N nn nn ch Do -. n Saar ER a „% BMhin ii LIES ie ‘ ie aaa. la » ” | “N BEN N DF nal Per ii u i B Sul T Sen 2 fr. DAR‘ 1 Ben Pur na Wat MR D 4 £ Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. —— ec HDI>— \ 2 A aa ii Paar idi ü . A ji ipir en = 1 2 | i ü ZH ab VILEDER AUG ww a inshed ne . 5 Ei DEE j I% . .. u . . f nn # \ j . Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. nn nann 4 Aus dem Jahre “ 1999 z—.u—uanannnonneneneneerren Nebst der Geschichte der Akademie in diesem Zeitraum. Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1835. In Commission bei F. Dümmler. „r 3 a a a Historische Einleitung «...oorrsorsuneossonnneesnnneunnnesnennennnnnnenn nee Seite I Verzeichnils der Mitglieder und Correspondenten der Akademie...s..eeerserr..- Sm Abhandlungen. Physikalische Klasse. KARSTEN über die chemische Verbindung der Körper (dritte Abhandlung) ....... Seite 1 DS EV BUCH über Terehrateln..oecereeeenenee ERLERETELEEZEREEETErErEreeEeze zer - 21 "\ VEHRENBERG: Dritter Beitrag zur Erkenntnils grofser Organisation in der Richtung deskleinsten@Ranımesge un ee ee ee ee Male - 145 vv Derselbe über den Cynocephalus der .Ägyptier nebst einigen Betrachtungen über die ägyptische Mythe des Thot und Sphinx vom naturhistorischen N Standpunkte un es een a een een - 337 er D’ALTON über die von dem verstorbenen Herrn Sellow aus der Banda oriental mitgebrachten fossilen Panzerfragmente und die dazu gehörigen L Kunochen= Überreste nee een nee ne ee eeeeeckee - 369 ““ MITSCHERLICH über das Verhältnils des specifischen Gewichts der Gasarten zu denschemischens Proportionenuess se. este sea eefnge nee - 125 “ *LisK über den innern Bau und die Früchte der Tangarten (Fucoideae)........: - 457 “ YH. Rose über die Verbindungen des Chroms mit dem Fluor und Chlor ........» - 469 ““ Derselbe über eine Verbindung des Phosphors mit dem Stickstoff ............- - 479 v “MITSCHERLICH über das Benzin und die Verbindungen desselben. .............+» - 497 “ ErMmAn über die automatische Undulation der Nebenkiemen einiger Biyalven ..... - 527 Mathematische Klasse. ie VCrzLiE: Einige Bemerkungen über die Principien der Variations-Rechnung ..... Seite 1 VBESSEL: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen von 38 Doppelsternen ..... eh POSELGER: Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids............+++- - 59 ENcKE über den Cometen von Pons (Dritte Abhandlung) ..e..«r.eezseseenn... Seite 77 " VLEJEUNE-DirIcHLET: Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen “ Dirksen über die Anwendung der Analysis auf die Rectifiecstion der Curven, die Quadratur der Flächen und die Cubatur der Körper ........... Philosophische Klasse. H. Ritter über das Verhältnils der Philosophie zum wissenschaftlichen Leben über- Historisch-philologische Klasse. v.SAvIGNY von dem Schutz der Minderjährigen im Römischen Recht, und insbe- sondere von der Lex Placioria.s.:neessacesenoenestannneacne “ C. Rırrer über das historische Element in der geographischen Wissenschaft ..... V. SAvVIGNY über das altrömische Schuldrecht. ........-o-.0-o-unaooensnnenne0. MITTACHMANNSüber Singenzund Sageneer. seen eeneeees nase ons use Sersleiein.aleie Dierselbe über das: Hildebrandslied os .eaeeausanen eo nee eenemeneeen ee ae Bopp über die Zahlwörter im Sanskrit, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen: und Altslawischen. 22.22.0202 cs0n0cen one mare ee Derselbe’über die Zahlwörter der Zendsprache .....2222cernieeeneneneenneee LEVEZOW über mehrere im Grofsherzogthum Posen in der Nähe der Netze ge- fundeneruraltgriechische, Münzen se. een. sen eaeen esene “ Derselbe über archäologische Kritik und Hermeneutik .....zeeseneseeeeeeenen “ Branpıs über die Reihenfolge der Bücher des Aristotelischen Organons und ihre Griechischen Ausleger, nebst Beiträgen zur Geschichte des Tex- tes jener Bücher des Aristoteles und ihrer Ausgaben .......... ——— an un an. - 101 - 123 Seite 1 - 123 - 163 - 171 - 181 - 225 - 249 72h 71830: „aan... D ie öffentliche Sitzung der Königl. Akademie der Wissenschaften am 27. Januar zur Feier des Jahrestages Friedrichs des Zweiten wurde durch die Anwesenheit Sr. Königl. Hoheit des Kronprinzen verherrlicht. Herr Schleiermacher eröffnete dieselbe als vorsitzen- der Sekretar und gab zugleich Nachricht von den bei der Akademie in dem letzten Jahre vorgekommenen Veränderungen. Hierauf las Herr G. Ritter über das historische Element in den geographischen Wissenschaften, und Herr Ehrenberg über den CGynocephalus der Ägypter, nebst Betrachtungen über die ägyptische Mythe vom Thoth und der Sphinx, vom naturhistorischen Standpunkte aus. Die öffentliche Sitzung der Königlichen Akademie der Wissen- schaften am 4. Julius zum Andenken ihres Stifters Leibnitz eröff- nete der erste Sekretar der physikalisch-mathematischen Klasse, Herr Erman, mit einer Gedächtnifs-Rede auf das verstorbene Mitglied, Herrn Seebeck. Die physikalisch-mathematische Klasse hatte im Jahre 1831 für das Jahr 1833 die Preisfrage gestellt: „Welches sind die eigentlichen Unterschiede der verschie- denen Cohäsions- Zustände, und welches die wesentlichen dem einen oder dem andern derselben zukommenden Ei- genschaflen?” Eine Beantwortung mit dem Wahlspruch: errare humanum est, genügte nicht, da sie weder neue Tatsachen bringend, noch neue I Ansichten eröffnend, den fraglichen Gegenstand in ein fast noch unbefriedigenderes Schweben zwischen Empirie und Spekulation versetzt, als er es bisher gewesen ist. Eine zweite Schrift mit dem Motto: nec omitlatur totum si lotum fieri non potest, konnte den Statuten gemäfs nicht concurriren, weil sie nach Ablauf des streng einzuhaltenden Termins eingelaufen war. Als eine klare und ziem- lich vollständige Zusammenstellung alles über diesen Gegenstand bereits Bekannten, hätte sie Anerkennung verdient, doch würde der Mangel an eigenthümlichen empirischen Forschungen nicht un- bemerkt haben bleiben können. Zu dem durch das Ellert’sche Legat gestifteten Preise für Ökonomie und Agronomie war als Ge- genstand gewählt: Darstellung der Veränderungen, welche die Pflanzen beim Übergange in Torf erleiden. Eingegan- gen ist eine Schrift mit dem Wahlspruch: non verbis, sed factis. Sie löst die Frage nicht in ihrem ganzen Umfange, so dafs für den Prozefs der Torfbildung aus Pflanzen eine ganz allgemeine Norm des Chemismus dieser Metamorphose festgesetzt wäre: doch giebt der Verfasser eine schätzbare Approximation hierzu, indem er ein- zelne Pflanzen vor und nach der Torfbildung analysirt, woran sich vorbereitende Schlüsse anknüpfen lassen. Einiges liefse sich aller- dings gegen das Detail dieser an sich guten Analysen einwenden, so wie gegen einige Hülfshypothesen des Verfassers, namentlich ge- gen die postulirte Mitwirkung des Gefrierens durch Zersetzung der Humussäure, da eines Theils diese Zersetzung nicht erwiesen ist, andern Theils Torfbildung statt findet in Ländern, wo der Boden nie gefriert. Da jedoch diese Arbeit viele mit Umsicht und Sach- kenntnifs durchgeführte Untersuchungen enthält, namentlich eine künstliche Bereitung von Torf, und da der Erblasser bei seiner Stiftung die Absicht hatte, nicht sowohl eine streng wissenschaft- III liche Lösung einzelner Probleme zu veranlassen, als im Allgemeinen die auf Agronomie gerichtete ächt wissenschaftliche Forschung zu beleben, so glaubt die Akademie in diesen Sinn einzugehen, wenn sie dem Verfasser den Preis ertheilt, als Anerkennung seiner reellen Verdienste um die Sache, als gebührende Entschädigung für nicht geringe und nicht erfolglose Arbeiten und in der Hoffnung, dafs diese Abhandlung, dem Publikum vorgelegt, auch ohne das Prä- dikat einer ganz unbedingt gekrönten Preisschrift, belehrend und anregend wirken werde. Der eröffnete Zettel enthielt den Namen des Herrn Dr. A. F. Wiegmann, Professor in Braunschweig. — Die philosophisch-historische Klasse stellt für das Jahr 1835 die Preisfrage auf: „„.fus den über das Alexandrinische Museum vorhande- nen, sehr fragmentarischen Nachrichten mit Hülfe einer kritischen Combination ein Ganzes zusammenzustellen, das eine anschauliche Idee von dem Zweck, der Orga- nisation, den Leistungen und den Schicksalen dieser be- rühmten Anstalt gewähre.’’ Die Abhandlungrn müssen namenlos eingesendet werden, aber mit einem Motto überschrieben sein, welches auch ein versiegelter Zet- tel führt, der den Namen des Verfassers enthält. Der späteste und ausschliefsende Einsendungstag ist der 31. März 1835 und der Preis von 50 Dukaten wird in demselben Jahr an dem Tage der Leibnitz- Feier ertheilt. — Hierauf las Herr H. Ritter eine Abhandlung über das Verhältnifs der Philosophie zum wissenschaftlichen Leben. Die öffentliche Sitzung der Königlichen Akademie der Wis- senschaften am $. August zur Geburtsfeier Sr. Majestät des Königs erhielt dadurch eine erhöhte Feierlichkeit, dafs an diesem Tage der Versammlungssaal der Akademie zum ersten Male mit dem von b IV Herrn Simoni in Marmor trefflich gearbeiteten Brustbilde Sr. Ma- jestät des Königs geschmückt erschien, nachdem durch die Huld ihres erhabenen Beschützers die Akademie mit dem Geschenk die- ses schönen Denkmals in den letzten Tagen beglückt worden war. Die Sitzung wurde von dem Sekretar der physikalisch-mathema- tischen Klasse, Herrn Erman, statt des Sekretars der philosophisch- historischen Klasse, Herrn Wilken, welcher durch Unpäßslichkeit verhindert wurde, den Vorsitz zu führen, mit einer Anrede eröfl- net, in welcher die Dankbarkeit der Akademie für den erwähnten höchst erfreulichen Beweis der Allerhöchsten Königlichen Gmade ausgesprochen wurde. Hierauf hielt Herr Encke eine Vorlesung über die letzte Wiederkehr des Cometen von Pons, und Herr Ranke las den ersten Abschnitt einer Abhandlung zur Geschichte der italienischen Poesie, zunächst über eine noch unbekannte Fort- setzung der Reali di Francia. In diesem Jahre wurde dem Herrn Geh. Ober-Baurath Crelle zur Berechnung der Primzahlen von der 4“ Million an eine Un- terstützung von 300 Rıhlr. bewilligt. Herr Professor Brandis in Bonn erhielt für die Bearbeitung der Commentatoren des Aristoteles eine Remuneration von 300 Rthlr. Herm Dr. Gloger in Breslau wurde zur Herausgabe seines 7 Fr 5 = = F r Werkes über die Vögelarten nach dem Clima eine Unterstützung von 100 Rthlrn. ertheilt. Y Herrn Prof. Kämtz in Halle wurden zu einer nach der Schweiz in meteorologischer Hinsicht zu unternehmenden Reise 300 Rıhlr. bewilligt. Herrn Perthes in Hamburg wurden für Collationen zum Corpus histor. Byzant. 75 Rihlr. gezahlt. Herr Geh. Reg. Rath Böckh erhielt für die fernere Redaction des Corpus Inseriplionum graecarum eine Remuneration von 400 Rthlrn. Herrn Corda in Prag wurde zu einer Reise nach Berlin und zur Fortsetzung seiner phytotomischen Arbeiten eine Unterstützung von 400 Rthlın. bewilligt. Es wurde beschlossen, einen Theil der Kosten zu überneh- men, welche die Hieherberufung des Herrn Geh. Reg. Raths Bes- sel aus Königsberg, um die Länge des einfachen Sekundenpendels für Berlin zum Behuf der Regulirung der Preufs. Maafse und Ge- wichte, zu bestimmen, verursachen wird. vı Zum ordentlichen Mitgliede der philosophisch-historischen Klasse wurde ernannt: Herr Reg. Rath und Prof. Graff. Zu Correspondenten der physikalisch-mathematischen Klasse: Herr Liebig in Giefsen, - Faraday in London, - Neumanr in Königsberg, - MWöhler in Cassel. Zum Correspondenten der philosophisch-historischen Klasse: Herr Marquis de Chambray in Pougues im Depart. de la Nievre. Herr Heinrich Ritter, bisheriges ordentliches Mitglied der philosophisch-historischen Klasse, folgte einem Rufe nach Kiel und wurde demzufolge zum auswärtigen Mitgliede derselben Klasse er- nannt. Durch den Tod hat die Akademie verloren: Herrn Hermbstädt, ordentliches Mitglied der physik.-math. Klasse. - Olimanns, desgl. - Desfontaines in Paris, Corresp. der physik.-math. Klasse. - Latreille in Paris, desgl. - Legendre in Paris, desgl. - Curt Sprengel in Halle, desgl. der Mitglieder und Correspondenten der Verzeichnils December nn nn 1859. na. Akademie. I. Ordentliche Mitglieder. Physikalisch-mathematische Klasse. Herr Grüson. Hufeland. Alexander v. Humboldt. Eytelwein. v. Buch. Erman, Sekretar. Lichtenstein. Weifs. Link. Mitscherlich. Karsten. Herr Encke, Sekreur. Dirksen. Poselger. Ehrenberg. Crelle. Horkel. Klug. Kunth. Dirichlet. H. Rose. Philosophbisch-historische Klasse. Herr C. Ritter. Hirt. Ancillon. Wilhelm v. Humboldt. Uhden. ‚Schleiermacher, Sekretar. Ideler. vw. Savigny. Boeckh. Bekker. FWVilken, Sekreur. Bopp. v. Raumer. Meineke. Lachmann. Hoffmann. Ranke. Levezow. Eichhorn. Graff. VIII Herr \ ER Auswärtige Mitglieder. Physikalisch-mathematische Klasse. Arago in Paris. Berzelius in Stockholm. Bessel in Königsberg. Blumenbach in Göttingen. Gau/s in Göttingen. Herr Jussieu in Paris. van Marum in Haarlem. Olbers in Bremen. Poisson in Paris. Philosophisch-historische Klasse. Cousin in Paris. Jacob Grimm in Göttingen. Heeren in Götlingen. Gottfried Hermann in Leipzig. Jacobs in Gotha. Letronne in Paris. IM. - C. F.S. Freih. Stein vom Altenstein in Berlin. Imbert Delonnes in Panvıs. Ferguson in Edinburg. ’Yilliam Gell in London. ?Villiam Hamilton in Neapel. vw. Hisinger auf Skinskatteberg bei Köping in Schweden. Graf v. Hoffmansegg in Dresden. I. F. Freih. ©. Jacquin in Wien. Herr Lobeck in Königsberg. H. Ritter in Kiel. Silvestre de Sacy in Paris. - m. Schelling in München. A.W.v.Schlegel in Bonn. Ehren-Mitglieder. Herr Colonel Zeake in London. Lhuilier in Genf. ». Lindenau in Dresden. Gen. Lieut. Freih. v. Minutoli in Berlin. Gen. Lieut. Freih. ®. Müfflling in Münster. Prevost in Genf. C. Graf v. Sternberg in Prag. ‚Stromeyer in Göttingen. IV. Correspondenten. Für die physikalisch-mathematische Klasse. Herr Accum in Berlin. Ampere in Paris. v. Autenrieth in Tübingen. Herr Elie de Beaumont in Paris. P. Berthier in Paris. Biot in Paris. Herr Herr Brera in Padua. Brewster in Edinburg. Brongniart in Paris. Rob. Brown in London. Bürg in Wien. Caldani in Pavia. de Candolle in Genf. Carlini in Mailand. Carus in Dresden. Configliacchi in Pavia. Dalton ın Manchester. Dulong in Paris. Faraday in London. F.E.L. Fischer in St. Petersburg. Gotthelf Fischer in Moskau. Flauti in Neapel. Florman in Lund. Freiesleben in Freiberg. Gay -Lussac in Paris. Gergonne in Montpellier. L. Gmelin in Heidelberg. Hansen in Seeberg bei Gotha. Hansteen in Christiania. Hausmann in Göttingen. Herschel in Slough bei Windsor. C. G. I. Jacobi in Königsberg. Jameson in Edinburg. Ivory in London. Kielmeyer in Stuttgard. vw. Krusenstern in St. Petersburg. Larrey ın Paris. v. Ledebour in Dorpat. Liebig in Giefsen. Graf Libri in Paris. v. Martius in München. Herr Möbius in Leipzig. ı Mohs in Wien. IX von Moll in Dachau bei München. van Mons in Brüssel. F. E. Neumann in Königsberg. Nitzsch in Halle. Oersted in Kopenhagen. von Olfers in Bern. Otto in Breslau. Pfaff in Kiel. Plana in Turin. Pohl in Wien. Poncelet ın Metz. de Pontecoulant in Paris. de Prony in Paris. Purkinje in Breslau. Quetelet in Brüssel. I. C. Savigny in Paris. Schrader in Göttingen. Schumacher in Altona. Marcel de Serres in Montpellier. v. Stephan in St. Petersburg. Struye in Dorpat. Tenore in Neapel. Thenard in Paris. Tiedemann in Heidelberg. Tilesius in Mühlhausen. G. R. Treviranus in Bremen. Trommsdorff in Erfurt. Woahlenberg in Upsala. MWallich in Calcutta. E. H. Weber in Leipzig. IViedemann in Kiel. FWöhler ın Cassel. IV oltmann in Hamburg. Für die philosophisch-historische Klasse. Avellino in Neapel. Beigel in Dresden. Böttiger in Dresden. Herr Brandis in Bonn. Bröndsted in Kopenhagen. Cattaneo in Mailand. X Herr de Chambray in Pougues im Dep. de la Nievre. Graf Clarac in Paris. Constantinus Oeconomus in tersburg. Degerando in Paris. Delbrück in Bonn. Freytag in Bonn. Fries ın Jena. Del Furia in Florenz. Gerhard in Florenz. Gesenius in Halle. Göschen in Göttingen. IWYilh. Grimm in Göttingen. Halma in Paris. Hamaker in Leyden. v. Hammer in Wien. Hase ın Paris. van Heusde in Utrecht. St. Pe- - Herr v. Hormayr in München. Jomard in Paris. v. Köhler in St. Petersburg. Kosegarten in Greifswald. Kumas in Smyrna. Lamberti in Mailand. vw. Lang in Ansbach. Linde in Warschau. Mai ın Rom. Meier in Halle. K. O. Müller ın Göttingen. Mustoxides in Corfu. C. F. Neumann in München. Et. Quatremere in Paris. Raoul- Rochette in Paris. ‚Schömann in Greifswald. Simonde-Sismondi in Genf. Thiersch in München. Physikalische Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. san nano Ks Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. 1835. In Commission bei F. Dümmler. bare KARSTEN über die chemische Verbindung der Körper (dritte Abhandlung) ....... VeBucHüber-TLerehrateln we... asersestereiese e 0 aaetezeis needs esse nrere an aaa EHRENBERG: Dritter Beitrag zur Erkenntnils grofser Organisation in der Richtung desäkleinsten, Raumes ans an alseee edles sielsie nieereielaleın teren ee Derselbe über den Cynocephalus der Ägyptier nebst einigen Betrachtungen über die ägyptische Mythe des Thot und Sphinx vom naturhistorischen SENT TOT AC HODHDE LI DL HD FR E. D’ALTON über die von dem verstorbenen Herrn Sellow aus der Banda oriental mitgebrachten fossilen Panzerfragmente und die dazu gehörigen Knochen Überrestetee ie een nennen MITSCHERLICH über das Verhältnils des specifischen Gewichts der Gasarten zu denzchemischen& Proportionen ee. ee eine sresdeieteete eiefe tere else are LısK über den innern Bau und die Früchte der Tangarten (Fucoideae)........- H. Rose über die Verbindungen des Chroms mit dem Fluor und Chlor ......... Derselbe über eine Verbindung des Phosphors mit dem Stickstoff ............- MITSCHERLICH über das Benzin und die Verbindungen desselben...............- ErMAN über die automatische Undulation der Nebenkiemen einiger Bivalven ..... Seite 1 ee Dem N nr u iR ar ea na 2 ua . BE I Ben Bı . ne a a er Tu) “elı Ve E71 “ ER BE Tune . r.- Bi = Bere Über die chemische Verbindung der Körper. (Dritte Abhandlung.) Von HT” KARSTEN. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. December 1532.] D. Thatsachen, welche Berthollet in seiner Schrift über die Gesetze der chemischen Verwandtschaft, mit einer so musterhaften Klarheit zusam- mengestellt, und in dieser Vereinigung wieder mit einer so bewundernswer- then Zurückführung auf die Ursachen und Erfolge der Erscheinungen ge- sondert hat, dafs sie den Leser fast unwiderstehlich zu der Überzeugung von der Richtigkeit der Ansicht führen: die sogenannte nähere und entfern- tere Verwandtschaft der Körper bei den chemischen Verbindungen mit ein- ander, könne als eine unveränderlich wirkende Kraft nicht betrachtet wer- den; — diese Thatsachen haben durch die siegreich hervorgegangene und seitdem zum ersten, man mögte sagen zu dem einzigen Grundsatz unserer ganzen chemischen Erkenntnifs erhobenen Lehre von der Verbindung der Körper nach bestimmten und unveränderlichen Verhältnissen, ihre wahre und richtige Deutung erhalten. Um so mehr mufs es befremden, dafs man die bestimmten und unabänderlichen Gesetze, nach welchen die Verbindung der Körper statt findet, dem obersten von Berthollet aufgestellten Grund- satz nicht allein nicht widersprechend findet, sondern dafs man diesen letz- teren sogar als eine nothwendige Folge jener ersteren zu betrachten geneigt ist. Offenbar ist es aber ein Widerspruch, die chemische Verbindung der Körper nur nach bestimmten Verhältnissen geschehen zu lassen und doch die Richtigkeit des Satzes anzuerkennen, dafs das Resultat der chemischen ‘wirkung der Körper auf einander, nicht blofs von den Verwandtschafts- kräften derselben, sondern auch von ihrer Quantität, oder vielmehr von dem Phys. Abhandl. 1833. A 2 KırRrstTten Produkt dieser beiden Faktoren, welches Berthollet die chemische Masse genannt hat, abhängig sei. Dieser Widerspruch ist indefs nur scheinbar, weil er sich auf zwei wesentlich von einander verschiedene Zustände der Mischung bezieht. Wenn Berthollet durch seine Untersuchungen zu dem Resultat geführt ward, dafs sich die Körper, im flüfsigen Zustande der Mischungen, in allen Verhält- nissen mit einander verbinden können, so läfst sich eine solche Ansicht durch die Erfahrung zwar nicht erweisen, aber noch weniger widerlegen. Wenn er ferner zeigt, dafs den aus einer flüfsigen Mischung, durch Verflüchtigung, durch augenblicklich erfolgenden Niederschlag, oder durch langsam fort- schreitende Krystallisation, sich ausscheidenden Verbindungen, ein be- stimmtes Verhältnifs der Mischung zukommt, so ist ein solcher Erfolg mit der Erfahrung so sehr übereinstimmend, dafs darauf ganz allein unsere jJet- zige Kenntnifs von den chemischen Verbindungen der Körper beruht. Durch die Erfahrung nicht bestätigt wird hingegen die Behauptung, dafs die Zu- sammensetzung und die Menge der sich bildenden Verbindungen, nicht blos durch die Verwandtschaftskräfte, sondern auch durch die Menge der in der Mischung befindlichen und auf einander wirkenden Körper, in der Art be- stimmt wird, dafs die Quantität eines Körpers 4 ersetzen kann, was seiner Verwandtschaftskraft zu einem dritten C abgeht, mit welchem sich zugleich ein in geringerer Menge vorhandener, aber mit einer gröfseren Verwandt- schaftskraft zu C begabter Körper 3, zu verbinden strebt. Zu dieser Ansicht ist Berthollet wahrscheinlich dadurch veranlafst worden, dafs er das Sätti- gungsvermögen eines Körpers, — oder, wie wir es jetzt nennen können, sein chemisches Mischungsgewicht, — für den Ausdruck seiner Verwandtschafts- kraft hielt und den damit in der Wirklichkeit nicht übereinstimmenden Er- folg bei den aus einer flüfsigen Mischung sich wirklich ausscheidenden Verbindungen, durch Kräfte erklärte, welche die Wirkung der Verwandt- schaftskraft modificiren. Aber die durch diese so genannten modificirenden Kräfte sich ausscheidenden Verbindungen, können doch nur das Resultat der Verwandtschaftskraft selbst sein, wenn irgend mit der Annahme einer solchen Kraft noch ein reeller Begriff verbunden sein soll, und dann wird man immer wieder auf die Eigenschaft der aus der Mischung sich ausson- dernden Körper, als auf die über den Erfolg des chemischen Prozesses ganz allein entscheidende Bedingung, zurückgewiesen. über die chemische Verbindung der Körper. 3 Wenn unter chemischer Verwandtschaft die Verbindungsfähigkeit der Körper überhaupt verstanden wird, so liegt darin noch nicht der Begriff einer Verbindung nach bestimmten Verhältnissen. Modifieirt man aber den Be- griff einer chemischen Verbindung der Körper dahin, dafs sie nur unter festen und unabänderlichen Verhältnissen statthaft sei, so wird man jede, noch im Zustande der Flüfsigkeit befindliche Mischung von zwei oder von mehreren Körpern, in welcher jenes bestimmte Mischungsverhältnifs nicht angetroffen wird, als ein mechanisches Gemenge zu betrachten haben. Die Auflösung des Salpeters im Wasser z. B. ist keine chemische Verbindung, und noch weniger würde eine wässrige Auflösung dieses Salzes, welche mit Salpeter- säure oder mit einer wässrigen Auflösung von Kali versetzt wird, dafür gelten können. Wird statt der Salpetersäure irgend eine andere flüfsige Säure an- gewendet, so hat man ein Gemenge von Salpetertheilchen mit den Theilchen der hinzugefügten Säure, welche in den Wassertheilchen, wie in einem in- differenten Medio, gleichmäfsig vertheilt sind. Ob diese Annahme die rich- tige sei, oder ob nicht vielleicht die hinzugefügte Säure sich des Kali bemäch- tigt habe, so dafs sich ein Gemenge von dem neu gebildeten Kalisalz mit Sal- petersäure in der Auflösung befindet, würde immer erst durch einen Versuch, nämlich durch die Prüfung des abgedampften Rückstandes bestimmt werden müssen, obgleich dadurch nur in solchen Fällen ein entscheidendes Resultat erwartet werden kann, wenn beim Abdampfen keiner von den dem Wasser beigemengten Körpern verflüchtigt wird. Man hat sich indefs vorzugsweise für eine dritte Ansicht entschieden, die darin besteht, dafs in dem gewählten Beispiel die Wirksamkeit der einen Säure durch das Vorhandensein einer anderen zwar geschwächt, aber nicht vernichtet werden könne und dafs beide Säuren sich in dem Verhältnifs ihrer Quantität und ihrer Verwandtschafts- kraft mit dem Kali verbinden. Nach dieser Ansicht würde die Flüfßsigkeit aus einem in Wasser suspendirten Gemenge von zwei verschiedenen Kalisalz- theilchen und von zwei verschiedenen Säuretheilchen zu betrachten sein. Bei einer solchen Annahme räumt man die Richtigkeit des chemischen Mas- senverhältnisses für den flüfsigen Zustand der auf einander wirkenden Kör- per ein, ohne sich darüber zu erklären, warum dies Verhältnifs durch die Verflüchtiguug der Wassertheilchen aufgehoben und warum die eine von den Säuren alsdann wieder von dem Kali abgeschieden wird. Aber denselben Einflufs, welchen man der zweiten, der wässrigen Salpeterauflösung hinzu- A2 4 Kırsten gefügten Säure auf das Kali einräumt, mufs man auch der durch die che- mische Masse der hinzugefügten Säure frei werdenden, oder der in Überflufs vorhandenen Salpersäure selbst, so wie dem durch die Anwesenheit der Sal- petersäure unwirksam bleibenden Antheil der hinzugefügten Säure, zugeste- hen. Dann würde man die flüfsige Mischung als ein Gemenge von Wasser mit Kali und Säure betrachten, folglich ganz auf die Ansicht von Berthollet zurück kommen müssen, jedoch mit dem wesentlichen Unterschiede, dafs man den flüfsigen Zustand einer jeden Mischung, in welcher sich zwei oder mehr Körper nach unbestimmten Verhältnissen aufgelöfst befinden, nicht für eine wirkliche chemische Verbindung gelten läfst, sondern dafs man diesen Zustand als ein blofses Nebeneinandersein der verschiedenen Körpertheilchen betrachtet. Zu solchen, den.natürlichen Verhältnissen wohl nicht angemessenen Vorstellungen von der chemischen Wirkung der Körper auf einander, ge- langt man durch eine zu grofse Beschränkung des Begriffes von einer che- mischen Verbindung überhaupt. So nothwendig an dem Wesen eines unor- ganischen Körpers von bestimmter Art, die Bedingung geknüpft ist, — weil er sonst nicht mehr derselbe Körper, sondern ein anderer, oder ein blofses Gemenge von verschiedenartigen Körpern sein würde, — dafs er nach ganz bestimmten Mischungsverhältnissen zusammengesetzt sei, eben so nothwen- dig ist es, dafs diese Mischungsverhältnisse so lange fortdauern, als der Kör- per selbst vorhanden ist. Jede Vereinigung mit einem andern Körper zu einer gleichartigen Verbindung, hebt seine Existenz auf, und es müssen daher andere Verbindungsverhältnisse eintreten, welche wieder nur so lange fort- dauern, bis entweder ein neuer bestimmt gearteter Körper gebildet, oder der alte wieder hergestellt wird. Ob mit der Vernichtung des letzteren gleich- zeitig ein neuer Körper bestimmter Art, d. h. ein nach bestimmten Mi- schungsverhältnissen zusammengesetzter Körper, gebildet wird, oder ob die bestimmte Art durch die Entstehung einer nach unbestimmten Verhältnissen erfolgenden Mischung verloren geht, kann über den Begriff einer chemischen Verbindung nicht entscheiden. Dafs bei der chemischen Einwirkung der Körper auf einander, auch selbst in solchen Fällen, wo der eine oder der andere Körper im Übermaals vorhanden ist, nur Körper bestimmter Art gebildet werden, ist eine sehr grofse Erleichterung für die chemischen Operationen. Wirklich ist das Be- über dıe chemische Verbindung der Körper. 5 mühen des Chemikers bei seinen Arbeiten eigentlich nur dahin gerichtet, die Körper so auf einander einwirken zu lassen, dafs sich bestimmt geartete Verbindungen bilden, deren Mischungsverhältnisse entweder schon bekannt sind, oder doch mit der gröfsten Genauigkeit erforscht werden können. Die chemische Analyse ist daher ein Individualisiren der einzelnen Bestandtheile des zusammengesetzten Körpers, welche durch den Prozefs theils sogleich, theils nach und nach, aus einer allgemeinen chemischen Verbindung, durch die der Natur der verschiedenen Körper angemessen gewählten einwirkenden Substanzen, als Körper bestimmter Art, sei es für sich allein oder in Ver- bindung mit einem andern Körper, dargestellt werden. Unter welchen Um- ständen sich ein Körper von bestimmter und bekannter Zusammensetzung bildet, ist aber lediglich ein Gegenstand der Erfahrung, und wenn daher die Fo) Natur eines Körpers erforscht werden soll, so prüft man sein Verhalten zu anderen bereits bekannten Substanzen, d. h. man versucht unter welchen Umständen und Verhältnissen sich der Körper, für sich allein, oder in Ver- einigung mit anderen Substanzen als eine bestimmt geartete Verbindung ab- sondert. Daraus ergiebt sich, dafs, wenn auch die Bildung von Körpern bestimmter Art der nächste Zweck aller chemischen Operationen ist, doch der Akt der Bildung selbst, gar nicht von chemischen Verhältnissen abhän- gig sein kann, sondern dafs er in dem Wesen des aus einer Mischung nach unbestimmten Verhältnissen sich aussondernden Körpers begründet sein mufs. Vermöge der unbekannten Kraft, welche man mit dem Namen der chemischen Verwandtschaft bezeichnet hat, erfolgt die Vereinigung der Kör- per, unter den dazu günstigen Umständen, nach unbestimmten Verhältnissen; aber dieselbe Kraft kann es dann nicht sein, durch welche die entstandene Verbindung in dem Augenblick der Bildung eines Körpers bestimmter Art wieder aufgehoben wird. Diese, der chemischen Verwandtschaft vielmehr entgegenstrebende Kraft, zeigt sich in vielen Fällen so überwiegend, dafs die chemische Verbindung mit der Bildung von Körpern bestimmter Art zusam- menfällt und nicht mehr davon getrennt werden kann. Überhaupt ist das Streben der Natur zur Hervorbringung von bestimmt gearteten Körpern, de- ren Bildung von höheren Principien als von der chemischen Verwandtschaft der Körper abhängig ist, so grols, dafs es nur selten gelingt, ihre Eigenthüm- lichkeit durch den Überschufs des einen oder des andern Bestandtheils, oder 6 Kırsrtex durch die Vereinigung mit andern Körpern in unbestimmten Verhältnissen, zu vernichten. Die organische Welt hat nur Körper von bestimmter Art aufzuwei- sen, weil sich die Lebensthätigkeit des chemischen Prozesses nur als eines un- tergeordneten Mittels zur Erreichung ihres Zweckes bedient. Erst wenn die Lebensthätigkeit erloschen ist, tritt der chemische Prozefs ein, dessen Fort- schreiten und Erfolg in vielen Fällen voraus bestimmt werden können, weil sich die Gesetze denen er unterworfen ist durch Versuche ermitteln lassen. Die uns umgebende unorganische Körperwelt bietet ein analoges Verhalten dar. Jeder unorganische Körper bestimmter Art hat sich durch eine, nur der Lebensthätigkeit der organischen Individuen vergleichbare Kraft, der allgemeinen und nach unbestimmten Verhältnissen statt gefundenen chemi- schen Verbindung entzogen, und bei den jetzt bestehenden tellurischen Ver- hältnissen finden wir uns daher auch in der unorganischen Natur fast nur mit Körpern von bestimmter Art umgeben. Wie grofs ist aber bei aller Ähnlichkeit die Verschiedenheit! Bei dem organischen Körper dauert die Kraft, welche ihn über den chemischen Prozefs erhebt, bis zu seinem Tode fort; bei dem unorganischen Körper einer bestimmten Art ist sie nurin dem einzigen Moment seines Werdens wirksam und er fällt von dem Augenblick seines Entstandenseins an, dem chemischen Prozefs anheim. - Die Vernichtung eines bestimmt gearteten festen unorganischen Kör- pers findet, so weit die Erfahrung reicht, nur dann statt, wenn er sich im tropfbar flüfsigen Zustande befindet. In diesen Zustand läfst er sich ent- weder durch Zwischenkunft einer tropfbaren Flüfsigkeit, oder durch erhö- hete Temperatur versetzen. Jener heifst bekanntlich der aufgelösete, dieser der geschmolzene Zustand des Körpers. Die unorganischen festen Körper zeigen aber bei diesem Übergange in den flüfsigen Zustand ein sehr verschie- denes Verhalten. Einige stellen sich nach Entfernung des Auflösungsmit- tels, — hier der Wärme, dort der tropfbaren Flüfsigkeit — wieder als be- stimmt geartete Körper dar, von derselben Natur wie vor ihrer Auflösung und Schmelzung; andere werden zersetzt, d.h. es werden zwei oder mehr verschiedenartige Körper gebildet, welche nothwendig eben deshalb wieder Körper bestimmter Art sein müssen, weil sie sich der allgemeinen chemi- schen Verbindung des aufgelöseten Körpers mit seinem Auflösungsmittel ent- zogen haben. Beispiele von einem solchen Verhalten lassen sich in grofser über die chemische Ferbindung der Körper. 7 5 7 Menge anführen. Die Bildung der basischen und der sauren Salze ist ein so häufig eintretender Erfolg, dafs er vorzugweise als ein Beispiel dieser Art von Zersetzung angeführt werden kann. Je gröfser die Anzahl der bestimmt gearteten Körper ist, welche durch Versetzung in den tropfbar Nlüfsigen Zu- stand eine allgemeine chemische Verbindung eingegangen sind, desto ver- wickelter werden die Erscheinungen. Nach der Entfernung des Auflösungs- mittels kommen häufig andere, als die mit einander vereingten Arten zum Vorschein. Bei sehr vielen Körpern kennt man zwar schon den Austausch, welcher zwischen den Bestandtheilen der aufgelöseten Körper zur Bildung neuer Arten statt findet, und der Erfolg dieses Austausches ist es, den man die nähere und entferntere Verwandtschaft der Körper genamnt hat; allein unsere Erfahrungen sind noch so überaus beschränkt, dafs sich nur in we- nigen Fällen die Quantität, häufig sogar nicht einmal die Art der Individuen, welche nach der Entfernung des Auflösungsmittels zum Vorschein kommen, im voraus bestimmen läfst. Unter der fast zahllosen jetzt schon bekannten Menge von Verbindungen giebt es nur sehr wenige, die sich durch ihre gänz- liche Unauflöslichkeit in tropfbaren Flüfsigkeiten, oder durch einen hohen Grad von Strengflüfsigkeit, der allgemeinen Verbindung ganz vollständig entziehen und sich als Körper bestimmter Art, oder als ein sogenannter Niederschlag, absondern. Mag aber diese Absonderung plötzlich oder lang- sam erfolgen, so hat sie immer ihren Grund in der Bildung von Körpern bestimmter Art, also in einer Kraft, welcher die allgemeine Verbindungs- fähigkeit der Körper, oder die sogenannte chemische Verwandtschaft, die von jener erst überwunden werden mufs, entgegen wirkt. Nennt man jene Bildungskraft die nähere und entferntere Verwandtschaft, so darf nicht un- berücksichtigt bleiben, dafs sie mit der chemischen Verwandtschaft der Kör- per überhaupt, nichts weiter als den Namen gemein hat. Befindet sich ein zusammengesetzter unorganischer, bestimmt gearte- ter Körper, durch den Zutritt einer tropfbaren Flüfsigkeit oder der Wärme, in einem flüfsigen Zustande, und wird von dem einen seiner Bestandtheile eine gröfsere Menge hinzugefügt, so kann die allgemeine chemische Verbin- dung nur so lange bestehen, als die Flüfsigkeit homogen bleibt. Ob sich, bei der plötzlich oder langsam erfolgenden Verminderung des Auflösungsmit- tels, die vorige oder eine neue Art bildet, darüber kann nur durch Erfah- rung entschieden werden. So weit unsere Kenntnifs reicht, wird sich nur fe) KArstTten dann eine andere als die aufgelösete Art absondern können, wenn die Be- standtheile derselben mehr als eine Verbindungsstufe mit einander eingehen, oder wenn verschiedene Arten dieselben Bestandtheile, aber nach verschie- denen Verhältnissen verbunden, mit einander gemein haben. Hätte es mit dem chemischen Massenverhältnifs von Berthollet seine Richtigkeit, so würde sich aus einer nicht neutralen Flüfsigkeit niemals eine bestimmte Art absondern, sondern es würde nach der Entfernung des Auflösungsmittels ein nach ganz unbestimmten Verhältnissen zusammengesetzer Körper, der eben deshalb kein bestimmt gearteter sein kann, zurückbleiben müssen. Allerdings ist es eine schr merkwürdige Erfahrung, dafs aus den durch den Zutritt einer tropfbaren Flüfsigkeit, oder aus den auf dem sogenannten nassen Wege dargestellten Mischungen, nach Entfernung des Auflösungsmit- tels, immer nur Arten erhalten werden, wenn auch die Verhältnisse der in der Mischung befindlichen Körper, der Bildung von bestimmt gearteten Kör- pern nicht entsprechen. Dieser Erfolg zeigt, dafs dann die Kraft, durch welche die Art hervorgerufen wird, durch die chemische Verwandtschaft, oder durch die Kraft, welche die Körper zu einer gemeinschaftlichen Ver- bindung zusammen zu halten strebt, auf nassem Wege nicht überwältigt wer- den kann. Auch in der erhöheten Temperatur sondern sich aus der ge- schmolzenen, tropfbar flüfsigen Masse, in der Regel nur Arten ab, wenn die Masse durch abnehmende Temperatur nach und nach zum Erstarren ge- bracht wird. Aber ein plötzliches Erkalten verhindert zuweilen die Bil- dung von Arten und es entsteht dann ein nach ganz unbestimmten Mischungs- verhältnissen zusammengesetzter Körper. Die bildende Kraft, welche die Arten hervorbringt, ist dann wirklich von der chemischen Verwandtschaft überwunden. Das graue, aus Eisen und Graphit gemengte Roheisen behält seine Natur, wenn es nach dem Schmelzen langsam erkaltet; durch plötz- liches Erkalten ändert es sich in weifses Roheisen, oder in ein gleichartiges Metallgemisch um, in welchem kein bestimmtes Verhältnifs von Eisen und Kohle gefunden wird. Silikate, aus denen sich durch langsames Erstarren Arten bilden, geben beim plötzlichen Erkalten Schlacken und Gläser von homogener Beschaffenheit, ohne bestimmte Verhältnisse ihrer Mischung. Metalllegirungen aus denen sich durch langsames Erkalten Arten ausbilden, bleiben bisweilen bei einem plötzlichen Erstarren zu einer gleichartigen Masse ohne bestimmte Mischungsverhältnisse vereinigt. über die chemische Ferbindung der Körper. 9 5 p Es scheint daher wohl angemessen, den Begriff von einer chemischen Verbindung nicht auf die Fälle zu beschränken, wo man es nur mit unorga- nischen Arten, nämlich mit Körpern von bestimmten Verhältnissen der Mi- schung, zu thun hat, sondern denselben auf jede homogene chemische Ver- einigung von verschiedenartigen Körpern auszudehnen. Wenn man die Nothwendigkeit anerkennt, dafs von drei oder mehreren, in einer flüfsigen Mischung aufgenommenen Körpern, die chemische Wirksamkeit nicht auf zwei von diesen Körpern beschränkt sein kann; so ist darin eigentlich schon der Begriff von einer chemischen Vereinigung enthalten. Wirklich scheint auch nur der Umstand, dafs die Körper durch das Auflösen in Wasser, oder auch durch den geschmolzenen Zustand, scheinbar nichts von ihrer eigen- thümlichen Natur einbüfsen, zu der Annahme eines mechanischen Neben- einanderseins der Körpertheilchen Veranlassung gegeben zu haben. Es sol- len hier nicht die wichtigen Fragen erörtert werden, warum die Körper ohne die Zwischenkunft von Wasser, oder von Wärme und Licht, überhaupt gar keine chemische Wirkung auf einander äufsern, und warum Wasser und er- höhete Temperatur die Individualität der unorganischen Körperwelt vernich- ten, um die Arten entweder zu einer allgemeinen und unbestimmten Ver- bindung zu vereinigen, oder aus ihnen unter besonderen Umständen neue Arten entstehen zu lassen; sondern die Untersuchung wird sich nur darauf beschränken, den Einflufs nachzuweisen, den die Verbindung der unorga- nischen bestimmt gearteten Körper mit Wasser und Wärme, auf ihre che- mische Wirksamkeit ausübt. Die Ursachen des starren und des flüfsigen Zustandes der Körper sind ganz unbekannt. Deshalb ist es auch unmöglich die Ursachen anzugeben, warum sich einige starre Körper durch tropfbare Flüfsigkeiten, andere durch Wärme in den flüfsigen Zustand versetzen lassen. Man hat vorgeschlagen , einen Unterschied zwischen Lösung und Auflösung zu machen, von der An- nahme ausgehend, dafs bei der Auflösung ein wirklicher chemischer Prozefs statt finde, indem dabei Verbindungen nach bestimmten Verhältnissen gebil- det, durch die Lösung aber nur bereits gebildete chemische Verbindungen im flüfsigen Zustande erhalten würden. Wird zum Kali z. B. Salpetersäure hinzugefügt, so ist das Flüfsigwerden des ersteren nur so lange ein Erfolg der Auflösung, als sich Kali und Salpetersäure in den zur Bildung des Salpe- ters erforderlichen Verhältnissen in der flüfsigen Mischung befinden; setzt man Phys. Abhandl. 1833. B 10 Ku RısmiE»N mehr Salpetersäure hinzu, oder wird der schon gebildete Salpeter vom Wasser oder von verdünnter Salpetersäure aufgenommen und in den flüfsi- gen Zustand versetzt, so ist dies Flüfsigwerden eine Wirkung der Lösung. Ebenso wird das Flüfsigwerden des schwefelsauren Kali in verdünnter Schwe- felsäure so lange als ein Erfolg der Auflösung und nicht der Lösung betrach- tet werden müssen, als das Verhältnifs der Schwefelsäure zur Bildung des doppelt schwefelsauren Kali noch nicht hinreicht; nur dann erst, wenn dies Verhältnifs überschritten wird, tritt die Wirkung der Lösung ein. Wollte man auch die Gründe, welche gegen ein solches mechanisches Nebenein- andersein der Körpertheilchen in einer flüfsigen Mischung sprechen, ganz unberücksichtigt lassen, so würde doch mit dem gemachten Unterschiede nichts gewonnen sein, weil dadurch die Ursache des Flüfsigwerdens des star- ren Körpers nicht einleuchtend wird. Aufserdem wissen wir, dafs keine Auflösung ohne eine Lösung statt finden kann, dafs also beiden Erfolgen eine gleiche Ursache zum Grunde liegen mufs und dafs es daher beim Flüfsig- werden des starren Körpers durch einen tropfbar flüfsigen, ganz unwesent- lich ist, ob sich beide in einem solchen Verhältnifs zu einander befinden, dafs ein bestimmt gearteter Körper gebildet werden kann, oder nicht. Fin- det man, nach der gewöhnlichen Annahme, die Ursache des Flüfsigwerdens des starren Körpers darin, dafs die Anziehung der einzelnen Theilchen des flüfsigen, so wie die des starren Körpers geringer sind, als die gegenseitige Anziehung der Theilchen des starren und des flüfsigen Körpers, so ist dies nur eine Erklärung der Erscheinungen, die wir als den Erfolg der unbe- kannten Kraft betrachten müssen, welche man die chemische Verwandt- schaft genannt hat. Dieselbe Kraft durch welche ein Körper in seiner Indi- vidualität erhalten wird, man nenne sie Flastieität, Cohäsionskraft oder wie man sonst will, kann nicht zugleich die Ursache der Vernichtung seiner In- dividualität sein, indem sie einer solchen Kraft vielmehr geradezu entgegen- wirkt, so dafs zwei entgegengesetzte Wirkungen unmöglich der Erfolg einer und derselben Kraft sein können. Eben so wenig wird man den Übergang in den flüfsigen Zustand als die Wirkung einer gesteigerten Flächenanzie- hung betrachten dürfen, weil nicht eine einzige Erfahrung zu der Hypothese berechtigt, die chemische Verbindung heterogener Körper aus dem Erfolge einer erhöheten Flächenkraft abzuleiten. über die chemische Verbindung der Körper. 11 Weil also aus dem Vorgange bei der Auflösung, oder aus dem Pro- zes des Flüfsigwerdens eines unorganischen Körpers bestimmter Art durch eine Flüfsigkeit, das Wesen dieses Prozesses nicht erkannt werden kann, so bleibt nur übrig, diejenigen Eigenschaften der Auflösung aufzusuchen, aus denen sich mit einiger Zuverläfsigkeit die Folgerung ziehen läfst, ob sie als eine chemische Verbindung, oder als ein mechanisches Nebeneinandersein der Körpertheilchen zu betrachten sei. Was sogleich auffallen mufs, ist das ungemein verschiedene Verhalten der starren Körper zu den flüfsigen. Wäre nur eine mechanische Vertheilung der starren Körpertheilchen zwi- schen den flüfsigen die Ursache des Flüfsigwerdens, so leuchtet nicht ein, warum sich die starren Körper gegen alle Flüfsigkeiten nicht auf eine gleiche Weise verhalten. Findet sich nun, dafs ein starrer Körper durch eine Flüs- sigkeit sehr leicht, durch die andere sehr schwer oder gar nicht in den flüfsi- gen Zustand versetzt wird, und dafs ein anderer starrer Körper gerade das entgegengesetzte Verhalten zeigt; so würde daraus allein schon folgen müs- sen, dafs das Flüfsigwerden nur durch einen wirklichen chemischen Prozefs, durch eine gegenseitige chemische Verwandtschaft des flüfsigen und des star- ren Körpers bewirkt werden kann. Auf den Einwurf, dafs es bei dem Flüfsigwerden des starren Körpers auf das Verhältnifs desselben zu dem flüfsigen gar nicht wesentlich ankomme, dafs sogar die Quantitäten des flüs- sig werdenden starren Körpers von der jedesmaligen Temperatur des Auf- lösungsmittels abhängig sind und dafs daher ein wesentlicher Unterschied zwischen Auflösungen nach bestimmten und nach unbestimmten Mischungs- gewichten gemacht werden müsse, ist gar kein Gewicht zu legen. Die un- bestimmten und von der Temperatur des Auflösungsmittels abhängigen Ver- hältnisse zeigen nur, dafs die Verbindungen der Körper im Zustande der Flüfsigkeit nicht nothwendig immer eine bestimmte Art sein dürfen, sondern dafs sich diese aus den Mischungen nach unbestimmten Verhältnissen, unter den dazu günstigen Umständen, erst absondert. Die Mischungsverhältnisse der Arten sind allerdings ihrem Wesen nach von jeder Temperatur unabhän- gig, und wenn sie bei einer veränderten Temperatur nicht bestehen können, so hören sie auf dieselbe Art zu sein, indem sie in zwei oder mehr neue Ar- ten zerlegt werden. Die flüfsigen Mischungen, welche nach unbestimmten Verhältnissen statt finden, stehen nur in so fern unter dem Einflufs der Temperatur, als für jede Temperatur ein bestimmtes Maximum des starren B2 12 KRursten Körpers vorhanden ist, über welches hinaus, bei gleich bleibender Quan- tität des flüfsigen Körpers, kein Flüfsigwerden des starren mehr möglich ist. Aber auch dieses Maximum des starren Körpers ist, nach der verschiedenen Natur desselben, für die verschiedenen Temperaturen sehr veränderlich. Einige starre Körper sind in niedrigeren Temperaturen auflöslicher, als in höheren; bei einigen ist die Auflöslichkeit in allen Temperaturen bis zur Siedhitze fast ganz gleich; andere werden in höheren Temperaturen in un- gleich gröfserer Menge, als in niedrigeren aufgelöst. Bei einigen scheint die Auflöslichkeit mit den Temperaturunterschieden ganz regelmäfsig fortzu- schreiten, bei andern hat ein Gesetz, von welchem die Auflöslichkeit für die verschiedenen Temperaturen abhängt, noch nicht aufgefunden werden kön- nen. Der Zustand der flüfsigen Mischung, in welchem sie das Maximum des starren Körpers aufgenommen hat, nennt man den gesättigten, und weil g ist, so sind unzählich viele Sättigungsgrade für dieselben auf einander einwirkenden starren und flüfsigen jenes Maximum von der Temperatur abhängi Körper möglich. Zwischen unorganischen Arten und den Verbindungen nach unbestimmten Verhältnissen, findet also der wesentliche Unterschied statt, dafs bei den ersteren weder ein Maximum noch ein Minimum der Mi- schungsverhältnisse denkbar, bei den letzteren aber ein Maximum für den starren und ein Minimum für den flüfsigen Körper in veränderlichen nnd von der Temperatur abhängigen Verhältnissen, vorhanden ist. Dieser Un- terschied ist sehr wichtig und ganz dazu geeignet, über die bei der Auflö- sung vorkommenden Erscheinungen einen Aufschlufs zu geben. .So lange sich nämlich die Körper 4 und 3 in der flüfsigen Mischung noch nicht in dem Verhältnifs befinden, dafs eine Art #+ B entstehen kann, wird die chemische Einwirkung eine ganz andere sein müssen, als wenn dieser Punkt überschritten ist. Ist mit dem chemischen Prozefs wirklich ein elektrischer oder irgend ein anderer Zustand der auf einander wirkenden Körper ver- bunden, so wird der Austausch der Elektrieitäten zwischen 4 und 2 so lange gleichmälsig fortgehen, bis die Mischungsverhältnisse mit denen der Verbin- dung 4-++ 3 übereinstimmen. Weil dies Verhältnifs aber ein unveränder- liches ist, so mulfs es als ein Übergang durch Null für die Elektricitäten be- trachtet werden und über diesen Punkt hinaus kann keine Ausgleichung mehr statt finden. Wenn sich daher auch bei dem Übergange der Mischung in den mit Unrecht so genannten übersättigten Zustand der Flüfsigkeit, an- über die chemische Verbindung der Körper. 113 dere Erscheinungen darbieten, die so lange fortdauern, bis der eigentliche Sättigungspunkt für eine bestimmte "Temperatur ‘eingetreten, d.h. bis die Flüfsigkeit im Minimum und der starre Körper im Maximum vorhanden ist; so wird der Fortgang der Auflösung bis zu diesem Punkt doch immer noch als ein chemischer Prozefs angesehen werden können. Dafs er es aber auch wirklich ist, dürfte sich wohl aus dem specifischen Gewicht der flüfsigen Mischung ergeben, welches nothwendig das mittlere der darin befinlichen Körper sein müfste, wenn über den Punkt 4 + B oder über den Neutrali- sationspunkt hinaus, nur ein mechanisches Nebeneinandersein von /+B mit D oder 4 statt finden sollte. Die Gesetze nach welchen die Abweichun- gen des specifischen Gewichts der flüfsigen Mischung gegen das mittlere spe- zifische Gewicht derselben, bei den verschiedenen Sättigungsgraden erfolgen, sind noch völlig unbekannt, indefs scheint es, dafs die Verdichtungsgrade mit den Sättigungsgraden keinesweges immer im Verhältnifs stehen. Setzt man bei der chemischen Verbindung, eine Durchdringung, also eine Vernichtung der Individualität der Bestandtheile der Mischung voraus, so ist es in der Vorstellung ganz gleichgültig, ob die zu einer flüfsigen Mi- schung verbundenen Körper in bestimmten oder in unbestimmten Verhält- nissen mit einander vereingt sind, weil das Criterium einer chemischen Ver- bindung ganz allein in der Gleichartigkeit der Mischung besteht. Legt man aber atomische Ansichten zum Grunde, so läfst es sich nicht einsehen, wa- rum eine flüfsige Mischung nur alsdann eine chemische Verbindung genannt werden soll, wenn die Mischungsverhältnisse ihrer Bestandtheile denen einer bestimmten Art entsprechen, und warum bei dem Übermaafs des einen Be- standtheils, die Mischung aufhört eine chemische Verbindung zu sein. Die Körpertheilchen sind in beiden Fällen nur neben einander gelagert und wenn die Mischung daher aus den, nach bestimmtem Verhältnifs 4-+ 3 zusammen- gesetzten Körpertheilchen und aus Theilchen von dem überschüfsigen 4 oder B bestehen soll, so würde sie ganz unmöglich gleichartig bleiben können, weil die Atome #-+ B nothwendig gröfser, als die mit ihnen gemengten Atome 4 oder B sein müssen. Denkt man sich aber den Zustand der flüfsi- gen Mischung als ein Nebeneinandersein der Körpertheilchen 4 und 2, so würde bei jedem veränderten Gewichtsverhältnifs von 4 zu B, auch eine Veränderung in der Gruppirung der Körpertheilchen 4 und 2 statt finden und es läfst sich kein Grund auffinden, warum die im Überschufs vorhan- 14 KıAıRrsTen denen Körpertheilchen 7 oder Z in dem Augenblick ganz unthätig bleiben, wenn sich das Individuum 4-+ B durch die richtige Stellung der Körper- theilchen, bei der Entfernung des Auflösungsmittels, absondert. Es giebt indefs noch andere Verhältnisse, aus welchen sich mit grö- fserer Zuverläfsigkeit schliefsen läfst, dafs jede im Zustande der Flüfsigkeit befindliche gleichartige Mischung eine chemische Verbindung ist. Schon der Umstand, .dafs einige Arten nur theilweise in den flüfsigen Zustand ver- setzt werden, indem sich zwei neue Arten bilden, von denen die eine flüfsig bleibt und die andere sich als ein Niederschlag oder auf andere Weise ab- sondert, spricht ganz für die chemische Einwirkung des Wassers bei der Auflösung. Dafs manche im Wasser aufgelöfste Salze durch einen Zusatz von concentrirter Säure niedergeschlagen werden, ist ganz übereinstimmend mit dem Erfolge, den wir als die Wirkung einer näheren Verwandtschaft betrachten. Diese Wirkung besteht aber darin, dafs sich in der Mischung nach unbestimmten Verhältnissen eine Art bildet, welche sich der allgemei- nen chemischen Verbindung entzieht. Aus einer in der gewöhnlichen Tem- peratur gesättigten Auflösung der salpetersauren Baryterde in Wasser, schlägt eine nicht zu sehr verdünnte Salpetersäure fast den ganzen Salzgehalt nieder. Aus derselben Auflösung wird durch concentrirte Salzsäure 'salzsaure Baryt- erde gefällt und der Niederschlag enthält keine Spur von salpetersaurem Baryt. Aus der concentrirten Auflösung von salzsaurer Baryterde wird durch concentrirte Salzsäure ein grofser Theil der aufgelösten salzsauren Baryterde und durch Salpetersäure salpetersaure Baryterde, ‚ohne eine.Spur von salzsaurer Baryterde niedergeschlagen. Eine in der gewöhnlichen Tem- peratur gesättigte wässrige Auflösung von Salpeter, giebt mit concentrirter Schwefelsäure und Salpetersäure keinen Niederschlag, durch Zusatz von eoncentrirter Salzsäure scheiden sich Krystalle von Salpeter und von Di- gestivsalz aus. Concentrirte Salpetersäure und Schwefelsäure schlagen aus einer gesättigten wässrigen Auflösung des Kochsalzes, dieses Salz in reich- licher Menge nieder. Ebenso werden die wässrigen Auflösungen aller Salze die sich in Alkohol nicht auflösen, durch den Zusatz von Alkohol zersetzt, indem die Kraft der chemischen Verwandtschaft, welche sich bei der Auf- lösung in Wasser wirksam zeigte, durch die Kraft, welche die bestimmte Art wieder herzustellen strebt, überwältigt wird. über die chemische Ferbindung der Körper. 15 Soll die Auflösung 'einer Art in Wasser, für eine chemische Verbin- dung deshalb nicht angesehen werden, weil sie sich in den mehrsten Fällen nach der Verflüchtigung des Wassers wieder darstellen läfst, so würden alle nach bestimmten Mischungsverhältnissen zusammengesetzten Verbindungen, die in der gewöhnlichen Temperatur theilweise zersetzt werden, ebenfalls nicht für chemische Verbindungen gehalten werden können. Der Unter- schied besteht zwar darin, dafs bei der Zersetzung der Arten immer wieder andere Arten gebildet werden, welches bei einer nach ganz unbestimmten Verhältnissen erfolgten wässrigen Auflösung, aus welcher sich durch Ver- flüchtigung des Wassers die Art wieder abzusondern strebt, nicht der Fall ist; allein man sieht wohl, dafs der Erfolg in beiden Fällen so genau der- selbe ist, dafs aus einem solchen Verhalten wenigstens kein Grund für die mechanische Vertheilung der Körpertheilchen des Wassers und der darin aufgelösten Stoffe, entnommen werden kann. Hat man aber wirklich einen zureichenden Grund, die Kraft der che- mischen Verwandtschaft derjenigen Kraft durch welche sich die Arten aus einer flüfsigen Mischung absondern, gegenüber zu stellen, so würde auch ein Widerstreben beider Kräfte merkbar werden müssen. Der chemischen Verwandtschaft des Wassers zu dem aufzulösenden Körper, mufs sich die beim Bildungs-Akt desselben thätig gewesene Kraft, deren Wirkung wir in der Cohäsion erkennen, widersetzen; und umgekehrt mufs der wirklich aufge- lösete Körper an der Wiederherstellung seiner Individualität durch die che- mische Verwandtschaft des Auflösungsmittels, bis zu einem gewissen Grade verhindert werden. Überhaupt aber wird sich bei allen chemischen Ver- bindungen und Zersetzungen die Wirkung dieser Kräfte geltend machen müssen. Die Erfahrung zeigt, dafs dies in einem hohen Grade der Fall ist. Die Gröfse des Widerstandes, welchen die Cohäsion bei dem Auflösen der Körper in Wasser ausübt, läfst sich auf eine in die Augen fallende Art nicht angeben, denn die Beschleunigung der Auflösung durch das Zerpulvern des starren Körpers, beruht nur auf einem ganz mechanischen Grunde, indem die Menge der Berührungspunkte zwischen dem starren und dem flüfsigen Körper dadurch vermehrt wird. Mit einiger Zuverläfsigkeit würde sich über die Gröfse dieses Widerstandes urtheilen lassen, wenn man die, zur Auflö- sung bestimmter Quantitäten von den starren Körpern in einer bestimmten Quantität Wasser bei einer und derselben Temperatur erforderliche Zeit, 16 Kursten durch Versuche ausmittelt. Bei diesen Versuchen sind aber manche Um- stände zu berücksichtigen, welche bei der Nichtbeachtung zu ganz entgegen- gesetzten Resultaten führen können. Ganz besonders würde es nöthig sein, die wirklich schon aufgelöseten Theile des starren Körpers augenblicklich aus dem Wirkungskreise zu entfernen, weil auch die concentrirtere wäss- rige Auflösung der weniger concentrirten, bei dem Vermischen mit einander, einen sehr bedeutenden Widerstand entgegen setzt, der sich sichtbar machen läfst, wenn die Flüfsigkeit durch Umrühren oder durch Schütteln in Be- wegung gesetzt wird. Die Vorrichtung bei den Auflösungsversuchen würde daher so getroffen werden müssen, dafs die Entfernung der aufgelösten An- theile des starren Körpers ohne Bewegen der Flüfsigkeit erfolgen kann. Durch die zur vollständigen Auflösung des starren Körpers erforderliche Zeit würde dann, bei einer und derselben Art und bei verschiedenen Tempera- turen, der Einflufs der Wärme auf die Überwindung der Cohäsion, und bei verschiedenartigen Körpern, aber bei einerlei Temperatur, das Verhältnifs des durch Cohäsion bewirkten Widerstandes zu der Auflöslichkeit des Kör- pers überhaupt, ermittelt werden müssen. Es wird sich dann zeigen, ‚ob die Auflösungszeiten ‚mit. der Auflöslichkeit, bei den verschiedenen Arten, immer in gleichen Verhältnissen stehen. — Mit geringeren Schwierigkeiten sind die Versuche anzustellen, aus welchen sich der Widerstand beurtheilen läfst, den die chemische Verwandtschaft des aufgelöseten starren. Körpers zum Wasser, der Kraft entgegensetzt, welche eine bestimmte Art aus der flüfsigen Mischung abzusondern strebt. Weil nämlich der Sättigungspunkt der Auflösung nach der Verschiedenheit der Temperatur veränderlich ist, so würden sich diejenigen Quantitäten des starren Körpers, welche bei einer veränderten Temperatur der Mischung nicht mehr aufgelöst bleiben können, in dem Augenblick absondern müssen, wenn die Mischung den Grad der Temperatur, bei welchem die Vergleichung angestellt werden soll, erreicht hat. Die Erfahrung zeigt aber, dafs die Mischung häufig schon längst eine veränderte Temperatur angenommen haben kann, ehe der Antheil des Kör- pers, welcher vermöge des ihm für diese Temperatur zukommenden Sätti- gungspunktes gar nicht mehr aufgelöst sein sollte, sich abzusondern anfängt. Herr Ogden, der hierüber sehr interessante Versuche angestellt hat (Ja- meson’s Edinburgh. new philos. Journ. XIIL, 309.), nennt diejenigen Auflö- sungen, welche durch die Zurückführung auf eine veränderte Temperatur über die chemische Ferbindung der Körper. 17 gröfsere Quantitäten von dem starren Körper aufgelöst enthalten, als dem Sät- tigungspunkt für diese veränderte Temperatur entspricht, übersättigte Auflö- sungen. Er zeigt, dafs sich mit einigen Individuen schr leicht, mit anderen aber gar nicht, übersättigte Auflösungen darstellen lassen. Obgleich die 8 Versuche deshalb keine grofse Zuverläfsigkeit gewähren, weil die Tempera- turen nicht genau angegeben sind und obgleich das von ihm gefundene Re- sultat: dafs einige Salze gar keine übersättigte Auflösungen geben, wahrschein- lich nicht richtig ist, weil es bei bedeutend grofsen Temperaturdifferenzen gefunden ward; so lehren diese Versuche doch wenigstens, dafs sich die Salze bei der Absonderung aus der Auflösung im Wasser sehr verschieden verhalten. Im Allgemeinen zeigten sich diejenigen Salze, welche in dem Zustande als Individuen Krystallwasser enthalten, am mehrsten geneigt, übersättigte Auflösungen zu bilden, indefs ist dies Resultat keinesweges von allgemeiner Gültigkeit, denn mit dem schwefelsauren Ammoniack und mit dem Doppelsalz aus Schwefelsäure, Bittererde und Rali, erhielt er keine über- sättigte Auflösungen, obgleich beide Salze Krystallwasser enthalten ; das was- serfreie doppelt chromsaure Kali liefs dagegen eine übersättigte Auflösung zu. Dafs sich die chemische Verwandtschaft bei Salzen, welche Krystall- wasser enthalten, in einem höheren Grade wirksam zeigt und die Absonde- rung der Art mehr erschwert, als bei wasserfreien Körpern, kann so wenig befremden, dafs das Resultat vielmehr als eine natürliche Folge der eigen- thümlichen Natur jener Arten betrachtet werden mufs. Noch stärker als bei der Auflösung einer einzelnen Art, zeigt sich aber die Wirkung der chemischen Verwandtschaft und der Kraft, mit welcher sie die Bildung der Art zu verhindern strebt, bei dem Zusammenbringen ver- schiedenartiger Körper. Fast immer wird die Auflöslichkeit des einen Salzes durch ein anderes befördert und die Absonderung der Arten aus einer ge- meinschaftlichen Auflösung bedeutend erschwert. In einer Auflösung, welche viele verschiedenartige Salze enthält, kann das Verhältnifs des Wassers zu den aufgelöseten Arten so geringe sein, dafs die Auflösungsfähigkeit des Was- sers für eine bestimmte Temperatur fast verdoppelt erscheint. Dieser Er- folg erklärt sich nur aus der Wirkung der Kraft, welche alle Individualität zu vernichten und die Arten zu einer gemeinschaftlichen Verbindung zusam- men zu halten strebt. Wie schwierig es oft ist, diese Wirkungen der che- mischen Verwandtschaft zu überwinden, davon geben die sogenannten Mut- Phys. Abhandl. 1833. C 18 KARSTEN terlaugen bei der Kochsalz- Salpeter- und Alaun-Fabrikation u. s. f. beleh- rende Beispiele. Es ist fast unmöglich aus den letzten Laugen noch Arten zu erhalten, sondern es bilden sich leicht auflösliche und schon an der feuch- ten Luft zerfliefsende Gerinnungen, die das Streben der Natur: Arten zu bil- den und sie der allgemeinen chemischen Vereinigung zu entziehen, kaum noch zu bekunden scheinen. Ganz so wie diese leicht auflöslichen Gerinnun- gen, verhalten sich auch die schmelzbaren Körper in der höheren Tempe- ratur. Je zusammengesetzter das Gemenge ist, desto mehr wird die Schmelz- barkeit befördert, die Individualität vernichtet und eine allgemeine che- mische Verbindung erleichtert. Die leichtflüfsigen Metallgemische, welche schon bei einem bedeutend niedrigeren Grade der Temperatur schmelzen, als jedes einzelne Metall welches dazu angewendet wird, sind kaum noch ein Analogon von jenen Salzgerinnungen, sondern wahrscheinlich schon wirkliche chemische Verbindungen nach ganz unbestimmten Verhältnissen, bei denen die Kraft durch welche die Arten abgesondert werden, dem Stre- ben zu einer allgemeinen chemischen Verbindung unterlegen ist. Geht aus den angeführten Beispielen die der Bildung von Individuen entgegenstrebende Wirkung der chemischen Verwandtschaft deutlich hervor, so fehlt es auch nicht an Erfahrungen, dafs die chemische Einwirkung der Körper auf einander durch die Gohäsionskraft der bereits gebildeten Arten in einem hohen Grade geschwächt, zuweilen sogar völlig verhindert wird. Man kennt jetzt schon eine gröfsere Anzahl von Arten, welche nur unter ge- wissen Umständen willig und leicht eine chemische Verbindung eingehen und unter andern Umständen derselben durchaus widerstehen, ohne dafs eine chemische Mischungsveränderung mit ihnen vorgegangen zu sein scheint. Von diesem noch ganz problematischen Verhalten der Körper ist hier nicht die Rede, sondern von denjenigen in der Natur vorkommenden unorganischen Arten, bei welchen durch die Einwirkung anderer Körper ein Austausch der Bestandtheile, d.h. die Bildung neuer Arten nothwendig statt finden müfste, so dafs der entgegengesetzte Erfolg nur ganz allein in dem durch die Cohä- sionskraft bewirkten Widerstand begründet sein kann. Der Gips (das natür- liche Marienglas), wird durch die wässrige Auflösung der salzsauren Baryt- erde nach lange anhaltendem Sieden nur so unvollständig angegriffen, dafs die glänzende Oberfläche der Gipstheilchen verschwindet und einen matten Überzug erhält. Die kohlensaure Baryterde, der Witherit, verändert sich über die chemische Verbindung der Körper. 19 nicht durch lange anhaltendes Sieden mit wässrigen Auflösungen von schwe- felsaurer Bittererde, schwefelsaurem Zinkoxyd, schwefelsaurem Kupferoxyd und schwefelsaurem Natron. Ebenso wenig erleidet das kohlensaure Blei- oxyd, der natürliche Bleispath, durch Sieden mit schwefelsaurer Bittererde, schwefelsaurem Kupferoxyd und schwefelsaurem Natron eine Veränderung. Das kohlensaure Zinkoxyd (natürlicher Galmei), und die kohlensaure Kalk- erde (carrarischer Marmor) werden nicht zersetzt durch Sieden mit wässrigen Auflösungen von schwefelsaurer Bittererde, schwefelsaurem Natron, schwe- felsaurem Silberoxyd und von keinem salz- und salpetersaurem Salze. Auch das natürliche schwefelsaure Bleioxyd wird nicht durch eine wässrige Auflö- sung von salzsaurer Baryterde, wohl aber von kohlensaurem Natron zerlegt. Durch eine mehrere Monate fortdauernde Einwirkung einer wässrigen Auf- lösung des schwefelsauren Kupferoxyds auf Galmei, Marmor und Spath- eisenstein, konnte nur eine schr spärliche Zerlegung bewirkt werden, indem eine schwache Rinde von Malachit die Oberfläche der genannten Körper bedeckte. Eben diese schwache Einwirkung nach Verlauf von 5 Monaten zeigte sich auch bei dem Witherit und Bleispath mit den wässrigen Auflösun- gen von den vorhin genannten schwefelsauren Salzen, so wie bei dem Ma- rienglas mit der salzsauren Baryterde. Die in der zu erwartenden Weise er- folgenden Zersetzungen erfordern daher wahrscheinlich eine Reihe von Jah- ren zur gänzlichen Vollendung des Processes. Das mit hydrothionigsaurem gemischte hydrothionsaure Ammoniack, welches einen Theil seines Schwefels so leicht an die Metalle abgiebt und sich in hydrothionsaures Ammoniack umändert, aber auch die Metalloxyde für sich und in ihren Verbindungen mit Säuren so leicht und schnell in Schwefelmetalle verwandelt, zeigt ein sehr verschiedenartiges Verhalten ge- gen jene Körper, welches wahrscheinlich auch nur durch die Kohäsionszu- stände derselben veranlafst wird. Unter den Metallen welche ich in dieser Hinsicht geprüft habe, wurden Gold, Platin und Titan gar nicht, Blei, Wis- muth, Eisen und Zink nach Verlauf von 14 Tagen auf eine kaum bemerk- bare Weise, Quecksilber und Messing ziemlich langsam, Kupfer sehr schnell, und Silber sogleich in Schwefelmetall umgeändert. Der Arsenikalkies, oder die natürliche Legirung des Eisens mit Arsenik, erleidet nicht die ge- ringste Veränderung. Arsenik, Antimon und Zinn werden langsam aufge- löfst. Unter den in der Natur vorkommenden Metalloxyden und oxydirten C2 20 Kınsten über die chemische Verbindung der Körper. Verbindungen werden gar nicht verändert: Galmei, Kieselzinkerz, Spath- eisenstein, Magneteisenstein, Eisenglanz, Rotheisenstein, Brauneisenstein, Titaneisenstein, Chromeisenstein, Franklinit, Melanit, Zinnstein, Wolfram, Tungstein, Rothbleierz, Würfelerz (arseniksaures Eisen), Dioptas. Sehr langsam ist die Einwirkung bei dem Graubraunsteinerz, Gelbeisenstein, Raa- senerz, Libethkupfer und Kupfererz von Rheinbreitbach (beide phosphors. Kupfer), Olivenerz (arseniks. Kupfer), Kupferlasur, Rothkupfererz, und zwar in der angeführten Folge langsamer und schneller. Sehr bald, und zwar ebenfalls in der angeführten Folgeordnung schneller, erfolgt die Ein- wirkung bei Malachit, Grünbleierz von Johann-Georgenstadt, wobei das entstehende Schwefelarsenik aufgelöst wird, bei dem Grünbleierz von Zschop- pau, bei der künstlichen Bleiglätte, bei Hornsilber, Chlorblei (künstlichem, geschmolzenem), bei dem Arsenikglas (künstlichem, welches ganz aufgelöfst wird), bei Bleivitriol, Weifsbleierz, und Weifsspiefsglanzerz (welches eben- falls ganz aufgelöfst wird). Das künstlich dargestellte Eisenoxyd, welches sich vor dem Glühen fast augenblicklich in Schwefeleisen umändert, erlei- det nach dem Glühen kaum eine Veränderung. Alle diese Beispiele zeigen den wesentlichen Einflufs der Cohäsions- verhältnisse auf den chemischen Procefs, so wie das Entgegenwirken des letzteren bei der Bildung der Arten aus einer flüfsigen Mischung. Sollte sich aber aus den angestellten Betrachtungen ergeben haben, dafs die Kraft, welche man die chemische Verwandtschaft genannt hat, nur ein allgemeiner Ausdruck für die Verbindungsfähigkeit der Körper überhaupt ist, und dafs jede gleichartige Mischung im flüfsigen Zustande als eine wirkliche chemische Vereinigung der in der Mischung befindlichen Körper angesehen werden mufs, wobei es auf die Verhältnisse derselben in der Mischung gar nicht an- kommt, so wird näher zu untersuchen sein, ob die Kraft, durch welche sich aus den flüfsigen Mischungen die Arten absondern, immer und ohne alle Rücksicht auf Quantitätsverhältnisse nach denselben Gesetzen wirksam ist. np Diem Über Terebrateln. Von H'": von BU CH. nananmnnndyanVVn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 7. März 1833.] Nie ohne Geist hat man die Muscheln, welche in Gesteinschichten um- hüllt liegen, mit alten Münzen verglichen. Diese bestimmen oft mit grö- ster Sicherheit das Dasein und die Lage von Städten und Landschaften, sie unterrichten über Sitten und Gebräuche, über ungeahnete Verbindung der Länder; sie individualisiren einzelne Punkte im gleichförmig scheinen- den Strome der Zeiten durch Vorführung von Helden und Königen, und durch diese wieder erhalten wir nicht selten die, ohne sie wenig gekannte chronologische Folge der Begebenheiten. So sind auch die Muscheln. Was durch Überlieferung gar nicht fort- geführt werden kann, die Epochen der Formationen, geht oft aus dem An- blick weniger Muscheln hervor. Eine neue Welt wird uns durch diese Ge- stalten eröffnet, die nothwendige Vorhalle unserer jetzigen Schöpfung, und durch ihre Kenntnifs erhalten wir nicht nur die Geschichte der Erde, son- dern auch zugleich die Geschichte des Lebens. Die Vergleichung läfst sich noch weiter fortsetzen. Durch ihren blo- fsen Anblick oder durch isolirte Untersuchung eines einzelnen Stücks erzäh- len die Münzen so aufserordentliche Dinge nicht. Ihre Sprache mufs erst verstanden, sie mufs daher vorläufig erlernt werden, und dazu gehören sehr mannigfaltige und weit umherliegende Kenntnisse. Auf gleiche Weise ist die Belehrung der Muscheln sehr eingeschränkt, und sogar trüglich, wenn nicht vergleichende Zoologie, Geographie der Meere und viele ähnliche Kenntnisse vorläufig zu Rathe gezogen, ja gründlich studirt werden. Nur dann erst wird man es wagen dürfen, der Geoguosie als eigenthümliche 22° wBeeh Arten, welche zu geognostischen Schlüssen berechtigen, verschieden gebil- dete Gestalten vorzuführen, oder zu vereinigen, was durch isolirte Unter- suchung für verschieden gehalten worden sein würde. Die Zoologen haben sich mit der Bestimmung dieses geognostischen Alphabets immer noch gar wenig beschäftigt, und wenn es geschehen ist, nicht eben mit Glück. Sie haben es den Geognosten überlassen, und diese behandeln die Muscheln, wie ehemals die Mineralien selbst. Ohne nach den inneren Gründen zu fragen, haben sie Arten aus Jeder äufseren Verschie- denheit gebildet, sie möge nun aus äufseren, wandelbaren und zufälligen Ur- sachen, oder aus der Organisation der Thiere entspringen, welche diese Ge- häuse bewohnten. Der verderbliche Einflufs aber solcher leichtfertigen Be- stimmungen ist so empfindlich und so schädlich, dafs auch jeder rohe Ver- such, sich aus diesem wilden Chaos von Arten zu etwas Besserem zu erhe- ben, als nicht ganz verdienstlos angesehen werden darf. Nächst den Ammoniten kann der geognostischen Betrachtung der For- mationen kaum ein Geschlecht wichtiger sein, als dafs der Terebrateln, da sie in jeder Sediments-Formation vorkommen, und fast in jeder in einer characteristischen, in anderen Formationen wenig oder gar nicht wieder er- scheinenden Form. Aber eben dieser Mannigfaltigkeit wegen hat sie das Schicksal der Speciesverwirrung fast härter, als jedes andere Muschelge- schlecht getroffen, und so hoch verdienstlich, ja so unentbehrlich die schö- nen Zeichnungen von Sowerby, seine gute und genaue Beschreibungen auch sein mögen, so kann man doch auch diese Bemühungen kaum anders, als nur eine, mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit veranstaltete Sammlung von Materialien nennen. Dallmann hat nur die Geschlechter untersucht, wel- che mit Recht von den Terebrateln getrennt worden sind, die Terebrateln selbst wenig. Und Lamarck, Defrance oder Deshayes haben dem Ge- genstand ein sorgfältiges Studium nicht zugewandt, sondern sich gröfsten- theils mit Beschreibung einzelner Individuen begnügt. Geschichte der Terebrateln. Fabio Colonna aus dem alten, berühmten, noch jetzt blühenden Geschlecht der Colonna zu Rom, Enkel eines Vicekönigs von Neapel, der selbst ein Neffe des Pabstes Martin V war, Fabio Colonna, geboren im Jahr 1567, an Genauigkeit und Geist der Auffassung in der Naturforschung über Terebrateln. 283 seinem Zeitalter weit überlegen, ist nach dem Zeugnifs aller seiner Nach- folger der Erste gewesen, welcher seine Aufinerksamkeit auch auf Terebra- teln gerichtet und sie beschrieben hat. Man findet einige dieser Terebrateln gut und deutlich abgebildet in dem Anhange zu Colonna’s 1616 zu Rom gedruckten Tractats de Purpura, und zur Erläuterung sagt er: unter den von Plinius aufgeführten Kenn- zeichen der Muscheln fänden sich keine, welche sich auf die Ungleichheit der Schaalen bezögen; daher: ‚„„dnomias conchas illas esse dieimus, qua- rum altera pars cohaerens aliquo modo ab altera effigie, aut magnitudine aut utrogue modo differat. avoucıs quidem contrarium est verbi vous, quod est similis, par, aequalis, scilwet dissımilis, impar, inaequalis.” Und nun giebt er Abbildungen, welche beweisen, dafs er unter diesen Anomien sowohl glatte als gefaltete Terebrateln verstand, und keine andere Arten von Mu- scheln. Fig.1. ist Terebratula ornithocephala, fig. 4. Terebr. biplicata, die beiden Arten, welche an der Spitze zweier Reihen von glatten Terebrateln sie besonders auszeichnen ; sie werden nach ihm in Menge bei der apulischen Stadt Andria gefunden. Dann folgt 4nomia triloba, eine gefaltete, durch eine tiefe Rückenfurche in drei Theile getheilte, ‚‚lacunosa, senis strüs, tolı- demque strigibus in singulis lobis.” Diese Terebratel nennen wir noch Jetzt Terebratula lacunosa. Colonna’s Werke hatten einen tiefen Eindruck auf die Naturforscher gemacht. Was ihm merkwürdig gewesen war, mulste auch andern so scheinen, und daher ist nicht leicht später, bis weit über die Mitte des vorigen Jahrhunderts, nur irgend ein conchyologisches Werk erschienen, welches nicht der concha anomia des Fabius Columna erwähnte. Als Mar- tin Lister in Oxford mit feinem und richtigem Blick die Muscheln aus dem Chaos, in welchem sie sich befanden, nach Verwandtschaften zusammenzu- stellen und zu ordnen anfıng, Familien, von denen viele noch gegenwärtig benutzt werden, als er diese verständige Eintheilungen in seinem conchyo- logischen Meisterwerke im Jahre 1685 bekannt machte, war auch die Concha anonnia von ihm nicht übersehen worden. Allein er hatte Colonna’s Cha- rakter der Ungleichheit der Schaalen zu weit ausgedehnt, und weiter, als es Colonna zugegeben haben würde; und durch diese Ausdehnung fanden sich mit Terebrateln Gryphiten, Austerarten und noch andere Muscheln mit einander vereinigt. Lister beschäftigte sich mehr mit der Kenntnifs der Sachen, als mit Namen, und der Gewohnheit seiner Zeit gemäls, unterschied 24 v. Buch er die einzelnen Arten durch Phrasen, welche oft Definitionen, ja wohl auch ganzen Beschreibungen gleich kamen. Das Gedächtnifs war nicht im Stande, durch einen kurzen, nur allein der bezeichneten Sache zukommenden Aus- druck sich die Vorstellung dieser Sache vollständig zurückzurufen. Man konnte nichts im Gedächtnifs vergleichen, Ähnlichkeiten und Verschieden- heiten mufsten unmittelbar an den Gegenständen selbst oder in den langen Beschreibungen aufgesucht werden, die doch alle Kennzeichen nur einzeln, nicht wie ein Name, im Gesamt-Eindrucke gaben, und das Studium der Naturkunde ward hierdurch ungemein zurückgehalten und erschwert. Lis- ter's Zeitgenofs und mit ihm Aufseher des Ashleyischen Museums zu Ox- ford, der Walliser Arzt Eduard Llwyd, der ihm an Kenntnifs, Umsicht und Scharfsinn sehr weit zurückstand, mag doch wohl etwas von der Unbe- quemlichkeit eingesehen. haben, welche aus der Gewohnheit der Phrasen entsprang; auch wird diese Art einem Cabinetsverwalter wirklich zu einer mechanischen Schwierigkeit, wenn er die gesammelten Sachen mit Zetteln bezeichnen will; — und daher mag es wohl herrühren, dafs auf den Zetteln seiner eigenen Sammlung, welche Llwyd im Jahr 1698 unter dem Titel Lithophylacium britannicum ‚herausgab, sich eine grofse Menge neu erfunde- ner Namen finden, einige so glücklich gewählt, dafs sie sich seitdem immer erhalten haben; wie Alveola, Gryphites, Plagiostoma, Trigonella, Crenatula, andere, die immer eine gröfsere Beachtung verdient hätten; wie Hamellus, für die viel später sogenannten Rhynecoliten; Strigosula, Haeretula und an- dere mehr. Hier erscheint nun auch zum ersten Male der Name der Tere- bratula, und..dies ohne im Mindesten zu erwähnen, dafs es die Anomia des Colonna oder dafs sie unter Lister’s Anomien vorzüglich verstanden sei. Auch wäre sie vielleicht mit den anderen Namen wieder verschwunden, hätte nicht zu derselben Zeit der Lucerner Arzt Carl Nicolaus Lange die Ver- steinerungen der Schweiz mit grofsem Fleifs gesammelt und mit vieler Sorg- samkeit beschrieben. Ihm war weder Lister noch Llwyd unbekannt, aber da er unter Lister’s 4nomia Gryphiten und Terebrateln vereinigt fand, so gab er Llwyd’s Unterscheidung den Vorzug, welcher ungleichschaalige, durchbohrte Muscheln von den nicht durchbohrten absonderte. Lange’s Buch ward durch Verwendung des Grafen Trautmannsdorf, österreichi- schen Gesandten in der Schweiz, im Jahr 1706 in Venedig gedruckt; und dadurch geschahe es, dafs es in Italien sehr bekannt wurde, so sehr, dafs . über Terebrateln. 25 spätere italienische Conchyologen, Gualtieri, Bonanni, die 4nomia des Colonna ganz vergessen haben und nur Teerebratula kennen. Johann Ja- cob Scheuchzer, ein fleifsiger Zusammentrager, dem aber nicht viel Ei- genthümliches gegeben war, vertraute sich ganz der Führung von Lange und verbreitete seine Meinungen und seine Ansichten durch Deutschland. Daher wissen auch deutsche Petrefactologen älterer Zeit, Bayer und Walch, nur von Terebrateln zu reden. Die Herrschaft des Namens schien völlig er- rungen und Colonna’s /nomia gänzlich verdrängt. Da ereiferte sich Linne; seinen Princeipien der Priorität getreu, kehrte er in der 12“ Ausgabe des Na- tursystems zur A/nomia zurück und erwähnte der Terebratula fast gar nicht. Dafs er aber von ihr, und, wie Colonna, von keiner anderen Muschel re- den wollte, ist aus seiner Charakteristik ganz offenbar. Sie ist folgende: „„Änimal, corpore ligulata, emarginata, ciliata; e:lüs valvae superioris affixis ; brachüs linearibus, corpore longioribus, conniventibus, porrecüis, valvae alternis utrinque ciliatis, cilüs affıxis valvae utrinque. Testa inaequivalvis,; valva al- tera planiuscula, altera basi magis gibba; harum altera basi saepe perforata. Cardo cicatriculae lineari prominente, introrsum dente laterali, valvae vero planioris in ipso margine.” — So undeutlich, ja unrichtig diese Beschreibung auch sein mag, so erkennt man doch leicht, wie sehr gut Gray und Blain- ville bemerken (Diet. d’hist. natur., Art. Tereb.), die mit Franzen besetzten Arme der Terebrateln, und nichts, was den austerartigen Anomien zukom- men könnte. Allein die grofse Hochachtung, welche Linne für Lister em- pfand, verführte ihn, seiner /nomia noch alles beizufügen, was Lister da- hin gerechnet hatte, daher Auster- Anomien, Gryphiten und auch schon die Calceola der Eifel. Linne&’s Ansehn entschied. Die #/nomia trat überall wieder auf; häufig als 4nomia Terebratula, häufig allein. Auch Chemnitz in seinem grofsen Conchylienwerk von 1785 braucht den Namen der Tere- bratel nur als Synonym der älteren Schriftsteller. Allein unglücklicherweise für seinen Zweck hatte Linn die nur tolerirten Auster- Anomien an die Spitze der Reihe gestellt, um dieses Geschlecht mit der ihm vorangehenden Auster in Verbindung zu setzen, und das wagten die meisten seiner Nach- folger nicht zu verändern. Nur Otto Friedrich Müller, der berühmte dänische Zoolog, führt die Terebratel wieder einzeln auf; denn er war es zuerst, der, auf sorgfältige Untersuchung der Thiere, und sogar auf Linn&€’s eigenen Ausspruch gestützt, die Vereinigung der Linneischen Anomienarten Phys. Abhandl. 1533. D 26 v. Buch für unmöglich hielt. Das ergriff Bruguieres, als er 1788 mit starkem und kräftigem Geist der ganzen Gonchyologie eine neue und bessere Gestalt gab. Er trennte die so ungleichartigen Anomien in vier oder fünf verschiedene Geschlechter, behielt den Namen nur allein für die Abtheilung, welche sich an der Spitze der Reihe befand, und setzte die Terebratel in die usurpirten Rechte wieder ein. Diesen Bestimmungen drückte endlich Lamarck das Siegel auf, als er zuerst im Systeme des animaux sans vertebres von 1801, dann in seinem gröfseren Werke über skeletlose Thiere, alle diese Gestal- ten mit hellem und das Ganze umfassenden Blicke ordnete und beschrieb. Der Name der 4nomia verblieb seitdem einem kleinen Geschlecht, dem er er von keinem der älteren Conchyologen, am wenigsten von Fabio Co- lonna, bestimmt war, und die Terebratel befestigte sich so vollständig in den unrechtmäfsigen Besitz, dafs, sie jetzt wieder daraus vertreiben zu wol- len, eben so wenig gelingen würde, als es den deutschen Geographen ge- lungen ist, den transatlantischen Freistaaten zu beweisen, dafs sie nicht Ame- rica, sondern Columbien bewohnen. Das haben schwache und ganz mifs- glückte Restaurationsversuche von Martin in England, von Brocchi in Mailand und von Wahlenberg in Upsal hinreichend bewiesen. Die Terebratel war hierdurch zwar wohl auf ihre ursprüngliche, von Fabio Colonna der Anomia bestimmte Grenzen zurückgeführt worden, doch war man noch weit entfernt, zur Kenntnifs ihrer wahren Natur gekom- men zu sein. Das Verdienst, diese gehörig erkannt und in allen ihren Verbin- dungen aufgefafst zu haben, gebührt Cuvier, und ihm nur allein. Das er- weist ganz einleuchtend das gerechte Erstaunen, in welches die Naturforscher geriethen, als Cuvier 1802 seine vortrefflliche anatomische Zergliederung der Zingula bekannt machte (Mem. du Musee I, 69.), und der Einflufs, von welchem sie sogleich nach ihrem Erscheinen war. Mit kräftiger land und mit wenigen Worten hatte Cuvier schon selbst den Gang vorgezeichnet, den die Naturforscher nun gehen müfsten, uud dem sie auch wirklich gefolgt sind, oft mit sichtlichem Widerstreben, oft ohne den Meister zu nennen oder zu ahnden, der ihnen nicht blofs die Bahn gebrochen hatte, sondern auch ihnen immer noch voranleuchtete. Der Bau der Zingıda, sagt Cuvier, ist so sonderbar und so sehr von dem anderer Bivalven verschieden, dafs für sie allein eine neue Classe von Mollusken gebildet werden müfste. Aber sie steht nicht allein. Otto Friedrich Müller’s Untersuchungen haben über Terebrateln. 27 gezeigt, dafs dies auch die Form der sogenannten Patella anomala der nor- wegischen Meere sei; Poli’s Zergliederungen, dafs die Patella conica des Mittelmeeres eben so gebaut sei; endlich erweisen die wenigen Zeichnungen lebendiger Terebrateln, dafs auch sie zu dieser neuen Classe gehören, welche durch Mangel von Kopf und Fufs und durch zwei mit Franzen besetzte be- wegliche Arme sich von allen übrigen Organisationen wesentlich unterschei- den. Dafs nun Dumeril für diese ausgezeichnete Classe den Namen der Brachiopoden erfand, dafs er sie zuerst in ein System aufführte, kann schwerlich als etwas ihm Eigenthümliches, sondern im Grunde nur als eine Anwendung der Cuvierschen Entdeckung angesehn werden. Die Systema- tiker ergriffen lebhaft diese Classe, und ohne der Kenntnifs der Geschlech- ter, aus denen sie besteht, irgend etwas Wesentliches zuzufügen, glaubten sie sich ein Verdienst zu erwerben, sie bald am Anfang der Mollusken zu setzen, bald an das Ende, und in ihr noch andere Geschlechter zu bringen, welche dahin gar nicht gezählt werden konnten. So thaten es Bosc, de Roissy, Ferussac, Latreille, endlich auch Blainville, der sogar den nun schon völlig gangbaren Namen der Brachiopoden ohne Nothwendigkeit in den von Palliobranchien umändern wollte. Nur Lamarck ging einen Schritt weiter und trennte, von Cuvier aufgeregt, auch die Cirrhipoden von den Mollusken; Cuvier selbst aber zeigte schon 1817 in der ersten Ausgabe des Regne animal, dafs die Brachiopoden als eine ganz gleich ste- hende Classe zwischen den Acephalen und Cirrhipoden, und nirgends an- ders aufgeführt werden müfsten; und diese Ansicht wird auch wahrschein- lich noch auf viele Jahre hinaus die fast aller gründlichen Naturforscher bleiben. Wichtiger als alle diese systematische Künsteleien, denen sich in Deutschland auch Oken und Schweigger anschlossen, waren für die Kenntnifs der Terebrateln die Bereicherungen, welche wir den Bemühungen des trefflichen Sowerby verdanken. Seine Abbildungen und Beschreibun- gen sind nicht allein so genau und lehren einen so grofsen Reichthum von Formen erkennen, wie man sie vorher auch nicht einmal vermuthet ha- ben würde; sondern er geht noch weiter und zeigt, dafs einige Formen durch eine Art von innerem spiralförmigen Knochengerüst, andere wieder durch die aufserordentliche Verlängerung der oberen Schaale über der un- teren sich so sehr von anderen Terebrateln unterscheiden, dafs man sie nicht D2 28 vaBuch ohne Zwang mit ihnen vereinigen kann; er bildete daher und beschrieb 1812 sein neues Genus der Producta, und im Laufe des Jahres 1816 das des Spi- rifer, beides Geschlechter, welche sogleich angenommen wurden und sich auch ohne Zweifel unter den besseren und bestimmteren Namen von Dall- mann, Zeptaena und Delthyris, erhalten werden, des Widerspruchs ohn- erachtet, den der kenntnifsreiche Deshayes noch 1831 dagegen erhob, sobald nur Sowerby’s Bestimmungen genauer aufgefafst und besser um- gränzt sind, welches indessen, unbenutzt, schon 1809 sein trefflicher Vor- gänger W. Martin (Fossilia Derbiensia p.6.) gethan hatte. Andere neu gebildete Geschlechter, Pentamerus und Magas von So- werby, Strophomena, Strigocephalus, Thecidea, Chorisütes, Gypidıa, Atrypa, Cyrthia, halten entweder eine strenge Prüfung nicht aus, oder sind doppelte Namen für schon vorher benannte Formen. Nur Dallmann’s analytische Verdienste verdienen unter diesen neueren Arbeiten ausgezeich- net zu werden. Hat er auch in seinem 1828 in den Abhandlungen der Stock- holmer Akademie bekannt gemachten Aufsatz über Terebrateln manche Kennzeichen, welche ihn Geschlechter zu bilden vermochten, nicht gehörig und aufmerksam genug auf alle ihre Verbindungen, durch die ganze Classe durchgeführt, so hat ihn doch ein sichtliches und aufrichtiges Bestreben nach Genauigkeit und Bestimmtheit Vieles bemerken lassen, welches anderen Be- obachtern entgangen war, und viele vorher unbekannte Gestalten sind durch ihn bekannt gemacht worden. Von den Eigenschaften der Terebrateln. Alle Brachiopoden ohne Ausnahme sind ohne Kopf. Sie haben da- her auch keine Augen, keine Ohren, keine Zunge. Es entgehen ihnen alle äufsere Sinnesorgane. Da sie noch dazu zwischen zwei Schaalen eingeschlos- sen sind, so scheint bei dem ersten Anblick kein Zweifel, dafs auch sie zur grofsen Classe der Bivalven, zu den Acephalen oder Kopflosen von Cu- vier gerechnet werden müssen. Allein sie unterscheiden sich von allen übri- gen Muscheln, von welcher Art sie auch sein mögen, durch eine, nur ihnen allein zukommende, höchst merkwürdige Eigenschaft, welche bei Betrach- tung fossiler Terebrateln und bei der Bestimmung ihrer Arten von der gröfs- ten Wichtigkeit ist. Es ist die genaue und vollständige Symmetrie ihrer Theile. So wie die eine Seite, so ist auch die andere gebaut; so dafs, über Terebrateln. 29 wenn man eine Muschel dieser Classe ihrer Länge nach in der Mitte, und rechtwinklich auf dem Schlofsrande, zertheilt, die eine Hälfte genau das Abbild der anderen wird, nur dafs in der einen rechts liegt, was auf der an- deren sich auf der linken Seite befindet. Das ist bei jeder anderen Muschel unmöglich, selbst auch bei jedem anderen Thiere höherer Ordnungen; denn immer bliebe doch das Herz auf der einen, die Leber auf der anderen Seite. Terebrateln aber haben zwei Herzen, auf jeder Seite eins, und zwei Bluts- umläufe, unabhängig von einander, aufser wo sie mit den Ernährungsorga- nen zusammenhängen. Der Mund, der Magen, der Darmkanal liegen in der Mitte und nehmen vom Gehäuse des Thieres nur einen sehr kleinen Raum ein. Bei der Theilung der Muschel würde jedem Theile genau eine Hälfte dieser Ernährungsorgane zufallen. Mit gleicher Symmetrie sind alle Mus- keln vertheilt und auch die beiden, mit sonderbaren Franzen besetzten Arme, welche die Stelle des unsymmetrischen Fufses anderer Bivalven einnehmen. So sehr und mannigfaltig diese Arme sich auch in den verschiedenen Arten biegen und wenden, so folgt doch stets der eine Arm genau den Bewegun- gen des andern, und die geringste Formänderung auf dem einen ist von dem andern auf dieselbe Art wiederholt. Diese Symmetrie mufs daher auch auf der äufseren Schaale sich wiederholen, und beide Hälften einer Schaale wer- den bis auf die geringste Kleinigkeit umgekehrt einander ähnlich sein müs- sen. Diese merkwürdige und auffallende Erscheinung würde allein schon die Bildung einer ganz eigenen Classe von Thieren begründen. Die Terebrateln sind daher als zwei Individuen zu betrachten, welche, wenn auch in verschiedenen Wohnungen, dennoch sich zu einer gemein- . schaftlichen Haushaltung vereinigt, und der Bequemlichkeit wegen, diese Haushaltung zwischen ihren beiden Wohnungen unter ein gemeinschaftliches Dach gebracht haben. Der allen Bivalven eigenthümliche Mantel, die Haut und Hülle der Thiere, aus deren äufserer Oberfläche die Schaale hervortritt, umgiebt auch diesen Terebratelzwilling und ihre gemeinschaftlichen Organe. Dort nun, wo diese letztere aufhören, in der Mitte der Länge, hat der Man- tel nichts mehr zu umhüllen. Er fällt daher zusammen und bildet bis zum Rande eine tiefe Furche, Rinne oder Graben zwischen beiden Individuen nach der Länge des Rückens. Deshaib wird die Einsenkung des Rückens am Rande jeder Terebratel oder der ihr ähnlichen Gestalten für sie Gesetz und entwickelt sich unmittelbar aus der Eigenthümlichkeit dieser Thiere. 30 v. Bucı Es giebt eine Terebratel, welche diese Öconomie der Natur vortreff- lich erläutert: es ist die, welche Catullo in Padua vor einigen Jahren (1827) neu entdeckt zu haben glaubte, in seiner Zoologia fossile unter dem Namen von Terebratula antinomia beschrieb und (Tab.V, p.1.) schlecht abbilden liefs. Allein sie war schon längst vorher, und besser, von Bruguieres in der Encyclopedie methodique (T.240. 4, a.b.) vorgestellt worden, und dann wieder von Parkinson (Org. Rem. Il, 16, fig. 4.). Der letztere hatte sie beschrieben und Terebr. triquetra genannt. Lamarck gab ihr den Namen Terebr. deltoidea. (Bronn. Min. Zeitschr. 1828. 463. Graf Münster Jahrb. der Min. 1831. 431.). Doch ein älterer Name hatte schon längst die Prio- rität; um so mehr, da er von einer vortrefflichen Beschreibung begleitet ist und von einer Abbildung, welche das Auszeichnende und Lehrreiche der Form viel besser aufgefafst hat, als alle späteren Nachfolger. Er ist von Fabio Colonna und findet sich am Ende seiner Zophasis stirpium minus cognita- rum. Romae 1616, p.49. (Fig.12. ist die Copie von Colonna’s Figur.) „Diphyam dicimus concham, sagt Colonna, non quod ancıpilis sit natu- rae aut duplicis, ex genitalium maris et foeminae effigie, quam in summo ver- ice exprimi putatur, sed Diphyam, qua duplex, sive bifida aut bipartita, sive gemina concha videatur, veluti si binos Mytulos latere coniunctos natura produxisset.” Dieser Vergleich ist eben so richtig als schön. Er weist un- mittelbar auf das Eigenthümliche der Gestalt; zwei mit einander vereinigte Individuen, welche ihre Sonderung durch die für jeden Theil verschie- dene Anwachsringe erweisen, was eben dasjenige ist, wodurch ein Mytulus sich besonders auszeichnet. Das Gerüst der Arme ist in dieser Muschel sehr kurz; es erreicht nicht die Mitte. Die Seiten gehen aber bedeutend ausein- ander. Der Mantel wird also schon, von der Mitte der Länge an, durch keine Organe erhoben, von den Seiten aber so stark ausgedehnt, dafs er sich wirk- lich trennt. Nun kann in dieser Mitte, wo der ausscheidende Mantel fehlt, auch keine Schaale ausgeschieden werden; es bleibt ein wirkliches Loch in der Muschel. Bei ihrer weiteren Vergröfserung berühren sich zwar wieder die Ränder des Mantels, allein sie vereinigen sich nicht mehr zu einem ge- meinschaftlichen Ganzen; jede Mantelseite fährt fort ihre eigenen Anwachs- vinge zu bilden, die ihren eigenthümlichen Mittelpunkt haben, und zwischen ihnen bleibt eine grofse Vertiefung zurück. Es ist nun klar, wie die tiefe Rückenbucht der meisten gefalteten Terebrateln, wie die grofse Einsenkung über Terebrateln. 31 der Mitte, wodurch alle Delthyris- Arten so besonders auffallen, immer aus derselben Organisation und Trennung in zwei Individuen entsteht, und wie diese Bucht nur für einzelne Arten in gröfserer oder geringerer Breite ab- weicht, in Divergenz ihrer Seiten oder im Vorschreiten des vorderen Ran- des, welcher dann durch eigene Schwere sich über den Rand der unteren Schaale hinbiegt. Wird nun durch äufsere Ursachen eine dieser Terebratelseiten ver- letzt, wird sie in ihrem Wachsthum durch das gesellschaftliche Beisammen- leben dieser Muscheln gehindert und durch die Unmöglichkeit, in der sie sich vermöge ihrer Anheftung am Schnabel befindet, sich einen bequemern Ort der Ausbreitung zu suchen, so wird dadurch die andere Seite auf keine Weise gehindert, den Geseizen ihrer Art zufolge weiter zu wachsen. Der gehinderte Theil wird genöthigt, seine Ausbreitung tiefer oder höher zu suchen, und dadurch wird, begreiflich, die Bucht des Rückens ausgeglichen, und sie verschwindet. Solche Unregelmäfsigkeiten entstehen daher aus den inneren Anwachsgesetzen nicht, und es kann wahrlich nur Mineralogen, nicht Zoologen, verziehen werden, wenn sie die mannigfaltigen Formen, die aus solchen hindernden äufseren Ursachen entspringen (Terebratula difformıs, dıssimilis, dimidıata, obliqua, inconstans ete.), als eigene Arten aufführen. Die Brachiopoden haben ihren Namen von zwei seltsamen Orga- nen, welche die ganze Classe noch immer zwischen denen anderer Muscheln ohne Verbindung erhalten. Denn wenn auch Cuvier’s Bemerkung fein und von Bedeutung ist, dafs die beiden Arme der Terebrateln die Stelle des feh- lenden Fufses anderer Bivalven einnehmen, so würde es doch wenig gelin- gen, aus diesem Fulse die Gestalt, die Lage und die Gesetze der Ausbrei- tung der Arme herzuleiten. Sie nehmen in den meisten Geschlechtern bei Weitem den gröfsten Raum ein, und nach ihnen richtet sich vorzüglich Form und Ausdehnung der umgebenden Schaalen. Es sind zwei hornartige Bän- der, welche ihrer ganzen Länge nach von bedeutend langen und sehr feinen Franzen besetzt sind. Diese Bänder sind an eigene, knochenartige, frei schwebende, äufserst dünne und zierliche Gestelle befestigt, welche in vie- len, allein für beide Seiten immer genau symmetrischen Biegungen die Mu- schel erfüllen. — Das ist das Bestimmte, was man von diesen Organen weils. Alles Übrige scheint zu beobachten so schwierig, dafs ein Jeder, der die Ge- setze der Form dieser Theile bisher hat aufzeichnen wollen, sie immer auf 39 v. Buvcn 67 eine andere Art gesehen zu haben glaubt. Wir besitzen Zeichnungen des innern Gerüstes von derselben Art, der Terebratula dorsata von Gründler, von Chemnitz und von Gotthelf Fischer in Moskau. Jeder Zeichner hat die Absicht gehabt, äufserst genau in der Abbildung der Natur zu sein, und doch ist die Ähnlichkeit dieser drei Zeichnungen nur sehr entfernt. Was ich selbst an der Terebratula truncata gesehen habe, werde ich zu beschrei- ben und daraus herzuleiten versuchen, was man für allgemein und den Or- ganen wesentlich halten kann (s. Fig. 13. 14. 15.). An dem obern Ende einer jeden Terebratel befindet sich ein Schlofs von einer zwar einfachen, aber äufserst kräftigen Form. Es besteht aus zwei starken, wulstartigen Zähnen auf jeder Schaale, welche einander gegenüber stehen und durch eine tiefe Rinne bis zur Spitze der Schaale von einander getrennt sind. Die Zähne der oberen, gröfseren Schaale stehen weiter von einander, als die der unteren oder kleineren. Sie umfassen diese letzteren und greifen wie eine Zange in eine kleine Vertiefung ihrer äufseren Seiten. Beide Schaalen werden hierdurch so fest mit einander verbunden, dafs sie, auch noch bei dem Leben des Thieres, nur gar wenig sich öffnen und ohne zu zerbrechen, nie von einander getrennt werden können. Deswegen ist es so selten, einzelne Schaalen von Terebrateln zu finden, und deswegen ist es so schwer, die innere Einrichtung dieser Gehäuse zu untersuchen. An der inneren Seite der Zähne des Schlosses, der unteren oder kleineren Schaale, derjenigen, welche in den Sammlungen oben zu liegen pflegt, fin- den sich in der Rinne, welche die Zähne trennt, von beiden Seiten zwei an- dere Zähne, welche sich zu zwei gleichlaufenden, dünnen, frei schweben- den Stäbchen oder Ribben verlängern und bis zur Mitte der Schaale hervor- ragen. Da tragen sie schwebend das Gestell, an welchem unmittelbar zu beiden Seiten die Arme befestigt sind. Man könnte dieses Gestell am besten mit einem Lehnstuhl vergleichen, mit zwei sehr langen, weit vorspringen- den, halb zirkelförmigen Armen. Die hornartige Membran, welche die Franzen trägt, ist auf dem Rande dieser Arme befestigt (siehe a.2.). Sie ist doppelt; beide Hälften liegen bis zum Ende des Armes dicht auf einander. Nahe der Lehne des Sessels trennen sie sich (bei e.c.). Der obere Theil biegt sich vor der Lehne herab, krümmt sich in eine kurze Spirale und hört auf; der untere Theil geht hinter der Lehne fort, immer unten von einem soliden Knochenring unterstützt (g), und verbindet sich auf der andern Seite über Terebrateln. 33 mit dem andern Arm, um auch dort den unteren Theil der doppelten Mem- bran zu bilden. So habe ich es ganz gleich, und wie ich glaube, vollkom- men deutlich an zwei Exemplaren des hiesigen Museums gesehen. Das Ab- weichende und von anderen Beobachtern oder in anderen Arten nicht Be- merkte liegt in Folgendem: Die Membran endigt sich völlig gegen den äufse- ren Rand zu, und geht von dort nicht wieder zurück. Sie ist doppelt. Sie zertheilt sich auf der Seite gegen das Schlofs, und der eine Theil senkt sich in das Innere zwischen den Armen. So ungefähr ist auch die Zeichnung, welche der Maler Gottfried August Gründler in Halle von dem Gerüst einer ganz verschiedenen Art, der Terebr. caput serpentis, geliefert hat, eine Zeichnung, die von Cuvier mit Lob angeführt wird (Naturforscher I, 2'= Stück, p.80.). Nach anderen Zeichnungen, wie auch die der Terebr. dorsata andeuten, sollte man vermuthen, die Membran mit den Franzen wende sich, wo sie das Ende ihrer unterstützenden Ribbe erreicht, und gehe gegen den Anfang zurück. Und nach Poli’s trefflicher Abbildung leidet es auch wohl keinen Zweifel, dafs dies die Form der Ordicula sei. Beide Arme bilden eine, vom Ende in das Innere wieder hereingehende, gegen einander gerichtete Spirale, welche sich in mehreren Windungen von unten herauf in der patellenartigen Oberschaale erhebt. Diese Abbildung würde man auch gern als das Vorbild der innern Structur der Delthyris- Arten Sower- by’s Spirifer ansehen, in welchen eine Spirale sich in vielen Windungen von der Mitte, zu beiden Seiten entgegengesetzt, bis zum Rande bewegt. Es ist unmöglich, wenn man eine so zusammengesetzte, und doch so zierliche, leicht schwebende und bewegliche Einrichtung sieht, nicht nach dem Zweck und der Absicht von Organen zu forschen, denen zugleich, da sie einen so grofsen Raum einnehmen, eine grofse Wichtigkeit für die Öco- nomie des Thieres gegeben zu sein scheint. Herr Fischer in Moskau hat darüber in einer eigenen Abhandlung, mit welcher Herrn von Humboldt’ Anwesenheit in Moskau gefeiert ward (sur le systeme apophysaire des Tere- bratules), eine Meinung geäufsert, welche sich doch wohl schwer würde ver- theidigen lassen. Er hält diese feine, leicht bewegliche, schwebende und elastische Ribben für Digestionsorgane. Pallas dagegen, und nach ihm Blainville, glauben mit Sicherheit, in den Franzen der Arme die Bran-. chien zu erkennen. Dem ist jedoch Cuvier durchaus entgegen, und wohl mit Recht. Er hat die wahren Branchien in der Zingıda auf der inneren Phys. Abhandl. 1833. E 34 v. Buch Seite des Mantels entdeckt, in welcher sie rund umher vertheilt sind. Wie liefse sich auch von Branchien denken, dafs sie das Thier nach Gefallen weit hervorstrecken und damit, aufserhalb der Schaalen, im Wasser umherspie- len wird! Das hat doch Otto Friedrich Müller selbst erfahren. Er sagt (Naturforscher St.19. p.163.), er habe nicht wenige Terebrateln aus dem Grunde des Meerbusens von Dröback in Norwegen heraufgezogen, und, in ein Glas mit Wasser gesetzt, mit Vergnügen dem Spiel ihrer schönen Haar- locken zugesehen. Daher, glaube ich, wird Cuvier’s Meinung, dafs diese Arme bestimmt sind, von aufsen her dem Thiere nährende Stoffe zuzufüh- ren, wohl die wahrscheinlichere sein. Auch denke ich, nur dem Ende ist dieses Ausdehnen und Wiederzusammenziehen vergönnt, nicht dem ersten Anfang oder der Mitte der Arme. Denn, betrachtet man die Membran auf den Ribben in hellem Licht, so bemerkt man, dafs die Franzen daran ge- gen ihre Basis immer mehr zusammenwachsen, endlich nur ein fortgesetztes Band bilden, in dem sie noch durch Streifen zu erkennen sind. Und ganz auf gleiche Art scheint dies feste Band, die Membran, in die Substanz. der Ribbe überzugehen. Vielleicht ist daher die Vorstellung nicht weit von der Wahrheit entfernt, dafs an der Spitze nur locker verbundene Franzen leicht beweglich sind, mit dem Alter aber unten zusammenwachsen, dann, wie der Mantel, den Saft ausscheiden, aus welchem der Kalkspath hervortritt, wel- cher Ribben und Schaale bildet. Die Schraube in der Delthyrıs würde da- her gegen die Mitte hin dem Thiere nur zur Unterstützung und zum Ausein- anderhalten der Schaalen dienen, und auch bei ihnen würde nur die Spitze aus der Schaale hervortreten können. Eine andere, nicht weniger wesentliche Unterscheidung aller Brachio- poden, welche auf ihre ganze Lebensweise, daher auch auf ihre Form, von dem bedeutendsten Einflusse ist, liegt in ihrer Anheftung an fremde, aufserhalb der Schaale befindliche Gegenstände; gewöhnlich durch eine Sehne, oder durch einen Muskel, welcher aus einer grofsen Vertiefung in der oberen, gröfseren Schaale hervortritt. Diese Anheftung bestimmt ihr gesellschaftliches Beisammenleben, zu vielen Tausenden auf einer Stelle vereint, wenn wenig entfernt gar keine mehr gesehen werden. Die junge Brut saugt sich sogleich fest, wie die Mutter, von der sie sich trennt, und kann daher über weite Räume sich nicht ausdehnen. Wie sehr mufs nicht ein so beschränkter Aufenthalt auf Gröfse und Ausbildung dieser Geschöpfe über Terebrateln. 35 einwirken; selbst ihre Nahrung ist ganz von den äufseren, zufälligen Bedin- gungen des Elements abhängig, in dem sie leben; und man mufs sich in der That noch weit mehr verwundern, dafs noch gleiche Arten über verschie- dene Meere verbreitet sein können, als dafs sie in Gröfse und auch in Ge- stalt so sehr abweichen, ohne dafs diese Abweichungen doch hinreichend wären, die Bestimmung einer neuen Art zu begründen. Terebrateln gleichen darin den Austern und anderen festsitzenden Muscheln. Auch diese verändern Form und Gröfse nach der Gegend, in der sie sich finden. Es wird einem auf- merksamen Beobachter leicht sein, den Ort zu bestimmen, an welchem eine Auster gefischt worden, und doch ist deswegen die Art nicht verschieden. Die aus vielen feinen, mit einander verbundenen Längsfasern beste- hende Sehne, mit welcher die meisten Brachiopoden sich festhängen, ist bei der Zingula an beide Schaalen geheftet und hält sie auseinander; bei allen Terebrateln dagegen ist sie nur allein an der gröfseren, oberen Schaale be- festigt, nahe am Schnabel. Allen Beschreibungen und den meisten Abbil- dungen zufolge durchbohrt sie nun die Spitze des Schnabels und tritt aus einer runden Öffnung hervor; und wirklich haben auch die Terebrateln von dieser Durchbohrung den Namen. Dies ist eine ganz irrige Vorstellung, ohne deren Zerstörung man den ganzen Zusammenhang der Brachiopoden- Geschlechter nicht einsehen kann. Der Anheftungsmuskel ist, wie alle Mus- keln ähnlicher Art, nicht am beweglichen Mantel, sondern unter dem Man- tel an der Schaale befestigt. Tritt er nun unter der Oberschaale hervor, so zieht er das Stück des Mantels mit heraus, das ihn bedeckt. Er kann es nicht, wie andere Muskeln, durchbohren, da beide Richtungen gleichlau- fend sind. Dieses Mantelstück wird durch das Erheben von der gröfseren Masse getrennt und hängt damit nur noch an der Basis zusammen. Es liegt also am Anheftungsmuskel auf der Seite, welche der oberen Schaale entge- gengesetzt ist; und da es immer noch den schaalbildenden Stoff aus seinen Poren hervortreten läfst, so wird ein solches kleines Schaalstück den Muskel auf seiner unteren Seite umgeben, und auf solche Weise in der That eine runde Öffnung unter der oberen Schaale vollständig verschliefsen. Dieses schliefsende kleine Schaalstück nenne ich das „Deltidium.” Bei jedem An- wachsen und Breiterwerden der Muschel wird auch das Deludium mit grö- [serer Breite hervortreten. Es erhält daher die Form eines an der Spitze etwas abgerundeten Delta, und die verschiedenen Zeiträume des Anwachsens E2 36 v. Buch sind darauf jederzeit durch feine horizontale Streifen bezeichnet (s. a. f.b. Fig. 1.2 und 3.) Das Deltidium, so unbedeutend und klein es auch scheinen mag, geht also unmittelbar aus der inneren Organisation der Terebrateln hervor, und ist diese Organisation verändert, so wird auch zuverlässig dieses Stück eine andere Form annehmen und dadurch die Veränderung des In- nern anzeigen. Herr Valenciennes in Paris hat es zuerst beobachtet, doch ohne ihm eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und wahrscheinlich hat er es auch nicht an vielen Arten verfolgt. Wir erfahren es durch Lamarck (Animaux sans vertebres V1.): ,‚‚La rigole de ces coquilles est toujours close par deux peüites pieces laterales, qui sont cependant assez Ecarlees et trop pe- tites pour se toucher, et alors il faut que le reste soit rempli d’une membrane.” Mehr sagt er nicht. Blainville läugnet diese Beobachtung (Diet. d’histoire naturelle, Art. Terebr.), und behauptet, er habe sie an keine Art von Te- rebratel wiederholen können. Und doch fehlt dies Stück nie, und kann nie- mals vermifst werden. Auch hat es der aufmerksame Sowerby, wenn auch nicht überall, doch recht häufig in seinen schönen Figuren gezeichnet. Wer mag es auch auf den grofsen, glatten Terebrateln der Tertiärformation und der Kreide verkennen ? auf Terebr. longirostris Wahl. oder gigantea Blum. oder ampulla Brocchi, wo es in einem tiefen Canal liegt und oft mehr als doppelt so hoch ist, als breit. Auch ist es dem scharfsichtigen Deshayes nicht entgangen (Coquilles de Paris p.388.). Dieses Deltidium erscheint vorzüglich in einer dreifachen Form, und, was höchst merkwürdig ist, eine jede dieser Formen bestimmt fast ausschliefs- lich eine sehr natürliche Section oder Unterabtheilung von Terebrateln. Es ist entweder: 1) Umfassend (ampleetens), wenn es nicht blofs an der unteren Seite des Muskels oder der Öffnung im Schnabel vorkommt, sondern mit sehr dünnem Ringe auch noch den oberen Theil umgiebt (s. Fig. 1. Terebratula lacunosa). Alle Terebrateln dieser Art sind gefaltet, und die Falten wach- sen zwar gegen den Rand zu in der Breite, allein bleiben stets, wenige sel- tene Ausnahme ungerechnet, in derselben Menge, als bei dem ersten Her- vortreten am Schnabel. Es sind einfache Falten. 2) Sectirend. Das Deltidium bildet nur einen kleinen Theil des Um- fangs der Öffnung. Die Falten der Oberschaale legen sich wie Stäbe im über Terebrateln. 37 Kreise um den übrigen Theil. Terebrateln dieser Art haben nie einfache Falten, sondern sie dichotomiren gegen den Rand mehr oder weniger häufig. Sie vermehren sich daher ansehnlich in der Zahl, wachsen aber nicht in der Breite. Es sind die Terebrateln mit diehotomirenden Falten (siehe Fig. 2. Terebratula orbieularis Sow.). Auch alle glatte Terebrateln ohne Ausnahme haben ein sectirendes Deltidium, und bei den meisten ist es viel höher als breit (s. Fig.3. Terebratila longirostris); bei der vorigen Abthei- lung übertrifft aber die Breite jederzeit die Höhe. 3) Discret. Ein Deltidium, welches in der Mitte der Breite nicht zusammenhängt, sondern bei jüngeren Individuen aus zwei getrennten Stük- ken besteht, eben wie es Valenciennes gesehen hat. Im Alter vereinigen sich die Stücke zu einem Ganzen; doch bemerkt man auch dann noch im- mer in der Mitte eine feine trennende Linie (s. Fig. 4. Terebratula pectuncu- loides). Alle fossile Terebrateln dieser Art sind durch hoch hervortretende Ribben ausgezeichnet, und vorzüglich durch eine wenig gebogene, häufig ganz gerade laufende Kante des Schlosses. Der Anheftungsmuskel wird durch diesen auszeichnenden Theil in die Höhe unter der Spitze der Oberschaale erhalten. Wenn nun bei dem An- wachsen der Muschel der frei schwebende Theil der Schaalen schwerer wird oder wie ein längerer Hebelsarm wirkt, so krümmt sich die Muschel um die Basis des Halses, wie um einen Mittelpunkt; die Spitze des Schnabels wird ganz gegen die untere Schaale gedrückt, und das Deltidium, häufig auch die ganze Öffnung im Schnabel, wird zwischen beiden Schaalen versteckt. Dies Krümmen geschieht aber nicht, wenn das Deludium ganz fehlt: dann kann sich der Anheftungsmuskel von der Spitze der Oberschaale bis zum Schlofs- rande über einen weit gröfseren Raum verbreiten, und dadurch die ganze Muschel mit gröfserer Unbeweglichkeit festhalten. Dieser Mangel bestimmt wesentlich das Geschlecht der Delthyris Dallmann, Spirifer Sowerby. Ein anderer, kaum minder wichtiger Theil dieser Muscheln für die Erkennung und Bestimmung, nicht allein der Arten, sondern auch der Ge- schlechter unter den Brachiopoden, und der unmittelbar aus den vorigen Verhältnissen hervorgeht, ist das, was ich die „4rea” nenne. Wenn in einer frei schwebenden Terebratel, wie etwa Terebratula Caput serpentis (Encyel. T. 246. fig.7.), die Schaale durch Fortwachsen sich nach allen Seiten hin ausdehnt, so verhindert doch das Deludium, dafs die Unterschaale der obe- 38 v. Buch ren gegen den Schnabel hin folgen könne; sie wird zurückgestofsen und mufs in der Erhöhung suchen, was ihr in Erlängung nicht gestattet wird. Hierin liegt der Hauptgrund der Ungleichheit beider Schaalen. Bei kurzem Anheftungsmuskel berührt die Oberschaale selbst den Gegenstand, an den sie geheftet ist. Der Theil, mit welchem sie aufliegt und mit welchem sie über der Unterschaale hervorragt, bleibt deshalb eben, und die Anwachs- ringe bilden darauf eine, mit dem Schlofsrande gleichlaufende, horizontale Streifung. Dies ist die Area (s. e.f.d. Fig.1-5.). Bei dem sehr kurzen Muskel, bei der Breite des Schlosses der gefalteten_Terebrateln liegt ein so grofser Theil der Oberschaale am-festen Anheftungskörper, dafs dadurch die Srea bedeutend an Gröfse zunimmt; und da sie in der Breite von bei- den Seiten wächst, wie die Schaale selbst, so entsteht daraus die Form eines scharf umgränzten, regelmäfsigen Dreiecks. Der vergröfserten Ausbreitung des Heftmuskels der Delthyris gemäfs, vergröfsert sich auch ihre Area, und sie wird bei ihr wirklich eines des hervorragendsten Stücke. Ja, in einigen Arten kann sie einen so grofsen Raum einnehmen, dafs sie den ganzen übri- gen, das Thier enthaltenden Rückstand der Muschel übertrifft; und das bil- det eine so wunderbare Gestalt, dafs Dallmann sich nicht hat entschliefsen können, sie mit anderen Arten zu vereinigen. Sie macht bei ihm unter dem Namen Cyrthia ein eigenes Geschlecht. Allein nichts unterscheidet sie von Delthyris, als nur diese, durch unmerkliche Übergänge vermehrte Gröfse der /rea. Und ganz dieselbe Einrichtung offenbart sich an der räthselhaf- ten Calceola, die eben durch die Area sich zunächst den Delthyris- Arten anschliefst und durch sie am meisten die Gültigkeit ihrer Ansprüche beur- kundet, den Brachiopoden zugerechnet zu werden. Eine ganze Seite, und bei weitem die gröfste der Muschel, ist bei ihnen Area, welche eben so spitz anfängt und mit Anwachsstreifen in der Breite zunimmt, wie bei der Tere- bratel, bei Delthyris und Cyrthia. Die Ähnlichkeit beider wird hierdurch so grofs, dafs Defrance durch sie sich hat verleiten lassen, eine gar nicht zu bezweifelnde Delthyris, kleine Individuen von Spirifer cuspidatus Sow., als eine neue Art der Calceola anzusehen, und Deshayes hat ihm dieses geglaubt (Eincyel. method. Vers Il. Calceole). Ich kehre noch einmal zur Betrachtung der inneren Organisation der Terebrateln zurück; denn noch sind die Eigenthümlichkeiten, wodurch diese aufserordentlichen Muscheln sich vor allen anderen auszeichnen, nicht er- über Terebrateln. . 39 schöpft, und noch giebt es unter diesen einige, welche die Gestalt und die Veränderungen der Schaale beherrschen; das Einzige, was zur Bestimmung der Arten bei fossilen Terebrateln benutzt werden kann. Es ist bekannt, dafs die Bivalven durch Muskeln vereinigt und zusammengehalten werden, die an der Schaale sich befestigen und mitten durch das Thier auf dem kür- zesten Wege von einer Schaale zur anderen fortgehen. Ein Muskel, fast in der Mitte der Schaale, bestimmt die Classe der Monomyaren, zwei Mus- keln, nahe am Schlofsrande, unter den Zähnen, die der Dymyaren. Te- rebrateln aber haben vier Muskeln, die beide Schaalen mit einander verbin- den. Sie sind ihnen auch sehr nothwendig. Denn andere Muscheln wer- den, aufser dem Schlosse, noch durch ein hornartiges und sehr elastisches Ligament vereinigt; dieses Ligament aber findet sich niemals in irgend einer Art der Brachiopoden. Selbst das kräftige Schlofs würde nicht hinreichen, die vom ganzen Thier gedrückte Unterschaale am Herabfallen zu hindern, wenn nicht die vier Muskeln auf die künstlichste Weise Alles wieder verei- nigten. Sie entstehen nahe unter dem Schlofs, und der Eindruck ihrer Ein- setzung auf der Schaale bildet zwei grofse, und gewöhnlich sehr sichtbare Vertiefungen. Diese eben sind es, welche, erhöht auf den Steinkernen der Delthyris, oder den Hysteroliten, die älteren Petrefactologen zu unanstän- digen Vergleichungen veranlafst haben. Vom Schlofs gehen aber diese Mus- keln nicht unmittelbar zur anderen Schaale hin, sondern sie durchkreuzen das innere in einer Diagonale, setzen über das Gerüst der Unterschaale weg und verbinden sich mit dieser letzteren erst in ihrer Mitte, an der Seite der Franzenarme, und schon weit vor dem Munde. So ist die Lage der beiden Muskeln, die von der Oberschaale ausgehen. Die beiden unteren Muskeln scheinen so weit nicht vorzudringen, sondern sich noch vor dem Gerüst an eine Mittellinie der Oberschaale zu heften, die sich oft zu einem wahren Dis- sepiment erhebt. Durch diese schiefe Lage der Muskeln sind die Terebra- teln, wie Cuvier von der Zingula glaubt, nicht allein im Stande, ihre Schaalen etwas zu öffnen, so weit es die Zähne des Schlosses erlauben, son- dern auch sie zu schieben, und dies mag ebenfalls nicht wenig zur Ungleich- heit der Schaalen beitragen. Der Eindruck dieser Muskeln, die grofse Ver- tiefung im Innern, welche nothwendig an der äufseren Seite der Schaale eine Erhöhung ist, verliert sich auf der ganzen Länge der Schaale nie wieder. Zwei divergirende Linien nehwlich setzen die äufsere Begrenzung des Mus- 40 v. Bucu kels fort bis zum Rande der Schaale, und man kann sie auf jeder Terebratel ganz deutlich bemerken. Sie bilden überall die äufseren Kanten der grofsen Bucht in der Mitte (s. Fig.20. Terebr. vitrea, a.b. sind die Eindrücke des Muskels, welche durch ein hervorstehendes Dissepiment von einander ge- trennt sind). Und hierdurch geschieht es, dafs die Oberschaale der glatten Terebrateln nahe am Schnabel bis fast gegen die Mitte der Länge ausgezeich- net gekielt ist, und nur erst nach der Mitte anfängt, die Bucht des Rük- kens bemerken zu lassen. Ist das Dissepiment zwischen beiden Muskeln bis zum Rande der Schaale fortgesetzt, so bleibt diese Mitte wie ein Rückgrat erhöht, und die grofse Rückenbucht wird hierdurch in zwei grofse Vertie- fungen getheilt. Es bilden sich auf diese Art zwei Reihen von Formen der glatten Terebrateln: die, bei welchen die Vertiefung des Rückens gegen den Rand einfach ist und auf der unteren Schaale zur Erhöhung wird, und die, bei denen der Rücken bis zum Rande gekielt bleibt, und von beiden Seiten von zwei mehr oder weniger tiefen Buchten begleitet ist. Die erste dieser Reihen wird ausgezeichnet durch Terebratila ornithocephala Sow. (s. Fig. 9.), die zweite durch Terebratula biplicata (Fig. 10.). In jener hebt sich auf der Unterschaale der vordere Theil des Randes, oder was Sowerby die Stirn nennt. In dieser senkt sich diese Trennungslinie der Schaalen, und die Unterschaale ist hier, den allgemeinen Gesetzen entgegen, vertieft. Weniger auffallend sind die beiden, von den äufseren Seiten der Mus- keleindrücke ausgehenden Linien oder Ribben der Unterschaale ; allein man verfolgt sie doch leicht vom Schlofs bis an den Rand. Sie bestimmen die Grenzen der Wulst, die der Bucht der Oberschaale immer und in allen Ar- ten entgegensteht, so wie es die Fig.9 und 10. beobachten lassen, in welchen a.b.c. die Muskellinien der Unterschaale, e. f. die der Oberschaale bezeich- nen. Auf diesen Figuren sind die ersteren Linien (d.c.) von den beiden di- vergirenden Ribben der Oberschaale eingeschlossen. Es liefse sich auch wohl das Gegentheil denken, und man würde erwarten können, Arten zu finden, bei welchen die Ribbenlinien der Unterschaale die einfassenden, die der längeren oder Schnabelschaale die eingeschlossenen wären. Das findet man auch in der That, wenn auch selten genug; aber der Charakter der Terebrateln ist dann so verändert, dafs man in ihnen sogleich wieder eine neue und zusammengehörende Gruppe erkennen mufs. Glatte Tere- brateln haben sich unter diesen Arten gar nicht gefunden. Die so nahe über Terebrateln. 41 zusammengedrängten Ribben des Rückens bilden zwischen sich nicht sowohl eine Bucht, als vielmehr eine Rinne, welche schon vom Schnabel anfängt und in zunehmender Tiefe bis an den Rand fortsetzt, und auf der Unter- schaale steht ihr eine scharfe Wulst oder gar eine Ribbe entgegen. Es ist die Abtheilung der Zoricatae, nach einer alten, schon längst gebrauchten Benennung. Auch die Grenze des Überschreitens erreichen die Ribben nicht sel- ten. Diese Grenze ist ihr Zusammenfallen von beiden Schaalen her, wo- durch sie sich auf der Stirn zu vereinigen scheinen. Sie bilden dann gleich- sam erhöhete Ringe oder Reifen über die Länge der Schaale, welche im Scheitel sich berühren; und dadurch entstehen wieder eine Menge verschie- denartiger Formen, die alle von selbst sich in eine Familie zu sammeln schei- nen; einige von sehr abentheuerlicher, andere wieder von gar zierlicher Ge- stalt. Sie haben alle gemein, dafs nicht blofs die Oberschaale in der Mitte eingesenkt ist, sondern die Unterschaale zugleich ebenfalls, und hieran er- kennt man diese kleine Abtheilung leicht. Die Arten, aus denen sie besteht, heifsen Cinetae, die Gereiften. Auch Fabio Colonna’s Terebratula di- phya gehört ihnen an, und vorzüglich die schöne Terebratula trıgonella, an welcher die zusammenstimmenden Ribben oder die Ringe der Schaale be- sonders stark und deutlich hervortreten (s. Fig. 8, in welcher a.a. die Rib- ben der oberen, 2.5. die der unteren Schaale vorstellen. Die Ansicht ist vom Scheitel gegen die Stirn). Es läfst sich nicht erwarten, dafs Organe, wie die Ovarien der Te- rebrateln, ebenfalls auf die Form der äufseren Schaale von Einflufs sein kön- nen. Sie ziehen sich an der inneren Seite des Mantels fort, und vertheilen sich hier in vielen Ästen und Zweigen, bis sie den Rand erreichen. So lange noch etwas von äufserer Schaale übrig bleibt, sieht man sie auch niemals; wohl aber, und nicht eben selten, als Abdruck auf inneren Steinkernen. Fig. 17. ist eine genaue Abbildung der Ovarien auf dem Kern einer Terebra- tula lacunosa von Randenberg bei Schaffhausen, und, dieser ganz ähnlich, findet man sie auf Dolomitkernen derselben Terebratel aus der, dem Zech- stein analogen Formation des Dolomits von Humberton in Yorkshire. Es sind gleichsam vier Hauptstämme, welche alle unter den Muskeln am Schlosse entstehen, auf jeder Seite einer, und dies eben so auf der gröfseren, wie auf der kleineren Schaale. Der Stamm ist mit der Ribbe gleichlaufend und Phys. Abhandl. 1833. ® 42 v. Buch sendet drei Hauptäste auf der Seite gegen den Rand. Der erste dieser Äste zertheilt sich wieder in kleinere, die den gröfsten Theil des Raumes dieser Seite umspannen. Den beiden folgenden Ästen bleibt dann zur Verbreitung ihrer Zweige nur noch ein kleiner Raum übrig. Ob diese Art der Verthei- lung ö von Terebrateln, müssen künftige Beobachtungen entscheiden. Die Orbieula ein allgemeines Gesetz sei, auch für Ovarien der andern Abtheilungen norvagica besitzt ganz ähnliche Ovarien, welche von Otto Friedrich Mül- ler in der Zool. Dan. vortrefflich abgebildet worden sind. Von der geognostischen Vertheilung der Terebrateln. Ohne ihre Abdrücke in den älteren Gesteinschichten würden uns die merkwürdigen, für die Entwickelung der Kenntnifs der Brachiopoden so nothwendigen Geschlechter Zeptaena (Producta) und Delthyris (Spirifer) eben so unbekannt geblieben sein, als die Folge indo-bactrischer Könige ohne die Münzen. Denn, weit entfernt, noch lebendig gefunden zu werden, ver- schwinden sie bald in der Reihe der Formationen und erscheinen in neueren Schichten nicht wieder. Daraus wird es auch wahrscheinlich, dafs sie in der That zu verdrängten Geschlechtern gehören, und nicht etwa jetzt noch in der Tiefe des Meeres gefunden werden könnten. Denn Muschelkalk und Juraschichten sind wahrer Meeresboden, und belehren uns ziemlich voll- ständig über das, was zur Zeit ihrer Bildung in der Tiefe gelebt hat. Ein Sprung aber über so viele Formationen weg, um in dem jetzigen Zustande der Erdoberfläche wieder zu erscheinen, ist nicht in den Gesetzen der Natur. Auch verschwinden die vergangenen Gestalten nicht plötzlich, sondern einige Spuren finden sich von ihnen immer noch in den Formationen, welche ihnen zunächst liegen; und zugleich mit ihrem Verschwinden erscheinen andere Geschlechter dieser Classe, die sie zu ersetzen scheinen. Die Terebrateln, welche in älteren Schichten mit Delthyris und Zeptaena nur selten und nur sehr untergeordnet vorkommen, vermehren sich, bilden endlich ganze Schich- ten und zeigen sich dann in einer Mannigfaltigkeit der Formen, von der sie bei ihrem ersten Auftreten weit entfernt waren. Die ersten und ältesten Te- rebrateln in der Fransitionsformation sind fast alle gestreift, und schr eng und scharf gestreift, selten wirklich gefaltet; eben so selten ganz glatt. Die breit gefalteten verlieren überdies ihre wenige Falten im Alter; sie werden über Terebrateln. 43 auseinandergezogen und vergehen. Zugleich sind auf diesen gestreiften Te- rebrateln die Anwachsringe sehr ausgezeichnet, sogar an ihrem Rande etwas erhöht, wie Schuppen. Dadurch entsteht auf der ganzen Muschelfläche eine schroff hervortretende, gitterartige Zeichnung, welche gar vielen Arten die- ser Formation ein eigenthümliches und nicht zu verkennendes Ansehn giebt. Das Thier, was in diesen Schaalen gelebt hat, scheint bedeutend schwerer, als ein Thier neuerer Terebrateln; denn es senkt sich ganz in die Unterschaale und dehnt sie aus. Die Oberschaale bleibt flach, mit einer seichten Bucht in der Mitte, welche am Rande sich herabzieht und auch noch ein grofses Stück der Unterschaale umgiebt. Der Rand oder die Stirn dieser letzteren steht fast allezeit höher, als die Mitte der Schaale, und ihr Schnabel wird durch die Ausdehnung so nahe an den Schnabel der Oberschaale gedrückt, dafs alle Spur von Area verschwindet und auch die Öffnung des Heftmuskels ganz versteckt liegt. Dallmann hat die Art der Entstehung dieser Eigen- thümlichkeit übersehen und glaubt, diese Terebrateln hätten gar keine ÖfE- nung. Er machte aus ihnen ein eigenes Geschlecht und nannte sie Ftrypa. Zu ihnen gehören vorzüglich Tereb. Pugnus von Martin, Tereb. acuminata, affinis, platyloba von Sowerby, heterotypa, selbst auch 7". prisca Schl. und die zu ihr gehörigen 7. aspera, explanata etc., wenn auch bei ihnen die Mitte höher ist, als die Stirn; und durch sie wäre allein schon die Transitionsfor- mation weit von den neueren Bildungen entfernt worden. Durch Terebra- tula tetraedra und triplicata im Lias wird diese Form in neueren Schichten übertragen und mit der kleinen, aber zu Millionen vereinigten Terebratula varians Schl. endigt sie sich in den mittleren Schichten der Juraformation. Man erkennt auch diese fortwährend an dem Hervorstehen der Stirn der un- teren Schaale über ihrer Mitte, wenngleich die Öffnung des Schnabels nicht mehr versteckt bleibt. Die ausgezeichneten und schönen Terebrateln der unteren Juraschich- ten, Tereb. plicatella Sow., Tereb. decorata Schl., Tereb. concinna Sow. vermitteln den Übergang der Pugnaceen zur Form der Coneinneen. Noch immer ist die Gröfse der Unterschaale mächtig überwiegend, einem angeschwollenen, verzierten Gefäfs ähnlich; allein die gröfste Höhe dieser Schaale ist in der Mitte, nie mehr am Rande. So steigt diese Form bis zu ihrem Mittelpunkt, der Terebratula lacunosa Schl., in den oberen Jura- schichten, dem Coral Rag, Kelloway rock, in den Schichten der lithogra- F2 44 vo Buch phischen Steine von Solenhofen und der Höhlen von Muggendorf. Die Höhe der Unterschaale erreicht nun kaum noch die Hälfte der Länge, und die Breite ist ansehnlich vermehrt. Das Thier ist weniger von der Schwere beherrscht und kann sich leichter in der Schaale schwebend erhalten. Mit den weit ausgedehnten, fast geflügelten Terebratidla plicatilis, alata, Vesper- tilio verschwindet in der Formation der Kreide diese Form wieder und in der Tertiärformation erscheint sie nicht mehr. Unter den lebendigen Terebra- teln hat man gefaltete noch niemals gesehen. Beständiger sind die glatten Terebrateln. Nicht häufig, doch eigenthüm- lich istihr Anfang in der Transitionsformation, aber schnell vermehren sie sich, und schon im Muschelkalk scheinen sie die einzigen, in dieser durch ihre Producte so sonderbar isolirt stehenden Formation zu sein. In den mittleren Schichten des Jura erreichen sie ihre gröfste Höhe, sowohl in Ausdehnung der Individuen, als auch im Reichthum an Arten; doch nur, so weit man beob- achten kann. Denn es wäre leicht möglich, dafs sie noch jetzt zu den Über- wiegenden gehören. Terebrateln sind ausgezeichnet pelagische Muscheln, welche nie die Küsten berühren, auch nicht einmal nach ihrem Absterben jemals am Rande ausgeworfen werden. Was wir von den lebenden Gestal- ten erfahren, beruht fast allein auf die wenigen Arten, welche sich an an- dere Meereskörper festhängen und mit ihnen aus der Tiefe heraufgezogen werden. Grofse Individuen, die am Felsen oder am Grunde des Meeres hängen, bleiben uns unerreichbar. Dafs sie doch in dieser Tiefe so selten nicht sein mögen, wird sehr wahrscheinlich, wenn man sieht, dafs nicht al- lein die gröfsten von allen glatten Terebrateln in Tertiärgebilden gefunden werden, sondern auch, dafs man wirklich lebendig alle glatte Gestalten er- halten hat, die in Juraschichten vorkommen, Terebratula biplicata, welche lebendig unter dem Namen von TZerebr. rotundata bekannt ist, und Terebr. ornithocephala, die sehr wohl unter den Lebenden ihren Repräsentanten in der Tereb. globosa findet (Eneycl. Tab.239.) Auch die Loricaten sind eine Form, welche neueren Schichten angehört; sie werden erst in den ober- sten Juraschichten auffallend und verlieren sich nicht wieder; denn unter den lebendigen Terebrateln wird immer die gröfsere Zahl aus solchen be- stehen, die ein gerades Schlofs mit einem discreten Deltidium vereinigen. Sie haben ein sehr kurzes Ligament, kleben sich deshalb sehr fest an andere Körper, so sehr, dafs ihre Unterschaale dadurch häufig ganz flach wird, und über Terebrateln. 45 daher zieht man sie leicht mit Corallen und anderen Seegewächsen aus der Tiefe herauf. Zu ihnen gehören Tereb. truncata, decollata, scobinata, rubra und disewlus von Pallas, und wahrscheinlich wird sich bei gröfserer Auf- merksamkeit ihre Zahl noch bedeutend vermehren. Dennoch giebt es keine Art dieser Section, welche man mit fossilen für völlig identisch halten könnte; auch beschränkt sich diese völlige Gleichheit bis jetzt nur auf gar wenige Arten, vielleicht gar nur auf zwei oder drei. Terebratula vitrea ist in der Kreide nicht selten, und Tereb. striatula von Mantell und Sowerby, die in Kreide und oberen Juraschichten vorkommt, unterscheidet sich wenig von der sehr bekannten Terebratula caput serpentis. Höchst auffallend aber ist es, dafs einige lebendige Arten die so lange vermifsten Formen der Tran- sitionsschichten wieder zurückrufen. Tereb. psittacea scheint ein Modell der so sonderbar gestalteten gigantischen Terebrateln der Eifel, die man Strigo- cephalus Burtini und Uncites gryphoides genannt hat. Der Schnabel der Oberschaale ist gewaltig vorgezogen, wie ein Schiff, und das Deludium, was den Heftmuskel in die Spitze dieses Schnabels hinauftreibt, umgiebt den Muskel, wie in gefalteten Arten; dabei ist es zugleich auch discret. Wenn auch beide Flügel sich schon längst vereinigt haben, so ist ihre ursprüngliche Trennung doch immer noch durch eine stets fortlaufende Scheidelinie zu be- merken ; und dies findet sich an anderen Terebrateln so deutlich nicht wieder. Eintheilung der Terebrateln. Ohne genaue Einsicht der Stelle, welche die Terebrateln in der Ver- wandtschaftssphäre der Brachiopoden einnehmen, wird es immer schwer, vielleicht unmöglich sein, eine genaue und vollständige Charakteristik des Geschlechtes zu geben und es bestimmt zu umgrenzen. Ein flüchtiger Blick auf die anderen Geschlechter der Brachiopoden wird aber diese Verwandt- schaft leicht hervortreten lassen; um so mehr, da bei den wenigen Ge- schlechtern, aus denen sie bestehen, bei ihrer scharfen Absonderung von anderen Classen von Mollusken, es immer noch möglich ist, einen logischen Eintheilungsgrund, ohne eben das Gleichartige gewaltsam und schädlich zu trennen, ziemlich consequent durch die ganze Classe zu führen. Dieser Eintheilungsgrund liegt in der Art der Anheftung dieser Ge- schöpfe. Ihre ganze Lebensart, ihre Form und Ausbildung wird durch diese Bven v. 46 Anheftung bestimmt; daher wird man nicht ohne Grund voraussetzen dürfen, dafs jede wahrscheinlich verschiedene Art der Anheftung auch mit einer Veränderung in der ganzen inneren Organisation des Thie- res verbunden sein müsse. Nach dieser Ansicht bildet sich ohngefähr folgendes Schema: BRACHIOPODEN. Anheftung am Rande der Muschel Tr mn [0 on ororesiccocSSESENERERENENBEEEmmmBe— Am Rande beider am Rande der oberen Schaale über einer Schlofskante. Schaalen, TTS jr ohne Schlofs: Perforation der Mitte. Ohne Perforation. | m | 0m | tn | | LUNG na Der Anheftungsmus- Der Heftmuskel Wahrscheinlich Der Muskel ver- Aus einer senk- Auf der ganzen kel ist verbreitet sich in breitet sıch durch rechten Öffnung unteren Fläche Deltidium auf der in der Mitte der Perfora- Anheftung auf der unteren Fläche der Muschel. durch Fasern, die einer dreieckigen sich durch ein von dem ohne Per- Röhren ohne & Schlofsrande getrennt. II. TEREBRATULA. ATRYPA. ORTHIS. STRIGOCEPHALUS. UNcITES. PENTAMERUS. Macas. Öffnung, deren Ba- sisaufdemSchlofs- rande steht, die Spitzeaber mitder des oberen Schna- bels zusammen- fallt. IIT. DELTHYRIS. SPIRIFER. Cyatura. GyPIDIaA. foration auf der LängedesSchlofs- randeshervor ver- breiten. Beide Schaalen auf einer Seite, der Area entgegen. 17. CALCEOLA. Schlofs- kante hin, ohne ganzen Perforation der Mitte, ohne Area. V. LEPTAENA. Pronucra. STROPHOMENA. unteren Fläche. FTI.ORBICULA. tion. FIJ. CRANIA. über Terebrateln. 47 Das Deltidium bezeichnet also der Terebratel genau ihre Stelle. Wäre bei der Zingwla das Ligament mit einem solchen kleinen Schaalstück umge- ben, so würde es ganz gegen die Oberschaale gedrängt werden, und die Gleichheit beider Schaalen würde verschwinden. Wäre es bei der Terebra- tel weniger bestimmt, so würde sie auf der 4rea fester aufliegen und mehr gegen die Seiten, weniger in der Länge sich ausbilden. Die grofse Area der Delthyris ist Folge des Mangels eines Deltidiums. Der Muskel verläfst immer mehr die obere Spitze und zieht sich gegen das Schlofs. Dafs einige Fasern aber doch noch immer bis in die Spitze hinaufreichen, wird hinreichend durch die Krümmung des Schnabels erwiesen, welche sogar zuweilen einen grofsen Theil der Area versteckt. — Der Delthyris ganz nahe steht die Cal- ceola;, gewifs viel näher, als man dem ersten Anschein nach glauben sollte. Bei der Cyrthia ist schon drei Viertheil der Seite Area, und ein grofser Theil der unteren Schaale ist auf die Seite der oberen geworfen. Bei der Calceola ist die eine Seite ganz ./rea, und die kleinere Schaale liegt mit dem oberen Theile der gröfseren auf dieser /rea, wie auf einer Basis. Die Schwere des Thieres wirkt nicht mehr auf diese Schaale, daher hat sie nicht mehr in der Mitte eine Wulst oder die obere Schaale eine correspondirende Vertiefung; daher bedürfen die Schaalen auch nicht mehr der starken Zahnbefestigung am Schlofs, wie in Terebratula und Delthyris. Ein Zahn in der Mitte, der sich in eine gegenüberstehende Vertiefung senkt, ist für den Zweck des Zu- sammenhaltens völlig hinreichend. Die Area selbst beweist durch ihre ho- rizontale Anwachsstreifen und durch ihre ebene Fläche, dafs sie aufliegt, daher nothwendig am Boden befestigt sein mufs, aber nicht durch Fasern, welche bis in die Spitze hinaufreichen; denn diese Spitze löst sich ab und ist gewöhnlich nach Auswärts gebogen, nicht nach Innen zu, wie bei Del- thyrıs. Die Area selbst beider Geschlechter hat noch eine sehr merkwürdige Übereinstimmung, welche unmittelbar ihre sehr nahe Verwandtschaft er- weist. Die Horizontalstreifen nämlich sind auf beiden durch senkrechte Li- nien gitterartig getheilt. Sie sind viel stärker am Schlofs und werden häufi- ger und feiner gegen die Spitze. Offenbar ist es der Eindruck eines Org ö welches am Schlofsrande hervordringt, und wahrscheinlich werden es wohl ans, Muskelfasern‘ sein, um sich damit zu befestigen. Auf der 4rea der Tere- bratel bemerkt man solche senkrechte Streifen niemals, der Delthyris sind sie wesentlich und werden niemals vermifst. Und durch sie wird ein Über- 48 v. Buch gang oder eine Verwandtschaft zur Zeptaena vermittelt, wenn nehmlich der Delthyris Area ganz zusammensinkt und verschwindet. Wie nahe stehen nun wieder Zeptaena und Orbiewla! Die flache Un- terschaale ist beiden gemein; in beiden ist das Thier in die Oberschaale ge- gedrängt und wächst in die Höhe herauf; und auch das Schlofs der Zeptaena ist mit seinen schwachen Zähnen schon ganz der Übergang zum zahnlosen Schlofs der Orbieula. Beide liegen mit ihrer unteren Fläche fest auf dem Boden, und nichts bleibt bei ihnen noch schwebend. Nicht ganz auf diese Art hat Deshayes die Verwandtschaften der Brachiopodengeschlechter aufgefafst, wenn auch gewifs besser und genauer, als alle seine Vorgänger. Seine Eintheilung ist folgende (Znneycl. method. Vers Il, Brachiop.): I. Muscheln, welche durch ein mehr oder weniger langes sehniges Band festhängen: A. Band am Schlofsrande: LINGULA, TEREBRATULA, SPIRIFER, STRIGOCEPHALUS, PRODUCTA, MAGAS. B. Band durch eine Öffnung in der Mitte der unteren Schaale: ÖORBICULA. IT. Muscheln, die nur mittelbar festhängen und im älteren Zustande frei werden. THECIDEA, CRANIA, CALCEOLA. Zuverlässig ist Calceola mehr an den Boden geheftet, als Producta. Wer aber möchte Crania von Orbicula trennen, oder Calceola von Spirifer! Die Terebrateln vertheilen sich, wie es mir scheint, ziemlich natür- lich in fünf grofse Abtheilungen, welche das folgende Bild umfafst: ‚snurs[esiog “ja7rapdaq augoummgAınz snurg wur "pueı "AVLVOTAOT '7I7 "I9SIP WMPI2qT 3aın) apuaıa "uaJeel9g 95 u9319p “axın) -goyppninz ws ut aus & yinp 3>pJ1q ajergqdsjr1jug A 43p T 9p Juwj] aaq nı uayıaıg 23Qq sıqg puey utoa uoA ung 49 ‚ou -jesiog won KIERSEr s I aazue] pUSS1S10A10q 2119G opal uo P'y 29q P'y 22q "avLady 7 "IYıvanıg'D "IVLYAYOIXTT 'q7 "I3vaNnYd3y p m N en / | "uaqoy -Isjesio(] W137 -a30qa3 syıeAa -yonı Ir -13pueurs Ne atatır daten -wungsag Y17AL uapıaq ul JOUep AVLIOND AI u9.lTu.ıg] Ie IS "AVLyTaN] 'D 79n über Terebrateln. -19 35] n AA Jou1a "aJIay uapuaıl "ua P u9sjoTtfTy>s -19A OyIpy op ur IST OTEETTISTE.JUO A OK] 191998 uımg ANZ sıq o8urrf uoz -ued od ne Ist Oprerpospes.tog] OTd AVLVNIUVD 'T7 nz 7SI opeerposen -u9 A-TOP ONIy 91p “spuasaduno snuig UOUTI NZ UGS AOP ur ST Sfeeydsuoy INY-PPOMMN AIG VLYODf 'F mm U m / MI) "STAAVT A "uauassojqyosadura Ip ua.ajun 19p J9po Sfeedspeigus A Op Ip ‘uoapuasj -atfy>surd 9Ip puıs Sfeeydspesiog 19p J9pOo u919qO Jap usqgqıy GT 19P AM OP NOS 7519 uauay9sıa OJIOULL 9PU9JII]TOAAOTT IreIDDS Ip 19gN ‘odurrg -OPPNINZ yaIs -Uu1a Hp afeeıds -[enuoA -19]3 Top aıp “uou ur would nz LING u.1au Jap ue ypıs uod -rura194 pun ‘uofp -assojyasadurd -veIpOg uapraq me op puis uaııpuodsaı feeds -jes1o(f 10.105J0183 -109 uaggy OK] 19P uaqqry Id mm N nn "HVLVLSOD ‘1107 um opueyy wnz sic‘ Uo2j95 pun ur PPqeuyag woA ydIs uagay.o uoggıy nn "PUPA093 UN1G uap ur yosımowwms pun IeZ 108un1o8 ur ‘ywuunsoq puıs Apryuopeerpog arp voqn uodunygyug arg Soyeppdun “AYLVOIId NON "puey op spe “ray -01[ IST ofeegospen -U9 A OP AI II "AVANNIDNOD 7 "IVADVYNDONd FF m U -uauayjedsaaz a1cy "AVNOLOHDIIA ZI "pueyy uop uo8 -98° jqezuy oa ur dis uaıyounga pun .toyum agqeig IM [ogeunpg we uoroJs “nep1.Lo,] woayı un yoıs uoypedsaaz uajfe, [org "Pu9andos umpıyaqd "OYIIIN Fat spe OO IJOISOTeLqIS -[enuo A ap ung 19p ur puey 1oq -uU949]EJ9%) -yDejursg 97 "AVSODITA 7 jez op ur Jy9tu age “oylaıgy ap ur yaıs ‘opuey wınz SI PqgruuDg woA U.I9SJO.1S.I9A IS yDejJuId puıs use Tl IT "puossejum wmpı7]2T eV ee nn EEE PPOPIG uorjeguadurrg ru Sunupıig) auo IST 9JEEIIS OP OydeT,f 919Sne 9zurd 917 "919178799 “AVLVOITI AVINLVYIAUAL 1833. Phys. Abhandl. 50 v. Buch Erklärungen. Jede Terebratel besteht aus zwei Schaalen, von welchen die untere die Ventralschaale heifst, die nach oben gerichtete aber die Dorsal- schaale. Bei der Beschreibung wird jederzeit die zu beschreibende Fläche nach oben gehalten, auf solche Art, dafs die Scheidung beider Schaalen in eine mittlere Horizontallinie falle, und die Theile werden beschrieben, wie sie in dieser Lage erscheinen. Die Kanten, welche die Schaalen umgeben, ihre Lage, Form und Verhältnifs werden beobachtet und beschrieben, wenn die Ventralschaale oberwärts liegt. Auch ist in den Zeichnungen stets die untere, Ventralschaale nach oben gerichtet, weil die Muschel in den Samm- lungen mit dieser Schaale oberwärts liegt. Die Spitze der Dorsalschaale heifst der Schnabel, die Spitze der Ventralschaale der Buckel (nats). Der Umrifs der Terebratel ist allezeit ein Pentagon (Tab.II, Fig. 20. 21. 22.). Von den Seiten, welche dieses Pentagon einschliefsen, heifsen die dem Schlofs zunächst liegenden #3, 4C die Schlofskanten. Sie umge- ben die gröfsere Dorsalschaale und den Schnabel. Die an den Seiten lie- genden Kanten 3D, CE sind die Randkanten; die untere, die Randkanten verbindende DZ, heifst die Stirnkante oder die Stirn. Sie beendigt gemei- niglich eine Vertiefung in der Mitte der Dorsalschaale, nehmlich die Bucht oder den Sinus. Dieser Vertiefung entspricht auf der anderen Schaale eine Erhöhung, die Wulst (jugum). Der Winkel, den die Schlofskanten einschliefsen, ist der Schlofs- kantenwinkel; er ist entweder gerade (Fig. 22.), oder stumpf (Fig. 20.), oder spitz (Fig.21.), je nachdem die Schlofskanten im stumpfen oder spitzen Winkel, oder in einer geraden Linie sich vereinigen. AF ist die Länge der Muschel, BC ist die Breite; und die auf der Länge nnd Breite senkrecht stehende gröfste Dimension ist die Höhe oder die Dicke. Das die Öffnung des Schnabels verschliefsende kleine Stück, von ab- gestutzt deltoider Form, welches auf dem Schlofsrande aufsitzt (f.a.b. Fig. 1-4.), heifst das Deltidium. Die dreieckige Fläche, welche vom Schlofs- rande bis zum Schnabel aufsteigt (f.c.d. Fig. 1- 4.), wird die Area genannt. über Terebrateln. 5 Diagnosen können vollständige Beschreibungen niemals ersetzen. Des- halb sind sie eher schädlich als nützlich. Denn, sind sie zur schnellen Er- kennung oder zur scharfen Sonderung der Arten gut ausgewählt, so werden sie abhalten, durch das Auffassen aller in einander greifenden Verhältnisse sich eine vollständige und deutliche Vorstellung der ganzen Gestalt, mit wel- cher man sich beschäftigt, zu erwerben. Sie verleiten, die Unterschiede der Naturkörper nur zu studieren, um aus diesen einen Catalog zu entwer- fen, nicht, wie es doch sein soll, um sie zu einem allgemeinen, vollständi- gen und harmonischen Bilde zusammenzusetzen. Sie schwächen und entfer- nen die Neigung nach den Ursachen der Verschiedenheiten und der Ähnlich- keiten zu forschen. Es mag bequem sein, durch eine einzige Thatsache eine Art auf das Bestimmteste von allen ihr ähnlichen unterscheiden zu können; da aber alles in den organischen Gestalten in wechselwirkender, organischer Verbindung steht, so wird auch alles Übrige mehr oder weniger verändert sein müssen. Wer aber möchte es wohl unternehmen, zu beweisen, dafs, was man als das Bestimmende hervorgehoben hat, auch wirklich alle andere Veränderungen der Gestalt beherrscht habe? Ist aber dieses nicht, so hat man eine Cabinetsbequemlichkeit dem wahren Studium der Natur unter- geordnet. Die Diagnosen der Terebrateln sind überdies besonders un- glücklich gerathen. Fast alle Naturforscher wiederholen, nicht blofs, was ganzen Abtheilungen, ja sogar auch, dem ganzen Geschlechte gemein ist; wie die Perforation des Schnabels, die ungleibhe Gröfse der Schaalen, oder die Anwesenheit eines Sinus in der Dorsalschaale. Auch alles Übrige, was sie anführen, ist gewöhnlich so wenig bestimmend und bezeichnend, dafs man es selten mit der Gewifsheit benutzen kann, dadurch auf festen Boden zu treten. Nur Dalman und Nielfson sind in dieser Hinsicht auszu- zeichnen. Bei der Beschreibung läuft man weniger Gefahr, nur allgemeine Kennzeichen anzuführen und das besonders Auszeichnende zu übersehen. Um jedoch dieses Auszeichnende so viel als möglich sogleich hervortreten zu lassen, ist in der Beschreibung Alles, was die Art von der ihr zunächst stehenden vorzüglich und auffallend absondern kann, durch andere Schrift besonders hervorgehoben und bemerklich gemacht worden. Der Gang der Beschreibung ist folgender: Allgemeine Ansicht der ganzen Gestalt. Betrachtung der Ventralschaale, diese nach oben gelegt. Sie hat den Vorzug, weil ihre Form, fast in allen Abtheilungen, am meisten G2 52 v. Bucu bezeichnend ist. Betrachtung ihres Längenprofils, ihres Queerprofils, ihrer Seiten. Schlofsrand. Schlofskantenwinkel. Schlofskanten. Randkanten. Stirn. #rea. Deltidium. Betrachtung der Dorsalschaale, diese nach oben gelegt. Sinus. Flügel. Falten; ihre Richtung, Form und Zahl. Dimen- sionen nach Länge, Breite und Höhe. Die Dimensionen beziehen sich auf die Länge als Einheit, aufser die Breite des Sinus, welche mit der gröfsten Breite der Muschel verglichen wird. Die Zeichnungen der bisher wenig rich- tig oder gar nicht abgebildeten Arten hat man der kunsterfahrnen Hand eines jungen und talentvollen Naturforschers, des Herrn von Planitz, zu ver- danken. PLICATAE, Die Gefalteten. Die ganze äufsere Fläche beider Muschelschaalen ist mit Längenfal- ten bedeckt, welche, vom Schnabel aus divergirend, am Umfange des Ran- des sich endigen. Die Falten liegen ohne besondere Auszeichnung oder Symmetrie neben einander, und eine besonders auffallende und regelmäfsige, von beiden Seiten gleichförmige Theilung der Fläche bewirken sie nicht. l. PLICOSAE, Einfach Gefaltete. Die Falten über den Schaalen bleiben seit ihrem ersten Entstehen am Schlofs gleich in der Zahl und vermehren sich nur in der Breite. Ihre Form, im Durchschnitt, ist die eines Daches. Breite Basis und ebene, ge- neigte Seitenflächen, welche oben in einer scharfen Kante zusammenstofsen. In einigen seltenen Ausnahmen theilen sich einige Falten gegen den Rand hin; allein es sind immer nur sehr wenige, und auch dann vergröfsert sich dennoch die Breite der Falte in ihrem weiteren Fortlauf gegen den Rand. Das Delüdium ist jederzeit umfassend (amplectens), oder es hebt sich von der Basis der /rea an der Öffnung des Schnabels herauf, weit über den ho- rizontalen Durchmesser dieser Öffnung hinweg; meistentheils wird die ganze Öffnung davon, selbst oben, wie mit einem feinen Ringe umgeben. Da die Falten gegen die Spitze der Schaalen immer feiner werden, so verschwinden sie end- lich dem Auge oder werden leicht abgerieben, wahrscheinlich auch schon bei dem Leben des Thieres. Daher erscheinen Schnabel und Buckel entweder glatt oder doch nur schwach gestreift. Mit einer Loupe erkennt man dennoch die Fortsetzung einer jeden Falte ganz deutlich. Noch niemals hat man Einfach Gefaltete unter den leben- digen Terebrateln gesehen. über Terebrateln. 53 d. PUGNACEAE. Tab.I, Fig. 18. 19. Der Rand an der Stirn der Ventralschaale steht höher, als ihre Mitte. Die inneren Theile drängen sich gänzlich nach der vorderen Hälfte der Muschel und verlassen die Gegend des Schlosses, oder, da die Ventralschaale die untere ist, so drücken sie durch ihr Gewicht den mittleren Theil dieser Schaale am Rande herunter. Die Ober- schaale folgt dieser Bewegung, und der Sinus senkt sich vom Dorsalrande tief herab, recht- winklich auf die Richtung der Dorsalschaale selbst. Diese Gestalten haben wenig Neigung, sich in der Breite auszudehnen. Auch übertrifft sogar recht oft ihre Dicke die Länge und Breite, welches bei anderen Abtheilungen nicht so leicht wieder vorkommt. Die obere oder Dorsalschaale ist nur ein flacher Deckel auf der anderen, alle inneren Theile wie eine Büchse einschlielsenden Schaale. Die Falten sind immer einfach. 1. TereBRAtULa acuminata Martin. Martin Fossilia Derbiensia Tab. 32. Fig.5-8. Sowerby Tab. 324. Fig. 1u.3 Tab.495. Fig.1-3. Encycl. method. 246. Fig.1. mala. Ohnerachtet diese merkwürdige Terebratel fast immer ohne Falten gesehen wird, so kann man sie doch, ihrer so nahen Verwandtschaft wegen, von der Abtheilung der Pugna- ceen nicht trennen. Sie ist gleichsam die äufserste Grenze dieser Form. Auch ist sie wirk- lich nicht ohne Falten. Die Spuren der Seitenfalten entdeckt man mit einiger Aufmerksam- keit ziemlich oft; sie sind nur in jungen Muscheln auffallend, werden aber in den älteren auseinandergezogen und verwischt. Sowerby hat Tab. 495. solche Muscheln gezeichnet, an denen auch noch im Sinus und auf der Wulst Falten zu bemerken waren. Von welcher Seite man auch diese Terebratel ansehen möge, so erscheint der Um- rils jederzeit als ein gleichschenkliches Dreieck, die Ventralseite im Gesicht, sogar als ein gleichseitiges Dreieck; sie verdiente daher mit vollem Rechte den Namen 7". te- traedra, weit mehr als die, welche von Sowerby mit diesem Namen belegt worden ist. Das Milsverhältnils beider Schaalen ist ungemein großs. Die Dorsalschaale ist wirk- lich nur ein Deckel auf der tief herabhängenden Ventralschaale; diese letztere ist daher wohl 12 bis 16 mal dicker. Sie hebt sich vom Schlols herauf Anfangs so steil, dals sie sogar eine Zeitlang überhängend wird; und den Rand erreicht sie unter einem Winkel, der 45 Grad übersteigt. An diesem Rand wird sie vom Sinus der Oberschaale in einer dreiseitigen Spitze berührt, von welcher die beiden dachförmig abfallenden Seitenhälf- ten der Schaale zwei Seiten, die zungenartige Fläche des Sinus die dritte bilden. Fällt man aus dieser Spitze einen Perpendikel auf die Dorsalschaale, so wird diese genau im Mittelpunkt ihrer Fläche erreicht. Der Schlofskantenwinkel ist sehr stumpf, gewöhnlich. von 130 Grad. Die Schlofskanten selbst sind mehr als doppelt so grofs, als die mit ihnen in Abrundung verbun- 54 v. Bucuh denen Randkanten; allein sie sind bedeutend kleiner, als die besonders breite Stirnkante. Die Area ist durch keine Kante von der Dorsalfläche getrennt; sie hebt sich aber zu einem flach gewölbten Ohr, dessen Länge fast die ganze Länge der Schlofskante einnimmt. Die Öff- nung des Schnabels bleibt stets unter der Ventralschaale verborgen. Ein gewaltiger Sinus, der drei Viertheile der ganzen Breite einnimmt, senkt sich seit der Mitte in die Dorsalschaale mit flach gegen einander gekehrten Seiten, welche vorzüglich gegen die Spitzen wie eine Dachrinne zusammenstolsen. Seit der Stirn wendet sich dieser Sinus im rechten Winkel ge- gen die Ebene der Dorsalschaale, seine Seiten convergiren und stolsen endlich in einer Spitze mit der Ventralschaale zusammen, so dals diese sogar noch etwas zurückgedrückt wird. Der Sinus erhält dadurch, wie Sowerby bemerkt, die Form einer grolsen Zunge. Die- ser Zungentheil ist stets länger, als die Länge der Dorsalschaale selbst; sie übertrifft diese noch um mehr als ein Viertheil, ja oft fast um die Hälfte. Die Seitenllügel der Dorsalschaale sind am höchsten unmittelbar über dem Sinus, und neigen sich von hier sanft gegen das Schlofs in einer allmählig abgerundeten Fläche. Die Schaalen sind überall fein gestreift, vom Schnabel aus gegen den Umfang, und die Streifen, so fein sie auch sein mögen, sind doch nur sehr selten, und nur als Ausnahme zerspalten, dichotomirend. Länge 100, Breite 159 (154-175), Dicke 146 (144-150), Sinusweite zur Breite 73 (71-76), Zungenlänge 135 (127-144). Breite und Dicke vermehren sich bei dem Anwachsen viel mehr, als die Länge. Das Thier sinkt ganz in die Unterschaale herunter und schwellt sie an, gegen das Schlofs hin. Diese ausgezeichnete Terebratel erreicht eine Grölse von nahe an 2 Zoll, sogar sieht man sie nur selten kleiner. Sie ist bisher nur in England und Irland gesehen worden; hier aber findet sie sich häufig. Im Bergkalk (mountain limestone) von Bakewell und Buxton. In derselben Gebirgsart zu Clitheroe Lancashire, zu Scaliber bei Setile in Yorkshire, und häufig im schwarzen Kalkstein bei Cork in Irland. 2. Teresratura Pugnus Martin. Martin Fossılia Derbiensia Tab. 22. Fig. 4und5. Sowerby Tab.497 und Tab. 496. (reniformis, platyloba) Tab. 83. Fig.1. (lateralis) Tab.1. Fig. 19. Der Umrils der Ventralschaale nach der Länge steigt ohne bedeutende Curve vom Schlofs bis zum Rande. Die Spitzen des Randes sind aber wieder etwas herab- gebogen, wodurch dieser Rand abgerundet scheint. Die Wulst in der Mitte oder der Sinus der Dorsalschaale enthält 5 (3-6) kaum übereinander hervortretende Falten; daher ist diese Wulst auf ihrer oberen Fläche breit und wenig gewölbt. Wulst und Sinus zeigen sich erst deutlich seit der Mitte der Länge. Die Seitenfalten sind breit und werden, jemehr gegen die Schlofskanten, um so undeutlicher, ja diesen Kan- ten nahe verschwinden sie ganz, vorzüglich in älteren und gröfseren Muscheln. In jüngeren zählt man 8 bis 9 Falten auf jeder Seite, in älteren nur 5 bis 6 Falten. Der Schlofskan- tenwinkel ist sehr stumpf, gewöhnlich 130 Grad, und sinkt kaum unter 120 Grad herunter. über Terebrateln. 55 Die Arca ist schr niedrig, mit flachem, gewölbten Ohr, das mehr als 4 mal länger als hoch ist. Die sehr kleine, nur in jungen Muscheln sichtbare Öffnung versteckt sich ganz unter der Ventralschaale, und auch das umfassende Deltidium ist nur selten sichtbar. Die Dorsal- schaale ist ganz flach, 9 bis 10 mal niedriger als die Ventralschaale. Ihre beiden Seitenflü- gel, daher auch die Seitenfalten darauf, liegen in einer Horizontalebene bis zu den Schlols- kanten. Sie sind stets deutlicher und weniger verwischt, als die ihnen entgegenstehenden der unteren Schaale. Der Sinus ist sehr breit; er zertheili gewöhnlich mehr, als die Hälfte der ganzen Breite. Die Länge seiner Production von den Randkanten bis zum Stirnrande der Ventralschaale ist kleiner, als die Länge vom Schlofs bis zu den Randkanten. Das Verhältnils der Höhe, Breite und Dicke dieser ausgezeichneten Art verändert sich sich so vielfältig, dals man oft glauben möchte, ganz verschiedene Arten zu sehen, wenn nicht offenbare Übergänge und das Durcheinanderliegen an denselben Orten bewiese, dals alle diese Formen nur leichte Abänderungen derselben Art wären. Gewils scheint es, dals durch das stete Herabdrücken des anwachsenden Thieres, vorzüglich gegen den Rand, die Dicke schneller anwachse, als die Länge; auch bleibt diese sogar etwas unter der Breite zu- rück. Dabei verschwinden Seitenfalten, oder sie werden auseinandergezogen, die doch nä- her gegen das Schlols sichtbar waren. Auch hier, am Ursprung, werden sie dann durch Abschleifung und Reibung verwischt und zerstört. Das Mittel einer grofsen Menge einzelner Stücke, deren verschiedene Gröfse sich ohn- gefähr verhielt, wie 2:3, ergab für die kleinere, Jüngere: Länge 100, Breite 131, Dicke 92. 4 Falten im Sinus, 8 auf jeder Seite (4-9); für die grölsere, Ältere: Länge 100, Breite 135, Dicke 106. 4 Falten im Sinus, 5 auf jeder Seite (3-6). Allein auch im Abfall der Mitte der Ventralstirn gegen die Seiten sind die Abände- rungen zahllos. Einige sind geflügelt, wie 7. alata (T. platyloba Sow.), andere fallen schnell ab, wie T. concinna (T. reniformis Sow.). Sowerby selbst aber hält alle diese verschie- nen Gestalten nur für Abänderungen einer einzigen Art. Diese Terebratelart ist vorzüglich auszeichnend für den oberen Transitions - Kalkstein (mountain limestone). Als solche ist sie vorzüglich in England gar häufig. Martin nennt sie für Derbyshire eine gar gewöhnliche Art. In Irland bei Dublin und Cork. Häufig zwi- schen Skipton und Graffington, Glocestershire. 3. TEREBRATULA ringens n. T. grimace Herault. Tab. I, Fig. 31. a.b.c. Eine wunderbare Gestalt. Sie wird besonders auffallend durch das grolse und ganz ungewöhnliche Mifsverhältnils der Länge zur Höhe. Diese letztere ist zuweilen fast dop- pelt so grofs, als die Länge. Die Ventralschaale steigt Anfangs nicht blols senkrecht, son- dern sogar mit einem Bogen überhängend auf. Seit dem Viertheil ihrer Länge aber, wo Sei- ten und Wulst sich trennen, steigt sie noch mit 70 bis 80 Grad bis zum Rand, wo sie vom 56 v. Bven Sinus der Dorsalschaale zurückgedrängt wird. Die Wulst bildet eine einzige, glatte, dach- förmige, aber etwas abgerundete Falte; zwei oder drei dicke Falten fallen halb- mondförmig auf den Seiten herunter. Sie verlieren sich gänzlich gegen den Anfang. Der Schlofskantenwinkel ist nahe ein rechter. Die Schlofskanten sind doppelt so grofs, als die Randkanten. Der Schnabel ist nicht umgebogen; daher ist die, wenn auch kleine ÖFE- nung, gut sichtbar, mit einem breiten, umfassenden Deltidium. Die flache Dorsalschaale wird zum gröfsten Theile durch ihren breiten, tiefen und glatten, faltenlosen Sinus einge- nommen. Die nächsten Falten der Seiten stehen scharf und spitz, wie Hörner darüber: es sind auch bei weitem die stärksten. Zwei andere, viel schwächere Falten ste- hen viel tiefer, und neigen sich mit den Flügeln gegen die Area. Der Sinus ist vom Rande weg, zuerst senkrecht, dann im Bogen, sogar zurückliegend gegen die Ventralschaale fortgesetzt, mit immer mehr zusammenlaufenden Seiten, in Form einer sehr schmalen und langen Zunge. Dieses zungenförmige Stück ist fast doppelt so lang, als die Schaale. In der Mitte zieht sich eine Rinne fort, die, je weiter gegen die Spitze, um so tiefer und deut- licher wird. Anwachsstreifen treten untereinander hervor und bilden von beiden Seiten ge- gen die Rinne eine federartige Streifung. Durch dieses Hervortreten der späteren Schaalen wird auch in der That die Vertiefung des Sinus gegen das Ende zu einer über die Seiten hervorstehenden Wulst erhöht. Länge 100, Breite 112, Dicke 134. Diese merkwürdige Art ist vom Ingenieur des mines Herault im unteren Jura zu Moustiers bei Caön entdeckt worden. 4. TeresraruLa varıans Schlotth. T. socialis Phil., obtrita Defr., Encycl. method. Tab.241. Fig.5. Tab.1I, Fig. 18. Diese kleine uud zierliche Terebratel ist da, wo sie vorkommt, zu Millionenweise ver- sammelt. Ganze Schichten bestehen daraus; und so viele auch vereinigt sein mögen, selten sieht man sie anders, als in den Verhältnissen einer mäfsigen Haselnuls. Sie unterscheidet sich von ähnlichen: Vor anderen durch das Aufsteigen der Ventral- schaale vom Schlofs her. Anfangs mit sehr sanfter, fast unmerklicher Wölbung, unter 45 Grad bis gegen die Mitte, steigt nun schneller die Schaale und fäll am Rande scharf ab ge- gen den Sinus. Die Spitzen am Rande scheinen wie aufgeworfen durch die Falten des Si- nus. Die Falten der Wulst gehen in gerader Linie vom Schnabel bis zum Rande. Da- gegen fallen die Seitenfalten in einer Curve herunter, die wenig von einem Zirkelbogen ab- weicht. Stärker und fast senkrecht sind auf den Seiten die Spitzen an der Basis abgestumpft. Der Umfang in der Ansicht der Stirnseite ist ein gleichseitiges Dreieck. Die Basis ist nicht gröfser als die Seiten, und drei Falten bilden oben, wo die Seiten sich vereinigen, eine nur wenig abgestumpfte Spitze. Schnabel und Area sind sehr klein, doch nicht ver- steckt. Die Area hat ein niedriges Ohr und eine scharfe Kante gegen den Rücken. Der Schlofskantenwinkel ist gewöhnlich etwas kleiner als ein rechter. Die Dorsalschaale ver- bindet sich auf den Seiten an den Schlofskanten mit der Ventralschaale in einer Horizontal- über Terebrateln. 57 linie, welche seit der Hälfte der Kante durch die Falten gezahnt ist. Der Sinus senkt sich tief seit der Mitte der Länge und zieht auf jeder Seite ein oder zwei Falten mit herunter. Drei oder vier Falten bleiben ungeändert auf‘ der ebenen Fläche des Sinus. Die nächste Falte der Seitenflügel über dem Sinus ist auch die höchste, und von ihr aus neigen sich die anderen Falten im allmähligen Abnehmen der Stärke und in sanfter Rundung bis zur Area. Die Randkanten sind abgerundet und sehr klein im Vergleich der Schlofs - und Stirnkante. Hierdurch geschieht es, dals die grölste Breite der Muschel schon jenseits der Mitte der Länge gegen den Rand zu gefunden wird. Vier oder fünf Fal- ten liegen im Sinus, oft auch bis sieben, oder auch selten nur drei. Gröfsere haben acht bis neun Falten auf jeder Seite, kleinere nur sechs bis sieben, und diese sind die ge- wöhnlicheren. Länge 100, Breite 110 (100-116), Dicke 83. Der Sinus ist 0,60 der gröfsten Breite. In den oberen und höchsten Theilen der mittleren Juraschichten in Deutschland. Sel- ten wird man die Schicht, die aus diesen Muscheln gebildet ist, vermissen, wenn man der grolsen, weilsen Felsreihe nahe ist, welche die oberen Juraschichten bildet. Auf diese Art sieht man sie zu Beggingen und Österfingen im Canton Schaffhausen in unglaublicher Menge, zu Fürstenberg, bei Bahlingen, am Wartenberg bei Doneschingen, am Bopfinger Nipf, hier mit etwas weniger erhöheten Randfalten, über Thurnau bei Culmbach, bei Amberg. Zu Ellrichserbring in Braunschweig. In Frankreich ausgezeichnet und den deutschen ganz gleich zu Barjac bei Mende. Zu Scarborough und Hacknels Yorkshire in Kelloway Rock. Philips. Sowerby hat von dieser Art keine Zeichnung; ‚die von Philips Tab. VI, Fig.8. genügt nicht, und die von Defrance angeführte Abbildung, Eneyclopedie methodique Tab. 241. Fig.5., ist sehr schlecht. 5. TEREBRATULA livonica n. Tab. I, Fig. 30. a. b.c. Der erste Anblick dieser zierlichen Terebratel läfst sogleich die grolse Regelmä- [sigkeit der Falten hervortreten, mit welchen ihre Oberfläche bedeckt ist. Diese Falten stehen dennoch nicht scharf und dachförmig hervor, sondern sind, vorzüglich an den Seiten, eng aneinander gelegt, so dals meistens nur die äulsere, wenig von der inneren Seite zu sehen ist. Der vorzüglichste und ausgezeichnete Charakter liegt aber in dem Verhält- nils der Kanten der Dorsalschaale. Die Schlofskanten verbinden sich im gerad ab- stehenden Schnabel im stumpfen Winkel von nicht völlig 100 Grad. Diese Kanten sind aber so kurz, dafs eine Linie, welche ihre Endpunkte verbindet, auf dem Rücken der Schaale kaum ein Viertheil ihrer Länge abschneiden würde. Zwei viel grö- (sere Randkanten ziehen sich mit leichter Krümmung und weniger Convergenz gegen die Stirn und verbinden sich mit dieser durch eine etwas schnellere Krümmung. Daher ist die Form des Umfanges ein Pentagon mit zwei gegenüber stehenden, abgerundeten Flächen. Selten werden bei anderen Terebrateln ähnlicher Art die Randkanten um so Vieles die Schlols- kanten an Gröfse übertreffen. Phys. Abhandl, 1833. H 58 v. Bucu Die Ventralschaale steigt ziemlich gleichförmig mit etwa 45 Grad auf und ist nur in der ersten Hälfte etwas gewölbt. Die Spitzen der Zähne des Randes sind nach vorn etwas übergebogen. Ein umfassendes Deltidium ist am geraden Schnabel gewöhnlich ziemlich deutlich sichtbar. Die Area ist klein, und abgerundet gegen den Rücken. Der Sinus der Dorsalschaale ist bedeutend tief, mit convergirenden Seiten, welche fast in eine Spitze zu- sammenlaufen. Gewöhnlich sechs, aber auch wohl acht Falten, ziehen sich in diesen Si- nus herab; allein nur drei, oder höchstens vier Falten erhalten sich im Grunde. Die übri- gen sind zwar auch auf den Seiten des Sinus immer noch sichtbar, doch werden sie stets Nacher und verschwinden, ehe sie den Rand erreichen. Eben dieses Fortsetzen und Verschwinden am Rande bemerkt man an der correspondirenden Wulst der Ventralschaale. Bei anderen Terebrateln werden die Falten gleich in den Grund herabgezogen, und auf den Seiten sieht man sie nicht. Diese Erscheinung trägt vorzüglich bei, den Falten die- ser Art ein so regelmälsiges Ansehn zu geben. Die Seitenllügel der Dorsalschaale neigen sich mit sanfter und gleichförmiger Rundung gegen das Schlols. Auf der ganzen Schaale sind gewöhnlich 32 einfache Falten vertheilt (27 - 36). Länge 100, Breite 102, Dicke 69. Breite des Sinus 0,5. Aus Mittel-Liefland, durch Herrn von Engelhardt gefunden bei Adsel am Bette des Aastromes in einer Schicht von weifsem, dichten Kalkstein, in welchem diese Terebratel in gro- [ser Menge vereinigt vorkommt. Alle Stücke gleichen einander vollkommen, sowohl in Form, als Gröfse, welche gewöhnlich °, Zoll noch nicht ganz erreicht. Zwischen diesen Muscheln liegen Kerne einer Bivalve, welche durch eine gewundene Diagonalwulst sehr an Avicula socialis erinnert. Dann findet sich ein langer Fusus mit deutlichem Canal, langer Spira und bedeutend schneller anwachsenden letzten Windung, mit Knötchen auf der Carina, eine Form, von der Fusus tuberculatus, Encycl.424. Fig.4. eine Andeutung geben kann. Es ist nicht deutlich, zu welcher Formation dieser Kalkstein gezählt werden könne; da aber Hr. v. Engelhardt sagt, dals auch Schlottheim’s Tereb. striatissima oft hier vorkomme, so wird es wahrscheinlich, dals auch dieser Kalkstein vielleicht eine obere Schicht des Trilobitenkalkes der Gegend von Reval sei. 6. Teresratura depressa Sow. Sow. Tab.502. nebst 7. acuta dieser Tafel, (nicht Tab. 150.), compressa Lam. Die Ventralschaale hebt sich zum Rand mit geringer Wölbung im Anfange, dann in gerader Linie mit 30 bis 40 Grad Ansteigen. Zuweilen ist überdies der Rand noch etwas aufgeworfen. Die Seiten bilden zwei herabhängende Flügel. Die Schlofskanten sind grö- [ser als die abgerundeten Randkanten. Der Schlofskantenwinkel ist ungefähr ein rechter, allein nicht mehr. Der Schnabel ist gerade, abstehend, daher mit sichtbarer Öffnung. Die Area mit scharfen Kanten gegen den Rücken, bildet ein flaches Ohr, welches die ganze Länge der Seitenkante einnimmt. Die Falten sind sehr regelmälsig über beide Schaalen ver- theilt, scharf und breit, und auch im Sinus nicht verzogen, sondern sie setzen fort an der Seite von Sinus und Wulst und verlieren sich erst gegen den Rand. Die Falten über Terebrateln. 59 auf den Seitenflügeln der Dorsalschaale liegen in einer Ebene, auf welcher sie an Stärke nur wenig gegen den scharfen Schlolsrand abnehmen. Alle Falten setzen fort, fast bis in die Spitze des Schnabels. Auf jeder Seite stehen gewöhnlich 9 Falten und 6 Falten im Si- nus, 24 bis 25 Falten in Allem (21-26). Länge 100, Breite 121, Dicke 79, Sinusweite 58. Diese Terebratel hat viel Ähnlichkeit mit 7. Zivonica, vorzüglich in der Regelmälsig- keit ihrer Falten. Allein sie unterscheidet sich wesentlich von dieser durch die Länge ihrer Schlofskanten, durch ihre viel grölsere Breite, durch das viel geringere Aufsteigen der Ven- tralschaale, durch die Ebene, in welcher die Seitenflügel der Dorsalschaale liegen, und durch breitere Falten. Nicht selten in Kreidemergel, an vielen Orten am See von Neuchatel, hinter Neu- chatel selbst, zu Haute Rive, bei Cressier, mit vielen anderen Muscheln der Kreideformation und mit dem, diesen Mergelschichten eigenthümlichen Ammonites asper Mer. Auch die englischen von Farrington sind aus Kreide, und auch die französischen aus eratie chloritce, Coulaines bei Mans, Havre, Beauvais, Auxerre, Charric bei Saumur. 7. Teresrarura Schlottheimi n. Tab. II, Fig. 32. Eine ganz kleine Terebratel, oft nur linsengrofs, gewöhnlich aber 4 bis 5 Linien lang, welche man als eine verkleinerte Copie von T. tetraedra ansehen könnte; nur senken sich bei der ersten die Seiten, wie Flügel; dagegen stehen sie bei 7. terraedra aufrecht, wie in Concinneen. Schon seit der Mitte hebt sich die Ventralschaale so wenig, dals man ihr schwaches Ansteigen gegen den Rand nur mit einiger Mühe bemerkt. Zuweilen wird auch der Rand, wirklich etwas übergebogen sein. Die Stirnansicht giebt ein Dreieck mit breiter Basis, dessen oberer Winkel ein stumpfer ist. Der Schlofskantenwinkel ist ein rech- ter. Die Schlofskanten sind gerade und lang. Die Linie, welche ihre Endpunkte verbindet, geht ziemlich genau durch die Mitte der Länge, daher durch den Mittelpunkt der ganzen Muschel selbst. Sie sind doppelt so lang, als die wenig gebogenen und mit ihnen in etwas stumpfem Winkel zusammenstofsenden Randkanten. Der Sinus ist im Grunde flach und auf den Seiten ohne Falten. Gewöhnlich sind aber vier Falten im Sinus und auch vier auf der flachen und abgeplatteten Wulst der Ventralschaale. Doch kann sich diese Zahl bis zu zwei vermindern. Sehr auszeichnend ist es, dafs diese Falten von Sinus und Wulst schmäler und enger sind, als die Falten der Seitenflügel. Auch bemerkt man gar oft einige, aber nur auf der Wulst und im Sinus, welche dichotomiren. Dieses Mifs- verbältnils der Faltenstärke giebt der kleinen Terebratel bei dem ersten Anblick ein etwas fremdartiges Ansehn. Die Flügel der Dorsalschaale neigen sich sanft gegen die Area, mit abnehmender Stärke der breiten Falten. Die Area selbst ist mit ihnen nicht in scharfer Kante, sondern durch Abrundung verbunden. Gewöhnlich findet man 5 oder 6 Falten auf jeder Seite, daher ohngefähr 14 bis 16 Falten über das Ganze. Oft scheinen die Seiten- H2 60 v. Bucu falten ganz verwischt, und man bemerkt nur die engen Falten auf Wulst und Sinus. Über- haupt gehen die Falten niemals ganz bis zum Schlofls; daher scheinen junge Terebrateln die- ser Art ganz faltenlos zu sein. Dies ist auch Schlottheim’s Meinung. Länge 100, Breite 107, Dicke 68, Sinusbreite 64. Diese Terebratel ist häufig im Dolomit von Glücksbrunn bei Meiningen, welcher zum Zechstein gehört, und durch die organischen Formen, welche sich darin finden, der Transi- tionsformation näher steht, als dem Muschelkalk. Sie ist von Schlottheim entdeckt und beschrieben worden (Schriften der Bairischen Akademie VI, 17 seq.). Sie wird von ihm zu 7. lacunosa gerechnet. Allein sehr bald überzeugt man sich, dafs auch diese Art zu den Pugnaceen gerechnet werden müsse, und auch die Faltenverschiedenheit auf Wulst und Seiten würde hinreichen, sie leicht von einander zu unterscheiden. Sie wird daher zweck- mälsiger den Namen des Entdeckers tragen können. S. TEREBRATULA tetraedra Sow. Sow. Tab. 83. Fig. 4.5. (media). Die Ventralschaale steigt nur schnell auf nahe am Schlols; von der Mitte an gegen den Rand kann dies Ansteigen kaum noch auf 20 Grad gerechnet werden, oft auch noch weniger, wodurch wohl zuweilen einige Ähnlichkeit mit T. concinna entstehen kann. Die Flügel dieser Schaale fallen ziemlich schnell von der Mitte; es bleibt zwischen Wulst und Flügel eine leere Fläche, auf welcher eine Falte ausgeglichen ist. Diese Falte ist bis dahin vom ersten Anfang am Schnabel bis zur Mitte der Länge eben so deutlich, als andere Seitenfalten. Selten ist der Schnabel gebogen, daher bleibt die Öffnung und das um- fassende Deltidium deutlich sichtbar. Die Area ist klein, aber eben, ungestreift von der Hälfte der Länge der Schlolskante, mit scharfem Rande und mit einem lang gezogenen Ohr in einer Vertiefung gegen die Ventralschaale. Der Schlofskantenwinkel ist sehr nahe ein rechter, zuweilen auch wohl etwas mehr. Die Schlofskanten gehen fort bis zur Mitte der Dorsalläinge und schliefsen sich stumpf an die mit der Stirn gleich breiten Randkanten. Fünf Falten liegen im Sinus, sieben Falten auf jeder Seite, oder ohngefähr zwanzig Falten in Allem; eine Zahl, die für den Sinus zwischen 3 und 5, für die Seiten zwischen 5 und 9 Falten schwankt. Die erste Falte auf jeder Seite ist auch die höchste; alle übrigen Falten auf jedem Flügel der Dorsalschaale vermindern sich allmählig in Höhe auf einer ziemlich geneigten Ebene bis zum Schloß. In der Stirnansicht erscheint der Umfang als ein Dreieck mit breiter Basis, auf welchem die Spitze an der Wulst ziemlich gerade abgestumpft ist, und eben so abgestumpft sind auch die Seitenwinkel. Auch die, im Vergleich anderer ähnlicher Gestalten nur geringe Dicke läfst sie, mit anderen Kennzeichen vereinigt, bald und leicht unterscheiden. Die Schärfe der Falten fast bis zum Schnabel ist ebenfalls dieser Art vor andern eigenthümlich. über Terebrateln. 61 Ihre Größse erreicht nie die von 7. Pugnus oder acuminata. Doch gehört sie auch nicht zu den kleineren. Gewöhnlich ist sie von der Grölse einer kleinen Wallnuls. Länge 100, Breite 103 (100-111), Dicke 76 (73-35). Die meisten englischen von Whitby sind breiter und dabei doch weniger hoch. Diese Terebratel gehört besonders den Liasschichten; dann auch noch, aber seltener, den untersten Schichten des mittleren Jura. Sie ist nicht selten, und weit verbreitet. Häufig zu Whitby in Yorkshire, im unteren Oolith von Dundry, Ainhoe bei Bath. In Deutschland oft unter der Kette des Jura zu Pforen am Wartenberg, zu Waldhausen bei Tübingen, bei Amberg, zu Willershausen bei Nordheim. 9. Teresraruna triplicata Phil. Phil. Yorkshire Tab. XIII, Fig. 22. 24. (biplicata). Sie ist wenig von T. variabilis verschieden, doch hinreichend und bestimmt genug, um überall erkannt zu werden. Sie ist im Ganzen weniger gewölbt und kugelförmiger als T. variabilis. Sie ist breiter als lang. Die Ventralschaale hebt sich nicht mit gleichför- miger Krümmung, sondern Anfangs fast senkrecht, wendet sie sich bald und steigt his zum Rand in einer geraden Linie, welche 45 Grad geneigt ist. Die Spitzen am Rande stehen in die Höhe und sind nicht vorgebogen. Drei Falten liegen auf jeder Seite, 2 oder 3 Falten auf der Wulst, welchen 1 oder 2 Falten im Sinus correspondiren. Der Schlols- kantenwinkel ist etwas grölser als ein rechter. Der Schnabel ist gebogen; die Öffnung darin ist klein, lälst aber das umfassende Deltidium deutlich bemerken. Die Area ist schmal, ohne Ohr. Die Dorsalschaale ist ganz flach, eben; auch die Flügel liegen in einer Ebene, mit kaum merklicher Neigung gegen die Seitenränder. Länge 100, Breite 112, Dicke 88, Sinusweite 67. In oberen Schichten des Lias zu Amberg, bei Whitby in Yorkshire. 10. Teresratura varzabılıs Schl. Leonhard mineral. Taschenb. VI, Tab. 1. Fig. 4. Dicke und Krümmung der Schaale bei fast gleicher Länge und Breite geben dieser Art ein ausgezeichnetes Ansehn. Die wenigen Falten lassen sich überdies selten bis zum Schnabel verfolgen. Die Schaale ist im oberen Theile ganz glatt. Die Ventralschaale steigt schnell, aber mit sehr regelmälsiger Krümmung bis zum Rande, wo die Spitzen noch etwas überhängen und eine stumpfe Stirn bil- den. Der Umfang der Stirnansicht ist ein völliges gleichseitiges Dreieck, von welchem alle drei Ecken stark abgestumpft sind. Die Dorsalschaale ist durch einen sehr breiten Sinus zertheilt, der die ganze Stirnbreite einnimmt. Beide Flügel der Schaale liegen in einer Ebene. Die Seitenkanten verbinden sich unter 80 Grad, daher unter weniger als einem rechten Winkel. Die Area dehnt sich auf ihrer ganzen Länge hin; sie hat im Anfange ein bedeutend hohes Ohr, welches oft eben so hoch als lang ist. Der Schnabel ist umge- 62 v. Buch bogen und läfst die Öffnung wenig hervortreten. Im Sinus zeigen sich 3 Falten, auf der Wulst 4, und auf den Seiten sind auch 3 Falten sichtbar, oft nur durch die Spitzen am Rande. Dieses Undeutliche und Verzogene der Falten ist nicht Abreibung, denn meistens sind diese Terebrateln noch mit glatter, weilser Schaale versehen. Sie sind von Haselnufsgröfse. Länge 100, Breite 107, Dicke 93, Sinusbreite 0,69. Wahrscheinlich aus dem Lias bei Amberg. 11. TEREBRATULA acuta Sow. Sowerby Tab.150. Fig.1.2. Philips Yorkshire Tab. XII, Fig.25. Eneycl. Tab. 255. Fig. 7. Die Ventralschaale hebt sich vom Schnabel aus in einer geraden Linie bis zum Rand mit etwa 50 Grad. Es ist vom Anfang an nur eine dachförmige, oben scharfe Falte. Zwei oder drei andere, wenig deutliche Falten liegen zur Seite. Die Stirnansicht ist ein völ- lig gleichseitiges Dreieck. Die Länge des Sinus vom Rande herab ist der Länge der Dorsalschaale gleich. Die Sinusseiten sind glatt, der Boden eine scharfe Linie. Im Lias zu Wiltoncastle und Bilsdale in Yorkshire, im unteren Oolith zu Staunton- Hill, Gloucestershire und zu Ilminster. Im deutschen Jura ist diese Terebratel noch nicht gesehen worden. 12. TEREBRATULA rimosa n. Ziethen Würtemb. Verst. Tab. 42. Fig. 5. Sie hat ein kugelförmiges Ansehen durch die Form der Ventralschaale. Diese steigt schnell auf, vom Schlofs weg, biegt sich aber noch vor der Mitte, und steigt nun weiter sehr sanft, fast horizontal, bis zum Rand. Bei einigen Muscheln ist sogar das erste Viertheil höher als der Rand, — indessen kann dies nur als Ausnahme betrachtet werden und ist nicht häufig. Auch die Dorsalschaale ist nicht eben, sondern in der Mitte auf der Hälfte der Länge deutlich gewölbt. Der Sinus ist breit und flach, mit wenig hervor- stehenden Falten zur Seite. Die nächsten Falten über dem Sinus sind bei Weitem die höch- sten, und von ihnen weg fallen beide Flügel der Schaale sehr schnell mit star- ker Krümmung gegen die Area. Diese Area hat ein Ohr, zweimal länger als hoch, in einer Vertiefung der Ventralschaale, und eine etwas scharfe Kante gegen den Rük- ken. Der Schlofskantenwinkel ist kleiner als ein rechter, ohngefähr von 80 Grad. Drei, vier oder fünf Falten liegen im Sinus, fünf Falten auf jeder Seite, bis zur Hälfte der Schlofskante. Aber diese Falten bilden nur allein den Rand. Vom Schlofs an sind sie fast alle gespalten. Die Tiefe dieser Spalten beträgt doch nur die Hälfte der Intervalle der gröfseren Falten, und dadurch lassen sich diese bis zu ihrem ersten Anfange verfolgen und unterscheiden. Länge und Breite dieser Terebratel sind völlig gleich grols, und auch ihre überall gleichförmige Dicke ist bedeutend. Länge 100, Breite 101, Dicke 82. Breite des Sinus 0,7 der ganzen Breite. In Steinkernen werden häufig die Zerspaltungen unscheinbar, und nur die grölseren Falten bleiben zurück. Da auch dann die übrigen Kennzeichen sich nicht verändern, so lälst über Terebrateln. 63 sich dennoch auch dann die Muschel von andern gut unterscheiden. Aber auch wenn die äulsere letzte Schaale erhalten ist, werden oft die Zerspaltungen nicht gesehen; — am deut- lichsten und merkwürdig auffallend sind sie an verkiesten Stücken, wie die meisten von den Terebrateln sind, die im Lias vorkommen. In den oberen Mergelschichten des Lias überall, unter dem deutschen Jura nicht selten: so zu Bahlingen in Würtemberg, am Plienbach bei Boll, zu Ofterdingen bei Tübingen, zu Blattenhardt, Denkendorf bei Stuttgard, am Steinbacher Steig bei Kirchheim. In Frankreich zu Barjac bei Mende. 13. Teregratura furcillata Theodori. Sie ist der 7’. rimosa ähnlich; denn wie diese ist sie mit Falten doppelter Art geziert. Feinere Falten verlieren sich vor dem Rande, und es bleiben nur wenige und sehr breite Fal- ten zurück. Allein es ist nicht blols eine Zerspaltung der grölseren, sondern zwischen jede dieser sind wohl 2, 3 oder mehr Falten. Vom Schnabel her sind sie häufig zertheilt (dicho- tom), welches bei den grölseren Falten in dieser ganzen Abtheilung der Terebrateln niemals vorkommt. Gar oft sind sie durch einen Anwachsring wie abgeschnitten, und dann sieht es aus, als wäre jede Schaale mit einem kleineren, eng gestreiften Plätichen belegt. Doch finden sich auch bei dieser Art, wie bei 7. rimosa, häufig Stücke, Kerne oder auch noch mit er- haltener Schaale, welche mit keinem solchen gestreiften Plättchen belegt scheinen, so andere, bei welchen die einfachen, gröfseren Falten allein vom Rand bıs zum Schnabel fortsetzen. Auch dann unterscheidet man sie noch ganz gut von ähnlichen Arten. Ihre geringe Höhe macht sie besonders bemerklich. Die Ventralschaale steigt zwar schnell, allein nicht hoch vom Schlofs aus, biegt sich noch vor der Hälfte und erreicht den Rand fast in einer Horizontallinie. Drei breite Falten stehen an diesem Rande her- vor, ohne im Geringsten vorn übergebogen zu sein. Drei andere, selten vier Falten, lie- gen auf jeder Seite und verlieren sich schon am Ende der Schlofskanten. Der Schlofskanten- winkel ist gröfser als ein rechter, doch nicht leicht bis 100 Grad. Der Schnabel ist gerade. Die Area hat ein kleines, liegendes Ohr und ist mit starken Anwachsstreifen bedeckt, welche von der Dorsalschaale herüberkommen und eine Schärfe der Kante verhindern. Die Dorsalschaale ist in ihrer Mitte etwas gewölbt, mit wenig eingesenktem, brei- tem, im Grunde flachem Sinus, in welchem sich zwei, seltener drei grofse Falten befinden. Die erste Falte der Seitenflügel ist die höchste; dann fallen diese Flügel mit bedeu- tender Neigung und Rundung gegen die Area. Länge 100, Breite 114 (111-122), Dicke 70 (61-84), Sinusbreite 67. Diese Terebratel hält in Gröfse das Mittel zwischen der grölseren 7‘. tetraedra und der kleineren 7. rimosa. Sie findet sich mit 7. rimosa vereinigt in den oberen Mergelschichten des Lias im Plienbach bei Boll, bei Bahlingen, zu Pforen bei Doneschingen, zu Willershausen bei Nord- heim, zu Rottorff am Kley bei Braunschweig, am Rautenberg bei Scheppenstedt, unter Kloster Banz am Main, zu Pont ä Mousson in Lothringen. 64 v., Buch B. CONCINNEAE. Tab. I, Fig. 24. Die Mitte der Ventralschaale ist höher, als der Rand. Die gröfsere Schwere des Thieres ist in der Mitte der Ventralschaale vereinigt, und sie drückt diese wie einen Sack nieder. Der Rand der Stirn bleibt hierbei um so mehr zurück, da dieses Herabdrücken sich weit mehr auf die ganze erste Hälfte der Länge äulsert, als auf die letzte, gegen die Stirn. a. INFLATAE. Tab.I, Fig. 26. Der Durchschnitt der Breite der Ventralschaale durch die Mitte ihrer Länge bildet in seinem Umrisse die Hälfte einer in sich zurückkehrenden Curve, eine halbe Ellipse oder Zir- kelbogen. Der Abfall von der Mitte der Ventralschaale gegen die Seiten ist daher Anfangs we- nig merklich; näher aber gegen die Seiten wird er so steil, dafs beide Schaalen an den Seiten- vändern in wenig scharfem, oft rechten Winkel zusammenstolsen. Wulst der Ventralschaale und Sinus (Bucht) der Dorsalschaale sind in diesen Gestalten wenig merklich, und der letztere oft nur durch seine Production über dem Rande der Stirn auffallend. 14. TEREBRATULA concinna Sow. Sow. Tab. 86. Fig.6. Tab.I, Fig. 26. Der Schlofskantenwinkel ist allezeit kleiner als ein rechter; gewöhnlich 78 Grad. Sehr breiter und flacher Sinus des Rückens, dessen Profil am Stirnrand eine mit den Randkanten gleichlaufende, aber etwas höher liegende Linie bildet. Oft ist auch dieser Sinus wenig zu bemerken, und fast erst nur am Rande. Sieben bis acht Falten im Sinus. Die glatte Area hebt sich zum abgerundeten Ohr, das nur etwa doppelt so lang als hoch ist. Die Sei- tenfalten umgeben dieses Ohr in flach gedrücktem Bogen und stellen sich, mehr oder weniger genau, im relchten Winkel auf den Rand. Ohne alle Dichotomie. 33 Fal- ten über der Rückenschaale (24 - 36). Länge 100, Breite 95, Dicke 70, Sinusweite 64 der Breite. In der Erzgrube zu Giengen an der Brenz finden sich oft Terebrateln, welche sich in anderen Kennzeichen, selbst nicht in Form des Ohres von der gewöhnlichen T. concinna un- terscheiden; allein sie haben nur 15 bis 20 einfache Falten und nur 5 Falten im Sinus. Man kann sie doch nur als Abänderungen ansehen. Die Ventralschaale ist zweimal so hoch als die Dorsalschaale, und zeichnet sich durch die gleichförmige Rundung ihres Profils au. An den Seitenrändern verbinden sich beide Schaalen nicht im spitzen Winkel, sondern in einer geraden Linie. Das Ohr der Area und der zunächst darüber stehende Theil der Ventralschaale liegen in einer Vertiefung, welche sich auf der Hälfte der Schlofskante endigt. In mittleren Juraschichten, wenig in höheren. Avallon, Sanka bei Krakau. England. über Terebrateln. 65 15. Teresrarura decorata Schlotth. Encycl. method. Tab. 244. Fig.2. Tab. II, Fig. 36. Die Ventralschaale hebt sich so schnell und so bedeutend, dals ihre Falten völlig einen halben Zirkelbogen bilden. Ihre grölste Höhe ist sogar etwas vor der Mitte der Länge. In der Dorsalschaale senkt sich ein Sinus, dessen Anfang schon wenig vom Schnabel entfernt merklich wird, weiterhin aber sich so sehr vertieft, dafs die ersten Seitenfalten wie Hörner darüber stehen. Durch die weite Production dieses Sinus über die Seitenränder im rechten Winkel mit der vorigen Richtung entsteht, dals der Umrils der Terebratel, von der Seite an- gesehen, ein völliges Quadrat wird. Die Falten sind breit und in geringer Zahl. Nur 3 oder 4 Falten im Sinus (2-5), und auch 3 oder 4 auf jeder Seite; 13 Falten in Allem (9-16). Die Area liegt mit dem Rande der Ventralschaale ın einer merklichen Vertiefung, und hebt sich nur wenig zu einem flachen und sehr lang gezogenen Ohr. Die Anwachsringe bilden häufig über die breiten Falten fortificationsähnliche Zeich- nungen. Durch die grolse Aufblähung der Ventralschaale wird sie so nahe gegen den Schna- bel gedrückt, dafs die Öffnung des Schnabels ganz versteckt und der Schnabel senkrecht herauf- gebogen wird. Länge 100, Breite 100 (85-104), Höhe 90 (88-93). Die Breite des Sinus ist 0,71 der ganzen Breite. Die grölste Breite ist nahe am Rande, auf solche Art, dafs Randkanten fast völlig ver- schwinden. In tieferen oolithischen Juraschichten zu Poix in den Ardennen, zu Moustiers bei Caön; auch nicht selten zu Amberg. Diese letzteren sind etwas weniger hoch, aber breiter, als die französischen. Lamarck hat sie fälschlich für 7. tetraedra Sow. gehalten, wogegen schon So- werby selbst sich erklärt. Auch Schlottheim hat in seiner Sammlung die Amberger für T. tetraedra gehalten. Diese aber gehört zu den Pugnaceen, deren Rand an der Ventral- schaale sich höher hebt, als die Mitte. In der ausgezeichneten, hahnenkammförmigen T. decorata liegt hingegen die grölsere und schwerere Masse des eingeschlossenen Thieres weit mehr nach dem Schnabel zu und zieht daher den mittleren Theil der Schaale gegen den Schnabel hin. 16. TEREBRATULA znconstans Sow. Sowerby Tab. 277. Fig. 4. Der Schlofskantenwinkel etwas mehr als ein rechter, 94 Grad. Die Dorsalschaale ist breiter als lang; die Schlofskanten doppelt so grols als die Randkanten. Die Srea ist an der Randkante abgerundet, und bildet ein flach gewölbtes Ohr, welches mehr als dreimal so breit, als hoch ist. Die Ventralschaale übertrifft in Höhe mehr als zweimal die Dorsalschaale. Ihre Seitenfalten senken sich im flachen Bogen nicht völlig senkrecht zum Rande. Die Falten sind immer ohne alle Zerspaltung. Der Sinus der Mitte zieht allezeit eine ganze Seite der Schaale mit sich herab, unbestimmt, ob die rechte oder die linke; 40 Falten (38 - 50). Phys. Abhandl. 1833. I 66 vo»BU6uH Länge 100, Breite 107, Dicke 77. So wenig das Verdrückte einer Seite bei anderen Terebrateln einen Charakter abgeben kann, so beständig scheint es doch bei dieser Art. Denn noch kein Stück ist ohne diese Ver- drückung gesehen worden. Von T. Plicatella, der sie in Form und Umfang ähnlich ist, unterscheidet sie die stets fehlende Dichotomie und die Form des Ohrs der Area, welche das Einsetzen der Seitenfal- ten bestimnit. : In oberen Juraschichten. Shotoverhill bei Oxford, und bei Weymouth. Ellrichser- bring in Braunschweig über dem Eisensteinflöz. 17. Teresratura Plicatella Sow. Sow. Tab.403. Fig.1. Der Schlofskantenwinkel ist kleiner als ein rechter, 75 Grad. Die Dorsalschaale ist so Sach, dals der Sinus in der Mitte oft nur erst durch seine Production über die Seiten- ränder hervor merklich wird. Die Schlofskanten sind nur wenig länger als die Randkanten, die Stirnkante aber völlig eben so breit. Diese Schaale endigt sich gegen den Schnabel mit einer nur kleinen Area, selten von der Länge der Hälfte der Schlofskante, Allein diese Arca erhebt sich zu einem, fast halbzirkelförmigen Ohr, dessen Ilöhe eben so lang ist, als der Durchmesser. Die vom Schnabel abgewendete Seite dieses Ohrs ist die steilere. Die Ventralschaale ist wenigstens dreimal so hoch, als die Dorsalschaale. Ihre Falten umgeben halbzirkelförmig das Ohr und stehen völlig senkrecht auf dem Rande der Dorsalschaale. Die Falten sind zwar breit und scharf, allein einige von ihnen, im er- sten Viertheil der Länge, sind allezeit zerspalten, vorzüglich an den Rändern des Sinus der Dorsalschaale und der, diesem Sinus entsprechenden Wulst der Ventralschaale. Doch ist der ganze Umrils der Muschel durch die Mitte der Länge, von der Stirn her gesehen, so re- gelmälsig, dals er ein, nur wenig über der Ventralseite gewölbtes Viereck bildet. Das Ohr und die ersten Falten der Ventralschaale liegen in einer ausgezeichneten Vertiefung, welche sich erst gegen das Ende der Schlofskante verliert. Die Falten werden gegen den Schnabel so fein, dals sie gewöhnlich gänzlich verschwinden. 42 Falten (38-48) zählt man am Rande in Allem, von denen 13 Falten (12-14) den Sinus bilden. Länge 100, Breite 83, Höhe 76. Die grölste Höhe liegt schon vor der Mitte der Länge. Sowerby hat das hohe Ohr und die charakteristische Vertiefung, in der es mit den ersten Falten liegt, wohl gezeichnet, allein er hat es nicht mit den Falten umgeben, wie es doch die Natur will. Im mittleren Jura. Chidcock bei Bridport, und ganz gleich zu Croizeville bei Mous- tiers und zu Bayeux, Calvados. Eine sehr schöne, grolse und zierliche Terebratel, welche sich von 7’. concinna vor- züglich durch die grölsere Höhe der Ventral- über die Dorsalschaale und durch die nie feh- lende Dichotomie einiger Falten unterscheidet. j über Terebrateln. 67 15. TEREBRATULA ocloplicata Sow. Brogn. Deser. de Paris Pl.4. Fig.8. T. gibsiana? Sow. 537. Fig.1. Diese Art steht zu T. plicatilis in dem Verhältnils, wie 7. alata zu T. concinna; die Seiten der Ventralschaale fallen nehmlich steil ab gegen den Rand, und sind nicht in Flügeln ausgedehnt. Der Schlolskantenwinkel ist ein rechter. Die Schlolskanten selbst sınd, vorzüglich ge- gen die Randkanten hin, abgerundet, so dals beide Seiten regelmälsige Kreisbogen bilden, die 5 von der Stirn abgestumpft werden. Die Öffnung unter dem Schnabel ist sehr klein, die Area schmal; daher der Schnabel nur wenig produeirt. Der Sinus ist nur erst seit dem Rande be- merklich; er ist breit und flach. Viele enge Falten, und bis zu 14 Falten im Sinus, 18 oder 19 Falten auf den Seiten; daher 50 Falten in Allem. Länge 100, Breite 102 (100-105), Dicke 65. Sinusweite von der Breite 73. b. Teresrarvra Pisum Sow. Sow. Tab.536. Fig. 6.7. Sie scheint von 7. octoplicata nicht wesentlich verschieden; nur allein in der Grölse. 5 bis 9 Falten im Sinus (5-12); 28 Falten in Allem. Länge 100, Breite 102, Dicke 72, Sinusweite 62. Lage und Abrundung der Kanten, Umrils, Area, Öffnung, Verbindung der Schaalen am Rande, sind für beide dieselben. Beide Abänderungen finden sich an denselben Orten, im Kreidemergel, in Sussex, zu Rouen; im Plänerkalk zu Strehlen bei Dresden, häufig bei Töplitz, zu Meroniz im Mittelge- birge, zu Bochum in Westphalen, auf Rügen, Pyroplager zu Trzeblitz. 19. Teresraruna Willsoni Sow. Sow. Tab. 118. Fig.3. Dalman Tab. 6. Fig.1. 7°. Zacunosa Wahl., Dalm. Die Dicke dieser Terebratel übertrifft sehr oft ihre Länge. Kaum findet sich ein solches Verhältnils bei einer anderen Art wieder. Der Sinus der Oberschaale ist sehr breit, doch erst am Rande zu bemerken. Er produeirt sich gegen die Ventralschaale mit einem senkrechten, faltenlosen Absatz, der fast die Hälfte der ganzen Höhe einnimmt, und bildet an der Stirn eine horizontale, durch die Falten ausgezackte Linie. Die Ventralschaale füllt ge- gen die Seiten erst ab, wenn sie schon unmittelbar über dem Rande steht; daher senkrecht. Die Dorsalschaale ist mehr als die Hälfte der Ventralschaale in Höhe. Sehr kleine Öffnung, welche durch die untere Schaale gewöhnlich ganz versteckt ist. Die Falten der Ventralschaale bilden einen völligen Halbkreis an der Seite, ehe sie den Rand erreichen. Auch an der Stirn fallen sie senkrecht den von der Dorsalschaale heraufkom- menden zu, wodurch diese Stirn ein sonderbar auffallendes, stumpfes Ansehn bekommt. 4 bis 5 Falten liegen im Sinus, 8 bis 12 Falten auf jeder Seite. 7 Falten im Sinus, 10 auf den Seiten, ist das Gewöhnlichere. 12 68 v. Buca Länge 100, Breite 107, Höhe 80. Sinusbreite 66 der ganzen Breite. Im schwarzen Transitionskalkstein in Herfordshire, bei Porsgrund in Norwegen, in der Gegend von Christiania; häufig in Gothland; auch in der Eifel (Berliner Sammlung). Nach Dalman sollen einige Falten in Stücken ven Norwegen gegabelt sein; das ist doch gewifs selten. Unweit Valognes im Cotentin, bei Chimai, 13 Linien lang und 1 Zoll dick; überall im Transitionskalkstein. Zu Beauvais in der weilsen Kreide (?) (Defrance Dict. d’hist. nat.), welches wohl zweifelhaft ist. 20. TeresrartuLa Mantiae Sow. Sow. Tab. 277. Fig. 1. Die Schlofskanten sind so lang, dafs die Randkanten verschwinden und mit der Stirn in einem flachen Bogen vereinigt sind, so dals der Umrifs (was auch Sowerby be- merkt) ein gleichseitiges Dreieck bildet, mit abgerundeter Stirnseite. Der Schlolskan- tenwinkel ist sehr spitz, 68 Grad. Der Schnabel ist abstehend, nicht gebogen. Die Area ist mit einem Ohr versehen, in eıner Vertiefung, und mit einer scharfen Kante gegen den Rücken. Die Seitenflügel fallen fast senkrecht gegen die Arca. Gewöhnlich ist eine Seite verborgen, so dafs der Sinus nicht deutlich hervortritt. Die grölste Breite findet sich in ‘ der Länge. Über die Schaale ziehen sich 25 einfache Falten. Sowerby zählt 16 Falten. Länge 100, Breite 95, Höhe 68. Sie ist der 7. concinna sehr ähnlich, unterscheidet sich aber durch geringere Höhe, und vorzüglich durch die Gröfse der Schlofskanten. Von 7. rosirata unterscheidet sie der starke Abfall ihrer Seiten, und daher der elliptische Umrils ihres Breitendurchschnitts. Im Übergangskalkstein der Gegend von Christiania, in der Schlottheimischen Samm- lung. Die Sowerby’sche ist von Irland. Von Bensberg bei Cöln (Berliner Sammlung). db. ALATAE. Tab. I, Fig.25. Der Umrifs des Durchschnitts der Breite bildet eine Curve, deren Schenkel stets mehr und schneller auseinandergehen. Hierdurch fallen die Seiten Anfangs schnell vom Rücken der Ventralschaale, später nur sehr allmählig. Die Seiten scheinen Flügel, die einem mittleren Körper angesetzt sind. Beide Schaalen vereinigen sich unter scharfem Winkel und die Sei- tenfalten der Ventralschaale neigen sich in sehr flachem und gedrückten Bogen gegen den Rand. 21. Teresrarura alata Brogniart. Niellson Petrif. Suec. Tab. IV, Fig.8. Brogniart Deser. de Paris Pl.IV, Fig.6. Der Schlofskantenwinkel ist etwas mehr als ein rechter. Die Falten sind alle einfach, ohne alle Zerspaltung. Die Area erhebt sich zu einem lang gezogenen, convexen Ohr und ist mit dem Rücken durch eine scharfe Kante verbunden. 5 bis 7 Falten liegen im Sinus der Dorsalmitte, 13 Falten auf jeder Seite; daher 32 bis 34 Falten in Allem. über Terebrateln. 69 Länge 100, Breite 120 (108-135), Dicke 70 (62-80). Sinus 63 der Breite. Die scharfe Kante der Area, das Ohr und der Mangel aller Zerspaltung der Falten unterscheiden diese Terebratel leicht von der oft sehr ähnlichen 7. Zacunosa. Diese Kante ist bei Niellson Fig. 8. B. erträglich gezeichnet. Häufig ist der wenig tiefe Sinus durch Verdrückung, Erhöhung oder Vertiefung einer Seite ganz verschwunden, und es entsteht, was als T. dissimilis, difformis, obligua an- geführt wird. Kleine oder junge, Stücke sind oft sehr flach, fast ohne Sinus. Ihre Höhe vermehrt sich mit der Gröfse, doch fällt die Ventralschaale ziemlich schnell von der Mitte gegen die Seite und giebt dem Ganzen mehr ein flächenartiges, als kugliches Ansehn. Wahrscheinlich gehört hierher, wenigstens zum Theil, was Schlottheim 7. peetunculata genannt hat. Die Falten treten scharf hervor, mit breiter Basis, wie ein Dach, und sind durch An- wachsringe auf den Seiten fein gestreift. Sie vergrölsern sich schnell in der Breite, sind aber am Schnabel kaum sichtbar. Sie findet sich in oberen Juraschichten bei Amberg, Giengen, und oft bei Kellheim und Aue, hier mit Diceraten vereinigt. Häufiger noch ist sie in der Kreide, zu Teltschen im Plauischen Grunde bei Dresden. In Frankreich bei Martigues, ohnweit Marseille; zu St. Paul trois chateaux, dann Meudon, Beauvais bei Paris. In Schonen sowohl in weilser Kreide, wie in Kreidesandstein. Niellson. 22. TereBRATULA lacunosa. Ziethen Tab..41. Fig.5. Tab. 42. Fig.4. Schlotth. Leonh. Taschenb. VII, Tab.1. Fig. 2. Der Schlofskantenwinkel ist ein rechter. Im Sinus des Rückens finden sich gewöhnlich sechs Falten, eine Zahl, die zwischen 8 und 3 Falten schwankt. Auf jeder Seite erheben sich sechs bis zehn Falten. Die Seitenfalten erreichen in so flachem Bogen den Rand, dafs die Länge des Bogens dreimal seine Höhe übertrifft. Gewöhnlich sind es 25 Falten in Allem, selten 34 Falten. Nicht leicht ohne Dichotomie oder Zerspal- tung einiger Falten; ohne Regel, und mehr in der Mitte, als gegen den Schnabel. Area mit Anwachsringen, ohne sich zu einem Ohr zu erheben. Sie ist durch Ab- rundung, ohne scharfe Kante mit dem Rücken verbunden. Länge 100, Breite 120 (115-124), Dicke 71 (61-81), Sinus 58 (51-68) der Breite. Die Breite dieser Terebratel ist allezeit bedeutend grölser als die Länge; aber die Linie, welche die Endpunkte der Schlolskanten vereinigt, oder die grölste Breite, geht gewöhnlich 2 ziemlich genau durch die Mitte der Länge. Die Randkanten sind nur % der Schlolskanten. Der Sinus oder die Bucht des Rückens senkt sich zwischen den Randkanten mit mehr als der halben Breite des Ganzen. Die Senkung ist aber nicht tief, flach im Grunde, und fängt erst an, seit dem Rande besonders bemerklich zu werden. In der Nähe des Schnabels enthält dieser Sinus ziemlich beständig 6 Falten, welche sich zuweilen durch Zerspaltung bis zu $ am Rande vermehren. Diese Zerspaltung unterscheidet sich von der, welche der Ab- theilung der Terebrateln mit sectirendem Deltdium wesentlich ist, theils dadurch, dafs sie 70 ve Bucn nur an wenigen Falten statt findet, noch mehr aber, dals die Falten dennoch in Breite sich immer vergrölsern: Auch werden sie gegen den Schnabel hin flach und wenig deutlich, welches ebenfalls den wesentlich dichotomen Terebrateln nicht eigen ist. Diese Anzahl der Falten des Sinus kann sich bis 4 vermindern, selten wohl bis zu 3. Die gewöhnliche Zahl der Seitenfalten ist 7 oder 8. Selten erhebt sich die Area zu einem lang’ gedehnten, und auch dann nur wenig auffallenden Ohr. Die Ventralschaale ist doppelt so hoch als die Dorsalhälfte. Sie steigt Anfangs senk- recht vom Schnabel: auf, erreicht ihre gröfste Höhe gewöhnlich genau in der Mitte der Länge und fällt dann wieder gegen den Rand, wenn auch nur wenig. Die Seitenfalten der Wulst, welche dem Sinus des Rückens jederzeit gegenübersteht, lälst dieses Abfallen besser beobach- ten, als die mittleren Falten, welche durch Verdrückung und Verschiebung nicht selten wie- der etwas in die Höhe zu steigen scheinen. Diese Wulst hat immer eine Falte mehr als der Sinus, daher 7 an der Stirn; und diese Falten zerspalten sich ebenfalls, wo die Flügel zuerst anfangen, sich deutlich von der Wulst zu trennen. Meistens gehören die beiden äulsersten Falten der Wulst unter die Zerspaltenen. Oft ist eine Seite verdrückt, herauf- oder herabgedrückt, und bildet denn, was man T. dissimilis, dimidiata ete. nennt. Doch ist es hier seltener, als bei 7’. alata, oder sol- chen, welche zur Abtheilung der Concinneen gehören. ; Es ist aus Fabio Colonna’s Figur und seiner Beschreibung ziemlich einleuchtend, dals unter der Anomia triloba lacunosa vorzüglich die gegenwärtige gemeint sei, und Lange und Scheuchzer haben keine andere darunter verstanden. Wahrscheinlich hat Linn« alle die unter dem Namen lacunosa zusammenfassen wollen, deren Rückensinus bei gefalteter Oberfläche auffallend war. Wenn daher die schwedischen Naturforscher die Benennung auf T. FYillsoni einschränken wollen, so würden sie selbst Linn&’s Autorität dafür nicht mit vollem Recht anführen dürfen. Diese Terebratel ist in oberen Schichten des Jura sehr gewöhnlich; ja sogar, wie es scheint, für diese auszeichnend. Man findet sie mit dem Heere der Corallen vereinigt, welche einen grofsen Theil dieser Schichten bilden, und mit Ammonites triplieatus, flexuosus, alternans, bifurcatus. Kinige ausgezeichnete Fundörter in Deutschland sind folgende: Die Höhen des Lägerberges und des Randen bei Schaffhausen, Fürstenberg, Giengen an der Brenz, Böhringen bei Göppingen, der Lochenberg bei Bahlingen, Hohenzollern, Neresheim, Wili- baldsburg bei Aichstedt, die Höhen von Streitberg, der Staffelberg am Main. Auch, wie- wohl etwas selten, zu Kellheim an der Donau. Sowerby hat keine Zeichnung, welche auf diese Art zu beziehen wäre; daher scheint sie wohl den neueren Oolithschichten in England zu fehlen. Dagegen findet sie sich im Dolomit (magnesian limestone) von Humberton in Yorkshire, wie viele Stücke im Berli- ner Gabinet erweisen, welche Herr von Dechen dort niedergelegt hat. Da im Dolomit sich nur Kerne erhalten, so sieht man auf diesen Kernen die Verzweigung der Ovarien bes- ser, als auf den erhaltenen Terebrateln des Kalksteins. Im deutschen Zechstein ist diese Te- rebratel nicht vorgekommen. Auch in anderen Formationen hat man sie bisher noch nicht gefunden. über Terebrateln. 74 23. Teresratura /rllobata Münster. Ziethen Würt. Verst. Tab. 42. Fig. 3. Dem ersten Anblick nach würde diese Terebratel zu der Abtheilung der Pugnaceen gezählt werden müssen; allein man bemerkt sehr bald eine so grolse Übereinstimmung zwi- schen ihr und der 7. /acunosa, dals man beide nur als sehr nahe stehend ansehen kann. Bei näherer Betrachtung ergiebt sich dann, dals zwar wohl der Rand der Ventralschaale be- deutend höher steht als die Mitte; allein bei den meisten ist seit dem Stirnrande eine Art von Bruch sichtbar, wodurch die Mitte einigermaalsen vom verlängerten Sinus getrennt ist. Ilierdurch äufßsert sich doch noch ein Bestreben des Thieres, mehr die Mitte herabzu- drücken, als den Rand, worin eben der verschiedene Charakter beider Abtheilungen, der CGon- einneen und der Pugnaceen liegt. Aufserdem, was hier entscheidend ist, geht bei den letz- teren, den Pugnaceen, der Sinus allezeit senkrecht auf die Ebene der Dorsalschaale herab, niemals im stumpfen Winkel. Das Ansteigen der Ventralschaale dieser Terebratel ist Anfangs zwar steil; allein bei weitem nicht senkrecht. Bald aber wird es sanfter und übersteigt nicht 40 Grad. Die Walst in der Mitte springt vor, über den Stirnrand heraus, und die Seiten bleiben wie Flügel zu- rück, so dafs die Muschel, wie ein Kleeblatt, in 3 Theile getheilt zu sein scheint. Der Schlols- kantenwinkel ist ein rechter, auch wohl noch grölser. Die Schlolskanten übertreffen die ab- gerundeten‘ : „Daic b.c a Du’ 7 ..C. iung. DICHOTOMAE. TereB. primipilaris Schlotth. von Geroldstein in der Eifel. Terep. Zivonica, von Adsel in Liefland. Berliner Cabinet. Durch Herrn von Engelhardt. TErEB. ringens, TEREB. grimace Herault, von Caön. Terep. Schlottheimii, aus Zechstein-Dolomit, von Glücksbrunn bei Liebenstein, Meiningen. Schlottheimische Sammlung. Terrp. angusta Schlotth. von Tarnowitz in Schlesien. Die Figur c. ist umge- wandt, die Dorsalschaale oben, die Ventralschaale unten. LAEVIS carinata, acuta. Schlottheimische Sammlung. d. vergröfsert. TereR. pectunculus Schlotth. CINCTAE. Fig. a. zeigt die Cor- respondenz der hervorstehenden Ribben. Sie alterniren bei der, bei dem ersten Anblick sehr ähnlichen 7. pectunculoides. Von Amberg. . d. vergröfsert. TEREB. gracilis Schlotth. von der Insel Rügen. Terep. decorata Schlotth. von Poix bei Mezieres. PLICOSAE in/latae. Trrep. ferita, von Bensberg bei Cöln. Berliner Cabinet. LORICATAE. Terre. Sayi Morton, aus Kreidesandstein von Neu-Ägypten in New Yersey. Amerika. Fig.c. läfst das Alterniren der Falten bemerken. LORICATAE. Die Figur ist umgewandt, die Dorsalschaale oben. Terep. antiplecta, aus Salzburg. Graf Münster’s Sammlung in Baireuth. Terep. incurva Schlotth. von Faxöe in Seeland. Schlottheimische Sammlung. Tab. Ill. Teres. pectiniformis Faujas, von Maastrich. Berliner Cabinet. Fig.c. ist um- gewandt; die flache Ventralschaale unten, die Dorsalschaale oben. Tereg. Menardi Lamarck, von Coulaines bei Mans. Kreide. Berliner Cabinet. Fig. c. ist umgewandt, die Dorsalschaale oben. Terep. Lagenalis Schlotth. CINCTAE. von Wöschnau bei Aarau. Schlott- heimische Sammlung. Terep. Pala, aus Salzburg. Graf Münster’s Sammlung in Baireuth. Fig. c ist umgewandt; die Ventralschaale unten. TereR. amphitoma Bronn, von Kielce in Polen. OPTRLGEAY 0 Er Aa Er, FD “on ae I A, u A ge er VADILDR WrrrBag D BEIUGEIEZZ ] MO eg ee De . a DI g 4, EERNTLER 4 RP wm GG ZUEGEULLCZ, "Fre Rev: DE WE DL gypa0 eestergg: wow Re BEE fra lei + + “oo. DE la “= + Ze} pegsPP2099220.40 : grob u ed ae A Ei) 1 war 2£? 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Juli 1832, revidirt und mit einigen Zusätzen gedruckt im Mai 1834.] ‚‚Tous les naturalistes en conviendront, que plus les corps organises sont composes, moins „iUyalieu de craindre une generation dquivoque dans leur production.’ Needham Nouvelles observations microscopiques, Paris 1750, pag. 47. I; Betrachtungen über die Existenz und Möglichkeit der Wahrneh- mung einer selbstständigen organischen Urmaterie vom Stand- punkte der Beobachtung. I. habe bereits in mehreren Vorträgen umständliche Beobachtungen vor- gelegt, welche mir die durch die Erscheinungen des Mikroskops erweckte und durch philosophische Systematik weiter ausgebildete Idee, als gebe es für alles Organische eine wahrnehmbare, an sich organlose Grundsub- stanz, oder eine lebendige und in verschiedenen Richtungen ausbildungsfä- hige Urmaterie, welche durch äufsere Verhältnisse zur Entwicklung einer inneren Organisation bald für die pflanzliche, bald für die thierische Rich- tung bestimmt werde und als werde diese organische Urmaterie, diese Basis der Generatio spontanea, durch die Infusorien repräsentirt, nicht blofs in Zweifel zu stellen, sondern auch zu widerlegen schienen. Um dieses Resultat anschaulicher zu machen, bin ich seit vielen Jah- ren mit möglichster Vorsicht und Beharrlichkeit zu Werke gegangen, bis es mir zuletzt gelungen war, durch Anwendung überzeugender und leicht zu prüfender Methoden die Existenz einer durchgreifenden Organisation der als Phys. Abhandl. 1833. T 146 Eurenpgeng: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation organlos geschilderten sogenannten Infusorien -Molekulen und eine cyklische Entwicklung ihrer Hauptformen aus Eiern theils höchst wahrscheinlich zu machen, theils direct nachzuweisen und anschaulich zu machen. A. Urtheile und Bemerkungen Anderer über die Beobachtung der Infusorienstructur. Seit der Bekanntmachung meiner Beobachtungen bin ich auf das Ur- theil, besonders auf die Einwürfe der Gelehrten aufmerksam gewesen, und ich halte für zweckmäfsig, die wissenschaftlichen Urtheile und Erinnerungen, welche mir bisher bekannt geworden, kritisch zusammenzustellen. Zuerst hat Herr Doctor Gairdner in London einen Auszug aus meiner ersten Mit- theilung in Jameson’s Zdinburgh Philosophical Journal, December 1831 und Januar 1832 in englischer Sprache einrücken lassen und bestätigt die Beobachtungen als Augenzeuge während seiner Anwesenheit in Berlin. Fer- ner erkennt Herr Georg von Cuvier in Paris in der Analyse des tra- vaux de !’Academie royale des sciences pendant l’annee 1830, partie physique pag.87. den von mir mitgetheilten Beobachtungen Neuheit, ein besonderes Interesse und einen allgemeineren Einflufs zu (!). Besonders erfreulich wa- ren mir die umständlich prüfenden und bestätigenden eigenen Beobachtun- gen des Herrn Dr. Rudolph Wagner in Erlangen, die er im 4" Hefte von Oken’s Isis 1832. pag. 383. mitgetheilt hat, wo er besonders die von mir an Hydatina senta gemachten Beobachtungen wiederholt und meinen Dar- stellungen überall, wo er den Gegenstand prüfen konnte, das Zeugnifs der höchsten Genauigkeit ertheilt. Von Gelehrten, die über gewisse wichtigere Punkte anderer Meinung sind, sind mir besonders zwei Erinnerungen bekannt geworden. Einmal hat man anonym in der Isis, Jahrgang 1832. pag. 198., neben anerkennen- dem Zeugnifs der Richtigkeit der Structurbeobachtungen die Idee von Zu- sammensetzung der organischen Körper, und selbst der Menschen, aus In- fusorien und deren Zerfallen in Infusorien, welche sich, meinen Beobach- tungen zufolge, als unstatthaft erwiesen hatte, dennoch dadurch vertheidigt, als sei das Bilden von Infusorien durch Zerfallen des Leibes, so wie das Bil- den des Leibes im Ernähren durch Vereinigung der Infusorien im physio- (') Er sagt sogar: „Cette decouverte change entierement les idees et renverse surlout bien des systömes; elle est du nombre de celles, qui font epoque dans les sciences. in der Richtung des kleinsten Raumes. 147 siologischen, nicht aber im descriptiv zoologischen Sinne gemeint und als bliebe, ohnerachtet aller Gegenrede, es dennoch fest, dafs der menschliche Embryo alle Thierklassen durchlaufe, mithin aus allen Thieren zusammengesetzt sei, obwohl sie niemand aus ihm herausschneiden könne. Dieser speculativ-philosophischen Idee, welche schon unter andern in Ru- dolphi’s Physiologie zurückgewiesen ist, dürfte jedoch wohl durch diese Infusorienbeobachtungen, so viel sie sich auch verfeinern möge, ein Gedei- hen ganz abgeschnitten sein, wenn auch ihr Auftauchen von Zeit zu Zeit sich erneuen sollte. Seitdem nachgewiesen ist, dafs sämtliche 16 Infusorien- gattungen von O.F. Müller eine (meist sehr) zusammengesetzte und feste thierische Organisation besitzen und mehrere eine cyclische Entwicklung aus Eiern schon deutlich zeigen, die übrigen aber höchst wahrscheinlich machen, so giebt es auch nur Infusorien im descriptiv-zoologischen Sinne, und die ehemaligen physiologischen Infusorien haben damit zu existiren doch wohl eben so vollständig aufgehört. Was aber die neueren und meine eignen systematischen Zertheilungen der Müllerschen Infusoriengattungen anlangt, so zeigt die durch Beobachtung nun schon weit über sie verbreitete Kennt- nifs der gleichen Organisation, dafs diejenigen Formen, welche noch der Urmaterie nahe zu stehen scheinen, viel wahrscheinlicher der genauen Beobachtung, als der den anderenähnlichen Organisation erman- geln. Will man sich daher ferner noch die Ernährung des Leibes in ihren Einzelheiten durch Zuströmen und Sammeln kleiner Theilchen von Materie und sein Auflösen und Zerfallen im Tode durch Abgang nnd Zerstreuen derselben deutlich machen, so kann man diese Theilchen nun nicht mehr Infusorien nennen, sondern man wird die gröberen mit dem Namen von Materien- oder Atomen -Aggregaten (Häufchen), und die letzten und fein- sten, welche man hypothetisch statuiren will, wirkliche Atome nennen müssen. Da nun organische Atome und Infusorien der Erfahrung gemäfs nicht Synonyme sind, so wird man auch den menschlichen Leib nicht ein Aggregat von Infusorien, sondern, wie vor Erfindung des Mikroskops, nur ein Aggregat von sehr kleinen materiellen Theilen oder Atomen nennen dürfen. Was die andere Idee von einer zu durchlaufenden Stufenfolge bei der Entwicklung des menschlichen Leibes anlangt, welche alle Thierklassen be- rühre, so ist sie nur in der Betrachtung der äufseren Form, nirgends im 12 148 Eurensgene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Wesen begründet, und das Aufstellen eines Einheitsprineips der organischen Natur dürfte auf diesem Wege den Dank der Mehrheit nie verdienen. Denn überall erscheint die Form untergeordnet einem inneren Wesen, welches sie vielfach zu wechseln fähig ist, und wenn alle Formen sich auf 3 Dimen- sionen der Länge, Breite und Dicke reduciren und mithin Linien, Flächen und Kugeln als Grundformen erscheinen, so finden wir auch überall in der organischen Natur ein Auftreten der Organismen in all diesen Formen, un- beschadet ihrer anerkannt wesentlicheren, sehr verschiedenen Charaktere, und selbst das Vorherrschende der einzelnen Hauptdimensionen wird zur Nebensache, wenn wir gröfsere Gruppen der sich verwandten Organismen betrachten (!). Dafs der Anfang aller Organisation ein Infusorium sei und (') So giebt es ja bekanntlich in allen Abtheilungen des Thierreichs lange, kurze und breite Formen. Spulwürmer, Doppellöcher und Blasenwürmer; Gespenstheuschrecken, Blatt- heuschrecken und Grylien; Aale, Schollen und Kugelfische; Schlangen, Schildkröten und Krö- ten; Reiher, Gänse und Eulen; Wiesel, Vampir und Igel mögen als nahe liegende Beispiele des Langen, Breiten und Gerundeten angeführt sein. Wollte jemand, wie Ähnliches Treilich bereits in Schriften vorliegt, Spulwürmer, Aale, Schlangen, Reiher und Wiesel, weil sie sämtlich lang sind, als Entwicklungsstufen einer und derselben Grundform vom Wurme bis zum Säugthiere ansehen, so würde ein solches Verfahren wohl spashafte Combinationen er- zeugen, aber wenigstens nicht im wissenschaftlichen Ernste gebilligt werden können, da nicht blols die Gattungen der Klassen, sondern sogar die Species der Gattungen der Organismen, wenn wir sie nach Ähnlichkeit der Gesamtstructur überblicken, in diesen Dimensions- und Formverhältnissen variiren, so dals diese häufig nur Specialcharaktere bilden. Oft sogar durch- laufen die verschiedenen Alterszustände eines und desselben Individuums jene Formen bald vom Runden zum Langen, wie beim Reiher, Wiesel und Menschen; bald umgekehrt, wie bei der Kröte, deren schlanke Larve einem Fischchen gleicht, und bei den Raupen der Insecten. Auch ist es ein schon öfter angezeigter Irrthum, wenn man den Embryonen der Säug- thiere eine innere Structurähnlichkeit mit Würmern zuschreibt, da die rudimentäre Ausbil- dung der kleineren Thiere, wie man sie sich früher dachte, durch.gegenwärtige Untersuchun- gen ebenfalls in einem grofsen Bereiche als ungegründet erwiesen wird und bei vielen an- dern nur noch der genaueren Beobachtung ermangelt, um wohl dasselbe Schicksal zu er- fahren. Wir haben zwar ein Recht, den Menschen zum Maalsstab der harmonischen und geistigen Entwicklung des Organıschen zu nehmen und so ihm alle übrigen Organismen un- terzuordnen, aber in körperlicher Entwicklung überragen ihn viele Thiere, und diese Vor- züge als Mängel darzustellen, ist wenigstens Sophismus und nicht recht würdig. Das herz- lose Gefälssystem der Würmer ist anders als das centrale der Säugthiere, kann aber durch- aus nicht als eine Hemmungsbildung angesehen werden, indem nie ein Säugthier - Embryo wirklich ein vollendetes, irgend einem Wurme ähnliches Gefälssystem zeigt, sondern immer nur ein unvollendetes der Säugthiere, und zwar nur seiner bestimmten Species. Ebenso sind die Flügel der Vögel anders als die Arme der Menschen. Jedes erscheint zweckmäfsig und in der Richtung des kleinsten Raumes. 149 dafs der Ausdruck Infusorium gleichbedeutend sei mit Schleimkügel- chen, Schleimbläschen und dergl., ist unrichtig, weil weder die Kugel- form die einzige noch die vorherrschende bei den Infusorien ist und weil die Infusorien Zähne, Darm, Augen und Eier zum Theil in einer ähnlichen Voll- kommenheit, nur in einer andern Form und Zweckmäfsigkeit haben, wie die gröfseren Thiere. Ferner findet sich in den vortrefflichen neueren Arbeiten des ver- dienstvollen Zootomen, Herrn Hofrath Carus, manches, was in Beziehung auf meine Mittheilungen steht, und je mehr ich den vielseitig genialen Na- turforscher hoch ehre, desto mehr halte ich für die von ihm mit Anerken- nung und wissenschaftlicher Würde gegebenen Winke mich zur Aufmerk- samkeit und speciellen Berücksichtigung verpflichtet. In den ausgezeichnet fruchtbaren Erläuterungstafeln zur vergleichenden Anatomie Heft III, 1831, pag. 4. äufsert sich der Verfasser in der Anmerkung wie folgt: ,,So wichtig ‚„‚auch die vortrefflichen Untersuchungen Ehrenberg’s über die Infusorien ‚„‚sind, so würde man sie doch falsch verstehen, wenn man sich verleiten „„liefse zu glauben, dafs nun auch in den niedrigsten Organismen die Man- ‚„nigfaltigkeit der Organe höherer Thiere immer vorhanden sein müsse und „nur durch ihre Feinheit sich oft dem bewaffneten Auge entzöge. Anfan- ‚„‚gen mufs nun einmal Alles, und so auch das Thierreich, und zwar mit „höchst einfachen Formen. Wenn man ein Rhizostoma Cuvieri von 1 Fufs „Durchmesser vor sich hat und auch in dieser Masse nichts als einige Nah- ‚„‚rungshöhlen und Kanäle in der sonst homogenen Eistoffmasse ausgehöhlt ‚findet, so wird man sich überzeugen, dafs es nicht die Kleinheit ist, welche ‚„‚uns das Erkennen von Nerven, Muskeln, Drüsen, Zähnen und doppelten ‚„, Geschlechtsorganen unmöglich macht” (!). Derselbe würdige Verfasser sagt in seiner wichtigen Abhandlung über die Entwicklung der Flufsmuschel ist vollendet für seine Form, und dafs dieses vollkommener als jenes sei, beruht auf dem Trugschlufs, bei welchem man Heterogenes und Unvergleichbares vergleicht. Auch nur das Zusammengesetztere immer für das Vollkommenere zu erklären, ist unrichtig, da offenbar ein Vogelflügel an äulseren gröfseren Theilen zusammengesetzter ist als ein Menschenarm und ein Wallfisch oder Elephant aus mehr atomistischen Einzelheiten besteht als ein Mensch, ob- schon sich der Mensch durch geistige Kraft den Vorrang sichert. (') Über die weit grölsere und bestimmtere Zusammensetzung und Organisation der Me- dusen hoffe ich späterhin Mittheilungen machen zu können. 150 Eunresseng: Beitrag zur Erkenntnifs.grofser Organisation (Nova Acta Acad. Leop. Vol.XVI, 1831, pag.74.): ‚„Möglich ist es jedoch „allerdings, dafs diese wolkenartig gestalteten Thierchen (es wird ein Kör- ‚,perchen gemeint, welches der Verfasser Drehthier, Peripheres conchilio- „‚spermalicus genannt hat) wirklich nichts anderes als eben belebte Schleim- ‚„„blasen ohne alle weitere Organisation sind; denn es wäre offenbar eine „falsche Nutzanwendung von Ehrenberg’s Entdeckungen über Infuso- .‚rien, wenn man voraussetzen wollte, dafs jedwede dieser niedern Thier- „, gattungen einen zusammengesetzten innern Bau haben müsse, weil so viele ‚„‚ihn haben. Wie jede Thierbildung nämlich mit der einfachen Kugelbil- „dung, dem Ei anfangen mufs, so mufs es auch Thiergattungen geben, ‚„„welche diese Entwicklungsstufe des Thierreichs als beharrende Form dar- ‚‚ stellen.” Die Wichtigkeit der Bestätigung oder Verwerfung dieser Meinungen leuchtet ein. Es handelt sich nämlich um 2 Hauptpunkte und Grundpfeiler der Physiologie als Wissenschaft. Um eine wissenschaftliche Basis zu haben, wird 1) behauptet, es müsse Alles anfangen, und so müsse es höchst ein- fache Formen des Thierreichs geben, welche thierisch lebendig, aber noch ohne Mannigfaltigkeit der Organe und organlos seien (wie Peripheres); 2) wie jede Thierbildung mit der Kugelbildung, dem Ei anfange, so müsse es auch Thiergattungen geben, welche diese Entwick- lungsstufe des Thierreichs als beharrende Form darstellen. Es läfst sich gar nicht läugnen, dafs wir mit unserm Nachdenken, Ver- gleichen und Schliefsen leicht zur Bestätigung dieser beiden angenommenen Grundsätze der Naturgeschichte und Physiologie hingeleitet werden. Beide erscheinen als möglich und als wahrscheinlich. Hier zeigt sich aber gerade der Unterschied des Möglichen und Wirklichen, der Einflufs von vorgrei- fender subjectiver Philosophie oder speculativer Naturforschung und von prüfender objectiver Philosophie oder beobachtender Naturforschung, denn beide Hauptsätze werden von der Erfahrung nicht bestätigt. Auch erkennt man wohl, dafs die logische Schlufsform nicht eine Nothwendigkeit zur Annahme jener beiden Sätze giebt, denn wenn auch Alles anfangen mufs und gewifs auch das Thierreich angefangen hat, und wie es beständig ab- stirbt, auch beständig von Neuem anfängt, so folgt doch nicht nothwendig, in der Richtung des kleinsten Raumes. 151 dafs das Thierreich mit Leuwenhoek’s Infusorien und mit Buffon’s Mo- lekulen anfangen müsse, sondern es kann bei weitem feiner und auf ganz andere, vielleicht uns noch unbekannte Weise anfangen. Auch liefse sich wohl denken, dafs das Thierreich nicht mit Einfachem anfange, sondern dafs zur Bildung der kleinsten Monade wie des gröfsten Thieres eine gewisse gleiche Summe von Organisation erforderlich sei. Da gerade diese Grund- sätze, mit denen noch andere physiologische Sätze zusammenhängen, nicht aber die systematische Formenbetrachtung der Pilze, Infusorien und Einge- weidewürmer der Centralpunkt meiner vieljährigen Bemühungen gewesen, so unterlasse ich nicht, meine Bemerkungen auf diese Punkte speciell zu wenden. B. Über die Ei- und Kugelform als erste und beharrende Stufe des Thierreichs. Die Resultate meiner Beobachtungen sind mit der vielseitig angenom- menen Eiform als erste und beharrende selbstständige Entwick- lungsstufe des Thierreichs so weit übereinstimmend, wie ich in mei- nen früheren, bereits gedruckten Vorträgen schon ausgesprochen und neuer- lich bestätigt habe, dafs jede Thierbildung, auch jede derjenigen Infu- sorienbildungen, welche bisher gehörig hat untersucht werden können, mit dem Ei anfange; allein ich bin in Folge derselben Beobachtungen weit entfernt, annehmen zu können, dafs sie mit einer structurlosen, einfachen und indifferenten, und am wenigsten mit einer wahrnehmbaren einfachen Kugelform anfange. So wie man denn überhaupt die Kugelform als Vor- herrschendes und als Element, als Anfang und Ende des Weltsystems, zwar poetisch, aber nicht wissenschaftlich richtig bezeichnet. Wohl ist der mensch- liche Geist durch sich selbst aufgefordert, in der Vielheit die Einheit zu suchen, aber überall sehen wir zwei schroffe Gegensätze in dem freien, zwar an ein Ganzes gebundenen, aber sich vielfach selbst bestimmenden geistvol- len Leben des Organischen und dem allseitig gebundenen geistlosen durch physikalische Kräfte, Fremdes, bestimmten Beharren, oder Formen - und Ortswechsel des Anorganischen. Die Sonnensysteme und Weltkörper, so unendlich ihre Ausdehnung, Masse und ihr Einflufs auf uns Menschen ist, folgen, wie die genauen Rechnungen der Astronomen zeigen, willenlos und regelrecht wie die Uhr, welche sich der Mensch willkührlich zusammen- setzt, dem Gesetze der Schwere, und wenn Hegel in seiner Habilitations- 152 Eurengene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation schrift De Orbitis planetarum die organischen Körper der Erde samt den Menschen in ihrer Würde so weit gegen die Himmelskörper zurücksetzt, dafs er sagt: ‚‚Aufser den Himmelskörpern sind alle übrige Naturkörper in der ‚„‚ Elementarkraft der Natur, welche die Schwere ist, sich selbst nicht ge- ‚„‚nügend und gehen durch die Kraft des Ganzen zerdrückt unter, aber ‚‚ die Himmelskörper, welche, nicht an die irdische Scholle gebunden, ein ‚Centrum der Schwere vollendeter in sich tragen, schreiten wie Götter ‚durch den Äther einher”’ (!); so dürfte doch schwerlich irgend ein Mensch sein Schicksal mit dem göttlichen eines Mondes vertauschen wollen, der ge- rade, weil er sich in grauenvoller Geistlosigkeit mechanisch immer gleich- förmig bewegt, zeigt, dafs er nicht unabhängig, nicht geistig ist, sonderu willenlos einer fremden Kraft gehorcht, und dafs er, wenn er denkend wäre, jeden Wurm der Erde um seine Freiheit des Willens und der Bewegung be- neiden müfste. Diese Kugeln des Weltraumes, diese Monde, Planeten, Sonnen und Sonnensysteme erscheinen als, ohne Wahl und ohne geistigen Widerstand, beherrscht durch die physikalischen Kräfte, und ihre Form er- scheint bedingt durch diese. Sie sind gar nicht vergleichbar mit den Dotter- kügelchen, Blutkügelchen, Amylumkügelchen, den Eiern und all dem ku- gelförmigen ÖOrganischen, so klein und grofs es auch sei, dessen Grund in der Lebenskraft liegt, welche in ihrer höchsten Entwicklung als geistige Kraft eine gemüthlichere Annäherung an die Idee der Gottheit bietet, die der Stolz und die Beruhigung des Menschen ist und nicht in Schwere und Trägheit zu bestehen braucht. So wie nun die Kugelform in der Natur aus zwei widerstrebenden Elementen, den physikalischen Kräften und dem (') Praeter corpora coelestia omnia alia quae nalura gignit — in prima nalurae vi, quae est graviias, sibi non sufliciunt et vi totius oppressa pereunt, corpora autem coe- lestia glebae non adscripta et centrum gravilatis perfectius in se gerentia, Deorum more per levem aöra incedunt. Diese wenig bekannte Schrift ist ein merkwürdiges Aktenstück und Zeugnils, auf welche Irrwege die abstracte Philosophie leitet, wenn sie die prüfende Beobachtung verachtet. Ihr berühmter Verfasser bewies darin in demselben Jahre als Piazzi die Ceres entdeckte, dals jener Raum, worin die Astronomen einen fehlenden Planeten suchten, als leerer Weltraum philosophisch nothwendig, und also jenes Suchen zweck- los sei. Vier neue Planeten, und das ist doch etwas, zeugen dafür, dals die eigene Philoso- phie der Naturforschung richtiger als jene absolute war und dafs ein Aufdrängen von der- gleichen philosophischen Speculationen desto schädlicher und hemmender wirken muls, je grö- [serer Auctorität sich der erfreut, welcher sie vorlegt. in der Richtung des kleinsten Raumes. 153 Streben zum Organismus oder der Lebenskraft, der Erfahrung gemäfs, gleich- mäfsig hervorgeht und nur in der organischen Natur hie und da als in sich und durch sich selbst bedingt erkannt wird, sonst überall vielmehr durch Einflufs fremder Kraft entsteht, da auch die Kugelform für das Ei nicht nothwendig erscheint, indem es viele cylindrische und fadenförmige Eier bei Insecten und Würmern giebt (Wenigen wohl sind die langen ceylindrischen Fliegeneier unbekannt geblieben), so ist offenbar die Bedeutung der Kugel- form in der Natur eine viel geringere, als sie oft symbolisch und poetisch ausgesprochen wird, und die Nothwendigkeit ihrer selbstständig beharrenden Form als erste Entwicklungsstufe des Thierreichs ist nicht begründet. C. Über organlose, selbstständig beharrende Materie als organische Urmaterie. Was den zweiten Hauptpunkt, die Idee von selbstständig beharren- den, organlosen oder einfachen Körpern im Thierreiche anlangt, so läfst sich ihre Möglichkeit philosophisch nicht läugnen, aber die Behauptung ihrer wahrnehmbaren Existenz, wie mir scheint, widerlegen. Organlose, selbstständige, ihierische Materie, für welche man lange Zeit die Infusorien oder einen Theil derselben angesehen hat, bedarf nicht eines gewissen Gröfsenverhältnisses zu den organischen Körpern, man mag sich nun begnügen, sie blofs als selbstständige Bildungsform, ohne weitern Einflufs zu betrachten, oder man mag sie für das Material der bildenden Naturkraft ansehen, welche durch Generatio primitiva dieselbe zur Bildung beliebiger Organismen verwende. Es liegt nichts Unmögliches in dem Ge- danken, dafs es wohl grofse Massen, Klumpen organischen Urstoffes geben möge, die ohne weitere Vorbereitung durch ein günstiges Verhältnifs gewisser äufserer Einflüsse sich organisiren. Ob aber gleich die Möglichkeit der Existenz solcher gröfserer Massen selbstständiger organischer Materie nicht wohl zu läugnen ist, so fehlt es doch an Beweisen für die Wirklichkeit ihrer Erscheinung. Alte Sagen und Poesieen der früheren Geschichtsepochen des Men- schengeschlechts sprechen viel von Verwandlungen. Ackerland und Fels- blöcke, oder Steine, wurden plötzlich zu Menschen umgewandelt und die Völker wetteiferten, Autochthonen zu sein. Aus dem Meeresschaume ent- stand Aphrodite, die Frösche bildeten sich nach dem Regen aus Schlamm, so dafs man deren beschrieb, die vorn schon Frosch, hinten noch Schlamm Phys. Abhandl. 1833. U 154 Eunengenc: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation waren. Schon in alten Zeiten ist man aber auch von diesen Ideen zurück- gekommen und niemand hat ernstlich und glaubwürdig bezeugt, dafs er bei solchem Entstehen von Menschen oder gröfseren Thieren Augenzeuge gewe- sen. Für Fische, Amphibien, Insecten und Unkraut haben sich Sagen die- ser Art bis auf unsere Zeit erhalten. Virgil lehrt, dafs man Bienen aus Ochsenblut erzeugen könne, Aristoteles lehrt, dafs die Aale und Regen- würmer aus Schlamm entstehen und die Kohlraupen aus den Kohlblättern, so wie auch Plinius dem faulen Wasser die Erzeugung der Mücken zu- schreibt u.s.w. In der neueren Zeit glaubt an das unmittelbare Entstehen von Wirbelthieren ohne Zeugung kein bedächtiger Schriftsteller mehr und Redi’s gründliche Beobachtungen des Verhaltens der Würmer in faulen Stoffen haben schon seit 2 Saeculis diese Würmer von jener Entstehungs- art freigesprochen und sie vielmehr für Fliegenlarven u. dergl. erklärt, die durch Eier erzeugt werden, welche die im Luftraume sich bewegenden Flie- gen in die faulen Stoffe und Feuchtigkeiten niederlegen. Die neueren Be- obachtungen der cyclischen Entwicklung zahlreicher einzelner Formen der Insecten machen Redi’s Entdeckung En ihre Bestätigung zu einer neuen Epoche der Aufklärung und lassen es jedermann lächerlich erscheinen, wenn noch 1817 du Fray in seinem mit vielen falschen Beobachtungen erfüllten Buche (Essai sur Vorigine des corps organises pag. 124.) behauptet, er habe aus faulem Ochsenfleische durch Generatio primitiva Fliegen erhalten und vor Augenzeugen ein Stück in Fliegen verwandeltes Ochsenfleisch davonfliegen lassen: Apres que quelques amis les eurent vues, je mis en liberte ces por- tions de boeuf devenues mouches. Wenn auch in den Sagen der Völker und bei weniger genauen Beobachtern sich noch hie und da eine Vertheidi- gung der primitiven Erzeugung von Insecten ausspricht, so ist doch bei der grofsen Mehrheit richtig zu beobachten und zu urtheilen vermögender Schrift- steller für alle leicht sichtbaren organischen Körper, sowohl Thiere als Pflanzen, die Meinung feststehend geworden, dafs sie sich nur durch be- fruchtete oder unbefruchtete Theile eines gleichartigen Mutterkörpers ver- mehren, dafs nie aber ein gröfseres, leicht wahrnehmbares Stück irgend einer organlosen Substanz in einen organischen Körper verwandelt werde. Aber auch alle gröfseren, gallertartigen Substanzen, welche man für organlose, selbstständige, thierische Materie halten könnte, ohne gerade deren Über gang in andere Organismen zu behaupten, und deren einigen man 5 in der Richtung des kleinsten Raumes. 155 einen meteorischen Ursprung zuschrieb, hat eine genauere Untersuchung fa- serig und körnig, also zusammengesetzt (fruchttragend) gefunden, weshalb sie, den Regeln der systematischen Naturgeschichte gemäfs, in die Reihe der selbstständigen vegetabilischen Organismen aufgenommen worden sind, so dafs keine bekannte und zu bezeichnende, in der Natur vorkommende und von glaubwürdigen und unterrichteten Augenzeugen untersuchte gröfsere Substanz unbestimmbar übrig geblieben ist, der man den Namen einer Masse von organischer Urmaterie beilegen könnte. Hiermit ist also die Idee von organischer Urmaterie durch Beobachtung allmälig aus dem Kreise der leicht wahrnehmbaren Gröfsen in den der kleineren, dem blofsen Auge nicht mehr erreichbaren Körper verdrängt worden, deren Existenz man erst seit der Erfindung der Mikroskope kennen lernte. Sind wir demnach darauf beschränkt, nur diejenigen Körper, welche dem gewöhnlichen Gesichtskreise des Menschen entgehen, die aber das Mi- kroskop erkennen läfst, darauf zu prüfen, ob es unter ihnen solche struc- turlose Körper giebt, denen man den Namen einer selbstständigen, thierisch organischen Urmaterie beilegen könnte, so lassen sich diese, der Übersicht halber, bequem in unbewegliche oder nur passiv bewegte und selbstbe- wegte eintheilen. Wollte man die selbstständige, einfache, thierische Sub- stanz in der Abtheilung der unbeweglichen suchen, so müfste man irgend ein Kennzeichen für dieselbe feststellen, um sie mit Bestimmtheit von den Fragmenten todter, organischer Körper und von anorganischen Körpern zu unterscheiden; denn die ersteren sind keine selbstständige Substanzen, son- dern im Zerfallen begriffene Theile ehemaliger selbstständiger Organismen, und die letzteren oder unorganischen Körper, welche den neuesten chemi- schen Principien zufolge einen ganz andern Aggregatzustand der Theile oder Atome haben und, auch jenen Beobachtern der organischen Urmaterie zu- folge, zur Bildung der Organismen nicht concurriren, sind von diesen Be- trachtungen ausgeschlossen. Die regelmäfsigen, erystallinischen, geometri- schen Formen einerseits und die scharfen, unregelmäfsigen Umrisse ihrer Fragmente, Undurchsichtigkeit, Härte und Sprödigkeit andrerseits, lassen anorganische Substanzen durch ein oder das andere dieser Merkmale, oft durch alle, gewöhnlich leicht erkennen. Die letzteren Eigenschaften der steinigen und erdigen Körper erkennt man ziemlich leicht und sicher, auch in sehr feinem Zustande, durch Druck zwischen geschliffenen Glasplatten. 2 156 Eunenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Die gerifsnen, unregelmäfsigen Ränder und Bekanntschaft mit der Textur der Pflanzen- und Thierstoffe lassen deren zerstörte Fragmente bei grofser Übung im Beobachten und genauer Vergleichung der Umstände ebenfalls mit so grofser Wahrscheinlichkeit erkennen, dafs eine moralische Überzeugung über das Wesen des Vorliegenden eintreten kann. Besonders mufs man sich hüten, nicht dabei in du Fray’s Fehler zu verfallen, dafs man Fragmente todter Thiere und Pflanzen im Wasser für still liegende Anfänge neuer Ge- nerationen, und Gallerte von Froschlaich, pflanzlichen und thierischen Schleim, Infusorien-Cadaver, als Pristleysche Materie und Überzug stehen- den Wassers, u. dergl. für Urmaterie halte. Die offenbaren Spuren der Auf- lösung, das Gerifsne und Verstümmelte der Ränder und Enden und die ge- nau zu untersuchenden, begleitenden Umstände und Körper, samt wieder- holten Versuchen zur Beobachtung ihrer weiteren Entwicklung, geben dem nicht absichtlich vom geraden wissenschaftlichen Wege in die Irrungen der Poesie und Laune Abweichenden ein moralisch überzeugendes Anhalten für sein Urtheil, dafs diefs keine selbstständigen, beharrenden und wachsenden, sondern zerfallende Materien und Körper sind. Durch den Procefs der Fäul- nifs lösen sie sich allmälig in so feine und immer feinere Theilchen auf, dafs sie sich der optischen Kraft ganz entziehen und mit dem Wasser eine innige Mischung bilden, bei der ihre Selbstständigkeit verloren zu gehen scheint, oder doch nicht mehr zu erweisen ist. Viele behaupten nun zwar, dafs die Fäulnifs die organische Urmaterie aus dem erstorbenen Organismus nur be- g, weil sie gute Nahrung finden, sich dabei vervielfältigen, für die frei gewordene freie ; allein diese sehen dann die Infusorien, welche häufig gleichzeiti und sich entwickelnde Urmaterie an, von dessen Unzulässigkeit sogleich wei- ter die Rede sein wird. Die Beachtung dieser Umstände hat mich stets ge- leitet und allmälig zu den Resultaten geführt, die ich jetzt mitzutheilen im Stande bin. Nimmt man nun all diese unorganischen, todten und zerstörten orga- nischen Stoffe aus der Abtheilung der unbeweglichen Objecte des Mikros- kops weg, so bleibt dem Beobachter noch eine Reihe von mikroskopischen, scheinbar structurlosen oder höchst einfach organisirten Körpern übrig, welche eine gewisse bestimmte Form haben, die in gleicher Art zu den ver- schiedensten Zeiten immer der Beobachtung wiederkehrt. Diese Substanzen hat man bisher sämtlich zu den cryptogamischen Pflanzen, besonders den in der Richtung des kleinsten Raumes. 157 Pilzen und Algen gezogen, und es kommen sowohl in feuchter Erde, an der Luft, als im Wasser verhältnifsmäfsig nur noch sehr wenige bei uns vor, die nicht schon verzeichnet und benannt wären. Dafs aber auch diese Körperchen nicht die Repräsentanten der niedrigsten organischen Structur sind, lehrt ihre Beobachtung; denn mit jedem Jahre und mit jeder neuen, geschärfte- ren Untersuchung wird immer mehr Örganisches an und in einigen ihrer Formen unterschieden, so dafs es gewagt erscheint, mit ihnen, deren De- tails ganz offenbar sich der Kraft unserer Sinne durch ihre Kleinheit und Durchsichtigkeit entziehen, eine so wichtige und einflufsreiche Behauptung, als die wahrnehmbare Grenze der organischen Natur, man möchte sagen das Ende des Unendlichen ist, zu beweisen und damit mehr festzustellen, als dafs unsere optischen Instrumente noch nicht ausreichen, ihren Organismus vollständig zu erkennen. Viele Beobachter haben auch todte, ganze und sehr langsam kriechende kleine Thiere für unbewegliche Körper dieser Art gehalten, und viele andere unterscheiden hygroskopische und Entwicklungsbewegungen zarter Pflanzenkeime nicht scharf genug. Alle letztere gehören zu den unwillkührlichen, zwecklosen, unfreien Bewegungen, existiren allerdings, sind aber anders, als man häufig gethan, zu erklären ('). (') Zu diesen oft und immer wieder gemilsbrauchten Bewegungs- Erscheinungen gehört besonders das sich krümmen, winden und drehen mehrerer Algensaamen zur Zeit ihres Rei- fens und Hervortretens aus dem Fruchtbehälter, welches schon Buffon und Needham zu sehr folgereichen Verirrungen verleitet hat und welches noch immer fortfährt, die Verwir- rung der Pflanzen- und Thierformen in dem mikroskopischen Kreise zu begünstigen. Möge nun das Eindringen des fremdartigen Wassers in den zur Zeit der Reife aufspringenden Fruchtbehälter oder der eigene Reifungsprocefs die Bewegung dieser Saamen bedingen, so sind sie, meinen vielfachen Beobachtungen zufolge, doch ganz verschieden von den thierischen Bewegungen. Sie fehlen vor der Reife, sind am stärksten beim Hervortreten der Körner in das neue Medium nnd nehmen sehr bald allmälig ab. In einem Uhrglase sieht man leicht, dals nach Verlauf einiger Stunden sich diese Saamen zu Boden setzen und ruhig liegen. Nach Verlauf von 6 Stunden sah ich wiederholt, dafs einige sich verlängert und deutlich ge- keimt hatten, also schon ganz in den Vegetationscharakter der Mutter übergegangen waren. In solchen Fällen ist nicht an eine Verwandlung von Infusorien in Vegetabilien, oder von Übergang der Algen in Infusorien zu denken, sondern diese Saamen sind immer Saamen ge- blieben und nie Infusorien geworden, so viel sie sich auch gedreht und bewegt haben mö- gen. Ich habe oft versucht, bei Saprolegnien, die zum Theil sehr grolse so bewegte Saa- men enthalten und durch eine vordere runde Öffnung entleeren, diese scheinbaren Thiere zur Aufnahme gefärbter Nahrung zu bringen. Es gelang nie, obwohl ich mir unendliche 5 Mühe im Variiren der Umstände gab. DieBewegungen der Thiere haben den Zweck 158 Eurengene: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation Was die andere Abtheilung, die selbstbewegten Öbjecte des Mi- kroskops betrifft, so sind diese es eigentlich ganz besonders gewesen, wel- chen man bald den Zustand der Structurlosigkeit zuschrieb, bald eine un- vollkommene Structur, oder auch nur lineäre Vorzeichnung von thierischer Organisation ohne wirkliche Organe zuerkannte. Die sehr verbreitete Lehre von den Prototypen, den unvollendeten, anstrebenden Organismen, gleich- sam selbstständigen Skizzen und Entwürfen der gröfseren Thierformen be- ruht auf jener früheren unzureichenden Untersuchung und Kenntnifs dieser Formen, und gewifs auch hat die scheinbare philosophische Nothwendigkeit, Repräsentanten der einfachsten Organisation nennen und vorzeigen zu kön- nen, einen nicht geringen Antheil. Da es mir gelungen ist, nicht nur eine sehr zusammengesetzte Structur der Mehrzahl der beweglichen mikrosko- pischen Objecte jener Gruppe, mit Ausschlufs aller kleinen Insecten und de- ven Larven, so wie aller notorisch zusammengesetzten Formen, wie sie Müller zuerst als Gruppe der Infusorien zusammengefafst hat (!), festzu- stellen und sowohl deren Übereinstimmung unter sich, als ihre Abweichun- gen von allen übrigen gröfseren Thieren nachzuweisen, auch ihre cyclische Entwicklung aufzuklären, so fällt damit die grofse Mehrheit der Formen als Beleg für die selbstständige, sich organisirende, einfache Materie weg. Die übrig bleibende kleinere Zahl der bewegten Formen, welche die von mir angestellten Prüfungen auf ihre thierische Natur nicht bestanden haben, giebt bei einer Vergleichung folgendes Verhältnifs: Alle Räderthiere, ohne Ausnahme, lassen keinen Zweifel übrig, dafs sie eine grofse und vollendete Organisation besitzen, und es wäre meiner ganzen Überzeugung zuwider, wenn ich einige, die ich nur flüchtig, sel- ten und einzeln sah, defshalb, weil ich noch nicht alle Einzelheiten ihres der willkührlichen Ortsveränderung; die Bewegungen der Algensaamen u. s. w. ha- ben nicht den Zweck der willkührlichen Ortsveränderung, sondern nur den der individuellen Dehnung und Entwicklung bis zur gespannten Form. Diese haben, wie es deutlich scheint, den mehr durch Äufseres (Reiz) bedingten pflanzlichen, jene den mehr durch Inneres (Wil- len) bedingten thierischen Charakter. Dasein und Mangel von Mund und Darm unterscheiden kräftig beide Bildungen. (‘) Ich schliefse, wie ich schon früher angezeigt habe, von den Müllerschen Infusorien nur einige aus, die offenbar Entozoen sind: Anguillula und einige Cercarien, samt den jun- gen Halcyonellen. in der Richtung des kleinsten Raumes. 159 Organismus ermittelt habe, für einfacher als die übrigen halten sollte, da offenbar der Mangel an der Beobachtung liegt und ich mir auch bei den ganz klar erkannten nur mühsam und allmälig die Structur entwickeln konnte. Gewifs würde niemand es billigen, wenn man bei den noch nicht anatomisch untersuchten Käfern, deren Zahl weit gröfser als die der untersuchten ist, ihre den übrigen Käfern im Allgemeinen conforme innere Structur in Zwei- fel ziehen wollte, oder wenn man, um das Beispiel von Huygens anzuwen- den, womit er die Ähnlichkeit der übrigen Planeten mit der Erde versinn- licht, von einer Heerde Schaafe nur die mit thierischen Eingeweiden verse- hen glaubte, die man untersucht hat, von den übrigen aber meinte, dafs sie Steine in sich haben könnten. (De Lalande astronomisches Lehrbuch p-644.). Alle öfter und unter günstigen Verhältnissen gesehenen Formen haben allmälig ihre Structur nach dem bereits von mir umständlich angezeig- ten Typus immer mit gewissen generischen und speciellen Abweichungen er- kennen lassen, wovon ich schon viele Proben mitgetheilt habe und noch viel mehr in Zeichnung besitze. — Etwas anders verhält es sich mit den Kör- pern jener Abtheilung, welche nicht Räderthiere sind. Sehr sorgfältig habe ich alle thierisch bewegten Formen, welche das Mikroskop mir zeigte und die nicht Räderthiere sind, auch durch Zeichnung und genaue Messung fest- gehalten und in mein Verzeichnifs der Infusorien aufgenommen. Bei schr vielen derselben habe ich ebenfalls mehrfache innere und äufsere organische Systeme erkannt, welche sie als Thiere scharf bezeichnen; allein mehrere Formen sind für die Beobachtung noch im Rückstand. Das Verhältnifs des Beobachteten und Rückständigen ergiebt sich wie folgt: Von 22 Arten der Gatiung Monas, von denen jedoch nur 13 bei Berlin beobachtet sind, haben bisher 3 Arten die Aufnahme gefärbter Nahrung in Zellen des innern Kör- pers erkennen lassen; von 7 Arten der Gattung Uvella 4, eine ist ausländisch ; von 2 Arten Chilomonas 1; von 5 Arten von Bodo 1; von 4 Arten von Cy- clidium 2; von Amoeba alle 3 Formen; sämtliche 5 Arten der Gattung Yor- ticella; sämtliche 4 Arten Carchesium; von 4 Arten Yagınicola 2; das ein- zige einheimische Zoocladium; sämtliche 3 einheimische Zpistylis; von 4 einheimischen Trichodina 3, von den 4 wahren Stentor- Arten 3; sämtliche 3 Enchelys-Arten u.s.w., wie es sich aus der Durchsicht meines zweiten Beitrages ergiebt, so dafs ich von sämtlichen von mir verzeichneten polyga- strischen Infusorien bei 87 Arten der verschiedensten Gattungen die inneren 160 Enurenpgene: Beürag zur Erkenntni/s grofser Organisation Ernährungsorgane samt deren zuweilen mit Zähnen versehenen Öffnungen, uud bei einigen rothe, nie veränderliche, den Augen der Räderthiere und Entomostraca in Stellung, Form und Farbe ganz ähnliche Punkte beobach- tet habe. Überdiefs aber habe ich bei 21 Arten, deren innere Ernährungs- organe sich direct noch nicht beobachten liefsen, doch eine Mundstelle und Augen, bei andern die geöffnete und bewimperte Mundstelle allein durch die Wirkung und Richtung des Wirbels erkannt, ohne gerade die sichtliche Aufnahme von Nahrung und deren Excretion zu beobachten. Diejenigen Infusorienformen, bei denen ich bestimmte innere organische Systeme, aufser den äufseren Bewegungsorganen, nicht mit einiger Deutlichkeit habe erken- nen können, verhalten sich zu den übrigen, bei denen ich dergleichen deut- lich erkannt habe, so, dafs von den 76 inländischen Gattungen (bei den aus- ländischen, deren es jedoch nur wenige eigenthümliche giebt, habe ich keine Versuche darüber angestellt) 50 Gattungen (Genera) bestimmte innere Or- ganisation erkennen lassen, 26 Gattungen aber noch der Bestätigung bedür- fen, 6 der letztern jedoch aufser einer Mundstelle noch innere Augenpunkte haben erkennen lassen. Solche Formen, bei denen sich weder ein innerer Darmkanal, noch auch eine Mundstelle nachweisen läfst, und die mithin am ersten der Rubrik der einfachen Substanzen verfallen könnten, sind folgende: 1) Die Gattung Trichodiscus mit einer einzigen Art, die ich nur 2mal ge- sehen, und die mithin bei wiederholter Beobachtung und sorgfältiger Nachforschung leicht mehr Organe zeigen könnte; 2) Difflugia mit 3 Arten, wegen undurchsichtigen Panzers nicht gut zu beobachten ; 3) Acht Gattungen der Familie der Bacillarien mit 47 Arten. Diefs sind meist sehr kleine Panzerthiere und ihre obwohl durchsichtige Schaale giebt Schwierigkeit für die klare Unterscheidung der inneren Theile; En — Drei Gattungen der Familie der Peridinaeen mit 6 Arten, welche eben- falls sämtlich zu den Schaal- oder Panzerthieren gehören; Die Gattung Chaetomonas mit 2 Arten, welche beide in faulen orga- a — nischen Substanzen vorkommen, daher den nicht ebenfalls im Zustande der Fäulnifs befindlichen Farbestoff als Nahrung verschmähen; 6) Bacterium mit 6 Arten, welche sämtlich sehr klein sind, indem die Länge der gröfsten Art nur -4;'” beträgt; in der Richtung des kleinsten Raumes. 161 7) Closterium mit 9 Arten, sämtlich Panzerthiere; 3) Spirillum mit 2 Arten, sind überaus dünn, fast nur —;5” dick, daher schwer zu beobachten, indem ihre inneren Organe natürlich noch viel feiner sein müssen; 9) Yibrio mit 5 Arten, ebenfalls von überaus grofser Feinheit, obwohl sie lang sind; 10) Pandorina mit 1 Art, ist ein Panzerthierchen; 14) Polytoma mit 1 Art. Diefs sind zusammen 20 Gattungen mit 83 Arten; also etwas weniger als +, aber 14 mit 65 Arten, also bei weitem die Mehrzahl, den Panzer-Infusorien fast 4 der bekannten Formen. Von diesen 20 Gaitungen gehören an, und sind mithin schon dadurch keine einfachen Substanzen mehr. Wahr- scheinlich ist auch ihr meist leicht zu erkennender und zu isolirender, oft zweischaaliger Panzer die Ursache, dafs ihre specielleren Organe bisher ver- borgen blieben. Von den übrigen 6 Gattungen mit 17 Arten, Zrichodiscus, Chaetomonas, Bacterium, Spirilum, Vibrio und Polytoma, welche keine Mundstelle erkennen lassen, ist Trichodiscus selten und an Zahl noch nicht hinlänglich beobachtet; Chaetomonas lebt in faulen Substanzen, und ver- schmäht daher vielleicht die Farben, welche seine Ernährungsorgane verra- then könnten, und die haarige, nicht wirbelnde Oberfläche beider hindert doch wohl die deutliche Wahrnehmung der Mundstelle. Auch würden diese beiden Formen, welche äufsere Bewegungsorgane (Borsten) führen, schon dadurch nicht wohl als einfache Substanzen anzunehmen sein. Bacterium, Spirillum und Vibrio gehören unter die feinsten Infusorien und das Uner- kanntsein ihrer specielleren Organe wird eher dem Mangel hinlänglicher Ver- gröfserung zugeschrieben werden müssen. Polytoma ist ebenfalls ein sehr kleines Thierchen, dessen Gröfse zwischen 4; - 1; Durchmesser schwankt und welches den Monaden sehr nahe steht, von denen mehrere Arten innere Organisation deutlich unterscheiden lassen, andere aber sie der Beobach- tung, oft wegen Mangels häufigen Vorkommens, ebenfalls noch immer ent- zogen haben. Grofse Beharrlichkeit in Abwägung der günstigsten Lebens- umstände und damit in Verbindung gebrachte farbige Nahrung haben mir bei hartnäckigen Arten anderer Gattungen oft spät noch die Mühe belohnt und eine mir lange Zeit unerreichbar gewesene innere Organisation deutlich anschaulich gemacht. Man darf wohl hoffen, dafs auch bei den rückständi- Phys. Abhandl. 1833. X 162 Enurengene: Beürag zur Erkenntni/s grofser Organisation gen die Benutzung der günstigsten Verhältnisse dasselbe Resultat finden wird. Jedenfalls würden die 14 Arten der letztgenannten 4 Formengattungen, von denen mehrere sehr selten, keine aber immer und überall zu finden ist, nicht geeignet sein, die noihwendig allverbreitete Urmaterie zu repräsentiren. Aufser diesen noch unvollständig untersuchten Infusorien kenne ich als selbstständige bewegte Körper des Mikroskops, welche Ansprüche auf den Namen einer einfachen thierischen Substanz machen könnten, nur noch die in den Hoden befindlichen Saamenthierchen. Die Saamenthierchen der männlichen Zeugungstheile lassen aber hie und da innere Blasen und Verschiedenheit der Substanz erkennen und treten durch Form und rasche kräftige Bewegung so nahe an die Cercarien der Entozoen an, dabei stehen sie durch grofse Feinheit so nahe an der allgemeinen Grenze des Sehvermö- gens, dafs es viel wahrscheinlicher ist, eine verstärkte Sehkraft werde sie einst mit vollem Rechte an die vollkommen organisirten Entozoen anreihen, als dafs man sie mit Recht für die gesuchte, einfache, organische Substanz halten dürfe. Überdiefs sind auch sie gröfser und gröber als die bereits nachzuweisenden Organe vieler kleinen Thiere, und selbst als nachzuwei- sende feine Theile des Säugthier- Organismus. Die sogenannten Saamen- thierchen, welche einige Beobachter im Pollen der Pflanzen zur Zeit der Reife annehmen, haben gar keinen Charakter von Thierheit als die Bewe- gung, die keiner ist, und ihre Erscheinung gehört offenbar entweder zu den Molekularbewegungen der kleinsten materiellen Theile, von denen ich so- gleich sprechen werde, oder zur organischen Thätigkeit der zugehörigen Pflanzen. Übrigens erscheinen sie auch nicht als selbstständige Stoffe, son- dern als wirkliche Theile des Pollens oder der Pflanze und zeigen nicht jene kräftige Bewegung, Gliederung und Substanzverschiedenheit der Sperma- tozoen. Das chaotische Gewimmel, welches man beim Abschaben des Schlei- mes von den Kiemen und andern Organen der Muschelthiere sieht und wor- auf von Baer neuerlich besonders aufmerksam gemacht hat, was auch Oa- rus hervorhebt, besteht oft aus Monas Crepusculum und in seinen weniger regelmäfsigen und weniger bestimmt geformten Theilen aus wirbelnden Frag- menten der Kiemen- und Körpersubstanz, welche ihre Irritabilität lange er- halten und wohin ich auch die Gattung Peripheres conchiliospermatieus von Carus rechne. Ihr Charakter ist, dafs sie eine Zeitlang, nachdem sie vom in der Richtung des kleinsten Raumes. 163 Körper abgerissen wurden, durch ihre fortwirbelnden Wimpern oder durch Contraction und Expansion sich meist drehend bewegen und dann aber bald allmälig still liegen bleiben, ohne je wieder die Bewegung von Neuem anzufangen. Dagegen ist die Nummulella conchiliospermatica offen- bar nur ein Synonym von Trichoda Pedieulus (Cyclidium Pediculus Mül- ler) oder der Polypenlaus, deren zahlreiche Magen ich mit Farbesubstarz oft angefüllt habe und deren seitliche Mundöffnung ich als eine runde Grube, Müller als einen Spalt erkannte. Es besitzt 2 peripherische Wim- perkreise und findet sich auf verschiedenen Thieren, oft an Hydra. Ganz zuverlässig ist es aber keine einfache Substanz. Robert Brown’s Molekularbewegungen gehören nicht blofs der so- genannten organischen Urmaterie an, sondern finden auch bei verkleinerter anorganischer Materie statt und sie erscheinen um so mehr als durch allge- meinere physikalische Kräfte bedingte Erscheinungen an der verkleinerten, in Wasser suspendirten Materie überhaupt, als viele dieser bewegten Theil- chen gröfser als manche noch deutlich organisirte Infusorien und die übri- gen nicht viel kleiner sind, während eine Elementarsubstanz nur als kleiner als alle Organismen und deren Organe gedacht werden kann, die aus ihr zusammengesetzt sein sollen. D. Schlufs. Es ergiebt sich, wie mir scheint, aus diesen Betrachtungen und Zu- sammestellungen des wirklich Beobachteten, dafs die einfache, organische und selbstständige Urmaterie, welche noch jetzt viele ausgezeichnete Män- ner als das gleichartige Material aller organischen Bildungen ansehen und gern als eine Basis für alle organische Entwicklung festgestellt sähen, obwohl sie sehr verbreitet sein sollte, doch auf dem Wege der Beobachtung nirgends nachgewiesen werden kann. Es sind besonders 2 Grenzen fühlbar, welche die Forschung hemmen; eine derselben ist die Kleinheit und Feinheit des noch ferner zu prüfenden, diese wird durch Mikroskope bewältigt werden können; die andere ist die Durchsichtigkeit desselben, welche, leider, leicht viel schlimmere Täuschung hervorbringen und erhalten kann, wiewohl sie oft nur Folge der Feinheit der einzelnen Organe und gröfseren Abstandes derselben von einander ist, in welchem Falle auch sie durch Verstärkung der Sehkraft überwunden werden kann. Was dem blofsen Auge durchsich- X2 164 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation tig und homogen erscheint, ist es oft deutlich nicht unter dem Mikroskope, und ein eben solches Verhältnifs findet zwischen schwächeren und immer stärkeren mikroskopischen Vergröfserungen statt. Im Kreise der leicht sicht- baren Gröfsen mangelt jene einfache Materie als Erfahrungsgegenstand durch- aus, wie es auch bei allen Beobachtern angenommen zu sein scheint, und im Kreise der mikroskopischen Gröfsen, wohin sie durch die vielfachen Stu- dien der früheren Forscher zurückgedrängt ist, suchte sie meine Bemühung mit den zeitgemäfsen Hülfsmitteln ebenfalls vergebens. Da die einfache, allem Organischen zum Grunde liegende Materie, oder die organischen Mo- lekulen, nothwendig kleiner sein müssen, als alle Organismen und deren direct nachzuweisende Organe, und da meine Beobachtungen festgestellt ha- ben, dafs nicht eine scheinbare, unvollkommene, maschinenmäfsige, son- dern eine wirklich fungirende thierische Organisation bis zu den feinsten Mo- naden und bis zur letzten Grenze unsrer klaren Sehkraft unter den günsti- gen Umständen verfolgt werden kann, so ergiebt sich, dafs die organische Urmaterie nicht auch in den Grenzen der jetzigen Sehkraft liegen kann, son- dern jenseits derselben zu suchen ist, oder dafs diese Urmaterie bei den jetzigen optischen Hülfsmitteln, selbst den besten, nicht wahr- nehmbar sein kann. Rücksichtlich der Frage: ob eine organische Urmaterie überhaupt als existirend gedacht werden müsse oder gedacht werden könne? scheint sich so viel feststellen zu lassen, dafs die Möglichkeit nicht beschränkt erscheint, aber die Nothwendigkeit nicht bestehe. Nicht so wie eine Materie über- haupt ohne Form nicht gedacht werden kann, verhält es sich mit der orga- nischen Materie und dem Organismus. Es läfst sich recht wohl eine orga- nische Materie denken, die an sich nicht organisirt sei, aber als Besonderheit vor anderer Materie die Fähigkeit habe, organisirt zu werden. Andrerseits aber ist es auch denkbar, dafs alle der Organisation fähige Materie nur als Theil eines wirklichen Organismus bestehen könne, während diejenigen ihrer Theile, welche durch Auflösung der todten Organismen frei werden, ihre Besonderheit vollständig verlieren, indem sie chemisch zersetzt werden, wenn sie nicht alsbald von anderen Organismen wieder zu organischen Thei- len verwendet werden. Alle meine Erfahrungen sprechen für das Letztere. In den Infusionen habe ich nie, und ich habe recht viel und mit guten Kräften genau und scharf beobachtet, aber nie ein plötzliches Thier- in der Richtung des kleinsten Raumes. 165 werden oder Vegetiren zerfallender Theile beobachtet, sondern nur sehr häufig dergleichen Theilchen, den kleinen Schimmel- und Algensaamen oder den Infusorien sehr ähnlich und allerdings auch oft bewegt gesehen. Ich habe dabei immer gefunden, dafs, je kleiner die Vergröfserung ist, unter der man, der Helligkeit halber, beobachtet, desto leichter die Täuschung sei, weil dann die Organisation und Nichtorganisation, so wie das Active und Passive der Bewegung zweier sich äufserlich ähnlichen, dem inneren Wesen nach aber wie Tod und Leben verschiedenen neben einander liegen- den Dinge nicht wahrgenommen wird ('). Alle natürlichen oder künstlichen Infusionen sind, meiner Erfahrung und Überzeugung nach, nur eine Darreichung reichlicher Nahrung für alle zufällig in der Flüssigkeit oder den infundirten Substanzen befindlichen organischen Wesen oder deren Keime. Durch Zerfallen der organischen Stoffe im Wasser wird Nahrung für Infusorien in ungewöhnlich reichlichem Maafse frei, und mit dieser tritt in ebenfalls ungewöhnlich reichlichem Maafse ihre Fortpflanzung durch Eier und Theilung ein. Die auch nicht selten vorkommenden Fälle, dafs in stagnirendem Wasser und Infusionen keine Thierchen erscheinen, erkläre ich mir dadurch, dafs zufällig kein Thierchen oder Keim in der Zusammen- mischung war, welches die gegebene Gelegenheit, sich zu nähren und zu ver- vielfältigen, benutzen konnte. Man hat, meiner eignen vielfachen Erfah- rung nach, nicht in seiner Gewalt, durch gewisse Infusionen gewisse For- men zu erzeugen, sondern eine genaue Specialkenntnifs und ein sorgfältiges Studium der Formen zeigt, dafs es nur eine kleine Zahl sehr verbreiteter Infusorien giebt, die in allen Infusionen, bald diese, bald jene, bald mehrere gleichzeitig wiederkehren. Nur in die, der Luft zugänglichen, bestäuben- den Infusionen kommen nach langer Zeit zuweilen seltnere Formen, so- gar Räderthierchen, und diese mag der Luftzug, welcher den Staub hebt, mitgehoben und eingestreut haben. Dafs aber aus einem einzigen Ei oder lebenden Thierchen, welches sich in der Infusion zufällig befand, oder in dieselbe gerieth, in wenigen Tagen und Stunden Millionen auf dem gewöhn- (*) Ich erinnere wieder an die vor nicht langer Zeit durch den geistreichen Naturforscher Hrn. Agardh in den Actis Nat. Cur. 1820 mitgetheilten Beobachtungen über die Zauberkraft der Vorticellen. Der ganze Zauber würde sich ihm sogleich aufgelöst haben, wenn er eine stärkere Vergrößserung der Thierchen angewendet, und somit die Thätigkeit der Wimpern derselben zur Anschauung bekommen hätte, wie sie jeder leicht schen kann. 166 Eurensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation lichen Wege der Fortpflanzung durch Eier und Theilung entstehen können, habe ich bereits früher, directen Erfahrungen aus Experimenten zufolge, angezeigt. Ich schliefse mit den Worten des durch die unvollkommene Beobach- tung der Pflanzengattung Saprolegnia zu einer weit verbreiteten, aber irrigen Theorie verleiteten, höchst geistreichen und tief denkenden Vertheidigers der alten Generatio spontanea, Needham, mit welchen ich anfıng: ‚Alle Naturforscher werden eingestehen, dafs, je zusammengesetz- ter die organischen Körper sind, desto geringer die Furcht sein darf vor einer mutterlosen Zeugung bei ihrer Entstehung” ('). (') a. Aus dieser Darstellung so wenig als aus meinen früheren Mittheilungen kann her- vorgehen, dals ich eine rohe Panspermie oder Einschachtelung gegen die Generatio spon- tanea und Entwicklung der Organismen hervorheben wollte, obschon ich die bisherige Idee von der Generatio spontanea unhaltbar glaube. Es scheint mir ein dritter die Panspermie an die Generatio primaria, als Schöpfung der gegenwärtigen Ordnung, anknüpfender Weg der Erklärung möglich, auf welchem Needham schon einige richtige Schritte gethan hat, von dem er aber durch die unglückliche Verwechselung der Algensaamen mit Infusorien und durch Buffons falsche Idee der kleinen Automaten abgeleitet worden ist, von dem auch die sehr fern sind, welche in etwas bequemer Amphibolie nicht beweisen, sondern meinen, dals die Organismen durch Urzeugung und Eier sich gleichzeitig fortpflanzen. Warum sollen diels nur kleine, schwer sichtbare, Organismen thun, die grölseren aber, bei denen man sich klar überzeugen könnte, davon ausgeschlossen sein? Naturgesetze verstecken sich nicht, son- dern, einmal ausgesprochen, treten sie aller Orten klar entgegen. Dals die Zeugung aber keine Erschaffung ist, lehrt auch eine gröbere Anatomie als die der kleinsten Organismen. Ich hoffe diese mehr theoretische Darstellung, nachdem ich erst die dazu gehörigen begrün- denden Beobachtungen vollständig mitgetheilt haben werde, späterhin folgen lassen zu kön- nen, denn ich halte alle solche Theorieen für viel weniger wichtig als die Feststellungen des Materials, worauf sie sich gründen können, und woraus sie, sobald dieses einmal fessteht, jeder leicht entnimmt, während die geistreichen Theorien durch Trugschlüsse oft Jahrhun- derte befriedigen und irren. d. Ich füge hier noch einige Bemerkungen hinzu, welche ich am 24°te° October 1833 der Akademie nebst Mittheilungen über die Structur des specielleren Organs der Seele vor- getragen habe, die sich aber hier passender einreihen lassen. Es ist in Berlin im October 1832 in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik eine Recension meiner die Infusorien -Structur betreffenden Vorträge vom hiesigen Professor C. H. Schulz aufgenommen worden. Die von mir der Akademie vorgetragenen Resultate werden darin vielfach bezweifelt, getadelt und hie und da als unrichtig dargestellt. Ich glaube einer weitern Discussion über jene Einwürfe und Darstellungen, da sie nur Wie- derholungen des schon Gesagten sein würden, um so mehr mich überheben zu können, als die genannte theoretisirende Kritik meinen auf Beobachtung ruhenden Darstellungen ganz in der Richtung des kleinsten Raumes. 167 Hierauf gehe ich zur Darstellung weiterer, bisher unbekannter, or- ganischer Verhältnisse der kleinsten Thierkörper über. Es ist mir nämlich gelungen, aufser den bereits angezeigten Organen der Infusorien noch 1) Kauorgane, 2) einen grofsen Apparat von wahrscheinlich männlichen Ge- schlechtsorganen, so wie 3) Secretion eines besondern lebhaft gefärbten, vielleicht der Verdauung dienenden Saftes in eignen Behältern bei den ehe- maligen Paramecien und Kolpoden zu erkennen. Ferner habe ich 5) deut- liche Spuren eines dem Respirationssysteme sehr ähnlichen Organismus bei vielen Räderthieren entdeckt und überdiefs 6) noch speciellere Beobachtun- gen über das Verhältnifs des Nervensystems dieser letzteren gewonnen. End- entgegenstrebt, die letzteren aber von anderen Forschern seitdem mehrseitig aufgenommen und bestätigt worden sind. Natürlich kann nur derjenige Beobachtungen bestätigt finden, welcher sie ebenso sorgfältig wiederholt, als sie angestellt wurden. Im Jahre 1832 ertheilte mir die Akademie der Wissenschaften zu Paris mit Berück- sichtigung derselben Mittheilungen ihre goldne Medaille für Entdeckungen in der Experimen- tal- Physiologie, worin sich nach Herrn von Cuviers Abgange eine wiederholte Billigung der vorgetragenen Thatsachen auch von Seiten anderer Mitglieder jener Akademie ausgespro- chen zu haben scheint. In einer zu Wien 1833 gedruckten Schrift des Professors Czermac, betitelt Bei- träge zu der Lehre von den Spermatozoen heilst es pag.15. „Auch ich verfolgte die Ent- „wicklungsstufen und die Organologie der meisten von Ehrenberg untersuchten mikrosko- „pischen Thiere, bewunderte die treue Darstellung derselben, und könnte mich fast dafür „aussprechen, dals weder die Eichen dieser Wesen (noch die erwachsenen) — je durch he- „terogene Zeugung entstehen.” Er fügt hinzu: „diels gilt aber nicht von den viel kleine- „ren Sphären als Monas Termo, welche wir durch Aufgüsse erhalten, und die, sich von „dem Urschleim trennend, ohne weitere Entwicklung oder Enthüllung frei sich bewegen.” Hiermit schiebt also Herr Professor Czermac die selbstständige Urmaterie und Generatio spontanca aus dem Bereiche der Grölsen von „; Linie Durchmesser, wie ich es auch rieth, hinaus an die letzte, zweideutige und unklare Grenze der Sehkraft, über die ein festes Ur- theil nicht zustehen dürfte, am wenigsten ein so folgereiches. Pag. 14. sagt Herr Czermac überdiels, dafs die Körperchen von Urmaterie, welche er (mit Ausschluls der von mir beo- bachteten deutlich thierisch organisirten d.h. aller bisherigen Müllerschen Infusorien - Gat- tungen!) auf eigene Verantwortung Infusorien nennt, ebenfalls oft kaum (also doch schon) 505 Linie betragen, während die Magenblasen, welche ich bei Monas Termo nachgewiesen, oft um das Sfache kleiner sind, und diese doch aller Analogie nach Wände haben, welche noch viel feiner sind, und mithin aus jenen Molekulen nicht bestehen können, die von ihm für Urma- terie angesehen werden. An structurlose oder scheinbar organisirte Automaten und Maschin- chen zu glauben, hat aber, wie schon erwähnt, noch mehr Schwierigkeit und Widerspruch. c. Ob, was man in der Astronomie hier und da wohl für Bildungsmaterie neuer Weltkörper hält, abgerissene Theile anderer oder Überbleibsel zerstörter Weltkörper sind, 168 Eurensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation lich 7) füge ich noch eine Diagnostik aller von mir neuerlich unterschie- denen, selbst beobachteten Infusorienformen hinzu. II. Von einem Schlundkopfe und Zähnen bei Magenthierchen. In meinen früheren Vorträgen hatte ich als unterscheidendes Merkmal der Klasse der Magenthiere von den Räderthieren auch den Mangel eines be- waffneten und eines überhaupt ausgezeichneten Schlundkopfes bei den erste- ren angezeigt, während in der Klasse der Räderthiere eine starke Bewaff- nung eines bestimmten Schlundkopfes bei weitem überwiegend sei. Durch oder in welcher andern Verbindung jene weniger bestimmt geformten unorganischen Mate- rien-Anhäufungen mit den kugelförmigen Weltkörpern stehen, liegt noch eben so wenig klar vor und zeigt dieselben Schwierigkeiten der Begründung. Ein in einer concentrirten Auflösung entstehender Crystall zeigt, wie ich mir oft deutlich gemacht habe, sei er farblos oder gefärbt (tief orangefarben wie saures chromsaures Kali, blau wie Kupfervitriol) nicht die Kometenartige Gestalt eines Kernes mit trüber Umhüllung, sondern, obschon sein Ent- stehen eine Verdichtung und Ansammlung der ihn bildenden farbigen Materie in seiner Nähe a priori zu verlangen scheint, so sieht man ihn doch an seinen Rändern scharf begrenzt, ohne Hof, und dabei wächst er sichtlich, so lange das wegen Feinheit oder Durchsichtigkeit un- bemerkbare Material, welches aber doch das Wasser färbt, dazu vorhanden sein mag. Das 1m 24 Wachsthum der Crystaile geschieht dabei in solcher Progression, dafs ein grolser cubi- scher Crystall in 15 bis 20 Sekunden gewöhnlich seinen Durchmesser verdoppelt, und 4” grols wird, was bei kleineren und spielsigen viel rascher geschieht. Dieses Wachsthum zeigt sich allseitig, die Kanten und Flächen scheinen fortzukriechen. Es erinnert an die sichtbare Anschwellung einer Blase die man aufbläst. Weil man kein Zutreten der Materie von aulsen bemerkt, so erscheint dieses Wachsen ebenfalls wie ein Drängen von innen nach aufsen, ob- schon die Richtung der Crystalle und die allmälige Abänderung ihrer Flächen das Ansetzen der Materie von aufsen wahrscheinlich machen. Spielsige Crystalle zeigen beim raschen Wachsen eine Bewegung, die ganz der der Oscillatorien ähnlich ist. Besonders schien mir bei diesen Beobachtungen noch merkwürdig, dafs im Wasser an der Oberfläche keine be- deutende Strömung gegen den Crystall hin entsteht, indem kleine, durch die Verdunstung bewegliche Theilchen (Staub) durch den Crystallisationsaet nicht heftig gegen den neuen Crystal, oft gar nicht bewegt werden. Es werden auch schon gebildete Crystalle von neu entstehenden Nachbarn durch gröfsere Anziehung der jene bildenden Theile vollständig wieder aufgezehrt. Bei Chlornatrium zerstörte die Bildung eines cubischen Crystalls alle schon vorhandenen flacheren oder spielsigen CGrystallisationsanfänge seiner Nähe und er vergröfserte sich durch die ihnen entrilsne Substanz sichtlich in dem Maafse, wie jene abnahmen. Andere Cohäsion, andere Crystallform ? in der Richtung des kleinsten Raumes. 169 Anwendung noch etwas stärkerer Vergröfserungen erkannte ich deutliche Zähne bei dem gemeinen Lippenthierchen, ZAoxodes Cucullulus (Kolpoda Cu- cullulus Müller), wie ich bereits mitzutheilen die Ehre hatte und schon in meinem zweiten Beitrage zur Kenntnifs der mikroskopischen Organismen (1832, pag. 150.) nachträglich, so wie 1834 (Abhandl. d. Akademie, Phys. Kl. p.433.) angezeigt habe. Hierdurch aufmerksam gemacht, habe ich die Formen in grofser Zahl revidirt und habe dabei zwar nicht die Bewaffnung des Schlundkopfes als einen vorherrschenden und allgemeinen Charakter dieser Monadenklasse erkannt, allein ich habe 6 verschiedene polygastrische Infusorienarten entdeckt, welche deutlich einen Schlundkopf und Kauappa- rat zeigen. Von diesen 6 Thierarten ist nur eine, die schon genannte und zuerst beobachtete, eine bekannte Form; alle übrigen sind noch nirgends verzeich- net und auch von mir erst neuerlich aufgefunden worden. Sämtliche For- men aber habe ich in diesem Frühjahr (1832) in sehr grofser Menge beob- achtet. Rücksichtlich der Mund- und Afterstellung gehören die 6 zahnfüh- renden Magenthiere in 2 verschiedene Familien, nämlich die der Walzen- thierchen, Enchelia, und der Halsthierchen, Trachelina , rücksicht- lich der äufseren Organe gehören sie 3 verschiedenen Gattungen an. Da es, mit dem Erkennen der Zähne bei diesen Formen der Magenthiere nicht die Schwierigkeit hat, wie bei den Räderthieren, dafs man erst das Thier zer- stören müsse, um ihre Zahl auszumitteln, so habe ich diese Bewaffnung des Schlundkopfes, welche im äufseren Rande des Thieres liegt und oft hervor- steht, mithin zu den äufseren Charakteren gerechnet werden kann, als einen zu wichtigen Charakter angesehen, als dafs seine Anwesenheit oder Abwe- senheit nur Arten einer und derselben Gattung sondern könnte. Vielmehr habe ich nach gewonnener Überzeugung, dafs mehrere andere Arten der Gattung Zoxodes, Holophrya und Bursaria keinen Kauapparat besitzen, so- wohl das Lippenthierchen Zoxodes Cueullidus als eine besondere Gattung absondern zu müssen geglaubt, als auch die übrigen Formen, welche ihrer Körperbildung zufolge theils zur Gattung Holophrya, theils aber zur Gat- tung Dursaria gehören würden, wegen des Kauapparates von jenen entfernt. Ich führe daher diese gezahnten polygastrischen Infusorienformen unter den Namen: 1) Euodon Cucullulus, — Kolpoda, Loxodes Cucullulus, 2) Nas- sula ornata, 3) Nassula elegans, 4) Nassula aurea, 5) Prorodon niveus, Phys. Abhandl. 1833. Y 170 Enrenpene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation 6) Prorodon compressus auf. Besonders die drei Formen, welche ich unter den Gattungsnamen Nassula vereinigt habe, sind in mehrfacher Beziehung sehr interessante, bisher ganz unbekannte Thiere und gehören zu den schön- sten der Infusorienformen. Was die Form und Verbindungsart der Zähne bei den Magenthieren anlangt, so ist letztere bei allen verschieden von der der Räderthierchen, aber sehr übereinstimmend unter sich. Diese Zähne der Kolpoden und Bur- sarien bilden nämlich einen Cylinder oder hohlen Kegel im Eingange des Mundes und bekleiden die ganze innere Mundhöhle in dichter Reihe so, dafs die Vereinigung der Zähne mit einer Fischreuse oder einem Fischkorbe ver- glichen werden kann. Ebenso liegt sehr nahe die Ähnlichkeit mit dem Pe- ristom der Moose. Die Form der Zähne ist fadenförmig oder haarförmig, länger im Verhältnifs als bei den Räderthieren. Ihre vorderen Enden sind überall stumpf und immer sind die Umrisse ihres Vordertheils bestimmter und schärfer, oder härter, die des Hintertheils unbestimmter und weicher, ' oder stumpfer; gerade so verhalten sich auch die Zähne der Räderthiere, welche wieder sich an die Zähne der Zintomostraca (Daphnia, Cyclops) leicht anschliefsen. Bei Druck zwischen Glasplättchen, welcher die weichen Theile der Thiere zerquetscht, sieht man auch hier die Zähne deutlicher; ein Zei- chen, dafs sie härter sind als die übrigen Theile. Zu starker Druck zer- quetscht Alles. Rücksichtlich der Zahl der Zähne ist es sehr merkwürdig, dafs die- dieselbe nicht kleiner ist als bei den Räderthieren, sondern ansehnlich grö- fser. Bei keiner der bis jetzt bekannt gewordenen Formen fanden sich we- niger als 16 Zähne, und bei der gröfsten, Prorodon compressus, fand ich über 30, ohne die Zahl noch recht genau ermitteln zu können. Euodon Cucullulus hat 16, Nassula ornata 26, Nassula elegans 22, Nassula aurea 20, Prorodon niveus mehr als 20. Die Feinheit dieser Theile und ihre nicht in eine Ebene ausgebreitete, sondern cylindrische Vereinigung samt ihrem engen Beisammenstehen er- schwert die genaue Beobachtung ihrer Zahl, denn dazu bedarf es nun der günstigsten Lage des Thieres, in der die Mundöffnung genau dem beobach- in der Richtung des kleinsten Raumes, 171 tenden Auge zugewendet ist. Alle Seitenlagen bewirken, dafs man weniger Zähne, oft nur die Hälfte sieht, weil dann immer mehrere sich decken. Defshalb sind die von mir angezeigten Zahlen zwar die sicheren Maxima der von mir gezählten Einzelheiten, sie könnten aber wohl um einige gröfser sein, im Fall ich hie und da 2 sich deckende für einen gehalten. Jedoch habe ich die meisten mehrfach in der günstigsten Lage gezählt. Die Thätigkeit des Schlundkopfes beim Schlingen ist nicht so grofs wie bei den Räderthieren und hat ein anderes Verhältnils. Sehr häufig näm- lich steht während des Wirbelns der Thiere der Mund unbeweglich offen und nimmt die zuströmenden Nahrungsstoffe nach Belieben auf, ohne sich jedoch zu schliefsen und ohne zu kauen; allein wenn gröfsere Körper ver- schluckt werden sollen, tritt Zahnthätigkeit ein. Der Cylinder erweitert sich erst vorn ansehnlich und nimmt so den Gegenstand in die Mundhöhle auf; dabei erscheint er hinten enger, dann aber mit nach hinten fortrücken- der Speise verengert er sich allmälig vorn, indem er sich hinten erweitert, und zuweilen erscheint dann die vordere Öffnung der Zähne durch starke Convergenz der Spitzen ganz geschlossen. Nicht selten machen die Thiere diese Schlundbewegung, auch ohne dafs grofse fremde Körper in die Mund- höhle aufgenommen werden. Ein wesentlicher Unterschied der Zähne bei Räderthieren und Magenthieren besteht darin, dafs bei jenen dieselben nicht vorn im Munde, sondern hinten im Schlundkopfe befestigt sind und von 2 Seiten gegen einander wirken, während die Magenthiere sie gleichsam mehr wie eine Fischreuse, deren Form sie bilden, auch benutzen. Der während des Wirbelns zur Aufnahme des herbeiströmenden Nahrungsstoffes offen bleibende Mund erlaubt zwar ansehnlichen Monaden, durch die Zähne un- gehindert bis in den Darm zu passiren, aber die hintere engere Öffnung des Zahncylinders erlaubt ihnen nicht, obwohl der Mund offen bleibt, so leicht sich wieder heraus zu finden. Vielleicht bezieht sich auch das zuweilen bemerkbare, scheinbar zwecklose, vordere Zusammenziehen des Zahncylin- ders auf ein inneres Gefühl des Thieres am Grunde desselben, als wolle etwas lebend verschlungenes wieder heraus schwimmen, und auf den Zweck, diefs zu verhindern (). (') Auf Tafel IV. meines ersten Vortrags über die Infusorienstructur 1830 finden sich bei Figur 17 am Munde bereits 3 dunkle Linien an der Stelle und in der Richtung gezeichnet, Y2 172 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Bemerkenswerth dürfte noch sein, dafs ich bei späterer Queertheilung die Ausbildung eines ganzen neuen Zahnapparats bei /Vassula ornata und ele- gans beobachtet habe und dafs ich bei einem Individuum der ersteren auch einmal eine Unregelmäfsigkeit im Zahnapparate wahrgenommen habe, welche auf Vorbereitung zu einer Längstheilung schliefsen liefs; jedoch habe ich bisher nie eine weiter fortgerückte Längstheilung bei derselben Art beob- achten können. Die Regeneration des ganzen Mundes voll Zähne, eine sonst so seltene Erscheinung, ist hier der gewöhnliche Lebensprocefs aller einzel- nen Individuen, welche den inneren Trieb zur Vermehrung durch spontane Theilung haben. Das Hintertheil, welches durch Abschnürung in der Mitte sein Vordertheil mit dem Munde verliert, bildet sich selbst einen neuen Mund mit Zähnen, und dann erst trennt es die fortschreitende Theilung vollends los. Daher sieht man an stark eingeschnürten, noch nicht voll- ständig getheilten Individuen schon immer 2 Zahncylinder, in jedem Theile einen. Während einer Nacht hatten sich einmal viele Tags vorher von mir sorgfältig untersuchte Individuen, an denen keine Unregelmäfsigkeit zu be- merken war, durch queere Abschnürung getheilt und alle Hintertheile hat- ten ebenfalls einen Mund voll Zähne vollständig ausgebildet am folgenden Morgen. Bei einigen noch nicht vollendet getheilten verfolgte ich damals die Entwicklung und fand sie mit überraschender Schnelle fortgehend, so dafs es mir schien, die ganze Theilung samt Ausbildung der 20 Zähne könne zuweilen sich wohl innerhalb 2 Stunden vollenden. II. Von einem inneren, einfachen, doppelten oder mehrfachen, sehr irritabeln, vielleicht männlichen Organensysteme der Magenthiere. Obwohl ich Paramecium Aurelia, eins der gewöhnlichsten und be- kanntesten Infusionsthierchen, in vielen Tausend Exemplaren und unzählige Male bereits beobachtet, sogar seine individuelle Fortpflanzung einzeln ver- wo ich später den ganzen Zahnapparat erkannte, was mit dazu dienen möge, zu erkennen, dals ich das Gesehene sorgfältig aufzuzeichnen pflege und wohl oft zu wenig, aber gewils selten aus Irrthum zu viel gezeichnet habe. Übrigens ist in meiner Anzeige von 1834 pag. 437 durch einen Fehler das Thierchen Kolpoda Cucullus anstatt Kolpoda Cucullulus (Lowodes Cucullulus) genannt. in der Richtung des kleinsten Raumes. 173 folgt hatte, so habe ich doch vor Kurzem erst ein doppeltes, grofses, inne- res Organ bei ihm entdeckt, welches, wie mir scheint, kaum wichtiger für seinen Organismus sein kann, als es für die Physiologie im Allgemeinen ist. Es beweist augenscheinlich, dafs aufser dem Ernährungsapparate, dem Be- wegungsapparate und dem weiblichen Geschlechtsapparate noch ein ander- weitiger Organismus bei ihm vorhanden ist, welcher, da man ihn doch im- mer mit den bekannten Systemen thierischer Organisation zu vergleichen hat, weder dem bisher noch unbeobachteten oder undeutlichen Gefäfssysteme, noch auch dem Nervensysteme angehören kann, sondern wahrscheinlich dem Geschlechtssysteme angehört und der Selbstbefruchtung dient. Schon seit langer Zeit hatte ich zwar beobachtet, dafs im Leibe der meisten poly- gastrischen Infusorien einzelne Blasen sich oft schnell zusammenziehen und verschwinden, nach einiger Zeit aber wieder ausdehnen. Da diese Blasen den übrigen kleinen Blasen, welche sich mit Speise füllen und die ich später mit gefärbter Nahrung sehr leicht anschaulich gemacht habe, oft ganz ähn- lich und gleich waren, so hielt ich sie für Magen, welche das Thier etwa willkührlich mit reinem Wasser gefüllt habe und abwechselnd leere, und meinte, dafs vielleicht alle Magenblasen diese Fähigkeit besäfsen. So sind auch in meinen früheren Abbildungen besondere durchsichtige Blasen neben dem Darme zwar oft angegeben, aber nicht weiter ausgezeichnet worden; nur bei Trachelius Anas waren sie so constant und grofs, dafs sie als zufäl- lig besonders ausgedehnte, mit Wasser gefüllte Magen von mir in der Zeich- nung ebenfalls hervorgehoben wurden (Vergl. meine Abhandlung von 1830, Tafel IV, Fig.5.). Nur erst vor Kurzem lenkte ich meine Aufmerksamkeit etwas bestimmter auf solche sich rasch zusammenziehende und wieder aus- dehnende Blasen und fand, zu meiner Überraschung, dafs diefs nirgends mehr als 3, meistens aber nur 2 in jedem Thiere waren und dafs dieselben eine ganz feste Stellung im Körper hatten. Einmal aufmerksam darauf ge- worden, untersuchte ich verschiedene Gattungen in mehreren Arten sehr speciell danach und fand, dafs diese contractilen, Blasenartigen Organe we- der je bei einem Individuum derselben Art, noch bei irgend einer, unter günstigen Umständen untersuchten Art der verschiedensten Gattungen ver- mifst werden. Diefs steigerte natürlich meinen Wunsch, etwas Näheres über den Zusammenhang derselben mit dem Körper zu erkennen, und da unter den gewöhnlicheren polygastrischen Formen Paramecium Aurelia 174 Eurengene: Beürag zur Erkenntni/s grofser Organisation eine der gröfsten ist, so untersuchte ich viele Individuen dieser mit beson- derer Aufmerksamkeit. Erst nach mancher vergeblichen Mühe erhielt ich so ein überraschendes Resultat, dafs ich noch jetzt nicht begreife, wie es möglich gewesen, etwas so Auffallendes so lange zu übersehen. Ich drückte nämlich eine Anzahl derselben durch ein aufgelegtes Glasblättchen und da- zwischen gelegte kleine Theilchen von feinen Confervenfädchen so, dafs die letzteren ein allzu enges Anschliefsen der Glasflächen an einander verhinder- ten und die Thierchen zum Stillliegen gezwungen und etwas breit gedrückt wurden, ohne zerquetscht zu werden. Sogleich nach Anwendung dieser Methode erhielt ich den gewünschten Aufschlufs. Ich sah alsbald von jenen 2 Blasen aus bis S, strahlenförmig nach allen Körpergegenden hinlaufende Kanäle, welche sich langsam erweiterten, wenn die Blasen sich zusammen- zogen und fast verschwanden, und die sich langsam verengten und zuletzt verschwanden, wenn die Blasen sich erweiterten. Diese strahlenförmigen Kanäle waren in ihrer Ausdehnung dicht bei den Blasen zwiebelförmig er- weitert. Wegen ihrer Beweglichkeit erschienen die ganzen Organe wie 2 kleine, helle, in den Körper der Pantoffelthierchen eingeschlossene Ophiu- ren (Seesterne) und waren bei allen einzelnen Thieren ganz gleichartig zu erkennen. Späterhin fand ich eine noch leichtere Methode, diese Organe ganz deutlich wahrzunehmen. Ich nahm einen Tropfen, der mit recht vie- len solcher Thierchen angefüllt war und entfernte dann so viel als möglich das Wasser, während ich die Thierchen in der Mitte anhäufte, dafs sie nicht mehr bequem schwimmen konnten. In diesem Falle wurden sie alle durch ihre eigne Weichheit und Schwere viel breiter und zeigten die Contraction und Expansion ihrer beiden grofsen strahligen Organe ebenfalls auf das deutlichste. Ich habe ganz ähnliche contractile Organe in folgenden 24 Thie- ven sehr verschiedener Gattungen und Familien deutlich beobachtet: 1) in Amphileptus viridis, 2) Bursaria flava, 3) Bursaria Leucas, 4) Bursaria ver- nalıs, 5) Euodon Cucullulus, 6) Euplotes Charon, 7) Himantopus Charon, 8) Kerona pustulata, 9) Leucophrys sanguinea, 10) Nassula ornata, 11) Nas- sula elegans, 12) Nassula aurea, 13) Ophryoglena atra, 14) Ophryoglena flavicans, 15) Ophryoglena nigricans, 106) Oxytricha pellionella, AT) Para- mecium Kolpoda, 183) Paramecium caudatum, 19) Stentor Mülleri, 20) Sten- tor polymorphus, 21) Stentor niger, 22) Stylonychia Mytlus, 23) Trache- lius Anas, 24) Urocentrum Turbo. in der Richtung des kleinsten Raumes. {15 Nur bei Formen von Paramecium und Ophryoglena habe ich aber die mit den contractilen Blasen in Verbindung stehenden strahlenförmigen Ka- näle deutlich erkannt, die auf den ersten Blick zeigen, dafs beide Organe eine, fast den ganzen Körper einnehmende Verbreitung haben und von gröfster Wichtigkeit für den Organismus sein müssen. Ich habe darüber noch fol- gende Bemerkungen gemacht. Es giebt bei den 24 von mir beobachteten Thierformen wesentliche Verschiedenheiten in diesem neuen organischen Systeme. Theils liegen sie in der Zahl, theils in der Stellung der Centralpunkte desselben. Bei Para- mecium Aurelia und caudatum, Leucophrys sanguinea, Trachelius Anas, Bursaria vernalis und Stentor Mülleri giebt es 2 Centralpunkte dieses Sy- stems, einen in der Mitte der vorderen Körperhälfte, den andern in der hinteren. Bei all diesen Formen (Stentor ausgenommen) habe ich sehr häufig spontane Queertheilung beobachtet, und bei derselben bleibt jedesmal einer der Centralpunkte dieser strahligen Apparate in jeder Hälfte, gleich als ob sie dazu doppelt wären, um keinem Theile zu fehlen. Ja ich habe sogar bei einigen Infusorien bemerkt, dafs zu manchen Zeiten 4 solcher Central- punkte sichtbar sind, während zu andern Zeiten bei derselben Thierart nur 2 existiren; dann sind je 2 in einer Körperhälfte und dann habe ich beob- achtet, dafs dieses nur bei solchen Formen eintritt, die aufser der Queer- theilung auch einer Längstheilung fähig sind, so dafs dann wieder bei der Längstheilung jede einzelne Hälfte ihr vorderes und hinteres Oentralorgan behält. In diesem Falle ist namentlich oft Paramecium Aurelia. — Bei Pa- ramecium Kolpoda giebt es ebenfalls 2 contractile Blasen, beide aber dicht neben einander, fast in der Mitte des Rückens. — Bei Zuodon Cueullulus sah ich 3 solcher Blasen, 2 nämlich zu beiden Seiten des Zahncylinders und eine in der hintern Körpergegend, ohnweit der Erweiterung des Darmes am After (Kloake). Ich bemerke, dafs auch dieses Thierchen sehr häufig spon- tane, sowohl Queertheilung als Längstheilung eingeht. Einfache contractile Blasen sah ich bei Kerona pustulata im vorderen Körpertheile, bei Oxytricha pellionella in der Mitte, bei Stylonychia Mytlus in der Mitte, bei den 3 Arten von Nassula in der Mitte, bei den Ophryo- glenen vorn, bei Urocentrum Turbo und Euplotes Charon, so wie bei Hı- mantopus Charon, im hintern Körpertheile. 176 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation Dafs verschiedene Species von einerlei Gattung ein anderes Verhält- nifs hierbei haben, beobachtete ich wohl hie und da; so zeigten Bursaria vernalis 2, Bursaria Leucas und flava nur eine, und Bursaria spirigera gar keine Blase deutlich; ebenso sah ich nur eine in Stentor polymorphus, 2 aber in ‚Stentor Mülleri;, allein ich habe sie bei mehreren dieser Thierchen zu- weilen lange vergeblich gesucht und zuletzt doch deutlich beobachtet. Zu- weilen bleiben sie lange in der Contraction, wo sie unsichtbar werden und man mufs daher dieselbe Art öfter beobachten und nicht rasch aburtheilen, sonst irrt man sich leicht. Wichtig erschien mir noch ein anderer Umstand, nämlich die Anwe- senheit eines rundlichen, weniger durchsichtigen Organs in der Nähe der eontractilen Centralblase bei einigen einblasigen Formen und bei den drei- blasigen Lippenthierchen, welches ich mit derselben in Verbindung ver- muthe. Bei Euodon Cucullulus findet sich nämlich in der Mitte des Leibes ein eiförmiger, trüber, von Farbe weifser, ziemlich grofser Körper, und ein ganz ähnlicher existirt in allen Individuen der Nassula elegans. In beiden ist seine Stellung etwas schief. Dagegen ist ein gleichartiger, mehr kugel- förmiger, ansehnlicher Körper dicht an der contractilen Blase bei Nassula ornata und aurea. Aufser bei diesen 4 Formen habe ich ihn noch nirgends weiter erkannt (!). Zur Deutung dieses bisher ganz unbekannten organischen Systems, welches sich von dem Reproductionssysteme der genannten Thiere, wie man bei den sehr leicht zu bewerkstelligenden Anfüllungen der Nassula elegans mit Indigo sieht, ganz scharf unterscheidet, habe ich bei mir folgenden Versuch gemacht. Es ist der natürliche Weg, dafs man bei Ungewifsheit in der Bestim- mung vorliegender Organe die in der Organisation zunächst stehenden Ab- theilungen und Gruppen der übrigen Organismen befragt und sich umsieht, ob bei ihnen ähnliche Organe in einer bestimmteren Verbindung und mit (') Ganz neuerlich habe ich mich auch bei Paramecium Aurelia von seinem Dasein überzeugt. Füllt man diese Thierchen stark mit Farbe an, so bleibt in der Mitte des Kör- pers ein grolser, ovaler, durchsichtiger Fleck, ohne von gefärbten Magen gefleckt zu sein. Betrachtet man diesen scharf, so erkennt man seine scharfen Umrisse und er erscheint dann deutlich als ein, jenen übrigen ähnliches, nur weniger trübes, mehr durchsichtiges, besonde- res Organ. in der Richtung des kleinsten Raumes. 177 einem bestimmteren Charakter vorhanden sind. Nach diesem Grundsatze habe ich für rathsam gehalten, die Organe der den polygastrischen Infuso- rien zunächst stehenden Räderthiere in Betrachtung zu ziehen. Der auf- fallende Charakter der beständigen langsamen Contraction und Expansion der Centralorgane des sternförmigen Gefäfsapparates bei den Paramecien schien mir besonders bezeichnend und leitend für die Function. Schon längst hatte ich aber ein ebenfalls contractiles blasenförmiges Organ im hin- tern Theile des Körpers vieler Räderthiere entdeckt und die Vergleichung lag daher nahe, obschon das letztere nicht mit sternförmig verlaufenden Ge- fäfsen in Verbindung steht. Ich habe diefs Organ bei Gelegenheit der Zer- gliederung der Hydatina senta umständlich beschrieben und abgebildet. Es steht in ganz deutlichem nächsten Zusammenhange mit den hodenartigen Organen der Räderthiere und es schien mir die Function eines, beide Ge- schlechtsthätigkeiten dieser hermaphroditischen Thiere im inneren Körper vermittelnden Organs zu haben. Ich nannte es defshalb Ejaculationsor- gan oder Schnellmuskel für den männlichen Saamen (!). Die Organisations- verhältnisse der Magenthierchen sind nun zwar etwas verschieden von denen der Räderthiere, allein nur so, wie alle verwandte Thierklassen es von ein- ander sind. Ein grofser Unterschied liegt in der Eigenthümlichkeit der weiblichen Geschlechtsorgane oder des Eierstocks. Bei den Räderthieren ist der Eierstock beschränkt, zweihörnig und bildet nur wenige Eier auf ein- mal aus; bei den Magenthierchen ist die körnige Körpersubstanz (welche ich bei Kolpoda Cucullus, als Lebensact, durch den After habe ausscheiden gesehen und was ich daher für ein Gebähren von Eiern halte) durch den ganzen Körper verbreitet und umgiebt überall den Darm mit seinen Blasen. (') Wer die Structur der Schaalkrebschen, Entomostraca, (Daphnien oder Cyclops-Arten) genau untersucht, wird bei ihnen einen ganz ähnlichen Organenbau finden, als er von mir bei den Räderthieren (Hydatina senta) dargestellt worden ist. Sie haben 2 gleiche, nicht, wie Strauls angiebt, ungleiche Kiefer mit Zähnen, einfachem Darm, und die Männchen ha- ben 2 lange Hoden, wie die Weibchen einen zweihörnigen Eierstock. Auch der Bau und die Farbe ihrer einfachen Augen (die Daphnien haben überdiels zusammengesetzte Augen) und deren deutliches Verhältnifs zum Gehirn ist sehr ähnlich, so wie der Bau und die Form der freien, deutlich gestreiften Bewegungsmuskeln. Nur sind die Räderthiere nicht getrennten Geschlechts, wie die Schaalkrebse, und haben kein pulsirendes Herz und keine deutlich sicht- bare Bluteireulation, bleiben also immer den Entomostracis sehr unähnlich, auch im innern Baue, obwohl sie ihnen darin näher als allen übrigen Formen stehen. Phys. Abhandl. 1833. Z, 178 Eunengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Diese grofse Ausdehnung und verschiedene Einrichtung des Eierstockes dürfte wohl auch eine verschiedene Form und Vertheilung der männlichen Saamenorgane und des die hermaphroditische Befruchtung vermittelnden con- tractilen Organs wahrscheinlich machen. So wie die sichtbare Eiermasse bei den Magenthierchen sehr hervortritt und vorherrschend ist, so darf es auch das männliche Befruchtungssystem sein, und wohl steht eine solche Einrichtung mit der grofsen und schnellen Vermehrung dieser Thiere in rich- tigem Verhältnifs. Auch scheint sich die Einfachheit des Ejaculationsorgans bei den Räderthieren damit wohl zu vereinigen, dafs sie keiner Selbstthei- lung unterworfen sind, während zu dieser den Magenthieren zukommenden Eigenthümlichkeit der Selbsttheilung auch die Mehrfachheit ihrer vermit- telnden Befruchtungsorgane recht passend erscheint. Vielleicht ist auch bei den Magenthierchen die Duplicität jener contractilen Organe immer nur die Folge einer inneren Vorbereitung zur erfolgenden oder beabsichtigten Kör- pertheilung. Es scheint mir daher nicht allzu gewagt, wenn man die blasi- gen oder sternförmigen contractilen Organe der Magenthierchen für Ver- mittlungsorgane der inneren Befruchtung, für leitende Saamenorgane hält (!). Der oben erwähnte dunklere Körper, der in der Mitte des Leibes bei meh- reren Formen deutlich bemerkbar ist, könnte leicht geradehin der Hode oder das Saamen bereitende Organ selbst sein. Dafs die sternförmigen oder contractilen Organe mit Respirationsor- ganen oder Herzen verglichen werden dürften, glaube ich nicht. Das letz- tere defshalb nicht, weil ihre Bewegung zu langsam ist, während die Herz- und Säftebewegung bei kleineren Thieren schneller und gleichförmiger zu sein pflegt. Die Pulsation des Herzens der Daphnien u.s. w. ist, wie man sich leicht überzeugt, bei weitem schneller; eben so ist die Safteirculation in den Distomen und Planarien viel geschwinder. Um aber hier an Respirations- organe zu denken, scheint es mir auch nöthig, mehr von einem deutlichen gleichzeitigen Gefäfssysteme zu wissen, als zu ermitteln bisher möglich ge- (‘) Berücksichtigt man die convulsivische Bewegung der Saamenblasen, wodurch wir uns in der Physiologie der Säugthiere die plötzliche Saamenentleerung erklären, so lielse sich wohl auch ein passender Vergleich mit beiden anstellen, allein die Saamenblasen scheinen doch auch meinen Beobachtungen zufolge reizbare Behälter des schon ausgeschiedenen Saamens zu sein, was bei den contractilen Organen der Infusorien nicht deutlich sichtbar ist, und die Idee, als wären Säugthiere und Infusorien einander zu fremd, ist noch zu tief gewurzelt. in der Richtung des kleinsten Raumes. 179 wesen, obwohl ich die Spur eines netzförmigen, sehr feinen Gefäfssystems bei den Paramecien zu erkennen meine. Freilich ist aber noch gar nicht an an eine Beobachtung des Säftelaufs zu denken, wo es sich um Zweifel an der Existenz der Kanäle noch handelt, in denen sie statt finden könne. Ich könnte mich begnügen, die Organe nachgewiesen zu haben, allein ich glaube auch nicht zu irren, wenn ich meine, dafs die grofse Producti- vität der Magenthierchen, die ich bereits früher durch Experimente ausge- mittelt, auch einen ausgezeichnet hervortretenden Geschlechtsapparat wahr- scheinlich mache. Darum bin ich geneigt, diese deutlichen einflufsvollen Organe als für das Geschlechtliche thätig zu betrachten und weil die Eier- stöcke klar vorliegen, auch die gröfseren Räderthiere den Hermaphroditis- mus deutlich zeigen, so mögen die fraglichen Organe der kleinen Magen- thiere wohl das männlich Geschlechtliche ebenso repräsentiren und üben, wie die contractilen Blasen bei den Räderthieren es ohne Zweifel thun; denn sie hängen unmittelbar mit Organen zusammen, welche ganz die Form und Lage der männlichen Saamenorgane von Daphnien und Cyclops haben. Ich glaube hiermit eine Duplieität des Geschlechts bei den Magen- thierchen zur höchsten Wahrscheinlichkeit gebracht zu haben, durch welche ihre inneren Keimkörner ebenfalls höchst wahrscheinlich zu den wirklichen befruchteten Eiern emporgehoben werden, dagegen die Wahrscheinlichkeit ihrer Einfachheit verloren geht. IV. Über einen lebhaft violet und blau gefärbten Darmsaft der Magenthierchen und dessen besondere Organe. Ich habe bei den Räderthieren 2 ansehnliche drüsige Körper, welche am Anfange des Darmes dicht unter dem Schlunde angeheftet sind, für Ana- loga der Bauchspeicheldrüse gehalten und ihr Verhältnifs und sehr verbrei- tetes, wahrscheinlich ganz allgemeines, Vorhandensein angezeigt. Wenn sie zu diesem Zwecke, wofür ihre Lokalität und feste Verbindung mit dem vorderen Darme, so wie ihre drüsige Structur sprechen, wirklich dienen, so würde der Darmsaft aller bis jetzt bekannten Räderthiere, der Farbe dieser weifslichen Organe gemäfs, farblos und hell, oder weifslich milchig und etwas trübe sein. Von diesen bei den Räderthieren sehr bestimmten, z2 180 Eurensgene: Beürag zur Erkenntnifs grofser Organisation leicht sichtbaren Organen habe ich bei Magenthieren keine deutliche Spur entdecken können; dagegen habe ich in diesem Frühjahre (1832) einige mir bisher nie vorgekommene Infusorienformen kennen gelernt, welche einen überraschend schön gefärbten violetten Saft in ihrem Innern erzeugen, der sich in den Darm ergiefst und die Excremente färbt, mit denen vereint er ausgeschieden wird. Es sind mir besonders 2 Formen vorgekommen, welche einen solchen sehr lebhaft violetten Saft deutlich und schön zeigen, und bei einer dritten Form, einer zwar anderen, aber doch ähnlichen Gattung, habe ich deut- liche Spuren der Ausscheidung eines mehr röthlichen Saftes gefunden. Diese 3 Thiere sind von mir mit den Namen Nassula elegans, Nassula ornata und Bursaria vernalis bezeichnet. Am deutlichsten konnte ich den zur Ausschei- dung dienenden Organismus bei Nassula elegans erkennen und diesen will ich daher hauptsächlich in seinen Einzelheiten vorlegen. Im vorderen Körpertheile der Nassula elegans, auf der dem Zahney- linder des Mundes entgegengesetzten Rückenseite (!), befindet sich bei allen jüngeren, noch nicht allzu blassen und abgelebten Individuen, deren ich mehr als Hundert beobachten konnte, ein schöner violetter Fleck, welcher unregelmäfsig, fast viereckig und ziemlich grofs, das heifst zuweilen fast von der Breite des Rückens ist. Dieser Fleck besteht aus vielen kleinen, un- gleich grofsen, violetten Kügelchen, oder vielmehr mit violetter Flüssigkeit gefüllten, an sich farblosen Bläschen. Von dieser Stelle aus erstreckt sich in der Mitte des Rückens ein einfacher perlschnurförmiger Kanal hin, in dem die violette Masse weiter nach hinten rückt. Im letzten Drittheile des Körpers erst scheint eine directe Verbindung dieses Kanals mit den Darm- blasen oder den Magen statt zu finden, denn einerseits erscheint dort die violette Farbe gewöhnlich nicht mehr so schön, sondern gemischt mit etwas Fremdartigem, und oft (besonders bei den andern beiden Formen) sah ich in denselben Blasen gleichzeitig Nahrungsstoffe, als Oscillatorien - Fragmente, Bacillarien und dergleichen. Bei allen aber ging die violette Materie, zu- 8 weilen ohne Beisein deutlichen Nahrungstoffes, zuweilen gleichzeitig mit (‘) Man kann diesen vorderen Körpertheil der Nasswla, obwohl er vorn über den Mund hinausragt, nicht wohl Kopf nennen, weil sich der Darmkanal noch darin verzweigt; er ist vielmehr ein Höcker, obschon die Körperform angenehm walzenförmig und regelmäßsig er- scheint. in der Richtung des kleinsten Raumes. 181 deutlichen Exerementen, durch eine hintere Afteröffnung ab. Auch waren immer die violetten Blasen im Hintertheil des Körpers gröfser, oft sehr grofs ausgedehnt, und nicht selten habe ich das Entleeren der einen in die andere und die dadurch bewirkte, sichtlich zunehmende Vergröfserung der andern beobachtet. Gewöhnlich hatten die Thierchen das Ansehn, als hätten sie sich mit einer violetten Substanz genährt oder wären damit gefüttert wor- den, allein die Färbung war eine natürliche und ganz eigenthümliche. Der Haufe von Bläschen im scheinbaren Nacken der Nassula elegans schien mir die Absonderungs oder Bildungsorgane des Saftes selbst zu enthalten, indem ich keine zu ihm hinführenden Gefäfse erkennen konnte, vielmehr in seiner Nähe rings herum alles durchsichtig und farblos war. Sehr oft fanden sich diese Nackenbläschen ganz allein ohne irgend ein andres violettes Bläschen im Körper. Nur in 2 Fällen unter mehr als Hunderten sah ich auch diese Bläschen farblos, allein die beiden Individuen zeigten eine allgemeine Leere und Mangel an Schärfe und Spannung in allen Körperverhältnissen, was auf Stumpfheit des Organismus und Abgelebtheit schliefsen liefs und wohl des- sen Folge war. Bei Nassula ornata und Bursaria vernalis, den beiden andern, einen ähnlich gefärbten Saft zum Theil in grofser Menge absondernden Formen habe ich eine solche bestimmte Örtlichkeit der Ausscheidung weder in der Nähe des Mundes, noch an einer andern Stelle beobachten können, wovon der Grund vielleicht darin liegt, dafs die Bereitungsorgane den spätern Be- hältern an Gröfse, Form und Stellung allzu ähnlich sind. Ganz besonders reichlich, mehr sogar als bei Nassıla elegans, ist diese Saftbereitung bei Nassula ornata, wo die Abwechslung der violetten Blasen, der grün und braungelb gefüllten Magen und der lebhaft grünen Eier überraschend bunt ist. Bei Bursaria vernalis ist diese Saftausscheidung weit mehr untergeordnet. Man erkennt sie nur, wenn der Körper beim Eintritt des Wassermangels seine mehrseitigen Stützpunkte verliert, sich abplattet und zerfliefst, oder wenn man einen mäfsigen, nicht zerstörenden, aber abplattenden Druck an- wendet. In diesen Fällen sieht man einzelne gröfsere Magenblasen mit Frag- menten von Oscillatorien oder Bacillarien erfüllt und diese von einer bräun- lich violetten oder röthlichen Flüssigkeit umgeben. Diese violette Flüssigkeit, welche etwas zähe, fast öliger Natur ist, schien mir zuweilen eine deutlich zersetzende Kraft zu äufsern, indem ich 182 Enrengeng: Beürag zur Erkenntnifs grofser Organisation nämlich in solchen Magenblasen, welche viel dieser Flüssigkeit und nur ein kleines Stück eines Ösecillatorien-Fragments enthielten, immer diefs Stück mifsfarbig gelblich und zerspalten oder aufgelöst fand. Eine andere Eigenthümlichkeit des farbigen Saftes möchte ich eben- falls nicht unberührt lassen. Ich sah nämlich, dafs beim Zerplatzen oder beim Excerniren der Nassula die schön violette Farbe sogleich mit ihrem Eintritte in den umgebenden Wassertropfen schnell verschwand und jene ganz farblos wurde, obwohl der ölige Tropfen sich nicht vertheilte. Eine chemische Einwirkung des Wassers auf diese Flüssigkeit war, so oft ich auch das Experiment wiederholte, nicht zu verkennen, und ich habe es mehreren Freunden ebenfalls zur Ansicht bringen können. Um darüber gewisser zu werden, setzte ich einige Thierchen auf kleine Öltröpfehen und beobachtete ihr Zerplatzen beim Verdunsten des noch anhängenden Wassers. Sie brei- teten sich bei diesem Experimente nicht so flach aus und waren mithin we- niger klar zu sehen, allein einige male gelang es ziemlich gut und die Farbe des Pigments blieb intensiv violet. Das blofse Abplatten der kuglichen Bla- sen scheint die Farbenverdünnung ebenfalls nicht zu bewirken, denn eine kurze Zeitlang sind sie beim Hervortreten zwar schon abgeplattet, aber noch lebhaft gefärbt. Rücksichtlich einer Analogie dieser Erscheinung im Allgemeinen scheint es mir wieder nützlich und thunlich, auf ein ähnliches Verhältnifs bei den kleinen Schaalkrebsen, den Z’ntomostracis, hinzuweisen. Man sieht nämlich sehr leicht und es ist schon längst beobachtet, dafs viele Individuen zu gewissen Jahreszeiten und Lebensepochen gelbliche, braune, grüne, auch lebhaft rothe Blasen in ihrer Körpersubstanz zerstreut führen, deren Inhalt ich beim Zergliedern und Zerquetschen immer ölig gefunden. Bei den Daph- nien hält Jurine diese Blasen für zum Eierstock gehörig, was sie aber nicht sind, indem der wahre Eierstock von ihm schon als eine längliche Wulst auf beiden Körperseiten richtig angegeben ist; auch sind sie noch häufiger bei Cyelops- Arten. Es scheint mir besonders interessant und merkwürdig, dafs nicht blofs die Räderthiere, sondern auch die Bursarien - ähnlichen In- fusorien manche Ahnlichkeit in ihrem Organismus mit den kleinen Schaal- krebsen zeigen. in der Richtung des kleinsten Raumes. 183 ve Von inneren kiemenähnlichen Organen bei den Räderthieren. Schon oft hat man von den Respirationsorganen der Räderthiere ge- sprochen. Schon vor Cuvier hielt Paula von Schrank die Räderorgane defshalb für äufsere Respirationsorgane, weil sie durch ihren Strudel nicht Nahrungstheilchen zuführten, sondern sie wegschleuderten, mithin zum Ein- fangen derselben untauglich wären (!). Georg von Cuvier scheint sich bei seiner Vermuthung jener Function der Räderorgane besonders noch auf das Urtheil des ausgezeichnet sorgfältigen Beobachters Savigny gestützt zu haben, welcher die Basis der Räder mit dem Kiemensacke der Ascidien ver- gleichbar fand, so wie er denn die ganze Ansicht von der Structur der Rä- derthiere von Savigny entlehnte. Jedoch hat dieser letztere, sonst sehr scharfsichtige und wegen treuer Sorgfalt und Wahrheitsliebe höchst ach- tungswerthe Gelehrte diese Verhältnisse nicht so richtig beurtheilt, als andre Untersuchungen Herrn Cuvier vermuthen liefsen. Die Analogie mit den zusammengesetzten Ascidien ist offenbar in vielen Beziehungen eine irrige. Schweigger erklärte sich 1820 auf Seite 303 seines Handbuchs defshalb gegen diese Deutung der Räderorgane, weil sie einen Kreislauf der Säfte voraussetze, der nicht vorhanden sei. Er hielt sie daher vielmehr wieder für Fangorgane, ohne jedoch Schrank’s Gründe zu widerlegen. Bory de St. Vincent hat 1828 im Dictionnaire classique d’histoire naturelle, Article Rotifere pag. 682 sich als kühner Vertheidiger der Respiration gezeigt, denn er behauptet, freilich ohne es durch gründliche Untersuchungen zu befesti- gen, die Räderthiere hätten eine ausgemachte Respiration, weil sie ein Herz hätten, und die Räderorgane seien A/naloga des Kiemen - Apparats. Seine Worte sind sehr bestimmt: Zes rotatoires (Räderorgane) formes de cirres de- (') Dieser Grund ist kein wichtiger und haltbarer Grund. Alle Thiere, schon Pferde, Ziegen u. s. w., werfen, wenn sie viel geschnittenes Futter vor sich haben, eine Menge da- von um sich herum und wählen gewisse Theile desselben zuerst. Wer die Räderthiere scharf genug beobachtet, sieht deutlich, dafs sie, wenn sie hungrig sind, beständig schlucken; allein der Strudel, den ihre Räderorgane machen, bringt so viel Nahrungstheilchen auf einmal an ihren Mund, dafs sie immer nur einen kleinen Theil davon aufnehmen können; der gröfsere Theil davon wird fortgeschleudert und immer wieder angezogen, bis er auch an die Reihe kommt. Daher kommt jenes Abstolsen. Zuweilen wirbeln sie auch, ohne hungrig zu sein, und dann wird alles Angezogene wieder weggeschleudert. 154 Eurengerg: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation lies presentent deja la plus grande analogie avec lappareil branchial; une cir- culation y est vidente, car un coeur s’y dessine. Si nos moyens de grossisse- ment etaient suffisans, nous verrions sur chaque ciliure agitee quelque ana- logue du sang s’y venir mettre en communication avec Pair respirable. Dazu fügt er pag.683: Jinsi les Rotiferes sont plus avances a cet egard que les in- sectes, qui n’ont pas de coeur veritable, quelque fonction qu’on attribue a leur vaisseau dorsal. Das was der Verfasser für ein Herz gehalten, ist, wo nicht etwa der Schlundkopf selbst, der zitternde Kanal, welcher von der mittle- ren Basis der Räderorgane auf der Bauchseite zum Schlundkopfe führt und den eigentlichen Mundraum bildet, denn bei Indigofütterung bildet dieser zitternde Theil eine blaue Linie, die Strafse zum Schlundkopfe. Alles übrige Raisonnement beruht auf dieser unrichtigen Beobachtung. Von einer anderen Seite hat ein sehr glücklich und fein untersuchen- der Beobachter, Carus, nach seiner philosophischen Darstellungsweise eine Respiration nicht blofs bei den Räderthieren, sondern bei allen wirbelnden Infusorien als bereits feststehend gefunden und vertheidigt. Er sagt näm- lich in seiner Abhandlung über die Entwicklungsgeschichte der Flufsmuschel Nova Acta Naturae Curiosorum X\V1, 1531, p.61: ‚,Allen vielfältigen äufse- ‚„‚ren Beweggliedern liegt immer der eine nur unendlich metamorphosirte ‚Begriff des Athemorgans oder der Kieme zum Grunde. — Allen Haut- ‚„‚stellen, welche vorzugsweise als Athemorgan sich documentiren, nnd noch „mehr also den mehr entwickelten Stellen oder den Kiemen, mufs die pri- „„mitive Bewegung, nämlich die Öscillation vorzugsweise eigen sein. — Im „niedrigsten Reiche der Thierwelt unter den Protozoen geben die Infuso- ‚„‚rien in den mannichfachsten Haarkränzen — ein deutliches Beispiel der ‚obigen Anordnung. Die feinen, wie Glas durchsichtigen Fäder, welche „bei Zeucophrys, Kolpoda, Vorticella, Lacinularia, Rotifer und anderen sich „finden und durch ihre aufserordentliche schnelle Oscillation gewöhnlich ‚die optische Täuschung wie von laufenden Fäden hervorbringen, gehören ‚, vollkommen in die Reihe dieser Gebilde.”’ Nach dieser auf die neueren philosophischen Principien gegründeten Ansicht würde, verstehe ich recht, es zur Respiration keines Herzens und Gefäfssystems in allen Fällen bedürfen, sondern das Wirbeln der Infusorien würde eine in sich vollendete Respiration schon sein, als Bewegung oder als Attraction und Repulsion, was ich mir nicht so vorstellen kann, indem ich in der Richtung des kleinsten Raumes. 185 Bewegung und Respiration auch bei den Infusorien scharf unterscheide (') und bei letzterer Thätigkeit eine besondere specifische Wirkung auf den Kör- per erwarte, ohne welche eine Respiration nicht existirte. Ich enthalte mich einer specielleren Untersuchung der verschiedenen hierher bezüglichen Lehren und mache vielmehr auf einige reale Beobach- tungen aufmerksam, die mir gelungen ist der Naturforschung zuzuwenden. Schon vor mehreren Jahren bemerkte ich bei einigen Räderthieren, besonders bei Brachionus urceolaris, ein lokales Zittern an gewissen Stellen des innern Leibes. Später, nachdem ich mich von dem Verlaufe der innern freien Muskeln immer mehr überzeugt hatte, erschien mir diefs Zittern als ein Vibriren einzelner Stellen der Muskelsubstanz, und ich legte keinen Werth auf seine speciellere Betrachtung. In diesem Sinne erwähnte ich auch schon dieser Beobachtung in meinem ersten Vortrage über die Structur der Infusorien, 1830, pag. 49, wo ich mich folgendermaafsen ausdrückte: ‚Kleine, lokale, zitternde Bewegungen, bald hie bald da, habe ich oft bei ‚„, Räderthierchen gesehen, halte sie aber für Muskelwirkungen. — Auch sah „ich zuweilen ein Fluctuiren zwischen den Organen in der freien Bauch- ‚„‚„höhle.”’” Diese Beobachtungen sind es, welche damals keimten und all- mälig zu einem neuen organischen System herangereift sind, das der ganzen Klasse der Räderthiere anzugehören scheint. Eine neue grofse Form der Gattung Notommata hat mich in diesem Frühjahr (1832) vollständig über- zeugt, dafs jene kleinen, lokalen, zitternden Bewegungen im innern Leibe nicht blofse Muskelvibrationen sind, sondern von besondern Organen be- wirkt werden, welche eine bestimmte feste Stelle haben und symmetrisch geordnet sind. Ich zählte nämlich bei Notommata centrura, wenn ich sie (') Übrigens darf ich nicht unterlassen, besonders noch darauf aufmerksam zu machen, dals das von mir sowohl in den Symbolis physicis, als in dem ersten akademischen Vortrage über Infusorienstructur 1830 angegebene Wirbeln der Embryonen im Ei der Räderthiere, welches auch von Herrn Carus und Herrn Rudolph Wagner beobachtet worden, eben- falls nicht nothwendig, vielleicht nicht wahrscheinlich, einer Respirationsthätigkeit zu ver- gleichen sein dürfte, indem ich sehr oft gesehen habe, dafs auch die Maxillen der Embryo- nen im Ei sich gleichzeitig wie zum Kauen bewegen. Die Thierchen scheinen vielmehr in der letzten Zeit des Eilebens sich schon auf das selbstständigere Leben ganz vorzubereiten und die sie umgebende Flüssigkeit zum Theil durch Wirbeln anzuziehen und zu verschluk- ken, wie letzteres auch die Embryonen der Säugihiere und Menschen thun, was aus dem den ersten Excrementen (Meconium) beigemischten Wollhaar deutlich wird. Phys. Abhandl. 1833. Aa 156 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation vom Rücken besah, deutlich rechts 7, links 6 solcher zitternder, nie ruhen- der, rundlicher Stellen, die in bestimmten Abständen einander gegenüber standen. Genauere Betrachtung zeigte, dafs diese Stellen kleine, besondere, gestielte Organe waren, die die Form von Notenzeichen hatten, deren Zit- tern an der erweiterten Stelle durch Bewegung von je 3 kleinen Blättchen oder Falten bestand, und bei Bewegungen des Thieres erkannte ich leicht, dafs diese Organe mit ihrem verdickten Ende im Raume der Bauchhöhle frei fluctuirten, während sie mit dem Stiele an den Rand der beiden lang keulenförmigen, geschlängelten Organe angeheftet erschienen, welche ich an beiden Seiten der Z/ydatina senta für die männlichen Saamenorgane zu erklären mich bewogen gefunden und bei denen ich jetzt noch überdiefs einen Gefäfsapparat vermuthe, den ich jedoch über gewisse Spuren hinaus noch nicht entwickeln konnte, obwohl die Anzahl von sichtbaren, zarten, freien Fäden (Gefäfsen?) bei lokalen Ausdehnungen des Körpers zuweilen sehr deutlich wird. Der Gedanke, welcher mich beim ersten Erkennen jener kleinen zit- ternden Organe zuerst erfüllte, war der an ein pulsirendes Gefälssystem, allein so viele Herzen anzunehmen bei so wenig oder vielmehr gar nicht sicht- barer Circulation, schien mir nicht richtig, und so blieb ich eine Zeitlang unschlüssig. Ich beobachtete nun andere Räderthiere, denn in einer frühe- ren Zeichnung von Notommata collaris hatte ich auch schon 4 solcher zit- ternder Stellen besonders angemerkt, welche sich regelmäfsig gegenüber- standen. Ich vermuthete daher, dafs sowohl diefs Thierchen, als auch .Zra- chionus urceolaris, bei dem ich solches Zittern zuerst wahrgenommen hatte, diese Organe ebenfalls deutlich zeigen würden. So fand ich sie denn auch, überdiefs aber bei Yydatina senta, Cycloglena Lupus und einer neuen gro- fsen, der Notommata centrura ähnlichen Form, welche sich durch seitliche ruderartige Borsten auszeichnet: Notommata Copeus. Da Brachionus ur- ceolaris ein Schaal- oder Panzer-Räderthier ist und ich diese Organe auch etwas später bei Euchlanis macrura fand, so sind dieselben in beiden Ord- nungen und in den 3 Familien der Crystallthierchen (Hydatina), der Mantelthierchen (Euchlanidota) und der Schild-Räderthierchen (Brachionaea) nachgewiesen. Die Zahl der Gattungen, in denen sie bisher beobachtet wurden, ist 6, die Zahl der Arten 8. Zu bemerken ist, dafs ich aber nicht glaube, dafs nur diese genannten Formen, bei denen ich sie ın der Richtung des kleinsten Raumes. 187 bisher beobachtet habe, dieselben allein besäfsen, sondern ich habe be- merkt, dafs ihr Erkennen oft viele Schwierigkeit hat. So habe ich sie zum Beispiel bei der von mir mehr als hundertfältig sehr scharf untersuchten 4y- dalina senta nur mit der gröfsten Anstrengung und nachdem ich bereits so- wohl in den Symbolis physicis, als in meinem ersten hier mitgetheilten Vor- trage die detaillirtesten Structurverhältnisse in Kupferstich 2mal bekannt ge- macht hatte, entdecken können, während ich bei den früheren scharfen Un- tersuchungen auch keine Ahnung davon erhielt. Jetzt kann ich sie auch bei diesem Thierchen immer jedem, der sie kennen lernen will, sogleich zur Anschauung bringen. Eben so mag die Beobachtung dieser Organe bei vie- len, vielleicht allen andern Räderthieren gewisse besondere Schwierigkeit haben, deren Entfernung man erst der Natur ablernen mufs (). Es ist eine natürliche Pflicht für den Entdecker eines Organs, dafs er auch über dessen Verhältnifs zum Organismus nachdenke und durch wech- selseitiges Vergleichen einerseits für den bisherigen Kreis der Kenntnisse des betreffenden Organismus die Schroffheiten der Einreihung seiner Beobach- tung möglichst zu entfernen suche, andererseits aber für die Beobachtung selbst sich dadurch zur gröfstmöglichen Umsicht anrege. So habe ich denn versucht, auf folgende Weise diese Organe in einen Zusammenhang mit den bereits erkannten zu bringen. — Ich bin durch diese Beobachtungen auf ein anderes äufseres Organ von Neuem aufmerksam geworden, von dem ich frü- her bereits Mittheilungen gemacht habe, was ich aber als ein in seiner Func- tion zweifelhaftes bezeichnen mufste. Diefs ist der Sporn im Nacken vieler (‘) Später hatte ich wieder Gelegenheit, die Notommata clavulata (Tafel VII.) zu un- tersuchen. Ihrer Gröfse und grolsen Durchsichtigkeit halber vermilste ich bei ihr diese Or- gare immer sehr ungern. Nach etwas angestrengter Untersuchung erkannte ich aber die- selben in einem höchst eigenthümlichen Verhältnils, welches, wie mir scheint, ihre Function als Respirationsorgane nur noch mehr befestigt. Sie sind nicht, wie bei den übrigen, an die Saamenorgane angeheftet, sondern an ein eigenes, freies, ansehnlich dickes, sehr durch- sichtiges Gefäßs. Ich zählte an diesem Gefälse bis 30 kleine freie Keulen in einfacher ein- seitiger Reihe, wodurch es den Kämmen der Skorpione ähnlich ist, welche diese unterm Bauche tragen. Die kleinen Keulen samt den Gefälsen sind jedoch so klein und so erystall- hell, dafs sie fast nur bei der Bewegung, aber dann sehr deutlich erkannt werden, wenn sie einmal aufgefunden sind. Es gelang mir nur ein solches kammförmiges inneres Organ zu erkennen. Vielleicht, da die Kölbchen so dicht und zahlreich sind, existirt nur eines. Auch der Eierstock (Uterus) dieses Thierchens ist nicht zweihörnig. sondern einhörnig, so wie ich denn auf seine vielfachen Eigenthümlichkeiten schon aufmerksam gemacht habe. Ara 188 Eunenseng: Beürag zur Erkenntnifs gro/ser Organisation Räderthiere. Dafs dieser Sporn, der mich früher als ein Reizorgan des Ge- schlechtssystems ansprach, indem er eine dem Penis der einschaaligen Mol- lusken ähnliche Lokalität und Form zeigte, nicht in Verbindung mit den in- neren Geschlechtsorganen stehe, habe ich schon in meiner zweiten Abhand- lung über die Infusorienstructur pag.39 umständlich ausgesprochen, wes- halb ich ihn auch nicht mehr Clitoris, wie früher, sondern Sporn zu nen- nen vorschlug. Verbinde ich nun aber meine schon früher erwähnte und seitdem immer anschaulicher gewordene Bemerkung einer Fluctuation in der Bauchhöhle der Räderthiere mit dem griffelförmigen unklaren Organe des Nackens und mit den zitternden, notenförmigen, kleinen, blättrigen oder faltigen, oder nur in diese Form contractilen Organen, welche reihenweis an die Seiten des inneren Leibes angeheftet sind, so erscheint mir ein so deutliches Respirationssystem, dafs ich mich nicht enthalten darf, diese Ähn- lichkeit auszusprechen. Den Sporn im Nacken der Räderthiere halte ich für einen Sipko oder eine Respirationsröhre, die periodische Durchsichtig- keit und Ausdehnung und das damit unregelmäfsig abwechselnde Zusammen- fallen des Leibes fast aller Räderthiere halte ich für die Folge von einer will- kührlichen Aufnahme von Wasser in die innere Leibhöhle, und die zu be- obachtenden Fluctuationen im Innern wären dann die Bewegung dieses Was- sers. Hat der innere Körperraum der Räderthiere sich durch Aufnahme von Wasser ganz ausgedehnt, so erscheinen alle in- nere Organe von einander gesondert und ihre Grenzen werden deutlich erkannt; entleert sich der innere Raum von seinem Wasser (was bei Hydatina senta sehr auffallend abwechselt), so nähern sich die Organe, ihre Grenzen vermischen sich und die äufsere Körperhaut erscheint faltig. Unter diesen erfahrungsgemäfsen Ver- hältnissen dürfte es nicht allzu gewagt erscheinen, die im inneren Raume in 2 Längsreihen gestellten, musiknotenförmigen, zitternden, scheinbar blätt- rigen Körperchen für innere Kiemen zu halten, so lange nicht eine noch schärfere Beobachtung des Details ihnen eine andere Function für den Organismus mit Gründen zuerkannt haben wird, in welchem Falle dieser Versuch vergessen sein mag. Die mehrfachen Herzen, welche nach Pre- vost beim Chirocephalus vorkommen sollen, verdienen noch eine speciel- lere Würdigung und Vergleichung, sind aber nicht zweireihig, sondern hin- ter einander liegende Anschwellungen, die wohl dem Rückengefäfse der In- in der Richtung des kleinsten Raumes. 189 secten näher stehen, wie denn die ganze Form dieses E’ntomostraci einer In- sectenlarve gleicht, die, wie es Orthoptera und Hemiptera wohl thun, vor vollendeter Entwicklung sich fortpflanzt (!). VI. T£ NT . er . 5 Vom Nervensysteme der Infusionsthiere. Es konnte wohl gewagt erscheinen, wenn ich die Anwesenheit einer isolirten Nervensubstanz und eines dem Nervensysteme der Wirbelthiere und Insecten ähnlichen Apparats bei Thieren anzugeben mich veranlafst fand, denen man, gewissen früheren Beobachtungen und späteren Theorien zu- folge, bisher alle Structur überhaupt abgesprochen hatte, oder doch nur (‘) Die, aulser dem Herzen, wandlosen Gefälse der Entomostraca und den Kreislauf hat Gruithuisen zwar fleilsiger beobachtet als Straufs und die früheren, allein das Detail ist noch nicht genau genug bekannt, auch nicht durch Perty’s neuere Bemühung. Ich lege hierbei einige abweichende, auch noch unvollkommene, Beobachtungen darüber nieder. Das obere Herz der Daphnien hat auf dem Rücken, wie es mir scheint, eine ovale, sehr contrac- tile, deutliche Öffnung mit einem Kranzmüskel oder verdicktem Rande in einer Queerfalte, womit es beständig das Blut des mittleren Rückenkanals der Schaale, welches von hinten nach vorn läuft, einschluckt. Die Contraction des Herzens treibt das Blut nach dem Kopfe in 2 Strömen, deren jeder eine Seite des Gehirns berührt und zur Basis der Arme an de- ren Innenseite geht, wo sich jeder derselben umbiegt, um in den Arm seiner Seite zu stei- gen. Nur bis an die Verzweigung der Arme habe ich den Blutlauf verfolgen können. Die beiden rückkehrenden Ströme der Arme setzen ihren Weg weiter, jeder in die Schaale sei- ner Seite am Bauchrande nach hinten gerichtet fort. In diesen Schaalen breiten sich die Ströme sehr auffallend aus und es scheint wohl, dafs die Innenseite der Schaalen die Func- tion von Kiemen vertrete. Das Blut der Schaalen sammelt sich im obern Rückenkanale, von hinten nach vorn strömend, um wieder vom oberen Herzen eingeschluckt zu werden. So wären denn wohl die beiden Schaalen die Respirationsorgane für die Kopfeirculation. Über- diels giebt es noch eine Bauchcirculation, die mir ganz abgeschlossen zu sein scheint. Ne- ben dem rundlichen Kopfherzen nach hinten und innen liegt noch ein zweites Herz, welches auch Gruithuisen schon erkannt hat, dessen Contraction in die Diastole des ersten fällt. Auch dieses nimmt das rückkehrende Blut, aber des unteren oder inneren Rückenkanals, ohne zu schlucken auf, und seine Contractionen treiben dieses in einen kurzen Queerkanal, dicht an die Kauorgane. Dieser spaltet sich und läuft, nach hinten gerichtet, jederseits zu den Kiemen und Füfsen und bildet Schlingen in ihnen. Wo diese aufhören, vereinigen sich beide Strömungen und laufen als ein breiter Strom an der Innenseite des Schwanzes herab, bie- gen dann beim After, von hinten nach vorn gerichtet, um, und bilden den Rückenstrom des eigentlichen Leibes, welcher ins Bauchherz geht. Beide Herzen scheinen arteriell zu sein. 190 Enresgeng: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation eine rudimentäre Structur zuerkannte. Da ich mich bisher mehr im All- gemeinen über das Nervensystem der Infusorien, specieller nur bei Hyda- una senta darüber geäufsert habe, so will ich jetzt einiges weitere Detail meiner, der allgemeinen Annahme zum Grunde liegenden Beobachtungen vorlegen. Die Nerven derjenigen Thiere, welchen man allgemein ein Nerven- system zugesteht, pflegen sich vor den mehr gelblichen oder röthlichen Mus- kelfasern und Gefäfsen, den mehr bläulichen, opalisirenden Sehnenfasern und mehr durchsichtigen, wasserhellen Zellgewebsverbindungen durch weifs- liche Färbung auszuzeichnen, allein um mit Überzeugung gewisse einzelne, sehr zarte Fäden für Nerven zu erkennen, reicht dieser Charakter nicht aus, der nicht einmal für die gröberen Nervenstränge ganz sicher ist. Ein oft sehr leicht entscheidender Charakter liegt in den gewässerten und weifsen Ziezac - Zeichnungen, welche durch die Contraction der Nervenfasern in den Nervensträngen an der Oberfläche entstehen; aber auch dieser nützt nur bei groben Bündeln und Strängen und läfst auch Täuschungen mit Sehnen- bündeln (z. B. den Sehnen der Froschfinger u. dergl.) zu. Die galvanischen Versuche auf Reizbarkeit haben ihre Grenze, sowohl der Ausführung als der Überzeugung, bei einer gewissen Kleinheit der zu untersuchenden For- men. Um mit Überzeugung zarte Nerven zu erkennen, hat man bisher kein anderes Mittel, als das Verfolgen derselben bis zu ihren nächsten Haupt- stämmen und deren directer Verbindung mit dem Gehirn oder unläugbaren grofsen Ganglien und Sinnesorganen. Die mikroskopische Untersuchung der Substanz der fraglichen Nerven und der Gehime ist leider noch nicht weit genug verfolgt worden und es scheint bei den selbstständigen mikroskopi- schen Organismen in der Durchsichtigkeit der Nervensubstanz ein unüber- windliches Hindernifs, theils für das Erkennen ihrer Existenz, theils ihrer Structur zu liegen, und besonders um aus der Structur selbst Charaktere zu entlehnen. Was mich nun unter so ungünstigen Verhältnissen leitete, nicht die fast allgemein verbreitete Meinung, als wäre die Nervensubstanz bei den sehr irritabeln Infusorien mit den übrigen Körpersubstanzen innig vermischt und gar nicht gesondert, anzunehmen, sondern gewisse Organe 'der Infuso- rien für Hirn und Nerven zu erklären, waren besonders 3 Gründe: 1) die Existenz und mögliche Darstellung solcher, dem Gehirn und Nerven an Form in der Richtung des kleinsten Raumes. 191 ähnlicher Organe, 2) ihre Anordnung im Körper, und 3) ihr sichtbarer Zu- sammenhang mit den Augen. Was den ersten Grund besonders anlangt, so ergab sich aus der Ge- sammtzahl meiner Beobachtungen der speciellen Organe bei den Infusorien und einer Vergleichung derselben mit denen der gröfseren Thiere, dafs die Summe der Organisation bei beiden sehr ähnlich war. Es wäre lächer- lich und unstatthaft, von Nerven und einem Nervensystem zu sprechen, wo dieses das einzige Organ wäre, welches man in einem Körper beobachten könnte, oder wo es etwa nur mit einer oder der andern Spur von Organi- sation zugleich erkannt wurde, wie dieses leider wohl geschieht; allein ich hatte bei Räderthieren bereits 1) ein Ernährungssystem in seinen Einzelheiten vollständig entwickelt; ferner hatte ich 2) ein doppeltes Geschlechtssystem in seiner ganzen und abgerunde- ten Ausbildung erkannt und nachgewiesen, auch 3) eine bedeutende Ausdehnung eines Gefäfssystems mit Wahrschein- lichkeit aufgefunden, und 4) innere freie Bewegungsmuskeln und Bänder in einer befriedigen- den, der Bewegungsthätigkeit und den äufseren Organen angemes- senen Verbreitung und Kräftigkeit erkannt. Überdiefs aber sah ich im Körper der Räderthiere noch gewisse an- dere Organe, deren Function zu keinem der genannten Systeme mehr erfor- derlich war, oder deren Form dahin nicht pafste. Diese überflüssigen Or- gane waren zweierlei Art, einige knotenförmig, andere fadenförmig oder ge- mischt. Die Substanz der knotenförmigen erschien unter dem Mikroskope äufserst fein körnig, und die fadenförmigen zeigten entweder eine ähnliche feinkörnige Substanz, oder eine ganz gleichförmige, sehr durchsichtige. Bei keiner der beiden Formen liefs sich eine innere Höhlung erkennen, obwohl sie zum Theil einen verhältnifsmäfsig dazu hinreichend starken Durchmesser zeigten. Zwei gröfsere der knotenförmigen oder cylindrischen, fast bei allen Räderthieren leicht sichtbaren Körper dieser Art liegen dicht hinter dem Schlunde am Anfange des Darmes (wo ein Magen ist hinter dem Magen- munde, am Magen). Diese habe ich für 2 Drüsen erklärt, weil sie, ohne Blinddärme zu sein, mit dem Darme eng verbunden sind, nie mit Speise gefüllt erscheinen und allen Bewegungen des Darmes folgen. Beide sind 192 Enrengene: Deürag zur Erkenntnifs grofser Organisation durch ein dünnes fadenförmiges Bändchen mit ihrem Vordertheil an die in- nere Bauchwand geheftet und zuweilen im Innern blasig. Diese Drüsen, welche genau an der Stelle der 2 Blinddärme bei den Daphnien sind, habe ich mit den Pancreasdrüsen verglichen. Nie sah ich dieselben mit gefärbter Nahrung angefüllt, während jene Blinddärme bei den Daphnien sich sehr bald, wie der Darm, färben, wie ich mich durch Experimente mit Indigo viel- fach überzeugt habe ('). Andere bei den Räderthieren um den Schlundkopf liegende Knoten habe ich für Nervenganglien gehalten, weil sie keinem der oben genannten organischen Systeme innig verbunden oder nothwendig zugehörig erschie- nen, aus einigen von ihnen aber mehrseitig zarte Fäden ausgehen, welche weder eine einem dichotomischen Gefäfsverlaufe, noch dem sich bei der An- heftung ausbreitenden Muskelverlaufe ähnliche Anordnung zeigen und bei Contraction des Thieres nicht sich, wie alle Muskeln deutlich thun, zusam- menziehen und mit Verkürzung dicker werden, sondern passiv gebogen er- scheinen. Gefäfse, welche sich ebenfalls passiv zeigen würden, scheinen diese Fäden defshalb nicht zu sein, weil in den stärkern von ihnen, ihres anschnlichen Durchmessers und ihres körnigen Innern halber, eine Bewe- gung der Säfte sichtbar sein würde. Wollte man auch einige am Schlunde gelegene Markknoten für die Function von Speicheldrüsen zurückhalten, so könnte diefs doch nicht mit solchen geschehen, von denen deutliche Fäden an andere Körpertheile als den Mund oder Schlundkopf gehen. Übrigens sind auch die oben erwähnten Darmdrüsen für jene Function der Einspeiche- lung schon sehr ansehnliche Organe. Da, wo sie, wie bei Drachionus, am Magen sitzen, könnte man sie geradehin lieber Speicheldrüsen als Pancreas- drüsen nennen. Da aber, wo kein Magen vom Darme gesondert ist, wie bei Hydatina, würden sie beide Functionen gleichzeitig üben können. Endlich finden sich mitten im Körper mancher Räderthiere einzelne Knötchen, welche ganz frei zwischen langen, sehr feinen, einfachen Fäden schweben und aus denen entweder diese zarten Fäden entspringen, oder in welchen sich mehrere derselben, zuweilen nur 2, vereinen, oder endlich (‘) Gruithuisen hält diese Blinddärme der Daphnien in seiner schätzbaren Abhandlung über den Blutkreislauf der Daphnia sima (Acta Nat. Cur. XIV, 1828, pag. 400.) mit Unrecht für die Leber. in der Richtung des kleinsten Raumes. 193 durch welche sie nur verbunden werden. Diese kleinen, immer an dersel- ben Stelle vorkommenden, freien Organe, welche bei Muskelbewegungen des Thieres in passive Schwankungen und Ortsveränderung versetzt werden, haben so deutlich die Form von Ganglien und Nerven, wie sie aus meinen Darstellungen in der beiliegenden Tafel X. hervorgeht, dafs mir das Aner- kennen dieses Charakters nicht gewagt erscheint. Der zweite Grund, welcher mich bewog, den Infusorien Nerven, nicht hypothetisch, sondern erfahrungsgemäfs zuzuschreiben, war die An- ordnung der so eben als existirend angezeigten Organe im Körper. Gerade die gröfseren Markknoten, welche man ihrer Beschaffenheit halber geneigt sein kann, für Nervenknoten und Hirnganglien zu halten, liegen um den Schlundkopf herum in der Nähe des Mundes. Gerade da aber befinden sich auch die allgemeiner anerkannten, leicht darzustellenden Nervenknoten bei den andern Thieren, auch den verwandten Zntomostracis, den Mollusken und Würmern. Ganz damit übereinstimmend ist, dafs im übrigen Körper sich eine einfacher strahlige Nervenverbreitung mit kleinen Ganglien unter- mischt findet. Der dritte Grund war gleich Anfangs für mich schon ganz überzeu- gend, nämlich der, dafs ich einen directen Zusammenhang mit den am Schlunde im Nacken liegenden markigen Knoten und den gewöhnlich ebenda befindlichen, unveränderlichen, rothen Punkten fand. Ich habe diese ro- then Punkte schon pag. 14 und 15 meines zweiten Vortrags über die Infuso- rienstructur 1831 mit mehreren wichtigen Gründen als Augen festzustellen gesucht und will diese hier noch um einige vermehren. Ich hatte damals besonders, neben der grofsen Verbreitung und festen Örtlichkeit, auf die Ähnlichkeit der Form, Farbe und Stellung der Augen bei den jungen Zn- tomostracis der Cyclops- Arten aufmerksam gemacht, bei welchen Formen man schon immer dieselben mit dem Namen der Augen ohne Anstofs belegt hatte, weil die krebsartige Bildung und deutliche zusammengesetzte Structur es mit vertheidigen halfen. Obwohl diese Analogie auch mich mit leitete, so hatte ich aber noch besonders theils das Körnige der Pigmentsubstanz, theils den grofsen Nervenknoten oder durchscheinenden Hirnknoten mit be- rücksichtigt, auf welchem das Doppelauge des Cyclops sitzt und den ich von andern bisher nicht angegeben gefunden. Viel leichter liefs sich aber diels Verhältnifs durch die Vergleichung der feineren Structur der Daphnien deut- Phys. Abhandl. 1833. Bb 194 Eurenseng: Beiürag zur Erkenntnifs grofser Organisation lich machen. Die Daphnien haben (sämtliche mir bekannte Species) zweier- lei Augen, wie die Fliegen. Die grofsen, zusammengesetzten, schwarzen Augen sind nach Straufs durch 4, ich sehe aber 8, Muskeln (M. ocuwlomo- torü) beweglich, wie der Zulbus der Säugthiere (!). Bei diesen Augen sieht man deutlich einen vorn abgerundeten, cylindrischen Fortsatz des Gehirns als Nervus opticus, der sich vorn in etwa 10 feine Fäden fortsetzt, die un- mittelbar zur mittleren Basis des facettirten Auges gehen. Der Nervus opti- cus sitzt auf einem gröfseren, ebenfalls markigen Knoten. Von diesem letz- teren geht in der Richtung des Stirnschnabels ein anderer dicker Fortsatz ab, der gegen die Mitte der Stirn spitz ausläuft. Dicht hinter dem Ende dieses markigen Fortsatzes befindet sich ein rother oder schwärzlicher, run- der oder länglicher Fleck, dessen Farbe und Substanz den Augen der Rä- derthiere gleicht. Diesen Fleck hat Jurine übersehen und auch Straufs nur bei Daphina Pulex unvollkommen angedeutet, Schäffer und Gruit- huisen haben ihn deutlicher angezeigt. Die Augen der Cyclops - Arten ha- ben gar keine Ähnlichkeit mit den zusammengesetzten Augen der Daphnien, aber sind ganz überaus ähnlich dem kleinen Augenpunkte der Daphnien, den man in Rücksicht auf jenes facettirte gröfsere Auge ein einfaches Auge zu nennen berechtigt ist. Schon bei Schäffer sind die Hirntheile der Daph- nien recht gut, und besser als bei Jurine beachtet worden, nur hat jener dem Gehirn so viel Theile zu viel zugeschrieben, als der letztere demselben entzogen hatte. Schäffer hat nämlich die vom unteren abgestutzten Stirn- rande eingeschlossenen Tasterfüfse der Weibchen für einen dritten unteren Hirntheil gehalten, und Jurine hat zwar die Taster erkannt, aber den mitt- leren, das kleine Auge tragenden Hirntheil und dieses selbst übersehen. Straufs hat den inneren Verlauf der Taster ebenfalls übersehen und nur die hervorstehenden Spitzen erkannt und gezeichnet (Mem. du Mus.V, Pl.29, Fig. 6,i. 1819.). Den Augennerven des einfachen Auges hat er bei einigen Arten erkannt, nennt aber dieses Auge nur einen schwarzen Punkt oder (') Gruithuisen hat Recht, wenn er auch das zusammengesetzte Auge der Daphnien für ein Doppelauge hält. Jede Hemisphäre hat 4 Muskeln, die unter sich nach hinten convergiren, gegen den Bulbus hin divergiren, aber die 2 Bündel der je 4 Muskeln divergiren umgekehrt nach hinten, heften sich neben der Insertion der vordern Armmuskeln an und convergiren gegen den Bulbus des Doppelauges, wie 2 mit der Basis convergirende, mit den Spitzen divergirende Kegel. in der Richtung des kleinsten Raumes. 195 Fleck (tache noire, point noir), obschon es dem Cyelops- Auge, welches er Auge nennt, ganz gleich gebildet ist und den deutlichen Nerven hat. Auch hat er seine Form bei allen Arten von Daphnia ziemlich gleich gezeichnet, während ich sie bei den verschiedenen Arten sehr verschieden sehe. Übri- gens ist die Farbe dieses einfachen Auges nicht schwarz, sondern ein zuwei- len helleres, zuweilen dunkleres Roth. Wer diese Verhältnisse des Daph- nien und Cyclops-Auges nur mit einiger Sorgfalt verfolgt, was schon unter 200 maliger Vergröfserung leicht geschieht, wird eben so vielen Grund fin- den, diese Organe für Sinnesorgane, und zwar für Augen zu halten, als es bei den einfachen Augen der Dipteren u.s.w. der Fall ist; dann aber wird er eben so wenig an dieser Function der rothen Punkte bei den Räder- thieren und übrigen Infusorien bis zu den Monaden hinab zweifeln. Solche Zweifel sind nur die Folge von Unbekanntschaft mit dem Zusammenhange und der Verbreitung dieser gleichen Organe in gröfseren Kreisen. Dafs die Erkenntnifs des farbigen Pigmentfleckes der Erkenntnifs der “ farblosen, durchsichtigen Augennerven vorausgeht, ist eine natürliche Sache, und obwohl die letzteren zuweilen ihrer Feinheit und Durchsichtigkeit, oder der Undurchsichtigkeit ihrer Umgebungen halber nicht erkannt werden, so berechtigt dieser Mangel an Erkenntnifs keineswegs zu dem wissenschaftlichen Schlusse des wirklichen Mangels der Existenz dieser, wo jener deutlich ist. Umgekehrt wird, auch beim Mangel eines Pigmentfleckes, dennoch die Lokalität und Form markiger Massen im inneren Kopfraume ein Gehirn erkennen lassen, indem es schon bei den Säugethieren Formen giebt, bei denen die Augen verkümmern und fast verschwinden, während das Gehirn bei verwandten Formen nie diese Entwicklungsextreme berührt und aller Er- fahrung zufolge viel wahrscheinlicher in der ganzen thierisch - organischen Natur niemals fehlt. Die Gattungen Daphnia mit zusammengesetzten und einfachen Augen, und Cyelops ohne zusammengesetzte, mit blofs einfachen Augen, so wie der deutliche Zusammenhang dieser Augen mit dem Ge- hirn, scheinen mir den Zweifel, welchen man bisher über die Natur der schwärzlichen Pigmentstellen im inneren Kopfe mehrerer kleinen Thiere hatte, ganz zu entfernen. Übrigens habe ich die Markknoten, mit welchen die rothen Pigmentflecke bei den Räderthieren in Verbindung stehen, in g sehr vielen Fällen deutlich erkannt und in einigen auf den folgenden Tafeln anschaulich gemacht. Bb2 196 Eursengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Diefs sind die Gründe, warum ich den Infusorien Nerven, nicht hy- pothetisch, sondern erfahrungsgemäfs zuschreiben zu können mich für berechtigt halte. Somit wären denn bei den Infusorien, als den kleinsten Körpern, welche der menschliche Gesichtsinn überhaupt zu erreichen vermag, alle die Systeme der Organisation, welche den Organismus des Menschen begründen, nicht rudimentarisch, sondern theils augenscheinlich, theils mit der gröfsten Wahrscheinlichkeit ebenso in sich vollendet, nur in andere Formen gestaltet, aufgefunden und die thierische Organisation auf eine beim Menschen und dem Räderthiere, ja der polygastrischen Monade gleiche Summe, einen ein- zigen durchgreifenden Typus gewiesen. Wenn ich aber von Unendlichkeit der Organisation im kleinsten Raume gesprochen habe, so war das nicht eine leere oder gewagte philosophische Speculation, sondern darin fest begründet, dafs ich, der scharfen Beobachtung, welche obige bisher unbekannte Re- sultate lieferte, ungeachtet, kein Ende ersehen konnte. Wenn andere da, wo diese Beobachtungen aufhören, an der Grenze der Sehkraft, den Anfang eines neuen, einfacheren Reiches der Urmaterie statuiren wollen, so tritt diese Thätigkeit, so weit bis jetzt unsere Prüfungs- mittel reichen, heraus aus den Grenzen der Naturforschung in die der prü- fungslosen Speculation und Poesie, die manchmal von einer grofsen indivi- duellen Geistesgewandtheit zeugen und einen unterhaltenden Überblick gewäh- ren kann, von welcher ich mich aber gegenwärtig eben zurückziehen wollte, um nur das wissenschaftlich Begründete klar hervortreten zu lassen. Ich theile noch in vorliegenden 86 Blättern die Zeichnungen und die Beschreibungen von eben so viel von mir bisher noch nicht verzeichneten Infu- sorien mit, welche die fortgesetzte Beobachtung an mich abgegeben hat (!). (') Die physiologisch interessanteren Formen sind auf den beigehenden 11 Tafeln ge- stochen worden und ich habe für wissenschaftlich vortheilhaft gehalten, auch alle die später von mir entdeckten Formen sogleich hier einzuschalten. Die Gesamtzahl beläuft sich da- durch nun auf 110 Arten. in der Richtung des kleinsten Raumes. 197 Vo. Verzeichnils und Diagnostik aller neuerlich aufgefundenen, nach ihren Organisationsverhältnissen untersuchten Infusorien. I. Räderthiere. 1. Anuraca inermıs Nova species, Maffenloses Stutzthierchen. A. testa oblonga, postice attenuata, truncata, antice mutica, carinis longitudina- libus obsolete striata, glabra (nec tessellata). Ich fand ein Exemplar dieses Thierchens am 27. März 1832 bei Berlin im Wasser eines Torfgrabens. Es ist nahe verwandt mit A. acuminata, hat aber keine Hörnchen am Stirntheile des Panzers. Das Individuum hatte den Hintertheil der Schaale schief ab- wärts gegen den Bauch gebogen und war aus dieser Stellung nicht zu bringen, obwohl ich es hin und her bewegte. Dabei wirbelte es und schluckte immer fort. Drei bor- stige Stirnlappen und 2 seitliche Räderorgane waren deutlich vorhanden. Die Schaale war fast 3mal so lang als die vordere Breite beim Wirbelorgan. Im Innern erkannte ich rundliche Muskeln des Räderwerks, ein blalsrothes, ziemlich grofses Nackenauge, einen Schlundkopf und später bei dessen Druck 2 dreizahnige Kiefer mit freien Zähnen. Den Schlund bildete eine sehr kurze, ziemlich tiefe Einschnürung. Der Darm schien einfach conisch zum After zu gehen. Zwei deutliche, vordere, kleine, kugelförmige Darmdrü- sen und im Eierstocke Anfänge von Eientwicklung. Länge der Schaale mit Abschätzung des umgebogenen Hintertheils 5”. 2. AnuRAEA curvicornis N.sp. Krummhörniges Stutzthierchen. A. testa areolata, subquadrata, cornubus frontalibus 6, mediis maioribus, apice extrorsum incurvis, lateralibus rectis, brevioribus, margine testae mentali ana- lique laevibus, illo undato, hoc rotundato. Ich fand zuerst 5 Exemplare dieses Thierchens am 21. Juni 1832 im Wasser des Plötzensees bei Berlin. Von oben gesehen ist die Schaale viereckig, nur wenig länger als breit, vorn mit scharfen, hinten mit abgerundeten Ecken, Hintertheil meist ein wenig breiter. Die ganze Oberfläche ist fein gekörnt oder punktirt. Hinten ist die Schaale ganz abgestutzt, glatt und abgerundet, vorn sechshörnig. Von oben gesehen ist die Stirn vierhörnig, indem die 2 seitlichen Hörner jederzeit als eins erscheinen. Diese sind gleich lang, nur wenig nach aulsen geneigt, die mittleren sind doppelt so lang und an den Spitzen divergirend. 198 Ennenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Der vordere Schaalenrand der Bauchseite (Kinnrand) ist glatt und wellenförmig so aus- gerandet, dafs er in der Mitte gleichsam 2 breite, abgerundete Zähne zeigt. Von der Seite gesehen ist die Schaale oben etwas gewölbt, unten concav, vorn viel dicker als hinten, wo sie sehr flach zusammengedrückt ist. Am Hintertheile, auf der Bauchseite der Schaale, ist ein Loch für die Darm- und Geschlechtsöffnung, ein Schwanz fehlt aber. Die meisten trugen ein Ei am hinteren Ende der Schaale auf der Bauchseite an- geheftet mit sich herum, umgekehrt wie die Brachionen, welche ihre Eier auf der Rük- kenseite führen und deren Schaale hinten dicker ist als vorn. Das Räderorgan besteht aus einem doppelten Wirbelkranze und aus einem einfachen, mittleren, mit Borsten be- setzten, abgerundeten Stirntheile ohne besondere Griffel. Von inneren Organen erkannte ich mit Deutlichkeit die Bewegungsmuskeln des Rä- derorgans, ein grolses rothes Nackenauge, einen kugligen Schlundkopf, welcher beim Drucke zwischen Glasblättchen 2 dreizahnige Kiefer mit freien Zähnen und einige trep- penförmige (3-4) Schlundfalten zeigte. Ein sehr kurzer Schlund schied den einfach conischen Darm, welcher mit gelblicher Speise erfüllt war. Zwei kuglige Darmdrüsen waren am Anfange des Darmes sichtbar und der leere, mit einem einzeln ausgebildeten Ei erfüllte Eierstock lag neben dem Darm im hinteren Körperraume. Mehr erlaubte die durch den Panzer beschränkte Durchsichtigkeit nicht mit Deutlichkeit zu unterschei- den. In einem ausgeschiedenen, mit einem Faden am Bauche angehefteten Ei sah ich den Foetus sich deutlich bewegen, mit den Wimpern spielen und mit den Kiefern kauen. Das rothe Auge war schon völlig ausgebildet. Die vorderen Hörner des Panzers wa- ren umgebogen und der ganze Panzer war noch faltig und sehr biegsam. Von Anuraea syuamata unterscheidet sich dieses Thierchen durch gekörnten Pan- zer und krumme Hörnchen. Panzerlänge 4”, Ei 4”. 3. Anuraea? valga N.sp. Ungleiches Stutzthierchen. A. testa subquadrata, areolata, scabra, frontis cornubus 6, posticis duobus, dex- tro longiore. Am 5. April 1832 bei Berlin entdeckt. Ich fand die leeren Panzer von 10 Exem- plaren mit ganz gleicher Bildung. Von der Structur des Thieres habe ich mithin mich nicht überzeugen können, allein die sehr ausgezeichnete Panzerform palst so gut zur Gat- tung Anuraea, dals ich keinen grofsen Zweifel in die Richtigkeit dieser Stellung setze. Die Schaale ist mehr als mal länger als breit, daher gestreckt etwas bauchig, hin- ten etwas abnehmend. Die ganze Oberfläche ist mit kleinen Pünktchen gekörnt, rauh, dabei ist die Rückenseite mit sechseckigen Feldern geziert, wie eine Schildkröte. Drei Felder sind in der Mitte und ebenso viel zu jeder Seite. Die Stirn hat 6 Hörnchen, ganz in der Form wie Anuraca curvicornis, 2 mittlere, längere, nach auswärts gebo- gene und je 2 kleinere jederseit. Vom Rücken gesehen zeigen sich zuweilen nur 4 Hörnchen, wenn die seitlichen Paare sich decken. Der glatte Kinnrand ist leicht aus- geschweift und hat in der Mitte einen tiefen, engen Spalt. Am Hintertheile des Pan- zers sind 2 lange Hörnchen von ungleicher Grölse, so dals immer das rechte das längste in der Richtung des kleinsten Raumes. 199 ist. Die relativen Längen dieser Hörnchen waren nicht überall gleich, aber Ungleich- heit derselben fand überall statt. Ob Müller’s Brachionus quadratus diese Form samt Anuraea aculeata und Tes- tudo umfalste, lälst sich nicht sicher entscheiden. Der Abbildung zufolge möchte jener eine von allen diesen verschiedene, obschon verwandte Art sein. — Panzerlänge 4". 4. Anunaza? octoceras N.sp. Achthörniges Stutzthierchen. A. testa subquadrata, compressa, glabra, cornubus anticis et posticis quatuor re- ctis, mediis paullo longioribus, interdum parumper divergentibus. Ich fand dies Thierchen am 23. October 1832 in Seewasser der Ostsee von Kiel, welches Herr Doctor Michaelis mir zu übersenden die Güte hatte. Es scheint eines der Leuchtthierchen zu sein, deren nähere Bezeichnung in einem späteren Vortrage von mir besonders statt gefunden hat, bei dessen Publication ich die Abbildung desselben mittheilen werde. — Schaale ohne die Hörnchen his 5,” lang, mit denselben 7”. 5. Bracnıonus militaris N.sp. Bewaffnetes Wappenthierchen. B. testa subquadrata, scabra. turgida, cornubus 14, frontalibus 6, mentalibus 4, ana- libus 4, validis omnibus et flexuosis, mediis, posticis, inaequalibus, minoribus. Am 10. Juni 1832 im Wasser des Plötzensees häufig, vermehrte sich an den folgen- den Tagen in meiner Wohnung im Glase. Ich habe wohl 50 Individuen gesehen. Schaale vom Rücken gesehen, ohne die Hörnchen, so breit als lang, an den Seiten etwas bauchig, der Vordertheil etwas schmäler als der Hintertheil; von der Seite ge- sehen etwa halb so dick als lang. Vierzehn Hörnchen bewaffnen die punktirte Schaale, 10 vorn, A hinten. Die beiden hintern seitlichen sind die längsten und etwas nach aufsen gebogen, die 2 mittleren daselbst sind viel kürzer und ungleich, enden die kurze Schwanz- röhre der Schaale und von ihnen ist immer das rechte das gröfsere. Von 6 Stirnhörn- chen sind die 2 mittleren die längeren, etwas nach innen gekrümmt, aber mit den Spitzen divergirend; die Spitzen der ihnen zunächst stehenden convergiren etwas, die seitlichen sind etwas nach aufsen gebogen. Der Kinnrand des Vorderrandes hat A fast gleich grolse Hörnchen, von der Gröfse der äufsern Stirnhörner. Das Räderorgan besteht aus 2 wirbelnden Rädern an den Seiten des Kopfes, wäh- rend 3 Stirntheile mit Borsten und Griffeln die Mitte einnehmen und mehr als Tast- organe erscheinen. Jeder seitliche Stirntheil führt einen oder 2 gröfsere Griffel als die Wimpern sind. Am Grunde zwischen den beiden mittleren Stirnhörnchen sieht man auf der Rückenseite während des Wirbelns den kurz cylindrischen, abgerundeten Sporn hervorragen. Hinter den deutlichen rundlichen Muskelparthieen des Räderorgans liegt dicht unter dem Sporn der grolse Hirnknoten, welcher ein grofses rothes Auge trägt. Daneben nach hinten liegt zunächst der Schlundkopf, fast kugelförmig, breiter als dick, mit 2 fünfzahnigen Kiefern und jederseits 3 deutlichen, treppenartigen Schlundfalten. Ein sehr kurzer, enger Schlund verbindet den Schlundkopf mit dem Darme, welcher, einfach conisch, auf der Basis des Schwanzes in die Analöffnung ausläuft. Am Anfange 200 Eurengene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation des Darmes, dicht hinter dem Schlundkopfe, sind 2 grofse, fast kugelförmige, kurz ge- stielte Drüsen, in deren jeder eine rundliche Blase war. Einen grofsen Theil der Bauch- höhle füllte ein starker Eierstock aus und in der Nähe der Afteröffnung an der Schwanz- basis erkannte ich deutlich das contractile Ejaculationsorgan. Schwanz dreigliedrig, mit kleiner Endzange und deutlichen 2 Muskeln in der Basis. Innere Muskeln, Kiemen u.s. w. lielsen sich wegen der etwas störenden Dicke des obwohl durchsichtigen, aber doch rauhen Panzers nicht deutlich erkennen. Bei vielen Individuen fanden sich anhängende Eier zwischen den Hörnern des Hintertheils, an Fäden befestigt. In mehreren Eiern erkannte ich Foetusbewegungen, ein deutliches rothes Auge, den kauenden Schlundkopf, die Räderorgane in wirbelnder Bewegung und sah die Hörnchen des Panzers weich und umgebogen schon gebildet. Die Hörnchen der Jungen glichen an Form und Zahl denen der Alten. — Länge des Thierchens bis 5”, Ei 4”. 6. Bracnıonus Müller! N.sp. Müllers Wappenthierchen. B. testa ovata, glabra, turgida, ecorni, margine frontali obtuse 6dentato, mentali truncato, recto, ter leviter inciso, apertura testae anali leviter et obtuse bi- dentata. Ich fand dies Thierchen im August 1833 häufig im Wasser der Ostsee bei Wismar auf einer kleinen Insel, welche der Walifisch heifst, in einer salzigen Lache. O.F. Müller hat ein dem B. urceolaris nahe verwandtes Tbierchen der Ostsee als B. plicatilis beschrieben und abgebildet. Mit jener Abbildung hat diese Art wenig Ähn- lichkeit, obschon die stumpfen Stirnzähne des Panzers, welche jenen vom B. urceolaris unterscheiden sollen, auch bei diesem charakteristisch sind. Weichheit und gestreckte Form passen nicht auf die neue Art. Besonders ausgezeichnet ist diese letztere durch mehr durchsichtigen und glatteren Panzer, so wie durch die gabelförmige Gestalt der 2 Darmdrüsen. Auch die Form der Kiefer, die dem Beile einer Hellebarte gleicht, ist eigenthümlich. Die Kinnseite des vorderen Panzerrandes ist ohne Zahnung, hat aber 3 kleine Einschnitte, während bei 2. urceolaris nur einer ist. Die eiförmige, weniger zusammengedrückte Schaale ist nach hinten zu am breitesten und hat bis an den Stirnrand stets convergirende Seitenränder. Sechs breite, abgerun- dete, mit einer kleinen Spitze ausgezeichnete Zähne bilden den Stirnrand. Die sehr kurze Schwanzröhre des Panzers hat 2 stumpfe Vorsprünge, die etwas ungleich sind. Der lange, ziemlich der Panzerlänge gleiche Schwanztheil hat an seinem Ende 2 län- gere Zangentheile als bei B. urceolaris. Ein doppeltes gewimpertes Räderorgan, 3 mitt- lere abgerundete Stirnlappen mit Borsten besetzt und dazwischen 2 längere Griffel, so wie bei der Seitenlage ein dicker, zwischen den beiden mittleren Zähnen des Stirnran- des durchgeschobener Sporn (Respirationsröhre?) zeigen sich beim Ausstrecken des Thieres. Innerlich erkannte ich deutlich 4 vordere gerundete Muskelparthieen für das Räder- organ, zwischen denen ein an Form ihnen ähnlicher, grolser Hirnknoten mit einem hin- ten angehefteten, ansehnlichen, rothen Auge war. Überdiefs 2 vordere Seitenmuskeln in der Richtung des kleinsten Raumes. 201 von der Mitte des Stirnrandes nach der seitlichen Panzermitte verlaufend und hier sich erweiternd angeheftet. Eben so viel hintere Seitenmuskeln von der Schwanzbasis zu derselben Insertionsfläche der vorderen gerichtet. Zwei lange cylindrische Schwanz- muskeln für die Zangenbewegung. Dicht hinter dem rothen Auge ein starker, fast ku- gelförmiger Schlundkopf mit 2 fünfzahnigen Kiefern und Schlundfalten. Ein kurzer, en- ger Schlund, ein einfach eingeschnürter Darm, 2 kurze und breite, zangenförmige Darm- drüsen, Eierstock, contraetile Saamenblase und 2 seitliche, fadenförmige Hoden lielsen sich unterscheiden. Viele Individuen trugen an der Schwanzbasis auf der Rückenseite 1-4 Eier mit sich. Die Jungen im Ei waren zum Theil schon ganz entwickelt und den Alten gleich, sobald sie aus der Schaale krochen. Körperlänge %””, Eilänge 4”. Bei Contraction sah ich am Stirnrande noch einige sonst versteckte krumme Borsten oder Wimpern. Ein Individuum war noch während seines Lebens mit Monaden erfüllt, welche mithin wahre Entozoen vorstellten, Infusorien in Infusorien. Ich habe diefs Thierchen über einen Monat lang in Berlin im Ostseewasser lebend erhalten und es pflanzte sich kräftig fort. 7. Bracnıonus polyacanthus N.sp. Dorniges Räderthierchen. B. testa subquadrata, antice attenuata, glabra, utrinque cornuta, frontis cornubus 4, menti dentibus 6, cornubus caudalibus 5; lateralibus caudae cornubus di- midia testa longioribus, rectis. Am 7. Juni 1832 im Wasser des Plötzensees bei Berlin entdeckt. Diese Form mag wohl oft mit Brachionus Bakeri verwechselt worden sein. Schaale ohne die Stacheln so lang als breit, vorn etwas schmäler als hinten, Seiten flach ge- wölbt, vorn und hinten mit 15 Hörnchen und Zähnen besetzt. Der Stirnrand hat 4 grofse Hörnchen, deren 2 mittlere genähert und fast gerade, deren 2 seitliche aber ab- stehend und nach aufsen gebogen sind. Der Kinnrand hat 6 Zähne, zu 3 seitlich ge- stellt, während die Mitte glatt ist. Die äufsersten Zähne sind die grölsten. Am Hin- tertheile des Panzers gehen die beiden Ecken in 2 sehr lange, gerade Stacheln aus, die 2 etwa % der Panzerlänge haben und zwischen beiden, an der Schwanzröhre, befinden sich 3 kürzere Hörnchen, ein oberes, 2 untere. Von der Seite gesehen ist der Panzer etwas zusammengedrückt, jedoch dick und am Rücken gewölbt. Die Bauchseite ist flach. Das Räderorgan zeigt deutlich 2 seitliche Räder und nur einen mittleren abgerun- deten Stirntheil mit 4 Borsten. Aus jedem Rade ragt in der Mitte ein Griffel hervor, der auf einer kurzen conischen Warze sitzt. Am Grunde des mittleren Stirntheils ragt zwischen den mittleren Stirnhörnchen ein kurzer, stumpfer Sporn (Respirationsröhre ?) hervor. Der bewegliche Zangenfuls (Schwanz) ist dreigliedrig, mit etwas dickeren Ge- lenken und sehr kleiner Zange. Ein anhängendes Ei wurde an der Schwanzbasis auf der Rückenseite getragen. Von inneren Organen erkannte ich deutlich die Muskeln des Räderorgans und zwi- schen ihnen einen grölseren, abgerundeten Hirnknoten mit grolsem rothen Nackenauge am Ende. Vom Räderorgane gingen jederseits 2 bandförmige, parallele, vordere Bauch- Phys. Abhandl. 1833. Ce 202 Eurenpere: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation muskeln etwas schief nach hinten und hefteten sich erst im letzten Viertel an die in- nere Panzerseite daselbst. Bei der Seitenlage erkannte ich überdiels 2 Bauchmuskeln, die ich bei allen übrigen Brachionen nicht bemerken konnte; dagegen vermilste ich die hinteren seitlichen Bauchmuskeln, so dafs dieses Thierchen in seiner Bildung von den verwandten Formen sehr abweicht. Die beiden Schwanzmuskeln der Zange sind deut- lich auch vorhanden und die Bauchmuskeln scheinen, was sonst die hinteren Seitenmus- keln thun, den Zangenfuls (Schwanz) nach innen zu ziehen und zu bewegen. Ein ku- gelförmiger Schlundkopf liegt dicht hinter dem Auge. Strietur des Schlundes ohne alle Breite. Dicker, conischer Darm ohne Strietur. Zwei kugelförmige ungestielte Drüsen am Anfange des Darmes. Ein sehr breiter, fast viereckiger Eierstock deckte den Darm auf der Bauchseite. An der Schwanzbasis eine deutliche contractile Blase, in welche sich 2 bandförmige, an den Seiten geschlängelt bis zum Schlundkopfe hinaufreichende Saamenorgane einsenken; vorn enden diese Organe stumpf und frei. Zwei vierzahnige Kiefer im Schlundkopfe. Kiemen und Gefälse erlaubte die Panzerdicke nicht weiter ge- 1 1m nau zu unterscheiden. Länge des Panzers 5-%”", des Eies Z;”, mithin liegen alle Ent- wicklungspunkte der Grölse zwischen 4 und %”. 8. Corurus caudatus N.sp. Langschwänziger Zangenfufs. C. testae oblongae, compressae, dente brevi postico unico, sursum spectante, cau- dae cruribus basi sua longioribus. Am 2. April 1832 bei Berlin zwischen Wasserpflanzen gefunden. Der glatte, eiförmige, aber von den Seiten zusammengedrückte Panzer ist farblos, nach vorn etwas schmäler, an der Stirn schief abgestutzt und abgerundet. Die gröfste Breite liegt hinter der Mitte. Rückenseite mehr gewölbt als Bauchseite. Vom Rücken gesehen ist die Panzerform vorn abgerundet, hinten kurz gespitzt, im Umrils lang el- liptisch oder kurz spindelförmig. Die hintere Spitze sah ich nie getheilt. Vom Bauch gesehen erkannte ich einen Längsspalt, wie bei Euchlanis (oder Daphnia). Der Zan- genfuls (Schwanz) ist, wie bei Monura, mit kurzer Basis und langem, aber doppeltem Griffel, welcher bei der Seitenlage oft einfach erscheint, beim Druck zwischen Glas- blättchen aber deutlich wird. Eine hakenförmige Oberlippe überragt die Stirn und die Wimpern des wenig vortretenden Räderorgans. Innerlich sieht man die zarten Muskeln des Räderorgans und an der Stirn vor die- sen 2 nahe beisammenstehende, kleine, rothe Augen, welche ich bei dieser Form zuerst erkannte und nach mühevollem Nachforschen später bei allen Arten der Gattung Colu- rus, welche ich früher als augenlos bezeichnet habe, ebenfalls auffand. Daher muls diese Gattung nun im System eine andere Stelle bekommen und dicht vor Metopidia gebracht werden. Hinter den Räderorganen liegt zunächst ein kugelförmiger Schlund- kopf mit einzahnigen (?) Kiefern, die wegen grolser Durchsichtigkeit schwer schärfer zu bezeichnen waren. Eine sehr enge Strietur hinter dem Schlundkopfe stellt den Schlund dar, an den sich ein dicker, einfach conischer Darm schlielst. Am Anfange des letzteren lielsen sich 2 kleine eiförmige Darmdrüsen erkennen. Der Eierstock hatte in der Richtung des kleinsten Raumes. 203 nur ein grolses Ei ausgebildet, welches vielen Raum im Körper anfüllte. Panzerlänge Am 5. November 1833 fand ich im Östseewasser, welches ich in einer Flasche von Wismar nach Berlin mit mir genommen hatte, ein diesem ganz ähnliches Thierchen. Der Panzer war hinten etwas, aber wenig mehr ausgeschweift, vorn etwas dicker. Die Oberlippe war etwas breiter und vorn nicht spitz, sondern abgestutzt« Ferner war im Rücken über dem Schlundkopfe ein Kranz von wasserhellen Bläschen und der Darm hatte eine Strictur in seiner Mitte. Grölse und Verhältnis der Schwanztheile wie oben. Im Ganzen war es etwas weniger lang gestreckt. Vielleicht eine eigene Art. Von die- sen Formen unterscheidet sich C. uncinatus durch einen hinten zweispitzigen Panzer und sehr kurze Schwanzzange, die kaum % der Schwanzlänge hat. 9. Corunus deflexus N. sp. Geflügelter Zangenfu/s. C. testae oblongae, compressae, postice truncatae, dente caudali dupliei deorsum spectante, caudae cruribus basi sua brevioribus. Am 23. Juni im klaren Wasser eines Torfmoors bei Berlin gefunden. Glatter, eiförmiger, fast cylindrischer Panzer, in der Seitenlage am Rücken und Bauche gleichförmig convex, vorn gerad abgerundet, am abgestutzten Hintertheile mit einem langen, geraden, schief abwärts gerichteten Zahne, welcher dem halben Schwanze gleicht. Vom Rücken gesehen ist der Panzer länglich eiförmig, vorn etwas eckig ab- gerundet, hinten zweispitzig, mit tiefem Einschnitt, in dem sich der Schwanz auf und nieder bewegen kann. Seiten flach gewölbt. Vom Bauche gesehen ist er durch eine Längsspalte ganz getheilt. Ein hakenförmiger spitzer Griffel mit häutigem Rande bil- det die Oberlippe, darunter liegt ein mehrtheiliges kleines Räderorgan. Dicht hinter der Lippe, auf der Rückenseite, sieht man deutlich 2 rothe genäherte Stirnaugen. Die Endzange des überdiels dreigliedrigen Schwanzes ist kürzer als ihre Basis. Innerlich sah ich 2 kuglige Muskelparthieen des Räderorgans, einen kugligen Hirn- knoten mit vorn angehefteten Augen, einen kugelförmigen Schlundkopf hinter dem Rä- derorgane, welcher durch Druck 2 zweizahnige Kiefer erkennen liels (Polygomphia). Ferner eine Schlundverengung, einen einfachen, dicken, conischen Darm, 2 kleine kug- lige Darmdrüsen waren in der Rückenlage sichtbar. In der Mitte des Rückens fand sich ein Kreis von farblosen Bläschen. Ein grofses Ei füllte einen grofsen Theil der Bauch- höhle. Länge des Panzers 5”, des Eies &”. C. bieuspidatus ist wenig kleiner, hat eine nicht gewölbte, Nache Bauchseite, ist höher als dick (weniger cylindrisch), hat die beiden hinteren Panzerzähne geradaus ste- hend und ist über denselben ausgebuchtet. Monura Colurus, den spitzen Griffelfufs, welchen ich im Mittelmeere bei Dalmatien und dann in Irtisch bei Tobolsk fand, habe ich am 25. März 1832 auch bei Berlin beobachtet und dabei gesehen, dals er ebenfalls keineswegs augenlos ist, son- dern 2 sehr kleine rothe Stirnaugen besitzt. Da alle übrigen Details der Formen jener verschiedenen Localitäten, meinen Zeichnungen nach, übereinstimmen und ich auch bei Ge2 204 Eunrenpene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation den Coluren die Augen lange Zeit übersehen habe, so glaube ich vorläufig nicht, dafs die augenlosen ausländischen Monuren von der Berliner augenführenden als Art ver- schieden sind, jedoch ist der Umstand im Gedächtnils zu erhalten. 10. Cyruonautes Nov. Genus, Buckelthierchen, Familie der Blumenthier- chen, FroscuLArıa. Character Generis: Ocelli nulli (?). Corpus testa loricatum, libere natans, latere antico ciliato, obsolete bilobo, os et anum discreta continente; cauda verruciformi, brevissima, in medio dorso posita, per testae fundum parumper exserenda (corpus mire gibbum). CrpHoNAUTES compressus N.sp. Dreieckiges Buckelthierchen. C. corpore compresso, triangulari. Ich beobachtete diels Thierchen zuerst am 25. November 1832 im Wasser der Öst- see, welches Herr Doctor Michaelis mir aus Kiel nach Berlin gesendet hatte, neben vielen Leucht-Infusorien, in 2 Exemplaren. Im folgenden Jahre meldete mir Herr Michaelis die eigne Beobachtung desselben Thierchens mit sehr umständlichem, von dem meinen zwar etwas abweichenden, aber vielfach bestätigenden, sorgfältigen Detail. Die Form dieses Thierchens ist höchst eigenthümlich und sonderbar, auch scheint die Structurbeobachtung noch einer Revision zu bedürfen. Meiner Ansicht nach hat es folgende Bildung: Es wird von einer kurz kegelförmigen, von den Seiten zusammen- gedrückten, daher dreieckigen Schaale (testa) umhüllt, die vorn eine sehr breite Öff- nung hat, hinten aber auch eine kleinere. Der Rand der vorderen Öffnung hat in der Mitte jederseits 2 kurze stumpfe Zähne. Der zweiten Öffnung im Grunde wegen und weil das Thier in ihm nicht frei, sondern überall angewachsen ist, ist dieser Panzer eine testa, kein urceolus u.s.w. Der Umkreis der gröfseren, vorderen Öffnung ist mit einer einfachen Reihe von wirbelnden Wimpern dicht besetzt und bildet ein sehr grolses Räderorgan, welches aber nicht über den Rand der Schaale hervorgeschoben werden kann. In der Mitte, an den beiden grölseren Randzähnen, biegt sich ein Theil des Räder- organs nach innen und steigt gegen den After hinab. Es ist demnach weder ein vielrä- driges, noch ein ganzrandiges einrädriges Räderorgan, sondern ein einrädriges gebuch- tetes, oder schlitzrandiges. Eine Ecke des Räderorgans ist ganz erfüllt von einem gro- fsen dunkeln Körper, den ich für den Schlundkopf halte. An ihm sah ich 2 stärkere und 2 feinere Griffel in schiefer Richtung nach innen sehend und in einer greifenden Bewegung, wie freie Zähne, ohne deren Härte zu besitzen. An der Aulsenseite dieses Schlundkopfs liegt in seiner Mitte ein rundlicher Knoten, und dieser mag das augenlose Hirnganglion sein. An beiden Seiten des Schlundkopfes geht ein langer Muskel nach dem Schwanze; zwischen beiden liegt jenes Hirnganglion. Beide Muskeln gehen vom Räderorgane nach der Schwanzbasis. Dicht unter den Wimpern des Räderorgans, in ihrem ganzen Verlaufe, liegt ein breiter trüber Streifen, den ich für die Muskelsubstanz des Räderorgans selbst ansehe. Die eigentliche Mundöffnung liegt zwischen dem Schlund- 11: in der Richtung des kleinsten Raumes. 205 kopfe und den beiden gröfseren Zähnen des vorderen Schaalenrandes. Indigo -Nahrung wurde durch den Wirbel da hineingezogen. Diese Öffnung führte unmittelbar in einen grolsen Raum, den ich noch für Mundraum ansah. Im hintersten Drittheil des Thieres endet dieser Raum und es fängt ein engerer Kanal an, welcher den Indigo aufnimmt. Ich halte diesen für den Oesophagus. Dicht über dem warzenartigen Schwanze liegt ein trübes Organ neben dem Schlunde; diels halte ich für eine, vielleicht doppelte, Darmdrüse (Pancreas). Zwischen ihr und dem Schwanze wird der Darm etwas stärker und biegt sich um, um zwischen ihr und der Schaale wieder aufzusteigen. Der Darm endet in gleicher Höhe mit dem Hirnganglion, aber auf der diesem entgegengesetzten Seite. An derselben Stelle lag bei beiden Thieren ein breiter Eierstock als eine trübe Masse mit einem entwickelten Ei. Ich sah das Fortrücken der Indigofärbung im Darm auf die eben beschriebene Weise und zwischen dem Ei und dem Panzer sah ich das Entladen der Excremente in einen leeren Raum, der zwischen dem Ei und dem Räder- organe liegt und von dem sie sogleich weiter ausgeworfen wurden. Breite und Höhe des Thierchens %”, Länge des Eies ;;”. DiczenA caudata N.sp. Langschwänziges Zweiauge. D. corpore gracili, a dorso utrinque attenuato, capite a latere compresso, dila- tato, caudae cruribus praelongis, tertiam aut dimidiam fere corporis partem aequantibus, subulatis. Ich fand mehrere Exemplare zuerst am 25. März, dann wieder am 2. April 1832 bei Berlin zwischen Oscillatorien eines Teiches. Diglena capitata ist die nächstverwandte Form, hat aber einen kegelförmigen Kör- per, während diese einen fast spindelförmigen besitzt. Das Kopfende ist beim lang- schwänzigen Zweiauge, vom Rücken gesehen, abgerundet, aber doch dünner als die Mitte des Körpers. Von der Seite gesehen ist der Kopf breiter als der Körper und etwas schief abgestutzt. Eine leichte Strictur bezeichnet äufserlich die Kopfgrenze. Das kleine mehrfache Räderorgan ist nicht ausgezeichnet, nicht vorstehend. Der Körper geht, allmälig abnehmend, in den Schwanz über. Der After bildet an der sehr kurzen Schwanzbasis einen kleinen Vorsprung. Bei einem grolsen Exemplare war die Schwanz- basis nur 4 der Zangenlänge, bei andern schienen die beiden Schenkel der Zange so- gleich vom After, ohne sichtbaren Basaltheil, abzugehen. Der ganze Körper ist 6-7 mal länger als der gröfste Durchmesser des Kopfes. Im Innern des wasserhellen, glatten Körpers unterschied ich, aufser den beiden sehr genäherten, rothen Stirnaugen und den Muskelparthieen des mehrfachen Räderorgans, einen einfachen conischen Darm (Coelogastrica) ohne Blinddärme. Der Schlundkopf, ganz vorn gelegen, zeigte beim Druck 2 einzahnige Kiefer. Zwei kleine eiförmige Drüsen, unbestimmte Muskelspuren und einen sterilen Eierstock erkannte ich überdiels. Ganze Länge 4-4”. Körperlänge 4-4”. Schwanzlänge 5”. Ausgebildete Eier sah ich nicht. 206 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation 12. Dierena conura N.sp. Kegelschwänziges Zweiauge. 13 D. corpore turgidulo, oblongo, antice truncato, capite levi strictura discreto, dorso leviter convexo, sensim in caudam brevem, sextam corporis partem aequantem, decrescente. Ich fand am 29. März 1832 mehrere Exemplare in dem Wasser der Diglena caudata. Die nächstverwandte Form ist Diglena catellina, deren Rückenwölbung aber, be- sonders hinten, so stark ist, dals sie den Schwanz nach der Bauchseite drängt, während bei dieser der Körper allmälig abnehmend in den Schwanz übergeht. Müller’s Yor- ticella Larva könnte vielleicht dasselbe Thierchen sein, obwohl die Zeichnung nicht vollständig palst. Von inneren Organen liefsen sich die knotigen Muskeln der Räderorgane, 2 dicht beisammenstehende rothe Augen, 2 einzahnige Kiefer im Schlundkopfe, 2 etwas unre- gelmälsige, fast halbkuglige Darmdrüsen, ein kurzer Schlund, ein conischer einfacher Darm und ein fast ausgebildetes Ei im hintern Körperraume ohne viele Mühe erkennen. Der Darm war mit unbestimmten bräunlichen Fragmenten erfüllt. Schärfere Untersu- 1,7 chungen über noch feinere Organe wurden nicht angestellt. Körpergrölse 4”. Schwanz- länge allein, 5, Eilänge 5”. Evcntanıs Hornemanni N.sp. Hornemann’s Mantelthierchen. E. fronte in proboscidem longe attenuata, testa molli, dimidiam posticam par- tem tantum obvelante, truncata, nec semilunari. Ich beobachtete mehrere Exemplare dieses zarten Thierchens im September 1833 in Berlin in sülsem Wasser, welches ich samt Conferven aus dem Kopenhagener botanischen Garten im August mitgenommen hatte, wo Hornemann mich damals freundlich auf- nahm. Die nächstverwandte Form ist Euchlanis Luna (Cercaria Luna Müller). Der Panzer ist aber nicht eiförmig, sondern halbscheibenförmig, und der Vorderrand ist nicht halbmondförmig ausgeschweift, sondern gerad abgeschnitten. Die allgemeine Körperform ist viel schlanker. Der Vordertheil bildet eine halsförmige, cylindrische Verlängerung, an deren abgerundetem Ende ein kleines mehrfaches Räderorgan steht. Fast am Ende des ersten Drittheils der Körperlänge befindet sich ein schönrothes Nackenauge über dem 2 Schlundkopfe. Fast die vorderen % des ausgestreckten Körpers sind in die flache Schaale (testa depressa) zurückziehbar. Nach hinten erweitert sich der Hache Leib und endet in dem ganz abgerundeten Schaalengrunde, aus welchem unter einem kleinen Vorsprunge des Randes ein gabelförmiger Zangenfuls hervorsteht. Diese Zange beträgt fast 5 der ganzen Länge, oder etwas mehr als 4 der Körperlänge. Ein besonderer Stiel derselben ist nicht vorstehend. Beide ziemlich starke Zangenglieder spitzen sich allmälig fein zu, ohne besondern Endstachel. Ein grünlich erfüllter conischer Darm ohne Strictur, 2 kleine halbkuglige Darm- drüsen, ein deutlicher Eierstock mit nicht vollständig entwickelten Eiern, Spuren von SS in der Richtung des kleinsten Raumes. 207 Längsmuskeln und 2 einzahnige (?) Kiefer im Schlundkopfe sind weitere Details, welche ich verfolgen konnte. Körperlänge bis 5”, Panzerlänge bis 4”. — Eine andere Art der Gattung Euchlanis habe ich auf Tafel VI, Fig. 3 abgebildet. FroscuLarıa proboscidea N.sp. Rüsselführendes Blumenthierchen. F. maior, urceolo gelatinoso, pellucido, cylindrico, lobis rotatoriis brevius cilia- tis 6, proboscidem mediam ciliatam ambeuntibus. Ich fand viele Exemplare dieser Form zuerst am 10. Juni 1832 auf Blättern der Hottonia palustris in Torfgräben bei Berlin, dann wieder am 15. August. Eichhorn hatte bei seiner Abbildung der Floscularia ornata die Büchse und die langen Wimpern ganz übersehen (Tab. II, Fig.G. H-L. der Fänger) und seine Zeich- nung ist unverändert öfter wiederholt worden. Beide Dinge sind schwer zu sehen, auch wenn man ihr Dasein weils; Geduld überwindet jedoch diese Schwierigkeit, ver- bunden mit etwas starker Vergröfserung (200-300 im Durchmesser reicht hin) und Trübung des Wassers. Eine Abbildung dieses gewöhnlicheren Blumenthierchens findet sich auf Tafel VII, Fig.2. Die neue Art unterscheidet sich durch ansehnlichere Grölse, kürzere Wimpern, ein rüsselföürmiges Organ in der Mitte des Räderkreises und durch einen doppelzahnigen Kieferbau. Die gallertartige, eylindrische, vorn abgestutzte Hülle oder Büchse, worin das Thier- chen lebt und worein es seine Eier legt, ist ganz durchsichtig, daher schwer zu er- kennen, wenn man nicht das Wasser um sie herum durch eine Färbung trübt. Dann aber ist sie leicht sichtbar. Zuweilen verrathen anhängende fremde Körper sie auch im klarsten Wasser. Der Körper des Thieres ruht auf einem lang ausdehnbaren, stiel- förmigen Fulse oder Schwanze, welcher mitten im Grunde der Büchse sich anzusaugen scheint, da ihn das Thier lösen kann. Beim Verkürzen wird er queerfaltig. Ganz aus- gedehnt ragt er etwas über die Büchse hinaus, während er contrahirt weniger als % der Büchsenlänge hat. Alle Theile des Thieres sind aufserordentlich durchsichtig. Der aus- gedehnte Körper ist walzenförmig, gegen den Schwanz hin abnehmend, vorn abgestutzt. Das entwickelte Räderorgan zeigt 6, zuweilen nur 5 (?) tief abgetheilte, am Ende ver- dickte Lappen, aus deren gemeinsamer Mitte ein grölseres, cylindrisches, vorn abgerun- detes Organ hervortritt, das vorn eine grolse runde Öffnung oder innere Blase zu füh- ren scheint. Sowohl dieses, als alle Theile des Räderorgans, sind am Ende mit langen Wimpern besetzt, welche ihre Basaltheile um mehr als das Doppelte überragen. Zieht sich das Thier ganz in die Büchse zurück, so stehen diese vereinten Wimpern noch wie ein Pinsel aus der Mitte hervor. Meist sieht man die langen Wimpern bewegungs- los ausgestreckt und nur in der Mitte, im Grunde des Räderorgans, bemerkt man ein Anziehen und Abstofsen kleiner Theilchen. Bei völliger Ruhe und Entwicklung aber tritt Wirbelbewegung ein, die ich jedoch selbst nur theilweise beobachtet habe. gen Zusammenhang aller Theile dessel- selben, mithin kein mehrfaches Räderorgan anzeigen, ein deutlicher kugelförmiger Schlund- kopf mit doppelten zweizahnigen Kiefern (Zygogomphia), ein enger, sehr kurzer, schwer Muskeln des Räderorgans, welche einen inni 208 15. 16. Eunenseng: Deirag zur Erkenntni/s grofser Organisation zu unterscheidender Schlund, ein grofser, einfacher, conischer Darm und ein Eierstock mit meist einem einzelnen, mehr entwickelten Ei haben sich bisher im Innern unter- scheiden lassen. Darmdrüsen und andere innere Organe scheinen der Durchsichtigkeit halber noch angestrengterer Aufsuchung zu bedürfen. Besonders merkwürdig erschien mir ein vielleicht doppeltes Schlingorgan, indem vor dem gezahnten Organe noch eine schluckende Stelle, seitlich im Innern des Räderorgans, erkannt wird, die ebenfalls 2 (zahnlosen) Kiefern ähnlich ist. Im Jnnern der Büchse fand ich nicht selten 2-5 aus- geschiedene Eier und in einigen sah ich den sich bewegenden Embryo mit 2 rothen Augenpunkten. Das Thier hat nach Entwicklung des grolsen Räderorgans keine Spur eines Augenpunktes mehr. Eben solche 2 Augenpunkte fand ich neuerlich in Eiern der F. ornata. In Eiern des Stephanoceros schien mir 1 umschriebenes, aber pigmentlo- ses Auge bemerkbar. — Länge des ausgedehnten 'Thierchens 3”, der Büchse %”’, des Eies 5”. Dicke der Büchse 4 -%”. Furcurarıa Reinhardu N.sp. Reinhardt’s Gabelthierchen. F. corpore turgido, antice brevius attenuato, truncato, postice longe attenuato, caudae cruribus brevissimis. Ich fand zuerst mehrere Exemplare dieses recht niedlichen Räderthierchens am 15. August 1833 zwischen der (Sertularia) Monopyzis geniculata in der Ostsee bei Wis- mar, dann zahlreich im September in Kopenhagen, zwischen derselben Wedelcoralle und der Coryna multicornis, die ich mit Reinhardt und Westermann sammelte. Die beiden bekannten Arten der durch die Stellung des Auges recht gut charakte- risirten Gattung haben viel längere Zangenglieder und eine derselben ist schlanker, die andere dicker als diese. Der Körper ist durch eine vordere leichte Strictur in Kopf und Rumpf geschieden, hinten in einen langen Schwanztheil verdünnt. Der Kopf ist fast kugelförmig (fast von der Leibesdicke), trägt ein wenig ausgezeichnetes, mehrfaches Rä- derorgan, an dessen oberem Vorderrande ein grolses schönrothes Auge steht. Der Leib ist eiförmig und endet mit einem kaum merklichen Absatze an der Schwanzbasis, über welcher die Analöffnung in einer Ausrandung liegt. Der Zangenfuls oder Schwanz bildet 5 der ganzen Länge, oder die Hälfte der Körperlänge. Die Zange bildet den fünften bis sechsten Theil des Zangenfulses. Innerlich erkannte ich 4 Muskelbündel des Räderorgans, einen das Auge vorn tra- genden, länglichen Hirnknoten, 2 einzahnige (zweizahnige?) Kiefer des Schlundkopfes (Gymnogomphia), einen deutlichen engen Schlund, 2 deutliche, fast kugelförmige Darm- drüsen, einen einfachen, mit Speisetheilchen gefüllten, conischen Darm, einen mit ein- zelnen, nicht völlig entwickelten Eiern bezeichneten Eierstock. Überdiels sah ich Längs- 1m an streifen als Muskelspuren, die ich nicht specieller verfolgt habe. Ganze Länge ;;”. Hroarına brachydactyla N. sp. Kurzschenkliges Crystallthierchen. H. corpore subeylindrico, prope anum subito in caudam attenuato, caudae co- nicae cruribus brevissimis, septimam fere baseos partem aequantibus. in der Richtung des kleinsten Raumes. 209 Am 21. Juni 1832 bei Berlin im Flußwasser zwischen Zemna in 4 Exemplaren entdeckt. Die nächstverwandte Form ist Hydatina gibba; diese hat aber einen kürzeren Zan- genfuls und eine längere Zange an demselben, wodurch die Rückenwölbung in der Anal- gegend wie ein Höcker erscheint. Der Körper ist mehr als doppelt so lang als dick, walzenförmig, vorn gerad abgestutzt, von der Seite gesehen am After etwas dicker, vom Rücken gesehen in der Mitte etwas dicker. Der Körper geht nicht, wie bei Hydatina senta, allmälig in den Zangenfuls über, sondern letzterer ist scharf abgesetzt. Das vor- dere Räderorgan ist wenig ausgezeichnet, zeigt deutlich 6 Muskelparthieen. Die schr kleine Endzange am Zangenfulse hält man leicht für eine einfache Spitze. Im Innern habe ich Augenspuren umsonst aufgesucht. Der kuglige Schlundkopf zeigte beim Druck 2 einzahnige Kiefer, jedoch sah ich immer daneben noch einige Streif- chen, vielleicht also mehrzahnig (Gymnogomphia). Kin kurzer verengerter Schlund, 2 kuglige grolse Darmdrüsen, ein dicker Darm in 2 Abtheilungen (Gasterodela), ein über der Schwanzbasis Excremente auswerfender After waren der sichtbare Ernährungsorga- nismus. Überdiefs war deutlich ein grolser, bis zu den Darmdrüsen hinaufreichender Eierstock mit einem ausgebildeten Ei und mit verengertem Oviduct in der Nähe des Afters zu erkennen. In der Analgegend war eine contractile, rundliche, bald ausge- dehnte, glatte, bald faltige zusammengezogene Blase sichtbar und in dieselbe sah ich den rechten, längs der ganzen Seite bis zum Schlundkopfe reichenden, schwach keulenför- migen Hoden sich münden. Endlich waren noch 2 deutliche Zangenmuskeln im Zan- genfulse kenntlich und bei der Rückenansicht sah ich etwas undeutlich jederseits einen Längsmuskel, vom Räderorgane, sich erweiternd, zum hintern Drittheil des Körperran- im des gehen. Körperlänge 5”, Ei5”. Ganzer Entwicklungskreis mithin 5 - 5”. 17. Lerapeıra salpina N. sp. Salpenthier - Schüppchen. L. testa dorso carinata, triquetra, margine antico truncata, denticulata. Am 28. März 1832 fand ich zuerst einige Exemplare zwischen Conferven des Thier- gartens bei Berlin, andere fand ich am 21. Juni. Wollte man den niedergedrückten Panzer der beiden bisher bekannten Lepadellen mit als wichtiges Gattungsmerkmal ansehen, so würde man diese Form mit dreieckigem Panzer absondern müssen; allein der Mangel des Auges verbindet beide Bildungen mehr als die Panzerform sie trennen möchte. Der Panzer ist ganz der einer Salpina, so wie der der übrigen Lepadellen dem Panzer der Squamellen ganz gleicht. In meiner ersten systematischen Übersicht von 1830 verzeichnete ich eine Lepadella triptera; in der zweiten habe ich diese Form, weil ich später 2 Stirnaugen bei ihr entdeckte, als Metopidia triptera aufgeführt. So findet sich denn eine ähnliche Panzerverschieden- heit bei den Metopidien. Jetzt lielse sich der Name Zepadella triptera wieder aufneh- men; ich ziehe aber vor, ihn fallen zu lassen. — Der Panzer dieser Form ist nicht ganz glatt, sondern auf der Oberfläche durch feine Grübchen uneben. Auf der Bauchseite ist die Schaale flach, oben leicht gewölbt, vorn abgestutzt, mit etwas abgerundeten und Phys. dbhandl. 1833. Dd 210 15 Eurenseng: Beitrag zur Erkenninifs grofser Organisation scharf gezähnelten Rändern. Der Kinnrand des Panzers hat einen abgerundeten Aus- schnitt, der Stirnrand einen schwächeren spitzen. Der Zangenfufs steht aus einer läng- lichen, fast runden Panzeröffnung an der hintern Bauchseite hervor und diese Öffnung wird durch eine stumpfe Spitze des Panzers überragt, welche das erste Schwanzglied noch nicht bedeckt. Von der Seite gesehen ist der Panzer vorn abgerundet, hinten schief abgestutzt. Die Gabel des Zangenfulses hat einen dreigliedrigen Stiel. Der ganze Schwanztheil ist halb so lang als der Panzer, die Zange milst % ihres Stiels. In den zuerst beobachteten Formen schienen mir die Zangentheile sich gleichförmig zuzuspitzen, bei den zweiten erschien mir von der Mitte an der Hintertheil derselben wie ein plötz- lich abnehmender Stachel. Vielleicht sah ich sie in einer andern Lage. Das mehrfache Räderorgan mit seinen Muskelparthieen ist wenig ausgezeichnet, aber es überragt die Schaale. Dahinter liegt ein rundlicher Schlundkopf mit 2 doppelzahni- gen Kiefern (Gymnogomphia). Ein sehr kurzer verengerter Schlund, 2 rundliche Darm- drüsen, ein einfach conischer Darm an der Schwanzbasis mit dem After endend und ein länglicher Eierstock, in einem Falle mit einem ausgebildeten Ei, sind die Organe, welche ich ohne Anstrengung bald erkannte. Im Schlundkopfe sah ich noch je 3 Gau- menfalten wie eine Treppe. Augen habe ich mit grolser Bemühung, besonders wäh- 1% rend der zweiten Beobachtung, umsonst gesucht. Schaale 5” lang, Körper ausgedehnt 5, Ei&”. Entwicklungskreis von 5-5 Merorıvıa? acuminata N. sp. Gespitztes Stuirnauge. M. testa ovata, depressa, fine postico acuminata, antico leviter emarginata. Nur 1 Exemplar wurde von mir am 4. Mai 1832 zwischen Oscillatorien bei Berlin gefunden. Die Bildung dieses Thierchens steht der Gattung Colurus sehr nahe, aber der nicht seitlich, sondern von oben nach unten zusammengedrückte Panzer und besonders die, nicht in der Mitte, sondern an den Seiten stehenden Augen entscheiden, wie mir scheint, für die Gattung Metopidia, obschon die hakenförmige Oberlippe wieder den Colurus- Arten angehört. Das kleine, mehrfache, sonst nicht ausgezeichnete Räderorgan ist noch mehr ausschiebbar als bei Colurus. Der zweischenklige Schwanz ragt mit den Schen- keln über die Schaalenspitze hinaus. Die Zange ist etwas länger als ihr zweigliedriger Stiel. Der ganze Zangenfuls hat etwa die Hälfte der Panzerlänge. Panzer vom Rük- ken gesehen etwa 1‘; mal so lang als breit, ein wenig länger, von der Seite gesehen 3 mal so lang als dick. Im Innern unterschied ich mehrere Muskelparthieen des Räderorgans, jederseits an der Stirn ein rothes Auge, hinter dem Räderorgane einen kleinen rundlichen Schlund- kopf, dessen Kieferbau unerkannt blieb; eine Strietur hinter demselben zeigte sich als Schlund, dann folgte ein zweitheiliger Darm (Gasterodela), durch farbige Speise kennt- lich. Zwei kleine rundliche Darmdrüsen sah ich am vorderen Darme. Ein fast reifes Ei verrieth den sehr durchsichtigen Eierstock des kleinen Thieres. Länge des Panzers z5”, 2 ER Re: £ 4 Ei 5”. Entwicklungskreis mithin von 4-5”, oder, den Zangenfufs mitgemessen, 3”. in der Richtung des kleinsten Raumes. 24141 19. Monxocerca? valga = Vorticella valga Müller, Kleiner Fadenschwanz. M. corpore parvo, subgloboso, capite discreto, angustiore, dorsi gibbere postico, cauda simplici, conica, crassa. Ich fand diels Thierchen in einigen Exemplaren im Monat November 1833 bei Berlin. Müller’s Forticella valga hat ganz die Grölse und Gestalt des von mir beobach- teten Thierchens, allein der Name beruht auf einem Irrthume. Müller hielt die bei- den hinteren Zacken für 2 ungleiche Fülse, während nur eine ein nicht einziehbarer Fuls, die andere aber ein Vorsprung des Rückens ist. Zwischen beiden würde der Af- ter zu finden sein, wie bei Notommata centrura. Aus dem vorderen abgestutzten Ende des kleinen, fast kugligen Körpers schiebt sich ein, wie mir schien, mehrfaches Räder- organ hervor. Im Nacken sah ich ein deutliches rothes Auge und im Innern verschie- dene unklare Organe. Ich hatte die wenigen Exemplare zu einer ungünstigen Zeit und konnte ihre weitere Structur nicht angestrengt aufsuchen. Ein einfacher Darm und ein grofses Ei schienen mir im Körper vorherrschend. Einen Schlundkopf unterschied ich nicht deutlich. Körpergrölse mit dem Schwanze 4”. Die Dicke des Körpers ist sei- ner Länge ohne das Räderorgan und den Schwanz gleich. Schwanz etwas kürzer als 5 der Körper ohne den Kopf. Norommata centrura N.sp. Stachelschwänziges Nackenauge. N. corpore magno, antice attenuato, elongato, parte anali tanquam vaginata et in mucronem induratum producta, auriculis setisque nullis. Taf. IX, Fig.1. Am 6. Juni 1832 fand ich 2 Exemplare dieser sehr ausgezeichneten und einflulsreichen Form im Wasser des Plötzensees bei Berlin und ebenda wieder einige im Juni 1833. Schon mit blofsen Augen ist diels frei schwimmende grolse Räderthierchen sehr wohl sichtbar. Der ganze Körper war bei allen Individuen von Farbe etwas gelblich und von einem schleimigen Überzuge umgeben, in welchem wasserhelle Oscillatorien oder Hygrocrocis-ähnliche, fast 55 dicke Fasern senkrecht zerstreut standen. Das Räderorgan und der Zangenfuls samt dem Schwanzstachel waren vom Überzuge ausge- schlossen, letztere aber doch mit gegliederten Fasern besetzt. Ich habe diesen Überzug dennoch für etwas unwesentliches gehalten. Der Körper scheint überall weich und schaalenlos zu sein, nur in der Nähe des Schwanzstachels ist er weniger biegsam. Die Form des Körpers ist lang eiförmig oder birnförmig, nach vorn abnehmend, hinten ver- dickt. Der Vordertheil endet mit einem fünffachen, mit den Rändern etwas überhän- genden Räderorgane; der abgerundete Hintertheil geht in eine gerade dicke Spitze aus, welche die Wurzel des Zangenfulses bedeckt und ganz an der Stelle des Schwanzes der Rückenmarkthiere ist. Der kurze Zangenfuls besteht aulser der kleinen Zange noch aus 2 Basalgliedern und bildet ; der übrigen Körperlänge. Das Rückenhörnchen (Schwanz) gleicht an Länge den beiden Basalgliedern des Zangenfulses. Im Nacken, hinter dem Räderorgane, ist noch äulserlich ein grolser zweigliedriger Sporn oder eine Respirations- röhre? (Sipho) sichtbar, von cylindrischer Form, mit einem spitzeren Endgliede. E D42 2 12 Eunengene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Von inneren Theilen unterschied ich, von vorn nach hinten gehend, 5 Muskelpar- thieen des Räderorgans, dicht hinter dem Sporn im Nacken ein grolfses rothes Auge von queer elliptischer Form. Dieses ist am vorderen Rande eines grofsen, dreilappigen, drüsigen Organs angeheftet, welches den Schlundkopf so umgiebt, dals 2 Lappen seine Rückenseite, einer seine Bauchseite bedecken und welches ich für das Gehirn halte. Der Schlundkopf, aus 4 paarweis entgegenwirkenden Muskelparthieen kuglig gebildet, schlielst 2 beim Druck sichtbare, dreizahnige Kiefer ein (Polygomphia) und ist durch die grolsen Hirntheile bedeckt. Unmittelbar darauf folgt ein langer enger Schlund, der fast von der Länge des Schlundkopfes ist und eine plötzliche starke Anschwellung in derselben Richtung bezeichnet dann den Darm, an dessen Anfange zwei kuglige ohren- förmige Organe, die Darmdrüsen, sich entgegengesetzt sind. Diese Darmdrüsen sind durch 2 fadenförmige Bänder unter dem Schlundkopfe an den Hals befestigt. Der Darm verläuft, allmälig nach hinten abnehmend, ohne Strictur (Coelogastrica) bis in die Ge- gend zwischen das Rückenhorn und die Basis des Zangenfulses, wo er sich mit der sichtlich auswerfenden Analöffnung endet. Aufser dem Darme enthält die Mitte des Körpers gewöhnlich noch einen grolsen, dunkeln, ovalen Körper und einige weniger regelmälsige dunkle Massen, die damit zusammenhängen. Diels ist der Eierstock mit meist einem entwickelten Ei. Die wahre Form dieses Organs ist eine breite, queere, über den Darm gelagerte Masse, welche durch Eientwicklung höckrig wird. Auf der rechten Seite (vom Rücken gesehen) geht von dieser Masse ein trüber Streif, Kanal, nach der Aftergegend hin und senkt sich vor der contractilen Blase so in den Darm, dals ihre Mündung der Aftermündung näher liegt als die jener Blase. Dieser Kanal ist der Oviduct. Da, wo sich der Eierleiter in den Darm, die Cloake, senkt, dicht am After, befindet sich das schon genannte contractile Organ. Es ist kugelförmig, bald glatt und ausgedehnt, bald krampfhaft zusammengezogen und faltig. In dasselbe senken sich seitlich 2 lange, fadenförmige, geschlängelte, vom Schlundkopfe an zu den beiden Seiten herablaufende, vorn etwas dickere Organe, die ich für Saamenorgane ansah und an deren linkes ich 7, an deren rechtes ich 6 musiknotenförmige, zitternde, innere Kiemen angeheftet fand. Jeder Kiemenkopf schien 3 bewegliche Falten oder Blättchen zu haben, welche eine wellenförmige Bewegungserscheinung bedingen. Wahrscheinlich sitzen diese Kiemen, wie bei Notommata clavulata, auf einem besonderen Gefälsap- parate, welcher nur an die Saamenorgane angeheftet ist. Aulserdem sah ich im vorderen Körper 8 Muskeln, 2 Rückenmuskeln, 2 Bauchmus- keln und je 2 Seitenmuskeln, deutlich gestreift, in der Gegend des Schlundkopfes schmal anfangend, im letzten Drittheil des Körpers breit endend. Von da, wo diese 8 Mus- keln sich an den Bauch anlıeften, gehen nur 2 seitliche als Fortsetzung der 2 oberen vorderen bis zur Schwanzbasis und scheinen nur das Einziehen des ganzen Schwanzes zu vermitteln. Aus dieser Muskelvertheilung könnte man vielleicht richtig schlielsen, dals der hintere Körpertheil, obwohl er nicht besonders unbiegsam ist, doch als gepanzert anzusehen sei, wofür auch der hintere festere Stachel spricht. Diels würde die beiden verwandten Formen von Notommata absondern. Ferner sind im Zangenfulse noch 2 in der Richtung des kleinsten Raumes. 213 keulenförmige Muskelparthieen, welche offenbar zur Bewegung der Zange allein dienen. Überdiels erkannte ich deutlich 5 Queerbänder im Körper, deren erstes hinter den Darmdrüsen und deren letztes vor der contractilen Blase befindlich ist. Diese breiteren Bänder sind offenbar jenen queeren feinen Doppellinien zu vergleichen, welche ich bei Hydatina senta als Gefälse bezeichnet habe. Ein sie verbindendes Rückengefäls fand ich nicht deutlich. Der Erscheinung nach sind es häutige Bänder, die mit ihren Rän- dern an die innere Bauchhaut geheftet sind und zwischen sich und der Bauchhaut einen Kanal lassen, also keine geschlossene lange Röhren. Die grünen Bänder in den Con- ferven (Conjugaten, Spirogyren) zeigen eine ähnliche Bildung. Bei dem mittelsten der 5 Queerbänder oder Queergefälse heften sich die vorderen Längsmuskeln an. Endlich fand ich dicht neben dem zweiten (Jueergefälse jederseits ein drüsiges Knötchen, von dem aus ein erst einfacher, dann dreigespaltener feiner Faden nach dem Darme und Eierstocke verlief. Vielleicht gehört diels zum Nervensysteme. Körperlänge 5". Grölse des nicht ganz reifen Eies 4 der Körperlänge. Entwicklungseyclus also zwischen ;; und 4”. Noronmara Copeus N.sp. Ruderndes Nackenauge. N. corpore magno, antice et postice (illic plus) attenuato, parte anali tanquam vaginata et in mucronem (cornu) induratum producta, auriculis valde elon- gatis setisque lateralibus duabus. Ich fand einige Exemplare dieses sehr ausgezeichneten Thierchens am 8. Juni 1833 im Torfwasser bei Berlin. Körper an Gröfse und Gestalt dem vorigen sehr ähnlich, auch überall in einen schlei- migen Überzug gehüllt, ohne gegliederte Fäden, etwa 3 mal so lang als diek. Es un- terscheidet sich im Schwimmen sogleich durch 2 grolse biegsame Hörner am Räderor- gane, welche 2 lang ausschiebbare, cylindrische Theile des mehrfachen Räderorgans selbst sind und vorn einen einfachen Wimperkreis führen. Zwei andere, ungestielte, nicht ganz geschlofsne Wimperkreise stehen dicht beisammen an der Stirn und dazwischen tritt ein besonderer, cylindrischer, abgestutzter und vorn mit kurzen Borsten besetzter Stirntheil hervor. Dicht hinter dem Räderorgane ist auf der Rückenseite eine lange zweigliedrige Respirationsröhre mit fein gespitztem Endgliede. In der Mitte des Kör- pers zu beiden Seiten eine lange, gerad abstehende, bewegliche Borste von der Länge des Zangenfulses. Rückentheil hinten in ein stumpfes, in der Mitte verdicktes Horn ausgehend, das etwas kürzer als der Stiel des Zangenfufses ist. Zangenfuls noch nicht der fünfte Theil der Körperlänge, seine Basis etwas mehr als doppelt so lang als die Zange. Vier Muskelparthieen bewegen das Räderwerk. Der Schlundkopf, bedeckt von einem dreitheiligen Gehirne, trägt vorn ein queer-elliptisches, grofses, rothes Auge und ent- hält 2 fünfzahnige Kiefer (Polygomphia). Ein sehr langer und dicker, einfacher Darm, nach hinten dünner werdend (Coelogastrica), vorn mit 2 halbkugelförmigen Darm- drüsen. Ein queer gelagerter Eierstock, wie eine breite Binde über dem Darme, durch 214 Enrenseng: Beirag zur Erkenntnifs grofser Organisation einige Eikeime (2-3) höckrig, von denen nur einer etwas ansehnlich entwickelt ist. Auf der rechten Seite ein breiter Oviduct, zur Cloake gehend. Dicht an der Schwanz- basis eine contractile Blase, in welche sich 2 lange fadenförmige, vom Schlundkopfe, wo sie verdickt anfangen, zu beiden Seiten geschlängelt herablaufende Saamenorgane einsenken. In der vorderen Körperhälfte vom Schlundkopfe bis zum Eierstocke sind an jedem Saamenorgane 4 fast stiellose, zitternde Kiemen. Von Muskeln unterschied ich im Vordertheile nur 4 Längsmuskeln, 2 auf der Rük- kenseite, 2 auf der Bauchseite; im hintern Körper konnte ich wegen getrübter Durch- sichtigkeit gar keine erkennen. Nur die beiden Zangenmuskeln waren deutlich. Zu jeder der seitlichen Borsten schien ein von ihrer Insertion nach vorn gerichteter schma- ler Muskel zu gehören. Überdiefs sah ich 5 breite Queergefälse, deren vorderes über die Darmdrüsen hinging, deren drittes in der Nähe der Borsten war und deren letztes ” dicht vor der Ejaculationsblase befindlich war. — Körperlänge 4’; ein noch nicht ganz reifes Ei mals + der Körperlänge, woraus ein Entwicklungscyclus von 5-5” hervor- gehen würde. . Norommara Myrmeleo N. sp. Doppelzangiges Nackenauge. N. corpore brevi, crasso, campanulato, maxillis et cauda forcipatis, forcipe cau- dae minutae brevissimo, maxillarum validissimo. Ich fand diefs Thierchen ganz vor Kurzem, nachdem der Druck dieser Abhandlung schon begonnen hatte, am 5. Juni 1834 im Torfwasser bei Berlin. Es hat mehrere wichtige Organisations - Eigenthümlichkeiten, die ich im allgemeineren Theile nicht mehr habe berücksichtigen können. Im Äulsern hat es die gröfste Ähnlichkeit mit Notommata clavulata, unterscheidet sich aber durch sehr wesentliche Charactere. Es hat nicht 2 sechszahnige, sondern ein- zahnige Kiefer; es hat nicht 2 keulenförmige Darmdrüsen, sondern 4 kugelförmige; es hat keine Blinddirme am Magen; es hat keinen lang gestreckten, bandartigen Eierstock, sondern einen breiten, kurzen; endlich hat es keine hervorstehende Respirationsröhre oder Sporn im Nacken. Am Räderorgane zählte ich 7 besondere Wirbelapparate. Zwischen den Wirbelor- ganen liegt, nach dem Rücken hin, ein rundliches Hirnganglion, dals an seinem hintern runden Ende ein nicht sehr grolses hellrothes Auge trägt. Der Schlundkopf ist sehr eigenthümlich gebildet, grofs und schief, und enthält dicht am Munde 2 sehr grofse krumme Zähne auf 2 kleinen kräftigen Kiefern. Beide Zähne gleichen einem Taster- zirkel. Diese Zange liegt im gewöhnlichen Zustande mit den Spitzen nach oben und vorn gerichtet, fast horizontal, kann aber ganz herausgesteckt werden, wenn das Thier- chen etwas kräftig ergreifen will. Ein langer dünner Oesophagus endet in einem ku- gelrunden Magen, von dem ein dünner, meist leerer, aber langer Dickdarm zum After geht. Am Magen ist keine Spur von Blinddärmen; beim Magenmunde sind jederseits 2 kuglige Speicheldrüsen. Bei einem Thierchen nahm der sehr ausgedehnte Magen fast den ganzen Körperraum ein, und als ich es genauer um diese Bildung untersuchte, er- 23 in der Richtung des kleinsten Raumes. 215 brach es durch die Mundöffnung 2 grolse Exemplare eines verschlungenen Entomos- traci, des Lynceus globularis, worauf der Magen in die kuglige kleinere Form der übrigen Individuen zurückging und das Thier munter fortlebte. Ein kurzer, breiter Eierstock mit einem fast ausgebildeten Ei und eine grofse contractile Blase waren in der Nähe des Afters. Zwei geschlängelte Saamenorgane, vom Schlundkopfe anfangend, lagen mehr auf der Bauchseite, zwischen beiden ein sehr durchsichtiges, ebenfalls ge- schlängeltes, ziemlich dickes Gefäls, das auf einer Seite mit zahlreichen kleinen Anhän- gen gefranzt war, wie ich es pag.187 in der Note bei Notommata clavulata angege- ben habe ('). Von Muskeln sah ich einen sehr breiten Rückenmuskel und einen breiten Bauch- muskel, ähnlich der Bildung in Diglena lacustris auf Tafel X, zwei kleine Zangenmus keln im Schwanze und 7 Rädermuskeln. Überdiefs waren im Körper mehrere sich kreuzende feine Fäden, deren einige besonders mit 2 freien Ganglien in der Körper- mitte zusammenhingen. Diese letzteren mögen Nerven sein. Endlich sah ich 5 Queer- gefäfse. — Der kleine Zangenfufs ist auf der Bauchseite und wird von einem Höcker um 1 1m ne 5. Ei etwa z; des Rückens überragt, ganz wie bei N. clavulata. — Körperlänge 1 1m Cyelus der Entwicklung 4 -}; 155 3% Noroumara Tigris = Trichoda Tigris Müller. Tiger - Nackenauge. N. corpore leviter curvo, teretiusculo, fronte aculeo brevi armata, caudae cru- ribus praelongis, dimidio corpore longioribus, deorsum curvis, lunatis. Schon im Jahre 1830 hatte ich ein todtes Thierchen dieser Art bei Berlin gefun- den und gezeichnet; lebendig sah ich es zuerst am 26. April 1832 zwischen Oscillato- rien des Thiergartens. Des ersteren habe ich bisher nicht Erwähnung gethan, weil die Beobachtung unvollständig war. Der Körper ist auf der Rückenseite convex, auf der Bauchseite concav, durchsichtig und scheint eine festere Oberhaut zu haben, als sonst bei den nackten Räderthieren ge- wöhnlich ist, worauf auch das Horn oder der Zahn an der Stirn deutet. Er ist, ohne die Zange, etwa Amal so lang als dick. Das Räderorgan besteht aus mehreren Par- thieen, ist wenig ausgezeichnet uud wenig vorragend. Der Schlundkopf ist im Ver- hältnils sehr grols und lang; er enthält 2, wie es scheint, einzahnige Kiefer (Mono- gomphia). Über ihm liegt ein längliches Hirnganglion zwischen den Rotationsmuskeln, das am hintern Ende ein grolses, rothes, rundliches Auge führt. Ein sehr kurzer en- ger Schlund führt in den erweiterten, einfach conischen Darm (Coelogastrica), der vorn eine Spur von 2 sehr kleinen halbkugligen Darmdrüsen hat. Neben dem Darme, nach hinten, liegt ein länglicher Eierstock. Der After befindet sich über der Schwanzbasis. Schwanzzange Amal so lang als ihre Basis. Mehr habe ich bisher an den wenigen (') Ich bin jetzt zweifelhaft darüber geworden, ob ich nicht damals Notommata clavulata und Myrmeleo verwechselt habe. Vielleicht gehört das gefranzte (Kiemen -) Organ nur der leiztern Form an ; wahrscheinlich ist es mir aber jedenfalls, dafs beide Formen darin übereinstimmen. 16 > Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Exemplaren nicht beobachten können. — Körperlänge ohne den Schwanz 4”, mit dem Schwanze 5”. Noronmataı Tuba N.sp. Trompetenförmiges Nackenauge. N. corpore hyalino, flexuoso, conico, antice truncato, dilatato, tubiformi, in cau- dam extenuatam sensim producto, eruribus brevibus, acutis. Ich fand diefs sehr niedliche Thierchen, dessen Form dem Trompetenthierchen (Stentor Mülleri) fast gleicht, am 29. Juni 1832 zwischen Meerlinsen des Thiergar- tens bei Berlin in 2 Exemplaren. Der wasserhelle, kegelförmige Körper ist beim Schwimmen meist etwas gebogen. Die abgestutzte breite Basis des Kegels ist der Vordertheil und wird durch das Räder- organ gebildet. Das Räderorgan besteht aus 8 im Halbkreis gestellten, bewimperten Muskelparthieen, die eine Unterlippe bilden, während der Stirntheil oder die Oberlippe (gegen die gewöhnliche Bildung) nicht wirbelt. Die Breite des ausgedehnten Räderor- gans ist etwa % der Körperlänge. Der Hintertheil, vom. After abwärts, ist etwas mehr als “ der übrigen Körperlänge; diefs ist aber nicht alles Zangenfuls, sondern ein Theil davon ist noch mit der contractilen Blase erfüllt. Rechnet man den Zangenfufs von da an, wo seine Muskeln anfangen, so ist er 5 des ganzen Körpers. Die Zange bildet etwa den 13!“ Theil des Körpers. Im Innern erkannte ich zwischen den Wirbelmuskeln nach oben deutlich 2 Hirn- ganglien, deren eines am hintern Ende ein rothes Auge trägt, deren anderes einen dik- ken Nervenstrang nach dem Nacken schickt, wie bei Hydatina senta. Dicht beim Auge ist der kuglige Schlundkopf mit 2 sieben - bis achtzahnigen Kiefern (Polygomphia), der grölsten Zahl von Zähnen, die bei dieser Bildung bis jetzt beobachtet wurden. Ein langer, fadenförmiger, meist gebogener Schlund; 2 kuglige Darmdrüsen; ein dicker Darm mit langem Magen und kurzem, durch leichte Strietur gesonderten Dickdarm (Gastero- dela) durchläuft die Körpermitte bis zu der am bintern Drittheil auf der Rückenseite gelegenen Afteröffnung. Auf der Bauchseite liegt neben dem Darme ein länglicher, knoti- ger Eierstock und an der Vereinigungsstelle dieses mit dem Darme, in der Aftergegend, liegt eine contractile Blase, welche, abweichend von der Regel, in den Schwanztheil hin- absteigt. Durch den After sah ich es sich entleeren. Zwei cylindrische Zangenmuskeln be- wegen die sehr spitzen, conischen, aber kleinen Zangenglieder. Überdiels erkannte ich im Körper bisher, aufser einigen undeutlichen Spuren, nur 1 Muskel, der von der Augen- gegend nach der Mitte des Rückens schief verläuft und in der Nackengegend 2 farblose Knötchen, etwas gröfser als das Auge, die vielleicht zum Nervensysteme gehören. Die grolse Durchsichtigkeit und das seltne Vorkommen des Thierchens hat eine vollständigere 1m Entwicklung seines Organismus bisher erschwert und behindert. Körperlänge 5 -%". 25. Norommara Werneckü N.sp. Werneck’s Nackenauge. N. corpore magno, utrinque attenuato, fusiformi, caudae cruribus brevibus, oris setis duabus praelongis. in der Richtung des kleinsten Raumes. 217 Herr Dr. Unger hat diels Thierchen bei Kitzbühel in Kolben der Faucheria caes- pitosa entdeckt und am 27. März dieses Jahres zur genaueren Untersuchung an den Herrn Regimentsarzt Dr. W. Werneck in Salzburg gesendet. Letzterer hat es schr umständlich, sogar seine ganze Entwicklung aus dem Ei beobachtet und sehr sorgfältig gezeichnet, so dafs ich bei Ansicht der mir freundlichst übersandten Zeichnungen kein Bedenken haben kann, die Beobachtung aufzunehmen. Die allgemeine Körperform gleicht der Notommata collaris auf Tafel IX, es ist aber kaum halb so grols, hat keine Ohren am Räderorgane, aber im ausgewachsenen Zustande 2 lange Borsten am Munde, die dem jungen, eben aus dem Ei entschlüpften Thiere fehlen. Solche Borsten waren mir bisher nur an Not. Copeus bekannt, wo sie in der Mitte der Körperseiten stehen, und sind der für mich überzeugendste Charakter, dals diels Thierchen eine eigene neue Art ist. Die Zähne der beiden Kiefer scheinen monogomphisch zu sein. Das Räderorgan besteht nach der Zeichnung nur aus dem mittleren Theile dessen, was N. collaris hat. Vielleicht entwickeln sich die beiden Oh- ren zuweilen auch. Darmdrüsen und Eierstock, Darm und After, auch das rothe Nak- kenauge sind beobachtet und im richtigen Verhältnils der verwandten Formen. Die spe- cielle Form des Darmes und Eierstockes, Muskeln, Gefälse und Nerven sind noch wei- ter zu entwickeln. Das Vorkommen im Innern von lebenden Pflanzen ist besonders interessant, jedoch halte ich es auch für keinen wichtigen Beweis ihres Entstehens darin. Ebenso finden wir die Insecten in den Gallen und glauben doch nicht dabei an Generatio spontanea. Es wäre schr wünschenswerth, dafs diese Verhältnisse jetzt recht vielseitig, sorgfältig und lebendig zur Sprache kämen und eine fortgesetzte intensive Beobachtung dieses Thierchens und der Faucheria selbst wäre um so wünschenswerther, je öfter ich die Erfahrung gemacht habe, dals die gleiche Erscheinung wohl jahrelang auszusetzen pflegt. Im Innern halb zerstörter Conferven und anderer Pllanzentheile babe ich schon oft Rä- derthierchen gefunden, besonders Rozifer vulgaris und Philodina eryihrophthalma, und unter gewissen Umständen mögen wohl einige auch weiter in die gesunden Theile forikriechen und daselbst Gallen verursachen, oder sich doch vermehren. Das engere Anschliefsen bestimmter Thiere an bestimmte Pflanzen ist eine ebenfalls sehr allgemeine, nicht überraschende Erscheinung ('). — Körperlänge ;;-; Wiener Linie. 26. Preropisa elliptica N. sp. Elliptisches Flügelthierchen. P. testa elliptica, fronte inter rotas producta, setosa, ocellis magis distentis, glan- dulis ventriculi ovatis, maxillarum dentibus binis. (*) In all solchen Fallen ist nicht ein Beweis nöthig, dafs die primitive Entstehung nicht eben da vorhanden sein könne; denn die Möglichkeit wird Niemand läugnen, sondern es handelt sich um den Beweis, dafs sie in dem bestimmten Falle wirklich da sei, dafs sie wenigstens mit grölster Wahrscheinlichkeit angenommen werden müsse, was durch sorgfältiges und mühsames Eliminiren aller übrigen Möglichkeiten zu erreichen versucht werden mufs, aber, obwohl oft behauptet, noch nicht erreicht worden ist. k Phys. Abhandl. 1833. Ee 215 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Ich fand diels Thierchen zuerst im Jahre 1831 bei Berlin zwischen Conferven und habe es in dem zweiten Beitrage zur- Kenntnils der kleinsten Organismen als Pterodina clypeata aufgeführt. Allein ich habe mich im vorigen Jahre überzeugt, dafs das Thier- chen der Ostsee, welches Müller als Br. clypeatus beschrieben hat, eine andere, sehr verschiedene Species derselben Gattung ist, die nur im Seewasser zu leben scheint. Ich fand sie im October 1833 häufig im Ostseewasser bei Wismar und habe sie am 5. No- vember in dergleichen Wasser wieder in Berlin lebend beobachtet, wohin ich es mit- genommen hatte und wo sie sich noch 14 Tage lang fortpflanzte. Das Süfswasserthierchen von Berlin unterscheidet sich von P. Patina durch ellip- tische Form des flachen Panzers, durch schmälere Ränder desselben, durch einen mittle- ren borstigen Stirntheil, der jenem fehlt, und auch durch nur 2 Bauchmuskeln, wäh- rend jenes 4 besitzt. Vom Pterodina clypeata (Brachionus clypeatus Müller) un- terscheidet sich dasselbe durch etwas weniger langgestreckte Form, durch zweizahnige (nicht vielzahnige) Kiefer, durch eiförmige (nicht bandartige) Magendrüsen, durch mehr auseinanderstehende Augen und durch Mangel der Borsten am mittleren Stirntheile. Das doppelte Räderorgan der P. elliptica bildet, wegen des verbindenden Stirn- theils, nie 2 gesonderte Trichter, sondern mehr 2 parallele Röhren. Von seiner Basis gehen 2 Muskeln divergirend nach den Seiten der Körpermitte. Die beiden rothen Au- gen stehen am Rande des Räderorgans dicht am mittleren Stirntheile. Bei Contraction sieht man sie oft in der Mitte des Körpers. Der Schlundkopf ist kuglig, hat 2 zygo- gomphische Kiefer und Zähne. Der Darm ist gebogen und durch eine Strietur in Ma- gen und Dickdarm geschieden (Gasterodela). Zwei deutliche, grofse, ovale Darmdrü- sen sind im rechien Winkel abstehend. Ein breiter Eierstock umgiebt den Darm mit oft 2 entwickelten Eiern. Der cylindrische, faltige Schwanz tritt auf der Bauchseite aus einer Öffnung des Panzers hervor, ist am Ende abgestutzt und gewimpert. Ei 4”, 1 1m Schaale allein 5”, das ausgestreckte Thier mit dem Schwanztheile 45”. Entwicklungs- eyclus 4-4”. Pterodina clypeata der Ostsee unterscheidet sich: testa elliptico-oblonga, fronte rotas connectente glabra, ocellis approximatis, glandulis ventriculi transverse elon- galis, fascialibus, masillis desmogomphicis. Der Panzer dieser letzteren Art ist an den Seiten etwas umgebogen. Zu jeder Seite der Augen, im entwickelten Räderorgan, ist ein farbloses Knötchen (Nervenganglion?). Nur 2 Längsmuskeln in schiefer Richtung im Körper; bei der Contraction sieht man aber noch 2 vordere Muskeln, oft gebogen, welche nicht weit von der vorderen Öff- nung an den Panzer angeheftet sind und zum Räderorgane gehen. Eingeschnürter Darm (Coelogastrica), eigenthümlich bandförmige, im rechten Winkel abgehende Darmdrüsen, ein zweihörniger knotiger Eierstock mit 2-5 Eikeimen und im mittleren Körper 4 Längsreihen von Knötchen zu je 3; ob Kiemen? Der Schlundkopf hat 2 deutlich viel- zahnige Kiefer mit aufliegenden Zähnen (Desmogomphia), was von den andern beiden zweizahnigen Arten sehr abweicht. Ist das Thierchen ganz contrahirt, so erscheint der Panzer fein längsgestreift. Der leere Panzer bleibt am Rande umgebogen, hat vorn in der Richtung des kleinsten Raumes. 219 eine, auf der Bauchseite eingeschnittene, grolse Öffnung mit glatten, abgerundeten Rän- dern und hinten, vor dem Rande, eine zweite, etwas ausgeschweifte, kleine Öffnung. Der cylindrische, queer gefaltete, zurückziehbare Schwanz ist am Ende abgestutzt, ohne deutliche Wimpern (mit Saugscheibe?). Thierläinge 5”, Ei 5”, welches zugleich der Entwicklungseyclus ist. Sarpına Zynceus N. sp. Zynceusähnliches Salpenthierchen. S. testa ovato-teretiuscula, longitudinaliter profunde sulcata, subtus hiante, an- tice bicorni, postice rotundata, leviter emarginata. Ich fand diefs Thierchen am 14. Juni 1834 in torfigem klaren Wasser bei den Pul- vermagazinen von Berlin. Der unten ganz offene Panzer des sehr ausgezeichneten Thierchens palst nicht ganz zur Gattung Salpina, wohl aber zur Gattung Euchlanis, von welcher er jedoch wie- der dadurch abweicht, dafs er eiförmig, nicht flach ist. Überhaupt ist der Panzer ganz eigenthümlich gebildet. Ein fast dreieckiger, flacher Stirntheil ist, wie ein besonderes Schild, vorn und oben eingekeilt und hat am vordern Rande 2 starke stumpfe Zähne; unter ihm liegt das rothe Auge und durch den Ausschnitt wird die kurze Respirations- röhre hervorgesteckt. Die Seitentheile des Panzers sind vorn abgerundet und der Länge nach tief gefurcht. Ich zählte jederseits 6 solche etwas gekrümmte Furchen. Der Rük- ken ist gewölbt und der Hintertheil abgerundet, mit einer ganz leichten Ausrandung an der Bauchrinne. Auf der Bauchseite bilden die Schaalenränder in der Mitte einen stum- pfen Winkel. Das Räderorgan schien mir aus 5 oder 6 Theilen zu bestehen. Ein grofser eiför- miger Schlundkopf reicht bis an den Rand des Räderorgans und enthält 2, wie mir schien, einzahnige Kiefer. Darauf folgt ein kurzer dicker Schlund und ein noch dicke- rer einfacher Darm, der fast kugelförmig ist, über die Schwanzbasis hinaus den Rücken erfüllt und vorn Spuren von 2 halbkugligen Darmdrüsen erkennen liels, deren eine be- sonders deutlich war. Ein einzelnes, grolses, rothes Auge liegt über dem Schlundkopfe im Nacken und dicht vor diesem liegt die kurze Respirationsröhre. Der Zangenfuls ist in der Mitte des Bauches eingelenkt, in den ersten 2 Drittheilen seiner Basis stark ge- faltet, dann glatt und endet in eine kurze Zange, die der vierte Theil seiner ganzen Länge ist. Der ganze Zangenfuls gleicht 2 Drittheilen der Panzerlänge. Bisher schien es mir bequem, die gepanzerten Vielräderthierchen mit einem Auge und einfach zweischenkliger Schwanzzange blols danach in 2 Gattungen zu sammeln, dals bei den einen der Panzer flach niedergedrückt, niedrig und breit (Euchlanis di- latata und macrura), bei den andern aber prismatisch oder seitlich zusammengedrückt und hoch sei (Salpina mucronata u.s. w.). Vielleicht ist aber späterhin mehr Rück- sicht darauf zu nehmen, dals bei Euchlanis der Panzer unten in seiner ganzen Länge offen ist, wie die Schaale der Daphnia, während bei Salpina der Panzer nur eine vordere und hintere Öffnung hat und übrigens geschlossen ist. In diesem Falle würde Salpina Lynceus zur Gattung Euchlanis gehören. Bei den Salpinen schien mir frei- Ee2 220 4 29. Enrenseng: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation lich auch zuweilen, vorzüglich bei ‚. bicarinata, die Rückenleiste aus 2 blofs aneinan- dergelegten Platten mit offener Spalte zu bestehen, was aber immer das Gegentheil der Euchlaniden-Bildung wäre, welche die Öffnung am Bauche haben. Ob Euchlanis Luna und Hornemanni die Schaale auch unten offen haben, wäre dann noch auszu- mitteln. — Körper 5” lang, z;” breit. . Squameıra oblonga N.sp. Zängliches Augenschüppehen. S. testa elliptica s. ovato-oblonga, plana, apertura antica latiore, caudae cruri- bus acutioribus, paullo longioribus, glandulis ventriculi pyriformibus. Zuerst am 16. April 1832 bei Berlin mit Chlamidomonas (Monas) Pulvisculus in stehendem Wasser gefunden, dann in grolser Menge am 21. Mai 1834 in gleichen Ver- hältnissen, wo sie sich bis zum 15. Juni so erhalten und zahlreich fortgepflanzt haben. Die bekannte Art: S. Dractea, Brachionus Bractea von Müller, hat ein mehr eiförmiges, hinten breites, vorn schmaleres Schild, eine engere vordere Öffnung, stum- pfere und etwas kürzere Schwanzschenkel und mehr runde, halbkuglige Darmdrüsen ; auch schien mir der Schlund kürzer und nicht gebogen zu sein. Dabei ist sie gröfser. Bei der zu beschreibenden Art ist die Schaale vorn halbmondförmig, mehr auf der Bauchseite, weniger auf der Rückenseite ausgerandet. Der Hintertheil, fast auf gleiche Weise abnehmend, ist oben ganz geschlossen, unten aber, im Verhältnifs der Schwanz - dicke, tief ausgerandet, ohne Ecken. Das Räderorgan erschien mir sechstheilig und etwas hinter dem Rande fand ich 4 deutliche rothe Augen, 2 etwas grölsere, 2 etwas kleinere, die gröfseren etwas mehr nach vorn. Der kuglige Schlundkopf zeigte 2 un- bestimmt dreizahnige Kiefer (Polygomphia). Ein gekrümmter enger Schlund, wenig kürzer als der Schlundkopf, geht in den zweitheiligen Darm (Gasterodela). Vorn am Magen sitzen 2 birnförmige Drüsen, mit ihrem dickeren Ende angeheftet. Der längliche Uterus hat meist ein Ei entwickelt in sich. An der Schwanzbasis, auf der Rückenseite, liegt die Afteröffnung, gerad über derselben eine queer gelagerte, längliche, contractile Blase, mit der 2 fadenförmige, an den Seiten herabsteigende Saamenorgane in Verbin- dung sind. Muskeln habe ich wegen grolser Durchsichtigkeit und Lichtschwächung durch den Panzer nicht unterscheiden können. Der Schwanz oder Zangenfuls hat 4 Glieder, von denen 3 dem Stiele angehören, der nur wenig länger ist als die beiden 1 1n 1m Zangentheile. Schaale }; - /5”, ein reifes Ei 4” lang. Entwicklungseyclus 4% - 45”. Ich habe Hunderte davon übereinstimmend geschen. SYNCHArTA baltica N. sp. Baltischer Borstenkopf. S. corpore ovato-conico, organi rotatorii lobis 4, lobo frontali setoso unico interiecto, stylis utrinque binis inter binos lobos rotatorios exsertis. Ich fand 2 lebende Exemplare im Ostseewasser von Kiel, welches Herr Dr. Michae- lis daselbst mir nach Berlin gesendet hatte, am 24. November 1832. Der erste Ent- decker des Thierchens ist aber Herr Dr. Michadlis selbst, der es auch in seiner höchst interessanten und wissenschaftlich wichtigen Schrift über das Leuchten der Ostsee als 30. in der Richtung des kleinsten Raumes. 221 ein Leuchtthierchen bezeichnet und auf Tafel I, links in der unteren Ecke, abgebildet hat. Diese Abbildung lälst die äufsere Form ziemlich gut, aber die innere Structur nicht erkennen und stellt ein am Hintertheile ein Ei mit sich tragendes Thierchen vor. Meh- rere ähnliche finden sich in der Mitte dieser Tafel in einem Tropfen Wassers mit an- deren. Im September 1833 fand ich dasselbe Thierchen wieder im Seewasser bei Ko- penhagen mit Corynen und Sertularien. Eine speciellere Beschreibung habe ich in meinen späteren Vortrag über das Leuch- ten des Meeres aufgenommen, wo auch eine Abbildung der feineren Organisation des “ Thierchens gegeben werden soll. Seine an den Seiten mehr gewölbte Form unterschei- det sich von der kreiselförmigen S. tremula, welche ebenfalls 4 Tastgriffel hat, der aber die Ohren des Räderorgans abgehen. Zunächst steht ‚$. oblonga; diese hat aber ein sechsfaches Räderorgan und alle jene leben im Fluls- und Sumpfwasser. Müller’s Vorticella tremula ist vielleicht ein von all diesen noch verschiedenes Seethierchen. Die innere Structur dieser Form gleicht sehr der auf Tafel X abgebildeten Synchaeta pectinata, welche aber nur 2 Griffel und ein sechsfaches Räderorgan nebst 2 hörnchen- artigen, borstigen Stirnfortsätzen hat, die jener fehlen. — Körperlänge 5”. Treorvs uncinatus N.sp. Hakenlippiges Vielauge. T. corpore graciliore, parumper compresso, labio superiore uncinato, caudae cru- ribus subulatis, paululum elongatis. Am 29. März 1832 bei Berlin mit Oscillatorien im Bassin des Thiergartens gefunden. Bisher war mir nur eine Form dieser Gattung vorgekommen, die ich 7’. vernalis nannte. Die Form ohne Stirnhaken fand ich zuerst im Jahre 1830, und eine ähnliche wieder am 26. März 1832 unter ähnlichen Verhältnissen, jedoch zählte ich bei jener er- sten 12 auf 2 Häufchen zu 6 im Nacken vertheilte, farblose, scharf umschriebene Punkte, die ich für pigmentlose Augen hielt, bei der letzteren aber nur 4 solcher Punkte. Ich bin nicht sicher, ob diese beiden hakenlosen Formen nicht auch 2 verschiedene Arten sind, konnte aber sonst keine wichtigen Unterschiede finden. Bei der hakenführenden, hier zu beschreibenden Art, welches die dritte und schlankeste sein würde, zählte ich ebenfalls jederseits 6 pigmentlose Augenpunkte im Nacken. Im Schlundkopfe er- kannte ich 2 Kiefer mit scheinbar einfachen Zähnen (Monogomphia). Ein aus mehre- ren kleinen Parthieen bestehendes, wenig vortretendes, etwas schiefes Räderorgan, ein kurzer verengter Schlund hinter dem Schlundkopfe, 2 kleine halbkuglige Darmdrüsen dicht unter den Augenpunkten, ein langer, einfacher, conischer Darm, welcher bis zur stiellosen Schwanzzange reicht, wo oberhalb der After befindlich, sind die von mir er- kannten Structurverhältnisse. Überdiefs sah ich noch undeutliche Streifung in der Längs- richtung, wo also Muskeln liegen mögen, die eine schärfere Beobachtung zu entwik- keln hat. Die Form dieses Räderthierchens steht der Notommata Felis sehr nahe, welche jedoch ein deutliches Nackenauge besitzt. Ein Junges von T. vernalis kann es des Hakens wegen nicht sein. — Körperlänge 5”. Dicke 4 der Länge. 222 31. Eurengenc: Beiürag zur Erkenntni/s gro/ser Organisation Wären die farblosen Punkte keine Augen, sondern nur Blasen, was sich durch ihre Verbindung mit dem Gehirn entscheiden lassen muls, so würden die Formen der Gat- tung Theorus zu den Augenlosen gehören und zu den Gattungen Pleurotrocha oder Hydatina als Species zu stellen sein. Trrarıura longiseta N.sp. Langbartiger Dreibart = Langbeiniger Was- serfloh von Eichhorn T.I, n.7.? Zaichspurrel von Oken? T. corpore oblongo, campanulato, tereti, oculis distentis, cirris mentalibus et stylo caudali sesquiplici duplieive corporis longitudine. Tafel VII, Fig.1. Am 16. Juli 1832 in stagnirendem Regenwasser in Berlin zuerst beobachtet und bis zum 11. August in der Fortpflanzung erhalten. Im October 1833 und zu Anfang Juny 1834 wieder in grolser Menge, zu Hunderten, gefunden. Den kurzbärtigen Dreibart (Triarthra mystacina) fand ich zuerst im April 1830, dann wieder am 10. August 1832 und konnte zu letzterer Zeit ihn mit dieser andern Species gleichzeitig beobachten. Es sind in Berlin 2 verschiedene Arten. Jene, die kurz- bärtige (nicht langbärtige, wie ich sie 1831 nannte), hat etwas mehr genäherte, kleinere Augen und kürzere Barten und Griffel bei gleicher Grölse. Der Körper ist kurz cylindrisch, vorn abgestutzt, hinten abgerundet. Das Räderor- gan bildet das vordere Ende und besteht aus 5 bis 6 gewimperten gleichen Muskelpar- thieen, zwischen denen einige, besonders ein grüfserer, Hirnknoten liegen. Auf 2 die- ser Knoten sind ebensoviel ziemlich grolse und runde rothe Augen befindlich. Im In- nern des Körpers sah ich deutlich 4 gestreifte Längsmuskeln, die aber in verschiedenen Lagen eine verschiedene Länge und Insertionsstelle zeigten, wovon ich den Grund nicht erreichen konnte. Vielleicht gehen sie, dicht an der Haut angelegt, noch bis zum Hin- tertheile fort, obschon sie sich in der Körpermitte anzuheften scheinen. Ruhend ist das Thierchen schwer zu beobachten und im Schwimmen verändert es beständig seine Lage. Ich unterschied 2 Rückenmuskeln, 2 Bauchmuskeln und jederseits einen Seitenmuskel. Dicht hinter dem Räderorgan, auf der Bauchseite, sind 2 verhältnilsmäfsig dicke Barten an 2 kräftige Muskeln geheftet und zwischen diesen liegt der Mund gerade so, wie er bei Daphnia zwischen den beiden grofsen Armen liegt. Auf diese beiden Muskeln folgt nach hinten der kuglige Schlundkopf mit 2 vielzahnigen Kiefern, nach der Form der reihenzahnigen (Zochogomphia). Ein enger Schlund von der Länge des Schlundkopfes, ein eingeschnürter Darm mit Magen und Dickdarm (Gasterodela), bei dessen Anfange 2 eiförmige Darmdrüsen deutlich liegen. Der Mund ist etwas seitlich am vorderen Ende an der Bauchseite. Der After ist gerade in der Längsaxe des Körpers am hintern Ende. Unterhalb des Afters, am Bauche, ist der einfache Schwanzgriffel eingelenkt und mit einem undeutlich begrenzten Muskel versehen. Neben dem After, auf der Rückenseite, liegt eine contractile, rundliche, bald gröfsere glatte, bald kleinere faltige Blase und ebenda endet der knotige Eierstock, welcher oft 1 bis 2 ganz entwickelte Eier enthält, die aber alsbald ausgeschieden werden und mit einem kurzen Faden am hintern Körperende be- in der Richtung des kleinsten Raumes. 223 festigt bleiben. In solchen Eiern sah ich ganz entwickelte Junge und Fötusbewegun- gen. Augen und Schlundkopf waren im Ei schon ganz entwickelt, aber die Barten und der Griffel schienen mir schon entwickelten, aber künstlich von der Eischaale entblöfs- ten Thierchen noch zu fehlen. Diesen Zustand, der einer Metamorphose gleicht, habe ich auf Tafel VIII abgebildet ('). Die Barten und der Griffel sind drehrund, spitz aus- laufend und überall wie durch seltne, sehr kurze, anliegende Borsten rauh. — Körper- 17 1 1m länge ohne den Schwanz bis 5”, mit demselben ohne die Barten, bis 4", Ei 4-5”. 36 Entwicklungseyclus 5 -%”. Die Bewegungen dieses Thierchens sind hüpfend, wie bei Daphnia, aber die bei- den Barten hängen dabei herab, bewirken jedoch allerdings durch schnellende Bewegung das Hüpfen. Neue Familien und Gattungen von Rüäderthierchen. - OECISTINA Nova Familia. Familie der Hülsenthierchen. Character Familiae: KRotatoria, Monotrocha, loricata. I. Oscıstes Novum Genus. Hülsenthierchen. Character Generis: Rotatorium Monotrochum, loricatum; lorica singulis singula (urceolus), ocelli duo frontales, evanescentes. 32. Oczcıstes erystallinus N. sp. Crystallenes Hülsenthierchen. O. urceolo cylindrico, hyalino, viscido, affıxo, animalculo longissime pedicellato, hyalino. Zuerst gefunden am 10. Juni 1832 auf Hottonia palustris bei Berlin, dann wieder am 30. September 1832 auf Wurzeln von Zemna minor. Es waren bis zum Jahre 1832 noch keine gepanzerten Einräderthierchen bekannt geworden. Zwei mir später vorgekommene, diesen Charakter tragende Formen (Oecis- tes erystallinus und Conochilus Folvox) bilden mithin eine den Ichthydinen oder Wimperfischchen entsprechende neue Familie. Die erste dieser Formen, das ery- stallene Hülsenthierchen, hat einen cylindrischen, unten ansitzenden, oben offenen Panzer oder Büchse, in deren Grunde es mit dem Ende seines schwanzförmigen langen Fulses frei angeheftet ist und die es, wenn es heftig beunruhigt wird, verlassen kann, um aulserhalb beliebig fortzuschwimmen, vielleicht auch, um eine neue zu bilden. Diese Büchse ist wenig dicker als der Körper, gallerartig und scheint äufserlich klebrig zu sein, weil sie immer mit allerlei Schlammtheilchen des Wassers verunreinigt war. Das (*) Als ich im October 1833 Herrn Hofrath Carus eine solche künstliche Geburt sehen liefs, schien es uns aber doch, als ob auch schon die Barten beim Foetus vorhanden und nur eng angeschlos- sen wären; mithin würde sich doch die Metamorphose nur auf die weitere Entwicklung des Räder- organs beschränken. 224 1. 33. Eurnensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Thierchen ist gestreckt 1‘; mal so lang als seine Hülle. Der Fufs ist mehr als 3 mal so lang als der Körper. Das Räderorgan bildet einen einfachen, vorderen, nicht: ganz geschlossenen Kranz, der etwas breiter als der Körper ist und an der Mundstelle sich etwas einbiegt. Es ist mithin nierenförmig zu nennen. Hinter dem Räderorgane sieht man den kauenden Schlundkopf mit 2 reihenzahnigen Kiefern, in deren jedem 3 Zähne sich auszeichnen (Lochogomphia). Der dann folgende Schlund wird durch eine Stric- tur gebildet. Zwei halbkuglige Darmdrüsen und ein zweitheiliger Darm (Gasterodela) ohne Blinddärme erkennt man leicht, auch ist im hinteren Körperraume ein länglicher dunkler Uterus wahrzunehmen. Der After ist da, wo der dickere Körper in den dün- neren Fuls übergeht. Die anderen Organe habe ich noch nicht sorgfältig genug auf- suchen können, da ihre Durchsichtigkeit dieses erschwert. Der After bildet einen klei- nen Vorsprung und einen andern kleinen Höcker sah ich in der Gegend der Darmdrü- sen; dieser ist vielleicht ein Szpho. Bei der Contraction des Räderorgans wird der vordere Körpertheil kurz conisch und längsgefaltet, und da sah ich vor dem Schlund- kopfe einmal 2 scharf umschriebene, farblose Punkte, die vielleicht Rudimente der Au- gen sind; denn in den fast cylindrischen, langgestreckten Eiern sah ich deutlich, wenn der Schlundkopf ausgebildet war, auch 2 rothe Augen am Foetus. Die fast 3 mal so langen als dicken Eier legt das Thier in seine Hülse neben sich; ich fand deren bis 5 1m in einer. Eilänge 4”. Körper ohne den Schwanz 5”, mit demselben fast 4”. Büchse %”. Entwicklungseyclus 5-5". CoxocuıLus Novum Genus. Zippenkreisel; Familie der Hülsenthierchen. Character Generis: Rotatorium Monotrochum, loricatum; lorica pluribus communis (lacerna); ocelli duo occipitales (persistentes). Goxocninus Folvox N.sp. Wälzender Lippenkreisel. C. animaleulis pluribus hyalinis in globum libere natantem consociatis, basi ge- latina involutis, apice liberis, processu duplici conico in media rotae area. Die ersten Exemplare fand ich am 4. Juni 1832 bei Berlin im Wasser des Plötzen- sees und zeichnete sie. Es waren 10-12 Thierchen in kleine, weifsliche, mit blofsem Auge recht wohl sichtbare Kugeln vereint. Am 10. Mai und 15. Juni 1834 fand ich wieder sehr viele, wohl über 100, Exemplare in einer Torfgrube bei Berlin. Ich zählte bis 20 Thierchen in einer Kugel. Die Kugeln, welche dem Folvox Globator an Grölse und Bewegung sehr ähnlich, aber sichtlich viel lockerer und weifs sind, auch mit den Jungen der Megalotrocha alba und Lacinularia socialis im Äufseren Ähnlichkeit haben, bestehen aus einer sehr durchsichtigen Gallerte, die man leicht ganz übersieht, und in den bei der Ruhe darein zurückgezogenen, im Schwimmen aber herausragenden, ziemlich grofsen Räderthierchen. Sobald man die Kugeln in ein getrübtes Wasser bringt, erkennt man den gemeinsamen Mantel sehr leicht. in der Richtung des kleinsten Raumes. 225 Der Körper ist eiförmig oder kurz eylindrisch und endet in einem langen, ziemlich dicken, 2% mal so langen Fuls ohne Zange. Der ganze Körper, und selbst der Ober- 27 theil des Fufses, kann aus dem Mantel hervorgestreckt werden; die Fülse sämtlicher Thierchen bilden dann Strahlen in der Gallertkugel, welche im Centrum zusammenkom- men. Das ausgedehnte Räderorgan des erwachsenen Thieres überragt die Nackenbreite jederseits um etwa %, die gröfste Körperbreite um weniger. Die Form desselben ist fast zirkelrund, jedoch ist es in der Mitte der Bauchseite durch den Mund unterbrochen. Mitten im Radkreise tritt während dessen Thätigkeit ein doppeltes conisches Organ her- vor, wovon jedes Einzelne eine nicht gar lange Borste trägt. Diese beiden Borsten und ihre kegelförmigen Basaltheile schienen mir eine zweispaltige Oberlippe zu bilden, während das Räderorgan den Stirnrand darstellt. Jene Lippen und Borsten können ganz eingezogen werden, auch während das Räderorgan wirbelt. Über dem Schlundkopfe, im Nacken, liegen 2 in fast gleicher Entfernung vom Rande und von einander abste- hende, rothe, runde Augenpunkte. Die Grenzen der Muskeln des Räderorgans konnte ich noch nicht deutlich herausfinden, obwohl ihre Masse sichtbar war. Im Grunde des durch den Wimperkreis, die gespaltene Oberlippe und den wimperlosen, sehr kleinen Kinnrand begrenzten Mundraumes liegt der Schlundkopf, eine fast kuglige, aus 4 Mus- kelparthieen bestehende Masse mit 2 deutlichen, horizontal neben einander gelegenen, reihenzahnigen Kiefern (Zochogomphia), in deren jedem ich überall 4 stark ausgebildete Zähne zwischen zahlreichen feineren Streifchen sah, die wohl noch andere, weniger ent- wickelte Zähne waren. Auf diesen Schlundkopf, der etwa *; der Körperbreite einnimmt, folgt ein halb so dicker, kurzer Schlund, welcher in einen zweitheiligen Darm über- führt (Gasterodela). Beide Darmtheile, Magen und Dickdarm, sind ziemlich von glei- cher Gröfse und die Analöffnung, gleichzeitig Geschlechtsöffnung, ist auf der Rücken- seite da, wo der =lickere Körper in den dünneren Fuls oder Schwanz übergeht. Auf derselben Seite liegen auch die Augenpunkte der Oberfläche am nächsten. Hinter dem Darme, in der Analgegend, liegt ein Eierstock und in jeder Kugel giebt es fast immer alle Zustände der Eientwicklung in den verschiedenen Thieren, vom eben befruchteten an bis zur vollendeten Foetusbildung mit Eischaale, Augen, Kiefern und Bewegung. Wegen grolser Durchsichtigkeit des Körpers ist es mir noch nicht gelungen, die männlichen Sexualorgane und Kiemen oder Gefälse zu unterscheiden; aber wohl sah ich Spuren von Längsmuskeln, deren Anordnung dadurch eigenthümlich ist, dals umge- kehrt wie bei vielen anderen Räderthieren, nicht der Vordertheil des Körpers die Be- wegungsmuskeln vorzugsweise besitzt, sondern der Hintertheil. Vordere Muskeln, welche vom Räderorgane zum mittleren Körper gingen, konnte ich gar keine erkennen, wohl aber sah ich sehr deutlich 2 Paar von der Körpermitte anfangende, und durch den gan- zen Schwanzfuls verlaufende Seitenmuskeln und ein Paar Rückenmuskeln, welches eben- falls, von der Rückenmitte anfangend, sich bis zur Schwanzbasis fortsetzte; ein viertes Muskelpaar aber ging von der Bauchmitte zur Schwanzbasis. Bei einer gewöhnlichen leichteren Contraction wird der Schwanzfuls queerfaltig und verkürzt, bei einer stär- keren oder schnelleren wird er zuweilen Sförmig. Das verdünnte Ende des Schwanz- Phys. Abhandl. 1833. Ff 226 Enrengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation fulses ist abgestutzt und scheint einen Saugnapf zu bilden. Wimpern sah ich nicht daran. Gröfse der Kugeln -1%””, der Individuen -%”, der Eier £”’. Breite des Körpers bis 36 Entwicklungseyclus von 4, -%”. Das durchsichtige Thierchen nimmt, wie die mei- im % sten Räderthiere, sehr leicht Indigo- oder Karmin - Nahrung auf; die gewöhnliche Fül- lung des Darmes ist goldgelblich. Den Namen Conochilus habe ich der in 2 kegelförmige Theile gespaltenen Ober- lippe halber gegeben, und obwohl ich diesen Charakter nicht als Gattungscharakter an- sehen möchte, bevor nicht mehrere andere Formen darin übereinstimmend gefunden sind, so schien mir doch nicht unzweckmälsig, den auffallenden Charakter dieser Form der Gattung hervorzuheben. Übrigens scheint mir diese Bildung, bei einer Rücksicht auf das Räderorgan der Brachionen und deren 2 Griffel, anzudeuten, dals das einfache Rä- derorgan ein aus zweien verschmolzenes ist. III. Crenonaures Novum Genus. Buckelthierchen. Diese neue Gattung ist unter Nr.10. pag.204. bei den neuen Arten der Räderthier- chen bereits umständlich beschrieben worden. IV. Poryarrurna Novum Genus. Fielbart. Familie der Crystallthierchen. Character Generis: Rotatorium Polytrochum nudum; ocello unico occipi- tali, cauda nulla, eirris mentalibus utrinque pluribus, fasciculatis. 34. Poryartara sexpennis N. sp. Sechsfingriger Vielbart. P. ovata, cirris utrinque 6, corporis longitudine. Tafel XI, Fig. 2. Ich fand diefs Thierchen zum ersten und einzigen Male am 20. November 1832 zwi- schen Conferven bei Berlin. Die ausgezeichnete Bildung dieses Räderthierchens ist besonderer Beachtung werth. Seine vielfachen Barten, in 2 Bündeln zu beiden Seiten unter dem Munde, sind nicht mehr mit den Griffeln der übrigen Formen vergleichbar, sondern bilden schon 2 ver- kürzte Armglieder der Daphnien mit grofser Deutlichkeit. Auch diese haben häufig 6 lange Borsten, welche aber auf einer starken armartigen Basis wie Finger vertheilt sind. Hier sind die Finger ohne Hand und Arm. Die Thätigkeit beider Organe ist die- selbe. Auch hier dienen sie zum Fortschnellen des Körpers und bedingen eine hüpfende Bewegung des Thierchens. Bei der Gattung Triarthra ist diels noch einfacher und noch mehr im Übergange zu den einfachen Griffeln der Räderthiere Go): (‘) Bei einer weiteren Vergleichung der Daphnien und Räderthiere darf man nicht, wie es schon geschehen, die beiden hinteren Borsten der ersteren mit den beiden Zangengliedern der Räderthiere vergleichen, obschon sie grofse Ähnlichkeit, selbst durch die sie bewegenden Muskeln haben. Die- ses Organ der Schaalenkrebse befindet sich auf dem Rücken, über dem After, und hat nur entfernte Ähnlichkeit etwa mit den warzenarligen Hörnchen (corniculis), mit welchen Philodina aculeata in der Richtung des kleinsten Raumes. 227 Der kurze glockenartige Körper ist dem der Triarthra ähnlich, noch kürzer, vorn abgestutzt, hinten abgerundet. Das vordere Ende nimmt das Räderorgan ein. Letzteres besteht aus 4 (?) Theilen, welche zuweilen wie 2 erscheinen und für ein doppeltes Rä- derorgan angesehen werden können, da sie zu 2 jederseits befindlich sind. Zwischen ihnen liegt ein borstiger Stirntheil und 2 hörnchenartige borstige Fortsätze desselben sind vorstehend. Mitten zwischen den Muskeln der Räderorgane liegt über dem Schlund- kopfe, auf der Rückenseite, ein eiförmiges grolses Hirnganglion, welches ein rundes, durch rothes Pigment ausgezeichnetes, grolses Auge am hintern Ende trägt. Der Schlund- kopf ist rundlich und grofs und enthält 2 einzahnige Kiefer (Monogonphia). Ein kur- zer enger Schlund und ein zweitheiliger Darm (Gasterodela) folgen darauf. After hin- ten in der Längsaxe des Körpers am Ende. Vorn am Magen sitzen 2 fast kuglige Drü- sen. Überdiels war im hintern Körperraume ein knotiger Uterus sichtbar, der 2 un- gleich entwickelte Eikeime trug. Ein ganz ausgebildetes Ei hing aufserhalb des Kör- pers am Hintertheile angeheftet. Von inneren Organen habe ich überdiels nur noch 2 oder 4 Längsmuskeln deutlich unterscheiden können, welche zu beiden Seiten des Schlund- kopfes in der Mitte der Stirn anfangen und etwas divergirend bis an den hintern Kör- perrand innen fortgehen. Vom Rücken und vom Bauche erkennt man immer nur 2, doch scheinen diese noch 2 andere zu decken, so dafs es wohl 2 Rückenmuskeln und 2 Bauchmuskeln giebt. Bei der Seitenlage wird ihre Unterscheidung durch die Barten erschwert. Die Barten stehen in 2 Bündeln am Ende des ersten Drittheils des Körpers, durch die Breite des Schlundkopfes von einander getrennt, und überragen, wenn sie anliegen, den Körper um % seiner Länge. Sechs Barten bilden jederseits ein Bündel und mit ihrer Basis stehen sie zu 3 auf einem gemeinschaftlichen, kugligen, doppelten Basalgliede oder Muskel, als wären es die beiden dreiborstigen Endspitzen eines Daph- nienarmes. In der Ruhe hat das Thierchen alle Borsten jederseits in ein Bündel dicht zusammengelegt an den Leib angezogen, so dals sie nur 2 dicken Borsten gleichen; bei seinen hüpfenden Bewegungen spreizt es die 6 Barten gleichmälsig aus. Eins dieser Thierchen war mit Colacium aequabile an seinen Barten und am Kör- per besetzt, wie es auf Tafel XI dargestellt ist und ich es sonst nur bei jungen Cyelops- Ir Formen beobachtet habe. Ich sah bisher nur 2 dieser Thierchen. — Körperlänge (ohne die Barten), Ei 5”. Entwicklungseyelus 5-5”. besetzt ist, oder mit den Griffeln, welche Notommata Copeus an den Seiten des Körpers führt, nicht mit dem Schwanze derselben. Sie liegen nämlich über dem After, während die Schwanzzange der Räderthierchen am Bauche unter demselben befindlich ist. Jedoch ist die harte gezahnte Endzange der Daphnien ganz genau übereinstimmend mit der Localität und Form der weichen Schwanzzange der Räderthiere, denn sie liegt unter dem After. Übrigens dient den Räderthieren der Zangenfuls nur zum Anheften des Körpers, den Daphnien aber daneben, und mehr noch, zum Reinigen der Kiemen, indem diese durch herangezogene fremde Stoffe leicht eingehüllt und behindert werden. Kräftige Zangenbewegungen werfen von Zeit zu Zeit diese fremden Stoffe heraus. Diefs wird durch die Krümmung des Zangenfufses erleichtert. Ff2 228 Eurensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation II. Magenthierchen. (Alle Arten, bei welchen ich durch farbige Nahrung den Darmkanal sorgfältig aufser Zweifel gesetzt habe, sind, wie in meinen früheren Abhandlungen, durch ein Ausrufungszeichen angedeutet). 1. Acrınoparys viridis Nova species. Grüne Strahlenkugel. A. globosa, viridis, setis brevioribus, corporis diametrum dimidium aequantibus, crebrioribus. Zuerst im April 1832, dann wieder in mehreren Exemplaren am 14. Juni bei Ber- lin zwischen Conferven im Bassin des 'Thiergartens beobachtet. Diese Form bildet die dritte Art der Gattung Aetinophrys und ist mit den beiden übrigen bisher unter dem Namen Trichoda ‚Sol von Müller begriffen worden, oder ganz unbekannt geblieben. Es sind grüne, mit kurzen Borsten besetzte Kugeln, die sich sehr langsam auf die Art fortchieben, wie Seeigel es ihun, indem sie die einzelnen Bor- sten sehr langsam auf- und ab-bewegen. Diese Borsten sind hier verhältnilsmälsig kür- zer als bei den beiden übrigen Formen, nur halb so grofs als der Körperdurchmesser. Der ganze Körper ist mit Bläschen (kleinen Magen?) erfüllt und nicht diese sind grün von so gefärbter Nahrung, sondern die grüne Farbe scheint der dazwischen liegenden Substanz anzugehören. Ich vermuthe aber, dafs sie blols dem Eierstocke eigen ist, konnte jedoch mir die in anderen ähnlichen Fällen vorhandenen körnerartigen Eierchen nicht deutlich machen. Vielleicht lag es an der Entwicklungsperiode, in der die von mir ge- sehenen Individuen waren. Einen Rüssel habe ich bisher so wenig als contractile Se- xualorgane erkannt, jedoch habe ich noch zu wenig Individuen gesehen, und um die feineren Organisationstheile der Infusorien klar zu erkennen, mus man immer erst mit der allgemeinen Form und den gröberen Theilen durch öfteres Beobachten vertraut sein. Die Formähnlichkeit und Übereinstimmung aller erkennbaren Theile mit Trichoda Sol ist so grols, dals die Ähnlichkeit des noch unbeobachteten sehr wahrscheinlich wird. — 197 1m Durchmesser der grölsten Individuen Z;”, der kleinsten 5”. 24 2. Ampnıtertus papilosus N.sp. Gefranzter Doppelhals. A. corpore oblongo, depresso, proboscide filiformi corpus fere aequante cauda- que glabris, corpore papilloso-cirroso, hyalino. Ich fand diels sehr ausgezeichnete Thierchen einigemale zwischen Conferven des Thiergartens bei Berlin im Mai 1832. Alle Individuen, die ich bisher beobachten konnte, deren 4 waren, zeichneten sich durch eine grofse Sonderbarkeit aus, die mir theils ihrer Übereinstimmung wegen, theils ihrer ganzen Erscheinung nach lange unerklärlich blieb. Ich sah nämlich eine deutliche Navieula mit einem langen Rüssel ganz anders und schneller schwimmend als die übri- in der Richtung des kleinsten Raumes. 229 gen mir bekannten Formen dieser Gattung. Anfangs glaubte ich damit die thierischen Organe der Bacillarien an einer neuen Art von Navicula entdeckt zu haben, allein ich überzeugte mich endlich, dafs die Form doch zur Nav. fulva gezogen werden könne und erkannte durch Trübung des Wassers mit Indigo allmälig, dals diese Navicula nur ein verschlucktes Thier im Bauche eines andern sehr durchsichtigen war, dem auch jener bewegliche Rüssel angehöre. Der crystallene Körper des eigentlichen Thierchens ist länglich eiförmig, etwas ab- geplattet und überall mit erystallhellen Wärzchen besetzt, die in eine Spitze ausgehen. Hinten geht derselbe in einen glatten, schwanzartigen, stumpfen Anhang aus, vorn in einen langen, sehr feinen, fadenförmigen Rüssel, welcher in beständiger Bewegung ist. Die ganze Form und Rüsselbewegung hat viel Ähnlichkeit mit Trachelius? trichopho- rus, der aber fast nur halb so grols ist und keinen schwanzförmigen Anhang hat, da- her den After am Ende trägt. Der Rüssel ist entweder beim Schwimmen gerad nach vorn ausgestreckt und nur an der Spitze bewegt, oder wird wie eine Peitsche geschwun- gen und bewirkt dadurch einen Strudel im Wasser, den man im klaren Wasser nicht, aber bei Indigotrübung sehr deutlich sieht. Da das innere Schiffchen den ganzen miti- leren Körperraum in allen von mir beobachteten Individuen einnahm, und diese mithin gesättigt waren, so liels sich nichts weiter von Structur mit Klarheit ermitteln. Die grolse Mundöffnung schien mir an der Basis des fadenförmigen Rüssels liegen zu müs- 5 sen und der schwanzartige Hintertheil macht es aller Analogie nach wahrscheinlich, dals der After ebenfalls an dessen Basis, nicht an der Spitze ist. — Körpergrölse „,”’ ohne den ziemlich eben so langen Rüssel. Schwanz gleicht 4 der übrigen Körperlänge. Einiges über diese Form werde ich noch zur Gattung Navicula bemerken. 3. Ampuineprus viridis N.sp. Grüner Doppelhals. A. corpore fusiformi, medio granulis viridibus tincto, proboscide caudaque hya- linis, illa valida, quartam fere totius partem aequante. Mit Zemna minor am 16. April 1832 bei Berlin im Thiergarten einige Male beob- achtet. Diese Form ist etwas größser als Amphileptus Anser und durch im Körper dicht verstreute Körnchen, die ich für Eier halte, ganz grün gefärbt, mit Ausnahme des Rüs- sels und des Schwanzanhanges. Die Dichtigkeit der grünen Körnchen samt der durch den ansehnlichen Durchmesser des runden Körpers veranlalsten geringeren Durchsichtig- keit des letzteren erlaubten keine detaillirten inneren Structurbeobachtungen. Die un- gleiche Dunkelheit des Innern liels auf den polygastrischen Darmbau schlielsen. Sehr deutlich war nur eine contractile, helle, runde Blase im Anfange des letzten Drittheils des Körpers. Der Mund liefs sich durch die Strömung deutlich erkennen, indem nur an der Basis des Rüssels, an einer etwas abgeplatteten und leicht abgesetzten Stelle, ein Rückstolsen von Farbetheilchen im Indigowasser statt fand. Der übrige ganze Körper, welcher im klaren Wasser ungewimpert erschien, zeigte sich im gefärbten als ringsum reihenweis dicht mit Wimpern besetzt, welche Strömungen der Farbetheilchen veran- 230 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation lafsten, abwärts auf der Bauchseite, aufwärts auf der Rückenseite. Aufnahme gefärbter Stoffe in den Darm gelang nicht, wie diels bei den meisten, stark grün gefärbten Thier- chen zu sein pflegt. Rüssel 3mal so lang als dick, vorn abgerundet. Ganzer Körper mit den Anhängen im ruhigen Schwimmen etwa Amal so lang als dick, sonst veränder- lich. — Körperlänge 5-%”. Innere Körnchen „55. Entwicklungseyclus 5? - %". Die Brut des Amphileptus Anser glaube ich ebenfalls, aber als farblose Körner, beob- achtet zu haben. Rücksichtlich der letzteren Art giebt es bei Berlin zwischen Conferven und Wasser- linsen des Thiergartens 2 auffallend verschiedene Formen, die sich beide zu Müller’s Fibrio Anser ziehen lassen. Die eine derselben, welche ich in meinen früheren Mit- theilungen mit jenem Namen bezeichnete, ist etwas weniger schlank und hat eine ein- fach ausgebuchtete Mundstelle. Nur die Unterlippe bildet ein Knötchen (tuberculum), welches aber nicht auf dem Rücken ist, wie Müller glaubte, sondern auf der Bauch- seite. Der Rüssel bildet bei dieser Form deutlich eine Obertippe, oder soll der Rüssel als Stirntheil angesehen werden, so würde eine Öberlippe fehlen. Der Körper dieser Form ist mehr eiförmig und der Rüssel so lang als der Körper ohne den Schwanz. Die vielen Magen und eine contractile runde Blase im hinteren Körperraume unterschei- det man leicht; auch sah ich zuweilen deutliche farblose oder milchfarbene Körnchen zahlreich in der Substanz zwischen den Magen, die ich für Eier hielt. Der After ist deutlich an der Basis des Schwanzes. Die andere Form, welche ich mit dem Namen Amphileptus margaritifer vorläufig als Subspecies der vorigen ansehe, ist viel schlanker spindelförmig und hat die beiden Knötchen (tubercula), welche Müller als Charakter des Anser hervorhebt. Beide Knöt- chen haben, wie man sich durch Färbung des Wassers und dadurch sichtbaren Strudel leicht überzeugt, zwischen sich den Mund, und sind also eine Oberlippe und eine Un- terlippe, wodurch denn der Rüssel als Verlängerung der Stirn erkannt wird. Der Rüs- sel ist ebenfalls von der Körperlänge, scheint etwas weniges mehr gespitzt und beson- ders auffallend ist im Innern des Körpers, längs des Rückens, d.i. auf der dem Munde entgegengesetzten Seite, eine einfache Reihe sehr heller, wenig veränderlicher, sehr kla- rer Bläschen, wie sie bei Nassula elegans Fig.1. f. Tafel I. angezeigt sind und von Müller bei Xolpoda Meleagris Fig.1. und Fig.6. Tab. XIV. erkannt und irrig für Eier gehalten wurden. Nach der Analogie von Nassula elegans sind diese Blasen der pa- ternosterschnurförmige Kanal, welcher den dort violetten, hier farblosen Darmsaft auf- nimmt und weiter führt, zuweilen aber auch bei jenen entleert und farblos ist. Der polygastrische Darm liefs sich leicht unterscheiden. Deutliche Eier sah ich bei dieser Form nicht. Beide Formen sind überall mit dichten Längsreihen von Wimpern behaart, womit sie rudern und Nahrung anziehen, was sich aber nicht in klarem, nur in gefärbtem Wasser leicht erkennen läfst. — Körpergrölse der letzteren Form bis 4”. Schwanz etwa der fünfte Theil des Körpers ohne den Rüssel. Ich würde von diesen beiden Formen die erstere leicht für Müller’s Fibrio Anas halten, die letztere für Fibrio Anser, wenn nicht jene von ihm im Seewasser beobach- in der Richtung des kleinsten Raumes. 231 tet wäre und es mir geschienen, dals beide Sülswasserthierchen Übergänge der beiden Formen in einander zeigten. 4. Aspıpısca denticulata N.sp. Gezähneltes Schidthierchen. A. scutello suborbiculari, parumper turgido, margine ventrali vibrante leviter truncato, denticulato. Am 16. Juni 1832 zwischen Wasserlinsen bei Berlin neben der von Gräfeschen Besitzung nur einmal beobachtet. Diefs Thierchen hat die nächste Verwandtschaft zur Aspidisca Lynceus, daher mag es indessen in seiner Nähe verzeichnet werden. Der Panzer ist sehr charakteristisch. Er wird durch ein rundliches, wenig überragendes Schildchen gebildet, welches dem abnehmenden Vollmonde in den ersten Tagen gleicht. Der hakenförmige Fortsatz des Lynceus fehlt ihm; auch ist er nicht hinten, wie dieser, abgestutzt. Die gerade Seite ist die, welche den Wimpern entspricht und welche die Mundöffnung bei Zynceus deut- lich zeigt; eben diese ist auch hier die gezähnelte. Im Innern sah ich neben verschie- den schattirten Substanzen 2 sehr helle, grofse Blasen, welche wohl contractile männ- liche Organe waren. Das Thierchen kletterte viel mit Hülfe von Borsten, wie Eu- plotes und wie sie auch der Zynceus hinten besitzt, jedoch konnte ich deren Anord- nung nicht klar machen. Während des Aufzeichnens verlor sich das Individuum. Sollte sich später erweisen, dals der After nicht hinten ist, wie bei Aspidisca Lynceus, son- dern auf der Bauchseite neben und hinter dem Munde, wie bei Euplotes Charon, so würde die Form eine Art der Gattung Euplotes sein. Das sehr ausgezeichnete Schild- chen wird die Species immer gut bezeichnen. Die Bauchseite hat unter dem gezahnten Schildrande eine Reihe von wirbelnden Wimpern, wie A. Zynceus und Euplotes Cha- ron, an deren hinteren Ende, in der Nähe des letzten Randzahnes, der Mund befindlich schien. Von der Seite gesehen ist es unten flach, oben leicht gewölbt. — Körper samt dem Schildchen &” breit. 5. Astasıa pusilla N. sp. Kleiner Anderling. A. corpore pusillo, oblongo, proteiformi, antico fine rotundato, postico subacuto, hyalino, intus vesiculoso. Ich fand diefs Thierchen zuerst als Überzug der Frühlingsgewässer im Thiergarten bei Berlin am 27. Mai, dann wieder am 6. April 1833 in sehr grofser Menge. Bei einer Vergröfserung von 300 im Durchmesser hatte ich die ersten Individuen beobachtet und dabei nur ein sehr kleines farbloses, der Euglena viridis oder Astasia flavicans, oder noch mehr dem Distigma Proteus an Veränderlichkeit der Form ähn- liches Wesen erkannt, welches in unzähliger Menge die Oberfläche des Wassers dicht erfüllte. Ich suchte nach Augenpunkten und fand weder deren eines, wie bei Euglena, noch 2, wie bei Distigma, sondern kein Auge, was der Charakter der Gattung Astasia ist. Im Innern sah ich den Körper mit sehr kleinen Bläschen erfüllt, obne sonst be- stimmtere Structurverhältnisse wahrnehmen zu können. 232. Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Bei der zweiten Beobachtung ım folgenden Jahre versuchte ich mit noch gröfserer Schärfe die innere Structur der bereits in Zeichnung vorliegenden Form zu entwickeln. Eine stärkere Vergröfserung zeigte mir da alsbald am Vordertheile einen sehr feinen, beweglichen, einen kleinen Strudel bewirkenden Faden, oder Rüssel von nicht völlig der halben Körperlänge. Im klaren Wasser war dieser Rüssel, obwohl ebenso thätig, nie sichtbar, aber sein Wegschnellen der Farbetheilchen liels ihn im gefärbten Wasser leicht erkennen. Zuweilen schien es mir, als sei der Körper mit sehr feinen Wimpern besetzt. Eine 1000 malige Vergröfserung gab jedoch noch keine Klarheit darüber. Die inneren Magenblasen waren sehr deutlich. Farbestoffe nahm es nicht auf, obwohl ich es tagelang in gefärbtem Wasser liefs. Alle Rüsselthierchen nehmen sie schwieriger auf als die mit grolser Mundöffnung. — Körpergrölse 4-55”, mithin halb so grols wie Distigma Proteus, dem es sehr ähnlich ist. Ich halte den Rüssel vorläufig nicht für einen der Gattung Astasia widersprechen- den Charakter, sondern seit ich gefunden habe, dals auch Euglena viridis einen Rüssel hat, den ich bisher übersehen konnte, glaube ich, dafs ihn die anderen Astasien wohl auch haben mögen. Der Gattungscharakter ist vielmehr wohl danach abzuändern. 6. Bacıznanıa seriata N. sp. Geflecktes Stabthierchen, Zikzakthierchen. B. lorica bivalvi, octies ad novies longiore quam lata, aequabili, interaneis in 4-5 ınacularum seriem dispositis fulvis. Am 20. Juni 1832 bei Berlin zwischen Conferven des Thiergartens beobachtet. Ich fand nur wenige Exemplare dieses unter seinen Verwandten sich stark auszeich- nenden Zikzakthierchens. Einzeln oder zu zwei würde man es für fulslose Exemplare der Synedra Ulna halten können. Ich sah bis 6 an den Enden verschiedenartig im Zikzak zusammenhängende Individuen einzelne Gruppen bilden. Queerstreifung habe ich nicht beobachtet. Die Enden sind gleichförmig abgestutzt, das Innere wasserhell, der Eier- stock (?) in 4-5 gelblich-braune rundliche Massen ziemlich gleichförmig und in einer einfachen Reihe vertheilt. Zwei verwischte mittlere Längslinien bezeichnen die Dicke der Panzerschaale. Die Länge des Panzers ist 8-9 mal. gröfser als seine Breite. Jene 1 beträgt 4”. 7. Bacınrarıa Zabellarıs N. sp. Tafelförmiges Zikzakthierchen. B. lorica bivalvi, septies longiore quam lata, media tumidula, in fascias longas quadrate (tabulatim) incisas multiplicata, interaneis in medio corpore macu- lam fulvam, utringue apposita vesicula inclusam referentibus. Am 16. April und 5. Mai 1832 zwischen Conferven im Thiergarten bei Berlin be- obachtet. Da man bisher unter dem Pflanzennamen Diatoma floceulosum mehrere ähnliche Thierformen begriffen hatte, so habe ich die, welche mir verschiedene Arten zu sein geschienen, abzusondern gesucht. Seit 1831 hatte ich den Namen Bacillaria flocculosa in der Richtung des kleinsten Raumes. 233 für die kaum 2mal so lang als breiten, fast quadratischen Stäbchen festgestellt und bin der Meinung, dals gegenwärtige Form als besondere Art aufzunehmen sei. Die sehr feinen Stäbchen, welche 7 mal länger als breit sind, bilden zarte Bänder, welche in fast quadratische Täfelchen eingeschnitten sind, die nur an den Ecken zusam- menhängen. Jedes dieser Täfelchen besteht aus 4-12 einzelnen Thierchen, die durch vielfache Längstheilung, ohne vollständige Ablösung, sich allmälig zu der Bandform her- angebildet haben. Jedes Stäbchen hat in seiner Mitte einen gelblichen Fleck, der von 2 wasserhellen Bläschen eingefalst ist. Dadurch erscheinen die Bänder erystallhell, mit einem gelben Längsstreifen in ihrer Mitte und 2 Längsreihen weilser Bläschen. Ein besonderer Charakter der einzelnen Stäbchen ist, dafs sie auf den beiden Ablösungsflächen in der Mitte etwas erhaben oder bauchig sind. Die Breite der Bänder, welche zugleich die Länge der Stäbchen ist, beträgt 5”. Da der Name Bacillaria viel älter ist und es keinen wichtigen Grund giebt, Gme- lin’s B. paradoxa als besonderes Genus abzutrennen, so kann natürlich der spätere Name Diatoma für diese Formen nicht gelten. Bewegungen habe ich bei diesen beiden Arten nicht gesehen. 8. Bunsarıa flava N. sp. Gelbes Börsenthierchen. B. corpore ovato, undique ciliato, vesiculis pallide ochraceis repleto, vesica va- riabili, hyalina, in anteriore terlia corporis parte. Ich habe diefs bei Berlin nicht seltne, aber immer einzelne Thierchen schon seit dem März 1830 gekannt, aber nicht mit aufgeführt, weil ich über seinen Bau zweifelhaft blieb. Am 4. Juni 1832 und im Juli 1834 habe ich es wieder specieller untersucht. Der eiförmige Körper ist zuweilen an beiden Enden, oft nur vorn, stark abgerun- det und hinten etwas zugespitzt. Unterhalb der vorderen Rundung ist eine flache Grube, in welcher die zuweilen schwer bemerkbare Mundöffnung liegt. Einige von den sehr dicht gedrängten, den Körper erfüllenden, gelben Bläschen scheinen ziemlich grolse Eier zu sein; andere, fast eben so gefärbte, mehr ungleiche und grölsere mögen Magen sein. Aufnahme von Farbe habe ich noch nicht erreichen können. In der Mitte des Körpers, etwas hinterwärts vom Munde, gegen den Rücken hin, liegt eine grolse, helle, con- tractile Blase. Der After schien am hintern Ende in der Mitte zu liegen, jedoch habe ich das Excerniren nicht beobachtet. — Körperlänge 5-%”, mithin etwas grölser als Paramecium Aurelia. Bursaria aurantiaca ist um % kleiner, hochgelb, mit schwärz- licher und mehr abgeplatteter Mundgegend. 9. Bunsanıa Zeucas N.sp. Weifses Börsenthierchen. B. alba, corpore oblongo, subeylindrico, utrinque rotundato, undique ciliato, ore eorporis quinta sextave parte superato. Am 29. Mai 1832 bei Berlin mit Oscillatorien des Thiergartens in mehreren Exem- plaren und zahlreich im Juli 1834 im staubigen Überzuge des Wassers ebenda beobachtet. Phys. Abhandl. 1833. Gg 234 10. Eurensene: Deitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Der Form und Gröfse nach ist diese Art der Paramecium Aurelia sehr ähnlich, allein sie ist weilser von Farbe und hat den Charakter der Gattung Bursaria, nämlich die Analöffnung am hintern Ende des Körpers und keinen Rüssel am untern Munde. Von der zunächst verwandten Dursaria Pupa, die ich am 7. Mai 1832 auch bei Ber- lin gefunden und mit Navieulis angefüllt sah, unterscheidet sie sich durch gröfsere, mehr ceylindrische Form und weniger nah am vordern Ende stehenden Mund. Bursaria ver- nalis hat den Mund noch weiter gegen die Bauchmitte hin stehend und hat den Kör- per mit grünen Körnchen (Eiern?) durchwebt. Der Körper ist 2 und 4 mal länger als dick, länglich eiförmig, fast walzenförmig, an beiden Enden stark, fast gleichartig, abgerundet, überall mit Längsreihen von Wim- pern besetzt. Der Mund bildet eine längliche, nach hinten spitzere Grube. Der vor- dere Mundrand wird etwa vom 5! bis 61° Theile des Körpers überragt, der an der Stirn, wie bei Nassula, einen den Mund überragenden Höcker bildet, welcher die cylindrische Form verlängert. Die Mundwimpern sind nicht länger als die übrigen. Über dem Munde, gegen den Rücken hin, liegt eine grofse, contractile, innere Blase, die ich auch stern- förmig sah. Übrigens ist der Körper mit verstreuten, nicht sehr hellen Magenblasen er- füllt. Sehr merkwürdig war mir das Verhältnils der natürlichen Nahrungsstoffe dieses Thieres zu seinem Körper. Ich sah nämlich mehrere Individuen, welche Oscillatorien- fragmente verschluckt hatten und im Leibe bei sich trugen. Die weilse Farbe des Kör- pers und das lebhafte Grün der Oscillatorien contrastirte sehr hübsch und auffallend. Das merkwürdigste dabei war, dafs ein Individuum eine noch einmal so lange Oscilla- torie im innern Leibe bei sich trug, als es selbst war. Ich habe mich dabei wieder überzeugt, dafs auch in diesen Fällen die Öseillatorie einen einzelnen Magen zur dop- pelten Länge des Thieres ausgedehnt hatte, indem sie mit ihm beide Körperseiten ein- nahm. In anderen kleineren Magen sah ich mehrere Fragmente von derselben Oscilla- torie beisammen in einer hellen Flüssigkeit liegen. Diefs schienen verdaute Theile zu sein. Über Ähnliches werde ich bei B. vernalis noch umständlicher berichten. — Körper- länge 5”, Mundlänge fast % der Körperlänge. Ich fand auch ein Individuum in ungleicher Längstheilung begriffen. Bursarıa spirigera N. sp.! Spiralmündiges Börsenthierchen. B. virescens, corpore ovato, depresso, undique ciliato, antica oblique truncato, longius ciliato, oris apertura spirali. Zuerst am 14. und wieder am 15. Juni 1832 zwischen Conferven im Thiergarten bei Berlin beobachtet, dann nochmals am 2. September desselben Jahres ebenda gefunden. Diese Form gehört zu den grölseren Magenthierchen und hat viel Eigenthümliches in ihrer Structur. Im Schwimmen wird man sie immer leicht mit Bursaria vernalis, Stentor polymorphus, oder auch mit Zeucophrys patula verwechseln. Der eiförmige Körper ist nicht gerundet, sondern etwas flach und vorn schief abgestutzt. Die ganze Körperbildung stimmt mehr mit Bursaria truncatella und BD. Yorticella als den übri- gen Börsenthierchen überein. Zu den Eigenthümlichkeiten gehört auch, dals die Anal- 11, in der Richtung des kleinsten Raumes. 235 öffnung nicht ganz am Ende, sondern etwas über dem ganz abgerundeten Hintertheile zu sein schien, wonach denn diese Form aus der Gattung Bursaria ganz zu entfernen sein würde, im Fall diese Beobachtung sich weiter bestätigte. Der ganze Körper ist mit Längsreihen von Wimpern besetzt, unten flach, oben leicht gewölbt. Der Vordertheil zeigt eine tiefe Grube von der ganzen Kopfbreite, die an die Bildung eines Stentor erinnert und spiralförmig in den Mund übergeht. Der ganze Rand dieser sackförmigen Grube ist mit stärkeren Wimpern besetzt als der übrige Kör- per und den oberen, schief abgestutzten Theil könnte man wohl eine Oberlippe nennen. Vom Munde geht ein gebogener, sehr breiter Kanal nach hinten, und dieser scheint einen Schlund oder Schlundkopf vorzustellen. Gegen die Körpermitte verliert sich derselbe zwischen der grofsen Zahl von ansehnlichen, den Körper erfüllenden Magenblasen, die zuweilen ganz, zuweilen theilweis mit natürlich gefärbter, erkennbarer Nahrung, z.B. Coleps amphacanthus und Tessarthoniengliedern erfüllt waren. Es gelang mir, auch das Thierchen zur Aufnahme von Indigo zu bringen; jedoch hatte ich damals nicht die nöthige Zeit, die speciellere Structur angestrengt zu verfolgen. Am hintern Körperende sah ich überall innerlich eine grolse, veränderliche, helle Blase und neben dieser sah ich einmal Excremente auswerfen. Vielleicht lag in einer partiellen Contraction des Kör- pers der Grund, dafs die Analöffnung nicht am hintern Ende erschien. Die eigentliche grüne Färbung des Körpers wurde durch grüne, zahlreiche, in der Substanz verstreute Oo Individuen mit wenig Körnchen und andere ohne alle grüne Körner, daher von milch- weilser Farbe. — Körperlänge 5”; Breite mehr als die Hälfte, fast 3 der Länge; Dicke 1 a ti a -E ck ’c Leg) etwa % der Länge; Entwicklungscyclus 55° - Körnchen von etwa „';” Gröfse hervorgebracht, die ich für Eier halte. Ich sah auch un 10 . Bunsarıa vernalis N.sp. Frühlings- Borsenthierchen. B. virescens, corpore ovato-oblongo, turgido, utrinque fere aequaliter rotun- dato, aut poslica parumper attenuato, undique ciliato, ore oblongo corporis tertia quartave fere parte superato. Die ersten Exemplare fand ich am 25. März, andere am 26. Mai, noch andere am 29. Mai und wieder andere am 2. Juni 1832 im Thiergarten bei Berlin zwischen Conferven. Der länglich eiförmige Körper ist etwa 2‘mal so lang als dick, zuweilen an beiden Enden gleichmäßsig dick und abgerundet, zuweilen nach hinten zu etwas abnehmend. Die Behaarung des Körpers durch Wimpern ist sehr stark, aber anliegend, gleichartig und weniger deutlich reihenweis. Der längliche Mund, von einem Drittheil oder Vier- theil des Körpers vorn überragt, ist vorn abgerundet, hinten zugespitzt und im Um- kreise mit Wimpern dicht besetzt, die wenig vorragen und zuweilen wie Zähne erschie- nen, was sich jedoch, sorgfältigen Nachforschungen zufolge, die ein den Wimpern ganz gleiches Verhalten zeigten, nicht sind. Der ganze Körper ist mit grünen Körnchen von 280 * 535 Durchmesser durchwirkt. Tiefer im Innern unterscheiden sich 2 andere orga- nische Systeme. Eins derselben besteht aus vielen grolsen, mit Nahrungsstoffen verschie- dener Art gefüllten Blasen, und diese bezeichnen deutlich einen polygastrischen Bau des Gg2 236 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Ernährungssystems. Grolse Theile von hellgrünen oder blaugrünen Oscillatorien, zu- weilen 4 der Körperlänge gleich, dehnen einzelne solcher Blasen zu ihrer geraden cy- lindrischen Form aus. Andere Blasen sind kuglig, mit einer röthlichen Flüssigkeit er- füllt und enthalten gleichzeitig krumm gebogene und gelblich gefärbte, oft auch sehr verkleinerte Theile von denselben Öscillatorien. Es scheint gar kein Zweifel gehegt werden zu können, dals diese Erscheinungen den Verdauungsprocels in seinen Abstufun- gen darstellen. Ein zutretender röthlicher Saft erweicht, verfärbt und zersetzt offenbar die Oscillatorien. Das Ausscheiden durch den After habe ich noch nicht beobachtet, allein die mittlere Endstelle des Hintertheils sah ich zuweilen etwas ausgebuchtet, oder eingezogen, eine bei der Afterstelle gewöhnliche Erscheinung. Überdiefs ist noch ein anderes organisches System vorhanden. Es sind 2 veränderliche Blasen, deren eine dem Munde gegenüber, nach der Rückenseite hin, im vorderen Körper-Drittheil, und deren andere im Anfange des hintern Drittheils liegt. Diese Blasen sind ganz offenbar diesel- ben Organe, welche bei Paramecium Aurelia strahlenförmig erscheinen und die ich für männliche Sexualorgane halte. Endlich ist noch jener rothen Verdauungsflüssigkeit be- sonders zu gedenken, welche sich in einigen Darmblasen findet und die eine gar deut- liche Ähnlichkeit mit dem violetten Darmsafte der Nassula-Arten besitzt. Bei letzteren ist es mir durch intensive Beobachtung gelungen, die Absonderungsorgane dieses Saftes zu erkennen, was ich bei den Börsenthierchen nicht erreichen konnte, vielleicht weil sie im Verhältnifs zu den übrigen Organen kleiner sind. Ich verweise mithin auf meine Mittheilungen bei Nassula. Verdunstet der Wassertropfen, welcher das 'Thierchen auf dem Öbjectträger des Mikroskops enthält, bis auf eine gewisse geringere Wassermenge, so bleibt dasselbe ru- hig liegen, wird immer breiter und fängt, ohne im Wirbeln aufzuhören, an sich aufzu- lösen. Es berstet an einer Stelle und man sieht dann, während der Inhalt ausfliefst, die gallertige Haut des Körpers mit den Wimpern wie mit lauter feinen Nadeln und Stäbchen belegt, die grünen Körnchen (Eier) werden frei und schwimmen passiv fort. Grolse verschlungene Oseillatoriensiücke zerreifsen ihre Magen und werden frei, aber die bereits zersetzten und verdauten Stücke bleiben in den mit rother Flüssigkeit ge- füllten, vom Darme abreifsenden Magen wie in frei gewordenen, abgeschlossenen Blasen beisammen und eingehüllt. Gerade so erscheinen auch die mit Farbe gefüllten Magen- blasen zerflielsender oder berstender Paramecien. Sie entleeren nicht ihren Inhalt, son- dern reilsen vom Darme ab, schnüren sich am offnen Ende zu und erscheinen wie häutige, mit Blau erfüllte Kugeln. Diese Kugeln hat zwar Gleichen für Eier gehalten, aber diefs noch ferner zu thun, widerspricht einer sorgfältigeren Beobachtung. Die zuerst, im März, gefundenen Exemplare waren ganz mit Navicula gracilis an- gefüllt, so dafs ich 10 grofse Navieulas im Leibe eines Thierchens fand. Die Bewe- gung ist ein Wälzen um die Längsaxe des Körpers und gerades Fortschwimmen in der- selben Axenrichtung. Einige Thierchen fand ich in der Längstheilung begriffen. — Körperlänge 5-%”. Eier? 5”. Entwicklungseyclus -%- 12. 13. I in der Richtung des kleinsten Raumes. 23 Bursarıa Yorticella N. sp.! Glockenthier-ähnliches Börsenthierchen. B. hyalina, subglobosa, campanulata, oris lateralis bursa antica maxima, longius ciliata. Als ich mir etwas Wasser aus einem Feuerkübel der Stralse von Berlin holen liels, fand ich darin diefs Thierchen am 28. September 1833. An Form gleicht diese Art sehr der Bursaria truncatella, hat aber nur den drit- ten Theil von deren Gröfse, ist mehr kuglig und hat den vorderen Rand länger ge- wimpert. Man glaubt eine sehr grofse stiellose Vorticelle zu sehen. Der fast kuglige, wasserhelle, etwas milchfarbene Körper hat vorn eine grolse Aushölung von der gan- zen Körperbreite, welche auf der Bauchseite in einen schiefen Spalt übergeht, an des- sen Grunde, in der Körpermitte, die Mundöffnung liegt. Durch die schiefe Richtung der Mundspalte entsteht rechterseits ein dreieckiger Lappen, welcher auch in etwas an- derer Form bei B. truncatella vorhanden ist. Bei dieser letzteren ist jener Mundtheil eben so stark als der andere Mundrand bewimpert, aber der obere Stirnrand nur mit schwachen Wimpern besetzt. Bei der neuen Art ist der obere Stirnrand mit sehr star- ken Wimpern, dem Munde gleich, behaart, aber jener rechte Unterlippentheil ganz wim- perlos. Von der Ecke der letzteren nach dem Innern des Kessels hin geht noch eine bewimperte Linie. Übrigens war der Körper ganz mit Magenblasen erfüllt und in meh- reren derselben waren Chlamidomonas Pulvisculus, in anderen Gonium pectorale. Aus der, genau am hinteren Ende, in der Mitte befindlichen Analöffnung sah ich das Auswerfen von Monaden. WVeränderliche männliche Blasen habe ich nicht erkannt. — Körperlänge Die Bursaria truncatella, Vorticella und spirigera haben aufser der Mundspalte nach vorn eine grolse, mit jener in Verbindung stehende Vertiefung mit besonderem Wirbelrande, wie etwa Vorticellinen, und könnten daher von den übrigen Bursarien getrennt werden. Am richtigsten würden dann jene den Namen Bursaria behalten und die letzteren könnte man Frontonia nennen, jedoch halte ich diese nur für ein Sub- genus von Dursaria. CuILomonaAs destruens N. sp. Zerstörende Lippenmonade. C. Havicans, corpore oblongo, molli, variabili. Gefunden im August 1833 im Innern eines todten Brachionus Mülleri, aus dem Östseewasser bei Wismar. Die Charaktere der Gattung Chilomonas sind noch nicht physiologisch intensiv ge- nug festgestellt und es könnte selbst wohlgethan sein, späterhin die Gattung einzu- ziehen, allein ich meine doch, dals es vorläufig besser ist, die grolse Masse der Mo- nadenformen durch Theilung übersichtlich zu machen, und der Charakter der vorde- ren geraden Mundfläche bei den Monaden, oder der schiefen Mundfläche bei den Lip- penmonaden, welcher im letzteren Falle eine Oberlippe bedingt, ist allerdings dazu brauch- bar, obschon ich später hie und da Rüssel bemerkt habe, welche jene Ansicht der Bil- 238 14. Eurensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation dung sehr abändern könnten. Es waren bisher mir nur 2 Arten dieser Gattung be- kannt: C. Volvox und Paramecium. Die gegenwärtige dritte Art ist ohne Längsfalte, mehr veränderlich, an Astasia erinnernd, und daher der wälzenden Lippenmonade am nächsten verwandt. Sie ist aber doppelt so grols als diese und von Farbe gelblich. Der Körper ist länglich, vorn durch eine schiefe Ausbuchtung in eine stumpfspitze Lippe ausgehend, hinten abgerundet. Im Innern sah ich deutliche Bläschen und am Vorder- theile eine durch Wirbeln erzeugte Strömung in farbigem Wasser. Letztere schien mir durch Wimpern, nicht durch einen Rüssel hervorgebracht, jedoch könnte dieser wohl so fein sein, dafs sein erstes Erkennen, wie ich es schon oft erfahren habe, selbst bei sehr starker Vergröfserung, einer öfter wiederholten Betrachtung bedürfte. Übrigens schien mir der Körper ungewimpert, indem ich keine Strömungen der Farbe an den Seiten deutlich erkennen konnte. Länge 5”. Crosterrum lineatum N.sp. Linirtes Spindelthierchen. C. corpore bipartito, leviter incurvo, graciliore, longitudinaliter striato - lineato, tricies fere longiore quam lato, subaequabili, cornubus sensim attenuatis, truncatis. Ich fand viele Exemplare dieser Form am 15. und wieder am 18. Juni 1832 zwi- schen Conferven im Thiergarten bei Berlin. Es sind mir 4 Arten von Spindelthierchen mit deutlich gerieftem Panzer bekannt geworden. Zuerst sah ich diesen bis dahin unbekannten Charakter an Closterium strio- latum, dann an C. inaequale, später an C. ruficeps; am deutlichsten zeigt ihn diese neue Art. C. striolatum ist Atheilig, grün uud etwa 10mal so lang als dick; C. in- aeguale ist sehr klein, nur 4 von vorigem, ohne deutliche Theilungsstelle, schien jedoch 2theilig, ungleich ('), d.i. an einem Ende mehr verdünnt als am andern und ebenfalls etwa 10 mal so lang als dick, von Farbe aber braun; C. ruficeps ist 2theilig, grün mit röthlichen Spitzen und 12-14mal so lang als dick, dabei ist die feine Streifung weniger deutlich; C. lineatum ist 2theilig, grün und 28-34 mal so lang als dick. Der Panzer dieser neuen Art ist fadenförmig, dünn, aber den gröfsten Exemplaren des C. Lunula an Länge gleich. Der mittlere Theil ist nicht verdickt und eingebogen, sondern gleichförmig und gerade; nur erst gegen die Enden hin fängt die leichte Bie- gung an und die mittlere Dicke nimmt erst mit der Biegung ganz allmälig gleichzeitig ab. Die Dicke der abgestutzten oder flach gerundeten Enden ist etwa % der mittleren Panzerdicke. Überall ist der Panzer seiner Länge nach fein gestreift, so dals 12 bis 16 Linien auf einmal zählbar sind. Lebend ist das Thierchen von Farbe grün, mit (‘) Wenn jemand blofs aus dem Umstande, dafs eine Seite eines Spindelthierchens kürzer und stumpfer ist als die andere, einen besonderen Art-Charakter machen wollte, der würde sich eine unnütze und schädliche Mühe geben. Nach der spontanen Theilung ist diefs bei allen Arten so, aber selten zu beobachten, weil es sich bald ausgleicht, allein von C. inaequale habe ich Hunderte übereinstimmender Exemplare gesehen und nie ein symmetrisches. in der Richtung des kleinsten Raumes. 239 einer einfachen Reihe dunklerer runder Blasen längs seiner Mitte, deren ich bis 43 zählte. Diese sind so groß, dafs 4 die ganze Breite des Körpers füllen würden. Leere Panzer der ausgestorbenen Thiere sind bräunlich und zeigen die Streifung deutlicher. In der Mitte ist, auch im leeren Panzer, ein heller Queerstreif, welcher die Theilungs- stelle bezeichnet. An den Enden der Hörner, dieht unter der abgestutzten Spitze, ist jederseits im Innern ein starkes Häufchen beweglicher schwarzer Punkte, deren ich bis 16 zählte. Ortsveränderung scheint sehr langsam vor sich zu gehen. Bei C. Lunula babe ich mich öfter davon überzeugt. In einem leeren Panzer des C. lineatum, der keine beweglichen Organe mehr zeigte, sah ich die mittleren Blasen allein noch übrig, ohne Ordnung, mit breitem, hellen Rande und kleinem, mittleren, grünen Kerne, ohne Bewegung. In einem anderen Falle bei C. acerosum sah ich einmal einen unregelmä- fsig mit grüner Substanz noch etwas angefüllten Panzer, in dessen Innern sich 10 grofse grüne Körper bewegten, welche kurze Schwänzchen hatten und ganz den Jungen der Euglena viridis ähnlich, aber ohne Augen waren. Ich hielt sie für parasitische Thiere, die sich mit dem grünen Innern des Closterium gefüllt hatten, war aber behindert, sie schärfer zu beobachten. Etwa 4 gingen auf den Queerdurchmesser. Chaetomonas Glo- bulus fand ich einst in demselben Thiere auf ganz ähnliche Weise parasitirend in gro- [ser Menge. Vielleicht war jenes dasselbe, durch Nahrung stark angefüllte und daher 5 eigenthümlich erscheinende Thierchen. Dals dabei nicht nothwendig an eine Generatio spontanea der Borstenmonaden in den Spindelthierchen zu denken sei, sondern ein Ver- hältnifs, wie das der Fliegenmaden und gröfseren Thier-Cadaver statt finden könne und wahrscheinlich statt finde, leuchtet ein. Vergl. Chilomonas destruens. Bei C. striolatum sah ich mehrmals 2 ganz leere Panzer, mit der convexen Biegung einander zugekehrt, dicht beisammen liegend, mit einem offenen Queerspalt in jedes Mitte ein- ander genähert und zu beiden Seiten desselben, zwischen ihnen, 2 grolse, runde, grüne Kugeln vom Durchmesser des Panzers, welche Erscheinung an die Saamenbildung der Confervae coniugatae erinnerte, wofür ich sie aber keineswegs halte. Bei Queerdurch- schnitten des Panzers der Closterien fliefst die grüne Masse (der Eierstock?) aus und die mittleren Blasen erscheinen als freie Kugeln, die beweglichen schwarzen Punkte bil- den eisen nachziehenden Streifen. Weitere Organisationsverhältnisse habe ich noch nicht entwickeln können, obwohl es deutlich genug ist, dals an Einfachheit dieser Körper 1 1m nicht gedacht werden darf. — Länge des Panzers 4,-%'”. Ich fand auch ein sehr klei- nes Exemplar von £” Länge, mit sonst sehr übereinstimmenden Verhältnissen, 28 mal so lang als dick, während die grölseren 30 - 34mal so lang waren. 15. Crosterıum setaceum N. sp. Borstenförmiges Spindelthierchen. C. corpore bipartito, laevi, ultra quadragies longiore quam lato, medio turgidulo fusiformi, recto, cornubus subito attenuatis, setaceis, longissimis, leviter in- eurvis, singulis corpore medio fere dup!o longioribus. Zuerst beobachtet am 5. Mai 1832 zwischen Conferven bei Berlin. 240 Eurenpenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Ich fand schon vor mehreren Jahren, ehe ich meine Beobachtungen über die Infu- sörienstructur der Akademie übergab, ein Spindelthierchen mit sehr langen farblosen Hör- nern und machte eine Zeichnung davon; da ich es aber später nicht wieder sah, so un- terliels ich, dasselbe in mein gedrucktes Verzeichnils aufzunehmen und sah es vorläufig für eine Abart von C. rostratum an. Jenes ältere unterscheidet sich von diesem neue- ren dadurch, dafs der spindelförmige mittlere Theil länger ist als ein einzelnes Horn ('). Vielleicht ist jenes noch eine andere Art dieser Gattung. Bei gegenwärtiger Form ist der mittlere Körper sehr klein im Verhältnifs zur ganzen Länge des Thieres, nur % da- von, während bei jener derselbe die Hälfte der ganzen Länge beträgt, welche Verhält- nisse bei C. rostratum noch etwas mehr abweichen. Der gerade, spindelförmige, kleine Körper des C. setaceum verdünnt sich rasch in 2 lange borstenartige Hörner, die etwas gekrümmt sind und einzeln fast seine doppelte Länge haben. Diese fadenförmigen Hör- ner sind steif, sehr durchsichtig und farblos; an den Enden erscheinen sie zuweilen etwas hakenförmig öfter gerade und stumpf. Nur der kleine, mittlere, dickere Theil zeigt Eingeweide. Sie bestehen aus einem grünen ungleichen Wesen, das einer trüben Gallerte ähnlich und in der Mitte durch einen hellen Queerstreifen in 2 Hälften getheilt ist. Dicht am Ende dieser grünen Massen befinden sich jederseits 2 bis 4 bewegliche schwarze Punkte, welche ich für Bewegungsorgane halte, die mit feinen Wimpern durch Endöffnungen nach aufsen ragen, deren verdickte Basis aber jene leichter sichtbaren (*) Diese ältere, von mir bei Berlin beobachtete Form ist, wie ich aus Kützing’s neueren Mit- theilungen in der Linnaea sche, auch von Herrn Prof. Nitzsch bei Halle beobachtet worden und mit dem Namen Closterium Acus benannt. Nach dieser doppelten Beobachtung derselben Form möchte ich sie wohl für eine begründete Art halten, im Fall es sich nicht spaterhin ermitteln lassen sollte, dafs sowohl meine frühere Beobachtung als die von Nitzsch sich anf C. rostratum beziehen. Mein C. rostratum hat röthliche Hörner und der Körper beträgt mehr als die Hälfte der ganzen Länge, oder, was dasselbe ist, mehr als die Länge beider Hörner. Ob diese Charaktere schwan- kend oder fest sind, kann ich jetzt nicht bestimmen. Über die 6 Arten von Closterium, welche Kützing neuerlich in der Linnaea 1833 bezeich- net hat, ist mein Urtheil folgendes: C. tripunetatum Nitzsch = Vibrio trip. Müller halte ich nicht für ein Closterium, sondern für eine Navicula, wahrscheinlich = Bac. Palea, denn Müller sagt, dafs die Form prismatisch gewesen, ausdrücklich; C. tenue Kützing ist wahrscheinlich nur ein Synonym zu C. Cornu; C. Acus Nitzsch ist vielleicht eine eigene Art, vielleicht aber auch nur eine Abart von C. rostratum; C. Leibleini ist Closterium acerosum, welches seltner krumm, öfter gerade ist; C. Lunula ist übereinstimmend. Wenn man aber die gemeine krumme Form C. Lunula nennt, wie ich es wohl billige, so sind Müller’s Abbildungen, wie folgt, zu deuten: Tab. VII, Fig. 13.14.15. sind Theilungszustände des €. Zunula; Fig.12. ist deutlich €. acerosum; Fig. 8.9. 10.11. sind seltne, oder verzeichnete Formen des letztern, wobei C. Lunula die Form und C. ace- rosum den Inhalt gab. C. spirale beruht, wie mir scheint, auf keinem wesentlichen Charakter, in- dem C. striolatum und acerosum zuweilen spiralförmige Windungen ihrer grünen Masse zeigen. Bei C. Trabecula und Lunula ist dieselbe auch nicht selten in gerade Längsstreifen geordnet, oft ist sie ohne bestimmte Ordnung, jedoch hat es mir immer geschienen, als ob die grüne Masse über- all eigentlich gerade Längsbänder bilde, welche dicht beisammen liegen und sich zu gewissen Zei- ten schlängeln oder kräuseln. Zwischen derselben liegen Kugeln und Bläschen. 16 in der Richtung des kleinsten Raumes. 241 Knötchen bildet. Durch Trübung des Wassers mit Indigo sieht man zwar keine deut- lichen Strudel an jenen Stellen, allein dazu ist auch die Bewegung zu langsam; ein Fortschieben der Theilchen glaube ich mir oft deutlich gemacht zu haben. So wären denn die Closterien wohl Doppelthiere, die in der Mitte mit den Hintertheilen in ihrer Längsaxe zusammengewachsen sind. Ähnlich, aber etwas anders, scheint mir die Bil- dung der Naviculae, welche sich mit Hülfe veränderlicher Fortsätze, die bald aus einer seitlichen Längsspalte, bald aus besonderen Öffnungen ragen, fortschieben. — Länge des Im ganzen Thierchens '”, des mittleren Körpers ohne die Hörner 4”. Coccosema Boeckü N.sp. Boeck’s Stelzenkorn. C. corpore naviculari, striato, medio utrinque turgido, pede dichotomo, hyalino. Im August 1833 bei Wismar und Kopenhagen auf Monopyxis geniculata im See- wasser. Etwas später sah ich in Christiania in den Handzeichnungen des vielseitig un- terrichteten dortigen Lectors der Veterinärkunde, Herrn Dr. Boeck, dafs derselbe sie vor mir schon bei Norwegen beobachtet, mithin der Entdecker sei. Das Thier bildet durch Längstheilung und Stielentwicklung sparrige Bäumchen von % Höhe, wie Gomphonema truncatum oder Forticella pyraria (Echinella gemi- nata), deren dichotomische Verästelungen an jeder Spitze eine Navicula tragen, die der Nav. fulva sehr ähnlich ist. Der zweischaalige, an beiden Enden abnehmende Panzer ist gestreift, mit gelbem Mittelfleck, an jeder Seite mit einer innern, schmalen, gelb- bräunlichen Längsbinde, welche, in der Mitte etwas verdickt ist. Da diese Structur von allen Seiten gleichartig erscheint, so ergiebt sich daraus, dals die innere gelbliche Masse 4 Längsbänder bildet, welche gerade die Ecken des Panzers einnehmen. Hierdurch un- terscheidet sich diese Form sehr von Nav. fulva, wo 2 solcher Bänder von grölserer Breite 2 ganze Seiten des Panzers bedecken und 4 andere die übrigen Seiten ebenfalls fast erfüllen. Überdiefs findet sich bei der neuen in der Mitte eine besonders umschrie- bene Stelle. Ich sah Individuen auf einfachen und andere auf dreifach dichotomischen Stielen. Die Stiele hatten ‘;-% der Panzerbreite. — Länge der einzelnen Thierchen 4, viermal so grols als die Breite der Mitte. Diese Form mag wohl zuweilen für Agardh’s Gomphonema geminatum gehalten werden, allein für Gomphonemata halte ich nur gestielte Exilarien, d.h. keilförmige, oben breite, zweischaalige Körperchen. Die Gattung Cocconema wird aus gestielten Naviculis gebildet, die, obwohl sie zuweilen auch wohl sich von den Stielen ablösen und frei werden, defshalb doch nicht zu den wahren, nie gestielten Naviculis gezogen werden dürfen. Über die Verschiedenheit des inneren Baues werde ich bei Navicula etwas umständlicher sein. Von beiden Formen unterscheide ich noch die in Gallerte gehüllten Frustulien u. s. w. 17. Coters amphacanthus N.sp. Gekröntes Büchsenthierchen. C. corpore squamato-annulato?, ovato, validiore, postica tricorni, antica argute q ’ ’ »P 9 dentato, denticulis lateralibus utrinque binis maioribus. a Phys. Abhandl. 1833. Hh 242 18. Enrenseng: Beirag zur Erkenntnifs gro/ser Organisation Am 15. Juni 1832 bei Berlin gleichzeitig mit Bursaria spirigera in einigen Ex- emplaren beobachtet. Ein todtes Individuum fand ich im Leibe der Dursaria selbst, die es verschlungen hatte. Der Körper ist 15mal so lang als dick, angeschwollen, nach vorn eiförmig abneh- mend und abgestutzt. Die grölste Dicke liegt im hintern Drittheil, welches sich abrun- det und hinten, gegen die Mitte, in 3 grofse Spitzen ausläuft, die etwas mehr nach der Bauchseite hin stehen, eine mittlere obere, 2 seitliche, letztere etwas divergirend. Diese Spitzen betragen etwa % der Körperlänge. Der Körper besteht aus 12-14 Ringen von härterer Substanz, aber ohne die Längsfurchen und die bei den übrigen Arten sichtba- ren Queerreihen von Wimpern. Da die 3 Individuen, welche ich bisher beobachtet habe, etwas matt erschienen, daher vielleicht nicht alle Wimpern hervorstreckten, so lege ich auf diese sonst wichtigen Charaktere weniger Gewicht, bis erneute Untersuchung sie befestigt haben wird, denn ein Mangel der Wirhelorgane am ganzen Körper und ein nicht aus quadratischen Schildern, sondern aus ganzen Ringen bestehender Panzer wür- den das Thierchen aus der Gattung Coleps ‚entfernen und zur besondern Gattung stem- peln. Die Panzerringe erscheinen am Rande wellenförmig, sind also einzeln convex. Der abgestutzte Stirnrand ist gezahnt; sehr feine Zähnchen nehmen die Mitte ein, 2 grö- fsere jederseits die Seiten. Wirbelnde Wimpern befanden sich vor dem gezahnten Stirn- rande, so dals die Form einer kleinen Anuraeca mit einem Räderorgane ähnlich war. Im Innern liefs sich eın durch natürlich gefärbte Nahrungsstoffe erfüllter polygastri- scher Darm erkennen, der sich bei Coleps hirtus und elongatus oft und leicht mit In- digo anfüllen läfst., was bei dieser Form noch nicht gelang. — Körperlänge 5”. Coeps incurvus N. sp. Gekrümmtes Büchsenthierchen. C. corpore oblongo, subeylindrico, leviter incurvo, tessellato, postica truncato, 5dentato, antica truncato, crenulato. Am 20. Juni 1832 bei Berlin zwischen Conferven aus dem Thiergarten beobachtet. Der cylindrische Körper ist etwa 3mal so lang als dick und ich zählte daran 16 Ringe, die durch Längsfurchen in viereckige kleine Felder getheilt sind. Da sich auch auf der Hälfte des Körpers 8 Längsreihen zählen lielsen, so wären deren ebenfalls 16, mithin bildeten 256 Schildchen den ganzen Panzer. Diese sind sämtlich etwas convex. Am Hintertheile des Körpers zählte ich 5 sich auszeichnende Zähne oder Hörnchen, vorn war nur eine Zähnelung am Rande deutlich, aber keine Zahl festzustellen. Nur vorn, an der abgestutzten Fläche, sah ich Wimpern, die übrige Körperfläche wirbelte nicht. Auch bei dieser Form gilt der Umstand, dafs noch nicht eine hinreichende Zahl von Individuen in verschiedenen Verhältnissen beobachtet werden konnte, um den wirk- lichen Mangel der Körperwimpern als begründet anzusehen. An Gröfse ist diese Form den längsten Exemplaren von C. elongatus gleich, nämlich 5”. Die polygastrische Bil- dung des Darmes erkannte ich durch die verschiedenen Kugeln der verschluckten gelb- lichen Nahrung. deutlich. 19, 20. in der Richtung des kleinsten Raumes. 243 Rücksichtlich der übrigen, von mir früher bezeichneten 3 Arten dieser Gattung scheint es mir, dafs sie, bis auf ©. viridis, hinreichende Artcharaktere besitzen. Dals sie zur Brutzeit alle grün werden und mithin C. viridis nur die trächtige Form von ©. hirtus sei, dem sie sonst ganz gleicht, habe ich mir noch nicht zur Überzeugung bringen kön- nen, meine vielmehr beobachtet zu haben, dals die anderen Arten farblose Eikörner füh- ren. Bei C. elongatus sah ich oft eine freiwillige Queertheilung, woran der Panzer Theil nimmt. Die mittleren Ringe treten weiter auseinander und der zwischen ihnen liegende Körpertheil dehnt sich zu 2 entgegengesetzt kegelförmigen, panzerlosen, durch- sichtigeren Theilen aus, die bei erfolgtem Abreilsen in der Mitte sich in ihren Panzer- theil zurückziehen. Die Trennungsstelle des Darmes wird beim Vordertheile zum neuen After, beim Hintertheile zum neuen Munde. Distiema? tenax — Proteus tenax Müller. Zäher Doppelpunkt. D. corpore proteiformi (processibus variabilibus destituto), maiore, flavicante- hyalino. Am 20. Juni 1832 fand ich 2 Exemplare zwischen Zemna minor bei Berlin im Thiergarten. Sämtliche Formen der Gattung Distigma habe ich bereits abgebildet mitgetheilt. Diese ist doppelt so grols als die von mir schon beschriebenen europäischen und die Veränderungen des bei Verkürzung knotig anschwellenden und bei Verlängerung sich fadenförmig ausdehnenden Körpers sind noch auffallender und weit stärker als bei der fast gleich grolsen afrikanischen Art. Der Abbildung nach zu urtheilen, ist diese Form wohl ohne Zweifel Müller’s Proteus tenax, wennn nicht Müller selbst 2 Arten ver- wechselte, deren eine im Sülswasser, die andere im Meereswasser lebt. Vielleicht kommt es daher, dals er den gelblichen Farbeton nicht angegeben, weil die Zeichnung nach dem Flufswasserthierchen fertig gemacht, die Beschreibung aber nach dem Seethierchen verbessert worden. Der Körper ist voll von Bläschen, welche Magenzellen anzeigen, aber eine Aufnahme von Farbe gelang nicht. In gefärbtem Wasser ist um das Thierchen kein Wirbel sicht- bar. Vordertheil und Hintertheil sind bei der Verdünnung abgerundet. Dicht am vor- deren Ende meinte ich öfter 2 dunkle Punkte zu erkennen, jedoch liels die beständige Beweglichkeit nicht recht zur Klarheit kommen. Sollten keine so bestimmten Augen- punkte sich bestätigen, so würde die Form zur Gattung Astasia gehören. Die Gat- tung Proteus habe ich für solche Thiere abgrenzen zu müssen geglaubt, die besondere veränderliche Fortsätze, falsche Fülse oder Hörner vorstrecken und einziehen können, was hier nicht der Fall ist. — Körpergrölse bei der Ausdehnung %”. Müller’s Enchelys punctifera hat zwar einen Charakter der Gattung Distigma durch die beiden vorderen Augenpunkte, aber der weniger contractile Körper läfst zwei- feln, ob sie zu gleicher Familie gehöre. Ich kenne diese Form noch nicht. Doxococcvs ruber N. sp. Rothe Wälzmonade. Hh2 244 Ennenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation D. corpore globoso, parvo, lateritio, nec pellucido. Am 5. April 1832 zwischen Conferven bei Berlin beobachtet. Sämtliche 3 mir bisher bekannt gewordene Formen dieser Gattung fand ich in Si- birien, und so ist diefs die erste europäische Art. Über jene früheren Arten hat sich mein Urtheil durch weitere Beobachtung noch nicht geändert, denn ich habe noch keine bei Berlin wieder gefunden. Der Hauptcharakter der Gattung besteht in einer rund- lichen unbewimperten Körperform mit wälzender Bewegung über Kopf, so dals nicht eine vordere Maundstelle beim Schwimmen immer vorn bleibt, wie bei den Monaden, sondern bald oben bald unten, bald vorn bald hinten ist. Es ist mir wahrscheinlich, dafs eine schärfere Beobachtung an diesen Formen Rüssel entdecken wird. In farbigem Wasser habe ich die sibirischen Formen nicht geprüft, die gegenwärtige aber zeigt kei- nen Strudel um sich, obschon sie rasch vorwärts läuft. Innere Organe lielsen sich beim Mangel der Durchsichtigkeit nicht weiter erkennen. Einige Dunkelheiten zeigten bei gewissen Stellungen ein dreitheiliges Innere, in anderen war ein etwas dunklerer, jedoch nicht scharf begrenzter Punkt. Durchmesser 1,”. Ecumerva capitata N.sp. Knaufartiges Baumthierchen. E. corpusculis prismaticis, linearibus, subaequalibus, utrinque rotundatis, in pe dicello simplici capitatis. Am 11. Juni 1832 bei Berlin auf einer Fieder der Hottonia palustris. Die Navicula-ähnlichen gelblichen Thierchen sind zu 4-6 auf einem gemeinschaft- lichen wasserhellen Stiele und jedes einzelne hat ungefähr die Dicke dieses Stiels. Die einzelnen haben die Form der jungen Navicula gracilis, fast ganz parallelepipedal mit stumpfen Enden. Sie sind ziemlich 5mal so lang als dick, manche etwas länger und ein einzelnes ist so lang als der gemeinsame Stiel. Von einer Seite sind sie ein wenig breiter als von der andern. Inwendig zeigen sie an den Seiten 2 gelbe Längsbänder. Bei einem anderen Exemplare, wo 6 Thierchen den Kopf des Stiels bildeten, waren jene viel kleiner, nur etwas mehr als 4mal so lang als dick und ein einzelnes hatte noch nicht % von der Länge des Stiels. Übrigens verhielt sich alles gleich, aufser dafs der Stiel im oberen Drittheil ebenfalls gelblich gefärbt war. Die ganzen Bäumchen waren 5,” lang, die grölseren Thierchen malsen &”, die klei- neren 5”. Auf jedem Köpfchen waren alle Thierchen gleich großs. Auch die Gom- phonemata und Cocconemata bilden zwar zuweilen ähnliche Formen, allein bei diesen sind dergleichen Köpfchen nicht beständig, sondern alsbald nach der Theilung bekom- men die einzelnen Thiere besondere Stiele als Äste des gemeinsamen Stiels. Die Gattung Echinella habe ich in einem eigenthümlichen, bereits angegebenen Sinne genommen und schlielse davon alle die unter sich sehr verschiedenen Formen aus, welche in einer vielleicht immer fremdartigen Gallerte liegen, von Agardh aber gerade be- sonders berücksichtigt wurden, worunter auch eine Vorticelline, Ophrydium versatile, als Echinella Gruithuisenii steht. Auch Lyngbye hat sehr verschiedenartige Körper vereinigt und die ursprüngliche, von Acharius beschriebene Form halte ich, allen Um- in der Richtung des kleinsten Raumes. 245 ständen nach, für braune Eier irgend eines Wasserinsects. Die thüringische, von Wall- roth (Flora eryptog. Germ.) und die Würzburger, von Nees von Esenbeck (Algen des sülsen Wkssers) verzeichnete grüne Echinella radiosa oder Acharii könnte wohl Ophrydium versatile gewesen sein. Lyngbye's Echinella radiosa halte ich für meh- rere Arten von Euastrum, E.obtusa für Navicula?, E. acuta für Closterium, E. fascieulata für Synedra (Ulna?), E. stipitata für Achnanthes und Scenedesmus, E.olivacea und cuneata für mehrere Synedra-Arten, E. paradoxa und geminata für 2 Arten der Gattung Gomphonema. Evastaum apicwlatum N. sp. Stachlige Sternscheibe. E. corpore viridi, orbiculari, lenticulato, ubique apieulato; valvis argute crista- tis, margine etiam dentato spinulosis, subaequalibus. Am 20. Juni 1832 mit Euastrum Rota zwischen Conferven des Thiergartens bei Berlin entdeckt. Diefs Thierchen gehört mit Euastrum Rota zu den schönsten Formen und unter- scheidet sich von diesem nur durch überall auf den flachen Seiten hervorstehende kleine Spitzen (apiculi). Wahrscheinlich ist es in der Theilung des Randes eben so verän- derlich wie jenes, welches häufiger ist, während ich dieses nur erst einmal beobachtet habe. Es sind ziemlich grolse, schon mit blolsem Auge leicht sichtbare, schöngrüne, scheibenförmige, am Rande geschlizte Körper, welche gegen die Mitte linsenartig ver- dickt sind. Jede Scheibe besteht aus 2, meist etwas ungleichen Hälften, die durch einen schmalen mittleren Theil vereinigt werden. Dicht an den Grenzen dieses Vereinigungs- theils, gegen die (Jueerspalte der beiden Hälften, liegen 2 kleine schwarze Flecke, je- derseits einer, welche aus viel kleineren, schwarzen, beweglichen Punkten bestehen. Diese beiden Stellen lassen sich leicht mit den ähnlichen bei Closterium oder Navicula ver- gleichen und bezeichnen mithin wohl den eigentlichen Längendurchmesser des Thier- chens, während die beiden halbscheibenförmigen Hälften eine kammartige oder flügel- artige Ausbreitung der Seitentheile jener beiden Schaalen darstellen, welche die Navi- culas bilden. Jede Scheibenhälfte, oder jeder Schaalenflügel, hat ın seiner Mitte einen etwas ausgezeichneten Theil, der sich nach dem Rande hin erweitert und am Ende 6 stärkere scharfe Spitzen trägt, dabei aber leicht ausgerandet ist. Bei Euastrum Rota habe ich öfter gesehen, dafs 2 Individuen an diesem Theile zusammenhingen, wie etwa die Glieder des Desmidium, der Melosira und der ähnlichen Formen. Dieser mittlere Theil hat innerlich 2 dunklere grüne Streifen. Zu beiden Seiten desselben sind die Flü- gelränder in je 4 ziemlich gleiche Theile eingeschnitten und jeder Abschnitt am äufse- ren Rande wieder in 4, oft paarweis genäherte, stumpfe Zähne eingekerbt, auf deren jedem 2 kleine spitze Dornen stehen. Bei einem Flügeltheile der gröfßseren Scheiben- hälfte war einer der 4 grölseren Abschnitte nicht Azahnig, sondern $zahnig, übrigens war alles gleich, nur war dieser Abschnitt grölser auf Kosten der übrigen. Im Innern war eine allgemeine grüne Färbung sichtbar, die sich bis nahe an den Rand erstreckte, diesen aber in ziemlicher Breite farblos liels. Im Grünen lielsen sich [Sb) 46 23. Enurensenec: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation gröfsere, noch dunkler grüne, kuglige Körper unterscheiden und in den Mitteltheilen der Flügel die schon erwähnten je 2 dunklen Streifen. Bei Euastrum Rota habe ich mehrere Male versucht, einzelne dieser Körper mit einem feinen Messer in verschiedenen Richtungen zu öffnen und zu durchschneiden, was auch leicht gelang. Es entleert sich dann ein dickbreiiger grüner Inhalt mit gröfseren, dunkleren, unregelmälsigen, zuweilen kugligen Partikeln. Dazwischen kommen wasser- helle, gröfsere, runde Blasen hervor, welche den Magenblasen der polygastrischen In- fusorien sehr ähnlich sind und zum Theil auch in den von der grünen Masse verlasse- nen Panzerstellen zurückbleiben. Zugleich dringen sehr kleine, ovale, farblose Körperchen hervor, die sich activ zu bewegen scheinen. Manchmal sah ich ganze Scheiben dicht erfüllt mit sich bewegenden schwärzlichen Punkten und diese, durchschnitten, entleerten ebenfalls jene farblosen Körnchen, welche aber, befreit, sich nicht fortdauernd beweg- ten, sondern nach einigen Rotationen still liegen blieben. Ob diefs lebendig zu gebäh- rende Brut ist, wage ich daher noch nicht zu entscheiden. Turpin sah bei Helierella Boryana im Jahre 1829 das Auswerfen der inneren körnigen Masse durch die Spitzen des Randes und hat es im Dietionnaire des scienc. naturelles Planche Al, Fig.22. Ve- getaux acotyledons abgebildet. Meyen nennt 1830 bei einer sehr ähnlichen, vielleicht derselben Form, die er als Pediastrum biradiatum verzeichnet hat, diese beweglichen Körnchen Sporen, indem er das Ganze ebenfalls unter die Algen zählt und sagt, dafs die Zellen im Alter allmälig platzen und die mit freier Bewegung begabte Sporenmasse austreten lassen. Nov. Acta Nat. Cur. XIV, II, pag.174. Ob diefs Beobachtung oder Vermuthung war, ist ungesagt. Niemand, so viel ich weils, hat erwähnt, dals sie sich schon im Innern bewegen. — Farbestoffe sah ich von keinem Euastrum aufnehmen, obwohl ich mir viele Mühe gab, jedoch pflegen alle gepanzerten, und besonders noch alle grün gefärbten Infusorien damit schwierig zu sein. Nach ausdauernder Mühe ist mir zuweilen, bei anderen Formen, was lange Zeit nicht gelingen wollte, doch geglückt. Ortsbewegungen scheinen äulserst langsam zu erfolgen, wie bei den Closterien. Ich sah, dafs Euastrum Rota in eylindrischen Gläsern nach einiger Zeit an der Wand hoch oben sals, während sie früher am Boden gewesen sein mulste. — Scheibendurchmesser 5”. Evastrum margaritiferum — Ursinella margaritifera Turpin. Geperlte 5 Sternscheibe. E. corpore parvo, viridi, oblongo, suborbiculari, compresso, plano, ubique gra- nulato; valvis singulis semiorbicularibus, rotundatis, integerrimis, aequalibus. Zuerst am 5. April 1832, dann wieder am 4. und 11. Mai zwischen Conferven bei Berlin beobachtet. Diese Form hat nur 4, selten die Hälfte des Durchmessers der vorigen. Sie scheint blofs den mittleren Theil jener vorzustellen und deren seitliche Flügel zu entbehren. Das Ganze bildet einen elliptischen Körper, dessen Oberfläche durch kleine concentrische Körnchen uneben ist und dessen Rand dadurch fein gekerbt erscheint. Jede einzelne LS) in der Richtung des kleinsten Raumes. 247 Schaale bildet ein Zirkelsegment von ‚etwas mehr als einer Zirkelhälfte. Die Ränder sind nicht eingeschnitten und nicht scharf, sondern ganz und abgerundet. Auch ist die Mitte nicht bauchig aufgetrieben, weshalb die Körperchen nicht linsenförmig, sondern flach sind. An den Enden der Verbindungsstelle der beiden Valven ist jederseits ein dunkler Punkt, welcher aber so klein ist, dals die ihn wohl bildenden, noch kleineren, bewegten Körperchen sich nicht einzeln nnterscheiden lielsen. Im Innern ist eine grünliche Färbung durch das Ganze verbreitet, aber diese bildet 2 intensive, grüne, durch beide Valven gehende Bänder, so dafs ein durch die Mitte und den Verbindungstheil ziehendes, helleres Band entsteht, welches sie einfassen. Mit fort- schreitender Entwicklung ziehen sich die 2 dunklen Bänder in je 2 (4) ovale und zu- letzt rundliche, dunkle, grüne Flecke zusammen und der übrige Raum wird fast farblos. Zuweilen sind in den 4 dunkelgrünen Flecken 4 hellere Blasen. Oft sah ich nur in der mittleren hellen Binde jederseits ein Häufchen gröfserer, scheinbar selbstständig be- wegter farbloser Körperchen, so dafs ich je 10-12 zählte. In anderen Fällen sah ich den ganzen inneren Raum wie mit lebenden Monaden erfüllt. Ein bestimmtes Verhält- hältnifs der Vertheilung der inneren grünen Masse zu dem Eintritte dieser Körnchenbe- bewegung fand ich nicht, auch sah ich noch nie ein freiwilliges Austreten dieser Körnchen. — Gröfse des Thierchens 5 - };”’, der bewegten inneren Körperchen ohnge- ” 1m fähr 100 °* Turpin’s Abbildung im Dietionnaire des sc. nat., Fegetaux acotyledons Planche XI, Fig.23. palst im Allgemeinen so wohl auf die von mir beobachtete Form, dals ich die Verschiedenheit der Stellung der Körnchen auf der Oberfläche, welche bei ihm nicht concentrisch ist, als Versehen der Auffassung übergehen zu können meinte. Evastaum verrucosum N. sp. Warzige Sternscheibe. E. corpore viridi, oblongo, compresso, turgidulo ubique granulato et utrinque verrucis quaternis subglobosis scabro; valvis trilobis, aequalibus, lobis inte- gris s. leviter emarginatis. Am 11. Mai 1832 zuerst beobachtet, wo es zwischen Conferven des Thiergartens bei Berlin vorkam. Diese Form ist etwas grölser als die vorige und bildet eine Mittelform zwischen Euastrum ansatum und Pecten. Letzteres ist länger und hat in jeder Valve 5 aus- gerandete Flügeltheile, mithin 2 mehr; ersteres hat die Flügel dagegen noch mehr ein- gezogen, indem die 3 Flügeltheile jeder Valve nur abgerundete Höcker darstellen (die mittleren sind abgestutzt, die seitlichen ganz abgerundet, zuweilen etwas gekerbt). Von der breiten Fläche gesehen erscheint diese Form wie ein sechslappiges grünes Schüppchen. Von den 6 Lappen gehören je 3 einer Schaale seines zweischaaligen Pan- zers an. In den Ecken des Verbindungstheils beider Panzerhälften ist jederseits ein dunk- ler Punkt, wo ich bewegliche Körperchen vermuthe, wie bei Closterium und Navı- cula. Von den 3 Lappen jeder Valve ist der mittelste der am meisten zum Organismus gehörige, die seitlichen erscheinen als weniger wesentlich. Jeder mittlere Theil hat 248 Enurensgeng: Deürag zur Erkenntnifs grofser Organisation jederseits 2 knopfförmige Warzen, jeder Seitentheil eine, so dafs deren 8 auf der Fläche gesehen werden, von denen je 2 in den Seitentheilen und je 2 in den Mitteltheilen ge- nähert sind. Die Mitteltheile sind am Ende fast gerad abgestutzt, die Seitentheile sind leicht ausgerandet. Von der Seite gesehen erscheinen beide Schaalen wie 2 mit dem stumpfen Ende aneinander geheftete Herzen, deren Spitzen zweitheilig sind. Bei der Rückenlage zeigt die innere grüne Färbung 2 undeutliche dunklere Längsbinden ; sonst liefs sich nichts bestimmtes ermitteln. Es liegt im ganzen Körper eine ziemlich gleich- artige, intensiv grüne Masse. — Länge J;”. Lyngbye hat unter dem Namen Echinella radiosa wahrscheinlich 2 Arten von Euastrum abgebildet und Agardh hat beide später Echinella ricciaeformis genannt. Beiden ist die eigentliche Structur dieser Formen unbekannt geblieben, weil sie keine hinreichende Vergröfserung anwendeten. Fig.2. bei Lyngbye ist dem Euasirum an- satum nahe verwandt, auch zeigt es die Panzertheilung, und Fig.3. ist dem Euastrum erux melitensis ähnlich, nur durch die 7 Zahl der Lappen und deren stumpfe Zähne abweichend. Bei crux melitensis sah ich immer nur 6, 8 oder 10 Flügeltheile der beiden Panzerhälften. Die beiden spindelförmigen Körper bei Lyngbye halte ich für Auffassungen der Seitenlage jener andern. Vielleicht war die Gallerte, worin diese ver- schiedenen Thiere gleichzeitig lebten, ein Stück verlassenen Froschlaichs oder Schnecken- laichs, oder eine andere verlassene Hülle eines Thieres. Im ausgekrochenen Schnecken- laich findet man oft viele Bacillarien (Naviculae, Closteria u. s. w.). Bory de St. Vincent hat, in der Meinung, dafs es eine selbstständige, chaotische, mit allerlei nicht recht bestimmbaren, sehr verschiedenen Formen erfüllte Gallerte gebe (die wohl ebenfalls zerfallender Schneckenlaich gewesen), aus den verschiedenen darin vorkommenden Formen die Gattung Heterocarpella gebildet (Diet. classique d’histoire nat. Art. Heterocarpelle). Die zu dieser Gattung von ihm gerechneten Formen gehö- ren in die allerverschiedensten übrigen Gattungen. Heterocarpella binalis scheint nach Turpin’s Abbildung im Dict. des scienc. nat. Tab. XI, Fig.14. ein Euastrum, dem E. ansatum sehr verwandt zu sein Eveuena deses = Enchelys deses Müller?. Träges Augenthierchen. E. corpore viridi, filiformi, molli, valde flexili et proteiformi, lente mobili, antico fine obtuso, postico acuto, ocello rubro, in capite hyalino. Tafel VII, Fig. 8. Ich habe diefs Thierchen schon länger beobachtet, aber immer für eine Form der Euglena Acus gehalten, unter der ich sie auch in meinem zweiten Beitrage 1831 auf Tafel I, Fig. ug. in 2 Exemplaren mit abgebildet habe. Seitdem habe ich es bei Ber- lin wieder oft gesehen und mich überzeugt, dals diese Form weder zu E. viridis, noch zu E. Acus gehört. Der fadenförmige, nicht spindelförmige, Körper ist schlaff, schwimmt nicht, sondern windet sich ohne Haltung von einem Orte zum andern, wobei er wohl auch, aber selt- ner, die knotenförmigen Anschwellungen bildet. Alle Bewegungen sind sehr träge und spannungslos. Am vorderen Ende erkennt man eine feine Queerspalte, welche die Mund- 26 27 in der Richtung des kleinsten Raumes. 249 stelle andeuten mag. Fbenda sieht man in farbigem Wasser einen Wirbel. Da ich bei Euglena wiridis neuerlich beobachtet habe, dals die Wirbelbewegung nicht durch Wim- pern, sondern durch einen sehr beweglichen, langen, fadenförmigen Vorsprung an der Oberlippe, einen Rüssel, hervorgebracht wird, so vermuthe ich, dafs auch hier ein sol- cher vorhanden ist. Der Vordertheil bis zu dem rothen Augenpunkte ist farblos, dann fängt eine innere grüne Färbung an, welche den ganzen Körper einnimmt und hie und da intensivere Dunkelheiten zeigt. Der cylindrische schlaffe Körper endet mit einem 1m m kleinen Spitzchen als Schwanztheil. — Grölste Exemplare 5” lang, kleinste 4”. Dicke 6-12mal in der Länge. Kleinere sind zuweilen im Verhältnifs dicker als die gröfseren. . EvcLenA triquetra N. sp. Dreikantiges Augenthierchen. E. corpore viridi, dilatato, ovato, subtus plano, supra triquetro, cauda corpore breviore. Tafel VII, Fig.7. Zuerst beobachtet am 14. April, dann wieder am 27. Juni 1832 zwischen Zemna minor bei Berlin. Die Gestalt ist ganz der Euglena Pleuronectes ähnlich, allein in der Mitte des Rük- kens ist noch ein breiter, aufrecht stehender Kamm. Sieht man die erweiterten Seiten- theile der E. Pleuronectes für 2 Flügel an, so besitzt diese 3 Flügel. Am besten er- kennt man diese Bildung, wenn das Thierchen beim abwärts oder aufwärts Schwimmen den Vordertheil oder Hintertheil dem beobachtenden Auge zuwendet. Eine leichte Aus- randung vorn bezeichnet die Mundstelle, an der ein schwacher Wirbel erkannt wird, welcher wohl ebenfalls durch einen Rüssel erzeugt wird, obschon ich ihn damals durch Wimpern veranlalst meinte. Der Rückenflügel geht nur bis zum rothen Auge, welches nicht ganz dicht am Rande steht. Der fadenförmige Schwanz hat % bis 5 der Kör- perlänge. Das Innere des Körpers ist gleichmäfsig grün, nur der Schwanz und der Vordertheil, vonr Auge an, sind blasser, ersterer farblos. Die 2 grolsen, veränderlichen, wasserhel- len Blasen, welche im Innern von Pleuronectes sichtbar sind, habe ich vermilst. Ge- färbte Nahrung nahm es bisher nicht auf. — Größe von -&”. Fracırarıa rhabdosoma N.sp. Stabförmiges Bruchstäbchen. F. corpore singulo, 4 - 5” longo, novies ad vicies longiore quam lato, intera- neis viridibus aut flavicantibus, modo continuis, modo interruptis. Am 23. März und am 14. Mai 1832 bei Berlin zwischen Conferven des Thiergar- tens beobachtet. Die zunächst verwandte, mir bekannte Form ist die arabische Frag. multipunctata. Da meine damalige Zeichnung nicht ganz genau mit der europäischen Form überein- stimmt, so ziehe ich vor, beide geographisch sehr entfernte Körper gesondert zu halten, bis die Beobachtung der organischen Verhältnisse dieser Gattung noch weiter entwik- kelt sein wird. Der Gründer der Gattung Fragilaria, Lyngbye, hat 8 Arten un- terschieden, Agardh hat davon nur 3 aufgenommen; ich habe deren 9 beschrieben, Phys. Abhandl. 1833. Ii 250 Eurengeng: Deürag zur Erkenntnifs grofser Organisation wovon nur eine mit Lyngbye’s Arten übereinstimmt. Der Gattungscharakter ist bis- her von der Vereinigungsform entlehnt worden, allein es scheint mir, dafs diese nur Nebensache ist. Fragilarien sind offenbar nicht Fäden oder Bänder, sondern prisma- tische Körperchen, den Navzeulis ähnlich, welche durch unvollständige Längstheilung allmälig eine bandartige Form annehmen, sich aber endlich plötzlich vollkommen lö- sen, ohne in halber "Trennung fortzuleben, wie es die Bacillarien thun. Daher ist von Lyngbye’s Arten nur Fragilaria pectinalis eine wahre Art der Gattung, die übrigen sind Bacillarien, aulser F. lineata und nummuloides, die beide zu Agardh’s Melosi- ren gehören. Die einzelnen Stäbchen, welche in ihrer Queervereinigung eine bandartige flache Ausbreitung darstellen, sind im ausgewachsenen Zustande 8 - 10mal länger als breit, bei eintretender Längstheilung aber werden die einzelnen 16 - 20 mal länger als breit. An den Vereinigungsseiten sind die einzelnen Stäbchen flach und von ihnen aus gesehen sind sie etwas kahnförmig oder flach bauchig mit abgerundeten Enden. Von oben gesehen sind ihre Seiten geradlinig parallel, ihre Enden abgestutzt und leicht gekerbt. Im Innern zeigt jedes Stäbchen entweder 2 gelbliche, durch einen hellen Zwischen- raum getrennte Platten, die in der Mitte etwas angeschwollen sind und ziemlich von einem Ende zum andern reichen, oder diese Platten haben sich in 2 Reihen gelblicher Flecke gegen die Mitte zusammengezogen. Jede dieser Reihen hat dann 3-4 Häufchen der gelben Masse. Bei andern sah ich die beiden Platten in der Mitte stark verschmol- zen und an jedem Ende dieser ungleichen Verschmelzung war ein rundes durchsichtiges Bläschen. Bei noch andern waren beide Platten in eine einfache Reihe von Häufchen in der Mitie zusammengezogen und von grüner Farbe, zuweilen bildeten sie nur einen einfachen Streifen, zuweilen 2 oder 3 Häufchen. In einigen Stäbchen, mitten zwischen den grünen eines und desselben Bandes, waren gelbliche, kleinere, mehr gerundete Häuf- chen der gelben Masse, deren Theilchen sich bewegten. — Länge eines Stäbchens und zugleich die Breite der Bänder beträgt 4-4”. . Die Ernährungsöffnungen dieser Stabthierchen scheinen nothwendig an den Enden der einzelnen Stäbchen oder am Rande der Bänder sein zu müssen, obschon sie noch nicht darstellbar waren. Bei Fragilarıa grandis gelang mir ein schiefer Durchschnitt sehr wohl. Die grüne Masse bildete beim Hervorquellen aus den geöffneten Röhren eine gallertige grüne (feinkörnige?) Wulst in der Gestalt der Euglena deses und im Innern blieben wasserhelle Bläschen (polygastrische Magen?) zurück. 23. Gonıum punctatum N. sp. Punktrtes Tafelthierchen. G. lacerna quadrata, compressa, hyalina, globulis internis quater quaternis viri- dibus, nigro punctatis. Am 16. April 1832 bei Berlin zwischen Conferven, nur einmal gesehen. Diese Form ist etwas kleiner als die gröfsten Exemplare des Gonium pectorale, hat eine langsamere Bewegung und die einzelnen grünen 16 Kugeln haben dunkelschwarze Punkte. — Durchmesser des Quadrats %”. in der Richtung des kleinsten Raumes. 251 29. Goxıum? tranquillum N.sp. Ruhendes Tafelthierchen. G. lacerna quadrata, compressa, hyalina, globulis internis viridibus sedecim, bi- natis aut quaternatis. (Meyen N, A. Nat. Cur. T.XIV, Tab.43, Fig.36.?). Am 18. und 20. Juni 1832 bei Berlin beobachtet. Diese Form hat viel Ähnlichkeit mit einer Bangia, allein die constante 16 Zahl der grünen Kugeln und der ganz übereinstimmende, viereckige, zusammengedrückte, flache Panzer reihen sie allzunah an Gonium, von dem es durch Mangel an Wirbeln und Be- wegung freilich stark verschieden ist. Die inneren Kugeln zerfallen in der Hülle selbst in 2 oder 4 Theile und werden mit Stücken derselben einzeln abgeschieden. Ich sah ein Individuum, das noch einmal so lang als breit war und mehrere einfache Kugeln neben viertheiligen hatte, welche ungleiche Entwicklung wohl die ungleiche Form des Ganzen bedingte. Ein schr kleines Exemplar hatte im Innern nur 4 doppelte Kugeln, ein etwas grölseres hatte 16 doppelte Kugeln, die gröfsten hatten 16 vierfache Kugeln, deren einige schwarze Punkte hatten. Ob ich diese Formen zufällig bewegungslos ge- sehen habe, oder ob sie es immer sind, muls weitere Beobachtung entscheiden. — Pan- zerdurchmesser 4”, wie Gonium pectorale, die Kugeln einzeln J5” grols. Die Hülle von Gonium pectorale hat schon Müller bei seiner Fig.10, obwohl sehr unsicher erkannt, Turpin hat sie jedoch in seinen vielen, sehr detaillirten und stark vergröfserten Zeichnungen dieses Thieres, welche die ganze 8'° Tafel der Fegetaux aco- tyledons im Diet. des sc. nat. füllen, mit Bory de St. Vincent vollständig übersehen. Raspail hat sie dagegen in seiner beiläufigen Zeichnung in der recht fleifsigen Abhand- lung über Halcyonella Tafel I. ohne die Wirbelorgane richtig dargestellt. Mem. de la soc. d’hist. nat. Vol. IV, 1827. Man erkennt sie sehr leicht, wenn man das Wasser, worin die Thierchen schwimmen, mit Indigo färbt. Die grünen Kugeln sind, wie ich jetzt glaube, einzelne Thiere, nicht Eier oder Gemmen, deren Vereinigung im Quadrat eine Familie bildet. Jede grüne Kugel scheint einen fadenförmigen Rüssel zu haben, weil irgend etwas dabei durch rasche Bewegung einen Strudel im Wasser macht und sowohl die Ortsveränderurg, als die Ernährung vermittelt. Früher glaubte ich, sämtliche Ecken des Panzers wären gewimpert, allein ich sehe jetzt das Wirbeln weiter verbrei- tet und bin neuerlich immer mehr überzeugt worden, dafs auch nicht eine Wimper- reihe des Panzers dasselbe hervorbringt, sondern dafs jedes grüne Thier am Rande des Panzers einen schr feinen, sehr beweglichen Rüssel hervorstecke, mit dem es wir- belt. Sind die grünen Thiere grols genug, so zertheilen sie sich, ebe sie noch aus dem Quadrate scheiden, schon wieder in 16 kleine grüne Kugeln und gehen vom kugligen Zustande in den platten quadratischen über. Der alte Panzer löst sich dann theilweis auf und die neuen Familien werden frei. Aufnahme gefärbter Nahrung habe ich noch nicht erlangen können. 30. HoLorurya discolor N. sp. Mifsfarbiges Wollthierchen. li 2 252 31 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation H. corpore ovato, albo, vix duplo longiore quam lato, antico fine latiore, pos- tico angustiore. Am 5. Juni 1832 bei Berlin beobachtet. An Gröfse ist diese Art der Holophrya Ovum gleich, Form und Farbe sind abwei- chend, auch scheint seine Behaarung länger. Im Innern waren mehrere Magen von grün- licher Speise gefärbt, aber eine allgemeine grüne Färbung durch Körnchen der Zwi- schensubstanz fehlte. FM. Coleps ist länger, eylindrisch, an beiden Enden gleichförmig abgerundet und etwas kleiner. Holophrya ambigua halte ich nach fortgesetzten Un- tersuchungen für einerlei mit Trachelius ambiguus, indem ich bemerkte, dafs die vorn aufgenommene gefärbte Nahrung nicht in einem inneren Kanale, sondern in einer äufse- ren bewimperten Rinne bis fast an den Hintertheil des Körpers fortgeführt wird, wo erst eine spiralförmige Mundöffnung, nicht schr entfernt von der Analöffnung, existirt. Mehr Detail über diese sehr ausgezeichnete Form bei Trachelius. Vielleicht steht sie noch richtiger in der Gattung Bursaria, oder bildet durch den spiralförmigen Mund mit Bursaria spirigera eine eigene Gattung (Spirostomum) in deren Nähe. — Kör- 1m 2° pergröfse der H. discolor Die vordere Mundstelle wird durch eine kleine, fleischige, veränderliche Warze, wie einen Rüssel bezeichnet. Lacrymanıa Proteus = Trichoda Proteus Müller. Ferärderliches Thrä- nentluerchen. L. corpore oblongo, variabili, postico fine rotundato, albicante, subtilissime ru- g0so -reticulato, collo longo, apice tumido, oblique truncato, ciliato. Am 30. April 1832 bei Berlin zwischen Conferven beobachtet. Ich habe bisher 3 Arten der Gattung ZLaerymaria verzeichnet: Z. Olor, Gutta, rugosa. Die erstere Species aber habe ich seitdem mit einigen später entdeckten als eine besondere Gattung mit dem Namen Trrachelocerca bezeichnet, unter welchem ich Weiteres mittheilen werde. Die beiden übrigen Arten haben einen kugelförmigen oder kurz eiförmigen Leib, Gutta einen glatten, rugosa einen unebenen, gekörnten oder gefal- teten Leib und letztere ist dabei mit grünen Körnchen gefärbt, hat auch einen sehr kur- zen Hals, der, ausgedehnt, wenig mehr als doppelt so lang ist als der Körper. L. Pro- teus hat einen länglichen, durch sehr feine sich kreuzende Linien (Runzeln) spiralförmig gezeichneten Körper und bei der Contraction erstreckt sich diels sogar über den unte- ren Theil des Halses. Der ganz contrahirte Körper ist lang eiförmig oder birnförmig, vorn mit stumpfer etwas langer Spitze, hinten abgerundet, 3mal so lang als dick; ganz ausgedehnt bildet der eiförmige Körper fast nur den fünften Theil des Thieres, indem der Hals 35 mal so lang ist. Das Halsende ist etwas verdickt, hat am Ende die Mund- öffnung und durch schiefe Abstutzung eine Oberlippe. Der Mundrand ist bewimpert und macht einen starken Strudel. Die Bewegungen des Halses nach allen Seiten sind weniger lebhaft. in der Rıchtung des kleinsten Raumes. 253 Im Innern erkennt man leicht eine Mehrzahl von Magenblasen, allein mehr Detail aufzusuchen fehlte es noch an passender Gelegenheit, zumal da Versuche mit gefärbter Nahrung, wie sie bei allen Rüsselthierchen schwierig sind, noch nicht gelangen. Müller’s Trichoda Proteus hat einen kleinen Hals und die Spirallinien sind bei ihr nicht beobachtet. Beides kann durch Zufälligkeiten von Seiten der Beobachtung be- 1m dingt sein. — Länge % -;5”, Körper vn 36 . 32. Levcornrvs sanguinea N.sp. Rothes Wimperthierchen. L. corpore sanguineo, cylindrico, utrinque rotundato, divisione ovato, ore ter- minali obliquo, longius ciliato. Tafel II, Fig.5. Am 23. April 1832 bei Berlin im Thiergarten entdeckt. Die Bewegung und Form dieses Thierchens ist dem Paramecium Aurelia etwas ähnlich, aber letztere nicht eckig, sondern cylindrisch. Der ganze Körper ist mit in der Längsrichtung reihenweis gestellten Wimpern dicht behaart; solcher Reihen schienen etwa 30 zu sein. Beide Enden sind gleichartig abgerundet. Die durch Queertheilung entstandenen Individuen sind anfangs sehr abweichend gestaltet, fast kugelrund, oder vorn etwas gespitzt, eiförmig. Der Mund bildet eine enge Spalte, welche, vom vordern Ende ausgehend, beim cylindrischen, ausgewachsenen Thiere das ganze vordere Drittheil durch- läuft und längere Wimpern in einfacher Reihe führt. Bei den eiförmigen Theilen, zu- mal dem vorderen, hat sie gewöhnlich etwas mehr als die Hälfte der Körperlänge. Der After ist in der Längsaxe gerad am Ende des Thieres, was man auch aus der Theilung erkennt, indem dieser Theil sich zuletzt abschnürt und gerad in der Mitte ist. Im inneren Körper unterscheidet man mit ziemlicher Leichtigkeit Dreierlei: erstlich eine feinkörnige Masse, welcher die rothe Färbung inhärirt und die wohl der Eierstock sein mag; sie bildet die Zwischensubstanz zwischen den Magenblasen. Ihre Körnchen sind bei weitem feiner als die Körnchen bei Paramecium Aurelia; zweitens: der Kör- per ist mit ziemlich grolsen Blasen erfüllt, die offenbar Magenblasen sind, zum Theil auch Spuren von fester Nahrung enthalten; drittens erkennt man 2 sich sehr auszeich- nende, veränderliche, helle Stellen, wie 2 runde durchgehende Öffnungen; diels sind die den strahlenförmigen Organen des Paramecium vergleichbaren Theile. Eine dieser contractilen Blasen ist bei der cylindrischen Form etwas unterhalb des hintern Mund- randes, die andere ist in der Mitte des hintern Körper-Drittheils. Bei der freiwilligen Queertheilung bleibt in jedem Theile eine der Blasen, und daher finden sich derglei- chen frei gewordene Theile eine zeitlang mit einer einzelnen Blase. — Körperlänge der ausgewachsenen cylindrischen Form 5”, der Theile 4 - 5” 33. Monas grandis N. sp. Grofse Monade. M. corpore oyato, utrinque aequaliter rotundato, magno, laete viridi, ore albi- cante, motu lento. Am 4. Mai 1832 bei Berlin im Sumpfwasser beobachtet. 254 Eurensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Diese Form ist 3mal so grofs als die grölsten Individuen der Monas (Chlamido- monas) Pulvisculus und in ihren Bewegungen noch träger. Der Körper ist eiförmig oder länglich, hinten und vorn fast gleichartig stark abgerundet. Vorn ist eine einsei- tig vertiefte, hellere Mundstelle, während der übrige Körper von gesättigt grüner Farbe ist. An der helleren Stelle vorn sieht man im gefärbten Wasser einen deutlichen Wir- bel. Ich glaubte an der Bewegung eine Mehrzahl von Wimpern daselbst zu erkennen. Im Innern einiger Individuen sah ich grofse dunkelgrüne Körper, die ich für verschlun- gene Monaden von geringerer Grölse hielt. — Gröfster Durchmesser (Länge) 4” Ich bemerke hierbei, dals durch meine neueren Beobachtungen an Formen der Gat- tung Monas sich nichts für die Physiologie der Gattung einflufsreiches weiter hat er- mitteln lassen. Nur habe ich mich überzeugt, dals Monas Pulvisculus von den übri- gen Formen der Gattung abgesondert werden muls, weil es sich nicht durch einfache Queertheilung mit äufserer Abschnürung fortpflanzt, sondern mit dem Alter eine äulsere häutige Hülle erkennen läfst, unter welcher es sich in 2 bis 4 Theile theilt und die dann berstet. Ich habe ferner an ihr ein rothes Auge bemerkt und mich überzeugt, dals ihr Wirbeln am Vordertheile nicht durch Wimpern, sondern durch einen fadenför- migen Rüssel hervorgebracht wird. Diese vielfachen, wichtigen Charaktere haben mich veranlalst, aus dieser Form eine besondere neue Gattung unter dem Namen Chlamido- monas zu bilden. Navicura, Sunmerra, amphisbaena Turpin. Zweischnäbliges Schiffehen. N. corpore striato, recto, fusco, a dorso ventreque lineari, elongato-quadrato, trun- cato, a latere medio turgido, utroque fine papilla rotundata pellucida rostrato. Die ersten Exemplare habe ich schon vor vielen Jahren beobachtet, aber immer für Varietäten der Nav. fulva gehalten, wofür sie wohl auch der würdige Nitzsch nach Fig.18, Tafel III seiner Abbildungen genommen hatte, die für meine Form etwas zu gestreckt ıst. Eben so urtheilte ich in den Jahren 1830 und 1831. Erst am 19. Mai 1532 fand ich sie bei Berlin in grofser Menge in den verschiedensten Gröfsen und ganz abgesondert von Nav. fulva, so dals kein Zweifel darüber übrig blieb, dals beide Formen zu einem und demselben Entwicklungskreise nicht gehörten. Jedes deutlich und rasch bewegte Thierchen besteht aus 2 vierseitigen, gestreiften Schaalen, deren 3 Seiten flach, eine in der Mitte convex und erweitert, an den En- den aber ebenfalls flach und verengt ist. Mit der der convexen Seite entgegengesetzten flachen, offenen Seite sind beide Schaalen so fest aneinander geheftet, dafs sie nur ge- waltsam getrennt werden können. Beide Schaalen bilden ein vierseitig prismatisches Thier-Individuum, welches 2 flache Seiten und 2 in der Mitte convexe und erweiterte, an den Enden aber wieder verengte Seiten hat. Ist die convexe Seite einer der Schaa- len dem beobachtenden Auge zugewendet, so erscheint der Körper wie ein linienför- miges, viereckiges, längliches Stäbchen mit geraden, parallelen Seiten und gerad abge- stutzten Enden, wie Navieula viridis, und ist 4 -6mal länger als breit; ist aber eine der flachen Seiten zugewendet, so bewirken die beiden von der Seite sichtbar werden- in der Richtung des kleinsten Raumes. 255 den convexen Flächen, dafs er eine lanzetförmige Gestalt zeigt, die von der früheren ganz abweicht. Diese letztere Gestalt, welche bei den meisten Naviceulis wiederkehrt und die schilfchenartige Form giebt, hat bei der gegenwärtigen Art das Eigenthümliche, dals die beiden convexen Flächen nicht von der Mitte aus allmälig bis an die beiden Enden ablaufen, sondern vor den Enden sich plötzlich in gerade Flächen umsetzen, wo- durch die beiden Enden wie 2 Zapfen oder Schnäbel erscheinen. In dieser Lage ist die Breite 24 -3';Mal in. der Länge. Jeder Zapfen ist etwa % der ganzen Länge und ihre Form ist fast so breit als lang, cubisch, aber vorn flach gerundet. Die convexen Flächen nenne ich obere und untere, oder Bauch- und Rückenflächen, die ebenen Flä- chen nenne ich Seitenflächen, weil sie bei der unvollkommenen Längstheilung vieler Formen (besonders der Bacillarien und Fragilarien) ganz deutlich als seitliche Flächen erkannt werden, indem sie die Enden der Bandform bilden. Die Ortsveränderung ge- schieht bei dieser Form, wie bei allen Naviculis, am raschesten in der Seitenlage, wel- ches darin seinen Grund hat, dafs die Bewegungsorgane an der Vereinigungsstelle der beiden Panzerschaalen vorn und hinten hervortreten, was bei einigen Formen sicht- bar wird: Im Innern des Körpers lassen sich mehrere Organe unterscheiden, die nicht zu allen Zeiten in gleicher Form und Vollständigkeit vorhanden, sondern veränderlich sind. Die innere Seite jeder der convexen Flächen ist durch ein dunkelbraunes bandartiges Organ ausgelegt, welches sich zuweilen bis in die Zapfen erstreckte. Zwischen diesen dunklen Bändern sind 4 hellere bräunliche Massen, welche den ganzen mittleren Raum erfüllen und durch einen kreuzförmigen, mehr oder weniger klaffenden, zuweilen auch gar nicht sichtbaren Spalt getrennt sind. Zuweilen ist nur die Längsspalte von einem Zapfenende bis zum andern so deutlich sichtbar, dals man 2 braune ununterbrochene Längsbinden sieht, eine äufsere dunklere, eine innere blassere. In andern Fällen klafft nur die Queer- spalte; dann sieht man eine breite helle Queerbinde in der Mitte, welche die mittlere Masse in eine vordere und hintere Hälfte theil. Vom Rücken, der convexen Seite, aus gesehen erscheint die innere braune Masse entweder wie eine einfarbige, ununterbrochene, braune Ausfüllung, oder, wenn die mittlere Quceerspalte stark klafft, erscheint auch da eine hellere Queerbinde in der Mitte. Zu andern Zeiten zieht sich die gelbbraune Masse sehr zusammen und bildet einen ringförmigen, viel kleineren Körper, oder 2 einförmige Massen, oder irgend eine andere Form. Aufser diesen 6 braunen Organen, oder so vie- len Theilen eines und desselben Organs (Eierstockes?) sieht man im Innern verschiedene helle Bläschen, zuweilen 2 in der Mitte, zuweilen jederseits eine in der Nähe des Schnabels, zuweilen mehrere anders vertheilt, nicht selten symmetrisch geordnet. Diese „hellen Bläschen halte ich für polygastrische Magenblasen, habe sie aber noch nie mit Speise gefüllt gesehen. Bewegliche Organe in den Zapfen habe ich bei dieser Form, vielleicht ihrer Durchsichtigkeit halber, noch nicht erkennen können, aber bei anderen Arten dieser Gattung, N. (Surirella) turgida, splendida, viridis und N. fulva eben 72 so deutlich wie bei Closterium gesehen. — Die grölsten Exemplare malsen 4”, die kleinsten 1”. 256 Eurensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organısation Dafs eine so complicirte vielfache Structur in so kleinem Raume, verbunden mit freiwilliger Bewegung, einen thierischen, nicht einen pflanzlichen Organismus erkennen lasse, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung, und nur der Mangel an Kenntnifs solcher Structurverhältnisse konnte bisher diese zuweilen viel ruhenden Körper zu den Pflanzen stellen lassen. Da diese Körper ihres Panzers wegen im Tode ihre Form nicht verän- dern, so müssen weniger geübte Beobachter sich besonders auch vorsehen, nicht da Le- ben beobachten zu wollen, wo ces aufgehört hat. ’Thierchen dieser Abtheilung, die sich trotz vieler, durch anhaltende Beobachtung gegebenen Mühe nicht selbstthätig zeigen, kann man, ohne sehr zu irren, für abgestorben halten, auch wenn sie im Innern noch wohl erhalten erscheinen. Einige bewegen sich sehr langsam und man erkennt nur nach längerer Zeit eine Ortsveränderung bei ihnen. Ich habe diese Structurverhältnisse schon im Jahre 1830 (Erster Beitrag pag.40.) auf die Systematik der Bacillarienformen angewendet. Von dieser Structur habe ich jedoch bei Oscillatorien nie etwas ähnliches beobachten können und ihre Bewegungen schienen mir immer nur Wachsthumsbewe- gungen zu sein, denen ganz ähnlich, welche sich auch beim Wachsen der spielsigen Crystalle zeigen, veranlalst durch eine Veränderung des Schwerpunktes bei zunehmen- der Masse in ungleicher Richtung. Rücksichtlich der Synonymie ist noch Folgendes zu erwähnen. Die Vergleichung der Nachrichten verschiedener Beobachter der Naviculae ist noch immer höchst mils- lich. Alle, welche sich bisher systematisch mit diesen Formen beschäftigt haben, haben dieselben mit so kleiner Vergrölserung beobachtet, dafs ihnen sowohl festere generische, als die festeren speciellen Charaktere gar nicht in die Augen fielen. So verhält es sich mit den Beobachtungen von Lyngbye, Agardh, Fries und Bory de St. Vincent. Nitzsch und Turpin haben zwar einige stärker vergrölserte Formen gezeichnet, al- lein ihre individuellen Structurverhältnisse haben sie nicht erkannt. Das wichtigste an Turpin’s Beobachtungen besteht im Darstellen der beiden Panzerhälften von der sehr grofsen Navicula (Surirella) striatula auf Tafel III. der Fegetaux acotyledons des Dictionnaire des sciene. natur. “Wer diese deutliche, ziemlich gute, obwohl nicht ganz naturgemälse Darstellung nur ansieht, sollte sich wohl leicht überzeugen, dafs ein solcher zweischaaliger, geriefter Panzer bei Pflanzen etwas von aller Analogie verlasse- nes sei, während er sich leicht an die thierischen Formen anschlielst. Gerade diese Form hat aber Turpin selbst für ganz abweichend von den Naviculis gehalten und als einer andern, unbestimmten Familie angehörig betrachtet. Fig.1-4 und Fig. 9. gehören zu Einer Form, die übrigen sind nicht Junge derselben Art, sondern wohl N. amphisbaena. Was nun die von Turpin angezeigte N. amphisbaena anlangt, so ist die Form, nach der auf Tafel I, No.2, Fig. f. am a. O. gegebenen Figur, als Seitenansicht recht gut übereinstimmend, allein da er weder eine Rückenansicht gegeben hat, noch auch bei den übrigen daselbst gezeichneten Navzculis das Glatt- oder Gestreiftsein der Pan- zer berücksichtigt und die inneren Organisationsverhältnisse mehr künstlerisch metho- disch als natürlich behandelt hat, so könnte leicht die von mir beobachtete Form von in der Richtung des kleinsten Raumes. 257 jener noch verschieden sein. Obige detaillirte Beschreibung wird diese Zweifel allmälig zur Lösung bringen helfen. Agardh hat in seinem sehr leilsigen Systema Algarum von 1823 sämtliche ihm bekannt gewordene Naviculas in seiner Gattung Frustulia abgehandelt, dieser aber einen Charakter zugeschrieben, welcher den eigentlichen Naviculis, auch meinen Beobachtun- gen zufolge, fremd ist. Er behauptet, sie entständen alle in einer ihnen zugehörigen Gallerte. In seinem Conspectus eriticus Diatomacearum 1830 theilt er seine Gattung Frustulia in die Gattungen Bacillaria und Cymbella und unterdrückt den Namen Fru- stulia. Der Name Navicula wurde von Bory de St. Vincent 1822 im Dictionnaire classique d’hist. nat., Article Bacillarices für die freien mikroskopischen Körperchen festgestellt, welche die Form eines Weberschiffchens haben und eine thierische Bewe- gung zeigen. Es scheint mir, dafs man diese Angelegenheit mit wissenschaftlicher Ruhe folgendermafsen leicht entscheidet. Es giebt Körperchen in Form von Schiffchen, welche frei umherkriechen und nur zufällig oder aus Nahrungstrieb, meist viele verschiedene Arten beisammen, in fremder Gallerte gefunden werden; diese sind mit Bory Navicu- lae zu nennen und sind nie bandförmig verbunden. Die bandförmig verbundenen und durch unvollständige Theilung im Zikzak zusammenhängenden Formen sind Bacillarien im Sinne von Gmelin und Nitzsch. Endlich mag es noch den Navieulis ganz ähn- liche Formen geben, die in Mehrzahl einen gemeinschaftlichen Gallertüberzug beständig oder in der Jugend haben. Die letzteren würden mit Agardh Frustuliae oder Cym- bellae zu nennen sein, von welchen beiden Namen der erstere der ältere ist. Alle von mir beschriebenen Naviculae habe ich ohne Gallerte beobachtet und diese können mit- hin weder Frustuliae noch Cymbellae genannt werden, von welcher Gattung mir noch keine Formen vorgekommen sind, obschon ich an ihrer Existenz gar nicht zweifle, da ihre Beobachtung schon öfter wiederholt ist. Dafs es keine grünen Formen dieser Gat- tung gebe, wie Agardh will, scheint mir zu streng und unhaltbar, da es auch grüne Naviculas giebt. Alle Schwierigkeiten über die Stellung dieser Körper im Naturreiche werden sich freundlich aussöhnen, sobald die Structur der einzelnen Formen immer sorg- fältiger beachtet sein wird, auf die ich hiermit nur aufmerksam machen wollte. Wer sich ein Urtheil über dieselben verschaffen will, oder die Kenntnils derselben wahrhaft fördern will, erreicht diefs nur, wenn er eine Vergröfserung von wenigstens 300 mal im Durchmesser benutzt. Alle kleineren Vergrölserungen, so klar sie auch erscheinen, führen so wenig zum Ziele als das intensiveste Anschauen der Räderthiere mit blofsem Auge uns über ihre Augen und die Zähne in ihrem Schlunde vergewissert. Endlich darf ich einen Charakter der Naviculae nicht übergehen, welcher allen For- men der Bacillarienfamilie gemeinsam ist und zwar von dem ruhig, scharf und treu be- obachtenden Begründer der Bacillarienfamilie, Nitzsch, klar und deutlich (pag.72 und 73 seiner Schrift) ausgesprochen wurde, aber seitdem wohl allgemein, nach Agardh’s und Gaillon’s mehr spedulativer Weise, im umgekehrten Verhältnisse betrachtet wor- den ist. Wo man nämlich 2 oder mehrere Stäbchen seitlich vereinigt, oder gar zu langen Bändern verbunden sieht, da sind diese nie durch Aneinanderreihen und Copu- Phys. dbhandl. 1833. Kk 258 wo a Eurensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation lation der einzelnen entstanden, sondern ich habe mich in allen Fällen, wo es Gelegen- heit gab, wie Nitzsch, davon überzeugt, dafs dergleichen doppelte und vielfache Stäb- chen durch wiederholte unvollkommene Längstheilung einzelner entstehen. Die Navi- culae haben aber, meiner weiteren Beobachtung zufolge, eine doppelte freiwillige Längs- theilung, eine verticale und eine laterale. Bei der ersteren theilen sich beide Panzer- hälften vom Rücken nach dem Bauche hin durch Einschnürung ab. Nur durch diese Theilung, wo sie unvollständig ist, entstehen bandartige Formen, (Bacıllaria, Fragila- ria, bei welchen Gattungen die Stäbchen keiner anderen Theilung fähig zu sein schei- nen. Bei der seitlichen Theilung trennen sich die beiden Panzertheile und jeder er- zeugt später eine andere Hälfte oder schlielst nur die Trennungsstelle ab und bleibt als halbe Form selbstständig. Hierdurch entstehen die halbmondförmigen, nicht gebogenen, nur einseitig gewölbten Formen. Auch Lyngbye vergleicht pag.178. die Vereinigung der Stäbchen mit der Gattung Zygnema und stützt sich auf Agardh, allein dieser An- sicht kann ich aus jenen Gründen nicht beistimmen. Navicura daltca N.sp. Baltisches Schiffchen. N. corpore laevi, sigmatoideo, subaequabili, filiformi, utroque extimo fine pa- rumper attenuato, obtuso, interaneis aureis. Ich fand diese Form am 23. October 1832 mit Leuchtinfusorien im Wasser der Ost- see, welches Herr Dr. Michaälis in Kiel auf meine Bitte mir nach Berlin sendete. Die Stäbchen sind 15-16mal so lang als breit, schmal, überall gleichförmig dick, in der Mitte gerade, nur an den letzten Enden entgegengesetzt gekrümmt, j förmig. Die Zuspitzung der Enden ist sehr kurz, ungefähr der Dicke der Mitte an Länge gleich und stumpf. Durch die Mitte der Länge geht eine schwache Trennungslinie, der bei- den Panzerhälften. Im Innern sind 2 goldgelbe Platten, welche durch einen hellen Längsspalt geschieden sind, der in der Mitte etwas erweitert ist, ohne eine deutliche Kreuzung zu zeigen. Die gelbe Masse war in einem anderen Exemplare in 2 Reihen gelber Flecken vertheilt, 6 auf einer Seite, 7 auf der andern; Bewegung sah ich nicht. — Länge %”. Es war mir, vor Beobachtung dieser Art, nur eine Sförmige Navicula mit glattem Panzer bekannt geworden und weil auch in der von Nitzsch 1817 gegebenen Abbil- dung seiner BDacillaria sigmoidea so wenig als in der von Turpin gegebenen Abbil- dung der Navicula Scalprum (Mem. du Mus. d’hist. nat. T.XV, Pl.10. 1827, wie- derholt im Diet. des sc. nat., Planches Vegetaux acolyledons, Tab. 3*.) eine Queer- streifung des Panzers angedeutet war, so hielt ich für zweckmäfsig, die Formunter- schiede in den Abbildungen mehr auf Rechnung der Beobachtung und Darstellung zu bringen und die 3 Beobachtungen auf eine und dieselbe Form zu beziehen, welche ich Navicula sigmoidea nannte. In den 1831 erschienenen Symbolis physicis, Everte- brata, Decas I, zog ich zur selben Species auch die Navicuwla fusiformis, welche ich in dem Wasser des Sinaigebirges beobachtet hatte und sonderte die letztere von den gleichnamigen sibirischen Formen ab, bei denen- ich eine vorher nicht beobachtete feine in der Richtung des kleinsten Raumes. 259 Queerstreifung bemerkt hatte und die ich in meiner letzten Übersicht der Formen von 1831 als Navreula, Surirella, flexuosa aufführte. Ich stützte mich hierbei auf meine nach dem Leben entworfenen Zeichnungen. Nach dieser Zeit hatte ich aber Gelegen- heit, die wahre Bacillaria sigmoidea Nitzsch bei Berlin zu beobachten und ich über- zeugte mich sogleich, dals diese eine von meiner früheren sehr abweichende, besondere Art ist, zumal da sie einen queer gestreiften Panzer hat, mithin zur Abtheilung Suri- rella gehört. Es mufs demnach nun folgende Abänderung der Namen eintreten: 1) Es giebt eine Nav. Surirella sigmoidea, welche gleich ist der Bacillaria sigmoidea Nitzsch; 2) Navicula sigmoidea meines zweiten Beitrages ist nicht Bacill. sigm. Nitzsch, auch, da sie nicht im Meere lebt, wahrscheinlich nicht Nav. Scalprum Turpin, sondern ist vorläufig zweckmälsiger als Navicula Sigma besonders zu bezeichnen; Navicula Scal- prum hingegen ist vorläufig fallen zu lassen, bis erst bekannt sein wird, ob sie zu den glatten oder gestreiften Formen gehört; 3) Der Name Navrcula fusiformis, den ich für eine sinaitische und sibirische Form angewendet hatte, ist, da er 2 ganz verschie- dene Formen gleichzeitig bezeichnete, fallen zu lassen; die sinaitische Form gehört, da keine Streifung beobachtet ist, zur glatten Nav. Sigma, die sibirische gehört zur ge- streiften Abtheilung und ist in meinem zweiten Beitrage als Nav. Surirella flexuosa aufgenommen. Ob späterhin entweder der Name Navicula Sigma oder der Name Nav. Surirella flexuosa gegen den früheren Nav. Scalprum von Gaillon umzutauschen sein wird, oder ob die 3 Formen nebeneinander fest zu halten sind, wird sich aus einer erneuerten Untersuchung der Navicula Scalprum ergeben. Navicula Sigma unterschei- det sich von Nav. baltica: corpore laevi, fusiformi, toto flexuoso, medio turgido, Jusiformi, nec aequabili, utrinque longe attenuato. Jene lebt im Quellwasser bei Berlin, diese im Seewasser bei Kiel. 36. Navıcura, Surırerua, bifrons N.sp. Gleichförmiges Schiffchen. N. corpore amplo, striato, recto, a dorso lanceolato, utroque fine acuto, a latere quadrato, elongato, angulis obtusis, lateribus rectis, parallelis. Am 10. Mai 1832 bei Berlin zwischen Conferven entdeckt. Die zunächst verwandte Form ist die schöne Navicula (Surirella) splendida, welche auch nur wenig gröfser ist. Der Panzer der Surirella striatula ist elliptisch, etwa 1%mal so lang als breit. Bei Sur. splendida ist er, vom Rücken gesehen, lang eiför- mig, vorn etwas gespitzt, hinten stark abgerundet, ziemlich 3mal so lang als breit; von der Seite gesehen ist er lang viereckig, mit abgerundeten Ecken, hinten breiter als vorn und in der Mitte etwas eingeschnürt. Bei Sur. bifrons ist er, vom Rücken gesehen, lanzetförmig, vorn und hinten gespitzt, 3mal so lang als breit; von der Seite gesehen lang viereckig, mit abgerundeten Ecken, vorn und hinten gleich breit, ohne Einschnü- rung, 3%mal so lang als breit. Bei beiden von mir beobachteten Arten ist es sehr deutlich, dals die Streifung des Panzers nur an den 4 Ecken statt findet und dals sie nicht eine äulsere, sondern eine innere ist. Bei 4. splendida zählte ich 26 Streifen in Kk2 260 37. Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation einer der 4 Längsreihen, die keine äufsere Zähnelung des Randes verursachten. Bei S. bifrons zählte ich 21 Streifen. Im inneren Körper erkennt man bei der Seitenlage sehr leicht 2 dunklere gelbbraune Platten, welche die Rücken - und Bauchseite bekleiden, und 2 hellere, gefaltete und ge- zackte, mehr nach innen liegende, gelbliche Organe, welche einen zackigen hellen Zwi- schenraum der Länge nach in der Mitte übrig lassen. Bei Sur. splendida ist im vor- deren spitzen Ende auf der Rückenseite ein heller Fleck, in dem bewegliche schwarze Organe sichtbar sind. Dieser Fleck ist bei S. bifrons an beiden Enden sichtbar, aber bewegliche Organe konnte ich darin nicht wahrnehmen. Auch sah ich bei ‚S. splendida viele kleine helle Bläschen im Innern (Magenblasen?), welche bei S. bifrons ebenfalls nicht unterscheidbar waren. Beide Formen hatten deutliche kräftige Bewegung. — im Länge 5%". Navıcura, SunrreLLa, sigmoldea — Bacillaria sigmoidea Nitzsch, nicht Nav. sigmoidea meines zweiten Beitrages. Es-ähnliches Schiffchen. N. corpore striato, a dorso recto, aciculari, utrinque attenuato, acuto, a latere sigmoideo, lineari, aequabili, truncato, vicies fere longiore quam lato. Am 27. März 1832 zuerst bei Berlin beobachtet, wo sie nicht häufig ist, dann wie- der am 26. April 1833. Diese Art gehört unter die gröfseren Formen. In einem Zusatze bei Navicula bal- tica habe ich bereits die Synonymie erläutert. Ich sah sowohl gelbbraun als grün er- füllte Exemplare, einzelne und in der Längstheilung begriffene. Die Längstheilung war auf der breiten Seite eingetreten. Ob die breite Seite die obere sei, wie bei den Fra- gilarien gewöhnlich ist, oder ob die schmale die obere sei, wie bei den Naviculis häu- figer ist, habe ich nicht zur Entscheidung bringen können, jedoch schien mir, der in- tensiveren Färbung wegen, die schmale Seite die obere und die Theilung also nicht eine Theilung beider Panzerhälften, sondern eine Isolirung derselben zu sein. Der vier- kantige, gleichförmige, lineäre, aber Sförmig gebogene Panzer ist vorn und hinten beil- förmig geschärft, daher die Zuspitzung auf der schmalen Seite. Die Streifung durch kleine Queerlinien ist nur an den 4 Längenkanten. Breite Seite 20 mal so lang als breit, schmale Seite 27 - 30 mal so lang als breit. Im Innern konnte ich sowohl bei grüner als bei gelblicher Färbung keine mehrfachen scharfen Sonderungen der Substanzen erkennen. Die gefärbte Substanz schien vielmehr überall nur 2, in der Mitte durch einen breiten farblosen Zwischenraum getrennte Mas- sen zu bilden, welche nicht ganz bis an die Enden reichten, sondern auch da 2 helle leere Räume von quadratischer Gestalt zurücklielsen. Da bei der Rückenlage auf der schmalen Seite kein mittlerer farbloser Zwischenraum sichtbar war, so mögen aber doch auch eine Bauch - und eine Rückenplatte der farbigen Substanz vorhanden sein und zwi- schen beiden mag sich die bei der Seitenlage sichtbare, alles erfüllende, hellere Sub- stanz, die vielleicht auch zuweilen eine Längstrennung zeigt, anschlielsen. Bewegte Kör- 35 in der Richtung des kleinsten Raumes. 261 perchen in den Enden suchte ich vergebens, aber im Innern sah ich viele kleine Blasen (Magenblasen?) verstreut. — Länge varürt von 5-%”. Die Navicula Sigma ist auf der Rückenseite schmal, spindelförmig, gerad, etwa 10 mal so lang als dick, auf der Seitenlage spindelförmig und Sförmig gebogen und 6-8mal so lang als dick, an den Enden in beiden Lagen gleichartig abgerundet. Navıcura, SurıneLLa, Westermanni. Westermann’s Schiffchen. N. corpore striato, recto, ovato-oblongo, latere uno plano, latere altero cum ventre dorsoque turgidis, dorsi ventrisque striis 24 - 26. Ich fand diese Form zwischen Conferven, welche ich im September 1833 aus dem Kopenhagner botanischen Garten lebend mit nach Berlin genommen hatte und im Oc- tober untersuchte, und ich erinnere mich dabei gern der beim Kaufmann Herrn Wes- termann in Kopenhagen gefundenen grolsen Freude an Naturforschung, indem dessen kostbare, liebevolle und liberale Pflege der von ihm selbst in Indien angelegten wissen- schaftlichen Insectensammlung, welche von Wiedemann und andern mit benutzt wor- den ist, der ermunterndsten Anerkennung werth ist. Diese recht niedliche Art ist der N. turgida nahe verwandt, mit der ich sie gleich- zeitig beobachtete, aber viel kürzer und hat nur halb so viele Streifen, dabei ist sie im Verhältnils an der Oberseite mehr gewölbt. Die kleineren Exemplare der N. turgida, welche ihr an Länge gleichen, sind viel schlanker. Der Panzer ist von oben etwas mehr als doppelt so lang als breit und war damals meist in der (seitlichen) Längstheilung von oben aus begriffen. Ich fand einigemale 4 Individuen noch verbunden, was schon Nitzsch sehr richtig als die letzte Grenze des Zusammenhaltens der unvollständigen Theilung bei den Navieulis erkannt hatte, welche er damals noch mit Bacillaria pec- tinalis verband, der dieser Charakter allein von allen allerdings abging (p-74.). Durch die Ihm sehr wahrscheinlich gewordene Vermuthung, dals seine Bacillaria Paiea einer- lei sei mit Fibrio paxillifer Müller, hat er freilich pag.84. jene Regel wieder fallen lassen, allein da Fibrio pawillifer verschieden ist, der Gattung Bacillaria angehört und ausschlielslich ein Seethier ist, Bacıllaria Palea aber deutlich eine Navicula-Art des Quellwassers war, so ist Sein früheres Urtheil höher zu halten als das spätere. Diese Thierchen sind mit ihrer flachen Seite an Conferven geheftet und kriechen darauf hin wie Schnecken; daher sind ihre scheinbaren Seitenflächen nicht die wahren, sondern sie sind Rücken und Bauch, während ihr convexer Obertheil nicht ihr Rücken, sondern der andre Seitentheil ist. Von der scheinbaren Seite (dem Rücken oder Bauche) gesehen ist der Panzer etwas mehr als 3mal so lang als breit. Da laufen auch die Streifen - so dicht zusammen, dals sie, ohne abzusetzen, queer durch zu gehen scheinen, allein es ist wahrscheinlich in der Mitte eine feine Scheidelinie, wie bei N. turgida. Nur die An- sicht von oben oder unten (scheinbare Seitenansicht) läfst die Streifung so deutlich er- kennen, von den Seiten (scheinbar von oben und unten) sieht man nur am Rande die Spuren davon. Ich zählte 24-26 seitliche Streifen, während Nav. turgida 48 - 54 zeigte. Die Wölbung der oberen Seite bildet beim Liegen fast ein regelmälsiges Zir- 262 Eurenpgeng: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation kelsegment, während bei N. turgida die Rundung des oberen Randes gegen die Enden hin nachläfst, wodurch dieser dann parallel mit der Basis wird. Innerlich unterscheidet man deutlich 2 braune Platten, welche die gestreiften Pan- zerseiten (Rücken und Bauch) innen überziehen und bei der Ansicht von oben (wenn die Thiere auf der flachen Seite kriechen) wie 2 schmale dunkelbraune Längsbänder er- scheinen. Nach der Mitte hin ıst der ganze Raum mit einer heller gelbbraun gefärbten Masse erfüllt, in welcher viele ungleiche, sehr grolse und kleine Blasen (Magenblasen ?) von hellerer gelber Farbe und dunkler braungelben Rändern liegen, wodurch sie sehr bunt erscheinen. Eine kreuzweise Trennungslinie der Substanz war nicht zu bemerken, so wenig als bewegte Körperchen an den Enden. Die gleichzeitig beobachteten Exem- plare von N. turgida zeigten ‚dasselbe Verhältnils der inneren Substanzen, was wohl von der gleichen Frequenz der Nahrungsstoffe herkam. Bei letzterer Form sah ich sowohl ganz gelbe, als ganz grüne Individuen mit sonst gleichen inneren und äulseren Verhält- nissen, auch sah ich 2 Mal 2 zusammenhängende, durch unvollständige Theilung noch nicht gesonderte Individuen, deren eines gelbbraun, das andere grün war. Ich schlielse daraus nicht, dafs ein grünes Thierchen sich mit einem gelben begattet habe, denn ich sah nie ein Aufsuchen, sich Betasten und Anschmiegen zweier Individuen, sondern, dals die innere gefärbte Substanz (der Eierstock?) von der gelben in die grüne Farbe über- geht. Ein Gesetz kann ich aus meinen Beobachtungen noch nicht darüber entnehmen, allein es scheint mir sich doch zu ergeben, dals das gröfsere Alter nicht die gelbe, son - dern die grüne Farbe herbeiführe, während die kleineren Individuen gelb sind. In je- nen Fällen hatte demnach der Trennungsact länger gedauert als der Entwicklungsact der ın Färbung bei einem der beiden Theile. — Länge ie Navıcura, Surırerta, Zebra N.sp. Zebra - Schiffchen. N. corpore striato, recto, oblongo, latere uno turgido, latere altero, ventre dor- soque planis, striis 16. Am 28. März 1832 zuerst bei Berlin beobachtet. Diese Form ist doppelt so lang als die vorige und hat dabei fast nur halb so viel Streifen, welche deshalb viel weiter von einander abstehen. In der Gröfse und den Di- mensionen gleicht sie mehr der Nav. turgida, diese hat aber 3mal so viel Streifen, welche noch enger beisammenstehen als bei Nav. FVestermanni. Die anderen beiden Formen kriechen mit der, der convexen entgegengesetzten, flachen Seite auf Conferven umher, sitzen aber oft auch ganz still darauf, wie Coccus auf anderen Pflanzen. Nicht selten bedecken sie einzelne Confervenfäden ganz. Diese sah ich nur zwischen Confer- venfäden frei. Der Panzer ist, von den gestreiften Seiten (Bauch und Rücken) aus gesehen, 4% mal so lang als breit, ganz dem von Nav. turgida gleich, indem die obere Fläche gewölbt ist und nur dicht an den Enden mit der unteren parallel wird. Die untere, der con- vexen entgegenstehende Seite ist lach und bildet ein langes scharfeckiges Quadrat, welches ın der Richtung des kleinsten Raumes. 263 mal so lang als breit ist. Die beiden langen Seiten desselben sind nicht bauchig, son- dern gerad, was bei N. turgida umgekehrt ist. Alle Exemplare, die ich bisher beobachtete, waren bewegungslos; ich glaube daher nur todte gesehen zu haben. Bei allen war im Innern eine gelbliche Masse in 1 oder 2 unregelmälsige Häufchen gegen die Mitte zusammengezogen, welche nur etwa % des inneren Raumes erfüllten, der übrigens ganz durchsichtig, vielleicht schon leer war. — Länge &” Bei Navicula Scalprum und Girodella comoides glaubt Turpin ein Auswerfen von körniger Masse beobachtet zu haben und hat es abgebildet. Ich habe dergleichen nie gesehen; übrigens verwechselt derselbe Nav. viridis und Nav. fulva mit jener Art, denn während die Hauptmasse der auf Planche 2* dargestellten Körper der Navicula ‚Sigma ähnlich ist, hat er in Fig.6. deutlich die Nav. viridis und in Fig.7. die Nav. Ffulva als verschiedene Zustände jener abgebildet, ja neben dem gröfseren Haufen, links, ist sogar auch ein Individuum von Nav. amphisbaena abgebildet, so dals die N. ‚Scal- prum aus 4 Arten besteht. Bei Navicula fulva und turgida habe ich selbst den gan- zen inneren Raum zuweilen mit bewegten Körnchen angefüllt gesehen. Eben diels sah ich bei Fragilaria rhabdosoma, Gomphonema truncatum, bei vielen Euastris und an- deren. Ich bin aber nicht geneigt, diese bewegten Körperchen iminer für Brut zu hal- ten, sondern möchte sie eher mit Chilomonas destriens und den parasitischen Chae- tomonaden vergleichen, die nach dem Tode, zuweilen selbst während des Lebens, eben- sowohl in Räderthieren vorkommen; vergl. Brachionus Mülleri. Ähnliche innere In- fnsorien mögen zuweilen dieselben Erscheinungen bei Spirogyren und anderen Algen veranlassen. Vergl. Notommata FVernecküi. Meine Ansicht des Panzers der Naviculae ist durch Betrachtung der Naviceula vı- ridis jetzt dahin abgeändert, dafs ich den Panzer derselben aus 4 Theilen bestehend glaube, welche die Ecken des Prisma’s einnehmen und meist gestreift sind. Die flachen Seiten, mit denen sie kriechen, sind nicht immer durch Längsspalten offen, auch nicht eine allein, sondern ich habe bemerkt, dals bei jener Species auf einer Seite in der Mitte eine rundliche Öffnung ist und an den beiden Enden bemerkte ich ebenfalls eine, aber auf beiden Seiten, so dals ich 5 Öffnungen, je 2 einander entgegengesetzt zähle, 2 vorn, 2 hinten am Ende, 1 in der Mitte. Zwei mittlere Öffnungen sah ich bei Na- vicula Amphora ziemlich grols und strahlig, neben einander auf einer und derselben Seite. Das Zerfallen in 4 Theile beim Queerdurchschnitt, welches leicht geschieht, könnte dann mehr zufällig sein. Auch bei Fragilarien scheint mir jedes Stäbchen an jedem Ende 2 eingekerbte Öffnungen zu haben. Es scheint mir noch nützlich, hier wieder der sonderbaren Erscheinung bei Amphi- leptus papillosus pag.228. zu erwähnen, in dessen Innern ich jedesmal eine einzige Navicula und auch in derselben Längsrichtung gelagert fand. Ich habe zwar an obi- gem Orte mich dafür entschieden, dals die Navicula als verschluckt anzusehen sei, al- lein, dafs es immer nur eine, mit ihrer Längsaxe immer in der Längsaxe des Amphile- ptus gelagerte war, die immer ungefähr dasselbe Grölsenverhältnils hatte, sind Umstände, DD Eurengenc: Beitrag zur Erkenntnifs gro/ser Organisation die wohl dem Gegenstande nach einige weitere Aufmerksamkeit wünschen lassen. Jene einsam verschluckte Navicula liefs sich wohl mit N. fulva vergleichen, allein so ganz übereinstimmend war sie vielleicht denn doch nicht. Ich mache daher von Neuem hier darauf aufmerksam und möchte in Frage stellen, ob es nicht Naviculas gebe, die noch deutlichere Organe aus ihrem Panzer hervorzuschieben fähig sind, die vielleicht, wie Cypraeen, eine Art Mantel um ihre Schaale schlagen können, der sie ganz einhüllt, oder die eine Schaale unter ihrer Haut eingewachsen führen. Auf solche Verhältnisse dürfte Amphileptus papillosus, wenn er irgendwo wieder zum Vorschein kommt, zu prüfen sein. Übrigens darf dabei nicht aufser Acht gelassen werden, dafs Amoeba diffluens zuweilen ebenfalls Navieulas einzeln verschluckt und dann wie eine Navicula mit flei- schigem Überzug erscheint, wie ich sie auf Tafel I, Fig.v. 3-4. meines ersten Beitrags abgebildet habe. Im Darme der Räderthiere findet man häufig Naviculas, aber beson- ders gern scheinen sich die Chilodonten, Stentoren und Bursarien mit ihnen anzufüllen. Ich fand sie als verschluckte Nahrung in noch vielen anderen Infusorien, auch in Ar- cella vulgaris. Navicuna Zeus N. sp. Nadelförmiges Schiffchen. N. corpore subtili, fusiformi, prismatico, utrinque aequaliter valde attenuato, corpore medio flavo, cornuum singulorum vacuorum longitudine. Ich fand mehrere Hunderte dieses Thierchens mit Nav. gracilis und junger Nav. fulva, vielleicht auch mit Nav. tripunctata (Fibrio trip. Müller) ganz neuerlich, im Juli 1834, bei Berlin im Thiergarten als einen häutigen Überzug stehenden Wassers. Die Form des Panzers erinnert an Closterium setaceum oder an Euglena Acus. Sie ist etwa 20 mal so lang als die mittlere Dicke. Alle waren sehr kräftig bewegt und oft schob ein einziges Thierchen einen grolsen, 20 mal grölseren Haufen fremder Theile bin und her. Beim Wenden des Körpers änderte sich die Form wenig, doch so, dals eine Seite etwas schmäler als die andere erschien. Ohne genaue Aufmerksamkeit war die Breiten- und Formdifferenz wenig zu bemerken. Die Enden waren auf der breiten Fläche etwas stärker abgestutzt, auf keiner ganz scharf spitz. Der mittlere Theil war in einer geringen Ausdehnung immer gelblich gefärbt und etwas dicker, die dünneren En- den bildeten 2 durchsichtige Hörner dieses Mittelstücks, welche demselben an Länge einzeln gleich waren, so dals der gelb erfüllte Körper 4 des Ganzen ausmachte. In der Mitte des gelben Theiles war eine leere, durchsichtige Stelle ('). — Körperlänge 5%, größste Dicke A, - 45” (2). (® ) Die Form dieser Navicula ist der von Frustulia subtilis sehr ähnlich, welche Külzing in der Linnaea gegeben hat, die aber ein Closterium darstellen mag; auch unterscheidet sich ein mitt- lerer erfüllter Körper von den seitlichen leeren Hörnern so scharf und bestimmt wie bei Closterium Acus Nitzsch und ich sah kein einziges der vielen Individuen, deren rasche Bewegung sich bestän- dig kreuzte, anders. (*) a. Ich füge hieran noch eine kurze Beurtheilung der bekannteren Abbildungen der den Na- viculis verwandten Formen. Müller’s Yibrio bipunctatus,' den ich in der Isis 1833 pag. 242. für (>13 in der Richtung des kleinsten Raumes. 26 ÖPurvocerca Opum habe ich neuerlich als eine Art der Gattung Trachelius erkannt. 41. OpnrvocLenA atra N. sp. Schwarzes Wimperauge. O. corpore ovato, atro, aut atrofusco, ore et ocello atro in intimo margine an- tico positis, acumine corporis postico minimo. Tafel VII, Fig.9. die junge Synedra Ulna erklärte, halte ich jetzt, in Betracht seines Vorkommens in faulem Wasser, seiner Frequenz und seiner nicht rückschreitenden Bewegung mit mehr Wahrscheinlichkeit für eine Art der Gattung Racterium, eine dem Fibrio Bacillus verwandte Form, ohne die Fähigkeit sich zu schlängeln. Yibrio tripunctatus halte ich jetzt für synonym nicht mit Nav. gracilis, sondern mit Bacill. Palea Nitzsch, und glaube, dafs der ältere Name als Navicula tripunctata aufgenommen werden mufs. b. Die Abbildungen von Nitzsch sind classisch als die älteren schärfsten und treuesten. da- her immer anzuerkennen. Bacill. Palea halte ich für = Vibrio tripunctaius M., also Navicula tri- punctata, ganz verschieden von Bacillaria paradoxa, die ich verglichen habe; Bacill. fulva ist, mit Ausschlufs der Fig. 18. (Nav. amphisbaena?), eine wohlbegründete Art; 2. Phoenicenteron ist eine Sammlung todter Formen vieler Arten von Navicula, z.B. von N. gracilis Fig.1, 5, $ und 13; von Nav. fulva Fig. 12,14,17; von N. viridis Fig.2,15; von N. Amphora Fig.20; von N. amphis- baena? Fig.18; von Meridion Flabellum? Fig.16; von Cocconema Cistula? Fig.19; Bacill. Ulna halte ich für freie Stäbchen der Synedra Ulna; Bacill. viridis ist eine wohl abgegrenzte Art = Na- vicula, Surirella, viridis; Bacill. sigmoidea ist = Navicula sigmoidea, eine wohlbegründete Art: Bacillaria pectinalis ist eine wohlbegründete Art der Zikzakthierchen. c. Turpin’s malerisch am schönsten ausgeführte Abbildungen im Dict. des sc. nat. würde ich folgendermafsen deuten: Bacillaria communis und vitrea Turpin (Planche I*) sind = Syne- dra Ulra,; Bacill. Lyngbyi könnte dasselbe sein; B. bipunctata ist vielleicht ein Closterium; B. vi- ridis = Navicula viridis; B.Mülleri = Bacillaria paradoxa, N.ostearia = N. tripunctata (Pa- lea)?; N.unipunctata und obtusa = N. fulva; N. bipunctata = N. fulva und N.gracilis; N. grammitis = N. tripunctata (Palea)?; N. amphisbaena ist eigne Art; N. bitruncata ist eigne Art; N. obliqua = Cocconema Cistula ohne den Stiel?; Lunulina olivacea = Cocconema?; Lunulina vulgaris = Closterium Lunula und Cl. acerosum; Stylaria paradoxa = Gomphonemalis species; Echinella cuneata = Gomphonematis species; Echin. striata = Synedra; Palmetina fulva??; Navicula Scalprum (Planche II*) = N. Sigma ?, N. viridis und N. fulva; Surirella striatula (Planche III*) = Navicula (Surirella) striatula nebst N. amphisbaena (Fig.7 und $.), die ich ebenfalls zuwei- len gestreift sah; Fig.9. ist wohl der wahre Jugendzustand der ersteren; N. Gaillonii (Pl. XXIV.) = Synedra Gaillonü. d. Wenn es Formen der Gattung Frustulia, wie sie von Agardh definirt ist, wirklich giebt, was nicht unwahrscheinlich ist, obwohl ich noch keine beobachtet habe, so möchte wohl die von ihm (Icones Algarum europaearum 1828) abgebildete F. appendiculata eine solche sein, obschon sie auch nicht geringe Ähnlichkeit mit N. gracilis hat, die aber nie gekrümmt ist. Was die Frustu- lia coffeaeformis anlangt, so ist sie wenigstens nicht lebend, sondern todt beobachtet und abgebil- det worden. Sie ist eine Form der Bacillaria Phoenicenteron Nitzsch (siehe Nitzsch Tafel IV, Fig.19 und 20.), welche ebenfalls aus mehreren Arten todter Naviculae gebildet wurde, deren Ein- geweide sich zusammengezogen und verschieden gruppirt haben. Die elliptische Form liefse sich zu Nav. Amphora ziehen und die gekrümmten Individuen zu Cocconema Cistula. Doch es mag wohl als F’rustulia in Gallerte gehüllt selbstständig sein, wie der im Beobachten geübte Autor angiebt. e. Ein sehr fleifsiger junger Apotheker, Herr Kützing, welcher schon mehreres über Algen bekannt gemacht und ganz neuerlich eine sehr interessante Beobachtung über das chemische Verhal- Phys. Abhandl. 1833. Ll 266 Ennensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisatıon Ich fand diels Thierchen zuerst am 24. Juni 1832 bei Berlin im Wasser einer Torf- grube, daun wieder zahlreich am 4. Juli 1834. Die 3 Arten der Gattung Ophryoglena unterscheiden sich durch Farbe und Form des Körpers und durch Stellung des Auges. Stumpf zugespitzt und blafsgelb ist der Körper bei O. flavicans, dabei ist das Auge roth und samt der Mundöffnung entfernt vom vorderen Rande, so dals der Abstand des Vorderrandes vom Auge 5-4 der Kör- perlänge beträgt. Scharf zugespitzt und hellbraun ist der Körper bei O. acuminata, das rothe Auge und die Mundstellung ist wie bei voriger. Bei O,. atra ist der Körper dunkel schwarz oder tief schwarzbraun und hat eine nur sehr wenig vorstehende, ziem- lich scharfe Zuspitzung des Hintertheils. Das Auge samt dem Munde steht dicht hinter dem Vorderrande und ersteres ist tief schwarz oder mit einem geringen Schimmer ins Purpurfarbene, auch grölser als bei den übrigen. Ich habe von all diesen Formen sehr viele Exemplare beobachtet und sie immer in jenen Charakteren, die an sich unbedeu- tend erscheinen, übereinstimmend gefunden. Bei der neuerlich beobachteten O. atra schien es mir noch, als ob die Wimpern, welche den Körper bedecken, weils wären, weshalb es einen seidenartigen weilsen Schimmer hatte. Der bewimperte Körper ist eiförmig, 1% so lang als breit, von den Seiten zusam- mengedrückt, so dals Rücken und Bauchseite fast scharfe Kanten bilden. Die Wimpern ten des Panzers der Stabthierchen gemacht hat, von welcher ich in einem Anhange noch einiges mit- theilen werde, hat zu Ende Juli's 1833 eine Übersicht der Diatomeen in der Halleschen Naturf. Gesell- schaft vorgetragen, die später in der botanischen Zeitschrift Zinnaea desselben Jahres abgedruckt worden ist. Es ist sehr Schade, dafs seinen Eifer nicht ein besseres Mikroskop unterstützt hat und dafs meine früheren Arbeiten über diesen Gegenstand, von 1830, 1831 und 1832 ihm unbekannt ge- blieben. Alle diese Formen werden wieder zu den Pflanzen gerechnet. Alle Naviculae sind unter dem Namen Frustulia beschrieben und viele abgebildet. Da die Structurverhältnisse nicht scharf genug berücksichtigt wurden, so ist es schwer, oft unmöglich, die an sich mühsam und sorgfältig entworfenen, aber vie] zu wenig vergröfserten Zeichnungen zu deuten, und der Verfasser wird selbst noch eine Revision der Formen vornehmen müssen, um ihnen die wahre systematische Stellung an- weisen zu können. Ich beschränke mich, um diese Arbeit etwas vergleichbar zu machen, auf Beur- theilung der Abbildungen. Agardh's Frustulia operculata hat keinen Charakter einer Navicula; Fr. subtilis und subulata sind, weil sie eine in allen Lagen gleiche, mithin keine prismatische Ge- stalt haben, als Closteria zu bezeichnen; F. ovalis und copulata ist dieselbe Form, welche ich als Navicula Amphora beschrieben habe; F. maculata, cymbiformis, fulva und ventricosa samt Gom- phonema simplex sınd = Cocconema Cistula? im freien und gebundenen Zustande; F. pellucida = Navicula tripunctata, Bacillaria Palea Nitzsch?; F. gastroides ist wohl Lunulina olivacea Turpin (Diet. des sc. nat. Pl.1, 3, Fig. b.), aber keineswegs, wie Turpin meint, ein Closterium, vielleicht ein Cocconema, F. viridula, oblonga, maior und vielleicht punctata halte ich sämtlich für verschiedene Zustände der Navicula viridis (Bacill, viridis Nitzsch); F.lanceolata ist, ohne die Figuren c, dieselbe, welche ich Navicula gracilis genannt habe, wozu wohl multifasciata ge- hört; sie ist stumpfer als N. Palea,; F. inflata ist Navicula bitruncala von Turpin; F. adnata ist entweder Nav. Westermanni oder Nav. turgida, wahrscheinlich Beides; F. incrassata ist =N. gibba,; F. picta ist mir ihrer Krümmung halber unbekannt, wohl neu; F. anceps und parvula würde ich für kleine Exemplare der Nav. fulva halten, deren gröfsere unter dem Namen F. depressa in der Richtung des kleinsten Raumes. 267 sind nicht so deutlich in Reihen gestellt als bei den übrigen Arten. Vorn ist es ganz abgerundet, hinten in eine kleine Spitze zugespitzt. Der Mund, wie bei den Bursarien gestaltet, bildet eine Grube dicht am vorderen Rande gegen die Bauchseite, und dicht über ihm, nach der Rückenseite hin, steht das grolse dunkle Auge. Die Grube, welche den Mund bildet, geht fast bis zur Mitte des Thieres wie ein stumpfer Trichter und dessen Raum ist durch hellere Färbung sichtbar. Gegen das hintere Ende des Mund- raumes erkennt man im Körper, nach der Rückenseite hin, einen runden weilslichen Fleck, welcher sich alsbald als eine contractile innere Blase zeigt, die bald rund, bald strahlenförmig ist, bald erscheint, bald wieder verschwindet. Das Auswerfen der Excre- mente sah ich bei O. favicans dicht am zugespitzten Ende etwas oberhalb, auf der Rük- kenseite, wodurch es deutlich wurde, dafs der zugespitzte Hintertheil ein Fufsrudiment, nicht eine Rückenwarze ist. Die Dunkelheit der Färbung, welche, wie sich beim Zer- Nielsen des Körpers ergiebt, dem Eierstocke angehört, hindert das Erkennen der übri- gen inneren Structur. Schr interessant war es noch, dals ich bei mehreren Individuen dieser Art eine Queertheilung beobachten konnte, was bei den übrigen nicht gelang. Solche Individuen werden allmälig noch einmal so lang als die andern und schnüren sich dabei in der Mitte ein. Allemal war die Einschnürung am Grunde des Mundrau- mes und bei ihrem Fortschreiten bildete sich rasch der neue Mundraum bis zur Mitte dargestellt sind; Frustulia Ulna, tenuissima, splendens (= Bacill. vitrea Turpin), aequalis samt Exilaria Vaucheriae und erystallina habe ich bisher sämtlich, aus Gründen der Gemeinschaft des Aufenthaltes und gleichen Structur, für Formen der Synedra Ulna (Bacillaria Ulna Nitzsch) gehalten; F. cuspidata könnte wohl einerlei sein mit Navicula amphisbaena Turpin, und dazu könnten die Formen c der Zanceolata gehören; F. quinquepunctata ist wohl einerlei mit Navicula Librile oder gehört vielleicht als Fragment zu Achnanthes; F. Lyngbyi ist eine Art der Gattung Syredra, wohin auch die frei gewordene F. olivacea zu gehören scheint; F. Nitzschü ist Navicula sigmoidea = Bacill. sigmoidea Nitzsch, wovon F. vermicularis nicht bedeutend verschieden er- scheint; F. attenuata ist gleich der Nav. flexuosa; F. acuminata ist, wenn sie keine Surirella war, gleich der Navicula Sigma; Meridion circulare ist gleichbedeutend; Exilaria fascicu- lata Greville ist Synedra fasciculata,; Exil. truncata Greville ist eine besondere Art der Gat- tung Synedra,; Gomphonema brevipes ist eine neue Art der Gattung Synedra?, wobei zu erinnern ist, dafs manche Gomphonemata im Jugendzustande Synedras vorstellen, ohne doch in diesem Cha- rakter zu beharren; dahin scheint G. pohliaeforme zu gehören, welches ich für das jüngere G. truncatum halte; Gomphonema simplex ist nebst den frei gewordenen Frustulia maculata, cym- biformis, fulva und ventricosa wohl ohne Zweifel = Cocconema Cistula. Es geht hieraus hervor, dafs eine weitere Beobachtung dieser Körper schr wünschenswerth ist. Vielleicht dient die von mir gegebene detaillirte Beschreibung einzelner Formen zu einem nütz- lichen Schema. Möchte man nur nicht ferner durch Gebrauch zu geringer Vergröfserungen die Last der Synonyme mehren! Von der wichtigeren Entdeckung des Herrn Kützing spreche ich im Anhange. J: Wallroth's Name Rhabdium (Flora erypt. Germaniae 1833) ist wohl nur als Sprachver- besserung für Frustulia gegeben, aber nicht annehmbar,, selbst wenn der Gattungscharakter sich bestätigt, denn Frustulia ist nicht besonders schön, aber auch nicht sprachwidrig, daher zu tragen. Seine beiden Arten sind wahrscheinlich Synedrae. L12 268 43 . Enrensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation des neuen Thieres ganz aus, auch erschien schon lange vor der Trennung noch eine contractile strahlige Blase, zuletzt erst bildet sich das Auge aus, oder wenigstens das Pig- ment mag sich so spät erst färben. — Körperlänge ;”. OrurvosLenAa acuminata N. sp. Geschwänztes MWimperauge. OÖ. corpore ovato, fusco, ore et ocello rubro a margine antico remotioribus, corporis acumine postico longiore, acuto. Tafel VII, Fig. 10. Am 16. April 1832 in Torfgräben bei Berlin entdeckt. Diese beiden Formen haben in der äulseren Erscheinung viel Ähnlichkeit mit Sten- tor niger, von dem sie aber der erste Anblick unter dem Mikroskope durch Mangel des Wimperkranzes und spiralförmigen Mundes scharf trennt. Ob Müller’s Zeucophra Conflictor und Mamuilla hier anzuführen sind, wage ich nicht zu entscheiden, da letztere nicht als zusammengedrückt, sondern als dick und rundlich bezeichnet werden, gerade aber die seitliche Abflachung etwas Schwankendes, sehr Auffallendes in die Bewegung und Erscheinung der Ophryoglenen bringt, was Müller, wenn es da gewesen wäre, gewils nicht unbemerkt lassen konnte. Der Körper ist 1% mal so lang als breit. Die abgerundete Stirn überragt den Mund- rand um % der Körperlänge und ist, wie bei Paramecium und den Bursarien, ein Hök- ker des Rückens. Der Abstand des Auges vom Vorderrande beträgt etwa ‘% der Kör- perlänge. Der scharf gespitzte Hintertheil ist etwa ;, der Körperlänge, wenn er nicht eingezogen ist. Die Form des Körpers erschien mir etwas weniger, als bei O. atra, aber doch deutlich zusammengedrückt. Der eigentliche Mund schien länger geöffnet, fast bis zur Körpermitte. Das deutlich rothe und runde, etwas kleinere Auge steht ein we- nig vor dem vorderen Mundrande nach dem Rücken zu. Die Wimpern des Körpers sind deutlich in Längsreihen gestellt, deren sich auf der flachen Seite 19 zählen liefsen. Im Innern waren in jedem Individuum 2 hellere Flecke, contractile Blasen, deutlich sichtbar, deren vorderer grölser war und ziemlich in der Körpermitte lag, der hintere im Anfange des letzten Drittheils. Überdies war das Innere mit Magenblasen erfüllt, in denen zuweilen viele kleine Navicwlae (N. gracilis) enthalten waren. Beim Zerflie- [sen aus Wassermangel löste sich die braune Färbung in feine Körnchen auf, die wohl dem Eierstocke angehörten. Bewegung wie ein schwankendes Blättichen, den andern Ar- 1m ten gleich. — Länge -; Paramecıum caudatum N.sp.! Geschwänztes Längethierchen, Pantoffel- thierchen. P. corpore subeylindrico, fusiformi, antico fine crassiore, rotundato, postico sen- sim attenuato, subcaudato. Tafel III, Fig. 2. Zuerst unterschieden am 11. Juni 1832, dann sehr häufig, fast zu allen Jahreszeiten, in Quellwasser bei zersetzten Conferven im Thiergarten. in der Richtung des kleinsten Raumes. 269 Die Form und Gröfse dieses Thierchens ist der des Param. Aurelia ganz ähnlich, aber immer hinten schwanzartig zugespitzt, weniger cylindrisch, mehr spindelförmig und dabei mit gelblichem Farbetone. Alle übrigen Verhältnisse sind sehr übereinstimmend. P. Aurelia lebt in stehendem, faulen Wasser in Feuerkübeln, vegetabilischen Aufgüssen u. dergleichen, wo ich P. caudatum nie gefunden habe. Nennt man den Körper bei- der keulenförmig, so ist bei Paramecium Aurelia das dünne Ende vorn, bei P. cau- datun. aber hinten. Die schiefe Längsfalte, welche den zum Munde führenden äufseren Kanal von oben bedeckt, ist stärker vortretend bei P. caudatum und bewirkt am meisten, dals der mitt- lere Körpertheil am breitesten erscheint und dafs die Spindelform hervortritt. Der ganze Körper ist mit Längsreihen von gleichartigen Wimpern besetzt, deren ich bei einer Halb- ansicht 15 bis 16 zählte. Der Mund liegt am Ende des zweiten Körper-Drittheils und der After in der Mitte des letzten Drittheils. Im Innern des Körpers lassen sich dreier- lei Organisationsverhältnisse leicht unterscheiden: 1) viele, überall zerstreute, gröfsere und kleinere Magenblasen, die sich mit Indigo füllen; 2) zwei sehr contractile, beson- dere Blasen, deren eine am Ende des ersten Körper-Drittheils in der Mitte, die andere etwas hinter dem Munde, d.i. zwischen Mund und Analöffnung liegt; beide Blasen habe ich neuerlich, wie bei P. durelia, ebenfalls strahlenförmig gesehen, und halte sie für Ejaculationsorgane bei der Selbstbefruchtung ('); 3) feine, ziemlich gleich grofse, runde Körnchen, welche entweder blofs im Vordertheile zahlreich zwischen den Wimperreihen und Magenblasen liegen, oder den ganzen Körper auf diese Weise erfüllen. Die letzteren halte ich für die Eier des Eierstocks. Bei P. Aurelia habe ich neuerlich noch in der Nähe des Mundes einen inneren, grolsen, ovalen Körper beobachtet, der mit dem dun- keln Körper bei Nassula ganz übereinstimmt und vielleicht das saamenbereitende Organ ist. Bei P. caudatum habe ich diesen noch nicht erkannt, was wohl an seiner noch gröfseren Durchsichtigkeit und an dem gelblichen Farbetone des Ganzen liegt, welches dessen Durchsichtigkeit mindert. Ich habe diese Form bisher nur in der Längstheilung, noch nie in der Queertheilung beobachtet, während P. Jurelia häufig beides zeigt. — Länge bis 5”, der Eier ,55°. Entwicklungseyelus 5-5". (‘) Ich halte diese strahligen Blasen deshalb nicht für vergleichbar mit den baumartigen Respi- rationsorganen der Holothurien, weil ich mich nie überzeugen konnte, dafs sie eine directe Öffnung nach aufsen haben, welche die nöthige Aufnahme des Wassers vermittelt; ich konnte vielmehr rings herum am Körper über ihnen liegende Wimperreihen und Keimkörnchen oder Eier schen, wodurch hervorging, dafs sie tief im Innern liegen. Auch kommen diese Blasen, bei der beständigen Drehung der Thiere um ihre Längsaxe, nie an den Rand, was ebenfalls ihre Lage fast in der Längsaxe des Thieres scharf beweist. Ganz so verhält es sich bei P. Aurelia. Als Ejaculationsorgane bedürfen sie keiner Öffnung nach aufsen, nur einer in den Eierstock. Da alle Individuen zugleich körnerführend sind, mithin Androgynie höchst wahrscheinlich da ist, so habe ich die Meinung ihrer sexuellen Thä- tigkeit vorgezogen, verlasse sie aber gern und leicht, wenn mit besseren Gründen eine andere festgestellt wird. 270 Eurensgeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation 44. Perivisıum Furca N.sp. Gabelförmiges Kranzthierchen. P. flavum, noctu lucens, testa ovata, tricorni, cornubus rectis, postico fine uni- corni, antico bicorni, furcato. Am 24. November 1832 im Seewasser aus Kiel, welches Herr Dr. Michaelis mir auf meine Bitte nach Berlin sendete, lebend beobachtet. Durch die Güte und wissenschaftliche Liberalität des Herrn Dr. Michaälis erhielt ich mehrere Sendungen leuchtenden Seewassers und habe daran die vortrefllichen Erfah- rungen in Berlin wiederholt und bestätigt, welche dieser sorgfältige Beobachter über das Leuchten des Meeres 1830 bekannt gemacht hat. Dabei habe ich mir Mühe gege- ben, die von ihm beobachteten Formen systematisch scharf zu bezeichnen, was wohl eine nützliche Beschäftigung von meiner Seite war. Ich übergehe hier das Speciellere und zeige nur die Formen mit kurzen Diagnosen an, indem ich in einem anderen, bald eben- falls mitzutheilenden Vortrage über das Leuchten des Meeres der Akademie grölsere De- tails mit den erläuternden Zeichnungen bereits vorgelegt und den classischen Werth der treuen Bemühungen des Herrn Dr. Michaelis ganz speciell ins Licht gestellt habe. — Länge 5”. Körperdicke '; der ganzen Länge. Prrivisıum fuscum N.sp. Braungelbes Kranzthierchen. P. fuscum, nec lucens, testa ovata, ecorni, leviter compressa, antico fine rotun- dato, postico acuto. Am 4. Mai 1832 bei Berlin zwischen Conferven entdeckt. Von den ungehörnten Kranzthierchen kannte Müller nur eine Form, die er For- ticella cincta genannt hat. Ich habe bereits 3 unterschieden und diese Form giebt die 4 Art. Alle stimmen darin überein, dafs sie fast kugelförmig, etwas zusammengedrückt sind und einen harten Panzer haben, der in einer bis zur Körpermitte gehenden Ver- tiefung auf der breiteren Seite der Mundöffnung führt. In der Mitte ist rings herum eine Furche, aus der wirbelnde Wimpern ragen, und von dieser geht bei den meisten eine andere Furche in der Mitte im rechten Winkel ab, die ebenfalls Wimpern führt. Der Kranz in der Körpermitte ist der alle Formen verbindende Charakter. Neuerlich habe ich mich überzeugt, dafs die frühere Schwierigkeit des Erkennens der Mundstelle darin begründet war, dals keine besonders ausgezeichnet erschien und die Strömung nicht an eine bestimmte Stelle ging. Ich habe seit meinen letzten Mittheilungen bei einigen Arten dieser Gattung lange fadenförmige Rüssel erkannt und die Insertionsstelle dersel- ben ist mit grofser Wahrscheinlichkeit dicht am Munde, mithin ist der Mund im Grunde der Vertiefung wie oben angegeben. Die Analöffnung und die Darmform sind immer noch unbekannt, daher müssen die Formen noch bei den darmlosen Magenthieren blei- ben. Alle ungehörnte Kranzthierchen, die bisher beobachtet wurden, gehören dem sü- [sen Wasser an, während von den gehörnten die meisten im Meerwasser leben. Ob man der Hörnchen des Panzers wegen die gehörnten mit Schrank als Ceratium, oder mit Bory de St. Vincent als Hirundinella absondern solle, diese Frage möchte ich NS je) 47. in der Richtung des kleinsten Raumes. 271 deshalb verneinen, weil die Hörnchen bei P. Michaelis schon sehr klein sind und of- fenbar (wie bei Anuraea und Brachionus der Räderthiere) keinen physiologischen Werth für den Organismus haben. Sollte sich später ein solcher vorfinden, dann mag man die schon bestehenden Namen verwenden. P. fuscurm unterscheidet sich von allen bisher bekannten ungehörnten Arten durch die Zuspitzung seines Hintertheils, der bei den übrigen stark abgerundet ist. Seine gröfste Breite ist in der Mitte. Auf der breiteren Seite ist es 1%mal so lang als breit, auf der schmalen 2% mal. Vorn ist es ganz abgerundet. Von dem mittleren queeren Wimper- kranze geht in der Mitte einerseits eine bewimperte Furche nach der hinteren Spitze. Der Panzer ist glatt, ungetäfelt. Die Bewegung ist schwankend und langsam in der Längsaxe drehend nach vorn, wobei das stumpfe Ende vorangeht. Ich sah ein Indivi- duum mit gespaltenem Hintertheile, oder 2 Spitzen an demselben, welches ich in der Längstheilung von hinten nach vorn begriffen meinte. — Körperlänge 4 -5;”. Aufser P. Pulvisculus sind die übrigen verwandten grün. Peripisıum Fusus N. sp. Spindelförmiges Kranzthierchen. P. favum, noctu splendide lucens, testa media ovato-oblonga, cornubus duobus rectis oppositis fusiformi. Am 24. November 1832 im leuchtenden Seewasser aus Kiel durch Herrn Dr. Mi- cha&lis Güte in Berlin lebend beobachtet. Der Entdecker dieses Thierchens ist Herr Dr. Michaelis selbst und in seiner vor- trefflichen Schrift findet es sich unter den Leuchtthierchen auf Tafel 4. unten in der Mitte abgebildet. Häufig erkennt man es auch in der Mitte in dem übersichtlichen Bilde eines Tropfens mit Leuchtthierchen. Am dicken Körpertheile, dort auf der nach dem Buchstaben 4 hingekehrten Seite, nach unten, wo die schief abgestutzte Stelle sehr treu angegeben ist, beobachtete ich das Hervortreten eines sehr langen, fadenförmigen, einen Wirbel verursachenden Rüssels von fast % der Länge des Hornes seiner Seite und um die Mitte des dickeren Körpertheils sah ich deutlich den charakteristischen Wimperkranz 1 1 der Kranzthierchen. — Länge bis 5”. Dicke des Mitteltheils zuweilen — der Länge, Hörnerlänge veränderlich. Das Leuchten habe ich selbst deutlich beobachtet. Perivisısum Michaelis N.sp. Michaelis Kranzthierchen. P. flavum, noctu lucens, testa subglobosa, turgida, brevissime tricorni, cornubus rectis, postico fine bicorni, antico unicorni. Am 23. October 1832 von mir lebend in Seewasser in Berlin beobachtet. Der Entdecker dieser Form ist ebenfalls Herr Dr. Michaälis, indem derselbe es in seiner Schrift auf Tafel 4. links, oben in der Ecke, mit der Bezeichnung Folvox ab- gebildet hat. Auch in dem mittleren Wassertropfen ist es öfter dargestellt. Den um den Körper rings herum laufenden Wimperkranz habe ich durch Färbung des Wassers deutlich beobachtet, aber den Rüssel nicht erkannt. Ob ich vorn und hin- ten nicht verwechselt habe, ist mir zweifelhaft, doch sah ich seine Bewegung mit dem 272 Eurensene: Beitrag zur Erkenninifs grofser Organisation einfachen Horne nach vorn. Es ist das umgekehrte Peridinium Furca. — Länge %”. Hörnchen 4;-‘% der Körperlänge. Ich selbst sah es nicht leuchten. 4 48. Periviısıum Z’rıipos = Cercaria Tripos Müller. Dreifüfsiges Kranzthierchen. P. flavum, noctu splendide lucens, testa urceolari, late excavata, tricorni, cor- nubus duobus antieis recurvis, tertio postico recto. Im Seeewasser 'aus Kiel lebend zu Berlin beobachtet am 23. October 1832. Als ich das Genus Peridinium_ feststellte, hatte ich nur die der Yorticella cincta verwandten Formen gesehen; dann fand ich denselben Charakter an Ceratium tetrace- ros von Schrank, Hirundinella Bory, und neuerlich habe ich auch T’ripos Mülleri von Bory de St. Vincent (Cercaria Tripos Müller) als Art derselben Gattung er- kannt. Bory hatte sonach die bekannten Formen in 3 verschiedene Genera eingetheilt, indem er nur die äulsere Form berücksichtigte. Herr Dr. Michaälis hat an dieser Form besonders das Leuchten beobachtet und mir selbst ist es 9mal hintereinander gelungen, mich zu überzeugen, dafs ein isolirtes Individuum die alleinige Ursache eines hellen Lichtpunktes gewesen war. In der Schrift über das Meerleuchten hat Herr Michaälis auf Tafel A, rechts in der Ecke, und hie und da im mittleren Tropfen neue Originalabbildungen gegeben und er hat auch den Rüssel dieses Thierchens zuerst beobachtet, denselben jedoch nur in den kleineren Figuren gezeichnet und wie ein Bündel Fasern dargestellt. Diese Mehrfachheit desselben ist eine optische Täuschung, welche durch die rasche Oscillation des Rüssels hervorgebracht wird. Die in schiefer Richtung rings um den Körper gehende Rinne für den Wimperkranz hat Herr Michaelis ebenfalls richtig dargestellt, nur sind ihm die Wimpern unbekannt geblieben, welche man nur durch Färbung des Wassertropfens deutlich siehi, wodurch von ihnen veranlalste Strömungen im Wasser entstehen. Mehr über diese Form werde 1m 1m ich am angezeigten Orte mittheilen. — Ganze Länge bis 5”, ohne die Hörner 4 12 Sysepna cuneata = Echinella cuneata Lyngbye. Keilförmiges Sessel- thierchen. S. socialis, testa cuneata, apice dilatata, ter quaterve longiore quam lata, intus particulis Navis varia. Im August 1833 zu Wismar auf der Sertularia geniculata im Wasser der Ostsee. Der prismatische erystallhelle Panzer ist auf 2 Seiten dreieckig, so dafs das obere Ende der breiteste Theil ist, auf den beiden andern Seiten ist er stumpf lanzetförmig. An den Seiten laufen einfache Reihen rundlicher gelber Flecke herab, deren am obern ünde 2 sind. Die meisten Keile sind innen mit etwas intensiver gelb gefärbten rund- lichen Partikeln erfüllt. Das obere breite Ende ist auf der breiten Seite stumpf drei- zahnig und zwischen je 2 Zähnen scheint eine Öffnung zu sein, deren jeder ein gelblicher im Fleck entspricht. Eine Streifung der Kanten war undeutlich. — Länge 4”. 50: 94. in der Richtung des kleinsten Raumes. 273 Die ganze Form könnte ein junges Gomphonema sein, was Lyngbye’s Abbildung der Echinella paradoxa noch wahrscheinlicher macht. Ich habe sehr zahlreiche Ex- emplare, aber keines ästig oder lang gestielt gefunden, auch kein damit vergleichbares Gomphonema kennen gelernt. SrueorA Gailloni = Navieula Gailloni Turpin Diet. d. sc. nat. Tab. 24, Fig. 4. Gaillon’s Sesselthierchen. S. faseiculata, testa quadrangula, aequabili, ulniformi, interaneis aureolis in glo- bulorum aequabilium seriem dispositis. Im August 1833 bei Wismar auf Sertularia geniculata im Wasser der Ostsee be- obachtet. Alle Synedrae scheinen an den Kanten gestreift zu sein. Sehr deutlich ist diefs bei den gröfseren Exemplaren der S. Ulna, die auch an den Enden etwas erweitert sind. Je jünger und feiner die Individuen sind, desto undeutlicher ist die Streifung. Bei S. Gaillonü ist sie mir nicht ganz deutlich geworden, obschon die Schattirung der Seiten darauf hindeutete. Bei S. Ulna, deren festsitzende Exemplare Lyngbye und Greville als Echinella und Extlaria fasciculata abgebildet haben, habe ich auch deutlich die Enden stumpf dreizahnig gesehen und vermuthe zwischen je 2 Zähnen eine Öffnung, wie bei Gom- phonema und Fragtlarıia u.s.w. Bei dieser Form habe ich die Enden nicht so scharf beobachtet. Der Panzer ist auf allen 4 Seiten gleich dick, bis 28 mal so lang als breit. — Länge bis 5”. Wallroth hat aus Lyngbye’s Echinella obtusa und cuneata 1833 ein neues Ge- nus, Rhabdium, gebildet, scheint aber eigentlich, da er gern gräcisirt, die Absicht ge- habt zu haben, den nicht eben glücklich gebildeten Namen Frustulia zu verdrängen. Beide Formen dürften wohl, weil in der Darstellung von E. cuneata (die eine wahre ‚Synedra ist) und E. obtusa bei Lyngbye etwas sehr übereinstimmendes liegt, ‚Syne- drae sein, und somit würde der Name Rhabdium überflüssig werden, zumal da Navi- cula und Frustulia ebenfalls rivalisiren. Tıntınnus inguilinus‘ = Trichoda inquwilina Müller. Cylindrische Klöp- pelvorticelle. T. urceolo pellucido, breviter cylindrico, basi rotundato, glabro, sessili vel li- bere natante. Ich beobachtete diese Form zuerst im Seewasser aus Kiel in Berlin im October 1833. Im September 1833 sah ich viele Exemplare im Seewasser bei Kopenhagen, welches ich mit dem Herrn Archiater von Schoenberg aus der Docke schöpfte. - Die cylindrische, häutige, sehr durchsichtige Hülle dieses Thierchens ist 3 - Amal so lang als dick und war öfter mit der Basis an zersetzte vegetabilische Stoffe angeheftet. Der ausgestreckte Körper des Thierchens hatte die Hälfte, bis ”, der Panzerlänge und Phys. Abhandl, 1833. Mm 274 53 Enurenseng: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation eben so lang war der Stiel, an welchem es im Innern des Panzers am Grunde ange- heftet war und den es spiralförmig zusammenziehen konnte. Mit Indigo in Berührung gebracht füllte es bald 3-4 innere Magen aus, deren es aber ansehnlich mehr zu haben schien. Der Körper ist ganz dem einer Yorticella Convallaria gleich, mit seitlicher Mundöffnung am Wimperrande. Durch spontane Theilung finden sich zuweilen 2 Thiere in einer Hülse; das habe ich jedoch nicht selbst gesehen, sondern findet sich in der Zoo- logia danica von Müller abgebildet und stimmt ganz mit dem von mir beobachteten Verhalten anderer Panzervorticellen. Die in Kopenhagen beobachteten Thierchen waren alle frei schwimmend, etwas dicker und der Panzer äulserlich nicht ganz glatt, sondern etwas uneben und nicht so durchsichtig. Diese Charaktere sind aber offenbar nicht geeig- net, deshalb eine besondere Art anzuerkennen. — Panzerlänge bis 4”. . Tivriswus subulatus N. sp. Stachelförmige Klöppelvorticelle. T. urceolo libero, pellucido, antica parte cylindrica, rugosa, postica longe su- bulata, glabra. Im October 1832 im Ostseewasser aus Kiel in Berlin beobachtet. Diese sehr eigenthümliche Form hielt ich anfangs für ein Fragment eines Entom- ostraci dergl., weil ich nur die leere Hülse sah. Erst spät erkannte ich bei einigen im Innern eine deutliche gestielte Vorticelle mit spiralförmig zusammenschnellendem Fulse und vorderem Wimperkranze. Die Büchse gleicht einem Stachel, ist vorn cylindrisch und im vorderen Viertheil oder Fünftheil queer gerunzelt (geringelt), mit abgestutztem Ende, nach hinten allmälig in einen sehr feinen nnd spitzen, langen Stachel abnehmend. Der feine Stachel ist ziemlich eben so lang als der dickere Theil. Das Ganze ist 15 bis 20 mal so lang als der vordere Durchmesser des Cylinders. Im innern erweiterten Cy- linder lebt eine Vorticelle mit ebenfalls cylindrischem Körper, der etwa A-6mal so lang als dick ist und auf einem spiralförmigen, in einen geraden Faden ausdehubaren Fulse (von ziemlich der Länge des erweiterten Tubus) sitzt. Ich sah den Wimperkranz in- nerhalb des Tubus in Bewegung und das Thierchen bald etwas höher, bald etwas hinab rücken, vermuthe aber, dals es mit dem Körper aus der Hülse hervortreten und dann durch Wirbeln samt der Hülse rasch schwimmen kann, wie ich es bei 7. inguilinus beobachtet habe. Gefärbte Nahrurg wollte es nicht aufnehmen. — Ganze Länge des Panzers %”. Tracaeutus Anaticula N.sp. Kleines Halsthierchen, Gänschen. T. corpore parvo, ovato-pyriformi, antica parte altenuata, pellucida, postica ro- tundata, vesiculosa. Am 26. April 1832 bei Berlin zwischen Conferven beobachtet. Diese Form ist kleiner als '; der Länge des erwachsenen Trachelius Anas, dessen Jugendzustand ihr allerdings sehr ähnlich ist. Da ich diese Form aber in grofser Menge ohne Beimischung älterer Individuen von 7‘. Anas fand und da ich sie in der freiwil- ligen Queertheilung begriffen sah, so schlofs ich, dals es eine reife, ausgewachsene und in der Richtung des kleinsten Raumes. 275 eigenthümliche Form sei. Schwieriger erscheint Manchem vielleicht ihre Trennung von der Gattung Leucophrys, allein da leitete mich ebenfalls die Reife als Theilungsfähig- higkeit. Man könnte nämlich sie für die weiter entwickelte Z. pyriformis halten. Frei- lich werden die kleineren Exemplare des 7. Anaticula, deren Rüssel noch nicht deut- lich hervortritt, verwechselt werden können. Ich helfe mir dann so: Sehe ich ähnliche Formen mit übereinstimmender Gröfse, bewimpertem Körper u.s. w., ohne deutlichen Rüssel, aber mit schiefer Mundfläche, so halte ich sie für Zeucophrys pyriformis und bin überzeugt mich nicht zu irren, sobald ich einige davon in der freiwilligen Theilung erkenne. Sehe ich dagegen jenen ganz ähnliche Formen zwischen deutlichen Exempla- ren von Trachelius, so halte ich sie so lange für Junge des Trachelius, bis ich sie in spontaner Theilung sehe. Sollten späterhin überzeugende Beweise geführt werden können, dafs diese Polygastrica sich vor der Reife auch theilen, so würde man sich denn freilich nach andern Charakteren umsehen müssen als die meinigen sind. Immer inten- sivere Structurbeobachtungen sind das sicherste, einzige Mittel, diese Organismen immer richtiger zu unterscheiden und ich begnüge mich, durch diese Bemühungen die Möglich- keit einer solchen Beobachtung, an die man bisher nicht glaubte, nachgewiesen zu haben. Nahrung nahm es bei den damit angestellten, noch nicht zahlreichen Versuchen nicht auf, aber im farbigen Wasser wirbelte es mit der ganzen Körperfläche. Am Grunde des helleren Vordertheils war eine längliche, umschriebene, hellere Stelle, die ich für den Mund hielt. In der Mitte am hinteren Ende war eine helle Blase und mitten an . deren Stelle am Rande zuweilen ein leichter Einschnitt bemerklich, den ich für den 54. After hielt. Der Körper war übrigens mit feinen Körnchen dicht erfüllt, die ihn etwas trüb erscheinen liefsen und die Grenzen der Magenblasen undeutlich machten. — Länge 3-5. Einige waren fast kuglig, andere halb so breit als lang, noch andere 3%; mal so lang als dick. Bei letzterer Form bildet der Rüssel fast % der Körperlänge. Meh- rere waren in freiwilliger Queertheilung. Tracaerıvs vorax N.sp. Gefräfsiges Halsthierchen. T. corpore amplo, oblongo, antica parte in proboscidem crassam longam atte- nuato, postica rotundalto, ore amplo in medio corpore fere sito. Am 6. Juni 1832 bei Berlin zwischen Conferven beobachtet. Die Form und Gröfse gleicht den grölsten Exemplaren des 7. Anas, das Thierchen ist aber träger und hinten dicker, mehr abgerundet. Der wichtigste Unterschied liegt in der Form und Stellung des Mundes. Bei 7. Anas ist dieser sogleich an der Basis des Rüssels und dem Anfange des Körpers als eine kleine ausgebuchtete Stelle. Bei die- ser Form liegt er in der Mitte des ersten Drittheils des Körpers, ohne den übrigens ganz ähnlichen Rüssel, ist breit und lang und bildet eine tiefe Grube. Ich sah, dafs ein Exemplar einen grünen Zoxodes Bursaria von 4” Länge plötzlich verschlang und be- merkte, dafs es schon 6 dergleichen im Leibe, jeden in einen besonderen Magen mit sich trug. Den After glaubte ich in einer ausgerandeten Stelle in der Mitte des hin- teren Endes zu erkennen, habe aber das Entleeren daselbst nicht beobachtet, so wie ich Mm2 276 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation auch gefärbte Nahrung umsonst vorlegte, mit welcher ich mich nur über eine allge- meine wirbelnde Beharrung des Körpers versicherte. Im Innern waren noch viele wasserhelle Magenblasen sichtbar und bei einem Indi- viduum glaubte ich über dem Munde, nach dem Rücken zu, eine contractile Blase zu erkennen. Die trübe Körpersubstanz hatte keine deutlichen Körner. — Ganze Länge 5”. Dieselbe ist 3- 3% mal so lang als der Rüssel allein. Die Mitte des Mundes ist die Mitte des Ganzen. Die Mundspalte gleicht an Länge %-% des Ganzen. Rücksichtlich der übrigen Arten dieser Gattung habe ich neuerlich aus fortgesetzter Beobachtung Gründe zu einigen Veränderungen genommen. Trachelius ambiguus (Trichoda ambigua Müller) hat, wie ich mich nun über- zeugt habe, keinen eigentlichen Rüssel, sondern der den Mund überragende Theil ist ein Stück des Körpers selbst, wie bei Bursarien und Paramecien, indem er nicht leer, sondern zuweilen mit gefüllten Magen besetzt ist. Auch ist der Mund nicht ein ein- facher Eingang, sondern spiralförmig gewunden. Häufige Gelegenheit, diese 'Thierchen in Menge zu beobachten, belehrte mich auch, dafs jenes, welches ich Holophrya am- bigua genannt und, weil ich die Mundöffnung am Ende zu sehen meinte, weit abgeson- dert hatte, doch keine besondere Thierform, sondern nur der ältere, gröfsere Zustand vom ersteren ist. Beide 'Thierchen, welche ich früher nie, später aber immer beisam- men fand, nehmen leicht Indigo auf, wenn man sie etwa 24 Stunden damit in Berüh- rung läfst, und ich habe früher den deutlichen blauen Kanal, welchen ich vom vorderen Ende bei den gröfseren Formen anfangen sah, für den inneren Darm gehalten. Allmä- lig habe ich ermittelt, dafs derselbe nur eine tiefe Rinne am äulseren Körper ist, die sich in gerader Richtung bis zum letzten Viertheil des bandförmigen, oder auch fast cy- lindrischen, fadenförmigen Körpers erstreckt und da erst in einen spiralförmigen, sehr ausgezeichneten Mund leitet, welcher mithin näher am After ist. Aufserdem füllen sich im innern Körper sehr viele Magenblasen an. Zwischen dem Ernährungsapparate liegt im Innern noch ein sehr langes, paternosterschnurförmiges, eine Schlinge bildendes Or- gan, dessen eines Ende im ersten Fünftheil des Körpers frei aufhört, dessen anderes Ende bis hinter den Mund reicht und daselbst undeutlich wird. Diefls Organ ist ganz offen- bar mit dem ähnlichen der Stentor-Arten zu vergleichen und dürfte vielleicht auch das dunkle kuglige Organ, welches bei Nassula von mir für das Saamenbereitende, den Hoden, gehalten worden ist, in einer fadenförmigen, gegliederten Form darstellen. Übri- gens ist der Körper mit feinen Körnchen, dem Eierstocke?, erfüllt und mit Wimperrei- hen besetzt. Hinten ist er abgestutzt und ausgehöhlt. Am abgestutzten Ende entleert er deutlich den Darm. Das vordere abgerundete Ende hat einen wirklichen, oder schein- baren, zungenförmigen, kurzen Griffel, der vielleicht aber nur eine durch die Wimpern der Leitungsrinne verursachte Täuschung ist. Ob Bursaria spirigera näher an diese Form zu bringen und beide zu den Börsenthierchen, oder beide in eine besondere Gat- tung zu stellen sind, mögen künftige Untersuchungen weiter entscheiden. Bei starker Contraction des langen Körpers sieht man sich kreuzende, schiefe Linien als Wimper- reihen. — Trachelius ambiguus ist Bursaria ambigua zu nennen. in der Richtung des kleinsten Raumes. 277 Trachelius Lamella (Kolpoda Lamella Müller) habe ich auch im Kopenhagener botanischen Garten im September 1833 im süfsen Wasser zwischen Conferven gefunden. Die Specimina waren 4-55” lang. Über seine Stellung bin ich wieder zweifelhaft. Es könnte der Jugendzustand von Amphileptus Fasciola sein. Trachelius? trichophorus habe ich ebenfalls im Kopenhagener botanischen Garten mit vorigem beobachtet und möchte des Ortes halber glauben, dals es Müller’s Yibrio strietus sei, obschon dessen Beschreibung einige Zweifel lälst. Die Abbildung bei Mül- ler würde ganz passen, obschon das Knöpfchen am Ende etwas zu dick erscheint. Die Exemplare waren übrigens gröfser als die von Berlin, nämlich im ausgedehnten Zu- stande 5”. Endlich füge ich eine neue Art hinzu, die sich aus der Ophryocerca gebildet hat, welche Gattung somit aufgelöst wird: Tracnerıus Ovum —= Ophryocerca Ovum. Eiformiges Halsthierchen. 55 Ich hatte bisher den schwanzförmigen Theil, weil das Thierchen oft verkehrt schwimmt und sich dreht, für den Hintertheil gehalten. Seitdem habe ich aber seine Organisation noch öfter und deutlicher beobachtet und rathe es umzudrehen. Der Fortsatz ist nun ein Rüssel, an dessen Basis eine grolse trichterförmige Öffnung den Mund bildet. Ge- rad in der Längsaxe des Körpers liegt der gerade, nach allen Richtungen Zweige ab- schickende, grünlich erfüllte Darm, welcher an der dem Munde entgegengesetzten Stelle der Körperaxe mit einer Erweiterung und hellen Blase endet. Der ganze Körper ist reihenweis mit Wimpern besetzt. Körnchen und Blasen füllen den inneren Raum. Der Mund ist oft zusammengezogen. Das sehr grofse Thierchen hat Ähnlichkeit mit Bur- saria truncatella und hat zuweilen sehr grolse fremde Stoffe und Infusorien im Innern. Urorerrus Filum N.sp. Fadenförmiges Stielthierchen. U. corpore filiformi, tereti, albido, antico fine rotundato, postico in caudam cor- poris longitudinem aequantem attenuato, ore oblongo in medio corpore sito. Am 11. Juni 1832 bei Berlin im stagnirenden Quellwasser des Thiergartens beobachtet. Die Stielthierchen sind geschwänzte Börsenthierchen oder rüssellose Paramecien. Das fadenförmige Stielthierchen hat viel Ähnlichkeit mit der Bursaria ambigua (Trache- lius ambiguus, Trichoda ambigua Müller), der es auch an Grölse gleicht. Im Baue ist es aber sehr verschieden. Die Dicke des Körpers liegt, wenn es ausgedehnt ist, 18-20mal in der Länge. Dieser fadenförmige, vorn stumpfe Körper ist mit wirbelnden Wimpern in Längsreihen dicht besetzt und nach hinten in einen sehr langen und dünnen, aber stumpf endenden, behaarten Schwanz verlängert. Der Schwanz fängt in der Mitte des Ganzen mit einer tiefen Grube an, welche an die Bildung des abgestutzten Hintertheils von Bursaria ambigua stark erinnert, wird flach, nimmt schnell ab und verläuft dann fast linienförmig bis ans Ende. In der Mitte des eigentlichen Körpers, ohne den Schwanz, ist eine lange Spalte, deren Länge etwa der Körperdicke gleicht, als Mundöffnung. Den After ver- 278 Ennenseng: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation muthe ich an der Basis des Schwanzes, weil da die Magenblasen des dickeren Körpers aufhören. Der Theil vor dem Munde ist der verlängerte Körper selbst, ein Höcker, kein Rüssel, weil sich der Darm und Eierstock in ihm fortsetzen. Ob der Schwanz, wie bei den übrigen meisten geschwänzten Formen, ein Bauchglied (Fuls) oder Rückenglied (Schwanz) ist, wird die beobachtete Afterlage erst entscheiden. Aufser den Magenblasen und Wimpern zeigt der dickere Körper noch eine undeutlich körnige, weilsliche Trü- bung, die wohl dem Eierstocke angehört. Die Breite des Schwanzes am Ende beträgt noch etwa % der Körperbreite. — Ganze Länge im an 4 4 56. Urotertus? patens—Trichoda patens Müller. Grofsmündiges Stielthierchen. U. corpore valido, elongato, fere fusiformi, utrinque obtuso, flexili, oris fovea ampla, longius ciliata, apertura anali cauda brevissima, obtusa (gibbere dorsi?), superata. Im August 1833 im Ostseewasser bei Wismar beobachtet. Müller’s Trichoda patens ist etwas länger ausgedehnt dargestellt als die von mir beobachtete Form sich zeigte; auch ist die grofse Grube, in deren Grunde der Mund liegt, nicht bis in den Stirnrand auslaufend gezeichnet; beide Charaktere schienen mir aber nicht allzu wesentlich, um nicht die Identität dieser beiden Seethierchen auszu- sprechen. Der ganze, in der Mitte etwas dickere, daher dem Spindelförmigen sich nähernde Körper ist mit wirbelnden Wimpern in Längsreihen dicht besetzt. Trübung des Was- sers zeigt sie deutlich. Der abnehmende Vordertheil ist gegen das Ende wieder etwas breiter und enthält eine grofse, am Rande mit längeren Wimpern besetzte Grube, de- ren vorderer Rand in den oberen Stirnrand so übergeht, dals die Stirn eine grolse, fast halbeylindrische Oberlippe bildet, wie es bei Dursaria truncatella, Forticella und spirigera angegeben ist. Der Körper ist 5-7 mal so lang als dick; das erstere beob- achtete ich, das letztere geht aus Müller’s Zeichnung hervor. Die Mundgrube betrug bei meiner Form fast den 5! bis 4'* Theil der ganzen Körperlänge, bei Müller, den 6tea bis Ste Theil, was bei so weichen veränderlichen Formen keine bedeutende Abwei- chung, nur die Folge zufälliger Dehnung oder Contraction sein kann. Auch Müller hat schon innere Magenblasen und Körnchen beobachtet. Ich sah beides deutlich. In einem Individuum fand ich eine verschluckte Navicula gracilis. Die genossenen Nah- rungsstoffe waren gelblich. Dicht vor dem After unterschied ich überdiefs eine helle, gröfsere, jedoch wenig contractile Blase. Bei einem anderen Individuum sah ich, als es bei eintretender Verdunstung des Tropfens still lag und breiter wurde, ein paternoster- schnurförmiges, die ganze Körperlänge begleitendes Organ, wie bei Stentor und Bur- saria ambigua. — Ganze Länge 4”. Ein in der Form diesem ähnliches Thierchen habe ich auch am 26. April 1832 im Sülswasser bei Berlin beobachtet, seitdem jedoch nicht wieder gefunden. Die Mundbil- dung reicht nicht bis ganz an den Stirnrand und ist sonach mehr übereinstimmend mit Müller ’s Zeichnung der Trichoda patens. Eben so ist der Hintertheil mehr schwanz- in der Richtung des kleinsten Raumes. 279 artig verdünnt, gerade wie es Müller’s Figur zeigt. Ferner hatte es, wie jenes, nicht einen behaarten, sondern glatten Körper, was freilich die Folge weniger genauer Beob- achtung bei jenem gar leicht sein kann, indem Müller die Wimpern sehr vieler Thier- chen nicht bemerkt hat. Ein Charakter, welcher beide Formen scharf trennt, war aber der, dafs der verdünnte Hintertheil 5 längere Borsten führte, wodurch diefs Thierchen des Sülswassers in die Familie der Oxytrichinen gewiesen wird = Oxytricha caudata 1 am N. sp. — Länge &- 1277 10) = 57. Vısrio subtilis N.sp. Zartes Zitterthierchen. Y. filiformis, hyalinus, rectus, nunquam flexuosus, aperte articulatus, vibrationi- bus articulorum tenuissimis natans. Am 21. April 1832 bei Berlin im Thiergarten beobachtet. Von den mir bekannten Zitterthierchen in dem von mir angenommenen Sinne un- terscheidet sich diese Form leicht durch ihre sehr kleinen, viel zahlreicheren Bewegungs- schwingungen, welche dem Körper eine geradlinige Form lassen, und durch sehr deut- lich queere Vieltheilung oder Gliederung, welche bei den übrigen weit schwieriger zu sehen ist, obschon sie dicker sind. Nur F', prolifer hat ebenfalls deutliche, aber dabei viel gröfsere Glieder. Die fast kugelförmigen einzelnen Glieder sind kaum 705 einer Linie dick und bilden gerade Stäbchen bis zur Länge von 4”. Diese Stäbchen bewe- gen sich deutlich und beständig, ohne sich deutlich zu krümmen, jedoch bemerkt man bei scharfer Betrachtung, dals die einzelnen Glieder des Stäbchens während der Bewe- gung in geschlängelter Linie neben einander liegen, in gerader bei Ruhe. Der Charak- ter der Familie, die Gliederung, ist hier sehr deutlich, der der Gattung wird es durch scharfe Betrachtung ebenfalls. In der Ruhe gleicht es einem Bacterium. Die grolse Feinheit, welche die letzte Grenze der Sehkraft berührt, erlaubt bis jetzt keine weite- ren Structurbeobachtungen. — Länge der einzelnen, sich isolirenden Glieder und Dicke 1m derselben „55, der Stäbchen als Familienform, wie Fragilaria, bis 5”. Neue Familien der Magenthierchen. I‘. DINOBRYINA Nova Familia. Familie der Yirbelmoostlhierchen. Character Familiae: Animal Polygastricum, Anenterum. Pili processusque externi nulli (Gymnicum). Corpus variabile, loricatum. I*. Dinosrron Novum Genus HVirbelmoosthierchen. Character Generis: Lorica (Urceolus) urceolaris, membranacea, gemmipara. gemnmis persistentibus frutescens. Proboscis? Ocellus? Dinogrvon sociale — Vı aginicola? socialis. Geselliges Wirbelmoosthierchen. D. libere natans, minus, loricae conicae, hyalinae, ostio truncato, simplici. 280 58. Ennenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Zuerst im Jahre 1831 auf der staubigen Oberfläche der Gewässer des Thiergartens mit lebenden Navieulis gefunden, eben so im Juli 1834. Ich habe schon früher, besonders in meinem zweiten Beitrage, darauf aufmerksam gemacht, wie auffallend alle Organisationsverhältnisse, sowohl bei den Räderthieren als den Magenthieren, sich in 2 parallelen Formenreihen wiederholen, deren eine panzerlos und die andere gepanzert ist. Durchdrungen von diesem nicht speculativen, sondern durch sorgfältige Forschung in Erfahrung gebrachten Gesetze, welches, für die Räder- thiere allein, auch schon Nitzsch im Artikel Brachionus der Encyclopädie von Ersch und Gruber andeutet, und welches ich als durch alle Organisationsverhältnisse beider Thierklassen fortwaltend sehr mühsam erwiesen habe, machte ich am a. O. pag.70. auf eine Lücke aufmerksam, indem ich bisher keine gepanzerten Formen gefunden zu haben meinte, welche der Familie der Änderlinge (Astasiaeen) entspräche. Was ich damals vermifste, hatte ich aber schon gefunden, nur falsch gedeutet. Das Thierchen, welches ich ebenda pag.93. fraglich Yaginicola ? socialis nannte, erschien mir schon damals sehr eigenthümlich und physiologisch interessant, weshalb ich es schon als besondere Gattung mit dem Namen Dinobryon zu belegen wünschte. Ich habe es seitdem wieder beob- achtet und noch eine andere, ähnliche, grölsere Form entdeckt, welche eine zweite Spe- cies derselben Gattung bildet. Dabei habe ich denn aber auch meine schwankende An- sicht über ihre Bildung anders festgestellt, als ich früher geneigt war. Einen inneren Darm und ein Wirbelorgan, wie bei den Vorticellen und Ophrydinen, habe ich, vieler Mühe ungeachtet, mir doch nicht deutlich machen können, vielmehr schien mir die wirbelnde Bewegung deutlich nicht durch Wimpern, sondern am Vorder- theile durch einen fadenförmigen Rüssel veranlalst, und nicht weit von dessen Inserlions- stelle zeigte die grölsere Form einen beständigen rothen Punkt, wie ein Auge, den ich bei der kleineren, seltneren Form noch nicht deutlich bestätigen konnte. Der, einer Panzervorticelle ähnliche, in seiner Schaale bald langgestreckte, bald kuglig zusammen- gezogene Körper hatte, besonders bei der grölseren, neuen Form, so deutlich die spin- delförmige Gestalt einer Astasia oder Euglena, dals ich die Verwandtschaft mit den Vorticellen nun für aufgelöst ansehe und vielmehr die vermilste gepanzerte Euglena oder Astasia darin erkenne. Höchst eigenthümlich und in seiner Art ohne Analogie bei den Infusorien ist das Gemmentreiben des Panzers, wie bei Sertularien, Halcyonellen, oder vielmehr bei Cor- nularien, denn der Panzer ist nicht, wie bei jenen, die Haut der Thierchen. Immer am oberen Rande treibt jeder Panzer eine Gemme (wie Oculina) und zuweilen, aber sel- ten, 2, wodurch ein Ast entsteht. Da diese Gemmen nicht abfallen, so bilden sich all- mälig Bäumchen wie Sertularien, die 18-20 Thierchen enthalten. — Länge eines Pan- » Dicke 3-A4mal in der Länge. zers Dinosryon Sertwlaria N. sp. Wedelförmiges Wirbelmoosthierchen. D. libere natans, maius, loricae conicae sub ostio constrictae, hyalinae, ostio le- viter exciso. in der Richtung des kleinsten Raumes. 281 Am 2.März und 5. April 1832 bei Berlin entdeckt. Das Thierchen im erystallhellen Panzer ist lebhafter gelb und hat einen nicht ganz scharf umschriebenen, aber deutlichen rothen Punkt am vorderen Ende. Im gefärbten Wasser sieht man vorn an der Panzermündung einen Wirbel. Panzer 4-5mal so lang als dick, unter der Mündung etwas verengt. Mündung ausgerandet (zweizahnig). Das ganze Bäumchen schwimmt. Oft sieht man leere Panzer, aber dann still und todt; ein- 1m zelne gleichen fast einem stiellosen Gomphonema. — Länge eines Panzers %”. U*. VOLVOCINA Nova Familia. Familie der Kugelthiere. Character Familiae: Polygastrica, Gymnica, loricata. Corpus intra loricam fatiscentem sponte dividuum. (Lorica pluribus communis). Genera a) coeca: GYGES, PANDORINA, GONIUM, SPHAEROSIRA, SYNCRYPTA, SYNURA. b) ocellata: CHLAMIDOMONAS, EUDORINA, VOLVOX, ÜROGLENA. Der Charakter der Cryptomonadinen ist nun: Polygastrica, Gymnica, loricata. Corpus aut non, aut cum lorica, sponte dividuum. (Lorica singulis singula). Genera a) coeca: CRYPTOMONAS, PROROCENTRUM. 5b) ocellata: CRYPTOGLENA, LA- GENELLA (anstatt des schon verbrauchten Namens Zagenula), TRACHELOMONAS. Ich habe die Kugelthiere bisher in der Familie der Kranzthierchen, Peridinaea, ver- zeichnet, allein die fortgesetzten Untersuchungen haben mir eine andere Ansicht über die Structur dieser Formen gegeben. Ich glaube aus den Gattungen Yolvox, Gonium, Sphaerosira, Eudorina von den bereits beschriebenen, welche sämtlich bisher von mir zu den Kranzthierchen gezählt wurden, und aus den Gattungen Gyges und Pandorina der Panzermonadenfamilie die neue Familie der Kugelthiere bilden zu müssen, wozu ich die vier neuen Gattungen Chlamidomonas, Synerypla, ‚Synura, und Uroglena stelle. Sämtliche genannte Formen nämlich gehören keineswegs zu den behaarten Magen- thierchen, Epitricha, sondern zu den nackten, Gymnica, obwohl die Kugelthiere be- haart erscheinen. Ich habe mich überzeugt, dals die Behaarung des Folvox Globator sowohl als des Gonium pectorale nicht, wie ich früher meinte, durch Haare oder Wim- pern gebildet wird, sondern das Wirbeln der Oberfläche wird durch Rüssel der einzel- nen Thierchen veranlalst, die haarförmig sind und sich nicht drehen, sondern wie eine bewegte Peitsche schlängeln, die Thierchen selbst aber haben einen glatten Körper. Ich sehe ferner jetzt bei Yolvox Globator und seinen Verwandten nicht mehr jede grofse Kugel für ein einzelnes, zur Hülle gewordenes Thier an, sondern jeden der kleinen grü- nen Punkte der Oberfläche, welcher einen einfachen Rüssel, wie eine Wimper, trägt, glaube ich für ein besonderes Thier halten zu müssen. Ja ich habe sogar neuerlich in jedem solchen grünen Punkte noch ein rothes Pünktchen beobachtet, welches ich, wie bei Eudorina, die ich auf Tafel II, Fig.x. des zweiten Beitrages abgebildet habe, für ein Auge halte. Die Vorstellung, welche ich vom Folvox Globator habe, ist demnach jetzt folgende. Das wichtigste an diesem Körper sind die kleinen grünen Körnchen, welche in der Ober- Phys. Abhandl. 1833. Nn 28 2 Eunengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Näche liegen und bisher kaum beachtet worden sind. Diese sind die eigentlichen Thiere. Die grofse, gallertige, hohle Kugel bildet sich durch Theilung und Gemmentreiben jener kleinen grünen Körner oder Monaden, deren jede einen langen, sehr beweglichen, wim- perartigen Rüssel und ein rothes Auge hat und die unter sich durch Gallerte und Fä- den (Stolonen?) verbunden sind. Hat die gemeinschaftliche Kugel eine gewisse Gröfse erreicht, so werden an gewissen Stellen derselben einzelne Individuen besonders zur Selbsttheilung geneigt. Man sieht sie erst in 2, dann in 4, dann in 8 Theile verviel- fältigt und nun erkennt man in ihnen schon den Anfang der grolsen inneren Kugeln, welche nachher durch fortgesetzte Theilung der grünen Körperchen sich weiter ausbil- den. Aus dieser Vorstellung ergiebt sich, dals man an der ganzen Kugel eines Yolvoz umsonst einen Mund sucht, wie ich denn viele Zeit und Mühe damit verloren habe. Viel- mehr bat jede der zahllosen kleinen Monaden, welche die Kugel bilden, ihren besondern Mund, und man hat mithin nach Darm und Eiern nicht in der grofsen Kugel zu suchen, sondern in jedem der kleinen sie bildenden Pünktchen. Es ist eine Bildung der Mona- dinen wie Ophrydium versatile unter den Vorticellinen. Die übrigen Formen der Ku- gelthiere sind ähnlich und deutlicher so gebildet. Die als augenlos von mir bezeichne- ten Gattungen müssen zum Theil noch schärfer revidirt werden. Vor Kurzem glaubte ich auch bei Sphaerosira Augen zu erkennen, will aber die Beobachtung erst noch mehrmals prüfen. Die Familie der Yolvociens von Bory de St. Vincent ist ganz verschieden von der hier aufgestellten und enthält ganz heterogene Körper, Gyges, Yolvox und Enche- lys = Chlamidomonas, Euglera, Enchelys, Trichoda, Leucophrys und eine deutliche Art der Pflanzengattung Conferva, die er wegen ihrer bewegten Saamen Tiresias crispa (auch Enchelys Tiresias) nennt und welche Agardh, wie auch ich urtheile, für die gemeine Conferva capillaris erkennt. ' Systema Algarum 1824, pag. 95. Neue oder bisher übergangene Gattungen von Magenthierchen. (Da die innere Structur dieser Körper bisher nie, nur die Form berücksichtigt wor- den war, so konnten die von anderen schon verzeichneten besonderen Gattungen nur erst nach erneuter Prüfung aufgenommen werden. Die meisten dieser waren bisher als Pflanzen von Botanikern beschrieben. Die von mir zuerst beobachteten und benannten Gattungen sind mit einem Sternchen versehen). 1, Acımantues Bory de St. Vincent 1822. Fahnenthierchen. Familie der Stabthierchen, Bacillaria., Character Generis: Animalculum intus vesiculosum (Polygastricum), ve- siculis intestino distincto non connexis (Anenterum), processus variabiles, molles, pediformes exserens? (Pseudopodium), loricatum. Lorica prisma- tica, quadrangularis, oblique simpliciter pedicellata, vexilliformis. in der Richtung des kleinsten Raumes, 233 59. Acunanturs longipes Agardh. Zangfüfsiges Fahnenthierchen. A. bacillis striatis, singulis mediis deorsum inflexis, a latere utrinque truncatis, a dorso ventreque utrinque rotundatis, solitariis aut divisione laterali multi- plicatis, pedicello crasso, bacillis saepe duplo et quintuplo longiore, affıxis. Im August 1833 im Ostseewasser bei Wismar und Kopenhagen, im Kategat und bei Droebak in Norwegen auf Sertularien und Ceramien von mir in zahlloser Menge be- obachtet. Die Gattung Achnanthes wurde 1822 von Bory de St. Vincent im Diet. clas- sique aufgestellt, aber erst von Agardh 1824 gut umgrenzt, nur noch ohne Rücksicht auf die innere Structur und daher als Pllanzengaltung unter den Algen verzeichnet. Ich habe bisher nur eine Art zu beobachten Gelegenheit gehabt, aber alsbald gesehen, dafs diese sonderbar gestalteten, bewegungslos festsitzenden Körper die gröfste Übereinstim- mung mit den beweglichen Navieulis im inneren Baue haben und dafs sie sich zu den Naviculis nur so verhalten, wie die stiellose Gattung ‚Stentor zu den gestielten Vorti- cellen der Magenthierchen, oder wie unter den Corallenthieren sich Fungia und Caryophyllaea verhalten. Der obere, auf dem Stiele sitzende Körper des fahnenartigen Thierchens ist ein ein- faches oder mehrfaches, der Navicula wiridis sehr ähnliches, aber in seiner Mitte ge- knicktes Stäbchen. Der Körper desselben ist prismatisch vierseitig und besteht aus einer harten, an den Kanten gestreiften Schaale, welche, zerdrückt oder zerschnitten, in un- regelmäfsige Fragmente bricht, als wäre sie aus feinem Glas, wie hohle Glasperlen. Die 4 Seiten der Stäbchen sind ungleich, 2 breiter, 2 schmäler. Am Ende einer der schmalen Seiten, der Bauchseite, sind sie mit dem Stiele verbunden. Die breiteren Flä- chen sind 2-6mal so lang als breit und bilden durch eine Biegung in der Mitte einen stumpfen Winkel. Ihre Enden sind gerad abgestutzt, mit abgerundeten Ecken. Auf die- sen Flächen bildet die Streifung der gerundeten Längenkanten 2 queer gestreifte, seit- liche, dunklere Binden, welche einen ungestreiften helleren Zwischenraum oder eine klare Mittelbinde einschliefsen. Diesen hellen Zwischenraum sah ich zuweilen deutlich mit 4-6 sehr matten, parallelen Längslinien bezeichnet. Beide breitere Flächen sind sich vollkommen gleich und ich nenne sie Seitenflächen. Die beiden schmalen Flächen kann man, so lange die Stäbchen auf den Stielen sitzen, leicht als eine obere, vom Stiele abgewendete, und eine untere, den Stiel aufnehmende unterscheiden. Beide Flächen sind bandförmig, mit ganz abgerundeten Enden und in der Mitte mit einer kaum bemerkba- ren Einschnürung. Die untere Fläche bildet die innere concave Seite des stumpfen Winkels, welchen die Stäbchen durch Einknicken ihrer Mitte darstellen, die obere die äußsere convexe Seite. Beide Flächen sind durch und durch queer gestreift, ohne glat- ten Zwischenraum, nur trennt eine deutliche Längslinie die Streifung und Flächen in 2 gleiche Theile. Queerlinien zählte ich an den Seiten immer gegen 50. An der obe- ren convexen Fläche ist aulserdem nichts zu bemerken; sie wird wohl mit Recht die Rückenfläche genannt. An der unteren concaven Fläche ist in der Mitte, ganz im Win- Nn2 284 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation kel der Biegung, ein Queerspalt sichtbar, welcher da, wo er die mittlere Längslinie schneidet, etwas erweitert ist. Diese Stelle halte ich für den Mund, weil sie die ein- zige bemerkbare Öffnung ist, und rechtfertige damit den Ausdruck Bauchfläche für die concave Seite. Ich habe eisigemale zwar versucht, durch Indigofärbung einen Rüs- sel oder andere Organe zur Anschauung zu bekommen, war aber nicht glücklich und hatte nicht genug Ruhe zu intensivester Aufmerksamkeit. Im Innern erkennt man eine goldgelbe Masse, welche in der Mitte der Stäbchen ein Kreuz bildet. Ich halte diese für den Eierstock und dessen Form für viertheilig. Im Alter und Tode bildet diese gelbe Masse entweder zerstreute, oder in der Mitte ange- häufte -Kügelchen. Der übrige Theil der Stäbchen ist ganz crystallhell und erlaubte keine weiteren Structurbeobachtungen. Der Stiel ist cylindrisch, immer einfach, cerystallhell und an der Anheftungsstelle ein wenig erweitert, wie das Mundstück einer Trompete. Ästige Stiele scheinen bei der Fortpflanzungsweise dieser Stäbchen ganz unmöglich zu sein. Aufser der vermuthlichen Eibildung in dem gelben Eierstocke geschieht dıe Vermeh- rung der Stäbchen durch Längstheilung der Seitenflächen, der eine ansehnliche Erwei- terung derselben vorausgeht, so dafs die Breite fast die halbe Länge erreicht. Zwei erst neuerlich durch Längstheilung eines einfachen entstandene Stäbchen sieht man im- mer an den zugewandten Ecken der Enden durch eine Haut verbunden, welche später verschwindet. Es scheint sich also die neue jederseitige Panzerhälfte im Innern zu bil- den, dann aber das umgebende Häutchen abgestofsen zu werden, denn länger getheilte Individuen sind an den Ecken scharf getrennt. Die grölste Menge der durch Längsthei- lung entstandenen Stäbchen auf Einem Stiele betrug 6, die gröfste Länge des Stiels 4 mal die Länge seines Stäbchens. — Längendurchmesser der Stäbchen von 4-4” ('). 48 1I*. Acınera Novum Genus. Strahlenbäumchen. Familie der Kranzthierchen, Peridinaea? Eigne Familie? Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Epitrichum, loricatum, se- tosum. Lorica varia, membranacea, pedicellata. Cilia nulla. 60. AcınEra mystacina— Cothurnia? mystacina. Langbärtiges Strahlenbäumchen. A. corpore subgloboso, longe setoso, setis corpore duplo longioribus, apice in- erassatis, pedicello corpore multo breviore aut corpus fere aequante. Ich fand diels Thierchen zuerst im Juli 1831 und wieder im September 1832 auf den Wurzeln der Lemna minor bei Berlin. Crystallhelle Köpfchen auf sehr kurzen Stielen, oben mit sehr langen, zarten, unbe- weglichen oder unmerklich bewegten Borsten besetzt. Die zweiten Exemplare zeigten die (') Kützing hat neuerlich in der Zinnaea 10 Arten der Gattung Achnanthes verzeichnet, indem er 5 neue, wahrscheinlich nur in salzigen Gewässern des Festlandes, beobachtet hat, die übrigen sind Seethiere. Die inneren Structurverhältnisse sind nicht beobachtet. N 61 in der Richtung des kleinsten Raumes. 285 Spitzen der Borsten als Knötchen. Ein gelblicher, kleiner, runder Körper, dem einer Vorticelle ähnlich, steckt in der Mitte der erystallenen Blase. Die Unbeweglichkeit der Borsten veranlalst mich, diese Form von Cotkurnia, wohin ich sie fraglich gestellt hatte, zu entfernen und einstweilen zu diesen, wie es scheint, näheren Verwandten zu stellen, nach denen ich die neue Gattung gründen zu müssen glaubte. Von dieser Form habe ich nur erst wenig Exemplare gesehen. Drei Exemplare waren nach oben etwas zugespitzt und ganz kurz gestielt, eins war herzförmig ausgerandet und etwas länger 1 1m gestielt. — Länge 5-5” samt dem Stiele. Acısera Zyngbyi N.sp. Lyngbye’s Strahlenbäumchen. A. corpore globoso, undique setuloso, setis corpore brevioribus (acutis?), pedi- cello longo, crasso, hyalino, corpore Havicante, 3 - dies longiore. An Sertularia Monopyxis geniculata bei Kopenhagen im September 1833 entdeckt. Runde, strahlige, dicke Köpfchen auf dicken, einfachen, wasserhellen Stielen. Die Borsten sind nicht so lang als die Köpfchen dick und scheinen zugespitzt zu sein. Die Dicke des Stiels beträgt zuweilen fast 4 der Körperbreite und seine Länge 3-5mal die Länge des Körpers. Der Stiel scheint in eine Vertiefung des Körpers eingesenkt. Das Innere der Kugel war deutlich blasig, aber weitere Structurverhältnisse lielsen sich nicht entwickeln. Mund und Bewegung habe ich nicht beobachtet. Die ganze Erscheinung dieser Art ist die eines gestielten Sonnenthierchens, Aetinophrys Sol. Wegen gleichzeitigen Vorkommens der folgenden Form habe ich den helleren Rand des Körpers für eine besondere Hülle, Panzer, genommen. Eine eigene Gattung würde die Form jedenfalls bilden, auch wenn sie sich als der Actinophrys nä- her stehend späterhin erweisen sollte. Ich fand sie sehr häufig und wollte mit dem Na- men Herrn Pastor Lyngbye meine Achtung zu erkennen geben und diesen von mir nur auf der Reise beobachteten Körper seiner näheren Aufmerksamkeit empfehlen. — 1n Durchmesser der gröfsten Köpfchen 4”, der ganzen Thierchen % -%”. . AcınE ra tuberosa = F orticella tuberosa Müll. Gehörntes Strahlenbaumchen. A. corpore compresso, oblongo, apice truncato, bicorni aut tricorni, glabro, cor- nubus lateralibus duobus setosis, pedicello crasso, simplice, longitudine plus duplo corpus superante. Im August 1833 bei Wismar in der Ostsee auf Ceramium diaphanum und auf Fucus, Scytosiphon, Filum häufig beobachtet. Diese auffallende Form gleicht in der Zeichnung einer Vorticelle, in der Natur hat sie aber wenig Ähnlichkeit damit. Die bewimperten, ohrenförmigen Organe sind steif und die Wimpern machen keinen Wirbel, sondern sind Borsten, die an der Spitze ein Köpfchen führen. Müllers Abbildung der Yorticella tuberosa palst ganz auf die von mir beobachtete Form, nur ist letztere nicht farblos, sondern braungelb gefärbt. Mül- ler’s Beschreibung ist sehr dürftig und ist das Resultat einer einzigen Beobachtung abge- rissener Thierchen von einem gemeinsamen Stamme, wie er selbst vermuthet. Baker’s 286 II* 63. Eurengeng: Beürag zur Erkenntnifs grofser Organisation Thierchen, welches er dazu anführt, scheiat mir eine wahre, zufällig vielseitig in an- fangender Längstheilung begriffene Epistylis gewesen zu sein und ich halte diefs für ganz verschieden. Ich glaube also, dafs Müller nur 2 todte Panzer der Acineta vor sich gehabt hat, deren gelbe Eingeweide ausgeflossen waren. Von Bewegung spricht er auch nicht, was er doch sonst bei wahren Vorticellen nicht unterlälst, und auch die- ses palst auf Acineta (dzw:rn, die Bewegungslose). Der etwas zusammengedrückte Körper ist,länglich, die Breite 1%mal in der Länge, vorn breiter als hinten, hinten abgerundet, und an einen dicken, sehr durchsichtigen, ein- fachen Stiel geheftet. Vorn ist er meist zweihörnig, zuweilen aber ist in der Mitte noch ein dritter Höcker. Die 2 seitlichen Hörner haben an der Spitze ein Bündel ge- knöpfter Borsten, die ich nie bewegt sah. Länge der Borsten kürzer als die Körper- breite. Stiel mehr als doppelt so lang als der Körper, liegt etwa 6mal in der mittle- ren Körperbreite. Im Innern unterscheidet man eine braungelbe Masse, wie bei den Euastris, welche 2 dunkle, breite, nicht scharf begrenzte Längsbinden bildet, die einen mittleren helleren Streif einschliefsen. Die Hörner sind gegen die abgerundete Spitze weilslich (farblos). Der Stiel ist ganz farblos und schwer sichtbar, obschon er sehr dick ist. Zuweilen sieht man die Schaale halb und ganz entleert, was an Gomphonema erinnert, allein der glatte, nicht prismatische Panzer weicht sehr von jener Gattung ab. Bei einigen Individuen schienen mir auch die Hörner eingezogen zu sein, wenn diefs nicht Milsbildungen waren. Obwohl ich mit den Structurverhältnissen dieser Formen nicht so weit habe ins Klare kommen können. dafs die nöthigen Charaktere für ihre natürliche Familie festzu- stellen gewesen wären, so glaube ich doch, dafs sie in den ermittelten Charakteren viel zu grolse Verwandtschaft mit den Kranztbierchen verrathen, als dafs sie wo anders hin mit mehr Wahrscheinlichkeit des Rechtes gezogen. werden dürften. — Körperlänge ohne den Stiel 4-4”. Acineta: Peridinium = Chactomonas: Cyclidium. . Cuartosrena Novum Genus. Borstenauge. Familie der Kranzthierchen, Peridinaea. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Epitrichum, loricatum. Lo- rica tota setulosa, rigida, libera. Proboscis filiformis. Ocellus singulus. Cnartocıena volvocina N.sp. Wälzendes Borstenauge. €. corpore ovato, subgloboso, fuscescente-viridi, undique setis brevibus, hispido, ocello rubro, rotundo, proboscide filiformi corpus superante. Tafel VII, Fig.vı. Zuerst am 20. April, dann am 14. Mai: 1832 bei Berlin zwischen Conferven des Thiergartens wieder beobachtet. Die ganze Gestalt und Erscheinung des Thierchens gleicht sehr der Trachelomonas volvocina, nur ist der Panzer nicht glatt, sondern mit kurzen Borsten besetzt, die noch nicht % des Queerdurchmessers gleichen. Im ganzen Umkreise des bräunlich- grünen Körpers sieht man einen röthlichen Schein, wie bei Trach. volvocina, und dieser ist in der Richtung des kleinsten Raumes. 257 ebenfalls die Folge der Panzerumhüllung. Beim Druck zwischen geschliffenen Glasplat- ten zerspringt der Panzer in scharfe kantige Fragmente, wie bei jener. Innere Organe liefsen sich wegen geringer Durchsichtigkeit nicht weiter erkennen, doch ‘war das In- nere (durch Magenblasen ?) deutlich verschieden schattirt. Der sehr bewegliche Rüssel scheint sowohl die um die Längsaxe drehende, vorwärts gerichtete Ortsveränderung als die Ernährung zu vermitteln. Der längliche Körper ist 1/;mal so lang als dick, vorn 1m abgerundet; oft erscheint er kuglig. — Länge %”. IV* CnarroryvpuL.a Novum Genus. Klettenthierchen. Familie der Kranz- thierchen, Peridinaea. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Epitrichum, loricatum. Lo- rica tota setulosa, rigida. Proboscis nulla (?). Cilia oris antica (?). Ocel- lus nullus. CHAETOTYPHLA armata = Pantotrichum armatum., Stachliches Klettenthierchen. C. corpore ovato, utrinque rotundato, subgloboso, fusco, ubique setis brevibus hispido, corona apiculorum postica, nigra. CHAEToTYPHLA aspera — Pantotrichum asperum. Rauhes Klettenthierchen. C. corpore, oblongo, fusco, utrinque rotundato, ubique setis brevibus hispido,_ apiculis posticis minoribus sine ordine sparsis. Bei beiden Formen, deren ich schon früher in der Gattung Pantotrichum Erwäh- nung gethan, habe ich mich neuerlich von der Anwesenheit einer harten Hülle über- zeugt, weshalb sie aus der früheren Gattung zu entfernen sind. Ihre Form ist der der Chaetoglena sehr ähnlich. Ob sie mit einem Rüssel oder mit Wimpern den sichtbaren Strudel vorn machen, habe ich nicht entscheiden können, doch schien mir das letztere wahrscheinlicher. Bewegung wälzend um die Längsaxe, nach vorn. V*. Cmiropoxn Novum Genus. Zahnthierchen. Familie der Halsthierchen, Trachelina. Character Generis: Polygastricum, intestino distincto (Enterodelum), ore infero, ano terminali (Allotretum), non loricatum. Valvula mobilis prope os nulla. Frontis ciliorum corona discreta nulla. Labium superius porrectum, dilatatum, obliquum. Oris apertura dentium corona armata. CrıLovon Cucullulus = Loxodes Cucullulus — K olpoda Cucullulus Müller. Haubenförmiges Zahnthierchen. C. corpore oblongo, hyalino, postico fine rotundato, ventre plano, dorso leviter convexo, dentibus 16. Tafel II, Fig.ı. Die Gattung Loxodes bleibt für die zahnlosen Formen, Diese Species habe ich schon auf Tafel IV, Fig. ıı. des ersten Beitrages in vielen Situationen und Formen, aber nicht 288 Ennengenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation hinreichend stark vergröfsert, abgebildet. . Bei Fig. 17* waren auch schon die Spuren der Zähne treulich angezeigt. Auf Tafel II, Fig.1. dieser Abhandlung, ist die’ Structur noch mehr entwickelt dargestellt. Im Texte dieser Abhandlung ist pag.169 und 170. an- statt Chilodon Euodon gedruckt, was einerlei bezeichnet, und im Anhange zur Abhand- lung über die Corallenriffe, 1832, pag.437. ist statt Kolpoda Cucullus zu lesen Kol- poda Cucullulus und das dort gesagte auf Chilodon Cucullulus zu beziehen. VI“. Curamıdomonas Novum Genus. Züllthierchen. Familie der Kugelthier- chen, Volvocına. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum. Lo- rica glabra, membranacea, nec dividua nec gemmipara, intus sensim sponte divisi corporis partes includens. Proboscis filiformis. Ocellus singulus. UntamIpomonas Pulvisculus = Monas Pulvisculus Müller. C..corpore ovato, subgloboso, antico fine subacuto, lorica hyalina, corpore laete viridi, proboscide corporis fere longitudine. Die Theilung dieser Monade geschieht nicht wie bei den übrigen, sondern innerhalb einer sehr durchsichtigen Haut, die ich bisher stets übersehen habe. Es bilden sich darin 2 und 4 Theile, so dafs die mehrtheiligen Individuen wie Junge der Pandorina Mo- rum erscheinen. Jene haben aber nur einen Rüssel oder 1 scheinbare Wimper, wäh- rend diese mehr haben. Im Innern ist besonders eine grölsere Blase deutlich. Das rothe Auge ist zuweilen schwer zu erkennen, doch sehe ich es jetzt immer wieder. Contra- hirt und ruhend sind sie kugelrund. VII* Coracıum Nov. Gen. Flohfreund. Familie der Anderlinge, Astasıaca. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, non loricatum. Corpus variabile. Cauda affgens (patella suctoria terminalis?). (Proboscis nulla?) Cilia oris rotantia? Ocelli nulli? 04. Covacıum vesicwWosum N.sp. Blasiger Flohfreund. C. corpore ovato-fusiformi, variabili, laete viridi, intus vesiculoso, cauda bre- vissima. Ich fand diese Form am 5. Mai 1832 bei Berlin auf einem Wasserflohe, Crclops quadricornis. Diese Gattung bilde ich jetzt aus dem Thierchen, das in meinem zweiten. Beitrage als Stentor? pygmaeus verzeichnet ist. Der letztere Name gehört eigentlich der fol- genden Art, welche ich schon früher kannte. Damals habe ich aber wahrscheinlich beide Formen verwechselt und unter einem Namen betrachtet. Beide sind sehr klein, ob- wohl recht auffallend, und bedürfen noch weiterer Untersuchung. Colacium vesiculosum sind kleine, grüne, einer Astasia ähnliche Körper, welche sich auf allen Körpertheilen der Wasserflöhe ansaugen und, wie kleine Vorticellen, mit in der Richtung des kleinsten Raumes. 289 dem freien Ende einen Wirbel machen. Löst man sie vom Standorte ab, so winden sie sie sich und kriechen unbehülflich, wie Zuglena deses. Wegen des Ansaugens, was am Schwanzende ein besonderes Saugorgan verräth, glaube ich diese Formen von den Astasien trennen zu können, und bei der folgenden Art habe ich auch einen rothen Augenpunkt öfter erkannt, welcher bei dieser Art denn vielleicht auch vorhanden ist. Ich habe das Thierchen neuerlich nicht wiedergefunden, um es danach zu prüfen. Das vordere Körperende ist stumpfer als das hintere; beide sind farblos, während der ganze übrige Körper grün ist. Ob die Wirbelbewegung am vorderen Ende, welche bei Fär- bung des Wassers sichtbar wird, durch einen Rüssel oder durch Wimpern bewirkt werde, liefs sich noch nicht entscheiden. Im Innern war der ganze Körper voll Bläschen, welche ihm eine etwas dunklere Färbung als der andern Art gaben. Der Fuls bildet noch nicht den 10! Theil des Körpers. Ausgestreckt ist es etwa 3mal so lang als dick und spindelförmig, oft ist es kuglig oder eiförmig contrahirt. — Länge },”. Coracıum stentornum = Stentor? pygmaeus. Trompetenförmiger Flohfreund. C. corpore oblongo, subeylindrico aut conico et fere infundibuliformi, variabili, laete viridi, intus aequabili, longius pedicellato, pede dimidium corpus fere aequante. Tafel XI, Fig. ı1.? Ich fand die ersten Exemplare 1832 auf den jungen, noch schwanzlosen Cyelops- Larven, dann wieder am 5. März und 30. September 1832 bei Berlin. Zuletzt sah ich vermuthlich hierher gehörige Thierchen auf Polyarıhra sexpennis (= Polyarıhra Tri- gla), versäumte aber über diese sehr interessante Räderthierform, sie näher zu beachten. Das Thierchen kann die vordere wirbelnde Fläche breiter als den Körper ausdehnen und abgefallene Exemplare gleichen der Euglena viridis sehr, sind aber viel träger. Form und Saugfläche am Schwanzende gaben mir früher die fragliche Ähnlichkeit mit Stentor, dessen bestimmte Organisation ich aber später nicht bestätigen konnte. Zu- weilen sah ich viele Exemplare auf gemeinschaftlichen verzweigten Stielen, wie Bäum- chen, glaube aber, dafs die Stiele fremdartig waren. Da, wo der farblose Kopf in den grünen Körper übergeht, sah ich zuweilen deutlich einen röthlichen Punkt, möchte aber die Beobachtung noch wiederholen, ehe ich das Auge als sicher existirend bezeichnete. Diese Form ist kleiner, lebhafter grün als die vorige und hatte nie die vielen inne- ren Bläschen, obschon ich sie schr häufig sah. Die stiellosen Exemplare auf der Po- lyarthra waren wahrscheinlich contrahirt. Das bei Polyarıhra sexpennis pag.227. erwähnte Colacium aequabile ist einerlei mit Colacium stentorinum. — Länge 4”. IX*. Cryprosuena Novum Genus. Panzerauge. Familie der Panzermona- den, Cryptomonadina. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum. Lo- rica singulis singula, foveata. Ocellus singulus. Phys. Abhandl. 1833. 00 290 65, 66. Ennensgeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Cnyprocıena caerulescens N.sp. Bewegliches Panzerauge, C. corpore ovato, depresso, minimo, antico fine emarginato, postico rotundato, colore caerulescente -viridi, ocello rubro. Tafel VII, Fig. ı. Ich fand diese Form im Januar 1832 in dem warmen Bassin der Königlichen Por- zellanfabrik zu Berlin zwischen Conferven. Später, im Frühling desselben Jahres, fand ich sie auch häufig im Thiergarten. Ich habe beider Formen bereits in meinem zweiten Beitrage pag. 150. Erwähnung gethan. Der Körper der C. caerulescens ist fast doppelt so lang als breit, hinten ab- gerundet, vorn ausgeschweift. Der glatte Panzer samt dem Körper hat vorn eine tiefe Grube, in deren Grunde der Mund zu liegen scheint. Die Form erinnert an Bursaria truncatella, ist aber niedergedrückt, mit abgeflachtem Rücken und Bauche. Im Innern ist eine bläulich-grüne Masse und in derselben erkennt man fast in der Mitte, etwas nach vorn, ein deutlich rothes Auge. Die tiefe Grube des Panzers, durch welche der Körper vorn ausgeschweift erscheint, veranlalst auch einen mittleren helleren Streifen des schwimmenden Thierchens, welcher nur durch die gröfsere Durchsichtigkeit an die- ser Stelle entsteht. Die Bewegung dieser Art, welche viel kleiner als die andere ist, ist sehr schnell, während die grölsere Art langsam fortschwimmt. — Länge ;5”- Diels ist die kleinste Thierform, an welcher deutlich ein rother Augenpunkt zu er- kennen gewesen. Crvprocresa pigra N.sp. Träges Panzerauge. C. corpore ovato, turgido, parvo, poslico fine rotundato, anlico emarginato, Co- lore paullo laetius viridi, ocello rubro. Tafel VI, Fig. ı1. Im Februar 1832 zwischen Conferven des Thiergartens unterm Eise gefunden. Der bläulich-grüne Körper ist etwas lebhafter grün, doppelt so grofs und dicker als bei voriger Art. Im Übrigen sind die Verhältnisse bis auf eine geringere Beweglich- keit dieser Form gegen die andere gleich. Das rothe Auge ist sehr deutlich, fast in der Milte. Die Gattung Cryptoglena unterscheidet sich von Cryptomonas vorläufig nur durch Dasein des Auges, indem die Panzerform und Farbe bei C. ovala und erosa ganz ähn- lich ist. Die Augenführenden Gattungen Zagenella und Trachelomonas haben keine Vertiefung für den Mund, welche denselben wohl in die Körpermitte bringt, sondern tragen diesen am vorderen Ende. — Länge „15, also etwa halb so grols als Chlami- domonas (Monas) Pulvisculus. Dafs diese Formen im Winter gefunden worden sind, ist nicht besonders merkwür- dig, denn ich habe jährlich sehr viele Arten von Räderthieren sowohl, als polygastrischen Infusorien im Winter unter dem Eise lebend gefunden. Actinurus, Philodina ery- throphihalma, Salpina mucronata, Euchlanis dilatata, Stentor polymorphus, For- ticella Convallaria, Paramecium Aurelia, Kerona pustulata, Siylonychia Mytilus in der Richtung des kleinsten Raumes. 291 habe ich regelmäfsig jeden Winter unterm Eise gefunden, aber auch noch viele andere Arten, besonders Bacillarienformen. X. Desmiprum Agardh. Kettenstäbchen. Familie der Stabthierchen, Bacilaria. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Pseudopodium?, loricatum. Lorica prismatica, triangularis, divisione spontanea aut perfecte divisa, aut, illa imperfecta, in taeniam longam, simplicem, catenatam aucta, filum Confervae simile demum referens. 67. Desmivıum Swartziü Agardh. Swartzens Kettenstäbchen. D. corpuseulis rectis, latere utrinque plano longe concatenatis, intus viridibus, liberis, a dorso ventreque visis oblongis, quadratis, utroque fine aut leviter emarginatis, aut obtuse bifidis, a latere visis argute triangularibus, angulis obtusis. Bei Berlin schon längst beobachtet, aber erst am 20. Juni 1832 für ein Stabthier- chen erkannt. Die eigentliche Bildung der Kettenstäbehen hatte der geistvolle und phantasiereiche Gründer der Gattung nicht erkannt, sondern dieselbe ist erst von dem treu und fleilsig beobachtenden Lyngbye entdeckt worden. Aber auch diese Beobachtungen blieben noch ungenügend. Einiges hoffe ich hiermit zur weiteren Erläuterung beizutragen. Das Desmidium Swartzü, welches Lyngbye abbildet und Turpin von ihm im Diet. des sc. nat. copirt hat, sind keineswegs Fila plana, articulis post copulatio- nem triangulatis, wie es Lyngbye definirt, noch auch Fıla plana, striata, pinna- tüfida, wie es Agardh später von Neuem beschreibt (Systema Alg. XV.). Es sind viel- mehr prismatische, keltenartige Bänder, ganz wie die Fragilarien uud Bacillarien, aber nicht flach wie diese, sondern dreiseitig, wie ein dreischneidiger Degen. Diese dreiseitig prismatischen Ketten erscheinen unter dem Mikroskop, sie mögen auf jeder beliebigen Fläche liegen, wie flache, queer gestreifte Bänder, weil die mittlere Leiste, von oben gesehen, unsichtbar wird. So hat man sie bisher beschrieben und es sonderbar gefun- den, dals ihre Glieder unter gewissen Verhältnissen plötzlich dreieckig erscheinen, was sehr natürlich so sein mus, sobald sie einzeln getrennt von jener Seite gesehen werden, welche sie bei der bandförmigen Gesellschaftsform einander zukehren und die man da- her dann nicht sehen kann. Eine andere Schwierigkeit ist bisher die gewesen, dals man die einzelnen Stäbchen, welche in der Bandform die Queerstreifen bilden, bald an den Enden einfach abgerun- det, wie bei Lyngbye und Turpin die zweite Figur von oben, bald zweizahnig oder gar zweitheilig sah, wie in den übrigen Figuren. Eine Erklärung dieser Erscheinung gab mir die Beobachtung ihrer Selbsttheilung. Im jungen Zustande theilen sie sich, wie es mir schien, eben so unvollkommen, ohne zu klaffen, wie die Fragilarien, und dabei bleiben ihre Enden fast einfach abgerundet, wenn sie aber grölser geworden und durch fortgesetzte Theilung schon zu langen Ketten herangewachsen sind, dann tritt allmälig 002 D [ee] Eunensgeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation eine vollkommenere freiwillige Theilung ein, bei der sie sogleich an allen 3 Enden klaffen und sich immer mehr spalten bis zur vollendeten Theilung. Dieses Klaffen ha- ben die Fragilarien nicht, die Bacillarien aber in einem noch stärkeren Grade, jedoch nur einseitig. So erschienen mir diese Bildungen. Jedoch sah ich bei sehr kleinen Des midien schon eine Ausrandung an den Enden, und es könnte wohl die ganzrandige Form, welche bei Turpin, obwohl deutlich nur Copie, noch schärfer einzahnig als bei Lyng- bye dargestellt ist, eine andere Art derselben Gattung sein. Übrigens hat Desmidium in seiner Structur mehr Ähnlichkeit mit Euastrum als mit Navicula oder Fragilaria, seine geringe Grölse erschwert aber die genauere Ver- gleichung. Ein einfaches Glied der Kette (Stäbchen) ist, von oben gesehen, ziemlich 3mal so lang als dick, beim Streben zur Selbsttheilung sind sie kurz vor Erreichung derselben 1',mal so lang als breit, aber dabei klaffend. Das Innere ist mit grüner zä- her \asse erfüllt, welche sich allmälig, in mehr oder weniger regelmäfsige Häufchen gegen die Mitte sammelt. Überdiefs sieht man zuweilen Bläschen. Von der Seite ge- sehen ist ein einzelnes Glied gleichseitig triangulär, mit etwas concaven Seiten und stum- Z pfen Spitzen. — Breite der Kette oder Länge des Kettengliedes 4”. Desmipium ? orbieulare N. sp. Scheibenförmiges Kettenstäbeken. D. corpore laevi, obtuse triquetro, lateribus turgidis, hine a dorso viso subor- biculari, bifido, nec sociali. Am 11. Mai 1832 bei Berlin zwischen Conferven zuerst beobachtet. Diese Form unterscheidet sich von der vorigen dadurch, dafs sie nie lange Bänder bildet, sondern einzeln erscheint, physiologisch ausgedrückt, dafs sie keine unvollkom- mene, sondern eine vollkommene oder gar keine Selbsttheilung hat. Hierin sind alle folgenden Arten mit dieser übereinstimmend und wollte man consequent sein, so mülste man die einzelnen Formen von der bandartigen als besondere Gattung trennen, denn sie verhalten sich gerade so wie Navicula und Fragilaria. Ich hatte auch bereits eine Gattung Zygoprisma, Doppelprisma, mit ihnen abgesondert, allein in Erwägung, dals ich diese Formen vielleicht nicht recht vollständig beobachtet habe, habe ich, obschon ich sie in ziemlicher Menge, und neuerlich wieder gesehen habe, doch die vorläufige Vereinigung vorgezogen. Ein Desmidium orbiculare erscheint überdiefs, von oben gesehen, wie 2 in der Mite vereinigte, halbe Scheiben, indem die beiden Seiten nicht flach, wie bei vorigem, sondern convex sind. Von den Seiten gesehen besteht es aus 2 stumpf dreieckigen, grü- nen Körpern, viel stumpfer als voriges, mit ganz kurzen, stark abgerundeten Ecken. Innerlich ist es ganz grün erfüllt, wie ein Ewastrum, und wenn es scheibenförmig erscheint, bildet die obere Leiste eine dunklere Queerbinde, welche die Trennungs- linie der beiden Hälften im rechten Winkel schneidet. In mehreren Exemplaren sah ich den ganzen inneren Raum mit sehr kleinen bewegten Körnchen erfüllt, aber kein Ausströmen derselben. Ich denke mir die Bildung wie bei Euastrum, nämlich die brei- ten Hälften als 2 (aber nicht flache, sondern dreiseitige) Flügel einer im Übrigen mit 69 70 in der Richtung des kleinsten Raumes. 293 Navicula verwandten Form. Ich sah nie 2 solcher Körper zusammenhängen, noch auch ein leichteres Zeichen spontaner Theilung. — Gröfster Durchmesser &”. Desuivıum? hexaceros N.sp. Sechshörniges Kettenstäbchen. D. corpore aspero, late bipartito, parte utraque argute tricorni, cornubus tere- tibus, apice truncatis. Bei Berlin im Sommer 1832 zwischen Conferven mehrmals beobachtet. Die regelmälßsige Form dieses Körpers ist sehr eigenthümlich, obschon es sich auf die Bildung des vorigen leicht zurückführen läfst. Die beiden Hälften, welche die fla- chen Fuastra und die dreikantigen Desmidia bilden, sind hier tiefer als gewöhnlich getheilt und etwas mehr von einander abstehend. Würde diese Form bandförmig, so mülste sie dann dem Oberkiefer eines Sägefisches gleichen, indem die dritte Hörnerreihe, von oben gesehen, unsichtbar wäre, die seitlichen aber wie scharfe Zacken sich entge- genständen. Einzeln besteht jedes Thierchen aus 2 dreizackigen, verticalen Platten, die in der Mitte etwas gewölbt und nur mit 4; ihres Durchmessers verbunden sind. Die Zacken oder Hörner der Platten sind gegen das Ende cylindrisch und abgestutzt. Die ganze Oberfläche ist rauh. Beim Drehen und bei verschiedenen Lagen sind oft einzelne Zacken für das Auge, wegen optischer Verkürzung oder wegen gegenseitiger Deckung, unsichtbar, weshalb man durch Bewegung des die Körperchen umhüllenden Wassers sie mehrseitig zu beobachten suchen muls. Im Innern sind sie lebhaft grün erfüllt, nur die Spitzen der Hörnchen sind etwas blasser. Bewegung sah ich nicht. — Durchmesser £”. Es scheint mir, dals diese Form unter Meyen’s Scenedesmus pectinatus (N. A. Nat. Cur. 'T. XIV, Taf.43, Fig.35.) mit begriffen wurde, indem die angezeigte Fig. 35? vollständig palst und 35', welche dieselbe sein soll, möglicher Weise auch palst, beide nur bei so geringer Vergrölserung beobachtet wurden, dafs ihre specielleren Verhältnisse nicht deutlich werden konnten. Vergleiche Scenedesmus. Desmipıun? bufidum N. sp. Doppelzahniges Kettenstäbchen. D. corpore laevi, argute triquetro, partium singularum cornubus apice bifidis. Am 29. Juni 1832 zwischen Conferven bei Berlin beobachtet. Die Form ist einzeln, der vorigen sehr ähnlich, aber die Hörner sind dicker, weni- ger cylindrisch, vorn nicht abgestutzt, sondern tief gespalten. Ich sah die Schaale leer mit in eine verhältnilsmäßsig kleine Kugel zusammengezogenen grünem Inhalte. — Durch- messer &”. Ein Desmidium cylindrieum kann es nicht geben, denn das Beiwort schlielst es von der Gattung aus. Sollte es solche eylindrische Formen geben, die keine Closteria, noch Gaillonellae sind, so würden sie einen eigenen Gattungsnamen erhalten müssen. FrustuLia Agardh. Familie der Stabthierchen. Character Generis: Nuviculae gelatina s. muco difformi, non casu, sed propria natura involutae. 4 Enurnengeng: Beitrag zur Erkenninifs grofser Organisation Es ist den übrigen Erscheinungen nach wahrscheinlich, dafs es Formen giebt, welche die von Agardh bezeichneten Charaktere dieser Gattung besitzen, obwohl viele, ja die meisten von ihm dahin gestellten Körper, Naviculae sind, welche nur zufällig in Gal- lerte oder Schleim befindlich waren, was zum Theil daraus hervorgeht, wie er selbst ausspricht, dals in einem und demselben Schleime verschiedene Formen der Stäbchen ge- funden wurden. So hat er die Cymbella appendieulata bei der C. minor gefunden, Conspectus crit. 1830, pag.8, verschiedene Formen der C. lanceolata pag.9, C. cym- biformis p.10. zwischen andern Diatomeen... Cfr. Icones, Algarum europ. 1828, Frust. appendieulata. Es giebt freie Stäbchen, es giebt in gallertige Röhren eingeschlofsne, und so mag es wohl auch in gallertige Kugeln oder gallertige unförmliche Massen ein- geschlolsne geben. Sollte sich die Existenz von dergleichen Formen durch wiederholte Beobachtung bestätigen, so würden sie Frustulia genannt werden müssen, weil dieser Name einmal da ist und Cymbella oder Rhabdium spätere Namen für dieselbe Sache sind. Nur solche Formen aber sind Frustulien zu nennen, in denen dieselben Naviculae ganz allein, ohne alle fremde Beimischung, wie es bei Schizonema der Fall ist, in Schleim eingehüllt gefunden werden und die man in diesem Verhältnils wenigstens mehr als einmal beobachtet hat. Ich selbst habe noch, nie dergleichen beobachtet, und erwähne hier nur des Namens, um die viel besprochenen Grenzen seines möglichen oder wirk- lichen Begriffs bestimmt und klar vorzulegen ('). XI. Gastroserna Bory de St. Vincent 1823, Melosira Agardh 1824. Gal- 71 lionelle. Familie der Stabthierchen, Bacillaria. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, Pseudopodium?, loricatum. Lorica subglobosa aut oblonga bivalvis, divisione spontanea intra vaginam deciduam peragenda cateniformis, filiformis. . Gamtroxerna lineata Bory = Fragilaria lineata Lyngbye. Abgerundete Gallionelle. G. corpusculis ovatis, utrinque rotundatis, nec angulosis, Navicantibus. Lyng- bye Tab. 63. B. Im Wasser der Ostsee bei Wismar mit Ceramien im August 1833 von mir beobachtet. Bory de St.Vincent bildete im Jahre 1823 im Diet. classique, Art. Confer- vees, eine Algengaltung Gaillonella aus confervenartigen Schläuchen, welche innen rund- liche, queer gespaltene Körperchen führen, die wie Seifenbüchsen aussähen, und im Jahre 1824 (Art. Gaillonella) rechnet er dahin die Fragilaria nummuloides und lineata von Lyngbye als Typus. Agardh beschrieb unterdessen im Jahre 1824 dieselben Formen als seine Gattung Melosira und meint, Bory habe verschiedenartige Körper in seiner Gattung vereinigt (Conspectus eriticus Diat. 1830, pag.12.). Da aber die von Bory 1823 gegebene Bezeichnung der Gattungscharaktere scharf und deutlich ist, (‘) Über Kützing's Frustulien, welche meist Naviculae sind, habe ich bei Navicula gesprochen. in der Richtung des kleinsten Raumes. 295 so hielt ich es doch für einen Akt der Gerechtigkeit, den Namen Gaillonella, welcher ebenfalls richtig gebildet ist, aufzunehmen, obschon Agardh, richtiger als Lyngbye und Bory, bemerkt hat, dafs diese Formen nicht aus Schläuchen bestehen, in denen die runden Körper sitzen, sondern dafs diese Körper freie Glieder bilden, ohne umhül- lenden Schlauch. Aber auch die letztere Ansicht ist noch einer Berichtigung zu unter- werfen und das Wahre liegt zwischen beiden. Gallionellen oder Melosiren sind nicht Bänder oder Fäden, sondern gerundete oder dodeca@drische Körperchen, harte Kapseln, den viereckigen Naviculis und den dreiecki- gen Desmidien ähnlich, die durch Queertheilung sich vermehren und durch unvollstän- diges Abschlielsen der Theilung kettenartig aneinander hängen bleiben und Gliederfäden bilden. Dabei ist auch noch der bisher übersehene Umstand wichtig und merkwürdig, dafs die spontane Theilung der Kapseln unter der Oberhaut geschieht und dafs die auf diese Weise neu entstandenen Glieder eine zeitlang durch eine Haut verbunden bleiben, welche die Täuschung veranlafst, als lägen die Kapseln in Schläuchen, wie es Lyngbye nnd die früheren fälschlich abgebildet haben. Gerade eine solche Verbindungshaut fin- det sich auch bei neuen Trennungen an Achnanthes, und diese Bildung beweist noch mehr die nahe Verwandtschaft dieser Formen. Nach einiger Zeit löst sich diese Haut von den Gliedern ab und man sieht daher immer einige ohne Schlauch, einige mit Schlauch an demselben Faden dicht beisammen. Es geht aus der Bildungsweise dieser Fäden oder Ketten hervor, dals sie so wenig als Fragilarien und Bacillarien oder Des- midien je verzweigt sein können, was aber bei Schizonema und andern schlauchführen- den möglich ist und vorkommt. Da nun das Fadenförmige nur ein secundärer Charak- ter, durch die Unvollständigkeit der spontanen Theilung entstanden ist, so kann er auch nur als untergeordnet angesehen werden, weshalb denn Formen, wie Frustulia oper- culata Agardh, gar wohl in die Gattung Gaillonclla aufgenommen werden können. Wollte man aber auf Consequenz sehen, so würde jene Frustulia operculata, welche sich zu Gaillonella genau wie Navicula zu Fragilaria zu verhalten scheint, eine be- sondere Gattung verlangen, die man Pyxidicula nennen könnte. Der Körper der @. lineata bildet einen meist sehr kurzen, oft kugelartigen Cylinder mit abgerundeten Enden. Manchmal ist er dicker als lang, manchmal länger als dick. In der Mitte ist eine Trennungslinie, wie bei Navicula, zuweilen sind deren 2, so dafs eine doppelte Theilung sich gleichzeitig vorbereitet. Das Innere ist mit gelblichen Kör- nern erfüllt. Bewegung sah ich nicht, auch noch keine Mundöffnung, aber die ganze äulsere Bildung und die Sprödigkeit des Panzers spricht für nächste Verwandtschaft zu den bewegten Navieulis. — Queerdurchmesser einer Kette 4,-4". Eine grüne Gaillonella des sülsen Wassers bei Berlin habe ich zwar gesehen, aber noch nicht hinreichend beobachtet ('). 0) Melrere neue Arten dieser Gattung hat Kützing in der Zinnaea 1833 beschrieben, sie aber mit Agardh Melosira genannt, Die Ähnlichkeit mit Frustulien ist daselbst ebenfalls ausgesprochen, aber die Schlauchbildung bei der Theilung noch nicht erkannt worden. 296 Ennensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Herıerenva Bory de St. Vincent. Die Formen dieses Namens bei Tarpin verzeichne ich unter dem Namen Alicrasterias. Hrrerocarperva Bory de St. Vincent. Eine der Formen dieses Namens im Diet. elassique 1825 ist wohl von Turpin später Helierella genannt worden, diese ist eine Micrasterias (Het. reniformis = He- lierella renicarpa?); Heterocarpella geminata, pulchra und botrytis sind wohl Eua- stra, letztere gewils, vielleicht = E. ansatum. H. tetracarpa = H. quadrijuga Tur- pin? und Het. amara Turpin kenne ich nicht; sie mögen den Stamm der Gattung Heterocarpella bilden. Die versprochenen Abbildungen der Formen von Bory sind nicht erschienen ('). XII. Hımasropus Fabrieius. Peitschenfufs. Familie der Nachenthierchen, Euplota. Character Generis: Polygastricum, Enterodelum, nec ore nec ano termi- nali (Katotretum), loricatum. Lorica (scutellum) depressa, appendice frontali. Caput non discretum. Styli nulli. 72. Hımanıorus Charon Fabricius? £ glaber. Nachenförmiger Peüschenfufs. H. corpore ovato, erystallino, postico fine rotundato, antico fere truncato, un- cinis pediformibus duobus et vicenis. Tafel II, Fig: vum. Am 29. März 1832 in einem überwinterten Wassergefälse zu Berlin gefunden. Ob es möglich sein wird, die Gattung Himantopus von Euplotes gesondert zu er- halten, bin ich im Zweifel. Ich kenne von ersterer nur diese Form. Die Hauptunter- schiede derselben sind der Mangel von Griffeln am Hintertheile, an deren Stelle gerade eben solche Haken sind wie vorn, und das Überragen des vorderen Schildrandes über die Ausrandyng des Körpers, welche vermittelst der gewimperten Furche zu dem sehr nach hinten gelegenen Munde führt. Letzteres ist wie bei Stylonychia Myulus. Die riemenförmigen oder peitschenartigen Fülse, welche Fabricius und vielleicht Müller als wichtige Charaktere ansahen, sind kaum etwas länger und gar nicht verschieden von den Haken des Euplotes, die sich eben so krümmen. Übrigens sind die 7 Formen des Müllerschen Nachlasses, welche Fabricius in Müller’s Animalceulis Infusorüs zur Gattung Himantopus vereinigt hat, grölstentheils nur Fragmente anderer Nachenthier- chen oder Hechelthierchen; mehrere sind wohl Theile der Kerona pustulata, die, nach (') Kützing hat in der Linnaea ebenfalls 2 neue Arten der Gattung Heterocarpella verzeichnet und abgebildet, aber viel zu wenig vergröfsert beobachtet. H. ursinella und binalis daselbst sind Euastra, H.tetrophthalma kann ebenfalls ein Euasitrum sein, wahrscheinlich E. margaritiferum, d.i. seine Het. ursinella; H. polymorpha ist aber wohl ein Gemisch von Euastrum ansalum, Mi- crasteriis und dreiseitigen Formen, welche Desmidia gewesen sein mögen. in der Richtung des kleinsten Raumes. 297 Abscheidung des Eierstockes samt seinem Körpertheile, sich noch munter bewegen. Ja man kann sich sogar solche Himantopoden selbst machen, wenn man Kerona pustulata eintrocknen läfst, im Moment aber, wo sie breit zu werden und zu zerflielsen beginnt, einen Tropfen neuen Wassers hinzuthut. Die eingeschrumpften und verstümmelten For- men bewegen sich wieder und zeigen geschlängelte fulsförmige Haken, wie Himanto- pus, Ludio, Sannio, Larva und Corona. Die beiden Gattungen Himantopus und Discocephalus der gepanzerten Nachen- thierchen entsprechen der Gattung Kerona der nackten Hechelthierchen, sind gepanzerte Krallenthierchen, aber die Gattung Euplotes ist offenbar eine gepanzerte Stylonychia. Müller’s Thierchen war aus dem Meere und die Abbildung hat einiges Abweichende durch die Streifung; ich bezeichne es daher mit «) siriatus. Der Körper ist 1% mal so lang als breit. Länge der gebogenen, ungegliederten Ha- ken %; der Körperlänge. Mundspalte mehr auf der rechten Seite. Die fulsartigen Haken bilden ein breites Band auf der linken Körperseite, sind nicht deutlich in 2 Reihen ge- ordnet. Ganz links und hinten ist eine grofse contractile Blase. Rechts von der Mund- spalte ist eine Reihe drüsiger Knötchen. Zwischen den Haken ist der blasige Darm 1m verbreitet. — Länge 5”. Licmoruora Agardh 1827. Ich habe diese niedlichen Formen als Echinella verzeichnet, weil es mir schien, als ob es unrecht sei, jenen richtig gebildeten, eingebürgerten Namen für ähnliche Formen gegen einen neuen umzutauschen, der samt einigen andern den alten ganz entbehrlich zu machen droht. Vergl. Echinella capitata. Es ist gewils wissenschaftlich besser ge- than, nur die Charaktere der Gattungen zeitgemäls abzuändern, als bei jeder nöthigen Abänderung auch die alten Namen wegzuwerfen und gegen neue zu vertauschen, die doch bald ein gleiches Schicksal haben müssen, weil sich eben alles entwickelt. Sprach- widrige Namen sind natürlich aber immer zu unterdrücken, denn blofse Laute sind keine Namen und keine Sprache. Der physiologische Charakter der Gattung Echinella (Licmophora) im Verhältnils zu Gomphonema beruht darin, dals die Entwicklung der Stäbchen und ihrer Stiele bei Gomphonema gleichmäfsig, hier ungleichmäfsig ist, daher häufen sich die Stäbchen hier in der niedlichen Fächerform an. Die Echinellen (Zic- mophorae) sind denn gestielte Meridia. Die E. splendida des rothen Meeres ist in den Symbolis physicis abgebildet. Merosıra Agardh siehe GAILLONELLA. Merıpıon Agardh. Fächerstäbchen. Ich habe früher die Formen dieser Gattung unter Greville’s (nicht (Lyngbye's) Namen Exilaria verzeichnet, weil ich diesen einmal existirenden Namen verwandter Formen benutzen wollte und Agardh’s Idee bei der Gattung Meridion mir nicht klar wurde. Ich halte jetzt die letztere für eine wohl begründete Gattung, zu welcher meine Phys. Abhandl. 1833. Pp 298 Enurnensgere: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation beiden Exilarien gehören, die sich jedoch vom vernale und wohl auch vom cireulare unterscheiden, obschon ich ersteres wenig und letzteres noch nicht lebend beobachtet habe. Der Name Exilaria, welcher bei Greville die Echinellen (Liemophoren) und ‚Synedras vereint, würde dann, im Falle seine Formen sämtlich dahin gehören, anstatt Synedra zu brauchen sein. Jedoch ist der von mir für Synedra gegebene Charakter: Navieula recte sessilis, sine pedicello, mehr bestimmt, denn die Bildung der Navi- eula habe ich genauer ermittelt. XIII. Micrastertas Agardh 1827 = Helierella Bory et Turpin — Pediastrum Meyen. Zellenstern. Familie der Stabthierchen, Bacillaria. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gynnicum, Pseudopodium?, loricatum, sociale, in laminas orbiculares concatenatum. Corpuscula com- pressa, polygona, subquadrata, cordata.vel lunata, in series circulares dispo- sita, laminam suborbicularem margine dentatam, radiatam formantia. Der erste Gattungsname für diese Formen war Echinella und dieser, obwohl von Acharius einer bestimmten einzelnen Form gegeben, die kaum etwas anderes als In- secteneier gewesen sein kann, umfalste wegen des Beinamens radiosa bald alle die nied- lichen strahligen Formen, welche sich nun als Euastra und Micrasteriae ergeben ha- ben, freilich aber mit vielem Fremdartigen. Lyngbye kannte 1819 die erste selbststän- dige Art, auf die er den Namen E. radiosa übertrug, die aber aus mehreren bestand. Agardh kannte 1824 im Systema Algarum auch nur noch dieselbe Art, die er Echi- nella rieciaeformis nannte; diese sind wahrscheinlich Euastra. Im Jahre 1827 fand Agardh eine zweite Art in Carlsbad und bildete daraus die neue Gattung Micraste- rias (Botan. Zeitung). Nur die Micrasterias furcata scheint eine Art der Gattung Micrasterias zu sein, wie ich sie definire. Turpin beobachtete darauf zu Anfange des Jahres 1828 mehrere Formen der letzteren Gattung und machte sie unter den Namen Helierella, Stomatella, Ursinella und wahrscheinlich Heterocarpella bekannt. Die hier- her gehörigen Formen dieser letzteren beiden Gattungen waren Euastra, die der er- steren wahre Micrasteriae. Im September des Jahres 1828 erschien eine Abhandlung von Meyen (N. A. Nat. Cur. Vol. XIV.), welcher mehrere Arten der Gattung Micra- sterias unler dem neuen Namen Pediastrum als 3 Species dieser Gattung verzeichnete und abbildete. Das Pediastrum biradiatum war wahrscheinlich Agardh’s Micraste- rias furcata, Pediastrum duplex ist wohl synonym mit Helierella Boryana und re- nicarpa Turpin, und Pediastrum simplex gehört zu Helier. Napoleonis Turpin. Ich habe nun zuerst von dieser Formenmasse der gestrahlten grünen Schüppchen, welche wie liebliche Sterne im Mikroskope erscheinen und deren ich ansehnlich mehr beobachtet habe, alle die in die Gattung Euastrum gesammelt, welche deutlich aus nur 2 Theilen bestehen, die in der Mitte verbunden sind; alle übrigen, die aus mehr con- eentrisch verbundenen Theilen bestehen, habe ich als Micrasterias zusammengestellt. Über die nahe Verwandtschaft der ersteren mit den Naviculis, welche die letzteren ent- in der Richtung des kleinsten Raumes. 299 behren, vergl. Fuastrum. Ich glaube um so mehr, dafs Agardh mit dem Namen MMicrasterias furcata kein Euastrum bezeichnet habe, weil diesem scharfsichtigen For- scher die beiden meist ungleichen Hälften des Ewastrum sogleich in die Augen fallen mulsten. Meyen’s Gattung Pediastrum besteht nur aus Micrasterlis. Agardh mag schon die grofse Mannichfaltigkeit dieser Formen für eine Veränder- lichkeit derselben gehalten haben, denn sonst hätte er gewils mehrere Species unter- schieden, und die von ihm so geistreich und mühevoll verfolgte, wie mir scheint, nicht glückliche Idee der Prototypen bei den Algen und Pflanzen berechtigt um so mehr diefs zu vermuthen. Meyen sprach diese Idee der Zeit mit jugendlichem Eifer noch be- stimmter aus, dals solche Formen Spielereien der bildenden Naturkraft, mithin regellos mannichfach wären. Möge man es nicht persönlich deuten, wenn ich diesen Grundsatz eben so wie die Prototypen hart bekämpfe, weil ich ihn für schädlich für die rasche Entwicklung der Wissenschaft halte, und gewils hat Letzterer, nachdem er selbst mehr in dem Buche der Natur geblättert hat, die anderen Seiten desselben gefunden, welche immer ernsteren und anziehenderen Inhalts werden, je mehr man sich in dasselbe ver- tieft. Nirgends spielt die Natur, nirgends findet sich eine Mannichfaltigkeit ohne Ge- setz, und da die Gesetze zu suchen, wo sie sich in Mannichfaltigkeit verbergen, ist ge- rade die würdige Aufgabe, während der Glaube an eine spielende Bildungskraft von der Untersuchung solcher scheinbar willkührlich und unendlich wechselnden Formen, als einer nutzlosen Mühe, abzieht. Ich glaube nicht die Gesetze dieser Bildungen enthüllt zu haben, aber meine Mühe hat doch zu einigen Resultaten geführt, welche die Vorläufer noch besserer sein mögen: 1) Ich habe mich überzeugt, dafs die Zahlenverhältnisse der Micrasterientheile zwar etwas wechselnd, aber ım Ganzen sehr fest sind; 2) Ich habe gefunden, dals die Grölsenverhältnisse nicht mit den Zahlenverhältnissen der Theile ab- und zunehmen, sondern dieselben Zahlen finden sich bei sehr kleinen und bei sehr grofsen ähnlichen Individuen; 3) Bei gleichen Zahlen- und Grölsenverhältnissen wechseln die Formen dieser Kör- per nicht mehr auffallend, besonders wenn man 4) die fehlenden Theile berücksichtigt, welche dureh deutliche Lücken angezeigt sind, wobei man sich zu hüten hat, nicht da Mangel zu finden, wo die Durchsichtigkeit der entleerten Hülle nur Schwierigkeit des Erkennens schafft. Gefärbtes Wasser ist auch hier ein guter und leichter Prüfstein. ‚Diese Bildungen erscheinen mir dem Gonium pectorale ähnlich, welches sogleich seine 16 Thiere entwickelt und nie andere Zahlen zeigt, wenn keine Hemmung eintritt. Bei Anwendung dieser Grundsätze lassen sich die von mir bei Berlin zahllos beob- achteten Formen der Zellensternchen auf 6 Arten reduciren, die sehr bestimmte Charaktere haben. Ich theile sie 1) in solche, die um einen einzelnen mittleren Körper einen einfachen Kreis anderer gleichartiger Körper führen, 2) in solche, die 2 concentrische Kreise um einen Mittelkörper bilden, 3) mit 3 Kreisen, 4) mit 4 Kreisen. Form und Zahlen der Pp2 300 Ennensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation vereinigten Körper geben die übrigen, vorsichtig anzuwendenden Unterscheidungsmerk- male ('). a) Körperchen in einem einfachen Kreise um ein mittleres gestellt: 73. Micrastersas heptactis N.sp. Siebenstrahliger Zellenstern. M. parva, orbicularis, viridis, corpusculo medio heptagono, externis 7, truncatis, quadridentatıs. Ich fand diese Form zuerst im Jahre 1831, dann am 19. Juni 1832 und im Juli 1834 in Torfgruben bei Berlin. Sie ist flach, scheibenförmig, grün, mit 7 Strahlen, sehr dünn und bei schwacher Vergrölserung erscheinen die äufseren Körper nierenförmig. Vielleicht sind Helierella renicarpa Turpin und Pediastrum biradiatum Meyen Fig.21, so wie Pediastrum duplex Meyen Fig 6 und 11. Synonyme dieser Form. Bewegung sah ich nicht. — 1 rm Durchmesser ;- 5". b) Körperchen in 2 Kreisen: „7 74. Micnasterıas Boryana — Helierella Boryana Turpin (Pediastrum du- plex Meyen Fig. 8,9, 10?). (*) In der sehr fleifsigen Arbeit des Herrn Kützing, Linnaea 1833, ist besonders die Gatlung Micrasterias sehr ansehnlich erweitert, indem er 19 Arten, jedoch nur 8 selbst beobachtete, auf- zählt. Sie enthält allzu heterogene Körper und ihr Charakter ist allzu unbestimmt: Corpuscula va- riae formae stellatim aut radiatim coniuncta. Auf specielle Structur ist also nicht Rücksicht ge- nommen, auch sind die Abbildungen oft allzu klein und daher ohne Charakter. Ich beurtheile sie wie folgt: 1) M. Staurastrum (Staurastrum paradoxum Meyen) ist keine Micrasterias in mei- nem Sinne; 2) M.cruciata sind vielleicht Glieder der vorigen; 3) M. paradoxa = Scenedesmus?; 4) M.Rosula, vielleicht eine Art, vergl. M. keptactis; 5) M.lacerata vielleicht ein Zuastrum, ge- wils keine Micrasterias; 6) M. crucigenia ist eine eigene Gattung Crucigenia Morren; 7) M. tricera ist ein Glied von einem Desmidium; 8) M.tetracera gehört wohl zu Staurastrum oder zu Euastrum; 9) M. simplex (Ped. simplee Meyen) = M. Napoleonis; 10) M. Napoleonis (He- lierella Nap. Turpin) wenn richtig gezeichnet, eigne Art; 11) M. renicarpa (Hel. Turpin) viel- leicht = M. heptactis; 12) M.ricciaeformis Ag. scheint mir mehrere Euastra zu umfassen; 13) M. Jurcata Ag. scheint eine Art dieser Gattung zu sein; 14) M. Boryi = M Boryana,; 15) M. du- plex (Ped. duplex Meyen) = M.Boryana; 16) M selenaea, von Nitzsch entdeckt, mag wohl mehrere Arten dieser Gattung in sich begreifen; 17) M. Heliactis halte ich der Abbildung nach für eine Gallert-Alge; 18) M.Sphaerastrum gehört nicht hierher; 19) M. articulata (Echinella articulata Ag.) gehört nicht hierher. Es bleiben mithin 5-6 Arten für die von mir aufgenom- mene Gattung, von denen 2 neu sein könnten. Losana’s Gattung Oplarium von 1829 (Memorie di Turino; Isis 1832) umfafst ebenfalls mehrere hierher gehörige Körper, die aber selbst aus den Zeichnungen nicht zu erkennen sind, je- doch hat er die concentrischen Reihen und Strahlen hie und da gezählt, was allmälig zum Erkennen einzelner seiner Formen dienen wird. O. vasculosum und numismaticum scheinen zu Turpin's Helierella renicarpa zu gehören; O. speciosum und vielleicht cristatum sind = M.Boryana,; O0. pterophorum ist wohl ein Euastrum; die übrigen mögen zum Theil eigenthümliche Formen sein, die aber nicht allein in diese Gattung gehören. in der Richtung des kleinsten Raumes. 301 M. maior, orbicularis, viridis aut flavescens, corpusculis externis (9 -?) 11, bicor- nibus, internis 5 medioque unico lunatis aut subquadratis. Am 17. Juni 1832, am 21. November 1832 und im Juli 1834 in Torfwasser bei Berlin beobachtet. Ich sah Bläschen und schwarze Körner im Innern. Wenn einzelne Panzer ihren grü- nen Inhalt entleert haben, andere aber nicht, so entstehen scheinbar sehr verschiedene Formen, aber scharfe Aufmerksamkeit erkennt bald die Täuschung. Manchmal lassen die einzelnen Körperchen Zwischenräume, dann sind die Scheiben durchlöchert, zuweilen sind sie eng anschliefsend. Die Scheibe schien mir etwas linsenförmig. Die cylindri- schen, stumpfen Randhörnchen sind von der Körperlänge. — Durchmesser der kleinsten % . der grölsten 55” bei gleichen Verhältnissen. 75. Micrasterias angulosa N.sp. Fieleckiger Zellenstern. M. orbieularis, viridis, corpusculis arcte contiguis, medio unico pentagono, in- ternis 5 hexagonis, externis 10 excisis, latere oblique truncatis, hexagonis. Im Juli 1834 bei Berlin beobachtet. Im Innern waren Bläschen. Der Rand erscheint wie aus 10 breiten, abgestutzten Zähnen gebildet, zwischen denen abgerundete Einschnitte liegen. Diese breiten Zähne entstehen durch das enge Anschlielsen zweier Hörnchen der benachbarten Körper und sind ebenfalls etwas concav. Die eigentlichen Hörnchen sind breit, kurz und nach aulsen schief abgestutzt. — Durchmesser 4”. 76 Micrasterias emarginata N. sp. Ausgerandeter Zellenstern. M. orbicularis, viridis, corpusculo medio unico, internis 5 biradiatis, externis 11 profunde bifidis, cornubus latiusculis, apice truncatis, emarginatis 22. Mit voriger bei Berlin beobachtet. Die Form gehört zu Pediastrum biradiatum Meyen, palst aber auf keine dort gezeichnete Figur. Eben so wenig lälst sich aus Agardh’s kurzen Worten abnehmen, ob es Micrasterias furcata sei. Die Randzähne nehmen nach oben nicht an Dicke ab. Unten sind die Körper undeutlich geschieden. Innen fehlte einmal das mittelste und 2 der inneren Reihe, aufsen fehlte ein ganzer Körper in der Reihe, die aber oben mit- 42H gezählt sind. Der grüne Inhalt war sehr blafs. — Durchmesser 4”. c) Körperchen in 3 Kreisen gestellt: 77 Micrastensas iricyclia. Dreireihiger Zellenstern. M. orbicularis, viridis, corpusculo medio unico subquadrato, internis 6, secundis subquadratis 10, tertiis externis argute bidentatis 15. Am 20. Juni und 5. Juli 1832 bei. Berlin häufig in Torfwasser beobachtet, im Juli 1834 ebenfalls. i 30 78 a . Eurensenc: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Pediastrum duplex Meyen Fig. 16. könnte vielleicht hierher gehören. Ich fand diese Form mit gleichen Zahlen- und Formyverhältnissen in schr verschiedenen Größen und überzeugte mich besonders bei ihr und bei M7. Boryana, dafs die Gröfse nicht durch Ansetzen neuer Theile, sondern durch allgemeines Heranwachsen geschieht, wie bei Gonium. Formen, wie Ped. duplex Meyen Fig.10, können Fragmente oder Über- bleibsel aufgelöster Scheiben dieser Art sein. Einmal unter zahllosen sah ich einen gelb- lichen Zellenstern mit 14 zweihörnigen Randkörpern und einer leeren Stelle, 8 der zwei- ten und 4 der ersten Reihe, was vielleicht Mifsbildung war. Die Randzahl 15 und die Form der Körperchen schien. hierher zu deuten. Ein andermal sah ich eine etwas läng- liche Form mit den richtigen 32 Feldern, aber diese etwas aus der Ordnung gerückt. Nur 14 waren völlig am Rande und gehörnt, das 15! war ungehörnt und etwas ein- gerückt; ferner war ein Feld der zweiten Reihe durch ein vergrölsertes der ersten innersten Reihe ganz aus seiner Stelle gerückt. Das Ganze liels sich also doch auf seine Regel zurückführen und diese Regeln sind es, auf welche ich aufmerksam machen wollte und die noch weiter zu erforschen sind. Ist der mittelste Körper allein entleert und sind die andern noch voll, so glaubt man eine Scheibe mit einem Loche in der Mitte zu sehen. Sind die Randkörper voll und die ganze Mitte leer, so glaubt man einen grünen Kranz zu schen. Oft lassen die Körper Zwischenräume zwischen sich, welche die Scheiben löchrig erscheinen lassen. Ich sah Bläschen im Innern. Die Länge der ’ Randzähne variirt. — Durchmesser ,-5%- d) Körperchen in 4 Kreisen gestellt: Micrasteris elliptica N.sp. Ellipüscher Zellenstern. M. elliptica, rarius orbicularis, viridis, corpusculis mediis duobus, internis 7, se- cundis 13, tertiis 18, externis 23. Im Juli 1834 bei Berlin 2mal beobachtet. Ich fand zuerst die leeren elliptischen Häute einer dieser ausgezeichneten Formen, dann auch grün erfüllte. Die constituirenden Körperchen sind verhältnifsmäfsig klein, die inneren unregelmälsig rundlich, die äulseren halbzirkelförmig ausgeschnitten und ganz kurz zweizahnig. — Längendurchmesser 5-75". Die Thierheit all dieser Formen ist bisher nur aus der Analogie der übrigen ge- schlossen. Öffnungen des Panzers, wie bei Achnanthes und Navicula, die als Mundöff- nungen angesehen werden könnten, und Bewegung (?) habe ich nicht beobachtet. Tur- pin hat den körnigen Inhalt als aus den Randspitzen hervorströmend abgebildet. Meyen scheint etwas ähnliches beobachtet zu haben, was mir nicht glückte. Ortsveränderung habe ich bei Euastrum Rota nach längerer Zeit erfahren. — Bei vielen Abbildungen dieser Formen, z.B. bei /elierella Boryana von Turpin und allen Figuren von Lo- sana, sind die einzelnen Täfelchen ohne Verbindung untereinander, wie durch unerklär- liche Kräfte in regelmäßsiger Nähe und doch von einander entfernt gehalten. Diels ist keine Wirkung einer Zauberkraft, sondern Folge unvollständiger Beobachtung, indem es, deutlich genug, Verbindungstheile giebt. } in der Richtung des kleinsten Raumes. 303 XIV*. Nassura Novum Genus. Trichterthierchen. Familie der Halsthierchen, Trachelina. Character Generis: Polygastricum, Enterodelum, ore infero, ano terminali, (Allotretum), nec loricatum. Dentium corona oris aperturam vestiens. Val- vula mobilis nulla. Labium superius nullum, sed frontis gibber os antico fine superans (ut in Bursaria et Paramecio); ciliorum series ubique positae. 79. NassuLa elegans N.sp. Zierliches Trichterthierchen. N. corpore ovato-cylindrico, utrinque fere aequaliter rotundato, albo, viridi et violaceo picto, oris dentibus 26. Tafel I, Fig. ı. Die ersten Exemplare entdeckte ich am 24. April 1832 in einem Graben bei der von Gräfeschen Besitzung im Thiergarten bei Berlin. Ebenda fand ich sie wieder am 26. und 29. April und am 4. Mai. Am 21. April 1833 fand ich sie beim Bassin im Thier- garten in zahlloser Menge. In diesem Jahre habe ich, vieler Mühe ungeachtet, keins gefunden. Der schlanke walzenförmige Körper ist 3-Amal so lang als dick, meist nach vorn ein wenig abnehmend, aber auf beiden Enden gleichartig abgerundet. Die blasse Milch- farbe des durchsichtigen Körpers wird meist durch dicht neben einander liegende, in- nere, grüne Körner sanft grünlich, welcher Farbeton durch schön violette, bald mehr, bald weniger häufige Bläschen und Blasen unterbrochen wird. Zuweilen fehlen die grü- nen Körnchen theilweis oder ganz und die violetten Bläschen bilden immer im Nacken, dem Zahnkranze des Mundes gegenüber, ein dichtes Häufchen. Der überall reihenweis bewimperte Körper hat seine Mundöffnung am Ende des ersten Viertheils oder Fünf- theils seiner Länge. Der Eingang derselben ist durch 26 in einen hohlen Conus oder Trichter verbundene, stäbchenartige, dicht aneinander gereihte Zähne angedeutet, welche man ohne allen Druck bei geringer Beweglichkeit des Thierchens äufserlich hervorste- hend tehen kann. Im Innern unterscheidet man, aulser den färbenden grünen Körnern (Eiern) und violetten Blasen (Darmsaft), noch viele bräunliche und farblose Darmblasen oder Magen, die auch in dem über den Mund vorn hinaus ragenden abgerundeten Höcker erkannt werden. Aufserdem sind zu beiden Seiten des Mundes je eine contractile Blase und eine dritte schien auf einem länglichen, so eben näher zu bezeichnenden eiförmigen Organe in der Mitte des ganzen Körpers zu sein. Diese 3 contractilen (strahligen ?) Blasen fin- den sich auch bei Chilodon auf ähnliche Weise und verhalten sich wie die deutlich strahligen bei Paramecium. Überdiels erscheint bei der Seitenlage der Thierchen eine Reihe heller Blasen längs des Rückens (Tafel I, Fig.ı. f.), welche der Leitungskanal für die violette Flüssigkeit zu sein scheinen, indem zuweilen an derselben Stelle eine ähnli- che Reihe violetter Blasen vorkam. Ein besonderes, eiförmiges, drüsiges Organ liegt noch in der Mitte des Körpers unter dem Munde in schiefer Lage, höher nach der Bauch- seite, tiefer nach der Rückenseite. Dieses Organ ist deutlicher bei den beiden andern 304 350 . Enrenpene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Arten derselben Gattung, aber auch hier gut zu unterscheiden, und gleicht an Länge beinah der Körperdicke. Ich habe es für eine den befruchtenden (männlichen) Saamen bereitende Drüse (Hoden) gehalten. Die Entleerung der Excremente erfolgt in .der Mitte des hinteren runden Endes und immer ist den entleerten Excrementen der violette Saft beigemischt, welcher die inneren Blasen zum Theil erfüllt. In der Mitte des Körpers scheint der Darmsaftbehälter in den Darm zu münden. Dieser Darmsaft kann Galle oder Speichel genannt werden. Grellere Farbe und tiefere Einmündung in den Speisekanal möchten dafür sprechen, dafs man es richtiger mit den Gallabsonderungs - Apparaten vergleicht. Zuweilen ist die Farbe des Saftes röthlicher, zuweilen bläulicher. Ferner habe ich bei dieser Form häufig eine freiwillige Queertheilung beobachtet, bei welcher die neu entstehenden Individuen eine zeitlang eiförmig, fast kuglig erschei- nen. Mit fortschreitender Einschnürung, welche den Hoden in 2 Theile zu trennen scheint, bildet sich, ehe noch die Theile getrennt sind, ein zweiter Mund mit Zähnen deutlich aus und dieser Mund ist offenbar nicht die abgerissene Darmstelle. Die ganze Theilung und völlige Ausbildung des Mundes mit den 26 Zähnen schien sich binnen 2 Stunden zu vollenden. Dasselbe war der Fall mit den 22 Zähnen der Nassula ornata. Die Bewegung wird durch Wirbeln der Wimpern vermittelt, deren ich bei der Halb- ansicht 15 bis 20 Reihen zählte (also 30-40). Sie erscheint als ein Wälzen um die Längsaxe mit Fortrücken nach vorn, oder willkührlich nach hinten, gerade wie bei Pa- ramecium Aurelia. — Längendurchmesser 5 - 5”. Nassura ornata N.sp. Buntes Trichtertluerchen. N. corpore vacillante, depresso, elliptico, postica parte vix parumper acuto, an- tica late rotundato, globulis olivaceis, violaceis et laete viridibus splendide picto, oris dentibus 22. Tafel I, Fig. ıı. Am 13., 25. und 29. April 1832 im Quellwasser des Thiergartens bei Berlin zahl- reich beobachtet, dann nicht wieder gesehen. Diese schon mit blolsen Augen recht wohl zu erkennende Form unterscheidet sich von voriger, mit der ich sie lebend vergleichen konnte, sehr durch den rundlichen fla- chen Körper von dunkler, dem blofsen Auge bräunlicher Farbe und die schwankende Bewegung. Unter dem Mikroskop gehört sie, ihrer lieblichen Farben halber, mit vori- ger zu den lieblichsten und brillantesten Erscheinungen. Ich habe weniger als von vo- riger, jedoch wohl nahe an 100 Individuen übereinstimmend gesehen und sie mit derselben wochenlang in meiner Wohnung lebend erhalten. Der 1% mal so lange als breite Kör- per ist von der Rücken- und Bauchseite zusammengedrückt, denn der Mund ist auf einer der flachen Seiten, und die Mundseite nenne ich immer Bauchseite oder die untere Seite. Die mit einem hohlen, etwas vorstehenden Kegel oder Cylinder von 22 Zähnen ausge- fütterte Mundöffnung liegt in einer breiten Grube, wie sie bei den Bursarien häufig ist, und wird vom 5te bis 3t@ Körpertheile vorn überragt. Die Afterstelle am hinteren Ende ist leicht ausgerandet und dadurch schon zu erkennen. Der ganze Körper ist mit sehr kurzen, wirbelnden Wimpern in Längsreihen besetzt, zwischen denen stärkere, kurze in der Richtung des kleinsten Raumes. 305 Borsten ebenfalls reihenweis stehen. Ich habe eine zeitlang nicht entscheiden können, ob die Borsten nicht selbst die Wirbelorgane wären, aber doch mich später überzeugt geglaubt, dals die eigentlichen Wimpern in anderen Reihen dicht daneben stehen und viel feiner sind. Beim Zerllielsen des Thierchens im verdunstenden Tropfen erscheinen die Borsten wie kurze Nadeln. Von der Seite gesehen ist der Körper etwa 3mal so lang als breit. Die bräunliche Färbung, in der ihn das blofse Auge sieht, erscheint bei 200 bis 300 maliger Vergröfserung als aus grofsen, grünen, violetten und zuweilen gelbbraunen inneren Kugeln auf das lieblichste gemischt. Die grünen Kugeln sind im Körper zer- streut und nicht alle von gleicher Grölse. Die kleineren, ziemlich gleichartigen, welche oft ganz fehlten, hielt ich für Eier, die gröfseren, ungleichartigeren, oft kaum von jenen zu unterscheidenden, für verschluckte grüne Monaden, indem meist gleichzeitig deutliche Ösecillatorienglieder im Innern daneben lagen. Die violeiten Kugeln waren immer in verschiedene, etwa 9-10 Gruppen vertheilt, jedoch ohne bestimmte Form und Zahlen; selten war dabei eine einzeln. Von der Bauch- oder Rückenseite gesehen lagen die Gruppen mehr im Umkreise als in der Mitte, was ihre vorherrschende Lagerung in den Körperseiten anzeigt. Die violette Masse wurde sanıt grünen Kugeln gleichzeitig durch den After entleert, glich Öltröpfchen und entfärbte sich sogleich darauf. Alle bräun- liche oder farblose Blasen hielt ich für Darmblasen. Überdiefs erkannte ich im Innern noch 2 grofse besondere Organe, erstlich eine helle contractile Blase neben dem Zahn- eylinder, welche zuweilen punktförmig klein war und bald darauf % oder sogar % der Körperbreite einnahm. Im kleinsten und gröfsten Zustande war ihr Rand glatt und ein- fach, in den Mittelzuständen aber erschien er gekerbt oder wie mit Perlen besetzt. Diese Perlen waren wohl die knotigen Enden der strahlenförmigen Kanäle, wie sie Parame- cium zeigt, jedoch konnte ich dieselben nicht erkennen. Daneben, etwas nach hinten, aber in der Mitte des Körpers, befand sich das andere Organ, ein trüber, daher etwas dunkler, fast kugelförmiger Körper, der bei allen Individuen zugegen war, mithin nicht Nahrungsstoff sein konnte. Ich halte ihn für das männliche Saamenorgan und bin der Meinung, dals jene contractile Blase die Selbstbefruchtung zwischen diesem und dem überall vertheilten Eierstocke vermittelt. Sein Durchmesser bildete den 4 bis 5" Theil der Körperbreite. Ich beobachtete auch die freiwillige Queerlheilung, welche, wie bei der vorigen Art, ebenfalls gerad in der Stelle des Hoden (des unpaaren Organs) ein- trat: — Durchmesser 5 -%". 81. NassuLa aurea N. sp. Goldgelbes Trichterthierchen. N. corpore ovato, turgido, aureo, oris dentibus 20?. Tafel I, Fig. ın. Am 7. und 9. Juni 1832 im Wasser eines Torfbruches hinter den Pulvermagazinen bei Berlin entdeckt. Diefs goldgelbe Thierchen glich ganz einem Börsenthierchen, zeigte aber sogleich durch seinen Zahntrichter seine Verwandtschaft mit den vorigen unwiderleglich an. Seine Form war verschiedenartiger als die der früheren. Meist war es länglich und an beiden Phys. Abhandl. 1833. Qq 306 Enrensgeng: Deitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Enden plötzlich abgerundet, ohne Zuspitzung, zuweilen und oft war es vorn etwas dik- ker als hinten, immer war es voll und rund. Zwei sah ich hinten fast zugespitzt, wahr- scheinlich in Folge statt gefundener (ueertheilung, denn sie waren kleiner als die stark gerundeten. Die goldgelbe Färbung schien grofsentheils von Nahrungsstoffen herzurüh- ren, jedoch liefs sich nichts deutlich erkennen. Bestimmte runde Körnchen als gelbe Eier wurden auch nicht deutlich. Ein besonderer Farbesaft liefs sich nicht unterschei- den, vielleicht war er aber goldgelb oder farblos. Ich hatte nicht viele Individuen zur Untersuchung und verlor einige durch raschen Tod im stagnirenden Wasser, welches viel der seltneren Räderthiere und Magenthierchen schnell zu tödten pflegt. Der ganze Körper war äufserlich mit Wimperreihen in der Längenrichtung besetzt, deren ich bei der Halbansicht ungefähr 23 - 24 zählte. Am Zahncylinder zählte ich 20 und 21 Zähne. Ihre grolse Feinheit liefs mich kein ganz sicheres Resultat erlangen. Der den Mund überragende, runde, dicke Körpertheil betrug bis 4 des Ganzen, so dals der Mund sehr gegen die Körpermitte hin lag. Ganz 3 in der Mitte, neben dem Munde, lag noch ein sehr grolses, contractiles Ejaculationsorgan 1m und ein dunkler kugelförmiger Hoden von fast ‘; des Breitendurchmessers — Länge XV*. Popormeya Novum Genus. Strahlenfufs. Familie der /Yalzenthier- 82, chen. Enchelia? Character Generis: Polygastricum, Enterodelum?, ore anoque oppositis (Enantiotretum)? nec loricatum. Os rectum, simplex, nec ciliatum. Corpus setis radiatum, globulare. Pedicellus lateralis, rigidus, nee affıxus. Proboseis? Popvopurva fixa aduleis, efr. Trichoda fixa Müller. Süfser Strahlenfu/s. P. corpore hyalino, globoso, setis corporis diametrum aequantibus et superanti- bus, capitatis, pedicello corpore plus duplo longiore, apice levius dilatato, truncato. Am 26. und 28. April 1832 auf der Oberfläche bestäubten Wassers aus dem Thier- garten in meiner Wohnung in Berlin entdeckt. Diese Form hat grofse Ähnlichkeit einerseits mit der Gattung Acineta unter den Kranzthierchen und andrerseits mit Actinophrys der Walzenthierchen. Seine wahre Stel- lung liels sich noch nicht mit voller Sicherheit ausmitteln. Eine überaus ähnliche Form hat Müller als Trichoda fixa abgebildet, allein diese war ein Seethierchen, hatte keine Köpfchen an den Borsten und ein deutlich zweilappiges Fulsende. Genau übereinstim- mend dagegen ist wieder die Art, wie beide Formen gröfsere Infusorien fangen und aussaugen, weshalb ich sie zwar unter demselben Müllerschen Specialnamen begreife, aber doch als Varietäten trenne, bis eine neue Beobachtung des Müllerschen Seethier- chens, des salzigen Strahlenfulses, die nöthige vollständige Trennung oder die Identität beider Formen bestätigt. i Körper kugelrund, mit feinen Borsten radienartig, nicht allzudicht "besetzt, (die ziem- lich gleiche Länge mit seinem Durchmesser haben und oben ein Knöpfchen führen. Ein in der Richtung des kleinsten Raumes. 307 farbloser steifer Stiel von etwas mehr als doppelter Kugellinge ist an den Körper ge- heftet, wodurch dieser eine Ähnlichkeit mit einer Epistylis erhält, allein ich sah den Stiel nicht angeheftet. Sein hinteres Ende war ein wenig erweitert und abgestutzt. Eine helle runde Stelle, deren Durchmesser sich änderte, erschien mir als Mundstelle. Sie war nicht dem Stiele entgegengesetzt, sondern seitlich. Ob eine Analöffnung dem Munde entgegengesetzt war, liels sich nicht entscheiden, jedoch erinnerte die ganze Erschei- nung so sehr an das Sonnenthierchen, Acänophrys Sol, bei welchem Mund und After von mir beobachtet worden, dafs ich diese Analogie vorläufig festzustellen für rathsam halte. Während der Beobachtung der Thierchen ward ich eben so von ihrer Ernäh- rung und ihrem Fange überrascht, als es Müller bei dem seinigen war. Ich sah nim- lich Trichodina Grandinella, das Urnenthierchen, welches sich mit seinem Wirbel gleich- zeitig in Menge dabei herumtummelte, wiederholt plötzlich an eine solche Kugel ange- zogen und zwar gerade an die helle seitliche Stelle, welche ich schon für den Mund gehalten. Das Urnenthierchen streckte dann plötzlich seine Wimpern ganz aus und blieb bewegungslos kleben. Ich habe nicht gesehen, dafs es wieder losgekommen wäre. Ein andermal sah ich ein bewegungsloses Urnenthierchen mit ausgestreckten Wimpern in den Strahlen locker hängen und ein zweites lag wieder Mund an Mund mit dem Strahlen- fulse, um wohl ebenfalls ausgesogen zu werden, wie es jenes schon war. Im innern Körper der Kugeln waren viele etwas undeutliche Blasen (polygastrische Magen) sicht- bar. Ich sah nur einige Male ein langsames Beugen einzelner Strahlen, sonst keine Be- wegung. Es scheint, dals die Strahlen klebrig sind, oder dafs noch ein sehr feiner, schwer sichtbarer, langer Rüssel da ist, welcher zum Einfangen dient. In farbigem Was- ser sah ich keinen Wirbel dabei und kein Anfüllen der inneren Magen. — Durchmesser 1 1m — der Kugeln von 5-5”. XVI*. Prorocentrum Novum Genus. Stachelmonade. Familie der Panzer- monaden. Cryplomonadina. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum. Lo- rica compressa, apice mucronata. Proboscis filiformis, cilia nulla. 83. Prorocextnum micans N.sp. Zeuchtende Stachelmonade. P. flavum, testa compressa, ovala, antico fine late rotundato, mucronato, pos- tico acuto. Am 25. November 1832 im Östseewasser aus Kiel in Berlin von mir lebend beob- achtet. Der erste Entdecker dieses Thierchens ist aber Herr Dr. Michaelis. In der verdienstlichen Schrift über das Meerleuchten hat Herr Dr. Michaelis auf Tafel A, oben rechts, ein Thierchen unter dem Namen Cercaria abgebildet, welches kein anderes als dieses sein kann und dessen Darstellung auch bezeichnend ist. Er rech- net es unter die, bei denen er mit Überzeugung das Selbstleuchten beobachtet hat. Den Rüssel und die innere Structur hat er aus Mangel eines stärkeren Mikroskops nicht er- kannt. Eine detaillirtere Beschreibung behalte ich der bereits angeführten Abhandlung Qq2 308 Eurenseng: Beitrag zur Erkenntrifs grofser Organisation über die Leuchterscheinungen vor und bemerke hier nur, dafs ich mich über das Leuch- ten dieser Form nicht selbst überzeugen konnte. Es hat eine hüpfende Bewegung. — 1m ar Länge 5”. XVH*. Proropon Novum Genus. Zahnwalze. Familie der Walzenthierchen, Enchelia. Character Generis: Polygastricum, Enterodelum, ore anoque oppositis (Enan- tiotretum). Corpus ciliatum, nec loricatum. Os recte truncatum, dentium corona munitum. 84. Prorovon niveus N. sp. Veifse Zahnwalze. P. corpore amplo, albo, compresso, elliptico, dentium corona oblonga, compressa, dentibus ultra 30. Im Sommer 1832 bei Berlin in torfigen Gewässern beobachtet. Der grofse, weise, überall mit Längsreihen von Wimpern behaarte Körper ist nicht völlig noch einmal so lang als breit, vorn und hinten gleichartig abgerundet und zusam- mengedrückt. Ob die Abplattung vom Rücken und Bauche, oder von den Seiten aus- geht, läfst sich nicht entscheiden, weil Mund und After gerade in der Längsaxe liegen und kein Auge die Rückenseite bezeichnet. Der Zahnapparat bildet vorn einen zusam- mengedrückten Cylinder, oder Kegel, so dals der Mund eine lange Queerspalte, fast von der Körperbreite ist. Dicht am After ist eine grofse weilse Blase, die wohl Befruch- tungsblase ist. Ich sah sie größser und kleiner, aber nie sich contrahirend. Der ganze Körper ist mit zahllosen Magenblasen erfüllt, in denen ich keine fremden erkennbaren Stoffe fand. Die Zahl der Zähne ist jedenfalls über 30. Ich zählte sogar auf der Halb- ansicht 70, das gäbe 140; allein diese Zahl mülste erst mehrfach wieder gezählt sein. Dafs die gröfßste Zahl der bisher beobachteten Zähne bei diesen Thierchen vorkommt, ist gewils. Seite 170 ist für diese Form durch Versehen der frühere Name des Manuscripts Pro- rodon compressus gedruckt worden und der Name Prorodon niveus ist dem folgen- den Prorodon teres ertheilt worden. Angezeigt wird diese Verschiedenheit der Namen nicht irren. — Bewegung im Schwimmen wankend. Länge %”, 85. Prononon teres N.sp.! Cylindrische Zahnwalze. P. corpore albo, ovato-cylindrico, utrinque aequaliter rotundato, raro postico fine attenuato, dentium corona tereti, dentibus ultra 20. Im Sommer 1832 bei Berlin im torfigen stagnirenden Wasser. Die gröfsten Exemplare waren nur halb so grofs als vorige Art. Der kurz cylin- drische Körper ist auf beiden Enden abgerundet und überall reihenweis der Länge nach mit Wimpern besetzt. Mund und After stehen in der Längsaxe einander gegenüber. Der Mund ist mit vielen in einen hohlen Cylinder verbundenen Zähnen ausgelegt, deren Anzahl sich nicht genau ermitteln liefs. Beim ruhigen Thierchen zählte ich nämlich im in der Richtung des kleinsten Raumes. 309 Umkreise des Mundes deutlich 20 Spitzen als Enden so vieler Zähne, allein beim Zer- Nielsen 'eines Thierchens sah ich bald darauf, dafs die Zahl der Zähne bis auf 40 ging. Ich habe seitdem kein Thierchen wieder gefunden und mithin die Beobachtung nicht wiederholen und prüfen können. Die Zähne des zerflielsenden Thierchens wurden mit einiger Kraft weggeschleudert, eine Erscheinung, die ich bei andern inneren Theilen zerfliefsender Infusorien ebenfalls beobachtet habe und die ihren Grund in der Contrac- tion der peripherischen Muskelgebilde dieser kleinen Körper haben mag. Die Muskel- kraft der Holothurienschaale fällt dabei jedem ein, wer Holothurien lebendig beobachtet hat. Auch diese schnellen ihre ganzen Eingeweide von sich. Im innern Körper waren viele Magen natürlich braun und gelb gefüllt. Beim Hinzuthun von Indigo in das Was- ser füllten sich noch viele andere Magen mit Blau an. Seite 170 ist diese Form Prorodon niveus genannt, was schon bei voriger ange- 1m zeigt wurde. — Länge 5”. XVIU. Scenopesmus Meyen = Tessarthonia Turpin? Vierling. Familie der Stabthierchen, Bacillaria. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Pseudopodium?, loricatum. Lorica univalvis?, corpuscula libera quaterna octonave in serie simplici recta coniuncta, aut alternantia. 86. Scenovesmus quadricaudatus — Achnanthes quadricaudata Turpin, Sce- nedesmus magnus et Sc. longus Meyen. Geschwänster Vierling. - S. viridis, corpusculis oblongis, quaternis aut octonis, acqualiter coniunctis, me- diis apice rotundatis, extremis saepius cornutis, bicornibus, raro tricornibus. Im Sommer bei Berlin häufig in den Flocken an Wassergewächsen in Torfgruben mit Mıcrasterien und andern ähnlichen Formen. In diesem Jahre (1834) im Juni und Juli wieder beobachtet. Turpin hat diese Formen theils Tessarthonia, theils Achnanthes genannt und zu- erst beobachtet. Meyen hat sie gleichzeitig oder bald darauf (im Sommer 1828) eben- falls beobachtet und Scenedesmus genannt. Der Gattungsname Achnanthes gehört an- deren Formen. Der Name Tessarthonia, welcher viergliedrig bezeichnen soll, ist ganz sprachwidrig gebildet und kann daher nicht benutzt werden, obwohl seine Bezeich- nung vortrefllich ist. Was der Name Scenedesmus (Zeltband?) bedeuten soll, ist nicht angegeben und nicht klar, Scenodesmus ist sprachrichtiger. Durchsichtige, spröde, hohle Stäbchen, innerlich mit einer lebhaft grünen Masse und dazwischen liegenden Bläschen erfüllt, sind zu 4 oder 8, sehr selten zu 3 oder 5 auf den Seiten vereinigt und liegen scheinbar bewegungslos still. Sie erinnern sehr an Fra- gilarien, aber die an den Enden befindlichen Stäbchen haben meist eine andere Form als die mittleren. Durch die Zellensternchen (Micrasterias) und die Sternscheiben (Eua- stra) lassen sie sich mit den Naviculis verbinden, und wenigstens ist ihre Verwandtschaft zu diesen Thieren jedenfalls größer, als zu irgend einer Pflanze. Daher habe ich vor- 310 87. 88. Eunenseng: Beirag zur Erkenntnifs grofser Organisation gezogen, sie hier mit aufzuzählen, obschon sie noch weiterer Beobachtung bedürfen. Ortsveränderung ist so wenig bei diesen Formen ein die Thierheit bezeichnender oder ausschlielsender Charakter, als er es bei den Austern, Fungien und vielen andern Kör- pern ist, die, wenn sie so klein wären, uns ganz ähnliche Schwierigkeiten bieten wür- den. — Ich sah die Bläschen im Innern zuweilen in jedem Stäbchen einzeln in der Mitte, zuweilen zu 2 an den Enden, zuweilen auch 4-8 ohne Ordnung zerstreut in jedem einzelnen. Zuweilen sah ich in der Mitte jedes Stäbchens einen hellen Längsstreifen, wie bei Fragilarien. Jedes Horn ist. zuweilen so lang als die 4 Stäbchen, zuweilen sind sie viel kürzer, nicht selten kaum zu erkennen. Zuweilen sah ich an den Endstäb- chen zwischen den beiden Hörnern in der Mitte noch ein drittes Horn. Meyen hat ein mittleres Stäbchen gehörnt abgebildet, Fig.29. Die 4 oder 8 Stäbchen bilden in der Vereinigung ein sehr dünnes, llaches Blättchen, was von der Seite gesehen nicht convex, sondern wie eine Linie erscheint. All diese einzelnen Formverschiedenheiten als besondere Species zu benennen, halte ich für ein nutzloses und schädliches Vermeh- ren der Namen, aber höchst verdienstlich würde es sein, die physiologischen Charaktere noch weiter zu entwickeln, um in der Mannichfachheit dieser Formen die verbindenden oder trennenden Gesetze nachzuweisen. Selbsttheilung ist noch nicht beobachtet. Viel- leicht ist daher der achtstäbige Scenodesmus longus Meyen nicht eine Verdoppelung des Astäbigen durch Selbsttheilung, sondern eine besondere Art. — Länge des Astäbigen (ohne die Hörner) 45-5”, des 8stibigen 4”. Achtstäbige sah ich nie kleiner, also sind sie doch wohl Verdoppelung der Astäbigen! Oder soll man auch die folgenden Formen in je 2 Arten trennen? Turpin’s Achnanthes quadrijuga halte ich für dieselbe Art, deren Hörnchen nicht entwickelt sind, sonst würde man noch einen Sc. quadrijugus bilden müssen. Auch seine Tassarthonia moniliformis mag hierher gehören, denn die scheinbare Kugelform kann ein kurzer Cylinder sein. Das ganze soll 4 Millimeter, d.i. etwa ‚4, Linie lang gewesen sein, war also schr klein. Dazu gehört Meyen Fig.25. Vergl. Gaillonella. SCENODESMUS acutus Meyen. Spitziger Vierling. S. viridis, corpusculis inaequaliter coniunctis, fusiformibus, quaternis aut octo- nis, externis interdum lunulatis. Bei Berlin mit voriger im Sommer häufig. Zuweilen sind 1, zuweilen mehrere Bläschen in jedem Stäbchen. Bewegung sah ich weder innen noch äufserlich. Einmal unter zahllosen sah ich 5 Stäbchen beisammen. Diefs ist wohl Abnormität. Oder folgt es aus dem Gesetz ihrer allmäligen Selbst- theilung? — Länge %”. Scenopesmus oblusus Meyen Fig.31. Stumpfer Vierling. S. viridis, corpusculis inaequaliter coniunctis, cylindricis, obtusis, quaternis aut octonis, aequalibus. in der Richtung des kleinsten Raumes. 311 Zu dieser Art gehört Turpin’s Achnanthes quadralterna und octalterna. Aber Meyen’s Fig.30. gehört deutlich in eine besondere, ganz andere Gattung ('). XIX. Scnizoxema Ag. Röhrenschiffchen. Familie der Staöthierchen. Bacillaria. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Pseudopodium ?, loricatum. Lorica quadrangularis, prismatica, navicularis. Corpuscula socialia sine or- dine tubos filiformes replentia. 89. Scuizonema baltieum N.sp. Baltisches Röhrenschiffchen. S. tubulis hyalinis, capillaribus, sparsis, naviculis Navis, striatis, quater fere longio- ribus quam latis, tubulorum latitudinem longitudine aequantibus. Im August 1833 bei Wismar zwischen Ceramien in der Ostsee entdeckt. Im Jahre 1823 entdeckten Agardh in Lund und Gaillon in Dieppe gleichzeitig (Agardh Conspectus cerit. Diatom. p.12.), dafs es Confervenähnliche Körper gebe, die Frustulien oder Naviculas in sich wie Fruchtkörner eingeschlossen enthielten. Agardh nannte sie Schizonema, Gaillon nannte sie Girodella. Jeder von beiden baute darauf eine eigne Idee von der Bildung der Algen im Allgemeinen, welche viel besprochen worden sind. Agardh hielt diese Körper für einen Beweis, dafs gewisse und endlich alle Formen von Algen aus anderen Algen zusammengesetzt seien und hielt die einfache- ren für Elementarformen, die zusammengesetzteren für Potenzirungen derselben. Diese von ihm weit und geistreich verfolgte Idee sollten die Jcones Algarum europaearum 1828, von denen nur 3 Lieferungen erschienen, anschaulich machen. Schon jetzt lälst sich aber erkennen, dafs sie nicht glücklich war. Gaillon hielt die Girodellen für willkührlich vereinte Thiere, Naviculas, die sich fadenförmig in Schleim hüllten, eine zeitlang ruhig blieben, so eine Alge vorstellten und den Schleim dann wieder verlielsen. Er war nicht abgeneigt, diese längst vor ihm aus- gesprochene Idee, nach welcher ein Mensch ein Haufe von Infusorien ist, ebenfalls zu verallgemeinern. Dals seine Beobachtungen unrichtig waren, bewiesen später Turpin’s in Dieppe selbst angestellte Untersuchungen. Mem. du Mus. T.XV. Ohne mich jetzt in das Speculative dieses Gegenstandes einzulassen, berühre ich nur das Systematische und Physiologische. Ich glaube nicht, dafs die Gattung Girodella einen wichtigen Charakter besitzt, welcher sie von Agardh’s Schizonema unterscheidet. Wollte man die Gattung Schi- (') Kützing hat in der Zinnaea 1833 16 Arten dieser Gattung charakterisirt, allein ich glaube, dafs viele zusammenfallen. Sc. magnus und longus = quadricaudatus, a cornutus; Sc. Leibleini, minor, trijugatus, bijugatus, moniliformis und dimorphus = quadricaudatus, ß ecornis; Sc. sto- matomorphus mag wohl mit Turpin’s Siomatella porosa zu Micrasterias gehören; Sc. bilunulatus kann eigne Art sein; Sc. pectinatus Meyen scheint in verschiedene Gattungen zu gehören; Sc. qua- dralternus und octalternus = obtusus Meyen Fig. 31. oder Sc. quadralternus, wenn Turpin's Name älter ist, jedoch ist letzterer hart gebildet; Sc. acutus Meyen ist eigue Art; Sc. obliguus und duplex ist cher mit Meyen's Sc. obtusus Fig.30. als eigne Gattung abzusondern. 31 2 Eunensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation zonema in 2 Gattungen trennen, deren eine einfache Schläuche hat, wie Schizonema rutilans, die erste von Agardh’s Arten, deren andere ästige Schläuche hat, wie die übrigen Arten von Agardh, so liefse sich für die letzteren Formen, zu denen Giro- della comoides gehört, der Gattungsname Girodella beibehalten, jedoch scheint mir je- ner Charakter nicht recht wesentlich, darum habe ich Agardh’s Namen vorgezogen, ob- schon in der von letzterem gegebenen Gattungsdiagnose abweichende Charaktere aufgestellt worden sind. Bei so verschiedenen Ansichten, wie sie rücksichtlich dieser Formen statt finden, müssen erst viele Beobachter vermittelnd und ausgleichend auftreten, ehe das wissenschaftliche Interesse befriedigt wird. Die Gattung Schizonema bildet mit den mir unbekannten verwandten Gattungen Ho- moeocladia, Micromega u.s. w., welche nach Agardh ähnliche Verhältnisse zeigen, je- denfalls eine besondere neue Abtheilung der Bacillarienfamilie, nämlich die der umhüll- ten Schiffchen. Es giebt: 1) freie, 2) ansitzende, 3) umhüllte Schiffchen. Das Schizonema balticum besteht aus einzelnen, cerystallhellen, selten verästeten Fä- den, welche an Ceramien sitzen und deren Äste umschlingen. Ich sah sie nie bündel- förmig oder dominirend, nur einzeln unter dem Mikroskope. Das Innere der Schläuche ist unregelmäfsig vollgepfropft mit Navieulis, welche anderen, frei lebenden Navieulis nicht gleichen. Alle Naviculae waren mit der Längsaxe in der Längsrichtung des Schlauchs gelagert. Vier füllten hie und da den inneren Raum. In älteren Schläuchen lagen sie einzeln. Jede Navicula war immer dem Queerdurchmesser ihres Schlauches an Länge gleich. Jede einzelne war Amal so lang als breit, Aseitig, mit 2 convexen Flächen (Bauch und Rücken) und 2 ebenen Seıten, Lateralflächen. Sämtliche 4 Ecken waren innen gestreift. Von den convexen Seiten aus gesehen erschienen sie wie gerade Stäbchen, mit gerad abgestutzten Enden, quadratisch; von den ebenen Seiten aus gesehen waren sie kahnförmig, mit abgerundeten Enden. Bei einigen war spontane Längstheilung auf den Lateralflächen deutlich, doch sah ich nie mehr als einfache Theilung. Im Innern füllten 4 gelbe Bänder die Ecken und 2 Bläschen zeigten sich bei der Seitenlage in der Mitte, die den kahnförmigen Flächen abgingen. Bei älteren Exemplaren war die gelbe Masse in eine unregelmäfsige Kugel in der Mitte vereinigt. Bewegung sah ich nicht. Ich denke mir das Verhältnils dieser Navicıulae zu ihren Schläuchen wie das der Pan- zervorticellen (Faginicola dergl.) oder der Blumenthierchen (Floseularia) und anderer zu ihrem Panzer. Der Panzer wächst mit dem locker an ihm hängenden Thierchen fort, das Thierchen theilt sich in demselben, wie bei jenen, und legt seine Eier hinein, wie bei diesen, die in allen jenen Fällen sich entfernen, in diesem aber bei den Mutterthie- ren bleiben und Familienvereine vorstellen, wie sie in mannichfachen anderen Formen auch bei den Infusorien und Räderthieren gewöhnlich sind. Ich glaube nicht, dafs diese Formen grofse Räthsel auflösen werden, aber ihre intensivere Beobachtung, besonders der individuellen Organisationsverhältnisse der inneren Thierchen, ist schr wünschens- werth. Ich habe leider nur auf Reisen karge Gelegenheit gehabt, dergleichen zu se- hen. — Länge der einzelnen Schiffchen 5”. Dicke der haarförmigen, selten verästeten Schläuche eben so stark. in der Richtung des kleinsten Raumes. 313 90. Scnizonema ASgardhi N.sp. Agardl's Röhrenschiffchen. S. tubulis hyalinis, capillaribus, fasciculatis, gelatina involutis, naviculis favis, filo includente crassioribus, elongatis. Ich fand diese sehr ausgezeichnete Form zu Ende August’s 1833 bei Droebak in Norwegen im Kanal von Christiania an einem Fucus. Eine höchst sonderbare Form, wohl eigne Gattung. Es waren haarförmige, einfache, erystallene, gallertige Fäden, in denen 5-6 andere, viel dünnere Fäden eingeschlossen waren. Diese dünneren Fäden waren abwechselnd angeschwollen und zwar durch eine gelbe, längliche Navicula aufgetrieben. Die engen Zwischenräume der Fäden waren zu- weilen eben so lang, zuweilen länger als die Naviculae. Jede Navicula war etwa 6mal so lang als dick, fast gleichartig (leicht schiffförmig) auf allen Seiten und hatte in der Mitte einen hellen Fleck. — Länge einer Navicula 5", Dicke der ganzen Schläuche bis &” Wenn man aus Schläuchen, welche die Naviculas in einfacher Reihe führen, dels- halb eine eigne Gattung bilden will, ist grolse Vorsicht zu rathen, weil auch die re- gellos erfüllten an den Spitzen einfache Reihen zeigen (siehe Schizonema comoides) und diefs leicht Jugendzustand anderer sein kann. AX*, SprirocHaEta Novum Genus. Schlingenthierchen. Familie der Zitter- thierchen, WVibrionia. Character Generis: Polygastricum?, Anenterum, Gymnicum, nec loricatum. Corpus filiforme, contractione non incrassatum, sed flexuosum, sponte in mul- tas partes transverse dividuum?, in spiram angustam, filiformem, plicatilem contortum. 94. SpirocHAETA plicatilis N.sp. Wurmförmiges Schlingenthierchen. S. corpore spirali plicatilique, tenuissimo, spirae anfractibus, ipso corpore vix duplo latioribus, angustissimis, numerosissimis. Am 2. April 1832 im überwinterten Wasser in Berlin beobachtet. Das Thierchen ist eng schraubenartig gewunden, dabei lang fadenförmig, wie Fi- brillum, aber nicht steif, sondern sehr biegsam. Die Dicke der Schraube liegt bis 70 mal in der Länge des Ganzen und eben so viele Windungen giebt es, doch waren einige viel kürzer als die anderen, ohne dünner zu sein. Bald streckt es sich, ohne seine Spi- ralwindungen zu verlieren, in gerader Linie aus, bald ist es wellenförmig gebogen und schwimmt wie ein Yibrio, bald bildet es veränderliche Schlingen. Organe lielsen sich nicht erkennen. — Dicke 5”, Länge 4-5”. „ib: 959 SPIROSTOMUM vergl. pag. 252. AXI. Sraunasırun Meyen. Äreuzstern. Familie der Stabthierchen, Bacillarıa. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Pseudopodium?, loricatum. Lorica biyalvis. Valvae singulae radiatae, quadrangulares, processu medio coniunctae. (= Desmidium quadrangulare). Phys. Abhandl. 1833. Rr 314 Eurenwseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation 92. Sraursstaum paradoxum Meyen N. 4. Nat. Cur. 1828, XIV, Tab. 43, Fig.37, 38. Grüner Kreuzstern. S. viride, angulis quaternis, radiatis, stiliformibus. Am 20. Juni und 16. August 1832 von mir zuerst mit Micrasterias, Desmidium dergl. bei Berlin beobachtet. So viel sich bis jetzt aus der Structur hat ermitteln lassen, sind diese Formen harte und spröde, Ahörnige Schaalen, wie ein Kreuz, welche mit einem grünlichen oder gelb- lichen Inhalte erfüllt sind, wie Desmidium oder Euastrum dergl. Zuweilen sieht man zwei in der Mitte verbunden, wie sie Meyen zuerst beobachtet hat, zuweilen, wie ich sie öfter gesehen habe, sind sie einzeln. Eben so verhält es sich mit den dreiecki- gen Desmidiengliedern. Vielleicht kommen sie auch bandartig vor, doch sind dergleichen noch nirgends beobachtet. Die von mir beobachteten Exemplare waren überall rauh, das von Meyen abgebildete ist zu wenig vergröfsert, um dieses erkennen zu lassen. — 17 Gröfster Durchmesser eines einzelnen Kreuzes „,-&- XXII*. Srxcrrerta N.G. Doppelmantel. Familie der Kugelthiere, Volvocina. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum. Ury- ptomonades in globum consociatae, gelatina communi involutae, proboscide vibrante exserenda singulis singula. 93. Srnernrera Folvox N.sp. MWälzender Doppelmantel, S. gelatina hyalina, corpusculis flavo-viridibus, ovatis, fascia hyalina media lon- gitudinali. Am 11. Juni 1832 bei Berlin in torfigem klaren Wasser beobachtet. Die Form im Ganzen bildet Kugeln, die, wie Pandorina Morum, sich nach allen Seiten wälzen. Die Tbhierchen sind einfach in die Gallerte eingesenkt. Die Bewegung geschieht durch die fadenförmigen Rüssel der einzelnen Thierchen, die sich schlängeln und wirbeln. Ich sah 4-30 und mehr Thierchen in einer Kugel. Die Theilung der innern grünen Masse in 2 Längshälften schien mir, wie bei Cryptomonas erosa, oder den Cryptoglenen (siehe Tafel VII), durch einen Panzerausschnitt oder eine vordere Vertiefung zu entstehen. Farbige Nahrung sah ich nicht aufnehmen. — Thierchen „15 lang, Kugeldurchmesser bis 3”. AXIH*. Syvuna N.G. Strahlenmonade. Fam. der Kugelthierchen, Volvocina. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum, pe- dicellatum. Lorica (lacerna) gelatinosa, corpuscula in globum consociata in- volvens. Corpuscula (nuda?) pedicellis filiformibus, in medio centro conti- guis. Cilia? oris. Ocelli nulli. (*), Kützing's Micrasterias tetracera, didicera, cruciata und paradoxa gehören wohl hierher, erstere 2 scheinen dieselbe Species mit Meyen’s und meiner Form, cruciata eine eigne neue zu sein, und paradoxa, zu der ich nur die Astrahligen, rechtwinklichen Formen rechne, könnte den Namen St. Külzingü von seinem fleilsigen Entdecker erhalten. in der Richtung des kleinsten Raumes. 315 94. Sysura Uvella N.sp. Traubenartige Strahlmonade. S. corpusculis ovato-oblongis, flavicantibus, in pedicellis trıplo et quadruplo longioribus, e gelatina hyalina longe exserendis. Ich hatte diese ausgezeichnete Form zuerst in vielen Exemplaren am 13. October 1831 gefunden, hielt sie aber für eine Uvella; am 4. Mai 1832 sah ich sie noch viel zahlreicher im Wasser eines Grabens bei Berlin und erkannte ihre Eigenthümlichkeit. Die einzelnen Thierchen sind viel schmäler und länger als bei Synerypta und deut- lich lang geschwänzt. Ich meinte nicht selten 2 Längslinien im Körper zu unterschei- den, die sich noch auf einen Panzer der einzelnen Thierchen deuten lielsen. Indigo nahmen sie nicht auf. Ihr rasches Wirbeln am Vordertheile schien mir nicht durch einen Rüssel, sondern durch Wimpern erregt. Bewegung wie Folvox oder Pandorina Mo- rum. Durch die langen Stiele erschienen die ausgereckten Thierchen wie kleine Vor- ticellen und gaben der ganzen Kugel ein strahliges Ansehen. In einer Kugel waren 1 30-100 Thierchen. — Durchmesser eines Thierchens (ohne den Stiel) ‚!,”, einer Ku- 1 ım gl 4-4”. AXXIV* TracneLomonas Novum Genus. Rüsselmonade. Familie der Panzer- monaden, Cryptomonadina. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum. Lo- rica singulo singula. Proboscis filiformis. Ocellus singulus. Cauda nulla. Cilia nulla. TrAcHELOMoNASs volvocına —= Microglena volvoc. Wälzende Rüsselmonade. T. corpore globoso, viridi aut fuscescente, ocello rubro, cingulo optico pur- pureo. Tafel VII, Fig. ııı. Ich unterschied diese Form bestimmter erst im Jahre 1831, beobachtete sie wieder im März, April und am 14. und 17. Mai 1832, so wie vor Kurzem im Juni 1834 zwi- schen Conferven bei Berlin. In meinem zweiten Beitrage habe ich diesen Körper schon erwähnt und abgebildet (Tafel I, Fig.ır.), habe ihn aber seitdem noch viel zusammengesetzter gefunden, als ich ihn schon damals kannte, auch die optisch sehr interessante Erscheinung des rothen Rin- ges in ihren Bedingungen erkannt, wie ich bei der Erläuterung der Abbildung ausein- m andersetzen werde. — Durchmesser 44-5”, ohne den Rüssel. 95. Tracueromonas cylindrica N. sp. Cylindrische Rüsselmonade. T. corpore oblongo, subeylindrico, viridi, ocello rubro, cingulo optico purpu- reo, (ore prope proboscidem ciliato?). Tafel VII, Fig. ıv. Am 20. April 1832 von voriger unterschieden, mit der ich sie bis dahin verwech- selt hatte, so wie denn die länglichen Figuren meiner früheren Abbildung Tafel I, Fig. 11, 1 Lm an besonders +, hierher gehören. — Länge %- 5”. 96. TRACHELOMONAS nigricans N. sp. Schwärzliche Rüsselmonade. Rr2 316 Euresseng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation T. corpore ovato, fusco-nigricante, ocello atro-rubro, cingulo distincto nullo. Tafel VII, Fig. v. Am 16. April 1832 mit vorigen beobachtet, früher mit ihnen verwechselt. Die brau- nen Formen der 7. volvocina unterscheiden sich durch volle Kugelform, einen deut- lichen rothen, optischen Rirg und durch ein deutlicher rothes Auge. Nahrung sah ich keine dieser deutlich thierischen Formen aufnehmen und fand dieselbe Schwierigkeit bei Thieren mit feineren Mundöffnungen, wie sie diese so feinen Rüssel haben mögen, häufig. Sollte später noch genauere Kenntnils der specielleren Organisation und Entwicklung dieser Thierchen Gründe finden, dieselben als eine einzige Art zu betrachten, so wird es immer nützlich bleiben, die obigen verschiedenen Formen dieser Art deutlich vorgelegt zu haben. Die Härte und Regelmälsigkeit des Panzers liels es immer unwahrschein- licher werden, dals er bei einer und derselben Art so verschiedene Formen habe. XXV* Tracherocerca Nov. Gen. Schwanenthierchen. Fam. der Schwanz- thierchen, Ophryöcercina. Character Generis: Polygastricum, Enterodelum, ore terminali, ano infero (Allotretum), nec loricatum. Corpus non ciliatum, antico fine in collum at- tenuatum, postico dorsi verruca aut gibbere auctum. (Forma Zacrimariae, corpore postica parte acuto). TracueLocerca Olor = Lacrymaria Ol, Fibrio Ol. Mül. Weifses Schwanenth. T. maior, corpore lacteo, ovulis albis. Laerymaria Olor gehört zu den Formen, welche ich durch Mangel eines Ausrufungs- zeichens als solche bezeichnet hatte, deren bestimmter Verlauf des Darmkanals von mir noch nicht direct ausgemittelt worden sei. Neuerlich habe ich mich denn auch überzeugt, dafs die Analöffnung nicht, wie ich wegen Formähnlichkeit der übrigen Lacrymarien ver- muthete, am Ende des Körpers, sondern unterhalb sei und von einem kurzen conischen Schwanztheile überragt werde. Diese Bildung nöthigt, die Zacrymaria Olor als eigne Gattung neben die halslose Ophryocerca zu stellen (vergl. p.252.). Nun, seit Ophryocerca Ovum eine Art der Gattung Trachelius geworden, bildet die Gattung Trachelocerca allein m die Familie der Ophryocercinen, deren Name immerhin bleiben kann. — Ganze Länge % TracuzLocerca diceps. Zweiköpfiges Schwanenthierchen. Unter diesem Namen mache ich auf eine sehr ausgezeichnete Thierform aufmerksam, welche ich am 4. Mai 1832 nur einmal beobachtet und gezeichnet habe und die ich nicht als neue Art in die Systematik bringen, aber als physiologische Merkwürdigkeit besonders em- pfehlen will, weil ich bei den zahllosen Beobachtungen dieser Thierformen nur einmal eine solche gefunden habe. Es war meines Erachtens ein weilses Schwanenthierchen mit 2 Köpfen auf besonderen Halstheilen. Der Hals war von der Mitte an gespalten und hatte deutlich 2 keulenförmig sich von einander weit abspreitzende, sich schlagende Kopfenden. Dals diels nicht eine bevorstehende Längstheilung bezeichne, ersah ich ‚aus der geringen, gar nicht zu solcher Theilung angeschwollenen Dicke des hinteren einfachen Halstheils und aus der geringen Körperdicke. Es ist, wenn. ich' die von mir. beobachtete Mehrzahl von Augen bei Rotifer vulgaris ausnehme, welche ich nicht hoch stelle, die einzige wahre Monstruosität mit Überschuls, welche bei Infusorien vorgekommen, während Theilung in der Richtung des kleinsten Raumes. 317 und Zerflielsen unendliche Variation unvollständiger oder doppelter Formen geben, die kein besonderes physiologisches Interesse haben. Dals diese Form eine besondere selbst- ständige Gattung, keine Monstruosität sei, ist, weil sie sonst noch nie vorgekommen, kaum 1m wahrscheinlich. — Körperlänge ohne den Hals 5”, Hals eben so lang. 97. Tracnerocerca vırıdis N.sp. Grünes Schwanenthierchen. T. minor, corpore oyulis viridibus virescente. Am 22. April 1832 bei Berlin zwischen Zemna beobachtet. Der Körper bildet eine kurze eiförmige Spindel, woran ein 2 mal so langer Hals sitzt, der fast ganz eingezogen werden kann, wo denn das Thierchen einer Phialina ähnlich sieht und Queerrunzeln zeigt. Die Körperfalten kreuzen sich zuweilen im schiefen Winkel. Nur der dicke Körper ist mit grünen Körnchen erfüllt, zwischen denen man die Spuren der, inneren Magen sieht. Der Hals ist fadenförmig, gleich dick, farblos, am Ende etwas ver-, diekt. Es ist ein wahrer Hals, weil der Nahrungskanal magenlos durch ihn hindurchgeht. Das Kopfende ist am Rande bewimpert und hat eine zungenförmige eingelenkte Oberlippe, wodurch der Mund etwas schief abgestutzt erscheint. Hinten ist der Körper sehr spitz. — z i_A1im Ganze Länge 5-5”. AXVI*. Urocuena N.G. Strahlenauge. Familie der Kugelthiere, Folvocina. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Gymnicum, loricatum, pe- dicellatum, ocellatum, proboscide instructum. Lorica gelatinosa.. = Synura, ocello rubro singulo et proboscide insignis. Cilia nulla. 98. Unocrena Folvox N.sp. MWälzendes Strahlenauge. U. ampla, corpusculis ovato-oblongis, Navicantibus, ocello rubro singulo (divi- sione spontanea imminente, pluribus) insignis. Am 15. Juni dieses Jahres (1834) in Torfwasser bei Berlin zahlreich beobachtet. Die Form erscheint wie sehr grolse Exemplare der Synura Uvella, gleichzeitig mit Folvox Globator. Die Kugeln sind eben so grofs, aber blasser als Folvox Globator und haben keine inneren zweiten Kugeln. In gefärbten Wasser überzeugt man sich leicht von dem Dasein eines wirbelnden peitschenförmigen Rüssels bei jedem Thierchen, wodurch die Kugel bewegt wird und Nahrung angezogen werden mag. Nur bei 800 maliger Ver- grölserung überzeugt man sich vom Dasein der Augenpunkte, deren Mehrzahl eine be- vorstehende Theilung der Thierchen zu bezeichnen schien. In vielen waren einzelne Punkte. Der innere Körper ist, wie bei Syrura und Synerypta, in der Mitte durch einen hellen Längsstreifen getheilt, was vielleicht einen besonderen Panzer der einzelnen Thierchen anzeigt. Nahrungsaufnahme habe ich nicht beobachtet; die gelbe Färbung im Innern scheint mir dem Eierstocke anzugehören. — Durchmesser einer Kugel mit ohngefähr 17H 1,n 280 Thierchen 4”, Eines Thierchens ohne den Schwanz —-’”, mit dem Schwanze %”. 8 144 AXVII. Xanımorun N.G. Doppelklette. Fam. der Stabthierchen, Bacıllaria. Character Generis: Polygastricum, Anenterum, Pseudopodium?, loricatum. Lorica bivalvis. Valvae turgidae, globulares, strictura media distinctae, seto- sae, aut spinosae, divisione spontanea interdum in serie simplici quaternae. = Desmidium articulis globosis s. Gaillonella spinosa. 315 99. 100 101 Eurenzeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Xanruıpıum hirsutum N.sp. Haarige Doppelklette. X. viride, corpusculis subglobosis, geminatis, pilis undique hirtum. Im Sommer 1832 bei Berlin mit Micrasterien und Desmidien einmal beobachtet. Ich sah nie 4 vereinigt und keine Bewegung, auch keine besonderen inneren Or- gane, weshalb die Stelle zweifelhaft, obschon höchst wahrscheinlich hierher gehörig. — Durchmesser 4”. . Xantıpıum aculeatum N.sp. Stachlige Doppelklette. X. viride, corpusculis subglobosis aut polygoniis, geminatis aut quaternatis, acu- leatis, aculeis simplicibus aut fasciculatis, subulatis. Bei Berlin mit vorigem öfter beobachtet. Es sind 2 zusammenhängende, stachlige, grüne Kugeln oder Halbkugeln mit deut- lichem, durchsichtigen, festen Panzer und grünem weichen Inhalte. Zuweilen sah ich . innen 2 die Strietur schneidende Reihen grofser Blasen, je 2 in jeder Reihe jeder Ku- gel; zuweilen nur eine gröfsere in jeder Kugel, zuweilen 3 in jeder Kugel parallel mit der Strictur. Die Stacheln waren zuweilen nur am Rande, zuweilen überall, zuweilen einzeln, zuweilen paarweis oder bündelweis, immer nur etwa %; ihrer Kugeldicke lang. Lange Bänder sah ich diese Kugeln nie bilden, nicht über 4 waren in eine Reihe ver- einigt. — Durchmesser 4 - 5”. . Xantuipium furcatum N.sp. Gablige Doppelklette. X. viride, corpusculis transverse oblongis, spinoso - furcatis. Bei Berlin mit vorigen selten. Die beiden Kugelhälften sind breiter als lang, denn der Längendurchmesser durch- schneidet die Strictur, wie sich aus den Agliedrigen ergiebt. Strahlenförmige, nicht ganz gleiche Stacheln mit farblosen Spitzen stehen im Umkreis und sind an den Spitzen kurz gabelförmig. Im Innern war einmal eine grofse hellere Blase in jedem, und dabei waren nur am Rande Stacheln; bei einem andern waren überall Stacheln, aber keine Blase zu sehen. — Durchmesser 4”. Diese sehr auffallenden, bisher unbeachteten Formen könnte man auch mit ‚Sceno- desmus vergleichen, allein die Vierlinge sind flach, nicht kugelförmig. Die kugelför- migen, glatten, bisher dahin gezogenen kleinen Formen mögen kurze Gaillonellen (Me- losiren) sein. Eine noch nähere Verwandtschaft könnten die Xanthidien zu Euastrum haben, das auch flacher ist und einen anderen bestimmten Bau hat. Es genüge aber, vorläufig darauf aufmerksam gemacht zu haben, da ein gründlicheres Studium ihres Baues und ihrer Entwicklung mir bisher nicht möglich war und aus dem Angegebenen hervorgeht, dafs sie von den bisher bekannten ähnlichen Formen in wichtigen Charak- teren abweichen und rücksichtlich ihrer in Frage zu stellenden Thierheit sich auch durch die Selbsttheilung natürlich an die Gruppe der Stabthierchen anschliefsen, welche wohl für immer dem Pflanzenreiche entfremdet sein dürfte. in der Richtung des kleinsten Raumes. 319 Nachträgliche Bemerkungen. 1. Ich hatte in diesem Vorsommer Gelegenheit ganz aufserordentlich grofse Mengen des Brachionus urceolaris in Gläsern zu erziehen, so dals dieselben eine mehrere Linien dicke Haut bildeten und, Monaden ausgenommen, fast ganz rein, ohne alle fremde Beimischung waren. Ich sammelte davon durch wiederholtes Abnehmen der Oberfläche mit einer Feder fast ein volles Uhrglas, das beim Eintrocknen einen dicken Überzug bekam. Chemische Versuche mit diesen Milliarden einer Species von Räderthieren, welche, um sicherer zu gehen, auf meine Bitte H. Rose anstellte, ergaben, nach Verbrennen der Kruste in einem Platintiegelchen, eine ganz unläugbare Anzeige von phosphorsaurem Kalk. Die Asche löste sich nämlich ohne sichtliches Aufbrausen in einem Tropfen Salpetersäure auf und in der Auf- lösung wurde durch Ammoniak ein starker Niederschlag erzeugt. Da in diesen Thieren beim Druck zwischen geschliffenen Glasplatten unter dem Mikroskope, die Zähne als härteste Körpertheile erkannt werden, so ist es allerdings wahrscheinlich, dafs diese Zähne den phos- phorsauren Kalk enthielten, wie andere Zähne. Noch directere. chemische Versuche unter dem Mikroskope habe ich oft, aber nie mit so deutlichem Erfolge angestellt. 2. Herr Apotheker Kützing hat neuerlich die sehr interessante Entdeckung gemacht, dals der Panzer der Frustulia splendens, fulva, maculata und acuminata, der Melosira varians und nummuloides, des Achnanthes brevipes, so wie der Exilaria erystallina und fasciculata seines in der Zinnaea gegebenen Verzeichnisses der Diatomeen durch Glühen nicht zerstört und durch keine Säure angegriffen werden und dals, wenn er sie mit Soda vor dem Löthrohr schmolz, eine Glaskugel entstand. Ich habe diesen interessanten Versuch mit Synedra Ulna, Navicula fulva, gracilis, Amphora, amphisbaena und Zebra, so wie mit Fragilaria rhabdosoma, Gomphonema truncatum und Cocconema Cistula (= Frust. Jfulva et maculata K.), ferner mit Achnanthes longipes, Bacillaria paradowa, Gaillonella lineata (Melosira Kiützing), Schizonema baltiecum und Cocconema Boeckü, welche letz- tere 5 Formen ich aus der Ostsee in Weingeist aufbewahrt zur Hand hatte, wiederholt und rücksichtlich der Unzerstörbarkeit des Panzers durch Glühen auf Platinblech und durch Schwe- felsäure, Salpetersäure oder Salzsäure vollkommen bestätigt gefunden. Von der Unzerstör- barkeit der geglühten Stäbchen durch Säuren hat sich mit mir auch Herr Professor Hein- rich Rose überzeugt, woraus sich auf ihre Bildung aus Kieselerde mit Herrn Kützing allerdings schlielsen läfst, obschon mir nicht genug davon zur Hand war, um es mit Soda vor dem Löthrohre zu prüfen. Die Asche, unter das Mikroskop gebracht, zeigt jene so regelmälsigen Formen äuferlich unversehrt, nur innerlich ihres thierischen, färbenden Inhalts beraubt. Dals die Navieulae und alle ihnen ähnliche Körper der Bacillarienfamilie einen har- ten und spröden, 2schaaligen Panzer haben, der beim Queerdurchschnitt bei Nayicula in 4 Theile zerfällt, was ich zur Basis meiner systematischen Abtheilungen gelegt hatte, wird durch diese Beobachtungen von einer anderen Seite befestigt und Herrn Kützings Resultate sind mithin als ein unerwartetes, wissenschaftlich sicheres Factum um so dankbarer aufzunehmen, da die Kieselerde nur bei Pflanzen in häutiger Gestalt, meist aber auch da nur in spielsigen, erystallartigen Formen, wie bei Flufsschwämmen, Seeschwimmen, Tethyen u. s. w., sicher bekannt war.. Vergleichende Versuche welche ich mit Conferven, Oscillatorien, Closterien, Micrasterien, Scenodesmus und Fuastrum anstellte, zeigten, dafs all diese Formen, so wie die Panzer der Räderthiere, ohne Rücklassen einer Schaale verbrennen. Die Oscillatorien kann 320 Eurensene: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation ich nur für Pflanzen erkennen, aber die Closterien haben deutlich thierische Bewegung und deutliche, nie ruhende Organe; auch die übrigen genannten, weniger beweglichen Gattungen scheinen mir, ihrer äufseren Bildung, besonders aber ihrer, den Algen fremden, spontanen Theilbarkeit halber, die ich ganz neulich auch bei Euastrum margaritiferum entdeckte, all- zudeutlich thierisch. Mithin ist der Kieselerdegehalt des Panzers wohl kein Erkennungsmerk- mal der thierischen Formen, aber doch eine sehr überraschende, angenehme Entdeckung, die Herr Kützing gewils noch weiter verfolgen wird. 3. In einem Nachtrage zum Diet. class. d’hist. nat. zwischen den Erklärungen der Ku- pfertafeln von 1831 erkennt Hr. Bory de St. Vincent, im Widerspruch mit der Entschei- dung der Pariser Akademie, eine Organisation der Infusorien nicht an, indem er sagt: Quant aux estomacs des Monades, je persiste a les revoquer en doute, en demeurant dans la persuasion ou moont mis plus de trente ans d’observation, que les Gymnodes entre auıres parmi les animalcules se nourissent par absorbtion. Fr fügt hinzu: du reste, dans les ‚figures de louvrage du savant allemand que jaai eu sous les yeux, je n’ai pas trouve une seule espece.entre celles, qui y sont gravdes, qu’on ne rencontre aux environs de Paris; presque toutes meme avaient deja et publides precddemment, ce qui n’empeche point que lauteur ne soit digne d’eloges a beaucoup d’egards. Ich bemerke hierzu nur, dafs ich zur Darstellung der Infusorienstructur in den früheren Beiträgen die gemeinsten, am leichtesten nachzuprüfenden Formen absichtlich auswählte, weil ich eben nicht blofs auf neue Formen, vielmehr besonders auf physiologisch Neues in jenen alten Formen aufmerksam machen wollte, wie sich das wohl leicht erkennen lassen sollte, da ich die bekannten Namen dazu geschrieben (!). em] 15 4. Rücksichtlich der von Leo entworfenen, von Schultz vorgezogenen andern Anord-: nung der Infusorien in 5 Gruppen bemerke ich, dals sie sich mit den von mir bereits vorge- tragenen Structurverhältnissen nicht vereinigen lassen. 1) Blasenlose Infusorien: Die Mo- naden sind keine blasenlosen Thiere, nehmen sogar Indigo in ihre Magen auf; bei den Vibrio- nen läfst sich, weil sie zu fein sind, durch Erfahrung nicht dafür, aber durch das Gesetz der Analogie dagegen entscheiden. 2) Blasenthiere: Folwox Globator und Amiba sind ganz heterogene Thiere. 3) Yortitilia, von Fortex oder Vorticella, ist, wenn es auch Yorti- eilia heilsen sollte, kein grammatikalisch guter Name. 4) Phytopodes (animalia!): Viele Bacillarien sind fulslos und die Fülse der Vorticellinen sind nachweislich ganz gleichartige Or- gane. Auch sind die hierher gezogenen Oscillatorien ohne thierische Charaktere, ohne Kiesel- panzer wie Bacillarien und wachsen wie Pilanzen. Endlich 5) Gnathostoma: Es giebt kie- ferlose Räderthiere, die nicht Gnathostoma heilsen können: Chaetonotus, Ichthydium, Ente- roplea. Übrigens würde ein neues System, da ein solches an sich nichts wichtiges ist und dergleichen viele sich leicht entwerfen lassen, ohne zum Grunde liegende neue physiologische Resultate, nur eine Last neuer Namen, kein wissenschaftlicher Vortheil sein. Liegt aber einer zu erwartenden doppelten Menge von Infusorien ein unzureichendes Mikroskop oder die Idee der rudimentären Structur, mithin Unkenntnils der wahren Structur zum Grunde, so wird ihre Mittheilung wissenschaftlich schädlich sein. Vergl. pag. 166. — mn nun in der Richtung des kleinsten Raumes. 321 Erklärung der Kupfertafeln. Die beiliegenden 11 Kupfertafeln sollen nur zur weiteren Erläuterung der wichtigeren Organi- sationsverhältnisse im kleinsten Raume dienen, von denen im Texte Erwähnung geschieht. Es sind zu diesem Behufe 26 verschiedene Gattungen von Räderthieren und Magenthieren, oder 41 verschie- dene Arten in dem zur physiologischen Einsicht in ihren Bau nöthigen Detail abgebildet. Die klein- sten, auf Tafel VII., haben ‚4, Linie wirklicher Gröfse im Längendurchmesser, die gröfsten, auf Tafel IV., V., IX. und XI., erreichen noch nicht oder kaum # Linie. Die erste und zweite Tafel stellen den Zahnbau der polygastrischen Infusorien dar. Die erste Tafel zeigt zugleich einen natürlich violet gefärbten Darmsaft im Innern des Körpers einiger Infuso- rien, dessen zersetzende Kraft aus Fig. IV. der dritten Tafel zu ersehen ist und der mithin wohl deut- lich zur Verdauung und Assimilation dient, wie Darmsaft und Galle bei andern Thieren. Fatel'T. Sämtliche Färbungen der Thierchen auf Tafel I. sind nicht durch künstliche Mittel erzeugt, sondern natürlich und bei weitem weniger lebhaft und schön, als in der Natur selbst. Fig. I. Das zierliche Trichterthierchen. a, b und A sind ohne grüne Körner, d.h. mit noch unentwickeltem oder schon entleertem Eierstocke. c bis g sind verschiedene Zu- stände des mit grünen Eiern erfüllten Thierchens. i, A und Z sind Formen, welche durch freiwillige Queertheilung entstehen, ? mit doppeltem Zahneylinder. x, y und z sind Darstellungen des Zahncylinders, x in Ruhe, y bei hinten eintretender Contraction, z beim Niederschlucken und vorn eintretender Contraction. Den Mund bezeichnet « in den Figuren @ und d. Die beiden contractilen Ejaculationsblasen sind in Fig. d mit x bezeichnet. Das vermuthliche samenbereitende Organ, Hode, ist in Fig. @ und 5 mit xx bezeichnet. In Fig. e ist auch bei xx das dritte contractile Organ angezeigt. In Fig. a bezeichnet w die Analstelle und das beobachtete Excerniren der Nahrungsstoffe daselbst. Die gröfseren grünen Kugeln in Fig. c sind gefullte polygastrische Darmbla- sen, die kleinen sind die Eier. Die violetten Kugeln sind mit gefärbtem Darmsafte natürlich erfüllte Organe, welche unter sich durch farblose, contractile, nur in der Thätigkeit sichtbare Kanäle zusammenbängen. In Fig. fist auf der dem Zahneylinder entgegengesetzten Seite (am Rücken) eine Reihe heller Blasen, welche den paternoster- schnurförmigen Kanal für den violetten Darmsaft ausmacht. Fig. II. Das bunte Trichterthierchen. Fig. a und 5 sind schwimmende Formen. Fıg. c ist ruhend bei wenig Wasser und fängt an sich abzuplatten, was mit dem Zerfliefsen endet. Fig. d ist von der rechten Seite gesehen und im Wirbeln dargestellt. Fig. e ist in der Queertheilung begriffen und hat schon den neuen Zahncylinder gebildet. Fig. x stellt den Zahnapparat allein vor. Fig. 1*, 2*, 3*, 4* zeigen die verschiedenen Formen, welche das contractile Ejaculationsorgan abwechselnd durchläuft. In Fig. c bezeichnen « den Mund, » die thätige Analöffnung, wobei zu bemer- ken, dafs die ausgeworfenen grünen Körner halb verdaute Monaden sind, die farblosen rundlichen Theile sind öhlige, sich oft sichtlich verbindende, zusammenfliefsende Tröpf- chen, welche im Moment des Heraustretens noch violet, also dem Darmsafte angehörig waren, aber sogleich verbleicht sind. Dabei wird ein Stück einer Oscillatorie mit aus- geschieden. Durch x wird das Ejaculationsorgan angezeigt, durch xx der Hode. In Phys. Abhandl. 1833. Ss 322 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnis grofser Organisation Fig. II. Fig. I. Fig. II. Fig. III. Fig. b ist die Analstelle in der Ruhe schon zu erkennen und durch » bezeichnet. In Fig. e sind links die grünen Eier angezeigt, welche den ganzen Körper zuweilen erfül- len, aber in den Fig. a, b, c, d fehlen. Die bald mehr bald weniger deutlichen Wim- perreihen und Borsten sind in verschiedenen Verhältnissen angedeutet, wie sie er- schienen. Das goldgelbe Trichterthierchen. Fig.a, b, d sind die gewöhnlicheren, c und e abweichende, wahrscheinlich durch Queertheilung entstandene, noch nicht ganz wie-- der vollgebildete Formen. « bezeichnet den Mund, x das Ejaculationsorgan, xx den Hoden. Die Dunkelheiten gehören dem Inhalte der Darmblasen an. Bei Fig. a ist die Wirkung des Wirbels auf den Mund angegeben. Bei « ist die Afterstelle. Tafel I. Das haubenförmige Zahnthierchen. Kleinere und weniger vergröfserte Exem- plare desselben sind schon auf Tafel IV. des ersten Beitrags Fig. III. unter dem Namen des Lippenthierchens, Loxodes Cucullulus, abgebildet, aber die Structur ist nicht so deutlich und umständlich dargelegt. Die Figuren a, b, ce und e haben sich ohne künst- liche Beihülfe mit Naviculis (N. fulva und gracilis) erfüllt, die zum Theil ihrer halben Körperlänge gleichen, 5 und e haben auch Oscillatorienfragmente verschluckt. @ und 5 sind vom Rücken gesehen, c und g von der rechten Seite, d, e und f vom Bauche. Der gesonderte Zahnapparat ist mit * bezeichnet. Der Mund ist bei a, d, d und f mit & bezeichnet und bei Fig. a deutet xx die bis zu « reichende grofse Oberlippe an. Die 3 contractilen Organe, deren Mehrzahl für die Längs- und Queertheilung nützlich und vielleicht nothwendig ist, sind in den Figuren a, b, c und f'mit x bezeichnet. Der After ist in den Figuren a, b und d durch w angedeutet. - Der dunkle grofse Körper in der Mitte der Figuren b, d, e, f ist der Hode. In Fig. d ist der Verlauf des Darmes ganz klar zu erkennen. Gewöhnlich ist jede Navicula und jede Oscillatorie in einen besondern Magen eingeschlossen, aber in Fig. @ enthält auch ein Magen deutlich 2 Naviculas, der übrige Raum des Magens ist durch eine hier farblose, bei Nassula violette Flüssigkeit, den Magensaft oder Darmsaft, erfüllt, welche bei jenen in einem besondern blasigen Organe gebildet wird. In a sind noch undentliche Längsreihen der Wimpern zu erkennen, welche wohl bei noch stärkerer Vergröfserung deutlicher hervortreten würden. Die wahre Gröfse der gröfsten dieser Thierchen ist 4”. Die weifse Zahnwalze. Fig. a ist vom Rücken und Bauche gesehen, Fig. b von der Seite, bei * ist der Zahnapparat von oben oder unten besonders dargestellt. Weil Mund und After gerade in der Längsaxe liegen und keine Augen da sind, so Jäfst sich nicht entscheiden, was Bauch oder Rückenseite ist, mithin auch nicht rechts oder links. Den Mund bezeichnet '« besonders, die grofse Blase bei + ist contractil, dicht daneben bei w ist der After. Die übrigen Blasen des Körpers sind Darmblasen oder Magen. In Fig. a sind die reihenweisen Wimpern sichtbar. Die runde Zahnwalze. Sämtliche Figuren sind hie und da natürlich mit braunem Nahrungsstoffe erfüllt und daneben künstlich mit Indigo. Fig. @ und 5 zeigen die Wimperreihen der Oberfläche, welche bei den übrigen dichter anliegen, daher unsicht- bar werden. In farbiges Wasser gebracht, sind sie bei allen sogleich deutlich. Fig. a, d, c sind gewöhnliche Formen, d ungewöhnlich, e bei verdunstenden Tropfen breiter werdend und die Zähne von sich schiefsend. In Fig. « ist bei w die Afterstelle an- gezeigt. in der Richtung des kleinsten Raumes. 323 Tafel III. Diese Tafel soll besonders die veränderlichen und strahligen Organe erläutern, welche ich bei Paramecium Aurelia zuerst erkannte und für Verbindungsorgane der beiden Geschlechtsapparate, oder für die Selbstbefruchtung vermittelnde Ejaculationsorgane erklären zu dürfen meinte. Die in jeder der einzelnen Hauptfiguren dieser Tafel bemerkliche einfache oder doppelte helle Körperstelle bezeichnet, sie sei rund oder strahlig. jenes besondre organische Verhältnifs und ist im Leben durch seine Veränderlichkeit höchst auffallend. Auch schon auf den ersten 2 Tafeln ist auf dasselbe orga- nische System beiläufig aufmerksam gemacht worden und auf den folgenden Tafeln bis zur VIltn sind noch weitere Beiträge dafür zu vergleichen. Fig. 1. Fig. I. Das gewöhnliche Pantoffelthierchen. Fig.a, b, f und g zeigen jede 2 helle Stellen, die erstern rund, die letztern strahlig, Fig. c zeigt 4, Fig. deine. Fig. a ist in seinem natürlichen Zustande im Schwimmen begriffen. Fig. e ist ein kleines Indivi- duum in der Lage gezeichnet, in welcher es allerdings einem Pantoflel ähnlich erscheint, womit frühere Beobachter es verglichen haben. Fig. b ist ein in der Queertheilung be- griffenes Individuum, nach deren Vollendung es 2 Individuen bildet, welche die Form der Fig. d und jedes nur 1 veränderliches Organ besitzen. Fig. c ist in der Längsthei- lung begriffen und hat daher schon für jede seiner Halften 2 veränderliche Organe aus- gebildet, die durch etwas schärfere Umrisse und helle Farbe angezeigt sind, da die Ver- änderlichkeit, ihr Hauptcharakter, nicht wiedergegeben werden kann. Fig. f ist ein bei geringer Wassermenge ruhendes aber doch fortwirbelndes, schon etwas breiter wer- dendes Individuum, bei welchem deutlich wird, dafs die veränderlichen Organe eine überaus grofse Verbreitung im Körper haben und mithin ein wichtiges organisches Sy- stem bezeichnen. Auch erkennt man durch das über sie Hingehen der Wimperreihen, dafs sie nicht nach aufsen mündende Öffnungen sind oder haben. Ja auch die Eıkörner erstrecken sich über sie fort und sind in der Zeichnung nur ganz weggelassen worden, um den Eindruck des Organs selbst nicht allzusehr zu verwischen. Bei Fig. g, welches in gleichem Zustande wie Fig. f gezeichnet ist, sind die Wimperreihen weggelassen und von den Eikörnern nur vorn einige angegeben. Die scheinbar zusammenhangslosen Magen, der mittlere längliche Mund und die beiden strahligen Organe füllen den inne- ren Raum. Das vordere, den Eikörnern nächste veränderliche Organ ist in der gröfsten Expansion, das hintere ist nahe an seiner gröfsten Contraction, bei welcher es bis auf einen kleinen Punkt fast spurlos verschwindet, um sogleich wieder zu erscheinen. So wechselt Contraction und Expansion in beiden Organen. Der Mund mit seinem länglichen, warzenartigen, ganz kurzen Rüssel ist überall durch « bezeichnet; @ und y weisen auf die strahligen Organe. Fiy.« ist, mit Indigo gefüttert, künstlich gefüllt. In Fig. und c sind die Wimpern nicht besonders ange- geben, wie man sie denn auch oft nicht sieht, wenn man nicht besondre Aufmerksam- keit darauf lenkt. Eine andere Abbildung dieses Thierchens habe ich in Poggen- dorffs Annalen der Physik und Chemie, 1832 bereits mitgetheilt. Damals unterschied ich die contractilen, höchst eigenthümlichen Organe noch nicht. Neuere Beobachtun- gen machen auch die gegenwärtige Abbildung wieder unvollständig, indem ich noch in der Nähe des Mundes, in der Mitte des inneren Körpers, ein längliches drüsiges Organ bei allen Individuen erkenne, welches offenbar mit dem ganz ähnlichen, auf Tafel I. bei Nassula elegans für Hoden erklärten, gleiche Function hat. Das geschwänzte Pantoffelthierchen. Fig. a und b in gewöhnlicher Form, schwimmend, c in der Längstheilung begriffen. Der Mund mit « bezeichnet, die con- tractilen Organe mit @ und y. Sämtliche Individuen mit Indigo genährt. Bei Fig. a Ss2 324 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation Fig. IH. sind die Wimperreihen angezeigt, vorn und hinten liegen im inneren Körper Eier, die übrigen Kugeln sind leere oder mit Wasser oder mit Farbe gefüllte Magen. Das Busen-Längethierchen. Der überall bewimperte Körper unterscheidet diefs Thierchen vom nackten kappenförmigen Busenthierchen, welches letztere auch die Analöffnung dicht am Munde hat. Fig.a, b, c, dsind die gewöhnlichen Zustände und Formen, @ und d von der Seite gesehen, b vom Rücken, c vom Bauche. Fig. % ist in der Queertheilung begriffen, e und f im letzten Stadium der Längstheilung von hinten nach vorn, g ist ein solcher Theil kurz nach der Trennung, z ein durch Queer- theilung entstandener, woraus man wieder erkennen mag, wieviel unnütze Species und Genera ein ungenauer Beobachter aus einer und derselben Form zu bilden Gelegenheit hat. Die Figuren A, l, m zeigen das eigenthümlich doppelte contractile Organ dieser Form bei ß in verschiedenen Graden der Contraction. Einige Exemplare haben Indigo aufgenommen, andere nicht. In Fig. a bezeichnet x den Mund, £ die veränderlichen Organe, » die Analstelle. Die Wimpern sind nur bei denen deutlich, welche in gefärb- tem Wasser beobachtet werden, die andern erscheinen glatt, sind aber auch behaart. . Das Frühlings-Busenthierchen. Fig. a und 5 sind im natürlichen Zustande schwimmend dargestellt, @ sieht mit dem Vordertheile nach rechts, 5 nach links, das dünnere Ende ist das hintere. Fig. c ist in der Längstheilung begriffen, Fig. d ist im Act des Zerfliefsens oder partiellen Ausscheidens des Eierstockes, der nicht immer mit dem Tode endet, sondern wonach oft der übrig gebliebene Theil sich wieder contrahirt und in ganz anderer, unregelmäfsiger Form, durchaus unerkennbar welcher Gattung und Art er angehöre, weiter schwimmt. Daher sind alle so unregelmäfsige, lappige und zackige Formen sehr scharf und wiederholt in verschiedenen Gröfsenzuständen, Entwicklungen u. dgl. zu beobachten, ehe sie von vorsichtigen Systematikern zu einem wissenschaftlichen Baue verwendet werden möchten. Die Wimpern sind bei dieser Form sehr stark, erinnern an die Borsten der Nassula ornata, und dazwischen liegen kleine prismatische Stäbchen in der Körpersubstanz, wie die von mir neuerlich ent- deckten Krystalle bei Fröschen und Fischen. Die grofse Mundöffnung ist in Fig. @ mit @ bezeichnet, £, y weisen auf die veränderlichen Befruchtungsorgane. In der inneren Körpersubstanz unterscheidet man neben den Wimpern sehr kleine gleichartige Körnchen des Eierstocks und grofse Oscillatorienfragmente als Füllung ein- zelner Darmblasen oder Magen. Zu bemerken ist, dafs die geraden Öscillatorien von den sie umhüllenden Darmtheilen so eng umschlossen werden, dafs die Hülle nicht erkannt wird, dafs aber dazwischen (Fig. b) gekrümmte Öscillatorienstücke vorkommen, welche von einer deutlichen abstehenden Haut (Magen) besonders umhüllt und von einer blals röthlichen Flüssigkeit umgeben sind. Ich glaube, dafs wohl die Erklärung dieser Erscheinung nahe liegt. Die letzteren sind durch den Assimilationsprocefs schon erweichte, die ersteren sind noch unassimilirte Oscillatorien. Ein längerer Aufenthalt dieser Theile in den Magenblasen mag entweder eine Absonderung oder einen Zuflufs des auflösenden Darmsaftes in denselben veranlassen, wodurch die Erweichung vermittelt wird. Noch augenscheinlicher ist dieser Procefs in Fig. d, welche durch Wassermangel erweitert und bei z geplatzt ist und wo einige noch unzersetzte Oscillatorien bei xx ihre Magenwände zerrissen haben und frei geworden sind, während andere, bei «, ihrer Elasti- cität beraubt, erweicht und in ihre einzelnen Glieder zerfallen sind, dieman von Magen- blasen deutlich eingehüllt findet, welche sich eher vom Darme lösten, als ihren Inhalt frei gaben. Die röthliche Färbung der diese zerfallenen Oscillatorien umgebenden Flüssigkeit erinnert allzuschr an die lebhaft violette ölige Flüssigkeit im Leibe der Nassula- Arten. Bei y scheint der drüsige Hode abgerissen und frei geworden zu sein. Auch ergiebt sich, dafs die grüne Farbe des Ganzen durch die Eier, nicht durch die Haut bedingt war. in der Richtung des kleinsten Raumes. 325 Ich bemerke, dafs beim Colorit einiger Exemplare der Tafeln die mit zerkleiner- ten und gebogenen Öscillatorien gefüllten Magen in Fig. b und d nicht röthlich (blafs rosenroth) gefärbt worden, sondern farblos geblieben sind, was bei der Correctur ent- gangen ist und wenigstens angezeigt sein mag. Fig. V. Das rothe Wimperthierchen. Fig. @ und db sind ausgebildete Formen. Fig. c ist in der Queertheilung begriffen. Fig.d und e sind durch Queertheile entstandene, sich allmälig erst zur Form @ wieder ausdehnende Individuen, von denen Fig. d schon das zweite contractile Organ wieder gebildet hat. Die beiden Befruchtungs- (Ejacula- tions-) organe sind sehr auffallend. «& bezeichnet den Mund, » den After, £, y die veränderlichen Befruchtungsorgane. Die Hoden habe ich nicht erkannt. Bei a, c und d sind die Wimperreihen deutlich erkannt worden. Fig. VI. Das häutige Hechelthierchen. Fig.a, b, c zeigen 3 ganz entwickelte Individuen in verschiedenen Zuständen der Ausdehnung ihres Befruchtungsorgans bei £. Im In- neren erkennt man sehr kleine gleichartige Körnchen als Eierstock, darunter Spuren der Magenblasen; bei « ist die lange Mundspalte. Fig. d ist in der Längstheilung be- griffen und sehr klein: Fig. e war ein durch Zerfliefsen des Vordertheils verstümmeltes, aber lebhaft bewegtes Individuum, ist ja keine andere Gattung oder Art. Fig. VII. Charon’s Nachenthierchen. Fig.a und 5 sind beide vom Bauche gesehen und schärfer beobachtet als in den früheren Zeichnungen auf Tafel VI. Fig. II. des ersten Beitrags. Besonders ist ihr hinten auf der linken Seite gelegenes Befruchtungsorgan hervorgehoben, welches ehemals von mir noch nicht erkannt worden war. Auch sind die Zahlen der Haken, Griffel und Wimpern, deren Feststellung grofse Schwierigkeiten hat, bei dieser neuen Darstellung das Resultat grofser Sorgfalt und vielfacher Zählung. Differenzen bei den früheren Zahlen möchte ich daher als ehemalige Täuschung anse- hen, weil ich jetzt bessere Hülfsmittel habe, die mehr Schärfe erlaubten. Jedoch sind die Wimpern der langen Reihe rechts noch nicht wirklich zahlbar gewesen. In Fig. a ist bei « der Mund, bei » der After. Fig. VII. Der glatte Peitschenfufs. Ich habe diese Figur zur Vergleichung der verwandten vorigen beigefügt. Sie ist vom Rücken gesehen, also umgekehrt wie die vorigen, allein die grofse Durchsichtigkeit lafst gleichwohl die Füfse wie oberhalb erscheinen, welches im Bilde doch ein wenig zu hart ist. Der auf der Bauchseite ausgeschweifte Mund fängt bei x an, von wo aus nach vorn der Stirnfortsatz des Panzers ist. Die eigentliche schlingende Mundöffnung ist am Ende der Wimperreihe fast ganz hinten. Rechts von der Wimperreihe des Mundes ist eine Reihe Knötchen in einem trüben Streifen. Die breite linke Seite enthält die Verzweigungen und Magen des von hinten nach vorn ge- richteten und wieder umbiegenden Darmes, dessen hintere Öffnung bei « ist. Von 22 gebogenen, fufsartigen, ungegliederten Haken oder Krallen sind 18 in zwei unregel- mäfsige Längsreihen (eine Längsbinde) gestellt, 6 bilden, wie Griffel der Nachenthier- chen, einen Fächerschwanz. Das contractile Befruchtungsorgan ist links am hintern Ende. Tafel IV. Die Tafeln IV. und V. bilden eine Monographie der Gattung Stentor, indem sie alle bekannten Arten darstellen. Stentor? pygmaeus ist als Colacjum abgetrennt. Die Farbe dieser Thierchen rührt, wie bei den meisten Infusorien, von dem Geschlechtssystem, dem Eierstocke, her, welcher zuletzt deutliche färbende Körner zeigt. Die Ernährungsorgane habe ich schon früher durch Färbung erkannt und angezeigt, neuerlich habe ich mir die Erläuterung der Fortpflanzungsorgane dieser Thiere angelegen sein lassen und theile davon mit, was ich gefunden habe. — Trompetenthierchen sind stiel- lose, überall bewimperte (behaarte) Vorticellen mit spiralförmiger Mundöflnung. 326 Enrensgerg: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Fig. I. Das grüne Trompetenthierchen. Fig. a zeigt es in fast natürlicher Gröfse (}; gröfser) und natürlicher, ruhig wirbelnder Stellung, gesellschaftlich angeheftet auf den Stielen einer faulen, im Wasser liegenden Panikel von Alisma Plantago. Fig. b ist ein Theil davon vergröfsert. Fig. c ist ein einzelnes, stärker (280 mal im Durchmesser) vergröfsertes Thierchen. Fig. d ist ein frei schwimmendes Thierchen, wobei es den Hintertheil ganz an sich zieht und auch das Räderorgan enger anzieht. Fig. e ist eine Erscheinung, die mir nur einmal vorgekommen und welche ich für freiwillige Queer- theilung halten möchte, wenn sie häufiger wäre, da ich gewifs Hunderttausende dieses Thierchens oberflächlich durchgemustert habe, ohne mehr davon zu sehen und da das eine doppelte unter Tausenden sich sehr auszeichnete. Ich fand solche enorme Mengen die- ses Thierchens im Frühjahr 1832 und 1833, ja sogar noch im Winter unterm Eise an Holz bei Berlin. In diesem Jahre sah ich nur einzelne. Auch bei Müller Fig. 23 ist vielleicht ein solches Doppelthierchen abgebildet. Spuren einer Längstheilung sah ich beim schwarzen Trompetenthierchen auf ähnliche seltsame Weise. Das Äufsere ist einfach. Der trompetenförmige Körper ist mit Längsreihen von Wimpern besetzt, die in Fig. e absichtlich weggelassen sind. Der vordere breite Theil ist verschlossen und mit concentrischen Wimperreihen besetzt. Am Rande der schirm- artigen Ausbreitung sind längere Wimpern in einfacher (nicht doppelter) Reihe und diese gehen auf der Bauchseite am Rande spiralförmig in einen offnen Trichter, welcher den Mund bildet und auch zum Auswerfen der verdauten Stoffe dient. Der Wimper- kranz, welcher die vordere Scheibe umgiebt und zum Munde führt, also vorzugsweise der Ernährung dient, während die übrigen Wimpern die Bewegung vermitteln, ist bei dieser Art nicht ganz geschlossen, sondern das andere Ende biegt sich nahe am Munde in entgegengesetzter Richtung ebenfalls etwas um, ohne jedoch in eine Öffnung zu mün- den. Einen äufseren Anhang habe ich überdiefs nicht beobachtet, das hintere Körper- ende geht in eine kleine, abgestutzte, bewimperte Fläche aus, die wohl als Saugscheibe zum Festhalten dient. Die Durchsichtigkeit des Körpers wird besonders durch zahllose, gleichförmige, grüne Körnchen behindert, welche dicht unter den Bewegungswimpern liegen und unter gewissen Umständen, mit Substanzverlust des Körpers, ausgeschieden werden. Diese bald farblos, bald farbig, überall bei Infusorien sichtbaren, periodisch vorhande- nen und fehlenden, oft mit Substanzverlust, oder mit Formveränderung (Zusammen- fallen) des Körpers plötzlich ausgeschiedenen Körnchen halte ich für Eier. Überdiefs fallt alsbald ein paternosterschnurförmiges inneres Organ y, y, in die Augen, welches schon Müller kannte, das sich von der Mundgegend bis zur Mitte des ausgestreckten Körpers in schiefer Richtung erstreckt. Es besteht nicht aus veränderlichen Blasen, sondern aus einer Reihe zusammenhängender, ovaler, drüsiger Körper, welche ich mit dem einfachen, länglichen oder kugligen Hoden des Chilodon und der Nassula verglei- chen möchte. Aufserdem sind wahrscheinlich 2 veränderliche Blasen im Körper, die ich nur bei anderen Arten deutlich beobachten konnte; vergl. das blaue und weifse Trompetenthierchen. Endlich ist der ganze innere Körperraum mit kugelförmigen Darmblasen (Magen) dicht gefüllt. Ich habe das grüne Trompetenthierchen nie zur Aufnahme von Farbe bringen können, obwohl diefs bei dem weifsen oft gelang. Fig. U. Das blaue Trompetenthierchen. Fig.a ist ein ansitzendes, b ein schwimmen- des. Diese Form sah ich nie gesellig. aber oft häufig zwischen Lemna minor bei Berlin. Es unterscheidet sich vom vorigen, aufser der Farbe, durch eine besondere Wimperreihe, die vom Munde bei w anfängt und bei x endet. Eine gleiche Ausdehnung hat das drü- sige rosenkranzförmige Organ in demselben Körper. Überdiefs geht der vordere gröfsere Wimperkranz, welcher zur Ernährung dient, ganz zusammen und beide Enden bilden in der Richtung des kleinsten Raumes. 327 gemeinsam den trichterförmigen Mund durch eine einfache Spirale. Endlich hat es ein deutliches Befruchtungsorgan mehr am Munde, bei %. Alle die letzteren Charaktere gehen dem vorigen ab, oder sind bei ihm noch nicht beobachtet. Leicht unterscheidet man, aufser den Wimperreihen, die blauen Körnchen, welche die Färbung geben und Eier sein mögen. Gelbe, grüne und rothe Kugeln im Innern sind verschluckte Infuso- rien anderer Gattungen. Bei Fig. b ist der hintere Körpertheil noch nicht völlig einge- zogen, was vollständiger geschehen kann. Gewöhnlich tritt die Contraction der vor- deren Wirbelscheibe gleichzeitig ein. Tafel V. Fig. I: Das weifse Trompetenthierchen. Natürliche Gröfse wie bei den vorigen Arten. Fig. @ stellt eine Gruppe in geringer Vergröfserung dar. Fig. b ist ein 280 mal ver- gröfsertes, angeheftet gewesenes, so eben abgelöstes Individuum; Fig. c und d sind ähnliche kleinere, e ist ein schwimmendes, zusammengezogenes und im Zerfliefsen be- griffenes, wobei die Eier und die einzelnen Magen vom Eierstocke und Darme abreilsen und frei werden. Fig. b ist schr mit Monaden und bunter Speise angefüllt. Mehrere Navieulae lassen sich erkennen und ein gröfserer gelber und röthlicher Körper sind ebenfalls verschluckte Dinge. Die spiralförmige, einfache Darmmündung ist mit &w bezeichnet. £, y deutet die contractilen Befruchtungsorgane an. Eine wellenförmige Wimperreihe, wie sie dem grünen Thierchen fehlt, aber das blaue besitzt, ist mit ® bezeichnet, dagegen weist e auf die drüsige Schnur, welche den Saamen bereiten mag und über das Ende des Wimperanhanges hinausreicht. Die Eier sind farblos. Der Darm erstreckt sich nicht bis an das letzte Ende des dünnen Hintertheils, sondern er- 2 füllt nur % der ganzen Länge, aber den dickern Theil. Das letzte Ende bildet eine kleine bewimperte Saugfläche. Die Figuren @ und d haben Indigo aufgenommen, letztere ist im Begriff über- flüssiges auszuleeren. Fig. II. Schwarzes Trompetenthierchen. Die Figuren a, b, c, d sind die gewöhnlichen immer abwechselnd wiederkehrenden Formen dieses Thierchens mit dunkelbraunen Eiern. Fig. e und f sind zusammenhängende, wahrscheinlich in der Längstheilung begriffene Individuen mit dunkelgrünen Eiern. Die Magenblasen sind überall deut- lich. Den spiralförmigen Mund und den Wimperkranz habe ich in der Fig. d sehr sorgfältig beobachtet und gezeichnet. Die Vertheilung der Wimpern über den ganz behaarten (nicht glatten) Körper liefs sich so deutlich nicht erkennen, dafs es gezeichnet werden konnte. Zuweilen glaubte ich 2 Reihen von gröfseren Wimpern am Munde zu sehen, wie ich es in Fig. b dargestellt habe, doch könnte das Täuschung sein, da ich in Fig. d so deutlich die Einfachheit des Wimperkranzes sah. Der am Munde nicht absetzende Wimperkranz verbindet die Formen Stentor caeruleus und niger, die wellenförmige vom Munde nach hinten gerichtete Wimper- reihe verbindet Stentor Mülleri mit St. caeruleus. Millionen dieser Art beleben zuweilen bei Berlin die Oberfläche des Sumpf- wassers. Tafel VI. Erläuterung des Kugelthiers und Waffenthiers. Die Schwierigkeiten, wirkliche Zahlenverhältnisse in den Bewegungsorganen der kleinsten Thiere zu ermitteln, sind schr mannichfach und doch ist es wünschenswerth, dafs die Idee, als seien auch nur die Wimpern und äulsern Organe ihres Körpers regellos, in ihre richtigen Grenzen be- 328 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntni/s grofser Organisation schränkt wird, indem aus jeder solchen willkührlichen Annahme sogleich viele andere keimen. Die fortwährende, höchst rasche Bewegung dieser Organe verbindet sich mit den optischen grofsen Schwie- rigkeiten freilich zu fast unübersteiglichen Hindernissen. Auf dieser Tafel lege ich aber die Ergeb- nisse des Studiums einer einzelnen Form, des Waffenthierchens, vor, welche ich mit einiger Anstrengung der Vollendung möglichst nahe gebracht habe und deren äufserer Organe weder zu viel noch zu wenig sind. Damit habe ich die Darstellung der Bewegungsorgane und speciellen Organisa- tion des viel besprochenen Kugelthieres, Yolvox Globator, verbunden. Fig. I. Das Kugelthier. Fig.a, *” grofs, 200 mal vergröfsert, stellt bei einer Seitenan- sicht die durch die Wirbelorgane erregte Strömung und deren Richtung vor, wodurch das Vorn und Hinten bestimmbar ist. Fig. b ist eine geplatzte, von ihrem Inhalte be- reits meist entleerte, aber noch immer wirbelnde und schwimmende Kugel, 5b ist eine innere frei gewordene Kugel. Fig c zeigt die Ordnung, in welcher die inneren kleinen Kugeln an der grofsen befestigt sind, bei einer Seitenansicht. Fig. d giebt eine Ansicht von hinten. Was ich durch gegenwärtige Abbildungen wahrscheinlich machen wollte, dafs diese Kugeln nicht, wie man bisher allgemein glaubte, und wie ich es selbst angenom- men hatte, einzelne Thiere wären, die in sich Gemmen bildeten, sondern Gesellschafts- häuser für viele wären, habe ich neuerlich durch directe Beobachtungen so befestigen können, dafs ich bedauern mufs, diefs nicht noch haben auf der Tafel hinzufügen zu können. Dafs die Kugelthiere keine Nahrung aufnehmen und auch keine Behälter dafür zeigen, war mir von jeher bei ihrem grofsen Durchmesser etwas sehr Auffallendes und daher dachte ich mir bei meinen früheren Vorträgen ihren Bau so, als wären sie unthä- tig gewordene und zum Werthe von blofsen Hüllen herabgesunkene Mutterthiere (wie Coccus), welche die 8-12 inneren grünen Kugeln (ihre Jungen) noch eine Zeitlang umhüllten, ohne sich zu nähren, dann bersteten und zerfielen, welches letztere factisch richtig und von mir selbst beobachtet war. Die grünen Körnchen der Oberfläche hielt ich für die blofse zwiebelartige Basis der Wimpern und ich suchte nun immer nach Er- nährungsorganen im Innern der 8 grünen Kugeln, als der eigentlichen activen Thiere, die ich mir wie die Kugeln bei Gorzium, oder vielmehr wie die Vorticellen bei Ophrydia versatilis, dachte, welche letztere sich mit Farbe füllen. Neuere Beobachtungen haben mich belehrt, dafs es ebenfalls eine unnütze Mühe war, bei den inneren grünen Kugeln nach Verdauungsorganen zu suchen und dafs alle Structurverhältnisse weit tiefer liegen und viel feiner sind. Ich habe neulich einmal eine 1000 malige Vergröfserung auf die etwas räthselhaften grünen Körnchen der Oberfläche und die Form und Einlenkung der Wimpern anhaltender als früher gewendet und nach vieler selbstgeschaffner Mühe enthüllte sich das Räthsel leicht. Ich erkannte nämlich in jedem grünen Körperchen einen röthlichen Punkt und sah, dafs die Wimper keine steife Borste, sondern ein peitschenähnlicher, beweglicher Rüssel war. Mithin war jedes Körperchen nicht der Bulbus einer Borste, sondern eine Rüsselmonade, mit, einem Auge, deren zahlreiche Vereinigung die ganze Kugel bildete. Bei jüngeren Exempla- ren sah ich an mehreren Stellen die sich eben erst entwickelnden gröfseren grünen Ku- geln ganz deutlich als 4 oder auch nur 2 durch innere spontane Theilung entstandene, den übrigen ganz gleiche Körperchen. Fortgesetzte Selbsttheilung der kleinen Mona- den brachte ganz offenbar allmälig 8, 16, 32 und endlich die grofsen Kugeln hervor. Bemerkenswerth blieb nur, dafs die Selbsttheilung an bestimmte Lokalitäten des allge- meinen Monadenstockes (wenn ich mich im Vergleich mit Polypenstöcken so ausdrücken darf) gebunden erschien, denn diese inneren grofsen Kugeln sind, was bisher unbeach- tet geblieben, immer regelmälsig geordnet, immer je 2 einander entgegengesetzt und in der Richtung des kleinsten Raumes. 329 sämtlich in der hintern Hälfte der umhüllenden Kugel. Eben so regelmäfsige Bildungs- thätigkeiten zeigen aber viele Corallenthiere, indem sie regelmäfsig in entgegengesetzten Richtungen Genmen treiben, wie die im Zikzak wachsenden Oculinen, oder indem nur die mittleren, nie die äufseren Gemmen treiben, wie bei den meisten strauchartigen, oder indem nur die äufseren, nie die mittleren Gemmen treiben, wie bei den flachen und schüsselförmigen. Mithin ist die Erscheinung nicht ohne Analogie. So ist denn, meiner jetzigen Ansicht nach, das Kugelthier eine hohle, häutige Blase, entstanden durch unvollständige Selbsttheilung zahlloser Monadenähnlicher, ein Auge und einen fadenförmigen Rüssel führender, schr kleiner (4, -,4;” grofser) Thier- chen, welche durch stolonenartige Fäden mehrseitig und netzartig untereinander verbun- den sind und in einer gemeinschaftlichen hautartigen Gallerte (Lacerna) leben, wie die 16 Thiere des Gonium, und aus welcher sie auch nur mit dem Rüssel hervorragen. Das Innere dieser Blasen zeigt sich durch das Zusammenfallen beim Platzen als leer, oder nur mit Wasser erfüllt und die inneren, sichtbaren, grofsen, grünen Kugeln sind das Produkt einer der Fortpflanzungsarten einzelner dieser kleinen Thiere. Sie sind nicht einzelne Junge, sondern schon grofse, durch Selbsttheilung einzelner der peripherischen kleinen Monaden entstandene Haufen. Die umhüllende und verbindende Gallerte, die- ser Panzer, welche bei Yolvox eine hohle Kugel darstellt, bildet bei Ophrydia einen unförmlichen Klumpen und bei Gonium eine flache Haut. Wenn die graue Färbung bei den kleinen Monaden sich, wie es wahrscheinlich ist, ebenso verhält, wie bei den grünen Trompetenthierchen, Börsenthierchen, Trichterthierchen, grünen Vorticellen u.s. w., so gehört sie dem Eierstocke an, die einzelnen Eierchen sind aber ihrer Klein- heit wegen unsichtbar. Aufser dieser wahrscheinlichen und auch vielleicht ge- schlechtlichen, bis jetzt aber nur hypothetischen Fortpflanzungsfähigkeit sind noch 2 andere Fortpflanzungsarten direct zu erweisen. Einmal werden gewisse Thierchen an bestimmten Stellen einer rasch wiederholten spontanen Theilung fähig, welche sogleich dem inneren Raume der Kugel zu gerichtete besondre Haufen, die bekannten je 8, 16 u. s. w. inneren fest angehefteten Kugeln bilden, die vielleicht nur den einfachen Rüssel des kleinen peripherischen Mutterthiers als Ernährungsorgan nach Aulsen besitzen, aber durch die Stolonen von den übrigen mit ernährt werden. Eine dritte Fortpflanzungs- weise ist beim Platzen und Zerfallen der grofsen Kugeln deutlich, indem dann die Ver- bindungsfäden (Stolonen) der einzelnen Thierchen sich trennen und diese letztern all- mälig aus der gemeinschaftlichen Hülle sich entfernen, welche zuletzt alle grünen Punkte verliert, wie diefs aus Fig. b deutlich wird. Da jeder einzelne Punkt fortwirbelt, wenn auch die Kugel sich auflöst, so scheinen diese Thierchen dabei nicht zu leiden, sondern Selbstständigkeit zu erlangen und es könnte nicht wunderbar erscheinen, wenn spätere Beobachter die Heranbildung des Yolvox aus kleinen grünen Monaden beweisen, auf de- ren Existenz uns 2 Resultate der bisherigen Forschung gleichzeitig aufmerksam machten. Dafs die gemeinsame Wirbelthätigkeit sämtlicher Rüssel der kleinen Monaden eines Kugelthieres eine constante Strömung und Bewegung der Kugel nach einer und derselben Richtung hervorbringt, ist eine interessante, aber keine alleinstehende Er- scheinung. Die Thätigkeit der Schaafheerden und Vögelzüge fängt den Kreis dieser Erscheinungen an, der sich in mehr oder weniger freien Verbindungen, und dadurch modificirt, durch Processionsraupen, Salpen und Polypen bis zu den Monaden fortsetzt. Durch Färbung wenig Wassers mit Indigo kann man sich von dem Factum der bestimm- ten Strömung leicht überzeugen, welches ohne dieses völlig unsichtbar bleibt. Bei Fig. @ bezeichnet « das Vorn, « das Hinten der Kugel bei der Bewegung. Die eben ausgetretenen Kugeln bb schwellen schr bald zur Form d an, was ein Aufsau- gen von Wasser durch die verbindende Gallerte verräth. Phys. Abhandl. 1833. Tt 330 Enrengeng: Beitrag zur Erkenntnifs grofser Organisation Fig. I. Die Idee der Einschachtelung wird durch diese Structurverhältnisse bei dem Pol- vox sehr verwickelt und die alte Ansicht davon zeigt sich als ganz irrig. Das Waffenthierchen. Fig.a und b sind sorgfältig in allen äufsern Theilen zahl- richtig gezeichnete Figuren, welche vorläufig als Typus dieser Formen dienen mögen, bis über andere Formen ähnliche genaue Untersuchungen vorhanden sein werden. Bei 10 Individuen dieses %” grofsen Magenthierchens zählte ich 122 bis 144 Wimpern im Umkreise des Körpers. Bei keinem Individuum waren, wohl zufällig, dieselben Zahlen wie bei einem der andern. Ob die Schuld am Zählen lag, welches, da es im Tode we- niger möglich war, als bei der Bewegung im Leben, höchste Spannung der Aufmerk- samkeit verlangte, will ich unentschieden lassen, jedoch schien mir die Zahl selbst nicht fest. Ganz feste Zahlen boten aber die übrigen Organe. Drei lange Borsten am Hin- tertheile 885 waren bei allen und wo einer oder zwei fehlten, wie diefs einigemal der Fall war, war es an der Lücke zu erkennen. Überall waren 5 Griffel X, überall 18 fufsartige Haken eee. Da die Borsten zuweilen ausfallen, so könnte dasselbe wohl mit den Wimpern der Fall sein und man ebenfalls durch scharfe Beobachtung von Lücken auf feste Zahlen kommen. Die übrigen äufseren Organe scheinen nicht auszufallen. Fig. a ist vom Rücken gesehen, b von der Bauchseite. Bei « ist der Mund, der sich bei Fig. a durch die noch herausragende halbverschluckte Oscillatorie sehr gut bezeich- net, so wie ebendadurch der gerade Verlauf des Darmes recht klar wurde. Am Anfange der Griffel {, bei », ist der After. Die Magen hängen wie Beeren einer Traube am gera- den Darme (Orthocoela). Die Wimperreihe, welche den Körperrand umgiebt, bildet am Munde eine Liefe Einbiegung von links nach rechts, wodurch sie fast die Form einer 8 erhält, welche aber etwas verschieden vorkommt. Zwischen dem Körperrande und der Einbiegung der Wimpernreihe ist links ein einzelnes, contractiles Befruchtungs- organ @. Den ganzen mittleren Körperraum sah ich bei einigen Individuen wie in Fig. a mit kleinen farblosen Körnchen, Eiern, durchwirkt, bei andern blofs trübe, wie in Fig. d. Unter den Knötchen, worein jede einzelne Wimper endet, sieht man längs der ganzen Wimperreihe eine Trübung verlaufen, welche wohl Muskelsubstanz daselbst anzeigt. Andere Organe liefsen sich bisher nicht ermitteln, doch ist es nicht wahr- scheinlich, dafs bei der Ähnlichkeit der Bildungen, z.B. mit Chilodor, nicht auch noch ein Hode zu erkennen sein werde. Fig. c ist weniger vergröfsert, übrigens dasselbe Thierchen, vom Nacken gese- hen, Fig. d dasselbe von der Seite, mit seinen gliederlosen Haken wie mit gegliederten Füfsen laufend und kletternd. Fig. e ist in der Queertheilung begriffen und hat Indigo aufgenommen. Fig.f ist der durch Queertheilung freigewordene Vordertheil und ist wohl nicht undeutlich einerlei mit Kerona Haustrum von Müller, während das ganze Thier Kerona Mytilus desselben ist. Fig. g ist der frei gewordene Hintertheil und wahrscheinlich ist Müllers Z’richoda erosa diese Form. In Wasser, welches man in Gläsern aufbewahrt, findet sich diefs Thierchen häufig ein und läuft bald vorwärts, bald rückwärts. Tafel VII. Auf dieser Tafel sind, wie auf 2 früheren, wieder nur augenführende, polygastrische Infuso- vien abgebildet. Nach dem Stiche derselben sind noch andere hinzugekommen, allein ich glaube, dafs die nun vorliegenden 3 Tafeln die Existenz dieser Organe bei den polygastrischen Infusorien schon feststellen und sowohl einer Vergleichung, als einem Urtheile einige Basis geben. Die Figuren I. und II. sind unter 1000 maliger Linearvergröfserung gezeichnet, die übrigen unter 200-280 maliger. Fig. 1. Fig. II. Fig. II. Fig. IV. Fig. V. Fig. VI. Fig. VII. Fig. VII. in der Richtung des kleinsten Raumes. 331 Das bläuliche Panzerauge, in vielen Exemplaren. Fig.@ vom Bauche, Fig. b von der Seite gesehen. 4” grofs, 1000 mal vergröfsert. Das träge Panzerauge, in vielen Exemplaren. Fig. « vom Rücken, Fig. d vom Bauche, Fig.c von der Seite gesehen. 1000 mal vergröfsert. Wälzende Rüsselmonade, in vielen Exemplaren. Fig. a von grüner Farbe, Fig. b von brauner Farbe, Fig.c mit eingezogenem Rüssel, 280 mal vergröfsert. Es ist das- selbe Thierchen, welches schon auf Tafel I. des zweiten Beitrags unter dem Namen Microglena volvocina abgebildet, aber mit dem Folgenden verwechselt wurde und des- sen Organisationskenntnifs sich bei mir neuerlich sehr vermehrt hat. Ich habe damals schon einer sonderbaren Erscheinung bei diesen Thierchen erwähnt und auf diese noch mehr in Poggendorffs Annalen 1832 aufmerksam gemacht, eines rothen Ringes näm- lich, welcher, während das Thierchen sich wälzt, horizontal um dasselbe ruhig liegen bleibt, also offenbar eine optische Täuschung ist. Schillern der Wimpern, oder Roth, als die gewöhnliche Ergänzungsfarbe des Grün, wollte keine genügende Erklärung zu- lassen. Ich habe mich viel bemüht dem Grunde der Erscheinung weiter nachzuspüren und es ist mir allerdings gelungen näher zu kommen. Schärfere, anhaltende Beob- achtung einzelner Thiere in gefärbtem Wasser zeigte mir zuerst, dafs, was ich früher nicht ahnete, ein sehr langer, fadenformiger Rüssel sowohl die Bewegung als Ernäh- rung vermittle und durch rasches Schwingen einen Wirbel mache. Unter den mancher- lei Experimenten, die ich damit anstellte, war demnächst ein scharfer, allmäliger Druck zwischen geschliffenen Glasplatten, ohne Verschiebung. Der Erfolg dieses Experiments, wobei ich das Verhalten des rothen Ringes bei Abplattung des runden Körpers im Auge hatte, war ein ganz anderes, unerwartetes Resultat. Die kleinen Körper platzten, wie Glaskügelchen, in strahlige Fragmente, Fig. «, ß, y, d, und aus der harten, zerbrech- ligen, farblosen Schaale wurde das unverletzte, aber nackte, grüne Thierchen e mit sei- nem rothen Auge hervorgetrieben, oder es blieb in der Mitte wie ein Kern sitzen. Dabei war der rothe Ring verschwunden. Es folgt hieraus, dafs das Thierchen ein Panzer- thierchen mit einem Rüssel und Auge ist, dafs der Panzer nicht die unmittelbare harte Oberhaut des Thierchens, sondern eine lösbare Schaale ist und dafs die rothe Farbe entweder durch eine gefärbte Flüssigkeit zwischen Schaale und Körper, die ich nicht ausfliefsen sah, oder, wie beim zerklüfteten Marienglas, nur durch das Abstandsver- hältnifs des Panzers vom Körper erzeugt wird. Nach Newton würde der Abstand für durchgelafsnes Roth zweiter Ordnung bei Luft 0,00017015 par. Lin. betragen. Cylindrisches Panzerauge. Diese Formen habe ich fiüher mit voriger, unter der sie oft vorkommen, verwechselt, halte sie aber jetzt, nach öfterer Beobachtung, für eine besondere Form. Vorn schienen neben dem Rüssel noch Wimpern zu sein. a, b, c, bezeichnet etwas dickere, dünnere, ungleiche Formen. Schwarzes Panzerauge. Es ist kleiner als das wälzende, nicht kugelrund, son- dern eiförmig und immer dunkler. Nach Fig. c scheint es manchmal eine Panzerhälfte abzuwerfen oder nach Queertheilung neu zu bilden. Ich sah übrigens nie spontane Theilung. Einen rothen Ring,sah ich hier nie. Wälzendes Borstenauge. Auch diese Form hat Panzer und Rüssel wie jene und auch den rothen Ring. Der ganze Panzer ist borstig. Fig. «a ist in der Verkürzung und Ruhe, Fig. 5 schwimmt. Dreiseitiges Augenthierchen. Fig. a und die ähnlichen sind von oben, vom Rücken gesehen, b ist halb von hinten, c ganz von hinten gesehen. Träges Augenthierchen. . In verschiedenen, mehr oder weniger contrahirten und jüngeren oder älteren Formen. Jedes einzelne dieser Thierchen kann bald wie Fig. a, bald wiec, bald wie d, bald wie e, f und h erscheinen. Tt2 332 Eurengeng: Beürag zur Erkenntnifs grofser Organisation Fig. IX. Fig. X. Schwarzes Wimperauge. Fig. «a vom Bauche gesehen, in gewöhnlicher Form. Fig. b in der Queertheilung begriffen, vom Rücken gesehen. Fig. c von der Seite. Die blassen Stellen sind der Mund und die strahligen Befruchtungsorgane. Gespitztes Wimperauge. Fig.a, b, c gewöhnliche Formen, vom Rücken gesehen, a und c mit Wimperreihen. Fig. e von der Seite gesehen. Fig. d bei abnehmendem Wasser breiter werdend und platzend, wobei viele verschlungene Naviculae aus dem Körper treten. Die 2 hellen Stellen bezeichnen überall das doppelte contractile Be- fruchtungsorgan. Tafel VII. Sämtliche 4 Tafeln, von VIII. bis XI., sind der Erläuterung der Structur der Räderthierchen gewidmet. Tafel VII. und XI. stellen durch äufsere Organe besonders ausgezeichnete Formen dar. Fig. 1. Fig. II. Fig. III. Langbärtiger Dreibart. Fig. a, b, d sind von der Seite gesehen, Fig. c vom Rücken. Fig. b und d führen jeder ein Ei bei sich, das in d ausgekrochen ist. Das eben ausgekrochene Junge ist Fig. e, jedoch hat es mir später geschienen, als ob die langen Borsten der alten dem Jungen nicht fehlen, sondern nur kurz und dicht anlie- gend sind. Vergl. pag. 223. Note. Fig.f zeigt den durch Druck erläuterten Schlund- kopf. Die gewöhnliche Stellung beim Schwimmen hat Fig. d. In Fig. a zeigt « den Mund, dessen Öffnung bis zur Bauchseite geht, » die Analöffnung, @ die contractile Befruchtungsblase, y die Schnellborsten (1 Fufs, 2 Ärme). Fig.a, b, ce haben Indigo- nahrung aufgenommen. Der Embryo im Ei der Fig. b zeigt schon ganz entwickelte Augen, Schlundkopf, Wimpern. Geputztes Blumenthierchen. Fig. a ist ganz ausgestreckt und wirbelt im gefärb- ten Wasser. Der vordere Raum bis zu « ist Mund. Die langen vorderen Borsten ste- hen still. Der Schlundkopf und die beiden Darmdrüsen sind grau. Darm grünlich. Kein Schlund. Der braune Körper im Leibe scheint zum EBierstocke zu gehören. Die Jungen sind in mehreren Eiern schon entwickelt. Fig. b ist nicht ganz ausgestreckt Bei « ist die Analöffnung. Fig. c und d sind ganz zurückgezogen, letztere jünger. Die Alten sind augenlos, die Jungen deutlich Zäugig. Langschwänziges Mantelthierchen. Fig.a vom Rücken, Fig. b von der rech- ten Seite gesehen. Im Körper der Fig. @ sieht man vorn die rundlichen Muskelparthieen für die Wimpern; 2 bandartige, breite, gestreifte Muskeln von vorn nach hinten diver- girend. Ein rundes, rothes Auge auf dem Gehirne aufsitzend, dicht daneben, nach hinten, den kugligen Schlundkopf mit den Zähnen, darauf folgt der grünliche und mit einer Indigokugel erfüllte einfache Darm, an dessen oberen Theile 2 eiförmige grofse Drüsen angeheftet sind. Die beiden dunklen Körper rechts sind Eier im Eierstocke. Die beiden geschlängelten Organe jederseits sind die Hoden, an welche bei +++ jeder- seits 3 Kiemen angeheftet sind. Bei £ ist das contractile Befruchtungsorgan, dicht hin- ter welchem die Analöffnung liegt. Vier Borsten und der zweischenklige Zangenfufs stehen unter dem hinten ausgebuchteten Panzer hervor. In Fig. b sind ganz vorn die Wimpermuskeln. Das rothe Auge sitzt auf dem Hirnknoten, von dem ein langer seitlicher Fortsatz darüber hingeht. Unter dem Auge ein dunkler Schlundkopf, hinter welchem bei y die rechte Darmdrüse. Der Darm ist grünlich, ein grofses, veifes, dunkles Ei füllt die rechte Seite nach hinten. Fig. c zeigt den Zahnbau im Schlundkopfe. Er erscheint wie doppelte Kiefer, die gröfseren mit je 5 Zähnen. in der Richtung des kleinsten Raumes. 333 Tafel IX. Zur Erläuterung der im Text erwähnten kiemenartigen Organe bei den Räderthieren. Hierzu gehört auch Fig. III. der vorigen Tafel. Diese 4 zur Darstellung benutzten Räderthierchen gehören 3 verschiedenen Familien und Gattungen an. Die Kiemen sind überall mit x bezeichnet. Fig. I. Fig. II. Stachelschwänziges Nackenauge. Fig.a. Mund bei «, After bei . Körper durch einen schleimigen mit Zeptomitus-ähnlichen Körpern besetzten Überzug yyy bedeckt, hinten über dem Zangenfufse und über dem After in eine festere Spitze endend. aaa 5 Muskelparthieen des Wirbelorgans; 5 Sporn im Nacken oder Respira- tionsröhre; ce (cerebrum) dreilappiges über dem Schlundkopfe liegendes Gehirn mit einem aufsitzenden, vorderen, rothen Auge; d (dertes) Schlundkopf mit den Zähnen unter dem Gehirn hervorragend, mit seinem mittleren, hinten durch Zusammenschnü- rung vom Schlunde abgesetzten Kanale; e, e* die zu beiden Seiten geschlängelt herab- laufenden Hoden; g (glandulae) die beiden Darmdrüsen (Pancreas); i (intestinum) der mit grüner Speise erfüllte Darm; 2 (ligamentum) ein fadenförmiges Band, welches die Darmdrüsen vorn unter dem Schlundkopfe anheftet; m bezeichnet die verschiedenen Muskeln, »z (ohne Zahl) bezeichnet die beiden Bewegungsmuskeln für die Schwanzzange (Zangenfufs), m1 ist der linke obere Seitenmuskel, welcher an der Schwanzbasis endet, vielleicht in einen vorderen und hinteren zu theilen ist, indem er sich in der Nähe des Eierstockes einmal anheftet; m22 ist der linke untere Seitenmuskel; 3 ist der rechte obere; m4 der rechte untere Seitenmuskel; m5 ist der linke vordere Rückenmuskel; m6 der rechte; m7 ist der linke vordere Bauchmuskel; 8 der rechte; r ist jederseits ein (Nerven?) Knötchen in der Körpermitte, welches 3 Fäden zum Darme und Eier- stocke schickt; oe (oesophagus) ist der Schlund; ov (ovariurn) ist der Eierstock und Eierleiter; v» vv (vasa) sind 5 in (Muskel?) Scheiden eingeschlofsene Queergefälse ; ves (vesica) ist die contractile Befruchtungsblase, in welche sich die Hoden münden und die unter dem Darme liegt; yyy schleimiger Überzug; z die Zangentheile des Zangenfulses; * * * sind die 13 beständig zitternden kiemenartigen Organe, zu beiden Körperseiten an die Hoden geheftet. Sie hängen bei Notommata Myrmeleo und cla- vulata? (p.187 und 215) an einem besondern, einfachen, dicken Gefäfse, welches hier nur dicht an den Hoden angeheftet zu sein scheint, aber von mir nicht erkannt wurde; # Mund, » After. Fig. b stellt den Schlundkopf allein vor mit seinen 4 Muskelparthieen dd. « vor- dere Schlundöffnung; 8 Kiefer mit je 3 Zähnen; %y Schlundfalten hinter den Zähnen. Der Theil zwischen @* und dem Schlunde kann vom Thiere willkührlich verschlossen und zum Durchgange von Speisen geöffnet werden. In der Figur ist er geschlossen dargestellt. Fig. c zeigt das Gehirn allein, welches vorn um den Mund einen Ring zu bilden scheint, auf dem bei x das rothe Auge unmittelbar aufsitzt. Die Rückenseite hat 2 Lappen +, die Bauchseite einen gröferen **. Dickhalsiges Nackenauge. Die Organe sind ziemlich wie bei vorigem. Fig. a. aaa 5 Muskelparthieen des Räderorgans, kein Sporn im Nacken; c das Gehim, wel- ches einen knotigen, langen Fortsatz nach vorn und einen birnartigen oder beutelartigen Lappen nach hinten hat und in dessen Mitte das grofse, runde, rothe Auge aufsitzt; d bezeichnet den Schlundkopf mit den Zähnen; ee* die Hoden; g die Darmdrüsen ; h sind Falten in der Haut? (oder Längsgefälse?); m die Muskeln der Schwanzzange; mi obere und vordere Seitenmuskeln; 22 untere und vordere Seitenmuskeln; 3 Rückenmuskeln. Die grofsen inneren Massen der linken Seite, welche den braun er- füllten Darm zur Rechten drängen, sind der Eierstock mit stark entwickelten Eiern ov; 334 Eurengeng: Beitrag zur Erkenntnifs gro/ser Organisation Fig. IH. vv v bezeichnet die 5 Queergefäfse; ves. bezeichnet die contractile Befruchtungsblase: 2 die Schwanzzange; « der Mund; « der After; * die 4 zitternden, kiemenartigen Organe. Fig. 5 ist dasselbe Thier im zusammengezogenen Zustande. Urnenartiges Wappenthierchen. aaa ätheiliger Vordertheil, woran die 2 Sei- tentheile Räderorgane sind, die 3 mittleren aber mit Borsten besetzte Stirntheile; xx sind 2 Fühlgriffel; D ist der Sporn oder Sipho; c das Gehirn, worauf ein rothes. Auge fest- sitzt, und unter dem unmittelbar der zitternde Kanal des Mundes liegt, welcher zum Schlundkopfe führt; d der Schlundkopf mit den Kiefern; ee* die zu beiden Seiten geschlängelt herabgehenden Hoden; g die beiden Darmdrüsen ; ö der zweitheilige Darm ; ii der Magen; i2 der Dickdarm; vorderes m zwei vordere, seitliche, bis zur Körper- mitte reichende, nach hinten divergirende, freie Muskeln ; hinteres m 2 Zangenmuskeln ; m* die Muskelparthieen des Räderorgans; oe der Schlund; ov der Eierstock mit einem fast reifen Eie; ves. die contractile Befruchtungsblase; x der vorn an der Stirnseite 6zahnige, hinten ausgeschweifte, abgerundete Panzer; z der einziehbare Zangenfufs mit seinen 2 Muskeln m; « bezeichnet den Mund bis zum Schlundkopfe; „ den After: xx eine zitternde, bewimperte Stelle im innern Magen; * zeigt die jederseits 3 kiemen- artigen zitternden Organe an. Tafel X. Das Nervensystem habe ich zwar bei allen Darstellungen von Räderthierchen mit berücksichtigt, allein die hier bezeichneten Formen zeichnen sich durch Ganglienreichthum aus und schienen eine Idee vom Nervensysteme dieser Thiere festzustellen besonders geeignet zu sein. Fig. I. Crystallenes Nackenauge. Fig.a vom Rücken. Fig. d Schlundkopf allein. Fig. c von der Seite gesehen. Fig. a zeigt folgende Organisationsverhältnisse. Die vorderen in 8 Gruppen getheilten Wirbelorgane als ein vielrädriges Räderorgan sind mit rot. (Or- gana rolatoria) bezeichnet. Das rothe Auge sitzt auf dem in der Rückenlage unsicht- baren Hirnganglion. Bis dahin geht innen der Mundraum «. Dahinter liegt ein brau- ner, rundlicher Schlundkopf mit den Kiefern, diesem folgt ein langer Schlund, welcher in den rundlichen, grün erfüllten Magen übergeht. Vorn am Magen sitzen 2 lange, keulenförmige Darmdrüsen. An der Magenmitte sitzen 5 fadenförmige Blinddärme. Ein dünnes rectum (Dickdarm) geht vom Magen zur Kloake (cl), wo sich ein langer, schmaler, bandartiger, mit vielen rundlichen Eikeimen erfüllter Eierstock gleichzeitig mit 2 an den Körperseiten herablaufenden Saamenorganen, sp. (organa spermatica), unter der contractilen Ejaculationsblase (v.) mündet. Bei w ist die Analöfnung. Zwei lange Rückenmuskeln, m.d. (musculi dorsuales), und zwei ebenso lange Bauchmus- keln, m. a. (musculi abdominales), durchlaufen den ganzen Körper. Zwischen beiden verstecken sich noch 2 Seitenmuskeln, welche man bei der Seitenlage (Fig. c) erkennt. Zwei kleine Zangenmuskeln, m. c. (musculi caudales), bewirken die Zangenbewegung. Mit 885 sind 3 Queergefäfse bezeichnet. Aufser diesen gröberen Organisationsverhältnissen finden sich nun noch 9 Paar mit feinen Fädchen in Verbindung stehende Knötchen, welche ich mit den Namen von Nervenknötchen oder Ganglien bezeichnet habe. Zwei Paar liegen einander gegenüber in gleicher Ebene mit dem Schlundkopfe, sie bilden das erste und fünfte Paar. Das erste Paar ist nur bei der Rückenlage, das fünfte nur bei der Seitenlage zu sehen und von letzterem tritt ein besonderer Faden zum Auge, welches an sich auf dem Hauptknoten, dem Gehirne selbst sitzt. gia und gib (ganglion primum dextrum et sinistrum) be- zeichnet das erste Ganglienpaar. Das zweite Paar ist an das zweite Queergefäfs geheftet Fig. II. Fig. II. in der Richtung des kleinsten Raumes. 335 und liegt zu beiden Seiten des vorderen Magentheils. Dicht dabei liegt jederseits noch ein drittes Knötchen, das mit einem Faden mit dem Gehirne zusammenhängt und einen andern zum hintern Körpertheile schickt. Das vierte Ganglienpaar bildet eine Anschwel- lung am dritten Queergefälse zu beiden Seiten des hintern Magentheils (des Pylorus). Das fünfte Paar nimmt bei der Seitenlage die Stelle des ersten ein (vergl. Fig. b). Das sechste bis neunte Ganglienpaar liegen zu beiden Seiten der contractilen Befruchtungs- blase und bilden jederseits 4 Knötchen, welche durch feine Fäden unter sich und mit der Bauchhaut verbunden sind, auch zum Theil sehr verschiedene, feste Gestalt haben. Fig. c Seitenlage. b. oes. (Bulbus oesophagi) Schlundkopf; x Sporn im Nacken (oder Sipho, Respirationsröhre?); c. (cerebrum) Hirnknoten mit dem rothen Auge am Ende. gic und g1d bilden das fünfte Ganglienpaar, von denen das Rückenganglion einen Faden zum Auge oder zum Hirnknoten schickt. Die 3 Muskelpaare sind durch m.d. (musculi dorsuales), m.!. (musculi laterales), m.a. (musculi abdominales), d. (dexter) und s. (sinister) bezeichnet; p. die glandulae pancreaticae; sp. die organa spermatica oder Hoden; st. (stomachus) der Magen; v. (vesica) die contractile Be- fruchtungsblase ; 888 5 sichtbare Queergefälse, während in der Rückenlage nur 3 erkannt waren, wovon das eine ganz vorn gelegene also das sechste bildet. In der Seitenlage liefsen sich nur 4 Ganglien erkennen, das fünfte und das neunte Paar. Ich glaubte (p. 187) in diesem Frühjahre im Innern eines Individuums dieser Art noch ein sehr durchsichtiges, gefranztes oder kammartiges Organ erkannt zu haben. welches ich für einen, jenen zitternden Kiemen der vorigen Tafel analogen Theil halte, bin aber später zweifelhaft geworden, ob das Individuum nicht vielleicht auch N. Myr- meleo war, das ich p. 215 umständlicher beschrieben habe. Dreigabliges Zweiauge. Fig. a Seitenlage. Rücksichtlich der Nerven ist bei dieser Form folgendes zu bemerken. Die beiden rothen Augen sitzen wahrscheinlich auf Fort- sätzen des zwischen den Muskelparthieen des Räderorgans liegenden Gehirns, zu welchem wohl auch die dunkle Kugel xx, so wie der grofse Knoten gehört, woran dieselbe befe- stigt ist. Die Nervenschlinge +, welche zu der gewimperten Nackenstelle + hingeht, ist wie bei Hydatina senta, hat aber 2 Knoten und von der Anheftungsstelle + gehen 2 ebenfalls feine Faden wieder zur Stirn zurück, welche hier vielleicht als die wahren Seh- nerven zu den Stirnaugen gehen. Überdiefs sind 2 Ganglien dicht unter dem Schlund- kopfe gi, und 2 sind am Pylorus g2. Mehr hat sich von wahrscheinlichen Nerven nicht ermitteln lassen. Ich sah im Körper nur 3 Längsmuskeln, 2 grofse Seitenmuskeln (musculi late- rales, dexter et sinister) und einen einfachen Bauchmuskel. Die 6 Blinddärme am Magen sind mit cc (coeca) bezeichnet. Die Pancreasdrüsen p sind gabelförmig. Im Magenmunde liegt ein verschlucktes Exemplar der Notommata lacinulata; i.r. bezeich- net das intestinum rectum; v. die Befruchtuugsblase, « die Analöffnung. Der Magen ist mit verschluckten, grofsen, grünen Körpern erfüllt. + bezeichnet ein einzelnes, zit- terndes, kiemenförmiges Organ, denen bei Hydatina gleich, wie ich sie neuerlich beob- achtet habe. Mehr liefsen sich davon nicht erkennen, auch habe ich die Saamenorgane nur bei ihrer Insertion, bei sp., erkannt. Fig. b Schlundkopf besonders. aa und a*a* die Kaumuskeln; 5 die harten Gaumenfalten, c der Gaumenkanal. Kammtragender Borstenkopf. Fig.a vom Rücken, b vom Bauche gesehen, © zusammengezogen. Zwischen den $ kleinen Räderorganen stehen in der Mitte der Stirn 2 an der Spitze kammartig bewimperte, nicht wirbeinde Fortsätze ++. Zwischen die- sen und dem Auge liegt der Schlundkopf mit 2 einfachen Zähnen. Die beiden grofsen Borsten im Vordertheile scheinen 2 Fühlgriffel zu sein und sind nicht steif, sie stehen 336 Eurenserc: Beürag zur Erkenntnifs grofser Organisation u.s.w. Fig. 1. Fig. II. auf dicken Muskelparthieen. Die 4-5 Knoten um das Auge halte ich für Hirntheile e. 4 Längsmuskeln (2 seitliche, 1 Bauchmuskel, 1 Rückenmuskel) vermitteln die Bewegung, überdiefs giebt es 2 kleine Zangenmuskeln. Der grüne Magen, die kugligen Pancreas- drüsen, der lange, dünne Schlund, die beiden Hoden und der Eierstock, mit sehr jungen Eikeimen zahlreich erfüllt, 9 Queergefäfse, so wie die contractile Befruchtungsblase v, sind die unterscheidbaren Organisationsverhältnisse. In Fig. @ sind bei nn noch 2 Fä- den angezeigt, welche vielleicht zu den Nerven gehören, aber nicht eben deutlich ver- foigt werden konnten. Tafel XI. Eichhorns Kronenthierchen. Dieses wunderbare, höchst eigenthümlich gebildete, niedliche Thierchen war seit Eichhorn nicht wieder beobachtet und ganz vergessen worden. Diese Darstellung möge es in nützlicher Erinnerung feststellen. Fig. @ und c sind ganz ausgestreckte Thierchen. Fig. b ist halb eingezogen. Fig. c noch mehr zusam- mengezogen. Fig. e fingt einen Stentor. Fig. f ist ein einzelnes Ei mit einem farblosen Auge. Fig. g ist der besondere Schlundkopf mit doppelten Kiefern und je 5 Zähnen. Der vordere mit Speise erfüllte Raum zwischen dem Schlundkopfe und dem Fang- organe ist der grofse Mundraum, oder eine Art von Backentasche. Auf den Schlund- kopf folgt ein sehr kurzer Schlund oe. Der grüne Darm ist 2theilig. Der lange Vor- dertheil ». ist der Magen, der kurze hintere Theil der Dickdarm i.r. Vorn am Magen sitzen 2 kleine Darmdrüsen p. In Fig. a füllen 4 grofse Eier den Eierstock. 6 Muskeln: 2 lange Schwanzmuskeln, 1 Bauchmuskel, 1 Rückenmuskel und jederseits 1 langer Sei- tenmuskel) bewirken die Contraction. Bei » Fig. c ist die Analöffnung. Die Vierzahl der Fangarme ß@ bei Fig. c erklärt sich durch die Spur des fünften @*, der offenbar verstümmelt wurde. Die Zacken bei y sind Queerfalten. Bei den alten Exemplaren suchte ich vergebens nach Augenspuren, in den Eiern erkannte ich sie leicht, obwohl ohne Pigment. Die gallertige Hülle (urceolus) ist durch g bezeichnet. Es lebt auf Nymphaea-Blättern bei Berlin. Sechsfingriges Flossenthierchen. Fig. a ist ruhend, Fig. b hüpfend, Fig. ce sich windend. x bezeichnet die 4 Borstengruppen, welche die Flossen bilden, die ich mit den letzten Spitzen der Daphnien- Arme, als die Hände jener Arme ohne die Armglie- der, vergleiche. Innere linke Hand x1, innere rechte x2, äufsere linke x3, äufere rechte x4; b. bulbus oesophagi; oc. oculus; p. pancreas u. s. w. Fig. c ist mit dem parasitischen Colacium, aus der Familie der Änderlinge, be- setzt. Was die grofse, runde, scharf umschriebene Stelle im Ei bedeute, ist mir nicht deutlich geworden. Dasselbe Thierchen, welches auf der Kupfertafel Polyarthra Trigla, Flossen- thierchen, genannt worden, ist durch ein Versehen im Texte p. 226. Polyarthra sexpennis, sechsfingriger Vielbart, genannt. Ich ziehe den Namen Polyarthra Trigla, sechsfingriges Flossenthierchen, vor. Das Flossenthierchen hat in seinem Äufsern und in seiner hüpfenden Bewe- gung offenbar die nächste Verwandtschaft zu den Ertomostracis, womit das Kronen- thierchen nur geringe und nur innere hat, aber das letztere ist im Äufsern dagegen um so näher dem Armpolypen Hydra verwandt, mit welchem man es dennoch nicht näher verbinden darf und mit dem das erstere wieder auch nicht die entfernteste Ähn- lichkeit hat. So wenig leitet die Verwandtschaft der äufseren Form auf das innere verwandte Wesen. —ikdlar> — VA WAL "ZERL SEI“ yıshyg zwurygr STLOQUDEYT unse ny “ 1% = Er en ergegn r a ann.” Ferm iii, u uerypeworfn Yo upeyeothzod‘ 7 LAFSFTANVA RA NHAVZ. ae - TrpraTREL BEREIT 2“ = Re En ö er Anyowerypuryony Fapung IT "TIAHPL "BERT PS AYashıy zpunygp Frogunaysg ULB NZ — nn J A Ryunayip won gmuyaruneh re pn ur - . mm 207 r — > up Zi 2z ET rmwarıe upon ET PZPPD EP DUY)] 208, amguskboy, u, HNHWZ Y Ger esse eg yo Sg PL HTAIFL u 2 we wre Kurgungr na Jenna‘ ergusbag u ANPSYO 8: ANDLHIANAHE gErpapar: Memo I77 222 \ Er \ 7r oO AN \ SI r nponnc unfeng: x 2 ., 777721 uk, TER PERSON and] VOgE SKIGEERIG ZU UZ ey wen Enpyg wen zeuyeenh YORE YyFU27F Auosz ANFIUO SINAIZAVFTAILYOT ET are Ele mplsourhzerl serunp ee nperypepdwesj erımıg ; & r 2 dj } Scdhuoay vermer; 5; DB » S a u GEBET ES pa SE A TEIV.E vegmagg 'g' von: woyoasaß Busgunyg won Jgouyorsab' 7 #7 abne ou aa), = IE j ANPFSYO SONIZNUPTAILLUIOM wagenypupp og” JORBar pop” == 7) = I gyumg le uyofnag oßragy 7 z veegusbany 7 3 . 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Auch in Indien und vielleicht in Westafrika haben die Affen in einer früheren Zeit die besondere Aufmerksamkeit der Menschen erregt, allein es sind mir weder wissenschaftlich klare Nachrichten über diese Verhältnisse bisher bekannt geworden, noch hat sich der Einflufs der- selben so kräftig und sonderbar entwickelt als in Äthiopien und Ägypten. Möge es mir durch gegenwärtigen Vortrag gelingen die Aufmerksam- keit auf eine bisher wenig beachtete Seite der ägyptischen Ideen zu lenken und das in der neuesten Zeit durch tiefe Sprachforschung uns um so vieles näher gebrachte Mutterland der alten griechischen und aller europäischen Bildung auf dem Wege der naturhistorischen Beobachtung in einem seiner fast ganz übersehenen Grundzüge vor Augen zu stellen. Dafs man in Ägypten Affen in Tempeln als Gottheit verehrte uud dafs es im östlichen Nordafrika wilde Affen gebe, davon finden sich Nachrichten seit den ältesten bis in die neuesten Zeiten. Nur neuerlich erst aber hat man angefangen sich des Wechselverhältnisses der Organismen der verschie- denen Länder und so auch der Menschen und Affen deutlicher bewufst zu Phys. Abhandl. 1833. Uuü 338 EurEnßBEre werden. Der Anfang dazu geschah durch eine systematische Benennung und & Sonderung der möglichst scharf aufgefafsten einzelnen Formen. Von den älteren griechischen Schriftstellern wird berichtet, dafs die Ägyptier einen in Äthiopien einheimischen Affen als Gottheit verehrten und diese Griechen nennen ihn Kuvoxeparss, ohne je einmal seinen ägyptischen Namen zu nennen. Wir erfahren nur, dafs dieser Affe dem Monde geheiligt sei und als Symbol des Mondes verehrt werde. Denselben Namen wieder- holen die späteren Schriftsteller in jener Beziehung häufig, allein nirgends findet sich eine befriedigende Bezeichnung des Thieres, obwohl es nicht an Reisenden fehlte, welche ihn in Ägypten hätten beobachten können. Über- diels benennen mehrere alte griechische Schriftsteller eine grofse äthiopische Affenart mit dem Namen $#iy&, was um so auffallender ist, je bekannter die grofse aiyvrrıezorarn ZdiyE (wie sie Zo@ga nennt) von Memphis und die geflügelte griechische Sphinx waren, a Charakter doch mit jenem von Agatharchides und Philostorg beschriebenen Affen so gar wenig Über- a hat. Besonders auffallend ist auch, dafs Herodot von dem ägyptischen Affendienste gar nichts berichtet. Man könnte daraus wohl schliefsen, dafs die Priester, welche er, wie er sagt, in Memphis, Theben und Heliopolis gesprochen, gerade diesen Theil ihres Cultus geheimer hiel- ten, als andere Theile. Übrigens verdient wohl bemerkt zu werden, dafs zu Herodots Zeit die Menschen und Affen noch weniger als späterhin scharf unterschieden wurden, denn von ihm werden neben den Kuvozedarcıs und "Arebarcıs auch sogleich aygıcı avdbes nal Yuvalzcs aygıaı in Libyen genannt. Aristoteles hat durch seine Unterscheidung der Affen in zwei Familien, als geschwänzte, die er Ky@evs nennt und ungeschwänzte, mit mehr menschenähnlicher Nase und Ohren, die er ISyxovs nannte, die naturhisto- rische Deutung des Wortes Kuvoxzeparss delshalb noch sehr erschwert, weil er den Namen Cynocephalus als Collectivbegriff der gröfseren und kräftige- ren Formen der Pitheken erklärt und also jeden Cynocephalus als schwanz- los bezeichnet. Buffon und viele spätere, besonders Alterthumsforscher, sind dadurch verleitet worden, den westafrikanischen Magot (Macacus Inuus, wovon Simia Sylvanus Linne’s nur der Junge ist) für den wahren Kuvoxeparcs der Ägyptier zu halten, Jedoch läfst sich, wie ich später zeigen werde, scharf erweisen, dafs diefs falsch ist und man wird daher gezwungen zu glau- ben, dafs Aristoteles sich geirrt habe, was wahrscheinlich auch darin sei- über den Cynocephalus der Asyptier. 339 nen Grund hatte, weil man damals zuweilen die Völkerschaften der Äthiopier für ungeschwänzte Affen erklärte undCynocephalen oderC ynoprosopen nannte. Einige andere alte Schriftsteller haben sich für den ägyptischen heiligen Affen noch anderer Namen bedient. Strabo unterscheidet zwei heilige Affen in Ägypten, den Kfrss, welchen die Babylonier verehrten, und den Kuvoz&pares der Hermopolitaner. Lucian nennt den heiligen Affen IrSyxes und Juvenal nennt ihn ganz im Gegensatz von Aristoteles Cercopithecus. Bei Lucian bezeichnet der Name IliSyzos offenbar einen Affen im weitesten Sinne und bei Juvenal ist es ganz deutlich, dafs er den Namen Cercopithecus mit ado- nischem Rhythmus deshalb wählte, weil der Name Cjnocephalus, der aus 5 kurzen Sylben besteht, nicht in den hexametrischen Vers zu bringen war. Er sagt nämlich: Effigies sacri nitet aurea Cercopitheci. In der späteren Zeit sind noch mehrere Affen bei den Griechen und Römern angegeben worden, welche in Arabien und Äthiopien wohnen sol- len, die aber vielleicht zum grofsen Theile von dem alien heiligen Affen der Ägyptier nicht verschieden sind, oder deren Namen sich höchstens zwischen ihn und den Magot theilen. Diefs sind die Namen Ne», Zarupos, KepxomiS- 105, "Apzromiönnos und AsovroriSrzos. Somit würden denn fast alle Affenna- men bei den alten Schriftstellern abwechselnd auf ein und dasselbe äthiopi- sche Thier angewendet worden sein, während sie auch andererseits wieder zur Bezeichnung indischer Thiere, besonders bei Aelian, gebraucht wurden. Einige von ihnen sind überdiefs bald zu generischen, bald zu speciellen Be- zeichnungen benutzt worden. In dieser Verwirrung jener alten historischen Namen würde man nie aufs Reine kommen können, wenn nicht in ihrer Be- ziehung auf eine bestimmte Lokalität oder auf den heiligen Affen der alten Ä gyptier eine feste Basis gewonnen wäre, welche die hauptsächlichsten Zwei- fel entfernt und, wie ich zeigen werde, endlich einiges Licht giebt. Über jene von den alten Schriftstellern erwähnten Affen giebt es eine sehr ver- dienstliche und gelehrte kleine Schrift des Herrn Abt Lichtenstein, die er während seines Rektorats in Hamburg im Jahre 1791 als Vorläufer einer nicht erschienenen allgemeineren Naturgeschichte der Alten nach dem Linneischen Systeme bearbeitet hat. Die Nachrichten der Griechen und Römer über die Affen sind darin sehr vollständig verzeichnet und auf 22 Affenarten vertheilt, was wohl etwas zuviel sein dürfte, wenn auch die spätere Zeit mehrere indi- Uu2 340 EurEnBEere sche Formen zu ihrer Kenntnifs hat kommen lassen. Diejenigen Nachrichten der Alten, welche, wie es mir'scheint, sich auf den heiligen ägyptischen Alfen, den eigentlichen Cynocephalus, beziehen, finden sich daselbst unter 6 geschiedene Arten getheilt, von denen eine als systematisch neue Art unter dem Namen Sirua Lynx aufgeführt ist. Die übrigen sind: Simia Troglo- dytes, Satyrus, Porcaria, Hamadryas und Cynomolgus. Wie die Deutung der Nachrichten bei den Alten zu einer übergrofsen Mehrheit von Affenarten geführt hat, so hat auch die neuere Naturbeschrei- bung nach lebenden Thieren, die man meist in der Gefangenschaft beob- achtete, ein gleiches Resultat gegeben; denn ganz abgesehen von einigen nie in die Systematik förmlich aufgenommenen Eigennamen habe ich mich doch überzeugt, dafs in Cuviers zweiter Ausgabe des Regne animal der ägyptische Cynocephalus in 2 und in Fischers neuester Syzopsis Mammalium in wenig- stens 3 besondere Affenarten zerspalten ist. Über die wahre Zahl und das wahre Verhältnifs der äthiopischen und arabischen wilden Affen habe ich bereits im Jahre 1827 eine ganz kurze No- tiz aus meiner und Dr. Hemprichs Erfahrung in der hiesigen naturfor- schenden Gesellschaft vorgetragen, welche in deren Schriften im Jahre 1829 gedruckt ist. Es ist das Resultat unserer in Ägypten, Äthiopien und Arabien gemachten unmittelbaren Beobachtungen, dafs alle diejenigen Schriftsteller, welche den Cynocephalus der Ägyptier, die Simia Sphinx der Alten und die Simia Hamadryas von Linn& zu erläutern versucht haben, darin sämtlich fehlten, dafs sie dem Cynocephalus ein doppeltes Geschlecht gegeben und die Jugendzustände und Geschlechtsverschiedenheiten der Simia Hamadryas unberücksichtigt gelassen haben. Ferner hat man den sichersten Probier- stein für die Richtigkeit der Deutungen jener Nachrichten bei den alten Grie- chen, die Abbildungen und Sculpturen an den ägyptischen Monumenten, nicht hinlänglich genau verglichen und erwogen und endlich hat man Äthio- pien und Arabien viel mehr Affenarten zugeschrieben, als je dort beobachtet worden sind. Hieraus folgte, dafs man den Ägyptiern eine Verehrung meh- rerer verschiedener Affenarten aufgebürdet, die sie nie gekannt haben und dafs man den Mann der Simia Hamadryas von seinem Weibe und seinen Jun- gen als specifisch verschiedene Geschlechter jedes einzeln grausam trennte. Die älteste Quelle zu welcher man zurückgehen mufs, um die Nach- richten über diesen Gegenstand zu ordnen, sind offenbar die ägyptischen über den Cynocephalus der dg ‚ptier. 341 Monumente und wer sich damit beschäftigt, die Hieroglyphen oder die vor- handenen vielen Abbildungen der hieroglyphischen Figuren durchzusehen, findet zwar allerdings, dafs die Ägyptier mehr als eine Affenart gekannt haben, allein eben so sicher läfst sich aus ihnen beweisen, dafs nie mehr als einer Art in Ägypten göttliche Verehrung bewiesen worden. Alle Abbil- dungen von Affen, die auf einem Throne sitzend dargestellt sind, lassen nämlich deutlich diejenige geschwänzte Affenart mit der Hundsschnautze er- kennen, welche Linne Simia Hamadryas nannte. Ferner bemerkt man nie einenthronenden weiblichen Affen, vielmehr sind in einigen Fäl- len die Zeichen der Männlichkeit stark angegeben und immer sind es alte Individuen mit langer, mantelähnlicher Mähne und langem, perrückenartig abstehendem Kopfhaare. Ganz dieselbe Körperform des heiligen Affen zei- gen alle thönernen und metallenen Idole, welche sich in den Katakomben und im Schutte der alten ägyptischen Städte finden. Nach Herrn Passa- lacqua findet man diese gewöhnlich am Halse der Mumien. Sie sind häufig in den Sammlungen ägyptischer Alterthümer und auch in der hiesigen König- lichen Sammlung mehrfach vorhanden. Das gleiche Bild wie jene Abbil- dungen, Sculpturen, und Idole geben Münzen, welche zur Zeit Hadrians für den Hermopolitanischen Nomos Ä gyptens geprägt worden sind und deren eine in Töchon d’Annecy’s Werke über diese Münzen abgebildet ist. Endlich hat man bisher nur eine Art von Affenmumien aufgefunden, welche ebenfalls alte männliche Individuen von Simia Hamadryas in gemalten Kisten aufbewahrt erkennen lassen. Ein sehr schönes Exemplar hat zuerst Belzoni gefunden und in seinem Werke über Ägypten abgebildet, später sind, wie Champollion berichtet, noch einige von Herrn Drovetti’s Sammlern entdeckt worden. Sämtlich waren sie in Hermopolis begraben und sind während ihres Lebens gewils der Gegenstand der Verehrung aller dortigen Menschen gewesen. Aus all diesen Beobachtungen geht zur völligen Gewils- heit hervor, dafs die Ägyptier nur das alte Männchen von Sumia Hamadryas, wenn es seinen vollen Haarwuchs hatte, verehrten. Allein es fehlt auch nicht an Darstellungen anderer Affenarten auf den ägyptischen Monumenten, obwohl sie nicht so häufig sind als jene. Aut einem memphitischen Grabsteine der hiesigen Königlichen Sammlung, den Herr Passalacqua aus Ägypten mitgebracht hat und welcher mit Nr. 1405 der 2“ Abtheilung der Sammlung bezeichnet ist, sieht man sehr deutlich 342 Euressece einen mit einem Gürtel um den Leib angebundenen, aufrecht stehenden, mehr als 4 Fuls hohen Affen mit ausgezeichnetem grofsen Backenbarte und ohne mantelartiges Brusthaar. Seine Glieder sind überdiefs mehr lang ge- streckt als die des oben beschriebenen heiligen Affen und an seiner kurzen, platt gedrückten, nicht bis an das Rüsselende ragenden Nase erkennt man ganz deutlich einen Affen aus der Abtheilung Cercopithecus. Sein Gesicht ist roth gemalt, was auf eine dunkelbraune Färbung im Leben hindeutet, denn die schwarze Hautfarbe bezeichnen die Ägyptier mit tieferem Schwarz, die weifse Hautfarbe mit Fleischroth und die dunkelbraune Hautfarbe mit Kupferroth. Ich halte diesen Affen für den rothen Affen aus Cordofan, den ich Cercopithecus pyrrhonotus genannt habe und welcher sehr wahrscheinlich der Kyress der alten griechischen Schriftsteller ist, indem die bei Aelian auf- bewahrte Beschreibung des Geschichtschreibers Pythagoras vollständig auf ihn pafst. Auf dieselbe Thierform passen vielleicht, doch nur zweifel- haft, auch 2 Abbildungen, welche in der Deseription de V’Egypte aus den Hypogäen von Theben mitgetheilt sind. Sie stehen auf Tab.75. in der Mitte der Reihe beisammen, sind gelb gefärbt und könnten auch schlecht gezeich- nete Löwen vorstellen. Endlich ziehe ich hierher die sitzende Figur eines weiblichen Affen in der Description de ’Egypte, Antiquites, Vol.V, Tab. XIL., Fig.7, 8, 9, welche ein Junges vor sich hat. Ob die von ihr gehaltene Lo- tusblume durch Restauration entstanden oder antik ist, lasse ich unentschie- den, möchte aber das letztere bezweifeln, weil diese Affenform sonst nur als profan bezeichnet ist. Vielleicht wurden mehrere Affenarten in späterer Zeit beim Verfall des Priesterthums verwechselt. Eine andere, dritte Art aber hat Denon aus den Katakomben bei den Pyramiden von Gyzeh copirt, welche auf 4 Füfsen dargestellt ist. Diesen halte ich für den in Nubien vor- kommenden Cercocebus Sabaeus und beziehe darauf auch eine andere Sculptur auf einem andern von Hrn. Passalacqua acquirirten memphitischen Grab- steine der Königlichen Sammlung. Eine dritte, eben dahin gehende Figur hat Herr Salt in Theben copirt und sie ist in Herrn von Minutoli’s Reise auf Tafel XII, Fig. 9. abgebildet und zeichnet sich durch ihre Schwanzlänge vom Jungen Cynocephalus aus. Hier klettert dieser Affe am Halse einer Gi- raffe in die Höhe. Den Mangel und das Dasein des deutlichen Backenbartes sehe ich als unterscheidenden Charakter dieser beiden Affenarten an. Ihre schlankere Gestalt und andere Gesichtsform unterscheidet beide vom Cyno- über den Cynocephalus der Agyptier. 343 cephalus und nirgends fand ich sie in einer freien menschenähnlichen Stel- lung. Der schwarze thebanische Affe, welcher das Schwein treibt in der Description de PEgypte Tab.83, der oft besprochen, auch in Creutzer's Symbolik wiederholt ist, würde der Farbe nach zu Cercopith. fuliginosus ge- hören, welcher in Darfur vorkommt, allein seine Figur pafst nicht ganz dazu und er scheint mehr ein Phantasiegebild zu sein, worauf der Gegenstand der Zeichnung hindeutet, der dem Erklärer ein Gericht der Unterwelt über die Seelen und Seelenwanderung darzustellen scheint. All diese Affen sind of- ge andere Darstel- lungen von Affen in den ägyptischen Monumenten, welche in der Form dem fenbar als profane Thiere dargestellt worden. Noch eini heiligen Affen näher stehen, aber ohne mantelähnliche Mähne und Haar- wülste am Kopfe sind, scheinen mir Junge jenes heiligen Affen zu sein, was ich weiter unten erläutern werde. Man findet sie zuweilen mit emporgeho- benen Händen als Letend, aber nie thronend, zuweilen auch jene Charak- tere mehr undeutlich als fehlend. Über die neuerlich am Sockel des Obe- lisken von Theben, welcher nach Frankreich abgeholt wurde, aufgefunde- nen S Aflenfiguren ist noch nichts umständlicheres bisher bekannt geworden. Annales des Foyages par Klaproth, Joüt, Sept. 1832, pag.390. Noch ist etwas über die Köpfe dieser Figuren zu sagen. Bei einigen Mantel und Haarputz führenden Figuren ist das Gesicht abgestutzt, bei andern sehr zugespitzt, so dafs man vermuthen könnte, es habe Bezug auf verschie- dene Arten von Affen; besonders auffallend ist diefs bei den nubischen Ab- bildungen, welche Gau gezeichnet hat, allein so wie man zuweilen offenbar menschlichen Figuren, auch weiblichen, einen Affenkopf angesetzt findet und diese Darstellungsweise gerade den Ägyptiern eben so ansprechend war als den Indiern die vielarmigen, vielköpfigen und vielleibigen Figuren, so mögen auch wohl den Affen zuweilen länger gestreckte Fuchsgesichter gege- ben worden sein, um ihnen noch einen besonderen Charakter beizulegen. Einige dieser Köpfe sind nämlich so spitz und lang, dafs sie für einen Zemur zu lang wären und in der Affenfamilie gar kein Vorbild haben, während doch alle übrigen Abbildungen so genau auf die noch lebenden Tbhiere pas- sen. Die Genauigkeit der Abzeichner mufs man freilich dabei ebenfalls er- wägen, welche bei Gau aber vorauszusetzen ist. Sammelnd das Resultat dieser Betrachtung der altägyptischen Monu- mente finde ich, dafs die Ägyptier nie und nirgends mehr als einer Affen- 344 EHrENnBERG art in ihren Tempeln göttliche Ehre erwiesen haben, und dafs diese Affenart nur allein das alte Männchen von Simia Cynocephalus Hamadryas war, wel- ches sich durch seine sonderbare Behaarung vor allen Affen sehr auszeich- net. Ferner bedienten sich die Ägyptier noch 2 bis 3 anderer Affenformen als hieroglyphischer Zeichen und diese lassen sich recht wohl als bekannte äthiopische, noch lebende Thiere erkennen. Verfolgt man, um den Ursprung und das Vaterland der ägyptischen Affen festzustellen, weiter die Zeugnisse älterer und neuerer Schriftsteller über die äthiopischen und arabischen Affenformen, so ergiebt sich folgende chronologische Übersicht. Horapollo, wenn er wirklich zu den ältesten Berichterstattern ge- hört, erwähnt nur des Kuvex&parce als heiligen Affen und als hieroglyphisches Zeichen, aber in beiden Geschlechtern. Agatharchides berichtete im 28° Kapitel seiner Schrift vom rothen Meere, dafs nur der Spiy&-Affe, der Kuvoreparos und der Kyrcs aus dem Lande der Troglodyten und aus Äthiopien nach Alexandrien gebracht wer- den, wodurch sich ergiebt, dafs jene 3 Affenarten in Ägypten nicht heimisch waren, aber doch in benachbarten südlichen Landstrichen wohnten. Aelian erwähnt X, 25. ein besonderes schnellfüfsiges Volk der Cyno- prosopen, welches zwischen Ägypten und Äthiopien wohne. Plinius giebt Athiopien an der habessinischen Küste nicht weniger als 7 verschiedene Affenarten und setzt überdiefs noch an seine Grenze das hundsköpfige Volk der Cynamolgen. Von den Inseln Artigula und Tergedus im rothen Meere an sollen Nero’s Kundschafter nach L. VI, 30. (35) Sphin- gia und Cynocephalos (an der Küste) gesehen haben. — Nach L. VI, 29. soll das Thier Sphingium aus der Stadt Aduliton, einem Hafenplatze der Tro- glodyten und Äthiopier gebracht werden. — Der Simia Callithrix giebt er L. VIII, 54. (80) Äthiopien als Vaterland. — Von Cephus, Lynx, der Sphinx und dem Cercopithecus, als Bewohnern Äthiopiens, spricht er in Buch VII, Cap. 18 und 19. Man bemerkt wohl leicht, dafs Plinius keine genauen Beobachtungen hat, sondern verschiedene Erzählungen unkritisch verbindet und mengt. Mit dem Ausdrucke Zynx bezeichnet er einmal den unklaren Luchsaffen Simia Lynx, welcher in der Mosaik von Praeneste dargestellt ist, und dann auch die Luchskatze Felis Lynx, welche das Zyncurium lie- fere. Dafs die Sphingia des Plinius nichts anderes als die Jungen der über den Cynocephalus der Agyplier. 345 Sphinx und des Cynocephalus sind und dafs diese 3 sich genau wie Simia Wagleri, Stmia antiguorum und Hamadryas der neueren Zoologen verhal- ten, wird später klar werden. Wirkliche eigene Beobachtungen hat in der neueren Zeit in Äthio- pien zuerst der Pater Alvarez gemacht, welcher von dem Jahre 1570 bis 1576 sich 6 Jahre lang in Habessinien aufhielt und pag. 108. erzählt, dafs er öfter grofsen Heerden vorn lang behaarter Affen begegnet sei. Von mehr als einer Art habessinischer Affen findet sich bei ihm keine Nachricht. Prosper Alpin, welcher im Jahre 1580 sich in Ägypten aufhielt, sagt in seiner Naturgeschichte Ägyptens pag. 240. von den Affen: Zisi in degypto nullum Simiarum genus nascatur, cujuslibet tamen generis et ex Arabia felici et ex dethiopia innumerae mercaturae caussa ılluc convehuntur. Prosper Alpin’s weitere speciellere Nachrichten über die Affen sind rück- sichtlich ihres wahren Vaterlandes sehr unsicher, denn er selbst sagt, dafs er die Abbildungen erst in Venedig habe machen lassen, nach Exemplaren, von denen man dort sagte, dafs sie aus Agypten stammen. So ist es denn auch gekommen, dafs er den westafrikanischen Magot unter den aus Ara- bien und Athiopien stammenden Affen anführt, welcher offenbar durch Schiffer aus Gibraltar oder der gegenüber liegenden Küste nach Alexandrien oder vielleicht direct nach Venedig gebracht worden war. Weder in Ara- bien, noch in Habessinien, noch in Syrien, noch in Ägypten haben wir so wenig eine Spur dieses Affens gefunden als Hasselquist und Forskäl. Prosper Alpin’s Abbildungen, welche bisher immer falsch gedeutet wor- den sind, scheinen mir zu folgenden 5 verschiedenen Arten zu gehören. 1) Macaco Inuus Tab.XV,1. Tab. XVI. und als junger Tab. XX, 1. 2) Cynocephalus Hamadryas Tab. XVH, XVII und XIX. Sie sind sämtlich halb erwachsene männliche Individuen. 3) Cercopithecus fuliginosus Tab. XX, Fig.2. und Tab. XXI. 4) Cercocebus Sabaeus Tab.XX, Fig. 3. 5) Cercopithecus pyrrhonotus Tab. XX, Fig. 4. Da Nr. 1. unrichtig ist, so sind es 4 Arten, welche dem östlichen Nordafrika angehören und von ihm beobachtet wurden. Ludolf giebt in der Geschichte von Äthiopien 1681 nur 2 dort ein- heimische Affenarten mit den Namen der Eingebornen an. Eine gröfsere nenne man amharisch T'ota, eine kleinere amharisch Hobz. Überdiefs gebe Phys. dbhandl. 1833. Xx 346 EHurengerg es eine Meerkatze (Zemur), die in der Tigresprache J’onkes, auf amharisch Guereza genannt werde. Aufserdem giebt Ludolf eine aus der Phantasie entworfene Abbildung einer Affenheerde, welche damit beschäftigt ist, Amei- sen zu verzehren und sich gegen einen Löwen mit Steinwürfen zu vertheidi- gen. Diese Affen sind sämtlich ohne Schwänze und ohne langes Kopf- und Brusthaar vorgestellt, mithin ohne alle Treue und gar nicht geeignet, ein richtiges Bild des Thieres zu geben, obwohl ich in der Gruppirung und Be- wegung manches Wahre finde. Auf ähnliche Weise ist Kolbe’s Abbildung der Affen am Cap ohne Treue und ganz fingirt, denn auch jene Affen sind fälschlich als ungeschwänzt dargestellt. Hasselquist zählt im Jahre 1750 2 von ihm in Ägypten beobach- tete, aus Athiopien stammende Affen auf; das Weibchen von Hamadryas nennt er mit dem neuen Namen Simia aegypliaca und den Cercocebus Sa- baeus nennt er Simia aethiops. Forskäl fand im Jahre 1762 in Ägypten und Arabien in den Häu- sern der Leute und bei den Affenführern auf den Strafsen ebenfalls nur 2 verschiedene Arten von Affen; eine nannte man Jtobah, die andere Nisnas, wodurch sie als Cynocephalus Hamadryas und Cercopithecus pyrrhonotus be- zeichnet sind. Niebuhr sah auf derselben Reise in Arabien mehrere Heerden von nur einer Affenart. Um das Jahr 1770 wurde ein altes männliches Exemplar von Simia Hamadryas aus Moccha in Arabien lebend nach London gebracht, wo Ed- wards dasselbe mehrfach nach dem Leben malte. Die Abbildungen bei Schreber und Buffon sind nach diesen Zeichnungen von Edwards, wel- cher aber das Vaterland unrichtig aufgefafst hatte. Daher stammt die falsche Bezeichnung bei Buffon als Singe de Moco du Golfe persiqgue, indem es im persischen Golf weder ein Moco, noch wahrscheinlich diesen Affen giebt. Bruce, welcher 1790 in Habessinien war, spricht zwar von Aflen- heerden, welche ihm begegnet sind, aber von verschiedenen Arten sagt er nichts. Valentia war 1806 in Habessinien und erzählt, dafs er dort 3 Arten von Affen beobachtet habe, einen grofsen mit weifslichem Kopfhaar, einen kleineren ohne jenen Kopfputz und einen dritten kleinsten mit weifsem Barte und weifs geringeltem Schwanze. Es leuchtet ein, dafs letzterer der von Lu- über den Cynocephalus der d gypler. 347 dolf erwähnte und abgebildete Zemur ist. An einer andern Stelle im 3" Bande pag.238, wo Valentia die Affen wieder beobachtete und erwähnt, setzt er hinzu, dafs es ihm geschienen habe, als stammen die kleineren Af- fen von den grofsen ab und dafs dieselben den Affen von Moccha gleichen. Salt, welcher durch 2 Reisen nach Habessinien dort sehr bewandert war, hat ebenfalls 1810, aufser 2 Affenarten und einem Zemur, keine ande- ren angetroffen und er wechselt nur die von Ludolf den beiden Arten ge- gebenen Namen, indem er berichtet, dafs man den grofsen //evve und den kleinen Tota nenne. Im Jahre 1822 fand Calliaud auf einer Reise in Nubien und Sennar 3 in der letzteren Provinz einheimische Affenarten, die er in seiner Reise nach Mero& mit den Namen Simia Sphinx, S. rubra und S. subviridis be- zeichnete. Da $. Sphinx am Vorgebirge der guten Hoffnung lebt und nie in Ägypten gesehen worden ist, so ist es wahrscheinlicher, dafs Caillaud das Weibchen oder das junge Männchen von Cynocephalus Hamadryas, wel- cher in dem nahen Habessinien sehr verbreitet ist, gesehen habe; seine S. rubra ist höchst wahrscheinlich der von uns aus jenen Gegenden mit nach Berlin gebrachte Cercopiühecus pyrrhonotus.und seine S. subviridis dürfte wohl doch von S. Sabaea nur erst dann sicher getrennt werden können, wenn man von einer der beiden Arten sich über Jugend-, Alters- und Ge- schlechtszustände im wilden Zustande ganz überzeugt haben wird. In demselben Jahre 1822 waren gleichzeitig mit Caillaud ich und Hemprich in Dongala. Ich sah daselbst mehrmals die Simia Sabaea bei den türkischen Soldaten und erhielt auch eine als Geschenk. Die Einwoh- ner versicherten mich, dafs bis zum Lande dieser Affen von Ambukohl aus nur 2 Tagereisen wären. Ferner sahen wir den Cercopithecus pyrrhonotus bei Gelaben (Kaufleuten), die aus Cordofan und Darfur nach Ägypten zu- rückkehren wollten. Die Leute versicherten, dafs er in jenen Ländern ein- heimisch sei und überliefsen uns denselben für Geld. Es ist derselbe roth- gelbe Affe, den ich lebend mitbrachte und der noch einige Zeit auf der Pfaueninsel gelebt hat. Von anderen Affenarten wufste man dort nichts. Die Sımia Hamadryas der ägyptischen Affenführer hatten wir in Ägypten schon öfter gesehen und hielten Anfangs die Weibchen und jungen Männ- chen für ‚Simia Porcaria. Dals es in ganz Ägypten, Nubien und Dongala keine Allen gebe, auch wahrscheinlich nie dergleichen gegeben habe, davon Xx2 348 EurEngBErc haben wir uns überzeugt. Die nördlichsten Affen, welche jetzt das Nilland nährt, finden sich also zwei Tagereisen in südlicher Richtung von Ambu- kohl, bei Sennaar, mithin in grofser Entfernung südlich von Ägypten, im 18‘ Breitengrade, und gehören zur Species der Simia Sabaea. Im Jahre 1824 sahen wir in Alexandrien zwei Exemplare des kleinen schwarzen Cercopithecus fwliginosus, den man dort für sehr selten hielt und aus Darfur ableitete. Im Jahre 1825 schifften wir im rothen Meere nach Arabien. Längs der ganzen arabischen Küste fanden wir, obwohl ich die Gebirge bei Djedda etwas durchsuchte, erst in den Bergen der Wechabiten bei Gumfude Affen. In Wadi Kanune, im 19'* Grade nördlicher Breite, sah ich auf einer zwölf- tägigen Excursion, die ich, während Dr. Hemprich auf dem Schiffe blieb, in jene Gebirge der Wechabiten machte, zum erstenmale 5 wilde Affen. Es war ein alter, grofser, wohl behaarter, silbergrauer, männlicher Affe, der sich sogleich schon aus der Ferne als Cynocephalus Hamadryas erkennen liefs, umgeben von 4 kleineren braunen Allen, die um und mit ihm spielten. Die kahlen und stark gerötheten Stellen des Gesäfses liefsen sich aus grofser Ferne sehen. Ich sah ihn auf dem Vorsprunge und der Spitze eines schrof- fen, schr hohen Felsens und es gelang nicht, seiner habhaft zu werden. Zu- rückgekehrt nach Gumfude sah ich daselbst einen jungen, männlichen, brau- nen Affen, den die Eingebornen als den Jungen jenes silbergrauen und lang- haarigen ebenfalls mit dem Namen ARobah bezeichneten und welcher den kleineren (wie mir aus ihren Spielen mit dem grofsen Aflen erschien, weib- lichen) Affen, die ich in den Bergen bei dem grofsen selbst gesehen halte, ganz ähnlich war. Am andern Tage hatte sich dieser junge Affe zufällig an seinem Gürtel erdrosselt und ich erhielt seinen Leichnam, dessen innere Or- gane ich untersuchte und beschrieb und dessen Fell ich mitgebracht habe. Wir haben später viele solche Affen zahm bei den Arabern und Türken Ara- biens gesehen, aber wilde sahen wir erst in Habessinien wieder. Dr. Hem- prich fand bei Arkiko, unterm 15'“ Breitengrade, grofse Heerden der S- nua Hamadryas und seine Jäger erlegten zwei sehr alte und schön behaarte Männchen, welche vollkommen jenem glichen, das ich in Arabien mehrere Tage lang beobachtet hatte. Beide Felle sind jetzt im Königlichen Museum aufgestellt. Ich selbst besuchte die habessinische Küste erst nach dem er- folgten Tode meines Freundes, wo eine fünftägige Erholungsreise, so be- über den Cynocephalus der Igyptier. 349 schwerlich sie auch war, mich zu den heifsen Quellen von Eilet führte. Ich sah daselbst indem unteren Tarantagebirge ebenfalls Heerden von Hunder- ten von Individuen, gröfstentheils junge Thiere, die sämtlich braun waren und von nur etwa 10 alten grauen Männchen und etwa 20 alten Weibchen begleitet waren. Die alten Weibchen hatten zwar längeres, zottigeres Haar als die jungen Thiere, aber waren weit mehr diesen als den Männern gleich, indem sie weder die dicken Haarwülste um die Ohren, noch die lange regel- mäfsige Mähne, welche die Schultern und Brust der Männchen umhüllt, auch keine silbergraue, sondern eine gelbbraune Haarfarbe hatten. Die ersten, welche uns an dem Tränkorte Sahadi begegneten, wo wir den Platz schon vor ihnen eingenommen hatten, hielt ich, ehe ich sie noch sah, we- gen ihres grunzenden, aus der Ferne hörbaren Geschreies für wilde Schweine, indem wir schon vorher einen bisher unbekannten Eber, das habessinische Warzenschwein, Phacochoerus Harroia, bei Arkiko erlegt hatten. Sie ka- men jedoch bald näher und zeigten sich als Affen. Viele liefen auf 4 Fü- fsen, oft hüpfend, und die ersten eilten so schnell zum Wasser, dafs sie, ohne mich zu bemerken, dahin gelangten und anfıngen mit in das Wasser gehaltener Schnauze zu trinken. Ich wurde jedoch bald bemerkt und die folgenden tranken nicht, sondern alle zogen sich in eine kleine Entfernung, aus der ich recht wohl hätte mit Erfolg auf sie schiefsen können, zurück. Einige setzten sich, die meisten standen halb aufrecht und veränderten nur öfter langsam ihren Platz. Ich hatte eine Doppelflinte in der Hand, aber diese mit Posten, nicht mit Kugeln geladen. Mir zunächst standen einige g und Farbe als die schon beschriebenen. Da wir schon zwei alte und ein junges Männchen der Art besafsen, so beschlofs ich auf ein Weibchen zu halten. Die grö- fsere Entfernung dieser und der Mangel an einer Kugel vereitelten die glück- liche Wirkung des Schusses, jedoch nahm ich vorher die Gelegenheit wahr, alte Männchen, wieder ganz in derselben Gröfse, Behaarun diese Thiere sehr nah und lange zu betrachten und mich besonders darüber zu belehren, dafs ihre Alters- und Geschlechtszustände grofse Verschieden- heit in ihrer äufseren Erscheinung und Farbe geben. Rücksichtlich ihres Zuges fiel mir auf, dafs die alten Männchen den Zug zu schliefsen schie- nen, während auch einige an der Seite desselben liefen; das übrige Volk, die kleinen voraus, lief ohne Ordnung, schreiend und meckernd, in der Mitte. Die Stimme der Alten war ein liefes und hohles Grunzen. Ich habe 350 EHnrenBEre diese Ordnung dann noch einmal gesehen und meine Jäger bestätigten das- selbe durch viel öftere Erfahrung. Interessant und lächerlich war besonders das Benehmen der Weibchen, deren einige sich von Jungen reiten liefsen, andere hatten Junge auf den Schultern; alle diese Jungen klammerten sich fest an die Mutter an. So wie der Zug ankam, schleuderte die Mutter das Junge nicht eben zart an die Erde, welches sogleich eine sitzende Stellung annahm, und kam es zum Aufbruch, so sprang entweder das Junge der Mutter wieder auf, oder diese nahm es auch selbst beim Arme und schleu- derte es auf den gewohnten Platz seines Rückens, wo es sich schnell fest an- klammerte und in gleicher Eile liefen berittene und unberittene schreiend, meckernd und grunzend von dannen. Vor unseren habessinischen Beglei- tern zogen sich die Allen weit weniger zurück und wir haben in geringer Entfernung von einander beide auf gleiche Weise aus demselben Bache trin- ken gesehen. Diese nackten Lastträger und Kameeltreiber mit ihrem auf beiden Seiten an den Ohren aufgelockerten oder gekräuselten Haarwulst und in ihrer dunklen Hautfärbung liefsen sich so nah an die Allen anreihen, un- ter denen sie leben, dafs diese Ähnlichkeit das menschliche Gefühl nicht ohne Bewegung läfst. Ein Affe in unseren. Gegenden wird sogleich als Affe erkannt und niemand denkt daran, ihn mit einem kräftigen Kinde im Ernste zu vergleichen. Der Affe ist scheu und erscheint uns als eine ärmliche er- bärmliche Carricatur auf den Menschen. Dort stehen sich beide so fern nicht. Der Mensch, ärmlich im Äufsern, seinen Kopfputz dem Affen ab- borgend, nackter als dieser, kämpft nicht ohne Ängstlichkeit um Wasser und Nahrung mit ihm. Der reich behaarte, in seiner Erscheinung nichts weniger als kümmerliche, vielmehr kräftige Cynocephalus erscheint als ein freier und mächtiger Sohn der Wildnifs. — Ich theile diese eignen Gefühle, welche sich mir dort aufgedrungen, mit, weil sie manche Anklänge aus der alten Geschichte der Menschen erklären, deren Grund natürlich immer mehr verwischt wird und verschwindet, je höher die Culturfähigkeit den Menschen hebt, während der Affe da stehen bleibt, wo er immer stand. Über eine militärische Ordnung und Taktik in den Affenfamilien, wie sie Alvarez und einige ältere Beobachter schildern, habe ich keine Bestäti- gung beibringen können, da sie aber doch nicht ohne Ordnung auf die bereits angezeigte Weise zu wandern pflegen, so sind jene älteren Berichterstatter nicht defshalb hart zu tadeln. über den Cynocephalus der Igyptier. 351 In Arabien nannte man diesen Affen Robah, während der allgemeine Name für die Affen Aird ist. Dr. Hemprich hörte in Habessinien die Na- men Keral und Keraitu. Ein Habessinier nannte mir den ihm vorgezeigten Affen Konbay. Ein habessinischer Mönch gab mir folgende Erläuterung über die Namen. Der Affe, welchen die Araber Robah nennen, heifse am- harisch Hobe oder Hoba oder auch Kombe, das Wort Aarrai aber bedeute ein anderes zoltiges Thier, welches die Araber Dubd (Bär) nennen, das dem grolsen Affen ähnlich, aber noch grausamer sei. Von diesem afrikani- schen Bären habe ich bereits in meinen Symbolis physicis bei Gelegenheit des syrischen Bären gemeldet. Er ist defshalb merkwürdig, von Cuvier die Existenz von Bären in Afrika nicht zugestand. weilnoch Georg Später auf der Rückreise von Habessinien, nach Dr. Hemprich’s Tode, habe ich beim Landen in Djedda noch Gelegenheit gefunden, auch ein arabisches Weibchen dieses Affen zu erhalten. Es mochte etwa 18 Monate alt sein. Ich habe es lebendig mitgebracht und es hat auf der Pfaueninsel bei Potsdam fast 2 Jahre fortgelebt. Wir nannten es mit dem weiblichen Landesnamen Fi/ftl. Es wurde scrophulös und starb am 2'” Zahnen noch vor der Entwickelung seiner richtigen Körperverhältnisse mit sehr aufgetrie- benen Kieferknochen, in deren innerem Raume die grofsen charakteristi- schen Zähne des erwachsenen Thieres deutlich ausgebildet liegen. An die- sem Weibchen hat sich besonders abnehmen lassen, dafs vor dem 2" Zah- nen diese Thiere, welche nachher wild und unbändig werden, sehr sanft- müthig sind, was die alten Griechen als einen Charakter des Sphinxaffen angeben, im Gegensatz vom Cynocephalus. Ferner liefs sich an ihm der monatliche Blutabflufs, wie beim menschlichen Weibe, deutlich wahrneh- men und es bekam etwa im dritten Jahre gleichzeitig mit dem Blutabflufs eine grolse Auftreibung der äufseren Schaamtheile, welche frühere Beob- achter für einen Bruch gehalten haben und wegen der man sogar die eigene Affenart Simia Zynx gebildet hat. Schon Hermann hat diesen Umstand richtig beurtheilt. Sein erstes Auftreten scheint mir den Zustand der Puber- tät zu bezeichnen. Ferner ergiebt sich aus der Betrachtung des Schädels, dafs man sich bei Untersuchung und Beschreibung von Affen sehr vorsehen mufs, nicht junge und alte Thiere zu verwechseln, denn der Zahnbau des Jungen würde es in eine andere Gattung verseizen lassen, indem hier vor dem Zahnwechsel das Thier die Zähne eines Cercopithecus hatte, denen der 352 EHurkunserg breite, 5zackige, hintere Backenzahn der Cynocephalen fehlt. Endlich war diefs Individuum dadurch sehr interessant, dafs es zur Erklärung der Affen- art diente, welche Agassis Simia Wagler! genannt hat und die, der Abbil- dung und Beschreibung nach, gerade ein solches, in der Gefangenschaft an seiner Entwickelung gehindertes Individuum des Cynocephalus Hamadryas darstellt. Das Skelet dieses von mir lebend mitgebrachten Affen befindet sich jetzt auf dem Königlichen zootomischen Museum. Ich übergehe hier eine weitere zoologische Beschreibung des Thieres, indem ich diese samt einer umständlichen Critik der sehr verwickelten Synonyme an einem ande- ren Orte, in den Symbolis physicis, bereits mitgetheilt habe. Nach Feststellung des Namens und der zoologischen Charaktere der nordafrikanischen, äthiopischen und arabischen Affenarten gehe ich zu einer Übersicht des merkwürdigen Verhältnisses über, in welches die Menschen jener Länder zu diesen Thierformen getreten sind. Ägypten ist nicht das alleinige Land, dessen Bewohner Affen verehr- ten. Ein ähnliches Verhältnifs der Menschen und Affen fand auch und findet zum Theil noch jetzt in Indien statt, während der afrikanische Affendienst nur gleichsam in einem Reflexe noch fortlebt. Eine Verbindung der afrika- nischen und indischen Völker, möge sie nun in der directen ehemaligen Be- rührung derselben und ihrer Abkommenschaft liegen, oder möge sie in dem nothwendigen, sich überall ähnlichen Entwickelungsgange der menschlichen Cultur zu suchen sein, ist nicht zu läugnen. Die Peguaner scheinen noch bis in die neueste Zeit die Verehrung der Affen beibehalten zu haben und überhaupt scheint Hinterindien der Hauptsitz dieser mit Ägypten gleichför- migen Ideen gewesen zu sein, welche die Schrift, die Musik und endlich die ganze geistige, menschliche Bildung der Übertragung von den Affen zu- schreibt. Merkwürdig ist, dafs in beiden Ländern die Affen, auf die sich die Verehrung bezieht, nicht einheimisch waren. Der berühmte indische Affe Hanuman, welcher, nach Jones, Sita, die Gemahlin des Schri Rama, aus der Gewalt des Riesen Ravan befreite (s. Creutzer Symbolik I. p. 608), lebte in Ceylon und diese Insel mag wohl besonders der Hauptsitz des Af- fendienstes in Indien gewesen sein, oder wenigstens scheinen sich die heiligen Sagen auf sie besonders bezogen zu haben. Es sind noch in der neueren Zeit merkwürdige Erinnerungen an diese indische Verehrung der Affen be- kannt geworden. Ich mache besonders auf die interessante Verhandlung des über den Cynocephalus der Agyplier. 353 Vicekönigs von Indien, Dom Constantino de Braganza, mit dem König von Pegu im Jahre 1558 über den im Schatze des Fürsten von Jafnapatnam in Ceylon erbeuteten Affenzahn aufmerksam. Der König von Pegu liefs damals den Portugiesen in Goa 300,000 Cruzados für diesen Affenzahn bie- ten. Man sagte, es sei ein weifser Affe gewesen, der einem alten Könige seine geliebte und geraubte Gemahlin wieder aufgefunden habe. Herr A. W. Schlegel kleidet den Ausgang dieser Unterhandlungen in seiner Ab- handlung über die Zunahme und den gegenwärtigen Stand unserer Kennt- nisse von Indien, im berliner Kalender von 1831, folgendermafsen ein: „Genug, der Vicekönig versammelte seine Räthe. Die weltlichen Ritter waren der Meinung, man solle sich das Geld gefallen lassen. Aber ein Geistlicher trat auf und bewies in einer nachdrücklichen Rede, man dürfe nicht durch einen solchen Handel heidnischem Zauber und Aberglauben Vorschub thun. Diesem trat Dom Constantino bei. Er liefs den Zahn herbringen, ihn vor seinen Augen in einem Mörser zerstampfen und hierauf das Pulver verbrennen. Da verbreitete sich denn ein ungemein übler Ge- ruch: ganz natürlich wie aus der Hölle.’ Herr von Schlegel macht eben da die Conjectur, dafs der Zahn ohne Zweifel für einen Zahn des Buddha gegolten habe und da der König von Pegu ein Buddhist gewesen und die Buddhisten viel auf Reliquien ihres Religionsstifters und seiner Nachfolger halten, in die seine Seele übergegangen sei, so lasse sich der hohe Preis wohl erklären. Ferner sei vielleicht bei den ungelehrten Portugiesen eine Wortverwechselung vorgefallen. Auf Portugiesisch heifse Mono ein Affe und Muni, der Einsiedler, der schweigende Weise, sei ein Ehrentitel des Buddha. Die Gesandschaft des Königs von Pegu werde dadurch um so be- greiflicher, dafs die Buddhisten der jenseitigen Halbinsel ihre Religion nicht, wie man vermuthen könnte, zu Lande aus dem nördlichen Indien oder aus Tibet, sondern, wie jetzt ausgemacht sei, aus Ceylon empfangen haben und dafs sie defswegen dieses Land als den Ursitz ihrer Theologie verehren. Wegen der bereits mitgetheilten anderen Nachricht aber ist die Con- jectur und Meinung Herrn von Schlegel’s nicht wahrscheinlich, vielmehr pafst die Erzählung von Jones über Hanuman so gut zur Geschichte jenes Allenzahnes, dafs man sehr bedauern mufs, dafs der Religionseifer der por- tugiesischen Mönche die Zoologie um den so merkwürdigen Zahn des Hanu- man gebracht hat, welche vielleicht vollkommenen Aufschlufs darüber gege- Phys. Abhandl. 1833. Yy 354 EnurEnBEre ben haben würde, dafs eine africanische Colonie, welche den von ihr verehr- ten silbergrauen Stimia Hamadryas als Symbol der Gottheit mit sich genom- men hatte, in Ceylon sich niedergelassen und von dort allmälig die Cultur weiter nach Indien verbreitet habe, was freilich durch die Alliteration der Namen für den Aflen in beiden Ländern nicht bestätigt wird, wenn es auch diesen Anschein hat. Merkwürdig ist nämlich wohl eine gewisse ganz un- ö läugbare Namenverwandtschaft zwischen dem indischen und afrikanischen Allen. In der Sanskritsprache wird der Afle Kapi geschrieben, welcher Name in Shakespear’s hindostanischem Lexico aufgeführt ist. Ludolf berichtete schon in seiner Zistoria aethiopiae, dafs die Habessinier einen klei- neren Aflen ihres Landes HYobe, einen gröfseren Tota nennen und giebt die äthiopische Orthographie dieses Namens. Salt hörte den Namen Hevve für die gröfste Affenart jenes Landes und Tota für die kleinere und wir selbst erhielten für den von uns dort beobachteten und erlegten heiligen Affen der Ägyptier, den Cynocephalus Hamadryas, von den Eingebornen die Namen Hobe und Kombay. Die Schiffe, welche zur Zeit Salomo’s nach Ophir gingen, brachten, nach der Bibel, Gold, Elfenbein und Kophim mit. Die alten alexandrinischen Übersetzer der heiligen Schrift geben den Namen Xo- phim mit dem griechischen Worte IlSyrevs, Affen. Zur Erklärung dieser Nachricht dient wieder, was Agatharchides und Plinius berichten, welche unter den Handelsartikeln, die nebst Elfenbein aus dem troglodyti- schen Hafen Aduliton ausgeführt werden, Spıyyas, Kuvoxeparovs var Kymous nennen. So wären denn das griechische Käres oder lateinische Cepus, das hebräische Koph, das habessinische Z/evve oder Hobe und das indische Kapt, woran sich auch das persische Xeppi schliefst, offenbar verwandte Namen, und die von dem Worte KArcs gegebene Ableitung des Geschichtsschreibers Pythagoras, nach welcher der rothe äthiopische Affe seiner bunten Farben wegen Kjrcs, der Garten, genannt worden sei, verdient allerdings das harte Urtheil der Absurdität, welches Bochart über sie ausgesprochen und Rosenmüller in der Thiergeschichte der heiligen Schrift bestätigt hat. Das arabische Wort Robah scheint sich etwas von jenen zu entfernen, wenn nicht etwa aus dem „ oder 8 ein & geworden und nach Verlöschung der Af- fenverehrung der Name sich anders gestaltet hat. Jedoch könnte auch und vielleicht glücklicher, der arabische Name vom semitischen Worte Rob oder Rabb abstammen, welches den Herrn, den König, die Gottheit bezeichnet über den Cynocephalus der Agyptier. 355 und somit noch eine Anzeige der ehemaligen Verehrung dieses Thieres auch in Arabien enthalten, während seine Endigung als Robah sich mit dem Ver- schwinden jener etwas abgeändert hat. Ungeachtet dieser deutlichen Verwandtschaft der Namen bleiben Schwierigkeiten für ihre Anwendung auf die Verbindung der Ägyptier und Indier, denn es geht aus weiteren Untersuchungen deutlich hervor, dafs der ägyptische Priestername für den heiligen Aflen Thoth und Och gewesen sein mag und auch der in Habessinien für den Affen neben jenem Hobe erhaltene Name T7ota und Tata unterstützt diese letztere Meinung. Jedoch könnte man vielleicht geltend machen, dafs auch der Name Mob? oder Koph bei den alten Ägyptiern bekannt gewesen sei, denn Strabo sagt ausdrücklich, dafs die Babylonier bei Memphis nicht den Kuvexeparcs der Hermopolitaner, sondern den Kyros verehrt hätten. Ich habe schon aus der Durchsicht der ägyptischen Monumente erwiesen, dafs keine Spur von Darstellung eines zweiten heiligen Affen, welcher von der Simia Hamadryas verschieden sei, bisher aufgefunden worden und so nahe es auch liegt, dafs die (wie es nach Champollion’s Untersuchungen in Diod. Sie. I, p.52 und Strabo heifst, von Sethosis Rameses aus Asien nach Ägypten übergeführte) Colonie der Babylonier den asiatischen Affennamen nach Afrika übergetragen, sich übri- gens aber an den dortigen Cultus angeschlossen habe, so dient diefs doch nicht zur Befestigung jener ehemaligen Verbindung von Ägypten und Indien. Ob die Namen Kopk und Hobz mit Koptos und Aiyvrres noch einen innigeren Zusammenhang haben und von der Affenverehrung vielleicht das alte Chami den Beinamen Koptos bekam, berühre ich nur, da etwas entschiedenes darüber auszumitteln, wie mit all dergleichen Sprachanklängen, doch nie gelingen wird, doch giebt diese Erklärung wieder eine neue Ansicht gegen die vielen andern, welche Hr. Rühl von Lilienstern in seinen geschicht- lichen Erläuterungen zu den graphischen Darstellungen der ägyptischen Ge- schichte, p.268, zusammengestellt hat. Ich erwähne, um die Hauptsachen zusammenzufassen, noch einer Nachricht, welche die Oberstin Elwood in ihren Briefen über Indien erst neuerlich, im Jahre 1828, mitgetheilt hat und die ich sonst nirgends erwähnt gefunden. Es heifst im 57“ Briefe: „Die regierende Familie der Stadt Pur- bunder (Hafenstadt) ist vom Stamme der Dschaitwar und behauptet vom Affen Hanuman abzustammen. Sie unterscheidet sich noch jetzt durch den Titel Yy2 356 EHrENBERG geschwänzte Aanas, denn einer ihrer Vorfahren soll eine Verlängerung des Rückgradknochens gehabt haben.” Nach Berührung dieser indischen Verhältnisse des Menschen zu den Affen gehe ich zu den ägyptischen über. Betrachtet man die Religion der alten Ägyptier als einen Fetisdienst, als Naturdienst, wie er es denn wirklich gewesen ist, so bemerkt man als- bald, dafs es besonders eine Verehrung der geistig und körperlich freieren Wesen der Natur, der Thiere war. Ob diese Thierverehrung darin beson- ders ihren Grund hatte, dafs jene Völker oder doch ihre Oberhäupter, des Jagd- und Kriegerlebens müde, sich nach milderen Sitten sehnten und einer- seits, sich zum Ackerbau wendend, dem inneren Drange der Civilisation folgten, andererseits aber ihre Leidenschaften dadurch mehr bezähmen zu lernen glaubten, wenn sie sich aller Grausamkeiten gegen 'Thiere enthielten, oder ob sie nur die nützlichen Thiere schützen wollten, darüber ist hier nicht der Ort weiter zu sprechen, allein auffallend war es mir, dafs unter allen Thieren, welche die Ägyptier diesseits der Katarakten verehrten, nur ein ein- ziges ausländisches ist und dafs dieses der heilige Affe war. Zwar hat vor einigen Jahren, 1826, Herr Geoffroi St. Hilaire im Catalogue raisonne der von Herrn Passalacqua gemachten, jetzt hiesigen Königlichen Samm- lung ägyptischer Monumente, sowohl den Ibis als die Spitzmaus, welche die Ägyptier einbalsamirt haben, für indische Thiere erklärt, allein aus meinen und Dr. Hemprich’s Beobachtungen geht ein anderes Resultat hervor. Denn wir haben im oberen Nillande eine Form des weifsen Ibis beobachtet und erlegt, welche von der am rothen Meere von uns erbeuteten Form sich sehr bedeutend unterscheidet, indem der dongalanische junge Vogel schon ansehnlich gröfser ist, als der ältere arabische. Mag man sie als verschie- dene Arten ansehen, mag man sie als Abänderungen in dem Formencyklus einer Art betrachten, welche sonst abwechselnd oder gemischt Ägypten be- suchten, aus den zuweilen noch deutlich colorirten Abbildungen auf ägypti- schen Monumenten läfst sich mit Überzeugung erkennen, dafs der heilige Ibis nur der einheimische weilse Ibis war. Da dergleichen Abbildungen offenbar mehr Gewicht haben, als die Nachrichten der Geschichtsschreiber, so kann der als ganz schwarz, uerawa dewas, von Herodot geschilderte hei- lige Ibis nur durch einen Irrthum zum heiligen Vogel geworden sein. Viel- leicht zeigten die Eingebornen Ägyptens dem Herodot den in Ägypten weit über den Cynocephalus der Ä gypüer. 357 häufigeren, schwarzen, europäischen Zis Falcinellus, als den nächsten Ver- wandten des geheiligten, wie man auch uns oft verwandte Vögel mit gleichem Namen benannte. Eben so verhält es sich mit der einbalsamirten Spitzmaus, welche Herr Geoffroi für den indischen Sorex giganteus erklärt hat. Diefs Thier ist keineswegs ein ausländisches, wir fanden es in den Häusern in Sues, wo es einen starken Moschusgeruch verbreitete, in Menge und die kleineren vielen Individuen der Passalacquaschen Sammlung im Königlichen ägypüi- schen Museum, welche Herr Geoffroy der Vater für Sorex araneus hielt, aus denen aber Isidore Geoffroy der Sohn eine besondere neue Thierart mit dem Namen Sorex religiosus gebildet hat, kann ich nur für Junge der- selben gröfseren Art erklären. Herr Geheimrath Lichtenstein hat bereits in seiner Bearbeitung der Gattung Sorex mit Hinweisung auf unsere Beob- achtungen jene Ideen berichtigt und auch dem ägyptischen Thiere den Na- ınen aus unserem Tagebuche, Sorex crassicaudis, beigegeben. In den Sym- bolis physicis habe ich unter erpestes leucurus einiges Speciellere über diese Thierform, welche sich durch ihr sehr eigenthümliches Skelet auszeichnet und von mir nun Suneus sacer genannt wird, gemeldet. So giebt es denn aufser dem Aflen kein ausländisches Thier, welches bei den Ägyptiern heilig war, und um so auflallender ist die Erscheinung der Affen als Gegenstand der Anbetung in jenem Lande. Übrigens kann dieser Cynocephalus nur aus Arabien oder Habesch eingeführt sein, denn an andern Orten ist er noch nicht mit Zuversicht beobachtet. Ich mufs, um das Verhältnifs der Affen zur ägyptischen Cultur dar- zulegen, noch auf einen andern Umstand aufmerksam machen, welcher mir von Einflufs gewesen zu sein scheint. Die äthiopischen Völkerschaften, zu denen der Islamismus noch nicht gedrungen ist, sind zum Theil noch jetzt Mondanbeter. Ich und Dr. Hemprich hatten selbst in Dongala einen Neger vom Stamme der Jänke, welche jenseits Shilluk am Bahhr abbiad wohnen und diese Religion üben. Er nannte sich und seine Familie Mora- maer, war als kleiner Knabe gestohlen worden, indem man ihm einen Sack über den Kopf warf, gewaltsam wegführte und als Sklaven verkaufte. Das Abzeichen seines Stammes war das Fehlen der Vorderzähne, welche der Vater den Kindern ausbricht. Ehe wir seinen Fetis erkannt hatten, war es uns auffallend, dafs er gegen den Neumond regelmäfsig unlustig, träg und krank erschien, meistens aber plötzlich wieder von einer ausgelassenen Lus- 358 EHrENBERG tigkeit war. Wir belauschten ihn dann öfter bei seinen Religionsceremo- nieen, worin wir bald die Ursache seiner Verstimmung und Freude erkann- ten. Wenn er nämlich am Abend bei Sonnenuntergang den ersten hellen Rand des neuen Mondes erwartete, sah er unverwandt nach dem Abendho- rizonte und war verdriefslich, wenn man ihn abrief, hatte er aber wirklich den neuen Mond gesehen, so pflegte er sich einen verzinnten Kupferteller, die wir, damit sie nicht gestohlen wurden, unter Aufsicht im Zelte hielten, unter irgend einem Vorwande zu holen. Er füllte nun diesen möglichst ge- heim hinterm Zelte mit Wasser und liefs den ersten Mond sich darin spie- geln. Hierbei tanzte er hin und her, gofs aber sogleich das Wasser aus und that als habe er den Teller waschen wollen, wenn er sich beobachtet sah. Ferner erinnere ich an die Nachrichten mehrerer alten Schriftsteller, denen zufolge oft in jenen älteren Zeiten die gebildeteren Völker andere we- niger gebildete für wilde Menschen und menschenähnliche Thiere und um- gekehrt Aflen für Menschen erklärten, welches letztere sogar noch bis zu Linne vorgekommen. Ich erinnere an Homo Lar von Linne und Homo sylvestris von Edwards und Tyson, an die Kuvergorwrous des Aelian, welche er gerade in jenen Gegenden zwischen Ägypten und Äthiopien woh- nen läfst, und an die Cynamolgos des Plinius. Die «ygıoı avöges zal yuvalnes @ygıwı des Herodot, die Gorillen des Hanno, sehr wahrscheinlich auch die Gorgo der griechischen Mythe, wie ein gelehrter Vortrag uns neulich dargelegt hat, deuten auf solche Verwechselungen der Affen und Menschen hin, wobei der Zweifel selbst dann nicht gelöst wurde, wenn eins der frag- lichen Geschöpfe getödtet worden und zur prüfenden Ansicht vorlag, denn nur selten waren die in ferne Gegenden Reisenden einer früheren Zeit so unterrichtet, dafs eine nähere Ansicht ungewöhnlicher Formen gröfsere Auf- schlüsse geben und ihre Vorurtheile abändern konnte. Diese beiden Umstände, die Sitte der Mondsanbetung bei den Äthio- piern und die Verwechselung dieser Menschen mit Affen, mögen wohl dazu beigetragen haben, gewissen Affen, und gerade dem Perrücken - Affen, dem Cynocephalus Habessiniens, diejenige Beziehung zum Monde beizulegen, welche bei den Ägyptiern statt gefunden, denn aufser dem monatlichen Blut- flusse des weiblichen Affen, welcher aber vielen, vielleicht allen Arten von Affen gemein ist, zeigt der Cynocephalus so wenig als irgend ein anderer Affe ein besonderes Benehmen beim Wechsel des Mondes, und gerade das * über den C ynocephalus der A gypuer. 359 Weibchen war es nicht, welches man verehrte. Es gab also nicht sowohl mondanbetende Affen, sondern es gab Menschen, welche in ihrem Kopf- putze sich dem Cynocephalus ähnlich trugen und gleichzeitig den Mond an- beteten, die man aber wegen ihres Kopfputzes mit den Affen verwechselte und zum Theil Cynocephalen, T7'ota nannte. Einen ganz besondern Eindruck auf die Bewohner des ganzen nord- westlichen Afrika’s hat offenbar die Gröfse und eigenthümliche Behaarung des habessinischen Cynocephalus gemacht. Ich war Ägypten, Nubien und Dongala bereits 5 Jahre lang durchwandert und hatte schon viele gezähmte, verkümmerte und zottige Cynocephalen auf den Strafsen in Cahira und Alexandrien gesehen, als ich den ersten männlichen Cynocephalus, wie ihn die Ägyptier auf ihren Altären sitzend abbilden, in seinem vollendeten, wohl erhaltenen Haarwuchs in der Wildnifs getödtet vor mir hatte und um ihn herum standen Massauenser, Habessinier und Galla’s. War es mir doch plötzlich damals, als sähe ich in dem Kopfe dieses Affen den Typus für alle mich umgebenden Männerköpfe jenes Landes, für alle von mir in Nubien und Dongala gesehenen Menschenköpfe der Völkerschaften der Bischeiri, der Ababden, der Barabra, der Cubabisch und Schakie, für alle Köpfe der hieroglyphischen Männerfiguren, der Statuen und Sphingen Ägyptens. Ich habe diesen Eindruck nicht wieder verloren und muls ihn aussprechen. Ich liefs von dem Italiener Finzi, welchen ich damals bei mir hatte, einige Köpfe der dortigen Menschen zeichnen und machte selbst einige Skizzen. Die Zeichnungen sind hinreichend, die Gefühle mitzutheilen, welche in mir damals angeregt wurden. In diesem Haarputze der Afrikaner ist eine weit über viele Völker und Länder verbreitete Nachahmung des Affenhaars un- möglich zu verkennen und irre ich nicht sehr, so ist es der Schlüssel zur Erklärung der noch immer räthselhaften memphitischen männlichen Sphinx. Es würde unrichtig sein, wenn man den colossalen Sphinx von Memphis ge- radehin für Darstellung des heiligen Affen erklären wollte, allein er trägt ganz unbestreitbar den Haarputz der Äthiopier und Cynocephalen. Die vordere Streifung der beiden grofsen seitlichen Wülste am Kopfe zeigt an, dafs diese Haare vorstellen; gerade mit solchen Streifen sind die Haare des Backenbar- tes an dem Cercopithecus pyrrhonotus auf dem Grabstein von Memphis dar- gestellt. Dafs der memphitische männliche Sphinx eine Negerphysiogno- mie habe, sah Denon, nach seiner Zeichnung, deutlich, und durch diese 360 EmrEengenrne isolirt er sich von allen übrigen Bildungen der ägyptischen ähnlichen Denk- mäler, welche wahrscheinlich späteren Ursprungs sind und bei denen die dicken seitlichen Haarwülste sich immer mehr verfeinern und in eine Art von anliegendem Kopfbehänge überzugehen scheinen, je neuer und kunstsin- niger ihre Verfertigung ist. Einer der Namen, welche die Habessinier dem wilden Cynocephalus geben, ist Toota oder Tata. Bei Ludolf ist dieser Name mit seiner äthio- pischen Orthographie schon angegeben und bezeichnet den gröfseren der beiden habessinischen Affen. Nach Salt, der ihn auch hörte, ist es der Name des kleineren Aflen, da aber, wie ich oben gezeigt habe, nie mehr als eine einzige Alfenart in Habesch sicher beobachtet worden ist und klein und grofs nur Altersverschiedenheiten sind, so sind beide Namen, Hobe und Tota, Homonyme und es giebt keine andere Deutung für den Namen T'ota als die auf die Hamadryas oder den Cynocephalus der Alten. — Von welcher Wichtigkeit der Name 7’%ot in der ägyptischen Geschichte ist, bedarf kei- ner Erinnerung. Es ist vielleicht nicht zu viel gesagt, wenn man ihn ge- radehin den Gipfel oder das Centrum aller Ideen der alten Ägyptier nennt. Das Jahr fingen die Ägyptier mit dem Monat Thot an. Thot Tarpe- yızos, nach Stobaeus Dialog zwischen Isis und Horus, war der Historio- graph der Götter, die personifieirte höchste göttliche Intelligenz, der Gott der Götter. Von diesen unterschieden sie einen anderen Thot, welcher 42 Bücher für die Priester schrieb und der Lehrer oder die personifieirte ent- wickelte Vernunft der Menschen war. So findet sich denn hier wieder die höchste Auszeichnung des Allen, oder die Übertragung der höchsten Intel- ligenz auf denselben. Auffallend ist die Erzählung von Aelian und Horapollo, dafs es schreibende Aflen gebe. Nach dem ersteren war der ägyptische Cynocepha- Zus auch für Schreiben und Musik gelehrig, nach letzterem gab es derglei- chen, die schon schreiben konnten, wefshalb jedem Cynocephalus, der in den Tempel gebracht wurde, zuerst eine Tafel und Schreibzeug gereicht wurde, um zu erfahren, ob er zu den gelehrten oder den ungelehrten Cyno- cephalen, d.i. zu den menschenähnlichen Aflen oder zu den affenähnlichen Menschen gehöre. Eine recht schöne Abbildung eines schreibenden Cyno- cephalus findet sich auf Philae, welche in der Description de P’Egypte co- pirt ist. Eine andere ist im Pantheon von Champollion mitgetheilt, über den Cynocephalus der Ägyptier. 361 wahrscheinlich von einem Sarkophage, wo der Affe nur das Schreibzeug in der Hand hält. Nach Herrn Passalacqua’s mündlicher Mittheilung sieht man den Cynocephalus auch zuweilen als Symbol der Schreibkunst an Männerdarstel- lungen, welche wohl Schriftgelehrte oder Schreiber waren. In den Hieroglyphen der ägyptischen Monumente und auf den Pa- pyrusrollen sitzt der Affe T’koth oft bei einer Wage, zuweilen auch auf der- selben in der Mitte, offenbar als Richter der Unterwelt oder der Todten. Häufig sieht man ihn auch stehend, mit aufgehobenen Händen abgebildet, was die Begrüfsung des kurz nach dem Neumond aufgehenden Mondes an- zeigen soll. Gerade allerdings in dieser Stellung sah ich meinert Neger Mo- romaer mit seinem Wasser im Teller, womit er den Mond begrüfste. Ich erwähne noch einer Sonderbarkeit aus der früheren Geschichte des Christenthums, welche hierber gehört und die christliche Wirksamkeit und Bekehrung eines Cynocephalen betrifft, welcher von Bartholomaeus den Namen Christianus und Pistos erhält. Zo&ga hat im Catalogus Codd. copt. 1810 eine Übersetzung eines Theils der Nachrichten über das Bekeh- rungsgeschäft des Bartholomaeus mitgetheilt und giebt aus dem 132. Co- dex folgenden lateinischen Auszug (!), den ich hier deutsch übertrage. Diefs sind die Thaten Bartholomaei, welcher aus dem Lande der Ichthyophagen mit Andreas und dem zum Christenthum bekehr- (') Haec sunt acta Bartholomaei, qui egressus e finibus Ichthyophagorum ivit ad Parthos cum Andrea et Christiano, homine Cynocephalo et miracula, quae ab is facta sunt. In pace Dei amen. Aus dem 133. coptischen Codex übersetzt er folgendes: Dominus apparens Bartho- lomaco ad Parthos ire jubet, inter alia inquiens: Mittam vobis hominem e terra Cy- nocephalorum, cui caput caninum est et hujus ministerio credent in me. Aus den letzten Fragmenten giebt er noch folgendes: Populo in theatro considente Cynocephalus dicetus Christianus devorat Leones duos et tantum errorem inculit omni- bus, ut ex urbe fugere incipiant, sed üdem apostoli mare igneo urbem circumdant, ne quis exire possit. Tunc et Cynocephalo et igne oppressi supplices fuerunt aposto- ls, quibus Jubentibus Cynocephalus convertitur in puerum mitissimae indolis. Huie imposuit Bartholomaeus nomen Pistos, pollieitus civitatem coelorum et famam immor- talem, quod ope ejus populus ille ad fidem fuerit conversus; populumque allequitur, salvos fore si relictis idolis St. Trinitatem profiterentur. Stalim universus populus Jidem amplecttur indigne ferentibus sacerdotibus idolorum. Phys. Abhandl. 1833. Zz 362 Ensrengsere ten Cynocephalus zu den Parthern ging, und die Wunder, welche sie verrichtet haben. Im Frieden Gottes Amen. Der Herr erschien dem Bartholomaeus und befahl ihm zu den Parıhern zu gehen. Er sagte unter anderem: Ich sende Euch einen Menschen aus dem Lande der Cynocephalen, der einen Hundskopf trägt, und durch seine Thaten werden sie an mich glauben. Als das Volk auf dem Schauplatze beisammen safs, verschlang der genannte Christ gewordene Cynocephalus zwei Löwen und jagte allen einen solchen Schreck ein, dafs sie anfingen aus der Stadt zu entllie- hen, aber die Apostel umgaben die Stadt mit einem Feuermeere, dafs niemand entrinnen konnte. So vom Cynocephalus und dem Feuer be- drängt, flehten sie zu den Aposteln, auf deren Befehl der Cynocephalus in einen gutmüthigen Knaben verwandelt wurde. Bartholomaeus gab diesem den Namen Pistos, versprach ihm das Himmelreich und unsterblichen Ruhm, weil durch seine Hülfe das Volk zum Glauben bekehrt sei. Zum Volke sprach er, dafs sie selig werden würden, wenn sie die Götzen verliefsen und an die heilige Dreieinigkeit glauben woll- ten. Das ganze Volk erfafste den Glauben und zornig sahen es die Priester der Götzen. Den Zweck erreichte Bartholomaeus. Ob und wie er die Verwand- lung bewirkt habe, kann hier gleichgültig sein, genug das ganze Volk glaubte damals, dafs es möglich sei, einen Affen zum Christenthume zu bekehren. Ich habe nur eine schmucklose Zusammenstellung des Historischen über die äthiopischen Aflen, so weit es mir selbst bisher bekannt geworden ist, darum versucht, um den Grund hervortreten zu lassen, aus welchem es gekommen sein mag, dafs seine Gestalt und Wesen einen so bewunderns- würdigen Eindruck auf eine so grofse Völkerreihe für so lange Zeit machen und bei so vorleuchtender Bildung, wie die Ägyptier zur Zeit seiner Vereh- rung schon hatten, erhalten konnte. Das Resultat meiner Forschungen und Beobachtungen möchte ich in folgenden Sätzen niederlegen. Die Verehrung des Nils und des Ackerbaues samt allen daran sich knüpfenden Einzelheiten, welche einerseits die Grundlage des Wohlstandes, der geistigen Entwickelung und der herrschenden Ideen bei den alten Ägy- ptiern bilden, können der Natur des Nillandes nach, so laut auch die Rei- über den Cynocephalus der Agyptier. 363 henfolge der erst troglodytischen, allmälig immer freieren, grofsartigen Bau- werke das Herabsteigen der Cultur und der Menschen von Süden nach Nor- den bezeugen mögen, nur in Unterägypten Entstehen, Nahrung und kräf- tiges Aufblühen erlangt haben. Bei einem mit so hoher Begeisterung und so systematisch bis zu solcher Höhe steigenden Verfolgen eines vorschwe- benden Ideals, wie es uns Ägypten in seinen Religions- und Landesverhält- nissen zeigt, mufs man wohl auch nach einer begeisternden Basis suchen. Oberhalb Theben kann der Nil, wie ich aus Anschauung weils, unmöglich begeistert und zum Ackerbaue eingeladen haben. Bei Theben und in Ober- ägypten tritt er segnend, aber in einem schmalen Culturboden auf; in Un- terägypten erst erkennt man in ihm die räthselhafte grofsartige Naturerschei- nung, welche den Menschen, der sie klug benutzt, mit Reichthum über- schüttet. Der Bewohner Unterägyptens weils nicht, woher der Nil mit sei- nen Überschwemmungen kommt, der solchen Segen bringt. Er nimmt ihn um so mehr mit Dank gegen die Gottheit auf, je geringer der Regen ist, welcher seinem Lande zu Theil wird. Die südlicheren Bewohner des Nil- landes müssen natürlich von je her immer um so weniger Begeisterung für ihren Nil gehabt haben, je weniger sie Ackerland am Nile hatten und je nä- her sie dem Quellen und Regenlande Habessinien wohnten, dessen reich- licher Wasservorrath den Nil allmälig bildet und bei sich überflüssig macht. In Nubien giebt der Nil nur Trinkwasser und Fische und wegen seiner Fel- sen nicht einmal eine Handelsstrafse. Seine Überschwemmung, so wie das Culturland in Dongala, fand ich nur unbedeutend; dort konnte die ägyptische tiefe und poetische Verehrung des Nils und des Ackerbaues sich schwerlich entwickeln, leicht und grofsartig konnte sie es aber allerdings im breiten Delta Ägyptens, wo die Nilanschwellung räthselhaft und überaus segens- reich erscheint. Allein, während so einerseits die eigenthümlichen Ideen der Menschen in Ägypten im unteren Nillauf entstanden und gediehen zu sein scheinen, wird es wieder wahrscheinlich, dafs eine geistige Anregung, und besonders die Schrift, ihnen aus dem Süden zugekommen ist. Der fremdartige Gott, wel- chen sie in Hermopolis verehrten, der Kuvexebares, könnte wohl hier Auf- schlufs geben. So war es denn doch wohl ein Homo Cynocephalus, ein die Gottheit unter dem Symbol des Affen verehrender 7ota, ein Mann mit cy- nocephalischem Kopfputz, der aus der Grenze von Habessinien, vielleicht Zz2 364 EurEnBERG aus dem damals den Ägyptiern noch unbekannten Orte Merave, ihnen das segensreiche Geschenk der Schrift überbrachte. ‘Diesem 7’%kot könnte wohl auch jener räthselhafte Sphinx gewidmet sein, welchen die Ägyptier Belhit nennen, das, wie Sylvestre de Sacy meint, vielleicht wie das Wort Kat- hit der Weise, aus dem koptischen Worte Bel das Auge und Hit das Herz zusammengesetzt ist und den klugen, grofsherzigen Wohlthäter be- zeichnet. Dafs alle übrigen zahlreichen Erklärungen jenes memphitischen Belhit, des männlichen Sphinx mit dem mehr oder weniger begründeten Ne- gergesichte, noch immer ungenügend geschienen, berühre ich hier nicht wei- ter und erinnere nur, dafs Zoöga die griechische Sphinx als von diesem ägy- ptischen, die noch von Norden verwechselt wurden, in ihrem ganzen We- sen verschieden deutlich gezeigt hat. So wäre denn wohl dieser Grofsmü- thige und Edle, den der Name des Denkmals Zelhit feiert, der T’hot, der Lunus, der Erfinder der Schrift selbst, eins der ältesten Denkmäler und ein Nationaldenkmal Ägyptens. War jener 7’hot ein Mondanbeter und hatte er gar ein Negergesicht, so erklärt sich seine Verwechselung mit den wirklichen Affen leicht und somit vieles aus der alten ägyptischen Geschichte, wofür wir sonst keinen Aufschlufs finden. Auch das Benehmen der ägyptischen Priester, welche jedesmal beim Zuführen eines neuen Cynocephalus in den Tempel ihm eine Schreibtafel vorlegten und forschten, ob er zur Familie des Schrifterfinders 7’hot und ihres Wohlthäters gehöre, läfst sich auf diese Weise natürlich finden. — nano über den Cynocephalus der Agypiier. 365 Erklärung der Abbildungen. Tafel I. giebt 3 ägyptische Darstellungen profaner Affen. Fig.l. ist Cercopithecus pyrrhonotus, von dem Grabsteine der Passalacquaschen Sammlung aus Memphis, N.1405 des Catalogue raisonne, in Gröfse des Ori- ginals. Vergl. p.341. Eine naturhistorische Abbildung desselben Thieres nach dem Leben findet sich in den Symbolis physicis von Hemprich und Ehren- berg, Mammalia Tab.X. ist Cercocebus Sabaeus, Copie nach Denon, aus den Katakomben von Gyzeh. ist wohl derselbe Cercocebus, auf dem Halse einer Giraffe. Copie nach Salt bei v. Minutoli Taf. XII. Fig.9. aus Theben. Tafel II. enthält mehrere etwas verkleinerte Copieen ägyptischer Darstellungen heiliger Affen, wahrer Cynocephalen, immer deutlich des Hamadryas-Affen. Fig. I. bis VI. sind Darstellungen des thronenden und schreibenden Thot und Och. Fig. I. Fig. II. Fig. II. Fig. IV. Fig. V. Fig. VI. ist aus dem achten Hefte von Champollion’s Pantheon copirt. Gott, als ithyphallischer Cynocephalus, segnet mit der Rechten und hält oder übergiebt die Schrift (ein Schreibzeug) mit der Linken. Copie aus dem neunten Hefte des Panthdon. Es ist eine ägyptische Dreieinig- keitsdarstellung von Gott, Affe und Mond. Cynocephalus als Och (Pooch), Mond. ist die schön gearbeitete Figur des schreibenden Affen aus der östlichen Gallerie des Tempels in Philae, nach der Description de l’Egypte Vol. I. Pl.xırı. Die für ein Weibchen zu breite Brust scheint auch die Behaarung anzudeuten und mithin die Figur männlich, wohl junges Männchen. Vielleicht war es aber auch eine Darstellung eines schriftgelehrten Affenanbeters oder Affenpriesters, eines Homo cynocephalus. ist Belzoni’s Mumie, nach seiner Darstellung, verkleinert. ist ein dem sperberköpfigen Gotte (Fig. VI.) gegenüber thronender Cynocepha- lus Thot, aus der nördlichen Gallerie des kleinen Tempels von Edfu (Apolli- nopolis magna), nach Deser. de l’Ee. A. Vol. I. Pl. 64. B. und VII. sind Darstellungen des alten, männlichen Cynocephalus als Thot und Richter der Verstorbenen. Dergleichen finden sich häufig auf den bei Mumien befindlichen Papyrusrollen. Vergl. Deser. de l’Es. A. Vol. II. Pl.60 und andere. Fig. IX. bis XI. sind Darstellungen mondanbetender oder für die Seele der Verstorbenen bittender Cynocephalen. Fig.IX. ist nach Gau T.36. aus Essaua in Nubien. 366 EurEenseEere Fig. X. nach demselben T.45. ebendaher. Beide Darstellungen sind durch die verlängerte Schnauze der Affen merkwürdig. Fig. XI. sind sehr stumpfschnau- zige Figuren aus Hermopolis, nach Denon 122. Tafel II. ist eine Darstellung des Einflusses des Affencultus auf den Haarputz noch jetzt lebender afri- kanischer Völker. Fig. I. Fig. I. Fig. II. in der Mitte ist eine Copie der Schreberschen bekanntesten Figur der männ- lichen Simia Hamadryas, oder des ägyptischen C'ynocephalus (in Schreber’s Säugethieren), die nicht falsch, noch übertrieben, nur ganz im alten Sinne auf- gefalst ist, welshalb ich sie copirt habe. Eine naturhistorische Abbildung und umfassende Literatur findet sich in den Symbolis physicis von Hemprich und Ehrenberg Mammalia Decas I. Tab. XI. ist der Kopf eines Eingebornen aus Sennaar in Cahira, welchen der bekannte Reisende im Orient und vortreffiiche Zeichner Herr Linan in Cahira in Herrn Dr. Parthey’s Erinnerungsbuch gezeichnet, mit deutlicher Frisur in Form einer Perrücke, deren ähnliche auch ich gesehen habe. ist der meinem Gefühle nach sehr charakteristische Kopf des Führers Hekal, eines Barabra oder Berbers bei Wadi Halfa, von Dr. Parthey nach der Natur gezeichnet, Portrait. Das künstlich geflochtene Haar der Berber erinnert ganz lebhaft an den Kopfputz der altägyptischen Statuen und en face an den Haar- putz der übertreibenden Galla. Fig. IV. und V. sind 2 Köpfe vom Negerstamme der Galla, welche an der habessinischen Big."VI. Küste wohnen und die ich in Massaua durch Finzi mit Farben malen liels. Zum Portrait hielten sie nicht still, aber der Totaleindruck ist gut aufgefalst. Ihr dicker Kopfputz ist natürliches, durch Talg aufgesteiftes, etwas gekräuseltes aber langes Haar, welches einerseits an den Hamadryas-Affen, dessen Heerden wir in jenem Lande gleichzeitig sahen, andererseits an den memphitischen Sphinx allzu deutlich erinnert, als dafs diese Ähnlichkeiten entgehen oder zufällig sein könnten.‘ ist das sehr wohl getroffene Portrait meines alten Wasserträgers Auad in Mas- saua, eines Mannes vom Stamme der Saura, mit fast arabischem Ausdruck und eigener Sprache. Der alte Mann hielt nicht mehr auf Putz seines grauen Haares, während jene jugendlich übermüthigen Galla’s, die uns oft besuchten, in Steif- heit und Form ihres Kopfputzes nicht ohne Eitelkeit erschienen. Zu bemerken ist, dafs das mittlere Toupet des einen und der Mangel desselben beim andern absichtlich als Repräsentanten der verschiedenen Moden ausgewählt wurden. Der ehemalige Cultus des TRot mag diese Spuren übrig gelassen haben und wer könnte dabei sich enthalten an den Ursprung unsrer römischen Per- rücken zu denken, die noch heut von ehrwürdigen Personen mit heiligem Ernste getragen werden, den Römern aber doch wohl als ägyptische mysteriöse Mode zugekommen sind. Vergl. Winkelmann’s alte Denkmäler der Kunst I. p. 72. über den Cynocephalus der Ägypter. 367 Tafel IV. enthält 3 Darstellungen des memphitischen Sphinx Belhit. Fig. I. und II. sind Copieen aus Norden’s Reise von 1735. Fig. III. ist aus Denon’s Reise von 1799. Diese Figur hat die neuere Idee hervorge- rufen, als habe jenes Denkmal ein Negergesicht, was ich nicht erkannte. Fig. IV. ist eine Originalzeichnung des Herrn Dr. Parthey vom Jahre 1821. Letzterer hat die Uraeus-Schlange in der Stirnbinde deutlich gesehen. Andere gröfsere Abbildungen sind in der Descript. de l’Egypte. Die grolse Differenz dieser verschiedenen Darstellungen eines und desselben Denkmals liegt einerseits darin, dals es schon sehr zerstört ist und die Einzelheiten des colossalen Felsbildes vom Zeichner aus der Ferne länger studirt sein wollen, als meist die Zeit der un- wirthbaren und unsichern heilsen Gegend erlaubt, andererseits ist das Denkmal in der neueren Zeit auch, wie man sagt, durch Kanonenkugeln der Mameluken. die es als Ziel benutzten, sehr beschädigt worden. Dals der streitige Kopfputz dieses Belhit ganz in der Art gehalten ist, wie die alten Zeichnungen der Cynocephalen-Köpfe, deren Form er auch be- sitzt, liegt am Tage. Ob ein habessinischer Priester des Affencultus, der Homo Cynocephalus Tota, der Erfinder der Schrift damit und mit allen allmälig mehr verfeinerten Sphingen mit dem Löwenkörper gefeiert werde, wird sich nie ent- scheiden lassen, aber eine anspruchslose Vermuthung wohl um so mehr erlaubt sein, als dieser Weg der Erklärung ein noch unbetretenes, doch hie und da fruchtbares Feld der Forschung eröffnet. —— DEE ‚u m EL ” ”s . 5 . Er . } Jj ch j var ai oh organ wo the . ou ‚v Inte A . & . 4 u f ’ s. art en - i Ne said? 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Pedro do Sul und der Banda oriental niedergelegt und darin mehrere fossile Knochen und Panzerstücke beschrieben, welche der seitdem verstorbene Herr F.Sellow an das hiesige Königliche Minera- liencabinet gesendet hatte. Die letzteren sind auf der 1” und 2'* Tafel der gedachten Abhandlung abgebildet. Sie gehören zu einer gröfseren Menge fossiler Überreste, die, wie wir aus Sellows Bericht erfahren, in mehreren anderen Panzerstücken, den Knochen des Unterarms und der Hand, sowie der Fibula und dem Fufs bestanden haben sollen. Diese letzteren Stücke hatte Sellow nach Rio Janeiro abliefern müssen. Von dort sind sie seit der Erscheinung der angeführten Abhandlung zu uns gelangt und befinden sich nun neben den schon beschriebenen Stücken in der Königlichen Petrefacten- sammlung. Der Herr Vorsteher dieser Sammlung hat mir gütig erlaubt die- selben zu zeichnen und zu beschreiben. Dadurch bin ich in den Stand ge- setzt zu seinem Bericht einen Nachtrag zu liefern und gern nehme ich die Gelegenheit wahr der Akademie von den neuen Erwerbungen ausführliche Kunde zu geben. Es ist erfreulich zu sagen, dafs die letzte Sendung noch einige Stücke mehr zählt, als Sellows Angaben bezeichnen. (') Als Nachtrag zu der Abhandlung des Hrn. Weis über das südliche Ende des Gebirgszu- ges in Brasilien etc. in den Schriften der Königl. Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1527. Phys. Abhandl. 1833. Aala 370 DALTON In den nächsten Blättern will ich zuerst die neu hinzu gekommenen Panzerstücke beschreiben, indem ich mich dabei der Vergleichung wegen, auf die von Hrn. Weifs gegebenen Abbildungen beziehe. Der folgende Abschnitt dieser Abhandlung enthält vergleichende Bemerkungen über die Panzer der lebenden Dasypus- Arten mit Rückblicken auf die fossilen Stücke. An diese reiht sich die Beschreibung der Überbleibsel von dem Skelet. — Aus der Vergieichung der fossilen Panzerstücke mit dem Panzer unserer Da- sypoden und aus der Östeologie der letzteren verglichen mit den zu beschrei- benden fossilen Knochen, sowie aus der Erwägung einiger anderen Umstände, wird sich ergeben, inwiefern wir zu einer Stellung des untergegangenen Thie- res im System und zu seiner Benennung berechtigt sind. Wenige Worte am Schlufs mögen die Wichtigkeit des Sellowschen Fundes beleuchten. Um die Beschreibung der fossilen Panzerreste möglichst abzukürzen und hinsichtlich der dabei gebrauchten Benennungen Mifsverständnissen vor- zubeugen schicke ich hier einige der Zoologie entlehnte terminologische Be- stimmungen voraus. Ohne mir nämlich in der Deutung der fossilen Theile selbst vorgreifen zu wollen, werde ich mich in dem nächsten Abschnitte mehrerer Ausdrücke bedienen, welche in der systematischen Diagnostik der Gürtelthiere üblich sind. Es ist bekannt, dafs diese Thiere eine harte Schale haben, die ihnen das Aussehen verleiht, als seien sie mit Schuppen bedeckt. Allein das, was man bei flüchtiger Betrachtung für Schuppen halten könnte, ist, wie eine genauere Prüfung leicht ergiebt, eine innige Verbindung vieler kleiner Knochenstückchen. Diese sind dicht an einander geschoben und schen defshalb fast wie das Strafsenpflaster aus. Daher nennt sie auch Cu- vier (in s. regne animal Tom.I. pag. 226.) compartiments oder peüits paves; andere nennen sie Schildchen oder Tafeln, scutula s. assulae. Die knöcher- nen Tafeln der Gürtelthiere sind derjenige Theil ihrer Schale, welcher allein petrifieirt werden kann. Über den knöchernen Schildehen befindet sich ein Überzug, welcher zur Oberhaut gehört, bald wirklich hautartig oder wie ein dünner Firnifs erscheint, bald hornartig ist und die Farbe der Schale be- stimmt. Von diesen Epidermoidalbildungen werde ich später noch Einiges erwähnen, da sie auf die Gestalt der knöchernen Unterlage Einflufs haben. Die Knochentafeln stehen auf der Stirn, den Schultern und den Hüften dicht gedrängt, hier und da regelmäfsige Reihen bildend, und stellen dadurch drei gröfsere Schilde dar, nämlich das Kopf- Schulter- und Hüftschild. Jedem über fossile Panzerfragmente. 34 dieser Schilde geben wir den Namen Panzer im engeren Sinn und sind somit der Unterscheidung von Schilden und Schildchen überhoben. Zwischen dem Schulter- und Hüftpanzer liegen mehrere abgesetzte Querstreifen, die wieder aus einzelnen fest verbundenen Stückchen bestehen. Jeder dieser Streifen ist durch eine Hautfalte mit dem benachbarten verbunden und der erste und letzte aufserdem noch mit dem Schulter- und Hüftpanzer. Diese beweglichen Streifen, von denen die Fähigkeit sich zusammen zu rollen ab- hängt, heifsen Gürtel, zonae, eingula oder bandes und haben zu dem Namen Gürtelthier Veranlassung gegeben. Die Schale der Gürtelthiere oder ihr Panzer im weiterer Sinn ist also gebildet von drei gröfseren Schilden und den zwischenliegenden Gürteln. Auch am Schwanz der Dasypoden befin- den sich gegliederte Riuge, die gleich den Schilden und Gürteln, aus ver- schieden gestalteten Tafeln zusammengesetzt sind. Erster Abschnitt. Von den fossilen Panzerstücken. Herr Weifs erwähnt pag. 62. ein gröfseres Panzerstück, das nach Sellows Notiz 2 Fufs englisch lang und 10 Zoll hoch war. Dies Stück liegt jetzt, wofern wir uns nicht sehr täuschen, in acht kleinere zerbrochen vor und ich werde es mit Z bezeichnen, so wie ich die anderen zur Vermei- dung von Verwechslungen mit den folgenden Buchstaben belege. Nach pa- riser Duodecimalmafs fand ich die acht Stückchen zusammen, die sich gut aneinander fügen lassen, gegen 2 Fufs lang und 94 Zoll hoch. An diesem Stück sieht man deutlich, dafs es zu dem Rand des Panzers oder Schildes gehört, nämlich an einer solchen Stelle des Thiers befestigt war, wo sich der Panzer mit der nackten Haut verbindet z.B. am Hals, dem Bauch oder den Extremitäten. Dies wird daran erkannt, dafs der längste Rand desselben unverletzt und mit Zacken versehen oder gewisser Mafsen gezähnt ist, wäh- rend die drei anderen rauhe oder entschiedene Bruchflächen haben. Legt man alle 8 Fragmente gehörig zusammengepafst vor sich, so dafs die 5 Stücke, welche Zacken haben, diese nach dem Beschauer richten, so bemerkt man Folgendes: Dem ersten Stück fehlt am linken Ende ein Zacken, ferner zählt man 15 Zacken in einer Reihe von links nach rechts d.h. von der linken Hand des Beschauers zur rechten. Diese Zacken sind kaum halb so grofs, Aaa2 312 DALTON wie die von Hrn. W. auf Taf. I. Fig. 3. abgebildeten; die mehr nach rechts gelegenen sind die gröfseren. An einigen Stellen sind je 2 Zacken durch kurze Ränder in einer Nath verbunden, alle Zacken sind mit ihrem Längen- durchmesser, der von der höchsten Stelle, da wo sie entweder zwischen zwei Schildchen der folgenden Reihe einspringen oder doch die zweite Reihe be- rühren, bis zur Spitze reicht, von oben und links nach unten und rechts gerichtet. Die Spitze der Zacken steht auch etwas nach aufsen, gegen die äufsere Oberfläche der ganzen Schale. Die Reihe der Zacken trägt die zweite Reihe von Schildchen, meist 5seitig gestaltet, mehrere auch 4seitig. Von diesen Schildchen der 2ten Reihe bilden an dem rechten Ende des gan- zen Stücks mehrere, je 2 und 2 stumpfe Winkel, welche die Zackenstücke oder Zackenschildchen aufnehmen. Auf die 2te Reihe folgt die 3te, auch der Mehrzahl nach aus 5seitigen Tafeln bestehend, unter denen auch 4 und 6seitige vorkommen. Alle andere Reihen haben meist 6seitige Stücke, doch auch hie und da noch 4 und öseitige. Da, wo das ganze Stück am höchsten ist, zählt man, die Zackenreihe eingeschlossen, 10 Reihen. — Alle diese Schildchen haben eine Scheibe oder Diskus in der Mitte, der merklich hö- her steht und ebener ist, als der ihn umgebende, 4, 5 oder öseitige Rand. Die Scheibe hat an der innern Fläche jedes Schildchen eine siebförmig durch- löcherte Grube. Die Näthe der einzelnen Tafeln werden auch an dieser Fläche deutlich wahrgenommen und zeigen sich als 14 Linien breite rauhe Streifen, fast von dem Ansehen der entblöfsten Diplo&. Am Zackenrand ist dies Stück dicker als an dem gegenüberstehenden zerbrochenen. B. Ein anderes Stück (aus 2 Fragmenten bestehend) etwa eine Spanne hoch und breit, unregelmäfsig 4seitig gestaltet, zeigt mehrere sehr regelmä- fsige, öseitige Schildchen, deren Disken rund und weniger vorstehend. Der gröfseren Öffnungen, die sich zwischen der Scheibe und dem Rand befinden zählt man 4 bis 5; sie stellen bald eine regelmäfsige Figur dar, bald sind sie zerstreut oder auf die eine Hälfte des Umkreises beschränkt. An der inne- ren Fläche dieses Stückes sieht man die Näthe der Schildchen scharf ausge- prägt und mehr in dem Charakter der Näthe anderer Theile. C. Dem eben beschriebenen Stück ist ein anderes sehr ähnlich, aber kaum den 4ten Theil so grofs. Die Stücke Z und C sind etwas dicker als der Bruchrand von 4, den Zacken gegenüber. über fossle Panzerfragmente. 313 8 D. Noch sind 4 Fragmente vorhanden, von denen keins, eben so wenig wie 3 und C von dem Rand eines Panzers abgebrochen scheint oder Zacken hat. 2 von diesen Stücken sind dicker und gröfser, Bund C mehr ähnlich. Die kleineren haben dagegen gröfsere Ähnlichkeit mit dem von Hrn. W. Taf. I. Fig. 5. abgebildeten Stück, nur sind die Disken kleiner bei ungefähr gleicher Gröfse der Skutula selbst. Diese sind unregelmäfsig 4 und 5seitig. Von den Löchern zwischen den Disken laufen Furchen gegen den äufseren Rand, welche in demselben Kerben zurücklassen. E. Ist auch ein Stück von dem Rand selbst, fast 6 Zoll lang und 5 hoch. Es befinden sich daran 2 Zacken und in der nächsten Reihe über diesen liegen 4 Schildchen, in den beiden folgenden 5 und über diesen, ge- rade über dem 3ten oder mittleren, ist noch ein Schildchen. Dies Stück zählt also, die Zacken eingerechnet, in seiner gröfsten Höhe 5 Schildchen. Die beiden Zacken liegen zwischen dem 1 und 2ten und dem 2 und ten Täfelchen, wenn man von links nach rechts zählt. Es könnte dies Stück nach der Gröfse seines Getäfels und der Zacken an das rechte Ende von dem mit 4 belegten Stück gehört haben. Doch ist zu erwägen, dafs, wenn man dieses Fragment mit den Zacken nach sich, dem Beschauer, gekehrt be- trachtet, die Richtung der Zacken selbst von rechts und oben nach links und unten geht. Freilich ist diese Richtung weniger von der senkrechten abweichend als bei den Stücken, wo die entgegengesetzte Richtung obwal- tet. An den Tafeln dieses Stücks sind die Vertiefungen, die ich später un- ter dem Namen von Skulpturen näher bezeichnen werde, vorzüglich scharf und deutlich. An den Zacken bemerkt man Rauhigkeiten, nicht blos an der äufseren Seite, sondern auch innen, also fast in ihrem ganzen Umfang, nur nicht da, wo sie sich unter einander und mit den benachbarten Tafeln vereinigen. F. Ein anderes Stück (94 1., 7’ h.) auch zum Rand gehörig, ist etwas dicker als die übrigen, indem es, wie das von Hrn. W. auf der 2ten Tafel Fig. 7. abgebildete, incrustirt ist. Man unterscheidet die einzelnen Tafeln und ihr Gepräge nicht mehr deutlich, am Rand sind aber 7 etwas kleinere Zacken vorhanden, als bei E, deren Richtung von oben und links nach un- ten und rechts geht. Über den Zacken verläuft eine Reihe von 74 4 und öseitigen Schildchen. In der gröfsten Höhe bemerkt man 8 Reihen dersel- ben. Der obere Rand ist nach innen umgebogen und demselben zunächst 374 DALTON an der inneren Fläche ein seichter Halbcanal vorhanden. Doch scheint diese Biegung Wirkung der Zerstörung vor der Petrefaction zu sein und ist nir- gends ein Bruch oder Trennung der Näthe wahrnehmbar. G. Auch ein kleines Randstück mit 3 Zacken, die auf einem niedri- gen Bogen stehen. Über diesen liegt ein Schildchen der nächsten Reihe mit den Fragmenten zweier anderen. Die Gröfse und Richtung der Zacken ent- spricht dem linken Theil des Stückes A. H. Ein Stück, dem Anschein nach, mitten aus dem Panzer, daher ohne Zacken oder freien, unversehrten Rand, ist auch stark incrustirt, —- Spannen lang, 1 hoch. Es zeigt 2 Öffnungen, die durch die ganze Dicke gehen, die gröfsere hat eine schiefe Richtung und läuft auf der inneren Fläche des Knochen in eine Furche aus, die hart neben der inneren Mündung des kleineren Lochs vorbeigeht. Es folgen noch 3 Stücke, die sämmtlich am Rand gelegen haben und mit Zacken versehen sind, aber ihre Zacken sind weit gröfser, als die der bisher beschriebenen Stücke. An dem ersten 7. (das wieder in 3 zerbrochen ist) springt ein Zacken scharf und spitzig vor, wie bei Fig. 2. Taf. I. der rechte. Der andere Zacken, wie das ganze Stück, hat eine ziemlich dicke Kruste. Auch bei diesen Zacken geht die Richtung von rechts und oben nach links und unten. Über den beiden Zacken und einem Stück, das wie der Rest eines 3ten aussieht, bemerkt man ein Getäfel von 2 Reihen, in je- der 3 Schildchen und über diesen die Spuren zweier anderen. Diefs Stück unterscheidet sich von den anderen dadurch, dafs an ihm die Schildchen mit der Entfernung vom Rand merklich an Gröfse abnehmen; die Zacken sind viel gröfser als die 2te Reihe, diese gröfser als die 3te etc. Die Tafeln der 2ten und 3ten Reihe sind 6seitig. Von den beiden anderen Zackenstücken, die das mit einander gemein haben, dafs ihre Zacken viel gröfser sind und abgestumpfte Spitzen tragen, ist das gröfsere, Ä, gleichsam mit einer Borke überzogen, halb erdiger, halb sinterarliger Natur. Dies Stück war auch in 2 zerbrochen und ist an dem mit 4 Zacken versehenen Rand beträchtlich dick und schwerer als die ande- ren. Seine Länge mifst 9 Zoll, die Höhe 5; die Zacken zeigen sich denen in Fig. 3. Taf.I. abgebildeten ähnlich. Ihre Spitzen ragen aber nicht über den Rand weg, wenn man das Stück auf diesem so aufrichtet, dafs die innere und äufsere Fläche eine senkrechte Richtung bekommen, sondern die Achse über fossle Panzerfragmente. 375 der Zacken, die man sich von der inneren Fläche des ganzen Stücks durch die Spitze gehend vorstellen mufs, trifft unter einem rechten Winkel auf diese innere Fläche. Von den 4 Zacken ist die letzte nach rechts die gröfste, ihre Basis 5seitig, so wie die ihrer Nachbarin. Ihr Längendurchmesser (nach der Richtung des Randes) ist 1 Zoll 9 Linien, die Höhe vom unteren freien Rand zum gegenüber gelegenen Winkel, in welchem die beiden oberen Sei- ten zusammentreffen, 2 Zoll. Die Dicke von der inneren Fläche zur Spitze beträgt 1 Zoll 74 Linien. Die anderen Zacken sind schmaler, kürzer, auch niedriger und besonders an der ersten (linken) die Spitze minder vorsprin- gend. Die Zacken bilden fast 4seitige Pyramiden mit 2 längeren und 2 kür- zeren Seiten. Die Zackenstücke liegen so dicht nebeneinander, dafs der Rand selbst glatt und geradlinig erscheint, da die Spitzen nicht in dem Rand, sondern auf der äufseren Fläche liegen. An den früher abgebildeten Stücken bilden die Zacken noch einen stumpfen Winkel an dem unteren Rand. Über den Zacken unterscheidet man an dem höchsten Theil des Stücks 3 Reihen weit kleinerer Täfelchen, an dem niedrigeren nur 2; sie haben eine unre- gelmäfsige 4seitige Gestalt. Auch dies Stück ist von 2 Öffnungen durch- bohrt. Es verdient noch besonders erwähnt zu werden, dafs an dem Rand des Stücks, woran die Zacken sitzen, eine beträchtliche Krümmung sich zeigt und an der inneren Fläche eine Concavität bildet. Die 4 Rand- oder Zacken- tafeln haben in dieser Gegend, wenn man die Sehne des Bogens, den sie beschreiben, mifst, zusammen die Länge von 5 Zoll und die gröfste Höhe des Bogen, von der Sehne aus bestimmt, welche unter dem 3ten Zacken sich erhebt, ist fast 13 Linien. L. Das kleinere Stück (14 Zoll lang, fast 34 hoch) ist zwar weniger inerustirt und daher die äufsere Oberfläche reiner, deutlicher, aber von den 3 Zacken ist der mittlere zerbrochen und die darüber ausgebreitete zweite Reihe der Schilder geknickt. An der inneren Oberfläche scheinen Frag- mente anderer Schildchen angeklebt. Die 3 Zacken ähneln im Wesentlichen den unter X bezeichneten d.h. die Zacken stehen auf der äufseren Fläche, nicht auf den Rand und dieser ist beinahe eben. Der Rand des mittleren Zacken, welcher zum unteren freien Rand des ganzen Stücks gehört, ist bauchig und daher bemerkt man zwischen diesem Stück und den beiden Nachbarn ein Paar schr stumpfe Winkel. Die Zacken selbst sind etwas nie- driger und schmaler als beim vorigen Stück. Über ihnen sieht man die 376 DALTON Reste einer 2ten Schildreihe, die theils verschoben, theils verstümmelt sind und also keine genaue ‚Kenntnifs ihrer Gestalt geben. Sie gehören zu 4 Schildchen der 2ten Reihe und über denselben ist noch ein Stückchen einer 3ten. Die Dicke dieses ganzen Stücks ist wohl ebenso beträchtlich als beim vorigen. Um mir eine Vorstellung von dem Raum zu verschaffen, welche die unter 4 bis Z geschilderten Stücke bedecken könnten, schob ich sie zusam- men, so gut es gehen wollte und ohne Rücksicht darauf, dafs die meisten Stücke weder je wirklich zusammen gepafst, noch sich einiger Mafsen wohl an einander fügen liefsen und sah dadurch eine Figur entstehen, fast 4seitig von Gestalt, 24 bis 26” lang, 19 bis 20 hoch. Dabei konnte es natürlich nicht fehlen, dafs dicke Stücke neben dünne zu liegen kamen und zwischen den einzelnen Fragmenten gröfsere und kleinere Lücken blieben. Dieser Ver- such ist auch nicht ungeeignet sich die fehlenden Stücke in Gedanken zu er- gänzen um dadurch.die Übergänge von den verschieden geformten und un- 8 gleich dicken Stücken herzustellen. Zweiter Abschnitt. Von den Panzern der lebenden Gürtelthiere. Die hier mitzutheilenden Beobachtungen über die Schale der Gürtel- ihiere betreffen blos den Schulter- und Hüftpanzer, da nur diese zur Ver- gleichung mit den eben betrachteten fossilen Stücken passend scheinen. Die Bildung des Kopfschildes und der Gürtel übergehe ich, weil ich mich sonst ohne Gewinn für die nachstehenden Betrachtungen zu weit verbreiten würde. Während ich mit der vorliegenden Arbeit beschäftigt war bot: sich mir zufällig auf dem Arbeitszimmer des zoologischen Museums die erfreuliche Gelegenheit dar an der etwas beschädigten Schale eines Dasypus niger den Bau der Panzer und ihrer Schildchen genauer zu untersuchen. Gerade das Schadhafte an dieser Schale begünstigte meine Nachforschungen und was ich schon früher an ausgestopften Thieren dieser häufiger vorkommenden Art mehr vermuthet als wirklich beobachtet hatte, konnte hier klar wahrgenom- men werden. Viele Schildchen vom Schulterpanzer des in meinen Händen befindlichen Exemplars waren ausgebrochen und vom Panzer der Hüftgegend hatte eine grofse Stelle die Epidermis verloren. An den dadurch entblöfsten über fossle Panzerfragmente. 377 knöchernen Schildchen nahm ich einige Eigenthümlichkeiten wahr, die für die Vergleichung mit den fossilen Panzerstücken gewils von gröfster Bedeut- samkeit sind. Ich werde diesen Bau daher ausführlicher beschreiben und die anderen Dasypus- Arten alsdann mit wenigen Worten beseitigen. Alles, was sich auf den Dasypus niger bezieht, habe ich auf der ersten Tafel durch Fig. 8. 9. 10. und 11. zu erläutern gesucht und gehören sämmtliche Figuren dem Hüftpanzer an. Fig.8. 9. und 10. stellen die knöchernen Schildchen allein dar, Fig. 11. giebt zugleich den Überzug von der Oberhaut. Fig. 8. ist das Stück aus der Mittellinie, welches gerade über der Wirbelsäule liegt und die erste oder oberste Reihe der Schildchen folgt unmittelbar auf den letzten Gürtel oder gehört noch zu diesem selbst, wenn man erwägt, dafs dieselbe, da wo sie auf der linken Seite in den Bauchrand des Panzers aus- läuft, gleich den vorstehenden Gürteln, von dem übrigen mehr nach hinten liegenden ungekerbten Rand gesondert erscheint. Man sieht an dieser ober- sten Reihe 3 Schildchen, von denen die beiden nach links befindlichen ziem- lich genau 4seitig sind, das rechte (dritte) dagegen ist durch Abstumpfung der einen oberen Ecke öseitig geworden. Die Schildchen der 2ten Reihe sind eigentlich schon alle 6seitig, doch mit vorherrschender Gröfse der Seiten, welche an der ersten Reihe die Quadrate umschreiben. Die 3te Reihe hat noch entschiedenere öseitige Schildchen und ist zwischen dem 2ten und 3ten Stück ein kleines schmales längliches 5seitiges Täfelchen eingeschoben. Die 4te und te Reihe enthalten Schildchen, die völlig und zwar regelmäfsig ösei- tig sind. — Man sieht an dieser Figur, wie mannigfaltig die Gestalt der Schildchen auf einem kleinen Raum am Panzer sein kann und dafs bei dieser Species von Gürtelthier daher auf die Form kein grofses Gewicht zu le- gen ist. Fig. 10 ist eine Stelle von demselben Panzer, 1-- Zoll weiter hinten und hat ihren Platz rechts neben der Mitte. Die schiefe Stellung dieser Fi- gur ist nicht willkührlich noch zufällig, sondern der Natur getreu, indem nämlich bei den mehr nach vorn und in der Mitte gelegenen Schildchen die seitlichen Begrenzungslinien fast mit der Medianlinie parallel verlaufen nei- gen sie sich weiter hinten und nach der Seite zu (convergiren). Gegen den Ausschnitt für den Schwanz werden alle Stücke kleiner und bis zu diesem selbst zählt man von der 3ten der hier dargestellten Reihen noch 5 kleinere. Die Schildchen der beiden oberen Reihen dieser Figur zeigen eine ziemlich Phys. Abhandl. 1833. Bbb 378 DALTON regelmäfsige 6seitige Gestalt, die der 3ten Reihe sind unregelmäfsig und an dem links gelegenen unterscheidet man: 7 Seiten, am rechten 6, aber von sehr verschiedener Länge und dieser entsprechenden Winkeln. Betrachtet man die äufsere Oberfläche der in Fig. 8 und 10 abgebilde- ten Schildchen näher, so erkennt man daran mehrere eingegrabene Linien, welche hier, wie bei den fossilen Stücken einen mehr in der Mitte gelege- nen, gröfseren, platten Raum von dem Rand absondern. Dieser mittlere Raum ist fast oval, doch nicht völlig, da sein Contour von mehreren gera- den Linien, die sich unter stumpfen Winkeln vereinigen, umzogen ist. Diese Linien fangen in der Nähe des hinteren Rands des Schildchens an, doch im- mer etwas entfernt von ihm und.an einigen Schildchen kann man wahrneh- men, dafs ein seichter Eindruck mit diesem Rand parallel geht und von dem- selben die genannten Linien gegen die Seitenränder und nach vorn verlaufen. Von diesen das Mittelfeld begrenzenden Linien gehen andere gegen die seit- lichen Ränder und den vorderen und da, wo sie abgehen sind deutliche Öff- nungen in dem Knochen zu sehen. In diesen Öffnungen stecken Haare, wie ich durch Herrn Lichtenstein aufmerksam gemacht, an verschiedenen Stellen beobachtet habe. Solcher Öffnungen habe ich an manchen Täfel- chen nur 4 gezählt, an anderen 5, 6, 7 bis S. An dem mittleren gröfseren Feld der Schildchen sieht man viele kleinere Öffnungen. Ich werde alle die Ungleichheiten an der äufseren Fläche der knöchernen Tafeln Skulpturen nennen. Man sieht schon aus der Vergleichung meiner Abbildungen mit denen von Hrn. Weifs welcher Grad von Ähnlichkeit zwischen dem Getäfel der Panzer des schwarzen Gürtelthieres und den fossilen, der grofsen Differenz des Umfangs ungeachtet, obwaltet. Sie sind sich nicht blofs in der äufseren Gestalt, sondern selbst in Beziehung auf die Skulpturen verwandt. Fig. 9 stellt einen Theil vom Panzer der Croupe, links neben der Mit- tellinie und zwar von der inneren den Muskeln zugewendeten Fläche, .dar. Das Schildchen a ist nur noch um 3 Reihen vom hinteren Rand des Panzers entfernt, liegt also, von hinten gezählt, in der 4ten Reihe. Alle Stücke sind an dieser Seite glänzend und glatt, sie haben ziemlich in der Mitte ihrer Fläche ein einziges Loch. Die Dicke der Knochenstückchen am Schulter- panzer beträgt — Linien. Weder der Brust- noch der Hüftpanzer haben an über fossile Panzerfragmente. 379 ihren Rändern zackige Vorsprünge, sondern die Schilder sind am Rand glatt und nicht gesägt. Es wurde mir bei der Betrachtung der von der Oberhaut entblöfsten Schildchen bald klar, dafs zwischen ihnen und dieser eine besondere und ei- genthümliche Beziehung statt haben müsse. Ich habe diese auch ohne Mühe aufgefunden und theile sie mit, da sie nicht blofs an sich und rücksichtlich der Systematik interessant ist, auch Vermuthungen über die fossilen Schil- der unterstützt. — Bei D. nıger verhält sich die Epidermis zu den Knochen zum Theil so, wie bei den Schildkröten der Padd zu den knöchernen Schil- dern, indem viele Stücke der Epidermis über die Näthe der Knochen gehen und deren eigene Näthe auf der äufseren Oberfläche der letzteren verlaufen, woselbst sie durch Vertiefungen angedeutet sind. Um dies zu verstehen sehe man die 1fte Figur der 1sten Tafel, welche viermal die natürliche Gröfse ausmacht. a entspricht dem mittleren Feld des knöchernen Schildchen, welches in Fig. 10 gleichfalls mit a bezeichnet, aber nur angedeutet ist. Dies Feld wird von einem eigenen, 7seitigen Stück der Fpidermis bedeckt, wel- ches ihm ganz entspricht an Gröfse und Gestalt. Um dies Stück der Epi- dermis herum liegen 6 bis 8 kleinere Stücken von verschiedener Gestalt. Diese (letzteren) Stückchen oder Oberhaut-Schildchen ruhen zum Theil auf dem Knochen a, zum Theil auf den benachbarten, 2, c, d, e, f, g, und mehrere nicht blos auf 2 Knochen, selbst noch auf einem 3ten. Das mit 1 bezeichnete Schildchen z.B. liegt auf dem Knochen a, aber auch auf den beiden anderen, die sich mit seinen vorderen Seiten vereinigen (nämlich 2 und c), so geschieht es auch bei den Schildchen 2, 3, 4, 5 und 7, dafs sie sich über 3 Knochen ausbreiten, nur 6 gehört blos 2 Knochen (a und d). An der Stelle, wo je 2 Schildchen vom Rand mit dem Mittelschild zusam- mentreflen ist eine Öffnung im Knochen, aus welcher, wie gesagt, ein Haar hervorkömmt. Nur wo das 5te und 6te Stück sich berühren ist kein Loch. Man erkennt aus dieser Darstellung, dafs die Oberhaut des Hüftpanzers von D. niger aus Rosetten besteht, die ein mittleres gröfseres Schildchen und um dieses herum 6 bis 8 kleinere haben. Das mittlere Schildchen entspricht dem Diskus eines Knochen und die umgebenden dessen Rand. Sind nur 6 Randschildchen da, so fehlt das Stück Nr.6; 5 und 7 werden dann so grofs, dafs sie sich berühren; sind dagegen 8 vorhanden, so schiebt sich auf der anderen Seite zwischen 2 und 3 (die kleiner werden) ein Stück, gleich Nr. 6, Bbb2 380 DALTON ein. Die Rosetten mit 8 Randschilden lieger vorn und oben am Panzer, wo er sich mit den Gürteln verbindet, jene mit 6 Schilden gegen den Bauch- rand, besonders am llüftpanzer. Wo die Rosetten 8 Felder um das mittlere zeigen, sind die am Rand so vertheilt, dafs 3 gröfsere vorn und ebenso viele hinten liegen und zwischen sich auf beiden Seiten ein kleineres einschliefsen. Mit dieser Beschreibung des D. niger stimmt die von Azara(!) ganz überein. Er sagt „der Hüftpanzer besteht aus 2 Arten von kleinen Schuppen (croittes) oder Stückchen; die gröfsten unter denselben sind 24 Linien lang, 1-4- breit und oval, doch ist der Contour nicht ganz rein. Sie sind etwas gröfser als die anderen und in Reihen gestellt, welche mit dem vorderen Rand des Panzers selbst parallel laufen. Die einzelnen Schuppen sind von einander entfernt und die Zwischenräume zwischen ihnen (den gröfsten Stü- cken an diesem Panzer) so wie jene, zwischen den Reihen, welche sie bil- den, werden durch kleinere unregelmäfsige Schildchen ausgefüllt, so dafs jedes von den gröfseren Schildchen (von den 2 Arten, welche zum Hüftpan- zer gehören) von einem Ring umgeben ist, gebildet durch andere kleinere Schildchen. — Der Schulterpanzer ist aus einer regelmäfsigen Mosaique gebildet. Die beiden Panzer (der Schultern und Hüften) haben unmittel- bar an den Gürteln einen Rand, welcher diesen selbst sehr ähnlich ist.” — Man sieht dafs Azara hier, wie an anderen Orten, nur von der Epidermis und nicht von ihrer knöchernen Unterlage spricht und sich um die Skulptu- ren der Knochentafeln nicht weiter bekümmert. Nach der vorstehenden Beschreibung erscheinen die Skulpturen beim schwarzen Gürtelthier im Wesentlichen ganz übereinstimmend mit denen der fossilen Panzerfragmente, besonders mit denen der Fig. 1. 4. und 5. der Ab- handlung von Hrn. W. Auch hier besteht jedes Täfelchen auf seiner oberen Fläche aus einem Diskus (Mittelfeld) und dem umgebenden Rand und zwi- schen beiden sieht man einzelne Öffnungen, die bei D. niger Haare durch- lassen. Bei dem letzteren sind nur die Disken dem hinteren Rand der Kno- chentafel mehr genähert und stehen weniger erhaben, als bei einigen fossilen Stücken. Die Gestalt der Tafeln ist beim lebenden Thier, wie beim fossilen, sehr verschieden, 4, 5, 6 und 7seitig oder unregelmäfsig. Die fossilen Frag- (') Essais sur Uhistoire naturelle des Quadrupedes de la Province du Paragay tra- duits par Moreau-Saint-Mery. Tom. I. pag. 175. über fossle Panzerfragmente., 381 8 mente sind an ihrer inneren Fläche (Fig. 6.) mit mehreren kleinen Öffnungen versehen, beim schwarzen Gürtelthier aber nur mit einer einzigen. Aufser den unter Fig. 1. 4. und 5. abgebildeten fossilen Stücken sind noch mehrere andere vorhanden z.B. Fig.2. 3. und 7. und die, welche ich unter den Rubriken 4, E, F,G, TI, K und Z des vorigen Abschnitts be- schrieben, welche sämmtlich den Rand mit Zacken besetzt haben. Für diese Zacken sind bei D. niger keine Analogien zu finden, indem wie erwähnt die Panzer am Rand ungezackt erscheinen. Für die Zacken lassen sich aber bei anderen Arten des Genus Dasypus die analogen Bildungen entdecken und zur Erläuterung dieser Ähnlichkeiten sollen Fig. 12,13, 14 und 18 der ersten Tafel dienen. Fig.12 und 13 sind Theile von der Schaale eines Dasypus mit 6 Gürteln (vielleicht Tatou Poyou Az., obgleich dieser ihm 7 Gürtel giebt, nachdem er vorher noch (p. 130.) gesagt, dafs er auch Individuen mit 6 Gürteln gesehen). Es ist zu bemerken, dafs in beiden Figuren, wie in der folgenden und 1Sten, diejenigen Schildchen, welche noch einen Überzug von der Epidermis oder Horn tragen, einen bräunlich rothen Ton erhalten haben, diejenigen aber, welche diesen Überzug entbehren, wo also der Knochen frei liegt, blos im Contour dargestellt sind. Fig. 12 stellt ein Stück vom hintern Rand des Hüftpanzers, nächst dem Schwanz, dar; a ist, von der Mitte des Schwanzausschnitts gerechnet, das 5te Stück vom Rand. Die Knochentafeln haben hier weniger das Aussehen solider Knochenmasse, als sie vielmehr verknöcherten Knorpeln ähnlich sind. Sie haben keine schar- fen Näthe zwischen sich, sondern eine hautartige Substanz. Die meisten Schildchen sind 4seitig, einige auch 5seitig, selbst unregelmäfsig 6seitig. Auch hier sieht man in den Täfelchen Öffnungen, ob für Haare wage ich nicht zu entscheiden, da in dem sehr stark behaarten Exemplar des Museums die Haare zwischen den Knochenschildern zum Vorschein kommen und wo die Epidermis vollständig war und keine Knochen blos lagen, liefs sich nicht über die Stelle urtheilen, wo die Haare hervorkommen könnten. Der ganze Rand des Beckenpanzers, von der Stelle an, welche an den letzten Gürtel stöfst, ist mit Zacken versehen, von denen ein jeder von einer eigenen Tafel gebildet ist. Diese Zacken sind platt, mit der Spitze nach hinten und un- ten gerichtet. Die Dicke der Knochentafeln ist nur mäfsig. Die Epidermis bildet bei diesem Dasypus keine Rosetten, sondern besteht zwar aus mehre- ren Stücken für ein Stück des Knochen, aber so, dafs sie nicht über die 382 DÄALTON Näthe von einem Knochen zum anderen reicht. Von den Stücken der Epi- dermis, welche hier wie eine dünne Hornlamelle aussieht, ist das hintere am gröfsten und dreilappig, an dieses schliefsen sich vorn und zu beiden Sei- ten kleinere Schüppchen, 2, 3, 4 bis’5, welche sich gegenseitig und das hin- tere Stück mit ihren Rändern ein wenig bedecken. Die Zacken am Rand haben, aufser den dem Gürtel zunächst liegenden, eine einfache glatte Epi- dermis, wie z.B. der mit a bezeichnete Zacken. Am Brustpanzer, wovon Fig. 13 ein Stück des rechten Seitenrandes abbildet, kann man keine Zacken wahrnehmen. Die Randtäfelchen sind schmal, länglich, liegen ziemlich in einer Reihe und haben eine einfache Bedeckung von der Epidermis. Hier sieht man nächst dem Rand mehrere 5 und Ööseitige Schildchen. Als ein Beispiel von einer Bildung, die der des gezackten Randes zu- nächst steht, kann die Fig. 14 abgebildete betrachtet werden. Sie stellt ein Stück vom Hüftpanzer über und etwas hinter dem linken Hinterfufs dar und zwar von einem jungen Exemplar des D. grandis. Die Zacken am Rand sind schwach und werden gegen den Schwanz noch mehr unbestimmt. Die Schildstücke erscheinen auch hier, bei einem jungen Thier, mehr noch wie in Knochen übergegangene Knorpel und zwischen ihnen ist eine breite Zwi- schenlage. Die meisten Knochenstücke sind länglich 4seitig, auf dem Rücken und der Croupe sind auch viele 5 und öseitig, auf letzterer findet man die gröfsten Stücke, wie schon Azara pag. 137. bemerkt, nämlich „von 10 L. Länge, 8% Breite, während die Gürtel nur 7L.1., und etwas über 6-- breit sind und ebenso jene der Schultern.” „Obgleich viele Stücke, fährt Azara fort, eine unregelmäfsige Gestalt haben, nähert sich diese doch gewöhnlich der 4seitigen und alle haben in der Mitte (interieurement) Streifen (raies).” Jedes Knochenstück hat nur eine einzige Decke von Horn, welche besonders am Rand des Schildes sehr dick (bei dem Panzer von einem erwachsenen Thier reichlich eine halbe Linie) und in diesem Horn befinden sich ästig ge- theilte Spalten, welche einen entsprechenden Eindruck im Knochen haben. Die Öffnungen für die Haare stehen am hinteren Rand des Stücks, nicht an der Oberfläche, und sind alle nach hinten gerichtet. Die breiten Zwischen- räume, zwischen den grofsen Horndecken der Knochenschilde sind von klei- neren Hornstücken bedeckt, von verschiedener Gestalt und Gröfse. Es ge- denkt ihrer auch schon Azara. Dadurch entsteht auch bei D. grandis eine Anordnung, die sich mit den Rosetten des D. niger vergleichen läfst. Am über fossle Panzerfragmente. 383 Rand des Schulterpanzers findet man bei dieser Art keine Zacken, die Rand- stücken sind länglich und schmal. Überhaupt liegen hier alle Stücke so in Reihen geordnet, dafs schon am Halsausschnitt die Gürtel beginnen, wenn sie auch noch unbeweglich sind, und bis zum Schwanz reichen. Die eigent- lichen Gürtel, d.h. die beweglichen, unterscheiden sich nur eben durch die aus der Beschaffenheit der sie verbindenden Haut hervorgehende freie Be- weglichkeit; sonst haben sie (die beweglichen Gürtel) hier ausnahmsweise gegen mehrere andere Arten, oben auf dem Rücken kleinere Schildchen als die beiden grofsen Panzer. Es zeichnen sich daher die wirklichen Gürtel nur gegen den Bauch hin entschieden von den Reihen des Schulter- und Hüftpanzers aus. Betrachtet man das Thier aber von oben, längs der Wir- belsäule mit dem Auge hinstreifend, so bleibt man zweifelhaft, wo die Gür- tel ihren Anfang nehmen. Die beiden angeführten Beispiele von dem Vorkommen eines zackigen Panzerrandes bei den lebenden Gürtelthieren bezogen sich nur auf den Hüft- panzer. Ich kann glücklicher Weise auch ein Beispiel beibringen, wo die ganze Schale, an den Schultern, wie an den Hüften, und selbst die unteren Enden der Gürtel, mit Zacken versehen sind. Fig. 18. ist eine Abbildung von dem ganzen Rand der rechten Seite des Schulterpanzers eines kleinen Dasypus, dessen Skelet und Schale das anatomische Museum aufbewahrt. Er kömmt nach der gefälligen Bestimmung des Herrn Lichtenstein fast ganz mit dem D. villosus Illig. oder Taton velu Az. überein. 1 bis S sind die Randschilder, die, wenn auch nicht in regelmäfsiger Progression, von vorn nach hinten an Gröfse zunehmen; 8 ist bei weitem am gröfsten. So weit man in dem durchscheinenden Hornüberzug die knöcherne Basis die- ser Zacken unterscheiden kann, ist sie nur wenig kleiner als dieser. Die Zacken sind platt, nach der inneren Fläche umgebogen, aufsen convex, in- nen concav und decken sich an der Spitze ein wenig. Hinter 8 liegt der erste Gürtel. Man zählt hier deutlich 7 bewegliche. Das sich vor 1 be- findende kleine Stück gehört schon zum Halsausschnitt. Charakteristisch ist um wie viel gröfser die Hackenschildchen sind als die beiden näch- sten Schildreihen. Auch diefs erinnert an eins der fossilen Stücke. Weit gröfser als die beschriebenen Zacken sind jene, welche durch die letzten Täfelchen jedes Gürtels gebildet werden. Ich will auch noch erwähnen, dafs die Schale am Hüftpanzer, zunächst dem Schwanzausschnitt, sehr dick 384 DALTON ist und dort (vielleicht der Stellung der Sitzbeinhöcker entsprechend) zwei Vorsprünge an der inneren Fläche hat, ähnlich denen der Schildkröte, ver- möge deren sich Rücken- und Bauchschild verbinden. Die zur Diagnose des D. »illosus von Azara (pag. 167.) benutzte Zackenbildung kommt nach demselben Autor auch seinem Tatou Pichiy, D. quadrieinctus zu. Er sagt van ihm pag. 194. ausdrücklich, dafs der Hüft- panzer und die Gürtel wegen der daran vorhandenen Spitzen (die er mit den Zähnen der Thiere vergleicht) denen des Tatou velu ähnlich wären. Auch scheint nach seiner Beschreibung des Schulterschildes, obgleich es nicht be- stimmt angegeben wird, dafs auch dieses einen zackigen Rand hat. — Wir hätten also dadurch 2 Arten mehr gewonnen zur Vergleichung für die fossi- len Zackenstücken. Es bleibt mir jetzt noch ein Stück einer Schale zu erwähnen übrig, das in Rücksicht seiner Dicke und wegen der gröfseren Zahl von Öffnungen an seiner inneren Fläche sich mit mehreren fossilen Schildern sehr wohl ver- gleichen läfst. Es ist in den Fig. 15, 16 und 17 abgebildet und gehörte ehe- mals zur Königlichen Kunstkammer, wird aber jetzt im zoologischen Mu- seum verwahrt und besteht nur aus dem vollständigen Schulterpanzer und dem ersten Gürtel. Aus diesen Theilen läfst sich nicht wohl ermitteln, welcher Art von Gürtelthier es angehört haben dürfte. Fig. 15 stellt einen Theil vom Halsausschnitt vor; die 3 kleinsten, oberen und vorderen Stücke liegen im Rand und sind dseitig. Diesen folgen öseitige, die breiter als lang sind. Es lassen sich, den Rand ausgenommen, nur 3 Reihen Schilde zäh- len; die folgenden Reihen sind nicht mehr vollständig oder vielmehr durch eingeschobene Stücke oder kleinere Reihen auseinander geworfen. Alle Schildchen dieser Figur, so wie der 16ten (welche die linke vordere Ecke desselben Panzers nachbildet, wo der Halsausschnitt sich mit dem Seitenrand vereinigt und die Randschildchen unmittelbar ineinander übergehen) haben äufserlich ein stark granulirtes Aussehen und die Rauhigkeiten springen sehr deutlich über die Oberfläche vor. Zwischen den Höckerchen sieht man kleine Öffnungen, ungleichmäfsig verbreitet. Andere gröfsere Löcher befin- den sich an dem Rand der einzelnen Tafeln und aus diesen ragen an ver- schiedenen Stellen des Präparats derbe Haare hervor. Auch diese Öffnun- gen sind unregelmäfsig zerstreut, gröfser oder kleiner. An der unteren Fläche der Schildchen (Fig. 17, wo a dem Schildchen a der 15ten Figur ent- über fossile Panzerfragmente. 385 spricht) gewahrt man an jedem einzelnen Täfelchen einige Öffnungen von ungleicher Gröfse und an verschiedenen Stellen. Man sieht auch hier, dafs die Stücke fest aneinander sitzen und durch Näthe verbunden sind. Dieser Panzer war vorn durchbohrt und an dem Loch, welches den mittleren Schild des Randes und die beiden dahinter liegenden trifft, läfst sich die Dicke sehr wohl messen. Sie beträgt 4 Linien und die Breite der beiden anderen durch- bohrten Stücke, also ihr gröfster Durchmesser, nur eine Linie mehr. Es ist demnach die Dicke dieses Panzers verhältnifsmäfsig noch stärker, als jene der dicksten Stellen bei den fossilen Stücken, da hier vorzugsweise die Zacken oder Randstücke die gröfste Dicke darbieten. Halten wir nun diese fossilen Panzerstücke mit denen der lebenden Dasypus- Arten zusammen, so sieht man leicht ein, dafs sich für alle Eigen- schaften der ersteren bei diesen die entsprechenden Bildungen finden, nur mit dem Unterschied, dafs, wie aus dem Sellowschen Bericht erhellt, alle fossilen Stücke von einem und demselben Thiere herrühren, dagegen die Eigenschaften derselben nicht alle in einer lebenden Art beisammen gefun- den werden. Die meisten der fossilen Schildcehen, die von dem Rand wei- ter entfernt waren, z.B. die unter Fig. 1, 4 und 5 von Hrn. W. abgebildeten und mehrere oben beschriebene zeigen die gröfste Ähnlichkeit mit den Schild- chen vom schwarzen Dasypus und daher steht zu vermuthen, dafs die Epi- dermis des Dasypus der Urwelt (man gestatte mir der Kürze wegen vorläufig diesen Namen), wie jene des D.niger, ein von der Eintheilung der Kno- chenschilder abweichendes Getäfel dargestellt habe und zwischen den Schup- pen der Oberhaut starke Haare vorhanden gewesen seien. Die Stücke, welche zum Rand gehörten und Zacken haben werden am füglichsten mit denen von D. Poyou? (Fig. 12 unserer ersten Tafel) ver- glichen und bei D. grandis erscheint eine sich annähernde Bildung. Da nun ferner der Brustschild von D. villosus (Fig. 18.) auch mit Zacken versehen ist, ebenso die beweglichen Gürtel und etwas Ähnliches nach Azara’s An- gabe von seinem Tatou Pichiy gilt und bei allen Thieren, wo wir solche Zacken gesehen, diese von oben und vorn nach unten und hinten gerichtet waren — so kann man annehmen, dafs einige von den fossilen Panzerstücken der rechten Seite des Thiers angehört haben, andere der linken. Zur lin- ken Seite würden dem gemäfs die Stücke zu rechnen sein, wo, wenn der Beschauer die Zacken der Schilder gegen sich selbst kehrt, die Richtung der Phys. Abhandl. 1833. Cce 386 DALTON Spitze nach rechts und unten geht; also das Stück 4 (von dem schon Sel- low anführt, dafs es wahrscheinlich dem vorderen unteren Theil der linken Seite angehört habe) ferner F und G. Zur rechten Seite hätte man die Stücke zu zählen, wo die Spitze die umgekehrte Richtung nach unten und links zeigt, nämlich die Stücke Z und 7. Die beiden anderen Zackenstücke X und Z zeigen keine entschiedene Neigung der Zacken, weder nach rechts, noch nach links, dürften daher der Gegend in der Mitte des Körpers zukom- men und vielleicht ist es nicht zu viel gewagt das Stück / wegen seiner star- ken Krümmung in die Nähe des Schwanzes zu versetzen. Die geringe Krümmung der anderen Panzertheile anlangend, so deucht es mir nicht räthlich daraus Berechnungen für die Gröfse des ganzen Thiers anzustellen, wie Herr Sellow gethan, dessen Gröfsenangabe an sich mir demungeachtet nicht verwerflich dünkt. Ich habe nämlich gesehen, dafs die ganze Schale von D. grandis, welche das zoologische Museum conservirt, ziemlich abgeplattet ist, gewifs weit mehr, als die natürliche Wölbung auf dem Rücken des Thiers beträgt, und habe auch im Gegentheil Ursache zu glauben, dafs die Schale nach dem Tod eine gröfsere Wölbung annehmen kann, als sie im Leben gehabt, und so mit scheint mir ein Schlufs aus der Wölbung der fossilen Panzerstücke noch keine bestimmte Folgerung auf die Gröfse des Thiers zuzulassen. Denn, wie ich gesagt, können die Schil- der nach dem Leben abgeplattet werden, ohne zu brechen oder sich von einander zu trennen und dann würde man das Thier für gröfser erklären, als es war, oder bei vermehrter Wölbung der Schilder des getödteten Thiers könnte die Schätzung zu gering ausfallen. Aus den angestellten Vergleichungen folgt also, dafs die fossilen Schil- der denen am Brust- und Hüftpanzer verschiedener lebenden Gürtelthiere ähnlich sind, wenn sie auch in manchen Rücksichten von diesen abweichen. Wollte man dennoch Anstand nehmen das Thier, welches die fossilen Stücke getragen, für ein Gürtelthier zu halten, so ist darauf zweierlei zu entgegnen. Erstens haben wir nicht das ganze Skelet des fossilen Thiers erhalten und ebenso wenig seine vollständige Schale. Vom Skelet fehlen namentlich die Wirbelsäule, Rippen und das Brustbein, also gerade die Stellen, welche von den Gürteln bedeckt werden. Zweitens sind die Gürtel selbst, obschon zur Characteristik der Gürtelthiere gehörend, doch von geringerer Bedeutung über fossile Panzerfragmente. 387 8 als man sonst geglaubt und darauf hat schon Azara (!) aufmerksam gemacht. Wie sich die Gürtel zum Brust- und Hüftpanzer bei D. grandıs verhalten habe ich oben beschrieben. Aus der Vergleichung der Gröfse der einzelnen Schildchen des Panzers mit derselben bei den lebenden Dasypusarten die Gröfse des fossilen Panzers und somit seines lebendigen Trägers zu ermitteln, hat auch sein Mifsliches, da man nicht weifs mit welchem von den Gürtel- thieren man die Vergleichung anstellen soll. Wollte man es mit D. niger versuchen, der sonst am meisten geeignet erscheint, so würde das fossile Thier wohl die Länge von zehn Fufs überschreiten, mit Dasypus grandis zu- sammengehalten kaum so lang werden. Dritter Abschnitt. Von den fossilen Knochen. Die mit den oben geschilderten Panzerfragmenten später aus Brasilien gekommenen versteinerten Knochen bestehen aus einer nicht unbedeutenden Zahl von Stücken, diese sind theils Fragmente einzelner oder mehrerer Knochen zusammen, theils einzelne Knochen für sich, in besserem oder schlechterem Zustand der Conservation. Ich habe versucht aus diesen Ma- terialien eine Zusammenstellung der einander entsprechenden Theile zu un- ternehmen und auf der ersten und zweiten Tafel sieht man die Restauration der vorderen Extremität; auf der 3ten und 4ten sind diejenigen Theile von dem Hinterfufs in Verbindung dargestellt, die sich ohne Zwang zusammen fügen liefsen. Damit aber durch diese Versuche eine objective Beurtheilung nicht gehemmt werde, nenne ich in der Folge die einzelnen Stücke, wie sie mir zu Gesicht kamen, ohne der Verbindung zu erwähnen, welche mir die naturgemäfse scheint. Die Beschreibung der Gelenkflächen mag alsdann dazu (') Azara a.a.O. pag.131. sagt, nachdem er von der Verschiedenheit in der Zahl der Gürtel im Allgemeinen gesprochen und unter anderen angeführt, dals er Individuen von D.niger s. novemeinctus mit 6, 7, 8 und 9 Gürteln gesehen „‚so viel ist gewils, dals es bei jeder Art 2 Zahlen giebt, die man das Maximum und Minimum der Gürtel nennen kann, weil es deren je weder mehr, noch weniger giebt; aber zwischen diesen beiden Zahlen ist nichts Bestimmtes. Auch betrügt sich Buffon, indem er behauptet die Neugebornen hätten ebensoviel Gürtel als ihre Mutter, denn ich habe ein Weibchen vom Tatou mulet (D. au- ritus Illig.) beobachtet, welches 6 hatte und seine Jungen nur 5.” Ccc2 388 DALTON dienen die von mir unternommenen Restaurationen zu rechtfertigen. Ich will hier .noch erwähnen, dafs ich die. Bemerkung von Sellow ganz richtig finde, dafs sämmtliche Knochen zur linken vorderen und linken hinteren Extremität gehören; doch von einigen sehr verstümmelten Beinchen bleibt es unbestimmt ob sie auf der rechten oder linken Seite gelegen oder auf kei- ner von beiden. Sellow führt aufserdem an, dafs er keine Nagelglieder gefunden habe; von diesen sind jedoch die meisten und einige sehr wohl erhalten. Erstes Kapitel. Von der vorderen Extremität. Ein seltsames Stück, welches ohne Zweifel der vorderen Extremität an- gehört und aus zwei Theilen besteht, ist unter den Fufsknochen auf der 4ten Tafel Fig. 13, 17 und 18 abgebildet. Seine beiden Theile passen so zusam- men, wie sie Fig.13 darstellt. Ich halte sie für das Gelenkstück des Schul- terblattes, das noch als Epiphyse vorhanden und nur durch Knorpel und weiche Theile mit dem Hals verbunden war. Vereinigt bilden die beiden Fragmente eine Schale mit einer concaven glatten und einer convexen rau- hen Fläche. Die Ränder sind unregelmäfsig geformt und nicht überall gleich dick. Die in der 13ten Figur erscheinende Fläche ist diejenige, welche mit dem Schulterblatt verbunden war, rauh und mit vielen Grübchen und Lö- chern versehen, wie es zur Eigenthümlichkeit solcher Flächen gehört. Man bemerkt hier den Bruch, unter demselben das gröfsere Stück 4, darüber das kleinere 3, zwischen beiden fehlt ein Stückchen. Fig. 18 stellt das gröfsere Stück, von seiner unteren wenig concaven Fläche dar, welche die Gelenkfläche für den Kopf des Oberarmbeins bildete. Diese Fläche, a.a, reicht nicht ganz bis zum linken Ende -F des Knochen, wo sein dickster Theil ist (14 Linien dick). Da wo der Knochen zerbrochen ist, zeigt er die geringste Dicke, sie mifst, wo sie am beträchtlichsten ist, 7 Linien und ist aus der 17ten Figur ersichtlich, welche das kleinere Stück von dem rauhen Rand angesehen darbietet. a ist die Gelenkfläche, 2 die obere ungleiche Fläche und c die Spitze, welche in Fig. 13 mit denselben Buchstaben beschrieben ist. Wenn man die beiden Stücke, von denen wir eben gesprochen, zusammen hält und dann die Mafse nimmt, so ergeben sich folgende: die gröfste Breite von =# nach a beträgt 4 Zoll und der Durchmesser, welcher sich mit dieser über fossile Panzerfragmente. 389 fast im rechten Winkel kreuzt, von x zu z, ist 3+ Zoll. Auf der Bruch- fläche erkennt man eine reichliche Menge von diploötischer Substanz und in dieser einige gröfsere Höhlen. Diese Stücke entsprechen im Umfange der Gelenkfläche vollkommen denselben unseres Nashorn - Skelets und wenn man annimmt, dafs die dickste Stelle vielleicht zu einem Schnabelfortsatz entwickelt an Gröfse zugenommen hätte, so überträfen sie noch jenen Knochen. Tafel 1 Fig. 3 stellt ein Stück vom unteren Gelenkende des Ober- armbeins von vorn dar. Dafs es der Knochen der linken Seite gewesen ergiebt sich daraus, dafs er an die beiden Vorderarmknochen pafst. Es be- steht aus dem eigentlichen Gelenkstück, der Epiphyse 7. 4 und einem Theil vom Körper 3 mit dem äufseren Condylus. Die innere Hälfte der Epiphyse ist von der äufseren abgebrochen und man sieht daran oben einen Theil der Fläche (mit der den Epiphysen eigenthümlichen Bildung), vermöge welcher sie sich mit dem Körper verband. Innen zeigt dies Stück einen Einschnitt a, wie man ihn bei vielen Thieren unter dem inneren Condylus antrifft. Von der äufseren Hälfte der Epiphyse, die dem Kopf des Radius entspricht, ist etwas abgebrochen. Wie man aus der Abbildung ersieht hat sich also die innere Hälfte der Epiphyse «.« genau von dem ihr entgegenstehenden Theil des Körpers getrennt, ohne dafs ein Bruch entstanden, indem die Sonderung gerade an der Stelle geschehen, wo später die Verwachsung erfolgt. Wei- ter innen sieht man an der Bruchfläche, worauf die Diplo& zum Vorschein kömmt, ßß, dafs der Knochen hier wirklich in seiner Continuität verletzt ist. Unter der Bruchfläche liegt die Grube für den vorderen Rand des Ra- dius, 5, welcher bei starker Beugung des Vorderarms in sie hineinpafst. Der äufere Condylus bildet eine scharfe, doch nicht stark vorspringende Leiste. Die gröfste Breite des unteren Gelenkendes vom Oberarmbein ist 3" $” pariser Duodec. Mafs, die Dicke von dem am meisten vorspringenden Punkt der Eminent. capit. zur hinteren äufseren Hälfte der Rolle = 1” 84”; die Höhe des ganzen Stücks von der Gelenkfläche zur Spitze des abgebro- chenen Mittelstücks 3” 11”. Vom Vorderarm haben sich die beiden Knochen beinahe ganz voll- ständig erhalten. Sie sind stark im Verhältnifs zur Länge, besonders die Elle. Diese (mit den beifolgenden Figuren auf der ersten Tafel abgebildet und zwar Fig.4 von vorn, Fig.6 von der äufseren Seite) ist in ihrer ganzen 390 DALTON Länge von aufsen nach innen zusammengedrückt und das obere Gelenkende bildet mehr als die Hälfte der ganzen Länge des Knochen. Der Ellenbogen- fortsatz a ist vorzüglich stark entwickelt, oben und hinten dick, am vorderen Rand dünner und concav. Der Höcker 2 sitzt noch als getrenntes Stückchen auf und ist auf seiner Basis nach innen und oben verschoben. Der Kronen- fortsatz c erscheint schwach gegen den vorigen und springt unten wenig vor, doch ist zu bemerken, dafs hier sein Rand abgebrochen. Der grofse /för- mige Gelenkausschnitt d wird hinten, oben und aufsen von einem breiten concaven Rand eingefafst, der oben wulstig und in der Mitte nach unten umgeschlagen und aufsen scharf ist. Eine undeutliche Erhabenheit, die aus dem umgeschlagenen Theil des oberen Randes herabläuft, theilt sie in einen inneren schmaleren, d, und äufseren breiteren Theil, d’; der kleinere /för- mige Ausschnitt e e' oder die Stelle, mit welcher das obere Ende des Ra- dius articulirt, hat eine rautenförmige Gestalt und stöfst mit einem stumpfen Winkel, xx, an die eben beschriebene Gelenkfläche. Sie besteht aus 2 we- nig gegen einander geneigten Facetten, e und e’, zwischen welchen ein rau- her Eindruck, f, liegt, der nach unten über die spina ulnae läuft; vom inne- ren unteren Rand der Gelenkfläche ist etwas abgebrochen, so wie vom proc. coronoıd., unter welchem noch eine Grube zu bemerken ist. — Das Mittel- stück ist innen mehr platt, aufsen mehr gewölbt und durch einen Vorsprung ungleich. Sein vorderer Rand, k, geht, wo er sich mit dem unteren Ge- lenkende verbindet, in eine dreieckige, mit der Spitze nach oben gekehrte Fläche, z, über, der hintere Rand, /, wird unten sehr scharf und ist über der Epiphyse ausgebrochen *. Die Epiphyse selbst, m, ist niedrig, zumal vorn, aufsen convex, innen concay und hat eine ohrförmig gestaltete Ge- lenkfläche, z, (Siehe Fig. 1, die unteren Gelenkenden des Radius und der Ulna so dargestellt, dafs man auf die Gelenkflächen sieht) indem sie vorn und innen breiter ist als hinten und aufsen. Die Länge der Ulna ist 84”; die gröfste Breite unten an der /förmi- gen Gelenkfläche 2” 4”, die gröfste Breite der unteren Epiphyse (von vorn nach hinten) ebensoviel; die gröfste Breite der /förmigen Gelenkfläche (da wo sie mit der kleineren zusammenstöfst) 2” 3”; die Breite des unteren Ge- lenkendes von vorn nach hinten 2” 3”; die gröfste Breite der unteren Ge- lenkfläche 1” 34”; die Länge läfst sich nicht messen weil ein Theil abge- brochen war. über fossile Panzerfragmente. 391 Der Radius (Fig.5 von vorn, Fig. 2 das obere Gelenkende desselben von hinten, Fig. 7 dasselbe von oben) ist in 5 Stücke zerbrochen, schwächer und kürzer, aber an den beiden noch unverwachsenen Gelenkenden von be- sonderer Stärke. Der breite obere Theil, «.a oder Kopf hat am hinteren Theil seines Umfangs eine der gleichgeformten der Ulna entsprechende Ge- lenkfläche d, wovon der innere abgebrochene Theil ein einzelnes Stückchen war. Die Gelenkfläche für die Zminent. capit. am Oberarm ist in der äufse- ren Hälfte concav e.c, innen platt und nach unten gesenkt. Durch diese Neigung pafst sie in die mittlere Vertiefung, welche man unten an der Rolle wahrnimmt. Der Körper, f, ist in der Mitte am schwächsten, vorn rund, hinten platt und bestand aus 4 Bruchstücken. Wo er in das untere Gelenkende übergeht ist er am dicksten und wie dieses an der äufseren Seite, a.a, verstümmelt, wefshalb er hier nicht genau mit der Elle zusammengefügt werden kann. Die untere Epiphyse, d, ist an ihrer unteren Fläche, von hinten und oben nach vorn und unten ausgeschnitten und hinter derselben, wo sie an die hintere Fläche des Körpers stöfst, kaum 1- Linie hoch, vorn und innen aber, in der Gegend des Griffelfortsatzes über 1 Zoll. Soweit die da- durch gebildete untere Gelenkfläche, e, erhalten ist erscheint ihr vorderer Rand aufsen concav, innen convex, der innere ebenso vorn und hinten, der hintere aufsen ein wenig convex. Die ganze Fläche ist concav. Die gröfste Länge des Radius ist 5” 10”, die Breite des Körpers in der Mitte 104”, die Breite des oberen Gelenkendes 2” 2”; die Breite des unteren Gelenkendes, von der inneren Fläche des proc. styloid. zur abge- brochenen Ecke des vorderen Randes, 1” 6”. Die gröfste Länge der unte- ren Gelenkfläche nach der entgegengesetzten Richtung gemessen eben so viel; die Breite der oberen Gelenkfläche nach dem rechtwinklig kreuzenden Durch- messer 1” 2”, Was von der Hand übrig geblieben besteht in achtzehn Stücken, welche sämmtlich die 2te Tafel füllen. Von diesen Stücken begreifen meh- rere einige noch im Zusammenhang gebliebene Knochen, andere dagegen sind nur einzelne Knochen oder Theile von solchen. Fig. 6 mit der ansto- [senden 9ten mag als eine Restauration der Hand angesehen werden, so gut sich eine solche zu Stand bringen liefs. 392 pDALTON Von der Handwurzel finden sich 5 Knochen vor, von diesen 2 ein- zeln, 2 mit einander verbunden und der 5te hing mit einigen Theilen eines Fingers zusammen. Von der ersten Reihe der Carpusbeine haben sich er- halten das mondförmige, dreieckige und Erbsenbein; von der 2ten Reihe das Kopf- und Hackenbein. A. Das Mondbein (S. Fig.2 von der äufseren Seite mit dem Kopf- bein, Fig.6 von oben, Fig.17 mit dem dreieckigen und Erbsenbein von der den Vorderarmknochen zugekehrten Fläche) war, wie das Erbsenbein, von allen Verbindungen losgerissen. Es ist beträchtlich grofs, besonders lang von dem Rücken zur Hohlhand und mifst in dieser Richtung 1” 9”, seine gröfste Breite auf der Rückenfläche ist 13”. Die ganze Vorderarm- fläche, nicht blos ihr überknorpelter Theil, a, ist convex; die entgegenge- setzte oder Fingerfläche, b, ist concav, wie man aus der 2ten Figur sieht, und schmal im Durchmesser von der gleichfalls vertieften, niedrigen Spei- chen- zur Ellenfläche, welche eine halbmondförmige Facette, c, zeigt. Die Rückenfläche, d.d, und Hohlhandfläche, e, sind klein, erstere niedrig und ungleich, letztere ein wenig gewölbt und fast triangulär. B. Das sehr grofse dreieckige Bein (Fig. 3 mit dem Hackenbein von der Speichenfläche, Fig. 6 und Fig. 17) hing durch seine untere Fläche noch mit dem Hackenbein zusammen. Es ist von oben nach unten zusam- mengedrückt und dadurch erscheinen 4 von seinen Seiten sehr niedrig. Die Vorderarmfläche ist die gröfste, a’.a.a, besteht aus einer hinteren schmale- ren, kleineren Facette, a’, und einer vorderen, gröfseren, sattelförmig ge- stalteten, a.a. Ihre Länge ist 1” 7”, die Breite beider Facetten in der Mitte des Längendurchmessers 1” 3". Die Speichenfläche, c, entspricht ganz der eorrespondirenden des vorigen Knochen (c), nur ist sie kleiner. Die Ellenfläche ist noch kleiner, war überknorpelt und an ihr haftete das Erb- senbein. Die Fingerfläche, f.f', besteht aus zwei Concavitäten (so ist we- nigstens das Ansehen auf dem Rücken der Hand), die sich hinten, gegen die rauhe unregelmäfsige Hohlhandfläche in eine gröfsere Aushöhlung zu verei- nigen scheinen. In der Concavität nach der Daumenseite, /, steckt die con- vexe obere Fläche des Hackenbeins, in der anderen, äufseren, f’, die äufsere Hälfte von dem oberen Gelenkende des Mittelhandknochen des kleinen Fin- gers, während die innere, am vorderen Rand concave Hälfte desselben Kno- chen sich an den äufseren Theil der Fingerfläche des Hackenbeins anschliefst. über fossile Panzerfragmente. 393 Die Rückenfläche des dreieckigen Beins, d.d, ist convex, in der Gegend des Hackenbeins höher, nach dem Erbsenbein zu weit niedriger. In Fig. 3 be- zeichnet g die rauhe, unregelmäfsige Hohlhandfläche und den unteren con- caven Rand (5) der Speichenfläche, e, welcher zugleich der innere der Fin- gerfläche ist. C. Auch das Erbsenbein (Fig. 6 und 7) erscheint platt, unregel- mäfsig Öseitig, an dem Rand, wo es mit dem dreieckigen Bein artieulirt am dicksten, mit einer convexen Knorpelfläche versehen, von der sich nur der untere Theil erhalten. Die obere Fläche dieses Knochen, a, ist ziemlich glatt, die untere, Ö, den Fingern zugekehrt, uneben; ihre Länge ist = 14”. D. Das Kopfbein (Fig. 1 mit dem Mittelhandknochen und den bei- den ersten Gliedern des 4ten Fingers, von der Ellenseite, Fig. 6, Fig. 16 mit denselben Theilen, wie in Fig. 1, nur von der Speichenseite, wo man über- dies noch bei III. ein Stückchen von dem Mittelhandknochen des 3ten Fin- gers wahrnimmt) hat einen weniger bedeutenden Umfang als das Hacken- bein, ist vorn, an der, so weit sie noch zu erkennen war, convex concaven Speichenfläche, &, verstümmelt («’ ist der verstümmelte Theil dieser Fläche). Die Vorderarmfläche, a.a, ist links gegen die Hohlhand convex (und da- durch der ganze Knochen an dieser Stelle höher), vorn am Rücken der Hand ein wenig concav. Die Tiefe dieses Knochen d.h. sein Durchmesser vom Rücken zur Hohlhand, ist die gröfste Ausdehnung desselben und = 1” 5". Die concave Fingerfläche besteht aus einer inneren, auch von der Seite des Daumen nach der des kleinen Fingers ausgehöhlten Facetie, b, an der ein Stückchen vom Mittelhandknochen des 3ten Fingers festsitzt (III.) und aus einer äufseren, gröfseren, Ö', die sich an den inneren Theil der oberen Ge- lenkfläche des 4ten Mittelhandknochen anschliefst. Die Dorsalfläche, d, ist klein, breiter als hoch, die Ellenfläche, c, vorn niedriger als hinten, wo sie ein wenig convex wird. Die höckerige, ungleiche Fläche, die zur inne- ren Fläche der Hand gehört, e, zeigt sich im Ganzen gewölbt. Fig. 16 stellt diesen Knochen in den natürlichen Verbindungen dar, wie er gefunden wurde. _ E. Das Hackenbein (Fig.3, 6 und 17) unterscheidet sich vom vo- rigen besonders durch gleichmäfsigere Dicke an der vorderen und hinteren Hälfte. Ihm fehlt die Ellenfläche, da die obere oder Vorderarmfläche nach aufsen durch den scharfen concaven Rand unmittelbar in die untere oder Phys. Abhandl. 1833. Ddd 394 DALTON Fingerfläche, d, übergeht; daher bekömmt die convexe Rückenfläche, 4 dieses Knochen eine unregelmäfsige dreieckige Gestalt mit einem spitzen ’ Winkel nach aufsen oder nach dem kleinen Finger zu. Die Fingerfläche des Hackenbeins hat ebenfalls zwei Hälften, von denen die innere, kürzere und schmalere, 5, auf der äufseren Hälfte von dem oberen Gelenkende des 4ten Mittelhandknochen ruht, die äufsere, 5’, dagegen auf die oben angegebene Weise mit dem 5ten Knochen des Metacarpus sich verbindet. Die gröfste Länge oder Tiefe des, wie oben erwähnt, mit dem dreieckigen Bein zu ei- nem Stück verbundenen Hackenbeins mifst 16”, die Breite der Rückenfläche einen Zoll. Fig.3 zeigt die Articulation zwischen der Vorderarmfläche des Hacken- beins, a, und der Fingerfläche (einem Theil) des dreieckigen; c.c, c.c. ist die aus zwei Facetten bestehende Speichenfläche des Hackenbeins; die obere, schmalere Facette, c.c, vereinigte sich mit dem äufseren Rand und der un- teren oder Fingerfläche vom halbmondförmigen Bein, die untere, gröfsere, c’.c', verband sich mit der Ellenfläche vom Kopfbein D.c. Von der Mittelhand sind nur noch 5 Stücke übrig, nämlich die vollständigen Knochen für den 5ten und 4ten Finger und 3 Fragmente, welche zu dem des dritten gehörten. So ergiebt es sich wenigstens, wenn man die 2 vorhandenen Mittelhandbeine mit der Handwurzel verbindet und erwägt, dafs beim Menschen und vielen Thieren der 4te und 5te Finger durch ihre Metacarpen mit dem Hackenbein verbunden sind. Es mufs dem- nach der dritte Finger, wenn man die Zählung vom kleinen Finger oder dem äufsersten auf der Ellenseite beginnt, als der Mittelfinger angesehen werden. Dieser Ansicht gemäfs sind die drei Mittelhandbeine mit römischen Ziffern in der genannten Folge bezeichnet und ebenso haben die einzelnen Glieder der Finger dieser Annahme entsprechende Nummern empfangen. Sämmtliche Mittelhandbeine sind sehr kurz und stark, das heifst breit und dick. V. Der Knochen des Metacarpus, welcher den kleinen Finger trägt (Fig. 4 von der Speichenseite und in Verbindung mit der ersten und zweiten Phalanx nebst einem Sesambein, so wie ich das Stück unter anderen hervorzog, Fig. 6, Fig.7 von der Hohlhandfläche, Fig. 10 von der dem Na- über fossile Panzerfragmente. 395 gelglied entsprechenden Fläche. Fig.7 und 10 stellen dieselben Knochen verbunden dar, wie Fig. 4.) ist 145.” breit, 135” an der Daumenseite hoch und 11” lang. An der Daumen- oder Ellenseite, y, bemerkt man vorn und oben einen glatten, überknorpelt gewesenen, von der Umgebung merklich abgesetzten kegelförmigen Vorsprung, f, der in eine entsprechende Grube an der dem kleinen Finger zugekehrten Fläche des vierten Mittelhandbeins pafst. Fig.1.IV}. An der äufseren Fläche, c, scheint oben, an dem Über- gang zur oberen Gelenkfläche eine kleine Stelle, «, gewesen zu sein, an welche das Erbsenbein, noch aufser seiner Verbindung mit dem dreieckigen Bein, angefügt war. Die Hohlhandfläche dieses Knochen wird von allen andern an Gröfse weit übertroffen und zeigt eine kleine Grube, e, die Rücken- fläche ist mit d bezeichnet. IV. Der vierte Mittelhandknochen scheint breiter, wenn auch kürzer gewesen zu sein, als der dritte. Seine gröfste Breite an der Rücken- fläche ist 18--”, die gröfste Höhe an der Ellenseite 15’, die gröfste Länge an der Speichenseite 14”. Die obere und untere Fläche, a, b.b, dieses Knochen sind stark convex und Rollen ähnlich; bei dem eben beschriebenen Knochen dagegen, war die untere Gelenkfläche theils convex, theils concav, doch beides in weit geringerer Ausbildung. Am unteren Rand der Rücken- fläche, d, wo sie zur Rolle übergeht, ist eine grofse, tiefe Grube, =, bei dem 4ten Mittelhandbein und an der Ellenseite, c.c, wie erwähnt, oben eine zweite, überknorpelte, }, zur Verbindung mit dem 5ten Bein. An der Speichenseite, y, bemerkt man oben und vorn eine doppelte Gelenkfläche, die obere wird bedeckt von dem noch mit ihr und dem Kopfbein vereinig- ten Bruchstück des dritten Metacarpusknochen; mit der unteren, y!, war die innere Hälfte von dem unteren Gelenkende desselben Knochen, III, zu- sammen gefügt. Unter und hinter diesen Facetten ist der Knochen rauh. III. Unter den drei Fragmenten vom dritten Mittelhandbein (Fig. 6, II, «, £, y) ist das erwähnte obere, IIl.«, das kleinste und bildete den äufseren Theil des oberen Endes des Knochen, die beiden anderen Stücke, @ und y, gehörten zum unteren Ende und von ihnen ist das äufsere voluminöser als das innere. An dem vorderen Rand seiner äufseren Fläche trägt dies Stück eine kleine Facette, die sich mit der unteren an der ansto- fsenden Fläche des 4ten Knochen des Metacarpus verband. Aus der Zusam- mensetzung des inneren unteren Stücks mit dem äufseren unteren ergiebt sich Ddd2 396 DALTON die Breite des unteren Gelenkendes, welche 154’ ausmacht. So weit man aus den drei übrig gebliebenen Stücken die Länge dieses Beins beurtheilen kann, erreichte sie, wenigstens an der äufseren Hälfte desselben 20-4”. Die Zahl der Finger läfst sich nicht mit Bestimmtheit angeben, der 4te und te haben sich vollständig erhalten, der dritte ist etwas defect. Die ersten Glieder der 3 genannten Finger (V!, IV!, III!) haben ziemlich viel Ahnlichkeit unter einander, sind alle äufserst niedrig oder kurz, doch der des kleinen Fingers am niedrigsten (an den höchsten Stellen nicht ganz 4”) der des Sten am höchsten (im Maximum 7”), diese beiden sind gleich breit, nämlich 15”, das mittlere dagegen 18”. Die obere Gelenkfläche an allen drei Phalangen ist von vorn nach hinten concav, mit einer mittleren Erhabenheit in derselben Richtung; die untere Gelenkfläche verhält sich auf die umgekehrte Weise, ist in der Mitte vertieft und von vorn nach hinten convex. Die Volarfläche dieser Knochen hat in der Mitte einen Ausschnitt (Fig. 7e) wodurch zu beiden Seiten und nach hinten ein Höckerchen gebil- det wird, F. f. Ähnlich verhält sich die mittlere oder 2te Phalanx an allen drei Fingern (V?, IV?, III?2). Dieses Glied übertrifft an den 3 genannten Fin- gern das vorhergehende an Höhe, zumal am kleinen Finger, wo dasselbe 4." mifst; am 3ten aber sogar 7”. Am 2ten Glied haben die Rücken-, Speichen- und Ellenflächen tiefere Eindrücke und Grübchen; am 3ten Fin- ger war dies Glied in 2 Stücke zerbrochen, die sich vom ersten getrennt hatten. Die Fläche, welche in der hohlen Hand liegt, ist sehr schmal, hat aber auch den Einschnitt (e) und die beiden Höckerchen, wie V!, IV! und II!. Als unzweifelhaft der Hand oder dem Vorderfufs angehörig sind noch drei Nagelglieder zu betrachten; zwei von denselben sind vollständig und die Genauigkeit mit welcher sie den 2ten Phalangen des 4ten und 5ten Fin- gers angepafst werden können, giebt uns ein Recht sie diesen beizulegen. Das 3te hat das Gelenkende eingebüfst und scheint vom dritten Finger her- zurühren. An den 3ten Phalangen des 4ten und ten Fingers (V° und IV?) erkennt man das Gelenkende noch als freie Epiphyse, am dritten (III?) ist eben dieser Theil verloren gegangen und der Knochen an der Spitze und über fossile Panzerfragmente. 397 hinten am inneren Theil etwas verstümmelt. Das 3te und 5te Nagelglied scheinen (wenn man sich den Verlust, welchen dieses erfahren, ergänzt denkt) ziemlich gleich an Gröfse und Gestalt gewesen zu sein. Die gröfste Länge des öten ist 2” 34”, die Breite der Gelenkfläche 145-”, die Tiefe nach der Sehne der Krümmung gemessen ungefähr ebenso grofs. Das Nagelglied des 4ten Zehen oder Fingers ist lang 2’ 7”, seine Gelenkfläche breit 1” 6” und in der gröfsten Tiefe (von einer Seite zur anderen) 1” 25” tief. Die drei erwähnten Nagelglieder haben eine keilförmige Gestalt, sind am Gelenkende am dicksten, gegen die Spitze zugeschärft und abgeplattet. Man kann daran unterscheiden eine vordere obere Fläche, die der Rücken- fläche der Hand und anderen Fingerknochen entspricht, und eine untere hintere Fläche, die der Hohlhandseite der genannten Theile gleich ist. Diese beiden Flächen kommen vorn und unten in einem abgerundeten Rand zu- sammen. Am 4ten Finger sieht dieser Knochen im Profil betrachtet, von der äufseren Seite fast ebenso aus, wie von der inneren und zeigt eine fast vollkommene Symmetrie beider Seitenhälften. Bei diesem Bein geht näm- lich die vordere obere Fläche durch eine sanfte Wölbung allmählig in die hintere untere über, an der inneren, wie an der äufseren Seite, und gegen die Spitze hin entwickelt sich nach und nach der Rand. An der hinteren unteren oder Hohlhandfläche dieses 4ten Nagelgliedes springt oben unter der Anheftung der Epiphyse (Fig.51IV’«) eine starke Rauhigkeit, c, zur Befesti- gung der Beugesehnen vor. Neben dieser nimmt man aufsen und innen ei- nen Eindruck, d.d, wahrscheinlich für Seitenbänder, und Öffnungen wahr. Die Gelenkfläche dieses Nagelgliedes, wie des öten (Fig. 14 von der unteren hinteren Fläche, Fig.15 von der Gelenkfläche gesehen) besteht aus einem vorderen, gröfseren und höheren Theil a.a, welcher sich ausschliefslich mit der unteren Gelenkfläche des 2ten Gliedes verbindet, und einem hinteren, gegen die Vola geneigten, schmaleren Theil oder Facette, 5.d, welche mit dem Sesambeinchen articulirt. (Vergl. Fig.S, welche das obere oder Ge- lenkende von der dritten Phalanx des 4ten Fingers und zwar die Gelenk- fläche selbst darstellt). In Fig. 15 (vom 5ten Finger) ist die Gelenkfläche, so gestellt, dafs die Facette für das Sesambeinchen oben liegt und also 2.2. die- ser Figur auf a.a. der darüberstehenden pafst; a.a. in Fig. 15 würde dann die untere Gelenkfläche des 2ten Gliedes in der 10ten Figur bedecken. An der Gelenkfläche des 4ten Nagelgliedes ist die äufsere Hälfte breiter und tie- 398 DALTON fer und der vordere Rand mehr nach innen geschoben und quer abgeschnit- ten, während derselbe bei den beiden anschliefsenden Fingern abgerundet, am 5ten auch nach innen, am 3ten, so weit man es noch wahrnehmen kann, nach aufsen geschoben ist. Die beiden letzteren Nagelglieder, das 3te und 5te, haben auch an der Seite, durch welche sie sich an das 4te anschliefsen, also das 5te an der inneren, das 3te an der äufseren Seite zwischen der vor- deren oberen und hinteren unteren Fläche eine 3eckige Seitenfläche. Diese geht spitzwinklig in die Spitze des Knochen selbst über und daher erscheinen diese beiden Beinchen weniger keilförmig, als vielmehr dreiseitig pyramida- lisch gestaltet. Das 3te und 5te Nagelglied bestehen demnach nicht sowohl aus ein Paar symmetrischen Seitenhälften, als sie vielmehr, wenn man sie mit den Flächen, welche sie dem 4ten Finger zuwenden, aneinander schiebt, wie die Hälften eines in der Mitte getheilten symmetrischen Ganzen erscheinen. Wollte man das te und 3te Nagelglied der Länge nach und, so gut es geht, in der Mitte durchschneiden, so würde man zwei sich nur wenig ähnliche Hälften gewinnen; diefs rührt besonders davon her, dafs die Rauhigkeiten c.c, an welche sich die Beugesehnen befestigen, nicht in der Mitte sondern an einer Seite stehen, und zwar bei III? an der äufseren, bei V? an der in- neren Seite. Schliefslich ist bei der Beschreibung der Hand noch dreier Sesam- beinchen zu gedenken. Das des kleinen Fingers (Fig.4, 7 und 10V*) hat sich an seiner 2ten Phalanx erhalten. Es ist in der Mitte der Länge am dicksten und breitesten, hat vorn eine schmalere, a.a., hinten eine breitere Gelenkfläche; diese für die 2te Phalanx, jene für die 3te. Die Länge dieses Beinchen ist genau 1 Zoll, die gröfste Dicke 5”. Die Gelenkfläche ist 8” breit und reicht nicht ganz bis zur inneren Extremität, die hintere Fläche ist gewölbt, rauh und nach innen mit einem Wulst versehen. Ein ähnliches Beinchen fand sich einzeln und schien der Gröfse nach dem 4ten Finger anzugehören (Fig. 18 und 19, IV*) zwischen dessen beiden letzten Phalangen es sich ohne Zwang einschalten läfst. Seine Länge ist gleich 154-”, die der verhältnifsmäfsig nur kleinen Gelenkfläche 84”. Die Gelenkfläche hat eine rectanguläre Gestalt mit abgestumpften Ecken. Das letzte Sesambeinchen, welches wahrscheinlich dem 3ten Zehen an- gehörte (Fig. 13 IIL*) zeigt auch eine Gelenkfläche, a.a, die kürzer ist als seine Länge. über fossile Panzerfragmente. 399 Wir haben oben mehrere Übereinstimmungen zwischen den fossilen Panzerstücken und der Schale der lebenden Gürtelthiere nachgewiesen; es liegt daher nahe eine Vergleichung zwischen den zuletzt beschriebenen Ex- tremitäten-Knochen und denen der verschiedenen Arten von Dasypus zu versuchen. Wir werden hier aber weit gröfseren Abweichungen begegnen und können nur auf Ähnlichkeiten und Differenzen aufmerksam machen ; be- sonders hemmend für eine entschiedene Meinung erweiset sich auch der ver- stümmelte und mangelhafte Zustand einiger Theile der fossilen Extremität. Die Fragmente des Schulterblattes und Oberarmbeins geben gar kein Resultat, da sie zu gering sind. Doch läfst sich, wie wir oben durch die Vergleichung mit dem Gelenktheil des Schulterblattes vom Nashorn ange- deutet haben, wohl erkennen, dafs das Oberarmbein und besonders sein Kopf einen beträchtlichen Umfang gehabt haben müsse, da das caput hu- meri immer eine weit gröfsere Gelenkfläche hat, als die ihm zugehörige Ge- lenkgrube am Oberarmbein ist. Wenn man noch erwägt, dafs, wie auch be- reits an mehreren Orten bemerkt ist, die Gelenkenden der Röhrknochen noch als unverwachsene Epiphysen erscheinen und also die Entwickelung des fossi- len Skelets nicht vollendet war, so wird man sich die wirkliche Gröfse des erwachsenen Thieres etwas beträchtlicher vorstellen müssen, als dieselbe nach einzelnen Knochen beurtheilt erscheinen möchte. Was die Vorderarmknochen betrifft so zeigen diese in verschiedenen Beziehungen eine Übereinstimmung mit denen von Dasypus, besonders mit den Unterabtheilungen des Genus, die vorn und hinten fünf Zehen haben. Unter den drei Beispielen, welche Cuvier (!) von dieser Gruppe abbildet, entsprechen diejenigen von 7’. grandis Illig. (grand Tatou d’Az.) Fig. 10. der Stärke nach am meisten unseren Knochen; doch mifst in dieser Abbil- dung die Speiche gerade nur die Hälfte der Länge der Elle, ist also noch kürzer im Verhältnifs als an dem von uns abgebildeten Vorderarm. Der Ge- stalt nach haben die Speiche und Elle von Dasypus sexeinctus (Encoubert) Fig. 14 die gröfste Ähnlichkeit mit den fossilen. In der Construction der Hand entfernt sich das urweltliche Thier fast gleich weit von allen lebenden Formen unter den Gürtelthieren; doch steht es auch hierin dem D. sexcinctus am nächsten. Die Handwurzel hat, wie (') Ossemens fossiles, T.v, 1" partie, pag.126 und folg., Pl.xı. Fig.10, 11 und 14. 400 DALTON Fig.6, der 2ten Tafel zeigt, eine Eigenthümlichkeit, welche auch an der Hand des D. grandis (Cuvier pl.xı, Fig. 10) so wie bei D. unieinetus (a.a. O. Fig. 11) und bei D. sexcinctus (Fig. 14) beobachtet wird, nämlich, dafs das dreieckige Bein, aus der ersten Reihe der Handwurzelbeine, das Hackenbein nach aufsen überragt und mit diesem den öten oder kleinen Finger aufnimmt; dies letztere geschieht bei D. grandis und sexeinctus vermittelst des Mittel- handknochen für diesen Finger; bei D. unieincetus durch ein Beinchen, das zugleich Mittelhandbein, erste und zweite Phalanx ist. Ehe wir zur Vergleichung der Finger oder Zehen schreiten können, ist es nöthig zu wiederholen, dafs wir die drei noch vorhandenen Finger, III, IV und V, für den Mittel- Ring- und kleinen Finger halten und daraus er- giebt sich schon, dafs wir die fossile Hand nicht mit der des D. niger zu ver- gleichen haben, welche nur 4 Finger hat und, wie Cuvier gezeigt, gerade den kleinen Finger entbehrt. Bei einer Parallele mit den 5fingerigen Gür- thieren mufs man erst unter diesen selbst diejenigen unterscheiden, wo der Daumen und Zeigefinger schlank sind und der letztere der längste, wo der Mittelfinger einen sehr grofsen Nagel hat, der 4te und 5te kleinere, so dafs die Hand schief abgeschnitten erscheint; hierher sind zu rechnen der D. gran- dis und unieinetus — und diejenigen, wo die drei mittleren Finger die läng- sten sind; hierher gehört der D. sexcinetus. Diese beiden Unterabtheilungen sind aber nicht blos durch die Länge der Finger von einander verschieden, sondern mehr noch durch die Zahl der Glieder derselben. Bei D. grandis und unicinctus haben nur der Daumen und Zeigefinger die gewöhnliche Zahl der Glieder und Mittelhandknochen, vom Mittelfinger an verkümmern die Phalangen und Mittelhandbeine und zwar nicht bei beiden Arten auf dieselbe Weise, sondern bei unieinctus in weit höherem Grad. als bei grandis. Die Unterabtheilung, zu der D. sexcinctus zu zählen ist, scheint, soviel wir aus Cuvier's Abbildung von der Hand dieses Thiers entnehmen, nicht also ver- stümmelt. Freilich fehlen an der erwähnten Figur (14) alle Nagelglieder, man sieht aber daran ganz deutlich, dafs der Mittel-, Ring- und kleine Fin- ger jeder ein Mittelhandbein und 2 Glieder (aufser der Nagelphalanx) haben. Am Zeigefinger nehmen wir nur ein Mittelhandbein und ein Glied wahr, doch mögen sehr wohl noch 2 Glieder vorhanden gewesen sein, ebenso wie an dem Daumen, von dem hier nur 1 Knochen abgebildet ist, — In Anse- hung seiner drei äufseren Finger eignet sich daher diese Art (der D. sex- über fossile Panzerfragmente. 401 cinctus oder Encoubert) allein zur Vergleichung mit der 6ten Figur meiner 2ten Tafel. Die drei fossilen Mittelhandbeine zunächst anlangend so sind diese freilich viel kürzer im Verhältnifs als beim Zncoubert, aber ihre gegenseitige Länge entspricht ganz der Proportion bei demselben. Auch in der Verbin- dung der Mittelhand mit dem Carpus ist eine Verschiedenheit vorhanden, beim D. sexeinctus articulirt das Hackenbein mit den oberen Gelenkenden der Mittelhandknochen der drei äufseren Finger; beim fossilen Thier nimmt das genannte Bein nur den 5ten und 4ten Mittelhandknochen auf und der letztere ist überdiefs zum gröfseren Theil an das Kopfbein geheftet. Die beiden ersten fossilen Zehenglieder sind viel kürzer als bei irgend einem Gürtelthier; dagegen haben die Nagelglieder eine sehr ansehnliche Länge. Sie sind aber anders gestaltet als die grofsen Nagelglieder des D. grandis und unieinetus, haben nicht die Scheide für den Nagel, sind nicht so zusammengedrückt, gekrümmt und schneidend. Ihre Gestalt entspricht mehr der der Nagelglieder am Hinterfufs der beiden Dasypusarten, soweit diese aus der Cuvierschen Abbildung erkennbar ist. Die überaus grofse Gedrungenheit und Kürze der Mittelhand und Fin- ger giebt der fossilen Hand eine besondere Ähnlichkeit mit der des gemeinen Maulwurfs (!), welche letztere mit ihr auch darin übereinstimmt, dafs das dreieckige und Hackenbein gemeinschaftlich mit dem Mittelhandknochen des 5ten Fingers articuliren. Freilich sind bei Ta/pa die Knochen der Mittel- hand und die beiden ersten Phalangen, wenn auch an sich schon sehr kurz, immer noch im Verhältnifs merklich länger. Mifst man z.B. am Mittelfinger das Nagelglied, so findet man, dafs seine gröfste Länge gleich ist der Länge seines Mittelhandbeins und der beiden anderen Phalangen zusammengenom- men. Am 4ten Finger der fossilen Hand ist dagegen das Nagelglied gröfser d.h. länger als die genannten Knochen mit einander und die zweite Reihe der Wurzelknochen noch dazu und beinahe gleich der Hälfte von der Länge der ganzen Hand. Auch sieht man beim Maulwurf an der Hohlhandfläche der Finger zwischen den zweiten und Nagelgliedern ganz ähnlich geformte Sesam- beinchen, wie die auf Tafel II. Fig. 4, 7, 10, 13, 18 und 19 abgebildeten. (') d’Alton’s Skelete der Chiropteren und Insectivoren. 8.28. Taf. ıv. Fig.e und f: Phys. dbhandl. 1833. Eee 402 DALTON Ob das Thier, dessen vordere Extremität wir hier betrachtet, wirk- lich nur drei Finger gehabt ist eine Frage, die ebenso viel Interesse in sich fafst. als sie unter den obwaltenden Umständen schwer zu beantworten ist. An den vorhandenen Knochen ist keine Gelenkfläche, die auf andere Finger hindeutet; ebenso wenig sind Knochen da, die einem oder zwei anderen Fingern beizugeben wären. Es könnte daher wohl der Fall sein, dafs mit dreien die Zahl der Finger vollständig wäre und Beispiele von dieser Zahl finden sich unter den lebenden, wie den untergegangenen Quadrupeden mehrere. Verschiedene Ordnungen liefern Belege dazu, von den Fleisch- fressern der Goldmaulwurf, von den Zahnlosen der Ai, von den Dickhäu- tern, das Nashorn und aus der letzten Ordnung die beiden fossilen Genera Anoplotherium und Palaeotherium. — Wollte man wirklich nur 3 Finger, als die genügende Zahl, annehmen, so könnte man die grofse Breite, welche die wirklich vorhandenen 3 Finger einnehmen zu seiner Rechtfertigung an- führen, indem hier das Kopfbein mit seiner unteren Fläche ausschliefslich dem 4ten Mittelhandknochen entspricht, nicht dem 3ten. Zweites Kapitel. Von der hinteren Extremität. Alle Knochen von der hinteren Extremität sind, wie ich schon oben bemerkt habe, von der linken Seite, ebenso wie jene der vorderen. Vom Oberschenkel findet sich nichts vor, und vom Unterschenkel nur wenig, nämlich das untere Gelenkende des Schienbeins. Hrn. Sellow’s Angaben sprechen von einem Theil der fibula, ohne der tibia zu gedenken. Es möchte also wohl durch Verwechslung diese für jene genommen worden sein. Man findet das genannte Stück vom Schienbein abgebildet auf der Sten Tafel, Fig. 4, von der äufseren Seite angesehen. Diese Tafel stellt auch sämmtliche Knochen der Fufswurzel und einige zu den Zehen gehörige dar. Das durch Fig. 4 abgebildete Stück stellt aufser dem unteren Theil des Schienbeins noch ein mit diesem zusammenhängendes Fragment des Sprung- beins vor. Der Rest der tibia ist 3” 10--” lang und unten und innen etwas verstümmelt. Auffallend ist seine Breite in der Gegend, wo die noch deut- lich erkennbare Epiphyse, «, mit dem Mittelstück 8 verwächst; sie beträgt von innen nach aufsen 35", die Dicke von vorn nach hinten 1’”’ weniger. Dagegen ist der Knochen in der Mitte, da wo er zerbrochen, sehr schwach über fossile Panzerfragmente. 403 und nur 1-/” breit und, wo er am stärksten ist, S” dick. Aus der Betrach- tung der Bruchfläche ergiebt sich, dafs ein Durchschnitt des Knochen in die- ser Gegend eine /förmig gestaltete Fläche bilden würde. An der Stelle, die bei Thieren mit vollständigem Wadenbein das untere Ende dieses Knochen aufnimmt, a, ist hier wohl eine kleine Vertiefung, f, doch kann man keine Gelenkfläche wahrnehmen und also daraus noch nicht auf das Vorhanden- sein des Wadenbeins selbst schliefsen, von welchem keine Fragmente vorlie- gen. Das Schienbein springt da, wo es den inneren Knöchel bildet, nicht stark vor, besonders reicht seine Ausdehnung nach unten nicht weit, noch geringer ist der Vorsprung, welcher dem äufseren Knöchel entsprechen würde, so fern man diesen dem Schienbein zuschreiben darf. Wie beim Menschen und vielen Thieren besteht die Fufswurzel hier aus 7 Knochen, die alle ziemlich gut conservirt sind, bis auf das Sprungbein. Dieses ist in 3 Stücke zerbrochen; eines von ihnen, die Rolle, 4, Fig.4, hängt noch mit dem Schienbein zusammen; das andere, 2, ist mit dem Fersenbein vereinigt (Fig. 1 beide Knochen von vorn oder unten angesehen, wie sie sich mit dem Schiff- und Würfelbein verbinden; Fig.2, dieselben von oben, wo sie das Stück 4 deckt) und das dritte, C, hängt mit zwei Keilbeinen und dem Schiffbein zusammen (Fig.8 von der äufseren Seite, Fig. 10 von hinten angesehen). Die drei bezeichneten Stücke sind auch au- fserdem, dafs sie zerbrochen, ziemlich defect und lassen sich nicht mehr ge- nau an einander passen. Versucht man sie zusammenzusetzen, so gut diefs bei der mangelhaften Conservation geschehen kann, so entsteht dadurch eine seltsame verschrobene Stellung des Fufses gegen den Unterschenkel. Dieser zu Folge müfste man entweder annehmen, dafs das Thier mehr auf dem äu- fseren Rand des Fufses, als auf der Sohle aufgetreten, oder dafs die Kniee einen geringen Abstand von einander gehabt. Das Sprungbein scheint, wie die meisten anderen Knochen sehr kurz und gedrungen gewesen zu sein. An der äufseren Seite der Rolle bemerkt man einen schmalen, gebogenen, glat- ten Streifen, 5.b, wahrscheinlich eine Gelenkfläche, so scheint es wenigstens nach ihrem Aussehen. An diesen Streifen schliefst beim Anlegen an das Fersenbein genau an die Fig. 1 und 2 mit i bezeichnete Stelle. Die Breite der Rolle von aufsen nach innen mifst 1” 10--”, die Tiefe von vorn nach hinten um ein Geringes mehr. Der Kopf oder vordere Gelenkfortsatz des Eee2 404 DALTON Sprungbeins steckt in der ihm zugehörenden Grube am Schiffbein, ist rund- lich, wie man aus der Bruchfläche, Fig. 10, c, sieht und besteht, nächst der eigentlichen Gelenkfläche, hier nur noch aus einem Theil der oberen und äu- fseren Seite des Halses, welche in einen stumpfen Höcker, a, ausläuft. Die Breite des Kopfes ist 25”, die Höhe um anderthalb Linien ansehnlicher. In Fig. 4 bezeichnet 4 den Theil des Knochen, der zur Bruchfläche gehört, die vorn glatt, hinten sehr porös erscheint; c ist ein Theil von der oberen con- vexen Gelenkfläche der Rolle und zwar der vordere. Das Fersenbein ist sehr stark und dick. Seine gröfste Länge 4” 5”. Sein Körper, der obere hintere Theil, a, ist seitlich zusammengedrückt und breiter vom vorderen zum hinteren Rand, oben und hinten schwillt er wie- der kopfartig an und trägt ein besonderes Knochenstück als Höckerchen, 2. An der äufseren Seite befindet sich eine vorspringende Leiste, c, die unten in einen Vorsprung, d, endigt, der neben der Gelenkfläche für das Würfel- bein liegt. Die Gelenkfläche für das Sprungbein hat einen ansehnlichen Umfang und erstreckt sich über den ganzen Tragfortsatz, e, welcher, als der am meisten nach unten vorragende Theil, die gröfste Länge des Knochen bestimmt. Zwischen dem Tragfortsatz und der inneren Fläche des Körpers ist eine runde, glatte Aushöhlung, f. Von der Gelenkfläche auf der oberen vorderen Seite des Sustentakulums erscheint ein kleiner Theil, g, frei, da hier ein Stück des bedeckenden Sprungbeins abgebrochen ist. Die Gelenk- fläche für das Würfelbein, A, ist vertieft und bildet einen flachen ovalen Trichter, dessen tiefste Stelle dem inneren unteren Rand zunächst steht. Bei i, Fig.1 und 2, sieht man den glatten Rand des Fersenbeins, welcher be- stimmt scheint sich mit dem mit 5 bezeichneten am Sprungbein zu vereinigen. Die Breite des vorderen Endes vom Fersenbein, vom Tragfortsatz bis zur Ecke d, ist 3 Zoll 5 Linien, die gröfste Höhe nach dem Längendurchmesser der dem Würfelbein correspondirenden Gelenkfläche 27 95”. Die gröfste Breite des Fersenhöckers 2” 3”, Dieser Knochen ist dem gleichnamigen von dem oben berührten Ske- let eines asiatischen Nashorns an Volumen ziemlich gleich; jenes Skelet mifst nach rheinländischem Mafs 8° 4’ in der Länge und 4 9” in der Höhe. Ja das fossile Fersenbein ist, an der inneren Seite betrachtet, noch länger, was aber daher kömmt, dafs hier der Tragfortsatz, der dort, wie bei den meisten Thieren etwas höher liegt, der tiefste Theil ist. Das Fersenbein ei- über fossile Panzerfragmente. 405 nes Pferdegeripps der zootomischen Sammlung, das von vollkommen mitt- lerer Gröfse ist, zeigt eine Länge von 4’ 9--”, ist aber in allen anderen Dimensionen auffallend schwächer. Das Würfelbein (Fig.5 von hinten, Fig.9 von vorn in Verbindung mit den Knochen, die Fig. 8 darstellt, Taf. IV Fig. 2 mit dem Mittelfufsbein und der ersten Phalanx des kleinen Zehen, von der inneren Seite, Fig. 3 derselben Tafel mit den nämlichen Theilen und dem Mittelfufsbein des 4ten Zehen, von unten) hat sich von der Fufswurzel getrennt und trägt, so wie es jetzt erscheint, an seiner vorderen unteren Fläche noch zwei kleine Knochen, das Mittelfufsbein und erste Zehenglied des öten Zehen. Dieser Knochen hat eine beträchtliche Höhe, geringe Dicke an den Rändern und mäfsige Breite. Fast die Mitte der hinteren Fläche nimmt die convexe Vorragung, a, für die Verbindung mit dem Fersenbein ein, doch steht sie dem oberen Rand etwas näher als dem unteren, erreicht dagegen sowohl den äufseren als den inneren. Der obere rauhe Theil, x, der hinteren Fläche geht durch einen scharfen Rand in die vordere Gelenkfläche über. Unten sind die bei- den Flächen, die vordere und hintere, durch einen dicken, wulstigen Rand, +7, geschieden. Der obere Theil der vorderen Fläche ist Gelenkfläche, 2, und zwar, wie es scheint und bei vielen Thieren vorkömmt, für die Mittel- fufsbeine des 4ten und 5ten Zehen. Auf ihr befindet sich, wie man in Fig.9 sieht, noch ein Theil vom ö5ten Mittelfufsbein. Diese Gelenkfläche scheint vom unteren rauhen Theil der vorderen Fläche des Knochen durch eine Furche, c, getrennt zu sein. Diese läfst sich noch am äufseren Rand nach oben und hinten bemerken. Zwischen der vorderen und hinteren Fläche ist an der Schienbeinseite des Knochen die innere Fläche, d, ausgebreitet, die über der Mitte breiter, unten schmaler, länglich und flach concav, einzig zur Anlage des Schiffbeins dient. Das Würfelbein ist hoch 2” 8”, unten, wo es am breitesten ist, 1” 8” breit, seine Länge oder vielmehr die Dicke, vom höchsten Vorsprung der hinteren Gelenkfläche gemessen, ist etwas über 13 Linien. Das Schiffbein (Tab.II. Fig.8 von der Seite, Fig.9 von vorn, Fig. 10 von hinten) zeigt sich gleichfalls nach dem Längendurchmesser besonders vergröfsert und bildet, wie ich gesagt habe, mit zwei Keilbeinen und einem Stück von dem Sprungbein einen Körper. Dieser Knochen ist nach unten stark zusammengedrückt, also von geringer Höhe, höher am inneren oder 406 D’ALTOoNn Schienbeinrand, denn man kann diesen Rand in Vergleichung mit der vor- deren und hinteren Fläche kaum als eine solche betrachten. Da, wo das innerste oder kleinste Keilbein sich an seine vordere Fläche anlegt, ist der innere Rand am dicksten und bildet einen Wulst, über 8 Linien dick, gerade gegenüber ist am äufseren Rand die eben erwähnte, hohe und schmale Ge- lenkfläche, a, für das Würfelbein. Von der hinteren Fläche dieses Knochen bleibt im ganzen Umfang der Verbindung mit dem Sprungbein ein Theil frei; dieser ist breiter oben, wo der Knochen einen Vorsprung, «a, bildet und un- ten und innen, wo eine andere Vorragung befindlich ist, &, gerade an der Stelle, die hinter dem kleinen Keilbein liegt und auch von vorn nach hinten wulstig erscheint. Hier hat diese Fläche ihren gröfsten Durchmesser von oben nach unten. Die vordere Fläche des Schiffbeins wird ganz von den drei Keilbeinen bedeckt nur über dem gröfsten bleibt oben ein kleiner Saum frei. In Fig.8 sieht man bei 5 ein Stückchen von der Fläche, auf welcher das äufserste oder gröfste Keilbein articulirt. Diese Fläche hat eine fast rhomboidische Gestalt, zwischen dem inneren und äufseren Winkel (am letz- teren, der durch das obere Ende der Würfelbein - Gelenkfläche bestimmt wird) liegt seine gröfste Breite, 2” 10”. Der obere Winkel des Rhombus ist die höchste Stelle am Knochen oder eine Anschwellung (a) zwischen dem inneren und äufseren Rand. Sie liegt höher und weiter aufsen als der Höcker am Kopf des Sprungbeins, a. Der untere Winkel dieser Fläche fällt in ei- nen Fortsatz, y, welcher der vorderen und hinteren Fläche des Knochen gemeinschaftlich angehört, einen Zoll lang und von aufsen nach innen com- primirt ist. Diesen Fortsatz inbegriffen mifst das ganze Schiffbein in der Höhe 4” 4-4". Die drei Keilbeine folgen der Gröfse nach von dem inneren Rand des Fufses nach dem äufseren, das innerste (erste) ist das kleinste, das äufserste (dritte) das gröfste. Das innerste (I. Taf. Ill. Fig. 9 mit den beiden ande- ren Keilbeinen und dem Würfelbein in Vereinigung mit dem Schiffbein, von vorn angesehen) unterscheidet sich von den beiden anderen durch eine we- niger platte, tafelförmige Gestalt, indem bei ihm der Durchmesser von oben nach unten gröfser, als der von einer Seite zur anderen. Die freie Seite dieses Knochen (welche mit zum inneren Rand des Fufses gehört) ist gewölbt, besonders nach unten, a, wo sie überdiefs besonders glatt erscheint, fast wie eine Gelenkfläche; vielleicht articulirte hier ein accessorisches Beinchen, über fossile Panzerfragmente. 407 wie beim Maulwurf, oder ist nur die Stelle, welche vom vorderen Schien- bein-Muskel bedeckt wird und zum Theil auch beim Menschen glatt ist. Darin kömmt dieser Knochen mit den beiden gleichbenannten überein, dafs sein gröfster Durchmesser sich von oben nach unten erstreckt und doch weicht er von ihnen darin ab, dafs er gerade am oberen Ende schmaler ist als am unteren, welches seine gröfste Dicke bildet. Nach der Seite der Ze- hen ist an diesem Knochen mit Bestimmtheit keine Gelenkfläche zu unter- scheiden; er dürfte daher wohl keinen Zehen getragen haben. Die Höhe dieses Knochen (von der Schiffbeinfläche zur gegenüber gelegenen) ist 12 Linien und eine halbe, seine Länge 1” 7”. Das zweite Keilbein (Ta£.III, Fig.8 von der Seite und Fig.9, II.) ist schmaler aber höher als das dritte; seine Höhe beträgt 2’ 7", die gröfste Breite in der Nähe des oberen Endes 13-4”, Die hintere Gelenkfläche die- ses Knochen ist länger als die vordere und scheint mehr zugespitzt zu sein, daher bemerkt man unten zwischen beiden eine rauhe Stelle (Fig. 9, I. $). Dieser Knochen ist, fast in der Mitte, quer durchgebrochen. Der äufsere längere Rand ist gröfstentheils convex, der innere ganz concav. Das dritte Keilbein (Fig.8 und 9 III, von der inneren Seite und von vorn) fand sich einzeln vor. Es bildet fast ein gleichseitiges Dreieck, doch sind 2 Seiten, die innere und äufsere concav, die obere aber conyex, die Spitze des Dreiecks liegt unten, wenn man die obere convexe Seite als die Basis betrachtet. Die vordere Seite dieses Knochen ist flach convex, die hintere wenig concav. Die gröfste Breite desselben zwischen den beiden oberen Winkeln ist 2” 3”, die gröfste Höhe 2” 54. Die beiden äufseren Keilbeine (das 2te und 3te) haben ihre gröfste Dicke oder Länge am oberen Rand, beim mittleren erreicht sie 8 Linien, beim 3ten nur 6. Vom Mittelfufs lassen sich mit Bestimmtheit vier Knochen nachwei- sen; sie scheinen den 4 äufseren Zehen anzugehören. Die Mittelfufsknochen des 2ten und 3ten Zehen, II und III, hängen noch zusammen und sind au- fserdem vereinigt mit dem 1sten Glied des 2ten Zehen und 2 Sesambeinchen. S. Taf. IV, Fig. 6 von vorn oder vom Fufsrücken, Fig.9 von unten, in dem Zustand, wie sie mir zuerst zu Gesicht gekommen, Fig. 7 von der Fufssohle, Fig.S von innen, in Verbindung mit den 2 hinteren. Gliedern des 2ten und 3ten Zehen. Das Mittelfufsbein des 4ten Zehen, IV, war einzeln vorhanden 408 DALTON und ist so abgebildet, Fig.1 von der äufseren oder Wadenbeinseite, Fig. 4 in Gemeinschaft mit seinen beiden ersten Phalangen von der inneren oder Schienbeinseite. Das fünfte Mittelfufsbein hängt auf die erwähnte Weise mit dem Würfelbein und einer Phalanx zusammen, V. Alle diese Knochen zeichnen sich aus durch sehr geringe Länge d.h. Kürze der Durchmesser von der Tarsusfläche zu der Zehenfläche und in dieser Beziehung erscheinen auch die kürzesten Mittelfufsbeine anderer Thiere immer noch beträchtlich lang. Dagegen sind diese Knochen hoch, wenn man den Abstand der Soh- lenfläche, von der des Fufsrückens mifst. Der Gröfse nach verhalten sie sich so zu einander, dafs das des dritten Zehen das gröfste ist, dann das 2te, und darauf das 4te und te folgen. An dem Mittelfufsbein des 2ten Zehen ist zu bemerken, dafs die Fläche, durch welche es an dem 2ten oder mittleren Keilbein anliegt (a), viel niedriger aber breiter ist, als die ihm entsprechende, sonst aber von ähnlicher Gestalt. An der inneren Fläche dieses Beins ist eine tiefe Grube, Ö, mit mehreren kleinen Öffnungen, auf der oberen oder Rückenfläche sieht man eine Querfurche, ce. An der Sohlenfläche desselben hängt ein Sesambein, 8. Der zweite Knochen des Metatarsus, so wie die beiden demnächst zu beschreibenden haben ihren gröfsten Längendurchmesser in der Gegend der Sohlenfläche, der auf dem Rücken ist weit kleiner und so sehen die Knochen, auf der Sohle ruhend, wie Keile aus, die auf ihrer Basis stehen. Neben der Anheftung des Sesambeins nach innen sieht man bei II mit y bezeichnet eine concave glatte Facette. Sie scheint mir die innere Hälfte, 2, des später zu beschreibenden doppelten Sesambeins («. 2) getra- gen zu haben und ist nur dadurch sichtbar geworden, dafs sich & nach au- fsen verschoben hat, wodurch « auf III gerathen ist. Die gröfste Länge oder vielleicht richtiger die Höhe des Mittelfufsbeins II ist etwas über 1”, seine Tiefe auf der Tarsusfläche gemessen fast 2 Zoll und die Breite 1-- Zoll. — Das folgende Mittelfufsbein, III, für den 3ten Zehen, ist auf seiner äu- {seren Seite stark verstümmelt und auch da, wo es mit dem eben betrachteten vereinigt ist. Es übertrifft dasselbe um 3 Linien an Tiefe, über die Breite läfst sich nicht urtheilen, die Höhe ist fast 1-”. Die Gelenkfläche zur An- lage des Zehen ist wenig convex. An der Sohle wird eine concave kleine Gelenkfläche, y, bemerkt, die vorn in die Zehenfläche übergeht und die eine Hälfte der Fläche zu sein scheint, an welche sich das verloren gegan- gene Sesambein anschliefst. über fossile Panzerfragmente. 409 Am 4ten Mittelfufsbein (IV) sieht man 5 Gelenkflächen. Diejenige, welche wahrscheinlich mit dem Würfelbein artieulirt, a, ist die gröfste und bestimmt die Tiefe des Knochen, 1” 104”, die für die erste Phalanx, 5, ist breiter aber niedriger; an ihr ist die Breite des Knochen zu bestimmen, welche 1” 64” ausmacht. In diese letztere gehen die zwei concaven Facet- ten, c.c., über, welche die Gelenkfläche für das hier vermifste Sesambein bilden. Hinter diesen Facetten befindet sich ein viereckiger, rauher Raum, der zur Sohlenfläche gehört. An der inneren Seite, dem latus tibiale, ist eine concave, ansehnliche Gelenkfläche, d, die sich ohne Zweifel mit dem abgebrochenen, äufseren Theil vom 3ten Mittelfufsbein verband. An der äu- fseren Seite, die dem kleinen Zehen zugewendet ist, liegt eine dreieckige Ge- lenkfläche, e, welche der inneren am os metatarsi quintum entspricht, unter ihr ist eine rauhe Furche. Die gröfste Höhe dieses Knochen ist genau 1". Der fünfte Mittelfufsknochen, V, erscheint am höchsten, wenn man ihn an seiner Dorsalfläche mifst, etwas über 7 Linien hoch. An der in- neren Seite ist die Gelenkfläche, deren wir eben gedachten, a, für den 4ten Knochen des Metatarsus. An der äufseren Seite, der schmalsten von allen, die keilförmig in den unteren, scharfen Rand übergeht, springt ein wulstartiger Höcker, D, vor, überragt die vordere Gelenkfläche, c, Taf. 1II, Fig. 9, zur Seite. Die Breite von diesem Wulst zur inneren Gelenkfläche ist wenig mehr als 14”, die Höhe oder Tiefe des ganzen Knochen um ein Geringes ansehn- licher. Zwischen diesem Knochen und dem Würfelbein bemerkt man ein rundliches Knochenstück. Taf. III, Fig.9 + und Taf. IV, Fig.3 $, das etwa als ein verschobenes Sesambeinchen zu betrachten sein möchte. Sonst sind weder Gelenkflächen für Sesambeinchen, den oben erwähnten ähnlich, noch diese selbst an dem letzten Mittelfufsbein wahr zu nehmen. So wie vier Mittelfufsbeine lassen sich auch vier Zehen mit Leichtig- keit herausfinden. Von einigen Rudimenten, die einem 5ten Zehen eigen ge- wesen sein dürften, werde ich später etwas nachschicken. Die 4 Zehen sind den 4 Knochen im Metatarsus entsprechend, der 2te bis öte. Das erste Glied ist an allen 4 Zehen genau zu unterscheiden und hierbei keine Ver- wechslung möglich; vom 2ten dürfte dies nur für den 2ten, 3ten und 4ten Zehen gelten und rücksichtlich der Nagelglieder ist gar nichts Bestimmtes auszumitteln. Phys. Abhandl. 1833. Fff 410 D’ALTON Das erste Glied des 2ten Zehen hängt, wie die 6te bis Ote Figur (der 4ten Tafel) zeigen, noch mit seinem Mittelfufsknochen zusammen, es ist gleich den 3 anderen und den 2ten Phalangen dünn und scheibenförmig. Es zeigt eine rundliche Gestalt und hat unten, an dem Theil seines Randes, welcher die Fufssohle berührt, in der Mitte einen Einschnitt (a), der rechts und links von ein Paar höckerartigen, dicken Vorsprüngen, +.}, eingefafst wird. Die vordere Gelenkfläche für die zweite Phalanx, 5, ist fast ganz platt und reicht nicht so weit nach unten als der Einschnitt und die beiden Höcker. Die Breite des Knochen ist hier 154”. Am 2ten und 3ten Zehen (vom letz- teren siehe Fig. 10 von oben und Fig. 15 von unten, einzeln abgebildet, weil es als loser Knochen vorkam) ist dies Glied dadurch von den gleichbeziffer- ten verschieden, dafs man oben, etwas über der Mitte, einen Höcker (c) ge- wahrt, der vielleicht den Strecksehnen zur Anheftung diente. Die erste Pha- lanx des 3ten Zehen mifst vom äufseren unteren Vorsprung zum Höckerchen 1” 8”, dieselbe Phalanx des 3ten Zehen anderthalb Linien mehr (ihre Dicke läfst sich nicht angeben, da vom äufseren Rand ein Theil fehlt; jedenfalls scheint sie auch etwas breiter gewesen zu sein). Die Länge oder Höhe in der Gegend des Höckers beträgt in beiden Gliedern 9 Linien, in der Gegend des Ausschnitts kaum vier Linien. Diese beiden Phalangen haben folgende Bezeichnung, vom 2ten Finger II', vom dritten III!, und letztere fand sich einzeln vor. Beim 4ten Zehen ist die erste Phalanx (siehe Fig. 4 IV! mit der 2ten Phalanx IV?) ziemlich tief, fast an allen Stellen 4 Linien dick; ihr in- nerer Vorsprung spitziger als der äufsere. Die Breite mifst wenig mehr als 13”, die Tiefe kömmt ihr gleich. Am ersten Glied des 5ten Zehen (V!) läfst sich der Einschnitt unten nicht genau erkennen, auch erscheint die Ze- hengelenkfläche (Taf. III, Fig.9a.) durch eine gebogene Linie fast getheilt. Es ist 11” hoch und fast ebenso breit, dagegen kaum 3” dick oder lang. Die zweite Phalanx hat am 2ten, 3ten und 4ten Finger ziemlich die- selbe Gestalt, gleich der ersten unten einen Einschnitt, a, ist aber am obe- ren Rand sehr dünn, beim 2ten und 4ten Zehen gehen die vordere und hin- tere Gelenkfläche hier durch einen scharfen Kamm in einander über; beim 3ten Zehen ist eine schmale, rauhe Stelle zwischen beide eingeschoben. Am dritten Zehen, Taf.IV, Fig.20, von oben, Fig.21, von unten, ist dieser Knochen, III?, der sich, wie dieselben Beinchen des 2ten und 4ten Zehen, über fossile Panzerfragmente. 414 einzeln vorfand, am gröfsten, wenn man seinen zertrümmerten äufseren Rand in Anschlag bringt ist seine Breite noch über 1” 7”, die Tiefe beträgt 15”. Diesem folgt derselbe Knochen des 2ten Zehen, Fig. 14 von oben, Fig. 19 von unten (Il?) 17 Linien breit, 13 tief, und ihm der des 4ten Zehen, 15 breit, fast 1 Zoll tief (IV?). Was die Nagelglieder betrifft, die wahrscheinlich zu dem bisher be- schriebenen Fufs gehören, so wage ich darüber keine entscheidende Mei- nung, da an dem einen der Gelenktheil fehlt, bei den beiden anderen die Gelenkflächen zu keinem der drei entsprechenden Glieder passen, die als die des 2ten, 3ten und 4ten Zehen beschrieben sind. Von den 3 Nagelglie- dern, die einzeln vorliegen, sehen 2 einander sehr ähnlich und scheinen Nach- barn gewesen zu sein, da man sie als die symmetrischen Hälften eines Gan- zen betrachten kann. Der eine Knochen (Taf. III, Fig.6 im Profil von au- fsen, Fig.13 von oben, Fig. 14 von unten und Fig. 15 von hinten oder von der Gelenkfläche) ist vollständig und sein Gelenkende erscheint als noch un- verschmolzene Epiphyse (a). Er hat viel Ähnlichkeit mit der einen Hälfte der knöchernen Klauen derjenigen Thiere, die zur Familie mit gespaltenen Klauen (diswlca) gehören. Die innere Fläche (a) steht ziemlich senkrecht, hat unten und hinten gemeinschaftlich mit der unteren Fläche (2) ein Tuber- kel ($#), woran sich die Beugesehne inserirt haben mag. Die äufsere Fläche, c, fällt schräg von innen und oben nach unten und aufsen ab. Die hintere oder Gelenkfläche, d, ist fast dreieckig. Ihr überknorpelter Theil, F.F., erstreckt sich nicht ganz bis zum unteren Rand und ist oval, oben concav, unten convex. Die Epiphyse ist hier quer durch die Mitte geborsten. Die- ses Nagelglied ist lang 1 Zoll 9 Linien, hoch 1” 4”, breit 13” und —. Das Taf. III, Fig. 11 von oben und aufsen abgebildete Nagelglied ist dem vorigen höchst ähnlich, nur fehlt ihm die Epiphyse; defshalb erscheint es auch in der Ansicht von hinten so rauh, siehe Fig. 12; den abgebrochenen Theil hinzugerechnet zeigt es sich von gleicher Gröfse als das vorbeschriebene Glied. Das 3te Nagelglied, Taf.III, Fig.3, I von oben, II von unten, III von hinten, Fig.7 von aufsen, hat eine ganz andere Gestalt. Es sieht mehr der Kralle eines Raubthiers gleich, ist sogar etwas nach unten gekrümmt, nur mehr gestreckt. Auch hier ist der Gelenkfortsatz noch Epiphyse («), innen und unten bemerkt man gleichfalls einen Höcker (+). Daraus, dafs dieser Höcker und die höchste Stelle des Gelenktheils an einer Seite und Fff2 412 DALTON zwar der, der gewölbten, äufseren, c, gegenüber sich befinden, ergiebt sich, dafs dieser Knochen an die Seite des kleinen Zehen und zum linken Fufs ge- hört. Diese Phalanx ist 14” lang, 11” hoch und 8” breit. Von den Knochen des Fufses sind uns noch die beiden einzigen Se- sambeine zu betrachten übrig, die auf der 4ten Tafel Fig.7, 8 und 9 abge- bildet und mit « und ® bezeichnet sind. Sie bestehen, wie man deutlich sicht, aus 2 Stückchen, einem kleinen inneren, 2, und gröfseren äufseren, «. Das gröfsere Stück hat eine schiefe Richtung, von oben und aufsen nach un- ten und hinten und ist von dem kleinen Stück, über welches es sich mit sei- nem hinteren Ende weglegt, aus der natürlichen Lage verdrängt. Es hat unten einen scharfen Rand, ist am hinteren Ende breiter, wo es auf einer deutlich wahrnehmbaren Fläche der unteren Seite am zweiten Mittelfufsbein aufruht, während sein vorderes Ende sich auf das dritte Mittelfufsbein stützt. Dieses Sesambeinchen mifst in der Länge 1-; Zoll, ist an seiner hinteren Extremität 11 Linien hoch. Das kleinere, innere Sesambein, £, hat eine mehr bohnenförmige Gestalt, wie sie dieser Knochen bei den Raubthieren zeigt, wo er auch paarweise an jedem Gelenk zwischen Mittelfufs und Zehen vorkömmt, und ist so nach aufsen verschoben, dafs die Gelenkfläche, worauf er articuliren sollte (Fig.7, S und 9 y und zwar das y, welches unter dem zweiten Mittelfufsbein (II) bemerkt wird) frei erscheint und er dafür die seinem Nachbar, «, zukommende Fläche, weiter nach aufsen, eingenommen hat, wodurch dieser wieder, auf die beschriebene Weise, nach dem dritten Mittel- fufsknochen verdrängt ist. Diefs Beinchen ist überall ziemlich gleich hoch, m m hinten 5”, vorn 4”, seine Länge 13”. Aufser den betrachteten Knochen der hinteren Extremität sind noch 2 Stückchen vorhanden, die vielleicht zum Fufs und den Zehen ins Beson- dere gehören und hier mit einigen Worten Erwähnung finden mögen. Das eine Stück besteht deutlich wieder aus 2 Knochen, einem gröfseren und dickeren, «, und einem kleineren und dünneren, , welches letztere mehr einer der von uns abgebildeten Phalangen ähnlich sieht. Fig.5 der 4ten Tafel zeigt dies gröfsere Stück im Profil, Fig. 11 von der Seite des klei- neren Knochen angesehen, Fig.12 von der des gröfseren Knochen. Der gröfsere Knochen hat einen Hackenfortsatz, &. Man könnte diese beiden Knöchelchen wohl als 2 Zehenglieder betrachten und es wäre nicht unmög- über fossile Panzerfragmente. 413 lich sie als das Rudiment vom grofsen Zehen darzustellen. Wenn man von dem noch vorhandenen ersten Glied des kleinen Zehen absieht, könnte man sie auch zu diesem rechnen; erwägt man aber, dafs das erste Glied wirklich erhalten ist, so fehlen nur das 2te und Nagelglied; hier sind aber 2 Stücke mit einander verbunden, die gewifs in der Natur zusammen gehörten; giebt man diesen dazu das fehlende Nagelglied, so würden auf den kleinen Ze- hen 4 Glieder gerechnet werden müssen; wozu wir uns nicht berechtigt glauben. Aber auch für verkümmerte Wirbel vom Ende des Schwanzes könnte man die beiden Beinchen nehmen, da diese zuweilen kaum noch die Wirbelgestalt haben. Das 2te hier anzuführende Stück ist einfach, platt, dreieckig, hat 2 lange Ränder, einen concaven, dicken und convexen scharfen und einen kur- zen Rand, der an der einen Seite dick ist, an der anderen spitz ausläuft. Taf. IV. Fig. 16 stellt diese Knochen, a vom kurzen Rand aus angesehen dar, b vom scharfen langen und c vom concaven dicken. Von den Flächen aus betrachtet gewinnt dieser Knochen viel Ähnlichkeit mit einer Phalanx, wie sie die neben angrenzenden Figuren darstellen. Man sieht daran einen Ein- schnitt, a, und neben diesem zwei Höcker, Fr. Fig. 22 stellt diesen Knochen von seinen beiden Flächen dar, die glatt und wie Gelenkflächen erscheinen. Ich würde dies Beinchen ohne weiteres für die zweite Phalanx vom kleinen Zehen halten, wenn es sich an die beschriebene erste anfügen liefse; doch dazu ist es zu klein. Schliefslich will ich noch bemerken, dafs aufserdem 3 kleine Knochen- fragmente vorhanden sind. Sie bestehen aus unkenntlichen Trümmern ohne genau unterscheidbare Gelenkflächen und sind von so unregelmäfsiger und wenig characteristischer Gestalt, dafs ich sie nicht zu bestimmen vermochte. Es würde freilich die Vergleichung mit anderen Skeleten viel erleich- tert haben, wenn es möglich gewesen wäre den Fufs auf ähnliche Weise re- staurirt abzubilden, wie mit der Hand geschehen; aber diefs mufste unter- bleiben, theils wegen zu grofser Verstümmlung einzelner, theils wegen Ver- schiebung der zu einander gehörigen Theile. Doch wird man sich aus der Betrachtung der Keilbeine mit dem Schiffbein und des Würfelbeins, nebst 414 DALTON den Mittelfufsknochen sammt den beiden ersten Zehengliedern leicht eine Vorstellung von der Kürze, Gedrungenheit und Stärke des Fufses machen können. Man sieht ferner, dafs von allen Knochen am Fufs nur das Fersen- bein einigermafsen lang zu nennen ist und ich habe oben gesagt, dafs sein Volumen dem desselben Knochen eines Nashorns fast gleich kömmt und seine Länge nur 4-- Linie geringer ist, als bei einem Pferdeskelet. Bei der Ver- gleichung mit den von Cuvier auf der Xten Tafel Fig. 20 (Dasypus niger) und auf der XlIten Tafel Fig.17, (D. sexcinctus) Fig. 18 (D. unieinctus) und Fig. 19 (D. grandis) abgebildeten Füfsen erkennt man, die Fufswurzel betref- fend, dafs D. sexcinetus und unicinctus acht Fufswurzelknochen haben, in- dem am innersten Keilbein und dem Schiffbein ein überzähliges Knöchel- chen angehängt ist. Ferner zeigen alle 4 Figuren eine gröfsere Höhe oder Länge des Schiff- und Würfelbeins, so wie der drei Keilbeine und dadurch gewinnt bei ihnen der untere Theil der Fufswurzel nicht wenig an Ausdeh- nung. Das Würfelbein besonders entspricht durch seine Gestalt mehr dem Namen; desgleichen das Schiffbein, welches, wie die Keilbeine, beim fos- silen Thier tafelförmig ist. Bei den vier angeführten Arten von Gürtelthie- ren ist das innerste Keilbein weit länger als die beiden anderen und, wie es scheint, auch bei allen, vielleicht D. nıger ausgenommen, am voluminöse- sten. Dagegen zeigt sich die Rückenfläche des mittleren oder zweiten Keil- beins in allen 4 Figuren am kleinsten. Betrachtet man nun den Mittelfufs und die Zehen, so nimmt man bei den vorerwähnten vier Füfsen fünf Zehen und also ebensoviel Mittelfufs- beine wahr; unter den fossilen Knochen liefsen sich mit Gewifsheit nur die Knochen der vier äufseren Zehen auffinden und diese alle sind viel kürzer und gedrungener, als dieselben Knochen aller 4 Dasypusarten. Besonders erscheinen die Mittelfufsbeine bei den Gürtelthieren ansehnlicher und länger. D. niger steht durch gröfsere Kürze und Breite der ersten und zweiten Pha- lanx an den drei mittleren Zehen dem fossilen Thier am nächsten und, wenn man der Abbildung trauen darf, (denn im Text geschicht dieses Umstandes keine Erwähnung) ist am Nagelglied des ersten, zweiten und vierten Zehen auch das Gelenkende eine noch unverwachsene Epiphyse. Die Nagelglieder der Füfse haben eine ganz andere Gestalt als die auf unserer dritten Tafel unter Fig. 6, 11 bis 15 abgebildeten und zeigen nur bei D. niger einige Ähn- lichkeit mit der unter Fig.3 und 7 abgebildeten Nagelphalanx. über fossile Panzerfragmente. 415 Mit dem Hinterfufs des gemeinen Maulwurfs hat der fossile keine grö- fsere Ähnlichkeit als mit jenem der Gürtelthiere; denn bei jenem ist dieser Theil verhältnifsmäfsig schlanker als bei diesen und nur die zweite Phalanx der vier äufseren Zehen ist ziemlich kurz. Vergl. die Skelete der Chiropte- ren und Insectivoren a.a. 0. Fig. m. Rücksichtlich der Kürze der ersten und zweiten Phalanx steht das Rhinoceros unserem Thier am nächsten; doch haben diese hier verhältnifs- mäfsig immer noch das Doppelte der Länge. Hatten wir, wie ich oben zu zeigen gesucht, zwischen der Hand des fossilen Thiers und jener der Gürtelthiere einige Übereinstimmung gefunden, so sehen wir jetzt am Fufs zwischen beiden a gröfsere Ähnlichkeit als sich zwischen dem fossilen Fufs und dem mehrerer anderen fünfzehigen Thiere findet. Wir können daher aus der mitgetheilten Osteologie des ur- weltlichen Thieres nicht füglich eine genügende Bestätigung für die Ansicht ableiten, welche wir aus der Betrachtung der zu Anfang beschriebenen Pan- zer gewonnen, dafs nämlich die vorliegenden Knochen sammt den Panzer- fragmenten einem den Gürtelthieren nahe verwandten Thiere oder vielleicht sogar einer sehr grofsen, wahrscheinlich untergegangenen Art von Dasypus angehört haben möchten. Die wenigen vorhandenen fossilen Knochen rei- chen nicht hin um eine so bestimmte Meinung über das zoologische Verhält- nifs des Thieres zu begründen. Um aus den Knochen allein auf die übrige Beschaffenheit des Thieres selbst einen nur etwas gesicherten Schlufs zu machen, bedarf es eines ziemlich vollständigen Skeletes. Wollte man be- sonders die Ordnung der Säugethiere — denn dafs wir mit einem Säugethier zu thun haben wird wohl niemand bezweifeln — ermitteln, zu welcher man das Thier zählen dürfte, so wäre es unerläfslich den Schädel und die Zähne zu untersuchen, indem gerade der Ordnungscharacter im Allgemeinen mit auf dem Bau der Zähne beruht und zumal bei den Zahnlosen, zu welchen wir (vermöge der oben gedachten Analogien mit den Gürtelthieren) die fos- silen Reste zu rechnen geneigt sind, vorzugsweise in dem negativen Merkmal des gänzlichen Mangels der Schneidezähne besteht. In Erwägung dieser Umstände habe ich nicht ohne Hoffnung aus der von W. Yarrel(!) bekannt (') Zool. Journ. Nr.xıı. 1828. übers. in Froriep’s Notizen B.25. S.145. Abbild. im folg. Bd. 416 DALTON gemachten Osteologie des chlamyphorus truncatus einigen Aufschlufs über die Stellung im System zu erhalten, welche dem fossilen Thier gebührt, nach der Beschreibung der Hand und des Fufses von diesem äufserst merkwürdi- gen Thier gesucht, aber leider vergebens. Von den Füfsen finde ich nichts weiter erwähnt, als dafs sie mit Sesambeinen für die Insertion der Beuge- muskeln versehen sind; von dem Fersenbein wird angeführt es sei nach hin- ten verlängert, platt und endige mit einer nach hinten geneigten leichten Wölbung. Aus der Betrachtung der beigefügten Abbildung des Skelets, welche die natürliche Gröfse darstellt, sieht man auf den ersten Blick, dafs weder die Hände, noch die Füfse, deren Bau doch höchst wahrscheinlich besonders interessant sein wird, gehörig präparirt sind. Es bleibt also der Zukunft vorbehalten, so wie manches andere in der Organisation des chla- myphorus, so auch diese Partien besser zu untersuchen und publiciren und zugleich sein Verhältnifs zu den Gürtelthieren zu beleuchten. Wir wollen uns hier am Schlufs noch einige Bemerkungen über die Gröfse des fossilen Skelets erlauben. Oben ist gezeigt, dafs die Vergleichung der Panzerstücke mit denen der Gürtelihiere nur eine unsichere Schätzung giebt. Wir hätten daher von den Knochen gern einen zuverläfsigeren Mafs- stab entlehnt, aber auch hier stofsen wir auf mehrere Beschränkungen. Es sind oben bei der Beschreibung der Hand und des Fufses einige Thiere er- wähnt, deren Knochen ähnliche Dimensionen und Proportionen zeigen. Man begreift aber leicht, dafs dennoch zwischen den Skeleten des Nashorns, Pferdes, der Gürtelthiere, des Maulwurfs und den fossilen Knochen zu grofse Unterschiede obwalten um auf dem Wege der Vergleichung mit den- selben zu einem genügenden Resultat zu gelangen. Diejenigen unter den fossilen Knochen aus denen sich allein einigermafsen die Höhe und mittelbar auch die Länge des Thieres abnehmen läfst, sind der Vorderarm und die Hand. Wir vergleichen diese defshalb mit dem von Cuvier abgebildeten Vorderarm und Hand des D. grandis. Seine Abbildung stellt die Theile zur Hälfte der natürlichen Gröfse dar und da in der Tabelle der Gröfsenverhält- nisse keine Mafse von dieser Species angegeben sind, werde ich durch Über- tragung mit dem Zirkel die Vergleichung mit meinen Zeichnungen anstellen. Ich finde auf diese Weise, dafs die Ulna des D. grandis in Cuvier's Abbil- dung genau den 3ten Theil der Länge der fossilen beträgt und da dort gerade die Hälfte der natürlichen Gröfse angegeben ist, dafs die Ulna nur die Hälfte über fossle Panzerfragmente. 417 der natürlichen Gröfse angegeben ist, dafs die Ulna um die Hälfte länger ist, als die des Riesengürtelthiers. Anders ist das Gröfsenverhältnifs des Radius; er mifst in der Abbildung nur den 4ten Theil des fossilen, also ist dieser doppelt so grofs, als die natürliche Gröfse der Speiche des genannten Dasy- pus beträgt. Die Hand des D. grandis ist dagegen in ihrer gröfsten Länge wirklich um einige Linien länger als die fossile. Nimmt man nun an, dafs der D. grandis, den Schwanz nicht gerechnet, über 3 Fufs lang gefunden wird; so würden sich den angeführten Proportionen gemäfs und je nachdem man den einen oder anderen Theil zum Malsstab nimmt, folgende Gröfsen- bestimmungen für das fossile Thier ergeben; nach der Ulna berechnet zwi- schen 4-5 Fufs, nach der Elle zwischen 6-7 und nach der Hand nur unge- fähr 3-34 Fufs. Man sieht aus diesen Berechnungen, dafs auf keinem der eingeschlagenen Wege mit einiger Zuverlässigkeit die wirkliche Gröfse des fossilen Geripps auszumitteln ist. Um die aufserordentliche Dicke und Stärke der fossilen Knochen deutlich zu machen führe ich hier noch einige Messun- gen des Vorderarms eines alten, grofsen Löwen an. Seine Ulna ist 13” lang, (die fossile nur 84) aber an keiner Stelle so dick als die fossile, ja in der Mitte der ganzen Länge, wo letztere unter dem Kronenfortsatz 22" milst, ist jene nur 14” breit. Beim Löwen hat die Speiche 114 Zoll Länge (hier kaum 5” 10”), das untere Gelenkende hat bei ihm 244” Breite und das obere 164”. Gegen den Löwen gehalten würden wir uns also ein niedri- ges, aber sehr gedrungenes Thier vorzustellen haben und nach der Ähnlich- keit in der Construction der Hand mit der des Maulwurfs glaube ich, dafs man sich die Gestalt desselben etwa wie die des Maulwurfs denken darf. Da wir keine Theile vom Rumpf gesehen, z.B. keine Rippen, keine Wirbel, ist es freilich gewagt über diesen ein Urtheil zu fällen, doch wenn man er- wägt, dafs die starken Extremitäten theils von der Stärke des Rumpfs ab- hängen, theils diese selbst bedingen, so wird man nicht zuviel wagen, wenn man diesen als plump, schwerfällig und vielleicht ziemlich lang annimmt und dann möchte die oben angeführte Länge von 10 Fufs, bei einer Höhe von 4zFufs, nach der Vermuthung von Sellow, nicht übertrieben erscheinen. Die Bedeutsamkeit der durch Sellow’s Sorgfalt und Fleifs zu uns ge- langten Knochen für die Wissenschaft bedarf zwar an sich weder eines Be- weises, noch einer besonderen Versicherung, denn es wäre, wollte man auch Phys. dbhandl. 1833. Geg 418 DALTON die ganz eigenthümliche, noch nie beschriebene Beschaffenheit der fossilen Knochen vor der Hand unberücksichtigt lassen, schon an sich wichtig die Petrefacten der neuen Welt kennen zu lernen. Bedenkt man aber, dafs der Fundort der Panzerstücke und Reste vom Geripp, welche den Gegenstand dieser Abhandlung ausmachen, eben sowohl im südlichen Theil von Süd- Amerika liegt, als die Gegend, wo am Flufs Luxan, unweit Buenos -Ayres, das berühmte Skelet des Megatheriums gefunden worden ist; dafs ferner das Megatherium ein unbezweifeltes Edentatum ist, dafs in demselben Land und . den benachbarten Ländern die dem letzteren zunächst verwandten Faul- thiere noch heute leben und mit und neben diesen zwei andere Geschlechter von Zahnlosen, nämlich die Ameisenfresser und Gürtelthiere, die auch nur der neuen Welt eigen sind, so erhöht sich die Wichtigkeit der oben geschil- derten Erwerbung nicht wenig. Ferner dürfen wir nicht unerwähnt lassen, dafs die Entdeckung des Chlamyphorus truncatus, die man erst in neueren Zeiten in Chili gemacht, die Zahl der lebenden Geschlechter von der Ord- nung der Edentaten durch ein sehr paradoxes Genus bereichert und dafs wir durch die proceedings of the geolog. Soc. of London Nachrichten von 3 Mega- therium-Skeleten empfangen, die man, auch erst in der jüngsten Vergangen- heit, in der Banda oriental gefunden und dafs unter diesen 2 mit einer dicken, knochigen Schale bekleidet waren, von welcher beträchtliche Stücke mit nach England gekommen sind. —— ea >— über fossile Panzerfragmente. 419 Erklärung der Kupfertafeln. Tafel 1. Diese Tafel stellt die fossilen Überreste, welche zum Ober- und Vor- derarm gehören, nebst verschiedenen Stücken aus den Panzern lebender Gürtelthiere dar. Da auf dieser, so wie auf allen folgenden Tafeln dieselben Knochen, so oft sie vorkommen, ohne Unterschied der gewählten Ansicht, überall mit denselben Zahlen, Buchstaben und Zeichen markirt sind, ist es genügend für jeden Knochen einmal sämmtliche Details mit ihren Bezeichnungen anzuführen und bedarf es alsdann nur der Angabe der An- sicht bei den einzelnen Figuren. Ich gebe daher zuerst eine Übersicht der Zeichen, deren ich mich bei der Beschreibung des Oberarmbeins und der Vorderarmknochen bedient habe. Der Fig.3 abgebildete Knochen ist das untere Gelenkende des Oberarmbeins. Man bemerkt daran die Epiphyse 4, und den Körper 3. An der Epiphyse sieht man bei a an der inneren Hälfte einen Einschnitt und bei «« die natürliche Abgrenzung gegen den Körper. 2% die Bruchfläche am Körper, 5 die Grube für den vorderen Rand der Speiche, c die Grube für das Olecranon, d die Leiste über dem äufseren Condylus. An der Elle bemerkt man: a den Ellbogenfortsatz mit seinem noch getrennten Höcker d, den Kronenfortsatz c, den grölseren S-förmigen Gelenkausschnitt, dessen innerer schma- lerer Theil d, der äufsere breitere d’, der kleinere S-förmige Ausschnitt ee’, xX sein oberer stumpfer Winkel, f der rauhe Eindruck zwischen den beiden Facetten e und e’. Bei g ist etwas von der Gelenkfläche abgebrochen. A Vertiefung innen unter dem Kronen- fortsatz, i kleine dreieckige Fläche unten am Körper der Elle, wo der vordere Rand des- selben, A, endigt. Z der hintere Rand des Körpers, woran bei = ein Stück fehlt. m die Epiphyse mit n, ihrer ohrförmigen unteren Gelenklläche. Die Speiche besteht aus a, dem oberen Ende oder Kopf, woran 5 die Gelenk- fläche zur Verbindung mit der Ulna und cc für die kopfförmige Erhabenheit am Ober- arm. f der Körper, d die untere Epiphyse mit e, der Gelenkfläche für den Carpus. Bei «& ist aulsen am Körper und der Epiphyse ein beträchtlicher Theil abgebrochen, von der letzteren fehlt noch etwas bei X. Fig.1. Die unteren Gelenkenden der Speiche und Elle, damit man ihre Gelenk- flächen sieht. Fig.2. Das obere Gelenkende der Speiche von hinten. Fig.3. Das untere Gelenkende des Oberarmbeins von vorn. Fig.4. Die Elle von vorn. Fig.5. Die Speiche von vorn. Fig.6. Die Elle von der äufseren Seite. Fig.7. Das obere Gelenkende der Speiche von oben. Die Figuren 8 bis 18 stellen einzelne Theile aus den Brust- und Hüftpanzern ver- schiedener Gürtelthiere dar. Fig. 8-11 bezieht sich auf Dasypus niger, Fig.12 und 13 auf Tatou Poyou (?), Fig.14 auf D. grandis juv. (2), Fig.15, 16 und 17 auf eine unbestimmte Art, und Fig.18 auf D. villosus (?). Ggg2 420 D’ALTON Fig. 8, 9 und 10 stellen die Schildchen des Hüftpanzers von D. niger ohne die Epi- dermis dar. Fig.8 ein Stück aus der Mittellinie, über der Wirbelsäule hinter dem letzten Gürtel gelegen. Fig.9 einige Schildchen desselben Panzers, links neben der Mitte, von der inneren den Muskeln zugekehrten Fläche gesehen: a ist ein Schildchen, noch um 3 Reihen vom hintern Rand entfernt. Fig. 10 eine Stelle von demselben Panzer, 14 Zoll weiter hinten, rechts neben der Mitte, @ ist das Schildchen, welches in der nächsten Figur gleichfalls mit a bezeichnet ist. Fig. 11. Ein knöchernes Schildchen mit seinem Überzug, der aus mehreren Stücken der Epidermis besteht, nämlich aus a, einem mittleren grölseren Stück, welches die unterliegende Knochentafel nicht völlig bedeckt, aber auch nach keiner Seite überragt, und aus 7 kleineren Stücken, 1-7. Diese umgeben das gröfsere und liegen zum Theil auf dem Schildchen a, zum Theil auf den benachbarten 2, c, d, e, f und g. — Fig. 12. Stück vom hintern Rand des Hüftpanzers des Tatou Poyou (?), a ist das 5° Randstück von der Mitte des Schwanzausschnittes gerechnet. Fig.13. Stück vom rechten Seitenrand des Brustpanzers desselben Thieres. — Fig. 14. Stück vom Hüftpanzer des D. grandis (?) über und hinter dem linken Hinterfuls. — Fig. 15. Stück vom Brustpanzer eines unbestimmten Gürtelthieres; es stellt einen Theil des Halsausschnittes dar und a ist das Schildchen, welches in Fig. 17 denselben Buchstaben trägt. Fig. 16. Die linke vordere Ecke desselben Panzers. In beiden Figuren sieht man blofs den Knochen, denn die Epidermis fehlte ganz und gar. Fig.17. Ein Theil der Schildchen, welche in der 15" Figur abgebildet sind, von der unteren Fläche. — Fig.18. Der rechte Rand des Schulterpanzers eines Dasypus, der dem Tatou velu von Azara fast ganz entspricht; 1-8 sind die hackig gekrümmten Randschilder. Tafel II. Diese Tafel stellt alle Knochen dar, welche von der linken Hand übrig geblieben sind. Von den 5 Knochen der Handwurzel, welche wir empfangen haben, ist 4 das Mondbein, B das dreieckige Bein, C das Erbsenbein, D das Kopfbein, und E das Hackenbein. Folgende Buchstaben haben bei denselben die näm- liche oder correspondirende Bedeutung: a die Gelenkfläche für die Vorderarm - oder Knochen der ersten Reihe des Carpus, 5 die Gelenkfläche für die zweite Reihe des Carpus oder für die Mittelhandbeine (bezeichnet bei einigen Figuren auch den Rand dieser Fläche und 2' den Theil der Fläche, welcher mit einem zweiten Mittelhandbein articulirt), c die Speichen- fläche beim dreieckigen und Hackenbein (beim letzteren aus einer oberen Partie cc und einer unteren c'c* bestehend), bei dem mondförmigen und Kopfbein ist c die der Speichenfläche entsprechende Ellenfläche. d die Handrückenfläche, e die Hohlhandfläche. An dem dreieckigen Bein (2) bedeutet f die Concavität der unteren oder Mittelhand- fläche, welche das Hackenbein Auen und f' jene für das fünfte Mittelhandbein. « ist die Speichenfläche des Kopfbeins, «' ihr verstümmelter Theil. Die drei Mittelhandbeine, III, IV und V, haben: folgende gemeinschaftliche Be- zeichnungen: a ist die Gelenkfläche, welche sich an die zweite "Reihe der Handwurzelbeine anlegt, 5 die Fläche für das erste Fingerglied, d die Dorsallläche. Vom dritten Mittel- handbein (III) ist noch ins Besondere zu bemerken, dals es aus 3 Stücken, «, 2 und y besteht; am vierten (IV) sieht man bei =# die Grube auf der Dorsalfläche, auf der Speichen- fläche y, eine Facette y', zur Vereinigung mit dem 3!“ Mitteihandbein, und auf der Ellen- fläche c, eine andere überknorpelte Fläche 7, für den 5! Metacarpen; am 5! Mittelhand- über fossile Panzerfragmente. 421 bein ist c die Ulnarfläche, mit d, einer kleinen Gelenkfläche, vielleicht für das Erbsenbein ; + ist der kegelförmige Vorsprung, der in die Grube am angrenzenden Knochen sich legt, e die Volarfläche. Die ersten Phalangen des 3!, Atea und St Fingers sind bezeichnet mit III', IV‘ und V'. Man unterscheidet an ihnen, so wie an den zweiten Phalangen derselben Fin- ger, II?, IV? und V?, auf der unteren Fläche oder besser auf dem Volarrand, in der Mitte einen Eindruck e, und zu beiden Seiten ein Paar Höckerchen Ff. Die drei Nagelglieder, II, IV? und V’, haben am Gelenkende eine noch unverwachsene Epiphyse «, woran sich eine obere, gröfsere Gelenkfläche a, a, für die 2° Phalanx, und eine untere, kleinere 2, b, für das Sesambein befindet. c starke Rauhigkeit an der Hohlhandfläche für die Beugesehnen. dd seitliche Eindrücke, wahrscheinlich für die Lateralbänder. Die drei Sesambeinchen, III*, IV* und V*, haben eine aus zwei Abtheilungen be- stehende Gelenkfläche, aa, eine für die zweite, eine für die dritte Phalanx. Fig.1. Das Kopfbein mit dem Mittelhandbein, der ersten und zweiten Phalanx des 4!“ Fingers, von der Ellenseite. Fig.2. Das Mondbein mit dem Kopfbein, von der nämlichen Seite. Fig. 3. Das dreieckige und Hackenbein, von der Speichenseite. Fig.4. Das Mittelhandbein, die erste und zweite Phalanx und das Sesambein- chen des te" Fingers, von derselben Seite. Fig.5. Das Nagelglied des A Fingers, von der Hohlhandfläche. Fig.6. Die linke Hand, restaurirt, so gut es möglich war. Man sieht, dals das Kopf- bein mit dem Mittelhandbein des 3" und At Fingers und das Hackenbein mit den Mittelhandbeinen des At® und te" Fingers verbunden waren. Fig.7: Dieselben Theile, wie in Fig.4, von der Hohlhandfläche. Fig.8. Das Nagelglied des Ater Fingers, von der Gelenkfläche gesehen. Fig.9. Das Nagelglied ohne Epiphyse, wahrscheinlich dem 3!" Finger zugehörig, ist in die Nähe der restaurirten Hand gestellt, um diese anschaulicher zu machen. Fig.10. Dieselben Theile, wie in Fig.4 und 7, von der vorderen, unteren Gelenkfläche des 2: Gliedes angesehen. Fig. 11 und 12. Das Nagelglied ohne Epiphyse — von oben — und von der Hohlhandfläche. Fig.13. Das Sesambein für den 3! Finger, von der Gelenkfläche gesehen. Fig.14 und 15. Das Nagelglied des 5“ Fingers — von der Hohlhand — und von der Gelenkfläche. Fig.16. Dieselben Theile, wie in Fig.1, von der Speichenseite. Man bemerkt noch einen Rest des dritten Mittelhandbeins. Fig.17. Die Handwurzelknochen, von oben gesehen. Zwischen B und C kommt etwas vom öten Mittelhandbein zum Vorschein; «' und aa bezeichnen die getheilte obere Gelenkfläche des dreieckigen Beins. Fig.18 und 19. Das Sesambeinchen des 4 Fingers — von der Gelenkfläche — und von hinten. Tafel ID. Diese Tafel stellt ein Stück vom Schienbein, die Fulswurzelknochen, das Mittelfufsbein und die erste Phalanx des kleinen Zehen, so wie alle Nagelglieder des Fulses dar. 422 DALTOoN An dem Schienbeinrest unterscheidet man: die Epiphyse des unteren Gelenkendes «, und die Überbleibsel des Körpers £. Die Stelle, welche der Articulation mit dem Waden- bein entspricht, ist mit a und eine kleine Vertiefung unter ihr mit f markirt. Die drei Stücke, in welche das Sprungbein zerbrochen ist, sind mit 4, B und C bezeichnet. A ist die Rollläche und hängt noch mit dem Schienbein zusammen, 2,2 eine schmale, glatte, wahrscheinlich Gelenkfläche, c ein Stückchen von der Rollfläche selbst; 2 ist derjenige Theil, welcher der unteren Hälfte des Körpers entspricht und noch durch seine natürliche Verbindung mit dem Fersenbein zusammenhält; C ist der sehr starke, aber kurze Kopf mit einem Höcker am Halse, a. » Das Fersenbein besteht aus dem Körper a, und dem abgesonderten Höckerchen 2. An der äufseren Seite des ersteren ist eine vorspringende Leiste c, die vorn mit einem Vor- sprung d, endigt. e der Tragfortsatz, f Aushöhlung zwischen ihm und dem Körper, g ein kleiner freier Theil der Gelenkfläche auf dem Sustentakel, % Gelenkfläche für das Würfel- bein, z glatter Rand, wahrscheinlich der Fläche 55 am Rollstück des Sprungbeins ent- sprechend. Am Würfelbein ragt hinten ein glattes Tuberkel a, in die Vertiefung am Fersenbein passend, vor; der Theil der hintern Fläche dieses Knochen darüber x, ebenso wie der un- tere 7, ist rauh. 5 die vordere Gelenkfläche für die Mittelfulsbeine, d die Gelenkfläche für das Schiffbein. Das Schiffbein hat oben «, und unten ££, Vorragungen, % ist der untere Fortsatz, a die Gelenkfläche für das Würfelbein, 5 die durch Verschiebung sichtbar gewordene Keil- beingelenkfläche. Die drei Keilbeine sind I, II, II; a die glatte, gewölbte, vordere Fläche am ersten Keilbein, 55 die beiden Fragmente des zweiten Keilbeins, # rauhe Stelle zwischen der vor- deren und hinteren Gelenkfläche desselben. Das Mittelfulsbein des kleinen Zehen V, mit der ersten Phalanx V',a ist bei der letzteren, c bei dem ersteren die vordere Gelenkfläche; 5 ein wulstartiger Höcker aulsen am Mittelfulsbein, + rundliches Knochenstückchen, vielleicht ein kleines Sesambein. Den Nagelgliedern gemeinschaftliche Bezeichnungen sind folgende: « das Gelenk- ende, aus einer unverwachsenen Epiphyse bestehend, a die innere Fläche der eigentlichen Klauenpartie, hinten und unten mit einem rauhen Höcker =F, versehen; 5 die untere oder Sohlenfläche, c die äufsere und d die Gelenkfläche (letztere ist in Fig. 15 durch einen Sprung in eine obere und untere Hälfte Ff, getheilt). Fig.1. Das Fersenbein mit der unteren Hälfte des Sprungbeins, von der Seite, welche der nächsten Reihe der Tarsusbeine zugekehrt ist. Fig.2. Dieselben Theile, von oben oder vorn angesehen. Fig.3. Ein Nagelglied, I von oben, II von unten, III von hinten. Fig.4. Das untere Ende des Schienbeines mit einem Stücke von der Rolle des Sprungbeines. Fig.5. Das Würfelbein, von hinten oder oben. Fig.6. Ein Nagelglied, von aulsen. Fig.7. Dasselbe Nagelglied, wie in Fig.3, gleichfalls von aufsen. Fig.8. Das Schiffbein, mit dem Kopf des Sprungbeins und den drei Keilbeinen, von der Seite des Würfelbeins gesehen. über fossile Panzerfragmente. 423 Fig.9. Dieselben Theile mit dem Würfelbein, dem Mittelfu[sbein und ersten Glied des kleinen Zehen, von der den Mittelfulsbeinen zugekehrten Seite gesehen. Fig.10. Das Schiffbein mit dem Kopf des Sprungbeines, von hinten oder oben. Fig.11 und 12. Ein Nagelglied ohne Epiphyse, von aulsen — und von hinten (oben). Fig.13, 14 und 15. Dasselbe Nagelglied, wie in Fig.6; Fig.13 von vorn und oben‘, Fig.14 von unten und aulsen, Fig.15 von hinten (oben). Tafel IV. Sie zeigt die beiden Fragmente des Schulterblattes und alle übrigen Knochen von dem Fuls, welche auf der vorigen Tafel nicht enthalten sind, nebst einigen unbestimmten Beinchen. Die Fragmente des Schulterblattes sind seine durch einen Bruch in zwei Stücke ge- theilte Gelenkpartie, die als Epiphyse noch nicht verwachsen war. A das grölsere Stück, B das kleinere; aa die Fläche, durch welche sich diese Stücke mit dem Hals des Schulter- blatts verbanden, 5 die concave glatte Gelenkfläche, c eine spitzige Vorragung am Tiande derselben, # die dickste Stelle am Rand, neben der Gelenkfläche. Die Mittelfuflsbeine für den 2, Zt, Zten und 5! Zehen, II, II, IV und V, ihre Gelenkfläche zur Articulation mit der Fulswurzel aa, die Fläche auf dem Rücken des Fufses c, die Gelenkfläche für die Phalangen 5. (In Fig.3 bezeichnet beim Mittelfulsbein IV aa aus- nahmsweise die Gelenkfläche für die Phalangen, cc jene für die Sesambeine und X die rauhe Stelle an der Sohlenfläche; in Fig.1 ist e die Fläche, an welche sich das 5° Mittelfufsbein anlegt, Fig.2 Va, c und } wie bei Fig. 3, in Fig.4 ist d auf IV die Fläche für das 3° Mittel- fulsbein, in Fig.7, 8 und 9 sind yy die Gelenkflächen der Sesambeinchen, beı Fig.8 bedeutet b eine Grube auf der inneren Fläche des 2= Mittelfulsbeins II.) Die ersten Zehenglieder, II‘, III‘ und IV', haben vorn auf dem Fufsrücken beim 2a und 3tea Zehen einen Höcker cc, bei ihnen und bei den zweiten Phalangen ist die untere (vordere) Gelenkfläche mit 5 bezeichnet, ihre Marken haben auch das mit jenen ge- meinschaftlich, dafs « den Einschnitt mitten im unteren Rand bedeutet und Ff die seitlichen Höckerchen. Das Sesambein, unter dem 2 und 3te° Mittelfulsbein, wird gebildet durch ein grö- (seres Stück « und ein kleineres 2. Ein Stück, bestehend aus zwei verbundenen Knöchelchen, einem gröfseren «, woran ein Hackenfortsatz #, und einem kleineren £, sind vielleicht Phalangen? Ein anderes Stück, einer Phalanx noch mehr ähnlich, und wie eine solche unten mit einem Einschnitt a, und zwei Höckerchen FF versehen. Fig.1. Das vierte Mittelfu[sbein, von aufsen. Fig.2. Würfelbein mit dem fünften Mittelfulsbein und dem ersten Glied des kleinen Zehen, von innen. Fig. 3. Dieselben Theile, wie in den beiden ersten Figuren, in Verbindung, von der Sohlen- fläche. Fig.4. Das vierte Mittelfufsbein mit seiner ersten und zweiten Phalanx, von innen. Fig.5. Zwei miteinander verbundene Knöchelchen (Zehenglieder?), von der Seite. 424 Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. Fig.11. Fig. 12. Fig. 13. Fig. 14. Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17. Fig. 18. Fig. 19. Fig. 20. Fig. 21. Fig. 22. p’Auron über fossile Panzerfragmente. Das zweite Mittelfulsbein, mit seiner ersten Phalanx und dem dritten Mittelfufsbein, von oben oder dem Rücken des Fulses. Das zweite und dritte Mittelfufsbein mit ihren beiden ersten Phalan- gen und dem Sesambein, von der Sohlenfläche. Dieselben Theile, von innen oder der Seite des grolsen Zehen. Dieselben Theile, wie in Fig.6, sammt dem Sesambein, von den Zehengelenk- flächen. Die erste Phalanx des 3 Zehen, von der oberen Gelenkfläche. Die zwei Knöchelchen (wie in Fig.5), von der Seite des gröfseren Knochen. Dieselben, von der Seite des kleineren Knochen. Die beiden Fragmente des Schulterblatts in Verbindung, von der oberen rauhen Fläche. Die zweite Phalanx des 2!" Zehen, von oben. Das erste Glied des 3 Zehen, von unten. Ein kleiner Knochen, der einer Phalanx sehr ähnlich sieht, « vom kurzen, 5 vom langen und e vom concaven Rand betrachtet. Das kleinere der beiden Fragmente des Schulterblattes, {von dem freien Rand gesehen. Das grölsere Fragment, von der glatten Gelenkfläche. Das zweite Glied des 2!e" Zehen, von unten. Das zweite Glied des 3! Zehen, von oben. Dasselbe, von unten angesehen. Dasselbe Beinchen, wie in Fig.16, von der einen — und von der anderen Fläche. ie EP ara EL DENT UI SUR PEN Pa ’ "FEST DI SAT UT SUONEp way nz Eu Du in 2 aaV.L Dig‘ EEBT DI STE TON PZ ur, a: , Bas ; . e = 2 ‚ ji ru B PN ir = ar a: .ı73 f ws Pr Fr 2 ‚ Ma N Da ii an or by IE TE. Ei. Ar Ta, ET SAGST STONE Up 277 a "I 200" OP una 1 a0 . Y j' HR 2477802751778, 2 ae Ad Über das Verhältnifs des specifischen Gewichts der Gasarten zu den chemischen Proportionen. Von rm MITSCHERLICH. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 1. August 1833.] F.. ich die Methode beschreibe, welche ich zur Bestimmung des specifi- schen Gewichts verschiedener gasförmiger Körper angewandt habe, werde ich kurz die Resultate meiner Versuche anführen. Es war bei diesen Ver- g einfacher Sub- stanzen und der aus ihnen gebildeten Verbindungen zu beschränken, um zu suchen meine Absicht, mich besonders auf die Bestimmun einem allgemeinen Resultat über das Verhältnifs zu kommen, in welchem der Raum, den eine zusammengesetzte Verbindung einnimmt, zu dem Raum steht, welchen die Elemente, woraus sie besteht, einnehmen. Humboldt’s Untersuchung über den Gehalt der atmosphärischen Luft an Sauerstoff und Stickstoff, welche er in Verbindung mit Gay-Lus- sac so beendigte, dafs man seitdem nichts Neues hinzugefügt hat, hat zu den zwei wichtigen Resultaten geführt, dafs die Luft, woher man sie neh- men möge, Stickstoff und Sauerstoff’ in demselben Verhältnisse enthalte, und dafs sich Wasserstoff und Sauerstoff so mit einander verbinden, dafs 2 Maafs Wasserstoflgas sich mit 1 Maafls Sauerstoffgas zu Wasser vereinigen. Durch dieses letztere Resultat ist es möglich gewesen, nicht allein die Zusammen- setzung des Wassers dem Gewichte. nach viel genauer als vorher zu bestim- men, welche Bestimmung wiederum auf die Zusammensetzung vieler anderer chemischer Verbindungen von grofsem Einflufs war, sondern Gay-Lussac hat, indem er die Entdeckung dieses Gesetzes weiter verfolgte, ein einfa- ches Verhältnifs dem Maafse nach bei den Verbindungen, welche Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Chlor mit einander eingehen, aufgefunden. Die Verhältnisse, in welchen sich diese Gase verbinden, sind folgende: Phys. Abhandl. 1833. Hhh 426 Mitscueruicun über das Verhältnifs des specifischen Gewichts 14 Maafs mit 1 Maals > » » 1 » 2 » » 3 » 1 » wi » 2 ». Di.» DR 0 a Das Verhältnifs 2 Maafs mit 7 Maafs kommt nur einmal vor. An diese Untersuchung schlofs sich zunächst eine zweite an, in wel- chem Verhältnifs nämlich der Raum, welchen die gebildete Verbindung ein- nimmt, zu dem Raum steht, welchen die Elemente, woraus sie besteht, ein- nehmen. Nach dem Resultate dieser Untersuchung verbindet sich: 1 Maafs mit 1 Maafs zu 2 Maafs 1 » » Y » » 2 » - 1 » » 3 » » 2 » Das specifische Gewicht von Verbindungen, in welchen sich 2 Maafs mit 3, mit 5 oder mit 7 verbinden, konnte man damals nicht bestimmen, obgleich zahlreiche Untersuchungen solcher Verbindungen um so wichtiger werden konnten, weil man bei der Entdeckung eines allgemeinen Gesetzes, aus dem specifischen Gewichte zusammengesetzter Verbindungen auf das spe- cifische Gewicht der Elemente schliefsen konnte, wie es z.B. schon aus dem angeführten Resultat möglich war, aus dem specifischen Gewichte und der Zusammensetzung der Kohlensäure und des Kohlenoxydgases auf das speci- fische Gewicht des Kohlenstofls zu schliefsen, und aus dem specifischen Ge- wicht der Fluorwasserstoflsäure auf das des Fluors. Wenn man das damals von Berzelius entdeckte und durchgeführte Gesetz von den bestimmten Proportionen mit noch anderen Thatsachen zu- sammen verglich, und auf beide die von Dalton entdeckte atomitische Theorie anzuwenden versuchte, schien es sehr wahrscheinlich, dafs jede einfache Gasart bei gleichem Raum eine gleiche Anzahl von Atomen ent- hielte. Eine Annahme, welche jedoch nur für die einfachen Gasarten gel- ten konnte, und nicht bei den zusammengesetzten, da z.B. das Stickstoff- oxydgas in demselben Raum nur die Hälfte von Atomen enthält, wie die Gasarten woraus es besteht. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 427 Dumas’s Bestimmung des specifischen Gewichts des Schwefelgases hat bewiesen, dafs eben so wie bei den zusammengesetzten Gasarten, bei den einfachen bei gleichem Raume die Anzabl der Atome nicht dieselbe sei, sondern dafs das Schwefelgas. dreimal mehr Atome wie das Sauerstoflgas bei gleichem Raume: enthalte. Alle bisher angestellten Versuche zeigen aber, dafs bei gleichem Raume die Anzahl der Atome in allen Gasarten in- einem einfachen Verhält- nisse steht (!). Ich habe diese in der zweiten Zahlenreihe aufgeführt, und werde die Gründe für die angenommenen Zahlen gieich nachher anführen. Das berechnete specifische Gewicht, welches in der letzten Reihe der fol- genden Tabelle angeführt ist, ist nach diesem Verhältnifs berechnet. Von folgenden gasförmigen einfachen Körpern ist das specifische Ge- wicht bestimmt: Anzahl Beobachtet. d. Atome. Berechnet. Sauerstoff = 1,10260 BD. 1 Wasserstoff = 0,06880 BD. 1 Stickstoff = 0,97600 BD. 1 Chlor = 2,47 GT. 0 41-0,2534038 Brom — 01 M. 1 5,393 Jod —=8716 °D. 1° 870114 (') Dieses Gesetz läfst sich auch so ausdrücken: der Raum, welchen eine gasförmige Ver- bindung von Gasen einnimmt, steht in einem einfachen Verhältnils zu dem Raum, welchen die Gase vorher einnehmen. Einfacher kann man dieses Verhältnils noch angeben, wenn man sich so ausdrückt: wenn Gase sich verbinden, 'so erleiden sie, jedes für sich, eine Verdün- nung oder eine Verdichtung nach einem sehr einfachen Verhältnils, und verbinden sich dann ohne Raumveränderung. Nach der ersten Art würde man z.B. sagen: 7 Maafs eines Ge- menges von 1 Maals Phosphorgas und 6 Maafs Wasserstoff- oder Chlorgas verdichten sich zu 6 Maals, und 11 Maals eines Gemenges von 1 Maafs Phosphorgas und 10 Maafs Chlorgas verdichten sich zu 6 Maals; nach der zweiten: 1 Maafs Phosphorgas verbindet sich mit 3 Maals Wasserstoff- oder Chlorgas, welche bis zur Hälfte verdichtet worden sind, zu 4 Maals, und 1 Maals Phosphorgas mit 5 Maals Chlorgas, welches vorher einen Raum von 10 Maals nahm, zu 6 Maafs. Man erhält auf diese Weise dieselben Ausdrücke und Beobachtungen, welche die atomistische Theorie darbietet. Betrachtungen dieser Art kann man anwenden, um eine Erklärung für verschiedene physikalische Eigenschaften der einfachen und zusammen- gesetzten Substanzen zu versuchen, ‘und. sie werden unstreitig, aber nur wenn sie zu Ver- suchen leiten, nützlich werden können. Hhh2 428 Mirscneruich über das Verhältnifs des specifischen Gewichts / gl Anzahl Beobachtet, d. Atome, Bereghnet, Schwefel '—=5'6)51°—.6,617 D. | ‚3 :»:9:6,65415 =1:c6/9 M. Phosphor = 4,420 D. 2 4,32562 Kizmit4j58 M. Arsenik = 40a) malls Mor:o2 7980136536 (Quecksilber = 06,976 D. + 6,97848 ==9i7,03 ı0rM, Von folgenden Verbindungen dieser Körper unter einander ist das spe- cifische Gewicht bestimmt: "Anzahl Beobachtet. d. Atome. Berechnet. zu en Wasser 0,6235 G. + 0,62010 Stickstoffoxydul 1,5204 C. — _,.1,52730 Stickstolloxyd 1,0388 Be. 4. 1,03930 Salpetrige Salpetersäure 1,72 M. +, ,.1,59.060 Ammoniak mr.0,5967 BA. — „0,59120 Chlorwasserstoff 1,2474 BA. 4 1,2544 Bromwasserstoff 2,73107 () 5 2,73107 Jodwasserstoff 4,44 G. + 4,38495 Schweflichte Säure 2,247 B. + 2,21162 * Schwefelsäure, wasserfr. 3,0 M. 4 1,9/76292 Schwefelwasserstolf 1,912 GT, = ,1,171782 Chlorschwefel 4,70. .,:D. — 4,658 Phosphorwasserstoff 1,1244 .D. + ...1,1896 1,100 1,191 'R. erıuna] Flüssiger Chlorphosphor 4,8765 D. z 4,7414 Fester Chlorphosphor 4,85 .M. +....4,19 Arsenichte Säure 413585! „Mk 114.+1353 Arsenikwasserstoff 2:60.’ D! + .2,69454 Chlorarsenik | 6,3006 D. = .„ 6,25183 (') :Bromwasserstoff nicht durch directe Wägung, sondern !dadurch, dafs man ermittelt hat, dals 1 Maals Bromwasserstoff aus 5 Maals Bromgas und 5 Maals Wasserstoffgas besteht. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 429 Beobachtet. Alone, Berechnet. m N Jodarsenik 16,1 M. + 15,64 Quecksilberchlorür (Calomel) 8,35 M + 8,20 Quecksilberchlorid (Sublimat) 9,8 M. + 9,42 Quecksilberbromür 10,14 M + 9,675 Quecksilberbromid 12,16 Mail. 42,373 Quecksilberjodid 15,6—16,2M. — 15,68 Schwefelquecksilber (Zinnober) 5,51 Mm. 4 5,39 (1). Aufser von diesen hat man noch das specifische Gewicht mehrerer Verbindungen ermittelt, welche wieder aus Verbindungen zusammengesetzt sind, deren specifisches Gewicht sich bestimmen läfst; dahin gehören be- sonders die Cyanverbindungen; die Aether- und Kohlenwasserstoffverbin- dungen erwähne ich nicht, da man über die Art, wie man ihre Zusammen- setzung anzusehen hat, noch nicht einig ist. Bestimmt. Berechnet. — —— Cyan 1,8064 G. 1,81879 Cyanwasserstoff 0,9476 G. 0,94379 Aus dem specifischen Gewichte dieser Substanzen folgt nun, dafs sich verbinden: Maafs Maafs Maafs no m wm 1 Stickstoffgas mit 1 Sauerstoflgas zu 2 Stickstoffoxydgas. 1 Chlorgas » 1 Wasserstoflgas » 2 Chlorwasserstoffgas. 1 Bromgas Fr | » » 2 Bromwasserstoflgas. 1 Jodgas | » » 2 Jodwasserstoflgas. 1 Cyangas NEE | 5 „u Cyanwasserstoflgas. (‘) BD. bedeutet Berzelius und Dulong, B. Berzelius, B&. B@rard, BA. Biot und Arago, G. Gay-Lussac, GT. Gay-Lussac und Th£nard, C. Colin, R. Rose, D. Dumas, M. Mitscherlich. 430 _ Mirscueruich über das Verhältnifs des specifischen Gewichts Maafs Maafs Maafs we m m 1 Cyangas mit 1 Chlorgas zu 2 Chlorcyangas. 1 Quecksilbergas » 1 Chlorgas » 2 Wassergas. 1 » » 1 Bromgas » 1 Quecksilberbromidgas. 1 » » 1 Jodgas » 1 Quecksilberjodidgas. 2 Wasserstoflgas » 1 Sauerstoffgas » 2 Wassergas. 2 Stickstoflgas » 1 » » 2 Stickstoffoxydulgas. 2 Quecksilbergas » 1 Chlorgas » 2 Quecksilberchlorürgas. 2 » » 1 Bromgas » 2 Quecksilberbromürgas. 2 Sauerstoflgs » 1 Stickstoffgas » 2 salpetricht. Salpetersäuregas. 1 Stickstoflgas » 3 Wasserstoflgas » 2 Ammoniakgas. 1 Arsenikgas » 3 Sauerstoffgs » 1 arsenichter Säure. 1 Schwefelgas » 3 Chlorgas » 3 Chlorschwefelgas. 1 Schwefelgas » 6 Sauerstoffgss » 6 schweflichter Säure. 1 » » 6 Wasserstoflgas » 6 Schwefelwasserstoflgas. 1 Phosphorgas ».6 » » 4 Phosphorwasserstoffgas. 1 Arsenikgas ».6 » » 4 Arsenikwasserstoflgas. 1 Phosphorgas » 6 Chlorgas » 4 Phosphorchlorürgas. 1 Arsenikgas ».6 » » 4 Arsenikchlorürgas. 1 » » 6 Jodgas » 4 Arsenikjodürgas. 1 Schwefelgas » 6 Quecksilbergas » 9 Schwefelquecksilbergas. 1 » » 9 Sauerstoflgas » 6 Schwefelsäuregas. 1 Phosphorgas » 10 Chlorgas » 6 Phosphorchloridgas. Aus dem Verhältnifs, in welchem der Schwefel sich mit anderen Sub- stanzen verbindet, aus der Krystallform seiner Verbindungen und seiner Wärmecapaecität folgt: dafs sich die Anzahl der Atome im Sauerstoffgase, Chlorgase u.s. w. zu der im Schwefelgase wie 1:3, zu der in der gasförmi- gen schweflichten und Schwefelsäure, zu der des Schwefelwasserstoflgases, und zu der des Chlorschwefelgases wie 1:2 verhält. Nimmt man dagegen in allen einfachen Gasarten bei gleichen Maafsen gleiche Anzahl Atome an, so würde sich die Anzahl Atome im Sauerstoffgase, Chlorgase u. s. w. zu der in der gasförmigen schweflichten Säure und Schwefelsäure, zu der im Schwe- felwasserstoffgase, und zu der im Chlorschwefel wie 1:6, und zu der im Schwefelquecksilber wie 1:9 verhalten. Da diese Verhältnisse bei den übri- der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 431 gen Verbindungen nicht vorkommen, und zu complicirt sind, um im Min- desten wahrscheinlich zu sein, so stimmt also der Schlufs, welchen man aus dem specifischen Gewichte der gasförmigen Schwefelverbindungen auf die Anzahl der Atome im Schwefelgase machen kann, vollkommen mit dem, was man aus dem Verhältnisse, wonach die Schwefelverbindungen zusam- mengesetzt sind, aus ihrer Krystallform und der Wärmecapacität schliefsen kann, überein. Weder aus dem Verhältnifs, wonach die Phosphor- und Arsenikverbindungen zusammengesetzt sind, noch aus ihrer Eigenschaft, noch aus ihrer Form kann man bestimmen, ob das Phosphorgas eben so viel oder doppelt so viel Atome als das Sauerstoflgas, Chlorgas u.s. w. bei gleichen Maafsen enthält, nur die Wärmecapaeität spricht für die doppelte Anzahl. Nimmt man diese an, so verhält sich die Anzahl der Atome im Sauerstoflgase u.s.w. zu der im Phosphor- und Arsenikwasserstoflgase, und zu der im Phosphorchlorür-, Arsenikchlorür- und Arsenikjodürgase wie 2:1, also wie zu der im Ammoniak; zu der in der arsenichten Säure wie 1:1, und zu der im Phosphorchlorid wie 3:1. Bei gleicher Anzahl ist das erste Verhältnifs wie 4:1, das zweite wie 2:1, das dritte wie 6:1; welche Verhältnisse allerdings nicht so einfach sind wie die ersteren, aber doch nicht so zusammengesetzt, dafs sie als entscheidend für die doppelte Anzahl betrachtet werden könnten. Da die selenichte Säure und schwefelichte Säure gleiche Atome ent- halten, aber Verbindungen eingehen, welche sehr von einander verschieden sind, so war es nicht ohne Interesse zu untersuchen, ob das specifische Ge- wicht der beiden Säuren im gasförmigen Zustande nicht ein abweichendes Verhältnifs zeigte, ich fand das specifische Gewicht der gasförmigen sele- nichten Säure zu 4,0, woraus folgt, dafs ein Maafs selenichter Säure wie die schwefelichte Säure ein Maafs Sauerstoff enthält; nach diesem Verhältnifs be- rechnet erhält man nämlich 3,85. Da bei allen den Metallen, in denen man die relative Anzahl der Atome mit Sicherheit kennt, kein Metalloxyd vorkömmt, in welchem vier Atome Metall mit einem Atom Sauerstoff verbunden sind, und die Metall- oxyde, in welchen zwei Atome Metall mit einem Atom Sauerstoff schon die Eigenschaften der Suboxyde besitzen, so ist es sehr wahrscheinlich, dafs im Quecksilberoxydul gleichfalls dieses Verhältnifs stattfinde, und dafs im Queck- silbergase, da das Quecksilberoxydul aus 4 Maafs Sauerstoflgas und einem 432 Mirscnerricn über das Ferhaältni/s des specifischen Gewichts Maafs Quecksilbergas besteht, nur halb so viel Atome als im Sauerstoffgase bei gleichem Maafse enthalten sind, wofür gleichfalls die Wärmecapacität spricht. Eine andere wichtige Frage ist, ob man nicht aus dem specifischen Gewichte von mehreren chemischen Verbindungen auf die Anzahl Atome, welche darin enthalten sind, schliefsen kann? Die Verbindungen des Zinns und Titans mit dem Chlor, und die des Antimons mit dem Chlor, und die des Kiesels und Bors mit dem Chlor und Bor lassen solche Beobachtun- gen zu. Das specifische Gewicht des Chlorzinngases beträgt, nach Dumas, 9,1997 (berechnet 8,934), das des Chlortitangases 6,836 (berechnet 6,555); aus der Zusammensetzung beider Verbindungen folgt, dafs in einem Maafs dieser Gasarten zwei Maafs Chlor enthalten sind. Ist mit 2 Atomen Chlor 1 Atom Titan oder Zinn verbunden, so ist das Verhältnifs der Anzahl der Atome im Sauerstoflgase zu der Anzahl der Atome in diesen Verbindungen wie 1:1; ist mit 4 Atomen Chlor 1 Atom Titan oder Zinn verbunden, so ist das Verhältnifs wie 2:1. Da für das letztere Verhältnifs insbesondere die Krystallform, unter anderen die des Titaneisens, spricht, und beide Ver- hältnisse einfach sind, dafs das eine wie das andere stattfinden kann, so läfst sich aus dem specifischen Gewicht des Chlorzinns und Chlortitans nichts entscheiden. Das specifische Gewicht des Antimonchlorürgases habe ich zu 7,8 ge- funden, berechnet beträgt es 7,32. Aus der Zusammensetzung dieser Ver- bindung folgt, dafs 1 Maafs derselben 1-- Maafs Chlorgas enthält; also eben so viel Chlorgas wie 1 Maafs Phosphorchlorür und Arsenikchlorür. Das specifische Gewicht dieser Verbindung zeigt also dieselbe Übereinstimmung zwischen Phosphor, Arsenik und Antimon, welche man schon bei ihren übrigen Verbindungen kennt. Das specifische Gewicht des Chlorbors beträgt uach Dumas’s Unter- suchung 3,942 (berechnet 4,035), das des Fluorbors 2,312 (berechnet 2,308); aus der Zusammensetzung folgt, dafs 1 Maafs Chlorbor 14 Maafs Chlor, und wenn im Fluor- und Chlorgase gleiche Atome enthalten sind, 1 Maafs Fluorbor 1-- Maafs Fluor und gleiche Mengen Bor enthält, dafs also auch das Bor mit dem Phosphor, Arsenik und Antimon zusammenzu- stellen ist, wofür insbesondere die grofse Ähnlichkeit spricht, welche arse- der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 433 nichte Säure, Antimonoxyd und Borsäure in ihren Verbindungen, z.B. in den weinsauren, zeigen. Das specifische Gewicht des Chlorkieselgases hat Dumas zu 3,600 gefunden, ‚berechnet beträgt es 3,598; aus der Zusammensetzung folgt, dafs in einem Maafs 2 Maafs Chlor enthalten sind. Sind darin 1 Atom Kiesel mit 6 Atomen Chlor verbunden, so ist das Verhältnifs der Anzahl der Atome im Sauerstoffgase zu:der dieser Verbindungen wie 3:1, sind darin 4 Atome Chlor enthalten, wie 2:1. Aus dem Verhältnifs, in welchem sich die Kie- selsäure mit andern Substanzen verbindet, ist es am wahrscheinlichsten, dafs sie 3 Atome Sauerstoff enthält, und dafs die ihr entsprechende Verbindung des, Chlors mit dem Kiesel 6 Atome Chlor enthält; das specifische Gewicht kann..bei den angeführten. Verhältnissen, wovon das eine eben so einfach wie das andere ist, nichts entscheiden. Über den Gebrauch des Luftthermometers. Zur Bestimmung der Temperatur unter 270° habe ich das Quecksil- berthermometer angewandt; von 270° bis 700° habe ich mich der Ausdeh- nung. der Luft bedient und dazu das Luftthermometer mit einigen Vorrich- tungen versehen, durch welche die Temperatur der Luft eben so genau wie vermittelst eines gewöhnlichen Quecksilberthermometers bestimmt werden kann. — Man wendet dazu ein Glasrohr C von 1 Fufs Länge und — Zoll Durch- messer an, und von dickem Glase, dafs es 75 Gr. wiegt; in dieses Rohr geht ungefähr 1500 Gr. Quecksilber hinein. An beiden Enden des Rohrs schmilzt man zwei weite Thermometerröhren #4 und B an, von gleicher Länge, und zwar von ungefähr SZ.; in ein Thermometerrohr von dieser Länge gehen 2 Gr. Quecksilber hinein, so dafs sich also der Inhalt des en- gen Rohrs zu dem des weiten wie 1:750 verhält. Die Enden der Thermo- meterröhren zieht man aus, wobei man den Kanal etwas ausblasen kann. Das Rohr theilt man nun dem Inhalte nach in zwei gleiche Theile, die Mitte bezeichnet man mit einem durch Flufsspathsäure eingeätzten Strich, welcher rund um das Rohr herumgeht. Diese Eintheilung in zwei Hälften geschieht mit Quecksilber, wovon man so viel mit einer Handpumpe in das Rohr hin- einzieht, bis etwos mehr als die Hälfte des Rohrs damit gefüllt ist; man Phys. Abhandl. 1833. Lii 434 Mırtscueruich über das Verhältni/s des specifischen Gewichts m kann dadurch, dafs man das Rohr umkehrt, allmälig so viel' Quecksilber heraustreten lassen, bis die Oberfläche des Quecksilbers, wenn man das Rohr senkrecht stellt, beim Umkehren genau auf demselben Punkt steht. Um das Rohr bequem in den Apparat, dessen Temperatur es bestimmen soll, hineinlegen zu können, biegt man das eine enge Rohr 3 um. Man füllt es mit trockner Luft, indem man das Ende # mit einem; Rohr mit Chlorcaleium und das Ende 4 mit einer Handpumpe verbindet, und zieht eine Zeit lang ganz langsam die trockene Luft hindurch; das Ende 2 schmilzt man ganz nahe an seiner Spitze, während es noch am Chlorcaleiumrohre sitzt, mit einem Löthrohr zu. Wenn nun dieses Rohr in dem Apparat, wel- chen ich gleich beschreiben werde, die Temperatur, welche man bestimmen will, erreicht hat, so schmilzt man die Spitze des Rohrs 4 gleichfalls mit einem Löthrohr zu, und bestimmt sogleich den Barometerstand. Die Spitze 4 bricht man unter Quecksilber in dem Gefäfs 4 ab, welches na ohne Schwierigkeit geschieht, wenn die Spitze ‘etwas angezogen war. Das Rohr hängt man alsdann perpendiculär in einem Appa- rat auf, dessen unterer Theil aus einem Brette !’ besteht, worin in der Mitte ein Loch ist, oben bindet man es mit einem Bindfaden fest; die dünnen Stäbe, welche die Bretter ZZ’ verbinden, und der Stab / bestehen aus Eisendraht. Der Stab f geht durch die Schraube % frei hindurch, so dafs man ihn schnell hoch und nie- drig stellen kann; frei über dem Stabe ist gleichfalls die dicke Hülse a, durch deren Wand die Schraube c geht, so dafs, wenn diese angezogen wird, der Stab darin befestigt werden kann; die genauere Einstellung macht man alsdann mit der Schraube 7, durch welche man die Hülse a, die frei auf dem Kopfe dieser Schraube ruht, hoch und niedrig stellen kann, ohne dafs sie sich herum- dreht. Vermittelst dieser Vorrichtung stellt man das Rohr so hoch, dafs das hineingetretene Quecksilber genau bis zum Strich geht, welches stattfindet, wenn der Strich die Oberfläche des Quecksil- bers schneidet. Die Höhe des Quecksilbers bestimmt man. mit einem Maafsstabe, welcher sich in eine Spitze e endigt. Der Maafs- stab hängt in zwei Charnieren, welche zwei gegen einander perpendiculäre Bewegungen zulassen, so dafs er durch seine Schwere sich perpendiculär der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 435 stellt; beim Charnier o ist eine Schraube angebracht, welche, ‘wenn man ihn weglegen will, 'losgeschraubt wird! Von die- sem Charnier geht eine Stange, welche oben eine Schraube: hat, durch die Hülse ’; diese Stange hat eine Rinne, in welche ein in der Hülse befestigter Stift e hineingeht, so dafs man. vermittelst des Schraubenkopfes 2, worin eine Schraubenmutter sich befindet, und welcher auf der Hülse 7 frei auf- liegt, den Maafsstab hoch und niedrig stellen kann, ohne dafs er sich mit herumdreht. Der Maafsstab ist mit einem Nonius e versehen, welcher mit einer Schraube eingestellt wird; um mit dem Maafsstab noch bis unten an die Oberfläche des Quecksilbers kommen zu können, hat der Nonius mit einem sehr dünnen, in einem rech- ten Winkel gebogenen Ansatz versehen werden müssen, dessen untere scharfe Kante in dieser Zeichnung bei d steht. Die Spitze e ist mit Stellschrauben versehen, so dafs sie gerade so gestellt ist, dafs wenn sie und die scharfe Kante des Ansatzes das Quecksilber berührt, der Nonius 90 Millimeter zeigt. Am Maafsstabe kann man —; Millimeter direct ablesen und -{; Millimeter abschätzen. Mit dem Ablesen der Höhe wartet man, bis die einzelnen Theile des Apparats eine gleichmäfsige Temperatur erreicht haben, welches, da der Apparat 3 beim Hineinhängen durch die warme Hand leicht eine höhere Temperatur erhalten hat, sehr zu berücksichtigen ist; und bestimmt dann zugleich die Temperatur des Apparats und den Barometerstand. Am besten hängt man das Barometer daneben auf, damit die Quecksilbersäule und der Maafsstab desselben auch die Temperatur des Apparats annimmt. Bei die- ser Art Beobachtung hat man also keine Correctionen für die Temperatur der Quecksilbersäule und des Maafsstabes zu machen. Jede Parallaxe beim Ablesen vermeidet man dadurch, dafs man die scharfe Kante des Ansatzes, die Quecksilberoberfläche und den rund um das Glasrohr herumgehenden Strich in eine Ebene bringt. Die Ausdehnung, welche die Luft in der Röhre erlitten hat, findet man aus dem Räum, welchen die im Rohr zurückgebliebene Luft bei dem- selben Druck einnimmt, bei welchem man die Erwärmung anstellte; durch den Versuch findet man, dafs die zurückgebliebene Luft die Hälfte vom In- Tii 2 436 Mitscneruich über das Verhältni/s des specifischen Gewichts halt des Thermometers einnimmt, ‘und dafs diese Hälfte unter einem Druck einer Quecksilberhöhe sich. befindet, welcher um die gemessene Höhe ge- ringer ist, als der Barometerstand. Der Barometerstand betrug zum Beispiel 762==,00, die Höhe der Quecksilbersäule im Rohr 242 Millimeter, so ist die Luft durch die erhöhte Temperatur um sin sw .2.— 2,9308 aus- gedehnt worden. Will man nun, wie es für diese Versuche nothwendig ist, bestimmen, um wie viel die Luft von 0° sich durch die erhöhte Temperatur ausgedehnt hat, so mufs man die Ausdehnung, welche durch die Tempera- tur, wobei der Versuch angestellt, entsteht, noch in Rechnung bringen; und da diese a nus im Glase stattfindet, das Glas also mit ausgedehnt wird, welches ——— Em sondern 0,00372 in Rechnung bringen. War die Temperatur also 15°, so beträgt die Ausdehnung der Luft von 0° an 2,9308 . (1+ 15 . 0,00372) = 3,09433. War der Barometerstand bei dieser Bestimmung von dem beim beträgt, so mufs man für jeden Grad nicht 0,00375, Zublasen des Rohrs verschieden, so mufs man diesen auch noch in Rech- nung bringen, was man jedoch leicht dadurch vermeidet, dafs man sogleich nach dem Erkalten des Apparats die Bestimmung der Ausdehnung der Luft vornimmt. Nach diesem Versuch verhält sich also der Raum, welchen die atmo- sphärische Luft beim Zuschmelzen einnahm, zu dem, welchen sie bis bei 0° einnahm, wie 3,09433:1; oder das Gewicht der Luft, welche in dem Gefäfs beim Zuschmelzen enthalten war, verhält sich zu dem Gewicht der Luft, welche bei 0° darin enthalten war, wie 1:3,0943 (1); Da die Ausdehnung des Glases für jeden Grad von’ 0° bis 100° 0,00002548 und von 0° bis 300° 0,000030325 beträgt, 'so kann man sie von 0° bis 600° ohne bedeutenden Fehler zu 0,00003479 "annehmen; aus der Ausdehnung der Luft findet man also, dafs die re 564 = 3,0944 — 1 ee EEE FE Bgm Ps 1 N ( 0,00375 — 0,00003197 ) betrug (') Die angeführte Berechnung kann man zu folgender Formel zusammenstellen: Fr =?2. = a=.das Gewicht der Luft, welche ‚bei 0° in das Rohr naeh b Gewicht der Luft, wo- mit beim Zublasen das heilse Rohr gefüllt war, d Höhe des Quecksilbers im Luftthermome- . (1+.0,00372 ı) - ter p = beobachteter Barometerstand und p' corrigirter Barometerstand bei der Bestimmung der Quecksilberhöhe im Rohre, »” corrigirte Barometerhöhe beim Zuschmelzen des Rohrs. der Gasarten zn den chemischen Proportionen. 437 Nachdem man auch die andere Spitze abgebrochen hat, läfst man das Quecksilber aus. der. Röhre herauslaufen, reinigt dieselbe vollständig davon mit Salpetersäure und füllt sie, wie ich angeführt habe, wieder mit trockner Luft. Man kann ein solches'Rohr zu sehr vielen Versuchen anwenden; am Ende jedes Versuchs kann man sich überzeugen, ob auch der Strich noch genau den Mittelpunkt zeigt; sollte dieses nicht mehr der Fall sein, so be- stimmt man, indem man’ das Quecksilber abwägt, welches in die ‚gröfsere Abtheilung mehr hineingeht als in die kleinere, das Verhältnifs des Theils des Rohrs, welcher mit Luft gefüllt ist, zu dem Inhalt des ganzen Rohrs. Bestimmung ‚des Gewichts der erhitzten Gasart. \ «Um einen! bestimmten Raum mit dem erhitzten gasförmigen Körper zu füllen, ‚habe ich mich“der ‘Methode bedient, welche Dumas zuerst mit so glücklichem Erfolge angewandt, und die ihn zu so vielen schö- nen Resultaten geführt hat.»: Er brachte nämlich, wie bekannt ist, in einen Kolben die flüchtige Substanz in einem solchen Überschufs hinein, dafs sie in Gasform ungefähr einen viel’gröfseren Raum einnahm, als der Inhalt des Kolbens'betrug;"zog: den’ Hals‘ des Kolbens in eine Spitze aus, 'erbitzte den Kolben in einem Bade von’ einem leichtflüssigen Metallgemenge und schmolz die Spitze zu, wenn der Kolben bis über den Kochpunkt der Substanz er- hitzt war. Da bei mehreren Körpern, deren specifisches Gewicht ich bestimmte, der: hohe. Kochpunkt.derselben die Anwendung des Metallbades, welches die Röhren zusammendrücken würde, unmöglich macht, so wie überhaupt das’ Metallbad jenseits 300° nicht bequem mehr anwendbar ist, so will ich die besonderen Methoden, welche ich angewandt habe, anführen, und zwar zuerst die Methode; welche ich bei einer Temperatur von über 300°, dann die, welche’ich von 100° bis 300°, und zuletzt die, welche ich bei 100° angewandt habe. ‘Bei den Substanzen, welche zu diesen Bestimmungen bis zur Roth- glühhitze erhitzt werden imufsten, habe ich ein Rohr, genau von derselben Gröfse' wie das Luftthermometer, angewandt. ‘Das’ Rohr wurde zuerst voll- ständig trocken gemacht, indem das Ende C mit einem Rohr mit Chlorcal- eium und'das Ende 4 mit’ einer Handpumpe verbunden wurde, und eine Zeit lang trockene‘ Luft durchgezogen wurde. ' War es vollkommen trocken, 438 Mitscneruicm üben das-Ferhältnifs des specifischen Gewichts so wurde das Rohr bei e ausgeblasen und (die Substanz, welche! gleichfalls vorher erwärmt und! wasserfrei gemacht: wurde, 'hineingeschüttet, und zwar in solchem Überschufs, dafs ungefähr |30 Mal mehr hineingeschüttet wurde, als davon am Schlufs der Operation =” Gas darin zurückblieb. Das Rohr und das Luftthermometer wurden nun; in einem Apparat neben einander gestellt, in welchem beide so genäu als möglich dieselbe Temperatur erhielten. Dieses erreicht man da- durch, dafs man einen eisernen Cylinder, wel- > chen man an dem einen Ende mit einem dicken Boden versieht, in einem Zugofen, dessen Tem- peratur man durch Schiefer und eingelegte Steine so reguliren kann, dafs der Cylinder zu gleicher Zeit an allen Stellen gleich‘'stark roth glüht; die Wände des Bylindern müssen wenigstens einen Zoll dick :sein. In: diesen Cylinder stellt man den Apparat, worin die Röhren sich befinden; | dieser besteht aus zwei vorn und hinten geschlossenen Cylindern, wovon:der ‚eine im andern steckt; in der Wand des äufseren Gylinders 4: 'sind:am mehreren‘ Stellen ku+ pferne Stäbe angebracht, welche jede Berührung: des ‚äufseren Cylinders mit dem.eisernen und mit dem inneren verhindern, so dafs die Luft, welche sich dazwischen befindet, rund herum und hinten und vorne frei circuliren kann.‘ In dem ‚einen 'Cylinder sind vier Stangen /angebracht, ‘woran gebo- „gene Haken:gik befestikt:sind, auf.diese legt man neben ein- ander. das: Luftthermometer und das Glasrohr mit der Sub- stanz,»;verschliefst die obere Öffnung des :Gylinders mit dem Deckel e und die vordere mit dem! Deckel /, in welchen Öffnungen für die Enden: 4.der Glasröhren be- findlich sind. ‚ Der innere 'Cylinder 3 wird: alsdann in den äufseren A gesteckt, und dieser mit seinen Deckeln c und / gleichfalls verschlossen ; die Öffnung h ist wegen des Endes 4 des Rohres 2 etwas gröfser als. die Öffnung i, welche nur so. grofs ist: als das Ende 4 des Luftthermometers. Um aber der Gasarten, zu den chemischen Proportionen. \ 439 den Luftzug abzuhalten, kann: 'man’sie mit einem Schieber verkleinern; der Deckel 7 ist!’noch mit einigen” kupfernen Stäben 'zum-Auflegen von Kohlen versehen. b 3] Wenn der eiserne Cylinder’gleichmäfsig schwachroth glüht, setzt man den Apparat hinein; unter der Stange s befestigt man ein Netz, worauf man, so wie auf den Stangen a, glühende Kohlen legt, so dafs das Glasrohr bis 0 damit umgeben ist: Wenn die Substanz sich zu verflüchtigen' anfängt, so entweicht zuerst der gröfste Theil der atmosphärischen Luft, welche spä- terhin von’ dem sich entwickelnden Dampfe fastı ganz vollständig ausgetrie- ben wird: In dem''Ende #, welches man kalt halten kann, werden die Dämpfe verdichtet, /und zwar vollständig, dafs man z.B. bei der Bestim- mung des specifischen Gewichts. des: Arsenikdampfes ‘keinen Geruch nach Arsenik im Laboratorium bemerkt. Hat: die Entwickelung der Dämpfe auf- gehört, welches man leicht beobachten kann, so schmilzt man rasch und zu gleicher Zeit das Lufithermometer und das Glasrohr zu;. und zwar bei 0. Man nimmt alsdann :die auf dem Netze liegenden Kohlen fort und zieht mit einem Haken, welchen man in: das Loch der Stange s steckt, den Apparat aus dem Öfen, indem man ein Eisenblech darunter hält, worauf man ihn erkalten läfst. | | Sehr leicht 'gelingt es bei den Substanzen, welche bei einer hohen Temperatur flüchtig sind, den ganzen Inhalt des Rohrs in dem vorderen Ende bei O'nach dem Zuschmelzen zu verdichten; wenn man nämlich die Kohlen weggenommen hät, so wird das Gas:in: diesem Theil des Rohrs so- gleich verdichtet, und aus dem heifsen Rohre strömt neues Gas hinein, wel- ches gleichfalls sogleich verdichtet wird. Man kann die Spitze t mit Wasser kalt machen, und auf diese Weise, während inwendig über 500° ist, alles Gas darin condensiren. 'Wenn'man also die Quantität der Luft, die in dem Gefäfs zurückbleibt, welche, wie ich gleich anführen: werde, höchstens 1 bis 14- Procent beträgt, unberücksichtigt läfst, so ist, wenn man diese Spitze abbricht, sie wiegt, glüht und wieder wiegt, das was sie vor dem Glühen mehr wiegt als nach dem Glühen, das Gewicht des im Rohr vorher enthal- tenen Gases. Dadurch, dafs das Luftthermometer und das Glasrohr von gleicher Gröfse, und gleicher, Dieke sind, dafs beide neben einander liegen, und durch die erwärmende: Luft, ‚ welche frei eirculiren kann , erhitzt werden, 440 Mitscneruicn über das Ferhältnifs des: specifischen. Gewichts und diese Luft ihre Temperatur durch den‘ innern kupfernen Kasten erhält, welche wiederum 'durch'cireulirende Luft: erwärmt, und dafs: derselbe Fall beim äufseren Cylinder 4 eintritt, wofür die Luft durch den grofsen eiser- nen Cylinder, | welcher ein; Wärmereservoir ist, erwärmt wird, so haben beide Glasröhren eine so gleiche ‚Temperatur, dafs wenn: man zwei Luft- thermometer anwendet, beide genau dieselbe Temperatur zeigen: ‚Man kann auf den. Haken g:(.1,61.) ein: solches zweites. Thermometer stellen;..ich habe es aber gewöhnlich für unnöthig gehalten. ' Durch das Luftthermometer findet: man auch,,, wie: ich schon ange- führt: habe, in welchem Verhältnifs das Gewicht der Luft, welche bei 0° in dem Luftthermometer enthalten ist, zu der steht, welche beim Zuschmel- zen darin enthalten war. Um den Druck, : unter welchem es, sich befand, berechnen’ zu können, mufs man gleich .beim Zuschmelzen das Barometer beobachten. f ; Das sorgfältig gereinigte Glasrohr wird nun ‚mit seinem Inhalt gewo- gen, und zugleich die Temperatur der Waage und (der Barometerstand be- stimmt. Die ausgezogene Spitze e :wird dann unter: Wasser, welches vorher sorgfältig ausgekocht worden ist, vorsichtig abgebrochen; gewöhnlich ist ein wenig atmosphärische Luft, + Procent vom Inhalt des Rohrs, ' darin: zus rückgeblieben ; diese! bestimmt man, indem man das Rohr mit dem hinein- getretenen Wasser wiegt, und nachher, indem ‚man die Luft austreibt,: es ganz mit Wasser füllt und die dadurch entstandene Gewichtszunahme |be- stimmt. Das Rohr ganz mit Wasser gefüllt und mit.der abgebrochenen Spitze wird gewogen, das Wasser läfst man ans dem Rohr herausfliefsen,, reinigt es von der Substanz, trocknet es vollständig aus, füllt es mit trockner Luft und bestimmt das Gewicht des Rohrs und der abgebrochenen Stücke. Ich will die Bestimmung des specifischen Gewichts des Arseniks als ein Beispiel anführen, wie man äus der angegebenen Beslisininig das spe» cifische Gewicht berechnen kann. Corrigirte (1) Barometerhöhe beim Zuschmelzen. 754"",50. Gewicht des Rohrs mit dem Arsenik 55,417 Grm. bei 754°=,50 corr. Bar. und ©T. (') Die Quecksilbersäule und der Maafsstab ist nämlich auf 0° berechnet, und der 'Ständ meines Barometers mit dem Normalbarometer des Hrn. Prof. Poggendorf verglichen ‘worden. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 441 Das Rohr ganz gefüllt mit Wasser 164,7 Grm.; Temp. des Wassers 12°. Das Wasser, welches die Stelle der zurückgebliebenen Luft einnahm, be- trug 0,4 Grm. (12°) — 0,4 Cubik - Centimeter. Das Rohr gefüllt mit trockner Luft wog 55,1065 Grm. Um den Inhalt des Rohrs zu bestimmen, mufs man das Gewicht des mit trockner Luft gefüllten Rohrs von dem des mit Wasser gefüllten Rohrs abziehen, und zu der erhaltenen Zahl das Gewicht der im Rohr enthaltenen Luft, dessen Gewicht man zu viel angezogen hat, hinzu addiren: Rohr mit Wasser 164,70 Rohr mit Luft 55,11 109,59 Die Luft 0,14 109,73 Hiervon mufs man noch abziehen, was das im Rohr zurückgebliebene Arsenik, dessen specifisches Gewicht 5,96 beträgt, mehr wiegt als das Was- ser, dessen Raum es einnimmt, nämlich 0,35. Das Wasser, welches bei —° in das Rohr hineingeht, beträgt folglich: 109,38; nun verhält sich das Gewicht des Wassers von 4°,1 zum Gewicht der Luft bei 0° und 760”= Bar. wie 1:769,8. Um aus dem Gewichte des Wassers das Gewicht der Luft zu finden, müfste die Ausdehnung des Wassers in Rechnung gebracht werden; da aber die Ausdehnung des Glases von 4°, 1 bis 12° gleichfalls in Rechnung gebracht werden mufs, so werden die angeführten Zahlen dadurch nicht verändert; ist die Temperatur des Wassers über 12°, so ist diese Correction zu be- rücksichtigen. Die Luft folglich, welche bei 0° und 760”= Bar. in das Gefäfs hinein- geht, beträgt DE Grm. —= 0,1425 Grm. Das Rohr war bei 754””,50 B. zugeschmolzen worden; die Luft, welche bei diesem Barometerstand hin- eingeht, beträgt also at Grm. = 0,1416 Grm. Vermittelst des Luftthermometers wurde gefunden, dafs das Gewicht der Luft, welche beim Zuschmelzen in das Glasrohr hineingeht, sich zu dem Gewicht der Luft, welche bei 0° und bei demselben Druck, welcher beim Zuschmelzen stattfand, in das Rohr hineingeht, wie 1 zu 3,355 ver- Phys. Abhandl. 1833. Kkk 442 Mirscneruich über das Ferhältnifs des specifischen Gewichts hält. Folglich wiegt die Luft, welche bei der angewandten erhöhten Tem- peratur in das Glasrohr hineinging, ae Grm. = 0,0422 Grm. Das Rohr mit Arsenik wurde bei 0° und 754,5 corr. Bar. in der Luft gewogen; wenn man das Gewicht der darin enthaltenen Substanz be- stimmen will, so mufs man das Gewicht des mit Luft gefüllten Rohrs abzie- hen, und das Gewicht der Luft, welche das Rohr bei der Temperatur und dem Druck, als es mit der Substanz gewogen wurde, füllte, hinzufügen. Wir haben schon berechnet, dafs bei 754”",5 B. und 0° dieses 0,1416 Grm. beträgt, folglich bei 9° a — 0,1370 Grm. Das Arsenik, welches in dem Rohr beim Zuschmelzen enthalten war, beträgt also: 55,417 — 55,1065 + 0,1370 = 0,4475. Da das Gewicht der Luft, welche bei der Temperatur, wobei das Rohr geschmolzen wurde, in das Rohr hineingeht, 0,0422 beträgt, so ist: 0;0422 », 0,4475 2 1:10,06. Da aber etwas Luft in dem Glasrohr zurückgeblieben war, so ist die- ses specifische Gewicht das specifische Gewicht eines Gasgemenges von dem Arsenikgase und etwas atmosphärischer Luft. Das Wasser, welches die Stelle der zurückgebliebenen Luft einnahm, betrug 0,4, folglich nahm diese Luft nn — 0,37 Procent vom Inhalt des Rohrs bei 12° oder 0,35 Proc. bei 0° ein, welches bei der Temperatur, wobei das Glasrohr zugeschmolzen wurde, 1,17 Proc. (= 0,35 . 3,355) vom Inhalt des Rohrs beträgt; bringt man diese Luft in Rechnung, so beträgt das specifische Gewicht der arse- nichten Säure: (10,6 . 100) — 1,17 = — 10,71. Nach einem zweiten Versuch betrug das specifische Gewicht des Ar- senikgases 10,60. Wenn die Substanzen schon bei einer Temperatur von 300° eine ge- naue Bestimmung zuliefsen, so habe ich mich zuerst des Metallbades bedient, statt dessen ich später häufig mit vielem Vortheil ein Bad von Chlorzinkauf- lösung habe anwenden können. Bei einer Temperatur über 110° verdient eine Zinkauflösung als Bad vor allen andern Flüssigkeiten den Vorzug. Hr. Hofrath Soltmann hat mich zuerst auf die Anwendung derselben aufmerk- der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 443 sam gemacht. Bei steigender Temperatur, welche man bis zur Verflüchti- gung des Chlorzinks, die erst bei der Rothglühhitze stattfindet, erhöhen kann, wird diese Auflösung nie fest; die Temperatur steigt viel langsamer wie im Metallbade, da zur Erhöhung der Temperatur die Verflüchtigung einer bestimmten Menge Wassers nöthig ist; man kann daher die Operation sicherer leiten. Aufserdem hat sie ein viel geringeres specifisches Gewicht als die Metalle, so dafs man die Apparate bequemer darin befestigen kann. Für das Metallbad wurde ein Gefäfs von Gufseisen von 17 Zoll Länge, 6 Zoll Breite und 6 Zoll Höhe, dessen Form man leicht aus der Figur er- kennt, in den Ofen ($. 161.) gestellt, an beiden Enden hatte es einen Ein- schnitt; in diesem Gefäfs sind zwei kurze Stangen angebracht, und auf letz- teren zwei breite Ringe befestigt, oben ist der Ring offen, und der eine Theil mit einem Charnier befestigt, um das Glasrohr 5 bequem einlegen zu können; mit dünnem Eisendraht werden die beiden Hälften des Ringes fest zusammen- gebunden, so dafs das Rohr sehr gut befestigt werden kann. Unter das Ende ce des Rohrs, welches vor dem Einle- gen umgebogen worden ist, wird ein Metallnetz zum Auflegen von Kohlen befestigt. Das Thermometer a wird durch eine Vorrichtung gleichfalls gut befestigt. Das flüssige Metallgemenge, welches aus 8 Theilen Wismuth, 5 Theilen Blei und 3 Theilen Zinn besteht, giefst man ganz allmälig in das erwärmte Gefäfs hinein und steigert die Tem- peratur langsam; um im Bade allenthalben dieselbe Tem- peratur zu haben, setzt man das flüssige Metall fortdauernd mit einem ausgeschnittenen Eisenblech in Bewegung ('). Unten in der hinteren Wand des gufseisernen Gefäfses ist ein Loch eingebohrt, um das Metall, wenn man die Operation beschliefsen will, ab- fliefsen zu lassen. Das Glasrohr kann man fast ganz mit einem Pinsel von Metall, während es noch flüssig Löschpapier ein, welches man mit starker Salpetersäure tränkt; nachdem ist, reinigen; man wickelt es nachher in die Salpetersäure eine Zeit lang eingewirkt hat, kann man es vollständig mit Wasser reinigen. (') Das weitere Verfahren bei dem Versuche selbst ist übrigens ganz dasselbe wie bei dem Luftbade. Kkk2 444 Mitscueruicn über das Ferhältnifs des specifischen Gewichts Zum Wasserbade, zu einem Bade von Kochsalz oder Chlorzinkauf- lösung wird ein ähnliches kupfernes Gefäfs angewandt. Da man bis 200° Korke anwenden kann, so sind die hinteren und vorderen Wände mit Lö- chern versehen, um die Thermometer aa durchzustecken; das lange enge Rohr, welches an das weite Rohr 5 angeschmolzen ist, läfst man gleich- falls durch den Kork c hindurchge- hen. Bei der Chlorzinkauflösung mufs man, um die Flüssigkeit zu bewegen, ein ausgeschnittenes Kupferblech anwenden. Das weitere Verfahren ist ganz so wie bei dem schon angeführ- ten Versuch. Bestimmung des specifischen Gewichts verschiedener gasförmigen Substanzen. Brom. Corrig. Barometerhöhe beim Zuschmelzen ............. 153° 80. Temperatur des kochenden Wassers bei 753”, 8 ........ — 99%, Das Rohr mit dem Brom wog bei 752=”,6 corr. B. und I eetesulihlaisia nun 74,59 Grm. Das,Rohr, mit trockener Luft 2:2 22. snscl 73,679 Grm. Das’ Rohr mit Wasser von 12V in nase an 381,95 Grm. An ‚Luft warizurückgeblieben ..:.. u. :umaseuse. sen 6,9 Cubikcent. Specifisches Gewicht 5,54. Das Bromgas fing erst an sich zu entwickeln, wie die Temperatur des Wassers bis auf 62° gestiegen war. Schwefel. Corrig. Barometerhöhe beim Zuschmelzen ..............-. 1062: 80: Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 764”",8 B. und. 48 Tran seien eh nn a 195°,5. Das Gewicht der erhitzten Luft verhält sich folglich zu dem der Enife yon 0° wiesen een ren 132,870. Das Rohr mit dem Schwefel wog bei 763“",21 corr.B. und S°T. 43,352 Grm. Das Rohr mit dem Schwefel und Wasser von 16° gefüllt... 185,00 Grm. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 445 Pas Rohr mit trockener ut mr nina 43,091 Grm. An. Luft war zurückgeblieben runs. in ae 0,560; Specifisches Gewicht 6,90. Das Schwefelgas wurde vollständig in dem kleinen Rohre verdichtet, und das Gewicht des Schwefels auch auf diese Weise noch bestimmt; es be- trug 0,438 Grm. Phosphor. Corrig. Barometerhöhe beim Zuschmelzen ............... 150° 94. Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 761“",1 und en a A U aa 203mm, 5, In das Lufithermometer ging an Quecksilber hinein ....... 1621 Grm. In den mit Luft gefüllten Theil desselben ................ 806 Grm. Die erhitzte Luft verhält sich also zu der Luft von 0° wie 1:2,935. Das Rohr mit dem Phosphor wog bei 759”",94 corr. Bar. Und Pe ne ee ran 62,3265 Grm. Das Rohr mir wöckener Tal gelülli am nal 62,1995 Grm. D38 Rohr Wasser: gefüllt „aussen ses 219,65 Grm. An Löftiwarzurückseblieben asked s 0,30. Specifisches Gewicht 4,58. Nach einem zweiten Versuch betrug das specifische Gewicht 4,60. Arsenik. Erster Versuch. Corrigirte Barometerhöhe beim Zuschmelzen der Glasröhren 754==, 5. Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 755°”,8 B. und In Deren ae ad 3335. In das Luftthermometer ging hinein an Quecksilber ....... 1344 Grm. In den mit Luft gefüllten Theil desselben ................ 768,2 Grm. Das Gewicht der erhitzten Luft verhält sich also zu dem der Palı von 0 wie. 2... es er et 133,355; Das Rohr mit Arsenik wog bei 754"=,5 corr. B. und 9° T. 55,417 Grm. Das Rohr mit Wasser von 12° und Arsenik ... 22.2.2...» 164,7: Grm. Das. Rohr mit trockener Luft. u... san 55,1065 Grm. An Luft warizuruckgeblieben ... da u suuan. u En 675 04 Specifisches Gewicht des Arsenikdampfs 10,71. 446 MitscnerLicn über das Verkältni/s des specifischen Gewichts Zweiter Versuch. Corrigirte Barometerhöhe beim Zuschmelzen ............. 758”m,8. Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 760”",85 B. nl SEI ee 289mm 4. In das Luftthermometer ging an Quecksilber hinein ....... 1403,2 Grm. In den mit Luft gefüllten Theil ...........cssctoosrerne- 699,2 Grm. Die erhitzte Luft zur Luft von 0° verhält sich also wie..... 153,462, Das Rohr mit Arsenik wog bei 764”=,2 corr.B. und 164° T. 71,704 Grm. Das Rohr mit Wasser von 18° und Arsenik..............- 183,75 Grm. Das Hobermut trockener Lulton. sans ses sauna et 71,392 Grm. An Luft war zurückgeblieben ..............ecreceeoccce. 22056, Specifisches Gewicht 10,60. Quecksilber. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............ 104-740) Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 762””,4 B. a en nee 137m 15. Die erhitzte Luft zur Luft von 0° verhält sich also wie.... 1:2,5634. Das Rohr mit dem Quecksilber wog bei 761””,5 corr. B. und ID EN AR 52,3195 Grm. Das Rohr mit. trockener Lust wsac22 2a nes 51,7035 Grm. Das Rohr mit Wasser gefüllt „u... 2. 2nsuo.usensen een 320,75 Grm. An Luft war zurückgeblieben ungefähr................... 0,1 0.6. Specifisches Gewicht 7,03. Mit diesem Versuch stimmen zwei andere, wovon bei dem einen das Gewicht des Quecksilbers selbst bestimmt wurde, genau überein. Salpetrichte Salpetersäure. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ...........- 168,8. Temperatur des kochenden Wassers ........cer20ecer 000. 1004°. Das Rohr mit der Substanz wog bei 768”=,0 corr.B.u.124°T. 42,5545 Grm. Das Hohr mit trockener Tall... ee 42,495 Grm. Das Rohr mit Wasser. ec. anne 194,1 Grm. An Luft war zurückgeblieben ungefähr. .........s22222... 0,1:0.C. Specifisches Gewicht 1,72. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 447 Ein zweiter Versuch gab 1,71 spec. Gewicht. Alle Versuche, das specifische Gewicht der wäfsrigen Salpetersäure, sowohl die, welche eine Proportion, als die, welche vier Proportionen ent- hält, zu erhalten, mifslangen; die erstere zerlegt sich, wie bekannt, sehr leicht, aber auch bei der letztern wurde, bei diesem Versuche wenigstens, etwas zerlegt; es waren jedesmal im Rohre rothe Dämpfe enthalten. Schwefelsäure, wasserfreie. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............. 767””,00. Temperatur des kochenden Wassers -. ......„vesesssreene.. 100°. Das Rohr mit der Säure wog bei 767”” corr. B. und 12° T. 40,974 Grm. Das Rohr mit trockener Luft: we a0. nn area 40, 7 AS Garrn, Pas.Kohr mm Wasser von 42 es ae nenn ange 182,75 Grm. An Luft war zurückgeblieben ungefähr.................... 8.1.0.€. Specifisches Gewicht 3,0. Die im Rohr enthaltene Schwefelsäure wurde aufserdem noch mit Chlorbariumauflösung gefällt; sie gab 1,180 schwe- felsaure Baryterde, worin 0,409 Schwefelsäure ent- halten sind, also genau so viel wie sich aus der Ab- wägung des Rohrs ergab, welches also zugleich ein Beweis ist, dafs die leichtflüchtige Substanz, welche man aus der rauchenden Schwefelsäure erhält, was- serfreie Schwefelsäure ist. Drei andere Versuche gaben genau dasselbe Resultat, ein specifisches Gewicht nämlich von 3,01, 3,0 und 3,03. Die wasserfreie Schwefelsäure wurde durch gelindes Erwärmen aus einer Retorte a in eine andere 5 überdestillirt, welche in Eis stand und die vorher mit trockner Luft gefüllt war; der Hals dieser Retorte war während der Destillation mit einem Chlorcalciumrohr e verbunden, und war so aus- gezogen, dafs es in das Rohr a des Apparats, welches für diesen Versuch etwas weit genommen wurde, hineinging. Bei der Wiederholung der Ver- suche wurde die Schwefelsäure, welche als überschüssig bei dem vorherge- henden Versuch ausgetrieben wurde, sogleich in den Apparat geleitet. Die Apparate wurden mit Luft gefüllt, welche über Chlorcaleium und Schwe- felsäure getrocknet war. 448 Mitscneruicn über das Verhältnifs des specifischen Gewichts Das specifische Gewicht der wasserhaltigen Schwefelsäure zu bestim- men gelang nicht, weil jedes Glas von den Dämpfen derselben angegriffen und zersetzt war; da wo die Schwefelsäure durch die enge Röhre entweicht, war das Glas ganz krystallinisch geworden, wie Reaumursches Porcellan. Fester Chlorphosphor. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............. 7 Corrigirter Thermometerstand des Metallbades ...........- 222% Das Rohr mit dem Chlorphosphor wog bei 761””,4 corr. B. [ba ke IR: Bra DR NER ERDE 65,303 Grm. Das Bohr mit trockener Buft „usscneasueensn nenn eos 64,815 Grm. Das Rohr mir Wasser von da aetulli une nes nee 293,215 Grm. An mit war zuruckeeblieben 2.0, eneasesseoeuesr rennen 1,8-C.C. Specifisches Gewicht 4,85. Ein zweiter Versuch stimmte mit diesem sehr nahe überein. Der Chlorphosphor wurde in das Glasrohr, welches mit trockener Luft gefüllt worden war, auf ähnliche Weise wie die Schwefelsäure über- destillirt. Bei einer Temperatur des Metallbades von 184° C. fand erst der Übergang in Gasform vollständig statt; im Rohre selbst konnte man das Flüssigwerden nicht bemerken, nachdem aber die zugeschmolzene Spitze erkaltet war, verdichtete sich zuerst eine Flüssigkeit, welche aber gleich nachher fest wurde, so dafs also der Kochpunkt und Schmelzpunkt dieses Chlorphosphors einander sehr nahe liegen. Arsenichte Säure. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............ 71422 94: Höhe des Quecksilbers im Luftihermometer bei 743"”, 75 Beaund HS CH 2302210: Die erhitzte Luft zur Luft von 0° verhält sich also wie..... 1: 3092. Das Rohr mit der arsenichten Säure wog bei 742”= corr. B. UDO DS N ce a ee ee ige 41,820 Grm. Das Rohr mit trockener Tuft rn ns nes nes 41,2225 Grm. Das hohr mit Wasser yon 32 2..0 ae seen 172,15 Grm. Anıliuet, war zurucksebleben. mas pesut cn er een.n 1,05G:8; Specifisches Gewicht 13,85. Ein zweiter Versuch stimmte mit diesem sehr nahe überein. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 449 Arsenikjodür. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen............. 161=,55. Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 761"”,5 B. TE RE 0. NS SEINEN 168m, 85. In das Luftthermometer ging hinein an Quecksilber ....... 1497,3 Grm. In den mit Luft gefüllten Theil desselben ................ 748,0 Grm. Die erhitzte Luft verhielt sich zur Luft von 0° wie ........ 1.:8,719, Das Rohr mit Arsenikjodür wog bei 761”",55 corr. B. und Ma En msi 62,134 Grm. Das Rohr mittrockener Luft arena en 61,439 Grm. Das Kohr mit: Wasser von 19 ass ann ei 169,8 Grm. An Duft war zuruekgeblieben..uo.sosssusuansgssosasinses 0,3: C,G, Specifisches Gewicht 16,1. Das Arsenikjodür wurde durch Zusammenschmelzen von Arsenik und Jod dargestellt, und durch Destillation gereinigt; es verflüchtigte sich nach- her ohne einen Rückstand von Arsenik zurückzulassen. Quecksilberchlorür (Calomel). Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............. 71196, Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 763”",6 B. UN Te a a A N a na 23130, Die erhitzte Luft zur Luft von 0° verhält sich also wie...... 133,004. Das Rohr mit Quecksilberchlorür wog bei 741“",7 corr. B. nn (0 IR Sau NR FR ARE NR ER ERTERE ARE 36,624 Grm. Das Roöbr mut.trackenar Int an er 36,369 Grm. Das Rohr mit Wasser, von 12%, eu... asien 151,55 Grm. As kuft war zurückgeblieben sans snonunsnsonsa en 0,40 C.C. Specifisches Gewicht 8,35. Quecksilberchlorid. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............ 759==,00. Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 761”, 00 Bam eier 194256; In das Luftthermometer ging an Quecksilber hinein ....... 1446,60 Grm. In den mit Luft gefüllten Theil desselben ................ 726,95 Grm. Phys. Abhandl. 1833. Lu 450 Mitscneruich über das Ferhältnifs des specifischen Gewichts Die erhitzte Luft verhielt sich also zur Luft von 0° wie.... 1: 2,842. Das Rohr mit Quecksilberchlorid wog bei 764””,2 corr. B. und 102 TE erst ae 47,996 Grm. Das Rohr mit.trockener laut ae dnn 47,507 Grm. Das Rohr mit Wasser. von 1m. ae 201,45 Grm. An Tult warszuruckseblieben «....euee snsnlesi u. acueng 0,5 C.C. Specifisches Gewicht 9,8. Quecksilberbromür. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ...........» 750”=,00. Höhe des Quecksilbers im Luftihermometer beı 751””,9 B. Und Teen ee ee EN 15221; Die erhitzte Luft verhält sich also zur Luft von 0° wie..... 122,616: Das Rohr mit Quecksilberbromür wog bei 750“",00 corr. B;: und OT. aa ans ellimmase I 71,064 Grm. Das Kohr mit. trockener Luft. nun. ee 70,6935 Grm. Dashohe mit Waserwon tie nee 175,30 Grm. An Luft war zurückgeblieben .......u..3..S: eu sesaneee 0,5 C.C. Specifisches Gewicht 10,11. Quecksilberbromid. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ...........- 7572.30; Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 758””,7 B. BI ne ea 445”=, 60. Die erhitzte Luft verhält sich also zur Luft von 0° wie..... 41::2,612; Inhalt des; Rohrs.... ara a 103,00 C.C. Das Quecksilberhromid u... uns sache 0,6605 Grm. Specifisches Gewicht 12,16. Das Quecksilberbromid hatte sich vollständig in der Spitze des Rohrs verdichtet, und wurde durch directe Abwägung bestimmt. Quecksilberjodid. Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............ 760°=70; Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 762"”,2 B. 11115 I 00 VARRUNER SIE RREENEANERRSFTRERT NER HERR FRI SIR IERPIFEBUNGENS 190", 40. der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 451 Die erhitzte Luft verhält sich also zur Luft von 0° wie..... 1.:2,818, Das Rohr mit Quecksilberjodid wog bei 760””,7 corr. B. und’ re er een 53,084 Grm. Das hohr mit mockenen Luk 2.2.0... 0.00 ne 52,4385 Grm. Das Rohr mit Wasser yon DI 2. une ee 158,15 Grm. An Luft war zurückgeblieben ..........osrserernennenune 0,50 C.C. Specifisches Gewicht 16,2. Das Quecksilberjodid konnte, da es sich vollständig in der Spitze des Rohrs verdichtet hatte, auch durch directe Wägung bestimmt werden; es betrug 0,7535 Grm., wornach das specifische Gewicht 15,6 beträgt. Schwefelquecksilber (Zinnober). Corrigirter Barometerstand beim Zuschmelzen ............ 750”=,05. Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 752”=,1 Cork Dound TO N Vo ea ee ee ed 331,50, In das Luftthermometer ging an Quecksilber hinein ....... 1447,8 Grm. In den mit Luft gefüllten Theil desselben ................ 801,7 Grm. Die erhitzte Luft verhält sich also zur Luft von 0° wie..... 173,450. Das Rohr mit Schwefelquecksilber wog bei 750””,05 corr. Bund 32 Tin ea nee ee Sees 61,550 Grm. DassRohr mit trockener Enft » a. nen nee 61,4395 Grm. DisRohrınit Wasser won ee te 179,4 Grm. Anus war zusuckeeblieben.en..22n Berne sun 0,5 C.C. Specifisches Gewicht 5,95. Das Schwefelquecksilber, welches sich vollständig in der Spitze ver- dichtet hatte, betrug gewogen 0,2395 Grm., dieses giebt ein specifisches Gewicht von 5,506; da diese beiden Bestimmungen sehr von einander ab- weichend waren und überhaupt das specifische Gewicht ein ungewöhnliches Verhältnifs der Atome gab, so wurde ein zweiter Versuch mit zwei Luftther- mometern angestellt. Durch Abwägen des Rohrs wurde ein specifisches Ge- wicht von 5,99 gefunden, und durch Abwägen des Schwefelquecksilbers selbst ein specifisches Gewicht von 5,68. Um die Zersetzung des Glases zu bestimmen, wurde das Wasser, womit das Rohr gefüllt worden, abge- dampft; es hinterliefs 0,016 feste Bestandtheile, welche aus Kieselsäure, Schwefelkalium und schwefelsauren Kali bestanden, so dafs also etwas L11l2 452 _ Mirscneruicn über das Verhältnifs des specifischen Gewichts Schwefelquecksilber zersetzt worden war; an Schwefelquecksilber wurde 0,2325 erhalten. Selenichte Säure. Corrigirte Barometerhöhe beim Zuschmelzen ..... ter Höhe des Quecksilbers im Luftthermometer bei 761”",55 Corr. D. Und AO, Da. nennen 166°=,27. Die erhitzte Luft verhält sich also zur Luft von 0° wie...... 122,790. Das Rohr mit selenichter Säure wog bei 759””,85 corr B. Und As Deere een EST NE 60,991 Grm. Das Rohr mit trockener Luft .......u..2000.04 Banaie 60,915 Grm. Das-Rohr mu Wasser von 12°... ende aeiean 108,095 Gm, Specifisches Gewicht 4,03. Die selenichte Säure, welche sich vollständig in der Spitze conden- sirt hatte, wog 0,2055; darnach beträgt das specifische Gewicht 4,00. Bei diesen Versuchen wurde die zurückgebliebene Luft, um das Selen wiegen zu können, nicht bestimmt; bei der grofsen Menge der angewandten sele- nichten Säure betrug es auf jeden Fall nicht mehr als 0,5 C.C. Antimonchlorür. Corrigirte Barometerhöhe beim Zuschmelzen .............. 743"”, 34. CGorrigirte "Temperatur des Metallbades\ „u... ..u.200..0.002.. 218, Das Rohr mit Antimonchlorür wog bei 743"”,34 B. u. 18°T. 57,720 Grm. Das Bohr mit trockener Dutt.. an. 56,555 Grm. Das Rohr mie Wasser yon 20 en na een 261,30 Grm. An Lutt;war zuruckgeblieben =... mu re ı ROTE Specifisches Gewicht 7,8. Ich habe vergebens versucht, das specifische Gewicht des Antimon- chlorüdgases zu bestimmen; es zerlegt sich das Antimonchlorid, die Verbin- dung nämlich des Antimons mit dem Chlor, welche der Antimonsäure ent- spricht, beim Kochen in Antimonchlorür und Chlor, und mit dem gasför- migen Chlor geht Antimonchlorid über. Ich habe mir ein Antimonchlorid, indem ich das Chlor über Antimon leitete, verschafft, so dafs die gebildete Verbindung mit dem überschüssigen Chlorgase in eine Vorlage überging. Die erhaltene Flüssigkeit fängt schon bei 25° an zu kochen, bei 140° ging der Gasarten zu den chemischen Proportionen. 453 erst der erste Tropfen Flüssigkeit über, nachdem eine grofse Menge Chlor- gas sich entwickelt hatte; die Destillation setzte ich fort, bis die Tempera- tur in der Retorte über 200° stieg, der Rückstand wurde beim Erkalten fest, und es gab, nachdem er mit Wasser und Ammoniak zerlegt worden war, das entstandene Antimonoxyd mit Weinstein Krystalle von Brechweinstein. Wurde das übergegangene Antimonchlorid wiederum destillirt, so fand eine starke Chlorentwickelung statt, Antimonchlorid ging über und Antimon- chlorür blieb zurück , das übergegangene Antimonchlorid erhitzte ich darauf in einem Kolben mit langem Halse, so dafs was sich im Halse des Kolbens verdichtete, wieder zurückflofs. Auf diese Weise wurde das Antimonchlo- rid, nachdem es eine Zeit lang im Kochen erhalten, vollständig in Anti- monchlorür und Chlor zerlegt. Das Antimonchlorid bildet sich nicht, wenn Chlorschwefel zugleich gebildet wird, weil das gegenseitige Auflösungsver- mögen des Chlorschwefels und Chlorantimons bei einer erhöheten Tempe- ratur die schwache Verwandtschaft des Chlors zum Antimonchlorür auf- hebt; es ist dieses der Grund, warum, wie H. Rose beobachtet hat, man kein Antimonchlorid erhält, wenn man über Schwefelantimon Chlor strei- chen läfst. Obgleich das Antimonchlorid, welches von H. Rose zuerst be- obachtet und untersucht worden ist, sich so leicht zersetzt, so scheint mir dieses doch kein Grund zu sein, es als eine Auflösung von Chlor und Anti- monchlorür anzusehen, da Verbindungen, welche so leicht zersetzt werden, häufig vorkommen; und unstreitig berechtigen uns die Eigenschaften des Antimonchlorids, auch den von Dumas und H. Rose untersuchten Chlor- schwefel, welcher der unterschweflichten Säure entspricht, als eigenthüm- liche Verbindung von Chlor und Schwefel anzusehen. Bemerkungen. Alle Versuche, bei welchen das Gewicht der im Rohre zurückgeblie- benen Substanz durch Abwägen des mit der Substanz und des mit Luft an- gefüllten Rohrs bestimmt wurde, gaben ein zu hohes specifisches Gewicht. An und für sich mufs schon das specifische Gewicht bei dieser Methode zu hoch ausfallen; wenn auch nur ein sehr langsames Steigern der Temperatur stattfindet, so ist doch nothwendigerweise die Temperatur des Bades um einige Grad höher als die der Substanz im Innern des Rohrs. Durch die 454 Mitscneruicn über das Verhältnifs des specifischen Gewichts Verflüchtigung der Substanz im Rohre wird durch die Wärme, welche da- bei gebunden wird, diese Verschiedenheit so bedeutend, dafs ich häufig noch eine Entwickelung von Dämpfen bemerkt habe, während die Temperatur des Bades schon 10° über den Kochpunkt der Substanz gestiegen war. Bei festen lockern Substanzen ist dieses besonders der Fall; ich habe bei der wasserfreien Schwefelsäure noch bei 90° von der festen Substanz im Rohre bemerkt, obgleich von der Zeit an, wo das Bad den Kochpunkt der Schwe- felsäure zeigte, bis es 90° erreichte, über eine Viertelstunde verflofs. Wenn man zum Bade eine Flüssigkeit, welche bei einer bestimmten Temperatur kocht, anwendet, so wird dieser Fehler fast aufgehoben, wenn man die Flüssigkeit lange bei dieser Temperatur erhält; beim Metall- oder Luftbade ist er Jedoch nicht zu vermeiden, da man auf jeden Fall die Hitze so schnell steigern mufs, dafs sie in 5 Minuten um 2° zunimmt. Eine andere Ursache, warum das specifische Gewicht höher ausfällt, ist in der Ausnahme von dem Gesetz, wonach die Gase durch die Wärme ausgedehnt werden, zu suchen, welche bei den gasförmigen Substanzen nahe bei dem Punkte, bei welchem sie tropfflüssig werden, stattfindet. Durch diese Ursachen kann das speci- fische Gewicht unter den ungünstigsten Umständen, wenn man die gehörigen Vorsichtsmaafsregeln anwendet, bis auf 1-- Procent unrichtig werden. Die Hauptursache, wodurch das specifische Gewicht höher wird, ist die Zersetzung des Glases. Wenn man Schwefel oder Schwefelverbindungen anwendet, so wird jedesmal das Glas zerlegt, Kieselsäure wird ausgeschie- den, und Schwefelkalium und schwefelsaures Kali findet man in dem Was- ser, welches man in das Rohr hineintreten läfst; bei Chlormetallen, welche bei einer erhöhten Temperatur kochen, wird Chlorkalium gebildet und Kie- selsäure ausgeschieden. Unter den Versuchen, welche ich angeführt habe, fand beim Schwefelquecksilber diese Zersetzung am auffallendsten statt. Ei- nige Substanzen habe ich aus diesem Grunde gar nicht untersuchen können, welches insbesondere bei verschiedenen Ammoniaksalzen der Fall war, z.B. beim Salmiak, welcher das Glas stark zersetzte; eine Bestimmung der Pro- ducte der Zersetzung, hat bei der geringen Menge mir ein so wenig genügendes Resultat gegeben, welche ich bei einigen Versuchen vorgenommen habe, dafs ich es für überflüssig erachtet habe, sie anzuführen. Ich habe vergebens viele Versuche angestellt, das specifische Gewicht des Selengases zu bestimmen; die Temperatur, wobei das Selen kocht, ist der Gasarten zu den chemischen Proporüionen. 455 etwas unter 700°; bei dieser Temperatur behält das Glas noch seine Form, sobald es aber zugeblasen wurde, so wurde es durch den Druck der Luft zusammengeprefst. Ich habe es offen gelassen und Wasserstoflgas hineintreten lassen, habe aber so wenig übereinstimmende Resultate erhalten, dafs ich sie bekannt zu machen nicht für geeignet halte. Ich war zuletzt aus Mangel an Material gezwungen, diese Versuche, bis ich mir eine gröfsere (Juantität Selen verschaffen kann, aufzuschieben. Schwefelarsenik erfordert gleich- falls eine zu hohe Temperatur, es kocht über 700°. Um das specifische Gewicht von Kalium und Zink zu bestimmen, nahm ich sehr dicke und enge Röhren; es war meine Absicht, sie unter an- gesäuertem Wasser zu öffnen, um aus dem entwickelten Wasserstoflgase die Quantität, welche darin zurückblieb, zu bestimmen; auch die Bestimmung dieser Versuche wurde durch die hohe Temperatur, wobei beide Metalle kochen, unmöglich gemacht. Durch Kalium und Natrium, welches letztere bei einer niedrigeren Temperatur als Kalium kocht, wird das Glas schon stark zersetzt, so dafs mit diesen Metallen keine Versuche angestellt wer- den konnten. Man wird zwar, wie ich hoffe, aus der Beschreibung der Methode, welche ich angewandt habe, ersehen, dafs ich kein Mittel unbeachtet gelas- sen habe, um ein genaues Resultat zu erhalten; doch darf man die Bestim- mung des specifischen Gewichts der angeführten Gasarten auf keine Weise mit der Bestimmung der beständigen Gasarten, was die Genauigkeit betrifft, vergleichen, da sowohl die Schwierigkeiten bei der Untersuchung, als der Zweck bei derselben ganz verschieden war. Ja ich bin der Meinung, dafs es von grofser Wichtigkeit sein würde, wenn es gelingen sollte, das speci- fische Gewicht des Selen-, Kalium- oder Cadmiumgases bis auf 10 Proc. richtig zu bestimmen. . R ! ö A u. 1 rg er ae Elena - Tal Tal ROT AR u Fi N Y + we‘ Es gr Ne Se . ö f R fi " er a N He a el ee PIE en | rear sehen we ee ae along 1 ee een: v RR ET Lo E RE U BETT) BET), BE me alt never FOR SR. si ‘ re Bad TI rannte hr A: R \ ‚ . Er . ar=T) Zu Frage, Hr BIER AH Tee nam an Ras Wirt - a Le Kart Ninenglaterrde: estisiiiren lie JserheA Hasen DaryE Fr nrlacı et Pay sur ar ya ah Akere Aaı, br Atleh ir ai ara dl] j “ltr een) Kuml Male de ar fer NE A Hr nu OFEN ER ! 1 135 rate nn HR a ei ln an, ehe Fit entll 8 Ieixan U er uir. n.236z, B Bi.rans Parid » arm an näninlen a el doiins nah Ha are en re or rırtan ra 7 ul Ba ara Bere re Ber ü u Br hrs IRRBLOFLTIN RE ERTHRTHEDE Ders üskauys Hab: a Faden Ta Due Eu zer vi ah mare ing ae Fr HRS it ar) en er Mir "tal in Bu le ‘ % 4 * > eh ren ae ee Wale = has st alie jadyrdr Dura vs ehr PERLE NIT a ERDE MEN sa a a ee ende rear He ln: i N nad ER le er A ah us u EEE TER NER ee, © ku EUER . an large. sl ra el en a. Ana u ah sr Se ar auch u ara ach le a dr ji ae ee . EN na au are a ru 1 EBENE ar! " - = . hr: 5 D Über den innern Bau und die Früchte der Tangarten (Fucoideae). yon HIHI. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. März 1833]. Schon vor mehr als hundert Jahren glaubte ein Naturforscher, der mit grofsem Erfolg alle Theile der Naturkunde seiner Forschung unterwarf, Reaumur, Staubfäden an den Tangen entdeckt zu haben. Er sah Bündel von feinen Zasern überall auf der Oberfläche aus einer Öffnung hervortre- ten, die er für die Blüthen hielt, so wie jene feinen Zasern für die Staub- fäden dieser Blüthe. Zwar konnte er keine Antheren daran entdecken, Theile, von denen er sagt, dafs sie einige für sehr wichtig hielten, andere hingegen nur für die Behälter von Excrementen; doch hält ihn dieses nicht ab, seiner Meinung zu folgen. Die Früchte erkennt er in den angeschwol- lenen warzigen Enden der Zweige, wo er kleine Körner in einer Gallerte sah und wo er auch im spätern Alter kleine Öffnungen bemerkte, aus denen die Samen herausgetreten waren. S. Memoires de !’dcadem. des Science. de Paris 1711 p.71, 1712 p.61. Es verdient kaum bemerkt zu werden, dafs ein unzuverlässiger Beobachter, Donati, die Antheren an diesen Fäden wirklich wollte gesehen haben. Linne führt zwar in seinem Genera plantarum Reaumur’s Abhand- lung an, aber seine Beschreibung weicht davon ganz ab. Die männlichen Blumen sind nach ihm punktirte Erhöhungen, welche längliche Blasen be- decken; vermuthlich meint er die Warzen auf dem angeschwollenen Ende der Zweige, welche die Früchte anzeigen. Weibliche Blüthen hingegen nennt er glatte, kuglichte, hohle Blasen, mit Fäden durchwebt, also die blasenartigen Theile einiger Tange, worin ausgetrocknetes Zellgewebe Fasern darstellt. Später änderte er seine Meinung und hielt umgekehrt die ange- Phys. Abhandl. 1833. Mmm 458 Lınk schwollenen Enden richtig für die Früchte, die Blasen aber für die männ- lichen Blüthen. Dafs Linne’s Meinungen noch genannt werden, rührt nur von dem grofsen Namen her. Sam. Gottl. Gmelin erinnert gegen Reaumur’s Meinung Zistor. Fucorum Petrop. 1768 p.17.), dafs nur sehr wenige Tangarten solche Haare oder Zasern haben, welche Reaumur für Staubfäden hält, dafs ihnen das Wesentliche eines Staubfadens, nämlich die Anthere fehle, und endlich, dafs sie sich überall auf der Oberfläche nicht an einer bestimmten Stelle be- finden, wie Blüthen und also auch Staubfäden pflegen. Er hält sie also für Haare. Allerdings mufs man sie zu Theilen dieser Art rechnen. Aber sie sind von einem merkwürdigen Verhalten; sie bestehen aus Zellgewebe, welches aus dem Innern der Pflanze, und zwar durch eine Öffnung hervor- dringt, da hingegen das Haar, wenn man es auch eine Zelle oder eine Reihe von Zellen nennen wollte, doch dem unterliegenden Zellgewebe aufgesetzt und ihm ganz fremd ist, auch keinesweges aus dem Innern hervordringt. Seit Reaumur hat man auf diese sonderbaren Haare gar nicht geachtet. Sie finden sich, wie Gmelin richtig bemerkt, nur an wenigen Arten, am häufigsten an Fucus serratus. Hedwig, den der glückliche Erfolg bei der Untersuchung der Moose kühn gemacht hatte, auch an den übrigen kryptogamischen Pflanzen Ge- schlechtstheile zu suchen und zu finden, wagte doch nichts über die Tang- arten in dieser Rücksicht zu sagen. Im Erzgebirge und später in Leipzig, vom Meere entfernt, auch gewöhnt diese Untersuchungen nur an lebendigen Pflanzen anzustellen, mufste er diesen Theil der Kryptogamie übergehen. Da seine Bemühungen, aufser den Moosen an den kryptogamischen Ge- wächsen männliche Geschlechtstheile zu finden, ohne Erfolg geblieben wa- ren, so beruhigten sich die Naturforscher bei Gmelin’s Meinung, dafs näm- lich Samen in den Tangarten allerdings vorhanden seien, aber keine Befruch- tung durch männliche Theile Statt finde. Dawson Turner hat in einem klassischen Werke über die Tangarten (Fueus Lin.) genaue Beschreibungen und vortrefflliche Abbildungen gelie- fert, auch viele Arten zuerst bestimmt. Dieses bekannte Werk ist in 4 Bän- den von 1802-1819 erschienen. Er hat auf die Früchte genau gesehen und auch Samen abgebildet, aber ohne eine genaue mikroskopische Untersu- chung. Er belästigt sich nicht mit Eintheilungen der Gattung Z’ucus, sondern über den innern Bau und die Früchte der Tangarten. 459 führt alle Arten unter diesem gemeinschaftlichen Namen auf: ein Verfah- ren, welches nur scheinbar die Sache erleichtert. Wie Greville sagt, versuchte Walker zu Edinburgh schon 1771 die grolse Linneische Gattung Fucus in mehre zu theilen. Lange nach ihm, 1795, gab Stackhouse die Nereis britannica heraus, worin er ebenfalls die Gattung Fucus nach der äufsern Gestalt der Früchte eintheilt. Aber die erste genauere Eintheilung in Gattungen erhielten wir von Lamouroux 1812, dem Lyngbye 1819 und Agardh von 1818 an folgte. Die mikros- kopische Untersuchung der Früchte ist zwar nicht die Hauptsache dieser Schriften, aber doch keinesweges vernachlässigt; die Untersuchung des Baues der übrigen Theile wurde jedoch ganz bei Seite gesetzt. Als ich die Pilze einer mikroskopischen Untersuchung unterworfen hatte, ging ich auch zu den Lichenen und Algen über und meine Abhand- lung in Schrader’s N. Journ. d. Bot. handelt von dem, was ich sah. Aber ich wohnte an der Küste der Ostsee, und auch an der südlichsten Küste derselben finden sich wenig Tangarten, ja die meisten waren von fer- nen Küsten, vermuthlich der Nordsee, losgerissen und kamen nur nach Stürmen dorthin, waren auch in der Regel ohne Früchte. Daher erstrek- ken sich meine Untersuchungen nur auf Fucus vesicwlosus und Scytosiphon Fılum. Ein neues Werk: A/gae brittannicae or Description of the marine and other inarliculated plants of the briish islands by Rob. Kaye Greville, Edinb. 1830, 8. enthält eine sehr genaue Untersuchung und treffliche Darstellung der Fruchttheile, nach welchen der Verfasser die Gattungen der Tange un- terscheidet. Es veranlafste mich sogleich, meine mikroskopischen Unter- suchungen wieder aufzunehmen, zwar nach trocknen Exemplaren, wie es die Entfernung vom Meere nur erlaubt, aber da ich sah, dafs sich Manches daraus ergab, was zur Erläuterung, vielleicht auch Berichtigung des Gre- villeschen Werks dienen könnte; so liefs ich von den Zergliederungen durch Herrn Schmidt, einen geschickten jungen Künstler in diesem Fache, Zeich- nungen machen, welche ich hier vorlege. Auch hat Herr Greville nur auf die Früchte gesehen, seinem Zwecke gemäfs; aber es reicht dieses nicht hin, sondern es ist nöthig, auf den ganzen Bau Rücksicht zu nehmen, da- mit man nicht etwas für eigenthümlich der Frucht halte, was sich auch in andern Theilen der Pflanze oder gar in der ganzen Pflanze findet; ein Mmm 2 A460 Lıvyk Fehler, den man leicht machen kann und den Herr Greville einigemal ge- macht zu haben scheint. Wir wollen zuerst eine gemeine Tangart, den Fucus vesicwlosus vor- nehmen. Macht man einen dünnen Schnitt an der Oberfläche, wo es auch sei, so sieht man ein Zellgewebe, wie es sich auch bei den Phanerogamen findet, nur nicht grün, sondern braun gefärbt, von welcher Farbe die ganze Pflanze erscheint. Aber die grüne Zelle anderer Pflanzen ist durchaus grün, hier erscheint nur die Mitte braun, die ganze Umgebung farbenlos und durch- sichtig (Taf. 1, Fig. 1.). Die braune Masse bildet einen Körper für sich. An allen Tangarten, welche ich untersucht habe, ist diese färbende Sub- stanz als gesondert von der ganzen Zelle sehr auffallend. Sehr deutlich er- scheint sie aber als eine besondere für sich bestehende Masse unter der Ober- fläche von Fucus nodosus (Taf.3, Fig.2.), wo sie in der hellen durchsichti- gen Zelle eine fast schnurförmig gesonderte Masse bildet; die vier Körper in den Zellen der Porphyra vulgaris (Taf.3, Fig. 8.) sind eine solche Sonde- rung der färbenden rothen Masse in vier, auch wohl drei und zwei Körner von einer sehr unregelmäfsigen Gestalt, zumahl da die verwandte Gattung Ulva, z.B. U. latissima, die grün färbende Substanz wie gewöhnlich in eine Masse gestellt und verbreitet hat. Greville sagt von Porphyra: Frons plana, tenuissima, purpurea. Fructus: 1) sori sparsi granulorum ovalium; 2) granula quaternata, per totam frondem pulchre disposita. Es erhellt aber aus der obigen Darstellung, dafs man entweder die gefärbte Masse aller Tange zu den Fruchttheilen rechnen mufs, ‘oder die vierfachen Körner der Porphyra nur zur färbenden Masse; trennen kann man sie nicht als verschie- dene Theile, denn die Sonderung und Stellung derselben in Porphyra ist, wie man deutlich sieht, eine nur zufällige. Werfen wir hierbei einen Blick auf die Conferven, so finden wir eine sonderbare Analogie. Die meisten Conferven (ich meine hier die Unterord- nung) bestehen aus einem Faden von an einander gereihten Zellen. :In den Zellen findet sich eine gefärbte Substanz, welche sich endlich auf eine ver- schiedene Weise vertheilt, nach der Mitte oder nach den Seiten, oder auch in zwei sternförmige oder kugelförmige Massen, wie an der Conferva bipun- ctata. Die zusammengeballte Masse geht in den Conjugaten sogar in an- dere Individuen über, nachdem sich die Fäden mit einander verknüpft ha- ben; Andeutung einer Zeugungsverbindung. Dafs die färbende Masse in über den innern Bau und die Früchte der Tangarten. A461 den Conferven für sich bestehe, von der Zelle getrennt sei, hat Roth schon eingesehen, wenn er von utriculi matricales redet, denn so nennt er die nach seiner Meinung in eine Haut eingeschlossene Masse, welche die, also fal- schen, Queerwände bildet. Wir können die Tange folglich ansehen, als be- ständen sie aus an einander gelegten Conferven, und sie sind, so betrachtet, wahrhaft zusammengesetzte Pflanzen. Offenbar ist diese färbende Masse nicht blofs färbend, sie ist in einer Tendenz zur Bildung begriffen, wie Fucus nodosus und Porphyra zeigen; sie ist der Übergang zur Gemme. Vielleicht bedarf es nur der Ausschei- dung, damit sie als ein Keim ein Junges bilde. Es ist wohl nicht zu tadeln, dafs man diese färbende Masse, wenn sie solche eigenthümliche Gestaltungen macht, zur Unterscheidung der Gattun- gen anwende. Einen besondern Namen verdient sie wegen ihrer eigenthüm- lichen Natur. Mit der botanischen Sprachwillkür würde ich sie chroma- tıdia nennen. Gehen wir weiter nach dem Innern von Fucus vesiculosus, so erschei- nen Röhren mit der färbenden, gesonderten Masse, mehr gegen den Umfang 5 (Taf. 1, Fig.2.), weniger gegen die Mitte (Fig.3.) gefüllt. Diese anschei- nende Röhren sind nur an einander gereihte Zellen, wie man deutlich sieht, wenn sie trocken sind, wie in den Blasen dieses Tanges (Fig.4.). Auch sind sie keinesweges in allen Tangarten lang und erscheinen röhrenartig, sondern in gar vielen sind diese inneren Zellen von den äufseren wenig oder gar nicht verschieden, und zwar vorzüglich in allen schr dünnen oder schr plat- ten blattartigen Tangen. Macht man einen Schnitt durch eine kleine Warze oder Erhöhung der angeschwollenen Enden dieser Pflanze, so zeigen sich unter der Ober- fläche die Sporenschläuche oder thecae, wie ich sie nennen möchte (Fig.5.). Es sind Röhren, die sich von einem Mittelpunkte aus verbreiten und den braunen färbenden Stoff enthalten, wie er sich in allen Zellen der ganzen Pflanze findet. Diese Röhren sind nur kürzer und haben eine besondere, ihnen eigenthümliche Stellung. Sie bestehen aus Zellen oder es schnüren sich von ihnen Zellen ab und bilden Sporen oder Samen, wie Fig. 6 deutlich zeigt. Die Zellenreihen sind hier zur Entwickelung und zur Reife gekommen. Die kuglichten Blasen des Fucus vesicwlosus entstehen aus den ange- schwollenen, Sporenhaltenden Enden der Zweige, indem sie fortwachsen, 462 Lınkx und da, wo sie angeschwollen waren, sich Luft sammelt, wodurch das Zell- gewebe vertrocknet (Fig. 4). Schon lange hat man sie mit Recht als Theile angesehen, welche bei der Generation der Pflanze nicht von Bedeutung sind. Die angeschwollenen Enden der Zweige, worin sich die Sporenschläuche be- finden, die receptacula nach Greville, möchte ich bestimmender sporido- chta nennen. Greville sagt von Fucus im Gattungscharakter: F’rons plana, com- pressa vel cylindracea, coriacea, saepe vesiculosa. Receptacula plerumque el- liptica — es sind die angeschwollenen Enden der Zweige — tuberculata — diese Erhöhungen entstehen von den gehäuften und sich sondernden Sporen- schläuchen — non loculosa, tuberculis glomerulos fibrarum — sind die Spo- renschläuche — seminumque — sind die getrennten Sporencylinder — mas- sae interiori mucosae immersos (continentibus) — diese Masse ist nichts als das gewöhnliche innere, weiche Zellgewebe. Die Abbildung bei Greville stellt die Sporenschläuche zu dünn und die Sporen selbst viel zu dick vor. Dafs die letzten die abgeschnürten Enden der ersteren sind, ist überhaupt noch nicht bemerkt worden und daher auch nirgends vorgestellt. Fucus siliquosus Lin., Halıidrys siligquosa Lyngb. hat ganz und gar den innern Bau von Fucus vesiculosus. Lyngbye unterscheidet die Gat- tung Fucus von dieser unter andern dadurch, dafs Fasern mit dem Samen gemischt sein sollen, was bei Halidrys nicht erwähnt wird. Aber dieses ist unrichtig; Halidrys hat eben sowohl Fasern und Sporenschläuche als Fuecus. Greville unterscheidet viel besser durch receptacula loculata und vesiculae articulatae. Jene Fächer sind aber nicht wahre Fächer, sondern nur Lücken, welche durch die Zusammenziehung des Zellgewebes in den aufgeschwolle- nen, schotenförmigen Enden der Zweige entstehen, und eben so entstehen die gegliederten Blasen, welche hier vielleicht verfehlte Behälter von Spo- renschläuchen sind. Nahe kommt diesen Formen der Fucus cartilagineus Lin. oder Geli- dium cartilagineum Lamour., wenn auch die äufsere Gestalt sehr abweicht. Die Oberfläche des Stammes (Taf. 1, Fig.8) ist wie bei Fucus vesiculosus; im Innern desselben sieht man lange dünne Zellen, wie Schläuche (Fig. 9). Die Fruchtbehälter werden durch kleine, ovale, angeschwollene Äste gebil- det. Macht man einen Durchschnitt, so sieht man viele längliche Röhren und zwischen diesen Haufen von grofskörnigen Sporen (Fig. 7). Hat man über den innern Bau und die Früchte der Tangarten. 463 von diesen Fasern ein Häufchen isolirt, so sieht man (Fig. 10) deutlich, dafs die grofsen Sporen die abgeschnürten Enden der Sporenschläuche sind. Gre- ville charakterisirt diese Gattung folgendermafsen: Z'rons cartilagineo -cor- nea, compressa, linearis, plus minusve pinnata. Fructus: 1) capsulae in ra- mulis (substantia?) immersae, semina minuta, rotundata includentes; 2) gra- nula composita, in ramulis (substantia?) nidulantia. Er setzt im englischen Text hinzu: on distinct individuals. Die letztern Früchte habe ich nicht ge- sehen; es ist aber wohl kein Zweifel, dafs sie dte färbende Masse der Zellen sind, wie in Porphyra. Die Sporenschläuche sind nicht erkannt worden. Eine sonderbare und von den vorigen abweichende Bildung habe ich in Fucus nodosus gefunden. Die äufsere Oberfläche des Stammes (Taf. 2, Fig. 1) ist wie an Fucus vesiculosus, das Innere hat Zellen und die innere färbende Masse ist auf die oben erwähnte sonderbare Weise geformt (Fig. 2). Die vertrockneten Fasern in den grofsen Blasen zeigen sich Fig. 3. In den angeschwollenen Enden oder auch andern angeschwollenen Stellen des Stam- mes und der Äste liegen unter Warzen die Sporenschläuche auf eine ähn- liche Weise in der Runde (Fig.4), wie an Fucus vesiculosus. Aber im In- nern sieht man zarte Flecken (Fig.5) mit ganz kleinen Körnern, und es scheint, als ob diese Körner aus den eingeschnürten Fasern entstehen. In Fig. 6 sieht man die Verknüpfung dieser kleinen Körner und zarten Flocken mit dem Zellgewebe der Oberfläche, und in Fig. 7 mit den gröfseren Spo- renschläuchen und Sporen. Es sind hier also wirklich zweierlei Früchte ne- ben einander in demselben Behälter; die kleinen runden entsprechen den Körnern der Lichenen, die gröfseren den Schläuchen dieser Pflanzen. Die doppelten Früchte kommen gar nicht selten in der Klasse der Kryptoga- men vor; das doppelte Geschlecht ist gleichsam umgeschlagen und zur dop- pelten Frucht geworden, oder vielmehr das Überwiegen des einen Theils über den andern ist noch nicht geschehen, alles befindet sich noch in an- fänglicher Gleichheit oder Ähnlichkeit. Eine nicht weniger sonderbare Bildung habe ich an Fucus Filum Linn., Scytosiphon Filum Ag., Chorda Filum Stackh. Grev. gefunden (Taf. 2, Fig.8). Die Oberfläche des ganzen Tanges besteht aus den letzten kolbigen Enden von Schläuchen, welche dicht neben einander liegen, wie die ge- färbten Massen in dem Zellgewebe der Oberfläche von Fucus. Nach innen erscheinen lange Zellenreihen wie Röhren. Zwischen diesen liegen zer- 464 Lırk streute, längliche, durch einige wenig deutliche Queerwände abgetheilte Körper, wie an einigen Pilzen, z.B. Helminthosporium. Greville hat diese Körper nicht gefunden, auch ich selbst nicht bei meiner ersten Untersu- chung. Dafs sie die abgeschnürten Enden der langen Röhren sind, zeigt die Figur deutlich. Sonst ist Greville’s Beschreibung der Gattung nicht un- richtig. Er sagt: /rons simplex, füıformis, cylindracea, tubulosa, intus se- ptata. Fructus: semina pyriformia, ad superficiem frondis dense aggregata. Nur mufs man hinzusetzen, dafs die chromatidia theciformia sind, die thecae aber sehr lang und dünn, auch die abgesonderten Sporen noch Queer- wände haben. Der Fueus fastigiatus Lin., Furcellaria fastigiata Lamour. gehört zu einer Abtheilung von Tangen, denen die Sporenschläuche fehlen (Taf. 2, Fig.9). Die Chromatidien erscheinen gegen den Umfang dünner und län- ger, stehen aber in die Queere, gegen die Mitte werden sie rund-Jlänglich, birnförmig. Zwischen ihnen sieht man Haufen von kleinen Körnern, welche aus der gefärbten Masse entstanden scheinen. Diese kleinen Körner, welche wir noch ferner finden werden, mögen ‚Sporidia heifsen. Greville sagt von Furcellaria: F'rons cartılaginea, cylindracea, fiiformis, dichotoma. Fructus: receptacula elongata, terminalia, clausa, semina pyriformia, in strato sub- marginali includentia. Die receptacula sind auch hier die angeschwollenen Enden der Zweige (sporidochia) und die semina ohne Zweifel die Masse von gefärbter Substanz, welche sich unter der Oberfläche — das soll vermuth- lich submarginale heifsen, denn die Zweige sind rund — findet. Der vor- gestellte Schnitt ist von dem angeschwollenen Zweige, und die gefärbten Körnermassen erscheinen als kleine scharf anzufühlende Warzen auf der Oberfläche derselben, welche man bisher übersehen hat. Haufen von Sporidien bilden ähnliche scharf anzufühlende Erhöhun- gen auf der Oberfläche der Ulva dichotoma Lin., Dictyota dichotoma La- mour. (Taf.3, Fig.1). Die Chromatidien sind an der Oberfläche von ver- schiedener Gestalt und zeigen deutlich, wie sie sich in kleinere Körner tren- nen. Vermuthlich entstehen auch aus ihnen die Massen von kleinen Kör- nern, welche aus der Oberfläche hervorbrechen. Greville sagt sehr rich- tig in den Gattungskennzeichen: Frons plana, distincte reticulata — man sieht dieses nur, weil die Pflanze sehr dünn ist, denn alle Algen bestehen über den innern Bau und die Früchte der Tangarten. 465 aus Zellen — membranacea, dichotoma vel vage fıssa. Radix stuposa. Fru- ctus: semina sparsa vel in soris aggregata. Diese Massen von Sporidien zeigen sich auch an Nitophyllum lacera- tum Grev., Delesseria lacerata Ag., Fucus laceratus Turn. Die gefärbte Masse an der Oberfläche ist sehr kleinkörnig, wie bei den folgenden; aus der Oberfläche kommen kleine Massen von Sporidien hervor (Taf.3, Fig. 2). Im Innern der kleinen Zweige finde ich ein zartes Gewebe mit kleinen ge- sonderten Sporen, welche von den zarten Sporenschläuchen abgeschnürt sind (Taf.3, Fig.3). Nach der Analogie mit der folgenden Alge möchten auch wohl die Körner des Umfangs daher rühren. Greville macht eine sehr abweichende Beschreibung von Nitophyllum. Er setzt aber IV. lacera- tum ans Ende der Gattung, so dafs es also wohl einen abweichenden Bau haben möchte. Fig.2u.3 stellen einen Schnitt aus einer angeschwollenen Zaser am Rande der blattartig ausgedehnten Zweige vor. Das Ceramium Teedi Roth, Fucus Teedi Turn., Sphaerococcus Teedü Ag., welches Greville mit ? unter Rhodomenia aufführt, zeichnet sich allerdings gar sehr durch seinen Bau und seine Fructification aus. Die Oberfläche nicht allein, sondern der ganze äufsere Umfang bis auf eine ziem- liche Dicke ist mit kleinen gefärbten Körnern angefüllt, wie man Taf. 3, Fig. 4 und 5 sieht. Unter dieser äufsern Schicht liegen dann grofse Sporen (Fig. 6), oft nicht einfach, und aus Shorenzehlitielien, entstanden, wovon die Überbleibsel Fig.7 zu sehen sind. Zarte Röhren durchziehen die äufsere Schicht von Körnern, wie man erst beim Zerdrücken gewahr wird, und man sieht ebenfalls, dafs sich die kleinen Körner von den feinen Röhren abgeschnürt haben (Fig.5). Es ist also hier ein ähnlicher Bau, wie bei Scy- tosiphon Filum, nur dafs die Körner hier sehr klein sind. Die ganze Pflanze hat solche kleine Körner auf der Oberfläche, zwischen welchen nur an sehr dicken Zweigen grofse sich befinden, die auch geschwänzt und deutlich En- den von Schläuchen sind. Die Schnitte wurden von einem kugelförmig an- geschwollenen Zweige, wie man sie häufig an dieser Alge sieht, genommen. Gracilaria purpurascens Grev., Sphaerococcus purpurascens Ag., Fu- cus purpurascens Turn. hat ebenfalls eine Schicht von kleinen gefärbten Körnern im Umfange, unter welchen sich dann in grofsen Zellen gröfsere Sporen befinden (Taf.3, Fig. 8). .Gegen die Mitte werden die Körner klei- ner und geschwänzt (Fig.9). Greville sagt von Gracilaria: Frons cartıla- te) Phys. Abhandl. 1333. Nnn 466 Lınk&k ginea, filiformis, cylindracea vel compressa, rubra. Fructus: 1) capsulae massam seminum minutorum includentes; 2) granula simplicia, in fronde ni- dulantia. Diese Kapseln sind Warzen auf der Oberfläche, und Fig. 8 und 9 stellt eine solche Kapsel in einem Längsschnitte vor. Die Körner verdienen die Benennung Samen nicht, eher die darunter liegenden grofsen Körper, welche auch wirklich Greville an Chondrus so nennt. ‘Was capsula bei Greville heifst, würde besser sporidochium heifsen. Es sind warzenförmig angeschwollene Stellen im Verlaufe der Äste an Gr. purpurascens, und der vorgestellte Schnitt ist aus einer solchen Warze. Die granıla simplicia in fronde nidulantia habe ich an dieser Gracilaria nicht gesehen; Grev. hat sie von der Gracilaria erecta als kleine Erhabenheiten abgebildet. Ich vermuthe, dafs sie Körnermassen sind, welche auf der Oberfläche hervorbrechen, wie an Nitophyllum. Die grofsen Sporen unter der äufsern Schicht sieht man deutlich an Chondrus mammillosus Grev., Sphaerococcus mammillosus Ag., Fucus mam- millosus Turn., wo sie sich gestielt oder geschwänzt zeigen (Taf.3, Fig. 10). Wenn man Fig. 10 u. 11 zusammennimmt, so sieht man, dafs sie’den Über- gang von der gefärbten Masse zum Sporenschlauch bilden und dafs beide Körper demnach nahe mit einander verwandt sind, vielleicht einer aus dem andern entsteht. Greville sagt von Chondrus: Frons cartilaginea, plana, enervia, dichotoma, sursum dilatata, livido-rubra. Fructus: capsulae spar- sae, plerumque in disco frondis immersae, rarius pedicellatae. Semina mi- nuta, rotundata. Diese Kapseln sind angeschwollene, sehr kleine Zweige, welche am Rande oder auch auf der Oberfläche der grofsen platten Zweige sich befinden. Es erhellt hieraus, dafs die Kennzeichen, welche man von dem in- nern Bau der Früchte für die Unterscheidung der Tange hergenommen hat, mangelhaft, unbestimmt und unsicher sind. Man wird sich also vorläufig ganz allein an die äufsern Kennzeichen halten müssen, wie sie zum Theil mit Glück schon zu Kennzeichen der Gattungen angewendet wurden. Fol- gendes läfst sich im Allgemeinen von dem Bau der Tange sagen. Sie bestehen aus Zellgewebe; eigentliche Gefäfse hat man in ihnen noch nicht wahrgenommen. Die Zellen enthalten eine gefärbte Materie, welche aber eine höhere Organisation hat, als in andern Pflanzen überhaupt, selbst in den Phanerogamen. Sie ist wohl immer in eine zarte, von den über den innern Bau und die Früchte der Tangarten. 467 Zellen verschiedene Membran eingeschlossen, wenn diese auch nicht immer sichtbar sein sollte. Sie gehört zu den Generationstheilen, oder vielmehr Keimtheilen und Keimmassen ; ich nenne sie der Farbe wegen chromatidia. Die Art, wie nun diese Keimmasse wirkliche Früchte bringt, ist von einer doppelten Art. Im ersten Falle sondern sich Reihen von Zellen von den übrigen ab (Sporenschläuche, thecae), gehen wie aus einem Mittelpunkte auseinander, legen sich im Kreise herum und bilden so, nur durch ihre Stel- lung, ohne alle besondere Hülle, ein Sporangium, einen Sporenbehälter, der in der Substanz der Pflanze eingeschlossen bleibt und nur als äufsere Er- höhung sich kenntlich macht, entweder auf der Oberfläche oder an den En- den kurzer oder langer Zweige. Die äufserste Zelle des Schlauches schwillt an, sondert sich ab durch eine Zusammenziehung der Wände, welches ich Abschnüren oben genannt habe, und bildet so die Samen (sporae). Sind die Sporenschläuche lang, so hat man sie wohl erkannt, wie in Fucus; sind sie kurz, so hat man sie nicht erkannt, sondern der Pflanze nur sporae zu- geschrieben, wie in Sphaerococcus Ag. An Scytosiphon sind nicht allein wirk- liche Sporenschläuche nebst getrennten Sporen, sondern die gewöhnliche Keimmasse an der Oberfläche scheint ein Bestreben zur Sporenschlauchbil- dung zu zeigen. An Nitophyllum bleiben an den Sporen auch noch andere Zellen hängen, die besondere Sporen bilden. Zuweilen treten die Sporen durch eine kleine Öffnung aus, oft ist aber dergleichen nicht sichtbar. Die andere Art ist die Vermehrung der Keimmasse selbst, welche sich in Körner sondert, auf der Fläche des Tanges hervorbricht und zusammenklebend kleine Warzen macht, wie an Dietyota dichotoma u. a. Drittens würde die besondere Stellung der gesonderten Keimmassen, wie an Porphyra, auch hierher zu rechnen sein. Die kleineren Körner in den Tangen sind gewifs von den gröfseren Keimmassen verschieden. Sie sind kugelförmig, oft sehr genau, und von ih- nen zu der gröfseren, unbestimmteren, mehr vertriebenen Keimmasse ist kein Übergang. Sie bilden eine zweite Art der Fructification, den Über- gang zu einem doppelten Geschlecht. Sie sind immer die Erzeugnisse feiner Zellenreihen und zarter Sporenschläuche durch Abschnüren. —e TOT De m — Nnn2 * Ar \ = er i Ban U 7 9°: Dh = eo cn Er “x w ‚ * f m 2. ha Wa a an ss ya ale .,...& . R . ji v a a IL vun Are Nanny ERSTE undauie ei nT as sunhintiharss unllah . Ä » r na Je Tr ü u Eur 7 TREE re, PR ale her Te ash als are In on“ ‚onlae ine "indhtdatz MA DEREY A SE f j 2 TE FE ent ERTE H . 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Verbindungen des Fluors mit einem Metalle oder einem andern ein- facheu Körper sind gewöhnlich den Verbindungen desselben mit dem Chlor, Brom und Jod entsprechend zusammengesetzt, so wie sie sich auch in den wichtigsten chemischen Eigenschaften einander ähnlich sind. Daher geben fast immer dieselben Körper bei gleicher Behandlung mit analog zusammen- gesetzten Fluor-, Chlor-, Brom- oder Jodverbindungen Produkte, welche ebenfalls einander analog zusammengesetzt sind. Dieses Verhalten erleidet nur in einzelnen Fällen Modificationen, welche besonders daher rühren, dafs Brom, und mehr noch Jod, eine geringere Verwandtschaft zu Substanzen besitzen, als Fluor und Chlor. Das Verhalten der höchsten Oxydationsstufe des Chroms, der Chrom- säure, oder vielmehr ihrer Salze gegen Fluor- und Chlorverbindungen, be- sonders aber auch gegen Brom- und Jodverbindungen, wenn sie zugleich mit Schwefelsäure behandelt werden, ist daher auffallend, weil die Pro- dukte, welche daraus entstehen, in’ den verschiedenen Fällen, in ihrer Zu- sammensetzung keine Analogie zeigen, obgleich sie in ihren chemischen Ei- gen ‘haften zum Theil sich ähnlich sind. I. Chrom und Fluor. Unverdorben hat zuerst gezeigt, dafs die höheren Oxydationsstu- fen einiger Körper, welche Säuren sind, sich in flüchiige Fluorverbindungen verwandeln lassen, wenn man die Salze derselben mit Flufsspath mengt, und das Gemenge mit einem Übermaafs von contentrirter Schwefelsäure behan- 470 H. Rose über die Verbindungen delt. Er stellte auf diese Weise ein gasförmiges Chromfluorid dar. Auf ähnliche Weise bereitete darauf Berzelius Chromchlorid durch Behand- lung eines Gemenges von chromsaurem Kali und Kochsalz mit Schwefel- säure, untersuchte indessen die Eigenschaften dieses Chlorids nicht ge- nauer (!). Bei der Bereitung der gasförmigen Fluorverbindung entwickelt sich viel Sauerstoflgas, und wenn man einen sehr grofsen Überschufs von chrom- saurem Kali (ich wandte bei allen Versuchen das zweifach chromsaure Kali- salz an) anwendet, so wird ein grofser Theil der Chromsäure in demselben in grünes Oxyd verwandelt, welches zum Theil verbunden mit Schwefel- säure, zum Theil mit Chromsäure, und mit derselben die braune Verbin- dung bildend, welche von mehreren Chemikern für eine besondere Oxyda- tionsstufe des Chroms gehalten wird, in’der Retorte zurückbleibt. Die Entwicklung des Sauerstoflgases rührt wohl, wenigstens gröfsten- theils, von der Einwirkung der Schwefelsäure auf einen Theil der Chrom- säure im chromsauren Salze her, welche auf gleiche Weise einen Theil ihres Sauerstofls verliert, wie der Braunstein, wenn derselbe mit Schwefelsäure erhitzt wird. Gründe, welche sich aus dieser Abhandlung ergeben werden, be- stimmten mich zu untersuchen, ob die gasförmige Fluorverbindung eine reine Verbindung von Fluor mit Chrom sei, oder ob sie nicht auch Sauerstoff ent- hielt, und vielleicht eine Verbindung von Chromfluorid mit Chromsäure sei. Ich leitete daher das vermeintliche Chromfluorid aus einer Platinre- torte in Wasser, welches in einer Platinschale enthalten war, und zwar nur sehr langsam, damit mit dem entweichenden Sauerstoffgase so wenig wie mög- lich von einer anderen in Wasser löslichen Gasart, wie Fluorwasserstoflgas, verdampfen konnte. Die Auflösung enthielt, wie .diefs schon Unverdor- ben gefunden hatte, nur Chromsäure und Fluorwasserstoffsäure. .. Sie wurde in der Platinschale mit Ammoniak übersättigt und darauf in eine Flasche ge- gossen, welche fest verschlossen werden konnte. In dieser wurde sie mit vielem Wasser, welches längere Zeit gekocht worden war, verdünnt, dann mit einer Auflösung von Chlorcalcium versetzt und darauf verschlossen. Das gebildete Fluorcalcium setzte sich langsam ab. Die über ihm stehende ('); Dessen Jahresbericht, sechster Jahrgang, S.131. des Chroms mit dem Fluor und Chlor. 471 Flüssigkeit wurde abgegossen, und als es mehrere Mal mit heilsem Wasser übergossen worden war, wurde es, möglichst gegen den Zutritt der Luft geschützt, filtrirt und ausgesüfst. Es war schwer, die chromsaure Kalkerde vollständig vom Fluorcal- cium durch’s Auswaschen zu trennen. Nachdem dasselbe viele Tage fortge- setzt worden war, sah das durchgelaufene Wasser noch etwas gelblich aus. Das Auswaschen wurde daher unterbrochen, das Fluorcalcium getrocknet und geglüht. Es wog 2,1705 Grm. Es sah indessen nach dem Glühen grün aus, weil die Chromsäure der darin enthaltenen sehr kleinen Menge von chromsaurer Kalkerde durch’s Verbrennen des Filtrums in grünes Oxyd ver- wandelt worden war. Es wurde daher mit Schwefelsäure behandelt und da- mit lange erhitzt. Die schwefelsaure Kalkerde würde mit Alkohol übergos- sen und damit ausgesüfst. Zu der, von der schwefelsauren Kalkerde abfiltrirten, alkoholischen Flüssigkeit wurde Wasser gesetzt, der Alkohol abgedampft, und durch Am- moniak 0,006 Grm. grünes Chromoxyd erhalten. Diefs war mit 0,0042 Grm. Kalkerde als chromsaure Kalkerde im Fluorcaleium enthalten, dessen eigentliche Menge daher nur 2,1603 Grm. betrug. Die vom Fluorcaleium getrennte ammoniakalische Auflösung wurde durch Chlorwasserstoffsäure sauer gemacht, und dann ein Strom von Schwe- feswasserstoflgas hindurch geleitet. Nachdew sie erhitzt und von dem sich abgeschiedenen Schwefel abfiltrirt worden war, wurde das Chromoxyd mit Vorsicht durch Ammoniak gefällt, und vor jeder Einmengung von kohlen- 5 saurer Kalkerde geschützt. Es wog.nach dem Glühen 0,478 Grm. Die Menge des Chroms in diesem Oxyd, so wie in der kleinen Menge, welche aus dem Fluorcaleium erhalten wurde, beträgt 0,339 Grm., das Fluorcaleium enthält 1,031 Grm, Fluor; daher stehen, nach dieser Unter- suchung, Chrom und Fluor in folgendem Verhältnisse: Chrom 24,73 Elnor‘"'75,27 100,00. Da mir dieses Resultat sehr unerwartet war, so wiederholte ich den Versuch genau auf dieselbe Weise. Ich erhielt bei der Wiederholung 3,030 Grm. Fluorcaleium, welches ebenfalls nach dem Glühen grün aussah, und 472 H. Rose über die Verbindungen durch die Behandlung mit Schwefelsäure und Alkohol 0,010 Grm. Chrom- oxyd gab. Die Menge des Chromoxyds, welche aus der vom Fluorcaleium getrennten Auflösung erhalten wurde, betrug 0,729 Grm. Nach diesem Versuch ist das Verhältnifs des Chroms zum Fluor folgendes: Chrom 26,41 Fluor 73,59 100,00. Die Untersuchung ist von der Art, dafs sie bei der gröfsten Sorgfalt nicht ein Resultat geben kann, welches der Wahrheit sehr nahe kommt. Aber offenbar ergiebt sich aus diesen Versuchen, dafs in der untersuchten gaslörmigen Verbindung das Chrom zum Fluor nicht in dem Verhältnifs steht, wie der Berechnung nach in einem Chromfluorid, welches mit der Chromsäure analog zusammengesetzt wäre: denn ein solches würde im Hun- dert enthalten: . z Chrom 33,40 Fluor 66,60 100,00. Dahingegen kommt das Verhältnifs, wie ich es gefunden habe, nahe einer berechneten Zusammensetzung von einer Verbindung, welche auf 1 Atom Chrom nicht 3, sondern 5 Doppelatome vom Fluor enthält. Diefs enthält im Hundert: Chrom 23,13 Fluor 76,87 100,00. Bedenkt man, dafs bei der Auflösung des Chromfluorids in Wasser mit dem Sauerstoffgas auch sehr leicht etwas Fluorwasserstoflgas entweichen kann, und gewifs entwichen ist, so wird man den Überschufs des Chroms gegen die Menge des Fluors wohl unbedenklich diesem Umstande zuschrei- ben können. Wie soll aber die gasförmige Verbindung des Chroms mit dem Fluor betrachtet werden? Da die Auflösung derselben im Wasser Chromsäure und Fluorwasserstoffsäure enthält, so kann sie bestehen aus einem Chrom- fluorid, welches der Chromsäure entspricht, chemisch verbunden mit 2 Dop- des Chroms mit dem Fluor und Chlor. 473 pelatomen Fluorwasserstoff, oder da bei der Auflösung der Verbindung in Wasser viel Sauerstoffgas entweicht, so känn sie ein Chromfluorid sein, wel- ches mehr Fluor enthält als jenes, und dessen Überschufs von Fluor bei der Auflösung in Wasser Sauerstoff und Fluorwasserstolf bildet. Man könnte auch annehmen, dafs bei der Behandlung eines Gemenges von Flufsspath und chromsaurem Kali mit Schwefelsäure ein der Chromsäure entsprechen- des gasförmiges Chromfluorid, gemengt mit einer unbestimmten Menge von Fluorwasserstoflgas, sich entwickele. Die letzte von diesen Annahmen ist minder wahrscheinlich, weil zwei Versuche Resultate lieferten, die ziemlich mit einander übereinstimmten, und weil ich immer einen sehr grofsen Überschüfs vom zweifach chromsau- ren Kali gegen eine sehr kleine Menge von Flufsspath anwandte. ' Aus letz- terem Grunde ist es mir auch weniger wahrscheinlich, dafs die Verbindung aus Chromfluorid mit 2 Doppelatomen Fluorwasserstoff bestehe. Sollte die Verbindung aber wirklich ein Chromfluorid sein, welches auf 1 Atom Chrom 5 Doppelatome Fluor enthielte, was sich nur entscheiden liefse, wenn es möglich wäre, das Gewicht der zur Analyse angewandten Menge der Verbin- dung zu bestimmen, so ist die Existenz einer demselben entsprechenden Ver- bindung des Chroms mit Sauerstoff, ‘oder’ einer Überchromsäure, welche auf 1 Atom Chrom 5 Atome Sauerstoff enthält, sehr wahrscheinlich. II. Chrom und Chlor. Wird zweifach chromsaures Kali mit Kochsalz und einem Überschufs von Schwefelsäure behandelt, so entweicht bekanntlich sehr leicht eine blut- rothe flüchtige Flüssigkeit. Das sich bildende Wasser wird durch den Über- schufs der Schwefelsäure zurückgehalten, erhitzt man aber die Retorte etwas länger, so wird auch dieses verflüchtigt, zersetzt das Chromchlorid, und veranlafst die Bildung von Chromchlorür in demselben, indem durch die sich bildende Chlorwasserstoffsäure ein Theil der zugleich entstandenen Chromsäure zersetzt wird, wobei Chlor entweicht. - Es ist indessen sehr leicht, die Verbindung rein zu erhalten, wenn die zuerst übergangene rothe Flüssigkeit getrennt wird von dem, was sich durch stärkere Erhitzung spä- ter entwickelt. Bei dieser Bereitung entweicht eine bedeutende Menge Chlorgas, schon gleich im Anfange der Operation. Es gelang Dumas, durch Erkältung das- Phys. Abhandl. 1833. Oo0o 474 H. Rose. über die Ferbindungen selbe mit der rothen Flüssigkeit zu verbinden, und dadurch einen fast festen Körper’ zu bilden (1). Auch ‚wird 'von dem grofsen Überschufs des ange- wandten chromsauren Salzes viel von der Chromsäure in grünes Oxyd ver- wandelt, gerade so wie bei der Bereitung des Chromfluorids. Die blutrothe Flüssigkeit giebt, wenn sie in Wasser aufgelöst wird, Chromsäure und Chlorwasserstoflsäure, welche sich ziemlich lange unzer- setzt erhälten können, wenn:'die'‚Menge: des angewandten Wassers sehr be- deutend ist. Ist sie geringer, so wird ein Theil der Chromsäure zu Chrom- oxyd reducirt und Chlor entwickelt, was besonders beim Erhitzen geschieht. Aus diesen Erscheinungen konnte man mit vielem Rechte schliefsen, dafs die rothe Flüssigkeit ein Chromchlorid wäre, welches der Chromsäure entsprechend zusammengesetzt'sei. Indessen eine Analyse der Verbindung bestätigte diefs nur zum Theil, und zeigte, dafs sie eine ganz ungewöhnliche Zusammensetzung habe. 1,241 Grm. der rothen Flüssigkeit wurden mit der nöthigen Vorsicht in Wasser aufgelöst, zu ‘welchem so viel Ammoniek gesetzt worden war, dafs nach, der Auflösung die Flüssigkeit noch’ stark alkalisch blieb. Sie wurde ‚darauf durch Salpetersäure sauer gemacht, und mit einer Auflösung von salpetersaurem Silberoxyd versetzt, nachdem so viel Wasser noch hin- zugefügt worden war, ‚dafs kein chromsaures Silberoxyd gefällt werden konnte. Ich erhielt dadurch 2,294 Grm. Chlorsilber. Aus der davon ge- trennten Flüssigkeit wurde‘ durch Chlorwasserstoffsäure das überschüssig hinzugesetzte Silberoxyd als, Chlorsilber gefällt, und nach der Abscheidung desselben in der Auflösung durch 'einen Strom von Schwefelwasserstoffgas die Chromsäure, zu Chromoxyd reducirt, ‚welches, nach Abscheidung des Schwefels, durch Ammoniak kochend gefällt, 0,629 Grm. wog. Die Untersuchung gab also 45,60 Procent Chlor, 35,53 Proc. Chrom und einen Verlust .von 18,87, Procent. Aufser diesem auffallenden Verlust ist auch das Verhältnifs zwischen Chlor und Chrom ein ganz anderes, als es in einer berechneten Zusammensetzung von einem Chromchlorid ist, das der Chromsäure entspricht. Diels würde im;Hundert ‚bestehen aus 20,94 Chrom und 79,06 Chlor, während in der untersuchten Verbindung diefs Ver- hältnifs von Chrom zu Chlor im Hundert ist wie 43,79 zu 56,22. 23} (!) :Annales de chimie et de physique, T.XXXI, p.436. | des Chroms mit dem Fluor und Chlor. 475 Bei einer Wiederholung der Analyse von einer Menge, die zu einer anderen Zeit bereitet worden :war, erhielt ich aus 1,502 Grm. der Verbin- dung 3,330 Grm. Chlorsilber und 0,975 Chromoxyd. Ich. hatte vorher in die Flüssigkeit einen Strom von wasserfreier atmosphärischer Luft geblasen, um möglichst alles anhängende Chlor fortzubringen. Hiernach erhielt ich 45,59 Procent Chlor und 37,95 Procent Chrom, welches Resultat von dem früheren durch einen gröfseren Chromgehalt abweicht. Da nach der Auflösung der Flüssigkeit im Wasser in demselben nur Chromsäure und Chlorwasserstoflsäure enthalten ist, die Analyse aber einen weit gröfseren Chromgehalt angiebt, als der Berechnung nach im Chrom- chlorid enthalten ist, so mufs ein Theil des Chroms als Chromsäure in der Verbindung schon enthalten sein, und der bei den Analysen gefundene Ver- lust mufs in Sauerstoff bestehen. Hiernach würde nach der ersten Analyse die rothe Flüssigkeit aus einer Verbindung von 2 Atomen Chromsäure und 1 Atom Chromchlorid bestehen, welche der Berechnung nach im Hundert zusammengesetzt ist aus: Chrom 35,38 Chlor 44,51 Sauerstoff 20,11 100,00. Es ist diefs das erste Beispiel einer Verbindung, in welcher die Chrom- säure flüchtig ist, und das erste Beispiel einer flüchtigen Verbindung eines ÖOxyds mit einem Chlorid. Von Verbindungen ähnlicher Art, welche man nach der älteren chemischen Nomenclatur basisch salzsaure Salze nannte, läfst sich keine verflüchtigen. Thomson (!) hat vor mehreren Jahren diese rothe Flüssigkeit unter- sucht, indessen eine andere Zusammensetzung aus seinen Resultaten gefol- gert. Er löste sie im Wasser auf, und fällte durch eine Auflösung von koh- lensaurem Natron eine kleine Menge von grünem Chromoxyd, welche in der Auflösung entstanden war. ‘Das kohlensaure Alkali war nur in der Menge hinzugesetzt worden, dafs die Chromsäure gerade damit gesättigt war; diese wurde darauf durch eine Auflösung von salpetersaurer Baryterde nie- (') Philosopkical Transaetions, for 1827. 0002 476 H. Rose über die Verbindungen dergeschlagen. Aus der erhaltenen Menge der chromsauren Baryterde be- rechnete er die Menge der darin enthaltenen Chromsäure. Die abfiltrirte Flüssigkeit wurde mit einer salpetersauren Silberoxydauflösung versetzt, und aus dem erhaltenen Chlorsilber der Chlorgehalt der Verbindung berechnet. Hiernach hält er die Verbindung zusammengesetzt aus Chromsäure und Chlor, und nennt sie chloro-chromic acid. Er setzte weiter nicht auseinander, wie er sich das Chlor, welches er durch Silberoxydauflösung fällen konnte, mit Chromsäure verbunden denkt. Denkt man sich, wie Thomson, alles Chrom als Chromsäure, und diese verbunden mit Chlor, so mufs man, ist die Verbindung so zusammengesetzt, wie ich es angegeben habe, einen Über- schufs von 10 Procent erhalten. Thomson erhielt in der That einen Über- schufs, schreibt denselben aber den Umständen zu, dafs das von ihm ange- wandte kohlensaure Natron mit Kochsalz verunreinigt gewesen sei, und dafs er bei der Fällung des grünen Chromoxyds einen zu grofsen Überschufs von kohlensaurem Natron angewandt habe, wodurch er mehr Chlorsilber und chromsaure Baryterde erhielt, als er erhalten sollte. Dafs das von Chromsäure freie Chromchlorid im freien Zustande be- stehen könne, scheint mir zweifelhaft zu sein. Ich mengte innig grünes Chromoxyd mit Kohle, und liefs über das Gemenge, während es heftig glühte, Chlorgas lange und in grofser Menge strömen. Aber ungeachtet des grofsen Übermaafses desselben erhielt ich nichts Flüchtiges, sondern nur krystallisirtes violettes Chromchlorür. Es wäre vielleicht möglich, dafs das von Dumas dargestellte Man- ganchlorid eine ähnliche Zusammensetzung wie das chromsaure Chromchlo- rid hätte. Denn ich konnte dasselbe nicht auf die Weise darstellen, dafs ich kohlensaures Manganoxydul, mit Kohle gemengt, lange einem starken Strome von Chlorgas aussetzte, während es heftig glühte. Ich erhielt eben- falls nichts Flüchtiges, sondern nur in Nadeln krystallisirtes Manganchlorür, mit der überschüssigen Kohle gemengt. Ich versuchte, durch Behandlung von selensauren Salzen mit Koch- salz und Schwefelsäure eine der untersuchten Chromverbindung äbnliche Selenverbindung hervorzubringen. Ich erhielt aber nur Chlor, Selenchlorid, welches der selenichten Säure entsprechend zusammengesetzt war, ‚und zu- letzt eine ölartige Flüssigkeit, welche in grüngelblichen Dämpfen überdestil- lirte, und welche aus selenichter Säure und Schwefelsäure bestand. des Chroms mit dem Fluor und Chlor. 477 Chrom und Brom. Wird Bromkalium mit einem Überschusse von zweifach chromsaurem Kali und Schwefelsäure behandelt, so erhält man eine flüchtige rothe Flüs- sigkeit, welche in der Farbe sehr viel Ähnlichkeit mit dem chromsauren Chromchlorid hat, aber aus reinem Brom, ohne die geringste Spur von Chrom, besteht. Die Zersetzung geschieht also hier auf eine ähnliche Weise, wie die Zersetzung des Braunsteins durch Kochsalz und Schwefelsäure. Aus einem Gemenge von Jodkalium und zweifach chromsaurem Kali erhielt ich durch Schwefelsäure ebenfalls nur Jod. j \ hl res ae, Niet © = j . ‚ara nn mar” Gun n. FR e u . en % e rs ö . = ern ag Re LIE TI ES SEITE Een > \ tr are 310 Nikon oa Ri N Te | Js HH i Pr 2 ” j De = “ ‘ er £ r \ as wa ia Ber nd Huaie :ı Mg Ton Hr ; u BEN PURE; £ u een res ae a rer zes an "los ns. U eh A ü a u =. eh em este Du ap 9a ee Hip m - i j ade abvr sehr? ihrer? Dia ArIYe mas, 2 ko. un a a. . 2 Über eineVerbindung des Phosphors mit dem Stickstoff. Von H”: H. ROSE. mumnnmnnwewn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 11. Juli 1833.] D.., stellte zuerst die Verbindungen des Phosphorchlorids und des Phos- phorchlorürs (') mit Ammoniak dar, und beschrieb ihre Eigenschaften (?). Er fand, dafs beide beim Ausschlufs der Luft nicht nur bis zum Rothglü- hen, sondern selbst bis zum Weifsglühen erhitzt, weder flüchtig und zer- setzbar seien, dafs sich aus ihnen nichts Gasförmiges entwickelte, und dafs nur aus dem Phosphorchlorür- Ammoniak ein Antheil Phosphor abgeschie- den würde, Er gab ferner an, dafs nur schmelzendes Kalihydrat die Ver- bindungen zersetzte, daraus Ammoniak entwickele, und dafs dann durch Schwefelsäure aus dem Kali Chlorwasserstoflsäure entwickelt werden könne. Es ist wahrscheinlich, dafs Davy nur mit sehr kleinen Mengen der Verbindungen seine Versuche angestellt hat, aber sonderbar ist es dennoch, dafs er die Eigenschaften derselben so unrichtig angab. Noch merkwürdiger aber scheint es mir zu sein, dafs Davy’s fehlerhafte Angaben über die Ei- genschaften dieser Verbindungen, obgleich sich mehrere Chemiker mit ihnen beschäftigten, in 23 Jahren nicht berichtigt wurden, und daher in alle Lehr- bücher der Chemie übergegangen sind. (') Da der flüssige Chlorphosphor, wenn er überschüssigen Phosphor auflöst, sich in sei- nem Ansehen und physischen Eigenschaft nicht verändert, so könnte es vielleicht zweckmä- (sig sein, wenn man diese Auflösung nicht für eine besondere Chlorstufe des Phosphors hält. Obgleich ich durch eigene Versuche nicht ausgemittelt habe, wie viel Phosphor vom flüssi- gen Chlorphosphor ‚aufgelöst werden kann, so habe ich schon, der Kürze wegen, in meinen Abhandlungen die beiden Chlorstufen des Phosphors, welche der Phosphorsäure und der phosphorichten Säure entsprechend zusammengesetzt sind, Phosphorchlorid und Phosphor- chlorür genannt. (*) Schweigger’s Jahrbuch, Bd.10, S.98. 480 H. Rose über eine Verbindung Vor einiger Zeit beschäftigte ich mich mit den Analysen des Phos- phorchlorür-Ammoniaks und des Phosphorchlorid-Ammoniaks (1). Ich fand, dafs das Phosphorchlorür- Ammoniak, wenn es vollständig mit Am- moniak gesättigt ist, immer dieselbe Zusammensetzung habe, und aus 1 Atom des Chlorürs und aus 5 Atomen Ammoniak bestehe, dafs aber die Zusam- mensetzung des Phosphorchlorid- Ammoniaks nicht so beständig sei. Ich theilte die Eigenschaften dieser Verbindungen mit, deren Angabe zum Theil sehr von der anderer Chemiker abwich, sprach aber noch nicht von den auffallenden Erscheinungen, welche diese Körper zeigen, wenn sie beim Ausschlufs der Luft erhitzt werden. Die Untersuchung derselben macht den vorzüglichsten Gegenstand dieser Arbeit aus. Ich habe mich besonders mit den Substanzen beschäftigt, welche durch Zersetzung des Phosphorchlorür- Ammoniaks entsteheu, da dasselbe, wie ich so eben anführte, bei den verschiedenen Bereitungen sich immer von gleicher Beschaffenheit zeigte, während es mir nicht glückte, das Phosphor- chlorid- Ammoniak immer beständig gleich zusammengesetzt zu erhalten (?). Wird flüssiges Phosphorchlorür, welches durch mehrmalige Destilla- tion frei von überschüssigem Phosphor ist, mit getrocknetem Ammoniakgas gesättigt, so entsteht, wie ich diefs früher angegeben habe, eine bedeutende Erwärmung, und die entstehende Verbindung ist zwar weifs, hat aber viele bräunliche Stellen, welche vom freien Phosphor herrühren. Ich schrieb diefs von dem freien Phosphor her, der im Phosphor- chlorür enthalten sein kann. Später indessen habe ich mich überzeugt, dafs dieselben durch die Erwärmung herrühren, die bei der Entstehung der Ver- bindung stattfindet. Läfst man das Ammoniakgas sehr langsam zu dem Phos- phorchlorür strömen, und umgiebt dasselbe mit einer Kälte erregenden Mi- schung, so ist das entstandene Phosphorchlorür - Ammoniak ganz weifs, ohne bräunliche Stellen. Nur an der Mündung der Glasröhre, aus welcher das Ammoniak auf den Chlorphosphor strömt, wo die Abkühlung also am we- nigsten wirken kann, findet sich gewöhnlich etwas der Verbindung mit bräun- lichen Flocken. Ist die Verbindung ganz weifs, so löst sie sich zwar langsam, aber vollständig im Wasser auf. Sie ist gerade so zusammengesetzt, dafs sie, (') Poggendorff’s Annalen, Bd. XXIV, S.308. (?) Ebendaselbst, S.311. des Phosphors mit dem Stickstoff. 481 wenn sie Wasser aufnimmt, neutrales phosphorichtsaures Ammoniak und Chlorwasserstoff-Ammoniak bildet. Enthält indessen die Verbindung bräun- liche Stellen, so erfolgt in Wasser die Auflösung derselben nicht vollstän- dig, weil durch die Erwärmung in ihr, neben Chlorwasserstoff- Ammoniak, sich etwas Phosphor ausgeschieden und sich eine kleine Menge von einem im Wasser unlöslichen Körper gebildet hat, von welchem ich sogleich aus- führlicher reden werde. Wird das Phosphorchlorür- Ammoniak beim Zutritt der Luft erhitzt, so wird der gröfste Theil der Masse desselben verflüchtigt. Der sich verflüch- tigte sublimirte Theil ist vollständig, bis auf eine geringe Menge von Phos- phor, im Wasser auflöslich. Es besteht aus Chlorwasserstolf'- Ammoniak. Der sich nicht verflüchtigte Theil der Verbindung ist im Wasser un- auflöslich; er hat gewöhnlich eine braunröthliche Farbe, welche er jedoch nur bei der gewöhnlichen Temperatur besitzt. Erhitzt man ihn, so wird er weils, nach dem Erkalten indessen nimmt er die bräunliche Farbe wieder an. Es ist diefs eine anomale Erscheinung; es giebt eine grofse Menge von Körpern, welche bei der gewöhnlichen Temperatur weils sind, und erhitzt, wie Zinnoxyd, Titansäure u. s. w., gelb werden oder auch anders gefärbt erscheinen; es ist mir indessen fast kein gefärbter Körper bekannt, dessen Farbe durch Erhitzen weifs wird. Die nicht flüchtige Substanz, welche bei der Erhitzung des Phosphor- chlorür- Ammoniaks zurückbleibt, macht einen kleinen Theil von der Quan- tität desselben aus. Aufser freiem Phosphor enthält sie auch noch oft Chlor; denn schmilzt man sie mit Kalihydrat, wodurch sie in Wasser aufgelöst wird, so wird nach Übersättigung der Auflösung mit Salpetersäure eine Fällung von Chlorsilber in derselben durch Silberoxydauflösung hervor- gebracht. Der Körper, auf diese Weise dargestellt, ist richt rein, denn auch die braunröthliche Farbe ist ihm nicht eigenthümlich. Man erhält ihn rein, wenn man frisch bereitetes Phosphorchlorür- Ammoniak beim vollständigen Ausschlufs der Luft glüht. Diefs geschieht am besten auf die Weise, dafs man dasselbe in eine Glasröhre legt, welche aus starkem, schwer schmelz- baren Gase besteht, und die einen ziemlich grofsen Durchmesser hat. Man erhitzt dieselbe vorsichtig durch ein starkes Kohlenfeuer, während man einen Strom von, durch Chlorcalcium getrocknetes, Kohlensäuregas, darüber Phys. Abhandl. 1833. Ppp 482 H. Rose über eine Verbindung leitet. Die Erkitzung mufs so lange fortgesetzt werden, bis keine Spur von Nebeln des Chlorwasserstoff- Ammoniaks sich entwickelt, wozu bei gröfse- ren Mengen eine längere Zeit erfordert wird. Vermeidet man dabei sorgfäl- tig jeden Zutritt der atmosphärischen Luft, und erhitzt die Verbindung nicht früher, als bis der ganze Apparat mit Kohlensäuregas angefüllt ist, läfst das- selbe auch noch so lange durch die Glasröhre strömen, bis dieselbe voll- ständig erkaltet ist, so erhält man die neue Verbindung rein. Sie hat dann, auch nach dem vollständigen Erkalten, eine rein weifse Farbe. Ist sie, auch mit gehöriger Vorsicht, aus einem Phosphorchlorür- Ammoniak bereitet, das längere Zeit aufbewahrt worden ist, und Gelegen- heit gehabt hat, Feuchtigkeit, wenn auch nur geringe Spuren davon, zu absorbiren, so hat der Körper nach dem Erkalten einen Stich in’s Röth- liche; wird aber durch’s Erhitzen weifs. Die röthliche Farbe rührt nicht von einer kleinen Menge von Phosphoroxyd her, da die rothe Substanz bei der Behandlung mit Wasserstoffgas sich eben so verhält, wie die von weilser Farbe, ohne dafs dabei sich eine sichtliche Spur von Wasser erzeugt. Bei der Erhitzung der Substanz entwickelt sich aufser dem Chlorwas- serstoff- Ammoniak noch Phosphordampf und Gasarten. Sie bestehen aus Ammoniakgas und Wasserstoflgas. Die Substanz bildet im reinen Zustande ein sehr lockeres Pulver. Sie ist, obgleich aus lauter sehr leicht flüchtigen Substanzen gebildet, bei’m Ausschlufs der atmosphärischen Luft, wenigstens bei ziemlich starker Roth- glühhitze, feuerbeständig und unschmelzbar. Bei’m Zutritt der Luft und der in ihr enthaltenen Feuchtigkeit in einem Platintiegel erhitzt, stöfst sie einen weifsen Dampf aus, der Phosphorsäure ist, und oxydirt sich langsam, ohne mit Flamme zu verbrennen, zu Phosphorsäure, die fortfährt zu rau- chen, so lange man den Tiegel erhitzt. Geschieht der Versuch in einem Platintiegel, so wird derselbe dadurch stark beschädigt. Die merkwürdigste Eigenschaft der Substanz ist, aufser ihrer Feuer- beständigkeit beim Ausschlufs der Luft, ihre grofse Indifferenz gegen die stärksten Reagentien. Sie ist im Wasser und in fast allen Säuren unauflös- lich. Salpetersäure von der gewöhnlichen Stärke greift sie nicht, oder doch nur höchst wenig an. Auch selbst mit rauchender Salpetersäure längere Zeit behandelt, wird nur ein kleiner Theil von ihr in Phosphorsäure verwandelt, welche, mit Alkali gesättigt, einen gelben Niederschlag mit salpetersaurer des Phosphors mit dem Stickstoff. 483 Silberoxydauflösung gab. Es bildet sich also durch Oxydation der Sub- stanz nur gewöhnliche Phosphorsäure. In verdünnter Schwefelsäure ist die Substanz nicht auflöslich: con- centrirte Schwefelsäure indessen löst sie unter Entwickelung von schweflich- ter Säure auf. Die Auflösung enthält Phosphorsäure. Auch Chlorwasserstoffsäure ist ohne Wirkung auf die Substanz, selbst wenn sie damit längere Zeit hindurch gekocht wird. Wird durch Chloreal- cium getrocknetes Chlorwasserstoffgas über dieselbe geleitet, so wird sie selbst bei starker Rothgiühhitze nicht durch dasselbe angegriffen. Ist die Substanz nicht völlig trocken, so bildet sich dadurch ein sehr unbedeuten- des Sublimat von Chlorwasserstoff- Ammoniak. Selbst getrocknetes Chlorgas über die Substanz geleitet, greift die- selbe nicht an, selbst wenn sie während der Behandlung mit dem Gase stark erhitzt wird. Schwefel verändert die Substanz nicht. Wird sie mit ihm geschmol- zen, so kann derselbe von ihr abdestillirt werden, ohne sie sichtbar zu zersetzen. Dafs sie von Kohlensäuregas bei starker Hitze nicht zersetzt wird, er- giebt sich schon aus ihrer Bereitung. Eben so unwirksam wie dieses Gas ist auch Ammoniakgas gegen diese Substanz. In Auflösungen von Alkalien ist die Substanz ganz unauflöslich, selbst wenn sie damit gekocht wird, und die alkalischeu Auflösungen sehr concen- trirt sind. Ammoniak ist ganz ohne Wirkung; eben so eine Auflösung von Kalihydrat. Wenn die Substanz lange mit derselben gekocht wird, entwickelt sich nicht eine Spur von Ammoniak, und es erfolgt keine Auflösung. Wird indessen die Substanz mit festem Kalihydrat gemengt und da- mit geschmolzen, so zersetzt sie sich leicht; es entwickelt sich eine grofse Menge von Ammoniak, und hat die Entwickelung desselben aufgehört, so löst sich der Rückstand in Wasser auf. Die Auflösung mit Salpetersäure neutralisirt, giebt einen gelben Niederschlag mit salpetersaurer Silberoxyd- auflösung. Mit Salpetersäure übersättigt, entsteht durch dieses Reagenz nicht die mindeste Trübung von Chlorsilber, wenn die Substanz mit Vor- sicht bereitet worden war. Bei der Einwirkung des schmelzenden Kalihydrats auf die Substanz bemerkt man manchmal eine Feuererscheinung. Dieselbe zeigt sich immer, Ppp2 484 H. Rose über eine Verbindung wenn die Substanz mit Baryterdehydrat geschmolzen wird. Sie ist dann sehr stark, doch erst wenn ein Theil des Wassers sich verflüchtigt und sich das erste Hydrat der Baryterde gebildet hat. Auch wenn die Substanz mit kohlensauren Alkalien beim Zutritt der Luft erhitzt wird, zersetzt sie sich; es bildet sich phosphorsaures Alkali, Kohlensäure entweicht unter Brausen und der Rückstand löst sich vollstän- dig in Wasser auf. Mit salpetersauren Salzen erhitzt, verpufft die Substanz oft heftig, wie andere oxydirbare Körper. Durch diese Erscheinung, so wie durch die, dafs sie auch durch die Hydrate starker Basen angegriffen wird, unter- scheidet sich die Substanz von mehreren schwer zersetzbaren oxydirten Körpern. Sehr merkwürdig ist die Einwirkung des trocknen Wasserstoffgases auf die Substanz bei erhöhter Temperatur. Wird das Gas über dieselbe geleitet, während sie roth glüht, so wird sie nach und nach in Phosphor verwandelt, welcher theils als Dampf mit dem Gase fortgeht, theils an die kälteren Theile des Apparates sublimirt. Er hat theils eine etwas bräun- liche, theils gelbe Farbe. Es bildet sich hiebei, wenn die Substanz über Schwefelsäure getrocknet worden war, keine Spur von Wasser. Leitet man das fortströmende Gas durch Wasser, so enthält es, aufser darin schwim- menden Phosphorflocken, Ammoniak, welches man durch die gewöhnlichen Reagentien darin erkennen kann. Schwefelwasserstoflgas zersetzt gleichfalls bei erhöhter Temperatur die Substanz; von den Veränderungen, welche sie dadurch erleidet, soll indessen später die Rede sein. Durch das Verhalten gegen Reagentien ergiebt sich: 1) dafs die Substanz, wenn sie mit Vorsicht bereitet worden ist, kein Chlor enthält; 2) dafs sie aber Phosphor und Stickstoff enthalten müsse. Da die Substauz gegen die meisten Reagentien auf nassem Wege sich so äufserst gleichgültig verhält, so mufs man unwillkührlich auf den Gedan- ken kommen, dafs sie ein oxydirter Körper sei. Die Zersetzung durch Was- serstoflgas hingegen, bei welcher sich kein Wasser bildet, zeigt, dafs sie frei von Sauerstoff sei, welcher auch bei der Bereitung der Substanz aus dem des Phosphors mit dem Stickstoff. 485 Phosphorchlorür-Ammoniak nur durch. nicht völlig abgehaltenen Zutritt der atmosphärischen Luft sich mit der Substanz verbunden haben könnte. Um zu sehen, ob die Substanz blos aus Phosphor und Stickstoff be- stehe, oder ob sie auch nicht noch Wasserstoff enthält, glühte ich sie, nach- dem ich sie mit Kupferoxyd gemengt hatte. Das gebildete Wasser wurde in einer Röhre mit Chlorcaleium aufgefangen. Die Luft aus der Glasröhre mit dem Gemenge war vor dem Glühen mehrmals vermittelst der kleinen Luft- pumpe von Gay-Lussac, welche in Poggendorff’s Annalen, Bd.XXVI S.330, beschrieben worden ist, ausgepumpt worden. Ich erhielt so kleine Mengen von Wasser, dafs ich dasselbe der Feuchtigkeit zuschreiben mufs, welche nicht vollständig aus dem Gemenge ausgetrieben worden war. Ich erhielt in vier Versuchen 0,69; 0,65; 1,25 und 0,23 Procent Wasserstoff. Das Resultat des dritten Versuchs ist indessen offenbar ein sehr unrichtiges, da die Glasröhre während des Glühens einen Sprung erhielt. Ich halte den Wasserstoflgehalt für zu gering, als dafs er einen wesentlichen Bestandtheil der Substanz ausmachen könne. Die Substanz besteht daher nur aus Phosphor und Stickstoff. Ich habe sehr lange angestanden, sie für Phosphorstickstoff zu halten, wegen des so gänzlichen Mangels aller Analogie in den Eigenschaften mit anderen Stick- stoffverbindungen, wie Chlorstickstoff und Jodstickstoff. Diese gehören be- kanntlich zu den explodirendsten Körpern, während der Phosphorstickstoff feuerbeständig ist, und gegen die wirksamsten Reagentien eine so grofse In- differenz zeigt. Analyse des Phosphorstickstoffs. Es ist mit nicht sehr grofsen Schwierigkeiten verbunden, die Menge des Phosphors im Phosphorstickstoff zu bestimmen; aber bei der Bestim- mung des Stickstoffs fand ich so grofse Schwierigkeiten, dafs ich es vorzog, den Gehalt desselben durch den Verlust zu finden, nachdem der Phosphor- gehalt ausgemittelt worden war. Der Phosphorstickstoff wurde, nachdem er über Schwefelsäure ge- trocknet und gewogen worden war, mit einer gewogenen Menge von frisch ausgeglühtem Bleioxyd gemengt, und das Gemenge mit Salpetersäure über- gossen. Das Ganze wurde zur Trocknifs abgedampft und die trockne Masse mit Vorsicht geglüht. Aus dem Gewichte der geglühten Masse konnte leicht der Gehalt an Phosphor berechnet werden. 486 H. Rosr über eine Verbindung Die Resultate von drei Versuchen, welche ich angestellt habe, sind folgende: Menge desange- | Menge des ange- Menge des Phos- wandten Phos- wandten Blei- Gewicht der ge- | phors im Phos- Zahl der pborstickstofls oxyds in Gram- | glühten Massein | pborstickstoff io Versuche. in Grammen. men, Grammen. Procenten, I. 0,401 7,606 8,084 52,41 Is 0,5035 5,358 5,966 53,09 I. 1,062 7,568 8,837 52,53 Nimmt man an, dafs der Verlust Stickstoff sei, so besteht der Phos- phorstickstoff aus einem Atom Phosphor und zwei Atomen Stickstoff, P-+2N. Die berechnete Zusammensetzung einer solchen Verbindung ist im 100: Phosphor 52,56 Stickstoff 47,44 100,00 Ich habe auf dieselbe Weise einen Phosphorstickstoff analysirt, der eine ganz rothe Farbe hatte, und der durch Glühen in einer Atmosphäre von kohlensaurem Gase aus einem Phosphorchlorür- Ammoniak bereitet worden war, das längere Zeit hindurch, dem Zutritt der atmosphärischen Luft nicht ganz vollkommen verschlossen, aufbewahrt worden war, und daher Spuren von Feuchtigkeit enthalten konnte. 1,217 Grm. davon mit 8,322 Grm. Bleioxyd und mit Salpetersäure behandelt, wogen nach dem Glühen 0,729 Grm. Der Phosphorgehalt in diesem Phosphorstickstoff be- trug hiernach also 50,83 Procent. So leicht es ist, mit Genauigkeit den Phosphorgehalt im Phosphor- stickstoff zu finden, so schwer ist es, den Stickstoffgehalt desselben mit Sicherheit unmittelbar zu bestimmen. Ich habe eine grofse Menge Versuche darüber augestellt, aber nie ein sicheres Resultat durch sie erhalten. Zuerst versuchte ich den Phosphorstickstoff mit Kupferoxyd auf die- selbe Weise zu behandeln, wie man organische Substanzen bei Analysen zu oxydiren pflegt. Wenn indessen der Phosphorstickstoff innig mit einem Überschufs von Kupferoxyd gemengt, und eine so grofse Hitze gegeben wor- den war, als es das Glas der Röhre, in welcher das Gemenge lag, ertragen konnte, so erhielt ich nie die Menge von Stickstoff, welche ich erhalten sollte. Da der Phosphorstickstoff unschmelzbar und feuerbeständig ist, so des Phosphors mit dem Stickstoff. 487 kommen, da nicht eine so grofse Hitze gegeben werden kann, dafs das Oxyd zum Schmelzen kommt, nicht alle Theile desselben mit dem Kupferoxyd in Berührung, und einige entgehen so der Zersetzung. Ich erhielt daher weit weniger Stickstoflgas, als ich eigentlich erhalten sollte. Die Resultate meh- rerer Versuche stimmen auch so wenig unter einander, dafs man offenbar sieht, dafs die Ursache der Verschiedenheit derselben eine nicht vollstän- dige Zersetzung des Phosphorstickstofls, und keine andere gewesen sein konnte. Zu den Versuchen wurden Glasröhren von schwer schmelzbarem Glase angewandt. Das Gemenge wurde von Feuchtigkeit durch Auspumpen mit der kleinen Luftpumpe von Gay-Lussac befreit. Zum Kupferoxyd war regulinisches Kupfer gemengt worden, um die Erzeugung von Stickstofloxyd zu vermeiden, welches sich indessen nie zeigte. Wurde aus dem Volum des erhaltenen Stickstoffgases das Gewicht desselben berechnet, so betrug dieses nicht mehr als 40 Procent von der angewandten Substanz; das Volum in- dessen vermehrte sich, wenn das Glühen des Gemenges mehrere Stunden hindurch fortgesetzt wurde, wobei indessen die Röhre immer beim Erkalten sprang, und daher die Volumbestimmung des Gases unsicher wurde. Ich wandte darauf, ohne indessen bessere Resultate zu erhalten, statt des Kupferoxyds Bleioxyd an, um mit demselben die Substanz zusammen- schmelzen zu können. Nach dem Schmelzen erhielt die Glasröhre, in wel- cher das Gemenge lag, Risse, wenn sie auch auf’s Vorsichtigste erkaltet wurde, so dafs das Volum des sich entwickelten Gases nicht mit Genauig- keit bestimmt werden konnte. Ich versuchte darauf den Phosphorstickstoff in einer kleinen Retorte aus dickem Glase, welche eine hohe "Temperatur aushalten konnte, mit einem sehr leichtflüssigen Gemenge von Bleioxyd mit Chlorblei bei einer so gelinden Hitze zu schmelzen, dafs nach dem Erkalten die Retorte nicht sprang. Wenn mir dies auch gelang, so betrug das Gewicht des erhaltenen Stickstolfgases, aus dem Volum desselben berechnet, nur zwischen 30 bis 40 Procent vom angewandten Phosphorstickstoff. Nachdem ich aufser diesen noch mehrere Versuche angestellt hatte, welche alle mir keine günstigen Resultate gaben, gab ich es auf, unmittelbar die Menge: des Stickstofls im Phosphorstickstoff’ zu bestimmen, und begnügte mich mit der Bestimmung desselben aus dem Verlust. 488 H. Rose über eine Verbindung Zersetzung des Phosphorstickstoffs durch die Hydrate starker Basen. Ich habe schon oben erwähnt, dafs sich der Phosphorstickstofl, wenn er mit Kalihydrat oder mit Baryterdehydrat geschmolzen wird, sich in Phos- phorsäure und in Ammoniak verwandelt, indem er das Wasser der Base zer- setzt. Aus der Zusammensetzung des Phosphorstickstofls ergiebt sich aber, dafs wenn derselbe sich mit den Bestandtheilen des Wassers verbindet, nicht eine hinreichende Menge von Wasserstofl vorhanden ist, um, wenn Phos- phorsäure gebildet wird, allen Stickstofl in Ammoniak zu verwandeln. Der Phosphorstickstoff gehört also nicht zu der Klasse der stickstoffhaltigen Kör- per, welche, wie das Oxamid und Benzamid, sich durch Aneignung der Be- standtheile des Wassers genau in ein Ammoniaksalz verwandeln können. Ich habe mehrere Versuche angestellt, um die Menge des Ammoniaks zu bestimmen, die durch Behandlung einer gewogenen Menge des Phosphor- stickstofls mit Kali- oder Baryterdehydrat gebildet wird. Ich versuchte zu- erst das Volum des gebildeten Ammoniaks zu bestimmen; aber alle Versuche darüber mifsglückten, weil, wenn auch das angewandte Hydrat der Base kein Wasser durch blofses starkes Erhitzen entwickelte, doch durch die gebildete Phosphorsäure aus dem Hydrat eine beträchtliche Menge von Wasser verjagt wurde, in welchem sich ein Theil des Ammoniaks auflöste, während ein an- derer Theil desselben gasförmig entwich. Nach mehreren Methoden, die alle keine genügende Resultate gaben, befolgte ich endlich folgende: Eine gewogene Menge des Phosphorstickstoffs wurde mit Baryterdehydrat innig gemengt, und das Gemenge in eine kleine Retorte geihan, welche aus dickem, schwer schmelzbarem Glase bestand, das eine Abwechselung der Temperatur, ohne zu springen, ziemlich gut er- tragen konnte. Auf das Gemenge wurde noch Baryterdehydrat gelegt, so dafs es ganz damit bedeckt war, damit die kleine Menge der in der Retorte enthaltenen atmosphärischen Luft nicht beim nachherigen Erhitzen auf den Phosphorstickstoff einwirken konnte. Der Hals der Retorte wurde darauf in eine lange und feine Spitze ausgezogen, und diese in eine kleine Flasche geleitet, welche ungefähr bis zur Hälfte ihres Volums mit Wasser gefüllt war. Die Spitze der Retorte endigte ungefähr 4 bis 4 Zoll über der Ober- fläche des Wassers; der Hals der Retorte ging durch einen Kork in die Flasche. Durch diesen Kork gingnoch eine Glasröhre in eine zweite Flasche, des Phosphors mit dem Stickstoff. 489 welche concentrirte Chlorwasserstoffsäure enthielt; die Röhre reichte bis unter die Oberfläche der Säure. Die Verbindung der Retorte mit der ersten Flasche, und die zwischen dieser und der zweiten waren lufidicht; die zweite Flasche selbst war hingegen nicht luftdicht verkorkt. Die Retorte wurde erhitzt; der Strom des entweichenden Ammoniak- gases ging in die erste Flasche und löste sich in dem Wasser desselben auf, und nur wenige atmosphärische Luft ging durch die Säure der zweiten Flasche. Das wenige dieselbe begleitende Ammoniakgas löste sich in der Säure auf, und nur unmittelbar über der Oberfläche derselben entstanden einige schwache Nebel von Chlorwasserstoff- Ammoniak, von denen aus der Flasche keine entwichen. Nachdem: kein Ammoniakgas sich mehr bildete, wurde die Retorte nicht länger erhitzt. Man 'konnte sehen, dafs die Bildung desselben. aufge- hört hatte, nicht nur daran, dafs keine Feuererscheinung sich mehr zeigte, sondern auch, dafs das Wasser, welches zugleich mit dem Ammoniak aus dem Hydrate entwich, im Halse blieb und bei der geringsten Abkühlung der Retorte in dieselbe zurücktreten wollte. Durch dieses zugleich entwei- chende Wasser wurde auch alles Ammoniak in die erste Flasche geführt, und nichts davon blieb in der Retorte. Beim Erkalten der Retorte stieg sogleich die Säure aus der zweiten Flasche in die erste, und erfüllte den leeren Raum mit Nebeln von Chlor- wasserstoff-Ammoniak. Die lange feine Spitze der Retorte wurde dann sogleich abgeschmolzen. Wurde die Retorte, selbst als sie noch nicht völlig erkaltet war, zerschlagen, so konnte, wenn der Versuch mit Vor- sicht ausgeführt worden war, keine Spur von Ammoniak in derselben ent- deckt werden. Nachdem sich die Nebel des Chlorwasserstoff- Ammoniaks: im Wasser aufgelöst hatten, wurde der Inhalt der ersten Flasche, und auch noch der Theil der Säure, welcher in der zweiten geblieben war, vereinigt, und mit einer Auflösung von Platinchlorid im Überschufs versetzt. Die Flüssigkeit wurde darauf sehr langsam im Wasserbade bis zur Trocknifs abgedampft, und dann mit wasserfreiem Alkohol übergossen, zu welchem ich etwas Äther gesetzt hatte, weil ich gefunden zu haben glaubte, dafs in diesem Gemenge das Doppelsalz aus Platinchlorid und Chlorwasserstoff- Ammoniak unlösli- cher als im blofsen Alkohol sei. Dieses Salz wurde darauf filtrirt und vom Phys. Abhandl, 1333. Qggq 490 H. Rose über eine Verbindung überschüssigen Platinchlorid mit dem erwähnten Gemenge vollständig aus- gewaschen. Das Doppelsalz wurde darauf getrocknet und durch’s Glühen in me- tallisches Platin verwandelt, dessen Gewicht bestimmt wurde. Bekanntlich entweicht beim Glühen des Doppelsalzes mit den Dämpfen des Chlorwasser- stoff- Ammoniaks und des Chlors leicht etwas vom unzersetzten Salze und sogar etwas metallisches Platin. Ich vermied diesen Verlust sehr leicht auf die Weise, dafs ich das Doppelsalz vor dem Glühen nicht aus dem Filtrum schüttete, sondern in demselben eingewickelt lange Zeit in einem Platintie- gel sehr mäfsig erhitzte und das Filtrum langsam verkohlte, wobei das Chlor- wasserstoff-Ammoniak allein mit Chlor entwich, ohne die geringste Menge von unzersetztem Doppelsalze mechanisch mit fort zu reifsen. Die Kohle des Filtrums liefs sich zwar dann bei stärkerer Hitze schwer zu’ Asche ver- brennen; es wurde indessen ein Verlust an Platin dadurch ganz vermieden. Aus dem Gewichte des Platins liefs sich leicht die Menge des Stick- stoffs im Phosphorstickstoff berechnen, welcher sich durch die Behandlung mit Baryterdehydrat in Ammoniak verwandelt hatte. Folgende sind die Re- sultate aus vier Versuchen: Menge des ange- Berechnete Menge des wandten Phos- | Menge des erhal- | Stickstoffs nach Procen- Zahl der pborstickstoffs in | tenen Platins im ten vom angewandten Versuche. Grammen. Grammen. Phosphorstickstoff. I. 0,679 1,425 30,12 II. 0,882 23,045 33,28 N. 0,550 1,349 35,38 IV. 0,873 2.127 34,97 Die beiden letzten Versuche waren am besten gelungen, und gaben offenbar die zuverlässigsten Resultate. Bei’m ersten ging etwas Ammoniak verloren, weshalb er eigentlich hätte gar nicht angeführt werden sollen. Es ergiebt sich indessen offenbar aus den Versuchen, dafs von dem ganzen Stickstoffgehalte des Phosphorstickstoffs nur % sich in Ammoniak verwandelt, wenn derselbe mit Kali- oder Baryterdehydrat behandelt wird. Dafs ich etwas weniger erhielt, ist eine unvermeidliche Folge des Versuchs. Ich habe schon oben angeführt, dafs es mir nicht gelang, das Volum des sich entwickelnden Ammoniakgases zu bestimmen. ' Eben so wenig konnte ich auch das der anderen sich bei diesen Versuchen erzeugenden Gas- des Phosphors mit dem Stickstoff. 491 arten mit Genauigkeit finden, wenn ich das Ammoniakgas durch Wasser ab- sorbiren liefs. Wurde nämlich Phosphorstickstoff mit dem ersten Baryt- erdehydrat gemengt in einer Glasröhre erhitzt, so konnte es nicht vermie- den werden, dafs dieselbe, selbst beim vorsichtigsten Erkalten, sprang, wo- durch natürlich eine Messung der Gasarten möglich wurde. Wenn indessen bei diesen Versuchen auch nicht das Volum der sich entwickelnden Gasarten bestimmt werden konnte, so konnte doch das Ver- hältnifs derselben zu einander gefunden werden. Die durch Baryterdehydrat aus dem Phosphorstickstoff entbundenen Gase wurden mit Wasser behan- delt, um darin das Ammoniakgas aufzulösen, und von dem gasförmigen nicht aufgelösten Rückstaud wurden Antheile mit Sauerstoffgas gemengt und entzündet. Als Rückstand blieb, aufser überschüssigem Sauerstoffgas, Stickstoffgas. Bei den zwei Versuchen, welche ich anstellte, fand ich, dafs, nach Hinwegnahme des Ammoniaks, der gasförmige Rückstand ziemlich genau aus gleichen Volumen Wasserstoflgas und Stickstoffgas bestand. Bei dem einen Versuche fand ich in 9,5 Volum des Gases 4,33 Volum Wasserstofl- gas, und daher 4,67 Vol. Stickstofigas, und bei dem anderen in 18 Vol. vom gasförmigen Rückstand 9,5 Vol. Wasserstollgas, also 8,5 Vol. Stick- stollgas. Bei der Zersetzung des Phosphorstickstoffs durch die Hydrate starker Basen ist in letzteren nicht so viel Wasserstoff im zersetzten Wasser enthal- ten, um allen Stickstoff in Ammoniak zu verwandeln; es entweicht also ein Theil davon gasförmig, und zwar 4. Zwei Atome des Phosphorstickstofls zersetzen sich daher so, dafs der ganze Phosphorgehalt sich in Phosphor- säure und % des Stickstoflgehalts in Ammoniak verwandelt, !; desselben ent- weicht als Gas, gemengt mit einem gleichen Volum Wasserstoffgas. Die Zersetzung ist folgende. Durch 2 Atome Phosphorstickstoff 2P + 4N und 5 Atome Wasser 50 +10H bilden sich: (2P+50) + SN+9H) + N +H. Zersetzung des Phosphorstickstoffs durch Schwefelwasserstoffgas. Leitet man durch Chlorcaleium getrocknetes Schwefelwasserstollgas über Phosphorstickstoff, so wird derselbe gänzlich zersetzt, und ohne Rück- Qgq? 492 H. Rose über eine Verbindung stand verflüchtigt, wenn er rein ist und stark erhitzt wird. Die Hitze mufs so stark sein, dafs die Glasröhre, in welcher der Phosphorstickstoff liegt, stark roth glüht; sie mufs deshalb’ aus starkem, sehr schwer schmelzbarem Glase bestehen. Es entwickelt sich ein weifser Dampf, welcher sich als eine pulverförmige, etwas zusammenbackende, weifse oder vielmehr weiß- gelbliche Masse an die kalten Theile der Glasröhre ansetzt, von welcher aber viel mit dem Strome des Schwefelwasserstoflgases fortgerissen wird. Diese Masse mufs gegen den Zutritt der Luft geschützt werden, weil sie sich leicht, wenigstens in warmen Sommertagen oft, pyrophorisch an der Luft entzündet. Sie brennt dann mit starker weifser Flamme, ohne dabei nach schweflichter Säure zu riechen, und hinterläfst Phosphorsäure. Frisch bereitet, ist die Substanz geruchlos, längere Zeit der Luft aus- gesetzt, erhält sie, wenn sie sich nicht entzündet hat, einen Geruch nach Schwefelwasserstollgas. Mit Wasser bildet sie eine milchichte, nach Schwe- felwasserstoff riechende Flüssigkeit. Läfst man dieselbe beim Ausschlufs der Luft längere Zeit stehen, so setzt sich aus ihr Schwefel ab. Die über dem- selben stehende klare Flüssigkeit riecht stark nach Schwefelwasserstoff, rö- thet Lackmuspapier, wird durch eine Auflösung von Chlorbaryum nicht getrübt, wohl aber scheidet sich, nach Übersättigung mit Ammoniak, aus ihr viel phosphorsaure Baryterde ab. Von Ammoniak wird die Substanz nicht aufgelöst, so wie auch nicht von Chlorwasserstoflsäure; beide werden durch sie milchicht. Von rauchender Salpetersäure wird sie mit Heftigkeit oxydirt, ent- weder völlig von ihr aufgelöst oder mit Hinterlassung von Schwefel. Die Auflösung enthält aufser Schwefelsäure auch Phosphorsäure. Die Substanz entzündet sich schon mit Heftigkeit, wenn sie in die Atmosphäre der rau- schenden Säure gebracht wird. Auch von schwächerer Salpetersäure wird die Substanz schon in der Kälte zersetzt. Mit Kaliauflösung behandelt entwickelt die sta auch in der Kälte einen Anımorlakscsäkke In heifser Kalilauge löst sie sich ganz auf. Bei verschiedenen ‚Analysen der Substanz erhielt ich, unstreitig weil ich nur sehr kleine Mengen dazu anwenden konnte, nicht sehr übereinstim- mende Resultäte, namentlich wichen dieselben selbst in der Menge’des er- haltenen Schwefels von einander ab. Diefs, so wie der Versuch) die Sub- stanz in gröfseren Mengen auf eine andere Weise darzustellen, veranlafsten des Phosphors mit dem Stickstoff. 493 mich, die Zusammensetzung derselben, und die Erscheinungen, welche ent- stehen, wenn sie einer höheren Temperatur ausgesetzt wird, zum Gegenstand einer besonderen Abhandlung zu wählen. Über die Entstehung des Phosphorstickstoffs aus dem Phosphorchlorür- Ammoniak. Ich habe schon oben angeführt, dafs wenn das Phosphorchlorür- Ammoniak bei’m Ausschlufs der Luft erhitzt wird, sich aufser Chlorwasser- stoff- Ammoniak noch Phosphordampf, Ammoniakgas und Wasserstoflgas entwickele. Die Menge des Chlorwasserstoff- Ammoniaks, welche sich dabei bil- det, ergiebt sich leicht, da es von der ganzen Menge des Chlors gebildet wird. Um das Verhältnifs der anderen entweichenden Stoffe zu finden, stellte ich Versuche an, um die Menge des gebildeten Phosphorstickstofls aus einer gewogenen Menge von Phosphorchlorür- Ammoniak zu bestimmen. Diese Versuche lassen sich leicht und mit ziemlicher Genauigkeit anstellen; eine gewogene Menge von Fhosphorchlorür- Ammoniak wurde so lange stark er- hitzt, bis sich aus ihm keine Spur von Chlorwasserstoff- Ammoniak mehr entwickelte, während ein Strom von Kohlensäuregas, der durch Chlorcal- cium getrocknet wurde, darüber geleitet ward. Die Resultate von sechs Versuchen sind folgende: Menge des ange- | Menge des daraus | Menge desselben nach wandten Phos- | erhaltenen Phos- | Procenten vom ange- Zahl der pborchlorür-Am- phorstickstoffs wandten Phosphor- Versuche, moniaks in Grm. in Grammen. chlorür- Ammoniak. I. 0,594 0,191 21,36 IH. 0,7423 0,16% 22;10 II. 0,552 0,178 20,59 IV. 1,3685 0,2585 21,08 y: 1,071 0,2255 21,05 VI. 0,714 0,151 21,15 Es geben also hundert Theile Phosphorchlorür - Ammoniak 21,27 Theile’ Phosphorstickstoff als ein Mittel von sechs Versuchen. Aber diese enthalten 11,18 Th. Phosphor, während im Phosphorchlorür- Ammoniak 14,05 Procent davon vorhanden sind. Diese beiden Mengen verhalten sich aber wie 4:5. Fünf (einfache) Atome vom Phosphorchlorür - Ammoniak 494 H. Rosz über eine Verbindung geben also 4 Atome Phosphorstickstoff. Die Zersetzung, die ersteres durch die Erhitzung erleidet, ist folgende: 5 (einfache) Atome Phosphorchlorür - Ammoniak =5P+15C1+25N +75H geben Phosphorstickstoff Ap + 8N Chlorwasserstoff- Ammoniak 15Cl-+415N +60H Ammoniak 2N+ 6H Phosphordampf {pP Wasserstoffgas 90H HP -2EAIH OLE 25N 75: Dafs die Mengen des Ammoniaks und des Wasserstoffgases, so wie sie sich hieraus ergeben, die richtigen sind, ergiebt sich leicht aus einer Ver- gleichung der Atomengewichte des Phosphorchlorür- Ammoniaks und des Phosphorstickstofls. Fünf (einfache) Atome des ersteren wägen 6981,585 und vier Atome des letzteren 1492,764; aber diese beiden Zahlen verhalten sich wie 100 : 21,38, welche letztere Zahl sehr gut übereinstimmt mit der Menge von Phosphorstickstoff, welche aus 100 Theilen Phosphorchlorür- Ammoniak erzeugt wird. Ä Ich versuchte auch die Mengen des Ammoniaks und des Wasserstoff- gases zu bestimmen, welche bei der Zersetzung von gewogenen Mengen des Phosphorchlorür-Ammoniaks sich bilden, da indessen die Erhitzung dessel- ben in einem Apparat geschah, welcher mit atmosphärischer Luft angefüllt war, so waren die erhaltenen Resultate nicht genau. Über die Entstehung des Phosphorstickstoffs aus dem Phosphorbromür- Ammoniak. Wird flüfsiges Phosphorbromür mit trocknem Ammoniakgas behan- delt, so sind die Erscheinungen, welche dabei stattfinden, denen vollkom- men ähnlich, welche bei der Einwirkung des Phosphorchlorürs auf Ammo- niak eintreten. Es bildet sich unter starker Erwärmung eine weifse pulvrige Masse, welche in allen Eigenschaften dem Phosphorchlorür - Ammoniak ähnlich ist. Wird bei der Bereitung des Phosphorbromür-Ammoniaks durch künst- liche Erkältung die dabei entstehende Erhitzung so viel wie möglich 'verhin- des Phosphors mit dem Stickstoff. 495 dert, so löst es sich vollkommen, jedoch nur langsam, in Wasser auf. Die Auflösung enthält phosphorichtsaures und Bromwasserstoff- Ammoniak. Es folgt hieraus, dafs das Phosphorbromür- Ammoniak eine dem Phosphor- chlorür- Ammoniak analoge Zusammensetzung haben, und aus einem Atome Phosphorbromür verbunden mit fünf Atomen Ammoniak bestehen müsse. 1,628 Grm. des Phosphorbromür- Ammoniaks wurden mit einer Auf- lösung von kohlensaurem Kali gekocht, worin es sich auflöste. Die Auflö- sung wurde zur Trocknifs abgedampft; die trockne Masse in Wasser aufge- löst, die Auflösung mit Salpetersäure übersättigt und mit einer Auflösung von salpetersaurem Silberoxyd versetzt, gab 2,594 Grm. Bromsilber. Nach diesem Versuche enthält die Verbindung 66,90 Procent Brom. Eine nach der Formel PBr’ + 5NH? berechnete Verbindung enthält im Hundert: Brom 66,71 Phosphor 8,92 Ammoniak 24,37 100,00. Wird das Phosphorbromür Ammoniak bei’'m Ausschlufs der Luft in einer Atmosphäre von trocknem Kohlensäuregas geglüht, so verwandelt es sich in Phosphorstickstoff; es entwickelt sich dabei Bromwasserstoff- Am- moniak, Ammoniakgas, Phosphordampf und Wasserstoffgas. In zwei Versuchen erhielt ich aus 0,753 Grm. und aus 0,876 Phos- phorbromür- Ammoniak, 0,104 Grm. und 116 Grm. Phosphorstickstoff, also 13,81 und 13,24 Procent. Da fünf (einfache) Atome Phosphorbromür-Ammoniak 10998,960 wägen, so verhalten sich diese zu der vierfachen Atomenzahl von Phosphor- stickstoff wie 100:13,57. Man sieht also, dafs bei der Zersetzung des Phos- phorbromür-Ammoniaks durch erhöhte Temperatur ganz dieselben Erschei- nungen stattfinden, wie bei der des Phosphorchlorür- Ammoniaks. Das Phosphorbromür, welches ich zu diesen Versuchen gebrauchte, konnte ich mir nicht auf die Weise verschaffen, dafs ich trockne Phosphor- stücke in Brom legte. Bringt man auch nur ein sehr kleines Stückchen Phos- phor in einige Loth Brom, so findet eine so starke Einwirkung statt, dafs das Ganze umhergeschleudert wird. Man kann sich aber auf eine ganz ge- 496 NH. Rose über eine Verbindung des Phosphors mit dem Stickstoff. fahrlose Weise die gröfsten Mengen von Phosphorbromür verschaffen, wenn man in ein Glas mit breiter Mündung, das durch einen‘ 'gläsernen Pfropfen verschlossen werden kann, Brom bringt, in diesem Glase Glasröhren auf- recht stellt, welche unten zugeschmolzen und mit trocknem Phosphor ge- füllt worden sind, worauf man das Glas verschliefst und an einen sicheren Ort längere Zeit hinstellt.‘ ‘Die Dämpfe des Broms verbinden sich mit dem Phosphor zu Phosphorbromür, wenn der Phosphor im Überschufs vorhan- den ist, und nach einigen Wochen kann man: ziemlich bedeutende Mengen davon erhalten. Das Phosphorbromür wird darauf einige Mal destillirt,. um es von allem aufgelösten Phosphor zu befreien. Über das Benzin und die V erbindungen desselben. j Von H'»- MITSCHERLICH. nn en ee 7 7 5 [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 6. Februar 1834.] D. Untersuchungen der organischen Verbindungen geben in manchen Fällen ein eben so einfaches Verhältnifs der Zusammensetzung, wie die der anorganischen, in anderen ein so zusammengesetztes, dafs man an ihrer Richtigkeit zweifeln könnte, wenn nicht die grofse Genauigkeit, womit man diese Untersuchungen anzustellen im Stande ist, und wodurch verschiedene Naturforscher dieselben Resultate erhalten haben, irgend ein Mifstrauen ge- statten würden. Für die Entwicklung der Gesetze, nach welchen die Ver- bindungen, welche ein solches complicirtes Verhältnifs gegeben haben, zu- sammengesetzt sind, ist es unbestreitbar nützlich, dafs man verschiedene Ansichten über die Art, wie man sich sie zusammengesetzt vorstellen kann, entwickele, selbst wenn diese Ansichten sich später als unrichtig erweisen sollten, wenn nur diese Ansichten denjenigen, welcher sie aufstellte, oder andere zu Thatsachen führen; und ich glaube, dafs von diesem Gesichts- punkt aus die Aufstellung der Ansichten, welche ich über die Art, wie man sich einen grofsen Theil von organischen Verbindungen, zusammengesetzt vorstellen könne, anführen werde, durch die Resultate, welche mir die Untersuchung des Benzins und der Verbindungen desselben gegeben haben, gerechtfertigt werde. Diese Verbindungen nämlich führen, wie viele andere, zu der An- sicht, dafs es, aufser den gewöhnlichen, zwei besondere Klassen von Ato- men organischer Verbindungen giebt, wovon die eine Klasse Substanzen enthält, deren Bestandtheile inniger mit einander verbunden sind, als es bei den gewöhnlichen Verbindungen derselben mit anderen Körpern der Fall ‚ist; die andere Klasse aber Substanzen enthält, welche durch Verbindung Phys. Abhandl. 1833. Brr 498 MıTtscuertichH von zwei zusammengesetzten Körpern oder von einem einfachen und einem zusammengesetzten Körper, entstanden sind, aus welcher Verbindung sich ein Theil ausgeschieden hat. Die erste Klasse von Atomen kommt sowohl bei den anorganischen als organischen Verbindungen vor; sie enthält die chemischen Verbindungen, welche bei derselben Zusammensetzung verschiedene Eigenschaften zeigen. Als Ursache der verschiedenen Eigenschaften giebt man mit Recht an, dafs sich dieselben Substanzen zu innigeren und weniger innigeren Verbindungen vereinigen. Auch kann man bei dem Übergang der einen Verbindung in die andere bei mehreren Substanzen Entwicklung von Wärme und sogar von Licht beobachten (!). Da die Phosphorsäure und die Kieselsäure sich mit Basen zu innigeren uud loseren Verbindungen willkührlich vereinigen lassen, wenn man diese nämlich durch Glühen oder auf nassem Wege darstellt, so ist es natürlich, bei den organischen Verbindungen, da wir dabei schon mehrere isomerische Verbindungen kennen, wie die Weinsäure und Trau- bensäure, zwei und vielleicht noch mehrere Stufen von Innigkeit der Ver- bindungen anzunehmen; und so scheint es mir nicht unwahrscheinlich zu sein, dafs wir bei einigen organischen Substanzen nur die innigeren Verbin- dungen kennen. Zu solchen innigen Verbindungen möchte ich die Wasser- stoffsäuren mit dem Ätherin, z.B. den Salzäther, den Traubenzucker, als Verbindung von Alkohol, Kohlensäure und Wasser, u.s. w. rechnen. Ver- bindungen der Kohlensäure, des Wassers oder anderen Säuren mit dem Ätherin, die den gewöhnlichen Verbindungen dieser Säuren entsprechen, und die wir als die loseren anzusehen haben, kennen wir nicht. Zu diesen innigeren Verbindungen gehören noch die Verbindungen der Schwefelsäure mit dem Naphthalin, dem Äther, und viele andere mehr. Zu der zweiten Klasse gehören wahrscheinlich eine sehr grofse An- zahl von Verbindungen; für einen Theil dieser Verbindungen kann man die Art, wie sie zusammengesetzt sind, mit Sicherheit bestimmen, für den gröfs- ten Theil derselben kann dieses nur durch besondere Untersuchungen, (') Den ersten Versuch dieser Art habe ich 1820 in einer Vorlesung, welche Berzelius vor dem Kronprinzen von Schweden damals hielt, mit dem Gadolinit gesehen, und ganz so erklären hören, wie von ihm die Lehre von der Isomerie später auseinander gesetzt wor- den; ich selbst habe seit dieser Zeit in meinen Vorlesungen in jedem Semester diese Lehre mit den dazu gehörenden Versuchen vorgetragen. über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 499 5 welche mit grofsen Schwierigkeiten verknüpft sind, geschehen. Das Benzin bietet in seinen Verbindungen die besten Beispiele dafür. 4 Atome Benzin nämlich, welche, da jedes Atom Benzin aus 3 At. Kohlenstoff und 3 At. Wasserstoff besteht, 12 At. Kohlenstoff und 12 At. Wasserstoff enthalten, verbinden sich so mit Sauerstoffverbindungen, dafs 2 At. Wasserstoff mit 4 At. Sauerstoff aus der Verbindung heraustreten; so dafs also das zusam- mengesetzte Atom 1 At. Wasser weniger enthält, als die Substanzen, durch die es gebildet worden ist. Die Annahme dieser Klasse von Atomen leitet man ungezwungen aus der atomistischen Theorie ab, indem da, wo die Atome der beiden mit einander verbundenen Substanzen einander am nächsten lie- gen, eine solche Verbindung und das Ausscheiden derselben stattfinden kann; die Thatsache selbst giebt eine etwas klarere Ansicht, als man sich bisher von dem Nebeneinanderliegen der Atome machen konnte, weitere Untersu- chungen werden wohl zeigen, wie weit sie sich erweitern läfst. Die Zerle- gung der Verbindungen dieser Klasse in die Substanzen, woraus sie entslan- den, gelingt nur sehr selten; indem gewöhnlich diese Verbindungen sehr innig sind, und sie eher durch die hohe Temperatur, welche man bei der Zersetzung anwendet, und durch die Einwirkung ihrer Bestandtheile auf ein- ander, als durch Verwandtschaften der angewandten Zersetzungsmittel zer- legt werden; so zerfällt das Nitrobenzid, wie ich gleich anführen werde, mit Kali erhitzt, nicht in Benzin und Salpetersäure. Die benzinschwefelsauren Salze zerfallen, mit Überschufs von Basis erhitzt, nicht vollständig in Schwe- felsäure und Benzin, es werden aufser Benzin und Schwefelsäure noch an- dere Zersetzungsproducte gebildet, so dafs bei den Benzinverbindungen nur die Benzo@säure (die Benzinkohlensäure), welche auch nur mit einigen Ba- sen, nämlich mit Silberoxyd und Kupferoxyd verbunden, zu dieser Klasse gehört, Kohlensäure und Benzin giebt. Es ist daher natürlich, dafs man bei einer grofsen Anzahl von organischen Säuren, welche eine ähnliche Zu- sammensetzung haben, den Kohlenwasserstoff nicht stets ausscheiden kann, obgleich die Analyse derselben, wie z.B. die der beim Verseifungspro- cefs gebildeten und von Chevreul untersuchten Säuren deutlich zeigt, dafs sie aus einem Kohlenwasserstoff mit Kohlensäure verbunden beste- hen, und dafs auch bei ihren Verbindungen mit Basen 1 At. Wasser eben so wie bei dem benzoesauren Silberoxyd ausgeschieden wird. Die Unter- suchung der Benzinverbindungen hat mich abgehalten, diese Zerlegungen Rrr 2 500 Mıtscuerticu weiter zu verfolgen. Es gelang mir früher, zur Zeit wie ich das Benzin dar- stellte, durch Destillation von Margarinsäure mit überschüssigem Kali neben den gasförmigen Destillationsproducten eine Flüssigkeit zu erhalten, welche leichter als absoluter Alkohol war, welche ich aber noch nicht so rein er- halten habe, dafs ihr Kochpunkt constant war; die Leichtigkeit, womit sie von Schwefelsäure und anderen Substanzen zersetzt wird, bewog mich die Untersuchung derselben aufzuschieben, und die des Benzins, welches sich nicht so leicht zersetzt, zuerst vorzunehmen. Ich habe diese Substanz einst- weilen Saponin genannt. Es ist mir gleichfalls sehr wahrscheinlich, dafs ein grofser Theil der verbreitetsten vegetabilischen Säuren, z.B. Citronsäure, aus Verbindungen von Kohlenwasserstoff mit Kohlensäure oder einer ande- ren Oxydationsstufe der Kohle bestehe. Da aber das sehr zusammengesetzte Atom der Benzoeschwefelsäure, welche aus 1 At. Benzoösäure und 2 At. Schwefelsäure besteht, und die durch die grofse Reihe von krystallisirbaren Salzen, welche sie bildet, zu den ausgezeichneteren Säuren gehört, zu die- ser Klasse von Atomen gehört, und auch nach der Art, wie diese Säure zu- sammengesetzt ist, viele organische Säuren zusammengesetzt sein können, so würde es unrecht sein, durch blofse Rechnung auf eine mögliche Weise die complicirte Zusammensetzung organischer Säuren zu erklären, oder auch nur darauf hinzudeuten, da solche Rechnungen nur ungewisse Resultate geben können. Welche indifferente organische Verbindungen, ob nicht die verschie- nen Kampherarten, die Stereoptene, die sauerstoffhaltigen flüchtigen Öle dem Nitrobenzid und Sulfobenzid analog zusammengesetzt sind, ist noch schwer zu bestimmen, doch gehört, wie mir es scheint, ein grofser Theil dahin. Zu dieser Klasse von Atomen gehören unstreitig der Harnstoff, als eine Verbindung von Kohlensäure und Ammoniak, woraus ein Atom Wasser sich ausgeschieden hat, und die übrigen Amide, und aufser diesen werden wir eine grolse Anzahl von Verbindungen auffinden, aus welchen, statt dafs zwei Atome Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff als Wasser verbunden sich bei anderen ausscheiden, 2 Atome Wasserstoff sich mit 2 Atomen Chlor, Brom, Jod, Cyan, Schwefel, Selen und Tellur verbunden ausscheiden. Beispiele dieser Verbindung sind das von Laurent untersuchte Chlornaph- thalid, welches man erhält, wenn man Chlornaphthalin destillirt, das Chlor-, über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 501 Brom - von Jodätherid und das Chlorbenzid, welches ich gleich nachher an- führen werde. Ich halte es für wahrscheinlich, dafs die von Wöhler und Liebig untersuchten Chlor-, Jod-, Brom-, Schwefel- und Cyanbenzoyl- verbindungen aus Benzin mit Chlorkohlenoxyd u: s. w. bestehen; und zwar würden diese Verbindungen ganz den übrigen Benzinverbindungen analog sein, indem nämlich im Chlorbenzoil z.B. 4 Maafs Benzingas sich mit 4 Maafs Chlorkohlenoxydgas vereinigen, und 2 Maafs Wasserstoff mit 2 Maafs Chlor verbunden sich ausscheiden. Das Benzin. Mengt man Benzoedsäure mit einer starken Base, wovon man mehr nimmt als hinreichend ist um die doppelte Menge Benzo@säure zu sättigen, mengt man z.B. 1 Th. Benzoesäure mit 3 Th. gelöschter Kalkerde, und un- terwirft das Gemenge der Destillation, so geht zuerst Wasser und zuletzt eine dünnflüssige ölartige Flüssigkeit über, welche auf dem Wasser schwimmt. Wenn man das Gemenge sehr langsam erwärmt, so ist der Rückstand in der Retorte vollkommen farblos, und läfst beim Auflösen in Säure, wobei sich Kohlensäure entwickelt, keine Spur eines Rückstandes zurück; die Auflö- sung in der Säure ist farblos, und es wird keine Gasart bei der Destillation entwickelt. Die Benzoösäure zerlegt sich also in Kohlensäure und in die öl- artige Flüssigkeit. Die ölartige Flüssigkeit kann man vom Wasser vollstän- dig trennen, wenn man sie mit der Pipette abnimmt, dann mit etwas Kali schüttelt und destillirt. Läfst man Kalium lange mit dieser Flüssigkeit in Berührung, oder destillirt man sie damit, so bleibt die Oberfläche des Ka- liums metallisch glänzend, so dafs sie also keinen Sauerstoff enthält. Aus drei Theilen Benzoesäure erhält man etwas mehr als einen Theil von dieser gereinigten Flüssigkeit. Die Untersuchung der Eigenschaften und der Zusammensetzung die- ser Flüssigkeit zeigte, dafs sie identisch mit dem von Faraday entdeckten Bicarburet of Hydragen ist, welche er aus der Flüssigkeit ausschied, welche sich beim Comprimiren des aus Öl bereiteten Gases bildet. Um die Namen der verschiedenen Verbindungen, welche dieser Körper eingeht, bequem bil- den zu können, habe ich ihn Benzin genannt. Das Benzin ist klar, farblos, von einem eigenthümlichen Geruch, von 0,88 specifischem Gewicht bei 13°, es kocht bei 84°, in Eis gestellt wird es 502 MitfscnerLicH fest und bildet eine krystallinische Masse, welche bei 7° flüssig wird, es ist leicht löslich in Alkohol und Äther, in Wasser nur sehr wenig, doch in sol- cher Menge, dafs das Wasser stark darnach riecht. In Schwefelsäure, wozu man sehr wenig Wasser zugesetzt hat, löst es sich nicht auf und wird nicht davon verändert, man kann es damit destil- liren; eben so verhalten sich Chlorwasserstoffsäure und andere wasserhal- tige Säuren. Das beste Erkennungsmittel für das Benzin ist das Verhalten dessel- ben gegen rauchende Salpetersäure; wenn man es damit erhitzt, so wird ein eigenthümlicher Körper gebildet, welcher in heifser Salpetersäure löslich st, durch Wasser daraus gefällt wird, und sich durch einen eigenthümlichen Geruch auszeichnet. Die Eigenschaften dieses Körpers, so wie die der Ver- bindungen, welche entstehen, wenn wasserfreie Schwefelsäure auf Benzin einwirkt, werde ich sogleich weitläufig erwähnen. Leitet man durch erhitztes Benzin Chlor, so verbindet es sich damit; am bequemsten erhält man diese Verbindungen, wenn man Chlor in eine grofse Flasche, deren Boden man mit Benzin übergiefst, leitet, während die Sonne darauf scheint; es entsteht eine feste krystallinische Substanz. Dasselbe findet mit dem Brom statt; Jod löst sich jedoch nur darin auf und bleibt, wenn das Benzin verdampft, krystallinisch zurück. Die Untersuchung des Benzins gab folgende Resultate: An Benzin wurde angewandt 0,3055 Grm. An Kohlensäure wurde erhalten 1,0225 Grm. — 0,28297 Kohlenstoff An Wasser wurde erhalten 0,214 Grm. = 0,0257 Wasserstoff. 100 Theile Benzin bestehen nach der Analyse folglich aus: 92,62 Kohlenstoff 7,76 Wasserstoff 100,38. Die Analyse giebt einen unbedeutenden Überschufs ; Sauerstoff ist im Benzin also nicht enthalten. Besteht das Benzin aus gleichen Maafsen Koh- lenstoffgas und Wasserstoffgas, so enthält es in 100 Theilen: 92,46 Kohlenstoff 4 Wasserstoff. über das Benzin und die Verbindungen desselben. 503 Die Untersuchung selbst stimmt mit diesem Resultat, welches aufser- dem durch andere Thatsachen, besonders durch die Bildung des Benzins & als die rich- bestätigt wird, so genau überein, dafs diese Zusammensetzung tige angenonımen werden muls. Die Bestimmung des specifischen Gewichts des Benzins gab folgen- des Resultat: Das Rohr wurde zugeschmolzen bei 752”, 6 corr. B. Das Rohr mit dem Benzin wog bei 752==;6-corr: B: und 154°T..... 74,1083 Grm. DasRohr mit Wasser von 15° gefüllt 381,05 Grm. Das Rohr mit trockner Luft....... 73,679 Grm. An Luft war zurückgeblieben...... 0,1 0:C. Temperatur des kochenden Wassers 99-.. Nach diesem Versuch beträgt das specifische Gewicht des Benzin- gases 2,77. Aus der Analyse und dem specifischen Gewicht folgt, dafs 3 M. Kohlenstoffgas = 3. 0,8437 — 2,5314 1.M. Benzingas 2,7378 — 3 M. Wasserstoffgas = 3 .. 0,0688 —= 0,2064. Das Sulfobenzid. Setzt man zu Nordhäuser Vitriolöl so lange in kleinen Mengen Benzin hinzu, bis beim Umschütteln nichts mehr davon aufgelöst wird, so sondert sich, wenn man die Flüssigkeit mit Wasser verdünnt, mit etwas Benzin, welches im Überschufs zugesetzt war, eine krystallinische Substanz in so ge- ringer Menge aus, dafs sie kaum 1 bis 2 Procent vom angewandten Benzin beträgt. Setzt man dagegen Benzin zu wasserfreier Schwefelsäure hinzu, so erhält man, ohne dafs im Mindesten eine Zersetzung des Benzins erfolgt, sich folglich keine Spur von schweflichter Säure zeigt, eine zähe Flüssigkeit, welche in wenig Wasser sich vollkommen auflöst, aus der aber, wenn sie mit viel Wasser versetzt wird, sich die krystallinische Substanz in gröfserer Menge aussondert, so dafs man vom angewandten Benzin an 5 bis 6 Proc. von dieser Substanz erhält. Die krystallinische Substanz, welche nur sehr wenig im Wasser lös- lich ist, kann man durch Auswaschen mit Wasser von der anhängenden Säure 504 MiTscHertichH vollständig reinigen; um sie ganz rein zu erhalten, löst man sie in Äther auf, filtrirt die Auflösung und läfst sie krystallisiren, die Krystalle destillirt man. Man kann diese Verbindung, welche in Äther und Alkohol löslich ist, durch Verdampfen dieser Auflösungen, in bestimmbaren Krystallen erhalten. Sie schmilzt bei 100° zu einer durchsichtigen farblosen Flüssigkeit und kocht bei einer Temperatur, welche zwischen dem Kochpunkt des Quecksilbers und Schwefels liegt; sie ist farblos und geruchlos. In Alkalien ist sie un- löslich, in Säuren löst sie sich auf und wird durch Wasser daraus gefällt; mit Schwefelsäure erhitzt, verbindet sie sich damit zu einer eigenthümlichen Säure, welche sich mit der Baryterde zu einem löslichen Salze verbindet; von den übrigen Säuren wird sie nicht verändert. Mit Salpeter oder mit chlorsaurem Kali gemengt und erhitzt, läfst sie sich ohne Zersetzen abdestil- liren; in stark erhitzten schmelzenden Salpeter, oder in chlorsaures Kali, welches so stark erhitzt worden ist, dafs es sich zersetzt, geschüttet zerlegt sie sich mit Detonation. Chlor oder Brom wirken bei gewöhnlicher Tem- peratur nicht dsrauf, erhitzt man aber die Substanz bis sie anfängt zu kochen, so wird sie durch Chlor und auch ‘durch Brom zerlegt, indem sich Chlor- benzin, worauf ich später zurückkommen werde, bildet. Nach vielen ver- geblichen Versuchen, bei denen ich diese Substanz über Kupferoxyd, über Gemenge von chlorsaurem Kali mit Chlorkalium oder kohlensaurem Kali leitete, gelang es mir vermittelst dieser Zersetzung, den Schwefel- und Sauer- stoffgehalt derselben genau zu bestimmen. Den Kohlenstoff- und Wasser- stoflgehalt bestimmte ich durch Verbrennen mit Kupferoxyd. 0,335 Grm. der Substanz gaben 0,801. Grm. Kohlensäure, worin 0,2217 Grm. Kohle und 0,1375 Grm. Wasser, worin 0,01525 Wasserstoff enthalten sind. 0,295 Grm. durch Chlor zersetzt, gaben, indem die Produkte in Am- monjak geleitet wurden und mit Ammoniak abgespült worden, 0,304 schwe- felsauren Baryt, worin 0,1045 Schwefelsäure enthalten sind. Hundert Theile der Substanz gaben also: 66,18 Kohlenstoff 4,552 Wasserstoff 35,42 Schwefelsäure 106,152. über das Benzin und die Verbindungen desselben. 505 Der Überschufs bei der Analyse und das Verhältnifs des Kohlenstofls zum Wasserstoff’ zeigt hinreichend, dafs die Verbindung auf folgende Weise zusammengesetzt ist, nämlich aus: 66,42 Kohlenstoff = 12C 4,52 Wasserstoff = 10H 14,57 Schwefel S 14,49 Suerstof = 20. Diese Verbindung hat sich also gebildet, indem Schwefelsäure sich mit dem Benzin vereinigte, und indem aus der Verbindung 2 Maafs Wasserstofl- gas und 14 Maafs Sauerstoffgas als Wasser sich ausschieden. Das Nitrobenzid. Reine ziemlich concentrirte Salpetersäure wirkt so wenig auf das Ben- zin ein, dafs man es damit destilliren kann, ohne dafs es verändert wird. Mit rauchender Salpetersäure dagegen erwärmt, findet eine Einwirkung unter Wärmeentwicklung statt, weswegen man auch das Benzin nur in kleiner Menge zu der erwärmten Salpetersäure hinzusetzen darf; die entstandene Verbindung löst sich in der warmen Salpetersäure vollständig auf, scheidet sich aber beim Erkalten zum Theil wieder daraus ab, indem sie, da sie leich- ter als die Salpetersäure ist, sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit ansam- melt. Verdünnt man die Säure mit Wasser, so sinkt die Verbindung zu Bo- den, da sie schwerer als Wasser ist. Durch Auswaschen mit Wasser und durch Destilliren kann man sie leicht vollkommen rein erhalten. Sie bildet eine etwas gelblich gefärbte Flüssigkeit von intensiv süfsem Geschmack und einem eigenthümlichen Geruch, welcher zwischen dem des Bittermandelöls und des Zimmtöls liegt; bei 15° beträgt ihr specifisches Gewicht 1,209, sie kocht bei 213° und destillirt unverändert über. Bei 3° wird sie fest. indem krystallinische Nadeln die flüssige Masse durchziehen; durch Salpetersäure, selbst wenn man diese damit destillirt, wird sie nicht zersetzt. Mit ver- dünnter Schwefelsäure erwärmt, destillirt sie, wenn die Temperatur hoch genug ist, unverändert über, mit concentrirter Schwefelsäure erhitzt, wird sie, unter Entwicklung von schwefliger Säure und unter starker Färbung der Flüssigkeit, zerlegt. Chlor und Brom durch die Flüssigkeit geleitet, wir- ken nicht darauf; wird jedoch Chlor mit dem Dampfe der Substanz durch Phys. Abhandl. 1833. Sss 506 MıTtscuertich ein heifses Rohr geleitet, so findet eine Zersetzung statt, indem sie Chlor- wasserstoffsäure bildet. Mit Kalium erwärmt, detonirt sie so heftig, dafs die Gefäfse zersprengt werden; eine wäfsrigte Kaliauflösung wirkt wenig darauf ein, Kali in Alkohol aufgelöst zersetzt sie bei der gewöhnlichen Tem- peratur nicht, damit gekocht färbt sich die Auflösung intensiv roth. De- stillirt man die rothe Auflösung, so erhält man eine rothe Substanz, welche o) bei der gewöhnlichen Temperatur fest ist; ich werde sogleich darauf zurück- kommen. Ammoniak wirkt nicht darauf. Sie ist in Wasser fast ganz unlöslich, in Alkohol und Äther in jedem Verhältnifs; in concentrirten Säuren, z.B. Salpetersäure und Schwefelsäure, ist sie leicht löslich, bei erhöhter Temperatur mehr als bei niedriger. 0,273 Grm. der Verbindung mit Kupferoxyd verbrannt, gab 0,574 Kohlensäure, worin 0,1593 Kohle, und 0,1015 Wasser, worin 0,01126 Wasserstoff enthalsen sind; darnach ist in 100 Theilen der Verbindung 58,36 Kohlenstoff und 4,125 Wasserstoff enthalten. 0,4875 Grm. mit Kupferoxyd verbrannt, gaben 1,037 Kohlensäure, worin 0,287 Kohlenstoff, und 0,1775 Wasser, worin 0,0197 Wasserstoff enthalten ist; darnach ist in 100 Theilen der Verbindung 58,70 Kohlenstoff und 4,04 Wasserstoff enthalten. 0,317 Grm. der Verbindung gaben 28 C.C. Stickstoff bei 760 Millim. corr. Barometerstand und 15° Temperatur, darnach enthält die Verbindung 10,6 Proc. Stickstoff. Bei einem zweiten Versuch gaben 0,2505 der Ver- bindung 25 C.C. Stickstoffgas von 20°+ und 762,6 Millim. corr. Barome- terstand; darnach enthält die Verbindung 11,8 Proc. Stickstoff. Die Sub- stanz wurde bei diesem Versuch mit Kupferoxyd nach der gewöhnlichen Weise verbrannt, nachdem vor dem Zerspringen der Kugel, welche die Verbindung enthielt, die Luft aus dem Verbrennungsrohr durch Kohlen- säure, welche durch Glühen von kohlensaurem Bleioxyd entwickelt wurde, ausgetrieben war; nach dem Verbrennen wurde alles Stickstoffgas, welches noch in dem Rohr zurückgeblieben war, wiederum durch Glühen einer an- deren Menge von kohlensaurem Bleioxyd ausgetrieben. Diese Methode, welche von Dumas angegeben worden ist, scheint mir für diese Bestim- mungen ein sehr genaues Resultat zu geben. Nach dem Mittel dieser Versuche besteht daher die Verbindung, da das Fehlende Sauerstoff ist, in 100 Theilen aus: über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 507 58,53 Kohlenstoff 4,08 Wasserstoff 11,20 Stickstoff 25,99 Sauerstoff. Diese Zusammensetzung kommt folgender Zusammensetzung so nahe, dafs man keine andere für richtiger ansehen darf, nach der nämlich die Ver- bindung besteht aus: 58,92 Kohlenstoff = 12 Maafs Kohlenstoffgas 4,008 Wasserstoff =10 » Wasserstoffgas 41,37 Stickstoff = 2 » _Stickstoflgas 25,69 Sauerstoff = 4 » Sauerstoffgas. Die Bestimmung des specifischen Gewichts der Substanz im gasförmi- gen Zustand gab folgendes Resultat: Corrig. Barometerstand beim Zuschmelzen .....- Tobe 3 Corrig. Thermometerstand des Metallbades...... 251° Das Rohr mit dem Gase gefüllt, wog. .......... 47,258 Grm. Das Rohr mit trockner Luft von 10° und 755””,3 46,880 Das Rohr mit Wasser von 15° gefüllt, wog...... 272,0 Grm. An Luft von 15° war zurückgeblieben .......... 3 0.0, Das specifische Gewicht des Nitrobenzidgases ist also = 4,40. Zwei andere Versuche, bei welchen ein grofser Überschufs der Sub- stanz genommen und die zurückgebliebene Luft nicht bestimmt wurde, gaben 4,35 und 4,38. Da das specifische Gewicht stets etwas höher ausfällt, weil die Temperatur im Rohr etwas niedriger ist, als die des Metallbades, so ist 3 Maafs Kohlenstoffgas = 2,5314 1 Maafs Nitrobenzidgas = 24 » Wasserstoffgas = 0,1720 + » Stickstoffgss = 0,488 1» Sauerstoffgss = 1,1026 4,2940 Da nun 1 Maafs Salpetersäure sehr wahrscheinlich aus — Maafs Stick- stoffgas und 14 Maafs Sauerstoffgas besteht, so hat sich also ein Maafs Sal- petersäuregas mit einem Maafs Benzin zu einem Maafs Nitrobenzidgas ver- Sss2 508 Mırscuervıcn bunden, indem 4 Maafs Wasserstoffgas und —- Maafs Sauerstoffgas aus der Verbindung sich ausgeschieden haben. Das Stickstoffbenzid. Wenn Nitrobenzid (= 12C 10H 2N 40) mit Kalkerde destillirt wird, so wird nur ein höchst unbedeutender Theil davon zersetzt; eine wässerige -Kaliauflösung wirkt gleichfalls nur wenig darauf ein, löst man das Kali in Alkohol auf und setzt eine Auflösung von Nitrobenzid in Alkohol hinzu, so findet beim Erwärmen derselben eine rasche Einwirkung statt. Es bildet sich ein Kalisalz, welches jedoch nicht Salpeter ist, und eine Verbindung, auf welche ein Überschufs von Kali weiter nicht einwirkt; unterwirft man die rothe Auflösung der Destillation, so geht zuletzt eine rothe Substanz über, welche beim Erkalten in grofsen Krystallen anschiefst; legt man sie auf Löschpapier, um die Flüssigkeit, welche mit übergegangen, aufsaugen zu lassen, und löst sie dann in Ather auf, so erhält man sie beim Verdam- pfen des Äthers in grofsen, gut ausgebildeten rothen Krystallen. Diese Substanz ist leicht löslich in Ather und Alkohol; beim Ver- dampfen des Alkohols oder Äthers bleibt sie in grofsen Krystallen zurück ; kochendes Wasser löst nur sehr wenig davon auf, nur so viel, dafs es etwas gefärbt erscheint, beim Erkalten wird die Auflösung trübe. Sie ist in Am- moniak, in einer concentrirten Kaliauflösung und in concentrirter Chlor- wasserstoffsäure schr wenig löslich; in concentrirter Salpetersäure und Schwe- felsäure löst sie sich dagegen auf, und wird beim Verdünnen der Auflösung mit Wasser daraus gefällt. Wird die Auflösung in Schwefelsäure erhitzt, so findet eine Zersetzung statt, Kohle setzt sich ab und schweflichte Säure ent- wickelt sich. Mit Kali, wie concentrirt auch die Auflösung sein mag, läfst sie sich ohne Zersetzung destilliren, eben so mit Kalkerde. Bei 65° schmilzt sie, bei 193° kocht sie und läfst sich, ohne dafs sie zersetzt wird, überdestilliren. Die geringe Menge, welche ich von dieser Substanz besafs, hat mich abgehalten, das specifische Gewicht derselben im gasförmigen Zustande zu bestimmen. Die Dämpfe durch ein glühendes Rohr geleitet, zersetzen sich, ohne sich zu entzünden oder zu verpuffen, wie dieses bei den Verbindungen, welche man durch Einwirkung der Salpe- tersäure auf das Benzin und das Naphthalin erhält, der Fall ist, und welche Stickstoff und Sauerstoff enthalten. über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 509 Vom Naphthalin unterscheidet sich diese Substanz durch ihr Verhal- ten gegen Brom; sie kann mit Brom, welches sogleich heftig auf Naphtha- lin wirkt, bis zur Destillation des Broms erwärmt werden, ohne eine Ver- änderung zu erleiden. 0,402 Grm. der Substanz gaben, mit Kupferoxyd verbrannt, 1,1565 Grm. Kohlensäure, worin 0,320 Grm. Kohlenstoff, und 0,198 Grm. Wasser, worin 0,02497 Grm. Wasserstoff enthalten ist; darnach enthalten 100 Theile 79,5 Proc. Kohlenstoff und 5,46 Wasserstoff. 0,4055 Grm. gaben 1,155 Grm. Kohlensäure, worin 0,3196 Grm. Koh- lenstoff, und 0,199 Grm. Wasser, worin 0,02207 Grm. Wasserstolf enthalten ist; darnach enthalten 100 Theile 78,32 Kohlenstoff und 544 Wasserstoff. 0,5025 Grm. gaben, mit Kupferoxyd verbrannt, indem durch Glühen von kohlensaurem Bleioxyd zuerst die atmosphärische Luft und am Ende der Operation das Stickstoflgas ausgetrieben wurde, 58; C.C. Stickstoflgas von 19° 4 bei 772==,00 corr. Barometerstande, also 56,3 C.C. von 0° und bei 760”= B. oder 0,0715 Grm. Stickstoff; darnach sind in 100 Theilen 14,23 Stickstoff enthalten. 0,25275 Grm. gaben 33 C.C. Stickstoffgas von 19° bei 770”®,5 corr. B., also 31,2 Stickstoffgas von 0° bei 760” B. oder 0,0396 Grm. an Stick- stoff; darnach sind in 100 Theilen 15,67 Theile Stickstoff. Nimmt man aus diesen Zahlen das Mittel, so giebt die Untersuchung für 100 Theile der Substanz: 79,16 Kohlenstoff 5,45 Wasserstoff 14,95 Stickstoff 99,56. Die nach einem einfachen Verhältnifs berechnete Zusammensetzung, welche der gefundenen so nahe kommt, dafs sie als die richtige anzusehen ist, ist folgende. Kohlenstoff, = 79,30 = 12C Wasserstoff = 5,30 = 10H Stickstoff =:15,40 = 2N. Vergleicht man die Zusammensetzung dieses Körpers mit dem Nitro- benzid, so hat sich 4 Maafs Benzingas = 12C 12H mit 2 Maafs Stickstoff- 510 Mıtscnerticn oxydul 20 10 verbunden, und aus der Verbindung ist 10 + 2H.als Wasser ausgeschieden; es ist also Nitrobenzid, dem der Sauerstoff entzogen wor- den ist. Das Carbobenzid. Unterwirft man neutrale krystallisirte benzo@saure Kalkerde der De- stillation so bleibt kohlensaure Kalkerde zurück, und eine ölartige Flüssig- keit geht über. Destillirt man dieses Öl so geht zuerst Benzin über, dann Wasser und darauf, wenn man die Temperatur bis über 250° steigert, ein dickflüfsiges Ol. Läfst man dieses eine Zeitlang bei — 20° stehen, so son- dert es sich in zwei Schichten: die obere betrachtet Herr Peligot als eine eigenthümliche Verbindung, welche er Benzone genannt hat; Peligot's Untersuchung stimmt sehr nahe mit der von ihm als richtig angenommenen Zusammensetzung überein, darnach besteht sie aus: 86,5 Kohlenstoff — 13C 5,4 Wasserstoff = 10H 8,1 Sauerstoff = 10. Sie ist dem Nitrobenzid und Sulfobenzid analog zusammengesetzt, indem sich 4 Maafs Benzingas (12G-+12H) mit 2 Maafs Kohlensäuregas (C+20) zu einer Verbindung vereinigt haben, aus welcher sich 2 Maafs Wasserstoffgas und 1 Maafs Sauerstoffgas als Wasser (= © + 2H) ausgeschie- den haben. Ich habe deswegen diesem Körper einen Namen gegeben, wel- cher dem des Nitrobenzids und Sulfobenzids analog gebildet ist. Das Carbobenzid bildet ein dickflüfsiges farbloses Öl, welches jenseits 250° kocht; es wird von Salpetersäure und Kali nicht angegriffen, von Schwe- felsäure wird es schon in der Kälte zersetzt. Mit Chlor in Berührung giebt es Chlorwasserstoffsäure und eine feste Verbindung. Aus der unteren Schichte, welche man beim Erkalten des Öls erhält, sondert sich, so wie in der Regel schon aus dem concentrirten Öl, Naph- thalin (=5C-+ 4H) aus. Zieht man von der Benzo&säure, wie sie in dem Kupferoxyd und Silber- oxydsalz enthalten ist (= 14C 10H 30), Carbobenzid ab, so bleibt gerade so viel Kohlensäure übrig, um ein neutrales kohlensaures Salz zu bilden. Aus der Bildung des Benzins und der des Naphthalins, welches dadurch entstehen kann, dafs der Sauerstoff des Carbobenzids sich mit der nöthigen Menge über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 54a Kohle zu Kohlensäure verbindet (136 10H 10 — 4+C 10 = 124C 10H), schliefst Peligot, dafs sich in der Retorte bei der hohen Temperatur, welche man zur Zersetzung anwenden mulfs, sich theilweise kaustische Kalkerde bil- det, welche durch ihre Einwirkung auf das Carbobenzid Naphthalin daraus ausscheidet. Das Carbobenzid, so wie das, was ich darüber anführe, ist von Pe- ligot beobachtet worden; ich führe es hier an, weil diese Substanz ähnlich wie die vorher angeführten Verbindungen zusammengesetzt ist. Benzinschwefelsäure. Die Benzinschwefelsäure stelit man am besten dar (!), wenn man zu gewöhnlichem rauchenden Vitriol in einer Flasche unter fortdauerndem Schüt- teln so lange Benzin hinzusetzt, als noch etwas davon aufgenommen wird: man läfst während des Zusetzens die Flasche von Zeit zu Zeit erkalten, da eine Wärmeentwickelung bei der Verbindung stattfindet. Die Säure löst man in Wasser auf, wobei sich wie ich schon angeführt habe, eine sehr geringe Quantität einer Substanz eigenthümlicher Natur ausscheidet, das Sulfoben- zid; da sie fast ganz unlöslich in Wasser ist, sa trennt man sie durch Filtra- tion. Die Säure sättigt man mit kohlensaurem Baryt, und die filtrirte Auf- (') Gewöhnliche Schwefelsäure, wie man sie in Laboratorien anwendet, oder Schwefel- säure, welche, nachdem man sie durch Einkochen concentrirt hat, nur mit wenig Wasser ver- setzt worden ist, wirkt nicht auf das Benzin. Man kann das Benzin damit destilliren; es geht unverändert über, und wenn man sie mit kohlensaurer Baryterde sättigt, so bildet sich kein lösliches Schwefelsäure - und Benzinhaltendes Salz; concentrirt man dagegen die Säure und ver- setzt sie mit Benzin, so wird eine kleine Menge Benzinschwefelsäure gebildet und das übrige Benzin kann man unverändert abdestilliren; läfst man Schwefelsäure so auf das Benzin wirken dals man die Flüssigkeit beim Kochpunkt des Benzins erhält, und das Benzin stets wieder in die warme Schwefelsäure zurücktröpfelt, so kann man in einigen Stunden eine grölsere Menge des Benzins mit der Schwefelsäure verbinden. Die Säure, welche alsdann entsteht, giebt ganz dieselben Salze, wie die Säure, welche durch Einwirkung der Nordhäuser Schwefelsäure auf Benzin sich bildet. Faraday führt in seiner Abhandlung selbst diese Säure nicht an, doch er- wähnt er in einer Note, dafs er durch Einwirkung von Schwefelsäure auf die von ihm entdeck- ten Kohlenwasserstoffverbindungen, wozu das Benzin gehört, Säuren erhalten habe, welche mit Baryterde in Wasser lösliche Salze geben. Das Verhalten der Schwefelsäure gegen das Benzin, wie er es in der Abhandlung selbst anführt, und wie ich es mit einer sehr wenig diluirten Säure bemerkte, veranlafste mich früher zu glauben, dafs diese löslichen Salze durch Verbin- dungen einer geringen Beimengung des anderen Kohlenwasserstoffs entstanden sein konnten. Die Existenz dieser Säure ist daher von Faraday zuerst beobachtet worden. 512 Mırtscuertich 4 lösung fällt man, da der benzinschwefelsaure Baryt nur schwierig krystalli- sirt erhalten werden kann, genau mit schwefelsaurem Kupferoxyd. Das Kupfersalz dampft man, bis es anfängt zu krystallisiren, ab; man erhält es in schönen und grofsen Krystallen. Auch das benzinschwefelsaure Zink- oxyd, Eisenoxydul, Silberoxyd, Kali, Natron, Ammoniak und mehrere an- dere Salze krystallisiren sehr gut. Mit Schwefelwasserstoff kann man das Kupfersalz zerlegen, die Säure zur Syrupdicke abgedampft, bildet einen krystallinischen Rückstand; beim stärkeren Erhitzen zerlegt sie sich. Die benzinschwefelsauren Salze ertragen eine bedeutende Temperatur, ehe sie zerlegt werden; ich habe benzinschwefelsaures Kupferoxyd bis 220° erhitzen können, ohne dafs die Auflösung desselben in Wasser durch Barytsalze ge- trübt wurde. Bis 170° erwärmt, verliert es alles Wasser. Zur Untersuchung habe ich benzinschwefelsaures Kupferoxyd angewandt, welches eine Viertel- stunde bei einer Temperatur von 180° erhalten wurde, und dabei keine Spur von Wasser mehr abgab. 0,708 wasserfreies benzinschwefelsaures Kupferoxyd gaben mit Ku- pferoxyd erhitzt 0,9825 Kohlensäure, worin 0,2719 Kohle enthalten sind, und 0,1661 Wasser, worin 0,01846 Wasserstoff enthalten sind, darnach ent- hält es 38,405 Proc. Kohlenstoff und 2,608 Wasserstoff. 0,6785 desselben Salzes gaben mit Kupferoxyd erhitzt 0,932 Kohlen- säure, worin 0,2589 Kohlenstoff enthalten sind, und 0,1630 Wasser, worin 0,018077 Wasserstoff enthalten sind; darnach enthält es 38,16 Kohlenstoff 1,665 Proc. Wasserstoff. Den Gehalt an Kupferoxyd, dessen Bestimmung die gröfste Schärfe zuläfst, habe ich theils durch einen besonderen Versuch vermittelst Fällen mit Kali, in welchem Fall ich gröfsere Mengen des Salzes anwenden konnte, theils bei der Bestimmung der Schwefelsäure ermittelt; so gaben 0,9755 Grm. mir 0,1974 Kupferoxyd, also 20,24 Proc.; 1,862 Grm. gaben 0,0388 Grm. Kupferoxyd, also 20,85 Proc.; 0,4125 Grm. 0,0845 Grm. Kupfer- oxyd, also 20,53 Proc.; 1,240 Grm. gaben 0,276 Kupferoxyd, also 20,60 Proc. Das Mittel aus diesen Versuchen beträgt 20,55. Den Gehalt an Schwefelsäure bestimmte ich, indem ich einen Theil des Salzes mit 20 Theilen wasserfreiem kohlensauren Natron und 10 Theilen salpetersaurem Natron mengte, bei diesem Verhältnifs findet, wenn man das Gemenge vorsichtig erhitzt, eine ruhige Einwirkung und kein Abbren- über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 513 nen statt. 0,4125 Grm. des trocknen Salzes gaben mir 0,505 schwefelsau- ren Baryt, worin 0,1736 Schwefelsäure enthalten sind, also 42,08 Procent Schwefelsäure. Hundert Theile des wasserfreien Salzes geben also: 38,28 Kohlen- stoff, 2,637 Wasserstoff, 20,55 Kupferoxyd und 42,08 Schwefelsäure (12C+10H + 1Cu +25), zusammen also 103,597. Aus dem Überschufs bei der Analyse und aus dem Verhältnifs des Wasserstofls und Kohlenstoffs folgt, dafs in diesem Salze 2 At. Wasserstoff sich mit einem Atom Sauerstoff der Säure zu Wasser verbunden haben und aus der Verbindung ausgeschieden sind. In den trocknen Salzen besteht da- her die Benzinschwefelsäure aus 12C 10H 2550. Nach diesem Verhält- nisse würde das Kupfersalz in 100 Th. enthalten: 38,58 Kohlenstoff 2,62 Wasserstoff 16,94 Schwefel 21,03 Sauerstoff 20,84 Kupferoxyd. Um mit Sicherheit jede Spur von Kohle, welche etwa unverbrannt zurückgeblieben sein könnte, zu verbrennen und zugleich Kohlensäure und Wasser vollständig aus dem Verbrennungsrohr auszutreiben, wurde am Ende desselben ein Stückchen geschmolzenes chlorsaures Kali hineingesteckt; wel- ches nach Vollendung des Verbrennungsprocefses zersetzt wurde. 1,13975 wasserfreies benzinschwefelsaures Kupferoxyd gab nach einem auf diese Weise angestellten Versuch 1,586 Kohlensäure, worin 0,439 Kohlenstoff und 0,277 Wasser, worin 0,03072 Wasserstoff enthalten sind; darnach enthält das Salz 38,53 Proc. Kohlenstoff und 2,696 Proc. Wasserstoff. Sättigt man die wässerige Auflösung der zähen Masse, welche man durch Einwirkung der wasserfreien Schwefelsäure auf Benzin erhält, mit kohlensaurem Baryt und zersetzt das lösliche Barytsalz mit schwefelsaurem Kupferoxyd, so krystallisirt beim Abdampfen des Kupfersalzes zuweilen nichts, zuweilen nur ein Theil heraus, welcher das so eben beschriebene Kupfersalz ist; ein anderer Theil, und zwar die gröfsere Menge, scheidet sich als ein unkrystallinisches Pulver beim Eintrocknen der Auflösung ab. Die Analyse dieser Verbindung gab die Zusammensetzung des gewöhnlichen benzinschwefelsauren Kupferoxyds; da ich keine Verbindungen der Säure, Phys. Abhandl, 1833. din: 514 Miıtscuerrviıch welche in diesem Salz mit dem Kupferoxyd verbunden ist, habe krystallisirt erhalten können, so habe ich mich nicht weiter mit der Untersuchung die- ser Salze beschäftigt. Ebenso wenig habe ich Säure, welche man erhält, wenn man das Sulfobenzid mit Schwefelsäure erhitzt, untersuchen können, da die Quantität Sulfobenzid, welche ich zu meiner Disposition hatte, für eine gründliche Untersuchung zu gering war. Die Benzoäsäure, Benzinkohlensäure. Zieht man von den Bestandtheilen der krystallisirten Benzoesäure, so wie diese durch Liebig und Wöhler gefunden worden sind, so viel Koh- lensäure ab, dafs der ganze Sauerstoflgehalt der Benzoesäure sich mit Kohle verbindet, so erhält man Benzin und Kohlensäure, ohne dafs ein anderes Product gebildet werden kann. Kr. Benzoösäure = 14 M. Kohlenstffg. 12 M. Wasserstffg. 4 M. Sauerstffg. Kohlensäure = 2M.Kohlenstifg. 4 M. Sauerstflg. Benzin = 12M.Kohlenstffg. 12 M. Wasserstffg. Da die auf diese Weise gebildete Kohlensäure doppelt so viel an Ba- sis sättigt als die Benzodsäure, so ersieht man leicht, wefswegen man einen Überschufs von Basis bei der Zersetzung anwenden mufs. Die Bestimmung des specifischen Gewichts der gasförmigen Benzo&- säure gab folgendes Resultat: Das Rohr wurde geschmolzen bei 751”",6 corr. B. Das Rohr mit Benzoösäure und Luft wog ........ 63,725 Grm. Das Rohr ae Dun sanieren . 62,7905 Grm. Inhalt des Rohrs an Wasser ......22.2ceecsescen. 339,95 Grm. Corrigirte Temperatur des Metallbades .......... 269° Da ein grofser Überschufs von Benzoesäure angewandt worden war, so wurde die zurückgebliebene Luft vernachlässigt, und das Rohr gleich nach dem Versuch geöffnet. Das specifische Gewicht der gasförmigen Benzoösäure beträgt nach diesem Versuch: 4427. Es ist folglich nach diesem Versuch und nach der Zusammensetzung: über das Benzin und die Verbindungen desselben. 515 1M. Benzi 2,7378 1 M. gasförmiger Benzoesäure (4,2623) = iM ee oc: . c 3 oi Das benzinsaure Silberoxyd und benzinsaure Kupferoxyd geben eben so wie die entsprechenden benzinschwefelsauren Salze ein Atom Wasser (02H) ab, wenn sie, so lange als Wasser fortgeht, ohne dafs jedoch eine Zersetzung statt findet, erhitzt werden. Die Benzo&schwefelsäure. Concentrirte Salpetersäure, Schwefelsäure von 1,85 spec. Gewicht, und verschiedene andere concentrirte Säuren lösen die Benzoesäure leicht auf, welche beim Verdünnen der Auflösung mit Wasser gröfstentheils sich wieder aussondert. Setzt man dagegen zu wasserfreier Schwefelsäure Ben- zoösäure hinzu, so verbindet sie sich damit, unter Entwicklung von Wärme, zu einer zähen durchscheinenden Masse, indem Schwefelsäure von 1,85 spec. Gewicht und eine eigenthümliche Verbindung gebildet wird. Bei einem Überschufs von Benzoösäure scheidet sich Benzoösäure, wenn man die zähe Masse auflöst, aus; mit kohlensaurer Baryterde gesättigt, bleibt die neue Säure mit Baryterde verbunden in der Flüssigkeit aufgelöst. Setzt man zu der filtrirten Auflösung Chlorwasserstoffsäure hinzu, so krystallisirt eine Ver- bindung der Baryterde mit der Säure in schönen Krystallen aus der Flüssig- keit heraus, welche man, da sie viel leichter im warmen Wasser löslich ist, wovon ein Theil bei 20° 20 Theile zu seiner Auflösung bedarf, durch Um- kristallisiren rein erhalten kann. Diese Krystalle reagiren sauer und verändern sich nicht an der Luft; mit rauchender Salpetersäure oder anderen oxydirenden Substanzen, wodurch z.B. weinschwefelsaure Salze zerlegt werden, behandelt, wird die Schwefel- säure nicht frei, welches auch zu erwarten war, da, wie bekannt, auch die benzo&@sauren Salze und die Benzoösäure nicht dadurch oxydirt werden. Bis 200° erhitzt, verloren 5,4405 Grm. des Barytsalzes 0,523 Grm. Wasser; 100 Th. des Rückstands waren daher mit 10,63 Th. Wasser verbunden gewesen. Nach der Untersuchung, welche ich sogleich anführen werde, verhält sich der Sauerstoff des Wassers zum Sauerstoff der Baryterde wie 1:3. Jenseits dieser Temperatur erhitzt, ging kein Wasser mehr über; die Zersetzung der Säure tritt erst bei einer viel höheren Temperatur ein. Zur Untersuchung Mit 516 MITScHErRLICH der Säure wurde das Barytsalz angewandt, welches bei 200° wasserfrei dar- gestellt worden war. 1,705 Grm des Barytsalzes mit Schwefelsäure gefällt, gab 0,737 Grm. schwefelsaurer Baryterde; darnach gaben 100 Th. 43,22 Th. schwefelsaurer Baryterde, worin 14,87 Schwefelsäure enthalten sind. 1,512 Grm. des Barytsalzes gab, mit einem Gemenge von kohlensau- rem und salpetersaurem Natron (!) geglüht, beim Auflösen der Masse in Wasser und Sättigen mit Salpetersäure, 0,776 Grm. schwefelsauren Baryt als Rückstand, welche Menge 42,52 Th. schwefelsaurer Baryterde oder 14,71 Proc. Schwefelsäure entspricht; die filtrirte Auflösung, mit salpetersaurer Baryterde gefällt, gab 0,7895 Gramm schwefelsaurer Baryterde; diese ent- spricht 43,57 Procent schwefelsaurer Baryterde oder 14,97 Procent Schwe- felsäure. Es folgt aus diesem Versuch, dafs die Schwefelsäure, welche man durch Zersetzen der Säure erhält, doppelt so viel beträgt, als die im Salz enthaltene Baryterde zu ihrer Sättigung bedarf. 1,517 Grm. des Barytsalzes gab, mit Kupferoxyd verbrannt, 1,721 Kohlensäure, worin 0,47637 Kohlenstoff und 0,27675 Wasser, worin 0,0282 Wasserstoff enthalten ist; darnach ist im Salz 31,40 Proc. Kohlenstoff und 1,560 Proc. Wasserstoff enthalten. Nach dieser Untersuchung, da das Fehlende Sauerstoff ist, enthält das Salz in 100 Theilen: 28,36 Baryterde 14,54 Schwefelsäure 31,40 Kohlenstoff (') Ich habe die Natronsalze den Kalisalzen vorgezogen, weil man das kohlensaure Natron leicht rein von Kieselsäure erhalten kann. Die schwefelsaure Baryterde erhält man jedoch bei diesen Versuchen selbst durch langes Auswaschen nie rein. Geglüht backt sie steis zu- sammen; reibt man die zusammengebackene Masse mit Wasser an, so reagirt das Wasser ba- sisch, enthält aber keine Spur von Baryterde; mit diluirter Schwefelsäure gekocht, erhält man schwefelsaures Natron. Ich habe stets diese Operation mit der schwefelsauren Baryterde bei diesem und den früheren Versuchen ähnlicher Art vorgenommen. Die Bestimmung der Schwefelsäure giebt daher kein so genaues Resultat, als die Bestimmung der Basis, welche ich auch stets als für die Zusammensetzung der Säuren dieser Klasse als am meisten entschei- dend angesehen habe. Die Ursache, warum kleine Mengen von löslichen Substanzen mit unlöslichen Niederschlägen niederfallen, habe ich in meinem Lehrbuch der Chemie, S.383, weitläufig aus einander zu setzen mich bemüht; die Thatsache ist schon lange, z.B. aus Ber- zelius Untersuchung des phosphorsauren Bleioxyds, bekannt. über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 517 1,586 Wasserstoff 23,54 Sauerstoff. Diese Verbindung entspricht so nahe einer Verbindung von 1 Atom Benzoösäure (Benzin 12C 12H + Kohlensäure 2C + 40) mit 2 Atomen Schwefelsäure und 1 Atom Basis, aus welcher Verbindung 1 Atom Wasser sich ausgeschieden, dafs ich es für unnöthig gehalten habe, die Analyse des Salzes zu wiederholen; es besteht nach dieser Annahme das Salz in 100 Theilen aus: 28,29 Baryterde — Ba 29,64 Schwefelsäure = 25 31,34 Kohlenstoff = 14C 1,84 Wasserstoff = 10H 8,57 Sauerstoff = 30. Durch sorgsames Ausfällen der Baryterde und der Auflösung des Ba- rytsalzes kann man sich leicht eine reine Auflösung der Säure verschaffen, man kann sie kochen, abdampfen, und bis 150° und darüber erhitzen, ohne dafs sie sich zersetzt. Die heifse Säure erstarrt beim Erkalten zu einer kry- stallinischen Masse, feuchter Luft ausgesetzt, zieht sie Wasser an und zer- fliefst vollständig. In trockner Luft giebt sie das Wasser wiederum ab, in- dem sie zu einer festen krystallisirten Masse eintrocknet. Ich schlage vor, diese Säure einstweilen Benzoöschwefelsäure zu nennen, da die complicirte Zusammensetzung nur einen Namen zuläfst, welcher auf die Zusammenset- zung hindeutet, ohne sie vollständig anzugeben. Die Säure kann man in zwei Verhältnissen mit den Basen vereinigen; die neutral reagirende Verbindung mit der Baryterde erhält man, wenn man die beschriebene Verbindung mit kohlensaurer Baryterde sättigt. Sie ist sehr leicht in Wasser löslich; wenn man die concentrirte Auflösung derselben an der Luft verdampfen läfst, erhält man sie in Krystallen, deren Form schwer zu bestimmen ist, und die an der Luft sich nicht verändern. 1,480 Grm. dieses Salzes, welches bei 150° getrocknet war, und stär- ker erwärmt kein Wasser mehr abgab, gab, mit Schwefelsäure gefällt, 0,985 schwefelsaure Baryterde, worin 0,6465 Baryterde enthalten sind; darnach besteht das Salz in 100 Theilen aus: 56,32 Säure 43,68 Baryterde. 518 MıITscenErLicH Dieses Salz enthält folglich bei derselben Menge Säure doppelt so viel Basis als das sauer reagirende; es besteht, nach diesem Verhalten berechnet, in 100 Theilen aus: 55,90 Benzoäschwefelsäure 44,10 Baryterde. Alle Basen, welche ich bisher untersucht, bilden mit dieser Säure zwei Reihen von Salzen; die eine erhält man, wenn man das neutral reagirende, die andere, wenn man das sauer reagirende Barytsalz mit einem löslichen schwefelsauren Salz sättigt. Die Verbindungen der Kalkerde, der Strontian- erde und des Bleioxyds habe ich durch directe Verbindung der Basis mit der reinen Säure dargestellt. Die Verbindungen der Säure, welche dem sauer reagirenden Barytsalze entsprechen, mit dem Kali, Natron, dem Eisenoxy- dul, Kobaltoxyd, dem Kupferoxyd, dem Zinkoxyd, der Magnesia und mit anderen Basen mehr erhält man in schönen Krystallen. Das Kalisalz ver- wittert; das neutral reagirende Kalisalz zerfliefst in feuchter Luft, in trock- ner erhält man es in schönen Krystallen. Die Verwandschaft der Benzo@schwefelsäure zu den Basen ist so grofs, dafs sie salpetersaure Baryterde und das Chlorbarium zerlegt, indem sich benzo@schwefelsaure Baryterde bildet und Salpetersäure oder Chlorwasser- stoflsäure ausgeschieden werden. Allgemeine Betrachtungen über diese Säuren. Die Benzodsäure und Benzinschwefelsäure bieten das erste Beispiel einer analogen Zusammensetzung zwischen einer organischen Säure und einer Säure, deren saure Eigenschaften man unbezweifelt einer unorganischen Sub- stanz der Schwefelsäure zuschreiben mufs, dar. Bei der Abfassung meines Lehrbuchs schien es mir möglich, dafs man die complicirte Zusammensetzung einer grofsen Anzahl organischer Verbindungen, besonders vieler Säuren auf eine einfache zurückführen könne, wenn man nachzuweisen im Stande ist, dafs auf ähnliche Weise, wie Wasserstoflsäuren, z. B. die Fluorwasserstoff- säure Fluorkiesel, Fluorbor und andere Fluormetalle, oder die Cyanwasser- stoflsäure Cyanmetalle, wie in vielen Fällen einige andere Säuren das Was- ser, in anderen Fällen ein Salz in ihren Verbindungen mit sich nehmen, ge- wöhnliche Säuren Substanzen in ihren Verbindungen mit sich nehmen, von denen man sie mehr oder weniger schwer trennen kann, und welche auf ihre über das Benzin und die Verbindungen desselben. 519 Sättigungscapacität keinen Einflufs haben; so wie die Sättigungscapaeität der Fluorwasserstoffsäure dieselbe ist, ob Fluorkiesel mit verbunden ist oder nicht; und sowie die Schwefelsäure ebensoviel Basis sättigt, wenn sie frei ist oder mit schwefelsaurem Kali zu saurem schwefelsaurem Kali verbun- den. Darnach würde nun die Benzinschwefelsäure aus Schwefelsäure und Sulfobenzid bestehen, und die Benzoösäure aus Kohlensäure und Carboben- zid, die Benzoöschwefelsäure aus Schwefelsäure und einer Verbindung von Schwefelsäure mit Benzoösäure und es wäre die Frage, ob nicht auch für an- dere ähnlich zusammengesetzte Säuren eine solche Art der Zusammensetzung anzunehmen war; für die Ätheroxalsäure, welche nach einer Untersuchung welche ich damit angestellt habe, aus Oxaläther und Oxalsäure besteht scheint dieses unbestreitbar. Für die Schwefelweinsäure ist eine Verbindung von Schwefelsäure und Äther noch nicht entdeckt worden; da die Mittel, welche man zum Entwässern der weinschwefelsauren Salze anwendet, keine voll- kommene Sicherheit geben, dafs alles chemisch gebundene Wasser ausge- trieben sei, so habe ich mehrere schwefelweinsaure Salze in dieser Hin- sicht untersucht; jedoch darunter keins gefunden, welches eine höhere Temperatur als das Kalisalz, wie dieses auch wohl andere schon gefunden haben, erträgt; ich habe es in einem Bade von einer Kochsalzauflösung, welche bei 109° kocht, einem Strom trockner Luft ausgesetzt, ohne dafs es zersetzt wurde; ein Bad von einer höheren Temperatur darf man nicht an- wenden. 2,78 Gım. dieses getrockneten Salzes wurden mit concentriter Salzsäure übergossen, wodurch die Schwefelweinsäure zersetzt wird, so dafs nach dem Eindampfen saures schwefelsaures Kali zurückbleibt, welches man mit weniger Gefahr vor dem Vorsprützen zersetzen kann, als das weinschwe- felsaure; nach dem Glühen bleiben 1,4721 neutral reagirendes schwefelsau- res Kali zurück. In 100 Theilen ist darnach 52,85 Proc. schwefelsaures Kali enthalten, wiederholte Versuche gaben dasselbe Resultat, welches schon Hennel und besonders Marchand erhalten haben (!). Das von Serul- (') Bei einer Untersuchung über die Ätherbildung erhielt ich bei der Destillation von Kalkerde mit schwefelweinsaurem Kali nur Alkohol, worin etwas Weinöl aufgelöst war (Lehr- buch I. 105.); die Zusammensetzung des neutralen weinschwefelsauren Kali machte die Wie- derholung dieses Versuchs nothwendig. Ich habe ihn daher mit sehr grolser Menge wieder- holt und stets Alkohol und schweres Weinöl erhalten; zuweilen auch etwas, aber nur wenig Ather, dessen Bildung unstreitig von einer unvollkommenen Mengnng des weinschwefelsau- 520 Misscheruicn las untersuchte schwere Weinöl (4C 9H 40 +530) scheint demnach nicht in der Weinschwefelsäure enthalten zu sein. Vollkommen zufrieden- stellend sind jedoch die Resultate von Untersuchungen, bei welchen die Sub- stanzen getrocknet werden, bei einer Temperatur von ungefähr 100°, nicht, denn nicht allein viele unorganische Verbindungen, z. B. schwefelsaures Ku- pferoxyd, Manganoxydul, Eisenoxydul verlieren die letzte Proportion che- misch gebundenes Wasser erst bei einer sehr hohen Temperatur (!), son- dern auch organische Verbindungen verlieren die letztere Wassermenge erst jenseits 120°, Bei der Naphthalinschwefelsäure ist gleichfalls noch eine Verbindung von Naphthalin und Schwefelsäure (20C 16H +S30), welche, mit Schwe- felsäure verbunden, diese Säure giebt, aufzusuchen. Selten tritt der Fall bei diesen’ Säuren ein, dafs sie wie die Indig- blauschwefelsäure eine Substanz, worin die Elemente der Säure nicht vor- kommen, enthalten. Auf ähnliche Weise, wie ich hier an sich die Benzoösäure zusammen- gesetzt vorstellen kann, findet dieses bei vielen anderen organischen Säuren statt, z.B. bei den Säuren vom Verseifungsprocefs. Zieht man von der Margarinsäure (34C 67H 40) den Sauerstoff als mit Kohlensäure verbunden ab, so bleibt 32C 67H, also ein Kohlenwasserstoff übrig, welcher auf 4 Maafs Kohlenstoff’ so genau 2 Maafs Wasserstoflgas enthält, dafs die Ab- weichung einem Fehler in der Untersuchung zugeschrieben werden kann; verbindet man diese Säure mit Basen, so giebt sie 1 Atom Wasser ab, de- stillirt man diese Säure mit Kalkerde, welche man nicht im Überschufs an- ren Salzes mit der Kalkerde herrührte. In Cortact mit einer überschüssigen Basis zerfällt daher die weinschwefelsaure Säure in Alkohol! und Weinöl; je mehr Wasser bei dem Ge- menge zurückbleibt, um so geringer ist die Quantität des schweren Weinöls. (‘) Lehrbuch der Chemie, :Bd.I, p.471. , Die dort, angeführten Versuche sind in mehre- ren Abhandlungen, welche ich vor einigen Jahren in der Königl. Akademie gelesen habe und nächstens gedruckt werden sollen, weitläufiger angeführt; sie wurden gelegentlich bei der genauen Bestimmung des chemisch gebundenen Wassers der schwefelsauren Salze ange- stellt; nach welchen die gewöhnlichen Krystalle des schwefelsauren Eisenoxydul und Kobalt- oxyd, deren Form ein rhombisches Prisma ist, 7 Proportionen Wasser, so wie Berzelius es gefunden hat, enthalten, und im schwefelsauren und selensauren Manganoxydul und Ku- pferoxyd, deren Krystallform ein schiefes rhombisches Prisma ist und welche alle vier iso- morph sind, 5 Proportionen Wasser enthalten sind. über das Benzin und die Verbindungen desselben. 521 wenden darf, so erhält man, indem Kohlensäure C2O bei der Basis zurück- bleibt, eine Verbindung, welche von dem Entdecker derselben Bussy Mar- garone genannt wurde und sich zur Margarinsäure, wie das Carbobenzid zur Benzoösäure und das Sulfobenzid zur Benzinschwefelsäure verhält. Destillirt man sie mit einem Überschufs von Basis, so erhält man einen Kohlenwas- serstoff, welcher, da er bei der hohen Temperatur, die man zur Zersetzung anwenden mufs, theilweise zersetzt wird, schwer von den durch diese Zer- setzung entstandenen anderen Kohlenwasserstoflverbindungen zu trennen ist. Die Stearinsäure giebt auf ähnliche Weise behandelt ganz ähnliche Producte. Bei der Margarinsäure ist man übrigens noch mehr begünstigt, wie bei der Untersuchung anderer Säuren, welche zu dieser Klasse gehören mögen, weil der Kohlenwasserstoff, welchen sie enthalten, noch leichter zersetzbar ist. Da nun aus der sehr complieirten Zusammensetzung der Benzoöschwefel- säure folgt, dafs eine Säure aus einer Verbindung eines Kohlenwasserstofls und zwei verschiedenen Säuren, dem Benzin nämlich, der Kohlensäure und Schwefelsäure bestehen kann, auf die man sicher nicht durch eine Ele- mentar- Analyse geführt worden wäre, so ist es im Allgemeinen noch zu früh, aus dem Verhältnifs der Elemente auf die Art, wie man sie sich verbunden denken kann, Schlüsse zu machen. Ich wage es deswegen nicht, irgend eine Hypothese über die Art anzuführen, wie man sich die Zusammensetzung einer Säure, welche den Benzinverbindungen nahe steht, vorstellen kann, der Urinsäure (Hippursäure 18C 18H 2N 60) nämlich, an deren Zusam- mensetzung, obgleich sie sehr complicirt ist, man um so weniger zweifeln darf, da zu gleicher Zeit drei Chemiker, welche gewifs mit dem Bestre- ben, ein einfacheres Resultat aufzufinden, sie untersucht haben, genau die- selbe Zusammensetzung erhalten haben. Bei diesen Säuren beobachtet man aufser der Art der Zusammenset- zung noch in Bezug auf die Verwandtschaft, womit die Verbindungen ver- einigt sind, eine Eigenschaft, welche ich im Beginn dieser Abhandlung an- geführt habe, dafs nämlich die Verbindungen, woraus diese Säuren beste- hen, inniger mit einander vereinigt sind, als die gewöhnlichen Verbindun- gen derselben. Obgleich die Benzoöschwefelsäure aus Schwefelsäure und Benzoäsäure besteht, oder aus einer Verbindung von schwefelsaurer Benzo6- säure mit Schwefelsäure, so zersetzt dennoch die stärkste der Basen, das Kali, in gröfstem Uberschufs angewendet diese Säure nicht; es wird kein schwe- Phys. Abhandl. 1833. Uuu 522 MitscuerticH felsaures und benzo&saures Kali gebildet. Ebenso wird die Weinschwefel- säure, wenn man zu ihrer Auflösung Kali in grofsem Überschufs hinzusetzt, von Kali nicht zerlegt; womit auch die Schwefelsäure darin verbunden sein mag, ob mit Äther oder Alkohol, oder mit ölbildendem Gase, so beweist dieser Versuch, dafs diese Verbindung inniger ist, wie die gewöhnlichen Verbindungen der Schwefelsäure. Auch die Art, wie diese chemische Verbindung sich. bildet, spricht dafür; obgleich die Verbindung so innig ist, dafs Kali sie nicht zersetzt, so entsteht sie nicht, wenn man sehr diluirten Alkohol oder eine wässerige Ätherauflösung mit Schwefelsäure zusammen bringt, obgleich die Körper, welche man verbinden will, sich gegenseitig auflösen. Auffallender noch spricht für eine besondere Art inniger Verbindung die Zersetzung, welche die Weinschwefelsäure erleidet; was man durch Kali nicht hervorbringen kann, bewirkt eine Temperatur von 100°; und wenn man die trockne Ver- bindung bei derselben Temperatur mit Schwefelsäure erhitzt, so erhält man Äther, mit Kalkerde dagegen Alkohol und Weinöl oder mit Kalkerdehydrat nur Alkohol. Sieht man sich veranlafst die Weinschwefelsäure als eine in- nige Verbindung der darin enthaltenen Substanzen anzusehen, so ist kein Grund vorhanden, die Zuckerarten, das Amylon u.s. w. nicht auch als ähn- liche innigere Verbindungen anzusehen, in denen Kohlensäure die Säure ist. Erhitzt man diese Verbindungen mit einem Überschufs von Baryterde, so findet erst bei einer hohen Temperatur eine Einwirkung statt, und diese ist so heftig, dafs das Gemenge ins Glühen geräth, und die mit der Koh- lensäure verbundene Substanz nicht mehr unzersetzt abgeschieden werden kann. Die Zersetzung, die man durch die stärkste der Basen nicht hervor- bringen kann, wird durch eine anscheinend indifferente Substanz hervorge- bracht, durch das Ferment. Diese Gründe scheinen mir für die in meinem Lehrbuch aufgestellte Ansicht zu sprechen, dafs die Ätherbildung nämlich dem Gährungsprocefs analog zu betrachten und die Schwefelsäure als eine Contactsubstanz anzu- sehen ist, in ihrer Wirkung dem Ferment ähnlich, oder den Substanzen, welche das oxydirte Wasser zersetzen; ich wage es auch jetzt noch nicht, auf eine weitere Erklärung über die Natur dieser Zersetzungsart mich einzulassen, welche nach unsern jetzigen Kenntnissen nur von galvanischen Erscheinungen hergeleitet werden können. Schwierig ist es, über die Art über das Benzin und die Verbindungen desselben. 523 zu entscheiden, wie man sich die Zusammensetzung der Weinschwefelsäure, welche, da sie sich noch bildet, wenn 100 Theile Schwefelsäure mit 40 Thei- len Wasser verdünnt werden, bei der Ätherbildung wahrscheinlich eine Rolle spielt, vorzustellen hat; es wäre möglich, dafs sich in dieser Säure und ihren Salzen die Schwefelsäure zum Alkohol wie die Benzo@schwefelsäure zum Ben- zin verhielte; so dafs nicht Äther als solcher in der Verbindung enthalten ist, in welcher Meinung man durch die Existenz der Ätherschwefelsäure bestärkt wird; auch ist in einem Maafs Äthergas, wenn man sich des Ausdrucks be- dienen will, welchen ich in der vorhergehenden Abhandlung (p. 427.) ge- braucht habe, das ölbildende Gas bis auf ein Viertel seines Volumens, in einem Maafs Alkoholgas nur bis auf die Hälfte verdichtet, woraus folgen würde, dafs im Äther das Wassergas enger mit dem Kohlenwasserstoffgas, als im Alkohol verbunden ist. Chlorbenzin. Am bequemsten erhält man das Chlorbenzin, wenn man in eine grofse Flasche Benzin giefst, und während die Sonne darauf scheint, Chlor hinein- leitet; das Chlor wird sogleich unter Wärmeentwicklung und Bildung von weifsen Dämpfen absorbirt; nach einiger Zeit sondert sich Chlorbenzin, wel- ches in Benzin löslich ist, aus dem Benzin in Krystallen aus, und wenn man die Operation länger fortsetzt, wird alles Benzin in Chlorbenzin umgeändert. In Wasser ist das Chlorbenzin unlöslich, in Alkohol wenig und etwas mehr in Äther löslich; läfst man die concentrirte Auflösung des Benzins in Äther an der Luft stehen, so sondert sich das Chlorbenzin in bestimmbaren Kry- stallen aus; bis 132° erwärmt schmilzt es; läfst man die flüssige Masse er- kaltet, so sinkt die Temperatur bis unter 125°, bis sie anfängt fest zu wer- den; beim Erstarren steigt sie wieder bis 132°, bis 288° erhitzt destillirt ein Theil davon unverändert über, ein Theil zersetzt sich in Chlorwasser- stoffsäure und Chlorbenzid. Kochpunkt und Schmelzpunkt sind dieser Zer- setzung wegen nicht sehr genau anzugeben, da das Chlorbenzin im Chlor- benzid sehr leicht löslich ist und das Chlorbenzid bei 210° kocht. Der Kohlenstoff und Wasserstoffgehalt des Chlorbenzins wurde durch Verbren- uung mit Kupferoxyd bestimmt, und da in der Verbindung nur Kohlenstoff, Wasserstoff und Chlor enthalten war, das was fehlte als Chlor in Rech- nung gebracht. Uuu2 524 MitTscueruicnH 1,241 Grm. Chlorbenzin gab 1,1185 Grm. Kohlensäure, worin 0,3095 Grm. Kohlenstoff und 0,2265 Grm. Wasser, worin 0,251 Grm. Wasserstoff enthalten sind; darnach sind in 100 Theilen Chlorbenzin 24,95 Th. Koh- lenstoff und 2,02 Th. Wasserstoff und 73,03 Th. Chlor enthalten. Besteht das Chlorbenzin aus gleichen Maafsen Kohlenstoff, Wasser- stoff und Chlor, oder aus einem Maafs Benzingas und 3 Maafs Chlor, so enthält es in 100 Theilen: 25,14 Kohlenstoff 2,06 Wasserstoff 72,50 Chlor. Da bei der Einwirkung des Chlor auf das Benzin sich stets etwas Chlor- wasserstoflsäure bildet, so vermuthete ich anfangs, dafs sich auch bei der Verbindung des Chlor und Benzin ein Theil Wasserstoff und Chlor möch- ten ausgeschieden haben; ich habe die Analyse dieser Verbindungen daher mehrere Male wiederholt, um besonders den Wasserstoffgehalt genau zu er- mitteln; in einer Analyse gab mir 1,3275 Grm. Chlorbenzin 0,2456 Grm. Wasser, worin 0,027337 Grm. Wasserstoff, in einer anderen 0,5245 Grm. Chlorbenzin 0,099 Grm. Wasser, worin 0,01098 Grm. Wasserstoff enthal- ten sind; nach der ersten ist also 2,06 Procent, nach der zweiten 2,09 Pro- cent Wasserstoff im Chlorbenzin enthalten. Die Bildung der Chlorwasser- stoflsäure rührt daher unstreitig von der Bildung von etwas Chlorbenzid her, welche bei der Temperatur, welche bei der Verbindung des Benzins und Chlor entsteht, statt findet und welches man von dem gebildeten Benzin durch ein wenig Äther, worin es sehr löslich ist, leicht trennen kann. Mit dem Resultat dieser Analyse stimmt eine Analyse von Peligot überein. Das Chlorbenzid. Das Chlorbenzid erhält man in geringer Menge bei der Bildung des Chlorbenzins, in gröfserer Menge bei der Destillation desselben; wenn man Chlorbenzin in einem hohen Kolben so erhitzt, dafs das verflüchtigte Chlor- benzin sich im oberen Theile des Kolbens condensirt und wieder zurück- fliefst, so kann man unter Entwickelung von Chlorwasserstoffsäure Chlor- benzin fast ganz in Chlorbenzid zersetzen. Sehr leicht erhält man es je- doch, wenn man Chlorbenzin mit einem Überschufs von Barythydrat oder Kalkerde mengt und der Destillation unterwirft; es bildet sich Wasser, ein über das Benzin und die Ferbindungen desselben. 525 Chlormetall und Chlorbenzid geht über; mit Baryterde oder Kalkerde de- stillirt zersetzt sich das Chlorbenzid nicht weiter. Das Chlorbenzid ist eine ölartige farblose Flüssigkeit, von 1,457 spe- cifischem Gewicht bei 7°; in Wasser ist sie unlöslich, von Alkohol, Äther, Benzin u.s. w. wird sie sehr leicht aufgelöst, von Säuren und Alkalien wird sie nicht verändert, eben so wenig vom Brom und Chlor. Sie kocht bei 210°. 0,3635 Grm. Chlorbenzid gaben mit Kupferoxyd verbrannt 0,52425 Grm. Kohlensäure, worin 0,1451 Grm. Kohlenstoff und 0,0525 Grm. Was- ser, worin 0,00582 Grm. Wasserstoff enthalten ist; darnach sind in 100 Theilen Chlorbenzid, da es nur aus Kohlenwasserstoff, Wasserstoff und Chlor besteht, enthalten: 39,94 Kohlenstoff 1,62 Wasserstoff 58,47 Chlor. Da das Chlorbenzin mit Barythydrat erhitzt sich vollständig in Chlor- benzid, Wasser und Chlorbarium zersetzt und keine andere Producte dabei entstehen, so wurde das Chlorbarium mit salpetersaurem Silberoxyd ge- fällt, um die Chlormenge zu bestimmen. 2,0635 Grm. Chlorbenzin gab 3,0255 Grm. Chlorsilber, worin 0,7464 Grm. Chlor enthalten ist; in 2,0635 Chlorbenzin sind aber, da das Chlorbenzid 72,30 Procent Chlor enthält, 1,502 Grm. Chlor enthalten, demnach ist genau die Hälfte des Chlors und Wasserstoffs bei der Destillation mit Barythydrat aus dem Chlorbenzin aus- geschieden worden. Bei der Bestimmung des specifischen Gewichts des Chlorbenzidgases wurde das Rohr nicht zugeschmolzen, weil bei der hohen Temperatur, welche man dazu anwenden mufs, das Chlorbenzid sich zersetzt und die Chlorwas- serstoflsäure das Glas so stark angreift, dafs es nicht mit Sicherheit zuge- schmolzen werden kann. Es wurde daher die Substanz in grofsem Überschufs angewendet, um die etwa zurückgebliebene Luft vernachlässigen zu können; die Bestimmung des specifischen Gewichts des Gases konnte daher nur ein annäherndes Resultat geben. Rohr mit Luft bei 765° corr. B. und 13° T............. 38,927 Grm. Rohr mit Luft und der Substanz ...... ce cac seen. 39,297 Grm. 526 Mirscnennich über das Benzin und die V. erbindungen desselben. Das Rohr mit Wasser: von 12° gefüllt 1:2. ....n.cude.2. 122,2 Grm. Höchste Temperatur, wie das Metallbad abgelassen wurde 256° Specifisches Gewicht des Chlorbenzidgases = 6,37. In 100 Theilen besteht das Chlorbenzin daher aus: 40,18 Kohlenstoff 1,64 Wasserstoff 58,18 Chlor und 3 Maafs Kohlenstoffgas = 2,5314 1 Maafs Chlorbenzid 6,2946 ist = 15 » Wasserstoffgas = 0,1032 15 » Chlorgas 13:00 Brombenzin und Brombenzid. Brom verhält sich ganz so wie Chlor gegen Benzin; bei der gewöhn- lichen Temperatur und ohne Einwirkung der Sonne löst es sich in Benzin auf und kann gröfstentheils durch Destillation unverändert wieder abgeschie- den werden; wenn das Sonnenlicht darauf einwirkt, so bildet sich gleichfalls allmälig eine feste Verbindung, welche im Wasser unlöslich, in Alkohol und Äther löslich ist, jedoch weit weniger als Chlorbenzin. Erhitzt zerlegt sich diese Verbindung theilweise, indem eine flüssige Verbindung, Bromwasser- stoffsäure, welche gleichfalls theilweise zersetzt wird, wobei sich Brom bil- det, und Wasserstoff entsteht. Mit Kalkerde oder Barythydrat erhält man dieselbe flüssige Verbindung, welche sich durch einen sehr intensiven Ge- ruch auszeichnet. Mit Kalkerde destillirt verändert sich dieser Körper nicht weiter. Anmerkung. Den 6. Februar 1834 wurde von dieser Abhandlung der Theil, welcher vom Benzin und der Benzinschwefelsäure und Benzo@säure, den 17. März 1834 der Theil, welcher vom Sulfobenzid und Nitrobenzid, und den 19. März 1835 der Theil, welcher von der Benzo&- schwefelsäure, dem Chlorbenzin und Chlorbenzid handelt, vorgelesen; in Poggendorff’s Annalen und in meinem Lehrbuch der Chemie sind schon früher, da diese Abhandlung nicht sogleich vollständig gedruckt werden konnte, die wichtigsten darin enthaltenen Thatsachen, so wie ich sie zu verschiedenen Zeiten beobachtet habe, angeführt worden. pr Über die automatische Undulation der Nebenkiemen einiger Bivalyen. Von Hm 'ERMAN. mvunwvumvVn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 31. October 1833.] D. erfreulichen Fortschritte der neueren Technik des achromatischen Mikroskops fordern dringend auf, nicht nur neue Felder der Anschauung aufzusuchen, sondern, und vorzüglich, auch das früher gesehene einer er- neuten Prüfung zu unterwerfen, um durch die gesteigerte Kraft und Klar- heit des Sinnes je mehr und mehr naturgemäfse Ansichten zu gewinnen. So lastet auf mich das Bewufßsisein: einer an sich vielleicht wichtigen und an Folgerungen reichen physiologischen Thatsache den Eingang und Fortgang versperrt zu haben, hauptsächlich durch die Mängel meiner damaligen mi- kroskopischen Ausrüstung, nebenbei aber auch durch die zu divinatorische und unmotivirte Beziehung, in welche ich den Gegenstand zu bringen wagte. Da die Denkschriften der Akademie (Jahrgang 1816, Seite 16 u. ff.) die mit besagten Mängeln behaftete Notiz enthalten, so mufs ich wüuschen, auch in ihnen niederzulegen, was wiederholte Prüfung mit vorzüglicheren Hülfs- mitteln über diese höchst paradoxe Erscheinung gelehrt haben, hoffend dafs eine Thatsache, welche in die eben jetzt seiende Tagesordnung der Thier- und Pflanzen-Physiologie eingreift, etwas mehr Berücksichtigung finden möge als damals; denn unbegreiflich und sehr entmuthigend (aber sehr cha- rakteristisch für den derzeitigen Zustand der Mikroskopie) war das Urtheil eines der damaligen Koryphäen der Physiologie: die Sache habe gar keine Realität, beruhe auf einer Täuschung und sei nichts mehr und nichts weni- ger, als der Lichtflimmer einer von hellen Strahlen getroffenen blanken Oberfläche. Beseitigend die Frage: ‚,‚in wiefern irgend eine Autorität dem Skeptiker zumuthen dürfe, nicht zu glauben, was er sah,” suchte ich für 528 ErmaAn über die automatische Undulation meine Beobachtung entgegengesetzte Autoritäten zu gewinnen dadurch dafs ich dieselbe mündlich einer grofsen Mehrheit der achtbarsten Physiologen zur Gegenprüfung empfahl, aber auch dieses blieb ohne Erfolg, denn ohne Widerrede hätte ein Sachkundiger diese spezielle Beobachtung nie selbst an- stellen können, ohne sogleich zur Sprache zu bringen ihre Beziehung auf regelmäfsig peristaltische Circulation ohne Gefäfsröhren bei Thieren und Pflanzen, auf wirbelnde Strömungen dem umgebenden Mittel mitgetheilt ohne Ciliarapparate, und auf das ursprünglich bedingende der so räthselhaf- ten rhytmischen Cillarbewegungen selbst. Zur Beobachtung der in Frage seienden Bewegungen wendete ich an die sogenannten Tentakeln (Nebenkiemen) der Bivalven Unio pietorum, Anodonta intermedia, welche, durchscheinenrd wie sie sind, die zweifache Prüfung gestatten durch refrangirtes und reflektirtes Licht. Anodonta cel- lensis (cycnea) hingegen wegen der Undurchsichtigkeit ihrer Tentakeln er- laubt zwar nur die mikroskopische Beobachtung durch reflektirtes, vom Ob- jekt abgespiegeltes Licht; da wir es.aber hier mit einer Bewegung zu thun haben, die auf der Oberfläche des Organs beschränkt ist, so compensirt diese Bivalve durch die Deutlichkeit, welche ihre gröfseren Dimensionen gewähren, das was ihr an Durchsichtigkeit abgeht. Die Tentakeln liegen bekanntlich innerhalb des Mantels, oberhalb der sogenannten Kiemen, Ein Paar an jeder Seite des Körpers, nahe an der Kopfgegend. Vom Munde her gehen sie als zwei schmale über einander lie- gende Bänder dicht an dem oberen Schlufsmuskel vorbei. Von da an ge- winnen ihre Flächen je mehr und mehr an Breite, und bilden zwei nach un- ten zu fast elliptisch begränzte Blätter, welche an der dem Körper des Thie- res zugewandten Seite unter sich zusammengewachsen sind und auch mit dem Körper des Thieres in einem unmittelbaren Zusammenhang sind durch ihre Substanz selbst und durch die Äste sehr beträchtlicher Gefäfse, die der Körper an die Tentakel abgiebt. Die inneren gegen einander zugekehrten Flächen sind transversal kammartig gerippte Streifen; deutlich und scharf erhabene Gebirgskämme mit parallel dazwischen laufenden Thälern glaubt man unterm Mikroskop zu sehen. Die nach aufsen gekehrte Fläche der Ten- takelblätter ist ganz glatt, ohne Furchen, und auch die innere wird es in ih- rem oberen, schmalen, dem Munde näher liegenden Theile, und an der Stelle der Commissur beider Blätter. der Nebenkiemen einiger Bivalven. 529 Hat man nun bei irgend einem gesunden Exemplare der oben erwähn- ten Bivalven die breiten Tentakelblätter von ihren Anheftungen am Mantel und an der Seitenfläche des Körpers abpräparirt, und wie die Blätter eines Buches auf einer Glasplatte so aufgeschlagen, dafs die inneren Flächen nach oben gekehrt beobachtet werden können, und läfst man von diesen Flächen ein helles Licht reflektiren, so bemerkt schon ein scharfes, selbst unbe- waffnetes Auge ein eigenthümliches Schillern der Lichtreflexe, wie keine in relativer Ruhe beharrende Fläche sie giebt. Die Anwendung einer Loupe giebt schon mit gröfster Bestimmtheit den Schein einer continuirlich hüpfen- den, aber nicht fortschreitende Bewegung einzelner Punkte der Oberfläche, zu welcher die, jede andere Analogie entbehrende Phantasie kein anderes Bild zu entwerfen weifs als das, von auf der Stelle ohne Fortschreitung hin und her oscillirenden Molekeln, innerhalb der supponirten Höhlung der Tentakelstreifen. Bestätigt wird man in dieser Phantasie, wenn man die durchsichtigen Stellen der Tentakeln durch refrangirtes Licht beobach- tet; die Erscheinung ist alsdann im Allgemeinen als von einer hin und her oscillirenden Bewegung in oder an den Tentakelstreifen mit deutlichen Merkmalen dafs nicht zu denken sei an eine Fortströmung, wie etwa in Gefäfsröhren, sondern an ein locales relatives Schwingen mit absoluter Ruhe, gleichsam ein Piaviren auf der Stelle, wie man in der Schule sagt, wenn man das Pferd in stets erregter Bewegung erhält, ohne dafs es um einen Schritt vorwärts komme. Leicht bildet die Phantasie diese Anschauung anderweitig aus durch die Suggestion von Rudimenten infusorischer Mole- keln, welche ich obendrein auf das Generationsgeschäft der hermophrodi- tischen Bivalven zu beziehen damals wagte. In späteren Decennien hätte man an eine Analogie mit Brownschen Molekeln denken können, und es geschah in der That; Herr Meyen zieht meine Beobachtung an den Tentakeln mit zu den Beweisen einer solchen Molekularbewegung im thierischen Körper. Eben diese sich neu ergebende Analogie bewog mich, die technisch gesteigerte Kraft des Mikroskops auf den fraglichen Gegenstand zu wenden, und ich hofle, es sei mir nunmehr besser gelungen, Klarheit der Einsicht und Wichtigkeit der Beziehungen ihm abzugewinnen, indem ich frühere Irr- thümer des Sehens und Fehlgriffe des Erklärens berichtige. Da die erwähnten paradoxen Bewegungen an der Oberfläche des gröfs- tentheils undurchsichtigen Organs ihren Sitz haben, so kam es zuvörderst Phys. Abhandl. 1833. Äxx 530 ErmaAn über die automatische Undulation darauf an, eine so günstige Beleuchtungsart durch reflectirtes Licht zu be- schaffen, dafs sie auch starke Vergröfserungen zulasse. Eine für den vor- liegenden Fall genügende, urd für viele ähnliche sehr zu empfehlende Me- thode ist, der zu beobachtenden Fläche eine solche Neigung zu geben, dafs die im Focus der Beleuchtungslinse collectiv gesammelten Strahlen des Ta- geslichts, oder besser einer gehörig gestellten Lampe, in die Axe des Mikros- kops reflectirt werden. Man habe mehrere Prismen von verschiedenen, aber kleinen Winkeln bei der Hand, breite den Tentakel darauf aus, und be- leuchte seine schräg liegende und gehörig reflectirende Oberfläche durch hel- les Licht. Um aber den Vortheil zu haben, unmittelbar den Gegenstand katoptrisch als undurchsichtig und dioptrisch als durchscheinend wechsels- weise vergleichend zu beobachten, ist es viel bequemer, den Gegenstand auf eine besondere dünne Glasplatte auszuspannen, welcher man die zur Re- flexion gehörige Neigung durch Unterschiebeu der Prismen gleichsam als Richtkeile geben kann, und die man durch blofses Wegnehmen des Prisma horizontal auf den Objektträger legen kann zur Beleuchtung des Durchsich- tigen mittelst des untern Beleuchtungsspiegels. Höchst zweckdienlich wäre es, dem Objektenträger jedes zu physiologischen Untersuchungen bestimm- ten Mikroskops vorweg die Einrichtung zu geben, dafs man ihn nach Belie- ben in diese verschiedene Neigungen stellen könne. Es sei nun die innere Oberfläche des Tentakels eines gesunden Indi- viduum von Unio pictorum, oder besser noch von Anodonta cellensis, auf obbesagte Weise unterworfen einer zuerst mäfsigen Vergröfserung von 82 im Durchmesser, und dann einer etwas stärkeren von 230 im Durchmesser, so ist nun die Täuschung von einzelnen bestimmten oscillirenden oder hüpfen- den Molekeln durchaus gehoben. Die gestreifte Oberfläche des Organs er- scheint uns als ein mit tiefen parallelen Furchen überzogenes Feld, oder um bequeme Ausdrücke für das zu sagende zu gewinnen, wie das Miniaturrelief einer Gebirgspartie, wo an einander gedrängte parallele Höhenkämme mit schrägen Abdachungen zwischen sich tiefe und enge Thäler oder Schluch- ten einschliefsen. Das durch die erkünstelten Reflexe diese tiefen Schluchten ihrer Länge nach hell beleuchtende Licht läfst auf das allerbestimmteste wahrnehmen, dafs diese vertieften Furchen der ausschliefsliche Sitz der para- doxen Bewegungen sind. Die Kantenlinie jedes Kammes bleibt vollkommen ruhig; aber am Abhange der Thalschluchten undulirt das sich in deren Tiefen der Nebenkiemen einiger Bivalven. 531 aufhaltende Wasser in schnellem Rhythmus und lebhaftem Wellenschlag. Das passendste Bild gäbe ein nicht abfliefsender Bach, seeartig und stagni- rend eingeschlossen in der ganzen Länge der Schlucht, und doch einen mäch- tigen und schnellen Wellenschlag ausübend Berg an und Berg ab gegen die Abhänge der Thalwände, gleichsam in siedender Bewegung. Dies sind buch- stäblich die Ausdrücke mehrer sehr geübter Beobachter, denen ich den über- raschenden Gegenstand zeigte; andere, richtend ihre Aufmerksamkeit auf eine Mehrheit einzelner parallelen Streifen, zugleich im Sehfelde erblickt, verglichen es mit dem Wellenschlag einer Brandung, die sich an mehre pa- rallel hinter einander liegende Riffe bricht. Wendet man mit beharrlichem Fleifse die eben erwähnte Beobachtungsmethode mit steten Abwechselungen der Vergröfserung, der Intensität des Lichts und der Incidenz von Richtung seiner Reflexe an, so löst sich das Räthsel auf in folgendes räthselhafte. 1) Die Oberfläche des Tentakels, gedacht als die Branchiostega einer Fischkieme, hat eine eigenthümliche oscillirende Bewegung; die nach ab- wärts gerichteten Wände ihrer Plicaturen (der Abhänge oder Thalwände) schwingen continuirlich hin und her, durch abwechselnde Contraction und Relaxation, längst einer Wellenlinie, deren Knoten und Bäuche sehr nahe an einender liegen und dem Wasser in der Furche einen entsprechenden Wellenschlag mittheilen. Diese Undulation ist unabhängig von jeder Willkühr des Thieres, denn das Organ zeigt sie nach 10 bis 24 Stunden, ja ich habe sie manchmal nach 3 Tagen noch gesehen, nachdem es heraus- geschnitten wurde, wenn man nur dem vollkommenen Austrocknen der Oberfläche zuvorkommt; doch verlangsamt sich allmählich der Rhythmus des Wellenschlags; auch hört alsdann die Öscillation an einzelnen Streifen schon auf, während sie an dicht daneben gelegenen noch lebhaft obwaltet. 2) Diese Öscillationsthätigkeit ist jedem Streifen des Organs ungleich- mäfsig zugetheilt, immer nur Einer seiner Abhänge ist der schwingende, der andere ruht, und zwar stets homolog für alle insgesammt. Das Präparat liege z.B. vor uns so dafs seine Furchen oder Thäler von N nach S$ strei- chen, die Beleuchtung strahle ein von Osten her, so sind die östlichen Ab- hänge hell, die westlichen liegen im Schatten, man sieht die lebendige Os- cillation. Bringt man nun die Beleuchtung in Westen, so ist alles in schein- barer Ruhe, die unthätigen Abhänge allein sind beleuchtet, die entgegenge- setzt liegenden unduliren unsichtbar im Schatten. Richtet man ein mäfsiges Xxx2 532 Erman über die automalische Undulation Tageslicht auf ein so gelegtes Präparat dafs seine Furchen der Länge nach beleuchtet werden, so sieht man ganz deutlich, wie in allen diesen Thälern die Einen Abhänge, z.B. die rechts gelegenen, lebendig oscilliren, die ent- gegengesetzten völlig ruhen. Diese und andere ähnliche Beobachtungen fordern, dafs die Furchen nicht mit übermäfsig vielem und zu hoch anste- hendem Wasser angefüllt sind; man lernt jedoch bald die gehörigen und sehr einflufsreichen Modalitäten der Wassermenge nach Erfordernifs der Be- obachtungen beliebig regieren. Die Spitze eines benetzten Pinsels hilft dem Mangel ab, und dem Übermaafs ein angelegter Streifen Löschpapier. Es versteht sich namentlich, dafs bei allen Beobachtungen durch ein von der Oberfläche des Objekts reflectirtes Licht durchaus nicht gesehen werden kann, wenn die Oberfläche durchgängig mit einer abspiegelnden Wasser- schicht gleichmäfsig bedeckt wäre. Betreffend die Beziehung der partiellen Disjunction undulirend und ruhend zu der absoluten Lage des Organs im Thierkörper, so finden wir die nach der Kopfseite zu liegenden als die un- thätigen, die Abhänge oder Thalwände der Streifen nach dem enıgegenge- setzten Ende sind die schwingenden. Wenden wir uns nun zu der dioptrischen Beobachtung der mehr oder weniger durchscheinenden Tentakeln, wenn sie von unten beleuchtet hori- zontal auf der Glasscheibe und den Objektenträger liegen, so wird uns die täuschende Ähnlichkeit des nun gesehenen, mit Strömung eines Flüssigen oder mit Oscillationen von Molekeln, die im Innern von Röhren, oder minde- stens in der Substanz des Organs selbst statt fänden, nicht mehr irren kön- nen; wir wissen das Phänomen hat seinen Sitz an der begrenzenden äufseren Oberfläche des Tentakels, und das in Undulation versetzte ist das umgebende Wasser. Der beste Beweis dafür ist, dafs nichts an der Erscheinung geän- dert wird, wenn wir statt das Organ in seiner Integrität zu beobachten, eine parallel mit der Oberfläche geführte, möglichst dünne, durch Schnitte ab- gelöste Schicht desselben dazu anwenden. Die beobachteten Bewegungen ha- ben also nicht ihren Sitz in der Substanz des Organs, sondern nur an seiner oberflächlichen Begrenzungsfläche, und betreffen nicht ein etwa in demsel- ben enthaltenes Flüssiges, sondern nur das äufsere umgebende Wasser. Um jedoch das für die Physiologie belehrende, was diese Beobach- tungen vielleicht darbieten, vorweg anzudeuten und den Standpunkt zu be- zeichnen von welchem aus ihre etwanige Bedeutsamkeit sie der Prüfung em- der Nebenkiemen einiger Bivalven. 533 pfiehlt, erinnern wir uns an die Thatsache, dafs bei vielen Mollusken und Infusorien eine Thätigkeit beobachtet wird das umgebende Wasser in strö- mende oder wirbelnde Circulation zu versetzen, selbst da, wo kein mecha- nischer Apparat von rudernden Gliedmafsen, oder sich öffnenden und schlie- fsenden Schalen vorhanden ist. Über diese Circulation ohne Gefäfse welche das Flüssige beschränkend coerciren, und ohne centralen herzartigen Mittel- punkt für die verschiedenen Impulsionen des Wassers, hat man verschiedene Erklärungshypothesen zur Sprache gebracht: ein ursprünglicher Gegensatz von unbedingtem Anziehen und Abstofsen, ein elektrisch bedingter derselben Art u.s.w. In der letzten Zeit haben Scharpey’s und mehrer anderer frühere und spätere mikroskopische Beobachtungen fast allgemein zu der Ansicht geführt, dafs jede oscillirende Strömungen des umgebenden Wassers welche eingeleitet werden, entweder durch den ganzen Körper der Infuso- rien, oder durch gewisse Organe der Mollusken, ausschliefslich bedingt seien durch das fingernde Spiel von Wimpern oder Cilien, welche die Organe be- rändern, und die wie Tasten eines Klaviers wechselseitig steigend und fallend das Wasser peitschen und in Strömungen versetzen. Diese Ansicht geht viel- leicht um einen Schritt zu weit vorwärts, indem sie jede Möglichkeit von Strömungserregungen schlechtweg läugnet, sobald die Existenz von ciliarer Discontinuität der Ränder nicht postulirt werden kann; andrerseits aber geht sie nicht weit genug zurück, indem sie nicht fragt, wie denn dieses wechsel- weise Steigen und Fallen der einzelnen Cilien, dieser rhythmische Gegensatz des Fingern der Tasten denkbar sei; denn schwerlich wird man doch anneh- men wollen, dafs ohne Ausnahme jede einzelne Cilie ihren eigenen Bewe- gungsapparat gleichmäfsig antagonirender Muskeln besitzt, welche jedem be- sonderen Härchen eine Bewegung mittheilen, die ganz unabhängig wäre von der Bewegung der nächst angrenzenden und von denen der Membran auf welcher es befestigt ist. Nun ist meine jetzige unmafsgebliche Überzeugung, dafs im Detail der von mir an den Tentakeln entdeckten paradoxen Erscheinungen der factische Beweis liegt, dafs unabhängig von getrennt für sich vibrirenden Cilien, Strö- mungen unmittelbar erregt werden durch die Vibrationen der blofsen Mem- branen; dafs ein solches, durch Wechsel von Kontraktion und Relaxation automatisches Pulsiren der Membranen ein sehr verbreiteter Mechanismus zu sein scheint bei den niederen Stufen des organischen Lebens; dafs die 534 Erman über die automatische Undulation fingernden Bewegungen der Cilien höchst wahrscheinlich zu betrachten sind, als ein bedingtes Korallar dieser schlängelnden Schwingungen der Membra- nen selbst, auf welchen sie eingepflanzt sind. Hoffentlich werden die Phy- siologen sich veranlafst finden dieser Klasse von Beobachtungen ihre prüfende Aufmerksamkeit nicht zu versagen; um so mehr da die Tendenz dieser An- sicht ist zu präsumiren, dafs dieser unbedingte Undulationsmechanismus star- rer Flächen, den wir an den Tentakeln der Bivalven entdecken, von der Natur in sehr vielen anderen Combinationen der niederen Organismen ange- wendet wurde. Z.B. bei den Schwimmbewegungen derjenigen Infusorien wo man keine Cilien wahrnimmt, bei den Functionen der Branchiostega der nie- deren Kiementhiere, vielleicht auch zum Theil bei den Fischen selbst, bei cir- culirenden Säften der Chara und ihrer Analogen, ja vielleicht sogar bei gewis- sen aufserhalb aller Analogien stehenden Functionen der Gehirnsubstanz (?)! Man kann sich die Frage erlauben, ob nicht vielleicht factische Gründe da sind anzunehmen, dafs die organische Membran, sie möge Cilien tragen oder nicht, die Eigenthümlichkeit besitzt, sich durch Berührung eines Flüs- sigen unbedingt in wellenartige Contractionen zu versetzen, so dafs die Na- tur den Undulationsmechanismus nicht ausschliefslich aufbewahrt hätte für das Reich der anorganischen Imponderabilien. (') Diese beispiellose Paradoxie eines möglichen Anklanges der Gehirnthätigkeit an das Undulationsprincip der Membranen und Fasern stand geschrieben, ehe mir die trefflichen Analecten neuer Beobachtungen und Untersuchungen für die Naturkunde von Steinbuch (1802) zu Gesicht gekommen waren. Unter dem Vielen ausgezeichnet treu Beobachteten und klar Dargestellten, was der Aufsatz über das Athmen der Sumpfeidechsen im Larvenzustand enthält, fiel mir folgende Stelle am meisten auf: wer Gelegenheit hat das Gehirn lebender Thiere durch die Methode des von Oberflächen schräg reflectirten Lichtes zu beobachten beherzige diesen Fingerzeig, vielleicht wird ihm der höchste Preis. „Wenn man eine lebendige Froschlarve, die längst keine Spur von ihren äufseren Kiefern mehr übrig hat, der Länge nach mit einem scharfen Messer mitten entzweispaltet, so trifft man öfters auf einen Punkt, der mitten im Kopf zu liegen scheint, welcher aber die Fähigkeit hat ein- zelne kleine im Wasser schimmende Atome mit beschleunigter Bewegung anzuziehen, und auf eben beschriebene Weise wieder abzustolsen. Unter mehreren Versuchen ist dieses mir dreimal zu sehen geglückt, da ich über die Wirkung des Gehirns und der Ner- venkraft aufs Wasser, als worin ich damals den Grund jenes Anziehens der Kiefer suchte, Versuche anstellte. Sind kleine Härchen oder Fasern der Grund jenes Anziehens? zu welchem Endzweck sind diese in dem Kopfe, zu einer Zeit wo der Respirationsact durch Fischohren sehr gut vor sich geht?” der Nebenkiemen emiger Bivalven. 535 Wir fangen nun die Reihe der hierhergehörigen dioptrischen Beob- achtungen damit an, dafs wir die Ränder eines als durchsichtiger Gegenstand von unten beleuchtet liegenden und mit einer Schicht Wassers umgebenen Tentakels mit nicht zu starker Vergröfserung betrachten. Wir nehmen eine lebhafte Strömung des Wassers wahr längst des Randes, welche die im Was- ser schwimmenden Molekeln oder Infusorien rasch mit sich fortführt, und zwar abwärts von dem Mundende nach dem nach unten gelegenen breiten und abgerundeten Ende des Organs. Cilien, als Bedingendes dieser Strö- mung, sind an vielen Strecken der Tentakel, selbst mit starker Vergröfse- rung, nicht zu sehen, vielmehr erscheint der äufserste Längenrand des Ten- takels gerale so continuirlich undulirend, wie wir es bei jedem einzelnen transversalen Reifen, in jedem Queerthale desselben wahrnahmen. Die to- tale Bewegung am Rande setzt sich zusammen aus unendlich vielen einzelnen abwechselnden Pulsen, die wie ein in seinen einzelnen Kügelchen schwin- gendes Paternosterwerk oder Perlenschnur anzuschauen sind. Eingedenk des ächt Italienischen Apophtegma, un poco di figura fa tutto capire, sei es vergönnt (um das Verhältnifs der partiellen Undulationen in den einzelnen Reifen zu der totalen Strömung an dem äufseren Rande in fafslichen Worten auszudrücken), unsere Metapher vom Miniaturrelief einer Gebirgspartie in Erinnerung zu bringen, mit der Modification, dafs die parallelen Züge der Kämme und der von ihnen eingeschlossenen Thäler allesammt senkrecht auf eine Küste auslaufen, welche den peripherischen äufsersten Rand des Ten- takels repräsentirt. So erscheint uns in der That dieser Küstenrand des Or- gans eingeschnitten, die Kämme als Vorgebirge, die Thäler als Buchten. Beobachtet man nun irgend eine Molekel, welche der Strom dicht an den Rand dieser Küste treibt, so sieht man, wie sie continuirlich alle Sinuositä- ten der Küste befolgt. Aus einer der Buchten getrieben umgeht sie das nächstfolgende Promontor, läuft in dessen Bucht ein, wird da durch einen neuen Impuls um das nächste Vorgebirge gestofsen, und so fortan längs ih- rer ganzen Küstenfahrt. Durch beharrliche Beobachtung ist mir höchst wahrscheinlich, wenn nicht erwiesen, dafs der Mechanismus dieses Umtrei- ben des Wassers an den äufsersten Rändern bedingt ist durch die eigenthüm- liche Undulation der Membran in ihren Queerthälern. Statt aller schwer in Worten auszudrückenden Anschauungen erwähnen wir folgenden sehr schlagenden Versuchs. Während längs des äufsersten Contours des Tenta- 536 Erman über die automatische Undulation kels die eben beschriebene totale Strömung des Wassers statt findet, schneide man mit einer feinen Schere ein Stück des Organs so weg, dafs die scharfe Linie des Schnittes fast senkrecht sei auf die Richtung der Streifen des Ten- takels, so stellt sich augenblicklich längs der neu entstandenen Küstenlinie dieselbe totale Strömung des Wassers, wie sie am unversehrten natürlichen Rand statt fand: Richtung und Rhythmus der Intensität bleiben dieselben. Dies wäre rein unmöglich in der Ansicht, diese Strömung sei bedingt durch Cilien womit der Rand besetzt wäre, denn diese wären ja mit dem sie tra- genden Stücke des Organs glatt weggeschnitten worden. Wendet man eine gehörige Vergröfserung an, so bestätigt sich die bei der katoptrischen Me- ihode wahrgenemmene Disjunction, dafs von den zwei Abhängen, welche eine Schlucht oder Thal bilden, immer nur der Eine sich weilenförmig un- dulirend bewegt, während der entgegengesetzte Abhang ruht. Betrachtet man in der That die totale Strömung längs der durch den Schnitt entstan- denen neuen Strecke des Randes, so sieht man bei jeder Furche die Eine Hälfte des profilirten Thales mit undulirenden Wasserwellen besetzt, die andere Hälfte durchaus nicht. Die Erscheinung ist als wenn eine Perlen- schnur eingetheilt wäre beiläufig von sechs zu sechs Perlen, davon immer drei flimmernd oscillirten, die drei anderen, gleichsam im Schatten liegend, nicht gesehen würden, oder gar nicht vorhanden wären. Als Beleg zu der Verfänglichkeit des Mikroskops und den noch verfänglicheren Suggestionen der Phantasie bei seinem Gebrauche, diene die Rüge des Irrthums den ich beging, als ich befangen war in der Ansicht, die paradoxen Bewegungen an den Tentakeln hätten ihren Grund in den Schwingungen belebter Molekeln. Schon damals schnitt ich ein Stück des Tentakelrandes weg, sah Molekeln in Bewegung gerathen durch Impulse, die von dem neu gebildeten Rand ausgingen, hielt aber diese Molekeln für ausströmend aus der verwundeten Schnittfläche, während sie der Wahrheit gemäfs schon in dem umgebenden Wasser präexistirten, und nur an dessen durch den Schnitt besonders modi- fieirten Strömung Theil nahmen. Einer nicht unverdienten sehr strengen polemischen Kritik setzen wir uns aus, wenn wir statt dieser früheren Ansicht oscillirender animalischer Molekeln in den Röhren der Tentakeln, die andere geltend machen möch- ten, einer ursprünglich und unbedingt durch alternirende Contractionen wellenförmig undulirenden Membran; wenn wir diesen Mechanismus be- der Nebenkiemen einiger Bivalven. 537 trachten möchten nicht als entgegen stehend dem der fingernden Ciliarbe- wegungen, sondern als ätiologisch über demselben gestellt, so dafs die Vi- brationen der Cilien erst bedingt wären durch das Prius der Undulationen der Häute auf welchen sie sitzen; und wenn endlich die Tendenz der Hy- pothese ist zu präsumiren, dafs dieser Undulationsmechanismus der starren mit einem Flüssigen in Berührung kommenden Flächen, den wir an den Ten- takeln der Bivalven entdecken, von der Natur in sehr vielen andern Orga- nisationscombinationen angewendet werde, z. B. ganz sicher bei den Bewe- gungen derjenigen Infusorien, wo man keine Cilien wahrnimmt, wahrschein- 8 lich auch bei den Functionen der Branchiostega der niederen Kiementhiere, bei den paradoxen Strömungen der Chara u.s. w. Das erste Moment einer Polemik gegen die Ansicht von ursprüngli- chen unbedingten wellenförmigen Schwingungen der Oberfläche der Tenta- keln wäre wohl die Einwendung, es mögen doch Cilien vorhanden sein, so- wohl an den Rändern der Peripherie, als in den Vertiefungen der (ueerfur- chen, und die beobachteten paradoxen Strömungen des Wassers seien be- dingt durch das fingernde Spiel dieser Härchen. Diese Annahme scheint mir widerlegt zuerst durch den Umstand, dafs die Vibrationen der Membran ge- rade dann wahrgenommen werden, wenn durch zufällige oder absichtlich bewirkte Austrocknung des Präparats in der Vertiefung der Furchen nur noch ein solches Minimum von Wasser zurückbleibt, dafs etwanige Fila- mente der Cilien, wenn sie auch vorhanden wären, durchaus an den Wän- den kleben würden, nicht schwebend getragen in dem Flüssigen, in welchem sie zu unduliren hätten; das Bild wäre ein Thalbach, zu seicht und zu was- serarm, um dafs Kräuter darin Spielraum hätten zu irgend einer freien Be- wegung. Die zweite Einwendung gegen die Hypothese von Cilien ist direct, das heifst dafs man an den meisten Stellen keine Cilien wahrnimmt; doch fordert dieses einige umsichtige Erörterungen, wodurch sie hinüber geführt wird in das dritte Widerlegungsmoment, dafs nemlich die Ciliarbewegungen selbst genetisch und wesentlich nichts sind und sein können als Corallare und etwas modificirte Ausbildungen der automatischen Vibrationen der Flä- chen von welchen sie Auswüchse sind. Beobachten wir die ganze Strecke des Randes eines Tentakels von dem schmalen, dem Munde zuliegenden Theile an bis an den Scheitelpunkt der Krümmung beider Loben am entge- gengesetzten Ende, so gewinnt man durch keine Art der Beobachtung und Phys. Abhandl. 1833. Yyy 538 Erman über die automatische Undulation 8 haarförmigen Cilien; die Undulation pflanzt sich continuirlich fort längs des Randes, als sähe man Perlen vibriren auf einer im feinsten Zickzack geboge- nen Schnur, woher auch die Täuschung von animalisirten Molekeln. Wahr ist, dafs wenn man der Glastafel ein Pigment giebt, etwa von chinesischem Tusch, und dann die Spuren untersucht, welche das Organ hinterläfst durch seine natürliche oder galvanisch bedingte Zusammenziehung, die Stellen, welche die Ränder verlassen haben, gestrichelt erscheinen und an Abdrücke von Cilien denken lassen könnten; doch diese Striche sind offenbar bedingt durch die wellenförmige Gestaltung und durch die entsprechende unduli- rende Bewewegung der Oberfläche des Organs. Aber es ist wahr, dafs an der mehr abwärts liegenden Strecke des Tentakels, da wo die beiden aufgeschlagenen Loben in elliptischer Krüm- mung sich einander nähern und eine tief eingeschnittene Bucht bilden, wo die Wasserströmung am lebendigsten ist, nicht undeutliche Ciliarprocesse zu unterscheiden sind (mit vorzüglicher Deutlichkeit bei Anodonta cellensis). Nun ist nichts natürlicher als dafs man sage, selbst an den Strecken des Or- gans, wo keine Randcilien wahrgenommen werden, seien sie nichtsdestowe- niger da, und der Anschein einer blos perlenden Continuität der Membran sei Täuschung, bedingt durch die Kleinheit der Wimperhärchen, die man vorzüglich bei der Raschheit ihrer Bewegungen nicht mehr individuell und discret wahrzunehmen vermag. Ohne Widerrede findet dieses allerdings in vielen Fällen statt, und dergleichen gehört zu den allergewöhnlichsten Ver- fänglichkeiten des Mikroskops. Auch habe ich sehr lange geschwebt in ab- soluter Ungewifsheit, bis mir folgende Wahrnehmung den Ausschlag zu ge- ben schien zu Gunsten der Ansicht, dafs das wahrhaft Bedingende bei den Tentakelnerscheinungen, und das wesentliche Prius der Ciliarbewegungen selber, ein automatisch wellenartiges Vibriren der lebenden Membranen sei, sie mögen Wimpern tragen oder nicht. Beobachtet man die Stellen der Ten- takeln, die nicht gestreift sind, und namentlich die Stelle, wo die beiden Blätter des Organs an ihren Rändern zusammengewachsen sind, so findet man ein eben so lebhaftes Treiben, eine eben so rasche Bewegung als in den Furchen und an den Rändern, aber diese Bewegung ist chaotisch; kein Punkt der Oberfläche, der nicht wellenartig hüpfend bald steige bald falle; das passendste Bild ist ein See während eines hageldichten Regenschauers. durch keinen Grad der Vergröfserung eine Anschauung von abgesonderten der Nebenkiemen einiger Bivalven. 539 Hier ist offenbar an keine schwingende Cilie auf der spiegelglatten und ganz trocken liegenden Oberfläche zu denken, und da wir aus bereits erwähnten Gründen nicht zurückkehren möchten zur Annahme animalisirter Molekeln in oscillirenden Schwingungen versetzt, so bleibt keine andere Vorstellung passend als die einer activen Contractilität der lebendigen Membran für sich, dunkle sporadisch diffuse Rudimente von Systolen und Diastolen, zur Fläche sich ausbreitende Differentiale einer nicht centralisirten Pulsation. Von dieser ebenen Stelle (von diesem Plateau) zweigen sich die late- ralen Streifen ab nach beiden Seiten in den parallelen Zügen von Kämmen und Schluchten; mit dieser Bestimmtheit der Form erhalten sogleich die au- tomatischen Lebensvibrationen der Membran Regelmäfsigkeit, Richtung nach demselben Sinne und homologen Parallelismus der Vertheilung. So errei- chen sie die Peripherie des Organs, wo ihre rythmischen Pulse, sich addi- rend, eine geregelte Undulation der Ränder bedingen, diese mögen mit Ci- lien besetzt sein oder nicht. Die zunächst im Wasser schwimmenden Mole- keln folgen allen Sinuositäten dieser partiellen Impulse des gezähnten Randes, für die etwas entfernteren läfst die Interferenz der Wellenschläge nur eine allgemeine geradlinige Bewegung, die noch entfernteren bleiben in Ruhe. Eine ähnliche Wirkung ursprünglich oscillirender benetzter Membran, als das Prius der Bewegungen der Cilien, wenn solche vorhanden sind, kann man sich füglich denken als das Bedingende der so räthselhaften Strömungen bei Chara und ihrer Analogen. Ein anderes Moment der Polemik gegen die Ansicht, dafs in der pa- radoxen Erscheinung der Tentakeln, sich eine ursprüngliche unbedingte wel- lenförmige Contractilität der lebenden Membran ausspricht, wäre, dafs man zu zeigen suche wie die mechanische Bewegungsfunction dieser Organe sich zurückführen liefse auf irgend eine andere bereits bekannte und anderweitig bedingte. Als ein solcher Vergleichungspunkt bietet sich dar in der Ökono- mie der Gasteropoden die wellenartig schlängelnde Undulation am Fufse von Limax und Helix, wenn diese Thiere in der progressirenden Fortschreitung begriffen sind. Allerdings hat in beiden Fällen der alternirende Rhythmus von Contraction und Relaxation, oder besser vielleicht von + und — Con- traction eine Analogie, die sogar soweit geht dafs ausgeschnittene Tentakeln, die man auf eine gehörig bewässerte Glasplatte, oder besser noch ganz unter Yyy2 540 Erman über die automatische Undulation Wasser sich selbst überläfst, eine entschiedene Locomotivität zeigen und in kurzer Zeit ihren Stand um mehrere Zoll kriechend ändern, und zwar alle immer in derselben Richtung. Es finden jedoch in beiden Fällen sehr we- sentliche Unterschiede statt: die Undulationen im Fufse von Limax sind rein willkührlich, das Thier leitet sie ein oder hemmt sie, vollkommen nach Be- lieben; bei den Tentakeln hingegen ist die Oscillationsthätigkeit rein auto- matisch, sie währt fort 18-24 Stunden nachdem das Organ ausgeschnitten worden, und wahrscheinlich bis die chemische Desorganisation eintritt. Fer- ner stehen die automatischen Schwingungen der Tentakeln gar nicht unter dem Einflufs der Elektrieität, während das der Spontaneität einer Muskular- Contraction mehr zugewendeten Bewegungsorgan der Gasteropoden es in sehr entschiedenem Grade sind. Bei den eben erwähnten Bivalven fand ich Reaction auf Galvanismus schon bei dem unversehrten Thiere, wenn man nämlich an das Wasser, worin ein solches Thier sich befindet, eine Säule von nur einigen Paaren schliefst, ohne das Thier zu berühren, und mittelst des Rheotrops, um selbst das Wasser in der Nähe des scheuen Thieres nicht zu bewegen, so schliefst sich augenblicklich die Schale mit der eigenthüm- lichen Ausspritzung von Wasser, welche dem Wasser -Expirationsactus sei- nes Fortkriechungsprocesses eigen ist; ja die embryonischen noch in den Kie- men enthaltenen Bivalven öffnen und schliefsen sich durch elektrischen Reiz mit deutlichen Bezeichnungen auf Schliefsungs- und Trennungscontraction. Untersucht man nun auf dieselbe Weise die besonderen Organe des Thieres, so findet man elektrische Contractilität beim Fufse und an den Rändern des Mantels, vorzüglich da wo er gleichsam einen Sphinkter bildet für die Ein - und Ausströmung des Wassers. Prüft man aber mit gleicher Behutsanikeit die unterm Mikroskop liegenden Tentakeln, so findet man dafs sie allerdings durch den elektrischen Reiz eine geringe totale Contraction ihrer ganzen Masse erleiden, aber die partiellen Undulationen in den einzelnen Reifen und an den Rändern des Tentakels werden dadurch in ihrem Rhythmus nicht im mindesten affıcirt, wodurch ein primitiv automatischer Charakter sich zu bewähren scheint. Wenn es noch eines succursalen Beweises bedürfte, dafs die räthselhaften Undulationen in den Tentakeln nicht durch lebendige Infusorien bedingt sind, so fände man ihn gewissermafsen in dieser Nullität der Erfolge des elektrischen Reizes, da ich gefunden habe, dafs die grofse Mehrheit der infusorischen Animalien augenblicklich in ihren Bewegungen der Nebenkiemen einiger Bivalven. 541 gehemmt waren durch dieselben Mittel, die der oscillatorischen Bewegung an den Tentakeln durchaus nichts anhaben konnten. Oft sah ich ferner die fraglichen Undulationen ganz ausbleiben, oder schwach eintreten in den er- sten Momenten, die auf das Ausschneiden des Organs folgten; eine Viertel- stunde beiläufig nachher waren sie da in normalen Rhythmus für sehr viele folgende Stunden; auch in diesem Umstande könnte man einen Beweis fin- den für den unabhängigen Automatismus dieser Bewegungen. Der Eretismus des ganzen Systems durch den Schmerz hemmt sie zuerst; das sich selbst überlassene, für sich selbst nun bestehende Organ übt sie nachher aus mit grofser Regelmäfsigkeit und anhaltender Fortdauer, die sich auch ohne mi- kroskopische Beobachtung der Oberfläche oder der Wasserströmungen durch die kriechende Ortsveränderung des ganzen Organs deutlich ausspricht, wie man es bei den ausgeschnittenen Kiemen der Frosch- und Salamanderlarven ebenfalls beobachtet. In dem Umstande dafs der ausgeschnittene Tentakel auf einer benetz- ten Glasfläche eben die fortkriechende Bewegung zeigt, wie der Fufs von Li- max, scheint ein Beweis zu liegen für einen ähnlichen Mechanismus von un- dulirenden Contractionen und Dilatationen, in beiden Fällen. Cilien womit die Fläche des Fufses von Limax besetzt wäre, und die durch ihr fingerndes Spiel das Thier vorwärts schöben, kann man nicht annehmen, denn man entdeckt keine Spur davon; man kann die Bewegung einer so grofsen Masse, wie des ganzen Thierkörpers nicht denken als bedingt durch so schwache Ciliarimpulse, und aufserdem ist die Fläche des fortgleitenden Fufses so an- saugend luftdicht an die tragende Fläche angedrückt, dafs Cilien, wenn auch welche da wären, durchaus keinen Spielraum zu ihren Vibrationen hätten. Schen wir also den Tentakel kriechend fortbewegt, nach Art des Fufses von Limax und unter ganz gleichen Umständen, so müssen wir nach Analogie auf eine undulirende Bewegung dieser Membran selbst schliefsen, gleich viel ob sie aufserdem Wimpern trage oder nicht. Da nun aber die Muskular- undulationen des Fufses von Limax der Willkühr unterworfen sind, mit der Trennung vom Körper aufhören und durch Elektrieität afhieirt werden, die Wellenschläge der Tentakeln hingegen absolut unwillkührlich sind, gegen Electrieität nicht reagiren, und in dem längst abgelösten Organ sich wieder herstellen, sobald die Membran mit Wasser in Berührung kommt, so scheint die hypothetische Ansicht eines automatischen Vibrirens der benetzten leben- 542 Erman über die automatische Undwlation den Membranen (als bedingend sogar die Ciliarbewegungen selbst) weiterer Prüfung und ausgedehnterer Vergleichungen nicht ganz unwürdig. Den Physiologen, die ich zur Prüfung und tieferen Ergründung dieser Tentakeloscillationen auffordern möchte, wird nebenbei obliegen, einiges Licht zu gewinnen über die eigenthümliche Beziehung dieses Organs zu den Lebensfunctionen der Bivalven. Erwägt man die ausgezeichnet entschiedene Wasserströmung, die durch den ganzen Bau eingeleitet wird, und die Rich- tung dieser Strömung, welche das Wasser und die darin schwebenden Mole- keln zwischen den zwei neben einander zusammengelegten Blättern, mit ihren schwingenden Streifen nach innen gekehrt, mächtig impulsirt, und überlegt man ferner, dafs sich diese Blätter zu beiden Seiten gerade bis zur Mund- öffnung des Thieres erstrecken, so ist man geneigt zu denken an einen die Ernährung begünstigenden Procefs; es wäre gleichsam ein längs seiner Axe in zwei Hälften durchschnittener Saugrüssel, der durch consensuelle Wir- kung seiner zu einander passenden Halbringe die im Wasser schwimmenden Molekeln ansaugend dem Munde zuführen würde, entfernt analog den wel- lenartigen Contractionen und Relaxationen der geschlossenen Ringe einer Elephantenproboscis. In dieser Bedeutung wäre die Benennung Tentakel für eine saugende und greifende Function passend genug. Wenn wir aber andrerseits finden, dafs die Tentakelblätter an ihrer breitesten Seite, da wo ihre zusammengewachsene Commissur statt findet, in unmittelbarer Continuität mit dem Körper des Thieres oberhalb des Fu- fses sich befinden, wenn man sieht wie der Körper ein mächtiges Gefäls an den Mittelpunkt der Commissur abgiebt, und wie dieses Gefäfs sich sogleich in zwei Hauptäste theilt, wovon jedes Blatt einen enthält, der etwas schlän- gelnd über die ganze Länge des Organs fortläuft senkrecht über alle Strei- fen gerichtet, und wie ich glaube gesehen zu haben, Ramificationen ab- gebend an jeden Queerstreifen, so neigt man sich mehr eine Beziehung auf das Respirationsgeschäft und auf Hämathese zu ahnen, dann wäre die Be- nennung Nebenkieme die passendere. Vergleicht man aber endlich die wundervolle Organisation dieser Ne- benkiemen, mittelst welcher die Berührungen und Pulsationen des Wassers unendlich vervielfältigt sind innerhalb der grofsen Ausdehnung der Queer- der Nebenkiemen einiger Bivalven. 543 furchen der Oberflächen, wovon ich nie eine Spur gesehen habe bei den eigentlich sogenannten Kicmen, wo alles sein Bewenden hat auf eine ver- gleichungsmäfsig sehr geringe und träge Strömung blos längs des äufsersten Randes, ohne jedes organische Eindringen in das Innere; dann will sich gel- tend machen die Vorstellung, man müsse das Verhältnifs geradezu umkeh- ren, nehmend die Tentakeln als Hauptkiemen, als das wesentliche Organ des Respirationsprocesses, während die sogenannten Kiemen, dem Genera- tionsprocefs zugewendet, weniger die Lunge repräsentiren als die Bärmutter zur Aufnahme und Zeitigung der Eier, und höchstens succursal als succen- centuriate Kiemen zur Hämatese mit beitragen. Wie alle obige Fragen empfehle ich noch der Forschung der Physio- logen die sehr interessante Untersuchung, ob während des Winterschlafs der Bivalven die automatischen Bewegungen der Tentakeln aufhören oder nicht. Dafs die erhöhte Temperatur des umgebenden Wassers die wellenartigen Pulsationen der ausgeschnittenen Tentakeln begünstigt habe ich gesehen; aber eine Vergleichung ihres Rhythmus mit dem des Herzens wäre sehr lehr- reich in der Zeit, wo die Systolen des Herzens wahrscheinlich fast ganz auf- hören, denn bei jungen Exemplaren von Anodonta cellensis, deren Schale durchscheinend genug ist, um den Herzschlag sehr deutlich wahrnehmen zu lassen, war es hinlangend im Herbst, wo sie doch noch sehr lebendig sind, sie etwa eine Stunde einzutauchen in Wasser von der Bodentemperatur, in welcher sie überwintern, um den Herzschlag zu reduciren auf einen einzi- gen, und zwar sehr unvollkommenen, für jede 10-12 Minuten. Nahm ich nachher das Thier in den Mund, bis es die Temperatur des Blutes angenom- men hatte, so gaben je 2-3 Chronometerschläge Einen kräftig vollen Herz- schlag. Wie deprimirend demnach ein vielmonatlicher Winterschlaf (denn diesen zu präsumiren ist man berechtigt) auf die centralisirte Contractilität des Herzens wirken müsse, ist offenbar; wichtig wäre es, vergleichend des- sen Wirkung zu beobachten auf die diffuse Contractilität, gleichviel ob man sie sich denken will in der Membran oder in den Cilien. En er fi j il PR: 11 IE Be rn ul ’ F . Pr: Ara Burn ar ine vo % 11% „) . D - \ | nt s | | a i i 412 st ß J It nr h MITIWETDTE nal eK | Akne 2 ehe % ich . ei ia u 18,9 44 I \ aM . f 1 5 DIE vs Bi sr ö ‘ . { E ‘ u N ü j & i Eu? Er] N [4 “ ” Y A u 5 BR „i ‘ i „BR ı4 . u ZI ar h j . ; / i ’ N . u U ’ f a &- | SPFBBREUN R LA U e-. i u ee i u ) i Dt SUTTOn) eg n£ era IH PEBEER FFPELUEREHRTEIHE TEPRTT: ; HI LWEIRTUOERTTBETE VTATTTERGBETERRTRRERRT FEN ER] MC“: u en fi fi 1 10% We | 1} aufs i ED uni Mathematische Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. ...—mnooeeo Aus dem Jahre 1833. es Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. ih; sdaardsinsdiell aoannulbusddä sah asdailgiunöl | aaliscoenseerV ob sinobsalA Be urbroli . . a ee | szdsh moh auf Ber ni Jenenmern Tinte denn te v i eo: ’ rn 2 » . .ilsodl i shasbistl Ischl ab mendlautf oh ai lt} ‚uallsıloauseeiV? al Be cher Pr lm I ind woiesrimmon I a Be CrELLE: Einige Bemerkungen über die Principien der Variations- Rechnung ..... Seite 1 BesseL: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen von 38 Doppelsternen ..... - M POSELGER: ÖOrtsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids...............- - 59 EncKE über den Cometen von Pons (Dritte Abhandlung) .........-2eceeeerco. ER N LEJSEUNE-DIRICHLET: Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen - 101 DirkseNn über die Anwendung der Analysis auf die Rectification der Curven, die Quadratur der Flächen und die Cubatur der Körper........... = 123 EYTET D sisdn! Forerser Ren BE zuumdand -zuoisesV ah msigioniad Sib sad mozundingatt aginit vautıand u. nsmisielaygoti 85 mov nogunllsse nagiisenmge, sub nogamirosdostt :audand BEST EUR ONE RN, «biosücgbatl zuh schaillnadO ob Yon geseiliasend :aanaaaod PRFEE EURER TEE SOSE HERITE EEE (seslbusddi. shitl) 260% nor nasse) nah ad BHAll- naunnol asdueitenbsup 1ob SaosdT aih add augesihaassind) :raakduntl- wauaıad ah ‚nord ab nolendiooft ib Ins aleylsad nal yanbeswut ah sedi Aazamıl ! 5 ren aapeä sah dd ih bus adaelT ob sinban‘) nn an Einige Bemerkungen über die Principien der V ariations-Rechnung. „Von Hm 'CRELLE. nuummmmann [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 14 nd 28. März 1833.] Sihin Euler und Lagrange, denen die Analysis die Variations -Me- thode, eine wesentliche Erweiterung des Calculs, verdankt, haben sich wie- derholt bemüht, die Prineipien und das Wesen ihrer Methode in’s Klare zu bringen. In der neueren Zeit ist die Variations- Methode mit Eifer durch- arbeitet und selbst erweitert worden, und die neuere mathematische Litte- ratur hat, besonders im Deutschen, umfassende Werke über diesen Gegen- stand aufzuweisen. Auch hat es nicht an anderen, einzelnen Bestrebungen gefehlt, insbesondere die Principien der Rechnung noch mehr aufzuhellen, und fafslicher und anschaulicher darzustellen. Gleichwol dürften, wie es scheint, gerade diese Principien noch nicht im vollen Lichte stehen, wenig- stens noch nicht derjenigen Klarheit theilhaftig geworden sein, die den übri- gen Gegenständen der Analysis nicht mehr eben so streitig gemacht wer- den kann. Hieran öfters Anstofs findend, habe ich es wiederholt versucht, jene Principien, und das Wesen eines so interessanten Theils der Analysis, zunächst vor mir selbst zu einer noch klareren Anschauung zu bringen. Ob- gleich ich nun weit entfernt bin, zu glauben, etwas errreicht zu haben, was, nach meiner Meinung, den tief eindringenden Einsichten so berühmter Geo- meter, wie es scheint, nicht vollständig gelang: so wäre es doch möglich, dafs in dem, worauf ich bei meinen Bemühungen gefallen bin, hie und da eine Andeutung läge, welche zur Erzielung der zu wünschenden Vervoll- kommnung behülflich sein könnte. Deshalb will ich meine Ansichten über diesen Gegenstand mitzutheilen mich beehren. Mathemat. Abhandl. 1833. A 2 CreLLe: E inige Bemerkungen 1. Als Beispiel werde angenommen, es sei irgend eine bestimmte Func- tion » von der unabhängig veränderlichen Gröfse & und von der, von x unbestimmt abhängigen Gröfse y und ihren Differential - Coefficienten dy, d’y....d"y, gegeben, so, dafs 4. Ders!) ist, und es werde verlangt: die Abhängigkeit der Gröfse y von der Gröfse x so zu bestimmen, dafs das Integral u von v, erster Ordnung, welches also eine Ordnung niedriger als », mithin von der Ordnung 2—ı, und folglich von der Form 2. VE, RABEN ea) sein wird, zwischen bestimmten Grenzen genommen, gröfser oder kleiner sei, als es zwischen den nämlichen Grenzen sein würde, wenn die Abhängig- keit zwischen y und x eine andere wäre; dann aber: zu finden, welche Grenzwerthe von x und y, wenn ihrer etwa, mit bestimmter Abhängigkeit von einander, mehrere vorhanden sind, unter sich selbst dem Maximum oder Minimum entsprechen. Dieses zusammengenommen würde eine Auf- gabe für die Variations - Methode sein. Es kommt nun zunächst darauf an, die Veränderung des Werths des unbekannten Integrals z von », sowohl zwischen bestimmten Grenzen, als von einer zur andern, welche entsteht, wenn die unbestimmte Abhängigkeit der Gröfse y von x sich ändert, analytisch auszudrücken, und zwar durch eine Reihe, deren Glieder die erste, zweite, dritte u.s. w. Potenz irgend einer willkürlichen Gröfse, welche als diejenige betrachtet wird, die die Ver- änderung der Abhängigkeit der Gröfse 7 von .c hervorbringt, zu Coeffi- cienten haben. Jenes ist nöthig, um aus den verschiedenen Abhängigkeits- Formen der Gröfse y von x diejenige herauszufinden, welche dem Maximum oder Minimum von z entspricht; und die angezeigte Form der Reihe ist nothwendig, um, nach der Theorie der Gröfsten und Kleinsten, aus den einzelnen Gliedern, namentlich aus dem Verschwinden z.B. des ersten und über die Prineipien der F‘ ariations- Rechnung. 3 dritten Gliedes u.s.w., die Gleichung für das Gröfste oder Kleinste, und aus dem Zeichen des zweiten, vierten Gliedes u.s. w. die Entscheidung zu erhalten, ob das culminirende x ein Gröfstes sei, oder ein Kleinstes. Lagrange, in den Vorlesungen über die Theorie der Functionen, in welcher Schrift von ihm, nach seiner eigenen Meinung, auch die Princi- pien der Variations-Rechnung am deutlichsten dargestellt wurden, thut solches dadurch, dafs er y nicht sowohl als eine Function #x von x, son- dern vielmehr als eine Function $ (x, 2) von zwei veränderlichen Gröfsen x und z betrachtet, deren eine, :, willkürlich, jedoch so hinzutretend betrach- tet wird, dafs $(x,i) = x sei, füri=0. Gergonne, in einer Abhand- lung über die Variations-Rechnung (im 13‘ Bande der Annales des Math. S.3.), findet Anstofs an dieser Vorstellungs-Art, indem nach seiner Bemer- kung ein und dasselbe Zeichen $ nicht zugleich eine Function einer, und eine Function zweier veränderlichen Gröfsen bezeichnen könne; jedoch scheint es, dafs dieser Anstofs nicht völlig begründet sei, indem eines Theils die durch das Zeichen & angedeutete Abhängigkeits-Form beim An- fange der Rechnung noch unbestimmt ist, anderen Theils aber auch, selbst bei einer bestimmten Abhängigkeits-Form, ein und dasselbe Zeichen aller- dings eben sowohl auf eine, als auf mehrere veränderliche Gröfsen bezogen werden kann, indem man z.B. ganz gebräuchlicher Weise, wenn / als unver- änderlich betrachtetwird, blofs &x, und wenn z als veränderlich be- trachtet wird, $(x,2) zu schreiben pflegt. Lagrange entwickelt nun y sowohl, als v» und z, in Ausdrücken mit den ersten, zweiten, dritten u.s. w. Potenzen von i, und zwar, nicht sowohl nach der Taylorschen, als viel- mehr nach der Maclaurinschen Reihe, so dafs die Coefficienten von i, ”, Ü’..... kein ! mehr, sondern nur x enthalten. Um die Veränderung von Y, v und u in dem Falle auszudrücken, wenn an den Grenzen auch «x sich verändert, läfst Lagrange x um die Variation von x, mit multiplieirt, sich verändern. Die Anwendung der Maclaurinschen Reihe, statt der Taylorschen, hat aber in der Zusammenwirkung der Variations- und der Differentiations- Operation wenigstens formelle Schwierigkeiten, wie in mei- ner Abhandlung über die Variations- Rechnung, im 2" Bande der „Sammlung A2 4 Crerte: Einige Bemerkungen mathematischer Aufsätze, Berlin 1822”, wo ich theilweise ganz Lagrange gefolgt bin, zu sehen ist; auch entfernt die Anwendung der Maclaurin- schen Reihe die Variations- Operationen mehr von der gewöhnlichen Verän- derungs- oder Differential-Rechnung, als in der Natur der Sache liegen dürfte: die erwähnte Art, die Veränderlichkeit von x an den Grenzen in Rechnung zu bringen, dürfte aber nicht allein etwas dunkel sein, weil man nicht ganz deutlich sieht, was unter der von Lagrange mit x bezeichneten Variation von x, die mit ö multiplieirt wird, zu verstehen sei; sondern sie dürfte auch ihrerseits formelle, und selbst materielle Schwierigkeiten ha- ben; wie ebenfalls aus der vorhin benannten Abhandlung zu sehen ist. Schon die Lagrangesche Vorstellungs-Art der Gegenstände, von welcher die Methode ausgeht, ohne von einem andern Bedenken zu sprechen, welches weiter unten vorkommen wird, scheint daher noch nicht ganz deut- lich zu sein; andere, klarere, wenigstens elementarere Vorstellungs- Arten sind mir nicht bekannt. Es scheint mir daher schon dem Begriffe von den Gegenständen der Rechnung mehrere Einfachheit und Deutlichkeit zu wünschen. Dieselbe läfst sich vielleicht auf folgende Weise erlangen. 2. Es kommt darauf an: die Function y von x so vorzustellen, dafs sie ihren Werth, für einen bestimmten Werth von x, beliebig ändern könne, ohne dafs der Werth von x sich änderte; denn dadurch wird die Veränderlichkeit der Abhängigkeits-Form der Gröfse y von der Gröfse x, wie es nothwendig ist, ausgedrückt. Jenes nun geschieht, wie es scheint, am einfachsten, und am besten im Sinne der Rechnung mit veränderlichen Gröfsen überhaupt, dadurch, dafs man 5 gradezu als eine Function, nicht von der einen veränderlichen Gröfse x allein, sondern von zwei von einander unabhängigen veränderlichen Gröfsen x und : be- trachtet, und also setzt: 3. = P (x, 2) $) wo die Abhängigkeits-Form der Gröfse y von x, als dasjenige, was gefun- den werden soll, unbestimmt ist, die Abhängigkeits-Form der Gröfse y über die Principien der Variations - Rechnung. 5 von t aber, zu dem Zwecke, gröfste und kleinste Werthe von u zu finden, als willkürlich angesehen wird. Es scheint zwar, man könne sich die willkürliche Einführung der neuen Veränderlichen 2 in y auch so vorstellen, als solle eine der Constanten in y=&x, oder, wenn diese Gleichung eine Curve ausdrückt, vielleicht einer der Parameter derselben, sich ver- ändern; doch dürfte vielleicht diese Vorstellungs- Art nicht immer ganz aus- reichen, weil nicht übersehen werden darf, dafs die Abhängigkeits- Form der Gröfse y von x, wie vorhin bemerkt, unbestimmt ist, und diejenige zwischen y und £ willkürlich bleiben soll. Istz.B. „= #x die Gleichung eines Kreises, dessen Halbmesser a ist, und man läfst a sich verändern, so werden allerdings zu einem und demselben x beliebig grofse 7 gehören, und unzählige verschiedene Curven durch die Gleichung mit dem veränder- lichen a ausgedrückt werden. Allein alle diese Curven werden Kreise sein. Dieses aber würde zu dem gegenwärtigen Zwecke nicht hinreichen, wo es vielmehr darauf ankommt, durch eine und dieselbe Gleichung alle mög- liche Curven auszudrücken. Es scheint daher besser, bei der einfachen Vorstellung stehen zu bleiben, y solle als Function zweier von einander un- abhängig veränderlicher Gröfsen x und t angesehen werden. Kann man nur auf diesem Wege finden, was man sucht, nemlich die Abhängigkeit der Gröfse y von x und die Grenzen-Gleichung für das Maximum oder Mini- mum von u, ohne dafs die Gröfse ti darauf Einflufs hätte, oder das Resultat änderte, was, wie sich zeigen wird, angeht; so ist die Vorstellung ohne Zweifel erlaubt. 3 Betrachtet man also nun y nach (3) als Function zweier von einander unabhängig veränderlichen Gröfsen x und t, und läfst 2, z.B. um eine will- kürliche Gröfse # sich verändern (nicht x, welches vielmehr unverändert seinen Werth behalten soll); so wird u, welches eine Function von x undy, also von x und : ist, in eine Reihe von der Form 4 2 3 3% 4. UUNU Ufo 6 Creuıe: Eimige Bemerkungen 1 2 3 übergehen, wo u, u, u...... die Differential- Coefficienten von u sind, die aus der Veränderung von £ entstehen, und die x und £, nicht aber x ent- halten. Diese Entwickelung wird das, was zur Bestimmung des Maximum oder Minimum von u nöthig ist, gewähren müssen; denn, nach der Theorie der Gröfsten und Kleinsten ist für die culminirenden z zunächst der Coef- ficient 1, zur ersten Potenz von x, gleich Null, und von dem Zeichen des Coefficienten u, zur zweiten Potenz von x, hängt es ab, ob das culmini- rende u ein Gröfstes oder Kleinstes ist. Es kommt also zunächst darauf an, die Differential - Coeffleienten us uguhisan von u zu finden, die der Veränderung von £ entsprechen, ins- besondere den ersten von ihnen, u. Da u, das Integral von », unbekannt ist, so werden seine Dif- ferential- Coefficienten nach t nur mit Hülfe des gegebenen Diffentials v von u und aus demselben gefunden werden können; und dieses wird wie folgt geschehen. 2% Ich werde mich hier desjenigen, von den gewöhnlichen abweichen- den, Bezeichnungs-Systems der Differentiations- und Integrations - Opera- tionen bedienen, von welchem ich gewöhnlich Gebrauch mache, weil es seine Gegenstände consquenter und deutlicher ausdrückt, und auf mathe- matischen Gründen beruht; was nicht in gleichem Maafse von andern Sy- stemen gesagt werden kann, die vielmehr zum Theil mit der, allerdings bei der Notation Statt findenden, Willkür über das erlaubte Mafs gehen, und deshalb sogar theilweise inconsequent, aufserdem aber in mancher andern Beziehung undeutlich und unzulänglich sind. Von der neueren Lagrange- schen Bezeichnungs-Art z.B. ist die Unzulänglichkeit ziemlich allge- mein, und stillschweigend sogar von ihrem Urheber selbst, anerkannt wor- den, weil er späterhin davon wieder abgegangen ist. Die ältere Bezeich- nungs-Art in der Rechnung mit veränderlichen Gröfsen aber hat nur noch die Gewohnheit für sich, nicht überall Gründe und Folgerichtigkeit. Ich habe Solches schon gelegentlich nachzuweisen gesucht, und werde es bei schicklicher Gelegenheit noch näher darzuthun versuchen. über die Principien der V ariations - Rechnung. Mi Zu dem erwähnten abweichenden Bezeichnungs - Systeme gehört, dafs die Gröfse, auf deren Veränderung sich das, wie gewöhnlich die Diffe- rentiations- Operation bezeichnende, d bezieht, unter dem d vermerkt wird, und wiederholt, oder mit einem Exponenten, wenn die Differentia- tion wiederholt werden soll, und zwar mit dem nemlichen Exponenten, den das d hat. Verändert sich eine Gröfse, z.B. x, in einer Function v» von x und von Functionen der Gröfse x selbst, wie z.B. y, überall, aufserhalb undinnerhalb y, so wird v» in Klammern geschlossen; verändert sich da- gegen in» nuraufserhalb y, so bleiben die Klammern weg. Gleiches gilt für das Zeichen A, welches, wie gewöhnlich, die gesammte Verände- rung einer Functior bezeichnet. Die Integrale, welche nichts anders sind, als Differentiale niedrigerer Ordnung, werden nicht wie gewöhnlich durch das willkürliche, fremde Zeichen /, sondern, weil sie gleichfalls Diffe- rentiale niedrigerer Ordnungen sind, ebenfalls durch d, aber mit negati- vem Exponenten bezeichnet. Dieses ungefähr wird aus dem erwähnten Bezeichnungs-Systeme bei den gegenwärtigen Rechnungen vorkommen; weshalb es zum Verständnifs des Folgenden zu bemerken nöthig war. Es ist zwar auch noch gegen die gewöhnlichen Benennungen Ähnliches einzuwenden, wie gegen die älte- ren Zeichen, und ich habe mich daher, wo es anging, auch anderer Be- nennungen, die passender zu sein scheinen, bedient; auch sind einige dieser Benennungen schon hie und da angenommen worden, z.B. die Be- nennung Ableitung statt Differentiation. Um indessen den Raum der Auseinandersetzung der Veränderung der Benennungen zu ersparen, behalte ich in Gegenwärtigem die alten Benennungen bei. Os Es war gegeben = d a 22 5. v=/ (sy ee y) (1) Es wurde vorausgesetzt d? deze 8 Creuue: Einige Bemerkungen und 1. vwd) 0); und es sollte zunächst gefunden werden : d = Pen — / 8. zyuzmu (4). Zuerst ist zu bemerken, dafs nach den bekannten Regeln der Diffe- rential-Rechnung, wenn man z.B. die Function 7 der beiden von einander unabhängigen, veränderlichen Gröfsen x und £t nach x und nach t differen- tiirt, das Resultat ganz das nemliche ist, in welcher Ordnung auch die Ope- ration geschehen möge, dafs also z.B. d" %. ar ns ja a ist. Gleiches gilt von v und », die ebenfalls nichts anders als Functionen von x und sind, und es ist also auch dv far d" (d’ de AFu)=% (= u) und 3 (F v)= 4 zv). . d d R F Nun setze man in y, I ZEN di überall + x statt t, so wird, 10. nach dem Taylorschen Lehrsatze, A ah Kar z A Er Br d And adh, d „ed! d Fe ee 11: = de Ad er de d 2 = d-d= EI TEIT ZI EIN EN ge=i d A dr d d a #2 d! d’ amt) De ee, = übergehen. Es werden ferner » und x in d dz Az A 12: v+zv=/(u +7 34 a elle yrt = r) und a" über die Prineipien der Fariations- Rechnung. A A d Ad Pe Nard- 19% urZu=F(ay+nor+7 on Fre 2 de Ye a:=! A de Zelt ed übergehen. Entwickelt man den Ausdruck ® + - v» von Neuem nach dem Tay- lorschen Lehrsatze, und erwägt zugleich, dafs A d * ds 14. + ZV=V Hr rH+T FE) so erhält man d x? d? d d Ad 15. vn U Tr ge; Varia a an ne ed d AIG: eyes, Bi } A Stellt man sich in diesem Ausdrucke rechterhand die Werthe von ze = ee aus (11) substituirt vor, und vergleicht die Coefficienten zu ‚gleichen Potenzen des willkürlichen #, so erhält man, für die erste Po- tenz von %, 16 RE N 2 an v d a ad v a a’ . t —— Y ® Pi =, d 1 z=I = d: t x! Yoroe ıi = er m nd d z T L’2 F I + 7) Ur RT de Die 2J° = = Es ist aber nach (10) 17, -(Fu)=%(£ u = N\ı ı\a und nach (6) ist = u=v: also ist dyd d 18. 2 u) =, Mathemat. Abhandl. 1833. B 10 Creutve: Einige Bemerkungen mithin aus (16), 19 Eu)» 2 )) a" 2 2 Ti nn er Zr ee 2 x Fr d da + FR VD» Er Nereononse djfd \ \ 2 Das Integral von (Zu), nach x genommen, ist £ u. Kann man also das Integral der Reihe rechterhand in (19) angeben, so würde man das ver- langte = u (8) haben. Es ist nach den Regeln der Differential - Rechnung afsdn.. duo 0 2,. 2. x F Ei x also d? d d Te) 20 d it: re se nr 7 2—Y = „ x x af dä! „war ln 0agr d® > Pr d: ? ee’ m d vu. 1% A Ar d? ® EI EN x —: “n x also 4 j d’ BR d { 2 2 d? z he FE er a ee, et 2 % x x x und so weiter. Es ist ferner ED A ER N VE: a? d® Fr d zes BA Ze dh = „€ U Zr J> x F ‘ x mr x: also > d® E _daf a d 2 z FE a ee ei rege ar % 4 3 x x X Setzt man (22) in (21), so erhält man über die Principien der Variations- Rechnung. 11 d En 23. VE r=e(#, ae: ”) 37 Sy Auf dieselbe Weise wird man finden: d d’ d d (ehr d d? de DB, eine Pr — te en . en d e 123 7 & d’ Eu 1x? ’) % ( d be =”) 3 A sh und so weiter. Dieses, nemlich (20, 23, 24), sind nun die Ausdrücke der einzelnen Glieder in (19). Substituirt man sie daselbst, indem man zugleich Alles zu- sammenstellt, was, in Klammern, das Amen = vor sich hat, und be- merkt man, dafs alles Übrige den Factor 2 ne enthält: so erhält man d/fd d d? S; Zt l 3. (7) = UT TEE N 2 RR x” Fa x EA ae d 2 j 2 Ei d® d = a 3 Fi + B wE Van — —: dr 7 FE E24 I Ber; = ar 7 d d? d> di dd + ( nn: a ee Zn VE er; 73) “I N TEN ® 3 n—2 2 S—-v— v-+ Varıe 4 v a @° Fi a® nd" ar 237 ea Y er Y x ET Setzt man der Kürze wegen 12 Creuue: Einige Bemerkungen d? d’ (2 hal RZ Sy ri Och et — ers =; Bd niller 23 re Bl d d? da _ d® I tg UVtrog Van 7 v—'E,, En. TI BALTH BI EN 26. d d? d’ d’-! ea, za U Vene E Eier Es = MEI Tr 2 Ts) d + -V=H, ed so ist ed ad d 27 en — U — r, rg ud & er: he 3 =>] et meet wo sämmtliche Gröfsen F,, F,, Y;.....Y, kein Differential nach z ge- nommen enthalten. Nimmt man nun von (27) das erste Integral nach x, so erhält man a 28. Su= (r.£>) x d? d st 2 Vom +r.2 n Per] ++ Aörr,S &y + Const. und dies ist der Ausdruck des ersten Differential- Coefficienten des unbe- kannten Integrals z der gegebenen Function v®, nach 2 genommen, in (4), der für die gröfsten und kleinsten Werthe von u, zwischen bestimmten Grenzen von Y, Null sein muß. Man mufs also den Werth von = u erst für irgend einen bestimmten Grenz-Werth von y, dann für einen zweiten Grenz- Werth von y nehmen, und die beiden Werthe von = u von einander abziehen. Der Rest ist es, welcher Null sein soll. Bezeichnet man die eine Grenze von Y durch Y, die andere durch y, auch die Werthe der anderen Gröfsen für die Grenzen ebenfalls durch die darüber gesetzten Zeiger ı und 2, bei dem Integral- über die Principien der Fariations - Rechnung. 13 Zeichen = aber die Grenzen durch ‚ so erhält man aus (28) folzenden Ausdruck: RT und a) x x a n, ale a) fd > A PER ce — —- u En A sn“ 29. zu- Zu== (7, <,) > EP, ; ’) 1 d 7 1 d d I 1 dd 1 2 d"’-! d 1 + Da, yo r o.... en er wi da Edda dd „.dr=1.d.2 anne ern 9) Die Constante hebt sich in der Differenz auf. 6. I, In diesem Ausdrucke beziehen sich die Differential - Coefficienten — &y und 2 nebst ihren Ableitungen nach x, in den beiden Reihen eh, des Inestal- -Zeichens, blofs auf die y in den Grenzen, nicht auf die y zwischen zwei bestimmten Grenzen, weil die zweite und dritte Reihe schon Integrale nach x, in ihrem ganzen Umfange genommen, sind, die gleich- mäfsig fürjede beliebige Abhängigkeit der Gröfse y vonxund: statt finden. Das Differential £ yY von nach £, unter dem Integralzeichen, in der ersten Reihe hingegen, bezieht sich auf die zwischen zwei bestimm- ten Grenzen liegenden y; denn von F, « Y soll erst das Integral genom- men und hernach auf die Grenzen bezogen werden. II. Man setze nun zuerst, die Grenzen seien unveränderlich, oder mit andern Worten: es gebe nur einen einzigen Werth von y und nur einen einzigen Werth vony s den an. Dann werden offenbar die Diffe- rential - Coefficienten yund 27; nebst allen ihren Ableitungen nach =, Null sein, weil es kn für die dan Grenzen entsprechenden Werthe x und x von x, für jeden, nur einen Werth von y giebt, und also y daselbst nicht mehr nach t sich verändern kann, vielmehr in den Grenzen eine Con- stante ist. In diesem Falle werden also die zweite und dritte Reihe in (29), deren sämmtliche Glieder 27; oder Ey, oder Abtheilungen davon nach x, zu Factoren haben, verschwinden. Folglich wird sich der Ausdruck (28) auf 14 Creıue: Einige Bemerkungen 1 2 ar ad = ..dt@) d d-'(y) d Lili (nt) ER nt) reduciren, woraus 1 ER) nt,) 30. folgt. II. Diese Gleichung verlangt, dafs in dem gegenwärtigen Falle ie Grenzen für das Maximum oder Minimum von u, das Integral von Y, y nach x genommen, für den bestimmten Werth y von y eben so grofs sein soll, als für den andern bestimmten Werth y von y. Da aber die beiden bestimmten Werthe Y und y nothwendig von einander verschieden sind, so wird die Gleichheit nur für eine oder vielleicht etliche bestimmte Abhän- gigkeits- Formen der Gröfse y von £ möglich sein, und jede andere, ver- schiedene Abhängigkeits-Form wird nothwendig ein verschiedenes Inte- gral geben. Gleichwol aber ist es eine wesentliche Bedingung, und dieje- nige, unter welcher allein die Gleichung n u — u = 0 dem Maximum oder Minimum von u entspricht, dafs die Abhängigkeit der Gröfse y von t gänzlich willkürlich sei, oder dafs die Gleichung (31) für jede belie- bige Abhängigkeit der Gröfse y von £ Statt finde. Da nun Solches un- möglich ist, so lange nicht etwa d 32. Y,Zy=0 ist, in welchem Falle — (v5 =) eine Constante Ä giebt, die allerdings, sowohl füry=y, als er, die nemliche bleibt, so, dafs dann die Gleichung (31) in K=K übergeht: so folgt, dafs die Gleichung (31) nothwendig die Gleichung (32) bedingt. Selbst eine ConstanteC kann Y, nicht sein; denn auch das Integral von C © nach x genommen, wird noch füry = Y und füry=y7, die willkürliche Abhängigkeit der Gröfse y von 2 vorausgesetzt, verschiedene Werthe haben können. IV. Da nun ferner in der Gleichung (32) nicht etwa der Factor £ Y gleich Null gesetzt werden kann, indem derselbe vielmehr willkürlich ist, eben wie die Abhängigkeit der Gröfse y von t: so folgt aus der Gleichung (32) nothwendig über die Principien der Variations- Rechnung. _ 15 33. Y;,=0 oder, wenn man den Ausdruck von Y, aus (26) setzt, V. Um die Folgerung der Gleichung (33) oder (34) aus (31) noch auf eine andere Weise vorstellig zu machen, wollen wir uns die Function y von x in eine Reihe nach x entwickelt vorstellen, welches immer angeht; z.B. setzen: BB VER EREF AH wo die Coefficienten a,, @4,, @,..... als unbestimmt, aber unabhängig von x, wiewohl als 2 enthaltend, anzusehen sind. Diesem Ausdrucke von y gemäfs werden auch die Differential- Coefficienten von y nach x ähnliche Reihen wie (35) sein. Folglich wird man sich auch » als eine solche Reihe, und mithin auch die Gröfse Y, (26) als eine nach den Potenzen von x ge- ordnete Reihe, z.B. als 36. Yy,d +bx0 Hr br vorstellen können, wo die Coefficienten 2,, d,, Da... unbestimmt sind, und kein x, wohl aber £ enthalten können. Ferner wird 7) eine ähnliche Reihe sein, nemlich d d Fr 37: 7I=7% +2 a, Ha Ageun, wo die Coefficienten von x nach der willkürlichen Abhängigkeit der Gröfse y von t sich richten. Also auch das Product y, £ y wird eine Reihe von der Form | 2 1 33... 9H—yr=lb, rb,xrb,rr.) (Ca, +x ta, +2°Za, u) == 2 =Zi1Csrh Ce Rh yes sein, und nicht minder das Integral desselben x, nemlich d-! d 2 39, ln) there 16 Creuıe: Einige Bemerkungen wo die Integrations-Constante zu e, gezogen ist und die Coefficienten e,, &,3 @ger.., Während sie kein x enthalten, von der willkürlichen Form der Zusammensetzung der Gröfse y aus £ abhängen, und also als willkürlich zu betrachten sind. Nun hat, für die beiden bestimmten Grenzwerthe Y und y von y, auch & bestimmte Werthe x und x. Sollte also die Gleichung (31) Statt finden, so müfste vermöge (39) | 1 1 2 2 40. Lea rer ne re 2 rer. oder 2 2 2.2 7 9 +e,(CH RK) te, (HERE)... 0 sein. Dieses aber ist, mit bestimmten Werthen von & und x, für eine willkürliche Abhängigkeit der Gröfse y von £, also, für alle mögliche, beliebige, bestimmte Werthe der Coeffhicienten e,, &,, &,..... zugleich nicht möglich. Die Gleichung en. kann daher nicht anders Statt finden, als wenn in (38), wo der Factor - Ey ae Au sein kann, der andere Fac- tor Y, Null ist. Alsdann ist in (30) 2 _— - (r# re Const. = — einer Gröfse ohne x, die also für die beiden cher &und x von x die nem- liche ist. Daher mufs nothwendig Y,=0 sein, mithin nothwendig die Gleichung (34) Statt finden. VI. Es ist nunmehr bis hierher gefunden worden, dafs in dem Falle fester Grenzen, das heifst: in dem Falle, wenn y in jeder der beiden Grenzen nur einen einzigen Werth hat, wie y und y, in welchem Falle der Differential - Coefficient Ey mit seinen Ableitungen nach x, an den Grenzen Null ist, so, dafs die zweite und dritte Reihe in (29) von selbst ver- schwinden (II), nothwendig Y,=0 sein mufs. Es kann kommen, dafs diese Gleichung Y, = 0 (34) von selbst erfüllt wird. Solches wird der Fall sein, wenn das gegebene ® so aus y und dessen Differential-Coefficienten, nach x genommen, zusammengesetzt ist, dafs das Integral u von», nach x, für jede beliebige Abhängigkeit zwischen x und y existirt; denn die Gleichung F, = 0 (34) ist genau die nemliche, welche dieBedingungen derIntegrabilität von v ausdrückt. In diesem Buben über die Principien der Variations- Rechnung. 17 Falle findet offenbar gar kein Maximum oder Minimum von u zwischen den festen Grenzen Statt; denn für jede beliebige Zusammensetzung von y aus x ist in diesem Falle Z u, oder vielmehr £ u— 2 u, in (20), von selbst Null. Wird dagegen die Gleichung Y,= nicht von selbst, das heifst: nicht für jede beliebige Abhängigkeit zwischen y und x erfüllt, so wird sie ihrerseits, weil sie für culminirende Werthe von u jeden Falls erfüllt wer- den mufs, dasjenige Verhältnifs zwischen y und x bestimmen, welches dem Maximum oder Minimum zwischen den festen Grenzen zukommt. Man wird die, dieses bestimmte Verhältnifs ausdrückende, Gleichung zwischen x undy aus 7,—=0 finden, wenn man die Gleichung Y,= 0, die im Allgemeinen von der Ordnung 27 ist, 2r mal, nach x, integrirt, oder sie auf ihre Stamm- gleichung zurückführt, wobei im Allgemeinen 22 unbestimmte Constanten einzuführen sind. Da aber, vom Anfange an, y nicht als blofs von x, son- dern, auf eine willkürliche Weise, auch als von t abhängend betrachtet wor- den ist, so wird auch in dem Resultate der Integration nach x, bei welcher indessen £ eine blofse Constante ist, gleichwol 2 vorkommen. Da nun die Art des Vorkommens von £ gänzlich willkürlich ist, so kann man es als wieder aus der Functions- Form verschwindend betrachten, z.B. entweder {= 0 setzen, oder x selbst für 2 nehmen. Dadurch wird sich das Resultat der Integra- tion auf einen Ausdruck reduciren, der blofs x und x enthält, und der also, ohne weitere Unbestimmtheit von Seiten der Gröfse £, das gesuchte Verhält- nifs zwischen x und y angiebt. Mit diesem so gefundenen, bestimmten Verhältnisse zwischen y und x wird nun die unbekannte Stammgrößse u, zu dem gegebenen », zwischen den festen Grenzen Y und y genommen, gröfser oder kleiner sein, als alle, durch andere Verhältnisse zwischen y und x, zunächst davon verschiedenen z, zwischen den nemlichen Grenzen. VII. Wären nun aber, ferner, die Grenzen nicht fest, das heifst: könnte y in denselben nicht blofs eine einzige, sondern mehrere, vielleicht belie- bige Werthe y und Y haben, so würde allerdings der Differential - Coefhi- cient 27, mit seinen Ableitungen nach x, auf die Grenzen bezogen, nicht Null sein: es würde also, dem Anscheine nach, die Gleichung (29) nicht Mathemat. Abhandl. 1833. C 18 Crerue: Einige Bemerkungen unbedingt auf die Gleichung (31), aus welcher (33 oder 34) folgte, sich re- duciren. Aber es ist zu erwägen, dafs, wenn es, wie es wirklich der Fall ist, zunächst darauf ankommt, diejenige Abhängigkeit zwischen y und x zu finden, welche dem Maximum oder Minimum von u zwischen bestimmten Grenzen entspricht, die Grenzen immer als fest betrachtet werden können ; auch wenn sie es nicht sind. Denn, gesetzt, man nehme zuerst willkürlich zwei feste, bestimmte Grenzwerthe y und y vony an, vorausselzend, dafs es keine anderen gebe: so wird man, dem Obigen zufolge, eine Abhängig- keit zwischen x und y finden, mit welcher z, auf jene bestimmten Grenz- werthe von y bezogen, ein Gröfstes oder Rleinstes ist. Ganz das nem- liche Verhältnifs zwischen x und y wird man aber auch für jede belie- bigen andern Grenzwerthe Y und y finden, weil diese Grenzwerthe auf die, das Verhältnifs zwischen x und y bestimmende, Gleichung (34) gar keinen Einflufs haben. Dies nemliche Verhältnifs zwischen x und Y gilt also für alle möglichen Grenzwerthe y und Y von y. Immer wird z, zwischen bestimmten Grenzen, wenn y auf die durch die Gleichung (34) bestimmte Weise von x abhängt, gröfser oder kleiner sein, als für jede andere Abhän- gigkeit der Gröfse y von. x. Nun könnte es zwar allerdings sein, dafs der Werth von x, zwischen zwei bestimmten Grenzen 9) und (y) genommen, für eine andere als die durch die Gleichung 3 keit zwischen y und & (er werde durch z, bezeichnet), z.B. kleiner wäre, Y,=0 bestimmte Abhängig- . ” . . .“ 1 2 .. . als derjenige zwischen zwei anderen bestimmten Grenzen y und y, für die durch Y,=0 bestimmte Abhängigkeit zwischen y und x selbst, welcher Werth von z durch u, bezeichnet werden mag, so, dafs also die Gleichung >) Y, = 0 scheinbar nicht den kleinsten Werth gegeben hätte. Aber der Werth u, von u, obgleich kleiner als z,, ist nicht der kleinste zwischen seinen Grenzen. Vielmehr giebt das durch die Glieichung F, = 0 bestimmte Ver- hältnifs zwischen y und & einen noch kleinern Werth von z. Also führt gleichwol die Gleichung Y,—= 0 zu dem eigentlichen Minimum, und es mufs daher derselben immer genug gethan werden. Eben so verhält es sich für den Fall des Maximums. über dıe Principien der Variations - Rechnung. 19 VII. Also auch, wenn die Grenzen nicht fest sind, sondern y, in je- der Grenze, nicht blofs einen, sondern mehrere, und beliebige Werthe ha- ben kann, giebt die Gleichung (33 oder 34) immer dasjenige Verhältnifs zwischen & y, welches dem gröfsten oder kleinsten Werthe von u ent- spricht: zwischen welchen Grenzen man dasselbe auch nehmen mag. Folglich findet nun umgekehrt, der Gleichung (33 oder 34) wegen, auch die Gleichung (30 oder 31) immer Statt, % mag in jeder Grenze meh- rere, oder nur Einen Werth haben können. Es reducirt sich daher die Gleichung (29), in allen Fällen, blofs auf 1 2 42, Zu-2u=o 1.d ! a N Ar Ver) 2 2 A Ar =+ NIIANSTI HN GT I HN 7 » a2 2 ad2 2 da: did un Dir, Fin Desan, .d wo nun alle Gröfsen auf die Grenzen bezogen werden müssen, nachdem y diejenige Abhängigkeit von x beigelegt worden ist, die durch die Gleichung (33 oder 34) bestimmt wird. Diese Gleichung wird, weiter, diejenigen Ver- hältnisse zwischen den Grenzwerthen von y selbst zu finden dienen, welche unter den, schon gröfsten oder kleinsten Werthen von z, die für je zwei bestimmte Grenzen, nach der Gleichung F, =, Statt finden, wiederum die gröfsten oder kleinsten sind; wovon weiter unten. 7% Wenn eine zusammengesetzte Größe nur von Einer willkürlich ver- änderlichen Gröfse abhängt, so ist es, bei dem in $. 4. erwähnten und hier befolgten Notations-Systeme, nicht mehr nothwendig, die unabhängig Ver- änderliche bei der Differentiations-Operation unter dem d zu vermerken, weil alsdann keine Verwechselung der sich verändernden Elemente Statt finden kann. Oben wurde y als von zwei von einander unabhängig verän- derlichen Gröfsen x und t abhängend angesehen. Deshalb war es noth- wendig, x oder i unter das d zu setzen, je nachdem sich die Differentiation C2 20 Creure: Einige Bemerkungen 8 8 auf die eine oder die andere dieser beiden Gröfsen beziehen sollte. In Er- wägung aber, dafs, wie weiter unten bemerkt werden wird, selbst dann, wenn die in » vorkommende Function y, oder mehrere solche Functionen Y, Zes.., Jede von mehr als einer Veränderlichen abhängen, immer nur eine Veränderliche 2 hinzuzufügen nothwendig ist, um die Veränderung aus- zudrücken, die u, das Integral von v, erfährt, wenn die Abhängigkeit der Gröfsen y, z..... von ihren Elementen sich verändert, kann man die Be- zeichnung dadurch vereinfachen, dafs man für die, allemal und ausschliefs- lich auf die Veränderungen der Abhängigkeits-Form der Gröfsen y, 2..... von ihren Elementen sich beziehende Differentiations-Operation nach t, . . . d d: d’ ein besonders, unterscheidendes Zeichen setzt, z. B. statt ne) Do on schreibt. Dies gewährt auch noch den zweiten Vortheil, dafs, wenn die Gröfsen y, 3....., wie in den obigen Fällen die Gröfse y, nur von Einer willkürlich veränderlichen Gröfse x abhängen, auch bei der auf x sich beziehenden Differentiation, nicht mehr das x unter dem d zu vermerken nöthig ist sondern dafs man statt £, S “ ..... blofs d, d*?, @’....., und, eben so, statt > blofs d”' schreiben kann. Hierdurch vereinfachen sich dann die obigen Formeln um etwas. Die Ausdrücke (26) können jetzt wie folgt geschrieben werden: no d 5 de T a \ ar! , lsg= eE Iy a’d’y i a z’d’y > ar z ) - ) a” v == ar ’ ‚= d) De d’y ”+ a?d’y u + rip” v, 43 2 = . d d? > a: ee nen, — You E z P; d’y xd’y = x?d"y 2 m Are er =+-2o» d"y Die Gleichung (29) heifst nunmehr: 14. Wood" (Nr, dr) A" (Nr) + Y, 3y + Y, ddy + Y, BY are + gg dr (U ET A HI AM an. Hrd DW). über die Prineipien der Fariations - Rechnung. 21 Die Gleichung (34) ist folgende: Die Gleichung (42) ist folgende: | 2 1 4 1 1 4 rl RA 46. u—-w=oi—=t K,WHLYAFHLF,A8Y + Y,d''0y WIEN HN AD... +r.d-') wo aus (9 und 10) folgt: am. diyaddy, divmhdv, d'Wu=ddru. In dieser Gestalt sind nun die Resultate der obigen Rechnung, wie man sieht, den bekannten Resultaten der Variations- Rechnung, für den bei- spielsweise angenommenen Fall von », ganz gleich, so, dafs man auf dem obigen Wege, wie es sich auch gehört, zu den nemlichen Ergebnissen ge- langt ist, welche die gewöhnliche Ansicht liefert. Es hätte die abkürzende Bezeichnung gleich vom Anfange an, und während der Rechnung, benutzt werden können: aber es ist die vollständige, unterscheidende Bezeichnung der Differentiations-Operationen bis hierher absichtlich beibehalten worden, um, bei dem beabsichtigten Versuche einer deutlicheren Rechtfertigung der gewöhnlichen Ergebnisse, gleichzeitig an- schaulich bemerklich zu machen, dafs die Resultate der Variations-Rech- nung eigentlich blofs durch gewöhnliche Differentiations- Operationen ge- funden werden, indem man die Veränderung der Abhängigkeits- Form einer Gröfse von der andern, oder die Unbestimmtheit der Abhängigkeits -Form, von welcher die Methode ausgeht, dadurch ausdrückt, dafs man die abhän- gige Gröfse sich verändern läfst, ohne dafs ihre Elemente sich verändern; und dieses, namentlich, durch Einführung einer neuen Gröfse, wie ti. Die gewöhnlich durch & bezeichneten Variationen oder Variations - Coefficienten sind daher auch in der That wesentlich nichts anders, als gewöhnliche Dif- ferential- Coefficienten, nach einer, willkürlich in die Functionen -Form ein- geführten, unabhängig veränderlichen Gröfse t, die beim Schlusse der Rech- nung wieder aus derselben verschwindet; auf die Weise, wie die willkürliche 28 Creuıe: Einige Bemerkungen Veränderung des /Yerthes der Elemente, die man, in der Rechnung mit veränderlichen Gröfsen (der Differential- und Integral-Rechnung), in den gewöhnlichen Fällen einführt. Z.B. wenn y—= fx ist, so setzt man, in der gewöhnlichen Rechnung mit veränderlichen Gröfsen, © +4 statt x, welche Veränderung dann nachher ebenfalls wieder aus der Rechnung verschwindet. Durch A verändert man den /Yertih des Elements; hier oben durch £ drückt man die Veränderung der Abhängigkeits- Form der Function aus. Das Letzte kommt übrigens nicht etwa bei den Aufgaben von gröfsten und klein- sten Werthen von Integral-Formeln ausschliefslich, sondern auch schon bei der Untersuchung der sogenannten Bedingungen der Integrabilität vor. Diese Untersuchung dürfte daher auch eigentlich nicht zu der Differential-Rech- nung, wozu sie gewöhnlich gezählt wird, gehören, sondern wesentlich ein Gegenstand der Variations- Rechnung sein. T Lagrange sagt in den Zecons sur le caleul des fonctions, S. 447, nach- dem er für du (oder (£ v)) den obigen Ausdruck (25) entwickelt hat, wörtlich, Folgendes: ,,Man sieht, dafs alle Glieder (dieses Ausdrucks) mit ‚, Ausnahme derer der ersten Reihe, vollständige abgeleitete Functionen (Dif- ‚„‚ferential-Coeffieienten nach x) sind, so, dafs ihre Stammgröfsen (Inte- ‚„‚grale nach x) bekannt und bestimmt sind, welches auch die Gröfse öy „‚(nemlich » er u Be Fe EZ 92 Bere 0, oder d d 93. dr) =—rdy +-r=0. Auch eine solche Gleichung findet für jede der beiden Grenzen Statt. Das dy in (93) ist aber nicht dasjenige in (88), obgleich beide auf die Grenzen sich beziehen. Das gegenwärtige dy bezieht sich auf die durch die Gleichun- gen (89) bestimmte Abhängigkeit der Gröfse y von x in den Grenzen: jenes bezieht sich auf die Abhängigkeit der Gröfßse y von x in dem ganzen E2 36 Creure: Einige Bemerkungen Umfange von u, wie es durch die Gleichung Y,—= 0 bestimmt wird, eben- falls für die Grenzwerthe von x und y genommen. Man mufs also durch irgend ein Zeichen eins vom andern unterscheiden. Die Gröfsen Ir und = r sind nun in den Gleichungen (91 und 93.) [4 ur die nemlichen. Die eine Gleichung giebt 7 = _ = » Die andere d d, iebt Fa EN KA en — , oder ar Bea I Da: 2, r 94. dydz = d(y). Diese Gleichung giebt das durch die Gleichungen für die Grenzen (89) be- dingte Verhältnifs zwischen den Variations-Coefficienten ö(y) und dx, in den Grenzen. Vermöge desselben lassen sich diese Ooefficienten aus (88) wegschaffen, so, dafs die Gleichung dann nur noch y und die Differential- Coefficienten nach x enthält, woraus weiter die dem Maximum oder Mini- mum von u entsprechenden Verhältnisse zwischen x und y, in den Gren- zen, gefunden werden können. Auf solche Weise scheint die Art, wie die Veränderlichkeit der Gren- zen in Beziehung auf x in Rechnung kommt, anschaulicher zu sein, als sie es gewöhnlich ist, wenn man, wie z.B. Lagrange (S.450. der Zecons ete.) thut, zu diesem Zwecke x + ix statt x setzt. 13. Wenn der gegebene Differential- Ausdruck ® nicht blofs eine von x abhängende Gröfse y, sondern mehrere dergleichen z, w....., mit ih- ren Differential-Coefflicienten nach x, enthält, also von der Form 90 DEN, WA Varııe 2,2, A Zune W,AWÄ Were) ist, und man will, dafs das unbekannte Integral u von v», zwischen bestimm- ten Grenzen, ein Gröfstes oder Kleinstes sei: so darf man nur erst wieder, so wie oben y, hier die verschiedenen abhängigen Gröfsen y, 2, w..... als über die Principien der Yariations- Rechnung. 37 Functionen von x und 2, und, wenn verschiedene Grenzwerthe von x und y Statt finden, x als Function von £ betrachten, also setzen: I zer, Ve, zei ER, de Berechnet man darauf, wie oben aus ro) oder dv, du, welches für das Maximum oder Minimum von u Null sein mufs, so wird man für jede der Gröfsen Y, 2, iw..... einen dem (27) ähnlichen Antheil finden. Fafst man dort die Gröfsen unter dem Zeichen = zusammen und drückt sie durch YdY aus, so, dafs in (27), 97. döu=Yr,dy +d(rdy), so wird hier 08, ddu = Y,8Y + Z,23+ WE OW rs +d(röy + Zdz + Wöw en.) sein, wenn die Grenzen fest sind; und wenn x als %t betrachtet wird, so wird noch die Gröfse »dx unter dem Zeichen d hinzukommen, so, dafs 99: don = 7,1 + ZI: WW Win + d(wdc-+Y8y + Zdz+ Wiw.. Ye und 100. ou— Try + 2,85 + WW, !wır...) +vöoc+-ry +Zi3E + Wöw.n... BE WO: LTE aäncn die nemlichen Gröfsen in Beziehung auf z, w..... ausdrücken, welche Y, in (26 oder 43.) in Beziehung auf Y bezeichnet, und Z, W..... die nemliche Gesammtheit von Gröfsen in Beziehung auf 2, Wern.., diein F zusammengefafst wurden. Nun kann man zuerst wieder die Grenzen als fest betrachten. Dann sind die Variationen von x, Y, 3, w....., an den Grenzen, Null. Also fällt die gesammte Gröfse aufserhalb des Integrations- Zeichen in (100) weg; und aus ganz gleichen Betrachtungen, wie ($.6.), folgt, dafs 101. Y,8y+Z,83 + W dw... =0 sein mufs. Diese Gleichung aber zerfällt, weil die Variations- Coefficienten 38 Creuıe: Einige Bemerkungen öy, 82, dw ..... willkürlich bleiben müssen, und also auch von einander unabhängig sind, in die einzelnen Gleichungen 103. 7 a0 ZN N nn welche die Abhängigkeit der Gröfsen y, 2, w..... von x geben, die dem Maximum oder Minimum von z entspricht. Wieder, wie in (8. 6.), folgt, dafs diese Abhängigkeit die nemliche bleibt, wenn auch die Grenzen nicht fest sind, und dafs also in allen Fäl- len die Gleichung (100) fernerhin blofs auf 1103. du =vox+Yroy + Zidz+ Wöwean. sich reducirt; welche Gleichung nun weiter auf die Grenzen bezogen wer- den kann. 14. Auch wenn in dem gegebenen » Functionen nicht blofs von einer, sondern von mehreren unabhängig veränderlichen Gröfsen, wie z.B. 210% 2=0(&,9); wo » und „ unabhängig veränderliche Gröfsen sind, nebst den partiellen : & 5 R d d de de Differential - Coefficienten derselben, wie —2, —2, —2, Zsrece = FE xy vorkommen, kann man, wie sich leicht zeigt, die Unbestimmtheit der Ab- hängigkeit der Gröfsen, wie z, von x und y, dadurch ausdrücken, dafs man eine neue willkürlich Veränderliche t einführt, von welcher x und y als abhängig betrachtet werden, wenn die Grenzen nicht fest sind, so also, dafs man setzt: 105. s=0(@,y,D, z—ıot, y=Yıl. Die Rechnung ist der obigen ähnlich; nur kommt hier eine zwiefache Inte- gration vor. Sie führt zu den bekannten Resultaten, und mag nicht wei- ter ausgeführt werden, um diesen Aufsatz nicht zu schr zu verlängern. Auch mag übergangen werden, wie sich Bedingungs-Gleichungen zwischen den Elementen der Aufgabe durch unbestimmte Multiplicatoren in Rechnung bringen und relative Maxima oder Minima finden lassen u. s. w.; über die Principien der V ariations - Rechnung. 39 desgleichen die Untersuchung der Unterscheidung der Gröfsten oder Rlein- sten, weil die gegenwärtige Vorstellungs-Art daran nichts Wesentliches wei- ter ändert. in, Es war hier nur insbesondere die Absicht, etwas näher auszuführen, wie sich durch Hülfe einer neuen, willkürlich eingeführten, veränderlichen Gröfse t, die am Ende wieder aus der Rechnung verschwindet, die Unbe- stimmtheit der Abhängigkeit der vorkommenden Veränderlichen in den ver- schiedenen Fällen analytisch ausdrücken lasse, was z.B. nöthig ist, wenn man das Maximum oder Minimum eines Integrals sucht, von welchem nur das Differential gegeben ist; zugleich aber, bemerklich zu machen, dafs, eben diese Art des Ausdrucks der Unbestimmtheit von Functions-Formen vielleicht deutlicher und anschaulicher sein möchte, als das sonst gewöhnliche Ver- fahren, und dafs sie geeignet scheine, die Absonderung der Bestimmungs- Gleichungen der Abhängigkeit der Elemente der Aufgabe, wie z.B. in dem obigen, ersten Falle, der Gleichung Y, = aus du=o, vollständiger und genauer zu rechtfertigen, als es meines Wissens gewöhnlich geschieht; so wie auch, die übrigen Schlüsse, die bei dem Gegenstande vorkommen, zu verdeutlichen. Die Einführung der Gröfse 2 läfst sich auch in einzelnen Fällen, wie z.B. bei geometrischen Aufgaben, bequem versinnlichen. Gesetzt, es werde die kürzeste Linie in einer Ebene zwischen bestimmten Grenzen gesucht, mit den Coordinaten x, y: so darf man sich, um die Einführung der Gröfse i zu versinnlichen, statt der gesuchten Linie nur eine krumme Fläche vorstellen, in welcher die gesuchte Linie liegt. Die Gröfse t ist dann die dritte der Coordinaten. Jeder Schnitt, mit der Ebene der x, y parallel, giebt eine andere Curve; also können durch die Gröfse t unzählige, belie- bige Curven vorgestellt werden. Sind die Grenzen fest, so sind x und y für alle £ die nemlichen, und folglich stellen grade Linien, mit der Axe der t parallel, durch welche die vorausgesetzte Fläche gehen mufs, die Grenzen vor. Sind sie nicht fest, sondern selbst Curven, welche durch gegebene 40 Crerve: Eimige Bemerkungen über die Principien u. s. w. Gleichungen zwischen x und y bestimmt werden, so drücken diese Gleichun- gen die Projectionen der Grenz-Curven auf die Ebene der x, y aus. Die Gleichung der gesuchten Linie, die man findet, ist gleichfalls die der Pro- jection derselben auf die Ebene der x, y, und wird also dann zu der gege- benen Grenz - Curve in der verlangten Beziehung stehen. Auch bei der Anwendung der Variations- Rechnung auf die Mechanik, wo es z.B. darauf ankommt, von einander unabhängige Veränderungen der Ausdehnung, der Orts- Veränderung im Raume, und der Zeit auszudrücken, dürfte die Einführung einer neuen veränderlichen Gröfse 2 dazu ganz geeig- net sein; was gelegentlich eine weitere Ausführung erfordert. RC Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen von 38 Doppelsternen. Von r m BE:SS EL. nnnnnmwnawVnVvvYn [Der Akademie der Wissenschaften vorgelegt am 15. August 1833.] Sr Sir Wiliam Herschel bemerkt hat, dafs das häufige Vorkom- men der Doppelsterne mit sehr grofser Wahrscheinlichkeit erwarten läist, dafs ein doppelt oder mehrfach erscheinender Stern ein zusammengehöriges System von zwei oder mehreren 'ternen ist, und nicht etwa, durch zufällig nahe in eine gerade Linie fallend: Stellung der Sterne woraus er besteht, und des Punktes von welchem wir ihı sehen, von der Erde aus so erscheint — “seit der Zeit dieser Bemerkung haben diese Sterne neue Ansprüche auf die Aufmerksamkeit der Astronomen erhalten. Herschel selbst hat die ge- gegenseitige Stellung vieler derselben, in Zwischenzeiten von beträchtlicher Länge beobachtet, und in den wahrgenommenen Änderungen der Entfer- nungen und Positionswinkel die Bestätigung der Wahrscheinlichkeit gefunden. Das wirkliche Zusammengehören der beiden, den 61“ Stern des Schwans zusammensetzenden Sterne, ist dadurch augenscheinlich geworden, dafs die- ses Sternenpaar die gröfste fortschreitende Bewegung, welche man bis jetzt unter den Fixsternen gefunden hat, gemeinschaftlich besitzt; andere Dop- pelsterne haben, während der Dauer ihrer Beobachtungen, schon so grofse Bewegungen um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt gezeigt, dafs man sogar versucht hat, die Elemente ihrer relativen Bahn durch die vorhande- nen Angaben zu bestimmen. — Es tritt nun das Bedürfnifs hervor, Beob- achtungen zu sammeln, aus welchen die gegenseitigen Bewegungen der zu- sammengehörigen Systeme unter den Fixsternen, mit der Zeit, genügend bestimmt werden können. Mathemat. Abhandl. 1833. F 42 Bessen: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen SirJohn Herschel und Sir James South haben grofsen Fleifs auf eine Beobachtungsreihe dieser Art gewandt, und setzen diese Bemühun- gen jetzt mit vollkommneren Instrumenten fort. In der That sind die vor- züglichsten Hülfsmittel erforderlich, wenn man Beobachtungen anstellen will, welche zur Bestimmung von Bahnen führen sollen, welche uns mei- stens nur einige Secunden grofs erscheinen. Wenn man das Mistrauen, mit welchem man bisher die Mikrometer-Beobachtungen betrachtet hat, für rechtmäfsig ansieht, so kann man nicht zweifeln, dafs die für die Doppel- sterne erforderliche Genauigkeit nur durch sehr beträchtliche Verbesserun- gen der Beobachtungsmethoden erlangt werden könne. Wirklich waren diese Methoden, wenn sie die gegenseitige Stellung einander sehr naher Punkte der Himmelskugel betrafen, zurückgeblieben, während sie, für an- dere Seiten der beobachtenden Astronomie, verschiedene Male wesentliche Vervollkommnungen erhalten hatten. Ihr Zurückbleiben war so grofs, dafs die Astronomen allen, auf Mikrometer - Beobachtungen gegründeten Bestim- mungen kein Zutrauen schenkten, und lieber den weitesten Umweg mach- ten, als die Resultate dieser Beobachtungen anwandten; als Beispiel hier- von führe ich die neueren Bemühungen, die Mafsen des Jupiters und Sa- turns zu bestimmen an, welche auf der Beobachtung der durch diese Plane- ten hervorgebrachten Störungen beruhen, ohne dafs das am geradesten und sichersten zum Ziele führende Mittel — die Messungen der Entfernungen ihrer Satelliten — dabei berücksichtigt worden wäre. Wenn man ferner die grofsen Unterschiede betrachtet, welche in den verschiedenen Messun- gen der Durchmesser der Planeten, und in den Angaben für die Doppel- sterne vorkommen, so kann man nicht mehr zweifeln, dafs die Beobach- tungsmethoden selbst das Mistrauen rechtfertigen. Fraunhofer hat indessen wirklich zwei Vorschritte in dieser drin- genden Angelegenheit der Astronomie gethan. Für das Messen in ganz ge- ringen Entfernungen hat er dadurch gesorgt, dafs er seine grofsen und star- ken Fernröhre mit Uhrwerken versehen hat, welche zwischen den zu beob- achtenden Gestirnen und den Fäden des Mikrometers relative Ruhe her- vorbringen und dadurch die, durch die tägliche Bewegung der Erde er- zeugte Schwierigkeit aufheben. Für das gleich genaue Messen in den klein- sten, so wie in gröfseren Entfernungen, bis etwa zu der Grenze eines Gra- des, hat er, auf meinen Wunsch, zum ersten Male, die Verfertigung eines von 38 Doppelsternen. 43 gröfseren Heliometers unternommen, welches, indem es seine, aus- schliefslich auf genaues und vollständiges Messen berechnete Einrichtung, durch die Kraft eines Fernrohrs von 8 Fufs Länge und 6 Zoll Öffnung un- terstützt, die allerbefriedigendsten Resultate nicht nur verhiefs, sondern auch wirklich liefert. Unter den Beobachtungen, welche ich mit diesem Instrumente ge- macht habe, befindet sich auch die Reihe von Messungen der Doppelsterne, welche ich gegenwärtig mittheile. Die Wahl dieser Sterne ist zwischen Herrn Etatsrath Struve und mir verabredet worden; denn wir beabsich- tigten, dieselben Sterne auf unseren beiderseitigen Sternwarten zu beob- achten, um aufser der gewünschten Bestimmung derselben, auch eine Ver- gleichung des Verhaltens der zu den beiderseitigen Beobachtungen ange- wandten Apparate zu erlangen. Damit Keiner von uns durch die Resultate der Anderen gestört werden möge, sind wir übereingekommen, die gegen- seitige Mittheilung derselben erst nach der öffentlichen Bekanntmachung auszuwechseln. Über meine Beobachtungen habe ich, nachdem ich Erläuterungen, welche das Instrument und die Art seiner Anwendung im Allgemeinen be- treffen, bei anderen Gelegenheiten schon gegeben habe, wenig Erklärendes zu sagen. Jede Angabe ist das Mittel aus mehreren Beobachtungen der vierfachen Entfernung der Sterne. Während eine der Objectiv - Hälften (I) des Instruments willkürlich gestellt war, wurde ihr die andere (II) so weit genähert, und das ganze Heliometer so um die Axe des Fernrohrs ge- drehet, dafs die beiden, im Fernrohre erscheinenden Bilder des Doppel- sterus, vier, in gerader Linie und in gleichen Entfernungen liegende, ein- zelne Sterne darstellten. Nachdem die Angaben des Positions-Kreises und der Schraube (II) abgelesen waren, wurde die Objectiv- Hälfte (IL) fortbe- wegt und auch das Heliometer gedrehet, bis die beiden Bilder, die nun vor- einander vorübergegangen waren, wieder so erschienen wie vorher. Die durch die Schraube gemessene Bewegung der Objectiv-Hälfte, durch den Cosinus des halben Unterschiedes der beiden Ablesungen des Positions- Kreises dividirt, ist die vierfache Entfernung der beiden Sterne, in Revolu- tionen der Schraube ausgedrückt; die halbe Summe der beiden Ablesungen des Positionskreises, vom Indexfehler befreiet, ist der Positionswinkel. — Eine Beobachtung dieser Art ist meistens 4 oder 5 Mahl wiederholt worden, F2 44 Besser: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen ehe das Instrument auf einen andern Stern gerichtet wurde. Bei diesen Wiederholungen blieb immer die Objectiv-Hälfte II, durch welche die vor- angegangene Beobachtung gemacht worden war, unverändert auf dem Punkte, auf welchen sie durch diese gekommen war: beide Hälften wurden also ab- wechselnd bewegt, wodurch zwei aufeinanderfolgende Beobachtungen eine gemeinschaftliche Ablesung der Schraube erhielten, und alle zusammen, nach bekannten Formeln, auf die vortheilhafteste Art berechnet werden konnten. — Nur in wenigen Fällen habe ich doppelte Entfernungen, statt vierfacher, gemessen; es ist nur geschehen, wenn die Entfernung der Sterne gröfser war, denn es giebt eine Grenze, wo der bei kleinen Ent- fernungen sehr grofse Vortheil des letzteren Verfahrens, sich in Nachtheil verwandelt und daher das erstere ihm vorgezogen werden mufs. — Die ange- wandte Vergröfserung ist ohne Ausnahme die stärkste vorhandene, von 280 Mahl. Der Positionswinkel ist der Winkel der Richtung von dem helleren Sterne nach dem weniger hellen, mit dem Declinationskreise, von Norden links herum, von 0° bis 360° gezählt; wenn ich keinen Unterschied der Hel- ligkeiten bemerken konnte, kann willkürlich, entweder der angegebene Po- sitionswinkel, oder der um 180° gröfsere oder kleinere genommen werden. 24. n Cassiopeae. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl. Umstände. 1830. Sept.29 | 1830,74 | 10,11 | 87°56 30 0,75 10,04 86 12 gut mittelmäfsig 4 4 — 0,75 10,13 85 47 4 | gut Oct. 2 0,75 10,02 85 45 4 | mittelmäfsig 3 0,75 10,02 | 85 26 | 4 | gut 4 0,76 10,12 | 86 17 | 4 | gut Mitteln. | 1830,75 | 10.073 | s6 1% | 24 | Beobb, ann mn m m — — — — nn > a von 38 Doppelsternen. s6. g Piscium. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl. Umstände. mn mn | mn mn | nd | nn m? 1830. Sept.24 | 1830,73 | 2318 | 63°44 | 4 | gut 29 0,74 23,40 63 42 4 | gut 30 0,75 23,48 64 0 4 | gut Oct. 2 0,75 23.32 64 7 4 | ziemlich 3 0,75 23,24 63 48 4 | gut 15 0,79 23,43 5 mittelmäfßsig 1831. Oct. 14 | 1,78 | 23,48 | 64 7 | A | gut Mitteln | 1830,90 | 23,364 | 63° 55° | 29 | Beobb. Die beiden letzten Beobachtungen sind Messungen der doppelten, nicht der vierfachen Entfernung; wenn diese so grofs ist wie hier, halte ich dieses Verfahren für vortheilhafter. 5. y Anetis. 1830. Sept.24 | 1830,73 879 | A755 | A | ou 29 0,74 9,07 178 34 | 4 | gut 30 0,75 9,04 178 54 | 4 | gut Oct. 2 0,75 9,03 179 33 A ziemlich 3 0,75 8,97 17847 | 4 | gut Dee. 19 0,97 8,93 179 8 4 gut 1831. Oct. 45 1,79 8,87 179 31 4 | gut Mitteln... | 1830,93 | 8.957 | 178 55° | 28 | Beobb. Beide Sterne erschienen mir gleich hell. 113. « Piscium. 1830. Sept.24 | 1830,73 3379 | 331°25 | 4 | gut 29 0,74 3.11 334 5 4 gut Octam2 0,75 3.79 334 4 A ziemlich 3 0,75 3,70 | 332 55 | 4 | gut 15 0,79 3,80 334 5 4 | gut 1831. Oct. 15 1,79 3,80 331 22 | 4 | mittelmäfsig Mittel... | 1830,925 | 3,775 | 332°59 | 24 | Beobb. 46 Bessen: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen 1830. Sept. 29 30 Oct. 2 Mitteleaseceosece 1830. Sept. 29 Oct. 2 1831. Oct. 15 Mitteln... 1830. Oct. 15 Nov. 3 Mittel........... 1830. Oct. 15 Nov. 3 Mitteln sarece. 57. y Andromedae. 1830,74 0,75 0,75 0,75 0,76 0,78 | 1830,755 | 10,552 | Entfernung. ren nn | sn u’ 10.64 10,43 10,64 10,55 10,49 10,56 Positions- Winkel. 62° 50 62 17 62 29 61 26 62 16 62 23 Zahl. Atmospbärische Umstände. gut gut ziemlich gut gut gut 62° a7 | 24 | Beobb. 6. i Trianguli. 1830,74 3.81 sa | A | gut 0,75 3,79 78 38 4 | gut 0,75 3.84 77 15 | 4 | gut 0,75 3,85 17 32 | 4 :\\gut 0,79 3,87 79 22 4 gut 1,79 4,02 78 31 4 mittelmäfsig 1,80 3,96 11259 4 gut ” ’ | | 4831,05 | 3'gr7 | 78° 13 | as | Beobb. 1. Camelopardalı. 1830,79 | 10,45 | 306°35 | 4 | mittelmäfsig 0,80 10,55 | 306 44 | 4 | gut 0,80 10,47 | 306 55 | 4 | gut 0,84 10,40 307 26 5 | mittelmäfsig 0,84 10,56 | 307 20 | 4 | gut 0,89 10,35 | 307 18 | 4 | mittelmäfsig | 1830,83 | 10,461 | 307% | 25 | Beobb. 118. Tauri. 1830,79 | 511 | 195°19 | 3 | mittelmäfsig 0,50 5,10 195 35 | 4 | gut 0,80 5,07 195 541 | 4 | gut 0,84 4.98 195 4 4 mittelmäfsig 0,54 5,23 194 49 4 mittelmäfsig 0,89 5,11 195 16 4 mittelmäfsig | 1830,83 | 5.100 | 195° | 23 | Beobb. von 38 Doppelsternen. 39. A Orionis. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl, Umstände, an u? | mn u | nn | mn nn 1830. Nov. 4 | 1830,84 | 444 | As °e7’| 5 | gut Dec. 5 0,93 4,65 44 25 | 4 | mittelmäfsig 419 0,97 4,54 43 59 4 gut 1831. Jan. 18 1,05 4,52 45 2 | 4 | mittelmäfsig Apr. 11 1,28 4,49 43 A| 4 | gut 12 1,28 4,53 42 48 4 | gut Mittel........... | 1831.05 | 4,525 | 43 so | 25 | Beobb. 50. & Orionis. ” o ’ 1830. Dec. 5 1830,93 2,76 148 20 4 | mittelmäfsig 1831. Apr. 12 1.28 2,68 3 | mittelmäfsig 1832. Febr. 15 2,12 2,70 148 45 5 | ausgezeichnet 47 2,13 2,30 143 12 4 mittelmäfsig Mrz. 11 2,19 21 148 40 5 gut 14 2.20 2,76 149 43 5 ziemlich 28 2,24 2,64 147 42 | 5 | gut Mittel... | 1831,93 | 2,727 | 1ur’s2 | 31 | Beobb. 41. durigae. 1830. Oct. 20 1830,80 8,10 35353 | A gut 21 0,80 8,15 354 14 | 4 | gut Nov. 3 0,84 8,12 353 32 | 4 | mittelmäfsig 4 0,84 8,13 354 22 | 4 | gut 20 0,89 8,20 353 24 4 | ziemlich Dec. 5 0,93 8,18 353 16 4 gut Mittel........... | 1830,85 | 8,156 | 353°47 | 24 | Beobb. 38. Geminorum. 1830. Dec. 5 | 1830,93 | 6,09 | ars 5 | 4 | gut 19 0,97 6,15 172 30 | 4 | gut 1832. Febr. 11 2,14 6,13 172 36 4 gut 26 2,16 6,18 17250 | 4 | ziemlich Mrz. 14 2,20 6,07 172 59 4 mittelmäfsig . 28 2,24 6,18 172 33 | 4 | gut Mitteloseen.eesss | 1831,60 | 6.133 | 172°46 | 24 | Beobb. mL 1 47 48 Bessen: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen 20. Zyncis. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl. Umstände. 1830. Oct. 20 | 1830,30 | 15115 | 253° 6 | 4 | gut 21 0,80 15,02 | 253 17 | 4 | gut Nov. 3 0,84 45,17. REF! 4 | ziemlich 4 0,84 15,06 | 253 38 | 4 | gut 1831. Nov. 2 1,84 15,16 | 253 14 | 4 | ziemlich 18 1,88 15,26 DB2r57 4 mittelmäfsig Mitteln. | 1831,17 | 15,137 | 253°12' | 24 | Beobb. Obgleich beide Sterne sehr nahe gleich hell sind, so erkannte ich doch meistens einen Unterschied, dem gemäfs ich den Positionswinkel ange- setzt habe. 60. « Geminorum. 1830. Mai 24 1830,40 4,77 258 45 3 | mittelmäfsig 25 0,40 4,59 260 27 | 3 | mittelmäfsig 28 0,41 4,76 260 11 | 3 | gut Jun. 10 0,44 41,68 259 27 4 gut Oct. 2 0,75 4,73 260 2 4 gut 1831. Apr. 11 1,28 4,75 258 45 5 gut 2 1,30 4,72 259 56 5 gut Mai 2 1,40 4,72 259 33 A gut 1832. Mrz. 15 | 2,20 4,81 | 257 58 5 | gut t Mittel........... | 1831,06 | 4,730 | 259°23 | 37 | Beobb. Die Beobachtung vom 28“ Mai 1830 ist von Herrn Etatsrath Struve, die vom 15'* März 1832 von Herrn Professor Argelander gemacht. 16. € Canceri, Dieser Stern ist dreifach; den hellsten Stern nenne ich #, den ihm nahen Gefährten Z, den entfernteren C. Für diesen letzteren beziehen sich meine Beobachtungen auf die Mitte zwischen 4 und 2. Ss o>- von 38 Doppelsternen. 1. 4und2. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel, Zahl. Umstände. ” o ’ 1832. Febr. 15 1832,12 1539 28:30 4 gut 17 213 1,23 28 14 4 | gut Mrz. 11 2,19 1,29 32 22 4 | mittelmäfsig 15 2,20 1,25 33220 4 gut 28 2,24 1,410 34 23 4 | ziemlich 31 2,25 1,85 31 28 | 4 | gut ” o ’ Mittel... | 1832,19 | 1,323 | 31 20 24 | Beobb. 2, Mitte 4-BundC. ” o ’ 1832. Febr. 15 1832,12 5,95 154 9 k gut 17 2,13 5,32 1529-7. & gut Mız. 11 2,19 5,56 154 12 4 | mittelmäfsig 15 2,20 5,83 153 54 | 4 | gut 28 2,24 5,87 153 48 4 | ziemlich 31 2,25 5,94 152 41 | 4 | gut Mittelseuseneeies | 1832,19 | 5,878 | 153°24 | 24 | Beobb Hieraus folgt die Bestimmung von C, auf 4 bezogen. | 1832,19 | 5555 ur ra 23. 2& Canceri. 1830. Dec. 5 | 1830,93 #so | 33°43°| 4 | gut 19 0,97 4,87 33 39 4 gut 1831. Apr. 14 1,29 | 4,99 34 8 4 ziemlich 17 | 1,29 Age lag Al ziemlich 21 1,31 4,87 32 30 | 4 | gut 1832. Mrz. 15 2.20 4,90 34 7 4 gut l Mittel... | 1831,33 | 4,892 | 33°32’ | 24 | Beobb. Die Beobachtung vom 15'* März 1832 ist von Herrn Professor Argelander gemacht. Beide Sterne erschienen gleich hell. Mathemat. Abhandl. 1833. G 50 Bessen: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen 24. ıv Canceri. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl. Umstände. em mn | mn un! | mei | sen en 1830. Dec. 5 | 1830,93 61 | 3757| A | gu 19 0,97 6,09 37 56 4 gut 1831. Apr. 14 1,29 6,09 39 12 4 ziemlich 47 1,29 6,12 38 42 4 | ziemlich 1832. Mrz. 15 2,20 6,06 38 37 4 | gut 1833. Jan. 6 3,02 6,13 38.8 5 gut Mittel... | 1831,67 | 6,101 | 38°25 | 25 | Beobb. Die Beobachtung vom 15'* März 1832 ist von Herrn Professor Argelander gemacht. 41. y Leonis. 1830. Mai 29 | 1830,44 2,68 | 10143 | 3 | gut Jun. 6 0,43 2,66 102 20 3 ziemlich 10 0,44 2,61 101 16 4 | ziemlich 11 0,44 2,49 102 29 | 5 | gut Jul. 2 0,50 2,66 102 13 | 5 | ziemlich Oct. 2 0,75 2,65 10158 | 4 | gut 3 0,75 2,64 102 38 4 | gut 1831. Mai 25 1,40 2,69 103 32 | 4 | gut Oct. 25 1,82 | 2,57 | 101 48 | 5 | gut Mitteln... | 1830,80 | 2'621 | 102 37 | Beobb. 53. E Ursae majoris. 1830. Nov. 9 | 1830,86 1.79 | 203°48 | 7 | mittelmäfsig 10 0,86 1,84 202 52 4 ziemlich Dec. 11 0,95 1,55 | 202 23 | 4 | ziemlich 1831. Mai 22 1,39 1.98 198 28 4 | ziemlich 23 1,39 1,94 198 33 5 mittelmäfsig 24 1,39 1,36 200 44 | 4 | ziemlich Mittel... | 1831,08 | 1.363 | 201 32° | 26 | Beobb. von 38 Doppelsternen. 29. y Firginis. | - | Positions- | Atmosphärische Entfernung. Winkel, Zahl. Umstände. mm | m mn | | nn 1830. Jun. 6 | 1830,13 | 1756 | s4°35 | 3 | mittelmäfsig 11 0,44 1,65 82 25 4 | mittelmäfsig 20 0,47 1,55 82 3 5 mitielmäfsig 21 0,47 1,55 s2 42 | 5 | gut 28 0,49 1,64 s22 0 4 mittelmäfsig Dec. 10 0,94 1,55 79 55 4 ziemlich 41 0,94 1,61 82 28 4 ziemlich Mittel... | 1830,59 | 1.586 | s2’10 | 29 | Beobb. 79. & Ursae majoris. ” o ’ 1830. Oct. 12 1830,78 14,58 147 48 4 gut 20 0,50 14,38 | 147 2 | 5 | gut 21 0,80 14,38 147 M 5 |! gut 22 0,81 14,37 146 A4 5 gut 1831. Jun. 4 1,42 14,62 147 24 | 4 | gut Nov. 2 1,84 14,38 447 35 4 | gut Mittelaunuen. | 1831,01 | 14,435 | 447 49 | 27 | Beobb. 29, w Bootis. 4830. Jun. 18 | 1830,46 613 | 9s°ı0 | 4 | gut 19 0,47 6,02 99 23 | 4 | zut 28 0,49 6,12 99 34 4 | gut 1831. Mai 19 1,38 6,24 98 2 4 | ziemlich 22 1,39 6,25 98 15 4 | gut 23 1,39 6,14 99 14 | 4 | gut 24 1,40 6,25 95 17 | 4 | gut Jun. 4 1,42 6,30 99 k mittelmäfsig Mittel... | 1831,05 | 6isı | 98° 49 | 32 | Beobb. 30. & Bootis., 4830. Jun. 18 | 1830,46 | 1,18 | 132°1 | 4 | gut Sept. 4 0,68 4,31 130 38 | 4 | mittelmäfsig Dec. 11 0,95 4,32 132 46 4 ziemlich 1832. Mai 5 2,34 1,33 127 29 5 ziemlich Mittel... | 1831,18 | 1,288 | 130°. | 17 | Beobb. G2 52 Bessen: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen 36 e Bootıis. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl, Umstände. 1830. Jun. 8 | 1830,44 | 2’s6 | 315° 3° | 4 | mittelmäfsig 1831. Mai 14 1537 2,98 314 8 | 4 | gut Oct. 14 1,78 2,98 319 42 | 4 | gut 23 1,81 3,01 317 45 | 6 | ziemlich 29 1,83 2,98 315 24 6 ziemlich Nov. 2 1,54 2,91 314 51 4 | ziemlich Mitteln. | 1831,56 | 2.959 | 316 13 | 28 | Beobb. 37 E Bootis. ie 1831,38 | 732 | 331°23 | 4 | gu 22 1,39 7,23 331 18 | 4 | gut 23 1,39 7,34 331 27 | 4 | gut 24 1,40 7,30 331 10 4 gut Jun. 4 1,42 7,33 330 55 | 4 | gut Mittel. | 1831,40 | 7.304 | 331°15 | 20 | Beobb. 7. £& Coronae Bor. ” o ’ 1830. Jun. 19 1830,47 6,18 3011 6| 4 | gut 20 0,47 6,27 300 8 | 5 | mittelmäfsig 24 0,48 6,13 301 915 | gut 27 0,49 6,11 3011 2 5 gut Oct. 4 0,76 6,19 | 300 20 | 4 | gut 1831. Oct. 15 ZN: 6,20 300 21 | 4 | gut ” o 3 Mittel.........2. | 1830,68 | 6,178 | 300 42 | 27 | Bcobb. 64. « Herculis. 1830. Jun. 28 | 1830,49 wiss | 11848 | 4 | gut Aug. 31 0,66 4,98 4 | gut Sept. 2 0,67 4,96 118 30 5 ausgezeichnet 4 0,68 4,96 119 2 4 mitlelmäfsig 20 0,72 4,98 Alraaııı 5 eu 41831. IJulm21 1,55 5,17 118 59 4 mittelmäfsig Oct. 10 1,77 5,04 | 118 0) 4 | gut Mittel... | 1830,92 | 1994 | 118°34 | 30 | Beobb. von 38 Doppelsterneu. 53 70. p Ophiuchi. I . Positions- Atmospbärische A Entfernung. Winkel, Zahl, Umstände. N — —' Km) | ren u’ 1830. Mai 16 | 1830,37 5.49 | 136° 2° | 2 | mittelmäßig 18 0,38 5,41 134 28 | 2 | mittelmäfsig 24 0,39 5,40 135 38 4 | gut Jun. 6 0,43 5,50 136 33 2 | gut 7 0,43 5,45 136 19 3 ziemlich 8 0,44 5,44 ..| 13557 | 3 | gut 41 0,44 5,48 136 26 4 ziemlich 16 0,46 5,50 135221 |, 52 weit Sept. 2 0,67 5,52 1362 5 ausgezeichnet 20 0,72 5,51 135: 23 4 | gut 1831. Mai 19 1,38 5,62 133-0 4 ziemlich 22 1,39 5,76 133 14 | 4 | gut 23 1,39 5,65 134 10 4 gut 24 1,40 5,69 134 35 4 ziemlich Juli 21 1,55 5,70 134 4 | 5 | gut Oct. 9 1571 5,7 134 2 5 ziemlich 10 447 5,76 133 56 | 4 | gut 1832. Juli 10 2,52 5,68 134-3 | 5 | gut 13 2,53 5,7 133 11 5 | gut Oct. 13 2,78 5,83 132 53 | 5 | gut 18 2,80 5,83 132 36 | 5 | gut 19 2,50 5,90 132 12 | 5 | gut 1830,50 5.474 | 135°49 | 34 | Beobb. Mittelee.en« b | 1831,53 5,679 | 133.57..| 30. | - 1832,69 5,794 | 13259 | 235 | — 100. Herculis. | 1830. Jun. 28 | 1830,49 13,87 | 225 | 4 | gut Aug. 30 0,66 13,99 2 59 4 | gut Sept. 2 0,67 13,92 2 26 4 gut 21 0,72 14,02 Se 4 | gut 28 0,74 14,10 2 28 A gut Oct. 12 0,78 14,03 2 48 4 | gut 1831. Oct. 14 1,78 14,20 2 54 4 | gut 23: ;| 1,81 14,06 | 2 22 | 4 | gut Mittel... | 1830,95 | 14.024 | 2° 40' | 32 | Beobb. Bei einigen Beobachtungen schien der südliche Stern etwas heller zu sein als der nördliche. 54 Besser: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen 4. e Lyrae. Positions- Atmospbärische Entfernung. Winkel, Zahl. Umstände. un jun | mn un | nd | en ne 1530. Aug.30 | 1830,66 | 321 | 24°46 | 4 | gut Sept. 20 0,72 3,36 25 15 | 4 | gut 21 0,72 3,37 24 51 4 | gut 24 0,73 3,23 25 56 4 | mittelmäfsig 28 0,74 3,32 25 36 4 | mittelmäfsig 29 0,74 3,39 24 4 4 | gut Mittel. | 1830,72 | 3'313 | 25 41 | 24 | Beobb. 5. Zyrae. 1830. Aug.30 | 1830,66 | 2is2 | 15017 | 4 | gut Sept. 20 0,72 2,79 156 5 5 mittelmäfsig 21 0,72 2,78 155 52 | 4 | gut 24 0,73 2,32 157 52 4 | mittelmäfsig 28 0,74 2,84 156 7 4 | gut 29 0,74 2,56 156 21 4 | gut Mittel... | 1830,72 | 2's17 | 156° 6 25 | Beobb. 63.9 Serpentis. 1830. Sept.28 | 1830,74 | 21,81 | 103°13 | 4 | mittelmäfsig 29 0,74 21,89 | 103 45 | 4 | gut 30 0,75 21,72 103 42 4 | gut Oct. 2 0,75 21,61 | 103 58 | 4 | mittelmäfsig A 0,76 21,53 | 103 47 | 4 |, mittelmalsig 12 0,78 21,71 5 gut Mittel. | 1830,75 | 21,712 | 103° 41 | 25 | Beobb. Am 12°" October ist die Entfernung doppelt, nicht vierfach, gemessen. von 38 Doppelsternen. 55 6 ß Cygmi. Positions- Atmospbärische Entfernung. Winkel, Zahl, Umstände. 1831. Oct. 14 | 1831,78 | 3452 | 56° 3 | 4 | ziemlich 45 4,79 34,38 55 2 4 | gut 21 1,80 34525: | 5545 | 5 | gut 23 1,81 34,03 55835 5 | mittelmäfsig 29 1,83 34,59 55 30 | 5 | gut Nov. 2 1,84 34,24 | 55 38 5 | gut Mittel... | 1831,81 | 34.327 | 55°38' | 28 | Beobb. Wegen der grofsen Entfernung beider Sterne sind die Messungen doppelt, nicht vierfach, gemacht. Am 23“ October ist am Tage beobachtet wor- den, unter Umständen, welche den Gefährten nicht hell genug erscheinen liefsen. Dieses ist vielleicht die Ursache der stärkeren Abweichung. Ich habe aber, dem Vorsatze, keine der gemachten Messungen auszuschliefsen, getreu, auch diese Beobachtung mit zum mittleren Resultate gezogen. 52. m Jdquilae, 1830. Oct. 20 | 1830,80 1.56 | 123°14 |) 4 | mittelmäfsig wu 0,80 1,62 121 42 4 | ziemlich 21 0,50 1,60 11955 | 4 | gut 22 0,81 1,54 122 8 4 | gut Nov. 3 0,84 1,59 122 48 | 5 | gut 11 0,86 1,58 120 47 | 5 | nt Mittel... | 1830,82 | 1.582 | 12146 | 26 | Beobb. 12. y Delphini. 1830. Sept. 7 | 1830,68 11.90 | 272° | 4 | ziemlich 21 0,72 11,98 | 27327 | 4 | gut 22 012 11,95 | 272 37 | 4 | gut 28 0,74 12,10 | 27243 | 4 | mittelmäfsig 29 0,74 12,02. |.272 22 | 4, |. gut Nov. 3 0,84 12,10 273 33 4 | gut 1831. Oct. 14 1,78 12,06 | 27247 | 4 | gut Mittelenece. | 1830,89 | 12'016 | 272°53 | 28 | Beobb. m 1 1 1 56 Bessen: Beobachtungen der gegenseitigen Stellungen u. s. w. 61. Cygni. Positions- Atmosphärische Entfernung. Winkel. Zahl. Umstände. un u | m un | nn | ’ 1830. Aug.30 | 1830,66 | 15/64 | 90° 0 | 4 | gut Sept. 7 0,68 15571 90 11 4 | gut 19 0,72 15,55 | 90 33 | 5 | gut 21 0,72 15,53 90 39 4 | gut 22 0,72 15,45 | 90 25 | 4 | gut 24 0,73 15,70: | 90 24 | 4 "gut Oct. 12 0,78 15,79 | 90 12 | 4 | gut Nov. 3 0,84 EA Ge] 90 30 5 gut 1831. Oct. 9 Eee 15,56 908 4 | gut Mittel... | 1830,84 | 15'638 | 90 21° | 38 | Beoob. s.ßc ephei. 1830. Sept.21 1830,72 13,61 | 24940 | 5 gut Oct. 20 0,80 13,64 250 55 5 | gut 21 0,80 13,56 | 24952 | 5 | gut Nov. 3 0,84 13,52 249 47 5 gut 4 0,84 13,64 249 30 5 gnt Mittel..e........ | 1830,80 | 13.594 | 249°57 | 25 | Beobb. 55. & dquarü. : Erz Ey 1830. Sept. 7 1830,68 303 354 57 | 4 | gut 19 0,72 3,52 356 57 | 4 | gut 21 0,72 3,48 355 23 | A | ausgezeichnet 2 0,72 3,43 355 23 | 4 | gut 24 0,73 3,49 356 34 4 | gut Oct. 2 0.75 3,56 355 36 4 \ ziemlich 1831. Oct. 10 77. 3,60 354 49 4 | gut 14 1,75 3,59 356 10 |) 4 | gut Mitteln... | 1830,98 | 3,525 | 355° | 32 | Beobb. Obgleich beide Sterne nahe gleich hell sind, so erkannte ich doch meistens den südlichen für den helleren. Verzeichnifs der gegenseitigen Stellungen von 38 Doppelsternen. mn um n Cassiopeae........ Ssssan C Piscium y Andromedaesrereee: Ü Trianguli ı Camelopardali 1138 Tauri. ?* Orionis BLORIOTISEeeR Be entetesune 41 durigae 33 Geminorum SORLMTICIS HR eene 2er Eee & Geminorum Ü Cancri 26 Canecri 1v Cancri y Leonis E Ursae majoris y Firginis Ü Ursae majoris m Bootis p Ophiuchi derselbe derselbe......... LEER 100 Herculis Aquilae Delphini Cygni.. 1830,75 1830,90 1830,93 1830,93 1830,76 1831,05 1830,83 1830,83 1831,05 1831,93 1830,85 1831,60 1831,17 1831,06 1832,19 1832,19 1831,33 1831,67 1830,80 1831,08 1830,59 1831,01 1831,05 1831,18 1831,56 1831,40 1830,68 1830,92 1830,50 1831,53 1832,69 1830,95 1830,72 1830,72 1830,75 1831,81 1830,82 1830,89 1830,84 1830,80 1530,98 Entfernung. ee 10.073 23,364 8,957 3,775 10,552 3.877 10,461 5,100 4,525 2,727 8,156 6,133 15,137 4,730 1,323 5,555 4,892 6,101 2,621 1,863 1,586 14,435 6,181 1,258 2,959 7,304 6,178 4,994 5,474 5,679 5,794 14,024 3,313 26847 21,712 34,327 1,532 12,016 15,638 13,594 3,525 Mathemat. Abhandl. 1833. Positions- Winkel, vun SS uk mm Om m w vonvruunı © a wr 00 Anzahl der Beobb. wa an wu DD [o3 57 De ATuan » “ (pa 1 EZ wa, I r \ PR 2 | Te Era N kt lcd Fa Y° ea Te \ nn en ... \ 14) j E . . M® » x ’ ' or. „ e:r4108 x j i -_. vi . i IC SORR RR Eu ur 2 j ya h wur " % “ 2. KT FE r 4 u T nr = us, 2 h.5 | en ee) y .., Mir i u - 8 (AN . ae wis? ala u Re 1) Dam j j PET RErE LT UT m 2 ee | BE ABER 1Yı 205 Ida feken ae che a i \ i DEE 7 Zr 2 > 1 \ Dr ee Tr e _. * ’ 5 er A“ Örtsentfernung auf der Oberflache des Erdsphäroids . v Von HS POSELEER: mn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. Februar 1833.] Weaerhohtentlich angestellte Untersuchungen des genannten Gegenstan- des haben mich auf eine ihn betreffende Rechnungsmethode geführt, welche sich von den bis jetzt bekannten unterscheidet, und sich auf Integrale grün- det von so einfacher Construction und für die Zahlenrechnung so bequem, dafs ich sie nicht ganz für ungeeignet zu einer Mittheilung erachte. Freilich läfst sich vorhersehen, dafs auf einem von Meistern, wie Legendre, wie Bessel, durchforschten Ährenfelde keine Nachlese zu hal- ten sein werde, deren die Theorie oder selbst die Praxis nicht auch entbeh- ren könnte; erwarten, dafs die auf dem einen und dem andern Wege zu er- langenden Resultate, sehr nahe bei dieselben sein werden, auch dafs der Gewinn etwa für die Mühe des Rechnens, bei den schon bekannten Erleich- terungsmitteln, schwerlich von grofser Bedeutung sein möchte. Dennoch scheint mir der Gegenstand an sich von solchem Interesse, um den Versuch eines noch unbetretenen Weges zum Ziel rechtfertigen zu können. Einen solchen von mir eingeschlagenen Weg will ich nun mit weni- gen Zügen verständlich zu machen suchen. Stellen wir uns eine Kugel vor, welche die innere Seite der elliptisch sphäroidischen Erdoberfläche in einem Punkte, 4, berühre. Durch den Halbmesser derselben im Berührungspunkte, wo er normal auf der Erd- oberfläche steht und daher, nach der Natur eines Ellipsoids durch Umwäl- zung mit der Umdrehaxe in eine Ebene fällt, und durch den nächsten Pol der Erde legen wir eine Ebene, so ist deren Durchschnitt mit der Erdober- fläche der elliptische Erdmeridian des Ortes 4, und der mit der Kugel der H2 60 PoseuLcer: Sy Bogen, welcher das Complement zu einem Quadranten ist, der geographi- schen Breite dieses Ortes, welche wir 8 nennen wollen. Durch die Um- drehungs-Axe der Erde legen wir nun eine zweite Ebene, die mit jener den Winkel » mache, welcher der Längenunterschied sei des 4 von irgend ei- nem andern gegebenen Punkte auf der Erdoberfläche, den wir 4’ nennen wollen. Legen wir nun noch durch den Kugelhalbmesser in 4 eine dritte Ebene, so dafs sie mit jener zweiten den gegebenen Winkel «’ mache, wel- cher das gegebene Azimuth der Ortsentfernung 44, mit dem Meridian in d' sei, so wird der Durchschnitt der zweiten und der dritten Ebene verlän- gert auf dem Erdspäroid den Ort des Punktes 4’ bestimmen, dessen Län- genunterschied von 4 und dessen Azimuth in Beziehung auf 4 gegeben wor- den ist, und dessen Breite @ durch die Construction des Dreiecks auf der berührenden Kugel gegeben wird. Aus dieser Construction ist nun sichtbar, dafs die dem Erdpol gegen- über liegende Basis des Kugeldreiecks und die von 4’ nach 4 zu ziehende Verbindungs-Curve, beide in dem Berührungspunkte 4 zusammen fallen müssen; dafs, wenn wir die Länge dieser Verbindungs- Curve s nennen, das Differenzial-Element ds, welches wir in der Richtung 44 als positiv an- nehmen, in Eins zusammen fallen müsse mit dem Differenzial- Element des berührenden Kreisbogens jenes Kugeldreiecks. Es wird also dieses ds erstens nothwendig denselben Gesetzen unterliegen, welche den sphärischen Bogen von 4 nach 4 in allen seinen Punkten bedingen, zweitens wird, wenn die Verbindungslinie von 4’ nach 4, auf der Erdoberfläche als die kürzeste, geodätische, gedacht wird, jenes ds die Natur der kürzesten Linie an sich tragen müssen. Bestimmen wir nun hiernach einen Ausdruck für dies Bo- gen-Differenzial gemäfs jenen beiden Erfordernissen, so findet sich, dafs die ihn zusammensetzenden Bestandtheile, aufser einem constanten Factor, der Natur und den Daten des sphärischen Dreiecks zugehören, ('!) und dafs er in directem Verhältnisse steht eines Quotienten, dessen Dividend der Krüm- (') Das elliptische Azimuth bei 4 ist offenbar eins mit dem sphärischen; ebenso ist der elliptische und der sphärische Längeunterschied, w, derselbe. Das elliptische Azimuth bei AÄ ist von dem sphärischen nur um eine Grölse zweiter Ordnung unterschieden; in den meisten Fällen dürfte die Reduction des einen auf das andere ohne merklichen Fehler un- terbleiben. Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids. 61 mungshalbmesser ist des Meridians, und der Divisor der Halbmesser des Pa- rallel- Kreises von 4. Es steht nun bei uns dies Verhältnifs entweder so zu bestimmen, wie es die Natur der Kugel erfodert, oder, wie die Natur eines elliptischen Sphä- roids durch Umdrehung. Geschieht ersteres, so wird ds das Differenzial eines gröfsern Kreisbogens; in letzterem Falle stellt es dar das Differenzial einer von 4 nach auf der sphäroidischen Oberfläche gezogenen kürzesten Linie. In diesem Falle erhalten wir folglich die kürzeste Linie s durch In- tegriren des ds von 4 bis 4’, d.h. von @ bis @', von « bis «. Auf diesem Wege aber ergiebt sich für s ein leicht zu findendes Inte- gral aus einem rationalen trigonometrischen Differenzial-Elemente, welches sich in eine nach steigenden Potenzen des Quadrates der Erdeccentricität fortgehende und deshalb sehr schnell convergierende Reihe entwickeln, oder auch durch Zerlegung in Theilbrüche als ein vollständiges von Kreisbogen abhängiges Integral sich darstellen läfst. Da nach der oben angegebenen Construction der sphärische und der sphäroidische Längenunterschied der Orte 4, #', zusammenfallen, so ver- steht es sich von selbst, dafs das Differenzial dieses Unterschiedes für jeden von beiden dasselbe sei, dafs es also nur darauf ankomme in den Ausdruck dafür die Bedingungen zu legen, welche die Natur einer kürzesten Linie überhaupt, und besonders die Natur der Oberfläche, worauf diese gezogen wird, erheischet. Dies geschieht auf analoge Weise, wie vorhin von ds ge- zeigt wurde und wir erhalten auf ähnlichem Wege ein entsprechendes ähn- liches Integral. So bieten sich, zur Lösung aller Aufgaben die Ortsentfernungen auf der Erdoberfläche betreffend, zwei Hauptintegrale dar, beide von der Art, dafs sie sich durch Kreisfunctionen vollständig ergeben, wodurch sie sich wesentlich von den bekannten unterscheiden. Wiewohl ich nun glaube, dafs sich gegen die Folgerichtigkeit der Schlufsreihe, worauf sie gegründet sind, nichts dürfte erinnern lassen, so habe ich doch, wegen ihrer wesentlichen Abweichung von den Formeln, die wir den ersten Meistern in diesem Fache und der Analysis überhaupt verdanken, für nothwendig erachtet, die Rechnung, nach der hier von mir vorgelegten Methode an einem Beispiele durchzuführen. 62 PosEeii@er: Puissant in seiner Topographie S. 321. hat mit sehr grofsem Auf- wande von Mühe ein solches berechnet nach Legendre’s Theorie der kür- zesten Linie. Ich entlehne von ihm als Daten: die dort vorausgesetzte Länge der kürzesten Entfernung zweier Punkte von einander; dann die Breite und das Azimuth eines von beiden. Hieraus berechne ich: 1) die Breite des andern Ortes. Sie findet sich nach den von mir angegebenen Formeln = 47° 54 5}57 nach Puissants: Rechnung... ner 47 54 5,7 Unterschied.....2e..... 0,2 2) das Azimuth aus diesem gesehen. Es ist nach der Berechnungsmethode, die ich hier vorlege = 32° 21’ 5026 Patissantıberechnet ernennen se aa 32 DUNONT Unterschied .erosseoeeaoe 0,56 Zur Probe der von mir geführten Rechnung, und zugleich zur Bewährung der Richtigkeit des zum Grunde gelegten, kehre ich die Aufgabe um, su- chend die kürzeste Entfernung aus der vorhin gefundenen Ortsbreite, und der gegebenen Breite und Azimuth. Hier erhalte ich log s = 1,9536,068 Puissant hat.. log s = 4,9536,234 Die T7ziffrigen Logarithmen unterscheiden sich in den letzten drei Stellen. Dies giebt 5 Metres auf 59571 Metres. Aus eben diesen Daten findet sich der Längenunterschied beider Örter: nach meinen Formeln....... = 39 708 nach Puissants Rechnung = 39 5,5 Unterschied Bogensekunden 1,3 Die Integralformel für die kürzeste Linie ist ihrer Form nach auch dann noch anwendbar, wenn beide Örter in einen Meridian fallen. Hier trifft die kürzeste Entfernung mit dem elliptischen Meridianbogen zusammen. Hier aber hört auch der jenen Formeln zum Grunde gelegte Begriff eines sphärischen Dreiecks, woraus sie abgeleitet sind, völlig auf, und läfst sich daher keine ganz genaue Übereinstimmung zwischen dem Resultat der Me- thode der kürzesten Linie und dem der Rectificirung des elliptischen Bogens Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdspharoids. 63 erworben. Indessen ist doch, in Anwendung auf einen so langen Bogen Oo wie der zwischen Dünkirchen und Barcellona gemessene, an der Winkel- weite: 9° 40'22”, der Unterschied welcher sich mir hiernach ergeben hat, zwischen der Berechnung und der wirklichen Messung nicht gröfser als s9'6 auf 55158/‘, die Exentricität und den Äquatorhalbmesser in beiden Fällen gleichgesetzt. 1, Für zwei auf der Erdoberfläche gegebene Örter: 4’, 4, wovon 4’ der östlicher gelegene, sei die geodätische Linie zwischen beiden = s, ihr sphäroidischer Längenunterschied = w; die geographische Breite des 4', —=f'; die des 4, =; die Azimuthe der s in ihren Endpunkten, = «', «, von dem mittägigen Meridian westlich herumgezählt; die zugehörigen Halbmesser der Parallelkreise, = 2‘, 9; der Meridian - Krümmungs- Halb- messer, = R,R. Aus diesen Annahmen ergiebt sich leicht a) eine Differenzialgleichung für die kürzeste Linie: ds de _ Ra sin « cos x b) hiernach für den sphäroidischen Längenunterschied: du= ga. dß auch c) VER EUREN dß PRERFAR LE Erz 7 ga. : Da nun nach der Natur der kürzesten Linie, allgemein psina = const. = k so erhalten wir k TERRET sın @” ds = . ga . dB. Wir wollen aber das Element ds vom westlichen Endpunkt in 4, nach Westen hin positiv nehmen. . Werde die Oberfläche in / von einer Kugel berührt, und construiren wir mit dem Halbmesser derselben ein spärisches Dreieck, dessen Seiten: PoserLcer: ind, =0°—ß',;, A, = 9° — R; die anliegenden Winkel, = 150° — «', «a; die von 4 bis 4 sich erstreckende Basis, — A. Wir haben dafür die sphärisch trigonometrischen Formeln: a) sin® = sin cosA — cos sin‘ cos « b) sin® =sin® cosA-F cosß sinA cos« tg &’ tg ß R und, gesetzt: tgvV’ — ‚twv= 0 d ‚8 d cos«' ?’ a EL : cos’ cos« . j A a) sin = >. y sin ("— A); ing cosßcos« . b) sind’ = a = (+AR). Aus tg 8° = ze 00 Ki v f folgt sin v’? — tg &’? cos v’? sin v’? — sin £’? ale gm ag sl sın v sın v cos © sin &'? — cos ß” sin « sin v'? =1n]: . tg 2? E und aufähnliche Weise aus: ee = = cose°: v sin 6? : 1 1 — a2 7 c08 ß? sın @” sin v? Es ist aber für das sphärische Dreieck sin«:sina = cosß:cos® mithin sin « cos ß ist konstant in der ganzen Strecke von A bis 4’, also auch sin 2 —_ : konstant sin v wir setzen, damit sin ® jederzeit real werde, die konstante < 1; sin® = sin y sin», y konstant; und eben so: sin = sin y sin v. Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids. 65 6. Setzen wir, für den Fall, dafs der Punkt 4 zusammenfällt mit 7’, in dem Ausdruck für sin ®, in 4., a, A105 so wird, weil dann ® in 2’ übergeht, nn} ’ . cos» cos« . anal nd, cos v N’! 24 . cos cos « . . Es ist ferner — ‚nach5, =sin y, und daher nach 4., 2, Ss v sin ®’ = sin y sin (v+) für jede Distanz von 4 bis 4’. Ist aber 8’ eine gegebne Gröfse, so ist auch v-++A gegeben, mithin: [4 „+? v 1=V— v 7. Aus der in 4. angegebenen Construction, nach welcher das sphärische Dreieck 9° — ß’, 90°—ß, ?, einer das Sphäroid in 4 berührenden Kugel zugehören soll, folgt augenscheinlich, dafs, wenn die Basis sich um eine unendlich kleine Gröfse nach Westen hin erweitert, das Diffe- renzial mit dem der kürzesten Linie ds zusammenfällt. Nun ist für dieses, nach 3. k ® 3 sın «@” ds = ig « dß. In diesem Ausdrucke gehören die Gröfsen A, «, £, dem sphärischen, wie dem sphäroidischen, durch 4 und 4’ gelegten Dreieck an. Es ist also nur nöthig, das Verhältnifs —, der Natur des Erdsphäroids gemäfs zu be- stimmen, um in ds das Differenzial einer kürzesten Linie auf der ellip- tisch-sphäroidischen Erdoberfläche zu erhalten, woraus dann diese Linie selbst durch Integrirung gefunden werden kann. Es ist aber nach 5. SRBE cos y SIDE@ = Das cos © Hiemit combinirt: sin@=siny sinv, und BB _ igv, so kommt: c05 « Mathemat. Abhandl. 1833. I 66 Poseıeerk: cos tge= —— I ; daher: sin y cos v 008% e sinycosv $. Nach der Natur des Sphäroids ist: R=a(1—e) fi —e’sin Br? e =acosß fı—esinß’}* wo a, der Halbmesser des Äquators; e*, das Quadrat der Excentricität, zurückgeführt auf a°, daher a) R er 1—.? e coßli—esin?] Durch Differenziiren kommt aus: sin ® = sin y sin v b) cosßdß= sin y cos vdr. Werden diese Ausdrücke: a, 5, dem Ausdruck für ds in 7. untergelegt, so ergiebt sich: k cos 2 1— .? ds = ® 2] 20 937° dv cos y cos © [1— e* sin £*?] ke) dv 08 yY 1— 2? sin y? sin v? Ist £’ gegeben, so ist k=(!sind= SER 12. UM sin « V(—e? sin 2?) ? und weil ‚ cosy= cos? sin «@', so ist auch Hs al—e?) dv Va—e?sin£?) 1—e? sin y? sinv? Hieraus nun folgt, durch Integriren: I vn al— &?) dv re — ya—e?sinß’” 1— e” sin y? sin v? 9, Nach 2. ist ferner: Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids. 67 = a = sın «& sın @” cos y“ 'du= sds.-—=—- —uwds = I ads & A k cos £? cos y? k(i—e?) dv 7 k(dt— sin y? sin v?) cos y 1— 8? sin y? sin v? dv = 1—£?). EN ERFREUT EBERLE WESTERN WLERBEET cos y( ) (1 — sin y? sinv?) ((—e? sın y? sinv?) daher: 2 dv 5 —— 5 —£").» ELSE TEE KT TEE EN ESEL S U. u cos y(ı ) en y”sinv?) (1 —e* sin y? sin v®) 10. Das Integral I. läfst sich leicht durch Entwickelung in eine Reihe erhal- ten, wegen der Kleinheit von e* für die Erdoberfläche. Setzen wir der — 2 . Kürze wegen Be ee c, entwickeln den Bruch — V(ı-—e’smß’*) 1 — ee’ sin y’ sin v in eine nach steigenden Potenzen von €” sin y” sin v* fortgehende Reihe, und verwandeln die Potenzen von sin v, in cos. der Vielfachen von v, so ergiebt sich, durch Integriren von v bis v’ s=c $A (W—v) — Bsin (V—v) cos (V-+v) + C sin 2 (/— v) cos 2 (v’+v) —etc.} worin 4=1ı++esiny’+-e'siny’ + etc. B= e®siny’+-e'siny’ + etc. C= e'siny’+ etc. eleal- und die Convergenz der Reihe ist so stark, dafs wir ohne merklichen Fehler bei dem dritten Gliede stehen bleiben dürfen. Zerlegen wir statt dessen den Bruch er: in zwei Par- ® .. . pl ze 4 1 1 . 3 tialbrüche, ihn setzend = + lo ya Frreanndan } ,‚ so wird: & [5 FE. ER Basta era = Ze nr v’ {++ ssin Yy sin v’ c sin 2v’] ersiay? ) zur. sin 2v Y(1—e?siny?) cos2v’+e”siny”sinv’? "OT cos2v-+e? siny? sinv? =, ZVG eng?) arctg — 11. Der Bruch in dem Integral II. hinter dem Zeichen f läfst sich in keine zum rechnen brauchbare Reihe entwickeln wegen der zu geringen Con- vergenz der Glieder. Durch Zerlegung aber desselben in Partialbrüche erhalten wir: 12 68 PosEeLGer: sin 2v’ cos s, sin 2 v cos, v—- ar. tg = — I — — ar tg = —— S cos2v +sın y” sın v cos2v + sın y” sın v” sin 2v (1—e? siny?) \ cos2v + e?sin y?sinv? &” cosy sin 2v’ Y(ı—e?siny? — er Bee arctg = VÜ= in) _arcig— 2 yıa—e?siny”) cos2v’+e”’siny”sinv’” 12. Um das Verfahren nach den hier gegebenen Formeln an einem Beispiele zu zeigen und zugleich die Resultate desselben mit denen anderer ge- nauer Methoden zu vergleichen, wählen wir eine geodätische Rechnung, welche Puissant in seiner Topographie page 321. mit grofser Sorgfalt, nach Legendre’s Theorie durchgeführt hat. Gegeben: ........B' = 43°34 51,5 ! a =3251 1,8 loga = 6,5015285 logs = 4,9536234 log e®’ = 7,1779333 log (1—e?) = 9,9974032 Aus diesen Daten berechnen wir: alt—e?) y(— :? sin 2'?) log sin @ = 9,3750094 log a = 6,50145285 log sin £'* = 9, 7500183 log (1— €”) = 9,9974032 log e* = 7,7779333 6,8019317 log €? sin @? = 1,5279521ı | logV(1—e”sin £'?) = 9,9992664 €? sin 0’? — 0,0033725 log c = 6,5026653. 1— e? sin 0’? = 0,996627 log (1—e* sin @’?) = 9,9985329 log V (1—e? sin £’*) — 9,9992664 2)...cosy=cos sin «'; daraus: sin y, und sin &’ = . sin y log sin « =9,7313597 | log sin f’= 9,3750094 log cos’ 9,5205555 | log sin y = 9,9700653 log cos y = 9,5549142 log sin’ = 9,9049441 vv =53°27'29 25. Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids. 69 )voı= x 4 B sin (v’—v) cos (v’+v) ı Csin2 (v—v) cos 2 (v’+v) e +4 vv “ Vv—v Azı =1,00000003= —+ €” siny” —=0,0026123| C =-- €? sin y* =0,0000034 ’ 2 ’ 8 + e’siny’—0,0026123]| ++e* siny’=0,0000136 +C ==0,0000017 ++ —e' siny’ =0,0000102 B ==0,0026259 log C =14,2304459 A = 1,0026225 log B =1,14192782 log 4 = 0,0011374 Wir setzen nun annäherungsweise: N Ss v—_—-v_ 6A log s = 1,9536231 log c = 6,5026653 log 4 = 0,0011374 log cd = 6,5033027 log (Y— v) = 5,1195207, in Theilen des Radius = ı. log arc ı" = 14,6855749 log (’— v) = 3,14642455, in Secunden. V—v = 2912,36 —= 0° As’ 32)36 — 53 27 29,25 v= 52° 33’ 56/89. Mit Hülfe der gefundenen v’ und v berechnen wir die zweite Annäherung nach der obigen vollständigen Formel für v’ — v. vv 0° As’ 32)36 V-$v = 106° 6 26/14 2Vv—v)=ı1 37 47 2(V-+v) = 212 12 52,28 log sin (V — v) = 5,1495049 log sin 2 (W— v) — 3,1508020 log cos (v’ + v) = 9,4431640° log cos 2 (V-+ v) = 9,927.002” log B = 7,4192782 8,3782022” log B sin (Y—v) cos (V/+v) = 5,01224171° log +C = 4,23014s9 log (/ — v) = 8,1498207 2,6086511" 6,8624264° log (/— v) = 8,1498207 num. = — 0,0007284 4,4588304° num. = — 0,0000028 __ Bsin (W—v) cos (vV’+v) + C sin 2 (v— v) cos 2 (v’+v) DZ TEE ET TREE na De en a m . 7 DU y Ve y 70 Also 4 = 1,0026225 . ’ X ’ = IE ED — 0,0007284 v— u EEE 1,0033509 4 C sin 2 (v’—v) c0s 2 (v’+ v) Sur ’ vv — 0,0000028 1,0033481 log = 0,0014516. Es ist also: PoseLGger: log c = 6,8026653 addirt 0,0014516 6,8041169 log s = 1,9536234 log (’—v) = 5,1/95065, in Theilen des log arc ı" = 4,6855719 Radius= ı 3,4639316, in Secunden. v—v— 0° As’ 30/25. v—v —=:0° 48’ 30,25 V=53 27 29,25 v— 52° 38’ 59/00 die Differenz mit der ersten Annäherung noch nicht 2 Secunden. Es läfst sich also dieser Werth von v als genau betrachten. Be ar log sin y log sin v log sin ß Puissant findet: B= tg ß er a, log tg ß log tg v log cos « Puissant berechnet: 13. Gegeben: EN © « ß ...sinysinv=sin® 9,9700653 9,9003351 9,8704004 419 54 5,57 cos «& 0,0440545 I 0,1173710 9,9266835 32° 21’ 50,26 32° 2ı’ 4957. 48° 34 5735 32 51 4,8 KT 5h 547. Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdspharoids. 71 Aus diesen Daten läfst sich s berechnen nach 10. . n sın 2 . = sınv. 1 NEE CE OS ern ) sin y log sin @ = 9,8701006 log sin y = 9,9700653 log sin v = 9,9003353. 2) zu berechnen: ... e* sin y® sin v’”; e? sin y” sin v?. log sin v’ — 9,904944M1seeseseesees.. 10 sin v = 9,9003353 8 s 8 > log sin y = 9,9700653200000000n00n0nnnnnsnnnnennen 959700653 log & = 8,8889666.2unen0n0nnensnensennnnnnne 858889666 8,7639760 8,7593672 log €? sin y” sin v’* = 7,5279520...10g e” sin y” sin v” — 7,5187344 €” sin y” sin V” = 0,0033725....... €” sin y” sin v* = 0,0033016. Mikes san lit ana“) log e sin y = 8,5590329 log €” sin y® = 7,7130638 €” sin y? = 0,0052247 1— €” sin y? — 0,9947753 log (1 — e” sin y?) = 9,9977249 log V (1 —e? sin y?) = 9,9983624. 4) zu berechnen: cos2v +.’ siny?sinv?’; cos2v -+e’siny” sinv”. cos 27 = — 0,2633646 cos 2V =— 0,2909734 € sin y? sin v’—=-+0,0033016 €” siny” sinv’”—=-+0,0033725 — 0,2605630 — 0,2876009 lg (cos2v-He’siny’sinv’)= 9,4159127° lg(cos2V+e’siny’sinv”)—= 9,4587903” 5) Wir berechnen nun: sin 2v’ Y(i—s?siny? in 2» Vi—e? siny? arc.tg = He Vl—esny) —_y; arg — — v YA—e?siny?) - _— — zu. cos 2v’ +? sin y? sin v’? cos 2v + e? sin y? sin v? 712 Posereer: log sin 277’ —=9,9807898e.s02c0ssenerserncn. JO Sin 2v = 9,9843292 log V (1—e” sin y?) —=9,9988624.eon000snanennensersnnonunnensenunenen 959988624 9,9796522 9,9831916 log (cos2v’+e”sin y*sin v’”) = 9,1587903” ...log (cos2v-+E*sin y’sinv”) —9,1159127" log tg u = 0,5208619° eeuseoneneensnueruenunn, JOB tg U = 0,,5672789° 8 I U — — 130 1338,52 aosunenesnensenennn U — 149 50° 43,03 — 74 50 43,03 u—u= 1° 37’ 51 + (W—u) = Deere RS — log c = 6,5026654 re log arc ı" = 1,6855719 4,9521690 log V (1—e” sin y”) = 9,9985621 log s = 1,9536066 48 32,25 — 2912)25. c(wW— u) 2y (1—e? sin y?) — 3,4642237, in Sekunden Puissant hat.... 4,9536234, der Unterschied ist 3” auf sg9srı”. 14. Berechnen wir nun aus denselben Daten (13) den sphäroidischen Län- genunterschied: w, nach der Formel 11. u und z, wie vorhin (13. 5,) geltend, und (4 ww = Art,TiE = 5 cos sin 2v’ cos y 2v’ + sin y? sinv’? sin 2v COS Yy w = are. Tg = ® cos 2v + sin y? sin v? 1)... . . 10g sin V’ —=9,9049444eaeseesenen. lg sin v = 9,9003353 log sin y = 9,9700653.s00200r00000000 0000000 = 959700653 9,8750094 9,8704006 log sin y* sin v’?= 9,7500188.... log sin y” sin v? = 9,7408012 sin y? sin v’? — 0,5624657esse00... SIN Y” sin v? — 0,5506555. Ortsentfernung auf der Oberfläche des Erdsphäroids. 73 2) zu berechnen: cos 2v’ + sin y? sinv’” und cos 2v + sin y? sin v? C08 2V/ = —0,290973heuseonenenensnsenene COS 2V = — 0,2638646 siny’sinv?”—= 0,5624657eroeeneonee., SINY?sinv’—= 0,5506555 cos2V +siny’sinv’= _0,2714923... C082v+siny’sinv’—= _0,2367909 log (cos2V’ +siny’sinv’’)— 943375715" ssnerunnensenunnnerene LOG = 9,4575654. 3) zu berechnen w’ und w. log sin 29 = 9,9807898.ss0eeosesacsecronenee. 108 Sin 2v = 9,9843292 log cos Yy.—.9,5619119 ennisasnnigednkinn denne iger 9,5357040 9,5392434 log (cos2v’+sin y” sin v’*) = 9,1337575... log (cos 2v + sin y” sin v”) = 9,14575651 log tg w' = 0,1019465zuunenes0nsneensssennnn. 108 18 W = 0,0816730 w' = 51° 39’ 50,02 w =350 21 23,28 wW—w = 1° 183 26,74 swW—-w)= 3 13,37. 4) zu berechnen: e? cos Y EU (u — u) VAa—e? sin y?) z ü log e® = 7,17779333 &? cos y 108 a log cos y = 9,5549142 . Faber log + (W— u) = 3,1642237 in Sek. 7,3328475 log V(1—e?’sin y’) = 9,99s8621 en &? cosy 18707, „ 1,3339851 | Yae?sinys) ? (uU) = 612888. 5) Es ist daher: u= —(wW—mw) 49331 2349,5 |. 2.0 3 | 54 50 19,8 4441 9,61-2 29,0 |-2 24,1 | - 2 27,0 » nördlich. 4 | 53 43 33,3 16 42 4111-2 283,4 |— 2 22,1 |—3 25,4 » nördlich. 5 | 52 34 20,6 18 45 25,8|— 2 27,2|—-2 19,4A|-ı 5,0 » nördlich u. südlich. | RE DEAGA2E3 N nn al ana 0a » südlich. 23 5 4 44,1 59 847,61—-5 5,8 |—- 2 36,7 |.+3 20,4 » südlich. 26 | 348 55 37,3 62 15 59,4] — 0 42,9 |— 0 20,0 |+0 2,2 r nördlich. 27.134334. 415520 2 2 00% +0 30,2|+0 138|..... 1 BB 125510 een ee — 1 39,0 | — 0 45,3 | „1. „u | a oe EEE re re) ee +7 36,0 » südlich. 28.1338 26 Sl cn nn —3 52.11 -414153 |. 232% Die letzte Columne ‚‚Comet nördlich oder südlich” findet später ihre Erläuterung. Betrachtet man bei der geraden Aufsteigung die Columne cosdöAAR., welche bei der sehr verschiedenen Declination hier allein entscheiden kann, so zeigt sich während der ersten Periode eine so grofse Übereinstimmung, dafs man über die wahre Gröfse des Fehlers nicht ungewifs sein kann. Eben dasselbe bestätigen auch die Unterschiede der Beobachtungen von Buenos- Ayres, welche sich aus der Vergleichung mit der Ephemeride ergeben, nämlich: cos®A AR. AB. Jun.1. — ı3ı + 135,9 » 5. —120,0 —1 33,9 Im Mittel aus den Capbeobachtungen Jun. 2. bis Jun. 8. und den beiden von Buenos-Ayres (um den möglichen constanten Fehler in der Schätzung des wahren Centrums des Cometen bei einem einzigen Beobachter zu ver- meiden), kann man annehmen in runder Zahl: Jun. 5,9. — 2’ 20” für das cos$ AAR. Wobei der Fehler schwerlich mehr als 5 bis 10” betra- gen dürfte. über den Cometen von Pons. 97 Bei weitem weniger harmonirt die Columne Ad während der ersten Periode Jun. 2. bis Jun. 8. unter sich, und so leicht es sich auch aus der Art der Kreismikrometer-Beobachtungen erklärt, dafs meistentheils die Declina- tionen weniger sicher als die AR. bestimmt werden, wenn man, wozu Herrn Henderson die Umstände gezwungen haben, aus einer und derselben Beob- achtung beides AR. und Declination bestimmen will, so scheint doch die Gröfse der Verschiedenheit allein daraus nicht abgeleitet werden zu können. Wenn man die Hälfte des Winkels, unter welchem die vom Himmelskörper durchlaufene Sehne vom Centrum des Kreises aus erscheint, mit y bezeich- net, so würde wenn alle Umstände sonst gleich wären, der Fehler einer Be- stimmung der geraden Aufsteigung, zu der einer Declination, bei einer und derselben Beobachtung sich verhalten wie 1 :tg y. Es findet sich nun zwar bei den Capbeobachtungen, dafs nicht selten die tg y einen sehr beträcht- lichen Werth bekommt, häufig = 2 ist, manchmal = 3 und selbst = 4. Allein selbst daraus möchten sich die Sprünge nicht erklären lassen, da an jedem Abende mehrere Bestimmungen gemacht sind. Vielleicht dafs etwas indessen der Umstand beiträgt, dafs in der That nicht alles gleich sich verhält, bei der Herleitung der AR. und Declination aus der Beobachtung, und eine Fehlerquelle bei der letzten mehr einwirkt als bei der ersten. Wenn 2 und ?’ die Zeiten des Ein- und Austrittes sind, so findet bei der AR. der Ausdruck £+ t' seine Anwendung, bei der Decli- nation ? — t; nun aber möchte sich wenig dagegen einwenden lassen, dafs bei dem gewöhnlichen Kreismikrometer, man fast immer t zu grofs findet, oder die Zeit des Eintritts zu spät angiebt, besonders bei schwachen Come- ten; und wenn gleich vielleicht nicht ganz so allgemein, doch häufig genug, U zu klein oder den Austritt zu früh ansetzt, gewifs weit seltner zu spät. Hierdurch wird bewirkt dafs in 2+ t’ beide Fehler sich meistens aufheben, in 2 —t dagegen sich summiren, und folglich die Declination einer weit grö- fseren Unsicherheit aussetzen als die AR. Auch ist der Sinn in welchem die- ser Fehler wirkt immer derselbe, wir erhalten aus der Beobachtung eine stets zu kleine Chorde, folglich auch eine stets zu grofse Entfernung des Co- meten vom Centrum des Kreises, so dafs wenn der Comet in dem Theile des Gesichtsfeldes beobachtet wird, der südlich vom Centrum liegt, die Beob- achtung ihn zu südlich giebt, in dem nördlichen Theile dagegen zu nördlich. Diese Ansicht findet in den Capbeobachtungen ihre volle Bestätigung. In Mathemat. Abhandl. 1833. N 98 EncekKe beiden Perioden ist für die Angabe: ‚‚Comet südlich’’ (vom Centrum des Kreises), der negative Fehler am kleinsten oder der positive am gröfsten, im umgekehrten Falle, ‚, Comet nördlich”’, der negative Fehler am gröfsten was mit dem Vorhergehenden vollkommen stimmt. Ich führe dieses nur an um eine Rechtfertigung daraus zu nehmen, wenn ich auch bei den sehr ver- schiedenen Fehlern der Declination in der ersten Periode schlechtweg das Mittel vorziehe, da gerade die Zahl der Cometenstellungen gleich ist, und als den der Wahrheit am nächsten kommenden mittleren Fehler für Jun. 5,9. Ad= — ı 15” . annehme, wobei einigermafsen die Beobachtungen von Buenos-Ayres mit berücksichtigt sind. Es könnte freilich scheinen als hätte ein Übergang aus — in + zwi- schen der ersten und zweiten Periode stattgefunden, und folglich wäre auch der Fehler etwas kleiner zu setzen, allein die eigenen Äufserungen des Herrn Beobachters machen es kaum rathsam die zweite Periode zu berücksichti- gen, besonders da sich noch einige Angaben von Herrn Henderson finden, welche den sehr grofsen Fehler in der Declination am 27“ Juni als in der Beobachtung liegend erkennen lassen, nicht in den Elementen. Bei dem Durchgange durch das Passageinstrument am 27°“ Juni (die erste der hier aufgeführten Beobachtungen) und 28“ Juni, ward das Mittagsfernrohr ge- stellt auf Jun. 27. — 62° is » 28. —635 und für den ersten Tag bemerkt Herr Henderson ausdrücklich, dafs der Comet durch die Mitte des Feldes ging. Am zweiten Tage wird diese Bemer- kung zwar nicht wiederholt, allein da der Ort des Cometen aus seinem Aus- tritt allein geschlossen ward, so mufs er ebenfalls nahe durch die Mitte ge- gangen sein. Vergleicht man aber diese freilich nur genäherten Bestimmun- gen mit der Ephemeride, so findet sich der Unterschied in Declination am . + 0 3878 7 » 28. — 0 25,6. Wäre ein Fehler von 7’ oder 8’ in der Declination wirklich anzunehmen, so müfste am 27“ Juni bei dem Halbmesser des Gesichtsfeldes von etwa 30', über den Cometen von Pons. 99 der Comet den Durchmesser der senkrecht auf seinem scheinbaren Wege stand so getheilt haben, dafs die Abschnitte sich nahe verhielten wie 2:3 oder 3:5. Eine so merkliche Ungleichheit würde auch der blofsen Schätzung nicht entgangen sein. Was aufserdem noch die AR. der letzten Periode be- trifft, so ist das Zeichen und ziemlich nahe auch die Gröfse des Fehlers die- selbe wie in der ersten, so viel sich aus den nicht so gut übereinstimmenden Beobachtungen schliefsen läfst. Ich nehme deshalb vermöge der Capbeobachtungen, mit Berücksich- tigung der Beobachtungen von Buenos-Ayres, als einen neuen wichtigen Normalort an: 1832. Jun. 5,9. Mittl. Par. Zeit. AR. £...... 52° 20’ Ary7 u Mittl. Aegq. und Elemente für Mai 4,0 was sehr nahe mit der Capbeobachtung desselben Tages harmonirt, und werde diesen mit den früheren noch zu verbinden haben. —— UI EI — 2 N 1% — ee hr = Fir +4. ’ N ne H ' ; } I; H til 299 Fin N \ | E 139 5 » Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. Von H”- LEJEUNE -DIRICHLET. mm [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 15. August 1833.] Vs. den von Fermat entdeckten, ohne Beweis überlieferten Eigenschaf- ten der Zahlen ist besonders der Zusammenhang gewisser Formen des ersten und des zweiten Grades merkwürdig, indem die darüber von ihm aufgestell- ten Sätze die hauptsächlichste Veranlassung zu der Ausbildung der Theorie der Zahlen geworden sind. Es scheint eine Eigenthümlichkeit dieses Theils der Mathematik zu sein, dafs darin grofse Fortschritte fast immer durch die Bemühungen hervorgerufen werden, wodurch man sich von der Richtigkeit einzelner auf dem Wege der Induction gefundener Sätze zu überzeugen sucht, während in allen andern Zweigen der Analysis bedeutende Resultate eine Folge neuer Gesichtspunkte zu sein pflegen, auf welche die Erfinder weit seltner durch das Bestreben, zerstreute Sätze zu concentriren, als durch das Bedürfnifs gestellt werden, welches ihnen bei der Behandlung von Fragen fühlbar wird, die den bekannten Mitteln nicht mehr zugänglich sind. In diesem Sinne ist Fermat durch die zahlreichen von ihm gefundenen Sätze der Schöpfer der Theorie der Zahlen geworden, obgleich von seinen Bewei- sen fast gar nichts auf die Nachwelt gekommen ist. Die grofsen Schwie- rigkeiten, womit die Mathematiker zu kämpfen hatten, welche die Fermat- schen Sätze zu beweisen versuchten, haben die zuweilen geäufserte Ver- muthung veranlafst, Fermat könne sich getäuscht haben, als er wieder- holt und ausdrücklich erklärte, dafs er für seine Sätze höchst einfache Be- weise besitze. Ohne auf eine nähere Untersuchung über den Grad der Wahr- scheinlichkeit dieser Vermuthung einzugehn, möchte ich nur darauf aufmerk- sam machen, dafs eine solche Selbsttäuschung bei einem Mathematiker von 102 LEeseune - DiricHLer: Fermat’s unbestreitbarer Tiefe in einem Jahrhundert, welches noch ganz an die Strenge gewöhnt war, die sich die Griechen in arithmetischen Unter- suchungen eben so sehr als in der Geometrie zur Pflicht gemacht hatten, . viel schwerer zu erklären ist als in einer spätern Zeit, wo die Leichtigkeit und Einförmigkeit der neuen analytischen Methoden die Behandlung mathe- matischer Gegenstände zuweilen in einen Mechanismus ausarten liefs, dem man mit der gröfsten Zuversicht folgte, ohne auch nur an die Möglichkeit zu denken, dafs die erhaltenen Resultate irgend einer Beschränkung unter- worfen sein könnten. In jedem Falle ist es für die Wissenschaft ein Vortheil gewesen, dafs Fermat seine Sätze nicht blos als durch Induction gefunden, sondern als mit strengen Beweisen versehen dargestellt hatte, indem es dadurch für die Mathematiker des vorigen Jahrhunderts zu einer Art von Ehrensache wurde, in diesem Punkte nicht hinter einem Vorgänger zurückzubleiben, seit dessen Auftreten alle übrigen Theile der Wissenschaft einen so grofsen Aufschwung genommen hatten. Euler, welcher zuerst nach Fermat seine Aufmerk- samkeit auf die Eigenschaften der Zahlen richtete, beschäftigte sich beson- ders mit dem oben erwähnten Zusammenhang, welcher zwischen Formen des ersten und zweiten Grades stattfindet, und wovon der einfachste Fall in dem Satze ausgesprochen ist, dafs jede Primzahl von der Form Ar +1, d.h. welche bei der Division durch 4 die Einheit zum Reste läfst, die Summe von zwei (Juadraten oder was dasselbe ist, in der Form 2” + u” enthalten ist. Seinen Bemühungen verdanken wir den Beweis des angeführten schönen Satzes und der demselben hinzugefügten Bestimmung, dafs jede Primzahl von der erwähnten Linearform nur auf eine Weise in zwei Quadrate zer- legt werden könne. Ähnlichen Erfolg hatten die unermüdlichen Anstren- gungen dieses grofsen Forschers für mehrere dem genannten verwandte Fermatsche Sätze, deren Anzahl er aufserdem auf dem Wege der Induction bedeutend vermehrte. Lagrange, der sich bald nach Euler mit demselben Gegenstande beschäftigte, wufste der von diesem begonnenen Untersuchung einen neuen eben so einfachen als fruchtbaren Gesichtspunkt abzugewinnen, von wo aus sich bald alles zu einer umfassenden Theorie gestaltete. Das Wesen der von ihm geschaffenen Methode besteht in der Betrachtung der einfachen Diviso- ren der quadratischen Form t” +cu?, in welcher c eine gegebene positive Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 103 oder negative ganze Zahl, 2 und vu aber unbestimmte ganze Zahlen bezeich- nen. Jeder Divisor einer solchen Form ist in einer dreigliedrigen Form ge + 2htu+ ku’ enthalten, deren Coeffhicienten g, 24 und A mit e in der durch die Gleichung gk— h’—= ec ausgedrückten Beziehung stehen (!). Diese Abhängigkeit der Coefficienten, wie sie sich unmittelbar aus der Voraussetzung ergiebt, dafs die eine Form durch die andere numerisch theilbar sei, läfst bei einem be- stimmten Werthe von e unendlich viele Formeu für den Divisor zu. Diese Formen aber sind nicht alle wesentlich von einander verschieden, sondern gehen durch die Einführung anderer unbestimmten Zahlen welche an die Stelle von £und u treten, wobei der Grad ihrer Allgemeinheit ganz ungeändert bleibt, theilweise in einander über und reduciren sich solcherweise auf eine endliche Anzahl von Formen, die nicht nur nicht in einander transformirt werden können, sondern von denen auch keine eine Primzahl enthält, die durch eine der andern dargestellt werden kann. Diese Reduction der drei- gliedrigen Formen oder quadratischen Divisoren auf eine endliche Anzahl we- sentlich von einander verschiedener ist besonders, wenn c eine negative Zahl bedeutet, ein sehr schwieriges Problem, dessen vollständige Lösung die An- wendung einer schon früher von Lagrange bei einem verwandten Gegen- stande gebrauchten Analyse erforderte. Eine weitere Untersuchung der re- dueirten quadratischen Formen zeigte, dafs denselben gewisse Ausdrücke des ersten Grades entsprechen, so dafs jeder in einer quadratischen Form ent- haltenen Primzahl eine der entsprechenden Linearformen zukömmt. Dafs aber umgekehrt jede in einer der Linearformen enthaltene Primzahl eine der entsprechenden quadratischen Formen annehmen könne, geht aus dieser Betrachtungsweise nicht hervor, und es bedarf zum Beweise dieses umge- kehrten Satzes der Nachweisung, dafs eine solche Primzahl wirklich ein Di- visor der Formel 2” +cu? ist. Für die Primzahlen von der Form An +3 liefs sich die Sache ziemlich leicht erledigen, indem von solchen gezeigt wurde, dafs sie immer einer der beiden Formen Te (') Th.des N. nr.138. 3ieme editon. 104 Leseuse - Diricater: aber auch nur einer derselben als Divisoren angehören, woraus folgt, dafs man sich in diesem Falle nur zu überzeugen hat, dafs eine solche Primzahl von den Linearformen für die Divisoren der einen ausgeschlossen ist, um daraus folgern zu können, dafs sie der andern als Divisor angehört. Für die Prim- zahlen der Form An + ı bot die Frage bedeutende Schwierigkeiten dar, die es Lagrange nur in speciellen Fällen zu beseitigen gelang. Ich führe seine eignen Worte über diesen Punkt hier an, die für die Geschichte der Wissen- schaft interessant sind, weil daraus hervorgeht, dafs er den umgekehrten Satz in seinem ganzen Umfang als richtig erkannt hatte, wenn gleich seine Methode zu einer vollständigen Beweisführung nicht ausreichte. ‚Or quoique U’induction paraisse prouver que les nombres premiers des formes qui conviennent aux diviseurs de " Hau’, peuvent toujours @ire effectivement des diviseurs de parels nombres; cette proposilion ne peut Ötre prouvee rigoureusement par rapport aux nombres premiers in-+-1 que pour un res peüt nombre de cas; dw moins toutes les tentatives que j’ai faites pour en venir a bout ont Ele jusqu’a present inutiles; de sorte que je me bornerai ici a rapporter les resultats de mes recherches dans quelques cas particuliers ou j’ai reussi a trouver la demonstration de la proposition dont il s’agit”’ ('). So fehlte also der grofsen Entdeckung von Lagrange noch ein we- sentliches Moment, um die Reihe der von Fermat aufgestellten Sätze zu vervollständigen oder vielmehr ins Unbestimmte zu verlängern. Legendre, der einige Jahre später die Untersuchungen von La- grange wieder aufnahm, zeigte, dafs der eben erwähnte Satz von einem andern abhängig sei, der durch seine Einfachheit und Fruchtbarkeit gleich merkwürdig seitdem unter dem Namen des Reciprocitätsgesetzes berühmt geworden ist. Aber trotz seiner Einfachheit standen doch dem Beweise desselben sehr grofse Schwierigkeiten im Wege, die Legendre durch die scharfsinnigsten Betrachtungen nur theilweise zu heben vermochte, bis end- lich Gaufs in seinen 1801 erschienenen ‚‚disquisitiones arithmeticae” zwei Beweise desselben mittheilte. Spätere Abhandlungen dieses grofsen Mathe- matikers enthalten noch mehrere andere, von denen namentlich zwei, die übrigens von demselben Princip ausgehen, so einfach sind, dafs jetzt sogar (') Memoires de l’Academie de Berlin. Annde 1775. p. 350. Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 105 für die Darstellung dieser Theorie wie sie für ein Elementenbuch pafst, gar nichts mehr zu wünschen bleibt. Auf diese Weise vervollständigt und in gewissem Sinne abgeschlossen, bietet die von Fermat und Euler vorbereitete, von Lagrange in ihrem ganzen Umfang erkannte Theorie der quadratischen Formen und der ent- sprechenden Linearformen der durch sie darstellbaren Zahlen noch meh- rere Fragen dar, von denen ich eine in der Abhandlung, welche ich der Akademie vorzulegen die Ehre habe, zu behandeln versuche. Um den Gegenstand dieser Frage näher zu bezeichnen, ist es nöthig einige specielle Resultate anzugeben, welche aus der Theorie hervorgehen, deren allmählige geschichtliche Entwickelung ich so eben angedeutet habe. Ich werde mich dabei auf den Fall beschränken, wo die vorher c genannte Zahl eine Primzahl ist, weil für diesen Fall die Frage sich in ihrer einfach- sten Gestalt darstellt. Unter dieser Voraussetzung bilden die Linearformen welche den einfachen Divisoren von 2” -++ cu? zukommen, eine oder zwei Gruppen, je nachdem ce mit, seinem Zeichen genommen, bei der Division durch 4 die Einheit negativ oder positiv genommen, zum Reste läfst. Wenn nun im ersteren Falle diesen Linearformen oder im letzteren Falle einer oder jeder der beiden Gruppen derselben, die sich dadurch von einander unterscheiden, dafs die eine nur Primzahlen der Form 42 + ı, die andere nur solche der Form Ar +3 enthält, mehrere quadratische Formen ent- sprechen, so liegt in der erwähnten Theorie eine Unvollständigkeit, indem sie zwar zeigt, dafs eine Primzahl, sobald sie in einer der Linearformen ent- halten ist, nothwendig eine der entsprechenden quadratischen Formen an- nehmen könne, allein durchaus kein Mittel angiebt a priori zu entscheiden, welche der quadratischen Formen ihr zukommt. Läfst man sich von der Analogie leiten, so geräth man leicht auf die Vermuthung, es könne die Ge- sammtheit der Linearformen einer Gruppe der mehrere quadratische For- men entsprechen, in mehrere Unterabtheilungen zerfallen, von denen jede nur einer quadratischen Form angehöre. Allein diese Vermuthung bestätigt sich nicht, denn man findet bald, dafs jede quadratische Form Primzahlen von jeder einzelnen Linearform darstellt. Es erhellt hieraus, dafs die cha- vakteristischen Eigenschaften der einzelnen zu einer Gruppe gehörigen qua- dratischen Formen nicht durch die den Primzahlen, welche sie enthalten, zu- kommenden Linearformen ausgedrückt werden können, sondern nothwendig Mathemat. Abhandl. 1833. (@) 106 Leseune - Diricuter: von einem andern bisher in dieser Theorie nicht vorhandenen Elemente abhängig sein müssen. Eine schon vor mehreren Jahren unternommene Un- tersuchung, deren Gegenstand mit der vorher aufgeworfenen Frage in gar keinem Zusammenhange zu stehen scheint, hat mich auf einige Sätze geführt, welche für einzelne Fälle die charakteristischen Eigenschaften der in den verschiedenen quadratischen Formen enthaltenen Primzahlen kennen lehren, und zugleich den Weg bezeichnen, auf welchem sich die Induction zu allge- meinern Sätzen zu erheben hat. Obgleich die von mir gefundenen Resultate sich nicht auf den Fall beschränken, wo die oben mit ce bezeichnete Zahl eine Primzahl ist, so soll doch dieser Fall, als der einfachere, in dieser Ab- handlung ausschliefslich betrachtet werden ('). g. 1. Wir werden uns häufig eines von Legendre eingeführten Zeichens bedienen, dessen Bedeutung also vor allen Dingen festzustellen ist. Ist p eine ungerade Primzahl und A irgend eine nicht durch p theilbare Zahl, so läfst A 2 den Rest + ı oder — ı bei der Division durch p, und zwar findet du erstere oder letztere bekanntlich statt, je nachdem A quadrati- scher Rest oder Nichtrest von p ist. Diesen Rest +ı nun werden wir mit (.) bezeichnen. Es it nach der Den alnDs dieses Zeichens klar, dafs ( ) (+ —) = ı und dafs (+ ) er N (F > wo / wie k eine nicht durch » dheitee Zahl bezeichnet. Auch folgt. aus bekannten Sätzen (?), dafs I)" ! wenn p von der Form s2 + 1ı, dafs hingegen ( -) =— 1 wenn pin der Legendre durch Form sn &5 enthalten ist. Das Reeiprocitätsgesetz, welches zwischen irgend zwei ungeraden Primzahlen stattfindet (°), läfst sich vermittelst dieses Zei- chens sehr einfach ausdrücken. Denkt man sich nämlich unter k ebenfalls eine ungerade Primzahl, so ist dasselbe in der Gleichung D=+) (‘) Die im Folgenden entwickelte Methode bleibt fast ohne Modification anwendbar, wenn a eine zusammengesetzte Zahl ist. GC) "Th. des N: nr. 150. (?) Th. des N. nr. 166. Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 107 enthalten, in welcher das untere Zeichen zu nehmen ist, wenn die ungeraden Primzahlen beide von der Form 42 -+3 sind, das obere Zeichen dagegen, wenn jede oder auch nur eine die Form 42 +1 hat. Dies vorausgesetzt wenden wir uns zu den in der Einleitung angekündigten Betrachtungen. S.2. Es sei a eine Primzahl der Form sz +1 und p, q zwei andere Prim zahlen von der Form Ar +1, von solcher Beschaffenheit, dafs Er =) =1und C 2) = = ı. Die Zahl p ist vermöge dieser Bedingungen in einem der qua- dratischen Divisoren in -+ 1 (!) von der Formel 2” +au?, und als Primzahl auch nur in einem derselben enthalten (*). Dasselbe gilt von der Zahl g. Wir machen nun die neue Annahme, dafs beide Primzahlen >, q durch den- selben quadratischen Divisor ausgedrückt werden, woraus nach einem be- kannten Satze (°) folgt, dafs das Produkt pq in der Formel 2” + au? selbst enthalten ist. Wir haben also folgende Gleichung Uta” =pg (1) in welcher offenbar die Zahlen t, u keinen gemeinschaftlichen Factor haben. Auch ist klar, dafs von diesen Zahlen die eine gerade, die andere ungerade sein wird. Wir unterscheiden jetzt zwei Fälle, je nachdem p, q, von denen jede bei der Division durch 8 den Rest 1 oder den Rest 5 lassen kann, gleiche oder verschiedene Reste geben. Erster Fall. Die Primzahlen p und z sind entweder beide von der Form sn +1, oder beide von der Form s2 +5, d.h. ihr Produkt pg hat die Form sz +1. Wir wollen bei diesem ersten Falle zwei Unterabtheilungen eintreten lassen, je nachdem 2 oder z ungerade ist. Ist z ungerade, also u gerade, so setze man t=gg'g"..., u= e?hhh”.., wog, g,g"..., h, hl, h”... unge- rade Primzahlen bezeichnen. Die Gleichung (1) giebt unmittelbar: een (') Wir bedienen uns zur Abkürzung dieses Ausdrucks, um einen quadratischen Divisor zu bezeichnen, der keine andern ungeraden Zahlen als solche von der Form 4n + 1 darstellt. () Th.des N. nr. 234. C) . Th. des N. nr. 233. 02 108 Leseune - DiricuLer: und wenn man das Reciprocitätsgesetz anwendet, indem a, p, g Primzahlen der Form 42 + ı sind, Ser Bildet man ähnliche Gleichungen für g', g”... und multiplieirt, so erhält man ( —.. ) —| se ) ( Bee ): Or Eben so folgt aus Gleichung (1) Soll De, Multiplieirt man diese Gleichung mit den ähnlichen für #, h”..., und mit der Gleichung (7, —)} (2 -)= —= 1, die aus = 2 ) folgt, so erhält man O9- © Nimmt man, um zu der andern Unterabtheilung überzugehen, £ gerade, u ungerade an, und setzt = 2*gg'g"..., u=hhih}"...., wog, g', eg". oder M a und A, W, h'... wieder ungerade Primzahlen bezeichnen, so erhält man leicht aus (1) DI und durch Multiplication dieser Gleichung mit den analogen für g', g”.., und mit der aus den über a, p, q, gemachten Voraussetzungen leicht folgenden 2-00: -D6) was mit (2) zusammenfällt. Eben so findet man, dafs die Gleichung (3) ebenfalls stattfindet. Zweiter Fall. Von den Primzahlen p, q hat die eine die Form sr + 1, die andere die Form sn +5, d.h. pgq ist von der Form sn +5. Untersuchungen über die Theorie der quadraüschen Formen. 109 Da a und jedes ungerade Quadrat von der Form sn + ı ist, so folgt aus Gleichung (1), deren zweite Seite die Form sn +5 hat, dafs das auf der ersten Seite vorkommende gerade Glied nicht durch 8 theilbar sein kann. Es ist also diejenige der Zahlen 2, v, welche gerade ist, blos durch 2, nicht aber durch 4 theilbar. Betrachten wir zunächst 2 als ungerade, so haben wir De Beet, UOTE. wo wieder 9, 8), g"., h, ", h”.., ungerade Primzahlen sind. Die Gleichung (1) giebt wieder unmittelbar ee: woraus nach dem Reciprocitätsgesetze folgt: EFF IETERF Dh Diese Gleichung mit den ähnlichen für g', g’..., geltenden multiplieirt giebt t n t era Ähnlicherweise folgt aus (1) =()=6)(D. ad) =. woraus wieder durch Multiplication in die analogen 4, h“..., enthaltenden ( R.BURl once ) ( Ti lese ) 4 p q m Berücksichtigt man nun, dafs, da von den Primzahlen » und y die eine von wie oben Gleichungen der Form sr + ı, die andere von der Form sz + 5 ist, von den Ausdrücken (> —) und Sr der eine den Werth +1, der andere den Werth — ı, und 2 ) G ) den Werth — ı hat, so folgt, wenn man aber- ale ihr Prodliret ( = = mals multiplieirt: Betrachtet man nun jetzt 2 als gerade und setzt 110 Leseune - DikicHLer: rg ya hhihlise, so ergiebt Gleichung (1) mit Anwendung des Reciprocitätsgesetzes (& 6) 2 (& u) (& SE ) \ woraus unter Berücksichtigung dafs (-) —= ı und ) (-) =—ı, Glen le Fafst man das Vorhergehende zusammen, so sieht man, dafs, wenn die Prim- zahlen p und g beide die Form sn + 1, oder beide die Form sn +5 haben, die beiden Gleichungen N ——— — — — y et, — — a pI/\g PI\g stattfinden, dafs hingegen, wenn von diesen Zahlen die eine in der Form sn+1, die andere in der Form sa +5 enthalten ist, entweder gleichzeitig N Be oder gleichzeitig --DH m Hr Man erhält ein einfacheres Resultat, wenn man die zusammengehöri- gen Gleichungen in einander multiplicirt. Es ist nämlich offenbar II) Fee je nachdem p und g bei der Division durch 8 gleiche oder verschiedene Reste geben, oder in blofsen Zeichen ausgedrückt: AIDA er Ebenso erhält man leicht Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 111 8. 3. Kehren wir jetzt zu der Gleichung (1) zurück, so giebt dieselbe un- mittelbar R "= — au? (mod.p), und durch Erhebung zur Potenz Fe = : (= (— AH we (mod. p). Man erhält auf ganz gleiche Weise 9— (= (— a) ur (mod. 9). p—i Setzt man zur Abkürzung a * = e (mod. p), wo e den Werth + ı oder — ı hat, je nachdem a biquadratischer Rest oder Nichtrest von p ist, und eben g—t soa ® = (mod. g), so lassen sich die beiden vorhergehenden Congruen- zen mit folgenden Gleichungen vertauschen, DE DE woraus durch Multiplication und Vergleichung mit (4) folgt: (=) et W (5) Auf der andern Seite erhält man auch leicht aus (1) 1 a—i = Pi®- ac (mod. a). Setzt man zur Abkürzung Pr = d (mod. a), wo wieder d&=+ 1 oder =—1, je nachdem p biquadratischer Rest oder Nichtrest von a ist, und eben so g * =’ (mod. a), so läfst sich die obige t ! ee bringen, woraus sich endlich durch Vergleichung mit (5) folgendes Resul- (6) Congruenz in die Form tat ergiebt. re —— . 112 Leseune - Dikıicater: Erinnert man sich, dafs e, €’, ö, ö’ abgesehen vom Zeichen der Einheit gleich sind, so sieht man gleich, dafs entweder gleichzeitig . =” e=ö und !=d,, oder gleichzeitig RL er Die Gleichung e = ö bedeutet nach Obigem, dafs entweder zugleich « biqua- dratischer Rest von p und » biquadratischer Rest von a ist, oder zugleich a biquadratischer Nichtrest von p und p biquadratischer Nichtrest von a ist. Nennt man ein solches Verhalten der Primzahlen p unda zu einander biqua- dratische Reeiprocität, und das umgekehrte durch die Gleichung e = — ö ausgedrückte Verhältnifs, wenn nämlich von den beiden Primzahlen die eine biquadratischer Rest von der andern ist, während diese biquadratischer Nichtrest von jener ist, biquadratische Nichtreciprocität, so läfst sich das Resultat (6) in folgender Art aussprechen: ‚„, Die Primzahlen p und g stehen entweder beide zu a in biquadratischer Reciproecität oder beide in biquadratischer Nichtreeiproeität.’’ Bedenkt man jetzt, dafs nach den im $. 2. gemachten Voraussetzun- gen, pundg irgend zwei Primzahlen 42 +1 bezeichnen, die durch densel- ben quadratischen Divisor von 2” + au? dargestellt werden können, so ist das eben erhaltene Resultat ganz gleichbedeutend mit folgendem Satze. „‚Bezeichnet a eine Primzahl der Form sr + ı, so haben alle in demsel- ben quadratischen Divisor in +1 von £” +au” enthaltenen Primzahlen entweder zu a ein biquadratisches Reeiprocitätsverhältnifs oder alle das entgegengesetzte Verhältnifs.”’ Es zerfallen also hiernach die quadratischen Divisoren in +1 der Form 2” + au” (wo a eine Primzahl s2 + ı) in zwei Klassen, von denen die eine — wir werden sie in der Folge die erste nennen — aus lauter quadrati- schen Formen besteht, die nur Primzahlen darstellen, welche mit a in bi- quadratischer Reciprocität stehen, während die Formen der zweiten Klasse nur Primzahlen von entgegengesetzter Beschaffenheit ausdrücken. 8. 4. Nehmen wir als Beispiel den Fall woa= ır. Es giebt für diesen Fall folgende zwei quadratische Divisoren 42 +1 (!). (') Th. des N. Tab. IV. Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 113 "rıru, 2° +21049u°. Jeder derselben bildet eine Klasse und man sieht leicht, wenn man besondere Werthe für tund x setzt, z.B. in der ersten Form 2=6, u=1 und in der zweiten £=1, u—=1, wodurch man die Primzahlen 53 und 13 erhält, die respective mit 17 in biquadratischer Reciproeität und Nichtreeiproeität ste- hen, dafs in diesem besondern Falle die erste und zweite Klasse sich respec- tive auf die Formen 2? + ı7u?” und 22° +2t1u + 9u? reduciren. Bemerkt man zugleich, dafs die zweite Form mit 2 multiplieirt, oder 2(22.°-+21u+ 91°) = (2t+u)’+ıru?, d.h. mit der ersten zusammenfällt, so kann man das Resultat einfach so aussprechen: ‚„‚Jede Primzahl von der Form 42 + ı, welche in der Formel 2”-+ 171? aufgeht ('), ist einfach oder doppelt genommen in derselben Form {” +ıru? enthalten, je nachdem sie zu 17 in biquadratiseher Recipro- eität oder Nichtreciprocität steht.”’ In allen diesem Beispiel ähnlichen Fällen, wo nämlich nur zwei qua- dratische Divisoren An + ı vorhanden sind, die alsdann jeder eine Klasse für sich bilden, giebt der obige Satz die charakteristischen Eigenschaften der in jedem derselben enthaltenen Primzahlen. Besteht aber eine Klasse aus zwei oder mehr Formen, so geht aus un- serm Satz nicht hervor, wodurch sich die in einer jeden derselben enthalte- nen Primzahlen von den Primzahlen unterscheiden, welche durch die übri- gen dargestellt werden. Ohne die Behandlung dieser gewifs sehr schwierigen Frage zu ver- suchen, wollen wir in den folgenden $S. blos noch einige Untersuchungen darüber anstellen, wie sich sämmtliche quadratische Divisoren in + ı unter die oben festgestellten zwei Klassen vertheilen. 8... Die Gesammtheit der quadratischen Divisoren von t’+au? (wo a wie vorher eine Primzahl der Form sn+ 1 bezeichnet) läfst sich am übersicht- lichsten darstellen, wenn man jeden Divisor in die Form bringt (‘) Diese doppelte Bedingung ist gleichbedeutend mit der, in einer der Linearformen $8n--1, 9, 13, 21, 25, 33, 49, 53 enthalten zu sein. Tab. IV. Mathemat. Abhandl. 1833. BP 414 Leseuneg - Diricue£r: 2a’ +2ßtu+ryu? wo a, ß, y ungerade positive Zahlen sind, die der Gleichung a =2«y — R? und aufserdem den Ungleichheiten «> @ und y>£ genügen (!). Alle For- men, welche diese Bedingungen erfüllen, sind wesentlich von einander ver- schieden und entsprechen einander vermöge der symmetrischen Art, wie diese Bedingungen « und y enthalten, paarweise wie die folgenden. 2a +2ßıu +yu?, et +2ßtu-r2yu%, die wir conjugirte Divisoren nennen wollen und die offenbar die Eigenschaft haben, dafs jede durch eine von ihnen darstellbare ungerade Zahl doppelt ge- nommen in der andern enthalten ist. Da die erste Form die ungerade Zahl y, und die zweite « ausdrückt, und da «und y nach der Gleichung a=2«y—ß?, in welcher a und 2? von der Form sn + ı sind, entweder beide in der Form An + ı oder beide in der Form Ar +3 enthalten sind, so sieht man, dafs beiden conjugirten Divisoren entweder die Form in -++ı oder die Form 4n-+3 zukommt. Man kann die Frage aufwerfen, ob ein Divisor sich selbst conjugirt sein könne. Die Bedingungen für die Existenz eines solchen Di- visors bestehen nach Obigem darin, dafs sowohl a=2«” — ß* als a>ß sein mufs. Bekanntlich läfst diese Gleichung unendlich viele Auflösungen zu, al- lein man überzeugt sich leicht, dafs nur die in den kleinsten Zahlen ausge- drückte die Bedingung «> erfüllt, während für alle übrigen @>a«a. Es giebt also immer einen und nur einen sich selbst conjugirten Divisor, dem die Form 4n +1 oder An-+3 zukommen wird, je nachdem die durch ihn darstellbare Zahl & von der einen oder der andern dieser Formen ist. & 6. Unter den quadratischen Divisoren Ar +1 der Form 2” + au? befin- det sich immer 2” + au? selbst. Nach der im vorhergehenden $. festgestell- ten Art die quadratischen Divisoren darzustellen, müfsten wir eigentlich da- für die modifieirte Form 2? + 2tu + (a+1)u” einführen; doch behalten wir der Einfachheit wegen in diesem besondern Falle ” + au” bei. Was nun ('!) Th.des N. nr. 217, 218. Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 115 diesen quadratischem Divisor betrifft, so läfst sich leicht zeigen, dafs derselbe immer zur ersten Klasse gehört. Um dies zu beweisen, betrachten wir die Gleichung +a”=p (7) in der p eine Primzahl in +1 bezeichnet. Nimmt man zuerst 2 ungerade und folglich u gerade an, und setzt EN hhh”..., =C) sr D-0). woraus durch Multiplication in die ähnlichen Gleichungen für g', 8, ... Gr >) —=1ı, oder (-) 4, ( h = ) N Ist p en der Form sn -+ 1, so hat man bekanntlich (— I 4 und also auch =ı. Hat aber p die Form sn +5, so folgt aus Gleichung (7), dafs u nur durch die erste Potenz von 2 theilbar ist, a. h. das B =. Auf der andern a hat man bekanntlich in diesem Falle ee ie =—i, oder so kommt Eben so erhält man und hieraus was dasselbe ist =—1. Beide Fälle sind in der Formel (&) =(— yo enthalten, die mit einer frühern Gleichung multiplicirt das Resuliat giebt (+)=-9". © Eine ähnliche Untersuchung des Falls wo 2 gerade und u ungerade ist, er- giebt statt der Gleichungen (8) und (9) die beiden folgenden t t ri u\__ Verbindet man diese Gleichungen und ebenso die beiden Gleichungen (8) und (9) mit einander, so erhält man ein beiden Fällen gemeinschaftliches Resultat 1 116 Leseune - Dıiricater: DD“ i: = (— a) ur (mod. p) OEOe wo wieder e dieselbe Bedeutung wie oben hat. Eben so erhält man Aus (7) folgt leicht oder a—1 t? = BD (mod. a) n (-)=3 Multiplieirt man diese Ausdrücke für (—-) und >) in einander und ver- gleicht mit (10), so ergiebt sich oder =E£, welche Gleichung die aufgestellte Behauptung, dafs die Form t” + au? zur ersten Klasse gehört, rechtfertigt. . 7. Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung der conjugirten Divisoren, um zu untersuchen, wann solche zu derselben und wann sie zu entgegengesetz- ten Klassen gehören. Es seien zu diesem Ende p und g zwei Primzahlen An-+-1, die respective durch zwei einander conjugirte Divisoren dargestellt werden können. Nach der oben bemerkten Eigenschaft solcher Divisoren werden p und 29 demselben Divisor angehören und mithin wird ihr Produkt 2pg in der Form t” +au” enthalten sein. Wir haben daher folgende Gleichung "au? —=2pg (11) in der tund u ungerade sind. Zerlegt man t und z in Primzahlen und setzt DEP on, U=Hlileus, so hat man leicht aus (11) Saale! Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 417 Die Anwendung des Reciprocitätsgesetzes und eines andern bekann- I) a —APZNg2! wo das obere oder untere Zeichen zu nehmen ist, je nachdem g die Form sn + ı oder die Form s2 +5 hat. Multiplieirt man diese Gleichung mit den ten Satzes giebt analogen für g’, g”..., so kommt Dee a/J U —\p/\g wo das obere oder das untere Zeichen gilt, je nachdem sich unter den ein- fachen Faktoren von 2 eine gerade oder ungerade Anzahl von solchen befin- det, die von der Form s2z &5 sind, oder was dasselbe ist, je nachdem 2 die Form sr + ı oder die Form s2&+5 hat. Bemerkt man, dafs s2&ı und 872 & 5 quadrirt respective die Form 162 + ı und 162-+9 annehmen, so läfst sich das doppelte Zeichen durch (— ) ausdrücken und man hat also: Den: Auf ganz ähnliche Weise erhält man aus (11) DlOEluEz: Verbindet man diese Gleichungen durch Multiplication, so kommt: GIOIOE[OTOTE Auf der andern Seite folgt aus (11) 2 . ZiR ZN "=—.au?, und hieraus t ? =(—a) * uw (mod.p), und eben so 3 we TEN ei: =(—a) * u? (mod. g). Pr R Pe ne . NEE Führt man wieder e und € wie oben zur Abkürzung ein, so das a =e A (mod.p), unda * ==e (mod. y), so lassen sich diese Congruenzen wie folgt als Gleichungen schreiben DEIOLDEEEO TOT 118 LeEseunes - DiricHLer: Auch schliefst man leicht aus (11) ae—1 o—1 "z=ıpg, i? zei Pr g° (mod. a). Setzt man wie früher pr =, g* =! (mod. a) und in ähnlichem Sinne IT = o (mod. a) (-) = 802. Substituirt man diesen Ausdruck für (— ) und die Ausdrücke (13) für & ) und e Ji in (12) so kommt 9 ee (— ya so wird die vorige Congruenz g-—ı 1? + u? —n = 8 Zur Vereinfachung dieser Gleichung bemerke man, dafs man zum Exponen- ten die offenbar gerade Zahl Zt 47 — PIZ -_ In — 1 addiren darf. Man hat also auch 1 ua oder, wenn man nach (11), = 2pg — au? substituirt See (—1) ? Een } oder endlich, da ?T =: gerade und u” ungerade ist, Som er (— ya Diese Gleichung, aus welcher folgt, dafs entweder gleichzeitig 88’ = er und g(— Je —N oder gleichzeitig a 8°’ =— er und pg(—1)® =— 1, zeigt, dafs die beiden conjugirten Formen zu derselben oder zu verschiede- nen Klassen gehören, je nachdem g(— 1) 5 ° —4 oder (1) 5 ed, Erinnert man sich, dafs e=+1 oder — ı, je nachdem 2 biquadratischer Rest oder Nichtrest von a ist, so hängt die Entscheidung hauptsächlich da- Untersuchungen über die T’heorie der quadratischen Formen. 119 von ab, ob 2 biquadratischer Rest oder Nichtrest von a ist. Nun gilt aber für jede Primzahl « der Form sr +1 folgender Satz: „Setzt man a=#°+ 1” (wo ı als gerade angenommen ist) so ist 2 biquadratischer Rest oder Nichtrest von a, je nachdem % in der Form für sn oder in der Form sr + 4 enthalten ist.’’ © Vermöge dieses Satzes hat man also g= (— ı)% oder auch, da $ un- BY 2 4 . gerade ist e=(—1) 4. Setzt man diesen Ausdruck und a=#°+WV in das zuletzt erhaltene Resultat, so findet man, dafs conjugirte Formen zu derselben oder zu entgegengesetzten Klassen gehören, je nachdem $+HYW -1 (1) < T=z+rı1,odr=—1ı, ” a Be oder was dasselbe ist, je nachdem mar - gerade oder ungerade ist. Be- merkt man jetzt, dafs -+/ als ungerade Zahl in einer der Formen s2 + ı und s2 #5 enthalten ist, die quadrirt respective in 162 +1 und 162 + 9 übergehen, und substituirt diese suecessive in den Ausdruck en Zi, so gelangt man zu folgendem Satz: „Setzt man a=#’-+V*, so gehören irgend zwei conjugirte Diviso- ren 42 + ı der Form 2” -+au? zu derselben Klasse oder zu entgegen- gesetzten Klassen, je nachdem 9 + % in der Form sn + ı oder in der Form sn +5 enthalten ist.’’ $. 8. Schliefslich wollen wir noch ein Kriterium dafür aufsuchen, ob der sich selbst conjugirte Divisor at’ +2ßtu+r2au? der Form ir + ı oder der Form 4n +3 angehört. In dem Falle wo conju- girte Formen zu verschiedenen Klassen gehören, bietet die Frage nicht die geringste Schwierigkeit dar. Es ist klar, dafs alsdann der sich selbst con- jugirte Divisor die Form 42 +3 haben mufs, indem derselbe, wenn er in der Form 42 +1 enthalten sein sollte, widersprechende Eigenschaften in (') Theoria residuorum biquadraticorum auct. C. F. Gauls. Comment. prima art. 23.1., oder Crelle Journal. Bd. II. pag. 41. 120 LeEeseune-Diricater: sich vereinigen müfste. Wenn aber conjugirte Divisoren in derselben Klasse vereinigt sind, so erfordert die Sache eine besondere Untersuchung. Um für dieselbe einen Ausgangspunkt zu gewinnen, bemerken wir, dafs in jedem Falle nach dem am Ende des $. 5. Gesagten Alles darauf ankommt, ob « in der Gleichung e 2a — N=au. (14) die Form Az +1 oder 4n +3 hat. Setzt man GEBE ans wo 8,8..., h, h‘... ungerade Primzahlen sind, so hat man zunächst Or SINN 8 und hieraus nach bekannten Sätzen (£) — is 1, a wo das obere oder das untere Zeichen gilt, je nachdem g die Form in + ı oder 4n+3 hat. Multiplicirt man alle ähnlichen Gleichungen in einander, [#4 —)=-+ (2) in wo das obere oder das untere Zeichen gilt, je nachdem unter den Primfak- so kommt toren 8, g'... von « sich eine gerade oder ungerade Anzahl in der Form 4n + 3 enthaltener befindet, oder je nachdem « selbst die Form in + ı oder An-+ 3 hat. Nach dem vorher Bemerkten läuft also unsere Frage auf die Bestimmung von (=) hinaus. Kehren wir zur Gleichung (14) zurück, so ergiebt dieselbe auch a 2 h —ı = I — —)=-k )=G) de @)=t% wo das obere oder untere Zeichen gilt, je nachdem 4 in der Form sn +1 oder s2 +5 enthalten ist. Durch Multiplication erhält man wie in frühe- ren ähnlichen Fällen 4 Opa Untersuchungen über die Theorie der quadratischen Formen. 121 Auch folgt leicht aus (14) a—1 a—! a— 1 2 a: =ß: (mod. a), a—1 .— oder wenn man auf beiden Seiten mit 2° * multiplieirt, wie früher? ' i ; 2 (mod. a) setzt und sich erinnert dafs (.) —=1, (2)=:(&). oder für (>) seinen Werth gesetzt, ß?—-ı [64 u Fee —\ = —1i 8 . )=e) Die Substitution von B?=2«”—a aus (14) giebt Grrunz a —1i oder was dasselbe ist, da gerade ist, h 4 Or Dieser Werth für (=) fällt ganz mit dem Ausdruck zusammen, von dem im 8. 7. die Entscheidung abhing, ob conjugirte Divisoren derselben oder verschiedenen Klassen angehören. Wir können also das dort aus der weitern Betrachtung dieses Ausdrucks abgeleitete Kriterium auf unsere jetzige Frage anwenden und erhalten alsdann folgenden neuen Satz. „Setzt man a = 6° + \V°’ (woa eine Primzahl sn + ı), so gehört der sich selbst conjugirte quadratische Divisor von £” +au” der Form ir +1 oder An +3 an, je nachdem $ + in der Form sn + ı oder der Form sn +5 enthalten ist.’ TEE DD Mathemat. Abhandl. 1833. Q 4 Br u: ; ae ee A N 2 u IS x Bi i Rh ah } tet dla Kan 7 EI 5067 . IB Eu Te, > Ravatız we ı it ‘lem -) i 4 er — Ta % Audi . ah A S: deals hy ann np nor nolintitecdor-sill u 2 = ' Een FE 5 E a . Bon ( 2) u » Io Ir . . Err ‚Jeh ahsrag Pen sb „dei sulinzanb nr abo f u j v ae ci c2 26 m far Pam a) ‚ode Äinakı ea wi = Ar 4 Run sie (a4 Be ns er . ul Season teren ud a gm Kiafasin] sin . a us u, ul is Fark wäh ala neh Benni nl aaahbeidgemv SC i ya N Ms EN, Fr Dh DIErT vauııy eannkei, PRUTLN gankuusduraan, \ ee A rel na hie! sahtowäs san) . u © 1, TRETEN ER „ ler 308 “ 2; En oe Ra iniar . ee a EN A heikethslig uriynl6g9 Bo: PL, BEL N 200 I ae) AInGE IT + Wer 6 Mr i j . u Zur a id au . 5 u -_ ar . ne a j . ER... - - j — ; at lıya KyıR v . = . N 12 os ER Ablsh iehmik, . . i ve Über die Anwendung der Analysis auf die Rectification der Curven, die Quadratur der Flächen und die Cubatur der Körper. Von Hm 'DIRKSEN. [Gelesen in der Akedemie der Wissenschaften am 14. Februar 1833.] mnmnmm 8.1. Vorbem erkungen. I» U nter der Anwendung der Analysis auf die Rectification der Cur- ven, die Quadratur der Flächen und die Cubatur der Körper wird hier die analytische Bestimmung der, die Länge der Curven und den Inhalt der Flächen und Körper betreffenden, Beziehungen verstanden. Die Methode (»id. Lagrange, Theorie de fonctions; Lacroix, Traite du caleul differentiel et integral; Cousin, T’raite de caleul dıfferentiel et de calcul integral. ete.), nach welcher diese Gegenstände, in der Regel, behandelt zu werden pflegen, besteht darin, dafs man zunächst die Bezie- hungen für die Differenziale der in Rede stehenden Gröfsen zu ermitteln sucht, und sich dann ferner von diesen, unter der unbedingten Annahme, dafs nur gleiche primitive Functionen, insofern die in ihnen enthaltenen be- liebigen Elemente durch dieselben Bedingungen bestimmt werden, gleichen Differenzialen entsprechen, zu den fraglichen Gröfsen selbst wendet. Betrachtet man diese Methode genauer, so ergibt sich leicht, dafs gegen dieselbe nicht: unerhebliche Austellungen gemacht werden können. Erstlich ist sie, was freilich noch übersehen werden kann, da sie die Haupt- bestimmung nicht unmittelbar auf die fraglichen Gröfsen selbst, sondern auf deren Differenziale richtet, indirect. Zweitens läfst sich die Voraussetzung, dafs nur gleiche primitive Functionen, insofern die in ihnen enthaltenen Q2 124 Dirksen über die Anwendung der A nalysis beliebigen Elemente mittelst derselben Bedingungen bestimmt werden, glei- chen Difierenzialen entsprechen, den allgemeinen analytischen Begriffen nach, nicht ohne Einschränkung festhalten. Es sei, um dieses näher zu zeigen, die Frage nach der primitiven Function von u, die beliebige Constante dahin bestimmt gedacht, dafs die primitive Function Null werde für ce = — 3. Es ist einleuchtend, dafs die Ausdrücke log + (C, und Een log x°”++ D, won eine ganze Zahl bezeichnet, gleichmäfsig den Bedingun- gen einer primitiven Function überhaupt von .- der gewöhnlichen Erklä- rung nach, genügen. Besitmmt man nun die Constanten C und D der vor- geschriebenen Bedingung gemäfs, so erlangt man 5 C=—log—3=—log3+(2m +1) aV—1i und ‚ ; D=-—log —. lg (-)"=— — log3”"=— log. Für die gesuchte primitive Function wird demnach erhalten loge — log3s + (2m +1) #V—1, und n B; — log &”"— logs = log x — log, zn welche beide Ausdrücke schwerlich einerkei sein dürften (!). (') Aus den gefundenen Ausdrücken folgt noch, dals, wenn y= -- die Gleichung einer ebenen Linie ist, und angenommen wird, dals ydx das Differenzial von deren Fläche sei, als- dann für die Fläche selbst, zwischen der Abcisse —3 und x enthalten, sowohl der eine als der andere Ausdruck gegeben werden kann, die unmöglich zugleich richtig sein können. Wenn nun auch der erste schon deshalb unrichtig zu sein scheint, weil er, allgemein gesprochen, imaginär ist; so hat dagegen der zweite ebenfalls seine verdächtige Seite. Da namentlich log 2 = GrEWV.D: Un > V 1+(32) + er welche Gleichung den ee analytischen Ausdruck der Beziehung von Z darstellt. Nimmt man nun ausdrücklich an, dafs von den beiden Grenzpunkten des in Rede stehenden Curven-Stücks M,N der Anfangspunkt M, derje- nige sei, dessen Abcisse x, die kleinere ist; so ist X — x, positiv, und den Regeln des Oalcüls gemäfs, ey er a, welche Gleichung also bereits auf Einer Voraussetzung mehr, als (6) beruht. 6. Da wir den Begriff ‚Länge eines Curven-Stücks’’ genetisch definirt haben, so ist es einleuchtend, dafs hier nur diese Erklärung als Er- kenntnifsgrund derselben in Anspruch genommen werden darf. Betrach- ten wir daher die Gleichung (6) oder (7) etwas näher. Ayı\? AN R j i Da } + ( = :) + (Z -) offenbar nicht < ı sein kann; so wird Z A AN niemals Gr 5 fv.n. Ax+v.n.Ay,+v.n.Az,}, =0 und daher, wie man leicht sieht, nicht unendlich- werdend sein können; vor- ausgesetzt namentlich, dafs das in Rede stehende Curven - Stück in einem end- lichen Raum enthalten sei. Setzt man, zur Abkürzung, in der Gleichung (7), X—x,=h, A: Y h + (Ay)? (A2,)” I —) » 438; Ber -)= L, folglich D= Gib: so hat man Es la ar er er ur 4) — 1) h Pi ne er w—z +): und h h h 2h h 1 — (5 Ri Ari <=) (04. ri) 3h h (n—1)h h (804, + 7. SG + R+i rer Pe a) h h ist: so ist bekanntlich h Da nun = _—— n+1 n n.n +1 f(« + oh h ee +) I . eh )- ho ( eh EN‘ h h Io) =/(®+ nn nit For, nn+i n nn +1)” h * .. . . wo das ne ,‚ als Factor, enthaltende Glied, für jeden Werth von x, mit h=0 verschwindet; und daher —_ nh h JS, (x ee_ h h_,; h ): av, =f(2.+. n-H1/ = ta er ART n.n +1 auf die Recuification der Curven, u.s.w. 133 Bezeichnet nun D den gröfsten Zahlwerth, welchen h h h. 9 (x Hr As) vong=obisg=n— ıundvonn=2bisa=-+ mw erhält, wo also D eine gewisse angebbare Zahl nicht übersteigen wird; so hat man er &; er h h p\ h D iin 2=0 nt et n n.n +1 n-+1 folglich 2 e v.n. AV, x,und 2 z I=6 7 ‚sl rare =o X— x, da ah va Ay 2 Az \2 (Mm) = Sr Bes y . m 3 rl): daher, kraft Lehrs. 1, + 10-6 Ze Yır (Ze) + a. Verbindet man hiermit die Gleichung (7), so kommt 1 A FE AS Daher Lehrsatz 2. Es ist die Länge des ganzen Curven-Stücks M, N gleich der Summen der Längen seiner beiden Theile 7, M, und M, N. Aus diesem Lehrsatze folgt wiederum, dafs, insofern man sich eine Curve nebst einem festen Anfangspunkte M, in derselben gegeben denkt, die Länge eines Stückes M, N derselben eine andere sein wird, je nachdem der zweite Grenzpunkt /V anders angenommen wird. Betrachtet man also die Lage dieses Punktes in der Curve als veränderlich, und bezeichnet man die Abeisse desselben, als solche, mit x; so wird sich die entsprechende Länge als eine Function von x ansehen lassen. Es ist nicht ohne Interesse, diese Function von x zu einer nähern Erörterung zu bringen. Da wir die Curve als gegeben und von der Art voraussetzen, dafs je- dem besondern Werthe der Abcisse x nur ein einziger Curven - Punkt ent- spricht: so wird offenbar der Curven-Punkt selbst bestimmt sein, sobald nur x bestimmt ist. Da ferner die Länge des Stückes M, N eine bestimmte ist, sobald, aufser der Curve selbst, noch die beiden Grenzpunkte M, und N gegeben sind (Lehrs. 1.): so folgt, dafs die in Rede stehende Function von der Art ist, dafs ihre besonderen Werthe für alle besonderen Werthe von x durchgängig bestimmt sein werden, sobald man sich nur, aufser der Curve und dem Punkte M,, die Coordinate x des Punktes N als bestimmt denkt. auf die Rectification der Curven, u.s.w. 135 Bezeichnen ferner x und & + k die Abcissen zweier Curven-Punkte Nund N’; wie auch Z, und Z,,, die Längen der diesen Punkten entsprechen- den Curven-Stücke M,N und M,N’': so hat man, nach Lehrsatz 2. und der Gleichung (7), 2); a TER YTE: L.,—L. IE, ug] + (2) + (Z 3 also Da nun, Lehrs. 1. zufolge, EV H)+ = ist, wo 4 eine gewisse angebbare Gröfse bezeichnet, so hat man offenbar = IL. _ Er 0; A=0 (62 AN ER endlich d.h. es ist, für jeden besondern Werth x von x der Grenzwerth der Func- tion Z. gleich dem Functionswerthe. Verbindet man dieses Ergebnifs mit dem vorigen und dem Begriff ei- ner continuirlichen Function, so erlangt man Lehrsatz 3. Bezeichnet, streng allgemein, Z, die Länge eines, zwi- schen einem gewissen Punkte M7, und irgend einem, als verän- derlich betrachteten Punkt N, dessen Abeisse & ist, enthaltenen, Stückes einer continuirlichen Curve; so bildet Z, eine continuir- liche Function von x. Da die Länge eines Curven-Stücks, dessen Endpunkt der Abeisse x entspricht, nur insofern eine durchgängig bestimmte Function von x bil- det, als man sich zugleich den Anfangspunkt desselben bestimmt denkt; so wird, insofern man sich auch diesen Punkt als veränderlich denkt, die ent- sprechende Länge auch als eine Function von der Abeisse dieses Punktes zu betrachten sein. Bezeichnet man demnach die Abeisse dieses Punktes mit x,+£, wo x, einen gegebenen Werth und £ eine Veränderliche repräsentirt, und die, 136 Dınxsen über die Anwendung der Analysis den Abeissen x, +& und x entsprechende Länge darstellende Function mit Li} ,g: so hat man, kraft des vorhergehenden Lehrsatzes, 0 je RE DR o %ors Dies vorausgesetzt, sei M, irgend ein zwischen M, und N enthaltener Punkt des Curven-Stücks M,N. Bezeichnet man die Abeissen der Punkte M,, M, und N, der Reihe nach, mit x,, x,, X; und die Längen von M,M,, (X) M,N und MN, der Reihe nach, mit 2e); Lx, und + so hat man, dem Vorigen nach, = Ge nn m ER Gr Dyuye 3 wie auch 124 12° = 12 (Lehrs. 2). Verbindet man diese drei Gleichungen mit einander: so kommt Daher: Lehrsatz 4. Bezeichnet x, die Abeisse irgend eines gegebenen, zwischen M,und N enthaltenen, Punktes M, eines gegebenen continuirlichen Curven-Stücks M,N; xz,—E die Abecisse eines veränderlichen zwischen M, und M,, und x, + & die Abcisse eines veränderlichen, zwischen M, und N enthaltenen, Punktes der Curve, wo £ die Ver- änderliche repräsentirt; endlich R., ‚ streng allgemein, die Länge eines Curven-Stücks, von dessen Anfangspunkt die Abeisse x und von dessen Endpunkt die Abecisse v ist: so hat man S. Die bisherigen Ergebnisse haben, rücksichtlich des in Rede ste- henden Problems, völlig allgemeine Gültigkeit. Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung eines mehr ee Falles. Da er in Rede stehende Curven-Stück M,N als durchgängig con- tinuirlich angenommen wird; so werden y und z beziehungsweise, von auf die Rectification der Curven, u. s.w, 137 ser bun =; nee a oen von x bilden. Nehmen wir nun ausdrücklich an, dafs Z- und —- © beziehungsweise, von: x —=xy|bis x =X, möglich und becker bleiben: so hat man, nach dem Taylorschen Lehrsatze, Ays Fr. N == +-Ar. 2% a} Ar (8) Az, = na == dx +A2.Q, wo Axr.P, und Ax.O, für alle Werthe von x und Ax, vermöge welcher x Ax innerhalb der Grenzen x, und X bleibt, mögliche und bestimmte Werthe erhalten, und für Ar = 0 verschwinden. Substituirt man diese For- men in (7), so kommt, nach eben jenem Satze, ()Z= ne 5, VıH& (rap, + AxQ, -+(Aw)?(P2-+Q%) n=ox zna—1 ” ee | Ve 2=0 dx dx dy dz; ne ArP, +, 00; + (PR +93) Sn ee GreRerA]T a Betrachten wir jetzt den Ausdruck dy K—x, am! en (Pi+Qt ) n = Ir rraeP,) + (Era) Pr —ı ArP, + El Ar Q;+ H= Zunächst ist es klar, dafs, da Ax P, und Ar Q, für Ar=o ver- schwinden, Ax— 2 so klein, folglich 2 so grofs gedacht werden kann, dafs der Zahlwerth des Nenners dieses Bruches gröfser, als ı, un, ne y-- also der Zahlwerth des Bruches selbst kleiner, als vn. AxP,+vn.A2xQ,+z(Aa)’(P-+Q:); daher up 2 2 2 vncHeos en, fun. Ar P,+vn.AxrQ,+-z(Axr) (PR +03} sei. Da nun Ax P, für Ax = 0 verschwindet; so kann offenbar r so grofs Mathemat. Abhandl. 1833. S 138 Dinxsen über die Anwendung der Analysis gedacht werden,‘ dafs man, vong=obisge=n— ııhabe. v.n. Ar P, und daher er ei v.nsArP,=0. e=0 Auf dieselbe Weise erhält man n=o !=n—i & Gr. 8, £ es 2=0 L N a Are 2(p:? 2 Gr = ——tmlär) BHQ)=0; mithin, indem man diese sämmtlichen Ergebnisse mit einander verbindet, Gr H= 0. Verbindet man diese Gleichung mit (9), und erwägt dabei, dafs, dem Be- griff eines bestimmten Integrals zufolge, ist: so ae man (10) I= fH@* (& dx welche Gleichung also auf den Voraussetzungen heruht: 1. dafs X — x, positiv sei, 2. dals .. und nz von =x, bis e=X einschliefslich, mög- lich a bestimmt bleiben. 9. Da, den Voraussetzungen unserer Aufgabe zufolge, 7 und z bezie- hungsweise, von 2 —=x, bis = X einschliefslich, continuirlich sind: so werden X und — erweislichermafsen, nur für einzelne, um angebbare Differenzen von einander verschiedene, besondere Werthe von x einer Un- terbrechung der Continuität, und zwar von der Art, fähig sein, dafs ihre Werthe beziehungsweise entweder sprungsweise fortgehn, oder unendlich (was wir hier als einen besondern Fall des Unmöglichen betrachten), oder unbestimmt werden. auf die Rectification der Curven, u.s.w. 139 Da nun die Gleichung (10) auf den Gleichungen (7) und (8) beruht, und die Gleichungen (8) blofs in den beiden letztgenannten Fällen der Dis- continuität unzulässig sind; so folgt, dafs der Richtigkeit der Gleichung (10) nicht durch den. ersten, sondern lediglich durch die beiden letzten Fälle einer Unterbrechung der Continuität Eintrag geschieht. Für solche Fälle wird man sich also an die Gleichung (6) oder (7) unmittelbar zu halten ha- ben, oder auch besondere aufstellen können. | Es sei, um die Begriffe festzustellen, &, ein aesauleter. zwischen x, und X enthaltener, Werth von x, für welchen . und = nicht zugleich möglich und bestimmt bleiben, und es werde angenommen, dafs x, der ein- zige, zwischen x, und X enthaltene Werth dieser Art sei. Alsdann wird, dem Obigen nach; die Gleichung (10) richtig sein von e=x, einschliefslich bis <—=x, ausschliefslich, und von x =, ausschliefslich bis e—= X. Be- zeichnet demnach £ eine positiv-bleibende Veränderliche < x, — x, und X—x,; so hat man, nach dem 4'“ Lehrsatze, (11) AP Ter S@* ()*+ MizTeagre: Diese Gleichung hat das Eigenthümliche, dafs sie, mittelst Bezug- nahme auf den Begriff des Grenzwerths eines bestimmten Integrals, in den, freilich höchst seltenen, Fällen zu dem primitiven Ausdruck der Länge führt, in denen sich der Werth des bestimmten Integrals durch eine primitive Func- tion von dessen Grenzen darstellen läfst. Bezeichnen ferner, unter Festhaltung der obigen Voraussetzung, x r—i und x, ,,' zwei besondere Werthe von x, von denen &,_, zwischen x, und r+1 r—i x, und x, ,, zwischen x, und Xliege; so hat man, nach den Gleichungen (6) und’ (10) und dem 2" Lehrsatze, Die (12) 2 «u ee (e (On un +) +) x, e + fa +) (2) %r +1 2 140 Dıirksen über die Anwendung der Analysis welche Gleichung mit (11) einerlei Strenge, und zugleich das Eigenthüm- liche hat, dafs sie sich unmittelbar zu einer annähernden Berechnung eignet. Es sei, um die Begriffe festzustellen, die Frage nach einem Werthe für Z, der von dem strengen Werthe um weniger, als eine gegebene positive Gröfse « verschieden sei. Angenommen nun, dafs y und z beziehungsweise, von z=a, ,bis@=x,,,, beständig zu-, oder beständig abnehmend fortge- hen, a man offenbar r Ehe X, Mar Ay, en erzapresy und es gilt die Gleichung (12) für alle Werthe von &,_, und x, ,,, wofern nur 2,,,x,seis Danuny, y—Y,'Jund:z;ı,; — 2,2; mit r+l r (8, — x%,_,) verschwinden; so wird man offenbar, unter Erfüllung jener Bedingung, x, _, und x so bestimmen können, dafs man habe KA <-.a rl r+1 Die Werthe x,_, und x, ,, auf diese Weise bestimmt gedacht, hat man r+l ri Y. v.n. dx =@)* er fe) lH) (zZ). < r+1 Denkt man sich nun für die bestimmten Integrale beziehungsweise Werthe J, uud J,,, ermittelt, ‚die von den. strengen Werthen ebenfalls um weniger, ‚als. 4 « , seien, wozu bekanntlich Methoden vorhanden sind: so wird offenbar die Gröfse J,,+J., einen Werth bilden, der von Z um weniger, als « verschieden ist. Was endlich den Fall betrifft, wo. mehrere zwischen x, und X ent- haltene besondere Werthe von x vorhanden sind, für, welche rücksichtlich ı ; = eine Auflösung der Continuität von der in,‚Rede stehenden Art stattfindet; so ist leicht zu übersehen, dafs sich die Erledigung desselben, vermöge des 2" Lehrsatzes, auf eine wiederholte Anwendung der hier auf- gestellten Gleichungen zurückführen läfst. 10. Die hier ermittelten Resultate haben allgemeine Gültigkeit, es sei, dafs das Curven-Stück von doppelter oder von einfacher Krümmung sei. Für den besonderen: Fall einer ebenen Curve sind indefs die betref- fenden Gleichungen einer nicht unerbeblichen Vereinfachung fähig. Nimmt auf die Rectification der Curven, us s.w. 141 man namentlich, in einem solchen, die Coordinäten-Ebene x, y, mit der Ebene der Curve parallel; so hat man 3 = Const.; Az dz also —— —=:0 und —_ — 0% 2 dx, Ar -Substituirt man diese Werthe’in (6), (7), (10), (11) und (12), 'so'er- langt man, der Reihe nach, (13) Z=Grv.n. Kyle) !=0 (14) m Gr u = al) (15) fa VCH (16) Gr Sy) au fee) ori & HN) Z= x V:+(2) +6 Are Er z 5 S"Yı+(2e)’ 7 x N \; 0 „X hen V: +(Z). % r+i1 g. II. Über die Quadratur krummlinig begrenzter Ebenen. 11. Definition. Unter der Quadratur einer krummlinig begrenzten Ebene, wird hier die Bestimmung des geometrischen Verhältnisses verstan- den, in welchem die Gröfse derselben zu der Gröfse eines Quadrats steht, dessen Seite der Längen -Einheit gleich ist; und es ist dies Verhältnifs selbst, was hier der Inhalt der krummlinig begrenzten Fläche heifsen soll. 142 Dıinxsens über die Anwendung,der: Analysis Die, aus.dieser. Definition entspringende, ee aha läfst sich fol- gendermafsen fassen. Es seien, in einerlei Ebene, eine liege enzte Bed e* eine Curve B und in dieser zwei feste Punkte M, ünd N gegeben; das zwischen M, und N enthaltene Curven-Stück sei durchgängig eontinuirlich, und überdies von der Art, dafs es von jeder, durch 4 gelegten unbegrenzten Senkrechten nicht in mehr: alg Einem Punkt geschnitten werde. /Denkt:man sich nun: von. M, und N auf die Gerade 4 Perpendikel gefällt, dieselbe beziehüngsweise.in P, und Q schneidend: so entsteht die Frage nach dem Inhalt der, von den Geraden M,P,, P,Q, QN und dem Curven- Stück M, N begrenzten, Ebene. | Zum Behuf der Lösung dieser Aufgabe, denke man sich das Stück P,Q der Geraden 4 in n gleiche Theile PPRIPDPIPREN PR PP LUD eine auf 4.Senkrechte gelegt, das Curven-Stück M,N in den Punkten M.)-M,, 9,10, 95 Mosel M. n—1 schneidend, wie auch, streng allgemein, durch M, und M,,, mit # parallele Geraden gelegt, von denen erstere die Gerade P,,,M tere die Gerade P,M, in m; schneide. (N ‘ Nimmt man nun a ücklich an, dafs die Längen der Corner PM, PM, PM PM. RM, Pau Mu PM. QN, in m,,,, und letz- +1 +1 die Entfernungen der N Punkte des Curven-Stücks von der Ge- raden 4 darstellend, von M, bis N einschliefslich, entweder beständig zu- oder beständig abnehmend fortgehen, so ist axiomatisch, streng allgemein, 1. wenn jene Entfernungen wachsend fortlaufen, OP,P.,m‘,M, = BR M,,M,, DP,P,.M,,m, >P,P,,M,,M.: 2. wenn jene Feng ae fortgehen, Pe Bleas Ras Mr if Ra Maas Mars DP,P M ss B Ma +1 +1 +1 auf die Rectification der Curven, u.s.w. 143 und zwar von g—0 bis g=n — ı einschliefslich,;; wie klein auch ?, ?,,, Q . Der — ?ı?, also wie grofs auch rn gedacht werde. Demnach hat man für Be ’ beide Fälle, " BP SU EM New 12.2 Bu, und zugleich vel. 0? = M sn.- Erwägt man:nun, dafs man hat, insofern man den Inhalt eines Qua- drats, dessen Seite = ı ist, als Flächen - Einheit annimmt, PC OP,PumuM,=P ‚PuxP,m, =28p,M,, IDP,P Mm PP iX Ps Ma EP e+ + +1 n +1 "SP, P..M,..M,=F,QNM,, g=0.- +1 +1 so erlangt man, indem man der Bequemlichkeit wegen, P,QNM, mit F, bezeichnet, t=n— F vel> vel< 5 AR.p,Mm, (1) Jund zugleich zn—i ver vel> 5 u und zwar, wie grofs auch z gedacht FEN Dies vorausgesetzt, betrachte man die Gerade 4 als die Achse der x eines, in derselben Ebene befindlichen normalen Systems von Coordinaten- Achsen der x und y, und bezeichne die Abeissen der beiden Grenzpunkte des Curven-Stücks mit x, und X. Da alsdann die Achse der y mit der Geraden P,M, parallel sein wird: so hat man, indem man die Ordinate des Punktes m, ‚ streng allgemein, mit 5, bezeichnet, P,O0 TR IA) FM, =D: j Verbindet man diese Gleichung mit der Ungleichheit (1), so kommt eh Fve>ve< S var ae (2) und zugleich Pr ee v.n. = ey 2=0 n und zwar wie grofs auch n gedacht werde. 444 Dinksen über die Anwendung der Analysis Betrachten wir jetzt den Ausdruck zn—A X—X0 t=n—1 X—x0 5 Yan — UN = vn. ——- ven. Hy ? 1 8 Bekanntlich hat man Ya): FAy; wo, weil das Curven-Stück durchgängig continuirlich ist, Ay, für Ar =o verschwindet: folglich | VDE op = VD. Y, EV.n. Ay, wo das obere, oder untere Zeichen gilt, je nachdem v.n. y,, vong=o bis ge=n— 1, zu- oder abnehmend fortgeht; und daher e=n—1 zu 2 05 vb. ray Ay,. on n {e} Da nun, wie schon bemerkt, Ay, mit Ar — verschwindet, so wird für x ein Werth r denkbar, so, dafs man habe, vonz=r, bs n=x, X—- n v.n.Ay,„ n ferner, da W’ den kleinsten Winkel bezeichnet, den die, a die Flä- chen - Punkte ce: ra a Ferz.,) und. (er, 25"); gelekte Ebene mit der Coordinaten-Ebene x, y— und W;' den Kensten Winkel, den die, durch die Flächen - Punkte (x, .,, 9, 2.5), (u Ver 2659), e+1 (X, Yırı, 3°"), gelegte Ebene mit derselben Coordinaten-Ebene bildet, einem bekannten Satze nach, 298 BR mi „2 „22 (6) nn )- Ge e- cs Wei’ — Aus der Verbindung von (4), (5), (6) erlangt man DEE En el)‘ go go +{+(@ eu: (@ ee al welche Gleichung sich aber, ihrer Allgemeinheit unbeschadet, vereinfachen läfst. Dem Öbigen nach hat man namentlich 152 Dırnksen über die Anwendung der Analysis A,2C HA, 20. + A,A, 3 eo , 2 A,a0), =A, 20 + A,L, ze: 2 +1 [2 daher {: -[ I) + (2 zn), N = (2 E + Hl 22T) 2A,2$’). A,A, 2%’ en, A,A, 2’ ’ ur u EN BARE P e, Sat l(AA (5 Ton) u (Ax)” (Ar)* +( ” (Ax) + Te A,21” Austern en al + EI Ir = AA, FR A,2 A820) per) ( 1 ne 1 ) me, ar COE} TG =) 2 A,z't” +3 + ( en Pan insofern man den Zähler des Bruchs mit N ee Da nun, dem Taylorschen Satze nach, A,20) — Ax.V (x,-HAA, y)) A229 =Ay.Yy,(&,,y, tur), A A,2. EN Y,(a, + (Ar, + 9”Ay) ist, wo Ax.ı, (x,+9Ax, 3. +9'Ay) für Ax — 0, ‚und Ay.Y,(a,rN Ar, Y,+9'Ay) für Ay = 0 verschwindet: so folgt, dafs man Ax und Ay so klein, oder m und n so grofs denken kann, dafs der Nenner des Bruches, dem Zahlwerthe nach, von g= 0 bis = =m-—ı, und von J=obis g=n —ı 2 . Ar beständig > v.n. = Pen Br Pr2F" und 1, mithin der Zahlwerth des Bruchs selbst, kleiner, als vn. 2 +vn A,A,2,” (A, A, _ a); ale 0 ee v.n. A mer Ar Ay use ray at a oder, indem man, der Deutlichkeit wegen, AA, 2!” =ArAy), (a,+-VAx, y,'+-9’Ay) setzt, kleiner als vn. AyY,(2,9,)+Vn.Ar.Y, (247 ,)) + v.n. ((Ay)’+(AR)’)(.(&,+9aR, 2, +9’Ay)) sei. Betrachten wir daher jetzt den Ausdruck on u '=o m ‚Ay.Yy,(2,+Ax, y,+9'Ay) = auf die Recuification der Curven, u.s.w. 153 . ‚ n Y’— 0 Da, wie schon bemerkt, Ay.Y,(@,+9Ax, y,'+9'Ay) =—"-x Y,(x,+9Ax, y,'+9"Ay) fürn = x verschwindet, so kann n so grofs ge- dacht werden, dafs der Zahlwerth dieses Ausdrucks, von g=0bisg=m—1, und von f=o bis =r — ı kleiner sei, als jede angebbare Zahl «, wie klein auch gedacht. Daher K g=o Ze n +( -)+ + eo): welche Gleichung also bereits auf einer un mehr, als die lack; (8), beruht. 15. Betrachten wir Jetzt die Gleichung (8) oder (9) näher. zENN\2 127) Da . m) niemals < ı sein kann; so wird of- fenbar Z’ niemals v.n.(X—x,)(F—y,)+ Gr Gr 5 S v.n. ZI y,n.A,30" p=0 e=o n m= n=o Va gen-ı +Gr Gr S S v.n. EN 2; e=o e=o m und daher, wie leicht zu ersehen, nicht unendlich- werdend sein können, insofern der Flächen-Theil in einem begrenzten Raum enthalten ist. Bezeichnet man das allgemeine Glied der unendlichen Reihe, deren Grenze F ist, mit M\"’; so hat man, wie leicht zu übersehen, M+"— 1 o Alfası rk X—%o A®’+ Y—yo Bu) m+i1 = I: m.m41 n.n-+1 ? ge=m-ı y ’ [far \? (A,2y\2 PT TE Eez zn m er v) 90 3 MH n+1 e=A—ı yon „.(2?) „2. 2 OR SE o_ A,2m g=0 Mi re A—xo Er X EZ (n) + mi ? ri j -_ oe En "> wo 4% fürn=x und BY” für m= verschwindet. Da aber 4%” für n=®x verschwindet, so wird z so grofs gedacht werden können, dafs man habe, von oo bis o9=m— ı, und von g=0 bis! =n—1, N wie klein auch a gedacht werde; und daher ge=m-ı g=n-ı Kg uns Su e=0o = n a2 v.n. —X.) 0; „Mm.mHi ı < m-+1 ( 0) 2 auf die Rectification der Curven, u.s.w. 155 folglich, weil, wegen der hier stattfindenden Annahme von Am=An=1, Gr Gr 1 ist, m=w n=w g=m-ı ge=n-ı X—x0 Gr Gr SS —a 40, Bun FR m.m—+1 Auf dieselbe Weise erhält man m=o n=® EB. gen-ı AV a Bi» =0, Gr Gr S n.n+i ’ =o g=o Ferner hat man, wie schon bemerkt „(r) ge =m-—ı er rer NK 27 v.n. S. A— 80 . Fo fa > ee MmA4-1 ni ne x zum a Sy Fa S \ rs „ei Sata Alu, ur m+i n+1 is FE so Mi =0 g=o m n , dargestellt wird. Nimmt man hiervon die Summe, so erlangt man, den, vermöge des 1“ Lehrsatzes, hier streng allgemein gültigen, Sätzen der Grenzenrechnung gemäfs, m=» n=o» p=m-ı g=n-ı men Y_ en Gr „Gr”"'S Ss UP ZT UN, g=0 go nt n Da nun dieser Ausdruck, der Gleichung (9) nach, den Inhalt des gan- zen Flächen - Theis darstellt: so erlangt man, wie leicht zu ersehen, auf die Rectficalion der Curven, u.s.w. 157 Lehrsatz 2. Es ist der Inhalt des ganzen Flächen -Theiles gleich der Summe des Flächen - Inhalts seiner Theile. Aus diesem Lehrsatze folgt wiederum, dafs, insofern man sich eine Fläche nebst einem festen Punkte M, in derselben gegeben denkt, der Flächen-Inhalt desjenigen Theils derselben, welcher zwischen zwei durch diesen Punkt, parallel mit den Ebenen x, 3 und y, s gelegten Ebenen und denen eines andern Punktes / der Fläche enthalten ist, anders ausfällt, je nachdem der zweite Punkt /V anders angenommen wird. Betrachtet man also die Lage dieses Punktes in der Fläche als veränderlich, und bezeichnet die Abeissen desselben mit «und y: so wird sich der entsprechende Flächen- Inhalt als eine Function von x und y ansehen lassen. Was diese Function näher anbelangt, so werden ihre besonderen Werthe, dem Vorigen nach, für alle besonderen Werthe von xundy, durch- gängig bestimmt sein, sobald man sich nur, aufser der Fläche selbst, die Abeissen des Anfangspunkts M7,, und die Abeissen x und y des Punktes V bestimmt denkt. Bezeichnen nun x-++/ und y+% die Abeissen eines andern Punktes NV’ und F(x, y), F(e-+/,y+%) den Flächen -Inhalt der den Punkten N und N’ entsprechenden Flächen; so hat man, nach Lehrsatz 2., m=o n=s g=m-ı g=n-ı ] Y—yo Fa+ly+h)-Fay=a Gen mo Rzog=m—-ıg=n-ı Y_., k ca) m=zon=w;=m-ıg=n-ı ] k (er) +Gr Gr BD; N, „ Ri’+CGr Gr = Su mu Daher, wie man leicht sieht, !=o k=o Gr Gr [r@+2, y+h) _ F&, y)} —0; az k=o, Gr Gr F(e+4,y+h)=F(x, y), endlich d.h. es ist für jedes System von besonderen Werthen x und y für die Ver- änderlichen x und 7 der Functions- Werth von F(x, y) gleich dem Grenz- werthe derselben. Verbindet man dieses Ergebnifs mit dem vorher gefundenen und dem Begriff einer continuirlichen Function zweier ursprünglichen Veränderlichen: so erlangt man 158 Dınksen über die Anwendung der Analysis Lehrsatz 3. Bezeichnet, streng allgemein, 7’(x, y) den Flächen - Inhalt eines, mittelst eines Systems von vier, durch einen gegebenen Punkt M, und einen als veränderlich betrachteten Punkt N, des- sen Abecissen und y sind, und den Coordinaten- Ebenen y, z und x, z parallel gelegten Ebenen begrenzten, continuirlichen Flächen- Theiles: so bildet F(x, y) eine durchgängig continuirliche Func- tion von x und y. Da der Inhalt eines Flächen -Theiles, dessen Endpunkt den Abeissen x und y entspricht, nur insofern eine durchgängig bestimmte Function von x und y bildet, als man sich zugleich den Anfangspunkt desselben bestinımt denkt: so wird, insofern man sich auch diesen Punkt als veränderlich denkt, der entsprechende Flächen -Inhalt auch als eine Function von den Abeissen dieses Punktes zu betrachten sein. Bezeichnet man demnach die Abecissen dieses Punktes mit x,-+ & und y,-+n, wo x, und y, gegebene Werthe, E und n dagegen Veränderlichen bezeiehnen, und den, den Punkten (x,-+£, Yo+7) und (x, Y) entsprechenden Flächen -Inhalt mit (x, +&,y+1;5 0, y): so hat man, kraft des vorigen Lehrsatzes, & Gr AS FEN MFC) Dies vorausgesetzt, sei (&,, y,) irgend ein, zwischen den Punkten (&,, yo) und (X, Y') enthaltener Punkt eines gegebenen Flächen -Theiles. Bezeichnet man nun den, den Punkten (x,,y,) und (x,, y,) entsprechen- den Flächen -Inhalt, mit F(&,,Y,; %,, y,), — wie auch den, den Punkten (@,,Y,), (X, Y) entsprechenden Inhalt mit F’(&,, y,; X, F); so hat man, dem Obigen nach, E=o Filz, Yo> X) ”) ='Gr Gr L(& Yo) ,— NN), und E=o n=o F(x,, La X, r) —— Gr Gr F(x,+& +7; A, 2); F(&,,13.154,.)= Gr Gr F(&, +8,35 KH H—N) g=0o n= Pay, 6, ,'’f) e’ar'Gr FR, 7. wie auch, nach Lehrsatz 2, a rl Nr + F(&, Y-3 Kr 3 POLE Yo> X; ri). auf die Rectification der Curven, u.s.w. 159 Verbindet man diese Gleichungen mit einander, so kommt, FeEsys A, F )=Gr Gr [r 5 u —ay,—n)+Fl&, +53, F) + F@,+5 95 HN) +F@s1—n u —E n Auch hat man, nach dem Öbigen, F@uy5 2, P)=Gr Fan 15 5 N): F@,35 K ND=-GrF@+s 1: NN); und, nach Lehrsatz 2, Fr) FRE NA Te Pla; 5 E): Aus der Verbindung dieser drei Gleichungen folgt Fa, J; X = Gr lr@, 72-5 + Fa@+brs N} Daher Lehrsatz 4. Bezeichnen ®,, y, die Abecissen irgend eines gegebenen, zwi- schen den Punkten (x,,y,) und(X,Y') enthaltenen, Punktes (x,, Y,) eines gegebenen continuirlichen Flächen-Theiles; &,—&, y,—n die Abcissen einer Veränderlichen, zwischen (&,,y,) und (&,, Y,),— x,+£&, Y,+n aber die Abecissen einer Veränderlichen zwischen (&,,y,) und (X, F') enthaltenen Punktes der Fläche, wo £ und » die Veränderlichen bilden; endlich Ft, u; v, w), streng allgemein, den Inhalt eines Flächen-Theiles, von dessen Aufangspunkt die Abeissen 2 und z, und von dessen Endpunkt die Abeissen » und ıw sind: so hat man Fa 95 87) = Gr Gr [Fey 86,10) + Feb gen % 7) + F(x,-+£, 03 A, IN) ar Pie IN; x,—E£, n} b) P(@165' 88) —Gr [rar ,—E,r)+ Fi, +8,53 X N} CR Y)=Gr (res. X,y,—) + F(&,,9,+n; X, nt 160 DirKsen über die Anwendung der Analysis 17. Mit Bezug auf die vorliegende Aufgabe haben die bisherigen Er- gebnisse streng allgemeine Gültigkeit. Wir schreiten jetzt zur Betrachtung eines mehr besonderen Falles des Problems. Da der in Rede stehende Flächen-Theil als durchgängig continuirlich angenommen wird; so wird z für den ganzen Flächen- Theil eine continuir- liche Function von x und y sein müssen. Nimmt man nun ausdrücklich an, dafs die partiellen Differential- Quotienten der ersten Ordnung von z, na- mentlich — ; DR “yon 22, D82—%, und vony=y,„beyK, durchgängig möglich und bestimmt bleiben: so hat man, nach dem Taylor- schen an, A,2) = (10) Ax dx A, [4% A en, Ay =( er SS gr wo Ax.PY’ Ay.Q“%,) für alle Werthe von x, y, Ax, Ay, vermöge welcher x&-+-Ax innerhalb der Grenzen x, und X, und y,+4Ay innerhalb der Gren- zen y, und Y bleibt, mögliche und bestimmte Werthe erhalten, und bezie- hungsweise für Ar=0, Ay= 0 verschwinden, Substituirt man diese Formen in die Gleichung (9), so kommt ) + Aw. Pi, m=on=o g=em—ıg=n-—i (X—x0,) Y—yo (11) F=Gr Gr o R> FF ps x / AzEN 2 (de? 215? = 4 ] +, )+( z )+ ( )ar- Ppr+2(Ö ar. QY?+(A2) 2 P5’+(Ay)? a | FETTE HDD} a (FG) ax. Pir + (ZT) 2,0%” + Han) Pin +4 (Ay)' =] ee Be ya EIG ayerer eo pero Betrachten wir jetzt den Ausdruck e=m-—ı p=n-ı a = HS S a u ıZ=o yo (3) ax. Pr (=) 27 0%” + 2 SIEHT x m n dz‘'$ auf die Rectification der Curven, u.s.w. 161 Zunächst ist es einleuchtend, dafs, da Ax.P%” für Ar—=o, und Ay.Q%” für Ay= 0 verschwindet, Ax und Ay beziehungsweise so klein, folglich m und z heziehungsweise so grofs, gedacht werden ne dafs der 722’) dz‘? Nenner des Bruches beständig gröfser, als ı, v.n. ( T ) und v.n. rn =); und daher der Zahlenwerth des Bruchs selbst kleiner, als ven. Ar. Pl" + .n. Ay Qi" + 4 (a0) Pina tan ale, folglich pf=m—1 !=n—1 we en 5 Ey} 2 2 H=xNS Ss are) Keipe: fen. Ar PM rV.n.AY.QY + (Ar)’ Pi —_ n i + ano Aufeine, der in Nr. 8. angewandten, ähnliche Weise ergiebt sich hieraus m=on=o Gr Gr .H —o. Verbindet man dieses Ergebnifs mit der Gleichung (11), und erwägt dabei, dafs man, dem Begriff eines bestimmten Integrals nach, hat m=x n=0 fen-1 !=n-i y_ #1 aa IN? 7 azaN\? Gr Gr) .S Ss ee rl ) + +( ) dx dy Ser@rG ( f f yYı+(5)+ (+6), welche Gleichung also auf der Voraussetzung beruht, dafs 1. X—x, und IE gleichnamige Gröfsen seien, und 2. (&) und ( -) beziehungsweise von —=x, bis 2—=X und on 77, sr y=[Ff einschliefslich in6slich und bestimmt bleiben. 18. Da, den Voraussetzungen der vorliegenden Aufgaben Bias z eine continuirliche Function von x und y ist; so werden (& ) und (= Er ) nur ausnahmsweise eine Unterbrechung der Continuität, und zwar von der Art fähig sein, dafs ihre Werthe beziehungsweise entweder sprungsweise fort- Mathemat. Abhandl. 1833. X so erlangt man 162 Diınksen über die Anwendung der Analysis gehen, oder unbestimmt, oder unendlich werden, welchen letztern Fall wir hier als einen besondern des Unmöglichwerdens betrachten. Da nun die Gleichung (12) auf den Gleichuugen (9) und (10) beruht, von denen die erstere, wofern nur (X— x,) und (/—y, gleichnamig sind, streng allgemein gültig ist, und die letztern blofs in den beiden letztgenann- ten Fällen der Discontinuität ungültig werden: so folgt, dafs die Gleichung (12) einzig und allein in den beiden zuletzt bezeichneten Fällen einer Unter- brechung der Continuität ungültig ist. Für solche Fälle wird man also die Gleichung (12) verlassen, und daher entweder an die Gleichungen (8) oder (9) unmittelbar sich halten müssen, oder auch, mittelst der vorhin begrün- deten Lehrsätze, besondere aufstellen können. Es sei, um die Begriffe festzustellen, &, ein besonderer Werth von x, zwischen x, und X enthalten, welchem eine Ausnahme entspreche. Zwei Hauptfälle sind alsdann denkbar; entweder findet die Ausnahme für alle Werthe von y, oder blofs für einen ganz besondern in Verbindung mit = x, statt. Ersteres ist, z.B., der Fall, mit (- ), für <= a wenn man hat =y(x—a)s 3; an mit demselben en. für e=a und: y=b, wenn man hat 3—= Y(x—a)’+(y—2)‘. Nimmt man nun ausdrücklich an, dafs x, der einzige, zwischen x, und X enthaltene besondere Werth dieser Art sei; so hat man, nach Lehrs. 2 und 4, insofern & eine positiv -blei- bende Veränderliche bezeichnet, (19) r=ü SF :@) Sfr] welche Gleichung für beide Fälle gültig ist. Für den letzten Fall läfst sich indefs noch eine besondere Gleichung aufstellen. Es seien x, und y,. die besonderen Werthe von zundy, zwischen x,und X, y, und Y enthalten, denen allein eine Ausnahme von der in Rede stehenden Art entspricht. Bezeichnen alsdann £ und n beziehungsweise po- sitiv-bleibende Veränderlichen, so hat man, nach Lehrsatz 4, auf die Recufication der Curven, u.s.w. 163 %r-n at E20 1-0 RE Zane 14) F=eGr& f nn +) +5) %o f Hiükare) Sf Se) ST] Diese Gleichungen haben das Eigenthümliche, dafs sie, mittelst Be- zugnahme auf den Begriff des Grenzwerthes eines bestimmten Integrals, in den, freilich sehr seltenen Fällen, zu dem primitiven Ausdruck des Flächen- Inhalts führen, wo sich der Werth des bestimmten Integrals durch eine pri- mitive Function von dessen Grenzen darstellen läfst. Bezeichnen ferner, unter Festhaltung der obigen Voraussetzungen, x,_, und x, ,, zwei besondere Werthe von x, von denen x,_, zwischen x, und &,,— x,,, dagegen zwischen x, und X liege; so hat man, nach den Gleichungen (9) und (12) und Lehrsatz 2, (15) uf fesV +) 1 0=-n-1y% r—ı +1 r—i m=o n=o 2a GG S P=0 e’=0 ze) re are) welche Gleichung mit (13) einerlei Strenge und zugleich das Besondere hat, dafs sie sich unmittelbar zu einer nähernden Berechnung des Flächen -In- halts eignet. Fri Er, Y— Yo ff Urt Was endlich den Fall anbelangt, wo mehrere, zwischen x, und X enthaltene besondere Werthe von & vorhanden sind, für welche rücksicht- X2 164 Dinxsen über die Anwendung der Analysis lich (-) } -) eine Auflösung der Continuität von der in Rede stehen- den Art stattfindet; so ist es einleuchtend, dafs die Erledigung desselben, vermöge des 2'Liehrsatzes, auf eine wiederholte Anwendung der hier ermit- telten Gleichungen zurückgeführt werden kann. g. V. Über die Cubatur der Körper. 19. Definition. Unter der Cubatur eines Körpers wird hier die Bestimmung des geometrischen Verhältnisses verstanden, in welchem die Gröfse des durch seine Fläche begrenzten Raumes zu der Gröfse des Rau- mes eines Cubus steht, dessen Seite der Längen -Einheit gleich ist. Dies geometrische Verhältnifs selbst wird hier das Volumen oder der Inhalt des Körpers genannt. Die aus dieser Erklärung entstehende allgemeine Aufgabe kann fol- gendermafsen gestellt werden: Die den Raum des Körpers begrenzenden Flächen sind gegeben: man wünscht das Volumen desselben zu bestimmen. Zur Lösung dieser Aufgabe denke man sich, neben dem Körper noch eine unbegrenzte Gerade 4 angenommen, und senkrecht durch diese zwei, den Körper berührende, Ebenen gelegt, deren Durchschnittspunkt mit je- ner Geraden durch ?, und Q bezeichnet werden mögen. Den so auf der Geraden 4 begrenzten Theil P, Q denke man sich ferner in z gleiche Theile PPn PP WER, Raps DD. eu DO getheilt, und durch einen jeden von den so entstehenden Punkten 1 RR 3 OR N Se Pier Dr eine, auf 4 senkrechte unbegrenzte Ebene gelegt. Es ist einleuchtend, dafs eine jede dieser Ebenen mit dem Körper einen, oder mehrere, beziehungsweise durchgängig begrenzte, ebene Schnitte bilden, und dafs, wegen des Begrenztseins des Körpers selbst, die Anzahl dieser verschiedenen begrenzten Schnitte, einerlei schneidender Ebene ent- sprechend, stets angebbar sein wird. Angenommen nun, dafs die Anzahl der Schnitte, in jeder Ebene ent- halten, u sei; so denke man sich die sämmtlichen Schnitte in » Systeme ge- auf die Recufication der Curven, u.s.w. 165 theilt, und betrachte diejenigen der verschiedenen Ebenen als zu einerlei System gehörend, welche sich einander ins Unbegrenzte nähern, indem man die schneidenden selbst als sich einander ins Unbegrenzte nähernd ansieht. Dies vorausgesetzt, wollen wir den Theil des Körpers betrachten, welcher die sämmtlichen Schnitte eines und desselben s'” Systems enthält. Offenbar wird dieser Theil, durch jene +1 schneidende Ebenen wieder in n Theile getheilt werden, deren untere und obere Basen beziehungsweise durch je zwei der unmittelbar auf einander folgenden Schnitte gebildet wer- den. Bezeichnet nun X’ das Volumen desjenigen dieser Theile, welcher zwischen den, mittelst der, durch die Punkte ?, und ?,,, gelegten, Ebe- nen gebildeten Schnitten enthalten ist, und 7’ das Volumen des ganzen Theiles: so ist axiomatisch N) yw=|'S Ken, wie grofs auch n gedacht werde. = Betrachten wir jetzt die Gröfse X’. Bezeichnet man den Inhalt des, der, durch ?, gelegten, Ebene entsprechenden Schnittes des in Rede stehen- den s" Systems mit J\’: so können hier zunächst drei verschiedene Haupt- fälle stattfinden. Entweder ist J\’ vong=obisg=n— 1, wie grofs auch n gedacht werde, stets derselben Gröfse gleich; oder es gehen die Werthe von JY’, vong=obisg=n—1, wie grofs auch n, beständig wachsend fort; oder endlich die Werthe von J‘’ laufen beständig abnehmend fort. Setzt man, für den ersten Fall J'’=C'’; so hat man, wie solches bekannt ist Ko=P.R daher ru xC’— PoQ e.“? n +1 5 KU=PQ.c“. g=0 Verbindet man diese Gleichung mit (1), so kommt (2) a 2 L 2 Gehen zweitens die Werthe von J\’, vong=o bis g=n— 1, wie grofs auch n, beständig zunehmend fort, so hat man offenbar is P,Q E RAR. > = I +19 und nn I 166 Dınksen über die Anwendung der Analysis folglich, indem man diese Ungleichheit mit (1) verbindet 3 : und. Pen und (3) eg ee e=0 wie grofs auch z genommen werde. Gehen drittens die Werthe von J\’, von g=0 bis g=n-1, s) I 0 Q T s RK‘ = E H } und Be: P, 2 Be e+1° Verbindet man diese Ungleichheiten mit (1), so kommt rag a Ei n (4) = ann P Q s as el: wie grofs auch z gedacht werde. Betrachten wir jetzt den Ausdruck . 1) 9+1 u0="5 5 or. Bekanntlich hat man J‘) +1 pen—ı Pr Q Ho= S Arm; ferner, wie leicht zu übersehen, 6) Graw=o, und endlich (6) ee 5 Sir zn ß Nun ist nach den Ungleichheiten (3), u 3 vn. (7- S er dP) 7 ES Er er >. en ’ ) Een ER] Zr a,‘ Bu‘ ‚ ea. f | er Ri old 2 u ur EEE Ze Io | 2 \ . BETTEN ER Er N Bacı Bere Inhalt. aanmmnnnnarr v. SAvIGnY von dem Schutz der Minderjährigen im Römischen Recht, und insbe- sondere. vonder. Dem Plaetorin See ns sahne een ne Seite 1 RırTer über das historische Element in der geographischen Wissenschaft. ....... = 41 v. SAVIGNY über das altrömische Schuldrecht. .....0..:...2cesrseessesener en - 69 EACHMANN Au herZSinGenzuUndESArenin en en en ee ee een - 105 Derselbe über. (as Hildebrandslied „4.00 .000n00semamseeensee 5 tnehet 123 Bopp über die Zahlwörter im Sanskrit, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Altslawischen...... ee - 163 Derselbe über die Zahlwörter der Zendsprache ........ucoreneeeeesenaneeee - 171 LEvEZOW über mehrere im Grofsherzogihum Posen in der Nähe der Netze ge- fundene uralt griechische Münzen auasaeeuersenssener sesenene - 181 Derselbe über archäologische Kritik und Hermeneutik .......222 222222 ennne = 225 BranDıs über die Reihenfolge der Bücher des Aristotelischen Organons und ihre Griechischen Ausleger, nebst Beiträgen zur Geschichte des Tex- tes jener Bücher des Aristoteles und ihrer Ausgaben .......... - 249 „un uanın ee ä ru Far ” fa Rd 1 ae 1 sa Ben t r 17 gu! Du | i 2 ua dygenı a er 2 os ü . us «* E u 2 ‘ . . = 5 . . - . = . i . BE lee R rs Ft on ala arlırte . 5 . u u. 3 - I > er . ii a N u a Een 1 el ne j . 3 st 1 . I i rer \ z r . \ . i . ee entf 10h re har iarrdn > u a En nid INGE TBRTEIT TE EFT TER IR TEEN BEREIT) Shnıbiinlee alpin le and mus ARHLIER. PAEIBEBEUNR. SL FRC RES REISEN PIE AEFER ER SDR ERBE 711 Iale ag ash eis : \ 2b: nike galnerinet lnikbichläint En TH: sdlsn al j an ter Sale iidurhlei sib ud ann. ee ee u ‚sent arg Bea ein: er rem zenndens aadit vr a u ee Ihe er . Ale far And wi Pe ern oh ach es it ch wikind BI er se u darin Nds Agabeh willen gend Br „am Euler re tn Br) wnirjoH Von dem Schutz der Minder] ährigen im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. ‚Von P Hy SS AVLENY. nn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 27. October 1831. und 23. Mai 1833.] \ \ enn wir die Entwicklungen und Veränderungen, die in dem bürgerlichen Rechte der Völker eintreten, mit Einem Blick überschauen, so finden wir, dafs sie auf eine zwiefache Weise geschehen: theils unsichtbar, durch die dem Recht selbst inwohnende Lebenskraft, was man häufig Gewohnheits- recht nennt: theils aber durch sichtbare Thatsachen, mit Absicht und Be- wufstseyn, das heifst durch Gesetzgebung. Wenngleich nun die erste Art von jedem Unbefangenen als überwiegend anerkannt werden mufs, so ist doch in vielen Fällen die Wichtigkeit, ja selbst die Unentbehrlichkeit der Gesetzgebung unverkennbar. Ob aber der Gesetzgeber, sowohl durch sein Thun als sein Unterlassen, das Recht wahrhaft fördere, oder vielmehr hemme und verderbe, das wird von der richtigen Auffassung seines Berufs abhängen, und diese richtige Auffassung wiederum wird sich hauptsächlich durch die Entfernung von zwei entgegengesetzten Abwegen offenbaren, welche sich als ungeschicktes Beharren und ungeschickte Bewegung bezeichnen las- sen. Es geschieht nämlich oft, dafs durch neu gebildete Sitten und Ver- hältnisse auch das Bedürfnifs einer neuen Rechtsregel entsteht, und wo die- ses unbeachtet oder unbefriedigt bleibt, mufs sich ein drückendes Mifsver- hältnifs zwischen dem wirklichen Zustand des Volks und der festgehaltenen Rechtsform ergeben. Auf der andern Seite aber kann durch ein solches, wahres oder eingebildetes, Bedürfnifs eine Neuerung veranlafst werden, die nur auf den augenblicklichen Zweck berechnet ist, ohne Rücksicht auf den inneren, grofsen Zusammenhang des gesammten Rechts, und besonders ohne Histor. philol. Abhandl. 1833. A 2 v.,Sıvıcny: von dem Schutz der Minderjährigen Rücksicht auf die Vergangenheit, in welcher allein Gegenwart und Zukunft lebendige Wurzeln schlagen können. Wer so verfährt, in der stillschwei- genden Voraussetzung, als solle auf diesem Punkt durch ihn die Welt neu erschaffen werden, wird unfehlbar das Recht herabwürdigen und entkräften, indem er ihm die Quellen seines wahren Lebens entzieht. Um nun diese Abwege zu vermeiden, bedarf der Gesetzgeber eines eigenen Taktes, welcher nicht leicht zu erwerben ist. Unstreitig kann dabei die eigene Erfahrung treffliche Dienste leisten, aber sie ist eine theure Lehrerin, und es wird Vie- les zerstört oder verdorben seyn können, ehe auf diesem Wege die rechte Einsicht erlangt wird. Gefahrloser ist die Belehrung, die uns aus fremder Erfahrung erwächst, und besonders fruchtbar die gründliche Betrachtung solcher Beispiele, worin es gelungen ist, jene Abwege zu vermeiden. Hierin nun können uns vorzüglich die Römer als grofse Muster dienen, indem in ihren Einrichtungen stets die doppelte Neigung offenbar wird, die Vergan- genheit zu chren, und den billigen Ansprüchen der Gegenwart genug zu thun. Dieser Charakter zeigt sich selbst in den Entwicklungen der Staatsverfassung, obgleich hier Kampf und Sieg der Parteien oft gewaltsam eingriff. In dem bürgerlichen Recht aber hat sich das Wirken jenes Geistes ungestört entfal- ten, und zum wahren Kunstsinn ausbilden können. Diese allgemeine Betrachtungen sollten den Gesichtspunkt angeben, von welchem aus der besondere Gegenstand dieser Abhandlung ein eigen- thümliches Interesse erhalten dürfte. Die geschichtliche Untersuchung selbst wird durch den besondern Umstand erschwert, dafs von zwei Gesetzen, die hier den Gang des Rechts bestimmt haben (der Z. Plaetoria und einer Ver- ordnung von Marcus), weder der Text, noch eine brauchbare Inhaltsangabe vorhanden ist, so dafs uns nur der Weg der Combination aus einzelnen zer- streuten Angaben übrig bleibt. Die Neueren aber haben hier wie anderwärts häufig den Fehler begangen, aus jeder dieser Angaben eine isolirte 'That- sache zu machen, ohne eben nach dem lebendigen Ganzen zu fragen, wel- ches doch nothwendig vorhanden gewesen seyn mufs (!). (') Ich will hier die von mir eingesehenen Monographien über diesen Gegenstand zusam- menstellen, theils um eine bequeme Übersicht derselben mitzutheilen, theils um mich im Verfolg dieser Abhandlung kürzer darauf beziehen zu können. 1) Crusius ad constit. D. Marci de cur. min. L.B. 1712. (Fellenberg 11.577.). 2) Hertoghe Tribonianus circa L. Laetoriam non errans. Jenae 1720. (opusc. Hamburg. 1768. 8. p.1.sq.). -3) Heizer ad L. Laetoriam im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 3 Erster Abschnitt. Ursprünglicher Rechtszustand. Vor Allem ist festzustellen, welche Altersstufen ursprünglich in Rom auf die Fähigkeit zu juristischen Handlungen Einflufs hatten. Hierin nun war lediglich die Pubertät der entscheidende Zeitpunkt. Bis zu demselben war ein Jeder zu allen Handlungen, die ihm schaden konnten, schlechthin unfähig; seine Veräufserungen, wie die von ihm contrahirten Schulden, wa- ren völlig nichtig, ohne dafs es dagegen eines künstlichen Schutzes bedurfte. Mit dieser Unfähigkeit aber war die nothwendige Vertretung durch einen Tutor verbunden für Jeden, der nicht in eines andern Gewalt stand, und es war zugleich grofse Sorgfalt darauf gewandt, dafs diese Vertretung in keinem Fall fehlen möchte. Mit der Pubertät aber hatte jene Unfähigkeit völlig ein Ende, die ausgedehnteste Fähigkeit, die durch Alter erreicht werden konnte, trat an ihre Stelle, und zugleich hörte die Tutel, wo sie bis dahin bestanden hatte, nothwendig auf. Jedoch zeigte sich die Wirkung dieses Grundsatzes in beiden Ge- schlechtern auf eine höchst verschiedene Weise. Im männlichen Geschlecht war nunmehr die Freiheit in der Verfügung über das Vermögen ohne Schran- ken. Dagegen trat im weiblichen Geschlecht eine andere Art von Tutel an die Stelle, welcher jede Frau oder Jungfrau, die nicht in fremder Gewalt stand, ihr ganzes Leben hindurch unterworfen seyn sollte; eine Tutel, die nicht so wie die erste zum Schutz des Mündels eingeführt war, sondern viel- mehr zum eigenen Vortheil des Tutors. Allerdings hatte dieser Geschlechts- vormund beschränktere Rechte, indem die Frau ihr Vermögen selbst ver- waltete; allein in den wichtigsten und bedenklichsten Handlungen war sie an die Einwilligung des Tutors gebunden. Ohne diese Einwilligung konnte sie keine Grundstücke oder andere res mancipi veräufsern: keine Schuld contra- Lips. 1749. (Fellenberg I. 593.). 4) Seger brevis curarum historia. Lips. 1763. (opuse. Erlang. 1788. p.111.). 5) Breitsprecher de orig. curationis minorum. Gryphiae 1764. 6) Höpfner de L. Laetoria. Gissae 1778. 7) Fea vindiciae. Rom. 1782. 8. Cap. 6. p.122. 8) S.E.Nykerk de praecipuis modis prospiciendi minoribus apud Romanos. Amstelod. 1823. 8. 9) Chr.H.S. van Boelens de L. Laetoria et const. D. Marci de cura minorum. Groning. 1328. 8. Dazu kommt nunmehr das wichtigste Werk über die Vormundschaft über- haupt: Rudorff Recht der Vormundschaft B.1. Berlin 1832. 8. 8.13.14. 16. und 8.56. S.408. A2 4 v.Sıvıcnyr: von dem Schutz der Minderjährigen hiren: keine feierliche Handlung vornehmen (legis actio und civile negotium): kein Testament machen u.s.w. Dagegen konnte sie Schuldforderungen ein- ziehen, auch alle res nec mancıpi, z.B. baares Geld, gültig veräufsern. Jener Grundsatz nun, nach welchem mit der Pubertät die freie Ver- mögensverwaltung anfangen sollte, hatte eine sehr bedenkliche Seite, indem in einem so frühen Alter nur selten die nöthige Besonnenheit und Erfahrung gefunden werden wird. Bei Frauen zwar war der gröfste Theil der Gefahr durch die Geschlechtstutel verhütet, unter welcher sie ohnehin, unabhängig von ihrem Alter, stehen sollten: im männlichen Geschlecht dagegen fand sich ein ähnlicher Schutz gegen diese Gefahr durchaus nicht. Ein solcher Zustand konnte höchstens in Zeiten erträglich gefunden werden, in welchen die Einfalt und Ehrbarkeit der Sitten noch nicht durch bedeutenden Reich- thum Einzelner gefährdet wurde; frühe genug aber sah man das Gefährliche desselben ein, und die schützenden Anstalten dagegen machen den Gegen- stand unsrer Untersuchung aus. Nach den unter uns sehr allgemein verbreiteten Ansichten von der Allmacht der Gesetzgebung mufs man die Lösung dieser Aufgabe für über- aus leicht halten. Fand man es bedenklich, junge Leute sich selbst zu über- lassen, so brauchte nur die Mündigkeit auf irgend einen späteren Zeitpunkt als den der Pubertät, etwa auf zwanzig oder fünf und zwanzig Jahre, hinaus gesetzt werden. Dann dauerte die Handlungsunfähigkeit des Jünglings, und damit zugleich die Möglichkeit und Nothwendigkeit der Tutel, um so viele Jahre länger, und der Zweck war gewifs auf das vollständigste erreicht. Allein dem Sinn der Römer konnte diese Art, in das bestehende Recht ein- zugreifen, unmöglich zusagen. Schon an sich selbst würden sie Bedenken getragen haben, eine zahlreiche Klasse, die nach dem uralten Recht völlig mündig gewesen war, plötzlich für unmündig zu erklären, also des Genusses ihrer Freiheit zu berauben. Es kamen aber noch wichtige äufsere Gründe hinzu, welche dieses Bedenken um Vieles verstärken mufsten. Zuerst die Rücksicht auf das Familienrecht. Mit der Pubertät war zugleich die juristi- sche Möglichkeit der Ehe begründet, und wie grofs die Macht und das An- sehen des Hausvaters war, ist allgemein bekannt. Nun hätte es gewifs nach Römischen Sitten höchst anstöfsig erscheinen müssen, dieses Ansehen da- durch zu schwächen, dafs man den, welcher im Hause mit strenger Gewalt herrschen sollte, unter die sehr beschränkende Aufsicht eines Tutors gestellt im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 5 hätte. Zweitens mufste auch das staatsrechtliche Verhältnifs jenes Bedenken erhöhen. Bald nach der Pubertät machte der Staat Anspruch an den Kriegs- dienst des jungen Bürgers(!). Zu derselben Zeit übte dieser auch sein Stimmrecht in der Volksversammlung aus. Selbst die öffentlichen Ämter waren vor der Zex Yillia (J. 574) an kein bestimmtes Alter gebunden, und auch seitdem dieses Gesetz gewisse Jahre vorgeschrieben hatte, kamen doch Dispensationen nicht selten vor(?). Sollte nun der, welchem die politische Mündigkeit so wichtige Rechte und Pflichten gab, in seinen Privatverhält- nissen dem Knaben gleich behandelt werden? Aus diesen Betrachtungen wird es klar werden, dafs jene Aufgabe den Römern schwierig genug erscheinen mufste, und dafs sie glauben moch- ten, dieselbe nur durch Umwege, mit sorgfältiger Schonung aller übrigen Verhältnisse, lösen zu dürfen. Die Versuche, die sie in diesem Sinn mach- ten, sollen gleich hier übersichtlich zusammen gestellt werden. Zuerst wurde Denjenigen eine Strafe gedroht, welche den Mündigen, der noch nicht fünf und zwanzig Jahre alt war, übervortheilen würden. Dann versprach der Prätor, in einzelnen Fällen den Mündigen unter fünf und zwanzig Jahren, die sich durch Unvorsichtigkeit schadeten, da- durch helfen zu wollen, dafs er ihre nachtheilige Handlungen für ungesche- hen, das Versäumte für nicht versäumt erklärte. Endlich traf Mark Aurel eine Einrichtung, wodurch diese Minder- jährigen veranlafst werden sollten, sich freiwillig einen Curator zu erbitten, der dann das Vermögen auf gleiche Weise, wie in früheren Jahren der Tu- tor, verwalten sollte. Um aber von diesen verschiedenen Schutzanstalten einen richtigen Begriff zu fassen, ist es von der gröfsten Wichtigkeit, stets den schon oben berührten Zusammenhang fest zu halten: dafs nämlich die Handlungsunfä- higkeit der Unmündigen unzertrennlich verbunden war mit der ihnen zwangs- weise auferlegten Tutel, so wie umgekehrt die Fähigkeit der Mündigen zu eigenen wirksamen Handlungen unzertrennlich verbunden war mit ihrer Freiheit von einer solchen Tutel. Die innere Nothwendigkeit dieses Zu- (') Niebuhr Römische Geschichte B.1. dritte Ausg. S.490 - 492. (?) HeinecciusadL.Iul. ei Pap. Pop. Lib.2. C.7. 6 v. Sıvıcny: von dem Schutz der Minderjährigen sammenhangs ist von den Neueren nicht selten zum grofsen Nachtheil der Untersuchung übersehen worden. Zweiter Abschnitt. Lex Plaetoria. Die Verschiedenheit der Meinungen fängt bei diesem Gesetz mit einem Punkte an, der bei den meisten anderen keinem Zweifel Raum giebt, bei dem Namen. In einer Stelle des Cicero (de natura deorum), bei Capitolin, Priscian, und im Theodosischen Codex haben die Handschriften, soviel be- kannt ist, nur allein Zaetoria(!). In einer anderen Stelle des Cicero (de oficüs) kommt Zaetoria und Plaetoria vor. Die Tafel von Heraclea endlich liest Plaetoria. Für diese Leseart nun entscheidet nicht nur das höhere An- sehen der Inschrift in Vergleichung mit blofsen Handschriften, sondern auch der Umstand, dafs der falsche Name Zaetoria durch den Anklang eines be- kannten lateinischen Wortes leicht entstehen konnte, anstatt dafs für die falsche Lesart Plaetoria ein ähnlicher Entstehungsgrund nicht angegeben werden kann. Mazochi führt zur Bestätigung der richtigen Leseart auch noch an, dafs in Inschriften und Münzen das Plätorische Geschlecht weit häufiger als das Lätorische genannt werde. Demnach mufs denn in allen erwähnten abweichenden Stellen emendirt werden: Plaetoria. Über das Zeitalter des Gesetzes läfst sich durchaus Nichts ermitteln, als dafs es um die Mitte des sechsten Jahrhunderts schon vorhanden gewesen seyn mufs, indem es von Plautus erwähnt wird. Sicher ist es, dafs dasselbe mit einer andern Zex Plaetoria über die Amtsthätigkeit der Prätoren (?) gar Nichts gemein hat. Was nun den Inhalt des Gesetzes betrifft, so sind zuvörderst darin Alle einig, dafs hier zuerst alle Mündigen in zwei Classen eingetheilt wurden, je nachdem sie das fünf und zwanzigste Jahr zurückgelegt hätten oder nicht. (') Die Abweichungen Letoria und Lectoria (eben so wie Pletoria und Plectoria) kom- men nicht in Betracht. (*) Varro de lingua lat. Lib.6. C.2. (wo Plaetoria anstatt Praetoria gelesen werden muls). Censorinus de die nat. C.24. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 7 Anstatt dafs bis zu dieser Zeit das Alter von fünf und zwanzig Jahren juristisch eben so unbedeutend gewesen war, als das von zwanzig oder dreifsig, so war also nun zuerst der Name und der Begriff eines minor xxv. annis entstanden, ein Begriff der in der Folge so wichtig und gangbar wurde, dafs man noch öfter die ohnehin bekannte Zahl der Jahre wegliefs, und von einem minor schlechthin sprach, wofür wir ganz allgemein den deutschen Ausdruck min- derjährig gebrauchen. Dafs es nun in der That die Zex Plaetoria war, welche diesen neuen Begriff aufstellte, sagt unmittelbar nur eine Constitution von Constantin ('). Eine sehr bestimmte Andeutung aber findet sich in ei- ner Stelle des Plautus, worin ein Jüngling klagt, dafs ihm Niemand Geld borgen wolle aus Furcht vor dem Gesetz über die fünf und zwanzig Jahre (?). Und eine Bestätigung liegt noch in dem sehr bekannten Sprachgebrauch, nach welchem /egitima aetas nicht die Mündigkeit bezeichnet (obgleich deren Begriff weit älter war und auch wichtiger), sondern die Volljährigkeit, in- dem nicht jene, sondern nur diese durch eine /ex eingeführt war. Dieser Sprachgebrauch aber ist bei den alten Juristen ganz allgemein, anstatt dafs nichtjuristische Schriftsteller denselben Ausdruck auch in ganz anderer Be- deutung gebrauchen, nämlich in Beziehung auf das für die Magistraturen gesetzlich vorgeschriebene Alter (°). Welches besondere Recht sollte nun aber für diese neu erfundenen Minderjährigen gelten, oder zu welchem Zweck hatte man überhaupt den neuen Begriff aufgestellt? Sie sollten geschützt werden gegen betrügliche Verträge, wozu ihr unerfahrnes Alter mifsbraucht werden könnte, und zwar wurde dieser Schutz auf eine öffentliche oder Criminalstrafe gegründet, wo- mit der Betrüger belegt werden sollte. Die alten Zeugnisse für diese Behauptung sollen nunmehr zusammen- gestellt werden. Zuvörderst möchte man erwarten, da hier höchstens das Privatrecht, aber kein Staatsverhältnifs verletzt seyn konnte, dafs so wie bei dem Dieb- ('). L.2. C. Th. de donat. (8.12) „donec is ...annos Laetoriae (l. Plaetoriae) legis egressus, legitimam compleverit actalem.” o . . . * ” I (*) Plauti Pseudolus 1.3.69. „Lex me perdit quinavicenaria: metuunt credere omnes.” Worauf der Leno antwortet: „eadem est mihi lex, metuo credere.” (°) Z.B. Livius Lib.25. C.2.: „guod nondum ad petendum legitima aetas esset.” 8 v.Sıvıcny: von dem Schutz der Minderjährigen stahl und ähnlichen Fällen nur der Verletzte im Weg des Civilprozesses eine Privatstrafe hätte fodern dürfen. Dafs es aber hier anders war, und dafs man dieses als Ausnahme von der Regel anerkannte, sagt ganz deutlich Cicero in folgender Stelle (!): ‚‚inde iudicium publicum rei privatae lege Plaetoria”. Es ist auch nicht schwer, den Grund dieser abweichenden Behandlung ein- zusehen; denn hätte man dem Minderjährigen selbst die Strafklage überlas- sen, so war zu befürchten, dafs durch denselben Leichtsinn, der ihn dem Betrug aussetzte, auch die Straflosigkeit des Betrugs bewirkt werden würde. Die Zex Plaetoria gestattete daher die öffentliche Anklage aus einem ähnli- chen Grund, wie die zwölf Tafeln eine solche gegen den pflichtvergessenen Tutor gestattet hatten (?), obgleich es sich auch dabei nur um ein Privat- interesse handelte. Eine andere Stelle des Cicero giebt näheren Aufschlufs über die Na- tur der Handlung, welche bestraft werden sollte (?),; ‚, Quod si dquilliana de- finitio vera est, ex omni vita simulatio dissimulatioque tollenda est: ita nec, ut emat melius, nec ut vendat, qwdquam simwlabit aut dissimulabit vir bonus. Aique iste dolus malus etiam legibus erat vindicatus, ut tutela xu. tabulis, et circumseriptio adolescentium lege Plaetoria.” Das durch das Gesetz bedrohte Verbrechen war also jede Übervortheilung eines Min- derjährigen, die auf einem Betrug beruhte. Der daneben gestellte Fall der Tutel ist ohne Zweifel von der schon erwähnten accusatio suspecu zu verste- hen, obgleich diese auf eigentlichen Betrug keinesweges beschränkt war. Endlich giebt eine Stelle der tzabula Heracleensis einiges Licht über die Art der Strafe und über die Folgen derselben. Das darin enthaltene Gesetz stellt nämlich eine lange Reihe von Personen zusammen, welche un- fähig seyn sollen, Decurionen in Municipien und Colonien zu werden, und dieses Verzeichnifs stimmt grofsentheils mit dem in dem prätorischen Edict enthaltenen Verzeichnifs der Ehrlosen überein. Hier kommen nun unter anderen folgende Fälle vor: lin. 111. quive lege (') de natura deorum Lib.3. C.30. (?) pr. 8.3. T. de suspectis. In der gleich folgenden Stelle des Cicero ist diese Zusam- menstellung geradezu ausgedrückt. () de ofleüs Lib.3. C.15. imRömischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 9 lin. 112. Plaetoria ob eamve rem, quod adversus eam legem fecit fecerit, condemnatus erit und dann nach einer Unterbrechung durch ganz andere Fälle: lin. 117. quive tudicio publico Romae lin. 118. condemnatus est erit, quocirca eum in Italia esse non liceat, ne- que in integrum restitulus est erit: quive ın eo lin. 119. munierpio, colonia, praefectura, foro, conciliabalo, cuius erit, iudicio publico condemnatus est erit. In dem Ausdruck: ‚, ex lege Plaetoria ob eamve rem, quod adversus eam legem ‚feceit” haben Manche zwei verschiedene Fälle finden wollen: ich sehe darin Nichts als die breite vorsichtige Umständlichkeit, die ohnehin in den alten Volksschlüssen so gewöhnlich ist. Wichtiger ist der Umstand, dafs das u- dieium publicum legis Plaetoriae noch aufser den iudieüs publieis überhaupt ge- nannt, und sogar an einen ganz andern Ort als diese gestellt ist. Manche haben dieses aus der auch sonst in diesem Gesetze herrschenden Unordnung erklären wollen: ich glaube darin folgende bestimmte Absicht wahrzuneh- men. Unfähig zum Ordo jeder italischen Stadt sollten seyn: 1) diejenigen, welche in dieser Stadt in irgend einem zudieium publicum, ohne Unterschied der Strafe verurtheilt waren. 2) die in Rom Verurtheilten, jedoch nur wenn das Urtheil auf Verbannung aus Italien ging, also mit Ausschlufs blofser Vermögensstrafen (!). 3) die nach der Zex Plaetoria Verurtheilten allgemein, ohne Unterschied wo das Urtheil gesprochen war. Hieraus folgt nun zwei- erlei. Erstlich, dafs die Strafe der Zex Plaetoria nicht in Verbannung be- stand (weil sonst ihre besondere Erwähnung völlig überflüssig war), sondern in Geld, vielleicht in einer fest bestimmten Summe, vielleicht auch in dem doppelten Werth des verübten Betrugs. Zweitens, dafs man diese Handlung für gefährlicher, wenigstens für ehrloser hielt, als andere mit gleichartigen Strafen bedrohte Verbrechen. Diese Ansicht erklärt und rechtfertigt sich 1) So z.B. ging das Urtheil wegen repetundae vor der L. Servilia nur auf einfachen Er- ( sing 5 7 satz, nach derselben auf den doppelten, später auf den vierfachen; Verbannung aber traf nur ’ PI ‚SI 5 den, welcher sich dem Gericht entzog. L. Servilia Cap.xı.xvum. Klenze alL.Serviliam ’ 5 I p- 49.70.— In den Pandekten kommen folgende Vermögensstrafen bei publicis tudiciis vor: Residuum, ein Drittheil des Werthes als Straferhöhung (L.4. 8.5. ad L. I. pceul.) vis privata, 5 R li F ein Drittheil des Vermögens (L.1. pr. L.8. ad L. I. de vi priv.) annona, 20 aurei (L.2. $.2. de L. I. de ann.) plagium, Geldstrafe (de L. Fabia). Histor, philol. Abhandl. 1833. B 10 v. Sıvıcnv: von dem Schutz der M inderjährigen daraus, dafs in der That der Betrug gegen einen Minderjährigen unbedingter auf eine.chrlose, nichtswürdige Gesinnung schliefsen läfst, als die Verlet- zung manches Staatsverhältnisses. Und dafs man die Sache in der That von dieser Seite betrachtete, erhellt auch aus dem Ort, wo die Zex Plaetoria er- wähnt wird, nämlich unmittelbar hinter dem Diebstahl, der unredlich ge- führten Tutel, und anderen gleich verächtlichen Vergehen gegen Privatper- sonen. — Allerdings könnte man gegen die hier aufgestellte Ansicht einen Zweifel aus der allgemeinen Regel erheben, nach welcher jede Verurthei- lung in einem indicium publicum, ohne Unterschied der Verbrechen und der Strafen, infamiren soll ('). Allein dafs gerade diese Regel in ihrer Allge- meinheit erst späteren Ursprungs ist, würde schon aus unsrer Stelle der ta- bula Heracleensts gefolgert werden können, mufs aber auch schon aus ande- ren Gründen für unzweifelhaft gehalten werden (?). Jene Handlung also war mit einer blofsen Geldstrafe bedroht, aber die Folge der Strafe war die Ehrlosigkeit, das heifst nach Römischen Begrif- fen der unwiederbringliche Verlust aller politischen Rechte. Und eben aus dieser harten Folge wird es völlig gewifs, dafs die Strafe durchaus nicht an- ders als im Fall des dolus, so wie es Cicero geradezu sagt, eintreten konnte: denn aufser dem Fall des dolus kommt bei keinem Vergehen die Ehrlosig- keit vor. In demselben Fall aber, für welchen diese Strafe angeordnet war, sollte zugleich der Minderjährige gegen die Verpflichtung aus dem betrüg- lichen Vertrag unmittelbar geschützt werden. So lange der alte Civilprozefs auf dem System der /egis actiones beruhte, in welcher Zeit man noch keine Exceptionen kannte (°), wurde ohne Zweifel dieser Zweck durch Sponsio- nen erreicht, und davon findet sich wiederum eine ganz bestimmte Erwäh- nung g in einer Stelle des Plautus, mit ausdrücklicher Angabe der fünf und !) L.7. D. de publicis iudiciis (48.1.) von Macer. p ( (*) In dem prätorischen Verzeichnils der Ehrlosen (L.1. D. de his qui not.) kommen diese Verurtheilten nicht vor, und bei der vis privata wurde der Verurtheilte noch besonders durch ein Senatus consult für unfähig zum Senat u. s.w. erklärt „quasi infamis” (L.1. pr. ad L.I. de vi priv.), was ja unter Voraussetzung jener allgemeinen Regel völlig überflüssig gewesen wäre. () Gajus Lib.4. 8.108. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetorıa. de zwanzig Jahre und des dolus (!): ‚,Cedo qweum habeam iudicem ni dolo malo instipulatus sis, nive etiam dum sim quinque et viginü nalus annos. ” Nachdem aber die Zegıs actiones abgeschafft, und die formulae an deren Stelle getreten waren, wurde der formula aus dem Contract eine exceptio legis Plaetoriae hinzugefügt. Zwar möchte man dieses deswegen bezweifeln, weil eine solche Exception in unsren Rechtsquellen nicht genannt wird, während man er- warten könnte, dafs sie, einmal eingeführt, auch stets fortgedauert haben würde. Allein es ist nicht schwer, für ihr frühes Verschwinden eine völlig befriedigende Erklärung anzugeben. Als nämlich das System der Exceptio- nen im Civilprozefs zur vollständigen Entwicklung kam, führten die Präto- ren eine allgemeine doli exceptio ein, wodurch ein jeder Betrogene ohne Un- terschied die Klage aus einem betrüglichen Vertrag zurückweisen konnte. In der That lag darin eine Ausdehnung der exceptio legis Plaetoriae auf alle Rö- mer überhaupt, ohne Unterschied ihres Alters, und von dieser Zeit an war die besondere Exception der Minderjährigen durch die allgemeine doli ex- ceptio völlig entbehrlich geworden. Dennoch hat sich von der exceptio legis Plaetoriae eine sehr bestimmte Spur in einer Pandektenstelle erhalten, die wir nun als das einzige Zeugnifs für ihr wirkliches Dasein ansehen kön- nen (?). In dieser Stelle beantwortet Paulus die Frage, ob die Exceptionen, welche einen Hauptschuldner gegen eine Klage schützen, auch von seinem Bürgen geltend gemacht werden können? Einige Exceptionen, sagt er, ha- ben ganz individuelle Gründe (personae cohaerent), und diese kann der Bürge nicht gebrauchen: alle übrigen aber, also bei weitem die meisten und wich- tigsten (rei cohaerentes) gebühren dem Bürgen sowohl, als dem Hauptschuld- ner. Diesen letzten Satz nun erläutert er durch folgende Reihe von Bei- spielen: ‚,‚ut rei iudicatae, doli mali, turisturandi, quod metus causa factum est.... Idem dieitur et si pro filiofamilias contra senatus consultum quis fidelus- serit, aut pro minore viginti quinque annis circumscripto. Quod si deceptus sit in re tunc nec ipse ante habet auxılium, quam restitutus fuerit, nec ‚fideiussori danda est exceptio.” Die Exception des Minderjährigen kann nur die der Zex Plaetoria seyn, da die allgemeine doli exceptio schon im Anfang vorkommt, die prätorische Restitution aber erst nachher, und zwar mit ab- (') Rudens 5.3. 24. () L.7. $1. D. de ezcept. (44.1.). 12 v.Sıvıcnvr: von dem Schutz der M. inderjährigen sichtlicher Entgegensetzung, erwähnt wird. Dafs nun hier Paulus die Ex- ception nennt, widerspricht unsrer Ansicht von ihrem früheren Verschwin- den keinesweges. Denn ihm kam es blos darauf an, seine Regel über das Recht der Bürgen durch Beispiele anschaulich zu machen, und dazu konnte ihm allerdings auch eine aufser Gebrauch gekommene Exception dienen. Er wählte sie aber absichtlich, weil sie Gelegenheit gab, darauf aufmerksam zu machen, wie verschieden sich das Recht des Bürgen in der Anwendung zeige, jenachdem eine Restitution nöthig sey oder nicht. Der letzte Theil der ganzen Stelle hat also folgenden Sinn. ,,Der Bürge eines Minderjähri- gen hat gegen den Creditor, welcher betrogen hat, sogleich die exceptio legis Plaetoriae, hat dagegen der Creditor nicht betrogen, sondern ist nur sonst der Minderjährige durch den Vertrag in Nachtheil gekommen, so hat zu- nächst, d. h. bis zur ausgesprochenen Restitution, weder der Minderjährige selbst, noch sein Bürge, eine Exception” (!). In diesem Theil der Stelle bezeichnet der Jurist den Fall des Betrugs durch den Ausdruck ‚,circumseri- pto”, der zwar aufserdem unbestimmt und zweideutig ist, in dieser Anwendung aber wahrscheinlich durch den Sprachgebrauch der Zex Plaetoria als Be- zeichnung des dolus allgemein bekannt war: den Gegensatz, oder die Abwe- senheit des dolus, bezeichnet er durch den Ausdruck ‚‚deceptus in re,” welcher offenbar den Sinn hat, dafs der Minderjährige nicht durch die Unredlichkeit des Gegners (also durch dessen Person) getäuscht worden ist, sondern blos durch eigene Unvorsichtigkeit, oder durch äufsere, zufällige Umstände (?). — (') Bei der Restitution behielt sich der Prätor vor, nach Umständen zu entscheiden, ob er den Bürgen mit restituiren wolle oder nicht. L.13. pr. D. de minor. (*) Diese Erklärung der Worte in re wird vollkommen bestätigt durch folgende Parallel- stelle des Ulpian (L.36. de V.O.): „Idem est et si nullus dolus intercessit stipulantis, sed ipsa res in se dolum habet.” Weil aber dieser Sinn ziemlich versteckt liegt, so sind daraus schr abweichende Lesearten entstanden. Namentlich liest die Vulgata: quod si deceptus non sit iure (so meine Handschrift, ferner ed. Rom. 1476. Nor. 1483. Yen. 1485.). Haloan- der hat non, lälst aber sowohl in re, als iure weg. Zure (obgleich durch die Basiliken unter- stützt) ist entschieden zu verwerfen, da es gar keinen erträglichen Sinn giebt. Das non sit (so wie es Haloander rein aufgenommen hat) ist nur ein Versuch, den Sinn deutlicher auszu- drücken, der auch in dem in re liegt. Und so ist also unbedenklich die oben im Text dargestellte Florentinische Leseart anzunehmen. Vgl. Augustini emend.I.2.— Übrigens wird die Er- klärung der Stelle aus der Zex Plaetoria schon in Cujac. obss. xıx. 29. 33. angegeben. In der neuesten Zeit ist diese Erklärung sehr gut ausgeführt in: Burchardi Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Göttingen 1831. 8. 13. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 13 Ob nun dieser Schutz der Minderjährigen gegen die Klage aus dem Vertrag unmittelbar in dem Gesetz ausgesprochen war, oder ob sie nur als eine con- sequente Folgerung aus dessen Strafbestimmung angesehen wurde, läfst sich nicht bestimmen. Das letzte Stück endlich, was der Zex Plaetoria durch sicheres Zeug- nifs zugeschrieben wird, ist die Einführung von Curatoren der Minderjähri- gen. Das Einzige, was wir darüber wissen, liegt in einer Stelle des Capito- lin, die jedoch erst weiter unten vollständig angegeben und erklärt werden kann. Hier mögen daraus einstweilen folgende zwei Sätze genügen: Es gab Curatoren, welche auf die Zex Plaetoria bezogen wurden, und diese Curato- ren wurden nicht anders ernannt, als auf die Angabe besonderer Thatsachen, die dazu Veranlassung geben mochten. Hält man diesen Inhalt des einzigen vorhandenen Zeugnisses mit den oben erwiesenen Bestimmungen der Zex Plaetoria zusammen, so ergiebt sich folgende Erklärung der Curatoren als sehr wahrscheinlich. Durch die Besorgnils vor einer, wenngleich unbegrün- deten, Anklage aus jenem Gesetz konnten gerade ehrliebende Personen ab- gehalten werden, sich überhaupt mit Minderjährigen in Geschäfte einzulas- sen, wodurch diese zu ihrem grofsen Schaden genöthigt worden wären, sich an zweideutige Menschen zu wenden. Um diesen verkehrten Erfolg zu ver- hüten, mag nun das Gesetz hinzugefügt haben, der Minderjährige könne sich für den einzelnen Vertrag vom Prätor einen Curator als Rathgeber erbitten, durch dessen Zuziehung (!) dann der andere Contrahent gegen jede Crimi- nalanklage, vielleicht auch gegen die Exception, gesichert seyn solle. Fassen wir den Inhalt unsrer Untersuchung zusammen, so waren die ’ 8 sicheren Bestimmungen oder Folgen der Zex Plaetoria diese: Erstlich sollte der Betrug gegen den Minderjährigen durch Criminalklage, Geldstrafe, und Ehrlosigkeit bestraft werden. Zweitens sollte der Minderjährige gegen die Contractsklage des Betrügers durch eine Exception geschüzt sein. Drittens sollten die Folgen der Zex Plaetoria durch Zuziehung eines Curators zu je- dem einzelnen Vertrag abgewendet werden. (‘) Vielleicht wurde die Einwilligung des Curators in den Vertrag gefordert, vielleicht nur seine Anwesenheit, damit der Minderjährige nicht unberathen bliebe. Nach dieser letzten An- nahme wäre ein solcher Curator dem Geschlechtsvormund des Lübischen Rechts ähnlich gewesen. 14 v.Savıenv: von dem Schutz der Minderjährigen Allein mit diesem Inhalt des Gesetzes haben sich die Meisten unter den Neuern nicht begnügen wollen. Sie fügen vielmehr noch zwei andere Bestimmungen hinzu, wodurch das Gesetz eine ganz verschiedene Bedeu- tung erhält. Erstlich soll es alle Stipulationen und zweitens alle Gelddar- lehen, worin ein Minderjähriger Schuldner war, für nichtig erklärt haben. Auch möge man nicht glauben, dafs diese Meinung wohl nur auf den Fall des Betrugs in den genannten Verträgen zu beziehen seyn dürften, in welchem Fall sie mit der unsrigen identisch oder wenigstens nahe verwandt seyn würde. Denn die Vertheidiger derselben behaupten die allgemeine Nichtigkeit jener beiden Verträge noch neben der Ungültigkeit aller betrüglichen Verträge überhaupt, betrachten also diese Bestimmungen völlig verschieden und un- abhängig ('). Bedenkt man nun, wie häufig und wichtig im ganzen Verkehr der Römer besonders die Stipulationen waren, so ist es einleuchtend, dafs nach dieser Annahme die Minderjährigen durch die Zex Plaetoria fast ganz ereditlos, also den Unmündigen ziemlich ähnlich werden mufßsten. Dieser Meinung nun stehen folgende ganz entscheidende Gründe ent- gegen. Zuerst mufste schon durch die oben entwickelte politische Rück- sicht eine so starke Beschränkung der Minderjährigen als ganz unzulässig er- scheinen. — Ferner war diese Bestimmung 8 ihren eigenen Vertheidigern zugeschrieben wird, völlig undenkbar. Waren in der Begränzung, die ihr von nämlich die Minderjährigen unfähig Stipulationen zu schliefsen, so mufsten sie nolhwendig eben so gut als die Unmündigen Tutoren erhalten, durch deren Juctoritas sie hätten fähig gemacht werden können; von solchen Tu- toren aber ist durchaus keine Spur zu finden, ja selbst ihre Möglichkeit wird durch den zu allen Zeiten anerkannten Grundsatz ausgeschlossen, dafs die Tutel im Augenblick der Pubertät allgemein und nothwendig aufhört. Auch wäre es ganz widersinnig gewesen, ihre Stipulationen für nichtig zu erklä- ren, die weit gefährlichere Veräufserung des Eigenthums aber ihnen zu ge- statten; dafs ihnen aber auch diese untersagt gewesen wäre, behauptet Nie- mand. — Dann wird durch jene Annahme die ganz sichere Strafe der Zex (‘) So z.B. Heineccius hist. iuris P.1. 8.99. und Antiqu. Lib.1. T.23. 8.6, welcher fünf Kapitel der Lex Plaetoria annimmt, und dem hierin die meisten gefolgt sind. Natürlich macht er nun aus jeder einzelnen Stelle alter Schriftsteller einen solirten Rechtssatz und ein be- sonderes Kapitel, welches unkritische Verfahren auch sonst gar häufig bei ihm wahrzunehmen ist. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 15 Plaetoria völlig überflüssig, und daher unerklärlich. Denn wenn alle Sti- pulationen überhaupt gegen die Minderjährigen unwirksam waren, so war kein Bedürfnifs vorhanden, die Verträge worin sie betrogen wurden, und die ihnen ja doch nicht schaden konnten, mit Strafen zu bedrohen. Eben so waren die Versprechungen der Unmündigen von jeher nichtig, und Nie- mand dachte daran, diejenigen von welchen sie dazu verleitet, vielleicht auch betrogen seyn mochten, mit Strafen zu bedrohen. Ganz anders mit der auch von mir angenommenen Unwirksamkeit der betrüglichen Verträge, neben welcher allerdings auch noch die Strafe vom Gesetz angedroht wurde. Denn in diesem Fall konnte sich der Betrüger leicht mit der Hoffnung schmeicheln, der Betrug werde nicht entdeckt oder nicht bewiesen werden, und dieser Hoffnung durch die Furcht vor der harten Strafe ein Gegenge- wicht zu geben, war wohl zweckmäfsig. — Endlich widerspricht jener An- nahme auch alles Dasjenige, was uns über das Recht der späteren Zeit sicher bekannt ist. Es widerspricht ihr das ganze Recht der prätorischen Restitu- tion, welche den Minderjährigen für alle ihre Handlungen, namentlich auch für Stipulationen und Darlehen (!), zugesagt wurde, und welche doch bei an sich nichtigen Handlungen nicht blos überflüssig, sondern ganz unmög- lich war (?). Es widerspricht ihr der unzweifelhafte Umstand, dafs in dem späteren Recht diese angebliche Nullität aller Stipulationen der Minderjähri- gen gar nicht erscheint, vielmehr diese im Genufs einer sehr ausgedehnten Handlungsfähigkeit gefunden werden. Es ist aber kaum zu begreifen, wie die Nichtigkeit ihrer Stipulationen, wenn sie einmal gesetzlich ausgesprochen war, ganz unvermerkt hätte verschwinden sollen. Bei so vielen und starken allgemeinen Gründen gegen jene Meinung, möchte man erwarten, dafs sehr scheinbare einzelne Zeugnisse zu ihrer Un- terstützung vorgebracht wären. Aber auch diese sind ungemein schwach. Das erste Zeugnifs liegt in der schon oben angeführten Stelle des Plautus, worin der Minderjährige klagt, die Zex quinavicenaria bringe ihn ins Verder- ben, und als Grund hinzufügt: metuunt credere omnes. Diese Stelle soll die Nichtigkeit des Gelddarlehens an einen Minderjährigen beweisen. Allerdings (') 1.34. 8.1. L.27. 8.1. D. de minoribus. (*) 1.16. pr. $.1.3. D. de minoribus: ,,Et generaliter probandum est, ubi contra- clus non valet, pro certo Praetorem se non debere interponere.” 16 v.Sıvıecny: von dem Schutz der Minderjährigen hätte sich ein Creditor vor der Nichtigkeit des Darlehens, also vor dem Ver- lust des Geldes, fürchten können; allein aueh in der Strafe der Zex Plae- toria lag Grund genug zur Furcht. Denn wie leicht konnte ihm einmal der Vorwurf gemacht werden, er habe den Minderjährigen durch schlechtes, oder falsch gezähltes und gewogenes Geld, oder durch andere Wucherkünste betrogen; daher konnten es wohl die Creditoren für sicherer halten, ihr Geld an volljährige Schuldner auszuleihen. Sonach beweist also jene Stelle für die Nichtigkeit des Darlehens keinesweges. — Die zweite Stelle, worauf man sich beruft, und zwar um bei den Stipulationen die Nichtigkeit zu be- weisen, wird aus einem verlornen Buch des Suetonius von Priscian an zwei verschiedenen Orten und mit verschiedenen Worten angeführt. An beiden Orten kommt es dem Priscian nur darauf an zu beweisen, das Wort stipuları, welches fast immer nur die Handlung des Creditors, also den Erwerb eines Rechts bezeichnet, werde zuweilen für die Handlung des Schuldners, also für stipulatione obligari, gebraucht; alles Übrige ist ihm hier gleichgültig. Die eine Stelle nun lautet so (!): ‚,‚Suetonius in quarto Praetorum: minor xxv. annorum suipulari non potest, passive dixit.” Hier scheint nun allerdings die Unfähigkeit des Minderjährigen zur Stipulation, also die Nichtigkeit dersel- ben, ausgedrückt. Allein das andere Citat derselben Stelle ist offenbar ge- nauer und lautet so (?): ,‚,‚‚Suetonius autem passive protulit in quarto Praeto- rum: Laetoria (Plaetoria), quae vetat minorem annis xxv. stipulari.” Dieses vetat stipulari braucht nun gar nicht von Unfähigkeit und Ungültigkeit ver- standen zu werden, vielmehr wurde genau derselbe Ausdruck auch von sol- chen Gesetzen gebraucht, die blos eine Strafe drohten, ohne die Gültigkeit der verbotenen Handlung aufzuheben (°). Die vollständige Stelle des Sue- ton, die wir nicht kennen, bezog sich also ohne Zweifel auf die Strafe, wo- mit die Zex Plaetoria den Betrug gegen die Minderjährigen bedrohte: viel- 3 leicht mit ausdrücklicher Erwähnung der Stipulation, als des wichtigsten Falls, doch ohne andere Fälle auszuschliefsen. — So bleibt denn also zur (') Priscianus Lib. 18. C. 19. (?) Priscianus Lib.8. C.4. (°) Ulpian. prooem. 8.2.: „Minus quam perfecta lex est quae vetat aliquid fieri, et, si factum sit, non resceindit, sed poenam iniungit ei qui contra legem fecit: qualis est lex Furia testamentaria” etc. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. Am. Rechtfertigung der hier geprüften, bei den Neueren so sehr verbreiteten, Meinung über die Zex Plaetoria gar Nichts übrig. Dritter Abschnitt. In integrum Restitutio. Indem die Zex Plaetoria auf der einen Seite die Freiheit der Minder- jährigen unbeschränkt liefs, auf der andern aber Diejenigen, welche mit ih- nen Verträge geschlossen hatten, nur im Fall des Betruges verfolgte, bewiefs sie die höchste Schonung aller Verhältnisse. Wahrscheinlich war es aber gerade diese Schonung, wodurch der gewünschte Schutz der Minderjährigen entkräftet wurde, indem der Beweis des Betruges überall schwer zu führen ist, um so schwerer wenn der vorsichtige Betrüger in Zeiten darauf denkt, diesen Beweis zu vereiteln. So erklärt es sich, warum nachher, und viel- leicht nicht lange nachher, ein ganz anderes Schutzmittel nöthig gefunden wurde, welches sich so praktisch bewährte, dafs es sich durch alle Jahrhun- derte erhielt, und mit den Iustinianischen Rechtsbüchern zu uns herüber nach Deutschland kommen konnte. Der Prätor nämlich erklärte im Ediet, dafs er die Minderjährigen ge- gen jedes Thun oder Lassen, welches ihnen schädlich werden möchte, in integrum vesüituiren wolle. Hatten sie also aus Unvorsichtigkeit Verträge geschlossen oder Veräufserungen vorgenommen, so war die Handlung zu- nächst gültig und wirksam, aber der Prätor konnte sie dergestalt aufheben, dafs sie als nicht geschehen angesehen und also hinterher in ihren Wirkun- gen nach allen Seiten vernichtet wurde. Auch hier also blieb die Freiheit der Minderjährigen unangetastet, der Schutz aber war weit durchgreifender, indem der Prätor diese Hülfe richt auf die enge Gränze des Betruges ein- schränkte, sondern sich vorbehielt, nach freier und billiger Berücksichtigung aller Umstände zu handeln. Damit jedoch für die Personen, welche sich mit Minderjährigen eingelassen hatten, nicht eine endlose Unsicherheit ihrer Rechte entstehen könnte, wurde diese Hülfe an die Bedingung geknüpft, dafs sie entweder noch während der Minderjährigkeit, oder im ersten Jahr nach derselben, gesucht werden müsse. Die praktische Wirksamkeit dieses Schutzmittels ist auf den ersten Blick einleuchtend; dagegen erscheint es sehr bedenklich durch die fast un- Histor. philol, Abhandl. 1833. C 15 v.Sıvıeny: von dem Schutz der Minderjährigen begränzte Willkühr, die in die Anwendung gelegt werden konnte, und die mit dem sonst bekannten Character des Römischen Rechts so wenig über- einstimmt. Es ist aber zu bedenken, dafs diese Anwendung nicht den ge- wöhnlichen Richtern überlassen blieb, sondern als ein Reservat des Prätors behandelt wurde; in dessen eigenthümlicher und hoher Stellung aber lag gar Vieles, was gegen Willkühr und Bedrückung Sicherheit gewähren konnte. Zuerst die einjährige Dauer der Prätur. ‚Ein lebenslängliches Richteramt, oder auch ein Richtereollegium, welches nie abstirbt, kann durch eine zu freie Stellung für das Recht der Bürger gefährlich werden, nicht so ein Rich- teramt, das auf die kurze Zeit eines Jahres beschränkt ist. — Dazu kommt der eigenthümliche Grundsatz des Römischen Staatsrechts, nach welchem jede Amtshandlung eines Magistratus durch den Einspruch eines gleichen oder höheren Magistratus oder auch eines Volkstribuns, verhindert werden konnte. Der praetor urbanus (von welchem hier zunächst die Rede ist) stand also unter der steten Aufsicht der beiden Consuln, aller übrigen Prätoren, und aller Tribunen, und jede unter diesen vielen Personen konnte durch ein einziges Wort seiner Willkühr Schranken setzen. — Endlich kommt hinzu, dafs Alles was der Prätor that, vor den Augen des ganzen Volks ge- schah; die Meinung dieses Volks aber war für ihn von der höchsten Wich- tigkeit, indem durch diese Meinung Alles, was er ferner an Macht und Ein- flufs suchte, insbesondere sein nächstes und höchstes Ziel, das Consulat, gewährt oder versagt werden konnte. — So ist es zu erklären, warum über den Misbrauch der Restitution, die allerdings ein sehr gefährliches Aussehen hat, bei alten Schriftstellern keine Klage zu finden ist. Betrachten wir endlich diese neue Anstalt in ihrem geschichtlichen Zusammenhang mit der Zex Plaetoria, so ist es klar, dafs in ihr ein neuer und grofser Schritt in dem Schutz für die Minderjährigen enthalten war. Die Regel der Zex Plaetoria, beschränkt auf den Betrug gegen Minderjährige, hatte den Anfang gemacht. Zu ihr trat hinzu auf der einen Seite die allge- meine, nicht auf Minderjährige beschränkte, doli exceptio: von der andern Seite die allgemeine, nicht auf Betrug beschränkte, Restitution der Minder- jährigen. Durch beide sehr ausgedehnte Rechtsinstitute mufste die enge Re- gel der Zex Plaetoria völlig absorbirt werden, und es wird dadurch leicht begreiflich, warum von diesem Gesetz bei den alten Juristen fast jede Spur verschwunden ist. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 19 Vierter Abschnitt. Constitution von Marc Aurel. In den Schriften des Ulpian und seiner Zeitgenossen wird eine blei- bende Curatel über die Minderjährigen als allgemeines, regelmäfsiges Ver- hältnifs erwähnt. Eine dieser Stellen deutet darauf hin, dafs diese Anstalt damals noch ziemlich neu war (!), und es stimmt damit der Umstand über- ein, dafs davon in früheren Zeiten keine sichere Spur vorkommt (?). Wann und von wem diese Anstalt gegründet worden ist, sagen unsere Rechtsquel- len durchaus nicht; dagegen findet sich darüber eine ganz bestimmte Nach- richt in folgender Stelle des Capitoliums (iz Marco Cap. 10.): ‚,De curato- ribus vero, quum anle nonnisi ex lege Plaetoria, vel propter lasciviam, vel pro- pter dementiam darentur, ita statuit, ut omnes adulü curatores acciperent non redditis causıs.” Das unzweifelhafte in diesem Zeugnifs ist allein der Satz, dafs Mare Aurel zuerst eine allgemeine Curatel der Minderjährigen eingeführt hat: al- les Übrige ist Gegenstand der verschiedensten Auslegungen gewesen, und daher in hohem Grade bestritten. Ich will die Erklärung, die ich für rich- tig halte, zuerst so darstellen, dafs ich dabei ergänze, was der Schriftsteller gedacht und nicht ausgedrückt hat, dann aber dieselbe durch Bemerkungen über einzelne Ausdrücke und über den Zusammenhang der ganzen Stelle zu rechtfertigen suchen. Bis auf Marc Aurel gab es nur drei Fälle einer Curatel: 1. Aus der Zex Plaetoria, d.h. wenn ein Minderjühriger ein Geschäft schliefsen wollte, und sich daher einen Curator besonders erbat (also (') L.1.8.3. D.de min. „Et ideo hodie in hanc usque aetatem (XXY. annorumm) ado- lescentes curatorum auzxilio reguntur” etc. Das hodie bildet den Gegensatz gegen das vor- her erwähnte weit ältere prätorische Edict. (?) Als solche frühere Spuren werden angegeben: 1) Dio Cassius Lib.52. C.20, worin Mäcenas in seiner Rede auf eine solche allgemeine Curatel, als auf eine bekannte Sache, anspielt. 2)L.8. D.de adopt. Die erste Stelle kann jedoch unmöglich als historisches Zeugnils gelten, da es dem Geschichtsschreiber für seinen Zweck gleichgültig seyn konnte, ob eine Einrichtung der späteren Zeit in die Zeit des August versetzt werde. Die Pandektenstelle aber, die weiter unten erklärt werden wird, sagt etwas Anderes. C2 20 v.Sıvıcnv: von dem Schutz der Minderjährigen reddita causa), nämlich um den andern Contrahenten gegen Vorwurf und Anklage sicher zu stellen (!). Wegen Verschwendung, und . Wegen Wahnsinns; in beiden Fällen nämlich zunächst die Agnaten oO 8 und Gentilen als Zegitimi curatores, nach den zwölf Tafeln, und wenn es für sie an den gesetzlichen Bedingungen fehlte, ein anderer, vom Prätor ernannter, Curator (?). Er aber führte jetzt eine Curatel ein, die für alle Minderjährige über- haupt eintreten sollte, und zwar ohne Rücksicht auf besondere Ver- anlassungen, also auch nicht vorübergehend bis zu Beendigung des einzelnen Geschäfts (*). Am meisten Anfechtung hat die Annahme gefunden, nach welcher hier drei Fälle gedacht sein sollen, während es nicht heifst: nonnisi vel ex L. Plae- toria, vel propter lasciviam ete., sondern: nonnisi ex L. Plaetoria, das erste vel aber, sagt man, sey unter Voraussetzung jenes Sinnes, der Sprache nach, ganz unentbehrlich (*). Allein eine so absolute Behauptung ist schon an sich bei einem Schriftsteller wie Capitolin sehr bedenklich; sie verliert aber alles Gewicht, wenn man erwägt, dafs zwar regelmäfsig jedem Glied einer solchen Disiunction das ve? vorgesetzt zu werden pflegt, dafs aber Ausnah- men von dieser Regel bei Schriftstellern aller Zeitalter vorkommen (°), wo- durch also auch in unsrer Stelle die Behauptung einer solchen Ausnahme ganz unbedenklich wird. Man kann nun höchstens sagen, der gewählte Aus- druck sey tadelnswerth wegen des möglichen Doppelsinns, aber nicht dafs er beispiellos und daher grammatisch unmöglich sey. — Ferner hat Anstofs (9) 520.8.10: () Ulpian. Tit.12. $.1. 2.3. (°) Im Wesentlichen findet sich diese Erklärung bei Heineccius hisi. iuris 1. 8.99, anti- quit. tit. I. de curat. 8.6, uud ad Finnium $.2. I. de curat. Ihm sind hierin, mit mancher- lei Modificationen im Einzelnen, die Meisten unter den Neueren gefolgt. (*) Höpfner 8.7. Boelens p.61. (?) Plauti Mercator 1. 2. v.38. 39: „cape cultrum, seca digitum vel aurem, wel tu „nasum, vel labrum.” Columella 1. 17. (18): „Jgitur cum locum... per autumnum ra- „pis vel napo vel etiam fama conseremus.” Tacitus annal.1. 3: „Calum, remeantem „.Irmenia et vulnere invalidum, mors fato propera vel novercae Liviae dolus abstulit” im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 21 erregt, dafs Zascivia die Eigenschaft eines Verschwenders bedeuten soll. Al- lerdings ist dieser Ausdruck die sehr allgemeine unbestimmte Bezeichnung jeder Ausgelassenheit, welche in den verschiedensten Graden und Anwen- dungen so genannt werden kann, also auch in Fällen, in welchen an Ver- schwendung gar nicht gedacht wird. Aber gerade der allgemeinere, chara- cterlosere Ausdruck konnte dem Geschmack eines solchen Schriftstellers vorzugsweise zusagen; nicht zu gedenken, dafs es an einer recht gebräuch- lichen unmittelbaren Bezeichnung für den Character des prodrgus fehlt, denn weder prodigentia, noch prodigitas oder prodigalitas kommt häufig vor. — Auch dementia für Wahnsinn hat Anstofs gefunden, da es vielmehr Verstan- desschwäche bedeute, anstatt dafs der Zustand des Wahnsinnigen durch fu- ror und furiosus bezeichnet werde, namentlich in den zwölf Tafeln. Mit diesem Ausdruck verhält es sich also. Zuvörderst sind ganz unbrauchbar solche Stellen, worin der Ausdruck eine figürliche Bedeutung hat, und ei- nen hohen Grad von Unvernunft oder Thorheit bezeichnet: es kann also nur von solchen Stellen die Rede seyn, worin ein bestimmter Geisteszustand mit seinem eigentlichen Namen bezeichnet werden soll. Beschränkt man sich auf diese, so ist bei den bewährtesten Schriftstellern demens und furio- sus völlig gleichbedeutend, indem jenes und dieses jede völlige Vernunfilo- sigkeit bezeichnet, ohne Unterschied .der äufseren Erscheinung derselben: bei welchem Sprachgebrauch denn ohnehin von verschiedenen Rechten die- ser Zustände nicht die Rede seyn kann. So unterscheidet Cicero die gänz- liche Abwesenheit des Vernunftlichts, oder die völlige Geistesblindheit, von dem blofs unvollständigen, zu manchen Lebenszwecken hinreichenden, Ver- nunftgebrauch: jenes nennt er abwechselnd amentia, dementia, furor, dieses dagegen insania oder stultitia (). Derselbe Sprachgebrauch findet sich bei juristischen und nichtjuristischen Schriftstellern, so dafs für einen und den- selben Fall, mit ganz willkührlicher Abwechselung, bald furiosus, bald de- (') Cicero tuscul. quaest. II. 5: „Nec minus illud acute, quod animi affeclionem, lumine menlis carenlem, nominaverunt amentiam eandemque dementiam.... hanc enim insaniam, quae iuncla stultitiae palet latius, a furore disiungimus... Ita- que non est scriplum: si insanus, sed: si furiosus esse Incipit. Stultitiam enim cen- suerunt constantia id est sanitale vacantem: posse tamen tueri mediocritatem oflieiorum, et vilae communem cultum alque usilatum : fu rorem aulem esse rali sunt menlis ad omnia caecilatem.” 22 v.Sıvıcny: von dem Schutz des Minderjährigen mens gebraucht wird (!). In mehreren anderen Stellen freilich werden furor und dementia wörtlich unterschieden, da denn ohne Zweifel jenes den Wahn- sinn mit heftigen Ausbrüchen, dieses die stille Form des Wahnsinns bezeich- net, beides also doch die wahre, vollständige Vernunftlosigkeit, und ohne dafs ein iuristischer Unterschied an diese verschiedene Benennung geknüpft werden soll, namentlich in Anwendung auf die Curetel (?): denn unstreitig waren beide Formen des Wahnsinns unter der Vorschrift der zwölf Tafeln gleichmäfsig begriffen. Ganz verschieden von jenem Zustand ist der einer blofsen Geistesschwachheit, auf welchen man niemals die Verordnung der zwölf Tafeln bezog, obgleich späterhin die Prätoren auch in diesem Fall, wie bei jeder gänzlichen Hülflosigkeit, Curatoren gaben (?): dieser Zustand wird mit verschiedenen Namen belegt (*), aber es ist durchaus keine Stelle vorhanden, worin dementia als Bezeichnung desselben vorkäme. Legt man nun diesen Sprachgebrauch zum Grunde, so ist es nicht blofs zulässig, son- dern nothwendig, auch bei Capitolin unter dementia den eigentlichen Wahnsinn zu verstehen, also gerade den Fall, welcher in den zwölf Tafeln gemeint, und mit dem gleichbedeutenden Wort furiosus bezeichnet ist. — Ferner ist noch auf das Wort darentur Gewicht gelegt worden. Nach unsrer Erklärung sind hier zunächst und hauptsächlich die Zegitimi curatores der zwölf Tafeln gemeint: dieses, sagt man, sey unmöglich, weil Capitolin ausdrücklich von einer cura dativa rede, also nicht von einer legitima. Um (') Lactantius de vita beataV1. 12: „et in furiosis mens extinguitur, anima ma- net: el ideo non ewanimes, sed dementes vocantur.”’ — L.7.$.1. D.de cur. fur. „si heredes dementis easdem res vindicent, quas curator alienavit, et exceptio oppo- netur ... replicatio dari debet... quod si pretio accepto curator creditores furiosti di- misit, triplicatio doli tutos possessores praestabit.” Ganz eben so L.14. D. de obs. praes. in einem Rescript von D. Marcus. (?) L.6. D. de cur. fur. „quoniam plerique vel furorem vel dementiam fin- gunt, quo magis curatore accepto” etc. Eben so reden L.8. $.1. de tutor. et curator. L.25. C. de nupt. L.28. C. de ep. aud. L.28. 8.1. C. de adminisır. () $.4 J.de cur. L.2. D.de cur. fur. (*) Fatuus L.2. D. de postul. L.21. D. de reb. auct. ind. — Mente captus. 8.4. I. de cur. L.45.$.2. D. de excus. Dieser Ausdruck ist jedoch schwankend; und bezeichnet sogar häufiger den wahren Wahnsinn, so dals es dann mit demens gleichbedeutend wird. Fes- tus v. Mente captus L.2. C. de cur. fur. L.9. C. de impub. et al. subst. L.25. C. de nupi. L.28. C. de ep. aud. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 23 diesen Einwurf zu widerlegen, ist es gar nicht nöthig, von Capitolin als einem Nichtjuristen den Anspruch auf die äufserste Genauigkeit des juristi- schen Sprachgebrauchs abzuwehren: denn Ulpian selbst braucht den Aus- druck dare von der cura legitima ('), und da Capitolin gewifs nicht ver- pflichtet ist, in juristischen Dingen genauer zu schreiben als Ulpian, so mag auch in unsrer Stelle darentur eben so viel heifsen als essent oder fierent. Der Sprachgebrauch war also bei der Curatel nicht derselbe wie bei der Tu- tel (?). — Endlich das non redditis causis drückt offenbar den Gegensatz aus gegen ein in den vorhergehenden Fällen gedachtes, aber verstecktes, redditis causis: mag man nun diese causa, wie Einige wollen, auf die An- führung der Dummheit oder Ausschweifung beziehen, oder nach unsrer Er- klärung auf ein abzuschliefsendes Rechtsgeschäft. Dagegen ist völlig ver- werflich die neuerlich versuchte Erklärung, nach welcher es so viel heifsen soll als: anteguam a tutore rationes redderentur (°) Die gröfste Wahrscheinlichkeit erhält diese Erklärung der Stelle durch den historischen Zusammenhang. Denn der Curator der Minderjährigen , dessen Einführung nun der Zex Plaetoria zugeschrieben wird, pafst zu ihrem sonst bekannten Inhalt so vollständig, dafs derselbe dadurch sogar eine wahre Ergänzung erhält: ein fremdartiger Gegenstand wird dagegen in das Gesetz ö auf keine Weise hineingetragen. Man hat den Einwurf gemacht, die histo- rische Aufzählung des Capitolini bleibe nach dieser Erklärung unvollstän- dig, indem die Curatel der Abwesenden, der Geistesschwachen u. s. w. fehle. Dieser Entwurf ist wahr, trifft aber jede Erklärung, widerlegt also keine: auch konnte sich füglich Capitolin mit einer Aufzählung der wichtigeren Fälle begnügen wollen, oder auch derjenigen Fälle, welche ihren Grund in einem Gesetz hatten, nicht in der blofsen Gerichtsbarkeit der Prätoren. Man hat ferner den Mangel an natürlicher Ordnung gerügt, der nun in der Stelle wahrgenommen werde: indem sie erst von Minderjährigen und der Zex Plaetoria rede, dann von Verschwendern und Wahnsinnigen mit Hinweisung (') Ulpian. Tit.12. 8.1: „Curatores aut legitimi sunt, id est qui ex lege xı1. tab. dantur” ete.$.3: „his enim ex lege curator dari non poterat.” Eben so redet auch L.3. 8.1. D. de tutelis. (*) 1.5. pr. D.de legit. tutor. (°) Boelens p. 67. 104. 114. 24 v. Sıvıcnı: von dem Schutz der Minderjährigen auf die weit älteren zwölf Tafeln: endlich wieder von den Minderjährigen. Aber gerade der Umstand, dafs die Constitution von Marc Aurel die Min- derjährigen betraf, konnte den Geschichtschreiber veranlassen, auch mit der älteren Curatel der Minderjährigen seine historische Übersicht zu eröffnen, dann aber von den übrigen Curatelen nur dasjenige mit wenigen Worten hin- zuzufügen, ohne welches die Übersicht gar zu unvollständig geblieben wäre. Viele Schriftsteller aber haben über die Stelle des Capitolin ganz andere Gedanken. Ihre Erklärungen kommen darin überein, dafs sie die lascivia und dementia, als Veranlassungen einer Curatel, der Zex Plaetoria nicht coordiniren, sondern subordiniren. Nach ihnen also wollte Capitolin sagen: vor Marc Aurel gab es keine andere Curatel (wenigstens keine andere Dativcuratel) als aus der Zex Plaetoria, und diese bezog sich nur auf Zasci- via und dementia. In der genaueren Ausführung aber weichen die Anhänger dieser Meinung wieder sehr von einander ab. Einige verstehen es so, als ob die Zex Plaetoria für alle Verschwender und Wahnsinnige (ohne Rücksicht auf ihr Alter) eine Dativcuratel angeordnet hätte in den Fällen, worin die legitima cura der zwölf Tafeln nicht ausreichte ('). Allein gerade in solchen Fällen gründete sich die Curatel, wie Ulpian ausdrücklich sagt, nicht auf eine Lex, sondern lediglich auf die Jurisdiction des Prätors (?); nicht zu ge- denken, dafs durch diese Erklärung der Zex Plaetoria ein ganz verschieden- artiger, unzusammenhäangender Inhalt angewiesen wird. — Andere dage- gen und zwar die Meisten, wollen die Curatoren der Zex Plaetoria nur auf Minderjährige beziehen, welche zugleich Zascivi oder dementes wären. Dabei kommt ihnen natürlich der Einwurf entgegen, dafs ja die zwölf Tafeln allen Verschwendern und Wahnsinnigen, sie mochten Minderjährige oder Voll- jährige seyn, bereits Curatoren angewiesen hatten. Diesem Einwurf suchen sie zu begegnen, indem sie die neue Curatel theils auf solche Fälle be- ziehen, worin die zwölf Tafeln in Ermanglung von Agnaten u. s. w. nicht anwendbar waren (3), theils auf solche Minderjährige, welche nicht gerade Verschwender oder wahnsinnig waren, aber doch etwas liederlich oder sehr (') Boelens p. 45. 65. 87. (?) Ulpian. Tit.12. 8.3, verglichen mit $.1. (°) Diese Wendung nun wird wiederum, so wie die vorige Meinung, durch Ulpian. Tit. 12. 8.3. widerlegt. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 25 dumm (!): wobei aber besonders zu bedenken ist, dafs dementia niemals die Dummheit bezeichnet. Der Grund der Dunkelheit, welche über die Verordnung des Marc Aurel verbreitet ist, liegt hauptsächlich in dem Umstand, dafs sie zu einer Zeit erschien, worin die Fortbildung des Rechts durch das prätorische Edict nicht mehr üblich war. Indem nun in dem Edict ihr Inhalt nicht zu finden war, geschah es dafs auch kein Pandektentitel dafür angewiesen wurde, wo- durch doch ohne Zweifel eine zusammenhängendere, umfassendere Behand- lung in unsren Rechtsquellen herbeigeführt worden wäre. Jetzt sind wir darauf beschränkt, uns ihren Inhalt und dessen fernere praktische Entwick- lung aus einzelnen, zerstreuten Stellen der alten Juristen zu abstrahiren, und zwar namentlich aus den Iustinianischen Rechtsbüchern, indem die älteren Erwähnungen bei Gajus und Ulpian (?), zu dürftig sind, um uns wahres Licht geben zu können. Die einfachste Art, dem Bedürfnifs abzuhelfen, hätte auch jetzt noch darin bestanden, die Minderjährigen den Unmündigen gleich zu stellen, d.h. ihre Handlungen für unwirksam zu erklären, und sie zugleich unter Tutoren zu setzen, ohne Rücksicht auf ihre Einwilligung oder ihren Widerspruch. Welche Gründe sich früher einer so durchgreifenden und wirksamen Maafs- regel entgegenstellten, ist oben gezeigt worden, und diese Gründe müssen, ungeachtet der ganz veränderten politischen Verhältnisse, auch jetzt noch für entscheidend gehalten worden seyn; denn es wird sich aus der folgenden Untersuchung ergeben, dafs die Minderjährigen handlungsfähig blieben, und dafs ihnen keine Vormünder aufgedrungen wurden. Man suchte vielmehr den Zweck durch schonende, indirecte Mittel zu erreichen, über deren wahre Beschaffenheit unter den neueren Schriftstellern die verschiedensten Meinun- gen herrschen. Alle Zweifel entstehen aus scheinbaren Widersprüchen in (') ‚Crusius Cap.2. Hertoghe 8.7. Seger 8.6. Breitsprecher 8.14. Höpfner 8.14. — Ganz unhaltbar wird diese Meinung durch die Annahme (z.B. bei Hertoghe), dals die liederlichen oder dummen Minderjährigen nur auf ihre eigene Bitte Curatoren bekommen hätten. (2) Gajus hat höchst wahrscheinlich die Constitution schon gekannt und erwähnt, aber die Hauptstelle hat nicht gelesen werden können. Gajus Lib.1. 8.197. 198, verglichen mit Zpit. Gaji Lib.1. Tit. 8. Histor. philol. dbhandl. 1833. D 26 v. Sıvıcyy: von dem Schutz der Minderjährigen alten, quellenmäfsigen Zeugnissen: indem die Guratel der Minderjährigen auf der einen Seite als eine allgemeine und nothwendige, auf der andern Seite aber als eine freiwillige, folglich auch nicht allgemeine sondern zufäl- lige, dargestellt zu werden scheint. Die Allgemeinheit und Nothwendigkeit der Curatel scheint hervorzu- gehen aus solchen Stellen, worin dieser Zustand als der gewöhnliche und regelmäfsige geschildert wird, zuweilen mit der Bemerkung, dafs die Min- derjährigen noch zu jung seyen, um ihr Vermögen ohne Gefahr verwalten zu können (!): noch bestimmter aber aus den Stellen, welche geradezu sa- gen, es dürfe ihnen die Verwaltung ihres Vermögens gar nicht überlassen werden, die Consuln und Statthalter, welche sie ihnen gestatteten, handel- ten darin ganz unrecht, nur der Kaiser sey zu einer solchen Vergünstigung befugt, aber auch er ertheile sie nur in seltenen Fällen (?). Auf der andern Seite aber wird ganz bestimmt gesagt, dafs der Min- derjährige nur mit seiner Einwilligung, nur auf sein eigenes Verlangen, einen Curator erhalte, welches ohne Zweifel ebensowohl von der Anordnung ei- ner Curatel überhaupt, als von der Wahl einer bestimmten Person zum Ou- rator, zu verstehen ist (*); und wie ernstlich es mit dieser Regel gemeint ist, beweisen gerade die hinzugefügten Ausnahmen, von welchen sogleich weiter die Rede seyn wird. (') 1.1. 8.3. D.de minor. „Et ideo hodie in hanc usque aelatem (XXV. annorum) adolescentes curatorum auwilio reguntur” etc. Yben so drücken sich aus Gaji epit. Lib.1. Tit.8. Ulpian. Tit.12. 8.4. und pr. J. de curat. — Weniger beweist die oben ange- führte Stelle des Capitolin: uz omnes adulti curatores acciperent, denn acciperent mag ebensowohl ein blofses Können, als ein Sollen, bezeichnen. (°) L.1.8.3. L.2. L.3. pr. D. de minor. „... nec ante rei suae administratio eis com- mitti debebit, quamvis bene rem suam gerentibus. — Nec per liberos suos rem suam ma- lurius a curatoribus reciplat ... — Denique D. Severus et Imp. noster hulusmodi Consu- lum wel Praesidum decreta quasi ambiliosa esse interpretati sunt. Ipsi autem perraro minoribus rerum suarum administrationem extra ordinem indulserunt: et eodem iure utimur. (©) $2.I.decurat. „Item inviti adolescentes curatores non accipiunt, prae- terquam in litem.’ 1L.13.8.2. D. de tutor. et curat. „minoribus annorum desideran- tibus curatores dari solent” etc. L.2. $.4.5. D. qui petant. L.43. 8.3. D. de procur. L.6. C. qui petant. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 27 Wie ist nun dieser scheinbare Widerspruch zu lösen? Dazu sind manche ungenügende Versuche gemacht worden. Man hat gesagt, die Nothwendig- keit der Curatel sey zwar von Marc Aurel vorgeschrieben, bald nach ihm aber aufgehoben worden (!); allein beides, Nothwendigkeit und Freiwillig- keit, steht ja neben einander, in Justinians Rechtsbüchern, bestand also gleichzeitig. — Andere sagen, die Curatel überhaupt war nothwendig, die Wahl der Person des Curators frei (), allein die alten Zeugnisse erklären die Curatel selbst für frei, ohne diesen Unterschied anzudeuten: auch ist nicht einzusehen, durch welche Mittel der Minderjährige, wenn er gar kei- nen Curator wollte, genöthigt werden konnte, irgend eine Wahl zu treffen. — Endlich sagt man, im Anfang hatte der Minderjährige völlige Freiheit, hatte er aber einmal einen Curator gewählt, so mufste er ihn behalten (°); man mufs diesen Unterschied wohl zugeben, aber er erklärt nicht, wie die Curatel als gewöhnlicher, regelmäfsig vorkommender Zustand entstehen konnte, da gar nicht abzusehen ist, warum sich die Minderjährigen ganz freiwillig einem fremden Willen hätten unterordnen sollen: denn war es ihnen blofs um Rath und Hülfe in ihren Geschäften zu thun, so konnten sie diese bequemer ha- ben, ohne sich durch eine unabänderliche Wahl zu binden. Die wahre Lösung des Widerspruchs liegt vielmehr in einer indirecten Zwangsanstalt, wodurch ohne Zweifel die Minderjährigen bestimmt wurden, sich zur Bitte um einen Curator zu entschliefsen. An einen solchen indi- vecten Zwang haben wohl schon Manche gedacht, aber, wie ich glaube, nicht auf die rechte Weise. Man hat z.B. angenommen, der Prätor habe auf das Vermögen Beschlag gelegt, so dafs der Minderjährige sich zu einem Curator habe entschliefsen müssen, um nur nicht den Genufs seiner Ein- künfte ganz zu entbehren; allein eine solche amtliche Beschlagnahme wird nirgend erwähnt, sie ist der Römischen Verfahrungsweise völlig unangemes- sen, ja es fehlt dazu ganz an einer anwendbaren Geschäftsform. — Andere sagen, man habe die 'Tutel so lange prorogirt, bis sich der Minderjährige (') Nykerk p.16. (?) Crusius Cap.8. 9. Boelens p.111. 112 (°) Hertioghe$.10. Thibaut Pandekten 8.509 23 v. Sıvıcnr: von dem Schutz der Minderjährigen zur Bitte um einen Curator entschlofs (!), so dafs also die Tutel bis zu fünf und zwanzig Jahren hätte dauern können; aber eine solche Prorogation ist nicht nur unerweislich, sondern es widersprechen ihr die bestimmtesten Zeugnisse, nach welchen die Tutel nie über die Mündigkeit hinausgehen kann (?). Was man etwa als eine solche Prorogation ansehen könnte, ist, wie sogleich gezeigt werden wird, von ganz anderer Natur, und widerlegt gerade am besten eine solche unbestimmte, ausgedehnte Prorogation. — Der wahre indirecte Zwang hängt vielmehr zusammen mit den ausgenommenen Fällen, in welchen der Minderjährige auch unfreiwillig einen Curator er- halten konnte, und diese Ausnahmen sind nunmehr darzustellen. Diese Ausnahmen unterscheiden sich von dem Fall der freiwilligen Bitte insgesammt dadurch, dafs der freiwillig erbetene Curator stets das ganze, gegenwärtige und neu hinzukommende, Vermögen in seiner Verwal- tung hat (?), anstatt dafs der nothwendige Curator stets nur um eines ein- zelnen, beschränkten Rechtsverhältnisses willen gegeben wird (*), dieses Verhältnifs mag 5 einzelnen Fälle der nothwendigen Curatel sind nun folgende (°): nun ein vorübergehendes, oder ein bleibendes seyn. — Die A. Prozefs führen kann der Minderjährige nur mit Beistand und Einwil- ligung eines Curators. Hat er nun ohnehin schon einen allgemeinen Cura- tor auf seine Bitte erhalten, so ist dieser auch zu jedem einzelnen Prozefs hinreichend. Im entgegengesetzten Fall wird er als Kläger so lange gar nicht zugelassen, bis er sich für diesen Prozefs einen Curator erbeten hat. Soll (') Raevardus Varior.1.17. Heineccius ad Finnium $.2. I. de curat. (?) pr. I. quib. modis tut. und andere Stellen. () generalis curator. L.61. D. de iure dot. — generalis administratio. L.6. C. de magistr. conven. — in omnem rem. L.15. D. de tutor. et cur. (*) ad species datus. L.8. D. rem pupilli. (°) Strenge genommen gehört dahin nicht der schon lange vor Marc Aurel angenommene Grundsatz, dafs sich ein Minderjähriger nicht anders als unter Zuziehung eines (von ihm erbe- tenen) Curators arrogiren lassen konnte. L.8. D. de adopt. Denn dieses gehörte nun zu den Formen und Bedingungen der Arrogation, welche daher so lange unterbleiben mufste, bis sich der Minderjährige zu einem Curator entschlossen hatte. Es konnte aber niemals Veranlassung werden, ihm einen solchen aufzudringen. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria, 29 er aber verklagt werden, und weigert sich, auf Verlangen des Klägers einen Curator zu erbitten, (vielleicht um so der Schuldklage ganz auszuweichen), so ernennt jetzt der Prätor auf Antrag des Klägers den Curator, der also in diesem Fall ein nothwendiger, aufgedrungener ist (!). B. Wenn der Schuldner eines Minderjährigen Zahlung leisten will, sich aber nicht sicher glaubt, weil der Minderjährige das Geld verschleudern und sich gegen die Tilgung der Schuld restituiren lassen könnte, so darf dieser Schuldner verlangen, dafs sich der Minderjährige für dieses einzelne Geschäft einen Curator erbitte, und im Fall der Weigerung ernennt ihn wieder der Prätor auf Antrag des Schuldners (?). C. Derselbe Fall endlich kann auch in folgender ausgedehnteren Gestalt vorkommen. Wenn ein Mündel die Pubertät erreicht, so hört die Tutel von selbst auf. Der bisherige Vormund aber soll den Minderjährigen er- mahnen, sich einen allgemeinen Curator zu erbitten. Diese Pflicht wird, obschon ihre Erfüllung erst nach der Pubertät möglich ist, dennoch als das letzte Stück der Tutel angesehen, so dafs ihre Vernachlässigung die tutelae actio begründet: mit der Ernennung des Curators aber hört auch dieser letzte Rest einer amtlichen Verpflichtung des Vormunds auf (?). Wie aber wenn der Minderjährige die Admonition des Vormundes unbeachtet läfst, weil er lieber keinen Curator haben will? Nun steht ihm der Vormund gegenüber (') 82. I. de curat. „inviti adolescentes curatores non accipiunt, praetergquam in litem.” L.1.$.3.4. D. de admin. L.1. C. qui pet. L.11. C. qui dare. L.2. C. qui legit pers. () 1.7.8.2. D. de minor. „... Permittitur etiam ex constitulione principum debitori, compellere adolescentem ad petendos sibi curatores.” Das kann keinen anderen prak- tischen Sinn haben, als den hier zur Erklärung angegebenen. (C) 1.5.8.5. D. de admin. „Si tutor pupillum suum puberem factum non admo- nuerit ut sibi curatores peteret (sacris enim constitutionibus hoc facere iubetur qui tutelam administravit): an tutelae iudicio teneatur? Et magis puto suflicere tute- lae iudicium, quasi connexum sit hoc tutelae officio, guamvis post puber- tatem admittatur.” L.33.$.1. D. de admin. „Officium tutorum curatoribus constitutis finem accipit...” Offenbar ist aus diesen Stellen die Annahme einer pro- rogirten Tutel hervorgegangen, da doch hier die Tutel gar nicht auf die fortgehende Vermö- gensverwaltung, und auf unbestimmte Zeit, ausgedehnt wird, sondern nur auf eine ganz ein- zelne, gleich nach der Pubertät eintretende Verpflichtung. 30 v,Sıavıcnvy: von dem Schutz der Minderjährigen wie im Fall der vorhergehenden Ausnahme jeder Schuldner, der Zahlung leisten will, und zu seiner Sicherheit einen Curator begehrt. Weigert sich also der Minderjährige, so wird der Curator auf Antrag des Vormunds vom Prätor ernannt (!). Ein so bestellter Curator war nun keinesweges dem vom Minderjährigen frei erbetenon Curator ganz gleich. Denn er war nur für dieses specielle Geschäft ernannt, für die Übernahme und fortwährende Verwaltung des bisher von dem Vormund verwalteten Vermögens; aber er war eben wegen dieser ausgedehnten Function einem allgemeinen Curator sehr ähnlich. Der praktische Unterschied zwischen beiden bestand nur da- rin, dafs der allgemeine Curator auch das Vermögen mit in seine Verwaltung zog, was von jetzt an etwa dem Minderjährigen noch zufallen konnte, anstatt dafs der vom Vormund erbetene Curator auf die Verwaltung des bei der Pu- bertät vorhandenen Vermögens beschränkt blieb. Indessen kann man wohl mit ziemlicher Bestimmheit behaupten, dafs es zu diesem Extrem fast nie kam, dafs vielmehr die Minderjährigen fast immer der Aufforderung des Vor- mundes nachgegeben, und sich einen allgemeinen Ourator freiwillig erbeten haben werden. Denn der Vortheil, nunmehr einen Curator nach eigener Auswahl zu erhalten, anstatt dafs ihnen sonst eine unerwünschte Person auf- gedrungen werden konnte, war so grofs, dafs er jede andere Rücksicht leicht überwiegen mochte. Und so kann man wohl mit Sicherheit behaupten, dafs fast alle Minderjährigen, welche früher unter Vormundschaft gestanden hat- ten, mit allgemeinen Curatoren versehen seyn mufsten. Aus dieser Annahme erklärt sich nun ungezwungen Alles, was uns über den wirklichen Zustand in dieser Zeit berichtet wird. Es erklärt sich auf der einen Seite, wie die Ernennung allgemeiner Curatoren von dem freien Willen der Minderjährigen abhängen, und doch zugleich als der gewöhnliche Fall angesehen werden konnte. Es erklärt sich aber auch auf der ande- ren Seite, wie daneben dennoch viele Minderjährige ganz ohne Curato- ren bleiben konnten. Dafs dieses wirklich nicht selten geschah, wird ’ ne = A : Hk (') 1.7. C. qui pet. „.Idmone eam quae quondam pupilla tua fuit ... ut sibi petat euratorem. Quod si ca petere neglexerit, quo maturius possis rationem reddere ad- ministralionis „.. pelere curatorem non velaberis." im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 51 theils durch einzelne Stellen bezeugt (!), theils folgt es aus der fortwäh- renden Erwähnung vorkommender Specialcuratoren in einzelnen Geschäf- ten, welche ja aufserdem weder nöthig, noch auch nur möglich gewesen wären. Diese Erscheinung nun ist keinesweges aus einer misbräuchlichen Nachsicht der Obrigkeiten zu erklären (obgleich auch diese zuweilen vor- kommen mochte), sondern vielmehr auf folgende zwei Fälle zu beziehen. Erstlich wenn bei eintretender Mündigkeit kein irgend bedeutendes Vermö- gen vorhanden war, wodurch das Bedürfnils einer Curatel begründet werden konnte (?): und hierin eben unterscheidet sich diese Curatel von der Tutel, welche in jedem Fall angewendet werden mufste, ohne Rücksicht auf den Umfang des Vermögens. Zweitens wenn der Sohn erst nach erreichter Mün- digkeit aus der väterlichen Gewalt austrat, so dafs er niemals unter einer Tutel gestanden haben konnte. Zwar auch in diesem Fall ist die Befugnils des Minderjährigen, sich einen Curator zu erbitten, aufser Zweifel, aber an einem Zwangsmittel dazu fehlte es gänzlich, und wenn er daher die Unab- hängigkeit vorzog, so konnte er stets ohne einen allgemeinen Curator blei- ben, und sein Vermögen selbst verwalten. Wenn daher Ulpian (xır. 4.) sagt: ,, Praeterea dat curatorem ei eliam, qui nuper pubes Jactus ıdonee negotia sua tueri non polest,” so sehe ich diesen Ausdruck nicht als die allge- meine Bezeichnung eines Minderjährigen an, sondern ich nehme ihn buch- stäblich, und beziehe ihn eben darauf, dafs die regelmäfsige Anordnung solcher Curatoren nur für diejenigen Minderjährigen behauptet werden konnte, welche erst jetzt in die Pubertät eingetreten waren. Auch würde es gewifs kein passender Ausdruch seyn, wenn man Denjenigen, welcher bei seines Vaters Tod vier und zwanzig Jahre alt war, einen zuper pubes factus nennen wollte. Eine kurze Übersicht der praktischen Verhältnisse, wie sie sich in Folge der Verordnung von Marc Aurel gestalten mufsten, wird das Ganze noch anschaulicher machen. (') So z.B. in L.3. C. de in int. rest. min., von welcher weiter unten Gebrauch gemacht werden wird. (?) 1.6. C. qui petant: „... cum puberes minores annis XXV. Ipsi sibi curatores, $1 res corum ewigit, petere debeant.” 32 v. Sıyıcnyr: von dem Schutz der Minderjährigen Der Minderjährige erhält einen allgemeinen Curator nur auf seine Bitte, also auch keine andere Person, als welche er in seiner Bitte bezeich- net. Damit ist aber nicht gesagt, dafs ihm diese Bitte vom Prätor nothwen- dig gewährt werden mufste. Vielmehr prüfte dieser die Tauglichkeit des Vorgeschlagenen (!), konnte ihn also auch verwerfen. Das heifst mit ande- ren Worten: der Minderjährige hatte ein blofses Präsentationsrecht. War der Curator ernannt, so hatte er für sich allein, und ohne Zu- ziehung des Minderjährigen, an dem Vermögen ein eben so freies Verwal- tungsrecht, als während der Unmündigkeit der Tutor. Er konnte also Pro- zesse für dieses Vermögen führen, konnte Schulden eincassiren, konnte Ei- genthum veräufsern, völlig wie ein Tutor (?). In welcher Lage befindet sich nun der Minderjährige? Hier mufs man unterscheiden. In Ansehung des dem Curator untergebenen Vermögens wird der Minderjährige auf ähnliche Weise behandelt wie ein interdicirter Ver- schwender, so dafs seine Veräufserungen aus diesem Vermögen, so wie seine Einziehung von Schuldforderungen, ganz nichtige, wirkungslose Handlun- gen sind (?). Die ganze Ouratel war ja darauf berechnet, ihm dieses Vermö- gen vollständig zu erhalten, daher mufste man ihm jede Verminderung des- selben unmöglich machen. — Dagegen ist die eigene, persönliche Hand- lungsfähigkeit des Minderjährigen durch die Ernennung des Curators gar nicht verändert. Daher kann denn der Minderjährige für sich allein Schul- den contrahiren; diese braucht freilich der Curator aus dem Vermögen nicht zu bezahlen, aber sie sind an sich vollgültig, und der Minderjährige kann (') 1.13. 8.2. D. de tutor. et cur. „si curalor patronus petatur, fides inquisi- tionis pro vinculo cedet cautionis.” (°) 1L.1.8.3.4. D. de administr.— L.14. 8.7. D. de sol. L.7.$.2. D. de minor. — Für das Veräulserungsrecht beweist der Umstand, dafs die positive Einschränkung des Senatus consults auch an ihn gerichtet werden mulste. L.1. 8.2. D. de reb. eor. (°) 1.3. C. de in int. rest. min. „Sicuralorem habens minor XXV. annis post pu- pillarem aetatem res vendidisti, hunc contractum servarinonoporlet: cum non absimilis ei habeatur minor curatorem habens, cui a practore curatore dato bonis inter- dietum est. ‚Si vero sine curalore constilulus contraclum fecisti, implorare in integrum restilulionem, si necdum tempora praefinita excesserint, causa cognita non prohiberis.” im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 33 daraus verklagt werden, sowohl während seiner Minderjährigkeit, als nach derselben. Dieser wichtige Satz ist in mehreren Stellen des Römischen Rechts auf das unzweideutigste ausgesprochen, am deutlichsten in der folgen- den Stelle: ,, Puberes sine curatoribus suis possunt ex stipulatu obligari” ('); d.h. auch solche Minderjährige, welche Curatoren haben, können ohne Zuziehung dieser ihrer Curatoren (also auch wenn diese Nichts davon wissen oder gar widersprechen) durch Stipulation Schuldner werden. Auch ist das, was man aus den Rechtsquellen zur Widerlegung angeführt hat, ganz uner- heblich (?). Allein so bestimmt auch der Satz ausgesprochen ist, so scheint er doch sehr bedenklich, indem es für den Erfolg ganz gleichgültig scheint, ob Jemand sein Vermögen unmittelbar veräufsert, oder ob er sich für den Betrag desselben zum Schuldner macht. Daher haben denn auch neuere Juristen den Satz selbst fortwährend bestritten, und sie haben die gewalt- samsten Mittel versucht, um in jene Stellen einen anderen Sinn zu bringen (°). Indessen zeigt es sich bei genauerer Betrachtung, dafs jener Satz keineswe- ges so widersinnig ist, als Viele glauben, ja dafs ihm vielmehr eine ächt praktische Unterscheidung zum Grunde liegt. Denn contrahirte Schulden bringen nicht durch sich selbst in reellen Nachtheil, sondern erst durch den späteren Zwang zur Erfüllung; gegen diese Gefahr aber sicherte den Min- derjährigen die ihm allgemein zustehende Restitution. Veräufserungen da- gegen können einen so unersetzlichen Verlust zur Folge haben, dafs ihm auch selbst die Restitution abzuhelfen nicht im Stande ist. Es war also ganz con- sequent, den Minderjährigen die Möglichkeit der Verschuldung zu gestatten, und dadurch die persönliche Handlungsfähigkeit fortwährend anzuerkennen: zugleich aber die Verschwendung des vorhandenen Vermögens ganz unmög- lich zu machen. (') L.101. D. de verb. obl. Vgl. L.141. 8.2. eod. L.43. de obl. et act. Fragm. Fat. $.110. (?) Dahin gehört besonders die oben angeführte L.3. C. de in int, rest. min. in den Wor- ten: „hunc contractum servari non oportet,' woraus folgen soll, dafs gerade die Obliga- tion als solche ungültig sey. Allein in der ganzen Stelle ist lediglich von der Veräufserung des Eigenthums die Rede, und contractus heilst also hier das ganze Rechtsgeschäft, dessen Grund- lage freilich ein Kaufcontract war. (°) So z.B. wollte man in der oben eingerückten Stelle emendiren obligare anstalt obligari, oder auch non possunt anstatt possunt. Histor. phiol. Abhandl. 1833. E 34 v. Sıvıcny: von dem Schutz der Minderjährigen Was endlich das gemeinschaftliche Handeln beider Personen betrifft, welches bei der Tutel in der Form der auctoritas so häufig und wichtig war, so kommt dasselbe im Verhältnifs des Minderjährigen zu seinem Curator nur wenig vor. Die ganze Verwaltung des Vermögens besorgte der Curator al- lein. Auch Prozesse konnte er allein führen: nur wenn es darauf ankam, den Prozefs und die iudicati actio gleich unmittelbar auf die Person des Min- derjährigen zu ziehen, und den Curator aus dem Bereich dieser oft gefähr- lichen Wirkungen zu halten, so mufste der Minderjährige selbst den Prozefs führen, der Curator aber seinen consensus erklären. — Wollte sich der Minderjährige arrogiren lassen, so mufste freilich er selbst als Hauptperson handelnd auftreten, aber der consensus des Curators wurde dazu ausdrück- lich erfordert (!). — Endlich wie es gehalten wurde, wenn aus des Minder- jährigen Vermögen etwas auf feierliche Weise, durch mancıpatio oder in iure cessio, veräufsert werden sollte, wird nirgend gesagt. Der Curator war zu diesen Handlungen ganz gewifs unfähig, indem dazu niemals ein fremder Stellvertreter taugte; höchst wahrscheinlich nahm der Minderjährige selbst eine solche Handlung vor, und der Curator erklärte nur seinen consensus, der dann der auctoritas des Tutors ähnlich war, nur weniger förmlich, indem es bei ihm nicht darauf ankam, die der Person an sich fehlende Fähigkeit zu ersetzen (wie bei der auctoritas), sondern nur das in der Interdietion ge- gründete materielle Hindernifs wegzuräumen. — Irrig wäre es, wenn man annehmen wollte, das gemeinschaftliche Handeln Beider hätte dazu benutzt werden können, durch Ausschliefsung der Restitution einem Geschäft grö- fsere Festigkeit zu geben: denn die Restitution sollte gelten ohne Unterschied, ob der Minderjährige allein, der Curator allein, oder jener mit diesem zu- gleich, gehandelt haben mochte (?). Besonders merkwürdig ist noch bei den weiblichen Minderjährigen das Verhältnifs des neu eingeführten Curators zu dem uralten Geschlechts- vormund. Man möchte erwarten, dafs durch die neue Einrichtung die Ge- schlechtsvormundschaft entweder aufgehoben, oder aber dergestalt absor- (') L.8. D. de adopt. () 1.2.3.5. C. si tutor. L.5. C. si adv. rem iud. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 35 birt worden wäre, dafs man stets beide Functionen in derselben Person ver- einigt hätte. Keines von Beiden ist geschehen, vielmehr wurden beide In- stitute als so verschieden in ihrer Veranlassung und ihrem Zweck betrachtet, dafs sie noch lange neben einander bestanden, ohne sich zu berühren. Wollte daher eine Minderjährige eine der vielen Handlungen vornehmen, wozu die auctoritas des Vormundes nöthig war, z.B. eine Schuld contrahiren, so war der Curator nicht fähig, die Stelle des Vormundes dabei zu vertreten (!): so wie auf der andern Seite der Geschlechtsyormund nur auctoriren, nicht das Vermögen verwalten, folglich auch nicht den Curator hierin ersetzen konnte (?). Die Curatel wurde nur durch Ernennung des Prätors, und nur auf die Bitte der Minderjährigen, ertheilt: die Geschlechtsvormundschaft wurde zunächst durch Testament bestimmt, in dessen Ermanglung durch ein allgemeines Rechtsverhältnifs (Zegitima tutela), die Agnation bei Freigebor- nen (aufgehoben durch die Zex Claudia), das Patronat bei Freigelassenen (auch späterhin fortdauernd). Wenn nun z.B. die freigelassene Minderjäh- rige den Patron, der ihr /egitimus tutor war, vom Prätor zu ihrem Curator ernennen liefs, so waren dann zufällig beide Functionen (auctoritas und Ver- mögensverwaltung) in derselben Person vereinigt (?). Durch das zus Zibero- rum endlich wurden alle Frauen, ohne Unterschied des Alters, von der Ge- schlechtsvormundschaft völlig befreit (*): aber auf die Curatel hatte dieses gar keinen Einflufs (°). Durch die von Marc Aurel eingeführte allgemeine Curatel mufste nun die Strafbestimmung der Zex Plaetoria immer überflüssiger erscheinen, und (') Fragm. Faticana $.110: „P. respondit: etiam post nuptias copulatas dotem pro- mitti vel dari posse; sed non curatore praesente promiüti debere, sed tutore ’ auctore,. (?) Ulpian. Tit.11. 8.25: „Pupillorum pupillarumque tutores et negotia gerunt, et aucloritatem interponunt: mulierum autem tulores auctoritatem dumtazxat in- terponu nit.) C) 1L.13. &2. D. de twtor. et cur., worin wahrscheinlich die ausdrückliche Erwähnung der Geschlechtsvormundschaft weggestrichen worden ist. (‘) Gajus Comm.]. 8.145. 194. () 1L.12.C. de administr. 36 v.Sıvıcnr: von dem Schutz der Minderjährigen von dem speciellen durch dieses Gesetz veranlafsten Curator, war nachher schwerlich jemals die Rede, ja es ist möglich, dafs derselbe schon früher gänzlich aufser Gebrauch gekommen war. Fünfter Abschnitt. Senatusconsult über die Grundstücke. Unter K. Severus verbot ein Senatusconsult, die der Zerstörung am ö wenigsten ausgesetzte Grundstücke der Unmündigen oder Minderjährigen (praedia rustica et suburbana) ohne Genehmigung der Obrigkeit zu veräufsern: eine solche Veräufserung sollte nichtig seyn. Dieses Verbot war zunächst an die Tutoren und QCuratoren gerichtet, welche das Vermögen zu verwalten hatten (!): es wurde aber auch auf die Minderjährigen selbst angewendet, wenn diese die Verwaltung ihres Vermögens führten (?). Es wurde also an- gewendet auf diejenigen Minderjährigen, welche der Kaiser für volljährig erklärt, und dadurch in die Verwaltung ihres Vermögens eingesetzt hatte: aber gewifs auch, und noch aus dringenderen Gründen, auf Diejenigen, welche nie einen Curator gehabt hatten, also besonders auf den oben er- wähnten Fall, wo der Sohn bei des Vaters Tod bereits mündig war, also niemals einen Tutor hatte, durch welchen er in die Curatel hätte gebracht werden können. Gerade für diesen Fall nun enthielt jenes Senatusconsult eine neue und wichtige Ergänzung der Vorschrift von Marc Aurel. Denn dieser Vorschrift konnte sich der Minderjährige, der sich in jener Lage be- fand, völlig entziehen, anstatt dafs die durchgreifende Verordnung des Se- natusconsults keiner Ausnahme Raum liefs. So war also für solche Fälle durch das Senatusconsult wenigstens an einem der wichtigsten Bestandtheile des Vermögens jede Verschwendung verhütet. (') L.1.8.2. D. de rebus eorum. (°) 1L.2.8.1.L.3. C. de his qui veniam. L.3. C. quando decreto. L.3. C. si maior fa- etus. L.7. 11. C. de praedüs et al. reb. min. im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 37 Sechster Abschnitt. Spätere Verä nderungen. Zum Schlufs soll hier noch eine kurze Übersicht der späteren Ent- wicklungen gegeben werden, welche den hier dargestellten Anstalten theils noch im Römischen Reich, theils in Deutschland, zu Theil gewordeu sind. Iustinian fand im Anfang seiner Regierung die oben zusammengestell- ten Rechtsverhältnisse vor. Allein Lage und Bedürfnifs des Volks, für welches jetzt dieses Recht gelten sollte, waren ganz andere als die, worin dasselbe entstanden war. Die feierlichen Geschäfte, durch welche die au- ctoritas des Vormundes so wichtig war in der alten Zeit, waren verschwun- den. Die alten Familienbande, worauf sich die Agnatentutel gründete, hat- ten ihren Werth und ihr Ansehen verloren. Die politischen Verhältnisse endlich, womit die frühe Selbständigkeit der Bürger in der alten Republik zusammenhing, waren nur noch Wenigen aus Büchern bekannt, und selbst o b) o’ der Nachklang dieser Verhältnisse in den Sitten und Gefühlen der Nation war verhallt, denn die Nation selbst, worin dieses Alles gelebt und gewirkt hatte, war nicht mehr. Wollte nun der Gesetzgeber allein das praktische Bedürfnifs seines Zeitalters beachten, so war Alles leicht abzuthun. Er brauchte nur die Handlungsunfähigkeit der Unmündigen, und die damit ver- bundene nothwendige Tutel, von der Pubertät bis zur Volljährigkeit hinaus zu rücken. Dann waren Tutel und Curatel zu einem Ganzen verschmolzen, und die ganz zwecklos gewordenen Verschiedenheiten beider Anstalten mufs- ten verschwinden. Eine ähnliche Verschmelzung hat in der That Iustinian in manchen anderen Rechtsverhältnissen, mit richtiger Einsicht in das prak- tische Bedürfnifs, vorgenommen: so in dem Eigenthum, in der Intestaterb- folge, bei den Notherben. In dem Recht der Unmündigen und Minderjäh- rigen aber ist dieses nicht geschehen, ohne dafs sich ein innerer Grund dafür angeben liefse: hier ist das frühere Recht buchstäblich beibehalten worden, und in dieser Gestalt ist es zu uns herüber nach Deutschland gekommen. Bei den Germanischen Völkerstämmen nun waren von Anfang an weit einfachere Ansichten herrschend gewesen (!). Zwar wurde der Anfang der (') Vgl. hierüber Grimm Rechtsalterthümer S. 411-417. Eichhorn deutsches Priyat- vecht 8.318. 319. Rudorff Recht der Vormundschaft B.1. 8.15. 38 v. Saıvıcnr: von dem Schutz der Minderjährigen vollen Handlungsfähigkeit bald früher, bald später angenommen: auch fin- det es sich wohl, dafs nach manchen Gesetzen, bei fortschreitenden Jahren des Mündels, einiger Unterschied in seinen Verhältnissen eintreten soll. Aber etwas Durchgehendes, Gleichförmiges, läfst sich in dieser Art nicht behaupten, am wenigsten ein scharfer Abschnitt der Pubertät, und eine da- rauf gegründete zweifache Vormundschaft, was eben das Characteristische des Römischen Rechts in dieser Lehre ausmacht. Wo sich dieses in deut- schen Gesetzen findet (und zwar mehr im Ausdruck, als in der Sache), da ist es zuverlässig in solchen Gesetzen, in welchen ohnehin der Einflufs des Römischen Rechts gar nicht verkannt werden kann. Wie sich aber in der allgemeinen deutschen Praxis die Sache gestaltet hat, das geht ganz deutlich aus zwei deutschen Reichsgesetzen hervor (!). Hierin ist von Pupillen und minderjährigen Kindern, von Vormündern und Vorstehern (Curatoren) die Rede, aber für beide wird völlig dieselbe Vorschrift gegeben, wobei also offenbar die Ansicht zum Grunde liegt, es sey ein blofser Namenunterschied, die Sache aber sey nur eine und dieselbe. Und damit stimmt auch von je- her die Anwendung in Deutschland überein. Ein und derselbe Vormund verwaltet mit unverändertem Recht, von den ersten Jahren des Mündels, bis zu fünf und zwanzig Jahren. Die Art der Bestellung desselben ist nicht verschieden, wie alt auch der Mündel bei dem Anfang der Vormundschaft seyn möge, und eine freie Bitte des Minderjährigen ist unsrem gemeinen Recht ganz fremd. Von einer auetoritas endlich, während der Unmündig- keit, ist keine Spur vorhanden. In der That also ist hierin das Iustinianische Recht bei dem Übergang nach Deutschland völlig umgebildet worden. Und nicht etwa, als ob man geglaubt hätte, dasselbe sey unzweckmäfsig, und man müsse es absichtlich ändern. Vielmehr verstand man es gar nicht, und sah daher historisch irrig, aber dem praktischen Bedürfnifs ganz entsprechend, als blofsen Namensunterschied an, was doch in der Sache selbst sehr ver- schieden war. Niemand wird in dieser Behauptung Härte oder Ungerechtig- keit gegen die Verfasser unsrer Reichsgesetze sehen, wenn er bedenkt, dafs die wahre Bedeutung der Römischen Tutel und auctoritas erst in sehr neuen Zeiten erkannt worden ist. Überzeugt man sich aber hiervon, so mufs man es auch aufgeben, den Römischen Unterschied zwischen der Handlungsfähig- 1) Reichspolizeyordnung von 1548. Tit.31. 8.1. Reichspolizeyordnung von 1577. Tit.32. 8.1. B 5 P 5 im Römischen Recht, und insbesondere von der Lex Plaetoria. 39 keit der Unmündigen und Minderjährigen festhalten zu wollen. Die Meisten unter den neueren Juristen haben diesen Unterschied scheinbar festgehalten, sich aber dadurch geholfen, dafs sie dem Römischen Recht selbst einen ent- schieden falschen Sinn untergelegt haben. Nur in Einem Punkt ist ein solcher Unterschied von jeher wahrhaft anerkannt worden: in der Fähigkeit zu Testamenten. Damit aber konnte auch niemals der Vormund irgend eine Berührung haben. us u pe tl a Ar K ji ‚Mil 8 Mr . Mon una, N rege LTR a ach BE Det aaa: wu gandı: antelaıch BE Tue |. 5 H eh lha INatbe} gli ‘ she HTarr) als ade 5 4 re Ban! | eine Ey calmwidre + Pe tr aa a hl nniäfee m ah ni nr iesesapitan due BER BETT HET EEE) 5 Fo FE | = j = 2 BE ZZ = . an, 2) u = Pr . ae . . u > i > s os a u I . = Fu 5 . ir. IM 1 i 2 ö ee 1 rar Über das historische Element in der geographischen Wissenschaft. Von De RITTER mamma [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 10. Januar 1833.] D. geographischen Wissenschaften haben es vorzugsweise mit den Räu- men der Erdoberfläche zu thun, in so fern diese, irdisch (sei es auch immer welchen Naturreichen angehörig, und mit welchen Formen ausgestattet), erfüllt sind; also mit den Beschreibungen und Verhältnissen des Nebenein- ander der Örtlichkeiten, als solche, in ihren besondersten Vorkommen wie in ihren allgemeinsten tellurischen Erscheinungen. Sie unterscheiden sich hierdurch von den historischen Wissenschaften, welche das Nacheinander der Begebenheiten, oder die Aufeinanderfolge und die Entwicklung der Dinge im Einzelnen und im Ganzen, von innen und nach aufsen, zu ent- schleiern, zu untersuchen, und darzustellen haben. Indem beide, zwar, von überschaulichen positiven Einzelnheiten des Gleichzeitigen Nebeneinan- der, oder der Aufeinanderfolge des Nacheinander, ausgehen, aber bald zu Unüberschaulichem, durch Geometrie und Chronologie anfänglich noch ab- zumessenden Verhältnissen übergehen, denen aber in der geistigen wie in der physischen Welt bald das bestimmte, äufsere Maafs mangelt, dagegen das innere, das Naturgesetz wie das ethische um so mehr hervortritt, so sind beide in ihren gesteigerten Resultaten, in der Darlegung der Verhält- nisse und Gesetze, wie der Entwicklungen auf die Combination und das Maafs des Gedankens angewiesen, und dieses zwingt auch diese positiven Wissenschaften zum philosophiren. Denn das reingedachte gleichzeitige Nebeneinander des Daseins der Dinge ist, als ein Wirkliches, nicht ohne ein Nacheinander derselben vor- handen. Die Wissenschaft der irdischerfüllten Raumverhältnisse kann also Histor. philol, Abhandl. 1833. F 42 Rırrter über das historische Element eben so wenig eines Zeitmafses oder eines chronologischen Zusammenhanges entbehren, als die Wissenschaft der irdisch erfüllten Zeitverhältnisse, eines Schauplatzes, auf dem sie sich entwickeln mufsten. Die Historie bedarf eines solchen zu ihrer Entfaltung, sie wird in ihre Gestaltungen überall, sei es ausgesprochen oder nicht, ein geographisches Element mit aufnehmen müssen in ihre Darsellungen; sei es nun, indem sie wie bei Thucydides oder Johannes Müller, gleich zu Anfang ihrer Historien, dieses in einem grofsen Überblicke voranstellt, oder wie bei Herodot, Tacitus und andern Meistern in den Fortschritt ihrer Darstellungen einwebt, oder wie bei noch Anderen, es auch übergeht und nur den Ton oder die Färbung durch dasselbe beibe- hält. In einer Philosophie der Geschichte, wie sie früherhin Baco und Leibnitz dachten, Herder entwarf, wie sie neuerlich auf mancherlei Weise weiter zu führen versucht ward, mufste diesem geographischen Elemente, dem Raumverhältnisse des Erdballs, eine immer bedeutendere Stelle einge- räumt werden. Die geographische Wissenschaft kann aber eben so wenig des histo- rischen Elementes entbehren, wenn sie eine wirkliche Lehre der irdischen Raumverhältnisse sein will, und nicht ein abstraktes Machwerk, ein Com- pendium, durch welches zwar der Rahmen und das Fachwerk zur Durch- sicht in die weite Landschaft gegeben sind, aber nicht die Raumerfüllung selbst, in ihren wesentlichen Verhältnissen und in ihrer innern und äufsern Gesetzmäfsigkeit. Das dunkle Gefühl wie das klar bewufste Bedürfnifs hat daher auch von jeher die geographischen Wissenschaften an die historischen angereihet, und die Geographen von Hekatäus, Dikäarch und Strabo an, haben ihre reichsten Ernten auf dem Gebiete der Geschichte eingebracht, die orienta- lischen Völker, wie Araber und zumal Chinesen, haben ihre Geographieen fast ganz historisch gestaltet. Die Europäer hatten ihnen im Mittelalter den kirchlichen, in neuern Zeiten den politisch - statistischen Eintheilungsgrund aufgedrückt, bis eine moderne Schule sich dieses fremdartigen Ballastes ent- ladend, wähnte, zu einer sogenannten ganz reinen Geographie übergehen zu müssen um das eigentliche Wesen dieser, alle Proteusgestalten anneh- menden Wissenschaft zu ergreifen. Wenn nun diese, mit Buache’s physikalischem Atlas und Gatterer’s kurzem Begriff der Geographie, nach natürlichen Quartieren beginnende in der geographischen Wissenschaft. 43 Reform von den Geographen consequent durchgeführt worden wäre, so hätte aus ihrer Verwerfung alles Ilistorischen, eine blos physikalische oder sogenannte natürliche Geographie hervorgehen müssen; die, so vollkom- men man sie sich auch ausgearbeitet denken möchte, doch immer nur ein Theil der geographischen Wissenschaft überhaupt sein würde, wenn wir dieser den vollen Inhalt, nach obiger Bezeichnung, nämlich ‚,‚als eine Wis- senschaft des irdischerfüllten Raumes’’” zugestehen. Die Verarmung, und gewissermafsen die Erstarrung, welcher das Leben der geographischen Wis- senschaft jedesmal unterlag, sobald sie sich in jenen schwachen, compen- diarischen Versuchen, um desto reiner aufzutreten, aller historischen Be- reicherung entäufserte, waren um so auffallender, da diese zugleich auch 5 keinesweges tief genug in das Wesen der allgemeinen Physik eindrangen, um etwa von dieser Seite die Wissenschaft durch Begründung für dasjenige zu entschädigen, was sie ihr, auf der andern Seite, durch die Verweisung des Historischen versagten. Um noch sicherer zu verfahren hätten sie eigentlich auch darauf ausgehen müssen, das geometrische und arithmetische, oder das mathematische Element aus ihrer reinen Wissenschaft zu verbannen. Unbefriedigt durch dergleichen öfter sich wiederholende Zeitbestrebungen, welche von nicht geringem Einflusse auf das System des elementaren wie des Gymnasial- und des Unterrichts in den Wissenschaften überhaupt waren, und unsre Literatur mit einem Überflusse von mehr oder minder brauchba- ren Hand- und Lehrbüchern überschwemmten, aber kein einziges die ernste Wissenschaft nur einigermafsen befriedigendes geographisches Compendium erzeugen konnten, gerielh man nun wieder, wie so häufig, von dem einen Extrem auf das andere. Unbefriedigt durch die reine oder natürliche Geo- graphie, kam man wieder dahin, die historische Seite für die höhere Bedeu- tung dieser Wissenschaft anzusehen, und hoffte ihren Lehrbüchern für ele- mentaren Schulunterricht, wie für die gelehrte Bildung, durch die Bei- mischung des Historischen die wahre Würze und die höhere Weihe zu geben. Wie man schon früher in dem Wahne stand, dasjenige für Militairgeogra- phieen zu halten, wo Strafsen, Brückenübergänge, Schlachtfelder, Festun- gen, Anzahl der Truppen u.s. w. verzeichnet sind, oder für politische Geo- graphie und Statistik, wo die räumlichen Objecte des Staates nebeneinander gestellt, oder in Zahlen hintereinander summirt sind, so glaubte man nun den Stamm der geographischen Wissenschaft dadurch gleichsam erst zu ver- F2 AA Rırtrer über das historische Element edeln, und ihm seinen wahren Werth zu geben, wenn man ihm auch noch die verschiedenen Zweige der Geschichte einpfropfte. So kam nach manchen ältern Versuchen auch kürzlich das Lehrbuch der Geographie alter und neuerer Zeit für die unteren Schulen (von Schacht) zu Stande, in welchem zu jeder geographischen Orts- und Landes - Beschreibung auch ein geschicht- licher Anhang gefügt ist, der lehrreiche, historische Anekdoten aus der Spe- cialgeschichte, oder auch allgemeine historische Rückblicke enthält, die sich auf jene Örtlichkeiten beziehen; wie z.B. bei Graubündten eine kurze Ge- schichte der Räzier von der ältesten Zeit an, beim Rheingebiet ein kurzer Abrifs der Geschichte der Schweizer-Republik, der Römer und Franken Kämpfe am Rhein, auch ein Abrifs der Geschichte der Niederlande, u.s. w.; dankenswerthe Beigaben, die gewöhnlich lehrreich, mitunter selbst geist- reich ausgearbeitet wurden. So erschien mit dem Anspruch einer neuen Geographie für die obersten Gymnasialklassen, im letzvergangenen Jahre, die Arbeit eines sehr fleifsigen Gelehrten (von Volger), in welcher mit gro- fser Sorgfalt jeder der behandelten Paragraphen, betreffe er Länder oder Völker, Städte oder Gebirge u.s.w., die Geschichte und Namengebung derselben im gedrängtesten Abrisse, mit der Beschreibung durch alte, mitt- lere und neuere Zeit, bis auf die neueste, durchführt, und dies die ver- gleichende Geographie nennt, welche die Erdkunde historisch, als ein Gan- zes darstellen sollte, nämlich die alte und mittlere Zeit für die Schule, und zugleich die neuere und neueste für das Leben. Auch diesem Werke, gleich dem vorigen, kann man eine gewisse Brauchbarkeit nicht absprechen; und doch, ohne das Gute was beide Arbeiten uns befreundeter Männer enthalten zu verkennen, oder diesen wie vielen andern verwandten Versuchen durch Tadel zu nahe treten zu wollen, mufs man gestehen, dafs dadurch we- nigstens kein wissenschaftlicher Fortschritt geschehen ist, und also auch für die ächte Lehre, die vom Element bis zum vollendeten Umrifs des Gan- zen, in keinem Punkte des wissenschaftlichen Zusammenhanges entbehren darf, kein wahrer Gewinn daraus hervorgehen kann. Denn um diejenige Wissenschaft sieht es schlimm aus, welche erst des Reizes der Übertragung, oder der Nutzanwendung aus andern Wissenschaf- ten bedarf; sie wird, wenn sie des eignen Keimes der Entfaltung ermangelt, auch andere Wissenschaften, oder das Leben selbst, nie befruchten oder be- rühren, und die todtgeborne wird auch leblos bleiben, und durch keinen in der geographischen Wissenschaft. 45 täuschenden Anstrich lebendig machen. Sie wird dann keineswegs als Disciplin zur humanen Ausbildung des menschlichen Geistes gehören, und würde auch keine eigne Stelle in der Reihe der bildenden Schulwissen- schaften verdienen. Die geographische Wissenschaft konnte, vermöge der ihr eigenthüm- lichen Natur, anfänglich nur aus der gesonderten Betrachtung isolirter, Ört- licher Einzelnheiten der Räume, im Verbande mit den Erscheinungen eben so isolirter Zeitmomente historischer Personen, seien es wirkliche Indivi- duen, oder Völker, oder ganze Reiche und Staatensysteme, hervortreten, um allmählich erst durch Ansatz zu wachsen, bis sie mit der Entdeckung des ganzen Objekts ihrer Aufgabe, nämlich des ganzen Erdballs, in allen seinen Theilen, nun erst zur eignen Erkenntnifs ihres Wesens gelangen lernte, um aus der Beschreibung sich zum Gesetz für das Beschriebene zu erheben, nicht zur blofsen Aufzählung sondern zur Verhältnifslehre der irdischerfüll- ten Räume, und zum Causalzusammenhange ihrer lokalen und allgemein tellurischen Erscheinungen (ut, cum eventis, causae copulentur, wie schon sehr frühe Bacon von Verulam sagt). In das Feld ihres Gebietes, das alle Formen des Erdballs umläuft, dessen weite Oberflächen im tellurischen Zu- sammenhange des Erdrings, oder in dessen organisch abgelösten Theilen und Gliedern durch die unendliche Mannichfaltigkeit seiner zahllosen Natur- produktionen der buntesten Mosaik gleicht, in dieses Feld ihres Gebietes verschlingt sich auch noch die ganze Folge der Zeiten. Was ist nun eigentlich die Aufgabe, die sie für die irdischerfüllten Räume des Erdballs zu lösen hätte, anders, als die Erforschung ihrer ge- sammten Verhältnisse; nämlich die der Räume, die der Erfüllung und die Relationen von beiden. Also: Einmal die arithmetischen Verhältnisse, oder die Bestimmung ihrer Summen, Distanzen und Gröfsen. Dann, die geometrischen Verhältnise der Räume, oder ihre Gestal- ten, Formen und Stellungen. Aber, auch die materiellen Erfüllungen der Räume, nicht nach den Stoffen, Formen und inwohnenden Kräften des Materials an sich, und nach ihren Naturgesetzen, denn dafür sind die Lehren der Naturwissenschaften, der Physik und Chymie; sondern nach ihren Verbreitungsverhältnissen, Ver- breitungssphären und Verbreitungsgesetzen über die Erde, die jene Wissen- 46 Rırrter über das historische Element schaften nur zufällig etwa berühren, und den Erscheinungen die aus ihren irdischgegebenen Combinationen unter sich, wie zu den Stellungen, Gestal- ten und Formen, zu den Summen, Gröfsen und Distanzen hervorgehen. Da zu den materiellen Erfüllungen durch die Naturkräfte und die drei Naturreiche: der Erdrinde in ihrem tellurisch -geognostischen Zusam- menhange, dem Pflanzenkleide in seinem Gewebe und seiner Verbreitungs- weise, der Thierwelt in den räumlichen Lebensgürteln und Lebenssphären ihrer mannichfachen Geschlechter, auch die Menschenwelt mit ihren Völ- kerschaften und geistig belebten Individuen gehört, die nicht, wie die mehr- sten von jenen, an die Scholle gebunden, aber doch in ihrer physischen wie geistigen Entfaltung durch dieselbe mannichfach bedingt wurden; so sind auch nothwendig die Verhältnisse der Bedingungen dieser Räume, welche sie auch sein mögen, auf die leblose Welt wie auf die lebenden Organismen überhaupt, und auf die geistig zu steigernde Entwicklung und Entfaltung menschlicher Individuen und Völker, ja des ganzen Menschengeschlechtes, ein wichtiger Theil dieser geographischen Wissenschaft. Aber da, wenn auch alle Gesetze, doch keineswegs diese Verhältnisse, diese materiellen Er- füllungen, diese Bedingungen, und somit auch alle daraus hervorgehenden Combinationen nicht feststehen, sondern einerseits, einem grofsen Erdorga- nismus angehörig, ihren eigenthümlichen Wandel und Fortschritt haben, wie einer eignen physisch-cosmischen Entwicklung unterworfen sind, das Menschengeschlecht in seinen Individuen wie in seinen Völkerschaften, an- drerseits aber, seinem eignen Entwicklungsgange nach ethischen Gesetzen, folgt, in seiner Individualität wie in seiner Totalität, aber, so lange es auf Erden wandelt, in den bedingenden Conflict mit der fortschreitenden physi- schen Entwicklung seines Wohnortes, der Erde, als Planet, gestellt ist; so sind auch diese, in der Folge der Zeit, immer anders, vom physischen auf das leibliche und geistige, fortschreitenden Verhältnisse und Bedingungen des Planeten und seiner Örtlichkeiten, auf das Menschengeschlecht, gleich- sam der Schlufsstein für die Aufgabe der geographischen Wissenschaft. Ihr Feld, das anfänglich in alle Gebiete des menschlichen Wissens einzugreifen scheint, und dann bei dem Verkennen des Wesens ihrer Auf- gabe, allerdings, statt in die Tiefe, nur in die Breite und Fläche übergeht, und durch Überwucherung sich selbst das Erzeugnils der edelsten Frucht raubt, dieses ihr eigenthümliches Feld, wäre demnach solcher Betrachtung in der geographischen Wissenschaft. 47 gemäfs, genau genug abgesteckt, um den der es anbaut vor jedem nachthei- ligen Abirren in die Nachbargebiete zu hüten, die Verwirrung und Ver- flachung des Wissens dadurch zu mindern, Kraft und Zeit zur Verwendung für die Arbeit auf den Kern, statt des Spiels mit der Schaale, zu sparen. Diese Betrachtung des Ganzen ist es auch die uns allein das Maafs der Theile giebt, welche uns, nachdem wir an einem andern Orte von den arith- metishen und geometrischen Verhältnissen der irdischerfüllten Räume, von den Formen derselben nach horizontalen Dimensionen gesprochen haben, ‚gegenwärtig veranlafst, einige nähere Bemerkungen zur Erläuterung desjeni- gen hinzuzufügen, was uns, statt jener historischen Anekdoten als das so eben nur ganz im allgemeinen bezeichnete historische Element, in der geographischen Wissenschaft erscheint, um dieser dadurch, nicht sowol ihre höhere Bedeutung zu geben, als vielmehr ihre wahre Bedeutung, nicht, wie es nur zu herkömmlich ist, zu entziehen. Wir haben hier, wo eine erschöpfende Untersuchung dieses Gegen- standes picht ausführbar wäre, nur Einzelnes aus der ganzen Masse, symbo- lisch für Anderes, herauszuheben, um an Dieses unsere Bemerkungen auch im Kurzen auf eine verständlichere Weise anzureihen. Die Räume, die Zeiten, die Gestalten und Formen, die Raumerfül- lungen in ihren Constructionen und Organisationen auf dem Planeten an sich, immer die einen und dieselben in ihren Werthen — bleiben — in ih- ren Relationen zum Erdball, als Wohnhaus des Menschengeschlechtes ge- dacht, nicht dieselben, sondern sie ändern ihre relativen Werthe wirklich mit dem Fortgange der Jahrtausende und Jahrhunderte ab. Die Art der Raumerfüllung wird daher für die Betrachtung von Jahrhundert zu Jahrhun- dert, von Jahrzehend zu Jahrzehend eine Andere. Denn wenn der Mensch, mit A.v. Humboldt's Ausdruck zu reden, neue Organe sich schafft, um mit den genauesten Instrumenten, welche die beschränkte Sphäre seiner Sin- neswerkzeuge erweitert, tiefer in die Erdrinde, wie zu dem Meeresboden hinab zu reichen, und dort die Temperatur der Tiefen, die unbekannten Erdarten und Gewässer, die Salzlager, die dichteren Erd - und Wasserschich- ten und Alles, was ihnen zugehört, durch Batho- und Thermometer, durch Pendelschwingungen, durch Bohrversuche, Artesische Brunnen und dergl. zu sich herauf zu heben, was geschieht da Anderes, als dafs die erfüllten Räume der Planetenrinde sich in der That in ein verschiedenes, als das bis- 48 Rırrer über das historische Element herige Verhältnifs dieses Wohnplatzes zum Menschen stellen. Und eben so, wie sich nach oben durch die Organe der Barometer, der Hygrometer und anderer Mefsinstrumente, wie einst der Fernröhre, der Astrolabien und anderer Erfindungen des menschlichen Geistes, der Gesichts- und über- haupt der Gefühlskreis des Menschen wirklich erweiterte, in demselben Maafse rückte ihm auch die äufsere Welt näher, die Relationen der Raum- verhältnisse wurden für den von Menschen bewohnten Erdball Andere. Aber nicht nur die Distanzen nach unten und oben, sondern auch die Raumunterschiede nach allen Richtungen hin, werden durch ähnliche Fortschritte einer universellen Telegraphik umgewandelt; seien es neu er- fundene Organe der genannten Art, oder wissenschaftliche Fortschritte, oder Kulturentwicklungen, wodurch die Völker sich in andere Räume verbreiten lernen, wie die Pflanzen und Thiere in andere klimatische Zonen gedeihlich übergehen, und die bis dahin unzugänglich gebliebenen, also fern abliegen- den Enden der Erde, seien es eisige Polarkreise, oder himmelhohe Gipfel- reihen, oder einsame, gleichsam bis dahin mondferne, oceanische Inseln, von denen keine Spur des Daseins für das Menschengeschlecht vorhanden war, mit in den Kreis der civilisirten Völkergemeinschaft gezogen werden. Was früher nicht vorhanden schien, tritt hiedurch im Dasein hervor; was früherhin fern lag und unerreichbar, tritt nun näher in die Berührung, ja in den Bereich des täglichen Verkehrs. Die Raumerfüllung zeigt sich bekanntlich auf dem Erdball unter den beiden Formen des Rigiden und des Flüssigen, oder des Unbewegten und des Beweglichen; zu den Raumabständen der rigiden Örtlichkeiten kommen also auch die Raumunterschiede der flüssigen oder fliefsenden Formen, oder die räumefüllenden Bewegungen um den Erdball. Ihre Verhältnisse sind doppelter Art; die der Räume und der Zeiten, in denen ihre Bewegungen zu Stande kommen. Diese raumfüllende Bewegung ist wiederum doppelter Art; rein physisch, nach den Gesetzen der Mechanik, Physik, Chymie, wie die Verbreitungen und Bewegungen der Imponderabilien, der Wärme, der Elec- trieität, des Magnetismus u.s. w., wo die Verbreitungen vielleicht schon mit den Erzeugungen nach Raum und Zeit in dieselben Grenzen mehr oder we- nig lich materiell ausfüllende Bewegungen sind, die ihre bestimmten Grenzver- er zusammenfallen mögen; oder wo sie wahrnehmbarer, den Raum wirk- hältnisse in Raum und Zeit um das Erdrund gewonnen haben ; wie die Wind- in der geographischen Wissenschaft. 49 systeme, die Ebben und Fluthen, die Strömungen der Meere, die raum- wechselnden Metamorphosen der Atmosphäre in Wolkenbildungen, Meteo- ren aller Art, und die durch diese mit in Bewegung gesetzten, aber willenlos sich nur mechanisch fortbewegenden irdischen Theile oder Körper, seien sie lebloser oder lebender Art. Aber doppelter Art, sagten wir, seien diese Verhältnisse, weil zu jener blofs physischen auch noch eine andere, die beseelte Bewegung hin- zukommt, welche dem irdischen Leben des Erdballs angehört, indem der Mensch die raumfüllende Bewegung beherrscht und sie zum Träger seiner Bestrebungen macht, wie durch das Seegel, oder die Aerostatik, oder die Pferdekraft, oder die Schnelligkeit des Rennthiers und des Dromedars, oder durch das Dampfschiff u.a.m. Hierdurch können nicht nur die Räume der irdischen Welt und ihre wichtigsten Verhältnisse wirklich in eine andere Stellung zum Menschengeschlechte gebracht werden, sondern, auch die Zei- ten in denen jene, nicht nur einmal entdeckt oder blos berührt, sondern auf dauernde Weise erreicht sind, in den Kreis des täglichen Lebens der Völker des Erdballs, wirklich mit eingeflochten werden. Die gröfsten Veränderungen, bedeutender als solche auch noch so grofsartige, welche durch Vulkane, Erdbeben oder Fluthen, oder andere zerstörende Naturerscheinungen, die momentan jede Aufmerksamkeit aufre- regen, haben sich hierdurch auf dem Erdball ganz allmählich, obwohl un- ter den Augen der Geschichte, aber in ihrem Zusammenhange auf die Natur des Planeten, als Erziehungshaus des Menschengeschlechts fast unbeachtet in Menge zugetragen, und diesen, gegen frühere Jahrtausende, zu einem Andern gemacht als er früher war, und ihm ganz andere Verhältnisse seiner erfüllten Räume zu Stande gebracht. Ja, hierin liegt die grofse Mitgift des Menschengeschlechts auch für die künftigen Jahrtausende, sein Wohnhaus, seine irdische Hütte, wie die Seele den Leib, erst nach und nach, wie das Kind im Heranwachsen zum Jünglinge, seine Kraft und den Gebrauch seiner Glieder und Sinne und ihre Bewegungen und Functionen, bis zu den gestei- gertesten Anforderungen des menschlichen Geistes anwenden und benutzen zu lernen. Hierin ist seine Aufgabe mit der des Pflanzers gleich, der den Acker, den er zu bebauen hat, erst nach und nach mit allen seinen Gaben erkennen lernt. Durch die Beseelung der raumfüllenden Bewegungen wurde schon zu der Phönicier Zeiten der Indische Orient dem Europäischen Hes- Histor. philol. Abhandl. 1833. G 50 Rırrter über das historische Element perien näher gerückt; durch sie wurde zu Columbus Zeit die zweite Hälfte des Erdballs, die längst von der einen geahndet, aber ihr noch unsichtbar und ferner lag als die Mondscheibe, gleichsam angetraut; durch sie wurde die isolirte südwestliche Halbkugel der Erde, die Australische, mit ihren tausend zerstreuten Eilanden, erst seit einem halben Jahrhundert überall an die bis dahin geschiedene nordöstliche Landhalbkugel der Erde geknüpft, und die früher getrennt scheinende Gestadewelt des Planeten wurde in ihrem Gesammtkreise, in allen Zonen, zu einer Einheit erhoben für das System der Wissenschaft, wie für die Kulturwelt, und für den Markt des gemeinen Lebens, des Tageverkehrs, der selbst nicht ohne merklichen Einflufs auf Geschichte, Politik und allgemeine Kultur bleibt. In diesem Wechsel der physikalischen Verhältnisse des Erdplaneten durch das Element der Geschichte, liegt der wesentliche Unterschied der Geographie, als Wissenschaft der Gesammtverhältnisse der tellurischen Seite der Erde, von den Theilen der Astronomie, welche bei Erforschung des Weltbaues und unsers Sonnensystems, auch den Erdball in der Reihe der Pianeten nach den cosmischen, oder nach den sich nicht abwandelnden, ab- soluten Raum- und Zeitverhältnissen, nicht aber nach den relativen, tel- lurischen, in ihre Betrachtnngen einführt. Dieselben beweglichen Di- stanzen der Planeten unter sich, und ihre stets sich gleich bleibenden Son- nenumkreisungen, haben seit den Zeiten der Sesostriden keinen Wech- sel in der Natur unsers Sonnensystems, wenn auch ein Fortrücken un- srer Zeichen derselben, bedingt; aber, die tellurischen Distanzen durch ri- gide Formen scheinbar fixirt, haben gewechselt, und der Abstand Indiens vom Ägyptischen Gestade Berenyke’s, wurde schon unter den Ptolemäern, seit Hippalus Durchschilfung des offnen Indischen Oceans mit Hülfe der Monsune, um das Doppelte verkleinert, und wie sind seitdem, die Gestade jener Indischen Welt, der ganzen Westseite näher gerückt durch die be- seelte Bewegung der flüssigen Formen der Elemente. Die Geographie als Wissenschaft unterscheidet sich aber auch von allen Zweigen der Physik und der Naturwissenschaften, die in dem Öbjecte mit dem ihrigen häufig zusammentreffen, dadurch, dafs diese aufser dem oben schon Berührten, ebenfalls die Naturkräfte und Organismen an sich, nach ihren innern Gesetzen in ihren Wirkungen und Bewegungen unter- suchen, aber nicht im tellurisch-geschlossenen Erdring, und nicht als die in der geographischen Wissenschaft. 51 Träger der beseelten Bewegungen, in der Gesammterscheinung des Erdballs und den daraus für dessen Dasein oder Leben hervorgehenden Wechseln und Veränderungen. Das Weltsystem an sich bleibt sich daher, in seinen unwandelbaren, absolut zu erforschenden Verhältnissen, wie die Gottheit gleich; das Natursystem, wenn es auch in des weisen Salomo’s und Aristo- teles Verzeichnissen, nur eine geringere Summe von Individualitäten dessel- ben, gegen die jetzige Mannichfaltigkeit und Fülle in sich schlofs, blieb doch in dem Wesen, seinen innern Gesetzen, Organisationen und Erschei- nungen nach, das eine und dasselbe durch alle Zeiten, wenn auch die Ver- breitungs- und Kultursphären der einzelnen Naturproductionen sich, wie die Zahlen ihrer Individuen, mannichfach veränderten. Aber das Erdsy- stem ist nicht dasselbe geblieben, gesetzt auch in seinen cosmischen und physischen, doch nicht in seinem historischen Leben. Denn, weil es das eine und fortdauernde war und blieb, das sich nicht durch neue Erzeugung, wie die lebendigen, abgesonderten Organisa- tionen auf ihm durch neue Geschlechter verjüngen sollte, aber als abge- schlossener tellurischer Ring 8 wonnenen Daseins auch nicht durch Chemismus und Polarisation, gleich in eigenthümlicher Spannung des einmal ge- seinen abgetrenuten Theilen das irdische Ziel der Vollendung sogleich im Moment des ersten Werdens und seiner Gestaltung, gleich der Urystallform erreichte, so konnte sich das Erdsystem auch nicht, wie jene, immer wie- der neu und ursprünglich gestalten, nicht, wie diese, in Verwittrung und Auflösung 5 gleich den andern Planeten seines Sonnensystems dieselben kosmischen Ver- aus der einmal gegebnen Form zurückschreiten. Es bewahrte hältnisse, wie jene, aber indefs seine Nebenplaneten, für uns, keinen indi- viduellen relativ-erkennbaren Wandel erlitten, ward unser Erdsystem wäh- rend seiner langen Zeitdauer als ein und dasselbe irdische Rund unter den vollen Einflufs aller irdischen, sei es der mechanischen, physischen oder intelleetuellen, für uns wahrnehmbaren Gewalten gestellt, und die Progres- sion ihres gesteigerten oder rückwärts schreitenden Einflusses mit in den Gang der Menschengeschichte verwebt. Wie die Räume und Zeiten so sind aber auch viele Formen und Ge- stalten (durch Emporhebungen, Eruptionen, Einstürze, Erdbeben, Fluthen), viele Arten der Materie (wie durch Verwitterung und Fäulnils), viele Stoffe (durch Chemismus), viele Kräfte in ihren Relationen auf der Erde, andre G2 52 Rırtter über das historische Element geworden. Die schroffsten Formen blieben nicht unnahbar, viele Gestalten wurden vernichtet, umgeändert, umgangen, überstiegen, durchbrochen (wie z.B. durch Naturgewalten, durch Kunststrafsen, Kanalführungen); viele Ma- terien wurden in ihrer Brauchbarkeit erkannt, benutzt, umgewandelt, ver- minderten sich oder häuften sich an (Schutt, Humus, Torflager). Viele blie- ben nicht mehr als einzelne Gaben einzelner Räume verborgen. Viele Or- ganismen verschwanden ganz, oder wurden an Zahl doch gemindert, oder aus den einen Räumen in andere zurückgedrängt. Man denke nur an die Gruppen der Petrefacten der See- und Landgewässer, an die Verdrängung der wilden Floren durch die Kulturfloren (z. B. aus Ägypten und der Lom- bardei), wie vieler Völkerschaften durch barbarische oder civilisirtere, durch ganz Innerasien und Amerika. Man verfolge das Verschwinden des Wild- prets, der Heerden, der Pelzthiere, der Waldungen, die Verdrängnng der Colosse aus den Polarmeeren und der Elephantenheerden aus der Mitte der Continente. — Also, wilde, früher zerstörende Naturkräfte aller, auch mechanischer Art, aber auch aufbauende wurden gebändigt oder doch un- schädlich gemacht, die klimatischen Einflüsse wurden durch Kulturmittel überwunden, die Tropenwelt wie der Polarkreis und die Gegenhalbe der Alten Welt, die Neuere, europäisirt; der Mangel durch Kunst und Anbau an unzähligen Lokalitäten in Überflufs verwandelt; die Civilisirung lehrte überall der Natur Trotz bieten. Und hiermit sollte nicht die gröfste Zahl der irdischerfüllten Räume des Erdballs, in ihren relativen Verhältnissen, ganz verschiedene Werthe gegen die der früheren Zeiten gewonnen haben? ihre Stellungen sollten da- durch nicht gänzlich verändert sein? Unverkennbar ist es, dafs die Naturgewalten in ihren bedingenden Einflüssen auf das persönliche der Völkerentwicklung immer mehr und mehr zurückweichen mufsten, in demselben Maafse wie diese vorwärts schritten. Sie übten im Anfange der Menschengeschichten als Naturimpulse über die ersten Entwicklungen in der Wiege der Menschheit sehr entscheidenden Einflufs aus, dessen Differenzen wir vielleicht noch in dem Naturschlage der verschiedenen Menschenracen, oder ihrer physisch verschiedenen Völ- kergruppen aus einer uns gänzlich unbekannten Zeit wahrzunehmen ver- möchten. in der geographischen Wissenschaft. 53 Aber, dieser Einflufs mufste abnehmen, der einzelne Mensch tritt in der ihm angewiesenen Lebensperiode aus dem Stande und den Beschränkun- gen der Kindheit hervor, die weit mehr als die Periode des Mannes noch den Natureinflüssen unterworfen ist. Die civilisirte Menschheit entwindet sich nach und nach, eben so wie der einzelne Mensch, den unmittelbar be- dingenden Fesseln der Natur und ihres Wohnortes. Die Einflüsse derselben Naturverhältnisse und derselben tellurischen Weltstellungen der erfüllten Räume, bleiben sich also nicht durch alle Zeiten gleich. Nur für die stationären Völkerschaften verschiebt sich die Physik des Erdballs nicht, indefs sie für die in der Civilisation vor- oder rückwärts- schreitenden, in einer beständigen Oscillation oder Metamorphose begriffen ist. Einige Beispiele werden dies aus dem Hergange selbst für einzelne Erd- räume, wie für ganze Erdtheile hinreichend erläutern. — Der erste Bewohner des sandigen Nilthales war ein Wüstenbewohner wie sein Nachbar, links und rechts, der Libyer, der nomadisirende Araber es noch heute ist. Aber das Kulturvolk der Ägypter verwandelte durch Kanalbau die Wüstenei in die reichste Kornkammer der Erde; sie erhoben sich über die Fesseln der Fels- und Sandwüsten, in deren Mitte sie, durch weise Vertheilung der flüs- sigen durch die feste Form, durch Bewässerung, sich die monumenten- reichste Kulturlandschaft erschufen. Durch die Trägheit und Tyrannei spä- terer Bewohner, bis zur Osmanenherrschaft, sank ein Theil des Thales, wie die Thebais, wieder zurück in die Wüstenei, oder ward, wie die reiche Ma- reotis, zu Sumpflandschaften. So gingen überall Wechsel der horizontalen Oberflächen vieler Länderbreiten vor sich, durch welche nicht nur ihre eige- nen Räume sich umwandelten, sondern auch ihre Nachbarräume veränderte Weltstellungen erhalten mufsten, in Beziehung auf Hemmung oder Contakt und jede Art raumerfüllender Bewegung, hinauf bis zum gesteigertesten Völker- und Handelsverkehr. Gewissen rigiden Erdformen mufs man solche veränderte Einflüsse nicht nur auf kurze Länderstrecken, sondern auf weite Erdbreiten einräu- men. So z.B. war in den ersten Saeculn, nach Christi Geburt, der kultivirte Süden Europa’s von dem noch unkultivirten Keltischen und Germanischen Norden durch eine grofse natürliche Scheidewand getrennt. Durch das un- durchbrochne, unwegsame Hochgebirge des Alpenzuges, der ganz Mittel- europa vom Westen nach dem Osten durchsetzt. Ihm im Süden lagen die 54 Rırtrer über das historische Element Kulturstaaten der Alten Welt; mit seinen Nordgehängen begann der barba- rische Norden. Aber diese Form einer durch die Natur selbst hoch empor- gerichteten Scheidewand, damals ihrer eigenen (Quartiere wie der Völkerge- biete, ist durch die Hälfte des letzten Jahrtausends geschwunden; sie ist in dem letzten Jahrhundert aus einer früher hemmenden Form durch Natur- schönheit und Zugänglichkeit zu einem allgemeinen Lande der Völkeranzie- hung für ganz Europa geworden. Aus der Mitte derselben hat sich, aus ehemaliger Wildnifs, eine ganze Reihe kultivirter Völker und Staaten von der Provence bis Steyermark historisch herausgebildet, die tiefsten Thal- schlünde, die gröfsten Höhen sind dicht bevölkert, mit der Lichtung sind die Wälder geschwunden, alle Thäler und alle Ketten sind durchgehbar, selbst für Lasten bequem und nach fast allen Richtungen hin überfahrbar geworden. Aus der Hemmung zwischen dem Süden und Norden, wie zu Hannibals und Cäsars Zeiten, ist dort nach allen Directionen hin ein Land der allgemeinen Passage entstanden. Man mufs zugeben, wie das wilde, unnahbare Rofs der Turkestanen Steppe zum gebändigten edlen Hausthiere der civilisirten Welt umgewandelt, eben so ist dies alpine Segment des Erd- rings in ganz andre Relationen zu seinen Umgebungen getreten, und der Einflufs dieser grandiosen Naturform verliert immer mehr und mehr von der bindenden und fesselnden Gewalt für die Völker. Wenn schon die physi- kalische Natur und die Dimension fast dieselbe bleibt, so ist es das histo- rische Element, durch die neugeschaffenen Organe, durch beseelte Bewe- gung, durch den Kulturfortschritt, welches die Völker sich freier von Naturbedingungen bewegen lehrt. Die Kraft des Menschen und der Völ- ker bemächtigt sich aber immerfort dieser Naturbedingungen und metamor- phosirt sie. In ähnlichem, jedoch erst auf halbem Wege stehenden, Fortschritte dieser Art, sehen wir das östliche Grenzgebirge Europa’s, den Ural. Aus einer hemmenden Grenzform zweier Erdtheile die Jahrtausende hindurch ihre Function vollkommen erfüllt hatte, begann dieser Gebirgszug seit einem Jahrhundert, seit Peter des Grofsen Zeit, sich zu einem Lande des Über- ganges zwischen Europa und Asien auszubilden; es wird die Zeit vielleicht kommen, wo sein Land der Passage keine Scheidewand mehr, wie bisher seit Herodotus Zeiten, zwischen dem Osten und dem Westen der alten Welt bildet; ja, diese Periode scheint bei ihm selbst näher zu stehen, als dieselbe in der geographischen Wissenschaft. 55 8 bei der weniger durchbrochenen Bergmauer des wilderen Kaukasus, unge- achtet diese weit näher gegen die Mitte des ältesten klassischen Bodens der Weltgeschichte gestellt ist. Aus dieser Betrachtungsweise, wie das histo- rische Element in die physikalische Natur und Weltstellung der Gebirgsfor- ganze Tonleiter von Verhältnissen, die weder eine physikalische, noch eine historische ge- men aller Zonen der Erde eingreift, entwickelt sich eine nannt werden kann, wol aber ein reiches Territorium der tellurischen Ge- biete der geographischen Wissenschaft ausmacht. Wie aber mit den Formen des Flachlandes, der Thalstufen, der Ge- birgszüge, eben so ist es mit denen der Sandvwrüsten, der Steppenboden, der Ur-Waldreviere, der Marschländer, der Sumpflandschaften und ande- rer mehr. Wie mit den einzelnen Land- und Meerestheilen, so mit ganzen Con- tinenten und Oceanen. Früherhin waren die Gestade, die Meere, die Oceane nur Hemmungen auf dem Planetenringe; nur die flüchtigsten Formen, die der Atmosphäre, überflogen sie. Die Metallschätze der verschiednen Theile der Erdrinde, die Vegetation, die Thierwelt, die Völkerwelt, alle nahmen erst späterhin gänzlich veränderte Sphären ihrer räumlichen Verbreitungen ein; denn nur weniges wurde vorher willenlos, wie der Flugsand, die Ko- kosnufs, das Treibholz, die Eisscholle oder die Seeblase, der Seetang, von den Strömungen der Winde und Oceane von Gestade zu Gestade gewälzt. Gegenwärtig scheiden die Meere nicht, wie ehedem, die Länder und Erd- theile; sie sind es, welche die Völker verbinden, ihre Schicksale verknü- pfen, auf die bequemste, selbst auf die sicherste Weise, seitdem die Schiff- fahrt zur vollkommensten Kunst herangereift ist, seitdem der schnellste und leichteste Transport durch die Beseelung der Bewegungen der flüssigen Ele- mente, welche bei weitem den gröfsern Raum (* gegen 2) auf dem Erdrund einnehmen, das Verknüpfungsmittel aller Kulturvölker geworden ist. Der Fortschrit der oceanischen Schiffahrt hat sogar die ganze Stel- lung der Erdtheile, der Continente und aller Inseln gegen die frühere Zeit zu einer andern wirklich gemacht. Wie hätte sonst die vulkanische Klippe von St Helena, Jahrtausende hindurch wie nicht vorhanden, seit 3 Jahrhunderten als Mittelstation zu weiter Überfahrt erst bekannt geworden, in dem zweiten Jahrzehend des XIX. Jahrhunderts trotz ihrer oceanischen Ferne in eine Nachbarinsel unsers 56 Rırrer über das historische Element Erdtheils verwandelt, unter die sorgfältige Hut der Europäischen Mächte ge- stellt werden können. Die Seefahrt von Europa zum Cap der guten Hoffnung, nach welcher die Portugiesische Marine, die erste des XV. Jahrhunderts, fast einhundert volle Jahre (von Don Henrique el Navegador bis auf Barthol. Diazund Vasco de Gama) steuerte, bevor es erreicht werden konnte, das Cap ist bei der jetzigen genauesten Kenntnifs der Winde, der Strömungen, der Jahreszei- ten, zu einer blofsen Überfahrt geworden, von einem Erdtheil zum andern. Denn diese Fahrstrafse, von 2000 geographischen (direct. an 1400) Meilen, zwischen 50 bis gegen 40 Grad nördlicher und südlicher Breiten, wird re- gelmäfsig in 55 bis 60 Tagen zurückgelegt, und der Schiffer durchfliegt mit der seegelnden Fregatte jede 24 Stunden gegen 40 deutsche Meilen. Das Südende Afrika’s liegt also heutzutage dem Nordwesten Europa’s wirklich um weniger Tage näher als damals um eine weit gröfsere Summe von Jahren. Zu einer China-Fahrt von dem Auslauf des Britischen Kanals bis Canton, hin oder zurück, brauchte man noch am Ende des XVII. Jahr- hunderts in der Regel S bis 9 Monat Zeit, wenn das Glück gut war, oder länger. Gegenwärtig ist diese Passage um mehr als den halben Erdball auf weniger als die Hälfte der Zeit reducirt, auf vier Monat, selten werden fünf dazu verbraucht. Selbst hier (in Berlin) in der Mitte der Landwelt, am 3. März 1832, erhielten wir Berichterstattungen aus Canton die dort am 16.Oktbr. datirt, also nur 4 Monate Zeit zur Rückfahrt gebraucht hatte: da sie noch auf den Philippinen aufgehalten waren. Nach dem Durchschnitt der letzten 13 Jahre gingen alle Schiffe von London nach Bombay in einer mittlern Zeit von 121 Tagen, die langsamsten brauchen 142, die schnell- sten 103 Tage Zeit zur Zurücklegung dieser Entfernung. So ist es gegenwärtig mit allen andern oceanischen Fahrten, und die Nordamerikanischen Schnellsegler brauchen, wie es dem Bedürfnifs ihrer mehr insulirten Lage auch vollkommen entspricht, oft noch ein Drittheil weniger Zeit zur Durchschneidung der oceanischen Räume als die Schiffe der Briten. Das New-Yorker Paketboot nach Liverpool, macht wol die Fahrt von 800 geogr. Meilen in nicht immer vollen 16 Tagen Zeit, und durch- fliegt also 50 geogr. Meilen in 24 Stunden; die Überfahrt'nach London ge- schieht regelmälsig in 25 Tagen. Der Atlantische Ocean ist also in der That in der geographischen Wissenschaft. 57 hierdurch in einen schmalen Meeresarm oder in einen grofsen Kanal ver- wandelt. Die engeren Binnenmeere, die Bayen, die Meeresarme sind durch die Dampfschiffe schon vielfach in kurze Meeresbrücken des schnellsten Über- ganges im Gegensatz der Landwege umgekehrt; im baltischen Norden we- nigstens in der einen Hälfte des Jahres, im mediterranen Süden, der Le- vante das ganze Jahr hindurch. Der Meteor, als erster Versuch der Dampf- boote, für die mediterrane Verknüpfung der Levantestationen mit England eingerichtet, brachte die Handelsbriefe von Corfu vom 3“ März, die aus Maltha vom 7'*, aus Gibraltar vom 10‘ zum 24°“ März nach Falmouth, und hatte doch noch in Cadiz Aufenthalt gehabt, um Ladungen einzunehmen. Durch die Regionen der Windstillen auf den Oceanen, wie z.B. in den Äthiopischen Gewässern, ward die beflügelteste Schiffahrt früherhin zum Stillstande gebracht; die Dampfschiffahrt befreit selbst von dieser Fessel: denn durch solche furchtbare Gebiete ziehen ihre Gefäfse am schnellsten hindurch. Aber auch die Gewässer der Continente, die kolossalen Landströme haben ihre ursprüngliche Länge verloren; sie sind häufig schon um das 6- bis 7-fache ihrer wahren Länge verkürzt, und die Einseitigkeit ihrer Direk- tion ist, durch die mit Dampf getriebene Bewegung zur Doppelseitigkeit ge- steigert, mit und gegen ihre Gefälle thalauf wie thalein. Das Stromsystem des Missisippi, eines der gröfsten der Erde, das nahe an 54,000 deutsche Quadratmeilen, also die Arealfläche eines Drit- theils von Europa, mit dem Netz seiner tausend Flufsarme bewässert, durch- spült diesen Raum von der Quelle bis zur Mündung in seiner längsten Ader, dem Missuri, auf einer Stromentwicklung von 730 deutschen Längenmeilen, und der Missisippiarm, der Ohio, der Illinois und andere seiner Zuflüsse sind von nicht viel geringerer Länge. An 300 Dampfboote sind gegenwär- tig auf dem Wassernetze dieses Stromsystems in Bewegung. Zur beschwer- lichen Schiffahrt, stromauf, von Cincinnati auf dem Ohio, an 100 deutsche Meilen (500 engl. M.) bis Pittsburg, brauchte man vordem wol 60-70 Ta- gefahrten; gegenwärtig ist dieselbe Strecke in 9 Tagen zurückgelegt. In Cincinnati allein wurden von 1811 bis 1831, in 20 Jahren, 111 Dampfboote zu den Fahrten auf jenem Wassernetze gebaut, und diese mit inbegriffen, auf allen Westströmen (Western Waters) der Vereinigten Staaten überhaupt Histor. phllol. Abhandl. 1833. H 58 Rırtrer über das historische Element in Summa 348, von denen im Jahr 1831 fast 200 (nämlich 198) dort in vol- lem Gange waren. Louisville am Ohio und St Louis, die Haupthandelsstadt in Kentucki, am Zusammenflufs des Missuri und Missisippi, zwischen denen in einer Entfernung von 126 geogr. Meilen (630 engl. M.) stets 6 Dampf- boote gehen, die in 10 oder 11 Tagen die Hin - und Rückfahrt zurücklegen, und wiederum St Louis, von wo den kolossalen Missisippi hinab (240 geogr. Meilen, 1200 engl. Miles) bis New Orleans, zur Meeresmündung, stets eben so viele Dampfboote in Bewegung, die Hin- und Herfahrt regulär in 24, zuweilen auch schon in 18 Tagen vollenden, diese Orte und alle ihnen zu- gehörigen Landschaften sind einander also auf eine merkwürdige Weise wirklich näher gerückt; das ganze Stromsystem des Missisippi, vom Mexi- kanischen Golf bis zum Michigan und Huron -See hinauf, hat hierdurch ganz andere Dimensionen gewonnen, und von New Orleans, gegen alles Schnell- strömen und gegen die Ohio-Katarakten hinauf, ward Pittsburg gleich an- fangs (1816) in 3 Wochen Zeit, wahrscheinlich gegenwärtig in weit kürzern Perioden regelmäfsig erreicht. Die bis dahin ungebändigt gewesenen beweglichen Naturgewalten der Continente sind nun hierdurch dem Menschen nach jeder Direktion unter- than, und die Verschiebung aller continentalen Verhältnisse nach dem In- nern der Länder zu, aus denen alle Ströme hervorquellen, mufste gegen die bis dahin starre Physik der rigiden Erdrinde eine nothwendige Folge da- von sein. Wenn in andern Erdtheilen der kolossale Maafsstab dieser Metamor- phosen auch nicht wie in Amerika hervortreten kann, so ziehen sie doch überall, sei es in gröfserm oder kleinerm Maafsstabe, dieselben Folgen nach sich, und es entstehen auch hier schon bis dahin unerwartete Regungen und Verknüpfungen, wenn auch fürs erste nur der kleinsten, der topographischen Art, oder für den Marktpreis und nähere Distanzen, die jedoch nicht ohne Einflufs auf allgemeine Kultur bleiben werden. Der Austausch der frische- sten Produktionen, auch von dem Grofshandel abgesehen, wird beschleu- nigt, wenn z. B. durch die Dampfschiffahrt auf dem deutschen Rhein schon die Obstwälder der Pfalz, von Heidelberg und dem Rheingau den Markt von London, wie dies im letzten Jahre der Fall war, in Zeit von wenigen Tagen mit den ersten frischreifen Kirschen und Trauben versehen. Auch in Indien trägt der Ganges schon seine Dampfschiffe auf und ab, von Cal- in der geographischen Wissenschaft. 59 cutta bis in die obern Provinzen Hindostans, über Benäres, Agra und Delhi hinaus; eine Fahrt, zu der früherhin wegen Wind- und Wasserhemmungen regelmäfsig bis 4 Monate Zeit nöthig waren, die gegenwärtig in 2 bis 3 Wo- chen durch das Packetboot des Kometen von 24 Pferde Kraft zurückgelegt wird. Auch der Bengalische Golf wird nun schon, zum Trotz jeder Jahres- zeit, bis zum Golf von Martaban mit Rangoon an der Mündung des Irawadi, des grofsen Stromes von Awa, regelmäfsig auf diese Weise ununterbrochen 8 verknüpft; selbst bis Sincapore, hin und her, zu jeder Monsunzeit die Ma- laccastrafse durchschnitten. Nur der Chinese, der überall stationär ist, ver- achtete in Canton das erste Feuerding, wie er es nannte, als es ihm dort zum ersten male zu Gesicht kam, und so lange diese, vielleicht nur schein- bare, Gleichgültigkeit gegen den Fortschritt des Fremden behauptet wird, werden auch die horizontalen Distanzen im Innern des Chinesischen Reiches dieselben bleiben, indefs sie in den Nachbargebieten, wie in Australien, In- dien und anderwärts, in ganz verschiedenartige Verhältnisse sich umwandeln. Wie auch die Völkerverhältnisse durch solche beseelte Bewegung gleich den landschaftlichen Räumen sich verändern und ihnen gleichsam folgen müssen, ist aus den frühern Kolonisationen, dem Gange des Handels, den Krieges- expeditionen hinreichend bekannt, und wir erinnern hier nur gelegentlich als merkwürdiges Beispiel der neueren Zeit, statt aller andern, an die Selbst- ständigkeit der Embassaden durch die Dampfschiffahrt in die Mitte treuloser Völker, wodurch vermittelst der ersten raschen Stromauffahrt im tiefen Ira- wadistrome bis zur Birmanenresidenz Awa durch den Gesandten John Crawford eine Distanz von 540 engl. Mil. (108 geogr. Meilen), stromauf, in 20 Tagfahrten im Dampfschiffe Diana von Rangoon bis Awa, unabhängig von jedem Lokaleinflufs, zurückgelegt werden konnte, wodurch man den Handelstraktat für Indien, als Schlufs des Birmanenkriegs, im Oktober 1826, wenn auch nicht erzwang, jedoch ungemein beschleunigen konnte. Auch die Australische Südwelt liegt nicht mehr so weit entfernt von Europa wie ehedem, und sie konnte daher, obwol noch nicht seit einem vollen Jahrhundert entdeckt, doch mit unerwartet beschleunigter Progres- sion in den Kulturkreis der historisch, weit ältern und entwickeltern, conti- nentalen Seite des Planeten rasch eintreten. Nach Australien zu gelangen ist heutzutage bequemer und in kürzerer Seit möglich als z. B. in die Mitte unsers Nachbar-Erdtheils, aus dem die ersten Keime der Kultur zu uns her- H2 60 Rırrter über das historische Element übergewandert sind, nach Inner- Asien! Dieselben Räume werden jetzt in andern Zeiten von der Marine durchlaufen; Hafenorte an den Gestaden der Nord- wie der Südmeere, auf allen Küsten des Alten und Neuen Continents, wie auf allen Gruppen der Inselwelt, bieten Asyle, haben ihre Schiffswerfte, ihre heimischen Steurer und Lenker gefunden, und sind zu beseelten Glie- dern der Oceane herangereift. Die Erdnatur, die tellurische Physik, kann nach und nach durch die geistige Herrschaft des Menschen und durch den Fortschritt der Jahrhun- derte, in Bezug auf das Gesammtleben der Völker, nach allen Seiten hin, ganz veränderte Gestalten und Werthe-gewinnen. Ja, sie hat sie schon ge- wonnen. Die Westwelt ist uns weit näher gerückt; Amerika ist von Eu- ropa nur noch um 4 bis 6 Wochen Zeit entfernt, und so auch die andern oceanischen Länder. Europa ist aber, wie anderwärts gezeigt ward, unter den Erdtheilen derjenige geblieben, der noch immer mit allen andern in dem vortheilhaftesten, continentalen wie maritimen Contacte steht, und dieser letztere würde nach einer Durchbrechung der Landenge von Panama noch mannichfaltiger, hinsichtlich der Weltstellung noch merkwürdiger sein, weil, wie schon A. v. Humboldt nachwies, dann die Ostküsten Asiens dem At- lantischen Gestadelande der europäischen Civilisation, oder der ganzen West- hälfte Europas’s, noch um 1500 geogr. Meilen, das ist um ein Viertheil des Erdumfangs näher gerückt und in directen Verkehr gesetzt werden würden, indem dadurch wirklich zu Stande käme was der kühne Colombo suchte, womit dieser Weltentdecker durch seine Zurea Chersonesus sich so scharf- sinnig getäuscht hatte, da er bekanntlich sein aufgefundenes West-Indien für das Ost-Indien des Ptolemäüs hielt. Die Ausbildung des tellurischen Erdrings hat also ihre Endschaft, ihre Vollendung auch noch keineswegs erreicht; es stehen ihr, man braucht nur an eine nicht unmögliche Durchbrechung der Landenge Suez aus der Le- vante nach dem Orient zu denken, in den historischen Zeiten vielleicht noch gröfsere Umgestaltungen bevor, als die in den vorhistorischen, in denen jene Sanddünen-Reihen von Suez, wahrscheinlich die gegenseitigen Meere noch nicht schieden, die beiden zur Seite liegenden Erdtheile also auch noch nicht verknüpften. Aber wir schen schon aus jener Hinweisung auf Eu- ropa, wie gewisse Planetenstellen, mit gewissen Entwicklungsfähigkeiten für das ganze verschiebbare, d.i. der Entwicklung fähige Erdsystem, vor an- in der geographischen Wissenschaft. 61 dern vorzugsweise begabt sein können, dafs weder gleichmäfsige Wiederkehr, oder Stillstand der Erscheinungen wie an einem menschlichen Uhrwerke, bei dem Planetenrund eintritt, noch auch keineswegs jede Stelle desselben in dieser Beziehung zu gleichartiger Entwicklung berufen scheint. Gegen diesen merkwürdigen Fortschritt der Gestadeseite der Erde, hat sich das Continent der Alten Welt, obwol im Ganzen fortschreitend, doch theil- weise, gegen den Osten hin, nach Zeit und Distanzverhältnissen, wie nach seinen Kulturen, gewissermafsen umgekehrt. Es hat seine ehemalige Kul- turmitte auf die Gestadeseite geworfen, sein Inneres nach Aufsen gewendet, und ist dagegen vielfach in Wüstenmitte versunken. Denn es stehen die Länderbreiten Inner- Asiens (alle Verhältnisse gleich gesetzt) offenbar viel we- niger wie ehedem, z. B. zu Alexanders Zeit, oder im Mittelalter, zu den Zeiten des Chalifats oder der Kreuzzüge, unter sich einzig auf dem Land- wege, durch Landstrafsen, Produktenaustausch, Kulturfortschritt, Tradi- tion und Umsatz aller Art, in Verbindung, in Wechselverkehr; vielmehr findet dieser nur vorherrschend auf dem Wasserwege statt, durch die Asia- tische Gestadewelt und die genäherten Küstenreviere. Die Innenseite ward vielfach geschlossen. Ost-Indien wie West-Indien, der ganze Sundische Archipel, könnten heutzutage weit eher, wie selbst das räumlich so benachbarte transkaukasi- sche Grusinien, als wirklich integrirende Theile Europa’s, von West- Europa, Groisbritannien, Holland, Frankreich, angesehen werden, gleichsam als ma- ritime Gliederungen der europäischen Welt, die in ununterbrochener Be- rührung, in unausgesetzten gegenseitigen Verkehr stehen, ungeachtet ihrer weiten Abstände. Ihre scheinbar weit auseinander liegenden Örtlichkeiten sind durch die beseelte Bewegung ihrer Zwischen -Meere, hin und her, und durch die vielen Mittelstationen und Übergänge, einander weit mehr genä- herte und befreundete Planetenstellen geworden. Sie sind es weit mehr als z. B. heutzutage das durch Naturform zusammengehörige Quell- und Mün- dungsland des Euphrat und Tigrislaufes, als das Quell- und Mündungsgebiet des Gihon-Systems und andere, weit mehr als so viele topisch aneinander grenzende Binnenlande, wie Bengalen mit Tübet, Persien und Afghanistan mit Sogdiana oder Kaschmir, Syrien mit 4sia minor, und dieses wieder wie ganz Armenien, Kaukasien und die Bucharei, die westlichen continentalen chine- sischen Territorien unter sich und mit Ost-Europa. Seit Jahrhunderten wa- 62 Rırrer über das historische Element ren ja Südost-Europa und das mittlere West-Asien an ihren continentalen Gegenseiten, ihrer nachbarlichen Angrenzung ungeachtet, so gut wie ganz ge- schieden anzusehen. Durch die bisher kaum gebahnten Gebirgsketten des Kaukasus und Taurus, mehr durch die Raubsteppen der Kirgisen und Tur- komannen, durch die eingewurzelte Barbarei und Tyrannei der türkischen Horden, endlich noch weit mehr durch die mächtige Scheidewand der Re- ligion, aller Mohamedaner, zumal der Osmanen gegen alle christlichen Völker. Wie gewaltig greifen aber solche historische Elemente mit in die Na- tur des Erdballs ein; die Oberfläche ganz West- Asiens, schon allein die des einst so blühenden, paradiesischen Sogdiana, des nun an Prachttrümmern so reichen 4Zsia minor, spricht dies von selbst aus. Aus der Weltbetrach- tung über die räumlichen Zustände unsers Planeten, in seinen Gesammtver- hältnissen, können solche hemmenden Gewalten so wenig wie die fördern- den verwiesen werden, wenn die Wissenschaft nicht eben die Lösung der Aufgabe der Individualitäten, der Erscheinungen, die überall aus den generellen hervortreten, verscherzen, und so die Zeit-Charakteristik der Planetenräume übergehen will, die in der Darstellung des Ganzen einen ähn- lichen Werth, wie die Biographie oder der Charakter der zeitgemäfs handeln- den Personen in der Geschichte einnimmt. Ohne sie würde es auch ganz un- möglich sein, nur einigermafsen die Mannichfaltigkeiten der räumlichen Er- scheinungen auf dem Planetenrund zu übersehen, und die herkömmliche Redensart einer gleichförmigen Behandlungsweise der geographischen Abfer- tigung der Länder, Völker und Staaten der Erde, ist gleich inhaltleeer, wie die gleichmäfsige Durchführung einer Universalgeschichte, oder die einst so beliebte Redeweise, von einer Gleichheit der Menschenrechte. Auch schon die eine Betrachtung würde hinreichen jene historischen Elemente nicht aus der geographischen Wissenschaft zurück zu weisen, wenn man bedächte, dafs selbst die physikalischen Verhältnisse der Erdräume, in ihrem wahren Lichte nur dann erst vollkommen hervortreten, wenn sie in ihren Rückwirkungen auf den Menschen und auf den Gang der Geschichte ganz aufgefafst und be- griffen sind, das erforschte Gesetz des Naturforschers, des Physikers, giebt immer nur erst den Begriff, die Definition, aber nicht den vollen Inhalt der Thatsache, der Erscheinung, weil das Gesetz nur der Schlüssel der That- sache des Geschichtlichen ist. in der geographischen Wissenschaft. 63 Wenn auch, der Theorie nach, die geraden Linien die nächsten sind, so sind es in der Physik der Erde, welche überhaupt die Anwendung rein mathematischer Begriffe zurückweiset, gewöhnlich die krummen, die sich nach diesen, schr verschiedenartig vertheilten Individualitäten des telluri- schen Erdringes richten; und die directe, weit kürzere Strafsendistanz, von 1500 geogr. Meilen, zwischen Kronstadt an der Newa und Peter- uud Pauls- hafen in Kamtschatka, kann nur während der Winterhälfte, so lange der Schneemantel Sibirien deckt, durch Landbahnen die weiteren Seebahnen eben dahin überbieten. Zu allen Transportanlagen im grofsen ist hier der Seeweg selbst, um die Peripherie der ganzen Alten oder Neuen Welt herum, der nächste zum günstigsten Ziele. Die kleinste Inselgruppe im weiten Oceane der Wasserwelt könnte, wie etwa die der Sandwich-Insulaner, auf dem Wasserkreuzwege dreier Erdtheile liegend, durch Hafenbildung, Flottenbau, Selbstentwicklung, auf die Marktpreise gewisser Umsätze, wie des Pelzhandels für Rufsland, China, Nordamerika und den Handelsgang aller drei Continente, Ost-Asien, Austra- lien, West- Amerika, nicht unbedeutenden Einflufs gewinnen; ja, ein Punkt auf einer günstig gelegenen und in den Zeitverkehr durch ihre lokale Phy- sik in die historische Entwicklung fördernd eingreifenden Stelle des Erdrings kann, bedeutender als ein Flächenraum vieler Quadratmeilen, durch den richtig ergriffenen Moment schon in der kürzesten Reihe der Jahre, eines Jahrzehends, wie einst Alexandria, Ormuzd, oder Macao, die Havannah, wie heute der Freihafen zu Sincapore, den gröfsten Einflufs auf den zugehö- rigen Archipel oder Ocean gewinnen. Und wie hätte bei jener gänzlich und plötzlich veränderten Weltstellung der Erdtheile seit dem Anfange des XVI. Jahrhunderts das Kapland, später nur zur abhängigen Kap-Kolonie zu Privat- Handelszwecken der Holländer angesiedelt, in den letzten Jahrzehenden erst durch die Briten zur politischen und merkantilen Weltwarte in der Au- stralseite der Oceane erhoben, wie hätte jenes merkwürdige Süd -Vorgebirge der Alten Welt, in jener Zeitperiode richtig gehandhabt, einflufsreich wer- den können durch seine einzige Lokalität für das Schicksal der ganzen Süd- halbkugel der Erde. Welchen merkwürdigen raschesten Entwicklungsgang nimmt nicht ge- genwärtig, bei allerdings weiter als damals schon fortgeschrittener harmo- nischer Entwicklung des grofsen Gestadegürtels zwischen dem Land- und 64 Rıtrter über das historische Element Wasserkreise, die unter allen vielleicht begünstigste Planetenstelle Austra- liens, nämlich die Insel Van Diemensland, der europäisirte Antipode Grofs- britanniens. Nur darum, weil ihre begabten physikalischen Verhältnisse nach Küsten- und Hafenbildung, Bodennatur, Bewässerung, Klima, mit der für die Australwelt günstigsten Weltstellung gegen die andern Erdtheile, gegen die Meeres- und Windbewegungen und der Europäischen freien Koloni- sation in demselben Erdraume zusammenfallen. Und darum zeigt sich ihre Entwicklung in gesteigert - raschester Progression, weil die Südhalbe der Erde bei gröfserm Inselreichthum doch minder als die Nordhalbe des Erdballs durch entwicklungsfähige continentale Formen begünstigt ward; diese Insel aber auch, ihrer Arealgrölse wegen, eine der ausgezeichneteren Stellen unter den Australischen Flächenräumen mit dem dem Europäischen gleichen Fruchtboden für Agrikultur einnimmt, dessen Ertrag nur bei der Vollendung der Schiffahrt den weiterspornenden Gewinn giebt. Wenn daher die alte Welt den Schauplatz ihrer Geschichten nur auf den beengten Orbis Terrarum der Römer beschränken mufste, das Mittel- alter ihn schon überall bis an die äufsersten Enden der Gliederungen der Alten Welt, nach dem Norden, Süden und Östen ihrer grofsen Landveste ausdehnte, so spannte die Geschichte der neuern Zeit ihr reiches Gewebe der Begebenheiten über den ganzen Erdball aus. Das historische Element greift also auf sehr verschiedene Arten in sehr verschiedenen Zeiten in die Physik des Erdballs ein, aber auch in sehr verschiedenartigen Progressionen und Weisen. Denn in frühern Jahrhunderten und Jahrtausenden, als die Völker- geschlechter überall mehr auf ihre Heimathen und auf sich selbst angewiesen waren, wurden sie von der allgemeinen tellurischen Physik kaum berührt, desto mächtiger griff aber die lokale Physik der Heimath, die vaterländische Natur in die Individualitäten der Völker und Staaten ein. Daher wol eben die edler begabten, zu Kultur sich erhebenden, aus der ihnen gegebnen engern Sphäre individueller, und doch harmonisch-vollendeter in der Er- scheinung, in schöneren und bestimmteren historischen Gestaltungen und Characteren hervortraten, als die der neuern Zeiten. Sie entwuchsen, un- berührt von der Fremde, noch ganz dem heimathlichen Himmel und Bo- den, der in seiner vollen jungfräulichen Kraft ihr ganzes Geäder und alle Glieder durchdrang mit seinen nährenden Gaben und Kräften. Dadurch in der geographischen Wissenschaft. 65 trat bei ihnen Alles nationale auch wirklich vaterländisch und heimathlich in grofser Einheit auf, so bei Ägyptern, Persern, Hebräern, wie bei Helle- nen und Italern, als noch keine moderne Verpflanzungsweise oder Koloni- sation, Umtausch, Verkehr durch Hin- und Rückwirkung auf und aus der Fremde der Kulturentwicklung in der Heimath vorherging, um einen noch grölsern Ertrag für das Allgemeinere zu erzielen. Die Alte Geschichte trug auf ihrem heimischen Boden, nicht wie die neuere, den Schmuck der ganzen Fremde, sondern jedesmal nur ihre hei- mathliche Frucht; aber die vollständiger gereiftere, wie die edelste Dattel nur der libyschen Palme entfällt; wie die erhabenste Geder um die Jordan- quellen und auf dem Libanon wuchs, wie die Platane der Hellenen ihr prachtvollstes Laubgewölbe um das Gestade des Archipels der Hellenen auf Europäischer wie auf Asiatischer Seite erhebt, und die Pinie ihr fächerarti- ges Schirmdach über italischen Boden ausbreitet. Damals war die gröfste räumliche Annäherung der drei Erdtheile der Alten Welt noch hinreichend genug, durch innere Mannichfaltigkeit dem klassischen Boden der Weltgeschichte zur Folie zu dienen; damals hatten die einfachern Elemente noch gröfsere Bedeutung. Aber mit der Weltver- bindung durch die Oceane verloren die Verhältnisse jenes einseitigen Maxi- mum der Annäherung, ihre für das Ganze überwiegende Bedeutung. Zur richtigen Beurtheilung ihrer Raumverhältnisse, nach der gegenseitigen Stel- lung ihrer Länder und Völker, mufste man seitdem zu den Continenten auch noch die Oceane mit ihren Bewegungen hinzunehmen. Es besteht also auch eine andre tellurische Physik für die alte, eine andere für die neue Zeit, und wenn wir für jene und das Mittelalter wirk- lich den Orbis Terrarum mit seinen gelegentlichen Erweiterungen nach den wirklichen Raumdistanzen und den Arealflächen mathematisch genau ver- zeichnen, so müfsten wir für diese, die neuere Zeit, aufser jener richtigen Angabe der Raumverhältnisse auch noch die Kunst der Graphik für die gleichrichtige Eintragung der Zeitverhältnisse erfinden, in denen diese Räume wirklich erreicht und durchschnitten werden können und gegenseitig in den wahrhaft lebendigen Verkehr treten, sei es durch physikalische oder beseelte Bewegungen. Oder wir mülsten es verstehen, die Kombination von beiden zu einem Totalbilde zu vereinen, etwa durch mehrere durchsichtige über- Histor. philol. dbhandl. 1833. I 66 Rırrer über das historische Element einander hingleitende, hin und her verschiebbare Globularscheiben, oder durch partikuläre Ortsverrückungen, oder durch andere Hülfsmittel. Wie würden aber dann die einen Räume schwinden, die andern sich ausdehnen, die Höhen sinken, die Übergänge sich mehren; Europa’s Ge- stalt würde noch, in manchen Theilen wenigstens, am mehrsten sich gleich bleiben, und ältere wie neuere Zeit- und Raumverhältnisse sich decken. Aber in Asien würde schon:.:die. südliche Gestadewelt viel zu sehr sich zu- sammenziehen, um noch das in lauter Hemmung zurückgesunkne Inner- Asien mit Gestadelinien ganz’ zu umgrenzen, ‘und so würde fast auf allen Theilen der Planetenrinde die Inkongruenz beider Verhältnisse die seltsam- sten Zerrbilder der positiven, leblosen Formen hervorbringen. Die Erin- nerung an solche Verschiebungen und Zerrbilder rufen wir gegenwärtig aber nur darum hervor, weil sie durch den Gegensatz eben deutlich zeigen, wel- chen Verdrehungen unsre Begriffswelt unter dem täuschenden Schein von positiven Wahrheiten wirklich sich hingibt und unterworfen ist, wenn wir in den tellurischen Verhältnissen, wie bisher, nur das Leblose statt des Le- bendigen ergreifen und das historische Element neben der geographischen Wissenschaft unbeachtet liegen lassen, daraus ganz verbannen, oder auch etwas nur theilweise hie und da gelten lassen, wo es von dem einen oder dem andern Autor zufällig einmal besprochen sein möchte, ohne es jedoch in die Systematik dieser Wissenschaft als ein integrirendes Element mit auf- zunehmen. Wie irrig aber würden noch die Vorstellungen von unserm Sonnen- systeme geblieben sein, wenn wir dabei nur die sich gleich bleibenden Son- nenfernen und Planetenabstände, wie früher, ‚ohne die Abweichungen der Keplerschen Gesetze und Newtonischen Attractionstheorien hätten beach- ten wollen, welche überall die Perturbationen der Planetenbahnen oder das harmonische System ihrer wahren Umlaufszeiten und Räume bedingten. Wie jene Attractionsgesetze und Verhältnisse auf die Bahnen der Planeten unsers Sonnensystems einwirken, ebenso bedingt aber der Gang der histo- risch - erfüllten Zeiten durch Anziehung und Abstofsung die Perturbationen der Räume unsers Erdsystems und ihre Functionen. Dafs jenes Zerrbild des durch eigenthümlichen Organismus belebten Erdballs aber eben jene blofs mathematische Seite, die leblose Landkarten- ansicht sein würde, wenn sie sich vermessen wollte, als inhaltvolles Lebens- in der geographischen Wissenschaft. 67 bild der Anschauung zu dienen, dies wird noch wenig geahndet und tritt auf dem Markte unsrer Tagesliteratur kaum im Bewufstsein hervor. Alles Gesagte möchte wol hinreichend scheinen, um die blofs zufäl- lige historische Beimischung von dem historischen (nothwendigen) Elemente der geographischen Wissenschaft genau zu unterscheiden, welches nicht müfsig, sondern gestaltend, überall als mitbedingender Grund der Er- scheinungen auftritt. Es möchte zugleich damit dargethan sein, dafs es eine geographische Systematik gibt, und dafs in ihrem Gegenstande, wie bei allen Organismen, (der Theil nur aus dem lebendigen Ganzen begriffen werden kann, ohne welches jede Theilbetrachtung unvollkommen, einseitig, unwissenschaft- lich bleibt. Diese wissenschaftliche Theilbetrachtung der Länderräume, als wirk- liche Theile oder zusammengehörige Glieder eines Planetarischen Ganzen, sei sie physikalisch, ethnographisch, ethisch-politisch, würde die Aufgabe der Specialgeographie sein, die wir noch nicht besitzen, und erst in diese beiden Zweige der Allgemeinen und der Special -Beschreibungen könnte die Staatengeographie wahrhaft wissenschaftlich eingreifen. T9 Noten TE ndash mann nor Ts 1 m tab er aan I} Imumesih, AUTEn?) ar Hart Ir ler ajelel ah nur a ihr nu:? aan PEN BUILT TEE TERTOTERR EN GN are: rote st ) 27 euer 1% erden ar aliher mag Zah S IE real, ame THE 12 nahme BT) Ile 2 Hirt en re FERFTENENTRTT ee rishuee, irn 2x us Ham pre) ee eh Aa Arın An ee ehr re te er ninallarıe wants art sh re en Armee ri ol ran ab anteilig ae re. ER En WET LETTER TT I Ber I a | BL ER nun RUREISENE Jam ar ER MEN . 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Als feste Punkte, die den Gang dieser Untersuchung bestimmen, lassen sich folgende Thatsachen angeben: Eine Stelle der zwölf Tafeln, die grofsentheils wörtlich erhalten ist, und neuerlich durch Gajus eine wichtige Ergänzung erhalten hat. — Die Zex Poetelia, welche durch Aufhebung des Nexum für die Freiheit der Plebs wichtig war — endlich eine Menge einzel- ner Thatsachen und anderer Zeugnisse aus verschiedenen Jahrhunderten, worin der persönliche Zwang gegen Schuldner als geltendes Recht erwähnt wird, und in welchen bald Nexi, bald Addieti genannt werden. Die Un- tersuchung mufs nun auf zwei Stücke gerichtet sein: auf die wahre Bedeu- iung dieser Rechtsverhältnisse, und auf ihre geschichtliche Entwicklung. In den neuesten Zeiten hat Niebuhr diese Aufgabe zu lösen ver- sucht (1), und dieser Versuch ist durchdachter und umfassender, als irgend ein früherer. Zimmern hat sich im Ganzen zu Niebuhr’s Erklärung be- kannt, und sie nur noch in einigen Punkten schärfer juristisch zu bestim- men und zu begründen versucht (?). Niebuhr geht aus von einer strengen Unterscheidung der Nexi und Addicti. Nexum ist ihm der Form nach Verkauf, in der That Verpfändung, (') Niebuhr Römische Geschichte B.1. Ausg. 3. S.637 -645., B.2. Ausg. 2. S.667 -673., B.3. S.178-181. (*) Zimmern Rechtsgeschichte B.3. &.44-47. 70 v. SıvıcnYy also Scheinverkauf. Der Nexus begiebt sich mit seiner Familie und seinem Vermögen in des Gläubigers Gewalt (Mancipium). Das hat aber zunächst keine Wirkung; vielmehr bleibt er vorläufig frei, was durch die zwölf Ta- feln ausdrücklich anerkarnt sein soll. Daher konnte er noch immer in der Legion dienen, ja sogar in der ersten Classe stehen. Zahlte er aber am Verfalltag nicht, so wurde er Addietus, hörte auf Nexus zu sein und gerieth nun in wirkliche Knechtschaft. Allein diese Addicto mit derselben Wir- kung widerfuhr auch jedem andern Schuldner, der sich nicht verpfändet hatte, sobald er seine Schuld nicht zahlen konnte. Sie war das einzige Mittel, den Geiz und Starrsinn eines vermögenden Schuldners zu brechen, da das Vermögen nicht unmittelbar angegriffen werden konnte. Die Zex Poetelia hob das Nexum auf, an dessen Stelle sie die Fidueia einführte, liefs aber die Addiction bestehen. Nach dem Hannibalischen Krieg wurde auch die Addiction abgeschafft. So weit Niebuhr’s Erklärung, die nun- mehr geprüft werden soll. Die Erklärung des Nexum durch Verpfändung der eigenen Person ist nicht ganz neu, indem schon Salmasius und Gronov sie versucht haben, ohne sie so vollständig durchzuführen (!). Zwei Betrachtungen scheinen dar- auf geführt zu haben. Erstlich der Umstand, dafs in unsern Rechtsquellen verpfändete Sachen zuweilen Res nexae genannt werden (?); allein dieses ge- schieht in schr später Zeit: nectere hat hier die allgemeine, unbestimmte Be- deutung wie oÖlıgare, und an eine Beziehung auf das seit vielen Jahrhun- derten abgeschaffte Institut der Neat ist hier gewifs nicht zu denken. Zwei- tens eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Fiducia, in welcher allerdings aes etlıbra, also Nexum gebraucht wurde zur Verpfändung von Sachen: das- selbe, sagt man, geschah dort zur Verpfändung der Person. Aber diese Analogie, so scheinbar sie sein mag, mufs dennoch bei genauer Prüfung gänzlich verworfen werden. Das Mancipium an freien Menschen kam aller- dings als uraltes Rechtsinstitut vor: aber es wird nur erwähnt als Mancipa- tion des Kindes durch den Vater, der Ehefrau durch den Mann, ohne Spur dafs jemals der Freie sich selbst hätte maneipiren können, wie hier ange- (') Salmasius de usuris p.206., de modo usurarum p.580. 838. 839. — Gronovius in Burmann’s Syll. epist. II., p. 302. (?) Z.B.L.1. 8.4.D. ne vis fiat (43. 4.), L.52. 8.2.D. de pactis (2.14.). p über das altrömische Schuldrecht. 7A nommen wird (!). Ferner soll diese Mancipation nur eine bedingte, even- tuelle Kraft gehabt haben, erst wirkend, wenn die Schuld am Verfalltag nicht gezahlt war. Allein jede Maäncipation, die man durch Bedingung oder Zeit beschränken wollte, wurde dadurch ganz ungültig (?). Darum mufste auch in der Frducia das Eigenthum der Sache sogleich unbedingt übertragen werden. Hier half man sich für die Erreichung eines ähnlichen Zwecks auf einem ganz anderen Wege, indem man dem Schuldner gegen den Gläubiger eine persönliche Frduciae Actio gab. Wollte nun der Gläubiger sein wirklich erworbenes Eigenthum misbrauchen, indem er etwa das verpfändete Haus vor dem Verfalltag oder nach der Rückzahlung verkaufte, so verklagte ihn der Schuldner mit der Fiduciae Actio auf vollständige Entschädigung, und diese Klage war noch besonders gefährlich dadurch, dafs der verurtheilte Gläubiger ehrlos wurde. An einen gleichen Ausweg aber dürfen wir bei dem Nexum, wenn es in einer Selbstverpfändung durch Mancipation be- stand, gar nicht denken. Denn niemals konnte der, welcher in des Andern Mancipium stand, gegen diesen seinen Herrn eine Klage anstellen; ja er konnte diese Klage gar nicht haben, weil alle seine Vermögensrechte augen- blicklich auf den Herrn übergingen, also auch jene Fiduciae Actio, von der Mancipation an, eine Klage des Herrn gegen sich selbst gewesen wäre, folg- lich durch Confusion nothwendig hätte untergehen müssen. — Also aus juri- stischen Gründen mufs der Gedanke an die Selbstverpfändung aufgegeben werden; er erscheint aber auch noch von einer andern Seite in dem oben dargestellten Zusammenhang als unhaltbar. Denn wenn das Vexum für sich noch gar nicht die Schuldknechtschaft begründete, sondern erst durch die darauf folgende Addietion, die Addiction aber auch durch jede andere Schuld ohne Nexum begründet werden konnte, so ist nicht einzusehen, welchen praktischen Vortheil das Nexum dem Gläubiger gewährte; und wenn die Zex Poetelia die Addiction wegen Schulden jeder Art bestehen liefs, so ist nicht zu begreifen, welche Freiheit die Plebs dadurch erlangte, dafs das blofse Nexum verboten wurde. — Auch durch einzelne Stellen der (') Gajus Lib.1 $.117. 118. 118°. 141. Ulpian. Tit.11. 8.5. Eben so auch Feszus: De- minulus capite appellatur ... et qui liber alteri mancipio datus est. Von einer Selbstmaneipation können diese Worte nicht ohne Zwang verstanden werden. (?) Fragm. Vatie. 8.329. — L.77.D. de reg. iuris (50. 17.). 72 v. SAvIıenY Alten wird jene Erklärung des Nexum keinesweges begründet. Die Stellen des Varro und des Festus können erst später erklärt werden. Was aber die behauptete gesetzliche Freiheit der Vexi betrifft, woraus deren Zustand überhaupt eine feste Basis zu gewinnen scheint, so wird dafür allerdings fol- gende Stelle der zwölf Tafeln angeführt, worauf sich auch Niebuhr be- ruft (1): Nexo solutoque fort sanatique idem ius esto. Allein die Handschrift des Festus, woraus diese Stelle genommen wird, enthält in der That nur folgende Buchstaben : SSL UT EX .. Fort Sanali.. und älles Übrige ist blofse Ausfüllung durch Conjectur, kann also unmög- lich als geschichtliches Zeugnifs gelten. Mufs nun aus diesen Gründen die Erklärung des Vexum als einer persönlichen Selbstverpfändung gänzlich verworfen werden, so ist dafür eine andere Bedeutung aufzusuchen. Von den ältesten Zeiten her machten die Rö- mer einen sehr grofsen Unterschied zwischen Schulden aus baarem Gelddar- lehen, und allen anderen Schulden, mochten nun diese aus Verträgen, De- licten, oder wie sonst entstanden sein. Unserm neueren Recht und unsern Gewohnheiten ist dieser scharfe Unterschied fremd; die Römer aber legten darauf so grofses Gewicht, dafs sie bei dem Gelddarlehen die bekannte strenge Execution gegen des Schuldners Person eintreten liefsen, die bei anderen Schulden in der Regel nicht verlangt werden konnte. Diese Grund- ansicht, worauf alles Übrige beruht, wird durch folgende Zeugnisse aus ganz verschiedenen Jahrhunderten unwidersprechlich bewiesen. Die Stelle der zwölf Tafeln über das strenge Verfahren gegen Schuld- ner (?) fängt an mit den Worten: Zeris confessi rebusque iure iudicatis AAX. dies iusti sunto, woran dann alles Weitere angeknüpft wird. Das heist: Wegen einer eingestandenen Geldschuld, oder wenn dieselbe gericht- lich zuerkannt ist, soll der Schuldner noch dreifsig Tage Aufschub haben u.s.w. Alles Folgende also geht lediglich auf Geldschulden. Und dafs (') Niebuhr B.1. S.641. 642., B.2. S.668. (?) Gellius XX.1. über das altrömische Schuldrecht. 13 diese Geldschulden zugleich lediglich als Darlehnsschulden zu denken sind, dieses wird augenscheinlich bestätigt durch die vorhergehende Einleitung des Gellius: hane autem fidem maiores nostri . . in negotiorum quoque contractbus sanxerunt: maximeque in pecuniae mulualiciae usu alque commercio ... Confessi igitur aeris ac debiti iudicatis XAX dies sunt dati ete. Der Zu- sammenhang des Gedankens ist offenbar dieser: Die Vorfahren haben über- haupt sehr auf Treue und Glauben gehalten, ganz besonders aber bei dem Gelddarlehen; und dieses letzte wird nun durch die Stelle der zwölf Tafeln erläutert und bestätigt. Noch unzweideutiger enthält diese strenge Unterscheidung die Zex Galliae cisalpinae Cap. 21.22.: A quocunque pecunia certa credita sig- nata forma publica populi Romani...petetur ... duci iubeto... 4 quo quid praeter pecuniam certam creditam...peletur... und nun folgen andere Wirkungen, nicht die persönliche Haft. Die Tabula Heracleensis lin.37 -45., enthält folgende Verordnung über die Ausbesserung der Strafsen in den Städten. Die Obrigkeit weifst jedem Hauseigenthümer den Raum an, den er zu bauen hat. Ister darin säumig, so wird die Arbeit auf seine Rechnung, mit einem Zuschlag von funfzig Prozen- ten, in Accord gegeben, und der Unternehmer erhält nun gegen den Säumigen eine Ersatzklage: ingue eam rem is quocungque de ea re aditum erit iudicem iu- diciumve ita dato uti de pecunia credita iudicem indieiumque dare oporteret. Cicero sagt, es gebe nur drei Wege um die Klage auf ein certum zu begründen: adnumerata (data) pecunia, expensiatio, stipuWlatio ('). Auch hier also wird das Gelddarlehen von fast allen anderen Obligationen strenge unterschieden: insbesondere auch von den vielen und wichtigen Fäl- len, in welchen der Gegenstand der Forderung eben so gut als bei dem Darlehen in baarem Geld besteht, wie dieses z. B. bei der Forderung eines Verkäufers oder Vermiethers unläugbar der Fall ist. Eben so setzt Livius an mehreren Stellen das strenge Verfahren ge- gen die Schuldner in unmittelbare und ausschliefsende Beziehung auf Geld- schulden. So VI. 14. Centurionem nobllem ..iudicatum pecuniae quum duci vidisset . . (') Cicero pro Roscio Comoedo C.4.5. Hıistor, philol, Abhandl. 1333. K 74 v. SAvIıenYy Paz e ae i . : i : . XXIT. 14. edixitque: qui capitalem fraudem ausi, quique pecuniae iudicati in vinculis essent... VIH.’28: pecuniae creditae bona debitoris non corpus obnoxium esset. .. (von der Lex Poetelia). Ganz besonders aber beweifst für diese Unterscheidung, nach welcher anderen Schulden die persönliche Execution versagt war, eine sehr bekannte Ausnahme: der fur manifestus sollte gegeifselt, und dem Bestohlnen: addi- cirt werden. Dieses war reine Strafe und stand gar nicht in Verbindung mit dem Verfahren gegen arme Schuldner, da es unbedingt, also selbst gegen den vermögenden Dieb, eintreten sollte. Auch stritten daher die alten Ju- risten, ob ein solcher Dieb einem addieirten Schuldner gleich stehe, oder vielmehr wirklicher Sclave sei('). Aber unmöglich konnte man diese Ad- dietion des fur manifestus als etwas ganz Aufserordentliches ansehen, wenn auch aus jedem andern Delicet, z.B. dem furtum nec manifestum, im Fall der Insolvenz die Addiction erfolgen konnte; denn gerade bei Dieben wird der Fall sehr häufig eintreten, dafs sie unfähig sind, die Geldstrafe des dop- pelten, dreifachen, vierfachen Werthes zu erlegen. Aus demselben Grunde wäre auch die vom Prätor vorgenommene Verwandlung jener Addietion in eine Geldstrafe gar nicht so wichtig und durchgreifend gewesen, wie sie doch offenbar von den alten Juristen angesehen wird. Manche haben diese ausgezeichnete Natur der Geldschulden zwar an- erkannt, aber in der Art mifsverstanden, als betreffe sie alle Schulden, de- ren Gegenstand eine Geldforderung sei (”), da doch nur von jenen die Rede sein kann, deren Entstehungsgrund geliehenes baares Geld ist. Dann hätte g Recht gehabt, als der Verkäufer, weil jener ein Haus, dieser aber Geld for- derte. Dieser Irrthum widerlegt sich schon dadurch, dafs die meisten unter den angeführten Stellen geradezu das Gelddarlehen vor anderen Schulden auszeichnen und als Grund eines strengeren Verfahrens darstellen, also alles Gewicht auf den Entstehungsgrund der Schuld, und keinesweges auf den anz ungerechterweise der Kaüfer eines Hauses minder strenges blofsen Gegenstand legen. . 8 8 (') Gajus Lib.3. 8.189. (*) Zimmern Rechtsgeschichte B.3. 8.126. über das altrömische Schuldrecht. 75 Jedoch waren dem Gelddarlehen in dieser seiner strengen Wirkung einige einzelne Obligationen durch besondere Gesetze gleich gestellt worden. So z.B. verordnete eine Zex Pubdlia, dals der Bürge (sponsor), der für den Schuldner zahle, gegen diesen mit der 4ctio depensi seinen Regrefs nehmen könne, und diese Klage solle gegen den Schuldner, der nicht binnen sechs Monaten Ersatz gebe, eben so strenges Recht mit sich führen, wie wenn der Bürge dem Schuldner baares Geld geliehen hätte. Das wurde so ausge- drückt: der Bürge solle gegen den Schuldner eine pro iudicato manus inie- ctio haben (!). Aufserdem aber konnten dem Gelddarlehen in dieser strengen Wir- kung alle Obligationen ohne Ausnahme gleichgestellt werden durch die Will- kühr der Parteien, und dazu eben diente das Vexum, wie nunmehr gezeigt werden soll. Darüber ist kein Streit, dafs das Nexum in jeder Anwendung, also auch in der auf die Schuldner, eine feierliche Handlung war, die darin be- stand, dafs Einer dem Andern ein kleines Geldstück zuwog (?); ein Zibri- pens und fünf Zeugen waren gegenwärtig, und ausgesprochene Formulare drückten jedesmal den Sinn und Zweck des besondern Geschäfts aus. Die symbolische Natur dieser Handlung deutet auf eine Zeit, worin das Wiegen des Geldes nicht symbolisch, sondern ernstlich und gewöhnlich vorkam, und so hat man es gewöhnlich ‚auf diejenige frühe Zeit bezogen, worin die Römer noch nicht verstanden hätten Münzen zu prägen. Allein bei der grofsen Rohheit und Einfachheit der erhaltenen ältesten Münzen ist eine solche Zeit überhaupt nicht anzunehmen: am wenigsten da die ältesten Münzen gerade in bezeichneten Pfunden Kupfer bestanden, so dafs Geld und Gewichtstein identisch.war, und das Zählen des gemünzten Geldes eben so früh möglich sein mulste, als das regelmäfsige Wiegen. Niebuhr zuerst hat auf die überzeugendste Weise bemerkt, dafs das Wiegen des Geldes in Rom so lange allgemein üblich sein mufste, als Kupfergeld das einzige be- kannte Geld war. Damals waren Römische Geldstücke von ganz verschie- denem Münzfufs in Umlauf, und neben ihnen noch das Geld der benach- (') Gajus Lib.4. 8.22. 25. (2) Varro. de 2. L. V1.5. (V1.5.) ed. Spengel p.382. Cicero de oratore I. 40. Festus v. Nexum. K2 76 v. SAVICNY barten Städte. In dieser Verwirrung konnte bei jeder Zahlung nur die Wage helfen, wodurch man einen Haufen verschiedener Geldstücke leicht und sicher auf den jedesmal geltenden As zurückführte, indem der Stoff: stets dasselbe Metall war (!). Dieser Gebrauch dauerte so lange, als das Kupfer- geld allein cursirte. Mit der Einführung des Silbergeldes (J. 485. der Stadt) mufste er aufhören, weil nun auf den Feingehalt der Münzen gesehen wer- den mufste, also die Wage nicht mehr ausreichte. Von dieser Zeit an wurde zum blofsen Symbol, was früher zu einem ernstlichen Zweck gedient hatte, und so läfst sich das Vexum für die spätere Zeit im Allgemeinen dahin be- stimmen: es war eine symbolische Geldzahlung, vorgenommen in alter, jetzt ungebräuchlicher, Form. Zu welcherlei Zwecken und Geschäften nun diese symbolische Handlung vorgenommen wurde, ergiebt sich aus den häufigsten und wichtigsten Anwendungen der Geldzahlung überhaupt. Eine solche Anwendung aber läfst sich in dreierlei Geschäften behaupten, und in jedem derselben kam in der That das symboliche Vexum vor: 1) Zahlung als Kaufgeld, Maneipatio, Nexı datio. Hier also Form für die Übertragung des Eigenthums durch symbolischen Kauf, einerlei ob da- bei auch ein wirklicher Kauf zum Grunde liegen mochte, oder irgend ein anderes Geschäft. 2) Zahlung als Darlehen, Nexi obligatio. Symbolisches Darlehen, als Form für die Begründung einer Obligation, einerlei ob ein wirkliches Darle- hen, oder ein anderes Geschäft, zum Grund lag. Das so versprochene Geld hiefs nexum aes oder auch nuncupata pecunia (*), und die Kraft dieses Vertrags war eben so, wie die der Mancipation, durch eine aus- drückliche Stelle der zwölf Tafeln begründet (%). Eine wichtige An- wendung dieser Geschäftsform findet sich in einer noch späterhin vor- kommenden Gestalt der Stipulation. Nämlich die Formel: dari spon- des? spondeo war nur anwendbar auf Römische Bürger, während alle übrige Formeln auch den Peregrinen zugänglich waren; bei dieser For- io) mel allein aber steht das dari, das in den übrigen Formeln hinzugesetzt (') Niebuhr B.1. Ausg. 3. S.516. (7) Festus v. Nexum und v. Nuncupata. Varro de L. L. VI.7. ed. Spengel. () Cum nexum faciet mancipiumque, ut lingua nuncupassit üta ius esto. Vergl. Dirksen S.397.u. fg. über das altrömische Schuldrecht. 77 wird, also darin nicht wesentlich war ('). Jene persönliche Beschrän- kung nun rührt daher, dafs die Formel dari spondes ohne Zweifel die ursprüngliche Formel der alten Nexi obligatio war, auf welcher dann, auch nachdem sie als blofse Stipulation gebraucht wurde, die alte Be- schränkung haften blieb; das dar: aber erklärt sich daraus, dafs das Nexum, als symbolisches Darlehen, keinen andern Gegenstand als das Geben haben konnte. So liegt also auch in diesem Umstand eine Be- stätigung der hier versuchten Erklärung der Nexi obligatio: eine noch stärkere Bestätigung aber liegt in den angeführten Kunstausdrücken nexum aes und nuncupata pecunia. 3) Zahlung zur Tilgung einer Schuld, Nexz liberatio. Also symbolische Schuldenzahlung (?), und auch hier wieder bald neben einer wirklichen Zahlung (?), da es blofs als feierliche Quittung galt, bald selbständig, z.B. wenn die Schuld erlassen werden sollte. Diese drei Anwendungen- sind nicht nur an sich wahrscheinlich, son- dern sie kommen auch gerade in dieser Zusammenstellung bei Festus vor (*). Varro’s Zweifel, ob das Wort Nexum für alle Geschäfte dieser Art gebraucht werden dürfe, oder vielmehr nur für die Geschäfte aufser der Mancipation, also nur für odligatio und Ziberatio, kann uns hierbei gleichgültig sein. Ci- cero und Festus nehmen das Wort in der weitesten Ausdehnung. Die zweite unter jenen Anwendungen ist es, woraus das alte Schuld- recht sich erklärt. Es war ein symbolisches Darlehen, geschlossen durch zugewogenes Geld (°). Diese symbolische Handlung wurde ohne Zweifel (') Gajus Lib.3. 8.92. 93., wo die Formel dari spondes, ohne alle Abwechslung, dreimal kurz nach einander vorkommt. (?) Species imaginariae solutionis per aes et libram. Gajus 11.173. (°) So bei Zivius VI.14.: Inde rem creditori palam populo solwit, hbraque et aere liberatum emittit. (*) Festus: Nexum est, ut alt Aelius Gallus, quodcunque per aes et libram geri- tur, idque necti dieitur. Quo in genere sunt haec: testamentifactio (blols eine einzelne Anwendung der mancipatio), nexi datio, nexi liberatio. Nexum aes apud anli- quos dicebatur pecunia, quae per nexum obligatur. (°) Im Wesentlichen ist diese Erklärung schon angegeben in Hugo’s Rechtsgeschichte Ausg. 3. (1806) 8.90., und eben so in den späteren Ausgaben. Sie ist jedoch von ihm nicht weiter ausgeführt worden. 7 v. SAvIeNY auch neben den meisten wirklichen Darlehen vorgenommen, ohne dabei einen anderen Vortheil zu gewähren, als den des sicheren Beweises durch die vielen Zeugen; ihre eigenthümliche Kraft und Wirksamkeit aber äufserte sie da, wo irgend eine andere Obligation durch Willkühr der Parteien einem Gelddarlehen gleich gestellt werden sollte. Durch die blofse Anwendung dieser Form also geschah es, dafs bei jedem Kauf- oder Mithcontract, jeder anerkannten Schuld aus einem begangenen Delict u.s. w. der Schuldner der- selben strengen Behandlung unterworfen werden konnte, wie sie das Gesetz eigentlich nur für das Gelddarlehen vorgeschrieben hatte (!). Doch die meisten dieser Anwendungen, so wichtig sie theils für die wissenschaftliche Betrachtung, theils für die Rechtspflege in einzelnen Fällen sein mögen, hat- ten auf den Zustand des Römischen Volks geringen Einflufs. Denn wenn man die Sache im Grofsen betrachtet, so sind es nicht diese zahlreichen, verschiedenartigen Schuldverhältnisse, die den Wohlstand ganzer Classen vernichten, wodurch Staaten verwirrt und erschüttert werden: nur ein ein- zıges Schuldverhältnifs ist es, welches diese gefährliche Macht ausübt, das Gelddarlehen und was zu dessen nächster Umgebung gehört. Aber eben in dieser Umgebung des Darlehens findet sich ein Stück, woraus die ganze hi- storische Wichtigkeit des Nerum im alten Rom klar wird; und auch hier wieder müssen wir unsre Gewöhnungen vergessen, um eine vollständige An- schauung der Römischen Verhältnisse zu gewinnen. Wenn bei uns ein Darlehen vorkommt, so ist es nicht nur meistens mit einem Zinsvertrag verbunden, sondern wir pflegen dann die Schuld auf das Kapital und die auf die Zinsen als zwei wesentlich verbundene Theile eines und desselben Geschäfts anzusehen. Nicht so die Römer, die bis auf ganz späte Zeiten herab beide Verpflichtungen strenge sonderten, wie sie denn auch eine wesentlich verschiedene Natur haben. Die Schuld auf das Kapital ist eine re contracta obligatio: bei ihr versteht sich alles von selbst, Dasein und Umfang der Obligation, und es bedurfte in Rom niemals einer besonderen Förmlichkeit, um diese Schuld klagbar zu machen. Alles anders bei der (') Wenn der Mancipation ein ernstlicher Kauf zum Grunde lag, und nun noch für das Kaufgeld Credit gegeben werden sollte, so konnte dafür noch ein besonderes Nexum vor denselben Zeugen geschlossen werden. Man könnte jedoch auch die Zwölftafelnstelle: Cum nexun. faciet so verstehen, dals dieses nicht nöthig gewesen, und .dals..das blolse Versprechen des Kaufgeldes durch die Feierlichkeit der Mancipation schon mit gedeckt worden wäre. über das altrömische Schuldrecht. 79 Zinsschuld: hier versteht sich nichts von selbst, alles ist Erzeugnifs blofser Willkühr, und bis auf die spätesten Zeiten herab konnte in Rom ein solcher Vertrag nicht eingeklagt werden, wenn er nicht in eine Stipulation einge- kleidet war. Hier nun zeigt sich das alte Vexum eben so wichtig als gefähr- lich. Denn das strenge Schuldrecht ging nur auf pecunia credita, also nur auf das Kapital, nicht auf die Zinsen. In dem Nexum aber war ein künst- liches Mittel gefunden, die Zinsen wie ein neues Darlehen zu behandeln, also dem Kapital gleich zu stellen, und so selbst dem Wucher die Kraft zu verleihen, die in der Härte des alten Schuldrechts enthalten war. Jetzt konnte der Schuldner wegen der Zinsen eben so gut verhaftet werden, als wegen des Kapitals, und seine Auslösung durch Arbeit wurde immer schwe- rer, indem neben der Arbeit auch neue Zinsen aufwuchsen, vor deren völ- liger Tilgung an keine Freiheit zu denken war. Die hier gegebene Erklärung des Mexum ist völlig ausreichend, um einige Stellen der Alten zu erklären, welche der oben widerlegten Deutung dnrch Selbstverkauf oder Selbstverpfändung einigen Schein geben könnten. So sagt Varro in der oben angeführten Stelle: Ziber gu suas operas in ser- vitutem pro pecunia quam debebat dat, dum solveret, Nexus vocatur (!). Das heifst: durch Nexum kann sich jeder Freie der Addiction, also der Schuld- knechtschaft, aussetzen: und ist er in diese verfallen, so bleibt er darin bis zur Zahlung, und heifst so lange ein Nexus. — Eben so in mehreren erzäh- lenden Stellen, nach welchen sich Jemand wegen Schulden als Nexus hin- gegeben hatte (?): das heifst, ein freier Römer hatte wegen Schulden ein Nexum geschlossen, und war in Folge desselben durch Addiction (die hier nur nicht ausgedrückt ist) in Schuldknechtschaft gerathen. In allen solchen Stellen steht also Nexus abgekürzt für propter nexum adiudicatus. Sehr richtig aber bemerkt Niebuhr, dafs in keiner dieser Stellen bei der Wort- erklärung von Nexus oder Nexu vinctus an Fesseln gedacht werden darf, obgleich diese der Sache nach allerdings auch vorkommen konnten. Anschaulicher wird das hier erklärte Nexum durch die Vergleichung mit unserm Wechselgeschäft. Auch der Wechsel dient dazu, den verschie- (') Über die Lescarten dieser Stelle vgl. u.a. O. Müller im Rhein. Museum B.5. S. 198. (?) Livius VIIL.28.: cu quum se C. Publilius ob aes alienum palternum nexum dedisset. — Faler. Max. V1.1.9.: Veturius ... cum propter domesticam ruinam et grave aes alienum C. Plotio nexum se dare admodum adolescentulus coactus esset. s0 VeSAVIENY densten Geschäften eine besondere juristische Form und Kraft zu geben; auch ihm kann ein Darlehen, ein Zinsvertrag, eine Abrechnung, oder ir- gend etwas Anderes zum Grund liegen; auch er begründet schnelle persön- liche Haft, wenn der Schuldner nicht zahlt. Aber darin ist ein Unterschied, dafs das Nerum andere Obligationen nur dem Darlehen gleich stellte, wel- ches schon für sich allein dieselbe strenge Wirkung hatte: anstatt dafs bei uns gerade nur der Wechsel diese strenge Folge hat, die dem blofsen Dar- lehen ohne Wechsel keinesweges beigelegt ist. Dieselbe Kraft eines Gelddarlehens nun, welche nach dieser Darstel- lung einer jeden Schuld durch willkührliche Anwendung von aes et libra verliehen werden konnte, mufste ohnehin bei solchen Obligationen eintre- ten, die schon ihrer Natur nach auf aes et ibra gegründet waren. Dieses ist der Grund, weshalb die Verpflichtung eines Erben aus einem legatum per damnationem der Verpflichtung eines verurtheilten Geldschuldners (iudicatus) gleich gestellt wurde ('); und aus demselben Grunde konnte bei der Aufhe- bung dieser Verpflichtung die Nexi liberatio angewendet werden (?). Das Ergebnifs der bisher geführten Untersuchung läfst sich nunmehr in folgenden Sätzen zusammen fassen: Das Gelddarlehen unterwarf nach uraltem Recht den Schuldner der strengsten Verfolgung, namentlich der persönlichen Haft, der Knechtschaft u. Ss. w. Dieselbe Strenge trat ein in einigen einzelnen Schuldverhältnissen , die durch besondere Gesetze dem Darlehen gleich gestellt waren. Dieselbe Strenge konnte mit jeder andern Obligation durch Will- kühr der Parteien verbunden werden, wenn sie ihrem Vertrag die feierliche Form eines Scheindarlehens gaben: und diese Form hatte eine besonders häufige und wichtige Anwendung bei Zinsverträgen. In allen anderen Fällen konnte gegen den Schuldner diese strenge Ver- folgung nicht eintreten. (') Gajus IV.9.171. I. 282. (°) Gajus III. 173.175. Hier ist besonders merkwürdig, dafs es eigentlich nur bei solchen Legaten gelten sollte, deren Gegenstand durch Gewicht oder Zahl (also dem Geld gleichartig) bestimmt war. Einige Juristen wollten es auch auf Bestimmung durch mensura ausdehnen. über das altrömische Schuldrecht. 51 Nachdem so die Grundverhältnisse festgestellt worden sind, wird es möglich sein, deren geschichtliche Entwicklung klar zu machen. Die zwölf Tafeln hatten folgende Vorschrift gegeben (!): Ist ein Geld- darlehen (vor dem Magistratus) 'eingestanden, oder ist deshalb eine richter- liche Verurtheilung erfolgt, so hat der Schuldner noch dreifsig Tage Auf- schub. Zahlt er in dieser Zeit nicht, so darf der Gläubiger Hand an ihn le- gen (manus iniectio) und ihn vor den Magistratus führen. Noch jetzt kann er frei werden, wenn er entweder selbst zahlt, oder einen Fündex stellt, der die Schuld auf sich nimmt. Aufserdem führt ihn der Gläubiger hinweg und legt ihn in Fesseln. Erfolgt auch nun noch binnen sechzig Tagen keine Zahlung, so darf der Gläubiger ihn hinrichten, oder aufser Landes als Scla- ven verkaufen. — So wird der Inhalt des Gesetzes, grofsentheils mit dessen ei- genen Worten, von Gellius dargestellt. Gajus liefert dazu eine wichtige Er- gänzung, indem er die bei der manus tniectio übliche feierliche Formel mit- theilt (?); aber sein etwas unvollständiger Ausdruck könnte leicht zu einem doppelten Mifsverständnifs verleiten. Zuerst könnte man glauben, der Schuld- ner sei von der manus iniectio unmittelbar in das Gefängnifs geführt worden, da doch aus den Worten des Gesetzes selbst erhellt, dafs er zuvor wieder in ius geführt werden mufste (?), wo nun der Magistratus die förmliche Aaddictio aussprach (*). Dieser Umstand war sehr wesentlich, weil nur dadurch noch die Zwischenkunft eines F’index möglich wurde. Zweitens könnte man nach den Worten des Gajus glauben, die manus iniectio sei die Folge einer jeden Verurtheilung gewesen (pro iudicato);, sie ging aber in der That nur auf die- jenige Verurtheilung, wovon die zwölf Tafeln sprachen (auf die allein ja auch Gajus sie gründet), nämlich auf aes, oder pecunia credita (°). Eben (') Gellius XX.1.XV.3. Vgl. Dirksen Zwölftafelfragmente 8.234. f. (2) Gajus Lib.4. 8.21. (°) Gellius l.c. „Post deinde manus iniectio esto, in ius ducito.” (‘) Gellius l.ce. „post deinde, nisi dissolverent, ad Praetorem vocabantur: et ab eo, quibus erant iudicati, addicebantur.” (°) Dieselbe Beschränkung mufs dann auch in eine andere Stelle des Gajus II. 173., hineingedacht werden: „Est etiam alia species imaginariae solutionis, per aes ei libram .. veluti si..quid ex iudicati causa debitum sit”. Der iudicatus ist immer nur der, welchen die zwölf Tafeln vor Augen haben: der verurtheilte Geldschuldner. Eben so auch Gajus IV. 25. 102. Histor. philol. Abhandl, 1833. L 82 v. SAWLEN!Y so könnte man nun auch auf der andern Seite, den Ausdruck zudicatus buch- stäblich nehmend, die Verhaftung nur auf den verurtheilten Dahrlehns- schuldner beziehen wollen, nicht auch auf den geständigen. Aber eben hierauf ging ohne Zweifel die alte Regel: confessus pro iudicato est, ja es ist sehr möglich, dafs es lange Zeit ihre einzige Bedeutung war (!). Wegen die- ser Regel mufs nun überall, wo der iudicatus erwähnt wird, der confessus zugleich mit gedacht werden. Der letzte Theil des Zwölftafelgesetzes klingt so unmenschlich, dafs man oft vergebliche Versuche gemacht hat, ihn durch künstliche Auslegung zu mildern. Davon aber, dafs er jemals zur Ausführung gekommen wäre, haben wir durchaus keine Nachricht, obgleich eine solche Thatsache den treffllichsten Stoff zu heftigen Parteireden bei Livius dargeboten hätte. Es ist daher wahrscheinlich, dafs dieser härteste Theil des Gesetzes bald nach- her, entweder durch ein neues Gesetz, oder durch Gewohnheit, abgeschafft worden ist. Welcher wirkliche Zustand an die Stelle trat, ist aus mehreren Erzählungen der Geschichtschreiber klar. Der Schuldner blieb im Gefäng- nifs des Gläubigers, mufste für diesen arbeiten, und war der unbegränzten Willkühr unterworfen, ohne Schutz gegen irgend eine Mifshandlung (?). Hieran schliefst sich nun die wichtige Zex Poetelia, veranlafst durch die grausame und sittenlose Behandlung eines einzelnen Schuldners (*). Den Inhalt derselben giebt in wenigen Worten Cicero, weit ausführlicher aber Livius an. Aus seiner Darstelluung ergeben sich drei wesentliche Bestim- 5 mungen des Gesetzes (*): !) L.1.L.6. pr.D. de confessis. — Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs die Anwendun P ’ 5 dieser Regel auf alle andere Klagen erst durch die in L.6.8.2.D. de confessis erwähnte oratio D. Marci eingeführt oder gewils gemacht wurde. (*) So z.B. in der Erzählung bei Zivius VII. 28. und Falerius Max. V1.1.9., wo der Gläubiger zwar als sehr schlecht dargestellt wird, aber ohne dafs man ihm eine Rechts- verletzung vorwerfen konnte; daraus eben ging ja das Bedürfnils einer neuen Gesetzgebung hervor. — Nach Dionysius freilich wäre der Gläubiger angeklagt und verurtheilt worden. (°) Das Gesetz fällt nach der gewöhnlichen Jahresrechnung in das J. 428, nach Niebuhr III. 178., in das J. 424.; ebendaselbst aber bezweifelt Niebuhr von anderer Seite die Zeit- bestimmung. (*) Cicero de re publica II. 34. Livius VIU.23. Dafs Cicero blofs den Senat erwähnt, macht keine Schwierigkeit, denn auch nach Livius wurde die Zex durch einen Senatsbeschluls vor das Volk gebracht. — Auch Dionysius erwähnt das Gesetz, jedoch blofs in der vorüberge- über das altrömische Schuldrecht. 83 1) Alle gegenwärtige Nexi (sie mochten schon addicirt sein oder nicht) sollten frei sein. Cicero: omniaque nexa civium liberata. Livius: ta nexi soluti. Varro fügt zu dieser Befreiung eine Einschränkung hinzu: sie sei nur denjenigen Schuldnern zu gut gekommen, welche über den Zustand ih- res Vermögens einen Eid leisten konnten ('). Diese erste Bestimmung ist aber überhaupt nur vorübergehend, und für unsren Zweck unwichtig. Für die Zukunft sollte das Nexum ganz aufgehoben sein. Es wird hin- zugefügt, dafs es in der That von dieser Zeit an völlig verschwunden sei. RS) — Cicero: nectierqgue postea desitum. Livius: nec& desierunt... und nachher: cautumque in poste- rum ne necterentur, so dafs dieses letzte nur die Wie- derholung des ersten in anderen Worten sein soll. Die wörtliche Übereinstimmung zwischen Cicero und Livius macht es sehr wahrscheinlich, dafs beide hier die Worte eines alten Annalisten vor Augen hatten, wodurch die Glaubwürdigkeit dieses Theils der Er- zählung erhöht wird. Worin nun das Wesen dieser Vorschrift, und zu- gleich ihre Wichtigkeit lag, geht aus der oben dargestellten Natur des Nexum hervor. Es war jetzt unmöglich geworden, die Kraft eines« Darlehens mit irgend einer andern Schuld wiilkührlich zu verknüpfen, und insbesondere konnte von jetzt an keine Zinsenschuld das Recht ge- ben, einen Schuldner zu verhaften oder nach abgetragenem Kapital in Haft zu behalten. Und diese Wirkung war allerdings wichtig genug, dafs Livius sagen konnte: Zo anno pleli Romanae velut aliud initium libertatis factum est, quod nectidesierunt. In welchen Worten übri- gens dieser Theil des Gesetzes abgefafst war, läfst sich aus jenen Zeug- henden Bestimmung, der Befreiung der damaligen Nexi. Excerpta Valesiana, Paris. 1634. 4. p-536 -539. (') Varro l.c. „Liber. . Nexus vocatur. Hoc C. Popilio vocare (al. auctore al, rogante) Sylla dictatore sublatum ne fieret, et omnes qui bonam copiam iurarunt ne essent nexi dissoluii.” Nach den übereinstimmenden Zeugnissen des Cicero und Livius muls man annehmen, dals hier die Namen völlig verdorben sind, und dals Varro nicht von den Zeiten des Sylla, sondern von der Zex Poetelia sprach. Vgl. Niebuhr 11.179. Zim- mern Ill. 246. L2 84 v. Sıvıeny nissen nicht erkennen. Es liefse sich unter andern folgende Abfassung denken: Cwcunque manus iniecta erit, praeterquam iudicato el ei pro quo depensum erit, manum sıbi depellere liceto. Dann wäre die Verhaf- tung auf die Fälle des Gelddarlehens und des Depensum beschränkt ge- wesen, für alle übrige Fälle aber aufgehoben worden. Das Nexum hätte dadurch seine eigenthümliche Kraft verloren, wäre also nutzlos geworden, und somit von selbst weggefallen. Für einen solchen Aus- druck des Gesetzes könnte, mit einiger Ergänzung, Gajus als Zeuge angeführt werden (!). Eben dafür spricht der Umstand, dafs nur allein in jenen zwei Fällen der Beklagte, welcher selbst den Prozefs führte, eine cautio iudicatum solvi bestellen mufste (?). 3) Die Addietion (im Fall des Darlehens) wurde zwar nicht aufgehoben, aber gemildert, indem der Gebrauch schwerer Fesseln untersagt wurde. Livius drückt das so aus: ne quis, nısi qui noxam meruisset donec poe- nam lueret, in compedibus aut in nervo teneretur. Manche haben die hier angedeutete Ausnahme von dem addieirten Zur manifestus erklärt, andere von allen Delictschulden: beides unrichtig. Denn bei dem Fur manifestus war die Addietion, solange sie bestand, nicht Folge der In- solvenz, sondern reine Strafe, die auch den vermögenden Dieb traf, und die durch Zahlung einer Geldstrafe nicht getilgt werden konnte, weil für diesen Fall damals keine Geldstrafe bestand. Bei andern De- lietschulden aber war überhaupt nicht von Addiction die Rede, also auch nicht von Fesseln. Jene Worte haben ganz einfach den Sinn: Fesseln und Fufsblock sind hinfort verboten mit Ausnahme der zum Tode verurtheilten Criminalverbrecher, die bis zur Strafe so verwahrt (') Gajus IV.25.: ‚Sed postea lege [Petilia] excepto iudicato ei eo pro quo depen- sum est, celeris omnibus cum quibus per manus iniectionem agebalur, permissum est sibi manum depellere et pro se agere. Ttaque iudicatus, et is pro quo depensum est, etiam post hanc legem windicem dare debebant, et nisi darent domum duce- bantur. (Also in allen anderen Fällen hörte von jenem Gesetz an die Verhaftung auf, was denn auch zu den späteren Zeugnissen völlig pafst). (?) Gajus IV. 25.102. — Übrigens ist keinesweges diese Ergänzung des Gajus und die darauf gebaute historische Hypothese für unsere Meinung überhaupt nothwendig: denn es ist auch sehr möglich, dafs die Lex Poetelia nur allein das Nexum verboten, irgend ein spä- teres Gesetz aber die von Gajus erwähnte weitere Beschränkung der Verhaftung hinzuge- fügt hat. über das altrömische Schuldrecht. 85 werden sollen. Darin lag indirect die Vorschrift: Fesseln sind für ad- dieirte Schuldner künftig verboten. Allein dieses Verbot war ganz wörtlich zu nehmen, so dafs auch späterhin, wie sogleich gezeigt wer- den wird, nicht untersagt war den Schuldner zu binden, wenn es nur nicht mit schweren Fesseln geschah. Die bleibenden Bestimmungen jenes Gesetzes also lassen sich auf zwei Änderungen des früheren Zustandes zurückführen. Einschränkung der Ad- diction durch Aufhebung des Vexum, und mildere Behandlung der Schuld- knechte. Freilich wenn man sich ganz an die Worte des Livius halten wollte, so müfste man noch viel weiter gehen, und annehmen, dafs das Gesetz alle Addiction überhaupt aufgehoben, und die blofse Execution in das Vermögen an deren Stelle gesetzt hätte. Denn er sagt geradezu: pecuniae creditae bona debitoris, non corpus obnoxium esset. Allein diese Angabe widerspricht so sehr der ganzen folgenden Geschichte, dafs wir sie unbedenklich für eine irrige Ausschmückung desjenigen, was er in seinen Quellen vorfand, erklä- ren dürfen. Cicero sagt davon kein Wort. Von dem Zustand der späteren Zeit nun haben wir folgende sichere Nachrichten. Livius erwähnt im Hannibalischen Krieg (XXIII. 14.) ein Edict des Dictators M. Junius Pera: QOw capitalem fraudem ausi, quique pecuniae iudicati in vinculis essent; qui eorum apud se milites fierent, eos noxa pecuniaque sese exsolvi inssurum. Offenbar hatte er hier vergessen, dafs nach seiner früheren Darstellung seit der Zex Poetelia gefangene Schuldner gar nicht mehr hätten vorkommeu können. Cicero sucht in der Vertheidigung des Flaccus einen Zeugen, Hera- klides, zu verdächtigen, und erzählt zu diesem Zweck aus dessen früherem Leben folgende Geschichte (!). Heraklides hatte Geld aufgenommen, und Hermippus war dafür Bürge geworden. Als jener nicht zahlte, mufste der Bürge zahlen, der nun seinen Regrefs gegen den Schuldner nahm. In der That wurde der Schuldner verurtheilt, und dem Kläger als Schuldknecht addicirt. Cum iudicatum non faceret, addictus Hermippo, et ab eo ductus est. Dafs hier nicht unmittelbar aus einem Darlehen zwischen den gegenwärtigen Parteien geklagt wurde, steht mit den oben aufgestellten (') Cicero pro Flacco C.20. 86 v. Sıvıcny Sätzen gar nicht im Widerspruch. Denn die Klage war die 4ctio Depensi, und gerade auf diese Klage war die pro iudicato manus iniecto ausdrücklich erstreckt worden durch die Zex Publulta (1). Quinctilian beschreibt ausführlich den Zustand der Addict, nicht als einen veralteten, sondern nach dem Recht seiner Zeit (?). Eben so sagt Gellius XX. 1.: Addieinamque nunc et vinciri multos videmus, qua vinculorum poenam deterrimi homines contemnunt. Nicht blofs die Addietion überhaupt, sondern auch das Binden der Schuldner, als in dieser späten Zeit üblich, wird hier unzweideutig bezeugt. Eben so kommt in unsern Rechtsquellen die Schuldknechtschaft als geltendes Recht vor. So erwähnt Gajus, dafs an einem addieirten Schuld- ner eben sowohl, als an einem Sklaven, ein wahrer Diebstahl begangen wer- den könne (°). — Ulpian sagt, Restitution gegen die Usucapion der Abwe- senden sei auch auf die Usucapion mancher Anwesenden anzuwenden, na- mentlich wenn sich der Usucapient zwar in seiner Heimath, aber in einem Staatsgefängnils, oder auch (als addicirter Schuldner) in einem Privatgefäng- nifs befinde (*). Diese Stelle beweist zweierlei: das Dasein der Schuld- knechtschaft zu Ulpians Zeit, und die Fähigkeit der Addieirten, eine Usu- capion fortzusetzen und zu vollenden. — Licinius Rufinus endlich spricht von dem Gläubiger, der nicht leiden will, dafs seinem addieirten Schuldner ein Anderer Speisen oder Betten überbringe; gegen diesen soll entweder eine besondere Pönalklage, oder auch die Injurienklage, angestellt werden können (°). — Und auch in der Kaisergesetzgebung erscheint stets die Ver- haftung der Schuldner als praktisches Recht (°). (') Gajus Lib.4. 8.22.25. (?) Quinctilian. VI. 3. Von dieser Stelle wird noch ferner die Rede sein. ©) Gajus Lib.3.8.199.: „Interdum autem etiam liberorum hominum furtum fit; velut si quis . .iudicatus .. meus subreptus fuerüt.” (°) L.23.pr.D. ex quib. causis mai. (4. 6.): „it Praetor inve vinculis esset... fieri enim poterat ut quis in vinculis praesens esset, vel in publica vel in privata vincula ductus..nam et eum ..posse usu adquirere constat.” @) L.34.D. de re iud. (42.1.). — Darauf bezieht sich denn auch die Definition von stratum und wictus in L.45.D. de F. S. (50. 16.). — Vgl. auch noch L.9. 8.6.D. ad L. Jul. pecul. (48. 13.), und Paulus V. 20.8.2. (°) Davon wird noch in einem besondern Anhang hinter dieser Abhandlung die Rede sein. über das altrömische Schuldrecht. 87 Also geltendes Recht war die Addiction allerdings bis in die späteste Zeit. Bei der inneren Wichtigkeit eines solchen Instituts könnte man es auffallend finden, dafs in den Rechtsquellen nicht häufiger davon die Rede ist. Folgende Umstände mögen wohl zusammen gewirkt haben, es allmäh- lig seltener zu machen. Zuerst hatte eine Zex Julia den Schuldnern die Be- fugnils gegeben, durch freiwillige Cession ihres Vermögens sowohl dem förmlichen Concurs, als dem persönlichen Zwang, sich zu entziehen. Auf- gehoben war dadurch die Addiction freilich nicht, da die Cession an Bedin- gungen geknüpft, und namentlich dem leichtsinnigen oder unredlichen Schuldner versagt war (!): aber um vieles seltener werden mufste sie dadurch allerdings. Ferner ist es möglich, dafs im Fortgang der Zeit die Addietion sowohl den Sitten, als dem wahren Vortheil der Gläubiger, immer weniger entsprechend gefunden wurde. So ist z.B. auch nach unserm Recht jeder Kaufmann befugt, über das Vermögen seiner insolventen Schuldner einen Concurs zu veranlassen; dennoch kommt im Handelsstand ein solcher nicht oft vor, da man hier den eigenen Vortheil zu gut berechnet, um nicht fast immer einen leidlichen Accord dem Concurse vorzuziehen. Ich habe hier eine Reihe von Zeugnissen über das wirkliche Vorkom- men der Addiction, viele Jahrhunderte nach der Zex Poetelia, zusammen gestellt. Wichtiger aber und lehrreicher als alle diese Zeugnisse ist dasje- nige, welches sich in der Zex Galliae cisalpinae findet: und da die Erklä- rung dieses Gesetzes vielen Schwierigkeiten unterliegt, so muls nun noch ausführlich davon gehandelt werden. Als Oberitalien, oder Galla cisalpina, aufhörte eine Provinz zu sein, und Italische Munieipalverfassung erhielt, fand man es nöthig, durch dieses Gesetz, wovon sich ein ansehnliches Stück erhalten hat, das Gerichtswesen besonders zu bestimmen. Es war nicht die Rede davon, etwas Neues zu er- finden, sondern Römisches Recht einzuführen, nur zum Theil mit beschränk- ter Gewalt der Municipalmagistrate; Alles also, was wir hier von genaue- rem Detail finden, können wir unbedenklich auch als Zeugnifs für altrö- misches Recht gelten lassen. Die Kapitel XXI. und XXI. verfügen insbesondere über die Actio- nen in den Gallischen Municipien, und stellen hier die ganz positive Ein- (') Dadurch veränderte gewissermalsen die Addiction ihren Character und wurde zu einer Strafe für Betrug oder Leichtsinn. 88 v. SAvIıenY schränkung an die Spitze, dafs der Magistratus höchstens über eine Summe von 15000 Sesterzen (750 Thaler) Gerichtsbarkeit haben solle, mit Aus- nahme gewisser (hier nicht bezeichneter) Sachen. Dieses vorausgesetzt, giebt das Gesetz zweierlei Hauptbestimmungen: Kap. XXI. über die Klagen aus Gelddarlehen, Kap. XXII. über alle andere Klagen. Der Deutlichkeit wegen will ich diese Bestimmungen in folgende einzelne Sätze auflösen. I. „Wird ein Gelddarlehen von höchstens 15000 Sesterzen behauptet, und der Beklagte hat vor dem Magistratus entweder die Schuld eingestan- den, oder jede Erklärung verweigert, oder er will nicht den Prozefs und die Sponsion übernehmen, dann soll alles das geschehen, was geschehen müfste, wenn in dieser Sache der Schuldner wäre vor Gericht gehörig verurtheilt worden. Und zwar soll dieses darin bestehen, dafs der Magistratus den Schuldner addiciren und gefangen wegführen lassen soll (!).” Bei diesem Satz entsteht sogleich ein grofses Bedenken. Warum sind nur die Nebenfälle als Bedingung der Haft genannt, der Hauptfall aber (ge- richtliche Verurtheilung) ist nicht als solche Bedingung, sondern nur als Vergleichungspunkt bezeichnet? Gesezt also, der Magistratus hatte ein Zu- dieium über die Schuld angeordnet, und hier war der Schuldner verurtheilt worden, sollte nun nicht auch und vorzugsweise Haft eintreten, besonders da auf diesen Fall in den Schlufsworten ausdrücklich hingewiesen zu sein scheint? Zur Beantwortung dieser Frage mufs bemerkt werden, dafs ohne Zweifel nicht jedes Urtheil über ein Darlehen die Haft zur Folge haben konnte, sondern nur das in einem /egitimum iudicium gesprochene Urtheil, wozu also gehörte, dafs der Prozefs in Rom selbst geführt, und von einem einzelnen /udex aus dem Album der Römischen Richter entschieden sein mufste(?). Darauf wurden ganz sicher, bei ausgebildetem Gerichtswesen, die Worte der zwölf Tafeln: redusque iure indicatis gedeutet. Und eben darauf scheinen mir denn auch unverkennbar hinzudeuten die Worte unsers Gesetzes, es solle alles das geschehen, was geschehen mufste, wenn der Schuldner: (') Lin. 2-21.: „Ä yuocunque pecunia certa credila .. pelelur, quae res non pluris H.S. XV. erit, si is cam pecuniam in iure „. dare oportere debereve se confessus erit .. aut se sponsione ludicioque .„. non defendet, sive is ibi de ea re in iure non responderit, .. tum de eo..siremps res, lex, ius, caussaque esto, alque uli esset „.si is..ex ludi- cüs datis iudicareve recte iussis iure, lege, damnatus esset, fuisset. Quiquecumque » I. vir ... iuri dicundo praeerit, is eum ..sine fraude sua duci iubeto ... (2) Gajus Lib.4. 8.103. 104. 7 über das altrömische Schuldrecht. 59 ex iudıeüs datis iudicareve recte iussis iure lege damnatus esset Jusset, Es ergiebt sich daraus, dafs der Municipalmagistratus die persönliche Haft nur in folgenden Fällen aussprechen konnte: a) wenn der Schuldner in ei- nem lZegitimum iudicium in Rom verurtheilt worden, 2) wenn derselbe vor jenem Magistratus die Schuld eingestanden hatte oder aber Erklärung oder Prozefs verweigerte. Dagegen war der Magistratus dazu nicht befugt, wenn er selbst einen /udex niedergesetzt, und dieser den Schuldner verurtheilt hatte. Dieses scheint inconsequent, rechtfertigt sich aber durch folgende Betrachtung. In den Fällen des Geständnisses und des Ungehorsams war die Verhaftung unbedenklich, weil der Schuldner gewissermafsen sich selbst ver- urtheilt hatte: eine Ungerechtigkeit war dabei nicht möglich. Wenn dage- gen der Beklagte die Schuld läugnete, und auf geführten Beweis verurtheilt wurde, so war die Sache viel bedenklicher, indem nun Alles auf die Zuver- lässigkeit des urtheilenden Richters ankam. Eine Garantie für diese Zuver- lässigkeit konnte man nun wohl darin finden, dafs der Richter aus dem Album der Römischen Richter genommen, und vom Römischen Prätor ausgewählt war: eine solche Garantie aber fehlte in den Munieipien, und so konnte man es wohl für bedenklich halten, den dort gefällten Urtheilssprüchen die gefähr- liche Wirkung persönlicher Verhaftung des Verurtheilten beizulegen (!). — (') Gegen diese Darstellung könnte man einwenden, dals ja doch in dem Fall bei Cicero pro Flacco (.20. auf ein in Asien gesprochenes Urtheil, das also auch kein Zegriimum iudieium war, die Verhaftung erfolgte. Allein es ist sehr möglich und nicht unwahrschein- lich, dafs den von einem Proconsul niedergesetzten Richtern dieselbe Kraft der Urtheil- sprüche, wie sie einem lZegitimum iudicium ohnehin zukam, besonders beigelegt worden war, wozu bei den Richtern der Municipalmagistrate kein hinreichender Grund gefunden werden mochte. Oder es lälst sich die Stelle des Cicero durch die Annahme erklären, dafs Heraklides nicht die Civität hatte. Denn die Edicte der Proconsuln waren überhaupt gröls- tentheils auf Römisches Recht gegründet, das dadurch für Peregrinen anwendbar wurde (Cie. ad At V1.1.)! Wenn nun ein Peregrinus wegen Schulden verurtheilt wurde, so konnte man unmöglich das Zegitimum iudieium als Bedingung seiner Verhaftung ansehen. Denn da ein solches für ihn unmöglich war (Gajus IV.103.), so hätte er überhaupt gar nicht verhaftet werden können, worin doch eine ganz unnatürliche Begünstigung der Peregrinen vor den Römischen Bürgern gelegen hätte. — Übrigens war in dieser Hinsicht das Recht der Provinzen verschieden; so galt in Ägypten für Privatschulden gar keine. Verhaftung, nur der Fiscus konnte seine Schuldner verhaften lassen. Vgl. Rudorff im Rhein. Mus: für Philologie Jahrg. 2. S. 163. fg. Histor. philol. Abhandl. 1833. M 90 v. Sıvıcny Diese Bestimmung aber hätte leicht zu dem Irrthum verleiten können, als ob der Magistratus über ein Gelddarlehen überhaupt kein Gericht anordnen könnte; einem solchen Mifsverständnifs soll der folgende Satz begegnen. II. Quo minus. . . iudieium recup. (d.h. wohl recuperatoresve, nicht recuperatorium) is, qui ibi iuri dicundo praeerit, ex hac lege det, iudicarique de ea re ıbi curet, ex hac lege nihil rogatur. Das heifst: „es bleibt nach diesem Gesetz dem Magistratus unbenommen, wenn der Beklagte vor ihm erscheint, und die Schuld läugnet, deshalb ein Gericht anzuordnen, und ein Urtheil sprechen zu lassen.” — Nur sollte die- ses Urtheil niemals durch persönliche Haft, sondern lediglich durch Be- schlag auf das Vermögen, vollstreckt werden können. Diese Befugnifs, über den Beklagten ein Urtheil sprechen zu lassen, wird jedoch durch zwei Ausnahmen beschränkt: Erstens, wenn der Beklagte ein Yadimonium nach Rom bestellt, zweitens, wenn für ihn ein zahlungs- fähiger Yindex auftritt. Denn im ersten Fall sollte der Prozefs nach Rom verlegt werden, und im zweiten Falle wurde derselbe nicht gegen den Be- klagten selbst, sondern gegen dessen index, angeordnet. III. „Wenn in irgend einer anderen Klage, sie mag nun in rem oder ın personan. sein, vor dem Municipalmagistratus eine von jenen drei That- sachen vorkommt (Geständnifs, verweigerte Erklärung, verweigerter Pro- zeis), so soll Alles das geschehen, was geschehen würde, wenn dieselbe Thatsache vor dem Magistratus in Rom vorgekommen wäre” (!). — Worin dieses bestehe, wird nicht gesagt; aus dem Gegensatz des ersten Falls aber, verbunden mit dem Inhalt des nachfolgenden Satzes, ist es unzweifelhaft, dafs die Meinung dahin geht: es soll in diesen Fällen keine Verhaftung statt finden, wohl aber Execution in das Vermögen, also: possessio, proscriptio, venditio bonorum. — Ferner ist es unzweifelhaft, dafs auch hier der Satz Nr. II. als stillschweigend wiederholt gedacht werden mufs, so dafs es also auch bei allen übrigen Klagen dem Magistratus unbenommen sein sollte, (') Lin. 25-44: „A guo quid praeter pecuniam certam creditam .. petetur, .. si is eam rem .. confessus erit .. aut .. sponsionem non faciet, .. neque se iudicio uti oportebit defendet, aut si de ea re in iure nihil responderit . .. siremps lex, res, ius caussaque .. esto, alque uli essel, esseve oporteret, siis... Romae apud Praetorem . . in iure confessus esset, aut ibi de ea re nihil respondisset, aut iudicio se non defen- disset.” über das altrömische Schuldrecht. 9 selbst ein Zudierum anzuordnen, und ein Urtheil sprechen zu lassen. Dafs nun überhaupt dieser Fall, der doch ohne Zweifel der häufigste und wich- tigste sein mufste, so sehr in den Hintergrund gestellt, und nur beiläufig be- rührt wird, erklärt sich wohl aus zwei Umständen. Erstlich verstand sich dieses Recht bei jeder mit Gerichtsbarkeit versehenen Obrigkeit ohnehin von selbst, anstatt dafs bei den besonders genannten Fällen (Geständnifs u. s. w.) eher gezweifelt werden konnte, wie weit die Autorität gerade dieser Magistrate gehe. Zweitens kam es besonders darauf an, das stärkste und bedenklichste Recht dieser Magistrate, das der Verhaftung, anzuerkennen und zu begrän- zen, welches Recht aber eben nur in jenen besondern Fällen, und nicht bei der Verurtheilung durch Municipalrichter, gelten sollte. IV. In allen bisherigen Vorschriften wurde stets vorausgesetzt, dafs die Vollstreckung in dem Municipium nachgesucht werde. Wie aber wenn die Person oder das Vermögen des Schuldners nicht in dem Municipium gefunden wird, sondern in Rom, so dafs der Gläubiger in Rom die Voll- streckung zu erlangen wünschen mufs? Darüber verfügt die letzte Vorschrift (lin. 45-52) in folgender Weise. „Wenn vor dem Magistratus eine jener drei Thatsachen vorgefallen ist, so soll darauf in allen oben bezeichneten Fällen auch der Römische Prätor oder wer daselbst sonst Gerichtsbarkeit über den vorliegenden Gegenstand hat, durch zurisdietio, Decret, Verhaftung, posses- sio, proscriptio und Verkauf des Vermögens, gerade so verfahren, wie wenn jene Thatsache vor ihm selbst vorgefallen wäre.” Das heifst also: Verhaf- tung im Fall des Gelddahrlehens, Beschlag auf das Vermögen in allen übri- gen Fällen. Bei diesem besonders schwierigen Theil des Gesetzes kommt es zuerst auf Feststellung der Leseart an. Der Text sagt: Praetor isve (1) qui de ea re Romae iuri dicundo praeerit in eum et in heredem eius D. E. R. omnibus ita ius dicito decernito eos- que duci bona eorum possideri proscribive venireque tiubelo, ac sl. . apud eum. . confessus essel. .. Alle Herausgeber haben die Sigle D. E. R. so aufgelöst: de ea re. Dann mufs man so übersetzen: Der Prätor soll in diesem zuletzt genannten Fall (de ea re) gegen ihn (den Schuldner) allen Menschen (die etwa als Kläger (') Die Varianten bei diesem Theil der Stelle haben auf unsere Fragen keinen Einfluls. M2 92 v. SıvıenYy auftreten möchten), eben so Recht sprechen u. s. w. Diese Erklärung ist aber aus zwei Gründen ganz verwerflich. Erstlich weil das omnibus in die- sem Sinn bis zur Unerträglichkeit matt und überflüssig wäre. Zweitens weil das nachfolgende eosque duci bona eorum possideri unwidersprechlich be- weiset, dafs von Anfang bis zu Ende von dem Schuldner allein die Rede ist, dafs also nicht in dem omnibus eine neue Person eingeschoben sein kann. Da- her ist es denn schlechthin nothwendig, jene Siglen vielmehr so aufzulösen: de eis rebus omnibus (!), woraus dann der ganz andere Sinn entsteht: in al- len vorhin angegebenen Fällen, also sowohl in Klagen aus Gelddar- lehen, als in allen anderen Klagen. Diese Verschiedenheit der Leseart aber ist für die Sache selbst von der gröfsten Wichtigkeit. Denn lieset man de ea re, so geht der Satz nur auf den unmittelbar vorhergehenden Fall, auf die Klagen aufser dem Darlehen, und man mufs dann annehmen, dafs auch bei diesen Klagen persönliche Haft zulässig war, wodurch die hier aufgestellte Grundansicht erschüttert wird. Lieset man dagegen de eis rebus omnibus, so geht der Satz auf alle vorher aufgezählte Fälle mit Einschlufs des Darlehens, so dafs dann ohne allen Zwang die nachfolgende Erwähnung der Haft auf den Fall des Darlehens, die der Vermögensexecution auf die übrigen Kla- gen, bezogen werden kann, wie es nicht nur unsrer Ansicht völlig angemes- sen ist, sondern auch ganz mit den vorhergehenden unzweifelhaften Haupt- sätzen .des Gesetzes selbst übereinstimmt. V. Der letzte Satz, von der Execution des Römischen Prätors, hat endlich noch am Schlufs einen etwas zweideutigen Zusatz in diesen Worten: dnm ne quis de ea re (oder eıs rebus) nisi Praetor isve qui Ro- mae iuri dicundo praeerit eorum cuius bona possideri proseribi venire ducique eum iubeat. Diese Clausel kann einen doppelten Sinn haben: a) „Es soll jedoch in Rom kein Anderer, als eben der Prätor u. s. w. (also keine andere Obrigkeit daselbst) dieseVollstreckung verfügen.” 2) „Es soll jedoch, wenn diese Vollstreckung bei dem Prätor nachgesucht ist, nicht (') Dagegen könnte man einwenden, an zwei vorhergehenden Stellen (lin. 42. 43.) sei aus- geschrieben: de veis rebus, der Ablativ könne daher nicht durch die Sigle E. ausgedrückt sein. Allein auch der Dativ wird bald ei geschrieben (lin.5. 20. 29.), bald zei (Zin.12. 30.), und bei einer so schwankenden Orthographie läfst sich daher auf diesen Umstand nicht das geringste Gewicht legen. über das altrömische Schuldrecht. 93 auch noch daneben irgend ein Anderer (der Mugicipalmagistratus) eine solche Vollstreckung verfügen ;” d.h. der Kläger soll sich mit Einer Vollstreckung begnügen, und nicht etwa gleichzeitig mehrere an verschiedenen Orten aus- wirken. — Die zweite Erklärung scheint mir vorzüglicher, weil nicht wohl abzusehen ist, welche andere Obrigkeit in Rom man durch diesen Zusatz auszuschliefsen nöthig gefunden haben möchte. — Dagegen halte ich es für ganz unzulässig, den Satz Nr.V. so zu erklären, als ob in den Klagen aufser dem Darlehen die Vollstreckung dem Municipalmagistratus überhaupt ganz entzogen, und ausschliefsend dem Prätor vorbehalten sein sollte ('). Eine solche Einrichtung wäre besonders bei kleinen Schuldsachen so unzweck- mäfsig gewesen, dafs ihre Annahme schon defshalb mit voller Sicherheit ver- worfen werden darf. Alles, was hier über den geschichtlichen Gang der Sache gesagt wor- den ist, läfst sich nunmehr in folgender Übersicht darstellen. Die zwölf Tafeln gestatteten, den Schuldner eines Gelddarlehens zu verhaften, in Fesseln gefangen zu halten, und nach kurzer Zeit hinzurichten oder als Sklaven zu verkaufen. Specielle Gesetze stellten diesem Fall einige besondere Schuldverhält- nisse gleich; alle Schulden aber konnten ihm gleich gestellt werden durch die Form des Nexum. Hinrichtung und Verkauf treten aufser Gebrauch; an ihre Stelle kommt fortgesetzte Knechtsarbeit bei dem Gläubiger, ohne Schutz des Schuldners gegen harte Behandlung. Die Zex Poetelia mildert den Zustand der Schuldgefangenen, und hebt das Nexum auf. Von der Zeit dieser Zex (oder vielleicht einer andern spä- tern) an, kommt die Verhaftung und Schuldknechtschaft nur noch bei Kla- gen aus Gelddarlehen, und bei der 4ctio Depensi vor. Die Schuldknechtschaft, in dieser beschränkteren Anwendung, und in dieser milderen Gestalt, erhält sich durch alle Zeiten, obgleich sie durch die eingeführte Cession des Vermögens und durch andere Umstände immer seltener wird. (‘) Diese Erklärung habe ich selbst früher versucht, Rechtsgeschichte B.1. S.36. der er- sten Ausgabe. 94 VW SAVIENY Zu dieser geschichtlichen Zusammenstellung pafst denn auch voll- kommen was uns Gajus (III. 173-175) über den praktischen Gebrauch der nexi liberatio in seiner Zeit berichtet. Sie kam noch vor bei dem verur- theilten Geldschuldner (iudicatus), und bei jeder durch aes et libra entstan- denen Obligation. Freilich der wichtigste und häufigste Fall solcher Obli- gationen, die willkührliche Einkleidung irgend einer andern Schuld in die Form einer nexi obligatio, durfte seit der Zex Poetelia nicht mehr vorkom- men; allein auch das /egatum per damnationem begründete ja eine Obliga- tion, und diese beruhte, so wie das ganze Testament, auf aes et Jibra, wes- halb auch auf dessen Erlafs die nexi liberatio zu allen Zeiten angewendet werden konnte. Auch ist dieses der einzige Fall einer newxi liberatio, welchen Gajus noch neben der iudicati causa ausdrücklich angiebt. Es bleibt nun noch übrig, die mit dem strengen Verfahren gegen die Schuldner verbundenen Rechtsverhältnisse genauer im Einzelnen festzustel- len, als es im Laufe der bisher geführten Untersuchung geschehen konnte. Dafs dabei nicht von den Nexi als solchen die Rede sein kann, versteht sich von selbst, da diese zunächst noch in einem gewöhnlichen Contractsverhält- nifs standen, und sich von allen übrigen Contractschuldnern durch Nichts unterschieden, als durch die gröfsere Gefahr für die Zukunft. Die Addieu allein also sind es, deren Zustand noch einer genaueren Prüfung bedarf. Ich habe diesen Zustand einstweilen mit dem ganz unbestimmten Ausdruck der Schuldknechtschaft bezeichnet, der freilich nicht genügen kann. Was waren sie also eigentlich? Und wie verhält sich ihr Zustand zu den sonst bekannten Klassen, welche im Römischen Staat vorkommen? Zuerst könnte man an eigentlichen Sklavenstand der Addieti denken; allein dieser ist selbst nach den Vorschriften der zwölf Tafeln nicht eher an- zunehmen, als der Schuldner jenseits der Tiber verkauft wurde; für die spätere Zeit aber wird der ungemein grofse Unterschied sogleich herausge- hoben werden. Mit weit gröfserer Wahrscheinlichkeit könnte man dasjenige Verhält- nifs annehmen, welches entstand, wenn der Vater sein Kind verkaufte: das Mancıpium. Dann wäre die Addiction eine minima capitis deminutio gewe- über das altrömische Schuldrecht. 95 sen (!); das ganze Vermögen des Schuldners wäre unmittelbar, und ohne Rücksicht auf dessen Geldwerth,.in das Eigenthum des Herrn übergegangen, und alles was der Schuldner von nun an erwarb, wäre gleichfalls Eigenthum des Herrn geworden (?). Seine Kinder wären mit ihm in gleiche juristische Abhängigkeit getreten. So dachte man sich in der That ihren Zustand, aber als Folge des Vexum, nach der oben widerlegten Ansicht. Allein so grofse innere Wahrscheinlichkeit die Annahme eines Mancipium für den Zustand der addicirten Schuldner haben mag, so müssen wir sie dennoch verwerfen. Gajus beschränkt das Mancipium so ausschliefsend auf den Fall eines Ver- kaufs vom Vater oder Ehemann (°), dafs eine Anwendung dieses Rechtsver- hältnisses auf den Zustand der Addicirten mit seiner Darstellung unverein- bar ist. Schon die zwölf Tafeln sagten, der Addictus solle von eigenem Ver- mögen leben dürfen (*); dieses war also noch nicht Eigenthum des Gläubi- gers geworden. Eben so sagt Ulpian, der 4ddictus könne eine Usucapion fortsetzen und vollenden, und dadurch eine Restitution nöthig machen, weil man ihn jetzt eben so wenig, als einen Abwesenden, verklagen konnte (°), also erwarb er doch für sich, nicht für den Herrn. Endlich ist bei der Be- freiung niemals die Rede von Manumission und Patronat, die doch bei dem Mancipium eben so gut vorkommen, als bei dem Sklaven. Das Einzige, was in den Rechtsquellen auf ein Mancipium gedeutet werden könnte, ist die Re- gel, dafs der 4ddietus dem Gläubiger gestohlen werden kann (°); dieses bleibt daher als eine einzelne, nicht weiter zu erklärende Anomalie stehen (7). Mehrere einzelne Bestimmungen über den Zustand der Addieti stellt Quinctilian zusammen, indem er die Verschiedenheiten derselben von den Sklaven aufzählt (°). Den ersten Unterschied setzt er darin: Servus cum (') Gajus Lib.1. 8.162. (?) Gajus Lib.2.8.86. Ulpian. Tit.19.$.18. (°) Gajus Lib.1.8.117.118. 118°. Eben so auch Ulpian. Tit.11. 8.5. (*) Si volet suo vivito. (°) L.23.pr.D. ex quib. caus. mai. (4. 6.). (°) Gajus Lib.3. 8.199. (’) Zimmern a.a. 0. S.127., hat zuerst gründlich und überzeugend dargethan, dals der Zustand des addicirten Schuldners nicht die mancipii causa war. (°) Quinctilian. Lib.7. C.3.p.620. ed. Burmann. Vgl. Lib.5. C. 10., Lib. 3. C. 6. p.414. 244. 96 v. Sıvıeny manumittitur fit ibertinus: addietus, recepta libertate, est ingenuus. ÖOf- fenbar vermeidet er bei dem Addietus absichtlich die Erwähnung der Manu- mission. — Zweiter Unterschied: Servus invito domino libertatem non conse- quetur: addietus solvendo citra voluntatem consequetur. Dieses kam aller- dings auf gewisse Weise auch bei dem Maneipium vor (!). — Dritter Un- terschied: Ad serovum nulla lex pertinet: addictus legem habet. Auch damit stimmt die Regel überein, dafs der Herr eines Mancipatus denselben nicht beleidigen darf, ohne sich einer Injurienklage auszusetzen (?). — Vierter Unterschied: Propria liberi, quae nemo habet nisi liber, praenomen, nomen, cognomen, tribum: habet haec addietus. Hier ist besonders auffallend die Beibehaltung der Tribus. Denn dafs der Sddictus ehrlos wurde, ist doch kaum zu bezweifeln, da ja schon der weit geringere Concurs über das Ver- mögen, auch ohne Addiction, diese Wirkung hervorbrachte (?). — Diese ganze Schilderung der Addiction, wie sie Quinctilian giebt, bezieht sich of- fenbar auf die mildere Gestalt, welche das Institut seit der Zex Poetelia, theils durch deren unmittelbare Vorschrift, theils durch die daran geknüpfte spätere Entwicklung angenommen hatte. Fafst man dieses Alles kurz zusammen, so mufs man sagen: der 4d- dietus stand in keinem der altrömischen Verhältnisse der Abhängigkeit, die überall als Potestas, Manus, Mancipium bezeichnet werden. Sein Zustand war der einer faktischen Knechtschaft, Gefängnifs mit Zwang zur Arbeit, und dieser Zustand läfst sich auf keinen sonst bekannten Rechtsbegriff zu- rückführen. Diese Unbestimmtheit des ganzen Verhältnisses äufsert sich auch noch in einigen damit zusammenhängenden Fragen. So insbesondere bei dem Zustand der Kinder des Aadietus (*). Quinctilian wirft die Frage auf: an (') Gajus Lib.1. 8.140. Coll. L. L. Mos.11. 8.3. (*) Gajus Lib.1. 8.141. (‘) Gajus Lib.2.8.154. Tabula Heracleensis Lin.113-117. Vgl. auch Niebuhr 1. 642. (*) Vgl. hierüber Niebuhr I. 643. Er nimmt mit Wahrscheinlichkeit an, dafs die Eman- cipation besonders von Verschuldeten benuzt wurde, die Kinder der Theilnahme an der Knechtschaft zu entziehen. Man kann hinzusetzen: auch der Theilnahme an den Schulden selbst, in die sie sonst (auch ohne Rücksicht auf Knechtschaft) nach des Vaters Tod als Notherben eintreten mulfsten, da das prätorische Zus abstinendi gewils erst einer späteren Zeit angehört. über das altrömische Schuldrecht. 97 is quem, dum addieta est, mater peperit, serous sit natus? (1), ohne dieselbe zu beantworten. Offenbar nimmt er hier servus in dem uneigentlichen Sinn, da es den Zustand eines Addictus bezeichnen soll, welcher Zustand jedoch nach seiner eigenen genaueren Darstellung mit diesem Namen nicht belegt werden darf. Dafs es zweifelhaft sein konnte, erklärt sich eben aus der un- bestimmten blofs faktischen Natur dieses Verhältnisses. Nach einer Erzäh- lung bei Livius müfste man allerdings glauben, dafs die Kinder zugleich mit dem Vater in Knechtschaft fielen, da er in einem einzelnen Fall eine beson- dere Ausnahme erzählt (?). Übrigens fanden sich auch bei dem Mancipium Zweifel und Schwierigkeiten wegen des Zustandes der Kinder (). Zuletzt ist noch das Schicksal des Vermögens der addieirten Schuld- ner zu untersuchen. Dafs dieses Vermögen nicht unmittelbar und im Gan- zen an den Gläubiger fiel, wie wenn der Schuldner dessen Sklave oder des- sen Mancipatus geworden wäre, ist bereits dargethan worden; aber eine ganz andere Frage ist die, ob nicht auch eine Vollstreckung des Schuldur- theils unmittelbar in das Vermögen, so weit dieses reichte, vor und nach der Addiction möglich war. Dieses ist neuerlich geradezu verneint worden; selbst der wohlhabende Schuldner, nimmt man an, hätte zur Zahlung nicht unmittelbar gezwungen werden können, und die ganze Härte des alten Schuldrechts sollte dazu dienen, den Starrsinn und Geiz der Schuldner zu beugen; erst die Zex Poetelia hätte die Vollstreckung in das Vermögen ein- geführt (*). — Dieser Meinung kann ich nicht beistimmen. Zuvörderst ist es ganz unglaublich, dafs der verurtheilte Schuldner hätte Haus und Feld, Pferde und Sklaven, ja selbst baares Geld, besitzen können, ohne dafs man dieses hätte antasten dürfen. Will man den Respekt der Römer vor dem Eigenthum als Hindernifs ansehen, so ist dieser zwar zuzugeben, aber war denn der Respekt vor der Person, vor ihrer Freiheit und ihrem Leben, ge- ringer? und wenn sich hierüber das Zwölftafelngesetz wegsezte, so brauchte (') Quinetilian. II. 6. p.244. (°) Zivius I.24. Der Consul giebt ein Ediet: „ne quis militis, donec in castrise sset, bona possideret aut venderet, liberos nepotesve eius moraretur.” — Nichts be- weist Zivius VII. 28.: „guum se C. Publilius ob aes alienum paternum nexum dedisset.’ Denn diesen hatte die Schuld des Vaters als nothwendigen Erben getroffen. C) Gajus Lib.1.8.135. (*) Niebuhr I. 670. 671. I. 179.180. Zimmern III. S.129. Histor. philol. Abhandl. 1833. N 98 v. Sıvıeny es gewils noch weniger das Eigenthum zu schonen. Die Stelle des Livius VII. 28.: pecuniae creditae bona debitoris, non corpus, obnoxium esset, ist kein Beweis für jene Meinung; denn, abgesehen von der oben erwiesenen Unglaubwürdigkeit dieser Stelle seiner Erzählung, liegt es auch gar nicht in seinen Worten, dafs vorher keine Vollstreckung in das Vermögen gegol- ten habe: vielmehr konnte er sagen wollen, vorher habe man sich nach Gutbefinden an die Person oder das Vermögen halten können, nachher nur noch an das Vermögen allein. — Allein es bedurfte auch nicht einer beson- dern Vollmacht für den Consul oder Prätor zur Vollstreckung in das Ver- mögen, da die allgemeinen, unzweifelhaften Amtsrechte dazu völlig hin- reichten. Jeder Magistratus hatte von jeher das Recht, sich in seinem Amte selbst Gehorsam zu erzwingen. Darauf bezog sich das uralte Recht der Muleta, und eben so das gleich alte Recht der Pignoris Capio. Dem Unge- horsamen also konnte der Magistratus Sachen pfänden lassen, sei es um ihn zu schrecken, oder um sie zu verkaufen und das erlöste Geld zur Mulcta oder zu anderen Zwecken zu verwenden (!). Dieses Recht übte unter an- dern der Magistratus, der den Senat angesagt hatte, gegen die ausbleiben- den Senatoren (?). Wenn nun ein Judex unter der Autorität des Prätors, der ihn ernannte, den Schuldner verurtheilte, und dieser nicht freiwillig zahlte, so konnte der Prätor Gehorsam erzwingen, indem er das vorräthige Geld wegnehmen, andere Sachen pfänden und verkaufen liefs (°); und eben so konnte er auch Haus und Feld in Beschlag nehmen, ausbieten und ver- kaufen. Dieses bona possidere, proscribere, vendere ist also gewifs keine neue Erfindung, sondern uraltes Recht der richterlichen Magistrate. Auch findet sich davon ein Beispiel bei Livius lange vor der Zex Poetelia (*). Man hat diese Stelle von vermeintlich mancipirten Schuldnern erklären wollen (°); aber, abgesehen von den Gründen, die oben gegen das Dasein (') Von dieser Pignoris Capio der Magistrate ganz verschieden ist die privatrechtliche, eine der fünf Formen der Zegis Actio im Civilprozels. Irrig verwechselt beide Zimmern a.a. O. (*) Das Recht im Allgemeinen bei Gellius XIV.7. Anwendung desselben zur Zeit der Decemvirn bei Zivius IL. 38. (') Pignus in causa iudicati captum, uraltes Recht der Magistrate und noch in neue- rem Recht die regelmäfsige Form der Vollstreckung. (*) Livius II. 24. „ne quis militis . . bona possideret aut venderet.” () Zimmern 2.2.0. über das altrömische Schuldrecht. 09 einer solchen Mancipation überhaupt ausgeführt worden sind, würden auch diese Ausdrücke für ein solches Verhältnifs ganz unpassend sein. Wer durch Maneipation Herr der Person wurde, war gewils auch Herr des Vermögens geworden; dieses war sein Eigenthum, und es bedurfte daran für ihn keiner Possessio oder Fenditio,um ihm zum Genufs zu verhelfen. Nimmt man aus den von mir ausgeführten Gründen an, dafs von jeher die persönliche Execution nur im Fall des Gelddarlehens und in wenigen anderen Fällen galt, so ist ohnehin die Zulässigkeit der Realexecution von der ältesten Zeit an unmittelbar gewils, indem sonst alle übrige Forderun- gen ganz ohne richterlichen Schutz gewesen wären, welches als Zustand wahrer Rechtlosigkeit völlig undenkbar ist. Das Recht auf das Vermögen der Schuldner hat also für die Gläubiger von jeher bestanden, und die Strenge gegen die Person sollte nicht als Sur- rogat eines solchen Rechts dienen, sondern sie trat da ein, wo kein Vermö- gen zu finden war. Zum Schlufs dieser Untersuchung über das alte Schuldrecht wird es zweckmäfsig sein, das Eigenthümlichste derselben, in Vergleichung mit den von Anderen aufgestellten Meinungen, in wenigen Sätzen zusammen zu fassen. Die Vollstreckung gegen die Person des Schuldners sollte nach dem ältesten Recht nur bei dem Gelddarlehen zulässig sein, und in dieser An- wendung hat sich dieselbe bis in späte Zeiten erhalten. Sie wurde allerdings auf manche andere Fälle ausgedehnt, aber fast alle diese Ausdehnungen wurden schon frühe wieder aufgehoben. Jener Hauptsatz nun wird zunächst durch einzelne Zeugnisse begrün- det; besonders durch die Stelle der zwölf Tafeln, nach der durch Gellius hinzugefügten Auslegung, und durch die Zex Galliae cisalpinae. Noch feste- ren Grund aber erhält jener Satz dadurch, dafs in ihm das einzige Mittel gefunden wird, die sicher bezeugten Thatsachen theils zu erklären, theils zu vereinigen. Denn durch ihn allein bekommt das Nexum eine recht prak- tische Bedeutung und zugleich grofse Wichtigkeit; und durch ihn allein wird es begreiflich, was bis jetzt völlig widersprechend schien, dafs die Zex Poe- telia den Schuldnern grofse Befreiung gewähren konnte, und dennoch Jahr- hunderte nachher die Schuldner eingekerkert werden durften. — num N2 100 v. SıAvıeny Anhang. Man kann nun noch die Frage aufwerfen, wie lange überhaupt jene Verhaftung der Schuldner gedauert habe, und ob sie namentlich mit dem Römischen Recht herüber nach Deutschland gekommen sei. Obgleich diese Frage zu dem historischen Gegenstand der vorstehenden Abhandlung nicht mehr gehört, so wird es doch verstattet sein, sie anhangsweise dane- ben zu behandeln, um so mehr als durch diese Verbindung eine erschö- pfende Beantwortung derselben nur erleichtert werden kann. Dafs zur Zeit der klassischen Juristen die Verhaftung unverändert fortdauerte, ist schon oben gezeigt worden. Dasselbe aber läfst sich auch für die Constitutionen der Kaiser, und selbst für Justinians eigene Gesetze, nachweisen. So sagt ganz unzweideutig ein Rescript von K. Alexander, die Cessio bonorum bewirke „re iudicali detrahantur in carcerem” (!), womit also die Zulässigkeit der Haft aufser dem Fall der Cession deutlich anerkannt ist. Und eben so sagt Justinian von den Wirkungen der Cessio bonorum: „omni corporali cruciatu semoto” (2). Buchstäblich läfst sich nun freilich dieser letzte Ausdruck auf keine Weise nehmen, da von eigentlichen Martern seit vielen Jahrhunderten nicht mehr die Rede war, wenn auch die Vorschrift der zwölf Tafeln solche zuliefs. Allein nach der schwülstigen Sprache des Codex konnte unter jenem starken Ausdruck auch schon das blofse Gefängnifs, als leibliches Übel, verstanden werden, und da eine andere Deutung desselben kaum möglich ist, so liegt darin eine Bestätigung für die stete Fortdauer der Haft, die ohnehin auch schon aus der blofsen Aufnahme so vieler älteren Stellen in die Justinianischen Rechtsbücher geschlossen werden müfste. Indessen dürfen hier einige Stellen nicht verschwiegen werden, die einen Zweifel gegen jene Fortdauer erregen könnten. Dahin gehört zuerst das strenge Strafverbot des K. Zeno gegen die Privatgefängnisse (?). Allein das, was hier etwas undeutlich als die will- (') L.1.C. qui bonis (7.71.). (?) L.8.C. qui bonis (7.71.). Ähnliche Ausdrücke kommen vor in Nov.135. C.1., und in L.1.C. Theod. qui bonis (4. 20.) (Gratian. Falent. Theod.). (?) L.1.C. de privalis carcer. (9. 5‘). p ( über das altrömische Schuldrecht. 101 kührliche Anmaafsung Einzelner bezeichnet und untersagt wird, kann un- möglich mit dem uralten regelmäfsigen Verfahren gegen die Geldschuldner, mit dem ducere debitorem iussu Praetoris, verwechselt werden. Jenes Ver- bot scheint vielmehr auf eine Art von Privatjurisdiction zu gehen, die sich einzelne Vornehme in ihren ausgedehnten Besitzungen herausnehmen moch- ten. Dann liegt darin weder eine Aufhebung der Haft überhaupt, noch eine wesentliche Umbilduug derselben durch Verwandlung des Privatgefängnisses für die Schuldner in ein öffentliches, von welcher Verwandlung in unsern Rechtsquellen keine Spur vorkommt. Noch weniger Bedenken machen einige andere Constitutionen, worin Gefängnifs und Züchtigung der Schuldner untersagt wird(!). Denn diese Ver- ordnungen betreffen nicht alle Schulden überhaupt, sondern nur die Steuer- forderungen des Fiscus, und bei diesen war die Verhaftung der Schuldner niemals gesetzmäfsig gewesen, so dafs sie nur durch den übertriebenen Dienst- eifer der Beamten statt finden konnte, welchem eben durch jene Constitu- tionen vorgebeugt werden soll. Der scheinbarste Einwurf kann aus folgendem Rescript von Diocletian hergenommen werden (?): „Ob aes alienum servire liberos creditoribus iura compelli non patiuntur.” Dadurch scheint es den Creditoren geradezu unter- sagt, freie Menschen (ihre Schuldner) als Knechte gefangen zu halten und arbeiten zu lassen. Sollte hier schon dem Ausdruck nach etwas Neues vorge- schrieben werden, so wäre diese Erklärung an sich sehr wahrscheinlich, und es bliebe dann nur das allerdings grofse Bedenken übrig, wie Justinian daneben in den Digesten und im Codex so zahlreiche Zeugnisse für die Zulässigkeit der Haft aufnehmen, ja wie er selbst in eigenen Gesetzen auf diese Zuläfsig- keit hindeuten konnte. Allein ganz entscheidend für die Nothwendigkeit einer andern Erklärung ist der Umstand, dafs der Kaiser gar nicht etwas Neues vorschreiben, sondern an ganz bekanntes Recht erinnern will (zura . . non patiuntur). Es muls also eine sichere, alte, bekannte Rechtsregel sein, auf die hier verwiesen wird, und durch diesen Umstand wird es durchaus nothwendig, das Wort &beros hier nicht auf freie Menschen (die Schuldner (') 1L.3.C. Theod. de exact. (11.7.) und L.7. eod. — Die erste dieser beiden Stellen steht auch im Justinianischen Codex als L.2.C. de exact. (10.19.). (*) L.12.C. de obl. et act. (4.10.). 102 VS ANTENY selbst), sondern auf die Kinder des Schuldners (liberos debitoris) zu beziehen. Dafs nämlich nach dem alten Recht der Zustand der Kinder eines Addietus für zweifelhaft gelten konnte, ist schon oben bemerkt wordeu. Jenes Re- script scheint nun die Freiheit der Kinder als längst entschieden anerkennen zu wollen. Vielleicht war aber damit die Sache keinesweges für immer ab- gethan. Wenigstens noch Justinian fand es nöthig, die Freiheit der Kinder des Schuldners durch Strafdrohungen in Schutz zu nehmen (!). Es ergiebt sich aus dieser Untersuchung, dafs das alte Recht, den Geldschuldner in Privathaft zu halten, in der Justinianischen Gesetzgebung unverändert fortgedauert hat, wenngleich die Anwendung dieses Rechts, aus den oben angegebenen Gründen, immer seltner geworden sein mag. Allein eben aus dieser unveränderten Gestalt folgt auch, dafs dieses Recht nicht mit nach Deutschland kommen konnte. Denn es schlofs sich ja das- selbe ganz an das alte Sklavenrecht an, es war faktische Sklaverei, und diese konnte eben so wenig Anwendung bei uns finden, als die eigentliche Skla- verei, auf welcher allein auch jene beruhte. Wäre die Privathaft schon in der Römischen Gesetzgebung zu einem öffentlichen Gefängnifs umgebildet worden, so hätte sich eine Aufnahme dieses Rechts in Deutschland, und eine Fortdauer desselben bis in neuere Zeiten, wohl denken lassen: wie es dort gemeint war, konnte davon nicht die Rede sein. indessen war schon vor der Einführung des Römischen Rechts in Deutschland, von einer andern Seite her dafür gesorgt worden, dafs hier- über kein Zweifel bleiben konnte. In die Decretalen nämlich war folgende Stelle aus Gregor dem Grofsen aufgenommen worden (?): „Lex habet, ut homo liber pro debito non teneatur” etc. Diese Stelle deutet augenscheinlich auf die L.12.C. de obl. et act., und wenngleich sie derselben einen falschen Sinn unterlegt, so konnte dadurch ihre eigene Gesetzeskraft doch nicht ver- hindert werden. Dadurch wurde nun die persönliche Freiheit der Schuld- ner in unserm gemeinen Recht geschützt, nicht blofs im Widerspruch mit dem Römischen Recht, sondern auch mit den älteren deutschen Gesetzen, (') Nov.134.C.7. Aus dieser Novelle ist die Auth. /m mo unmittelbar hinter die L.12. C. de obl. et act. gesetzt worden. Daraus erhellt also, dals Irnerius die L.12. cit. auch schon auf die Kinder bezogen hat, wie sich denn dieselbe Erklärung gleichfalls bei Accursius und seinen Nachfolgern findet, freilich mit anderen Erklärungen vermischt. (?) C.2.X. de pignor. (3. 21.). über das altrömische Schuldrecht. 103 die hierin eine sehr merkwürdige Übereinstimmung mit dem Römischen Recht (wiewohl neben mancher Verschiedenheit im Einzelnen) zeigen (!). Das Interesse des Handels freilich führte wieder auf gröfsere Strenge gegen die Schuldner: und so wurde in vielen Partikularrechten abermals eine per- sönliche Haft der Schuldner eingeführt, aber nun als öffentliches Gefäng- nifs, folglich ohne allen Zusammenhang mit der Sklaverei und mit dem Rö- mischen Recht (*); darin auch wohl härter als die Römische Haft, dafs die Cessio bonorum dagegen nicht schützen sollte. Allein gemeinrechtlich ist diese Zwangsanstalt niemals geworden. Die Richtigkeit dieser Ansicht wird noch bestätigt durch die völlig gleiche Entwicklung, die dieses Recht im Italienischen Mittelalter erfahren hat. Auch hier wird anerkannt, dafs die im Römischen Recht zugelassene Haft der Schuldner gemeinrechtlich aufgehoben sei (?). Aber auch hier wurde durch die Statuten der Handelsrepubliken nicht selten der persön- liche Zwang gegen die Schuldner wiederhergestellt, jedoch durch öffentliches Gefängnils, und nun zugleich ohne Befreiung durch Cessio bonorum (*). (') Eine sehr vollständige Zusammenstellung derselben siehe in Grimm’s Rechtsalterthü- mern S.613-618. Eine der bestimmtesten Stellen, dem Römischen Recht auffallend ähnlich, findet sich im Sachsenspiegel II. 39. (*) So z.B. Nürnberger Reformation 1564 fol.68. — Eine Zusammenstellung solcher Par- tikularrechte, welche die Verhaftung des Schuldners zulassen, findet sich u.a. in Reinharth diss. de differentia et convenientia inter oblıgationes ad carceres et litteras cambiales. Erford. 1731. 8.14. seg. Vgl. auch Mittelmaier im Archiv für die civil. Praxis Bd. 14. Heidelb. 1831. Num.IV und XI. () Fccursius Gl.in carcerem L.1.C. qui bonis (7.71.) „..sed loco carceris ho- die ponitur in banno.” (*) Odofredus in Cod.L.1. qui bonis: „tamen istud edietum qui bonis cedere pos- sunt non habet locum in civitate ista (d.h. in Bologna), quia hic est lex municipalis iurala, quod si aliquis non potest solvere, est unus carcer in quo detruduntur onınes non solventes.” — Bartolus in Cod. L.1. qui bonis „solvendo liberatur, el etiam ce- dendo bonis, ut hic vides: licet per statwa Tusciae accidat contrarium.” — Baldus in L.cit. „bene valet statutum quod in carcere publico detineatur, sed non quod de- lineatur in carcere privalo.” —— FBLUL® A 2 a erT en; nmft ee re a Wi alter wre | Hr ren ban eelayeib gr, Haren Foren gratkee Alone) Free, Erg Tue, oh TB 77 BE DIET (De re HALT 2 Ber ya er u ' peu lee a ne Pa 18 rs N De zu ee ae ehe a Art ar br a ee re ee ee ee on ala er ein a rer abi) weinen" { hl ra eh a 2 Ei SITZU REITS 7 Zu j = ee BETTER EEE weni” ul ie ne ad re Erd Tee | what ih Inn ent Erlen ww. lg Eee Fe ER ErME 24 rn Te? . er SEE e UT zu An: DE UT ee } er | I ch he ARE sa Sun ERBE EEE u iyıH | jE Bl un 5b Tot DEE 21 z a ar“ ul Ki gEN BUT. TEniee BER FT») . ans Fa — nie pe Ale 2. mr . u en ri Ts Be Pr Bu Er EEE FTL EL 6. 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In der sächsischen Poesie des neunten Jahrhunderts (Heljand 7, 17) heifst es von Zacharias, als er die Sprache wieder bekam, Er hatte seiner Sprache Ge- walt, des Verstandes und der Weise: (1, 23) die Evangelisten schrieben, setz- ten (nämlich in Schrift), sangen und sagten. Sogar dem Gedanken wird (9, 5) Wort und Weise zugeschrieben: Maria sagt Mein Gedanke ist nicht zweifelhaft, weder Wort noch Weise, Dem späteren Sprachgebrauch mehr gemäfs ist der Ausdruck Otfrieds (5, 23, 19.22), etwas sagen in seinem Sange. Im Ganzen aber scheinen in den Zeiten des lebendigeren Gesanges die Dich- ter mehr auf das Sagen als auf den Gesang gegeben zu haben, wohl darum weil sie den bestimmteren Ausdruck des Gedankens für schwieriger und wichtiger hielten, und weil schön zu singen nicht so in jedes Gewalt steht: wenigstens findet man in allen Gattungen von Gedichten zehn Mahl Ich sage, ehe man einmahl liest Ich singe; recht im Gegensatze der neueren Epiker, die sich immer den Schein geben als singen sie. Indefs wird doch auch nicht selten das Sagen dem Singen entgegengesetzt. In der Kirche wird das Amt gesungen, die Predigt gesagt oder gelesen. So finden wir in einer Sammlung von Predigten (Hoffmanns Fundgruben 1,70 ff.) die im dreizehnten Jahrhundert ein Geistlicher zum Muster für andre geschrieben (S.112, 16-20. Histor. philol, Abhandl. 1833. 16) 106 LACHMANN 19, 26-25(!)) und, wenn man so viel aus den S. 114,19 vorkommenden Namen verstorbener Gemeindeglieder schliefsen darf, auch würklich gehal- ten hat, in dem Eingang einer Predigt am Palmsonntage, nachdem der latei- nische Text gelesen ist, (S.108,5) min vi lieben, want daz ambehte hiute lang ist, als iz disem vil heiligen lage wol zimt, sone muge wır iu hiute sö niht gisagen sö wir von rehte scolten unt ouch disem heiligen tage wol zaeme: iedoch ne muge wir noch ne geturre wir, von unserm ambähte, daz niht ver- läzen, wirne sagen lu eltelicher mäze von disem trösllichen tage, want er gar beidiu an dem lesen unt an dem singin uns heizet gehügen der heiligen unt der frönen gotis marter. In einer andern wird erklärt woher der Name des Advents komme (110,40), want wir in disen tagen lesen unde singen daz uns die heiligen wissagen von siner zuokunft gescriben habent. In derselben Beziehung heifst es in der Kaiserchronik (12'), keine Sünde sei so heifs als der Mord, sö man singit unde lisit, und diese Zeile wiederholt sich (52°) wo von der Auferweckung der Tochter des Jairus geredet wird, () wie auch im Herzog Ernst (7) in Beziehung auf den Spruch swer bitet mich, der wirt gewert von mir swes er mit flize gert. Nicht anders wird in der Poesie Sin- gen und Sagen oder Lesen, als die zwei Arten des Vortrags, einander ent- gegengesetzt,; wie in der Kaiserchronik (17°) nichkeinis mennisken zunge ne mac ü die micheln wunne nimmer vür bringen, gesagen noch gesingen, die sie under in habeten. Weit seltener ist vom Lesen, sofern es nicht Vorlesen ist, die Rede. Ein Geistlicher des zwölften Jahrhunderts, Hartmann, be- ruft sich in seinem Gedichte vom Glauben auf ein früheres (Mafsmanns Denkmähler 1,6), wande wir hie vore haben geredet, vil bescheidenliche gesagt —: iz ist alliz gescriben ze gehörenne unde ze gesihte in dütischer scrifte. Heinrich von Freiberg redet in seinem Tristan (2644) den Leser an, leser dises buochs, vernim. Wolfram rechnet (Parz. 337,1) auf Leserinnen, swelch sinnec wip — diz meere geschriben siht; und mit Recht, weil die Frauen häufiger als die Männer lesen konnten: sie lernten es aus dem Psalter. Nicht (') S.119,27 lese man ante für annum. (*) So ist auch zu verstehen was in einer Predigt vom heiligen Laurentius aus dem zwölf- ten Jahrhundert gesagt wird (v. Aufsels Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters 1833 5.233), als man von ime liset unde singet Et in medio ignis non sum estualus, und also von ime geschriben ist Sicut aurum probavit me dominus. über Singen und Sagen. 107 selten findet man dafs die Dichter geschriebene Liebeslieder an die Geliebte sandten, damit sie sie läse. Von seinem Leich sagt Ulrich von Lichtenstein (Frauendienst S.207) Der leich vil guot ze singen was: manc scheniu frowe in gerne las. Meistens aber heifst lesen vorlesen, und der Ausdruck als ich iu las bedeutet als ich € sprach oder als ich iu gesaget hän. Eine Fabel (alt- deutsche Wälder 3, S.214) schliefst mit der Zeile als ichz an dem bispelle las, wie ich euch eben in dieser Fabel erzählt habe. In dem Märe von der Heidin (Kolocz. Codex S.201) heifst es ‚‚sie kamen zu der Burg, auf der die Frau war, von der man seite unde las, von der vorher erzählt worden ist, wie vreuden rich si were.” Nur Dichter die nicht lesen konnten und daher nur sangen oder sprachen, konnten den Unterschied zwischen lesen und sagen so hervorheben wie Wolfram von Eschenbach im Parzival (224, 12), daz munt von wibe nie gelas noch sus (anders, ohne zu lesen) gesagte mare, diu schoenr und bezzer were. Welche Gedichte nun für den Gesang bestimmt waren und welche gesagt wurden, kann man schwerlich genauer mit Einem Wort ausdrücken, als es Reinbot von Dorn gethan hat, der in seinem heiligen Georg (355) Bücher und Lieder wie Singen und Sagen gegen einander stellt, in duochen noch in lieden wirt geseit noch gesungen nie von keiner zungen von alsö star- ken leiden als von ir drier scheiden; nur dafs man freilich dabei noch ein Paar theils zufälliger Ausnahmen berücksichtigen und den Ausdruck det in der engsten Bedeutung fassen mufs. Daraus dafs die Historiker sehr oft vom Singen und Sagen oder vom Singen allein sprechen, aber weit seltner vom Sagen, das ich vor dem zwölf- ten Jahrhundert niemahls dem Singen entgegengesetzt finde, wird man schlie- {sen dürfen dafs in den ältesten uns bekannten Zeiten nicht leicht blofs ge- sagt sondern meistens gesungen oder, was ganz dasselbe heifst, gesagt und gesungen ist. Die ältesten erhaltenen Gedichte führen jedoch zu keiner Überzeugung. Den unregelmäfsigen allitterierenden Versen des sächsischen Evangeliums wird cantllena und modulatio zugeschrieben, sie heilsen metrica carmina: aber, wie gesagt, bei den alten Sachsen scheint der Begriff des Gesanges weiter gewesen zu sein. Ob die baierischen Verse vom jüngsten Tage zum Gesange bestimmt waren, wissen wir nicht: und die Überschrift des Wessobrunner Gebets, de poeta, versteht niemand. Das Runen- ABC der überelbischen Nordmannen, die ihre Zauberlieder mit Runen schrieben, O2 108 LAcuMmanNn mag nach Belieben gesungen oder hergesagt worden sein: aber es ist nur Kinder- und Weiberpoesie. Die regelmäfsigen Verse des Hildebrandsliedes fangen mit den Worten an Ich hörte das sagen: aus diesen Worten allein ist nichts zu schliefsen, zumahl da wir nicht wissen ob das Lied etwa strophisch war. Die ältesten gereimten Gedichte bestehn sämtlich aus kurzen Versen die paarweise durch Reime gebunden sind: sie wurden ohne Zweifel alle ge- sungen: aber sie bestehen auch sämtlich aus Strophen, die meisten aus vier- zeiligen (!), aus andern der Leich vom heiligen Georg und der von Kaiser Otto dem ersten, deren richtige Abtheilung in Hoffmanns Fundgruben 1, 11.340 verfehlt worden ist. (?) Ausdrücklich spricht von Gesang nur Ot- fried: fromme Personen begehrten von ihm, zur Erholung von dem unzie- menden Laiengesang, hurus cantum lectionis. Auch ist 1,5, 3.4 eine Strophe in der Heidelberger Handschrift mit Musiknoten versehn. Noch im zwölf- ten Jahrhundert finden wir ein Gedicht auf die Jungfrau Maria in Strophen aus drei Paaren kurzer Verse, jedes Mahl mit der angehängten Schlufszeile Sanctä Mariä, und unter dem Namen Dietmars von Ast (12.13C) zwei nicht einmahl ganz gleich lange Strophen aus kurzen Reimpaaren, unstreitig für den Gesang. Ja noch weit später haben Walther (87, 1) und Neidhart (MS. 2,82°) vierzeilige Strophen ganz wie die otfriedischen gebildet, doch mit (') So selbst die Verschen poetischer Schreiber, wie die zwei Strophen des Freisinger Presbyters Sigihard am Ende von Otfrieds Evangelienbuche, und die zwei welche neulich Schmeller bekannt gemacht hat (Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters, 1833, S.176). Das alte Lied auf Petrus (Docens Miscell. 1,4) fügt den vierzeiligen Strophen Kyrje elei- son Christe eleison hinzu, wodurch sie sechszeilig werden. Dieses Lied, meint Graff (zu Otfried S.vı), sei vielleicht von Otfried. Docen hatte (Zusätze zu den Miscellaneen, 1809, S.21) dies aus dem beiden gemeinschaftlichen Langverse zu folgern nicht gewagt. Otfried würde die Formen farsalt und ginerjan im Reim nicht gesetzt haben: er sagt firselit und ginerjen. Und einen andern otfriedischen Langvers findet man auch im Muspille. (2) Den deutschen Versen aus dem elften Jahrhundert in Aretins Beiträgen 7, 292. 293 kann man, vielleicht nur weil sie vereinzelt sind, die strophische Form nicht ansehen. Sie sind aus einer nach Art der sangallischen Kategorieen lateinisch und deutsch abgefalsten Lo- gik und Rhetorik, die Wackernagel, wie er mir schreibt, in der Bibliothek der Wasserkirche zu Zürich gefunden hat (C 45). Dazu stimmt auch Docens Angabe von der Münchner Handschrift, die ein Auszug aus jenem Werke sein wird: denn dafs es virgilianische Glossen seien, ist ein leicht erklärlicher Irrthum J. Grimms (deutsche Gramm., erste Ausg., 1, LXII), den aber Hoffmann (Fundgr. 1,15), indem er mit lächerlichem Nachdruck auf Aretins Bei- träge verweist, nicht hätte wiederholen sollen. über Singen und Sagen. 109 bestimmter Abwechselung der stumpfen und klingenden Reime: und Neid- harts Lied, welches anhebt Zin altiu vor den reien trat, ist ohne Zweifel selbst ein Reie, der gesungen ward, wie gewils alle Lieder in kurzen Reim- paaren. 3 Hingegen kurze Reimpaare ohne strophische Abtheilung, der Inhalt der Gedichte sei auch noch so verschiedner Art, sind ganz sicher im zwölf- ten und dreizehnten Jahrhundert nur gesagt und gelesen. Es versteht sich dafs dies auch alsdann geschah wenn die letzte Zeile der Absätze länger war, wie meist in Crescentia, oder wenn die Absätze auf drei Reime ausgiengen, welches man schon in dem Bruchstück einer sehr alten Legende findet ('). Dafs in Wernhers Maria S.184 über der Schlufszeile Gloria in excelsis deo Gesangnoten stehn, wird der Regel keinen Abbruch thun; eben so wenig wenn Ulrich von Lichtenstein jeden Absatz seines dritten Büchleins mit einer daktylischen Zeile schliefst, den letzten aber noch aufserdem mit einem gan- zen Abgesange des mitgesandten Liedes, den er offenbar wollte gesungen haben, (Frauendienst S. 183) in allen minen leiden trowe ichz dar zuo bringen, daz mir helfen singen Jriund unde vind offenbäre „Zröst miner järe daz ist ir schouwe, si frouwe, zewäre: mich sol ir lachen vrö machen, si schoene, si cläre.” In allen gewöhnlichen kurzreimigen Gedichten, von der Bearbeitung mosai- (') In Graffs Diutisca 2, 297 ff. Ich weils nicht warum Graff es ein Gebet nennt, und Hoffmann (Fundgr. 1,260) sagt es sei vielleicht eine Legende. Oder ist würklich der Schlufs des Fragments nicht so deutlich als er mir, mit Ausnahme des letzten Wortes, scheint ? Dö der heidine man sö verre wart gehörsam mit gloube und mit pihle und er alsö waärliche sine sünde begunde ruegen, do enphieng in der gotes sun, dö hiez ern toufen ...... Die drei Reime hat Hoffmann auch S.206 nicht angemerkt. 110 LAcuMmanNnN scher Geschichten(!) an (denn ich kenne keines das älter aussähe), wird man zwar überall finden Ich sage, Ich rede, Ich spreche, oder Ich lese, aber nie- mahls Ich singe. Wenn auch Wernher von Tegernsee der heiligen Jungfrau Lob und Gesang zu mehren wünscht (S.3), so nennt er doch sein Lied nicht so. Für den Gesang habe ich nur zwei wenig beachtenswerthe Zeugen. In dem lächerlichen Gedicht eines Mönchs aus dem zwölften Jahrhundert, vom ungenähten Rock Christi, von dem nur ein Druck vom Jahr 1512 und eine Handschrift von 1477 bekannt ist, heifst es zu Anfang (Fundgruben 1,214) Nun wi ich mir selber beginnen Und wi von dem haylıgen grawen rock singen, oder ganz ohne Sinn Von dem grawen Rock sprechen do singen. Im Laurin findet man am Schlusse, nach den Drucken des Heldenbuchs und nach der Handschrift zu Strafsburg (Schilters thesaurus 3,xxxıx), Heinrich von Ofterdingen dise äventiur gesungen hät. Aber eine ältere Handschrift, wie entstellt auch Herr Ettmüller ihre Lesart hier und überall gegeben hat, scheint, wenn ihm irgend zu glauben ist, nicht gesungen zu haben, sondern, was keinen Anstofs giebt, geühtet. Vielleicht auch wird gar nicht die Dar- stellung in kurzen Versen dem Liederdichter zugeschrieben: der Auszug in Nyerups Symbolis S.1-48 deutet auf ein Gedicht in dem alterthümlichen Ton des zwölften Jahrhunderts. Sehr oft haben die Dichter in Büchern oder Mären ihr Sagen dem Gesange entgegengesetzt. So Wernher der Gartenzre in seiner wackern Er- zählung vom Meier Helmbrecht (2.217), her Nithart, und solt er leben, dem hete got den sin gegeben, der kunde ez iu gesingen baz dann ich gesagen. Wolfram von Eschenbach sagt in einem Märe (Parz.337,5), hier werde man finden dafs er von Weibern besser gesprochen, als er einer zum Hohn ge- sungen habe: ich kunde wiben sprechen baz denne als ich sanc gein einer maz. Aber ich wüste nicht dafs irgendwo Veranlassung wäre einer Gattung von lyrischen Liedern oder Leichen, oder auch nur einzelnen darunter, den Ge- (‘) Dafs der Verfasser, wie Hoffmann (Fundgruben 1,242) sagt, alle fünf Bücher‘ Mose übersetzt hat, ist wenig wahrscheinlich. Früher als von Denis sind Proben gegeben in den hamburgischen Unterhaltungen 8, 298. über Singen und Sagen. 444 sang abzusprechen. Auch von den Sprüchen, wenn es anders richtig ist sie als eine besondere Gattung zu betrachten, sagt Simrock (zu Walther 1,175) mit Recht, sie seien wahrscheinlich gesungen worden. Rudolf von Ems deutet im Wilhelm von Orleans auf einen Spruch Walthers von der Vogel- weide (102,1) und bedient sich beider Ausdrücke, Sagen und Singen, (Altd. Museum 1,563) ni sit ir doch ein ander gram, frou minne und ouch diu kintheit, als uns meister Walther seit von der Fogelweide: der sanc daz ir beide waeret gar ein ander gram. Ja in einer Spruchweise sagt Walther so- gar (19,37) wol üf, swer tanzen welle näch der gigen! man müste denn sa- gen es sei nur die Aufforderung zum Tanz, der dann in einer andern Weise sollte gesungen und getanzt werden. Höchst merkwürdig ist aber dafs in den ausgebildetsten Darstellungen deutscher Sagen in strophischer Form, in den Nibelungen und im Alphart, und dafs ich gleich ein Gedicht mit nenne dessen Strophe nur eine Variation jener ist, in Küdrün, nur das Sagen und durchaus kein Singen vorkommt, dafs auch auf epischen Gesang niemahls die älteren kurzreimigen Gedichte der deutschen Heldensage, wie die Klage und Biterolf, deuten, und eben so wenig die Dichter aus der Blütenzeit der mittelhochdeutschen Poesie. Swaz man von Etzeln ie gesprach, sagt Wolfram, und ich her von Mitegen dicke sagn, ganz wie der Dichter der Klage (50) und des Biterolfs (10590) iu ist daz dicke wol gesagt, wie Etzel — und swie dicke Witege het getän daz man für wunder hät geseit, und wie der frühere Lamprecht im Alexander, wo er sich auf Kudrune Sage bezieht, (W. Grimm, deutsche Heldensage 5.330) von einem volcwige höre wir sagen. Gleichwohl ist nicht nur erweislich dafs in Kürenbergs Weise, die wenigstens dem Mafse nach der epischen Strophe gleich ist, kurz vor unse- ren Nibelungeliedern gesungen ward: ein Mädchen sagt (MS. 1,38") Ich stuont mir nehtint späte an einer zinnen: do hört ich einen ritter vil wol singen in Kürenberges wise al üz der menigin. er muoz mir diu lant rümen, ald ich geniete mich sin. Sondern, wenn auch Gottfried von Viterbo, dessen chronicon bis 1186 reicht, sich nur des unbestimmten Ausdrucks narrare bedient (16, 251 oder 409), T’heodericum filium T’heodemari scilicet Veronensis, de quo Teutoniet saepissime miram narrant audaciam, kaum zehn Jahr vor den ältesten der uns 112 LAcHumıaAann erhaltenen Lieder und nicht dreifsig vor ihrer Sammlung giebt der Kölner Geistliche der das Gedicht auf Erzbischof Hanno, ohne Zweifel um die Zeit der Aufhebung der Gebeine des Heiligen 1183, dichtete, (!) ein unverwerf- liches Zeugnifs von epischem Volksgesang, Wir hörten ie dicke singen von alten dingen, wi snelle helide vähten, wi si veste burge brächen, wi sich libin winiscefte schieden, wi riche künige al zegiengen. Früher, um nur einiges zu erwähnen, kommt gegen 1126 (W. Grimm, deut. Heldens. S.36) von Hermanrich Dietrich und Attila neben dem Sagen als eine andere Art des Vortrags das Singen vor, vulgaris fabulatio et cantille- narum modulatio. Gegen 1025 (W. Grimm 5.32) spricht ein Mönch zu Quedlinburg von Dietrich von Bern, de quo cantabant rustici olim. Die al- ten Lieder die Karl der Grofse schreiben liefs, waren nach Einhart solche quibus veterum actus et bella canebantur, obgleich die Geschichte von Hilde- brand und Hadebrand der Dichter oder der Aufzeichner nur, wie er sich wenigstens ausdrückt, sagen hörte. Aber noch mehr, selbst in der blühen- den Zeit der höfischen Poesie kommt doch ein einziges Mahl auch Gesang von Siegfrieds Jugendgeschichte vor, in der lafsbergischen Bearbeitung der Nibelungenoth, die mit Wolframs Wilhelm gleichzeitig sein mufs, (166) Z daz der degen küene volwüehse ze man, dö het er solhiu wunder mit siner hant gelän, dä von man immer mere mac singen unde sagen. Und in der Zeit des Interregnums (?) verlangte man von dem Marner, statt seiner Lieder, (‘) Ich sehe nicht worauf sich Herrn Hoffmanns Meinung gründet (Fundgruben 1, S.251) das Annolied sei älter als die Kaiserchronik. Die Kaiserchronik spielt (daselbst S.254) auf die Ermordung Erzbischof Arnolds von Mainz im J.1160 mit den Worten an noch halden sie den alden site. (?) Wackernagel (Die Verdienste der Schweizer um die deutsche Litteratur, Basel 1833, 5.30, N.30) schreibt dem Marner, ich weils nicht aus welchem Grunde, die erste Strophe des Anhanges der Heidelberger Handschrift 350 (14) zu, deren Verfasser unter den ver- storbenen Dichtern seinen Meister von der Vogelweide nennt und seinen Freund von Sanct Gallen. Da der Marner auch MS. 2,173° Walthern seinen Meister nennt, so muls er schon gegen 1230 gedichtet haben, aber in seinem langen Tone gewils erst später, in welchem er über Singen und Sagen. 413 Gegenstände der epischen Poesie, und nach seinen Worten mufs man den- ken Gesang, nicht blofs gesprochene Märe. Sing ich den liuten miniu liet, sö wü der Erste daz, wie Dietrich von Berne schiet —: sö wil der vierde Eg- gehartes nöt, der fünfte wen Kriemhilt verriet —: sö wil der ahte dä Di niht wan hübschen minnesane. Dann in den späteren Gedichten von deutschen Sagen, deren einige noch in das dreizehnte Jahrhundert zu fallen scheinen, wird der epische Gesang nicht selten erwähnt. Im Otnit (2) Swer nid mit ganzen fröuden bi kurzwil welle wesen, der läze im von dem buoche vil sin- gen unde lesen. ImWolfdietrich lie mugt ir gerne hoeren singen unde sagen, und wiederum (W. Grimm, deut. Heldens. $.223.379) als irz noch hiute heeret singen unde sagen. In Dieterichs Flucht 2485 daz ist der Bernere, der mit maneger manheit al diu wunder hät bejeit, dä von man singet unde saget. Im Rosengarten sagt Kriemhild zu Dieterich ich her von diner kuon- heit vil singen unde sagen. Der gröfsere Rosengarten fängt an az man von richen künigen singet unde seit! und diese Formel man singet unde seit wiederholt sich noch drei Mahl (24.574.1454). Im vierzehnten Jahrhun- dert konnte man also mit Recht sagen was der Chronik von Mölk beige- schrieben ist (Pez. seriptor. Austr. 1, p. 194: vergl. p. 165), Multa de ipso (von Dieterich) cantantur: und auch quae a iocwlutoribus sunt conficta ist we- nigstens insofern wahr als dieser Gesang deutscher Sagen den Spielleuten zugeschrieben wird. Denn dafür haben wir noch andre und bessere Zeug- nisse. Der Sachse welcher dem Herzog Kanut von Schleswig, um ihn zu warnen, Grimhilde Verrath vorsingen muste, im Jahr 1132, war ein Sänger von Gewerbe, arte cantor (Saxo Gramm. 13, p. 239). Um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, vielleicht noch etwas später, hörte der Dichter des Titurels die Blinden, also die Strafsensänger, von Siegfrieds Kampf mit dem Drachen singen. Der Marner, der als ein alter blinder Mann ermordet ward (Rumelant 255.J), früher als 1287, war auch ein Fahrender oder Geh- render, der oft über die Unmilde der Herren zu klagen hatte und nur noch selten den höfischen Minnesang anstimmte. Die nordische Saga Dietrichs von Bern (S.3 Rafn) gründet sich zum Theil auf die deutschen Gesänge wo- (MS. 2,174°®) den jungen Konradin besang, und zwar, wie ich aus der Zeile verdienet Ackers künierich und ouch Üeciljen lant glaube schlielsen zu dürfen, erst nach Manfreds Tode (1265) oder als er 1268 nach Italien gieng. Histor. philol. Abhandl, 1833. P 114 LAaAcumAnN mit man reiche Männer ergetzte. Nach der ungelehrten Sage im Anfang des Wolfdieterichs bekam eine Äbtissinn ein Buch, und lehrte es zween Meister: die funden disen don dar zuo, si brähtenz in die cristenheit, nähe unde verre Juorens in diu lant, si sungen unde seiten: dä von wart ez bekant. Und eine bestimmte Classe von strophischen Dichtungen deutscher Sagen, die in der Berner Weise oder in Herzog Ernsts Ton, sind, so früh wir etwas von ih- nen erfahren, das heifst freilich kaum in der classischen Zeit, gesungen wor- den. So spottet Konrad von Würzburg alsus kan ich liren, sprach einer der von Eggen sanc, wodurch er deutlich genug das Singen Sagen und Saitspiel eines Fahrenden bezeichnet. Herrn Eggen Tod kommt unter den Gesängen vor die vom Marner begehrt wurden. In Ecken Liede heifst es, schon nach der ältesten Handschrift, der lafsbergischen, (106) sich pruoft ir beider herze- leit, daz man noch singet unde seit: und Ecke reizt Dietrichen zur Erneuerung des Streites (138) sö solt du nemen mir daz leben: des wirt din lop gesungen. Sollen wir also vielleicht sagen, die fahrenden Leute sangen freilich epische Lieder, aber das Gedicht von den Nibelungen, Alpharts Tod, Ku- drun, gehören der höfischen Poesie an? So würde doch wenigstens die Meinung von der Einheit des Dichters der Nibelungenoth etwas scheinbarer unterstützt als ihre Vertheidiger es für nöthig gehalten haben. Allein warum hörte denn zu derselben Zeit niemand, soviel wir wissen, von Dieterich oder von Etzeln singen? Und sagten oder lasen in jener Zeit die fahrenden Leute nicht eben sowohl als sie sangen? Allerdings, sie sagten und lasen auch, wie ich sogleich zeigen werde. Man wird also gewifs, statt der Volkspoesie Werke abzusprechen die deutlich ihren Stempel tragen, weit wahrschein- licher, in der Zeit wo, nach vollendeter Trennung der Edeln vom Volke, die Blüte und der schnelleVerfall der Poesie aus dem Gegensatze der höfischen und der bäurischen sich entwickelte, auch in dem Vortrage der erzählenden Gedichte eine der höfischen Bildung entsprechende Veränderung annehmen, dafs sie nämlich nun mehr gesagt und vorgelesen als gesungen und vermutlich nicht einmahl vorzugsweise von den Fahrenden vorgetragen wurden; welches sich dann bei dem Verfall des Ritterthums wieder umgestaltete, so dafs der verwildernde Gesang der bäurischen und bürgerlichen Sänger die Oberhand gewann. Dafs andre als die Volkssänger, dafs namentlich Schreiber Gegen- stände der deutschen Heldensagen vorgelesen, kann ich zwar nur mit einer über Singen und Sagen. 115 Stelle beweisen, die aber genügen wird. In den Nibelungen heifst es (2170) Dö si den margräven tölen sähen tragen, ez enkunde ein schriber gebriefen noch gesagen, so könnte kein Schreiber schreiben (wenn man lieber will, auch dichten, prüefen) oder lesen, die manegen ungeberde von wibe und ouch von man, diu sich von herzen jämer aldä zeigen began. Denn hier wird bestimmt gesagt dafs der Vortrag dieser Sage einem Schreiber zuzumu- ten sei: es ist nicht eine allgemeine Hinweisung auf das altübliche Vorlesen der Schreiber, wie z.B. bei Otfried (Evangelium 1,20, 23), der ohne Zwei- fel lateinische Geschichtbücher meint, wenn er bei dem Kindermorde zu Bethlehem sagt Wis was oflo manegaz Joh filu managfaltaz: ni sah man io, ih sagen thir thaz, thesemo gilichaz. Iz ni habEnt livolä, noh iz ni lesent scribarä, thaz jungera worolü sulih mort wurli. Andre Erzählungen, die nicht die deutschen Heldensagen betrafen, wurden, aufser von Schreibern, auch von den Rittern selbst vorgelesen. Im Meier Helmbrecht erzählt der alte Bauer, wie er als Knabe von seinem Vater mit Käse und Eiern zu Hofe gesandt worden sei und die Ritter der guten alten Zeit gesehn habe. Nach dem Tanz, sagt er, vergnügten sie sich auf aller- lei Art, 2.958 sö gie dar einer unde las von einem, der hiez Ernest. swaz ieglich aller gernest wolde tuon, daz vander. so schöz aber der ander mit dem bogen zuo dem zil, manger fröuden was dä vil. Das Gedicht ist um das Jahr 1240 gemacht ('): den jungen Bauernsohn, den (') Es ward, zufolge der oben angeführten Worte, nach dem Tode Neidharts, welcher über das Jahr 1231 hinaus lebte, und noch bei Lebzeiten nicht nur Kaiser Friedrichs II sondern auch Herzog Friedrichs des Streitbaren, gedichtet. Z.413 sagt der übermütige Bauer ez neme der keiser für gewin, vieng ich in niht und züge in hin und beschatzte in unz an den slouch, und den herzogen ouch, unde eteslichen graven: über velt wil ich draven. Der Herzog von Österreich ist gemeint, wie die Scene überhaupt in Niederöster- reich und zwar in Manhardsberg geselzt wird. Z.188 ez hat selten solhen vliz an sinen P2 116 LıAcoanmıann Dieb Helmbrecht, setzt der Dichter als gleichzeitig: des Alten Knabenzeit wird mithin wohl in die ersten Jahre des dreizehnten Jahrhunderts fallen. Damahls las man also noch bei Hofe die alten schopfbucch (Exemplare des Gedichts) von Herzog Ernsten, wie sich der uns und dem Jacob Püterich (Ehrenbrief 108) unbekannte Verfasser der neueren Bearbeitung ausdrückt (Z.103), der, wahrscheinlich mit Unrecht, Heinrichen von Veldeke für den Dichter des alten hielt: (!) und dies, welches schon 1180 Graf Berthold von Andechs zum Abschreiben von Bischof Ruprecht von Tegernsce begehrte, also ein in damahls schon veraltetem Ton geschriebenes Werk, lasen, wie der Zusammenhang der Rede und zumahl die Worte der eine und der ander zeigen, die edeln Ritter selbst vor. Eben so ist vielleicht eine ähnliche Stelle in dem Gedicht Heinrichs von dem Türlin, der Aventiure kröne oder wie er es selbst nennt diu Kröne, zu verstehn, obgleich man sie auch auf die Fahrenden oder auf das blofse Erzählen bezichen kann. man sach üf dem palas maneger wis kurzwie. toppel unde mile sach man in richer koste dä. so süzen zwene anderswä und spilten zabels üf dem bret. der ritter ieglicher tet swaz er selbe wolde. warkus geleit dehein gebüre der in treit, noch sö kostenlichiu werc, zwischen Höhen- steine und Haldenberc, d.h. zwischen Hohenstein an der Krems und Hakenberg an der mährischen Grenze. In der Berliner Handschrift (Mss. Germ. fol.470) lauten zwar beide Stellen anders, aber gewils nicht echter; — und züg in hin, den herzogen und etlich graven: über eke wi ich draven —, und zwischen Wels und dem Trünberc. Das wäre weit mehr westlich in Oberösterreich. (') Dafs dies der Verfasser meinte, sagt dem Unbefangenen Z.2476, vergl. mit 2049 ff.: und um dies zu sehen bedurfte es des in Hoffmanns Fundgr. 1, 228 ff. gedruckten Fragments des alten Gedichtes nicht. Wenn aber Hoffmann S.227 meint, ohne das alte Bruchstück habe eigentlich alles Untersuchen und Streiten nur zu Mutmalsungen und Wahrscheinlich- keiten führen könne, warum hat er sich denn die Untersuchung des glücklich aufgefundenen alten Stückes erspart, und nur gesagt, Heinrich von Veldeke könne der Verfasser desselben sein? Es ist höchst unwahrscheinlich dals er es sein kann, er müste denn in der Eneide Stil und Kunst durchaus verändert haben. Auch von den Eigenthümlichkeiten seiner Sprache kommen die auffallendsten in dem Bruchstücke nicht vor. über Singen und Sagen. 147 dise reiten von solde, ene von der höhzit. dort was von den vrowen strit, welhiu dä diu beste ware. sö säzen videlere mit ır künste disen bi. dort wären vier oder dıi die seiten äventiure. beidiu floit und tambiure allen (al?) gemeinlichen hal in der bürge und in dem sal. dä wonte fröude äne zal. Wie jene Nachricht in den Anfang, so fällt dieses Werk, das Heinrich vom Türlin nach einem mir unbekannten von Christian von Troyes dichtete, in die spätere Zeit der gebildeten höfischen Poesie. Rudolf von Ems erwähnt des Dichters in seinem Alexander (Docen im altd. Museum 1,173), welchen Docen (das. S. 155) um das Jahr 1230 ansetzt; wobei nur zu verwundern ist dafs er im Wilhelm von Orleans, nach Docen (das. S.461) bald nach 1242, weder unter den lebenden noch unter den verstorbenen Dichtern vorkommt. Dafs sie singen und sagen konnten, ward von Rittern verlangt: es ward auch getadelt. Siwer ühtet singet oder sprichet, “wart wie vil derz houbet brichet. sö hoert man lihte etlichen klagen, kan er weder singen noch sagen: man giht er si ein sweerer helt (Müller 3,xxvım'). Im Iwein Hartmanns von Aue (6455) liest eine Jungfrau ihren Eltern ein welsches Buch vor. Im Wigalois Wirnts von Gravenberg (2713) liest eine Magd vor der Königstochter von Persia das Märe von Äncas, als es iu ofte ist geseit. Eine Verwandte Ulrichs von Lichtenstein las seiner Geliebten seine neuen Lieder vor (Frauendienst S.9). Dafs aber Frauen nach der mitgesandten Weise Lieder, ohne münd- lichen Unterricht, selbst singen konnten, habe ich nicht gefunden. Nach einer sehr dunkeln Stelle Heinrichs von dem Türlin scheint es eine Winter- belustigung der Weiber zu sein dafs einiu sagt diu ander singt, wo aber mit dem sagen wohl das blofse Gespräch wird gemeint sein. Als die trunkenen Bürger, erzählt der Freudenleere in seinem Gedichte, der Wiener Meerfahrt 8,1 (Kolocz. Codex S.61), sich zu ihrer Fahrt in das heilige Land ent- schlossen hatten, do kuob sich singen unde sagen, daz diu loube, in der sie 118 LACHMmann tranken, mohte wagen von dem grözen schalle: er redet von dem tobend lau- ten Singen und Sprechen. Von den fahrenden Leuten wird zwar gewöhnlich nur das Singen oder das Fiedeln erwähnt, Fiedler und Singer, oder auch zusammen singen sagen seitspil. Dies, heifst es in einer Klage aus der Mitte des dreizehnten Jahr- hunderts (Heidelb. Hds. 341, Bl.333), der gernden kunst bezahlten die Herren zu Österreich hievor ohne Mafse, mit hohen Raveiten und guten Kleidern: man führte sie zu den Frauen, und liefs sie Ritter sehen zu Turnei und zu Ritterschaft: jetzt lohnt man ihnen nicht mehr. Aber in der Be- schreibung einer Schwertleite, die das Gedicht von Dieterichs Flucht ent- hält, kommen gesondert vor (681) maneger hande liute, giger singer unde sagen, wo auch das einfache Substantivum der sage zu bemerken ist, welches ich anderswo gelesen zu haben mich nicht erinnere: und das Sagen der Fah- renden wird auch sonst noch besonders erwähnt und von dem Singen ge- trennt. Ich gebe zwar zu, wenn Widukind von Corvei (1, p.636 Meibom.) erzählt, Herzog Eberhard von Franken, der Bruder König Konrads ], sei 912 bei der Eresburg von den Sachsen so geschlagen, ut a mimis declamare- tur ubi tantus üle infernus esset qui lanlam multitudinem caesorum capere posset, so mag hier declamare wohl nur ein gezierter Ausdruck für canere sein. Eben so wenig Sicherheit giebt das Wort Ottos von Freisingen (chron. 6,15), in vulgari traditione in curüs et compilis hactenus auditur, wodurch zwar die Poesie der Fahrenden deutlich, aber nicht so gewifs blofses Sagen, bezeichnet wird: wenigstens hörte mehr als hundert Jahr vor ihm Eckehard IV (Pertz. script. 2,83) dieselbe Geschichte, den Verrath Hattos von Mainz an dem babenbergischen Adalbert, sagen und singen, vu/go concinnatur et ca- nitur. Auch wird man vielleicht sagen, das Zeugnifs Heinrichs vom Türlin, der nachdem er ausführlich von Fiedlern und ihren Instrumenten gesprochen hat, dann hinzusetzt fabel unde meere die fabeliereere begunden sä zehant sa- gen, verliere durch den französischen Namen für den Sagen, fabloieres, seine Beweiskraft. Aber im Willehalm von Orense Ulrichs von Türheim (132') werden unter einer Schar Knappen, die etwas zu verdienen gekom- men sind, unterschieden welche sagen, welche singen, welche spielen können. nü volget miner lEre. er sage od künne singen od daz im suoze erklingen über Singen und Sagen. 119 sine wol gerihten seiten, die endurfen hie niht beiten: vart sam mir ze lande. — der vart ich iu sö löne, daz si iuch niht geriuwet. min stele iuch des getriuwet, ich fülle iu gar die malhe, swie es niht pflegent die Walhe daz si iht geben durch keinen schal. Und leicht früher als in diesem Zeugnisse, das in die letzten Vierziger des dreizehnten Jahrhunderts fällt, kommt im Laurin zuerst beim Empfang der Gäste das Singen und Musicieren der zwergigen Spielleute vor: desgleichen bei Tische hört man den Klang von Stimmen, Saiten und allerlei Spiel: aber nach dem Essen, zur gewöhnlichen Zeit der Belustigungen und namentlich auch des Vorlesens und Sagens, wird das Sagen, das vorher beide Mahl fehlte, ausdrücklich genannt und also wohl von dem Singen und dem Sai- tenspiel unterschieden (S.28) do die üsche wurden if gehaben, beidiu singen unde sagen huop sich vor den fürsten vil, dar näch manec seitenspi. Auch von dem Kampf Dietrichs mit Ecken, den doch ganz besonders die Fahren- den besangen, hat Hugo von Trimberg arme Spielleute für freie Zeche sa- gen gehört, wenn ich seine Worte (W. Grimm, deutsche Heldensage S.171) nicht etwa zu streng deute, der von hern Diewich von Berne gesagen kan und von hern Ecken und von den alten sturmrecken, vür den gildet man den win. Den vollsten Beweis aber von dem Lesen der Spielleute giebt ein Gedicht, in welchem sie selbst, freilich nur mit ihrem Gesange, eine gröfsere Rolle spielen als in irgend einem andern, und das sicherer als andere für das Werk eines volksmäfsigen Dichters aus dem niedern Stande zu halten isi, beson- ders wenn man sich erst überzeugt hat aus welcher Zeit es sei. Ich meine das erzählende Gedicht von Salmän und Mörolt. Man hat mit Recht ange- nommen dafs es älter sei als die eschenburgische Handschrift von 1479 und der Strafsburger Druck von 1499, auch als die neuerdings aufgefunden Handschrift (Graffs Diutisca 2, 63), vermutlich (S.59) von 1419. Eschen- burg meinte (Denkmähler S.148) es sei wenigstens in das vierzehnte Jahr- hundert zu setzen, Herr von der Hagen (Einleitung S. xxııı) es gehöre wahr- scheinlich ins Ende des dreizehnten oder den Anfang des vierzehnten. Mehr 120 LAcıuMmanNn konnte man 1799 und 1808 nicht verlangen: aber es befremdet dafs noch 1830 Koberstein (Grundrifs zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur S.60) sich mit blofsen Verweisungen begnügt, und Hoffmann (Fundgruben 1,205 ff.) unter den Gedichten des zwölften Jahrhunderts dieses übergeht. Rosenkranz aber (Geschichte der deutschen Poesie 5.352) mischt unter die verkehrtesten Ansichten, die Prosa der Ehe sei darin dargestellt und König Salomo als verliebter Jude, die Versicherung, es gehöre noch dem dreizehn- ten Jahrhundert an; welches man bei einem andern leicht für eine versteckte Untersuchung halten könnte. Die höchst einfache Strophe des Gedichts, die alte otfriedische in welche nur noch ein kurzer Vers ohne Reim einge- schoben ist, finden wir in einem Liedchen (Docens Miscell. 2,199) das, ob- gleich von Hoffmann ebenfalls übergangen, wohl noch in den Funfzigern des zwölften Jahrhunderts gesungen sein wird: denn der darin ausgesprochene Wunsch die Königin von England im Arm zu haben geht unstreitig auf die reiche schöne und leichtfertige Alienor von Poitou, die, 1124 geboren, auf dem Kreuzzuge von 1147 und 48 manchem Deutschen bekannt geworden und als Gemahlin Heinrichs II von 1154 bis 1204 Königin von England war. Später ist mir diese alterthümliche Strophe nicht vorgekommen: denn der eben so gemessene Volkston Neidharts (MS. 2,81") Der meie der ist riche hat nur klingende Reime. Die Erzählung von Salman und Morolt, mit ih- ren ungenauen Reimen, mit ihrer Reimarmut, mit der anmutig lebendigen aber zuweilen auch ungeschlachten Einfachheit ihres Tons, mit ihren unge- lehrten geographischen und historischen Verwirrungen, wenn z.B. König David vor der alten Troja das Saitspiel erdacht haben soll (2506), mufs man mit der grösten Bestimmtheit dem zwölften Jahrhundert und der schon nach Gelehrsamkeit strebenden aber noch nicht höfisch ausgebildeten Poesie zu- schreiben. Und dieses Gedicht ward von einem Leser um Lohn vorgetragen. Vier Mahl (2416.2799.3314. 4128) wird die Erzählung abgebrochen, weil dem Leser erst mufs ein Trinken gereicht werden. So, zum Beispiel. Er gab im einen slac sö gröz, daz imz bluot zen örn üz floz, daz er viel nider üf daz lant. man engebe dem leser trinken, er hät den töt an der hant. Oder auch so. über Singen und Sagen. 121 “So wil ich durch die künigin alrerste ougen liste min’, sprach der listige man. daz kan tälanc ergen: der leser muoz trinken hän. _ Wenn nun aber dieses Gedicht schon im zwölften Jahrhundert von Gehrenden vorgelesen ward ('), so werden wir ja wohl annehmen müssen dafs sie in der Zeit der höfischen Ausbildung der Poesie auf gleiche Weise noch bessern Verdienst hatten, und die Gesellschaft zu Hofe ihre dem neuen Geschmack immer mehr angepafsten epischen Lieder gern sagen hörte. Es mag daher wohl sein dafs manche Theile des Gedichts von den Nibelungen, auch ehe man sie in ein Buch zusammenschrieb, nur gesagt und niemahls gesungen sind; obgleich, wie wir vorher gesehn haben, der epische Gesang auch in der classischen Zeit nicht ganz zu leugnen ist, wenn er vielleicht auch mehr auf der Strafse als zu Hofe gehört wurde: denn es ist freilich merk- würdig dafs der Umarbeiter dieses Gedichts und der Dichter des Titurels grade Siegfrieds Jugendgeschichte singen hörten, die in den Nibelungen und im Biterolf unverständlich und verkümmert ist und nachher märchenhaft aus- gebildet ward. Dieses noch immer dauernden und späterhin wiederum überwiegenden epischen Gesanges wegen war Märe und Gesang kein strenger Gegensatz, und Wolfram von Eschenbach konnte sprichwörtlich von der Melodie des Märes reden, (Parz. 475,15) öwe werlt, — du gist den liuten herzeser unt riweberes kumbers mer dan der freud. wie stet din löon! sus endet sich dins meeres dön. Hingegen den Titurel, den er selbst in einer frei gebauten Strophe zu dichten anfieng, hat er gewils nicht für den Gesang bestimmt. Noch der Verfasser des jüngeren Märes von Titurel rechnet nur auf solche (') Wenn die vorher $.112 angeführte vulgaris fabulatio von Hermanrich Dietrich und Attila nicht etwa blols auf Erzählung im Gespräch sondern auf den Vortrag der Gedichte geht, so haben bereits in den ersten Jahren des zwölften Jahrhunderts die Fahrenden auch ohne Gesang gesagt. Derselbe Zweifel ist bei den popularibus fabulis in dem noch etwas älteren Zeugnils der 1118 von dem Abt Norbert zu Iburg verfalsten »ita Bennonis episcopi Osnabrug. (in Eccards corpus historic. 2, p.2165); wieviel Benno, als Scholasticus zu Hildes- heim, dem Bischof Etzelin 1051 in Kaiser Heinrichs III ungarischem Kriege genutzt, wie er ihn bei der grösten Hungersnoth erhalten habe, populares eliamnum adhuc notae fabulae attestari solent et cantilenae vulgares. Ilistor, phllol. Abhandl. 1833. Q 122 Lacumann über Singen und Sagen. die es heeren lesen (s. zu Wolfram S.xxx): erst der Fortsetzer gedenkt, nicht mit Unrecht bei den regelmäfsigen Strophen, auch des Gesanges, (40, 234) die ez lesen und hoeren, und der ez sage odr in dem döne singe. Eben so sing- bar, wegen der durchgehend stumpfen Reime, aber gewifs nie gesungen, ist der Frauendienst Ulrichs von Lichtenstein, den er 1255 in Strophen aus vier kurzen Reimpaaren dichtete. Der Lohengrin ist zwar an den Krieg auf Wartburg geknüpft und fährt in derselben Strophe fort: aber die Form ist dafs Wolfram von Eschenbach erzählt, und von Gesang ist nicht mehr die Rede. Hingegen der Dichter der Rabenschlacht sang: (5) Nu haret michel wunder singen unde sagen: sein Gedicht besteht aus einfachen aber sonst für epische Poesie nicht gebrauchten Strophen. ei Über das Hildebrandslied. Von H"- LACHMANN. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Juni 1833.] V.. der frischen und reichen Blüte der epischen Volkspoesie, die wir in Deutschland im achten und neunten Jahrhundert anzunehmen allen Grund haben, gewinnt man schwer irgend ein bestimmtes und ausgeführtes Bild, weil wir uns die Züge und Farben desselben einzeln und mühsam zusammen- tragen müssen. Wie weit die ältesten uns erhaltenen Bruchstücke eines deutschen Volksliedes, die Bruchstücke des Hildebrandsliedes, dienen kön- nen uns das Wesen der Gattung zu welcher es gehörte anschaulich zu ma- chen, dies, hoffe ich, soll sich aus den folgenden Betrachtungen ergeben, und damit der Ergänzung einer Lücke, welche die Geschichtschreiber der deutschen Poesie und Litteratur nicht einmahl zu fühlen scheinen, vorgear- beitet werden. Diesen Geschichtschreibern habe ich nichts zu verdanken: wo ich aber an die Untersuchungen von Jacob und Wilhelm Grimm an- knüpfe, besonders an die in der Ausgabe des Hildebrandsliedes und in der deutschen Heldensage, wird wer sie kennt leichter selbst sehen, als sich in gemeinsamen Forschungen die Grenzen des Eigenthums immer genau ange- ben lassen. Bei aller erzählenden Poesie, besonders aber bei der volksmäfsigen, ist wenigstens im Mittelalter die Erfindung immer getrennt von der Darstel- lung. Die Sage entsteht wächst und treibt ihr geheimnifsvolles Wesen für sich: dem Dichter, dem Verfasser einer einzelnen poetischen Erzählung, ge- hört von der Fabel und ihren Personen und Begebenheiten nichts Wesent- liches eigenthümlich zu, eben so wenig als der Glaube oder die sittlichen Ansichten auf die er fufst. So war auch bier dem Dichter ohne Zweifel der Q2 124 LAcnmann ganze Stoff überliefert: der alte Hildebrand, mit Dieterich von Otacker ver- trieben, kehrt nach dreifsig Jahren heim, und kämpft mit seinem eignen Sohne. Auch was Einzelnes vorkommt hat nicht den Schein eigener Erfin- dung, es gehörte mit zu dieser Erzählung, und man kann nicht einmahl be- haupten dafs der Dichter nothwendig auch mit anderen Theilen der Sage Hildebrands und Dietrichs bekannt sein muste. Nur was eben in der Erzählung den Dichter bewegte, was ihm der wichtigste Punkt und die Einheit des Ganzen schien, dies hervorzuheben wird ihm jederzeit frei gestanden haben: und dadurch kann nach und nach, ohne dafs er absichtlich änderte, die Sage im Wesentlichen anders geworden sein. In dem jüngeren Hildebrandsliede, wie es im funfzehnten bis nach der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts gesungen ward, ist bei der milderen Auffas- sung dafs sich Vater und Sohn nicht kennen, Hauptsache die durch den tapferen Kampf und heilbare Wunden befestigte Liebe beider. In dem al- ten Hildebrandslied erscheint nur der Schmerz des Vaters, der seinen Sohn erkennt und doch mit ihm streiten mufs, im Gegensatz mit des Sohnes kampf- lustigem Unglauben und Übermut: der Ausgang des Kampfes ist uns nicht erhalten. Es versteht sich übrigens von selbst dafs auch mancher kunstfer- tige Dichter, und selbst mancher dem viel Einzelnes in der Fabel das Gemüt bewegte, doch nicht nach einer Einheit strebte, und dafs in sofern manches Gedicht schlechter war als die Sage. Die geordnete Erzählung, die planmäfsige Entwickelung einer Folge von Begebenheiten, scheint bis in das zwölfte Jahrhundert auch in Deutsch- land, wie im Norden, niemahls die Aufgabe des epischeh Dichters gewesen zu sein: nur hingestellt ward die einzelne Begebenheit, nur eben soviel als nothwendig von ihren Umständen bestimmt, dann aber zu einer neuen nicht fortgeschritten, sondern gesprungen. Selbst die Legende der Heiligen, fin- den wir, begnügt sich mit einer Andeutung des Fortschrittes, und setzt was zu erzählen wäre als bekannt voraus. Nur die biblische Geschichte ward, weil sie nicht bekannt war, schon im neunten Jahrhundert ausführlich er- zählt: und wenn auch schon früher die Milde der fränkischen Poesie nach gröfserer Breite strebte, erst nach der Mitte des zwölften wird die eigentliche Erzählung feste Form, mag der Gegenstand einheimische oder fremde, be- kannte oder neue Fabel sein. Wie in dieser neueren Poesie erst die Persön- lichkeit der Dichter hervortritt und die einzelnen sich eigenthümlich zeigen, über das Hidebrandslied. 125 so wird dann immer mehr die einfache den Gang der Begebenheiten ver- folgende Erzählung zur Darstellung der Zustände, der Situationen, und so wird den Personen der Fabel, statt einzelner Thaten und statt einzelner Cha- rakterzüge, nach und nach ein persönliches dauerndes entwickeltes Leben zugetheilt. Zu dieser Entwickelung gelangt, mehr durch eine Menge sich fühlender als durch einzelne grofse Dichter, ein heiteres Zeitalter das sich selbst glücklich und in seiner Art abgeschlossen und harmonisch weils, wie die Zeit zwischen 1170 und 1240, wie die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Mit dem dreizehnten gieng auch in der Volkspoesie die Dar- stellung der Heldensagen in diese ausgebildete individuelle Form über. Die spätere ringende unbefriedigte Zeit gab nur dürftiges unentwickeltes: und die erzählenden Lieder, die Romanzen, des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts sind wiederum so skizziert, so springend und unvollständig in der Erzählung, wie es die des neunten gewifs durchaus waren. Ein Hilde- brandslied des dreizehnten Jahrhunderts würde in der Art der Erzählung weit mehr ins einzelne individuelle gehn, als es das aus dem neunten und das aus dem funfzehnten thut. Dies ergiebt schon die aus deutschen Quellen des dreizehnten fliefsende nordische Sage Dietrichs von Bern, in der (Cap. 376) die Beschreibung des Kampfes zwischen Vater und Sohn, obgleich in prosaischer Abkürzung, doch weit mehr ausgeführt ist und durch einzelne Zustände fortschreitet, als das spätere deutsche Lied. Das alte, welches so weit nicht reicht, können wir hier nicht vergleichen: es enthält aber an Er- zählung nicht mehr als folgendes. Hiltibrant Heribrants Sohn und sein Sohn Hadubrant fordern sich heraus zum Kampf. Sie rüsten sich und reiten ge- waffnet gegen einander. Hiltibrant fragt wer sein Gegner sei. Er nennt sich Hadubrant Hiltibrants Sohn. Der Vater will den unnatürlichen Kampf vermeiden, und schenkt seinem Sohn Armringe. Hadubrant verschmäht das Geschenk, er hält den Alten für einen feigen Betrieger: sein Vater, habe er gehört, sei im Krieg umgekommen. Nachdem der Vater sein Unheil be- klagt hat, dafs er nach dreifsigjähriger Wanderung nun mit seinem Sohne streiten soll, entschliefst er sich dazu, um nicht feige zu scheinen. Sie rei- ten mit den Speeren gegen einander, dann hauen sie sich mit den Schwertern, bis die Schilde zerschlagen sind — und damit endigen die uns erhaltenen Bruchstücke. Die Vorbereitung fehlt, welche die spätern Darstellungen haben, dafs der Alte vor seinem Sohn gewarnt wird, der ihm begegnen 126 Laıcumann werde. Gleich mit der Ausforderung fängt das Lied an: das Verhältnifs, die ganze Lage der Sachen ist schon voraus fest und unzweifelhaft: ja die Helden selbst bleiben sich nicht einmahl eine Zeit lang unbekannt, sondern dafs sich der Sohn dem Vater zu erkennen giebt ist gleich die erste Handlung. Das einzige Willkürliche und Individuelle, das für den Gang der Geschichte nicht durchaus nothwendig war, ist die Gabe durch die Hildebrand seinen Sohn gewinnen will, dafs er sich die Ringe vom Arme windet. Selbst in den Reden (durch Reden hat aber immer die germanische Poesie mehr ge- liebt Begebenheiten und Charaktere zu entwickeln, als an der Gestalt und dem Wechsel des Erscheinenden) selbst in den Reden ist eigentlich kein Fortschritt zu bemerken. Hildebrand fragt den Sohn nach seinem Namen; weil er klüger war, heifst es: man darf wohl voraussetzen, wie es die andern ausdrücklich sagen, weil er schon seinem Sohne zu begegnen erwartete. Der einzige Gedanke, den er nun immer wiederholt, ist der Schmerz dafs er mit seinem eigenen Kinde streiten soll. Hadubrands Gedanke ist eben so unveränderlich, sein Vater sei todt, der Alte müsse ein Betrieger sein. Dieselbe Starrheit der Darstellung, die wir im Ganzen finden, zeigt sich nun auch im Kleinen, in Beschreibungen, bildlichen Ausdrücken, Bei- wörtern. In den Zeitabschnitten die ich vorher als die entwickeltsten aus- zeichnete, im dreizehnten und im achtzehnten Jahrhundert, ist der poetische Stil, nur mehr oder weniger veredelt, die gebildete Sprache des Lebens. Die Poesie des funfzehnten und sechzehnten kommt der ausgebildeten pro- saischen Rede nicht gleich, sie ist dürftiger, ungewandter, sie weifs selten das treffende Wort zu finden, selten nur ein belebendes Bild, die Verknüpfung und der Bau der Perioden ist höchst mangelhaft. Auch im zwölften Jahr- hundert hat der Stil etwas trocknes und meistens zu wenig Leben: aber der Periodenbau ist gut, wenn auch nicht mannigfaltig, und es kommen noch oft die alten poetischen Ausdrücke und Wendungen zum Vorschein, oder auch neue ihnen glücklich nachgebildete. Da ist von der alten Kunst noch eine Spur: die Kunst aber ist nicht ins Spitzige verkünstelt, wie in der schwierigen Ziererei der nordischen Poesie: sie wird auch nicht von der Rohheit versteckt, wie die an sich schönen epischen Formeln in den verwil- derten kärlingischen Liedern der Franzosen. Im neunten Jahrhundert fin- den wir in Deutschland die Kunst in der vollen Blüte: und dies zwingt uns eben diese Zeit nicht mit den Geschichtschreibern der deutschen Poesie als über das Hildebrandslied. 127 eine Periode der Vorübung anzusehn, sondern in ihr eine Stufe der Vollen- dung anzuerkennen. In seinem vollen Glanze kennen wir den Stil der da- mahligen deutschen Poesie erst seit drei Jahren, seitdem Schmellers Fleifs und Geschicklichkeit das uns lange schmählich vorenthaltene sächsische Evan- gelium unter dem Namen Heljand gewährt hat; ein Werk das mit Recht gerühmt worden ist: denn es scheint allerdings ein Theil der Arbeit zu sein(!) (‘) Aus Eccards Quaternio p.41 und Francia orientalis 2, 324 war eine von ihm aus Duchesne (hist. Franc. script. 2,326) entlehnte praefatio in librum antigquum lingua Sa- xonica scriptum bekannt: Schmeller (zum Heljand S.vııı) hat zuerst auf die zweite Aus- gabe von Flacius catalogus testium veritatis gewiesen, wo Bl.93 nicht nur jene praefatio vollständiger steht, sondern auch noch versus de poeta et interprete huius codicis, 34 Hexa- meter, folgen. Flacius hat alles wahrscheinlich aus einer Handschrift der Werke Hincmars von Rheims genommen. Man findet es ebenfalls vollständig in der Ausgabe der opuscula et epistolae Hincmari Remensis von Johann Descordes, Paris 1615, S.643 ff., woher Du- chesne ohne Zweifel seinen Auszug genommen hat. In den lateinischen Versen wird erzählt, der Dichter sei ein Bauer gewesen, der, als er einst seine wenigen Rinder des Nachts im Walde hütete, im Schlaf eine Stimme vernommen habe, “O quid agis, vates? cur canlus tempora perdis? Incipe divinas recitare ex ordine leges, Transferre in propriam clarissima dogmata linguam. Nec mora post tanti fuerat miracula die: Qui prius agricola, mox et fuit ille poeta. Tune cantus nimio vates perfusus amore Metrica post docta dictavit carmina lingua. Coeperat a prima nascentis origine mundi: Quinque relabentis percurrens tempora secli Venit ad adventum Christi, qui sanguine mundum Faucibus eripuit tetri miseraltus Averni. Die himmlische Stimme kommt auch in der praefatio vor: Ferunt eundem vatem, dum adhuc artis huius penitus esset ignarus, in somnis esse admonilum ut sacrae legis praecepta ad cantilenam propriae linguae congrua modulatione coaptaret. Die Erzählung erinnert an die freilich hübschere und individuellere Geschichte Cädmons bei Beda (hist. eccl. 4,24): ob sie mit dieser in irgend einem Zusammenhange steht, weils ich nicht zu entscheiden. In den letzten Versen ist nicht gemeint, der Dichter habe das Werk nur bis an die Geburt Christi geführt: denn die praefatio sagt ad finem totlus veleris ac novi lestamenti interpretando more poetico salis faceta eloquentia perduzit. Die Erwähnung der fünf Weltalter macht es mir wahrscheinlich dafs unser Heljand ein Theil (vielleicht, wenn man die Worte genau nehmen und die Nachricht von Cädmon auch hier vergleichen darf, nicht einmahl der letzte) jenes grofsen Werkes gewesen ist: denn auch im Heljand fängt (2,8) die Erzählung an “Ein Weltalter stand noch bevor, fünf waren vergangen. — J. Grimm, der zuerst den Zusammenhang beider Werke vermutete (deutsche Gramm., erste Ausg. S.LXV), 128 Lıcnmann deren Vorredner sagt, Kaiser Ludwig der Fromme, wie er überhaupt ein frommer Herr sei und besorgt für das Seelenheil seiner Völker, habe das Werk, eine poetische Darstellung der Geschichten des alten und neuen Te- staments, aufgetragen cuidam uni de gente Saxonum, qui apud suos non igno- bilis vates habebatur, und der, heifst es weiter, hoc opus tam lucide tamque eleganter iuxta idioma illius linguae exposuit, ut audientibus ac intelligentibus non minimam sui decoris dulcedinem praestet. — Tanta namque copia verborum tantaque excellentia sensuum resplendet, ut cuncta T’heudisca poemala suo vincal decore. So prachtvoll und zierlich ist aber das Hildebrandslied und das ebenfalls von Schmeller herausgegebene baierische Bruchstück vom Welt- ende (Muspilli) bei weitem nicht: und in der fränkischen gereimten Poesie, die überhaupt mehr zur Weichheit und Milde neigt, erhalten sich nur noch einzelne Wendungen Beiwörter und Umschreibungen, aber das Eigenthüm- liche der ältern Manier zeigt sich selten. Und eben dies Eigenthümliche hab ich vorher als etwas starr bezeichnet, weil der Schmuck nicht eben den Ge- genstand anschaulicher macht oder eine reiche Fülle von Gedanken weckt, sondern nur das Einzelne durch Wiederholung und durch stehende Beiwör- ter immer von neuem hervorhebt und einschärft, wodurch am Ende, wenn nicht den Dichter überall der feinste Geschmack leitet, der Eindruck, den eine ganze Reihe von Versen machen soll, gestört und zersplittert wird. Aber das Einzelne hebt diese Weise nun oft vortrefllich, und neben der Heftigkeit welche die Betonung so vieles Einzelnen mit sich führt, wird durch die feste überlieferungsmäfsige Wiederholung der epischen Schilderungen Formeln und Umschreibungen, ein wohlthuendes Gefühl der Ruhe und Abgeschlos- senheit erregt. Genau eben so, vortheilhaft und hemmend, würkt die äufsere poe- tische Form, die Allitteration; die in deutscher geregelter Poesie (!), soviel hat auch an dieser neuen Untersuchung theilgenommen, und namentlich was sich auf den Hincmar von Cordesius bezieht, der der hiesigen königlichen Bibliothek fehlt und in Göt- tingen unvollständig ist, nicht ohne grolse Mühe ins Reine gebracht. (') Es ist bekannt dafs die nordische Poesie noch andere Formen hat: aber in Deutsch- land zeigen sie sich bis jetzt nur in unkünstlichen Versen. Das überhaupt nicht durchaus reimende Wessobrunner Gebet hat ein Paar Halbverse ohne Reim, manno miltisto: Enti thar wärun duh mänake mit inan: über das Hildebrandslied. 129 - wir wissen, wie in der angelsächsischen, immer zwei Verssätze durch gleichen Anfangsbuchstab der betontesten Wörter verbindet. Die gewöhnlichste Art ist dafs in dem ersten Satze ein oder zwei reimende Anfangsbuchstaben sind, die Stollen nach der nordischen Kunstsprache, im zweiten einer, der Haupt- stab heifst. Unser Gedicht und der sächsische Heljand lehren uns aber noch zwei andere Weisen mit vier Stäben kennen, die ich da wo uns die einzelnen Beispiele vorkommen werden, deutlicher zeigen kann. Nur noch eins, was bisher unbemerkt geblieben ist und auch nur aus diesem Gedichte kann gelernt werden, mufs ich als einen wesentlichen Vor- zug desselben bezeichnen, der ihm vor allen andern Gedichten mit Allitte- ration den Charakter einer durchaus geregelten Kunstrichtigkeit giebt. Es hat neben der Allitteration auch rhythmisch bestimmte Verse zu vier Hebun- auch wird man wohl schwerlich mit vier Betonungen lesen können noh paum noh pereg ni wäs — enti du männun so mänac, sondern diese Zeilen, vielleicht auch jene, werden nur zwei oder drei höchst betonte Wörter haben. Die nordalbingischen Verse über das Runen-Alphabet im sangallischen Codex 878 sind, nach Wilhelm und Jacob Grimms sorgfältigen Bestrebungen (Über deutsche Runen S. 140 ff. Zur Litteratur der Runen S.26 ff. 42), durch Herrn Malsmanns Nachträge (im Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters, 1832, S.32) zwar hie und da aufgeklärt, nur nicht so sehr sicher wie er meint. So viel ist deutlich, dals man höchstens ein Paar Mahl vier Beto- nungen annehmen kann, : or Ts, ür, endi sol, du, brica (birca), endi män midi: aber in beiden Versen ist die Allitteration nicht regelmälsig. Zwei Verse haben nur je zwei der Betonung fühige Wörter, ür after — lagu Ihe lEohto: denn bei feu forman bin ich zweifelhaft, weil vielleicht das mit Runen darunter geschriebene ihreal dazu gehört. Die übrigen scheinen je drei betonte Wörter, und einer drei, die an- dern je zwei Reime zu haben. Für verständlich halte ich thuris thritten stabu (Thurs auf dem dritten Stabe), os ist imo oboro — hagal naut habet — yr al bihabet. Aber die Verse bei den Runen rät und chaon weils ich nicht zu erklären, ob ich gleich wohl sehe dafs der Schreiber absichtlich in die erste und dritte Reihe je fünf Runen und in die mittelste sechs gesetzt hat; daher die freilich sehr unsichern Worte bei Rat vielleicht- bedeuten, es stehe am Ende der Zeile. Histor. philol. Abhandl. 1333. R 1309 LAcHMmıaAnN gen: je zwei solcher Verse sind durch den Stabreim auf zwei drei oder vier der acht Hebungen verbunden. So entsteht bei sehr strengem Rhythmus eine grofse Mannigfaltigkeit der Betonungen; zwei bis vier höchst betonte Silben auf Hebungen, und, sind ihrer nur zwei oder drei, noch zwei oder eine ebenfalls starke Hebung, ferner vier schwächere Betonungen auf den übrigen Hebungen, alle diese Betonungen in willkürlicher Ordnung, endlich die tie- feren Silben auf den Senkungen, die eben so leicht ganz fehlen als bis über acht steigen können; die Wörter insgesamt in die rhythmischen Reihen ein- geordnet nach den Accenten die Grammatik und Sinn fordern. Der strenge althochdeutsche Versbau, wenn man ihn einmahl kennt, fällt im Hilde- brandsliede überall zu sehr ins Gehör, als dafs man die Regelmäfsigkeit für Zufall nehmen und einzelnen dem Gesetz widerstreitenden Zeilen ein Gegen- gewicht zugestehn könnte. Ja schon die historische Betrachtung der Allit- terationspoesie führt auf die Vermutung dafs es neben den freieren auch rhythmisch geregelte Verse mit Allitteration müsse gegeben haben. Die re- gelmäfsigen angelsächsischen Verse, und die von den nordischen welche uns hier allein angehen, haben in jedem Halbvers nur zwei betontere Wörter, und daneben ein oder doch wenige minder betonte, Mahlfüllung genannt. Aber die angelsächsischen Verse sind nicht selten und die im sächsischen Heljand und im bairischen Muspille sehr häufig weit länger, und zwar ganz ohne Regel, so dafs die Menge der Silben in manchem Verse, zumahl da sie mit andern nach jener Regel gebildeten abwechseln, dem Ohr, das immer die Gleichheit sucht, lästig wird. Zwischen den kurzen Halbversen mit zwei Hebungen und den längeren ungeregelten mufs in einer der Form nach sorg- fälligen Poesie ein regelmäfsiges in der Mitte liegen, das nach zwei Seiten hin verwildern oder sich umbilden konnte: und dies sind grade die Halbverse von vier Hebungen, jeder mit zwei höher betonten Wörtern. Aber auch die Vergleichung der althochdeutschen Verse mit Endreimen macht die gleiche Regelmäfsigkeit der allitterierenden Verse wahrscheinlich. Der alt- hochdeutsche noch sehr freie Endreim ist kein Schmuck der Verse, sondern er dient, wie der Stabreim, die zwei Vershälften zusammen zu halten: wie kam die althochdeutsche Poesie dazu, auch noch aufserdem das Mafs der Verse zu bestimmen, wenn es nicht schon früher bestimmt war? In dem Wessobrunner Gebet, welches zum Theil offenbar allitteriert, ist eine lange über das Hildebrandslied. 4131 Zeile ohne Allitteration eben so offenbar nach dem althochdeutschen Gesetz gebaut, und ihre Hälften reimen, in dino ganüda rchla galdupa. In dem allitterierenden Muspille sind drei gereimte Zeilen, von denen nur die mittelste vielleicht auch allitteriert: alle sind nach althochdeutscher Art gebaut. 66-68. 85. . \ . 4 = - \ diu märha ist farprünnän: diu sela stet pidvüngäan, . DR . r x Pr „». Li nı weiz mit wıu PUOZE, sär veril st za Wıze. danne vdrant Eengilä per dia marha. Und dagegen hat Otfried, der seine sonst regelmäfsigen Verse manchmahl ohne Reim läfst, einen Vers dieser Art mit Allitteration (1, 18,9) thär ist \rb äna tod, lioht äna finstri, und dieser Vers kommt wörtlich eben so auch im Muspille vor (16.17): also eine allgemeine epische Formel mit Allitteration und doch nach der althoch- deutschen Versregel. Allitteration und gereimter bestimmt gemessener Vers eine Zeit lang neben einander. Daher auch im Hildebrandsliede gereimte 5 Verse, 2.56.58. 67, in sus heremo män hruistr giwinnän. der st doh nu ärgösto östarliutd. inti im iro lintun lutwlö wurtun. Ja sogar, wenn er richtig überliefert ist, einer ohne Allitteration mit thürin- gischem (!) Endreim, Z.15, dät sagetiim mi üsere liuh. Diesen allgemeinern Betrachtungen lasse ich nun besondere folgen über den Sinn mancher Stellen, und wieweit die Überlieferung des Liedes für genau zu halten sei. Da seit der Ausgabe der Brüder Grimm von 1812 und den Anmerkungen von J. Grimm in den altdeutschen Wäldern (1815) für die Erklärung nichts geschehen ist, einzelnes in J. Grimms Grammatik abgerechnet, so mufs bei dem Fortschritte dieser Studien nothwendig jetzt manches bestimmter gesagt werden können. Nur ist das Gedicht, weil es in seiner Art einzig dasteht, spröde, und giebt der rasch andringenden Betrach- tung nichts. Ich kann mich einer zwanzigjährigen Bekanntschaft mit dem- selben rühmen: aber die Abschriften die ich vor zehn und vor fünf Jahren (') Hetzbold von Weilsensee reimt mi auf si, MS. 2,18° 132 LAcamıaAnN gemacht und Freunden mitgetheilt habe, sind, obgleich mir auch damahls die Regel der Verse schon deutlich war, der die ich jetzt gebe ziemlich un- gleich: soviel hat fortgesetzte Aufmerksamkeit gebracht, und zwei im Jahr 1830 eröffnete Quellen, Schmellers altsächsischer Heljand und das bewun- derungswürdig getreue Facsimile von Wilhelm Grimm. Gleichwohl gestehe ich dafs mir einiges noch dunkel bleibt, und ich mufs wohl zugeben dafs an der Dunkelheit nicht immer die mangelhafte Überlieferung Schuld ist. Dafs aber die Überlieferung würklich oft unvollkommen ist, zeigt so- gleich der Anfang. JA gihörta dhat seggen ist zwar ein richtig gebildeter Halbvers, und er wäre eben so richtig mit der anderen Form die nachher vorkommt, ‘7% gihörta dhät sagen. Auch ist Ih gihörta ein schicklicher An- fang, wie in vielen Erzählungen im Heljand 7’ho gifragn ik oder im Wesso- brunner Gebet Dat gafregin ih, Ich vernahm. Aber es fehlt wenigstens eine Halbzeile, mit einem Reimbuchstaben der das A in gihörta binden mufs: denn das folgende urhettun auf der zweiten Silbe zu betonen ist sprachwidrig. Es kann wohl etwas andres und mehr fehlen, aber leicht denkt man an eine weitere Ausführung des Sagens, das Singen, welches mit der Allitteration auf } etwa konnte /lüten mit wortum genannt werden. Nicht nur war das Singen nie ohne Sagen (daher es z.B. bei Otfried 5, 23, 19. 22 heifst ther al io thaz irsägetz in sinemo sange), sondern Singen und Sagen, canere und de- clamare, war damahls noch nicht so wie später getrennt. Der blinde Friese Bernlöf verstand solche Lieder, dergleichen hier eins gesagt ward, anti- quorum actus regumque certamina, psallendo promere (Vita S. Liudgeri bei Pertz. 2,412). Die vier Evangelisten, heifst es im Heljand 1,23, musten fingron scriban, settjan endi singan endi seggean forth. Zur Sprache ge- hört Verstand und Weise (7,17) habda im eft is spräca giwald, gimwitteas endi wisüun. a L \ ’ \ Ik gihorta dhat seggen, dntsena Wiek E ’ Pi = rs ’ \ dhät sih urhettun enon muolin ’ . \ . ’ \ \ 0‘ 2 Hiubraht joh Hadhubrant untar herjun wem. Ich. hörte das sagen fun Yan auly aie » dafs sich herausforderten im Zweikampf Hiltibrant und Hadhubrant zwischen zweien Heeren. 1-3. Sie urheifsten sich. Der urheiz, das Verheifsen, Versprechen, aber auch das Aufrufen zum Streit und der Streit selbst, giebt das schwache über das Hildelrandslied. 133 Verbum zrheizen, im Präteritum vrheiztun. Das certamen singulare, das ein- wigi, wird genannt die einün muoti oder strenghochdeutsch muoz7, genau, die alleinigen Begegnungen, im Plural der auch Z.60 wiederkehrt, de mötır, von einem Substantivum, wovon sich noch im Mittelhochdeutschen, aber mit £ statt s, das Verbum muoten oder entmuoten erhalten hat, als Kunst- ausdruck für das Ansprengen grade aus mit der Lanze, während tjost mehr den graden Stich bezeichnet. Dies ergeben die zum Iwein 2.5331, S. 386. 434, angeführten Stellen. Das Adjectivum ein steht in der schwachen Form, wie gewöhnlich wenn es allein bedeutet. Das Schwanken im Namen der beiden Helden, /dubrant Hadubrant und MHilubraht Hadubraht, scheint mir unerlaubte Willkür: denn es sind verschiedene Namen. Heribrant steht zwei- mahl: einmahl Z.44 ist etwas unregelmäfsig abgekürzt /Zeribtes mit einem Strich durch 5. Aiütibrant enti Hädhubrant ist kein richtig gebauter Vers, weil er eine zweisilbige Senkung hat. Da sich noch öfter zeigen wird dafs die wahrscheinlich thüringische Mundart der Handschrift nicht ganz mit der des Dichters, welche die Allitteration zeigt, übereinstimmt, so wird man hier joh für enti lesen müssen, wie es auch Z. 16 nöthig ist, wo dlte änti fröiw, de Er hina wärun, den Stabreim und mithin die Betonung auf die Conjunction und bringt. Untar herjun toem kann ich nur verstehen Zwischen zweien Heeren, untar zyem herjum mittzm, obgleich den Sprachgebrauch unter den Beispielen in Graffs Präpositionen S.178 ff. nur das otfriedische sichert, 4, 31,1 want er hängeta untar zvein, nämlich Schächern, und im Heljand 104,5 thurh that thiustris it is her so thikki undar us, im Text inter vos et nos chaos magnum. Dafs der Zweikampf sich auf dem Felde zwischen zwei Heeren ereignet, stimmt freilich gar nicht mit den späteren Darstellungen überein: aber eben so wenig können wir erklären wer nachher Z.46 mit Hadubrants Herrn gemeint ist den er daheim habe, wie es scheint einem Könige (chind in chunincriche wird er Z.13 angeredet), — ob vielleicht Ota- cher oder gar Ermanarich (s. Rhein. Museum für Philol. 3, 443), da Hilde- brands Sohn nach den späteren Sagen selbst Herr von Verona ist. Wissen wir doch nicht einmahl ob Verona hier schon die Scene der Fabel ist ('). siinufatarungos ıro sdro rihlun, Sohn und Vater besorgten ihre Rüstungen, (‘) Ich hätte S.443 Z.3 v.u. lieber wahrscheinlich sagen sollen, als ohne Zweifel. 134 LACHMANN 17 L \ ‚ ‚ \ 5 gärutun se ıro güdhamun, giirtun sıh svert ana, rn 65 \ [4 ne > . > fe . r helidös, ubar hrınga, dö sie ıı derö hılyju rıtun. sie bereiteten ihre Schlachtkleider, gürteten sich die Schwerter an, die Helden, über die Ringe, da sie zum Gefecht ritten. 4-6. Das sonst schwierige sunufatarungo ist durch eine Stelle im Heljand 35, 10 jedem Aufmerksamen deutlich geworden. Wie man sonst die gibruoder und ähnliches sagt, so heifsen hier die beiden Söhne Zebedäi mit ihrem Vater thia gisunfader. Sunufatarungös ist offenbar dasselbe: denn die Bildungssilbe ung hat im Nordischen den Begriff der Verwandtschaft (Grimms Gramm. 2,359), und Grimm hat auch (5.363) ein angelsächsisches Femininum fädrunga angeführt, welches Gevatterin bedeuten mufs; obgleich im Althochdeutschen die Endung meistens ing lautet, und selten, wie in truhting, sodalis, diese Bedeutung hat. Alte niederländische Glossen in Graffs Diutisca 2, 209. 207 geben mächlinge contribules und torntringe commiüitones. Der Genitivus ist vielleicht durch das folgende iro zu rechtfertigen, des Soh- nes und Vaters ihre: wie J. Grimm (Götting. gel. Anz. 1831, S.71), dem die richtige Erklärung des Wortes natürlich nicht entgehen konnte, den Geniti- vus von heriuntuem abhängig machen will, verstehe ich nicht. Natürlicher ist der Nominativ sunufatarungös: ja ich werde ihn für nothwendig halten, bis ich Beispiele von Sätzen ohne ausgesprochenes Subject finde, in dieser Poesie die das Hervorheben des Subjectes liebt. Denn ich hoffe nicht dafs jemand die vier ersten Verse zusammen nehmen und rihtun noch von dat abhängig machen wird, garutun aber nicht. Sie richteten, heifst es, d.i. machten zurecht, ihre saro: dies ist ein allgemeines Wort für die Rüstung, welches sonst einfach in eigentlich deutschen Quellen schwerlich vorkommt. Gundhamo, Kriegskleid, wie /zhhamo gebildet, ist wohl eben so allgemeiner Ausdruck. Gurtun sıh iro svert ana ist zu lang für den Vers: ro steht zwi- schen Punkten, und der erste Punkt näher als sonst an dem vorhergehenden Worte, also wohl nachgetragen; woraus ich schliefse dafs ro nur aus Ver- sehn geschrieben war und durch die Punkte als verwerflich sollte bezeichnet werden. Der Accusativus söh ist richtig bei dem adverbialen ana, weil er auch bei der Präposition stehen würde. Sie gürteten sich die Schwerter an, die Helden (so wird das Subject abermahls eingeschärft), über die Ringe, d.i. über den Panzer. Ringä ist ohne das ihm gebührende % geschrieben: der Dichter ist mit dem % vor Gonsonanten immer genau, der Schreiber läfst über das Hildebrandslied. 135 es weg und setzt es auch wo es nicht hin gehört. Dö sie to derö hıltju rıtun läfst sich metrisch vertheidigen: denn auch Otfried setzt oft die Formen des Artikels thera theru thero einsilbig in die Senkung, thö sprah er fora theru " menigi, sintar fon ther menigi. Auch ist es wahr dafs die adverbiale Form zuo statt der Präposition z2 sich zuerst vor dem Artikel und andern Prono- minibus, wie vor lateinischen Wörtern, einschleicht. Aber es ist doch wohl wahrscheinlich dafs der Dichter lieber das regelmäfsige und dem Ohre wohl- gefälligere ti derö gebrauchte, und nachher Z.65 ü samane statt des wun- derbaren tö samane; wie auch sonst hier überall die Präposition ti geschrie- ben ist, 4 Zeop, ti banin, üÜ wambnum. Hiltju ist deutlich zu lesen, obgleich das z hinter £ nachgetragen ist. J. Grimm hätte daher (Gramm. 2,419) nicht zweifeln dürfen ob eine andere Form als Akiltea anzunehmen sei. Übrigens wird dieser Ausdruck für die Schlacht sonst in eigentlich deutschen Quellen nicht vorkommen. Hilubraht gimahalta: er was heröro man, ferahes frötoro: er fragen gistiont, föhem wortum F hver sin fdter wärı 10 fireö ın folche, BROT AP IR ENGE = ee el ‘eddo hvelihhes entosles du sis. Hiltibrant sprach: er war der stolzere Mann, an Geist der klügere: er hub an zu fragen, mit wenigen Worten, wer sein Vater wäre der Lentenn Volke aaa 0.00% "nennen... oder welches Geschlechtes du seist. 7-11. Wie hier am Ende dem Schreiber offenbar das Gedächtnifs ausgegangen ist (denn die beiden letzten Halbzeilen gehören nicht zusammen, weil sie verschiedene Reimbuchstaben enthalten, und doch das seltene Wort chnuosal, Verwandtschaft, eigentlich die Bekanntschaft von chnäaan statt chndjan kennen, nicht blofs an die Stelle eines mit f anlautenden Wortes wird getreten sein), so hat er im Anfang eine Zeile die nachher wieder kommt und gewils in diesem Liede öfter wiederholt wurde gesetzt, Aultbrant gima- halta, Heribrantes sunu, wodurch denn die folgende Halbzeile her was hö- röro man vereinzelt steht, zwar mit einer inneren Allitteration, die aber ge- gen des Dichters Mundart ist: denn Z.25 fordert der Reim dafs das Prono- men der dritten Person er und nicht her laute. Ich nehme daher auch hier 136 LAcamıann die Form er, und streiche dies Mahl Zeribrantes sunu: so erhalte ich den vortrefflichen Vers Hiltibrant gimahalta: er was heroro man. Dieses gima- halta, sprach, wird nach der Parenthese (er war stolzerer Mann, ferahes frötöro, Geistes klüger) wieder aufgenommen, er begann zu fragen föhem wortum, hver sin fater wäri. Wer die nordische Poesie gewohnt ist, wird hier vielleicht nur die Reime ulubrant und heröro, fohem und fater hören, und auf gimahalta man und wortum wäri nicht achten. Er wird aber in Verlegenheit kommen bei den Zeilen fürn er östar giweit, flöh er “Otachres nd und ih wallöta siimaro enli wintro sehstic, welche Gleichlaute für unbe- deutend oder unhörbar gelten sollen. Betrachtet man nun ferner dafs hier drei Zeilen hinter einander mit f reimen würden, ferahes frötöro fragen, fohem fater, fireö folche ....., da hingegen, wenn man zugeben will dafs auch zweierlei Reime in einer Langzeile sein können, nun grade die mittelste sich von den beiden andern unterscheidet, föhzm wortum fater wäri; so wird man sich wohl entschliefsen die nordische Theorie (denn meines Wis- sens giebt sie nirgend vier Stäbe zu) hier in deutschen Versen aufzugeben, und vielmehr, was ein Ohr das auf Allilteration zu hören gewohnt ist noth- wendig hören mufs, als regelrecht anzuerkennen, und daher auch Z.24 fa- ieres mines und friuntlaos man als doppelt gereimt anzusehn, desgleichen 2.37 mit gerü man geba. Und diese überschlagenden Reime, zwei verschie- dene in jeder Vershälfte, sind denn auch in dem sächsischen Heljande zu finden, z.B. 7,7 Z’hö sprac eft ıhe frödo man, the thar consta filo mahljan: 54,8 an that ewiga lif erlös ledea: 63,6 ober Galileo land judeo liudjun, | hvo thär selbo gededa sıinu drohtines — 64,1 frö miin the gödo. thö sprac im eft that fridhubarn gödes; zumahl wenn, wie in unserer Stelle, einer der beiden Reimbuchstaben in der nächsten Langzeile wieder kommt oder schon in der vorhergehenden war, 51,12 that hie ünreht gimat ödhrumu manne | menful mac, hand it simbla mölean scal — 53,3 göden wastom ne gıbit, nec it oc god ni gescop | Ihat Ihe gödo bom giimöno barnun | bäri bitires wiht, ac cumid fan allaro bomo gehvilicumu —. Nur möchte ich behaupten, weil doch einmahl vier Wörter über alle andern betont, mögen der Reime zwei drei oder vier sein, immer Hauptgesetz der deutschen Allitteration bleiben, so sind fünf Reime nie erlaubt. Es ist daher Z.21 nicht zu lesen brüt 7n büre, barn ünwahsan, sondern da das Ohr höchstens vier Reime suchte, ward der auf den Vocalen nicht bemerkt, Drüt in büre, barn inwahsan. über das Hildebrandslied. 137 Z.39 reimt dinem und dinü nicht, mit dinem wortun, wili mıh din sperü werpan. Und wo der Sinn die Betonung von fünf Stäben verlangt, da ist gefehlt; wie, meine ich, Schmeller in folgenden Versen im Heljand 45, 12 ne swerea hätte zur vorhergehenden Zeile ziehen sollen, ne swerda | bi is selbes höfde: hwand he ni mag thar ne swärt ne hwit Enig har gewirkean, bütan so it he helago god —. Eben so wenig hat der Vers an welchem wir stehen fünf Reime, obgleich er so geschrieben ist, fohem wortum, wer sin fäter wäri, sondern das Pro- nomen ist mit % Aver zu sprechen und reimt nicht. Das folgende ireö findet man gleichlautend, irjo, besonders in firjo barn, Menschenkinder, im Hel- jand, aber mit der Nebenform firiho, im Dativ firihon, mit firihon 42,2 unter den Leuten, wie im Wessobrunner Gebet mit firahim. Schmeller zu Muspille 61, wo der Genitivus virho steht, leitet dies alles vom Neutrum irahi, wel- ches allerdings aus dem Neutrum smalafirihi und smalafirihes (vulgus, vulgi) zu folgern ist: aber ich finde auch den Genitivus des Femininums dera smala- Firihi (Dintisca 1, 517), wozu der Nominativ firah sein wird. Unsern Geniti- vus fireö hält Schmeller wohl richtig für regiert von hver, hver fireö in folche, wer von den Leuten im Volke. Doch scheint die Stellung der Präposition auch nicht zu verhindern dafs man übersetze In der Leute Schar: wenig- stens steht so Z.27 folches at ente, und im Heljand 103, 12 heifst /zbes an lustun wohl In des Lebens Lust. Die Präposition in mufs hier stark genug sein um eine Hebung zu füllen ohne nachfolgende Senkung, fireö in folche, wie Z. 21 brüt in büre, ganz gegen Otfrieds Gebrauch. "Ibu di mt enan sages, ik mi de ödre wet, chind in chünincriche: chüd ist mr al irmindeot. “Wenn du mir einen sagst, ich weifs mir die andern, du Kind im Königreiche: kund ist mir alles Menschenvolk.’ 12.13. Der erste Vers ist sonst wegen unrichtiger Theilung der Wör- ter mifsverstanden: meine Erklärung läfst keinen Widerspruch zu. Denn dafs bei der richtigen Theilung vier Reime entstehen, vier gleiche, in jedem Halbverse zwei, ist zwar wiederum gegen die nordische Lehre, aber die Bei- spiele sind in deutscher Poesie zu häufig als dafs man die Sache bezweifeln könnte. In diesem Liede kommen solcher Verse noch sechs vor, Z. 17.22. 25.40.48.61. Im Muspille sind zwei wahrscheinlich anzunehmen, Z. 43.72. Im Heljand ist eine Menge unabweisbarer Beispiele. 90, 1 gibärjad gt bald- Histor. philol, Abhandl. 1533. S 138 LaAcHuMmıanNn lico. ik bium that barn godes. 91,12 wid thes watares gewin. tho giwet imu waldand Krist. 94,8 sälig bist thu Simön, sunu Jönäses: ni mahtes thu that selbo gehuggean. 97,23 hriwig umbi iro herte, gihördun iro herron thö. AOT, 18 mannun te midu. that mende mahtig Krist. 135,22 bedeldun sie iuwera diurda. than dädun gi iuwomo dröhtine so sama, | gt wernidun imo iuwaro welöno. be thiu ni wıli iu waldand god —. Der vielgewanderte aller Ge- schlechter kundige Hildebrand kann nur sagen Alles ist mir chund: min ist nichts als ein Schreibfehler. 4/ irminthiod bezeichnet im Heljand das Men- schengeschlecht; der Plural irminthioda 87,13 die Scharen, öfter die Völker der Erde. Auch irminman hat der sächsische Dichter, alaro irminmanno 38,24, enigumu irminmanne A0T,13. Hadubraht gimahalta, Hilubrantes sunu, Hadubrant sprach, Hiltibrants Sohn, 15 ‘dat sugetun mi üsere lıuß, “Das sagten mir unsere Leute, alte jöh fröte, de er hina wärun, dat Hiltibrant heit min fater: ih heittu Hadubrant. alte und kluge, die vorlängst dahin waren, dafs Hiltibrant geheifsen habe mein Vater: ich heifse Hadubrant. 14-17. In der Fortsetzung meines Versuchs über die althochdeutsche Verskunst werde ich zeigen dafs Hultibrantes sunu ein Vers ohne Tadel ist, obgleich eben nicht in Otfrieds Art; dafs es aber fehlerhaft sein würde zu lesen Aıltibrantes sunu. Hier will ich nur bemerken dafs im Hildebrands- liede so häufig als bei den mittelhochdeutschen Dichtern die letzte Hebung aus zwei verschleiften Silben besteht. Die folgenden Worte kann man für einen Langvers nehmen, dat sagetun mi üsere liuti, obgleich nicht ganz ohne Bedenken: doch ist der Versbau vielleicht weniger unrichtig als nur ge- gen Otfrieds Art, und gegen das lange u in üserz ist nichts gründliches ein- zuwenden: aber die Allitteration fehlt und ist nicht leicht herzustellen, so dafs man auch hier wieder einen Gedächtnifsfehler annehmen möchte, an dem die ähnliche Zeile 41, dat sagetun mi seolidante, mit Schuld sein kann. Indessen habe ich vorher schon angedeutet dafs man sich vielleicht hier mit dem Endreim zu begnügen habe: dann wäre aber die Form mz neben mir über das Hildebrandslied. 139 dem Dichter und nicht blofs dem Aufzeichner zuzuschreiben. In den Wor- ten de er hina wärun fordert die Allitteration er zu betonen, Die schon vor langer Zeit dahin waren, das heifst wohl allerdings Todt waren, und dieser Ausdruck soll sie noch weiter in die Vergangenheit rücken als wenn es etwa hina wurtun hiefse. Hina wesan könnte sonst auch bedeuten Verreist sein, wie bei Otfried 1,21,3 thär Jösöph was in lante, hina in elilente: allein da- wider ist hier der Zusammenhang. Was aber nun Hadubrant weiter von seinem Vater sagt, geht zwar davon aus, wie Hildebrand mit Dietrich vor Otacker nach Osten entflohen sei — ohne Zweifel zu dem Hunenkönig der nachher Z.34 genannt wird, also wohl, wie in allen späteren Sagen, zu Attila —: aber das übrige bezieht sich auf Hildebrands Tod; nachher habe Dietrich seinen Freund verloren, der immer zu sehr den Kampf geliebt habe: und die Rede schliefst mit den Worten ‘Ich glaube nicht dafs er noch lebt! Sagt Hadebrand das alles ohne Veranlassung? oder ist wahrscheinlicher dafs Hildebrand sich erst als seinen Vater kund gegeben hat? Wie wir das Lied haben, sagt Hildebrand eigent- lich nirgend wer er sei, sondern nur 2.31, der Jüngling habe nie mit einem so verwandten Mann gestritten, worauf dieser abermahls sagt, in einem Kriege sei Hildebrand umgekommen. Wenn Hadebrands Worte, die den nächsten Abschnitt schliefsen, Z.29, “Ich glaube nicht dafs er noch lebt’, würklich den Sinn der Rede treffen (sie sind prosaisch), so pafst die Antwort nicht darauf, 2.30.31 ‘Du hast nie mit so verwandtem Mann gestritten’. End- lich nach dem Abschnitte den diese Antwort anfängt, nach dem Schlufs “Todt ist Hildebrand Herbrands Sohn’, kommt gewifls Hildebrands Rede viel zu spät, Z.44-47 “Wohl sehe ich an deinem Schmucke dafs du daheim ei- nen guten Herrn hast” So sicht man wohl dafs wir hier kein ordentliches Lied vor uns haben, sondern vereinzelte, vielleicht nicht einmahl richtig geordnete Bruchstücke eines Liedes, wie sie ein wankendes Gedächtnifs gab. “forn er östar giweit (flöh er “Otächres nıd) hına mit Theotrihhe, enti sinero degano filu. “Vordem gieng er ostwärts (er floh Otachers Hals) fort mit Theotrih, und seiner Männer viel. 18.19. Dem Verbum güwztan, gehen, kommt das A nicht zu, das ihm der Schreiber giebt. Sein mit für die Präposition ist gegen den Vers und gegen den Gebrauch: doch finde ich im Heljand 4,24 midi als Präpo- S2 140 LACcuMANN sition aus der cottonischen Handschrift angeführt. Über die Sage sind wir hier ganz im Dunkeln. Otacker wird als ein Feind Hildebrands geschildert, fast scheint es mehr als Dietrichs. Odoacer, ward im zehnten Jahrhundert erzählt (W. Grimns Heldens. S.32), reizte den König Ermanaricus den Theo- dorich aus Verona zu vertreiben, der zu Attila floh: alle drei sind Vettern. Ob in unserem Liede schon Ermanaricus in die Sage gemischt ist, kann man nicht sehen: Odoacer mag in beiden Sagen noch König sein, (!) etwa in Verona oder auch in Ravenna; obgleich später im zwölften dreizehnten Jahr- hundert der schon viel früher wenigstens genannte Sibicho der Rathgeber ist welcher Dietrichen vertreibt. Den historischen Theodorich und den histo- rischen Odoacer halte ich für ursprünglich in der Sage, weil ich nicht be- greife wie sie auf eine gelehrte Weise vor dem Ende des zwölften Jahrhun- derts hätten hinein kommen können. \ = . ! ’ \ 20 er furlet in lante luttila sıtten Er \ en I ! \ \ prüt ın bure, barn unwahsan, r‚ ” \ ‚ > L x \ arbeolaosa (Er ret östar hına) det. Er verliefs im Lande elend sitzen die Frau im Hause, unerwachsenes Kind, erblos (er ritt gen Osten fort) das Volk. 20-22. In den ersten Zeilen ist nichts schweres: Jutzil oder lutzie heifst meistens elend, arm; rad im Heljand und sonst oft die Vermählte, 164,13 Pilatus Weib, 22,22 die bethleemitischen Mütter. Das ungewach- sene Kind ist wohl der junge Hadubrand, der doch hier nothwendig erwähnt werden muste: an sich könnte es freilich auch blofs eine Bezeichnung der jungen Frau sein. In der letzten Zeile gehe ich davon aus, dafs det unmög- lich etwas andres sein kann als deot, Volk, wie wir sogleich finden werden Detrihhe, wofür vorher T’keotrihhe stand. Ferner hat die Handschrift nach arbeolaosa einen Punkt, der etwas bedeuten mufs. Endigt der Vers damit, so mufs arbeö langes o haben und Genitivus Pluralis sein, wie Z.34 Hüneö langes o hat, welches durch das 7 scheint hervorgebracht zu werden (denn bei Notker im Capella 157 steht sunö, wie wenig auch sonst die von Grimm angenommene Länge des o im Genitivus Pluralis im althochdeutschen Ge- (') Im rheinischen Museum für Philologie 4,443 habe ich zu unvorsichtig gesagt “Nun (in der Sage des zehnten Jahrhunderts) ist Odoacer nicht König. über das Hildebrandslied, 141 brauch zu beweisen ist): arbeo lös ist also zu erklären Ohne Erbe, da arbeo- lös zusammengesetzt sowohl dieses als Ohne Erben (arbeono los) bedeuten kann. Zös steht auch nach dem Genitiv ohne Zusammensetzung: im Hel- jand 110,5 Zohtes löse, 111,17 gisiunjes löse, 22,12.30,17 sundjono lös. Die Zusammensetzung arbeolös, mit kurzem o, rechtfertigt J. Grimm, Gramm. 2,417.565. Heraet ist für sich allein unverständlich und nur vermittelst des übrigen zu erklären. Wer ist nun erblos? Entweder die Braut, oder die deot. Wenn die Braut, so ist der Schlufs deutlich, heraet d.i. er ret östar hina det, Er rieth dem Volke hinaus nach Osten. Aet wäre rat, wie Z.17 hetti für hiazi, Z.63 lettun für lazun. Den unflectierten Dativus thiod findet man neben andern Formen (und unser Lied beut nicht einmahl eine andre) im Heljand 57, 13.170,6. Dann kommt freilich der Accusativus zu brüt erst nach dem Zusatze barn unwahsan; aber nicht zu unnatürlich, weil das kleine Kind zur Mutter gehört. Nur weifs ich nicht wie die daheim ver- lassene Frau arbeö lös, ihres Erbes beraubt, genannt werden kann. Also das Adjectivum zu deot. So kann man an zweierlei Volk denken, die mit Hildebrand auswandernden, und die zurückgebliebenen. Auf jene, die Elenden, pafst das Epitheton wohl: fatarerpes tharpo heifst patria alienus, gl. Keron. 108. Dann müste heraet heifsen Er führte, wie auch W. Grimm (Heldens. S.25) vermutet. Aber arbeö laosa er ret östar hına det kann nicht heifsen er reiz, weil es dem alten Gebrauch dieses Wortes durchaus entgegen ist zu sagen Er rifs das erblose Volk ostwärts: eben so unpassend wäre er reid, drehete, wickelte (Aüzdan, contorquere, Diut. 1,531): und ich ver- zweifle überhaupt aus heraet solch ein Verbum herauszubringen das den Ac- cusativ regiert. Auch wäre bei solchem Sinne der Punkt nach arbeolaosa ohne Zweck. Ich glaube daher, die arbeolaosa det ist das von Hildebrand zurückgelassene Volk: nun, da das Kind unerwachsen, vielmehr ungeboren ist (s. W. Grimm, Heldens. S.24), ist niemand da, den das Volk anerben kann: sie sind ein erbloses Volk, wie sonst erbloses Land gesagt wird. So ist auch die Interpunction wohlbegründet, welche die Parenthese andeuten soll: Es verliefs erblos (er selbst ritt ostwärts aus) das Volk. A 2 RS} \ } = . sıd Detrihhe darba gistuontun fateres mines. dat was so frıuntlaos man: 25 er was" Otächre lmmett irri, 2 ’ ’ 3 x = degano dechistö was er Deotrichhe; 142 LAcuamaAnNn eo folches at Ente: imo was eo fehta ti leop: ae \ se = ’ \ chud waser 2.2... chönnem mannum: ni wänju ih iu lib habbe. .e oo Te 100.0. . ee 180.0. Nachher traf Theotrihhen Verlust meines Vaters. Das war so freundloser Mann: er war auf Ötacher allzu ergrimmt, der Männer liebster war er Theotrihhe; immer an des Volkes Spitze: ihm war immer Gefecht zu lieb: bekannt warer....... . kühnen Männern: ich glaube nicht mehr dafs er lebt.’ 23-28. Nachher gestunden Dietriche Verluste meines Vaters. Die Handschrift hat hier gistuontum. Gistandan wird im Heljand oft so gesetzt, im gistod sorga, harm, 15,17. 91,24, besonders aber willeo, Freude, 30, 16. 67,8 und /ruobra, Trost, 66,23 und dago liobösta 14,24: die Bedeutung der Präposition gi wage ich danach noch nicht genau zu bestimmen, obgleich Zu einem treten wohl am wahrscheinlichsten ist. Darbä Entbehrungen ist Plu- ralis, wahrscheinlich von dem bei Notker (Kateg. 337. 338 = 121.122) vor- kommenden Femininum darba: im Heljand heifst der Singular tlarf, Dati- vus Pluralis tharbun 65, 20. Das folgende fatereres widersteht allen Erklä- rungen: wenn die vorhergehenden Worte richtig gefafst sind, so mufs es statt Jater oder fateres stehn, und ich denke es wird nur ein Schreibfehler sein. Ein solcher Vers, faäteres mines, würde zwar bei Otfried nicht ohne Beden- ken sein: doch hat auch er zwei dieser Art, 1,5,7 zi ediles frouwün, 4, 35,1 thö quam ein edilös man, und in unserem Liede steht 15. 41 dat sagetun mi. Die Verbindung der Gedanken ist hart und starr, aber richtig. “Hildebrand floh mit Dietrich vor Otackers Hafs: nachher verlor ihn Dieterich. Hilde- brand war ohne Freunde, auf Otacker zürnend und geliebt von Dietrich, immer an der Spitze des Heers und zu kampfbegierig: er kann nicht mehr am Leben sein.” Zr — nicht her: denn da die zweite Hälfte zwei Reimbuch- staben hat, mufs auch die erste soviel haben — er was Otachre ümmett irri. Unmez sehr häufig adverbial, nımis. Irri, das Adjectivum, welches immer irrönti bedeutet, irre gehend, verwirrt, irri endi enhard im Heljand 154, 12 zornig und zänkisch, hat hier den Dativus bei sich, den ich sonst nicht nach- über das Hildebrandslied. 143 weisen kann: es für irrezti, hinderlich, feindlich, gehafst, zu nehmen wage ich nicht. Bei degano dechisto verlassen uns die näheren Quellen: aber dem hochdeutschen Adjectivum decchi entspricht das nordische Peckr, lieb, ange- nehm, und das mit dem Ablaut des Participiums gebildete nordische Sub- stantivum Pock? Gunst, wie das angelsächsische Paecian, welches erklärt wird leniter palpare, demulcere. Die Verwandtschaft mit Dach und Decken begreift man leicht (vergl. Grimms Gramm. 2, 53. N. 552). Das Adjectivum erfordert einen Dativus, und der Zusammenhang ergiebt ‘dem Dieterich theuer’: daher lese ich degano dechisto was er Deotrichhe, indem ich dies was er, auf dem ich natürlich nicht eben bestehe, aus dem folgenden Verse nehme: dieser ward damit überladen, her was | eo folches at Ente, weil es hier der unter- brochenen Construction aufhelfen sollte. Man sieht deutlich dafs die Con- struction nur durch einen Gedächtnifsfehler unterbrochen ward, indem der Schreiber nach degano dechisto, ohne den nöthigen Dativus hinzuzufügen, fortfuhr unt! Deotrichhe darbä gistöntun, bis Dietrichen Verlust betraf; nicht ganz wider den Sinn, “ihm der liebste Mann, bis Dietrich ihn verlor, aber mit einem Halbverse zuviel, und offenbar nur Wiederholung des vorigen szd Detrthhe darbä gistuontun. Dergleichen Fehler wird wer aus dem Ge- dächtnifs schreibt schwer vermeiden. So ist dem Schreiber des Muspilli, wenn es auch nach Schmellers Vermutung ein königlicher Schreiber ge- wesen ist, Ludwig der Deutsche, nachdem er erst 2.55. 56 geschrieben hatte poum ni kistentit einie in erdu, bald darauf Z.59 bei stein ni kistentit aber- mahls einik in erdu in den Sinn gekommen, welches den Vers überlädt ('). Hildebrand war immer jolches at ente, natürlich am vorderen Ende. Ihm war immer feheta zu lieb; nicht Schreibfehler für fehrda, schon weil die Ab- stracta auf ıda in der Poesie nicht beliebt sind, sondern für fehta. Die Worte chüd was er chönnem mannum sind für einen ganzen Vers zu kurz. Wenn nicht noch mehr verändert ist, so fehlt etwas nach was her: denn mit diesen Worten, da der Dichter was er sprach, konnte der Halbvers nicht schliefsen, was er. Wenn auch der otfriedische Vers 3, 12,25 uns allen thaz giwis ıst dieselbe Freiheit hat, einem Volkssänger darf man sie nicht zutrauen. Doch (‘) Im Muspille 80 ist Schmellers frühere Vermutung mir sehr wahrscheinlich, ent sih der sianäri in den sind arhevit, wenn man nur dann die folgenden Worte streicht, der dar suannan scal tölen enti lepenten, die Z.90.91 an ihrer Stelle stehn. 144 LAcHumıann dies kann nur in der Verskunst ausgeführt werden. In dem prosaischen Schlusse dieses Bruchstückes, ni wänju ih ıu Irb habbe, lese ich das Adver- bium zu diphthongisch, wie es in den notkerischen Schriften ausdrücklich immer bezeichnet wird, zu. So ist bei Notker die adjectivische Declinations- endung ju überall diphthongisch, änderiu, wesendiu, und die gothische Con- junction ju ist es schon bei Kero und im Heljand, nur dafs auch noch ein j vorschlägt, giu. Wie übrigens bei Ulfilas (Grimm Gr. 3, 250) ju ni gangis heifst oüxerı regırareis, so bedeutet hier zı wänju ih iwich glaube nicht mehr. Dafs bei /7b habbe das Subject er fehlt, würde uns schwerlich auffallen, wenn nicht der fränkische Stil schon die Personalpronomina mehr liebte. Der Conjunctivus bei ich wene ohne daz ist noch im Mittelhochdeutschen ge- wöhnlich. 30 W!ttü irmingöt obana fona hevane, dat du neo dana halt mit sus siypan man dine nı gleitös.” “Wahrlich Allgott oben her vom Himmel, dafs du nie noch mehr mit so verwandtem Manne Streit führtest.” 30.31. Das erste Wort dieses Bruchstückes ist nicht einmahl voll- ständig zu lesen, geschweige zu erklären. Auf den Anfang eines angelsäch- sischen » mit Circumflex (so wird in diesem Liede, und sonst in keinem be- kannten deutschen Denkmahle, das m meistens bezeichnet) folgt eine abge- schabte Stelle, auf der kaum noch Platz für einen Vocal zu sein scheint, und dann tu, so dafs vielleicht nie mehr als vttu geschrieben war. Der Vers lehrt dafs es zwei lange Silben sein müssen. Da nun weder das gothische vaitei, numquid (Grimm Gr. 3,243), noch das angelsächsische vutun, age (daselbst S.103), sächsisch wia (Heljand 7,6.9.122,8), etwas zur Hilfe bringt, so glaube ich, man mufs irgend eine Versicherungspartikel anneh- men, die dem Schreiber selbst wiederzugeben schwer ward. Es ist nichts als ein Einfall, wenn ich denke, wie weiz got gesagt ward, konnte mit viel- leicht nicht mehr verstandenem heidnischem Namen auch wettiz gesagt wer- den, weiz Ziu. Ziu ist der Gott der nordisch 7'Yr heifst. Auch der Bei- satz irmingot war wohl mehr überliefert als verständlich. Des Wortes irmin, über das Hildebrandslied. 145 sagt Witekind von Corvei, indem er es für den Namen eines heidnischen Gottes hält, bedienen wir uns usque hodie etiam ignorantes, ad laudem vel ad vituperium. Wenn Adam von Bremen Recht hat, man verbinde mit irmir den Begriff universalis, so ist irmingot, was es immer ursprünglich heifsen mag, für die christliche Zeit soviel als das im Heljand mehrmahl (33, 18.52, 12. 99,6) vorkommende thiodgod. Dafs hier Hildebrand redet, hat der Schreiber, wie es auch in. den. nordischen Liedern geschieht, durch das auiser dem Verse zwischen gesetzte gvad Hiltibraht angezeigt. Eigentlich die Schreiber: denn nach W. Grimms überraschender Entdeckung hat mit der zweiten Seite und mit dem Worte hiltibraht ein anderer zu schreiben an- gefangen und fast acht Zeilen bis an das Wort inwit Z.40 geschrieben. Wie die beiden Schreiber dabei verfuhren, ist wohl schwer zu sagen. Wenn ih- nen, was W. Grimm meint, ein andrer dictierte, so kann es schwerlich ein Sänger gewesen sein, der, wenn er sich auch’ der Worte nicht genug erin- nerte, doch wohl selbst soviel von der Kunst verstehn muste um ihnen das Gedicht in etwas vollkommnerer Form vorzusagen. Mir ist wahrscheinlicher dafs beide (man glaubt, zu Fulda (!)), der eine der den kleineren Theil des geistlichen Inhalts der Casseler Handschrift geschrieben hatte und nun die erste und die letzte leere Seite mit diesem unschätzbaren Bruchstück aus- füllte, und sein Genofs dabei, von welchem diese acht Zeilen sind, sich mit einander aus ihrer weltlichen Zeit her auf die Worte eines Liedes besannen, das sie sonst wohl von bäurischen Sängern gehört hatten, quod cantabant rustici olim, wie in diesem Sinne der Verfasser des chronion Quedlinbur- gense sagt (W. Grimms Heldensage, S.33). Nach den Worten gvad Hdti- braht folgt zu irmingot der Zusatz obana ab hevane, mit einem doppelten Fehler in der Präposition ad: sie bringt, weil sie auf der Hebung steht, zwei Vocalreime in die zweite Vershälfte, da doch in der ersten nur einer ist, und sie erhöht sich durch ihren Reim über das Substantivum hevane. Wer die Kunst verstand, muste sagen obana fona hevane, oder ganz wie Otfried (an Bischof Salomo 31) obana fon himile. Im Heljand wechseln af und fan oder fon: 90,10 hat die eine Handsehrift af, die andre fan. Über die Aus- breitung des Wortes hevan hat J. Grimm, Gramm. 1,xrv, eine Untersuchung (‘) Die mit den fuldischen Urkunden nicht übereinstimmende Schreibart wird niemand da- gegen anführen, obgleich das Gegentheil zur Bestätigung dienen könnte. Histor. phiol. Abhandl. 1833. Ab 146 LACHMANN angeregt. Das folgende dat ist die Conjunction daz, die ohne vorausgesetz- tes Verbum Ich sage, die lebhafte Versicherung ausdrückt; gleich nachher wieder, Z.34 dat ih dir it nu bi huldi gibu, und noch Mittelhochdeutsch in Eidesformeln (zum Iwein 2.7928); im Heljand mit der Interjection wela (93,3) Wela that du wif habes willean gödan, wahrlich du Weib hast gute Gesinnung. Auf dieses dat kann gewils die Allitteration fallen: der Reim ist hier offenbar d, dat du. neo dana halt dıne nı gileitös. Gewils, neo dana halt noch weniger jemahls (im Heljand than hald ni 42,13.81,1 noch weni- ger, ni-thiu halt oder thiu halt ni bei Otfried nihilo magis) dine ni gıleitös, leitetest du Ding, führtest du Rechtsstreit (wie Zeiten auch später noch: von weit ausgedehnterem Gebrauch ist als jetzt: s. zum Iwein 6379). : “Noch weniger strittest du je’, der. Gedanke ist unvollständig. . Dem dana fehlt die Rückbeziehung. Man kann etwa denken dafs Hadebrand gesagt hatte “Ich entzog mich nie, feige wie du, dem angebotenen Zweikampfe’: so war die Antwort “Gott vom Himmel, wahrlich noch viel weniger strittest du jemahls einen Streit —’, nämlich wie diesen mit deinem Vater. Auch, die wider- natürliche Art des Streites sollte bezeichnet sein: aber dem Schreiber fehl- ten auch hier die rechten Worte, und er 'schöb, um doch etwas dem Sinn zu genügen, vor dinc, mitten in die zwei Vershälften den reimstörenden Zu- satz ein, mit sus sippan man, mit einem so verwandten Manne. Bei der Präposition mit kommt der Accusativus sonst meines Wissens nur noch im Wessobrunner Gebet vor, enti manake mit inan, und in den keronischen Stellen bei Graff, althochd. Präpositionen, S.128. Das gleich folgende ar arme, e brachio, und ur lante aus Z.50 hätten wohl auch in der Abhandlung über die Präpositionen S.59 ff. Erwähnung verdient, wie ur meri (statt nere, etwa wie fona suni im Isidor S.364) gl. Emmeram. 407, wie ur fiskim gl. Jun. 218, und wenn es richtig ist, das notkerische ir anafähene, incıpiens oder incipiendo, Ps. 86, 6. U a 4 \ / Sat r Sn want er do ar arme wuntane bouga, ’. D £ U > ER \ cheisuringü gitan, so ımo se der chuning gap, Seelen > . I . . ’ ES \ Hüneö truhtin: ‘dat ih dir it,nu bi huldr gıbu! Da wand er vom Arme gewundene Ringe, von einem Kaisering gemacht, wie ihm sie der König gab, der Hunen Herr: ‘dafs ich dirs nun mit Huld gebe. . über das Hildebrandslied. 147 32-34. Gewunden ist das Beiwort der Armringe. Im Heljand 16, 23 fragt Herodes die Magier “Führt ihr gewunden Gold. zu Gabe irgendwem der Männer? hwedher ledjad gi wndan gold te gebu hvilicum gumöno?’ Es sind spiralförmig gewundene Armringe, vermutlich auch hier goldene, der- gleichen sich noch erhalten haben; von dem Werth einer griechischen Kai- sermünze, aus der sie gemacht sind: denn dies wird cheisuringü gitan bedeu- ten. Zwar möchte man gern erklären cheisurlicho gitän, kaiserlich gemacht oder beschaffen: aber man mufs gestehn dafs das auslautende u in cheisuringu niemahls in dieser Adverbialendung vorkommt, und dafs auch cheisuringün oder cheisuringo in Bildung und Sinn wenig zu andern Adverbien dieser Art stimmen würde. Dagegen heifst cäsering im Angelsächsischen drachma, und die Erklärung, die J. Grimm (Gramm. 2,350) anzunehmen scheint, ‘aus ei- ner Kaisermünze gemacht, ist gewifs allein richtig. Statt Bisande sagt der Pfaff Konrad (S. 4") bisantinge. Die Armringe wand er so vom Arm und gab sie seinem Sohn, 2i huldı, mit Wohlwollen, wie sie ihm der König ge- geben hatte, Hüneo truhtin, der Hunen Herr. Truhtin ist sonst im Hoch- deutschen nur Name Gottes: denn wenn im übersetzten Tatian 125 der Herr der da will dafs sein Haus voll werde truhtzn angeredet und selbst genannt wird (Luc. 14,22.23), und 148 die thörichten Jungfrauen zum Bräutigam sagen trohtin trohtin intuo uns, so ist wohl nur die Erklärung in die Parabeln getragen: die Übersetzung (Diutisca 1,505) von principatus et dominationes, hertuamä enti truhtina, bezieht sich doch wenigstens auf Engel: und dafs es in einem uralten gedankenlos übersetzten Glossarium (Diutisca 1,212) heifst Erus, dominus — heröro, truhtin, beweist gar nichts. Doch findet man im Heljand 36,3 mandrohtin für den irdischen Herrn, nach der meines Erach- tens richtigen Lesart der Bamberger Handschrift, cös im the cuninges thegn (Matthäus, als er berufen ward) Crist te herran, | milderan methomgibon than e . ’ er Pe > % rn er is mandrohtin | wäri an theserö werold!, 35 Hadubraht gimälta, Hilubrantes sunu, Hadubrant sprach, Hiltibrantes Sohn, “mit gerü scal man geba infahan, Ort wıdar örte. du bist dir, älter Hün, ummet späher, Speris mih lei, a mit dinem wortun, wıli mih dinü sperü werpan. 2 148 LAcuMmıaAnn “Mit dem Wurfspiefs wird der Mann Gabe empfahen, die Spitze gegen die Spitze. Du bist dir, alter Hun, allzu klug, reizest mich . .. . . . mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speere werfen. 36-39. Mit geru scal. Entweder wird hier in geru die letzte Silbe lang durch die starken zwei Consonanten welche das folgende Wort anfan- gen, oder J. Grimms sonst nicht erweisliche Meinung ist richtig, das z des Instrumentalis ist lang, wenigstens noch in so alten Versen. Derselbe Zwei- fel wiederholt sich Z. 66 hviuie scıli: das e der Adjectiva ist bei Notker be- stimmt kurz, die Länge ist meines Wissens nur zu beweisen durch Keros Schreibung andree S.31". Es ist gleich bequem, sich der Bezeichnung der langen Vocale ganz entziehn, und was Grimm in die Paradigmen gesetzt hat nachschreiben: ein Verständiger wird fragen wieviel davon für Jede Quelle als sicher anzusehen sei. “Mit dem Speer, Spitze gegen Spitze, können wir recht gut sagen: ich weifs aber nicht ob die alte Sprache nicht vielmehr statt des Accusativs den Instrumentalis verlangt, oriz widar orte. Im Heljand 95,5 geres ordun, im Plural. Also wird ort vielmehr Nominativus sein: der Mann empfahe Gabe mit dem Spiefse, Spitze gegen Spitze empfahe sie. Du bist dir allzu weise, wie vorher Z.12 Ich mir die andern weils. Man wird überhaupt bemerken dafs im Syntaktischen dieses Lied sich mehr dem säch- sischen als dem fränkischen und südlicheren Sprachgebrauche nähert. Alter Hün nehme ich, trotz dem stark declinierten Adjectivum, lieber für den Vo- cativ. Übrigens, wenn Hildebrand hier für einen Hunen erklärt wird, so mufs er wohl in den verlornen Theilen des Liedes wenigstens gesagt haben dafs er aus dem Osterlande komme. Nach spenis mih müssen, wie das Vers- mals zeigt, ein Paar Silben fehlen: der folgende Vers ist vollständig, mit dinem wortun, wıli mih dinü sperü werpan. Die Interpunction nach dem ersten Reime der ersten Halbzeile würde die nordische Verskunst schwerlich gestatten: aber die deutsche ist viel freier. Im Heljand 35,7 thö sie b7 thes e- . re £ ’ watares stade | fürdhör guämun, tho fündun sie thar enna frodan man. 31, 16 sö welda he ıhö selban don | helandean Krist. than habda he is hugi fasto. 91,10 endi gewald habdi | obar mıddilgard, endi that he mahtr allaro manno gehves —. 10,2 that im thär an dröma quam drohtines engil, | hebancuninges bodo, endi het sie ina haldan wel. “Du lockst mich mit deinen’ Worten, aber du willst mich mit deinem Speere werfen.” So können wir jetzt übersetzen, über das Hildebrandslied. 149 da uns das vortreffliche Facsimile möglich macht die Worte richtig zu lesen. Sonst las man ein unerklärliches wiihuh (s. Jac. Grimm, Gramm. 3,771): wer die beiden Striche genau betrachtet, die man für das erste A gehalten hat, und die welche für w galten, der wird sehen dafs der Schreiber erst wilih schreiben wollte, dies aber sogleich in das richtige wilimih veränderte, ohne den oberen Strich des % auszukratzen, welches er auch in dem erst hrel verschriebenen hregilo Z.61 versäumte. 40 pist also giältet man, sö du &win inwit fortös. Du bist ein so gealterter Mann, wie du ewigen Betrug verführtest. 40. Je älter du bist, je mehr hast du zeitlebens betrogen. Auch das doppelte sö, so-wie, wird in dieser Ausdehnung aus fränkischen oder schwä- bischen Schriften nicht zu beweisen sein. Im Heljand 5,9 so wit giu so ma- nagan dag wärun an theserö weroldi, sö mi thes wndar thunkit, je länger ihr in diesem Leben waret, je mehr dünkt mich das wunderbar. 69,21 So deda the drohtines sunu dago gihvilikes göd werk mid is jungerön, so neo judeon umbi that an thea is mikilün maht thiu mer ne gelöbdun, So that der Gottes- sohn jedes Tages gutes Werk mit seinen Jüngern, wie niemahls die Juden darum an seine grofse Kraft desto mehr glaubten. Pilatus sagt 166, 24 it is sö obar is höbde giscriban, sö ik it nu wendjan ni mag, Es ist so über seinem Haupte geschrieben, wie (dafs würden wir sagen) ich es nun nicht verän- dern kann. Den letzten Stellen im Bau ähnlich ist die in unserem Liede, 2.52, nur dafs das erste sö fehlt, ıh wallöta sumaro enti wintro sehstie, sö man mir at bure enıgeru banun ni gifasta. Das Wort inwit, Betrug, zeigt sich hier als Neutrum, da sonst die mir bekannten Stellen das Geschlecht nicht beweisen, der sächsische Genitiv inwideas, der Dativus inwitte in den hra- banischen Glossen S.959°: denn zw7n, wie das davon abgeleitete wzzıg, sind bekannte Adjectiva, nicht aber Adverbia. ’ NEN = B= L —. dat sagelun mi seolrdante ‚ \ ” \ . L N P4 / westar ubar wentil- seo, dat man wıc furnam: > re \ 7 \ \ ’ tot ıst Hiltiorant Herzbrantes suno. Das sagten mir Seefahrende westwärts über den Wendelsee, dafs man Krieg vernahm: todt ist Hiltibrant Heribrants Sohn.’ 150 LAcHamıaAann 41-43. Die Seefahrenden (th? seolidandean, Heljand 89,10), die über den Ocean oder vielmehr über das mittelländische Meer (beide heifsen wen- ulseo, Grenzmeer) her in das Westland kamen, hatten von einer Schlacht erzählt: es war gemeldet oder zu schliefsen dafs Hildebrand umgekommen sei. lch habe schon sonst gesagt (Rhein. Mus. f. Phil. 4,443) dafs damit der Sieg Attilas über den burgundischen Gundicarius gemeint sein könne: aber es ist nichts weiter als möglich. Das Wort wentil-seo habe ich mir er- laubt auf die zwei Vershälften zu vertheilen, weil die otfriedische Form se anzunehmen, bei entgegengesetzter Schreibung, verwegen schien (die starke Betonung von man, dat man wie furnam, wäre vielleicht zu ertragen): wenn im Heljand 21,14 Zgypteo | land in zwei Versen steht, so ist wentil-seo auf der Cäsur getheilt wohl nicht unregelmäfsiger. Hilubraht gimahalta, Heribrantes suno, Hiltibrant sprach, Heribrants Sohn, 45 "wela gisihu ih in dinem hrustim dat du habes heme herron götan, dat du noh bi desemo riche reccheö ni würti. “Wohl sehe ich an deinen Rüstungen dafs du hast daheim einen guten Herrn, dafs du noch durch diese Obrigkeit nicht verbannt worden bist. 45-47. Diese Anrede, deren erste Zeile weder rhythmisch noch ge- reimt, also gewifs sehr unvollkommen überliefert ist, würde wohl in den Anfang des Gesprächs gepafst haben, wie im Heljand 17,2.5 Herodes zu den Magiern sagt Zc gisiho that gi sind ediligiburdjun, cunnjes fon cnösle gö- dun —: gi scwlun mi te wärun seggean — bi hwi gi sin te thesun lande cu- mana. Auch hier kann man sich die Worte zur Noth als den Anfang einer Rede denken: aber dann müste eben die Hauptsache fehlen. Dafs das fol- gende, Z.48, nicht mit dieser Rede verbunden ist, hat der Schreiber selbst wieder durch sein eingeschaltetes qvad Hiubrant angezeigt. Die Form des Accusativs göten ist auffallend, zumahl da vorher Z. 12 önan stand. Fremd kann sie zwar dem Schreiber nicht gewesen sein: aber dafs sie ihm gerecht war, dürfen wir auch nicht behaupten, weil das e nur Verbesserung des zu- erst unrichtig geschriebenen i war, wie das Facsimile zeigt. Er hätte besser über das Hildebrandslied. 151 gethan, das z zu punetieren und a überzuschreiben. Ich sehe, du lebst da- heim in Freuden und in Reichthum, du wurdest noch nicht reccheo, Vertrie- bener — in echt hochdeutscher Form, ohne w vor r (s. Grimm, Gramm. 1,141) — bi desemo riche, durch diese, oder dieses Landes, Obrigkeit. Daz riche heilst noch im dreizehnten Jahrhundert oft der König. For rikea stan- dan ist im Heljand 57,16 vor der Obrigkeit stehen, vollständiger im Muspille 39 vora demo rihche az rahhu stantan, vor der Obrigkeit zur Rede stehn. Zu gleicher Erklärung zwingt hier die Präposition di: in (oder vielmehr ur) desemo riche könnte heifsen In (oder verwiesen aus) diesem Lande; wobei noch nicht einmahl nothwendig an das chunincrichi Z.13 zu denken wäre: denn richi heifst geradezu das Land, an thesumu rikea (Heljand 79,12) ganz soviel als an thesarö weroldi. 'welaga nu, waltant göt, wewurt skıhit. “Wehe nun, Herscher Gott, Wehschicksal geschieht. ıh wallota sumaro ent wıntro sehstic Ich wallte der Sommer und Winter sechzig 50 ur lante, aufser dem Lande, där man mih co scerita in fole sceotantero, wo man mich immer bestimmte in die Schar der Schützen, - \ / DIESEN ! \ ep! AV sö man mır at burc enigeru banun nı gifasta: wie man mir an irgend einer Stadt den Tod nicht befestigte: eiN ae 7 nu scul mıh sväsat. chind svertü hauwan, bretön sinü bıllju, eddo ıh imo ti banin werdun. und nun mufs mich mein trautes Kind mit dem Schwerte hauen, treffen mit seiner Hacke, oder ich ihm zum Tode werden. 48-54. In der ersten Zeile ist das Substantivum waliant durch die Cäsur von seinem Synonymon got getrennt, im Heljand 21,10 sogar durch den Versschlufs, thö ward san aftar thiu waldandes | godes engıl cumen Jö- sepe te spräcüun. Da beide Silben von wewıwtz auf die Hebung fallen, halte ich es für einen Doppelreim, der sich in Zusammensetzungen öfter findet; Heljand 1,22 adalordfrumo, 89,16. 91,5 lagulidandea, und (was zugleich zu dem folgenden Reim wallöta sumaro wintro sehstie gehört) 15,19 at ihem friduwiha fior endi ahtoda wintro. Wurt, Schicksal, ist ein bekanntes Wort: mit der Zusammensetzung wewurt kann ich das altniederländische 152 Laıcmmann wewzte, calamitas, (Diutisca 2,203) vergleichen. Das offenbar aufser dem Verse stehende ur lante vertritt ohne Zweifel die Stelle einer Ausführung in einem oder mehreren Versen. Man scerita bestimmte mich '— in allen deut- schen Sprachen gewöhnlicher Ausdruck vom Gebietenden und vom Schick- sal — in die Schar der Schützen, eigentlich adjectivisch Schiefsender, wie im Heljand 23,9 Archelaus heifst heritogo helmberandero. Das sö ist vorher beı Z.40 erklärt. An keiner Stadt befestigte man. mir Tod: diesen 'Ge- brauch von gifesten können wir nicht mehr belegen und eben deshalb auch wohl nicht ganz genau deuten: es ist eben kein Wunder, wenn uns das oft begegnet, da so wenig zusammen hangende Schriften erhalten sind. Z.53 steht auf der Cäsur das Adjectivum spväsat, und das Substantivum chind fängt die zweite Vershälfte an. Den Punkt nach chind hätte der Schreiber schwer- lich gesetzt, wenn er nicht den Widerstreit des Verses und der Sinnes be- zeichnen wollte. So im Heljand 44,12 hwö.it thär an them aldon — ewe gebiudid. 46,11 ac hüggeat te iuwomo — leobon herran. ‚48,9 Cıima thin — craftag riki. Auch ist so Adjeetivum und Substantivum in zwei Verse ver- theilt; 25, 24 managa | liudi, 88,6 mahtigna | herron, 110, 10 sinsconi | lioht. 171,31 was im is giwädi wintarcaldon | snewe gilteöst. thuo sawun sie ina sittjan thär. Einen dritten Reim auf sväsat und sverta in scal anzunehmen würde unrichtig sein: die enge Verbindung der Laute sc sp und st, die ja auch der Lautverschiebung widersteht, erlaubt in allen deutschen Sprachen keine Allitteration derselben mit anderem s. Das 24 im Heljand, welches hier bill zu heifsen scheint, hat vielleicht mit dem Beil (ig) (') nichts ge- mein, sondern mehr mit der Billen womit die Mühlsteine behauen und ge- schärft (gapillöt) werden (s. Schmeller, baier. Wörterb. 1,169, Fundgruben S.360°): gemeint ist damit das Schwert (Grimm, Gramm. 3,440). Was aber mit dem Schwerte 2retön heifst, weils ich nicht. Wenn es richtig ge- schrieben ist, so kenne ich kein Wort von demselben Stamme als daz bret und was damit zunächst verwandt: ist, wie preta die flache Hand (gl. Galli 191. gl. Cassell. 854°): könnte breton flach machen bedeuten, und also etwa durch weggehauene Glieder verstümmeln? Für den Vers scheint es sehr (‘) Mittelhochdeutsch daz dile. Biterolf 12261. Wernher der Garten®re im Meier Helmbrecht, 2.1065 und braht im ouch ein bile, daz in maneger wile gesmidt sö guo- tez nie kein smit. über das Hildebrandslied. 153 hart dafs bretön mit nur zwei Silben sein sollen: ich streiche mit vor sznü billjü, wie es auch Z.39 hiefs dinz sperü werpan. ‚ 3 . = r ’ 55 doh maht du nu aodlı ho, ıbu dır din ellen tauc, R DR SINE x in sus heremo man hrustı giwinnan r ’ \ PR \ . Er a rauba bivahanen, ıbu du dar ente veht habes! wi te latatearte ee se a, eat Bee, Du kannst ja leicht, wenn dein Mut etwas taugt, an einem eben so stolzen Mann Rüstung gewinnen, Raub erbeuten, wenn du da irgend Recht hast.’ 55-57. Der Versschlufs een taue ist wohl eben so richtig wie Hılu- brantes sunu oder das otfriedische bi thes sterren fart: will man ihn nicht, so mufs man die Hälften des Verses umstellen, damit die zwei Reime, die dann auf den Vocalen entstehn, in die erste kommen, zbu dir din ellen taue. Das ao in taoc scheint mir ein dritter mifsrathener Versuch den Diphthong zu bezeichnen, der in bouga hauwan und rauba besser ausgedrückt war; wie langes o hier mit ao wechselt, desgleichen vo mit o, und ei mit e e und ai. Bihrahanen ist fehlerhaft mit kr geschrieben, wie theils das darauf reimende rauba (spolium) zeigt, theils das nordische rena (spoliare), womit es J. Grimm (Gramm. 2, 168.806 f.) sehr richtig zusammenstellt. Auf diese Rede des Vaters, der Sohn werde leicht einen andern Mann zu bekämpfen finden, den er anzugreifen mehr Recht habe, fehlt die Erwi- derung. In dem folgenden, das wieder mit einem gvad Hiltbrant anhebt, erklärt sich der Vater zum Kampf bereit. e - ‚ 5 R N; Der sı doh nu argosto östarlıuto, R< [4 = ’ ’ \ der dir nu wıges warne, nu dıh es sö wel lustit. ‘Der sei doch nun der feigste der Östleute, der dir nun Krieg weigere, nun dichs so wohl gelüstet. 58. 59. Ich wäre der feigste der Ostländer, wenn ich den Kampf nicht annähme, sagt Hildebrand, indem er sich selbst zu den Hunen rechnet, deren Könige er gedient hat. Marne gehört zu dem sächsischen wernjan (Grimm, Gramm. 2,168), das im Heljand eben so construiert wird: 122,7 ni wernjan wi im Ihes wiljen. Vergl. 90,20. 107,13. 135,23. 170,11. 2 s . Pens ’ ze N EA 60 güdea gimeinun nıuse de möttr, D >* Be hverdar sıh hıutu dero hregilo hruüomen muotti, Histor. philol. Abhandl. 1833. U 154 Laıcumann erdo desero brunnonö bedero waltan? _ Die handgemeine Schlacht versuche, den Kampf, wer von uns sich heute der Beuten rühmen solle, oder dieser Brünnen beider walten. 60-62. Der erste Vers scheint schwieriger als er ist. Güdea heifst die Schlacht: zu welcher Declination es gehört, ist hier zu lernen. Das z nehme ich als lang an, weil aus Gundrün später Küdrün wird. Wer lieber das u für kurz halten will, der darf nur nicht gudea dreisilbig lesen: das e macht keine Silbe, sondern gudea lautet ziemlich wie gudja, und die erste Silbe ist durch Position lang, wie sie es für den Vers sein mufs. Eine dritte Annahme ist auch erlaubt, dafs der Dichter gundea, gundhamun, andre, chund, unsere gesagt habe, und die andern Formen gehören nur dem Schrei- ber. Mött ist im zweiten Verse vom Ansprengen erklärt. Dz mufs genom- men werden wie det und Detrh: das ursprüngliche lange o wird in dem diphthongischen dio wohl seine Länge aufgeben, wie auch der Instrumenta- lis schwerlich diz lautet, sondern vielmehr diu. Z. 12.16 steht de für das Masculinum die, welches eigentlich auch die heifsen sollte. Niuse als Im- perativ mufs der dritten Conjugation gehören, und so findet sich im Heljand 32, 10 ziusön versuchen. Gewöhnlicher sind die Formen mit j, also hier niusi: niusjen im Heljand 142,13 wieder von der Versuchung des Teufels. Das althochdeutsche piniusen heifst mehr naneisci, reperire (!), nur dafs pi- niustz rescisset (gl. Mons. 326) zwischen beiden Bedeutungen liegt, und pa- niusida experimentum (Diutisca 1,493) ganz dem sächsischen Gebrauch ge- mäfs ist. Gimeinun oder gimeinün mufs eine schwache Form des Adjecti- vums gimeini sein. Ich nehme güdea gimeinün für Accusative, den Krieg, den handgemeinen — niuse, versuche — dann de mött, den Angriff, als Ap- position zu güdea gimeinün. Der Imperativ steht zwischen den beiden Accu- sativen: aber es ist nicht nach demselben, wie wir es thun würden, zu in- terpungieren, sondern der natürliche Halt ist auf der Verstheilung, und eben dieses Halts wegen regiert das Verbum noch einmahl seinen Casus. Im Hel- jand findet man diese Constructionsweise auf allen Blättern. Unter den drei (') Nichts lernt man über die Bedeutung aus den keronischen Glossen 8.203 Nisus, niusenti: conatus, cilenti. :Nitint, niusent: conantur, cilent. Kaum darf man aus ihnen schliefsen dals dem Verfasser das Simplex niusen geläufig war. über das Hildebrandslied. 155 Fehlern der nächsten Zeile ist einer längst verbessert, die Umstellung des Wortes Aiutu nach dero, durch übergesetzte Striche, die in dem Facsimile weggeblieben sind weil sie neu schienen: doch zeigen sie einen kundigen Le- ser. Werdar, uter, ist mit A zu schreiben, wodurch ein Reim mehr entsteht; nothwendig, wenn in der zweiten Vershälfte zwei Reime sind. Dies aber ist freilich zweifelhaft. Denn soll Arumen räumen sein, so gebührt ihm kein h: die Construction ist aber schwer zu begreifen, sih dero hregilo rümen, sich der Kleider räumen — etwa so viel als sie ausziehen müssen. Viel wahr- scheinlicher ist ‘sich der Beute rühmen’: dann aber fehlt nach x ein o, und ob das A nicht zu streichen sei, kann man zweifeln. Ich lasse es stehn, weil ich im Isidor 5.347 hruomege, gloriosos, finde, und in den hrabanischen Glossen 968° hrömenti, iactans, wohin man auch wohl das angelsächsische hreman, clamare, plorare, ziehen kann. Aber das 4 mufs früh verloren sein: denn in der nordischen Sprache heifst es röomr, und im Heljand 51,5 römöd gt. Dafs bei Kero 49° ruam steht, ist von keiner Bedeutung, weil die vierte Hand, die überhaupt wenig genau ist, auch Zütr7 ohne A schreibt. do lettun se Erist äsckim seritan, Da liefsen sie zuerst mit Eschen schreiten, scärpen scürim, dat in dem sciltim stönt. mit scharfen Schauern, dafs es in den Schilden stand. 63.64. Sie waren zu Pferde (Z.6 dö si üi derö hiltju ritun): nun lie- fsen sie schreiten — die Pferde nämlich: aber dies läfst die Kunstsprache weg, wie wir hier sehen im neunten Jahrhundert, wie im dreizehnten und noch — mit den Eschenspeeren, mit scharfen Regenschauern — auch im Heljand 156, 21 wäpnes eggjun, scarpun scürun —, dafs es in den Schilden stand — erwant würde man etwa mittelhochdeutsch sagen, stecken blieb. Bei dat fehlt it. Denn ich möchte nicht annehmen dafs dät für dat ıt stehe: ein sächsisches thert, dem otfriedischen theiz entsprechend, kann ich nicht nachweisen, obgleich theik für that ık im Heljand 100,11 steht, und in der Essener Beichtformel (in Lacomblets Archiv, 1, S.4, 2.3.4. S.8, 2.16). Ich finde eine Stelle im Heljand (und vielleicht habe ich mehrere übersehn) in welcher nach der Conjunction that das Subject weggelassen zu sein scheint, 115,23 Sum so sälig ward | manno undar theru menegt, that it (d.h. that hie it, dafs er das was Christus sprach) digan an is mod hladan: denn schwer- lich ist sum Neutrum, und that Pronomen relativum. Bei Otfried fehlt u2 156 LAcumann häufig nach thaz ein persönliches Pronomen: aber der Hauptsatz hat dann dasselbe Subject; z.B. 2,12,69 so wer sö thes biginne thaz thara zua gi- thinge. 05 do stöptün ti samane staimbort chlüdun 65. Diese Zeile widersteht bis jetzt allen Versuchen sie zu erklären. Da sie vorher zu Pferde stritten, und im folgenden Vers auf die Schilde hauen, so verfällt man leicht auf die Vermutung, hier werde gesagt ‘Dann traten sie zusammen’: und das wäre stöpun ti samane. Im Hochdeutschen ist das von stafan abgeleitete schwache Verbum stephen gewöhnlich, mit dem Substantiv der staph, im Dativ des Plurals szephim, passim (Diutisca 1, 522): die sächsische Sprache erhält, wie die nördlicheren, das starke Ver- bum im Präteritum, stöp, stöpun, s. Heljand 29, 22. 90, 10. 91,3 (148,22 gegen die Allitteration), und im Substantivum siöpor, vestigia, 73,14. Aber es giebt im Angelsächsischen auch ein schwaches Verbum stepan, wovon die Beispiele bei Lye fast sämtlich aus Cädmon sind (s. Thorpes Cädmon $.336' ) und die mit dem Stammworte wenig übereinkommende Bedeutung Erheben zeigen: dem würde ein hochdeutsches szuofen, in der Mundart unseres Lie- des stöpen, entsprechen, und so würde stöptun gerettet, obgleich & samane nun nicht so passend scheint, und in dem folgenden starmbort chludun doch schwerlich ein Subject und ein Object stecken kann. Nimmt man stöpun an, so möchte staimbort-chlädun ein Epitheton der beiden Helden sein, etwa die Schwertschwinger oder die Schildklöber. Staim ist wohl ohne Zweifel stein, obgleich der Diphthong az sonst hier nicht vorkommt (aber auch ao nur Ein Mahl für au): das m ist durch das folgende 2 entstanden, und zeigt dafs wir staimbort nicht trennen dürfen. Dort kann nichts anders heifsen als Rand. Es kann wie das im Hochdeutschen üblichere rant für den Schild stehen: Heljand 171,4 uundar iro bordon, unter ihren Schilden: nur bin ich eben nicht sicher ob ein Lindenschild, dessen Buckel und Buckelreiser mit Steinen be- setzt sind, ein Steinbord heifsen kann. Von dem folgenden chludun weils ich nichts weiter zu sagen, als, was der Versbau lehrt, dafs die erste Silbe nothwendig lang ist, mag nun im Stamm ein langes u sein oder üd für und stehen. Das angelsächsische clud, Fels, Berg, ist das einzige ähnliche Wort das ich finde: aber weder die Länge des u ist erweislich, noch weifs ich zu sagen wie es hieher passen sollte. Leicht mag auch der Schreiber gefehlt über das Hildebrandslied. 1:57 haben. Dafs wir richtiglesen, ist wohl nicht zu bezweifeln; obgleich die zwei Theile des d mehr als sonst getrennt sind: aber die Hand ist überhaupt flüchtig und unfest. heumwun harmlicco hozute seilti, (sie) hieben schmerzlich weifse Schilde, nt im iro lintün lutwlo wurtun bis ihnen ihre Linden klein wurden 66.67. Der Schreiber hat erst hevun gesetzt, mit seinem gewöhn- lichen angelsächsischen », dann aber über der Zeile ein lateinisches » hin- zugefügt. Hewun wäre hiawun: heuwun oder hiuwun ist vielleicht noch häufiger. Die Linden, welche durch die Hiebe zerstückt werden, können nur Schilde aus abwechselnden Lagen von Leder und geflochtenem Linden- bast sein: Znd ist in der angelsächsischen und in der altnordischen Poesie gewöhnlicher Name für den Schild. giwigan, nı üwambnum ....... 68. Im letzten Halbvers, mit dem die Seite und das Bruchstück schliefst, scheint das Partieipium güvrgan zu bedeuten Gemacht oder auch Verthan, weggeschafft. Beides pafst, wenn man das vorhergehende dazu nimmt, Bis ihnen ihre Linden klein wurden gemacht, oder verthan. Dafs hier der Sinn aus einem Verse in den andern übergeht, ist nicht ohne Bei- spiel (s. zu V.39): eines mit werdan und einem Partieipium ist im Heljand 8,21 than scal tht kind ödan (geboren) | werdan an thesaro weroldi. Auch hat der Schreiber wohl durch die Punkte vor und nach grvigan den Leser darauf aufmerksam machen wollen. J/Fi7hanto wird übersetzt faciendo (gl. Mons. 381), uparwihit exsuperat (gl. Hrab. 963°): aber giwzhan soll auch heifsen conficere (gl. Mons. 378), und Aawigan altar aetas decrepita (Aretins Beitr. 7,250), wofür sonst arwigan steht (Docens Misc. 1,210. vergl. Be- necke zum Wigalois S.563, W. Grimm zum Grafen Rudolf S. 9), fehlerhaft geschrieben urweganiu (Diutisca 2,337’). Die Worte n7 & wambnum kön- nen vielleicht heifsen "Und nicht zu den Bäuchen‘. Über nz, neque, giebt Grimm Bescheid, Gramm. 3,710, wo auch die Länge des Vocals bewiesen ist; die er aber daselbst unrichtig einem anderen zi, in der Bedeutung guo minus, zuschreibt: dies lautet im Heljand ze, und wird, welches nur bei dem kurzen Auslaut angeht, mit folgendem i verschlungen, zih Otfried 2,7, 30, 158 LaAcuamann niz Muspilli 99. Mit dem letzten Worte wambnum weifs ich nicht ins Reine zu kommen, wenn man nicht etwa zu dem Femininum wamba ein Neutrum wambi, mehr oder weniger deminutiv (s. Grimm, Gramm. 3, 683 f.), annehmen will, wovon der Dativus Pluralis wambınum oder wambnum sein könnte. Aber wir dürfen wohl, in Bruchstücken die weil sie in ihrer Art einzig sind uns so viel zu rathen geben, nicht einen einzelnen ohne Zusam- menhang überlieferten Halbvers erklären wollen. Nachtrag; Ich verdanke den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm einige Anmer- kungen zu dem vorstehenden Aufsatze, deren Werth man vielleicht hier bes- ser erkennen wird als wenn ich versucht hätte sie noch hinterher hinein zu arbeiten. S.123 f. scheint W. Grimm der Gegensatz der Sage zu dem Dichter allzu scharf gestellt zu sein. „Auch in dem Dichter, sagt er, mufs jene poe- tische Kraft, die der Gesamtheit des Volks beiwohnt, fortarbeiten, unbe- wust und unwillkürlich, wie ja alles was in einer menschlichen Seele würk- lich schöpferisch entsteht, plötzlich da ist. Dazu kommt dafs in jenen Zei- ten nur der das Dichtergewerb ergriff, in dem unbezweifelt ein poetischer Geist waltete: Veranlassungen von aufsen, ein Zurichten und vorsätzliches Heranbilden, fand nicht Statt. Ein Hinzudichten, oder wie man es nennen will, denke ich, fehlte nie ganz, und wurde vielleicht nur in religiösen (ich meine hier heidnischen) Gedichten unterdrückt, wo man auf strenge Über- lieferung hielt, wiewohl auch hier die Zeit wird ihr Recht geltend gemacht haben. Etwas ganz anderes ist die vorsätzliche Erfindung, die erst später als Ausartung und Anmafsung des Einzelnen vorkommt. Den Satz, dafs der Dichter des Hildebrandsliedes nicht nothwendig die andern Theile der Sage brauche gekannt zu haben, gebe ich zu, aber so dafs ich ihn fast leugne. Es wäre möglich, aber ganz unnatürlich. Die Sage war, nicht anders wie etwa die Sprache, im Bewustsein des Volkes, und ein Stückchen konnte man sich nicht wohl herausnehmen, am wenigsten ein Sänger. So glaube ich auch über das Hildebrandslied‘. 159 dafs in der würklichen Äufserung jedes Gedicht ohne Ausnahme schlechter war als die so zu sagen idealische Sage, die keiner ganz und vollständig er- fafste. Es geht ja mit allen lebendigen Dingen so.” Diese Beschränkungen meines vielleicht etwas zu abstract gefalsten Gegensatzes zwischen der Sage und dem Dichter sind mir sehr willkommen, weil sie durchaus nur meine Ansicht erläutern und sie vor Mifsverständnissen sichern. In der wissenschaftlichen Darstellung sind aber Abstractionen die- ser Art oft unvermeidlich. Wie Sänger und Sage, so verhalten sich Schrift- steller und Sprache. Jacob Grimm stellt in der Grammatik nothwendig nach weit strengerer Regelmäfsigkeit durchgebildete deutsche Sprachen auf, als wir sie bei irgend einem Schriftsteller finden. Jeder Schriftsteller hat an der Weiterbildung Theil: aber er will nicht leicht etwas selbst machen, und er beherscht nie den ganzen vollständigen Reichthum der Sprache. Die neue Ausbildung des prosaischen Stils nach der Mitte des achtzehnten Jahr- hunderts ist ohne Lessing nicht denkbar: aber er hat sie weniger gemacht als er durch die individuelle Ausbildung der Zeit mit fortgerissen ist, und der Stil war damahls und nach ihm mancher Form fähig die Lessing nie ver- sucht hat. 5. 125 will W. Grimm die Vergleichung des Lückenhaften in den Ro- manzen des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts mit den Andeutun- gen des alten Epos beschränkt haben, weil ihr Grund verschieden ist. „Dort ist die Quelle Armut, hier Reichthum: und jene Darstellungen erhalten im Grunde ihren Reiz nur dadurch dafs sie die Phantasie zu Ergänzungen anre- gen.” Das thun aber die epischen Andeutungen ebenfalls, und ich vergleiche nur die ähnliche Erscheinung, ohne nach der Ursache derselben zu fragen. Zu S.134. J. Grimms Meinung war, der Genitivus Pluralis sunu- fatarungo hänge von herjun ab, inter exercitus propinquorum, zwischen den Heeren bei deren jedem einer der Verwandten focht oder stand. Er billigt aber jetzt den Nominativus. Zu S.140. Was man von den drei burgundischen Königen Gibico Godomar Gislahari mit Sicherheit sagen kann, ihre Namen, die uns nur zu- fällig und durch keinen Historiker überliefert sind, können in die deutsche Sage nicht durch gelehrte Überlieferung gekommen sein, das hätte ich von Theodorich und Odoacer lieber nicht so bestimmt aussprechen sollen. Denn, sagt W. Grimm, die gelehrten Mönche kannten sie doch, und die Mönche 160 LaAcumıAnn waren nicht ohne Verbindung mit den Sängern von Gewerbe: nahm doch Eckehard den Stoff für seinen Waltharius aus der Sage, also aller Wahr- scheinlichkeit nach aus dem Munde der Sänger. Wenn aber der Freund sei- nen Zweifel noch weiter ausdehnt; der Theodorich der Sage, obgleich ohne Streit der historische, aber vielleicht erst durch Deutungen die den Dichtern an die Hand gegeben wurden, möge wohl ursprünglich ein unhistorischer, vielleicht selbst ein mythischer, sein; so kann ich das nicht wahrscheinlich finden: mir scheint, wie ich schon sonst ausgeführt habe, der Gehalt und die Eigenthümlichkeit von Dietrichs Sage so gering, dafs ich ihn als Person der Sage nur aus einer dürftigen Erinnerung der Geschichte glaube herleiten zu dürfen, obgleich die an ihn geknüpften Sagen von ganz anderem Ursprung und Inhalt sind. Genau wie Theodorich in den deutschen, scheint mir Karl der Grofse in den französischen Sagen zu stehn. Zu 5.140 bemerkt W. Grimm, der Punkt hinter arbeolaosa sei unge- wifs: ihm scheine er das ausgeschweifte a: die zwei Punkte, unten und oben, gehören schwerlich zur Schrift, denn der wahre Punkt stehe meistens dick an der Mitte des Endbuchstaben. — Zu der Parenthese, die ich in dem Verse annehme, wünscht er ein Paar ähnliche Beispiele, damit sie ihm na- türlich vorkäme. Dieses trifft eben den rechten Punkt. Fände sich noch einmahl die Liedersammlung Karls des Grofsen wieder, so wäre auf der Stelle zu entscheiden ob eine Parenthese dieser Art statthaft sei: so aber müssen wir das uns fremdartig scheinende ertragen oder auf etwas Besseres sinnen. Ganz eben so steht es mit der Trennung von wenul-seo, Z.42, die J. Grimm anstöfsig findet. Ich denke, eine Poesie die nicht, wie die fränkische, auf das Auseinanderhalten der beiden Halbverse aus ist, sondern mehr auf ihre Verknüpfung, mag dasselbe sich erlauben was nachher Konrad von Würzburg that, der zwei nicht auf einander reimende Zeilen, das heifst die nach seiner Verskunst näher als die durch den Reim gebundenen zusam- menhängen, durch ein zertheiltes Wort verband; goldne Schmiede 570 nü stricke umb unser lenden der wären kiusche gürtel. dü bist ein reiniu türtel- tübe sunder gallen. din güete kan üf wallen und als ein brunne quellen. Ein solches Beispiel wie wenul-seo türtel-tibe habe ich aus dem Heljand nicht angemerkt: aber es könnte mir leicht eins entgangen sein. Gleich frei nenne ich Zgrypteo | land, weil hier zwar keine eigentliche Zusammensetzung über das Hildebrandslied. 161 ist, aber die Trennung stärker, durch Versschlufs, dort nur durch Cäsur. Um einen Grad höher würde die Freiheit sein wenn die zu Z.48 (wzwurt) angeführten Reime auf der Hälfte des- Verses stünden, lagu-Idandea. Um einen geringer sind Z. 17 hetli-min fater, 53 sväsat-chind, ohne Allitteration auf dem zweiten der Getrennten, wie in ıyentil-s2o, aber ohne Zusammen- setzung. Zu S.144. „Vittu,” vermutet J. Grimm, „könnte der Name eines altsächsischen Gottes sein. In den angelsächsischen Genealogieen wird bald der Vater bald der Grofsyater des Hengest Fitta oder Yicta genannt. Bei Beda 1,15 Yöden Vihta Fitta (der gewöhnliche Text nennt blofs Fihta, aber Handschriften der älfredischen Übersetzung schalten Yitta ein) Fihtgils Hengest. Saxon chronicle ed. Ingram p.15 Yöden Fecta Fitta Vihtgüs Hengest. Nennius Föden Guecta Gugta Guitgils Hengist. Edda formäli p- 13 Odinn V. egdeg Vitrgils Ritta oder Picta (d.i. v für p gelesen, Vieta; das R sicher falsch) FZeingez. In diesen merkwürdigen Genealogieen kom- men aufser /öden noch andere entschiedene Götter vor, z.B. Heremöd Geat Seaxneat Freavine. In Fitta oder MWittu könnte entweder der nordische YVidar, Odins Sohn, stecken, oder lieber das nordische vettr, unser wiht, daemon.” Zu S.145. Für den Einen Sänger, der beiden Schreibern dictiert habe, führt W. Grimm ihre Übereinstimmung in dem Schwanken über den Namen Hiltibrant und Hiltibraht an, welches eher bei einem als bei zweien denkbar sei. Aber konnten sie sich nicht beide so vereinigen dafs keiner der einen Meinung zu nah treten wollte? Zu S.147. Damit die Gabe nicht zu gering sei, meint J. Grimm, müsse man wohl annehmen dafs jeder bouc eine Drachme gekostet habe, und nicht alle zusammen eine. Mir scheint, wenn der Angelsachse die verlorene Drachme im Evangelium Lucä einen cäsering nennt, daraus kein bestimmter Schlufs auf die Geltung dieser Münze gezogen werden zu können. Wie in jener Zeit Ochsen und anderes Vieh, desgleichen allerlei Waffen, geschätzt wurden, wissen wir aus Gesetzen und Capitularien: über den Werth von Armringen ist mir keine Angabe bekannt, aufser dafs sie nicht aus dem Reiche zum Verkauf gebracht werden durften. Zu S.148. Z.36 mufs zwar hier wohl bedeuten Die Gabe soll man mit Kampf gelten: aber der sprichwörtliche Ausdruck beruhet auf dem Ge- Histor. philol. Abhandl. 1833. X 162 Lacnmann über das Hildebrandslied. brauch, dafs man Gabe, besonders aber den Ring den man dem andern schenken wollte, auf die Spitze des Speers oder des Schwertes steckte, und dafs ihn der andere eben so auf der Spitze empfieng. J. Grimm theilt mir darüber folgende Stellen mit. Egilssaga S.306 und Chronicon Novalicense 3,23 (vgl. deutsche Sagen 2,117), wo das Geben und Empfahen vorkommt; für das Geben, von der Swäbe € (Rhein. Museum für Jurispr. 3, 282; der Vogt nimmt andere Gabe üdf daz 'swert, daz vingerlin'an die hilzen), Nibe- lunge 1493, 1, Wigalois 308; für das Aufnehmen mit der Spitze des Spie- fses, Snorra Edda S. 153. Zu S.154. J. Grimm findet es natürlicher (und ich glaube jitzt, er hat Recht) güdea gimeinün als Genitiv mit dem vorhergehenden w7ges zu ver- binden, ‘der sei der feigste der Ostleute, der. dir nun Krieg weigert, da dichs so gelüstet, die gemeinsame Schlacht.’ Ob aber das folgende nıuse dann, wie ich es gefafst habe, Imperativ ist, oder mit Grimm als Conjunctivus ziuse zu nehmen, “er versuche den Kampf!’ wird schwer zu entscheiden sein. Das Pronomen er würde in diesem Falle selbst die mittelhochdeutsche Sprache weglassen. Das zius in Graffs Diutisca 3, 105 gehört nicht hieher: es steht offenbar für zu iu es. Duo sprach Jäcob ‘Nu ius alsö ist nöt, Nu tuot als ir wellet, Svie hart ir mich chvellet? Zu 5.156. Von staimbort vermutet J. Grimm dafs es einen gemahlten Schild bedeuten könne, nach dem altnordischen szeina, mahlen, färben, — mit Steinfarbe, aus geriebener Erde und weifsem oder rothem Stein bereitet. Taeitus, Germ. 16, quaedam loca diligentius ilinüunt terra ita pura ac splen- dente ut pieturam ac lineamenta colorum imitetur. Seine Versuche das Wort chludun zu erklären will ich lieber nicht anführen, weil es das Schicksal der verwegensten und unsichersten Vermutungen ist dafs sich Unwissende gerade auf sie werfen und das Wichtigste und Abenteuerlichste darauf bauen. Sollte übrigens der Schreiber bei chludun gefehlt haben, so ist wohl am wenigsten wahrscheinlich dafs er ein d für t, d.h. für althochdeutsches z, gesetzt hat. LO Dtm Über die Zahlwörter im Sanskrit, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Altslawischen. Von HN: BeO7P, 0w adva, Nomin. Yyyyw aevö, euphonisch für a&vas, Einer, und dies dürfen wir nicht etwa von dem Sanskritischen @ka-s ableiten, da wir sonst nirgends ein Zendisches » für Sanskritisches 4 gefunden haben, sondern wow adva ist verwandt mit den pronominalen Adverbien 77 Eva auch etc. und gap] dvam so, die ei- nen Demonstrativstamm ga Eva dieser voraussetzen, wovon das Adver- über die Zahliyvörter der Zendsprache. 173 bium zz Eva ein Instrumentalis sein könnte, nach dem Princip derjeni- gen, die ich anderwärts dem Zend nachgewiesen habe. Wenn der Reichthum an Pronominen dritter Person die Ursache ist, dafs die verwandten Sprachen in der Bezeichnung der Zahl Eins nicht ein- stimmig sind, so liegt darin auch der Grund, dafs jede der verwandten Spra- chen für sich in verschiedenartigen Wörtern diesen Begriff auf verschiedene Weise bezeichnet. Im Griechischen erscheint die weibliche Form uiz neben ihrem Manne eis als eine ungesetzliche Frau, auch das Adverb. @r«£ scheint ganz isolirt dazustehen; es vermittelt sich aber, durch den sehr gewöhnlichen Wechsel zwischen # und 7, leicht mit dem Stamme ‘'EKA, wovon &xareges, und wozu das Skr. das Primitivum @ka-s Einer liefert. Das £ von @r«£ ist wahrscheinlich eine Verstümmelung des sonst den Zahladverbien beiste- henden Suffixes zıs.. Das Sanskrit leitet aber sein Adverbium für den Be- griff einmal nicht von €ka ab, sondern verbindet den Pronominalstamm zt sa er (6) mit gq Art machend; so entsteht gr sakrt einmal, eigent- lich diesmal, oder wörtlicher diesmachend. Verwandt mit diesem 1 sa ist aller Wahrscheinlichkeit nach das Lateinische se in seme/, dem wir eine Verwandtschaft mit simul zugestehen, sofern man letzteres nicht mit Vos- sius aus similis erklären will. Zur Erklärung von mel liefert aber das Gothische das Substantiv me? (Thema MEL4) Zeit, wovon unser mal, welches sich zu dem gleichbedeutenden Sanskritischen Je velä verhält, wie das Lateinische mare zum Skr. af; väri Wasser, und im Zend sgbw?g mraömiich spreche zum Skr. gg bravimi — regelmäfsig wäre fer brömi — denn Verwechslungen von » oder mit m sind sehr gewöhnlich. Das Germanische hat einige merkwürdige Ausdrücke, in denen das Eins der Form und zum Theil auch dem Begriffe nach sehr versteckt liegt. Sie lauten im Gothischen haihs einäugig, hanfs einhändig, halts hin- kend und Aalbs halb, deren Erklärung, soviel ich weifs, noch Niemand versucht hat. In allen diesen Wörtern ist die Zahl Eins durch ha ausge- drückt, und in dieser Sylbe erkenne ich eine auf das allgemeine Gesetz der Consonanten-Verschiebung sich gründende Entstellung des Sanskritischen z1 ka von geye) @ka-s einer. Man würde fehl gehen, wenn man etwa an das Zendische we» ha von g g?egwew ha-keret einmal denken wollte, da das Zendische & A ohne Ausnahme für Skr. x) s steht, dem das Gothische niemals sein A entgegenstellt. J. Grimm vergleicht Aaihs mit coecus (I. 316), 174 Boe» aber ohne den Ursprung dieser verwandten Wörter zu verfolgen, sondern um den Übergang der Tenuis in die Aspirata zu belegen, denn die reine Aspiration steht im Gothischen anstatt des fehlenden Ah. Verwandt aber sind die beiden Wörter wenigstens in so weit, als in beiden das Auge ent- halten ist. Nur fragt es sich, ob der Einäugige im Römischen auch das an- dere Auge verloren habe, und der Blinde (coecus) nur noch in etymologi- scher Beziehung ein Auge übrig behalten habe? Dies ist in jedem Fall wahr- scheinlicher, als dafs der Blinde im Gothischen wieder sehend, wenn auch nur aus einem Auge geworden sei. Das Thema von haihs ist HAIHA, denn der Endvocal wird im Nom. masc. überall unterdrückt, das Neutr. aber ist haiha-taı. Man mag nun HAIHA in HA-IHA oder in H-AIHA zerle- gen, so ist der letzte Theil dieses Compositums in jedem Falle mit dem, im Skr. nur am Ende von Compositen vorkommenden ga aksa Auge ver- wandt, so dafs von dem zusammengesetzten = As nur der erste Theil geblie- ben ist, während das Zendische suyw as! Auge — welches ich ebenfalls nur am Ende von Zusammensetzungen gefunden habe, z.B. gywwwmuum ug csvas-asim den sechsäugigen — das letzte Element bewahrt hat; das Lat. ocus aber — das Stammwort von oculus — wie das Gothische nur den ersten. Läfst man bei 774/H4 den Diphthong ai ganz auf Seite des Auges, so ist anzunehmen, dafs das « durch den euphonischen Einflufs des h her- beigezogen sei, und 4/HA4 für ZHA stehe, dieses aber für AHA, wie fimf aus qg panca, fidvör aus TraIz catvär. Theilt man aber das a von HAIHA4 dem Zahlwort zu, was mir das richtigere scheint, so hat das A in die- sem Worte kein euphonisches a herbeigezogen, weil schon mit Hülfe des ersten Gliedes des Compositums die Neigung des % zu ai befriedigt war. Wir müssen noch an das Lat. cocles erinnern, wobei aber einleuchtend der Begriff der Einheit nur durch das c vertreten ist, denn das o mufs dem ocles als Ableitung von oculus gelassen werden; caecus aber, wenn ae die richtige Schreibart und die Zahl eins darin enthalten ist, wäre aus ca-icus entstan- den, und das Indische a somit wie im Gothischen zu 7 geschwächt, welches in Lateinischen Compositen der gewöhnliche Vertreter eines stammhaften a ist (abjicio, contingo, inimicus). Betrachten wir nun den Einhändigen. Sein Thema ist im Gothischen HANFA, Accus. hanfa-na, Nom. verstümmelt Ahanfs, so dafs hier, wie in einem Knäuel, zwei Wortstämme und ein Pronominal-Rest als Casuszeichen über die Zahlwörter der Zendsprache. 175 beisammen liegen. Das Zahlwort ist hierbei das deutlichste Element; schwe- rer ist es, die Hand herauszufinden, Im isolirten Zustande könnte kein Thema r/a erwartet werden; in Zusammensetzungen aber, und auch schon bei vortretenden Reduplicationssylben, wird oft ein Wurzelvocal ausgestofsen, z.B. im Skr. ap gagmima wir gingen ist von der Wurzel sm gam blos gm geblieben, und im Gr. rirrw für rırerw, ist HET, dem Skr. qq fallen entsprechend, zu rr verstümmelt. Wir werden also zwischen dem n und f von H4-NFA einen ausgefallenen Vocal annehmen müssen; war es ein z, welches verdrängt wurde, so würde N/F'4 als Umstellung des San- skritischen qrfüp päni Hand gelten können; mit / für p, nach dem allge- meinen Verschiebungsgesetze. In 74-LT’4 lahm — Nom. halts — muls ha wiederum als Zahlwort gelten und Aa-/ta mag ursprünglich einfüfsig bedeuten, denn es wird dem ‚‚zwei Füfse habenden’’ Goth. tvans fötuns habandin entgegengesetzt, und gesagt, dafs es besser sei einfülsig in das Lee- ben einzugehen als zwei Füfse habend in die Hölle geworfen zu werden. Gewifs ist es wenigstens, dafs eine Sprache, die ein Wort für einfüfsig hat, es an dieser Stelle sehr passend angewandt haben würde. Bedeutet aber in 74-LTA das letzie Element den Fufs, so müssen wir daran erin- nern, dafs im Sanskrit mehrere Benennungen dieses Gliedes von Wurzeln abstammen, welche gehen bedeuten. Nun gibt es auch im Gothischen eine Wurzel ZITH gehen, zwar mit aspirirtem 7; allein in Zusammensetzungen bleiben die Consonanten nicht immer auf derselben Stufe, die sie am einfa- chen Worte einnehmen; z.B. das £ von quatuor erscheint als d in vielen Ableitungen und Zusammensetzungen, ohne dafs dieses d seine ursprüngliche Identität mit dem 2 von quatuor und qarz catur hierdurch verläugnet. So mag denn H4-LTA für HA-LITHA stehen, und bemerkt werden, dafs von der Wurzel Z/T auch Zthus das Glied als Bewegliches abstammt. Ehe ich zur Erklärung von halb übergehe, mufs ich daran erinnern, dafs J. Grimm das Pronomen selber, wie mir scheint, sehr richtig, in zwei Theile zerlegt, und zwar so, dafs die Sylbe s’ des Gothischen siba dem Re- eiprocum (sci-na, si-s, si-k) anheimfalle. In Ansehung des letzten Theiles beruft er sich auf ein Verbum leiban bleiben, und glaubt, dafs sılba etwa so viel als ‚‚das in sich bleibende, verharrende” bedeuten möge. Wie dem auch sei, so liegt am Tage, dafs kalbs — Thema ist 44ZBA — mit gleichem Rechte in zwei Theile zerlegt werden dürfe, und mir scheint, dafs seinem 176 Bor» Ursprung nach dieses Wort nichts besseres bedeuten könne als etwa ‚,‚einen Theil begreifend”, so dafs die Begriffe Ein und Theil, Rest oder etwas ähnliches darin ausgedrückt seien und, nach dem Princip der Sanskritischen possessiven Compositen, der Begriff des Besitzenden supplirt werden müsse, wie in dem bereits erklärten haihs ein Auge habend. Auch bedeutet laiba im Gothischen Überrest. Es bedarf kaum der Bemerkung, dafs halb kein ursprünglicher und einfacher Begriff sei, wofür ein eigens dazu geschaffenes, einfaches Wort zu erwarten wäre. Die Hälfte ist ein, und zwar dem Abwe- senden gleicher Theil des Ganzen. Das Lateinische dimidius ist nach der Mitte, durch welche die Theilung ging, benannt. Das Zend hat den Aus- druck werww; nadma für halb, nach euphonischem Gesetze für nedma, welches im Skr. unter andern Theil bedeutet; dies ist wahrscheinlich die se- cundäre Bedeutung, und das Halbe als Theil des Ganzen die ursprüngliche. Wenn dem so ist, so scheint mir «7 n@ma eine sehr sinnreiche Bezeichnung des Halben zu sein, denn es ist eine regelrechte Zusammenziehung von na nicht und zs ima dieses oder jenes, und das Demonstrativ deutet somit auf den durch das verneinende za ausgeschlossenen, diesseitigen oder jenseitigen Theil des Ganzen. Im Sanskrit heifst halb unter andern 1 sämi, worin man sogleich das Lat. semi und das Griech. Au: wiedererkennt; auch stimmen die drei Sprachen darin mit einander überein, dafs sie dieses Wort nur flexionslos am Anfange von Compositen gebrauchen. Was seinen Ursprung anbelangt, so kann gr sämi als eine regelmäfsige Ableitung von az sama gleich, ähnlich angesehen werden, durch ein Suffix i, wodurch die Unterdrückung des Endvocals und Erweiterung des Anfangsvocals des Primitivs nöthig wird. Ist diese Erklärung gegründet, so wäre auch in die- ser Bezeichnung des halben nur Ein, und zwar dem Fehlenden gleicher Theil des Ganzen ausgedrückt, und das ap sämi als Eregov dem fehlenden £regov gegenübergestellt; und das Sanskrit und Germanische ergänzten sich einan- der so, dafs ersteres die Gleichheit letzteres die Einheit des Theiles aus- drückt, d.h. jede der beiden Sprachen ist nur halb in ihrer Bezeichnung des Halben. Was aber das Verhältnifs des Gr. uırvs zu Auı anbelangt, so geht schon aus dem Gesagten hervor, dafs letzteres nicht eine Verstümmelung des ersteren ist, sondern ersteres eine Ableitung von letzterem, und zwar er- kenne ich in su das Sanskr. Possessivum sva suus, welches, merkwürdig genug, im Zend mit der Bedeutung Theil, Verbindungen mit Zahlwörtern über die Zahlwörter der Zendsprache. 1717 eingeht, wie z.B. 3>23?6 thri-soa Drittheil, a»? Gun cathkru- soa Viertheil; im Accus. lauten diese Wörter nach einem allgemeinen euphonischen Gesetze re thri-sü-m, Er? Fan cathru-süm,, deren letztes Glied dem Gr. ruv von Zuıruv sehr nahe kommt. "Huı-rus be- deutet also ‚‚einen gleichen Theil habend”, und das einfache Yu: blos das Gleiche. Eine Erwähnung verdient noch die Sanskritische Bezeichnung des Ganzen durch gyapeg] sa-kala-s, welches als Mittheiliges, Gesammt- theiliges dem Germanischen Halben als Eintheiligem gegenübersteht, und gleichsam einen Commentar und Bürgschaft liefert für die Richtigkeit meiner Auffassung des letzteren. Das Wort gepet sakala besteht anerkannt aus qg sa mit und get Aalä Theil, so dafs, wenn letzteres im dualen Ver- hältnifs aufgefafst wird — und das letzte Glied eines Compos. kann jeden der drei Numeri ausdrücken — mt sakala das bedeutet, worin die bei- den Theile beisammen sind. So heifst qua] sam-agra voll, besonders vom Monde, als das mit-spitzige, d.h. worin die beiden Spitzen sich be- rühren. In Griechische Lautverhältnisse übertragen, würde sakala-s etwa örarss oder öxeros oder 6x0ros geben; hiervon hat aber das vorhandene cs die mittlere Sylbe ausgestofsen, wie dies bei nogcs, »o0gos, verglichen mit zum kumära-s Knabe, der Fall ist. Um nun zu den übrigen Zendischen Zahlwörtern überzugehen, so ge- nügt gröfstentheils die Zusammenstellung mit dem Sanskrit, um das mehr oder weniger nahe Verhältnifs der beiden Sprachen zu einander bemerklich zu machen. Ich will daher nur einige Punkte hervorheben, die für die ver- wandten Europäischen Sprachen von einigem Interesse sind. Das Skr. f& dvi zwei, welches in dieser Gestalt nur am Anfange von CGompositen vor- kommt, hat im Zend den anfangenden 7'-Laut abgelegt, und dann das v zu b erhärtet, wodurch eine vollkommene Identität herbeigeführt wird mit der im Lateinischen auf gleichem Wege eingetretenen Verstümmelung, und wie hier z.B. biceps für dvi-ceps gesagt wird, so im Zend wywwvuswswang bI- paitistana zweizitzig und Ähnliches bei jeder Gelegenheit. Solche Ähnlichkeiten können leicht mifsbraucht werden, und sind auch schon mils- braucht worden, um dem Zend ein näheres Verhältnifs zu seinen Europäi- schen Schwestern beizulegen, als es in der That besitzt. Die Verwandtschaft zwischen dem Lateinischen und Zendischen 2i liegt nämlich nicht in der Sylbe bi, die jede der beiden Sprachen unabhängig von der anderen gezeugt, son- Histor. philol. dbhandl. 1833. Z 178 Bor» dern in dem ursprünglichen dvi die dem Römer wie dem Alt-Perser Veran- lassung gab, sich ein br zu gestalten; während das Gr. dt, am Anfange von Compositen, ein Digamma eingebüfst hat, gleich dem Adverb. dis. Für letzteres setzt das Zend in vollkommenem Einklang mit dem Lateinischen, “u bis. Auch lautet die Ordnungszahl wsywsy bitya für dvitya. In der Bezeichnung der Zahl drei ist das Zendische thri, das Thema, mit dem Gothischen T’ARI ganz identisch; indem auch das Zend die ur- sprüngliche Tenuis aspirirt hat, aber nicht, wie das Gothische, nach einem allgemeinen Verschiebungsgesetz, sondern in diesem speciellen Falle durch die Assimilationskraft des r, Zur Bezeichnung der Zahlen von 11 bis 19 verbindet das Zend gleich den übrigen Sprachen dieses Stammes die Zahl zehn mit der kleineren, welche dazu addirt wird, ohne den Begriff und formell auszudrücken; also BEMESSEN 7 RErT a&vandasa, wörllich eins-zehn für eilf, OWN), dvadasa zwei-zehn für zwölf u.s.w. Das Germanische steht in der Bezeichnung von eilf und zwölf in einem scheinbaren Widerspruch mit seinen Europäischen und Asiatischen Schwestern, den ich schon anderwärts zu lösen versucht habe; und es gibt wenige Formen in der Grammatik, de- ren Ursprung man mit gröfserer Gewifsheit nachweisen könnte, als dies, dafs auch in eilf und zwölf die Zahl zehn enthalten sei. Grimm bemerkt (11.046.) ‚‚Es ist unserer Sprache eigenthümlich, die Zehner ungleich zu behandeln, nämlich XI und XII anders als die übrigen, da doch im Latei- nischen, Griechischen, Slavischen, Litthauischen alle auf einer Linie ste- hen; dennoch erinnert die Weglassung des z«ı in &vdexa, dwdeza neben rgı- raudera an die deutsche mit dem Duodecimalsystem zusammenhängende Auszeichnung jener beiden.” Man könnte hierauf erwidern, dafs, wenn die genannten Germanischen Zahlbezeichnungen auf ein Duodecimalsystem hin- deuteten, dann auch die Wörter eilf und zwölf alle Gemeinschaft mit Eins und Zwei verläugnen müfsten, eben so wie in den Wörtern acht und neun noch keine Rückkehr zum eins und zwei wahrzunehmen ist. Der Umstand also, dafs in eilf und zwölf die Zahlen eins und zwei enthalten sind, was jeder zugibt, bürgt dafür, dafs in den erwähnten Zahlen das De- cimalsystem nicht überschritten sei, und dafs die Etymologie sich die Auf- gabe zu stellen hatte, die Zahl zehn als zweites Glied der Zusammensetzung darin nachzuweisen. Um dies zu thun wendet man sich am besten sogleich über die Zahlivörter der Zendsprache. 179 zum Litthauischen, obwohl ich früher, ohne die Form Zıka im Gedächtnifs zu haben, die im Litthauischen die Zahlwörter von eilf bis neunzehn schliefst, an dem verwandten Gothischen 4 in twailif einen Verwandten mit dem Griechischen öfz« erkannt hatte. Auch wird von Grimm die Identität von Z4/ und Zka zugegeben; von letzterem aber hat man einen Schritt näher zu deza, und es genügt an den aufserordentlich häufigen Über- gang von d in / zu erinnern, wodurch unter andern Zacrima und darguua sich verständigen. Aufserdem ist, um meine Erklärung dieser interessanten Zahlwörter aufser allen Zweifel zu setzen, nur noch Eins zu berücksichti- gen nöthig, nämlich dies, dafs aufserordentlich häufig aus einem und dem- selben Worte, durch verschiedene Gestaltungen der Lautverhältnisse, meh- rere Wörter entstehen, die dem Anscheine nach ganz verschiedenen Wur- zeln angehören; denn sobald ein Buchstabe, besonders ein Consonant, in einem Worte sich ändert, wird dieses in das Schein-Gebiet einer ihm in der That fremden Wurzel gezogen. Auf diesen Umstand gründet sich auch meine Überzeugung, dafs in dem Gothischen tigus decas, welches sich im Deutschen zu zig 5 declinirt wird, in Ansehung der Wurzelsylbe identisch ist mit taihun zehn, oder fsig entstellt hat, im Gothischen aber als Substantiv mit Herabsinkung oder Erleichterung der Aspirata zur Media — wie in ©ydecs eine Tenuis zur Media geworden — und mit Ausstofsung des dadurch überflüssig werdenden a, welches in tathun, nach einem euphonischen Ge- setze, durch den Einflufs des %h herbeigezogen ist (taihun für hun). — Das Sanskritische riet Ssati oder gyq sat in Agfa vinsati (für ga dein- sati) zwanzig, [I trinsat dreifsig etc. halte ich für Verstümmelun- gen von yet dasati, zur dasat, und somit für eine Ableitung von zz dasan zehn. Auch drückt das Litthauische diese Zahl in den ge- nannten Zusammensetzungen vollständig aus und sagt dwide/zimti zwanzig, tridefzimüi dreifsig, und nicht dwifzimti, trifzimt. Die Ableitung & aber, die das Sanskrit nur in den Zusammensetzungen hat, steht im Litthauischen schon am einfachen defzimtis zehn, wodurch ein neuer Unterschied von dem früher erwähnten Zka herbeigeführt wird. Die Zahl ga sata-m hundert ist meines Erachtens ebenfalls eine Ableitung von aype dasan und somit eine Verstümmelung von dasata-m, denn es ist natürlich, dafs hundert als zehnmal zehn eben so von der Zahl zehn entspringe, wie achtzig etc. von neun und acht. Auch ist im Zend der letzte 22 neunzig, 180 Borr über die Zahlwörter der Zendsprache. Theil von Zahlwörtern wie gewwwwpjwo pancäsatem oder gewuwn wo pancästem funfzig von dem Ausdruck für hundert, gewww satem oder geww stem, nicht zu unterscheiden. So lesen wir im Vend.S. p. 230. wb gen wb gewuw wpjwo panca Satem vä (für w& gewwuwmun wo pancäsatem vä) stem vä funfzig oder hundert. Dagegen lesen wir in derselben Stelle p. 186. wö gewaw wb gewnwwupjwo pancästem vä a ö > satem va. Über mehrere im Grolsherzogthum Posen ın der Nähe der Netze gefundene uralt griechische Münzen. N ‚ Von um LEVEZOW. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 9. Mai 1833.] D.. Kennern und Freunden der Preufsischen Geschichte ist es nicht un- bekannt geblieben, wie in den’an der Weichsel näher oder entfernter gele- genen Gegenden Ost- und West-Preufsens zum öftern alte Münzen sowohl durch die Einwirkungen der Natur als durch die Arbeiten der Landleute ans Tages Licht gefördert worden sind. Schon zu Anfange des vorigen Jahrhun- derts hatte der gelehrte Theophil Siegfried Bayer von römischen Mün- zen auf Preufsischem Grunde und Boden gefunden nicht wenig Beispiele ge- sammelt und sie in einer eigenen Abhandlung zu erläutern gesucht, welche er in einer zweiten Abhandlung, bei Gelegenheit einer im Samlande, nahe bei Fischhausen, 1708 gefundenen griechischen Münze einer neuen Unter- suchung unterwarf. (!) Aber wie viele und bedeutende, seit der Zeit gemachte Münzfunde können jenen einzelnen Beispielen hinzugefügt werden, die auf dieselbe Weise veranlafst worden sind. Um mich nicht bei Einzelnem dieser Art, was nicht hinlänglich genug bekannt geworden ist, aufzuhalten, und von den in Preufsen zahlreich gefundenen arabischen oder kufischen Münzen ganz zu schweigen (*), sei es genug, nur der ausgezeichneteren Entdeckun- (') S. Opuscula Hal. 1770. 8. S.380 folgd., und 492 de numo Rhodio in agro Sam- biensi, anno 1708 prope Fischhausen reperto. Dann in den Commentt. Acad. Petro- politanae, T.XIV. Class. Histor. Vl.- Jene 'vermeinte Rhodische Münze war aber eine Neapolitanische. (2) Nach Bayer hat davon Fried. Sam. Bock in der Naturgeschichte Preufsens, Th. Il. Zusätze. $.610-622. eine bedeutende Nachlese gehalten, welche im Jahre 1832 durch einen 182 LEevezow gen zu erwähnen. Denn nicht nur wurden im Jahre 1740 nahe bei preu- fsisch-Görlitz im Amte Osterode an 1123 silberne, römische Denare von mehreren Kaisern des ersten, zweiten und dritten Jahrhunderts ausgegra- ben ('!), die gröfstentheils ins Königl. Münzkabinet nach Berlin gekommen sein sollen; sondern auch im Jahre 1795 in dem Dorfe Bresin zum Königl. Amte Putzig in West-Preufsen gehörig, 150 goldene Münzen der byzanti- nischen Kaiser Athanasius, Marcianus, Zeno, Leo, Theodosius des jüngeren und Basilicus. (*) Aber ein noch viel gröfserer Schatz goldener Münzen, fast alle unter diesen und einigen andern Kaisern geprägt, wurde im Jahre 1800 und 1801 bei dem Flecken Grossendorf des Amtes Starsin auf der Halbinsel Hela.entdeckt. (°%), Nur vier dieser Münzen kamen in das Königl. Münzkabinet, die übrigen alle wurden der Königl. Münze leider zum Ein- schmelzen übergeben. Auch in den neuesten Zeiten fehlte es nicht an dem glänzenden Beispiele eines solchen goldenen. 'Schatzes. Im Jahre 1822 pflügte ein Landmann auf dem Acker: des Dorfes Klein -Tromp, in der Nähe der Stadt Braunsberg, 97 goldene, zum Theil ziemlich seltene, Kaisermün- zen aus.. Mit Ausnahme 'einer einzigen des: dritten Gordian, gehören die übrigen ‚einer: späteren Zeit’ an, nemlich zwei dem älteren Valentinian, eine dem Theodosius.l., neun. dem Arcadius, vier und zwanzig dem Honorius, eine dem Gonstantius Ill., fünf der Galla Plaeidia,, neun und dreifsig dem Theodosius Il., eine der Aelia Eudoxia, zwei dem Johannes Tyrannus, neun dem Plaeidius Valentinianus, , zwei der Justa ‚Grata Honoria, endlich eine der Pulcheria. Fast alle sind vortrefflich erhalten und wurden, nur mit Aus- nahme von achtzehn, die theils zum Andenken an die gemachte Entdeckung der Kirche jenes Dorfes, theils der Münzsammlung der akademischen Biblio- sehr bedeutenden Fund von 800 Münzen bei Münsterwalde in der Nähe Marienwerders auf dem jenseitigen W eichselufer, aufser anderem silbernen Schmucke von beträchtlichem Wer- the, aufserordentlich vermehrt worden ist. S. FVestpreufsische Mittheilungen. 3. Jahrgang. Marienwerder 1832. N.32. 8.125. folgd. (), Bock a.a. ©. S.617, 0618. (?). Die ‚Protokolle über diesen Fund: siehe $S.298 - 302. der Jahrbücher der Preufsischen Monarchie, Jahrgang 1799, Band II. Berlin 1799. 8. und die Acten der Mohrungenschen physikalischen Gesellschaft, Heft III. 8.159. (°) Biester neue Berl. Monatsschrift, 1802,, 8.151. über uralt griechische Münzen. 183 ihek zu Königsberg überlassen werden mufsten, auf Königlichen Befehl der Münzsammlung des hiesigen Museums einverleibt. (') Wenigere Beispiele solcher Münzfunde sind indessen aus den Gegen- den bekannt worden, die am längsten unter polnischer Herrschaft standen. Wahrscheinlich nicht deshalb, weil sie wirklich nicht gemacht worden wa- ren; sondern weil sie Niemand der gelehrten Welt bekannt gemacht hat. (?) Vielleicht liegt noch vieles der Art in den Sammlungen gelehrter Polen ver- borgen, obgleich wohl der gröfste Theil davon aus Unwissenheit und Hab- sucht der ersten Entdecker zum grofsen Schaden der vaterländischen Ge- schichte, möglich auch der Münzkunde selbst, völlig untergegangen ist. Für ein desto glücklicheres Ereignifs mufs es deshalb gehalten wer- den, dafs die Ausbeute einer neueren, im jetzigen Grofsherzogthum Posen gemachten Entdeckung von neun und dreifsig silbernen, gröfstentheils uralt griechischen Münzen, wie es scheint, unverkümmert und ungeschmälert uns zugekommen ist. Alle diese neun und dreifsig Münzen wurden, nach den genau einge- zogenen Erkundigungen, im Jahre 1824 auf dem Acker des Städtchens Szubin, zwischen Bromberg und Exin gelegen, von einem Landmanne ausgepflügt, der sie an einen Handelsjuden in Szubin verkaufte. Dieser Käufer nahm sie bald nachher auf die Messe zu Frankfurth an der Oder mit und überliefs sie einem anderen Berlinischen jüdischen Wechsler. Bei diesem wurden sie hier an Ort und Stelle von einem Alterthumsfreunde gefunden, welcher sie wiederum dem Königl. Münzkabinet zum Verkauf anbot, ohne selbst einmal (') Die Geschichte dieses Fundes hat Voigt in den Beiträgen zur Kunde Preufsens, Band VI. 8.412-431. Königsberg. 8. erzählt. () Bayer a.a.0. S.503. führt indessen das Zeugnils des Jesuiten Gabr. Rezonzynski (in der Histor. natur. Regn. Polon. pag.14.) über eine gefundene Urne an, die aulser Asche und Knochen auch Bruchstücke silberner Münzen, einige eines dickeren Metalles, an- dere den Brakteaten ähnliche ‚enthielt, deren einige von ihm dem Hornschen Museum in Danzig übergeben wurden. Wahrscheinlich kufische Münzen. — Ferner wurden unter an- dern Alterthümern auch Silbermünzen Trajans und Iadrians bei dem Dorfe Leszno im Di- strikt Blonie gefunden. S. Fossische Berl. Zeitung, Nr. 179. d.3. dug. 1826. Artik. Warschau d.17. Juli. — Des Fundes zweier römischer Silbermünzen des Antonins und Hadrians er- wähnt K. Wunster in der Schrift: Die Schnitsch eine Station des alten Landhandels. Liegnitz 1527. 8. 8.105. folgd., an der schlesischen Gränze zwischen Trachenberg und Pakosz im Grofsherzogthum Posen. 184 LEvEzow ihre Bedeutung und ihren numimatischen Werth zu ahnen. Kaum waren sie mir zu Gesicht gekommen, als ich darin höchst merkwürdige und sehr seltene Denkmäler altgriechischer Münzkunst erkannte, von denen kaum eins und das andere den Numismatikern bekannt geworden war. Sie wur- den bald darauf für immer der Münzsammlung des Antiquariums einverleibt. Die Beschreibung und genauere Prüfung dieser Münzen, welche ich in der folgenden Abhandlung zu unternehmen im Begriff stehe, scheint mir aus mehr als einem Grunde der Aufmerksamkeit der Königlichen Akademie nicht ganz unwürdig zu sein. Einmäl, weil ein bedeutender Theil dieser Münzen ausgezeichnete Beispiele von den ersten Uranfängen griechischer Münzkunst darbietet, wie sie fast keine andere Gattung von Inkunabeln der- selben und am wenigsten in so grofser Zahl auf einem Flecke vereinigt, und selbst durch augenscheinlich im Fortgange der Zeit leise gemachte Fort- schritte ausgezeichnet, in dem Grade deutlich zu erkennen giebt; ferner, weil das Gepräge auf einer Gattung derselben mir Gelegenheit gewähren wird, über die wahre Bedeutung dieses Bildes Bemerkungen mitzutheilen, welche dessen Charakter gegen die gewagte Behauptung eines neueren Ar- chäologen zu rechtfertigen vermögend sind; endlich, weil ihre Entdeckung überhaupt zur Bestätigung der Vermuthungen anderer Alterthumskundigen und Geschichtsforscher über den Gang der grofsen Handelsstrafse der Alten in Preufsen, von den Küsten des schwarzen Meeres bis an das Gestade des Baltischen Oceans, wesentlich beitragen kann. Nach der Verschiedenheit ihrer Typen zeigt diese kleine Sammlung fünf einzelne Gattungen von Münzen, theils in einem Exemplar bestehend, theils in mehreren, eine aber aus sehr vielen. Ich beginne mit der zahl- reichsten. Erste Gattung. Sie enthält neun und zwanzig Münzen desselben Gepräges, doch ohne irgend eine epigraphische Bezeichnung. Alle zeigen nemlich auf der Forderseite nur die Figur eines Ra- des mit vier ein Kreuz bildenden Speichen; auf der Rückseite aber ein sogenanntes Quadratumincusum, aus vier sehr irregulär an- einander gesetzten vertieften Dreiecken bestehend. über uralt griechische Münzen. 185 Das Metall, aus welchem sie geprägt sind, ist sehr reines Silber, und scheint bei allen von gleichem Schrot und Korn. In Betracht ihrer Gröfse ist die der sechs und zwanzig kleinen die kleinste von allen griechischen Münzgröfsen, so dafs die wenigsten den von Mionnet in der neusten Münzgröfsen-Scale angegebenen ersten und klein- sten Kreisraum nicht einmal ganz ausfüllen; zwei gröfsere erreichen nur den Umfang des vierten Kreises. Aber keine von ihnen ist vollkommen rund, sondern ungleich, bald länger gezogen, bald breiter. Ihre Masse ist im Verhältnifs sowohl bei den kleinsten, als bei der gröfseren und der gröfsten von einer gewissen plumpen Dicke, wie bei allen ältesten und älteren griechischen Münzen. Das Gewicht der sechs und zwanzig kleinsten schwankt in mehre- ren Abstufungen von 8 Gran bis 10}, Gran Apothekergewichts; das der zwei gröfseren beträgt 1 Drachme 7 Gran und 1 Drachme 8 Gran; das der grö- fsesten 2 Drachmen 8; Gran. Der Styl des Gepräges der Vorderseite zeigt eine auffallende Verschie- denheit. Es lassen sich darin drei verschiedene, aber unmittelbar auf ein- ander folgende Perioden ihrer Prägung sehr deutlich erkennen. Zu denen des ältesten Gepräges gehören vier Münzen. (!) Auf der sehr unebenen und rauhen Fläche ihrer Vorderseite zeigt sich zwar die Figur des oben beschriebenen Rades, aber so roh und ungeschickt gebildet, dafs die Felgen desselben kaum sichtbar werden und das ganze Bild mehr nur einem rohen, rechtwinkeligen Kreuze ähnlich sieht; doch läfst sich im Centrum der durch eine runde Erhabenheit auf allen angedeutete Kopf der Achse bemerken. Auf der Rückseite klafft ein unförmliches Quadratum incusum, in drei oder vier ungleiche Dreiecke gespalten, dem Beschauer entgegen. Dafs sie die ältesten von allen sind, zeigt die äufserste Rohheit der Zeichnung dieses an sich so einfachen Gegenstandes und die ganze, höchst unvollkommene Technik derselben augenscheinlich. Die zweite Periode ihrer Ausprägung bezeichnen sieben Münzen.(?) Auf ihrer Vorderseite giebt sich die ganze Radform stark und sorgfältiger ausgedrückt zu erkennen, obgleich sehr einfach und ohne alle Eleganz und (') M.s. davon auf Taf.I. die Abbildungen Nr.1. und Nr. 4. (°) M.s. davon auf Taf.I. die Abbildungen von Nr.5,6,7,11 und 12. Hıstor. philol. Abhandl. 1833. Aa 186 LEevezow Verzierung. — Auf der Rückseite zwar, wie auf den vorigen, das Quadrat. incusum, doch schon auf den meisten in vier ungleiche, gleichsam durch er- hobene, gekreuzte Zwischenlinien, getrennte Dreiecke. Das Bild des Rades ist auch kleiner, als auf denen der ersten Periode. Die dritte Periode stellt sich in achtzehn Münzen dar und zwar in funfzehn der kleinsten Gröfse, den beiden gröfseren und der einen gröfse- sten. (') Sie sind zwar nicht alle von gleichem Grade der Erhaltung, aber sie zeigen doch eine schon so deutlich ausgebildete Form des Rades auf der Vorderseite, dafs die vier Radien desselben da, wo sie sich oben an die Felgen anschliefsen, durch einen bogenförmigen Ansatz an jeder Seite ein sehr zierliches, fächerähnliches Ansehn erhalten. Das Quadrat auf der Rück- seite ist indessen auf den meisten fast noch unförmlicher, als auf denen der beiden vorigen Perioden; selbst auf den Rückseiten der drei gröfseren wenig anders, wenn gleich gröfser, aber desto auffallender und ungefälliger. — Zwei von der kleinsten Gröfse mögten vielleicht als Proben des noch nicht ganz geglückten Versuchs den Radien ein zierliches Ansehn zu geben, ange- sehen werden können; aber drei andere dieser Gröfse zeichnen sich, bei gu- ter Erhaltung vor den übrigen, durch reinere Zeichnung und gröfsere Sorg- falt in der Ausprägung aus. Auch an den drei gröfseren ist diese ursprüng- liche gröfsere Sorgfalt nicht zu verkennen, wenn sie gleich im Ganzen ziem- lich abgerieben erscheinen. Freilich fehlt auch ihnen, wie den vorigen, der Grad von Vollkommenheit in Form und technischer Behandlung, der dieser ganzen Vorstellung das Lob einer ausgezeichneten erwerben könnte. Davon sind sie noch alle weit entfernt. Dafs diese so eben beschriebenen neun und zwanzig Münzen grie- chischen Ursprungs sind, lehrt offenbar das auf ihrer Rückseite befind- liche Quadratum incusum, welches bis jetzt auf den ältesten griechischen Münzen allein gefunden worden ist. (?) Ebendasselbe beweist aber auch (') M.s. auf Taf.I. die Abbildungen von Nr. 13, 24,25,26,27 und 29. (2) Nur eine einzige Münze ist mir bis jetzt vorgekommen, welche bei zweifelhaftem griechischen Ursprunge und Charakter auf der Rückseite ein dem griechischen ähnliches Qua- dratum incusum, auf der Vorderseite aber einen unkenntlichen Gegenstand zeigt. Es ist die von Hrn. Dr. Pinder in seinem erst kürzlich edirten und gewils allen Numismatikern sehr erwünschten Beitrag zur Erweiterung und Berichtigung des Materials in der alten Münz- kunde: Numismata antiqua inedita, Partic. I. (Berol. 1834. gr.8.) auf Tab.Il. nr.6, aus über uralt griechische Münzen. 187 schon an sich, abgesehen von allen übrigen Merkmalen, dafs jene Münzen zu den ältesten und älteren Denkmälern griechischer Münzkunst gehören, da nur in den ersten Perioden derselben das Quadratum auf den Rückseiten als mechanisches Hülfsmittel zum Festhalten und stärkeren Ausdruck der Vorderseiten beim Prägen angewendet ward, späterhin aber, bei den Fort- schritten der Kunst, nach mancherlei Übergängen und Abstufungen, ganz von den Rückseiten verschwand und einem zweiten, schönen und bedeu- tungsvollen Gepräge weichen mufste. Wohl nicht leicht wird Jemand Anstand nehmen, sie für Münz- denkmäler einer und derselben Stadt zu halten, der sich aus der sichern und vollkommen dokumentirten Reihenfolge der Münzen so vieler anderen griechischen Städte, über die Anfänge, den Fortschritt und die Aus- bildung zur Vollkommenheit der Münze in einer und derselben Stadt hin- länglich unterrichtet hat. Auch ist die Gattung unserer Münzen den gelehrten Münzforschern nicht ganz unbekannt geblieben. Ähnliche Münzen, doch nur sparsam und einzeln, haben sich hier und dort gefunden. Mionnet giebt nicht nur in seiner Description de Medailles antiques (!) Abbildungen zweier Münzen, je- nen beiden gröfseren unserer kleinen Sammlung (*) sehr ähnlich; sondern beschreibt auch die letzte von ihm abgebildete Münze so deutlich, (°) dafs man nicht an den gemeinschaftlichen Merkmalen und dem gleichen Ursprunge mit den unsrigen zweifeln darf. Aber auch von den übrigen der kleinsten Gröfse hat Combe, im Museo Hunteriano (*) ein Exemplar abgebildet, des- sen ganzer Charakter dem mehrerer der unsrigen auf das genaueste entspricht. Eine ganz ähnliche kleine Münze aus der dritten Periode habe ich erst neu- lich in der Sammlung des verstorbenen Kammerherrn und Legazionsraths von Knobelsdorf gefunden. (°) der Münzsammlung des Königlichen Museums zuerst edirte, auf Java, in den Ruinen eines indischen Tempels bei Matara, gefundene silberne Münze. (‘) Tom.VII. Recueil des Planches Tab. AL. nr.5, und Tab. XLI. nr.1. () Nr.27. und 29. auf Taf.I. (°) doch abgesehen davon, dafs er aus Mifsverstande die vier geschmückteren und durch die Seiten- Ansätze an den Felgen komponirteren Radien für zwölf Radien zählt. (*) jetzt der Universität Oxford gehörig, Tab. 67. nr.1. (°) M.s. ihre Abbildung auf Taf.I. am Ende unter A. 188 LEvEezow Frägt man jetzt aber, welcher Völkerschaft, oder welcher Stadt diese Münzen mit Recht zugeschrieben werden können; so mögte die Antwort darauf mit nicht wenigen Schwierigkeiten verknüpft sein. Es fehlt ihnen jede Inschrift, ja sogar, wie es doch bei vielen der älteren griechischen Städtemünzen der Fall ist, irgend ein Anfangsbuchstabe, der zu weiteren, sicheren Schlüssen berechtigen könnte. Combe hat kein Bedenken getragen auch wohl deshalb seine kleine Huntersche Münze zu der Klasse der noch’ ungewissen Städtemünzen zu rechnen; Mionnet aber hat es gewagt, seine beschriebenen und abgebilde- ten Münzen der Stadt Athen zuzuschreiben, doch nicht ohne beigesetztes Fragezeichen, um dadurch anzuzeigen, dafs er die völlige Sicherheit seiner Behauptung nicht ganz verbürge. Denn er scheint aufser dem Umstande, dafs diese Münzen mit einigen andern, nehmlich Kretensischen, von Cou- sinery bei Athen gefunden worden sind (m.s. die Note a, a.a.O.), keinen Grund weiter gehabt zu haben, womit er seine Vermuthung unterstützen konnte. Und in der That, unter der so grofsen Menge bestimmt angezeigter athenischen Münzen und bei der so grofsen Mannigfaltigkeit ihrer Typen findet sich auch nicht das geringste Zeichen, welches mit der Form eines Rades einige Ähnlichkeit hätte. Deshalb hat Mionnet auch späterhin (s. S.77. Recueil d. planches) nicht Bedenken getragen zu erklären, dafs die Bestimmung dieser in Athen vor Cousinery entdeckten Münzen auch für die Zukunft noch grofsen Schwierigkeiten unterworfen sein werde, welche, wie er hinzufügt, insofern sie mit dem Gepräge eines Rades versehen sind, Sestini als in Chalcedon in Bithynien geprägt ansieht. Aber in welcher seiner zahlreichen Schriften dieser gelehrte Numis- matiker diese Meinung geäufsert habe, ist mir bis jetzt unbekannt geblieben; doch, wo es auch immer sein mag, er kann es nur auf die Autorität jener Münze von Chalcedon mit Übereilung gethan haben, welche zuerst Pelle- rin(!) bekannt machte, die aber dem Gepräge und dem ganzen übrigen Charakter zufolge so wenig mit den unsrigen, als den ihnen ähnlichen auch nicht die geringste artistische Verwandtschaft zu haben scheint. (') Recueil d. Med. d. Villes, Tom.II. Tab. XLl. nr.9. über uralt griechische Münzen. 189 Wenden wir uns daher zu den Münzen anderer Städte, unter deren Typen die Radform ungezweifelt erscheint, um zu sehen, ob nicht von ihnen einiges Licht zu Gunsten einer näheren Bestimmung des Ursprungs unserer Münzen zu entnehmen sei. Denn, dafs auf diesen Münzen die wahre Gestalt eines einfa- chen Rades und schwerlich, wie Herr Bröndstedt in seinem sehr gelehr- ten und geschmackvollen Werke, Reisen und Untersuchungen in Griechenland (!), will, der sogenannte zurAos uavrızcs des Apollonischen Dreifufses, dargestellt werde, ist nicht nur bis jetzt die allgemeine Über- zeugung aller Numismatiker gewesen; sondern ergiebt sich auch durch die Vergleichung mit andern alten Kunstdenkmälern, auf welchen Wagen und Fuhrwerke aller Art, vornehmlich aber der älteren, daher einfacheren und roheren Constructionsweise sichtbar sind mit Rädern von vier, dann von sechs und acht Speichen, ganz auf ähnliche Weise gezeichnet. (?) So er- scheinen die Räder ganz unverkennbar, theils in der einfachen, theils in der späteren, schon durch Ansätze verzierten Gestalt ihrer Speichen, den unsri- gen ganz gleich, auf so vielen Münzen, auf so vielen Vasengemälden, auf so vielen gröfseren erhobenen Arbeiten des griechischen und italischen Alter- thums, auf denen die Bilder vollständiger Wagen enthalten sind; ja in der so reichen Sammlung der gebrannten Thonwerke des Antiquariums im Königl. Museum befindet sich ein aus gebranntem Thon verfertigtes einzelnes, vier- speichiges Rad, welches wahrscheinlich zu dem kleineren Modell eines gan- zen Wagens, vielleicht ein Kinderspielzeug, gehört hat, und in einem grofs- griechischen Grabe gefunden worden ist, und dieses Rad sieht den Rädern auf so vielen alten Münzen so vollkommen ähnlich, wie nach dem Sprich- worte ein Ei dem andern nur immer gleichen kann, (°) Wer nun mit der symbolischen Verzierungsweise der Alten in ihren Kunstwerken überhaupt und auf ihren Münzen besonders vertraut ist, wird (') Buchl. S.118. folgd. (2) Man vergleiche damit im Allgemeinen Taf.II. und II. zu dieser Abhandlung, welche die auf Münzen vorkommenden vierspeichigen Radformen enthält und die gleichen und ähn- lichen Formen wirklicher Wagenräder von Monumenten verschiedener Gattung hergenom- men, und die besondern Bemerkungen zu dieser Tafel als Anhang dieser Abhandlung. (°) M.s. die Abbildung desselben auf Taf. II. unter. Nr.51. 190 LEvEzow leicht vermuthen, dafs auch die Radform auf den Münzen eine symboli- sche Bedeutung in sich trage. (1) Es wird ihm nicht unwahrscheinlich sein, in dieser Form auf den Münzen eine Anspielung zu erblicken auf den so aus- gezeichneten Gebrauch, welchen die Griechen von den Wagen bei ihren öffentlichen und feierlichen Spielen machten, auf einen Sieg, oder mehrere Siege von einem und dem andern Bürger jener Städte bei jenen Spielen im Wagenrennen davon getragen, den aber die älteste und ältere noch rohe Kunst, zumal auf Münzen sehr kleinen und kleineren Umfangs, wie z.B. den unsrigen, nicht durch die vollkommnere Vorstellung ganzer Bigen und Quadrigen zu geben im Stande war. Nur der schon ausgebildeten Kunst konnte es auf den gröfseren, ausgedehnteren Didrachmen und Tetradrach- men vergönnt sein, diese kompendiösere Ausdrucksart zu verlassen und durch Darstellung ganzer Bigen und Quadrigen, entweder von einem Menschen, oder der Göttin des Sieges selbst gelenkt, solche den Griechen so schmei- chelhafte Siege ihrer Mitbürger auch auf ihren Münzen zu verherrlichen. Es ist auch in dieser Hinsicht nicht zu übersehen, dafs die mit der einfachen Radform bezeichneten und in Absicht ihres Ursprungs mit Gewifsheit zu be-. stimmenden Münzen eben sowohl wie die das vollständigere Bild der schnel- len Bigen und Quadrigen enthaltenden fast alle aus Städten und Ländern Griechenlands herstammen, welche durch Pferdezucht, Reiterei und Fuhr- mannskunst ausgezeichnet waren, und von denen viele derselben in den Schriften der Alten gepriesene Sieger als ihre Mitbürger aufzuweisen hatten. Durch ihre Pracht und Schönheit vor allen berühmt sind die grofsen Silber- münzen so vieler Städte Siciliens mit ihren wettrennenden Wagen, vorzüg- lich aber der Städte Agrigent, Gela und Syrakus. Und wer kennt nicht aus Pindars lobpreisenden Oden die Namen so vieler durch ihn verherrlichten Sieger im Wagenrennen aus diesen durch sie beglückten Städten? So diente also das einfache Rad in den früheren Zeiten der Münzkunst der Griechen, zumal auf Münzen kleineren Umfangs, zur Bezeichnung der Wagen selbst, der Theil für das Ganze, allen an sich und durch lange Ge- (') Wie schon Bröndstedt bemerkt (not.14. zu 118. i.a. FF’. 1.Buch), hatte schon Dionysius Thrax nach Clemens von Alexandrien (Stromatt. L.V. c.VIIl. p.672., ed. Potter.) über die symbolische Bedeutung des Rades (Ev #& wegı r7s iubarews ToÜ megt rau rgoyirzwv cumßcreu, wie es bei Clemens lautet) geschrieben. über uralt griechische Münzen. 191 wohnheit verständlich, ja selbst durch die letzte in der Art gewissermafsen geheiligt, dafs sich auch noch Beispiele viel späterer Münzen auch in Grofs- erz finden, namentlich von Gela und Syrakus, worauf auch neben anderen mit der vollständigeren Vorstellung ganzer Wagen, sich Abbildungen des einzelnen, einfachen Rades zeigen. Der Fleifs des umsichtigen Rasche in seinem Zexicon rei numarıae veterum (!) hat uns ein Verzeichnifs von alten Städten gegeben, welche auf ihren Münzen die Figur des Rades haben prägen lassen. Die Zahl derselben kann noch leicht durch mehrere andere vergröfsert werden, von welchen ähnliche Münzen seit der Zeit bekannt geworden sind. Weil aber in den Kreis unserer Untersuchung alle die Münzen nicht fallen können, deren Ge- burtsstädte nicht griechischen Ursprungs sind, oder welche nur als Beiwerk die Figur eines kleinen Rades an sich tragen, oder in denen das Rad nicht mit vier, sondern mit mehreren, sechs oder acht Speichen versehen ist; so kann ich mit desto gröfserem Rechte sie alle unberücksichtigt lassen, je we- niger sie dadurch unsern Münzen ähnlich sehen. Also mit Ausnahme aller dieser bleiben noch zum Vergleich übrig die Radmünzen von Massilien, Me- sambria in Thrazien, von Tarent, Syrakus, Gela, Triadizza in Mösien, Akanthus in Macedonien, Sinope in Paphlagonien, Chalcedon ir Bithynien und einiger anderen unbekannten Städte. Aber bei ihrer genaueren Ansicht welch ein weiter Tummelplatz für leere Conjecturen und Meinungen bietet sich da nicht dem Vergleicher dar! Denn, auch nach Aussonderung aller der kurz zuvor angedeuteten, wieviel Münzen der verschiedensten Länder und Städte, hin und wieder den unsri- gen in Hinsicht auf die Radfigur zwar nicht ganz unähnlich, aber in Hinsicht auf andere Merkmale von ihnen auch ganz verschieden, bleiben da nicht noch übrig, so, dafs man bei ihrem Anblicke verlegen und zweifelhaft An- stand nimmt, zu welchen man sich wenden, bei welchen verweilen und sie zur Grundlage einer genaueren Vergleichung nehmen soll. Denn aufser den Vorderseiten, worauf man das Radbild erblickt, zeigen ihre Rückseiten, welche nur mit dem vertieften Quadrat auf den unsrigen bezeichnet sind, die mannigfaltigsten und von einander verschiedensten Bilder und Inschriften. Wie kann man es wagen, ohne den Vorwurf der höchsten Übereilung und (') Sub voc. Rota. Tom.IF. Pars Prior. 8.1302. folgd. 192 LEvEzow Unvorsichtigkeit auf sich zu laden, da etwas Gewisses über ihre Verwandt- schaft mit den unsrigen auszusprechen, denen alle diese Dinge fehlen und demnach auch das natürliche und nothwendige Band, vermittelst dessen sie mit dieser oder jener Gattung nur allein rechtmäfsig verbunden werden könnten? Wollte etwa Jemand aus der Provinz, oder dem Orte, wo sie in Grie- chenland zufällig gefunden worden sind, einen sichern Schlufs ziehen zu können glauben, so fürchte ich, dafs er dadurch zu einem andern, sehr gro- fsen Irrthum verführt werden mögte. Und dies ist selbst dem gelehrten Bröndstedt begegnet, der in dem angeführten Werke die unseren Münzen gleiche und andere ihnen ähnliche, und selbst zwei von denen, welche er eigenthümlich besitzt, für Böotische Münzen erklärt (!), indem er be- merkt, dafs sie in Böotien und zwar bei Lebadea gefunden worden und viel- leicht mit dem Kultus des Ismenischen Apoll in Beziehung gestanden, oder ihr Gepräge davon veranlafst sei. Aber über diesen Irrthum, oder wenn man lieber will, über diese nicht genug begründete Annahme, sehe ich mich veranlafst, mehr zu bemerken, wann die Rede sein wird von einer andern Gattung unserer Münzen, die auch Mionnet aus einem ähnlichen Grunde der Stadt Athen aufdrängen will. Nach allen diesen Bemerkungen würde ich mich genöthigt sehen, mit Combe, dem gelehrten Erklärer der Hunterschen Sammlung auch unsere Münzen zur Zahl derer einer noch ungewissen Stadt zu rechnen, wenn ich nicht im Stande zu sein glaubte, weiterhin einige Bemerkungen mitzu- theilen, welche eine andere Vermuthung mehr bestätigen, ja im höchsten Grade wahrscheinlich zu machen vermögend sein mögten. Ich gehe zur Betrachtung der zweiten Gattung der Münzen unseres Fundes über. Sie stellt sich in sieben Münzen dar, in sechs kleineren und einer gröfseren. (') S. a.a.0. in der Note. über uralt griechische Münzen. 193 Auf den FPorderseiten derselben ist ein dem Beschauer ganz entgegengewendetes volles Antlitz sichtbar, welches, zumal auf den kleineren, eine, wie es scheint, von Haaren ganz entblöfste, kahle Scheitel, grinsende Augen, ein weit geöffnetes Maul mit gewaltiger Verzerrung der Lippen und Wangen und zwei Reihen entblöfster und aneinander geprefs- ter Zähne zeigt, welches in der gröfsten von allen ganz deut- lich das Gorgonium, oder vielmehr das Medusenhaupt in der älteren Form, doch ohne ausgereckte Zunge, zu erkennen giebt. Es fehlt jede Inschrift, oder auch nur der Anfangsbuchstabe irgend eines Namens. — Die Rückseite erfüllt grofsentheils ein vertieftes Quadrat, in vier Dreiecke, hier mehr, dort weniger irregulär, abgetheilt, wie bei denen der vorigen Gattung. Auch sie sind alle von reinem Silber; eine ist noch mit bräunlichem Roste überzogen, die übrigen sind gereinigt. In zweien ist der Umfang ziemlich rund, bei den übrigen ungleich und höckerig; ihre Masse dick und plump, zumal bei den gröfseren. Ihre Gröfse erfüllt nicht ganz die erste kleinste Münzgröfse in der Münzgröfsenscale, welche Mionnet aufgestellt hat; die gröfsere entspricht der vierten Münzgröfse bei Mionnet. Das Gewicht der kleineren wechselt von 9 bis 10, Gran; die grö- fsere wiegt 2 Drachmen 14}, Gran. In Hinsicht auf Technik und Styl ist es leicht zu bemerken, dafs sie nicht alle einer und derselben Zeit entsprungen sind. Eine der kleineren und der gröfseren verrathen schon Beweise einer sorgfältigeren, ausdrucks- volleren Kunst. Sonst sind sie wohl im allgemeinen so ziemlich für Pro- dukte der Periode zu halten, in welcher die Münzkunst noch in der Wiege lag, also einer der frühesten. Die Gestalt des Quadrats ist bei den meisten dem Quadrat der Münzen der beschriebenen ersten Gattung in der zweiten Periode ihrer Prägung fast ganz gleich; mit welchen demnach ihre Entste- hung in eine und dieselbe Zeit fallen mögte und sie daher auch als aus einer und derselben Fabrik entsprungen anzunehmen wären. Wenn gleich die gröfsere Münze durch die Zeit viel von ihrem ur- sprünglich scharfen Gepräge verloren hat, so giebt sie doch den Charakter des Bildes, welches man auf allen erblickt, deutlicher und bestimmter zu Histor. philol. Abhandl. 1833. Bb 194 LEevszow erkennen. So erscheinen auf ihr über der breiten Stirn runde Punkte, welche offenbar kleine gekräuselte Locken andeuten sollen, die man auf den viel kleineren Münzen nicht mehr wahrnimmt. Bei Ausmittelung der Geburtsstätte dieser Münzen mögte sich dieselbe Schwierigkeit ergeben, wie bei denen der ersten Gattung. Nicht selten er- scheint auch auf den Vorderseiten der Münzen mehrerer griechischen Städte dasselbe, oder doch ähnliche Bild des Medusenhauptes. Aber der nemliche Umstand, welcher auf denen der ersten Gattung die Entdeckung der arti- stisch-numismatischen Verwandtschaft ihrer mit einer oder der anderen Stadt verhinderte, nemlich die nur mit dem Quadrat bezeichnete Rückseite, ist es auch hier, welcher, bei dem Mangel irgend einer Spur von Inschrift, uns je- des Mittels zur näheren Vergleichung beraubt. Denn, so viel ich weifs, ist bis jetzt keine ähnliche, oder auch nur mit den unsrigen mit einigem Rechte vergleichbare Münze entdeckt worden, welche durch irgend eine beigesetzte Sylbe, oder einen hinzugefügten Buchstaben zu einem Fingerzeige über den Ursprung derselben dienen könnte. Zwar finden sich Münzen mit einem ähnlichen Bilde, denen die bei- gesetzten Namen der Städte, oder doch wenigstens die Anfangssylben und Buchstaben derselben nicht fehlen; aber nur mit ausgeprägten Rückseiten, welche den unsrigen abgehen; oder doch eines so verschiedenen Styls und einer so abweichenden Technik, dafs dadurch alles Recht der Vergleichung völlig aufgehoben wird. Jene Städte sind Populonia in Etrurien; Camarina in Sieilien; Mazara ebendaselbst mit punischer Inschrift MSRA; Neapolis in Macedonien; Coronea in Böotien, Athen, Abydos in Troas und das mysi- sche Parium. (!) Nach Maafsgabe einer gröfseren oder geringeren Ähnlichkeit mit die- sen Münzen haben nun die Herausgeber der alten Münzen den gröfseren Theil derer, welche jeder Beischrift ermangeln, sie dieser oder jener Stadt zuzu- (') Die Beschreibung aller dieser Münzen sehe man bei Mionnet unter den Namen dieser Städte in der Description d. Medailles und den Supplementen zu diesem Werke; ihre Abbildungen theils bei demselben Verfasser im Recueil d. Planches und dem Tom.11I. der Supplemente; theils aber auch bei den ersten Editoren der Münzen, die Mionnet genannt hat, in ihren besonderen Werken, als bei Pellerin, Principe di Torremuzza, Eckhel, Neumann, Combe (Mus. Hunter.), Viczai, besonders bei Sestini, Harwood und an- deren. über uralt griechische Münzen. 195 schreiben gewagt; ich mögte aber nicht behaupten, dafs es überall mit Glück und hinreichenden Gründen geschehen sei. In Hinsicht einiger auf Popu- lonia, Camarina und Abydos bezogenen mögten weniger Schwierigkeiten sich finden; gewagter aber und nicht völlig genügend mögte dies in Hinsicht auf Neapolis in Macedonien und besonders auf Athen geschehen sein. Ich kann nicht umhin, zumal in Bezug auf Athen, mir hier eine kleine Abschweifung zu erlauben, die so kurz als möglich einen Bestimmungsgrund jener Art näher berühren wird, welcher von neueren, selbst grofsen Münz- erklärern ohne Bedenken angenommen worden ist, mir aber für numismati- sche Kritik einer der mifslichsten und unstatthaftesten zu sein scheint. Ähn- liche Münzen mit jenem gorgonischen Schreckensgesichte, doch auch noch mit weit ausgereckter Zunge, hat Mionnet (7om./7. p.112 u. 113. Nr. 13- 15. Descript. des Medailles), aber ohne allen weiteren Grund nach Athen versetzt, als nur dieses in der Note a. zur ang. Stelle gegebenen, nemlich, weil sie von Cousinery in Athen gefunden worden. (!) Schon der Umstand hätte den sonst behutsamen und gewissenhaften Mann davon zu- rückhalten sollen, dafs sie mit einigen anderen und unter ihnen drei Münzen von Gortyna auf Kreta zusammen gefunden wurden. Denn wie viel Veran- lassungen lassen sich nicht denken, vornemlich aber bei so weit ausgebrei- teten Handelsverhältnissen so vieler griechischen Städte, bei so vielem Wech- sel fast unaufhörlicher Kriege, bei so vielen Räubereien, Beutemachen, Tri- buten, Geldstrafen, wodurch aus entfernten Gegenden und Städten grofse Massen so verschiedenartig geprägten Geldes zu andern Gegenden und Städ- ten hin verschleppt werden mufste und hier zufällig oder absichtlich im (') Allerdings finden sich Münzen eines späteren Zeitalters durch die Inschrift als Athe- nische bezeichnet, welche auf der Forderseite ein Medusenhaupt im mittleren Styl, mit zwar ausgereckter Zunge, aber ohne Schweinshauer und auf der Rückseite eine Minerva mit Schild und Speer und AOE, auch ABE darstellen (m. s. Mionnet in den Supplem. T.III. p.568. nr.237,238. und bei Harwood Popull. et Urbb. Sel. num. Tab.T. fig.17:) Aber dieser späterhin angenommene Typus erlaubt nicht zu schliefsen, dafs Athen auch auf seinen ältesten Münzen das uralte Gorgonium gesetzt habe, wie es auf jenen mit dem Quadrat. incus. bezeichneten zu sehen ist; indem bis jetzt keine athenische Münze mit dem Quadrat. incus. auf der Rückseite allein mit Sicherheit nachgewiesen werden kann. Seine älteste Münze läfst sich nur bis zu den unförmlichen, globosen silbernen Tetradrachmen hinaufführen, welche auf der Yorderseite den uralten, stark conturnirten Minervenkopf und auf der Rückseite die Eule und den Ölzweig mit AOE in einem Quadrat. incus. zeigen. Bb2 196 Levezow Schoofse der Erde bis auf unsere Zeit verborgen blieben, welche man doch unmöglich als von ihnen geprägt ansehen kann? Bei allen den Münzen, die mit dem Namen der Städte bezeichnet sind, kann in dieser Hinsicht kein Zweifel obwalten; aber zweifelhaft wenigstens mufs diese Erscheinung wer- den oder doch anstöfsig bei denen, welche mit keinen Inschriften oder An- deutungen derselben versehen sind und nicht aus ganz entscheidenden Grün- den den Städten, wo sie gefunden wurden, zuerkannt werden können. Denn sonst würde auch noch heut zu Tage derselbe Grund gelten müssen für un- sere nordischen Länder, wenn jener Grund, allein vom Fundorte herge- nommen, entscheiden sollte. Auf gleiche Weise müfsten dann auch die Münzen, welche der Gegenstand dieser Untersuchung sind, und die in so grofser Zahl, so viel ich weifs, in keinem andern Lande auf einem Haufen zum Vorschein gekommen sind; sondern auch alle arabisch -kufischen Mün- zen, welche so oft am Gestade des Baltischen Meeres, in Pommern, Preufsen und Rufsland in sehr grofsen Massen gefunden werden, und die, was Wun- der nehmen mufs, in Arabien, ihrem Vaterlande selbst und anderwärts im Orient nicht mehr sich zeigen sollen, für Münzen erklärt werden, die ur- sprünglich von slavischen Völkern, oder griechischen und arabischen Kolo- nien unter ihnen geprägt wären. Sie müfsten demzufolge wirklich grie- chisch- und arabisch-pommersche, preufsische und russische Münzen ge- nannt werden, was indessen wohl keinem Menschen von gesundem Verstande beikommen kann. In Bestimmung der Geburtsstätte solcher Münzen also, welche ohne epigraphischen Beisatz und bei einer gewissen Vieldeutigkeit ihrer Bilder zweifelhaft werden, kann der Grund vom Fundorte allein hergenommen, nicht gelten, wenn nicht noch andere Gründe und Nebenumstände hin- zukommen, welche die Sache aufs klarste entscheiden, oder doch höchst wahrscheinlich machen. Anders wird jede genaue Erforschung und jedes richtige Urtheil verhindert, ja das geographische System der alten Münz- kunde mit einer Menge von Irrthümern und falschen Thatsachen verunstaltet und schwankend gemacht und zu einem blofsen Tummelplatze leerer Phan- tasieen herabgewürdigt. Ist es doch selbst dem so behutsam kritischen Eckhel wohl mehr als einmal in ähnlichen Fällen begegnet, der Waage seiner Entscheidung vom Fundorte den Ausschlag geben zu lassen, z.B. bei oO den Münzen von Aegina, welche er deshalb nach Aegium, und den bekann- über uralt griechische Münzen. 197 ten silbernen von Korinth, welche er nach Syrakus, wo sie sehr häufig ge- funden werden, verweist. Freilich hat er auch mit Recht bedeutenden Wi- derspruch gefunden und noch erst vor Kurzem hat sich der gelehrte Kustode des Kais. Münzkabinets in Wien Hr. Arneth, bei Gelegenheit seiner Beur- theilung der von Cadalvene herausgegebenen, noch unedirten griechischen ' „Münzen in den /Piener Jahrbüchern der Litteratur (!) über jene korinthi- schen Münzen und diese ganze Angelegenheit mit meiner Ansicht vollkom- men übereinstimmend erklärt. Doch ich kehre zu unsern Münzen zurück. So weit sich aus dem freilich verschiedenen Grade der Deutlichkeit des Gorgoniums auf den Vorderseiten dieser Münzen schliefsen läfst, mögte man darin das Gesicht der Medusa, doch ohne ausgereckte Zunge und ohne Schweinshauer, wenn gleich noch immer grinsend und höhnend genug durch zwei Reihen fletschender Zähne, den aufgerissenen Mund und die aufgetrie- benen Backen ausgezeichnet, aber doch in etwas milderer und daher abwei- chender Gestalt von dem ältesten Typus, erkennen müssen. Sie würden demnach an das Ende der älteren Charakteristik zu versetzen sein, etwa vor Pindar, wie ich dies in meiner Abhandlung über die Entwickelung des Gorgonen-Ideals in der Poesie und Kunst der Alten (”) darzuthun ver- sucht habe. Diesem ihren ganzen Gepräge nach findet aber durchaus keine Ähn- lichkeit zwischen jenen mit dem Gorgonium bezeichneten Münzen von Po- pulonia in Etrurien, Camarina Siciliens, Coronea in Böotien, den vermeint- lich älteren Athens und denen von Abydus in Troas Statt. Eher mögte eine gewisse Verwandtschaft mit den ähnlicheren von Neapolis in Macedonien und Pariums in Mysien anzunehmen sein. Aber auf den Neapolitanischen, welche stets mit dem Namen der Stadt bezeichnet sind, erscheint bis auf die neusten Zeiten dieser Münze nur immer das mehr furchtbare Gorgonium mit ausgereckter Zunge, niemals aber jenes schon gemilderte Angesicht der Medusa ohne dieselbe. Und man müfste doch wohl um so mehr ver- muthen können, dafs gerade diese späteren Münzen dann auch wohl mit dem (') Theil 47. 1829. S.182. folgg. (?) Abhandlungen der Königl. Akad. der Wissenschaften zu Berlin. Jahrg. 1832. histor. philol. Abhandl. 8.153. folgd. 198 LEevezow Namen der Stadt bezeichnet sein würden. Davon aber hat sich noch bis jetzt keine Spur gefunden. Dasselbe gilt von den Münzen Pariums. Alle älteren mit dem Namen TTAPI. zeigen das Gorgonium mit ausgereckter Zunge, keine die mit dem gemilderterm Charakter ohne dieselbe. Erst spät zeigt sich mit der alten Benennung TTAPI. auf Münzen von Erz das Antlitz Medusens, aber schon in viel verschönerter Form ohne ausgereckte Zunge und ohne allen Vorgang einer ähnlichen Silbermünze aus früherer Zeit. Deshalb würde es freilich gerathen sein, diese Gattung von Münzen denen eines noch ungewissen Ursprungs beizugesellen, wenn sich nicht auch hier von anderswoher Gründe darböten, mit ziemlicher Gewifsheit zu vermu- then, dafs diese Münzen zusammt denen der ersten Gattung ihren Ursprung am nördlichen Gestade des Pontus Euxinus genommen haben. Die dritte Gattung besteht aus einer einzigen Münze, auf der Yorderseite das Bild einer Schildkröte enthaltend, auf der Rückseite ein Quadratum incu- sum, von zwei Dreiecken und drei kleineren (Quadraten ge- bildet. Sie ist von reinem Silber, fast ganz rundem Umfange, aber von der kleinsten Gröfse, die erste Form in der Mionnetschen Münzscale nicht ein- mal ganz ausfüllend. Sie hält an Gewicht 18 Gran. Jede Inschrift fehlt. Durch längeren Kurs im Handel und Wandel ist sie etwas abgeglättet. Das Bild der Schildkröte scheint das von den Numismatikern benannte Bild der Meerschildkröte zu sein, mit glatter Schaale, wie auf anderen. Dafs diese Münze der Insel Aegina, als eins der ältesten Denkmäler ihrer Münzkunst zugeschrieben werden müsse, wird jetzt bei allen denen keinen Widerspruch erleiden, welche nach Sestinis(') und Pinkertons(?) Bemerkungen, durch so viel wichtige Gründe überzeugt die mit der Schild- kröte bezeichneten und zum Theil mit der Inschrift AlFI in dem fünffach getheilten Quadratum incusum beschriebenen Münzen jener Insel unbedenk- (') Descriptio numm. Feterr. 8.184. folgdd. (*) Dissertations sur la raret€E des medailles antiques. Dresde. 1795. $. 28. JFolgdd. über uralt griechische Münzen. 199 lich zu erkennen, als mit andern und selbst mit Eckheln der Stadt Aegina in Achaja. Deshalb hat auch Mionnet keinen Anstand genommen, sowohl im Recueil des Planches zu seiner Description, als im Supplemente, diese ganze Reihe von Münzen von den ältesten an unter die Münzen von Aegina auf- zunehmen. Der unsrigen steht am nächsten diejenige, welche Mionnet auf Taf. XXXVI, unter nr.6. im Recueil des Planches hat abbilden lassen; einige ähnliche sind in der Königlichen Münzsammlung des Antiquariums des Ber- liner Museums. Die vierte Gattung enthält ebenfalls auch nur eine einzige Münze, auf deren Yorderseite der aufgesperrte Rachen eines Löwen mit struppiger Mähne gegen die Linke gewendet zu sehenist. Aufder Rückseite zeigtsich ein Stern mit vier Strahlen, zwischen welchen drei andere kleinere hervorbrechen. Die Münze ist von reinem Silber, sehr gut erhalten und gereinigt; der Umfang eher dreieckig als rund, doch mit stumpfen Winkeln. Die Gröfse ist die kleinste, wie bei den übrigen der vorigen Gattungen. Das Gewicht beträgt 15 Gran. Das Bild der Rückseite, der a befindet sich erhoben innerhalb eines vertieften Quadrats, woraus erhellt, dafs diese Münze der Klasse derer angehört, denen nach aufgehobenem unformlichen und roheren Quadrat, zwar ein ganzes regelmäfsiges, selbst vertieftes Quadrat verblieb, welches aber schon mit irgend einem bestimmten Bilde zu verzieren angefangen wurde. Die Münze ist deshalb nur den älteren, nicht den ältesten zuzu- gesellen, wohin sie auch ihre ganze technische Beschaffenheit und der Cha- rakter der Bilder verweist. Sestini war der erste, welche eine der unsrigen ganz ähnliche be- kannt gemacht hat ('). Er schrieb sie der Insel Samos zu. Aber nachdem bald darauf mehrere andere ähnliche, sowohl goldene als silberne von Gou- sinery aus Asien nach Europa gebracht worden waren, von denen die jün- geren denselben Typus mit der Beischrift KYZI. zu erkennen gaben, nahm (') Zettere numismat. Tom.III. 8.120. Tab. II. nr.4. 200 Levezow Sestini seine Meinung zurück und schrieb sie alle mit vollkommenem Rechte Cyzikus in Mysien zu. (') Deshalb kann auch über die Geburtsstadt unserer Münze ohne Bei- schrift kein Zweifel obwalten; auch sie verdankt dem mysischen Cyzikus ih- ren Ursprung. Die fünfte Gattung besteht auch nur aus einer einzigen, aber auf beiden Seiten schon sehr ab- geriebenen Münze, von reinem Silber, einem mehr viereckigen als runden Umfange; doch mit stumpfen Winkeln, die erste Gröfse der Mionnetschen Scale nicht ganz. ausfüllend. Sie enthält an Gewicht 31,1, Gran. Auf der Vorderseite die Überbleibsel eines behelmten Pal- las-Kopfes nach der rechten Seite gewendet; auf der Rückseite die Spuren einer stehenden Nachteule von vorn innerhalb ei- nes Öllaubkranzes, ohne Beischrift. Längst schon haben die Münzkundigen, besonders in den ganz ähn- lichen mit der Beischrift AOE, in den Münzen dieses Gepräges und Cha- rakters einen athenischen Ursprung erkannt. Das Münzkabinet des Anti- quariums besitzt ähnliche, sehr gut erhaltene Exemplare, aus welchen nicht nur die vollkommene Übereinstimmung derselben mit der hier in Rede ste- henden sich ergiebt, sondern auch das Zeitalter, in welchem sie geprägt worden, im Allgemeinen bestimmt werden kann. Denn in dem am voll- kommensten erhaltenen des Königlichen Kabinets sind die Spuren eines ver- tieften Quadrats, wie auf der Rückseite jener Münze von Cyzikus, ersicht- lich mit dem Bilde der Nachteule, also in der Periode der Münzkunst, wel- che auf die des rohen bildlosen Quadrats folgte, geprägt. Eckhel hat das Zeitalter dieser athenischen Münzen vor Phidias, also vor Olymp. 85, 3. oder v.Chr. 438, angenommen, da auf jenen gröfseren athenischen Tetradrachmen die Vorderseiten derselben schon mit dem behelmten Haupte der Pallas, wie es, nach Pausanias und Plinius Andeutungen, Phidias ausgeschmückt hatte, prangt, aber bei schmucklosem Helme unseren kleineren Münzen fehlt. (‘) Descrizione degli Stateri antichi illustrati con le Medaglie. Firenze 1817. 4°. $.50. über uralt griechische Münzen. 201 Indem diese erst neulich gefundene Münze auf beiden Seiten sich sehr zerrieben darstellt, giebt sie zugleich zu erkennen, dafs sie schon früher sehr lange im Kurs gewesen sein mufs; sie also eine beträchtliche Zeit nach ihrer Prägung allen übrigen noch schärfer im Gepräge erhaltenen beigelegt und so endlich mit ihnen zugleich dem Norden Europas zugeführt worden ist. Noch fand sich diesen sämmtlich griechischen Münzen eine andere Silbermünze, die kleinste von allen, zugefügt, von der vortrefflichsten Er- haltung und dem schönsten Silberglanze; aber eines völlig neuen orientali- schen Charakters und Gepräges, welche höchst wahrscheinlich zu diesem Funde nicht gehörte, sondern nur aus Unwissenheit und wegen ihrer Klein- heit von einem der früheren Verkäufer damit als Zugabe, oder auch durch Zufall, verbunden worden war, weshalb ich auf sie weiter keine Rücksicht nehmen zu dürfen glaube. Nach dieser genauen Beschreibung der einzelnen Bestandtheile unseres Münzfundes werde ich jetzt um so eher im Stande sein als Resultate daraus einige Bemerkungen hinzuzufügen a) über die Zeit, in welcher etwa diese Münzen bis zuihrem Fundorte gelangt sind und dann b) über das Land und den Ort, von welchem sie höchst wahrscheinlich nach dem Norden Europas versetzt wurden. T. 1) Dafs diese Münzen, mit Ausnahme der von Cyzikus und Athen, zu den ältesten griechischen gehören, ist schon oben im Verlaufe ihrer Beschreibung ausgesprochen und bewiesen worden. Es folgt daraus, dafs sie auch zu den seltensten Denkmälern alter griechischer Münzkunst ge- rechnet werden müssen. Daher mögte 2) die erste Gattung derselben durch drei Stufenfolgen ihrer Ausprä- gung, von den rohesten Anfängen bis zu einem gewissen Grade von zierlicher Ausbildung, ganz unverkennbar ausgezeichnet, wohl besonders merkwürdig und als höchst schätzbar für die Geschichte der ältesten und älteren Münz- kunst erscheinen. Denn so viel ich weifs, ist bis jetzt nirgends ein Beispiel der ältesten Münzen unserer ersten Gattung entdeckt worden, und nirgends Hlistor, philol. Abhandl. 1833. Ce 202 LEvEzow eine so allmälig fortschreitende Reihenfolge eines und desselben Typus und zwar in so vielen Exemplaren beieinander dargelegt. 3) Der Zeitpunkt aber, in welchem diese Münzen, besonders der ersten und zweiten Gattung und auch die eine der dritten, geprägt wurden, mögte, wenn er sich auch nicht ganz bestimmt angeben läfst, doch im All- gemeinen vor der 79“ Olympias, oder vor Christus etwa um das Jahr 460 mit Recht bestimmen lassen. Aus vielen andern Anzeigen erhellt wenigstens dafs von der Zeit an das Quadratum incusum auf den griechischen Münzen fast ganz verschwand und auf der Rückseite schon förmlich ausgebildeten Zeichnungen mancherlei Gegenstände mehr oder weniger Platz machte. Des- halb konnte auch Eckhel mit Recht die erste Periode der Münzkunst in Griechenland von Erfindung derselben bis zu dieser Gränze, das ist, bis auf Alexander I. von Macedonien fesstellen. (') Aber 4) beweist das Metall, d.i. das reinere Silber, und die kleinste Gröfse, welche in diesen Münzen sich, mit Ausnahme der wenigsten, gleich ist und endlich das nach Nürnberger, oder dem Alt-Preufsischen Apothe- kergewicht sorgfältig ermittelte Gewicht dieser Münzen, welches mit weni- gen Abweichungen zwischen 9 bis 10 Gran mehr oder weniger, in einigen sogar bis auf 11 Gran, schwankt, dafs alle diese Münzen, wenn gleich an verschiedenen Orten entstanden, doch nach einem gewissen Münzfufse aus- geprägt worden und daher von ziemlich gleichem Werthe waren. Welcher Münzfufs dies aber gewesen sei, der Aeginetische oder der Attische, oder ein anderer, läfst sich jetzt nicht mehr genau ermitteln, da eine jede dieser Münzen durch längeren oder kürzeren Kurs, durch Zeit und Rost mehr oder minder verletzt oder abgerieben, natürlich an Umfange und Gewichte verlo- ren hat. Im Allgemeinen aber könnte man wohl annehmen, dafs nach dem ermittelten Gewichte die Norm für die kleinsten der ersten und zweiten Gat- tung 10 Gran gewesen sei, weil diese Zahl, als die mittlere und häufigste, zwischen 8, 9 und 10,1, Gran an unseren Münzen sich ergiebt, das Weniger und Mehr aber in einigen theils der minderen Sorgfalt der Münzer, theils der noch unvollkommenen Einrichtung der Münze in den ersten Perioden ihres Betriebes, und endlich den Einwirkungen der Zeit zuzuschreiben ist. Doch mögte vielleicht hier an den attischen Münzfufs zunächst zu denken (') S. Doctrina Numorr. Feterr. ParsI. Vol.I. Prolegg. 8.132. folgdd. über uralt griechische Münzen. 203 sein, welche Vermuthung späterhin durch einige andere Bemerkungen eine nähere Bestätigung erhalten könnte. 5) Eben so beweisen aber auch diese Münzen, dafs die Griechen schon in der ersten Periode ihrer Münzkunst solche sehr kleine Münzen geschlagen haben, zum Behuf des leichteren Handels und Wandels im täglichen Verkehr und zum Kauf kleiner und weniger bedeutender Dinge, wozu sie nur am bequemsten sein konnten. 6) Dasselbe gilt auch von dem Werthe der Aeginetischen Münze, wenn sie gleich 18 Gran wiegend von grölserem Gewichte ist als die kleinste Münze der ersten und zweiten Gattung, also nach aeginetischem Fufse ge- prägt, der ein gröfseres Gewicht vorschrieb. 7) Aber die beiden gröfseren der ersten Gattung (Nr. 27. und 28.) verhalten sich im Ganzen zu den kleineren dieser Gattung so, dafs jede der- selben dem Gewichte von sieben der kleineren gleichkommt und daher für eine Drachme anerkannt werden mufs, die beiden gröfsten aber von allen, sowohl der ersten Gattung (Nr. 29.) und die der zweiten (Nr. 7.) aber also, dafs sie 13%, bis zu 14 der kleinsten im Gewichte gleich sind und daher jede für eine Didrachme oder Doppeldrachme angesehen werden mußs. 8) Jene Münze von Cyzikus ist zwar nicht zu den ältesten zu rechnen, eben so wie auch jene von Athen, beide aber doch, wie wir früher gezeigt haben, zu den älteren, deren Gepräge die zweite Periode der Münzkunst zu erkennen giebt, welche zwischen die Jahre 480 vor Christus, oder von Alexander I. von Macedonien bis zu Philipp II. von Macedonien, also unge- fähr Olymp. CV.1, oder bis zum Jahre 358 vor Christus, fällt. Denn es sind Cyzicenische Münzen gefunden worden, welche mit dem blofsen Qua- dratum incusum geprägt sind, also von den ältesten, wie Sestini (a.a.O.) bewiesen. Von den Athenischen Münzen ist aber im Gegentheil noch kein Beispiel einer blofs mit dem Quadratum incusum bezeichneten und mit voll- kommenem Rechte für eine athenische anzuerkennende Münze zum Vor- schein gekommen. 9) Dafs aber jene Münze von Cyzikus und jene von Athen ohne Quadratum incusum den übrigen der ältesten Periode beigemischt in unse- rem Funde angetroffen werden, zeigt deutlich an, dafs das Zeitalter, in welchem alle diese Münzen zugleich bis in unsere Gegenden gekommen sind, Cc2 204 Levezow vor dem vierten Jahrhunderte vor Christus nicht angenommen werden könne. Denn von diesem Jahrhunderte an endete erst der Gebrauch des roheren Quadrati incusi auf den griechischen Münzen. 10) Ferner ist es wohl nicht zu verkennen, dafs diese Münzen von einem Volke herrühren und zu dem Norden Europas gebracht worden sind, bei welchem, aufser den einheimischen Münzen, noch Münzen mancherlei Art und verschiedener Städte im Kurs waren. Dies mufs ein Volk gewesen sein, welches in ausgebreiteten Handelsverbindungen mit dem europäischen und asiatischen Griechenlande gestanden hat. Es mögte wohl nicht mit Un- recht zu vermuthen sein, dafs die Spuren desselben zunächst in den Münzen der beiden ersten Klassen entdeckt werden könnten, da früher bemerkt wor- den ist, dafs in der ganzen Fabrik derselben sich eine grofse Übereinstim- mung beider zeigt, sie daher wohl einem und demselben Volke und einer und derselben Zeit entsprungen sein mögten, und weil auch gerade in ihnen die gröfsere Zahl der gefundenen Münzen besteht. 11) Endlich aber, da so wenig griechische Münzen aus neueren Pe- rioden als römische und diese weder zur Zeit der Republik, noch unter den occidentalischen Kaisern, noch unter den späteren byzantinischen geprägt, mit jenen ältesten vereinigt gefunden worden sind; so geht auch daraus her- vor, dafs diese Münzen schon in den ältesten Zeiten, vor allen übrigen, von denen sich bisher Beispiele gefundener Münzen in Preufsen und in be- nachbarten nordischen Ländern ergeben haben, also lange schon vor Christi Geburt, dorthin gebracht und hier, sei es durch Zufall, oder absichtlich, bis auf unsere Zeit dem Schoofse der Erde anvertraut worden sind. I. Ich schliefse jetzt diese Bemerkungen zweitens mit Darlegung der Gründe, welche mich vermuthen lassen, erstlich, dafs die Münzen der bei- den ersten Gattungen einer Stadt entsprungen sind, welche am Pontus Euxi- nus und zwar im europäischen Sarmatien, gelegen hat, und zweitens, dafs sämmtliche Münzen von dort nach den Gegenden der Weichsel durch den frühesten Handel versetzt worden sind. Was die erste Vermuthung betrifft, so geben mir dazu folgende That- sachen eine wohl nicht unbegründete Veranlassung. über uralt griechische Münzen. 205 1) Die noch nicht vor langer Zeit gemachten antiquarischen Ent- deckungen auf der nördlichen Küste des schwarzen Meeres, (!) besonders am Ausflusse des alten Borysthenes, auf der Stelle und in der Gegend des alten Olbia oder Olbiopolis, haben auch eine beträchtliche Zahl alter Mün- zen dieser Stadt mit ihrem Namen bezeichnet zum Vorschein gebracht, auf welchen sich beide Typen der Münzen erster und zweiter Gattung unseres Fundes vereinzelt darstellen, das heifst Münzen, theils mit der Form eines Rades von vier Speichen, theils Münzen mit dem Kopfe der Medusa, und diesen fast in allen Darstellungsweisen ihres Ideals, mit Ausnahme des vollen- det schönen, bezeichnet. Ja selbst auf gegossenen Erzmünzen erster und zweiter Gröfse, die sich theils im kaiserlichen Münzkabinet zu Wien, theils in der Sammlung Puertas zu Florenz und in andern besonders russischen Sammlungen befinden und deren Bekanntmachung wir zum Theil dem Fleifse Sestinis in den Zettere e Dissertazione numismatiche (Contin. T.IV. 8.40. Tab.I. nr.5.) verdanken, stellt sich auf der Vorderseite, in freilich etwas rohem Gepräge, ein einfaches, doch milderes Gorgonium mit geöffneten Lippen und sichtbaren Zahnreihen, aber ohne ausgereckte Zunge dar, wie auf unseren Münzen; und auf der Rückseite ein Rad mit vier einfachen Speichen und, wie Sestini will, mit der Inschrift AXIA (d.i. AXIANEIA).(?) Auch findet sich dieselbe Radform auf zwei andern kleineren Erzmünzen die- ser Gegend, das eine Rad als ein signum recusum über einem älteren Ge- präge, ebenfalls vermeintlich mit AXIA bezeichnet (m. s. Tab. IV. a.a.O. nr.6.u.7.).(°) Eine ähnliche gröfsere Erzmünze mit rohem Bilde der (') $. die Litteratur dieser Entdeckungsgeschichte bei Böckh Corpus Inscriptt. graece. Vol.II. Pars X]. 8.80. u. 81. (?) M.s. die Kopie dieser Münze auf der Taf.II. nr.27. zu dieser Abhandlung. (°) So liest Sestini die Inschrift auf beiden Gattungen von Münzen. Mir schien es von Anfange an unwahrscheinlich, dals eine so wenig bewohnte Insel von so kleinem Um- fange und nur allein wegen des Heiligthum’s des Achill besucht, eine eigene Münzstätte ge- habt haben sollte. Ich vermuthete daher, dals Sestini die vielleicht nicht mehr ganz voll- kommen erhaltene Schrift auf beiden Münzgattungen falsch gelesen, und dals sie ursprünglich APIX gelautet habe, wie deutlich auf den guten Exemplaren der von mir angeführten fol- genden Münzen von Olbia zu lesen ist. Diese von mir gegen Hrn. Staatsrath von Köhler in Petersburg geäulserte Meinung ist auch vollkommen von ihm bestätigt worden, so dals daher auch diese fälschlich der Insel Achillea beigelegte Münzen der Stadt Olbia zugerechnet 206 LEvEezow Medusa im älteren Styl, doch ohne ausgereckte Zunge und auf der Rückseite mit dem Bilde eines Rades von vier etwas gegen den Umkreis spitz zulaufen- den Speichen mit den dazwischen gesetzten Elementen der beiden Sylben APIX, statt TAPIXA(!), also Gorgonium und Rad auf einer und derselben Münze, der Stadt Olbia zugehörig, bei von Blaramberg in der Choix de Medailles antiques d’Olbiopolis ou Olbia (Paris, 1822. 8.) auf Taf. 7. nr.5. abgebildet. 2) Unter allen diesen Münzen von Olbia und Achillea ist nun zwar keine Silbermünze, welche unsern Rad- und Medusen -Münzen vollkommen entspricht, wenn man nicht etwa eine kleine Münze von Elektrum auf der einen Seite mit einem häfslichen Gorgonium, auf der andern mit einem vier- fach getheilten, nicht sehr tiefen Quadratum incusum dafür ansehen will. (?) Aber die Menge von dieser Gattung von Autonom-Münzen mit diesen Ge- prägen einer, besonders bei den Medusenmünzen, sich schrittweise erge- benden Entwickelung der Gorgonen - Charakteristik mit den beigeschriebenen Namen der Städte und unter andern eigenthümlichen Beziehungen, lehrt doch augenscheinlich, wie üblich und lange dauernd diese Typen auf den Münzen Olbias gewesen sein müssen, und zwar, nach den schon entdeckten zu schliefsen, in gröfserer Zahl als auf der Münze irgend einer andern Stadt des alten Griechenlandes. Dafs sich dort in Olbia keine solche Silber- münze bis jetzt gefunden hat, wie sich überhaupt wenig Silbermünzen dort aus der ältesten Zeit mehr zu finden scheinen, hat wohl seinen Grund vor- nehmlich darin, dafs dieses ältere Silber nur allein für den auswärtigen Han- del brauchbar war, folglich am meisten auswärts gegangen ist und daher auch leichter verloren gehen konnte. Auch kann der verheerende Einfall der Dacier oder Geten in die am Pontus gelegenen Länder, der sich in spä- werden müssen. — Über die Inseln des Achilles sche man übrigens die neusten und umfas- senden Untersuchungen von Köhlers im X. Bande der Memoires de lAcadem. Imper. des Sciences de St. Petersbourg. 1826. Sur les Isles et la Course consacrdes a Achille dans le Pont-Euxin. 8.531-819. (') Über die Bedeutung dieser Bezeichnung s.m. von Köhlers Abhandlung unter dem Titel: TAPIXOZ, ou recherches sur Ühistoire et les Antiquits de pecheries de la Russie meridionale (im I. Bande der Memoiren der Academie in Petersburg. Sixieme Serie. Tom.I. 1832.). (*) M.s. vonBlaramberg i.a. W. Pi.Il.d. über uralt griechische Münzen. 207 terer Zeit, gegen die Mitte des letzten Jahrhunderts vor Christus, wenige Jahre nach der Regierung des Mithradates Eupator, etwa 56 vor Chr. Ge- burt; (1) sogar längs dem Pontus Euxinus bis nach Apollonia in Thrazien hin erstreckte, den gröfsten Theil der Münzen edleren Metalles aus der äl- testen Periode des Wohlstandes dieser Gegenden, als vorzüglich gesuchte Beute, entführt haben, und von den Siegern, wie häufig von Barbaren ge- schieht, für andere Zwecke eingeschmolzen, auf diese Weise ganz vernichtet worden sein. 3) Wenn nun gleich durch diese Thatsachen keine völlige Identität irgend einer, entweder bei Olbia, auf Achillea, oder auch bei andern be- nachbarten Städten, z.B. bei Istrus, gefundenen Münze mit denen der ersten oder zweiten Gattung unseres Fundes dargethan wird; auch der blofse Um- stand des dort Gefundenseins allein nicht für die gemeinschaftliche Quelle jener und unserer Münzen, (insofern diese ohne epigraphische Bezeichnung sind) würde entscheiden können; so steht doch dadurch fest, dafs der Typus des Rades und des Gorgoniums auf den Autonom-Münzen, also den frühe- ren jener Städte und Örter am Ausflusse des Borysthenes, sehr gewöhnlich und eine lange Zeit fortdauernd gewesen sei, gewöhnlicher und länger dau- ernd, als fast auf irgend einer andern Stadt des alten Griechenlandes. Des- halb wird aber auch die Möglichkeit, dafs unsere Münzen aus diesen Ge- genden herstammen, eher vergröfsert, als vermindert, zumal wenn noch an- dere Umstände hinzutreten, welche diese Beziehung um so wahrscheinlicher machen. 4) Denn aus der überwiegenderen Zahl der sich im Gepräge und Werth gleichen Rad- und Medusen -Münzen unseres Fundes ergiebt sich au- genscheinlich, dafs sie von einer Stadt oder Gegend herstammen, in welcher auf den einheimischen Münzen beide Typen, Rad und Gorgonium, sehr gebräuchlich waren, was sich von keiner andern Stadt aus ihren Münzen be- weisen läfst, welche entweder nur die Radform, oder das Medusen- Antlitz allein auf ihren Vorderseiten zeigen, am wenigsten aber Medusen - Antlitz und Radform auf beiden Seiten derselben Münze zugleich, wie bei den angeführten von Olbia, die Sestini auf Achillea bezieht. Dadurch wird (') S. Dio Chrysosthomus Oratio ad Borysthenilas anno post Christ. 97 habita. Tom.II. Edit. Reisk. 208 LevEezow die Wahrscheinlichkeit um vieles erhöht, dafs unsere Münzen aus jener Gegend des Pontus Euxinus entsprungen sein mögen. 5) Um ein viel Gröfseres aber gewinnt diese Wahrscheinlichkeit noch dadurch an Kraft und Bedeutung, dafs, da wie schon früher bemerkt wor- den, die eigenthümliche Mischung unseres Fundes mit andern Münzen von Athen, Aegina und Cyzikus, ihren Ursprung von einer Stadt verräth, welche in grofsen und ausgedehnten Handelsverbindungen mit dem europäischen und asiatischen Griechenlande gestanden, gerade dieser Umstand auf Olbia seine vollste Beziehung erhält, indem diese Stadt, ursprünglich Kolonie von Milet (Olymp. XXXT, 2. 655 vor Chr. Geb.), und durch diese ihre Mutter- stadt, eine Kolonie Athens, in ausgebreiteten Verbindungen mit dem übri- gen Griechenlande stand; von Strabo deshalb mit Recht ein zrisua Mirysiwv und ueya &urregelov (!) genannt wird, und selbst späterhin, als der Handel derselben sich in engere Gränzen zurückgezogen, dennoch in fortgesetzter Handelsverbindung mit den Städten der Propontis, des Pontus Euxinus und der asiatischen Küste erhielt. Es dürfte daher auch nicht Wunder nehmen, unter ihren früheren einheimischen Münzen, zumal des Attischen Münzfufses, den sie ihrer Mutterstadt Milet, als Kolonie von Athen, verdankte, gleich- geltende Münzen dieser ihr befreundeten Städte, besonders in der frühesten Blüte ihres ausgedehnteren Handels, zu sehen, also Münzen von Athen, Aegina und Cyzikus, welches letztere sich ausdrücklich in dem Namensver- zeichnisse aller der Städte genannt findet in dem merkwürdigen, noch erhal- tenen Psephisma von Olbia, in welchem die Stadt, im letzten Jahrhunderte vor Christus Geburt und noch vor dem grofsen Einfalle der Geten in diese Küste, ihrem hochverdienten Archon eponymus Theocles, Sohn des Saty- rus, eme goldene Krone zuerkennt und wobei zugleich die Namen aller der damals befreundeten Städte aufgeführt werden, welche ihrerseits Demselben jede eine gleiche Krone, zuerkannten. (?) Eben so wenig aber dürfte es auch Wunder nehmen, kleine Münzen unseres Gepräges bei Athen, doch nur einzeln, gefunden zu sehen; da es sich nun ergeben würde, dafs diese vom Pontus Euxinus durch den Handel eben so gut nach Athen gebracht (') Strabo, VII. pag.1246. (?) Von Böckh näher erläutert im IJ. Bande des Corpus Inscriptionum Graecarum S.126. folgd. Nr. 2059. über uralt griechische Münzen. 209 wurden, als athenische, äginetische und eyzicenische nach dem Ausflusse des Borysthenes; folglich nicht als gerade in Athen selbst geprägte Münzen, wie Mionnet meint (m.s. oben), angesehen werden dürfen. So deutet wohl auch dieser scheinbar zufällige Umstand unseres Münz- fundes auf einen sehr wahrscheinlichen Ausgang desselben aus einer grofsen Handelsstadt, welche mit diesen Städten in genauen Beziehungen stand und dies Verhältnifs findet sich zunächst durch Geschichte und Denkmäler bei Olbia vorzüglich erwiesen. (!) 6) Welchen Grund es übrigens habe, weshalb auf diesen Münzen Ölbias und benachbarter Städte sich die Symbole des Rades und des Medu- senhauptes so häufig finden, mögte sich durch folgende Bemerkungen erklä- ren lassen. Wenn wir es früher bewiesen zu haben glauben, dafs die Figur des Ra- des auf den Münzen, als Theil für das Ganze, auch die symbolische Bedeutung der Wagenrennen in den irgend einer Gottheit geweihten Spielen habe und auch diese Spiele daher zur Bezeichnung des dem Gotte gewidmeten Kultus zu nehmen seien; so darf dieses Symbol auf den Münzen Olbias und dem vermeintlichen Achilleas nicht befremden, da in ihnen Apollo unter der Be- nennung gerrarns (?) als Hauptgottheit verehrt worden zu sein scheint, wie nicht nur so viele Münzen, mit seinem belorberten Kopfe bezeichnet, in Verbindung mit dem Umstande beweisen, dafs Olbia als Kolonie von Milet von dort her die Verehrung des Didymäischen Apollo oder des athenischen gorrarngıss(?) überkommen hatte, sondern auch durch Inschriften vollkom- (') w.Blaramberg in der Notice sur Olbia, a.a.0. p.17. bemerkt in letzter Hin- sicht: „Les nombreuses relations d’Olbia avec d’autres villes et colonies grecques, tant d’Asie „que d’Europe, sont constat@es par les monnais d’Athenes, de l’isle d’Eubee, de la Beotie, „de la Macedoine, de la Thrace, de la Tauride, de la Paphlagonie, du Pont ete., que l’on „rencontre parmis celles d’Olbia dans les ruines de cette ville surtout dans le Ziman du „Boug, lorsque le vents d’Ouest, en refoulant les eaux du fleuve, facilitent les recherches „que font les paysans des environs dans la vase produite par les terres “boulees qui faisaient „jadis partie de la ville et qui s’ecoulent successivement avec ce qu’elles rec&lent dans leur .n „sein. — (?) Vergl. die Bemerk. Böckhs Corp. Inscriptt. Graecc. Tom.II. p.133. vergl. mit der Introductio zu diesem Abschnitte. (°) Böckh Corp. Inseriptt. Graec. Tom.II. p.133. collat. Introduet. Histor. philol, Abhandl. 1833. Dd 210 LEevEezow men bestätigt ist (!). Andererseits aber in Hinsicht auf Achillea läfst sich wohl das gleiche vermuthen, da diese Insel dem Achilles geweiht ein Heroon des- selben in sich schlofs und folglich dem festlichen Kultus desselben, unter dem Namen des TTONTAPXHZ, zu gewissen Zeiten heroische Wettkämpfe und also auch im Wagenrennen nicht gefehlt haben, wie gleichfalls aus epi- graphischen Denkmälern erwiesen ist (?). Was aber zweitens das Gorgonium auf diesen Münzen anbetrifft, so bezieht es sich offenbar, wie auf so vielen andern Münzen des Pontus, auf Perseus, der hier gleich einem einheimischen Heroen verehrt ward (°). 7) Aber Olbia stand nicht blofs in grofsen Handelsverbindungen mit der kultivirten griechischen Welt. Seine Lage am Ausflusse des Borysthenes und der unmittelbare Zusammenhang dieses Stromes mit mehreren kleineren des europäischen Sarmatiens dehnten die Beziehungen seines Handels auch auf die roheren Völkerschaften, welche die grofsen Länder im Norden bis zu den Gestaden des Baltischen Meeres bewohnten, aus. Aufser andern Produkten als Getreide, Pelzwerk und Sklaven, war es auch der von der alten Welt dem Golde und den Edelsteinen gleichgeschätzte Bernstein (*), welcher auf immer mehr sich befestigenden Handelswegen von den Gestaden des jetzigen Preufsens bis zu den Küsten des Pontus Euxinus, trotz allen Mühen und Schwierigkeiten, welche mit Reisen und Transporten auf so un- gebahnten Strafsen und durch so unbebaute Länderstrecken verknüpft sein mufsten, geführt wurde. „Die Natur,” sagt Voigt in seiner Geschichte Preufsens (°), da, wo er von dem Bernsteinhandel im Alterthum spricht und dem dritten Wege, welchen der Bernsteinhandel mit Preufsen genommen hat, — „die Natur „aber hatte diesen Handelsweg von der Baltischen See an bis zum Pontus (') Böckh Corp. Inscriptt. Nr.2067,2068, 2069. folgd. (?) S. v. Blaramberg in der Notice sur Olbia S.20. wo er noch zwei erhaltene In- schriften ausdrücklich bemerkt, vergl. mit v. Köhlers Bemerkungen darüber in der akad. Abhandl. sur les Istes et la Course consaer. a Achille dans le Pont- Euxin. p.634. folgd. (©) M. vergl. die Bemerkungen Böttiger’s in not.31. 8.416. folyd. in den Ideen zur Kunst- Mythologie. 1. Cursus. (*) S. auch in nächster Beziehung auf Preuflsen Baieri Opuscwla ad historiam anti- quam spectantia. ed. Klotz. p.496. folgdd. (°) 1.Theil, S.92. folgd. über uralt griechische Münzen. 241 „Euxinus durch Stromverbindungen vorgezeichnet, sei es nun, dafs er auf „dem Pregel, dem Guttalus oder Chronos der Alten, in den Pripez und von „diesem in den Borysthenes bis nach Olbia an seiner Mündung im Pontus, „oder auf dem Weichselstrome aufwärts, von diesem in den Bog, dann in „den Pripez oder Borysthenes fortging. Schwierigkeiten hatte dieser Han- „delsweg wohl allerdings; aber sie wurden, zumal als die Veneder sich wei- „ter nach Westen vorgedrängt, gewifs dadurch bedeutend erleichtert, dafs „er durch Sarmatien fast immer unter befreundeten und stammverwandten „Völkern fortlief. Bis zu den Alaunen erstreckt sich das Gebiet der Stavaner „und in den Wohnsitzen der ersteren lagen die Quellen des Borysthenes. „Ohne Zweifel war es dieser Weg, auf welchem schon in frühester Zeit, „bevor noch jene Strafse nach Pannonien geöffnet war, der Bernstein durch „das alte Scythien zu den Griechen und weiterhin nach Asien gelangte. — „Zwar war der südliche der nach Pannonien hinabging, eine Zeitlang der ge- „wöhnlichste und besuchteste; im höheren Alter aber mag ihm der „östliche auf dem Borysthenes ohne Zweifel voranstehen.” — Soweit Voigt (!). Sollte sich die Vermuthung des Geschichtschreibers, den damals, als er sie niederschrieb, noch kein ihm etwa bekannt gewordenes, unmittelbares Denkmal aus jener früheren Zeit unterstützen konnte, nicht augenscheinlich durch unseren westpreufsischen Münzfund bewähren? In ihm erblicken wir Denkmäler, welche durch wesentliche Eigenschaften solchen ähnlich sind, welche in der Gegend entstanden und mit dem Namen Olbia bezeichnet, entdeckt wurden, welche der Historiker als das Ziel der Richtung seines angegebenen Handelsweges vor Augen hatte. Wir sehen diese Denkmäler mit andern vermischt, welche unter den obwaltenden erwiesenen Verhält- nissen auf das natürlichste und daher auch leicht erklärlich sich zu ihnen gesellen konnten. Wir sehen sie in einer Zeit entsprungen, welche mit der- jenigen übereinstimmt, welche dem Preufsischen Geschichtschreiber nur al- lein vorschwebte. Wir dürfen mit Recht vermuthen, dafs sie zu den älte- sten gehören, welche von der südlichen griechischen Welt zu dem Preufsi- (') Man vergleiche damit die noch viel zu wenig gewürdigten Forschungen Brehmers über die Handelswege der alten Welt in Entdeckungen im Alterthum. FVeimar, 1822. 8°. Zweite Abtheil. von Kap.27-32. und die Charten 4 und 5. zu dieser Abtheilung. Dd2 242 LEevezow schen Norden gekommen sind und zwar früher, als alle späteren römischen oder orientalischen Münzen. Wir sehen sie endlich an einem Orte wieder zu Tage gefördert, welcher entweder unmittelbar, oder doch ganz in der Nähe der grofsen Handelsstrafse, welche der griechische Geograph Ptole- mäus von den südlichen Ländern Europa’s bis zum Gestade des Baltischen Meeres, selbst nach ihren einzelnen Hauptstationen, vorgezeichnet hat. Denn Szubin, der Ort, wo sie gefunden worden, liegt ganz in der Nähe des Städtchens Nakel an der Netze, zwischen Bromberg und Exin, und schon von einem andern Geschichtsforscher, dem scharfsinnigen Erklä- rer der Ptolemäischen Tafeln, Hrn. Kruse, ist vermuthet worden, dafs in dem Namen Nakel der von Ptolemäus gebrauchte Name Ascaucalis stecke (!), mit welchem dieser Geograph eine der Stationen auf dem gro- fsen Handelswege bezeichnete, welcher von Celemantica bis Carrhodunum (Czarnovice), von dieser Stadt aber bis zur Weichselmündung über Setidawa (Cydowo bei Gnesen) bis Ascaucalis führte. Im Archive für alte Geogra- phie, Geschichte und Alterthümer insonderheit der Germanischen Völker- stämme (?) bemerkt wenigstens jener erläuternde Gelehrte bei der von Pto- lemäus angegebenen Lage von Ascaucalis folgendes: „Ptolemäus Entfernung, „nämlich des Orts Ascaucalis von der letzten Station Setidawa (d.i. Cydowo) „beträgt eilf Meilen in nördlicher Richtung. Mit zehn Meilen von Cydowo „gelangen wir nach dem Passe von Nakel in derselben Richtung, und so „scheint hier, oder bei dem gegenüber liegenden Exin, oder Czerekwiza, „wo Alterthümer gefunden werden, der gesuchte Ort gestanden zu „haben.” — Diefs schrieb der Verfasser im Jahre 1822, also zwei Jahre vor der, fast auf derselben Stelle gemachten Entdeckung unserer Münzen. Bei einer so grofsen Übereinstimmung aller mit unserem Münzfunde verknüpften Haupt- und Neben - Umstände mit den Angaben des alten Geo- graphen mögte es wohl so ganz unzulässig nicht sein, anzunehmen, dafs der Fundort der Münzen, mit denen wir uns bis jetzt beschäftigt haben, die Ge- gend des alten Ptolomäischen Ascaucalis sei und zwar auf der grofsen alten Handelsstrafse von Pannonien nach dem Baltischen Ozean, welche nach dem (') Voigt Geschichte Preufsens Th.I. 8.81. nimmt dafür Offielski an, unfern vom jetzigen Bromberg; also doch so ziemlich in derselben Gegend. (?) Heft III. S.127. über uralt griechische Münzen. 213 Vorgange der Handelsleute in frühester Zeit vom Borysthenes aus zuerst gebahnt, dann auch von den späteren Bernsteinhändlern nach dem adriati- schen Meere zu eingeschlagen ward. Aber eben so wahrscheinlich mögte es dann auch wohl erscheinen, dafs unsere Münzen von Olbia eher, als von jeder andern Stadt Griechenlandes durch den Bernsteinhandel nach Preufsen, oder bestimmter in die Gegend des alten Ascaucalis, zunächst auf der Was- serstrafse des Borysthenes und dann von da ab auf der nächsten Landstrafse durch Pannonien gekommen sind. Die Geschichte unseres Fundes würde dann auch aufs neue beweisen, zu welchen vortrefflichen Unterstützungs- Mitteln die Denkmäler der alten Kunst für die Geschichte dienen können; ja, dafs sie da, wo das ausdrück- liche Zeugnifs der geschriebenen Urkunden schweigt, nicht nur diese zu er- setzen, sondern auch die Ahnungen des Geschichtsforschers zu bestätigen vermögen. Anhang. Zur Erläuterung der auf Taf. I. und IN. gegebenen Abbildungen. Tafel II. 4. Münzen mit Radform. Nr. 1, 2, 3. Kleine Silbermünzen von Massilia in Gallien, auf der Vorderseite mit einem jugendlich-männlichen Profilkopfe, oft von sehr schö- ner Form und vortrefflichem Gepräge, neben einigen wenigen die Beischrift AAKYAQN, als Bezeichnung des gleichnamigen Hafens von Massilia (vergl. Pomp. Mela, L.Il. c.5 und Eustathius ad Dionys. v.75.); neben an- dern die Beischrift MAZZA. statt Marrarıwrav oder Marrarınrwv, mit dem belorberten Kopfe Apolls. Auf der Rückseite ein Rad mit vier einfachen Speichen und dem hervorragenden Kopfe der Achse. Indem selbst Eckhel diesen wichtigen Umstand und den genau ausgedruckten Umfang des ein- fachen Rades übersah, verkannte er darin diesen so deutlich bezeichneten Gegenstand, den er nun mit andern für eine area quadripartita erklärt. Die 214 LEevezow zierlichere Form der Speichen auf Nr. 1. und 2. hätte leicht auf eine andere Ansicht bringen können. Zwischen den Speichen auf mehreren der Anfang des Namens, entweder durch ein einzelnes M bezeichnet, oder durch die Sylbe MA (!). — Gallien überhaupt war bekanntlich wegen seiner Pferde- zucht und trefflichen Reiterei im Alterthum berühmt, daher Pferde und Rei- ter schon auf den ältesten gallischen Münzen erscheinen; auf einigen von barbarischer Form, nicht selten von Electrum, auch unter andern Gegen- ständen unverkennbar kleine Radbilder. Da Massilia als Kolonie von Pho- cäa auch den Kultus des Apollo erhielt, ihm als seinem Schutzgotte auf der Burg einen Tempel erbaut hatte; so werden auch ihm zu Ehren die gewöhn- lichen Wagenrennen nicht gefehlt haben, deren Symbol, wie wir oben gezeigt, das Bild eines Rades war. Man vergl. die Abbildungen unserer Münzen bei Pellerin Rec. d. Medail. d. Peuples et d. Ville T. I. Pl. IV. Nr. 21, 22, 23. und Eckhel Doctr. Num. P. I. Vol. I. pag. 67 folgd. und besonders bei Fauris-Vincenta.a.O. Nr. 4,5,6. Die Rückseiten dreier Münzen von Mesambria in Thracien. Nr. 4. eine Silbermünze vierter Gröfse, ehemals in der Knobelsdorf- schen Sammlung, jetzt im Münzcabinet des Königl. Mus. zu Berlin (abgebild. bei Sestini Zettere. Tom. VI. Tab. I. Nr. 8. vergl. mit S. 21. und Eckhel Num. veterr. Anecd. Taf. V. Nr. 3.). Auf der Vorderseite ein Helm von vorne. Rückseite ein Rad mit vier Speichen und der Nabe der Achse; zwischen den vier Speichen die einzelnen Buchstaben META. Nr.5. Eine Erzmünze dritter Gröfse, mit gleichem Typus, doch noch mit besonders ausgebildeter Nabe der Achse und den einzelnen Buch- staben MEZA (abgebildet bei Eckhel.a.a. ©. Taf. V. Nr. 3.). N. 6. Eine Erzmünze dritter Gröfse im Cabinet des Königl. Mus. zu Berlin aus der Knobelsdorf. Sammlung (abgebild. bei Sestini a. a. O. (‘) Auch im Mittelalter scheint der alte Münztypus des Rades verkannt worden und die ins Kreuz gesetzten Speichen für ein wirkliches Kreuz genommen zu sein; indem die christ- lichen Gallischen Fürsten auf den zu ihrer Zeit geprägten Massilischen Münzen statt des Ra- des ein förmlich ausgeprägtes, unzuverkennendes, zum Theil gespaltenes Kreuz setzen lielsen. Diefs scheint seit dem Jahre 1366 geschehen zu sein, wo man zuerst eine grolse Menge jener antiken Radmünzen entdeckte, in deren Vorderseite man den Kopf eines Saracenen, in der Rückseite aber ein Kreuz zu erkennen glaubte. M.s. die Abbildungen bei Fauris-Vincent Memoire sur les Medailles de Marseille 1771. 4. und Eckhels Auszug daraus pag. 68. Doetr. Numorr. Vol.I. über uralt griechische Münzen. 215 Taf. I. Nr. 9.), mit demselben Typus wie vorhin, doch mit von der Seite gestelltem Rade, in ovaler Form, ausgezeichneter Nabe und der Inschrift um den Umfang des Rades METAMBPIANQN. Die auf den beiden Münzen Nr. 4 und 6 enthaltene Inschrift des Namens lehrt augenscheinlich, wie auch auf einigen andern ähnlichen (z.B. bei Pellerin Tom. 7. PL. XXXFY. Nr. 33. et 34.) zu ersehen ist, dafs er theils Meraußgıa (Stephanus Byz. sub h. voc. kennt nur die Form MEZEMBPIA und Mereußgiavcı), theils in dorischer Form METAMBPIA ausgesprochen und geschrieben wurde. Die Steinschriften, welche bis jetzt bekannt geworden (M.s. Boeckh Thes. Insceriptt. Graecarr. Tom. II. p.76), nennen die Einwohner Mer außgavcı. Dafs die Bilder der Rückseiten dieser Münzen nichts mehr und nichts weni- ger als ein Rad vorstellen, zeigt das Bild desselben auf der Münze Nr. 6. ganz augenscheinlich. In dieser von der Seite genommenen Ansicht ist es ganz vollkommen den Radbildern ähnlich, welche sich auf grofsen Syracu- sanischen Medaillons an den Quadrigen in gleicher Ansicht darstellen, z.B. auf Nr. 38. der Taf. III. dieser Abhandl., sondern auch ebendaselbst unter Nr. 49. an zwei Quadrigen auf Vasengemälden. Dafs Thracien durch seine Pferdezucht, seine Reiterei und sein Fuhrwerk schon im Alterthum sehr berühmt war, darf nicht erst bemerkt werden, um die Bedeutung des Rades auf den Münzen von Mesambria zu rechtfertigen, wenn wir auch von der inneren Geschichte dieser Stadt und dem religiösen Kultus der Einwohner so gut wie gar nichts wissen. — Nr. 7, Ss, 9. Drei Silbermünzen vierter Gröfse, dem kleinen thraci- schen Städtchen Tempyra angehörig. Nr. 7. zeigt auf der Vorderseite ein behelmtes, jugendliches Haupt nach der rechten Hand sehend, vielleicht das des Mercurius evayovıss. An der Seite des Helmes das kleine Bild eines Rades mit vier Speichen. Auf der Rückseite ein Rad mit nur drei Speichen, dazwischen die einzelnen Buch- staben IMAM (Abgebildet bei Millingen auf Taf. IT. Nr. 2. vergl. mit S. 34 u. 35. des Recueil de quelques Medailles greeques inedites. Rome. 1812. 4). Nr. 8 und 9. mit gleichem Bilde auf der Vorderseite und dem Rade am Helme oder Petasus, auf der Rückseite aber das Bild eines Rades mit vier Speichen, welches auch über die Bedeutung des Bildes auf der Rück- seite von Nr. 7. keinen Zweifel lassen kann. Die Abbild. von Nr. 8. s. bei Pellerin Med. d. Villes. Pl. CXV. Nr.1T, der sie zu denen eines unge- 216 Levezow wissen Ursprunges gesetzt hat. Doch läfst das Bild der Vorderseite keinen Zweifel übrig. Cattaneo will die Münzen Nr. 7., nach Note 15. zum Ca- talog. Popp. Vrbb. et Regg. quorum numi adservantur in Mus. Reg. Officinae Monetar. Mediolan. Mediol. 1812. gr.8. p.39., nach Mesambria versetzt wissen. Dann müfste aber der Name, zumal von der Rechten zur Linken, gelesen werden MAT außgavwv, wofür sich keine Gewähr in irgend einem anderen Denkmale findet, wenn man auch nicht in Anschlag bringen will, dafs sich von Mesaußgıa noch keine Münze mit einem dreispeichigen Rade gefunden hat. Nr. 10, 11, 12. Drei Silbermünzen von Tarertum. « Nr. 10. Das Huntersche Museum zeigt in dieser kleinen Silbermünze p- 314, Nr. 118, vergl. mit Taf. LVI, 13, 134 Gran schwer, auf der Vor- derseite eine Muschelschaale, auf der Rückseite aber die Gestalt eines Rades mit vier Speichen, die der auf unseren Münzen ähnlich ist. Nr. 11. Eine ähnliche Form des Rades giebt eine andere, doch grö- fsere Silbermünze zu erkennen im Museum zu Florenz von Eckhel Num. Anecd. Tal.III, Nr. 4. abgebildet und p.32 beschrieben; auf der Vorder- seite mit TAPA2, von der Rechten zur Linken zu lesen, und einem nackten Manne auf einem Delphin sitzend, unterhalb eine Muschelschaale; in Hin- sicht auf die Gröfse unserer Silbermünze unter Nr. 28. ähnlich. Nr. 12. Eine andere ähnliche, doch von roherer Kunst, ohne Muschel- schaale, hat Mionnet aus dem Mus. Gosselin mitgetheilt ( Tom. FI. Tab. LAT, Nr. 3. Descr. d. Med. gr.). Eine andere, noch ältere wie es scheint, Dutens (Expdie. d. quelg. med. Edit. T. et II. Pl. 11. Nr.5.) mit einem vierspeichigen Rade auf der Rückseite; der auf dem Delphin reitende und unterhalb die Muschel, mit TAP. von der Rechten zur Linken auf der Vorderseite. Eine fünfte hat Pinder auf Tab. I. Nr. 2. seiner Numismata antigqua inedita. Particula I. Berol. 1534. gr.8. nach dem Original im Münzkabinet des Königl. Museums zu Berlin abgebildet und S. 10 folgd. erläutert. Die Rückseite bietet ein ähnliches Rad, wie bei der vorigen dar; in dem Ab- schnitte zwischen zwei Speichen ein Delphin. Alle diese Münzen zeigen indessen eine schon zierlichere Form des Rades, mit schon bauchigen Speichen, wie sie an den ausgebildeten Rädern unter Nr. 53 auf unserer Tafel III. erscheint, und daher als Radform um so über uralt griechische Münzen. DA weniger zu verkennen ist. Dafs übrigens Tarent durch seine treffliche Rei- terei im Alterthum berühmt war und es daher auch wohl an geschickten, sieg- reichen Wagenrennern nicht gefehlt haben wird, läfst sich aus dem, was die Alten von der ersten bemerken, kaum bezweifeln (!). Eben so läfst sich der Kultus des Apollo in derselben Stadt voraussetzen, nach Polyb. YIII, 30, 2. vergl. mit Müllers Dorier T’hl. I. p.199 folgd. Nr. 13, 14, 15, 16, 17. Silbermünzen von Syrakus. Mionnet (Tom. YII. Tab. LXT. Nr.2. m. vergl. unsere Abbildung der Rückseite Taf. II. Nr. 14.) giebt eine Silbermünze als eine Syrakusanische der kleinsten Gröfse und etwa den unsrigen gleich, auf deren Vorderseite sich ein mit einem Perlendiadem geschmücktes weibliches Haupt rechts sehend zeigt, dessen unterhalb zurückgeschlagenen Haare von einem Netze zusam- mengehalten werden; auf der Rückseite eine Radfigur, der auf den unsri- gen ähnlich, bis auf die schon etwas bauchigen Speichen, doch ohne alle Inschrift; aus dem Mus. Gosselin. — Diese Angabe wird von zwei ähnlichen Silbermünzen im Hunterschen Museum (Zab. ZIF. Nr. Au. 5; auf unserer Taf. H. unter Nr. 15 und 16 abgebildet) unterstützt, deren Vorderseiten mit dem weiblichen Kopfe, dessen Haare von einem Netze umgeben sind und theils die Inschrift ZY, theils ZYPA zwischen den Speichen des Rades zei- gen, bezeichnet sind. Deshalb hat auch Combe mit vollkommenem Rechte eine andere Silbermünze gleicher Gröfse, auf der Vorderseite mit jenem Kopfe und auf der Rückseite mit einem vierspeichigen Rade, der Radform auf den besseren der unsrigen Münzen sehr ähnlich, ohne Beischrift (Mus. Hunter. Tab. LIV. Nr. 6. auf unserer Tafel II. Nr. 13.) derselben Stadt vindicirt. Eine zierlichere völlig ausgebildete Radform erscheint Nr. 17. mit der Beischrift ZYPA und zwei Delphinen auf einer gröfseren Erzmünze des Mus. Hunter. auf Tab. LIV. Nr. 26. abgebildet, so dafs also wegen der Radform auf den älteren Syrakusanischen Münzen durchaus nicht gezweifelt werden darf, wenn auch die späteren prachtvollen Tetradrachmen und Didrachmen von Syrakus durch dieselben Räderformen an den vollständigen Bigen und Quadrigen die Bedeutung jenes Symbols und seine Beziehung nicht aufser allen Zweifel setzten. (') M.s. Rud. Lorentz de Civitaie weterr. Tarentinorum, 8.52 folgd. Numburgt. 1833. in 4°. als Programm abseiten der Schulpforte geschrieben. Histor. philol, Ahhandl, 1833. Ee 218 LEvEszow Jene von uns unter Nr. 14, 15, 16 und 17 unserer Tafel II. abgebil- deten Münzen, mit den zumal auf Nr. 14. zwischen den vier Speichen ver- theilten Buchstaben Z-Y-P-A- giebt mir Veranlassung zur Berichtigung einer Ansicht über Zweck der Radform auf den alten Münzen, die bei Gelegen- heit einer Recension des obengenannten Werkes des Hrn. Bröndsted in den Jahrbüchern der wissenschaft. Kritik, Berlin, 1827, Nr.3 u. 4. p.32 geäufsert worden ist, wo man sich auf pag. 107 der Deux Zettres a Mylord Comte d’ Aberdeen, sur l’ authenticite des Inscriptions de Fourmont par M. Raoul- Rochette. Paris, 1819. 4., bezieht, nämlich, dafs diese Form von den alten Münzern angewendet worden sei, um in den dadurch abgetheilten Feldern die Inschrift symmetrisch anzuordnen. — Aber abgesehen von de- nen Münzen, welche Hr. Raoul-Rochette erwähnt, die alle viel späteren Ursprunges sind, und deshalb mit den unsrigen und den ihnen ähnlichen viel älteren nicht verglichen werden können, um aus ihnen das Radbild auf so uralten Monumenten zu erklären; so kann diese Ansicht schon aus dem Grunde nicht Statt finden, da die ältesten und auch viele späteren mit dem Radbilde geprägten Münzen, wie zum Beispiel die unsrigen und unter ihnen die der ersten Klasse mit dem allerältesten rohen Bilde, gar keine In- schrift haben, folglich das Bild ursprünglich einen andern Zweck, eine andere Bedeutung gehabt haben mufs. Dafs man erst späterhin die Inschrift zwischen die Speichen des Rades setzte, davon war der Grund kein anderer als der, man konnte der Inschrift keine andere Stelle anweisen, da der bis an den Rand der Münze sich mehrentheils ausdehnende Umkreis des Rades keine andere für die Inschrift passende Fläche zu benutzen erlaubte: ..Selbst das Beispiel der unter Nr. 16 abgebildeten Münze mit der Bezeichnung ZY in einem einzigen Felde lehrt diefs augenscheinlich. Nr. 18, 19. Münzen von Gela. Das Mus. Hunter. zeigt auf Tab. XXVIII. Nr. 17. (vergl. mit Nr. 18. unserer Taf. II.) eine Erzmünze, auf deren Rückseite eine Radfigur mit vier Gerstenkörnern zwischen den vier Radspeichen; auf der Vorderseite ein nach der linken Hand stehender Stier, oberhalb FEAAZ, unterhalb ...; vergl. mit Princ. Torremuzza Numm. Sıcıl, Tab. XNXXIIT. Nr. 21. Ohne Zweifel hat diese eherne Münze (wenn sie nicht die sogenannte Anima einer vormals betrüglich plattirten Silbermünze ist) ihr Vorbild in andern älteren Silbermünzen, deren Abbilder Pr. Torremuzza. a. a. O. Tab. XXTT. über uralt griechische Münzen. 219 unter Nr.14 u. 15. gegeben hat, auf der Vorderseite das Vordertheil eines Stiers mit menschlichem Antlitze nach der Rechten gerichtet, darstellend, auf der Rückseite aber ein Rad mit vier Speichen. 4 Auch hier rechtfertigen die grofsen späteren Silbermünzen von Gela mit der Biga und dem daran befindlichen höchst einfachen Rade (m. s. Nr. 35. auf Taf. III. dieser Abhandl.) die Annahme der Radform auf diesen ältern Münzen ganz vollkommen. Nr. 20. Der Stadt Triadizza in Mösien schreibt Combe Mus. Hunter. drei Erzmünzen erster, zweiter und dritter Gröfse zu, welche auf der Vorderseite den Kopf Merkurs mit dem Petasus, auf der Rückseite die Inschrift TPIA, in die Felder eines rechtwinkeligen Kreuzes vertheilt, zeigen. Diese Figur ist augenscheinlich nach dem Typus der Münze, welche Mus. Hunter auf Tal. LX. Nr.22. enthalten ist (m. vergl. Nr. 20. Taf. II. zu dieser Abhandl.), die Figur eines Rades mit vier einfachen Speichen und dem deutlich ausge- drückten Kopfe der Achse, aber eben nicht sehr geschickt gezeichnet. Sestini in der Geogr. numism. hat gar keine Münze dieser Stadt angeführt. Er ver- weiset die dafür gehaltenen nach Traelium in Macedonien. Man sehe indessen über diese Stadt und diese Münzen die Bemerkungen Eckhels in der Doetr. Num. ad Serdicam T’'hraciae et T'raelium Maced. Er hält sie alle für ungewifs. Nr. 21, 22. Münzen von Akanthus. Eine Erzmünze, auf der Vorderseite ein behelmtes Haupt zur Rech- ten, auf der Rückseite die Radfigur mit vier Speichen und der dazwischen gesetzten Inschrift AKAN, giebt das Mus. Hunter. auf Tab. I. Nr. 17. (m. s. die Abbild. auf Taf. II. Nr. 21. dieser Abhandl.), so wie eine andere ähn- liche auf der Rückseite mit derselben Inschrift; aber auf der Vorderseite einen Reiter zur Rechten, zeigt das Mus. Yiezai Tom. I. Tab. XI. Nr. 223. (m. s. die Copie auf Taf. II. d. Abhandl. Nr. 22.) und eine ganz ähnliche Münze beiHarwood Popp. et Frbb. Selecta Numism. Graeca ex Aere. Tab.1. Nr.2. 3 modul., als unzubezweifelnde Denkmäler von Akanthus in Macedo- nien. — Die Radform auf diesen Münzen ist ganz einfach, mit geraden, un- verzierten Radien. Nr. 23, 24, 25, 26. Die Abbildungen der Rückseiten von vier Münzen verschiedener Gröfse in Erz, zufolge der auf drei derselben vermeinten befindlichen Inschrift AXIA. Ee2 220 Levszow und AX. von Sestini und Mionnet, vornemlich aber von dem Erstgenann- ten, der Insel Achillea im Pontus des europäischen Sarmatiens zugeschrie- ben. Man vergleiche indessen über diese Inschrift und ihre Richtigkeit das, was wir in der Note 3 zu Seite 205 dieser Abhandl. bemerkt haben, woraus hervorgeht, dafs sie vielmehr der Stadt Olbia als jener Insel zunächst zuge- schrieben werden müssen. M.s. die Abbildungen und Beschreibungen die- ser drei ersten Münzen bei Mionnet Supl. Tom. II. unter der Rubrik Achillea, vornehmlich aber bei Sestini Contin. d. Letter. numism. Tom. IV. p. 40 folgd. und dazu Tab. IV. Nr.6. und 7. der in Bezug auf die unter Nr. 24. und 25. von uns mitgetheilten Rückseiten (vergl. mit Mus. Yiezai Tab. XXY 111. Nr. 623. aer.3. auf unserer Taf. Il. Nr. 25.). Von allen die wichtigste erscheint die auf unserer Tafel II. Nr. 26. in den Abbildungen beider Seiten mitgetheilte, indem sie auf der Vor- derseite das rohere Gorgonenhaupt, auf der Rückseite aber das Bild eines Rades mit vier einfachen Speichen darstellt, bei Sestini Letter. Tom. IV. Tab. I. Nr.5. Inwiefern diese Münze mit beiden Typen beson- ders zur Ausmittelung des Entstehungsortes unserer kleinen Silbermünzen theils mit Gorgonenmasken, theils mit Radformen bezeichnet, beitra- gen kann, haben wir in der Abhandlung selbst bemerkt und die Lokal- Beziehungen dieser Typen nachgewiesen. Sollte sich indessen die Lesart AXIA auf einer und der andern wohlerhaltenen Münze bewähren, so würde diefs in unserer Vermuthung der Hauptsache nach nichts ändern, bei der grofsen Nähe Achilleas und Olbias und des politischen Zusammenhanges bei- der Örter. Nr.27. Eine Silbermünze, 2 mod., auf deren Vorderseite ein stofsender Stier und der Inschrift AIJAP. Auf der Rückseite: in dem Felde eines Quadratum incusum ein Rad mit vier Speichen; in den Winkeln des Quadrats Z-I-N-Q, als gröfsere Hälfte des Namens Sinope in Paphla- gonien. — Bei Sestini Zettr. Tom. II. Taf. IV. Nr. 23. (auf unserer Taf. Il. Nr. 27.). Die Form des Rades und der Speichen ist zierlich und ganz der Form des Wagenrades unter Nr. 53. auf unserer Taf. III. ähnlich. Nr. 28, 29. Münzen von Chalcedon. Die Münze unter Nr. 28. mit der Inschrift XAAK, also auf Chalce- don in Bithynien bezüglich, hat Pellerin Med. d. Villes. T.II. Pl. XLI. Nr. 9. bekannt gemacht, eine ähnliche (bei uns unter Nr. 29.) Mionnet über uralt griechische Münzen. 221 auf Pl. XLII. Nr.6.a.a. O. Auf der Vorderseite ein entblöfstes gebär- tetes Haupt mit gleicher Inschrift. Sie sind beide von dritter Gröfse. — Das Radbild ist den Bildern der Wagenräder unter Nr. 53 und 54 unserer Taf. III. sehr ähnlich. Der Umkreis des Rades auf dem zweiten Bilde zeich- net sich überdiefs durch eine besondere Verzierung aus. Nr.30, 31, 32, 33, 34. Fünf Silbermünzen verschiedener Gröfse und mit Radbildern verschie- dener Art bezeichnet, welche von den Numismatikern gröfstentheils für Mün- zen eines ungewissen Ursprunges erklärt worden sind. Die erste derselben, auf unserer Tafel II. unter Nr. 30 abgebildet, ist von Combe im Mus. Hunter. auf Tab. LXVII. Nr.1. mitgetheilt und den unsrigen des besseren Gepräges so vollkommen ähnlich, dafs sie unstrei- tig mit ihnen für gleichen Ursprunges gehalten werden mufs. Wir würden sie daher unbedenklich, nach dem, was wir darüber schon in unserer Ab- handlung auseinandergesetzt haben, der Stadt Olbia zuschreiben. Die zweite (Nr.31) hat Pellerin Zom. //I. der Med.d. Villes auf PI.CXY. unter Nr. 21. zuerst und nach ihm Mionnet Taf. ZI. 3. in der Abbildung gegeben. Pellerin rechnete sie zu denen eines unbekannten Ursprunges, obgleich auf der Vorderseite sich das Bild eines kniebeugenden und rück- wärts sehenden Stiers zeigt, ein Typus, der bekanntlich auf mehreren grie- chischen Münzen vorkommt. Der Mangel irgend einer Beischrift hat ihn wohl aus Vorsicht dazu veranlafst. Die Rückseite enthält das einfache, un- geschmückte Rad in dem Felde eines Quadratum incusum. Eine ähnliche Silbermünze, vielleicht gleichfalls wie die vorigen aus dem Königl. Kabinet zu Paris, und von derselben Gröfse, aber neben dem Stier im Felde, ober- halb II und neben dem Halse den einzelnen Buchstaben N enthaltend, bei Mionnet Pl. LI. Nr.3. Tom. VII. im Recueil d. Planches. Die dritte Münze Nr. 32. ist von Mionneta.a. O. Tab. XL. Nr.4. abgebildet. Sie enthält eine der einfacheren, noch unvollkommneren Kon- strukzionen des alten Rades, nach welchen das Rad entweder in einem Stücke eine volle hölzerne Scheibe bildet (wie die Wagen der Deutschen und Sar- maten an der Columna Antonini, bei Sante Bartoli auf Taf. XXI. und Taf. LXX.), oder aus mehreren Stücken zusammengesetzt war, und durch drei darüber angebrachte Queerhölzer, durch ein über den ganzen Durch- messer der Cirkelscheibe gehendes und zwei darüber an den kleineren Seg- 222 LEeverzow menten gelegte Queerhölzer verbunden und befestigt wurde. In dem Cen- trum der Scheibe ist augenscheinlich der Kopf der Achse aus dem längsten Queerholze hervorragend zu bemerken, wie an dem zweirädrigen Karrn mit Wilde beladen, der auf dem Marmorrelief sichtbar ist, p. 213 bei Tetius Ädedes Barberinae, und aus derselben Quelle bei Scheffer de re vehieuları Feterum, Lib.T.c.6.p. 45. Dieselbe Form findet sich auch in den Sdmirand. Roman. Antigg. Vestigüs, von Sante Bartoli, auf Tab. XXY., doch ohne Andeutung der drei Stücke, aus denen das Rad zusammengesetzt ist. End- lich aber nicht mehr zu einer vollen Scheibe, sondern schon aus Felgen und Speichen zusammengesetzt, doch in der Art, dafs die Speichen nicht vom Mittelpunkte, der Nabe, ausgehen und bis an den Umkreis reichen; sondern so, dafs die Nabe nur durch das Centrum eines einzigen bis an den Umkreis durchgehenden Queerholzes gebildet wird, welches von zwei andern, das- selbe an den Seiten senkrecht durchschneidenden Hölzern noch mehr Festig- keit erhält. Diese Form ist die auf unserer Münze Nr. 32, und dafs sie die Form eines wirklichen Rades, und nichts anderes sei, lehrt das gleichgebil- dete Rad eines Wagens, der von zwei Maulthieren gezogen wird, in dem Gemälde eines gebrannten Thongefäfses im älteren griechischen Styl, bei Dubois-Maisonneuve Fases antiques etc. Pl. II. Nr.3. Die vierte Münze (Nr. 33.) hat Mionnet auf Taf. XL. Nr.d. a.a. O. abbilden lassen. Sie enthält, wie man auch aus unserer Kopie sehen kann, das alte einfache, aber schon vierspeichige Rad auf der Vorderseite; auf der Rückseite ein unförmliches Quadratum incusum. Sie ist sehr über- einstimmend mit der gröfsten Silbermünze unseres Fundes auf Taf. I. Nr. 29. so wie gleichfalls die fünfte Münze (Nr. 34.), bei Mionnet auf Zaf. ZAT. Nr. 1., ganz übereinstimmend ist mit der unsrigen unter Nr. 27. auf Taf. I. z. d. Abhandl. und der bei Bröndstedt a.a. O., welche dieser Gelehrte nach Lebadea in Böotien versetzen will. Nach den von uns angeführten Gründen in der Abhandlung darf ich keinen Anstand nehmen, allen diesen letzten und ihnen ähnlichen Münzen ebenfalls Olbia, oder, doch weniger wahrscheinlich, das benachbarte Achillea als Entstehungsort anzuweisen. [66] [86 o über uralt griechische Münzen. Tafel II. BD. Radformen an vollständigen Bigen und Quadrigen auf griechischen Münzen. Die auf Taf. III. von unter Nr.35 bis 44 abgebildeten Rückseiten der grofsen, durch Combe im Hunter. Mus. und von Torremuzza in den Numis Sieil. und Sestini Taf. I. Nr. 15. Descriptio Numorr. Veterr. edirten silbernen Prachtmünzen von Gela, Messana und Syrakus geben in den Rädern der darauf abgebildeten Bigen und Quadrigen, alle dieselben Formen auf das Deutlichste zu erkennen, welche auf den vorhin gemusterten Münzen erscheinen; so dafs sie uns für jeden Unbefangenen aller weiteren Zusätze völlig überheben, um die Übereinstimmung jener einzelnen Radbilder mit denen an den Bigen und Quadrigen bemerklich zu machen. C. Gleiche Radformen an Wagen mancherlei Art auf gröfseren Denkmälern der alten Kunst, Vasengemälden, Reliefs u. s. w. Dieselben Formen stellen sich auch an den unter Nr. 45 bis 55 gege- benen Abbildungen der Räder in gröfserem Maasstabe an Wagen verschiede- ner Art, auf mancherlei Monumenten, als erhobenen Werken, in Vasenge- mälden und in anderen für sich bestehenden Denkmälern dar; als auf Vasen- gemälden in Nr. 45, an der Quadriga des blitzenden Jupiters in dem schönen Vasengemälde bei Tischbein (Hamiltons Vasen) Vol.T. fig. 31. Nr. 46. an der Biga, ebendaselbst Fol. IT. fig. 27. Nr. 47. an der Quadriga, ebendaselbst Y’ol. 7. fig. 24. Nr. 48. an dem geflügelten Wagen Triptolems, ebendaselbst Fol. 7. fig.8 ('). Nr. 49. an der Quadriga, ebendaselbst Fol. 77. fig. 28. desgleichen an dem Wagen Jupiters Yol. IV. fıg.1. (') Ein einzelnes, vierspeichiges aber geflügeltes Rad von Minerva mit der linken Hand gehalten, in dem Gemälde eines Trinkgefälses von gebranntem Thon, abgebildet auf Pl. FIT. der Antiques du Cabinet d. Comt. d. Pourtales-Gorgier, decrites par T. Panofka. Paris, 1834. Fol. Ohne mich hier auf die Ausgleichung der Meinungen des gelehrten Er- klärers und Hrn. Raoul-Rochette, des früheren Editors dieses Gefälses, einlassen zu wol- len (m. vergl. Panofka’s Note 35. zu pag. Al. d.a. W.), kann ich darin nichts anderes sehen, als das Beispiel eines Symbols, welches den Theil für das Ganze giebt, vielleicht hier das Symbol einer Minerva Ergane. 224 Levezow über uralt griechische Münzen. Nr. 50. an dem Wagen in dem im alten Styl gezeichneten Vasenge- mälde bei Dubois-Maisonneuve ..a. W. Pl. II. Nr.3. Auf anderen plastischen Werken: Nr.51. Abbildung eines Rades in gebranntem Thon, vier Zoll im Durchmesser haltend, aus der von Kollerschen Sammlung im Antiqua- rium des Königl. Museums zu Berlin, vergl. mit dem schon darüber Gesag- ten S. 180 dieser Abhandlung. Nr. 52. an einem Wagen circensischer Genien, in dem Relief des Mus. Pio- Clementin. Tom. F. Tab. XLII. Nr.53. am Wagen eines kleinen Genius, der mit zwei Ebern fährt Pio-Clem. Tom. IF. Tab. XII. Nr. 54. an dem Triumphwagen des Bacchus und der Ariadne. Relief im Mus. Pio-Clement. Tom. IV. Tab. XAIV. ebenso auf Tab. ALT. Tom. V. Nr. 55. am Wagen des Helios, Relief. Mus. Pio-Clem. Tom. IV. Tab. AV IIT. Zufolge aller dieser Thatsachen, die sich noch aus so vielen andern Denkmälern, doch völlig überflüssig, häufen liefsen, geht wohl für den Un- befangenen aufser allem Zweifel hervor, dafs die in Rede stehenden Münz- bilder nichts anders sind und sein sollten, als Abbildungen einzelner Räder von ihrer ältesten einfachen Gestalt und Beschaffenheit an bis auf die späte- ren Zeiten, wo sie schon durch zierlichere Bildung der Speichen ausgezeich- net erscheinen. Zusatz zu Seite 201, Zeile 13. Eine sehr ähnliche Münze von Silber und in derselben Gröfse befindet sich abgebildet unter Nr. 11. auf der Kupfertafel zu den Observations numıs- matiques dediees a Thorwaldsen (vom Hrn. Grafen von Palin) Aome 1833. gr.8., aber leider auch eines ungewissen Ursprunges nach der Erklärung des Herausgebers S.26. Ob die dazu gemachten Bemerkungen in Hinsicht ihrer etwanigen Beziehungen auf Chinesische, Indische, Agyptische und Me- xikanische Symbolik für die Ausmittelung ihres Ursprunges genügend sein können, mufs ich Andern zu prüfen überlassen. mm ED Nach vollendetem Abdrucke der Abhandlung sind noch folgende Zusätze und Verbesserungen für nöthig gehalten worden. Zu S.191, nach der Zeile 5 von oben: Aus demselben Grunde zeigt sich auch a vierspeichige Rad, als Symbol des Rennwagens, (ganz in der- selben Gestalt und fast in derselben Gröfse, wie unter Nr. 13, Taf. II. zu dieser Abhandlung auf einer kleinen Silbermünze von Tarent und auf Nr.30 ebendas. auf der Münze eines ungewissen Ursprungs, abge- bildet), angebracht auf der flachen Seite von drei Ölfläschchen, a mit Strigilis und Schwamm verbunden, oberhalb auf dem Grunde eines sehr merkwürdigen Vasengemäldes des griechischen Vasenmalers Peithi- nos aufgehängt sind, welches auf der unteren Fläche einer kostbaren griechischen, aber bei Ponte dell’ Abbadia in Etrurien, gefundenen Schaale sich befindet, jetzt Eigenthum des Königl. Museums zu Berlin. (M. vergl. das Yerzeichnifs der antiken Denkmäler im Antigquarium des Königl. Museums zu Berlin. Erste Abtheilung: Gallerie der Vasen von K. Levezow. Berlin 1834 in8. S.246-251, Nr.1005). Dies Gemälde bildet den kontrastirenden, schlüpfrigen, päderastischen Pen- dant zu der auf der gegenüberliegenden Seite befindlichen Darstellung der verschämten, reineren Liebe durch drei Paare von Jünglingen und Jungfrauen, welche, jedes für sich, mit einander im sittigen Liebesge- spräch vorgestellt sind. Auf unserem Gemälde zeigen sich aber im Ge- gentheil vier Paare älterer Jünglinge und zarter Knaben, die letzten nackt, mit zierlich gelocktem und gekräuselten Haupthaar und weiblich vom Haupte hinab in feine durchsichtige Schleier gehüllt, in Stellungen und Gebärden, welche auf Verhältnisse hindeuten, die in den Gymna- sien und Palästren nicht selten entstanden und zu den gröbsten sinnlichen Ausschweifungen Veranlassung gaben. Dafs der Ort, auf welchen sich diese ganze Scene bezieht, kein anderer, als das &Aus$eriev, oder das Salbezimmer des Gymnasiums sei, wird durch das darin aufgehängte Geräthe, Ölflaschen, Strigilis und Schwamm, hinlänglich und ohne allen Zweifel angezeigt, zugleich aber durch die Radbilder auf drei jener Öl- flaschen von cirkelrunder, doch platter Form, welche daher von der gewöhnlichen rundbauchigen Gestalt der Ölflaschen in den Händen der Palästriten und an den Wänden des Gemachs, auf Vasenbildern abge- bildet, abweicht, eben so absichtlich und augenscheinlich zu erkennen giebt, dafs diese Ölflaschen als das Eigenthum junger Wagenrenner gedacht werden sollen. S.199 erste Zeile von oben lese man Aegium, statt Aegina. S.207 unter Note 1 lese man Chrysostomus. S.219 Nr.20 am Ende, füge man hinzu: Indessen ist es jetzt durch neuere Entdeckungen ausgemacht, dafs die mit TPAI bezeichneten Münzen der Stadt Traelium angehören, da sich ähnliche Münzen theils mit TPAIA. (s. Dumersan Description d. Med. antig. d’Allier de Hauteroche, p.33, unter Traelium, vergl. mit Cadalvene Recueil d. Med. Greeq. ine- dits, p.93 unter derselben Stadt); theils mit ganz ausgeschriebenem Namen TPAIAION. (bei Mionnet Deseript. d. Med. antig. Supplem. Tom.III, 5.173) gefunden haben, welche die Sache aufser allen Zwei- fel setzen. S.220 am Schlufse füge man hinzu: Aber nach Cadalvene’s sehr richti- ger Bemerkung unter dem Artikel Phlius in dem angeführten Recueil etc. 8.177 u. 178 zu der angeführten Stelle Sestini’s, mufs jene auf der Münze befindliche Inschrift, als ein Wort, nur in zwei Hälften ab- gesetzt, verbunden von der Rechten zur Linken und dann von der Lin- ken zur Rechten BR Preıarıny gelesen und dem zufolge unbedenk- lich der Stadt Phlius zu geschrieben werden. Zweiter Zusatz zu $S.201, Zeile 13. Einige erst nach dem Drucke dieser Abhandlung dem Verfasser als unbe- zweifelt neuere Siamesische bekannt gewordene, völlig gleiche Mün- zen an Gepräge und Gröfse, doch von verschiedenen Stempeln, machen allen weiteren Conjecturen über dieselben als Denkmäler eines höheren Alterthums ein Ende. nm m nuoan Lu dır Abhandlung ces Hrn doeverow, Flıst KLAICSL. REEL datt ng I Ar +3 2-9 Gattung IL. Gattıng [U Gattung U ALT. e WT. A. RES) an “ SLU de Gruzmacher sc * [3 . PS a ee >. Krw i j . s 2 r e “ . 4 f RR . a, u x ri e . . ka ss Die RP + Pe w - “ “= . . A Pa e D3 PN f Se PDRERE FREE = D EUR re Be . 27 Widdes Men Leverom, Hist Kl AE3F. Massılra ® ® EN 7 vg . ® f IS FRFEIECHIPE : Irınalızza en: ©) & 4 —n [ < ' BE FFTLCETÜLE ELLE Zei dee Sy &) SS Ürber DEZ Mirvembria Ihrar. is TUN UDSS Z’irac. 4 N > AR N Syreaces de #» 2A ER GE PN FaN VERDI JScanthus Abhandl.des Ha Leveron, Mt ÄRIEBH. SafAfHM. Messana » A ZyPA KOLINN I Über archaologische Kritik und Hermeneutik. Von H”:- LEVEZOW. m. [Gelesen in der Königl. Akademie der Wissenschaften am 21. November 1833.] S: 1. M.. hat das Geschäft die Schriftwerke der Alten sowohl in Absicht ihrer Ächtheit zu prüfen, gleichwie nach Sinn und Geist ihrer Verfasser zu erklä- ren, schon längst auf die Grundsätze zurückgeführt, welche in der Natur der Sache liegen. Man hat diese Grundsätze zu einer Disciplin der Kri- tik und Hermeneutik vereinigt, deren sorgfältiges Studium von allen de- nen nicht vernachläfsigt werden darf, die sich mit Emendazion und Erklä- rung der alten Schriftsteller besonders beschäftigen. Allerdings mit voll- kommenem Rechte. Die Schriften der Alten, ich meine hier zunächst die klassischen der Griechen und Römer, sind nach mancherlei widrigen Schick- salen bis zu uns gekommen; sie stammen aus Zeiten her, welche von den unsrigen weit entfernt liegen; sie entstanden in Gegenden der kultivirten Welt, von denen oft die, welche sie jetzt lesen und erklären, sehr weit ge- trennt sind; sie entstanden bei Völkern, welche theils in andern Staatsver- fassungen lebten als wir Neueren, theils andere Sitten und Gebräuche, eine andere Art von Gottesverehrung hatten, deren Kultur des Geistes und der Sitten auf andere Weise und unter andern Umständen sich entwickelt hatte, als die unsrige, welche über unendlich viele Gegenstände, die dem Menschen wichtig sind, anders dachten und empfanden und anders denken und empfinden mufsten, als wir; endlich, welche ihre Schriften in Sprachen verfafst haben, die sich nicht nur wesentlich von den neueren unterscheiden, sondern die sogar mit dem politischen Untergange jener Völker fast so gut wie ganz aus dem Zusammenhange der lebenden Sprachen verschwunden Hıstor. philol. Abhandl. 1833. Ff 226 Levezow sind, und die wir nur auf dem schwierigeren und mühsameren Wege der Tradizion und des Bücherunterrichtes verstehen lernen. Folglich mufs uns an und vor sich sowohl die äufsere Form ihrer Schriften in Hinsicht auf Sprache, als der Inhalt derselben in Hinsicht auf Vorstellungen, Gedanken, Urtheile, Schlüfse und Empfindungen, als in Hinsicht auf Sitten und Gebräuche dem gröfsten Theile nach vollkommen unverständlich und räthselhaft sein. Es ist daher nöthig, dafs das Geschäft der Erklärung und Übersetzung hinzukomme, um unsere Vorstellun- gen, Gedanken und Empfindungen in unsere Sprache gehüllt, erst mit de- nen der Alten auszugleichen, uns mit ihnen auf gleichen Standpunkt der Sprache, der Ansicht, des Urtheils, der Empfindung zu versetzen, ehe wir sagen können, wir verstehen die Schriften der Alten, wir geniefsen sie. Diefs Geschäft kann aber natürlich kein Werk der blofsen Willkühr sein. Die Sprache eines jeden Volks ist das übereinstimmende Resultat einer strengen Gesetzgebung der Logik und des Sprachgebrauchs. Die Grundsätze beider vereinigen sich in dem Kodex der Grammatik. Die ge- sammte Litteratur eines kultivirten Volks ist die organische Frucht seiner durch tausend besondere Ereignisse individuell bedingten Geisteskultur; die Schrift eines einzelnen Verfassers ist das nothwendige Produkt seiner beson- deren Bildung und Absicht. Die allgemeinen Gesetze menschlicher Erkennt- nifs, Empfindung und Sprache liegen dabei eben so wesentlich zum Grunde, als die besonderen Modifikazionen dieser verschiedenen Vermögen in dem einzelnen Menschen. Die Gesetze nun, nach welchen diese Vermögen sowohl im Ganzen der Litteratur aller kultivirten Völker, als der eines besonderen Volkes und der Geistesprodukte eines besonderen Schriftstellers wirksam sind und auf die Eigenthümlichkeiten und Konstrukzionen des Ganzen und des Einzelnen Bezug haben, in Hinsicht auf Sprache und Litteratur und das Verständnifs der Schriftsteller zu entwickeln, ist das Geschäft der Hermeneutik, oder der theoretischen Auslegungskunst, die, nach jenen oben angegebenen Rück- sichten, sowohl eine allgemeine, als eine besondere sein kann. Sie giebt, als eine gesetzgebende Wissenschaft, die aus jenen Untersuchungen gezogenen Regeln an, nach welchen bei Erklärung und darauf sich stützen- der Übersetzung der Schriftsteller überhaupt und besonders zu verfahren sei, um dadurch zu dem Zwecke der Lektüre, dem richtigen Verständnisse über archäologische Kritik und Hermeneutik. 227 der Schriftsteller, zu gelangen. Ohne sich dieser Regeln und Grundsätze klar bewufst zu sein, ohne sie in strenge, gewissenhafte Ausübung zu setzen, kann das ganze Geschäft der Erklärung und Übersetzung, folglich der Lek- türe der alten Schriftsteller, nicht anders als fruchtlos bleiben, kann zum wenigsten nur schielende, oder gar unsinnige und grundlose Resultate er- zeuzen. a S. 2. Sollte es mit der zweiten Klasse der Denkmäler des Alterthums, näm- lich der Kunstdenkmäler, nicht eine gleiche, oder doch wenigstens eine ähnliche Bewandtnifs haben’? Wir verdanken ihre Entstehung denselben Zeiten, denselben Völkern, von welchen jene schriftlichen Denkmäler herrühren. Sie werden daher unter denselben Bedingungen und Verhältnissen der eigenthümlichen Geistes- und Sitten-Kultur dieser Völker gebildet sein; sie werden in demselben Zu- sammenhange mit ihren eigenthümlichen Ideen, Empfindungen, Gebräuchen und Schicksalen stehen. Zum Theil zwar in Formen dargestellt, welche die allgemein verständ- lichen Formen der Natur sind, finden wir sie doch meistens mit Gegenstän- den vergesellschaftet, durch Attribute und Beiwerke ausgezeichnet, oft in Charakteren modifizirt und untereinander in solche Verbindungen gesetzt, die uns fremd sind, die wir nicht in dem Zusammenhange der Dinge, welche uns Jetzt umgeben, gewahr werden, die uns räthselhaft scheinen, deren Be- deutung und Absicht uns an und vor sich unverständlich ist. Ohne von irgend einem andern Führer unterstützt und belehrt zu werden, als dem gesunden Auge, dem unverdorbenen Gefühl und einem unbefangenen Verstande, werden den, welcher in den ersten besten Anti- kensaal eintritt, zwar die hohen, kräftigen, zarten und reitzenden Gestalten, die sich von allen Seiten in den hier versammelten Denkmälern der alten Kunst dem Blicke darbieten, lebhaft anziehen und ergreifen, und die Grund- züge seines eigenen Wesens den Beschauer in ihren Bildungen erkennen las- sen; aber das Eigenthümliche, und von seiner Persönlichkeit, seinem Zeitalter, seiner Nazion Abweichende in Körperbildung, geistigem Aus- drucke, Zustande, Handlung, Tracht, Kleidung, Waffen, Attributen und Umgebungen wird hundert dringende Fragen in ihm aufregen, die so wenig Ff2 228 LEvEezow ein gesundes Auge, als ein unverdorbenes Gefühl und ein reifer Verstand an sich zu lösen vermögen. Alles diefs wird und mufs natürlich ohne Zuthun einer höheren Belehrung und Aufklärung, nach wie vor, Räthsel und Ge- heimnifs bleiben. Dennoch finden wir bei genauer Aufmerksamkeit in unendlich vielen Denkmälern dieser Art eine regelmäfsige Übereinstimmung und absichtliche Verschiedenheit in Formen, Charakteren und Beiwerken, in Verbindung der Formen und Darstellungsweisen, die uns schliefsen lassen, diesen Ähn- lichkeiten und Verschiedenheiten liegen gewisse bestimmte Gesetze und Ideen zum Grunde, die ebensowohl in den Eigenthümlichkeiten der Nazionen, in deren Mitte sie entstanden, begründet, als durch das Wesen der verschiede- nen Kunstgattungen und den besonderen Sphären ihrer Darstellungsweisen bedingt sind. | g Es mufs daher möglich sein, bei genauerer Kenntnifs dieser Eigen- thümlichkeiten jener alten Nazionen und der verschiedenen Kunstgattungen, die Gesetze zu entdecken, nach welchen die alten Künstler sich bei Verfer- tigung ihrer Kunstwerke richteten und die Ideen zu entwickeln, welche da- durch vorgestellt werden sollten. Es mufs bei der Ähnlichkeit, oder gar bei der Übereinstimmung wesentlicher Verhältnisse zwischen alter Litte- ratur und alter Kunst für die letztere eben so gut eine wissenschaftliche Anweisung geben können, welche lehrt, wie diese Werke zu erklären sind, als wir die Existenz einer solchen Diseiplin für die Litteratur schon längst zu ihrem Vortheil erkannt haben. Wir werden uns von der Möglichkeit und Ausführbarkeit derselben vollkommen überzeugen können, wenn wir uns die Idee und den Inhalt derselben näher werden entwickelt haben. Die Entwickelung dieser Idee wird sich aber um so leichter vollenden, wenn wir uns zuvor des Zweckes, auf welchen diese Diseiplin, als Mittel gerichtet sein soll, klar und deutlich bewufst worden sind. 8.3. Da aber diese Wissenschaft, als Anleitung die speciellen Kunstdenk- mäler der Alten zu erklären, nur einen besonderen Theil einer allgemeinen Erklärungskunst der Kunstwerke überhaupt ausmachen kann; so werden wir nothwendig von dem Begriffe der Erklärung eines Kunstwerkes über- haupt und den daraus abzuleitenden Folgerungen, ausgehen. über archäologische Kritik und Hermeneutik. 229 Ein Kunstwerk erklären heifst aber nichts anders, als die Bedeu- tung, den Sinn desselben aussprechen. Diefs setzt die Erkenntnifs der Bedeutung, des Sinnes desselben voraus. Jede Erkenntnifs aber entspringt aus einem besonderen Grunde, als einer eigenthümlichen Quelle; folglich mufs auch die Erkenntnifs der Be- deutung, des Sinnes des Kunstwerkes ihren besonderen Erkenntnifs- grund, oder ihre besondere Erkenntnifsquelle haben. Der Erkenntnifsgrund der Bedeutung und des Sinnes eines Kunst- werkes ist die ursprüngliche Vorstellung oder die Idee des Künstlers; denn diese gab dem Kunstwerke nicht nur überhaupt das Dasein, sondern auch sein ganzes eigenthümliches Wesen. Vorstellungen oder Ideen (im gewöhnlichen Sinne des Worts) geben sich äufserlich aber nur durch ein Mittel zu erkennen, z.B. in den re- denden Künsten durch Worte, in den bildenden durch Gestalten und Farben. Die Erkenntnifsmittel der Ideen des bildenden Künstlers und folglich des darauf sich beziehenden Inhaltes des Kunstwerkes, oder seiner Bedeutung, sind also Gestalten und Farben. Wer demnach die Bedeutung und den Sinn eines Kunstwerkes zu er- forschen sucht, mufs sich der Idee des Künstlers zu versichern suchen; das Mittel dazu ist die Erwägung der Gestalten, des Bildes, worin die Idee ein- gehüllt ist. $. 4. Daraus folgt: 1. dafs ein Kunstwerk überhaupt aus einer Idee, als dem geistigen We- sen desselben, und aus der Form, dem Bilde, worin die Idee, wie in ihren Körper, sinnlich eingekleidet ist, bestehe; 2. dafs man aber nur durch die Erkenntnifs der Formen und ihrer Bedeu- tung zur Erkenntnifs der Idee, also zum Verständnifs des Kunstwerkes, gelangen könne. 8.5. Es mufs demnach ein nothwendiges, erklärendes Band zwischen den Formen und Ideen Statt finden, und dieses wird wohl in nichts Anderem 230 LEvEzow enthalten sein, als in der, der menschlichen Vorstellungskraft nothwendigen Beziehung des Zeichens auf das Bezeichnete; entweder durch die Noth- wendigkeit der Natur, kyriologisch, wo der Begriff unmittelbar an die äufsere Form geknüpft ist, als Thier, Mensch, oder Freude, Schmerz, Zorn; oder der Tradizion, als Cäsar, Friedrich; oder der Übereinkunft, als Homer, Christus; oder als Symbol, Allegorie, durch Analogie, Ideenassoziation, Metapher u. s. w. Bei der Erklärung des Kunstwerkes wird demnach die genaue Kennt- nifs der Formen, als Erklärungsmittel, sowohl der Natur, als der Tradizion, der Übereinkunft und des Symbols vorausgesetzt und erfordert; es besteht also ein Haupterfordernifs der Erklärung in nächster Beziehung auf die Form in Natur- und Kunst-Kenntnifs. Aber es wird auch die Kenntnifs der Ideen vorausgesetzt, weil die Erklärung in der Andeutung der Beziehung der Formen auf .die Ideen besteht, worin das zweite Haupterfordernifs gesucht werden mufs, folglich Erudi- zion oder Wissenschaft. Ein drittes Haupterfordernifs ist die subjective Geschicklichkeit von der Erkenntnifs der Formen auf die ihnen zum Grunde liegenden Ideen voll- kommen richtig zu schliefsen, also Verstandesfertigkeit. Die vermittelst der letzteren, als Resultate aus den ersteren Kennt- nissen (als Vordersätzen) gezogenen Schlüsse werden daher als die Erläute- vungen der Kunstwerke anzusehen sein und die ganze Operazion der Erklä- rung eines Kunstwerkes wird demnach vornehmlich durch das Geschäft der Vergleichung desselben, erstlich mit den allgemeinen und besonderen For- men der Natur und ihrer Darstellung in der Kunst und zweitens mit der Erudizion oder Wissenschaft, zu Stande kommen. 8. 6. Weil nun ein altes Kunstwerk, als solches, noch eine besondere und - ausschliefsliche Beziehung auf das Alterthum hat, also aufser der allgemei- nen Beziehung auf Natur und Kunst überhaupt seine eigenthümliche Existenz durch die Idee eines alten Künstlers und durch Kunstfertigkeiten des Alter- thums erhielt; so wird bei dessen Erklärung ein dreifacher Parallelismus zum Grunde liegen müssen, nämlich: {. mit Natur und Kunst überhaupt, über archäologische Kritik und Hermeneutik. 231 2. mit alter Kunst und 3. mit alten Ideen, oder Erudizion; wodurch zugleich die Erkenntnifsquellen und Mittel des Inhaltes der alten Kunstwerke genannt worden sind. Soll nun, was vor jeder Erklärung eines alten Kunstwerkes, welches als solches ausgegeben wird, geschehen mufs, ausgemittelt werden, ob das vorliegende Werk ein wahrhaft altes sei, oder nicht; so wird es noth- wendig sein, diesen dreifachen Parallelismus noch besonders im Gegensatze mit moderner Kunst und modernen Ideen zu erweitern. 8. 7. Aus allem diesem geht hervor, dafs als die Erkenntnifsquellen und Mittel des Sinnes und der Bedeutung eines alten Kunstwerkes und der vor- läufigen Überzeugung von der Alterthümlichkeit desselben im weiteren Um- fange angenommen werden müssen: 1. Die Schriften der Alten; weil in diesen ihre Ideen, ihre Wissen- schaft, ihre Erudizion aufbewahrt ist. Sie lehren uns die Alten selbst nach allen Beziehungen und Verhält- nifsen des Lebens, ihrer ganzen geistigen und physischen Wirksamkeit und ihrer Schicksale kennen, insofern es durch das Mittel der Sprache geschehen kann, und wir finden aufser dieser allgemeinen Belehrung über das Alter- tihum noch in unendlich vielen Stellen derselben besondere Aufschlüfse über die wichtigsten Erscheinungen in ihrer Kunstwelt, wodurch ein grofser Theil der Räthsel sich löst, die sich uns unabhängig von ihren Schriften in ihren Kunstwerken darbot. Eine Vergleichung ihrer Schriften mit ihren Kunst- werken wird also eins der wesentlichsten Mittel sein, zu ihrer Erklärung, zu ihrem Verständnifse zu gelangen, wird die Basis ihrer Interpretazion und Kritik ausmachen. 2. Die alten Kunstwerke; weil wir aus dem ganzen Umfange der noch vorhandenen nur den Maasstab der Beurtheilung der Kunstfertig- keiten und Eigenthümlichkeiten der alten Kunst hernehmen können. Denn über unendlich viele andere Erscheinungen in den Kunstwerken werden wir auch ein tiefes Stillschweigen in den vorhandenen Schriften der Alten finden; theils darum, weil sich darüber nicht füglich schreiben liefs, der leiblichen Anschauung allein der Aufschlufs überlassen bleiben mufste;; 232 LEvEzow theils, weil uns darüber die ehemals vorhandenen schriftlichen Aufschlüsse verloren gegangen sind; theils endlich, weil sie dem Alterthum zu bekannt und vertraut waren, als dafs man ihrer besonders und ausdrücklich zu er- wähnen für nöthig gefunden hätte. Aber wir werden durch Vergleichung mehrerer alten Kunstwerke mit einander zu Schlüfsen auf ihre Gründe und zu Resultaten berechtigt werden, welche uns statt der ausdrücklichen Auf- klärung dienen können. So wird die Vergleichung der Kunstwerke des Alterthums mit Kunst- werken des Alterthums das zweite Hauptmittel zu ihrer Erklärung, oder zum Verständnifse derselben zu gelangen sein. 3. Die Natur- und Kunstwerke überhaupt; weil wir aus den ersten überhaupt nur die Kenntnifs der Formen und ihre nothwendige Beziehung auf die ihnen zum Grunde liegenden Ideen abstrahiren kön- nen; durch die Kunstwerke aber die Möglichkeit und für den Zweck des Kunstwerkes auch die Zuträglichkeit der bildlichen Darstellung der Ideen durch die nothwendigen Formen der Natur, der Tradizion, der Phantasie, des Symbols, der Übereinkunft und der Gesetze, nach wel- chen sie dargestellt werden können und müssen, zu erkennen sind. So wird also die Kenntnifs der Bedingungen und Gesetze, nach wel- chen Kunstwerke jeder Art in Bezug auf das Vorbild der Natur, als Kunst- werke überhaupt nur zu Stande kommen können, folglich auch den beson- deren Kunstwerken der Alten zum Grunde liegen müssen, die allgemeinen Erscheinungen in den Kunstwerken der Alten erklären helfen. Also wird die Kenntnifs der Theorie, oder des Wesens der Künste an sich, folglich die Vergleichung der Kunstwerke der Alten mit Natur- und Kunst-Werken überhaupt, ein drittes Hauptmittel zur Interpretazion der alten Kunstwerke ausmachen. $:: 8. Das Geschäft der Erklärung der alten Kunstwerke selbst kann nach einem schon bei den Alten und zunächst bei den Griechen üblichen Namen Exegese der alten Kunstdenkmäler genannt werden. Die Exegese der alten Kunstdenkmäler ist aber eine praktische Wissenschaft, weil durch ihre Vermittelung, durch Verbindung und Tren- nung von Begriffen neue erzeugt werden, die zur Bezeichnung und Erken- über archäologische Kritik und Hermeneutik. 233 nung vorhandener Kunstfakta dienen sollen. Als solche hat sie, wie jede praktische Wissenschaft, in.der Ausübung ihre Schwierigkeiten, die hier aber um so gröfser erscheinen müssen, da die Haupterfordernisse zu ihrer Ausübung, wie oben gezeigt ist, so bedeutend sind, ja die klaren und wo möglich erschöpfenden Ansichten von den Ideen und dem Kunstumfange einer an Ideen und Kunstfakten an sich zwar so reichen, aber für uns nur lückenhaften Vorwelt in sich fassen, und überdiefs noch die stets gegenwär- tige Kenntnifs der Natur und Kunst überhaupt voraussetzen, verbunden end- lich mit einer Fertigkeit im Urtheilen und Schliefsen, die jede Übereilung des Verstandes in gewagter Hypothesensucht eben sowohl von sich aus- schliefst, als sie, bei jenem Mangel an Vollständigkeit, sowohl der schrift- lichen, als bildlichen Monumente, die höheren Ahnungen des Genius nicht verschmähen darf, wenn sie gleich nicht immer in die schulgerechte Form des Syllogismus gebracht werden können. 8.9. Diese Geschicklichkeit in der Ausübung zu erleichtern, welche durch keine blofs theoretische, oder historische Kenntnifs der alten Kunst allein bewirkt wird, müfste daher eine Disciplin allerdings sehr beförderlich sein, welche die Regeln angäbe, nach welchen man von richtiger Erkenntnifs der Formen auf die Bedeutung derselben in den alten Kunstwerken, oder vielmehr auf die dadurch vorgestell- ten Ideen schliefsen, kurz, den Sinn und Inhalt des alten Kunstwerkes aussprechen kann. Sie würde demnach die Gesetze, nach welchen theils jene dreifache Vergleichung in Absicht auf die Kunstwerke der Alten, sowohl im Allge- meinen auf jedes alte Kunstwerk überhaupt anwendbar, als in besonderer Beziehung auf die einzelnen Klassen derselben, als eben soviel besondere Darstellungsweisen, angestellt und aus dieser Vergleichung zum Behuf des Verstehens und Erklärens derselben richtige Schlüfse und Regeln gezogen werden müssen, wissenschaftlich aufgestellt und gerechtfertigt mit einander verbinden. Sie würde archäologische Hermeneutik genannt werden kön- nen, da die Wissenschaft, welche sich mit der Kenntnifs der alten Kunst- denkmäler beschäftigt, nach einem fast allgemein angenommenen Namen, Histor. philol. Abhandl. 1833. Gg 234 LEverzow Archäologie genannt wird und man der theoretischen Auslegungskunst schon längst den Namen Hermeneutik gegeben hat. 8. 10. Der Inhalt dieser Wissenschaft würde dem Obigen zufolge be- stehen: 1. in einer Untersuchung der Erkenntnifsquellen und Mittel der alten Kunstdenkmäler, in nächster Beziehung auf die sich darauf stützende Erklärungsfähigkeit der letzteren. Zwar sind Kritik und Hermeneutik in jeder ihrer Beihülfe bedürftigen Wissenschaft, insofern jene auf logischen Grundsätzen beruhen, ein und die- selben; aber in Hinsicht ihrer Anwendung auf eine specielle Wissenschaft unterscheiden sie sich nach dem besonderen Charakter dieser und der Natur ihres Gegenstandes. Der Hermeneut für eine solche specielle Wissenschaft hat daher nur aus dem Charakter derselben und der Natur ihres Gegenstan- des diejenigen Momente zu prüfen und in Erwägung zu ziehen, aus welchen sich zunächst die Grundsätze und Regeln für die Erklärung der einzelnen Bestandtheile folgerecht ableiten und rechtfertigen lassen. — Demnach hat der archäologische Hermeneut und Kritiker auch nur diejenigen Momente aus den beiden Bestandtheilen der alten Kunstwerke, nämlich der alten Ideen und Formen ins Auge zu fassen, aus welchen die Mittel zu ihrer rich- tigen Erkenntnifs, also die Regeln für die Erklärung der Denkmäler gefol- gert werden können. Dahin gehören besonders die verschiedenen Gat- tungen der Ideen, welche sich in den Kunstwerken dargestellt finden, als: historische, mythische, symbolische, mystische u.s.w., nach dem beson- ders unterscheidenden Charakter der einen von der andern; ferner die For- men und Verbindungen derselben zu einem Ganzen nach eben densel- ben Beziehungen. 2. Den zweiten Bestandtheil des Inhaltes der archäologischen Hermeneu- tik bilden dann die Resultate, aus diesen besonderen Untersuchungen gezogen und zu Grundsätzen der Ausübung, also zu Regeln für das ' praktische Verfahren, die Exegese selbst, vereinigt. Weil aber, wie unlängst bemerkt ist, die Erklärung eines alten Kunst- werkes voraussetzt, dafs das zu erklärende entweder ganz, oder zum Theil, ein dem Alterthum wirklich angehörendes sei; diese Überzeugung aber über archäologische Kritik und Hermeneutik. 235 wegen genauerer Verwandtschaft der Kunstwerke überhaupt nicht immer ganz klar vor Augen liegt; so wird diesarchäologische Hermeneutik 3. nicht entbehren können der Grundsätze einer vorläufigen Untersuchung über die Ächtheit oder Unächtheit der zu erklärenden alten Kunst- werke, oder der Aufstellung der Regeln, die sich auf Erforschung die- ses wichtigen Gegenstandes beziehen; folglich der Grundsätze der ar- chäologischen Kritik. Butt. Da wir oben ein altes Kunstwerk dasjenige nannten, welches seine Existenz einem alten Künstler verdankt, das heifst in Hinsicht auf klassische Kunst, einem Künstler aus dem Zeitraume von’ Entstehung der Kunst bei Griechen und Römern bis auf den Untergang des alt-römischen Reichs; so wird das Geschäft der archäologischen Kritik in Prüfung aller der Merk- male bestehen, welche einem alten Kunstwerke, als einem solchen zu- kommen. Die Haupt- und innern Merkmale eines alten Kunstwerkes können sich aber nur in den wesentlichen Bestandtheilen desselben zu erkennen ge- ben, in den Formen und den Ideen, welche durch die Formen haben aus- gedrückt werden sollen; "folglich sind für uns Haupt-Erkenntnifs- Quellen und Mittel eines alten Kunstwerkes die alten Formen und die alten Ideen, wie schon oben angedeutet worden ist. $: 12. Indem aber der Begriff des Alterthums nicht etwas Wesentliches in der inneren Natur eines Kunstwerkes an sich bezeichnet, sondern nur ein äufseres Verhältnifs der Zeit, worin es entstanden ist; das Verhältnifs der Zeit aber nur durch Vergleichung derjenigen Merkmale ausgemittelt werden kann, welche die äufseren zufälligen Beziehungen des Aufeinanderfolgens und Beisammenseins bewirken, so können als äufsere Bestätigungs- gründe der aus dem inneren Wesen des alten Kunstwerkes, aus den Ideen und Formen, geschöpften Merkmale der Alterthümlichkeit eines Kunstwer- kes angesehen werden: Gg32 236 LeEevEzow 1. das alte Material, sei es natürliches oder künstliches Produkt, in- sofern diefs nur von alten Künstlern gebraucht: wurde und eben ge- braucht werden konnte; ) die an den Kunstwerken befindlichen Inschriften, als unmittelbare, ausdrückliche Zeugnifse des Alterthums, sowohl in Absicht auf ihre Schreibart, als in Absicht des Gebrauches mancher Wörter und ihrer Formen, als endlich in Absicht des chronologischen Inhaltes der- selben; 3. der Ort, wo das Kunstwerk entdeckt wurde und die Nebenumgebun- gen de Ben: 4. die Aa mit ähnlichen! oder gleichen Werken, z.B. gröfserer Denkmäler mit kleineren, und umgekehrt; einzelner > abgerifsener, fragmentirter Bilder mit ähnlichen in ihrem ganzen Zu- sammenhange erhaltenen ; 5. die historischen Nachrichten, welche wir theils über die Exi- stenz eines solchen Werkes bei den alten Schriftstellern, theils bei den Neueren über die Art und Weise der we und dessen Beschaf- fenheit finden. Es würden sich demnach die Hrköhntnifiitünde der Alterthümlichkeit eines Kunstwerkes eintheilen lassen in innere und äufsere Gründe, und zu den ersteren die aus den Ideen und Formen hergenommenen, zu den letzteren aber die vom Material, den Inschriften, dem Orte der Auf- findung und deren Nebenumständen, und der Vergleichung mit ähn- lichen, oder gleichen Werken hergenommen, gerechnet werden müssen. 8. 13. Insofern sich die archäologische Kritik mit der Untersuchung der Authentizität eines alten Kunstwerkes aus den inneren Gründen beschäftigt, könnte man sie die höhere, insofern sie sich in derselben Absicht aus den äufseren Gründen beschäftigt, die niedere Kritik; insofern sie aufs ganze Werk geht, die Totalkritik, insofern auf die Ächtheit einzelner Theile, die Partialkritik nennen. Indessen sind diese Unterscheidungen hier von geringerer Bedeutung, wie bei der litterarischen Kritik; da in der Regel alle diese verschiedenen besonderen Rücksichten bei den Kunstwerken zugleich genommen werden müssen, wegen der viel innigeren organischen Verbin- üher archäologische Kritik und Hermeneutik. 237 dung der einzelnen Theile eines Kunstwerkes, als in den schriftlichen Denk- mälern. Aber als Konjectural-Kritik kann und mufs das Verfahren der Restaurazion einzelner Theile angesehen werden, indem ohne die schärf- ste kritische Untersuchung über Idee und Form, bis in ihre feinsten Unter- schiede verfolgt, keine Wiederherstellung im Sinne und Geiste, im Styl und in der Manier des ursprünglichen Verfassers möglich ist. 8. 14. In der gröfsten Ausdehnung des Begriffs vom Alterthum würden da- her zu den alten Werken (Antiken) alle diejenigen zu rechnen sein, welche bei den verschiedenen kunsttreibenden Völkern des Alterthums entstanden sind. Weil aber jedes Volk, nach dem verschiedenen Maafse der ihm zu Theil gewordenen Fähigkeit und Kultur, in seinen Kunstwerken sich durch Formen und Ideen wesentlich von dem andern unterscheidet und auszeich- net, so müssen auch Merkmale vorhanden sein, woran man die Werke eines Volkes von den Werken des andern Volkes unterscheiden kann. Es muls daher auch Kennzeichen geben, nach welchen man z.B. griechische und römische Kunstwerke von denen anderer alten Völker, als Etrusker, Phö- nizier, Perser, Ägyptier, Indier u. s. w. auschliefslich zu unterscheiden vermag. Die archäologische Kritik hat daher in jedem vorliegenden Falle zu- vörderst zu untersuchen: ob das Werk entweder ganz, oder nur theilweise alt sei, und welcher Nazion des Alterthums es angehöre? $. 15. Indem aber der Begriff des Alterthums, als einer vergangenen Zeit, mehrere aufeinander folgende Momente zu erkennen giebt und der Inbegriff der alten Kunst, als einer sich fortlaufend entwickelnden Erscheinung in der Vergangenheit, in ihren einzelnen Werken periodisch sich abstufende Mo- difikazionen in Formen und Ideen darstellt; so folgt daraus, dafs es aufser den allgemeinen Merkmalen der alten Kunstwerke in Ideen, Formen und Materien, die den Werken einer Nazion gemeinschaftlich sind, auch noch besondere gebe, die den Werken aus besonderen Perioden der Kunst- 238 LEvEezow entwickelung der Nazionen eigenthümlich und dadurch unterscheidend für die Werke der übrigen Perioden sein müssen. Folglich hat die archäologische Kritik nicht blofs auf die Prüfung jener allgemeinen Frage: ob ein Kunstwerk im Allgemeinen alt oder neu sei, und welcher Nazion des Alterthums es im ersten Falle angehöre? Rück- sicht zu nehmen; sondern auch, wenn diese Fragen berichtigt sind, noch zu untersuchen: welcher besonderen Periode des Alterthums eines Volkes dasselbe angehöre? indem auch diese Untersuchung auf die Erforschung des Sinnes eines alten Werkes bei der besonderen Herrschaft gewisser Ideen, oder ihrer Modifikazionen in besonderen Perioden, oft von dem wesentlich- sten Einflufse ist. 8. 16. Weil indessen jedes alte Werk seinen Ursprung genommen hat nicht blofs im Alterthum überhaupt und in einer gewissen Periode desselben be- sonders, sondern auch in dieser letzten das eigenthümliche Produkt eines einzelnen Künstlers geworden ist, die besondere Organisazion und Kul- tur eines. Individuums dessen Produkte von denen eines andern unterschei- det, so müssen endlich in jedem einzelnen Werke auch noch besondere Merkmale sich wahrnehmen lassen, welche es als das besondere Produkt eines einzelnen Künstlers in einer besonderen Zeitperiode charakterisiren. Auch diese Kenntnifs kann, aufser dem, dafs sie zur Vervollkomm- nung der Geschichte der Kunst und der Künstler beiträgt, oft von wesent- lichem Nutzen für die Aufklärung des Sinnes eines Kunstwerkes werden, weshalb die archäologische Kritik auch die Prüfung der Merkmale eines Wer- kes, als des Produktes eines besonderen Künstlers nicht aus den Augen ver- lieren darf. Wenn auch gleich bei dem lückenhaften Zustande, in welchem die alten Kunstwerke meistentheils auf uns gekommen sind, und bei der längst erworbenen Überzeugung, dafs wohl wenig von den Werken der alten be- o) rühmten und nahmhaften Künstler für uns geborgen sein mögte, auch viele, noch erhaltenen Kunstwerken aufgeschriebene Künstlernamen, theils als solche nicht anerkannt werden sollten, theils von fremder Hand betrüglich herzustammen scheinen, diese Untersuchung in den meisten Fällen zu kei- nem sicheren Resultate führen wird; so darf sie doch nicht ganz übersehen über archäologische Kriuk und Hermeneutik. 239 werden, weil auf der anderen Seite nicht geläugnet werden kann, dafs wir den Beschreibungen der Schriftsteller zufolge in mehreren, sich wiederho- lenden und übereinstimmend trefflichen Werken gewifs treue Kopien von berühmten Werken grofser Künstler besitzen, aus welchen doch nicht alle Spuren und Merkmale ihres eigenthümlichen Styls und Charakters verbannt sein werden, die zum Maafsstabe der Erkenntnifs derselben in anderen ihnen ähnlichen dienen mögen. Mit ihrer Hülfe würde wenigstens in manchen be- deutenden Fällen der Künstler auszumitteln sein, welcher der Urheber des Originals gewesen, dessen Kopie auf uns gekommen ist. $. 17. Aus allen diesen zu veranstaltenden kritischen Untersuchungen würde sich ohne Zweifel ergeben: 1. ob ein Werk entweder ganz, oder vielleicht nur zum Theil dem Alter- thum angehöre ; 2. von welchem Volke es herstamme; 3. in welcher Periode der Kunstentwickelung eines besonderen Volkes es entstanden ; 4. welchem besonderen Künstler es seine Existenz schuldig sei, insofern diefs noch zu ermitteln möglich sein kann. Aber es würde sich auch im Laufe dieser Untersuchungen ferner N ergeben: 5. ob das Werk ein Original-Werk sei, oder eine Kopie; 6. oder nur eine mehr oder weniger strenge Nachbildung und Wiederho- lung einer gleichen, oder ähnlichen Idee; da die Erfahrung lehrt, dafs aufser den Original-Werken der alten Künstler im Alterthum selbst theils eine Menge Kopien jener, theils mehr oder weniger strenge Nach- bildungen und Modifikazionen verfertigt wurden, als wozu wir fast den gröfsten Theil der Werke rechnen können, welche bis auf unsere Zei- ten gekommen sind. Und so wäre mit der Angabe dieser sechs verschiedenen Gesichts- punkte der Untersuchung zugleich der Hauptinhalt der archäologi- schen Kritik ausgesprochen. — Leveszow $. 18. Die oft sehr grofsen Schwierigkeiten, welche diese Untersuchun- [Ss] > oO gen bedrängen, springen von selbst in die Augen, indem sie oft noch gröfser sind, als bei ähnlichen Untersuchungen schriftlicher Monumente. Daher mögten sich auch hier die Kauzionen oder Vorsichtsmaafsregeln noch mehr häufen, als in der litterarischen Kritik. Denn erstlich ist die Sprache der Kunst, d.h. die Kunstform, eine allgemeine Sprache aller kunstübenden Nazionen; daher die Werke aller dieser Nazionen in den frühesten Perioden sich fast alle gleich, oder doch sehr ähnlich sind; zweitens sind diejenigen Werke, welche in der Kritik der alten Kunst den Maafsstab der Untersuchung hauptsächlich abgeben könnten und müfsten, die Original-Werke der grofsen Meister, welche den entschie- densten Einflufs auf die Entstehung, den Fortgang und die Ausbildung der Kunst in den verschiedenen Epochen ihrer Entwickelung hatten, für uns verloren gegangen, weshalb wir uns nur darin auf dem dunklen Wege dieser Untersuchung kaum leiten lassen können von den schwachen Spuren, welche theils in den schriftlichen Nachrichten der Verfasser, theils in den vorhan- denen Kopien jener grofsen Original-Werke angetroffen werden, die freilich nicht immer mit gleicher Kunstgeschicklichkeit veranstaltet worden sind. Aus dem eben Bemerkten ergiebt sich nun zugleich, dafs die Verbin- dung beider Disciplinen, der archäologischen Kritik und Hermeneutik, um so inniger sei, da beiden gleiche Erkenntnifs- Quellen und Mittel gemein- schaftlich, die Operazionen beider nahe mit einander verwandt sind und die eine die andere nothwendig bedingt und voraussetzt. 8.19. Weil aber die archäologische Hermeneutik nur einen besonderen Theil der allgemeinen Kunst-Hermeneutik ausmacht, das Besondere aber nicht hinlänglich ohne den Zusammenhang mit dem Ganzen begriffen werden kann, vieles überdiefs, was auf Kunstwerke jeder Art in hermeneutischer Hinsicht Bezug hat, auch auf alte Kunstwerke bezogen werden mufs, das Eigenthüm- liche der alten Kunstwerke nur in dem Verhältnifse derselben zum klassi- schen Alterthum liegt und der Unterschied der Darstellungsweise durch Form und Materie nur einige Verschiedenheiten begründet, aber auf der anderen Seite zugleich die alte klassische Kunst, wie die Geschichte derselben lehrt, über archäologische Kritik und Hermeneutik. 241 alles erschöpft hat, was das Gebiet der einzelnen Künste Hauptsächliches umfafst, sie daher als die Repräsentantin der bildenden Kunst überhaupt an- gesehen werden mufs, so wird die archäologische Hermeneutik die Voraus- setzung der Grundsätze der allgemeinen Kunst- Hermeneutik, als nothwen- diger Prämissen, um soweniger entbehren können; sie wird sich daher in eine allgemeine und besondere abtheilen. $. 20. Die allgemeine wird diejenigen Untersuchungen und Regeln in sich begreifen, welche allen Kunstwerken, sowohl der älteren als der neueren Zeit, ohne Unterschied, gemeinsam sind; die besondere das, was denen des Alterthums überhaupt, und den besonderen Klassen derselben, als den Statuen, Büsten, Reliefs, Gemmen, Münzen, Malereien, Vasengemälden, Mosaiken u. s.w., zukommt. Die Analyse von Mustern vollendeter Auslegungen alter Kunst- werke jeder Art wird dem archäologischen Hermeneuten die Gesetzgebung der Auslegungskunst erleichtern helfen; Beispiele falscher und verfehlter Auslegungen werden anschaulich vor Fehlern warnen, deren Aufdeckung in der Anweisung zn einer praktischen Wissenschaft nicht fehlen darf. $. 21. Hat nun in der Praxis selbst die archäologische Kritik jene oben an- gegebenen Fragen als Vorarbeit der Exegese entschieden, und hat die Exe- gese selbst, nach den Grundsätzen der Hermeneutik ihr Geschäft, soweit es ihr möglich war, vollendet, so tritt endlich die Kunstkritik hinzu, um ihr Urtheil abzulegen über den artistischen Werth des Kunstwerkes, d.h. über den Grad von Vollkommenheit, womit der alte Künstler in den For- men seines Werkes die ihm zum Grunde liegenden Ideen entsprechend dar- gestellt hat. Da indessen dieser Theil der Kritik als eine besondere Wis- senschaft angesehen werden kann, die aufserhalb des Kreises unserer gegen- wärtigen Betrachtung liegt, so sei es genug, den Grad ihrer Verbindung mit dem Hauptgegenstande unserer Untersuchung hier nur angedeutet zu haben. g. 22. Gleichwohl mag es genügen hier noch mit wenigen Bemerkungen das Verhältnifs der archäologischen Kritik und Hermeneutik zur Histor. philol. Abhandl. 1833. Hh 242 LEevezow Archäologie selbst und die Stelle anzudeuten, welche sie in dem Zusammenhange dieser Wissenschaft einzunehmen habe. — Die Archäologie, als Wissenschaft von der Kunst der Alten, ist eine rein historische Wissen- schaft, indem sie lehrt, Was und Wie es die Alten in ihren Kunstwerken vorgestellt haben. Ihr Stoff ist demnach ein rein historischer, dessen Natur und Beschaffenheit nach den Grundsätzen historischer Kritik geprüft und nach ächt geschichtlicher Methode zu einem wissenschaftlich historischen Ganzen verbunden werden mufs, sei es in analytischer, synthetischer, oder in chronologisch historischer Form, oder am besten in beiden zugleich. — Aber die archäologische Kritik und Hermeneutik hat es nur mit einem Theile des ganzen archäologischen Materials zu thun, nur zunächst mit einer Quelle der archäologischen Kenntnisse, nämlich mit den auf uns gekomme- nen bildlichen Denkmälern der alten Kunst. Ehe diese für den um- fassenderen Zweck der Archäologie als Dokumente überhaupt und ihr we- sentlicher Inhalt als ächtes historisches Material benutzt werden kön- nen, mufs die historische Kritik zuvor über ihre Ächtheit entschieden und die Exegese nach ächt hermeneutischen Grundsätzen ihre wahre Bedeutung ausgesprochen haben. Deshalb sind archäologische Kritik und Hermeneutik für die Archäologie selber nur als propädeutische Disciplinen anzuse- hen, und würden daher ihre Stelle in dem Umfange und Zusammenhange jener am schicklichsten zunächst vor dem Abschnitte, welcher von der Denkmäler-Kunde der alten Kunst handelt, einzunehmen haben. $. 23. Aus dieser Dedukzion des Begriffes, des Inhaltes, der Eintheilung und dem Verhältnifse der archäologischen Hermeneutik und Kritik geht wohl hinlänglich hervor, dafs sie einen wesentlichen, aber auch selbstän- digen Theil der Archäologie ausmacht, ja, dafs ohne ihre Vorarbeit und Beihülfe eine gründliche Darstellung der Archäologie, insofern sie auch vor- nehmlich aus richtiger Erkenntnifs der Denkmäler geschöpft werden mufs, überhaupt nicht zu Stande kommen kann. Es darf nicht verkannt werden, dafs sie auf der einen Seite ebensowohl die Hauptresultate dieser Wissen- schaft berücksichtigend dieselben in sich vereinigt, als auf der anderen Seite die Archäologie selbst nur durch ihre gewissenhafte Anwendung einzig und o allein ihr Gebiet wesentlich zu befestigen und zu erweitern vermag über archäologische Kritik und Hermeneutik. 243 In Hinsicht auf das Erste wird indessen die archäologische Kritik und Hermeneutik sich nur begnügen dürfen bei ihrem legislatorischen Geschäfte auf die Resultate jener Forschungen hinzudeuten, sich ihrer nur als Lehr- sätze zu bedienen, um ihre Regeln und Vorschriften desto sicherer zu be- gründen, zu rechtfertigen, anschaulicher zu erläutern und von ihnen über- haupt nur das in den Kreis ihrer propädeutischen Prüfungen und Unter- suchungen zu ziehen, was in Bezug auf die Grundsätze der Kritik und Her- meneutik und deren Dedukzion einer näheren Erörterung abseiten ihres be- sonderen Standpunktes bedarf. Das Verkennen dieses unvermeidlichen Bedürfnifses eben sowohl, als dieses eigenthümlichen Verhältnifses und seiner natürlichen Gränzen in der wissenschaftlichen Behandlung archäologischer Kritik und Hermeneutik zu dem ganzen Umfange der Archäologie ist wohl allein nur die Veranlassung zu der Meinung einiger Archäologen gewesen, dafs sich abgesondert von der Archäologie keine Hermeneutik und Kritik derselben formell darstellen lasse. Selbst Herr Ottfried Müller neigt sich in seinem sonst so meisterhaft or- ganisirten Handbuche der Archäologie zu dieser Meinung, indem er S. 23, 8.39 desselben, bei Gelegenheit der Darlegung des Planes seiner Behand- lung am Schlusse sagt: „Hermeneutik und Kritik, formelle Disci- plinen, nicht besonders darstellbar” — ; weshalb auch nichts der Art darin zu finden ist (!). Wenn nun zwar das Maafs des nöthigen Materials und die richtige Me- thode einer solchen Darstellung sich erst im Laufe der Ausführung selbst sicherer und leichter ergeben mögten, als es sich zum Voraus bestimmen läfst, so ist doch überhaupt nicht gut einzusehen, warum nicht unter den, den Verhältnissen der schriftlichen Denkmäler der Alten so gleichen und ähnlichen, Verhältnissen der alten Kunstwerke es für diese nicht eben so gut eine besondere, wissenschaftlich verbundene, formelle Anweisung zu ihrer Erklärung geben sollte, wie bei jenen, und warum nicht die Methode der letzteren ebenfalls der jener ersten Disciplin gleich oder ähnlich sein könnte und dürfte. Wie? das aus den schriftlichen Denkmälern zu schöpfende Ma- terial der alten Kunstlehre und Kunstgeschichte sollte, was die Würdigung (') Dieselbe Ansicht und denselben Mangel rügt auch F. G. Welker in seiner Anzeige des Müllerschen Handbuches der Archäologie im Rhein. Museum II, 3. von S. 463-464. Hh2 244 Levezow seines Inhaltes, seiner Bedeutung und seines Werthes betrifft, allein den Regeln einer besonders darstellbaren wissenschaftlichen Hermeneutik und Kritik unterworfen sein können, und das gleiche Geschäft auf die unmittel- bar unserer Anschauung unterworfenen Kunstdenkmäler angewendet, sollte nicht einer ähnlichen Behandlung fähig sein? Es sollte für den Exegeten und Kritiker der Kunstdenkmäler nicht dasselbe Bedürfnifs Statt finden, sich der besonderen Gründe seiner Erklärungen und Urtheile nach Maafsgabe einer vernünftigen Erklärungskunst eben so klar und deutlich bewufst zu sein, als für den litterarischen Exegeten und Kritiker? Nicht bewufst zu sein, wie weit er der Natur der Sache nach bei jedem vorliegenden Falle in seiner Er- klärung gehen, welche Forderungen er daraus nur füglich ableiten und wel- chen Grad von Evidenz er seinen Aussprüchen beilegen könne? Lehren nicht fast täglich die dreistesten und gewagtesten Behauptungen, wie wenig oft ihre Urheber der auch warnenden Stimme der Hermeneutik und Kritik eingedenk gewesen sind? Werden sie nicht von bald darauf sich ergebenden neuen Erscheinungen und Entdeckungen, oder von unbefangeneren und be- sonneneren Prüfungen auf dem Felde der Monumente nur zu oft von der Grundlosigkeit, oder Schwäche ihrer Erklärungen überzeugt? Und eine ab- sichtliche Belehrung dieser Art, welche den Exegeten und Kritiker auf sei- nem schwierigen und dunklen Wege leitend und warnend zu führen vermag, sollte nicht darstellbar, vielleicht gar unnütz, oder doch überflüfsig sein, blofs weil sie formell ist? Wie würde es da mit dem Werthe und der Dar- stellungsfähigkeit jeder anderen für die Sicherung und Erleichterung der 5 Praxis wohlthätigen, wissenschaftlichen Anweisung stehen bei allen den 8 Wissenschaften, denen der Übergang von der Wissenschaft in die Gesetz- gebung, gleichviel welcher Art und für welchen Zweck, und von beiden in der Anwendung als Fortschritt angerechnet werden mufs? — Die wirkliche Existenz einer solchen vollkommen begründeten und dargestellten Disciplin würde vielmehr die beste Gelegenheit veranlassen zu einer nothwendig neuen kritischen Revision unserer gangbaren archäologi- schen Kenntnisse und der kritischen und exegetischen Grundlagen und Me- ihoden, auf denen sie zu beruhen, und nach welchen sie sich am sichersten und überzeugendsten zu ordnen vermeinen, einem Geschäfte, das von Zeit zu Zeit unternommen, bei einer Wissenschaft um so nothwendiger wird, je häufiger auch für sie die Resultate neuer Forschungen in den Alterthums- über archäologische Kritik und Hermeneutik. 245 wissenschaften hervortreten, je reicher der fast tägliche Zuflufs neu entdeck- ten Stoffes auf dem Gebiete der bildlichen Monumente selbst, je gröfser der Spielraum ist, welcher der Phantasie und der blofsen Vermuthung darauf eingeräumt zu werden pflegt, je zerstreuter und entfernter die Gegenstände sind, woran beide nicht aufhören ihr Heil zu versuchen, und je mehr zu befürchten steht, dafs aus den angegebenen Gründen häufig der Irrthum und das Vorurtheil die Stelle des Resultats einer genauen und strengen Prüfung vertritt und durch die Macht der Verjährung sich das Recht einer Überzeu- gung angemafst habe. 8. 24. Dafs man die Hermeneutik zum Vortheil der Wissenschaft, welche sich mit den Kunstdenkmälern des Alterthums beschäftigt, formell zu ver- einigen bisher verabsäumte, da man doch schon früher die Regeln der Her- meneutik zu Gunsten der Auslegung der Schriften der Alten zu einem wis- senschaftlichen Ganzen verband, davon ist wohl der Grund, aufser jenen schon kurz zuvor angeführten, kein anderer, als auch dieser. Man beschäf- tigte sich später mit den Kunstdenkmälern, als mit den Schriften der Alten; man fing noch viel später an, sich mit ihnen als eigentlichen Monumenten der Kunst zu beschäftigen, ja selbst die Theile der Alterthumskunde, welche diese Beschäftigung am meisten unterstützen, die Mythologie und die Geschichte der Kunst aus den Schriften der Alten geschöpft, haben erst in den neuesten Zeiten durch eine gründlichere und philosophische Kri- tik ihre besseren Grundlagen erhalten. Dessen ungeachtet hat man von der ersten Entdeckung und Bekannt- schaft der alten Kunstwerke an diese Monumente zu erklären angefangen. Jeder Name, den man einem Kunstwerke mit Recht oder Unrecht gab, er- scheint wenigstens als das Resultat einer Erklärung, ja oft als der Inbegriff der Erklärung selbst. Leichter war diese Art von Auslegung da, wo die Vergleichung des Kunstwerkes und seiner Merkmale mit den klar angegebe- nen Merkmalen in den alten Schriftstellern sich auf den ersten Blick darbot; schwerer und nicht selten unglücklich, wo schon eine tiefere Kritik dieser Erklärung den Weg bahnen mulste, als sie dem Zustande der Kunstkennt- nisse, der Gelehrsamkeit und der wissenschaftlichen Kultur jener Zeiten überhaupt und einzelner Individuen eigenthümlich war. 246 LEevezow Dasselbe gilt von allen sogenannten Restaurazionen verstümmel- ter Kunstwerke, da jede Restaurazion eine Erklärung des Kunstwerkes vor- aussetzt, wenn sie nicht als blofses müfsiges Spiel gedankenloser Künstler- Willkühr erscheinen soll. Von beiden Arten der Erklärung sind noch eine Menge von Beispie- len, sowohl in dem Umfange des wissenschaftlichen Stoffes der Archäologie, als der restaurirten Kunstwerke selbst, übrig. Die Folgezeit mufste natür- lich viele der ersten bestätigen, wenn sie auch manche von ihnen verwarf, oder näher bestimmte. Von der letzteren Art sind viele mit Recht später widerlegt, verworfen, viele gelten indessen noch zum Nachtheil der Wissen- schaft, die längst hätten widerlegt und verworfen sein müssen, wenn das Studium der Archäologie sich eben so vieler Freunde und Bearbeiter zu er- freuen hätte und von weniger Schwierigkeiten bedrängt würde, als manche andere Zweige der Gelehrsamkeit und namentlich die alte Litteratur. Viele Irrthümer und falsche Erklärungen sind auch in der neueren Zeit noch zu den alten gekommen; denn auch die Unbekanntschaft mit den Regeln einer gründlichen Hermeneutik auf Seiten vieler von denen, welche entweder alte Monumente späterhin entdeckten, oder sie irgendwo zu sehen das Glück hatten, wo sie bis dahin den Augen geübter Interpreten entzogen waren, und hernach ihren unvollkommenen Ansichten zufolge darüber Erklä- rungen gaben, die nicht genauer an Ort und Stelle geprüft werden konnten; diese Unbekanntschaft ist sehr häufig Schuld daran gewesen, dafs eine Menge falscher Bestimmungen, Namen, Erklärungen und daraus abgezogener Begriffe von neuem in die Archäologie aufgenommen worden sind, welche zu grofsen Irrthümern Veranlassung gaben. Nicht minder ist diefs der Fall gewesen mit Erklärungen, denen nur blofse wörtliche Berichte, oder unvollkommene, oft verfälschte Abbildungen statt der Kunstwerke zum Grunde lagen. $. 25. Leider ist auch das offene Geständnifs der Unwissenheit, oder der objectiven und subjectiven Unfähigkeit ein altes Monument zu erklären in der Archäologie fast seltener, als irgend wo, nirgends der Reiz alles erklä- ren und deuten zu wollen, und die Einbildung es zu können, gröfser als hier. Es hat aber der Wissenschaft unendlich viel Schaden gebracht, ja ihr nicht selten den Namen der Alterthümelei bei denen zugezogen, welche die über archäologische Kritik und Hermeneutik. 247 Lächerlichkeiten der Anmafsung und des spielenden Mifsbrauches von der Bescheidenheit, dem Ernste und der Würde der wahren Wissenschaft nicht zu unterscheiden wufsten. Leider ist auch das Gebiet der alten Kunst von jeher ein Tummelplatz von Träumereien, leeren Phantasien und fadem Geschwätze anmafsender Igno- ranten und litterarischer und artistischer Müfsiggänger geworden, die sich ein- bilden, eine Stimme in den Angelegenheiten der alten Kunst zu besitzen, wenn sie flüchtig die berühmtesten Antikensäle durchliefen, oder einige Bil- derbücher vornehm durchblätterten, oder sich mit der Aufsenseite der alten Kunstwerke und dem leicht ersichtlichen Machwerke daran obenhin spielend oder handwerksmäfsig beschäftigten. Ein sorgfältiges und allgemeineres Studium der archäologischen Kritik und Hermeneutik auf Seiten Aller, die sich mit den Denkmälern der klassi- schen Kunst beschäftigen, wird Fehler und Unvollkommenheiten jener Art in den Schriften und Meinungen der Archäologen zwar nicht ganz vermeiden, doch wenigstens sehr vermindern helfen, ja die Schwierigkeit, welche sich bei näherer Betrachtung der strengen Anforderungen der ernsten Gesetzgebe- rin eher häufen als verringern, werden den Blick der Betrachter alter Monu- mente und der Erklärer derselben, vielleicht auch ihre eigene subjective Selbstprüfung und Bescheidenheit zu schärfen vermögen. $. 26. Jeder Ausleger ist freilich im besseren Falle sich bisher der Grundsätze dieser Wissenschaft, der eine klar, der andere weniger klar bewufst gewesen. Einige grofse Talente in der archäologischen Auslegungskunst hatten sie schon längst in ihrem Innern für sich und ihre Ausübung vollendet; aber noch keiner hat zum Behuf Aller sie formell dargestellt und dadurch für immer den Grund zu einem gültigen Kodex archäologischer Auslegungskunst öffentlich gelegt. Wir besitzen, so viel ich weifs, nur zwei Versuche, von deutschen Gelehrten angestellt, die Hauptgrundsätze dieser Disciplin im Allgemeinen öffentlich darzulegen. Der eine ist von Füllenborn in dem V. Abschnitt seiner Encyelopaedia philologica, welcher die Grundlinien der Geschichte der Kunst bei Griechen und Römern in sich enthält, aufgestellt worden, unter dem Titel: Observationes quaedam ad hermeneuticam et criticam archaeologi- cam, Schon diese Überschrift lehrt, dafs man hier nur einige Bemerkungen 248 Leverzow über archäologische Kritik und Hermeneutik. und nichts Vollständiges zu suchen habe. Es ist auch in der That nur das Allgemeinste, was sich bei dem ersten Nachdenken, ohne tiefer in den Um- fang und die Geheimnifse der alten Kunst eingedrungen zu sein, darbietet, ohne gehörige Sichtung und Absonderung auf der einen und ohne systemati- sche Verbindung auf der anderen Seite. Von den besonderen Erklärungs- grundsätzen der Werke einzelner Klassen ist gar nicht die Rede. Weitläuftiger hat C.D. Beck diesen Gegenstand behandelt in seinen Commentationibus academıcis de interpretalione Veterum scripltorum atque mo- numentorum ad sensum Veri et Puleri facilem atque subtilem esccitandum acuen- dumque recte instituenda. Lips. 1798, in der dritten und vierten Abhand- lung. Wie schätzbar indessen auch manche einzelne Bemerkung ist, die von des Verfassers Scharfsinn und seiner grofsen Gelehrsamkeit und Belesenheit zeugt, so ist dennoch das Ganze durch die Form kürzerer akademischer Pro- grammen bedingt, ohne die hier so nöthige systematische Planmäfsigkeit und Klarheit aufgestellt und auch von der besonderen Auslegung der Werke ein- zelner Klassen nichts besonders Eingreifendes, vielweniger aus eigener Kennt- nifs und umfassender Anschauung der alten Werke selbst Abgezogenes mit- getheilt worden. Folglich fehlt auch diesem Entwurfe bei seiner eingeschränk- teren pädagogischen Tendenz, wie viel Material er auch in sich enthält, sehr viel, um auf Vollständigkeit der Behandlung und auf Ergründung der Haupt- momente Anspruch und eine vollständige Abhandlung zum Vortheil der Wis- senschaft selbst entbehrlich machen zu können. S. 27. Es mögte daher ein nicht unverdienstliches Unternehmen sein, einen Versuch solcher Art zu wagen, der sich vielleicht mit einigem Glücke zu einer Revision dessen verwenden läfst, was an ächtem und festen Grunde und Bo- den einer Wissenschaft bisher gewonnen ist, deren Gegenstand als die zweite Hauptquelle unserer Kenntnifs vom klassischen Alterthum immer mehr und mehr angesehen zu werden anfängt, und ohne deren Beihülfe selbst die Lit- teratur des Alterthums dem gröfsten Theile ihres Inhaltes nach ihren Freun- den entweder ganz unverständlich, oder was noch schlimmer ist, nur halb oder falsch verstanden bleiben mufs. Über die Reihenfolge der Bücher des Aristotelischen Organons und ihre Griechischen Ausleger, nebst Beiträgen zur Geschichte des Textes jener Bücher des Aristoteles und ihrer Ausgaben. Von H'%- BRANDIS. mmmnannnVa [Vorgelegt in der Akademie der Wissenschaften am 19. December 1833.] nm Erster Abschnitt. Von der Reihenfolge der Bücher des Organons. en, in der Geschichte der neueren Philosophie nicht blofs in die Stelle Einsicht zu gewinnen, die jede einzelne bedeutendere Theorie in der Reihe der philosophischen Entwickelung einnimmt, sondern zugleich ihre allmählige Ausbildung im Geiste des Urhebers uns zu verdeutlichen, finden wir uns sehr getäuscht, wenn wir mit gleichen Ansprüchen zur Geschichte der älteren Philosophie übergehen. Während es uns in ihr ungleich besser als in jener gelingt die Kette der Entwickelungen zu übersehen und jedes Glied derselben in seinem Verhältnisse zu dem vorangegangenen zu begrei- fen, sind wir aufser Stande die Bildungsgeschichte auch nur eines einzigen Lehrgebäudes einigermafsen genügend nachzuweisen; vielmehr scheint die philosophirende Persönlichkeit so ganz in ihren Gegenstand aufzugehen, dafs in welcher Abfolge sie ihre Aufgabe zu lösen bemüht gewesen, wie sie äufsere Förderungen und Hemmungen dabei erfahren, sich fast gar nicht ausmitteln läfst. Wenige Lehrgebäude der neueren Zeit vermögen wir so voliständig an sich und in ihren Beziehungen zu anderen zu würdigen wie das Platoni- sche und Aristotelische, von wenigen besitzen wir umfassendere und genü- gendere Darstellungen: wie wenig aber vermögen wir vom einen wie vom Histor. philol. Abhandl. 1833. Ii 250 Branvıs über die Reihenfolge der Bücher anderen nur einmal die chronologische Abfolge der Schriften, in der sie sich abspiegeln, mit Sicherheit zu bestimmen. Doch sind wir in Bezug auf das Platonische System ungleich glücklicher als beim Aristotelischen. Die künst- lerische Darstellung jenes hat, nach vielen vergeblichen Versuchen, ein tief eindringender Blick in eine Abfolge von Dialogen aufs glücklichste aufge- löst, die, wie wenig oder wie viel sie auch mit der zeitlichen Aufeinander- folge übereinkommen mag, in die innere Entwickelung desselben auf über- raschende Weise Einsicht gewährt. Das Aristotelische Lehrgebäude dagegen entbehrt mit dem Vorzuge künstlerischer Darstellung zugleich ähnliche Kenn- zeichen wie der chronologischen so der genetischen Entwickelung; und eben wo es noch gelingen möchte mit einiger Sicherheit die Zeit der Entstehung Aristotelischer Bücher anzugeben, wie bei der Rhetorik oder Meteorologie, da liegen sie mehr aufserhalb der Grenzen des eigentlichen Systems, und verbreiten über die allmählige Ausbildung oder Darstellung desselben wenig Licht. Auf zwiefache Weise könnten die entbehrten Aufschlüsse uns zu Theil geworden sein, durch historische Angaben, oder durch Rück weisungen und Beziehungen der einzelnen Aristotelischen Bücher auf und zu einander. Jene Angaben aber fehlen so gut wie gänzlich, und haben, darf man wohl behaupten, den Griechischen Auslegern eben so gut wie uns gefehlt: wie sollten sie sonst in ihren sorgfältigen Einleitungen ihrer nicht erwähnt ha- ben? Rückweisungen und mehr oder weniger bestimmte Beziehungen finden sich zwar in den Aristotelischen Büchern häufig genug, sind aber, wie auch bereits von mehreren Forschern anerkannt worden, in der Art wie sie sich finden, zu sicheren Bestimmungen nicht leicht zu benutzen, eben weil sie sehr häufig gegenseitig sind, so dafs ein und dasselbe Buch zugleich als frü- her und später wie ein anderes erscheint, indem es in diesem angeführt, auf dasselbe auch seinerseits sich wiederum bezieht. Wollen wir einigermafsen genügende Resultate gewinnen, so müssen wir über die ausdrücklichen und zu Tage liegenden Anführungen hinausgehen, und die einzelnen Untersuchun- gen, die mehreren Büchern nicht selten gemein sind, prüfend vergleichen, um auszumitteln wo sie in ihrer ersten Anlage, wo weiter ausgebildet sich fin- den, und um danach zu entscheiden welches der sie behandelnden Bücher für das frühere, welches für das spätere zu halten. Für solche Untersuchun- gen fehlt es in der That auch nicht an Stoff in den Aristotelischen Schriften: denn so wenig man einräumen darf dafs Mangel an Sinn für fortlaufende des dristotelischen Organons. 251 Darstellung den Aristoteles, diesen Meister der Systematik, zu Wiederho- lungen veranlafst habe, eben so wenig kann man in Abrede stellen dafs ein und dieselbe Frage hin und wieder in drei oder vier verschiedenen Büchern von ihm behandelt worden. Aber der richtigen Benutzung solcher Bezie- hungen stellen sich bedeutende Schwierigkeiten entgegen. Zuerst nämlich möchten der Fälle nur wenige sich nachweisen lassen, in denen Aristoteles frühere Behauptungen durch spätere zurückgenommen oder nur bedeutend modificirt hätte; vielmehr findet in dieser Rücksicht eine Sicherheit und Ent- schiedenheit bei ihm statt, die man um so mehr bewundern mufs, je mehr man ins Einzelne vergleichend eingeht. Dann fehlt auch in der Ausbildung ein und desselben Gedankens oder ein und derselben Gedankenreihe der ih- res Stoffs immer mehr Herr werdende Fortschritt künstlerischer Darstel- lung: denn allerdings sehen wir uns in den vorhandenen Werken des Stagi- riten vergeblich nach Beispielen künstlerischer Kraft um, wie Cicero, ohne Zweifel in Bezug auf für uns verlorene Bücher, sie preist. Nur die sorgfäl- tigste Vergleichung ähnlicher Bestimmungen und Untersuchungen in ver- schiedenen Büchern, die genaueste Erwägung, welche der dabei sich finden- den Verschiedenheiten dem besondern Zweck des Buches, welche dagegen weiter fortschreitender Entwickelung angehören können, die behutsam ge- stellte und beantwortete Frage, wie in jedem einzelnen Falle eine Unter- suchung geführt sein würde, wenn eine andere ihr wirklich bereits vorange- gangen, Ausmittelung der Lücken in ihrer Führung, die nicht statt finden könnten, wenn sie durch andere schon eingeleitet wäre, d.h. kritische Prü- fung der ein und derselben Hauptuntersuchung angehörigen Bücher und Stel- len in Büchern, sowie eindringende Einsicht in Plan und Ausführung je einer Schrift und ihrer besonderen Theile, kann zu Resultaten führen, mit denen dann die wenigen Angaben und äufseren Kriterien zu vergleichen sind. Die der Darstellung des philosophischen Lehrgebäudes gewidmeten Schriften des Aristoteles zerfallen in vier Abtheilungen von sehr verschiede- nem Umfange, in die logische, physische, metaphysische und ethisch -poli- tische. Eine umfassende Untersuchung über ihre Construction hat daher einerseits je eine dieser Abtheilungen für sich, andererseits das Verhältnifs jeder derselben zu den übrigen in Erwägung zu ziehen. Doch möchte vor- läufige Theilung der Untersuchung in ihrer Schwierigkeit nicht blofs Ent- schuldigung sondern Rechtfertigung finden, wenigstens in Bezug auf die Ii2 252 Branpıs über die Reihenfolge der Bücher erste der genannten Abtheilungen es gerathen sein vor der Hand sich auf Ausmittelung der Stelle zu beschränken, die je eines ihrer Bücher in ihr ein- nimmt, und einer späteren Untersuchung die Entscheidung vorzubehalten ob die Logik, als Ganzes oder theilweise, muthmafslich für früher oder spä- ter als je eine der übrigen Abtheilungen zu halten. Auch die Bestimmung des Begriffs der Aristotelischen Logik, das Wort in dem bei uns üblichen Sinne gefafst, und ihres Verhältnisses zur Metaphysik oder ersten Philosophie weisen wir einem anderen Orte zu, und richten unser Augenmerk auf den Inbegriff von Büchern, die sinnige Kriti- ker (ob Andronikus von Rhodos und die von ihm ausgehenden Peripatetiker, Aspasius, Adrastus u.a., oder frühere Alexandriner, darüber fehlen uns lei- der alle bestimmten Nachrichten) unter dem Namen ÖOrganon zusammen- fafsten, indem sie durch diese Bezeichnung die Stellung andeuteten, die ih- rer wohl begründeten Annahme zufolge der Logik im Aristotelischen Lehr- gebäude gebührt. Und soviel wenigstens müssen wir ihnen zugeben, dafs die hier vereinigten Bücher untereinander in viel engerem Verhältnisse ste- hen als je eines derselben, die Kategorien etwa ausgenommen, zu den phy- sischen ethischen und sogar metaphysischen Büchern. Auch die Abfolge, in der sie diese logischen Bücher aneinander reihen, läfst sich durch minde- stens sehr scheinbare Gründe rechtfertigen, sofern sie einen Fortschritt von den einfachen Elementen, Begriff und Wort, zu Urtheil und Satz, von die- sen zum Schlusse und vermittelst desselben zur Form des Wissens in Bezug auf Wahrheit und Gewifsheit einerseits, Wahrscheinlichkeit andererseits, darstellt. Dafs aber Aristoteles sie in dieser Abfolge zusammengeordnet oder gar verfafst, nahmen jene Ausleger schwerlich selber an. Auch ist es sehr viel glaublicher dafs sie in umgekehrter Ordnung zu Stande gekom- men. Erwägen wir nämlich zuerst die Beziehungen die sich in ihnen fin- den, so mufs es auffallen dafs die Topik in allen übrigen Büchern des Organon’s nicht blofs angezogen sondern vorausgesetzt, dagegen in der To- pik die Analytik nur im letzten Buche (VIII 11 p.158 11, VIII 13 in.) und auf eine Weise angezogen wird, die so wenig in den ganzen Zusammenhang eingreift, dafs Anführungen ganz wohl vom Aristoteles in einer Über- arbeitung oder von einem Ordner und Bearbeiter seiner Schriften hinzu- gefügt sein könnten. Fassen wir die Composition der Topik näher ins Auge, so können wir kaum bezweifeln dafs sie anders ausgefallen sein würde, des Aristotelischen Organons. 253 wenn Aristoteles nach vollendeter Analytik sie ausgearbeitet hätte. Nicht als wäre in letzter zurückgenommen was in erster behauptet wird, oder als wären nicht der Topik die Keime zu der Analytik sehr bestimmt einge- wachsen, sondern weil die Topik in Anlage und Ausführung fast unver- kennbare Spuren einer der Analytik vorangegangenen Abfassung an sich trägt. Von der Dialektik soll Aristoteles, nach Alexander (!), noch in an- deren, vorzüglich aber in den topischen Büchern gehandelt haben. Dafs jedoch das Alterthum keine andere für uns verlorene ausführlichere Bear- beitung dieser Disciplin besessen habe, berechtigt uns, aufser dem gänzli- chen Stillschweigen der Ausleger und Berichterstatter, eine andere Stelle desselben Alexander anzunehmen, worin als der dialektischen Kunst gewid- mete Bücher, neben unserer Topik, die Rhetorik und exoterische Bücher angegeben werden (p.52); woraus zugleich erhellet dafs Alexander die Topik zu den esoterischen rechnet, indem er unter den exoterischen wahr- scheinlich, gleichwie Cicero (?) und andere, zunächst Dialogen im Sinne hatte, in welchen verschiedene Probleme, wie das von der Unsterblichkeit der Seele, nach Gründen der Wahrscheinlichkeit behandelt waren. Der Rhetorik, nach des verewigten Niebuhrs Annahme (°) eines der frühen Aristotelischen Werke, schliefst sich in der That auch die Topik schon durch den Ausdruck dafs die Rhetorik ein Gegenbild oder Anwuchs (@vrisgo- dev oder ragapvss) der Dialektik sei (Ahetor. 11 p. 1354 1,2 p.1356 25) sehr eng an; mehr noch durch die häufige Bezugnahme auf die Zwecke des Red- ners. Doch hüten wir uns zu weit gehend anzunehmen, die Topik sei dem Aristoteles eben nichts als ein Werk de inventione im Sinne der späteren Rhetorik gewesen. Der ausdrücklichen Erklärung des Verfassers gemäfs (11) war die Topik von vorn herein nach umfassenderem Plane als An- weisung angelegt über jegliches vorkommende Problem nach Wahrschein- lichkeitsgründen schlufsgerecht zu reden (suMreyierSar), d.h. wie es wei- terhin (14) erklärt wird, das woraus Schlüsse gebildet werden und worauf sie sich beziehen, Prämissen und Probleme, aufzufinden, und Rede stehend . 4 N - \ x 7 (') Alex. in Top. P:9: eg ö: TnS our reyonsuns Ö1adeszrı27s "Agısoreiys jaev za Zv aAAoıS RBıßrias menge yWereUren, Kadıse Ö& dv rovras dk Eruyseperan Torizd. (2) ad Attic. IV 16, vgl. XIII19. ad famil. 19. vgl. Stahr’s Aristotelia S. 241 ff. (°) Röm. Gesch. I S.22 Anm. 39. vgl. Stahr’s Aristotelia S.70. 254 Branpvıs über die Reihenfolge der Bücher sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Daher sie denn auch mit Erklä- rung von Schlufs und seinen verschiedenen Arten, von der Beweisführung Wahrheit und Wahrscheinlichkeit beginnt, und den Nutzen des Disciplin keinesweges auf Übung und Fertigkeit in der Unterredung beschränkt, son- dern auf philosophische Untersuchung ausdehnt: sie soll uns Anweisung gewähren nach beiden Seiten hin (antinomisch), die Schwierigkeiten entwik- kelnd, das Wahre und Falsche zu entdecken (12. vgl. d. letzte Kap. der sophistischen Überführung 5.183 37 ff.). Auch fragt sichs ob Aristoteles sein Werk ariprünglich als Topik, und nicht vielmehr als Dialektik, bezeichnet, und erstere Benennung, die allerdings in mehreren Aristotelischen Schriften sich findet ('), nicht erst später hinzugefügt habe, um anzudeuten dafs die Dialektik nicht vollstän- dig sondern topisch ausgeführt sei. Wenigstens findet sich weder in ihr noch in den sophistischen Überführungen irgend eine Spur des nunmehr üblich gewordenen Titels. Doch wenden wir uns, ohne solche Vermuthungen weiter zu verfol- gen, zur Erwägung der Anlage und des Plans des Werks selber. Augen- scheinlich zerfällt es in drei Theile: 1) in die vorher bezeichneten einlei- tenden Erklärungen, die Nachweisung dafs Alles für Prämissen und Pro- bleme (vgl.I 10 11) Geeignete (das Attribut) unter die Vierheit der Bezie- hung oder wechselnden Eigenschaften, des Geschlechts oder Artbegriffs, des eigenthümlichen Merkmals und der Definition, und diese wiederum unter die zehn Kategorien (19) sich subsumiren lassen ; in Erörterungen über den Begriff der Einerleiheit und die vier Werkzeuge (Organa), wodurch Bildung der Schlüsse und Inductionen (113) vermittelt werden soll (dV wv eurogndo- nEv TaVv FuAdoyırumv zal ray eraywyav), über Annahme von Prämissen im All- gemeinen, Unterscheidung der verschiedenen Bedeutungen, Auffindung der Unterschiede und der Ähnlichkeit. Nicht unpassend wollten alte Kritiker diesen ersten Abschnitt, der das erste Buch umfafst, als Vortopik bezeich- nen (rg rüv reruv: s. Alex. in Codd. Reg. 4 B.), wogegen andere den drit- ten Theil der Kategorien (Postpraedicamenta) so benannten (s. unten). — 2) in die eigentliche Abhandlung, d.h. Anweisung zur Auffindung der Prä- missen und Probleme nach den angegebenen vier Gesichtspunkten und mit (') de Interpret. 111. Anal. Pr. 11, 111517. Rhetor. I1 p.1355 28. des Aristotelischen Organons. 255 steter Rücksicht auf die vier dazu behülflichen Werkzeuge (Buch II bis VII); und 3) in Erörterungen über die praxis dialectica, wie es Lateinische Aus- leger ausdrücken, d.h. über die Art wie man die Orte der Beweisführung sich zu vergegenwärtigen (rev romev eugelv 6Sev Emiyeignreov VIL 1) oder sich darauf vorzubereiten, wie man zu fragen, die Beweismittel anzuordnen und zu antworten habe. Die beiden ersten Theile der Topik zeichnen sich durch lichtvolle Anordnung und Darstellung vor dem dritten, den einige über Frage und Antwort oder Anordnung und Antwort (zegi Egwryrews zal "Arongireus, m. Tafeus x. Ar.) überschreiben wollten (Alex. p.249), vor- theilhaft aus; und wenn der letztere sich auch sehr natürlich an die beiden ersten anschliefst, vielleicht in jenen durch leise Andeutungen im voraus be- zeichnet wird, so möchte doch die Vermuthung wohl nicht zu kühn sein, dafs er nicht unmittelbar nach jenem, sondern später ausgearbeitet worden; selbst in der Sprache findet zwischen ihm und jenen ein nicht unerheblicher Unterschied statt. Auch von den sophistischen Überführungen ist mir es schr zweifelhaft ob sie unmittelbar nach der Topik und nicht viel- mehr später verfafst wurden, so gewifs sie ihr auch sich anschlossen; zwei- felhaft aber auch ob sie bei Ausarbeitung der Topik bereits beabsichtigt waren: wenigstens ist mir keine Andeutung vorgekommen, die auf eine solche Absicht sich mit einiger Sicherheit beziehen liefse, und auffallen mufs es dafs in der Einleitung sich eine Eintheilung der Gründe und Schlüsse findet, die von der in der Topik vorkommenden wesentlich abweicht: denn nicht nur werden in den Elenchis den dialektischen Schlüssen und Beweisen die didaskalischen entgegengesetzt, sondern von jenen auch aufser den eri- stischen oder sophistischen die peirastischen unterschieden. Von den didas- kalischen und apodeiktischen ist, wie Aristoteles hinzufügt, in den Analy- tiken, von den dialektischen und peirastischen in dem Vorhergehenden (d.h. in der Topik, und zwar, wie man wohl hinzusetzen darf, von den peirasti- schen im dritten Theile derselben), von den agonistischen und eristischen in den Elenchis gehandelt. Wiewohl daher, meiner Überzeugung nach, gegen die Ächtheit dieser ebenso wenig wie gegen die des dritten Theils der Topik trifige Zweifel sich erheben lassen, — von diesen ist mir es sehr zweifelhaft ob, von jenen mehr als zweifelhaft dafs sie unmittelbar nach den beiden Haupttheilen der Topik verfafst sein sollten, vielmehr wahrscheinlich dafs beide oder wenigstens die sophistischen Überführungen 256 Branpıs über die Reihenfolge der Bücher erst nach vollendeter Analytik hinzugefügt worden (vgl. letztes Kap. der Elenchi). Aber was berechtigt uns die Einleitung zur Topik und ihren eigent- lichen Kern für Werke zu halten, deren Abfassung der der Analytik voran- gegangen? fragen wir, zu der oben bezeichneten Untersuchung zurückkeh- rend. Dafs in der Topik Xenokratische Lehren beifällig oder wenigstens ohne Tadel erwähnt werden (II 6, VIL 1, nicht so günstig VI 3), ist schon von anderen bemerkt, aber durchaus ohne Grund von Fr. Patricius (Disc. Peripat. 13 p.22) behauptet worden, sie könnte eben darum dem Aristo- teles, einem hartnäckigen Gegner jenes Platonikers, nicht gehören. Mit einiger Wahrscheinlichkeit läfst sich dagegen annehmen, die Abfassung die- ses Werks falle in eine Zeit in der Aristoteles und Xenokrates in näheren freundlichen Beziehungen zu einander gestanden; und das möchte denn auf die Zeit vor oder während der gemeinsamen Reise nach Atarneus (O7. 108 1) deuten. Doch gebe ich gern zu dafs solche äufsere Gründe überhaupt nur in dem Mafse Gewicht erlangen, in welchem sie von innern unterstützt wer- den, und dafs es zweifelhaft ist ob später Aristoteles mit dem Xenokrates zerfallen (!): auf die in anderen Aristotelischen Büchern, namentlich den beiden letzten der Metaphysik, enthaltene Polemik gegen den Xenokrates darf man sich nicht berufen, da sie fast ausschliefslich die Zahlenlehre des- selben betrifft, die Topik dagegen auf praktische Lehren sich bezieht. Richten wir daher zunächst unser Augenmerk auf die Art und Weise, wie Aristoteles hier und in andern logischen Schriften ein und dieselben Be- griffe bestimmt oder Untersuchungen führt. Auf einige hier stattfindende Verschiedenheiten hat schon der Griechische Ausleger Alexander hingewie- sen. Wenn Aristoteles in der Topik (112, vgl. VIILi p.152 4) weniger genau als in der ersten Analytik (1123) den Begriff der Induction bestimmt, so wird das allerdings durch die verschiedenen Zwecke beider Werke be- greiflich, zumal da in der zweiten Analytik eine jener weniger genauen ent- sprechende Bestimmung wiederkehrt (I 135). Es fragt sich aber ob Ari- stoteles sich über Induction so schwierig wie Topik II 5 (vgl. Alexander p- 90 f.) ausgedrückt haben würde, hätte ihm die in der ersten Analytik aufgestellte Erklärung bereits vor Augen gestanden. Auf eine Verschieden- (‘) Über das Verhältnifs des Aristoteles zum Xenokrates vgl. Stahr’s Aristotelial S.74 u. 131. des Aristotelischen Organons. 257 heit die in der Anwendung der Umkehrung (ävrırrgepH) zwischen der Topik (ILp.109a 10) und ersten Analytik statt findet, macht Alexander aufmerksam (p-70); und auch sie ist von der Art dafs Aristoteles schwerlich, wie er thut, in der Topik sich ausgesprochen haben würde, wäre der Sprachge- brauch der ersten Analytik schon vorher fixirt gewesen. So läfst er auch eine Bedeutung der Einerleiheit, die der Analogie nach, in der Topik (17) aufser Acht, die in anderen Schriften hinzugefügt wird (vgl. Alex. p.32); und schwerlich möchte die Ausrede genügen, sie sei dem Zwecke der logi- schen Unterscheidungen fremd gewesen. Die von Aristoteles so vielfach an- gewendete Tafel der Kategorien und Sonderung der Gegensätze finden sich bereits in der Topik (1 9. 15) allen wesentlichen Bestimmungen nach be- rücksichtigt, und sie dürften wohl über die Zeit der Abfassungen seiner sämmtlichen philosophischen Schriften hinausreichend zu den Angelpunkten gehören, an denen sich die Eigenthümlichkeit Aristotelischer Lehren, in ihrem Unterschiede von der Platonischen, ausbildete.. Wenn Aristoteles aber in der Topik das ri &rrı an die Stelle der cüri« setzt (19), in Bezug auf Gegensätze sagt, sie müfsten in derselben Gattung sich finden oder in entgegengesetzter, also den in den Kategorien (p. 14 19) mit Recht hinzuge- fügten dritten Fall, “oder auch selber Gattung sein,” aufser Acht läfst (VII 6 p. 153a 36, vgl. Alex. p. 243), so scheint er bei Abfassung der Topik die in den Kategorien enthaltenen Bestimmungen noch nicht völlig festgestellt zu haben. Zu gleicher Vermuthung veranlassen die Verschiedenheiten, die in Erörterungen über den Unterschied (di«deg«) zwischen der Topik und den Kategorien (s. Alex. p. 83 und 220), im Sprachgebrauch von üroSeris für öucroyie (Top.I16 p.1082 8, vgl. Alex. p. 65. 81) zwischen der Topik und den Analytiken statt finden. Vorzüglich bemerkenswerth ist dafs Ari- stoteles in der Topik nur zwei quantitative Bestimmungen, Allgemeinheit und Besonderheit (r x«ScAcv und 70 Er! negeus), hervorhebt (II 1), und das dritte für die logischen Zwecke nicht unwichtige Moment, sowohl wie es in der ersten Analytik (12, vgl. Anal. Post. 14) als auch wie es in dem Buche von der Auslegung (c. 7) berücksichtigt wird, aufser Acht läfst. So wie aber in der Topik theils alle entschiedene Rückweisungen auf die Analytiken und die anderen logischen Schriften fehlen, theils Bestim- mungen sich finden die wahrscheinlich anders gewendet sein würden, wä- ren diese ihnen vorangegangen, so enthalten dagegen namentlich die Ana- Histor. philol. Abhandl. 1833. Kk 258 Branpıs über die Reihenfolge der Bücher lytiken directe und indirecte Rückweisungen auf die Topik: denn nicht nur werden sie in ihnen auf eine in den Zusammenhang eingreifendere Weise angeführt (Anal. Pr. 13), wie sie nachträglichen Verweisungen auch von der Hand des Verfassers durchaus nicht gleicht; sondern die der Topik und den Analytiken gemeinschaftlichen Erörterungen setzen in letztern fast unver- kennbar die in ersteren enthaltenen Ausführungen voraus. Man sehe nur wie die Analytiken auf den Begriff der Dialektik zurückkommen ohne den Bestimmungen, nach welchen die Topik entworfen ist, weder etwas hinzu- zufügen, noch sie ausführlich und wie von vorn herein zu behandeln (Anal. Prior. 11, Post. 111. 19.33). Man erwäge wie die zweite Analytik von der Definition und ihrem Verhältnisse zur Beweisführung handelt ohne in die begrifllichen Bestimmungen, wie wir sie in der Topik (VI) finden und wie sie zum Verständnisse der in jenem Buche enthaltenen Untersuchungen nö- thig sind, von neuem einzugehen (Il 346-1013); sowie dagegen in der Analytik (II 10) Unterscheidungen hinzukommen, die jene Bestimmungen voraussetzen und sich in der Topik nicht finden, für sie jedoch auch ent- behrlich waren, wie die Eintheilungen der Definition (11 10), Bestimmung ihres Verhältnisses zur Schlufsfolgerung und ihrer Beziehungen zur Einthei- lung (IL 13). Auch des eigenthümlichen Merkmals (id1ev) hätte schwerlich so nackt erwähnt werden können (s. Anal. Post.13 p.73 7, vgl. Anal. Prior. 127 p.435 7; und in einem andern Sinne 110 zu fassen), wären nicht die Bestimmungen der Topik vorangegangen (z.B. 15 p.102a 19, V 3 p.132a 4). Den Unterschied zufälliger und wesentlicher Bestimmungen scheint dagegen die Topik noch nicht zu kennen, svußeßnxer« nur in der erstern Bedeutung fassend; und erwähnt nicht der in der Analytik so häufig vorkommenden lo- gischen und analytischen Untersuchungsweisen. (!) Selbst von der Vier- theilung der Ursachen, die für die zweite Analytik so wichtig ward, ist es zweifelhaft ob sie bei der Abfassung der Topik bereits festgestanden. Wollte man aber diese und ähnliche Unterschiede etwa für die Mei- nung anführen, die Topik sei überhaupt kein Werk des Aristoteles, so be- denke man wohl dafs die Topik des Theophrastus zwar nur selten, aber n x \ S B ’ a ‚ (') Wenn es Top. V 1 p.128a 30 heilst: Aoyızov de roür drri moon moös o Aoyaı yi- var av zu zuyvor zer zurc (cf. ib. 1.17 sqg.), so ist das Aoyızoi hier augenscheinlich anders zu fassen wie der Gegensatz des Aoyıza's und avarvrızıs Tewgeiv u. dgl. in der zweiten Ana- Iytik I21 fin. 22 (vgl.124p.86a22c.32in. und p.882 18, II 8 p.93a 15). R2 des dristotelischen Organons. 259 für solche Bestimmungen angeführt wird, die Beziehungen auf vorangegan- gene Aristotelische, eben wie wir sie jetzt lesen, unbezweifelt voraussetzen (vgl. meinen Aufsatz über die Schicksale der Arist. B. u.s.w. Rhein. Mus. I S.274), und dafs Theophrastus auch in seinen Büchern über vieldeutige Worte oder Begriffe und über die Bejahung (Fegi r@v Ilsrey,@s, s. Alex. p.83 und 189, und zegl Karaarews ib. p. 150), Eudemus in denen vom Ausdruck (&v 7. wegi AsZews ebenda p.38) und Strato (s. Lex. p. 173), in welchem Buche, ist zweifelhaft, die uns vorliegende Aristotelische Topik berücksichtigt zu haben scheinen. Auch soll die wahrscheinlich frühere Abfassung der Topik uns nicht bestimmen sie mit einigen Griechischen Auslegern (s. Joh. Philop. zu d. Anal, Post. f.3) vor die Analytiken zu stellen. Die Analytiken bedürfen keiner eigentlichen Vorbereitung durch die Topik, und finden sie in der That auch nicht in ihr. Mifslich ist freilich die Frage wie die Topik von Aristoteles angelegt und ausgeführt sein würde, hätte er sie nach den Analytiken verfafst; und wir wollen uns wohl hüten den Grundrifs einer solchen Topik auch nur muthmafslich hinzustellen; wagen jedoch zu behaupten, sie würde von der gegenwärtigen sich wesentlich durch hinzugekommene Untersuchungen über Bildung und Steigerung der Wahrscheinlichkeit vermittelst des Schlufsver- fahrens und der Induction unterschieden haben. Oder sollte Aristoteles die durch die erste Analytik gewonnenen Ergebnisse über Bedingtheit des Schlufssatzes durch die Modalität der Prämissen auf Wahrscheinlichkeits- bestimmungen nicht anzuwenden unternommen haben? sollte er ferner in die Bildungsweise der Definition und damit zugleich in Auffindung der Gat- tungsbegriffe und specifischen Unterschiede nicht tiefer eingegangen sein, hätten ihm die Untersuchungen der zweiten Analytik über das Verhältnifs der Definition zur Beweisführung bereits vorgelegen? Der zweiten Analytik zufolge kommt alles Wissen durch Definitionen und Schlufsfolgerungen zu Stande, wenn in letztern die Induction mit einbegriffen wird; eine vollstän- dige Wahrscheinlichkeitslehre in seinem Sinn mufste daher auch das syllogi- stische wie das definitorische Verfahren für ihren Gegenstand näher zu be- stimmen versuchen. Wie gern aber wollten wir eine vollständige Aristotelische Dialektik entbehren, die ohne die jener Zeit unzugängliche Probabilitätsrechnung doch nicht hätte gelingen können, wäre nur die eigentliche Apodeiktik oder Wis- Kk2 260 Branpıs über die Reihenfolge der Bücher senschaftslehre den umfassenden Principien nach vollständig entwickelt wor- den, welche die Analytiken dazu enthalten. Zu verkennen dafs die Aus- führuug der Anlage nicht entspricht, wäre blinde Vorliebe für die vorhande- nen Aristotelischen Schriften, und anzunehmen, die 40 Bücher der Analy- tik, aus denen Alexandrinische Kritiker die uns übrig gebliebenen vier aus- gesondert haben sollen, hätten Alles enthalten was wir vermissen, geflis- sentliche Selbsttäuschung. Denn wie weit auch immer jene durch sehr un- zuverlässige Gewährsmänner erhaltene Nachricht gegründet sein mag, sollten Theophrastus und Eudemus sich unserer Analytik, wenigstens der ersten, so eng angeschlossen haben, (1) hätten sie vollendetere Werke des Meisters vor sich gehabt? Vielmehr müssen die Bruchstücke aus den Analytiken je- ner Peripatetiker uns nicht nur davon überzeugen, dafs die uns erhaltenen Aristotelischen Bücher ächt, sondern auch dafs, was auch Ähnliches das Al- terthum aufserdem besessen haben mag, es von den unserigen schwerlich we- sentlich verschiedene, gewifs nicht vollendetere Bearbeitung des in ihnen enthaltenen Stoffes sein konnte. Was wir aber in den Aristotelischen Analytiken vermissen, ist von ganz anderer Art als das was man aufser unserer Topik von Aristoteles noch zu besitzen wünschen möchte. Die Topik bewährt sich bei genauerer Prüfung in ihren erstern 7 Büchern als ein wohlgeordnetes Ganzes, in welchem jedem Gliede die ihm gebührende Stellung zu Theil geworden: vermifst wird eine nach umfassenderem Plan angelegte Dialektik und nach Principien, wie sie sich in der Analytik finden. Für die Analytik dagegen hätte Aristoteles, ohne aus seiner Lehre oder über dieselbe hinauszugehen, keinen anderen Grundrifs entwerfen, wohl aber den von ihm entworfenen mit mehr Gleichmafs der Theile und in besserer Ordnung wenn er Zeit oder Gelegenheit gefunden hätte seine Ideen völlig zu ver- wirklichen. Doch findet in dieser Beziehung bedeutende Verschiedenheit zwischen den beiden Analytiken statt. Allerdings betrachtete sie Aristoteles als ein Ganzes, da gleich in der Einleitung zur ersten als Zweck der Unter- suchung die Beweisführung und Wissenschaft der Beweisführung angegeben ausführen können, (I 1, vgl.I4), und in der zweiten die erste als vorangegangene Untersuchung bezeichnet wird (Anal. Post.13 v. fin., 114 fin., 15. 12 p. 96a 1). (') S. die oben angeführte Abhandlung im Rhein. Museum. des Aristotelischen Organons. 261 Aber die Sonderung ist auch nach Aristoteles eigener Andeutung eine andere als die zweier Bücher ein und derselben Schrift: die erste wird als Lehre vom Schlusse oder seiner Auflösung angeführt (!), die zweite beginnt, wie von neuem, mit Bestimmung über Wissenschaft und Erkenntnifs, und kommt auf die Schlufslehre nur zurück um in ihr die Formen für die Be- weisführung nachzuweisen, hält sich auch keinesweges in den Grenzen einer blofs angewendeten Schlufslehre oder Analytik (in unsrem Sinne des Worts), geht vielmehr auf die Principien alles Wissens zurück, und verbreitet sich ausführlich über Definition und ihr Verhältnifs zur Beweisführung, so dafs sie wohl als Entwurf einer Wissenschaftslehre betrachtet werden darf. Wie der Zeit nach die Abfassung der einen sich zur Abfassung der andern ver- halte, möchte sich schwerlich mit einiger Bestimmtheit ausmitteln lassen: nur so viel steht fest, dafs die erste Analytik in allen Hauptpunkten als ab- geschlossene Untersuchung von der zweiten vorausgesetzt wird; und augen- scheinlich ist die erste Analytik ungleich sorgfältiger und gleichmäfsiger aus- geführt als die zweite. Sehen wir von den hypothetischen Schlüssen ab, deren Erörterung freilich vom Aristoteles eben nur eingeleitet (Anal. Prior. 129 p.455 19, vgl.I44), von seinen Schülern nichts weniger als vollstän- dig ausgeführt worden, so wie von den zusammengesetzten Schlüssen, so besitzen wir in der ersten Analytik eine mit bewunderungswürdiger Conse- quenz und Vollständigkeit zu Stande gebrachte Syllogistik. Nach vorange- stellten allgemeinen Erörterungen wird von den drei Figuren des kategori- schen Schlusses und ihren Modis in Bezug auf Quantitäts- und Qualitäts- Bestimmung gehandelt, der Einflufs in Erwägung gezogen den die modale Verschiedenheit einartiger und verschiedenartiger Prämissen auf den Schlufs- g zu einer Wahrscheinlichkeitslehre ver- ) sucht, und die Abhandlung von den Eigenschaften des kategorischen Schlus- satz übt, damit zugleich Grundlegun ses in seinen drei Figuren durch allgemeine Erörterungen über ihre Ver- knüpfung und die dadurch zu führenden Beweise beschlossen. Eine zweite der erstern sich eng anschliefsende Abhandlung geht durch sehr scharfsinnige Grundlinien einer analytischen Topik in die Bildung der Schlüsse ein, d.h. (') dedeizrar Zv rors megt auMMoyısuod 13. 11. Ev FH dvaaussı rA megı Ta syrıere 115. Zu der Bezeichnung früherer und späterer Analytik hat vielleicht Aristoteles Ausdruck S:deı#r«t TerIt ÖE roUro dv rors mewros Anal. Post. 1112 veranlalst. 262 Branpıs über die Reihenfolge der Bücher durch Anweisung zur Auffindung von Mittelbegriffen. Eine dritte lehrt Schlüsse in ıhre einfachen Bestandtheile aufzulösen und in’andere Schlufs- figuren umzusetzen. Eine vierte und fünfte, die das zweite Buch zusammen- fafst, erwägt theils die Eigenthümlichkeiten der richtig gebildeten und Fehl- Schlüsse, und führt dadurch die sophistische Widerlegung auf ihren eigent- lichen Grund zurück, theils die dem vollständigen kategorischen Schlusse sich anschliefsenden Formen der Induction u.s.w. Nur in Bezug auf diese letzte Abtheilung läfst sich hin und wieder Richtigkeit der Stellung und Voll- ständigkeit der Entwickelung in Zweifel ziehen: denn wenn auch die zweite Abhandlung uns keinesweges genügen kann, und sie schon bei Aristoteles Nachfolgern Theophrastus und Eudemus bedeutend modifieirt ward, so würde der Verfasser den Mängeln seiner Arbeit nur durch Ableitung aus ei- nem andern Prineip gründlich haben begegnen können; daher denn auch von seinen Schülern nur in wenigen einzelnen Bestimmungen Richtigeres gefunden ward. Wie bringen wir durch Schlufsfolgerung Wissenschaft zu Stande? fragt die zweite Analytik, und zeigt dafs jede. Beweisführung, weil wenn ins Unendliche fortlaufend, in sich widersprechend, auf an sich wahren und gewissen Annahmen beruhen müsse; unterscheidet verschiedene Arten der- selben, sowie gemeinschaftliche und eigenthümliche Prineipien der Wissen- schaften; führt das zu Beweisende auf vier Fragen und die vier Arten des zureichenden Grundes zurück, und zerfällt dann in zwei Abtheilungen, in die Lehre von der wissenschaftlichen Beweisführung und von den ihr zu Grunde liegenden Prineipien. Beide Abtheilungen aber sind nicht auf eine der Anlage entsprechende Weise vollständig ausgeführt worden: erstere nämlich besteht nur aus einzelnen lose verbundenen Erörterungen über die Vorzüge der ersten Figur zur Beweisführung, über die dabei zu vermeiden- den Täuschungen und Fehler und über die anzustrebende Allgemeinheit und Gewifsheit; die zweite, der Gegenstand des zweiten Buches, ergänzt theil- weise die erste, läfst in der ihr eigenthümlichen Untersuchung aber die Axiome aufser Acht, und handelt nur von der Definition, ihren verschiede- nen Arten und ihrem Verhältnifs zur Beweisführung. Allerdings mufste nach Aristotelischer Architektonik diese zweite Abtheilung ihre Vollendung von der ersten Philosophie erwarten, die, wie wir sagen würden, von den Real- principien zu handeln und sowohl die Axiome, ursprüngliche und abgelei- des Aristotelischen. Organons. 263 tete, in ihrer Zusammengehörigkeit zu deduciren, wie die Wesenheit der Dinge als den Grund aller Definition auszumitteln hatte, ist auch theilweise durch die beiden Hauptuntersuchungen der Metaphysik ergänzt worden: aber dennoch dürfen wir wohl zweifelnd fragen ob, oder vielmehr läugnen dafs Aristoteles die der zweiten Analytik zugewiesene Untersuchung als ab- geschlossen dem Umfang und der Anordnung nach betrachtet haben sollte; daher denn die erfolglosen Bemühungen seiner Ausleger auch dieses Werk als ein in sich vollendetes und in seinen einzelnen Theilen stetig fortschrei- tendes nachzuweisen. Schade dafs mit den besseren Griechischen Auslegern uns zugleich ohne Zweifel viele Nachweisungen aus ähnlichen Büchern sei- ner Schule verloren gegangen sind, und die wenigen uns aus zweiter und dritter Hand überlieferten kaum hinreichen die Ächtheit auch dieses Werks wahrscheinlich zu machen. Der Beweis für-die Ächtheit läfst sich nun frei- lich anderweitig durch Nachweisung der Beziehungen der zweiten Analytik zu anderen unzweifelhaften Büchern des Aristoteles genügend ergänzen; aber nicht ausmitteln wie weit es auch hier der Schule des Aristoteles gelungen Fehlendes zu ergänzen, die Anordnung zu vereinfachen, überhaupt die Un- tersuchung der zweiten Analytik im Sinne des Meisters weiter fortzusetzen. Der Titel Analytik (r& 'Avaaurızd) findet sich zwar nicht in ihnen sel- ber, dagegen in der Topik, Rhetorik, den ethischen und metaphysischen Schriften, und darf daher wohl auf Aristoteles selber zurückgeführt werden, wenn auch die Anführungen, wenigstens guten Theils, von ihm nach Ab- g rechtfer- tigt der Aristotelische Sprachgebrauch, dem zufolge die analytische Behand- fassung jener Werke selber nachgetragen waren. Die Benennun lungsweise der logischen und dialektischen entgegengesetzt wird, und die Lehre dafs die Beweisführung auf wahren ersten und unvermittelten An- nahmen beruhen, mithin zergliedernd bis auf diese zurückführen müsse (Anal. Post.12 p-71 20): so dafs die Analysis nicht der Synthesis entge- gengesetzt, sondern letztere, soweit sie auf wissenschaftlichem Verfahren beruht, ersterer untergeordnet wird. Das Buch von der Auslegung (egi Egunveias), dessen Titel, wie auch Alexander anerkannt hatte (b. Boeth. II p.283), durch Alles was die Griechischen Ausleger darüber anführen, keinesweges hinlänglich erklärt, noch weniger als Aristotelisch erwiesen wird, unterscheidet sich von dem bisher betrachteten schon durch den gänzlichen Mangel an aller Einleitung. 264 Branviıs über die Reihenfolge der Bücher Allerdings sind die vorangestellten Erörterungen über Verhältnifs der Rede zu den Gedanken, über Nennwort und Zeitwort als Grundbestandtheile der Rede, bestimmt die Erörterungen über die Aussage (Asyos drobavrızes) oder das Urtheil vorzubereiten, doch enthält das Buch keine auch nur mit eini- ger Vollständigkeit angelegte Lehre vom Urtheil. Es handelt nämlich von der einfachen bejahenden oder verneinenden Aussage, ihrer Quantität und dem dadurch bedingten contradictorischen und conträren Gegensatze, vom ersteren mit Berücksichtigung seiner Beziehung auf zukünftige Ereignisse, von beiden mit Hinsicht auf die Modificationen die sich ergeben, je nach- dem theils die Negation zum Subject Prädicat oder zur Copula gehört, theils die Modalitätsbestimmungen verschieden sind, letzteres mit Erörte- rung der Reihenfolge dieser Bestimmungen. Am Schlusse soll gezeigt wer- den dafs ein Gegensatz, in dem an die Stelle der absoluten Verneinung ein entgegengesetztes Prädicat tritt, nicht für contradictorisch zu halten sei. Zuerst also beschränkt sich nicht nur die Abhandlung auf die kategorische Form des Urtheils, sondern handelt dieselbe auch nicht vollständig als Ele- ment des Schlusses ab, enthält dagegen ausführliche Erörterungen, wodurch die logisch-analytische Betrachtung der Form an die Untersuchungen der ersten Philosophie oder Metaphysik über Freiheit und Zufälligkeit (c. 9), über Einheit der Complexionen (c.11, vgl.c.8) und über Kraftthätigkeit uud Vermögen (ec. 14) geknüpft wird. Dabei sind die Berufungen auf Ana- lytik (ec. 10, vgl. Anal. Priora 146) und Dialektik, d.h. Topik (c. 11), nicht nur tiefer in den Zusammenhang eingreifend als dafs man sie für nachträg- liche Anführungen halten möchte, sondern auch die Erörterungen über Quantität Qualität und Opposition der Urtheile eher für weitere Ausfüh- rung als für Einleitung des in der Analytik darüber Gesagten zu halten. So wird die Particularität (7° &v wege) und Unbestimmtheit der Quantität (ro adwegirrev Anal. Pr. 11) im Buche von der Auslegung näher bezeichnet als Aussage worin das Allgemeine nicht als allgemein gesetzt werde (un »«9o- Acv &mi av naScrov c.7 (1)), und das Moment der Einzelheit (r0 x«-9° Erasov) hinzugefügt (ebend.). So werden auch die in der ersten Analytik (146) enthaltenen Bestimmungen über den Unterschied verneinender Urtheile und bejahender Urtheile mit verneintem oder unendlichem (unbestimmtem) Prä- (') Theophrastus nannte das Particuläre Unbestimmtes (cogırrov). s. Ammon f.72 b. des Aristotelischen Organons. 265 dicat, die Theophrastus nach der Versetzung der Verneinung (!x ueraSerews) bezeichnete (s. Ammon. f. 128 5), in unserem Buche weiter ausgeführt und Verneinungen der Subjecte mit berücksichtigt (c. 10). Die Schwierigkeiten die die alten Ausleger in diesem Hauptstücke fanden und durch Vergleichung mit den angeführten Stellen in der Analytik zu beseitigen bemüht waren (Ammon. f. 127 ff., vgl. Boeth. II p. 374 ff.), haben augenscheinlich nicht in Unklarheit des Gedankens, sondern in der Ausführlichkeit der Erörterung und Dunkelheit des Ausdrucks ihren Grund. Diese Ausführungen leiten denn auch zu ausgedehnteren Erörterungen über die Entgegensetzung der Urtheile, wogegen ihre Umkehrung als der Syllogistik angehörig nicht wie- der aufgenommen wird. Auf ähnliche Weise werden (c.11) Erörterungen der Topik, und zwar des achten Buches (c. 2.6.7, vgl. El. Soph. c.10), berücksichtigt und weiter ausgeführt, indem der Verfasser die allgemeine Untersuchung über Einheit des Satzes mit besonderer Beziehung auf dialektische Fragen führt. Aus solchen Vergleichungen ergibt sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafs das Buch von der Auslegung später abgefafst ward als die Topik, das achte Buch eingeschlossen, und als die Analytiken, mindestens die erste derselben. Ob es aber nicht Bruchstück geblieben? in sich geschlossen ist es wenigstens nicht, und der Mangel an Angabe des Zwecks und Objekts, wie sie sich in den Eingängen der Aristotelischen Bücher zu finden pflegt, so wie die abgebrochene, hin und wieder ungenaue Ausdrucksweise erklärt sich durch die Annahme dafs Aristoteles diese Abhandlung weder beendigt noch überarbeitet habe. Sie nämlich mit Andronikus aus Rhodus dem Aristo- teles abzusprechen sind wir wohl gewifs nicht berechtigt: denn der Wi- derstreit zwischen ihr und den Büchern von der Seele, den jener Kritiker für seine Verdächtigung anführte, ist in der That nicht vorhanden, wie be- reits Alexander gezeigt hatte, und sehr zu beachten die Gewährleistung die dieser Kritiker für ihre Ächtheit aus dem Buche des Theophrastus von der Bejahung und Verneinung (rei Karaparews zal "Archarews) anführte; ihm nämlich gehört die bei Ammonius und einem Ungenannten (cod. Coisl. 160 f.: s. die im Druck begriffene Scholiensammlung zum Aristoteles p. 94 ff.) sich findende Beweisführung für die Ächtheit des Buches, wie aus Boethius zwei- tem oder ausführlicherem Commentar (p. 234) erhellet. Ohngleich bedeu- tender sind die gegen die Ächtheit des letzten Hauptstückes (ec. 14) geäufser- Histor. phulol. Abhandl. 1833. L1 266 Branpvıs über die Reihenfolge der Bücher ten Zweifel, die den Porphyrius sogar bestimmten es in seinem Commentar auszulassen (s. Ammon. f.2012, Schol. p. 135 b). Die bis jetzt besprochenen Bücher haben die Anordner der Aristote- lischen Werke mit vollem Recht zu einer Einheit verbunden: aber ob sie ih- nen im Sinne des Aristoteles die Kategorien hinzugefügt? Schon die ver- schiedenen Überschriften (#80 av Torizav, megt ray Tevay ro0 "Ovrcs, eg av dexa Tevov, Karnyogiar öeza, Karnyegiau: s. Simpl.« f.7, vgl. David, Anonym. Schol. p.30 32) zeigen dafs Stellung und Zweck dieses Buches Zweifel er- regte. Die Kategorien stellen in ihrem Haupttheile zehn oberste Begriffe auf, worunter alles Denkbare und damit zugleich alles Seiende, sofern es im Denken aufgefafst wird, sich subsumiren lassen soll. So werden schon in der Topik (19) die zufälligen und eigenthümlichen Merkmale, die Gat- tung und Definition als in ihnen enthalten darauf zurückgeführt und sie als die Gattungen der Kategorien bezeichnet; in welcher Beziehung wahrschein- lich Rechtfertigung der Bezeichnung Vortopik (rg rav Torızwy) gesucht ward. Adrastus zwar, der als Urheber dieser Bezeichnungsweise angeführt wird (s. Simpl. u. d.übr. a.a.O.), soll sich auf die Beziehungen des letzten Theils der Kategorien zu der Topik berufen haben (s. David a.a.O.); ähn- lich Herminus (s. ebend. p.812 25). In ähnlicher Weise werden die Kate- gorien in der zweiten Analytik (1 22) berücksichtigt; in der Metaphysik da- gegen die Arten des Seins darauf zurückgeführt (?), mit Unterscheidung des Seins der Kategorien vom Sein der Beziehungen, der Wahrheit und Un- wahrheit (d.h. vom logischen Sein) und des Vermögens oder der Kraftthä- tigkeit (E 2, vgl. Z 1), also die Arten des Seins als solchen darunter verstan- den, ebenso in der Physik (V 1 fin.) die Arten der Bewegung darunter sub- sumirt, worauf sich der Titel von den Gattungen des Seins bezog: so dafs also dieses Buch in gleich naher Beziehung zu den logischen Untersuchun- gen wie zu den Untersuchungen über das Sein und Werden der Dinge steht, wie auch die besten unter den Griechischen Auslegern anerkannten, indem sie im Gegensatze gegen einseitige grammatische logische oder ontologische Bestimmungen den Begriff der Kategorien zu fassen suchten (s. Simpl.« f.5, Boeth. f. 111, Porphyrius, Syrianus, David u. andere in der Scholiensamml. (!) örayWs yap eye Ta yH1 TaV zaryyocmv), roTaurayas To zwar racivsı. Me- WS yap reyeraı (TE TYnaere Tav zer Yy gmv), FOTRUTEY WS To Eve Fnacıvei. taph. A7 p.1017a 23. des Aristotelischen Organons. 267 p- 29 ff.). Doch hat Aristoteles bei der Abfassung des Buches selber wohl zunächst die begrifflichen oder logisch sprachlichen Bestimmungen im Auge gehabt, und so wollen wir ihm seine Stelle im Organon nicht streitig ma- chen, obwohl es zugleich als ein Mittelglied zwischen Logik und Metaphy- sik zu betrachten sein möchte und Aristoteles es weder an die Topik nech an die Analytiken oder an das Buch von der Auslegung bestimmt anknüpft(!): selbst durch den letzten Theil scheint er eine solche Anknüpfung nicht be- zweckt zu haben, da in ihm nicht nur von den vier Arten des Gegensatzes, sondern auch von den verschiedenen Bedeutungen des Vorher und Zugleich, der Bewegung und des Habens gehandelt wird. Über die Zeit der Abfassung des Buches weifs ich keine nur einiger- mafsen mir genügende Vermuthung aufzustellen. In verschiedenen Werken des Aristoteles, worunter auch logische, werden die Kategorien aufgezählt (s. oben), und mit so geringfügigen Abweichungen in Bestimmung und Ab- folge, mit denen und in der sie sich in unserem Buche finden (s. Pacü Com- mentar. p.29, vgl. Fr. Ad. Trendelenburg a.a.O. p.5), dafs nicht zu entscheiden ist, welche Aufzählung für die frühere und welche für die spä- tere zu halten: denn zu schliefsen, das Buch der Kategorien habe jenen verschiedenen Aufzählungen zu Grunde gelegen und sei eben darum für eines der frühesten zu halten, wäre sehr übereilt. Nur so viel steht fest dafs die Kategorienlehre zu den Keimen gehörte aus denen sich das Aristo- telische Lehrgebäude ausbildete, und dafs sich die Zeit ihrer Entstehung in der Gedankenbildung des Stagiriten schlechterdings nicht bestimmen läfst. Zu bemerken aber ist dafs auch dieses Buch ohne Angabe des Zwecks und Gegenstandes mit vorbereitenden Erörterungen beginnt, die nicht einmal ausdrücklich an die Haupthandlung geknüpft werden, und dafs in noch lo- serer Verbindung mit ihr die sogenannten Postprädicamente stehen. Wahr- scheinlich hat sich nur der Haupttheil vollendet vorgefunden (denn die ei- gentliche Abhandlung von den Kategorien ist durchweg sehr sorgfältig aus- geführt), dem dann zwei Entwürfe als Einleitung und Schlufs angefügt wur- den, wovon wenigstens der letztere für unvollendet zu halten ist, da sich (') Einen mir nach Beendigung dieser Abhandlung zugekommenen sehr scharfsichtigen Ableitungsversuch der Aristotelischen Kategorien — Fr. Ad. Trendelenburg de Aristotelis Categorüs Berol. 1833 — muls ich mich für jetzt begnügen unbefangener Prüfung zu em- pfehlen. 1112 268 Brawpıs über die Reihenfolge und die Ausleger gar nicht einsehen läfst warum eben nur die angegebenen Begriffe, und nicht noch andere, die Anwendung der Kategorien mindestens ebenso sehr vermittelnde, Erörterung gefunden. An der Ächtheit dieses dritten (1) Theils hatte bereits Andronikus ge- zweifelt, und gemeint, er sei gegen den Zweck des Buches von einem derer hinzugefügt die die Kategorien als Vortopik bezeichnet (Simpl. 7 £.7, Scho- liensamml. p.81« 27); woraus zugleich erhellet dafs diese Bezeichnung älter als Andronikus, der angebliche Wiederhersteller der Aristotelischen Werke: ein neuer Beweis gegen die Glaubwürdigkeit der bekannten Erzählung von den Schicksalen der Aristotelischen Bücher. Bei weitem der gröfste Theil der Griechischen Ausleger war dagegen von der Ächtheit überzeugt, und ent- schieden Unaristotelisches möchte sich nicht leicht darin nachweisen lassen. Die Lehre von den Gegensätzen findet sich ihren Grundzügen nach auf ganz ähnliche Weise in anderen unbezweifelt Aristotelischen Werken aufgestellt, und war in einem besonderen, dem Aristoteles gleichfalls beigelegten Buche (Fegi ray "Avrızeuuevav) ausführlich entwickelt. Die Synonymik des Früheren hat Aristoteles selber in anderen Büchern, namentlich der Metaphysik (A 11), ergänzt, und hatte der Physiker Straton in einem eigenen Buche (ev r7 wegt Hperepov na Vrregou uovoßi@rw) weiter ausgeführt (s. folg. Abschnitt). Aber mag auch dieses Stück dem Ausdruck und dem Gedanken nach für Aristo- telisch gelten dürfen: dafs der Verfasser und nicht vielmehr ein späterer Ordner zerstreuter Aufsätze des Aristoteles es den Kategorien angefügt, ist durchaus unerweislich und sehr unwahrscheinlich. Zweiter Abschnitt. Von den Griechischen Auslegern des Organons. 1) Ausleger der Kategorien. Wiewohl die Schüler des Aristoteles seine Schriften nicht eigentlich erläutert zu haben scheinen, so waren doch viele ihrer Bücher mit so be- stimmter Rücksicht auf gleichnamige ihres Lehrers theils ergänzend theils (') Über einen muthmafslichen Zweifel an der Ächtheit des ersten Theils s. d. folg. Ab- schnitt. der Bücher des Aristotelischen Organons. 269 erläuternd theils berichtigend abgefafst, dafs in Untersuchungen über die Commentare zu Aristotelischen Büchern zugleich von dem was seine näch- sten Nachfolger über dieselben Gegenstände geschrieben, die Rede sein mufs. Wiewohl nun Ammonius im Commentar zu den Kategorien (f.9 Fenet. 1545) und David in der Einleitung (Schol. p.28a 19) ausdrücklich versichern, Eudemus Phanias und Theophrast hätten ihrem Lehrer nachei- fernd gleichfalls Kategorien Analytiken und von der Auslegung (egi "Egur- veias) geschrieben, glaube ich behaupten zu dürfen dafs wenigstens Theo- phrast und Eudemus nicht nur nicht unter diesem Titel, sondern überhaupt nicht von den Kategorien gehandelt (!). Mehrere der Griechischen Com- mentatoren, namentlich Alexander Porphyrius und Simplicius, liefsen sichs angelegen sein erklärende wie abweichende Stellen aus Theophrastischen Werken zu den von ihnen erläuterten Büchern sorgfältig und häufig anzu- ziehen, und würden es bei den Kategorien um so weniger unterlassen haben, je erwünschter solche Autorität zur Entscheidung von Fragen und Streitig- keiten hätte sein müssen, die, wie Dexippus (s. Schol. p.39) in der Einlei- tung zu seiner dialogischen Erörterung der Kategorien sagt, über dies Buch mehr als über irgend ein anderes nicht nur von Akademikern und Stoikern, sondern auch von Peripatetikern gegen einander erhoben und geführt wor- den waren. Dafs nun aber dergleichen Anführungen zugleich mit den älte- ren Commentatoren verloren gegangen seien, wird nur glauben wer, um vom Dexippus und Porphyrius zu schweigen, des Simplieius Commentar nicht genauer angesehen. Er hat, gleichwie Porphyrius, sein vorzüglichster Gewährsmann, die historischen Schätze seiner Vorgänger zu fleifsig benutzt und geht der Spur des Theophrastus zu sorgsam nach, als dafs er Anführun- gen aus dessen angeblichen Kategorien aufser Acht gelassen haben könnte, auch wenn, was kaum denkbar, das Buch zu seiner Zeit nicht mehr vorhanden gewesen wäre; dazu führt er nicht selten Theophrastische Stellen an, zum Theil allerdings ohne das Buch zu nennen dem sie entnommen waren, aber so dafs sie sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf bestimmte uns nä- her bekannte Theophrastische Bücher zurückführen lassen. Was er (0 f.3 ed. Venet., Schol. p.78) über Theophrasts Lehre von der Bewegung und Kraft- thätigkeit (zivnsıs und Evepyeic) und (F f.3, Schol. p. 79) von der Zeit anführt, (‘) Vgl. Rheinisches Museum für Philologie Geschichte und Gr. Philosophie I p. 271. 270 Branvıs über die Griechischen Ausleger wird man ohne Bedenken auf dessen Physik beziehen, wenn man die (# f.4b, Schol. p.92b) aus dem xıy Buch derselben entlehnte Stelle über die Bewegung damit vergleicht. Die Stelle über die Theophrastische Behauptung von der Wandelbarkeit der Tugend (7 £.82, Schol. p. 86, vgl. mit 2’ £.8, Schol. p.702) ist wahrscheinlich aus dem Buche von den Affeeten (regt HaSwv) genommen. Wie die Annahme Theophrastischer Kategorien habe entstehen können, sieht man ans den Worten eines Anonymus zu dem Buche von der Auslegung, der statt der Kategorien ein Theophrastisches Buch vom Ausdruck, statt des Bu- ches von der Auslegung eins über Bejahung und Verneinung anführt ('). Dafs aber dieses Buch vom Ausdruck (regt Asews) keinesweges die Kategorien abgehandelt, beweisen die einzelnen Anführungen, die Über- schrift und was Dionysius aus Halicarnafs daraus mitgetheilt (s. Menag. zum Diog. Läert.V 47). Von ihm war das Buch vom Element oder den Elemen- ten der Rede (&v 7% Fegi TeU Aoysu soryelw) (?), dessen grammatisch rhetorischen Inhalt Simplieius zu den Kategorien (« f.5, Schol. p.29 Anmerk.) angiebt, schwerlich verschieden; aus diesem unter verschiedenem Titel angeführten Werke wahrscheinlich entlehnt die Stelle über Eintheilung der Rede bei Ammonius (de Interpret. £.53 ed. Venet. 8“, Schol. p.108b), und dasselbe be- stimmt die Elemente der Rede zu erörtern, auf die Weise aber vielleicht die Aristotelische Abhandlung von den allgemeinsten Bestimmungen der Objecte des Denkens einzuleiten. Vom Ausdruck (regt as As£ews) hatte auch Eudemus geschrieben, und darin auch vom Urtheil (&v #3 rgwrw wegi Ac£. Alex. in Anal. Pr. f.6, cf. Anon. cod. Reg. 1917, Schol. p.145) und von der Frage, wie es scheint, mit Be- zugnahme auf Aristoteles Topik gehandelt (s. Alex. in Top. p.38, vgl. Alex. in Metaph.16). Berücksichtigt jedoch war das Buch der Aristotelischen Ka- tegorien in den Büchern vom Ausdruck, wenigstens dem des Theophrastus und in einem Commentare (Ursuvguarı raga ryy Aefw), der von einigen dem (') Cod. Coislin.160. Die Ächheit dieses Buches erhelle, sagt er, unter andern za amd FoU yeygad>aı Eregors zara CHAov "AgısoreAous Smwvunee FUyYygasaree zaı heger Tau Ev aurcis avrı ev TuV Karyyogınv ”o meg: AzEsws, dvrı Ö: roü megt “Eginveias ro megı Karabarews »aı Ano- bares. s. Schol. p-94 2. (2) Verschieden davon war das von demselben Ausleger zu d. B. vom Himmel IV f.1665 angeführte Buch megt rns ruv Nroysiwv Deverews, welches Menage (zu Diog. L.V 50) irrthüm- lich hierher zieht. des Aristotelischen Organons. 2741 Aristoteles selbst, von anderen seiner Schule beigelegt wurde (s. Simplie. y f.65, vgl. Dexippus Schol. p.475 48); ein Capitel der sogenannten Postprä- dicamente in einer Aristotelischen Monographie von den Gegensätzen (regi ray "Avrızeuevav) weiter ausgeführt und von Theophrast in seiner Topik be- rührt (Simpl. in Cat. v' f.5, Schol. p.89). Von beiden ausführlicher zu han- deln mufs einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben. Der Peripatetiker Strato aus Lampsakus hatte ein anderes Haupt- stück derselben Postprädicamente in einer Monographie vom Früheren und Späteren (wegi roü Hgoregov zai Woregov) weiter entwickelt; die bei Simplicius (v £.8 sq., Schol. p.90) sich findende ausführliche Anführung daraus ist für Synonymik nicht unerheblich und nicht ohne Beziehung auf den hierher ge- hörigen Abschnitt der Aristotelischen Kategorien. Für die Ächtheit der den Kategorien vorangestellten Spracherörte- rungen, die gleichwie die der Postprädicamente, nach der vielleicht verderb- ten Stelle eines Anonymus (!) zu schliefsen, von der Kritik in Anspruch genommen zu sein scheinen, läfst sich vielleicht ein Zeugnis in Speusip- pus Theilung der Worte (in rairwvune, Eregwvuna U.s.w.) und andren ähn- lichen Bestimmungen entdecken, die Simplicius (0 f.2,42,5, Schol. p. 41.43) aus des Boethus Commentar mittheilt. Aus welchem Buche des Speusippus diese Theilung genommen war, läfst sich schwerlich mit Sicherheit ausmit- teln: ob vielleicht aus seinen Erklärungen oder Eintheilungen ("Oger, Aruıge- eis nal Moos Tu eusıa üreSersis Diog. L.IV5)? Die Annahme, er habe nicht nur, wie Aristoteles, Kategorien abgefafst, sondern auch nach dessen Plan vorbereitende Worterklärungen vorangeschickt, wäre jedenfalls willkürlich und durch die Angabe über seine vereinfachende Eintheilung keineswegs ge- nügend zu bewähren; auch ist kaum mit einiger Wahrscheinlichkeit voraus- zusetzen, Speusippus habe die Aristotelische Kategorientafel mit der Einlei- tung bereits gekannt (s. d. ersten Abschnitt). Dafs diese Tafel aber von den Stoikern in ihren Versuchen einer neuen Kategorienlehre, deren Grundli- nien aus dem was Simplieius davon anführt (s. besonders Ü f.4b, yf.7, 1) avrrıoVv TO maRa0V FU Tor un. IE Deo een eu. rate Korss/gBieieolie ( ) DazeL vo magov FUyyoasee ÄAgısrorehous, AA 0U voTov, gt ev mev Fig Karyyogiais on D ei \ PR % \ ‚ \e n VUCE AR TUVWVUILCE maocdıdoreı 1aovce, Ev € Tas “Prrogizeis rEyvaıs zit TOAUWIVUME 4473 ETEDWVUJLLE zrA. Anon. Cod. Urb. Schol. p.33. Simplicius jedoch begnügt sich diese Auslassung zu recht- . nr - r . Bow . - . ” fertigen (2 £.5 B, Schol. p.43), ohne eines kritischen Zweifels an der Ächtheit des Abschnitts ’ I zu gedenken. 212 Branpıs über die Griechischen Ausleger vgl. Dexippus Schol. p.43. 44. 48, Simpl. 9’ £.7 5 sq., « £.52, Dexippus Schol. 61. 62. 67) in ihrer Beziehung auf Aristotelische Bestimmungen sich hinläng- lich erkennen lassen, fortwährend berücksichtigt werde, erhellet vorzüglich aus dem was Simplicius (7 f.22 sqq., Schol. p.83 sq.) namentlich aus einem Buche des Chrysippus anführt, um nach dem Beispiel der berühmtesten Commentatoren vor ihm zu erweisen dafs die Schüler des Zeno, wieviel sie auch ihre logischen Forschungen zu rühmen gepflegt, gleichwie in anderen logischen Lehren, so auch in der vom Gegensatz ihre Weisheit aus Aristo- telischen Büchern geschöpft. Auch Xenokrates vereinfachende Zweithei- lung der Kategorien setzt wohl Kenntnifs der Aristotelischen Tafel, wenn auch nicht unsres Buches voraus (Simpl. y f.65, Schol. p.47b). Aus dem Streben die Aristotelischen Bestimmungen gegen die Angriffe der Stoiker zu sichern, lassen sich vielleicht mehrere der Verschiedenheiten erklären, wodurch sich die Bücher des Pseudo-Archytas von dem Ari- stotelischen unterschieden. Ich verweise vorläufig darauf dafs der Verfasser jener Bücher die dı«Seris ausgelassen (s. Simpl. u f.2, Schol. p. 71), die Be- schaffenheit, das Haben und Wo (raerns, &y,cw und sv) anders bestimmt und geordnet (id. E f.7b, Schol. p. 77), das Stoische Gleichgültige (@dı«pogev) un- ter der Benennung von cüderegev eingeführt (vb. v’ f.22 sqq., vgl. aufserdem Schol. p.43b, 52, 552, 56, 595, 60, 631, 565, 74b, 755, 79, 81, 88, 925) und endlich auf die Worte des Simplieius (g'f. 45, Schol. p.80)(!), woraus sich schliefsen läfst dafs schon damals die Meinung aufgestellt war, in dem sogenannten Archytischen Buche seien die Ansichten der Stoiker und des 8 Aristoteles zusammengefafst worden. Wann man angefangen die Aristotelischen Kategorien in eigenen Commentaren zu erläutern, möchte sich nicht leicht ausmitteln lassen. Vom Alexandriner Apollonius führt Simplicius (U f.55, Schol. p.63b) eine Bemerkung an, die aus irgend einem allgemein grammatischen Werke des- selben genommen sein kann: auch ist es wohl zweifelhaft, ob der Lehrer des Apion hier zu verstehen sei, oder einer der anderen vielen Apollonier. Wo Simplicius (3 £.3, Schol. p.61) den Boethus, Ariston, Fudorus, Andro- x e> ie 2 „ ’ ’ ’ > & ’ q ’ 8 (') Dusw (6 ’Agyuras) Orı Errıw ö Ygovos “rwasios mwos agıS1a0s.. . ou Tyv "AgısroreAous u er ES Y 5 n 77 „ e Ss rov Irwizov ÖoEav eis radro surraußavwv, ws res orovreı. Bekannt ist dals auch Themistius den Verfasser des Buches für einen Peripatetiker hielt; s. Boeth. in Categ. p. 112 (Schol. p.33). des Aristotelischen Organons. 273 nikus und Athenodrus in der angegebenen Ordnung als ältere Erklärer der Kategorien anführt, hat er leider die Zeitfolge gänzlich aufser Acht gelassen. Auch Dexippus (I «', Schol. p.395 40) bezeichnet die Stoiker und Platoniker nicht näher, die, wie er sagt, die Aristotelischen Kategorien über den Haufen zu werfen sich bemüht, noch die Peripatetiker, die unter einander in Streit darüber verwickelt gewesen. Zu den Platonikern die er im Sinne gehabt, gehören wahrscheinlich Eudorus, Lucius und Nikostratus, Achaicus, Sotion und Plotinus; zu den Stoikern Athenodorus und Cornutus; zu den Peripa- tetikern Ariston, Andronikus Rhodius, Adrastus, die beiden Alexander und wahrscheinlich auch Herminus. Der erste Commentator der Kategorien dessen Zeitalter sich bestimmt angeben läfst, ist Andronikus aus Rhodus. Aus einer Stelle des Simplicius (x f.3, Schol. p.66), wo er des Ariston Definition der Relation (des ges rı) anführt und dann hinzufügt “so bestimmt sie auch Andronikus” (za surws d& na ’Avdpevinos arodidwrı), liefse sich vielleicht schliefsen, Ariston sei der frü- here gewesen, wenn Simplicius überall vollkommen genau redete. Ebenso- wenig ergiebt sich Beantwortung der Frage, ob Andronikus schon Commen- tare vorgefunden, aus der Anführung bei Simplieius (r f.75, Schol. p. St) “einige, wozu auch Andronikus gehöre, hätten behauptet, der letzte Theil “der Kategorien (die sogenannten Postprädicamenta) sei gegen den Plan des “Buches von Jemanden hinzugefügt worden der das Buch Vortopik (rg r@v “Torwv) überschrieben habe” (wie später Adrastus): denn wahrscheinlich hatte man die Anordnung der Aristotelischen Bücher früher erörtert als sie commentirt. Von Andronikus dem Rhodier werden so mancherlei ausführliche Bemerkungen und Untersuchungen zu den Kategorien angeführt, dafs wir den Ausdruck des Simplicius ragapgadwv 73 räv Karnyegiav Bußarcv (Pf. 1b, Schol. p.41b) entweder auf den paraphrastischen Theil eines ausführlichen Commentars beziehen, oder annehmen müssen, Andronikus habe der Para- phrase ausführliche Erläuterung des Buches hinzugefügt. Zuerst nämlich knüpfen sich mehrere bedeutende kritische Bemerkungen sowohl über ein- zelne Lesarten (s. Dexippus Lid’ 17, Schol. p.42, vgl. Simpl. « f.95, @’f.1, 2b, Schol. p.40b, 41b, 42) als über inneren Zusammenhang und Achtheit an seinen Namen (Simplic. #f.7b, Schol. p.81). Dann aber werden Unter- suchungen über den Inhalt des Buches von ihm angeführt, die beweisen dais Histor. philol. Abhandl. 1833. Mm 274 Branpıs über die Griechischen Ausleger er keineswegs, wie man anzunehmen geneigt ist, sich’ auf Worterklärungen beschränkt habe, und ebensowenig Peripatetiker im späteren strengen Sinn des Worts gewesen sei. Er vertheilte die Kategorien unter das An sich und das Relative, 70 za$’ aürc und moös rı (Simpl. y f.62, Schol. p.47b), be- stimmte die Aristotelische Definition der Relation näher (Porphyr. f. 43, vgl. Simpl. # f.3 sqq., Schol. p.66), wies dieser Kategorie den letzten Platz an (Simpl. $f.2, Schol. p.595, vgl. David ‚Schol..p. 60), fügte der Eintheilung der Qualitäten eine fünfte Unterabtheilung hinzu, worunter er Schwere u.s. w. ordnete (Simpl. v’f.3, 56, Schol. p. 735, 74b), schlug vor statt des Wo und Wann Kategorien für Zeit und Raum anzunehmen (Simpl. »' f.1, 45, Schol. p-57. 58) u. dgl. mehr. Wieweit er dabei auf eigener Forschung fufste oder fremde sich aneignete, läfst sich schwerlich genau ausmitteln. Auf die Behaup- tung des Simplieius (g f. 12, 35, Schol. p. 79) dafs er, dem Archytas folgend, der Zeit und dem Raume eigene Kategorien eingeräumt, ist natürlich nichts zu geben. Beachtenswerther ist es dafs Simplieius (y £.62, Schol. p. 47b), wo er anführt, Andronikus habe alle Dinge in das An sich und das Relative ge- theilt, ihn mit Xenokrates zusammenstellt. Ob er sich häufiger an Platoni- ker geschlossen, wird vielleicht fernere Untersuchung auszumachen im Stände sein. Was David (Schol. p. 255) über seine Behauptung anführt, mit der Logik sei das Studium der Philosophie zu beginnen, mag aus seinem Buche über die Eintheilung der Aristotelischen Werke (de divisione) genommen sein, das aber David gewifs nicht selber vor sich gehabt, da er ihn die Zahl der Aristotelischen Bücher in Bausch und Bogen auf 1000 schätzen läfst (s. Schol. p-24). In diesem Werke wird er auch seine Meinung, das Buch von der Auslegung (Fegı Egunveias) sei unächt (s. oben), vorgetragen haben: denn dafs er auch dies Buch commentirt, läfst sich schwerlich erweisen. Ariston wird zwar, wie erwähnt, unter den älteren Commentatoren der Kategorien genannt, aber nur angeführt wo von der Relation gehandelt wird (Simpl. / £.6, #£.3, Schol. p.63 6, 66), daher es zweifelhaft ob er das Aristotelische Buch conmimentirt oder nicht vielmehr eine Monographie über den Begriff der Relation geschrieben. Ob der Mann übrigens der Aristo Iulietes oder Aristo Alexandrinus oder ein andrer gewesen, wage ich nicht zu entscheiden: die bei Menagius (zu Diog. Laert.VIl 164) angeführte Stelle des Apulejus spricht für den Alexandriner, dessen Zeitalter übrigens, soviel ich weils, keinesweges ausgemittelt ist. des Aristotelischen Organons. 275 Athenodorus der Stoiker (s. Porphyr. 21) hat wohl nur gegen die Aristotelischen Kategorien geschrieben (s. Porphyr. a. a. O., vgl. Simpl. « f.8b, Schol. p. 305), sie nicht eommentirt, und zwar nur die Eintheilung ge- prüft (1); vgl. die aus seinem Buche angeführten Einwendungen, worin er die Kategorien besonders der Unvollständigkeit beschuldigt (Porphyr. f. 4 2, Simpl.a.a.O., vgl. $'f.3, Schol. p.48b, 61). Dafs er aber nicht ausschliefs- lich negativ verfahren, beweiset die Anführung bei Simplicius (f. 62, Schol. p-57), er habe als dritte Art der Quantität die Schwere angenommen, schwerlich älterer Stoischer Lehre darin folgend. Übrigens sind der An- führungen zu wenige vorhanden um daraus ein bestimmtes Urtheil über die Schrift des Athenodorus zu bilden. Dafs er der als Zeitgenosse des Strabo angeführte Athenodorus aus Tarsus gewesen, ist nicht unwahrscheinlich, zu- mal da dann Cornutus, der zugleich gegen die Aristotelischen Kategorien und die Einwendungen des Athenodorus geschrieben hatte (s. Porphyr. 2, vgl. Simpl. y f.6, Schol. p. 475), der Annäus Cornutus sein könnte den Nero tödten liefs. Aus dem was aus seinem Buche über die Kategorien (s. Porphyr. 4b 21,.Simpl. a. a. O. und «f.82, &f.7, g f. 7, Schol. p.305, 57, 80) und Rhetorisches (Porphyr. 42, Schol. p.485) von ihm angeführt wird, läfst sich nicht einmal bestimmen worin er vom Athenodorus sich entfernt habe. In zwei der Anführungen finden wir ihn mit demselben völlig einstimmig; seine Abweichung von ihm in der Erklärung der Relation ist höchst unbe- deutend, und dafs er die Meinung über die Schwere (Simpl. £'f.7, Schot. p-57) mit seinem Gegner theilte, erhellt aus Vergleichung der angezogenen Stelle mit einer anderen (Simpliecius 2b. f. 62). Eudorus der Akademiker, wahrscheinlich der von Stabo als Zeitge- nosse angeführte (s. Jonsius p. 220), und dann wohl etwas jünger als Andro- nikus, wofür auch die Art spricht wie Simplicius ($£.3, v f.3, Schol. p. 61, 73) ihn mit diesem zusammenstellt, scheint ebenfalls nur Einwendungen gegen die Aristotelischen Kategorien geschrieben zu haben (s. Simpl. a. s. a. St. und vf.5, #«f.4b, Wf.4b, v f.5, Schol. p.63, 665, 71, 74b). Aus dem Bisherigen erhellt dafs keiner der mit dem Andronikus zu- gleich als ältere Ausleger der Kategorien angeführten erwiesen älter sei als 1 u Ge PR > n \ er} 1 \ ’ > ’ DOSE (') womes ’ASrvodwgos Ev FW moös rs "Agırrorsrovs nev zermyogies Emıyeypanızvu DıßAw, n \ - S u ’ > ’ Br } , wouyu de Fr eis rorodron MAT Dos Öigerw EEeragovsı #7%. Simpl. y f.6, Schol. p.47b. Mm2 276 Branoıs über die Griechischen Ausleger er (von dem Boethus sogleich); 2) dafs wohl nur von ihm und, wie wir gleich sehen werden, dem Boethus der Ausdruck Ausleger im strengeren Sinne des Worts gelte; 3) dafs die übrigen vier hier angeführten wahrscheinlich bald nach ihm schrieben. Wir kehren zu den eigentlichen Commentato- ren zurück. Dafs Boethus, der Schüler des Andronicus, einen ausführlichen Com- mentar zu den Kategorien verfalst, sagt Simplieius (« f.2, Schol. p. 40) aus- drücklich (vgl. %f£.22, Porphyr. 4, und Dexippus ‚Schol. p.42. 31), und rühmt seinen Scharfsinn («yxwaa) wiederholt (9 f.4, vgl. « £.2, Schol. p. 92. 40). Aufser diesem Commentar hatte Boethus ein Buch #egl roU ges rı zul 7905 Ti Bus &y,ovros geschrieben (s. Simpl. 9 f.4.7. f.55, Schol. p. 61. 62. 81): denn auf eine Abtheilung des Commentars kann der Ausdruck (eAov Rı- Prev ygaas) schwerlich bezogen werden. Angeführt aus seinem Commentar finden wir Kritisches (s. Dexippus Schol. p. 42, Simpl. B’f.2, y f. 42, Schol. p- 42. 465), Bemerkungen über den Sprachgebrauch (8 £.65, Schol. p.43D), sorgfältige Begriffsspaltungen (Simpl. 0°f.3 2, Dexippus Schol. 50, Simpl. € f.3, # f.80, 0 f.4b, 9 f.4, Schol. p.53, 79, 92) und Historisches (’f.42, 52, 6b, Schol. p.43). Was Simplicius über den Speusippus enthält, dessen Buch er nicht mehr las (!), verdanken wir wahrscheinlich dem Boethus, und vielleicht auch einen grofsen Theil dessen was Simplicius von den Stoi- kern berichtet (s. 9 f.52, Schol. p.62), endlich zum Theil recht scharfsin- nige Versuche Aristoteles gegen Einwürfe zu vertheidigen (s. Simpl. 0’ f.32, ce f.2, Dexippus Schol. p.50, 77). Leider werden seine Gegner nicht na- mentlich angeführt, doch möchte ich aus einer Andeutung schliefsen dafs Athenodorus einer derselben gewesen. Sein Buch wegi r&v 7905 rı zul mocs ri rws &y,evrav scheint grofsentheils gegen die Stoiker gerichtet gewesen zu sein, auf deren Kategorientafel der Titel sich bezieht. Er war strengerer Peripa- tetiker als sein Lehrer, von dem er auch darin abwich dafs er von der Phy- sik, jener von der Logik das Studium der Aristotelischen Philosophie zu be- ginnen empfahl (s. David Schol. p. 255). Nur in der Definition der Relation erlaubte er sich vom Aristoteles abzuweichen und mit dem Ariston überein- zustimmen (Simpl. # f.3, Schol. p.66),; aus den Ausdrücken des Simplicius erhellt übrigens nicht mit Bestimmtheit dafs Ariston der frühere gewesen. (!) Em. ws parı zr2. @ f.2, Schol. p. Alb. des Aristotelischen Organons. 277 Die von Simplicius (€ f.3, Schol. p.53) angeführte Untersuchung über den Unterschied (d«dog«) scheint dem Boethus eigenthümlich zu sein. Galenus Kommentare zu den Kategorien, der Auslegung und den übrigen logischen Büchern des Aristoteles, kennen wir fast nur aus seiner eignen Angabe (de libr. propr.). Zu den Kategorien, deren er fünf angenom- men, wird er von David (Schol. p. 49) angeführt. Die Angaben, Adrastus der Aphrodisier habe aufser dem jetzt vor- handenen Buche der Kategorien noch ein anderes sehr wenig davon ab- weichendes gekannt (Simpl. « f.Sb, 4Anon. Urb. Schol. p.39. 33) und die Kategorien unmittelbar der Topik anreihen wollen (Simpl. « f.7 2, Anon. Urb. Schol.p.32)('), wahrscheinlich einer älteren Meinung folgend (s. oben), sind vermuthlich aus seinem Buche von der Anordnung der Aristotelischen Bücher (#egi vis Tafewus 775 "Agırrorerous diRorodias Simpl. «’f.7b, besser rüv "Agıcror. FUyygaunarwv id. f.8b) genommen. Was es mit seinem von Galen aufgeführten Commentar zu den Kategorien für Bewandnifs gehabt, läfst sich schwerlich ausmitteln. Vom Alexander Ägäus wird nur eine Meinung, über den Zweck der Kategorien, angeführt (Simpl. «f.52, Schol. p.29), und vom Aspasius giebt allein Galen an dafs er die Kategorien commentirt. Den Sosigenes, den wir aus Simplicius zu den Büchern vom Him- mel von einer so vortheilhaften Seite kennen lernen, nennt, soviel ich erin- nere, Porphyrius allein, und auch er nur in einer Stelle (f. 22, Schol. p. 315 not.), unter den Commentatoren der Kategorien, von ihm anführend, er habe widerstreitende Behauptungen über den Zweck und die Bedeutung einander gegenübergestellt ohne sich zu entscheiden. Dafs übrigens dieser Sosigenes Lehrer des Aphrodisiers Alexander und keinesweges lange vor ihm gewesen, wird in den Erörterungen über die Commentare zu den Büchern vom Him- mel und zur Meteorologie erwiesen werden. Herminus, der seinem Commentare zu den Kategorien Untersuchun- gen von mäfsigem Umfange eingewebt (s. Simpl. «f. 2, Schol. p. 40, Porphyr. f. 4b, Schol. p.31) und die Kritik nicht ganz aufser Acht gelassen hatte (Simpl. $'f.2b, Schol. p.42), bestimmte einige Begriffe näher, namentlich den des : ’ i RR GET : R IE (') Bei David (Schol. p.30) ist statt ci de mg0 suv Torwv, Ws "Agyuras 6 Tagavrivos, oi Ös 57 r er - [3 „ 3: ’ .. r \ x megi ruv KaSerov Aoywv, ws "Adgesros 6 Apgodısıevs durch Transposition zu lesen: 0: de mgo r. - ER Tor., ws Adgasros HrA. 278 Branvıs über die Griechischen Ausleger Unterschiedes (diepega: s. Simpl. y f.32, 4b, Schol. p.46ab), vertheidigte Ari- stoteles gegen Einwürfe (Porphyr. f.33, Simpl. € f.52, Schol. p.58b, 565), und zeigte sich keinesweges als Stoiker, vielmehr völlig einstimmig mit Ari- stoteles: nur die Gültigkeit der für die Zehnzahl der Kategorien versuchten Beweisführungen bezweifelte er (s. seine Worte bei Simpl. y'£.6, Schol. p. 475). Alexander der Aphrodisier, der, gleichwie Herminus, zu denen gehörte deren Commentare nicht allzu weitläuftige Untersuchungen enthiel- ten (s. Simpl. «f. 2), zeigt sich hier, wie überall, als ein verständiger, streng an seinen Text sich haltender Erklärer, der Kritik nicht fremd (s. Simpl. &’ f.4, Schol. p.42b), auf Exegese aber vorzüglich bedacht, die von ihm oder anderen aufgeworfenen Fragen aus genauer Kenntnifs der Aristotelischen Philosophie zu beantworten bemüht (David, Simpl. »' f.8, X f.2.7, wf.85b, E 1.6, Schol. p.59, 69, 70, 72, 765; David Schol. p.54b, 65, 66, 685, 815; Dexippus iÖ. p.48), und was er für ächt Peripatetische Sätze hält, z. B. dafs das Allgemeine später als das Einzelne und von ihm abstrahirt sei, hart- näckig vertheidigend (s. Simpl. 8’ f.5, Schol. p.50a, Dexippus David Schol. p-503, 512). Bevor wir weiter gehen, müssen wir wiederum mehrere Commenta- toren einschalten, deren Zeitalter genauer zu bestimmen bis jetzt nicht ge- lungen ist. Achaicus und Sotion werden von Simplicius (9 f.25, Schol. p.61) im Gegensatze der obengenannten älteren Commentatoren angeführt, so dafs also unter diesem gewils nicht der bekannte Alexandriner zu verstehen ist. Achaicus wird aufserdem (x f.4b, Schol. p.665) mit dem Alexander zusam- mengestellt. Seine Bemerkungen über das Moos rı (s. Simpl. x f.3 sq., Schol. p-66ab) und gegen Eudorus, der für die reyurns und Asrrorns eine beson- dere Unterabtheilung der rcırys annahm, sind nicht ganz unbedeutend (v f.3, 52, Schol. p.73, 74b). Dafs er die Kategorien commentirt, nicht etwa nur gelegentlich Bemerkungen darüber geschrieben, machen seine Spracher- örterungen ($f.22, « £.3, Schol. p. 61, 62) wahrscheinlich. Der Mühe über einen im gedruckten Simplicius angeführten Philo- sophen Adrianus ($iAdredes "Adgıavds) Untersuchungen anzustellen überhebt uns die Pariser Handschrift, indem sie Sugavcs statt "Adgıavos gibt. Ziemlich häufig erwähnt Simplicius der Einwendungen des Lucius und Nikostratus, und berichtet (« f.2), sie hätten eine Ehre darin gesucht, fast gegen Alles des dristotelischen Organons. 279 was Aristoteles gesagt, ihre Einrede einzulegen, und zwar Nikostratus dem Lucius folgend (y’f.6. 7, «f.2, Schol. 475 40). Unmittelbar darauf spricht er vom Plotinus, durch Er rovrcs den Übergang machend (« f.2): wahr- scheinlich waren sie daher älter als Plotinus; wofür auch die Art spricht wie sie (8° f.3, Schol. p.49) mit ihm zusammengestellt werden, und noch entscheidender der Umstand dafs der spätere Attikus schon von Porphy- rius angeführt wird. Ihre Einwürfe waren theils gegen die Anlage des Buches gerichtet (Simpl. «’f. 9, Schol. p. 40), theils gegen die Zahl der aufgestell- ten Kategorien (ib. y f.7, Schol. p.47b), und die Bestimmung derselben (ib. @'£.2, 8'£.3, & f.6, v’f.5, Schol. p.42, 495, 57, 745) theils gegen ver- meintliche Widersprüche des Aristoteles mit sich selber, und endlich gegen manches Einzelne (id. Yf.1,v’f.1, rf.12, 25, 8b, vf.2, 35, 5, 9.22, Schol. p-45, 72,825, 84,865, 875, 885, 89, 915), dringen aber nicht tief ein. Von ihren eigenen Ansichten kommt so wenig vor, dafs sich kaum entscheiden läfst welcher philosophischen Lehre sie sich angeschlossen. Die Zusam- menstellung derselben mit Plotinus und Attikus macht es jedoch wahrschein- lich dafs sie Platoniker oder vielmehr Akademiker gewesen. Attikus, der, wie Simplicius sagt, des Lucius und Nikostratus Ein- wendungen gegen die Aristotelische Erklärung der Synonyme deutlicher aus- einandergesetzt, wird von Porphyrius (f. 9, Schol. p. 425) getadelt, weil er, wie viele, worunter auch jene beiden gemeint sein mögen, die aus Analogie und Metapher hervorgehenden Arten der Synonymen nicht gehörig unter- schieden (vgl. Simpl. %’f.3, Schol. p.42). Dafs dieser Attikus der bekannte Platoniker des zweiten Jahrhunderts gewesen, hat man wohl nicht Grund zu bezweifeln. Viel bedeutender sind die von Plotinus in drei Büchern seiner En- neaden (VI t-3) gegen die Aristotelischen Kategorien gerichteten Einwürfe, und vom entschiedensten Einflusse auf die späteren Erklärer. Vollkommen richtig sagt Dexippus (Schol. p.30), dessen Werk hauptsächlich diese Ein- würfe entkräften sollte, dafs sie grofsen Schein für sich haben würden, wenn Aristoteles in seinem System von den Grundansichten des Plotinus ausgegan- gen wäre. Näher in dieselben einzugehen gehört nicht hierher. Den Verlust keines Commentars zu den Kategorien haben wir wohl mehr zu bedauern als den des Porphyrius an den Gedalius in sieben Büchern (s. Simpl. «’ f. 2, vgl. Dexippus Schol. p.40, 39). Er hatte darin überall wie 250 Branpvıs über die Griechischen Ausleger die Einwürfe, so die abweichenden Meinungen der Stoiker berücksichtigt (Simpl. a. a. O.). Was uns Simplieius von den Meinungen des Andronikus (s. 7 £.8, Schol. p.59), Boethus (af. 52, vgl. P’f.22, Schol. p. 29, 42 u.s. w.), Attikus (2 f.3, Schol. p-42), Lucius, Nikostratus, Cornutus (2 f.7, Schol. p-57) u.a. (vgl. Simpl. S’f.3, Schol. p. 61) berichtet, mag grofsentheils aus diesem ausführlichen Commentare des Porphyrius entlehnt sein. Nicht we- niger als die Einwendungen dieser Männer hatte er die des Plotinus zu wi- derlegen gesucht (s. z.B. Simpl. £f.4, Schol. p. 76). Aufserdem finden wir Proben sorgfältiger Wort- und Begriffsbestimmungen aus ihm angeführt (£' f.2b, Ab, y f.3, 4b, 0'f.35,n f.85, 9.25, «f.15, X f.8, Schol. p.42, 45ab, 50, 59a, 61, 652, 70). Und so wie keiner der Neuplatoniker wohl weniger in den Schulbegriffen befangen war als Porphyrius, so unternimmt er auch nicht blos ohne Bedenken die Einwürfe seines Lehrers zu widerlegen, son- dern zugleich Lehren, wie die von der Immaterialität der Qualitäten anzu- greifen (£f.35, Schol. p. 76) und den Aristoteles zu vertheidigen ohne ihm Neuplatonische Lehrbegriffe unterzulegen. Auch in der Äufserung über Quadratur des Cirkels bewährt er seine Selbstständigkeit (Simpl. ı'f.7, Schol. p- 646, vgl. p.64a). Dafs Simplicius von Porphyrs eigenthümlichen Ansich- ten nicht mehr angeführt, läfst das wenige hierher Gehörige (c’f.2, Schol. p- 775) sehr bedauern. Ebenso mufs es uns leid sein dafs er Porphyrius und Jamblichus nicht genauer auseinander gehalten, wo er uns mittheilt was sie über die vom Aristoteles nur aufgeführten, nicht ausgeführten Kategorien ergänzend beigebracht (s. £'f. 8, Schol. p. 77). Manches davon ist so gesund und im Aristotelischen Sinne aufgefafst, dafs ich es unbedenklich dem Por- phyrius zuschreiben möchte. Tiefeingehende Forschung veranlafste der Ge- genstand nicht. Aufser dem ausführlichen Commentar an den Gedalius hatte Porphy- rius einen kurzen in Frage und Antwort gefafsten geschrieben (s. Simpl. « f.2). Dafs es der ist den wir unter diesem Namen zum Theil noch besitzen, dafür bürgen aufser den darin sich genau wiederfindenden Anführungen des Simplicius (@’f. 4, Schol. p. 425) indirecte Beziehungen, die sich nicht der Mühe lohnt auszuführen. Die dialogische Form ist ziemlich müssig, das Buch für den Elementarunterricht bestimmt, daher kurz und klar ohne tief einzuge- hen. Was uns davon erhalten ist, umfafst nur die vier ersten Kategorien: dafs er die übrigen und die Postprädicamenta nicht behandelt, läfst sich aus des Aristotelischen Organons. 281 dem Stillschweigen des Simplicius im zweiten Theile seines Werkes nicht schliefsen. Eine einzige in Paris sich findende Handschrift dieses Commen- tars hat die Corruptelen und Lücken: der Ausgabe (die sich wohl grofsen- theils ausfüllen liefsen) und ist vielleicht die einzige erhaltene. Simplicius gibt beidemale, wo er ausdrücklich aus dem kleinern Commentare des Por- phyrius anführt, Verschiedenheiten an zwischen diesem und dem gröfseren, die zu unbedeutend sind um die Entscheidung der Frage zu vermitteln, welches von beiden Werken das frühere gewesen. Iamblichus hielt sich genau an den Porphyrius, dessen Worte er sogar oft wiedergab, zog zusammen, fügte die Parallelstellen aus dem Buche des Pseudo-Archytas, und fast jedem Abschnitt die geistige Auffassung (vosga Sewgia Simpl.If.2 u.s. w.) hinzu. Überall den Aristoteles gegen die Angriffe der Stoiker, des Eudorus Nikostratus Cornutus und Plotin ver- tretend, ist er der Hauptverbreiter, wenn nicht Gründer des Neuplatoni- schen Synkretismus, den Peripatetischen Lehren die Deutung seiner Schul- philosophie in seiner vermeintlichen Vergeistigung unterzulegen bemüht, und kann in den wenigen Fällen, wo Archytas vom Aristoteles abweicht, sich’s nicht versagen dem angeblichen Pythagoreer zu folgen. Kritisches scheint sein Commentar sehr weniges (Simpl. 2 f.4, ‚Schol. p. 425) und Ex- egetisches nicht gar viel enthalten zu haben. Was von gesunden Bemerkun- gen über Begriffsspaltung aus ihm angeführt wird, mag grofsentheils dem Porphyr entwendet sein. Auch ein Theil seiner historischen Gelehrsam- keit, die uns Simplicius vermuthlich unverkürzt wiedergegeben, ist viel- leicht aus dieser Quelle geschöpft: aus Iamblichus führt Simplicius unter anderen die schätzbare Notiz über Theopompus und Dikäarchus an (x f.85, Schol. p.68). Ob er es übrigens mit seiner historischen Anführung völlig genau genommen, möchte die Frage sein: in eine Stelle des Alexander, ge- gen den er häufiger zu Felde gezogen sein wird als Simplieius erwähnt, hatte er Fremdes hineingelesen. Dexippus folgte, wie uns Simplicius (« f. 2, ‚Schol. p.40) versi- chert, in seiner kurzen Erklärung, die der dialogischen Auflösung der von Plotinus u.a. gegen Aristoteles erhobenen Zweifel vorangeschickt war, ge- nau dem lamblichus und Porphyrius. Die Dialogen besitzen wir, und ver- danken ihnen schätzbare Notizen über Stoiker Peripatetiker u. s.w., kön- nen ihn aber von der Sucht Aristotelische Lehrsätze Neuplatonisch zu deu- Hıstor. philol. dbhandl. 1833. Nn 282 Branpıs über die Griechischen dusleger ten nicht freisprechen, die sich jedoch bei ihm nicht so abgeschmackt breit macht wie in dem was wir vom Iamblichus durch Simplicius kennen jernen. Von der Paraphrase des Themistius ist uns durch Simplicius nur die Notiz ihres Vorhandenseins erhalten, da dieser Ausleger gegen seine Ge- wohnheit hier eine Autorität vernachlässigt, auf die er sonst häufig zurück- zugehen pflegt. Dagegen scheint aus ihr Boethius die gesunde Ansicht über das Buch des Archytas entlehnt zu haben (s. oben). Syrianus hatte eine sehr kurz gefafste Erklärung der Kategorien ge- schrieben, aus der sich bei Simplieius und David so unerhebliche Anfüh- rungen finden, dafs die lobpreisende Bezeichnung bei ersterem (5 zgırizwra- 705 Zupiavcs, x f.12, Schol. p- 65) sehr wenig gerechtfertigt erscheint. Zu bemerken ist was Simplicius von Maximus sagt (« f.2), den er nur dies einzige Mal anführt, er sei fast überall dem Alexander gefolgt: sein Lehrer Ädesius und dessen Lehrer Iamblichus würden das nicht gut geheifsen haben. Simplicius, nachdem er die Commentare des Themistius, Porphy- rius, Alexander, Herminus, Maximus, Boethus, Lucius, Nikostratus und Tamblichus kurz characterisirt, fügt zur Entschuldigung, dafs er die Zahl der vorhandenen Commentare vermehre, hinzu: er sei auf einige der ange- gebenen Schriften gestofsen, und mit besonderer Sorgfalt, soweit er dazu im Stande gewesen, dem Iamblichus folgend, habe er aus ihm abgeschrieben, oft sogar sich der Ausdrücke des Philosophen bedient, um sich und ande- ren den Tiefsinn des Mannes dadurch näher zu bringen dafs er ihn kürzer und deutlicher zu fassen gesucht; und wenn es ihm gelungen hin und wie- der Einiges hinzuzufügen, so danke er das nächst Gott jenen Männern. Diese durch Übermafs der Bescheidenheit verwickelte Stelle glaube ich so auflösen zu dürfen, dafs Simplieius zwar grofsentheils und oft wörtlich dem Iamblichus gefolgt sei, jedoch auch andere Commentare, soweit sie ihm zugänglich gewesen, zu Rathe gezogen und aus ihrem Reichthum reichlich mitgetheilt habe (vgl. A'f.5, Schol. p.692). Die in der Einleitung nicht angegebenen Commentatoren, wie Andronikus Aristo Cornutus und Athe- nodorus, hat er wohl schwerlich selber vor sich gehabt, sondern die Anfüh- rungen daraus von Porphyrius Tamblichus u.a. entlehnt: von den von ihm characterisirten aber hat er ohne Zweifel selber vor sich gehabt den Ale- xander, die beiden Commentare des Porphyrius, die Bücher des Plotinus, des Aristotelischen Organons. 283 und vermuthlich auch Boethus, den er so angelegentlich rühmt (wiewohl er ihn auch einigemal nach Porphyrius anführt). . Dafs einen Theil des schätzbarsten historischen Stoffes Simplieius dem Boethus verdankt, mag er nun mittelbar oder unmittelbar aus ihm geschöpft haben, ist schon oben bemerkt‘worden; ebenso dafs Simplieius Speusipps Werk nicht selber be- nutzt hatte. Auch die Bücher der Stoiker fehlten ihm, wie er ausdrücklich bemerkt (!). Die von ihm angeführten Theophrastischen Bücher hatte er wahrscheinlich selber benutzt, wenigstens die Physik; ebenso das Aristote- lische Buch von den Gegensätzen (#egi ray. ’Avrızauevuv). Ob er dagegen die Aristotelischen Commentarien (Yrouvauare) vor sich gehabt, macht die ver- worrene Art ihrer zu erwähnen zweifelhaft. Den Pseudo -Archytas (regt rev Iavrcs) hatte wohl zuerst Tamblichus, wenigstens er zuerst wörtlich, ange- zogen (s. Simpl. « £.2): inzwischen fügt Simplicius Einzelnes aus dem Buche von den Principien (regi ’Agxwv) und Alles was er aus der Schrift von den Gegensätzen (#egi "Ayrızeuevuv) mittheilt (7 f.4 sq., Schol. p.84b), selbst hinzu. Dem Jamblichus widerspricht er nicht gar selten, und hin und wie- der recht verständig. Des Simplicius Commentar zur Physik war früher ab- gefafst als der zu den Kategorien. Aufserdem bezieht der Verfasser sich auf Vorträge über die Thiergeschichte des Aristoteles, doch so dafs sich nicht schliefsen läfst, er habe sie bekannt gemacht. Aufmerksamen Lesern des dem Ammonius beigelegten Commentars hätte nicht entgehen sollen dafs er grobe Irrthümer enthält, die man dem nicht ungelehrten Verfasser des Commentars zum Buche von der Auslegung nicht zutrauen darf, z.B. die Angabe, Pyrrho sei Lehrer des Heraklit ge- wesen (f.6, Schol. p.35). Zu geschweigen dafs Fragen bei ihm vorkom- men wie z.B. warum Asyeraı, nicht Asyovraı nach einem neutro plur., dafs er von den gegen die Kategorien gestellten Zweifeln und Bedenken fast im- mer nur die unbedeutenderen und beständig namenlos anführt, dafs er kei- nen der früheren Commentatoren namentlich anzieht. Aufserdem finden sich zu verschiedenen Stellen doppelte Scholien; so dafs wir den Commen- tar des Ammonius unmöglich in seiner ursprünglichen Gestalt besitzen könren. = , y a SER “ 3 \ N ’ \ Seoyarız maga Tois Iroizeic, wv ch Yaav za h bidarzarıa zu fe) Aomer. m’ f.6, Schol. p.79. \ I pie m ’ E (!) worAy de y% ruv romwurwv & \ 5 m ’ > Ta MATTE TO TUyYYoRjAerUV Erih Nn2 254 Branpıs über die Griechischen A usleger In verschiedenen Pariser Handschriften findet sich ein dem Johan- nes Philoponus zugeschriebener Commentar, der in den Hauptsachen, und zwar oft wörtlich, mit dem sogenannten Ammonius übereinstimmt, nicht weniger nüchtern ist, inzwischen einige der gröberen Schnitzer ver- meidet. Vom fünften Capitel an fällt er fast ganz mit dem Ammonius zusam- men. Dafs auch dieser Commentar uns nicht in seiner ursprünglichen Ge- stalt erhalten, beweisen die Abweichungen die sich in den verschiedenen Handschriften desselben finden (z. B. Cod. Reg. 2051. 1937. 1928). ‘Nur die Einleitung ist in allen dieselbe, und möchte, wiewohl auch dürftig genug, ächt sein (s. Schol. p.34 sqq.). Ferner legen einige Handschriften den ge- druckten Commentar dem Joh. Philoponus, und den im Cod. Reg. 2051 sich unter Philoponus Namen findenden dem Ammonius bei; wogegen eine Ve- net. Handschrift (Cod. Marc. 202) Scholien des Olympiodorus enthält, die mit den gedruckten des Ammonius übereinstimmen. Aus allem diesen glaube ich schliefsen zu können dafs wir weder den ursprünglichen Commentar des Ammonius noch den des Johannes Philoponus, die übrigens nicht sehr ab- weichend von einander gewesen sein werden, besitzen, sondern spätere Be- arbeitungen beider, worin manches ausgelassen, besonders Namen, und in Zeiten grober Unwissenheit Einiges hinzugefügt. Die jetzt vorhandene Be- arbeitung des Ammonius scheint sich früher festgestellt zu haben, da die — ziemlich neuen — Handschriften, soweit ich sie kenne, keine bedeutenden Abweichungen enthalten, mögen sie den Commentar dem Johannes Philo- ponus oder Ammonius zuschreiben: nicht so der andere Commentar, von dem sich in Cod. 1973 (unter der Aufschrift ryorıa eis ras Karnyogias "Auuw- viov PiAcröbev) eine von dem in Cod. 2051 so weit abweichende Bearbeitung findet dafs sogar Johannes Damascenus darin angeführt wird. Dafs übri- gens der ungedruckte Commentar eher als der gedruckte dem Johannes Phi- loponus beizulegen, beweisen die in ersterem häufig vorkommenden christ- lichen Namen: wo der gedruckte den Sokrates und Platon: hat, gibt der un- gedruckte, ohne das Übrige zu ändern, Peter und Paul. Auch im unge- druckten kommen wiederholt doppelte Scholien zu ein und derselben Stelle vor und eine Anführung des Simplicius (Schol. p. 51). Der ungenannte Ausleger (Cod. Urb.), und ebenso David, führen (Schol. p.28b, 31b, 465) einen mir nicht weiter bekannten Commentator Eustathius an, ohne Charakteristisches aus ihm mitzutheilen. des Aristotelischen Organons. 285 Etwas besser als die zuletzt angeführten Commentare ist der in vielen Griechischen Handschriften und durch Übersetzungen in drei verschiedenen Orientalischen Sprachen (s. Fabric. Bibl. Gr.) auf uns gekommene Com- mentar des David. Seine ausführlichen Einleitungen in Porphyrs Isagoge, oder vielmehr in die Philosophie im Allgemeinen, und zu den Kategorien, zeugen, wiewohl höchst unkritisch und unhistorisch (z.B. Schol. p.27b, 22, 26) zusammengetragen, von einer gewissen Belesenheit: denn er mischt so viel Fremdartiges ein dafs wir kaum annehmen können, er habe nur frühere Commentatoren ausgeschrieben. In seiner Erklärung, der einige logische Bestimmtheit nicht mangelt, scheint er den Alexander und noch mehr den Syrian benutzt zu haben: er zieht beide einigemal auch da an wo Simpli- eius ihrer nicht erwähnt. Aufser dem Proklus und Olympiodorus (Schol. p- 145 22) führt er den Ammonius an (s. Schol. p. 66). Nach Angabe Ar- menischer Schriftsteller soll er gegen Ende des fünften Jahrhunderts geblüht haben (!). In Miniatur eines Römischen Codex heifst er Schüler des Elias, von dem ich in einigen Handschriften einzelne Anmerkungen zu Porphyrs Isagoge erwähnt gefunden (z.B. in Cod. Reg. 1942). In einer der schönsten und ältesten Pergament-Handschriften des Aristoteles (Cod. Urbin. 35) finden sich Einleitungen und Anmerkungen ei- nes Ungenannten zu dem ersten Capitel der Kategorien, die grofsentheils aus Davids Commentar genommen zu sein scheinen. Die Scholien wie der Text sind von sehr alter Schrift, erstere mit den zierlichsten Unzialen ge- schrieben: die Handschrift mindestens aus dem neunten Jahrhundert, also David ohne Zweifel früher. Eine Erwähnung des David habe ich aufserdem in einer dem Psellus zugeschriebenen Randanmerkung zu Porphyrs Isagoge (Cod. Reg. 1928 f.505) gefunden. Des Johannes Damascenus und Photius Synopsen der Katego- rien, deren erstere sich fast vollständig (in Cod. Reg. 1973), von letzterer die Umschreibung einiger Capitel (in Cod. Reg. 1928) findet, sind ganz un- bedeutend, wahrscheinlich für den Elementarunterricht bestimmt gewesen. Des An. M.S. Boethius Commentar, der, weil Lateinisch, nicht ei- gentlich hierher gehört, ist zwar sorgfältiger, aber in der Art der Auslegung des Ammonius geschrieben. (') Memoire sur la wie et les ouvrages de David par C.F. Neumann, Paris 1829. 286 Branpvıs über die Griechischen Ausleger 2) Ausleger zu dem Buche von der Auslegung und zu der ersten Analytik. Dem Vorsatze Untersuchungen über die hermeneutischen und ana- Iytischen Werke des Theophrastus und Eudemus, so wie über die hierher gehörigen Bücher der Stoiker, der folgenden Notiz voranzustellen, habe ich entsagen müssen, da sie zu ausführlich zu werden drohten (s. vorläufig Rhein. Mus. f. Philol. Gesch. u. Gr. Philosophie I S. 267). Die ältesten der zu dem Buche von der Auslegung (rei ‘Egunveias) und der ersten Analytik namentlich angeführten Ausleger sind Aspasius und Herminus, letzterer zu beiden Büchern, jener nur zu ersterem ge- nannt: denn dafs wir nicht berechtigt sind anzunehmen, auch Andronikus habe diese Bücher commentirt, ist früher bemerkt worden. Zur Analytik wird Herminus als einer der alten (r@v dgyaiwv) nur zweimal (Alex f.285, 29) und beidemal auf eine Art angeführt, dafs man nicht sieht ob er die ange- zogenen syllogistischen Bemerkungen in einem Commentar zur Analytik oder in andern logischen Büchern oder endlich in Vorlesungen vorgetragen. Die Anführungen zum Buche von der Auslegung (s. Ammonius 43 21, vgl. Boeth. p- 294. 338. 347.377. 8.385) enthalten bestimmtere Beziehungen auf einen Commentar zu dem Buche, da sie zum Theil kritischen Inhalts sind. As- pasius wird nur vom Boethus in der ausführlicheren Auslegung (p. 283. 307. 324. 338. 347. 384) angeführt. Ihm scheint Alexander in Kritik und Behandlungsweise sich vorzugsweise angeschlossen zu haben. Alexanders Commentar zum Buche von der Auslegung ziehen Am- monius und Boethius für Kritik Exegese und weitere Erläuterungen Aristo- telischer Sätze häufiger an; letztere sind auch hier ganz im Sinne der stren- gen Peripatetischen Schule gefafst (s. Ammon. f.325, 235, 161, 1495 u.a. a.0.). Alexanders Commentar zum ersten Buche der Analytik besitzen wir: denn dafs der auf uns gekommene ihm wirklich gehöre und nicht von späterer Hand abgekürzt oder umgeschmolzen sei, beweisen unwidersprech- lich die häufigen genau zutreffenden oft wörtlichen Anführungen bei Johan- nes Philoponus. Er ist bei ermüdender Weitschweifigkeit, für Kritik und Exegese wichtig und Hauptquelle für Kenntnifs der syllogistischen Bestre- bungen des Theophrastus und anderer Schüler des Aristoteles. Vieles wür- den wir freilich noch bestimmter wissen, namentlich über den Eudemus, der im Commentar immer mit Theophrastus zusammen und nur so ange- des Aristotelischen Organons. 287 führt wird dafs wir nicht die geringste Eigenthümlichkeit von ihm kennen lernen, wenn uns Alexanders Werk von der Mischung d.h. Verknüpfung von Prämissen verschiedener Modalität (Fegi #75 MiZews), worin er die Mei- nungsverschiedenheiten des Aristoteles und seiner Schüler in Bezug auf die- sen unter ihnen besonders streitigen Punkt weiter entwickelt hatte (s. Com- ment. 40 16 u.a.a.O.), aufbehalten wäre. Auch vom Sosigenes hat das Werk wahrscheinlich mehr als die einzige von Joh. Philoponus zur ersten Analytik (f.xxxı 2) daraus entlehnte Anführung enthalten. Sehr zu bedauern ist es dafs Alexander der logischen Lehren der Stoiker, wahrscheinlich weil er sie als bekannt voraussetzte, nur sehr beiläufig erwähnt. Von ihnen würden wir mehr wissen, wenn des Porphyrius Com- mentar zu dem Buche von der Auslegung und zur ersten Analytik, im Fall er darüber geschrieben — bestimmte Erwähnung habe ich nicht gefunden — , auf uns gekommen wäre. Ammonius hat von dem was er über Lehren der Stoiker berichtet, das Wichtigste nachweislich aus Porphyrius entlehnt (8. f. 65, vgl. Boethius zweite Auslegung p. 306) und vielleicht auch das Übrige; denn schwerlich besafs er die Bücher der Stoiker. Überhaupt scheint Ammonius den besten Theil seines Commentars, besonders den kri- tischen Gehalt desselben (s. f. 415, 46, 882, 137), dem Porphyrius zu ver- danken, der sich hier wiederum als gelehrter besonnener und denkender Commentator bewährt (s. z.B. 76Ö sqg., 78, 201). Auch Boethius hat ihn, wie den Alexander, in seiner ausführlichen Auslegung fleifsig benutzt. Iamblichus wird nur zum Buche von der Auslegung fleifsig ange- zogen, und zwar (Ammon. f. 1612) im Streite gegen Alexander (f. 109) in einer vosg& Sewgia begriffen, beidemale ganz wie wir ihn aus den zahlrei- chen Anführungen zu den Kategorien kennen. Themistius Paraphrase zur ersten Analytik führt Boethius im aus- führlicheren Commentar zur Auslegung (p. 281), Joh. Philoponus (f. ıv) und ein Ungenannter (Cod. Reg. 2061, s. Schol. p. 1565 sq.) zur ersten Ana- lytik selber an, und zwar letztere beiden so dafs wir den Verlust derselben nicht anders als bedauern können. In der Einleitung hatte er die Frage auf- geworfen ob die Analytik zuerst vom Aristoteles bearbeitet worden, und ihm die Ehre der Erfindung streitig machend die Anfänge dieser Wissen- schaft bei Plato, und wer weifs ob nicht noch bei früheren, nachgewiesen: denn die Anführungen des Johannes Philoponus pflegen sehr dürftig zu sein. 288 Branvıs über die Griechischen Adusleger In der Paraphrase selber war des Maximus Behauptung bestritten worden, die Schlüsse der beiden letzten Figuren seien ebensowohl für vollendet zu halten wie die in der ersten (s. Anon. a.a.0.). Ob dieser Maximus, Leh- rer des Kaiser Julian, die Analytik commentirt oder seine Behauptung an- derswie aufgestellt, geht aus jener Anführung nicht hervor. Das Gerücht, diese Paraphrase des Themistius habe sich in einer Pariser Handschrift er- halten, fand ich leider nicht bestätigt. Vom Syrian werden zum Buche von der Auslegung (s. Ammon. 1102, 2025, vgl. Boeth. p. 287. 313. 343.394) Speculationen und Bemer- kungen angeführt, wie wir ihrer in seinem Commentar zur Physik zur Ge- nüge besitzen. Dafs des Ammonius Commentar zu dieser Schrift der seinen Na- men führenden Compilation zu den Kategorien bei weitem vorzuziehen, habe ich schon früher bemerkt. Wenn ich, sagt er in der Einleitung, zur Aufhellung dieses dunkeln Buches, welchem viele Exegeten viele Forschun- gen gewidmet, etwas beitragen könnte, mich der Auslegungen meines gött- lichen Lehrers erinnernd, so u.s.w. Dieses seines Lehrers und Wohlthä- ters, den er im Verfolg der angeführten Stelle mit Lobpreisungen über- häuft, gedenkt er auch f. 146, aber auf eine Weise die augenscheinlich zeigt dafs Proklus keinen Commentar zu dem Buche bekannt gemacht, sondern es nur in seinen Vorlesungen erläutert hatte; und dafs diese nicht eben erheblicher gewesen als seine auf uns gekommenen Auslegungen Pla- tonischer Dialogen, erweisen die oberflächlichen logischen Canones, das einzige was der dankbare Schüler aus ihnen anzuführen wufste. Den besten Theil seiner Erläuterungen hat Ammonius ohne Zweifel aus Porphyrius und vermuthlich unmittelbar geschöpft. Dafs er aufser dem Herminus Alexan- der und Porphyrius keine Commentatoren namentlich aufführt, sondern sich begnügt abweichende Meinungen der Ausleger (££yynrai) ohne weitere Bestimmung anzugeben, ist sehr zu bedauern, und kaum anzunehmen dafs der im Übrigen so fleifsige Ausleger nicht manche wichtigere historische Anführungen, namentlich in der Episode über Freiheit und Nothwendig- keit aus Porphyrius, uns vorenthalten haben sollte. Eine Ausscheidung des- sen zu versuchen was von den Meinungen, die ohne Anführung von Na- men bei Ammonius vorkommen, ihm selbst eigen gewesen, möchte sich kaum der Mühe lohnen. Schon Iamblichus Syrianus Proklus und Da- des Aristotelischen Organons. 259 mascius haben das Neuplatonische System wohl eher verflacht als tiefer ein- dringend dargestellt, inzwischen auf’ihre Weise das Gefüge der klügelnden Argumentationen erweitert und auseinandergelegt; nach ihnen aber findet sich auch keine Spur irgend nennenswerther Bestrebungen, wenn man nicht etwa die christliche Diversion des Johannes Philoponus dahin rechnen will. Nicht minder schätzbar als dieser Commentar des Ammonius sind die des A.M. Severinus Boethius, besonders der ausführlichere (editionis secun- dae), und darin letzterer noch vorzüglicher, dafs er sich den Auslegungen des Porphyrius enger anschliefst (1) und aufser den vom Ammonius benutzten älteren Auslegern auch den Aspasius nicht selten und ausführlich anführt. Zwei Jahre hat er, wie er im Eingang zum letzten (sechsten) Buche bemerkt, auf diese fleifsige Sammlung verwendet (?). Der in Cod. Coislin. 160 enthaltene ungedruckte Commentar (s. Schol. p- 93) zum Buche von der Auslegung ist keinesweges, wie der Catalog, ich weifs nicht worauf sich stützend, anführt, vom Johannes Philoponus, son- dern unstreitig aus späterer Zeit. Gregorius und Basilius werden häufig ge- nannt, eine Sitte der Sarazenen wird erwähnt (Schol. p. 1002). Umstände aber woraus sich die Zeit näher bestimmen liefse, sind mir nicht vorge- kommen. Die Art zu commentiren ist wie bei Michael Psellus und Johan- nes Italus. Da sich der Commentar genau an den Text hält, ist Einiges für Kritik aus ihm zu entnehmen gewesen: aufserdem liefert er einige we- nige historische Notizen. Dafs er den Ammonius vor sich gehabt, ist un- verkennbar: übrigens führt er weder ihn noch irgend einen andern Com- mentator namentlich an. Dafs er aufser dem Ammonius noch andere ge- kannt, zeigen einige bei Ammonius nicht vorkommende Notizen und Anfüh- rungen, z.B. des Menander Schol. p.93, über die Pythagoreer ib., über die vorher bezeichneten Bücher der Schüler des Aristoteles p.94. Was in Cod. Reg. 1843 f.62 sqg. unter dem Titel sich findet ’Iwev- vou dirorebeu eu Iraned eis re megı "Egunveias, ist eine unbedeutende Einlei- tung, bestimmt die zum Verständnisse des Buches nöthigen Vorbegriffe zu (‘) pP. 283. cuius expositionem nos scilicet quam maxime a Porphyrio, quanquam etiam a caeteris transferentes, Latina oratione digessimus. (?2) p.428. et plurimorum sunt in unum coacervatae sentenliae, et duorum ferme an- norum spatium continuo commeniandi sudore consumpsimus. Histor, philol. Abhandl. 1833. Oo 290 Branoıs über die Griechischen: 4 usleger erörtern, ganz ohne historischen Stoff. Ihr schliefsen sich nur einzelne dem Philosophen Johannes beigelegte Scholien an, worin Porphyrius angeführt wird (s. Schol. p.99b). Es folgt darauf (f.67) die (gedruckte) Paraphrase des Psellus, die gleichwie der Commentar des Magentinus, der in einer vom gedruckten verschiedenen Form in einer Pariser Handschrift (Cod. Reg. 1917) vorkommt und den Psellus anführt (‚Schol. p.122), höchst unbedeutend; und nur im Vergleich mit ihnen ist die Auslegung.des Michael Ephesius nennenswerth (Cod. Reg. 1917), .der wenigstens den Alexander fleifsiger be- nutzte (Schol. p.100. 1035), von Sarmatischer und Germanischer Sprache redet (Schol. p.107b) u. dgl. m. Zur ersten Analytik ist nächst dem Commentar des Alexander der des Johannes Philoponus unter den 'erhaltenen. der wichtigste, besonders weil er sich jenem älteren Ausleger eng, oft wörtlich anschliefst, mithin den an dem Commentar des Alexander erlittenen Verlust einigermafsen er- setzt. Johannes Philoponus schrieb nach Anleitung der Vorträge des Am- monius, gab sie aber entweder nicht glücklich wieder, oder: der Lehrer mufs weniger sorgfältig die ‚Analytik als das Buch von der Auslegung be- handelt haben. Zum zweiten Buche der ersten Analytik findet sich (in Cod. Paris. 1573 u. andren) unter Alexanders Namen ein Commentar, in dem dieser angebliche Verfasser wiederholt angezogen wird. :In der Form gleicht er den Commentaren des Olymipierosus David und Stephanus: zuerst wird in einer sogenannten Sewgia eine paraphrastische Übersicht des zu erläuternden Capitels gegeben, dann folgt Erklärung einzelner schwieriger Stellen. Übri- gens ist er wohl aus späterer Zeit'als die angeführten: der Verfasser klagt dafs die Commentatoren, bei denen er sich Raths: erholen könnte, ausgestorben. Den Alexander hat er ohne Zweifel vor sich‘ gehabt und nicht unfleifsig’ be- nutzt. Er führt ihn häufiger an als Johannes Philoponus zum zweiten Buche, und in der Einleitung sagt er, ohne ihn zu nennen, was Johannes Philopo- nus als Meinung dieses Commentators angibt. In einer Pariser Handschrift (Cod. Reg. 1919) findet sich ein Bruch- stück eines Commentars zum ersten Buche der ersten Analytik (cap. xvır- xxvir), welches ohne unterscheidende Bezeichnung und ohne Absatz sich dem Commentar des Alexander auschliefst, der gerade bis dahin in dieser Handschrift reicht. Aus viel späterer Zeit und in keiner Rücksicht ausge- des Aristotelischen Organons. 291 zeichnet scheint der Verfasser doch mehrere Commentatoren vor sich ge- habt zu haben. Bedeutender sind Einleitung und Scholien zu den ersten Oapiteln (bis p- 292 6) des ersten Buches der ersten Analytik (in Cod. Reg. 2069, Schol. p- 139 sqq.), in der Weise des David abgefafst. Er kennt den Alexander als Ausleger Theophrastischer wie Aristotelischer Bücher (s. Schol. p. 155) und aufser seinem und des Johannes Philoponus Commentaren auch die Pa- raphrase des Themistius, des Maximus und Proklus Lehren über syllogisti- sche Probleme (Schol. p. 156 sq.). Seinen Lehrer (Au£regev Pırcropev) führt er einigemal an, ohne ihn näher zu bezeichnen. Eine in Cod. Reg. 1918 sich findende Paraphrase (‚Schol. p. 141) kann der Zeit des Psellus oder Michael Ephesius angehören. Randanmerkungen in Cod, Reg. 1917 scheinen grofsentheils aus Johannes Philoponus und Ale- xander entlehnt zu sein. DA Sn BEE GE td BARSBESETITE N v‘ ae une ru aA TE alarm dsch san V sh siodoe Joazlah era Ain Ad, „ouhiheh -- D j | „uschiel, UXI ar Ba) ass ee weh ae gan li bu i# #ybunn. aha, EN Kar, di fin an u a) lo andarz obere & ER | ee ar Bi) tal ab ‚ni Re Dos Ben ü | eg en at Teanıbsilstosahei Tale ranı ilagne got. ee . „uhren or elta ) ssanadol ar bpi aeriene, asus bay; R . lagai u wall la dor 2 fit Buch ee. ws hlsinesel? ls 9% undun r ra ERS e2ET hris: y one h pr Bad. Ale “) surlston i ads, ih > . ' ar ae ni ade & Inmeugläle 15 sh Pl N Fre na ie EIER TE EG ET) F fh, Pr eo ch ade? ei 12% ” Ne SL all Ro ‚es: ‘ IE ame IIFEREEITETE KH LODEL EVA RETTEN nalstik “ “L n zirkkasll oh Host aab. nf A Hısz u u u BET IT) x er „a al ENPIF Er mer zu 2 me u. And a Hl Fe a . uitine 98 Imlaljen abe ö [3 FR ir Pe u | I : $ wi u tan ‚ \ u “ i htan . « i 2 £ j ö \ ö EDER oo. . " . re i Yı RN rat) en u ge | a Br De ua E £ i E; ve a j E L = FR ji Ta NE 0: FE er . 2 En .. BZ) ne % - Bu > | 2. HWEL DENE “ ze an! ua Bee , . j j . elle U hl ui = =. e j \ > Er Kite ZI un 2 . ; a rn i Mi L ;. 5 2 u‘ i . u . . a \ u ü nen . 5 Be . i i u 5 ws ne D h alaee. Er j R . Nachtrag zu der Abhandlung des Hrn. Brandis über das Aristotelische Organon. Schon zu Themistius Zeit waren der ausführlichen Erklärungen Aristotelischer Bücher so viele vorhanden, dafs er es für nutzlos hielt ihre Zahl zu vermehren und statt dessen in damals noch nicht versuchter Weise (') paraphrastisch die Gedanken kurz und bündig zusammenzufassen unternahm, um ein tiefer eindringliches Studium einzuleiten und zugleich denen bei der Wiedervergegenwärtigung behülflich zu werden, die sich bereits mit den Schriften des Aristoteles beschäftigt hätten, aus den breiten Commentaren aber die Hauptpunkte nicht leicht in ihrem Zusammenhange wiederum zu- sammenzufinden vermöchten. Mit der zweiten Analytik eröffnet er die Reihe seiner Paraphrasen, und bevorwortet dafs er wegen der Kürze des Aristotelischen Ausdrucks hin und wieder ausführlichere Erklärungen, und wegen der nicht gehörig geordneten Abfolge der Capitel Umstellungen (?) sich habe erlauben müssen. In ersterer Weise kommt Themistius dem rich- tigen Verständnils hin und wieder in der That zu Hülfe; ob ihm aber eine dem ursprünglichen Plane angemessene Reconstruction des Werkes gelun- gen, möchte zweifelhaft sein und eine Prüfung seines Versuchs uns von un- srem nächsten Zweck zu weit abführen. Dafs die zweite Analytik weniger mit Commentaren bedacht gewesen als andre Aristotelische Schriften, haben wir nicht Grund anzunehmen, wenn gleich Themistius — seinem Plane gemäfs — keine namentlich anführt und Johannes Philoponus sich ausschliefslich auf den eben genannten, 11, ep: a32: 78 nevroı 2ranßdvovra ra Bovryuere av Ev vos Qu@Rrcıs ') Them. £.1, Schol. p.195a 32 rauf Bourz, RıBa ’ \ m n \ m 4 YEYORMEUWV . . . #0 TH TUVroME Tou diAoFodov Kara Övvaır magoJsurgrEiv #avov re Edorsı zo Tv wiheAsunv mageEesIca ZTA (?) id.ib. % ra&ıs rov zepaAciam od Öuexergıran 22.70 d8 HEIagUOTrOnEVOL Hal merarıJevres, [3 a ’ 3 Er ’ ’ ws av bawvoro Eezarrte Fuv zEDarAaınv TEQLYEYOR[AAEVE. Histor. philol. dbhandl. 1833. Pp 294 Branxpıs von den Griechischen Äd uslegern auf Alexander aus Aphrodisiae, den Philosophen (!) d.h. seinen Lehrer Ammonius, und den Proclus ausdrücklich beruft, welches letzteren Er- klärungen er augenscheinlich nur nach den Mittheilungen des Ammonius kannte (?). Selten werden die Exegeten (?) überhaupt — ohne alle nähere Bezeichnung — angeführt, und fast scheint es als habe Johannes bei diesem Buche der nöthigen Hülfsmittel entbehrt; wenigstens behält er sich einmahl nähere Erklärung vor, bis er auf andre Exegeten treffen werde (*). Auf den Inhalt dieser Analytik bezügliche Annahmen des Theophra- stus werden vom Themistius und Johannes einigemahl angeführt, jedoch so dafs nicht erhellet weder ob Theophrast sich durch ein gleichnamiges Werk der zweiten Analytik des Aristoteles ähnlich wie der ersten angeschlossen, noch ob Philoponus Theophrastische Bücher vor sich gehabt oder seine Angaben anderweitig entlchnt habe. Daraus dafs er einmahl mit einem “man sagt” einer Meinung des Epicurus erwähnt (f. 732, Schol. p.2395 15), die Themistius (f. 92, Schol. :b. 18) mit Entschiedenheit anführt, darf man gewils nicht schliefsen, er habe überall aus den Quellen geschöpft, wo er seinen Angaben kein solches Wort der Unsicherheit hinzufügt. Über histo- rische Beziehungen, die Aristoteles hin und wieder, namentlich zu Anfang, andeutet, bleiben wir leider ohne Aufschlufs, mag Philoponus schon bei seinen Vorgängern nichts Befriedigendes darüber gefunden oder fahrlässig es uns vorenthalten haben. Vorzüglich ausführlich hat er die mathemati- schen Stellen erörtert und Bücher des Apollonius (von Perga) Parmenio Au- tolykus Theodosius Piolemaeus und Theo (aus Smyrna) angeführt (f.24, 665, 29,250, 9b, Schol. p.2095 19, 2355 42, 214a 11, 211538, 2004 41) — ob (') 5 pirosodos. s. f.118. 35.59.72, Schol. p.212a 4, 217525, 2315 4, 2385 40. ©) £.118, Schol.212ah: &rsye ds 6 diRczodos Ilgdz2ov Fev aurod Ödarzarov erıraymrew sn "Arebavögov EEnynreu f.35, Schol. p.218a 17: dur roüro zur 6 IIg0#2.05, wa Scmep 5 BıRdro- «bos Eheyer, ovrus EEnyeiro. vgl. f.40, Schol. p.221a 40. () osEnysrai f.64, Schol. p.234a 18 et 5 12, 235a 11. (*) f.35, Schol. p.217 231: ee ryv day Tod Xwgiov Enynsw Öorel nands Eye Umeg- > SerIar, 2 ET dev evru Orar at m aAcıs EEnynrais. x ) Die von Themistius (f.2, Schol. p. 1995 46) angeführte Diiesphpr2 tche Erklärung von aEtune möchte vielmehr aus der Topik, die Unterscheidung des zaS” eure und r N aür o (Joh. Phil. f.17, Schol. p.205a 46) aus dem Buche von der Bejahung und Verneinung oder aus der Syno- nymik (Fegt rav Hosay,@s) entlehnt sein. des Aristotelischen Organons. Nachtrag. 295 D nach unmittelbarer Kenntnifs oder aus zweiter Hand, bleibt wiederum un- entschieden. Im Übrigen ist seine Erklärung in gewohnter Weise weit- schweifig, ohne Schärfe, hin und wieder unrichtig, und hat selbst die übri- gen Schriften des Aristoteles zur Erklärung der vorliegenden nicht hinläng- lich benutzt. Nach Vorgange seines Meisters und des Proclus (f.35, 40, 118, 72, Schol. p.218a 17, 221a 40, 2124 3, 2385 40) bestreitet er den Alexander fast überall wo er ihn anführt. Dafs er die Vorträge des Ammonius nur durch einige eigene Bemerkungen erweitert wiederzugeben beabsichtigte, besagt schon der Titel(!). Ob dieselben Vorträge auch von andren Schü- lern des Ammonius nachgeschrieben waren und aus diesen verschiedenen Aufzeichnungen die Abweichungen entstanden sind die sich in den verschie- denen Handschriften des Commentars finden, der jedoch durchgängig dem Johannes Philoponus zugeschrieben wird, wage ich nicht zu entscheiden. Aldus Manutius, oder wer für ihn die Ausgabe besorgt haben mag, war auf solche Abweichungen aufmerksam geworden und hat deren aus einigen Handschriften auf vier Bogen als Anhang dem Texte hinzugefügt (Ald. 2). Sie erstrecken sich nur über das erste Buch und finden sich mit nicht uner- heblichen Modificationen in Pariser Handschriften wieder. Nur hin und . wieder liefs sich aus einer der letzteren (Cod. Reg. 1917) und den Varianten der Aldina der Text des Philoponus verbessern (?): gröfstentheils enthalten die einen und andren Abweichungen Umstellungen der Worte, unerhebliche Erweiterungen und Zusätze. Nur einige Stellen haben wir aus der zweiten Redaction, und zwar nach den Verbesserungen welche jene Pariser Hand- schrift an die Hand gibt, abdrucken lassen (Schol. p.2035 11, 2095 21— 210a 24, 2115 41 —212a 15, 223a 9, 235a 15 et 46). Aus Vergleichung eini- ger dieser Stellen (p.2095, 211541) mit den Aldinischen Varianten wird wem daran liegt entnehmen können, wie wiederum diese von der angeführ- ten Handschrift abweichen. Einigemahl finden sich im Text des Commen- tars verschiedene Erklärungen zu ein und derselben Stelle (f.92, 125, Schol. () Fyorızar dmosnusiWreıs dr Fov uvousiwv Aumwviov Tod “Foustov ner rıvwv diwv Emiora- sewv. — Cod. Reg.1917: 00 aurod Biromdvov EEyynrıs eis ro a Tüs Amodsizrızns. jedoch fin- det der Zusatz &2 r2v zur. #72. sich beim vorangestellten Commentar zur ersten Analytik. (*) z.B. Schol. p.195 2 Al sqq., 198a 13, 213a 48, 222a 40, 225a 22, 2392 47 sqg. nach Cod. Reg. 1972 u.s. w. Pp2 296 Branpıs von den Griechischen Auslegern p-2004 18, 201517), die jedoch nicht das Ansehn späterer Einfügungen haben, sondern vom Johannes oder Ammonius bereits eingeschoben zu sein scheinen. In jener Pariser Handschrift (Cod. Reg. 1917) finden sich aufserdem Randanmerkungen, zum Theil auf den Commentar des Philoponus bezüg- lich, von denen nur einige wenige des Abdrucks in der Scholiensammlung werth erachtet wurden. Ob sie aus andren, und dann gewifs neueren, Com- mentaren entlehnt oder von einem unterrichteten Abschreiber hinzugefügt waren, mufs ich dahin gestellt sein lassen. In einer ist von einem gleichzei- tigen Verderber alter Handschriften die Rede (!). Zum zweiten Buche der zweiten Analytik sind dem Johannes Philo- ponus die Commentare eines Anonymus und des Eustratius in der Al- dina, letzterer erst in der zweiten Ausgabe, hinzugefügt worden. Die Scho- lien des Anonymus werden, versehen mit einer in Sewgias eingetheilten Ein- leitung, die in der Ausgabe fehlt, vom Cod. Reg. 1917 — gewils ohne Grund — dem Johannes Philoponus zugeschrieben. Die Einleitung (s. Schol. p-2405 24) gehört wohl entschieden einer späteren Zeit an; wogegen die Scholien selber, wenigstens theilweise, aus älteren und besseren Commen- taren entlehnt sein möchten, so die bei Johannes fehlende Erwähnung des Eudemus in Bezug auf eine Behauptung des Speusippus (f. 1112, Schol. p. 248a 24). Eustratius hat den Alexander Themistius und spätere Ausleger (uer«- YEVverTegous &£nynras) benutzt, redet auch im Allgemeinen von alten Ausle- gern (madasıs Eönynrais f.1 2, Schol. p.2405 10, 241a 42) und scheint sich vorzugsweise dem Alexander angeschlossen zu haben (?), hat aber der Mühe seine unsäglich wortreichen Erklärungen und Betrachtungen durchzuarbei- ten in sehr geringem Mafse gelohnt. Wie nachlässig überhaupt Philopo- nus gleich den übrigen Erklärern ihre Vorgänger benutzten, ersieht man daraus dafs wir allein durch ein Randscholion der Pariser Handschrift (Cod. Reg. 1917) erfahren, Alexander habe für seine Annahme, das zweite Buch dieser Analytik handle von der Definition, ein Zeugnifs des Theophrastus angeführt (Schol. p. 2405 2). 1) Schol. p.206b11: zawcroußv rrv AtEw za Fa maria vov dad Iarowv avriygahe. p | jv Az 8 ” D r 7a > m GB q ’ ” 2 m ’ N (?) Eustrat. f.305: evreüSev Egoünev, ws Ümesyonste, megı TOUToU drdoUSus Tu "AreEavögu. des Aristotelischen Organons. Nachtrag. 297 Von einer ungedruckten Paraphrase des Theodorus Ptochoprodro- mus habe ich mich begnügen dürfen Einleitung und Schlufsworte anzugeben (Schol. p. 241). Zur Topik besitzen wir den Commentar des Alexander, aber schwerlich durchweg in seiner ursprünglichen Gestalt; denn nicht nur wird er in einer Handschrift der viertehalb ersten Bücher, die so vollständig ist wie die Ausgabe, als Auszug bezeichnet ('), und eben so in einer andren Handschrift der Commentar zum fünften Buche (?), sondern er findet sich auch mit Abweichungen, die sich besonders zu den vier letzten Bü- chern kaum anders als durch die Annahme erklären lassen, es sei der ur- sprüngliche Text wenigstens theilweise von Verschiedenen in verschiedener Weise benutzt und abgekürzt worden. Zu den ersten vier Büchern beschrän- ken sich die Abweichungen der Handschriften vom gedruckten Text und unter einander grofsentheils auf Umstellungen und andre unerhebliche Ver- schiedenheiten der Lesart; doch kommen auch in ihnen schon einige Aus- lassungen vor, die eher die beschränkte Absicht eines Epitomators als die Fahrlässigkeit eines Abschreibers zu verrathen scheinen (°). Sehr viel er- heblicher sind die Abweichungen vom fünften Buche an (*), und zu den beiden letzten Büchern finden sich auch in der Ausgabe zu ein und dersel- ben häufig mehrere von einander unabhängige Scholien: so dafs wahr- scheinlich auch neuere Erklärungen denen des Alexander hinzugeschrieben sind. So kommen schon im fünften Buche (p. 186) die Engel vor, die nicht Alexander den unsterblichen Seelen so beigesellt haben würde. Doch halte ich den bei weitem gröfsten Theil des Commentars, die letzten Bücher nicht ausgeschlossen, für das Eigenthum des Alexander, da sorgfältige Ausle- gung, nüchterne und correcte Sprache, triftige historische Angaben aus er- N eEnynaıs eis ra Torıza "Agısrorsd.ous Yror ayv Amdezrızdv &2 vav ToU "Adaodı PLHATS "Arskar- ögou Cod. Reg. 1832. () «ro rwv roÜ "Aıpgod. "AreEavögou syoriuv zrA. Cod. Reg. 1845 in mrg. (°) z.B. Auslassung der Anführung des Theophrast p.31, Schol. p.257 2518 sqq. in Cod. Reg. 1843, verschiedene Redaction der Stelle über Eudemus und der folg. in Codd. 1843 und 1917. s. Alex. p.38, Schol. p.258b 24 sqq. (*) s.2.B. Schol. 2835, 285, 287, 238a, wo Codd. Reg. 1843 und 1917 die Anführung des Sotion anders als die Ausg., Codd. Reg. 1845 und 1972 sie gar nicht enthalten. u.s.f. 298 Brannpıs von den Griechischen Auslegern ster Hand, hier wie in unbezweifelt ächten Schriften des Aphrodisiers sich finden. Es werden Bücher des Theophrastus Eudemus und Strato, der Pro- treptikus des Aristoteles, Lehren der Stoiker u. a. älterer Philosophen in einer Weise angeführt, wie sie dem Alexander eigenthümlich und kaum noch dem Porphyrius und Simplicius mit ihm gemein ist; ihnen aber oder An- hängern ihrer Schule den Commentar beizulegen verbietet der gänzliche Mangel an neuplatonischen Betrachtungen. Ältere Ausleger führt Alexander nur einigemahl an, und namentlich blofs Herminus (p.271, Schol. p.2945 34), wenn nicht auch Sotion zu ih- nen gehört; in Erörterungen über einzelne Punkte der Aristotelischen To- pik mufste er wenigstens eingegangen sein (s. p.213, ‚Schol. p.288a 14). Dafs Theophrastus in seiner Topik (nach Diogenes Laärtius 5 45 in zwei Büchern) die Aristotelische vor Augen gehabt, ergiebt sich hinlänglich aus den An- führungen bei Alexander (s. p.5. 25. 31. 68.72, Schol. p.252a 12, 257a 4 et b 18, 263a 3, 264538; vgl. m. Abhandl. über Schicksale und Ächtheit der Aristotel. Bücher im Rhein. Mus. I p. 274); aber nicht ob die gleichfalls von Diog. L. angeführten dvryusvwv reruv «davon verschieden gewesen. Auch in seiner Schrift über Synonyma (eai rav roraywas oder merray,as [.83. 189, Schol. p.2665 14, 284a 28) scheint Theophrastus die Aristotelische Topik berücksichtigt zu haben (vgl. d. angef. Abh. p.275), sowie Eudemus in sei- nen Büchern vom Ausdruck (&v reis wegi Acfews p.38, Schol. p. 2585 25) und Strato (p.173, Schol. p.2815 2). Von den dürftigen Inhaltsanzeigen und Scholien die sich am Rande mehrerer Pariser Handschriften finden (Cod. Reg. 1845. 1917. 1972. 1874), verdiente nur einiges Wenige in die Scholiensammlung aufgenommen zu wer- den (s. p.2605, 2634, 264a, 272a, 273a, 2835, 2852, 236ab, 2885, 292ab, 295a), und auch das mehr zur Bezeichnung der Manier als seines Inhalts wegen. Aufser dem Alexander haben die Verfasser schwerlich Ausleger vor sich gehabt. Der dem Alexander beigelegte Commentar zu den Widerlegun- gen der Sophisten ist für bedeutend später zu halten, wie durch den Man- gel an historischer Kenntnifs und an eindringlicher Schärfe der Auslegung, durch die Ausdrucksweise und dadurch sich bewährt, dafs von der Annahme der Hellenen als einer abgestorbenen geredet wird (Schol. p.301a 43). In mehreren Handschriften wird der Commentar dem Ephesier (Michael) bei- des Aristotelischen Organons. Nachtrag. 299 gelegt (Cod. Reg. 1897, Coisl. 332). Der Verfasser hatte früher bereits die beiden Analytiken, die Topik und die Physik ausgelegt (s. Schol. p.296a 42, 30251, 318a 35): er redet von andren Auslegern (Schol. p.296a24, 300 alt), führt aber nur Galenus namentlich an (ib. 2982 14, 312529). Eine Angabe aus Theophrastus bezieht sich augenscheinlich auf dessen Pflanzen- geschichte (s. 2995.48), nicht auf die von Diogenes L. (5 45) erwähuten rodirnarwv a oder suAsyıruav Aucews @ (vgl. d. angef. Abhandl. p. 274). EP ANEHTES BENSYIVERRGT) Yin. Wr i LS re a.) si Pi r . y a R fr £ + . ‚ h “er Ei ; O8 «a ae { \? er on a SER Y) hr Ian ) | - eozlivieak wabisıt "Is HU - * Y4% ı$ u | 2 F 3 J40 N 5 ich H ß } ds e, | 17 Feb. 1858. | Br er : [ft 4989 U 2 Ss IN INSTITUTION LIB ANINIMNN 9088 012988192 MM | ne vorne z REN ES en e ne a a ne nen Br pri a ne re, Te a en ae e a ne en genen ger a ne nn 2 Ed Be < x - a &3 nn ne u ” Lo _ - ee > ne nn. = ang 53, Ex: