. 10.) Denn anfangslos, naturstoflfrei, der höchste Geist, der ewige, in Leibern weilend, Kaunteyas, nicht handelt, nicht beflecket wird. So wie des Aethers Feinheit wird, allhindringend,, beflecket nicht, im Körper überall wohnend der Geist so nicht beflecket wird. (XIII. 31.32.) In der Endlichkeit mufs nicht blofs das Vorhandene untergehen, auch das Untergegangene mufs wieder geboren werden. Dies haben wir oben gesehen. Das Weltall folgt in Zwischenräumen bestimmter Jahrtausende, die Brahmas Tag und Nacht heifsen, demselben Kreislauf, und Gott ist es, der es schafft und zerstört. Denn der, welcher Brahnıas Tag kennt, den tausend Alter fassenden, die Nacht, die in sich fafst tausend, tag- und nachtkundig ist im Geist. Es entspriefst dem Unsichtbaren das Sichtbare, wann kommt der Tag; wann die Nacht kommt, es hinschwindet ins unsichtbar Genennete. Der Geschöpfe Gesammifügung, wenn sie gewesen, schwindet hin, wann die Nacht kommt; von selbst, Pärthas, erstehet sie, wann kommt der Tag. (VII. 17-19.) Alle Geschöpfe, Kaunteyas, gehn in meine Natur zuriick, wann untergeht ein Weltalter, wann anhebt eins, entlass’ ich sie, Denn die eigne Natur sammelnd, entlass’ ich, schaffend, für und für, der Geschöpfe Gesammtfügung von selbst, wie die Natur es heischt. (IX. 7.8.) bekannte Episode des Maha- Bharata. 19 Ich dieser ganzen Welt Ursprung bin, und Zerstörung wiederum. Erhabner, als mich, kein zweites giebts irgend, Goldverschmäher, du. An mich geknüpfet ist dies All, wie Perlenreih’ am Faden hangt. (VII. 6.8.7.) Dies letzte Gleichnifs scheint die Philosophie von der Mythologie ent- lehnt zu haben, wenn nicht diese sich des dichterisch- philosophischen Aus- drucks zu ihrem Endzweck bemeistert hat. Denn auch in Bildwerken (Guig- niaut. Religions de !’Anuquie. IV. p. 1. nr.2. pl.1. fig. 2. u.a. a. O.) ist die Reihe der geschaffenen Dinge als eine Perlenschnur dargestellt. Es ist in- teressant, auf diese Weise eine Hieroglyphe in Dichtung entziffert, oder eine Dichtung in Hieroglyphe übergetragen zu schen. Hiermit mufs man auch die sich wiederholenden irdischen Erscheinungen des göttlichen Wesens in Zusammenhang bringen, das sich gleichfalls immer selbst wieder erzeugt. In der That kann der Gedanke und überhaupt alles Geistige nicht durch Ruhe, sondern nur durch Selbstthätigkeit, also durch ewig sich erneuernde Zeu- ung fortbestehen. zung Von mir Geburten viel schon sind, von dir vorüber, Ardschunas, und alle sie im Geist kenn’ ich; du, Feindverderber, kennst sie nicht. Bin unvergänglich, anfangslos und der Geschöpfe Herr ich gleich, doch die eigne Natur sammelnd werd’ ich durch meines Zaubers Schein. Wie Ermatten des Rechts anhebt jedesmal hier, o Bhäratas, und Erstehen des Unrechtes, so mich erschafl’ ich wiederum. Zu der Schutzwehr der Frommsinngen, zu der Gottlosen Untergang, zu des ewigen Rechts Festgung ersteh’ ich neu von Zeit zu Zeit. Mein göttlich Thun und mein Werden wer so in reiner Wahrheit kennt, der in Geburt im Tod nicht geht, zu mir der gehet, Ardschunas. (IV. 5-9.) Das Entstehen der Wesen wird auch auf folgende Weise geschildert. Der Dichter braucht statt des gewöhnlichen Ausdrucks für den Körper einen andren (kschetra) den man das Irdische übersetzen kann, den wir aber noch allgemeiner Stoff, Materie, benennen wollen. Als Bestandtheile desselben zählt er die fünf Elemente, die fünf Sinnengegenstände, die eilf Körperwerkzeuge, Selbstgefühl, Vernunft, Lust und Schmerz, Begier und Abscheu, Mannigfaltigkeit, Denkkraft, Festigkeit und was sehr auffallend ist, das Unsichtbare auf. (AI. 1-7.) Diesem veränderlichen Stoff stellt Ca 20 Humsoror über die unter dem Namen Bhagavad-Gita er den Stoffkundigen entgegen. Diesen nennt Krischnas Eins mit sich. In seiner Verbindung mit dem Stoff besteht alle Zeugung. Was überall entsteht wahrhaft, ob Festes, ob Bewegliches, durch des Stoffes und Stoffkundgen Eingung das wisse, Bhäratas. (XIII. 26.) Wie diese ganze Welt Eine Sonne, Glanz sendend, strahlend macht, den ganzen Stoff der Stoffkundge so strahlen machet, Bhäratas. (X111: 33.) Es bringt keine wesentliche Lücke in dem System unsres Gedichts her- vor, wenn man diese nur im 13. Gesange vorgetragene Vorstellungsart ganz übergeht, und ich gestehe, dafs sie mir auf keine Weise ganz klar ist. Am meisten machen mich die aufgezählten Bestandtheile irre, unter denen sich zwar die 25 den Indischen philosophischen Systemen (Colebrooke. Z. c. p. 30. 31.) gewöhnlichen Grundstoffe gröfstentheils wiederfinden, aber auch andre, die theils, wie Begier und Abscheu im Gemüth, schon in andren enthalten sind, theils dem irdischen Stoff fremd scheinen. So hätte ich das Unsichtbare mit dem Stoffkundigen für dasselbe gehalten. In Manus Gesetz- buch (AH. 12-15.) in einer gleichfalls sehr dunkeln Stelle kommt dieser Ausdruck in einem andren, mehr untergeordneten Sinne vor. Gott sieht nur auf die Gesinnung. Er nimmt alles ihm mit Verehrung Gebotne an, Wasser, eine Blume, ein Blatt. Er ist gleichgesinnt gegen alle. Wer sich zu ihm wendet, der Brahman oder ein Knecht, alle können den höchsten Weg einschlagen. Aber die wohlwollend gegen alle Geschöpfe Ge- sinnten, die Tugendhaften, Gleichmüthigen, Frommen sind ihm theuer. (IX. 26.32.33. XIL.13-20.) Gott ist der eigentliche Gegenstand aller wahren Erkenntnifs, das zu Erkennende im absoluten Verstande. Indem der Dichter dies ausführt, und die Eigenschaften Gottes noch einmal kurz zusammen fafst, kommt sein wah- res Wesen immer darauf hinaus, dafs er, in nur durch seine Natur zu lö- sendem Widerspruch, alles Endliche in sich schliefst, und als unendlich, doch von allem Endlichen frei ist. (XIH. 12-17.) Bei der Darstellung eines Systems, das nicht dogmatisch vorgetragen, sondern in ein Gespräch verwebt ist, das sich, aufser seiner Bestimmung, eine sittlich religiöse Unterweisung über die Erreichung der höchsten Vollen- dung zu enthalten, an einen bestimmten Moment in einer Dichtung an- bekannte Episode des Maha- Bharata. 24 schliefst, hat es mir doppelt nothwendig geschienen, einen so einfachen Weg, als möglich, einzuschlagen. Ich habe daher im Vorigen mit Sorg- falt nur diejenigen Stellen zusammengetragen, in welchen entschieden von der höchsten Gottheit, oder vielmehr von dem absoluten Begriffe der Gott- heit die Rede ist. Ich habe mich dabei um so mehr des einfachen Ausdrucks Gott bedient, als in den meisten derselben Krischnas von sich, also von einem persönlichen Wesen, spricht. Was diese Vorstellung augenblicklich verdunkeln, oder scheinbar verwirren konnte, habe ich entfernt, um jetzt darauf zurückzukommen. Der wichtigste hier zu erläuternde Begriff ist der des Brahma, oder der göttlichen Substanz. Um Mifsverständnissen vorzubeugen, mufs ich zuerst bemerken, dafs dies mit einen kurzen a endende Wort das Neu- trum der Grundform Brahman, und durch Endung und Geschlecht von dem mit einem langen a endenden Masculinum, dem Gott Brahmä, ver- schieden ist. Das Neutrum ist hier auch wohl nicht bedeutungslos gewählt. Denn auch in unserm Gedicht scheint zwischen Krischnas, Gott, und dem Brahma, der Gottheit, da wo beide Begriffe nicht zusammenfallen, der Unterschied der zwischen einer gleichsam allgemeinen göttlichen Substanz und einem per- sönlichen göttlichen Wesen zu seyn. Es wird auch von dem ganzen Brahma (VII. 29.) geredet, und der Ausdruck meistentheils noch von dem Beiwort des höchsten (VIU.3. XIII. 12.) begleitet, als liefse der Begriff einen Umfang und Grade zu. Aus vielen Stellen geht deutlich hervor, dafs das Brahma und Gott dieselben Begriffe sind. Es durchdringt Alles, (II. 15.); in der oben erwähnten Beschreibung der Gottheit, als des zu Erkennenden, ist gerade der Ausdruck das höchste Brahma, und kein andrer neben ihm ge- braucht (XIH. 11-17.); die letzte Vollendung ist das Uebergehen in das Brahma, das heifst in die Gottheit. (1. 72.) Krischnas ist dasselbe mit ihm (X. 12.) ist das höchste Brahma selbst. Aber umkehren dürfte man, und hierin liegt der Unterschied, den Satz wohl nicht. Brahma ist die göttliche Urkraft überhaupt, gleichsam ruhend in ihrer Ewigkeit; in Gott, hier Krischnas, tritt die Persönlichkeit hinzu. Daher wird Krischnas neben dem Brahma genannt. 22 Humsoror über dıe unter dem Namen Bhagavad-Gita Wer Om! (') so sagend, eintönig die Gottheit nennt, gedenkend mein, und dann den Körper läfst scheidend, der wandelt hin den höchsten Pfad. (VII. 13.) An einer andren Stelle wird sogar zwischen dem Brahma und Krisch- nas auf dem Wege zur Vollendung nicht undeutlich eine Stufenfolge angege- ben. Nach einer ausführlichen Schilderung des frommen Weisen heifst es: derjenige, der so gesinnt ist zum Gottheit werden Kraft gewinnt, geworden Gottheit, ruhathmend, begehrt er nicht und trauert nicht, für alle Wesen gleichfühlend, erreicht er meinen höchsten Dienst, durch meinen Dienst erkennt wahrhaft er mich, wie grofs und wer ich bin, dann mich erkennend wahrhaft geht in mich er ohne Zögern ein. (XVII. 53.5.-55.) Der Uebergang in Krischnas ist also hier als das letzte und höchste dargestellt, nachdem der Mensch sich schon vorher dem göttlichen Wesen angebildet hat. Noch bestimmter als zeugende und empfangende Gottheit, werden beide Wesen in folgender Stelle unterschieden : Mein Schoofs die grofse Gottheit ist, in die ich lege meine Frucht, und aller Wesen Ursprung fliefst allein daraus, o Bharatas. Denn wo aus einem Schoofs Körper entspringen irgend, Kuntis Sohn, der grofse Schoofs die Gottheit ist, der Vater, samengebend, ich. (XIV. 3.4.) Dies entspricht ganz den morgenländischen Begriffen von Spaltung der göttlichen Kraft, Ausgehen aus ihr und Zurückgehen in sie. Fremder da- gegen scheint diese, nur in dieser einzigen Stelle desselben sich findende Vorstellungsart dem Systeme des übrigen Gedichts. Wie in den obigen Versen über den einzelnen empfangenden Kräften eine allgemeine empfangende Urkraft angenommen wird, so geschieht das- selbe auch in andren ähnlichen Fällen. Es wird nemlich auch von einem absoluten Handeln (karma) einem Einfachen (akschara) und von We- sen die über den Geist, über die Geschöpfe, über die Götter, über die Opfer sind (adhyätman, adhibhuüta, adhideiva, adhiyadschna) (‘) Von diesem Wort werde ich gleich in der Folge reden. bekannte Episode des Maha- Bharata. 23 gesprochen. Es scheint hiernach, dafs die Indische Philosophie, wo sie einzeln vertheilte Kräfte oder Eigenschaften an Wesen wahrnimmt, den Be- griff derselben in seiner Reinheit auffafst, bis zu schrankenloser Allgemein- heit erweitert, und nicht bei der Bildung des Begriffs vor dem Geiste stehen bleibt, sondern sie als reale Urstoffe wirklich setzt. Es entsteht alsdann hieraus zweierlei, einerseits dafs diese Grund - oder Urstoffe der Ursprung der einzeln vertheilten Kräfte sind, andrerseits dafs sie in ihrer Reinheit und Unendlichkeit ganz oder theilweise zu der Natur der Gottheit gehören. Das absolute Handeln wird (VII. 3.) in einer eignen Definition das die Erzeugung des Daseyns der Geschöpfe bewirkende Entlassen oder Schaffen genannt. Denn die Sprache verbindet diese beiden Begriffe in demselben Verbum (sridsch) und bleibt darin dem philosophischen Dogma getreu, dafs jede Wirkung, schon in ihrer Ursach enthalten, dieselbe nur zu verlassen braucht, um zu entstehen. Der Begriff des Handelns wird da- her bei dem ursprünglichsten Handeln, der Schöpfung, aufgenommen. Es fafst unter sich die einzelnen Handlungen, und mit doppeltem Rechte das Opfer (TI. 14.) es entspringt aber selbst aus dem göttlichen Wesen (II. 15.) als dem ursprünglichen Urheber aller Dinge. Nach diesem Zusammenhange erscheint es nicht mehr befremdend, wenn es in unmittelbare Verbindung mit der Gottheit und dem Übergeistigen gesetzt und gesagt wird, dafs man diese beiden und das ganze Handeln kennt, wenn man sich zu Krischnas wendet, um sich von Alter und Tod zu befreien. (VH. 29.) Das Uebergeistige (adhyätman) erklärt Krischnas (VII. 3.) durch einen Ausdruck, der buchstäblich das eigne Seyn bedeutet, und ge- wöhnlich die einem Wesen unzertrennlich anhängende Natur, seinen Cha- rakter, seine Persönlichkeit bezeichnet. (So V.14. XVIH. 60.) Dieser Begriff ist also hier zu der absoluten Allgemeinheit gesteigert, in welcher er zu dem göttlichen Wesen pafst, das alle Gründe seines Seyns in sich selbst enthält und die Urpersönlichkeit ist. Nicht aber darf man diesen Begriff mit dem des höchsten Geistes verwechseln, für den es einen andren (pa- ramatman) auch in unsrem Gedicht (AI.31.) vorkommenden Aus- druck giebt. Was über die Geschöpfe ist, nennt Krischnas (VIII. 4.) das getheilte Seyn. Die Eigenthümlichkeit endlicher Wesen beruht auf ihrer geschiede- nen Persönlichkeit, also auf Selbständigkeit und Vereinzelung. Für die er- 24 Humsorpr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita stere galt der so eben erwähnte Begriff. Die letztere liegt in dem gegen- wärtigen. Es mufs aber ein solcher allgemeiner Grundstoff, dem die Mög- lichkeit beiwohnt, sich einzeln zu vertheilen, vorhanden seyn, da in einem Systeme, wie dieses ist, alle Wesen, ihrer Geschiedenheit unbeschadet, Eins sind. Das Einfache, Unsichtbare bildet den Gegensatz des getheilten Seyns. Es ist eins und dasselbe mit der Gottheit und Krischnas, denn beide sind selbst das Einfache. (VII.3. XI. 37.) Aber das Einfache ist gleichsam der höchste und allgemeinste göttliche Urstoff. Denn es ist der Ursprung der Gottheit selbst; sie ist, nach der öfter berührten Vorstellung vom Verhältnifs der Wirkung zur Ursach, mit und aus demselben, was die Sprache vollständig und genau in Einem Worte (Samudbhavam) aus- drückt. »(dIE. 15.) Es wird auch die Frage aufgeworfen, wer die am frommsten Vertief- ten sind, die Krischnas überhaupt, oder die ihn als das Einfache anbeten? worauf die Antwort lautet, dafs beide zur Vollendung gelangen, aber die Arbeit der zuletzt genannten schwieriger ist, weil der körperbegabte Mensch sich schwer zu einer Vorstellung des Unsichtbaren erhebt. (XI. 1-6) Vermuthlich ist aus der Absicht, die Einfachheit der Gottheit noch bezeich- nender auszudrücken, der heilige mystische Name der Gottheit Om! ent- standen, indem drei Töne a, u und ein Nasenlaut in Einen Buchstaben ver- schlungen sind, da a und z in ein hier nasales o zusammenfliefsen. Über das Opfer nennt Krischnas auf eine dunkle und mystische Weise (VII. 2.4.) sich selbst in diesem seinem, also menschlichen Leibe, und der Ausdruck kommt sonst nicht an Stellen vor, die über diese mehr Licht verbreiteten. (Vgl. VII. 30.) Vielleicht aber soll diese Irdischwerdung selbst als ein Opfer, und folglich er als das höchste, alle andren in sich fas- sende angesehen werden. Die Götter (deva) sind nach den philosophischen Systemen der Indier nur Wesen höherer Art, die ersten und höchsten (XVII. 4.) aber selbst geschaffen, und nicht vergleichbar mit dem wahren göttlichen Wesen, dem Urquell aller Dinge. (Colebrooke Z. c. p.33.) Sie sind ebenso, als die Menschen, den einschränkenden Eigenschaften der Natur unterworfen, (XVII. 40.) und wohnen mit allen übrigen Geschöpfen in Krischnas. (X.14.15.) Es opfern ihnen die, welche, nicht gleich lauter in ihrem Seyn, bekannte Episode des Maha-Bharata. 2 ou wie die Verehrer des höchsten Gotts, an den Erfolgen der Handlungen han- gen (IV. 12.) diese aber kommen alsdann nach dem Tode nicht zur höch- sten Gottheit, sondern nur zu ihnen. (VI. 23.) Brahmä befindet sich auch in Krischnas. Dieser sagt von sich: Denn der Wohnsitz Brahmäs bin ich und des ewigen Göttertranks, der nie alternden Rechtssatzung und ungemefsner Seeligkeit. (XIV. 27.) und Ardschunas von ihm: In deinem Leib schau’ ich die Götter, Gott du, und alle Thiergattungen dicht geschaaret, im Lotuskelchsitze Brahma, den Herrscher, und alle Frommweisen und Götterschlangen. (XI. 15.) Krischnas ist gröfser, als er. (XI. 37.) Die erste und die letzte der hier angeführten Stellen gehört aber zu denen, bei welchen es, wie ich weiter unten zeigen werde, grammatisch zweifelhaft bleibt, und wo nur der Zusammenhang entscheiden kann, ob der Gott Brahmä oder die göttliche Substanz gemeint sey. Was über die Götter ist, wird vorzugsweise der Geist (Puruscha) genannt, und da der mit diesem Ausdruck verbundene Begriff in einem Theile des Gedichts eine wichtige Rolle spielt, so müssen wir ihn mit wenigen Wor- ten zu erläutern versuchen. Die genaue und eigentliche Bedeutung des Worts ist die, dafs es das Männliche bezeichnet. Es heifst also Mann und Mensch. Sein übriger Gebrauch aber zeigt, dafs es den Menschen ursprünglich nur von der Seite bezeichnete, von der er mit höheren Wesen und allem Geistigen verwandt ist (1). Denn man bedient sich desselben auch geradezu von dem Schöpfer. In zwei oben übersetzten Stellen (VIH. 22. XV. 4.) wo der Geist das Weltall geschaffen hat, und alle Geschöpfe in sich enthält, und wo Krisch- nas sich an ihn richtet, steht im Text dieses Wort. Krischnas wird so von Ardschunas genannt. (X.12. X1.18.38.) In dieser Bedeutung (') Herr Guigniaut (Religions de U’Antiquit I. 618.) sucht diese Verbindung der Menschheit mit der Gottheit in dem Begriff puruscha auf eine andere Weise, indem er das Indische Wort durch l’homme-dieu erklärt. Ich kann aber dieser Meinung nicht beitreten. Hist. phiolog. Klasse 1825. D 26 HumsorLpr über die unter dem Namen Bhagavad - Gita kommt puruscha gewöhnlich mit Beiwörtern vor, der höchste (VII. 22.) der ewige, göttliche, (X. 12.) der uralte, (XI. 38.) ursprüngliche (XV. 4.) allein auch absolut, als der Geist. (XI. 18.) Schon hieraus sieht man, dafs es nicht blofs ein verschiedner Name für die Gottheit ist, und untersucht man seinen Gebrauch genauer, so findet man, dafs es einen gröfseren Um- fang hat, und auch in der Gottheit eine bestimmte Eigenschaft, oder viel- mehr Wirksamkeit anzeigt. Es ist nemlich das wirkende Princip, welches, aber immer geistig, herrschend, und sich Alles unterordnend, in der Natur ruht, Verbindungen auch mit ihrem endlichen Wesen eingeht, und dadurch irdisch zeugt und schafft. In der Indischen Philosophie kann auch die Gott- heit nicht unterlassen, dies zu thun, es entsteht eben daraus, dafs Gott und die Geschöpfe in dieser Beziehung Eins werden, und der Mensch ihn und alle in sich schauen kann, und von dieser Idee, von der göttlichen Durch- dringung der Natur zum Behuf der Schöpfung geht, soviel ich aus dem Ge- brauche des Worts wahrnehmen ‚kann, seine Anwendung auf die Gottheit aus. Allgemein ist es daher das in der Natur hervorbringende Geistige, und wenn Krischnas sich (VII. 5.) das Edelste und Feinste in jeder Gattung der Dinge nennt, nennt er sich unter den Männern ihre Puruscha-Kraft, was die Indische Sprache blofs in der Endung des Neutrum und durch die Umbeugung des Stammvocals durch Pauruscham andeutet. In Manus Gesetzbuch wird in einer sehr merkwürdigen Stelle (XH. 118-125.) gesagt, dafs der Brahmane das ganze All in sich selbst sehen könne. Nach einer spielenden Vorstellungsweise (von welcher, um dies im Vorbeigehen zu be- merken, unser Gedicht durchaus frei ist) werden Götter und Naturwesen in einzelne Theile des menschlichen Körpers vertheilt. Dann heifst es: aber sie alle beherrscht der höchste Geist, er der feiner als ein Atom ist, eine auch in einer gleich folgenden Stelle unsres Gedichts mit denselben Wor- ten vorkommende Bezeichnung, und den einige die ewige Gottheit nennen (Brahma). Wie nun aber sein Schaffen beschrieben wird, kommt es ganz mit der eben geschilderten Art überein. Er alle Wesen, durchdringend sie mit fünffach vertheiltem Stoff, Flammenrad (') gleich, steisdreht wälzend in Geburt, Wachsthum, Untergang. (Manus Gesetzbuch. XH. 124.) (') Wörtlich wie im tschakra. So wird nemlich die Scheibe, oder das Rad ge- nannt, aus welchem oben und zu jeder der beiden Seiten Flammen ausgehen, und das ein bekannte Episode des Maha - Bharata. 21 Aus unsrem Gedicht will ich zwei vorzüglich beweisende Stellen her- setzen, obgleich in denselben Begriffe vorkommen, die erst weiter unten ihre volle Erläuterung finden. In der einen wird die Gottheit mit dem Na- men des Dichters belegt. In der jugendlichen Frische eines zur Wissenschaft aufblühenden Volkes erscheint das Dichten nicht wie eine menschliche Kunst, sondern wie ein wirkliches Schaffen, und auch die mannigfaltige, gestalten- reiche, bunte, durch die Zauberkraft der Gottheit hervorgerufene, wie ein Wunder vor dem jungen Gemüth da stehende Schöpfung kann wohl mit einem vor der Phantasie vorüberrauschenden Gedichte verglichen werden. Unaufhörlich den Sinn richtend, unabirrend vertiefend sich, zum Geist, dem höchsten, gottgleichen, Pärthas, gelangt zu ihm der Mensch. Des alten, hochwaltenden, weisen Dichters, der feiner ist als Atom, wer gedenket, des Weltalls Nährers, undenkbar gestaltgen, des sonnengleich leuchtenden, fern vom Dunkel, wer Dienst ihm festsinnig zur Todesstunde in Kraft standhaft starrer Ver- tiefung weihet, zur Augenbrau’n -Mitte den Odem sammelnd, der geht zum gottgleichen, zum höchsten Geist ein. (VIIL. 8-10.) Den Geist und die Natur, beide, wiss’ anfangslos und ewig auch. Eigenschaften und Umwandlung sind, wisse, der Natur gesellt. Des Wirkens des, geschehn was soll, Ursach wird die Natur genannt; der Geist genannt die Ursach wird in Lustgenufs und Schmerzgefühl. Der Geist, in der Natur stehend, sich ihrer Eigenschaften freut. Sein Hang nach ihnen macht Zeugung in gutem und in schlechtem Schoofßs. Der Lenker er, der Zuschauer, Geniefser, Nährer, hohe Herr, der Urgeist auch genannt wird er in diesem Leib, der höchste Geist. Wer die Natur, den Geist kennet, zugleich die Eigenschaften auch, der, wo er immer mag weilen, doch fürder wird geboren nicht. (XII. 19-23.) häufiges Attribut Vischnus und Krischnas in Gemälden und auf Bildwerken ist. Aufser- dem bedeutet tschakra auch überhaupt ein Rad, und auch ein solches, und ohne Flam- men trägt Vischnus bisweilen. Man sehe über dies Attribut Guigniaut, Religions de U’ Antiquite IV. p.4.nr.18. pl. il. fig. 18. p.11. or.48. pl. IX. fig. 48. p. 13.nr. 66. pl. XII. fig. 66. Das eigentliche, mit Flammen versehene tschakra scheint immer als eine Scheibe, ohne Speichen, abgebildet zu werden. D2 28 HumsoLor über die unter dem Namen Bhagavad-Gita Der durch das All verbreitete Geist läfst, wie wir oben gesehen, nach Mafsgabe seiner verschiedenen Beschränkung, Grade zu. Krischnas unter- scheidet einen dreifachen, den theilbaren, mit allen Geschöpfen identischen, den untheilbaren, auf dem Gipfel stehenden, und einen dritten, der höchste oder Urgeist genannten, der, die drei Welten durchdringend, sie ernährt und beherrscht. Weil er, setzt er hinzu, sich über den theilbaren erhebt und treflicher ist als der untheilbare, so wird er in der Welt und der Schrift der höchste genannt. (XV.16-18.) Man erkennt hier wiederum die Methode, allgemeine Begriffe real zu setzen. Dem in die Geschöpfe vertheilten geisti- gen, als Vermögen sich so zu vertheilen zusammengefafsten Wesen wird ein zweites von entgegengesetzter und höherer Natur gegenübergestellt; zur Vol- lendung des Begriffs müssen aber auch beide wieder in einem noch höheren, der ihre entgegenstehenden Eigenschaften in sich vereinigt, zusammengefafst werden. Manus läfst (1. 19.) das Weltall aus den feinen Körperelementen sieben unermefßslich starker Geister, Puruschäs (nach dem Scholiasten, der fünf Elemente, des Selbstgefühls und der grofsen Seele) bestehen, und setzt hinzu: das Vergängliche aus dem Unvergänglichen. Hier wird also das Wort allgemein von Urkräften gebraucht, aber immer liegen die oben als seine Kriterien angegebenen Begriffe des Schaffens, und des über endliche Natur Hinausgehenden darin. Die Natur ist, wie wir eben gesehen, nach Krischnas Lehre, gleich ewig mit der Gottheit. (XIH. 19.) Sie besitzt drei Eigenschaften, guna, welche den Geist, so wie er sich ihr gesellt, binden. Unter diesem Binden wird alles Verwickeln in irdische und weltliche Dinge verstanden, die den Menschen von allein auf die Gottheit gerichteten Gedanken abziehen, und ihn dadurch an der Erreichung des letzten Zieles, der höchsten Ruhe, ver- hindern. In diesem Sinne kann auch das Edelste, z. B. die Erkenntnifs, binden. Die Natureigenschaften, auch absolut die Eigenschaftsdreiheit ge- nannt, sind sogar dem Grade nach insofern verschieden, als das in jeder Bindende mehr oder weniger edel ist. Die erste und edelste ist Sattwa, wörtlich die Eigenschaft des Seyns, aber in dem Sinne, in welchem das Seyn, frei von allem Mangel oder Nicht- seyn, durchaus real ist, also in der Erkenntnifs zur Wahrheit, im Handeln zur Tugend wird. Denn das Wort, das ursprünglich blofs ein von dem Partieipium des Verbum seyn gebildetes Abstractum ist, wird für diese bei- bekannte Episode des Maha- Bharata. 29 den Begriffe gebraucht. Ich übersetze diese Natureigenschaft, um, so gut es gehen will, den Zusammenhang dieser Bedeutungen beizubehalten, durch Wesenheit. Die zweite Eigenschaft ist Radschas. Dies Wort bedeutet eigentlich Staub, es kommt aber von einer Wurzel (randsch), die ankleben, sich anhängen, und durch eine nahe liegende Metapher, färben, heifst. Ein davon abgeleitetes Nomen ist raga, zugleich Farbe und Begier. Alle diese Ausdrücke haben in ihrer bildlichen und Begriffsgeltung einen nahen Zusammenhang unter einander. Die’ zweite der Natureigenschaften mit diesem Namen zu bezeichnen, mögen mehrere Beziehungen dieser Begriffe zusammengekommen seyn, die leicht aufregbare Heftigkeit des zerbröckelt wirbelnden, staubartigen Stoffes, das Schimmernde, Feurige des Farbenspiels, die zu dem Boden gehörende, sich leicht anheftende und verunreinigende Natur des Staubes. Je nachdem diese Begriffe anders und anders aufgefafst werden, giebt es mehr oder min- der edle Abarten dieser Eigenschaft. Thatkraft, Feuer der Leidenschaft, Raschheit des Entschlusses gehören ihr an, Könige und Helden sind mit ihr ausgestattet, aber immer ist ihr etwas zur Wirklichkeit und zur Erde Herab- ziehendes beigemischt, das sie von der stillen und reinen Gröfse der W e- senheit unterscheidet. Die von ihr Hingerissenen lieben alles Grofse, Ge- waltige, Glänzende, aber sie verfolgen auch den Schein, sind befangen in der bunten Mannigfaltigkeit der Welt und werden sogar unrein genannt, (XVIH. 27.) um dadurch zugleich auf die Befleckung hinzudeuten, der das weltlich gesinnte Gemüth nicht zu entgehen vermag. Obgleich aber stür- mende Heftigkeit das Hauptmerkmal dieser Eigenschaft ist, so mufs doch damit die Vorstellung eines niedrigeren, nicht die Gröfse und Reinheit der Wesenheit erreichenden Standpunktes, der bis zur Befleckung führen kann, verbunden werden. Ich habe versucht, in dem Wort Irdischheit die ver- schiedenen Verzweigungen dieses Begriffs in der Wurzel zusammenzufassen. Es liegt in diesem Ausdruck zugleich das Streben nach Mannigfaltigkeit und das Hangen am Einzelnen. Indefs fühle ich wohl, dafs er, gegen den In- dischen, zu abstract, auch sogar zu weit, und von der concreten Anwendung der Begriffe zu entfernt ist. Die dritte und unterste Natureigenschaft ist Tamas (verwandt mit Dämmerung) Dunkel, Finsternifs, die keiner Erklärung bedarf. 30 Hunmsouor über dıe unter dem Namen Bhagavad -Gitd Am philosophischsten wird der Unterschied zwischen diesen drei Gra- den der endlichen Befangenheit in der Natur an den schon oben (8. 13.) erwähnten Stufen der Erkenntnifs gezeigt. (XVII. 20-22.) Der Wesen- hafte sieht in allen Geschöpfen nur das Eine, in den getheilten ungetheilte Seyn. Dem Irdischen erscheint in ihnen nur ihre mannigfach individuelle Geschiedenheit. Die von Dunkel Umnebelten hängen sich, ohne in Gründe einzugehen, auf beschränkte, das Wesen der Dinge verkennende Weise, an das Einzelne, und halten dies für das Ganze. Das nur den Ersten erkenn- bare reale und ungetheilte Seyn wird also von den Zweiten übersehen, von den Dritten miskannt. Krischnas giebt dem Ardschunas folgende allgemeine Erklärung der drei Eigenschaften: Wesenheit, Irdischheit, Dunkel, der Natur Eigenschaften sind; sie in dem Körper, Grofsarmger, binden den Geist, den ewigen. Hier nun die Wesenheit strahlet rüstig in Fleckenlosigkeit, bindet durch süfser Lust Streben, Erkenntnifsstreben, Reiner, du. Die Irdischheit, begierathmend, erkenn’ am Durst der Leidenschaft, durch Thatenstreben, Kaunteyas, den Geist im Körper bindet sie. Erkenntnifsmangel zeugt Dunkel, betäubend dumpf die Sterblichen, mit vorsichtsloser Trägheit dies einschläfernd bindet, Bhäratas. (XIV.5-8.) Krischnas bestimmt hernach im 17. und 18. Gesange eine Menge von Gegenständen: Handlungen, Opfer, Gaben, Glauben, Vernunft u. s. f. nach der Verschiedenheit, welche die mit jenen Eigenschaften Begabten in dieselben bringen, und man kann sich diese Anwendung leicht denken. Überall gehört das, was aus reiner Absicht, mit Selbstbeherrschung und Gleichmuth, in Richtung auf das Höchste gethan wird, den Wesenhaften, was aus falschen Beweggründen, für vorübergehenden Genufs, zur Stillung augenblicklicher Begier, auf ungezügelte Weise, in Richtung auf einzelne, beschränkte Gegenstände geschieht, den Irdischen, das in Irrthum, Ver- kehrtheit und trägem Starrsinn Befangene den Finsteren an. Es liegt in dieser Eintheilung unläugbar eine richtige und philosophische Ansicht der Natur, die in derselben zuerst das Gediegene, Reale, vom Man- gelhaften, blofs Scheinbaren, unterscheidet, die Quellen des Mangelhaften bekannte Episode des Maha-Bharata. 31 in den beiden Gränzen aller Endlichkeit, dem Mangel an Kraft und dem Mangel an Gleichgewicht aufsucht, und das Gediegene selbst, als doch nur endlich real, auch wieder als eine Naturbeschränkung auftafst. Nach einer von Colebrooke (/. c. p. 40.) aus einem Commentator eines philosophischen Werks angeführten Stelle sollte man glauben, dafs die drei Natureigenschaften, nach ihren Graden, unter Göttern, Menschen und Thieren vertheilt wären, und mithin allen Menschen, ohne Unterschied, die Irdischheit zukäme (!). Auf keinen Fall aber ist dies die Meinung unsres Gedichts. Es geht deutlich aus den beiden letzten Gesängen hervor, dafs die Eigenschaften unter den Menschen verschieden vertheilt sind. Ob sie die Gränzen des Kastenunterschiedes bestimmen? ist zweifelhafter. Es heifst zwar allerdings, dafs dieselben nach ihren, aus ihrem eigenthümlichen Seyn entspringenden Eigenschaften, guna, vertheilt sind (XVII. 41. IV.43%) und die Wesenheit könnte auf die Brahmanen, die Irdischheit auf die Krieger fallen, allein es mülsten, da es vier Kasten giebt, zwei zusammengenommen seyn, und der Ausdruck Eigenschaft kann hier leicht eine allgemeinere Bedeutung haben. Die Handlungen entspringen aus den drei Eigenschaften, und wenn der Mensch sich selbst für ihren Urheber hält, sind es eigentlich die Eigen- schaften, die in Wirksamkeit treten. (IH. 27-29.) Auf ähnliche Weise ist es in Gott. Alles Seyn der drei Eigenschaften stammt von ihm, seine obenerwähnte Zauberkraft ist aus ihnen zusammen- gesetzt, und täuscht eben die Menschen dadurch, dafs sie nicht einsehen, dafs Gott höher, als sie, und unvergänglich ist. (VII. 12-14.) Sie sind aber nur in ihm, weil die Natur in ihm ist, denn unmittelbar gehören sie dieser an, (XII. 21.) sie binden auch eben so wenig seine Freiheit, als die Natur und sein Handeln es thut. Daher heifst er zugleich eigenschaftslos und die Eigenschaften geniefsend. (XIH. 14.) Die Besiegung dieser Eigenschaften führt zur Unsterblichkeit (XIV.20.) und obgleich es kein Wesen, weder auf Erden, noch im Himmel, weder unter den Göttern, noch unter den Menschen giebt, in dem sie nicht vor- (') Nach der Lehre der Vedäs soll Vischnus in der Eigenschaft der Wesenheit, Brahmä ın der der Irdischheit, Rudras in der der Finsternifs wohnen. Guigniaut. Religions de !Anu- quite. 1.239. Anm. 270. Eine ähnliche Stelle kommt bei Colebrooke (2. c. p. 30. nr. 2.) vor, wo aber die Eigenschaften anders vertheilt scheinen. 32 Humsonopr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita handen wären, so mufs man doch streben, sich von ihnen zu befreien. (II. 45.) Man kann aber als von ihnen befreit angesehen werden, wenn man, in voll- kommenem Gleichmuth über alle irdischen Erfolge, dem Walten der Eigen- schaften in sich, ohne alle Theilnahme, nur als ein Fremder zusehend, sich allein dem Nachdenken über die Gottheit, und ihrem Dienste widmet. (RIV.22=36)) Das System der Indischen Philosophie, zu dem die in Krischnas Ge- spräch entwickelte Lehre, deren theoretische Dogmen ich hier vorzutragen versucht habe, gehört, ist im Ganzen das Sänkhya-System, d. h. dasjenige, welches in die Erforschung der Natur der Dinge durch Aufzählung ihrer Prineipien arithmetische Vollständigkeit und Genauigkeit zu bringen strebt. Es theilt sich in verschiedene Zweige, aber alle haben zum gemeinschaftlichen Grundsatz, dafs zukünftigem Uebel entgegengearbeitet werden mufs, und dafs klare Erkenntnifs rein geschiedener Wahrheit der Weg dazu ist. Die eine Lehre dieses Systems bleibt bei der Anwendung des raisonnirenden Ver- standes stehen, und läugnet, dafs es Beweise des Daseyns Gottes, als eines unendlichen Wesens, gebe. Ihr Schöpfer ist endlich und aus der Natur ent- standen. Eine zweite Lehre dieses Systems, die Yoga-Lehre, stellt nicht nur Gott in selbständiger Unendlichkeit an die Spitze der Dinge, sondern setzt in die tiefste und abgezogenste Betrachtung seines Wesens das wahre Mittel der Erreichung ewiger Seligkeit. (Colebrooke Z. c. p. 20. 24-26. 37. 38.) Krischnas unterscheidet sehr bestimmt beide, indem er gleich im zweiten Gesange dem Ardschunas sagt: was er ihm bis dahin durch Vernunftgründe (Sänkhya) bewiesen, solle er nun hören, indem er seinen Sinn zum Yoga stimme. (11. 39.) In seinem ganzen übrigen Vortrag bleibt er sichtlich bei dem Letzteren stehen. Seine Lehre ist also Yoga-Lehre (!). Er hatte sie schon einmal offenbart, und sie hatte sich unter den Weisen der Vorzeit durch Überlieferung fortgepflanzt, aber im Verlauf der Zeiten war sie unter- (') Ich habe mich gefreut zu sehen, dafs Hr. Burnouf dieselbe Ansicht über das Verhältnifs der Bhagavad-Gitä zu der Sänkhya Philosophie hat. Man sehe den zweiten seiner interessan- ten Aufsätze über den Bhägavata Puräna im Journ. Asiat.V11.199. Ich mufs hierbei bemerken, dafs meine Abhandlung früher ausgearbeitet und vorgetragen war, als diese Aufsätze erschie- nen sind. Dasselbe gilt von mehreren in diesen Anmerkungen angeführten Stellen. Die Uebereinstimmung zweier, unabhängig von einander gewonnenen Ansichten wird dadurch ein um so stärkerer Beweis der Richtigkeit der Behauptung. bekannte Episode des Maha- Bharata. 33 gegangen, darum erklärt er sie dem Ardschunas aufs Neue. (IV. 1-3.) Sie ist aber eine Geheimlehre, die nur dem Würdigen mitgetheilt werden darf. (XVIH. 67-69.) Ob und in wiefern unser Gedicht hierin mit dem obener- wähnten Werke Patandschalis übereinstimmt, läfst sich bei Colebrooke’s kur- zen Andeutungen nicht entscheiden. Höchst merkwürdig wäre die genaue Vergleichung beider, und ich würde die gegenwärtige Arbeit noch verschoben haben, wenn man nicht fürchten müfste, dafs es nicht die Absicht des Engli- schen Gelehrten sey, noch einmal auf diesen Gegenstand zurückzukommen. Der Begriff des Yoga ist eines der unterscheidenden Merkmale dieser Philo- sophie, und gehört, nach unsren Begriffen, zu ihrem praktischen Theile. Ich werde daher nun zur Entwickelung desselben übergehen, an diese die Lehre vom höchsten Gut und den Mitteln der Erreichung desselben an- knüpfen, und mit diesem praktischen Theile die ganze Darstellung der Krischnas - Lehre beschliefsen. Yoga ist ein von der Wurzel yudsch, vereinigen, binden, dem la- teinischen jungere, gebildetes Nomen, und drückt die Verknüpfung eines Gegenstandes mit dem andren aus. Darauf lassen sich alle vielfachen abge- leiteten Bedeutungen des Worts zurückführen. Im philosophischen Sinne ist Yoga die beharrliche Richtung des Gemüths auf die Gottheit, die sich von allen andren Gegenständen, selbst von den inneren Gedanken zurückzieht, jede Bewegung und Körperverrichtung möglichst hemmt, sich allein und ausschliefsend in das Wesen der Gottheit versenkt, und sich mit demselben zu verbinden strebt. Ich werde den Begriff durch Vertiefung ausdrücken, und habe es schon in einigen oben übersetzten Stellen gethan. (S. 27. VIH. 5-10.) Denn ist auch jede Übertragung eines aus ganz eigenthümlicher Ansicht entspringenden Ausdrucks einer Sprache durch ein einzelnes Wort einer andern mangelhaft, so bleibt doch die Insichgekehrtheit das auffal- lendste Merkmal, an dem man den Yogi, -d. h. den dem Yoga sich Wid- menden und in demselben Begriffenen, erkennt. Auch liegt in dem Aus- druck der Vertiefung die mystische, dem Yogıi eigne Gemüthsstimmung, die, wo das Wort absolut gebraucht ist, am natürlichsten auf die Endursach aller Dinge bezogen wird. Durch die Richtung auf die Gottheit geht der Begriff in den der Frömmigkeit, (II.61. VI.47. IX.14.) durch das ausschliefs- liche Hingeben an Einen Gegenstand in den der Weihung, Widmung über, und eignet sich von diesen beiden Seiten für den lateinischen devotio und Hist. philolog. Klasse 1825. E 34 Humsoruor über die unter dem Namen Bhagavad -Gita die von diesem in den neueren Sprachen abgeleiteten. Der ursprüngliche Begriff der Verknüpfung verschwindet aber bei dieser Übertragung zu sehr, und die ganze Bedeutung des Worts wird vermuthlich sogar zu enge bestimmt. Denn nach einer Stelle Colebrooke's (p. 36.), wo er von Patandschalis Yoga- Lehre spricht, scheint (da er ausdrücklich von meditation on special topics redet) das stiere Nachdenken des Yogi auch auf andre Gegenstände, als die Gottheit gerichtet seyn zu können. Gar keinen Gebrauch verstattet devotio in den Stellen, in welchen Yoga, wie wir weiter unten sehen werden, als eine Thatkraft und eine Eigenschaft in der Gottheit selbst geschildert wird. Als Anstrengung, Beschäftigung kommt das Wort auf den Begriff hinaus, sich zu etwas zu bestimmen, auf etwas zu legen, etwas zu üben, und in diesen mannigfaltigen Bedeutungen geht es Zusammensetzungen mit meh- reren andren Wörtern ein, indem bald der Zweck, bald die anzuwendenden Mittel näher bestimmt werden. Das erste Erfordernifs der Vertiefung ist die Unterdrückung aller Lei- denschaften, die Abgezogenheit von aller Gewalt der Sinne, ja allen äufseren, sie reizenden Gegenständen. Erst wenn die Geistigkeit Herrschaft gewonnen hat, kann die Vertiefung Kraft haben. Die Vertiefeten, anstrebend, schaun in sich selber ruhend ihn, (') doch nicht ihn schaun, auch anstrebend, die nicht vollendet Geistigen. (XV. 11.) Auf diese Weise trift hiermit das oben von der Vernichtung der Hand- lungen durch die Gleichgültigkeit über ihre Erfolge Gesagte zusammen, und zwar so sehr, dafs, wie wir oben gesehen (8.6. 11.47.48.) Gleichmuth und Vertiefung als Synonyme gebraucht werden. Ist auf diesem Wege jedes Regen der Leidenschaft, ja der leisesten Neigung getilgt, und die Seele zu völliger Partheilosigkeit (VI.9.) gestimmt, so werden Nachdenken und abgezogene Betrachtung herrschend. So mufs der Geist sich, durch nichts Fremdartiges gestört, nur gesammelt in sich, in den Gedanken der Gottheit versenken, und mit unabirrend stätiger Beharrlichkeit an der Urwahrheit hangen. Aber nun stellt, wie wir auch bei andren Gelegenheiten gesehen haben, das Sy- stem sein Dogma wieder. auf die Spitze. Auch der innere Gedanke soll un- terdrückt, alle innere und äufsere Veränderung aufgehoben werden, welche die vollendete Ruhe, das ewig sich gleiche Daseyn des Unvergänglichen stört. (') Nemlich den höchsten Regierer. bekannte Episode des Maha- Bharata. 35 Es wird dies durch ein Auslöschen, Verwehen des irdischen Geistes aus- gedrückt. Man ist geneigt, das Nichtdenken nur von der Unterdrückung alles Gedankens an irdische Gegenstände zu nehmen. In. Manus Gesetzbuch (XT. 122.) wird von dem höchsten Geiste gesagt, dafs nur mit schlummern- dem Nachdenken zu ihm zu gelangen ist. Aber der Scholiast erklärt dies blofs von der Verschliefsung der äufseren Sinne. Ich zweifle jedoch, dafs diese Erklärungsart, durch welche auffallende, und wirklich überspannte Behauptungen zu ganz gewöhnlichen Begriffen herabgestimmt werden, dem wahren Sinne des Systems entspricht. Eine Hauptstelle unsres Gedichts über die Vertiefung ist folgende: Wie Lampe, frei von Windwehen, nicht sich reget, defs Gleichnifs ist der Vertiefte, der, festsinnig, vertieft in Selbstvertiefung sich. Da, wo, gehemmt, des Geists Denken durch der Vertiefung Übung ruht, wo allein durch sich selbst sein Selbst schauend in sich, der Mensch sich freut, endlose Wonne, fühlbare dem Geist nur, übersinnliche kennet, und stäüig ausdauernd, niemals von ewger Wahrheit wankt, wo, dies erreichend, nicht Andres er achtet diesem vorzuziehn, und wo Unglück nicht, auch schweres, erschüttert mehr den Stehenden, diese, des Schmerzgefühls Lösung, wisse, Vertiefung wird genannt. In Vertiefung der Mensch mufs so vertiefen, sinnentfremdet, sich, tilgend jeder Begier Streben, von Eigenwillens Sucht erzeugt, der Sinne Inbegriff bändgend mit dem Gemüthe ganz und gar. Sostrebend, nach und nach ruh’ er, im Geist gewinnend Stätigkeit, auf sich selbst das Gemüth heftend, und irgend etwas denkend nicht ; wohin, wohin herumirret das unstät leicht bewegliche, von da, von da zurükführ’ er es in des innern Selbsıs Gewalt. Den Vertiefeten, Stillsinngen der Wonnen höchste dann besucht, dem Irdischheit die Ruh nicht stört, den reinen, gottgewordenen. (V1.19-27:) An andren Stellen (V.27.28. VI. 10-15. VIII. 10-14.) werden zu diesen Vorschriften andre mystische, und abergläubisch spielende, aber immer auf den Grundideen dieser Lehre ruhende hinzugefügt. Der sich der Vertiefung Widmende soll in einer menschenfernen, reinen Gegend einen auf einem nicht zu hohen und nicht zu niedrigen, mit Thierfellen und Opfergras (kusa, poa cynosuroides nach Wilson) bedeckten Sitz haben, Hals und Nacken unbewegt, den Körper im Gleichgewicht halten, den Odem ‚hoch in das E2 36 HunsoLpr über die unter dem Namen Bhagavad -Gita Haupt zurückziehen, und gleichmäfsig durch die Nasenlöcher aus und ein- hauchen, nirgends umherblickend, seine Augen gegen die Mitte der Augen- braunen und die Spitze der Nase richten, und den oben (S. 24.) erwähnten geheimnifsvollen Namen der Gottheit Om! aussprechen. Aus dieser Lehre und Schule sind unstreitig die noch heute in Indien vorhandenen Yogis hervorgegangen. Der Gouverneur Warren Hastings giebt in einem 1784 geschriebenen, und der Wilkinsischen Uebersetzung unsres Gedichts vorgedruckten Briefe (p. 8. 9.) eine lesenswürdige Beschrei- bung davon, und der Mann, den er in dieser Seelenübung gesehen, hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, dafs er es nicht für unmöglich hält, dafs durch diese schulenweis geübte Trennung der Seele von den Regungen der Sinne, aus einer so von jeder zufälligen Beimischung freien Quelle, ganz neue Richtungen und Verbindungen des inneren Gefühls (new tracks and com- binalions of sentiment) und Lehren von gleich tiefer Wahrheit mit unsren ein- fachsten hervorgegangen seyen. Es ist aber schwer, in solchen Überspan- nungen, wenn sie auch wahr und ungeheuchelt seyn sollten, mehr als den- selben schwärmerischen Mystieismus zu erkennen, der in verschiednen Him- melsstrichen, Systemen und Religionen nur andre Gestalten annimmt. Was unser Gedicht betrift, so begünstigt es wenigstens diese Uebung nicht als fortdauernde und beständige eines ganz müssigen, nur beschaulichen Lebens. Wir haben oben gesehen, wie auf das Handeln, und zwar auf das bewegteste und lebendigste in Kampf und Schlachtgewühl, gedrungen, wie es als Wahn geschildert wird, durch Nichtsthun das Streben der irdischen Kräfte nach Handlung und Wechsel aufhalten zu wollen, wie jeder die Auf- gabe lösen soll, nach den Satzungen seines Standes zu handeln, aber, ohne Rücksicht auf den Erfolg, sich mit dem Geiste über demselben zu erhalten. Als Nachdenken und Wahrheitsforschung geht Krischnas Lehre sicht- lich von dem Grundsatz aus, dafs die reine Wahrheit, diejenige, welche die Dinge an sich erkennt oder ahndet, (tattwa) nicht auf dem Wege discursiven und raisonnirenden Verstandes gefunden werden kann, dafs man dazu das Gemüth vorbereiten, von allem Unreinen und Kleinlichen läutern, die Er- kenntnifs in ihm herrschend machen, und dann das innere Wahrheitsgefühl beleben, den Geist auf den Punkt richten mufs, in dem das Ich mit den Din- gen ansich, als auch zu ihnen gehörend, zusammenhängt. Durch das Aner- kennen der Einerleiheit alles Geistigen, und der Individualität (prithaktva) bekannte Episode des Mahd- Bharata. 37 als der eigentlichen Schranke im Menschen, macht diese Lehre eine sehr bestimmte Scheidung des Endlichen vom Unendlichen. Es scheint sogar, als würde die Wahrheit als ursprünglich in den Menschen gelegt, und nur nach und nach in Vergessenheit eingeschläfert betrachtet. Wenigstens sagt Ardschunas, als ihn Krischnas am Ende des Gesprächs fragt, ob ihm nun die feste Erkenntnifs gekommen sey? Verschwunden ist der Irrthum mir, Erinnerung gekehrt durch dich, des Zweifels ledig, fest bin ich, und will vollbringen, was du sagst. (XVIM. 73.) Da diese Lehre auf unvermittelte Erkenntnifs durch innere Anschauung ausgeht, so fordert sie von dem Geiste vor Allem Festigkeit und Stätigkeit, von deren angestrengter und beharrlicher Richtung auf den zu erforschenden Punkt das Gelingen nothwendig abhängt. Sie macht dadurch die Bildung des Charakters zu einem Mittel der Aufsuchung der Wahrheit, und sammelt alle Kräfte des Gemüths auf diesen einzigen Punkt. Der auf diese Weise hervorgebrachte Sinn ist daher immer nur Einer, da die nicht so Gestimmten, nemlich die, welche in Forschungen raisonniren, die durch Gründe vermit- telt sind, und im Handeln Neigungen und Absichten folgen, sich in viele Sinne und Meinungen spalten. (II. 41-44.) Daher steht nichts dieser Lehre so feindselig gegenüber, als der Zweifel, der wie ein Verbrechen behandelt wird. Erkenntnifslos und ungläubig kommt um der Zweifelathmende, nicht diese Welt ist, nicht jene, Glück nicht des Zweifelathmenden. Verzichtend wer vertieft handelt, den Zweifel durch Erkenntnifs uilgt, den Geistigen die Handlungen nicht binden, Goldverschmäher, du. (IV. 40.41.) Aus dem Gegensatz im letzten Verse sieht man, in welchem Sinne hier Geist genommen wird, nemlich nicht blofs als Denkvermögen, das im Zweifler gerade vorzugsweise thätig ist, sondern als Quelle unvermittelten Wissens. Die nothwendige Stufe zur Vertiefung ist die Erkenntnifs. Denn um zur Vertiefung zu gelangen, mufs.der Mensch sich zur höchsten der drei Na- tureigenschaften, der Wesenheit, aufgeschwungen haben, (XVII. 33-35.) dazu aber führt die Erkenntnifs. 38 Humsorpr über -die unter dem Namen Bhagavad-Gita In alle dieses Leibs Thore wenn einzieht, füllend sie mit Glanz, die Erkenntnifs, gelangt, wisse, zur Reife dann die Wesenbheit. (XIV. 11.) Unter der Erkenntnifs wird diejenige verstanden, welche gleichsam die Endfäden aller einzelnen Forschungen zusammenknüpft, die Unterschei- dung des Vergänglichen vom Unvergänglichen, die:Einsicht in den:Stoff und den Stoffkundigen (S. 19.20.) und in die Erlangung der letzten Vollendung. (XIH. 27. 2. XVII. 50.) ' Insofern ‚sie REN auf Geist und Charakter wirkt, werden alle Tugenden des Weisen und Heiligen in ihre ‘Schilderung mitaufgenommen. (XIT. 7-11.) Sie wird empfohlen und gepriesen, als das Feuer, welches die den Menschen bindenden Handlungen in Asche verwan- delt, als die Sonne, welche den höchsten Pfad erleuchtet, als: die Reini- gung, die der Weise in sich selbst findet. Von dem, der sie besitzt, sagt Krischnas, dafs er ihn als sein eignes Selbst betrachtet. (1V.33-38. V.16. 17. VO. 15-20.) | Die Freiheit von aller Sinnenregung ist ihre Grundlage; so wie die aus dieser fliefsende heitere Stille herrscht, nimmt der Geist den ganzen Menschen ein. (II. 65.) An unmittelbare Erkenntnifs und einen Gemüthszustand, wie er in dem Vertieften geschildert worden ist, mufs sich nothwendig auch der Glaube anschliefsen. (VI.47. XH.2.) Er rettet noch den vom Verderben, welcher, von Begierden verführt, von dem stätigen Suchen nach dem Höchsten abirrt. (V1.37-45.) Erwird, als der Erkenntnifs vorausgehend und zu ihr führend dargestellt, nemlich indem ein inneres Wahrheitsgefühl das bezeichnet, wor- über die Erkenntnifs nachher ihr volles Licht ausgiefst. (IV. 39.) ' Der Glaube ist dreifach nach den Natureigenschaften, da er aus dem Charakter des Menschen entspringt. Dieser Charakter und der Gegenstand des Glau- bens in jedem stehen in unmittelbarer Verbindung. Denn der, Glaube ist das Bild des Charakters, und der Gläubige ist, wie das, woran er glaubt. (XVL.2.3.) Glaube, Erkenntnifs, Vertiefung und jede andre Seelenübung aber haben zum höchsten Ziel die Befreiung von der Nothwendigkeit'neuer Geburt nach dem irdischen Tode. (S. 19. IV. 9. 8,.27.. XIH. 23.) Der Mensch kann durch Wiedergeburt. in. edlere und glücklichere Wesen übergehen, (V1.41.42.) er kann in den Zwischenzeiten himmlische Freuden geniefsen;, bekannte Episode des Maha- Bharata. 39 (IX. 20.21.) aber das letzte Ziel ist das gänzliche Hinaustreten aus diesem ewig rollenden Wechsel wiederkehrenden Entstehens, die Lösung von den Banden der Geburt. (H.51.) In einer Philosophie, welche alle Hand- lungen, alle sinnlichen Regungen, und selbst die unentbehrlichsten körper- lichen Verrichtungen, als den Geist störend, fesselnd und verunreinigend an- sieht, kann das irdische Leben nur als unstät und freudenlos erscheinen. (IX. 33.) Die Welt wird als eine,' sich ‚ewig fortwälzende Maschine be- trachtet, die jeder besteigt, der in sie eintritt. (XVII. 61.) Ruhe mufs also das höchste Glück seyn. (I.'66.) Da aber in den Gränzen der Endlich- keit auf Tod unausbleiblich Geburt folgen mufs (S. 4. I. 27.) so bleibt zur Er- reichung der vollkommenen Ruhe nichts übrig, als in die Gottheit, den Sitz aller Unvergänglichkeit und Unveränderlichkeit, überzugehen. (VI. 15. 8.13. XII. 30. S.22. XVII.55.) Dies wird möglich durch die Verwandtschaft alles rein Geistigen, dessen Trennung von allem Körperlichen die Vertiefung bewirkt. So hangen alle Theile dieses Systems aufs genaueste und festeste mit einander zusammen. Die Erreichung dieses letzten Zieles wird den Frommen und Gläubigen fast auf jeder Seite unsres Gedichts mehreremale verheifsen; es ist auch schon von Heiligen, Muni’s erreicht worden. (XIV.1.) Es wird schlechthin das Höchste (IH. 19.) und die Befreiung (IH. 31. IV. 15.) genannt, der höchste (VI. 45.) der ewige (XVII. 56.) der nie zurückführende Pfad, (V. 17.) die Vollendung, (XI. 10.) obgleich an einer andren Stelle (XVII. 50.) die Vol- lendung von der Erlangung der Gottheit, als einer höheren Stufe unter- schieden wird, ferner die höchste Ruhe (IV.39.) das Gehen zu Gott, Krischnas, und zur Gottheit, Brahma, (IV.9.24.) die Berührung mit ihr (V1. 28.) das Eingehen in Gottes Daseyn (IV. 10.) das Verwehen (nirväna von vä, wehen) in die Gottheit (1. 72.) die Fähigung zur Gottheit zu werden (XIV.26.) die Verwandlung in die Gottheit. (V. 24.) Dahin gelangen die, welche sich ausschliefslich dem Höchsten widmen, keinem niedrigeren Wesen dienen, und ihre Gedanken allein auf ihn richten. Denn wem sich der Mensch widmet, zu dem gelangt er nach dem Tode. (S. 22. VIH. 13. IX.25. XVI. 19.) Vorzüglich ist die Gedankenrichtung in der Todesstunde entscheidend. (VII. 5.6.) Die den rechten Pfad einschla- gen, befreien sich auch von den Umstürzungen der Weltalter, werden nicht 40 Humsounr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita wiedergeboren bei der neuen Schöpfung, kommen’ nicht um bei der Zerstö- rung der Welt. (XIV.2.) Brahmäs Welt ist die Gränze der Wiedergeburten. Die Welten bis Brahmäs Welt sind rückkehrbar wieder, Ardschunas, zu mir wer gehet, Kaunteyas, dem wieder nicht erscheint Geburt. (VII. 16.) Es ist aber dies wieder eine der schon oben (S.25.) erwähnten Stellen, wo es zweifelhaft bleibt, ob das Neutrum Brahma, die göttliche Substanz, oder der persönliche Gott Brahmä, gemeint sey. Ich nehme, dem Zusam- menhange nach, das Letztere an. So grofs nemlich auch die grammatische Bestimmbarkeit der Wörter in der Sanskrita Sprache ist, so kommt doch die Declination des Masculinum: und Neutrum (VII. 17. X1.37. XIV.27.) in mehreren Casus überein, und so hat die Sprache doch Eigenthümlichkeiten, welche das Geschlecht nicht in jeder Stelle grammatisch unterscheiden lassen. Dies ist nemlich der Fall, wenn Masculinum und Neutrum oder wie bisweilen sich findet, gar alle drei Geschlechter dieselbe Grundform haben, und diese Grundform Element zu- sammengesetzter Wörter wird, (11.72. III. 15. IV. 24.25. VIH. 16. XII. 4. XVII.53.54. Manus Gesetzbuch I. 97.) und wenn bei Lautzusammenzie- hungen ein gleicher Vocal aus der Verbindung eines langen oder kurzen schliefsenden mit dem das folgende Wort anfangenden entsteht. (IV. 24. Manus1I. 11.) Von allen hier angeführten Stellen unsres Gedichts scheint mir nur in vieren (VIH. 16.17. XI. 37. XIV.27.) wo von Brahmäs Sitz, Tag, Welt u. s. f. die Rede ist, der Gott, in allen übrigen, namentlich in denen, wo das Uebergehen, die Verwandlung in die Gottheit vorkommt, das göttliche Wesen, das Neutrum Brahma, gemeint. Hiermit stimmt auch die so sehr genaue Schlegelsche Uebersetzung, mit Ausnahme Einer Stelle (XIV.27.) überein. Sie drückt das Neutrum durch numen oder ein andres Substantivum, den Gott durch seinen Namen aus. Allein auch wer zu dem höchsten, hier bildlich als Brahmäs Welt bezeichneten, Aufenthalt der Ruhe gelangen will, mufs doch vorher durch mehrere Wiedergeburten, sein Wesen immer mehr läuternd, gegangen seyn. (VI. 45. VII. 19.) Dies auf den Tod folgende Schicksal: ist nach den drei Eigenschaften verschieden. Die in Dunkel Dahingehenden sinken in die bekannte Episode des Maha-Bharata. Al Tiefe und werden aus geistesdumpfen Geschöpfen wiedergeboren ; die in Irdischheit Sterbenden halten sich in der Mitte, und treten unter den Tha- tenbegierigen wieder ans Licht; die das Leben in gereifter Wesenheit ver- lassen, erheben sich aufwärts zu den fleckenlosen Welten derer, die das Höchste kennen. (XIV. 14. 15.18.) Diese Bestimmung scheint dieselbe mit der zu seyn, welche dem Gläubigen, aber nicht ganz Vollendeten ange- wiesen wird, der, vor einer neuen Wiedergeburt, unendliche Jahre in den Welten derer, die reinen Wandels gewesen, zubringen soll. (VI. 41.42. Auch der vielleicht gleichfalls hiermit zusammenhangende Genufs himmlischer Freuden in Indras Welt (entgegengesetzt der Welt Brahmäs) ist nur eine vor- übergehende Belohnung; denn wenn das auf der Erde erworbene Verdienst dadurch aufgezehrt ist, müssen, die dessen theilhaftig sind, in diese Welt des Todes zurückkehren. (IX.20-22.) Dies wird als das Schicksal derer geschildert, die sich auf beschränkte Weise an die heiligen Bücher und die in ihnen vorgeschriebenen Cärimonien halten. Denn gegen die Lehre der Vedäs und die wissenschaftliche Theologie eifert unser Gedicht auch sonst, nicht sie ganz verwerfend, aber sie darstel- lend, als nicht den letzten Grund erforschend, nicht die wahre Sinnesrein- heit besitzend, und nicht das höchste Ziel erreichend. (II. 41-53.) Da die Vertiefung die Umwandlung des menschlichen Wesens in gött- liches zum letzten Zweck hat, so kann sie nicht blofs intellectuell seyn, son- dern es mufs in ihr zugleich eine wirkliche Thatkraft liegen, und zwar eine solche, die etwas aufser dem Laufe der Natur Befindliches hervorzubringen, die Art und die Schranken des Daseyns zu verändern vermag. Dies ist auch begreiflich bei einer Anspannung des Gemüths, die vorzugsweise auf der festen Beharrlichkeit des Willens beruht, und zu welcher dasselbe durch Besiegung der Leidenschaften, Unterdrückung der Sinnenregungen und Ent- fernung von allen äufseren Eindrücken, ja Aufhebung aller Körperverrich- tungen vorbereitet wird. Patandschalis Yoga - Lehre enthält ein eignes Kapitel über diese That- kraft, vibhüti, wörtlich die Anderswerdung, also die Umwand- lung. Er setzt dieselbe in allerlei Zaubermacht, Gedanken errathen, Ele- phantenstärke erlangen, durch die Luft fliegen, alie Welten mit Einem Blick übersehen zu können u. s. f. Yogi und Zauberer sind daher bei dem Volks- haufen in Indien gleichbedeutende Begriffe. (Colebrooke. 2. c. p. 36.) Bist. philolog. Klasse. 1825. F 42 Humsoupr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita Abergläubische Spielereien dieser Art werden in unsrem, auch in dieser Hinsicht reineren Gedicht mit keiner Sylbe erwähnt, "jener Indische Aus- druck gar nicht von Sterblichen gebraucht, sogar der Thatkraft des Yoga bei ihnen nicht ausdrücklich, sondern nur insofern gedacht, als von der Gott- werdung die Rede ist, und als sie sich in Abschneidung des Zweifels und Be- siegung der Sinne über das eigne Gemüth verbreitet. In dieser Beziehung wird der auf Selbstbesiegung gerichteten Vertiefung ein an der Erkenntnifs angezündetes Feuer beigelegt, (IV. 27.) eine sehr bedeutsame, der den ganzen Menschen umfassenden Natur der Vertiefung entsprechende Metapher. Aber der Gottheit wird jene Wunderkraft (vibhuti) zugeschrieben, wie wir schon weiter oben (S.14.) geschen haben, und da sie die gött- liche Natur nicht in etwas Höheres umwandeln kann, so bezieht sie sich auf das entgegengesetzte, auch der Natur der Wesen in sich widersprechende Eingehen des Unendlichen in das Endliche. Sie ist also ihr Vermögen zu schaffen (X. 6.7.) eine Gestalt anzunehmen (XI. 47.) die Geschöpfe zugleich in sich ruhen und nicht in sich ruhen zu lassen. (IX.5.) Dies geschieht durch die Verbindung der Gottheit mit der Natur, und es kehrt auch hier der ursprüngliche Begriff der Verknüpfung zurück. In dem Laufe des Gesprächs erwähnt Krischnas auch andrer Mittel zur Erreichung der Seligkeit, namentlich der Opfer und Büfsungen. Von Opfern und Gottesverehrungen zählt er mehrere Arten auf, giebt aber den Vorzug dem Opfer der Erkenntnifs. (1V.25-33.) Wer sein heiliges Gespräch mit Ardschunas liest, sagt Krischnas, kann ihn mit diesem Opfer verehren. (XVII. 70.) Denn die Erkenntnifs mufs, wie wir gesehen haben, das Ge- müth zur Vertiefung vorbereiten. Die Büfsung ist der Vertiefung untergeordnet. (VI.46.) Sehr stark eifert Krischnas gegen die Qualen, welche sich Büfsende aus Scheinheilig- keit, thörichtem Wahn oder andren dadurch zu schaden, nach noch heute in Indien bestehender Sitte, auferlegen. Er gesellt diese Menschen zu denen, in welchen die Natureigenschaft des Dunkels vorwaltend ist. (XV. 5.6.19.) Zur Grundlage die Besiegung der Leidenschaften und die Uneigen- nützigkeit der Handlungen annehmend, überall dringend auf Entfernung des Sinnenreizes, Herrschaft der Erkenntnifs, Richtung des Gemüths zu der Gottheit, ist die Yoga-Lehre durch sich selbst eine Tugendlehre. Allein auch in einzelnen Stellen werden Lauterkeit des Handelns und Tugend in bekannte Episode des Maha- Bharata. 43 das System verwebt. Der Vertiefte hafst niemand, ist aller Geschöpfe Freund, auf das Wohl aller bedacht. (XII. 4.13.) Wer die überall wir- kende Gottheit erkennt, verletzt sich selbst nicht. (XIH.28.) Die Bösen kommen nicht zu Gott; (VIF.15.) keiner, der recht gehandelt hat, sey er auch nicht von vollendeter Reinheit, geht verloren. (VI.40.) Auffallend kann die Vorschrift erscheinen, dafs jeder sein angebornes, seinem Stande entsprechendes Geschäft treiben soll, wenn es auch mit Schuld verbunden sey, auf welche unmittelbar der Ausspruch folgt: denn alles Thun von Schuld umhüllt, wie Feuers Lodern ist von Rauch. (XVII. 48.b.) In diesem Verse liegt zwar, vorzüglich nach dem, diesem System eigen- thümlichen Begriffe der Handlungen (vgl. S. 4.5.) auch eine tiefe allgemeine Wahrheit, aber bei der ganzen Stelle mufs man sich doch zugleich daran erinnern, dafs, nach den Indischen, und namentlich den der Kastenabthei- lung zum Grunde liegenden Ideen, Vieles für Schuld geachtet wurde, was, nach allgemein sittlichen, gar nicht so erscheint. So war es untersagt, Thiere zu tödten, ja nur ein empfindendes Wesen irgend zu verletzen, und daher wurden selbst Opfer, weil dies mit ihnen verbunden war, nicht für ganz rein gehalten. (Colebrooke. /.c.p. 28.) Darin aber, dafs der Mensch zu der, seinem Stande eigenthümlichen Sinnesart durch seine Geburt gleichsam unwiderruflich verdammt ist, liegt eine, von seinem Willen unabhängige Vorherbestimmung, und noch mehr wird diese da ausgesprochen, wo ein Unterschied zwischen den zu göttlichem und zu dämonischem Schicksal Gebornen aufgestellt wird. Den ersteren werden alle Tugenden, den letzteren alle Laster zugeschrieben, Krischnas wirft sie, nach ihrem Tode, immer wieder in dämonische Empfängnifs zu- rück, und so sinken sie zuletzt zu dem untersten Pfad hinab. (XVI. XVII. 5.6.) Die Vereinigung der sittlichen Freiheit mit der Verkettung der sich gegen- seitig bestimmenden Naturbegebenheiten und Handlungen ist in allen philo- sophischen Systemen eine, genau gesprochen, unlösbare Aufgabe. Die Frei- heit kann nur gefühlt und gefordert, nicht in der Erfahrung nachgewiesen, nur als der erste Grund an die Spitze des Naturganges gestellt, nicht in der Mitte desselben aufgesucht werden. Auf diese Weise mufs man auch in unsrem Gedicht die miteinander in Widerspruch stehenden Stellen betrachten. F 2 44 HumsoLpr über die unter dem Namen Bhagavad -Gita An sich wird die sittliche Freiheit vollkommen gerettet. Die Gottheit ist an keiner menschlichen Handlung, weder einer guten, noch bösen, Ursach, sie entstehen aus dem Charakter eines jeden. Leidenschaft und Irrthum verhüllen die Erkenntnifs, darum sündigt das Menschengeschlecht. Aber diese Feinde können und müssen besiegt, der Erkenntnifs die Herrschaft gesichert werden. (IH. 37-43. V.14.15.) Wenn oben (S. 5.31.) im Ge- gentheil der Mensch einerseits als Werkzeug der eigentlich handelnden Gott- heit, andrerseits als fortgerissen von dem Wirken der Natur geschildert wird, so ist dort von der Naturverkettung im Ganzen die Rede, hier von einzelnen Handlungen und der Gesinnung der Handelnden bei denselben. Die Yoga- Lehre ist sogar in ihrem innersten Wesen und mehr, als jede andre Philo- sophie, auf die Nothwendigkeit sittlicher Freiheit gegründet, da die wesen- verändernde Festigkeit und Beharrlichkeit des Willens, welche ihr letztes Ziel ist, nur aus absoluter Freiheit, die sich allen endlichen Regungen ent- gegensetzt, entspringen kann. Krischnas empfiehlt, ihn allein zu ehren und alle andren für heilig geachteten Satzungen zu verlassen. (XVIH.66.) Er erhebt daher seine Lehre zu der allein wahren, und allein zur Vollendung führenden. Er ver- wirft es aber darum nicht ganz, andren und den niedrigeren Göttern zu opfern. Die es thun, opfern doch eigentlich auch zugleich ihm, nur nicht auf die rechte Weise. Er bleibt der Herr und Geniefser aller Opfer, sie nur erkennen ihn nicht in der Wahrheit. (IX.23. 24.) Er urtheilt auch über verschiedene philosophische Systeme nicht immer mit abschneidender Strenge, sondern läfst sie neben einander bestehen (V.2.) aber nicht auf aus- wählende oder vermittelnde Weise, welche dem unabweichlich auf Ein Ziel gerichteten Wesen der Vertiefung durchaus entgegenstehen würde, sondern weil die Gottheit, das letzte Ziel seiner Lehre, von allen Seiten her und auf allen Wegen erreicht werden kann. So ist über das ganze Gedicht ein sanf- ter und wohlthätiger Geist der Duldung verbreitet. nAnAmaAdVnnn. LS [22] bekannte Episode des Maha- Bharata. nn. [Gelesen am 15. Juni 1826. |] Die Anordnung des Vortrags des hier in möglichst gedrängtem Auszug dargestellten Systems ist und kann keine streng systematische seyn. Es ist ein Weiser, der aus der Fülle und Begeisterung seiner Erkenntnifs und seines Gefühls spricht, nicht ein durch eine Schule geübter Philosoph, der seinen Stoff nach einer bestimmten Methode vertheilt, und an dem Faden einer kunstvollen Ideenverkettung zu den letzten Sätzen seiner Lehre gelangt. Diese entfaltet sich vielmehr, wie der Organismus der Natur selbst. In je- dem Abschnitt, in den meisten sogar mehreremale, wird der jedesmalige einzelne Satz gleich an den Schlufssatz angeknüpft, und man überschaut immer in einfacher Kürze das Ganze. Unbesorgt, ob das Gesagte schon durch das Vorherige vollkommen klar sey, spricht der Dichter in jeder Hauptstelle seinen Sinn ganz aus, und fast in jeder solchen ist Klares mit noch Räthselhaftem gepaart. Auf das letztere kommt er dann später oder früher zurück. So wird das Ganze nicht nach und nach aus Theilen zusam- mengesetzt, sondern ist einem Gemälde zu vergleichen, das man auf einmal, aber wie in einen Nebel verhüllt, überblickt, und wo allmählich wachsende Beleuchtung den Nebel verscheucht, bis zuletzt jede Gestalt in bestimmter Klarheit hervortritt. Hierbei sind Wiederholungen unvermeidlich, allein jede mehreremale berührte Materie wird an jeder Stelle entweder sorgfältiger ausgeführt, oder von einer neuen Seite oder in einer neuen Verbindung gezeigt. Die einschärfende Wiederholung kann auch in einem Gedichte nicht auffallen, das durchaus ein ermahnendes, auf Gesinnung, Glauben und Handeln dringendes ist. Bei aller Lockerheit des Zusammenhanges geht indefs doch Alles, nur auf einem natürlichen, nicht absichtlich durchdach- ten, sondern durch die Gemüthsstimmung des Lehrers, und den auf den Schüler hervorgebrachten Eindruck vorgezeichneten Wege dem letzten Ziele zu. Bei einer solchen Anordnung müssen die verschiedenen Theile des Systems nothwendig in viele Stellen des Gedichtes zerstreut seyn, und der 46 Humsouor über die unter dem Namen Bhagavad-Gita im Vorigen gegebene Auszug beweist dies dadurch, dafs für die meisten Sätze die Beweise aus sehr von einander entfernten Gesängen gegeben sind. Dies macht einen solchen Auszug in gewissem Grade mühsam; aber einer, der den bequemeren Weg der Reihefolge der Gesänge nähme, würde durchaus keinen reinen Ueberblick des Systems gewähren. Der auffallendste Beweis hiervon ist, dafs der letzte Gesang von der Frage über den Vorzug der Verschmähung der Handlungen und der Verzichtung auf ihre Früchte anhebt, als wäre sie eine durchaus neue, da sie doch gleich in den ersten Gesängen behandelt worden ist. Sie wird aber hier in Rücksicht auf die drei Natureigenschaften und mit genauerer Unterscheidung der verschiednen beim Handeln vorkom- menden Momente in Erwägung gezogen. Die Eintheilung in Gesänge oder Abschnitte ist, wenigstens meinem Gefühl nach, durchaus keine spätere Anordnung, sondern das Werk des Dichters selbst. Er umschliefst immer nur eine gewisse, und nicht grofse Masse seines Stoffs, und reiht auf diese Weise Vortrag an Vortrag an. Daher bildet jeder Gesang wieder ein kleineres Ganzes in sich, das meisten- theils mit einer Frage des Schülers oder der Ankündigung des nun von dem Lehrer zu behandelnden Punktes anfängt, und fast ohne Ausnahme mit einer Ermahnung, oder Verheifsung, oder einem Satz, der auf andre Weise die Summe der Lehre zusammenfafst, endet. Sieht man sich in dem Ganzen nach gröfseren Abtheilungen und ent- fernteren Standpunkten um, so scheint mir ein solcher am Ende des 11ten Gesanges zu liegen. Es werden zwar mehrere bis dahin schon berührte Punkte in den nachher folgenden Gesängen in ein helleres Licht gesetzt, wie das von dem Geist (puruscha) Gesagte, es kommt sogar ein wichtiger Satz, der von der Anfangslosigkeit der Natur, erst später (XIII. 19.) vor. Aber sonst umschliefsen die ersten 11 Gesänge die ganze Lehre vollständig, das Hervortreten Krischnas in seiner ursprünglichen Gestalt beschliefst den Vor- trag der Ideen mit einem ungeheuren, die Phantasie ergreifenden Bilde, und wenn auf den letzten Vers des I1ten Gesanges der dem achtzehnten (von sl. 63. an) angehängte Schlufs folgte, so glaube ich kaum, dafs das Gedicht mangelhaft erscheinen würde, wenn auch allerdings einige Lehren, wie die der drei Eigenschaften nur kurz und insofern unvollständig angedeutet wären. Dagegen wird nicht leicht jemand läugnen, dafs auf den 1Sten Gesang noch manche andre folgen könnten, da es in den früheren Gesängen nicht an Lehr- bekannte Episode des Maha - Bharata. AT sätzen, Begriffen und Ausdrücken fehlt, die man wohl ausführlicher behan- delt wünschte. Ich erinnere hier nur an die Darstellung der Gottheit, als blofs empfangender Substanz (XIV. 3.) und an dasjenige, was das über den Geist und das über das Opfer genannt wird. (VIH.3.4.) Auch in der Anordnung zeigt sich in diesen beiden Theilen des Ge- dichts eine Verschiedenheit. In den ersten 11 Gesängen herrscht mehr und soviel, als es die oben geschilderte ganze Natur dieses dichterischen Vortrags erlaubt, ein von angenommenen Voraussetzungen zu einem Schlufssatz auf- strebender Gang. Denn in demselben bildet wieder das Ende des 6ten Ge- sanges einen gewissen Standpunkt, da bis dahin hauptsächlich die Natur des Geistigen im Allgemeinen und die der Handlungen und der mit ihnen ver- bundenen Gesinnung entwickelt ist, vom 7ten Gesang an aber vorzüglich der Begriff und das Wesen der Gottheit erörtert wird. Indefs bedarf es, nach dem im Vorigen Gesagten, noch kaum der Bemerkung, dafs vom Anfang an (1. 17.) der Gottheit Erwähnung geschieht, und auch vom Tten Gesange an die bei den Handlungen zu hegende Gesinnung oft wieder eingeschärft wird. Dies liegt in der naturgemäfsen, nicht absichtlichen Entfaltung der Ideen. In den letzten sieben Gesängen wählt sich der Dichter mehr für jeden einen einzelnen, zum Theil ausschliefsend in ihm behandelten Punkt; im 13ten die Lehre des Stoffs und des Stoffkundigen, im 14ten die der drei Natureigenschaften, im 15ten die des Geistes, Puruscha, im 16ten die der Bestimmung zu göttlichem und dämonischem Schicksal. Dieser und des Begriffs des Stoffs wird in den früheren Gesängen gar nicht erwähnt, sonst könnte man diese letzten sieben Gesänge die nachholenden nennen. Auf diese allgemeinen Bemerkungen wird es vielleicht zweckmäfsig seyn, in ganz kurzen Andeutungen eine Anzeige dessen folgen zu lassen, was in jedem der 18 Gesänge vorzugsweise ausgeführt ist. Der erste ist blofs historisch, und schildert die Art, wie das Gespräch sich entspann. Der zweite, vielleicht der schönste und erhabenste unter allen, stellt die Grundlagen des ganzen Systems auf: die Unvergänglichkeit des Geistigen, die Unmöglichkeit eines Ueberganges vom Seyn zum Nichtseyn und umge- kehrt, die daher abgeleitete Gleichgültigkeit des Todes, so wie aller Erfolge der Handlungen, den Gegensatz zwischen der blofsen Vernunfterkenntnifs und der religiösen Vertiefung, die abgezogene Insichgekehrtheit derer, die 48 Humsouor über die unter dem Namen Bhagavad-Gita sich der letzteren widmen. An alle diese Gründe wird wiederholt die Er- munterung Ardschunas zum Kampfe geknüpft. Dritter Gesang. Ardschunas weifs diese Anmahnungen nicht mit dem Lobe blofs beschaulicher Vertiefung zusammenzureimen. Er dringt, was für den Charakter des ganzen Systems bezeichnend ist, auf bestimmte und zum Zweck führende Wahrheit. Mit hinschwankender Red’ Irrgang die Vernunft mir betäubest du, das Eine sage feststellend, wie erlangen das Heil ich mag. (2.) Krischnas löst diesen scheinbaren Widerspruch, stellt die Systeme der Erkenntnifs der blofs wissenschaftlich Gebildeten und der Handlungen der religiös Vertieften einander gegenüber, und zeigt die Nothwendigkeit, das Handeln mit der Verzichtleistung auf alle Früchte des Handelns zu ver- binden. Im vierten Gesange erzählt Krischnas, wie er die Yoga-Lehre schon früher offenbart habe, und zeigt die Nothwendigkeit seines Handelns. Von da geht er abermals auf die Natur des Handelns überhaupt über, schliefst aber damit, dafs die Erkenntnifs eine noch höhere Stufe einnehme, und dafs der Mensch sich ihr widmen, durch sie die Fesseln der Handlungen lösen und den Zweifel zerschneiden müsse. Fünfter Gesang. Wiederholte Einschärfung, dafs Handeln besser sey, als die Handlungen zu verschmähen. Beide, die Vernunft- und Vertiefungs- (Sänkhya- und Yoga-) Lehre seyen eigentlich eine und dieselbe, ohne Vertiefung gebe es nicht leicht Verschmähung der Handlungen; die wahre Verschmähung sey aber nicht Unterlassung des Handelns, sondern nur Ver- zichtleistung auf die Früchte desselben. Der sechste Gesang führt die Sätze des fünften weiter aus, und ver- weilt länger bei der Schilderung des Vertieften. In allen diesen sechs Gesängen war zwar Gottes, als des ersten Ur- quells und des letzten Zieles, gedacht worden. Aber der siebente Gesang erst beschäftigt sich ausführlich und ausschliefslich mit der Darstellung sei- ner Natur, der niedrigeren, achtfach gespaltenen, und der höheren. In den letzten Versen des Gesanges geschieht der, wie im Vorigen gezeigt wor- den ist, als real gesetzten allgemeinen Begriffe Erwähnung: der Gottheit bekannte Episode des Mahd- Bharata. 49 (Brahma) des Handelns, des, was über das Geistige, über die Götter und über die Opfer ist. Im Anfange des achten Gesanges erklärt Krischnas, auf Ardschunas Bitte, diese Begriffe in kurzen Definitionen. Es werden dabei noch die des Einfachen, dessen jedoch schon früher gedacht ist, und des Geistes, puru- scha, eingeführt. Der übrige Gesang beschäftigt sich mit der Wiedergeburt und der Befreiung davon, Brahmäs Welt, Tag und Nacht. Der neunte Gesang fügt den früheren Ideen vorzüglich eine genauere Darstellung des Verhältnisses des göttlichen Wesens zu den Geschöpfen hinzu, und schildert, wie im Verlaufe der Weltalter die Gesammtheit der Dinge in Gott zurückkehrt, und wiederum von ihm entlassen wird. Zehnter Gesang. Herzählung dessen, was das göttliche Wesen ist, und dessen, was sich in ihm befindet, im Allgemeinen und Einzelnen. Eilfter Gesang. Ardschunas wünscht Krischnas so zu erblicken, wie er sich ihm in Begriffen dargestellt hat. Dieser erfüllt seine Bitte. Beschrei- bung seiner Gestalt. Dringende Anmahnung an Ardschunas, den Kampf zu beginnen. Der zwölfte Gesang erörtert genauer, wie man Gott verehren mufs, und seiner Liebe theilhaftig werden kann. Der Dichter kehrt darin zugleich auf den Begriff des Einfachen zurück. Der dreizehnte Gesang entwickelt die Begriffe des Stofts, des Stoffkun- digen, der Erkenntnifs, des zu Erkennenden, der Natur und des Geistes im absoluten Verstande, puruscha. Vierzehnter Gesang. Unterscheidung der Gottheit, brahma, und Gottes, als des Empfangenden und Selbsithätigen. Der drei Natureigen- schaften ist schon in den vorhergehenden Gesängen, jedoch nur beiläufig, mehreremale erwähnt. Hier werden sie vollständig erklärt. Es wird ihr Verhältnifs zur Erkenntnifs, das Schicksal der mit jeder Behafteten, und die Art sich von ihnen zu befreien gezeigt. Der funfzehnte Gesang fängt mit der, auch in der Indischen Mytho- logie oft vorkommenden Allegorie des heiligen Feigenbaums an. Er ist, nach den Indischen Vorstellungen, ob er gleich hier nicht ausdrücklich so genannt wird, der Baum des Lebens, und ein Symbol der allverbreiteten Zeugungskraft. Seine Zweige, heifst es in der Stelle, die wir vor uns haben, werden durch die Natureigenschaften genährt, und spriefsen aus den Gegen- Hist. philolog. Klasse 1825. G 50 Humsoupr über die unter dem Namen Bhagavad -Gitd ständen der Sinne hervor, seine Wurzeln sind in der Welt der Menschen durch die Handlungen gefesselt. Seine Blätter sind tschhandäs, d.h. Verse von der Gattung, deren Namen auch Versen der Vedäs, und sogar den Vedäs selbst beigelegt wird, was wohl bezeichnen soll, dafs er nicht blofs der Baum des physischen, sondern auch des geistigen, und vor Allem des reli- giösen Lebens ist. Seine Zweige und Wurzeln treibt er zugleich aufwärts und abwärts, womit, in Anspielung auf die Eigenschaft des Baums, dafs aus seinen herabhangenden Zweigen Wurzeln hervorspriefsen, die sich zur Erzeugung neuer Bäume in die Erde senken, vermuthlich der Begriff der Wiedererzeu- gung und der Ewigkeit angedeutet wird (!). Wer diesen heiligen Baum kennt, ist der Vedakundige; aber wie verbreitet seine Wurzeln sind, soll man ihn mit der Waffe des Gleichmuths abhauen, und dann nach dem Wege forschen, von dem keine Rückkehr ist. Auch in dieser Stelle werden also die Vedäs als nicht zu der höchsten Erkenntnifs gehörend bezeichnet. Der übrige Gesang beschäftigt sich mit der Art, wie Gott in den Geschöpfen, schaffend und belebend, wirkt, und knüpft daran die oben auseinanderge- setzte Lehre von den drei Geistern, puruscha, so dafs auch diese Verbindung die weiter oben von diesem Ausdruck gegebene Erklärung bestätigt. Der sechzehnte Gesang ist ganz der Auseinandersetzung der Vorherbe- stimmung der zu göttlichem und zu dämonischem Schicksal Gebornen ge- (') Man sehe Creuzers Symbolik (IT. 642-644.) und Guigniauts durch sehr interessante Zusätze bereicherte Umarbeitung derselben. 1. 150. Anm. 178. In der Beschreibung der Bhagavad-Gitä bleibt es immer sonderbar, dafs der Baum erst als die Wurzeln aufwärts, die Zweige abwärts treibend (sl. 1. a.) geschildert, und dann gesagt wird, dafs (sl. 2. a.) die Zweige nach oben und unten, die Wurzeln nach unten verbreitet sind, obgleich sich dies Alles mit der wirklichen Beschaffenheit des Baums sehr gut reimen läfst. In dem von An- quetil Duperron herausgegebenen Oupnek’hat ist auch von diesem Baume die Rede, und die Beschreibung fängt gerade, wie in der Bhagavad-Gitä, mit dem Aufwärtsgehen der Wurzeln, und dem Abwärtsgehen der Zweige an. Allein als die Wurzel wird da Brahma an- gegeben, was zu Krischnas Schilderung nicht pafst. Die Zweige werden als in beständiger Bewegung vorgestellt, und der ganze Baum wird die Welt genannt. Mundus arbor est cet. DerOupnek’hat spricht auch immer nur von Einer Wurzel. Oupnek’hat 37. Brahmen 154. Über die natürliche Beschaffenheit des Baums und die Nachrichten der Griechischen und Römischen Schriftsteller über ihn sehe man G. H. Noehdens account of the Banyan tree or Fteus Indica, in den Transactions of Ihe royal Asialic society. Vol.I.part.I.p.119-132. Die Natur der aus den Zweigen hervorspriefsenden Wurzeln wird besonders p. 121-128. beschrieben. bekannte Episode des Maha- Bharata. 51 widmet. Begierde oder bestimmter Sinnenlust, Zorn und Habsucht werden die drei Thore der Hölle, des auch schon beiläufig in den früheren Gesängen erwähnten Närakas, des untersten Orts, in welchen die dämonischen Natu- ren zuletzt gelangen, genannt. Der Gesang schliefst mit einer Anempfeh- lung der Befolgung des positiven Gesetzes. Der siebzehnte Gesang wendet die Lehre der drei Natureigenschaften hauptsächlich auf die, sich auf die Gottheit und ihre Verehrung beziehenden Gesinnungen und Handlungen des Menschen an, auf Glauben (über den hier die Hauptstelle vorkommt) Opfer, Büfsungen, Gaben. Zuletzt werden drei einsylbige Namen des göttlichen Wesens erklärt: om, tat, sat. Von om ist oben gesprochen worden; tat, wörtlich dies, bezeichnet hier das Ding an sich, woher die Wahrheit der Dinge an sich, tattwa; sat, wörtlich seyend, das reale Seyn. Der letzte, achtzehnte, Gesang kehrt zu dem Begriff des Handelns zurück, und geht in eine genauere Erörterung desselben, und der dabei vor- kommenden Momente ein. Er wendet darauf und auf einige andre Begriffe: Erkenntnifs, Vernunft, Beharrlichkeit, Lust, die Lehre der drei Naturei- genschaften an, und setzt die vier Kasten, ihre Pflichten und ihren Beruf, und die Nothwendigkeit, sich in den Schranken einer jeden zu halten, aus einander. Hierauf folgt der Schlufs, die Anpreisung der vorgetragenen Lehre, als einer Geheimlehre, die Angabe, woher derjenige, dem die Erzäh- lung des ganzen Gesprächs in den Mund gelegt ist, es genommen habe. Bei denjenigen, die sich öfter mit der Prüfung alterthümlicher Werke irgend eines Volkes beschäftigt haben, mufs natürlich die Frage entstehen: ob das ganze, im Vorigen geschilderte Gedicht Einem Dichter, Einer Zeit und selbst Einem System angehört? und ob, selbst wenn dies der Fall wäre, es als Einheit gedacht und verfafst, oder aus einzelnen, abgerissenen Unter- weisungen von dem Dichter selbst, oder später zusammengetragen ist? In der Lage, in welcher sich jetzt noch die Kritik der Indischen Li- teratur befindet, scheint es mir zu früh, diese Fragen entscheidend beant- worten zu wollen. Es sind noch zu wenige Werke zu allgemeinerer Kenntnifs gebracht. Ich habe mich daher nur bemüht, in dem Vorigen alle in dem Gedicht selbst liegenden Umstände, welche zu einer Bestimmung über jene Fragen führen können, zu sammeln, und füge hier noch einige einzelne Be- merkungen hinzu. G2 52 Humsouor über die unter dem Namen Bhagavad -Gita Die oben geschilderte Anordnung des Gedichts, in dem nicht Ein Gang methodisch verfolgt ist, sondern Erörterungen einzelner Punkte in einem oft sehr losen Zusammenhange an einander angereiht werden, müfste einzelne Einschiebungen von fremden Stücken andrer Dichter und Zeitalter sehr begünstigt haben. Dasselbe läfst sich von der metrischen Einrichtung des Gedichts sagen. Denn zwar bei weitem nicht alle, aber die meisten Distichen umschliefsen einen in sich vollständigen Satz, und die verschie- denen sind sehr oft nur durch sehr entfernte Mittelbegriffe an einander ge- knüpft. Ein auffallendes Beispiel davon giebt die in dem 17ten Gesang (von sl. 23 an) eingeschobene Erklärung der drei Benennungen des göttlichen Wesens. Es kehrt auch häufig dieselbe Idee, nur in verschiedenem Aus- druck, wieder. Es wäre daher bei dieser Beschaffenheit des Gedichts in der That zu bewundern, wenn noch Alles darin so geblieben wäre, als es von dem ursprünglichen Sänger ausgegangen seyn mag. Zu der im Vorigen angegebenen Verschiedenheit zwischen den ersten eilf und den letzten sieben Gesängen läfst sich, meinem Gefühl nach, noch rechnen, dafs die letzteren zum Theil dogmatischere, mehr zu Wissenschaft gewordener Philosophie angehörende Erörterungen und künstlichere Theo- rien, als die ersteren, enthalten. Ich gründe diese Behauptung vorzüglich auf den 13ten Gesang, den Anfang des 1Sten und auf die Lehre von dem dreifachen Geist, puruscha. Indefs darf man doch wieder auf den ganzen Unterschied dieser beiden Theile des Gedichts kein entscheidendes Gewicht legen, da, bis auf die wenigen, oben angegebenen Ausnahmen, alle in dem letzten vorkommenden Begriffe schon in dem ersten erwähnt werden, und nichts zu erkennen giebt, dafs sie im ersten auf andere, als die im letzten aufgeführte Weise genommen wären. Stammten die verschiedenen Gesänge wirklich nicht von denselben Verfassern her, so wären vielleicht in der oben versuchten Darstellung des Systems nicht zusammengehörende Behauptungen nebeneinander gestellt. Ich glaube indefs kaum, dafs ihr dieser Vorwurf mit Recht gemacht werden könne. Denn es scheint mir in dem ganzen Gedicht nichts vorzukommen, was wirklich mit einander in Widerspruch stände. Fremd scheint allerdings die Vorstellung von dem Brahma, als einer blofs empfangenden Gottheit, so wie die der Vorherbestimmung zu dämoni- schem Schicksal, da man nicht sieht, ob die dem ganzen übrigen Gedicht bekannte Episode des Maha- Bharata. 53 zum Grunde liegende Idee, dafs die feste Richtung auf die Gottheit aus jedem Zustande zur Vollendung führen kann, auch auf die dämonischen Naturen Anwendung finden soll, und vielmehr das Gegentheil ausgemacht scheint. Aber es könnte wohl hierin nur der in der Naturverkettung nothwendig lie- gende Fatalismus, und mehr eine Thatsache, mithin eine bedingte Unmög- lichkeit, als eine unbedingte, in dem Wesen der Dinge selbst ruhende, aus- gesprochen seyn. Was aber das Brahma betrift, so ist, da Gott hier, als Krischnas, gedacht wird, der Unterschied zwischen Selbstthätigkeit und Em- pfänglichkeit dem zwischen einem persönlichen Gott und einer göttlichen Substanz keinesweges unangemessen, thut auch der Einheit Krischnas und des Brahma keinen Eintrag, da in Einem Wesen zwei verschiedene \Ver- mögen gedacht werden können. Ob in der Sprache sich in den einzelnen Theilen des Gedichts eine Verschiedenheit bemerken läfst, mögen zwar tiefere Kenner derselben beur- theilen. Mir scheint es nicht. Doch dürfte diefs allein wenig für die Ein- heit desselben entscheiden. Denn die philosophische Sprache der Indischen Dichtkunst war nicht nur schon sichtbar vor der Abfassung unsres Gedichts vollständig ausgebildet, sondern man sieht auch deutlich, dafs es schon zur Gewohnheit gewordene und metrisch ausgeprägte Verknüpfungen von Be- griffen gab, die, als gleichsam fertiges Material, nur gebraucht werden durften. Durch das ganze Gedicht hindurch kehren auf diese Weise Stücke von Versen (VII.21.b. und XV.6. b.) halbe (VI. 8. b. und XTV.24. a. VI.31.b. und XIl. 23.b.) und selbst, obgleich seltner (nur III. 23.b. und IV. 11.b. III. 35. a. und XVIII. 47.a.) ganze Verse zurück, und auch zwischen Versen in Manus Gesetzbuch und in unsrem Gedicht finden sich grofse, wenn gleich nicht ganz. wörtliche Übereinstimmungen. (Bhagavad - Gita VIII. 9. Manus XI. 122.) Es konnte daher nicht schwer seyn, ohne den Ton der älteren Dichtung zu verfehlen, spätere Einschiebungen und Zusätze zu machen. Dafs eine sehr grofse Menge solcher philosophischen Sprüche (Sütra) im Umlaufe war, be- weist der Hitopadesa, dessen metrischer Theil wohl ganz so zusammenge- tragen ist. So lassen sich Einschiebungen und Zusätze, wenn man auch nicht im Stande ist, sie einzeln anzugeben, mit grofser Wahrscheinlichkeit vermuthen; allein darüber mit einiger Sicherheit zu entscheiden, wird vielleicht immer unmöglich bleiben. Wohl aber mögen die Gesänge, wenn sie auch, wie 54 Hunsorpr über dıe unter dem Namen Bhagavad-Gita oben gesagt worden, einzeln in ihrer jetzigen Gestalt von dem ursprünglichen Dichter herrühren, später, als einzelne Unterweisungen, zusammengetragen und an einander angereiht seyn. Es läfst sich hieraus erklären, warum alle Gesänge zusammen so wenig den Begriff geschlossener Vollständigkeit geben, dafs man vielmehr veranlafst wird zu denken, das Gedicht hätte wohl auch noch weiter fortgeführt werden können. Auch würde der Zusammenhang der einzelnen Lehrsätze wahrscheinlich fester gewesen seyn, wenn schon den ersten Entwurf die Idee eines Ganzen beherrscht hätte. Wenn man das Gespräch Krischnas mit Ardschunas von der poetischen Seite betrachtet, so möchte ich behaupten, dafs dasselbe mehr, als irgend ein andres, von irgend einer Nation auf uns gekommenes Werk dieser Art dem wahren und eigentlichen Begriff einer philosophischen Dichtung ent- spricht, aber von der Klasse der sogenannten philosophischen, und noch mehr der didaktischen Gedichte, in welchen schon eine absichtlich gedachte Kunstform vorwaltet, als wirkliche Naturpoesie, gänzlich geschieden ist. Poesie und Philosophie entwachsen beide demselben Boden, stammen aus dem Höchsten und Tiefsten des Menschen, und der Unterschied zwischen dem ächten philosophischen Gedicht, und demjenigen, welches mit Unrecht diesen Namen führt, liegt darin, ob beide in dieser ihrer organischen Ver- knüpfung dargestellt, oder, jede aus eigner (Quelle geschöpft, nur gleichsam mechanisch mit einander verknüpft sind. Es ist ein Vorrecht der Dichtung, das ganze, ungetheilte Wesen des Menschen in Anspruch zu nehmen, und ihn jedesmal auf den Punkt zu füh- ren, wo sich seine endliche Natur in Ahndung eines Unendlichen verliert. Sie verdient den Namen der Dichtung nur, insofern sie dies Ziel erreicht. Es wird darum von ihrem Gebiet kein Gegenstand und keine Gattung, nicht die schlichteste elegische, die leichteste fröhliche, oder die muthwilligste launisch -komische Ergiefsung ausgeschlossen. Denn die Empfindung trägt theils schon in ihrem Streben an sich, vorzüglich aber, wenn sie durch Kunstsinn, dessen immer im Menschen ruhendes Gefühl durch den ersten musikalischen Laut angeregt wird, geläutert ist, Verwandtschaft mit dem Unendlichen in sich. Die Kunstform kennt keine, als die durch ihren Be- griff selbst gesetzten Schranken. Das wahre Geheimnifs aber liegt in der schöpferischen Phantasie, in der alle Kunst waltet und bildet, und die durch ihre Zauberkraft, auf eine, der oben vorgetragenen Lehre sehr entsprechende bekannte Episode des Maha- Bharata. 55 Weise, die endliche Natur so in ihrem Wesen zu zerstören und in ihrer Form zu erhalten weifs, dafs sie, mitten in der Sinnenwelt lebend und we- bend, alle sinnliche Regung in rein idealische Anschauung auflöst, nicht an- ders, als durch die Entsagungs- und Vertiefungslehre, das bewegteste Han- deln in Nichthandeln aufgelöst wird. Was Krischnas von den Geschöpfen sagt, dafs sie einander, wie'plötzliche Wundergestalten, begegnen und unbe- kannt bleiben (S.4. II. 29.), das gilt ganz eigentlich von jeder wahren Dich- tung. Sie steht da, ohne dafs man die Fufstritte verfolgen kann, woher sie gekommen ist. Sie braucht daher eine Beglaubigung aus einem andren Ge- biet, und der Anruf einer höheren Macht ist das natürliche Bedürfnifs jedes Dichters, wo er nicht, wie derjenige, mit dem wir uns hier beschäftigen, das Gefühl mit sich bringt, sie schon selbst in sich zu tragen. Soll sich daher die Poesie auf eine würdige Weise mit philosophischen Ideen verbinden, so müssen diese von der Art seyn, dafs sie auch nicht ohne eine solche unsiehtbare Macht innerer Begeisterung entstehen konnten. Das Feuer und die Erhebung der Dichtung mufs nothwendig scheinen, die Wahr- heit aus der Tiefe des Geistes hervorzurufen, die philosophische Lehre mufs nicht die poetische Einkleidung, als einen erborgten Schmuck suchen, son- dern sich aus innerem Drange in freiwilligem Rhythmus ergiefsen, sich in der Dichtung, wie in ihrer natürlichen und angebornen Form bewegen. Dies kann aber nur der Fall seyn, wenn die philosophischen Ideen bis zu dem Punkte zurückgehen, wo es der raisonnirende Verstand aufgeben mufs, Wir- kungen aus Ursachen zu entwickeln, und wo die Wahrheit durch die blofse Läuterung und Richtung des Geistes, durch die Entfernung alles dialektischen Scheins, aus der Steigerung des reinen Selbstbewufstseyns hervorflammt. In diesem Gebiet, wo der Dichter die Stärke in sich fühlt, der Wahrheit ihr Wesen auch mitten in dem Schwunge der dichterischen Einbildungskraft zu erhalten, liegt allein das wahrhaft philosophische Gedicht. Es mag wunderbar scheinen, die Dichtung, die sich überall an Gestalt, Farbe und Mannigfaltigkeit erfreut, gerade mit den einfachsten und abgezo- gensten Ideen verbinden zu wollen; aber es ist darum nicht weniger richtig. Dichtung, Wissenschaft, Philosophie, Thatenkunde sind nicht in sich, und ihrem Wesen nach gespalten; sie sind Eins, wo der Mensch auf seinem Bil- dungsgange noch eins ist, oder sich durch wahrhaft dichterische Stimmung in jene Einheit zurückversetzt. Auch die Geschichte liegt reiner und voller” 56 Hunmsoupr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita in der ursprünglichen Epopöe, als in der späteren wissenschaftlichen Be- handlung, da sie in ihr den Kreisgang, in dem die scheinbar durch zufälligen Anstofs und Naturverkettung zusammenhängenden Begebenheiten sich als Entfaltungen von Ideen und Antrieben aus einem andren Gebiet offenbaren, leichter und anschaulicher durchläuft, die Endfäden sichtbarer zusammen- knüpft. Die Scheidung der Dichtung geht erst an, wo die verschiedenen Be- strebungen des Geistes einzelne Wege einzuschlagen beginnen, und obgleich eine spätere Wiederverknüpfung mit vollerem Bewufstseyn möglich ist, und sogar ewig geboten bleibt, obgleich die, welche das Gefühl der Nothwen- digkeit der Herstellung der ursprünglichen Einheit in sich tragen, immer danach streben, so gelingt dieselbe doch schwer, und Dichtung und Philo- sophie nehmen daher alsdann eine andre Gestalt an. In Krischnas Lehre dreht sich Alles um die Berührung des Endlichen und Unendlichen. Die Scheidung beider liegt als eine ewige, unumstöfs- liche, von selbst gegebene Wahrheit zum Grunde. Auf diesem Punkte mufs aber, von welcher Seite aus es zu demselben gelangen möge, das ächt philo- sophische Gedicht immer stehen, es mag nun die Wahrheit als aus dem Un- endlichen herüberflammend, oder die Gränzen des Endlichen, durch Einsicht in die Antinomien der Vernunft zu enge darstellen. Denn auch die Ver- zweillung des in der Endlichkeit befangenen, und sich in ihr verwirrenden Geistes ist eine dichterische Idee. Aber durch Sehnsucht oder wirkliche kühne Selbstbestimmung hinaus aus der blofsen Naturverkettung, aus der Begründung desHandelns durch Triebe und Erfolge, aus der ausschliefslichen Aneinanderreihung von Ursachen und Wirkungen, aus der ganzen Beschrän- kung blofs vermittelter Wahrheit mufs die philosophische Dichtung, wenn sie diesen Namen verdienen soll. Diese Prüfung nun verträgt, um ein Beispiel anzuführen, allerdings der sonst so reichlich mit poetischem Genius ausgestattete Lucretius nicht. Die Idee seines Gedichtes scheint mir in der ersten Anlage verfehlt. Eine Philosophie, die es sich zum Gesetz macht, Alles aus Naturgründen zu er- klären, die das Bedürfnifs und die Möglichkeit bestreitet, über die Natur hinauszugehen, und noch aufserdem in langen, fast kleinlichen Erörterungen, feine Naturbeobachtungen zusammenstellt, und sie auf scharfsinnige, oft spitz- findige, bisweilen geradezu spielende Weise zu erklären versucht, mufs sich auf poetischem Boden fremd fühlen. Die Dichtung kann keinen innigen Bund bekannte Episode des Maha- Bhärata. 57 mit ihr eingehen, ihr, wie es auch Lucretius (1. 932-949.) gar nicht verhehlt, nur zu einer gefälligen Einkleidung, einem erborgten Schmucke dienen. Daher der Reichthum sorgfältig ausgeführter Bilder, die lang abschweifenden Beschreibungen, wie die der Pest in Attika, da unser alterthümliches Gedicht sich nie einen Augenblick von seinem Gegenstand entfernt, und immer rein philosophisch bleibt. Dies, was man in gewissem Sinn trocken, nach dem Lucrezischen Ausdruck die ratio tristior nennen könnte, ist hier offenbar das mehr Dichterische. Das hier Gesagte zeigt sich auch an einigen vor- trefflichen Stellen in Lucretius selbst. Wo sein System an Sätze der oben beschriebenen Art gränzt, wie wenn er von der Nothwendigkeit und Allge- meinheit des Todes, der Nichtigkeit der Todesfurcht, der quälenden Uner- sättlichkeit zügelloser Begierden, der Macht des Bewufstseyns der Schuld, der Vergänglichkeit alles Endlichen redet, stellt er sich offenbar selbst auf eine höhere Stufe. (Man vergleiche die ganze letzte Hälfte des dritten Buchs, ferner V.92-97. 374-376. und mehrere andre Stellen.) Dafs es in diesem atomistischen und dem Indischen System, ob sie gleich sonst in durchaus ent- gegengesetzten Gebieten liegen, doch einzelne Berührungspunkte, wie die Annahme der Unmöglichkeit eines Ueberganges vom Seyn zum Nichtseyn und umgekehrt (Lucretius I. 151-159.) giebt und geben mufs, bemerke ich hier nur im Vorbeigehen. Mit den Gedichten des Empedokles und soviel die wenigen Fragmente schliefsen lassen, noch mehr mit denen des Parmenides verhält es sich schon durchaus anders, obgleich auch sie bereits mit dem Bewufstseyn der Kunst gedichtet sind. Plutarchs Ausspruch (de audiendis poetis. c. 2.) dafs sie von der Poesie nur Sylbenmaafs und Feierlichkeit, wie ein Hülfsmittel, um den prosaischen Ton zu vermeiden, geborgt hätten, möchte vielleicht nur die Ansicht einer späteren, das Wesen der früheren Dichtung nicht mehr rein erkennenden Kritik seyn. Wo die Philosophie anhebt, einen wissenschaftlichen Weg zu gehen, scheidet sie sich natürlich von der Poesie, und wenn sie auch dann noch die poetische Einkleidung beibehält, wie allerdings in Indien durchaus der Fall scheint, so ist dies offenbar ein Misgriff. Denn die wissenschaftliche Philo- sophie bedarf der Dialektik, nicht zwar um die Wahrheit selbst zu finden, aber um ihr den Weg zu bereiten, und das Theoretisiren des Verstandes und Hist. philolog. Klasse 1825. H 58 Hunsoror über die unter dem Namen Bhagavad -Gita der Vernunft von dem Gebiet abzuhalten, auf dem es keine Gültigkeit hat. Die Dialektik aber widerspricht dem Wesen der Poesie, und fordert, um in ihrer Vollendung zu glänzen, eine bis zur höchsten Gewandtheit und Feinheit ausgebildete Prosa. Man darf darum nicht sagen, dafs die Philosophie sich nur in ihrer Kindheit mit der Poesie verschwistere. Die Weisheit der Men- schengeschlechter in der Kraft ihrer ersten Frische, die noch wenig Erfahre- nes zerstreut, verwirrt und vereinzelt, ist eher eine göttliche zu nennen, die es verschmäht, sich, da wo ihr nicht freiwillige Empfänglichkeit entgegen- kommt, den Zugang durch Beweis und Widerlegung zu bahnen; ein Lallen der Kindheit ist sie sicherlich nicht. Ob es in anderer Zeit, namentlich in der unsrigen, noch wahrhaft philosophische Gedichte, unter denen ich immer nur solche verstehe, wo die Dichtung die Philosophie fördert, nicht blofs begleitet, geben könne, möchte ich nicht zu entscheiden wagen.. Ein Dichter, dessen Geistesanlage offenbar dahin ging, Dichtung und Philosophie, von einander getrennt, als unvollständig zu betrachten, der in seine Dichtung immer den höchsten Flug des Gedanken verwebte, und es nicht scheute, sie in seine äufsersten Tiefen zu senken, dem, wenn man behaupten könnte, dafs er nicht das Höchste in der Dichtung erreicht hätte, gewifs nichts entgegenstand, als dafs er nach etwas noch Höherem strebte und wirklich Unvereinbares vereinigen wollte, hat unter uns philosophische Gedichte in jenem Sinne versucht. Wenn diese auch nicht alle gleich gelungen seyn sollten, so dürfte doch wohl eines, die Künstler, auch dem allgemeinen Urtheile nach, als in sehr hohem Grade so erscheinen. Hier kommt aber der Gegenstand selbst zu Hülfe, da der Gedanke sichtbar denselben nicht zu erschöpfen vermag, und die angemes- sene Verbindung mit der Anschauung nur in der dichterischen Einbildungs- kraft findet. Wenn man Krischnas Gespräch mit Ardschunas auch mit den ältesten griechischen philosophischen Gedichten vergleicht, so gehört es offenbar in eine viel frühere Entwiekelungsperiode, als diese. Ich will dadurch nicht über das eigentliche Zeitalter der Bhagavad-Gitä entscheiden. Allein auf dem Wege, welchen das vereinte poetische und philosophische Streben, der Natur des menschlichen Geistes nach, nehmen mufs, steht die Indische Dichtung bedeutend früher, als die Griechischen. Sie bewahrt noch die ganze Unbe- bekannte Episode des Maha- Bharata. 509 fangenheit der Naturpoesie, da die Griechischen schon in dem deutlichen Bewufstseyn der Kunst entstanden sind. Schon der blofs mit den letzteren Vertraute wird in dem, was im Vorigen über das Indische Gedicht gesagt ist, mehrere bestätigende Andeutungen hiervon finden, und für das Gefühl des- sen, der sie sämmtlich im Original hintereinander liest, wird die obige Be- hauptung keines Beweises bedürfen. Inhalt und Form sind in der Indischen Dichtung untrennbar in einander verschmolzen, und es ist auch nicht die leiseste Spur vorhanden, dafs der Dichter die Form nur als Form betrachtet hätte. Darum steht aber doch Krischnas Gespräch in der Periode, zu welcher es gehört, gleichsam am Endpunkte, wenigstens diesem näher, als dem Anfang. Ebenso urtheilt auch Hr. Burnouf, welchem die Indische Literatur schon viele interessante Aufklärungen verdankt, und gewifs noch viele andre verdanken wird. Er sieht mit Recht die Lehre Krischnas, ob- gleich im Ganzen des Systems mit der früheren übereinstimmend, als eine Berichtigung dieser an. (Journal 4siatique. V1.6.7.) Gegen die Vedäs, Puränäs und selbst Manus Gesetzbuch gehalten, ist Krischnas Gespräch vorzüglich rein philosophischer, und freier von mythologischer Beimischung, und der Oup- nek’hat kann sich, soviel ich zu urtheilen vermag, nicht mit der Erhabenheit, der Schärfe und der in seiner Kürze selbst vollendeten Form des Vortrags in der Bhagavad-Gitä messen. Die philosophische Sprache ist in diesem Indischen Werke schon viel vollständiger ausgebildet, als es die Griechische, wenigstens zu Parmenides Zeit, war, und der Bhagavad- Gitä waren viele andre philoso- phische Gedichte vorhergegangen. Denn Krischnas sagt ausdrücklich bei Ge- legenheit der Lehre von dem Stoff und dem Stoffkundigen, (XTII. 4.) dafs sie auf vielfache Art von Heiligen in verschiedenen Weisen, von jedem besonders, in nach Gründen forschenden klar entwickelten Brahmasprüchen gesungen worden sey. Insofern steht also unser Gedicht auf einer andren Stufe, als die Homerischen, da man mit einer so bestimmten Anführung wirklicher dichterisch philosophischer Werke kaum die Erwähnung einzelner Sänger der Vorzeit im Homer vergleichen kann. Dies deutet wohl auf einen verschie- denen Gang der Geistesentwicklung in Indien und Griechenland und Klein- Asien hin, da die Indische Dichtung länger in der Periode verweilt zu seyn scheint, in welcher sie noch nicht in Kunst, die sich ihrer und ihrer Form bewufst ist, übergieng. Daher werden Dichter und Philosophen in Krischnas H2 60 Humsoupr über die unter dem Namen Bhagavad-Gita Gespräch nie von einander geschieden, und wenn von Definitionen philoso- phischer Ausdrücke die Rede ist, bezieht sich Krischnas auf den Sprachge- brauch der Dichter. (XV. 2.) In jeder Epoche aber war die Philosophie tiefer in die Poesie in Indien, als in Griechenland, verwachsen. Auch die epische athmet: vorherrschend einen philosophisch religiösen Sinn. Dies kann man zwar zunächst aus der politischen Stellung der Brahmanen erklären. Wie im Staate, mufsten sie nothwendig auch im Epos den ersten Platz einnehmen, und ihr Verhältnifs zu den Königen und Helden läfst sich gar nicht mit Kalchas Verhältnifs zu Aga- memnon vergleichen. Die Könige nahmen auch an ihrer Lebensweise Theil. Es gab Brahmanen- und Königs-Heilige. Tiefer aber mufs man den Grund dieser Erscheinung und der politischen Rangordnung selbst in dem Charakter und der Geistesrichtung der Nation aufsuchen. Hierüber darf man zwar auf keine Weise voreilig aburtheilen, da die Indische Literatur einen so weiten Umfang zeigt, dafs sie das Erhabenste und Zarteste, das Feierlichste und Leichteste, das Frömmste und Heiligste und das die regeste Sinnlichkeit Athmende zugleich in sich fafst. Allein in diesen ältesten Gedichten, von denen wir hier reden, waltet doch, gewifs nach jedes Unbefangenen Gefühl, selbst wo sie ganz erzählend und beschreibend sind, ein von der Erde und irdischem Gewühl hinwegstrebender Hang zu frommer Einsamkeit, abgezo- genem Nachdenken, und strenger Selbstverläugnung vor (!). Auch die Sprache trägt davon vielfache Spuren, von denen ich hier nur die mannig- faltigen Ausdrücke für verschiedene Gattungen und Grade der Weisen und Heiligen anführen will. Denn diese waren offenbar im Munde des Volks, nicht, wie man von den eigentlich philosophischen Ausdrücken denken könnte, Terminologie einer Schule. Wolfhat, soviel ich weils, zuerst den Satz aufgestellt, und sehr glück- lich angewandt, dafs die Entstehung der Prosa die Epoche des Aufblühens der Schreibkunst, oder wenigstens ihres schriftstellerischen Gebrauchs be- zeichnet. Man darf aber daraus nicht allgemein schliefsen, dafs, solange (') Ich kann mich nicht enthalten, hier eine in Ausdruck und Gedanken gleich treffende Stelle Hın. Burnoufs herzusetzen. Ce genie de "Inde, si meditatif et si insouciant, que la speculation paroit awoir de bonne heure Eloigne du positif et detache des interets materiels de la vie. Journ. Asiat. V1.106. bekannte Episode des Maha- Bharata. 61 die poetische Einkleidung die allgemein gültige war, nicht auch schon sie von der Schrift hätte Gebrauch machen können, da die Entstehung der Prosa durch andre, fremdartige Gründe zurückgehalten werden kann, und noch weniger richtig würde es, meiner Empfindung nach, seyn, daraus folgern zu wollen, dafs die Gedächtnifshülfe durch das Sylbenmaafs der Grund sey, warum die Literatur aller Nationen immer von Dichtungen ausgeht. So ab- sichtlich sind die Nationen in ihrer ersten Bildung nicht. Begleitet haben sich vermuthlich in jener frühen Zeit Dichtung und Gedächtnifsübung häufig, es mag sogar damit eine gewisse Verschmähung der schon vorhandenen Schrift verbunden gewesen seyn. Die Indische Gewohnheit, irgend eine religiöse oder sittliche Wahrheit in ein oder wenige Disticha, einzuschliefsen, sehr oft noch, wie es in der Bhagavad Gitä (VII. 4.) und so sehr häufig im Hitopadesa vorkommt, die einzeln darin liegenden Punkte ihrer Zahl nach anzugeben und auf diese Weise Denksprüche, wie die obenerwähnten Brahmasprüche, zu bilden, scheint eigen dazu bestimmt, sie dem Gedächtnifs einzuprägen. Man mufs sich auch wohl den früheren Brahmanen - Unterricht ganz und den spä- teren grofsentheils als einen mündlichen denken. Allein die eigentliche Ur- sach, warum sich die früheste Weisheit und Ueberlieferung immer in Dich- tung ergiefst, liegt dennoch in etwas Andrem und tiefer. Die Dichtung entsteht alsdann, um es kurz auszusprechen, aus der be- geisternden Bewegung, in welche der glücklich und überraschend gefundene Gedanke das junge, noch von wenigen Eindrücken berührte Gemüth versetzt. Alles, was den Geist mit hoher Lebendigkeit ergreift, ohne ihn gleichsam durch materielles Gewicht niederzudrücken, nimmt in jedem zu aller Zeit mehr oder minder die Farbe der Dichtung an. Aber die intellectuelle An- schauung und Erkenntnifs verliert diese begeisternde Kraft, so wie nach und nach die Masse des Erlernten das Uebergewicht über das selbst Gefundene erhält. Wir können es nicht mehr nachempfinden, welchen Eindruck eine einfache Wahrheit, ein mathematischer Satz, ja selbst ein plötzlich erkanntes Zahlenverhältnifs auf jene frühen Zeitalter machte, und doch ist, dafs es wirklich so war, dem Gefühle jedes offenbar, der die Geschichte des mensch- lichen Denkens von ihren Ursprüngen an verfolgt. Es ist nicht zu läugnen, dafs der blofse Gedanke, die reine Anschauung, zu denen wir, von viel man- nigfaltigeren Gegenständen der Wirklichkeit umlagert, und viel tiefer in welt- 62 HumsoLort über die unter dem Namen Bhagavad-Gita 27 liches Treiben versenkt, uns nur mit Mühe durch Abstraction erheben, sich in jener Zeit vielmehr gleichsam von selbst in ihrer einfachen Lauterkeit offenbarten. Daher machte das Erkennen mathematischer Figuren, wie das der Kugel, Epoche in der Geschichte der Erfindungen, und Zahlenverhält- nisse wurden nicht blofs zu einem Gegenstande tiefer Betrachtung, sondern des Entzückens, der Begeisterung und gewissermafsen der Anbetung. Was man auch dagegen erinnern mag, der menschliche Geist ist, an sich und seiner Natur nach, heimischer in Ideen und mit ihnen verwandten Gefühlen, als in irdischem Treiben, und damit zusammenhangenden Bedürfnissen und Neigungen. Indefs gehört dazu allerdings Freiheit von einem durch Arbeit und Sorge niederdrückenden Kampf mit der Natur, und wenn auch der Mensch ursprünglich gleich ausgestattet wäre, so sind doch auf dem Punkte, wo wir den Ursprung der Nationen erblicken, ihre geistigen Anlagen gewifs sehr verschieden. Das Menschengeschlecht bedarf daher nicht sowohl der Zeit, um zu intellectueller Kraft zu gelangen, als der Freiheit von störenden Eindrücken. Die Reife der Erkenntnifs, zu der es wirklich heranwächst, ist nicht gerade eine höhere, aber eine andre. Wenn die Erkenntnifs zur Lehre drängte, so wurde der Lehrer natür- lich zum Sänger. Denn es trug ihn die innere Begeisterung, und er hätte auch nicht das Gemüth der Hörer gefesselt, wenn er sich nicht im Vortrag über die gewöhnliche Sprechweise erhoben hätte. Die Freude am Gesang, und dem durch ihn herbeigeführten regelmäfsigen Sylbenfall verstärkten nun den Eindruck der Lehre. Der Gebrauch der Sprache im alltäglichen Lebensbedürfnifs und der in dem innren der Darstellung von Ideen und Empfindungen mufs natürlich verschieden seyn, da der Redende in beiden durchaus anders gestimmt ist. Denn je schärfer und reiner in ihm der Gedanke vorwaltet, desto weniger kann der Geist es ertragen, dafs nicht auch die Form der Rede den Inhalt angemessen begleite. Dies ist der Ursprung der Prosa, da man nicht Alles Prosa nennen sollte, was nicht Vers ist. Denn die Gebiete beider scheiden sich erst da, wo sorgfältige Achtsamkeit auf die Form des Vortrags eintritt. Die einzig richtige Ansicht der Prosa aber ist, dafs man sie sich aus der Poesie hervorgegangen denkt, die allemal den Anfang in der kunstmäfsigen Behand- lung der Sprache macht. Denn der Rhythmus ist das eigentliche Leben der bekannte Episode des Maha- Bharata. 63 Prosa, und selbst vom Sylbenmaafs ist sie nicht sowohl frei, als vielmehr eine Erweiterung des enge gefesselten poetischen. Der charakteristische Un- terschied zwischen ihr und der Poesie liegt nur darin, dafs sie durch ihre Form selbst erklärt, den Gedanken nur, dienend, begleiten zu wollen, da der poetische Vortrag auch des Scheins nicht entbehren kann, ihn zu beherr- schen und gleichsam aus sich zu erzeugen. Bei der Griechischen Prosa irrt man vielleicht nicht, wenn man ihren poetischen Ursprung sogar noch historisch wahrzunehmen glaubt. Herodots Geschichtserzählung hat hexametrische Anklänge, die wohl nicht blofs aus der Gleichheit des Dialekts entstehen. Es können auch Versarten erleich- ternde Übergänge zur Prosa bilden, oder vielmehr zugleich mit ihr durch gleiche Geistesrichtung und Mundart entstehen. Auf diese Weise hängt wohl unläugbar der Trimeter des griechischen Drama mit der attischen Prosa zu- sammen. Ob aber von dem Punkte an, wo eine kunstgemäfse Behandlung der Form der Rede beginnt, sich eine wirklich so zu nennende Prosa bildet, oder die Poesie sich auch in den späteren wissenschaftlichen Gebrauch hin- überschlingt, und darin nur mit einem, sich fast um nichts über die gewöhn- liche Sprechweise erhebenden Vortrag abwechselt, hängt von andren Um- ständen, der Geistesanlage der Nation und selbst ihren äufseren Verhältnissen ab. Besser ist allerdings die reine und vollständige Scheidung der Poesie und Prosa, sobald die erstere aufhört, freiwillige Ergiefsung natürlicher Be- geisterung zu seyn, die Kunst sich als Kunst bewufst wird, und die Geistes- kräfte einzeln zu wirken anfangen. Kein Volk hat diese Scheidung so voll- kommen vorgenommen, als die Griechen, da, wenn man nur genau darauf ie) achtet, poetische und prosaische Ausdrücke und Wendungen sich durchaus in fest begränzten Gebieten bewegen. Die attische Prosa dürfte wohl überhaupt allgemein für die am höchsten ausgebildete anerkannt werden. Es wirkten aber auch, um sie auf diesen Gipfel zu führen, drei mächtige Umstände zu- sammen, das Reden vor dem Volke und in den Gerichtshöfen, die ganz dialektische und selbst sophistische Geistesrichtung der Athenienser, und das lebendige Gespräch in den Schulen der Philosophen. Zu diesen kam aufser- dem, und sich durch sie immer mehr veredelnd und verfeinernd, die Eigen- thümlichkeit der attischen Mundart und der Reichthum und die Gewandt- 64 HumsoLor über die Bhagavad- Gita. heit der ganzen Sprache. Die römische Prosa erfuhr blofs den Einflufs der öffentlichen Beredsamkeit, und auf eine weniger vielseitige Weise; alles Übrige dankte sie nur der todten Nachahmung der griechischen. Diese aber verfolgte ihren Weg so vollständig, dafs, da die Prosa zuerst gegen das Feuer der Dichtung nüchtern erscheint, sie wieder eine eigne, doch von der poe- tischen verschiedene Begeisterung erreichte, wie dieselbe an Plato zu allen Zeiten gefühlt und gepriesen worden ist. Von indischer Prosa in dem hier dem Worte gegebenen Sinn ist, soviel ich weifs, bisher noch nichts bekannt. Allein so lange die Schätze der indischen Literatur nicht vollständiger, als jetzt, ans Licht gefördert sind, darf man nur über das Vorhandene urtheilen, und sich am wenigsten allgemein verneinende Behauptungen erlauben. — VB DIDI m— Über drei antıke Musiv- Gemälde im Königlich - Preussischen Museum. Yon Hm- 'UHDEN. mn..mma [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 18. August 1825.] D:. drei antiken musivischen Gemälde, welche die Königl. Sammlung besitzt, sind mit kleinen steinernen Würfeln von mancherlei Farben ausge- führt, die in einen festen auf Steinplatten gegossenen Mörtel, nach dem ent- worfenen Carton der Zeichnung, eingesetzt stehen. Der Mörtel, der zu dergleichen Arbeiten von gröfserem Maafse angewendet wird, besteht aus Kalk, vermischt mit Sand, auch wohl mit Pozzuolana, um dadurch ihm mehr Haltbarkeit und Ausdauer gegen Feuchtigkeit zu geben, besonders, wenn solche Arbeiten, wie dies häufig der Fall war, zu Fufsboden - Bekleidungen in Baderäumen dienen sollten. So zubereitet haben sich diese musivischen Kunstwerke Jahrhunderte hindurch unversehrt erhalten, wie Mauer- und anderes Steinwerk aus der vergangenen Zeit. Die neuern kleinen Kunst- werke dieser Art möchten schwerlich ein gleiches Alter erreichen, da die Glasstiftchen mit denen der Künstler sie ausführt, in einen Kitt von Mastix und Wachs eingesetzt werden, der kaum dem Einwirken eines kleinen Zeit- raums zu widerstehen vermögend seyn wird. Zwei der musivischen Gemälde der Königlichen Sammlung sind ohne Zweifel Theile eines Fufsbodens, der, wie ähnliche wohlerhaltene zeigen, in mannigfaltige geometrische Figuren kunstgerecht eingetheilt war. Diese Hıist. philolog. Klasse 1825. I 66 Us»sDves beide sind regelmäfsige achteckige Tafeln von gleicher Gröfse, jede von 23 Zoll Rheinl. im Durchmesser. Beide sollen, nach einer Anzeige in dem Verzeichnisse der Kunstwerke in den Königlichen Schlössern, verfafst von dem Aufseher Österreich, in einem Tempel zu Nismes gefunden wor- den seyn. Auf der einen Tafel ist ein männliches, auf der andern ein weibliches Brustbild dargestellt, beide etwa ein Drittheil unter Lebensgröfse. Jenes, das Haupt mit grünen spitzen Blättern bekränzt, soll vielleicht einen Apollo vorstellen; das weibliche Brustbild, dessen Kopf oben ein rother Schleier umgiebt, vielleicht eine Juno. Das achteckige weifse Feld um diese Brust- bilder, umgrenzen ebenfalls achteckige Ränder, die, mit unter einander gleichen, kleinen, aus schwarzen Steinwürfeln zusammengesetzten Dreiecken auf weilsem Grunde verziert sind. Die Arbeit an diesen Musivischen Gemälden ist grob, und mit solchen steinernen Würfeln, von der Gröfse eines Viertel-Quadratzolls, und darüber, konnte auch in jenen beiden Köpfen, der Karakter nicht bestimmt ausge- drückt erscheinen. Da ihnen überdem alle Attribute mangeln, so bleibt ihre Benennung immer unsicher. Überhaupt sind alle, in der Musiv-Malerei dargestellten Gegenstände, die bisher bekannt worden, weit entfernt von den Idealen aus der Zeit der Blüte der Kunst. Diese musivischen Kunstwerke waren dem freien Griechen- land fremd; Pausanias, der mit so grofser Sorgfalt die Werke der Kunst ver- zeichnet, erwähnt auch nicht eines derselben. Sie sind eine Erfindung des Luxus Asiatischer Könige, und wurden von der Prachtsucht der Römer gern aufgenommen. Julius Cäsar führte Platten solcher Musiv - Arbeiten zu Fufs- boden mit sich auf seinen Feldzügen, (Sueton. Jul. Caesar. cap. XLVI.) um auch dem Zelte das Ansehen eines Prunkzimmers zu geben. Die Zeichnun- gen, die unmittelbar zur Ausführung in der Musiv-Malerei bestimmt sind, können daher nicht aus dem wahren goldnen Zeitalter der Griechischen Kunst herstammen; wohl aber gehören sie einem Zeitalter an, in welchem die zeich- nenden Künste sich noch erhielten, jedoch verderbt von Luxus, und aus dem eigenthümlichen Geburtsboden verpflanzt, hinter den bewunderten Ori- ginalen zurückblieben. Masken, Früchte und andere niedere Arten von Objekten der Mahlerei, Verzierungen, Mäander, Egyptische Landschaften ‘ über drei antike Musiv- Gemälde. 67 waren meist die Gegenstände, welche für die Musiv- Arbeiten besonders ent- worfen wurden. Eines der zuletztgenannten Landschaftsgemälde sehen wir auf dem dritten Musaico der Königlichen Sammlung ausgeführt. Es ist dies in vieler Rücksicht eines der merkwürdigsten antiken, in dem Königlichen Museum aufbewahrten Denkmähler. Den Raum einer drei Fufs einen halben Zoll hohen, und drei Fufs zwei ein Viertel Zoll breiten Tafel füllt eine grofse Laube von Gitterwerk mit durchbrechenden Trauben, Weinblättern und Reben, die über einem klaren Wasser gespannt, hier und dort auf kleinen, aus diesem hervorragenden Erd- stücken, nicht Ufern, gegründet sich wölbet, und in welcher von mehreren Personen gezecht und musieirt wird. Aus dem Wasser spriefsen hin und wieder Lotusblumen (zymphaea lotus) und andre Wasserpflanzen hervor; ein Schiffmann treibt seinen, mit einer Last Lotusblumen beladenen Nachen unter der Wölbung rudernd hindurch. Dieses reizende Gemälde ist mit kleinen steinernen Würfeln, von man- nigfachen, den Gegenständen entsprechenden Farben gut ausgeführt. Hie und da werden Restaurationen ausgesprungener Stellen bemerkt, die mit Würfeln von graufarbigem Marmor, in neuerer Zeit ausgefüllt worden sind. Das Gerüst der Laube besteht aus einem von starken Rohrstangen in Rauten geflochtenen Gitterwerk, welches mit kleinen Würfeln von hellbräun- lich-gelbem Marmor gezeichnet, und wo zugleich der die einzelnen Stäbe rundende Schatten, mit dunkler-bräunlichen Steinchen, kunstgerecht ange- deutet ist. Aus den Rauten der Wölbung hangen abwechselnd weifse und rothe Trauben, zwischen Weinlaub und Reben, herab. Jene sind mit rothen und gelben, die weifsen mit hellgrünlichen Steinchen gemalt, und jeder Beere ist ein weifses Steinchen, als Lichtpunkt, die Rundung bewir- kend, aufgesetzt. Unter diesem angenehmen Gewölbe lagern auf graufarbigen niederen Bänken, welche dieht an den beiden Wänden der Laube stehen, auf der einen Seite drei Figuren auf Polstern hingestreckt. Ein kräftiger Mann, der mit dem rechten Arm eine junge nach ihm sich hinneigende Frau umschlingt, die in der Rechten ein kleines tassenförmiges Trinkgefäfs hält, nahe einem ähnlichen, welches jener in seiner Linken fafst. Der Mann ist bis zu den I2 683 Unpoven Hüften nackt, von bräunlichrother Farbe, sein Haupt umkränzt, um die liegen- den Schenkel und Hüften ein rothgelbesGewand geschlagen. Die Frau ist be- kleidet mit einer weifsen Tunica und einem hellgrauen Peplum; Gesicht und die nackten Arme sind von weifser Fleischfarbe. Zur Linken des Mannes ruht, auf den linken Arm sich stützend, die Rechte auf dem Haupte, eine jugendliche weibliche Figur, vom Rücken zu sehen, die ebenfalls ein ähn- liches Trinkgefäfs in der Linken hält; sie ist bis zu den Hüften nackt, ihr Kör- per, wie der des Mannes, braunroth gefärbt; ein weifses Gewand schliefst sich um Hüften und Beine. Zwischen diesen Figuren steht, hinter der Bank, ein junges Weib, von weifser Gesichtsfarbe, das auf der rechten Schulter eine dreieckige kleine Harfe hält, in deren fünf Saiten die linke Hand greift. Diese Harfenspielerin hat, wie die beiden anderen Frauen, einen Kranz im braunen Haar, das in zwei langen Locken auf beiden Seiten herabhängt; sie ist bekleidet mit einer weifsen Tunica ohne Ermel, die von der linken Schulter auf den Oberarm zierlich abgegleitet ist, und die Schulter enblöfst läfst. Dieser muntern Gesellschaft gegenüber ist eine andre ebenfalls mit Trinken und Musiciren geschäftig. An der Ecke der hier stehenden Bank sitzt ein rothbraunes Mädchen die Querflöte blasend; nur ihre Schenkel und Beine deckt ein rothes Gewand; sie, wie die neben ihr sitzende Figur, die auch weiblich zu seyn scheint, ist mit dem Rücken dem Anschauer zugewandt. Letztere, von rothbrauner Farbe, wie jene, läfst aus einem emporgehaltenen Trinkhorn (övr2v) einen Strahl Weines in den Mund schiefsen; (') sie wird von einem neben ihr knieenden jungen Mädchen mit dem rechten Arm um- fafst, das mit der Linken nach einer Traube oben an der Wölbung der Laube deutet, die zum Auspressen neuen Saftes reif ist. Dieses Mädchen ist von weifser Gesichtsfarbe, und mit einer weifsen Tunica bekleidet, die von der (‘) So wie viele altgriechische Gebräuche in Unter-Italien und Sicilier sich erhalten haben, so auch diese Art zu trinken, die noch vom Volke im Neapolitanischen geübt wird; statt des antiken öuröv wird die enghalsige Flasche in einiger Entfernung hoch gehalten, und der hinausschiefsende Wein mit dem offnen Munde aufgefangen. Diese Art zu trinken heifst: dere a Cannella. Die muthwillige Lust wird durch die ange- spannte Aufmerksamkeit, um das Kunststück geschickt auszuführen, noch vermehrt. über drei antike Musiv- Gemälde. 69 rechten Schulter zierlich herabfällt. Alle drei Figuren tragen Kränze im Haar. Der Mann der in einem Nachen auf dem Wasser umherschifft, um Lo- tusblumen zu sammeln, von denen eine Menge schon im Kahn aufgeschichtet liegt, ist nackt, von rothbrauner Farbe; sein Haupt deckt eine weilse Mütze, um die Hüften hat er ein weifses Tuch gewunden. Das Land und das Wasser wo diese Laube gewölbt steht, ist, nach den eben angegebenen sehr charackteristischen Einzelnheiten deutlich be- zeichnet. Die aus dem überströmenden Wasser hervorspriefsenden, theils noch geschlossenen, theils ganz ausgebreitet offenen Lotusblumen (zymphaea lotus), die rothbraunen Menschen, die Querflöte, die dreieckige Harfe, selbst die Form der kleinen Trinkgefässe, alles deutet auf Egypten und den Nil- strom. Alte Egyptische Gemälde zeigen eingeborne Egyptier, grade von dieser rothbraunen Farbe, und unter den dort gefundenen Gefässen sind solche tassenförmige, wie die drei Personen auf der einen Bank in der Laube halten, in dem grofsen Französischen Werke abgebildet; eine ähnliche drei- eckige Harfe sehen wir in den Händen einer Egyptierin, die Kircher in sei- nem Oedipus bekannt gemacht hat; diese hält die Harfe vor sich hin mit bei- den Händen; die Art, wie solche beim Spielen gehalten wurde, zeigt unser Musiv-Gemälde. Die Querflöte finde ich auf keinem der mir bekannten Egyptischen Gemälde, noch auf einem andern Denkmale dieses Volks abgebildet. Wo auf solchen Flöten vorkommen, so sind es die zwei graden, die zugleich ge- blasen werden, und die den Griechen und Römern auch bekannt waren. Und doch ist die Querflöte ein ursprünglich Egyptisches Instrument; Osiris hatte sie erfunden, wie Juba in dem vierten Buche der Geschichte der Schauspiel- kunst, die Athenäus anführt, (Deipnos. Lib. IV. c. 78.) erzählt. Diese Quer- flöte (rAayıss aürss, tibia obliqua) hiefs mit ihrem einheimischen Namen $wrıy& und war von dem Holze des Lotusbaums, der in Libyen wächst, verfertigt. (#then. Deipnos. Lib. IV‘. e. 80.) Auf unserm Musiv-Gemälde ist sie an dem Ende, und in der Mitte, mit breiten gelben (bronzenen) Ringen eingefafst. Unser Gemälde ist, so viel ich weils, das einzige alte Denkmal überhaupt, wo die Querflöte sich abgebildet findet. Zwar hat Barthelemy (Mem. de !’ Academie des Inseript. T. XXX. p. 520.) sie auch auf einem Römi- 70 Uupoes schen Bildwerk erkennen wollen; allein er irrt sich; eine genauere Betrach- tung des Kunstwerks, auch nur der in Kupfer gestochenen Abbildung dessel- ben, (Mus. Capüol. T. IV. tab. LVII.) würde ihn vor der unrichtigen Be- hauptung bewahrt haben. Dieses Bildwerk ist ein achteckiger kleiner Todtenaschenbehälter, mit einer Römischen Denkschrift auf den Verstorbenen, die eine der acht Flächen einnimmt. In jeder der übrigen sieben steht, in sehr hohem Relief gebildet, ein geflügeltesKind, mit einem, zu nächtlichem Bakchischen Aufzug gehörigen Instrument in den Händen; einer dieser Genien, die in ähnlicher Handlung auf andern Sarkophagen auch gesehen werden, trägt eine Leyer, ein andrer eine Laterne u. s. w. und einer hält eine einfache Flöte an den Mund, auf welcher er mit beiden Händen greift. Der Künstler konnte in dem hohen Relief der Figur das feine Instrument nicht grade hinausarbeiten, sondern mufste es ein wenig schief nach rechts hingewandt stellen, um demselben und den Händen des Kindes den gehörigen Halt an dem Marmor zu geben; daher, beim ersten Anblick, besonders der Abbildung, der Genius eine Querflöte zu blasen scheint. Indessen hat auch in der Abbildung, einmal, die Flöte nicht die gleiche cylinderförmige Gestalt dieses Instruments, sondern die deutliche Form einer Schalmey, die von der untern weiten Öffnung nach dem Mundstück verjüngt spitz zuläuft, und sodann, hält grade dieses spitze Mundstück derGenius zwischen den Lippen. Hier ist also ein uevavAcs, eben- falls eine egyptische Erfindung, abgebildet, aber nicht die Querflöte dwrıy&, die Apulejus sehr deutlich bezeichnet, wenn er in der Beschreibung eines feierlichen Zuges in Egypten sagt: (Metamorphos. Lib. XT.) Ibant et dicati magno Serapi bicines, qui per obliguum calamum ad aurem porrectum dex- tram, familiarem templi deique modulum frequentabant. Jene Egyptische Musiker hielten grade so ihre Querflöten, wie. unsre Egyptierin auf dem Musiv- Gemälde. Die Vermuthung, dafs auf diesem eine Gegend des, vom Nil über- schwemmten Egyptens vorgestellt sei, wird durch. folgenden, sehr merkwür- digen Umstand vollends bestätigt und aufser allem Zweifel gesetzt. Das Musiv -Gemälde der Königlichen Sammlung ist nemlich eine alte Kopie eines kleinen Theils jenes grofsen berühmten antiken musivischen Fufsbodens, der in dem Palast der Fürstlichen ‚Familie‘ Barberini: zu Pale- über drei antıke Musiv- Gemälde. 71 strina, dem alten Präneste, aufbewahrt wird. Dieses Musaico liegt dort in einem länglicht viereckten Raum, dessen eine Seite zu einer flachen Nische sich rundet, in welcher dasselbe eingepafst ist; es mifst in der Breite 17 Fufs 4 Zoll, und in der Höhe, bis zur Mitte des flachen Bogens derNische, 13 Fuls 40 Zoll Rheinländisch. Auf dieser grofsen Fläche ist eine Gegend Ober- Egyptens dargestellt zur Zeit der Überschwemmung, mit den, ‚wie auf In- selchen hervorragenden Tempeln und andern Gebäuden ; viele einheimische Thiere, Krokodile, Hippopotamos, Ibisse, u.a. m. bezeichnen das Land, auch Palmen, und überall aus dem Wasser spriessende Lotusblumen; Obe- lisken sind zu sehen und Statuen im egyptischen Stil. Jedoch ist dieses Egypten nicht mehr das alte, unter den Pharaonen, sondern unter Römi- scher Oberherrschaft; ein schwarzer Adler prangt über der Thür eines weit- läufigen Gebäudes, und Römische Soldaten stehen in einer Halle, die gegen die Sonne durch einen zeltartigen Vorhang geschützt wird, um ihren be- kränzten Feldherrn her, der in der Rechten ein Trinkhorn hält, wie um eine feierliche Libation zu verrichten. Neben dieser Halle zur Linken ragen die Inselchen aus dem Wasser hervor, auf denen die Laube mit der fröh- lichen Gesellschaft gewölbt steht, die in dem Musiv- Gemälde der Königl. Sammlung jener, bis in den kleinsten Details vollkommen ähnlich, nachge- bildet ist. Die Bewegungen der Menschen auf dem untern Theil des grofsen Gemäldes, deren Aufmerksamkeit auf die Gruppen in jener Halle, und auf ein grofses Römisches Ruderschiff vor derselben gerichtet ist, wie auch nahe darüber, eine aus einem Tempel hervortretende Procession Egyptischer Priester, deuten auf ein hier gefeiertes Fest, an dem sich auch die Leute in der nahen Laube, weifse Römer, mit den dunkelgefärbten Egyptiern in Ei- nigkeit zusammen gütlich thun. Das Musiv- Gemälde ist in die Königl. Sammlung mit mehrern Alter- thümern aus der Baireuthschen Erbschaft gekommen. Es soll, wie in der oben gedachten Beschreibung der Alterthümer in den Königlichen Schlössern angezeigt wird, (S. 61. No.481.) von der Frau Markgräfin von Baireuth auf ihrer Reise in Italien gekauft, und nicht weit von Palestrina gefunden wor- den seyn. Wahrscheinlich ist dieses Musiv-Gemälde aus dem Nachlafs des be- kannten Gelehrten Antonio Francesco Gori, der im Jahr 1757 zu Florenz 72 Uupope:s starb, dort gekauft worden. Er selbst erhandelte dasselbe in Florenz, im Jahr 1743, von einem Trödler, der es in der Versteigerung der Mobilien eines Edelmannes, Pietro Giovanni de’ Chiari erstanden hatte. Es war, wie Gori erfuhr, mit der Gemälde - Gallerie der Herzogs Francesco Maria de’ Medici versteigert worden, und damals in den Besitz des de” Chiari gekom- men. Dieser Herzog Francesco Maria war stets in genauer Verbindung mit Rom, selbst Kardinal gewesen, hatte aber dieser Würde entsagt, um die Prinzessin Eleonora von Guastalla zu heurathen; er pflegte öfters nach Rom zu reisen, und Gori vermuthet, dafs einer der Fürsten von dem Hause Bar- berini, dem Herzog, der Kunst und Wissenschaft liebte, (Galluzzi istoria del Granducato di Toscana sotto Ü governo della Casa Medic. T. IV. p. 262.) dieses Musiv- Gemälde geschenkt habe. Gori hat eine Abbildung des Gemäldes in Kupferstich mit einer kurzen Beschreibung desselben, und des grofsen Pränestinischen bekannt gemacht, in einem Werke, wo man die Beschreibung eines solchen Kunstwerks nicht suchen sollte: in der Sammlung alter Inschriften, die unter dem Titel: Inscriptiones antiquae in Etruriae urbibus exstantes in drei Theilen in den Jahren 1726, 1734 u. 1743 erschienen ist. In dem dritten Theile lautet die Unterschrift des Textes zur Tab. IH. folgendergestalt: Trempli Praene- stini in honorem Fortunae primigeniae Segmentum Lithostrati a L. Cornelio Sulla dedicati, lapillis varii coloris musivo opere afjabre picti. Diese Inschrift enthält einen zwiefachen Irrthum; einmal, die ungegrün- dete Behauptung, dafs das Mosaik zu Palestrina das nemliche sei, welches Sulla in dem Tempel der Fortuna geweiht habe; eine Behauptung, die sich nur auf eine sehr allgemeine Nachricht, die Plinius giebt, stützt, und die auch von Barthelemy, in seiner Abhandlung über jenes musivische Werk, mit guten Gründen widerlegt worden ist, und zweitens, die ganz falsche Angabe, als sei dieses Gemälde wirklich ein Theil (Segmentum) jenes grofsen zu Pa- lestrina. Gegen letztere Angabe hatte Gori selbst Zweifel; denn er erzählt, wie er Freunde zu Rom gebeten, in Palestrina nachsuchen zu lassen, ob sein Segmentum wirklich an dem dortigen Musaico fehle, indessen sei ihm, da der Druck des dritten Theils seines Werks sehr dringend betrieben werde, noch vor Vollendung desselben, keine Antwort zugekommen. über drei antike Musiv - Gemälde. 73 Dafs aber an dem grofsen Musivischen Fufsboden zu Palestrina kein Stück fehlt, und eine ganze ähnliche Szene, wie die von Gori bekannt ge- machte, darauf abgebildet ist, kann ich mit Bestimmtheit versichern, da ich grade jenes merkwürdigen alten Kunstwerks wegen, eine Reise nach Palestrina von Rom aus machte, mich mehrere Tage dort aufhielt, und das Musaico sehr genau untersucht, und mit der grofsen immer noch besten Abbildung von demselben, die der Cardinal Francesco Barberini der jüngere, im Jahr 1721 in Kupferstich hat bekannt machen lassen, (!) verglichen habe. Dafs das Musiv-Gemälde in der Königlichen Sammlung kein anderes sei, als das von Gori besessene und bekannt gemachte, beweiset einmal die gleiche Gröfse beider; denn Gori giebt die Höhe des seinigen zu 4 Römi- schen Palmi und die Breite ungefähr zu eben so vielen an, welche mit den oben angezeigten Maafsen des unsrigen völlig gleich sind, und dann die voll- kommenste Übereinstimmung beiden auch in den kleinsten Details, die sich bei genauer Vergleichung ergeben hat. Nur das Trinkhorn, welches die eine Figur in der Rechten emporhebt, erscheint in jener Abbildung mit einer, in die Form eines springenden Pferdes ausgehenden Mündung, (?) die auf dem Musaico der Königlichen Sammlung nicht bemerkt wird, Fe, wie man deutlich sieht, an dieser Stelle, wie an mehrern, das Gemälde beschädigt war, und restaurirt worden ist. Übrigens ist dieses Musiv-Gemälde nicht eine gleich grofse Kopie der ähnlichen Szene auf dem zu Palestrina, sor:dern in einem verkleinerten (') Diese grofse Abbildung besteht aus sechs Platten, welche zusammengefügt einen Raum von 3 Fufs 5 Zoll Rheinl. Höhe und 3 Fufs 4% Zoll Breite einnehmen ; der Zeich- ner und der Kupferstecher sind unterzeichnet: Joseph. Sincerus Praenest. delineavit. Jo. Hieronymus sculp. Romae super. permiss. anno 1721. (°) Diese Form des Trinkhorns ist auch auf dem obenerwähnten grofsen Kupferstich nicht dargestellt, aus Versehen des Zeichners; sje ist aber auf dem Original deutlich zu sehen, und in einer schr kleinen, niedlich gestochenen, übrigens aber unrichtigen Abbildung dieser Laube mit ihren Umgebungen, welche nach einer grofsen Zeichnung, die der Comendatore Cassiano del pozzo bald nach Ordnung der vielen Tafeln, wie das Mosaik in den Kellern des Bischöflichen Palasts zu Palestrina aufgeschichtet gelegen, gemacht wurde, auch zu bemerken; diese Abbildung befindet sich S. 311. der Schrift des Thomas Bartholinus de unicornu, Amstelod. 1678. 12°. Hist. philolog. Klasse 1825. K 74 Uupen über drei antike Musiv- Gemälde. Maasstabe jener nachgebildet. Mehrere Details, Köpfe u. s. w. die ich von jenem auf Oelpapier durchgezeichnet hatte, auf die ähnlichen unsers Mosaiks aufgelegt, übertreffen diese in der Grösse, und so sind auch die Steinchen, womit letzteres aufgeführt worden, kleiner als diejenigen, die zu jenem ver- wandt wurden. Daher sind aber auch die Details in dem unsrigen, beson- ders die Gesichter, Haare, Kränze mit mehr Eleganz und Deutlichkeit aus- geführt, als in jenem, wie es auch seyn mufste, wenn, wie man vermuthen darf, diese Kopie für einen kunstliebenden Römer verfertiget wurde, der diese liebliche Szene aus dem grofsen musivischen Werk, in ähnlicher Arbeit, zum Genufs, und zur Zierde seiner Wohnung besitzen wollte. na EEE Dr mn Über den historischen Charakter des Drama. Von H® SÜVERN. an ET N 7 7 7 U u 7 7 00 Erste Abhandlung. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. April 1825. ] k der Abhandlung über den Kunstcharakter des Taeitus, welche ich der Königlichen Akademie vorzutragen die Ehre gehabt, bemühte ich mich, das Wesen des dramatischen Charakters historiographischer Kunstwerke an dem ausgezeichneisten Muster dieser Art zu entwickeln, und äufserte in derselben die Behauptung, dafs andrerseits dem Drama ein historischer Charakter im höchsten Grade eigen sei, auf die alte griechische Tragödie und Komödie und zwei der gröfsten Dramatiker aus neuerer Zeit mich berufend. Indem ich mich jetzt, diese Behauptung näher, und mit besonderer Rücksicht auf die griechische Tragödie und auf Aristophanes, zu erweisen, anschicke, finde ich zwar Vieles, was ich hierüber zu sagen hatte, vorzüg- lich in Hinsicht der Tragödie, mir vorweggenommen von Solger in seiner Beurtheilung der Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur von A. W. Schlegel, (!) welche ich erst noch eine Zeitlang nach Abfassung der oben erwähnten Abhandlung kennen gelernt habe, mich jedoch hiedurch auf keinen Fall zurückgehalten, die Ansicht des Drama von meinem Standpunkte aus zu entwickeln, wobei sich doch auch vielleicht Berichtigung oder genauere Bestimmung einiger Aussprüche gedachter Beurtheilung, obwohl sie meines Erachtens das Tiefsinnigste enthält, was noch über die Tragödie geschrieben worden, ergeben dürfte. (') Wiener Jahrbücher der Litteratur, B. 7, S. öl. fg. 76 SUVERN Der erste oberflächliche Anblick erkennt den historischen Charakter des Drama in dem, was an diesem materiell ist. Gleich der Historie hat es Begebenheiten zum Gegenstande, stellt Charaktere dar, macht Verhältnisse anschaulich, entwickelt die Erfolge aus ihren Ursachen, ja häufig pflegt es seinen Stoff aus der wirklichen Geschichte zu entnehmen, und wo dies, wie in dem gröfsten Theile der attischen Tragödien, nicht geschieht, da ist es doch voll von Nebenrücksichten und Anspielungen selbst auf nahe liegende Staatsangelegenheiten, Personen und Ereignisse, und giebt sogar wohl ganzen Stücken eine solche in ihre Fabel verhüllte Beziehung. Allerdings kommt diese materielle Unterlage oder Beziehung des Drama bei dem, was ihm einen historischen Charakter verleiht, mit in Betrachtung. Dafs aber dieser nicht hierin als im Wesentlichen gegründet ist, wird schon durch die vorläufige Bemerkung einleuchtend, dafs derselbe durchaus nicht davon abhängt, noch im mindesten dadurch vermehrt oder vermindert wird, ob einem Drama ein aus der wirklichen Geschichte entlehnter, oder ein my- thischer, oder gar erdichteter Stoff zum Grunde liegt. Ohngeachtet man nehmlich die Tragödie, bei welcher jenes der Fall ist, von den beiden letz- teren unterschieden und sie historische Tragödie genannt hat, derselben auch theilweise grofse äufsere Wahrheit und Treue nachzurühmen ist, so läfst sich doch in Hinsicht auf die Freiheit der Dichter in Bildung des Stoffes nach ihren Ideen und Zwecken, die Fabel eines jeden, auch des sogenannten histo- rischen, Drama, ihrer alten Kunstbenennung uüSes gemäfs, als mythisch be- trachten, und dagegen kann das einen mythischen oder erdichteten Stoff behandelnde Drama diesen unter Gesichtspuncten auffassen und darstellen, deren Durchführung ihm eine wahrhaft historische Bedeutsamkeit giebt, und es mit einem Geiste erfüllt, ohne welchen auch das historische Drama nichts als ein todter unverstandener Buchstabe aus dem grofsen Buche der Ge- schichte ist. Es mufs sonach von einer tieferen Verwandtschaft des Drama mit der Historie, welche in seinem Wesen und seiner Auffassung der Geschichte ihren Grund hat, die Rede seyn, und es fragt sich, welche Auffassung der Geschichte es sei, wodurch das Drama einen der Historie verwandten Charakter zu gewinnen vermag. Eine kurze Betrachtung des Lebens und seiner Geschichte von ihrem allgemeinsten Gesichtspunkte wird sie erkennen lassen. über den historischen Charakter des Drama. 7 Das Leben an und für sich überhaupt besteht nehmlich in dem Wech- selwirken allgemeiner und besonderer Kräfte. Jene sind die schaffenden und erhaltenden, diese die aufnehmenden, verarbeitenden und das Allge- meine im Besondern gestaltenden, jene die nothwendigen und herrschenden, diese die blofs möglichen und untergeordneten, jene die festen und bleiben- den, diese die wandelbaren und vergängliehen: Beide sind einander nicht ursprünglich entgegengesetzt, vielmehr sind auch (die besondern Kräfte nur Ausflüsse oder Producte der allgemeinen, und so ist die Übereinstimmung beider als ursprünglich bezweckt und möglich gegeben. Allein so wie der Keim eines Besonderen aus dem Allgemeinen hervorgetreten und individuell geworden, beginnt auch eine eigenthümliche Wirksamkeit der in ihm con- eentrirten Kräfte, und es entsteht die Möglichkeit einer Harmonie oder Dis- harmonie desselben mit dem Allgemeinen, dessen Product es ursprünglich war. Diese hängt ab von der den Gesetzen des Letztern sich anschmiegenden oder von ihnen sich loszusagen bestrebten Richtung des individuellen Bil- dungstriebes, und von den, seine Gemeinschaft mit dem Allgemeinen und dessen Wirksamkeit in ihm erleichternden und: befreienden, oder erschwe- renden und henimenden, Bedingungen und Verhältnissen, unter welchen dieser sich entfaltet. Die Idee und demzufolge das höchste Ziel des Lebens kann aber nur seyn durchgängige Übereinstimmung des Besondern mit dem Allgemeinen, und in ihr des Letztern volle Wirksamkeit und klare Erscheinung in dem Erstern, des Erstern Gesundheit, fröhliches Gedeihn und Vollkommenheit; ihr Gegentheil Disharmonie beider, und in ihr des Letztern entweder Ver- schwinden und gänzliches Zurükziehn, oder gewaltsames Streben, sich gel- tend zu machen, des Erstern Krankhaftigkeit und Nichtigkeit, oder trotzen- des Entgegenstreben, und dann Zerrüttung und Selbstzerstörung. Zwischen beiden Zuständen bewegt sich dies Leben in wechselndem Annähern und Ent- fernen, Anziehn und Abstofsen beider Kräfte von einander und deren ver- schiedenen Resultaten in der Erscheinung. Wie sehr auch oft das Besondre das Allgemeine verschmähe, zurückstofse, sich dagegen empöre, nie ist doch ‚jenes ganz zu unterdrücken, sondern, wenn auch zurückgedrängt, blickt es doch immer aus der Tiefe hervor, tritt oft unerwartet ans Licht und offen- bart sich in seiner vollen Stärke. Und wie sehr auch das Allgemeine strebe, sich ganz in das Besondre einzusenken und sich in ihm darzustellen, nie ver- 78 SUüvernN mögen des Letztern endliche Schranken dessen unendliche Fülle ganz zu fas- sen, nie sich beständig und in gleicher Innigkeit mit ihr zu vermählen; aber der Grad und das Maafs, worin dies geschieht, bestimmt auch den Grad sei- ner Vollkommenheit und den Gehalt seines Lebens. Diese Regel herrscht durch die ganze Welt der Bewufstlosigkeit wie des Bewufstseyns. Je höherdie Selbständigkeit des Besondern, desto ent- scheidender ist dabei die Richtung des ihm inwohnenden eigenthümlichen Triebes. Und wo zu dem Triebe der Wille und das Bewufstseyn, mit ihm das Vermögen der Selbsbestimmung, oder die Freiheit, eintritt, das Beson- dere als Persönlichkeit von dem Allgemeinen ablösend, und diesem als dem Objectiven jene als das Subjective gegenüberstellend, da hängt von dem Auf- nehmen des Erstern in das Letztere, in Erkenntnifs, Willen und That, das ganze Geschick eines gelingenden oder mifslingenden Lebens ab. Hiemit ist die allgemeinste Form des menschlichen, als des auf dem Ver- mögen der Selbstbestimmung beruhenden, Lebens, und, da die Entwicke- lung der aus dem möglichen verschiedenen Verhältnisse des Besondern zu dem Allgemeinen, das sich in ihm darstellen will, entspringenden, Zustände und ihrer Resultate dessen Geschichte bildet, auch die allgemeinste Form seiner Geschichte ausgesagt. Der Keim der Menschheit, darum das Allgemeine und Nothwendige in ihr, ist ihr metaphysisches d. h. ihr geistiges und Sinnen - Wesen begründen- des, Prineip. Durch dieses steht sie mit der den Grund der gesammten Geistes- und Sinnenwelt in sich enthaltenden unendlichen und ewigen Macht, der Gottheit, in näherer innerer Gemeinschaft, wie mit den geistigen und physischen Kräften der Schöpfung in Berührung. Das Streben dieses ihres Grundprineips kann nur dahin gerichtet seyn, die Menschheit im Einzelnen und im Ganzen zu reiner und vollendeter Darstellung seiner selbst auszubil- den, und sie, in freiem und ungehemmtem Wirken dieses Triebes, in jedem Momente der Entwicklung ihrer Bestimmung entsprechend, und dadurch mit sich selbst sowohl als auch mit der höhern Macht, von welcher es her- stammt, und in dieser auch mit der Natur, in Einklang zu erhalten. Man kann daher innigste und durchgängige Harmonie mit sich selbst wie mit der Gottheit, und mit der Gottheit wie mit sich selbst, als die Idee bezeichnen, welche dem Leben der Menschheit zum Grunde liegt, gleichsam als das Grundmuster, welches sich durch ihre ganze Geschichte hinwebt, und, je über den historischen Charakter des Drama. 79 nachdem es von den Menschen erkannt und darin aufgenommen ist, bald heller daraus hervorleuchtet bald sich verdunkelt, in wie fern es aber durch die Menschen selbst verwirklicht werden soll, als ihre Aufgabe und ihrer Geschichte Ziel. Eine zwiefache Ansicht der Geschichte ist hiernach möglich, in wie fern nehmlich die in ihr geschehende Entwicklung und Darstellung der Idee mit einer gewissen natürlichen Nothwendigkeit fortgeht, und in wie fern sie ein Werk der Freiheit ist. Jede hat ihre Wahrheit; die volle Wahrheit des Le- bens selbst aber liegt in der Gemeinschaft beider. Das Vermögen der Selbstbestimmung und in ihm die Fähigkeit, sowohl klar zu erkennen und sich fest vor Augen zu erhalten das göttliche Prineip, welches durch die Menschheit sich im Leben darstellen will, als auch das klar Geschauete mit Kraft zu ergreifen und es zur möglichst vollkommenen Erscheinung in sich beharrlich herauszubilden, war die nothwendige Aus- stattung, ohne welche die Menschheit wohl ein Werk, nie ein Ebenbild der Gottheit, in der nicht blofs die höchste That sondern auch der höchste Wille, nicht blofs die höchste Nothwendigkeit, sondern auch die höchste Freiheit besteht, werden konnte, und Bewufstseyn und freier Wille waren die ihr unentbehrlichen Organe, das Allgemeine in sich mit dem Besondern zu ver- mitteln, ihre eigne Idee zu fassen und sich selbst zu deren vollem Ausdrucke zu gestalten. Damit ist nun zwar die Aufgäbe und Würde, Bildnerin ihrer selbst zu seyn, in die Menschheit, d.h. in das Wesen des Menschen überhaupt, ge- legt, aber auch die Möglichkeit einer mannigfaltigen Richtung ihres Strebens. Denn in ihrem Zeitleben tritt was in der Gottheit Eins ist, das Denken und Seyn, der Wille und die That, die Freiheit und die Nothwendigkeit, aus einander, und der Gegensatz wird durch die Macht des sich regenden Selbst- gefühls eher und leichter herbeigeführt als die Übereinstimmung. So ent- steht die Schwierigkeit, dafs sie des Göttlichen in sich inne werde, ihr aus ihm fliefsendes ursprüngliches Leben erkenne und das Bewufstseyn ihrer selbst ihr aufgehe, noch mehr, dafs sie ihrer erkannten Abkunft treu bleibe, an der ihr klar gewordenen Idee ihrer selbst festhalte, und ihr ganzes Leben davon durchdringen zu lassen mit stetem Sinnen und beharrlichem Willen geflissen sei. : Die freigegebne Menschheit war auch der Gefahr unzähliger Täuschungen und Verirrungen ihrer Freiheit ausgesetzt, und ein steigendes 80 SW vVEiRN und sinkendes Verdunkeln des Bewufstseyns ihrer selbst, ein schwankendes Treffen und Verfehlen des Rechten und ihr allein Heilsamen, ein unstätes Schweifen in regellosen Irrsalen bald näher bald ferner dem ewigen und fe- sten Mittelpuncte ihrer Bahn, mit allen den unseligen Folgen der Entzweiung mit ihm und dadurch in sich selbst, war von ihr nicht abzuwenden. In Auf- fassung dieses Gesichtspunctes allein kann die Geschichte als ein blofs Man- nigfaltiges, als ein wechselndes, lediglich auf subjeetiven Antrieben und Ab- sichten beruhendes und daraus erklärliches, Spiel der Freiheit erscheinen. Aber nicht der Freiheit allein ist das Leben überlassen, sondern es hat einen umwandelbaren Grund in dem ursprünglichen Prineip und Keime der menschlichen Natur, wodurch es wurzelt in dem von jenem Unabhängigen und absolut Nothwendigen, aus dem sie selbst erst entsprungen ist, das, von der Verwirrung ihrer bunten Spiele unberührt, sie alle überdauert. Ihr selbst giebt sich dieses kund in dem von jenem Keime ausgehenden sittlichen Triebe, dem realen unvertilgbaren Lebenstriebe der menschlichen Natur, welcher darauf gerichtet ist, sie mit sich selbst und mit der Gottheit in Übereinstim- mung zu erhalten und durch dessen Befriedigung sie deswegen wächst in Kraft und fröhlichem Gedeihn, dessen Dringendes und Forderndes aber seine Nicht- befriedigung und die dadurch entstandene innere Entzweiung dem Gefühle schon ankündigt, und der von ihm losgerissenen Freiheit als ein ihr aufge- stelltes fremdes, Unterwerfung heischendes, Gesetz drohend gegenübertritt, und offenbart sich ihr als Stimme der Wahrheit in dem Gewissen, oder dem Vermögen des unmittelbar Gewissen und Wahren. Mittelst dieser Organe die in Willkühr ausschlagende Freiheit innerlich warnend und mahnend und zur Besinnung rufend, bietet es durch dieselben, da sie niemals überall und ganz abgestumpft und erstorben sind, für sich zur That und zum Wider- stande gegen die Zügellosigkeit auf was noch seine Stimme hört und seinen Trieb fühlt, oder, wird es übertäubt und mufs überwältigt sich zurückziehn, so läfst es durch die Nichtigkeit und Verwirrung, durch das Aufreiben und Selbstzerstören, welches unausbleiblich eintreten mufs, je mehr Alles will- kürlichen Absichten und Triebfedern hingegeben und ganz in Subjectivität aufgegangen ist, die Freiheit das Eitle und Thörichte ihres Wahns, allein für sich etwas seyn und das Leben beherrschen zu können, empfinden. So durch innere Mahnungen und: äufsern :Widerstand, womit es zügelt und wehrt, zurückschlägt und straft, und in oft wundersamer Fügung erschütternd über den historischen Charakter des Drama. Si eingreift, und durch bittre Erfahrungen, die es bereitet, da der sittliche Friedens-Bruch auch durch tief und weithin wirkenden Friedens - Bruch mit der Natur sich rächt, sucht es, unabläfsig im Verborgenen wirksam, das Le- ben aus seinen Verirrungen immerfort wieder in sein vorgezeichnetes Gleise zurückzuziehn und zu seinem festen Ziele hinzustellen. Es ist also das Leben und die Geschichte zwar ein Werk der Freiheit, aber nie ihrer allein, nie ein formales Spiel derselben, da sie beständig auf den innern Gehalt des Lebens und dessen immer vollere Offenbarung hin- gezogen wird, und nur in dieser Richtung es stätig und gedeihlich bilden kann. Andrerseits ist das Leben zwar das Werk der Nothwendigkeit, aber doch nicht ihrer allein, da sie die Organe des Bewufstseyns und des Willens durchgehn mufs, damit sich mittelst dieser dasselbe in gleichmäfsigem Fort- schritt zu Realisirung der Idee seiner selbst erhalte und als ein würdiges Menschenleben gestalte. Die Freiheit bringt Wechsel und Widerspruch, das Nothwendige erhält Stätigkeit und Übereinstimmung in der Geschichte. Nur ihrem Verein entspriefst Friede und Heil und Schönheit, als Ausbil- dung des äufsern Lebens zum Abglanze des innern, als Darstellung der Idee der Menschheit in ihrem ganzen äufsern Daseyn. In Zwiespalt mit ein- ander wirken sie, die Freiheit in Empörung, die Nothwendigkeit dagegen jene bekämpfend und züchtigend, beide im Confliet mit einander das äufsere Le- ben zerstörend; und das ist das Gesetz der Geschichte, dafs, wo jene be- wufst oder unbewufst diese verfehlt oder sich von ihr verirrt hat, diese wie- der einzulenken strebt, wo jene aufser den Schranken schweift, diese immer wieder zur Bahn der Scheu und des Rechts zurückzieht, wo jene sich empört hat und Willkühr den Thron eingenommen zu haben scheint, diese nicht so- wohl ihre Herrschaft mit Gewalt behaupte, als nur ihre ewige Macht kund thue, das Verkehrte und seine Täuschung zerstöre und den leeren eigenwil- ligen Uebermuth stürze, unermüdlich versuchend, ob etwa das Besondre im Menschen das Allgemeine, die Subjectivität ihr einziges Object, die Freiheit das Eine was Noth ist, finde und erkenne, und in innigem Verein mit ihm erst wahres Leben gewinne. Das ist die ewige Weltordnung, bei den Alten der Ssruss zal vauss Adgaseias, die Meiga ererpoges und ’Avayan (necessitas), als ein blofs physisches Gesetz betrachtet, Verhängnifs und Schicksal. Es ist leicht zu begreifen, dafs jener Confliet erst in den stärksten Symptomen und den verderblichsten Wirkungen der Unnatürlichkeit, so wie Hist. philolog. Klasse. 1823. L 82 S:ü:V ERıN in den leuchtendsten Offenbarungen des ihnen unausgesetzt entgegenarbei- tenden und durch ihre noch so rohe Verwirrung immer wieder durchbrechen- den Grundtriebes, auch dem gewöhnlichen Blicke sichtbar und am allgemein- sten erkannt werde. Wenn man aber erwägt, wie tief und schnell die Re- gungen des Willens und der Phantasie den ganzen Menschen zu durchdringen vermögen, — wie starke Zerrüttungen die in ihrem Ursprunge feinsten Ver- fälschungen des Begehrungsvermögens nicht allein in den sittlichen Kräften, sondern auch in den intelleetuellen Fähigkeiten, ja auch in den körperlichen Organen und ihren Functionen anrichten, und die ganze Natur des Menschen zerstören können, andrerseits hergestellter innerer Friede oft die erste und wesentlichste Bedingung zu Heilung auch physischer Zerrüttungen ist, — wie ferner solches Verderbnifs durch ganze Generationen sich fortpflanzt und sie allmählig aufreibt, und von den Einzelnen aus die Collectiv-Individuen, als welche man die socialen Bildungen ' der Menschheit betrachten kann, er- greift, — und wie hier nun wieder aufs deutlichste sich zeigt, dafs das Un- natürliche entweder gleich in seinem ersten Entstehn auch das Unsittliche, Ruchlose und Ungerechte, und umgekehrt, ist, oder sehr bald sich damit ver- schwistert und auf gröbere oder feinere Weise darin übergeht, indem jede die Gesellschaft bewegende Leidenschaft und Unklarheit, jedes sie beherr- schende Vorurtheil, auch unmittel- oder mittelbar ihren physisch - nachthei- ligen Einflufs äufsern ; so wird man wohl nicht unbegreiflich finden, wie ein in den zartesten Anfängen und Elementen der menschlichen Natur begonne- ner Zwiespalt ihrem ganzen Wesen sich mittheilen und eine radicale Ent- zweiung in dasselbe bringen kann, worin ihre ursprüngliche Kraft gebrochen wird, die sie hemmt und hindert, im Einzelnen wie im Ganzen sich ihrer Bestimmung gemäfs zu entwickeln und vollständig auszubilden, die sich des- wegen ihre ganze Geschichte hindurch fortspinnt und wovon alle andern Spaltungen und Störungen des Lebens nur partielle gröbere oder feinere Ausbrüche und Zweigerscheinungen sind. Allein auch jenes allgemeine Gesetz der Geschichte, wonach die Idee dessen, das da seyn sollte, durch alle Widersprüche unabläfsig hindurch wirkt, ihr Princip, als das eigentlich lebendige, dieselben, wenn auch oft lange unmerkbar und verborgen, fortwährend zu heben und auszugleichen, bei dauerndem Widerstande immer stärker sie zu überwältigen und die Hin- dernisse seiner freien Ausbildung zu vernichten strebt, bis es entweder durch- über den historischen Charakter des Drama. 83 dringt, und Gleichgewicht und ruhige Fortbildung dann wiederkehrt, oder im Übermaafs der Gegensätze die gänzliche Auflösung erfolgt, drückt sich in den Einzelnen wie in den gesellschaftlichen Ganzen ab. Wie das Bestreben der physischen Lebenskraft, sich zu behaupten und ihr widerstrebende Störungen zu bekämpfen, grofse Krisen herbeiführt, die als Krankheiten erscheinen, und worin der Sieg der Einen oder der An- dern entscheidet, so auch in dem imnerlich entzweieten Individuum erstirbt nicht gleich der Trieb seiner edlern Natur, sondern wirkt unausgesetzt den verworrenen titanischen Trieben entgegen, bricht oft noch spät und in uner- warteten Momenten mit seiner ganzen Kraft hervor und sucht die empörten zu bewältigen, bis innere Aussöhnung eintritt, und mit ihr neues Leben er- steht, oder sein immer wiederholtes Verkennen oder Verschmähn die Gährung steigert und den Gegensatz vervielfältigt, welcher dann nur mit endlicher Aufreibung dessen, worin er seinen Sitz hat, sich selbst vernichten kann. In Hinsicht auf die gröfseren positiven gesellschaftlichen Vereine, oder die Staaten, liegt in dem Glauben des Alterthums, dafs, wie jeder Mensch, so auch jeder Staat, seinen Genius habe, eine tiefe Wahrheit. Jedes Staates Lebensprineip ist sein aus den geistigen und natürlichen Verhältnissen des Volks und Landes, die er umfafst, sich bildender Grundtrieb, oder, in ab- stracter Vorstellung, die Idee seiner selbst. Diese ist sein leitender Genius, der aus seinen glücklichen Zuständen heiter hervorblickt, in mifslichen Lagen unermüdet ihn zu schützen und zu retten sucht, und erst bei seiner entschie- denen Auflösung ihn verläfst. Denn in so fern ein Staat in seiner innern und äufsern Gestaltung dem, was er nach seinen Grundbedingungen seyn soll und werden kann, entspricht, macht sich sein Lebenstrieb in ihm geltend und die Idee seiner selbst bildet sich in ihm ab. In so fern kann er auch nicht anders denn gewinnen an Einheit, Kraft und Wohlstand, und immer vollständiger seiner Bestimmung entsprechen. Findet aber, sei es dafs das Bewufstseyn dieser Bestimmung ihm noch gar nicht aufgegangen, und so das Rechte unwissentlich verfehlt, oder dafs jenes momentan, mittel- oder unmit- telbar, verdunkelt, oder dafs es wissentlich unterdrückt sei, das Gegentheil Statt, und hat ein verkehrtes widersprechendes Princip Einflufs gewonnen, so mufs nothwendig ein Gegensatz zwischen dem ursprünglichen Grundprineip des Staats und dem aus ihm entspringenden Triebe, ihm gemäfs sich zu ge- stalten, und dem wirklichen Zustande eintreten. Dann kann jener Trieb L2 54 SÜUvVERN nur fortwirken, den Gegensatz immer höher zu treiben, und eine Gährung zu unterhalten, in welcher das Wahre und Rechte das Entgegengesetzte zu bezwingen, oder auszusondern und zu vernichten, Eins des Andern Herr zu werden strebt, bald auch das Eine bald das Andre emporkommt; ‘wenn aber nicht in Zeiten das Verkehrte und Willkührliche als solches sich aufgiebt und dem Wahren und Nothwendigen fügt, oder der Sieg des Letztern Einheit und Gleichgewicht der Kräfte herstellt, dann müssen wohl immer neue Verwick- lungen sich erzeugen, in denen das Rechte stets unklarer und strittiger wird und viel Edles zu Grunde geht, jeder Versuch, sie zu hemmen, nur ein neues Ferment hineinwirft, und so die Gährung sich fortzieht, bis alle in ihr be- griffenen geistigen und physischen Elemente, sich unter einander aufreibend, die Grundkraft des Ganzen genugsam und dergestalt zerstört haben, dafs die- ses, schon in sich selbst zerfallen, den äufsern Anstöfsen leicht erliegen kann, und seine Bestandtheile in neue Schöpfungen inzwischen anderwärts entbun- dener, gesunder und kräftiger Triebe, oft indefs nach langem und hartem To- deskampfe, und vielfach unglücklichen Versuchen, die rechten Mittelpuncte eines neuen Lebens zu gewinnen, übergehn. Die Freiheit der Individuen steht hiebei in einer zwiefachen Beziehung, die keineswegs immer übereinstimmend ist, und sie deswegen oft sehr ver- wickelten und ihr nach der einen oder der andern Seite gefährlichen Colli- sionen aussetzt. Denn indem sie durch das allgemeine Grundprineip der menschlichen Natur an ein unbedingt Nothwendiges geknüpft ist, das sie in ihr Bewufstseyn und Leben aufnehmen soll, und dessen Gesetz ihr, wie sie auch ihm zu entgehn suchen mögte, unentfliehbare Schranken entgegenstellt, findet sie sich durch die Gesellschaft in einem Verhältnifs, worin die Freiheit des Einzelnen von der, obwol mit ihr homogenen, Gesammtkraft eines ge- meinschaftlichen, oder der überlegenen Macht eines diese beherrschenden Willens, und von dem Einflusse der in dieser Sphäre sich erzeugenden Prin- cipe mit einer gewissen allgemeinen, ebenfalls Anschmiegung fordernden, allein doch immer nur relativen, Nothwendigkeit umzogen, und in Schranken gehalten ist. Sind nun diese Verhältnisse über der absoluten und unwan- delbaren Grundlage des Lebens erbauet und nach den eigenthümlichen Be- dingungen ihres Bestehens gebildet, und werden in diesem Geiste erhalten; so kann von ihnen nur eine Nothwendigkeit ausgehn, in welcher die höchste sich versinnbildet, innerhalb welcher die Menschheit in den mannigfaltigsten . über den historischen Charakter des Drama. 85 Gestaltungen sich entwickelt, die jedem in ihr befangenen Individuum die durchgängige Harmonie seines Lebens erleichtert, und wovon niemand ab- weichen, wogegen niemand sich auflehnen kann, ohne den Frieden mit allem dem zu brechen, worauf die Einheit und das Heil des ganzen Lebens beruht. Hat sich dagegen die Freiheit in dem Ganzen der Gesellschaft in einen, den allgemeinen Grundgesetzen des menschlichen Lebens und dem Wesen ihres besondern Bestehens widersprechenden, Zustand versetzt, so bildet dieser, so lange er Kraft hat, eine Nothwendigkeit, welche die in ihr verstrickten Individuen entweder in gleichen Widerspruch und gleiche Folgen desselben hineinzieht, oder gegen die ihn nicht Theilenden feindselig auftritt, und inner- halb welcher, da sie selbst auf einem radicalen Zwiespalt beruht, kein ge- deihliches Fortbilden aufkommen oder Bestand haben kann. Solche, die edelsten Naturen und für das menschliche Leben werthvollesten Kräfte auf- reibenden, Collisionen bringen Beispiele hervor, die aufs glänzendste be- währen sowohl von woher die wahre Kraft und Würde der Freiheit stammt, und woran sie sich deswegen, sollte auch das Entgegengesetzte seine Macht an ihr durch Aufhebung des äufsern Daseyns erschöpfen, zu halten hat, als auch wie sie, hierüber sich selbst täuschend und das Falsche ergreifend, den- noch der höhern Macht, mit der sie gebrochen, nicht entrinnt, und oftmals durch jenes selbst für ihre Untreue an dieser gestraft wird. Dieser Gang und diese Formen der Geschichte sind zwar am sichtbarsten in den Lebenswendungen hervorragender Individuen, in den Schicksalen ho- her Geschlechter, grofser Völker und Staaten, ja ganzer, mehrere von die- sen umfassender, Zeiträume, vornehmlich in den Übergangsperioden, wo die Entwicklung der Bildungsprincipien zu einem höhern Stadium fortschrei- tet, oder wo ihre Keime sich zersetzen und auflösen, und die durchbrechenden neuen noch nicht Bewufstseyn und Kraft genug gewonnen haben. Aber die Grundgesetze des Lebens sind dieselben für die kleinen und niedern, wie für die gröfsern und höhern Kreise und Verhältnisse. Jeder Mensch, nicht blofs der Heros, jedes Haus, jede Familie, nicht blofs der Staat oder die glänzen- den Geschlechte, sollen sich selbst verstehn zu oberst in den höchsten und allgemeinsten Gesetzen der Menschheit, dann in den besondern Bedingungen ihres eignen Wesens und ihrer Verhältnisse, und diesem Verständnifs gemäfs ihr inneres Leben entwickeln und ihr äufseres Daseyn gestalten. Der Erfolg ist auch hier um so ersprießslicher, je inniger der Einklang des Besondern 86 SUvVvERN mit dem Allgemeinen im Erkennen wie im Handeln ist. Mifsverstand oder Untreue erzeugt aber auch hier Zwiespalt, Widerstreit, Zerrüttung und Auf- lösung in denselben Complicationen, wie sie im Grofsen eintreten. Und so herrscht Ein Gesetz durch das ganze menschliche Leben, wonach von dem Verhältnifs des Besondern zum Allgemeinen, der Freiheit zu dem sie be- schränkenden Nothwendigen, welches Letztere in verschiedenen Graden der Abstufung ein mehr oder minder relatives, zuletzt ein sehr conventionelles seyn kann, dessen inneres oder äufseres Gelingen abhängt, und woraus alle seine Erscheinungen erklärbar sind. Was hieraus für die Behandlung der Geschichte folgt, kann hier unerör- tert bleiben. Aber das Drama beruht ganz auf dieser Auffassung derselben, ihres Ganges und ihrer Gesetze, und dies ist der eigentliche und tiefste Grund, weshalb ihm ein historischer Charakter beizulegen ist. Das Wesen des Drama im Allgemeinen besteht nehmlich in dem, wo- von es seinen Namen hat, in der Handlung, und diese in einem Conflicte mit einander entzweieter Kräfte, worin ein Besonderes mit allgemeinen oder speciellern Gesetzen, Schranken und Verhältnissen des Lebens, und nur in niedrigster Potenz das Persönliche mit dem rein Persönlichen, befangen ist, giebt also Bilder des Lebens und der Geschichte selbst. Dies ist die drama- tische Haupteigenschaft, in welcher die Tragödie und die Komödie sich be- gegnen und vermöge deren sie beide in das Verständnifs des menschlichen Lebens einführen und Aufschlufs geben können über seine Quellen, Trieb- federn, Störungen und deren Ausgleichung, in mannigfaltiger Beziehung. Der Unterschied beider in Hinsicht auf diese ihre wesentliche Eigenschaft liegt nur, um mich philosophischer Schulausdrücke zu bedienen, in der Qua- lität der einer jeden anheim fallenden Art von Handlungen, in der höhern oder niedern Beziehung zu den Lebensgesetzen, worin diese stehn, oder ihrer Relation, und in der Modalität ihrer Auffassung und Darstellung. Dies hier gleich näher aus einander zu setzen und zu beweisen, kann ich mich, da nicht eine Theorie beider Dichtungsarten bezweckt wird, entübrigt halten. Im Verfolg aber wird sich jedes an seiner schicklichen Stelle genugsam er- klären. Die Tragödie zuvörderst hat nur solche Handlungen, welche den Con- fliet eines Besondern mit den höchsten Gesetzen des Lebens selbst, oder posi- tiver gesellschaftlicher Ordnung, oder auch beider unter einander, enthalten, über den historischen Charakter des Drama. 87 und in denen es darauf ankommt, ob das Gesetz und die Ordnung, oder die damit entzweiete Persönlichkeit, bestehen soll, zum Gegenstande. Es ist hier zu bemerken, wie in den tragischen Handlungen ihre Qualität mit ihrer Relation aufs innigste zusammenhängt, indem nur in Fällen von so hoher Beziehung die kritische Frage von solcher Wichtigkeit, und das Ringen um ihre Lösung von solcher Bedeutung seyn kann. Indem aber die Tragödie Fälle der Art heraushebt, worin sich ein solcher Zwiespalt auf eine ausge- zeichnete Weise darstellt, versinnbildet sie jene Gesetze und ihre Wirksam- keit, und erlangt, wie die Geschichte in dergleichen Dissonanzen gerathend einen tragischen Charakter annimmt, so eine historische Bedeutung. Ob der Stoff einer tragischen Handlung aus der mythischen Zeit, oder aus dem Ge- biete der Geschichte entlehnt, oder ob er erdichtet sei, darauf kommt es hiebei eben so wenig an, als auf die äufsere Höhe oder Niedrigkeit, den Umfang oder die Beschränktheit des Kreises, worin diese sich bewegt, sondern allein auf die Beziehung ihres Conflictes auf die allgemeinen Grundgesetze des Le- bens überhaupt, oder der Gesellschaft, und die der Freiheit durch sie gezo- genen Schranken, und aufihre daraus entspringende symbolische Wahrheit. Dafs der Tragödie des Aischylos und Sophokles jene Beziehung wesent- lich eigen sei, bedarf nach dem, was seit einigen und zwanzig Jahren über die griechische Tragödie geschrieben ist, der Nachweisung nicht mehr. Es ist keine einzige Handlung derselben, welche nicht als eine Entzweiung des Beson- dern mit den höchsten und allgemeinsten Verhältnissen des Lebens, der Sub- jeetivität mit dem objectiven Weltgesetze selbst, aufgefafst und dargestellt wäre, und selbst Handlungen, die sich von einem niedrigern Standpuncte auch als Reibungen mit grofsen National- oder Staats- und andern gesellschaftlichen Verhältnissen hätten betrachten lassen, sind von ihr gleich in jene höchste Beziehung gestellt worden. Diese ist aber nicht etwa als Resultat philoso- phischer oder künstlerischer Reflexion zu betrachten, sondern als der reine Abdruck des herrschenden Volksglaubens, dem es in allen grofsen wie kleinen Lebensangelegenheiten zunächst und am meisten darauf ankam, immer den auf mancherlei Weise zu erforschenden und oft auch durch Sehersprüche an- gedeuteten Willen der Götter zu treffen, welcher daher jedes Mifslingen und Unglück einem aus wissentlicher oder unwissentlicher Verschuldung, aus Mifs- verständnifs oder bewufstemVerkennen, entsprungenen Abirren von dem Sinne der Himmlischen und Verfehlen der höchsten Bestimmung zuschrieb, seine 88 SUVERN Ursachen durch Orakel zu entdecken, sie durch Entsündigung zu heben und ihre Folgen durch Sühnungen zu tilgen bemüht war. Diese Lebensansicht spricht sich in der ganzen historischen Darstellung des Herodotos aus, welche auf dem tiefsten Gefühle der Schranken des Menschen gegen die Gottheit, dem Erkenntnisse der Kurzsichtigkeit und Nichtigkeit aller von deren Rathschlüs- sen abweichenden, oder ihnen zu entgehen suchenden, menschlichen Bestre- bungen, der Eitelkeit jedes sich ihnen gleichachtenden Uebermuths, und der Ohnmacht und Hinfälligkeit auch der höchsten menschlichen Gröfse und Macht den ewigen Göttern gegenüber, ganz und gar beruht. Nicht blofs die einzelnen Geschichten des Kroisos, des Adrastos, des Kyros, des Poly- krates, der Pheretime und Andrer, sondern die grofsen Katastrophen der Mermnaden in Lydien, deren Herrschaft zuerst die kleinasiatischen Hellenen unterjocht hatte, dann der über ihrem Sturz wieder emporgestiegenen Per- sischen Übermacht, welche den Hauptinhalt der Herodotischen Historie aus- machen, drehen sich gänzlich um diese Ansicht des Lebens und seiner Ge- schichte, die sich auch in vielen einzelnen, durch das ganze Werk ausge- streueten, Betrachtungen und Sentenzen, nicht anders als in der Tragödie, ausspricht. Diese Begegnung der Letztern mit dem Vater der Historie auf demselben höchsten Gesichtspuncte der Geschichte, ihre grofse Übereinstim- mung mit diesem in dem Thatsächlichen ungerechnet (!) verleiht dem histo- rischen Charakter der griechischen Tragödie eine, dafs ich so sage, äufsre Beglaubigung, welche nirgends so deutlich abgedruckt ist, als in Aischylos Persern, von denen Blomfields Ausspruch (?), sie sey'n gedichtet, blofs um der Ruhmliebe des atheniensischen Volkes zu schmeicheln und ihrem Ur- heber den Sieg zu gewinnen, ohne die Absicht, die Niederlage der Perser als Strafe der Götter für des Xerxes Vermessenheit und Vertrauen auf äufsere Macht darzustellen, in ersterer Hinsicht zwar nicht unwahr, aber in letzterer höchst einseitig ist, indem dies Zerschellen einer so ungeheuren Macht an dem Widerstande eines so kleinen Volkes von Aischylos ganz auf gleiche Weise, wie von Herodotos (°), nicht durch dieses Volkes innere Stärke (‘) Vergl. hierüber die Bemerkung zu v. 691, in der Ausgabe der Perser von Lange und Pinzger. (°) Pracfat. ad edit. Perfarum. p.X. C) u.a. VII, 10. 46. 47. VIII, 109. vergl. u. a. mit 4eschyl. Pers. 91 fg. 470. 720 fg. 742 fg. 791. 805. 815-821. über den historischen Charakter des Drama. 89 und Heroismus allein, sondern weit mehr durch die, übergrofser mensch- licher Herrlichkeit feindselige, und den ungebührlichen Trotz darauf bre- chende, höhere Kraft der Götter aufs Bestimmteste erklärt wird. Dafs des Phrynichos Phoinissen oder Perser, welche bekanntlich gleichen Inhalt mit Aischylos Persern hatten, und des Epicharmos Perser, so wie des Erstern Einnahme von Miletos, in dem nehmlichen Geiste gedichtet waren, kann zwar nicht mit Gewifsheit behauptet werden, ist aber nach der herrschenden Ansicht des Zeitalters wahrscheinlich. Erschienen gleichzeitige Begebenheiten dem Historiker und Tragiker schon in diesem Lichte, um wie viel leichter solche, deren Zeitalter in das fabelhafte Dunkel einer untergegangenen Ordnung der Dinge hinabgesunken waren, und um wie viel mehr, je tiefer sie im Hintergrunde derselben stan- den! An diesen Begebenheiten verschwanden mehr die besondern äufsern Verhältnisse und die persönlichen Motive, und traten hinter den Gang der Geschichte im Grofsen zurück, und die Anschauung derselben, geleitet durch die ihnen schon yon den epischen Sängern gegebne Darstellung, wurde un- mittelbar zu dem innern Zusammenhange, zu den in Entzweiung begriffenen Kräften und der allgemeinen Bedeutung ihres Conflietes, getrieben. Dies mochte auch ein Hauptgrund seyn, weshalb die griechische Tragödie, ohne seiner sich deutlich bewufst zu werden, ihren Stoff dem bei weitem gröfsten Theile nach aus jenen Zeitaltern schöpfte, indem sie ohnehin zugleich vielfach von ihr benutzte Gelegenheit zu Anspielungen und zu Beziehungen auch auf näher liegende Personen, Begebenheiten und Verhältnisse darin fand. So wurden daher nicht solche Handlungen allein, in denen das Verhältnifs der subjectiven Freiheit zur objectiven weltlenkenden Kraft vor dem des Einzel- nen zu andern Einzelnen gleich entschieden hervortrat, wie die in dem Lab- dakidischen, Herakleischen, Pelopidischen Kreise enthaltenen, in jener hö- hern Beziehung aufgefafst; sondern auch Begebenheiten von solcher Beschaf- fenheit, dafs in ihnen, schon nach ihren äufsern Verhältnissen behandelt, eine grofse historische und tragische Bedeutung entwickelt werden konnte, und die auch in einem anders gestimmten Zeitalter und von einem nur für diese Verhältnisse und ihre socialen oder psychologischen Motive offnen Sinne nicht anders würden behandelt seyn, wurden von dem tiefern Weltverstande des Aischylos und Sophokles als Handlungen, welche nicht blofs zwischen Menschen und Menschen, sondern zwischen der wie hoch auch gesteigerten, Hist. philolog. Klasse 1823. M 90 Süverrn doch immer beschränkten, abhängigen und wandelbaren, menschlichen Natur und der nach ewigem Gesetz ihre Geschicke regelnden Macht standen, er- griffen und dargestellt. Die Sieben gegen Thebe fassen den Streit des Eteo- kles und Polyneikes nicht als den Kampf zweier Brüder, deren ältester aus Herrschsucht den jüngern verdrängt hat, der jüngere seine Vaterstadt, um die Herrschaft darüber wieder zu gewinnen, bekriegt, sondern beide Brüder in ihrer gemeinsamen Empörung gegen die ewige Ordnung und in ihres un- natürlichen Bruderzwistes Raserei, und deren Ausgang als die Erfüllung des von ihrem Vater über sie ausgesprochnen Fluches, der selbst aus der Unna- türlichkeit ihrer Erzeugung entsprungen und noch nicht der letzte Ausbruch der tiefen, von Laios unnatürlicher Geschlechtslust ausgegangnen, Entzweiung ihres Geschlechts mit den Göttern war. In dem geisseltragenden Aias ist es nicht das von den Atreiden und Odysseus erlittene Unrecht allein, was den rauhen Sinn des Helden drückt, dessen Gefühl ihn in Wahnsinn stürzt und dann aus Schaam darüber zum Tode drängt, (Vs. 183. 970.), sondern der Götter Macht wirkt gegen ihn, gereizt durch seinen Trotz auf eigne Kraft, worin er, zum Kriege ziehend, mit übermüthiger Rede sich erhoben, (Vs. 127. 756 fg.) und weiterhin in den Schlachten der Athene Rath verschmäht hatte (Vs. 770.), und er erscheint nun an dem verhängnifsvollen Tage (Vs. 778. 802.) dem eignen bethörten Sinne hingegeben, und in ihm fallend, als ein warnendes Sinnbild nicht allein der Schwäche des rauhen stürmischen Mu- thes ohne besonnene Klugheit, sondern der Ohnmacht des der Götter Bei- stand verschmähenden und deshalb von ihnen verlassenen menschlichen Dün- kels und Selbstvertrauens. Dafs in der Antigone der Streit der Bruderliebe gegen den Willen und die Würde des Herrschers in höchster Beziehung als Entzweiung der Religion mit dem Rechte und in den beiden Hauptpersonen der Handlung die Freiheit im Gegensatz mit dem Nothwendigen, in der ei- nen mit dem absoluten Allgemeinen, in der andern mit dem relativen socia- len, aufgefafst ist, habe ich bei andrer Gelegenheit (!) ausführlich entwickelt. Auch wie im Philoktetes das Schicksal dieses Heros als mit der höhern Fü- gung der Götter, welche ihn zehn Jahre lang in schmerzhaften Leiden auf Lemnos hielt, damit zu bestimmter Zeit Ilion zum zweiten Male dem Ge- (') In der akademischen Abhandlung über einige historische und politische Anspie- lungen in der griechischen Tragödie. über den historischen Charakter des Drama. 91 schosse des Herakles erläge, verflochten, und durchaus nicht von dem Übel- oder Wohlwollen der Griechen, die ihn erst ausgesetzt hatten, dann zu- rückholen wollten, bestimmt, dargestellt sei, ist bereits anderwärts (1) ge- zeigt worden. In höchster Potenz aber ist das Verhältnifs der Freiheit zur Nothwen- digkeit gefafst in dem, ganz aus mythischem Stoffe gedichteten, gefesselten Prometheus, dessen Handlung zwischen Göttern und göttlichen Wesen selbst vor sich geht, während die alten Moiren und das in ihren Händen ruhende Grundgesetz des Weltlaufs noch über dem Zeus und Prometheus stehn, (Vs. 511-528.), jener der herrschende und allgewaltige, dieser der mit Rath und Kenntnifs der Zukunft begabte Gott, sich nur als Einzelne wieder zu jener höhern Macht verhalten. Prometheus kann, bis die von dieser Macht bestimmte Zeit gekommen, des Leidens nicht erlöset werden (Vs. 101 fg. 5141-513. 755-774.),. welches Zeus ihm auferlegt, weil er das Feuer des innern und äufsern Lebens, das Licht des Geistes, der Kunst und Wis- senschaft, die ein eigenthümliches Gut, ein yegas und eine rium der Götter bleiben sollten, den Menschen angezündet, so ihr Daseyn der starren Dumpf- heit entrissen und durch viele heilsame Erfindungen erleichtert hatte. Allein Zeus vermag dies wieder aufzuheben eben so wenig, als das Geschick der Moiren, welches auch ihm Ende seiner Herrschaft, wenn er ein ihm ver- hängnifsvolles Ehebündnifs schlösse, durch seinen eignen, daraus entsprunge- nen Sohn, bestimmte (Vs. 907 fg.), zu brechen, oder nur diese Bestimmung zu erforschen, wenn Prometheus ihr Räthsel ihm nicht löset (Vs. 947 fg.). Und dieser, der Vollendung der Geschicke sicher, verschliefst ihren Sinn in seine Brust, durch die freie Kraft seines Geistes und das Gefühl seiner Unsterblichkeit (Vs. 933. 1053.) sich über die neuen und schreckenvollen Plagen, die Zeus auf ihn hereinbrechen läfst, erhebend. Hier erscheint die Freiheit selbst göttlicher Wesen, und sogar des Herrschers der Götter, be- schränkt durch eine höhere allgemeine Nothwendigkeit, vor der alles Beson- dere wandelbar hinfliefst, während sie selbst in ewiger Ruhe über dem Er- stehn und Sinken wie alles Einzelnen, so auch der Götter, waltet; und diese höchste Beziehung der Freiheit und Nothwendigkeit zu einander, nebst der, (‘) Im der Schrift über Schillers Wallenstein in Beziehung auf die griechische Trag- ödie, S. 323 fg. M2 92 SUVERN den unabänderlichen Bildungsgang des Menschengeschlechts andeutenden, Veranlassung der ganzen Handlung, giebt dem gefesselten Prometheus den tiefen Sinn, wodurch er, mit dem sich an ihn schliefsenden gelöseten Pro- metheus zusammen, der Prototypus der Tragödie wird. Damit verträgt es sich nun sehr wohl, und ist der auch in den Eumeniden dargelegten politi- schen Ansicht des Aischylos ganz angemessen, dafs derselbe, wie schon von Andern bemerkt worden, im Prometheus auf die damaligen inneren Verhält- nisse seiner Vaterstadt, die beginnende Ueberwältigung des Alten in Religion, Weisheit, Sitte und Verfassung durch eine neuartige Bildung, insonderheit auf die Verdrängung der alten Aristokratie durch die neu emporgekomme- nen willkührlich schaltenden demagogischen Gewalthaber, hingewiesen habe. Auch ist es nicht unmöglich, dafs er zugleich eine ähnliche Allegorie, wie Sophokles im Aias, wie sehr auch die höchste Macht der rgeunSe«, der Weisheit und Bedachtsamkeit des Endes, bedürfe ('), und ohne diese selbst nicht fest und sicher sei, habe aufstellen wollen, da die alte Tragödie viel- fache politische, allegorische und symbolische Beziehungen in sich vereinigt. Auf die Beziehung des dem Wechsel und der Vergänglichkeit unter- worfnen menschlichen Lebens zu seiner unveränderlichen Regel ist überhaupt die Tragödie des Aischylos und Sophokles ganz und gar gegründet. Er- schütternde Momente, worin sich des erstern Hülflosigkeit, Verlassenheit, Nichtigkeit in seiner Trennung von dieser recht lebendig versinnlicht, aus ihm herausgreifend, stellt sie den Kern der universalhistorischen Ansicht des Lebens dar. Es scheint daher, dafs diese Auffassung das wesentlichste und charakteristische Merkmal sei, das solche Darstellungen in den Augen der Griechen zu Tragödien gestempelt habe. Sollte dies in der Erhebung der Freiheit über ein unabwendbares Schicksal liegen, so müfste eine solche Er- hebung in den Helden mehrerer der ausgezeichnetsten Tragödien sichtbar seyn. Allein Xerxes in den Persern, Agamemnon in der gleichnamigen Trag- ödie, Oidipus im König Oidipus, Kreon in der Antigone erscheinen ledig- lich als warnende Beispiele der über alle menschliche Gröfse erhabnen, ihre Vergehen strafenden, ihren Übermuth beugenden und ihre eigne Wahrhaf- (‘) Nach dem Spruche in den Supplicibus Vs. 702. Tyv wrermw zgaruver moonaSeus Euzowouyris agy,e. Schon Platon (Epist. II. Opp. Vol. XI. p. 65. ed. Bip.) sah in der mythischen Zusammenstellung des Prometheus mit dem Zeus das Verhältnifs der övvauıs und $govysıs zu einander. über den historischen Charakter des Drama. 93 tigkeit und Herrschaft behauptenden göttlichen Kraft. Orestes in den Cho- ephoren, Eumeniden und der Elektra ist nur das Werkzeug wie der Gegen- stand der vergeltenden wie der begnadigenden Macht der Götter, und nur zu Beurkundung der ewigen Strafgerechtigkeit fällt Klytaimnestra. In Aischy- los Schutzflehenden sind die Danaiden an und für sich hülflos, schwach und verzagend, stark aber durch die Götter, die ihrem Geschicke im Augenblick der Gefahr eine bessre Wendung geben, und dadurch, dafs sie ihrer gegen die sie verfolgenden Aigyptiaden sich annehmen, ihren den Frommen gnädigen, dem frevelnden Trotze feindlichen Sinn an den Tag legen. Den Philoktetes macht zu einer Tragödie nicht so wohl dieses Helden Fassung im Leiden, die doch, wenn sie das Wesentlichste seyn soll, auch erhabener seyn könnte, als die dies Leiden verhängende und zu rechter Zeit, was Menschen durch ihre Überredung nicht vermögen, auch wieder lösende und sich durch des Helden Elend wie durch seinen nachherigen Glanz verherrlichende Macht der Götter (!). In der neuern Tragödie ist dagegen in Hinsicht der Kräfte, zwischen denen der Widerstreit schwebt, ein Unterschied zu bemerken, indem sie denselben grofsentheils zwar in Beziehung zu der kosmischen Nothwendig- keit stellt, in welche die griechische Tragödie in letzter Instanz ihn jedesmal setzt, ein weit grölserer Theil ihrer trefflichsten Werke dagegen ihn in dem untergeordneten Verhältnifs der Freiheit zu einer besondern socialen Noth- wendigkeit hält, welche entweder aus den übermächtigen Übeln und der un- widerstehlichen Zerrüttung bestimmter Staaten und Zeitläufe, in denen grofse und für das Befsre strebende, oder schuldlose, durch Unvorsichtigkeit in die Verwicklung gezogne, Individuen zu Grunde gehn, oder aus der Majestät und Kraft bestehender gesellschaftlicher Autorität gegen ein wider sie em- pörtes und sie gefährdendes eigensüchtiges Streben, hervorgeht. Vieler Bei- spiele bedarf es nicht, und ich erinnere in Hinsicht auf Tragödien der erstern Art nur an Macbeth, der fast die Geschichte des Sündenfalls, nur in andrer Form, wiederholt, — an Hamlet, wo das dänische Königshaus durch die Unthat des Oheims und die Schwäche der Mutter in eine ungeheure Ent- zweiung mit den Gesetzen und Kräften der geistigen Welt verfallen ist, wel- che, da der Sohn nicht, wie der durch Religion entschiedene und durch (') S. besonders Philoktet. 1451-1453 ed. Hermann. 94 SUVERN Religion auch wieder entsündigte Orestes, der auch schon mit Hamlet ver- glichen worden (1), die Kraft hat zu ihrer ihm auferlegten Lösung, sondern sie durch Zweifel und Sophismen sich selbst zerstört, der vorgreifende Drang der Umstände lösen mufs durch den Untergang des Hauses, dem in Sünde und Schwäche der Geist des Lebens entwichen ist, — an den König Lear, worin die Strafgerechtigkeit des Himmels den unnatürlichsten Frevel sich selbst das Gericht bereiten läfst, — an den standhaften Prinzen, in welchem das reine, auf vorbehaltlosem Aufgehn in seinem höchsten Herrn und Mei- ster beruhende, und deswegen nur durch Leiden starke, christliche Prineip mit dem egoistisch gewaltigen des Muhamedanismus in Conflict gerathen, auf seinem eigenthümlichen Wege durch bis zum Äufsersten gesteigertes Leiden kämpft, aber im schmachvollen Vergehn des äufsern Lebens triumphirt und das Entgegengesetzte besiegt, — an das Leben ein Traum, welches den Satz, dafs nicht der Mensch Herr seines Geschickes sei, vielmehr durch alles, was er zu dessen Abwendung unternimmt, es nur fördert und beschleunigt, durch einen fast in grieschischem Geiste gefafsten Kampf mit dem Schicksale und auf eine die Aufgabe als theoretische Unterlage des Stücks nur zu deutlich verrathende Weise (ihr zu Gefallen mufs selbst der armselige Lerinio gerade durch das Versteck, wodurch er sein Leben retten will, es verlieren) durch- führt, — an den wunderthätigen Magus, den nur einfachern und in der Auf- lösung entschiedenern Vorläufer des Faust, da ein mit Fülle des Wissens ge- sättigter Geist eines heidnischen Weisen nach der letzten höchsten Erkennt- nifs, der des wahren Gottes, strebend, aber in der tiefsten Verirrung von diesem, worin der böse Dämon, um ihn davon zu entfernen, ihn verstrickt hat, diesen Gott findet, und ihm sich ergebend, ‘in dem Märtyrertode nicht nur seine Verirrung büfst, sondern auch die Liebe, die ihn verleiten sollte, heiligt und verklärt, und über jenen Dämon triumphirt, — an den Faust, in dem eine reich ausgestattete Natur durch unersättlichen Drang des Wissens (') S. Some account of the life ete. of William Shakespeare vor Ayscough’s Aus- gabe des Dichters. Unter manchen aus einer falschen Ansicht der griechischen Tragödie hervorgegangenen Bemerkungen daselbst ist doch die richtig, dafs Hamlet den Tod des Vaters durch den der Mutter, wie Orestes, zu rächen von dem Geiste seines Vaters selbst durch das Verbot verhindert wird: But howsoever thou pursuest this act etc. dabei aber übersehn, dafs die Königin auch bei weitem nicht in gleicher Schuld ist wie Klytaimnestra. über den historischen Charakter des Drama. 95 sich über die Grenzen der Menschheit hinaus reifsen läfst und sich dadurch dem Einflufs der finstern Mächte öffnet, die jenen Drang in eben so unersätt- lichen Durst nach Genufs ableiten, worin sie, anstatt die Tiefen der Schöpfung zu ergründen, Andern verderblich wird, sich selbst aber an jene Mächte völlig zu verlieren und in den Abgrund zu versinken Gefahr läuft. Dagegen ist Shakespeares Coriolanus, weil er seine Vaterstadt von der Pöbelgewalt retten wollte, mit jener selbst entzweit und bekriegt sie, bis ihn, schon sie zu ero- bern im Begriff, die über Patrieier- und Plebejerherrschaft erhabne Idee des Vaterlandes durch den Mund seiner Mutter besiegt, und er, selbst dem Ver- derben sich weihend, jenem den Frieden wiedergiebt, — im Iulius Caesar geht Brutus unter im letzten Kampf des alten Römerthums gegen dessen schon reif gewordne Entartung, welche ferner im Antonius und der Kleopatra nun so entschieden sich zeigt, dafs hier nicht mehr der Streit schweben kann zwischen der alten Grundidee des römischen Staats und der Unterdrückung, sondern nur zwischen dem zwar edelmüthigen, aber schwachen und üppigen, und zwischen dem selbstsüchtigen kalten und consequenten Unterdrücker, in welchem der erstere dem letztern und diesem der Staat nothwendig erliegen mufs, — Englands Zerrüttung durch die Gräuel auf dem Throne und in den Kämpfen um ihn, und durch die Anarchie des Feudalwesens, ist der Inhalt der ganzen Reihenfolge Shakespearescher Tragödien aus der Englischen Ge- schichte von Richard I. bis zu Heinrich VO., — in Romeo und Iulie, im Götz von Berlichingen, im Egmont und in der natürlichen Tochter, im Don Carlos und Manzoni’s, von Göthe mit Recht gerühmten, Grafen von Car- magnola erliegen edle Naturen im Kampf oder als Opfer übermächtiger ge- sellschaftlicher Mifsverhältnisse und Zerrüttungen ihrer Zeit und ihres Lan- des, und Wallenstein fällt zur Bufse eines selbst wider die ursprüngliche Ab- sicht zur Empörung angewachsenen Zwistes mit der Staatsgewalt, der er un- terworfen ist. Mehrere Tragödien der letztern Art lassen zwar auch die höhere gött- liche Fügung durchblicken, sie beruhen aber nicht auf ihr als auf ihrem eigentlichen Grunde, sondern auf der Causalität socialer Verhältnisse, welche daher auch in ihnen hervortritt. Man kann die Tragödien dieser Kategorie auch wohl historische nennen, um ihren Unterschied von Tragödien der er- stern Art kurz zu bezeichnen, wenn gleich in ihnen bei vieler factischen Uebereinstimmung mit der Geschichte auch viele Fiction ist, ja ihre ganze 96 SUVERN Fabel Fietion seyn kann. Allein deshalb haben sie an historischer Bedeu- tung und Wahrheit keinen Vorzug vor den erstern. Der beiden gemeinsame historische Charakter entspringt vielmehr daraus, dafs sie die Collisionen, worin das Besondre mit dem Allgemeinen, die Freiheit mit einer entweder in dem metaphysischen Gesetze der Weltordnung selbst, oder in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen, liegenden Nothwendigkeit, gerathen kann, in ihren Quellen, ihrem Fortgange, ihren höchsten Verwicklungen und ihrer Lösung, durch grofse Beispiele der stärksten Dissonanzen darstellen. Je we- niger Willkühr, je tiefere Kenntnifs des Lebens, je feinere und erschöpfen- dere Beobachtung der Natur und des Ganges solcher grofsen kritischen Pro- cesse desselben sich in ihnen ausdrückt, desto überzeugender beurkunden sie sich als aus dem Leben selbst gegriffen, desto höher ist ihre historische Wahrheit. Es läfst sich daher auch nicht sagen, dafs die eine Art der Tragödie mehr als die andre die Einsicht in die Geschichte öffne. Beide thun es in gleichem Maafse, nur die erstere indem sie in die inneren Tiefen der Mensch- heit und die Bewegungen, welche da vorgehn können in Beziehung auf die unsichtbaren Fäden, mit denen sie an die geistige Welt gebunden ist, die andre indem sie in die Verkettung der gesellschaftlichen Verhältnisse und das Gewebe der in ihr sich durchkreuzenden Ursachen und Wirkungen, Absich- ten und Erfolge einführt, dabei aber, durch die vielen hierin herrschenden Widersprüche, Täuschungen und unerwarteten Fügungen auf die in dem Walten einer höhern Macht liegende letzte Erklärung der menschlichen Dinge hinzuweisen oft genöthigt ist. So stellen sie beide die Typen und allgemeinen Formeln der Geschichte auf, wozu die Muster - Bilder und Exempel das grofse Drama des Lebens selbst liefert. Wer dieses mit dem Sinne der Tragödie fafst, der erkennt jene Typen und Formeln leicht in der Vergangenheit wie in der Gegenwart und bringt den Schlüssel zu ihnen mit; und wer mit historischem Auge die Tragödie betrachtet, der wird aus ihren Werken zwar nicht sich an Kenntnifs von Thatsachen zu bereichern gedenken, aber in ihnen auch nicht Spiele einer willkührlichen Phantasie, sondern aus einem tiefen Verständnisse des Lebens und der vielen möglichen krankhaften Zustände seines Organismus, welche die Historie in ihrem Entstehn, in ihren Fortschritten und Krisen zu entwickeln hat, entsprungene, und von dem Geiste und der Kraft des Lebens selbst erfüllte, Erzeugnisse desselben erblicken. über den historischen Charakter des Drama. 97 Es beantwortet sich nun auch von selbst die Frage über das Schick- sal in der Tragödie. Von dessen Beachtung in der alten Tragödie, welche Aristoteles freilich nicht aufnehmen, sondern erst der Gegensatz der christ- lichen Religionsvorstellungen hervorrufen konnte, ging unter uns zuerst eine richtige Auffassung ihres Wesens aus. Indefs blieb diese dabei stehn, hierin das bedeutendste Unterscheidungsmerkmal der alten gegen die neuere Trag- ödie zu setzen und einige Vortheile der erstern für die Bildung ihrer Helden und für die Handlung selbst daraus abzuleiten. Schillers Wallenstein war die erste Frucht dieser Ansicht. Ein Fortschritt war es, dafs man auch die dem Schicksale gegenüberstehende Freiheit ins Auge fafste und einsah, dafs das Tragische in dem Verhältnifs beider zu einander liege, seine Vollendung aber in die Erhebung der Freiheit über das Schicksal und in deren Ver- herrlichung setzte. Auf dieser Ansicht beruht noch ganz Schlegel in den bekannten Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Solger(') nun, das Wesen der Tragödie in ‚‚die Darstellung des Widerstreits zwischen dem Unvollkommnen im Menschen und seiner höhern Bestimmung, ihren Zweck in die Erzeugung der Einsicht in die Nichtigkeit dieses Widerstreits und die Hervorrufung der Stimmung, worin alle die in jenem begriffenen Widersprüche sich vernichten”’, setzend, und in dem Schicksale ‚die gött- liche und ewige Macht, vor welcher das Irdische nur deswegen zergeht, weil sie sich darin gegenwärtig offenbart, und durch welche die Wirklichkeit als Universum, und so auch der Mensch als Menschheit, oder Begriff einer menschlichen Gattung, nach ewigen Gesetzen besteht,'’’ erkennend, zeigt zwar das Unzulängliche der gedachten Ansicht, indem er aber jenen Wider- streit nicht näher analysirt, läfst er auch das Verhältnifs der Freiheit in dem- selben unbestimmt. Offenbar kann, wenn die Tragödie ein zusammengedrängtes Bild der die Grundtöne des Lebens und der Geschichte ergreifenden und verwirrenden Dissonanzen ist, nicht mehr und nicht weniger sowohl Schicksal als Freiheit, als in dem Leben und der Geschichte selbst, seyn. Ist die Freiheit das den Wechsel und Wandel in der sittlichen Ordnung der Dinge bewegende Princip, und kann unter dem Schicksale nichts anders, als das Uebereinstimmung des Besondern, als des Wandelbaren, mit dem Allgemeinen, als dem Festen und CO) Ara: 0,8, 91,123 und. 97. Hıst. philolog. Klasse 1825. N 98 SUVvERN Bleibenden, des Subjectiven mit dem Objectiven, der Freiheit mit dem Noth- wendigen, heischende, wo jene gestört ist durch seine lebendige Wirksam- keit den Zwiespalt bis zu seiner Auflösung durchführende, und bei allem Widerstreit die Einheit des Lebens erhaltende Grundgesetz für den Gang desselben, verstanden werden, welches, die ganze Geschichte durchherr- schende, Gesetz die griechische Weltansicht mehr in den das Schicksal be- stimmenden, verwaltenden und vollstreckenden Gottheiten objectivirt, die christliche an eine allwaltende Vorsehung anknüpft, so ist klar, dafs Frei- heit und Schicksal als Entgegengesetzte nur dann hervortreten können, wenn jene Übereinstimmung gestört, der Einklang der Freiheit mit dem Nothwen- digen gebrochen ist. Dann richtet sich die Wirksamkeit jenes auf Herstel- lung der Harmonie oder Wegräumung ihres Hindernisses unablässig hinstre- benden Gesetzes ihr entgegen; sie fängt an, sobald sie dieses Gegensatzes inne wird, sich als beschränkt und gebunden und ihr Wollen und Streben von einem auf ihr drückenden höhern durchkreuzt zu fühlen. Zwar kann sie lange in Entzweiung begriffen seyn, ohne derselben bewufst zu werden; sie kann, ihrer inne geworden, sich lange in täuschenden Wahn verstricken, je- nem Gesetze entnommen zu seyn, es bekämpfen oder abwenden zu können; aber ihm zu entgehn, sich darüber zu erheben, vermag sie nicht, sondern, von seiner Gewalt ergriffen, sich nur mit mehr oder weniger Stärke ihr zu unterwerfen. Es ist nicht minder Schwäche, wenn dies mit Trotz, als wenn es mit Kleinmuth geschieht, in diesem Falle Schwäche selbst gegen das äufsere Geschick, in jenem Fortdauer ihrer eignen innern Schwäche gegen sich selbst, die aus Zwietracht mit dem Nothwendigen entsprang, und wenn sie auch dessen Überlegenheit anerkennen mufs, doch nicht ihrer selbst Herr zu wer- den und in hergestellter Einigkeit mit ihm das nicht mehr abzuwendende Ge- schick zu übernehmen vermag. Wahre Stärke besitzt sie nur in dieser Einig- keit und kann sie behaupten auch wenn sie im Kampfe gegen eine äufsere bedingte Nothwendigkeit erliegen mufs, oder wieder gewinnen, wenn sie mit der höchsten Nothwendigkeit selbst entzweit und von ihr besiegt, in freier Ergebung zu höherem Frieden mit ihr wiederkehrt. In beiden Fällen trium- phirt sie mit dieser, im letztern über sich selbst und die durch ihre Abirrung entstandne Zerrüttung, im erstern über eine selbst zur Willkühr ausgeartete Freiheit, auch deren Erschöpfung und Besiegung dem Grundgesetze der Ge- schichte und dem ewigen, es handhabenden, Geiste anheimstellend. über den historischen Charakter des Drama. 99 Dies auf die Tragödie angewandt, so fafst zwar die alte Tragödie das Leben mehr von der Seite des in ihm Festen und Dauernden, des Nothwen- digen, indem sie darstellt, wie dieses die mit ihm entzweiete Freiheit, trotz alles ihres Entgegenstrebens, dennoch unentfliehbar festhält und überwältigt, die neuere, wenigstens in der Regel, mehr von der Seite des in ihr Beweg- lichen und Wandelbaren, der Freiheit, und dies bringt es auch mit sich, dafs die letztere mehr psychologischer und politischer Natur ist, indem sie den Zwiespalt aus dem Menschen selbst oder den gesellschaftlichen Verhält- nissen, oder aus Beiden, entwickelt, und darstellt, wie er innerlich und äufserlich zugleich bis zu seiner Vernichtung sich steigert. Demohngeachtet stellt auch die alte Tragödie die Freiheit bei weitem nicht so völlig in den Hintergrund, dafs sie gar kein Gewicht darauf legte, was sie auch nicht konnte, wenn sie das Leben in seiner vollen Wahrheit abbilden und einen wirklichen Conflict darstellen wollte. Dafs in ihr die Freiheit es ist, welche durch eine That oder unbesonnene Rede das, wenn auch schon vorher be- stimmte und bekannte, Verhängnifs zuerst aufregt, gegen sich reizt, und durch unverständige Versuche, seinen Fortgang zu hemmen, ihn eben fördert, hat bereits Blümner (1) gezeigt. Ferner drückt sie oft sehr bestimmt die Gemüthsbewegungen und den Gang der Vorstellungen aus, wodurch Ent- schlüsse in den Handelnden entstehn und reifen. Nur geschieht dies von gen starken Zügen, von Sophokles feiner und entwickelter, von beiden jedoch mit völliger Unterordnung des Psychologischen unter die Handlung, welche hauptsächlich auf den Entschlüssen und Thaten beruht, und man kann nicht mit Solger (?) annehmen, dafs Euripides erst, dessen gröfste Stärke freilich in dergleichen Analysen besteht, und bei dem sie ein nur zu grofses Übergewicht über die Handlung gewinnen, eine der griechi- schen Poesie damals fast noch unbekannte Welt, die Welt des Gemüths und der im Innern desselben wirkenden Mächte, aufgeschlossen habe. Als Bei- spiele sind zu nennen Eteokles in den Sieben gegen Thebe in der Scene, wo er gegen die Abmahnungen des Chors in dem Entschlusse, seinem Bruder im Kampf entgegen zu treten, sich bestärkt; Klytaimnestra im Agamemnon; Aischylos in weni (') Über die Idee des Schicksals S. 137 fg. Vergl. deschyl. Pers. 739. @2 Oruv areuön is auroc, ya Sebs auvarreran. () Ara. 0. S:108: N2 100 SUVERN Orestes und seine Mutter in der Scene vor deren Ermordung in den Choe- phoren; die Überredungskraft der Pallas in den Eumeniden; Pelasgos in den Schutzflehenden von Zweifeln bewegt, ob er diese aufnehmen solle, und endlich zu ihrer Hülfe entschieden. In Sophokles ist der Oidipus Tyrannos voll der feinsten Andeutungen von Bewegungen und Zuständen des Gemüths sowohl im Oidipus als in der Iokaste. In der Elektra ist die Scene, wo Örestes sich ihr zu erkennen giebt, ganz psychologisch motivirt. Im Phi- loktetes zeigt sich Odysseus als der feinste Menschenkenner, und treten an- drerseits die gegenüber laufenden Affectionen des Philoktetes eben so richtig hervor. Mit ergreifender Wahrheit ist im Aias der höchst tragische innerlich gebrochne Zustand des Helden, der ohne die Götter stark seyn wollte, und sein Reifen von dumpfer Raserei zu dem bewufsten Entschlusse des Selbst- mordes vorgestellt. Die Gemüthsbewegungen der Deianeira in den Trachi- nierinnen, die Stimmung und Überlegungen sowohl der Jungfrau als des Kreon in der Antigone, welche sie zu Handlungen und Beschlüssen hinreifsen, sind mit so grofser Einfachheit als Klarheit ausgedrückt. Durch solche Auf- klärungen der Vorgänge in den Seelen der Handelnden, wovon ein aufmerk- sames Studium leicht noch mehr feine Züge entdeckt, führt schon die Trag- ödie des Aischylos und Sophokles auf die Freiheit als das zweite Glied des Conflictes hin, ohne welches keine Bewegung in ihm möglich wäre und auch das erste unthätig seyn mülste. Beide, die alte und die neuere Tragödie, begegnen sich aber in einem Ziele, der Auflösung des Conflietes und jenem höhern Gesetze, des- sen Bahnen das Leben immer dazu führen. Dies Gesetz wird also auf jeden Fall durch den Ausgang bewährt und die Freiheit mufs ihm sich unterwerfen oder fügen. Allein ein grofser Unterschied ist in der Art wie dies geschieht, zwischen dem Trotze, womit Eteokles seinem Geschicke sich darbietet, der rauhen Seelenstärke des Aias, der Verzweiflung des Oidipus im Oidipus Ty- rannos, dem zerbrochnen Sinne des Kreon, der weibischen Klage des Xerxes, und Agamemnons ahndungsvoller aber ruhiger Ergebung, der Hoheit der An- tigone, dem gemilderten und edeln Sinne, womit Oidipus selbst auf Kolonos zum Ziele seines Leidens wallet, der Erhabenheit des Herakles, der in den Trachinierinnen sein Lebensende dem Gifte des Kentauren entreifst und sich dem vergötternden Flammentode weiht. Dies richtet sich freilich nach der Verschiedenheit der Sachen, und es ist nicht möglich, einen Macbeth oder über den historischen Charakter des Drama. 101 Richard III, gegen deren Frevel der Himmel selbst sich waffnet, auf gleiche Weise, wie einen Lear, den. unselige Verblendung vom Gipfel menschlicher Hoheit in die Tiefe menschlichen Elends stöfst, geschweige denn wie einen Brutus und Götz, die zwar als Opfer der Zerrüttungen ihres Vaterlands und keine hellere Zukunft desselben voraussehend, aber mit dessen Idee und Wesen unentzweit, vielmehr für sie strebend, unglücklichen Verkettungen erliegen, noch mehr wie Egmont, aus dessen schuldlosem Blute die Freiheit Belgiens erwachsen soll, oder die der römischen Weltherrschaft zwar erlie- genden, aber durch die freieste heldenmüthigste Aufopferung noch in dem letzten übriggebliebenen Jünglinge den Triumph ihr entreifsenden Numanti- ner in Cervantes Numantia, oder auch wie den, in dem Triumphe des Lei- dens die für die Bühne ohnstreitig schwierigste, der griechischen Tragödie nothwendig fremde, Aufgabe lösenden standhaften Prinzen, den Kampf enden und von seinem Schauplatze scheiden zu lassen. Allein es ist auch nicht zu verkennen, dafs wie in Auflösungen der erstern Art die Freiheit nur unter- liegt oder den Streit durch Aufgebung ihrer selbst unbeigelegt abbricht, sie in denen der andern auch ihrerseits durch Einigkeit mit einem höhern Nothwen- den Sieg innerlich entreifst, und deswegen schon in dieser Hinsicht von einer Erhebung auch der Freiheit in der Tragödie wohl die Rede seyn kann, en dem untergeordneten, von dessen äufserer Stärke sie überwältigt wird, Es läfst sich aber die Sache noch aus einem andern, dem historischen Charakter der Tragödie näher liegenden, Standpuncte betrachten. Fälle der erstern Art, in denen die Freiheit nur als besiegt erscheint und ihr Conflict mit dem Nothwendigen durch Aufhebung ihrer äufsern Erscheinung nur ver- nichtet ist, reichen allerdings hin, um den Gegensatz in seiner Nichtigkeit, aber nicht um die Harmonie in ihrer Wahrheit und Schönheit darzustellen. Diese Harmonie des Besondern mit dem Allgemeinen, der Freiheit mit dem Nothwendigen, des Menschen mit seiner Bestimmung, nicht jener Gegensatz, ist aber das Ideal und die Aufgabe, sie ist die positive Seite des Lebens, ohne welche auch der Gegensatz, als die negative, nicht seyn würde, die Wurzel und Quelle, welche daher auch allen Erscheinungen des Letztern zum Grunde liegt, woraus sie entspringen, wohin sie immerfort wiederkehren und worin sie sich auflösen. Darum lassen religiöse Traditionen, Philosopheme und Dichtungen die allgemeine Geschichte der Menschheit von einem Zustande der innigsten Harmonie beginnen, in dem aber die Möglichkeit eines Gegen- 102 Süv EURıN satzes schon begründet war; darum drückt sich in den Religionen der meisten Völker das Bedürfnifs einer Vermittelung und: Versöhnung des, nachdem er einmal eingebrochen, nicht zu hemmenden Gegensatzes, und bilden sich in ihnen Vorstellungen von bestimmten, theils über der Geschichte schweben- den, theils an ihr Ziel tretenden, Zuständen völliger Durchführung, Er- schöpfung und Wiederauflösung desselben in den ursprünglichen Einklang aus. In wie mannigfachen Gestaltungen daher jener grofse intensive, und darum auch universalhistorisch sich ausbreitende, Gegensatz erscheinen möge, so leuchtet doch immer der reine Lichtstrahl, von welchem aus er sich brach, durch ihn hindurch und sammelt sich wieder in hellern Punkten, und es ist keines Menschen Leben so zerrüttet und so zerstört, dafs nicht auch die Idee dessen, was es seyn sollte und hätte werden können, wie in Silberblicken hindurchbrechen, oder oft erst, wenn es schon äufserlich ganz verloren, zum hellesten Bewufstseyn gelangen und sein trübes Ende noch verklären könnte, keines Hauses, keines Volkes Geschichte so verdorben und verfälscht durch eigne und fremde Schuld, dafs nicht auch sein wahres Wesen und Streben in lichtern Momenten erkannt würde und sich geltend machte, und oft aus der hoffnungslosesten Gegenwart hervorschimmernd noch eine heilvolle Zu- kunft vorherverkündigte. Und dann ist Zerrüttung und Tod zwar immer die natürliche Folge des Gegensatzes, wie Leben nur die Frucht der Einig- keit, beides in der Natur- wie in der Menschenwelt; aber, da nicht Gegen- satz, sondern Einigkeit, im Kern des Ganzen liegt, so entwickelt sich ‚diese fort und fort aus jedem in sich ersterbenden Gegensatze, und auch im Gebiete der Geschichte quillt immer neues Leben aus der Zerstörung und dem Tode. Die Auflösung durch innere Entzweiung erkrankter Einzel - und Collectiv- Wesen macht gesundern und kräftigern Naturen und Bildungen Raum, oder fördert die Herstellung des Gleichgewichts in zerrütteten Verhältnissen, und inmitten des durch unaufhörlich sich häufende Gegensätze ablaufenden Ago- nisationsprocesses ganzer Nationen, Staaten und Zeitalter befreien sich im- mer mehr die Keime frischer kräftigerer Schöpfungen, die in dem Ableben jener erstern aufblühn und deren Elemente zu neuer Gestaltung in sich auf- nehmen, bis auch sie wieder das gemeinsame Loos der Menschheit ergreift, um aus ihren zerfallenden Schaalen eine neue Schöpfung emporzutreiben. So erheben sich zwar Widersprüche über Widersprüche, Gegensätze über Gegensätze auf dem Boden der Geschichte, die sich alle in unaufhörlichen über den historischen Charakter des Drama. 103 Krisen wieder zersetzen und aufreiben ; aber zwischen ihnen bricht auch in ewiger Verjüngung durch die Einheit des unendlichen Lebens, dem keine endliche Form jemals genügt, und das sich in einem lichten Strome durch die steigende und sinkende Gährung hindurchschlingt. Ihrem Urbilde entsprechend, bleibt nun auch die Tragödie nicht bei der Darstellung des Conflictes und seiner Vernichtung stehn, läfst nicht blofs in den grofsen Gewittern der Geschichte, welche sie abbildet, die zur höch- sten Spannung gediehenen Gegensätze sich verzehren, sondern auch durch ihr Verstürmen Gleichgewicht und heitre Stille der Atmosphäre wiederbrin- gen, und die ewige Ruhe des reinen Aethers ungestört und ungetrübt durch ihre Kämpfe hindurchblicken. Der alten Tragödie ist ein Bestandtheil eigen, in welchem schon mit- ten in den heftigsten Explosionen der Entzweiung, und in jeder Handlung, von welcher Beschaffenheit sie auch sei, das Princip der Einheit erhalten und auch ausgedrückt wird. Es erhellet von selbst, dafs ich den Chor meine, auf den ich weiterhin noch zurückkommen werde. Allein schon die Handlung sehr vieler Stücke beweiset auf’s deutlichste, dafs die Sphäre der Tragödie sich nicht auf den Confliet und sein Durchführen bis zur Vernich- tung beschränke, sondern dafs ihre eigentliche Tendenz auf Wiederauflösung der Disharmonie zum Einklang gerichtet sei. Sie offenbart diese Richtung auf die mannigfaltigste Weise. Oft schon durch die Wiederaussöhnung der entzweieten Kräfte am Schlusse der Hand- lung in einzelnen Dramen, wie unter andern in den Trachinierinnen, wo, so- bald Herakles des Zusammenhangs, worin der ihm durch Deianeira bereitete schwere Jammer seines ganzen, mit dem Zorn einer Göttin mühselig ringen- den, Lebens steht, inne wird, der Unmuth schwindet, und freies Einverständ- nifs mit seinem Schicksal dessen irdischen Schlufsact auf eine des Götter- sohns würdige Art zu Ende führt. Keine andre Bedeutung hat auch der Schlufs des Aias, der den gefallenen Helden, gegen welchen die Atreiden, als ihren und des griechischen Heeres Feind, wie Kreon gegen Polyneikes, noch nach seinem Tode durch das Verbot der Bestattung seines Leichnams eignen Groll und den Zorn der Götter fortsetzen wollen, mit den Göttern wie mit den Menschen wieder aussöhnt. In Göthe’s Iphigenia löset sich das herbe Mifsgeschick der beiden Kinder des Agamemnon, in dem Augenblicke, 104 SUVERN wo sein Maafs sich erfüllen zu wollen scheint, ohne Dazwischenkunft einer Göttin, wie bei Euripides, durch den Einklang freier Menschlichkeit in der Brust des Thoas mit dem Willen der Götter. In der, auf jeden Fall höchst zart gedachten und gehaltnen, Jungfrau von Orleans geht Johanna nicht unter in der Entgeisterung und Entzweiung, worin die durch Regung menschlicher Liebe verursachte Störung des freien Einflusses höherer Kräfte sie versetzt hat, sondern, nachdem sie in eigner voller Erhebung die ihn hemmenden Schranken gesprengt, wird sie, in erneuter stärkerer Strömung desselben, zu Vollendung ihres irdischen Berufs fortgezogen und dann zu innigerer Verei- nigung mit den himmlischen Mächten, von denen er entsprang, emporgetra- gen. In Calderon’s das Leben ein Traum führt das Schicksal den Beweis seiner Macht nicht zum Verderben, sondern nur bis zu dem Puncte, wo dem alten Könige aus seiner tiefsten Erniedrigung die Erkenntnifs menschlicher Ohnmacht gegen den weltregierenden Willen aufgeht, und in dieser tiefern Einsicht endigt der Zwist mit ihm, worin der Vater den Sohn unnatürlich verstiefs, der Sohn sich am Vater unnatürlich rächen wollte, in schöneren und sichern Frieden. Überhaupt vereinigt sich vielleicht in keinem andern neuern Tragiker so sehr, als in Calderon, das Streben, den von ihm selbst ausgesprochnen Satz (!): Denn es trifft ja nichts hienieden Schneller ein, als dem der Mensch Mindre Schnelle wollt’ erzwingen, durch die Handlungen seiner Tragödien zu bestätigen, mit der Neigung nach einem versöhnenden Ausgange derselben, die ihn aber auch in einigen Stücken, wie im standhaften Prinzen und im wunderthätigen Magus, in das Gebiet des Uebersinnlichen, also aus dem Kreise der Geschichte, hinaus- treibt, um nur auch sinnlich kund zu geben, wie bei Durchführung eines Conflietes selbst bis zur Aufopferung des äufsern Daseyns die Freiheit nicht erliege, sondern den höhern innern Frieden, worin sie bereits gestanden, nur befestige und in ihm sich verkläre. Aber alle seine Tragödien enden in eine aus und nach dem Streite entwickelte Harmonie und Ruhe, sei es nun, dafs diese die entzweieten Kräfte selbst umfange, oder auch dafs er nur, (') In der Tochter der Luft. über den historischen Charakter des Drama. 105 nachdem das Princip der Zwietracht durch alle vorbestimmten Discorde ver- tobt, Frieden und Eintracht wieder herbeiführe. So unter andern in der kunstvollesten seiner Schöpfungen, der Tochter der Luft, welche, in der Haupthandlung, wie in den mit ihr verflochtenen Zweigen, reich an Bewäh- rungen des oben erwähnten Satzes und an Beispielen: Wie vom einen schnell zum andern Aeufsersten das Glück sich schwinget, nachdem die hochfahrende Semiramis ihr Geschick vollendet, durch ihren Besieger, eben den besonnenen und weisen Lyderkönig, mit dessen Ueber- windung die Handlung begonnen, und den sie bis zur allertiefsten Demüthi- gung erniedrigt hatte, den Frieden wiederbringen läfst. Diese letztere ist verwandt, aber doch auch nur ähnlich, solchen Trag- ödien von gröfserem Umfange der Handlung, welche sich um das Schicksal der in ihnen handelnden Hauptpersonen dergestalt drehn, dafs durch deren Verschwinden oder aus ihrem Untergange Gleichgewicht und Frieden, oder selbst ein erneutes besseres Leben, in höhern Verhältnissen erwächst. Von der Art ist Hamlet, in welchem die Erneuung des dänischen Königsthrons durch den Untergang des in Sünde und Schwäche entarteten Regentenhauses einen weitern Kreis der Handlung um ihren Inhalt, die dem Hamlet aufer- legte, seiner Unentschlossenheit aber durch Fügung der Umstände ensris- sene, Rache des Vaters, zieht. Dieser Kreis tritt gleich in der ersten Scene hervor in den Erklärungen des tiefer blickenden Horatio, der die Geisteser- scheinungen und andre Zeichen auf eine dem Staate bevorstehende besondre Gährung deutet, sie mit den Wundererscheinungen in Rom vor Cäsars Tode vergleicht, und mit den schon unter dem verstorbenen Könige begonnenen norwegischen Händeln und den jetzigen Rüstungen des jungen Fortinbras in Verbindung setzt; zieht sich dann in der Gesandtschaft nach Norwegen dieser Rüstungen halber, in deren Zurückkunft und dem Antrage auf Gestattung des Durchzuges norwegischer Truppen unter Fortinbras gegen Polen, und in diesem Durchzuge selbst, durch das Stück, während die innere Zerrüttung und Entkräftung im Königshause immer mehr zunehmend ihm begegnet; und schliefst sich, als diese in dem gänzlichen innern Zusammenfallen desselben ihr Ziel erreicht hat, in dem Auftreten des von seinem Zuge siegreich heim- kehrenden Fortinbras selbst, dessen Ansprüche der sterbende Hamlet durch sein Vermächtnifs bekräftigt, und der solchergestalt jugendlich frisch und un- Hist. philolog. Klasse 1825. Ö 106 SUvERN theilhaft des Verderbnisses über der grofsen Niederlage, welche es angerich- tet, als Einlenker der aus ihren Angeln gerissenen Zeit, was Hamlet zu wer- den nicht vermochte, sich erhebt. Gleiche Bewandnifs hat es, wie anderswo schon bemerkt worden (!), mit der Handlung in Romeo und Julie. In anderen Tragödien erheben prophetische Andeutungen auf eine die Widersprüche der Gegenwart lösende Zukunft über die Erschütterungen des Augenblicks, und versöhnen durch eine gröfsere historische Ansicht derselben mit den Bahnen der Geschichte, die sie herbeiführt. So im Philoktetes, wo der am Schlufs erscheinende Herakles dem leidenden Helden durch seine Weissagungen eine glorreiche Zukunft aufthut und ihn dadurch wieder mit dem Leben versöhnt. So in der Numaneia, wo es nur bedurft hätte, die Blicke in die Zukunft, welche schon im ersten Acte, zu grofser Vorbereitung der Ereignisse, der Flufsgott Duero der kummervollen Hispania öffnet, und dann im vierten vor dem schrecklich erhabnen Ausgange, zur Erhebung über denselben, Bellona wirft, (beide vertreten die Stelle eines Chors) auch dem Theagenes oder Viriatus in etwas zu gönnen, um ihre an sich grofsen Seelen durch noch tieferes Einverständnifs mit dem Gange des Weltgeschicks, wie dort Egmont durch die ihm enthüllte schönere Zukunft seines Vaterlandes, über den Ruin der Gegenwart emporzutragen. Dann aber leitet sogar die Tragödie selbst zu einer solchen Zukunft hin, indem sie eine Reihe sich aus einander entwickelnder und sich drängen- der Gegensätze durch mehrere Stücke dergestalt durchführt, dafs der Kreis einer ganzen grofsen Handlung bis zum Erlöschen der Entzweiung abläuft und Ausgleichung, Versöhnung und neues Leben an ihrem Ziele erstehen kann. Diese Ansicht von der Bedeutung des innern Zusammenhangs mehre- rer Erzeugnisse der alten Tragödie hat die schon angeführte Schrift über Schillers Wallenstein (?), wiewohl von einem andern Gesichtspunete aus, angeregt, und insonderheit bemerkt, dafs das Wesen der Trilogieen in ihr gegründet zu seyn scheine, und A.W. Schlegel hat nachher (°) die Dreizahl der in diesen verbundenen Stücke durch Satz, Gegensatz und Vermittelung erklärt. Man kann mit dieser Erklärung auch einverstanden seyn, so fern die (‘) Inder Abhandl. über einige histor. und polit. Anspielungen in der alten Tragödie. (*) S.221 fe. (°) Vorlesungen, Th. I. S. 139. über den historischen Charakter des Drama. 107 Trilogie ein geschlossenes Ganzes für sich ausmacht. Mufs sie aber in einem grölsern Zusammenhange gefafst werden, so erscheint auch jene Erklärung als nicht ganz zureichend. Und dies ist in Ansehung der einzigen uns noch vollständig erhaltenen Trilogie, der Oresteia, der Fall. Die, die Mitte derselben einnehmenden, Choephoren betrachten in ihrem, die Grundanlage der ganzen Trilogie umfassenden, und deren Haupt- knoten erhellenden, Schlufschore schon den Inhalt des Agamemnon ganz richtig als Gegensatz, und was nachher die Eumeniden herbeiführen kann man nicht als eine Vermittelung des in der Oresteia enthaltenen, von der Klyt- aimnestra begonnenen, Conflictes allein ansehen, sondern mufs es als Durch- führung und Versöhnung eines ausgedehntern und gröfsern Zwistes, wovon dieser Conflict nur die Fortsetzung ist, und den Aischylos auch schon in sei- ner Iphigeneia aufgenommen hatte, betrachten. Mit jener in den Choephoren vortretenden Grundansicht übereinstimmend pflanzt sich nehmlich im Aga- memnon die alte das Haus der Pelopiden zerrüttende Entzweiung (Vs. 1339. 1469-1513. ed. Schütz Il.) von der ersten Schuld des Pelops, der Ermor- dung des Myrtilos (!), dem Ehebruch des Thyestes mit seines Bruders Atreus Gattin (Vs. 1194.), dann der Rache, welche dieser an ihm genommen, und besonders dem verruchten Mahle, womit er ihn bewirthet (Vs. 1094. 1218 fg. 1583. 1584 fg. 1003 fg.), an, in einem neuen Gegensatze fort, welcher nur in individueller Hinsicht durch die strafbare Leidenschaft der Klytaimnestra und des Aigisthos getrieben wird, in seinem objectiven Zusammenhange aber auf Klytaimnestra’s Groll über die von Agamemnon gut geheifsne, gleich anfangs von dem Chore besorgnifsvoll hervorgehobne (Vs. 131-255.) (?), (') Wenn anders die angenommene Erklärung der rgwr«gyos &rr Vs. 1194. von der Er- mordung des Myrtilos (vergl. Pausan. II, 18.) richtig ist, woran jedoch, nach Choöph. 1061. IleıdoRogoı WEV mwanToV Urigkav MoySor raravss re Oufsov, sehr zu zweifeln ist. Aus So- phokles und Euripides läfst sich nichts auf Aischylos folgern. (2) Bei dem rgtreus« Öus &v ygapars Vs. 247. scheint mir Aischylos ein wirkliches Gemälde von der Opferung der Iphigeneia vor Augen gehabt zu haben. Die Schilderung ist höchst anschaulich und malerisch. In der Sache liegt auch nichts Unwahrscheinliches, da schon Polygnotos die Opferung der Polyxena sowohl in Athen (Pausan. I, 22, 6.) als auch in der delphischen Lesche (id. X, 15 fin.) und bald nachher Timanthes die Opferung der Iphigeneia selbst (s. die Stellen bei Barnes zu Eurip. Iphig. Aut. 1550.; vergl. Heinr. Meyer's Geschichte der bildenden Künste unter den Griechen Th.1.S.162. u. Th. 11. S. 159.) gemalt hatte. Eustathius zu I. », p. 1343. erzählt ausdrücklich, dafs 02 108 SYÜ:vVtERW Opferung der Iphigeneia (Vs. 801. 1416 fg. 1525 fg. 1556.), und auf Aigisthos Rachegefühl wegen der an seinem Vater von Agamemnons Vater verübten Greuel (Vs. 1578 fg.) beruht. Klytaimnestra glaubt den Agamemnon dem Plagdämon der Pelopiden geopfert und durch ihre That das Geschick dieses Hauses beschwichtigt zu haben (Vs. 1569 fg.), aber sie hat nur einen aber- maligen Gegensatz aufgeregt, da, wie sie selbst die Tochter am Vater zu rächen meinte, so schon im Orestes ein Rächer des ermordeten Vaters wacht, auf welchen Kassandra prophetisch deutet (Vs. 1281 fg. 1325 fg.) und der Chor hoffnungsvoll hinblickt (Vs. 1646. 1666.). Dieser abermalige Gegensatz wirkt nun durch die Cho@phoren weiter, in Verbindung mit dem das ganze Ge- schlecht durchherrschenden (Vs. 572 fg. 687 fg. 1058 fg.), und wird in ihnen zwar in Beziehung auf Aigisthos und Klytaimnestra getilgt durch die von 5 y 5 ) Orestes an ihnen vollzogene Strafe; aber unmittelbar in dieser erhebt sich ein andrer, worin Orestes selbst befangen ist. Unterlafsne Rache des Vaters, welche nicht ohne Zeus Geheifs (Eumen. 606 fg. 703.) Apollon ihm befohlen, hätte die schwersten Plagen der Erinnyen über ihn geführt (Choöph. 266 - 295. 916. Eumen. 197. 459. 584.), aber ihre Vollstreckung durch den Mord der Mutter ruft augenblicklich (C’hoeph. 1041.) dieselben bluträchenden Göttinnen gegen ihn auf, und so hat Gehorsam gegen gött- liches Gebot auf der einen Seite ihn auf der andern göttlicher Strafe ver- pfändet. Menschen vermögen, nach der Athene eigner Erklärung (Zum. 463.), nicht, diesen Widerspruch zu schlichten, sondern er fällt ganz in das Gebiet der Religion und ist daher nur durch positive göttliche Einwirkung zu lösen. Diese Lösung enthalten die Eumeniden, indem sie den Streit zuerst in seinen wahren Gesichtspunkt bringen, als nicht zwischen Menschen und Göttern, Aischylos den Iyucv>ys (1. Tisev®rs) aus Sikyon, welcher die Opferung der Iphigeneia gemalt und den Agamemnon dabei mit verhülltem Haupte, wie er auch in dem jetzt in Pompeji entdeckten schönen Wandgemälde bei der Opferung erscheint, vorgestellt, in diesem letztern Puncte nachgeahmt habe; nicht minder konnte er in der ganzen übrigen Schilderung, sowohl in der Iphigeneia als auch im Agamemnon, dem Maler nachdichten. Im Munde des Chors ist es in dieser Beziehung freilich ein ähnlicher Anachronismus, wie der in Eurip. Hippolyt. 1005., der aber in einem alten Tragiker nicht befremden kann. Übrigens ist am besten zu vergleichen die von den Auslegern übersehene Stelle bei Propertius El.1. 2, 21. Sed fucies aderat nullis obnoxia gemmis, Qualis Apelleis est color in tabulis. über den historischen Charakter des Drama. 109 sondern zwischen Göttern selbst, schwebend, ferner die Zweifelhaftigkeit sei- ner Entscheidung nach menschlicher Ansicht durch die Gleichheit der Stim- men des Areopag zu erkennen geben, aber der zutretenden Stimme der Athene, also einem freien Acte göttlicher Gnade, unter Einflufs des Zeus (Zum. 787. 749.817.) die Kraft, ihn zu schlichten, beilegen. Dafs in der Gottheit nicht blofs, vermöge der in ihr bestehenden höchsten Nothwendigkeit, strenge Strafgerechtigkeit, sondern, vermöge der mit dieser bestehenden höchsten Freiheit, auch freie Gnade, vereint sei, ist eine Wahrheit, welche zwar erst durch die christliche Religion, und in dieser in ihrer vollen Klarheit, hervor- getreten und ins Leben eingegangen ist. Auch hat die neuere Tragödie diese Ansicht nicht unfruchtbar für sich gelassen, vielmehr in neuester Zeit eine zum Theil übertriebene und übel angebrachte Anwendung davon gemacht. Calderon’s Andacht zum Kreuze, und vornehmlich ihr alle die moralischen Verwirrungen der Handlung sühnender Schlufs, sind ganz darauf gegründet. Aber eine Spur davon begegnet im griechischen Alterthume in der geglaub- ten, und von der Tragödie mehrmals benutzten, Möglichkeit, durch Versöh- nung der, die rächenden Folgen eines durch Blutschuld begangenen Bruches der höchsten Gesetze streng 5 sündigen und die mittelst jener oft ganze Geschlechter hindurch wirkende vollziehenden, Erinnyen den Verbrecher ent- göttliche Strafgerechtigkeit in freier Begnadigung zu hemmen, welche von der Willkühr des durch Opfer und Gebete nachlassenden Zornes der Götter sehr verschieden ist. Diese Gnade sühnt nicht blofs den Orestes, sondern sie bricht auch die Kette der Unthaten, die sich im Hause der Pelopiden von Geschlecht zu Geschlecht hingezogen, durch seine Entsündigung ab und löset so den Knoten, welchen der Schlufschor der Choephoren sorgenvoll andeu- tet, ob Orestes zum Heil oder zu gröfserm Verderben gekommen sei, und wie endlich der Zorn der Ate besänftigt ruhn werde, in Frieden und Versöh- nung des ganzen mit den Göttern entzweit gewesenen Geschlechts (Zum. 744.). Der Satz — um mich dieses Ausdrucks nachzubedienen — womit im Aga- memnon die Trilogie anhebt, ist daher ein solcher nur relativ, nehmlich nur in Beziehung auf die beiden nachfolgenden Stücke der Trilogie; an und für sich aber und im Zusammenhange mit der gröfsern Verkettung, worin er eingreift, ist er Fortpflanzung des durch diese hin sich erstreckenden allge- meinen Gegensatzes, welcher in den Eumeniden sich auflöst. Diese letztern verkündigen eine in der Gottheit ruhende, ihre eigne Strafgerechtigkeit und 110 SUVERN der Menschen Verschuldung aussöhnende, und die, wenn gleich in lange fort- gepflanzten Zwiespalt verstrickte, Freiheit mit dem Nothwendigen endlich wieder vertragende und aussöhnende Kraft der Gnade, die, von den neuen lichten und mildern Göttern, dem Zeus, Apollon und der Athene (s. die oben in Ansehung des Zeus angeführten Stellen, vornehmlich Vs. 748 fg.) ausgehend, und mit den alten Moiren (Vs. 1031. 948 fg.) deren Weltgesetz und Ordnung die Erinnys vorher gefährdet glaubte (Vs. 168. 330. 714.), oder mit der, wie Solger (!) sich schön ausdrückt: „ewigen Macht, der alte und neue Götter dienen, die im Untergange der ältern Geschlechter der Pelopiden sich verherrlichte und zugleich in der erhaltenden Weltordnung durch das Gleichgewicht der sittlichen Kräfte sich offenbart,’’ in Überein- stimmung, die ernsten und strengen Töchter der Nacht beschwichtigt. Die Erklärung der Trilogie als Satz, Gegensatz und Vermittelung, oder, was dasselbe ist, These, Antithese und Synthese, ist überhaupt nur Ausdruck einer logischen Form. Das Wahre und Wesentliche aber ist, dafs die Tragödie jede ihrer Darstellungen beginnen kann nur von einem Bruche der Freiheit mit dem Nothwendigen, des subjectiven Wollens und Strebens "mit dem einer von ihr unabhängigen sie beschränkenden Ordnung, also von einem Gegensatze, aus welchem sofort ein heftiger Confliet sich entwickelt, den sie in seiner natürlichen Steigerung fortführt zu dem höchsten Brennpuncte, worin er sich verzehrt, und den sie verfolgt bis zu seiner gänzlichen Auf- lösung. Diese trilogische Anlage einer jeden Tragödie (?) — deren Kunst- mechanismus man d&rıs und Ayrıs, Schürzung und Lösung des Knotens, ge- nannt hat — ist nicht eine blofs logische oder poetische Form, sondern aus der Natur der Sache und dem Leben selbst gegriffen, in welchem jedweder Entzweiungsprocefs eines Besondern mit dem Allgemeinen keinen andern () A.a.0. 8.9. (*) Herrn Pr. Welcker’s Ansicht über das in jeder Tragödie liegende Vorbild der Trilogie in dessen gelehrter und scharfsinniger, aber auch hypothesenreicher, Schrift: „die Aeschylische Trilogie Prometheus,” welche ich schon am Schlusse dieser Abhand- lung, aber noch zeitig genug erhalten, um darauf in einigen Hauptpuneten noch Rücksicht zu nehmen, S.501.u.510, ist mehr auf die äufsern Abtheilungen der Tragödien gegrün- det. Die in dem Januarheft 1825 der Leipziger Litteraturzeitung St. 1-3 befindliche Recension jener Schrift ist mir zufällig erst nach der Vorlesung gegenwärtiger Abhand- lung zu Gesicht gekommen. über den historischen Charakter des Drama. a1 Gang nimmt und zu nehmen vermag. Die Gährung des Conflicts endet im- mer in Herstellung des gestörten Gleichgewichts, kann aber, bis sie dahin gelangt, sehr viele kritische Stadien durchlaufen, in denen erst aller mit dem Grundprineip in feindselige Berührung gerathene Stoff bewältigt seyn mufs, bevor aus befreundeten Elementen frisches Leben entspriefsen kann. Nun ist der Tragödie der, ihren historischen und ihren künstlerischen Charakter in schönster Übereinstimmung haltende, Trieb eigen, den in einzelnen In- dividuen ausgebrochnen Zwist der Freiheit mit dem Nothwendigen, so fern die Beschaffenheit des Falls die Behauptung der innern Harmonie in den Helden, ohngeachtet der Zerstörung der äufsern, nicht gestattet, wo möglich über die gewaltsame Bezwingung und Unterwerfung der Freiheit hinaus zu ihrer besonnenen Ergebung und daraus erfolgenden Aussöhnung und Wie- dererhebung, und eine über gröfsere Kreise und durch mehrere Generatio- nen sich erstreckende Entzweiung alle ihre Stadien hindurch, bis sie nach ihrer Erschöpfung oder Hemmung einer neuen Harmonie Raum giebt, durch- zuführen. Dies kann ihr, was einzelne Individuen betrifft, häufig schon in einem Drama, oft aber erst in zweien oder dreien, und wenn sie in weitern Kreisen den Gang des Lebens in Auflösung seiner Disharmonieen nachbilden will, nur auch in einem diesen Kreisen entsprechenden gröfseren Cyclus von Dra- men gelingen. Ich meine dies aber — was im Voraus zu bemerken nöthig ist — so, dafs die Tragödien, zwischen’ welchen ein solcher historischer und dramati- scher Zusammenhang besteht, durchaus nicht gerade auch in der chronolo- gischen Folge dieses Zusammenhangs nach einander gedichtet und aufgeführt zu seyn brauchen, wie dies unter andern von Sophokles Oidipus auf Kolo- nos und der Antigone, von Euripides beiden Iphigeneien, von den Bestand- theilen des Shakespeareschen Tragödienkreises aus der englichen Geschichte, bekannt ist. Es kommt alles darauf an, dafs ein geschlofsner Zusammen- hang wirklich vorhanden sey; die Bildung seiner einzelnen Glieder war von der Zeitfolge der in ihn eingreifenden Begebenheiten unabhängig, ja es konnte die dem Ganzen zum Grunde liegende Conception dem Dichter selbst erst theilweise, oder gar in umgekehrter Folge, klar werden und erwachsen. Die Trilogie, in ihrem, erst in neuerer Zeit hervorgehobenen, engern Sinne, d.h. eine, in einer einzigen, bis zu dem erwähnten Ziele durchgeführ- 112 SUVERN - ten, Handlung mit einander organisch verbundene Folge dreier auf der atti- schen Bühne unmittelbar nach einander gegebnen Tragödien — da bekanntlich schon die drei hinter einander aufgeführten Tragödien einer Tetralogie ohne das Satyrspiel, auch wenn sie ganz verschiedenen Handlungen angehörten, von den Grammatikern Aristarchos und Apollonios Trilogie genannt wur- den (1) — ist nun allerdings, weil sie die Organisation jeder einzelnen Tragödie wieder abbildet, die kunstgerechteste, und, ohngeachtet ihrer ausgebildetern Construction, auch für die Aufführung überschauliche, darum ansprechendste, Form solcher Dichtungen. Wie einschmeichelnd und dem Kunstsinne zu- sagend sie aber auch seyn möge, so treibt doch nichts, sie überall im griechi- schen Alterthume zu erblicken und einzelnen Dichtern gleichsam aufzudrin- gen, ein Streben, das zum Theil interessante und schöne Fictionen darstel- len, worin man aber leicht zu weit gehn kann, zumal da wir, ohngeachtet der grofsen Fruchtbarkeit der attischen Tragödie, nur so wenige historisch völlig begründete Trilogieen der Art kennen (?). (') Schol. Aristoph. ad Ran. 1148 ed Lips. (?) So viel ich weifs nur die Oresteia des Aischylos und die Pandionis des Philokles. Für die erstere, wäre sie nicht mehr vorhanden, würde als ein zuverlässiges Zeugnifs nicht gelten können die Erwähnung einer Oresteia bei Aristophanes a. a.O., wenn nicht das Argument des Agamemnon die Verbindung der Cho&phoren und Eumeniden mit ihm zu einer Trilogie bemerkte, wenn nicht ferner der Scholiast des Aristophanes ausdrücklich berichtete, dafs die Didaskalien diese Trilogie ’Ogtssı« nenneten, und sie dem Eustathius zu Il.K, p. 785. nicht auch aufser jener Erwähnung des Komikers, von dem er nur sagt, dafs auch er ihrer gedenke, bekannt wäre; und die Pandionis hat ihre sichre Ge- währ durch die beim Scholiasten des Aristophanes (ad Aves 284. ed. Lips.) erhaltne Nach- richt, dafs schon Aristoteles sie als Tetralogie in seinen Didaskalien verzeichnet habe. Der Ausdruck des Aristophanes 2£ "Ogesei@s liefse sich nehmlich auch wohl von dem einzelnen Stücke, dessen Anfang darauf Aischylos vorträgt, von den Choephoren, ‚in denen Orestes Hauptperson der Handlung ist, erklären. Hermann (de compos. tetralogiarum trag. p. 5.) wollte ihn schon von den Cho@phoren und Eumeniden zusammen verstehn. Oft zwar wird eine solche Bezeichnung eines einzelnen Drama sich nicht finden; ihr Gebrauch von der dichterisch bearbeiteten Geschichte eines Helden überhaupt konnte aber mit so gutem Fug auf einzelne dramatische Darstellungen von Hauptbegebenheiten derselben, wie es auf epische, z.B. in den Benennungen Ilergo#rsıc, Acrwvesie, die auch Eustathius /.c. mit der "Ogtseıw zusammenstellt, geschah, übertragen werden. Bei der Anführung Irarwv ev 'Odvsseg in der suvayuyn ?eE. Agrr. bei Bekker (Anecd. p. 352, 23.) wird gewifs niemand an eine Trilogie, sondern jeder nur an eine einzelne Komödie denken, es mag diese nun von dem Urheber so, wie der Grammatiker sie bezeichnet, oder "Oöurreüs be- nant seyn. — Ich schalte hier die Bemerkung ein, dafs auf das eben angeführte Citat gleich über den historischen Charakter des Drama. 14:3 Zur vollen Würdigung des historischen Charakters der Tragödie ist es genug, nicht blofs zu bemerken, wie sie eine Handlung in ihren bedeut- folgt Tesısviör, und man hieraus schliefsen könnte, unter In«rwv sei nicht der Komiker sondern der Philosoph zu verstehn und 'Odyrrei« eine verdorbne Lesart. Allein ich halte für wahrscheinlicher, dafs das ganze Citat Irerwv &v "Odvsrei« von der nächst vorherge- henden A&ıs "ASgı£, bei welcher ein Beispiel fehlt, zu der gleich folgenden "ASyva£s, wo angeführt war Ilaaruv &v Hegasviör, hinuntergefallen und in dieses Citat übergegan- gen ist. — Sophokles hat keine Trilogie unter dem Namen Iphikleia gedichtet, und doch eitirt sein Scholiast zu Oedip. Colon. 789. v Ipizrsig, welches gegen Meursius Ände- rung &v 'Ipzrei a@, (S. Böckh graec. trag. princ. p. 127 und 129.), zu behalten Reisig und Döderlein mir recht gethan zu haben scheinen, bis sich die Spur eines zweiten Iphikles des Sophokles anderswo ergiebt. Ob unter der Oidwrcdsıe des Meletos, welche der Glarkische Scholiast des Platon (bei Porson zu Aristoph. Ran. 1337 ed. Lips. und Bekker Comment. in Platon. T.11. p. 330.) anführt, eine einzelne Tragödie oder eine Tri- logie zu verstehn sei, kann zweifelhaft bleiben; sie war aber unter jener Benennung ın Aristoteles Didaskalien verzeichnet. Eine solche Bezeichnung einer einzelnen Tragödie bei einem Dichter kann aber noch weit weniger befremden, als bei einem Grammatiker. Ja es liefse sich aus dem Aristophaneischen 2£ "Ogsss«s folgern, dafs die Choephoren den doppelten Titel "Ogesrs 7 Xerbege: gehabt hätten. Wenigstens würde dies mehr für sich ha- ben, als Welcker’s (a.a.O. S. 485. 486.) Annahme, es seien viele Trilogieen blofs mit dem Namen der darin handelnden Hauptpersonen bezeichnet worden, welche Hypothese freilich mit vielen andern nöthig war, um das Stillschweigen des ganzen Alterthums über die An- zahl von Trilogieen, worin dieser von mir hochgeachtete Gelehrte alle Tragödien des Aischylos, mit Zuhülfenahme einiger neuerfundenen, construirt, zu erklären. Aehnlicher Zeugnisse, wie die Oresteia, entbehrt nun ganz die nach der blofsen Anführung des Aristophanes (T’hesmoph.140 fg.) &2 775 Avzegyies als aischyleische Trilogie angenom- mene Auzzoyie, weswegen ich mir an dieser noch zu zweifeln erlaube und nur glauben kann, dafs, wie der Ausdruck des Villoisonschen Scholiasten zu J1. 2,129. »& zar& rrv Avzzoyiev sich offenbar nur auf die poätisch behandelte Geschichte des Lykurgos (die Lykurgische seyusersi@, wie die Grammatiker wohl sich ausdrücken, z. B. im Argumente zu Sophokles Adiax 76 Ögduc FiS Fowians esı To@ycreies), ım Allgemeinen bezieht, so Aristophanes die in dem, überall auch nur erwähnten, einzelnen Lykurgos des Aischylos enthaltne Darstellung aus derselben im Sinne gehabt habe. An ihn schlossen vielleicht die ’Höwve: sich an, aus welchen und den vor ihn gestellten Arvvre rgodeis Hr. Welcker, der ihın früher, wie schon S. Petit (Miscel. V,9.), mit den Edonen für ein Stück, und dieses mit Böttiger (s. Wieland’s attisches Museum B.1, Heft 2, S.358. Vasengemälde 1,3. p. 110. Welcker zu Zoöga’s Abhandlungen S. 361.) für ein Satyrspiel erklärt hatte, jetzt eine Trilogie (Prometheus S: 320-327.) gebildet hat, seine oben erwähnte Hypothese auf ihn anwendend, aber dem bestimmten Titel der Schrift des Aristarchos Urcuvrue Avzsoys Alsyyrsv (Schol. Theocrit.X, 18.) entgegen, welcher schwerlich eine ganze Trilogie so ungenau würde bezeichnet haben, wenn ihr Aristophaneischer Name Avzeoyi« mehr als freie und in den Vers besser passende Benennung gewesen wäre. Auf jeden Fall konnten Hıst. philolog. Klasse 1825. B 114 Sü v EiIR-N samsten Momenten bis zu ihrer Erschöpfung verfolgt — sei es nun, dafs vorhergehende schon einen geschlossenen Ring beschreiben, der, an und für sich betrachtet, keine Fortsetzung durch andre sich an ihn kettende erfor- derte, oder dafs in ihnen die ganze Handlung nicht vollständig durchgeführt werden konnte, sondern nur eine Hemmung erleiden und somit ein unbe- friedigtes Bedürfnifs zurücklassen mufste, welches zu vollendeter organischer Ausbildung derselben hintrieb, sei es auch, dafs selbst dergestalt ausgeführte Handlungen nur in Ueberwältigung und Züchtigung der mit dem Nothwen- digen entzweieten Freiheit, oder dafs sie in Wiederaussöhnung derselben endigen — sondern auch einen solchen, die Verschuldung aufhebenden und versöhnenden, Ausgang, ja, nach Dämpfung oder Vertilgung alles Samens empörter Willkühr, das Wiederaufkeimen eines harmonischen fröhlichen Le- bens als den ihr liebsten Schlufs ihrer Handlungen, nach welchem sie darum gern durch eine Folge mehrerer innerlich zusammenhängender Dramen hin- strebt, wahrzunehmen. sich die Fdonen nur in die furchtbare Bestrafung des Lykurgos und die Verherrlichung der unwiderstehbaren Macht des Gottes, nicht auch in eine Verklärung der wieder ver- söhnten Menschheit, endigen, dies aber, wie auch Welcker (S. 325.) fühlt, ganz wie ‚das Ende der von ihm zusammengesetzten Trilogie Pentheus, keinen passenden Schlufs einer Trilogie bilden. Mit Welcker begegne ich mich in Herstellung des Yrkıns in dem Fragmente der Fdonen beim Venetianischen Scholiasten zu /2.S, 535, welches ganze ich aber lese Mazgorzery7s nv, arAd urv yAgune rıs er „„Schlankschenkelig zwar bist du, doch ein Weibischer!’’” Es konnte zu den zegrowas yAurraıs gehören, womit nach Sophokles (Antig. 951. Herm. in dem Chorgesange, wo dem Dichter überhaupt tragische Vorstellungen der dort erwähnten Personen vorgeschwebt zu haben scheinen), Lykurgos den Dionysos reizte.— Zu der Stelle des Aristophanes Thesmoph. 140 fg., in der schwerlich alle Fragen des Mnesilochos an Agathon aus Aischylos, wie Vofs nach der Bezeichnung der Verse in seiner Uebersetzung anzunehmen scheint, übertragen sind, da der fünfte dieser Verse, wie Bergler schon gesehn, auf ein noch erhaltnes Fragment des Fpicharmos anspielt, ist noch zu bemerken, dafs ganz ähnlich auch Herakles in den Fröschen (Vs; 45.) den Dionysos anredet: Ar 00%, cos 7 Bra arosolfrca rov yeruv, öguv Asovräv em Ag0zUTW zeuszuvv. Fis 6 voüs; Ti #0.Fogvos za omen.ov EunaSeryv; Späterer Zusatz. Die oben angeführte Recension von Welcker’s Schrift in der Leipziger Litteraturzeitung bringt nunmehr in einem bisher noch unbekannten Scholion zum Aristophanes ein entscheidendes Zeugnifs bei, dafs der Lykurgos ein Satyrspiel war. Ein neuer Beweis, wie in Gegenständen dieser Art alles auf solche Beglaubigung an- kommt! über den historischen Charakter des Drama. 115 Ein schönes Erzeugnifs dieses Triebes stellt sich uns noch dar in Sophokles beiden Oidipus, welche nicht minder, als irgend eine Trilogie, die es nur geben konnte, ein: organisches Ganzes bilden. Der das Leben mit so zarter Milde als tiefem Ernste auffassende Dichter hat sich nicht be- gnügt, in dem ersten Oidipus die in Verblendung und Selbsttäuschung ver- strickte Freiheit sich selbst ihre Besiegung unter wunderbarer Fügung der allwaltenden Vorsehung bereiten zu lassen, und sie im äufsersten Jammer ihre Verirrung erkennend dargestellt zu haben, sondern er führt sie auch im Oidipus auf Kolonos zur Entsündigung, und erhebt sie durch die nähere Theilnahme der Götter an dem zu einem Denkmale ihrer Gerechtigkeit und Macht und einem Gegenstande heiliger Scheu gestempelten Greise, durch dessen geheimnifs- und wundervolle Entrückung aus dem Leben, und die seinen Gebeinen noch beigelegte segenreiche Kraft auch wieder hoch empor aus ihrer Erniedrigung, so dafs von Oidipus fast das Bild eines aus der tief- sten Sündigkeit zur Heiligkeit Verklärten zurückbleibt. Zu einer trilogischen Gestaltung bedurfte es hier nur des Beginnens der Handlung von einem frühern Momente, etwa wie ihn Aischylos in seiner Sphinx vor den Oidipus gestellt hatte, welches aber niemand zum Verständnifs weder ihres Anfangs noch ihres Schlusses vermissen wird. Unter den verloren gegangenen Tragödieen des Sophokles befanden sich ohnstreitig noch mehr Paare, die sich auf ähnliche Weise zu einander verhielten. So finde ich noch keinen Grund, eine über den Zusammenhang des nicht mehr vorhandenen Philoktetes vor Troia mit dem Philoktetes auf Lemnos früher geäufserte Vermuthung, dafs jener die Erfüllung der Heils- und Siegesweissagungen, wodurch im letztern der erscheinende Herakles den Philoktetes bestimmt, mit seinem Geschosse den Abgesandten des helleni- schen Heeres nach llion zu folgen, und somit die volle Wiederversöh- nung des Helden mit dem Weltgeschick und dem Leben enthalten habe, zu ändern (!). (') Über Schillers Wallenstein S.328 fg. Wenigstens scheint mir das, gewöhnlich dem Euripideischen Philoktetes, von Hermann aber (praefat. ad Sophocl. Philoet. p. A. sg.) dem Sophokleischen Philoktetes vor Troia zugeschriebene Fragment bei Plutarch (Solon.c.20.) keineswegs hinzureichen, um danach allein den letztern für ein Satyrstück zu erklären. Denn gesetzt auch, es gehörte wirklich diesem zu, — was indefs eine durchaus noch unbegrün- dete Hypothese ist — so scheint mir in ihm doch noch nicht entscheidendes Merkmal P2 116 SUVERN Ein dilogisches Paar bildeten auch die Eriphyle und der Alkmaion des- selben Dichters (!), und wahrscheinlich machte nicht (2) die blofse Überre- dung des Amphiaraos durch seine Gattin zur Theilnahme am Zuge wider Thebe, worin der Tod, wie er selbst wufste, ihm bevorstand — ein Argu- ment, das für sich allein nicht tragisch genug war — den Inhalt des erstern Stückes aus, sondern nur die dem Alkmaion von seinem gen Thebe ziehen- den Vater auferlegte (*), aber erst nach dem Epigonenkriege, als Alkmaion erfahren, dafs auch ihn selbst seine Mutter, durch Bestechung angereizt, zu diesem letztern Kriegszuge beredet habe, auf ein Orakel des Apollon (*) voll- zogene Rache an der Eriphyle konnte den vollhaltigen Stoff einer Tragödie dieses Namens bilden (°). Die Bufse der Eriphyle rundete zwar die Hand- lung derselben vollständig ab; allein in der Verschuldung, welche Alkmaion dadurch auf sich geladen hatte, lag ein Keim, der zu weiterer Entwickelung trieb, und dadurch die gleichnamige Tragödie schuf, worin die durch die Erinnyen erregte Raserei des Alkmaion und seine nachher erfolgte Reinigung genug zu liegen, um daraus den satyrischen Charakter des Stückes folgern zu können, da es offenbar, wenn gleich in ironischer Fassung am Schlufs, mehr bedaurendes Abmah- nen von einer Heirath, als schalkhaften Spott, ausdrückt. Nach solcher Analogie würden einzelne fragmentarische Ausdrücke und Stellen hinreichen, manches Drama noch für ein Satyrspiel zu erklären, wenn seine Existenz als Tragödie nicht das Gegentheil bewiese. Jenes Fragment (Tis da TE vurmdn, TiS de mag Ttvos ver Azur av; ed y ovv vs Yarecıv EYES, Tara) wenn es anders dem Sircxrirys dv Taci« angehörte, konnte mit dem von Priscian aus diesem citirten Fragm. 3. bei Brunck (’Oswre Jaovov yws Mn BagwSyrer$t ou) in ihm sehr wohl seine Stelle haben vor erfolgter Heilung des Philoktetes, und gerade diese Heilung durch Asklepios Dazwischenkunft, worauf Philoctet. 1437. ed. Buttman. klar F . x [A hinweiset, den Wendepunct des Drama bilden. (') Dafs die Eriphyle und der Alkmaion verschiedne Stücke, und nicht eine und die- selbe Tragödie waren, ist, ohngeachtet Heyne (ad Apollodor. p. 639.) sich bedenklich darüber äufsert, wohl nicht zu bezweifeln, da beide bestimmt unterschieden von alten Schriftstellern und Grammatikern eitirt werden, und dem Mythos nach eine sehr scharfe Theilung des Inhalts zwischen beiden möglich war. (°) Wie in den Nachträgen zum Sulzer (Th. 4. S. 123.) gemuthmafst wird. (°) Apollodor. II, 6, 2. (*) Apollodor. 11, 7,5. (°) Hiemit stimmt sehr gut zusammen das von der Eriphyle gesprochne Fragment im Appendix Vatic. Proverb. 11. 49. Kat ya Asysiovs öowW, welches, nach ‚dem, der Er- 7 3 ok R 2 ’ klärung zufolge, davon entsprungenen sprichwörtlichen Gebrauche , auf eine aufser sich über den historischen Charakter des Drama. A117 und Sühnung (!) auch diesen Zwiespalt zu einem beruhigenden Ende führen konnte. Wie die Geschichte des Alkmaion der des Orestes sehr ähnlich ist, so hätte dann auch ein ähnliches Verhältnifs zwischen jenen beiden Sopho- kleischen Tragödien, wie zwischen den Choephoren und Eumeniden des Aischylos, Statt gefunden. Wer aber darauf ausginge, auch Sophokleische Trilogieen aufzusuchen, der könnte hier eines Fundes sich freuen, da sich die Epigonen, welche den Auszug des Alkmaion in diesen Krieg und seine Ueber- redung dazu durch die Mutter enthielten (*), die Eriphyle und den Alkmaion wie von selbst zu einer solchen construiren (°); und gegen dergleichen Zu- gesetzte und verstörte, und wahrscheinlich die ihr Geschenke bietenden und dadurch ihres Gemahles und ihres Sohnes Leben erkaufenden, Argeier wieder vor ihren Geist rufende Gemüthsfassung der Eriphyle deutet; so wie auch das Fragment bei Clemens Alexandrinus (Strom. VI. p. 741.), welches nach Sylburgs Conjeetur von Brunck hätte gelesen werden sollen: ’Arsioy', (f. amsrS') Exeivns Urvev iergov vorov, und welches von demselben Gemüthszustande, worin das böse Gewissen der Unruhe und ängstliche Traumgesichte der Eriphyle, wie dort der Klytaimnestra, den Schlaf verscheuchte, zu erklären ist. (') Ob aber die nehmliche, welche dem Euripideischen Alkmaion zum Grunde lag, durch den Phegeus in Psopbis, oder die spätere durch den Acheloos (Apollodor. l. ce. Pausan. VII, 18,4. Thucyd. 11, 102. und die hiezu von den Commentatoren angeführten Stellen) darüber läfst sich nichts mit einigem Grunde vermuthen. Enthielt aber der Alkmaion dessen Sühnung, so können die Fragmente, welche Plutarch (De audiendis poet. und de cap. ex host. util. Opp. Vol.VII. p. 122. und 275. ed. Hutten) ohne Namen der Tragödie und des Dichters, denen sie zugehören, anführt, und worin Alkmaion dem Adrastos vorwirft: "Avögozrovz yuvanzds &uoyzrns &pus und dieser erwiedert: ZU ’ aurcysıa Ye arrgos y T’ eyeivaro, zu dieser Tragödie, der sie seit Valckenaers Ausspruche (Diatr. p. 151.) beigelegt sind, mit weit mindrer Wahrscheinlichkeit gezogen werden, als zur Eriphyle, welche viel eher mit der Verbannung des Alkmaion aus Argos in gleicher Art, wie die Choephoren mit der Flucht des Orestes, enden, und dann auch einen Wortwechsel des- selben mit Adrastos enthalten, als der, an einem entfernten Orte auf jeden Fall spielende Alkmaion mit einem solchen anfangen konnte. ?) Vergl. Nachträge zum Sulzer a.a.O. 5 5 (°) Butlers (in fragm. Promethei ignif. p.214.) Mifsverständnifs, welcher gar von einer Euripideischen Trilogie "Arzuamvis redet, der Bentley (Epist. ad Mil. in opuse. philol. p- 468..ed. Lips.) diese Benennung hergestellt habe, ist auch von Hermann (de tetralog. p- 5.) gerügt worden. Früher hatte schon Toup: (Epist. erit. in opuse. erit. P.11.p.48.5q. ed. Lips.) Bentley besser verstanden, aber auch zugleich dahin berichtigt, dafs die Alkmaionis weder eine Tragödie des Euripides, wozu sie der von Bentley getadelte Über- setzer des Apollodor (1,8, 5.), mit dem Alkmaion sie verwechselnd, gemacht hatte; noch 118 SUVERN sammenstellungen läfst sich auch nichts einwenden, dafern nur nicht des- wegen auch ihre verbundene trilogische Aufführung behauptet wird, wozu es, aufser der innern Haltbarkeit einer solchen Fiction, noch historischer Gründe bedarf, an denen es in Hinsicht auf Sophokleische Trilogieen über- haupt, wie bekannt, gänzlich fehlt ('). Es kommt nicht darauf an, noch mehrere Beispiele solcher dilogischen Bildungen des Sophokles, die immer in vollendeter Ausgleichung des gött- lichen Willens mit entgegenstrebender Subjectivität, und mehr in Wieder- erhebung und Begnadigung, als im Untergange der letztern unter dem Ueber- gewicht des erstern, endigien, aber durchaus keine zusammenhangende Auf- führung g, nicht einmal entsprechende chronologische Folge der zusammen- eine Tetralogie nach der von Bentley scherzhaft hingeworfnen Hypothese, noch auch, wofür dieser selbst sie erklärt, ein historisches Werk, sondern ein episches Gedicht ge- wesen sei. S. Heyne ad Apollodor. p.638. u. 976. Schweighaeuser ad Athen. X1, 2. p. 460,2. (') Vergl. Welcker a.a.0. S.483. und 467, not. 755. auch S. 308 fg. Wenn aber derselbe (S. 508 fg.) die vielbesprochene Notiz des Suidas vom Sophokles zu aurös 72£: To) Ögine eos Ögdne Ayuvigestan, AAAR a7 FergaAoyiav zu Gunsten seiner Hypothese über die dem Aischylos und seiner Schule eigenthümliche innerlich verbundne tragische Trilogie so versteht, als ob Sophokles angefangen habe, derartigen Trilogieen solche, deren Tragödien nicht in organischer Verbindung standen, sondern jede für sich ein Ganzes ausmachten, (was aber doch jede ordentliche Tragödie thun mufs) entgegenzusetzen, so läfst sich da- gegen erinnern, zuerst, dafs Suidas, hätte er es so gemeint, dem Ögitucr mgös Ögceruoe unmöglich das ara un rergaroyiav scil. ges rergaroyiav hätte gegenüber setzen können, welches nehmlich geradezu alles Zusammenstellen von vier Dramen in einem «ywv, mögen die drei dazu gehörenden Tragödien nun innerlich zusammenhangen oder nicht, aus- schliefst; sodann auch, dafs sich mit jener Erklärung die bestimmte Thatsache nicht ver- trägt, wonach auch Aischylos schon mit Trilogieen im weitern Sinne aufgetreten war; denn die aischyleische Trilogie, wozu die Perser gehörten, bildete nimmermehr, auch wenn alles, was Welcker (S. 470 fg.) darüber aufstellt, sich so verhielte, einen der Oresteia zu vergleichenden Organismus, in welchem eine Handlung aus ihrem Keime sich bis zu ihrer Erschöpfung fortentwickelte, sondern sie gab in dem angenommenen Falle nur im Phineus eine Prophezeihung, die in der eigentlichen Handlung desselben Neben- sache war, und im Glaukos die Erzählung von einer mit der Handlung der Perser gleich- zeitigen, aber keineswegs sie, wie etwa die Schlacht bei Plataia, zum Endziele führenden Begebenheit. Wenn Suidas bemerkt, Sophokles sei der erste gewesen, der Drama gegen Drama und nicht Tetralogieen-weise in den Wettkampf getreten sei, so behauptet ‚er damit weder, dafs Sophokles dies immer gethan, noch dafs nach ihm der «ysv mit Te- tralogieen ganz aufgehört habe. über den historischen Charakter des Drama. 119 gehörenden Dichtungen, voraussetzen, hier anzuführen (!), da die erwähn- ten für den Zweck hinreichen. Aber zweier Werke von allen sich ähnlich verhaltenden des Aischylos, die sich nachweisen liefsen, mufs noch ausführlicher gedacht werden, nicht allein weil das Streben der Tragödie nach dem die Störungen und Verwicke- lungen des Lebens in Frieden und Klarheit wieder auflösenden Ziele auch aus ihnen erhellt, sondern mehr noch weil sie eine Verflechtung und ein In- einanderweben selbst verschiedener Reihen von Handlungen darstellen, das über alle dilogische und trilogische Formen weit hinausgeht und dem um- fassenden und durchdringenden historischen Blicke des Tragikers ein grofses Zeugnifs giebt. Die Idee einer Trilogie des feuertragenden, gefesselten und gelöseten Prometheus hat nehmlich, ihrer schön gerundeten Abgeschlossenheit und tie- fen Bedeutung wegen, zu viel Einschmeichelndes, als dafs sie nicht, ohnge- achtet kein Zeugnifs dafür spricht, grofsen Beifall gefunden haben sollte (?). Und, wenn Aischylos wirklich noch mehr organisch zusammenhangende Tri- logieen, als die Oresteia, gedichtet hat, was nicht unmöglich ist (°), so ist es (') Einige nennt noch Welcker a.a.0. S. 483. (*) Hemsterhuys (ad Polluc. IX, 8. 156.) nach Meursius Vorgange, den IgouwnSzis mvgbegos und rugzesös für zwei verschiedne Tragödien haltend, findet es sogar ansprechend, dafs Aischylos die ganze Geschichte des Prometheus durch die vier Dramen durchgeführt habe, und Butlern (7702. II, p. 213 und 214. seiner Ausgabe des Aischylos), ohngeachtet er nicht umhin kann, jene beiden für ein Drama, und zwar für ein Satyrstück, zu hal- ten, erscheint der Gedanke einer Ion Sees so anziehend, dafs er den Wunsch, es mögte eine solche gebildet seyn, und zwei Vorschläge zu Combinationen der ihm dahin gehörig scheinenden Stücke, durch welche dies hätte geschehen können, nicht zurückzuhalten vermag. Mehreres s. bei Welcker a.a. O. S. 114. Vergleiche Schlegels Vorlesungen Th.I. S.163. Über Schillers Wallenstein S. 233. (°) Dafs aber, wenn wirklich eine so grofse Anzahl blofs äschyleischer Trilogieen im engern Sinne, als Welcker annimmt (nehmlich 28. S.543.), existirt hätte, das aus- drückliche Anerkenntnifs nur einer einzigen davon, aus dem ganzen Alterthum, und bei den so häufigen Citationen von Tragödien in ältern und spätern Schriftstellern aller Art, sollte auf uns gekommen seyn, läfst sich gar nicht denken. Hätte Eustathius (Z. c.) mehrere solcher Formen, wie "Ogsseie, als Benennungen von Trilogieen gekannt, er würde zu Bestätigung jener gewifs diese, und nicht blofs gleiche Formen von Bezeichnungen epischer Partieen angeführt haben. 120 SUvERN in der That eine Prometheias, von welcher eine vollständige sichre Kennt- nifs zu besitzen man vorzüglieh wünschen möchte. Allein bei dem gänz- lichen Mangel aller äufsern Beweisgründe glaube ich sie bezweifeln und die Meinung derer festhalten zu müssen, welche den IIgounSeus mugboges und mugKaeUs für ein und dasselbe Stück, dessen zweite Benennung, wenn anders sie ursprünglich zu dem Stücke gehört, nur ein andres Moment der Hand- lung ausdrücke (!), und dieses für das unter dem Archon Menon mit der Trilogie, wozu auch die Perser gehörten, zusammen gegebene Satyrspiel hal- ten. In der Mittheilung des Feuers, als eines göttlichen Gutes, an die Men- schen, denen es ursprünglich versagt war, und nach dem Willen des Zeus vorenthalten bleiben sollte, da die Frage stand, ihr Leben durch die Einsen- kung des göttlichen Funkens der dumpfen Thierheit zu entreifsen, was den Göttern noch leichter Gefahr bringen konnte, als schon ihre Existenz (?), oder sie dem gänzlichen Versinken zu weihen, lag allerdings etwas sehr Tragi- sches, wenn der Titanide die Gröfse der That und die Schwere ihrer Folgen für ihn, als eines Verbrechens gegen den Herrscher der Götter, in voraus voll- ständig erkannte, aber alle Schrecknisse dieser Vorstellung und alle sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten durch den grofsen Entschlufs, dennoch das Menschengeschlecht zu retten, überwand. Prometheus in Fesseln deutet auch dies an durch sein Geständnifs (Vs. 266.), mit Bewufstseyn und Absicht habe er gefehlt, zerstört aber selbst gleich wieder, oder schwächt doch be- deutend, die tragische Kraft dieser Erklärung durch den gleich folgenden Zu- (') So wird auch Sophokles Alxs bald mit dem Epitheton nesıyopogos bald mit dem andern jeuvonevos cilirt. Das ugpogos nehme ich in keinem andern Sinne, als das uesı- yocages oder “Irzoruros sedavndogos. Die Fackel, die Geifsel in der Hand, der Kranz um den Scheitel der handelnden Hauptpersonen sind die sinnlichen Embleme der Stücke. Eine Fackel aber ist unter dem 3z in rugPosos zu verstehn (Meursius ad Lycophr.1295.), denn mit einer brennenden Fackel in der Rechten wird Prometheus oft bildlich vorgestellt und heifst davon auch sonst rugpeges z.B, Sophocl. Oed. Colon. 55., wo Reisig’s Anmer- kung zu vergleichen ist. Uberhaupt hat zugpesos mehrentheils diese Bedeutung. So Aeschyl. Sept. c. Th. 428. Blomf. Sophocl. Antig.136. Auch die Seuche wird Oed. Tyr.27. mugegos Sees genannt als fackelschwingend zum Anzünden der Scheiterhaufen (Hom.Il. 1,52. Thucyd. II, 52.), auf denen ihre zahlreichen Opfer verbrannt wurden. (*) Zucian. Prometh. 13. Opp. Vol.1, p.149. ed. Bip. Ei un aga rfro Ötdıs (6 Zeic), \ ur Pr) R 3 ‚ Ft = 3 m zu Bro amosarı im aurov erevsunı zu morEKoV eEsveyzusı maös TOÜS TEous, WemeD Ale 0 Tiyavrss. über den historischen Charakter des Drama. 121 satz, er habe jedoch nicht gedacht, dafs er mit so schwerer Bufse werde belegt werden. Daraus wäre dann mit Grund zu folgern, dafs, wenn Aischylos eine Tragödie dichtete, welche jene Mittheilung des Feuers enthielt, Prome- theus in derselben die That viel leichter müsse genommen haben, als ihr tragischer Vollgehalt erforderte. Dies aber macht der Charakter des Aischylos durchaus unwahrscheinlich; in einem Satyrstücke dagegen wäre es an seiner Stelle, womit ich jedoch den angeführten Erklärungen des Prometheus eine Rückbeziehung darauf beilegen zu wollen weit entfernt bin. Damit wäre auch eine g Io) auf Zeus, der eine volle tragische Auffassung derselben nicht Raum geben ewisse Angstlichkeit des Prometheus bei seiner Handlung in Hinsicht könnte, in einem Satyrstücke wohl vereinbar, und es liefse sich denken, dafs eine solche dem Aristophanes den Grundzug zu seiner Karikatur des Pro- metheus (4v. 1501 fg.) gegeben hätte (!). Zu einem Satyrspiele bot auch das Bringen des ersten Feuers zu den Menschen und die Wirkung, welche das Anzünden damit auf die rohen Feld- und Waldbewohner machte (?), Stoff (') Hr. Welcker (S. 35.55.) setzt diese in Beziehung auf die veränderte Stimmung des durch seine lange und harte Strafe gewitzigten Titaniden im gelöseten Prometheus. Allein so sehr erweicht und zermalmt darf man sich diesen in der gedachten Tragödie nicht vorstellen, dafs er zu einer solchen Parodirung Veranlassung hätte geben können, theils der Haltung seines Charakters wegen, theils auch aus äufsern Gründen, die wei- terhin vorkommen werden. Das von Welcker hervorgehobene z&up>s5 (Prom.Finct.511.) kann nicht von Beugung des Geistes, sondern mufs, auch nach dem Zusammenhange, nur von körperlicher Abmarterung, wie so oft (s. unter andern gleich Prom. Finct. 237.) verstanden werden. Überdem, hätte Prometheus vorhergesehn, dafs es nur jahrhunderte- langer Qualen bedürfe, um ihn zu erweichen, so wäre es in der That thöricht gewesen, sich nicht gleich erweichen zu lassen. Er mufste im Voraus wissen, dafs er durch alle Martern nicht zu erweichen war. Ich füge noch hinzu, dafs die Verhandlungen des Prometheus mit den Menschen bei Zubringung des Feuers im Satyrspiele ein sehr nahe liegendes Vorbild zu seinen Durchstechereien mit Peisthetairos bei Aristophanes waren, der gelösete Prometheus aber kein solches darbietet. (?) Hieher gehört das bekannte Fragment bei Plutarch. Hr. Welcker ($.9.) zieht auch das Fragment bei Aelian (Hist. anim. XI, 8.) Azdowz« ngov #ugre mugavss ögov im die von ihm angenommene Tragödie, wonach, wie er sagt, ‚‚der Unsterbliche, indem er sich der Flamme nähert, fürchten mufs, sich gleich einer Lichtmotte zu versengen.’’ Das wäre ‚in der That ein der Parodirung eines Komikers würdiger Zug gewesen! Allein Aischylos hatte, nach Suidas, jenes Sprüchwort (vergl. Müller. ad Tzelzae Schol. in Lycophron. 84.) auch nur sprüchwörtlich gebraucht. Hist. philolog. Klasse 1825. Q 122 SUVERN genug dar, nicht aber ebenmäfsig zu einer Tragödie, für welche es, auch von dem oben angedeuteten Gesichtspuncte aufgefafst, zu dürftig scheint ('). Wie dem aber auch seyn möge, so setzt der gefesselte Prometheus zu seinem innern Verständnisse den feuertragenden als Tragödie nicht voraus, (') Hr. Welcker hat sie zwar sehr sinnreich nach seiner Ansicht ausgeschmückt. Allein gegen seine Construction des feuertragenden Prometheus als Tragödie läfst sich manches erinnern. Zuerst und vor allem, dafs der tragische Grundgedanke und seine Einkleidung darin zu vermissen sind. Sodann, wenn Prometheus das Feuer von Hephaistos Esse entwandte (S.8.und 57.) wie kommt es, dafs im gefesselten Prometheus Hephaistos selbst oder Kratos so gar nicht hieran denken? da es sich doch zur Verknüpfung der Handlungen so ungezwungen ergab, und besonders, wenn ja Hephaistos es vergessen hatte, in Kratos Munde bei Vs. 38., um ihn noch stärker anzutreiben, fast nicht zu er- lassen war. Damit wird auch die Scene auf Lemnos und werden die Kabeiren um so mehr zweifelhaft, als es nach dem jetzt von Hermann (Dissert. de Aeschyli Philocteta p- 9:) trefflich ergänzten, Fragmente aus Attius Philoktetes doch nur wahrscheinlich ist; dafs Aischylos in seinem, dem des Attius zum Grunde liegenden, Philoktetes den Feuer- raub nach Lemnos gelegt hatte, und, wenn dies auch der Fall war, doch nichts mit Ge- wifsheit über die Scene des feuertragenden Prometheus daraus gefolgert werden kann. Eben so leuchtet nicht ein, dafs, weil der Chor der Okeaniden seinem beklagenden Liede im ge- fesselten Prometheus das Brautlied, welches er diesem bei seiner Vermählung mit der Hesione gesungen, entgegenstellt (Vs.535 fg.), dieser selbige Chor, die Hesione beson- ders als handelnde Person, und auch das Brautlied selbst (S. 11.14.17.), im feuertra- genden Prometheus müssen vorgekommeu seyn. Zwar ist zwischen den innerlich ver- bundenen Tragödien des Aischylos wie des Sophokles ein so strenger Zusammenhang, dafs man aus Blicken in die Zukunft, Weissagungen, ‚Verfluchungen, religiös auferlegten Verpflichtungen, die sich in noch vorhandenen Tragödien finden und in den Faden der Begebenheit eingreifen, mit grofser Zuverlässigkeit auf den Inhalt darauf folgender ver- loren gegangener schliefsen kann. Aus den Prophezeihungen des Prometheus über seine eigene Erlösung und über die Schicksale der Nachkommenschaft der Io im gefesselten Prometheus, welche letztere auch in den Schutzflehenden zum Theil in Erfülluug ‚gehn, ist claher die Folgerung auf den Inhalt des gelöseten Prometheus und der Danaiden, aus der Weissagung des Herakles am Ende des Philoktetes auf Lemnos, der Schlufs auf den Inhalt des Philoktetes vor Troia wohl begründet. Denn der Hinweisung auf die Zu- kunft mufste diese auch entsprechen, wenn der Dichter ihre Entwickelung durch nach- folgende Tragödien fortgeleitet hatte. In Nebenumständen dagegen mag das Nachfol- gende dem Vorhergehenden nicht immer entsprechen, wie z.B. in den Irrsalen der Io die Schutzflehenden von gefesselten Prometheus in den unwesentlichen und solchen Puncten abweichen konnten (Vgl. Vofs mythol. Briefe Th.2, S.144.), die nicht in ihre Hand- lang einwirken. Eben so kann rückwärts aus Umständen, die in noch vorhandenen Tragödien erwähnt sind, auf den Inhalt vorhergegangener verlorner nur dann mit Sicher- heit geschlossen werden, wenn solche Umstände in die Kette der Handlung selbst als über den historischen Charakter des Drama. 123 und ist in dem ganzen Umfange seiner Handlung überhaupt selbstständig und geschlossen. Allein. er endigt in einen noch gröfsern Mifsklang, als womit er begann. Prometheus hat, kundig des auch dem Zeus bevorstehenden Ge- schickes, und.nach.dessen Eintritt seiner Befreiung auf jeden Fall gewifs (Prom. Glieder verflochten sind, nicht so wenn sie nichteingreifende Nebensachen betreffen. So war der in den Sieben gegen Thebe sein Ziel treffende und mehrmals darin als wirk- sam hervortretende Fluch des Oidipus über seine Söhne höchst wahrscheinlich in dem nicht mehr vorhandenen Oidipus des Aischylos auch wirklich ausgesprochen. Dafs das Vs. 707. derselben Tragödie angedeutete Traumgesicht ebenfalls auf eine andere, ihr vor- hergegangene, worin dasselbe bestimmter erwähnt wurde, zurückweise, ist wie Hermann (de tetralog. comp. p. 10.) bemerkt, sehr wahrscheinlich. Die Bezugnahme auf die Un- that des Pelops am Myrtilos in Sophokles Elektra (Vs.497 fg. ed. Erf.) macht es höchst wahrscheinlich, dafs dieselbe schon in dem verloren gegangenen Oinomaos als durch das Geschlecht des Pelops fortwirkend motivirt war. Allein die Vermählung des Prome- theus mit der Hesione ist in Hinsicht auf den Feuerraub und seine Folgen nur ein Ne- benumstand, auf dessen gelegentliche Erwähnung sich kein Rückschlufs für den Inhalt einer vorhergegangenen, diesen Feuerraub betreffenden, Tragödie bauen läfst. Oder würde man auch die Folgerung aus der Erwähnung des einst bei Paris Vermählung mit Helena von den Verwandten gesungenen Hymenaios im Agamemnon Vs. 713 Sg., der sich nach llions Fall in ein Trauerlied verwandelt habe, auf dessen Vorkommen in einem vorhergegangenen mit dem Agamemnon zusammenhangenden Drama, oder aus der Erwähnung des Fluches, den der gestürzte Kronos über seinen Sohn ausgestofsen, im Prometheus selbst (Vs. 910.) auf dessen nothwendiges Vortreten in einer frühern Trag- ödie gestatten, ohngeachtet dieser mit der Haupthandlung des Prometheus weit näher, wie jenes Brautlied (s.oben), zusammenhängt? Den von Welcker, als entscheidend für die Zurückbeziehung der diesen Brautgesang berührenden Verse auf den fewertragenden Prometheus, angeführten Grund, dafs für letztern kein anderer passender Chor, als die Okeaniden, sich ausdenken lasse, kann niemand als entscheidend anerkennen, der die tragische Natur jenes Drama noch bezweifelt, und daher wegen des Chores desselben als eines Satyrspiels nicht in Verlegenheit ist. Man kann noch hinzunehmen, dafs ein Hoch- zeitgang, ein Brautlied, ein Triumph (S. 17 und 18.) für die erste Tragödie, den Satz einer Trilogie, den so gewichtigen Bruch des Helden derselben mit Zeus darstellend, kein angemessener Schlufs scheint. Für diesen gehörte wohl ernste Ansicht der Zu- kunft, Stählung des Muthes durch das Bewufstseyn einer grofsen, dem Gange des Welt- geschickes entsprechenden, wenn gleich dem Willen des, jenem gleichfalls untergeord- neten, Zeus widerstrebenden That gegen alle mögliche Folgen derselben für den Voll- bringer, und wäre auch im Geiste des Aischylos; der Triumph, jedoch nicht über Zeus, sondern nach geschlossener Versöhnung mit ihm, über das standhaft ertragene schwere Leiden, aber gehörte erst an den Schlufs des Ganzen, wohin Welcker auch einen sol- chen gestellt hat. Aber zwei Hochzeiten hätte Aischylos schwerlich auf die Art in der Trilogie angebracht. Q02 124 SSÜV ERS Finet.775. 907 fg.), diese zur Bedingung gemacht, unter welcher er das Ge- heimnifs, auf dem.jenes Geschick und seine Abwendung, beruht, offenbaren will (Vs. 174 19. 375. 770. 992 fg.), und da Zeus dies unbedingt fordert, durch Trotz nicht zur Aufhebung ‚der Strafe zu bewegen: (Vs. 946 fg.), so wächst von beiden Seiten die Erbitterung und für Prometheus erschwert sich die Bufse. So schliefst das Drama zwar befriedigend in Hinsicht der Fas- sung des letztern, aber mit grofser Steigerung des Zwiespalts, worin dieser mit Zeus, Zeus mit dem Weltgeschick verflochten ist. Es ist hier die Stelle, zu. bemerken, was mir nicht genugsam beachtet zu werden scheint, dafsnicht Prometheus allein, sondern nicht minder Zeus, wenn er selbst gleich nicht auftritt, Gegenstand dieser Handlung ist. Denn Prometheus Befreiung und Zeus Rettung stehen in genauester Beziehung auf einander, jene ist die Be- dingung von dieser. Auf die Schürzung dieses Knotens wirkt im gefesselten Prometheus von beiden Seiten alles hin, und seine unauflöslich scheinende Zusammenziehung am Schlusse desselben hinterläfst eine Spannung, welche fast mehr noch auf Zeus eignes, als auf Prometheus künftiges Schicksal ge- richtet ist. Das Bedürfnifs ihrer Lösung und der vollen Entwickelung der Keime einer fernen Zukunft, welche schon im gefesselten Prometheus däm- mernd zum Vorschein kommen, trieb den Dichter, bis dahin die Handlung fortzuleiten und sie im gelöseten Prometheus durch Herstellung allseitigen Friedens zu vollenden. Ausführliche Vermuthungen darüber zu bilden, wie diese Aufgabe von Aischylos möge gelöset seyn, ist für den Zweck gegen- wärliger Abhandlung nicht erforderlich. _Nur dies Eine mufs ich bemerken, dafs mir die Annahme (!), erst nachdem Prometheus das Geheimnifs des Verhängnisses über Zeus offenbart, sei von Herakles der seine Leber zer- fleischende Adler erlegt und er selbst der Bande entledigt worden, nicht wahrscheinlich ist. Es liegt nehmlich in der Frage der Io an den gefessel- ten Prometheus (Vs. 771.): Wer es denn sei, der wider Willen des Zeus ihn lösen werde? und der Antwort darauf, dafs ein Abkömmling der Io dies seyn müsse, unverkennbar die bestimmte Andeutung, dafs die Erlösung des Prometheus nicht auf Veranlassung oder Befehl, sondern wider Willen des Zeus (@xovros Aus), geschehen werde, Dureh diese Schicksalsbestimmung erhalten auch die oben angeführten festen Erklärungen des Prometheus, er (') Blümner, über die Idee des Schicksals u.s. w. S.17. über den historischen Charakter des Drama. 125 werde nur erst, nachdem er von Fesseln befreit sei, dem Zeus die ihm ver- hängnifsvolle Heirath offenbaren, volles Gewicht, und wie der Dichter von jener Schicksalsbestimmung im gelöseten Prometheus gewifs nicht abgewichen ist, so ist in diesem auch der Charakter ohne allen Zweifel sich gleich, und Prometheus seiner ersten Erklärung treu geblieben. Hiemit stimmt nun über- ein auch das Fragment bei Plutarch (!) und Plutarchs Einleitung dazu, wo- nach Prometheus in dem Augenblicke, als er von Herakles schon errettet (weis um’ aursd) und dieser ihın hochgeliebt war, dessen Vater Zeus noch sich feindselig nannte. Allein dieVoraussagung des Prometheus (Pr. Y. 187g.) Zeus werde seinen unbiegsamen Zorn einmal dämpfen, und zu Eintracht und Freundschaft dem Entgegenkommenden begegnen, weiset zu klar auch auf künftige Wiederversöhnung hin, als dafs man glauben dürfte, Aischylos sei bei der Befreiung des Prometheus stehen geblieben, und habe nicht auch durch Enthüllung der den Zeus bedrobenden Schicksalsbestimmung die volle Schlichtung des grofsen Zwiespaltes und einen völlig befriedigenden Ausgang der Handlung herbeigeführt. Es ist daher aller Grund vorhanden, anzuneh- men, der im Verfolg seines eignen Verhängnisses zu dem angeschmiedeten Prometheus gelangte Herakles habe, ohne Auftrag oder Genehmigung des Zeus, jedoch nicht ohne das, durch die Rücksicht auf seinen Vater erheischte, Versprechen des Prometheus, nach vollbrachter Errestung das Geheimnifs zu entdecken, den Adler mit seinem Geschofs erlegt — worauf das rofarı »Aeı- ves Vs. 871. des gefesselten Prometheus anspielt — und des Prometheus Fes- seln gelöset, worauf dieser, wenn auch Anfangs noch bitter gestimmt, ent- weder Jenem selbst, oder dem, mit neuem Auftrage von Zeus wegen dessen nahe gerückter Heirath mit der Thetis gleichzeitig eintreffenden Hermes (?), (!) Pita Dempr init. Ilgös de Ioumyiov Eoıze roüro maSeiv 6 Punaiow Önuos seits EE AEYAS; or eo 6 AlsyyuXe Hgork 1,IeÜs maös rov “H Hoazrea, wSsis Um’ alrol Asyam ES god, margos tar rolro dbiärarov rezvov. pirrerov kann man, auch nach der Anwendung, die Plutarch von dem Fragmente macht, nicht auf die Affection des Zeus zum Herakles, sondern mufs sie auf die Gesinnung des Prometheus zu demselben beziehn, so dafs vo: zu 2y,Sgcd und zu (irrerev gehört. Der Vater ist ihm feind, der Sohn geliebt, wie dem römischen Volke des Pompejus Vater Strabo verhafst, sein Sohn beliebt war. (?) Nach Welcker’s (S.44. vergl. S.29.) durch Vs.958. des Prometheus unterstützter Vermuthung habe ich dies aufgenommen. Dafs aber Hermes schon früher erschienen sei und erst auf die durch ihn zu Stande gebrachte Vermittelung Herakles die Befreiung 126 SUVERN das eben an diese Heirath geknüpfte Verhängnifs des Zeus offenbart habe, und so die Aussöhnung zwischen beiden und beider mit dem Schicksale, das auf ihnen ruhte, gestiftet sei. So hat Prometheus seine Uebertretung gegen Zeus gebüfst, ohne seiner über alles Leiden erhabnen Freiheit zu vergeben, und sich in Jenes Willen gefügt, ohne sich selbst untreu zu werden (!). Zeus hat sich nicht durch Prometheus zwingen lassen, ihn zu befreien, und hat dennoch durch dessen Befreiung den Schlüssel der ihn bedrohenden des Prometheus vollzogen habe, kann ich aus den oben angeführten Gründen nicht an- nehmen. In dem Mitleiden mit dem Geplagten, in der von ihm erlangten Kunde seiner eigenen Wanderungen, lag persönlicher Beweggrund, und in der Gewifsheit, durch Be- freiung des Prometheus auch seinen Vater zu retten, Nothwendigkeit genug für Hera- kles, die That zu vollbringen. Eine schon bald nach Eröffnung des Drama beginnende diplomatische Verhandlung, deren Resultat sich bis ans Ende hinzögert, während der Gepeinigte unter schrecklichen Quaalen am Felsen liegt, und erst dem Hermes alle Be- dingungen zugestehn , dann dem Herakles die von ihm zu überstehenden Abenteuer er- öffnen mufs (Welcker S.58.), bevor er erlöset wird, läfst sich auch kaum denken. Wurde er aber gegen die Mitte des Stückes befreit und erschien dann Hermes, so trat das auf Zeus gerichtete Interesse stärker hervor, das den Gang der Handlung lebendig erhielt, und das am Ende, nachdem Prometheus, durch seine Befreiung und das Zureden der Titanen des Chors gemildert, die übrigen von Welcker sehr wahrscheinlich ge- machten Bedingungen, freiwillig und auf eine würdige Art dem Zeus unterwürfig, über- nommen, durch das von ihm ausgesprochene prophetische Wort gelöset wird. Der Ein- wendung, Herakles habe durch die ohne Befehl und Genehmigung des Zeus vollzogene Befreiung des Prometheus dessen Zorn gegen sich kehren müssen, begegnet die ange- nommene Bedingung derselben, die Erinnerung an des Gottes, dem gefesselten Prome- theus zufolge, inzwischen auch erweichten und entgegenkommenden Sinn, und die nach Welcker’s ($.47.), wie mir scheint, sehr glücklicher Conjectur, zu Erfüllung des im gefesselten Prometheus Vs. 1026. ausgesprochenen Götterwillens von Herakles geleistete Stellung eines Unsterblichen zum Hinabsteigen für Jenen in den Hades. In Hinsicht der Bezeichnung des Cheiron durch Sewv rıs im gefesselten Prometheus füge ich hinzu, dafs Zeus und Cheiron, als Söhne des Kronos, Brüder heifsen in dem dem Xenophon bei- gelegten Kuvyysrizos c. 1, 4. Vergl. die Stellen bei Heyne zu Apollodor.1,2,4. Die so lebendige Beschreibung des den Prometheus im Augenblicke, wie Herakles den Adler erlegt, darstellenden Gemäldes des Euanthes bei Achilles Tatius, auf welche schon Butler aufmerksam macht, liefse sich übrigens bei Erklärung des Laokoon benutzen. Ein ähn- liches Gemälde des Panainos befand sich an den Unterwänden des Thrones des Olympi- schen Zeus. Pausan.V, 11,2. (') Die Anwendung eines so unedlen Antriebes, wie der Drohung des Zeus mit noch- maliger Einfesselung, braucht nicht mit Butler (zu Prom. Finct. 532.) vorausgesetzt zu werden, über den historischen Charakter des Drama. 427 Schicksalsbestimmung erhalten. Jener ist erlöset, und dieser gerettet. In Prometheus ist die Freiheit mit der in Zeus ruhenden höchsten relativen Nothwendigkeit, in diesem mit der über alle subjective Freiheit erhabnen absoluten Nothwendigkeit des Weltgeschickes wieder vertragen, welches für ihn unvermeidlichen Sturz mit sich brachte, wenn nicht eine solche Auflö- sung die entzweieten Kräfte wieder versöhnte. Eine ähnliche Bewandnifs, wie mit den beiden Prometheus , hat es fer- ner mit den Schutzflehenden und den nicht mehr vorhandenen Danaiden ('). Mogten diese mit den Ägyptiern, von denen nur der Titel als noch vorhan- den mit Sicherheit angenommen werden kann, zusammen eine mit den letz- tern beginnende Trilogie gebildet haben (?), was vieles für sich hat, oder nicht, so ist doch nicht zu bezweifeln, dafs jene beiden Tragödien in innerer Verbindung mit einander gestanden haben (°); nicht allein der sonstigen Geschichte der in den Schutzflehenden handelnden Danaiden, sondern auch des Zusammenhangs wegen, worin die Weissagung des gefesselten Prometheus (Prom. Finet. 853-869.) dieselbe begreift, weil nehmlich die Schutzflehen- den nur die halbe Erfüllung dieser Weissagung enthalten und eine Hand- lung nur beginnen, deren vollendete Durchführung ein sie fortsetzendes Drama vermissen läfst, welches, auch den noch übrigen Fragmenten zufolge, einzig die Danaiden seyn konnten. In der angeführten Stelle weissagt Pro- metheus der Io, das fünfte, aus funfzig Mädchen bestehende, Geschlecht nach ihrem Sohne Epaphos werde, um der Vermählung mit den Vettern zu entgehn, nach ihrem Stammlande Argos flüchten, diese aber, die Fliehenden dicht verfolgend, würden sie ereilen, allein ihres Zweckes verfehlen, indem sie bei Nacht jeder von seiner Gattin würden erschlagen, und so weder mit ihrer Beute, noch auch todt, nach Ägypten zurückkehren, sondern in ihres (‘') Die von Stanley und Pauw, anfangs auch von Butler (not. ad Tit. Suppticum.), welcher nachher jedoch (not. ad fragm. Danaidum) seine Meinung geändert hat, bezwei- felte Verschiedenheit beider Stücke, ist durch Hermann’s (Diss. de Aeschyli Danai- dibus p. XII.) Emendation und richtige Erklärung der Stelle des Strabo, worauf jene Ansicht sich stützte, aufser Zweifel gesetzt. (?) Wie nach Schlegel, Blümner und Genelli (das Theater zu Athen S. 20.), jetzt auch Welcker (S. 390 fg.) behauptet. () Böckh graec. trag. princ. p.269. Hermann de compositione tetralogiarum p.6 fg. 128 SUVERN Stammlandes Erde würden begraben werden (!). Nur eine von Jenen, durch Liebe überwältigt, werde ihres Gatten schonen, und von dieser ein könig- liches Geschlecht in Argos entspriefsen, aus welchem der Erlöser des Pro- metheus hervorgehn werde. In den Schutzflehenden erfüllt sich diese Pro- phezeihung so weit, dafs Danaos und seine funfzig Töchter, flüchtig vor den Söhnen des Aigyptos, in ihrem Stammlande anlangen, aber unter Beschir- mung der Götter, vor allen des Zevs ixeruss, die sie gleich empfängt, kaum des Schutzes der Argeier theilhaftig, von ihren rasch nachgeeilten Verwandten in Anspruch genommen werden, der König sie zwar, nach dem Beschlufs der Gemeinde, der Gewaltthätigkeit des Herolds entreifst, und in die wohlbe- festigte (Vs. 955.) Stadt führt, aber nun, wie auch der König vorausgesehn (Vs. 343. 442 fg. 477 fg.), heftiger Kampf zwischen dem die Danaiden schir- menden Volke (Vs. 614 fg. 742. 940.) und ihren Verfolgern (Vs. 947 fg.) be- vorsteht. Das Schicksal der Danaiden ist demnach am Schlusse der Hand- lung dieses Stückes, welcher, wie aus Vs. 772. hervorgeht, mit einbrechen- der Nacht erfolgt, noch unentschieden, und es ist augenscheinlich, dafs jene zum Theil über ihre Grenze, wenn als solche die erste Aufnahme der Danai- den in Argos betrachtet wird, hinausreicht (?), andererseits aber gerade in ihrem Brennpuncte abbricht. Genau, wie die Weissagung des Prometheus von den nächsten Erfolgen, dem Kampfe und seinem Ausgange, der List, womit Danaos die Vermählung seiner Töchter mit den Söhnen des Aigyptos zugegeben, nichts erwähnt, sondern von der Aufnahme der erstern in Argos gleich zu der Ermordung der letztern übergeht, so falsten nun auch wahr- scheinlich die Danaiden die Handlung bei dieser That wieder auf, jedoch schwerlich sie auf der Bühne darstellend, sondern sie selbst nur durch Er- zählung, gleichwie die oben erwähnten Zwischenbegebenheiten, in ihre eigenthümliche Handlung verflechtend. Die in derselben zu entscheidende Frage war schwierig. Neun und vierzig der Schwestern hatten sich ihrer übermächtigen Freier entledigt, aber mit Blutschuld; Hypermnestra ihres neuvermählten Gatten geschont, aber gegen ihres Vaters Befehl. Demohn- (') Dieser Siun liegt inden Worten Vs.860. Herasyi« de ötEercu. Vgl. Apollodor. II, 1,4. Ai dE aArcı raV Auvad Suryeersgwv T&S nv zebaAds rav vumdbiam ev FA Asoım zarwougar, 7a ÖE FU- \_» ’ By MAT mgo TYS MOAEWS erndsurar. (*) Jacobs in den Nachträgen zum Sulzer Th.2, S.411. über den historischen Charakter des Drama. 129 geachtet glaube ich von Hermann’s Meinung (!), dafs zwei Gerichte, das über die That der Danaiden zuerst, dann das andre über den Ungehorsam der Hypermnestra, den Inhalt des Stückes ausgemacht haben, abweichen (‘) Inder oben angeführten Dissertation. Es versteht sich von selbst, dafs, wenn kein Ge- richt über Danaos und die neunundvierzig Danaiden vorkam, auch nicht das Fragment bei dem Scholiasten zu Pindar. Pyth.111, 27. aus der Vertlieidigung des Danaos, wohin Her- mann (/.c.p. VII.) es setzt, genommen seyn kann. Überhaupt scheint mir die Voraussetzung, dafs dies Fragment, in welchem nur Toups Emendation zarer dvsmı für z&reıre Ö’ eis, und im zweiten Verse T!ws 8’ Eysıgw für Ews 2y. nöthig seyn dürfte, von Danaos, entweder bei seiner Vertheidigung, oder bei der Anklage der Hypermnestra, gesprochen sei, sehr zweifelhaft und der Grund aller in demselben erblickten Schwierigkeiten zu seyn. Man denke sich die Worte aber nur im Munde einer andern, von Danaos List ununterrichteten, Person, so erklärt es sich leicht, wie diese anı Morgen nach der Brautnacht gehn konnte, die Neuvermähl- ten zu wecken, in der Erwartung, die jungen Gatten zufrieden und vergnügt zu treffen, statt dessen aber sie ermordet fand, nur den Lynkeus von der Hypermnestra erhalten und entflohn, und dies nun erzählt. Zu einer solchen Person eignete sich niemand so gut, als eine alte rgop&s oder Sezerc«wve, dergleichen auch die Medeia und Phaidra in die Fremde begleitet hatte, und deren die alte Tragödie sich so oft bedient, häusliche Vor- gänge auf der Bühne zu berichten. Einer solchen ziemte es auch ganz wohl, früh Mor- gens die Brautleute zu wecken. Catull. Epithalam. Pel.et Thet. 377. Non illam nutrix orienti luce revisens Hesterno collum poterit circumdare jilo, wozu Köler nachzulesen und Winkelmann in der Geschichte der Kunst $.338. Wien. Ausg., den jener auch anführt, zu vergleichen ist. Ein verwandter Gedanke, wie der hier ausgedrückte, scheint mir in dem dritten Verse des Fragments zu liegen, in welchem TÜV Hogaıs TE zu zcocas nach der Anführung des Scholiasten durchaus nur als Worte des Brautliedes genommen, nicht mit Herrn Welcker von den den Hymenaios singenden Jünglingen und Mädchen verstanden werden kann. Fs ist der Wunsch non sine liberis bei Catull. LXI, 211 fg., vergl. Theocrit. XVII, 50. Neues, welches mit Mozumeveis ZU verbinden ist, wie die Götter auch sind rgeunsveis Syria, Ares u.5s. w., kann danach auch nichts anders bedeuten, als Uuroıs, wie oft (Spanhem. ad Callimach. in Delum 304.), und Sevruv ist Ss. v.a. Uaryravrwv. Die während des Sonnenaufgangs (Theoer. 1. c.56.) weckende Person hoffte die Gatten heiter gestimmt durch die Brauthymnen, worin ihnen die Singenden eine mit Kindern beglückte Ehe gewünscht hatten, und die diesem Wunsche günstig gewesene Brautnacht, sonach durch die erlangte Vermählung mildgesinnt, da sie vorher feindlich waren, zu finden. Übersetzen könnte man etwa: Und wieder hebt sich Helios glanzreiches Licht; Ich weck’ indefs die Gatten, die nun holdgesinnt Dem Hymnos, welcher Söhn’ und Töchter ihnen sang. In dem Vortrage, zu welchem das so gefafste Fragment gehörte, kann man sich einen Gegensatz denken, der ihm einen viel tragischeren Charakter geben mufste, als wenn Danaos selbst den Erfolg seiner List berichtete. Hıst. philolog. Klasse 1825. R 130 SUVERN zu müssen (!). Nach der Weissagung des Prometheus nehmlich, in welcher Hypermnestra, weil auf ihr der ganze künftige Erfolg derselben beruht, allein ausgezeichnet hervortritt, mufste sich die gesammte Handlung auf diese con- centriren, wodurch sie auch nur ein ungetheiltes Interesse erhalten konnte. Dies war aber nicht möglich, wenn das Drama in zwei verschiedene Ge- richtshandlungen sich theilte, wovon die erste Danaos mit den neunund- vierzig Schwestern, die andre Hypermnestra zum Gegenstande hatte, sondern nur wenn die Handlung um das über die letztere von ihrem Vater verhängte Gericht allein sich drehte. Die übrigen, den Chor bildenden, Schwestern hatte Aischylos wahrscheinlich aus dem in den Schutzflehenden gefafsten, und hier nun durchgeführten, Gesichtspuncte des Widerwillens der Götter gegen den die Schwäche verfolgenden, sie sich unterjochenden und der hel- lenischen Götter nicht achtenden (‚Supplie. 894. 921 fg.), nunmehr nach Ge- bühr bestraften, Uebermuth der Söhne des Aigyptos gehalten. Die Aus- gleichung auch ihrer That konnte sich an die, die Lossprechung der Hyper- mnestra entscheidende, durch deren Liebe zu ihrem Neuyermählten schon in jener Weissagung (Prom. Finct. 865.) motivirte, Erscheinung der Aphro- dite anknüpfen, und die Göttin in der Vertheidigung der von ihr Beschützten, wovon noch ein herrliches Bruchstück erhalten ist, die übrigen Schwestern auf ihre, nach Apollodor auf Zeus Befehl durch Athene und Hermes voll- zogene, Reinigung hinweisen. So wäre denn am Schlusse dieser Handlung nicht blofs die frevelnde Stärke durch den schwächern, aber von den Göttern beschirmten, Theil gebrochen und ihr Trotz blutig gestraft (?), sondern es wären auch die Vollbringerinnen dieser That zugleich mit der, welche sie unterlassen, gerechtfertigt worden, jene als Werkzeuge der göttlichen Straf- gerechtigkeit, diese weil ein höheres Geschick über ihr waltete. Mit erhe- benden und heiteren Blicken in die Zukunft, die sich an Hypermnestra und ihre Nachkommenschaft knüpften, konnte diese zum Schlusse geführte Hand- lung endigen, und das Forttreiben eines frischen, in eine ferne grofse Zeit eingreifenden, Lebens aus dem nun gelöseten Streite ankündigen. Hier tritt aber der Faden ans Licht, an welchem die besondere Hand- lung der Schutzflehenden und der Danaiden mit der des gefesselten und des (') Welcker (S. 395 und 405.) stimmt hiemit überein. (°) Hierin liegt die von Welcker (5.398 und 492.) vermifste sittliche Idee der Handlung. über den historischen Charakter des Drama. 134 gelöseten Prometheus zusammenhängt, und in diesem Zusammenhange mufs man beide fassen, um jene in ihrer vollen Bedeutung zu verstehn und zu würdigen. Derselbe gründet sich auf die To, deren Nachkommen die Töchter des Danaos waren, von denen Prometheus, als dem Geschlechte, aus dem sein Befreier entspriefsen solle, ihrer Stammutter weissagt (Prom. Finet. 674 fg.773-775.853 fg.), so wie auf diese die Schutzflehenden häufig zurücksehn (Suppl.20. 41 fg. 140.277 fg. 299. 325. 541 fg. u. a. m.), und es ist wenigstens ein sehr richtiger Blick von Butler ('), dafs er in der hypo- thetischen, übrigens unstatthaften, Verbindung des gefesselten Prometheus, der Schutzflehenden und des gelöseten Prometheus zu einer Trilogie diesen Zusammenhang aufgefafst hat. Die Prometheische Handlung verhält sich aber zu der Danaidischen so, dafs jene den Kreis bildet, welcher diese in sich verkettet, und diese letztere hinwieder einen in jene erstere eingreifenden historischen Knoten löset, indem sie das Geschlecht der Io seinem Mutter- lande wiedergiebt und aus der ihm drohenden Gefahr errettet, vornehmlich aber die als ein lichter Stern schon im Prometheus in die Zukunft leuchtende Hypermnestra erhält und selbst an der blutigen That ihrer Schwestern schuld- los bewahrt, als den Zweig des Geschlechts, vermittelst dessen der in den grofsen Kreis fortlaufende Faden sich weiter spinnt (*). Der gefesselte Pro- metheus und Io eröffnen, der gelösete und Herakles schliefsen diesen Kreis. Weil aus ihr der Erlöser des Titaniden entspringen sollte, und zugleich als 1) Not. ad fragm. Danaidum. fe} (*) Dies ergiebt sich ungesucht als die Absicht und der Zielpunet der Schutzflehenden und der Danaiden, den Welcker (S. 399.) in der Entstehung des Danaervolks, welche freilich damit zusammenhängt, nur nicht das Letzte seyn kann, erblickt. Wie genau übrigens die Beziehung der Weissagung im Prometheus auf jene beiden Stücke ist, geht mit daraus hervor, dafs selbst das in jener (Prom. Finet. 857.) vorkommende Bild von den die Danaiden als Tauben verfolgenden Aegyptiaden als Raubvögeln, in den Schutzflehenden (Vs. 226.) gleichsam als verwirklicht wieder hervortritt. Darum zweifle ich auch nicht, dafs die Weissagung über die Hypermnestra (Prom. Finet. 867.) sie würde lieber feig als blutbefleckt heifsen wollen, in den Danaiden in einer Vertheidigung der Hypermnestra, als erfüllt, wörtlich etwa so wieder vorgekommen sei: Avsıv yap Sorrzgov wruew aweerzıs 1RAAcv Y fanbovos EBovurdunv. Wurde auch, wie es mir wahrscheinlich ist, der Prometheus später, als die Schutzfle- henden, gedichtet, so erklärt sich doch diese Ubereinstimmung um nichts leichter, als bei dem umgekehrten Verhältnifs. R2 132 SÜUÜvERN Gegenbild eines schweren und grofsen Verhängnisses, wird Io zu ihm ge- führt. Was ihr da verkündet wurde, dem wird in den Schutzflehenden und Danaiden die Erfüllung gesichert. Und diese endlich wird im gelöseten Pro- metheus durch‘ den Abkömmling der Io und der Hypermnestra vollzogen, welcher vor derselben Stätte, von wo seine Ahnin ihres Geschlechts Zukunft erfahren, dreizehn Menschenalter nachher die Weissagung auch seiner Irr- sale vernimmt, und das vorher verkündete Werk der Befreiung des Prome- theus vollzieht. Dieser, den Willen der weltlenkenden Macht durch einen zwiefachen Knoten durchführende dramatische Cyklus, dessen Anfang, Mitte und Schlufs, eine so weite Vergangenheit und Zukunft, das ganze mythische Zeitalter vom Sturz der Titanen bis zur Dämmerung des historischen, um- fassend, einander nahe bringt und in bedeutungsvollen Puncten zusammen- drängt, erscheint mir als eine der gröfsten poetischen und zugleich histori- schen Conceptionen, wie sie nur der tiefe Geist des Aischylos fassen konnte, und man kann wohl sagen, dafs hier mehr ist als alle Trilogie. Die wahrhaft historische Neigung, einen tragischen Conflict durch alle seine Hauptmomente bis zu Erschöpfung der ganzen Reihe sich darin erhe- bender Gegensätze und der Wiederkehr des Gleichgewichts und Friedens zu verfolgen, treibt nun auch die, durch die epischen Oyklen hierin geleitete, Tragödie zur Gestaltung gröfserer Kreise von Dramen, welche im Ganzen zum Theil nur durch die Personen, die ihr Hauptgegenstand sind, wie der Dionysische, worin auf den Sieg und die Verherrlichung des Gottes über allen sich ihm verschiedentlich entgegenstellenden Widerstand alles ankam, oder durch die ihnen zum Grunde liegenden gröfsern Unternehmungen, wie der Argonautische und Troische, in loser Verbindung mit einander stehn, aber kleinere, enger zusammen verbundene, Gruppen von Dramen in sich fassen. Zu diesen gehören einige der vorerwähnten kleineren von zwei oder drei Stücken, zum Theil aber greifen auch in sie ein die gröfsern Reihefolgen von Tragödien, worin Aischylos und Sophokles die Geschichten der Lab- dakiden, welche mit dem Thebanischen, und der Pelopiden, welche mit dem Troischen Cyklus verwebt ist, jener indefs mehr die der erstern, dieser der letztern, ausgeführt haben, und in denen wieder besondere kleinere Grup- pen sich bilden. Schon die Trilogie der Oresteia wird durch die ihr vor- ausgegangene Iphigeneia, deren Inhalt sich eng an den Agamemnon anschlofs, erweitert. Einen weit gröfseren Kreis der Zeit wie der Handlung aber be- über den historischen Charakter des Drama. 133 schrieb Aischylos, die im Geschlechte der Labdakiden eingerissene Ent- zweiung durch alle Puncte, worin diese sich hob und wiederum senkte, von seinem Laios an, in der Sphinx und dem Oidipus, deren näherer Zusam- hang sichtbar ist, dann ferner in der Nemea, den Sieben gegen Thebe, den Eleusiniern, bis zu den Epigonen, wo in Thersandros der Glückstern des Hauses aufging, ganz nach den Grundzügen, durchführend, welche Pinda- ros (1) so treffend davon entwirft. Auf gleiche Weise hatte Sophokles in einem zusammenhangenden Kreise die Schicksale der Pelopiden dargestellt. Zuerst im Oinomaos den Gewinn der Hippodameia durch Überlistung ihres Vaters und die Ermordung des dazu behülflich gewesenen Wagenlenkers Myr- tilos, von welchen Thaten des Pelops Sophokles auch in der Elektra das ganze Unheil jenes Geschlechts herleitet. Dann bildeten der Atreus, der Thhyestes in Sikyon und der zweite Thyestes eine besondere Gruppe, welche die Greuel- thaten der beiden Brüder gegen einander, der Atreus das unter dem Scheine der Versöhnung seinem Bruder bereitete scheufsliche Mahl, der Thyestes in Sikyon des Thyestes darauf folgenden Aufenthalt in Sikyon und Zusammen- treffen mit seiner Tochter Pelopeia, ohne sich beiderseits zu erkennen, der zweite Thyestes endlich dessen Wiedererkennen mit seiner Tochter im Ge- fängnifs in Argos und die von seinem mit ihr in Sikyon erzeugten Sohne Aigisthos durch die Ermordung des Atreus an diesem vollstreckte Rache dar- stellte. An diese schlossen sich die Iphigeneia, die Klytaimnestra (wovon das grofse vor zwanzigJahren entdeckte vermeintliche Fragment eine kurze Freude brachte) und die noch vorhandene Elektra, deren erste die Opferung der Jungfrau, die andere die Ermordung des Agamemnon, die dritte die wieder vom Örestes an der Klytaimnestra und dem Aigisthos genommene blutige Rache enthaltend. Und bildete gleich Sophokles nicht, wie Aischylos, aus der Sühnung des Orestes eine besondere Tragödie, so fehlte deren Erwähnung doch schwerlich in der Hermione, in welcher mit der vollen Erheiterung seines Lebens durch den Wiedergewinn dieser seiner Gattin, deren mit ihm erzeugten Sohn Orestes in diesem Stücke von der vollzogenen Rache seines Vaters Tırdueves nannte (?), der lange fortgesponnene Unheilsfaden seines Geschlechts ablief und der Kreis sich schlofs. (') Olymp. II. 39 - 50. ed. Boeckh. (*) Eustath. ad Odyss. A, p. 1479. 134 SUVERN Zu diesen grofsen Vorbildern stellt die neuere Tragödie ein grofses Gegenbild auf in der fest in einander greifenden Folge Shakespearescher, den blutigen landzerrüttenden Zwist der rothen und weifsen Rose umfassen- der, Dramen von Richard II. bis Richard III., welches frei und ohne Nach- ahmung jener alten Bildungen entstanden, reicher als sie an Mannigfaltigkeit des Lebens und seines sich drängenden Wechsels, nicht minder tief an allge- meiner, und, nach allen Zeugnissen, unvergleichlich in besonderer histori- scher Wahrheit, in tiefer Ergründung und treffender Darstellung der Ver- hältnisse, der Triebfedern und Personen ist. Das Heil und der Friede der die ihr vorgezeichnete feste Bahn wandelnden Menschheit und Englands Wohlfahrt und Ruhe schweben im Hintergrunde, und auf dem Schauplatze bewegt sich die unselige, das ganze Volk, Hohe und Niedere, durchdrin- gende Entzweiung der um die Krone streitenden Häuser mit beiden, aus dem ursprünglichen Gegensatze immer neue Verwicklungen erzeugend, welche insgesammt der Prophezeihung Richards I: [e) Es kommt die Zeit, dafs arge Sünde reifend Ausbrechen wird in Fäulnifs, eine schauderhafte Erfüllung geben, in denen Gutes mit dem Schlech- ten untergeht, jede Schwäche, jede Verblendung, jeder Frevel seinen Lohn empfängt, mehrentheils sich selbst ihn bereitend, und alle bösartigen Ele- mente sich in einander selbst verzehren, bis das teuflischste unter ihnen in Richard III. sich durchgearbeitet hat, in ihm aber auch das ganze Princip der Entzweiung mit einem Male vernichtet wird von dem inzwischen heran- gereiften der sittlichen Würde und Kraft, der Harmonie und des Friedens, welches in dem, schon von Heinrich VI. prophetisch gesegneten, jungen Heinrich von Richmond, rein und unberührt von all den Greueln unheilvol- ler Zwietracht, auf dem Schlachtfelde von Bosworth sich erhebt, einen neuen Bund des Friedens an die Stelle der ausgetobten Feindschaft setzt, noch ein- mal in die lange Schreckenszeit, ,‚wo England im Wahnsinn sich selbst schlug,’’ den Blick zurückwirft, und dann mit frommen Wünschen und hei- teren Aussichten in eine segenreiche Zukunft den grofsen Ring dieser thaten- reichen und inhaltschweren Handlung schliefst. Ob Aischylos und Sophokles ihre Labdakidischen und Pelopidischen Tragödienkreise nach Absicht und Plan angelegt und geschlossen haben, ist, mit Ausnahme der Oresteia, zu bestimmen unmöglich. Aber dafs Shakespeare seinen York - Lancasterschen über den historischen Charakter des Drama. 135 Tragödieneyklus, wenn gleich die dazugehörigen Stücke nicht in der Zeit- folge, wie die Begebenheiten sich an einander reihen, gedichtet sind, mit der klarsten Absicht und dem bedachtesten Plane gebildet habe, giebt das feste Ineinandergreifen desselben, und vorzüglich sein, die Aussöhnung nach Verzehrung des Saamens der Zwietracht und das aus jener erblühende neue Leben ankündigender, schöner Schlufs deutlich zu erkennen. So wird es nun hinlänglich nachgewiesen seyn, dafs zwar im Allge- meinen Darstellung grofser Confliete des Nothwendigen und der Freiheit in ihrer Verwickelung und Entscheidung Zweck der Tragödie, dafs aber nicht die gewaltsame Vernichtung derselben die einzige und höchste Form ist, worin sie ihn ausdrückt und erreicht, sondern vielmehr ihr eigentliches und tiefstes Streben nach seiner Auflösung und seinem Uebergang in Harmonie und Gleichgewicht und das daraus entspringende neue Leben geht, also auch nicht auf Verherrlichung des Nothwendigen allein, sondern auch der Frei- heit, aber nur in ihrem Einklange mit jenem und in der Kraft, die sie durch ihre Wiedervereinigung mit ihm gewinnt, gerichtet ist. Nun aber sind alle in der Zeit liegenden Auflösungspuncte grofser tragi- scher Entzweiungen und Confliete immer nur relativ in Hinsicht der Gegen- stände wie der Dauer ihrer Wirkung, nur Momente der Hemmung und des 8) Stillstandes, nie gänzlicher Aufhebung derselben. Jener radicale Zwiespalt zwischen dem Allgemeinen und Besondern, dem Nothwendigen und der Frei- heit, ist zu tief in dem Wesen der menschlichen wie aller endlichen Natur gegründet, als dafs er, wenn gleich in den einzelnen aus ihm hervorgegange- nen grofsen Erscheinungen sich erschöpfend, völlig aus jener zu tilgen wäre. Auf dem Gebiete der Geschichte durchkreuzen sich die verschiedenen Reihen seiner Wirksamkeit dergestalt, dafs, während er in der einen ausläuft, er viel- leicht eben mit dadurch in vielen andern verstärkt sich fortpflanzt, oder in neuen Zerrüttungen ausbricht, und selbst da, wo sich nach seiner Erschöpfung aus dem hergestellten Frieden und Gleichgewicht neues Leben entbunden - hat, wirkt er doch aus seinen tiefen Quellen und in deren feinen Adern oft noch lange fort und zeigt sich in unerwarteten Spuren. So mufste z.B. noch das sechste Geschlecht nach Polyneikes, in dessen und seines Bruders Tode der Fluch ihres Hauses nach den Tragikern zu Ende lief, die Aigeiden in Sparta, Abkömmlinge desselben, die sie heimsuchenden Erinnyen des Laios und Oidipus, auf Geheifs des Orakels, durch ein ihnen errichtetes Heilig- 136 SUVERN thum sühnen (!). Im Laufe der Zeit gelangt so die Menschheit zu keinem absoluten Verschwinden des ihr eingewurzelten Zwiespalts, sondern ein stets wechselndes Verstehn und Mifskennen, Gewinnen und Verlieren ihres festen Bodens und wahren Lebens bewegt sie unausgesetzt, und erst ans Ende der Zeiten stellt sie das Bild ihres völligen Wiederaufgehens in die Harmonie und den Frieden ihres ursprünglichen Zustandes. Allein jene Richtung jeder ausgebrochenen Entzweiung zu ihrer eige- nen Zerstörung, zu Vernichtung oder Wiederversöhnung ihres Prineips und Herbeiführung eines neuen Gleichgewichts, weiset deutlich auf ein durch jenen Wechsel hindurch wirkendes und in ihm sich offenbarendes höheres Prineip der Einheit hin, in welchem die in der Erscheinung mit einander rin- genden Kräfte nie entzweit sind, und dessen reine Harmonie durch das Rau- schen ihres Kampfes, das unwandelbare Maafs und die stätige ruhige Entfal- tung des Weltrhythmus in ihm erhaltend, und alles zu einer concors discordia rerum verschmelzend, hindurchtönt. Wenn daher die auf Lösung und Aussöhnung des Zwistes des Noth- wendigen und der Freiheit gerichtete Tendenz der Tragödie durch das Stre- ben, dieselbe in irgend einem Zeitmomente zu erreichen, immer nur eine relative Befriedigung finden konnte, so vermogte sie dagegen, durch Auffas- sung der schon inmitten der Entzweiung waltenden Harmonie und ihres durch den ganzen Verlauf des Conflictes sich offenbarenden Prineips, sich in den Mittelpunect des ganzen Lebens zu versetzen und dieses in seinem Streite und seinem Frieden, seiner Wandelbarkeit und seiner Dauer, seiner Nichtigkeit und Scheinbarkeit und seiner Wahrheit, seinem Unheil und der Kraft seines Gedeihens, so wie es ist, mit einem Male zu umfassen. Auf diesen Standpunct erhebt sich die griechische Tragödie durch den Chor. Den veralteten Ansichten über diesen entgegen, als sei er nur ein Überbleibsel von ihrem ersten rohen Anfange her der Tragödie anhaftend, oder eine nicht zu sehr vom Inhalt der Stücke abziehende Ausfüllung von Erholungspausen, bemerkte schon vor mehreren Jahren Ast (?) sehr richtig, dafs der Grund und Ursprung des Chors, philosophisch betrachtet, durch- aus nicht für etwas Zufälliges und aufser dem Wesen der Tragödie Liegendes (') Herodot. IV’, 149., und was das Genealogische betrifft 6, 147. und VI, 52, (?) Diss. de Platonis Phaedro. p- 4. über den historischen Charakter des Drama. 137 gehalten werden dürfe. Allein weder Schiller hat ihn in der Beschreibung, welche er in der Vorrede zur Braut von Messina von ihm, als von einem schönen Schmucke und reichen Faltenwurfe um den Körper der Handlung, giebt, als einen solchen wesentlichen Bestandtheil der Tragödie gefafst, und in der Ausführung als solchen behandelt, noch ist in A.W. von Schle gel’s Versuchen, ihn zu erklären ('), wonach er erst als der personifizirte Gedanke über die dargestellte Handlung, dann als die verkörperte und mit in die Dar- stellung aufgenommene Theilnahme des Dichters, weiterhin als der nationale Gemeinsinn, endlich als die allgemein-menschliche Theilnahme, als Sprecher der gesammten Menschheit und idealisirter Zuschauer begriffen und aus dem republikanischen Geiste der Öffentlichkeit abgeleitet werden soll, das Schwan- kende, den innigen Zusammenhang des Chors mit dem inneren Wesen der Tragödie und deswegen auch den Mittelpunct seines eigenen Wesens Ver- fehlende, wie schon Solger bemerkt hat (?), zu verkennen. In dem, was ich bereits vor vierundzwanzig Jahren darüber vorgetragen habe (°), ist wenigstens der Chor als ein integranter Theil der Tragödie betrachtet, und liegt der aus dem Wesen der letztern abgeleiteten Ansicht von ihm eine Ah- nung der Wahrheit zum Grunde, welche indefs durch den gänzlich verfehl- ten Ausdruck des in ihm liegenden Princips der Einheit als einer Synthese des in der Handlung dargestellten Gegensatzes durchaus verdunkelt ist und das in die Vorstellung über die Beschaffenheit dieses Gegensatzes noch ein- gemischte Unklare und Unvollkommene getheilt hat. Wenn wir nehmlich den Chor nicht nach einzelnen Tragödien, son- dern so, wie er im Ganzen von Aischylos behandelt und von Sophokles aus- gebildet ist, betrachten, so werden wir in ihm einen zwar von der Hand- lung nicht scharf abgeschnittenen oder ihr entgegengesetzten, sondern sich vielmehr an sie anschliefsenden, in den jener eigenen Dialog eingehenden, ja in Hoffnung und Furcht, Warnung und Rath, Klage und Trost, an ihren Wendungen Theil nehmenden, sogar wohl zu dithyrambischer Begeisterung von ihren augenblicklichen Eindrücken hingerissenen, aber auch wieder von der Handlung und den in ihr befangenen Kräften verschiedenen, und nicht (‘) Vorlesungen Th.I, S.113 fg. und 115. (?) Wiener Jahrbücher a.a. ©. S. 97. C) Über Schillers Wallenstein S. 36 fg. 211 fg. 218 fg. Hıst. philol, Klasse 1825. un 138 SUvERN in ihre Katastrophen verflochtenen, sondern in Ergüssen von Empfindungen und Betrachtungen, welche, wenn gleich durch die Handlung veranlafst, doch von ihr unabhängig sind, und in diesen angemessenen selbständigen lyrischen Weisen, den sasıuas (!), sich von ihr wieder ablösenden und über ihr schwebenden, Bestandtheil der Tragödie erkennen. Diese Erhebung des Chors über die Handlung beginnt von der einfachen und klaren Auffassung ihrer Gegensätze und Widersprüche, des Ursprungs derselben und der Mo- mente, auf denen ihr Conflict beruht, steigt mit erweiterter Ansicht zu dessen in der allgemeinen Beschränktheit der menschlichen Natur und dem beson- ders Gefahrvollen und Verführerischen gewisser Verhältnisse derselben liegen- den Gründen auf, weiset die zarten und leicht zerreifsbaren Bande, welche die Freiheit an das Nothwendige im Leben knüpfen und die schmale Bahn, auf der Beide in Eintracht und Segen mit einander bestehn, so wie gegenüber die Verwicklung von Irrsalen und Unheil nach, worin die Freiheit geräth, hat sie einmal jene Bande zerrissen und jene Bahn verlassen, enthüllt weiter die verborgenen Pfade, auf denen solche Verkettung durch des Nothwen- digen unvertilgbare Kraft und der von ihm verirreten Freiheit Ohnmacht und Verblendung zu ihrem Ziele geführt und die Entzweiung gelöset wird, und schwingt sich so aufwärts zu der höchsten Betrachtung des Weltgan- ges und seiner Gesetze, und der über ihnen waltenden, das Leben in seinem Wechsel und in dem festen Grunde seiner Einheit umfassenden und tragen- den göttlichen Macht. Der Chor ist hiernach das Element der Tragödie, welches die Hand- lung durch Anschliefsung an dieselbe dergestalt in sich aufnimmt, dafs es die sie erzeugende und bewegende Entzweiung wie in ihrem Hervorbrechen aus der Einheit und in den Wendungen ihres Gonflietes abspiegelt, so auch wie- der bis zu ihrer Vernichtung und Auflösung in die Einheit zersetzt, und worin sich das allgemeine Gleichgewicht der in der Handlung mit einander ringen- den Kräfte schon während derselben in seinen unwandelbaren Gründen ge- genwärtig erhält, dem jene erst mittelst völliger Durchführung des Conflietes zustrebt. Zwar entwickelt sich das Wesen des Chors in keiner Tragödie in der- selben Stufenfolge, welche oben in ihren Grundzügen angegeben ist. Viel- (') Von diesen scheint mir die Hermannische Erklärung zu Aristoteles Poet. XI, 8. welche sich an die aristotelische anschliefst, die allein richtige. über den historischen Charakter des Drama. 139 mehr geht er, bald sich über die Handlung erhebend, bald wieder sich zu ihr senkend, und beides in verschiedenen Maafsen, viele Grade der Theil- nahme, der Betrachtung und Begeisterung, von der Lebhaftigkeit subjectiver Empfindung und Ansicht bis zu der hohen objeetiven Anschauung durch, womit er sich, die gröfste Tiefe und Fülle mit der lautersten Klarheit und Ruhe vereinend, in die Geheimnisse der Weltregierung eintaucht und worin er den Gipfel seiner Bedeutung erreicht. Und diese seine Erhebung und Senkung verbreitet sich so abwechselnd durch das Ganze einer Tragödie, wie durch das Leben selbst der Faden seines tiefen innern Zusammenhangs durch alle seine Widersprüche, bald sich scheinbar in sie verlierend und von ihnen verdunkelt, bald in leuchtender Offenbarung hervortretend, sich hin- schlingt. Auch ist der Chor nicht in allen Tragödien gleich behandelt und gelangt nicht in allen zu gleicher Höhe seiner Bedeutung. Dies hängt auch sehr von der Beschaffenheit und Bedeutsamkeit der Handlung selbst mit ab, wie z.B. im Aias und im Philoktetes, in denen der Chor wohl am schwäch- sten behandelt seyn mag, und auch auf untern Stufen der Betrachtung sich hält, in deren Handlungen aber auch eben keine Veranlassung zu hoher Gei- steserhebung enthalten ist. Aber der Faden, der weiter entwickelt zum Höch- sten führt, und eine stufenweise Annäherung dazu, findet sich überall. In andern Stücken, wie in Aischylos Eumeniden und Schutzflehenden, ist er zwar mit ein Subject der Handlung und wird durch ihren Ausgang betroffen. Dies kann man aber als auf dem Wege der Ausbildung des, in Aischylos überhaupt noch überwiegenden, Iyrischen Elements der Tragödie in dessel- ben Verhältnifs zum Ganzen liegende Abweichungen betrachten, wobei dem- ‚ohngeachtet, weil in den Schutzflehenden die Rechte der Menschheit am Chore selbst verletzt zu werden Gefahr laufen, und er in den Eumeniden als Ver- treter des Heiligsten und Rächer der höchsten Schuld auftritt, kurz weil er nicht auf Seiten der willkührlichen Gewalt, der Schuld und des Frevels, son- dern des Nothwendigen und Rechten steht, nicht hinderte, dafs er, auf die Macht, welche das Leben, trotz aller seiner Verirrungen und Täuschungen, an diesem festhält, hinschauend und hinweisend, seiner Bedeutung, zum Theil auf die erhebendste Weise, entsprechen konnte. Der in diesem Geiste gehaltene Chor vollendet nun, wie den po&ti- schen und philosophischen, so auch den historischen Charakter der griechi- schen Tragödie, indem er, während die Handlung das Leben in seinem Ss 2 140 SUvERN Wechsel und seiner Wandelbarkeit und deren Urquell, der Entzweiung, ab- bildet, den Grund seiner Einheit und seines Bestehens in derselben gegen- wärtig erhält, Noch während die Tragödie in der Handlung darstellt, ‚,dafs alle Kunst ohnmächt’ger als Nothwendigkeit’’ (!), und wie vor dieser alle mit ihr entzweite irdische Gröfse zerfällt, erhebt sie im Chore sich zur An- schauung des göttlichen Wirkens in der, alle krankhaften Erscheinungen des Zeitlebens zu ihrer Auflösung hinleitenden, und durch ihren Wandel die ge- sunde Fülle der bleibenden Lebenskraft erhaltenden, ewigen Weltordnung. So schliefst sie sich, in vollendeter Entwickelung und Ausbildung ihrer ge- schichtlichen Anfänge, deren lyrischer Stamm die Herrlichkeit der Götter leierte, und in deren epischem Bestandtheile leuchtende Beispiele ihrer Offen- barung in den Krisen des Lebens jenem anwuchsen, zu einem abgerundeten Bilde des Lebens und seiner Geschichte, zu deren voller Darstellung in Wer- ken sowohl der historischen als der diehtenden Kunst ihre Auffassung nicht allein von Seiten des Mannigfaltigen, sondern auch von Seiten der absoluten wie der relativen Einheit, in demselben gehört. Dafs alles dessen die alten Tragiker sich nicht bewufst waren, dafs eben so wenig in alten Theorieen da- von die Rede seyn konnte, dafs jene vielmehr, wie in neuerer Zeit von be- deutenden Stimmen mehrmals erinnert ist, allein darauf sannen, wie sie den treffendsten Eindruck auf ihr Publieum machen könnten, bin ich hiebei kei- neswegs in Abrede. Allein die lebendige und ergreifende Wirkung, welche Aischylos und Sophokles hervorbrachten und noch hervorbringen, fliefst doch im Wesentlichen eben aus der tiefen Anschauung des Lebens, welche allen ihren Dichtungen zum Grunde liegt, und in der treuen und ansprechen- den Darstellung, worin sie sich ausdrückt. Ein Gleiches ist mit Shakespeare der Fall. Nur wem das Leben sich so geoffenbart hatte, nur der vermogte so lebendig, so allgemein, so dauernd zu wirken. In der neuern Tragödie ist das im Chore der Alten liegende Element zwar nicht in gleicher Art besonders hervorgetreten und konnte es ihrer ganz verschiedenen Entstehung und Ausbildung wegen auch nicht. Dem- ohngeachtet kann man nicht sagen, dafs es ihr gänzlich fehle. In mehrern ihrer Werke scheint die ihnen zum Grunde liegende Idee des historischen Ganzen, zu welchem die entzweieten Kräfte sich einerseits positiv, anderer- (') deschyl. Prometh. 514. vergl. 551. - über den historischen Charakter des Drama. 1. seits negativ verhalten, sehr deutlich durch, und Shakespeare's tief religiöser Sinn hat in dem Mehrtheile seiner Tragödien, selbst der politischen, auch das Walten des kosmischen höchsten Einheitsprineips, in welchem alle Ent- zweiung untergeht, ohne viele Reden und Sentenzen über Schicksal, Vor- sicht und Gnade, merklich zu machen gewufst. Der Wiedereinführung des Chores, oder besonderer stellvertretender chorischer Personen, bedarf es daher zu voller Herstellung der Tragödie nicht. Fehlt nur das chorische Prineip nicht, welches auch in die Werke der historischen Kunst verwebt werden kann (?), ja nicht darin fehlen sollte, nehmlich das Prineip der höhern und allgemeinern Kraft, welche das Besondre zu durchdringen und gestalten strebend, wie entgegengesetzt oder abweichend dieses auch immer sich zeige, dasselbe doch unausgesetzt an sich zu ziehen und mit sich zu befreun- den sucht, solchergestalt in allen Erscheinungen positiv oder negativ sich offenbart, und alles in einem Chorus gewissermaafsen zusammenhält, so steht die neuere Tragödie, wenn auch nicht in derselben Form, aber in Ge- schlossenheit und Abrundung des historischen Charakters, der alten vollkom- men gleich. Andrerseits kann ein bedeutendes Beispiel des griechischen Alter- thums selbst zeigen, dafs der Chor an und für sich zu dem historischen Charakter der Tragödie nichts beiträgt. Wenn nehmlich dieser Charakter, wie jetzt hinlänglich nachgewiesen ist, darin besteht, dafs die Tragödie das Gesetz und den Gang der Geschichte, nach welchem sich grofse Entzweiun- gen der Freiheit mit den festen, mehr oder minder allgemeinen, Bedingungen und Schranken des Lebens, gleich allen krankhaften Erscheinungen einer Organisation und, ohne doch schon während ihrer Krise und durch dieselbe die Harmonie des Ganzen und des sie erhaltenden Lebensprineips zu stören, bis zu ihrer Aufhebung und Lösung entwickeln, versinnbildet, so wird man diesen Charakter wohl in den 'Tragödien des Aischylos und Sophokles er- blicken, kann dagegen nicht sagen, dafs er denen des Kuripides eigen sei. Die Tragödie des Euripides beruht nehmlich ganz auf der Auffassung des Lebens und seiner Breignisse nicht nach seinen allgemeinen Gesetzen und den in ihm wirkenden objeetiven und subjeetiven Kräften, sondern nach der Beschaffenheit und Lage der Einzelnen und ihren gegenseitigen Verhältnissen. (') Vergl. meine akademische Abhandlung über den Kunstcharakter des Tacitus. 142 SUVERN Sie mufste daher auch in psychologischen und conventionellen Motiven ganz aufgehn, und das Einwirken der höhern, so weit sie deren aus untergeordne- ten poötischen Rücksichten, oder der herrschenden Volksansicht wegen, ge- denkt, konnte nicht anders als zur Nebensache in ihr werden (!). Daher denn die oft vorkommenden Sprüche über Schicksal und Glück, die Theo- phanieen, die Feier der göttlichen Macht in den Chören, und was der Art bei Aischylos und Sophokles lebendig aus dem Leben des Ganzen fliefst, wie nicht zum Ganzen gehörig und nur mechanisch mit ihm zusammenhängend in ihr erscheinen gegen die psychologischen Entwickelungen, die Schilde- rungen der individuellen Verhältnisse, die Regeln über sittliches und kluges Verhalten, über Leidenschaften und ihre Behandlung, die Betrachtungen über Glück und Unglück, Reichthum und Armuth, worin ihre Stärke und (') Es ist nicht überflüssig zu bemerken, dafs das Verkennen des universal-histori- schen Prineips, aus welchem die Tragödie des Aischylos und Sophokles entsprungen ist, und sein Verwechseln mit dem psychologisch-moralischen, in dessen Sphäre die Tragödie des Euripides und gröfstentheils die moderne sich hält, vielen neuern Kritiken, besonders französischer Kunstrichter, über jene zum Grunde liegt. Einige solcher Kritiken enthält noch die ausführliche, durch mehrere Hefte der Revue encyclopedique sich erstreckende Anzeige der neuen von Raoul-Rochette besorgten Ausgabe des T’hedtre des Grecs par le P. Brumoy, als deren Verfasser sich Andrieux nennt, und welche zwar höher steht, als alle frühern Ansichten französischer Aesthetiker von der griechischen Tragödie, in wie fern sie der letztern die französische Tragödie nicht als Muster und Regel aufdringt, sondern sie selbständiger betrachtet, dennoch aber ihr Wesen nicht vollständig auflafst und ergründet. Unter andern gehört besonders hieher das (Cahier. 64, p. 95. der Rev.enc.) dem Oedipe a Colone des Ducis ertheilte Lob, weil darin Oidipus nicht von der Erde scheidet, bevor er den Fluch über seine Söhne zurückgenommen, den Polyneikes um- armt und ihm verziehn hat. Gegen dies Lob wäre, von dem psychologisch-moralischen Standpuncte der französischen Tragödie aus, mit welchem es sich verträgt, den Helden des Stücks, als Einzelnen gefafst im Verhältnifs zu andern Einzelnen, so edel auszubil- den, als es der ihm verliehene Grundcharakter gestattet, nichts zu erinnern, wenn die Sache nur nicht als eine Verbesserung des Sophokles angezeichnet wäre, der von seinem historischen, den innern Zusammenhang und das stätige Fortwirken der einmal in Ent- zweiung begriffenen Kräfte streng festhaltenden, und darin keine Willkühr gestattenden, Gesichtspuncte aus zunächst nur das Fortwuchernde des von Laios in sein Geschlecht gebrachten Keimes der Unnatürlichkeit in dem Verhältnifs der Söhne gegen die Väter, der Väter gegen die Söhne, erblickte, und keines der Momente, worauf dessen bis zum Ziele fortgepflanzte Wirksamkeit beruhte, zu ändern wagte! Sein eignes Verhältnifs zu seinen Söhnen hätte ihn, wie Andrieux meint, schwerlich bestimmt, es bei dem Fluche zu lassen, wenn er diesen objectiven Zusammenhang nicht vorgefunden hätte. Euripides dagegen hätte sich dieselbe Veränderung wie Ducis erlauben können. PR über den historischen Charakter des Drama. 143 ihr eigenthümlicher Werth besteht. Zu einer durchdringenden Auffassung der Geschichte gehört ohne Zweifel auch jenes an Euripides gerühmte tiefe und feine Eingehen in die menschlichen Charaktere und Zustände, weil Per- sonen und Verhältnisse mit dem, was in allgemeinerer Hinsicht seyn oder geschehen sollte, entweder übereinstimmen oder nicht, und so die Wirk- samkeit der allgemeinen Motive entweder positiv oder negativ fördern, und ein Dichter, der entweder allgemeine Typen für gewisse menschliche Cha- raktere und Verhältnisse, in denen das Besondere in seinen Grundzügen sich wieder findet, zu schaffen, oder gegebne mit sichrer Hand wie aus dem Leben herauszuheben und darzustellen weifs, ist dem Historiker, dem das Letz- tere gelingt, mit allem Fug gleichzustellen, und läfst zu Vollendung seines historischen Charakters nichts vermissen, wenn er auch die Beziehung jener besondern persönlichen und conventionellen Triebfedern zu den höhern all- gemeinen Motiven richtig gefafst und seine Darstellung darauf concentrirt hat. Man kann nun zwar dem Euripides wegen seiner Schilderungen und Zerglie- derungen des Ethos und Pathos, in wie fern diese dem Leben selbst ent- sprechen, einen gewissen historischen Charakter zuschreiben, indefs auf jeden Fall nur einen auch in Hinsicht auf seinen eigentlichen Grund bedingten, und überdem einseitigen, da des Euripides Charakterbildungen, weil sie von Manier und Übertreibung nicht frei sind, die Wahrheit des Lebens bei wei- tem nicht immer ausdrücken, geschweige dafs sie, der ganzen Natur seiner Tragödie nach, in jene höhere Beziehung hätten gestellt seyn können. Dafs deswegen ihm der höhere historische Chakrater fremd sei erkannte schon der in hohem Grade, obwohl noch in anderer Art, als die grofsen Tragiker, historische Aristophanes, welchem er mit aus diesem Grunde viel weniger zusagte, als der seinem Geiste verwandtere Aischylos. Doch davon wird wei- terhin ausführlicher die Rede seyn. Hier genügt es, zu bemerken, dafs aus demselben Grunde bei Entwickelung des historischen Charakters der griechi- schen Tragödie des Euripides nicht gedacht ist. LET Dt nn { sr A Po % . ee a > . ei 4 a ; 2 ME ie u nr ned ren Bein Rh DT UTN Te vers ht" Aal od lan Ben yes . 1 oh IE en el LET: Pi EIEN i ERS ’ rt u Igetipstecen, 'zralı nn i I ee Wie ehe se ehe ı ENTER u vr 4 TEL Pre Tom m. Ki; vo . km! rer & “ 10 . au ei ie a ” ehr) a u at „th: Bier vn re a anne ten ne 12 en Jadsare ar DM, 6 Ahr +) Aland u 1 Kto: Iren ini Ben) ie ee rn siletge i = DIE wiart/on ih N a En Fi Zu KETTE BIwN j ur; a IN > n Pe a ET 2 7} De; a u oe eo. ı“ 5 “ i 3 ı R » ses ) ’ et f n L 188 i 2 ri fi Fi AFTILE 0= - I ie} ‚3 ® ! ngphstihe n Bar ‚ vr Mk nn j (Mr en 4 ? “= a ST j iraler agb & I ra Harkrh-ant ls ü nr RL 2 a ya Km at BIT umakf" va a zn DIRSEHERT 2 . Alitnse suchst ENDETE | Bir rel Es Ben; Bra “| vi re # 2 2 Yon Über vier Aegyptische, löwenköpfige Bildsäulen in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen.() Von I v- H”:- WILHELM vos HUMBOLDT. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 24. März 1825.] D: hiesigen Königlichen Antikensammlungen besitzen vier Bildsäulen weiblicher löwenköpfiger Aegyptischer Gottheiten, von welchen zwei Ge- (*) Damich die Untersuchung dieser Denkmale über mehrere Punkte zweifelhaft liefs, so wandte ich mich mit einer Reihe sie betreffender Fragen an Herrn Champollion den jüngeren. Nach der grofsen und wahrhaft musterhaften Gefälligkeit, mit welcher dieser Gelehrte, frei von aller kleinlichen Eifersucht und ängstlichen Geheimhaltung, über die ihn die Sicherheit seiner Forschungen emporhebt, seine Entdeckungen frei und offen mittheilt, beantwortete derselbe meine Fragen in einem ausführlichen Briefe, in welchem er jede seiner Erklärungen, mit gewohnter Genauigkeit, mit Beweisen aus Aegyptischen Denkmalen belegt. Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, dasjenige aus die- sem Briefe, was zunächst hierher gehört, in meine Abhandlung zu verweben, und wo ich Herrn Champollion, ohne Nennung einer seiner Schriften anführe, beziehe ich mich auf diese briefliche Mittheilung. Ich hoffe Herrn Champollion richtig verstanden zu haben; sollten indefs Unrichtigkeiten in dem als seine Meinung Vorgetragenen vor- kommen, so bitte ich, sie nur mir, nicht ihm beizumessen. Zwar klagt er in seinem, aus Livorno datirten Briefe darüber, dafs er sich dort entfernt von allen seinen Hand- schriften und Materialien befand. Allein der inhalt beweist, wie die abgehandelten Ge- genstände ihm geläufig und seinem Gedächtnifs gegenwärtig sind. Diejenigen, welche den Versuchen der Hieroglyphen-Entzifferung sorgfältig gefolgt sind, werden auch aus diesen brieflichen Mittheilungen mit Vergnügen sehen, wie Herr Champollion im- mer neue Fortschritte macht, immer mehr Zeichen zu entziffern lehrt, und auch hie und da von ihm bisher angenommene Fntzifferungen berichtigt. Die Offenheit, mit der er begangene Irrthümer anerkennt, zeigt nicht nur seinen unpartheiischen Eifer für die Entdeckung der Wahrheit, sondern seine Verbesserungen beweisen selbst die Richtigkeit des von ihm eingeschlagenen Weges. Bei einer Entzifferung, die zwar auf sicheren Grundlagen ruht, aber nur von der Vergleichung immer neuer Zeichen und Anwendun- Hist, philol. Klasse 1825. ü% 146 Humsouodr über vier degyplische, löwenköpfige Bidsäwlen schenke des Grafen von Sack sind, die beiden andern aber zu der Minu- tolischen Sammlung gehören. Eine der letzteren ist eine stehende, mit dem Lotusstabe in der einen, und dem gehenkelten Kreuze, (dem Zeichen des göttlichen Lebens) in der andern. Die andren sind sitzende, und wie schon Herr Hirt (Abhandl. d. Akad. d. Wissensch. Hist. phil. Klasse 1820. 1821. S.136. Anm.) bemerkt hat, durchaus der in der Deser. de l’Egypte (T.3. Pl. 48.) abgebildeten ähnlich. Diese Bildsäulen waren über- aus häufig in Aegypten, man fand bei einer einzigen Ausgrabung in den Trümmern von Thebae bei Karnak über 15 derselben, (ib. Deser. A. T.I. Chap.9. p.278. 279.) die Drovettische Sammlung enthält deren allein zehn. Alle diese sitzenden Statuen tragen, wie es scheint, im Wesentlichen dieselben Hieroglyphen -Inschriften an sich, und mehrere beziehen sich auf dieselbe Epoche der Aegyptischen Geschichte. Die stehende, welcher auch die Füfse und ein Theil der Beine fehlen, hat leider gar keine In- schrift. Sowohl Herr Champollion der jüngere (Lettres ä Mr. le Duc gen derselben ihre Vollendung erhalten kann, müssen die Fortschritte, sowohl dem Um- fang als der Genauigkeit nach, nothwendig allmählich geschehen, aber die Berichtigungen der einzelnen Erklärungen, wenn genau verfahren worden, zu Bestätigungen des Systems werden. Ohne selbst darauf Anspruch zu machen, das Studium der Hieroglyphen - Ent- zifferung durch eigene Entdeckungen zu erweitern (wie denn auch das, was in der ge- genwärtigen Abhandlung Verdienstliches liegen könnte, allein Herrn Champollion an- gehört) habe ich mir ein besonderes Geschäft daraus gemacht, was von Andren darin ge- schehen ist, einer möglichst genauen Prüfung zu unterwerfen, und das Studium der Koptischen Sprache nach ihrem Baue und den von Zoöga herausgegebenen Texten da- mit verbunden. Ich lege daher gern hier das Bekenntnifs ab, dafs mir der von Herrn Champollion eingeschlagene Weg der einzig richtige scheint, dafs ich die von ihm gegebenen Erklärungen, die vorzüglich in historischer Rücksicht zu so wichtigen Ent- deckungen geführt haben, (bis vielleicht auf wenige bei einem solchen Studium unver- meidliche Ausnahmen) für wahr und fest begründet halte, und dafs ich die gewisse Hoffnung nähre, dafs, wenn ihm vergönnt bleibt, diese Arbeiten eine Reihe von Jahren hindurch fortzusetzen, man ihm eine so sichere und vollständige Entzifferung der Hiero- glyphen-Denkmale verdanken wird, als sie von Urkunden möglich ist, von denen, wie viele man auch besitzt, doch immer ein gewisser Theil, der gerade zur Vollendung der Entzifferung unentbehrlich seyn kann, unwiederbringlich verloren gegangen ist. Ein bei weitem vollgültigeres Zeugnifs für das Champollionsche System, als das meinige, und eine wahre Bestätigung desselben, gewährt Herın Salt’s Schrift: essay on Dr. Youngs and Mr. Champollions phonetic system of hieroglyphies. Denn Herr Salt kannte, während er diese Schrift abfafste, Herrn Champollions Ideen nur sehr unvollkum- men, fand aber selbst Vieles auf dem nämlichen Wege übereinstimmend mit ihm auf. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 147 de Blacas. Lettre 1. p. 39.) als Herr Gazzera (Descrizione dei monumenti Egizj p.16.) haben Beschreibungen und Erklärungen der sitzenden Bild- säulen dieser Art im Turiner Museum gegeben, und diese Bildsäulen kommen im Wesentlichen ganz mit den hiesigen überein. Die Inschriften der unsrigen weichen aber in mehreren, und nicht ganz unwesentlichen Punkten von jenen ab. Die Schriften des Herrn Champollion und Gazzera geben auch nur die französische und italienische Uebersetzung der Hieroglyphen, ohne sie einzeln in diesen nachzuweisen, und stimmen nicht ganz mit einander selbst überein, Auch habe ich geglaubt, dafs bei der Theilnahme, welche die so ganz unerwarteten Entdeckungen des Herrn Champollion erregen, es, selbst wenn ich wenig Neues hinzufügen könnte, schon interessant seyn würde, nur dasjenige, was über vor unsren Augen befindliche Denkmale gesagt worden ist, so zusammenzustellen, dafs dadurch das Urtheil über jene Entdeckungen geleitet werden kann (!). Se Erklärung der sitzenden Gottheit. Man erkennt bei dem ersten Anblick, dafs die Statuen, mit welchen wir uns hier beschäftigen, Vorstellungen einer weiblichen Gottheit sind. Die genaue Bestimmung der Aegyptischen Gottheiten wird aber dadurch erschwert, dafs dasselbe göttliche Wesen, nach den verschiednen ihm zu- getheilten Geschäften, auf ganz verschiedene Weise vorgestellt wird, und wieder gleiche Attribute verschiedene Gottheiten bezeichnen. So kommt Phthah bisweilen mit menschlichem Haupte, oft aber auch mit einem Fal- kenkopf, und andremale mit einem sogenannten Nilmesser an der Stelle des Kopfes vor, und ebenso giebt es auf der andren Seite mehrere falken- köpfige Götter, und mehrere Göttinnen, deren Kopfschmuck in einem liegenden Geier, oder einer Scheibe zwischen Kuhhörnern besteht. Einige Götter sind auch blofs Incarnationen einer des andren, und erscheinen daher, indem sie wirklich nur Eins sind, als zwei. So der dreimal grofse falken- oder habicht- (hieracocephale) und der zweimal grofse ibisköpfige (') Auf der angehängten Kupfertafel befindet sich eine treue Abbildung der an un- sern Statuen vorhandenen Inschriften, bei welchen blofs die sich wiederholenden Zeichen- reihen weggelassen sind. Fig. 4. ist von der einen Sackischen; B.C. von der andern Sackischen; D.E. F. von der Minutolischen Statue entnommen. T2 148 HunsoLor über vier degyptische, löwenköpfige Bildsäulen Hermes. (Champollions Pantheon VII. ad Pl.30. Tölken, Reise des Freiherrn von Minutoli. S. 139.) Hieraus mufs man wohl die vielen Ungewifsheiten und unläugbaren Verwirrungen herleiten, die noch in der Bestimmung der Aegyptischen Gottheiten herrschen. Man ist es auch hier Herrn Champollion schul- dig, dafs er einen Weg vorgezeichnet hat, der wenigstens zu einem ent- scheidenden Mittel der Anerkennung hinführt, nemlich den, nur diejeni- gen Bestimmungen als gewifs anzusehen, die aus Vorstellungen genommen sind, wo die Bilder von Inschriften begleitet sind. Aus diesen, sie mögen den Namen, oder die den verschiedenen Gottheiten eigenthümlichen Titel enthalten, läfst sich alsdann wenigstens mit Sicherheit sehen, wofür die Vorstellungen bei ihren eignen Urhebern galten. Herr Champollion bemerkt an mehreren Stellen seiner Werke (z.B. Pantheon VI. ad Pl. 15. e.) dafs bisweilen nur die Inschrift bestimme, welche der mehreren ähnlich vorgestellten Gottheiten gemeint sey. Nach diesen Grundsätzen hat der- selbe in seinem Aegyptischen Pantheon eine ebenso anziehende, als beleh- rende Darstellung der Aegyptischen Gottheiten angefangen, die sich schon dadurch auszeichnet, dafs sie ganz aus Denkmalen genommen ist, und die Zeugnisse der alten Schriftsteller nur mit diesen vergleicht. Es war nothwendig, diese Bemerkungen voranzuschicken, da auch die hier vorgestellte Gottheit in verschiedenen Gestalten, und verschiedenen Graden ihres göttlichen Ranges angetroffen wird. Was nemlich die hier betrachteten Bildsäulen charakterisirt, ist das Löwenhaupt. Nach diesem, dem Symbol der Tapferkeit und der durch Edelmuth gebändigten Stärke, hatte schon Herr Hirt (a. a. OÖ.) dieselben für Vorstellungen der Neith, der Aegyptischen Minerva(!) erklärt(?). Herr (') In einer andren Ideenverbindung entsprach Neith auch der Aegyptischen Iuno. (Champollion, Pantheon Heft XI. zu Pl.28.) (*) In ihrer Beziehung auf Amon-Ra war der Göttin Neith auch das Symbol des Widders nicht fremd. In Sais sowohl als in Theben wurden heilige Widder unterhalten und Herr Champollion hält es für wahrscheinlich, dafs Neith auch mit einem Wid- derkopfe dargestellt wurde. (Pantheon Eg. Heft V.zu Pl.2. bis. Guigniaut Religions de V’Antiquite. T.I. P.2. p.828. not. p.900. not.1.) Dies spricht für die von Herrn Tölken (Reise des Freiherrn von Minutoli S.145. Taf. IX.) gegebene Erklärung einer stehenden widderköpfigen Figur. Auf den Begriff der Rhea, welchen Herr Tölken auf eine stehende löwenköpfige Figur anwendet, werden wir weiter unten zurückkommen. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 149 Champollion ist der gleichen Meinung, hat dieselbe aber weiter und bestimmter ausgeführt, und ein zweites, die Göttinn charakterisirendes Kennzeichen in der Hieroglyphen-Inschrift (Fig. 3. Zeichen 9-14.) aufge- funden. Diese beiden vereinten Kennzeichen heben allen Zweifel über die Deutung dieser Denkmale im Ganzen auf. Neith ist in der Aegyptischen Mythologie das zweite der göttlichen Wesen, das, als das urweibliche Princip, mit Ammon, dem urmännlichen, von dem es aber seinen Ursprung erhalten hatte, vor aller Schöpfung vor- handen war, und in dieser Epoche mit Ammon dergestalt Eins ausmachte, dafs die Göttin oft auch als Mannweib bezeichnet und dargestellt wird. Von diesem Grundbegriffe ausgehend, findet Herr Champollion die Göttin in folgenden bildlichen Vorstellungen und Bestimmungen ihres Wesens. 1) Mit menschlichem, mit dem vollständigen Pschent geschmücktem Kopf, in ihrem Hauptbegriff, als weibliches Urwesen, mit dem hieroglyphisch geschriebenen Namen der Mutter, oder grofsen Mutter. Der Begriff der Mutter wird alsdann durch einen Geier (Vautour), der eine Geissel auf dem Rücken trägt, angedeutet. (Champollion Pantheon Eg. Heft I. zu Pl. 6.) Von dem Beinamen der grofsen Mutter, Aegyptisch zschor-maut, oder dschor- maut leitet Herr Champollion die griechische Benennung Tegusuris oder @sgusuris ab, und hält also die mit demselben bezeichnete Göttin für diese Urmutter der Wesen. (Pantheon Heft VIH. zu Pl. 23. a.) (') (') Ich bemerke hier, dafs ich in der Schreibung der Koptischen Wörter mit Latei- nischen Buchstaben ou durch x, den Sten Buchstaben des Scholtzischen Alphabets (Gram. Aegypt. p.2.) (das hida) durch ö, den 23sten (das chi) durch ch, den 2östen (das schei) durch sch, den 26sten (das pkei) durch f, den 27sten (das cher) durch chk, den 29sten (das genga) durch isch oder dsch, den 30sten (das skima) durch sk, den vorletzten (das dei) durch ti bezeichne. Die richtige Bestimmung der Aussprache des Koptischen ist noch grofsen Schwierigkeiten unterworfen. Es entgeht mir bei der hier gewählten Be- zeichnung nicht, wie unbehülflich das Italienische ci und gi durch tisch und dsch aus- gedrückt werden. Unstreitig ist es gefälliger für das Auge und richtiger für das Ohr, sich, wie Herr A. W.v. Schlegel thut, für diese Laute des Englischen ch und j zu hedienen. Dies führt aber die, meines Erachtens, noch wesentlichere Unbequemlichkeit mit sich, Buchstaben, die in unserer Sprache festbestimmte Laute haben, mit solchen zu gebrauchen, die ihnen eine fremde giebt: Man kann, wie es mir scheint, in unserer Sprache fremde Laute nur entweder durch Verbindungen unserer Buchstaben in ih- rer gewöhnlichen Stellung, oder durch ganz fremde Zeichen, wie Herr Klaproth in der Asia polyglotta gethan, wiedergeben. Dafs das Englische j ein einfacher Laut ist, 150 Humsouor über vier Aegyptische, löwenköpfige Bildsäulen 2) In weiblicher Gestalt, aber mit dem Löwenhaupt, das mit der Sonnenscheibe oder zwei langen Blättern geschmückt ist. In dieser Gestalt, welche unsren Bildsäulen entspricht, trägt sie den mit den Zeichen 9.10. 11. der angehängten Tafel (Fig. 4.) geschriebenen Namen. Die beiden letzten Zeichen bilden das koptische Wort: ein anderer (!), werden aber hier phonetisch genommen; das erste der Gruppe, ein Scepter, ist, seiner Aussprache nach, noch unbekannt, und mit ihm daher auch dieser ganze Name der Gottheit. Dafs aber diese löwenköpfigen Figuren die Göttin Neith vorstellen, wird dadurch aufser Zweifel gestellt, dafs diese Göttin mit dem so eben beschriebenen Namen auf dem letzten Theile der grofsen Leichenrituale vorkommt, dafs sie darin dem Amon-Ra unmittelbar zur Seite steht, und in den daneben befindlichen Hieroglyphen als königliche Gemahlin Palehakas, eines Beinamen des Ammon, und königliche Mutter Pschakasis, eines Beinamen des Phthah, bezeichnet wird. Die Göttin heifst auch auf vielen löwenköpfigen Bildsäulen Beherrscherin der Gegenden Amerru (oder Amerlu) und Sesau, die an andren Orten beständig der Neith zugeschrieben werden. 3) Mit menschlichem Haupt, aber nur mit dem unteren Theile des Pschent geschmückt. In dieser Gestalt wird sie hieroglyphisch so bezeich- net, wie man es in Herrn Champollion’s Pantheon Heft VIH. Pl. 23. Fig. 12. findet, nämlich durch ein figürliches Zeichen und ein nachfolgen- des t, dem auch wohl das Zeichen der Weiblichkeit beigefügt ist. Das figürliche Zeichen hatte Herr Champollion für zwei Bogen mit ihren Pfeilen gehalten. (a. a. 0.) Jetzt erklärt er es für ein Weberschiff, dem es auch in der That viel ähnlicher sieht. Neben dieser Bezeichnung fin- det sich bisweilen phonetisch zt, und rat oder net heifst, nach Herrn dürfte der Schreibung durch dsch wenig entgegenstehen, da man im Deutschen die, meinem Urtheil nach, auch einfachen Laute ch, sch gleichfalls mit zwei und drei Buchstaben schreibt. (‘) Herr Champollion führt, indem er in seinem letzten Briefe an mich diese Erklärung giebt, das Koptische Wort Ake, chet, oder chhet, als die Bedeutung der Zeichen 10.11. an. Ich möchte aber nicht behaupten, dafs er darum das 10. Zeichen, den leeren oder gestreiften Kreis, als Buchstaben für A oder ch nimmt. In seinem hieroglyphischen System erklärt er es durch «x, und ein späterer Brief von ihm bestä- tigt mir diese Entzifferung. Sie verträgt sich auch mit seiner jetzigen Behauptung, da auch das Koptische Wort wet dasselbe als Ae bedeutet. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 151 Champollion (im La Crozischen Wörterbuch finde ich das Wort nicht) ein Weberschiff. Die Saitische Göttin wird daher hierdurch, wie die Grie- chische Minerva, als Erfinderin und Beschützerin der Webereien darge- stellt. Die Saitischen Monumente bieten häufig diesen Namen, auf die obige Weise geschrieben, dar. Herr Champollion leitet sogar Neith aus nat oder net ab, und findet den Namen der Göttin auch in dem der Königin Nitokris der sechsten Dynastie, den er, nach Eratosthenes Uebersetzung des- selben in ’ASyv& virnpeges, (Eratosthenica. Ed. Bernhardy. p. 260.) von Neith (nit) und skro, siegen, ableitet. Auf Namenschilden, dieHerrChampollion von dieser Königin gefunden hat, kommt der Name mit demselben Zeichen des Weberschiffs, übrigens aber phonetisch vor (!). In dieser Vorstellung erhält die Göttin Neith bei den Griechen den Namen Buto, und wird mit Latona verglichen. Sie gehört in dieser Eigenschaft zu den ersten Aegyp- tischen Gottheiten, ist die uranfängliche Nacht, aber die Mutter des Son- nengottes Phre. (Ohampollion Pantheon Heft VII. Pl.23. 23a. Heft XI. Pl.23e. 25d. und die Erklärungen dazu). Denn Phre ist ein weniger alter Gott als Amon-Ra (/.c. Heft IV. zu Pl. 24.) und so kann Neith-Buto zu- gleich die erste Emanation Amon-Ra’s, der gleichfalls in unmittelbarer Be- ziehung auf die Sonne steht, Amon-Sonne ist (l.c. HeftI. zu Pl.2.) und Mutter Phre’s seyn. Von dem ersten Range der Gottheit in die Gottheiten des zweiten tretend, wird Neith 4) erstlich zur Netpe oder Netphe, der Aegyptischen Rhea, der Mut- ter der Isis und des Osiris. Die hieroglyphische Bezeichnung dieser Göttin giebt Herr Champollion im Preeis du systöme hieroglyphique. (Kupfer- tafeln nr. 54.) Herr Salt hat (Essay ete. p.36.) die hieroglyphischen Namen der Neith und Netphe verwechselt, indem er das figürliche Zeichen des Himmels (phonetisch pe) zu dem letzteren nicht hinzugenommen hat. Die- ser Irrthum ist aber gering, da die beiden Gottheiten nahe verwandt, ja dieselben, nur in verschiednen Potenzen genommen sind. Es würde daher auch weniger sonderbar seyn, als es beim ersten Anblick erscheint, wenn (‘) Herr Champollion theilt mir in seinem Briefe Titel- und Namenschild dieser Königin mit. Ich habe aber diese Schilde nicht hier mit abbilden lassen, um ihm hierin nicht vorzugreifen. 152 Hvmsounpr über vier Aegyptische, löwenköpfige Bildsäwlen Netphe in einer Griechischen, von Herrn Bankes in der Nähe von Esneh abgeschriebenen Inschrift (Salt Z. c. p.46. not.7.) als Athene dargestellt würde. Denn in der That war die Aegyptische Rhea, Athene in der zwei- ten, niedrigeren Potenz. Dagegen ist seine Lesung des Namen, in dem er (2. ce. p. 47.) die Göttin Netphe, Anephthe geschrieben, gefunden zu haben glaubte, durchaus falsch. Ich vermuthete bei der Ansicht seiner Kupfer- tafel, dafs er das A mit dem p (Champollion syst. hierogl. Alphab. nr. 47. mit nr. 106.) verwechselt habe, und der hieroglyphische Name die Göttin Anuki, die Aegyptische Vesta (Champollion Pantheon HeftHl. zu Pl. 19.) bezeichnen müsse, und Herr Champollion bestätigt mir diese Vermu- ihung in seinem, mir aus Livorno geschriebenen Briefe, wo er das Monu- ment selbst vor Augen hatte (!), vollkommen. Der Name. Anephthe ist ihm nie in Hieroglyphen vorgekommen. 5) Zweitens wird Neith zur Schwester des Aegyptischen Herkules, Tafne. Diese ist die eigentliche Incarnation der löwenköpfigen Neith-Be- schützerin, mit der wir uns hier beschäftigen, und immer auch löwenköpfig, so wie ihr Urbild. Die griechischen und römischen Schriftsteller und die Inschriften in diesen Sprachen erwähnen dieser Göttin nicht, man findet sie nur in Hieroglyphen-Denkmalen, aus welchen Herr Champollion ihren Namen in seinem Systeme hieroglyphique nr. 53. gegeben hat. Das in die- sen Inschriften dem Namen nachfolgende z gehört nicht zu demselben, son- dern ist der weibliche Artikel. Durch diese Inschriften nun lassen sich die beiden löwenköpfigen Gottheiten, die beide Neith sind, die des ersten Ran- ges, die Neith-Beschützerin, und die des zweiten Ranges, die Neith-Tafne, be- stimmt unterscheiden. Die erstere führt die oben erwähnten (Kupfertafel 4. Zeichen 9-11.) in dem jetzigen Zustand des Hieroglyphen-Studiums noch nicht lesbaren Zeichen, die letztere den eben erwähnten Namen mit sich. Die sitzenden Statuen, die wir hier vor uns haben, und welche mit jenen Zeichen versehen sind, dürfen daher nicht Tafne genannt werden, sondern können nur die Neith des ersten uralten Götterranges vorstellen. Von allen ähnlichen Statuen, die Herr Champollion gesehen, und deren keiner (') Die Saltische Sammlung Aegyptischer Alterthümer ist bekanntlich von der Fran- zösischen Regierung angekauft worden, und Herr Champollion besorgte ihre Versen- dung zur See von Livorno aus. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 153 jene Zeichen fehlen, gilt dasselbe. So erklärt sich jetzt Hr. Champollion ausdrücklich und bestimmt. Was er über diese sitzenden Statuen in seinem ersten Briefe an den Herzog von Blacas (p. 44.) sagt, konnte zweifelhafter scheinen. Wirklich belegt Herr Gazzera (Descrizione dei monumenti Egizj del regio Museo. p. 18.) eine den unsrigen ganz gleiche Bildsäule fälschlich mit dem Namen Tafne. Als Göttin des dritten Ranges wird Neith endlich 6) zur Isis, so wie Osiris und Horus Incarnationen von Amon-Ra und Phthah sind. In dieser, aus Herrn Champollion’s neuestem Schreiben an mich entlehnten, lichtvollen Aufzählung der verschiedenen Vorstellungen und Eigenschaften der Göttin Neith erwähnt derselbe nicht ihrer Erscheinung als Ilithyia, Aegyptisch Suan (!), durch welche Neith auch mit der Griechi- schen Here zusammenhängt. Man kann aber über diese die Erklärung zu den Kupfertafeln 28. 28a. 285. im XI. Heft seines Aegyptischen Pantheons nachlesen. Nach allem, bis hierher Gesagten leidet es demnach keinen Zweifel, dafs die Bildsäulen, mit denen wir uns hier beschäftigen, Vorstellungen der Neith in ihrer beschützenden Eigenschaft und in ihrem höchsten Götter- range sind. Das Löwenhaupt und die Inschrift vereinigen sich, diese Deu- tung festzustellen ; aufserdem aber folgt (Kupfertafel 4. Zeichen 12.) in den Inschriften unsrer Bildwerke unmittelbar auf den Namen der Göttin ihr Bild. Denn in der kleinen, auf Aegyptische Art am Boden sitzenden Figur erkennt man, obgleich der an diesen Stellen sehr verwitterte Stein die Lö- wenmaske nicht mehr deutlich zeigt, doch den thierischen Kopf an der sehr verlängerten Gesichtslinie. An einer ganz ähnlichen, mit demselben Kö- nigsnamen, als die unsrigen, versehenen Statue der Pariser königlichen Sammlung ist das Löwenhaupt an dieser kleinen Figur noch in allen seinen Zügen sichtbar. Die sitzenden Statuen der Beschützerin Neith wurden in grofser An- zahl vor den Tempeln in gerader Linie, oder als Zugänge, wie die Widder (') Man selie die von Herrn Bachmann übersetzte Schrift des Herrn Angelo Mai über die Vaticanischen Papyrus. S.26. E. nr.7. Der Falkenkopf erscheint hier befremdend, da das Zeichen der Mütterlichkeit bei den Aegyptiern immer der Geier ist. Hist, philol. Klasse 1825. U 154 Hwumsonor über vier Adegyplische, löwenköpfige Bildsäulen und Sphinxe, in Doppelreihen aufgestellt, um diese heiligen Oerter gegen den Zutritt von Gottlosen zu sichern, und Herr Champollion, der viele derselben mit einander zu vergleichen Gelegenheit hatte, glaubt, dafs die unsrigen, eine der Pariser Sammlung, zwei der Turinischen, zwei der Salti- schen nun auch nach Paris gekommenen, und drei des Vaticans zu derselben Doppelreihe gehört haben, und von dem gleichen Ort nach Europa ge- bracht worden sind. 5.12; Namen- und Titelschild des Königs. Der historisch wichtigste Theil der hier betrachteten Statuen sind die in der Inschrift befindlichen Namenschilde des König der selbst aufrichten liefs, oder welcher der Gründer oder Verschönerer s, welcher sie entwe- des Gebäudes war, vor dem sie standen. Nach Herrn Champollion’s Deutung ist dies Amenophis II. der achte König der achtzehnten Dynastie, wenn man die Königin Amense mitzählt, derselbe, der bei den Griechen Memnon hiefs, und dem der grofse tönende Kolofs bei Thebae gewidmet war. Dafs diese Champollionsche Erklärung die richtige ist, wird es leicht seyn, aus Denkmalen, die wir theils selbst, theils in getreuen Abbildungen vor uns haben, zu beweisen. Die Einrichtung der königlichen Namenschilde ist schon im Ganzen hinlänglich bekannt. Jeder König führt bestimmt zwei, einen, welchen ich den Titelschild nennen werde, der seinen officiellen Beinamen, eigentlich seinen angenommenen Titel enthält, und meistentheils, jedoch bei weitem nicht immer, das phonetisch geschriebene Wort König und eine Biene, als Sinnbild des gehorsamen Volks über sich führt, und einen zweiten eigent- lichen Namenschild, in dem sein Name steht, und der oben mit der Son- nenscheibe und der Fuchsgans versehen ist. Nur wo diese beiden Schilde die nämlichen sind, ist von einem und demselben König die Rede, und in der Regel reichen die Titelschilde zur Bezeichnung hin. Indefs führen doch die Könige Usirei und Manduei (Champollion I. lettre au Duc de Blacas. p-85.) den nämlichen, der auch in der Abydischen Geschlechtstafel (es ist der ı6te in der zweiten horizontalen Reihe von der rechten Seite an gerech- net; Salt /. c.) nur einmal vorkommt, da beide Könige unmittelbar auf ein- ander folgten. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 155 Diese Geschlechtstafel ist als die vorzüglichste Urkunde zu betrach- ten, aus der sich die Reihe der Könige der achtzehnten Dynastie und eini- ger der siebenzehnten herstellen läfst, und man mufs gestehen, dafs dies Herrn Champollion, der aufserdem viele hieroglyphische Inschriften und die Berichte Manethos dabei benutzte, äufserst glücklich gelungen ist. Die Tafel ist auf einer der Wände eines Gebäudes in Abydos eingehauen, die Wand ist aber oben und an einer ihrer Seiten zertrümmert. (Champollion Syst. hieroglyphique p. 245. II. lettre au Duc de Blacas. p.12. Salt 2. c. p-V-VI.) Das übrigens gut erhaltene Denkmal wurde in verschiedenen Zeiten von Hermm Bankes und Herrn Cailliaud entdeckt und abgezeich- net, und beide Zeichnungen sind nun, die erstere in Herrn Salt’s oft an- geführtem Werk, die letztere in Herrn Champollion’s zweitem Briefe an den Herzog von Blacas herausgegeben worden. (Taf.6.) Obgleich beide Zeichnungen im Wesentlichen übereinstimmen, so weichen sie doch in eini- gen Stücken von einander ab, wie man sich durch die eigene Vergleichung besser, als durch Beschreibung, davon überzeugen kann (!). Suchen wir nun den Titelschild unsrer Statuen (Kupfertafel 4. 3. C.) auf der Abydi- schen Geschlechtstafel auf, so finden wir ihn in beiden Zeichnungen als den dreizehnten der mittleren Horizontalreihe von Schildern und erkennen ihn aus dieser Stellung als den des sechsten Abkömmlings des Stifters der acht- zehnten Dynastie, dessen Titelschild die siebente Stelle in derselben Reihe einnimmt. Ehe wir aber in der Erklärung dieses Titelschildes weiter vor- gehn, ist es besser, uns erst zu dem Namenschilde zu wenden. Dieser (Kupfertafel Z.) ist an der sitzenden Bildsäule der Minutolischen Sammlung, an der überhaupt die Hieroglyphen vortrefflich eingeschnitten sind, so schön und vollständig erhalten, dafs er nichts zu wünschen übrig läfst. Die an den beiden Sackischen sind verwittert, jedoch bleiben die (') Ueber die Gründe dieser Abweichung druckt sich Herr Champollion in sei- nem neuesten Briefe an mich folgendergestalt aus: La difference entre la table d’Abydos donnde par Mr. Salt et le meme monument dessine par Mr. Cailliaud, ne vient que de ce que l’un des deux dessinateurs a slı distinguer mieux que lautre, au milieu des fractures les lignes constituantes de quelques cartouches de plus dans la seconde serie. Le dessin de Mr. Cailliaud est defectueux dans la troisitme rangee de cartouches en ce qwil ne donne pas, comme l’a fait Mr. Bankes, toutes les variations du nom propre de Ramses le Grand qui avec son prenom ordinaire occupe cette troisieme serie. U2 156 Hüunsouor über vier Aegyptische, löwenköpfige Bildsäulen Buchstaben des Namen kenntlich. Vergleicht man nun den erhaltenen Na- menschild und alle Titelschilde, so stimmen sie vollkommen mit mehreren in der grofsen Pariser Beschreibung der Aegyptischen Alterthümer abge- zeichneten, namentlich aber mit zwei vor dem Porticus des grofsen Tempels von Ombos (T.TI. Pl. 43. nr. 12. 13.) hergenommenen überein. Es fehlt blofs bei dem Namenschilde der letzteren ein Zeichen, (Kupfertafel Z. Zeichen 13.) das aber, wie wir gleich sehen werden, nicht wesentlich ist. Mit derselben unbedeutenden Veränderung haben beide Schilde die Herren Champollion - (Letire I. a Mr. le Duc de Blacas. Pl.2. nr. 9. a. 6.) und Gazzera (/.c. Pl.4. A. B.) nach einer stehenden Bildsäule des bezeichneten Königs und nach einer eben solchen sitzenden Neith, als die unsrige ist, gegeben. Diesen Namenschilden ganz gleich ist der in Herrn Salt’s Schrift (Pl. IV. nr. 12.) vorkommende. Endlich sind dieselben Schilde an dem nördlichen Mem- non-Kolofs, dem tönenden, (Deser. de ’Egypte T.H. Pl.22. nr. 3.) und mit kleinen, den Namen nicht angehenden Verschiedenheiten, auch an dem südlichen (2. ce. Pl. 21. nr. 2.) anzutreffen. Die Namenschilde enthalten sehr häufig nach dem Namen noch einen Titel, oder ein Beiwort des Regenten und so stehen in dem unsrigen erst die Buchstaben a (Kupfertafel #. Zeichen 8.) m (Zeichen 9.) rn (Zeichen 10.) einer, der ein langes o, ü oder fbedeuten kann ; (Zeichen 11.) dann folgt in drei andren Zeichen (Zeichen 12-14.) ein Titel. Von diesem gleich nachher. Jene Buchstaben lesen sich also mit blofser Hinzusetzung der Vocallaute #meno oder Amenof. Da nun Memnon in einer griechischen Inschrift an den Bei- nen des nördlichen Thebaeischen Kolosses ausdrücklich, mit hinzugefügtem Aegyptischem Artikel dauevwp genannt wird (Mewveoves 4 danevup) und auch Manetho bei Georgius Syncellus (p. 57. 120.) von einem Amenophis aus der achtzehnten Dynastie der Aegyptischen Könige sagt, dafs er für den Memnon, den tönenden Stein, gehalten werde, so kann die von Herrn Champollion behauptete Identität (Syst. hier. p. 235.) des auf unsern Statuen genannten Königs mit den Thebaeischen Kolossen nicht in Zweifel gezogen werden. Man kann dem so eben Gesagten auch noch das Zeugnifs des Pausa- nias (1. 42. 2.) hinzufügen, obgleich dies weniger beweist, da nach ihm auch Sesostris von einigen für Memnon gehalten wurde. Bei Georgius heifst dieser König Auevapıs und Ausv@apSıs, welches vermuthlich daher kommt, dafs im Aegyptischen amnf nur eine Abkürzung in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 457 von amnfip, dem von Ammon Geprüften, Gebilligten ist. Nach Herrn Champollion’s in seinem hieroglyphischen System (p. 238.) geäufserter Meinung, wurden beide Namen gleichgültig von denselben Personen ge- braucht, und er erklärt ein Grabmal, in dem man Figuren mit dem Namen Amenoftep fand, für ein Grabmal des Amenophis Memnon. Herr Salt führt auch einen deutlichen Amenoftep mit dem unverkennbaren Titel- schilde unsres Amenophis Memnon (Z. ce. Pl.4. nr. 11.) an, so dafs es offenbar ist, dafs dieser König beide Namen trug. Indefs hat Herr Champollion selbst in seinen Briefen an den Herzog von Blacas doch den Unterschied beibehalten, und den Gründer der achtzehnten Dynastie (Br. 1. p. 19.) Ame- noftep, seinen Ururenkel (2. c. p.38.) Amenophis I., dessen Enkel (/.c. p. 85.) Amenophis II. und den dritten König der neunzehnten Dynastie (Br. 2. p. 85.) Amenoftep H. genannt. Herr Champollion schreibt mir aber, dafs er nur um der gewöhnlichen Schreibung auf den Denkmalen getreu zu bleiben, diese Bezeichnungen gewählt hat. Sonst beharrt er bei seiner früheren Meinung über die Einerleiheit beider Namen, und erklärt sich jetzt noch deutlicher dahin, dafs der Name, der bei den Griechen als Amenophis, Amenophthes, Ammenephthes und Amenoth vorkommt, nach der Geltung der hieroglyphischen Zeichen eigentlich, nach Verschiedenheit des Theba- nischen und Memphitischen Dialects, sollte 4menothph oder Amenotp gele- sen werden, und dafs er genauer verfahren wäre, wenn er die Zahl der Re- genten hätte durch alle durchlaufen lassen. Wirklich heifst der Amenoftep der neunzehnten Dynastie bei seinem Bruder, Herrn Champollion-Figeac (2ter Brief an den Herzog von Blacas p. 157.) Amenophis IV. Ich würde hierbei nicht so lange verweilt haben, wenn Herr Gazzera (l.c. p.21.) nicht irrigerweise die nothwendige Unterscheidung beider Namen als einen unumstöfslichen Grundsatz aufstellte. In der Reihe der von Manetho angegebenen Könige ist Amenophis- Memnon der achte der achtzehnten Dynastie, und Nachfolger eines Thut- mosis. Unter seinen sieben Vorfahren ist aber eine Königin Amense (Jose- phus contr. Apionem I. 15.) oder Amesse, und da diese die Schwester, nicht die Tochter ihres Vorfahren auf dem Throne war, so ist Amenophis- Memnon nur der siebente in der Geschlechtsfolge. Gerade so verhält es sich nun auch in der Tafel von Abydos, welche nicht eine Reihe von Köni- gen, sondern eine Geschlechtstafel derselben giebt. Sechs andere Titel- 155 Hüunmsouor über vier degyptische, löwenköpfige Bildsäulen schilde gehen dem auf unsren Statuen gezeichneten voran, nämlich von Amenoftep (Salt. Mittlere Reihe. Schild 7.) an gerechnet, und die Tafel von Abydos stimmt also genau mit dem Zeugnifs Manethos überein. (Cham pollion lettres & Mr. le Duc de Blacas. Lettre I. p.77.). Durch diese glückliche Uebereinstimmung wird gerade dieser Ameno- phis der feste Punkt, an welchen die weitere Vergleichung des Schriftstel- lers und der Monumente angereiht werden kann. Denn einige wenige Aus- nahmen abgerechnet, weichen die Namen des Manetho von denen der Mo- numente, und sehr bedeutend ab, wie man aus der Nebeneinanderstellung beider (/. c. p.107.) sehen kann. In der Zahl aber herrscht genaue Ueber- einstimmung, und für die Abweichungen giebt Herr Champollion (?. ce. p- 77.) Gründe an, die man selbst bei ihm nachlesen mufs. Ich hebe nur die eine, wie es mir scheint, höchst glückliche Bestätigung der Champol- lionschen Behauptungen heraus, dafs der von ihm auf den Monumenten gelesene Name des grofsen Sesostris (des ersten Königs der neunzehnten Dynastie) Rhamses, im ganzen Alterthum nur bei Tacitus (Annal. II. 60.) und Ammianus Marcellinus (XVII. 4.) vorkommt, wo die Stellen selbst zeigen, dafs er von Gebäuden durch einheimische Erklärer abgelesen wor- den war. Auf den Namen folgt, noch im Namenschilde, ein Titel, der Ame- nophis den H. (um bei dieser einmal angenommenen Bezeichnung ste- hen zu bleiben) von den andren Königen gleiches Namens unterscheidet. (Kupfertafel Fig. 2. Zeichen 12-14.) Der genaue Sinn und die Lesung dieses Titels sind Herrn Champollion, so wie er es schon im Systeme hieroglyphique (p. 235.) gestand, auch jetzt noch unbekannt. Von dem ersten dieser Zeichen (nr. 12.) ist es Herrn Champollion durch viele Stel- len bewiesen, dafs es Leiter, Aufseher, Herrscher bedeutet, und es findet sich in verschiedenen Zusammensetzungen als ewiger Herrscher, Herrscher aller Lebenden u. s. f. Das zweite Zeichen (nr. 13.) ist ein k und mufs zu dem hier gemeinten, noch unbekannten Aegyptischen Worte gehören. Es fehlt in einigen Inschriften, was sich eben daraus leicht er- klärt. Von dem letzten dieser Zeichen (nr. 14.) hält es Herr Champollion für ausgemacht, dafs es der symbolische Name irgend einer himmlischen oder irdischen Gegend ist, da in ausführlichen Texten die Zeichen, Land, Gegend, ihm regelmäfsig nachfolgen, und dasselbe auch in Texten in in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 159 hieratischer Schrift im Turiner Museum bei dem Titel Amenophis II. der Fall ist. So wie oft weibliche Gestalten mit der sich auf Aegypten bezie- henden Lotuspflanze auf dem Kopf auf den Denkmalen vorkommen, so fin- den sie sich auch dieses Zeichen als Kopfschmuck tragend. Als Beherrscher dieser Gegend wird der Gott Mandu genannt (!). Allein welche Gegend mit diesem Symbol genannt sey, bleibt ferneren Untersuchungen vorbe- halten. Der Schild an dem südlichen Memnons-Kolofs hat zum Titel das ge- henkelte Kreuz, und eine thronende Figur, die wohl eine Gottheit vorstellt. Man müfste ihn also wohl: der lebendige Gott übersetzen. Eine der Sackischen Statuen scheint auch das gehenkelte Kreuz im Titel (Kupfertafel Fig. D. Zeichen 9.) gehabt zu haben, doch ist die Stelle zu sehr verwittert, um genau darüber urtheilen zu können. Die kleine sitzende Figur des Titelschildes (Kupfertafel Fig. 4. 2. Zeichen 7. Fig. €. Zeichen 10.) erklärte Herr Champollion bisher für die Göttin Sate(?) (Syst. hieroglyph. Planches nr. 51. p. 99. 100.) und übersetzte die ganze Inschrift des Schildes (/. c. p.234.) Herr durch Phre und Sate. Seit ganz kurzer Zeit aber glaubt er mit Gewifsheit gefunden zu haben, dafs die, vorzüglich durch die Feder oder das Blatt auf dem Haupte charak- terisirte Göttin das Sinnbild der Wahrheit ist. Er übersetzt daher jetzt die- sen königlichen Titel: Sonne, Herr der Wahrheit, le soleil, seigneur de verite. Nach den gleich anzuführenden Gründen hat diese Meinung wirklich sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich. Zuerst wurde Herr Champollion auf diese Vermuthung dadurch ge- führt, dafs er am Halse einiger sehr reich ausgestatteten Mumien das Bild der Göttin, wie sie auf dem Titelschild des Amenophis vorgestellt ist, hän- gend fand, und dafs er sich dabei an die Erzählung Diodor’s von Sicilien (1. 75.) erinnerte, dafs es zur Amtspflicht des Oberrichters in Aegypten ge- hörte, ein kleines Bild, das man die Wahrheit nannte, an einer goldnen (‘) Man sehe über diesen Gott Champollion’s Pantheon Heft 10. zu Tafel 27. Niebuhr’s Inseriptiones Nubienses p. 10. (*) Auf welche Weise Herr Champollion in dieser Voraussetzung die Verrich- tungen der Göttin Sate in der Unterwelt erklärte, kann man in Angelo Mai’s Verzeich- nifs der Aegyptischen Papyrus (Bachmanns Uebers. S.12-14.) ausführlich nachlesen. 160 Hüunsoupr über vier degyptische, löwenköpfige Bildsäwulen Kette am Halse zu tragen. Hieran knüpfte Hr. Champollion, dafs in der Vorstellung des Todtengerichts, mit welcher der zweite Theil der grofsen Leichenrollen immer schliefst, (1) nicht nur eben solche Figur (als er bisher Sate nannte) Vorsitzerin der zweiundvierzig Richter ist, sondern auch ihr charakteristisches Sinnbild des Blattes häufig in der einen Wagschale liegt, indefs in der andern ein Gefäfs ist, welches die begangenen Fehler des Ver- storbenen vorstellen soll. (Die Papyrus der Vaticanischen Bibl. Aus d. Tal. des Angelo Mai von L. Bachmann. S. 4.) Das Blatt stellt ihnen mithin seine guten, in Wahrheit und Gerechtigkeit gegründeten Handlungen entge- gegen. Beides kann man auch in dem grofsen Aegyptischen Werk (Kupfer- tafeln. Antiquites. Vol. 11. Pl. 72.) deutlich sehen, wo die Wahrheit die obere \eihe der Richter zur rechten Hand eröffnet, und obgleich auch die Richter das ihr charakteristische Blatt tragen, am mangelnden Bart kenntlich ist. Mit diesen Symbolen verbindet sich das erste Zeichen des hieroglyphisch geschriebenen Namen der Göttin, (Champollion. Syst. hierogl. Alphab. nr. 95.) welches ein Längenmaafs (coudee) vorstellen soll. Was aber in meinen Augen dieser neueren Erklärung des Hrn. Champollion den gröfsesten Werth giebt, ist die glückliche Anwendung, die er auch hier, wie schon sonst öfter, von der uns durch Ammianus Marcellinus (XVIH. 4. Ed. Bip. Vol. I. p. 130.) erhaltenen Uebersetzung einer Obeliskeninschrift nach (') Die genauere Einsicht in den Inhalt dieser Leichenrollen, der grofsen mit Bil- dern und Hieroglyphen- oder hieratischer Schrift versehenen Papyrus, die man gewöhn- lich zwischen den Schenkeln der Mumien findet, verdankt man gleichfalls Hrn. Cham- pollion’s gründlichen Entdeckungen. Die zerstreuten Bemerkungen, die sich darüber in seinen Schriften und seinen Briefen finden, zeigen, wie er selbst nach und nach tie- fer in dieselben eindringt, und es wird höchst interessant seyn, einmal die vollständige Erklärung dieser grofsen Leichenrituale von ihm zu erhalten. Das in dem grofsen Aegyptischen Werk in Hieroglyphen-Schrift enthaltene giebt nur den zweiten der ver- schiedenen Abschnitte, in welche, nach Hrn. Champollion, diese Rituale zerfallen. Dieser zweite Abschnitt wird durch die beiden Bilder, die Vorstellung der drei Regio- nen der Götter, der Sonne und des Mondes (die letztere fehlt in dem Pariser Papyrus) und die des Todtengerichts begränzt. Sehr viel Lehrreiches über den Inhalt und die Anordnung dieser Leichenrituale findet sich in dem von Angelo Mai herausgegebenen Verzeichnifs der Vaticanischen Papyrus von Herrn Champollion. (Bachmannische Uebersetzung S.1-23.) Es werden darin vier Abschnitte derselben erwähnt. Die Ver- gleichung der ähnlichen hiesigen Papyrus in dieser Rücksicht behalte ich einer andren Gelegenheit vor. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 161 Hermapion macht. In dieser Inschrift wird dem Könige Ramestes (wie er dort heifst) der Beiname $1Ra2y9us gegeben, und auf allen Römischen Obe- lisken hat Herr Champollion die Figur dieser sitzenden Göttin mit dem Blatt auf dem Kopfe und dem gehenkelten Kreuz in der Hand angetroffen, namentlich auch mit dem bekannten Zeichen des Aegyptischen Wortes mei, geliebt, unmittelbar verbunden. Den Namen liest und erklärt Herr Cham- pollion jetzt auch anders als bisher, nemlich nicht mehr ( Syst. hier. Planches nr. 51.) stä sondern smä, indem ‚er hiebei an das Koptische Wort md, ge- recht, wahr, denkt, und das s (was aber fernerer Rechtfertigung bedürfen wird) als präfigirten Buchstaben annimmt. Er hat nämlich über das zweite hieroglyphische Zeichen des bisher stä gelesenen Namen seine Meinung ge- 88 ändert, und hält dasselbe nicht mehr, wie früher (Syst. hierogl. Alphab. ar. 30.) für ein z, sondern für m, weil er die Sylbe ma durch einen von die- sem Zeichen durchkreuzten, a bedeutenden Vogel, mithin als eine synonyme Gruppe von andren ma anzeigenden gefunden hat. Die Göttin Sate, die darum den Aegyptischen Denkmalen nicht ent- zogen wird, findet Herr Champollion jetzt in der Göttin, die er bisher (Pantheon Heft Il. zu Taf. 19.) Anuki benannte, so wie er der letzteren jetzt die Gestalt giebt, welche Tiphe oder T’'pe (der Himmel. Panth. Heft IH. zu Taf. 20.) führt. Denn er gesteht freimüthig, dafs er bisher diese beiden Göt- tinnen, Anuki und Sate, die übrigens gewöhnlich eine die andre begleiten, verwechselt hat. Er ist zu diesem Irrthum durch einen Englischen eine Stele des Lord Belmore vorstellenden Kupferstich verleitet worden, auf dem die Namen dieser Göttinnen falsch gestellt sind. Der hieroglyphische Name der Anuki ist in dem Pantheon (Heft II. Taf. 19.) zu schen; der der Sate, stä, kommt, wie ihn Herr Champollion jetzt annimmt, noch nicht darin vor. Er besteht aus dem 101sten, 28sten und 6ten Buchstaben des Champollionschen Alphabets, von welchen aber der erste auf seiner oberen Spitze noch einen abgestumpften Kegel trägt. Der horizontale Strich des Kreuzes, aus dem dieser Buchstabe besteht, ist bisweilen ein Pfeil, wo- durch das figürliche Zeichen der Göttin, der Pfeil, mit der hieroglyphischen Gruppe gepaart ist. Mit dem Pfeil bringt Herr Champollion auch den im Koptischen diese Waffe bedeutenden Namen der Göttin, Sate('), in Verbin- (') Nämlich von sat, werfen. Sate findet sich im La Crozischen Wörterbuch nicht als Pfeil. Der Pfeil heifst aber darin sothnef, worin sichtbar dasselbe Stammwort liegt. Hıst. phlol. Klasse 1825. X 162 Humsorpr über vier Aegyptische, löwenköpfige Bildsäulen dung. Dafs in Amenophis II. Titelschilde das Zeichen der Wahrheit dem Zeichen der Herrschaft vorangeht, dürfte schon an sich nieht wundern, da ja der Genitiv in der Verbindung die erste Stelle einnehmen kann. Herr Cham- pollion macht aber hierbei darauf aufmerksam, dafs auf architektonischen und statuarischen Denkmalen die Zeichen, der blofsen Symmetrie wegen, wohl anders gestellt werden, als es die Aussprache fordert. In der hiera- tischen Schrift, bei welcher diese Rücksicht hinwegfällt, geht auch in den Titeln Amenophis II. das Zeichen Herr, die henkellose Schale, dem Bilde der Wahrheit, der sitzenden Göttin mit dem Blatt auf dem Haupte, voran. Nach einer Hieroglyphenschrift im grofsen Französischen Aegyptischen Werke von einem Pfeiler des Südtempels in Elephantine (Antiquites. Planch. _Vol.1. Pl. 36. Fig. 3.) sollte man glauben, dafs der Titelschild Amenophis IH. auch einem andren Könige angehörte, dessen hieroglyphisch geschriebener Name Entonts gelesen werden kann. Ich hielt diesen Namen für verschrie- ben, nur die ausdrückliche, dieser Abbildung in der Erklärung der Kupfer- tafeln hinzugefügte Versicherung der Genauigkeit dieser hieroglyphischen Abschrift (Fig. 3. tous les hieroglyphes sont exacts) liefs mich zweifelhaft. Herr Champollion bestätigt aber meine Vermuthung, und sagt mir, dafs die genaueren Zeichnungen dieser Pfeilerinschrift der Herren Huyot aus Paris und Ricci aus Florenz den Namen Amenophis geben. Die ältesten Theile des Pallastes von Lougsor, das Memnonium, der Tempel des Ammon-Chnubis und andre grofse Gebäude bis in Nubien hinein wurden von Amenophis II. theils erbaut, theils verziert. Nach der chronologischen Bestimmung des Herrn Champollion-Figeac (Lettrel. a Mr. le Duc de Blacas p. 107.) fällt seine dreifsigjährige Regierung von 1687 bis 1657 vor unsrer Zeitrechnung, also um mehrere Jahrhunderte vor den Memnon des Troischen Kriegs. NEE Inschriften. Herr Gazzera giebt (/. ce. Pl.3. nr. 2.3.) die Inschriften von zwei der löwenköpfigen Statuen des Turiner Museums, so dafs wir mit den unsrigen die Inschriften von fünfen vor Augen haben. In jeder von die- sen finden sich Verschiedenheiten. Die Einrichtung der unsrigen, und wahrscheinlich auch der Turiner ist so, dafs die den Titelschild begleitenden Hieroglyphen neben dem in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 163 rechten, die andern neben dem linken Bein der Bildsäule in einem schma- len Streifen herablaufen. Ich fange von jenen an. Ueber dem Titelschild steht in allen der Gott, nute, (Kupfertafel. Zeichen 1.) der gute (wohlthätige, heilbringende) nanef, (Zeichen 2.) der Herr, näb, (Zeichen 3.) der irdischen Welt, to, (Zeichen 4.5.) In der Minutolischen folgt hierauf noch: der Herr (Fig. C. Zeichen 6.) der drei Regionen. (Zeichen 8. 7.) Dann kommt der schon oben erklärte Titelschild. Hinter diesem steht eine Phrase, dıe sich auf das zuletzt nachfol- gende Partieipium: geliebt, mei (Fig. 4. Zeichen 16. 17. Fig. B. Zeichen 18. 19. Fig. C. Zeichen 21.22.) bezieht. Das Wesen von dem er geliebt wird, ist unmittelbar nach dem Titel- schild ausgedrückt, und die ersten drei Zeichen nach demselben sind da- her in allen fünf Inschriften ohne allen Unterschied dieselben. In einer der Turiner Statuen (Gazzera Pl.3. nr. 2.) und in unsren beiden Sacki- schen ist ihnen zu gröfserer Deutlichkeit das figürliche Zeichen der Göttin (Kupfertafel. Fig. 4. B. Zeichen 12.) beigefügt, und dann folgen bis zum Ende der Phrase Titel, die nicht überall dieselben sind. Von den in allen fünf Inschriften auf den Titelschild folgenden drei Zeichen und der sie begleitenden Figur habe ich schon oben bei Gelegen- heit der Göttin Neith geredet. Nach dieser Gruppe kommen in jeder Inschrift verschiedene Zeichen. Ich bleibe aber bei denen der Berlinischen Statuen stehen. Auf der einen Sackischen folgt in der Inschrift hier der Artikel des weiblichen Geschlechts 2, (Kupfertafel Fig. 4. Zeichen 13.) die beiden Zei- chen, welche Herr Champollion (Syst. hierogl. p. 136. Planches nr. 347.) durch mächtig erklärt, und mit fehlendem Vocal dschr (bei la Croze dschor)) schreibt. Auf der zweiten Sackischen Bildsäule steht nach dem Titel der Göttin wieder das Partieipium mei, geliebt (Fig. 3. Zeichen 13. 14.) und ein dar- auf folgender Zirkelabschnitt. (Zeichen 15.) Diesen erklärt Herr Cham- pollion, ohne sich über die phonetische Geltung auszulassen, für ein Zeichen, welches anzeigt, dafs das Wort, hinter dem es steht, doppelt genommen werden soll, entweder so dafs es dadurch in den Dualis gesetzt, oder so, dafs sein Sinn verstärkt genommen, oder endlich so dafs das X2 164 Hunsouor über vier degyptische, löwenköpfige Bildsäulen Wort selbst zweimal ausgesprochen werde. Denn es war, wie man noch aus dem Koptischen sieht, der Aegyptischen Sprache eigen, in Substan- tiven und Verben dieselbe Sylbe, nur bisweilen mit verändertem Vocal, zweimal auf einander folgen zu lassen(!). Gewöhnlich führt nun zwar der Zirkelabschnitt in dieser Bedeutung zwei kleine Striche nach sich, wie sie im Champollionschen Alphabet (nr. 42.) den Vocal ’ bezeichnen, und die Erklärung dieser beiden verbundenen Zeichen, als Verdoppelungs- andeutung, rührt ursprünglich von Herrn Salt her. Unsre Inschrift hat nur das erste der beiden Zeichen, Herr Champollion versichert aber die Gruppe öfter so abgekürzt gefunden zu haben. Eine andre solche Abkürzung sieht er in derselben Inschrift in dem Charakter, welcher dem am Ende stehenden Partieipium: geliebt, unmittel- bar vorhergeht. (Fig. 3. Zeichen 17.) Es ist ein s (Champollion. Syst. hierogl. Alphab. nr. 86.) und der Anfangsbuchstabe der schon oben er- wähnten Gegend Sesau, über welche die Herrschaft der Göttin Neith durch die unmittelbar vorhergehende Schale (Fig. 3. Zeichen 16.) angedeutet wird. In andren Texten ist der Name hieroglyphisch vollständig ange- schrieben und mit dem erläuternden Zeichen: Land, Gegend versehen. Die Göttin trägt diesen Titel als Göttin des ersten Ranges in menschlicher Bildung sowohl, als mit dem Löwenhaupt vorgestellt. Die in der Inschrift der Minutolischen Bildsäule auf den Namen der Göttin folgende Gruppe (Fig. C. Zeichen 15-17.) heifst: der Guten, (Wohl- thätigen). Sie pflegt aber an andren Stellen zwischen den auf der ange- hängten Kupfertafel (Fig. €.) mit 15. und 16. bezeichneten Charakteren noch ein f (Champollion. Syst. hierogl. Alphab. nr. 119.) zu führen, dessen Mangel indefs hier die Lesung nicht aufhalten darf. Denn das erste Zeichen dieser Gruppe (nr. 15.) ist eine 'Theorbe, ein musikalisches Instrument, das als Symbol der Wohlthätigkeit gilt. (Champollion. I. Lettre au Duc de Blacas p. 17.) Da mithin hierin schon der ganze Be- griff liegt, so kann das nachfolgende (nr. 16.) nur die Endung des gesproche- (*) Solche Wörter sind susu, Augenblick, chremrem, Gemurmel, loflef, zermalmt werden, mokmek, denken, monmen, bewegt werden, kemkem, Trommel, Zadschledsch, Demuth, u.s.w. Sie scheinen, wie so vieles in der Sprache, aus phonetischer Gewohn- heit entstanden zu seyn, und der Grund der Veränderung des Vocals der Endsylbe liegt wohl in der gröfseren dadurch bezweckten Leichtigkeit der Aussprache. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 165 nen Wortes zof-ri seyn. Der Zirkelabschnitt (Zeichen 17.) ist bekannt- lich der weibliche Artikel. In der in derselben Inschrift weiter folgenden Gruppe (Zeichen 18-20.) erkennt man nur die beiden letzten den Plural andeutenden Zeichen, das erste ist bis jetzt noch von unbekannter Bedeutung, obgleich es oft auf Mumien und Papyrusrollen angetroffen wird. Herr Champollion sieht es für ein mit zwei Geifseln versehenes Siegel an. Die letzte Gruppe der Inschriften der Minutolischen und einer der Sackischen Statuen und die vorletzte der andren Sackischen heilsen: Geber - des Lebens. Der Begriff des Lebens liegt in dem gehenkelten Schlüssel. (Kupfertafel Fig. 4. Zeichen 19. Fig. 3. Zeichen 21. Fig. C. Zeichen 24.) Es ist das Koptische Wort önchh. Das vorhergehende Zeichen, der Tri- angel, bedeutet den z Laut, (Champollion. Syst. hier. p. 43. Pl. 3. Fig. 3.) und ist hier das koptische &, geben. Die ganze Gruppe sieht Herr Cham- pollion für das koptische Wort tanchho, beleben, der Belebende an, da seiner Bemerkung nach, die langen Vocale in zusammengesetzten Wörtern kurz zu werden pflegen. Die Schlufsgruppe der Inschrift der einen Sackischen Statue hat nach vielen Stellen und namentlich auch der Rosettischen Inschrift die Bedeutung für immer, (ewig) allein das dadurch ausgedrückte Koptische Wort weifs Herr Champollion noch nicht anzugeben. (Kupfertafel Fig. 2. Zeichen 22 - 24.) Die Hieroglyphensäule des Namenschildes fängt bei allen hier be- trachteten Statuen, aufser der Minutolischen, mit den Worten an: Sohn der Sonne, welche ihn liebt, rä, (Kupfertafel Fig. D. Zeichen 1.) schärt, (Zeichen 2.) m, Abkürzung von mei, (Zeichen 3.) f angehängtes Pronomen 3. pers. sing. mascul. (Zeichen 4.) Auf der Minutolischen Statue folgen auf die Worte: Sohn der Sonne fünf Zeichen (Kupfertafel Z. Zeichen 3-7.) die theils an sich, theils in die- ser Verbindung in den Schriften des Herrn Champollion nicht angetroffen werden. In seinem Briefe an mich aber giebt er über dieselben folgende Erklärung, die er jedoch von der des 4ten Zeichens abhängig macht. Er glaubt nämlich in diesem einen Aegyptischen Spiegel (al bei la Croze) zu erkennen, und in dieser Voraussetzung hiefse nun die Hieroglyphengruppe, welche dem Namenschild vorhergeht: Sohn der Sonne und sein Büd oder 166 Hwunsouor über vier degypüsche, löwenköpfige Bildsäulen wörtlicher ‚Spiegel. Das dritte Zeichen, z, kann man entweder für das Casuszeichen des Nominativs, oder für den Anfangsbuchstaben des Ver- bindungswörtchens zem, und, nehmen. Herr Champollion äufsert sich darüber nicht bestimmt. Das siebente Zeichen ist das schon oben erklärte Pronomen der 3ten Person. Sehr merkwürdig aber, und für die ganze Hieroglyphen -Entzifferung erweiternd ist, was mir Herr Champollion über das fünfte und sechste Zeichen mittheilt. Diese Gruppe wird nämlich gesetzt, wenn ein zugleich figürlich und phonetisch geltendes Zeichen in einer Stelle die erstere Geltung, wie hier der Spiegel, haben soll. Auf diese Weise bezeichnen das Auge, der Mund, die Hand, mit diesen beiden Zei- chen nach sich, diese Gegenstände, ohne dieselben die Buchstaben a, r, t. (Champollion. Syst. hierogl. Alphabet. nr.9. 59. 22.) Auf diesen Eingang folgt der Namenschild, und nach diesem werden auf jeder der fünf Statuen dieselben Hieroglyphen wiederholt, welche hin- ter dem Titelschild stehen. Die ganze Inschrift der Berlinischen Statuen, mit Bemerkung der noch nicht zu entziffernden Stellen lautet daher folgendermafsen. Ich lege nemlich hier die Inschrift der einen Sackischen Statue (Fig.2. D.) als die vollständigste zum Grunde, und bemerke die Abweichungen in Parenthesen und Anmerkungen. Der Gott, der Wohlthätige, der Herr der irdischen Welt, (Fig. C. der Herr der drei Regionen) die Sonne, der Herr der Wahrheit, vor der ET RLNP der Göttin Neith(!) (Fig. A. der Grofsen) (Fig. C. der Wohlthäu- gen den ...... ) der doppelt geliebten (*) Herrscherin über Sesau, geliebt, der Geber des Lebens, für immer. Der Sohn der Sonne geliebt von ihr (Fig. E. und ihr Spiegel) (?) Ame- nof(*) (Kig.e. der Herrscher über ....)uss:ik Es ist bekannt, dafs den Aegyptischen Königen nicht blofs erst nach ihrem Tode, sondern auch schon bei ihrem Leben göttliche Ehre erwiesen wurde. (‘) Dies Figürchen befindet sich nur auf den beiden Sackischen Statuen. (”) Herr Champollion übersetzt deux fois aimable dame. Ich bin bei der auf dasselbe hinauskommenden, wörtlichen Uebertragung geblieben. (°) Die Worte geliebt von ihr, fehlen hier. (*) Man kann auch Amenö lesen. in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen. 167 a Verzierung des Fufsgestells. An den beiden Seiten des Fufsgestells unsrer, und vermuthlich aller ähnlichen Statuen sieht man eine Verschlingung von Lotusstengeln und Blu- men, die man schon darum nicht für eine bedeutungslose Verzierung halten könnte, weil sie so überaus häufig und immer auf fast ganz gleiche Weise gefunden wird. (Kupfertafel Fig. 7. ferner Deser. de l’Egypte T.I. Pl. 16. 80. nr.5. T.DO. Pl.89. Gazzera /. c. Pl.4. nr. 4. Pl.9.) Wo dieser Vorstel- lung die ganze Ausführung gegeben ist, stehen neben ihr zwei Figuren, eine auf jeder Seite, die selbst Lotuspflanzen in Gefäfsen auf dem Kopf tragen, und die der Verzierung zusammengeknüpft halten. (Deser. de !’Egypte. T.1. Pl.10. nr.5. T.II. Pl. 28. gr. Form. Pl. 21.22.) Dieselben Figuren kommen auch oft einzeln vor, und sind zugleich mit dem gehenkeiten Kreuz und andren Emblemen versehen. (/. c. T. III. Pl. 47. nr. 4.) Da Herr Gazzera nach Herrn Champollion die in dieser Verzie- rung enthaltene Hieroglyphe für ein Symbol der Erhaltung oder Beschützung der obern und untern Gegend erklärt, so war es leicht, das spatenähn- liche Werkzeug, welches die Verzierung in zwei Hälften theilt, für die schon oben erwähnte Theorbe, das Symbol der Wohlthätigkeit und Be- schirmung, zu erkennen. Zwar weicht die Gestalt ein wenig davon ab, allein man findet auch auf andren Denkmalen, dafs jenes Emblem bisweilen in ein solches herzförmiges Blatt endigt, und mit dem langen Stiel nicht über den oberen Querstrich hinausgeht. (Deser. de ’Egypte T.I. Pl. 36. nr.3. Tr PR21..2772) Auch in dem erklärenden Verzeichnifs der Papyrus der Vaticanischen Bibliothek (Bachmann S.7.) übersetzt Herr Champollion diese Hiero- glyphe in die Worte: Wohlthäter der obern und der untern Region. Die Bezeichnung der beiden Theile Aegyptens, die hier mit der obern und untern Gegend gemeint sind, liegt in den beiden Lotuspflanzen,, wie durch eine Stelle der Inschrift von Rosette (Zeile 5.) deutlich zu beweisen ist. Nur über den Unterschied beider Gegenden in der hieroglyphischen Deutung liefs mich das, was Herr Champollion in seinem Pantheon (Heft VII. nr. 7. 4. B.) sagt, zweifelhaft. Sein letzter berichtigender Brief an mich aber hebt alle Dunkelheit in dieser Rücksicht auf, und stellt beide Zeichen bestimmt fest. Das obere Aegypten wird durch eine Lotusart, deren 168 Humsouor über vier degyptische, löwenköpfige Bildsäulen u.s.w. immer blau und roth gefärbte Blume der Lilie gleicht, mithin durch die in unsrer Kupfertafel zur Linken stehende Pflanze bezeichnet, die untere durch die daneben zur Rechten befindliche mit andrer, blau und grün gefärbter Blume. In dieser Gestalt der Blumen, nicht aber in den zur Seite zerknickt herabhängenden Stengeln liegt der Unterschied beider Gegenden. In dem Münchner Abdruck der Inschrift von Rosette ist zwar nicht der.oben an- gegebene Unterschied der Blumen, aber ganz deutlich eine Verschiedenheit der Pflanzen selbst zu erkennen. Die mannweiblichen, am Bart und den weiblichen Brüsten kenntlichen Figuren, welche der hier betrachteten Verzierung oft gleichsam zu Schild- haltern dienen (Deser. de l’Egypte Z. ce.) erklärt Herr Champollion für Vorstellungen des oberen und unteren Nils. Er bemerkt zugleich, dafs die Aegyptier den oberen und unteren Theil ihres Landes noch bestimmter als den südlichen und den nördlichen fafsten, daher die Embleme, von denen wir hier reden, auch den Süden und den Norden überhaupt bezeichnen. Er knüpft hieran sehr interessante Ausführungen, wie nördliche und süd- liche besiegte Völker auf diese Weise angedeutet werden, und beweist dies aus Stellen hieroglyphischer Denkmale. Ich trage indefs gerechtes Beden- ken, hierin weiter einzugehen, um ihm nicht in der eignen Mittheilung dieser interessanten Entdeckungen zuvorzukommen. Der Lotus spielt in der Aegyptischen Symbolik eine wichtige Rolle. Er galt auch für das Symbol der Erhabenheit des göttlichen Verstandes über die Materie. Diese Deutung war von dem Emporragen der langstieligen Lotusblume über dem Wasser hergenommen. Dieselbe Eigenschaft veran- lafste die Indischen Dichter, das sittlich Reine mit der Lotusblume zu ver- gleichen, die auf dem Wasser schwimmt, ohne benetzt zu werden. Man mufs aber gestehen , dafs die Aegyptische Deutung tiefer geschöpft ist, —i NER Zu Herrn vw Humboldts Abhandlung über 4 ‚we gyptische Pe . Über die Langen- und Flachenmafse der Alten. Dritter Theil ©. Von den Wegemafsen der alten Geographie. Erster Abschnitt. Über dıe von den Alten erwähnten Bestimmungen des Erdumfangs und die von den Neuern daraus abgeleiteten Stadien. Von H”- IDELER. nn nn nn 5 [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 27. Oktober 1825.] Nie leicht ist ein Paradoxon mit mehr Geist und Gelehrsamkeit verfoch- ten worden, als das, welches Bailly in seinen Briefen über die Atlantis des Plato aufgestellt hat, dafs es nämlich weit vor unserer Geschichte im nördlichen Asien ein Volk gegeben, das die meisten unserer Künste und Wissenschaften, besonders die Astronomie, Physik und Medicin, bis zu ei- nem hohen Grade ausgebildet hatte, und dafs die wissenschaftlichen Kennt- nisse der ältesten uns bekannten Völker, der Aegypter, Babylonier, Hin- dus, nichts weiter als unzusammenhangende Trümmer sind, die sich aus dem Schiffbruch, in welchem das Ganze untergegangen, gerettet haben. Wenn es gleich schwerlich jetzt noch einen gründlichen Alterthumsforscher gibt, der diese Hypothese für etwas mehr als ein Spiel der Phantasie hielte, so hat sich doch seit ihrer ersten Bekanntwerdung, besonders in Frankreich, bei vielen die Meinung festgesetzt, dafs lange vor der alexandrinischen Epoche mehreren Wissenschaften, namentlich der Geometrie, Astronomie und Geographie, im Orient eine bedeutende Entwickelung gegeben worden sei, und dafs in Hinsicht ihrer das Verdienst der Griechen meistens nur darin (*) Die beiden ersten Theile finden sich in den Abhandlungen der Akademie vom Jahr 1812 und 13. Hist. philol. Klasse 1825. T 170 IpsEsuLer bestanden, die von auswärts entlehnten Kenntnisse gesammelt und geordnet der Nachwelt überliefert zu haben. Es ist hier nicht der Ort, diese Ansicht zu prüfen und zwischen ihr und der entgegengesetzten, die sich durch die Heynesche Schule über Deutschland verbreitet hat, ich meine, dafs die Grie- chen in jenen Fächern dem Morgenlande wenig oder gar nichts verdanken, eine Vermittelung zu versuchen. Eine solche findet sich im Grunde schon bei dem Verfasser der Epinomis, der sich bei Gelegenheit einer Erörterung über die Planeten also äufsert ('): ‚‚Ein altes Land war es, wo unter dem Einflusse eines heitern und milden Klima, wie sich dessen Aegypten und Sy- rien erfreuen, dies alles zuerst gefunden wurde. Überzeugen wir uns aber, dafs die Griechen verschönern, was sie nur immer von den Barbaren ent- lehnen. ”’ Bei keinem Gegenstande ist man in der für den Orient parteilichen An- sicht weiter gegangen, als bei dem, von welchem ich hier zu handeln beab- sichtige. Der Umfang der Erde, sagt man, ist in einer sehr frühen Periode irgendwo in Asien mit einer Genauigkeit gemessen worden, die derjenigen wenig nachsteht, welche man in den neuesten Zeiten mit Hülfe der feinsten Instrumente und Methoden zu erreichen vermocht hat. Die runden Zahlen von 400, 300, 252, 240 und 180 tausend Stadien, durch die man ihn in den Schriften der Griechen angegeben findet, drücken ihn genau aus, und unter- scheiden sich blofs durch die ihnen zum Grunde liegenden Einheiten. Wir haben also, um dieselben zu finden, nichts weiter nöthig, als jene Zahlen mit den Ergebnissen der neuesten Gradmessungen zu vergleichen. Da nun die vollkommenste unter allen, die in unsern Tagen in Frankreich angestellte, für den mittlern Erdgrad 57008 Toisen gegeben hat, so erhalten wir für die fünf Stadieneinheiten, zu 11114, 8334, 700, 666% und 500 auf den Grad, 308, 410, 489, 513 und 684 pariser Fufs. Die unbekannten asiatischen Geo- meter haben sich aber nicht begnügt, die Erde im Grofsen zu vermessen; sie haben zugleich mit Hülfe dieser fünf Mafsstäbe eine Menge Ortsentfer- nungen in allen den Alten zugänglichen Gegenden aufs genauste bestimmt. Die Griechen, zu denen diese Messungen auf mehr als einem Wege gelangt sind, haben uns eine Menge derselben aufbewahrt, aber leider die einer je- den zum Grunde liegende Einheit anzugeben so ganz vergessen, dafs sie (') Plat. Opp. ed. Steph. p. 986, 87. über die Längen- und Flächenmajse der Alten. rg nicht einmahl eine Verschiedenheit derselben ahnen lassen. Es ist nun das Geschäft der neuern Geographen, diese Einheiten auszumitteln und unter den fünf Mafsstäben jedesmahl den rechten zu wählen. Dies hat öfters seine Schwierigkeiten. Man mufs aber in solchen Fällen das Stadienmafs auf das Terrain und auf gute Karten anpassen, um den Modul ausfindig zu machen. Ist dies geschehen, so entsteht durchgängig Licht, wo sonst nichts als die gröfste Finsternifs herrschte. Wenn z.B. Megasthenes und Deimachus Indien die Gestalt eines Dreiecks beilegten, dessen beide Seiten von Süden nach Norden 20000 und 30000 Stadien hielten, so sind dies Stadien zu 308 Fufs, welche für die kleinere Seite genau die Entfernung des Cap Comorin von der östlichen Mündung des Ganges, und für die gröfsere die Entfernung eben dieses Punktes von Kandahar am Fufse des indischen Kaukasus geben. Auf die Nordseite oder die Grundlinie dieses Dreiecks rechnete Megasthenes nach Strabo 16000 Stadien; es mufs aber nach Plinius 26000 heifsen, und dies ist die Entfernung Kandahars von der östlichen Gangesmündung. Pa- trocles dagegen drückte dieselben Abstände in Stadien von 513 Fufs aus, nach welchen sich auch seine Angaben als richtig bewähren. Wer aber über das Wesen der Messungen, die so bewundernswür- dig richtige Resultate geliefert haben sollen, ein wenig nachdenkt, und den höchst unvollkommenen Zustand erwägt, worin sich die praktische Mefs- kunst und Sternkunde bei den Griechen befanden, die doch in diesem Punkt schwerlich so ganz tief unter ihren orientalischen Vorgängern gestanden ha- ben, wird es kaum für möglich halten, dafs irgend ein Gelehrter solche An- sichten hegen könne. Und doch ist dem also. Die in vieler Hinsicht sehr schätzbaren Aecherches sur la Geographie systematique et positive des An- ciens des Hrn. Gossellin sind ganz in diesem Sinn gearbeitet. Sie sol- len die so sehr divergirenden Angaben der alten Geographen Nearch, Eratosthenes, Hipparch, Arrian, Strabo, Marinus, Ptolemäus, unter einander und mit den neuern in Uebereinstimmung bringen, was auch, wie man leicht erachten wird, mit Hülfe der fünf so verschiedenen Stadienmafsstäbe, die nach Willkühr bald hier bald dort angelegt werden, nach Wunsch gelingt. Wo waren aber diese Wegemafse einheimisch? In Griechenland nicht; denn weder das olympische Stadium, das die deut- schen Alterthumsforscher allein anerkennen, noch das pythische von d’Anville gehören dahin. Sie waren also blofs dem Orient eigen, und Y2 172 I°DVE'L Evr vielleicht auch dort nicht einmahl im bürgerlichen Gebrauch, wie man schon aus der Beschaffenheit jener fünf Zahlen schliefsen wird, die den Umfang der Erde ausdrücken sollen. Hr. Gossellin nennt sie astronomische Sta- dien (!), indem er, wenn ich ihn anders recht verstehe, annimmt, dafs sie vor angestellter Messung beliebig gewählt worden sind, wie die französischen Geometer, ehe sie ihre letzte grofse Gradmessung vollführten, fesisetzten, dafs der Meter der 40 millionste Theil des Erdmeridians sein solle. Da aber die Messung nicht mit einem Mafse geschehen konnte, das erst durch sie be- stimmt werden sollte, so mufste ein im bürgerlichen Leben gebräuchliches dazu genommen werden, und so begreift man nicht, warum die orientalischen Mefskünstler den gefundenen Erdumfang nicht lieber in einem allen geläufi- gen Wegemafse, als in einem willkührlichen angaben, dessen Werth erst das Resultat der Messung war. Noch weniger sieht man, warum sie sich die Mühe gaben, die von den Reisenden und Seefahrern nach bürgerlichen Mafsen bestimmten Distanzen auf die astronomischen zu reduciren, die unglaub- liche Fahrlässigkeit der griechischen Geographen zu geschweigen, die so ge- dankenlos excerpirt haben sollen, dafs sie den Punkt, worauf gerade alles ankam, die Verschiedenheit des Stadienmafses, unbemerkt liefsen, da doch die auffallenden Widersprüche, in die sie geriethen, auch den nachlässigsten Compilator darauf hätten leiten müssen. Nichts desto weniger hat sich die von Delisle aufgestellte Hypothese, dafs das Wort Stadium ein Collectivname für mehrere sehr von einander ab- weichende Wegemafse sei, bei den französischen Gelehrten, die sich mit Un- tersuchungen über die alte Geographie beschäftigt haben, sehr beliebt ge- wacht (?), ob sie gleich nicht von allen so schroff wie von Hrn. Gossellin (') Siehe seine Abhandlung De !’&valuation et de lemploi des mesures itineraires im vierten Bande des gedachten Werks und vor der seit 1805 erschienenen französischen Über- setzung des Strabo. (*) Wie weit sie die Willkühr in dieser Beziehung treiben, ersieht man aus einer An- merkung Larcher’szum Herodot, Vol.I. p.488. Er glaubt, dafs Strabo bei der Be- schreibung des Belustempels ein kleines Stadium zu 50 Toisen meine. ZZ yen avait, ıl est vrai, sagter, un autre plus grand du temps de Strabon ; mais cet auteur n’a point reduit les mesures dont il parle, a celles qui etoient en usage dans le siecle ou il vivoit. Il pa- roit au contraire, qu’en parlant d’un lieu il se sert toujours du stade qui yetait connu. über die Längen- und Flächenmafse der Alten. 173 aufgefafst wird. So nimmt d’Anville in seinem Traite des mesures itine- raires aufser dem bekannten olympischen Stadium noch zwei kleinere an, die ich im zweiten Abschnitt dieser Abhandlung einer Kritik zu unterwerfen gedenke. Für jetzt will ich blofs von Hrn. Gossellin’s astronomischen Sta- dien reden. Meine Absicht nämlich ist, alle mir bekannte, auf die Bestim- mung des Erdumfangs sich beziehende, Stellen griechischer und römischer Autoren zu sammeln und mit Enthaltung von jeder vorgefafsten Meinung zu prüfen, um mit einiger Sicherheit die Frage beantworten zu können, ob und in wie weit sie bei einer Untersuchung über die Wegemafse der Alten Be- rücksichtigung verdienen. Ich habe von den Stadienzahlen 400, 300, 252, 240 und 180 tausend zu handeln. Die erste findet sich blofs in des Aristoteles Werk de Coelo, wo es heifst (!): „Die Mathematiker, welche die Gröfse der Erde zu schätzen versuchen, geben ihrem Umfange 40 Myriaden,’’ vermuthlich Stadien. Das Wort fehlt im Text. Schon der Commentator Simplicius vermilste es. ,‚Wir können defshalb nicht wissen, sagt er (?), ob die Zahl des Ari- stoteles von den später gefundenen abweicht. Wäre dies der Fall, so dürfte es uns eben nicht befremden, da die zu solchen Untersuchungen erforder- lichen Theoreme erst von Archimedes erfunden sind.” Dieser sehr ver- nünftigen Bemerkung ungeachtet kann man doch leicht mit d’Anville in die Versuchung gerathen, den 400000 Stadien eine gröfsere Bedeutsamkeit zu geben, als der von Aristoteles gebrauchte Ausdruck waroyılersu T&- gayraı auf den ersten Blick verräth. Er nennt die Mathematiker nicht, denen diese Bestimmung des Erd- umfangs angehört. Sollte vielleicht schon Anaximander Versuche dieser Art gemacht haben? Diogenes La@rtius sagt von ihm (?), er habe zuerst den Umkreis von Land und Meer beschrieben — zei yas naı Sarassns megiuergev moüres Eygaev. Dies kann aber auch wol nur heifsen sollen: er zeichnete die erste Weltkarte, wie Eratosthenes beim Strabo von ihm versichert (*). (') LI. c.14. (2) P.134, b. @) IL. (*) 1.I. p.7. ed. Casaub. 74 IDEELLER Wäre jene Frage zu bejahen, so dürfte man sich nicht wundern, dafs der Versuch noch sehr roh ausfiel. Man hatte damals und selbst zu Aristoteles Zeit, wie eine Äufserung von ihm in den Meteorologicis lehrt (t), noch kein anderes Mittel, grofse Entfernungen auf der Erde zu bestimmen, als Tage- reisen oder Tag- und Nachtfahrten, und das Werkzeug, dessen man sich im Alterthum zur Messung von Bogen am Himmel bediente (wir werden es gleich kennen lernen), war von späterer Erfindung. Bei dem allen ist der Fehler, den man bei der Angabe des Erdumfangs zu 400000 Stadien begangen haben müfste, wenn dies die gewöhnlichen Stadien wären, zu grob, als dafs man ihn selbst dem Zeitalter des Anaximander beilegen möchte. Sta- dium hiefs bei den Griechen eine Länge von 600 Fufs. Nun gibt das be- kannte Verhältnifs des griechischen Fufses zum römischen, nämlich 25 : 24, und der genäherte Werth des letztern zu 131 pariser Linien für das Stadium nahe 95 Toisen. Dividiren wir aber hiermit in die oben angeführte Anzahl Toisen, die man durch die neueste Messung für den mittleren Erdgrad gefun- den hat, so erhalten wir für den Grad 600 und für den ganzen Umfang 216000 Stadien, also nur etwas über die Hälfte von dem, was die Mathema- tiker des Aristoteles durch ihre Schlüsse ermittelt haben. D’Anville konnte sich daher der Vermuthung nicht erwehren, dafs der Zahl 400000 irgend ein von dem gewöhnlichen olympischen Stadium verschiedenes We- gemafs zum Grunde liege. Wir treffen in Ägypten ein Mafs an, das die griechischen Schrift- steller mit ihrem Worte &%civos bezeichnen. Dieses hielt nach Herodot’s Versicherung 60 Stadien (?). Nun wissen wir von einer andern Seite her, dafs der Schönus 4 römische Meilen galt (?); es kommen also auf eine rö- mische Meile 15 jener Stadien, die keine olympischen sein können, weil von diesen, wie wir sehr bestimmt wissen, 8 auf die römische Meile gehen. Wir sehen uns also, sagt d’Anville, zu der Voraussetzung genöthigt, dafs Herodot von zwei ägyptischen Wegemafsen das kleinere eben so mit einem griechischen Worte bezeichnet, wie das gröfsere. Auch leidet es wol keinen Zweifel, dafs er bei Angabe der Dimensionen Ägyptens sich dieses kleineren (C) 1,5. C)1.D.e.6. (°) S. unten. über die Längen- und Flächenmafse der Aiten. 173 Wegemafses bedient habe, weil sie sonst fast durchgängig um das Doppelte zu grofs ausfallen würden, z. B. wenn er Heliopolis an der Spitze des Delta um 1500 Stadien vom Meer entfernt setzt (!), welche Weite in olym- pischen Stadien nicht mehr als 800 beträgt. Nehmen wir nun an, dafs beim Aristoteles von solchen kleinen Stadien die Rede ist, so haben wir für den Umfang der Erde eine Bestimmung, an der nur zu tadeln sein möchte, dafs sie für die damalige Zeit fast zu genau ist. Ich will diesen Gegenstand hier auf sich beruhen lassen, weil dabei alles auf die Frage ankommt, ob wirk- lich ein solches Wegemafs zu 15 auf die römische Meile für Ägypten ange- nommen werden müsse, eine Frage, die, wenn sie genügend beantwortet wer- den soll, von dieser angeblichen Gradmessung unabhängig zu machen ist. Archimedes sagt in seiner Sandrechnung (?): ‚‚Es haben einige zu zeigen gesucht, dafs die Erde etwa 30 Myriaden Stadien im Um- fange halte. Ich will aber, freigebiger als sie, das Zehnfache annehmen und setzen, dafs der Umkreis nicht gröfser als 300 Myriaden Stadien sei.’ Es kam ihm nämlich bei seinen Untersuchungen über die Möglichkeit der Berech- nung der auf den Erdkörper, ja auf das ganze Weltall, gehenden Sandkörner gar nicht auf die wirkliche Gröfse der Erde, sondern blofs auf irgend eine runde Zahl an, die auf jeden Fall den wahren Umkreis in sich schlofs. Wir haben hier eine neue Angabe des Erdumfangs zu 30 Myriaden oder 300000 Stadien. Die Prämissen des Schlusses, auf den sie sich grün- det, scheint Cleomedes anzudeuten, wenn er bemerkt (°), den Einwoh- nern von Lysimachia gehe der Kopf des Drachen über den Scheitel, denen von Syene hingegen der Krebs. Der Bogen zwischen dem Drachen und dem Krebs sei der funfzehnte Theil des Meridians, wie der Schattenzeiger lehre, und beide Orter lägen um 20000 Stadien von einander entfernt. — Haben wirklich die 300000 Stadien, die sonst nirgends weiter erwähnt werden, keinen andern Ursprung als diesen, so gehören sie der Kindheit der Wissen- schaft an und verdienen gar keine Beachtung. Auf keinen Fall können sie, da wir ihre eigentliche Entstehung nicht einmal kennen, irgend ein Moment zur Begründung eines Wegemafses an die Hand geben. COLA. c7. (?) S.320, ed. Torellı. (°) Cyel. theor. I,8. p.42. ed. Balf. 176 L'D\E\LEoOR Mit dem so eben erwähnten Schattenzeiger hat es folgende Be- wandnifs. Die Griechen nahmen die Sonnenhöhen mit Hülfe des Mittags- schattens eines Gnomons d.i. eines über einer horizontalen Ebene senk- recht errichteten Stifts, Stabes oder Obelisk. Um der dabei nöthigen Construction oder trigonometrischen Rechnung überhoben zu sein, kam Aristarch auf den Gedanken, den Gnomon auf dem Boden eines sphä- risch gekrümmten metallnen Beckens in der Lage und Länge des Halbmessers zu errichten, wo dann der Winkel, den die Sonnenstrahlen mit dem verti- kal gestellten Gnomon bildeten, sich unmittelbar auf der graduirten inneren Fläche des Beckens zu erkennen gab. Dieses einfache Instrument, das zu- gleich zur Sonnenuhr eingerichtet wurde, hiefs nach seiner Gestalt Sx«on, Nachen, oder ‘Hwrgaiıov, Halbkugel. Cleomedes nemnt es Zxrıo- Inge, wofür auch ZxıaSngas gesagt wurde, welches bei den Griechen die allgemeine Benennung der Sonnenuhren war. Dafs Aristarch der Erfinder desselben war, versichert Vitruvius (!), und dafs es wesent- lich die hier angegebene Einrichtung hatte, ersehen wir aus folgenden Wor- ten des Martianus Capella (?): Scaphia dieuntur rotunda ex aere vasa, quae horarum ductus stili in medio fundo sul proceritate diseriminant, qui stilus gnomon appellatur. Vielleicht war es Aristarch selbst, der von dieser seiner Erfindung den ersten Gebrauch zur Bestimmung des Erdumfangs machte, und die von Archimedes erwähnte Stadienzahl fand. Ich komme nun zur Methode des Eratosthenes, der einzigen uns aus dem Alterthum mit Sicherheit bekannten, die den Namen einer Grad- messung wenigstens den dabei befolgten Grundsätzen nach verdient. Das Einzelne derselben ergibt sich genügend aus einer Stelle des Cleomedes(°), die, vermuthlich mit den eigenen Worten des Eratosthenes, der nach Strabo’s Versicherung im zweiten Buche seiner Geographie von der Gröfse der Erde gehandelt hatte, also lautet: ‚‚Nach Eratosthenes liegen Syene und Alexandrien unter einerlei Meridian. Da die Meridiane am Him- mel zu den gröfsten Kreisen gehören, so müssen auch die unter ihnen be- findlichen Kreise auf der Erde gröfste sein. So grofs also die Messung den (') Scaphen sive hemisphaerium Aristarchus Samius (invenit.) De Archit. IX, 6. (*) Nupt. 1. VI. p. 194. ed. Grotii. (ST, 10,9.593% über die Langen- und Flächenma/se der Alten. 177 durch Syene und Alexandrien gehenden Kreis gibt, so grofs ist der Umfang der Erde. Nun sagt er, und so verhält es sich wirklich, Syene liege unter dem Wendekreise des Krebses. Mithin können daselbst die Gnomonen, wenn die Sonne im Sommerpunkte ist, und gerade kulminirt, keinen Schat- ten werfen, weil die Sonne dann senkrecht über ihnen steht, und dies ist bis auf 300 Stadien der Fall ('). In Alexandrien dagegen werfen zu gleicher Zeit die Gnomonen einen Schatten, indem diese Stadt weiter nördlich als Syene liegt. Wenn wir nun von der Schattengrenze des Gnomons in der Scaphe zu Alexandrien bis zur Basis desselben einen Bogen ziehn, so ist dieser ein Stück des gröfsten Kreises der Scaphe, weil er sich unter einem gröfsten Kreise am Himmel befindet. Stellen wir uns ferner die Gnomonen von Syene und Alexandrien verlängert vor, so werden sie am Mittelpunkt der Erde zusammentreffen. Da aber der Gnomon in Syene senkrecht unter der Sonne ist, so wird eine Linie von dieser zur Spitze des Gnomons gezo- gen in die Linie fallen, welche von ihr zum Mittelpunkt der Erde führt. Wenn wir uns dann eine andere Linie von der Schattengrenze des Gnomons in der Scaphe zu Alexandrien bis zur Sonne gezogen denken, so wird solche der vorigen parallel sein, indem beide von verschiedenen Punkten der Sonne zu verschiedenen Punkten der Erde gehen (?). Diese beiden parallelen Li- nien nun werden durch die vom Mittelpunkt der Erde zu dem Gnomon in Alexandrien geführte Linie dergestalt geschnitten, dafs die Wechselwinkel gleich sind. Der eine dieser Winkel wird am Mittelpunkt der Erde von den zusammentreffenden Verlängerungen der Gnomonen, der andere vom Gno- mon zu Alexandrien und der über seine Spitze von der Schattengrenze zur Sonne gezogenen Linie gebildet. Der letztere Winkel steht auf dem zwischen der Schattengrenze und der Basis des Gnomons liegenden Bogen der Scaphe, der andere auf dem Bogen des Erdumfangs zwischen Syene und Alexandrien. (') Cleomedes oder Eratosthenes meint, wegen des scheinbaren Durchmessers der Sonne von einem halben Grad, dem auf der Erdoberfläche etwa 300 Stadien entsprechen. (?) Es heifst im Griechischen: «ro Örebogum FoU Yrlou Jazgwv em Öredoger uzon Tns yas din zouscı. Man kann dem Eratosthenes wol zutrauen, dafs er sich richtiger hier so aus- gedrückt hat: ‚‚indem die Linien, die von einerlei Punkt der Sonne zu verschiedenen Punk- ten der Erde gehen, untereinander parallel sind.’ So scheint der Satz freilich eine der neueren Astronomie würdige Kenntnifs der Entfernung der Sonne vorauszusetzen. Indessen Eratosthenes wollte nur sagen, dafs wir bei dieser Untersuchung die Strahlen, die von einerlei Punkt ihrer Oberfläche zur Erde gelangen, als parallel betrachten können. Hıist. philol. Klasse 1825. Z 178 IDpDEerLer Es sind aber die zu gleichen Winkeln gehörigen Bogen einander ähnlich. Eben das Verhältnifs also, welches der Bogen in der Scaphe zu seinem Umfange hat, eben dasselbe mufs auch der Bogen zwischen Syene und Alexandrien zum Erdumfange haben. Jener Bogen ist aber der funfzigste Theil seines Umkreises; mithin mufs auch dieser der funfzigste Theil des Erdumfangs sein. Nun hält der letzte Bogen 5000 Stadien; es gehen folg- lich auf den Erdumfang 25 Myriaden Stadien. Dies ist die Methode des Eratosthenes.’ So weit Cleomedes! Man sieht aus dieser Erörterung, dafs Era- tosthenes wesentlich von dem Prineip ausgegangen ist, auf welchem die neuern Gradmessungen beruhen. Er schlofs nämlich von der Länge eines durch terrestrische Messungen bestimmten Meridianbogens, dessen Verhält- nifs zum Umkreise er durch eine astronomische Beobachtung gefunden hatte, auf die Länge des ganzen Meridians. So richtig aber die Theorie sein mochte, so mangelhaft war ihre Anwendung. Zuvörderst müssen wir sehen, welches Stadium ihm die Alten beilegen. Plinius sagt (!): ‚Universum hune circuitum Eratosthenes, in omnium quidem litterarum subtiitate, et in hac utique praeter caeteros solers, quem cuneuis probari video, ducentorum quinquaginta duorum milium stadium pro- didit, quae mensura Romana computatione effcit trecenties quindecies centena millia passuum. Improbum ausum, verum ita subtili argumentatione compre- hensum, ut pudeat non credere.’ Man sieht, hier werden dem Erdumfange nach Eratosthenes 252000 Stadien gegeben. Eben diese Zahl nennen uns fast alle andere Schriftsteller, die der Messung des Griechen gedenken, Strabo, Geminus, Agathemer, Vitruvius, Censorinus, Macrobius, Martianus Capella (?). Seine von Cleomedes beschriebene Methode (‘). H.N. I. Sect. 112. (*) Strabo 1.11. p.113und 132. Geminus c.13. Agathemer 1.1]. c.1. Vitruvius 1,6. Gensorinus c.13. Macrob. Somn. Scip. 1,20. Martianus Capellal.c. Von 250000 reden aufser Cleomedes blufs noch Arrianus beim Johannes Philoponus (in Arist.meteor. p.79, a) und der Verfasser der kleinen Schrift in Arati Phaenomena, die bald dem Eratosthenes, bald dem Hipparch beigelegt wird, aber gewifs keinem von beiden angehört. S. Petav. Uranol. p.144. Marcianus von Heraclea (Geogr. Min. Tom.1. p-6) und Martianus Capella an einer andern Stelle (1. VIIT. p.289) haben ganz ab- weichende Zahlen, die aber keine Rücksicht verdienen. über die Längen- und Flächenmafse der Alten. 179 liefs ihn eigentlich 250000 Stadien finden; er scheint aber 2000 in der Ab- sicht hinzugefügt zu haben, um statt der unbequemen Zahl 6094-- Stadien die runde Zahl 700 für den Grad zu erhalten. Plinius nun reducirt die 252000 Stadien auf 31500 römische Meilen, d.i. er vergleicht die römische Meile — 1000 Passus — mit 8 Stadien, oder 600 griechische Fufs mit 625 römi- schen. Eben diese Reduction findet sich beim Vitruvius und Martianus Capella (!), die also eben so wenig wie Plinius dem Eratosthenes ein anderes Stadium als das olympische beilegen. Auch Strabo scheint nur dieses zu meinen; denn wenn er, der so manche Stadienangaben vom Eratosthenes entlehnt, geglaubt hätte, dafs das Stadium dieses Geographen von dem seinigen verschieden sei, so würde er schwerlich unterlassen haben, es zu bemerken; und dafs er sich eben desselben Stadiums bedient, welches bei den Reductionen jener Römer zum Grunde liegt, erhellet aus einer Stelle seines siebenten Buchs, wo er sagt, dafs man gewöhnlich acht Stadien auf die römische Meile rechne (?). Wenn nun aber Eratosthenes, wie hieraus zu folgen scheint, bei seiner Messung sich des gewöhnlichen griechischen Stadiums bedient hat, so mufs er, sagt man, grobe Fehler begangen haben. Allerdings. Diese nach- zuweisen, wird nicht schwer sein. Zuerst fehlte er in der Breitenbestimmung der beiden Städte Alexan- drien und Syene. Er hatte nach Plinius (°) zu Berenice am rothen Meer um den Mittag des längsten Tages die Schatten verschwinden sehen, und war dadurch zuerst auf den Gedanken einer Bestimmung des Erdumfangs mit Hülfe beobachteter Mittagsschatten geleitet worden. Dafs bei dem be- deutenden scheinbaren Durchmesser der Sonne von der Verschwindung des Schattens am Tage der Sommerwende kein sicherer Schlufs auf die Lage eines Orts im Wendekreise zu machen sei, mufs er nicht bedacht oder doch nicht gehörig erwogen haben. Dem sei wie ihm wolle, er setzte das mit Berenice unter gleichem Parallel liegende Syene in den Wendekreis des (') 1. VI. p. 198. (2) p- 322. () H.N. VI, 34. 180 T.D:ENu\EnR Krebses. Nun fand er durch seine Beobachtung der Sonnenwenden, wie Ptolemäus berichtet (!), dafs der zwischen den Wendekreisen liegende Bogen des Kolurs der Solstitien sich zur ganzen Peripherie wie 11:83 ver- halte. Dies gibt für die Schiefe der Ekliptik 23° 51°20”. Eben so grofs mufste er also die Breite von Syene annehmen, und wirklich setzt sie Ptolemäus, offenbar nach ihm, zu 23° 51’ an (?). Sie ist aber nach Hrn. Nouet, der als Astronom der französischen Expedition nach Ägypten ge- folgt ist, 24° 5723” (°), also 14° gröfser. Es kann daher nur der nördliche Rand der Sonne senkrecht über den tiefen zu Syene befindlichen Brunnen gekommen sein, von dem Strabo, Plinius, Arrianus und Eustathius sagen (*), dafs er am Mittage des längsten Tages bis auf den Grund erleuch- tet war. Jetzt, bei bedeutend verminderter Schiefe, liegt Syene über 37’ nordwärts vom Wendekreise, und die Erleuchtung des Brunnens könnte nicht mehr statt finden, wenn er noch existirte. Die Breite Alexandriens ist nach Hrn. Nouet 31° 12’20” (°). Diese Stadt lag also zu Eratosthenes Zeit, vorausgesetzt, dafs seine Bestimmung der Schiefe richtig ist, 7° 21° nordwärts vom Wendekreise des Krebses. Er fand aber durch die Scaphe ;; der Peripherie oder 7° 12’. Auf den ersten Blick scheint diese Differenz von 9’ der grofsen Unvollkommenheit seines Instruments, das durchaus keine scharfe Beobachtung gestattete, zugeschrie- ben werden zu müssen; allein sie hat ihren Grund wol hauptsächlich in einem Umstande, an den er vermuthlich nicht gedacht hat, den Cle omedes wenigstens nicht berührt. Der Gnomon der Scaphe gab den Zenitabstand nicht des Mittelpunkts, sondern des nördlichen Randes der Sonne. Es mufs also zu den 7° 12’ ihr scheinbarer Halbmesser addirt werden, und so erhält (') Almagest I, 10. p. 49 ed. Halma. (?) Ebend. II, 6. p.81. . (°) Description de Syene par Jomard p.2. (In dem grofsen französischen Werk über Agypten). (*) Strabo XVII. p. 817. Plin.H. N. II, 75. Arrianus Ind. c.25. Eustath. ın Dionys. v.223. Beim Lucan heifst daher Syene . . . umbras nusquam flectens. Phars. II, 587. (?) Monatl.Corr. des Hrn. v.Zach, B.VI, S.270. über die Längen- und Flächenma/se der Alten. 181 man 7° 27°. Hätte Eratosthenes diese Correction vorgenommen, so würde er für die Breite Alexandriens 31° 18°, also nur 6° zu viel gefunden haben. So aber setzte er sie der unverbesserten Beobachtung gemäfs um 9° zu klein an. Vielleicht bestimmte er sich gar für die runde Zahl von 319: denn ich bin sehr geneigt, diese von Hipparch und Ptolemäus an- genommene Breite Alexandriens von der gnomonischen Beobachtung des Eratosthenes herzuleiten. Sie würde, wenn bessere Instrumente oder Me- thoden dabei gebraucht wären, nicht um 12’ zu klein ausgefallen sein. Heut zu Tage mufs die Breite einer mit guten Instrumenten versehenen Stern- warte nicht um so viele Sekunden schwanken, als die Breite des vornehm- sten Beobachtungsorts der alten Welt um Minuten. Wir sehen, dafs Eratosthenes, wenn es bei seiner ganzen Messung auf die Entfernung Alexandriens vom Wendekreise angekommen wäre, um 9’ zu wenig gefunden haben würde. Es sollte aber eigentlich der Breitenun- terschied zwischen Alexandrien und Syene ausgemittelt werden. Was er nun auf der einen Seite durch die Vernachlässigung des scheinbaren Halbmessers der Sonne einbüfste, brachte er auf der andern dadurch wieder ein, dafs er Syene um 14’ zu weit gegen Süden setzte. Er beging also einen doppelten Fehler, wovon der eine gröfstentheils den andern compensirte, und so kam es, dafs er sich wirklich nur um 5’ irrte, um welche er den Abstand beider Städte zu grofs annahm. Dieser Irrthum gereichte indessen seiner Grad- messung, vorausgesetzt, dafs er sich wirklich des olympischen Stadiums bediente, zum Vortheil; denn hätte er den Breitenunterschied mit Beibehal- tung seines ganzen übrigen Verfahrens vermindert, so würde er den Erdum- fang, den er schon zu grofs erhielt, noch gröfser gefunden haben. Anders verhält es sich mit einem zweiten Fehler, den er darin beging, dafs er Alexandrien und Syene unter Einen Meridian setzte. Nach Nouet hat jener Ort 27° 35’ 0”, dieser 30° 34’ 49” östlichen Abstand von Paris ('). Syene liegt also beinahe um 3° östlicher. Eratosthenes glaubte vermuth- lich, dafs die starke östliche Richtung des kanopischen Nilarms durch den etwas westlich gerichteten Lauf des Flusses oberhalb Memphis ausgeglichen werde. Der Nil nimmt aber höher hinauf wieder eine östliche Richtung an, die nach den Beobachtungen des eben erwähnten Astronomen bedeutender (') Description de Syene und Monätl. Corr. a.a. O. 182 Ipberver ist, als unsere Karten sie darstellen. Ptolemäus war über diesen Punkt schon besser unterrichtet; denn er setzt in seiner Geographie zwischen Alexandrien und Syene einen Längenunterschied von anderthalb Graden. Die Entfernung beider Städte ist also kein Meridianbogen, sondern die Hy- potenuse eines rechtwinkligen sphärischen Dreiecks, wovon die Katheten in dem Meridian von Alexandrien und nahe in dem Parallel von Syene lie- gen. Nimmt man demnach die Breiten beider Städte und ihren Meridianun- terschied so an, wie sie Nouet bestimmt hat, so erhält man für ihren Ab- stand 7° 37’17”, also über 25’ mehr, als Eratosthenes gefunden, und die- ser Fehler gereichte, immer unter der Voraussetzung, dafs er das olympische Stadium gebraucht hat, seiner Messung zu nicht geringem Nachtheil. Einen dritten Fehler endlich beging er bei der Bestimmung der ter- restrischen Entfernung beider Städte, die er auf 500 Stadien setzte. Wie diese Zahl entstanden ist, wissen wir nicht mit Sicherheit; aber zuverlässig ist sie nicht das Resultat einer geodätischen Messung im Geiste der Neuern. Von solchen Operationen hatten die Alten keine Ahnung. Freret glaubt zwar ('), es seiihm ein Leichtes gewesen, diese Entfernung @ une coudee pres auszumitteln, da Ägypten zum Behuf der zu erhebenden Steuern von Alters her genau vermessen sei. Ich zweifele aber, dafs der Grieche die alten ägyptischen Vermessungskataster studirt hat. Wir müssen seinem Ver- fahren von einer andern Seite her auf die Spur zu kommen suchen. Nach Martianus Capella (?) hat er den Stadienabstand der Städte Syene und Mero& (es soll ohne Zweifel heifsen Syene und Alexandrien) per mensores regios Ptolemaei erfahren. Solche Mensores wurden von den Griechen Byua- rırral genannt, von Qnnarigew, ausschreiten, einem macedonischen Worte, wie Hesychius sagt. Es kommt auch beim Polybius (?) und Strabo (*) vom Ausmessen der Heerstrafsen vor. Athenäus (°) führt von einem Bä- ton, den er Byuarırrys des Alexander nennt, ein Werk des Titels ZraSuoı (') Essai sur les mesures longues des Anciens. Oeuvres Tom. XV. p.175. (?) S. die erste der oben aus dem sechsten Buch citirten Stellen. C) 1.1. c.39. Vol.I, p.470. ed. Schweigh. (‘) 1. VII. p.322, und daselbst Casaubonus. C) 1.X. p.442. ed. Casauh. über die Längen- und Flächenmafse der Alten. 185 rs ’AreEavögev regeies an. Auch Plinius(!) gedenkt dieses Bäton mit dem Prädikat itinerum Alexandri mensor. Alexander hatte vermuthlich mehrere solche Mensores in seinem Gefolge, die zu geographisch - militärischem Be- huf die von der Armee zurückgelegten Wege durch Ausschreiten bestimmen mufsten. Es ist nun in der That sehr wahrscheinlich, dafs Eratosthenes durch dergleichen Ausschreiter die Entfernung der beiden in Rede stehenden Städte erfuhr. Wie grofs die ihm angegebene Stadienzahl war und nach welchem Princip er sie verkürzte, um die gekrümmte und gebrochene Linie des Weges auf die directe Entfernung zu bringen, wissen wir nicht. D’An- ville versichert, durch ein genaues Studium des Terrains zwischen Syene und Alexandrien der Strafse nach 640, und in gerader Richtung 560 rö- mische Meilen, d. i. 4480 olympische Stadien gefunden zu haben (?). Sind also die 5000 Stadien des Eratosthenes wirklich olympische, so hat er den Abstand der beiden Städte bedeutend zu hoch angesetzt, und dieser Fehler mit dem vorigen zusammengenommen gab ihm den Erdumfang um 5 zu grofs. Aus dieser einfachen Darstellung erhellet zur Genüge, wie wenig eine so rohe Gradmessung geeignet ist, ein Wegemafs zu begründen. Es kann nur die Frage sein, ob sich nicht, unabhängig von derselben, ein Stadium ermitteln lassen werde, wodurch sie bei allen ihren so offenbaren Mängeln der Wahrheit näher gebracht werden könne. Ein solches glaubt d’Anville auch wirklich gefunden zu haben. Mit welchem Grunde, wollen wir unten erwägen. Eine neue Bestimmung des Erdumfangs versuchte Posidonius. Auch seine Methode kennen wir aus dem Cleomedes (°). Sie ist so überaus un- sicher, dafs man sich wundern mufs, wie Freret, Bailly und andere nur irgend einigen Werth auf das durch sie gefundene Resultat von 240000 Sta- dien haben legen können. Mit wenigen Worten ist sie folgende: Alexan- drien und Rhodus liegen unter Einem Meridian. Der helle Stern Canopus am Steuerruder des Schiffs wird bei seiner Culmination zu Rhodus nur einen (SE N. VII. 2. (?) Memoires de U’ Acad. des Inscript. Tom. XXVI. p.96. () 7, 10% 9:30. 184 lpELiEır Augenblick in Süden gesehen. In Alexandrien dagegen steht er culminirend um den 48sten Theil des Umfangs der Himmelskugel, d. i. um 7° 30’, über dem Horizont. Es mufs also auch der Meridianbogen zwischen Rhodus und Alexandrien i; des Umfangs sein. Da nun derselbe 5000 Stadien zu halten scheint (ein naives dozeı, das Cleomedes zweimahl gebraucht), so kom- men auf den Erdumfang 4Smahl 5000 oder 240000 Stadien. Dieser Schlufs gründet sich auf drei ganz unrichtige Prämissen. Erst- lich ist es falsch, dafs sich Rhodus und Alexandrien unter einerlei Meridian befinden. Jene Stadt liegt bedeutend westlicher als diese. Schon Ptole- mäus setzt ihren Meridianunterschied auf 2°. Zweitens ist alles unrichtig, was von den Erscheinungen des Canopus gesagt wird. Der Stern hatte zu Posidonius Zeit 52° 25’ südliche Abweichung. Er erreichte also zu Ale- xandrien eine Mittagshöhe von 6° 23’, oder mit Rücksicht auf die Strahlen- brechung, deren Gesetze die griechischen Astronomen nicht kannten, von 5° 31’. Die Stadt Rhodus liegt nach Carsten Niebuhr’s Beobachtung (') unter 36° 26’; der Stern mufste also daselbst 1° 32’ hoch in Süden erschei- nen. Die 5000 Stadien endlich beruhen auf einer blofsen Schifferrechnung, wie man leicht erachten wird und Eratosthenes beim Strabo noch zum Überflufs sagt (2). Diese Bestimmung des Erdumfangs hat im Alterthum keinen Beifall gefunden. Der einzige, der sie aufser Cleomedes noch erwähnt, ist der Verfasser eines Fragments de forma et magnitudine terrae in den von Sieben- kees herausgegebenen Anecdotis Graecis (°). Auffallend ist es, dafs Strabo, ohne der 240000 Stadien mit Einem Wort zu gedenken, versichert, dafs Posidonius dem Erdumfange 180000 Stadien gegeben habe, und dafs dies von den neuern Messungen diejenige sei, welche die Erde am kleinsten mache (*). Wahrscheinlich hatte dieser (‘) Monatl. Corresp. B.V.S.433. (2) 1.18: p.123. () S. 103, 104. () 1.1. p.95. Diese Worte sind merkwürdig. Sie dienen zum Beweise, dafs Strabo nicht an eine Verschiedenheit der den Gradmessungen zum Grunde liegenden Stadien dachte. Auch sieht man, dafs es nach der Messung des Eratosthenes mehrere andere gab. Schon vorher p.62. hat Strabo bemerkt, dafs Spätere des Eratosthenes Messung nicht gebil- ligt hätten. über die Längen- und Flächenmafse der Alten, 185 Geograph in zwei verschiedenen Büchern zwei von einander so abweichende Meinungen vorgetragen. Strabo hatte sein Werk über den Ocean vor Augen, und Cleomedes seine uerewgorsyiun aransiwrıs, eine Schrift astro- nomischen Inhalts, aus der er und Geminus viel geschöpft haben. Wie kam aber Posidonius zu zwei so verschiedenen Bestimmungen? Freret(!) und andere französische Gelehrte sind schnell mit der Antwort bei der Hand: dadurch, dafs er zweierlei Stadien gebrauchte. Herr Gossel- lin, der, als er seine Geographie des Grecs analysee schrieb, noch nicht in seiner Stadientheorie befangen war, hat einen Gedanken geäufsert (?), der sehr annehmlich scheint. Eratosthenes bestimmte nach Strabo (°) dı@ FrioOnginuv yvyanovav, d.i. durch Beobachtungen mit der Scaphe, den Abstand der Städte Alexandrien und Rhodus zu 3750 Stadien. Er mufs für beide Oerter 5° 21’ Breitenunterschied gefunden haben, die er auf Stadien redu- cirte, den Grad zu 700 gerechnet. Zuerst nun setzte Posidonius den Ab- stand jener Städte mit den Schiffern auf 5000, nachher mit Eratosthenes auf 3750 Stadien. Er sah die ersten, so wie die letzten, für den 4Ssten Theil des Erdumfangs an, und fand erst 240000 und dann 180000 Stadien. Man wird sagen, dafs er sich hier recht plump in einem Zirkel umge- dreht haben müsse, indem er von einer Gradbestimmung, die er verwarf, ein Element für eine neue erborgte. Dies dürfte uns gerade nicht an einem Manne befremden, der eben nicht zu den scharfsinnigsten Astronomen des Alterthums gehörte; aber nothwendig müfste es, wenn die 180000 Stadien keinen andern Ursprung gehabt hätten, jeden befremden, dafs sie Pto- lemäus in seiner Geographie aus genauen Beobachtungen entstanden nennt (*), und sich ihrer nach dem Vorgange des Geographen Marinus be- dient, um Breitenunterschiede in Stadien und umgekehrt zu verwandeln (°). Es ist daher zu vermuthen, dafs sie auf einem ganz andern Wege, sei es von In der angeführten Abhandlung S.194. 5594,19. 1. IT. p. 126. NEN A I Erreger (°) Er sagt, 500 Stadien verträten ihm die Stelle eines Breitengrades, nach einem Prin- cip, das Marinus bereits vor ihm befolgt habe. Man mufs also seine Breitengrade nicht für wirkliche astronomische Grade, sondern für Weiten von 500 Stadien halten, wie er selbst in der Einleitung bemerkt. Hist. phiol, Klasse 1825. Aa 186 IDIELLIEOR Posidonius oder von einem andern Geometer, gefunden worden sind. Eine merkwürdige, so viel ich weifs noch nicht beachtete, Stelle aus dem Com- mentar des Simplicius über Aristoteles de Coelo scheint die Sache aufser Zweifel zu setzen. Es heifst daselbst (!): ‚‚Die Astronomen suchten mit Hülfe der Arcrrga (eines mit Dioptern versehenen Gradbogens) zwei Sterne, die genau um einen Grad der Himmelskugel von einander entfernt sind. Sie bestimmten ferner den Abstand der beiden Oerter auf der Erde, durch de- ren Scheitelpunkt diese Sterne gehen, und mafsen denselben dı@ 75 &done- rgias (durch Operationen, wie sie die gedachten Byuerırrai verrichteten). Sie fanden nun, dafs er 500 Stadien halte, und schlossen hieraus, dafs auf den gröfsten Kreis der Erde achtzehn Myriaden Stadien gehen.” Man sieht, dafs hier das Prineip der neuern Gradmessungen noch einfacher ausgesprochen ist, als in dem Verfahren des Eratosthenes. Dafs bei der Anwendung des- selben die Alten so bedeutend gefehlt haben, liegt in der grofsen Unvoll- kommenheit ihrer Instrumente. Die messende Astronomie hat eigent- lich erst unter den Arabern in dem Zeitalter des Almamon begonnen, wo man vollkommnere Instrumente zu verfertigen anfıng und der Trigonometrie ihre jetzige Gestalt gab. Auch für die 180000 Stadien hat man einen Mafsstab ausgemittelt, durch den sie mit dem Resultat der neuern Messungen in Übereinstimmung gebracht werden. Es ist der Mühe werth, denselben kennen zu lernen, um zu sehen, welche Irrwege man bei dieser Untersuchung betreten hat. Le Roy, Verfasser des Werks: Zes Rıuines des plus beaux monumens de la Grece, sagt in einer Abhandlung über den griechischen Fufs (?): ‚Nach den englischen Reisenden (er meint John Greaves und andere, die 1639 Ägypten besucht haben, um die Pyramiden zu messen) hält die Elle des Nilmessers auf der Insel Raudah (Kahira gegenüber) 1,824 englische Fufs oder 246,5 pariser Linien. Daraus folgt nach dem Verhältnifs 3:2, welches im Alterthum zwischen Elle und Fufs Statt fand, ein Fufs von 164,3 pariser Linien, also ein Stadium von 684, 6 pariser Fufs. Der Grad zu 500 Stadien gibt also 57050 Toisen, welches nahe mit der Länge des durch die (‘) P.134, a. Eben dasselbe findet sich beim Johannes Philoponus in Arist. Met. an der oben citirten Stelle. (*) P.55 der Ausgabe von 1758. über die Längen- und Flächenmafse der Alten. 187 neuern Messungen gefundenen mittleren Erdgrades übereinstimmt.” Wer berechtigt uns aber, ein solches Stadium aus der Elle des Nilmessers zu bil- den, und es den Urhebern der 180000 Stadien unterzuschieben? Und wer verbürgt uns, dafs diese Elle noch dieselbe ist, die sie zur Zeit der Griechen war? Der Mikias ist seiner kufischen Inschrift nach im Jahr 211 der Hedschra errichtet worden (!). Stand damals noch der alte Nilmesser von Memphis, oder war er schon früher erneuert worden? Die Geschichte be- lehrt uns hierüber nicht. Und hatte man die Vorsicht und Geschicklichkeit, die Theile des alten Nilmessers genau auf den neuen überzutragen? Ich zweifele, und dies mit um so grölserem Recht, da die Theilung des Mikias sehr unregelmäfsig sein soll. Nach allem Bisherigen ist es kaum nöthig, meine Meinung über den Werth der alten Gradbestimmungen und ihren Nutzen bei Untersuchungen über die alten Mafse förmlich auszusprechen. Ich will also nur noch einen Umstand berühren, der die Hauptquelle der vielen Irrthümer über diesen Punkt gewesen zu sein scheint. Strabo rechnet den Breitengrad zu 700, Ptolemäus zu 500 Stadien. Der erste drückt die Breitenunterschiede in Stadien, der andere in Graden aus. Wenn wir nun, sagt man, die Stadien des ersten in Grade, und die Grade des andern in Stadien verwandeln, und dabei die Zahlen 700 und 500 gebrauchen, so finden wir im ersten Falle eine merkwürdige Übereinstimmung mit den neuern Karten, und im zweiten mit den anderweitig bekannten Sta- dienangaben. Den Zahlen 700 und 500 müssen also genaue Messungen des Erdumfangs zum Grunde liegen. — Die Übereinstimmung findet sich aller- dings; sie berechtigt uns aber gar nicht zu diesem Schlufs. Ptolemäus gibt in seinem Almagest eine Anweisung, die Breiten durch Beobachtungen am Gnomon und durch die Dauer des längsten Tages zu finden, welches bei dem Mangel an guten Mefsinstrumenten die beiden Hauptmittel waren, die den Alten hierbei zu Gebote standen. Auf diese Weise waren die Breiten von Mero&, Syene, Alexandrien, Rhodus, Byzanz und vielen andern Punkten bekannt geworden. Eratosthenes, Hipparch und Strabo verwandelten nun die Breitenunterschiede, der angenommenen (') S. das Memoire sur le Mikias de Raudah von. Le Pere im zweiten Bande der Memoires sur U Egypte. Aa2 188 I DiE LIEIR Gröfse der Erde gemäfs, in Stadien, vermuthlich um dem grofsen Publikum verständlicher zu werden. Dürfen wir uns also wundern, wenn die Stadien nach gleichem Princip in Breitenunterschiede zurück verwandelt, ziem- lich richtige Resultate geben? Ptolemäus dagegen redücirte die aus den Itinerarien und Peripeln entlehnten Stadienintervalle auf Grade, um zum Behuf zu zeichnender Karten eine Tafel der Längen und Breiten zu erhal- ten. Dafs er sich dabei, ungeachtet er den Grad um hundert Stadien zu klein setzte, in den Breiten nicht bedeutend irrte, war natürlich. Er hatte viele astronomisch bestimmte Breiten vor sich, wodurch er die aus den Sta- dienangaben gefolgerten rectifieiren konnte. Desto unrichtiger fallen seine Längen aus. Längenunterschiede zu finden, fehlte es den Alten bei der Unvollkommenheit ihrer praktischen Astronomie an allen genauern Mitteln so sehr, dafs selbst der Unterschied der beiden einzigen Oerter, wo im Al- terthum eigentliche astronomische Beobachtungen angestellt worden sind, ich meine Babylon und Alexandrien, im Almagest um 1° 30’ (6 Zeitminu- ten), und in der Geographie um 4° 30’ zu grofs angesetzt ist. Ptolemäus konnte hier nicht anders verfahren, als dafs er die Stadienintervalle in der Richtung von Westen nach Osten durch den jedesmahligen Werth des Län- gengrades dividirte. Da er aber unter der wahrscheinlichen Voraussetzung, dafs er das olympische Stadium gebrauchte, den Breitengrad um 100 Sta- dien, also auch den jedesmahligen Längengrad verhältnifsmäfsig zu klein an- nahm, so mufste er überall die Längenunterschiede zu grofs erhalten, und da es ihm nach dieser Richtung an festen Punkten mangelte, die der Anhäu- fung der Fehler steuern konnten, so verschob sich alles. Kein Wunder also, dafs er das mittelländische Meer um 20 Grad zu lang annahm und den Ausflufs des Ganges um 40 Grad zu weit von den kanarischen Inseln ent- fernt setzte. Um nun zum Schlufs noch einmahl auf Hrn. Gossellin’s Ansicht zu- rückzukommen, so berührt ihn alles Bisherige gar nicht. Seiner Meinung nach haben Eratosthenes und Posidonius die Zahlen 252000 und 240000, deren Entstehung 5 Orient entlehnt und sich als ihre Erfindung angeeignet (). Analysiren wir und Bedeutung sie nicht kannten, aus dem diese Beschuldigung ein wenig näher, so erscheinen uns beide Griechen in (') Mesures itineraires p.296, 308. über die Längen- und Flächenmafse der Alten. 189 einem höchst zweideutigen Lichte. Um jene Zahlen auf einen vaterländischen Leisten zu zwängen, ersannen sie Methoden, die gerade das gaben, was sie geben sollten, und keiner ihrer Zeitgenossen und Nachfolger, weder der scharfsinnige Hipparch, noch der gelehrte Strabo, haben ein so grobes Plagiat entdeckt und gerügt! Alle Messungen, welche die Griechen von den Ägyptern, Chaldäern, Phöniziern entlehnten, sie mögen nun die Küsten Iberiens oder den Ausflufs des Ganges betreffen, waren ursprünglich ge- nau — originairement exactes — und hörten erst auf es zu sein par la fausse evaluation qu’en firent les geographes speculatifs ('). Fand denn bei den Asia- ten allein kein allmähliger Fortschritt zum Bessern Statt? Und sollten alle die herrlichen Messungsmethoden, in deren Besitz sie gewesen sein müfsten, so gänzlich untergegangen sein, dafs auch nicht die leiseste Andeutung da- von bei den Griechen wahrgenommen wird? — In der That, nicht leicht ist eine Hypothese aufgestellt worden, die sich von allen Seiten her so un- haltbar zeigte. EN EBL31S: ———— NINNNIID—— “ \- u e t -;| y Fe M P < er : u = . - zur a Were Sg Ar a eb r . \ A) u aD 6% - & ı® ei ar 3 i Fe: Due Te 7 Er M zer - « - . = | Se, ee ee {Y mer ünde PT a RE ’ eg. & £ i ‚Zar: j “ as ""r ) NEE u Pl ne Ag ag IN A TE . Il8e fi L Fi j au [end er Fur. . \ in 2, aa S j er r . = x ._ ae PERS IN ı 3 i _ - ze N . id ı Br ErE un — Nast . \ . u AS rt ZT Ing Dry ® . - N ” } . ä . Ri 2. »- E 1% i* 4 Ar af ‚ f ug rg, ee -. \ % 1 DR Sure nd ern ns « au . . ” . ’ u > ı8 LE ER | ı | 3 Se 5 „1 ı 7 5 san in in TE B < or ul | r — ir —EE n ee „i 1 4 ! 27 a . = Sn x‘ u 2 ku - we \ 2 l IEne vet ü i . 3 Rs en # . Eu ma ö = ‚= P 5 j ı Pie . R \ mm. 5 “ j N en 5 \ = = - . - XL En 4 - = > i 2 u Mi A - 5 z 4 j RR se B rs 5 } . . x fr - 2 # = f ii . j ! u . = Vergleichende Fergliederung des Sanskrits und der mit ıhm verwandten Sprachen. Zweite Abhandlung. Über das Reflexivy. Von H” BOPP. mann nn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 18. März 1824.] I, allen mit dem Sanskrit verwandten Europäischen Sprachen besteht ein substantives geschlechtloses Pronomen dritter Person, welches entweder vorzüglich oder einzig als Reflexiv gebraucht wird, und in seiner Beugung der Analogie der Pronomina erster und zweiter Person folgt; während andere Pronomina der dritten Person, adjektiver Natur, mehr dem allge- meinen Deklinations- Typus sich anschliefsen. Dieses substantive Reflexiv der dritten Person bietet in den verschiedenen verwandten Sprachen nicht nur einen und denselben Stamm dar, sondern hat auch in den meisten dieser Sprachen die Eigenheit, dafs es nur in einer Zahl gebeugt wird, und seine Singularform zugleich auf die Mehrzahl ausdehnt. — Dem Sanskrit, welches man mit Recht an die Spitze des Sprachstammes stellen darf, der uns hier beschäftigt, fehlt es allein an einem solchen substantiven geschlechtlosen Pronomen der dritten Person, und die meisten Pronomina dieser Person können sowohl substantivisch als adjektivisch gebraucht werden, und unter- scheiden drei Geschlechter. Wir haben aber bereits in unserer ersten Abhandlung darauf auf- merksam gemacht, dafs wir das Sanskrit nicht als die Mutter-, sondern als eine Schwestersprache der verwandten Europäischen ansehen, und dafs wir zugeben, dafs es an manchen Formen Abschleifungen oder gänzlichen Ver- Hist. philol, Klasse 1825. Bb 192 Bopp: Jergleichende Z ergliederung des Sanskrits lust erlitten habe, welche eine oder die andere oder sämmtliche Sprachen Europa’s getreuer anfbewahrt haben; obwohl solche Fälle nicht häufig sind, da in den meisten Beziehungen das Sanskrit das treueste Abbild von jener vorauszusetzenden Asiatischen Stammsprache gibt, die wir nur aus ihren Abkömmlingen kennen, und als deren Eigenthum wir alles dasjenige anse- hen müssen, was die Europäischen Sprachen mit dem Sanskrit, und gröfs- tentheils auch das, was sie unter sich selbst gemein haben. Besonders ge- hören hierher die Ubereinstimmungen der Slawischen und Germanischen O : Sprachen mit dem Griechischen und Lateinischen, denn diese Ubereinstim- mungen sind zu innig in den ganzen organischen Sprachbau verwebt, als 8 dafs sie als Mittheilungen späteren, europäischen Verkehrs angesehen werden könnten. Es läfst sich wohl begreifen wie ein Volk von dem anderen zur Be- zeichnung sinnlicher Gegenstände, oder auch selbst abstrakter Begriffe, Wör- ter entlehnen könne, aber nicht wie es Pronomina, oder grammatische For- men, die dem ältesten Stammgute einerSprache angehören, und einen Bestand- theil ihrer Urerzeugnisse ausmachen, aus einer Sprache in die andere gezo- gen werden können. Wenigstens ist eine Thatsache wie die letztere noch niemals mit haltbaren Beweisen unterstützt worden. Um nun in der Unter- suchung über das Reflexiv von dem Sanskrit auszugehen, so müssen wir zuvörderst darauf aufmerksam machen, dafs diese Sprache ein Possessivum besitzt, worin die Radikaltheile des lateinischen su’ und des Possessivum suus enthalten sind. Es lautet in der Grundform swa (=) und der Singular- Nominativ der drei Geschlechter ist swas, swäd, swam, dem lateinischen suUus, sua, suum entsprechend; denn swas läfst sich in suas auflösen, welches nach einer allgemeinen Wohllautsregel in swa übergehen mufste. Dieses Possessivum ist aber im Sanskrit nicht blos auf die dritte Person beschränkt, wie im Lateinischen, sondern es kann auch mein und dein, unser, euer und ihr bedeuten (jedoch nur in Beziehung auf das Subjekt des Satzes) und es könnte daher in Zweifel gezogen werden, ob es ursprünglich der dritten Person oder einer der beiden anderen angehöre. Für das erstere sprechen die analogen Formen im Lateinischen und anderen verwandten Sprachen, in welchen das Reflexivum entweder einzig oder doch vorzugsweise auf die dritte Person bezogen wird, und auch von den Grammatikern als ein Pro- nomen dieser Person von jeher aufgefafst worden ist. Auch scheint es viel natürlicher, dafs ein Pronomen der dritten Person auf die erste übertragen und der mit ihm verwandten Sprachen. 193 werde als umgekehrt; man kann seine eigne Person als etwas aufser sich selbst, als einen Gegenstand der Aufsenwelt, und in dieser begriffen an- sehen, und im Sanskrit ist es etwas aufserordentlich gewöhnliches, dafs ein Pronomen dritter Person des Nachdrucks wegen dem der ersten oder zwei- ten vorgesetzt wird, so dafs man sagt erich, oder dieserich — so 'ham, er du — satwam. Im Griechischen hängt hiermit zusammen der Gebrauch von ode und oye in Construktion mit den beiden ersten Personen. Es gibt auch Beispiele wo bei Zeitwörtern der Personalcharakter der dritten Pers. in die erste und zweite übertragen wurde; man erwäge das deutsche sind in der ersten Person, obwohl es ursprünglich nur der dritten zukommt, auf die es im Gothischen beschränkt ist, im Einklange mit sfr (sar&) im Sanskrit und sunt im Lateinischen. Es kann also keinem Zweifel unterworfen seyn, dafs das Sanskritische Possessivum sa ursprünglich und vorzugsweise der drit- ten Person angehöre. Mit diesem swa glaube ich das unbeugbare Pronomen ra (swajam) zusammenstellen zu dürfen; es bedeutet selbst und kann wie das deutsche selbst auf alle drei Personen bezogen werden. Wenn ich sem (swajam) mit den Nominativen #7 (aham) ich, aa (twam) du und zz (ajam) dieser vergleiche, so kann ich die Vermuthung nicht unterdrücken, dafs swajam eigentlich ein Singular- Nominativ sei, und zwar der Überrest eines geschlechtlosen durch alle Casus gebeugten Pronomens dritter Person, dessen die Sanskrit-Sprache, in dem Zustande worin sie uns erhalten worden, entbehrt, und also in dieser Beziehung gegen die europäischen Schwester- sprachen im Nachtheile steht. ‚Sivajam läfst sich nach den Wohllautsregeln aus sw@-am erklären, es wäre also hier swe der Stamm und am Endung oder Nachschlagsylbe, wie in aham, iwam und ajam; dieses sivd würde in Bezug auf seinen Ausgang mit dem übereinstimmen, was bei at (majäd) durch mich, am (twajä) durch dich, fa (maji) in mir, afz (twaji) in dir als Stamm erscheint, wenn man die Casuszeichen ablöst, und auf die Wohllautsregel Rücksicht nimmt, welche vor Vocalen die Verwandlung von Ein aj erfodert. Z’iwe aber mufs als ein aus fu erweiterter Stamm angese- hen werden, der dem Nominativ iw-am und dem Dativ tu-bhjam zum Grunde liegt. Man wird also auch, um nach der Analogie zu schliefsen, neben swe eine kürzere Form su als Stamm annehmen dürfen, und diese Annahme ist nothwendig, wenn man swajam selbst mit sıwa sein in Be- ziehung setzen will. Dafs aber ein etymologischer Zusammenhang zwischen Bb2 194 Borr: Vergleichende Zergliederung des Sanskrits beiden Wörtern statt finde ist einleuchiend, und läfst sich mit gleicher Sicherheit sowohl aus ihrer Gestalt als aus ihrer Bedeutung folgern. Dafs im Lateinischen ebenfalls sz als Stamm des geschlechtlosen Re- flexiv-Pronomens der dritten Person anzusehen sei, ergibt sich sowohl aus der Vergleichung mit tu du, als aus der mit dem Possessivum suus, ganz analog mit {uus: man darf also annehmen, dafs, wenn dieses Pronomen in gradem Sinne und im Nominativ gebräuchlich wäre, dieser sw lauten würde. Wenden wir uns nun zu dem Griechischen, so findet man zwar in dem Singular des geschlechtlosen Pronomens der dritten Person nirgends den im Sanskrit und Lateinischen deutlich erkennbaren Stamm su rein er- halten, allein die Deklination des Singulars bietet auch nichts dar, was der Annahme eines Stammes ö widerspräche, da sie ganz analog ist mit dem Pronomen zweiter Person, vom Stamme ru (rv). Man dürfte also erwarten, dafs, wäre das Pronomen der dritten Person im Singular - Nominativ ge- bräuchlich, dieser ö lauten würde (!). Es fragt sich aber ob der Spiritus asper dieses Pronomens mit dem im Sanskrit, Lateinischen und allen ver- wandten Sprachen stehenden s zusammenhänge? Dafs der Zischlaut im Griechischen am Anfange der Wörter nnzähligemal in den Spiritus asper erweicht worden, bedarf keines Beweises; wahr ist es aber auch, dafs im Griechischen viele Wörter mit dem Spiritus asper anfangen, deren ver- wandte Stämme im Sanskrit mit einem blofsen Vocal anfangen, und während (') Der von den Grammatikern überlieferte Nominativ / kann nicht als Einwand gegen diese Ansicht dienen, da der Bedeutung nach, besonders im graden Sinn, an unser Pronomen sich angeschlossen haben konnte, ohne darum von gleichem Stamm und Ursprung zu seyn. Im Sanskrit gibt es ein Pronomen dritter Person, dessen Deklination aus vier verschiedenen Stämmen sich bildet, wovon jeder nur in einigen Casus gebräuch- lich ist (s. Regel 270 meiner Grammatik). Zu diesen Stämmen gehört 7, welcher in den Schwester-Sprachen sehr verbreitet ist, im Lateinischen vollständige Deklination hat (nur dafs ? mit dem verwandten e wechselt), und im Gothischen nur des weiblichen Singular-Nominativs entbehrt, welcher si substituirt. Wenn dieser Pronominal-Stamm, welcher auch dem Slawischen geblieben ist (Dobrowsky S. 497.) im Griechischen ebenfalls nicht ganz untergegangen, so kann ich eine Spur desselben nur in dem er- wähnten ? finden, welches vielleicht richtiger mit dem Spiritus lenis geschrieben wird, obwohl es auch nicht selten ist, dafs Wörter die in den verwandten Sprachen mit Vo- calen anfangen, im Griechischen den Spiritus asper vorsetzen. und der mit ihm verwandten Sprachen. 195 z.B. @is das Meer mit dem Sanskritischen salıla Wasser verwandt ist, hängen Udwp, üdes auf die entgegengesetzte Weise mit dem Sanskritischen Neutrum uda (Nom. udam) Wasser und mit dem Lateinischen unda zusam- men. Es liefse sich auch annehmen dafs oö, € u.s. w. aus Fed, Fe entstanden seien, da es ausgemacht scheint, dafs dieses Pronomen bei Homer mit Di- gamma anfıng. Aber auch in der Voraussetzung, dafs Fe die älteste Form des Accusativs sei, ist man nicht-genöthigt, hierin einen von dem Sanskrit und Lateinischen verschiedenen und unabhängigen Stamm zu erkennen, da sich sehr gut erklären läfst, wie FE aus SFE durch Abwerfung des & entstan- den sei, SFE aber aus SYE durch Verwandlung des v in den verwandten Halb- vocal, wie im Sanskrit und zuweilen auch im Lateinischen z vor Vocalen in den verwandten Halbvocal » übergeht. Ist meine Ansicht richtig, dafs Fe zunächst aus XFe und dieses aus Nvs entstanden sei, so verhielte es sich mit demselben, wie mit dem Lateinischen is, welches offenbar aus dvis ent- standen, denn es kann nur aus duo entspringen und entspricht dem Sanskriti- schen gleichbedeutenden divis, dem Griechischen dis, und dem Englischen twiee. Wie also im Lateinischen das zu von duo zum Gonsonanten geworden, nachdem der Anfangs-Consonant der Grundzahl ausgefallen, so, glaube ich, kann es sich mit dem Homerischen F? verhalten. Auch ist dieses Wort nicht das einzige, worin ein anfangendes Digamma einem Indischen sw entspricht; dasselbe ist z.B. der Fall in Ads, bei Homer Fröls, welches dem Sanskriti- schen Stamme swädu (Nomin. masc. swädus, Neut. swädu) süls, ange- nehm, lieblich entspricht. Es soll jedoch nicht geläugnet werden, dafs im Griechischen Digamma häufig blos darum am Anfange eines Wortes steht, weil diese Sprache mit den Semitischen Mundarten die Abneigung theilt, ein Wort mit einem reinen Vocal anzufangen; es wurde daher immer, wo die verwandten Sprachen mit einem blofsen Vocal anfangen, entweder ein ge- linder oder scharfer Hauch, oder Digamma vorgesetzt. Zu den Wörtern welche bei Homer mit Digamma anfingen gehört z.B. &xarres, welches sich zu Enaregos wie ein Superlativ zu einem Comparativ verhält; Enaregos aber ist beinahe identisch mit dem Sanskritischen @ekatara (Nom. Ekataras) einer von zweien, aus dem Primitiv &ka einer, durch das Comparativ - Suffix tara gebildet. Es läfst sich also der Einwand nicht ganz beseitigen, dafs € oder Fe den Spiritus oder das Digamma blos einem Laut- Gesetze verdanke, und dafs der ursprüngliche Stamm nur aus dem folgenden Vocal bestehe. 196 Borr: /ergleichende Zergliederung des Sanskrits Allein wer wird mit Gewalt der Griechischen Sprache für das geschlechtlose Pronomen der dritten Person einen eigenthümlichen mit dem Sanskrit, La- teinischen und anderen verwandten Sprachen nicht zusammenhängenden Stamm aufdringen wollen, da die Mittel der Vereinbarung so nahe liegen, und da die Pronomina der ersten und zweiten Person so auflallende Über- einstimmungen mit dem Sanskrit darboten, und da der Dual und Plural die- ses Pronomens sich sehr gut aus einem Urstamme Yu erklären lassen’? Bei dem Dual kann man an der auffallenden Übereinstimmung der Pronomina zweiter und dritter Person einen Stein des Anstofses finden, da sie dem Stamme nach ganz identisch, und fast nur durch die Betonung ver- schieden sind, worauf bei etymologischen Untersuchungen wenig ankömmt, da sie sich nicht in allen Zeiten gleich bleibt, und nicht über das was bei einem Worte Stammsylbe sei Aufschlufs gibt, wenn gleich zwei im Übrigen ganz gleichlautende Wörter durch Verschiedenheit der Betonung auf das Gehör einen ganz verschiedenartigen Eindruck machen. Woher kömmt die fast gänzliche Identität der Dualformen zweier, verschiedenen Personen an- gehörenden Pronomina? Thiersch bemerkt, dafs der Dual der ersten und zweiten Person die den Lateinern in nos und vos gebliebenen Stämme habe, er erklärt sich jedoch nicht darüber, ob er in vos die Abwerfung eines s, oder in rpw den euphonischen Zusatz eines $ erkenne. Mir ist das letztere wahrscheinlicher, da sich das hohe Alter des Lateinischen vos, durch die Vergleichung mit den verwandten Sprachen hinlänglich bewährt, denn wir haben im Sanskrit und im Alt-Slawischen übereinstimmende Formen gefun- den, sie können daher als ein Eigenthum der Asiatischen Ursprache angese- hen werden. Zudem ist im Griechischen das Vorsetzen eines # vor & nichts ungewöhnliches. Aus diesem Grunde, und weil auch der Dual der ersten Person mit dem Lateinischen Plural übereinstimmt, kann man nicht umhin, bw mit vos zusammenzustellen und die Wahrscheinlichkeit anzuerkennen, dafs bw aus Fu entstanden sei. Auch Lennep findet in r$w eine Überein- stimmung mit vos, und hält das # für nicht radikal, aber aus einem anderen Grunde, nämlich weil er den Stamm des Pronomen der zweiten Person in der Sylbe ö oder in dem blofsen Vocal v von üneis finden will. Er erklärt daher das X des Singulars U als aus einem vorgetretenen, zu 7 erhär- teten Hauch entstanden, ımd eben so den Dual rpw. Was soll aber bei dieser Erklärun g aus dem Dorischen rU werden, welches man aus und der mit ihm verwandten Sprachen. 197 mehrfachen Gründen als die älteste und primitive Form anzusehen das Recht hat? — Was nun den Dual und Plural des Reflexivs anbelangt, so glaube ich dafs sich in deren $ und & eine Verwandtschaft mit dem Lateinischen als Stammsylbe ausgemittelten sz, und mit dem Indischen su oder sw, nicht verkennen lasse. Dual und Plural sind also mit dem Singular einerlei Stamms, nur vollständiger die Urform aufbewahrend, während, wie ich in meiner früheren Abhandlung zu beweisen versucht habe, die erste und zweite Person im Griechischen, Sanskrit, und den meisten verwandten Sprachen, für die Mehrzahlen eigene mit dem Singular gar nicht zusammen- hängende Stämme darbieten. Da nun bei der dritten Person die einfache und Mehrzahlen von Einem Stamm sind, so kann es weniger befremden, dafs spe und row auch mit singularer Bedeutung vorkommen; ersteres kann aus obigen Gründen als die vollere und ursprüngliche Form für €, FE ange- sehen werden und rw stimmt zu den Dorischen Formen &ww, reiv, iv (vergl. Buttmanns Lex. S. 59. 60.). Dagegen wird man nicht @uuw oder Un und was hiermit verwandt ist, auf den Singular übertragen finden. Wenn im tragischen Senar das Possessivum dus oder @uos im singularen Sinn vor- kömmt, so stimme ich der Ansicht der alten Grammatiker bei, welche duss geschrieben wissen wollen und dieses für eine Dialektform von &ucs erklären, denn wäre es eine Übertragung des Possessivs der Mehrzahl in den Singular, so könnte man fragen warum man nicht auch öues für es gebrauche. Allein diese beiden Wörter sind in der Form so sehr von einander geschieden, dafs g 8 eine Verwechslung nicht leicht möglich war. Dafs & und pereges für alle Personen und Zahlen gebraucht werden, stimmt ganz mit der Ausdehnung des verwandten Possessivs der Sanskrit-Sprache überein, wo, wie ich bereits bemerkt habe, swas, swä, swam ebenfalls auf alle Personen und Zahlen sich erstrekt. Mit diesem swas stimmt in der Form am meisten das Ho- merische spes zusammen, ja man kann sagen, dafs beide Formen identisch seien, indem die Griechische Sprache für F nach 8 stets & zeigt, o aber ent- spricht sehr häufig dem kurzen Indischen a, welches nach den eingebornen Grammatikern in der Mitte eines Wortes wie o ausgesprochen wird, weshalb swas wie swos auszusprechen wäre. In der Ansicht, dafs das Griech. Pron. dritter Pers. sowohl im Sing. als in den beiden Mehrzahlen, so wie auch in seiner Possessivform vom Stamme &u 198 Borp: Fergleichende Zergliederung des Sanskrits ausgegangen sei, wird man noch mehr bestärkt werden, wenn man beachtet, dafs auch in anderen Sprachen dieser Familie derselbe Stamm bei dem Reflexiv nicht zu verkennen ist. Im Littauischen und Alt-Slawischen hat dieses Pron. ein s zu seinem Radikal-Consonanten, und der alte Stammyvocal z hat sich im Littauischen zu aw, im Alt-Slawischen zu eö erweitert. In beiden Sprachen bezeichnet dieser Stamm, in Übereinstimmung mit dem Lateinischen, mit der Singular-Form zugleich die Mehrzahl, und entbehrt, da er in geradem Sinn nicht gebräuchlich ist, des Nominativs. Der Genitiv lautet im Lit- tauischen saw-es, im Alt-Slawischen steht hier wie bei dem Pronomen der beiden ersten Personen, ein blofses e als Endung, daher sede. Der Dativ bietet im Littauischen den reinen Stamm dar, nämlich saw, im Alt-Slawi- schen lautet er seb-je, analog mit teb-je dir. Man könnte in diesen beiden Endungen leicht eine Übereinstimmung mit dem Lateinischen sidı, tdi fin- den, die Ähnlichkeit ist aber nur täuschend, da hier di das Casus- Suffix ist, während im Alt-Slawischen ed zu dem Stamme gehört. Denn mit dem ge- lehrten Dobrowsky kann ich die Ansicht nicht theilen, dafs ed in beiden Pronominen eine Art von Augment sei, denn da in den ältesten stammver- wandten Sprachen diese beiden Personen zu als Wurzelvocal haben, so läfst sich von dem Slawischen eb eine befriedigendere Auskunft geben, als dieje- nige ist, welche sie als einen nicht radikalen Zusatz erklärt. Dobrowsky liefs sich zu seiner Ansicht wahrscheinlich dadurch verleiten, dafs der No- minativ und Accusativ dieser Sylbe eb entbehren, allein es scheint mir un- passend, um den Stamm eines Nomens auszumitteln, ein Hauptgewicht auf den Nominativ zu legen, da es erwiesen ist, dafs im Sanskrit und in sämmt- lichen verwandten Sprachen dieser Casus nicht selten ein zur Grundform gehörendes Element abwirft, welches in den obliquen Casus wieder hervor- tritt. Was in den meisten Casus nach Ablösung der Casuszeichen sich als Stamm ergibt ist als solcher anzuerkennen, und ich würde im Alt-Slawischen teb und seb als Stamm darstellen, selbst wenn die verwandten Sprachen nicht zu Gunsten dieser Ansicht sprächen. Auch bei dem Possessivum spielt im Littauischen wie im Alt-Slawischen das w eine wesentliche Rolle, im Littauischen lautet es sawas, mit dem Sanskritischen swas genau überein- stimmend, und wie dieses durch das schliefsende s den Singular - Nominativ des Masculinums bezeichnend; im Alt-Slawischen ist die entsprechende Form siwoi, welches wie sawas im Littauischen, swas im Sanskrit und os und und der mit ihm verwandten Sprachen. 199 opereges im Griechischen auch auf die erste oder zweite Person bezogen werden kann, wenn diese das Subjekt des Satzes sind. Dasselbe gilt, im Littauischen und Slawischen, von dem substantiven Reflexiv. Um nun zu den Germanischen Sprachen überzugehen, jedoch nur der ältesten Mundart, nämlich der Gothischen zu gedenken, so gibt es auch hier ein geschlechtloses, substantives Reflexiv der dritten Person, welches nur im Singular gebräuchlich ist, mit diesem aber auch zugleich die Mehr- zahl bezeichnet, ohne jedoch auch auf die beiden ersten Personen übertra- gen zu werden. Sein Radikal-Consonant ist s, man vermifst aber den Vocal wu, denn es ist in seiner Deklination ganz analog mit der der zweiten Person; diese aber hat nur im Nominativ den alten Stammvocal u erhalten. Da das Reflexiv des Nominativs entbehrt, so fehlt es hier, wie bei dem Griechischen o0, an einer Gelegenheit zur Aufweisung des eigentlichen Stamm- vocals. Als Resultat meiner Untersuchung über das Reflexiv glaube ich fol- gendes aufstellen zu dürfen. Es hat u als Stammvocal im Sanskrit und allen verwandten Sprachen, und stimmt in dieser Beziehung mit dem Pronomen zweiter Person überein, von dem es aber wesentlich und hinlänglich, und gleichmäfsig in allen verwandten Sprachen, durch den Stamm -Consonanten unterschieden ist, indem es s hat, während bei jenem £ steht. Dieser Unterschied wird aber im Griechischen, bei solchen Dialekten, die we- niger getreu als der Dorische die Urgestalt festhalten, wiederum zerstört, und, durch Verwandlung des r in r bei der zweiten Person, eine völlige Identität des Radikaltheiles dieser beiden Pronomina bewirkt. Der Stamm- vocal vu, den beide Personen theilen, geht nach dem Bedürfnifs des Wohl- lauts oder nach dem Hang der einzelnen Sprachen in die verwandten Con- sonanten ww, b, F, $ über, und diesen Consonanten kann noch ein Vocal, wie a oder e vorgesetzt werden, so dafs u zu aw oder eb ausgedehnt erscheint. So wie das Reflexiv seinen Stammvocal mit dem Pronomen zweiter Person gemein hat, so theilt letzteres seinen Stamm - Consonanten mit dem Demonstrativ der dritten Person, im Sanskrit wie in den ver- wandten Sprachen, von dem es aber durch den Wurzel-Vocal unterschie- sen ie) versucht habe, in der Sanskritischen Sprachfamilie, zur Charakterisirung den ist. Da aber, was ich in meiner früheren Abhandlung zu zei einer Wurzelsylbe eben so viel auf den Vocal als auf die Consonanten an- Hıst. phulol. Kkusse 1825. Be 200 Borpr: Fergleichende Zergliederung des Sanskrits u.s.w. kommt, so dafs zwei Sylben übereinstimmend in den Consonanten aber geschieden durch die Vocale ganz verschiedene Begriffe auszudrüken fähig sind; so erkenne ich keine Verwandtschaft an, weder zwischen su und tu, noch zwischen letzterem und dem Demonstrativ-Stamme, welcher im Sanskrit ta lautet, und wovon ich in einer künftigen Abhandlung ausführlicher zu handlen gedenke (!). (') Hier bemerke ich nur vorläufig, dafs uns dieser Stamm ta über den Ursprung des Nominativ-Charakters Aufschlufs gibt, den ich aus dem s erkläre, in welches das t des Stammes ta im Nomin. masc. und fem. übergeht; aber nicht im Neutrum, daher auch dieses seinen Nominativ ursprünglich, und namentlich noch im Sanskrit und Go- thischen, niemals durch s bezeichnet, sondern entweder gar nicht, oder durch m oder {, welches letztere ebenfalls aus dem Pronominal-Stamme ta seine Erklärung findet. Auch das m des Accusativs ist von pronominalem Ursprung, und hängt mit dem sanskri- tischen Pronominal-Stamm amu zusammen, der, merkwürdig genug, sein m im Nomin. masc. und fem. in s umwandelt, daher asau jener und jene. — KO HED Den. Verbesserungen. Seite 116, Anm. Z.8. ist in dem Fragmente des Philoktetes vor Troia zu lesen Kovov Orug 17 statt acvov y’ös ur, mit Porson zu Aristoph. Av.1238. - 140, Z.10.v.u. lies aus statt in. - 141, - 10. v.o. ist zu vor gestalten einzurücken. arrannnrnnnnnnn HIT pen 1078)