N N Au fi f AN Ba \ HEART, " al R en a u v f Ü j Er Hi un j AN f - L D = 5 u B Bu * \ 1 ® = = PR u - = I DO 0 Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1851. ——<#I>— | AS 182 sögenlbasstdä en yarı amtsialaodt | _ı | ; vlladnanseei "3b immo: - nilssäl us BZ ZI ce | Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. nannte Aus dem Jahre 1851. .._—nerereoderne Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1852. In Commission bei F, Dümmler’s Verlags - Buchhandlung, ee in RE LE 2 Mi. WEN Dan Me. ENT onen Wi oh BL, \ m j „ss un. “ ' v . nr nn uni. BEHOBEN „m... - r D U, 4 | pıdab,umb uud (a IORE - eaiie ‚Se » { | — | tn einer dur reinen h oO M L Per e ® - 5 er) i wer ap g J 1% URN, Be >49 u A r sn IN A u hın.m aut. Historische Einleitung „0... .o..onaceeononeronenarnernennnnnnn ne Seite I N der Mitglieder und Correspondenten der Akademie.......... - IX WACOBEGEINMS Leder auß Kachmanntwersfe ne cpereronerererokelekeokeuoiein olala elo sleeie - (D / Heisrıcn Rose: Gedächtnifsrede auf Berzelius 2.222 2e2eseeeeeaeeen - (XVD Physikalische Abhandlungen. 2 Ylsoxus über thermoelectrische Ströme . .....e.ccc seen ennn leerer Seite 1 V WMiörzen über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres ....2.er2c22020. DER) RSTEN über den jetzigen Zustand der Verfahrungsmethoden zur Darstellung deswSilbersgausf#seinen®Erzeners se ieroehelekerskeren sekelehoveletere.ate - 6 Mathematische Abhandlungen. Veneie: Einige Bemerkungen über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer lemerk sense ee een ae ehelleree Seite 1 VENcKE über den Cometen von Pons (Sechste Abhandlung) .......... 2...» - 2 v. Philologische und historische Abhandlungen. en: Parodieen und Karikaturen auf Werken der klassischen Kunst ..... Seite 1 VDırksen: Die Auszüge aus den Schriften der römischen Rechisgelehrten, in den INoCtesu AtticaeWdespA EG Ellingen erste 2) ”Derselbe: Auszüge aus den Schriften der römischen Rechtsgelehrten, übertra- gen: in die Werke des Boethius .......ooecorserennnn- = ae) "JACOB GRIMM über den ursprung der sprache ..... 2222222 ceeeeeren nn - 105 vD erslellbienübengdengliebespottersersger yore Seheforeinfekefofeefenerernre. le -Voleseansgegngere - 414 VLepsıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis und seine geschichtlich - my- thologische Entstehung. ..... 2.2222... e0onnneneenannnn 1a Benz über@VVıpo!s, Lebens und#Schrifteni.s er.) 2r2cre1 0.02. 2 ogelekeke een. 215 “W. Grimm: Altdeutsche gelpräche, nachtrag. ... .-----rreerneerenenenn - 235 “Derselbe über Freidank, nachtrag .... 2». «error eeneenenernenne nen - 257 YScuorrlüber die sage von Geser-chan ...0.o.cenueenneuoueaesnennen 2265 RITTER über die geographische Verbreitung der Baumwolle und ihr Verhältnils zur Industrie der Völker alter und neuer Zeit ...2.2.2..... V J&COB GRIMM über eine urkunde des x. jh. ..........oceoooomoeonoo. “PAnoFKA: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg und Wien ......... VW. Grimm: Zur gelchichtegdenmermsennte Sarnen erstelle ee ee “JacoB GRIMM: Anhang zu der abhandlung über eine urkunde des zwölften jahrhundexispern nenne On 00 2 ee er VDiETERICI über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa ».. 2.2.2 2eee2ceee en ———— un mn ana Seite 297 361 Jahr 1851. D: Akademie der Wissenschaften begmg am 30. Januar in einer öffentlichen Sitzung den Jahrestag des Königs Friederichs des Zweiten. Der vorsitzende Sekretar Herr Trendelenburg hielt einen einleitenden Vortrag „zum Gedächtnils Friederichs des Grofsen”, welcher in den Monatsberichten der Akademie abgedruckt ist, und schlofs ihn den Statuten gemäls mit einem Überblick über die im abgelaufenen Jahre bei der Akademie erfolgten Personalveränderun- gen. Sodann las Herr von Buch über eine merkwürdige Muschel- umgebung der Nordsee und über die Folgerungen, zu denen sie Veranlassung giebt. Diese Abhandlung ist in den Monatsberichten erschienen. Am 3. Juli wurde die öffentliche Sitzung zur Feier des Leib- nizischen Jahrestages gehalten. Herr Encke leitete sie mit einem Vortrage ein, der an eine dem Dr. Gerhard in Salzwedel gelungene chronologische Bestimmung in der ersten Geschichte der Differen- tial- und Integralrechnung eine allgemeinere Betrachtung über das bestimmte Integral anknüpfte. Hierauf hielten die seit dem Leibniz- tage des vorigen Jahres neu eingetretenen Mitglieder ihre Antritts- reden und zwar zunächst aus der physikalisch-mathematischen Klasse Herr du Bois-Reymond und Herr Peters, welche im Namen der Akademie Herr Ehrenberg, sodann aus der philosophisch -histori- schen Klasse die Herren Pinder, Buschmann und Riedel, welche ‘Herr Trendelenburg bewillkommnete. Diese sämmtlichen Vorträge sind ın den Monatsberichten der Akademie erschienen. I Herr Encke verlas hierauf als Sekretar der physikalisch-ma- thematischen Klasse folgendes Urtheil der Klasse über eingegangene Preisschriften: In der Leibnizischen Sitzung des Jahres 1848 am 6. Juli war von der physikalisch-mathematischen Klasse der Königl. Akademie der Wissenschaften folgende Preisaufgabe gestellt worden: Die Klasse wünscht eine chemisch-physiologische Untersuchung und Vergleichung von Früchten in unreifem und reifem Zustande. Die Entscheidung über die eingegangenen Bewerbungsschriften sollte in der heutigen Sitzung erfolgen. Es sind zwei Schriften eingegangen, eine franzö- sische mit dem Motto aus Delisle: L’arbuste, l'’arbrisseau, les herbes et les fleurs Des elemens divers puissants combinateurs Sont le laboratoire, ot leur force agissante Exerce incessamment son action puissante, Et de tous ces agens dans la plante introduits Trouve l’etat des fleurs et la saveur des fruits. und eine deutsche mit dem Motto: Für die Einsicht und die Gesetze der Vegetation sind die blols prozentischen Gehaltsbestimmungen fast ganz ohne Bedeu- tung, und erlauben erst dann interessante Schlüsse, wenn man sie auf ein mittleres absolutes Gewicht der Pflanzen und Pflan- zentheile beziehen kann. Der Verfasser der französisch geschriebenen Abhandlung führt in dem ersten Theil den Einfluls an, welchen auf das Reifen der Früchte der Boden und seine Bestandtheile, das Klima, die Luft und Feuchtigkeit, das Ringeln, Ausschneiden und Wegnehmen der Knos- pen und verschiedene Gasarten ausüben. Dieser Theil enthält nur bekannte Thatsachen unvollständig, ohne gehörige Sachkenntnils und ohne eine begründete Beurtheilung zusammengestellt; besonders zeigt II sich ein grofser Mangel der gewöhnlichen chemischen und physika- lischen Kenntnisse. So sagt der Verfasser: on sait quelle (Teau des orages) jowit dun pouvoir dissolvant tres puissant, dü principalement a la presence de lazote, qu'elle purse dans latmosphere en la tra- versant: ferner: les premiers (amendements) ont pour lobjet princi- pal, de donner au sol les princıpes elömentaires salines inorganiques, qui lu manquent, silice, chaux, alumine; an einer andern Stelle: Lair agit ..... suivant son .dtat plus ou moins, grand de pression en accclerani la transpiration ou l’Evaporation d'une partie de Teau de vegetation. Auch die geographische Nachricht vom Vaterland des Pfirsichs ist sehr fehlerhaft, indem gesagt wird: /e frwit originaire dEthiopie est passe de la Perse en Egypte. Die Kunstgriffe, welche die Gärtner, um das Reifen der Früchte zu befördern, anwenden, sind besonders weitläufig angeführt, aber ohne alle wissenschaftliche Begründung derselben. Über das Verhalten der Früchte in verschie- denen Gasarten hat der Verfasser selbst Versuche angestellt; seine Versuche stimmen mit denen von Berard nicht überein; auch geht aus der Beschreibung nicht hervor, ob er sich gehörig überzeugt ht, dals seine Apparate luftdicht waren. In dem zweiten Theil handelt der Verfasser die einzelnen Früchte ab, die Weinbeere, den Pfirsich, die Aprikose, die Pflaume, die Birne, den Apfel, die Kirsche, die Ananas, die Feige, die Frucht von Cactus und die Melone. Auch dieser Theil enthält nur Bekann- tes, und was der Verfasser von eigenen Untersuchungen anführt z. B. die Analyse der Aprikose, ist so unverständlich, dafs das Re- sultat kein Vertrauen verdient. Von früheren Untersuchungen kennt er nicht einmal die seiner Landsleute, z. B. nicht einmal die schöne Arbeit von Fremy über das Reifen der Früchte und über das Pectin; ausländische Abhandlungen über diesen Gegenstand sind ihm ganz unbekannt geblieben. IV Da der Verfasser dieser Schrift weder eine genaue chemische Untersuchung der reifen und unreifen Früchte und der einzelnen Theile derselben angestellt, noch auf die Entwickelungsgeschichte und die Structurveränderungen derselben Rücksicht genommen hat, den Hauptanforderungen der Preisaufgabe also in keiner Hinsicht genügt hat, so konnte ihm der Preis nicht zuerkannt werden. Der zweite Bewerber hat nur einen Theil seiner Schrift einge- sandt, die Einleitung nämlich, in welcher er mit Sachkenntnils die von den Naturforschern angestellten Beobachtungen und Versuche zusammenstellt; durch Krankheit wurde er verhindert diese Arbeit zu vollenden; da der eingesandte Theil keine eignen Untersuchungen enthält, so kann der Verfasser natürlich keine Ansprüche auf die “ Zuerkennung des Preises machen. Die Akademie kann deshalb nur bedauern, dals den bestehen- den Vorschriften gemäfs nichts übrig bleibt als diese Angelegenheit dadurch zu erledigen, dafs die mit den Abhandlungen eingesandten versiegelten Zettel, welche den Namen der Verfasser enthalten, un- eröffnet verbrannt werden. Es ward darauf die neue Preisfrage aus der Cotheniusschen Stiftung für Preisfragen über Gegenstände der Haushaltung, des Acker- baues und der Gartenkunst, welche für dieses Jahr von der physi- kalisch-mathematischen Klasse ausgewählt ist, vorgetragen: „Die Theorie des hydraulischen Mörtels ist bereits in vieler Hinsicht aufgeklärt worden. Sie beruht offenbar auf einer Bil- dung zeolithartiger Silicate. Noch kennt man aber das chemi- sche Verhalten der Verbindungen, die sich bei Anwendung der verschiedenen Mörtel bilden, nicht genau genug. Die Akademie wünscht eine umfassende Arbeit über diesen Gegenstand, und besonders eine nach zweckmälsigen Methoden angestellte Un- tersuchung der Produkte der Mörtelbildung.” v Die ausschlielsende Frist für die Einsendung der Beantwortun- gen dieser Aufgabe, welche nach der Wahl der Bewerber in deut- scher, französischer oder lateinischer Sprache geschrieben sein kön- nen, ist der 1. März 1854. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses auf der Aulsenseite des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Verfassers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 100 Dukaten geschieht in der öffent- lichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1854. Endlich wurden zwei Gedächtnilsreden gehalten. Herr Hein- rich Rose stellte die Verdienste des frühern auswärtigen Mitgliedes der Akademie Herrn Berzelius dar und Herr Jacob Grimm schlols mit einem Vortrag zum Andenken Lachmann’. Beide Gedächtnils- reden finden sich in dem vorliegenden Bande der Denkschriften. Die öffentliche Sitzung zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Königs leitete der vorsitzende Sekretar Herr Encke mit einigen Betrachtungen über den allgemeinen Sinn ein, in welchem von jeher in Preulsen auf dem wissenschaftlichen Gebiete die engste Gemein- schaft mit den übrigen deutschen Ländern Statt gefunden habe, wo- ran er einige Nachrichten über das Unternehmen der akademischen Sternkarten und den in den Statuten geforderten Bericht über die Thätigkeit der Akademie im letzten Jahre anknüpfte. Hierauf trug Herr Lepsius die nach den bestehenden Vorschriften aus den aka- demischen Vorträgen des letzten halben Jahres gewählte Abhandlung über den ersten aegyptischen Götterkreis und seine geschichtlich my- thologische Entstehung vor, welche in dem vorliegenden Bande un- ten folgt. b2 VI Zu wissenschaftlichen Zwecken hat die Akademie in diesem Jahre folgende Summen bewilligt: A400 Rithlr. an Herrn Professor Dr. Franz für die Bearbeitung des 175 70 300 60 500 Corpus Inscriptionum Graecarum. an Herrn Dr. T. Philippi zur Anschaffung. meteorolo- gischer Instrumente, womit derselbe in Chile fortwäh- rende Beobachtungen anzustellen beabsichtigt. zum Ankauf von 15 Exemplaren des 1sten Heftes des von dem verstorbenen Sanitäts-Rath Dr. Berendt in Danzig herausgegebenen Werkes: Organische Reste im Bernstein, als Unterstützung zur Fortsetzung des Werkes. an Herrn Dr. Luther in Königsberg zur Berechnung der planetarischen Störungen nach der Angabe und den Formeln des Herrn Jacobi. an Herrn Dr. Hermann Karsten in Venezuela als Entschädigung für die eingesandten Resultate seiner geognostischen Forschungen und für Reisekosten. an Herrn Dr. E. Weber hierselbst für 10 Exemplare der 3ter Lieferung seiner Kritischen Ausgabe des White Yajurveda. an Herrn Professor Dr. Herzog in Halle als Beihülfe zu einer wissenschaftlichen Reise nach Genf und Du- blin, welche Untersuchung der Handschriften der Wal- denser zum Zweck hat. an Herrn Dr. E. Weber hierselbst für die Anfertigung eines vollständigen Catalogs der Sanskrit-Handschriften auf der hiesigen Königlichen Bibliothek. zum Ankauf des Kritischen Apparates zum Diophantus aus dem Nachlasse des verstorbenen Professors Jacobi. zur fortgesetzten Herausgabe der akadem. Sternkarten. vo 200 Rthlr. an den Privatdocenten an der hiesigen Universität, Herrn Herr Herr Dr. Aufrecht für das bereits in der alt-ıitalischen Lin- guistik Geleistete und seine zu edirende Schrift über die oskischen Sprachdenkmäler. Personal-Veränderungen im Jahre 1851. Gestorben sind: Paul Erman, ordentliches Mitglied der physikalisch -mathema- tischen Klasse, am 11. October. Link, desgl, am 1. Januar. C. G. J. Jacobi, desgl, am 18. Februar. Lachmann, ordentliches Mitglied der philosophisch -historischen Klasse, am 13. März. Freiherr von Müffling, Preufls. General-Feldmarschall, Ehren- mitglied, in Erfurt, am 16. Januar. Wahlenberg in Upsala, correspondirendes Mitglied der phy- sikalisch-mathematischen Klasse, am 23. März. Oersted in Kopenhagen, desgl., am 9. März. von Ledebour in München, desgl., am 4. Juli. Jules Cesar de Savigny in Versailles, desgl., am 5. October. Frähn in St. Petersburg, correspondirendes Mitglied der phi- losophisch-historischen Klasse, am 16. August. Erwählt wurden: du Bois-Reymond zum ordentlichen Mitgliede der physika- lisch-mathematischen Klasse am 6. Februar und bestätigt durch die Königl. Kabinets-Ordre vom 5. März. Peters desgl. desgl. Braun desgl. am 19. Juni und bestätigt durch die Königl. Kabinets-Ordre vom 16. Juli. VII Herr Klotzsch zum ordentlichen Mitgliede der physikalisch-mathe- matischen Klasse am 19. Juni und bestätigt durch die Königl. Kabinets-Ordre vom 16. Juli. „ Pinder zum ordentlichen Mitgliede der philosophisch -histori- schen Klasse am 10. April und bestätigt durch die Königl. Kabinets-Ordre vom 24. Mai. „ Buschmann desgl. desgl. „. Riedel desgl. desgl. „ Pelouze in Paris zum correspondirenden Mitgliede der phy- sikalisch-mathematischen Klasse, am 6. Februar. » Bronn in Heidelberg, desgl. desgl. „ Woheatstone in London desgl. am &. Mai. „ 8. Birch in London zum correspondirenden Mitgliede der phi- losophisch-historischen Klasse, am 10. April. „ H.L. Fleischer in Leipzig desgl. desgl. „ ©. Jahn in Leipzig desgl. desgl. „ A. Rizo Rangabe in Athen desgl. desgl. » Konst. Schinas in München desgl. desgl. „ Th. Hersart de la Villemarque in Paris desgl. desgl. »„ Wilh. Wackernagel in Basel desgl. desgl. Verzeichnils der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften Herr Grüson, Veteran Herr v. Savigny, Veteran . A.v. Humboldt vw. Buch Lichtenstein, Veteran . W eifs Mitscherlich . Karsten Encke, Sekretar . Ehrenberg, Sekreiar . Crelle Klug . Dirichlet H. Rose . Böckh, Veteran. Sekretar . Bekker, Veteran Ritter. Bopp . Meineke . Ranke v. Schelling . Jac. Grimm Gerhard. Panofka von der Hagen . am Schlusse des Jahres 1851. Ordentliche Mitglieder. Physikalisch-mathematische Klasse. Datum der Königl. Bestätigung. —— —— 1798 Febr. 22. Herr Müller 1800 Aug. 4. - G. Rose 1806 März 27. - ‚Steiner 1814 Mai 14. - mv. Olfers . 1815 Mai 3. - Dove Rt: 1822 Febr. 7. - Poggendorf . . 1822 April 18. - Magnus 1825 Juni 21. - Hagen ; 1827 Juni 18. = Rie/siruhn: du Bois-Reymond . 1827 Aug. 23. - 1830 Jan. 11. - Peters . 1832 Febr. 13. - Braun . 1832 Febr. 13. - Klotzsch . 1811 April 29. Philosophisch-historische Klasse. Herr WVilh. Grimm . 1814 Mai 14. - Schott . 1815 Mai 3. - Dirksen 1822 April 18. - Pertz 1822 April 18. Trendelenburg, Sekretar 1830 Juni 11. - Dieterici . 1832 Febr. 13. - Lepsius 1832 Mai 7. - Homeyer. 1832 Mai 7. - Petermann . 1835 März 12. - Pinder. 1836 April 5. - Buschmann . 1841 März 9. - Riedel. Datum der Königl. Bestätigung. a 1834 Juli 16. 1834 Juli 16. 1834 Juli 16. 1837 Jan. 4. 1837 Jan. 4. 1839 Febr. 4. 1840 Jan. 27. 1842 Juni 28. 1842 Juni 28. 1851 März 5. 1851 März 5. 1851 Juli 16. 1851 Juli 16. 1841 März 9. 1841 März 9. 1841 März 9. 1843 Jan. 23. 1846 März 11. 1847 Jan. 20. 1850 Mai 18. 1850 Mai 18. 1850 Mai 18. 1851 Mai 24. 1851 Mai 24. 1851 Mai 24. IE Auswärtige Mitglieder. Physikalisch-mathematische Klasse. Herr Gaufs in Göttingen - Arago in Paris . 0 one - Robert Brown inLondon . ....... = CAUERY ADS DORIS song ee u ee an er Sir John Herschel in Hawkurst in der Grafschaft Kent . Herr Faraday in London ..... .'. Sir David Brewster in Edinburg . ...... Herr. Brot: in Barısa nn Ne Philosophisch-historische Klasse. Herr H. Ritter in Göttingen se - Eichhorn in Ammerhof bei Tübingen Cousin ın Parse. men, - Lobeck in Königsberg - H.H. Wilson in Oxford . =:Gurzot.ın.Parısı arm one - PWelcker in Bonn . & = rCreuzer.in Heidelberg . . . . „0. - Rawlinson in Bagdad . . . . =. "Hasennubaris: ..00 8, 0 oe ee. Datum der Königl. Bestätigung. ——— 1810 Juli 18. 1828 Jan. 4. 1834 März 20. 1836 April 5. 1839 Febr. 4. 1842 Juni 28. 1846 März 11. 1850 Febr. 27. 1832 Febr. 13. 1832 Febr. 13. 1832 Mai 7. 1832 Mai 7. 1839 April 21. 1840 Dec. 14. 1846 März 11. 1846 März 11. 1850 Mai 18. 1850 Mai 18. IM. Ehren-Mitglieder. Herr /mbert Delonnes in Paris . FYilliam Hamilton in London Leake in London Datum der Walıl. 1801 Oct. 22. 1815 Juni 22. 1815 Juni 22. w. Hisinger auf Skinskatteberg bei Köping in Schweden 1828 Jan. 4. Freiherr v. Zindenau in Altenburg Bunsen in London ; Duca di Serradifalco in Palermo Freiherr Prokesch von Osten in Berlin . Duc de Zuynes in Paris Carl Lucian Bonaparte Prinz von Canino Merian in Basel . ee ne Garabed Artin Davoud-Oghlou in Wien . Principe di San Giorgio Domenico Spinelli in Neapel 1528 Jan. 4. 1835 Jan. 7. 1836 Juli 29. 1839 März 14. 1840 Dee. 14. 1843 März 27. 1845 März 8. 1847 Juli 24. 1550 Mai 18. XI XI IV. Correspondirende Mitglieder. Physikalisch-mathematische Klasse. Herr Agassiz in Boston ' Biddell Airy in Greenwich Amıci in Florenz . Argelander in Bonn . v. Baer in St. Petersburg Becquerel in Paris P. Berthier ın Paris . Brandt in St. Petersburg . Adolphe Brogniart in Paris . Bronn in Heidelberg Bunsen in Breslau Carlini in Mailand Carus in Dresden. . . Chevreul in Paris . v. Dechen in Bonn . . Dufrenoy in Paris Duhamel in Paris . I. B. Dumas in Paris Elie de Beaumont in Paris . Eschricht in Kopenhagen . echner in heipziz . nu. F.E. L. Fischer in St Petersburg Goithelf Fischer in Moskau Flauti in Neapel Fuchs in München . . . . Gaudichaud in Paris . Gergonne in Montpellier . C. G. Gmelin in Tübingen L. Gmelin in Heidelberg Datum der WVahl. a [—— 1834 März 24. 1834 Juni 5. 1536 Dee. 1. 1836 März 24. 1834 Febr. 13. 1835 Febr. 19. 1829 Dec. 10. 1839 Dee. 19. 1835 Mai 7. 1851 Febr. 6. 1846 März 19. 1826 Juni 22. 1827 Dec. 13. 1834 Juni5. 1842 Febr. 3. 1835 Febr. 19. 1847 April 15. 1834 Juni 5. 1827 Dec. 13. 1842 April 7. 1841 März 25. 1832 Jan. 19. 1832 Jan. 19. 1829 Dec. 10. 1834 Febr. 13. 1834 Febr. 13. 1832 Jan. 19. 1834 Febr. 13. 1827 Dec. 13. Herr Göppert in Breslau - Thom. Graham in London . - Haidinger in Wien . Sir W. R. Hamilton in Dublin Herr Hansen in Gotha . . . . » - Hansteen in Christiania - Hausmann in Göttingen Sir W. J. Hooker n Kew . . Herr Jameson in Edinburg - Känmtz in Dorpat . - Kummer in Breslau . - Lame in Paris - Le Verrier in Paris . - Graf Zibri in London - Freiherr v. Liebig in Gielsen - Lindley in London = Rrousille ın Parispr = zne - ©». Martius in München - Melloni in Neapel - Milne Edwards in Paris . - Moöbius in Leipzig . . . . - Hugo v. Mohl in Tübingen . - Morin in Paris . - Moser in Königsberg - Mulder in Utrecht Si Herr Naumann in Leipzig - F. E. Neumann in Königsberg - Ohm in München . - R. Owen in London - de Pambour in Paris - Pelouze in Paris - Pfaff m Kiel. - Plana in Turin . - Poncelet in Paris . - de Pontecoulant in Paris . - Presl in Prag - Purkinje in Prag r Roderick Impey Murchison in London Datum der Wahl. mn 1839 Juni 6. 1835 Febr. 19. 1842 April 7.. 1839 Juni 6. 1832 Jan. 19. 1827 Dec. 13. 1812 1834 Febr. 13. 1820 Juni. 1841 März 25. 1839 Juni 6. 1838 Dec. 20. 1846 Dec. 17. 1832 Jan. 19. 1833 Juni 20. 1834 Febr. 13. 1839 Dec. 19. 1832 Jan. 19. 1836 März 24. 1847 April 15. 1829 Dec. 10. 1847 April 15. 1839 Juni 6. 1843 Febr. 16. 1845 Jan. 23. 1847 April 15. 1846 März 19. 1833 Juni 20. 1839 Juni 6. 1836 März 24. 1839 Juni 6. 1851 Febr. 6. 1812 1832 Jan. 19. 1832 Jan. 19. 1832 Jan. 19. 1838 Mai 3. 1832 Jan. 19. c2 XII XIV Herr Quetelet in Brüssel Ratlıke in Königsberg . Regnault in Paris . Retzius in Stockholm . . Achille Richard in Paris . Richelot in Königsberg . de la Rive in Genf Aug. de Saint - Hilaire in Montpellier vw. Schlechtendal in Halle. Marcel de Serres in Montpellier . v. Siebold in Breslau . ‚Struve in St. Petersburg ‚Studer in Bern . Sturm in Paris . Tenore in Neapel. Thenard in Paris . Tiedemann in Frankfurt a. M.. Tilesius in Leipzig Treviranus in Bonn . Aug. Valenciennes in Paris . Rud. Wagner in Götlingen . Wallich in Caleutta. E. H. Weber in Leipzig . W. Weber in Göttingen . FW heatstone in London FWVöhler in Göttingen Datum der Wahl. —— 1832 Jan. 19. 1834 Febr. 13. 1847 April 15. 1842 Dec. 8. 1835 Mai 7. 1842 Dec. 8. 1835 Febr. 19. 1834 Febr. 13. 1834 Febr. 13. 1826 April 13. 1841 März 25. 1832 Jan. 19. 1845 Jan. 23. 1835 Febr. 19. 1812 1812 1812 1812 1834 Febr. 13. 1836 März 24. 1841 März 25. 1832 Jan. 19. 1827 Dec. 13. 1834 Febr. 13. 1851 Mai 8. 1833 Juni 20. Philosophisch-historische Klasse. Herr Bancroft in New York . . Bartholmess in Paris Bergk in Marburg. Bernhardy in Halle . Sam. Birch in London . Böhmer in Frankfurt a. M. Graf Borghesi in St. Marino Brandis in Bonn . Braun in Rom . Burnouf in Paris 1845 Febr. 27. 1847 Juni 10. 1845 Febr. 27. 1846 März 19. 1851 April 10. 1845 Febr. 27. 1836 Juni 23. 1832 April 12. 1843 Aug. 3. 1837 Febr. 16. Herr Cavedoni in Modena Chmel in Wien Charl. Purton Cooper in Lordeh Dahlmann in Bonn . Dretz=in Bonn er Fa W. Dindorfin Leipzig. . . - Dureau de la Malle in Paris H. L. Fleischer in Leipzig Freytag in Bonn . Del Furia in Florenz Geel in Leyden Gervinus in Heidelberg Göttling in Jena ! G. F. Grotefend in arnever . Guerard in Paris . Freih. v. Hammer- Purgstall in Wien Haupt in Leipzig . C. F. Hermann in Göttingen Hildebrand in Stockholm . Otto Jahn in Leipzig Jomard in Paris ‚Stanisl. Julien in Paris Kemble in London . . Kopp in Luzern Kosegarten in Greifswald. Labus in Mailand . Lajard in Paris 2 Lappenberg in Hamburg . Lassen in Bom. ... Leemans in Leyden . Lehrs in Königsberg * Lenormant in Paris . Löbell in Bonn . Lönnrot in Helsingfors J. J. da Costa de Macedo in her Madvig in Kopenhagen Mai in Rom . Datum der Wahl. — mn 1845 Febr. 27. 1846 März 19. 1836 Febr. 18. 1845 Febr. 27. 1845 Febr. 27. 1846 Dec. 17. 1847 April 15. 1851 April 10. 1829 Dec. 10. 1819 Febr. 4. 1836 Juni 23. 1845 Febr. 27. 1844 Mai 9. 1847 April 15. 1845 Febr. 27. 1814 März 17. 1846 März 19. 1840 Nov. 5 1845 Febr. 27. 1851 April 10. 1821 Aug. 16. 1842 April 14. 1845 Febr. 27. 1846 März 19. 1829 Dec. 10. 1843 März 2. 1846 Dec. 17. 1845 Febr. 27. 1846 Dec. 17. 1844 Mai 9. 1845 Febr. 27. 1845 Febr. 27. 1846 Dec. 17. 1850 April 25. 1838 Febr. 15. 1836 Juni 23. 1822 Febr. 28. xV xXVI Herr Graf della Marmora in Genua Sir Meier in Halle . N Jul. Mohl in Paris): . ... Molbech in Kopenhagen . Munch in Christiania Mustoxides in Corfu C. F. Neumann in München Constantinus Oeconomus in Athen Orti Manara in Verona . Palacky in Prag Francis Palgrave in London . Herr Peyron in Turin Sir Thomas Phillipps in Middlehill . Herr Pott in Halle Prescott in Boston Et. Quatremere m Paris .. . . Rafn in Kopenhagen Rizo Rangabe in Athen Raoul- Rochette in Paris Ravaisson ın Paris . „ anar Reinaud in Paris . Ritschl in Bonn Rofs in Halle . de Santarem in Paris ‚Schaffarik in Prag Konst. Schinas in München . ‚Schmeller in München . ‚Schömann in Greifswald . ‚Secchi in Rom . Sparks in Cambridge bei Bas Spengel in München . ‚Stälin in Stuttgart. ‚Stenzel in Breslau Thiersch in München Uhland in Tübingen ... e Th. Hersart de la V u in Paris . Datum der Wahl. — 1844 Mai 9. 1824 Juni 17. 1850 April 25. 1845 Febr. 27. 1847 Juni 10. 1815 Juni 22. 1829 Dec. 10. 1832 Dec. 13. 1842 Dec. 22. 1845 Febr. 27. 1836 Febr. 18, 1836 Febr. 18, 1845 Febr. 27. 1850 April 25. 1845 Febr. 27. 1812 1845 Febr. 27. 1851 April 10. 1832 April 12. 1847 Juni 10. 1850 April 25. 1845 Febr. 27. 1836 Febr. 18. 1847 Juni 10. 1840 Febr. 13. 1851 April 10. 1836 Febr. 18. 1824 Juni 17. 1846 März 19. 1845 Febr. 27. 1842 Dec. 22. 1846 Dec. 17. 1845 Febr. 27. 1825 Juni 9. 1845 Febr. 27. 1851 April 10. Herr Voigt in Königsberg . Wilh. Wackernagel in Basel . FW aitz in Göttingen desffattein Parsan am. a. Wuk Stephanowitsch Karadschitsch in Wien . SL 174177 — 222 Datum der Wahl. a 1846 Dec. 17. 1851 April 10. 1842 April 14. 1845 Febr. 27. 1850 April 25. XV ui „oh VA nur u: RAuız * ‚ale ah Se ren Aa DE ze ur # Image bus URAN: Br Ye, oe au a ar 3 | 7 - öl Ale Be u: we ehr h. Id Dr BL. Wen iur N. v JACOB GRIMMS REDE AUF LACHMANN am 3 juli 1851. Fo ein jahr aus pflegt an allen akademien in laute freude ein dumpfer klageton zu fallen, und dringlich wird ihnen die lehre vorgeführt, dafs men- schen den menschen platz machen müssen. Welche frohe hofnungen aus dem neuen zutritt rüstiger und vielbegabter mitglieder unsrer genossenschaft erwachsen ist vorhin vernommen worden; gleich der zukunft tragen doch alle hofnungen ihr ungewisses in sich, desto gewisser sind die schweren ver- luste, die uns heuer getroffen haben. Link, der seine manneskraft noch ins höhere alter übertrug und fast ungeschwächt des lebens gipfel erreichte, Jacobi, dessen gesundheit zwar längst untergraben schien, aber durch seltne geistesstärke aufrecht erhalten blieb, wurden uns plötzlich entrissen; nicht der geringste schlag war Lachmanns, dem ein mäfsiges, unerschüttertes le- ben viel längere dauer geweissagt haben sollte, unerwarteter, durch ein an- fangs wenig bedrohliches, bald aber tückische gewalt über ihn gewinnendes übel herbei geführter tod. Während andere mitglieder sich noch vorbehalten Links und Jacobis andenken in unserm schofse würdig zu feiern, suche ich, wiewol durch die heute übrig gelassene zeit beschränkt, der mir auferlegten pflicht zu genü- gen und ein bild der wissenschaftlichen thätigkeit Lachmanns zu entwerfen, wie mir langjährige freundschaft und wahrheitsliebe alle züge dazu eingeben. Traurig ist es über einen freund gleichsam das letzte wort zu haben, stände er hinter mir, er würde vielleicht einigemal den kopf schütteln, nicht von meiner rede sich abwenden. Wenn vorragende männer allen völkern angehören, so behauptet doch ihr vaterland immer den ersten anspruch auf sie, und die Schweden empfinden am lebendigsten, dafs Berzelius ihr eigen- thum war, wir wollen unsers Lachmanns gedenken, unser schmerz ist der frischere. (IT) Jacos Gxrımms Für die unvergleichliche wirkung, welche er hervor brachte, könnte man versucht sein schon darin den schlagendsten ausdruck zu finden, dafs ihm, dem von der philologie ausgegangnen aus freien stücken auch die theo- logische und juristische doctorwürde zuerkannt wurde. hätte der zufall ihn zur herausgabe eines alten griechischen arztes geführt, mit gleichem fug würde die medicinische facultät ihren hut auf sein haupt gedrückt haben und wir sehn eigentlich damit die gröfsere macht der philosophischen über die drei andern, in welche sie leicht einlenkt, ausgesprochen. Viel besser glaube ich aber Lachmanns innerstes wesen zu bezeichnen dadurch, dafs er seine meisterschaft in der classischen wie in der neu entstandnen deutschen philologie, zu deren festigung er ein grofses beigetragen hat, mit demselben erfolg bewährte, und dafs nun die wirkungen hinüber und herüber schlugen. denn die classische regel gab seinen schritten auf dem deutschen gebiet frühe stätigkeit und bewahrte sie vor allem straucheln; aus dem noch jugendlichen, kaum übernächtigen wachsthum und trieb des deutschen alterthums konnte er wagende kühnheit schöpfen für jene classischen bisher reich, zuweilen einseitig entfalteten, einigemal schon ermüdeten gesetze. Zwei sonst ein- ander ausschliefsende oder gar abstofsende wissenschaften (falls man über- haupt deutsche philologie für eine wissenschaft gelten liefs) fanden in ihm einen unerwartet vordringenden, fruchtbaren vertreter, der sie als etwas gemeinsames und sogar nahverwandtes zu handhaben und auszusöhnen ver- stand. Beide weichen dem stof und der form nach beträchtlich von einan- der ab, jede fordert ihr eignes geräth und werkzeug, das unverworren und mit besondern kunstgriffen gebraucht sein will, in deren besitz sich Lach- mann vollständig gesetzt hatte; seine begeisterung waltete also nach jeder seite hin und seine ganze eigenheit wäre vernichtet, wollte man den von ihm in ununterbrochnem wechsel erlangten erfolgen hier oder dort abreifsen. Dies im allgemeinen vorausgesandt hoffe ich, dafs es mir nicht mis- lingen werde ihm auf seiner raschen laufbahn und in dem, was er sich er- rungen hat, behutsam nachzugehn, wobei ich doch nur meinen mafsstab anlegen kann; andere mögen ihn anders messen. Karl Lachmann war am 4 merz 1793 geboren und bald nachdem er dieses tages für ihn letzte wiederkehr schon halbbetäubt von der qual der krankheit erlebt hatte, führten die nahenden martiae idus auch sein ende heran. Wie ist unser leben kurz und wie schnell rinnt es dahin; wenig ge- rede auf Lachmann. 0019) lehrte dürfen sich rühmen 35 jahre hindurch in unausgesetzter arbeitsamkeit und nie nachlassender, immer aufwärts steigender kraft vorgetreten zu sein, noch eine kleinere zahl wirkt ein halbes jahrhundert hindurch, die es errei- chen, dafs ihr andenken ein paar Jahrhunderte dauere. Es ist schon vieles werth an einer stätte das licht der welt erblickt zu haben, wo gute sitte herkömmlich fortgepflanzt wird. Lachmanns geburts- ort war Braunschweig, eine stadt, die lange zeit her in ganz Norddeutsch- land ihren alten ruhm behauptet, die nicht wenig grofse männer in sich er- zeugt und genährt, fast immer einen freien sinn bewahrt hat. Wer in einer solchen jung erwächst, dem müssen wie von selbst, wenn er ihre strafsen durchwandelt, heilsame gedanken und entschlüsse aufsteigen. Noch höher anzuschlagen scheint es, dafs der mensch auch in einer grofsen zeit geboren sei, die gewaltiges ein und aus athme. jedwede zeit hat ihre tbaten und leiden, ihre vorkämpfer und zurückdränger; wer aber, edlen sinnes, in den jüngeren geschlechtern, denen ihre hofnungen für das grofse deutsche vaterland eine nach der andern gedämpft und genommen werden, dürfte sich messen mit dem aus lastender schwere des feindlichen drucks empor getragnen siegesfrohen und überseligen enthusiasmus der jahre 1813, 1814, 1815? j 'In des erstarkenden knaben schuljahre, in des jünglings erste studen- tenzeit muste noch geheimer groll über Deutschlands schmach, dann aber freudige ahnung fallen, dafs sich das blatt bald gewendet haben werde. Man denkt sich mit welchem jubel, in welcher gesinnung die endlich erschallende kunde der befreiung vernommen wurde, zu welchen eignen thaten sie er- munterte. Eben seine erste gelehrte arbeit entlassend trat Lachmann als freiwilliger in die reihen des feldzugs von 1815 und erwarb sich von nun an das recht ein Preufse zu heifsen und zu sein, wie er es bis an sein lebens- ende treu geblieben ist. seine die vorrede schliefsenden worte lauten mutig so: nec mihi otium suppetit, cui eo festinandum est, quo hoc tempore vi- ros omnes, quorum apta armis aetas est, pio ac forti animo properare decet. Seine das ganze leben hindurch auf die freiheit des vaterlands, des geistes und des glaubens gerichtete denkungsart bedürfen meiner anerken- nung und meines preises nicht. einige den meisten unbekannte zeugnisse dafür könnte ich geltend machen, wenn ich wollte oder das überhaupt hier passend wäre; denn ich gehe darauf aus seinen wissenschaftlichen character 4* (IV) Jacos GrImMS darzustellen, der freilich enge mit seinem öffentlichen und sittlichen leben zusammenhängt. - Lange, bis es nun zu spät war, hatte ich aufgespart ihm selbst nähe- res über seine Braunschweiger schulzeit abzufragen, und weifs blofs, dafs er unter dem tüchtigen Heusinger mit gründlichen philologischen kenntnis- sen ausgestattet, in ihnen frühe zu schalten begann und bald reif zur univer- sität entlassen werden konnte. Mir entgeht auch, ob er bereits daheim zur englischen sprache geleitet war, von der ein übergang, vielmehr rückumweg zu dem uns am nächsten liegenden studium der muttersprache manchen er- leichtert wird, weil sie starke anklänge an unser alterthum bewahrt, die uns selbst heute verklungen sind. auch die italienische mufs er frühe genau ge- trieben haben, wie ich aus seiner späteren belesenheit in ihr, und nach ih- rem metrischen gehalt, der ihm zusagte, schliefse. Öfter als anderswo mochte in Braunschweig die rede auf Lessing gefallen und die erinnerung an ihn lebendig gewesen sein, dessen werke einmal würdig herauszugeben Lachmann bestimmt war. Zu Göttingen, wo er anfangs theologie studieren wollte und studierte, von der aber schon viele ab zur reinen philologie verlockt worden sind, hörte er eifrig bei Heyne und Dissen; unter aufstrebenden jJünglingen verkeh- rend mit Lücke, Bunsen und Ernst Schulze, dem dichter der jetzt beinahe vergessenen bezauberten rose, an welcher ihm der leichifliefsende versbau sehr behagte. Hervor zu heben ist aber der nachhaltige eindruck, den ein andrer nur in engerem kreise erkannter lehrer dort auf ihn machte. Benecke, überhaupt der erste, der auf unsern universitäten eine grammatische kennt- nis altdeutscher sprache weckte, war es, der in Lachmann den hernach zu lichter flamme aufschlagenden funken deutscher philologie zündete, und mit wahrer frömmigkeit hieng er seinem lehrer, den er bald überragte, fortwäh- rend an, wie es die widmung der auswahl und die vorrede zur zweiten ausgabe des Iwein schön kund thun; selbst von Beneckes halbenglischer stolzer sprö- digkeit schien etwas auf ihn übergegangen. Für den lehrer wie den schüler erläutert aber jener fremdherschaft bleierner druck die trostreiche zuflucht zu den vergrabnen schätzen heimischer sprache und dichtung, aus denen fühlbare frische anwehte und etwas, das in der classischen, wenn auch über- legnen literatur nicht aufgieng, jedenfalls eine angestrengter forschung werthe und bedürftige uns vom eiguen vaterlande selbst dargereichte gabe. ver- rede auf Lachmann. (V) gleichen wir die deutsche literatur einem kleinen ort, der nur zwei enge aus- gänge hat, die classische einer grolsen stadt, von der sich aus zehn präch- tigen thoren nach allen seiten vordringen läfst; über ein gewisses ziel fort wird in die kunstreich gelegte heerstrafse der schmale steig einlaufen und dann von beiden aus der menschliche geist in gleich ungemessene weite ge- führt werden. Ein paar altdeutsche bücher mag Lachmann schon auf französischen boden mitgenommen haben, um sich die langeweile des bivouacs zu’ ver- treiben. Unterdessen aber war das werk, aus dessen vorrede vorhin eine stelle gehoben wurde, erschienen und muste die augen aller philologen von fach auf sich ziehen, weil es, neben einigem unhaltbaren und wieder fahren zu lassenden, die fülle glücklicher emendationen gewährte und einen schwie- rigen text so behandelte, wie es nur auf echt critischer grundlage möglich war. Mit grofsem geschick, das ihn auch nachher nie verliefs, hatte der einundzwanzigjährige jüngling sich gerade auf den schönsten theil der gan- zen lateinischen poesie, auf die elegischen dichter geworfen, und unter ihnen Properz, den geistigsten derselben, und dem am schlimmsten mitgespielt worden war, zuerst auserlesen. Dreizehn jahr später folgten, zwar schon mit gröfserer gewandtheit aber nach gleich scharfer critik der liebliche Ti- bull, der kräftig ausgelassene Catull. Diese bahn war gebrochen und des herausgebers verfahren hatte sich in der zwischenzeit auch an einigen der wichtigsten altdeutschen dichtungen bewährt, es war ihm völlig zu fleisch und blut geworden; ich will mich bestreben die art und weise seiner critik und worauf sie wesentlich beruhte, darzulegen. Seine zahlreichen schriften der reihe nach zu nennen kann ich dabei überhoben sein, da dies schon von andern umsichtig geschieht oder geschehen ist, und werde mich blofs auf diejenigen darunter beziehen, die jedesmal in meiner betrachtung hervor- stechen. Sie hat es auch nicht mit seinen lebensverhältnissen zu thun, und wie schon vorhin unerwähnt blieb, dafs er ein oder zwei semester in Berlin studierte, brauche ich mich nicht näher darauf einzulassen, dafs er zuerst eine gymnasiallehrerstelle bekleidete, dann zu Königsberg als pro- fessor auftrat und von da nach Berlin gerufen wurde, wo nun auch unsere akademie sich seiner bemächtigen konnte. Mich beschäftigt sein innerer gang, den allerdings diese äufseren lagen seines lebens vielfach begünstigten. (vD Jacos Grimms Man kann alle philologen, die es zu etwas gebracht haben, in solche theilen, welche die worte um der sachen, oder die sachen um der worte willen treiben. Lachmann gehörte unverkennbar zu den letztern und ich übersehe nicht die grofsen vortheile seines standpuncts, wenn ich umgedreht mich lieber zu den ersteren halte. denn jeder wird eingeständig sein, dafs g zusam- 3 menhange und auf allen fall der eines grofsen theils ihres wahren gehalts die form mit dem wesen einer schrift und gar eines gedichts inni sicher habhaft werde, dem es in diese form einzudringen gelungen sei, wäh- rend rücksicht auf die sache selbst von der eigenheit einzelner werke abzu- sehn und bienenartig auf den honig bedacht zu sein pflegt, der aus mehrern zusammen gesogen werden soll. Nicht dafs es Lachmann an manigfaltigster sachkentnis irgend abgieng, deren sein aufserordentliches gedächtnis stets für ihn eine menge bereit hielt und die ihm bei ausgedehnter belesenheit täglich anwuchs; allein seit er seinen wahren, eigentlichen beruf erkannte (und das muls bereits frühe eingetreten sein), haftete bewust oder unbewust seine theilnahme an den sachen nur insofern er daraus regeln und neue griffe für die behandlung seiner texte schöpfen konnte: das übrige blieb als stö- rend und aufhaltend ihm zur seite liegen. Da nun diese richtung seines gei- stes, durch ihre eignen erfolge gestärkt, allmälich zunahm, musten andere arbeiten oder thätigkeiten, jemehr sie von ihr abstanden, für ihn gleichgül- tiger und unerfreuender werden. Von Beneke hörte ich zu Göttingen einige- mal behaupten, ein bibliothecar (und er selbst war ein vortreflicher) gehe verloren, sobald sich in ihm ausschliefsliche neigung für bestimmte fächer der wissenschaften erzeuge; in solchem sinn liefse sich von strengen philo- logen sagen, dafs sie alle aufmerksamkeit auf den reinen text kehrend, ihren geschmack dafür an sacherklärungen gleichsam sich zu verderben scheuen. pflicht ist ihnen das gesicherte wort aufzustellen, liege nun darin, gehe dar- aus hervor was da wolle. Laut und beifallswerth hat sich auch Lachmann darüber ausgespro- chen, dafs die doctrin in der philologie wie in andern wissenschaften scha- den anrichte, wenn sie immer vor der zeit fertig machen wolle und gerade nur so viel wahre und falsche grundsätze untereinander entfalte, als sie aus- zusinnen und zu verarbeiten ertrage, da doch die unerschöpften quellen eine überströmende ausbeute gewähren, deren man sich vor allem bemächtigen mufs, ohne gleich auf alle fragen zu antworten, ohne jede daraus entsprin- rede auf Lachmann. (VII gende schwierigkeit zu beseitigen. Die erwartung ist höher gespannt, der gewinn unabsehbar, wenn das forschen, auf die urkunde des textes gerichtet, langsam und sicher vorschreitet, wenn der text fortwährend mehr gilt, als was oft nur winziges an ihm geschehn kann. Dem autor, welchen Lach- mann studierte, wollte er nichts hinzubringen, sondern alles aus ihm lernen, nicht flach mit ihm experimentieren, aber seine echte gestalt von dem schmutz und verderbnis, die sich daran gesetzt hatten, reinigen. Weitge- hende combinationsgabe war ihm entweder unverliehen, oder er übte sie nicht und verschmähte sie widerwillig, weil ihm alles ungenaue und halbe fruchtlos schien und vergeblich. Selbst grammatische entdeckungen und erörterungen, welchen er an- sah, dafs sie in seine texteritik nicht einschlagen würden, berührten ihn fast nicht mehr. Der vergleichenden sprachwissenschaft hat er sich eher abhold als hold erzeigt, weil ihre ergebnisse ihm zu fern, d.h. ferner giengen als ein herausgeber elassischer werke sie zu wissen nöthig hat. er schriti nicht gern über den kreis der deutschen, lateinischen und griechischen sprache, die ihm genau bekannt waren und immer vertrauter wurden. um der wörter letzte gründe war er unbekümmert, nur nicht um ihre bestimmte gestalt, kraft und wirkung für die zeit der behandelten quelle, die er mit dem sel- tensten talent und der glücklichsten kühnheit erspähte: wo drei oder vier um die rechte lesart verlegen waren, fand er sie auf der stelle und hat un- zähligemal immer den nagel auf den kopf getroffen. Unter den texten waren ihm am liebsten die schwersten und die dem eritiker die vielseitigsten handhaben darböten. zwar fesselten ihn auch pro- sadenkmäler, deren text grofsen und eigenthümlichen, von ihm mutig über- wundnen hindernissen unterliegt, wie des N. T., wofür ihn ohne zweifel Schleiermacher gewonnen hatte, oder die wiederholte durchsicht des Gajus, erimensoren oft unheilbare ver- worrenheit. Seiner ganzen natur am ntiern zusagend waren aber gedichte und eben die metrik in ihrer tiefe und höhe zu erforschen ihm das angele- genste. Auch die prosa hat ihre gesetze, der allgemeine sprachgebrauch und umgedreht die an sich unberechenbare eigenheit eines jeden einzelnen schrift- stellers lassen der critik weiten spielraum; in der poesie aber wird die na- turgabe oder nachlässigkeit eines verfassers noch durch waltende metrische den vieler augen nicht fertig lasen, und der a VI) Jacos Grimms regeln gezügelt, an denen seine arbeit geprüft, nach denen sie gereinigt werden kann. Hatte Lachmann bei einem autor, was überall das erste ist, die ge- schlechter der handschriften, die einzelnen abschreiber und ihre weise er- mittelt; so unterliefs er nicht eine etwa noch unbekannte zerlegung des gan- zen werks in bücher oder abschnitte an den tag zu bringen und dann deren zu verschiedner zeit erfolgten ursprung zu bestimmen. Hierzu muste ihn die beschäftigung mit den Iyrischen und elegischen gedichten der Griechen und Römer, die begreiflich nicht chronologisch geordnet und der interpola- tion am leichtesten ausgesetzt sind, unmittelbar führen; schwieriger macht sich die annahme, dafs ein erzählendes gedicht seinen eignen flufs unterbro- 5 chen habe und erst in der mitte oder gar am schweif auszuarbeiten begon- 5 nen, ihm zuletzt der kopf angehängt worden sei. Doch ist nicht unwahr- scheinlich, dafs der prolog zu Hartmanns Iwein (wie wir noch heute die vorrede eines buchs zuletzt schreiben) erst nach vollendung des ganzen zugefügt wurde, und ob auch andere einzelne theile dieses werks zu ver- schiedner zeit gedichtet seien? fragte Lachmann, ohne es nachzuweisen. des ‚ Parzival sechzehn bücher, die neun des Wilhelm scheinen auf natürliche weise ganz nach einander abgefafst, eine stufenmäfsige zeit der abfassung liefs bei mehrern des Parzival sich deutlich aufzeigen. Auch für Otfrieds werk scheint ihm ein beweis gelungen, dafs zuerst das erste, dann das fünfte buch, zuletzt die mittleren theile gedichtet sind, und es wird auf einen anfangs nachlässigen, hernach fortschreitenden versbau geschlossen. Das sorgfältigste und feinste studium des verschiednen versbaus trat nun ein, und im alterthum der hochdeutschen dichtkunst waren noch nach- wirkungen der quantität auf den herschenden grundsatz der betonung zu spüren, welcher in zwei akademischen abhandlungen über das Hildebrands- lied und althochdeutsche betonung lichtvoll und eindringlich erläutert wurde, wogegen die mittelhochdeutsche theorie der hebungen im commentar zu dem Iwein und den Nibelungen, etwas schwierig und allzu gedrungen, sich erörtert fand. Nächst der mittelhochdeutschen hatte Lachmann vorzugs- weise die ihm zumal wollautende althochdeutsche sprache angebaut, der älteren und formgewaltigeren gothischen sich minder zugewandt, weil in ihr keine verse vorhanden, also für sie nur prosodische, keine metrische regeln zu gewinnen sind, wenigstens weils ich mir seine mehrmals vorblickende rede auf Lachmann. (IX) abneigung die überlegenheit der gothischen formen anzuerkennen nicht an- ders auszulegen. Der mittelhochdeutsche versbau wird aber auch noch durch die reinheit des reims gestützt, welchen Lachmann bei jedem genauer behandelten dichter in fleifsigen registern sammelte und zu triftigen schlüs- sen nutzte. Man kann sich denken, dafs das princip des meistersangs in den strophischen gedichten, hauptsächlich den Iyrischen liedern und leichen, aber auch der strophenbau in den Nibelungen, Gudrun, Titurel und sonst seinen studien bedeutsame haltpuncte gewährten. Doch hieran genügte ihm noch nicht. verse und strophen hinterlas- sen auf den hörer und beim vortrag im geleite von musik oder gesang deut- lich empfundnen eindruck. Seiner aufmerksamkeit entschlüpften aufserdem andere mehr äufserliche und bisher unbemerkt gebliebne zahlenverhältnisse nicht, nach welchen ganze gedichte in bestimmte, dem ohr unfühlbare glie- der oder ketten, wenn dieser ausdruck passend ist, aufgiengen. Auch hier- bei hatte ihn wol zuerst eine in der griechischen dichtkunst gemachte wahr- nehmung geleitet. In zwein seiner frühsten abhandlungen zerlegte er sinnreich und gelehrt erst die melischen, hernach sogar die scenischen ge- dichte der Griechen in heptaden, ich glaube ohne sich den allgemeinen bei- fall der classischen philologen zu erringen. Mit gröfserem glück wandte er nun eine ähnliche entdeckung auf unsre mhd. gedichte an, indem er Wolf- rams beide gröfseren werke in glieder von dreifsig zeilen sonderte, bald auch den Iwein in dreifsige, die Nibelungen und die klage hingegen in acht- undzwanzige, folglich auch in heptaden, so dafs die vierzeilige strophe sie- benmal sich wiederholte. mich verwundert zu sehn, dafs in der dritten ausgabe, deren erscheinen um ein paar wochen Lachmann nicht mehr er- lebte, die klage nunmehr nach dreifsigen, statt vorher nach achtundzwan- zigen zertheilt ist. Nicht zu leugnen steht, die dreifsige empfangen durch das erste und letzte glied im Iwein, noch mehr durch die verzeichnisse der edelsteine und ritter im Parzival 791. 770. 772, des schlusses 827 und durch manches an- dere hier zu übergehende festen halt, und man kann nicht umhin anzuneh- men, dafs beim hersagen und aufzeichnen längerer gedichte auf solche die poesie selbst unberührt lassende gliederungen irgend ein uns noch nicht hinlänglich aufgeklärtes gewicht fiel, folglich die texteritik ihr augenmerk dahin zu richten befugt ist. Gleichwol scheint es dabei nicht ohne gefahr 9 - (&) Jacos Gkımms abzugehn, und nicht unmöglich dem text eine solche unbeabsichtigte ein- theilung gleichsam aufzudrängen. dividiere man mit dreifsig in die zahl aller verse eines gedichts, was übrig bleibend widerstrebt, läfst durch ausschei- den oder zuthun einzelner zeilen sich schon vereinbaren. Aufser allen diesen vielfachen mitteln, aus der form athetesen zu ge- winnen, verderbte wörter und verse zu heilen, ja sich ganzer und unbe- holfner zu entledigen, gibt es aber für das epos insonderheit noch einen weitführenden weg der herstellung aus seinem inhalt selbst und aus der eig- nen art und weise seines ursprungs. Da nemlich die epische poesie nicht gleich aller übrigen von einzelnen und namhaften dichtern hervorgegangen, vielmehr unter dem volk selbst, im munde des volks, wie man das nun näher fasse, entsprossen und lange zeiten fortgetragen worden ist; so darf von vorn herein aufgestellt werden, dafs sie wechselnden veränderungen, zusätzen sowol als abkürzungen in ganz andrer weise ausgesetzt gewesen sein müsse, als was man kunstpoesie zu nennen berechtigt ist, und grofsen reiz wird es haben, durch ausscheidung der entstellenden zuthaten ihrer echten oder echteren gestalt wieder auf die spur zu geraten; wie man andere gedichte oft schon einem bach, einem strom verglichen hat, das epos ist ein wogendes meer, das sich an den kü- sten bricht und bald hier bald dort schöner spiegelt. Schon frühe, fast bei seinem ersten auftreten, hatte Lachmann, dem Wolfs prolegomena lebhaft in gedanken standen, sich überzeugt, dafs die ansicht vom homerischen epos volle ja ausgedehntere anwendung auf unsere Nibelungen leide, und in einer kleinen, seinem Properz auf dem fufse ge- folgten unvergefslichen schrift eine reihe wol überlegter, eindringender, hernach unablässig fortgeführter untersuchungen über diesen gegenstand er- öfnet. Es begann dadurch ungeahntes licht auf die ältesten verhältnisse unsrer poesie zu fallen, und im engsten band philologischer und sächlicher hier zusammenzielender aufschlüsse in seinen ausgaben des Nibelungenlieds und reichen hinzugetretnen anmerkungen wurde fruchtbar, meistentheils überzeugend erörtert, wie viel der epischen urgestalt von ihr fremdartigen zusätzen zugetreten oder durch abbruch benommen worden sei. Fester ge- wachsen in diesen blendenden ergebnissen kehrte Lachmann hernach auch sich wieder zu den Griechen und unterzog, vor den augen unsrer akademie, rede auf Lachmann. (XI) die Ilias einer neuen, ungleich weiter als Wolf beabsichtigte, vorrückenden prüfung. Unter den für beiderlei epos reich aufgethanen beweisen sind einzelne schlagend und unwiderlegbar, andere verfehlen nicht des eindrucks. Nur hat es schon an sich etwas grausames, den gedichten so ansehnliche in den handschriften gegebne stücke abzustreiten, und schwer hält es epische schich- ten, die alle berechtigt sein können, von kunstfertigeren einschiebseln zu unterscheiden, wie sie auch in den erzählenden werken höfischer dichter be- gegnen. Aus der masse des epos flossen, ich sage lieber tropften auch, wie wir wissen, kleinere volkslieder ab, doch der knappe romanzenstil war seiner alten, mehr umfassenden behaglichen breite fremd und zwischen den critisch neu zerlegten gesängen und solchen wilderen oftungeschlachten romanzen wal- tet fühlbarer unserschied. Diese critik ist immer raubend und tilgend, nicht verleihend, sie kann die interpolationen fort, das weggefallene echte nim- mer herbei schaffen. Hauptsächlich aber mufs ich das wider sie einwenden, dafs mit unrecht von einer zu grofsen vollkommenheit des ursprünglichen epos ausgegangen werde, die wahrscheinlich nie vorhanden war, und in ihm alle flecken zu tilgen, alle wirklichen oder scheinbaren widersprüche aus ihm zu entfernen seien. Gleich anderm dem edelsten menschenwerk wird auch die epische dichtung ihre mängel an sich tragen und bei der gewaltigen wirkung, die sie im ganzen erzeugt, um einige unebenheiten, die sich in ihr eingefunden haben, unbekümmert sein dürfen. Wie keine völlig gleich- mäfsig gebildete sprache je erscheint, alles licht der abschattungen bedarf, macht ein homerisches schlummern oft gefälligeren eindruck als ihn der dichtkunst stets wach erhaltnes feuer hervor brächte. Wer wollte den hel- den vor Troja alle kampfestage, der Kriemhild ihre Jahre ängstlich nachrech- nen? Man läuft gefahr durch eritisches ausscheiden, das gar kein ende hat, auf der einen seite zu zerreifsen was auf der andern verbunden wurde; warum soll es hier nicht gesagt werden? aus Lachmanns zwanzig liedern ist in der that eine anzahl schöner, ergreifender und kaum zu missender strophen weg- gefallen, wie ich auch der Ilias nicht alles nehmen lassen möchte was er ihr abspricht. Was ich ihm selbst unverholen liefs, von seinem standpunct, auf den viele sich entschieden stellen, bin, je länger ich nachsann, ich meinerseits abgekommen und gedenke diesen gegenstand, welchen angefacht und ins licht gesetzt zu haben sein verdienst bleiben wird, einmal ausführlich zu erörtern. 92 (XI) Jacos Grımms Ich kann aus der angegebnen ursache den höhepunct seiner auf alt- deutsche dichtungen gewandten critik nicht in den Nibelungen, vielmehr nur in der kostbaren ausgabe von Wolframs werken erblicken, die keiner vor ihm so befriedigend zu stande gebracht hätte, ihm sobald keiner nachthun würde. er wählte sich aus innerm trieb den an gedanken und gemüt reichsten dichter unsrer vorzeit und hat dessen tiefbegründeten abstand von Gotfried von Strafsburg, welchen abstand wir zwar mehr in der bekannten stelle die- ses, als in einer uns erhaltnen Wolframs selbst ausdrücklich anerkannt fin- den, gewissermafsen wieder aufgenommen. Was anmut, was lebendigen, weichen flufs der innigsten poesie angeht, steht Gotfrieds Tristan gewis hö- her, als Wolframs dunkler, schwerer Parzival, dessen inhalt auch lange nicht so lockt und fesselt, wie im Tristan; allein Lachmannen widerte schon die unsittlichkeit der auf ehbruch und fälschung eines gottesurteils mitgegrün- deten fabel an, so wenig der lieblichen und aus dem menschenherz strömen- den dichtung die beschönigenden vorwände fehlen. Der sprachgewandte Wolfram war aber auch werth, dafs gerade an ihm Lachmann die meister- schaft seiner durchdringenden sprachkentnis bewährte; mit welchem tact er in zahllosen fällen aus allen lesarten immer die richtige, gesunde herausge- funden hat, verdient bewunderung, er liefs damit alles, was für die heraus- gabe irgend eines altdeutschen gedichts bis dahin geleistet war, weit hinter sich, und sein ganzer feinhöriger text ist ein unerreichbares muster geworden für alle die an so schweres ihre mühe ansetzen wollen. Nach solchen lang- sam aber in jedem schritt sicheren arbeiten stob ihm die critik des Iwein, des Gregor und anderes leicht von der hand. Aus denselben gründen zaudere ich nicht auch sein allerletztes werk, seinen Lucrez als ein gelungnes meisterstück zu preisen, obgleich auf alt- römischem felde ich mir kein gleich sichres urtheil anmafse, aber auch der unkundigere findet sich schnell davon überzeugt. Dieser dichter war wieder seiner ganzen art und weise nicht minder angemessen als Wolfram, den ich doch an poetischer gabe höher stelle, insoweit beide überhaupt sich einan- der nur vergleichen lassen. Lucrez hatte die weihe edler, strenger gedan- kenfülle empfangen, zuweilen erweicht er sich, und dann fliefsen ihm an- mutige verse, überall aber läfst er unmittelbar dahinter andere folgen, die in ihrer wendung wie im ausdruck baare prosa sind. Ich wenigstens kann dem von Lachmann hart angefahrnen ausspruche Bergks beistimmen, der rede auf Lachmann. (XIN) den Lucrez ingenio maximum, arte rudem genannt hat, nur mufs bei der kunst man nicht sowol seinen strengen und gebildeten versbau, als den ein- klang des ganzen gedichts im auge haben, der bei Virgil, Horaz, ja bei den elegikern vorhanden ist und anzieht, ihm aber abgeht. Es war doch kein guter plan Epikurs system der physik, wenn auch geistig erfafst, und stellen anderer griechischer schriftsteller schritt vor schritt in verse überzuführen, be) so dals die einzelnen materien, zwar warm überdacht und wiedergegeben, nur an einander gereiht erscheinen, nicht zu einem gewaltigen ziele führen. Wie viel lebendiger und geschickter hat Virgils gedicht vom landbau lebhafte gegenstände behandelt. ich habe wol mit Lachmann darum gestritten und ihm mein geständnis abgelegt, dafs einzelne zeilen bei Lucrez mich gemah- nen wie verse lateinischer dichter des mittelalters, abgesehn von ihrer grö- fseren metrischen vollendung. das sei stil der alten kunst, meinte er. gut denn, dafs Virgil und Horaz, in deren keinem ich doch ein höchstes ideal der poesie anerkenne, dieser kunst ein ende gemacht haben. Lachmanns verdienst um die herstellung der lucrezischen schreib und ausdrucksweise kann nicht genug gepriesen werden, der lateinischen grammatik ist damit nach allen seiten vorschub geschehn; auf den gewinn, der für die philoso- phische betrachtung aus dieser rerum natura zu ziehen ist, liefs er seinerseits sich nicht ein. Völlig aber, scheint mir doch, gehn des Lucrez archaismen nicht auf in dem alten kunststil, da der ältere Ennius sich schon freier be- wegte, Plautus überall dichterischer, dem auch unmittelbar die Griechen vorlagen und der doch nicht so über die patrii sermonis egestas klagte. im ganzen Lucrez wüste ich nichts so poetisches, wie zum beispiel der einzige prolog des plautinischen rudens ist. Ich redete zu lange über Lucretius und darf nicht von seinem her- ausgeber ablenken. Wie es bilder gibt, in die sich die maler getheilt haben, so dafs einer die landschaft, der andere die figuren lieferte; so liebte Lach- mann es gemeinschaftlich mit andern arbeiten zu unternehmen, denn es ge- lang ihm dadurch sich streng auf die herstellung des textes zu wenden, dem freunde das übrige zu lassen. Wer sonst über einem geliebten, langerwog- nen autor waltet, den würde fremder antheil an der ausarbeitung eher stö- ren: ihm war höchst willkommen, was er für sich schon bei seite gelegt hätte, nun von andern händen ausg 8 dern angelegten werk daraus vorweg was ihm behagte an sich zu ziehen. So erichtet zu sehn, oder auch bei einem von an- (XIV) Jacos Gkımms hat er im verein mit Buttmann (dem sohn) das neue testament, mit Rudorff die agrimensoren herausgegeben, und nach Göschen sich auch des vielbehan- delten Gajus unterzogen. An seinem Babrius nahmen Meineke und Bekker theil, am Lichtenstein Karajan, Iwein war von ihm zusammen mit Benecke be- arbeitet worden, nur zufällig entrathen seine Nibelungen freundes hilfe, weil dieser das schon auf dem titel enthaltene wörterbuch nicht lieferte. auch Lu- crez hätte von dem sächlichen commentar, Parzival vom glossar eines andern begleitet sein können. Wiederholentlich bekannte er mir seine unfähigkeit zu lexicalischen arbeiten. das war keiner art säumnis oder trägheit, o nein, ihm lagen zu jedem altdeutschen dichter den er vornahm bald die mühsam- sten reimregister zur hand und von jedem wort, das er setzte, hätte er re- chenschaft geben können. seiner natur widerstritt aber einen ganzen vorrat von wörtern gleichmäfsig zu behandeln, über deren einzelne die gewisseste, über andere nur ungenügende auskunft zu ertheilen er vermochte. Seine schreibart in beiden sprachen war streng und sauber, mitunter dünkt mich ungeschmeidig, im latein störte er ohne noth, nie ohne grund durch einige abweichende orthographien; am deutschen, wo alle schreibung schmachvoll im argen liegt, durfte das nicht stören, dennoch enthielt er hier sich mehr der neuerung, vielleicht um nicht nachzuahmen. Was aber in seiner darstellung selbst wichtiger ist, er liefs gern hauptsachen an neben- stellen erscheinen und liebte es, gleichsam neckisch, einen theil des entdeck- ten zu bergen und zurück zubehalten, den wer ihm zu folgen verstand erra- ten und ergänzen muste. das hat der wirksamkeit seiner schriften, die es wahrlich keinem leicht machten, abbruch gethan. aufmerksame leser haben lieber dafs ihnen zu viel als zu wenig gesagt werde, da sie das überlaufende leicht abziehen, das verschwiegne schwer hinzusetzen können. Er hatte, meine ich, im deutschen stil wie in handhabung der dinge eine gewisse ähnlichkeit mit Johann Heinrich Voss, dessen ansicht ihm auch in manchem, mehr dem grad als dem endziel nach, unfern stand, mit dem er zugieich neben der classischen philologie die neigung zu Shakespeare und zum heimischen alterthum theilte, in welchem letztern erihn doch weit über- traf. auch Lessing hatte die ältere deutsche dichtung hervor gezogen ohne doch dafs er auf das beste schon gekommen wäre, und sein geistvolles vor- bild mufs auf Lachmann eingewirkt haben. unmittelbare muster, denen er glücklich nachstrebte, waren ihm, aufser Bentley, unter den zeitgenossen rede auf Lachmann. (XV) Gotfried Hermann und Lobeck; mit Buttmann (dem vater, dessen griechische grammatik er auch in den späteren ausgaben pflegte), mit Meineke und Bekker hielt er enge, aufgeweckte freundschaft. mächtigen einflufs auf ihn übten Niebuhr, zumal Schleiermacher, in dessen letzten lebensjahren er vertraut mit ihm gewesen sein mufs, mehrmals erzählte er mir bewegter als gewöhnlich von dem flatternden, weifsen haar, in dem Schleiermacher rüstig die Berliner strafsen durchschritten und wie ihn das gerührt habe: nun ruhen sie beide dicht nebeneinander. Was von Lachmanns eigner sinnesart, von seinem privatleben soll ich hier hervor heben? Wer ihn genauer nicht kannte, dem mochte er herb und verschlossen erscheinen oder abstofsend, er war mildherzig, weich und voll liebe. allen umgang, der seinem ernsten wissen nicht fruchten konnte, hielt er von sich, und schwer fiel es die einmal bei ihm verscherzte gute meinung herzustellen. an abgeneigtheiten gebrach es bei ihm nicht. wenn nach hochtrabenden worten seichtes oder abgethanes sich wollte heraus le- gen, pflegte ihm ein vorwurf der absurdität zu entfahren. Im vertrauten kreise konnte er sich frohster heiterkeit überlassen und machte einer falschen deutung seines namens dann die gröfste ehre; es ist ein zeichen guter men- schen herzinnig lachen zu können, oft, wenn er so in unhemmbarem schüt- tern sich ergofs, muste ich einer stelle seines Walthers gedenken, wo es heifst friundes lachen sol sin äne missetät, süeze als der äbentröt, der kündet lüter mare. Aus dem alten Göttingen her waren seinem unfehlbaren gedächtnis noch ganze stücke der vorträge einiger professoren gegenwärtig, die er in stimme und gebärde vortreflich nachzuahmen wuste, wie seiner laune eine auswahl kost- barer, auch wenn sie sich wiederholten, immer frisch bleibender anecdoten zu gebot stand. für geselligen umgang gemacht und gestimmt war er in meh- rern vereinen ein wolgelittener praeses. Allen seinen freunden getreu und redlich wuste er gegen sie von keinem rückhalt und theilte gern und gradaus sein wissen mit. an beifall karg trat er, wo ihm etwas überhaupt misfiel, in nebendingen spitz lobend oder tadelnd hervor, so dafs man dadurch weder verdrossen noch befriedigt werden konnte, sein volles zustimmen wog desto schwerer. Von eigensinn war er nicht frei, durch keine vorstellung konnte ich ihn bewegen das seine ausgaben der Nibelungen verunstaltende brechen der langzeilen aufzugeben: es lehrt nichts was man nicht schon von selbst (xVD Jacos Griımnms rede auf Lachmann. fühlte, und wer möchte im hexameter die caesur sichtbar hervorheben? Seine schüler, die sich in ihn fanden und die er mochte, werden seiner lieb- reichen lehre unvergessen sein. Dafs er unverheiratet geblieben war, wurde in seiner letzten schweren krankheit wehmütig empfunden, wo ihn keine weichen, sanften hände einer liebenden frau pflegen konnten, nicht einmal seine freunde ihm nahen durften, aufser dem von Leipzig herüber gefahrnen Moriz Haupt, der nacht und tag seiner bis ans ende wartete. Erst, solange das übel nichts schien als ein podagra, das öfter gekommen und gegangen war, hatte man geringe sorge, ich erlaubte mir sogar damals in unsern mo- natsberichten von dem podagra mythisch zu handeln, ihn damit, wenn ers läse, ein wenig zu erheitern. als aber die seuche sich in ihrer ganzen fein- desgestalt erzeigte, ward allgemeine schmerzliche theilnahme in der stadt um ihn, und nachdem er mutig eine fufsabnahme ausgehalten hatte, bewunde- rung rege. was konnte alles helfen? Der glückliche. Im letzten jahr, das er lebte, war sein neues testa- ment vollendet und die pracht seines Lucrezes aufgegangen, die dritte aus- gabe der Nibelungen bis zum titelblatt fertig gedruckt. auch Lucilius lag ausgearbeitet und kann in einigen wochen die presse verlassen. für den druck bereit steht eine samlung der ältesten minnesänger mit den schönsten text- reinigungen. Ein Otfried, wie ich höre, in gemeinschaft mit Haupt war vor- bedacht und man hätte nicht lange zu warten gebraucht, so giengs ihm von statten. den Titurel hatte er wol schon geraume zeit fahren lassen, den un- ternommenen Morolt nicht weit geführt. Noch manches andre willkommne und wünschenswerthe würde er zu tage gefördert haben, nichts, bin ich des glaubens, was seinen Wolfram und Lucrez in geschmack und zierde überholt hätte, seines ruhmes höchste staffel ist von ihm erklommen worden. er war zum herausgeber geboren, seines gleichen hat Deutschland in diesem jahr- hundert noch nicht gesehn. Den jubiläen, die das alter unserer gelehrten mit langerweile bedrohen, ist er noch grofsentheils entronnen. Den schlich- ten prunklosen mann mit blondem haar im blauen oberrock werden wir lange an unsrer tafel missen, wie schonend, wenn es hätte sein sollen, wäre auch der krückenträger an ihr gehegt und gehütet worden, der sich dann hätte an- gewöhnen müssen still zu sitzen, nicht hinter allen stülen herum zu wandeln. a — Gedächtnifsrede auf Berzelius, auswärtiges Mitglied der Akademie. H” HEINR. ROSE. mmnnnnnnnnNwwaN [Gehalten in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 3. Juli 1851.] An 7°" August des denkwürdigen Jahres 1848 starb zu Stockholm Ber- zelius nach langen und schmerzlichen Leiden, im fast vollendeten 69" Jahre seines Alters. Ausgezeichnete Männer, die während einer langen und thätigen wis- senschaftlichen Laufbahn sich eines grofsen Rufs erfreuten, können diesen durch ein verschiedenes Wirken erworben haben. Wenn ein Lehrer durch theoretischen und praktischen Unterricht, durch eine hinreifsende Gabe von überzeugender Beredsamkeit einen Kreis von Schülern heranzieht, welche er durch sein belebendes Beispiel für seine Lehre begeistert, oder wenn er durch ein aufserordentliches Talent der schriftlichen Darstellung die schwierigsten Theile der Wissenschaft dem wifsbegierigen Publieum zugänglich macht, oder wenn er endlich durch geistreiches Combiniren gefundener Thatsachen zu den fruchtbarsten Ideen anregt, so kann ein solcher mit dem günstigsten Erfolge wissenschaftlichen Sinn verbreiten, und auf das wohlthätigste wirken. Aber wenn man am Ende seines erfolgreichen Lebens untersucht, ob durch seinen Abgang eine we- sentliche Lücke entstanden sei, so wird man oft finden, dafs die Wissen- schaft im Ganzen denselben Umfang behalten haben würde, auch wenn er nicht in ihr gewirkt hätte. Er hat, wenn auch überaus segensreich, doch nur mittelbar für die Wissenschaft gelebt. Andere aber, von der Vorsehung besonders begabte Männer, mit dem Talent der Forschung im hohen Grade ausgerüstet, erspähen mit bewun- 3 (xvIm) H. Rose drungswürdigem Scharfsinn, wo die Wissenschaft durch das Experiment unterstützt werden mufs, und oft durch wenige scheinbar ganz einfache Ver- suche klären sie aufüberraschende Weise unsere Ansichten auf, stofsen lange angenommene Vorurtheile um, und bringen die Wissenschaft mit Riesen- schritten weiter. Es ist selten, dafs Männer der letzteren Art sich dann gleichsam herab- lassen, die Räume, die sie der Wissenschaft erobert, vollständig auszubauen. Sie begnügen sich meistentheils, durch ihre Entdeckungen gezeigt zu haben, wo ncoh die Wissenschaft im Einzelnen studirt werden mufs, und nachdem sie den Gang und die Methoden zur Ausfüllung der Lücken angegeben, über- lassen sie die eigentliche Arbeit anderen. Ein solcher Mann war wohl Humphry Davy. Wer wird nicht an- erkennen, dafs im Anfange unseres Jahrhunderts durch ihn, allein schon durch die Entdeckung der metallischen Natur der Alkalien, die chemische Wissenschaft einen aufserordentlichen Impuls erhalten hat. Aber so fleifsig und anhaltend er sich auch mehrere Jahre hindurch mit Versuchen beschäf- tigte, die mit seinen grofsen Entdeckungen zusammenhingen, Versuchen, durch welche ganz neue Ansichten sich entwickelten, und die viele Theile der Wissenschaft ganz aufserordentlich bereicherten, so konnte er doch das ganze Gebiet nicht vollständig bearbeiten. Er hatte, während seiner leider nicht lange dauernden Thätigkeit, von Entdeckungen zu Entdeckungen ei- lend, es verschmäht, sich um das Einzelne der Wissenschaft zu bekümmern, und als er versuchte, die chemischen Thatsachen zu einem Systeme zu ver- einigen, und ein Lehrbuch der Chemie zu bearbeiten, so stellte es sich doch bald heraus, dafs er diesem Unternehmen nicht vollständig gewachsen war, und von seinen „Elementen des chemischen Theils der Naturwissenschaft” ist nur die erste Abtheilung des ersten Bandes erschienen. Wenn aber ein Mann mit dem aufserordentlichsten Forschertalent ausgerüstet, alle Theile seiner Wissenschaft mit den wichtigsten Thatsachen bereichert, auf gleiche Weise in empirischen und in speculativen Forschun- gen sich auszeichnet, das Ganze mit philosophischem Geiste umfafst, zu- gleich lichtvoll das Einzelne systematisch ordnet, und in einem möglichst vollständigen und kritisch gesichteten Lehrgebäude der Welt vorlegt, und endlich auch einem wifsbegierigen Kreise von Schülern als praktischer und theoretischer Lehrer ein erhabenes Muster wird, so erfüllt ein solcher in Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XIX) seiner Wissenschaft die höchsten Anforderungen in einem Grade, dafs er noch in späten Zeiten als ein glänzendes Vorbild leuchten wird. Ein solcher Geist war Berzelius. Selten sind in einem Manne alle jene Eigenschaften in der gröfsten Vollkommenheit so wie bei ihm vereinigt gewesen. Keiner hat ihn, wenigstens in der chemischen Wissenschaft, darin übertroffen. Es sind nach Berzelius Tode, vorzüglich in Schweden, mehrere Lebensbeschreibungen von ihm erschienen. Aus allen erfährt man, wie er in seiner Kindheit und Jugend mit Sorgen und Dürftigkeit in hohem Grade zu kämpfen hatte, wie er aber alles Ungemach nach und nach überwand, und wie er, trotz der ungünstigsten äufsern Lage, sich Bahn brach und die Laufbahn betrat, die ihm vom Schicksal bestimmt war. In einer akademischen Gedächtnifsrede aber geziemt es sich vor allen Dingen die wissenschaftlichen Verdienste des verstorbenen Mitgliedes her- vorzuheben, und zu zeigen, wie sehr die Wissenschaft durch ihn erweitert worden, wie grols der Verlust ist, den sie durch seinen Tod erlitten hat. Es war grade im Anfange dieses Jahrhunderts, als Berzelius zuerst selbstständig als Forscher auftrat. Grade damals hatte Volta die nach-ihm benannte electrische Säule construirt, und ihre erstaunenswerthen Wirkungen beschäftigten die Naturforscher der damaligen Zeit in einem hoben Grade. Durch die unerwarteten chemischen Erscheinungen, welche durch die Säule hervorgebracht wurden, waren eben so sehr die Chemiker wie die Physiker angeregt worden, die Versuche mit jenem merkwürdigen Apparate zu ver- vielfältigen. Auch Berzelius erste veröffentlichte Arbeit war die über die Wirkung der electrischen Säule auf Salzauflösungen. Im Jahre 1803 er- schien in Gehlen’s Neuem allg. Journal der Chemie darüber eine wichtige Abhandlung gemeinschaftlich von ihm und von Hisinger. So mannigfaltig und im hohen Grade merkwürdig auch die Resultate waren, welche man bis dahin hinsichtlich der chemischen Zersetzungen durch die Voltaische Säule erhalten hatte, so konnten die Naturforscher doch nicht die Gesetze finden, denen dieselben unterworfen sind. Erst Berzelius fand den Faden, der durch das Labyrinth der verwickelten Erscheinungen sicher führte. Er zeigte, dafs die Stoffe, welche an den einem Pole frei werden, auch in an- derer Hinsicht eine gewisse Analogie haben, dafs zum negativen Pole alle verbrennlichen Körper, Alkalien, Erden, zum positiven hingegen Sauerstoff, Di (XX) H. Rose Säuren und die stark oxydirten Körper geführt werden. Was aber den be- wundrungswürdigen Tact von Berzelius beweist, war der Umstand, dafs er sich dadurch nicht irre machen liefs, dafs derselbe Stoff sich bald am po- sitiven, bald am negativen Pol zeigte, und namentlich bei der Zerlegung der Salpetersäure der Stickstoff am negativen, bei der Zerlegung des Ammoniaks hingegen am positiven Pol sich ansammelte. Es wurde ihm vielmehr schon damals klar, dafs die Gegensätze zwischen den Bestandtheilen einer chemi- schen Verbindung nur relativ sind, und dafs ein und derselbe Körper gegen einen andern basisch und gegen einen dritten gleichsam als eine Säure auf- treten könne. Drei Jahre später, als Berzelius diese wichtige Abhandlung bekannt gemacht hatte, im Jahre 1806, entwickelte Davy in einer sehr berühmt ge- wordenen Arbeit über einige chemische Wirkungen der Electrieität ähnliche Ansichten. Er dehnte die Versuche bedeutend weiter aus, stellte dieselben mit zum Theil sehr sinnreichen Apparaten an, wodurch es ihm gelang, viele irrige Ansichten, die sich damals über die Wirkungen der electrischen Säule verbreitet hatten, zu widerlegen; er setzte besonders die ganz eigenthüm- liche und merkwürdige Art der Überführung der Materien aus einem Gefäfs in das andere ins Klare; aber in seiner Abhandlung erwähnt er der Ansichten von Berzelius, die mit den seinigen übereinstimmten, gar nicht, und schon Pfaff, der die Davy’sche Abhandlung für das Gehlen’sche Journal bear- beitete, fand sich zu der Bemerkung veraulafst, dafs schon drei Jahre früher Berzelius und Hisinger fast alle die allgemeinen Grundsätze ausgespro- chen hätten, die Davy jetzt als ganz neu vortrage. Davy’s Abhandlung erhielt 1807 den vom Kaiser Napoleon gestifte- ten Preis von 3000 Francs für die beste im Verlauf jeden Jahres über das galvanische Fluidum gemachte Erfahrung. Der Verdienste von Berzelius und Hisinger wurde dabei nicht gedacht. Nachdem Davy im October 1807 die wichtige Entdeckung der me- tallischen Natur der Alkalien gemacht, und diese Entdeckung die Natur- forscher in hohem Grade aufgeregt hatte, beschäftigte sich auch Berzelius mit der Darstellung der alkalischen Metalle vermittelst der Voltaischen Säule. Er kam im Frühjahr 1808 gleichzeitig mit Seebeck, der damals in Jena lebte, auf den glücklichen Gedanken, bei der Zersetzung der Alkalien Queck- silber als negativen Pol anzuwenden, und auf dieses das befeuchtete Alkali Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXI) zu legen, welches dann mit dem positiven Leitungsdrahte berührt wurde. Berzelius stellte diese Versuche in Verbindung mit Pontin an. Es gelang ihnen auf diese Weise nicht nur mit Kalium und Natrium Amalgame zu er- zeugen, sondern auch mit Caleium und Baryum. Davy hatte vergeblich die Darstellung der Metalle der alkalischen Erden nach der Methode versucht, durch welche ihm die Darstellung der Metalle der feuerbeständigen Alka- lien geglückt war; er konnte Baryum, Strontium und Calcium nur aus den Amalgamen derselben erhalten, welche er nach der ihm von Berzelius mitgetheilten Methode bereitet hatte. Am überraschendsten waren aber die Resultate, als Berzelius Am- moniak durch die Voltaische Säule zerlegte, und ebenfalls Quecksilber als negativen Pol anwandte. Er erhielt das bekannte Ammoniumamalgam, über dessen Natur er schon damals richtige Ansichten äufserte. Er hatte zur Dar- stellung des Amalgams kaustische Ammoniakflüssigkeit angewandt; während Seebeck zu gleicher Zeit auf eine ganz ähnliche Weise das Amalgam aus dem befeuchteten kohlensauren Ammoniak darstellte. Auch Tromsdorf hatte in Verbindung mit Göttling ungefähr zu derselben Zeit als Seebeck, und ebenfalls in Jena, das Ammoniumamalgam aus dem kohlensauren Am- moniak erhalten. Während Berzelius so am Anfange seiner wissenschaftlichen Lauf- bahn sich eifrig mit Versuchen über die Voltaische Säule beschäftigte, wurde er auch zu einer Theorie dieser Säule geführt, die von der des berühmten Entdeckers derselben in etwas abwich. Volta hatte bei der Aufstellung sei- ner Theorie die chemische Thätigkeit der Säule nicht berücksichtigt, und diese nur als Wirkung, nicht als Ursach der Electrieitäts- Erzeugung ange- sehen. Berzelius als Chemiker stellte dagegen die Ansicht auf, dafs die Electrieität der Säule von der chemischen Einwirkung des feuchten Leiters auf das positive Metall herrühre. Diese chemische Theorie der Säule fand schnell grofsen Beifall und noch jetzt huldigen ihr bekanntlich ausgezeich- nete Naturforscher und selbst Fa raday. Berzelius selbst aber gieng vor- urtheilsfrei und aufrichtig zu der ursprünglichen Ansicht von Volta wieder über, nachdem er durch fortgesetzte eigne Versuche sich von der Richtig- keit derselben überzeugt zu haben glaubte. Er baute, lange vor der jetzt von Daniell und Grove eingeführten Einrichtung, eine Säule aus Zink, Kupfer und zweien Flüssigkeiten, die so construirt war, dafs das Zink von (XXI) H. Rose der Flüssigkeit, mit welcher es in Berührung kam, nicht angegriffen, das Kupfer aber von der andern lebhaft oxydirt werden mufste. Wäre nun die Oxydation eines der Metalle die Ursach der Electrieität gewesen, so würde das Kupfer positiv, und das Zink negativ geworden, und die Pole der Säule also umgekehrt worden sein. Ehe die Säule geschlossen war, wurde das Kupfer lebhaft oxydirt und aufgelöst; als aber die Pole verbunden wurden, hörte die Auflösung des Kupfers augenblicklich auf, und es wurde darauf das aufgelöste Kupfer metallisch auf das Kupfer wieder niedergeschlagen. Durch diesen Versuch wurde es Berzelius klar, dafs die chemische Thätig- keit nicht die Ursach der electrischen Erscheinungen sein konnte, denn der chemische Procefs hörte grade durch die Verbindung der Pole auf, und der electrische Strom ging in der Richtung, die aus dem Prineip der Contact- Electricität folgte. — Diese Versuche sind von Berzelius früher angestellt worden, als sehr viele Naturforscher der Theorie von der chemischen Ur- sach der Wirkungen der Säule zu huldigen anfıngen, und namentlich auch weit früher als Fechner durch sinnreiche Versuche die Richtigkeit der Contact- Theorie zu beweisen suchte. Aber es waren nicht die Versuche mit der Voltaischen Säule allein, oder auch nur vorzugsweise, die Berzelius beim Beginn seiner chemischen Laufbahn beschäftigten. Angeregt durch Hisinger, der eine besondere Vorliebe für den chemischen Theil der Mineralogie hatte, und dem als Geo- guosten und Mineralogen Schweden so viel verdankt, wandte sich Berze- lius frühzeitig zu der quantitativen Analyse der Mineralien. Er gestand in den späteren Jahren seines Lebens offenherzig, dafs er dies in der ersten Zeit, als das Gesetz der einfachen bestimmten Verhältnisse, in welchen sich alle Körper mit einander verbinden, noch nicht aufgestellt war, ohne beson- dere Neigung und nur Hisingers wegen gethan habe. Aber gleich das erste Resultat einer mit Hisinger gemeinschaftlich angestellten Arbeit dieser Art war ein sehr glänzendes; es war die Entdeckung eines neuen Metalls, des Ceriums, im Jahre 1803, welches sie in dem sogenannten Tungstein von Bast- näs bei Riddarhyttan in Westmanland fanden. Die Entdeckung eines neuen Metalls ist allerdings oft das Werk eines Zufalls. Aber nicht jeder Chemiker, auch wenn er vom Zufall sehr begün- stigt wird, ist im Stande, einen bei einer Untersuchung gefundenen Körper für einen neuen bisher unbekannten zu erkennen. Es gehört dazu eine so Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXIII) vollständige Kenntnifs der bekannten Körper, wie sie erst nach vielen flei- fsigen praktischen Arbeiten durch eine lange Erfahrung erworben werden kann. Daher werden neue elementare Körper nicht leicht durch junge, selbst nicht durch junge, sehr talentvolle Chemiker entdeckt. Die Entdeckung des Cers, welche Berzelius in einem Alter von 23 Jahren machte, zeigt daher von dem grofsen und seltenen richtigen Tacte, den er schon bei seinen ersten Arbeiten in hohem Grade entwickelte. Klaproth hatte zu gleicher Zeit wie Berzelius und Hisinger den Tungstein von Bastnäs einer Untersuchung unterworfen, und das darin mit Kieselsäure verbundene Oxyd für ein neues erklärt. Aber er verkannte die metallische Natur desselben, und hielt es, obgleich er es von rothgelber Farbe erhielt, für eine Erde, die er Ochroiterde nannte. Offenbar war die Untersuchung von Berzelius und Hisinger mit mehr Umsicht angestellt, als die von Klaproth. Denn es entging letzterem nicht nur die theilweise Auflöslichkeit des Oxyds in den Auflösungen kohlensaurer Alkalien, sondern er bemerkte selbst nicht die Chlorentwicklung bei der Behandlung des ge- glühten Oxyds mit Chlorwasserstoffsäure. Erst später als er seine Untersu- chungen über den Cerit zum zweiten Male im vierten Bande seiner Beiträge zur chemischen Kenntnifs der Mineralkörper, welcher aber erst 1807 er- schien, bekannt machte, erwähnt er der Entbindung von oxydirt salzsaurem Gase bei der Behandlung des geglühten Oxyds mit Salzsäure, ohne aber darauf ein Gewicht zu legen. Mit Recht legten dagegen Berzelius und Hi- singer dieser Erscheinung eine besondere Wichtigkeit bei, da sie unzwei- deutig auf zwei verschiedene Oxydationsstufen hinzeigt, was zu jener Zeit ein Hauptunterschied zwischen Metalloxyden und Erden, die man damals für einfache Körper hielt, sein mufste. Auch Gehlen hob dies schon da- mals in einer Anmerkung zu dem Aufsatze von Berzelius und Hisinger hervor. — Übrigens war es diesen geglückt, das Oxyd durch Hjelms Hülfe zu reduciren, und das Metall, wenn auch nicht im geschmolzenen Zustande, zu erhalten. Als später Berzelius die Atomgewichte fast sämmtlicher einfacher Körper durch eine lange Reihe von Versuchen zu bestimmen suchte, über- liefs er Hisinger die Atombestimmung des Cers, und er beschäftigte sich mit diesem Metall nicht näher. Aus diesem Grunde ist ihm wohl die Auf- (XXIV) H. Rose findung der Oxyde von zwei andern Metallen im Ceroxyd entgangen, die 36 Jahre nach der Entdeckung des Cers durch Mosander erfolgte. Aufser der Untersuchung des Cerits unternahm Berzelius damals die von andern, zum Theil neuen und interessanten Mineralien. Aber die Hauptbeschäftigung in dem ersten Abschnitt seiner wissenschaftlichen Thä- tigkeit war in einem ganz andern Felde der Chemie. Berzelius erste Stel- lung in der Welt, durch welche er, arm wie er war, seinen Uuterhalt sich erwerben mufste, war die eines Arztes. Er suchte nun natürlich vorzugs- ) weise eine solche ärztliche Beschäftigung, bei welcher gediegene chemische Kenntnisse unentbehrlich sind. So untersuchte er als Brunnenarzt mehrere natürliche Mineralwasser Schwedens, Untersuchungen, die wenn sie auch gezeichneten Ar- beit über das Carlsbader Wasser nachstehen, doch jedenfalls zu den besten seinen spätern ähnlichen Arbeiten und namentlich der aus ihrer Zeit gehören. Er gründete sogar darauf selbst eine Anstalt für künst- liche Mineralwasser in Stockholm. Ganz natürlich aber wurde er als Arzt auf das Studium der thierischen Chemie geleitet. Was er und zwar in einem kurzen Zeitraume, in diesem Zweige der Chemie geleistet, ist aufserordentlich, denn er brach gleichsam eine neue Bahn in diesem Theile der organischen Chemie. Vor Berzelius behandelte man allgemein die thierische Chemie fast blofs wie die der unorganischen Substanzen; man theilte die Bestandtheile des thierischen Körpers in gewisse Klassen und beschrieb sie blofs als Gegen- stände der chemischen Zerlegung, allenfalls mit einigen allgemeinen Bemer- kungen über ihre Function im thierischen Leben. Diese Behandlung ist in wissenschaftlicher Hinsicht durchaus ohne Werth. Berzelius strebte die anatomische Untersuchung mit der chemischen zur Verfolgung eines gemein- schaftlichen Zweckes zu verbinden, um auf diese Weise den Versuchen einen höheren wissenschaftlichen Zusammenhang zu geben, und den Chemiker auf physiologische Gesichtspunkte hinzuweisen. Er untersuchte auf diese Weise fast alle Theile des thierischen Kör- pers, die festen und die flüssigen, freilich nur in qualitativer Hinsicht, da man im Anfange dieses Jahrhunderts noch nicht entfernt Methoden der quan- titativen elementaren Analyse der organischen Substanzen kannte, welche erst später, besonders durch die Bemühungen von Berzelius selbst und dann vorzüglich durch die von Liebig zu einer grofsen Vollkommenheit ge- Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXV) bracht worden sind. Aber die damaligen Untersuchungen von Berzelius in der thierischen Chemie sind auch noch für die jetzige Zeit musterhafte, und bis jetzt nicht übertroffen. Es ist kaum glaublich, wie sehr die genauen Resul- tate seiner Untersuchungen der thierischen Substanzen von denen abwichen, die zu derselben Zeit von andern Chemikern angestellt worden sind, grade weil diese einseitig, und ohne einen höhern wissenschaftlichen Zweck unter- nommen waren. Fourcroy war zur damaligen Zeit aufser Berzelius fast der einzige Chemiker, der diese Untersuehungen vom physiologischen Stand- punkt aus anstellte, aber grade seine Resultate wichen am meisten von denen von Berzelius ab, da er aus zerstreuten, unsicheren, oberflächlichen und oft ganz unrichligen Beobachtungen allgemeine und weit ausgedehnte Schlüsse auf eine freilich sehr geistreiche Art zog, und durch seine anziehende Dar- stellung zu den gröfsten Irrthümern verleitete. Um hier Berzelius hohe to] Überlegenheit über Foureroy zu erkennen, braucht man nur etwa des letz- teren Untersuchung über das Blut, namentlich über die rothe Farbe dessel- ben, mit der, nur kurze Zeit darauf angestellten von Berzelius über den-, selben Gegenstand zu vergleichen. Berzelius hat seine Untersuchungen in der thierischen Chemie in der Form von Vorlesungen über Thier-Chemie bekannt gemacht, von denen der erste Theil 1806, der zweite 1808 erschien. Aufserdem sind die wichtigsten Untersuchungen einzelner thierischer Substanzen in den Afhandlingar i Fy- sik, Kemi och Mineralogi und in Gehlens Journal erschienen. Eine sehr geistreiche Zusammenstellung seiner Arbeiten im Felde der thierischen Che- mie verglichen mit dem, was vorher darüber bekannt war, hat Berzelius in einer Rede in der Stockholmer Akademie der Wissenschaften gegeben, als er die Präsidentschaft derselben niederlegte. Denn es ist dort Sitte, jähr- lich aus dem Schoofse der Akademie einen neuen Präsidenten zu wählen, welcher bei der Niederlegung seines Amtes einen wissenschaftlichen Vortrag halten mufs, der gedruckt wird. Es ist dies öfters das einzige Mittel, das man dort in seiner Gewalt hat, um Mitglieder zur Publication ihrer Arbeiten zu nölhigen. In die Zeit des ersten Abschnitts der wissenschaftlichen Thätigkeit von Berzelius fallen noch zwei Arbeiten, welche für die damalige Zeit von grofser Bedeutung waren. Es sind die über die Reduction der Kieselsäure und über die Zusammensetzung des Gufseisens. 4 (XXVD H. Rose Wenn es Berzelius geglückt war, die Metalle der alkalischen Erden vermittelst der Voltaischen Säule in Verbindung mit Quecksilber darzustel- len, so wollte es ihm dagegen nicht gelingen, auf eine ähnliche Weise das Radical der Kieselerde vom Sauerstoff zu trennen. Um sich nun aber den- noch zu überzeugen, dafs die Kieselerde den Erdarten ähnlich zusammen- gesetzt sei, stellte er eine Reihe von interessanten Versuchen an, um das Radical der Kieselsäure mit Metallen, namentlich mit Eisen zu verbinden. Es glückte ihm dies vollkommen, indem er Eisenfeile mit Kohle und Kiesel- erde mengte, und das Gemenge einem starken Gebläsefeuer aussetzte, wo- durch er Reguli erhielt, die neben Kiesel auch noch Kohle enthielten. Er fand nun, indem er die Menge des Eisens und der Kohle, die letztere frei- lich auf eine etwas unsichere Weise bestimmte, annähernd den Sauerstoff- gehalt der Kieselsäure. Es ist übrigens bemerkenswerth, was Berzelius am Ende seiner Abhandlung, die 1810 erschien, äufsert. Nachdem er seine vie- len Versuche über den Sauerstoffgehalt der Kieselsäure erwähnt, die durch- ‚aus nicht ganz übereinstimmende Resultate gegeben hatten, schliefst er näm- lich mit den Worten: „Ich halte es übrigens für gleichgültig, den procenti- schen Gehalt der Kieselerde an Sauerstoff oder an Radical ganz genau zu bestimmen, da ich für jetzt weder einen theoretischen noch einen prakti- schen Nutzen von dieser Genauigkeit einsehen kann.” Wenige Jahre später würde er sich nicht auf diese Weise geäufsert haben. Eine andere wichtige Arbeit für seine Zeit war die Untersuchung des Roheisens. Man hatte noch am Anfange dieses Jahrhunderts sonderbare Vor- stellungen von der Zusammensetzung desselben. Man glaubte, dafs Sauerstoff gemeinschaftlich mit Kohle im Eisen enthalten sei, und es wurde sogar eine Preisschrift gekrönt, welche den Sauerstoffgehalt im Roheisen mit Sicherheit erwiesen haben sollte. Vorzüglich gründete man diese Ansicht darauf, dafs durch Roheisen bei der Behandlung mit nicht oxydirenden Säuren weniger Wasser- stoffgas erhalten wurde, als durch ein gleiches Gewicht von weichem Eisen. Berzelius wies nach, dafs hierbei ein ölartiger Kohlenwasserstoff erzeugt würde, und zeigte mit der gröfsten Gewilsheit, dafs kein Sauerstoff im Roh- eisen vorhanden sein könne. Er bestimmte die Menge der Kohle, indem er sie in Kohlensäure verwandelte. In späterer Zeit suchte er die Kohle un- mittelbar zu bestimmen, indem er das Eisen durch Chlorsilber oder durch Kupferchlorid auflöste. Auf den Unterschied, der zwischen der chemisch Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXVID gebundenen und der mechanisch eingemengten Kohle oder dem Graphit statt findet, war man damals noch nicht aufmerksam geworden. Dies geschah erst später durch Karsten, der auch nachwies, dafs der Graphit nur aus Kohle besteht, und nicht Eisen enthält. — Bei Gelegenheit der Analyse des Roheisens machte Berzelius manche interessante Bemerkungen; so sah er sich unter andern veranlafst, zur Trennung des Eisenoxyds vom Mangan- oxydul und der Talkerde statt der von Gehlen empfohlenen Bernsteinsäure wegen ihrer zu grofsen Kostbarkeit die damals wohlfeilere Benzoesäure als Reagens vorzuschlagen. Er zeigte ferner, dafs bei Behandlung des Gufseisens mit Salpetersäure aus der Kohle desselben eine extractivstolfartige Materie erzeugt würde, die dem Extracte der Dammerde vollkommen ähnlich ist. Auch entdeckte er zufällig bei dieser Analyse das interessante Doppelsalz aus schwefelsaurem Eisenoxyd und schwefelsaurem Ammoniumoxyd, das er erst der Form wegen für Alaun hielt, in welchem er aber keine T'honerde fand, und dessen Zusammensetzung er qualitativ richtig bestimmte. Ermachte ferner darauf aufmerksam, dafs die Kieselerde, welche er nach der Auflö- sung des Eisens fand, nicht als solche, sondern als Kiesel im Roheisen ent- halten sei. So wichtige Aufschlüsse aber auch die Untersuchung über das Roheisen gegeben hatte, so war Berzelius doch mit dem Resultate nicht völlig zufrieden, da er seine Methoden, die Kohle und die Magnesia, deren Gegenwart er in der Auflösung des Roheisens nachwies, quantitativ zu be- stimmen, nicht für richtig halten konnte. Er gab deshalb auch seiner Unter- suchung den bescheidenen Titel: Versuche zur Analyse des Roheisens. Ich komme jetzt zu dem wichtigsten Abschnitte der wissenschaftlichen Thätigkeit von Berzelius. Seine bisherigen Leistungen verdankten mehr dem Zufall als einer leitenden Idee ihre Entstehung. Er war gewissermafsen durch ein wissenschaftliches Interesse der Zeit zu den galvanischen Unter- suchungen angeregt worden, durch den freundschaftlichen Umgang mit Hi- singer zu den chemisch -mineralogischen, und endlich durch seine Stellung als Arzt zu den thierisch-chemischen. Gegen Ende des ersten Decenniums dieses Jahrhunderts aber wurde er, vorzüglich durch die Arbeiten von Davy “auf die einfachen chemischen Verhältnisse geleitet, in denen die Körper sich vorzugsweise mit einander verbinden, und von dieser Zeit an wandte er alle seine Kräfte diesem Gegenstande zu. Die Thätigkeit, die er nun, geleitet von einer grolsen Idee, entwickelte, war in der That riesenhaft, denn schon A (XX VII) H. Rose nach wenigen Jahren stellte er, zur Verwunderung der Zeitgenossen, das Sy- stem der Proportionslebre fertig auf, ein Gebäude, an dem er dann auch während seines ganzen übrigen Lebens immer fort arbeitete, um es noch im Einzelnen zu vollenden und auszubessern. Man kann behaupten, dafs erst von dieser Zeit an die Chemie in Wahrheit zu den exacten Wissenschaften gerechnet werden konnte, denn aus einer Sammlung empirischer Wahrneh- mungen, der man bis dahin den Namen der Chemie beigelegt hatte, ent- wickelten sich jetzt erst die allgemeinen Gesetze heraus, denen die Körper bei ihrer chemischen Verbindung unterworfen sind. Berzelius ist nicht eigentlich der erste Entdecker der chemischen Proportionslehre. In den Naturwissenschaften sind überhaupt in den meisten Fällen die grofsen Gesetze nicht plötzlich von einem Forscher, sondern all- mälig aufgefunden worden. Und wenn auch bisweilen ein glücklicher Genius den Schleier der Natur plötzlich gelüftet hat, so sind vielleicht nicht selten die Entdecker selbst über die nur in trübem Dämmerlicht geschauten Ge- enen Ansichten d so wenig durch vielseitige Versuche und Proben überzeugt, oder auch wohl heimnisse zu sehr überrascht und von der Realität ihrer ei ihr Zeitalter noch nicht völlig reif gewesen, die Wahrheit dieser Entdeckun- gen zu begreifen, dafs bisweilen die einflufsreichsten Ideen für Jahrhunderte wieder verloren gegangen sind. . Schon im vorigen Jahrhundert machten die Chemiker, die sich mit den Erscheinungen der sogenannten chemischen Verwandtschaft beschäftig- ten, mehrere Beobachtungen, welche unwidersprechlich zeigten, dals eine strenge Gesetzmäfsigkeit bei der chemischen Verbindung der Körper statt finden müsse. Es waren dies namentlich Bergman in Schweden, Kirwan in Dublin, Wenzel in Dresden und besonders Richter in Berlin. Die bei- den letzteren hatten sogar schon den Schlufs gemacht, dafs, weil bei der Zer- setzung neutraler Salze wiederum neutrale Produkte erzeugt würden, die Säuren und die alkalischen Stoffe sich in bestimmten Verhältnissen verbin- den mülsten. Wenn man aber dieses geahnte Gesetz durch die Zusammensetzung der zersetzten Salze beweisen wollte, so glückten alle Beweise entweder gar nieht oder nur unvollkommen, was seinen Grund in den damals so unvoll- kommnen Methoden der Scheidung hatte, durch welche man unmöglich zu so genauen Analysen gelangen konnte, dafs die durch Berechnung erhalte- Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXIX) nen Resultate der Zersetzung zweier neutraler Salze mit der Erfahrung hät- ten übereinstimmen können. Die Aufmerksamkeit der Chemiker wurde auch von diesem Gegen- stande bald wieder abgelenkt, als in den Achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts die Theorien Lavoisiers der ganzen Wissenschaft eine neue Richtung gaben. Die Bekämpfung des Phlogistons und die Aufstellung des antiphlogistischen Systems nahmen alle denkenden Köpfe in Anspruch. Sie hatten nur Zeit sich mit den qualitativen Veränderungen zu beschäftigen, wel- che die Körper durch ihre gegenseitige Zersetzung erleiden. Auch mufste Lavoisiers Lehre erst vollständig den Sieg errungen haben, ehe die Lehre von den einfachen chemischen Verhältnissen zur vollen Anerkennung gelan- gen konnle. Dazu kam, dafs im Anfange des jetzigen Jahrhunderts einer der scharf- sinnigsten Chemiker seiner Zeit, Berthollet, eine Lehre entwickelte, die ganz mit der von den bestimmten einfachen chemischen Proportionen im Widerspruch zu sein schien. Berthollet suchte zu beweisen, dafs die Kör- per, welche zu einander Verwandtschaft zeigen, sich innerhalb eines gewis- sen Maximums und Minimums in allen Verhältnissen verbinden können, und dafs wenn dies in bestimmten Verhältnissen geschähe, es von besonderen Um- ständen abhinge, namentlich von der Krystallisationsfähigkeit, oder von der Cohäsion überhaupt, durch welche Verbindungen aus einer Auflösung sich als Niederschläge oder als Krystalle absondern könnten, oder von der Expan- sion, durch welche sie in den gasförmigen Zustand übergingen, und durch ihr Entweichen sich der Einwirkung flüssiger oder fester Körper entzögen. Das wichtigste der von Berthollet aufgestellten Gesetze war aber das der sogenannten chemischen Masse, nach welchem einem Körper, was ihm an Verwandtschaftskraft abgeht, durch Vergröfserung der Menge ersetzt wer- den kann; und unstreitig ist dieses letztere Gesetz, obgleich man es später mehr und mehr vergessen zu haben scheint, vollkommen richtig. Der erste von Berthollet aufgestellte Satz, dafs alle chemischen Verbindungen zwischen einem bestimmten Maximum und Minimum in un- bestimmten Proportionen möglich seien, wurde sogleich von Proust be- stritten, welcher durch viele scharfsinnige Versuche zu zeigen suchte, dals jede chemische Verbindung in einem bestimmten Verhältnisse geschehe, und (XXX) H. Rose dafs von dieser zur nächsten ein gewisser Sprung existire, innerhalb wel- cher die Natur keine Zwischengrade kenne. Berthollet’s Ansichten wurden zur damaligen Zeit durch die vielen unrichtigen Angaben, die man von der Zusammensetzung der wichtigsten Verbindungen hatte, scheinbar unterstützt. Auch die Versuche, welche er selbst anstellte, oder anstellen liefs, um die Behauptungen von Proust zu widerlegen, waren dazu lange nicht genau genug. Proust’s Versuche waren freilich meistentheils richtiger, aber doch nicht in dem Grade, um seine Be- hauptungen völlig aufser Zweifel zu setzen. Aber einige Zeit nachdem durch Davy’s wichtige Entdeckung die ana- loge Zusammensetzung der Alkalien mit den Metalloxyden bewiesen worden war, wurde auch Berzelius’ Aufmerksamkeit auf die quantitativen Verhält- nisse gelenkt, in welchen sich die Körper mit einander verbinden. Es war zunächst die chemische Natur des Ammoniaks, welche ihn zu dieser grofs- artigen Untersuchung führte. Nach der Entdeckung eines Sauerstoffgehalts in den Alkalien lag die Ansicht nicht fern, dafs alle Salzbasen, und daher auch das Ammoniak Sauerstoff enthalten müfsten. Diese Ansicht erhielt noch eine gröfsere Wahrscheinlichkeit durch die Entdeckung des Ammonium- amalgams. Berzelius fing nun eine Reihe von Untersuchungen an, um den Sauerstoffgehalt der Alkalien und Erden zu bestimmen, indem er in gewo- genen Quantitäten der Amalgame der Metalle derselben, welche darzustellen er zuerst gelehrt hatte, das basische Metall durch Wasser oxydirte, das ent- standene Oxyd mit Salzsäure verband, und nach der damals angenommenen Zusammensetzung der salzsauren Salze den Gehalt an Salzsäure, und durch den Verlust den Sauerstoffgehalt der Base selbst fand. Als er nun das nämliche Verfahren mit dem Ammoniak versuchen wollte, glückte es ihm auf keine Weise, weder das Ammoniakmetall zu isoli- ren noch es mit dem (Quecksilber in solcher Menge zu verbinden, dafs ein Resultat erhalten werden konnte. Um nun seinen Zweck zu erreichen, suchte er den Sauerstofigehalt im Ammoniak auf indirecte Weise zu bestimmen. Er wollte die von Bergman in dessen Schrift: „De diversa phlogisti quanti- tate in metallis” gemachte Entdeckung benutzen, dafs wenn ein Metall ein anderes aus der Auflösung in einer Säure metallisch abscheidet, das aufzu- lösende Metall genau die Menge Phlogiston hergiebt, welche dem vorher Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXX) aufgelösten, um metallisch zu erscheinen, nöthig ist, dafs also eine bestimmte Säure, wenn sie Metalle auflöst, gleiche Mengen von Phlogiston aus den ver- schiedenen Metallen austreibt, oder in der Sprache des antiphlogistischen Systems ausgedrückt, dafs eine bestimmte Menge von irgend einer Säure in allen den verschiedenen Metalloxyden, welche die Säure zu einem neutralen Salze sättigen können, eine gleiche und unveränderliche Menge von Sauer- stoff voraussetzt. Um aber dies Bergman’sche Gesetz mit voller Sicherheit anwenden zu können, waren unumstöfsliche Beweise von seiner völligen Richtigkeit nothwendig. Denn die, welche namentlich Richter gegeben hatte, konnten durchaus nicht als zuverlässig angesehen werden. Berzelius verglich nun seine Analyse vom Kali, vom Natron, und der Kalkerde mit der von Bu- cholz vom Silberoxyd und der von meinem Vater vom Quecksilberoxyde, und er fand in der That, dafs die Menge von diesen Basen, welche eine be- stimmte Quantität Salzsäure zu einem neutralen Salze sättigte, mit sehr we- nigen Abweichungen dieselbe Menge von Sauerstoff enthielt. Als er nun aber andere Metalloxyde und deren salzsaure Verbindungen untersuchte, wa- ren die Resultate der Untersuchungen (wegen vieler nicht richtiger Praemis- sen, welche er dabei zum Grunde legte) von der Bergmanschen Regel oft so abweichend, dafs er die fehlende Übereinstimmung een seiner eige- nen Ungeschicklichkeit im Experimentiren oder einer fehlerhaften Anwen- dung des Bergmanschen Gesetzes zuschreiben mulste. Da jedoch sorgfäl- tige Wiederholungen seiner Versuche übereinstimmende Resultate gaben, so fing er an die Richtigkeit des Bergmanschen Gesetzes zu bezweifeln. Als er aber fand, dafs, wenn geschwefelte Metalle durch Salpetersäure voll- ständig oxydirt werden, ee schwefelsaure Oxyde entstehen, obne Über- BE weder an Metalloxyd, noch an Serwelelsinnes so fand er sich bewo- gen, die verlassenen Ideen wieder aufzunehmen. Dabei zeigte es sich, dafs die Metalle an Quantität (genau, oder sehr nahe) doppelt, so viel Schwefel als Sauerstoff aufnehmen, und dafs also durch eine einfache Regel de tri die Aufnahmefähigkeit eines Metalls für Schwefel aus seinem Oxyde, und um- gekehrt berechnet werden könne. Er wurde nun wieder auf die gegensei- tige Zersetzung neutraler Salze geleitet, und es gelang ihm endlich, aus der Zusammensetzung mehrerer Salze den praktischen Beweis der nach der Zer- setzung erfolgenden Neutralität derselben zu führen. (XXXI) H. Rose Hierbei fühle ich mich gedrungen, eine mündliche Äufserung anzu- führen, die Berzelius gegen mich gethan hat. Nachdem er auf unrichtigen Analysen fufsend, die Neutralität sich gegenseitig zersetzender Salze durch die Rechnung nicht beweisen konnte, und er oft nahe daran war, den nicht zu enträthselnden Gegenstand ganz zu verlassen, war es die Abhandlung mei- nes Vaters über das Bestandtheilverhältnifs der salzsauren Neutralsalze, wel- che derselbe im Jahre 1806, also ein Jahr vor seinem Tode, im 6" Bande von Gehlens neuem allg. Journal S.22 bekannt gemacht hatte, die ihn be- wog auszuharren. Mein Vater hatte zuerst wenigstens durch Ein Beispiel den praktischen Beweis geliefert, dafs durch die Zersetzung zweier Neutral- salze, der salzsauren Baryterde und des schwefelsauren Natrons, nach seinen eigenen Analysen beider Salze und der zwei Salze, welche durch die Zer- setzung entstehen, bei der Berechnung Resultate erhalten werden, die zeig- ten, dafs die Neutralität nicht gestört werden könne. Berzelius hielt es nun für nothwendig, um zu einem sicheren Re- sultate zu gelangen, die Zusammensetzung der wichtigsten Verbindungen von Neuem auf das sorgfältigste zu untersuchen, und die Analysen oft zu wieder- holen, ehe er es wagte, auf den Ergebnissen derselben weiter zu bauen. Er bemerkte sehr richtig, dafs wegen der unveränderten Neutralität zweier sich zerselzender Salze, man eigentlich nur nöthig hätte, alle Salze, welche z.B. die Schwefelsäure bildet, und alle diejenigen, deren Base etwa Baryterde ist, mit hinlänglicher Genauigkeit zu analysiren, um durch diese Untersu- chungen in den Stand gesetzt zu sein, durch eine einfache Regel de tri die Zusammensetzung aller anderen Salze zu berechnen, weil in diesen beiden Reihen sich die drei Zahlen befinden, welche um die vierte zu finden, er- forderlich sind. Nun begann Berzelius, längere Zeit ganz ohne fremde Hülfe, eine hereulische Arbeit, die er viele Jahre hindurch mit dem unverdrossendsten Fleifse fortsetzte. Er untersuchte alle wichtigen chemischen Verbindungen von Neuem, und zwar mit der bewundrungswürdigsten Sorgfalt und Ge- nauigkeit. Er entwickelte besonders darin ein seltenes Talent, dafs er mit aufserordentlichem Scharfsinn die Körper auswählte, die sich am besten zur Untersuchung eigneten. Diese Untersuchungen oder vielmehr den An- fang derselben hat er 1810 im 3“* Theile der Afhandlingar i Fysik, Kemi och Mineralogi, bekannt gemacht. Sie erschienen zuerst 1811 deutsch in Gilberts Annalen. Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXXII) Bei diesen Untersuchungen war beständig die Theorie der Prüfstein für die Richtigkeit der Resultate, und um zu dieser zu gelangen, mufste er oft die Versuche auf die mannigfaltigste Weise abändern. Er war zunächst gezwungen, die analytischen Methoden zu verbessern, und viele der damals gebräuchlichen zu verwerfen. Dadurch wurde er nach und nach zu denen geführt, die jetzt von allen Chemikern angenommen sind. Berzelius Art und Weise zu arbeiten zeichnete sich besonders da- durch aus, dafs sie mit den geringsten Hülfsmitteln aufserordentlich viel lei- stete. Als er seine grofse Arbeit begann, konnte er nicht über grolse pecu- niäre Mittel gebieten; er war damals noch in einer fast dürftigen Lage und ohne öffentliche Unterstützung, was bei der grofsen Isolirtheit seines Vater- landes besonders drückend wirken mulste. Die Schwierigkeiten, welche er damals zu bekämpfen hatte, waren in der That aufserordentlich. Man konnte in jener Zeit in Stockholm Reagentien von reiner Beschaffenheit nicht wie hier in Berlin kaufen; es existirten und existiren auch jetzt fast keine chemischen Fabriken in Schweden, die sie liefern konnten, und sie aus dem Auslande, namentlich aus Deutschland zu beziehen, war bei der sehr erschwerten Communication, besonders während der Continental- sperre, oft kaum möglich, wenigstens sehr kostbar und langwierig. Ich war selbst Zeuge, wie Berzelius sich noch im Winter 1820 für seine wichtigen Untersuchungen über die Eiseneyanüre das Kaliumeiseneyanür, welches man damals schon längst in Deutschland für einige Groschen Pfundweise kaufen konnte, sich Grammenweise selbst bereiten mulste, und zwar aus einem sehr schlechten Material, nämlich einem sehr unreinen Berlinerblau, das vom Krämer genommen wurde. — Er war gezwungen den Brennspiritus, dessen Gebrauch bei chemischen Untersuchungen er einführte, selbst aus dem ge- wöhnlichen Branntwein zu destilliren, die wichtigsten Säuren selbst zu be- reiten, oder die gekauften zu reinigen. Erst später kam Berzelius in die Lage, die wichtigsten Reagentien aus Deutschland beziehen zu können. Aber es scheint, als wenn grade diese Hindernisse, die jeden gewöhn- lichen Geist niedergedrückt haben würden, den seinigen angespornt hätten, das Bewundrungswürdigste zu leisten. Dies ist überhaupt eine Erscheinung, die sich namentlich in Schweden mehrmals gezeigt hat. Ich brauche blofs an Scheele zu erinnern, der auf diese Weise fast das Unmögliche möglich gemacht hat. d (XXXIV) H. Rose Berzelius änderte zuerst die Klaprothschen Methoden, die zur da- maligen Zeit die besten waren, in so fern wesentlich ab, dafs er zu analyti- schen Untersuchungen bedeutend geringere Quantitäten anwandte. Die ge- wöhnlichen Mengen einer Substanz, welche Klaproth und die gleichzeiti- gen Chemiker zu analytischen Untersuchungen nahmen, war gewöhnlich 100 Gran, oder etwas mehr als 5 Gramme. Berzelius nahm fast nie mehr als 2 bis 3 Gramme, gewöhnlich weniger; es richtet sich die Menge natürlich nach der Beschaffenheit der Bestandtheile der zu untersuchenden Substanz. Bei Anwendung von empfindlicheren Wagen, deren Gebrauch Berzelius in die analytische Chemie einführte, und bei gehöriger Sorgfalt erhält man bei kleineren Mengen der angewandten Substanz wenigstens eben so genaue Re- sultate, während man zugleich bedeutend an Zeit erspart, indem dann das Auswaschen weit schneller und vollständiger geschehen kann. Berzelius führte den Gebrauch der nach ihm benannten Weingeist- lampe mit doppeltem Luftzuge ein. Bis dahin wurden die Glühungen selbst der kleinsten Mengen über Kohlenfeuer ausgeführt. Er bediente sich ferner zuerst bei analytischen Untersuchungen der kleinen Platintiegel, in welchen die Substanzen zugleich geglüht und gewogen werden können, wodurch die Genauigkeit bedeutend vermehrt, und das Anziehen von Feuchtigkeit mög- lichst vermieden wurde. Die Filtra der Niederschläge wurden immer wenn es anging verbrannt, und die geglühte Substanz zugleich mit der Asche des Papiers gewogen, eine ungemeine Erleichterung und Zeitersparnifls bei Ana- lysen, die man eigentlich Hrn. d’Ohsson verdankt, der in dem Laborato- rium von Berzelius arbeitete. Berzelius bediente sich deshalb zum Filtri- ren eines Papiers, das nach dem Verbrennen nur höchst wenig Asche hinter- läfst, und das gerade in Schweden gut bereitet werden konnte, weil es dort Quellen im Granitboden giebt, deren Wasser fast ganz frei von feuerbestän- digen Bestandtheilen ist. Die allgemeine Einführung dieses schwedischen Filtrirpapiers, um dessen Bereitung er sich viele Mühe gab, gehört ebenfalls zu Berzelius Verdiensten. Eben so hat die von ihm herrührende Anwendung zweckmäfsiger Trichter und Bechergläser, die der Sprützflasche zum Aussülsen, die des Fettes beim Ausgiefsen von Flüssigkeiten aus Gefälsen, nebst so aufseror- dentlich vielen anderen kleinen Handgriffen die Resultate der Analysen weit genauer gemacht und die Methoden selbst sehr vereinfacht. Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXXV) Berzelius hat ferner, und dies ist wahrlich kein kleines Verdienst, die chemischen Untersuchungen, bei denen man nicht nothwendig ein Koh- lenfeuer gebraucht, aus den dumpfen küchen - oder kellerartigen kalten La- boratorien, in das behagliche Wohnzimmer versetzt. Die jetzige Generation hat kaum einen Begriff von den Unannehmlichkeiten, die sonst mit den che- mischen Arbeiten in jenen kalten Räumen verbunden waren. Es gehörte ge- wils ein nicht geringer wissenschaftlicher Enthusiasmus dazu, während der Winterzeit in unserem nordischen Klima, um die Resultate chemischer For- schungen abzuwarten, in Localitäten auszuharren, in welchen die grölsten Unbehaglichkeiten abschreekten, und die selbst der Gesundheit nachtheilig waren. Man hielt aber sonst ein Laboratorium mit steinernem Fufsboden, selbst für kleine chemische Arbeiten, für unumgänglich nothwendig. Berzelius führte auch früh bei seinen Untersuchungen die kleinen Cautschuckröhren ein, wodurch die Versuche mit Gasen so leicht und sicher bewerkstelligt werden könzen, ja wodurch eigentlich die complicirten Gas- versuche erst möglich sind. Wer in früheren Zeiten auch nur einmal eine Gasentbindung geleitet hat, wird sich erinnern, wie höchst unangenehm das Arbeiten mit spröden Glasröhren war, und wie leicht jeder Versuch bei der kleinsten Unvorsichtigkeit misglückte. Erst durch Berzelius wurden die Glasröhren gleichsam biegsam, und es konnte von nun an mit der gröfsten Sicherheit in den complieirtesten Apparaten gearbeitet werden. Zu allen diesen so wesentlichen Verbesserungen in den chemischen Apparaten wurde Berzelius, allein stehend, und mit den geringsten Hülfs- mitteln ausgerüstet, am häufigsten durch das Bedürfnifs geführt. Er be- nutzte jede Gelegenheit, um sich in mechanischen Fertigkeiten zu vervoll- kommnen. Er war Meister im Glasblasen, das er schon früh von einem herumziehenden Italiener gelernt hatte, im Drechseln, im Glasschleifen und andern Arbeiten. Er verfertigte sich einen grofsen Theil seiner Instrumente selbst, und dadurch wurde es ihm auch bei der isolirten Lage seines Vater- landes möglich, die sinnreichen Apparate zusammenzustellen, durch welche er das Studium der Chemie so unendlich gefördert hat. Ich hatte noch das Glück, in meiner Jugend den verdienstvollen Klaproth bei seinen chemischen Arbeiten unterstützen zu dürfen, freilich in seinem letzten Lebensjahre, im Sommer 1816, als seine Arbeiten durch wiederholte Krankheitszufälle oft unterbrochen werden mulsten. Ich konnte 9 (XXXVD H. Rose daher, als mir mehrere Jahre darauf in dem Laboratorium von Berzelius zu arbeiten vergönnt war, sehr gut die verschiedene Art und Weise, wie Klap- roth, und wie Berzelius arbeiteten, vergleichen. Beide Arten verhalten sich wie die erzielte Genauigkeit der Resultate ihrer Untersuchungen. Schon vor Berzelius hatte Dalton in dem von ihm herausgegebenen Neuen System der chemischen Naturwissenschaft versucht, die relativen Mengen, in denen sich die Körper vorzugsweise verbinden, in Zahlen aus- zudrücken, und da er die Körper sich aus Atomen zusammengesetzt dachte, dadurch gleichsam das relative Gewicht der Körperatome festzustellen. Auf gewichte. Dalton gebührt also unstreitig das grolse Verdienst, die richtige diese Weise entstanden die sogenannten Atom Vorstellung von dem gegeben zu haben, was man jetzt allgemein in der Che- mie Atom nennt. Richter hatte früher in ähnlichem Sinne den Namen Massentheil angewandt, um die verschiedenen Mengen von Säure und von Base zu bezeichnen, die sich mit einander zu Salzen verbinden; jedoch hat er die Vorstellung davon nicht so materiell aufgefafst wie Dalton. Wenn aber die Begriffe zur vollen Klarheit gebracht werden sollten, um eine Theo- rie darauf zu gründen, so war es nicht füglich anders möglich, als sie mehr materiell aufzufassen. Dafs man sich in Deutschland aus philosophischen Gründen lange und hartnäckig sträubte, den Begriff von Atom, wie man ihn in der Chemie gebrauchen mufs, anzunehmen, und gegen die atomistische Ansicht von der Zusammensetzung der Körper mit allen Waffen des Scharf- sinns fortdauernd kämpfte, hat der Erweiterung und Verbreitung der exacten Naturwissenschaften, namentlich der Chemie, bei uns lange Zeit hindurch mehr geschadet als gefrommt. Jetzt nachdem die atomistische Theorie von allen Chemikern angenommen worden ist, wird gewifls jeder das Wort Atom nur gebrauchen, um die Erscheinungen leicht und einfach zu erklären. Dalton nahm an, dafs die einfachen Körper sich vorzugsweise in gleichen Atomen verbinden, und zwar ein Atom des einen mit einem des an- dern, wenn man nur Eine Verbindung beider Elemente kennt; verbinden sie sich in mehreren Verhältnissen, so hat sich 1 Atom des einen Körpers mit 1, 2, 3 oder mehreren Atomen des andern Körpers vereinigt. Die erste Idee dieser sogenannten multiplen Proportionen rührt eigentlich von Hig- gins her, der sie schon 1789 in einem Werke veröffentlichte. Die wichtig- sten Versuche aber, durch welche Daltons Ansicht bewiesen wurde, hat Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXXVID Wollaston angestellt, welcher im Jahre 1814 seine sinnreiche Scale der chemischen Aequivalente herausgab. Vergleicht man aber die Zahlen, deren sich Dalton bediente, mit denen, welche Berzelius aus seinen eignen genauen Versuchen ableitete, so findet man ähnliche Unterschiede, wie zwischen letzteren und den früher schon von Richter gegebenen Aequivalenten. Dalton hatte eine zu kleine Zahl von Analysen zum Grunde gelegt, die noch dazu nicht mit sehr gro- fser Genauigkeit angestellt waren. Bei der Wahl des Körpers, welcher die Einheit vorstellen soll, um danach die gefundenen Atomgewichte vergleichbar zu machen, schwankten die Chemiker zwischen dem Wasserstoff und dem Sauerstoff. Dalton wählte dazu den Wasserstoff und setzte ihn —1, da dessen Atom von allen Ele- menten das leichteste ist. Deshalb sind ihm sehr viele Chemiker darin ge- folgt, besonders nachdem Prout später zu zeigen versuchte, dafs die Atom- gewichte aller einfachen Körper Multipla von dem des Wasserstoffs wären. Schon Richter hatte lange vorher eine ähnliche Ansicht gehabt, indem er annahm, dafs die Aequivalente aller Basen eine arithmetische, die der Säu- ren eine geometrische Progression bilden. — Berzelius und Wollaston nahmen indessen den Sauerstoff als Einheit an, da er von allen Elementen am weitesten verbreitet ist, und die meisten zusammengesetzten Substanzen Sauerstoff enthalten. Durch diese Annahme wurden alle Rechnungen aufser- ordentlich vereinfacht. Berzelius setzte ihn =100, Wollaston =10. Ber- zelius ist seiner Annahme bis zu seinem Ende treu geblieben, und hat sich immer gegen die Ansicht von Prout ausgesprochen, selbst als dieselbe in späteren Zeiten, im Jahre 1840, von Dumas wieder aufgenommen wurde, der durch eigne Untersuchungen sie wenigstens für einige Elemente zu be- weisen suchte. Allerdings scheinen mehrere unter den nicht metallischen Elementen richtige Multipla vom Atomgewicht des Wasserstoffs zu sein, aber bei andern hat sich die Prout’sche Ansicht nicht bewährt. So lange wir nicht wissen, ob jene Übereinstimmung Zufall oder Folge eines Gesetzes ist, müssen wir unser Urtheil suspendiren. Bei der Bestimmung der Anzahl der Atome in zusammengesetzten Verbindungen verfuhr Berzelius vom Anfang an mit der gröfsten Umsicht. Dalton und andere Naturforscher, welche die Ansicht aufgestellt hatten, dafs die Körper sich vorzugsweise in dem Verhältnifs verbinden, dals sich (XXX VI) H. Ross ein Atom des einen Elements mit einem Atom des andern Elements verei- nige, nahmen zwar, wenn z.B. mehrere Oxydationsstufen eines Elements bekannt waren, an, dals die Sauerstolfatome der höchsten Oxydationsstufe Multipla von dem Sauerstoff der niedrigsten wären. Wenn aber nur eine Oxydationsstufe bekannt war, so war es offenbar sehr willkührlich, ohne Rücksicht auf die übrigen Verhältnisse in dieser Verbindung anzunehmen, dafs sie aus gleichen Atomen beider Elemente bestehe. Berzelius umfafste alle Umstände mit der gröfsten Aufmerksamkeit und mit welcher Umsicht und mit wie feinem Tacte er dabei verfuhr, erkennt man am besten daraus, dafs als man später in Mitscherlichs wichtiger Entdeckung des Isomor- phismus ein vortrefflliches Mittel erhielt, die Verbindungen von einer glei- chen atomistischen Zusammensetzung sicherer zu erkennen, Berzelius nicht nöthig hatte, irgend eine Änderung vorzunehmen. Nur einmal hat er sich zu einer Anderung in der Anordnung der Atome in zusammengeselzten Körpern veranlafst gesehen. Bei der ersten Aufstel- lung seines Systems war er der Meinung, dafs in den einfachen chemischen Verbindungen, wie z.B. in den Oxyden der einfachen Stoffe, die einfachsten Verhältnisse statt finden müfsten, und das Verhältnifs von 2 Atomen des ein- fachen Stoffs zu 3-Atomen Sauerstoff war ihm schon zu complieirt. Da in den Oxyden des Eisens der Sauerstoff wie 2 zu 3 sich verhielt, so nahm er das Eisenoxyd als aus einem Atom Metall mit 3 Atomen Sauerstoff verbunden an; das Eisenoxydul, und alle ihm ähnliche Oxyde mulsten dann aber aus einem Atom Metall und 2 At. Sauerstoff bestehen. Später, erst im Jahre 14827, entschlofs sich Berzelius, besonders bewogen durch die Verhältnisse, welche bei den Oxydationsstufen des Mangans, des Chroms und des Schwe- fels statt finden, in den stark basischen oder sogenannten electroposiliven Oxyden 1 At. Metall und 1 At. Sauerstoff anzunehmen, weshalb die Atom- gewichte der Metalle dieser Oxyde auf die Hälfte reducirt werden mufsten. Die höheren Oxydationsstufen, z. B. das Eisenoxyd, enthielten nach dieser neuen Ansicht 3 Atome Sauerstoff auf 2 Atome Metall. Berzelius ging damals von der Ansicht aus, dafs wenn ein einfacher Stoff in Gasform verwandelt würde, 1 Volum des Gases einem Atom ent- spräche. Die Zusammensetzung des Wassers wurde aus diesem Grunde im- mer von ihm als aus 1 At. Sauerstoff und 2 At. Wasserstoff angenommen. Er war sehr fest von dieser Meinung eingenommen und bekämpfte die Hypo- Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XXXIX) thesen von Thomson, Dalton und anderen Chemikern, welche in 2 Vo- lumen Wasserstoff eben so viele Atome annahmen als in einem Volumen Sauerstoff. Als später durch die directen Wägungen des Schwefel-, des Phosphor- und des Quecksilber-Gases von Dumas und von Mitscherlich die Annahme von Berzelius sich nicht allgemein bestätigte, schränkte er dieselbe nur auf permanente Gase ein. Berzelius war dadurch gezwungen, häufig 2 Atome da anzunehmen, wo andere Chemiker nur 1 Atom annehmen. Er führte deshalb die Doppel- atome da ein, wo dieselben ein Aequivalent für 1 Atom eines andern Stof- “ fes sind. Dieser Ansicht sind viele, namentlich deutsche Chemiker nicht ge- folgt, und es haben zuerst Leop. Gmelin in der neuesten Auflage seines Handbuchs der Chemie, so wie auch darauf Liebig und dessen Schüler angefangen, die Atomgewichte des Wasserstoffs, des Stickstoffs, des Chlors, des Broms, des Jods, des Fluors und des Phosphors für doppelt so grofs anzunehmen, als es Berzelius gethan hat, und viele französische Chemiker sind dieser Ansicht beigetreten. Die Annahme, sogenannte Aequivalente mit den Atomen für gleichbedeutend zu halten, hat in der That so viele Wahr- scheinlichkeiten für sich, dafs die Übereinstimmung so vieler Chemiker in dieser Hinsicht nicht auffallen kann. Berzelius hat indessen bis zu seinem Ende fortgefahren, seine alten Atomgewichte beizubehalten, und die Gründe, die er auch in der letzten Auflage seines Lehrbuchs der Chemie angegeben hat, sind so gewichtig, dafs sie sich nicht gut widerlegen lassen. Diese Gründe nimmt er besonders aus der Isomorphie der überchlorsauren und übermangansauren Salze, welche _ von Mitscherlich erwiesen ist. Aus dieser folgt, dafs ein Doppelatom von Chlor ein Doppelatom von Mangan ersetzen könne. Da aber Mangan mit Eisen und mit Chrom in seinen Verbindungen, namentlich in den soge- nannten Alaunen, isomorph ist, und das Chrom in den chromsauren Salzen gleiche Form mit den schwefelsauren Salzen hat, so mufs ein einfaches Atom Chlor ein Atom Schwefel ersetzen können. Wenn aber die Überchlorsäure aus einem Doppelatom Chlor, mit 7 Atomen Sauerstoff verbunden, besteht, so enthält die unterchlorichte Säure auf dieselbe Menge Chlor 1 Atom Sauer- stoff, und da sie aus 2 Volumen Chlor und 1 Vol. Sauerstoff besteht, so müssen die Volume beider Elemente den einfachen Atomen entsprechen. Da es ferner durch vielfältig wiederholte Versuche bei den organischen Kör- &L) H. Rose pern erwiesen zu sein scheint, dafs in denselben Wasserstoff durch gleiche Volume von Chlor ersetzt werden kann, so mufs ein einfaches Atom Wasser- stoff und nicht ein Doppelatom desselben 1 Atom Sauerstoff (oder Schwe- fel) vertreten können. Wenn wir nun auch Folgerungen solcher Art bisweilen nicht durch die Erfahrung bestätigt sehen, wenn bei Ersetzungen eines Körpers durch einen andern in Verbindungen ein Element wie Kalium, durch ein zusammen- gesetztes Radical, wie Ammonium, vertreten werden kann, so dürfen wir doch solche Ersetzungen, die aus der Ahnlichkeit im Atomgewicht oder im Atomvolum durch theoretische Schlüsse gefolgert werden können, nicht eher annehmen, als bis eine wiederholte Erfahrung dafür spricht. — Beque- mer ist es zwar offenbar, wenn man Aequivalent und Atom immer für gleich- bedeutend annimmt, aber wissenschaftlich ist es nicht. Um die chemischen Verbindungs-Verhältnisse ausdrücken zu können, bediente sich Berzelius als Symbole für die verschiedenen Elemente ge- wisser chemischer Zeichen, die er schon um das Jahr 1815 einführte. Schon in den frühsten Zeiten war die Chemie oder vielmehr die Alchymie im Be- sitze solcher Zeichen, obgleich sie eigentlich damals nur von einem geringen Nutzen gewesen sind. Sie verdankten ihren Ursprung ohne Zweifel der ge- heimnifsvollen Beziehung der Metalle und der Planeten zu einander, welche die Alchymisten annahmen, und dem Vergnügen, das sie darin fanden, sich auf eine für das Volk unverständliche Weise ausdrücken zu können. Ber- zelius wollte die alten Zeichen nicht annehmen, nicht nur, weil sie in der That ohne allen Sinn sind, sondern weil es auch gewifs leichter ist ein ab- gekürztes Wort zu schreiben, als eine Figur zu zeichnen. Die Zeichen von Berzelius dienen aber dazu, das chemische Verbindungs-Verhältnifs und unmittelbar das Verhältnifs der Atome in jeder zusammengesetzten Verbin- dung auszudrücken, und man wird durch die chemischen Formeln in den Stand gesetzt, das numerische Resultat einer Analyse eben so einfach darzu- stellen, wie dies bei den algebraischen Formeln der Fall ist. Die Bezeichnungsart von Berzelius hat wegen ihrer so aufserordent- lichen Bequemlichkeit eine so allgemeine Anwendung gefunden, dafs es jetzt wohl keinen Chemiker giebt, der sich ihrer nicht bedient. Um so mehr ist es zu verwundern, dafs die Opposition gegen diese Neuerung anfangs eine 5 so bedeutende war. Ein französischer Naturforscher vertauschte die von Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XLI) Berzelius gegebenen Symbole mit den Anfangsbuchstaben der französischen Namen der Elemente. Besonders aber sträubte man sich in England, die chemischen Formeln von Berzelius anzunehmen. Sie sind, sagte noch im Jahre 1822 ein englischer Chemiker, mehr gemacht, um Mifsverständnisse und Mystificationen als Klarheit zu erzeugen, da sie von ganz anderer Art als die algebraischen Formeln sind; man könnte mit gewöhlichen Worten sich besser ausdrücken als mit diesen Zeichen, die nur eine Art von mathe- matischer Parade machten. Berzelius beantwortete die zum Theil groben und unanständigen Einwendungen mit leidenschaftsloser Klarheit und Ruhe. Wer möchte es jetzt noch für möglich halten, den Gebrauch der „abominable symbols” von Berzelius, wie sie der Herausgeber einer englischen Zeitschrift nannte, in der Chemie zu entbehren? — Es war diese Opposition gegen die Einführung der chemischen Zeichen von Berzelius um so weniger zu be- greifen, da schon Dalton bei der Aufstellung seines atomistischen Systems 1808 das dringende Bedürfnifs fühlte, die Atome der Elemente durch Zei- chen auszudrücken, was damals keinen Widerspruch, aber auch keine Nach- ahmung in England fand. Die Dalton’schen Zeichen sind aber bei weitem weniger zweckmälsig als die von Berzelius; auch genügten sie nur, einfache Verbindungen, nicht sehr complieirte auszudrücken. Durch die Einführung der Zeichen von Berzelius wurde der Chemiker erst in den Stand gesetzt, chemische Formeln aufzustellen. Als Berzelius das Gesetz der chemischen Proportionen durch Ver- suche zu beweisen anfing, war er so sehr überzeugt, dafs bei den unorgani- schen Verbindungen nur die einfachsten Verhältnisse statt fänden, dafs er die Richtigkeit seiner eignen genauen Versuche bezweifelte, wenn die Resultate derselben ihm etwas mehr verwickelte Verhältnisse gaben. Er konnte sich lange nicht entschliefsen zuzugestehen, dafs einfache Körper sich mit 3, 5 und 7 Atomen Sauerstoff verbinden können, weil diese Zahlen nicht ganze Multipla von einander sind. Er nahm deshalb in der Phosphorsäure 4 Atome Sauerstoff an, in der arsenichten Säure und in der Arseniksäure 4 und 6 Atome, eben so viele im Antimonoxyd und der Antimonsäure, und lange Zeit nachdem er sich von der Einfachheit des Chlors überzeugt hatte, bezweifelte er die richtige Angabe Stadions, dafs in der Überchlorsäure 7 Atome Sauerstoff enthalten seien. 6 (XL) H. Ross Besondere Schwierigkeiten boten ihm die Oxydationsstufen des Stick- stoffes dar. Da das Ammoniak ein den feuerbeständigen Alkalien ganz ana- loger Stoff ist, weil er durch die galvanische Flectrieität, wie diese, mit Queck- silber ein Amalgam bildet, so liefs sich dabei ein Reductionsprocel[s vermu- then, und mithin annehmen, dafs das Ammoniak aus einem Metall und aus Sauerstolf zusammengeselzt sei. Zersetzt man aber das Ammoniak, so er- hält man keinen Sauerstoff, sondern nur Stickstoff und Wasserstoff; der Sauerstoff müfste also, wie Berzelius schlols, in diesen Gasen versteckt, und eins oder beide müfsten Oxyde des nämlichen Radicals, und das Radi- cal selbst das Metall Ammonium sein. Wäre aber der Stickstoff allein der oxydirte Körper, so müfste das Metall Ammonium aus dem Radical des Stickstoffs und aus Wasserstoff bestehen. Nun wurde zwar zur damaligen Zeit von mehreren Chemikern, namentlich von Gay-Lussac und Thenard, ein Wasserstoffgehalt im Kalium und Natrium angenommen; Berzelius war aber bei dem Streite, der deshalb zwischen jenen Chemikern und Davy, der diese Ansicht zu widerlegen suchte, sich erhob, sogleich entschieden auf die Seite des letzteren getreten, und hatte dessen Meinung mit guten Grün- den unterstützt. Er nahm deshalb auch einen Sauerstoflgehalt im Wasser- stoff an, und dieser Körper sowohl als auch der Stickstoff waren nach ihm Oxyde desselben Metalls, des Ammoniums. Die Oxydationsstufen waren dann nach ihm folgende: Wasserstoff, Ammoniumoxydul (das jetzige Amid, mit Kalium verbunden), Ammoniak, Stickstoff, salpetrichte Säure, Salpeter- säure und endlich Wasser, die höchste Oxydationsstufe des Radicals, welche aber nicht weniger als 72mal so viel Sauerstoff enthalten müfste, als das niedrigste Oxyd, der Wasserstoff. Berzelius wurde zu dieser ausschweifenden, aber scharfsinnigen An- sicht durch ein zu grofses Vertrauen zu der Proportionslehre, wie er sie da- mals aufstellte, geführt. Etwas später jedoch nahm er die Ansicht, dafs der Wasserstoff ein Oxyd sei, zurück, und bewies die Einfachheit dieses Kör- pers durch wichtige Gründe, aber dals der Stickstoff Sauerstoff enthalten müsse, suchte er noch später durch die Oxydationsstufen desselben zu be- weisen. Noch im Jahre 1818 sagte er in seiner Abhandlung über die Natur des Stickstoffs, des Wasserstoffs und des Ammoniaks: „Ich wage zu be- haupten, dafs die Zusammensetzung des Stickstoffs nicht blofs als eine Hypo- these betrachtet werden darf, sondern wenn man die Lehre von den be- Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XLIH) stimmten Proportionen zugiebt, als eine beinabe bewiesene Wahrheit.” Er nahm im Stickstoff ein unbekanntes Radical, Nitrieum, an, dessen Symbol er mit N bezeichnete, welches auch später für das des Stickstolfs beibehal- ten worden ist, der damals das Suboxyd dieses Radicals war, während dann das höchste Oxyd desselben, die Salpetersäure, 6 Atome Sauerstoff haben mufste. Es war im Grunde genommen vorzüglich doch nur der Umstand, dafs der Sauerstoff in der salpetrichten Säure und in der Salpetersäure sich wie 3 zu 5 verhält, welcher ihn verleitete, so hartnäckig im Stickstoff einen Sauerstoffgehalt vorauszusetzen, durch welchen jenes Verhältnifs dann in das von 4 zu 6 umgewandelt wurde. Als er,einige Zeit später seine Unter- suchungen über die Zusammensetzung der phosphorichten Säure und der Phosphorsäure anstellte, bei welchen er fast gleichzeitig mit Dulong fand, dafs der Sauerstoflgehalt sich wie 3 zu 5 verhielt, wurde er, nachdem er vergebens einen Sauerstoffgehalt im Phosphor aufzufinden gesucht hatte, in seinen Ansichten über den Sauerstoffgehalt des Stickstoffs wankend, und liefs sie endlich ganz fallen, nachdem er sich durch Versuche überzeugt hatte, dafs ein ähnliches Verhältnifs bei sehr vielen (wir können jetzt wohl hinzufügen vielleicht bei den meisten) Oxydationsstufen einfacher Körper, welche Säuren bilden, statt findet. Später bat er nur manchmal die Bemer- kung gleichsam hingeworfen, ohne einen besonderen Werth auf dieselbe zu legen, dafs man aus der Erzeugung von stickstoffhaltigen Verbindungen in den Körpern der pflanzenfressenden Tbiere, deren Nahrung oft jenen nicht zu entsprechen scheint, auf einen Sauerstoflgehalt im Stickstoff schliefsen könne. Aber in der letzten Ausgabe seines Lehrbuchs kommt auch diese Bemerkung nicht mehr vor. Das zu grofse Vertrauen zu den ganz einfachen Zahlenverbältnissen verleitete Berzelius noch einige Male dazu, Oxydationsstufen etwas will- kührlich anzunehmen, wo dieselben nicht existiren. Bei der Untersuchung der Oxydationsgrade des Zinns nahm er an, dafs das aus dem Spiritus Li- bavii erhaltene Oxyd, welches freilich in seinen Eigenschaften so sehr von dem durch Salpetersäure erhaltenen Zinnoxyd abweicht, hinsichtlich seines Sauerstoflgehalts zwischen dem Oxydul und dem Oxyd stehe. Gay-Lussac zeigte kurze Zeit darauf, dafs es sich in seinem Sauerstoflgchalte von dem durch Salpetersäure dargestellten Oxyde nicht unterscheidet. Nachdem Ber- 6 * (XLIV) H. Rose zelius sich von der Wahrheit dieser Bemerkung überzeugt hatte, zeigte er, wie sehr beide hinsichtlich ihrer Eigenschaften verschieden sind. Es war dies das erste Beispiel von einer Isomerie. Mit der Aufstellung der Lehre von den einfachen bestimmten Propor- tionen verband Berzelius die des electro-chemischen Systems. Es war zu natürlich, dafs er die Erscheinungen, welche die Voltaische Säule zeigte, und namentlich die Thatsachen, welche er in seiner ersten verölfentlichten Abhandlung auf eine so überzeugende Weise erklärte, auch auf die gewöhn- lichen chemischen Processe anwandte. Bei jedem chemischen Processe, bei jeder chemischen Verbindung nahm Berzelius eine Neutralisation von ent- gegengesetzten Electrieitäten an, wobei diese Neutralisation die Licht- und Wärme -Erscheinungen auf dieselbe Weise hervorbringe, wie sie dieselben bei der Entladung der electrischen Flasche, der electrischen Säule und dem Blitze erzeugt, nur dafs diese Erscheinungen nicht immer von einer chemi- schen Verbindung begleitet sind. Berzelius verhehlte sich gleich anfangs die Schwierigkeiten nicht, welche diese Theorie mit sich führt. Er nahm an, dafs die Atome electrische Polarität besälsen, von welcher die electro-chemischen Erscheinungen bei der Verbindung derselben abhängen. So haben die Atome des Sauerstoffs überwiegende negative Electrieität, die des Kaliums überwiegende positive. Die ungleiche Intensität der electrischen Polarität in den Atomen der ver- schiedenen Körper, die zum Theil auch von der Temperatur abhängig ist, ist die Ursache des Kraft-Unterschieds, womit die Verwandtschaften sich äufsern. Er hat zu verschiedenen Zeiten seine Ansichten hierüber geändert und gab zuletzt selbst zu, dafs es sehr wohl möglich sei, dafs er nicht das Rechte getroffen habe, aber es war ihm Bedürfnifs eine tiefere Erklärung der Erscheinungen zu suchen. Bei der Eintheilung der Körper in electro-positive und electro -nega- tive rechnete Berzelius den Sauerstoff und die ihm ähnlichen Stoffe zu den electro-positiven. Später aber änderte er die Benennung und nannte diese, auch wohl richtiger, eleetro-negative. Absolut electro-negativ ist nur der Sauerstoff, alle übrigen Körper sind nur relativ negativ oder positiv, grade so wie sie sich bei der Einwirkung der electrischen Säule verhalten würden, wenn ihre Verbindungen derselben ausgesetzt würden. Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XLV) Diese Ansichten von Berzelius sind vielfach angefochten worden. Und in der That sind die Erscheinungen bei den meisten gewöhnlichen che- mischen Processen, wo die Körper nur auf einander wirken, wenn sie in un- mittelbare Berührung gebracht werden, verschieden von denen, die bei der Entladung der electrischen Säule statt finden, wo Körper in der Entfernung wirken. Nur bei manchen chemischen Processen, wie z. B. bei den Metall- vegetalionen, ist der Proce[s dem ähnlich, wie er bei der Zersetzung durch die Säule statt findet. Weit später nahm Berzelius noch eine andere Kraft, aber nur bei einigen chemischen Processen an, die katalytische. Die Licht- und Wärme- entwicklungen können nach der electro-chemischen Theorie nur bei Ver- bindungen von in ihren Eigenschaften entgegengesetzten Körpern entstehen. Wenn aber dieselben auch statt finden bei Zersetzungen von Körpern, oder wenn Verbindungen zersetzt und neue gebildet werden, ohne dafs der Kör- per, dessen Gegenwart dies veranlalst, an diesen Wirkungen Theil nimmt, so schrieb Berzelius die Ursach dieser Erscheinungen der katalytischen Kraft zu. Gegen die Existenz dieser neuen hypothetischen Kraft ist vielfach ge- stritten worden. Aber es ist wohl nicht zu tadeln, wenn man in einer so unvollendeten Wissenschaft, wie die Chemie, die Ursach aller Erscheinun- gen, welche vereinzelt dastehen, für welche man keine passende Analoga auffinden kann, und welche dadurch gleichsam wunderbar erscheinen, vor- läufig einer eigenthümlichen Kraft zuschreibt, um dadurch offen zu gestehen, dafs bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft es angemessener sei, einen chemischen Procefs lieber gar nicht, als vielleicht auf eine gezwungene und spitzfindige Weise zu erklären. Mit dem Fortschreiten der Wissenschaf- ten muls aber die Zahl der Erscheinungen, die man dahin rechnen will, im- mer kleiner werden. Nachdem Berzelius zehn Jahre hindurch ununterbrochen sich mit Untersuchung der Atomgewichte der Elemente und ihrer Verbindungen be- schäftigt und sie so festgestellt hatte, dafs alle Versuche bis auf kleine un- vermeidliche Abweichungen übereinstimmten, war er im Jahre 1818 im Stande Tabellen herauszugeben, welche die nach seinen Versuchen berech- neten Atomgewichte von ungefähr 2000 einfachen und zusammengesetzten Körpern enthielten. (&LVI) H. Rose So hatte nun Berzelius gleichsam das Gerüst seines Systems voll- endet; und er fing jetzt an die einzelnen Räume des Gebäudes auszubauen und die Lücken auszufüllen, die er früher, um nur das Ganze zu vollenden, unausgefüllt lassen mufste, Schon einige Zeit vorher, im Jahre 1814, hatte Berzelius seine Untersuchungen auch auf organische Körper ausgedehnt, und eine sehr wich- tige Abhandlung über das bestimmte Verhältnils, in welchem die Elemente in der organischen Natur verbunden sind, veröffentlicht. Er hatte in der- selben auseinandergesetzt, dafs so verschieden auch die meisten organischen Substanzen hinsichtlich ihrer elementaren Zusammensetzung auf den ersten Blick von den unorganischen zu sein scheinen, doch nur das, was wir von der Zusammensetzung der unorganischen Verbindungen wissen, der einzige sichere Leitfaden sein könne, durch welchen wir hoffen dürfen, zu richti- gen Vorstellungen von der Art der Zusammensetzung derjenigen Körper zu gelangen, welche unter dem Einflufs des Lebensprocesses hervorgebracht werden. Er hat daher das grolse Verdienst, die Lehre von den einfachen chemischen Verhältnissen, in denen sich die Körper vorzugsweise verbinden, auch auf die organischen Körper ausgedehnt zu haben. Die ersten genauen Versuche über die elementare Zusammensetzung der organischen Substanzen hatten einige Jahre vor dem Erscheinen der Ab- handlung von Berzelius im Jahre 1811 Thenard und Gay-Lussac an- gestellt. Sie begnügten sich indessen aus ihrem Resultate keine andere Fol- gerungen zu ziehen, als die, dafs eine vegetabilische Substanz immer sauer sei, wenn der Sauerstoff in ihr in einem gröfseren Verhältnifs vorhanden sei, als um Wasser zu bilden; dafs bei einem Überschufs von Wasserstoff har- zige, ölige oder alkoholarlige Substanzen gebildet würden; und dafs end- lich, wenn Sauerstoff und Wasserstoff wie im Wasser zugegen sind, der Pflanzenkörper weder saurer, noch harziger Natur, sondern analog dem Zucker, dem Gummi, der Stärke, dem Milchzucker oder der Holzfaser sei. Diese Schlüsse waren aber nur für die Stofle richtig, welche sie untersucht hatten, denn sie bewährten sich nicht, als eine gröfsere Zahl von vegetabili- schen Stoffen der Zusammensetzung nach erforscht wurden. Aus den Re- sultaten der Untersuchungen über die animalischen Substanzen konnten sie nicht einmal ähnliche Schlässe ziehen; sie begnügten sich zu bemerken, dafs in ihnen eine grölsere Menge von Wasserstoff, als um mit dem gefundenen Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XLVID) Sauerstoff Wasser zu bilden, enthalten sei, und dafs dieses mit dem Stick- stoff zu Ammoniak verbunden wäre. Gay-Lussac und Thenard hatten die organischen Substanzen ver- mittelst chlorsauren Kalis in einem besonderen Apparate verbrannt; Berze- lius nahm von ihnen die Anwendung des chlorsauren Kalis an, aber seine Methode der Verbrennung war ungleich zweckmäfsiger. Er hatte sich schon früh davon überzeugt, dafs es nothwendig sei, die erhaltene Kohlensäure nicht ihrem Volumen nach, sondern ihrem Gewichte nach zu bestimmen, was später nicht immer beobachtet worden ist, weshalb die Analysen organischer Substanzen erst von der Zeit anfingen sehr genaue Resultate zu geben, als Liebig den so äufserst zweckmäfsigen Kugelapparat einführte, der es mög- lich machte, die entstandene Kohlensäure mit Genauigkeit zu wägen. — Berzelius bestimmte ferner, was den Resultaten seiner Untersuchungen hinsichtlich des Wasserstoffs eine weit gröfsere Genauigkeit gab, denselben nicht auf eine indirecte Weise wie Gay-Lussac und Thenard, sondern er wog ihn unmittelbar, nachdem er in Wasser verwandelt worden war. Die Zahl der von Berzelius untersuchten organischen Stoffe war nicht sehr grofs, weil er bei der Einrichtung des Apparats und bei der Neu- heit des Gegenstandes zu viele Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Aber obgleich sich später die Methoden der Analyse sehr vereinfacht und verbes- sert haben, so haben sich die Resultate der Analysen der von Berzelius untersuchten organischen Substanzen als merkwürdig genau bewährt. Er zeigte, dafs nicht nur die organischen Säuren, sondern auch viele der sogenannten indifferenten organischen Substanzen sich mit unorgani- schen Oxyden zu salzartigen Verbindungen nach bestimmten Verhältnissen vereinigen, wodurch das Atomgewicht derselben wie bei unorganischen Sub- stanzen bestimmt werden konnte. Dies führte auf die Ansicht, auch die or- ganischen Substanzen wie Oxyde zu betrachten, deren Radical aber zusam- mengesetzt ist, während es bei den unorganischen Substanzen aus einem ein- fachen Körper besteht. Diese Ansicht wurde anfangs von den Chemikern nur wenig beachtet, und erst spät von Vielen als die richtige erkannt, nach- dem grade die grofse Menge der phantastischen Vorstellungen über die Zu- sammensetzung organischer Körper das Verlangen nach einer gesunden und richtigen recht rege gemacht hatte. Man muls es bedauern, dafs es Berze- lius nicht vergönnt gewesen ist, zu erleben, wie mehrere der von ihm hypo- (XLVIN) H. Rose thetisch aufgestellten Radicale in der That und zwar sehr kurze Zeit nach seinem Tode wirklich dargestellt worden sind. Bald nach der Aufstellung des electro-chemischen Systems wandte Berzelius die chemische Proportions-Lehre auch auf die Mineralien an, und stellte ein Mineralsystem auf chemischen Principien gegründet, auf. Wenn man die in der Natur vorkommenden Mineralien sich ähnlich zusam- mengesetzt denkt, wie die unorganischen Verbindungen, welche man in den Laboratorien künstlich darstellt, so darf ein solches Mineralsystem wohl naturgemäfs genannt werden. Jeder Naturforscher mufs aber dann zugeben, dafs in der Mineralogie ein anderes System der Klassifieirung zur Anwen- gani- ) schen Substanzen, mit denen es jene Wissenschaft zu thun hat, bestehen dung kommen mufs, als in der Botanik und in der Zoologie. Die unor aus einer grofsen Menge von einfachen Stoffen, aus mehr denn 60; die or- ganischen hingegen nur aus sehr wenigen, aus dreien oder vieren. Da nun ferner der innige Zusammenhang nicht zu verkennen ist, der zwischen der chemischen Zusammensetzung und allen äufseren Charakteren der Minera- lien statt findet, so ist es klar, dafs man die Mineralien leichter und siche- rer wird erkennen, unterscheiden und klassificiren können, sobald man ihre chemische Zusammensetzung wesentlich mit berücksichtigt, nicht aber die Pflanzen und Thiere, bei welchen wir einen solchen innigen Zusammenhang noch nicht kennen, und die ungeachtet der grölsten Mannigfaltigkeit in der Form alle fast dieselbe qualitative Zusammensetzung haben. Wäre es mög- lich, auch bei diesen durch eine leichte chemische Analyse die Species zu erkennen, so würden wir jeden Botaniker und Zoologen einseitig nennen, der dieses Mittel zur Erkennung aus Eigensinn verschmähen wollte. Schon vor Berzelius hatte man mehrmals versucht, die Mineralien nach ihren Bestandtheilen zu ordnen, aber ehe die Lehre von den chemi- schen Proportionen und die richtigen Ansichten über die Zusammensetzung der Körper bekannt waren, konnte dies nur auf eine unvollkommne Art ge- schehen. Solche Systeme waren die, welche Karsten in seinen mineralogi- schen Tabellen, und Hauy in seiner Mineralogie aufgestellt hatten; allein was Berzelius in dieser Beziehung leistete, hat die Versuche seiner Vor- gänger ganz in Vergessenheit gebracht. Das von Berzelius aufgestellte chemische Mineralsystem fand be- sonders viel Widerspruch bei denen, welche den sogenannten natürlichen Gedächtnifsrede auf Berzelius. (XLIX) Systemen folgten. Denn eine lange und eingewurzelte Gewohnheit übt öf- ters auch in der Wissenschaft ihren mächtigen Einflufs aus, und kann dann nicht anders als durch eine länger fortgesetzte Prüfung, und durch ein all- mäliges Gewöhnen an die richtigere Ansicht nach und nach ausgerottet werden. In den natürlichen Mineralsystemen wurden alle die Mineralien neben einander gestellt, welche die meiste Ähnlichkeit in den äufsern Eigenschaften mit einander hatten. Aber diese Systeme waren alle von einander verschie- den, weil sie nach subjectiven Ansichten gebildet waren. Werner hatte sein natürliches System noch gewissermafsen auf che- mische Prineipien gebaut, die nur wenig folgerecht durchgeführt waren, was auch bei dem damaligen Zustande der Wissenschaft nicht möglich ge- wesen wäre. Aber Mobs stellte sogar den Grundsatz auf, dafs ein Minera- loge nur auf die naturhistorischen Eigenschaften der Mineralien, wie Kry- stallform, Härte und specifisches Gewicht, Rücksicht nehmen müsse, nicht auf solche, welche nicht beobachtet werden können, ohne dafs eine wesent- liche Veränderung mit dem Körper vorgenommen wird. Wenn es jemals ge- schieht, fährt Mohs fort, dafs ein Zweig der Naturgeschichte, also auch die Mineralogie, die letzteren Eigenschaften zu seiner Methode anwendet, so überschreitet er seine gesetzlichen Gränzen, wird mit andern Wissenschaften vermischt und verwickelt sich endlich in alle die Schwierigkeiten, wovon die Mineralogie lange ein warnendes Beispiel gegeben hat. Mit Recht urtheilt Berzelius über dieses Raisonnement, dafs ihm dasselbe vorkomme, wie das eines Menschen, der im Dunkeln tappt, und sich weigert, sich einer Leuchte zu bedienen, weil er dann mehr sehen wür- de, als er braucht, und weil er Hoffnung genug hat, den Weg dennoch zu finden. Um sich Berzelius’ grofse Verdienste bei Aufstellung seines Mineral- systems zu vergegenwärtigen, braucht man sich nur zu erinnern, wie grofs vor ihm das Chaos in der Mineralogie war, namentlich hinsichtlich der Klas- sifieation der zahlreichen kieselsauren Verbindungen. Obgleich schon zu derselben Zeit wie Berzelius, auch Döbereiner und Smithson in England anfingen die Kieselerde als eine Säure anzusehen, so war es doch zuerst Berzelius, der bei der Aufstellung seines Mineralsystems ausgedehn- ten Gebrauch von dieser Annahme machte, wodurch die Kieselerde-haltigen 7 (L) H. Rose Mineralien in die Reihe der salzartigen Verbindungen gebracht, und hinsicht- lich ihrer Zusammensetzung nun erst richtig verstanden werden konnten. Die meisten in der Natur vorkommenden kieselsauren Verbindungen sind Doppelverbindungen, und bei der grofsen Mannigfaltigkeit derselben warf Berzelius die Frage auf, ob es wahrscheinlich sei, dafs die einzelnen Glieder einer solchen Doppelverbindung von ungleichen Sättigungsstufen sein könnten. Da er früher in chemischen Verbindungen nur die einfachsten Verhältnisse annahm, so liefs er sich bei der ersten Aufstellung des Systems durch theoretische Gründe bestimmen, ungleiche Sättigungsstufen bei den kieselsauren Doppelverbindungen für minder wahrscheinlich zu halten, zu- mal er bei der Untersuchung von Doppelsalzen anderer Säuren solche nie gefunden hatte. Er änderte indessen später diese Ansicht, nachdem er selbst e von neutraler kohlen- 5 saurer Magnesia mit zweifach-kohlensaurem Kali dargestellt hatte. zuerst die bekannte merkwürdige Doppelverbindun Wie die künstlichen Salze, so erhielten auch die der Kieselsäure und überhaupt alle in der Natur vorkommende Verbindungen, welche keine Mengungen sind, Formeln, welche ihre Zusammensetzung ausdrückten. Da Berzelius aber lange zweifelhaft war, wie viele Atome Sauerstoff er in der Kieselsäure annehmen sollte, und selbst später, als er für dieselbe 3 Atome festsetzte, diese Annahme nicht als eine vollkommen sichere betrachtete, so führte er für die kieselsauren Verbindungen einfachere Formeln ein, die er mineralogische nannte und durch den Druck von den chemischen unterschied. Die Feststellung richtiger Formeln, besonders für die kieselsauren Verbindungen, machte grolse Schwierigkeiten, da die Zusammensetzung von nur wenigen Mineralien mit grofser Sicherheit bekannt war. Die ersten quan- titativen Mineralanalysen waren von Torbern Bergman angestellt, aber nach so unvollkommnen Methoden, dafs man eigentlich durch sie fast nur die qualitative Zusammensetzung erfuhr. Nach diesen waren die von Klap- roth gekommen; sie bildeten gegen die von Bergman einen bedeutenden und erfreulichen Fortschritt, denn Klaproth hatte nicht nur bessere Unter- suchungs-Methoden angewandt, sondern auch mit viel gröfserer Genauigkeit gearbeitet. Aber auch die Klaprothschen Analysen, so wie die von Vau- quelin und anderen, die gleichzeitig mit ihm wirkten, hielten nur selten, wenn man die bestimmten chemischen Verhältnisse auf sie anwandte, diese Probe aus. Berzelius konnte freilich anfangs sehr oft nur eine muthmafs- Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LI) liche Formel für die Zusammensetzung von vielen Mineralien aufstellen, und meist auch nur dann, wenn er sich einige Abänderungen in den Resultaten der damals bekannten Analysen erlaubte, wobei er aber immer sehr vorsich- tig verfuhr. Erst später wurden die ungenaueren Analysen nach und nach durch genauere ersetzt, und zwar zuerst durch Berzelius selbst und durch seine Schüler, welche die von ihm angegebenen genaueren Methoden bei diesen Analysen anwandten. Berzelius hatte zuerst die Mineralien nach ihren electro-positiven Bestandiheilen geordnet. Nach Mitscherlichs Entdeckung der Isomor- phie, die einen so wichtigen Einflufls auf die Anordnung des Systems ausübte, hielt er es aber für zweckmälsiger, sie nach den electro-negativen Bestand- theilen zu ordnen, weil die Austauschung isomorpher Körper weit häufiger bei den Basen als bei den Säuren vorkommt, und daher die Anordnung des Systems nach den electro-negativen Bestandtheilen mehr den Ansprüchen der Mineralogen zusagt. — Beide Methoden haben übrigens ihre Vortheile; sie sind gleich wissenschaftlich, und lassen sich mit gleichem Rechte gebrau- chen; man hat also sehr mit Unrechi Berzelius diese Umänderung als eine Inconsequenz zum Vorwurf gemacht. Das Mineralsystem von Berzelius ist noch nicht ein vollendetes, das keiner Vervollkommnung mehr fähig wäre. Er war selbst weit davon ent- 8 fernt, so etwas behaupten zu wollen; vielmehr hat er während seines gan- zen spätern Wirkens sein System fortdauernd verbessert und von Zeit zu Zeit verändert herausgegeben. Die letzte Ausgabe desselben besorgte 1847 Rammelsberg auf Berzelius’ Wunsch. Die wichtigsten Modifieationen, welche mit diesem Systeme noch vor- zunehmen sind, dürften die sein, die sich aus einer mehr eingreifenden Anwen- dung der Lehre von der Isomorphie ergeben werden. Es ist freilich schwer sich darüber zu vereinigen, in welcher Art sie anzubringen sein würden. Berzelius hat indessen in einer Hinsicht wohl nicht ganz Recht, wenn er nämlich behauptet, dafs die Bestandtheile der Verbindungen allein es sein müssen, durch welche dieselben ihren Platz im Systeme erhalten. Noch in deın letzten von ihm herausgegebenen Jahresberichte äufsert er sich, dafs man es im Mineralsystem ganz allein mit den Grundstoffen und ihren unor- ganischen Verbindungen zu ihun habe, und diese wären es, welche systema- tisch geordnet werden mülsten. Er selbst aber macht auch auf die Schwie- li (LII) H. Rose rigkeiten aufmerksam, die dies nothwendig mit sich führen mufs. Darf man wohl, fragt er, aus Diamant und Graphit, oder aus Rutil, Brookit und Ana- tas, oder aus Kalkspath und Arragonit Eine Species machen? Schwerlich würden wohl die eigentlichen Mineralogen darauf eingehen. Berzelius aber bejaht die Frage; dennoch aber glaube ich, dafs selbst viele Chemiker ihm hierin nicht unbedingt beistimmen werden. Denn nicht blofs die Bestandtheile sind es, aus der alle charakteristischen Eigenschaften der Verbindung resultiren, sondern auch die Art und Weise der Vereini- gung, welche häufig durch die Form angedeutet wird. Fafst man dies ins Auge, so steht vielleicht der Bitterspath dem Kalkspath näher als der Arra- gonit, und selbst der Zinnstein dem Rutil näher, als der Anatas und der Brookit. Da die äufsern Charaktere der Mineralien sowohl durch ihre Bestand- theile, als auch durch die Art, wie diese mit einander verbunden sind, be- dingt werden, so folgt daraus, dafs dasjenige chemische System in der Mi- neralogie, welches sich einem natürlichen am meisten nähert, oder das mit ihm zusammenfällt, das vollkommenste sein mufs. Einige Zeit nach der Aufstellung des Mineralsystems gab Berzelius sein Werk: Uber die Anwendung des Löthrohrs in der Chemie und Mine- ralogie, heraus. Er hatte unter Leitung seines älteren Freundes Gahn in Fahlun, eines Schülers von Torbern Bergman und eines Freundes von Scheele, sich eine seltene Fertigkeit in Löthrohryersuchen erworben, und diesen speciellen Theil der angewandten Chemie durch eine grofse Menge eigner Untersuchungen bereichert und zu einem hohen Grade von Vollkom- menheit gebracht. Alles, sowohl was er von Gahn erlernt, als auch das von ihm gefundene Neue machte er in dem erwähnten Buche ausführlich bekannt. Selten ist ein Werk den Chemikern so wie dieses willkommen gewe- sen, aber auch nur selten konnte man bei einem Werke den praktischen Nutzen sogleich so erkennen, wie bei diesem. Es wurde sogleich in die mei- sten europäischen Sprachen übersetzt, und erlebte in einigen, namentlich in der deutschen, mehrere Auflagen. Überall fand es gerechte Anerkennung; nur der Herausgeber der englischen Ausgabe, Children, erlaubte sich, der Übersetzung eben so böswillige wie überflüssige Anmerkungen hinzuzu- fügen. Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LI) Aufser dem Verhalten der wichtigsten chemischen Verbindungen, aller Metalloxyde, der Säuren in ihren Salzen, der Schwefelmetalle u. s. w. vor dem Löthrohre beschrieb Berzelius auch das aller Mineralien, die er sich verschaffen konnte, und welche ihm, auch wenn sie höchst selten waren, von allen Seiten um so mehr bereitwillig dargeboten wurden, als er zu den Versuchen nur sehr kleine (Juantitäten nöthig hatte. Mit unermüdlichem Fleifse unterzog er sich diesen Untersuchungen, und konnte selbst denjeni- gen Mineralogen, die nur ungern der Chemie einen Einflufs auf die Minera- logie gönnten, eine höchst willkommne Gabe liefern, da durch einfache Löthrohrversuche manche Mineralien, namentlich mehrere kieselsaure Ver- bindungen, die schwer, mühsam oder nur zweideutig sich durch sogenannte äufsere Kennzeichen unterscheiden, leicht und sicher sich erkennen lassen, Dieses Werk trug auch sogleich bei seinem Erscheinen so sehr den Stempel der Vollendung-an sich, dafs aufser Plattner in Freiberg keiner wesentliche Beiträge und Verbesserungen zu den Löthrohruntersuchungen geliefert hat, und dafs es den Chemikern und Mineralogen noch heute eben so unentbehrlich ist wie vor 30 Jahren als es erschien. Nur jene Beiträge von Plattner bilden namentlich für den praktischen Berg- und Hüttenmann eine sehr wichtige Bereicherun 8. In diese Zeit fällt die Entdeckung des Selens und die bewundrungs- würdige Arbeit, die Berzelius über dasselbe geliefert hat. Noch nie ist über einen interessanten unbekannten einfachen Stoff eine so gediegene und erschöpfende Arbeit erschienen, die mit der gröfsten Vollständigkeit alle Eigenschaften und merkwürdigen Verbindungen eines neuen Elements um- fafst hätte, so dafs, wenn wir die Entdeckung der Selensäure durch Mit- scherlich, welche Berzelius entgangen war, ausnehmen, später in 30 Jah- ren fast nichts wesentlich Neues hinzugefügt werden konnte. Die Bewunde- rung mufs sich erhöhen, wenn man bedenkt, dafs Berzelius alle diese Un- tersuchungen mit einer sehr geringen Menge des Materials, nur mit einem Lothe Selen anzustellen gezwungen war, von welcher Quantität noch ein Theil während der Untersuchung durch die Unachtsamkeit eines Dieners ver- loren ging. Die Arbeit über das Selen kann nur mit der von Gay-Lussac über das Jod verglichen werden, welche mehrere Jahre früher erschienen ist und die uns in so vieler Beziehung wichtige Aufschlüsse gegeben hat. Es ist in- (LIV) H. Rose dessen zu berücksichtigen, dafs Gay-Lussac, der nicht der Entdecker des Jods war, diese Arbeit unternahm, nachdem die ersten Chemiker der da- maligen Zeit, namentlich Davy, die räthselhafte Natur des Jods schon bei- nahe festgestellt hatten, und dafs er über grofse Quantitäten des Materials verfügen konnte. Fast zu derselben Zeit, als Berzelius die Untersuchung der Verbin- dungen des Selens bearbeitete, beschäftigte sich Arfvedson in seinem La- boratorium mit der Analyse einiger schwedischer Mineralien, und unter Ber- zelius Anleitung gelang diesem die Entdeckung des Lithions, die, weil sie so unerwartet kam, ein gerechtes Aufsehen erregte. Die folgenden grölseren Untersuchungen von Berzelius bilden gleich- sam eine Reihe von Monographien über einzelne wichtige, damals noch nicht aufgeklärte Theile der Chemie. Es war natürlich, dafs als er anfing, das Ge- setz der chemischen Proportionen durch eine Aufeinanderfolge der mühsam- sten Untersuchungen zu beweisen, er vieles bei Seite schieben mulste, um nur erst das Gerüst des Gebäudes zu vollenden. Diese Arbeiten, die er jetzt aufnahm, sind alle nach einem überlegten Plane angestellt und er hatte zu allen den Entwurf lange im Kopfe mit sich herumgetragen, ehe er an die Untersuchung selbst ging. Die erste dieser gröfseren Arbeiten war die über die eisenhaltigen Cyanverbindungen. Bei der so überaus wichtigen Arbeit von Gay-Lussae über das Cyan, hatte dieser Chemiker es unterlassen, grade den eisenhalti- gen Oyanverbindungen seine Au fmerksamkeit zu schenken. Nach Gay-Lus- sac hatten mehrere Chemiker sich mit der Untersuchung dieser Verbindun- gen beschäftigt; alle aber hatten sehr verschiedene Resultate erhalten; die meisten jedoch nahmen an, dafs das Eisen in den sogenannten eisenhaltigen blausauren Salzen einen wesentlichen Bestandtheil der Säure ausmache, die in den Salzen mit einem oxydirten Körper verbunden sei. Berzelius zeigte nun, dafs in den Salzen weder Blausäure noch oxy- dirte Basen enthalten wären, sondern dafs sie aus Cyaneisen, verbunden mit einem alkalischen Cyanmetall bestehen, und also Doppeleyanüre sind. Er dehnte seine Untersuchungen auch auf die sogenannten schwefelblausauren Salze aus, und zeigte, dafs sie aus Metall, Schwefel und Cyan, letztere beide zu einem Radical (welches er später Rhodan nannte) vereinigt bestehen, Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LV) und dafs in ihnen ebenfalls weder Blausäure noch eine oxydirte Base ent- halten ist. Diese Untersuchungen, durch welche die Ansichten von Gay-Lussac über das Cyan vollkommen bestätigt wurden, waren aber noch in einer an- dern Hinsicht für Berzelius von grofser Wichtigkeit. Nachdem nämlich Davy durch seine Untersuchungen schon im Jahre 1810 zu der Ansicht ge- führt worden war, dafs es einfacher und wahrscheinlicher sei, das Chlor, welches man bis dahin für einen zusammengesetzten Stoff und für eine Ver- bindung von Sauerstoff mit einem für sich nicht dargestellten Radical hielt, für einen einfachen Stoff anzusehen, gingen nach und nach die meisten Che- miker zu dieser Ansicht über. Auch Gay-Lussaec und Thenard, welche schon vor Davy eine ähnliche Ansicht für möglich, wenn auch nicht grade für wahrscheinlicher als die alte gehalten hatten, erklärten sich mit Vauque- lin und allen andern französischen Chemikern nach der Entdeckung des Jods öffentlich für die neue Lehre, und die berühmte Abhandlung über das Jod von Gay-Lussac, welche im Jahre 1813 erschien, ist im Sinne der- selben geschrieben. Nur Berzelius, der schon anfangs die Ansicht von Davy bestritt, fuhr fort, auch,nach der Entdeckung des Jods, die alte Lehre zu vertheidi- gen. Er ıhat dies namentlich in einer Abhandlung, die 1815 zuerst in Gil- berts Annalen erschien. In dieser suchte er mit einem tiefen Scharfsinn, der auch wenn man jetzt nach so langer Zeit den Aufsatz von Neuem liest, Je- dem grofse Anerkennung abzwingen mufs, die alte Lehre von der Zusammen- gesetztheit des Chlors zu beweisen. Er wies dabei auf die sonderbare Er- scheinung hin, dafs die Bestandtheile des Chlorstickstoffs, die nur durch eine sehr schwache Verwandtschaft verbunden sind, sich in einem Augen- blicke mit einer eben so lebhaften Feuererscheinung trennen wie die ist, welche sonst nur bei chemischen Verbindungen statt findet. Vor allen Din- gen aber machte er auf die Analogie aufmerksam, welche zwischen den salz- sauren Salzen, die nach der neuen Theorie im wasserfreien Zustand keine oxydirten Substanzen enthalten, und den schwefelsauren, phosphorsauren und andern Salzen besteht, welche ohne Widerrede Verbindungen von Sauer- stoffsäuren mit oxydirten Basen sind, und in denen ein Sauerstoffgehalt leicht nachgewiesen werden kann. (LVD) H. Rose Berzelius’ Autorität und seine mit so grofser Gründlichkeit durch- geführten Widerlegungen aller Beweise, welche für die neue Theorie spre- chen sollten, waren Ursach, dafs namentlich in Deutschland sehr viele Che- miker die Davy’sche Ansicht über die Natur des Chlors nicht annahmen. Der nächste Grund, weshalb Berzelius die Untersuchung über die Eiseneyanüre unternahm, war offenbar der, dafs er in ihnen, weil sie zerstör- barer als die salzsauren Salze sind, ein zusammengesetztes (mit Sauerstoff zu einer Säure verbundenes) Radical, mit einer oxydirten Base vereinigt, zu fin- den vermuthete, so wie er dies in den salzsauren Salzen annahm. Unstreitig bezweifelte er in etwas die Richtigkeit der Gay-Lussac’schen Versuche über das Cyan. Da nun die eisenblausauren Salze in ihren Eigenschaften den ge- wöhnlichen Sauerstoffsalzen so ähnlich sind, da namentlich auch mehrere Cyanmetalle, wie Cyanquecksilber und Cyansilber den analogen salzsauren Verbindungen vollständig entsprechen, so glaubte er durch diese Untersu- chung, wenn er in den Verbindungen Sauerstoff finden könnte, einen star- ken Beweis für die Gegenwart von Sauerstoff in den salzsauren Salzen, also eine Stütze für die Richtigkeit der alten Theorie von der Natur des Chlors zu erhalten. | Durch das Resultat seiner Untersuchungen ergab sich aber das Gegen- theil von dem, was er zu finden erwartete, und so fiel damit auch der Haupt- grund gegen die neue Lehre über die Natur des Chlors fort. Und da sich nach und nach noch andere Gründe für die gröfsere Wahrscheinlichkeit der neuen Theorie fanden, so ging Berzelius mit der liebenswürdigsten Offen- heit zu derselben über, und verliefs die alte Lehre, welche er so lange Zeit hindurch mit so vielem Scharfsinn vertheidigt hatte. Einer dieser Gründe war, wie ich weils, unter andern der folgende: Unmittelbar nach Berzelius’ Untersuchungen über die Eisencyanüre stellte Leopold Gmelin das interessante rolhe Doppelsalz von Cyankalium mit Eiseneyanid dar, das wasserfrei ist, und in welchem kein Sauerstoff gefunden werden konnte. Die rothe Farbe des Eisenoxyds, welche das- selbe mehr oder weniger auch seinen Salzen (doch nicht den neutra- len) mittheilt, war für Berzelius mit ein Grund, das rothe Eisenchlorid für ein wirkliches Salz mit einer oxydirten Base zu halten, und da nunin dem Gmelin’schen Salze ungeachtet seiner rothen Farbe, das Eisen nicht als Oxyd enthalten war, sondern 1 Doppelatom desselben mit 3 Doppelatomen Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LVID Cyan vereinigt ist, so wurde es Berzelius wahrscheinlich, dafs die rothe Farbe von Eisenverbindungen eben so gut davon herrühren könne, wenn 1 Doppelatom Eisen mit 3 Atomen Sauerstoff oder mit 3 Doppelatomen von Chlor oder von Cyan verbunden sei. Ein anderer Hauptbeweggrund, um die neue Theorie von der Natur des Chlors anzunehmen, waren für Berzelius die Resultate, welche er für dieselbe aus seiner nun folgenden umfassenden Arbeit über die sogenannten Schwefelalkalien schöpfte. Nach Berthollets Untersuchungen sah man diese für Verbindungen von Schwefel mit Alkali an, bis Vauquelin die An- sicht aufstellte, dafs wenn ein feuerbeständiges Alkali mit Schwefel zusam- mengeschmolzen wird, ein Theil des Alkalis durch den Schwefel zu Metall reducirt werde, sich Schwefelsäure bilde, und man eine Mengung von schwe- felsaurem Alkali mit dem alkalischen Metalle im geschwefelten Zustande er- halte. Dies, was Vauquelin nur vermuthungsweise aussprechen konnte, und nicht durch überzeugende Versuche zu beweisen im Stande war, bewies nun Berzelius sogleich unwiderleglich’ durch die vollkommen glückende Reduction des schwefelsauren Kalis vermittelst Wasserstoffgases oder der Dämpfe des Schwefelkohlenstoffs. Er erhielt dadurch Schwefelkalium, in welchem kein Sauerstoff enthalten sein konnte. Auch durch Behandlung der wasserfreien Kalkerde mit Schwefelwasserstoffgas bei erhöhter Tempe- ratur erhielt Berzelius Wasser und Schwefelealeium. Durch diese Ver- suche wurde klar, dafs wenn Schwefelhepar, durch Zusammenschmelzen von Schwefel mit kohlensaurem Kali erhalten, nach der Auflösung in Was- ser Schwefelsäure enthält, diese nicht, wie Berthollet vermuthete, erst bei der Auflösung durch Zersetzung des Wassers entsteht, sondern schon bei der Heparbildung durch die Reduction des Alkalis zu Metall gebildet werden mufs. Berzelius fand ferner, dafs die alkalischen Metalle in mehreren be- stimmten Verhältnissen mit Schwefel verbunden werden können, welche Ver- bindungen alle im Wasser auflöslich sind. Es entstand also die Frage: was ‚enthält eine solche Auflösung? eine Frage, — deren Beantwortung besonders wichtig ist, wenn man sie mit der Auflösung der Chlormetalle in Beziehung bringt. Ist jene Auflösung eine Auflösung des unveränderten Schwefelmetalls in Wasser, oder oxydirt sich das alkalische Metall, und entsteht daher eine Verbindung von Schwefelwasserstoff und Alkali, oder eine Verbindung von Schwefelwasserstoff, Schwefel und Alkali? Da im letzteren Falle eben so 8 (LVIMI) H. Ross viele Verbindungen des Schwefels mit Wasserstoff angenommen werden müfsten, wie man sie mit dem alkalischen Metalle kennt, so spricht sich Berzelius mehr für die erste Ansicht aus. Spätere Untersuchungen über die Auflösung der Schwefelverbindungen der Metalle der alkalischen Erden in Wasser haben in der That gezeigt, dafs hierbei eine Wasserzersetzung statt findet, und sich eine Verbindung von Schwefelmetallen mit Schwefel- wasserstoff und alkalische Oxyde bilden. Für Berzelius ging aus diesen Untersuchungen hervor, dafs es Schwefelverbindungen giebt, die den salzsauren Salzen sehr analog sind, und dafs es also Körper geben kann, welche, ohne eine Säure und eine OXy- dirte Base zu enthalten, wie die Chlormetalle alle den Salzen eigenthüm- lichen Charaktere besitzen, wodurch daher alle die Beweise gegen die neue Chlortheorie wegfielen, welche er aus der vollständigen Analogie der salzsauren Salze mit Salzen, die aus einer Sauerstoffsäure und einer oxydir- ten Base bestehen, entnommen hatte. An diese Untersuchung der alkalischen Schwefelmetalle schliefst sich die so wichtige über die Schwefelsalze an, welche indessen erst mehrere Jahre später als jene erschien. Schon in jener Abhandlung machte Berzelius darauf aufmerksam, dafs sich. die Schwefelverbindungen der Metalle der Alkalien und der alkali- schen Erden mit manchen andern Schwefelmetallen aufeineähnliche Weise mit einander verbinden, wie die Oxyde jener Metalle mit andern Oxyden. Diese Verbindungen bilden dann Doppel-Sulphureta, welche mit den gewöhnli- chen Salzen verglichen werden können, indem das eine Schwefelmetall den electro-positiven, das heifst den basischen, das andere hingegen den electro- negativen, den Säure vertretenden Theil der Verbindung ausmacht. Hierbei aber tritt nur die niedrigste Schwefelungsstufe der Metalle der Alkalien und der alkalischen Erden, das heifst die, welche hinsichtlich ihrer Zusammen- setzung dem basischen Oxyde dieser Radicale entspricht, als basisches Schwefelmetall auf; die höheren Schwefelungsstufen verhalten sich dann gleichsam wie Superoxyde; sie können wohl andere Metalle schwefeln, aber sich nicht mit deren Schwefelverbindungen vereinigen. Die Schwefelungsstufen der electro -negativen Metalle, welche Ber- zelius Sulphide genannt hat, und deren Zusammensetzung den metallischen Säuren analog ist, verbinden sich mit.den electro-positiven oder basischen Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LIX) Schwefelmetallen in solchen Verhältnissen, dafs wenn der Schwefel gegen gleich viele Sauerstoff- Atome ausgetauscht würde, irgend eins von den Sal- zen entstände, welche die nämlichen Radicale in ihrem oxydirten Zustande hervorbringen würden. Von den Schwefelverbindungen der nicht metallischen Elemente ver- binden sich nur die Schwefelverbindungen der Kohle und des Wasserstoffs mit den basischen Schwefelmetallen; die letztern Verbindungen, nämlich die des Schwefelwasserstoffs mit den alkalischen Schwefelmetallen waren schon früher unter dem Namen Hydrothion-Alkalien bekannt, aber erst jetzt konnte ihre richtige Zusammensetzung verstanden werden. Diese grofse Reihe von Schwefelverbindungen betrachtet Berzelius ganz naturgemäls wie Salze und giebt ihnen den passenden Namen Schwefel- salze; zum Unterschied von den Sauerstoffsalzen, oder den schon längst bekannten Salzen, und den sogenannten Haloidsalzen, unter welchem Na- men Berzelius die Verbindungen des Chlors, des Broms, des Jods, des Fluors und des Cyans so wie anderer zusammengesetzter Radicale mit Me- tallen begreift. Die Entdeckung der Schwefelsalze ist unstreitig eine der bedeutend- sten Erweiterungen in der Chemie. Mit grofsem Fleifse unterzog sich Ber- zelius der Untersuchung derselben; denn die Zahl der von ihm untersuch- ten Schwefelsalze beträgt ungefähr 120, von denen er freilich viele nur flüch- tig behandeln konnte, viele aber genau quantitativ analysirt hat. Es folgt nuu die Arbeit über die Fluorwasserstoffsäure, eine der wich- tigsten Untersuchungen von Berzelius, da sie ein so unerwartetes Licht über mehrere der interessantesten Theile der Chemie verbreitet hat. Thenard und Gay-Lussac hatten zwar schon früher die Fluor- wasserstoffsäure in ihrem reinen Zustande und mit ihr mehrere Verbindun- gen dargestellt. Da sie aber zugleich mit einer so grofsen Menge von andern wichtigen Arbeiten beschäftigt waren, so verfolgten sie diese Untersuchungen nicht weiter, und erforschten namentlich die Erscheinungen nicht genau ge- nug, die sich ihnen zeigten, als sie Kalium in Fluorkieselgas erhitzten. Berzelius stellte zuerst die wichtigsten Fluormetalle im reinsten Zu- stand dar, und ging dann zu den merkwürdigen Verbindungen über, welche die Fluorwasserstoffsäure mit electro-negativen Fluorverbindungen bildet, namentlich mit Fluorkiesel und mit Fluorbor, aber auch mit Fluortitan, s* (LX) H. Rose Fluortantal und andern. Durch ihn erhielten wir erst eine richtige Vorstel- lung von der Zusammensetzung der Kieselfluorwasserstoffsäure, und der Kieselfluormetalle, so wie von der Einwirkung des Wassers auf Fluorkiesel- gas. Am erfolgreichsten aber wurden diese Untersuchungen, als Berzelius die Versuche von Gay-Lussac und Thenard, Kieselfluor durch Kalium zu zerlegen, wiederholte. Er hatte nämlich grade die Brunner’sche Methode, Kalium aus kohlensaurem Rali und Kohle zu bereiten, durch Wöhler ken- nen gelernt, und sich dadurch gröfsere Mengen von Kalium verschafft. Bei der Zersetzung des Kieselfluors durch Kalium erhielt er dieselben Resultate, wie die französischen Chemiker, nämlich den braunen, nicht metallischen Körper, welchen jene für eine complieirte Verbindung von Kieselfluorkalium, und von Fluorkalium mit Kieselerde hielten. Berzelius erkannte diesen Körper für unreinen Kiesel, der wenn er mit Wasser ausgewaschen wurde, frei von jeder Fluorverbindung erhalten werden konnte. Er enthielt dann nur noch viel Kieselsäure, welche man aber nach vorhergegangener langsa- mer Erhitzung bis zum Glühen durch concentrirte Fluorwasserstoffsäure leicht ausziehen konnte. Berzelius zeigte ferner, dafs der Kiesel in ver- schiedenen Zuständen der Dichtigkeit und von verschiedenen Eigenschaften erhalten werden könne. Dieses unerwartete Resultat veranlafste ihn nun, ähnliche Untersu- chungen mit dem Fluorborgas vorzunehmen. Wir verdanken ihm die rich- tige Kenntnils von der Zersetzung des gasförmigen Fluorbors durch Wasser und die von der Zusammensetzung der Borfluormetalle, so wie eine leichte Darstellung des Bors durch Behandlung des Borfluorkaliums mit Kalium. Er entdeckte dabei auch das gasförmige Chlorbor und berichtigte die Be- stimmung der Zusammensetzung der Borsäure nach eignen und nach Arf- vedson’s Versuchen. Er stellte ferner im Zusammenhange mit diesen Un- tersuchungen die Verbindungen des Fluortitans mit Fluormetallen dar, na- mentlich die mit Fluorkalium, aus welcher Verbindung er vermittelst Ka- liums das metallische Titan bereiten lehrte. Es ist dies bis jetzt die ein- zige Methode der Darstellung des reinen metallischen Titans, da das auf andere Weise dargestellte, so wie das in den Hohofenschlacken gefundene Titan nach Wöhler’s Untersuchungen bekanntlich sich als stickstofthaltig und cyanhaltig erwiesen hat. Eben so untersuchte er die Verbindungen des Fluortantals mit Fluormetallen, und stellte auf ähnliche Weise wie das Titan Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXD) auch das metallische Tantal dar. Er redueirte ferner das Zirconium aus dem Kaliumzirconfluorid vermittelst Kaliums, bestimmte die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Zirconerde, und wandte sıch endlich zu den Doppelverbindungen des Fluormolybdäns und des Fluorwolframs mit Fluor- metallen, von denen aber nur die mit Fluorkalium in Verbindung mit mo- Iybdänsauren und wolframsauren Kali dargestellt wurden. Berzelius hatte die Absicht, diese so interessanten Untersuchungen über Fluorverbindungen noch weiter auszudehnen. Da er aber vernahm, dafs ein ausgezeichneter französischer Chemiker ebenfülls anfing, die Fluor- verbindungen zum Gegenstande seiner Untersuchung zu machen, und auch schon vorläufig einzelne aufgefundene Fluorverbindungen nannte, so unter- brach Berzelius seine Arbeit. Es ist zu bemerken, dafs bei diesen Untersuchungen Berzelius die Flufssäure noch als eine Sauerstoffsäure und von ihr, wie früher von der Salzsäure, annahm, dafs das Radical in ihr mit zwei Atomen Sauerstoff ver- bunden sei. Aber noch in demselben Jahre, als er seine Untersuchungen über die Fluorverbindungen abgebrochen hatte, im Jahre 1825, bemerkt er in dem ersten Theile der dritten deutschen Auflage des Lehrbuchs, dafs es wahrscheinlicher sei, die Flufssäure wie die Salzsäure für eine Wasserstoff- säure zu halten und er beschrieb alle Fluorverbindungen im Sinne dieser Annahme. Neben diesen umfassenden Arbeiten von Berzelius erschienen zu gleicher Zeit eine Menge kleinerer. Sie entstanden alle auf die Weise, dafs ihm bei der Ausarbeitung des Lehrbuchs eine Menge zweifelhafter That- sachen aufgestolsen waren, worüber, um sie schnell zu entscheiden, er so- gleich in seinem Laboratorium Versuche anstellte. Von diesen will ich hier nur die Abhandlung über den sogenannten Chlorkalk erwähnen, welcher früher allgemein, besonders nach Gay-Lussac’s Vorgang, für eine Verbin- dung von Chlor mit Kalkerde angesehen wurde, so wie man das sogenannte Chlorkali und Chlornatron ebenfalls für Verbindungen von Chlor mit Al- kalien hielt. Berzelius hingegen, unmittelbar nachdem er zu der Ansicht von der Einfachheit des Chlors übergegangen war, erklärte diese bleichen- den Verbindungen für Mengungen von Chlormetallen mit Salzen, welche eine Oxydationsstufe des Chlors als Säure enthielten. Er hielt, da er den (LXII) H. Rose Gegenstand nicht näher untersuchte, diese Säure anfangs für chlorichte Säure, bis aus den Untersuchungen von Balard hervorging, dafs sie unterchlorichte Säure sei. Dafs alle anderen damals veröffentlichten Erklärungen über die Na- tur des Chlorkalks unrichtig seien, zeigte Berzelius durch die Nachwei- sung einer Oxydationsstufe des Chlors in, diesen bleichenden Verbindungen. Er löste in einer Auflösung von kohlensaurem Kali so viel Chlorkalium auf, als diese aufnehmen wollte, und leitete Chlorgas durch dieselbe, sättigte sie aber nicht damit. Nach wenigen Augenblicken begann Chlorkalium nieder- zufallen, das kein oder fast kein chlorsaures Kali enthielt; die Flüssigkeit war bleichend geworden. Wurde die Flüssigkeit von dem gefällten Chlor- kalium getrennt, und vollständig mit Chlorgas gesättigt, so wurde chlor- saures Kali gefällt, das kein oder nur schr wenig Chlorkalium enthielt. Es mufste sich also bei der ersten Einwirkung des Chlors Chlorkalium aus Kali gebildet haben, dessen Sauerstoff sich nur mit Chlor zu der bleichenden Verbindung vereinigt haben konnte. Schon seit längerer Zeit war es der Wunsch von Berzelius gewesen, Untersuchungen mit den seltenen, das Platin begleitenden Metallen, anstel- len zu können, deren Kenntnifs durch die Arbeiten der Chemiker, welche dieselben entdeckt hatten, nur eine unvollständige geblieben war. Dieser Wunsch konnte in Erfüllung gehen, als nach der Entdeckung der grofsen Mengen des uralischen Platins Berzelius durch Herrn v. Cancrin eine be- deutende Menge natürliches Platin, so wie auch natürliches Osmium-Iridium erhielt. Dies gab ihm Veranlassung zu einer sehr bedeutenden Arbeit über das Verfahren, die natürlichen Platinerze zu zerlegen, wodurch wir die sel- tenen, das Platin begleitenden Metalle eigentlich erst genau kennen lernten. Er untersuchte ihre Eigenschaften, bestimmte die Atomgewichte des Rho- diums, des Palladiums, des Iridiums und des Osmiums, und stellte eine Menge ihrer Verbindungen dar. Bei der grofsen Menge der Oxyde und Chlo- ride dieser Metalle, und bei ihrer grofsen Ahnlichkeit unter einander, war diese Untersuchung eine sehr schwierige, und auch in Beziehung auf das Osmium und die Osmiumsäure eine höchst unangenehme. Aber obgleich Berzelius selbst äufsert, dafs er gleichsam nur die ersten Umrisse zur Ge- schichte dieser Metalle gegeben habe, so ist doch auch diese Arbeit, wie jede Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXII) die aus Berzelius Händen kam, eine äulserst gediegene, und bis zu einem gewissen Grade vollkommne. Die folgende Arbeit von Berzelius betraf eine neue eigenthüm- liche Erde, die Thorerde, welche er in einem Minerale von Brevig in Norwegen entdeckte. Früher hatte er bei der Untersuchung der Mineralien in der Nähe von Fahlun eine erdartige Substanz in sehr geringer Menge ge- funden, die er, aber nicht mit Gewilsheit, für eine neue Erde hielt, und sie vorläufig Thorerde nannte; später aber hatte er sich überzeugt, dafs sie aus phosphorsaurer Yttererde bestände. Da nun die neu entdeckte Erde in ei- nigen ihrer charakteristischen Eigenschaften der älteren Thorerde glich, so nannte er sie ebenfalls Thorerde, das Mineral, in welchem er sie entdeckt, Thorit, und das Metall, welches er aus der flüchtigen Chlorverbindung ver- mittelst Kaliums dargestellt hatte, Thorium. — Die Thorerde gehört zu der Gruppe von Erden, welche der Zirconerde in ihren Eigenschaften sehr ähn- lich sind, und von welcher in neueren Zeiten Syanberg, Bergemann und Sjögren noch mehrere entdeckt haben. Berzelius nahm in der Thorerde nur ein Atom Sauerstoff an; die Versuche aber, welche er über das Atom- gewicht des Metalls und der Erde angestellt hat, sind wohl nicht ganz ent- scheidend, und es mag wahrscheinlicher sein, dafs die Erde aus zwei Atomen Metall und drei Atomen Sauerstoff zusammengesetzt ist. Der Gegenstand der nächsten Arbeit ist aus dem Gebiet der organi- schen Chemie. Sie betraf die vergleichende Untersuchung der Weinstein- säure und der Traubensäure. Berzelius berichtigte zuerst seine frühere Analyse der Weinsteinsäure, in welcher er ein Atom Wasserstoff mehr als Prout und Hermann angegeben hatte, und er schlofs sich den Resultaten dieser Chemiker an. Dann aber fand er die, namentlich für die damalige Zeit höchst auffallende Thatsache, dafs die krystallisirte Weinsteinsäure mit der verwitterten Traubensäure vollkommen gleich zusammengesetzt sei, und beide Säuren dieselbe Sättigungscapaeität hätten. Es war dies eins der er- sten recht constatirten Beispiele, dafs Körper von ungleichen Eigenschaften eine gleiche Zusammensetzung haben könnten. Nur Berzelius hatte schon früher bei dem Zinnoxyde und Faraday einige Zeit nachher bei den Ver- bindungen der Kohle und des Wasserstoffs etwas Ahnliches bemerkt; auch hatte Clarke die merkwürdige Modification der Phosphorsäure, die er Pyro- “ (LXVI) H. Ross phosphorsäure nannte, entdeckt. Berzelius fafste bei dieser Gelegenheit das auf eine interessante Weise zusammen, was von diesen Körpern, die er isomerische nannte, bekannt war. Diese Benennung ist allgemein angenom- men worden, nachdem die Zahl dieser Körper sich aufserordentlich ver- mehrt hat. Berzelius hat sich von dieser Zeit an oft mit diesem Gegenstande beschäftigt, der gewils auch für jeden denkenden Chemiker und für jeden denkenden Naturforscher überhaupt von dem gröfsten Interesse sein mufs, da er uns das Wesen der Materie etwas näher zu enthüllen Hoffnung geben kann. Zu wiederholten Malen hat er seine Ansichten darüber ausgesprochen, theils in den von ihm herausgegebenen Jahresberichten, theils in den ver- schiedenen Ausgaben seines Lehrbuchs. Zuletzt nahm er zwei wesentlich verschiedene Arten von Isomerie an und nannte im engern Sinne nur die Körper isomerische, bei denen die Atome der einfachen Stoffe sich auf eine ungleiche Weise zu zusammengesetzten Körpern zusammengruppirt haben. Diese isomerischen Körper können aber wiederum von zweierlei Art sein. Sie bestehen entweder aus Verbindungen, welche bei einem gleichen Atom- gewicht verschiedene Eigenschaften zeigen, oder aus Verbindungen, in de- nen zwar die relativen Gewichtsverhältnisse der Bestandtheile bei ungleichen Eigenschaften gleich sind, die Atomgewichte aber nicht, sondern wo die einen ein zwei-, drei- u. s. w. mal so grolses Atomgewicht, als die andern haben. Letztere nannte Berzelius zum Gegensatz von den erstern poly- merische Verbindungen. Die andere Art der Isomerie nennt Berzelius Allotropie. Sie be- zieht sich blofs auf einfache Körper, die durch noch nicht genau ermittelte Ursachen eine ungleiche Beschaffenheit annehmen, und diese auch wie es scheint, in manchen Verbindungen beibehalten, wo sie dann die Ursach der Verschiedenheiten in den Eigenschaften der Verbindungen werden kann. Wo isomerische Zustände bei zusammengesetzten Körpern vorkommen, die nur aus zwei einfachen Stoffen bestehen, und in sehr einfachen Verhältnissen mit einander verbunden sind, kann nach Berzelius weniger die ungleiche Anordnung der einfachen Atome die Ursach der Isomerie sein, sondern sie ist in diesen Fällen durch die Allotropie bedingt; es können indessen auch Fälle vorkommen, wo beide Ursachen zusammen wirken. Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXV) Bisweilen mag Berzelius in der Annahme allotropischer Zustände etwas zu weit gegangen sein. Denn es ist möglich, dafs eine scheinbare Allo- tropie blols von einer verschiedenen Zertheilung herrühren kann. So hatte einige Jahre vor der Entdeckung der ersten Beispiele der Isomerie Magnus die interessante Thatsache gefunden, dafs wenn die Oxyde des Eisens, des Nickels und des Kobalts bei möglichst niedriger Temperatur vermittelst Was- serstolfgas zu Metallen redueirt werden, diese bei Berührung mit der atmo- sphärischen Luft sich von selbst entzünden, und sich oxydıren. Olfenbar rührt diese pyrophorische Eigenschaft von der feinen Zertheilung der Me- talle her, und sie wird vernichtet, wenn bei der Reduction eine höhere Tem- peratur angewandt wird, wodurch die fein zertheilten Metalltheilchen zu- sammensintern. Von ähnlicher Art ist auch wohl die Verschiedenheit des Platins, je nachdem es auf nassem Wege aus seinen Salzen redueirt, oder durehs Glühen des Platinsalmiaks erhalten worden ist; ferner auch wohl selbst die ungleiche Brennbarkeit des Kiesels, und dessen ungleiche Lös- lichkeit in Fluorwasserstoffsäure. Berzelius war indessen geneigt, alle diese Verschiedenheiten allotropischen Zuständen zuzuschreiben. Kurz nach dem Erscheinen der Abhandlung von Berzelius über die Körper, welche bei gleicher Zusammensetzung ungleiche Eigenschaften be- sitzen, ging Dumas so weit, dafs er die kühne Frage aufwarf, ob manche einfache Körper nicht allotropische Zustände desselben Körpers wären, sol- che namentlich, welche fast oder vollkommen dasselbe Atomgewicht haben, wie Nickel und Kobalt, Platin und Iridium u. s. w. — Berzelius äufserte sich über diese Hypothese lobend, und hielt es für recht, dafs man neue Ideen nach allen Seiten verfolge, wenn man auch dabei nicht streng an das halten könne, was für den Augenblick als wahrscheinlich zu betrachten sei; denn das Rechte erscheine zuweilen auf den ersten Anblick ungereimt, und jedenfalls wäre dies eine Methode, rascher zu den Resultaten zu gelangen, die aus einer neuen Idee hervorgehen können. Freilich kann auf der andern Seite nicht geläugnet werden, dafs die Frage von einem mit der Isomerie gleichartigen Verhalten zwischen Elementen, die analoge, aber doch bestimmt verschiedene chemische Verhältnisse haben, in ein Gebiet fällt, wo wohl niemals unsere Vermuthungen geprüft werden können. Die nächste grofse Arbeit von Berzelius war die über das Vanadin. Sefström hatte in dem Stabeisen von Taberg ein neues Metall gefunden, 2) (LXVI) H. Rose das er Vanadin genannt hatte. Er hatte indessen seine Arbeit darauf be- schränkt, das Oxyd oder vielmehr die Säure desselben, besonders aus den Frischschlacken des Taberger Eisens darzustellen, und nur die Eigenschaften zu bestimmen, durch welche es sich charakteristisch unterscheidet. Er über- liefs darauf seinen Vorrath von Vanadinsäure Berzelius, damit dieser alle Verhältnisse des neuen Metalls untersuchen möchte. Diese Untersuchung ist eine sehr ausführliche; wir haben durch sie den neuen Körper vollstän- dig in allen seinen Beziehungen kennen gelernt, und da diese mannigfaltig und interessant sind, und die Säure nur wenig Ähnlichkeit mit andern me- tallischen Säuren hat, so dafs es schwer war, ihr die richtige Stellung unter denselben anzuweisen, so ist diese Arbeit von Berzelius über das Vanadin fast mit der über das Selen zu vergleichen, denn beide haben das Eigen- thümliche, dafs wir durch sie neue bisher ganz unbekannte Stoffe, obgleich bei beiden nur sehr geringe Mengen des seltenen Materials verwandt werden konnten, so vollständig in allen Beziehungen kennen gelernt haben, dafs spätere Untersuchungen nur wenig, und nichts Wesentliches mehr hinzufügen konnten. Man fand nachher das Vanadin an mehreren Orten, doch immer nur in kleinen Mengen; namentlich machte Wöhler darauf aufmerksam, dafs die Säure des neuen Metalls auch in dem Bleierz von Zimapan in Me- xico enthalten sei, in welehem Del Rio schon 1801 ein neues Metall ge- funden, und es Erythronium genannt hatte; aber durch die Autorität von Collet-Descotils, der dasselbe für Chrom erklärte (womit das Vana- din allerdings einige Ähnlichkeit hat), irre geleitet, diese seine Entdeckung nachher als einen Irrthum anerkannte. Eine ähnliche Arbeit war die zunächst folgende über das Tellur. Schon früher hatte Berzelius mit sehr geringen Mengen dieses in so vieler Hinsicht interessanten Metalls Untersuchungen angestellt, welche er aber nicht vervollständigen konnte, da es ihm an dem Material fehlte. Als ihm nun Wehrle eine bedeutende Menge dieses seltenen Metalls übersandte, welches derselbe aus dem Tellurwismuth von Schemnitz dargestellt hatte, nahm Berzelius diese Untersuchungen wieder auf. Er zeigte zuerst, wie dieses Metall in seinem reinsten Zustand dargestellt werden könne. Er stellte ferner alle Verbindungen der tellurichten Säure (des Telluroxyds), so wie die Verbindungen der von ihm entdeckten Tellursäure mit Basen dar, und Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXVII) zwar in den verschiedenen isomerischen Modificationen, welche diese Säu- ren bilden. Auch diese Arbeit ist eine so vollendete, dafs durch sie auch dieses merkwürdige Metall in allen seinen Beziehungen vollständig bekannt geworden ist. Die letzte von den gröfseren Arbeiten von Berzelius ist die über die Meteorsteine. Er hatte sie in der Absicht unternommen, um diese Kör- per, wie dies mein Bruder und auch Nordenskjöld schon früher ge- than hatten, als Gebirgsarten zu studiren, und um dabei bestimmen zu können, aus welchen einzelnen Mineralien sie gemengt sind. Die nächste Veranlassung dazu war ein ihm von Reichenbach übersandter Meteorstein, der ein Jahr zuvor in Mähren gefallen war. Aber aufser diesem untersuchte er noch drei andere erdige Meteorsteine und zwei gediegene Eisenmassen. Aus seinen Analysen zieht Berzelius den Schlufs, dafs die Meteorsteine aus lauter Mineralien bestehen, welche wir auch auf der Erde finden, und dafs sie mit Sicherheit keinen elementaren Bestandtheil enthalten, den wir nicht auch in den irdischen Körpern antreffen. Nur in dem Meteorstein von Alais fand er Kohle in einer unbekannten Verbindung; es zerfällt dieser Stein im Wasser zu einer Erde, die nach Thon und Heu riecht. Dies zeigt, dafs wenn, wie Berzelius meinte, die Meteorsteine aus einem andern Welt- körper stammen, sie in ihrer Heimath wie die tellurischen Gebirgsarten zu thonähnlichen Gemengen zerfallen können. Er warf sich nun die Frage auf: enthält diese kohlenhaltige Erde von der Oberfläche eines andern Weltkör- pers organische Überreste, befinden sich also auf demselben organische Körper mehr oder weniger ähnlich den irdischen? Man kann sich vorstel- len, mit welchem Interesse er diese Frage zu beantworten suchte. Die Ant- wort fiel nicht bejahend aus; aber die Resultate der Untersuchung berech- tigten auch nicht zu einer verneinenden Antwort. Wasser und Alkalien zo- gen aus dem Meteorstein nichts Organisches aus, aber bei der trocknen De- stillation wurde Kohlensäure, Wasser und ein schwarzgraues Sublimat, frei- lich in sehr geringer Menge erhalten, aber kein empyreumatisches Öl, und kein Kohlenwasserstoff; die kohlenhaltige Substanz war also nicht von der- selben Natur wie der Humus in der tellurischen Erde. Das Sublimat gab durchs Erhitzen in Sauerstoffgas keine Kohlensäure und kein Wasser, und verwandelte sich in einen weilsen unlöslichen Körper, dessen Natur bei der 9* (LX VII) H. Ross geringen Menge nicht ermittelt werden konnte. Ihn für einen unserer Erde nicht ursprünglich angehörigen elementaren Stoff zu erklären, wäre aber eine Übereilung gewesen. Dies war die letzte der gröfseren Abhandlungen von Berzelius. Seine nicht sehr feste Gesundheit, die schon früher ihn oft zu Unterbre- chungen bei seinen Arbeiten genöthigt hatte, wurde bei dem herannahen- den Alter immer wankender, und erlaubte ihm nicht mehr, lange und dau- ernd im Laboratorium zu verweilen. Er litt, wie nicht selten sehr geistreiche Menschen, besonders an nervösen Kopfleiden, welche auch durch die mä- fsigste Lebensart nicht gemildert werden konnten. Er fing nun über Ab- nahme der Sinne, namentlich des Auges zu klagen an; auch beschwerte er sich über Schwäche des Gedächtnisses. Deshalb aber hörte seine wissenschaftliche Thätigkeit nicht auf. Bis zu seinem Ende interessirte er sich für alle Theile der Chemie, und nahm den lebhaftesten Antheil an allen Leistungen in dieser Wissenschaft. Ja, da er nun nicht mehr durch grölsere praktische Arbeiten in Anspruch genom- men wurde, so concentrirte er seine Thätigkeit mehr auf literarische, und er that dies mit einem Eifer und Fleifs, die um so mehr Anerkennung ver- dienen müssen, da mit jedem Jahre seine körperlichen Leiden zunahmen. Als Produkte der literarischen Thätigkeit von Berzelius will ich hier nur vorzugsweise der verschiedenen Auflagen seines ausführlichen Lehr- buchs der Chemie, und seiner Jahresberichte über die Forschritte der phy- sikalischen Wissenschaften Erwähnung thun. Von andern Werken, nament- lich von seinen Vorlesungen über Thierchemie und von seinem Werke über die Anwendung des Löthrohrs ist schon im Vorhergehenden die Rede ge- wesen. Berzelius Lehrbuch der Chemie ist zuerst schwedisch erschienen. Es wurde von Blumhof, dann von Blöde und Palmstedt ins Deutsche übertragen; die letzten Auflagen haben aber Wöhler und Wiggers bear- beitet. Auch in andere Sprachen wurde es übersetzt; in keiner aber hat es so viele Auflagen erlebt, wie in der deutschen; denn aufser den Übersetzun- gen von Blumhof und Blöde sind fünf Auflagen davon erschienen. Die vorletzte, die vierte, bestand nach der Vollendung aus 10 Theilen. Die fünfte und letzte hat Berzelius 1842 angefangen, aber nicht mehr vollendet; es sind davon bis 1848 nur 5 Bände, freilich sehr umfangreiche (jeder Band ist Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXIX) beinahe von 60 Druckbogen) erschienen. Es ist nur die unorganische Che- mie vollendet, nicht die organische, von welcher nur die beiden letzten Theile handeln, und von welchem der bedeutendste Theil, namentlich die Thierchemie fehlt. In diesem Lehrbuche hat Berzelius mit grofser Ausführlichkeit alle Thatsachen niedergelegt, welche ihm in der Wissenschaft bekannt geworden sind, und zwar mit ungemeiner Deutlichkeit und Klarheit und in einer sehr gewandten Darstellung. Zugleich ist alles mit einer gesunden Kritik beurtheilt, die keiner so unpartheiisch und gerecht ausüben konnte, wie grade er, derin der Wissenschaft so hoch stand. Die Ordnung, die er gewählt hat, ist zwar nicht eine vollkommen systematische, was bei einer noch so unvollendeten Wissenschaft, wie es die Chemie ist, gewifs nur zweckmäfsig genannt werden kann. Aber namentlich in dem unorganischen Theile ist doch eine gewisse so wohl begründete Reihenfolge, dafs man sich in dem Werke sehr leicht zu- recht findet. In dem organischen Theile sind die Thatsachen nicht streng nach einem rein wissenschaftlichen Prineip geordnet, und die Eintheilung, die bei den unorganischen Verbindungen beobachtet wurde, konnte unmög- lich auch bei den organischen durchgeführt werden. Denn obgleich Ber- zelius sich immer lebhaft dafür ausgesprochen hatte, dafs nur die Anwen- dung dessen, was uns über die Verbindungsweise der Elemente in der un- organischen Natur bekannt ist, der Leitfaden zur Beurtheilung der Verbin- dungen der organischen Körper sein müsse, so war er doch genöthigt zu ge- stehen, dafs wir noch lange nicht so weit gekommen sind, alle organische Körper nach Radicalen, Oxyden, Chloriden u. s. w. wie die unorganischen abzuhandeln. Die meisten der angenommenen organischen, oft complieirt zusammengesetzten Radicale sind zu hypothetischer Natur; sie gewinnen nur dann einen etwas sicherern Charakter, wenn man wenigstens einige Verbindungen des Radicals mit andern einfachen Körpern hervorbringen, und den Sauerstoff in ihnen durch Chlor, Schwefel u. s. w. ersetzen kann. Dazu kommt noch, dafs die Chemiker in der Art, sich die Zusammensetzung der org 5 wenn sie auch in dem Haupt - Prineip übereinstimmen. Auch ändern sich anischen Körper vorzustellen, sehr verschiedener Meinung sind, selbst natürlich die verschiedenen Anordnungen, je nachdem mehr neue That- sachen bekannt werden. Es ist daher für jetzt wenigstens auch gewils zweck- mäfsiger, die organischen Substanzen in einem Lehrbuche oder Handbuche (LXX) H. Rose in einer Weise abzuhandeln, wie es Berzelius gethan hat, nämlich nach Gruppen, welche immer diejenigen Körper enthalten, die in gewissen che- mischen Eigenschaften am meisten sich ähnlich sind. Denn man hat öfters gesehen, dafs Hand- und Lehrbücher der organischen Chemie, die nach einem strengeren Princip durchgeführt worden sind, gerade weniger den g, erfüllen. Berzelius hat sich in dem organischen Theile seines Lehrbuchs ge- Hauptzweck eines solchen Buchs, die bequeme Orientirun gen die sogenannte Substitutions- Theorie und gegen das Gesetz der Typen ausgesprochen. Fr nimmt dagegen an, dals in den organischen Substanzen gepaarte Verbindungen vorkommen, in welchen sich z.B. Säuren mit zu- sammengesetzten Radicalen, oder mit deren Oxyden, Chloriden u. s. w. auf eine solehe Weise verbinden, dafs die Säure nicht dadurch gesättigt wird, sondern sauer zu sein fortfährt, und sich mit Basen verbinden kann, ohne dafs sie sich bei der Sättigung mit denselben von dem Körper, dem Paar- ling, Säure als Bestandtheil in die Salze eintritt. \Wenn eine Säure eine solche trennt, mit welchem sie vorher verbunden war, und welcher mit der Verbindung eingegangen ist, so hat sie dadurch gewöhnlich so veränderte Eigenschaften erhalten, dafs weder die Säure noch ihre Salze der freien Säure und deren Salzen ähnlich sind. Wird Wasserstoff in der organischen Substanz durch Chlor oder durch einen andern Salzbildner ersetzt, so ge- schieht dies zuerst in dem Paarling und nicht in der Säure, und jener hört dadurch nicht auf Paarling in dem chemisch wirkenden Oxyde zu sein, wel- ches im Fall es eine Säure ist, seine Eigenschaften als Säure behält und Salze bildet mit mehr oder weniger bemerkenswerthen Veränderungen in den Eigenschaften, welche durch die veränderte Zusammensetzung des Paar- lings entstehen. Man hat behauptet, dafs die Substitution des Wasserstoffs durch Chlor in den organischen Verbindungen nach den electro-chemischen Ansichten von Berzelius gar nicht zu erklären wäre, und dafs diese deshalb nicht richtig sein können. Aber wenn eine solche Substitution statt findet, so fin- det sie, wie schon erwähnt, gewöhnlich nur in dem zusammengesetzten Ra- dical, das heifst, im Paarling statt, und es bildet sich dann ein neues Radi- cal, in welchem Chlor wohl dieselbe Stelle wie Wasserstoff einnehme, aber nicht dieselbe Rolle wie dieses spielen kann. Es werden also die Substitu- tionen nach Berzelius sehr genügend erklärt, und wenn man unbefangen Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXXD seine Theorie mit den andern vergleicht, die in der organischen Chemie in so grolser Menge aufgestellt worden sind, so kommt man zu der Überzeu- gung, dals jene bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft die That- sachen genügender als irgend eine andere zu erklären im Stande ist. Bei genauer Durchsicht der verschiedenen Auflagen des Lehrbuchs von Berzelius wird man dem Verfasser die gröfste Bewunderung nicht versagen können. Es ist nicht nur die klare und fafsliche Darstellung, wel- che anzieht, die gesunde unpartheiische Kritik, welche Männer der enigegen- gesetzten Ansichten zur gerechten Anerkennung zwingt, oder die grofse Aus- führlichkeit, indem keine noch so kleine Thatsache, wenn sie nur von irgend einem Einflusse war, übergangen ist, sondern es ist auch der grofse Fleiß, der uns in Erstaunen setzen mufs. Wenn uns ein Mann der Wissenschaft weiter nichts geliefert hätte, als diese zahlreichen Bände so vieler Auflagen eines vortrefflichen Lehrbuchs, von denen jede so vollständig umgearbeitet worden ist, dafs nur Weniges der vorhergehenden aufgenommen wurde, so würden wir ihm die dankbarste Anerkennung seines grolsen Fleifses nicht verweigern können. Und diese Arbeit machte doch nur einen kleinen Theil der Leistungen von Berzelius aus. Es ist rührend, sich der Worte zu erinnern, mit welchen Berzelius die Vorrede zur letzten deutschen Auflage, welche er nicht ganz vollenden konnte, schliefst. Sie ist vom November 1842. Er sagt: „Es konnte mir nicht entgehen, dafs, wenn mir auch der Höchste Leben und Kräfte zur Vollendung noch dieser Auflage, deren erster Theil nun dem Publicum über- geben wird, vergönnen sollte, diese doch die letzte werden wird. Aus die- sem Grunde glaube ich sie so umarbeiten zu mässen, dafs ich darin die Schlufs- Ansichten niederlegen konnte, die sich bei mir als die wahrschein- licheren geltend gemacht haben, in dem langen Zeitraume, in welchem ich so glücklich war, mit ununterbrochener Aufmerksamkeit die Entwicklung der Wissenschaft von den ersten Jugendjahren der antiphlogistischen Che- mie an bis auf die jetzige Zeit verfolgen zu können — glücklich, wenn unter dem Vielen was eine zukünftige erweiterte Erfahrung ändern oder berichti- gen wird, wenigstens Einiges sich als richtig aufgefalst erweist. Mit dem vol- len Gefühl der Unsicherheit in unseren theoretischen Ansichten, die wir doch nicht entbehren können, habe ich gestrebt, bei ihrer Darstellung dem Leser keine festere Überzeugung von ihrer Richtigkeit beizubringen, als sie (LXXII) H. Ross mir zu verdienen scheinen, und ich habe daher stets seine Aufmerksamkeit auf das Unsichere in der Wahl der Erklärungsarten gerichtet. Es ist ein gro- {ses Hindernils für das Fortschreiten einer Wissenschaft, wenn man Über- zeugung von der Richtigkeit von Solchem beibringen will, was unsicher ist. Was man glaubt, unterwirft man keiner weiteren Untersuchung und die Ge- schichte der Wissenschaft zeigt, dafs ein eingewurzelter Glaube an theore- tische Begriffe oft nicht den handgreiflichsten Beweisen von ihrer Unrichtig- keit gewichen ist. Viele der Vertheidiger des Phlogistons brauchten eine langwierige Entwicklung der Lehre von der Oxydation, um von ihrer Rich- tigkeit überzeugt zu werden, und mehrere ausgezeichnete Männer darunter starben mit dem Glauben an das Phlogiston.” Ein nicht minder grofsartiges Unternehmen wie das des Lehrbuchs, waren die Jahresberichte über die Fortschritte der physikalischen Wissen- schaften, welche vom Jahre 1820 an bis zu Berzelius’ Tode regelmälsig in jedem Jahre erschienen. Der letzte vollendete Jahresbericht umfafst die Entdeckungen vom Jahre 1846. Es sind also’27 Bände desselben von Ber- zelius herausgegeben. Nachdem Berzelius als Nachfolger des Botanikers Olof Swartz zum beständigen Secretar der Akademie der Wissenschaften erwählt worden war, gelang es ihm unter andern wichtigen Veränderungen, die er in den Statuten der Akademie für nothwendig hielt, auch die Einrichtung durch- zusetzen, dals von verschiedenen Mitgliedern der Akademie, namentlich von den verschiedenen Intendanten der akademischen naturhistorischen Samm- lungen, jährliche Berichte über die Fortschritte in den verschiedenen phy- sikalischen Wissenschaften ausgearbeitet würden, welche in der jährlichen öffentlichen Sitzung der Akademie am 31“ März, dem Stiftungstage dersel- ben, vorgelegt und im Auszuge vorgelesen werden mulsten, worauf sie im Druck erschienen. So wurden Mitglieder der Akademie für die Ausarbei- tung solcher jährlichen Berichte im Fache der Botanik, der Zoologie, der Astronomie, der Mathematik und der Technologie verpflichtet; Berzelius selbst aber übernahm die Fächer der Physik, der unorganischen Chemie, der Mineralogie, der Pflanzen- und Thier- Chemie und der Geologie. Nur ein Mann wie Berzelius, der alle Theile der Chemie so gleich- mäfsig übersah, und in allen selbst so viel gearbeitet hatte, konnte einem solchen Unternehmen auf das vollständigste entsprechen. Lange noch wer- Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXXIN) den diese Jahresberichte ein Muster bleiben von der Art und Weise, wie überhaupt Arbeiten der Art durchzuführen sind. Die Berichte waren sehr ausführlich in den Fächern, die Berzelius vorzugsweise übersah, wie in der unorganischen Chemie, in dem chemischen Theile der Mineralogie, in der Pflanzen- und Thier- Chemie; weniger ausführlich, und nur die wich- tigsten Entdeckungen enthaltend in den Wissenschaften, mit denen Berze- lius sich entweder nie speciell beschäftigt, oder in denen er in der letzten Hälfte seiner wissenschaftlichen Thätigkeit nicht selbst gearbeitet hatte, wie in der Geologie und in der Physik. Die Berichte waren meist objectiv gehalten; waren die Ansichten der Verfasser der ursprünglichen Abhand- lungen mehr oder weniger auch die von Berzelius, so gab er, je nach der gröfseren oder geringeren Wichtigkeit des Gegenstandes einen mehr oder weniger gedrängten, jedenfalls aber einen musterhaften Auszug. Stimmten indessen die Ansichten der Verfasser nicht mit denen von Ber- zelius überein, so erlaubte er sich motivirte Urtheile, und beobachtete eine edle und unpartheiische Kritik, die nicht oder nur in sehr seltenen Fällen etwas heftiger wurde. In dieser Art ist es wahrlich zu bedauern, dafs grade der letzte seiner Jahresberichte, der die Entdeckungen des Jah- res 1846 enthält, mit einem lebhaften Streite gegen einen andern berühmten Chemiker schliefst. Niemals aber mischte Berzelius Persönlichkeiten in seine Urtheile, und wenn man auch manchmal nicht mit ihnen übereinstim- men konnte, so waren sie doch immer so beschaffen, dafs sie bisweilen zwar wohl die, welche sie betrafen, schmerzen, aber doch nie in ihnen ein bitteres Gefühl erregen konnten. Für die Wissenschaft selbst waren diese Berichte von dem gröfsten Nutzen. Mehrmals hat Berzelius aus den Arbeiten anderer wichtige Schlüsse gezogen, die den Verfassern ganz entgangen waren, und eben so oft hat er auf neue Versuche aufmerksam gemacht, die noch angestellt wer- den müfsten, um die erhaltenen Resultate zu bekräftigen, oder neue wich- tige Folgerungen darauf zu gründen. Auf diese Weise wirkte er aufserordent- lich anregend. Auch zu eignen Versuchen wurde er durch die Ausarbeitung der Berichte veranlafst; er legte dann die Resultate derselben, wenn sie de- nen der Versuche von andern widersprachen, sie verbesserten oder erwei- terten, in den Berichten nieder. 10 (LXXIV) H. Rose Besonders ausführlich waren die Berichte, wenn es galt, Meinungen und Ansichten zu widerlegen, die nach Berzelius für die Entwicklung der Wissenschaft hätten nachtheilig werden können. So enthalten z.B. die Be- richte der Entdeckungen der Jahre 1838 und 1839 sehr ausführlich die Gründe gegen die Ansicht, die organischen Säuren als Wasserstoffsäuren zu betrachten, und die gegen die Substitutions-Theorie. Immer sind diese Aus- einandersetzungen der Gründe mit seltener Klarheit und Unbefangenheit ab- gefafst. Man hat diesen Jahresberichten hin und wieder den Vorwurf gemacht, dafs sie manchmal sehr vollständig und in einigen Fällen zu ausführlich, manch- mal hingegen, namentlich in dem physikalischen Theile, zu karg und unvoll- ständig gewesen seien. Dies ist freilich nicht zu läugnen. Aber esist doch zu natürlich, dafs Berzelius die Fächer, für welche er sich speciell interessi- ren mufste, und die er vorzugsweise beherrschte, mit besonderer Vorliebe bearbeitete. Da er aber in allen Theilen der Chemie fast gleichmäfsig zu Hause war, so wird man jenen Vorwurf den Berichten über die eigentlichen chemischen Wissenschaften nicht machen können. Was den physikalischen Theil der Berichte aber betrifft, so hat Berzelius denselben nur übernom- men, weil früher kein Mitglied der Akademie in Stockholm ihn übernehmen wollte oder konnte. Nur für die Jahre 1838 und 1839 ist er von Wrede bearbeitet worden. Da sich Berzelius nur mit denjenigen Theilen der Phy- sik beschäftigt hat, welche innig mit der Chemie zusammenhängen, so sind auch fast nur diese Theile der Physik von ihm in seinen Berichten berück- sichtigt worden. Eben so fand sich auch kein anderer Bearbeiter für den geologischen Theil der Berichte. Da Berzelius sich aber nie speciell und überhaupt nur in so weit mit der Geologie beschäftigt hat, als dieselbe mit der Chemie zu- sammenhängt, so hat er auch nur den chemischen Theil der Geologie be- rücksichtigt, und im Übrigen nur die geologischen Arbeiten erwähnt, welche sein specielles Vaterland, Schweden, betrafen. In den letzten Jahrgängen der Berichte fehlen die über Geologie ganz. Ich habe es versucht, im Vorhergehenden ein Bild von der umfassen- den wissenschaftlichen Thätigkeit von Berzelius zu geben. Selten ist wohl die Wissenschaft durch die Bemühungen eines Einzigen so weit, wenigstens auch in ihren speciellen Theilen, so wie durch ihn gefördert worden, und Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXXV) in der Chemie hat wohl kaum ein anderer des Vortrefflichen und des Ge- diegenen so viel geliefert, als er. Diese Schilderung seiner wissenschaftlichen Verdienste würde indes- sen doch nur eine schwache Vorstellung von der ganzen Gröfse des unvergefs- lichen Mannes geben, wenn wir dieselbe nur nach jenen beurtheilen wollten. Denn selten hat man in einem so hohen Grade, wie in ihm, eine so voll- kommne Übereinstimmung des Geistes und des Charakters gefunden. Was den, der längere Zeit den Umgang von Berzelius zu geniefsen das Glück hatte, so unwiderstehlich an ihn fesselte, war nur zum Theil der hohe Ge- nius, dessen Funken aus allen seinen Arbeiten hervorsprühten, war nur zum Theil die Klarheit, die überraschende Fülle der Ideen, die unermüdliche Sorgfalt und der grofse Fleifs, der Allem, was von ihm ausging, das Ge- präge der höchsten Vollendung aufdrückte. Es waren — und jeder, der ihn genauer kannte, wird mit mir übereinstimmen —, es waren zugleich jene Eigen- schaften, die ihn auch als Mensch so hoch stellten, es war die Aufopferung für andere, die edle Freundschaft, die er für alle die zeigte, welche er der- selben werth hielt, die hohe Uneigennützigkeit, die grolse Gewissenhaftig- keit, die vollkommne und gerechte Anerkennung der Verdienste anderer, kurz, es sind alle jene Eigenschaften gewesen, die aus einem biedern ehren- werthen Charakter entspringen. Diese sind es, welche alle, die mit ihm län- gere oder kürzere Zeit hindurch in Berührung kamen, namentlich alle seine Schüler—unsere Akademie hat in ihrem Schoofse deren mehr, als das ganze ‘ übrige Deutschland— mit der innigsten Pietät gegen sein Andenken erfüllten. Berzelius betrat die wissenschaftliche Laufbahn gemeinschaftlich mit andern ausgezeichneten Männern, welche gleichfalls die Chemie mit Riesen- schritten fördern halfen. Es war dies eine Zeit, wie sie keine andere Wissen- schaft je erlebt hat, denn keine andere ist aus den Zuständen der Kindheit in so unglaublich kurzer Zeit bis zu einer gewissen Reife emporgewachsen. Berzelius war fast in demselben Jahre geboren, wie H. Davy und Gay-Lussac. So ähnlich aber auch das Wirken dieser drei Männer in der Wissenschaft gewesen ist, so verschieden war es doch auch wieder in man- cher Hinsicht. Davy’s glänzende Entdeckungen, namentlich die der metallischen Natur der Alkalien, gaben der Chemie einen aufserordentlichen Aufschwung, und waren Ursach der grofsen Aufregung der Geister in derselben. Er lei- 10* (LXXVD) H. Ross stete Grofses durch grofse Entdeckungen, deren weitere Ausführung er aber mehr andern überliefs. Er starb schon in der Blüthe seines Lebens, aber gewissermalsen war die Blüthe seines Geistes schon vorüber. Arm geboren war er zu grofsen äulsern Ehren und zu grofsen Reichthümern gelangt, die ihn grade vielleicht verhindert haben, später so viel wie früher für die Wis- senschaft thätig zu sein. Man mufste es vielmehr im hohen Grade bedauern, dafs er in den letzten Jahren seines Lebens sein ungewöhnliches Talent von der Wissenschaft fast ganz abwandte, für welche er noch so viel hätte leisten können. Gay-Lussac begann seine wissenschaftliche Thätigkeit mit der Ent- deckung eines wichtigen Gesetzes in der Physik; aber darauf wandte er sich ganz der Chemie zu, und förderte sie durch eben so glänzende Entdeckun- gen wie durch genaue Untersuchungen. Ihm verdankt man unter anderen un- gemein wichtigen Thatsachen auch das für die Lehre der einfachen Proportio- nen, in welchen sich die Körper verbinden, so einflufsreiche Gesetz, dafs die Gasarten sich in einfachen Volumverhältnissen mit einander verbinden, von welcher Entdeckung er indessen anfangs nicht die vielseitige Anwendung ge- macht hat, deren sie fähig war. Aber die glänzendsten Arbeiten von Gay- Lussac sind unstreitig, aufser den mit Thenard herausgegebenen physica- lisch- chemischen Untersuchungen, die zwei Abhandlungen über das Jod und über das Cyan. Auch abgesehen von dem überaus bedeutenden Einflufs, den diese Arbeiten auf das ganze Gebiet der Chemie geäufsert haben, können sie grade als Muster-Abhandlungen angesehen werden, sowohl wegen des In- halts, als wegen der strengen Folgerichtigkeit der Schlüsse und der vortreffli- chen Redaction. So oft man sie auch von Neuem lesen mag, stets wird man noch jetzt, so lange nach ihrem Erscheinen, zur Bewunderung für sie hin- gerissen. Als aber bald nach dem Erscheinen der Abhandlung über das Cyan Gay-Lussac gemeinschaftlich mit Arago die Herausgabe der Annalen der Chemie und Physik unternahm, wurde seine wissenschaftliche Thätig- keit allmälig schwächer. Die ersten Bände dieser Zeitschrift enthalten zwar noch manche kleine Aufsätze und Bemerkungen, die an den Verfasser der Abhandlungen über das Jod und das Cyan erinnern; nach einigen Jahren jedoch hörte seine wissenschaftliche Thätigkeit auch hier beinahe ganz auf, und fast noch mehr als bei dem schon früh dahingeschiedenen Davy ist es Gedächtnifsrede auf Berzelius. (LXXVII innig zu bedauern, dafs Gay-Lussac, der erst vor Kurzem und nach Ber- zelius gestorben ist, schon im kräftigen Mannesalter seiner für die Wissen- schaft so viel versprechenden Thätigkeit entsagt hat. Nicht so Berzelius. Auch er gelangte nach den Jahren der Dürftig- keit allmälig zwar nicht zu grofsen Reichthümern, aber doch zu äufsern Eh- ren, ohne dafs er sie im mindesten suchte. Aber er wurde dadurch nicht der Wissenschaft entfremdet; im Gegentheil, er benutzte jede höhere Stel- lung nur zum Vortheil derselben. Immer war die Wissenschaft einzig und allein das Ziel seines Strebens, und nie bediente er sich ihrer zu einem ihr fremden Zweck. So vollständig war sein ganzes Leben der Wissenschaft geweiht, dafs selbst unter den Leiden, die ihm in der letzten Zeit eine schmerzhafte Krankheit bereitete, sein ganzes Sinnen und Denken auf sie allein gerichtet blieb. Solche Männer stellen in ihrem begeisterten Wirken gleichsam das Urbild des wahren Gelehrten dar, und wer fühlte sich nicht glücklich, ihnen im Leben zu begegnen. T—&NNIINNIE rd var N er rohe um dam Al, g/l) » vo ihn A a N Wh a Te ind "1 u . BLDIeT ET TEE TEE PT IRe BAen Yan. di BT nn ‚nkunsnikni ae ae E | VE ee ea na ee We ru ah al ars ed aan Ki N: j N ae un ee [T) vers lab BET? ob ETELITETE Sy DT ee SETZT, Ver ” ne 7 v ww um id Hal: ya Syn KR OR ar si 4 ' ) in ee shrihe tech IeTTTTERTRRTEN ETL BEIDEIETTIEE TER am hinein re a > rg un wide. > 2 haus } j , ; „AZ i fr ar ya = 2 Pe U# ZWEIT WIRRLU ZZ 2 sy. ALGE ph \ [2 u; a > Di q 148 B - i EN wu » fr . . » Mu Au % Gar v se eu Me fi Tre men huhır 2 E S Me an er 0; Du an dr ER 4 PEPTEREEYE u . er A Ya t L) . u 058 SCH I. ji‘ de er. FR on ae - Zw Sa Bas id di ’ en PR EN es “x ed; eo A. um of [2] I J R g \ fi 1 AR n Ya EN Mi Ir { “io sed NN wei wre | Me ei R kann ee rn ah: hd ri Ivy Je a re ro Da Bi; DIE Z kn PN, Physikalische Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. anna nnannnnnnnoennnnnnn Aus dem Jahre 1851. .A.a.Inan nannnnnennennn Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1852. In Commission in F. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung. ee > "6 dd # 2 I u DE wedarigTu: Er 2) | | R | ; "7 FOOT PIE BET RENTEN ET? Fe 2 ‚allıall nix % . u er Zz ’ u En ETF f N Zar ng Br 2 a »+hch wahnn d tra ’ % nn EEE ) ARZT GE EE wu i = sehen tt 4 -] ven E:n.:h a hi: MaAsnus über thermoelectrische Ströme ....... ER le Ahe ae e Dee Seite MÜLLER über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres ...........22.2. - KARSTEN über den jetzigen Zustand der Verfahrungsmethoden zur Darstellung des? Stlberstaususemen, ErzenWeaatersre Mehl heetels e Seine ONE —anaunanıo we i Anl RR Air = M ie inte TASTER N ei h Kar uw RE 3 gs there yundinsurell Io a 2 0727,05 at ah ET u Are har = ur RE 1 er Sa, a) Wr a AT FERN 2 Nr nz is 4 Are: Über thermoelectrische Ströme. or ING MNGNUS. nv vun [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. März 1851.] Inhalt. 8 1-7. Einleitung; $ 8. Beschreibung des Galvanometers; $ 10-13. Vorsichtsmalsregeln für die Ver- suche mit einem fest geschlossenen Leiter; $ 11-20. Eine Verschiedenheit in der Dicke veranlalst bei demselben Metalle keinen Strom; $ 21-22. Die Ausstrahlung der Wärme veranlafst keinen Strom; $ 23-28. Vergleichung der Intensität des Stroms für verschiedene Metalle; $ 29. Thermosäule aus einem Metalle (Monosäule); $ 30-40. Richtung und Intensität des Stroms bei der Berührung von warmen und kalten Stücken desselben Metalls;; $ 41. Bei Berührung von warmem und kaltem Quecksilber entsteht kein Strom; $ 42-45. Folgerungen; $ 46-48. Theoretische Betrachtungen; g49. Vergleichung der Wärmeleitung für Messing und Neusilber im harten und weichen Zustande; $ 50-55. Thermoelectrische Ströme beruhen auf Contact. 1. F. sind fast 30 Jahre vergangen seit Thomas Johann See- beck in dieser Akademie die Entdeckung mittheilte welche seinen Namen unvergefslich gemacht hat(!). Was seitdem in diesem Gebiete geleistet wor- den, hat zwar unsere Kennutnifs von den thermoelectrischen Erscheinungen erweitert, auch sind dadurch neue Hülfsmittel geschalfen worden, welche es möglich machten die vollständige Analogie zwischen Wärme und Licht nachzuweisen, allein unsere Vorstellungen von der Entstehung der thermo- electrischen Ströme haben seit Seebeck nicht an Klarheit gewonnen. Es sei mir gestattet heut auf diesen Gegenstand zurückzukommen. Derselbe verdient, nach meiner Ansicht, ein um so gröfseres Interesse als offenbar die Entstehung der thermoelectrischen Ströme sich in dem näch- sten Zusammenhange mit der Entstehung der Electrieität überhaupt befindet. (') 16. Aug. 1821. Phys. Kl. 1851. A 2 Mıcnvs Wenn auch gegenwärtig der Streit zwischen der sogenannten chemischen und der Contact-Theorie ziemlich ruht, wenn es sogar den Anschein hat, als ob man auch aufser Deutschland die letztere immer mehr als die richtige anerkennt, so ist doch auch diese Theorie so lange lückenhaft als nicht sämt- liche Arten der Erregung dieses, für uns noch so räthselhaften Agens auf einen gemeinsamen Erklärungsgrund zurück geführt sind. Dies aber ıst ge- wifs nicht der Fall so lange man noch zweifelhaft ist ob die thermoeleetri- schen Erscheinungen auf Wärme -Leitung oder auf Strahlung beruhen, oder welcher anderen Wirkung der Wärme sie ihre Entstehung verdanken. Eine Untersuchung über den Ursprung dieser Ströme liefs daher hoffen dafs durch sie auch die Theorie der hydroelectrischen Säule eine festere Begründung erhalten werde. 2. Seebeck giebt schon bei der ersten ausführlichen Bekanntma- chung seiner Entdeckung (1) eine Theorie von der Erregung der Electrieität durch Temperaturdifferenz. Er geht dabei von dem Vorgange aus welcher in einem Bogen stattfindet, der nur aus einem Metalle besteht, indem er sich diesen erst offen und an dem einen Ende erwärmt vorstellt. Seine Erklä- rung ist aber nicht ganz klar, denn theils beruht sie auf einer Theorie des Contacts, indem die ungleichartige Berührung an den beiden Enden des einen Metalls die Electricität veranlassen soll, theils und vorzugsweise ist es die Bewegung der Wärme in den Metallen von welchen die Entstehung des Stroms abgeleitet wird. 3. Bald nach Seebecks Entdeckung gewann die Theorie nach wel- cher die Electrieität der galvanischen Säule nur durch chemische Wirkung hervorgebracht wird immer mehr Anhänger und diese würdigten die Entste- hung der thermoelectrischen Ströme um so weniger einer Beachtung, als diese für ihre Ansicht nicht nur nicht pafsten, sondern sogar den gegründet- sten Einwand gegen dieselbe bildeten. Der sogenannten Contacttheorie ab- hold suchten die wenigen Physiker, welche sich mit den thermoelectrischen Erscheinungen beschäftigten, andere Erklärungen für dieselben, und glaubten diese namentlich in der Fortpflanzung der Wärme zu finden. Nobili(?) ging so weit zu behaupten dafs jeder electrische Strom, (') Denkschriften der Berl. Akad. Jahrg. 1822 u. 23. p. 339. Poggend. Annal. VI. 261. (2) Schweigger. Jahrbuch LIII. 264. über thermoelectrische Ströme. 3 gleichviel ob thermoelectrisch oder hydroelectrisch, nur auf einer Bewegung der Wärme beruhe und dafs die electrischen Ströme nur Ströme des Wär- mestoffs seien. 4. Becquerel(!) hat nicht die Leitung der Wärme allein sondern auch die Wärmestrahlung und aufserdem auch noch das electrische Leitungs- vermögen der Metalle als die Ursache der Electricitätserregung angesehen. Er sagt in seinem Traite d’Electrieite I. p.244.: Er werde zeigen dafs das thermoelectrische Vermögen eines jeden Metalls, d.h. die Fähigkeit die es erlangt diese oder jene Electrieität, in geringerer oder gröfserer Menge bei seiner Berührung mit einem andern Metalle auszusenden, nicht nur von dem Ausstrahlungsvermögen des Metalls abhänge, sondern auch von seiner spe- eifischen Wärme und seinem electrischen Leitungsvermögen. Und dann fährt er fort: Obgleich man die Ursachen kennt welche zusammen die allge- meine Wirkung hervorbringen so kann man doch, bei dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft, den Antheil, welchen jede derselben hat, nicht bestimmen. Wenn man aber diesen Antheil nicht anzugeben vermag, so ist man auch nicht im Stande zu wissen ob überhaupt die Richtung des electrischen Stromes durch diese Ursachen bedingt werde, und ob sie nicht vielleicht auf einem ganz andern Verhalten der sich berührenden Körper beruhe. Viel- leicht ist es nicht überflüfsig hier daran zu erinnern, wie Hr. Becquerel(!) zu dem Schlusse gelangt, dafs das thermoelectrische Verhalten der Metalle von dem Ausstrahlungsvermögen abhängig sei. Er findet nämlich dafs Gold, Silber, Zink und auch Kupfer dasselbe thermoelectrische Vermögen besi- tzen, und sucht nun für welche unter den verschiedenen Eigenschaften der Körper in Bezug auf Wärme diese Metalle sich gleich verhalten. Da man nur für das Ausstrahlungsvermögen keinen Unterschied zwischen denselben bis jetzt beobachtet hat, so glaubt Hr. Beequerel annehmen zu müssen, dafs die Stärke und die Richtung des Stromes von dem Ausstrahlungsver- mögen für die Wärme abhänge. 5. Der Baron von Wrede (?). hat gestützt auf Versuche welche er angestellt hat, die Becquerelsche Vermuthung für richtig erklärt. Er meint, (') Annales de Chimie et de Physique XLI. 365. (?) Poggendorff Annal. LV. 175. A Mıcnvs was auch schon Becquerel ausgesprochen hat, dafs man in Folge jener Ansicht annehmen müsse, dafs bei dem Contact zweier Metalle eine Wärme- strahlung von den einander berührenden Flächen wie in der Luft stattfinde und dafs der Unterschied zwischen dem Strahlungsvermögen der Metalle die Richtung und Intensität des Stromes bestimme. Es scheint mir zweifelhaft ob man die Ausstrahlung eines Körpers in die Luft gleichsetzen kann mit der welche in eine andere Metallmasse hin- ein stattfindet. Indefs sieht Bar. Wrede hierin keine Schwierigkeit. Er sagt das Eisen habe wie bekannt die Eigenschaft bei Berührung mit fast al- len andern Metallen in niederen Temperaturen positiv zu sein, in höheren dagegen negativ; es müsse daher das Wärmestrahlungsvermögen desselben bei niederen Temperaturen gröfser, bei höheren aber kleiner als das aller übrigen Metalle sein, wenn die thermoelectrischen Eigenschaften der Kör- per in einem directen Verhältnifs zu ihrem Wärmestrahlungsvermögen stehn. Er vergleicht darauf das Wärmestrahlungsvermögen von Eisen und Kupfer, und findet dafs das des ersteren, des Eisens, in höherer Temperatur gerin- ger, bei niederer aber gröfser als das des Kupfers ist, und hält hierdurch die Becquerelsche Vermuthung für bestätigt. Ich will hier auf die Methode der Untersuchung nicht weiter eingehn, zu berücksichtigen scheint mir aber dafs Kupfer sowohl als Eisen (und das sind die beiden einzigen Metalle deren Ausstrahlungsvermögen Bar. Wrede mit einander verglichen hat) wenn sie bis zum Glühen erhitzt werden, sich mit einer Schicht von Oxyd überziehn, und dafs daher nicht die Ausstrah- lung der Metalle, sondern der Oxyde verglichen worden ist, während die Ausstrahlung von den einander berührenden Flächen, offenbar die der Me- talle selbst ist. Denn die Umkehrung des Stromes findet bei der Berüh- rung von Kupfer und Eisen nicht nur statt wenn dieselben einander berüh- ren, sondern, wie ich mich durch Versuche überzeugt habe, auch wenn sie zusammen gelöthet sind, wobei eine Oxydation der Berührungsflächen un- möglich ist. Übrigens habe ich eine solche Umkehrung bei der Berührung von Eisen und Messing nicht finden können, weder wenn diese Metalle zu- sammengelöthet, noch auch wenn sie nur durch einen andern Drath fest zu- sammen gebunden waren. Selbst als ich die Berührungsstelle durch eine so- genannte Ätherlampe, welche mittelst eines Blasebalgs angeblasen wurde, erhitzte, trat keine Umkehrung ein. über thermoelectrische Ströme. d 6. Um zu untersuchen ob eine der erwähnten Ansichten für die Er- klärung der thermoelectrischen Erscheinungen genüge, oder welche andere man für dieselben zu Grunde legen müsse, schien es nöthig dieselben in ih- rer einfachsten Form zu beobachten. Schon Seebeck hat gezeigt dafs man in einem geschlossenen Leiter, der nur aus einem einzigen Metalle besteht, durch Erwärmung an geeigneten Stellen einen Strom erhalten kann. Es wäre daher wohl möglich dafs die Ströme welche bei Berührung zweier verschie- dener Metalle entstehen, nur die Resultante der beiden Ströme wären, wel- che in jedem einzelnen Metalle durch die Erwärmung erzeugt werden. Will g verschiede- ner Substanzen erzeugten Ströme kennen lernen, so mufs man zunächst die man daher die Gesetze für die Entstehung der durch Berührun gen Leiter entsteht zu er- forschen suchen. Ich gestehe indefs dafs ich eine nicht unbedeutende Zeit Bedingungen unter welchen derselbe in einem einzi habe verwenden müssen, bis es mir gelungen ist die einzelnen Umstände zu sondern, welche bei der Entstehung des Stromes in einem einzigen Metalle mitwirken. 7. Zunächst will ich erwähnen dafs hierbei zwei Fälle ganz zu tren- nen sind. Man kann nämlich 1) einen Strom in einem ganz in sich geschlos- senen Leiter erzeugen, der nur aus einem einzigen Metalle besteht oder, wenn man einen Multiplicator einschalten will, ein so langes Stück des zu prüfenden Metalls enthält, dafs bei Erwärmung der zu untersuchenden Stelle e mit den Mul- ö tiplicator -Dräthen stattfindet, nicht zu befürchten ist. Und man kann 2) einen eine Temperatur-Veränderung der Enden, wo die Berührun Strom erhalten wenn man zwei Stücke eines und desselben Metalls mit ein- ander berührt, von denen das eine wärmer ist als das andere. Die Erfolge sind in diesen beiden Fällen ganz verschieden. Und es ist daher einleuchtend dafs bei Anwendung eines Leiters der aus zwei Stücken desselben Metalls besteht, die sich nur in einzelnen Punkten berühren, und bei denen nicht gerade die Berührungsstelle erwärmt wird, leicht ein gemischtes Resultat erhalten werden kann, was im Beginn dieser Versuche auch häufig be- gegnete. Herr Henrici hat in dem LXXX. Bande von Poggendorff’s An- nalen p. 167. eine Abhandlung „über ihermoelectrische Erscheinungen an gleichartigen Metallen” bekannt gemacht, in welcher aber diese beiden Fälle nicht hinreichend getrennt sind, und hierauf beruht es ohne Zweifel dafs 6 Mıcntvs mehrere von den Angaben des Hrn. Henrici von den von mir gefundenen Resultaten abweichen. 8. Bevor ich zu den Versuchen selbst übergehe will ich zunächst Einiges über das Galvanometer vorausschicken, das zu denselben benutzt worden ist. Dasselbe enthält eine Doppelnadel die in so weit astatisch ist, dafs sie sich fast senkrecht gegen den magnetischen Meridian stellt. Dies findet bei recht astatischen Nadeln gewöhnlich statt; denn da beide Nadeln nicht vollkommen in derselben Ebene liegen, und nicht vollkommen gleiche Pole haben, so liegt die Resultante aus den magnetischen Kräften beider Nadeln so, dafs sie den Winkel den diese miteinander machen nahe halbirt, oder wenn man sich beide Nadeln in einer Ebene liegend vorstellt, so ist die Resultante fast senkrecht gegen diese Ebene. Man kann daher aus der Stellung der Nadeln schon erkennen in wie weit sie astatisch sind, denn je vollkommner sie es sind, um so mehr stellen sie sich senkrecht gegen den magnetischen Meridian. Eine besondere Schwierigkeit bei der Construction der Galvanometer bietet der Leitungsdrath. Die Kupferdräthe die man hier käuflich erhält sind so magnetisch, dafs es nicht möglich ist die Doppelnadel auf die Mitte der Windungen oder auf den 0 Punkt der Scale einzustellen. Durch An- wendung eines kleinen, etwa + Zoll langen Magneten, der aus einem Stück einer Nähnadel bestand und an dem Rande des Galvanometers befestigt war, liefs sich die Nadel zwar auf 0° einstellen, allein die Ausschläge derselben waren dann nach beiden Seiten verschieden. Es wurde defshalb versucht Kupfer anzuwenden, das galvanoplastisch niedergeschlagen war. Eine Quan- tität desselben, die aus einer Fabrik von galvanoplastischen Gegenständen herstammte, wurde geschmolzen und in Form eines Cylinders ausgegossen. Als dieser aber einer sehr empfindlichen astatischen Doppelnadel genähert wurde, zeigte er sich noch so stark magnetisch, dafs von dem aus ihm gezo- genen Drathe keine bessere Wirkung als von gewöhnlichem Kupferdrath zu erwarten war. Vielleicht wird mit dem galvanoplastisch niedergeschlagenen Kupfer auch etwas Eisen gefällt wenn solches in der Auflösung vorhanden ist. Ich habe defshalb Kupfer besonders gereinigt und zwar auf folgende Weise. Eine Auflösung 8 niak übersättigt bis alles Kupferoxyd wieder aufgelöst war. Darauf wurde von schwelsaurem Kupferoxyd wurde mit Ammo- das gefällte Eisenoxyd abfiltrirt und da das Kupfer sich aus der ammoniaka- über thermoelectrische Ströme. 7 lischen Lösung nicht gut durch den galvanischen Strom fällen läfst, so wurde die Flüssigkeit bis zur Trockne eingedampft, um alles Ammoniak zu entfer- nen. Das so gereinigte schwefelsaure Kupferoxyd wurde in Wasser gelöst und auf galvanischem Wege niedergeschlagen. Da es nicht gelingen wollte das Kupfer als eine zusammenhängende Masse auszuscheiden, so mulste es geschmolzen werden. Leider bekommt man dabei immer ein Kupfer das spröde ist, und sich nicht zu Drath verarbeiten läfst. Erst nachdem das- selbe acht Mal umgeschmolzen war, gelang es endlich Drath daraus zu ziehn. Dieses Verfahren das Kupfer zu reinigen ist ein schr mühsames und sehr kostbares. Ohne Zweifel ist es möglich reines Silber zu erhalten das eben so frei von Magnetismus ist wie dieser Drath, und es läfst sich leicht berechnen dafs dies bedeutend weniger kosten würde als ein gleiches Ge- wicht von Kupfer das auf die angegebene Weise gereinigt ist. Auch würde ich Silber statt Kupfer gewählt haben wenn ich nicht gewünscht hätte zu er- fahren ob und in wie weit man überhaupt im Stande ist Kupfer darzustellen das nicht mehr auf die Magnetnadel wirkt. Dies ist mir in sofern gelungen als bei dem Galvanometer mit dem erwähnten Kupferdrathe die astatische Nadel sich genau in die Mitte zwi- schen die Windungen bringen läfst und sich auch immer wieder ganz sicher auf den Null-Punkt der Scale einstellt. Der Drath ist mit weilser Seide besponnen. Er hat ohne die Seide einen Durchmesser von 1 Millim. und eine Länge von 70 Fufs. Er ist dop- pelt aufgewickelt, so dafs je nach dem man die Enden desselben verbindet, der Strom entweder die ganze Länge nach einander durchläuft oder gleich- zeitig durch den doppelten Drath von der halben Länge geht. Bei den fol- genden Versuchen ist stets die letztere Combination in Anwendung ge- kommen. Der so vorgerichtete Multiplicator war so empfindlich dafs wenn die beiden dünnen Kupferdräthe welche zu demselben führten, durch einen an- dern dickeren Kupferdrath verbunden wurden, und man hielt die eine Be- rührungsstelle des dünnen und dicken Draths zwischen den Fingern, so wi- chen die Nadeln um 90° ab. Um eine Schwingung zu vollenden bedurften sie etwa 30 Secunden. 8 N Macnvs 9. Die bei den sogleich zu beschreibenden Versuchen gebrauchten Bezeichnungen für die Richtung des Stromes sind zwar, wie ich glaube, be- stimmt genug. Um indefs jedes Mifsverständnifs zu vermeiden, will ich noch folgendes darüber erwähnen. Denkt man sich die beiden Enden eines Gal- vanometerdraths mit einem einfachen Element aus Zink, Kupfer und einem feuchten Leiter verbunden, so geht die Richtung des Stroms, nach dem übli- chen Sprachgebrauch, vom Kupfer durch den Galvanometerdrath zum Zink; und folglich geht derselbe innerhalb des galvanischen Elements vom Zink zum Kupfer (d. i, in derselben Richtung wie der electropositive Bestandtheil des feuchten Leiters.) Denkt man sich nun an die Stelle des hydroelectri- schen Elements ein thermoelectrisches, etwa aus Antimon und Wismuth, und das Antimon mit dem Ende des Galvanometerdraths verbunden mit dem früher das Kupfer verbunden war, während das Wismuth mit dem Ende in Verbindung ist, das mit dem Zink verbunden war, so wird bei Erwärmung der Berührungsstelle beider Metalle die Nadel ebenso abgelenkt als vorher durch das hydroelektrische Zink Kupfer Element; es geht folglich der Strom durch den Galvanometerdrath vom Antimon zum Wismuth oder wie man zu sagen pflegt mit dem Alphabet von 4 nach W. Dahingegen geht der Strom durch die erwärmte Stelle vom Wismuth zum Antimon (d.i. gegen das Alphabet). Diefs mufs, wenn keine Verwirrung stattfinden soll, wohl unterschieden werden. Wo in dem Folgenden die Richtung des Stroms an- gegeben wird, ist immer die Richtung verstanden in welcher derselbe durch die Berührungsstelle hindurch geht. Demnach geht also der Strom vom Wismuth züm Antimon. | " 10. Ich wende mich nun zu den Versuchen und zwar zunächst zu denen welche mit einem festen in sich geschlossenen Leiter angestellt sind. Es wurden für dieselben Dräthe angewendet die einen Durchmesser von 0,4 bis 2 Linien hatten, und deren Länge bei dem geringsten Durchmesser min- destens noch 4 Fufs betrug. Diese Länge war erforderlich damit sie stets in solcher Entfernung von den Galvanometerdräthen erwärmt werden konn- ten, dafs eine Erwärmung der Stellen, wo sie diese berührten, nicht zu be- fürchten war. AdeEis ergab sich bald, dafs die Richtung des Stromes in einem solchen Drathe durch Verschiedenheit in der Härte desselben bedingt werde. Erhitzt man einen Drath der dadurch hart geworden ist, dafs er mehrere über thermoelectrische Ströme. 9 Male durch ein Zieheisen gezogen worden, an einer Stelle so stark dafs er weich wird, und erwärmt alsdann die Stelle wo der Übergang vom harten zum weichen Theile ist, so erhält man einen Strom. Auch wenn man eine Stelle eines weichen Drathes durch Hämmern- härter macht, erhält man einen Strom, aber derselbe ist stets von’einer ge-_ ringeren Intensität als der, welchen man bei gleicher Erwärmung eines Draths erhält, der durch Ziehen dünner und dedurch härter gemacht und dann an einer Stelle wieder erhitzt ist, um ihn weich zu machen. 12. Es ist einleuchtend, dafs wenn es sich darum handelt die Rich- tung und Intensität solcher Ströme zu ermitteln, man sich hüten mufs so starke Erwärmung anzubringen, dafs dadurch eine neue Veränderung in der Härte des Draths veranlalst werden könnte. Gewöhnlich wurde deshalb bei den folgenden Versuchen nur die Temperatur von 100° C. angewendet. Es wurde dazu ein cylindrisches Gefäls Fig. 1. aus Blech benutzt, das -4 Zoll hoch ist, 2,5 Zoll Durchmesser hat, und. mit einem Deckel versehen ist. Durch dieses wurde eine an beiden Enden offene Glasröhre cd von 0,25 Zoll Durchmesser in horizontaler Richtung gesteckt, und in der Ent- fernung von 1 Zoll vom Boden mittelst Korke in den zu diesem Zwecke angebrachten beiden Hülsen } A befestigt. Wurde das so vorgerichtete Ge- fäfs mit Wasser gefüllt, und dies im Kochen erhalten, so nahm der innere Raum der Röhre sehr nahe die Temperatur von 100°.C. an. In diese Röhre wurde die zu erwärmende Stelle des Draths gebracht und dann die beiden offnen Enden derselben mit Stöpseln aus Baumwolle verstopft, um eine Ab- kühlung durch einen Luftzug zu vermeiden. Diese Einrichtung gewährte den Vortheil, dafs weder Wasser noch ein metallischer Leiter mit dem Drathe in Berührung kam, was wie aus 8. 16. hervorgeht, zu vermeiden nöthig ist, wenn man sichere Resultate er- halten will. 13. Ganz besonders nothwendig ist es bei diesen Versuchen, dafs die beiden Stellen, wo die Enden des eingeschalteten Draths mit den Mul- tiplicatordräthen in Berührung sind, genau dieselbe Temperatur haben, da sonst leicht ein Strom durch die Berührung der verschiedenen Metalle ent- stehen kann. Um diese Gleichheit der Temperatur zu erlangen, befanden sich zwei Klemmen ab und cd Fig. 2, welche dazu dienten die Verbindung mit den Multiplicatordräthen herzustellen, ganz nahe bei einander in einem Phys. Kl. 1851. B 10 Mıcsvs Kasten von Holz, der 6 Zoll lang und ebenso hoch und breit war, und dicht geschlossen werden konnte. Die Enden der Multiplicatordräthe, so wie die des einzuschaltenden Draths gelangten in denselben durch die Öffnungen p, die nur so weit waren, dafs nur ein Drath eben hindurchging. 14. Herr Beequerel(') hat zuerst gezeigt, dafs wenn man in einem Drathe einen Knoten macht, und eine neben dem Knoten befindliche Stelle des Draths erwärmt, dafs ein Strom entsteht, der von der erwärmten Stelle zum Knoten geht. Da Hr. Beequerel bei der Erwärmung Rothglühhitze an- gewendet hat, so war es möglich, dafs der Strom in seinen Versuchen davon herrührte, dafs die erwärmte Stelle weich geworden war, während der Drath in dem Knoten seine Härte behalten hatte. Es war indefs viel wahrschein- licher, dafs ein Strom jedes Mal entstehe, wenn die Berührungsstelle zwi- schen einem starken und einem schwachen Drathe erwärmt wird. Dies hat auch Hr. Becquerel aus der von ihm beobachteten Erscheinung gefolgert, wie aus der Erklärung hervorgeht, welche er von dem Entstehen des Stro- mes giebt. Auch hat man, so viel ich weifs, ganz allgemein denselben Schlufs aus dieser Erscheinung gezogen. Ich selbst habe schon kurz nachdem die Beobachtung des Hrn. Becquerel bekannt geworden war, Säulen fertigen lassen, welche aus dünneren und dickeren Messingdräthen bestanden, die durch schwer schmelzbares Loth mit einander verbunden waren, und bei zwölf Paaren einen ziemlich kräftigen Strom lieferten. 15. In der Ansicht dafs ein Strom entstehe, wenn ein dünnerer und dickerer Drath mit einander verbunden sind, wurde ich noch dadurch be- sonders bestärkt, dafs wenn ein Drath, der durch Erwärmen keinen Strom erzeugte, also überall gleich hart oder gleich weich war, an einer Stelle mit demselben Metalle umgeben wurde, bei Erwärmung einer in der Nähe der Umhüllung befindlichen Stelle jedesmal ein Strom entstand. Um solche Umhüllung leicht anbringen zu können, hatte ich zwei Stücke Messing @ 5 und cd Fig. 3. von 6 Zoll Länge, die einen halbkreisförmigen Durchschnitt hatten, mit ihren flachen Seiten gut gegen einander abschleifen, und dann in der Mitte der abgeschliffenen Flächen, in der Richtung ihrer Länge mit einer Vertiefung versehen lassen, in welcher der Drath fg, der umgeben werden sollte, genau pafste; so dafs wenn beide Stücke an denselben (') Annales de Chimie et de Physique II. Ser. Tome XLI. p. 357. über thermoelecirische Ströme. 44 angelegt waren, sie einen massiven Cylinder von 3,5 Linien Durchmes- ser um den dünnen Drath bildeten, der selbst nur einen Durchmesser von 0,8 Linien hatte. Die geringste Erwärmung des dünnen Draths in der Nähe des dickeren Cylinders erzeugte sogleich einen Strom; und zwar war der welcher durch Erwärmung auf der einen Seite des starken Cylinders bei a entstand, von entgegengesetzter Richtung als der, welcher durch eine Er- wärmung bei 5 hervorgebracht wurde. 16. Es schien mir indefs doch möglich, dafs dieser Strom nicht von der Verschiedenheit der Dicke des Metalls herrührte, sondern entweder auf einer verschiedenen Zusammensetzung oder auf einer Verschiedenheit in der Härte des dünneren Draths und des ihn umgebenden stärkeren Cylinders beruhte. Legt man nämlich auf einen Metallstab ad Fig. 4. ein Stück eines andern Metalls cd, so dafs dies in seiner ganzen Länge aufliegt, und er- wärmt man das hervorstehende Ende des unteren Stabes z. B. bei g, so ent- steht ein thermoelectrischer Strom, indem die Berührungsstelle bei ce durch Leitung erwärmt wird. Dieser Strom wird zum gröfsten Theil nur innerhalh des Stabes cd und des unter ihm liegenden Theils von ad cireuliren. Bringt man aber die äufsersten Enden des Stabes «5 mit einem Galvanometer in Verbindung, so wird ein Zweigstrom durch dieses hindurchgehen. Wenn daher das Messing des umgebenden Cylinders und des dünnen Draths in $. 15. nicht von ganz gleicher Beschaffenheit waren, so konnte leicht etwas ähnliches stattgefunden haben. 17. Um zu untersuchen ob dies der Fall sei, wurde ein dünner Mes- singdrath, der 6 Fufs lang war, mit sechs Stücken Drath, jeder 1 Fufs lang, umgeben, die sämmtlich von dem einen Ende dieses dünneren Draths ab- geschnitten waren, also gewils ganz gleiche Beschaffenheit mit demselben hatten. Diese wurden durch eine die Elektrieität nicht leitende Substanz, einen leinenen Faden, parallel neben einander fest um den längeren dün- nen Drath gebunden, so dafs sie mit diesem und auch unter einander in me- tallischer Berührung waren. Als nun der eine oder der andere Theil dieses dünneren Draths, da wo er aus den übrigen hervorragte, erwärmt wurde, entstand kein Strom. — Ebenso zeigte sich kein solcher als ein anderer dünner Drath von Messing mit zwanzig Enden von derselben Drathmasse umgeben wurde. B2 12 Mıecenvs 18. Obgleich hierdurch schon erwiesen war, dafs bei vollkommen gleichartigen Substanzen durch eine Verschiedenheit der Durchschnitte ein thermoelektrischer Strom nicht entsteht, so erschien es doch wünschens- werth, dies noch auf entscheidendere Weise darzuthun. Ich liefs deshalb einen Messingdrath der 3 Fufs lang war und 3 Linien im Durchmesser hatte, so abdrehen, dafs ein Stück von 6 Zoll in der Mitte seiner Länge nur einen Durchmesser von 0,5 Linien behielt. Wurde nun eine von den Stellen g Fig. 5, wo die dickere Masse mit der dünneren zusammenhängt, erwärmt, so entstand kein Strom. Ebenso wenig zeigte sich ein solcher, als ich von einem. anderen Messingdrath, der gleichfalls einen Durchmesser von 3 Li- nien hatte, ein Stück von 18 Zoll Länge abdrehen liefs, bis es nur noch einen Durchmesser von 0,7 Linien hatte, und dann an jedes Ende desselben ein Stück desselben Draths von 3 Linien Durchmesser und 3 Fufs Länge anschraubte. Die geringe Veränderung der Härte, welche durch das An- schneiden der Schrauben entstanden war, erstreckte sich auf ein zu kurzes Stück als dafs sie hätte von Einflufs sein können. 19. Darauf wurde ein Stück eines Messingsdraths von 3 Linien Durchmesser dünner gezogen, bis daraus ein Drath von 0,5 Linien Durch- messer entstand. Das übriggebliebene dicke Stück und das dünnere wurden beide vollkommen ausgeglüht, von der entstandenen Oxydschicht befreit, und nun mit ihren Enden fest aneinander gelegt und erwärmt. Es entstand kein Strom. 20. Hiernach ist wohl erwiesen, dafs ein Unterschied der Dicke des Metalls allein nicht hinreicht um durch Erwärmung einen Strom zu erzeu- gen; denn wenn die beiden Massen von verschiedener Dicke gleiche che- mische Beschaftenhenheit haben und genau von gleicher Härte sind, so entsteht kein Strom. Es konnte daher bei dem in $. 11. erwähnten Versuche des Hrn. Becquerel der Knoten des Platindraths nur in sofern von Einflufs gewesen sein, als an der Stelle wo er sich befand, das Metall nicht bis zum Glühen erhitzt wurde. Man kann sich leicht überzeugen dafs es sich so ver- hält, denn macht man in einen Kupfer- oder einen Messing- oder sonst einen Drath einen Knoten und erwärmt eine neben dem Knoten liegende Stelle nicht höher als bis zu 100° C. so entsteht kein Strom, der Drath mag hart oder weich sein. Erhitzt man aber eine Stelle des harten Draths bis zum Glühen und erwärmt nach der Abkühlung eine neben liegende Stelle bis über thermoelectrische Ströme. 13 100° C. so zeigt sich ein Strom, und häufig ist dies der Fall während des Glühens selbst, indem wenn die Flamme nicht ganz ruhig ist, sie oft die eine Grenze der harten und weichen Theile mehr erwärmt als die andere. 31. Überzieht man einen Drath von Neusilber auf ein Stück seiner Länge mit einer dünnen Schicht von Kupfer, das man galvanoplastisch dar- auf niederschlägt, und erwärmt darauf den Drath da wo er aus dem Über- zuge hervorragt, so entsteht ein ziemlich starker Strom, auch wenn der Nie- derschlag von Kupfer nur aufserordentlich dünn ist. Dieser Strom konnte durch die Berührung der beiden Metalle hervorgebracht sein, wie dies in 8.16. erwähnt ist. Es war indefs auch möglich, dafs der dünne Überzug von Kupfer nur in sofern wirkte, als er das Ausstrahlungsvermögen des Neusil- bers veränderte, so dals eine Verschiedenheit der Wärmestrahlung die Ur- sache des Stromes war. Jedenfalls schien es nöthig hierüber Gewifsheit zu erhalten. Es wurden deshalb verschiedene Dräthe mit andern Überzügen versehn, welche die Elektrieität nicht leiten z. B. mit Kienrufs, mit Gutta- Percha in dünneren und dickeren Schichten, mit Holz und dergleichen mehr, allein wenn dann der Drath da, wo der Überzug aufhörte, erwärmt wurde, so entstand kein Strom. Ebensowenig zeigte sich ein solcher, wenn ein Stück eines Drathes polirt war, während die Oberfläche eines sich daran an- schliefsenden Theils desselben mittelst Schmirgelpapier oder mittelst der Feile rauh gemacht worden war, und man dann die Grenze zwischen diesen beiden Stücken erwärmte. Es geht hieraus hervor, dafs eine Verschiedenheit in der Ausstrahlung der Wärme keinen thermoelektrischen Strom herbeiführen kann. 22. Eine Schicht von Oxyd, welche einen Theil einer Metallmasse bedeckt, könnte wohl die Erzeugung eines Stromes bedingen, gerade so wie die dünne Schicht von Kupfer, $. 21, indem zwischen dem Oxyd und dem darunter befindlichen Metalle ein Strom entsteht, der sich auf die $. 16. angegebene Weise verzweigt. Deshalb wurden bei allen folgenden Versuchen die Metalle stets von dem Oxyd befreit. 23. Nachdem so die Bedingungen ermittelt waren, unter denen in einer zusammenhängenden Metallmasse ein Strom durch Temperatur-Ver- änderung entsteht, war es möglich Versuche zur Bestimmung der Richtung und Intensität des Stromes zu unternehmen. Es eignen sich zu solchen nur 44 Mıcnuvs diejenigen Metalle, welche sich zu Drath ziehen oder auswalzen lassen, weil sie hierdurch auf eine leichte Weise dichter und härter zu machen sind, wäh- rend man sie durch Glühhitze immer wieder weich erhalten kann. Bei den übrigen, namentlich den krystallinischen Metallen, hat man gar kein Mittel eine solche Veränderung vorzunehmen. In der Richtung der Blätterdurchgänge sind diese Metalle zwar offen- bar von anderer Dichtigkeit als senkrecht gegen diese Richtung, und darauf beruhen die schönen Versuche des Hrn. Swanberg (vergl. $. 39), allein diese Verschiedenheit mufs vorläufig von der der Härte getrennt bleiben. Wollte man die Intensität des Stromes, welche unter Anwendung gleicher Temperaturen für die verschiedenen Metalle eintritt, mit einander vergleichen, so müfste man ein Mittel besitzen um die Härte derselben be- stimmen zu können. Ein solches ist aber nicht vorhanden, denn Vorrich- tungen, durch welche man die Ritzbarkeit oder ähnliche Eigenschaften be- stimmen kann, möchten hier nicht genügen, da sie nur die Härte der Oberflächen nicht aber der innern Metallmasse zu vergleichen gestatten. Um aber doch einigermafsen einen Anhaltspunkt für die Unterschiede zu er- halten, welche bei den verschiedenen Metallen stattfinden, wurde auf fol- gende Weise verfahren. 24. Die verschiedenen Dräthe wurden sämmtlich so lange gezogen bis sie denselben Durchmesser von nahe 0,9 Linien hatten (bis zu No. 48 des Zieheisens dessen ich mich bediente). Darauf wurde jeder einzeln ge- glüht, und dadurch so vollständig als möglich weich gemacht. Es versteht sich, dafs dies Verfahren nur für die Metalle anwendbar ist, welche bei der Glühhitze nicht flüssig werden. Diejenigen aber, welche wie Zinn, Blei, Cadmium, Zink bei niederen Temperaturen schmelzen, wurden in einem Ölbade bis 200°C. während einer Stunde erwärmt, um denselben Zweck zu erreichen. Sodann wurde jeder Drath dünner gezogen, bis er nur den halben Durchmesser 0,45 Linien hatte (No. 70 des Zieheisens). In dem Zustand der Härte, welchen die Dräthe hierdurch annahmen, wurden sie zu den Versuchen benutzt, um aber einen Theil derselben weich zu machen, wurde ein Stück von zwei Fufs Länge, in einer Entfernung von zwei g erhitzt. Bei den schwerer ö schmelzbaren geschah dies über einer Lampe mit doppeltem Luftzuge; bei Fufs von dem einen Ende, wiederum gehöri den leichter schmelzbaren wurde dies Stück von zwei Fuls in einem Kasten m über thermoelectrische Ströme. 15 der sich in einem Ölbade befand bis 200° C. erhitzt, indem die aus dem Kasten hervorragenden Theile durch Wasser kalt gehalten wurden. Von den so vor- gerichteten Dräthen wurde bald die eine, bald die andere Grenze zwischen dem weichen und harten Theile auf die oben $. 10. erwähnte Weise bis 100° C. erwärmt. Der übrige Drath nahm dabei die Temperatur des Zimmers an, welche, während diese Messungen ausgeführt wurden, sehr constant 6° C. war. 25. Die Verschiedenheit des Leitungswiderstandes der verschiede- nen Metalle konnte bei diesen Versuchen nicht in Rechnung gebracht wer- den. Das Mittel welches Hr. Becequerel (!) angewendet hat um seine Resultate von dem Leitungswiderstande unabhängig zu machen, indem er alle Dräthe an einander löthete und dann die Berührungsstelle zwischen je zweien erwärmte, war hier schon wegen der Länge der Dräthe nicht aus- führbar. Auch mufs man berücksichtigen, dafs es sich bei der Vergleichung der Intensitäten hier nur um annähernde Resultate handelte, da bei den feh- lenden Mitteln die Härte der Metalle zu bestimmen, genaue Messungen über- haupt nicht möglich sind. Ich glaubte deshalb den verschiedenen Leitungs- widerstand unberücksichtigt lassen zu können und trug nur Sorge, dafs von allen Dräthen die gleiche Länge von 6 Fufs zwischen denselben Galvano- .meterdräthen eingeschaltet wurde. 26. In der folgenden Tabelle ist bei jedem Metalle die Richtung angegeben, in welcher der Strom durch die erwärmte Berührungsstelle zwi- schen dem harten und weichen Theile des Drathes ging, sowie die Ablen- kungen der Nadel, welche derselbe hervorbrachte. Die Ablenkungen welche entstanden indem erst die eine dann die andere Grenze zwischen dem harten und weichen Theile des Drathes er- wärmt wurden, waren zwar nicht genau gleich, allein die Verschiedenhei- ten betrugen nicht leicht mehr als 1 bis 2 Grad. Die angeführten Zahlen sind die Mittel aus diesen Ablenkungen. (') Annales de Chim. et de Physique. Tome XLI, p. 362. 16 Maıcnvs Name des Metalls Richtung des Stroms | Ablenkung Messing | vom weichen zum harten 558 Silber (fein) (') | 4 3 46° Stahl H R 45° Silber mit 25 pC. Kupfer $ R: 40° Cadmium rn n B5R Kupfer 4 .e 18° Gold No. 1. mit 9,7 pC. Kupfer (?) » » 10° Platin » ” 5° Gold No. 2. mit 2,1 pC. Silber (?) n = 2° Neusilber vom harten zum weichen 34° Zink 5 N 30° Zinn a: y 5 Eisen en An 4° Blei ungewils 27. Die angewandten Metalle waren nicht besonders gereinigt. Beim Blei konnte kein Strom wahrgenommen werden, es fand eine geringe Bewegung der Nadel statt, die sich höchstens über 0,5 Grad er- streckte, allein sie war nicht sicher genug um einen Schlufs auf die Richtung des Stromes machen zu können. 28. Die Zahlen bei den übrigen Metallen beziehen sich übrigens nur auf die angewandten Dräthe. Einige derselben würden, wenn sie noch dün- ner gezogen wären, oder wenn sie einen noch höhern Grad von Härte erlangt hätten, andere Werthe geliefert haben. Besonders gilt dies für das Eisen und den Stahl, die man überhaupt nicht leicht von gleichmäfsiger Härte er- halten kann. Beim Stahl geht der Strom vom weichen zum harten Theil, beim Eisen hingegen in entgegengesetzter Richtung. Da es Stahl giebt, der in seinem Verhalten dem Eisen sehr ähnlich ist, so kommen auch Stahlsorten vor bei denen der Strom vom harten zum (') Das feine Silber enthielt 0,87 pC. Kupfer. (?) Das Gold No. 1. war aus Preufsischen Friedrichsd’or erhalten, die 21 Karat 8 Grän Feingehalt haben. Die übrigen 2 Karat 24 Grän sind Kupfer, das aber etwas Sil- ber enthält. (?) Das Gold No. 2. war aus holländischen Ducaten erhalten, die 23 Karat 6 Grän Feingehalt haben. Die übrigen 6 Grän sind Silber, das aber Kupfer enthält. - über thermoeleclrische Ströme. 17 weichen Metalle geht; so z. B. bei einem hier käuflichen Claviersaiten-Drath aus deutschem Stahl; und es wäre auch möglich, dafs Eisensorten vorkom- men, bei welchen der Strom vom weichen zum harten Metall geht. Bei den von mir untersuchten Eisendräthen war die Richtung immer von hart zu weich, allein die Ablenkungen der Nadel waren meist viel bedeutender als die eine, in $. 26. angeführte, und erstreckten sich bis zu 25°. Auch bei einzelnen Sorten von Kupfer kommen oft sehr grofse Ver- schiedenheiten vor. 29. Wiewohl die Ablenkungen, welche diese Dräthe liefern, schon ziemlich bedeutend sind, so habe ich doch versucht die Wirkung noch zu zu verstärken, indem ich eine Art von Säule aus einem einzigen Drathe construirte. Glüht man nämlich von einem harten Drathe mehrere Stellen, alle von gleicher Länge, etwa 6 Zoll, indem man zwischen ihnen immer Stellen von derselben Länge hart läfst, und windet den Drath sodann auf einen Rahmen, dessen Umfang gleich ist der Summe der Länge eines geglühten und eines ungeglühten Stücks, so liegen die Grenzen zwischen den harten und weichen Stücken in einer Ebene. Man kann für einen solchen Rahmen ein einfaches Brettchen von oblongischer Form benutzen, Fig. 6, auf welches der Drath so aufgewickelt wird, dafs die einzelnen Windungen von einander getrennt bleiben, zu welchem Zweck das Brettchen auf den Kanten seiner schmalen Seiten mit Einschnitten versehen sein mufs. Am zweckmäfsigsten ist es die Übergänge von weich zu hart auf diese beiden Kanten ad und cd zu brin- gen. Um aber diese Übergänge besser erwärmen zu können, bediente ich mich der Rahmen die aus zwei Brettchen bestehen, welche sich kreuzen Fig. 7, und wickelte den Drath so, dafs die Grenzen zwischen den harten und weichen Stücken in die Mitte der kurzen Seite des oblongischen Rah- mens bei fg und i fielen. Eine solche Säule aus Messingdrath ist so em- pfindlich, dafs wenn man nur drei oder vier Paare dadurch erwärmt, dafs man sie zwischen die Finger nimmt, so weicht die Nadel des oben $. 8. beschriebenen Galvanometers um 90° ab. Wenn man die geglühten Stellen des Drathes gehörig abputzt, so sieht derselbe ganz gleichförmig aus, und man wird deshalb überrascht von der Ablenkung. Man könnte diese Säulen, da sie nur ein Metall enthalten, Monothermosäulen nennen, oder um den Namen abzukürzen, Monosäulen. Phys. Kl. 1851. C 48 Mıcenvs 30. Die zweite von den oben $. 7. erwähnten Arten, einen Strom durch ein einziges Metall zu erhalten, ist auch schon von Seebeck beob- achtet und untersucht worden, doch hat auch er sie nicht getrennt von der so eben erwähnten Entstehung des Stroms bei vorhandenen Ungleichheiten in der Struktur eines fest in sich geschlossenen Leiters. In $. 45. seiner oben erwähnten, in den Schriften dieser Akademie für 182% enthaltenen Abhand- lung (!) heifst es: „Die magnetische Polarität wurde in den einfachen Metallkreisen am stärksten gefunden, wenn ein Theil derselben sich im fliefsenden und glü- henden Zustande befand, und wenn die Enden des die Boussole umschlie- fsenden gleichartigen Metallbogens wechselsweise in den fliefsenden Theil eingetaucht wurden; oder wenn das eine Ende eines nicht oxydirbaren Me- tallbogens glühend mit dem andern kalten Ende desselben in Berührung gebracht wurde.” Die Anwendung der Glühhitze läfst aber keinen Zweifel darüber, dafs bei diesen Versuchen beide, sowohl die Verschiedenheit der Härte als auch die Verschiedenheit der Temperatur der sich berührenden Stellen wirksam gewesen. Auch beschäftigt sich Seebeck in dem folgenden $. sei- ner Abhandlung mit dem Strom, welcher in einem ganz geschlossenen Ringe von Antimon oder Wismuth entsteht, und zeigt darin, worüber später auch Sturgeon (?) Versuche veröffentlichte, dafs eine Verschiedenheit in der Struktur dieser Metalle die Entstehung eines Stromes beim Erwärmen bedingt. 31. Bei den folgenden Versuchen sind die Stücke, von denen das eine warm und das andere kalt mit einander in Berührung gebracht wurden, stets von demselben Drathe abgeschnitten worden. Auch wenn das eine im weichen und das andere im harten Zustande sich befand, so waren doch beide von demselben Drathe entnommen, nachdem dieser erst hart gezogen und dann durch Erwärmen der eine Theil wieder weich gemacht worden war. 32. Um den Zustand der Härte nicht zu verändern, wurde bei den meisten Metallen nur die Temperatur von 100° C. angewandt. Zwar würde auch bei einer Temperatur bis zu 300°C. sich bei der gröfsten Zahl derselben (') Auch in Poggend. Annal. VI. 253. (*) Philosoph. Magazine for 1831. New Ser. Vol. X.1. über thermoelectrische Ströme. 19 die Härte nicht ändern; indefs konnten nur die edlen in dieser Temperatur noch zu den Versuchen benutzt werden, da die übrigen sich mit einer Schicht von Oxyd bedecken ('!), wodurch das Resultat des Versuchs zweifelhaft wird. 33. Die Dräthe wurden mit dem Multiplicator, oder mit den zu den- selben führenden Kupferdräthen, in dem oben $. 13. beschriebenen Kasten mittelst der in demselben befindlichen Klemmen verbunden. Sie waren mindestens 18 Zoll lang, so dafs etwa 15 Zoll derselben sich aufserhalb des Kastens befanden. Das äufserste Ende von einem derselben wurde in dem im folgenden $. beschriebenen Apparat erwärmt, während der andere in einer Temperatur von 8°C. erhalten wurde. Wenn beide ihre Temperatur vollständig angenommen hatten und die Magnetnadel des Multiplicators ruhig auf 0° stand, wurden sie miteinander in Berührung gebracht. Dabei blieb der wärmere Drath in dem Raum, in welchem er erwärmt worden. Verfährt man nicht auf diese Weise, nimmt man den wärmeren Drath aus diesem Raume heraus und bringt ihn dann mit dem kälteren in Berührung, so er- hält man einen ganz anderen Ausschlag der Nadel des Multiplicators, weil in dem einen Falle die Ausgleichung der Temperatur schneller stattfindet als in dem andern. 34. Will man vergleichbare Resultate erhalten, so mufs man dafür sorgen, dafs die Berührung immer auf gleiche Weise stattfindet. Um dies zu erreichen bediente ich mich folgender Einrichtung. In ein cylindrisches Gefäfs AB Fig. 8. von verzinntem Eisenblech und ganz ähnlicher Beschaffenheit und gleichen Dimensionen wie das oben 8.12. erwähnte, waren in einer Höhe von 1 Zoll über dem Boden zwei Röh- ren ab und cd eingesetzt, die einen Durchmesser von 0,5 Zoll hatten. Beide befanden sich in derselben horizontalen Ebene, und bildeten einen Winkel von 90° miteinander. Sie ragten beide mit ihren Enden ad cd aus dem cy- lindrischen Gefäfs etwa um 0,5 Zoll hervor. Da wo sie sich kreuzten, bei ‚f, war noch eine Röhre fg, von demselben Durchmesser, vertical ange- bracht, die oben bei g aus dem Deckel des Gefäfses etwa 1 Zoll hoch her- vorragte. Die drei Röhren standen in ihrem Innern mit einander in Verbin- dung. Durch die eine der beiden horizontalen Röhren, z. B. ad, wurde (') Sogar das Gold das 9,7 pC. Kupfer enthält, und von dieser Zusammensetzung sind die meisten Goldmünzen, bedeckt sich, wenn es während längerer Zeit in einer Tem- peratur von 250° C. erhalten wird, mit einer Schicht von Oxyd. C2 20 Mıacntvs der zu erwärmende Drath geführt und mittelst Korken, welche bei a und eingesetzt waren, in der Mitte der Röhre befestigt. Die Enden der andern Röhre cd waren ebenfalls durch Korke verschlossen. Damit keine Berüh- rung des Draths mit dem Metalle des Gefäfses stattfinden konnte, befanden sich in der Röhre ad, und ebenso auch in der andern horizontalen Röhre cd inwendig Glasröhren, durch welche die Dräthe gesteckt wurden. Diese liefsen aber den mittleren Theil dieser Röhren, da wo die verticale bei f aufgesetzt war, frei. In diesem mittleren Theile war unter dem horizonta- len Drath ein Stückchen Holz mit ebener horizontaler Oberfläche befestigt, auf welchem der Drath ruhte. In der verticalen Röhre aber befand sich ein Stab von Holz, der die Röhre zwar ausfüllte, sich aber leicht auf und nie- der bewegen liefs. Oben auf demselben war aufserhalb des cylindrischen Gefälses ein Gewicht P aus Blei von 1 Pf. angebracht. Der Holzstab drückte daher mit der Kraft dieses Gewichts den horizontal unter ihm befindlichen | Drath fest auf das unter demselben befestigte Holzstück. Das cylindrische Gefäfs war mit Wasser gefüllt, und dies wurde durch eine Lampe im beständigen Kochen erhalten. Die Röhren, welche ganz mit dem Wasser umgeben waren, nahmen daher auch in ihrem Innern dieselbe Temperatur an. Sobald man sicher war, dafs der Drath in der Röhre ad die Tempe- ratur derselben angenommen hatte, wurde, nachdem vorher der Holzstab ‚Jg gehoben war, durch den Kork bei c, der mit einer Öffnung von 1 Linie Durchmesser versehen war, der kalte Drath soweit eingeführt bis er den warmen kreuzte, und darauf wurden beide durch den Stab /g fest aufeinan- der gedrückt. 35. Für die höhere Temperatur wurde ein Bad von leichtflüssigem Metall angewandt, das auf 250° erhalten wurde. Für dieses konnte das im vorhergehenden $. 34. beschriebene Blechgefäfs nicht benutzt werden. Es wurde deshalb eine rechtwinklig gebogene Röhre aus Glas so in das Metall- bad eingesetzt, dafs ihre offenen Enden über die Oberfläche des Metalls her- vorragten. In dem einen Schenkel der Röhre wurde der eine Drath befestigt, und in den andern der kalte Drath eingeführt. Da der innere Durchmesser der Röhre wenig mehr als der des Draths betrug, so trafen die Dräthe in der Spitze des Winkels, wo die Röhre ein klein wenig weiter war, auf- einander. über thermoelectrische Ströme. 31 36. Wenn der kalte den warmen Drath berührt, so weicht die Na- del ab, allein der erste Ausschlag derselben wird immer kleiner. Indem nämlich die Temperatur der Metalle sich ausgleicht, nimmt die Intensität des Stromes ab. In der folgenden Tabelle sind die ersten Ausschläge der Nadel verzeichnet. Es mufs indefs bemerkt werden, dafs bei Wiederholung der Versuche diese Ausschläge nicht immer gleich waren, und dafs sogar bisweilen ziemlich bedeutende Verschiedenheiten sich zeigten. Diese rühren davon her, dafs es nicht immer möglich ist den kalten Drath mit derselben Schnelligkeit an den warmen anzulegen. Findet hierbei aber eine Verzöge- rung statt, so erwärmt sich der erstere bevor er den warmen berührt, und dadurch ist die Intensität des Stromes gleich anfangs geringer. Die in der Tabelle enthaltenen Zahlen sind die Mittel aus einer grö- fseren Anzahl von Beobachtungen, die immer mit denselben Dräthen ange- stellt sind. Wiewohl sie, nach dem was so eben gesagt worden ist, nicht ganz zuverlässig sind, so weichen doch die einzelnen Beobachtungen nicht so sehr von den Mittelwerthen ab, dafs diese nicht dazu dienen könnten die Stärke des Stromes zu beurtheilen, welcher durch Temperatur -Differenz bei den verschiedenen Metallen entsteht, so wie auch die Stärke der Ströme miteinander vergleichen zu können, welche bei ein und demselben Metalle zwischen zwei harten oder zwei weichen Stücken desselben entstehen. 37. Die Dräthe auf welche sich die Angaben der folgenden Tabelle beziehen, sind die mit welchen auch die oben $. 26. angeführten Zah- len erhalten worden sind. Die ähnlichen Versuche sind zwar auch noch mit verschiedenen andern Dräthen ausgeführt worden, es würde indefs ohne Interesse sein die erhaltenen Zahlen sämtlich mitzutheilen. Eine einzige Reihe derselben wird genügen, und es schien am zweckmäfsigsten die oben erwähnten Dräthe für dieselbe zu wählen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dafs die Zahlen nicht mit den in der Tabelle $. 26. enthaltenen unmittelbar vergleichbar sind, da diese hier nur die ersten Ausschläge der Nadel, jene dort die constanten Ablenkungen bezeichnen. 22 Macnvs Zu 8. 37. Der eine Drath 100°C. der andere 8°C. Name des Metalls Beide Dräthe Einer hart der andre weich hart | weich der harte warm der weiche warm von: zu von: zu von:Zu = von:zu von; zu = von: zu k:w=W:H 5° Neusilber k:w 40° | k:w 72° |} gleich darauf k:w=H:W 80° w:k=H:W 24 Silber (fein) ® 7 „ 3 k:w=W:H 73 w:k=W:H 68 Kupfer ” 3 ” 3 ” ” 24 ” ”» 15 Zion e 7 3 10 w:k=H:W 7 k:w=H:W 20 Zink w:k 28 w:k 283 w:k=H:W 62 r e 34 Platin & 24 Bir ” n 13 w:k=W:H 36 Gold No. 2. mit 2,08 p©. Silber ” 5 2a 6 rn m 3 Fe, " 5 Gold No. 1. mit 9,7 pC. Wal HAGEN Kupfer E 6 5 5 gleich darauf A 5 19 k:w=W:H 1 | Cadmium ss 26 15 k:w=W:H 53 m » 55 Messing ” 3 re 12 ra M 90 PA n 90 Silber mit25pC.Kupfer| „ 6 = 12 5; „ 82 er z 78 \ Quecksilber 0 0 | 0 0 \ Blei ungewils 38. Zur Abkürzung ist warm durch w, kalt durch k, weich durch W und hart durch H bezeichnet. In der vierten, fünften, achten und neunten Columne ist nicht nur angegeben ob der Strom vom warmen zum kalten Stück oder umgekehrt gehe, sondern aufserdem noch ob vom harten zum weichen. Wiewohl sich die zweite Angabe von selbst aus der ersten ergiebt, so schien es doch, we- gen der bessern Übersicht, zweckmäfsig sie beizufügen. über thermoelectrische Ströme. 33 ee ee ee Der eine Drath 250° C. der andere 8° C, Name des Metalls Beide Dräthe Einer hart der andere weich hart weich der harte warm | der weiche warm von:zu | von: zu | von: zu = von: zu | von: zu = von: zu k:w=H:W 3% Silber (fein) k:w 20°| k:w 17° k:w=W:H 90° gleich darauf w:k=W:H 90 Platin w:k 84 |w:k 80 w:k=H:W 9 w:k=W:H 90 Gold No.2. ” 17 ” 28 ” ” 12 ” ” 27 w:k=H:W 140 Gold No. 1. MSA er gleich darauf r r 69 k:w=W:H 30 w:k=H:W 6 Silberm.25pC.Kupf.| „ 90 „ 90 gleich darauf w:k a 90 kıw=W:H 9 Quecksilber 0 0 0 0 39. Eisen und Stahl fehlen in der Tabelle. Diese zeigten nämlich an verschiedenen Stellen so verschiedene Härte, dafs bei Wiederholung der Versuche zu grofse Abweichungen in den Resultaten erhalten wurden. 40. Aus dem ähnlichen Grunde waren auch Antimon und Wismuth in Stangen nicht zu diesen Versuchen zu benutzen, denn verschiedene Stan- gen gaben ganz entgegengesetzte Resultate, bald ging der Strom vom war- men zum kalten, bald entgegengesetzt. Schon Seebeck und später Stur- geon haben gezeigt, wie oben $. 30. erwähnt, dafs diese Metalle beim Giefsen ganz verschiedene Beschaffenheit an verschiedenen Stellen anneh- men, was offenbar durch die Crystallisation bedingt wird; und Hr. Swan- 94 Mıcentvs berg (') hat vor kurzem nachgewiesen, wie die Lage der Blätterdurchgänge die Richtung des Stromes bedingt. In gegossenen Stangen sind aber die Blätterdurchgänge nicht regelmäfsig gelagert. Wenn übrigens bei den hämmerbaren Metallen ein geringer Unterschied in der Härte die Richtung des Stromes ändert, so ist es wohl nicht auffallend, dafs so grofse Verschie- denheiten in der innern Structur der Masse, wie sie senkrecht gegen die Richtung der Hauptblätterdurchgänge oder in irgend einer andern Richtung stattfinden, ähnliche Wirkungen hervorbringen. Von grofsem Interesse bleibt es aber immer, dafs wie Hr. Swanberg gezeigt hat, der Strom beim Antimon wie beim Wismuth, wenn man zwei Stücke anwendet die senkrecht gegen den Hauptblätterdurchgang geschnitten sind, vom warmen zum kalten, wenn man hingegen Stücke anwendet, die in der Richtung der Durch- schnittslinie der beiden Blätterdurchgänge geschnitten sind, der Strom in entgegengesetzter Richtung d. i. vom kalten zum warmen geht. 41. Bei der Berührung von warmem und kaltem Quecksilber ent- steht kein Strom. Hr. Henrici (?) hat schon erwähnt, dafs Vorsselmann de Heer bei seinen Versuchen sich geirrt haben mufs. Um in dieser Be- ziehung ganz sicher zu sein, wurde folgender Versuch angestellt. Eine Glasröhre von der Form AC Fig. 9. war mit Quecksilber ge- füllt, und dieses durch einen Platindrath, welcher durch den Kork bei A ging, mit dem Galvanometer in Verbindung gebracht. Ebenso war eine zweite Glasröhre von der Gestalt wie BD mit Quecksilber ganz gefüllt und dies durch den Platindrath, welcher durch den Kork bei B ging, mit dem andern Ende des Galvanometerdraths verbunden. Da zwischen dem Kork bei B und dem Quecksilber keine Luft enthalten war, und da aufserdem die Öffnung der Röhre bei D nur eng war, so konnte man diese Röhre BD mit Sicherheit bewegen und selbst so neigen, dafs D tiefer zu liegen kam als B, ohne dafs Quecksilber bei D ausflofs. Es wurde sowohl das Quecksilber in C' erwärmt und dann die Spitze D, welche kalt erhalten war, eingetaucht, als auch die Spitze bei D er- wärmt und in das kalte Quecksilber bei C getaucht, allein es entstand nie- mals ein Strom. Es ist wohl überflüssig anzuführen, dafs dafür gesorgt war, dafs beim Eintauchen keine Luft die Quecksilbermassen von einander trennte. Um (') Comptes rendus de l’Academie des Sciences & Paris XXXI. 250. . (?) Poggendorffs Annalen LXXX, 170. über thermoelectrische Ströme. 235 gewifs zu sein dafs dies nicht der Fall war, wurde nach dem Eintauchen der Kupferdrath, welcher zum Galvanometer führte, da wo er mit einem etwas dickeren Drath, gleichfalls aus Kupfer, verbunden war, mit den Fingern be- rührt und sogleich zeigte die Nadel eine nicht unbedeutende Ablenkung. 42. Betrachtet man die Tabelle $. 37, so sieht man, dafs bei meh- reren Metallen der Strom vom kalten zum warmen Theile geht, bei andern entgegengesetzt. Bei einigen ist die Intensität des Stromes, welche durch einen Unterschied in der Härte der Dräthe entsteht, gröfser als die, welche durch die Temperatur-Differenz veranlafst wird, so geht z.B. der Strom beim Silber stets vom weichen zum harten Drath, welcher von beiden auch der wärmere ist; bei andern Metallen ist es umgekehrt, z. B. beim Platin und bei dem mit 2,08 pC. Silber legirtem Golde, bei welchen der Strom stets vom wärmeren zum kälteren geht, welcher von beiden auch der här- tere ist. Aber bei diesen Metallen ist auch, wie aus der Tabelle in $. 26. hervorgeht, der Strom, welcher durch eine Verschiedenheit in der Härte entsteht, sehr gering (beim Platin 5 Grad und beim Gold nur 2 Grad), beim Silber hingegen ist derselbe ziemlich stark (46 Grad beim feinen, und 40 Grad bei dem mit 25 pC. Kupfer legirten). 43. Bei den meisten Metallen ist die Intensität des Stromes bei Be- rührung von weichen Dräthen stärker als bei der von harten, doch kommt auch das Umgekehrte vor, namentlich beim feinen Silber, und auch beim Cadmium. 44. Sehr bemerkenswerth ist das Verhalten des Silbers. Während bei dem feinen Silber der Strom stets vom kalten zum warmen Metalle geht wenn beide gleiche Härte haben, geht er bei dem mit 25 pC. Kupfer le- girten vom warmen zum kalten. Wird ferner das feine Silber im weichen Zustande bis 250° C. er- hitzt, und dann mit einem kalten harten Drath desselben Metalls berührt, so ist der Strom, welcher durch die Temperatur-Differenz entsteht, anfangs, wo diese noch sehr grofs ist, der stärkere, gleich darauf aber wird die Richtung des Stromes entgegengesetzt, denn indem die Temperaturen bei- der Dräthe sich ausgleichen, wird die Richtung welche der Unterschied der Härte bedingt überwiegend, der Strom geht nun vom weichen zum harten Drath, während er bei der ersten Berührung vom harten zum weichen ging. Phys. Kl. 1851. D 26 MıAıcrnvs Ähnlich verhält sich das Silber mit 25 pC. Kupfer wenn es im harten Zustande bis 250° C. erwärmt, und dann mit einem harten kalten Stück be- rührt wird. Auch hier ist anfangs der Strom, welcher durch die Tempera- tur-Differenz entsteht, der stärkere und geht vom warmen zum kalten Me- tall, gleich darauf aber wird der Einflufs der Härte überwiegend und der Strom geht in entgegengesetzter Richtung. Ganz ähnlich verhält sich das Neusilber schon bei 100° C. 45. Eine ähnliche Ursache der Umkehrung der Richtung des Stro- mes findet gewifls häufig statt, und die grofsen Abweichungen in den Resul- taten der Physiker, welche sich mit der Bestimmung der Richtung und Intensität thermoelektrischer Ströme beschäftigt haben, rühren offenbar theilweis davon her, dafs dieselben den Einflufs der Härte und der Tempe- ratur-Differenz nicht getrennt haben. Eine Wiederholung dieser Bestim- mungen ist deshalb gewils wünschenswerth, und ich hoffe dieselbe vorneh- men zu können. 46. Es sind oben $. 3.-5. bereits die hauptsächlichsten Ansichten erwähnt worden, welche man von der Entstehung der thermoelektrischen Ströme aufgestellt hat. Auch sind in $. 21. die Thatsachen angeführt, welche der Annahme entgegenstehn, dafs das Ausstrahlungsvermögen der Wärme einen Einflufs auf die Hervorbringung des Stromes habe. Aber auch die Bewegung, oder richtiger die Fortpflanzung der Wärme, kann nicht die Ursache der thermoelektrischen Ströme sein. Wenigstens widersprechen die mitgetheilten Beobachtungen einer solchen Ansicht ganz entschieden. 47. Geht man, wie viele Physiker thun (!), davon aus, dafs die Abnahme der Temperatur in einem Leiter einen Strom hervorbringe, und erwärmt man eine Stelle eines vollkommen homogenen Draths, der über- all denselben Durchmesser hat, so nimmt in demselben die Temperatur nach (') Hr. de la Rive sagt in seiner Abhandlung „Sur les variations diurnes de l’ai- guille aimantee et les aurores bor£ales” in den Annales de Chimie et de Physique 3. Ser. Tome XXV. p. 311. On sait que dans un corps d’une nature quelconque, chauffe ä l’une de ses extr@mites, refroidi ä l’autre, l’electricit@ positive marche de la partie chaude vers la froide, et la negative en sens contraire; il en r&sulte que l’extr&mite inferieure d’une colonne atmospherique est constamment negative, et la sup@rieure constamment positive etc. Ich gestehe, dafs mir nicht bekannt ist wo der Beweis geführt worden, dals ein Strom entstehe wie Hr. delaRive angiebt. Die in $. 39. mitgetheilten Resultate zeigen, dafs dies nicht der Fall ist. über thermoelectrische Ströme. 937 beiden Seiten ganz gleichmäfsig ab, und es entstehen nach beiden Seiten Ströme, die gleich aber entgegengesetzt sind weshalb kein Strom wahr- nehmbar ist. Berührt man indefs eine warme Stelle eines solchen Draths mit einem kalten Stück desselben Metalls, so nimmt die Temperatur, die an der Berührungsstelle für beide Stücke offenbar dieselbe ist, in dem kalten viel rascher ab als in dem warmen, und man könnte sich vorstellen, dafs dabei Ströme von verschiedener Intensität und verschiedener Richtung ent- stehen, deren Differenz als Thermostrom beobachtet wird. Da indefs die Richtung dieses Stromes nicht bei allen Metallen mit der Richtung der grö- fseren Abnahme der Wärme zusammenfällt, da bei einigen Metallen der Strom von der warmen zur kalten Stelle geht, bei andern hingegen in entgegengesetzter Richtung, so ist eine solche Annahme nicht möglich. Aufserdem nimmt bei einem Drathe, der an einer Stelle dicker als an der andern ist, wenn er an der Grenze dieser Stellen erwärmt wird, die Temperatur nach beiden Seiten verschieden ab, es mülste also bei einem solchen ebenfalls ein Strom ent- stehn, was, wie oben $. 20. gezeigt worden, nicht der Fall ist. 48. Wollte man ee die Wärmeleitung als die Ursache der thermoelektrischen Ströme ansehn, so wäre dies nur möglich, indem man voraussetzte dafs dieselben nicht von der Abnahme der Temperatur, son- dern von der Schnelligkeit der Fortpflanzung der Wärme oder von dem in- neren Leitungsvermögen abhängen. Man müfste dann zugleich voraussetzen, dafs dieses Leitungsvermögen, oder der Wärmeleitungscoefficient, für ein und denselben Körper nicht constant, sondern bei verschiedenen 'Tempe- raturen verschieden sei. Dies ist jedoch der allgemeinen Annahme, welche auch Poisson in seinem Traite sur la chaleur zu Grunde gelegt hat, entgegen. Zwar hat Hr. Langberg (!) in seiner Abhandlung „Über die Bestimmung der Temperatur und Wärmeleitung fester Körper” gezeigt, dafs die vorhandenen Beobachtungen wohl zu der Annahme berechtigen, dafs der Leitungscoefficient eine Funktion der Temperatur sei; dafs derselbe aber für das eine Metall mit der Temperatur zunehme, für das andere hin- gegen abnehme, und dafs eine ähnliche Verschiedenheit für die harten und weichen Theile eines und desselben Metalls stattfinde, ist mindestens sehr unwahrscheinlich. (') Poggendorffs Annalen LXVI. 1. D2 28 Mıacnvs 49. Dennoch schien es wünschenswerth, so weit als möglich zu er- mitteln, ob solche Verschiedenheiten des Leitungsvermögens vorhanden sind, und deshalb wurde folgender Versuch angestellt. Von einem starken Messingdrath, der 2,25 Linien im Durchmesser hatte und durch Ziehen ganz hart war, wurden zwei Stücke abgeschnitten, deren jedes 4 Fufs lang war. Das eine derselben wurde geglüht und da- durch weich gemacht, und nachdem beide gerade gerichtet waren und eine ganz gleiche Oberfläche durch Poliren erhalten hatten, wurden sie mit ihrem einen Ende in das oben $. 12. beschriebene Gefäfs mit kochendem Wasser durch die Korke bei Fund G Fig. 1. eingeführt und so befestigt, dafs beide in derselben horizontalen Richtung sich befanden. Sie waren so lang, dafs die aufser dem Gefäfse befindlichen Enden unausgesetzt die Temperatur der umgebenden Luft behielten. Um zu untersuchen ob die Fortpflanzung der Wärme in beiden gleich sei oder nicht, wurden die kalten Enden derselben durch einen andern Messingdrath mit einander verbunden, und darauf an das eine Ende des Draths des oben $. 8. beschriebenen Galvanometers ein Stäbchen von Antimon, sowie an das andere ein Stäbchen von Wismuth gelöthet. Wurde dann mit dem einen von diesen Stäbchen der weiche Mes- singdrath berührt, und mit dem andern der harte, so entstand ein Strom, wenn die Temperaturen der beiden Berührungsstellen verschieden waren. Durch Verschieben des einen Stäbchens konnte man es indefs stets dahin brin- gen, dafs kein Strom sich zeigte, und dann war man sicher, dafs beide Be- rührungspunkte gleiche Temperaturen hatten. Suchte man nun für ver- schiedene Punkte des harten Draths die Stellen gleicher Temperatur des weichen auf, so ergab sich aus dem Verhältnifs der Entfernungen dieser Punkte das Verhältnifs der Leitungscoefficienten der beiden Messingdräthe. Das Wismnth- und das Antimon-Stäbchen waren 2,5 Zoll lang, 1,5 Linien dick und ebenso breit. Sie endeten in einer scharfen Kante, so dafs sie die runden Messingstäbe nur in einem Punkte berührten. Um zu ver- meiden dafs ein Strom durch Verschiedenheiten der Temperaturen an den Stellen entstehen möchte, wo die Stäbchen an die Kupferdräthe die zum Galvanometer führten, angelöthet waren, wurden diese Stäbchen selbst, so wie auch der Kupferdrath auf eine Länge von 4 Zoll mit Gutta Percha von 0,25 Zoll Dicke so umkleidet, dafs nur die äufserste Kante der Stäbchen her- vorragte. Jedes von diesen beiden Stäbchen befand sich in einer Klemme über thermoelectrische Ströme. 29 aus Holz, die an einem Mafsstabe hin- und hergeschoben werden konnte. Dieser Mafsstab war parallel mit den beiden Messingdräthen, deren Leitungs- vermögen untersucht werden sollte. Er war so vorgerichtet, dafs man ihn um eine Längenachse drehen konnte. Dadurch war es möglich die Klemmen mit den Antimon- und Wismuthstäbchen zu heben und beide zu gleicher Zeit auf das Messing wiederum niederzulassen. Es ist nämlich nothwendig, wenn man sichere Angaben durch ein solches thermoelektrisches Element erhalten will, die Berührungsstellen nur während kurzer Zeit zu erwärmen, damit die Erhöhung der Temperatur sich nicht weit in den Stab hinein er- strecke; denn da diese Metalle niemals homogen sind, so entstehen leicht Ströme, welche durch die Verschiedenheiten in der Struktur des Metalls bedingt sind. Wenn die Stäbchen auf die Messingdräthe niedergelassen waren, so wurden sie durch gleiche Gewichte gegen dieselben gedrückt, da- mit die Berührung ganz gleichmälsig sei. Die Entfernungen zwischen den Punkten, für welche die Temperaturen in dem harten und in dem weichen Messingstabe gleich waren, wurden theils auf diesen Stäben selbst, theils auf dem Mafsstabe gemessen an dem die Klemmen verschiebbar waren, es war indefs keine Verschiedenheit dieser Entfernungen zu finden. Kleine Schwan- kungen waren zwar vorhanden, allein sie fanden bald in dem einen, bald in dem anderen Sinne statt, so dafs sich nur sagen läfst, dafs soweit die Zuver- lässigkeit der Methode reicht, kein Unterschied in dem Wärmeleitungsver- mögen der beiden Stäbe zu beobachten war. Statt der Stäbe aus Messing wurden auch Stäbe von denselben Dimensionen aus Neusilber angewendet, aber auch bei diesen war kein Un- terschied im Wärmeleitungsvermögen zwischen dem harten und dem weichen Metall zu beobachten, und doch war der Unterschied in der Härte sowohl bei den Stäben aus Messing als auch bei denen aus Neusilber so bedeutend, dafs wenn diese Stäbe sich untereinander berührten und an der Berührungs- stelle erwärmt wurden, ein sehr kräftiger elektrischer Strom entstand. 50. Wenn aber eine Verschiedenheit in dem Leitungsvermögen der Wärme nicht die Ursache des thermoelektrischen Stromes ist, so kann diese überhaupt nicht in der Fortpflanzung der Wärme liegen, da wie oben ge- zeigt ist, weder die Abnahme der Temperatur noch auch die Ausstrahlung die Richtung des Stromes bedingen. Man wird schwerlich eine andere Er- klärung für diese Ströme finden, als dafs die Electrieität, welche sich in 30 MıA6cntus ihnen fortpflanzt, durch die Berührung von heterogenen Substanzen er- zeugt sei. 51. Bei der Berührung zweier Metalle oder auch nur eines harten und eines weichen Stücks desselben Metalls, nimmt jedes von beiden Elek- tricität an. Man mufs voraussetzen, dafs mit einer Veränderung der Tem- peratur auch die Intensität dieser Elektrieität sich ändert. Wenn daher z.B. ein hartes Stück eines Metalls an jedeın Ende mit einem weichen Stück des- selben Metalls berührt wird, so ist, so lange die Temperatur an beiden Be- rührungsstellen dieselbe ist, auch die Elektricität an beiden gleich, aber von entgegengesetzter Richtung, weshalb kein Strom entsteht. Ist hingegen die Temperatur an den Berührungsstellen verschieden, so ist auch die Elektri- eität an diesen verschieden und die Differenz der beiden Wirkungen wird die Richtung und Intensität des Stromes bedingen. 52. Dafs diese Annahme richtig sei würde dadurch vollständig be- wiesen werden können, dafs man die erwähnten Änderungen der Elektricität bei verschiedenen Temperaturen nachwiese und zugleich zeigte, dafs sie mit der Richtung des Stromes übereinstimmen. Bis jetzt hat dies nicht gelingen wollen, offenbar weil die freie Elektrieität zu gering ist um eine Wirkung auf das Elektrometer hervorzubringen. 53. Aber auch ohne diesen Beweis wird man sich zu dieser Annahme verstehen müssen. Dieselbe scheint zwar noch eine besondere Schwierigkeit darzubieten, die indefs nicht haltbar ist. Denkt man sich nämlich einen Leiter in dem ein thermoelektrischer Strom vorhanden ist, in unendlich viele Schichten senkrecht gegen die Fortpflanzungsrichtung des Stroms getheilt, so haben diese Schichten verschiedene Temperaturen. Man könnte sich vorstellen, dafs wenn dieselben hinreichend dünn angenommen werden, die Tempe- ratur in einer jeden Schicht überall dieselbe wäre. Wenn dann auch Schich- ten von verschiedener Temperatur sich gegen einander wie heterogene Leiter verhalten und bei ihrer Berührung verschiedene Elektrieitäten annehmen, so müfste doch in Folge des bekannten Volta’schen Gesetzes die Elektrici- tät an den beiden äufsersten Schichten genau ebenso grofs sein wie die, welche bei unmittelbarer Berührung dieser Schichten entsteht. Es würde daher bei dem in sich geschlossenen Leiter kein Strom entstehen können. über thermoelectrische Ströme. Si Allein wenn man auch für irgend eine mathematische Betrachtung in jeder der unendlich dünnen Schichten die Temperatur als constant ansehen kann, so darf man doch hier, wo es sich um den physikalischen Vorgang handelt, nicht annehmen, dafs in einer auch noch so dünnen Schicht die Temperatur auf beiden Seiten gleich sei. Denn wenn die Temperatur in dem Leiter von dem einen Ende nach dem andern abnimmt, so ist jede, auch die dünnste Schicht desselben, nach beiden Seiten verschieden. 54. In sofern bietet das Metall, das einen thermoelektrischen Strom erregt, eine vollkommene Analogie mit der Flüssigkeit, welche in einem hy- droelektrischen Paare wirksam ist. Beide folgen nicht dem Gesetze welches Volta für die Erregung der Elektrieität in metallischen Leitern gefunden hat. Bei der erregenden Flüssigkeit kann man sich den Vorgang etwa so & mit dem einen Metalle zersetzt 5 wird; der eine ihrer Bestandtheile verbindet sich dabei mit diesem Metalle, vorstellen, dafs sie durch die Berührun während der andere sich zu dem andern Metalle hinbewegt. Dadurch wird die Flüssigkeit nach beiden Seiten verschieden, und eben dadurch unter- scheidet sie sich von den Metallen die stets nach beiden Seiten gleich sind. Nicht ihr flüssiger Zustand macht sie zum Erreger der Elektrieität, sondern die chemische Veränderung, flüssige Zustand ist nur in sofern dabei wirksam, als er eine Bewegung der welche sie erleidet. Der tropfbar- einzelnen Bestandtheile nach beiden Seiten hin zuläfst, wodurch die Flüs- & zum Entstehen sigkeit nach beiden Seiten heterogen wird und Veranlassung des Stromes giebt. Die chemische Action des Metalls leitet gleichsam den Strom nur ein. Stellt man sich z. B. einen Streifen Zink und einen Streifen Kupfer vor, die in verdünnte Schwefelsäure tauchen, so wird das Zink das Wasser zer- setzen, und nach kurzer Zeit mit einer Schicht von schwefelsaurem Zink umgeben sein. Da die beiden Metalle sich nicht mehr in der gleichar- tigen Flüssigkeit befinden, so wird auch die Elektrieität, welche sie bei Be- rührung derselben annehmen, nicht mehr in Summa gleich der sein, welche sie bei unmittelbarer Berührung zeigen. Berühren sie sich alsdann auch aufserhalb der Flüssigkeit, so entsteht ein Strom. Durch diesen wird von Neuem Wasser zersetzt, es wird der Wasserstoff nach dem Kupfer bewegt während die Säure und der Sauerstoff sich nach dem Zink bewegen; hier- durch wird eine neue Quantität von Zink gelöst und es tritt eine noch 32 Mıcnus über thermoelectrische Ströme. stärkere chemische Wirkung ein. Diese letztere ist Folge des elektrischen Stroms, während jene erstere, welche vor der Schliefsung der Kette statt- fand, als die einleitende Ursache angesehen werden kann, da sie den Strom dadurch veranlafste, dafs sie eine Heterogenität der Flüssigkeit bewirkte. Auf ganz gleiche Weise erzeugt die Heterogenität, welche in einem Metalle vorhanden ist das an einem Ende eine höhere Temperatur als am andern hat, den thermoelektrischen Strom. 55. Als ich die oben beschriebenen Versuche begann, hoffte ich zuversichtlich zu finden, dafs die thermoelektrischen Ströme von einer Be- wegung der Wärme herrühren. Hierzu veranlafste mich besonders die von Peltier zuerst beobachtete Erscheinung der Kälteerregung durch den elektrischen Strom. Ich mufs Andern zu beurtheilen überlassen in wie weit die angeführten Versuche noch die Annahme zulassen, dafs die Leitung oder Strahlung der Wärme die Ursache der thermoelektrischen Ströme sei, für mich schliefsen sie eine solche vollständig aus. Allein ich verkenne nicht die Schwierigkeit, welche der Peltier’sche Versuch bietet. Vielleicht ge- lingt es bei Fortsetzung dieser Untersuchung auch diesen Einwand gegen die Annahme zu beseitigen, dafs die thermoelektrischen Ströme wie die hy- droelektrischen ihren Grund nur in der Elektricität haben, welche durch Berührung heterogener Substanzen entsteht. | war handlung des Horn Ye Hugnas Phys Ad 1804 —_ a nn nn rasen en « e w Be} e F on Mail a 08 > Allg is 77 0 Ez { Über die Ophiurenlarven des Adrıatischen Meeres. Hm. "MÜLLER. mmmnnnnnemnaN [Gelesen in der Königl. Akademie der Wissenschaften am 16. Januar 1851.] D. Ophiuren stimmen mit den Asterien durch ihre Ambulacralglieder oder Wirbel. Indem sich die Ambulacralplatten der Asterien unter der Bauchfurche der Arme vereinigen, entsteht an dieser Stelle eine Art Wirbel, der aus zwei Seitenhälften zusammengesetzt ist. Die übrigen Körperwände hängen mit den seitlichen Ausläufern dieser Knochenreihe zusammen, und man kann letztere als eine Gliederreihe am ventralen Perisom ansehen. Da aber der Tentakelcanal und der Nervenstrang in der Furche auswendig auf diesen Wirbeln liegen und wieder von weicher Haut bedeckt sind, welche die äufserste Schicht an der Furche bildet, so ist offenbar die Lage jenes Canals und des Nervenstranges eine ganz andere als in den Seeigeln, und es ist den Asterien eigen, dafs ihre Ambulacralplatten über dem Tentakelcanal und Nervensystem nicht, wohl aber inwendig unter ihm verknöchern, und dafs dieselben Theile in den Seeigeln umgekehrt auswendig vom Tentakel- canal und Nerven des Ambulacrums verknöchern, inwendig aber gar nicht, aufser an den Aurikeln, vorhanden sind. Ich beziehe mich auf die „anatomi- schen Studien über die Echinodermen, Archiv f. Anat. u. Physiol. 1850” p- 117. Bei den Ophiuren trifft man die Wirbelreihe auch, ohne dafs Bauchfurchen vorhanden sind, an der Ventralseite der Scheibe und an den Armen. Es füllen diese Wirbel zwar die Arme fast ganz aus, sie müssen aber doch als eine Anschwellung von der ventralen Seite des Körpers angesehen werden. Der Tentakelcanal liegt in einer Rinne auf der Ventralseite dieser Wirbel, auswendig ist die Bauchseite noch von einem knöchernen Schild ge- deckt. Mit den Seiten der Wirbel sind die stacheltragenden Seitenschilder fest verbunden. Die Seitenschilder begegnen sich von rechts und links spitz Phys. Kl. 1851. E 34 MÜLLER in der obern und untern Mittellinie. Zwischen den von ihnen gebildeten Ringen liegen auf dem Rücken die Rückenschilder, auf dem Bauch die Bauchschilder; an den Seiten der Arme besteht die Decke der Arme zwi- schen den Seitenschienen aus weicher Haut, diese deckt die Museulatur die- ser Glieder. Die Wirbel articuliren mit einander durch Gelenke, welche den mittlern Theil der vordern und hintern Fläche einnehmen, die seitlichen Theile dieser Flächen sind den Muskeln bestimmt, welche die Wirbel ver- binden, oben und unten, zur Streckung, Beugung und Abduction der Arme. Der Tentakelcanal liegt in der Rinne der Wirbelreihe, zwischen den Wir- beln und den Bauchschildern, seine Äste für die Tentakeln durchbohren die Wirbel selbst und münden am aboralen Rande des Wirbels noch vor dem auf der Circumferenz des Wirbels befestigten Seitenschild, in einer kleinen Aushöhlung, auf welcher der Tentakel aufsitzt. Die Musculatur der Wir- belstücke ist ganz verschieden bei den Asterien und Ophiuren. Die Aste- rien besitzen Muskeln, welche die rechte und linke Hälfte der Wirbel oder die Hälften des Ambulacrums gegeneinander bewegen und dadurch die Furche erweitern und aufserdem ist ihre Haut contractil. Bei den Ophiuren verbinden die Muskeln die Wirbel unter sich. Bei Triest sind vier Arten von Ophiurenlarven zur Beobachtung gekommen. I. Die doppeltgefleckte Ophiurenlarve von Triest, Pluteus bima- culatus, und ihre Metamorphose. Die Ophiurenlarve, welche ich hier beschreibe, fand sich in den Herbstmonaten bei Triest in solcher Menge in allen Stadien der Entwicke- lung und Verwandlung, dafs der Verlauf der letztern noch vollständiger als bei der Helgoländischen Ophiurenlarve beobachtet werden konnte. Diese Untersuchung gewann dadurch noch ein erhöhtes Interesse, dafs sie mit der Verwandlung einer Asterie aus der Bipinnarienform, welche nicht minder häufig war, verglichen werden konnte, nämlich jener, die bereits in der vierten Abhandlung beschrieben ist. Die gegenwärtige völlig durchsichtige Ophiurenlarve hat im Allgemei- meinen ganz die Gestalt einer plattgedrückten, von Kalkstäben ausgespannten Umbrella, die acht Fortsätze und den Bau der Helgoländischen Ophiuren- larve, sie unterscheidet sich von dieser aber durch ihre viel längern und über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 35 dünnern Fortsätze, von welchen namentlich die Seitenfortsätze aufserordent- lich lang werden und bei reiferen Larven an ihren Enden gegen 2” weit aus- einander stehen oder klaftern. Diese Fortsätze haben an ihrem obern Theile eine nach aufsen convexe, weiterhin eine nach aufsen concave sanfte Bie- gung. Am Körper der platten Larve ist wieder die Spitze, Gipfel oder Scheitel, die schirmartige Ausbreitung zwischen den ventralen Fortsätzen, oder der ventrale Schirm, die segelartige Ausbreitung zwischen den dorsalen Fortsätzen mit dem Mund auf der Innenseite, oder der dorsale Schirm, und die hintern Seitenfortsätze zu unterscheiden. Die Haut des Körpers bildet die gewöhnlichen Arkaden zwischen allen Fortsätzen, wodurch das Ganze die Gestalt einer plattgedrückten Umbrella erhält, deren Rippen in 8 Fort- sätze auslaufen. Mund, Schlund, Magen und Darm haben dieselbe Gestalt und Lage wie an der Helgoländischen Larve, Magen und Darm haben wie- der eine grüne Färbung, auch verhält sich der an den Rändern des Schirms und seiner Fortsätze verlaufende Flimmersaum oder die Wimperschnur in gleicher Weise wie an dem Pluteus von Helgoland. Dagegen habe ich die bei dem letztern beobachteten und abgebildeten kleinen Knötchen unter dem Mund mit den davon abgehenden auf Nerven gedeuteten Fäden an dieser Lärve nicht wahrgenommen. Im Gipfel der Larve begegnen sich die beiden Haupt-Kalkstäbe und theilen sich an ihren Enden gabelig. An jeder Seite der Larve, dicht unterhalb des Gipfels, befindet sich ein viereckiger Rah- men von Kalkleisten, der von dem ihn durchsetzenden Kalkstab des Gipfels in zwei Maschen getheilt wird. Der durchsetzende dickere Kalkstab läuft aufwärts in den Gipfel, abwärts in die langen Seitenarme aus, sich allmählig verdünnend. In dem Seitenarme giebt er von Stelle zu Stelle nach der In- nenseite krumme Ästchen ab, welche die ganze Dicke dieser Arme durch- setzen. Der viereckige Kalkrost auf jeder Seite des obern Theils des Lar- venkörpers giebt aus seinen Ecken wieder Kalkleisten. Die oberen Ecken geben querlaufende Leisten ab, welche an der vordern und hintern Seite der Larve dicht unter dem spitzen Gipfel hingehen und denjenigen der an- dern Seite begegnen, ohne mit ihnen zu verschmelzen. Hierdurch entstehen zwei Kalkbögen unterhalb des Gipfels mit mittlerer Sutur. In der Nähe der Sutur giebt einer der beiden Zweige des Kalkbogens einen Ast nach der Mitte, welcher die Haut der Larve erhebt. Dies geschieht sowohl an der hintern als vordern Fläche der Larve, und es entsteht dadurch auf der vor- E2 36 MÜLLER dern und hintern Fläche der Larve, dicht unterhalb des Gipfels und ober- halb des Magens, ein spitzer Buckel. Die untern Ecken des viereckigen Kalkrostes laufen in die Kalkstäbe für die vordern und hintern Arme aus. Die Kalkstäbe der hintern Seitenarme oder Nebenarme sind Äste der hin- tern Kalkstäbe, d.h. der Kalkstäbe des Mundgestells. In der Gegend des Kalkrostes, rechts und links unterhalb des Gipfels, befindet sich ein schwar- zer Pigmentfleck. Die reiferen Larven haben hin und wieder auf ihrem Körper einen braunen Pigmentfleck. Die Wimperschnur ist ungefärbt. Am Rande der Umbrella geht die Haut der Larve von der convexen Seite des Schirms auf die concave Seite desselben über. Die Aushöhlung der Umbrella birgt den Bogen der Verdauungsorgane, so dafs Schlund und Darm, an den entgegengesetzten Seiten liegend, den Magen in der Mitte der Umbrella zwischen sich haben. Die Larvenhaut, an der concaven Seite des Körpers über diese Eingeweide weggehend, bildet demnach ein Gewölbe, welches in der Mitte von dem Magen etwas niedergedrückt ist. Am Umfang der Umbrella liegen sich die convexe äufsere und die concave innere Ober- fläche näher, und am nächsten an den Seiten der Umbrella. Bei der An- sicht auf die vordere oder hintere Fläche der Umbrella erhält man eine Pro- filansicht von dem Lauf der Haut der concaven Seite als eine Linie, welche vom untern Rande des Schirms ausgehend an der Seite aufsteigt, nahe der äufsern Profillinie, und sich dann bogenförmig unter den Magen schlägt. Taf. I, Fig. 1x Profillinie der äufsern Oberfläche, x Profillinie der innern concaven Oberfläche der Umbrella. An diesen Larven konnte ich mich auf das bestimmteste überzeugen, dafs der Darm sich durch einen After auf der vordern Seite des Schirms öff- net. Es haben also auch die Ophiuren gleich allen Larven von Echinoder- men einen After, der bei der Verwandlung der Ophiuren und eines Theils der Asterien spurlos verschwindet. Die jüngern Larven dieser Ophiure sind viel schmaler als die ältern, und nimmt die Divergenz der Seitenarme und die relative Breite des Schirms mit dem Wachsthum der Larve beständig zu. Diese Erweiterung erklärt sich daraus, dafs die queren Commissuren der Kalkstäbe unterhalb des Gip- fels in der Mitte nicht verschmolzen 'sind, vielmehr geschieht die Erweite- rung des Winkels der Hauptkalkstäbe gleichzeitig mit dem Wachsthum der queren Kalkleisten oder mit der Erweiterung der queren Commissuren. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 37 Die jüngsten Larven haben nur zwei Arme, nämlich die Seitenarme, welche durch einen vordern und hintern Schirm verbunden sind, aus dem hintern Schirm entsteht das Mundgestell. Beide Schirme enthalten schon ihre Kalkleisten, die respeetiven Arme entstehen, indem sich am Rande der Schirme zwei Ecken ausbilden, welche dann in Fortsätze auswachsen, und in welche sich die Kalkleisten verlängern. An den Larven bewegt sich aufser der Wimperbewegung der Flim- mersäume und des ganzen innern Darmcanals, und aufser der Zusammen- 5 ziehung des Schlundes, während der ganzen Entwickelung bis zur Verwand- lung, kein Theil des Körpers, sie schweben im Wasser so, dafs der Gipfel wegen der gröfseren Menge von Kalktheilen leicht etwas tiefer steht. Vor der Verwandlung erblickt man zu beiden Seiten des Magens eine längliche Ablagerung von Bildungsmasse, welche sich in andern Ophiuren- larven, in den Larven der Holothurien, in den Bipinnarien und auch in den älteren Larven des Echinus lividus (Larven von 4 Gröfse) wiederfindet. Unterhalb des Magens, wo dieser die Haut der concaven Seite der Umbrella herabdrückt, befindet sich ein an der untern Fläche des Magens hinter der vordern Schirmhälfte hingehender Wulst, zwischen dem Magen und der Larvenhaut der concaven Seite der Umbrella. Der Wulst, auf welchem der Magen gleichsam wie auf einem Gurte ruht, läuft rechts und links mit umgewendeten Biegungen aus, indem er an die Larvenhaut der concaven Seite sich anschliefst, nach den Seiten aber aufhört. Dieser Wulst spielt eine wichtige Rolle bei der Verwandlung, ich werde ihn den halbeirkelför- g von Bil- dungsmasse auf der Oberfläche des Magens, welche wie eine Kappe den migen queren Wulst nennen. Später zeigte sich eine Ablagerun Magen und Darm bedeckt und deren Ränder gegen die unter dem Magen lie- gende wulstförmige Ablagerung sich ausschweifen und damit zusammenflie- fsen. Diese Bedeckung desjenigen Theils des Verdauungsorganes, welcher aus der Larve in das Echinoderm übergeführt werden soll, ist als die erste Anlage des spätern Perisoms des Seesterns zu betrachten. Wenn diese Be- deckung der Verdauungsorgane eintritt, sind die beiden Ablagerungen zu den Seiten des Magens nicht mehr zu unterscheiden. Schon ehe sich diese Kappe gemeinschaftlich über Magen und Darm bildet, hat bereits die erste Anlage des Tentakelsystems begonnen. Nämlich die Larve auf die Bauchseite angesehen, wenn der Gipfel aufwärts gekehrt 38 MÜLLER ist, so zeigen sich 5 Blinddärmehen links neben dem Schlunde, die blinden Enden nach aufsen gekehrt, an ihren Basen sind sie verbunden. Das Ganze hat das Ansehen eines hohlen länglichen Säckchens mit Doppelconturen, welches an der Aufsenseite in 5 fingerförmige hohle Fortsätze ausläuft. In noch früherer Zeit fehlen die fingerförmigen Fortsätze an dem Säckchen und stellt dasselbe nur ein rundes Bläschen zur Seite des Schlundes dar. Die jüngsten Larven haben keine Spur davon. Wie sich später ergiebt, sind die Blinddärmchen die Anlage der Tentakeln für einen der 5 Radien oder Arme des Sterns. Später zeigen sich ähnliche Blinddärmchen in dem ganzen Wulst unterhalb des Magens. Sie scheinen aus einem Canal entstanden zu sein, der von den zuerst vorhandenen 5 Blinddärmchen ausgegangen. Diese Reihe von Blinddärmchen innerhalb des Wulstes gruppirt sich bald in 4 Abthei- lungen, von denen zwei rechts und links unter dem Schirm der Larve, zwei neben einander in der Mitte an der innern Seite der Markise oder des ven- tralen Schirms liegen. Jede Gruppe hat jetzt die Gestalt eines in 5 finger- förmige Fortsätze eingeschnittenen Blattes. Der hohle Stamm des Blattes verlängert sich in den Mittelfinger, an den Seiten des Stammes sitzen die Seitenfinger hintereinander, 2 auf jeder Seite. Die zuerst entstandene Gruppe von Blinddärmchen an der Seite des Schlundes hat jetzt auch ihre Gestalt verändert und dieselbe Form einer Sfingerförmigen Palma angenom- men. Später zeigt sich deutlich, dafs die 5 hohlen Palmae auch unterein- ander zusammenhängen, sie bilden jetzt eine Guirlande, die noch nicht ge- schlossen ist; denn während vier Blätter einen Halbeirkel unter dem Magen und hinter dem ventralen Markisenförmigen Schirm bilden, so liegt das fünfte, welches zuerst entstanden war, nach der Rückseite zu tiefer und ein- seitig zur Seite des Schlundes. Die fingerförmigen Fortsätze der 4 symme- trischen Palmae sind abwärts auswärts, ihre Basen aufwärts einwärts gewandt. Das fünfte Blatt hat die Basis aufwärts, die Finger abwärts gekehrt. Der ganze Gürtel von Blättern sieht sich in seinem Zusammenhange so an, dafs die Guirlande mit dem unsymmetrischen Blatt links neben dem Schlunde beginnt und sich von da an die linke Seite unterhalb des Magens begiebt und sofort unter dem Magen und hinter dem ventralen Schirm von links nach rechts geht, bis wieder zur rechten Seite unterhalb des Magens. Zwischen dem Anfang und Ende der Guirlande liegt der Schlund der Larve, dem über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 39 Anfang der Guirlande näher. Dies ist die Anlage des Tentakelsystems für 5 Arme des künftigen Sterns. Wenn die Zone von Blinddärmchen eben erst angelegt, aber noch nicht in die 5 Palmae gruppirt ist, so bildet sich an der den Magen und Darm bedeckenden Kappe ein Wulst aus. Auf der Rückseite der Larve liegt dieser Wulst bei der Ansicht auf die Rückseite des mit dem Gipfel auf- wärts gerichteten Pluteus rechts, aufsteigend bis unter den Gipfel setzt er auf der Bauchseite des Pluteus seinen Bogen fort. Der wellig ungleiche Wulst bildet daher gewissermalsen einen Halbeirkel, ‚welcher auf der rech- ten Seite aufsteigt und hinten wieder herabsteigt. Obgleich diese wulstige Erhebung der den Magen bedeckenden Kappe noch völlig unsymmetrisch mit der Anlage der Tentakelguirlande für 5 Arme ist, so ist der Wulst doch die erste Anlage des dorsalen Randtheils vom Perisom des spätern Seesterns. Aus den Wellen des Wulstes bilden sich auf der Rückseite 3, auf der Bauch- seite 2 hohlkehlenartige Fortsätze, das sind die Anlagen der Enden von bi) Strahlen des Sterns, nämlich der dorsalen Decke der 5 Arme. Die Hohl- kehlen haben ihre Enden nach aufsen gekehrt, ihre convexe Seite nach oben und links, die concave nach unten und rechts. In ihren Wänden sieht man bald ein Skelet von Kalkleisten mit Gitterwerk auftreten und am Ende der Hohlkehlen als Spitzen erscheinen. Schon ehe der Wulst aus der Kappe des Verdauungssystems sich erhoben, war seine Richtung schon durch kleine Sternchen von Kalkabsatz in der Kappe angedeutet. Die hohlkehlenartigen Fortsätze erheben sich bald frei über die Oberfläche des Pluteus. Die bei- den Hohlkehlen, die auf der ventralen Seite des Schirms sitzen, haben nicht immer dieselbe Stellung, obgleich sie immer die dorsale Reihe der Hohl- kehlen fortsetzen ; bald stehen sie untereinander, bald mehr horizontal ne- beneinander. Indem die 5 Hohlkehlen an Gröfse zunehmen, wenden sie sich mehr auseinander und rücken aus der schiefen Aufstellung ihres Halb- eirkels in die Stellung von Radien eines Kreises. Hierdurch werden sie der Guirlande von Blinddärmehen etwas mehr genähert, aber jeder der 5 hohl- kehlenartigen Fortsätze liegt noch weit entfernt von der blattförmigen Gruppe von Tentakelblinddärmchen, die definitiv zu ihm gehört. Wenn man um diese Zeit durch die Stellung der im Wasser schwe- benden Larve sich einen Blick in die concave Seite derselben, d.h. ins In- nere des Schirms, wo die Blätter von Blinddärmchen angebracht sind, ver- 40 MÜürLvter schafft, so überzeugt man sich, dafs die 5 Blätter an Masse gewachsen, sich mehr zu einem Kreis zusammen gedrängt haben; obgleich das fünfte links vom Schlunde gelegene unsymmetrische Blatt noch immer etwas tiefer steht, so hat sich doch das rechts unter dem Schirm gelegene Blatt dem Schlunde genähert und ist von dem künftigen Nachbar, der anfangs am weitesten von ihm entfernt war, nur durch den Schlund der Larve getrennt. Man sieht ferner, dafs die 5 Gruppen der Tentakeln an ihren Basen durch einen Cir- kelkanal zusammenhängen. Auch sieht man aufser den 5 Blinddärmchen jeder Palma, deren Stämme aus dem Cirkelkanal hervorgehen, noch 10 Blinddärmehen so im Kreise gestellt, dafs sie ihre blinden Enden nach in- nen, ihre angewachsenen Enden aber nach aufsen gekehrt haben, wie Ra- dien. Je zwei gehören nämlich zu einer Palma und entspringen aus dem Stamm der Palma dicht bei dem Ursprunge des Stammes aus dem Cirkel- canal. Diese 10 Blinddärmchen sind, wie sich hernach ergiebt, diejenigen gerich- Tentakeln des Sterns, welche gegen den spätern Mund des Sterns g tet sind. Jede Palma besteht demnach jetzt aus 7 Blinddärmchen, wovon die zwei hintersten rückwärts gerichtet sind; schon sind indefs die ersten Anzei- gen von noch einem neuen Paar vor dem blinden Ende des Mittelcanals als kurze Ausbuchtungen des Canals sichtbar. Der wimpernde Mund und der sich bewegende Schlund der Larve sind noch in Thätigkeit. Der Cirkelca- nal und der Kreis der 10 nach innen gekehrten Blinddärmehen oder künfti- gen Mundtentakeln liegen so, dafs sie nicht den Schlund der Larve in ihrer Mitte haben, sondern der Kreis liegt unter dem Magen und ist vor dem Schlunde geschlossen. Der Schlund liegt also hinter dem Cirkelcanal und hinter den daran hängenden Blättern von Blinddärmchen. Hieraus läfst sich mit Gewilsheit ersehen, dafs der Mund und Schlund der Larve völlig ver- loren gehen, und dafs ein neuer Mund für den Seestern innerhalb des ge- dachten Kreises entstehen mufs. Wir haben bis jetzt die Gruppen der Blinddärmchen als ein einfaches und als Tentakelcanal und Tentakeln betrachtet, es mufs aber noch in ver- schiedene Schichten unterschieden werden. Der ursprüngliche Wulst, in welchem sich die Blinddärmchen ent- wickeln, bedeckt zur Zeit der Entstehung dieser noch die eben entwickelten Blinddärmchen, es ist eine Anlage von Bildungsmasse, Blastem, welche von über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 4 der Anlage der Blinddärmchen selbst noch unterschieden werden mufs, und scheint als das ventrale Perisom des künftigen Seesterns betrachtet werden zu müssen, gleichwie die Kappe über dem Verdauungsorgan das dorsale Pe- risom des künftigen Seesterns wird. So weit die sich entwickelnden Blind- därmchen halbeirkelförmig unter dem Magen und Schirm gruppirt sind, bildet er ebenfalls einen Halbeirkel, von der einen Seite aus hinter dem ventralen Schirm bis zur andern Seite, setzt sich aber dann in einen nach abwärts ge- richteten einseitigen Lappen auf die neben dem Schlund liegende Blind- därmchen-Gruppe fort, welche von einer Verlängerung des Wulstes oder des ventralen Perisoms umgeben sind. Zur Zeit wo die 5 Blätter sich aus- bilden wollen, ist dieses zuerst angedeutet, dafs der halbeirkelförmige Theil des Wulstes sich in ebenso viel Biegungen, Wellen aufwirft, als Blätter an dem Halbeirkel entstehen sollen, also vier. Man sieht die Blinddärmchen des Wulstes bald zuerst erscheinen, wenn er noch halbeirkelförmig ist, bald wenn er sich schon in jene Windungen gelegt hat. Siehe die Abbildungen. Wenn die Blinddärmchen völlig ihre blattartige Gruppirung und ganze Ausbildung erlangt haben, kann man noch sich überzeugen, dafs um sie eine etwas dunklere Schicht von Blastem wie Lappen ausgebreitet ist, welche von ihnen durchbrochen wird, indem ihre hellen angeschwollenen Enden daraus hervorstehen. Man unterscheidet nämlich an jeder Palma Folgendes. Das innerste ist der Tentakelcanal und seine Äste, mit Doppeleonturen seiner Wände, wovon der innerste Contur dem Lumen des Canals entspricht. Um die Tentakelschicht geht das etwas dunklere Blastem herum, so dafs es für jeden der 5 Äste des Canals einen Lappen bildet. An den Einschnitten zwi- schen den Lappen setzt eine Linie von einem auf den andern Lappen über und giebt dadurch noch von einer äufsersten, zarten Haut der 5 Palmae Kenntnifs. Die auf den Palmae entstehenden dreischenkeligen Kalktı- guren und Anfänge von Gitterwerk und braune Pigmentflecke liegen ober- flächlich. Den 5 Lappen einer Palma entsprechen nun die 5 blinden Äste des Tentakelcanals genau und bilden den Kern davon. Dagegen sind die etwas später gebildeten Mundtentakeln nicht von solchen Lappen einge- schlossen, sondern erscheinen frei. Die als Rudimente erst angedeuteten äufsersten Äste des Tentakelcanals liegen noch in dem Blastem zwar einge- schlossen, sind aber nicht durch Lappen des Blastems angedeutet. Das lap- Phys. Kl. 1851. F 42 MüLrter pige Blastem der 5 Palmaeist vorher als ventraler Theil des Perisoms bezeich- net worden, womit wohl übereinstimmt, dafs der Tentakelcanal in der That der Ventralseite der Leibeswandung bei allen Asteriden angehört. Als blofse Hautschicht der Ophiure dürfen wir aber diese Lappen nicht betrachten, die selbst noch von einer zarten Haut überzogen sind; vielmehr sind die Lap- pen, deren Kern die Tentakelcanäle mit ihren Doppelconturen bilden und aus welchen die angeschwollenen Enden der Tentakeln hell wie aus Offnun- gen hervorsehen, wahrscheinlich zugleich das Blastem für alle andern zur Ventralseite des Sterns gehörigen Gebilde d.h. diejenigen, welche hernach von den Armen zum ventralen Theil der Scheibe und über dem Magen bis zum Munde gehen, als die Wirbelstücke der Arme, ihre Muskeln und die Nerven. Man wird sich daran erinnern, dafs die Wirbelstücke der Ophiuren- arme, welche das Innere des Arms gröfstentheils bilden, doch der Ventral- seite des Perisoms angehören und an der Scheibe ventral fortgehen, dafs aber der Tentakelcanal ventral zwischen ‘dieser Wirbeleolumne und der äufsern Hautschicht liegt, welche letztere bei den Asterien weich bleibt, bei den Ophiuren selbst aber wieder in Form von Schildern verknöchert. Also wir dürfen jene Lappen, welche den Tentakeleanal und seine Zweige ein- schliefsen, nicht blofs als ventrales Perisom, sondern auch als den der Ven- tralseite angehörenden Kern, die Füllung der Ophiurenarme ansehen, da- gegen die äufserste häutige Schicht über den Lappen wahrscheinlich die Hautschicht über dem Tentakelcanal des Ophiurenarmes bilden würde. Auch die 5 sogenannten Zahnfortsätze der ausgebildeten Ophiure, welche zwischen je zwei Armeolumnen auf der Ventralseite um den Mund stehen, werden sich ohne Zweifel aus dem ventralen Blastem da bilden, wo die Ba- sen der Palmae an einander grenzen. Man mufs sich übrigens das dorsale und ventrale Perisom des künftigen Sterns als ein zusammenhängendes den- ken, gleichwie sie von Anfang als Bedeckung des bleibenden Theiles der Verdauungsorgane erschienen sind. Das dorsale zeichnet sich nur durch seine frühzeitige Ausbildung zu einem festen Etui für die Bergung der wei- chen Theile aus; die beschriebenen dorsalen Hohlkehlen werden, zu ihrer bestimmten Gröfse für Endglieder der Arme herangewachsen, schon durch Kalkablagerung fest, während die zur Hohlkehle gehörigen ventralen Theile noch weich und im Wachsthum zurück sind. Denn nicht die ganze Palma über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 43 ist bestimmt, zu ihrer Hohlkehle herangezogen, für immer darin aufgenom- men zu werden, vielmehr entspricht von der ganzen Palma nur der äulfserste mittlere Digitus jener Hohlkehle oder dem bleibenden äufsersten Armglied, welches keine Tentakeln erhält. Die nächstfolgende Abtheilung des Lap- pens entspricht aber dem zweiten Gliede des Arms, dessen dorsaler Theil jetzt noch gar nicht abgegliedert und verkalktistund erst successiv zum Vorschein kommen wird. Die dritte der Basis nächste Abtheilung des Lappens gehört nicht mehr zum Arm, sondern zur künftigen Scheibe der Ophiure, denn die diesem Lappen angehörigen Tentakeln sind es, welche, auf die Mundtentakeln folgend, auf der Scheibe selbst noch hervortreten. Von den 3 Abtheilun- gen einer Palma wird also die basale zur Ventralseite der Scheibe selbst, die distale oder äufserste für das Endglied des Arms, die mittlere für die Abtheilung des Arms verwandt, die zwischen dem Endglied und der Scheibe sich bilden wird. Während auf der Bauchseite des künftigen Sterns, auf den Palmae kaum die ersten Spuren von Kalktheilen aufgetreten sind, das Blastem der Lappen aber noch ganz von Verkalkung frei ist, schreitet die Verkalkung auf der dorsalen Seite des Sterns rasch fort, wo sich ein Gitterwerk von Kalkleisten bildet. Um diese Zeit sind die Palmae der Tentakelanlagen mit ihrer Umhüllung unter die ihnen entsprechenden Hohlkehlen gerückt und hängen unter ihrer Hohlkehle. Wo die Haut des Pluteus die Hohlkehle von ihrer Palma trennt, geht sie durch Resorption verloren. Mit dem Aus- einanderweichen der Hohlkehlen in die Richtung von Radien, behalten sie übrigens ihr Verhältnifs zum Pluteus, so dafs 3 davon aus dessen Rückseite, 2 aus dessen Vorderseite hervorgetreten sind. Indem die Hohlkehlen aber in die Stellung von Radien auseinanderrücken, geht an dem Mundgestell des Pluteus eine Verzerrung vor sich, die schon durch die einseitige Lage der fünften Palma zur Seite‘ des Schlundes und ihr Wachsthum eingeleitet ist. Bei der dorsalen Ansicht der Larve erscheint der Schlund jetzt zur Linken verschoben, der rechte Fortsatz des Mundgestells ist nach links um- gebrochen oder verknittert, indem der Endtheil des Fortsatzes seinen kal- kigen Kern eingebüfst hat, und geht allmählig ganz verloren. Der rechte Fortsatz des ventralen Schirms ist verkürzt, und sein Endtheil entweder verknittert oder durch Resorption verloren gegangen. F2 44 MÜLLER Mit der Ausbildung der Sternform des Echinodermkörpers liegt end- lich jede Palma genau unter ihrer Hohlkeble oder in derselben, die Bauch- seite erscheint jetzt sehr hoch. Der Schlund und Larvenmund, welche zuletzt noch zwischen zwei Armen des Sterns liegen bleiben, verschwinden ganz. Der Magen liegt in dem bis dahin vollendeten Stern in der Mitte und ist jetzt völlig abgerundet. Vom Darm ist jetzt nichts mehr zu erkennen als eine bald verschwindende Ausbucht. Vielleicht ist darauf ein vom Magen abge- sprengtes Fragment zu deuten, welches man an derselben Stelle zuweilen interradial an der Peripherie des Sterns (bei der dorsalen Ansicht des Pluteus links) wahrnimmt, und welches aufser Zusammenhang mit dem Magen noch die grüne Farbe des letztern hat. Siehe d. Abbild. Der Schirm der Larve ist grofsentheils auseinander gesprengt und es sind nur noch Reste des Schirms zwischen dem Stern und den Resten einzelner Larvenfortsätze zu erkennen, von welchen die grofsen Seitenfortsätze des Pluteus noch in ganzer Länge erhalten sind. Aufser diesen ist auch der eine Fortsatz des Mundgestells er- halten. Der Scheitel der Larve ist noch vorhanden mit dem für die Ophiu- ven und für diese Species characteristischen Verhalten der Kalkleisten. Die grofse Ebene des Sterns schneidet die grofse Ebene der Larve schief. Auf dem Rücken des obern Armes des Sterns sitzt der Gipfel des Pluteus etwas zur Seite. Der nächste rechte Arm des auf den Rücken angesehenen Sterns liegt über dem rechten langen Seitenfortsatz der Larve, der linke unter dem linken Fortsatz. Der Stern hat erst äufserst kurze Arme oder Radien, deren Decke aus den früheren 5 Hohlkehlen besteht. Der bleibende Mund des Seesterns hat sich unterdefs gebildet, er ist von 5 radialen Leisten umstellt, den soge- nannten Zahnfortsätzen der Ophiure, zwischen ihnen sieht man die Mund- tentakeln. Von den Tentakeln der Arme steht das nächste Paar aus seinen Öffnungen auf der Bauchseite des Sternes hervor. Indem sich die Arme verlängern und das Perisom auch auf der Bauch- seite seine Verkalkung ausbildet, erkennt man bald an jedem Arme 3 Ab- iheilungen oder künftige Glieder. Das äufserste zeichnet sich durch seine geraden Kalkleisten mit viereckigen Maschen aus, man erkennt darin leicht das Skelet der frühern Hohlkehlen, welches auf der Ventralseite des Gliedes noch nicht geschlossen ist. Dieses Glied erscheint selbst zu dieser Zeit noch wie offen an der Unterseite, d.h. die Ventralseite des über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 45 Perisoms ist zwar, den Tentakelcanal deckend, vorhanden, aber in der Mitte noch nicht verkalkt. Die beiden der Scheibe näher liegenden Abthei- lungen des Arms besitzen das Gitterwerk mit geraden Kalkleisten und vier- eckigen Maschen auch auf der Rückseite nicht, indem das Netzwerk des Kalks wie auf der Scheibe mit sechsseitigen Maschen erscheint. Die Ele- mente dieses Netzwerkes sind dreischenkelige Ypsilonförmige Figuren, deren Schenkel unter Winkeln von 120° zusammenstofsen (!), und deren Enden sich wieder gabelig theilen. An den Armen machen nur die nächst der Mit- tellinie rechts und links auftretenden längeren Kalkleisten durch ihren mehr geraden Verlauf eine Ausnahme. Ihre Seitenäste theilen sich aber auch wieder gabelig. Man sieht im Innern der Arme den Tentakelcanal und seine Äste in die Tentakeln der Arme, die bereits aus ihren Öff- nungen hervortreten und umhertasten. Aus dem abgestutzten Ende jedes Armes steht aber das blinde Ende des Tentakelcanales frei hervor, ohne sich wie die Tentakeln zu bewegen. Der Gipfel des Pluteus und die zuletzt noch vorhandenen Larvenfortsätze bleiben, wenn auch schon die ersten Sta- cheln mit ihren Kalkfiıguren an den Armen sich bilden und 3 Paar Tentakeln an jedem Arme zugleich mit den Mundtentakeln in Thätigkeit sind. Der Magen hat jetzt eine am Umkreis gelappte Gestalt angenommen. Auf den Armen sind rechts und links braune Pigmentflecke, welche sich an jedem Gliede wiederholen, später aber wieder verloren gehen. Noch vor dem Verlust der Larvenfortsätze bildet sich an den Arm- gliedern meist schon der zweite Stachel. Indem die Larvenreste verloren gehen, werden die Glieder allmählig länger und schlanker. Die Schilder der Arme bilden sich aus, und im In- nern die Wirbelabtheilungen. Stacheln stehen 2 auf jeder Seite eines Glie- des, mit Ausnahme des Endgliedes, welches ohne Stacheln ist, und aus dessen Ende noch immer das blinde Ende des Tentakelcanals hervorsieht, ohne sich wie die Tentakeln zu bewegen. Der frei gewordene Stern hat 4”. Obgleich er frei von den Larven- fortsätzen ist, so sieht man doch noch einen häutigen Saum, der die Basal- glieder der Arme von der Scheibe her verbindet. (‘) In dem vorläufigen Auszug der Abhandlung, Archiv f. Anat. u. Physiol. 1851, p- 10 u. 14. ist 120° statt 60° zu verbessern. 46 MÜLLER Ein Stern von #” Durchmesser hat an jedem Arm 2 stacheltra- gende Glieder und ein drittes Paar Stacheln auf der Scheibe selbst. Zwi- Are dem Endglied der Arme und dem Vorhergehenden hat sich der Anfang eines neuen Gliedes eingeschoben. Diese Sterne haben schon 2 Zahnpapillen auf den Kiefern, aber noch keine Mundpapillen. Bei einem Stern von £” war das neue Glied vergröfsert, aber noch nicht so grofs wie die übrigen. Tentakeln und Stacheln fehlen daran, wie an dem letzten Gliede. Das Ende des Tentakelcanals sieht noch aus dem Ende des letzten Gliedes hervor. Bei der Ophiurenlarve von Helgoland wurde bereits bewiesen, dafs das Endglied des Arms das erstgebildete ist und dafs das nächste Glied sich zwischen dem Endglied und der Scheibe bildet. Wenn weiter daraus ge- schlossen wurde, dafs die Quelle der neuen Glieder überhaupt an dem Ur- sprung der Arme von der Scheibe sei, so folgte dieser Schlufs aus der Be- obachtung nicht, und ist es wenigstens für die gegenwärtige Ophiurenlarve direct beobachtet, dafs dies neue Glied sich zwischen dem letzten und vor- letzten Armgliede bildet. Dies liegt auch schon in den Beobachtungen über die ersten Anlagen der Tentakeln, welche sich vor dem distalen Ende des Tentakelcanals durch Austreibung vermehren, wie schon bei der Beschrei- bung der Palmae nachgewiesen ist. 3m Die jungen Sterne ohne Larvenrudimente von ” bis &” Durchmes- ser, letztere mit vier Armgliedern, leben noch eine Zeitlang frei im Meer und sind unter gleichen Umständen wie die Larven selbst an der Ober- fläche des Meers gewonnen worden. Man findet einzelne solche Sterne schon von den Larvenresten frei, wenngleich der Stern erst drei Armglieder mit einem Stachel besitzt. Dagegen hatte ein anderer Stern bei 4 Gliedern und 0,33” Gröfse noch die Larvenreste. Ein freier Stern von 5” Gröfse mit 4 Armgliedern, hatte das letzte Glied 4” breit. Der Magen war noch grün. Bei einem Sterne von 4" Gröfse a 4 Gliedern ragte das Ende des Tentakelcanals noch aus dem Eindshiede hervor. Bei der Vergleichung der Abbildungen dieser weiter fortgeschrittenen Sierne mit den bei Triest beobachteten Ophiuren zeigte sich die meiste Ähn- lichkeit mit Ophiolepis squamata M. T., von el kriechende Jungen von 4” Durchmesser am Molo S. Carlo vorkamen. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 47 Zusatz. Das Endziel des Pluteus bimaculatus bezüglich der Ophiu- renspecies bleibt jedoch eine offene Frage, da die von Krohn und M. Schultze direct beobachtete Brut der Ophiolepis squamata von unserer Larve gänzlich verschieden ist. Siehe Archiv f. Anat. u. Physiol. 1851. H. 4. u. 1852. H: 1. II. Larve und Metamorphose der Ophiothrix fragilis M. T. Ein durchsichtiger Pluteus, dessen Verwandlung in Ophiothrix fragilis von mir festgestellt ist, kam sehr häufig in Marseille, Nizza und Triest vor. Die in Marseille im Februar und März gesehenen Exemplare gehören allen Entwickelungsstufen vom jüngsten Alter bis zum reifen Zustand der Larve an. Zu Triest im Sommer war das jüngste Stadium seltener, dagegen ka- men die reiferen Stadien der Larve und alle Übergänge in die Sternform sehr häufig vor. Die jüngsten Larven sind viel schmaler als später und haben nur die Seitenarme, welche schirmartig verbunden sind; indem der vordere und hintere Schirm Ecken erhalten, entstehen die vordern und hintern Schirm- arme, deren Kalkleisten schon vorher in dem Schirm erkennbar waren. Beim Wachsthum wird der hintere Schirm, worin der Mund, zum Mundgestell und es entfernen sich die Seitenarme durch Vergröfserung ihrer Divergenz immer weiter von einander, die hinteren Seitenarme sind wie gewöhnlich die spätesten, welche zur Entwickelung kommen. Im ausgewachsenen Zustande hat der Pluteus dieselbe Zahl und Lage der Fortsätze wie die Ophiurenlarve von Helgoland und die vorher beschrie- bene Larve, nämlich 8 Fortsätze. Er zeichnet sich aus vor jenen durch die grofse Divergenz und die geradlinige Gestalt der Seitenfortsätze, welche sehr langsind, so dafs ihre Enden im ausgewachsenen Zustande bis gegen 2” ausein- ander stehen. Alle übrigen Fortsätze sind verhältnifsmäfsig kurz. Am Schei- tel befinden sich 3 schwarze Flecke, zwei zu den Seiten, wo die Äste der Kalkstäbe von den Hauptstäben abgehen, und ein unpaarer Fleck in der Mitte der Scheitelspitze. An den langen Seitenarmen befindet sich constant ein langer schwarzer Fleck in der Mitte ihrer Länge, und oft noch ein an- derer gegen das Ende. An den noch kürzeren Armen jüngerer Larven fehlt der letztere natürlich ganz und ist die Stelle des erstern noch näher dem Ende. Die Gestalt des Körpers und Schirms, des Mundgestells, der Bau 48 MÜLLER der Verdauungsorgane sind wie gewöhnlich an den Ophiurenlarven. Der Magen ist durchsichtig und ungefärbt. Die Hauptkalkstäbe an den Seiten des Körpers verlängern sich in die langen Seitenarme, in diesen sind sie mit kurzen Dörnchen besetzt. An den Seiten des Larvenkörpers gegen den Scheitel aufsteigend biegen sie sich im Gipfel selbst nach aufwärts und enden nebeneinander ungetheilt. Unter der Scheitelspitze geben sie vorn und hinten einen Querast ab, die Queräste bei- der Stäbe begegnen sich von rechts und links, ohne zu verschmelzen. An der Stelle wo sie an einander stofsen, geht von einem der Queräste ein kur- zer Zweig nach der Mittellinie der Körperwand herab. In einiger Entfer- nung 5 stäbe für die Arme des ventralen Schirms und die für die Arme des Mund- vom Abgang der Queräste gehen von den Hauptkalkstäben die Kalk- gestells ab, die Kalkstäbe der hintern Seitenarme sind Äste der letztern wie gewöhnlich. Die Querleisten der Kalkstäbe unterhalb des Gipfels, welche zur Bil- dung eines Ringes aneinander stolsen, hindern es nicht, dafs der Pluteus 8 beim Wachsthum allmählig immer weiter den Winkel seiner grofsen Seiten- arme vergröfsert und sein Schirmdach erweitert; da jene (ueräste nicht mit einander verwachsen sind, vielmehr an der Stelle wo sie sich begegnen, neue Masse ansetzen. An den jüngsten Larven, wenn von den Armen erst die Seitenarme vorhanden sind, beträgt der Winkel zwischen den Seitenrän- dern oder Seitenarmen des Körpers gegen 65° und in einigen Exemplaren noch weniger, gegen 55°. Noch junge Exemplare, bei denen die übrigen Fortsätze entwickelt sind, haben gegen 90°, die reifen Larven mit sehr ver- längerten Seitenfortsätzen haben diesen Winkel zu 110° und bis 125° vergrö- fsert. Siehe die Abbildungen. Unterhalb des Magens zieht sich wieder wie bei der vorigen Larve ein Wulst hin, als ein hinter dem ventralen Schirm gelegener Bogen, auf wel- chem der Magen, wie auf einem Aufhänge-Gurte ruht, an den Seiten läuft dieser Wulst geschweift gegen den Schirm aus, wie in der vorigen Larve. Die erste Vorbereitung zur Verwandlung giebt sich sowohl in der Er- scheinung dieses Wulstes als in einem Bläschen zur Seite des Schlundes, bei der auf die Ventralseite angesehenen aufgerichteten Larve links vom Schlunde zu erkennen. Schnell verwandelt sich dieses Bläschen in eine Gruppe von 5 Blinddärmchen, welche nach dem Schlund hin untereinander zusammenhängen. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 49 Sie gleichen denselbigen Blinddärmchen der vorigen Larve sowohl in ihrer Gestalt als hinsichtlich der Seite des Schlundes, welche sie einnehmen. Sie sind die ersten Anfänge des Tentakelsystems, dessen weitere Entwickelung in gleicher Weise wie in der vorigen Larve erfolgt. Die Entwickelung des Perisoms des künftigen Sterns zur Bildung der Arme erfolgt in dieser Larve in anderer Weise als bei der vorhergehenden. Verschieden von den andern beobachteten Ophiurenlarven liegt der ausge- bildete Stern ganz symmetrisch zur Larve. Der Scheitel der Larve bleibt zwischen zweien oberen Radien des Sterns in der Mitte liegen, auf der Rück- seite dieser Arme verlaufen die Hauptkalkstäbe weg. Zwei andere Arme des Sterns liegen abwärts und über der Rückseite dieser Arme die Reste der dorsalen Kalkstäbe des Pluteus. Der fünfte Arm liegt in der Mitte unten, wo früher der Mund der Larve war. Die Einschnitte zwischen den Lappen des Sterns sind durch häutige Reste des Rückentheils des Schirms ausgefüllt. Die Rückseite des Sterns entspricht der Rückseite der Larve, die Bauchseite jenes der Bauchseite dieser. Hat der Stern die Gestalt eines in 5 abgerundete Lappen eingeschnit- tenen Pentagons angenommen, so sind die mehrsten Fortsätze des Pluteus geschwunden bis auf die Reste der Kalkstäbe, welche man noch am Rük- ken des Sterns erkennt, nämlich die Kalkstäbe des frühern nun verschwun- denen Mundgestells und die Kalkstäbe der hintern Seitenarme, die Reste der Enden dieser Stäbe stehen auch wohl noch frei hervor, von dem Über- bleibsel des Schirms eingehüllt. Aber die langen Seitenarme des Pluteus blei- ben unverändert und sind auch bei der Vergröfserung des Sterns nicht wei- ter betheiligt, als dafs sie immer weiter auseinandergedrängt ihre Divergenz vermehren. Die wachsende Divergenz entfernt die Enden der Stäbe im Gipfel des Pluteus nicht. Das fünflappig gewordene Echinoderm hat auf der Rückseite bereits das Kalknetz zu bilden angefangen aus ypsilonförmigen Figuren, deren Schenkel unter 120° zusammenstofsen und sich an den freien Enden wieder unter gleichem Winkel theilen, woraus hernach das Netz wird. Auf dem Ende der 5 Lappen dagegen erscheinen Kalkleisten, welche sich unter rechten Winkeln schneiden. Diese Stelle bezeichnet das spätere End- glied der Arme. Die Mitte zwischen den 5 Armen nimmt der jetzt runde Magen ein. In der Mitte jedes Lappens erscheint ein Canal mit Doppelcon- turen, der Tentakelcanal, von dem jederseits mindestens zwei blinddarm- Phys. Kl. 1851. G 50 Mürrsszr förmige Äste abgehen und welcher selbst blind ausläuft. Bei einem Exem- plar aus diesem Stadium waren schon 3 Aste des Tentakelcanals sichtbar, wovon die innersten auf die späteren Mundtentakeln zu deuten sind. Vor dem Ende des Tentakelcanals erscheinen sogar noch die ersten Spuren von einem neuen äufsersten Tentakelpaar als seichte Ausbuchtungen. Auf dem Rücken des Pentagons erscheinen 5 schwarze Flecken, wo- von jeder einem Lappen entspricht. Die Bauchseite ist sehr gewölbt von den Anlagen des Tentakelsystems der Arme. Bei der Ausbildung der 5 Lappen zu den Armen krümmen sich diese nach der Bauchseite um, so dafs man auf der Rückseite nur das erste Glied wahrnimmt, während das zweite und dritte Glied umgekrümmt sind, das dritte Glied ist zapfenförmig und ohne Fortätze. Am zweiten Glied aber bilden sich Krallen von Kalk aus, rechts und links am distalen Ende des zweiten Gliedes eine. Sie bilden anfangs nur einen Haken auf einer Basis von Kalknetz; wenn sie vollendet sind, haben sie ganz die Gestalt der Kral- len an den letzten Gliedern der Arme der Ophiothrix fragilis, nämlich 2-3 Haken auf der concaven Seite der Kralle, einen obern, mittlern und un- tern, an Gröfse in dieser Folge abnehmend. Anfangs sind die Krallen in Haut eingewickelt, welche sich auch an den Seitenrändern der Arme herab- zieht und in einen häutigen Saum der Scheibe zwischen den Radien übergeht. Nun sind auch die Tentakeln hervorgetreten, ein Paar steht, der Ba- sis eines Arms entsprechend, auf der Scheibe selbst, das zweite Paar zwi- schen dem ersten und zweiten Armglied, am Ende des ersten, das dritte Paar zwischen dem zweiten und dritten Armglied, am Ende des zweiten. Etwas ältere Sterne, noch mit den 2 langen Fortsätzen des Pluteus und seinem Scheitel versehen, haben auch das Rudiment eines Stachels zwi- schen dem ersten und zweiten Glied erhalten. Ein mit den ausgebildeten Krallen und Tentakeln herum krabbelnder und herumtastender Stern von 4” Gröfse mit den gegen I6mal so langen übriggebliebenen Larvenarmen, sieht sehr wunderlich und unbeholfen aus, und kann sich dieser langen Fortsätze ohne Zweifel nicht als Balancirstangen bedienen. Das Kalknetz der Arme hat die gewöhnliche Form, in dem Endglied sind die Maschen durch Längsleisten getrennt, welche am Ende spitz aus- über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 51 laufen. Das Ende des Tentakelcanals sieht am Endgliede zuweilen frei her- vor, ohne sich gleich den Tentakeln zu bewegen. Diese, mit welchen das Thier nicht blofs tastet sondern auch am Glase sich festhält, sind am Ende mit einer Anzahl kleiner Saugwärzchen versehen. Es sind dieselben Wärz- chen, welche bei der erwachsenen Ophiothrix den ganzen Tentakel besetzen. An dem Stern mit 3 Armgliedern unterscheidet man zuletzt auch von den Gliedern oder mittlern Schildern die Zwischenglieder oder Seitenschil- der und ihre Kalknetze, an der Scheibe aber die 5 zahnförmigen Fortsätze am Munde. Die grofsen Larvenarme und der Gipfel des Pluteus haften im- mer noch an diesem Stern und werden beim Herum-Kriechen oder vielmehr Krabbeln, wobei das Thierchen auf dem Glase von seinen Krallen keinen Nutzen ziehen kann, mit fortgeschleppt. Der Stern hat jetzt, wenn seine m 5 Arme eingeschlagen sind, 3”, wenn die Arme ausgestreckt 4”. Weiter Z fortgeschrittene Sterne ohne Larvenfortsätze werden noch eine Zeitlang von Meer und Wellen fortgetragen und nicht selten unter denselben Umständen angetroffen, wie die Larven selbst. Der Übergang in Ophiothrix fragilis ist festgestellt und schon aus der Beschreibung ersichtlich. Ein weiteres Entwickelungsstadium einer jungen Ophiothrix repräsen- tirt die kleine Ophionyx armata Müll. Trosch. Syst. d. Aster. Taf. IX, Fig. 4. Vgl. Archiv f. Naturgeschichte IX. 1. p. 121, wo gezeigt wird, dafs alle Ophiothrix gegen die Enden ihrer Arme hin mit Krallen versehen sind, und daher die Gattung Ophionyx mit Ophiothrix vereinigt wird. Ich zweifle nicht, dafs die Quelle neuer Glieder auch bei den mit Krallen versehenen Ophiothrix gleichwie bei der vorigen Ophiure zwischen dem zuerst gebildeten Endglied und dem nächstfolgenden Glied sein werde. Da die der Scheibe näheren Theile aber später ohne Krallen sind, so scheint es, dafs diese im Maafs der successiven Neubildung von Gliedern am End- theil des Arms, allmählig ihre Krallen einbüfsen, oder es müfste an der Scheibe selbst auch die Bildung neuer Glieder ohne Krallen stattfinden. Bei der vorhinerwähnten a. a. O. abgebildeten kleinen Ophionyx armata waren die Arme noch bis nahe an die Scheibe mit Krallen versehen. 11. Die Helgoländische Ophiurenlarve in Triest. Die Ophiurenlarve von Helgoland, Pluteus paradoxus, deren Meta- morphose ich beschrieben und welche seitdem von Van Beneden bei Os- G2 59 Mürter tende wiedergesehen ist (!), an ihren gebogenen und verhältnifsmäfsig kurzen Armen und an der rothen Färbung der Armenden leicht erkennbar, kam in Triest in jüngeren und älteren Stadien vor. In ihren jüngsten Zuständen durchläuft sie dieselben Phasen der Entwickelung der Fortsätze, die an den anderen Larven beschrieben sind. Am spätesten entwickeln sich wie ge- wöhnlich die hinteren Seitenarme. Das Erscheinen dieser Larve in der Nordsee und im Adriatischen Meer zugleich führt uns auf diejenigen Ophiuren, welche in beiden Meeren gemein sind, und zunächst auf Opäiolepis ciliata. Dagegen Ophiolepis Ballü schon deswegen nicht in Betracht zu kommen scheint, weil diese Ophiure so häufig mit 6 Armen versehen ist. IV. Der braune Ophiuren - Pluteus von Triest. Dr. Busch und M. Müller haben einigemal eine junge ganz hell- braune Ophiurenlarve beobachtet, bei deren weiterer Beobachtung und Be- stimmung in Betracht kommen wird, dafs bei Triest aufser mehreren Arten von Ophiolepis auch Ophioderma longicauda, und nach Ecker auch Ophiomyza pentagona vorkommen. Diese Larve ist sehr jung gese- hen, wo sie nur wenige Tage alt sein konnte und erst eine herzförmige Gestalt hatte. Die Anlage der Kalkleisten, wie sie für eine Ophiuren- larve characteristisch ist, war schon vorhanden. Die oberen Enden der Kalkleisten im Gipfel der Larve waren zuweilen einfach, bei anderen gleich- gefärbten aber geknöpft und in 2 oder 3 kurze Fortsätze getheilt. Die Arme waren gröfstentheils noch nicht entwickelt und von den Seitenarmen nur kurze Stümpfe vorhanden. Hieher gehört muthmafslich eine bis zur Entwickelung des pentago- nalen Sterns vorgeschrittene Larve von Nizza, welche dort nur einmal ge- sehen wurde. Der Scheitel zwischen zweien Ecken des Pentagons hervor- ragend, enthält die characteristischen Kalkstäbe mit den getheilten Knöpfchen. Von den Armen der Larve waren nur zwei noch sichtbar. Diese waren sehr kurz und dick und dadurch ausgezeichnet, dafs jeder zwei Kalkstäbe neben- einander enthält. Das ganze war braun und undurchsichtig. Im Rücken (') Bull. de l’Acad. roy. de Belgique. T. XVII. n. 6. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 53 des Sterns war das Kalknetz entwickelt. Der eine der Larvenarme war durch das Wachsthum des Sterns verdreht. Allgemeine Bemerkungen. Am Schlufse verlohnt es sich, noch einmal auf den allgemeinen Gang der Metamorphose zurückzukommen. Von den übrigen Echinodermen wei- chen die Holothurien ab, dafs ihre Larven sich ganz in das Echinoderm ver- wandeln, ohne einen Theil der Larve als den Mund und Schlund derselben und ihre Wimperorgane einzubüfsen. In den Asterien (Bipinnarien), Ophiu- ren und Seeigeln wird das Echinoderm in einem Theil des Larvenkörpers angelegt, das Echinoderm umwächst einen Theil der Verdauungsorgane, Magen und Darm der Larve, alles übrige von der Larve wird nicht ver- braucht. Den Holothurien, Asterien, Ophiuren und Seeigeln ist es gemein, dafs der Mund und Schlund der Larve in das Echinoderm nicht aufgenom- men werden, und dafs der Mund des Echinoderms an einer andern Stelle, selbst weit entlegen vom ehemaligen Mund der Larve, entsteht. Dies Ver- hältnifs war völlig unerwartet und bis dahin nicht beobachtet, es ist in allen vorher genannten Familien von mir nachgewiesen, am besten jedoch gekannt in den Asterien (Bipinnarien); dort war der Schlund der Larve in die Rück- seite des Sterns und des in ihm liegenden Magens inserirt und bricht hier vom Magen ab, nahe bei der Madreporenplatte, der bleibende Mund des Seesterns bildet sich aber auf der Mitte der entgegengesetzten Seite des Sterns, nämlich auf dessen Bauchseite. Die Art, wie das Echinoderm in der Larve angelegt wird, ist in den Seeigeln, Ophiuren und Asterien ähnlich, es bildet sich ein Beleg gemein- schaftlich um Magen und Darm, bei den Seeigeln geht es von einer Scheibe aus, welche sich allmählig zu einer Hemisphäre ausbreitet und jene Organe umwächst, bei den Asterien und Ophiuren ist es eine Kappe, welche den Magen und Darm bedeckt. Bei allen ist der Anfangstheil des Echinoderms ein Stück aus der Sphäre oder dem Stern, welches sich allmählig ergänzt; am kleinsten ist dies Stück anfänglich in den Seeigellarven. Bei diesen kann man sagen, dafs sich die Anlage des Echinoderms innerhalb der Larve von 54 MÜLLER einem kleinen Rudiment oder Minimum innerhalb der viel gröfsern Larve entwickele, und insofern kann man die Anlage des Echinodermen -Körpers einer Knospe vergleichen. Eine wirkliche Knospe ist dies aber doch nicht, dies zeigt sich bestimmter in den Ophiuren und Asterien, bei denen die Ur- anlage des Echinoderms in der Larve als Mantel oder Kappe auf Magen und Darm erscheint. Der Anlage der Körperwände des Echinoderms geht in der Regel die Anlage des Wassergefälssystems voraus. Da es sich hier um Or- gane handelt, welche dem künftigen Echinoderm gehören, aber vom Peri- som desselben verschieden sind, so wird dadurch noch mehr bewiesen, dafs die erste Anlage des Echinoderms in der Larve nur bildlich mit einer Knospe verglichen werden kann. Bedenkt man nun, dafs das Echinoderm innerhalb der Larve der letz- tern in der Regel völlig fremd bleibt und so selbstständig erscheint, wie wenn die Larve gar nicht vorhanden wäre, dafs es ihr, ohne an ihre Symmetrie ge- bunden zu sein, substituirt wird, dafs sich der Plan des Echinoderms mit dem Plan der Larve oft in der wunderlichsten Weise kreuzt, dafs in allen von mir beschriebenen Formen der Mund der Larve gar nicht, zuweilen selbst der After nicht benutzt werden kann und dafs der in das Echinoderm hinübergenommene Magen und Darm sich gewissermalsen für ein anderes Leben neu einrichten müssen, so ist durch die vollständige Reihe der seit 1845 fortgeführten Beobachtungen eine Art der Metamorphose aufgeklärt, deren Eigenthümlichkeit bisher unbekannt war und welche allerdings nur durch den Generationswechsel einige Erläuterung findet. Ich habe aber an einer andern Stelle bewiesen, dafs diese Art der Entwickelung doch nur dem eigentlichen Generationswechsel verwandt, vielmehr eine eigenthümliche und neue Form der Metamorphose ist. Der Seeigel, der Seestern gehen mit dem Magen und Darm der Larve, der am Schlunde abgebrochen wird, gleichsam davon, wie mit fremdem Gute und wie mit dem Magen einer Amme, die sich selbst und die neue Ge- stalt ernährt hatte. Noch ist dieser Magen weit entfernt von seiner spätern Form. Denn der Magen und Darm der Larve, eine Spira bildend, wie er im Innern des fertigen Seesterns der Bipinnaria asterigera angetroffen wird, hat ja nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Magen eines erwachsenen Seesterns und seinen ästigen Blinddärmen. Dies sind Veränderungen, welche erst nachträglich in dem Seestern vor sich gehen müssen. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 55 Der Generationswechsel ist eine durch mehrere Generationen, min- destens eine geschlechtslose und eine geschlechtliche fortgesetzte Metamor- phose oder eine Verwandlung, die auf mehrere Generationen vertheilt ist. In den Holothurien entfernt sich die Verwandlung von der einfachen Meta- morphose am wenigsten, in den Ophiuren und Seeigeln sehr. Die äufseren Theile der Larve gehen ganz verloren, von den innern mit dem Mund der Schlund. Bei den Bipinnarien wird mit dem Schlund der gröfste Theil der Larve abgestofsen und es theilt sich das Ganze in ein kleines, den Seestern, und ein gröfseres, die Larve, welche ihren Magen und Darm dem Seestern überlassen hat. Wie weit sich die Metamorphose der Echinodermen mög- licherweise dem Generationswechsel nähern kann, ergiebt sich aus folgender Betrachtung. Die Bipinnaria asterigera soll nach dem Abstolsen des Seesterns noch mehrere Tage fortleben und sich bewegen. Was wird aus dieser Larve ohne Magen und Darm? Man weils es nicht. Wenn sie das Vermögen besäfse, Magen und Darm wieder zu erzeugen, so würde sie ein neben ihrem abge- stofsenem Product bestehendes selbstständiges Wesen, und ohne Zweifel auch zur Erzeugung eines neuen Seesternes geschickt sein. Bei dieser Even- tualität würde ihre Metamorphose mit dem Generationswechsel völlig zu- sammenfallen. Aber selbst wenn dieses der Fall wäre, so würde sich doch die Metamorphose der Holothurien von dem Generationswechsel gänzlich entfernen. Die polypenförmigen Larven der Medusen setzen sich mit ihrem Kör- per fest und bieten in diesem Zustande eine Parallele mit denjenigen Aste- rienlarven, die mit Kolben zum Anheften an fremde Körper versehen sind und festsitzend ihre Metamorphose durchmachen (Echinaster, Asteracan- gen Medusenlarve in die Me- duse selbst ist kein gröfserer Schritt als die Verwandlung einer Echinaster- Larve in den Seestern; aber bei der Meduse liegt auf diesem Schritt eine thion). Die Metamorphose einer polypenförmi zweite Zeugung, eine Multiplication durch Knospen und die Theilung der Strobila in verschiedene Individuen, d. h. die Metamorphose ist bei der Meduse mit einem Wechsel der Generationen verbunden, während sie bei dem Echinaster einfach an einem einzigen Individuum abläuft. 56 MüuLrer Anmerkungen. 1) Bei der allgemeinen Vergleichung der Ophiuren und Asterien habe ich mich darauf beschränkt, dasjenige hervorzuheben, was für das Verständ- nifs der Entwickelung der jungen Ophiure unentbehrlich ist. Über mehrere andere Punkte des Baues der Ophiuren und Asterien ist theils in dem Sy- stem der Asteriden, theils in den anatomischen Studien über die Echinoder- men Müll. Arch. 1850. gehandelt. An letzterm Orte sind auch die Muskeln genauer angegeben, welche bei den Asterien die Wirbelhälften verbinden, und die Bauchfurchen der Arme zu erweitern vermögen, gleichwie diejeni- gen ebendaselbst gelegenen, welche die Bauchfurchen der Arme verengen. Dort ist auch der Steincanal der Ophiuren zum erstenmal beschrieben. 2) Die mir bei Triest vorgekommenen Arten von Opbhiuren sind folgende: 1. Ophioderma longicauda M. T. 2. Ophiothrix fragilis M. T. 3. Ophiolepis ciliaia M.T. 4. Ophiolepis squamata M.T. 5. Ophiolepis filiformis M. T. (Asterias filiformis OÖ. F. Müller Zool. Dan.), bisher noch nicht im Adriatischen Meer beobachtet. Die Exem- plare besitzen auch die von Forbes abgebildeten Stacheln besonderer Art mit zwei querabstehenden Spitzen am Ende. Ich habe diese Art mehrmals aus dem Meerbusen von Muggia erhalten. 6. Ophiolepis Sundevalli M.T. Eine bisher im Mittelländischen und Adriatischen Meer nicht beobachtete Ophiolepis, welche ich öfter aus dem Meerbusen von Muggia erhielt, stimmt in der sehr eigenthümlichen Beschuppung der Scheibe und in den übrigen Characteren so sehr mit der Ophiolepis Sundevalli M. T. überein, dafs sie dieser bisher nur bei Spitzbergen beobachteten Art nicht blofs sehr verwandt, sondern wahrscheinlich damit identisch ist. Sie weicht von den Exemplaren von Spitzbergen nur darin ab, dafs sie nicht eine, sondern 2 Schuppen am Tentakelporus hat. | . Diesen von mir bei Triest gesehenen und gesammelten Arten ist noch dıe von Ecker angeführte Ophiomyxa pentagona NIE, beizufügen. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig.5. Eig. 6. Fig. 7. Fig.8. & über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 97 Erklärung der Abbildungen. Taf.‘T. Pluteus bimaculatus. Pluteus bimaculatus vor der Entwickelung des Seesterns, von der Ventralseite oder von vorn gesehen. 4 Seitenarme, ZB Arme des Mundgestells oder des hintern Schirms, € Arme der Markise oder des vordern Schirms, D hintere Seitenarme; a Mund, a’ Schlund, Magen, d’ Darm, o After, ce wurstförmige Körper zur Seite des Magens, d Blinddärmehen zur Seite des Schlundes, erste Anlage des Tentakel- systems; e Wulst unter dem Magen, wo der Magen auf der Unterseite des Schirms ruht; der Wulst läuft seitwärts in die Profillinie der Gewölbseite des Schirms aus. g Wimperschnur, zn Kalkstäbe, x’ Profilansicht von der Larvenhaut an der Unter- seite des Schirms, inneres Profil des Schirms; x äulseres Profil des Schirms. Jüngerer Zustand. Die hintern Seitenarme fehlen noch. 4 Seitenarme, B Arme des hintern Schirms oder Mundgestells; & Mund. Diese Larve ist erst gegen &” breit. Kalkleisten aus einem erwachsenen Pluteus bimaculatus unter dem Compressorium. AA Kalkleisten der Seitenarme, ihre Enden im Gipfel; 22 Kalkleisten des hin- tern Schirms, CC Kalkleisten des vordern Schirms, DD Kalkleisten der hintern Seitenarme, 5b Fortsätze des Kalkringes nach der vordern und hintern Mittellinie, wo die Buckel dadurch entstehen. Der Schirm von oben angesehen mit dem vordern und hintern Buckel &. AA Seitenarme. Ansicht des Schirms von der Seite und oben; man sieht den vordern und hintern Buckel. Ansicht des Schirms von unten. AA Seitenarme, BB Arme des hintern Schirms B’ oder des Mundgestells, CC Arme des vordern Schirms €’; PD hintere Sei- tenarme. 6 Magen, x Aushöhlung des Schirms, y halbeirkelförmige Linie an der innern Seite des Schirmrandes, wahrscheinlich ein faltenförmiger Saum; z Kalk- stäbe. Pluteus bimaculatus von der Rückseite. Bezeichnung wie fig.1. f kappenförmige Be- deckung des Magens und Darms künftiges Perisom des Seesterns; f’ wellenförmi- ‚ger Wulst in der Kappe des Magens, woraus sich drei Arme des Sterns bilden; e Wulst am unteren Rande der Kappe, halbeirkelförmig unter dem ventralen Schirm. Ansicht des Schirms von unten an einer Larve dieses Stadiums. A Seitenarme, B hintere Arme, Arme des Mundgestells; C Arme des vordern Schirms, D hin- tere Seitenarme, B’ Rand des hintern Schirms, C’ Rand des vordern Schirms, x Aushöhlung des Gewölbes, a’ Schlund, # Magen, d Blinddärmchen zur Seite des Phys. Kl. 1851. H Fig.1. Fig.1. MürreEr Schlundes, @’ damit zusammenhängender Canal, der sich in dem Wulst e entwik- kelt hat; e’ Fortsetzung des Wulstes e auf die Blinddärmchengruppe d. Taf. I. Pluteus bimaculatus. Von den Fortsätzen ist nur der Anfang abgebildet. Pluteus bimaculatus von der Vorderseite. A Seitenarme, B Arme des Mundgestells oder hintern Schirms, € Arme der Markise oder des vordern Schirms, D hintere Seitenarme; a Mund, a’ Schlund, # Magen, 2’ Darm, o After, d Blinddärmchen zur zur Seite des Schlundes, @’ Blinddärnichen, welche in dem Wulst e entstanden sind; e’ Fortsetzung des Wulstes e auf die primitive Blinddärmchengruppe d. — f kappenförmige Bedeckung des Magens und Darms, künftiges Perisom des Sterns. & Wimperschnur, x’ Larvenhaut, welche das Innere des Gewölbes bildet. Ähnlicher Entwickelungszustand des Perisoms und des Tentakelsystems. Bezeich- nung wie in fig.1. Pluteus bimaculatus von der Vorderseite. Bezeichnung wie in fig.1. In dem Wulst e haben sich 4 Blätter oder Palmae % gebildet, z Buckel. Ähnlicher Entwicklungszustand des Perisoms und des Tentakelsystems aus einem andern Individuum. . Pluteus bimaculatus von hinten. Die 5 Blätter oder Palmae % haben sich ausge- bildet. f’ der wellige Wulst an der Kappe des Magens, aus welchem sich die Decke dreier Arme des Sterns bildet. Die übrige Bezeichnung wie in fig.1. Pluteus bimaculatus von vorn. Bezeichnung wie in fig.1. A die 5 Palmae, ff die Decken für zwei Arme, welche sich auf der Vorderseite aus der Kappe des Magens und Darms ausgebildet haben. Ansicht eines Pluteus birmaculatus auf die obere und vordere Seite des Schirms. A Seitenarme, C Arme der Markise, D hintere Seitenarme; z Buckel auf der Rück- seite des Schirms; # Magen, 2’ Darm, o After, % die Palmae mit den Tentakel- anlagen; ff die Enden der Hohlkehlen für zwei Arme des Sterns. Zwei der 5 Palmae. a Blastem, a’ äufserste häutige Schicht, # Tentakelcanäle, c Mundtentakeln, @ Cirkelcanal. Taf. II. Pluteus bimaculatus. Von den Fortsätzen ist nur der Anfang abgebildet. Pluteus bimaculatus von der Hinterseite. A Seitenarme, B Arme des Mundgestells, C Arme der Markise, D hintere Seitenarme; a Schlund, 5 Magen, f Kappe über dem Magen, f’, f’, f’ die Decken oder Hohlkehlen für 3 Radien des Sterns, x Haut des Pluteus an der Unterseite des Schirms im Profil; A Palmae, A die aus den Palmae hervortretenden Enden der Tentakeln. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres 39 Fig.2. Pluteus bimaculatus von vorn. Bezeichnung wie in fig.1. a Mund, 5 Magen, 2 Darm, 6 After; f’,f' Hohlkehlen für 2 Arme. Fig.3. Pluteus bimaculatus schief von vorn und unten. Bezeichnung wie in fig.2. Die 5 Palmae haben sich in einen Kreis gestellt. Man sieht auch den Cirkelcanal i und die Mundtentakeln k. Fig.4. Pluteus bimaculatus von der Rückseite. Bezeichnung wie in fig.1. £f,f die Hohl- kehlen für 3 Arme. Fig.5. Pluteus bimaculatus von der Rückseite. £,/, f die 3 Hohlkehlen der Rückseite, % Tentakeln auf der Bauchseite hervortretend. A, B,C, D Fortsätze des Pluteus, zum Theil verkümmert. Far SE. Pluteus bimaculatus. Fig. 1.2. Zwei Ansichten in den P/uteus bimaculatus von unten in das Innere des Schirms, aus der Zeit, wo 4 der Palmae symmetrisch liegen, die fünfte aber zur Seite des Schlundes liegt, welche bei dieser Ansicht und in diesem Stadium verdeckt ist. Bezeichnung der Arme wie oben. C vorderer, B hinterer Schirm, % Palmae, 7 Tentakelcanal, i Ringceanal. Fig.3. Ein Pluteus bimaculatus aus der Zeit, wo die 5 Palmae im Kreise stehen, von un- ten in solcher Stellung gesehen, dafs man unter dem Schirm den Kreis der künf- tigen Mundtentakeln sieht. f, f Holhlkehlen auf der Vorderseite des Pluteus, % Pal- mae. Bezeichnung der Arme wie oben. Fig.4. Pluteus bimaculatus mit dem Stern. Bezeichnung der Pluteusarme wie oben. v Mundtentakeln, y Zahnfortsätze oder Kiefer, x ein vom Magen isolirtes, wie der Magen grün gefärbtes Stück des Verdauungsorganes. Fig.5. Derselbe von der Seite, mit schiefer Ansicht der Bauchseite. Fig.6. Stern des P/uteus bimaculatus mit den Resten des Pluteus. Von den Seitenarmen ist nur der Anfang abgebildet. Von der Bauchseite. Bezeichnung der Arme wie oben. y Zahnfortsätze. Fig. 6*. Details der Verkalkung des letzten Armgliedes. Fig.7. Arm des Sterns von der Rückseite. Taf. V. Pluteus bimaculatus. Fig.1. Der Stern des Pluteus bimaculatus von der Rückseite des Sterns. Bezeichnung der Arme des Pluteus wie in den vorhergehenden Figuren. Stern ;5” breit. Fig.2. Ein weiter fortgeschrittener Stern des P/uteus bimaculatus, Bauchseite. Von den langen Seitenarmen des Pluteus ist nur der Anfang abgebildet. Stern +”, Fig.3. Ein freier Stern ohne Larvenfortsätze, durch Fischen mit dem feinen Netz er- halten. Rückseite. Gröfse des Sterns 5. H2 60 Fig. 4. Fig.5. Fig. 6. Fig.1. Fig. 2. Fig.3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6- MÜüLter Ein freier Stern ohne Larvenfortsätze, durch Fischen mit dem feinen Netz an der Oberfläche des Meeres erhalten, gleich den Larven selbst. Rückseite. Grölse &£”. Ein Arm desselben besonders. Mittlerer Theil der Bauchseite eines gleichen Sterns. Man sieht die Zahnfortsätze oder Kiefer mit den 2 Zahnpapillen, die Mundtentakeln und den runden Mund in der Tiefe. Fig. VI. . . 7 Ben Braune Ophiurenlarve von Triest, -:% grofs. 11m Braune Ophiurenlarve unter dem Compressorium, 5 grols. Braune Ophiurenlarve, 3; grols. Braune Ophiurenlarve, ‚;“ hoch. Die Abbildungen 1-4 sind von Max Müller nach Larven, die unter Deck- blättchen beobachtet sind. Braune Ophiurenlarve von Nizza mit dem Stern. 11. Jüngere Zustände des Pluteus von Ophiothrix fragilis. a Mund, a’ Schlund, 5 Magen, 2’ Darm. Der Pluteus von fig.10 ist 4” grols im grölsten Durchmesser. A Seitenarme, B hinterer Schirm, worin der Mund auf der Bauchseite, C vorde- rer Schirm. Fig.12. Pluteus der Ophiothrix fragilis, aus der Zeit, wo alle 8 Fortsätze entwickelt sind, Fig.1. Fig. 2. Fig. 3. aber die Seitenfortsätze noch nicht ihre völlige Grölse erreicht haben. A Seiten- arme, B Arme des hintern Schirms oder Mundgestells, C Arme des vordern Schirms oder der Markise, D hintere Seitenarme; a Mund, a’ Schlund, 5 Magen, 5’ Darm, e wurstförmige Körper zu den Seiten des Magens, d Blinddärmchen zur Seite des Schlundes, Uranlage des Tentakelsystems, e Larvenhaut an der Unterseite des Ge- wölbes, g Wimperschnur. Taf. VII. . Larve der Ophiothrix fragilis. Pluteus der Ophiothrix fragilis von der Vorderseite. Gröfste Breite #”. a Mund, a’ Schlund, 5 Magen, 2’ Darm, ce wurstförmige Körper, d Blinddärmchen, erste An- lage des Tentakelsystems, f Kalkstäbe, g Wimperschnur, e Profil der untern Seite der Larve; 4 Seitenarme des Pluteus, 3 Arme des Mundgestells oder hintern Schirms, C Arme der Markise oder des vordern Schirms, D hintere Seitenarme. Eine Larve aus der Zeit der Entwickelung des Seesterns, von der Rückseite. Von den Seitenarmen der Larve ist nur der Anfang abgebildet. 4 Seitenarme des Plu- teus, B Reste der Kalkstäbe des Mundgestells, D Reste der Kalkstäbe von den hin- tern Seilenarmen, n Larvenhaut, n die Anlage der 5 Arme des Sterns, o Tentakel- system der Arme. Eine ähnliche Larve von der Rückseite. A Seitenarme, B Arme des Mundgestells, D hintere Seitenarme des Pluteus, n Larvenhaut, rn Arme des Sterns. über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. 61 Fig.4. Dieselbe von vorn. 4 Seitenarme des Pluteus, 3 Arme des frühern Mundgestells, D hintere Seitenarme des Pluteus, C verknitterte ehemalige Arme der Markise, rn Arme des Sterns, nach der Bauchseite gekrümmt. Fig.5-8. Pluteus der Ophiothrix fragilis mit entwickeltem Stern. In fig. 5 ist die Larve mit der ganzen Länge der Arme des Pluteus gegeben; in den andern Figuren ist nur der Anfang der Pluteusarme abgebildet. A Seitenarme des Pluteus. Fig. 6 zeigt den Stern von der Rückseite; man sieht die durchscheinenden Zahnfortsätze. Fig. 7 zeigt den Stern von der Bauchseite mit den nach der Bauchseite umgebo- genen Armen und den Krallen; ferner die Zahnfortsätze und den Stern des Mun- des, in der Tiefe den eigentlichen Mund. Fig. 8 zeigt den Stern von der Seite. aß VIER. Entwickelung der Ophiothrix fragilis. Fig.1. 2. Junge Ophiothrixw fragilis mit Pluteusresten. Von den Armen des Pluteus ist nur der Anfang abgebildet. Gröfste Breite zwischen den Enden der Pluteusfortsätze m 2”, Breite des Sterns bei ausgestreckten Armen desselben gegen 7 und mehr. Fig.3. Eine gleiche, stärker vergrölsert, von der Bauchseite. Der Stern hat $&” Durch- messer. Fig.4. Eine gleiche von der Rückseite. Fig.5. Eine junge Ophiothrix fragilis nach Verlust der Larvenfortsätze, von der Rückseite. Das Thier ist, wie die Larven, mit dem feinen Netz an der Oberfläche des Meers erhalten. Fig.6. Eine solche von der Bauchseite. Fig.7. Details eines solchen Sterns, von der Bauchseite. Fig. 8. Eine junge Ophiothrix fragilis von der Rückseite, 5 grols. Fig.8*. Eine Kralle mit der dieselbe einwickelnden Haut. ——z HL OE OH DI— us ei ” u" E 2, ee = Es Ken ni een nr REN Ve aan rm SERwERENE EN j\ EN. BR wu FW. Wo a 2 Fa En h I Eee FEN: rt at ah RUN x i BEL TEURER Kl 2 rate DR Hr % , N # lie kaeh ne ” FINE KR | Da a Me | Finger Tr 3 u EI RER SE 4 a IE% Zu Hm Müllers Aüh.iüber adriat. Ophiuren Jahrg 1031. Zul . F “ - ” a Sr an ns = > > \ x [3 E £ ” nd R - Eu = R x BA £ = B { vie h | - ß PER ; (8 V u WR v | | un a2 E Ah +’ u. | f | * 1 IR x | “. u er fi 2 | y S ö { R e A - | ü TEN a e* 17 Zu Hoersn Müllers Abb über adrıal Üpkiuren ee HT. 2. TEL Zu Hrn Müller's_Abh. über adriat. Ophiuren Jahrg . 1831. Laf IV: ru ie re, ti Zu Hrn. Müllers Abh.über adriat. Ophü Jahrg. 1831. E R er tat. Ophiuren rg 31 Taf V. I Miller det. | g B.Wienker sc. TC; NN vr Zu Hrn. Mäller's Abh. über adriat. Ophiuren Jahrg 1831. Taf. VT. En a a u l hr u . Ra Zu Hrrn. Müller's Abh. ü.adriat. Ophiuren Jahrg 1851. Taf VI. CE. Weber . gest. m ee rn nn rg wu: zT AT, Fr n Au h a - SEN RE NE 707 Er na: Br DEZ Pr) EL Zu | De 2 - — TERN . m un ra Ir un Ans Bar C.E ‚Weber sc. Über den jetzigen Zustand der Verfahrungsmethoden zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. Non DH -RARSTEN. annAnmnnnNaaan [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 30. October 1851.] D. physikalischen Eigenschaften und das chemische Verhalten des Sil- bers rechtfertigen die Bezeichnung desselben als edles Metall. Farbe und Glanz der Silberarbeiten erfreuen, weit mehr als die Geräthe und Kunst- werke aus Gold, das Auge durch die Abwechselung der matt gearbeiteten Flächen mit solchen die durch die Politur den vollen Glanz erhalten haben. Dies Verhalten zum Licht ist eine Folge der Härte des Metalles, die jedoch nicht den Grad erreicht, um der Bearbeitung unter den Händen des Künst- lers hinderlich zu sein. Nächst dem Golde übertrifft das Silber alle Metalle an Dehnbarkeit und Geschmeidigkeit. Im flüssigen Zustande sich in alle Formen fügend, ist es weder so strengflüssig, um die Schmelzung zu er- schweren, noch so leichtflüssig, um die erhaltene Form in schwacher Glüh- hitze wieder zu verlieren. Es bewahrt an der feuchten Luft Glanz und Farbe und widersteht den Einwirkungen der Pflanzensäuren. So viele vortreffliche Eigenschaften durch welche das Silber zu Kunst- werken und zu Geräthen für häusliche Zwecke vorzüglich geeignet wird, erhöhen den Werth des Silbers der demselben als allgemeines Verkehrs- mittel in der menschlichen Gesellschaft schon seit Jahrtausenden beigelegt worden ist. Die dichterische Bezeichnung der Zeitalter, in so ferne damit zugleich die Reihenfolge der Metalle, in welcher sie zur Kenntnifs des mensch- lichen Geschlechts und zu dessen Benutzung gelangt sind, ausgedrückt sein mögte, dürfte freilich wohl einen Anachronismus enthalten, denn ohne Zwei- fel ist das Kupfer den Menschen früher bekannt gewesen als das Silber; aber 64 Karsten über den jetzigen Zustand der V. erfahrungsmethoden die Kenntnifs und die Anwendung dieses Metalles sind dennoch älter als alle Geschichte. Das Gold, welches der Schutt zerstöhrter Gebirge kaum ver- hüllte, als der Mensch die Oberfläche der jungfräulichen Erde betrat, mufste durch Farbe, Glanz und Gewicht seine Aufmerksamkeit nothwendig auf sich ziehen. Auch das Kupfer wird regulinisch in grofsen Massen auf der Erd- oberfläche angetroffen und es kann kaum ein Zweifel darüber sein, dafs das eherne dem silbernen Zeitalter vorangegangen ist. Die Gewinnung des Sil- bers setzt schon sehr vorgeschrittene metallurgische Kenntnisse voraus, denn bescheiden verbirgt es sich in seinen Erzen in der Verbindung mit anderen Mineralkörpern, welche erst entfernt werden müssen, um das edle Metall zu erkennen und darzustellen. Das natürliche regulinische Silber scheint erst spät zur Kenntnifs des Menschen gelangt zu sein, weil es nicht an der Erdoberfläche gefunden und auch bei dem unterirdischen Bergbau nur als Seltenheit an das Licht des Tages gebracht wird, wenn es auch an den we- nigen Punkten, wo es bisjetzt angetroffen ward, zuweilen in ansehnlichen Massen gewonnen worden ist. Die allgemeine Verbreitung des mit anderen Mineralien verbundenen Silbers auf den verschiedensten Lagerstätten, gleicht die Seltenheit seines Vorkommens als regulinisches Metall reichlich wieder aus. Die grofse Menge von Gold, welche Klein-Asien, der Ural und der Al- tai, Peru, Brasilien und Kalifornien, und bald vielleicht auch Australien ge- liefert haben oder noch jetzt liefern, steht sehr zurück gegen die Quantitä- ten des Silbers welche aus silberarmen aber weit verbreiteten Erzen ver- schiedener Art in allen Welttheilen jährlich gewonnen wird. Zu dieser Ge- winnung trägt der Preufsische Staat zwar nicht beträchtlich bei, indefs ist die jährliche Produktion nicht ganz unbedeutend. In den 10 Jahren von 4840 bis 1849 sind in den verschiedenen Provinzen des Staates 253,078 Mark, oder jährlich im Durchschnitt 25307,s Mark Silber gewonnen wor- den, welche mit 1905,3 Mark aus dem Schlesischen, mit 17500,7 Mark aus dem Sächsischen und mit 5901,3 Mark aus dem Rheinischen Bergdistrikt erfolgt sind. Der Werth des in jenem Zeitraum im Preufsischen Staat ge- wonnenen Silbers, erreichte also durchschnittlich in einem Jahr nur die Höhe von 354,309 Thalern. Die Geschichte hat den Namen Desjenigen nicht aufbewahren kön- nen, welcher zuerst aus dem silberhaltigen Bleiglanz das Silber darstellte, und noch weniger die Umstände unter denen diese Entdeckung gemacht zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. 65 ward, welche eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch die einzige Quelle für die Gewinnung der grofsen Silberschätze, von denen Asien über- strömte, geblieben ist. Der Bleiglanz, ausgezeichnet durch hohes specifi- sches Gewicht und durch starken metallischen Glanz, mufste vor allen an- deren Erzen die Vermuthung erregen, dafs er ein Metall verberge, und die Darstellung des Metalles konnte, sobald erst die Aufmerksamkeit auf das Erz gerichtet war, bei der einfachen Zusammensetzung desselben nicht schwierig sein. Ein Zufall aber mufs zu der absichtlich unternommenen Trennung des in dem gewonnenen Blei befindlichen Silbers geführt haben, wenn auch diese Trennung zu den einfachsten metallurgischen Operationen gehört und noch heute im Wesentlichen eben so ausgeführt wird, als es seit Jahrtausenden geschehen sein dürfte. In eine weit spätere Zeit fällt die An- wendung der silberhaltigen Kupfererze zur Silbergewinnung, denn die Schei- dung des Silbers vom Kupfer in den silberhaltigen Kupfererzen gehört zu den schwierigeren Aufgaben, welche die Metallurgie zu lösen hat. Auch hier weils die Geschichte nicht anzugeben, wann, wie und durch wen die Entdeckung gemacht ward, sich des Bleies oder des Bleiglanzes zur Schei- dung des Silbers aus den silberhaltigen Kupfererzen zu bedienen. Leider weils sie aber auch nichis von wesentlichen Verbesserungen und Vervoll- kommnungen dieses Scheidungsverfahrens zu berichten, denn mit Beschä- mung mufs der praktische Metallurg das Bekenntnifs ablegen, dafs seit drei Jahrhunderten kaum Schritte geschehen sind, um die unvollkommenen Schmelzprozesse Behufs der Silbergewinnung aus den Kupfererzen mittelst Anwendung des Bleies oder des Bleiglanzes, durch zweckmäfsigere und voll- kommnere Verfahrungsarten zu ersetzen. Das verschiedenartige Verhalten des Silbers, des Bleies und des Kupfers zum Schwefel, welches der Behand- lung der silberhaltigen Kupfererze mit Blei und Bleiglanz zum Grunde liegt, ist doch wenigstens seit dem Anfange dieses Jahrhunderts so genau bekannt, dafs jede Hoffnung zu einer reinen Silberscheidung und zu einer Verminde- rung des grofsen Silber- Kupfer- und Bleiverlustes, bei Schmelzprozessen die auf so mangelhaften Grundlagen beruhen, vollständig aufgegeben wer- den mufs. Man wird, — wie es jetzt in der Grafschaft Mannsfeld mit dem günstigsten Erfolge geschieht, — genöthigt sein, die Schmelzarbeiten auf das Rohschmelzen, nämlich auf dasjenige Schmelzverfahren zu beschränken, mittelst dessen der Silber- und Kupfergehalt der Erze mit Schwefel in Ver- Phys. Kl. 1851. I 66 Karsten über den jetzigen Zustand der V erfahrungsmelhoden bindung gebracht und die erhaltene, unter dem Namen Stein oder Kupfer- stein bekannte Verbindung’ einer Behandlung unterworfen wird, welche ur- sprünglich von einem, zuerst in Freyberg für die eigentlichen armen Silber- erze rühmlich durchgeführten modifieirten amerikanischen Amalgamations- verfahren abgeleitet worden ist und im Laufe der letzten 15 Jahre wesent- liche und wichtige Fortschritte erfahren hat. Das amerikanische Amalgamationsverfahren bei armen Silbererzen verdient eine besondere Beachtung; nicht wegen der Vollkommenheit des Processes, der vielmehr als ein sehr mangelhafter anerkannt werden mufs, sondern wegen der zusammengeselzten chemischen Reactionen der dabei thätigen Stoffe. Es scheint geschichtlich nachgewiesen zu sein, dafs die Eu- ropäer, bei ihrer ersten Ankunft in Amerika, diesen Process nicht vorgefun- den haben. Eben so wenig haben sie ihn aber dorthin verpflanzen können, weil er in Europa nicht bekannt war. Nach einer Sage soll die Amalgama- tion der Silbererze um die Mitte des 16“ Jahrhunderts durch einen Berg- mann Medina in Mexico erfunden sein. Die erste Kunde von dieser Me- thode das Silber aus seinen Erzen zu gewinnen, gelangte erst in der zweiten Hälfte des 17'" Jahrhunderts nach Europa. Barba’s Schrift blieb aber un- beachtet, weil man Belehrungen aus Amerika nicht erwartete. v. Born in Ungarn und Gellert in Freyberg erwarben sich fast gleichzeitig, im achten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, das Verdienst, die Amalgamation der Silbererze in Europa einzuführen. Zwischen der amerikanischen und der europäischen Amalgamation findet bekanntlich der wesentliche Unterschied statt, dafs bei der ersteren das Quecksilber nicht blofs als Ansammlungs- mittel für das Silber, sondern auch zugleich als Zersetzungsmittel für die Silberverbindungen dient, welche schon im Erz vorhanden sind oder durch Umbildungen mittelst des Prozesses dargestellt werden, wogegen es bei der europäischen Amalgamation nur als Ansammlungsmittel für das durch den Prozefs gewonnene regulinische Silber verwendet wird. Die grofsen Vor- züge der europäischen vor der amerikanischen Amalgamation bestehen in der ungleich vollkommneren Ausscheidung des Silbers aus dem Erz und in dem bedeutend geringeren Quecksilberverlust. Beide Vorzüge erklären sich vollständig dadurch, dafs bei der europäischen Methode der Schwefel ein- fach durch die Röstarbeit entfernt und das im Erz befindliche Silber gleich- zeitig in Hornsilber umgeändert wird, welches durch einen zweiten Prozefs zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. 67 mittelst Kupfer oder Eisen zerlegt und das reducirte Silber von dem Queck- silber aufgenommen und in demselben angesammelt wird. Bei der amerika- nischen Methode mufs der mit dem Silber verbundene Schwefel durch zu- sammengesetzte chemische Reactionen abgeschieden und das gleichzeitig sich bildende Hornsilber durch Quecksilber zerlegt werden, während ein anderer Theil Quecksilber zur Aufnahme des aus dem Hornsilber redueir- ten Silbers verwendet wird. Der Grund weshalb die vortheilhaftere euro- päische Amalgamation in Amerika noch nicht eingeführt ist, mag thieils in dem Umstande zu suchen sein dafs zur Ausführung des unvollkommenen amerikanischen Prozesses weder besondere Gebäude noch Maschinenvor- richtungen erforderlich sind die dort schwer zu beschaffen sein würden, theils weil es an Brennmaterial fehlt, welches zur Ausführung des Röstpro- zesses nicht herbeigeschafft werden kann. Als ich vor 23 Jahren der Königl. Akademie die Grundsätze vorlegte auf welchen der amerikanische Amalgamationsprozels beruht, machte ich auf die damals unbekannte Wirkung des Kochsalzes aufmerksam, in so fern es theils zur Bildung des Kupferchlorids im Magistral, theils und besonders zur Auflösung des Hornsilbers verwendet wird und den Procefs beschleunigt. Die Kenntnifs dieses Verhaltens des Kochsalzes zum Hornsilber ist nicht ohne Nutzen für die europäische Amalgamation geblieben, indem Hr. Augustin in Eisleben die ganz richtige Anwendung dieser Thatsache erfalste und die Koch- salzauflösung selbst als das Ansammlungsmittel für das Hornsilber benutzte. Es war überflüssig, das Silber in der Kochsalzauflösung den Weg durch das Quecksilber nehmen zu lassen. Es bedurfte nichts weiter als die silberhal- tige Salzsolution durch Auslaugen mit neuer gesättigter Kochsalzauflösung von der entsilberten Erzmasse zu trennen und das Silber aus der Flüssigkeit durch Eisen und Kupfer unmittelbar zu fällen. Dies einfache Verfahren, bei welcher jeder Quecksilberzusätz überflüssig ist, vertritt die Stelle der Amalgamation und ist mit grofsem Vortheil auf der Gottesbelohnungshütte bei Hetstädt angewendet worden. Die Übertragung dieses Verfahrens auf die amerikanische Amalgamation, bei welcher die Incorporation der mit Ma- gistral und Kochsalz behandelten Montone mittelst einer gesättigten Koch- salzauflösung, statt mit Quecksilber, vorzunehmen wäre, ist unausführbar, weil das Quecksilber, wie vorhin erwähnt, nicht blofs als Ansammlungs- mittel für das aus dem Hornsilber reducirte Silber verwendet, sondern auch 12 68 Kansrten über den jetzigen Zustand der Verfahrungsmethoden als Mittel zur Zersetzung der Erze selbst benutzt werden mufs. Die richtige Erkenntnifs der amerikanischen Amalgamationsprozesses hat also zu einer wesentlichen Vereinfachung des früheren europäischen Amalgamationsver- fahrens führen können. Heute bin ich genöthigt, die Reactionserfolge auf denen die amerika- nischen Amalgamation beruht, noch einmal vertheidigen zu müssen. Eine umfangreiche und mit dem gröfsten Detail ausgestattete Abhandlung, giebt mir dazu die Veranlassung. Bei der grofsen Wichtigkeit welche eine rich- tige Ansicht der Erfolge bei dem Prozefs der Amalgamation dem Metallur- gen gewährt, scheint es mir nothwendig, die Irrthümer in welche der prak- tische Hüttenmann durch jene Abhandlung leicht gerathen könnte, möglichst bald aufzudecken. Es kommt hierbei nur darauf an, die Reactionen zu ken- nen, welche die bei dem Prozefs der amerikanischen Amalgamation mög- licherweise mit einander in Wechselwirkung tretenden Körper auf einander ausüben. Wären die Reactionen welche von den Verfassern jener Abhand- lung angegeben werden, die richtigen; so würde die Theorie des Amalgama- tionsverfahrens ganz verkannt worden sein nnd auf ein neues Feld der Un- tersuchungen verwiesen werden müssen. Die chemischen Reactionen der bier folgenden Körper umfassen alles was zur Erkenntnifs und Beurtheilung der Theorie des amerikanischen Amalgamationsprozesses erforderlich ist. Die Versuche wurden sämtlich in der mittleren Temperatur, zwischen 12 und 20° schwankend, angestellt. Kupferchlorid und regulinisches Silber. Ist das Chlorid in Am- moniak aufgelöst, so erfolgt keine Einwirkung. Wird Wasser, oder eine Kochsalzauflösung in Wasser, als Auflösungsmittel für das Chlo- rid angewendet, so ändert sich das Silber in Hornsilber und das Chlorid in Chlorür um. Die Zersetzung erfolgt sehr langsam bei der Anwendung von Wasser und wird durch Zusatz von Kochsalz ungemein beschleunigt. i Kupferchlorid und Kupfer. Das Chlorid mag in Ammoniak, in Wasser oder in einer Kochsalzauilösung aufgelöst sein, in allen Fäl- len nimmt die Flüssigkeit in kurzer Zeit so viel regulinisches Kupfer auf, als zur Umänderung des Chlorids in Kupferchlorür erforder- lich ist. zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. 69 Kupferchlorid und Zink. Das Zink schlägt unter allen Umständen das Kupfer regulinisch aus der Auflösung nieder. Kupferchlorid und Eisen. Ist das Chlorid in Ammoniak aufgelöst, so zeigt sich nach Verlauf von mehreren Wochen keine Einwirkung. Aus einer wässrigen oder mit Kochsalz versetzten Auflösung des Chlorids wird das Kupfer nur langsam und unvollständig nieder- geschlagen. Eben so wie das Eisen verhalten sich Blei, Wismuth, Zinn und Arsenik zu den Auflösungen des Kupferchlorids in Ammoniak. Die wässrige Auflösung] des Kupferchlorids wird in Chlorür umgeändert, in so fern nicht, — wie ich schon früher mitgetheilt habe, — das Kupfer regulinisch gefällt wird. Kupferchlorid und Schwefelsilber. Ist das Chlorid in Ammoniak aufgelöst, so erfolgt keine Einwirkung. Wenn Wasser als Auflösungs- mittel angewendet wird, so liefs sich, wenigstens nach Verlauf von 4 Monaten und bei von Zeit zu Zeit vorgenommenen Umschütteln j des Gemenges, eine Einwirkung nicht bemerken. Wird aber eine gesättigte Kochsalzauflösung als Auflösungsmittel für das Kupfer- chlorid angewendet, so tritt nach einigen Tagen eine sehr langsam “ fortschreitende unvollständige Zersetzung ein, indem Hornsilber und Kupferchlorür gebildet und der Schwefel im Schwefelsilber wahr- scheinlich in Substanz abgesondert wird. Der Vorgang bei diesem langsam fortschreitenden Zersetzungsprozels läfst sich schwer beur- theilen, weil auch das Kupferchlorür, in dem Verhältnifs als es ge- bildet wird, auf das Schwefelsilber einwirkt, wenn gleich die Ein- wirkung langsamer als die des Chlorides erfolgt. Das Schwefelsilber war künstlich bereitet. Kupferchlorid und Schwefelkupfer, Letzteres ebenfalls künstlich bereitet, also in dem Verbindungsverhältnifs des Kupfers zum Schwe- fel, wie es bei dem Kupferglanz statt findet. — Ist das Chlorid in Am- moniak aufgelöst, so war nach Verlauf von 20 Wochen, während welcher Zeit das Gemenge oft umgeschüttelt ward, keine Einwir- kung zu beinerken. Die Auflösung des Chlorids in Kochsalzsolution giebt aber bald eine Einwirkung durch Bildung von Kupferchlorür 70 Karsten über den jelzigen Zustand der Ferfahrungsmethoden zu erkennen, welches unzersetzt bleibt, wenn das Gefäfs hinreichend fest verschlossen ist, um den Zutritt der atmosphärischen Luft ab- zuhalten. Eine vollständige Zersetzung des Schwefelkupfers hat nicht gelingen wollen und würde wahrscheinlich eine aufserordenlich lange Zeit erfordern. Ob der Schwefel in Substanz abgesondert wird, oder ob sich ein Theil des Schwefelkupfers auf eine höhere Schwefelungs- stufe stellt, ist daher schwer zu entscheiden. Kupferchlorid und Schwefelzink. Natürliche Blende. Die Auflö- sung des Chlorids in Ammoniak, in Wasser und Kochsalz wird lang- sam zersetzt. Wahrscheinlich findet ein völliger Umtausch der Be- standtheile statt, indem Chlorzink, Kupferchlorür und Schwefel- kupfer gebildet werden. Kupferchlorid und Schwefelblei. Natürlicher Bleiglanz. Die Auf- lösung des Chlorids in Kochsalz wird nur überaus langsam und un- vollständig zersetzt unter Bildung von Kupferchlorür und Chlorblei. Kupferchlorid und zusammengesetzte silberreiche Schwefelmetalle. Die Auflösung des Chlorids in Kochsalz zersetzt schon in wenigen Tagen das Spröd-Glaserz, das Rothgülden und das Fahlerz. Letzteres erfordert am mehrsten Zeit. Es werden Kupferchlorür und Hornsilber gebildet. Kupferchlorid und Hornsilber sind ohne Einwirkung auf einander, sie mögen in Ammoniak, oder in einer concentrirten Kochsalzauflö- sung aufgelöst sein. Kupferchlorür und Hornsilber, Sind beide Substanzen, oder nur eine von ihnen in Ammoniak aufgelöst, so wird das Kupferchlorür augenblicklich in Chlorid umgeändert und das Silber vollständig im regulinischen Zustande niedergeschlagen. Ist einer von beiden Kör- pern in concentrirter Kochsalzauflösung und der andere in Ammo- niak aufgelöst, so ist der Erfolg derselbe. Werden aber beide Kör- per in Kochsalz aufgelöst zusammengebracht, so erfolgt eben so we- nig eine Einwirkung als bei der Anwendung des reinen Wassers als Auflösungsmittel für das Chlorid. Kupferchlorür und Schwefelsilber. Ist Ammoniak zugegen, so hat sich nach Verlauf von 6 Wochen keine Einwirkung gezeigt. War aber das Kupferchlorür in Kochsalzsolution aufgelöst, so wird schon nach zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. 1 einigen Tagen Hornsilber in der Flüssigkeit und Schwefelkupfer im Bodensatz angetrolfen. Kupferchlorür und Schwefelzink. Das Chlorür wird unter Bildung von Chlorzink zersetzt, das Kupfer regulinisch und der Schwefel in Substanz abgesondert. Schwefelchlorür und Schwefelkupfer, Schwefelblei, Schwe- felwismuth, Schwefelantimon sind ohne Wirkung auf einander. Schwefelkupfer und Hornsilber. Ist letzteres in Ammoniak aufge- löst, so tritt die Zersetzung bald ein, unter Bildung von regulini- schem Silber, von Chlorkupfer und Schwefelkupfer. War das Horn- silber in Kochsalz aufgelöst, so findet keine Einwirkung statt. Schwefelzink und Hornsilber. Bei Anwesenheit von Ammoniak wird sehr bald Chlorziuk gebildet; das Silber scheint sich mit dem Schwefel zu vereinigen. Ist das Hornsilber in einer Kochsalzauflö- sung mit dem Schwefelzink in Wechselwirkung gebracht, so wird die Einwirkung auf das Schwefelzink verzögert. Schwefelblei so wenig als Schwefelwismuth zeigen eine Einwir- kung auf das Hornsilber, es mag Ammoniak oder Kochsalz zur Auf- lösung desselben angewendet werden. Aus diesen Erfolgen geht unzweifelhaft hervor, dafs bei dem amerika- nischen Amalgamationsprozels nicht eine einzige Reaction statt findet, bei welcher regulinisches Silber gebildet werden könnte, sondern dafs die Bildung des Hornsilbers das einzige Resultat des Prozesses ist. Die Theorie der Amalgamation wird also, ungeachtet der ihr entgegen stehenden Anga- ben der Herren Malaguti und Durocher unverändert so bleiben, wie sie schon vor 23 Jahren begründet ward, nur dürfte sie hinsichtlich der damals übersehenen Reaction des Kupferchlorürs auf das Schwefelsilber eine kleine, jedoch wenig wesentliche Erweiterung erleiden, denn das Chlorür ändert sich, bei dem nicht zu verhindernden Zutritt der atmosphärischen Luft, schnell in ein Oxychlorür um, dessen Wirkung auf das Schwefelsilber pro- blematisch ist. Verhält es sich aber so mit dem Verlauf des Prozesses, so leuchtet es ein, dafs sehr reiche Rückstände und ein sehr grofser Quecksilberverlust die nothwendige Folge des Verfahrens sein müssen. Der gröfste Theil des aus dem Erz gewonnenen Silbers wird unbezweifelt durch die unmittelbare 72 Karsten über den jelzigen Zustand der Verfahrungsmelhoden Einwirkung des Quecksilbers auf das Schwefelsilber in das Quecksilber ge- bracht. Selbst eine Vervollkommnung des amerikanischen Amalgamations- prozesses erscheint sehr zweifelhaft und könnte vielleicht nur darin gefun- den werden dafs die Incorporation der Montone erst nach Einwirkung des Kochsalzes und des Magistrals vorgenommen, also möglichst lange verscho- ben und dafs bei der Incorporation nicht blofs Quecksilber, sondern zu- gleich ein Zusatz von Eisen, in der Gestalt von Feilspänen oder von zer- stückten Eisenblechen, angewendet wird. Am wenigsten darf man sich der Hoffnung hingeben, die Entsilberung der Erze durch Kochsalz und Magi- stral bewirken zu können und das Quecksilber durch eine gesättigte Koch- salzauflösung zu ersetzen. Enthalten die durch das amerikanische Amalgama- tionsverfahren zu entsilbernden Erze zugleich silberhaltige Kupfererze, so werden die letzteren nur einen geringen Beitrag zu der Silberausbeute lie- fern, nämlich nur in dem Verhältnifs in welchem die Zerlegung des Erzes durch das Kupferchlorid erfolgt. Zu einer vollständigen Zerlegung würden aber ungleich gröfsere Zusätze von Magistral erforderlich sein als man mit Rücksicht auf die eigentlichen Silbererze und zur Vermeidung eines aufser- ordentlich grofsen Quecksilberverlustes anwenden darf. Äufserst einfach und in hohem Grade vortheilhaft, sowohl hinsicht- lich des Silberausbringens als des Quecksilberverlustes, — welcher nur durch Verzettelung und nicht durch chemische Reactionen herbeigeführt wird, — stellt sich, im Vergleich mit der amerikanischen die Freyberger Silbererz- Amalgamation dar. Eine noch gröfsere Vereinfachung würde sie ohne Zwei- fel erhalten, wenn statt der Amalgamation die Extraction mit concentrirter Kochsalzauflösung eingeführt würde. Es ist indefs zu berücksichtigen dafs die völlige Umwandlung eines Verfahrens, welches mehr als ein balbes Jahr- hundert lang mit Vortheil angewendet worden ist und zu dessen Ausfüh- rung die erforderlichen eigenthümlichen und kostbaren Einrichtungen ge- troffen sind, nicht sogleich erfolgen kann. Bei aller Vollkommenheit dieses Processes bleiben doch immer noch + bis 4 Loth Silber im Gentner der entsilberten Rückstände zurück. Dieser Silberverlust wird durch die Röst- arbeit herbeigeführt und wahrscheinlich dadurch veranlafst, dafs das Silber der Einwirkung des Chlors entgeht. Das Silber wird folglich entweder im regulinischen Zustande, oder als Silberoxydsilicat in den Rückständen vor- handen sein. Dieser Silberrückstand ist daher durch die Extraction noch zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. 1 weniger als durch die Amalgamation zu gewinnen, in so ferne sich anneh- men läfst, dafs die kleinen mit Schmutz überzogenen Silberflimmern bei der Amalgamation doch wenigstens theilweise von dem (Juecksilber aufgenom- men werden könnten. Durch eine sorgfältige Röstarbeit wird der Verlust zwar vermindert, aber niemals ganz beseitigt werden. Wollte man die Rück- stände vollständig entsilbern, so würden sie mit Kupferchlorid zu behan- deln und dann mit gesättigter Kochsalzauflösung auszulaugen sein. Die öko- nomischen Verhältnisse dieser Nacharbeit lassen sich im Voraus nicht be- stimmen. Der überwiegend gröfsere Theil des Silbers, welches jährlich, wenig- stens in Europa gewonnen wird, erfolgt nicht aus Silbererzen, sondern aus silberhaltigen Blei- und Kupfererzen. Für die reichen Silbererze giebt es keine vortheilhaftere Behandlung, als die Verbleiung. Arme Silbererze wer- den, nach dem jetzigen Erkenntnifsumfange der metallurgischen Praxis, durch das Extractionsverfahren am vortheilhaftesten zu entsilbern sein. Das letztere Verfahren ist es aber auch, welches bei den silberhaltigen Kupfer- erzen nur allein in Anwendung kommen sollte, um die Verbleiungsarbeiten zu beseitigen, welche, sie mögen unmittelbar bei dem Erzschmelzen, oder bei dem Steinschmelzen, oder bei der Behandlung des Rohkupfers, in An- wendung kommen, immer in gleicher Weise zu den unvortheilhaftesten Re- sultaten führen und an die Kindheit der Metallurgie erinnern. Die dem Ex- tractionsverfahren vorangehende Rohschmelzarbeit gewährt aufserdem den grofsen Vortheil, dafs dadurch der Silbergehalt der Erze am vollständigsten in dem Kupferstein, also in dem Material für die Extractionsarbeit, angesam- melt wird. Eine noch gröfsere Vereinfachung wird das mit der Roharbeit zu verbindende Extractionsverfahren erhalten und mit noch günstigerem ökonomischen Erfolge in Anwendung gebracht werden, wenn, — woran kaum mehr zu zweifeln ist, — bei der Röstarbeit auch die Umwandlung des Schwe- felsilbers im Kupferstein in Hornsilber umgangen und der bei der Röstarbeit aus dem Schwefelsilber dargestellte Silbervitriol durch einfaches Auslaugen gewonnen wird. Es wird dann, statt der gesätligten Koohsalzauflösung, nur des reinen heifsen Wassers bedürfen, um eine Auflösung des Silbervitriols zu erhalten, aus welcher das Silber durch Kupfer und Eisen auf dem ein- fachsten Wege gefällt wird. Hr. Ziervogel auf der Gottesbelohnunghütte bei Heitstädt hat von dem Verhalten des Silbervitriols: später und in höhe- Phys. Kl. 1851. K 74 Karsten über den jetzigen Zustand der V: erfahrungsmethoden rer Temperatur als die anderen beim Rösten sich bildenden schwefelsauren Metallsalze zersetzt zu werden, die sinnreiche und richtige Anwendung ge- macht, die Röstung nur bis zur Zersetzung der mit dem schwefelsauren Silberoxyd sich bildenden schwefelsauren Salze fortzuführen und die Röst- arbeit zu unterbrechen wenn die Zersetzung des Silbervitriols eintritt. Dies vortheilhafte Verfahren setzt eine höchst sorgfältig geführte Röstarbeit vor- aus. Bis jetzt hat eine vollständige Entsilberung des Kupfersteines auf diesem Wege noch nicht statt gefunden, indem der Rückhalt an Silber in dem aus den entsilberten Rückständen dargestellten Kupfer noch 14 Loth im Centner betragen hat. Dieser Silberverlust ist unbezweifelt eine Folge der zu hoch getriebenen Röstarbeit. Schwerlich wird er sich ganz vermei- den lassen. Der abgeröstete Stein würde daher, eben so wie die Rückstände von der Silbererz- Amalgamation, mit Kupferchlorid und gesättigter Koch- salzauflösung behandelt werden müssen, wenn der Silberrückhalt gewonnen werden soll. Dafs ein solches Verfahren mit ökonomischem Vortheil durch- zuführen wäre, ist fast zu bezweifeln. Mag nun die eigentliche Amalgamation, oder die Extraction des bei der Röstung darzustellenden Hornsilbers mittelst gesättigter Kochsalzauflö- sung, oder die Auslaugung des durch den Röstprozefs gebildeten Silber- vitriols durch heilses Wasser, den jedesmaligen örtlichen Verhältnissen an- gemessen, zur Gewinnung des Silbers aus den silberhaltigen Kupfererzen, oder aus dem durch die Rohschmelzarbeit daraus erhaltenen Kupferstein, in Anwendung gebracht werden, so bleibt doch eine andere Wahl als unter diesen drei Methoden nicht übrig. Die Entsilberung durch Blei oder durch Bleierze, so allgemein sie leider! jetzt besteht, wird bald nur noch in der Geschichte der Metallurgie als eine Thatsache aufbewahrt bleiben müssen, welche einen Beitrag zu der Erfahrung giebt, dafs es nicht leicht war einem alten Irrthum zu entsagen. Zuletzt möge die Entsilberung der silberhaltigen Bleierze noch einer kurzen Betrachtung unterworfen werden. Eine sorgfältige mechanische Tren- nung derselben von den silberhaltigen Kupfererzen, wie die verschiedene metallurgische Behandlung für beide Fälle sie durchaus erfordert, ist ohne Schwierigkeit zu bewerkstelligen. Die Darstellung des silberhaltigen Bleies aus dem Erz gehört zu den einfachsten metallurgischen Operationen. Nicht minder die Scheidung des Silbers vom Blei durch den unter dem Namen zur Darstellung des Silbers aus seinen Erzen. 73 der Treibarbeit bekannten, schon seit Jahrtausenden in Ausführung gekom- menen Oxydationsprozefs. Nur ökonomische Rücksichten sind es welche die Anwendung dieses Oxydationsprozesses bei einem sehr geringen Silber- gehalt des Bleies unausführbar machen. Sehr gelegen kam daher die von Hrn. Pattinson vor einigen Jahren gemachte Entdeckung, dafs sich in dem Augenblick des Erstarrens des silberhaltigen Bleies Massen zusammenballen, welche aus fast reinem Blei bestehen, während sich das Silber in dem noch flüssigen Blei concentrirt. Die Ballen werden mittelst eines Schaumlöffels aus dem Gefäfs genommen und das Blei in welchem sich der Silbergehalt der ganzen Masse concentrirt hat, wird aufgesammelt, um zu einer zweiten, es u. s. f. Umschmelzung und abermaligen Anreicherung des Silber- gehalts verwendet zu werden, bis der letztere in dem Grade in dem Blei concentrirt ist, dafs die Silberscheidung mittelst der Treibarbeit mit Vor- theil erfolgen kann. Eine gänzliche Trennung des Bleies von silberhaltigem Blei findet bei dem Pattinsonschen Verfahren nicht statt, sondern das zuerst erstarrte Blei hält immer noch Silber zurück, ob in chemischer Vereinigung, oder nur als mechanische Beimengung von einem Theil des Silberbleigemi- sches, ist schwer zu entscheiden. Eine genügende Erklärung der auffallen- den Erscheinung, dafs in einem geschmolzenen Metallgemisch das leicht- flüssigere Metall zuerst erstarrt und sich von der noch flüssigen Masse des strengflüssigeren Metallgemisches trennt, ist noch nicht gefunden. Dieser auffallende Erfolg wird ohne Zweifel auch zur Deutung mancher geognosti- schen Probleme dienen können. Mit dem Blei verbindet sich das Zink zwar in der Schmelzhitze, aber die schwache Verbindung wird bei ruhigem Verweilen in der Schmelzhitze wieder aufgehoben und das Zink, als das specifisch leichtere Metall, begiebt sich auf die Oberfläche des Metallbades. Eine absolute Reinheit des Bleies habe ich bei Schmelzversuchen in Tiegeln nicht bewirken können, sondern das Blei hält im günstigen Fall noch fast + Procent Zink zurück und das erstarrte Zink zeigt einen von oben nach unten zunehmenden Bleigehalt, der in der obersten, also in der reinsten Schicht etwa 2 Procent beträgt. Wird, statt des reinen, silberhaltiges Blei angewendet, so zeigt sich der merkwürdige Erfolg, dafs das Zink den ganzen Silbergehalt des Bleies aufnimmt, welches nach der von Pattinson gemachten Erfahrung nicht zu erwarten war. Die 8 Trennung des Silbers vom Blei ist so vollständig, dafs das entsilberte Blei K2 76 Kunsten über den jetzigen Zustand der Verfahrungsmethoden u.s.w. einen Rückhalt an Silber nur durch ein schwaches Opalisiren zu erkennen giebt, wenn die salpetersaure Auflösung desselben mit Salzsäure versetzt wird. Dies Verhalten der drei Metalle zu einander würde zu einem einfachen Scheidungsverfahren des Silbers vom Blei, also auch zum Concentriren des Silbergehaltes im silberarmen Blei in einer geringen Quantität Zink dienen können, wenn es gelingen sollte das Blei vollständig vom Zink zu befreien, denn selbst der geringe Zinkgehalt des Bleies von + Procent ertheilt dem Blei eine Beschaffenheit, durch welche es zu manchen Anwendungen un- brauchbar zu werden scheint. Die Darstellung des im Zink concentrirten Silbers durch Destillation, ist ohne einen erheblichen Silberverlust ausführ- bar. Das Zink welches aus der Legirung durch die Destillation gewonnen wird, ist völlig frei von einem Silbergehalt. Versuche im Grofsen über die Scheidung des Silbers vom Blei durch Zink und über die dabei statt finden- den ökonomischen Verhältnisse haben zu einem recht günstigen Resultat ge- führt, in so ferne ein Rückstand von + bis 1 Pocent Zink in dem entsilber- ten Blei nicht als eine Mangelhaftigkeit der Operation betrachtet wird. TI NININE Mathematische Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. anna. Aus dem Jahre =... anna Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1852. In Commission in F. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung, AekaARNARGR n that | I ka as MITIUHT ur 7’ Waren r vu a a ke; {R urcade | bu Be Wein. ’ ü We a I 07 EEE N “ ar DI cr BL A 4 ie nv nr Unhl'a lt. CrELLE: Einige Bemerkungen über die Theorie des Höhenmessens mit dem IEATOTN LOL Eee eleres gehen ezelestr gehe relrenee- ENcKE über den Cometen von Pons (Sechste Abhandlung) ....«.. «re... » I "a j | an N ! N ! 1 j Tr uk 3,04 I 7 j) I A f ü ® ; % In 1 Ai: ; PT ih a E { ’ % = ’ N ö h & U / N ’ | ma > PRRERE N PPEFE I { $ r u ‚ f 1 4 IR v mh Hr er a wall en ee FE wind N ‚ af = ri h $ Er] [a .. ie warn auroalk Ir ;: Tr uk a wid min ran) al wi Einige Bemerkungen über die Theorie des Höhen- messens mit dem Barometer. Von HU /ERELLE. nn ” [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 27. März 1851.] $. FR: die Ausübung des Höhenmessens mit dem Barometer, wenigstens des Messens der Höhe zweier über einander liegenden Puncte, in welchen gleichzeitig die Höhe der (Quecksilbersäulen an ganz gleichen Barometern beobachtet werden kann, mögen die vorhandenen Formeln eine befriedi- gende Genauigkeit und Sicherheit gewähren. Da indessen bei diesen For- meln, aufser unbezweifelten Sätzen, wie es scheint, der willkürlichen Voraussetzungen mehr zugelassen werden, wenigstens eine mehr, als nöthig, und aufserdem die Theorie dieser Messungen nicht ohne analyti- sches Interesse ist, so wird es vielleicht nicht unnütz sein, einige Erwägun- gen darüber anzustellen, und zu sehen, was sich ergiebt, wenn man die Vor- aussetzungen auf so wenige beschränkt, als möglich. 2 Was bei der Theorie der Barometermessungen, aufser dem Verhält- nifs des Eigengewichts des Quecksilbers zu dem der Luft, in Betracht kommt und bestimmten, ermittelten Gesetzen unterworfen, also mefsbar ist, ist be- kanntlich die Einwirkung der Wärme auf die Ausdehnung und folglich auf das Eigengewicht der Luft und des Quecksilbers, und die Abnahme der be- schleunigenden Kraft der Schwere von den Polen nach dem Äquator hin, so wie vom Meeresspiegel an in die Höhe. Andere Einwirkungen, die kei- nen bestimmten, oder vielmehr noch nicht erkannten Gesetzen unterliegen, Math. Kl. 1851. A 2 Creuue: Einige Bemerkungen z. B. die Luftströmungen, die plötzliche Veränderung der Spannung der Luft durch die Elektrieität, durch Niederschläge der Wasserdünste u. s. w., lassen sich nicht in Rechnung bringen; so dafs also die Rechnung immer einen ruhigen Zustand der Luft voraussetzt. Um die beabsichtigten Bemerkungen über die gewöhnliche Theorie anstellen und begründen zu können, wird es nöthig sein, diese Theorie selbst erst durchzugehen. Die Bezeichnungen mögen folgende sein. Es sei p. Preufsische Pfunde der Druck oder die Spannung der Luft auf 1 Qua- drat Fufs Fläche, & F. hoch über dem Meeresspiegel; w, hunderttheilige Grade des Thermometers die Wärme der Luft in eben dieser Höhe; a, solcher Grade die Wärme des Quecksilbers im Barometer, in der gleichen Höhe; nw, Fufs die Höhe, um welche sich eine 1 Fufs hohe, 0 Grad warme Luft- säule in w, Grad Wärme ausdehnt; mw. die ähnliche Höhe für eine Quecksilbersäule; a, .. Pr. Pfunde das Gewicht eines Cubikfufses Luft von w, Graden Wärme, x&F.hoch über dem Meere; q.. Pfund das Gewicht eines Cubikfufses u, Grade warmen Quecksilbers; b.,. Fufs die Höhe der Quecksilbersäule im Barometer, x F. hoch über dem Meere und von u, Grad Wärme; Tulär r = 20 253 950 Fufs der mittlere Halbmesser der Erde; s—= 1 — 0,002 837 cos2& die beschleunigende Schwerkraft unter $ Graden Breite, diejenige unter 45 Graden Breite = ı gesetzt; yF.undzF. die Höhe der beiden Puncte über dem Meere, in welchen gleichzeitig die Barometerhöhen beobachtet worden sind; z2—y=hF. die zu messende Höhe; & . [2 ” 10 “ [3 ” ” log bezeichne die natürlichen und log die Briggischen Logarithmen, e e 10 so dafs, log 10 — 2,30258509 = € gesetzt, log x — elog x ist. über die Theorie des Höhenmessens mit dem Baromcter. 3 3 A) Setzt man nun einstweilen sowohl die Abnahme der Schwerkraft von den Polen nach dem Äquator hin und vom Meeresspiegel nach oben, als auch den Einflufs der Wärme auf die Ausdehnung der Luft und des Quecksilbers bei Seite, so ist die Rechnung folgende. Der Druck p, der obern Luftsäule auf die obere Fläche einer Luft- schicht, von da F. hoch und ı gF. Grundfläche, ist um das Gewicht a,dx der Schicht geringer, als der Druck auf die untere Fläche der Schicht; also ist On on. ade Nach dem Mariotteschen Gesetz verhält sich die Dichtigkeit der Luft, und folglich ihr Eigengewicht, wie die Spannung oder der Druck auf sie: also ist (2) = oder —-_. und folglich in (1) (3) —_ Ip: = = dx. Dieses giebt, integrirt, ner wi logp. + Const und für =0, Const — log p,, also @ x = log? und SPo> Po d,, 4 z—= Pe ]og®. ( ) ao 57. Nun ist die Spannung p der Luft dem Drucke oder dem Gewichte des Quecksilbers in der Barometerröhre gleich, also ist 0) > 1a z,%, sind. Die hieraus folgenden Werthe Pr nd von b,. und d,, im [dr 1+ mp, 2 ” in (11) gesetzt, giebt über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. b) b,,u, + mn. I 5 en 1A. (im a) 12) A=Alı +tn(w,+w „]10 14 mu, 1— m?u? A—meuz D Da —— = ———_ ——. = — ——_—— —— ist und mu, 14 mi, (— my.) (I+mu,) 1+m(1, Me )— m? Babe und mu, gegen ı immer sehr klein sind, also m’u/ und m’u,u, gegen das Übrige weggelassen werden können, so schreibt man auch statt (12 R) EN ala fee (13) A=Alı++n(w,+w,)] log SRarersji 1+mu, _ (tm, Az ) —_.Imlu, un, )—m’n,m. 1+ mn, kn: a5 1— m? RE Man könnte auch, da ist und hier wieder m’u, und m’u,u, gegen das Übrige weggelassen werden können, eben so wohl 14) A=Alı+-tn(w,+w)] [52% + log (ı—m(u,— u) ] b,, Ik. —))= — — [m (n,— u.) + m’(u,— m)". .... ] ist und die gegen das erste Glied sehr schreiben; oder auch, da log (1\— m(n,— 1,)) = kleinen folgenden Glieder der Reihe weggelassen werden können: 10 5 1) h= Aline] [182°]; iR jedoch ist der Ausdruck (13) gewöhnlicher. Hier ist nun auch die Wirkung der Wärme auf das Quecksilber in den Barometern berücksichtigt. y) Die Einwirkung der Abnahme der Schwerkraft von den Po- len nach dem Aquator hin bringt man dadurch in Rechnung, dafs man den f (2) = 1 + 0,002337 cos 2b 1 — 0,003337 cos 2b ‘ 1— 0,0028372cos 2b? ? oder, weil 0,002837 cos 2# gegen ı immer sehr klein ist, mit Ausdruck von 4 noch mit - — Ss (16) u = 1-+ 0,002837 c0s2& multiplicirt, so dafs statt (13), 4 f EAU DET RTRER N (ya E I +Fn(w ,+%)] log; b;,u, I +m(n,—1.)) by,u, = A (1+0,002857 cos 2$) [ı + tn (w,+ w,)] SE ern) gesetzt wird. 6 Crerue: Einige Bemerkungen Diese Art der Berücksichtigung von s ist dadurch gerechtfertigt, dafs das in A=eb, = (8) vorkommende Vielfache 2 des Eigengewichts q des Quecksilbers, von a,, dem Eigengewicht der Luft (beide, q und a,, von Null Graden Wärme) abnimmt, wenn die Schwerkraft zunimmt, weil die Luft durch eine stärkere Schwerkraft in dem Verhältnifs der Stärke der- selben mehr zusammengedrückt und folglich schwerer wird, das Quecksilber dagegen nicht, so dafs also a, gegen g auf das sfache steigt und mithin a, in A mit s multiplicirt, folglich A in (8 und 10) noch mit s dividirt wer- den mußs. 8) Die Abnahme der Schwerkraft vom Meeresspiegel nach der Höhe hin, die im Verhältnifs der Quadrate der Entfernungen vom Mittel- punct der Erde steht, so dafs die Schwerkraft, x F. hoch über dem Meeres- spiegel, (dieselbe am Meeresspiegel wie oben =s gesetzt) r? (18) s,, = 8 beträgt, berücksichtigt man gewöhnlich nicht. Bıor indessen, in den Zu- sätzen zu seinem Lehrbuch der Astronomie, thut es. Er bedient sich aber dabei nicht der Integralrechnung, sondern gelangt durch verschiedene An- näherungen zu einem Ausdruck, der in den gegenwärtigen Zeichen folgende Form hat: (19) h== [+ $n(w, + w,)] [22% +2log(1+7)] (1+*) (1+- \ b,, 7 wo (20) 7 A, = 58ä16.Br/ EB: gesetzt wird. Bıor setzt weiter, statt der von A und y abhangenden Quo- h h 27 dr: : 5 f. 3 B tienten und --, die immer sehr klein sind, unveränderliche mittlere Zahlen, um sie in A, hineinzuziehen und gelangt dadurch zu dem Ausdruck 10 5, „ (21) h= < [+47 (w,+ w,)] log 7; zZ, [&z wo jetzt (22) A = 55604 Pr. F. ist. Dieser Ausdruck stimmt mit dem (13) in so weit überein, dafs in (21) m(u,—4,), also die Wirkung der Wärme auf das Quecksilber, gleich Null gesetzt ist. Andere, z. B. Erreweın in seiner Hydrostatik, behalten den Ausdruck (13) bei, mit demselben Werthe von A. über die T’heorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 7 Will man nach der vollständigen Biorschen Formel (19) A be- rechnen, so kann man, statt } aus derselben zu entwickeln, dasselbe erst näherungsweise aus (21) suchen, den gefundenen Werth in (19) setzen und so h genauer finden. Für n und m setzt man (23) n— 0,004 und m == 0,000181774; wo bei n zugleich ein mittler Grad der Feuchtigkeit der Luft berücksich- tigt ist. C) «) Ist der untere der beiden Puncte, deren Höhe über einander man sucht, so entfernt von dem obern, dafs die Barometerhöhen in den beiden Puncten, nebst der Wärme der Luft und des Quecksilbers, vielleicht nicht gleichzeitig beobachtet werden können, oder auch eine einzelne gleichzeitige Beobachtung keinen sichern Anhalt geben würde, wie z.B. wenn man die Höhe eines Puncts über dem entfernten Meeresspiegel sucht, oder, wie bei der Aufgabe, die sich Ramonp gesetzt hatte: die Höhe eines Puncts zu CLermonTt-Fersann über einem bestimmten Punct in der Pa- riser Sternwarte zu finden: so bleibt nichts übrig, als aus einer Menge gleichzeitiger Beobachtungen in beiden Puncten mittlere Werthe für dy,u,, bz,„. und w, und w, anzunehmen und dann z.B. nach der Formel (13) A zu berechnen. @) Kann man nicht eine Menge gleichzeitiger Beobachtungen in beiden Puncten anstellen, sondern nur in dem untern, wo dergleichen für den Meeresspiegel wirklich angestellt sind und wo sich gefunden hat, dafs die mittlere Barometerhöhe für Null Grad Wärme (24) b,, 2, b,, u b,, o = AA21512 Pr. F. (= 0,76 Meter) beträgt, so giebt die Formel (17), die dann in B A 10 b (25) An [1 + +n (wo+ w.)] log RE) zu 4, übergeht, die Höhe z eines Puncts über dem Meeresspiegel durch die aus einer einzelnen, oder im Mittel aus einigen Beobachtungen genommenen Werthe von dz,,,, w, und u, näherungsweise, sobald man noch die mit w, im obern Puncte als gleichzeitig anzunehmende Wärme w, der Luft £ am Meeresspiegel kennt. 8 Crerte: Einige Bemerkungen y) Da diese Wärme unter den vorausgesetzten Umständen nicht beob- achtet werden kann, so bedient man sich der Aushülfe, anzunehmen, dafs die Wärme der Luft überhaupt auf einen bestimmten Theil von k F. der Höhe über dem Meere, z. B. für (26) %= 196,3 F. (so Toisen) um einen hunderttheiligen Grad des Thermometers von unten nach oben abnehme. Man setzt also 97 = a7) mV=Wm+7 Dies giebt in (25) 28) z=- =[: +n (w. + =) ]}°s 8, ———. 5. Um hieraus z zu finden, sei der Kürze wegen A,10 Do Fazer) so dafs in (28) (30) = M(ı+nw, +” nM ist. Dies giebt 21 —- = M(ı-+nw,), also _ 2kM(i+nw,), er woraus nun die Höhe eines einzelnen Puncts über dem Meeresspiegel nähe- rungsweise gefunden werden kann. $4. Dies ist die gewöhnliche Theorie. Es mögen jetzt zunächst die ver- schiedenen Voraussetzungen, welche dabei zugelassen sind, erwogen werden. Es sind folgende. Erstlich. Der Coefhicient A=e-? Bo wird unveränderlich, also für jeden Wärmegrad der Luft und des Darkksilkers in der Höhe o oder am Meeresspiegel, von gleicher Gröfse angenommen ($3. A und B, y). Der Coefficient drückt nicht sowohl das Vielfache des Eigengewichts q des Quecksilbers von dem Eigengewicht a, der Luft aus, sondern das Viel- fache, welches der Druck g5, des Quecksilbers in der Barometerröhre auf über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 9 die Luft, von dem Eigengewicht a, der Luft ist. Da nun bekanntlich an dem- selben Orte, in derselben Wärme, der Barometerstand verschieden sein kann, also 5, für dasselbe g veränderlich ist, unabhängig von der Wärme, so nimmt man eigentlich an, dafs das Eigengewicht a, der Luft an demselben Orte ebenfalls in gleichem Maafse sich verändere. Dies kann auch wirklich der Fall sein, da das Eigengewicht der Luft nach ihrer Span- nung sich richtet und diese nothwendig wirklich dem Drucke des Queck- silbers auf sie gleich sein mufs, indem sonst kein Gleichgewicht möglich wäre. Indessen kann die Spannung der Luft, z.B. am Meere, auch nicht blofs von dem Drucke der Luftsäule über ihr, und also nicht blo(s von der Wärme bestimmt werden, sondern auch noch von andern Ursachen ; z.B. von Luftströmungen, mehr oder weniger von unten nach oben, oder umgekehrt; von der Electrieität, von plötzlich zunehmender Feuchtig- keit u.s. w. Der Zahlenwerth der Coefficienten kann also nur, wenn er un- veränderlich gesetzt werden soll, wie es auch wohl nothwendig geschehen mulfs, aus einem Mittel der Ergebnisse einer Reihe von Beobachtungen her- genommen werden, die unter den verschiedensten Umständen und möglichst bei ruhiger und reiner Luft angestellt wurden. Und zwar dürfte es, statt den Coefficienten aus Wägung der Luft und des Quecksilbers herzuneh- men, sicherer sein, ihn unmittelbar aus der Messung verschiedener Höhen abzuleiten; wovon weiter unten. Zweitens nimmt man an, dafs sich Luft- und Quecksilbersäulen, für jeden Grad Wärme mehr, um gleiche Theile derjenigen Höhe oder Länge ausdehnen, die sie in Null Grad Wärme haben. Diese Annahme ist durch unmittelbare Messungen gerechtfertigt. Drittens. Die Wärme der Luft, setzt man, nehme vom Meere an nach oben für jeden gleichen Theil mehrerer Höhe um gleichviel ab. Auch dies wird, als Ergebnifs von Beobachtungen, als durchschnitt- lich richtig zugegeben werden müssen. Viertens. Statt der verschiedenen Wärmegrade, welche die Luft, z.B. in der Luftsäule z— y, in den verschiedenen Puncten ihrer Höhe eben nach (Drittens) hat, bringt man eine mittle Wärme, nemlich die halbe Summe +(w,+,) der Wärme oben und unten in Rechnung ($ 3 B. «). Die Wirkung des von der wirklichen Wärme der verschiedenen Luft- schichten abhangenden Gewichts derselben auf die Zusammenpressung Math. Kl. 1851. B 10 Creuue: Einige Bemerkungen der Luft, worauf es ankommt, ist aber offenbar eine andere, als sie es sein würde, wenn die z—y hohe Luftsäule in jeder Höhe die gleiche, mittle Wärme hätte. Die Annahme einer mittlen Wärme geschieht also wohl nur zur Vereinfachung der Rechnung, und ist willkürlich. Fünftens. Um die Höhe eines Orts über dem Meere oder über einem andern entfernten Punct finden, in welchem die Wärme und der Baro- meterstand nicht gleichzeitig mit denen an dem bestimmten Orte beob- achtet werden können, nimmt man nach ($ 3. C) für den untern Punct einen mittlen Barometerstand für Null Grad Wärme an; desgleichen für einen bestimmten Theil % der Höhe (26) einen Grad Wärmezunahme nach unten. Da diese Voraussetzungen eigentlich willkürlich, jedoch in dem Fall, wo man durchaus die Höhe eines einzelnen Puncts über einem andern wis- sen will, in welchem sich der Barometerstand und die Wärme nicht gleich- zeitig beobachten lassen, unvermeidlich sind, so folgt wenigstens, dafs das Ergebnifs (31) bedeutend die Wahrheit verfehlen und nur da genügen kann, wo es auf keine besondere Genauigkeit ankommt. $5. Es werde nun gesucht, was sich ergiebt, wenn man wenigstens die vierte willkürliche Voraussetzung, die sich vermeiden läfst, vermeidet, und blofs' nach den ersten drei Voraussetzungen rechnet, zugleich aber die Ab- nahme der Schwerkraft in Rechnung bringt; und zwar für den 45°“ Grad der Breite, wo die Schwere s gleich ı gesetzt worden ist. Für einen andern Breitengrad ist aus dem Grunde ($ 3. B. y) das Ergebnifs blofs noch mit = zu multiplieiren. A) Es ist nach ($ 3. A. Formel 1), mit Berücksichtigung der Wärme: (32) 1% op: 7 a,, w.I%, und es kommt also darauf an, das Eigengewicht a, „, der Luft und des Quecksilbers, in der Höhe von x F. über dem Meere und von der dortigen Wärme w,, auszudrücken. Zufolge der dritten Voraussetzung ($ 4) ist y re. TEE, a) er et. z # w, w, HM: My über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 11 Daraus folgt ew,— yw,— xw,Hyw, = 2w,— zw, — yw,+yw,, also @(w,—w,) +2%w,— yw, = („—y)w, und (wo mtr) Au , und eben so (ae len), a « Für =0o, also für die Wärme der Luft und des Quecksilbers am Meeresspiegel, würde dies (36) » = rege und (17) Me geben, so dafs w, und u, (34 und 35) auch wie folgt, ausgedrückt werden können: 3) ww a o und Shot” B) Nun dehnt sich eine ı F. hohe Luftsäule von o Grad Wärme in w, Grade Wärme auf ı + nw, F. hoch aus: also würde das Eigengewicht a, o der Luft von o Grad Wärme am Meeresspiegel in w, Grad Wärme eben- daselbst, bis auf 3) a. »®%: Atnw, abnehmen; ähnlicherweise das Eigengewicht gu. des Quecksilbers von o Grad Wärme in u, Grad Wärme am Meeresspiegel bis auf an la (40) To, FE TI Nero: . C) Ferner ändert sich das Eigengewicht der Luft in xF. Höhe, weil die Luft prefsbar ist, durch den von dem Druck p, am Meeresspiegel in x» F. Höhe verschiedenen Druck p, nach dem Manrıorteschen Gesetz in a . . ” gradem Verhältnifs des Drucks, so dafs —" = n ist. Dies giebt a, „ ac x Z =, ‘= und folglich, gemäfs (39), (41) a ER WEn %%, MAynw, Po 12 Creıue: Einige Bemerkungen Für das Quecksilber findet diese Änderung nicht Statt, weil das Quecksilber nicht prefsbar ist. Es ist q,, „, = 9,., und folglich nach (40) 6) Eu 900 e Ix, = 4+-mu, D) Endlich ändert sich das Eigengewicht der Luft, eben wie das des Quecksilbers, vom Meere ab bis zu x F. Höhe durch die ee der : also sind (41 und 42) noch mit —— G een, Zu Schwerkraft von ı bis auf ran PL; multipliciren, so dafs 2 POT ——, und I) Anm = Tenm,'ne 743) 0,0 (44) “E5 RT i+ mu; ö (r + x)? ist. E) Für die Höhen y und z giebt (43): GERN 4. rt 2 u na 4 „ und a,, ee Irene, Po (r+:)? (45) Geh = — i--nw, po (r+y)? Dividirt man (43) durch (45), so ergiebt sich 1+#nw, pz (r+y)” __ 5 14hn®, Pr (r+ 2)? 99 "Ithne, p, (r+2)® (46) A,,w, 7 — a,,w, itnw. p, (r+x)? Be N ne De near (+nw,)(e—y) ‚pe (CH, Dies ist der Ausdruck des Eigengewichts der Luft x F. hoch über dem Meere. F) Den Ausdruck von a, „nunmehr in (32) gesetzt, giebt: (48) _ Ip _ 2 Yı®y De dx m (er n(w,.—w,) und wenn man der Kürze wegen a,,»,({!+nw,) (z—y) Er 49, 2% z ( ) np, (w —®,) setzt: DR Mu (50) > Pz —(N—-r+ u) u? T, ERIC ind rF2=u n(w,—o,) über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer 13 Um den Bruch rechts in (50) zu zerlegen, sei & ß ee Yy eu’ +ABu(N-r+u)+y(N—r-+u) +4 = oo IT. rt+u u u (N—r-+u) u? Dies giebt a+ß=o, B(N—-r)+y=ound y(N—r)= 1, also 1 1 (52) NT Nr Nana en: und e=-A=+y „9 folglich in (50) ae (Nr)du Pz een en I Hiervon ist das Integral (54) — log BI ve [16 (N—r-+u) — log u— —] + Const ar M : „Its N-—r C t (N “fig Or+x | ir ae . Pe » . EN 5 ei M a N+y Nr Für 2=y ergiebt sich Const = — logp, nen), [105 Zr a also ist vollständig: = RER M 4 N+x "ibn 82 63 1 I jad M R® (N-+x) (+7) (N—r) (xy) Nr L PN +y)c+%) (e+2) (c+y) und weiter für =z: - og = NHCHN, WenG-y) 6) ar (N nel zer (r+J) er G) Es ist aus (49 und 36) N+z.2 (i-+nw,) G=N+tn2(m.—®) _ 227% n(zw,— yw.)Hnz2(w,.—w,) n(w,.—®,) n(8.—®,) — Er” und N Er (i-+nw,) E-Ntryle.—e,) _2-Itrte,—ye)trrla—e,) Ei); n(w,—w,) n(w,—w,) Br Uere) Tone, —w,) 2 also N-+z _itne. r (57) N+y Ai-+ne, 14 Crerre: Einige Bemerkungen Ferner ist die Spannung der Luft p, und p,, in den Höhen y und z, dem Gewichte der Quecksilbersäulen im Barometer gleich. Also ist “ en 90,0 ® Palm b,, Ay" 9,, Ay b,,n, itmp, ._ (44) und 9) 90,0 rad Pı — Dr Gen. == Eh itmp, -r2)%? wo b,, Rn, und 2, „, die in den Höhen y und z beobachteten Barometer- höhen sind. Folglich ist G9 = br Iran (eis) P: itma, DEN Z, Kr Dies nebst (57) in (56) gesetzt, giebt ö & e -b 2 ‚Ir (tr% e+29° log r a. £ It mi, "r+y) Ihno, ty (N—r) (z—y) = ap | Se, N ee) ocEn (60) br Be +] o bz, 1, immp, (r-+y)’ Ir M [ 1 log (+ Fr) 4 2 SOME N—-rLN—r > iI+nw, r+z (Ge) H) Hierin. sind weiter noch die Werthe von M und N aus (49) zu setzen. In M kommt 7 = “2 vor. Dieser Bruch ist zufolge (45) rer ir, R, Pr (tnw,)po (+N?’ und hierin ist zufolge (58) po = bu,0:90,0, also Dasselbe wie d,g in (8). Mithin it A=e- 20.0100 _ =. ‚ folglich — u — = und in (61) @0,0 2 2 EL +)’ (i-nw ER 62), u 7, oder a erotnm) 2 ( ) Pr Ali+nw,)(r+y)? z Pr 4? also in (49) N er) = 82. nA(w.—w,) Desgleichen ist aus (49 und 36) ne z—y-+n(zw,—Yw,) h+n(zw,—yw,) ee über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 15 h+n(zw,—yw)—rn(w,—w,) artnet), onehne®. (64) Nr= n(w,—w,) n(w,—w,) Dies nun, nebst (63), in (60) gesetzt, giebt e b 2 (65) log DB Pl (5 bz, 1 Utmn, "+: er? n(w.—w,) 2 ( w. r4y EEE h+n(1+2)w,—a(rty)w. 03 I#nWw, se For) al $ 6. A) Dies wäre die unverkürzte Formel, nach welcher das gesuchte Ah berechnet und dann noch für eine andere Breite auf der Erde nach ($3. B.y) mit E multiplicirt werden müfste, so dafs unter A, 2 zu verstehen ist. Allein die Rechnung würde nicht allein ungemein weitläuftig, sondern auch nicht eher ausführbar sein, ehe man nicht yund z=y-+ A selbst auf irgend eine Weise gefunden hätte. Man wird sich also dadurch helfen müssen, dafs man zunächt die Abnahme der Schwerkraft vom Meere aufwärts aufser Acht läfst, und so erst näherungsweise A sucht. Dieses Aufserachtlassen geschieht, wie leicht 8 zu sehen, dadurch dafs man 7 = x setzt. Fürr=» ist in (60) — = Ber =1, EEE —Zu=—0 (64), und BP F+))(r+2) N—-r=-—r, also aus (63) EL —- 2 ‚ und der Ausdruck (60) s 7) nA(w, —_w (w,—ew,) geht in folgenden über: 2 bu mia € E nw a ee Itmp, bz, u, nA(»,—w,) Ol-nw, und daraus folgt (noch mit e multiplieirt) 3 Byte _ ie b;, Be (67) a A(w,—w. 3 05 7£m kr Sim u. 10 10 log (i+n w,)— log (i-nw,) B) Dieser Ausdruck, in welchem nun die willkürliche Voraussetzung ($ 4. Viertens) nicht Statt findet, ist, wie man sieht, nicht eben weitläuftiger, als der z. B. (12) nach der gewöhnlichen Theorie. Der letztere läfst sich wie folgt schreiben: 16 Creuze: Einige Bemerkungen nt nee also ist LBARAR n (w,— —»,) (69) ra TERERREE e (i+tn(w, tw, )) (log(i-+nw,)— log (i+ne, )) — Be n2\. Sr MINE x (1i+ zn (w,+w, )) (log(i +nw,)— log (ine, )) Entwickelt man die Logarithınen rechts, und bleibt, weil n«, und nw, gegen ı sehr klein sind, bei dem zweiten Gliede stehen, so findet sich „ LRN n(w,—w,) (70) hı (ih an (w, +®,)) (new, —nw, — (4n? w; —-4n? w; n®w2)) 1 1 we (+7 (em, +®,)) (1-4 (w,+w.)) => 1—In’(w,+w.) welches, da n(w,+w,) nur klein ist, nur wenig von ı abweicht. Wäre 2.B.w,=19, w,—=4, so ist zufolge (23) n (w, + w,) = 0,001.23 = 0,092, also = = === — 1,0021; also gäbe in diesem Falle die gegenwärtige Theorie die Höhe A etwa um den 500“ Theil gröfser als die gewöhnliche; wonach dann der unveränderliche Coefficient A, wenn er für die gewöhnliche Theo- rie passend ist, verändert werden mülste. WE Will man den neuen Ausdruck (67) benutzen, um wie in ($ 3. C) die Höhe eines einzelnen Puncts z. B. über dem Meere zu finden, so geht 7 & b by, Je in 0,0 n Wir i Wo» I-mu, 1+ mio — b,, und w, in w, über, also A (67) in 10 br, pr log b0,0— 8 mm (74) Bee log (iHnwo)— log (I+-nw,) Setzt man wieder, wie in (27), h h (72) rn mr MW so giebt (71) 10 bp u; ib Dos 73 hei log d0,0— log „.r% _nAh 5 ( (+mm)) ( ) SREE # nh ri °s (: = k(i+nw, ;) sk " eks ; 108 (i+n (+4 len) über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 17 oder 10 nh ke! ER 50,0 7 og (tr ga) = 0 (+ mm), und ferner, wenn man der Kürze wegen Er nA 10 b 10 (75) „xs108 (« +mu,) =) =logB 2, Mr h n 27 —BN3lso k(ii+-nw,) : setzt, 1+ (70 2 = ((+nw,)(B—1); woraus Ah gefunden werden kann. s8 Wie schon in ($ 4. Erstlich) bemerkt, wird es, statt den Coefficienten 7) A="%: 8) aus der Ermittelung des Eigengewichts des Quecksilbers und der Luft, so wie der Barometerhöhe 5, herzunehmen, vielleicht einfacher und sicherer sein, ihn aus der trigonometrisch gemessenen Höhe A eines Puncts über einem andern abzuleiten. Will man Dies, so giebt die Formel (67): 10 10 (78) AR &s log ((+nw,) — log (i+nw,) TEE RE OLE n(w,— w.) jo Pr an er Zu Me 1+myu, 1+mp. Aus dieser Formel wird sich zunächst ergeben, ob A wirklich einen unveränderlichen Zahlenwerth hat; denn, ist es der Fall, so mufs sich aus (78) für ein- und dasselbe A und für alle, zu verschiedenen Zeiten beobachteten Wärmegrade w, und w, der Luft und u, und u, des Quecksil- bers, für A immer derselbe Zahlenwerth finden. Da dies nun schwer- lich genau der Fall sein wird, so mufs man aus den abweichenden Zahlen- werthen von A ein Mittel nehmen. Noch sicherer wird man A finden, wenn man dieselbe Ermittlung für mehrere verschiedenen Höhen A anstellt und aus allen ein Mittel nimmt. Math. Kl. 1851. C 18 Crerte: Einige Bemerkungen Beispiel. Bei der Messung der Höhe des Pıc pr Bıconne in den Pyrenäen fand sich die Höhe A, trigonometrisch gemessen, — 832',71 Pr. F. Ferner war w, = 19125, m, = 4,000, 4, = 18,625, 4, = 9,75; 79) Sb, u, = 3707 F. d, „ = 1ri16ss F. Dazu ist n = 0,001 und m = 0,00019/774 (23), € = 2,30258509; und s kann dort füglich = ı gesetzt werden. Hiernach gerechnet findet sich aus (78): (80) A = ss60l,1 Pr. F.; welches mit (22) fast genau stimmt. Es würde sich nun fragen, ob wieder- holte Beobachtungen auf dem Pıc pe Bıcoree, und in andern Höhen, den- selben Werth von A geben. Nach der gewöhnlichen Theorie berechnet, würde aus (12) h (a) ee (1++n(w,+W,)) (103 2. ur ins = Ten nz Omi, sein. Hiernach gerechnet, ergiebt sich (82) A = 58603,5, welches ebenfalls mit (22) fast genau siimmt. Wenn auch gleich aus diesem einzelnen Beispiele nicht folgt, dafs die neue Formel (67) die Wahrheit näher treffe, als die gewöhnliche (12), so zeigt sich doch daraus mindestens, dafs sie nicht weniger genau ist, als die alte. In andern Fällen aber trifft sie das Richtige wahrscheinlich näher, weil die willkürliche Voraussetzung ($ 4. Viertens) nicht darin vorkommt. $9. Wollte man etwa Tafeln zur Erleichterung des Rechnens nach der Formel (67) aufstellen, so müfsten es deren drei sein. Wenn man nemlich die Formel (67) wie folgt schreibt: (83) age 2 nA Kae ) - [05 ; Byıu, ER: 2] log (-+nw,)— log (I--nw, ) bz, 1. O4--mp, über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 19 und nA(w,—w.,) BE KR, 10 2 log ® EROR: h Jılky =.K, A log (+ nw,)—log (i+nw,) 1 % h. er ü log ((ı +mu,) — log(ı+ma,)=M, KB=A, wd AÄM=h, setzt, so ist (5) A=h,—h,= KB—KM und logh, = log K-+logB, log A, = log K+logM. Wenn man also drei Tafeln für die Werthe von log K, log B und log M hat, so finden sich A, und Ah, durch zwei blofse Additionen und durch Aufsuchung der zu den Summen der Logaritlhmen gehörigen Zahlen, und dann A selbst durch eine Subtraction; also sehr leicht. z 10 10 Die Tafeln für log X und log A] mülsten etwa von w, und u, = +50 bis w, und u, =— ı0 und von w, und , = +30 bis w, und 1, = — 30, von 10 Grad zu Grad und die Tafel für log B mülste von B, „ = 2,50 bis 1,00 Fufs — 2 und von b,, ebenfalls von 2,50 bis 1,00 Fufs, etwa von Hundertel zu Hun- 1, dertel Fufs berechnet werden; mit Angabe der Unterschiede der auf ein- ander folgenden Zahlen. Alle drei wären Tafeln mit doppelten Eingängen. Die Berechnung dieser Tafeln, wie gewöhnlich durch erste, zweite u. s.w. Differenzen, würde nicht eben schwierig sein. Für die sonst gewöhnliche Formel (12) sind ähnliche drei Tafeln nöthig. $ 10. Es möge nun noch zum Schlusse eines bei der Theorie der Höhen- messung mit dem Barometer sich ergebenden Falles gedacht werden, wo die Rechnung auf eine eigenthümliche Weise durch ihr Ergebnifs bemerklich macht, dafs die Aufgabe, so wie man es verlangt und erwartet, nicht lös- bar ist. Häufig macht sie Dies in dergleichen Fällen bekanntlich dadurch sichtbar, dafs sie auf unmögliche Ausdrücke z.B. auf Ausdrücke mit Y—ı führt. Hier geschieht es auf eine andere Weise. Der Fall ist folgender. C2 20 Creute: Einige Bemerkungen Nach der gewöhnlichen Theorie ist = z—_y—=.- ze BAR un Pape 9 (6) A=2-y= *[ı+4n(w,+w,)] 1 [1° en ] (12), woraus, wenn man A=z, also y= 0 setzt, (7) z= < [+ 4n (wo + w,)] ] [108 240 — 108 =] folgt. Um w, für diesen Ausdruck zu finden, setzt man 8) m=n+i ln, wo für k eine bestimmte Höhe, z.B. nach (26) von 496,5 F. angenom- men wird. Wenn man nun aber gleichzeitig mit der Beobachtung in der Höhe z auch in der Höhe y über dem Meere, nächst dem Barometerstande, die Wärme w, der Luft beobachtet hätte, so wäre es sehr natürlich, für % nicht einen ein für allemal bestimmten Werth, sondern diejenige Höhe zu setzen, auf welche in der Höhe s—y = h die Wärme der Luft wirklich um einen h > und folg- Grad abgenommen hat, also k nicht 496,5 F., sondern k = lich in (88) (89) m=mM+tZ —_ (w,—W) =w, + m, — Wr) zu setzen. Dies giebt in (87) A nz 2 z, (0) z=- |: +nW (0) | [108 bu — log en l also auch, da (aus (86), y= 0 und s=y gesetzt) b I (91) y= Zlı+4n(wore, )] 1 [°s bo — log ] O4--mu ist, vermöge (89): 9) y=]ı+ne+22@-«)] [os bog "h Man setze der Kürze wegen a by, My 10 (3). logd,, = u ioE Safe ° 2 z itmi, 1m — 5 und log über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. > und schreibe die drei Formeln (90, 92 und 86) wie folgt: er —hn > +2] (u—b) n(w,—w,) nÄ(w —_w, 2h nw, 4) 1 yet Her] w—R) n(w,—w,) we —_ rd(e,—e. _w, .): 2h A-+-nw, ) En ) Te er E-, a) ee a E- b), so hat man, wenn ferner der Kürze wegen =E (95) nA(w,—w,) un), 2h(i+-nw,) nd eh (iH-nw,) EI n(w,—®,) n(w,—».) gesetzt wird, folgende drei Ausdrücke: (6) z=Dfl(e+z)(u—b), (7) y=D(e+y)(u—£) und (8) 2A=Dle+:) (B—-b). Für (96 und 97) wird vorausgesetzt, dafs die Barometerhöhe u—b, am Meere gemessen sei. Allein da D, e und e (95) vollständig bekannt sind, indem auch das darin vorkommende A aus (98), unabhängig von d,.0 = u, aus (98) gefunden werden kann, so scheint es, dafs es nicht nöthig sei, die Barometerhöhe 5,5 = u am Meere zu messen, sondern dafs sund y durch Wegschaffung von u aus (96 und 97) mit Hülfe von (98) unmittel- bar gefunden werden können; was ganz wichtig wäre, indem man dann nur die gleichzeitige Beobachtung in zwei über einander liegenden Puncten nö- thig hätte, um daraus unmittelbar die Höhe dieser beiden Puncte auch über dem Meere zu finden. Allein es verhält sich anders. Nimmt man nemlich den Werth von u aus (96 und 97) und setzt den einen dem andern gleich, so erhält man —-ß+-— I — oder DE De+,) (99) Dee+2) (<+y) (®—b) = z(e+y) —y(e+2) = 2 —ey, 2h und da aus (98) D(£—b) = ist: +: 39 CreEuLuE: Einige Bemerkungen (100) 2h(e+2)(e+Y) = (e+e) (ez— ey). Nun ity=z—h, also ez—ey = 22— (s—h)e= z(e—e)-+ he und weil aus (95) EEE PP ae UF, n(w,—o®,) ist, ez—ey=thz+he. Also giebt (100): eh(e+2) (e+3—h) = (e+e) (?hz+he) oder 2ee +2e3 — 2eh + 222 + 22° — ahz = 2ez + e?+ 222 -+ ee oder 22’ — ohz=e—ee+2eh=el:h— (e—e)], und da e—e= 2A ist (101): 22(2—h) = 0, also (097 72 TR undz Ähnlicherweise findet sich, wenn man in (100) A +y statt z setzt: 108) y=oundy=-—A. Es soll also entweder z=Ah und y=o, oder z=eoundy=—h sein. Beides ist scheinbar falsch. Gleichwohl ist Das, was die Rechnung giebt, ganz richtig, und der scheinbare Widerspruch erklärt sich folgen- dermalsen. Es ist nemlich offenbar unmöglich, aus (96) z zu finden, ohne den Barometerstand u — b,,, am Meere gemessen zu haben. Eben so unmög- lich ist es, y ohne Das aus (97) zu finden. Man verlangt also von der Rech- nung das Unmögliche. Sie deutet Dies dadurch an, dafs sie für z und y nur diejenigen, durch den dritten Ausdruck (98) für z—y=h beding- ten Werthe gieht, für welche z und y aus (96 und 97) wirklich gefunden werden können. Dies sind eben die obigen (102 und 103). Denn zunächst thut z= 0 der Gleichung (96) ohne Weiteres Genüge, weil fürz=0, nach (93), d=u ist. Für s= A giebt die Gleichung (96) = D(e+h) (B—b), weil für s= A, y oder z—h gleich Null, also nach (93) ß@=u ist. Nun BEER ee) De ); und da n(w,—w,) n(w,—w,) ist aus (Bd) e+h= ER; (95), so ist e+h = +(e+e), und folglich giebt n(w,— w», ) ere.=:h. über die Theorie des Höhenmessens mit dem Barometer. 23 (96) fürz=h, h= 1D(e+:)(@—b) oder (104) 2h=D(e+e) (ß—b); was Dasselbe ist, wie (98). Ähnliches geben die Werthe vo und —h von y (105). Also sind die Ergebnisse der Rechnung allerdings richtig, und sie konnte nur Das, was man erwartete, deshalb nicht geben, weil man Etwas verlangte, was nicht gefunden werden kann. Auch die neue Formel (67) führt auf einen ähnlichen Fall. —IIRTI— 2 ER r ji . R & Ani N oT N 6 MN in Sr wi Pr aa ur 1} fi 1 % t ’ 1 Fe # EUR oh “ PN H Per i r RR er, rn Ba. | zul | an E en ol. BE ‚Ayo I ’ Bu RR, BE u ARE Re en Rt Lu ee, Aa al, DSL Krsien. ang. un! 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Es liegt mir deshalb die Pflicht ob die Resultate der früheren Erscheinungen von neuem zusammenzufassen und den Lauf im kommenden Jahre anzugeben. Die letzte Abhandlung behandelte die Wiederkehr im Jahre 1842. Als der Comet im August 1845 zur Sonnennähe zurückkehrte, konnte er nur in den frühen Morgenstunden in der Mitte des Juli von den Europäi- schen Sternwarten gesehen werden. Alle Bemühungen die wir hier in Ber- lin anwandten, scheiterten indessen an der hellen Dämmerung von 3 Uhr Morgens. Es hatte ein Interesse den Cometen zu finden, da seit 1819, wo zuerst die Periodicität bemerkt ward, bis dahin noch keine Wiederkehr un- beachtet vorüber gegangen war. In Europa nämlich ward der Comet 1819, 1825, 1828, 1835, 1838, 1842 beobachtet, in Neuholland 1822, und in Buenos-Ayres und dem Vorgebirge der guten Hoffnung 1832. Um so an- genehmer war die Nachricht, dafs, was unserer nördlicheren Sternwarte ver- sagt war, dem reineren Italienischen Himmel und den eifrigen Nachforschun- gen des Hrn. de Vico in Rom gelang. Er sah den Cometen am 9. und 14. Juli (Astr. Nachr. 544) und wenn selbst dort die anwachsende Dämmerung am 9. Juli nur eine Beobachtung erlaubte, so dafs man vielleicht über die Genauigkeit einen Zweifel sich vorbehalten konnte, so ward dieser gehoben durch die später erfolgte Nachricht dafs Sears Walker in Philadelphia we- nigstens an einem Tage, Juli 4, und Prof. Coffin ebenfalls an einem Tage, Juli 10, in Washington den Cometen gesehen hatten. Die Mittheilung der Math. Kl. 1851. D 26 EnckE Original -Beobachtungen gestattete, einen kleinen Irrthum in der Reduktion der Washingtoner Beobachtung zu berichtigen, und wenn man dann die vier Beobachtungen, die an drei so weit von einander entlegenen Orten an- gestellt waren, auf die gewohnte Weise so angiebt, dafs sie von den kleinen Correctionen, die dem Orte angehören, der Parallaxe und der nicht mo- mentanen Fortpflanzung des Lichtes der Aberration befreit werden, end- lich auch auf die festen mittleren Ebenen von 1845 Aug. 9,6 sie zurückführt, so erhält man: 1845 Redneirte Mittl. Beil. Zt. Beob.AR.£ Beob.Rechn.£ hi: 35 " oO. ” oe ” Juli 4 20 41 32,6 75 29 544 -+29 26 55,1 Philad. 9 1454396 8245 42,4 29 41 26,5 Rom 10 2117520 84 48 36,5 29 41 25,2 Washingt. 14° 14 51 13,3 / 791. 841,7, :..,29/28,.2,1, Rom und die Fehler der voraus berechneten Ephemeride werden Rechn. -Beob. AAR. ADecl. Juli4 —372 — 23.2 9 480 +12,7 10 —39,6 + 14 14 —312 + 82 oder bei der besonders guten Übereinstimmung in AR. und der wenigstens bei dreien eben so guten in Declination wird man im Mittel etwa — 36.0 und +72 annehmen können. Es ergiebt sich daraus der Normal-Ort: 1845 Juli 10,6 Mittl. Berl. Zt, o ’ 7 Decl. 84 20 21,2 AR. =-+29 al a Mittl. Aegq. Aus. 9,6 so dafs die Reihe der beobachteten Erscheinungen seit 1819 keine Lücke mehr zeigt. Die gute Übereinstimmung bei der Wiederkehr 1845, der Fehler be- trug wenig über eine halbe Minute, die vollkommene im Jahre 1842, wie in der fünften Abhandlung nachgewiesen ist, liefs wohl hoffen, dafs dieselben Elemente welche bis 1838 bestimmt waren und 1842 und 1845 so nahe har- monirten, auch 1848 sich den Beobachtnngen anschliefsen würden. Diese Erscheinung 1848 war wieder eine von denen, die alle 10 Jahre wiederkeh- über den Cometen von Pons. Dar rend, den Cometen am Ende oder am Anfange eines Jahres zur Sonne zu- rückführen, und nach der relativen Lage der Cometen- und Erdbahn dann für alle Europäischen Sternwarten eine längere Reihe von sicheren Beob- achtungen erlauben. Hrn. d’Arrest, damals noch in Berlin, verdankte ich die genaue Berechnung der Störungen von 1845 — 1848, und die Wiederkehr gewann ein erhöhteres Interesse, weil einmal sich bei ihr die Wirkungen der Störungen des Merkur zeigen mufsten, der im Jahre 1835 dem Cometen bis auf 0,12 nahe gekommen war, und für welchen Planeten der Versuch gemacht war, die Masse aus den Störungen, die im Jahre 1838 bemerkt worden wa- ren, zu bestimmen. Dann aber auch, weil nach den angebrachten Störungen sich ergab, dafs 1848 am 22. Nov. der Comet dem Merkur noch viel näher kam, bis auf 0,033 etwa, welches, obgleich es noch etwa die ı5fache Entfer- nung des Mondes von der Erde ist, doch bei Himmelskörpern, die verschie- dene Ellipsen um die Sonne beschreiben, eine ganz ungemein beträchtliche Annäherung ist. Der Comet welcher unter allen der Erde am nächsten ge- kommen ist, der paradoxe nicht wieder erschienene Comet von 1770, den wahrscheinlich das System der Jupiterstrabanten aus seiner Bahn von kurzer Umlaufszeit gelenkt hat, blieb 6mal so weit als der Mond von der Erde ent- fernt. Zur Auffindung des Cometen von Pons war Alles vorbereitet wor- den und Hr. d’Arrest hatte ebenfalls eine sehr genaue Ephemeride voraus berechnet. Dafs sie nicht so gut wie der voraus berechnete Lauf im Jahre 1842 und 1845 stimmen werde, liefs sich aus der Lage beider Bahnen, des Cometen und der Erde, erkennen und bei der neu eingeführten Merkurs- masse waren beträchtliche Abweichungen zu erwarten. Bei der Auffindung des Cometen hier in Berlin am 4. Sept. 1848 zeigte sich in der That sogleich ein Unterschied von 2% Minuten in Theilen des gröfsten Kreises, der nachher in der AR. am 7. Oktober auf 5 Minuten stieg. Es trat dann eine längere Periode ein, in welcher keine Beobachtung angestellt werden konnte. Am 23. Okt. war der Fehler noch von derselben Gröfse, aber hatte darin einen ungewöhnlichen Gang angenommen, dafs wäh- rend er vorher fast allein in der AR. statt fand, er von jetzt an fast allein in der Declination sich zeigte. Er nahm nun fortwährend ab, so dafs am Schlusse der Beobachtungen, Noy. 20, er noch 2 Minuten betrug. Dieser ungewöhnliche Gang wurde noch dadurch mehr hervorgehoben, dafs die Fehler in der AR. bei sehr grofsen Declinationen eintraten von fast 53°, so D2 28 Encke dafs die unmittelbare Vergleichung mit den Beobachtungen Differenzen von 8’ ergaben. Wahrscheinlich hat dieser starke Gang dazu beigetragen, dafs der Comet bei seiner diesjährigen Erscheinung verhältnifsmäfsig auf wenigen der gröfseren Sternwarten beobachtet worden ist. Denn da die Ephemeride zwar zur Auffindung vollkommen hinreichte, aber die vorläufige Auswahl zweckmäfsig gelegener Vergleichungssterne erschwerte oder nicht so erleich- terte, wie es sonst der Fall war, da aufserdem das ungewöhnliche Ab- und Zunehmen der Fehler den Glauben an die Richtigkeit der Ephemeride etwas wankend machen mufste, so wurden wahrscheinlich hin und wieder einige Astronomen abgeschreckt, ihre Zeit auf die Beobachtung dieses Himmels- körpers zu verwenden. Eine nähere Betrachtung konnte freilich auch ohne Rechnung, fast durch geometrische Construction, diese etwas räthselhaften Sprünge erklä- ren. Hr. Claussen in Dorpat bemerkte nämlich mit dem ihm eigenthüm- lichen Scharfsinn (Astr. Nachr. 675), dafs in den Tagen der gröfseren Feh- ler in AR., die Gesichtslinie von der Erde aus fast senkrecht auf der Tan- gente an der Cometenbahn war, und dafs folglich eine nicht richtig ange- nommene Zeit, wann der Comet in der Sonnennähe sich befände, einen Einflufs ausübe, der in seiner vollen Gröfse sichtbar werde. Umgekehrt, fügt er hinzu, lasse sich aus der Gröfse der Fehler, verbunden mit diesem Umstande, die Zeit der Sonnennähe sehr scharf bestimmen, und er berech- net aus seinen Beobachtungen, dafs wenn die Zeit der Sonnennähe um 0,03421 oder um etwas mehr als drei Viertelstunden früher angenommen würde, als die Ephemeride es voraussetzte, die Fehler sämmtlich sich bis auf kleine Gröfsen vermindern würden, trotz ihres ungewöhnlichen Ganges. Man kann den letzteren am deutlichsten übersehen, wenn man mit den später anzuführenden Berliner Beobachtungen die Ephemeride vergleicht. Es zeigen sich hier folgende Unterschiede: ara Fehler der voraus berechneten Ephemeride, aus den Vergleichungen mit den Berliner Beobachtungen. Rechnungs - Beobachtung. AAR. A: ° ’ " ” o 1848 Sept. 20 —3 42,2 — 21,6 +42 25 21 —3 40,7 — 25,2 43 2 23 418 —a7 44 16 über den Cometen von Pons. 39 AAR. As 3 1848 Sept. 27 5134 — 219 +46 56 29,.—5 447 u 69 48 12 Okt. 17 —5541 — 24 49 32 Teer 276 52 45 23 —2 37.4459 35 44 % — 465 +4119 27 59 OST er 3047,7 23 33 293 — 46 +3 403 21 18 30 0,0 +3 26,0 19 16 Nov. 9 + 159 +2 68 292 9 +27 +2 2l DT 10% +, 119 21 57,9: + 037 1 + 177 +149 — 04 ll + 1333 +1523 0 43 19 — 369 +1 46,8 10 18 20) — 532... 149,7. 11 24 Die Declination des Cometen ist hier angesetzt, um die Reduction auf den Bogen eines gröfsten Kreises möglich zu machen. Die von Hrn. Claussen vorgeschlagene Verbesserung bestätigt sich vollkommen, nicht blofs während der wenigen Tage seiner Beobachtungen, sondern für die ganze Zeit der Sichtbarkeit des Cometen. Wenn man an- nimmt, dafs der Comet seine Sonnennähe um 0,03233 Tag oder um 47,3 in Zeit früher erreicht hat, als die Ephemeride voraussetzt, so ändern sich die Feh- ler in folgender Weise: Lat. II; AAR. A® Sept.20 — 68 +25 Okt. 7 — 73 —85 36. —214 . —72 Nov. 11 —163 +1,39 Die Verschiebung der Zeit der Sonnennähe um diese drei Viertel- stunden liegt innerhalb der Grenzen, welche die Berechnung des Laufes dieses Himmelskörpers sich stecken mufs. Das als nothwendig anerkannte frühere Eintreffen des Cometen in seine Sonnennähe, ist zu mehr als diese Gröfse, nämlich zu einer und eine Drittelstunde bei einem einzelnen Um- laufe angenommen worden, und da es nach dem Quadrate die Anzahl der Umläufe wächst, deren es von 1819—1848 ..9.. giebt, so hat die Annahme eines widerstehenden Mittels, wenn man dieses als Ursache der verkürzten 30 EnckE Umlaufszeit ansehen will, bereits einen Einflufs von 108 Stunden erreicht, während es sich bei der letzten Erscheinung um noch keine volle Stunde handelte. Es kommt deshalb nur darauf an zu ermitteln, wie diese Abwei- chung so auf alle Durchgänge sich vertheilt, dafs die Beobachtungen darge- stellt werden. Um zuerst nur die sämmtlichen Beobachtungen vergleichen zu kön- nen und den Gang der Fehler an mehreren aufeinander folgenden Tagen miteinander in Verbindung zu setzen, war es nothwendig, eine neue Ephe- meride zu berechnen. Es wurden dazu vier der Berliner Beobachtungen von Sept. 20, Okt. 7, Okt. 26, Nov. 11, ganz so wie sie angegeben waren ausgewählt, und an sie, verbunden mit den früheren Erscheinungen seit 1829, eine Bahn angeschlossen, welche ebenfalls die früheren Durchgänge wenigstens leidlich darstellie. Da vielleicht noch andere Beobachtungen als die mir bis jetzt bekannt gewordenen sich finden mögen, deren Verglei- 8 chung wünschenswerth ist, so setze ich diese Ephemeride ausführlich her. Taf. III. Vorläufige Elemente und daraus folgende Ephemeride zur Vergleichung der Beobachtungen 1848. Epoche 1848 Nov. 26 155 Berl. Merid. Mittl. Anomal. M= 09 4806 Mittl. tägl. sider. Bew. u» = 1076,444739 Eccentricitätswinkel $ = 5758 40,91 Länge des Perihels # = 157 47 19,46 Aufsteig. Knoten R = 334 22 36,24 Neigung Zu a SZiss ‘ Lauf des Cometen 1848. 1848 | AR.£ | Dec. £ Log. Entf. v.d.ö Sept. 0 15 Berl. Merid. | 51°56 42 | +33°16 93 | 0.048816 ver, 52 30 40,4 33 33 4,2 | 0,040514 he 53 6 83 34 0 27,8 | 0,032086 8.51 „sus 53 42 31,6 34 23 21,5 | 0,023532 4 » » » 54 19 54,8 34 46 47,1 | 0,014848 075° De 54 58 22,5 35 10 45,9 | 0,006031 gabe a) 55 37 59,7 35 35 19,3 | 9,997079 Ga tele Sara 56 18 51,9 36 0 28,6 | 9,987987 Bene u on 57 1 Al 36 26 15,1 | 9,978754 ee ae | 57 44 42,8 36 52 40,3 | 9,969378 Sept. 10 Okt. DD DDyDIIDI DK KO HO bed bu du je je ud feld je SOT-IUWRrUDND MT SO TOT "IV RWDD ezıoJPun- 1848 15 Berl. Merid. » über den Cometen von Pons. » | AR. FE | De. E m 58°29 55/6 | + 37 19 46,2 | 9,959855 59 16 50,4 37 47 34,1 | 9,950182 60 5 35,5 38 16 5,5 | 9,940356 60 56 22,0 38 45 22,0 | 9,930376 61 49 16,7 39 15 24,9 | 9,920240 62 44 31,8 39 46 15,6 | 9,909944 63 42 21,9 40 17 54,2 | 9,899486 64 43 1,1 40 50 25,7 | 9,888867 65 46 44,0 41 23 47,6 | 9,378085 66 53 48,2 41 58 1,2 | 9,867140 68 4 33,4 42 33 7,3 | 9,856034 69 19 20,7 43 9 5,6 | 9,844767 70 38 34,4 43 45 55,3 | 9,833341 72 2 39,6 44 23 31,0 | 9,521762 73.320 776 45 1 49,5 | 9,810036 75 730,0 45 40 51,1 | 9,795170 76 49 26,2 46 20 26,6 | 9,786174 78 38 33,3 47 0 27,5 | 9,774062 80 35 36,3 47 40 42,9 | 9,761844 82 41 23,0 48 20 58,3 | 9,749543 841 56 44,4 49 054,8 | 9,737181 87 22 34,4 49 40 9,9 | 9,724788 89 59 48,2 50 18 14,1 | 9.712395 92 49 20,1 50 54 32,4 | 9,700043 95 52 1,9 51 28 22,6 | 9.687776 99 8 375 51 58 54,7 | 9,675648 102 39 37,3 52 25 10,5 | 9.663721 106 25 17,4 52 46 2,1 | 9,652066 110 25 20,3 53 0 17,2 | 9,640761 114 38 59,9 53 6 37,5 | 9,629897 119 4 51,3 53 3 43,4 | 9,619568 123 40 47,4 52 50 17,1 | 9,609881 128 24 233 52 25 9,7 | 9.600947 133 11 18,3 51 47 26,7 | 9,592880 137 58 59,8 50 56 33,1 | 9,585794 142 43 28,2 49 52 16,8 | 9,579800 147 21 20,4 48 34 51,8 | 9,575002 151 49 41,5 47 4 57,1 | 9,571490 156 6 14,2 45 23 34,5 | 9,569337 160 9 22,0 43 32 5,4 | 9.568593 163 58 9,5 41 32 3,5 | 9,569287 167 32 15,1 39 25 10,1 | 9,571424 170 51 46,8 37 13 8,9 | 9,574975 173 57 12,2 34 57 40,8 | 9,579894 176 49 12,5 32 40 21,6 | 9586116 179 28 39,8 30 22 35,6 | 9,593553 181 56 31,0 28 5 34,7 | 9,602106 31 39 EnckKeE Log. Entf. 1848 | AR. E | De. £ | 8, = h o ” DEE ” Okt. 27 15 Berl. Merid. | 184 13 42,4 | + 25 50 21,6 | 9,611672 28 » » » 186 21 10,0 23 37 48,5 | 9,622145 29 » » » 188 19 47,6 21 28 31,4 | 9,633414 30 » » » 190 10 28,4 19 22 55,3 | 9,645376 3l» » » 191 53 59,3 17 21 21,4 | 9,657934 1 Nov. 1» » » 193 31 6,1 15 24 1,7 | 9,671000 24, 05 » 195 2 28,1 13 30 58,0 | 9,684490 30) Dos » 196 28 44,5 11 42 9,1 | 9,698327 As» 41 » 197 50 31,1 57 29,9 | 9,712476 5 6 7 8 » » » 199 8 20,6 16 53,2 | 9,726849 9 8 » » » 200 22 44,4 6 40 7,0 | 9,741411 » » » 201 34 12,7 5b 6 58,8 | 9,756124 » » » 202 43 11,3 3 37 15,7 | 9,770956 9» » » 203 50 7,3 2 10 42,9 | 9,785876 10 » » » 204 55 26,4 | + 047 6,7 | 9,800862 11 » » » 205 59 34,9 | — 033 47,2 | 9,815892 12 » » » 207 2 56,7 1 52 13,6 | 9,830950 13 » » » 208 5 57,0 3 8 25,3 | 9,846019 14 » » » 209 9 09 4 22 36,4 | 9,861082 15 » » » 210 12 33,9 5 34 58,1 | 9,876123 16 » » » 21l 17 2,0 6 45 42,6 | 9,891123 17 » » » 212 22 49,5 7 54 59,4 | 9,906060 18 » » » 213 30 24,8 9 255,5 | 9,920906 19 » » » 214 40 9,8 10 9 38,5 | 9,935633 20 » » » 215 52 29,8 11 15 11,8 | 9,950200 21 » » » 217 7 46,7 12 19 35,6 | 9,964566 22 » » » 218 26 16,8 13 22 48,0 , 9,978681 23 » » » 219 48 9,5 14 24 44,5 | 9,992493 24 » » » 221 13 30,6 15 25 15,7 | 0,005948 25 » » » 222 42 22,2 16 24 11,2 | 0,018993 26 » » » 224 14 36,3 17 21 18,6 | 0,031588 27 » » » | 225 49 35,2 | 18 16 23,4 | 0,043691 Die folgenden Beobachtungen in Berlin vom 4. Sept. —20. Nov. an 21 Tagen, welche in den Beobachtungen der Berliner Sternwarte nebst der Bestimmung der Vergleichungssterne mitgetheilt sind, und daraus entnom- men; in den Vereinigten Staaten zu Cambridge vom 5. Sept.—25. Nov. an 9 Tagen (Monthly Notices Astr. Soc. IX. 106); in Bonn vom 20. Sept.— 23. Okt. an 10 Tagen (Astr. Nachr. N. 660); in Genf vom 22. Sept. —20. Nov. an 12 Tagen (Astr. Nachr. N. 671); in Kremsmünster vom 20. Sept.— 6. Nov. an 19 Tagen (nach handschriftlicher Mittheilung); in Königsberg vom 24. Sept.—21. Okt. an 5 Tagen (Astr. Nachr. N.694); in Dorpat an über den Cometen von Pons. 33 5 Tagen des Septembers (Astr. Nachr. N.675); in Kazan an 3. des Oktobers und Novembers (Astr. Nachr. N.677); in Liverpool an 5 Tagen des Okto- bers (Monthly Notices Astr. Soc. IX. 28); in Washington an 6 Tagen vom 1. Sept.— 27. Okt. (Gould. Astron. Journ. N. 15); in Hamburg an 6 Tagen vom 23. Sept. —7. Okt. (Astr. Nachr. N.650); in London von Hind 3mal im September und Oktober (Astr. Nachr. N. 648 und 659), und in Copen- hagen an einem Tage des Oktobers (Astr. Nachr. N. 683), zusammen 110 Beobachtungen, sind die einzigen mir bekannt gewordenen. Sie sind hier in ähnlicher Weise wie früher so von den einzelnen kleinen Verbesserungen befreit, dafs sie unmittelbar mit der für das mittlere Aequinoctium von 1848 Nov. 26 oben angegebenen Ephemeride verglichen werden können, um die Unterschiede der Rechnung und Beobachtung zu finden. Diese sind sogleich hinzugefügt. Bar IV: Rechn.-Beob. 4s48 |Mittl.Berl.Zt.! Beob. Ort. | Beob. AR. | Beob.Decl. | AAR, !A Dell. b.Decl._ | AAR. lADecı| Sept. ı |21'30 20,5| Washington | 52°30 36,3 |+ 3344 Br, + 35,7) —154 3!15 52 43,9| London 53 43 32,2 31 24 39,7|+ 20,5 | — 27,3 4 |10 59 28,0 Berlin 54 12 445 34 42 43,3 | + 51,2| + 5,0 | geschätzt »/14 34 9,1| London 54 18 29,3 341 46 3,1| + 44,71 — 15 5/1ı 0 83| Berlin 54 41 48,4 35 6 0,1|-+ 5,0| -+43,8 | geschätzt »|21 25 39,3) CambridgeV.St.| 55 9 13,2 | 35 17 24,1] — 19,6| — 6,0 6/19 0 56,0| Washington 55 44 34,1 35 40 18,91 -+- 10,5 | — 49,6 71844 7,7| Washington |56 25 18,8 | 36.4 SR 1,8| —ı12,4 20 | 8 51 39,0| Bonn 6747 3,1 42 23 53,2) — 57,8| +10,4 » | 9 16 37,3 Berlin 67 47 29,2 Aa AT 19326 » ‚10 58 13,2 | Kreinsmünster | 67 52 48,1 42 26 50,0 | — 23,7 | -+20,7 21 | 9 36 41,5) Bonn 69 244,1 43 0.87| — 332| +48,3 » |10 15 6,8 | Dorpat 69T AT I A327 Tal—: A0, 1 —13,0 » !10 17 50,9! Berlin log aıs7 | a3 2 01!r 2351-15! » |11 25 36,5 | Kremsmünster | 69 8 15,2 43 4 46| — 188| — 23,7 22| 8 55 51,0| Bonn 70 19 11,0 43 36 30.9| — 6552| + 11 » !11 47 18,5 | Genf 70 28 50,5 43 41 12,6) — 685| — 15,8 » |12 2 54,3| Kremsmünster | 70 29 10,4 43 41 05| — 35,7| + 0,5 23 859 20,2) Hamburg 71 39 19,3 44 13 54,1| +107,7| + 7,8 » ‚10 18 23,1 | Kremsmünster | 71 46 45,0 44 16 36,9 | — 56,4 | — 30,4 » |10 27 39,5 | Berlin 71 46 17,0 44 16 235|+ 46| — 25 24| 9 2 47,9) Hamburg 73 9483| 4452 50,1|— 23,6| —34,7 » |10 58 9,2| Königsberg 7317 99 44 55 47,3| — 27,7| — 26,7 25 |11 16 57,7 | Kremsmünster | 74 53 38,2 45 34 28,2| — 78,9 | +18,0 » |17 23 0,7| Washington 75 17 59,0 45 44 46,4 | — 39,8| — 08 26 | 9 44 54,8 | Bonn 76 26 53,4 46 11 42,9| — 219) + 14 76 » |10 27 57,0 | Königsberg 30 102| 4613 82|— 31,3| —ı13,6| Math. Kl. 1851. E 34 1848 Sept. 26 Okt. |Mittl.Berl.Zt. 16 9 12 11 14 18 14 h 13 ge U 59 23 38,5 30,8 45,7 3,1 29,3 25,8 14,8 42,9 49,1 29,7 22,5 6,0 0,4 23,6 6,4 7,8 33,0 49,5 21,9 52,4 40,7 12,0 59,9 51,9 18,6 43,2 16,3 35,0 30,6 94 57,0 18,7 35,8 12,2 16,5 16,6 16,6 34,0 57,2 42,1 25,6 34,7 Beob. Ort Dorpat ‚ CambridgeV.St. Dorpat Berlin Dorpat » Berlin Bonn Kremsmünster Dorpat Berlin Hamburg Kremsmünster London | Genf 3,9, Bonn Genf Königsberg Genf » Kremsmünster Hamburg Washington Hamburg Kremsmünster » Bonn Hamburg Berlin CambridgeV.St. Liverpool Kremsmünster Kazan Kremsmünster Liverpool Kremsmünster Königsberg » Bonn » Liverpool Kremsmünster Berlin Bonn ‚Liverpool 54 3,4| Kremsmünster 18 34 44,5 | Liverpool Encke Beob. AR. 101 102 102 105 105 106 111 119 141 146 150 156 158 163 166 170 170 171 172 172 173 174 179 12 43 59 8 19 51 54 10 39 18 9 15 23 44 46 35 19 44 44 15 Sl 55 5l 22 28 1 406 19,4 27,5 33,6 11,5 55,6 46,0 0,6 > 14,2 7,8 50,0 48,6 34,0 52,0 8,9 27,5 40,3 12,5 25,5 72 37,4 1,3 58,0 49,2 0,8 29,9 19,4 33,3 23,6 7,5 36,9 31,5 38,1 22,6 33,5 1,8 30,2 23,7 36,6 40,0 6,8 12,8 49,1 48,2 50,9 22,4 179 52 11,1 Beob. Deecl. 51,5 44,8 | Beob.-Rechn. AAR. Adel ar - A 2,6 53 113 opel, 199, — 146 ala — 78|+ 33 54. er +122)— 06 er 23 Er OR —225|— 118 ee EISISIE 29103 —29,4| — 37,6 65 2193 — 605 48 ot = —30,8| — 105 7a eo 8% —24,8|-+ 54,5 -F8.0|.-+ 5,2 —35,1|-+ 24,9 2358 — 21,4 16:0. =-.05.2 le 7’ — ee nn +40,4| — 35,0 » » » 106 25 17,4 + 52 46 11,7 » 26 15 » » » 181 56 41,4 +28 5 37,3 Nov. 1115 » » .» 20559453 — 033 50,1 welche, wenn sie dargestellt werden, sicher den wahren Lauf des Cometen mit hinlänglicher Genauigkeit repräsentiren werden. Es wird nun darauf ankoınmen, diese Positionen nach Anbringung der Störungen wo möglich durch ein einziges Elementensystem zu vereini- gen mit den früheren. In der vierten Abhandlung sind die Störungen bis 1838 zusammengestellt, in der fünften die von 1838 bis 1842. Ich wieder- hole indessen hier die letzteren noch einmal und füge die Störungen bis 1845 und 1848 in derselben Form wie die früheren hinzu. Die ersteren sind von Hrn. Spoerer, wie ich schon in der fünften Abhandlung bemerkt habe, mit grofser Sorgfalt berechnet. Die letzten ebenso von Hrn. d’Ar- rest. Die Massen sind dieselben geblieben, deren Werthe ich hier zum Überflusse noch voransetze: über den Cometen von Pons. te} = 1/4865751 d = 1/ 2680397 Q = 1/ 101839 2. = 1/1ın,s71 &u (= 1/3519 H = 1/301,6 U = 1/8315 Störungswerthe der Elemente des Cometen von Pons 1829 Jan. 9,72 M. Par. Zt.— 1842 Apr. 12,0 M. Par. Zt. 4840,28 Tage. RG FEAR AR Au | AM 3 + 0002|— 037I— 0175[— 1,408| +0,035527| + 86,442 Q 2 0,785 | — 27,649| — 9,779| — 0,471| — 0,025870 | + 54,526 ö nz 0,182) — 42,965 | — 10915 | — 0,571 | +0,019455 | + 374,584 d — 0,186 | — 1,653 | — 0,0852 | + 0,909 | +0,009584 | 16,386 21 —_ 8163|) — 15,659| + 44,105 | + 90,572 | +0,303014 | + 4198,331 un) —_— 7,015 | — 7,341!+ 4,847 | — 10,244 | —0,018175 | — 85,070 U Te a en — 14,186 +0,399377 | + 966,848 —_ LER — 9,644) + 28,001! + 64,001, —+0,752912 | + 5612,047 Praec. Praee | + 6,190 +11’ 13,657 | +11’ 5,469 “ L [7 4‘ +“ ° ‘ [2 AOMIEE GERT 8205 | + 9 38.013 —+1133,470 | + 1 4,001 | +0,752912 +1 33 32,047 Störungswerthe 1829 Jan. 9,7 2—1845 Aug. 9,6 M. Par. Zt. 6055,88 Tage. ER; AR Nee ER A AM s |+ ooo|— 082|—- 0117)— 1285| +0,030247 | + 127219 oO |+ 06291 — 26,8758| — 9204|+ 1,73| —0,094220| — 11,858 & |+ 1066) — 47,811) — 16577) — 2,440| 40,156745| + 556,058 d |- 0223| — 1718)— 0,002) 0,011) +0,007714| + 25,859 2. |— 790,366 | — 1356,376 | + 775,524 | -+1098,349 | +4,840781 | — 1018,649 nn) nz 0489| — 8825| + 6814| + van | an 103,618 U er | — 17,764 | +0,500648 -+ 1512,823 — 788,395 | — 1441,840 | + 755,438 | +1087,806 | +5,452697 | + 1087,852 NT 7,745 |-+ 842,845 | + 832,603 | | Summe| — 13' 07650 | — 9 58/995 Störungswerthe 1829 Jan. 9,72—1848 Nov. 26,125 M. Par. Zt. +26 28/041] +18 7,806 | -+5,452697 | + 187,852 7260,405 Tage. BAER SA u Ak AM „ |- oma7|—- 0380| 1935| 5,096 | -+0.137057|-+ 168,170 oO |+ 1192| —- 34491|— ı16518|—- 2,752|-+0,059590| + 47,226 Suelt-, 0171 52,955 — 12205|— 4395| -+0,184756 | + 750,224 in. 0,193 | _ 1,743|+ 0037|+ 0017| -+0,010711|-+ 37,035 h 1- 725,425| — 1347265 | + 759,441 | +1259,512 | -+5,595160 | -+ 5485,763 2 |—- 3439| — 13972|+ 23517|+ 14,277|-+0,021218| — 208,049 TUE ERS N |— 21,408 | +0,604213 | + 2179,047 — 727,921) — 1450,656 +12 36,207 | +-1240,155 | +6,612805 | + 8459,416 Praec.|+ 9,279 | + 1010,571 |-#16 38,215 Summe, — 11 58,642 | — 7’ 20,085 |+29 14,422 |-+20 40,155 | -+6,612805 |+-2°20'59,416 3 2 38 Encke Es folgt jetzt das Verzeichnifs der Normalörter, welche für 1842, 4845 und 1848 angenommen worden sind, nebst den dazu gehörigen Son- nenörtern, womit das Verzeichnifs in der vierten Abhandlung, welches die Normalörter bis 1838 enthält, vervollständigt wird. Es schien mir von gro- {sem Interesse zu sein, da ich am Schlusse der vierten Abhandlung zwei Sy- steme von Elementen aufgestellt hatte, von denen das Eine die Beobachteten Normalörter sämmtlich, das Andere nur diejenigen unter ihnen, welche vor der Zeit des Perihels einer Erscheinung fallen, darstellte, bei einer und der- selben Erscheinung beobachtete Örter vor und nach dem Durchzange durch das Perihel benutzen zu können. Ich habe deshalb aus den Beobachtungen am Vorgebirge der guten Hoffnung im Jahre 1842 einen Normal-Ort gebil- det, der wenn er auch nicht mit der Genauigkeit, welche die grofsen Re- fractoren der europäischen Sternwarten gewähren, erhalten werden konnte, doch bei der Sorgfalt, die Hr. Maclear und Hr. Mann auf die Bestimmun- gen verwendeten, am ersten dazu geeignet sein würde, die Frage, ob zwi- schen den Beobachtungen vor und nach dem Perihele ein Unterschied zu machen ist, zu entscheiden. Die Werthe der Fehler, welche ich zufolge der in der fünften Ab- handlung gegebenen Vergleichung der Europäischen Beobachtungen an die berechneten Örter für 1842 anbringen zu müssen glaubte, sind h ” ” März 8 8 AAR. +40 ADecl. +15 DEREN) » —+ 2,7 » — 1,0 Apr. 028 » —+ 5,5 » + 1,2 Nach einer neuen Reduction der Cap-Beobachtungen von H. Goeze entschied ich mich für h = 7 Mai 1816 AAR. +08 ADecl. — 38,0 welche sämmtlich mit umgekehrtem Zeichen an die vorausberechneten Ephe- meridenörter für 1842, wie sie die fünfte Abhandlung giebt, anzubringen sind. Man erhält auf diese Weise und mit Zuziehung der oben gegebenen Zahlen für 1845 und 1848 folgende Zusammenstellung: über den Cometen von Pons. 39 Normal-Örter des Cometen von Pons nebst den zugehörigen Sonnen-Örtern. 1842. log. Entfern, Mitt. Zt. | AR.F | Dec. £ | Länge © |Beeite © Ov.as März 8 8' Berl. Mer.) ı1°35 57.8 | + 12°30 18'6 | 347°50 39.0 | + 0,54 | 9,9971319 » 2 » » » [22 3524|+15 45 183| 146 233| + 0,30 | 9,9988118 Apr. 7» » »|354 237|+1643 93| 1733 3,6| + 0,83 | 0,0008329 Mai 18 16 » » | 551 9,0| — 19 37 41,4| 57 41 28,7 | — 0,13 | 0,0052854 bezogen auf das mittlere Aeq. von 1842 Apr. 12 e = 23° 27 35/48 1845. Jul. 10,6 Berl. Mer.| 84 20 21,2| + 29 41 32,8] 108 32 52,4] — 0,25 | 0,0071612 bezogen auf das mittlere Aeq. von 1845 Aug. 9,6 e = 23° 27 33/96 1848. Spt. 20 15% Berl. Mer.| 65 4 33,3 | +42 33 8,6!178 12 13,7 | — 0,70 | 0,0014180 Oct. 7» » » 1106 25 17,4 | + 52 46 11,7|194 55 54,7 | + 0,08 | 9,9992948 » 26» » » [18156 41,4 +28 5 37,3 | 213 48 57,6\ + 0,25 | 9,9970056 Nov.» » » 1205 59 45,3, — 033 15,1|229 52 5,9) — 0,61 | 9,9952606 bezogen auf das mittlere Aeq. von 1848 Nov. 26,125 e = 23° 27’ 32’45 Im Ganzen hat man auf diese Weise 35 Örter, die von 1818 Dec. 22 bis 1848 Nov. 11 fast dreifsig Jahre umfassen, oder 70 Gleichungen sind durch 8 unbekannte Gröfsen, die 6 Elemente, die Merkursmasse und die Constante des Widerstandes darzustellen. Schon bei der Bildung der neuen Elemente, welche abgeleitet wer- den mufsten, um die Erscheinung von 1848 untersuchen zu können, hatte ich die früheren Erscheinungen mit benutzt. Es gewährte dieses eine schätz- bare Prüfung, durch welche ich geleitet werden konnte, um das was sich etwa aus dem Ganzen ergeben möchte, mit einiger Regelmäfsigkeit zu er- forschen. Zuerst möge nur bemerkt werden, dafs die am Schlusse der vierten Abhandlung versuchte Trennung der Beobachtungen vor dem Perihele von denen nach dem Perihele sich nicht als erfolgreich erwiesen hat. Wenn man das dortige System II, in welchem alle Örter ohne Ausnahme benutzt sind und welches die Erscheinungen von 1818—1838, wenn auch nicht ganz be- friedigend darstellt, auf die Beobachtungen von 1848 anwendet, und ebenso das System III, wo die Beobachtungen nach dem Perihele ausgeschlossen h 40 Encke sind, so findet sich, dafs die Beobachtungen von 1842 und 1845 nicht sehr verschieden in beiden dargestellt werden; dagegen sind die Fehler bei 1848 AAR. cos® A Decl. Syst. II Syst. II Syst. I Syst. III Sept. 20 — 983 —1586 — 102 — 24 Och‘ 70 1644. — 282,4 F/AZAIr 70,8 » BO 8A 2 — A050 7 146400495209 Nov. 1 + 22 + 108 + 603 + 114,7 Das aus dem Complexus aller Örter abgeleitete Elementensystem nä- hert sich also sehr bedeutend mehr der Beobachtung als dasjenige, wo einige ausgeschlossen sind. Hierin lag der Grund, warum ich zuerst versuchte, alle 35 Örter ohne Unterschied jetzt zu vereinigen. Man erhält dafür: Elemente (4) bei Benutzung sämmtlicher 70 Gleichungen. Ep. 1829 Jan. 9,72 M. Par. Zt. M = 359 59 21,930 # = 1069,851933 d = 5738 8,67 a = 157 18 25,75 R = 334 29 50,98 i = 13% 40,91 5 = 1/3272 U = 1/84,59%2 \ M. Aeg. Jan. 9,72 Zu diesen Elementen (A) gehört die folgende Tabelle der Unter- schiede von den Normalörtern. la AR.cos® M. Par. Zt. 1818 Dec. 22,35 | ++ 14,59 1819 Jan. 1,25 » 1225 1822 Juni 2,85 » 12,85 » 22,85 1825 Aug. 12,6 » 17,6 » 22,6 » 27,6 Sept. 1,6 rn — 16,94 — 60,11 + 50,09 + 0,99 + 25,45 — 25,03 — 20,17 9,66 8,21 5,79 Sum ADecl. | + 21.64 + 212 — 26,72 —+- 19,95 — 11,83 der Fehler | h 5299,78 6,86 3742,70 Te —+ 13,64 + + » 66 |+ 0,9] — 7,24 2,74 2,39 3,67 4,61 1513,99 me der Quadrate nach dem Perihele über den Cometen von Pons. 41 S d drat IaaR cosd| ADecl. | Grner dag Opplrate ! | der Fehler Balls Di Ah nd a A ba a u cn e M. Par. Zt. 1828 Okt. 28,3 (ie 10,82 |-++ 4,59 Nov. 83 |+ 2379| + 5,56 » 30,3 + 36,13| + 4,44 =: Dec. 73 |-+ 39,09 | + 12,36 7215,11 2.14 322-5 37 U 8315128 » 25,3 + 38,13 | + 20,24 1832 Juni 59 |— 3,29 | — 34,27 118525 nach dem Perihele 1835 Juli 305 | — 57,90 | + 21,83 3828,96 M. Berl. Zt. 1838 Spt. 23,5 |+ 17,33 1 + 24,47 Okt. 14,5 — 640. — 2,43 » 24,5 + 684, + 2,90 "2 No 209 5.90 __ » 11,5 — 2185| — 14,80 » 245 |— 11,85 | — 5,40 1842 Mrz. 8 8 | + 5283| + 451 » 28 | + 2356| — 181 1481,42 Apr. 7 8 |— 24,50 | — 28,69 1842 Mai 18 16% | — 101,71 | — 25,26 1098299 nach dem Perihele 1845 Juli 106 + 29,74 |+ 5,18 911,30 1848 Spt. 20 15h | — 20,27 | — 1,39 Okt. 715 |— 4129| + 6,20 Nee 3583,42 Nov. 1115 |+ 1398| + 13,84 Die Summe der Fehlerquadrate beträgt _41970,07 bei 70 Gleichungen, woraus der mittlere Fehler 21,5 für eine einzelne Beob- achtung, der wahrscheinliche etwa 16’ folgen würde. Bei älteren Beobach- tungen würde ein solcher Anschlufs ganz befriedigend sein. Bei den neue- ren mit gröfseren Instrumenten angestellten wird er es theils an sich weni- ger, theils ist er aber auch um deswillen unstatthaft, weil gerade eine der besten oder die beste Reihe, die aus Dorpater Beobachtungen von 1828 ge- zogene nicht einmal zu den besseren, sondern selbst zu den schlechteren gehört. Es ändert dabei nichts im wesentlichen, ob man die Beobachtungen vor dem Perihele von denen nach dem Perihele trennt. Denn die Summe der Quadrate der 60 Beobachtungen vor dem Perihele bleibt immer noch 26059,13 oder giebt einen mittleren Fehler von :0/s, der namentlich für die Math. Kl. 1851. F 43 Enckse Erscheinungen 1828, 1838, 1848 zu grofs ist und wenn man glauben sollte, ein System, welches blols an die Beobachtungen vor dem Perihele sich an- schliefst, würde einen besseren Erfolg geben, so tritt dem der Versuch, der mit den vorläufigen Elementen zur Berechnung der neuen Ephemeride ge- macht war und der die Beobachtungen nach dem Perihele ausschlofs, ent- gegen. Es zeigte sich nämlich bei ihm, ohne dafs ich für nöthig fände das Einzelne hier aufzuführen, dafs auch damit die Summe der Fehlerquadrate kaum verringert wird und bei 1848 immer ein mittlerer Fehler von 20,5 übrig bleibt, der zuverlässig zu grofs ist. Wenn deshalb, wie es doch der Zweck jeder solchen Untersuchung ist, dahin gestrebt werden muls, dafs die übrig bleibenden Fehler den Mitteln der Beobachtung angemessen sein sol- len, so wird man einen andern Weg suchen müssen. Nach manchen Überlegungen, welche allerdings dadurch erschwert wurden, dafs es sich hier um die Verbindung von Beobachtungen handelt, die dreifsig Jahre auseinander liegen und bei welchen folglich das einzelne Detail, wie es bei der jedesmaligen Behandlung der neuesten Data deutlich gegenwärtig war, nicht mehr so vollständig in der Erinnerung geblieben ist, habe ich einen Weg eingeschlagen, von dem ich hoffe, dafs er zum Ziele führen wird. Es wird dabei nöthig sein, die Geschichte der Auffindung die- ses periodischen Cometen durchzugehen. Der Comet von Pons ist bereits im Jahre 1756 aufgefunden worden. Er ward damals aber nur zweimal beobachtet, also nicht hinlänglich lang genug, um seine Elemente daraus bestimmen zu können und ihn wieder zu erkennen bei den späteren Erscheinungen. Vollständig ward er erst 1795 beobachtet. Die angegebene Bahn war nach den damaligen Hülfsmitteln genau genug; aber der Unterschied, den die ihm zukommende elliptische Bewegung in den Elementen bewirkte, weil man bei den letzteren eine Pa- rabel voraussetzte, machte, dafs man die Identität dieser Erscheinung erst später erkannte, nachdem die Periodieität bereits aus andern Gründen fest- gestellt war. Im Jahre 1805 erschien der Comet wieder. Er ward auch da- mals noch als ein neuer und noch nicht erschienener angesehen. Vielmehr wandte sich die Aufmerksamkeit von ihm weg auf einen zweiten ebenfalls 1805 und 1806 erschienenen Cometen, der mit einem Comeien von 1772 eine merkwürdige Ähnlichkeit zeigte. Unsere beiden Koryphäen, Gaufs und Bessel, haben sich beide mit diesem letzteren beschäftigt und Unter- über den Cometen von Pons. 43 suchungen über seine Identität mit dem von 1772 angestellt. Der letztere glaubte er sei nicht identisch und eine Bahn, die eine Umlaufszeit von 33 Jahren, 1772—1805, habe, genüge den Beobachtungen nicht. Gaufs da- gegen fand, dafs jede Ellipse, deren halbe grolse Axe gröfser sei als 3,82, oder deren Umlaufszeit gröfser als 5 Jahre, die Beobachtungen besser dar- stellen würde als eine Parabel. Aber er verfolgte den Gedanken, dafs hier- nach der Comet in den 33 Jahren mehrere Umläufe habe machen können und bei diesen kürzeren Perioden in unserem Sonnensysteme verbleibend, einem Hauptplaneten so nahe hätte kommen können, dafs die Störungen beträchtlich genug gewesen wären, um die noch übrige Verschiedenheit der Elemente zwischen den Cometen von 1772 und 1806 wegzuschaffen, nicht weiter. Weil bei einer 33)jährigen Bahn, also bei einem einzigen Umlaufe dieser Fall nicht eintreten konnte, so blieb die Sache liegen. Im Jahr 1819 kehrte der Comet von Pons wieder zur Sonnennähe zurück. Sein Lauf war damals sehr geeignet, um den Unterschied einer El- lipse von einer Parabel anschaulich zu machen und da eine Ellipse von etwa 1210 Tagen Umlaufszeit die Beobachtungen von 1819 darstellte, eine solche Umlaufszeit aber in der Zwischenzeit der 13 Jahre von Ende 1805 bis An- fang 1819 viermal aufgeht, so ward damals der Gedanke aufgefafst, dafs ein solcher Comet die kurze Umlaufszeit von 1210 Tagen haben könne, folg- lich ganz in unserem Sonnensysteme selbst noch innerhalb der Jupitersbahn bleiben und mit seiner sehr excentrischen Bahn durch die Regionen der kreisförmigen Planetenbahnen hindurch gehen. Es ist mir immer eine sehr merkwürdige Erscheinung in der Geschichte der Wissenschaft gewesen, wie vorgefalste, wenn auch sonst gar nicht begründete Ansichten den freien Blick in das Wesen der Natur hemmen können, Es liegt so ungemein nahe, dafs bei der Schwäche der Cometen die Rückkehr derselben zur Sonne der einzige Zeitpunkt, wo sie sichtbar werden können, unbemerkt vorübergehen kann; es folgt daraus von selbst, dafs wenn ein Comet nach längerer Zeit wieder erscheint, es keineswegs ausgemacht ist, dafs er inzwischen immer von der Sonne entfernt war und dennoch wurde dieser Umstand bei dem von Gaufs und Bessel behandelten Cometen von 1772 und 1805 über- sehen, selbst nachdem der Comet von Pons ein deutliches Beispiel von einem Cometen innerhalb des Sonnensystems gegeben hatte, und erst 1826, als er wieder erschien, erkannte man in ihm den Bielaschen Cometen, der F2 44 Encke zwischen dem Jahre 1772 und 1805 dem Jupiter so nahe gekommen war, dafs seine Elemente sich stark geändert hatten. Bei der Entdeckung der Periodicität des Cometen von Pons im Jahre 1819 waren zu der Bestimmung seines künftigen Laufes nur die früheren Erscheinungen von 1805, 1795, 1786 respective um 4, 7 und 10 Umläufe entfernt gegeben. Die vollständige Ausführung der Störungen während die- ser längeren Reihe von Jahren überstieg die Kräfte damals; noch gegen- wärtig sind diese Durchgänge nicht so mit den andern späteren Erscheinun- gen verbunden, dafs man ein Ganzes aus allen bilden könnte. Dennoch reichten die Berechnungen vollkommen hin, um gleich bei der ersten Zu- sammenstellung die Nothwendigkeit eines aulsergewöhnlichen störenden Ein- flusses darzuthun, durch welchen die Bewegung bei jedem Umlaufe schnel- ler wird, die Rückkehr zur Sonne etwa 14 Stunde nach dem ersten Umlaufe früher erfolgt, und in dem Verhältnisse des Quadrates der Anzahl der Um- läufe wächst. Mit den Werthen, welche aus den unvollständigen Störungen erhalten waren, wurden die Störungen von 1819—1822 strenger berechnet und nachdem die Beobachtungen in Paramatta im Jahre 1822 den Cometen nahe genug an dem angegebenen Orte hatten auffinden lassen, wurde diese Berechnung wiederholt, die um so nothwendiger eine sorgfältige Ausfüh- rung erforderten, als die grofse Nähe des Jupiters bewirkte, dafs der Comet um 9 volle Tage später in die Sonnennähe zurückkehrte, als er ohne diese Störungen gethan haben würde. Dieser ganz überwiegende Betrag mufste durch Annahme und Benutzung von Elementen ermittelt werden, welche als die zuerst aus nicht ganz strengen Störungsrechnungen gezogenen nothwen- dig den Ort des Cometen während seines künftigen Laufes nur mit einer verhältnifsmäfsig geringen Sicherheit angeben konnten. Hiezu kam eine zweite Quelle der geringeren Genauigkeit gerade von dieser stärksten Störung, die in der Unvollkommenheit der damaligen Kennt- nifs von den Massen der Planeten ihren Grund hatte. Unter allen Planeten überwiegt die Masse des Jupiters bei weitem, und die Richtigkeit der An- nahme derselben, mufs auf die Planetenbahnen, welche doch ihrer vom Kreise nicht allzu entfernten Gestalt wegen am wenigsten sehr grofse Varia- tionen erfahren, den stärksten Einflufs ausüben. Im Jahre 1819 ward ganz allgemein und selbst mit einem grofsen Vertrauen die Laplacesche An- über den Cometen von Pons. 45 nahme als die sicherste angesehen. Das Vertrauen dazu war selbst so stark, dafs als die kleinen Planeten Pallas und Juno eine beträchtliche Vergröfse- rung derselben zu fordern schienen nach den Arbeiten von Gaufs und Ni- colai, man lieber vorzog, in Modificationen des Gesetzes der Anziehung die Ursache dieser Erscheinung zu suchen, und als der Erfolg zeigte, dafs dieses nicht zum Ziele führe, doch die nicht unbeträchtliche Differenz auf sich beruhen liefs. Auch bei dem Cometen von Pons konnte deshalb nur die Laplacesche Masse angewandt werden, und ward es bei den Störungs- rechnungen der ersten 10 Jahre bis 1829. Hier aber ergab sich eine Un- möglichkeit auch nur die vier Erscheinungen von 1819, 1822, 1825 und 1829, mit der Laplaceschen Masse befriedigend an die früheren anschlie- fsen zu können. Es war nothwendig eine Änderung derselben einzuführen, und da diese Änderung sehr nahe mit der übereintraf, welche die kleinen Planeten verlangten, so erregte der Gegenstand ein erhöhteres Interesse; die Masse des Jupiter wurde durch Elongationen der Jupiterstrabanten di- rect bestimmt und traf so nahe mit der von den kleinen Planeten und dem Cometen von Pons wahrscheinlich gemachten überein, dafs seitdem überall die Masse des Jupiters um 4; gröfser angenommen ist, als sie nach Laplace früher angenommen war. Die verbesserte Masse wurde seit 1829 bei den Störungsrechnungen zum Grunde gelegt. Es geht aus dem Gesagten hervor, dafs die Störungen von 1819 — 1822 eine Gröfse erreichten, welche sie weder früher noch später in einem einzigen Umlaufe erreicht haben; dafs ferner dieser gröfste Betrag mit den ersten noch unsichern Cometen- Elementen berechnet werden mufste und deshalb nothwendig der Ort des Cometen im Raume und damit die Stärke der störenden Anziehungskraft wesentlichen Irrthümern ausgesetzt sein mufste, Irrthümer, welche um so mehr zu befürchten sind, als die um den achtzigsten Theil zu kleine Jupitersmasse stark darauf einwirkte, und bei den Berechnungen der noch folgenden zwei Umläufe bis 1829 ihren nach- theiligen Einflufs verstärken mufste. Wenn nun gleich durch den Factor der Vergröfserung der Jupitersmasse später die Störungen in demselben Ver- hältnisse wie diese Masse vergrössert sind, so unterliegt es doch diesen Um- ständen nach keinem Zweifel, dafs von allen berechneten Störungen, die von 1819 bis 1829 die merklichsten Fehler enthalten müssen, und wenn es 46 Encke nothwendig wird, einen Theil der beobachteten Örter weniger als die an- dern zu berücksichtigen, man vorzugsweise die ersten drei Umläufe von von 1819— 1829, wird zurückzusetzen haben. Aufserdem bewirkt die Lage und Gestalt der Cometenbahn, dafs die Berechnung der Störungen im Allgemeinen schwieriger ist, als bei den Pla- neten. Der Comet kann auf der einen Seite dem Jupiter so nahe kommen, dafs die Störungen durch denselben ungemein beträchtlich werden; auf der andern kann er und ist er dem Merkur so nahe gekommen, dafs die Masse des Merkur hoffentlich wird dadurch bestimmt werden können. Auch die Erde und die Venus üben von Zeit zu Zeit einen nicht ganz unbedeutenden Einflufs aus, so dafs die Störungen durch die sämmtlichen Planeten zwischen Jupiter und Sonne an sich nicht unbeträchtlich werden und bei den verschie- denen Umläufen sehr starken Variationen unterworfen sind, welche, da sie nur durch die Summirung vieler kleiner Theile erhalten werden, leicht klei- nen Irrthümern, die mit der Zeit sich anhäufen können, unterworfen sind. Diese Betrachtungen, die mir nicht mühsam herausgesucht scheinen, sondern in der Natur der Sache liegen, haben mich bestimmt, da die Feh- ler der Beobachtungen zu gro[s werden, wenn man alle 30 Jahre zusammen- nimmt, den Versuch zu machen, die letzten 20 Jahre, von 1829— 1848 al- lein zu behandeln, um zu sehen, ob bei ihnen allein die gewünschte Annä- herung an die Beobachtung sich erreichen läfst und mit diesen Werthen dann auf die ersten 10 Jahre zurückzugehen, um den Betrag zu ermitteln, um welchen die Berechnungen dieser 10 Jahre hätten irrig sein müssen, wenn sie in Verbindung mit denselben Elementen auch den Beobachtungen dieser ersten 10 Jahre hätten genügen sollen. Dabei habe ich geglaubt, um völlig die etwa annehmbaren Modificationen zu erschöpfen, auch einen zwei- ten Versuch der Trennung der Beobachtungen vor und nach dem Perihele noch anstellen zu müssen. Aus diesen beiden Combinationen ergiebt sich das Folgende. Elemente (2) hergeleitet aus der Benutzung der Normalörter von 1828— 1848, mit Ausschlufs der von 1818, 1822, 1823. Epoche 1829 Jan. 9,72 M. Par. Zt. 359° 59° 247829 1069,851827 57 38 1,50 SER wi über den Cometen von Pons. 47 157° 18° 10°31 Zn no Q = 331 38 10,75 \ M. Aeq. Jan. 9,72 ı = 13 20 30,51 % = 1/10852900 U = 1/80,0167 Vergleicht man diese Elemente mit den sämmtlichen Normalörtern, sowohl mit denen die zu ihrer Bildung gedient haben, als mit den ausge- schlossenen, und fügt man den Unterschieden das Glied hinzu, wodurch der Einflufs einer Änderung von M ausgedrückt wird, so erhält man s d = A AR. cos® A Deel. Bımme der DuR drate der Fehler M. Par. Zt. 1818 Dec. 22,25 | — 9755 — 3319 AM |+ 085 — 0551 AM 1819 Jan. 1,25 | — 184,83 — 4,949 » | — 53,74 — 1,495 » ausgeschl. » 12,25 | —343,38 — 8,344 » | — 161,12 — 3,670 » 1822 Juni 2,855 |-+ 52,45 — 0,791 AM | — 28,58 — 2,733 Aus » 1285| — 813 — 2631 » — 71,21 — 4,183 » h ausgeschl. » 2285| + 4528 — 29532 » | -12249 — 7751 » 1825 Aug. 12,6 |— 850 + 3352 AM |+ 655 — 0,703 nel BalZGa le 33.6325. 3591,50 11° 2001091» » 26 I|+ 622 + 3,779 » — 934 — 1524 » » 27,6 |+ 6,54+ 3917 » | — 16,50 — 1,976 » SuSBeeLh., Sept. 1,6 |+ 19,26 + 4,0377 » | — 19,14 — 2,421 » » 6,6 |+ 12,35 + 4,190 » — 20,60 — 2,848 » 1828 Okt. 283 |+ 4,72 + 0,110 AM | ++ 18,19 + 2,550 AM Nov. 83 |+ 13,98 — 1,722 » |-+- 16,47 + 3281 » » 303 |+ 14,86 — 6,205 » + 265 + 0,037 » Dec 73, 1.0 1227,— W856 1». 4 34:56. — 1.021: = 1257,09 » 14,3 |+ 3,47 — 9,627 » + 0,48 — 2238 » » 353 |— 353 —I13l4 » |— 365 — 3329 » 1832 Juni 59 |+ 6,94 — 13,559 AM | — 52,41 — 6,675 AM 2794,97 1835 Juli 30,5 |+ 15,24 + 3,334 AM |+ 181 — 0,732 AM 235,54 M. Berl. Zt. 1838 Sept.23,5 |+ 7,64 + 2,836 AM | + 28,27 + 1,477 AM Okt. 14,5 !— 15,67 + 4,684 » !— 644 +4560 » 2 aeg oa 218er 988 nd Nov. 5,5 |-+ 19,39 —17,470 » |— 137 +3,70 » 1734,37 » 11,5 |+ 2,67 —18,646 » |— 0,69 — 3,494 » » 255 |— 132 —11361 » | — 399 — 3,941 » 1842 Mrz. 88$|+ 541 + 04355 AM | + 1,76 + 0,176 AM BED SE 370022» | Ag 307,49 Apr. 78 | 469 — 1,0386 » |— 14,86 — 1,898 » 48 Encke Summe der Qua- SSAHpUsD & Decl. drate der Fehler M. Berl. Zt. 1842 Mai 18 16: | — 48,96 — 5,753 AM | — 12,67 — 1417 AM| 2557,61 1845 Juli 10,6 [+ 11,62 + 2,884 AM | + 3,09 — 0,197 AM 144,57 1848 Sept 20 15h | — 3,55 + 4,488 AM | + 3,88 + 0,671 AM Okt. 715 | — 1037 + 7,95 » |— 884 — 2,714 » ae » 26 15 | — 18,37 + 0,583 » 0,00 — 7,322 » al Nov.11 15 |— 14,13 — 0838 » |— 2,49 — 3,130 » 46 Gleichungen Summe der Fehlerquadrate 9788,30 Bei der Übersicht dieser Unterschiede zeigt sich, dafs die besseren Beobachtungen wenigstens leidlich dargestellt werden. Die Dorpater Beob- achtungen mit einem mittleren Fehler von ı0/2, der allerdings noch für ihre Güte zu grofs ist. Die Beobachtungen von 1838 mit einem mittleren Fehler von 12/0, der auch etwas zu grols sein möchte. Die Beobachtungen von 1848 mit einem mittleren Fehler von 9,7. Die beiden Beobachtungen nach dem Perihele, 1832 und 1842 Mai 18, tragen am meisten zu der Summe der Fehlerquadrate bei, so dafs ohne sie der mittlere Fehler bei 42 Gleichungen doch nur 102 betragen würde. Was endlich die ausgeschlossenen Reihen betrifft, so ist die von 1825 noch ziemlich befriedigend dargestellt. Selbst die von 1822 liefse sich noch als nicht allzuweit die Grenzen überschreitend betrachten, weil immer ziemlich starke Fehler bei ihr bleiben, selbst wenn man die möglichst beste Darstellung sucht. Dagegen zeigt die Reihe für 14818 und 1819 entschieden, dafs nur ein AM, welches indessen höchstens 40” betragen darf, Fehler von erträglicher Gröfse bewirken wird, wenn man die übrigen Elemente als richtig ansieht. Diese Gröfse ist ungefähr dieselbe wie diejenige, um welche die Erscheinung von 1848 verbessert werden mufs, wenn’ sie sich den Beobachtungen anschliefsen soll. Die Frage ist also we- sentlich die: Um alle Erscheinungen zu vereinigen, mufs entweder 1819 die Zeit des Durchgangs durch das Perihel um etwa 50 Zeitminuten später als die Störungen angeben, angesetzt werden, oder die Zeit des Durchgangs 1848 um etwa sovielmal früher. Eine solche Verschiebung liegt aber für 1819 nicht aufserhalb den Grenzen der Möglichkeit, wenn man die oben erwähnten ungünstigen Umstände betrachtet. über den Cometen von Pons. 49 Um übrigens den früheren Versuch, die Erscheinungen vor dem Peri- hel von denen nach dem Perihel zu trennen, nicht ganz fehlen zu lassen, habe .ich auch blofs die Erscheinungen vor dem Perihel, soweit sie nach 1828 beobachtet worden sind, allein zusammengenommen und daraus fol- gende Elemente, als die sich am meisten anschliefsenden gefunden. Elemente (C) hergeleitet aus der Benutzung der Normal-Örter vor dem Perihele 1828 — 1848, mit Ausschluls der von 1818, 1822, 1825, 1832 und 1842 (Mai). 6 Erscheinungen, 42 Gleichungen. sen, 8 Epoche 1829 Jan. 9,72 Mitil. Par. Zt. M = 359 59 25.219 x» = 1069851672 = 5738 0,8 7 = 15718 655 R = 334 29 49,70 ©0—315720539:36 % = 1/821192 U= 1/85,59 Dieses System giebt folgende Vergleichungen: | AAR. cos? A Decl. | EC TERONSEIEEN N | 9 M. Par. Zt. 1818 Dec. 22,25 | — 93,30 — 3319 AM | + 355 — os An 1819 Jan. 1,25 | —176,96 — 4,949 » — 45,43 — 1,495 » } ausgeschl. » 12,25 | —329,75 — 8344 » | —1435,74 — 3670 » 1822 Juni 2,85 | -+ 56,50 — 0,791 AM7 | — 24,90 — 2,733 vn » 12,85 |-+ 0,74 — 2,631 » — 75,235 — 4,183 » h ausgeschl. » 22,85 | + 54,01 — 2,932 » — 133,86 — 7,751 » 1825 Aug. 12,6 |— 682 + 3352 AM | + 8,96 — 0,703 AM | » 17,6 — 117 + 3591 » + 0,62 — 1,091 » „226 + 953 + 3,779 » — 555 — 1524 » BE Ze Te, alter 11976» ausgeschl; Sept. 16 |-+ 23,86 + 4,037 » | — 15,34 — 2,421 » So erregen 17008 oigdsr m 1828 Okt. 283 |+ 277 + 0.10AM| + 7,12 + 2550 AM Nov. 830 re 10:834 — 722 2» FE 819 -E 2981 » 303 |+ 932 — 6205 » | + 3,33 + 0,037 » | Dec. 7.3 -FIs60IE 55» | 856, —Eo2D 2. ME er een »,029,8 — 9890 — 11,314 » + 7,41 — 3,829 » Math. El. 1851. G 50 Encke | A AR. cos® | A Deecl. | M. Par. Zt. 1832 Juni 59 |-+ 38,82 — 13,559 AM | — 78,66 — 6,675 AM | ausgeschl. 1835 Juli 305 | + 910 + 3384AM | -r 6,74 — 0,732 AM M. Berl. Zt. 1838 Sept.235 |+ 7,87 + 2,836 AM | + 19,19 + 1,477 AM Okt. 1415 | — 17,28 + 4684 » | — 1052 + 4,560 » RR OR ee || len SEEN Nov. 55 |+ 484 — 17470 » | — 1045 + 3770 » DH 7181646 DEN oT g4 ae, » 35 |— 608 — 11361 » |-+ 380 — 3,941 » 1842 März 8 8: | + 3859 + 0435 AM | + 335 + 0,176 AM » 228 + 193 + 0,622 » — 0,60 — 0,003 » Apr. 78 )— 846 — 1,036.» | — 11,13 — 1,898 » Mai 18 16h] — 42,42 5,753 AM 37,01 — 1,417 AM | ausgeschl. 1845 Juli 10,6 | +1620 + 2884 AM | + 5,53 — 0,197 AM 1848 Sept.20,625| — 2,39 + 4,488 AM | + 0,49 + 0,671 AM Okt 76231 5 STE ro aA » 26,625| — 879 + 0583 » 1 0530 — 7,322 » Nov. 11,625 | — 9,85 — 0,838 » + 345 — 3,130 » Vergleicht man diesen Fehlergang mit den Elementen (B), so ist der Unterschied beider im Ganzen genommen höchst unbeträchtlich. In der That sind auch nur die 4 Gleichungen, welche zu zwei Beobachtungen ge- hören, besser dargestellt. Da indessen der Unterschied so gering ist, so glaube ich, es ist vorzuziehen, das Elementensystem (B) beizubehalten, um ohne weitere Ausschliefsungen vorzunehmen, einfach die Motive zu dieser Wahl so ausdrücken zu können: Da die Vereinigung der sämmtlichen Be- obachtungen in den 30 Jahren, 1818— 1848, etwas zu grofse Fehler übrig läfst, so wird es für die nächste Zukunft am angemessensten sein, sich nur an die letzten 20 Jahre von 1828 —1848 zu halten, weil in der Art der Stö- rungsrechnungen von 1818— 1828 ein äufserer Grund liegt, zu vermuthen, dafs diese Rechnungen weniger genau sind als die späteren. Wäre dieser äufsere Grund nicht vorhanden, so möchte man viel- leicht glauben, dafs es nicht möglich sein wird, immer die Richtigkeit der Störungsrechnungen vorausgesetzt, mit der einfachen Hypothese einer dem Quadrate der Anzahl der Umläufe proportionalen früheren Wiederkehr zum Perihele die sämmtlichen Beobachtungen so darzustellen, dafs alle Fehler über den Cometen von Pons. >41 innerhalb der der Genauigkeit der Beobachtungen entsprechenden Grenze bleiben. Es ist nämlich merkwürdig, dafs wenn man die Elemente nimmt, welche im Jahre 1838 aus den 20 Jahren 1818—1838 ohne alle weitere Auswahl der Normalörter abgeleitet wurden, das System II der vierten Ab- handlung, und dieses zusammenstellt mit den Elementen, welche jetzt aus den 30 Jahren 1818 —1848, ebenfalls aus allen Normalörtern ohne Unter- schied gefunden worden sind, alle Elemente und selbst die Merkursmasse nur geringe Veränderung erleiden und nur die sogenannte Constante des Widerstandes etwas, aber doch nicht allzu beträchtlich, um den 80°“ Theil etwa, vermehrt werden mufs gegen früher. Es werden nämlich die Systeme: Elemente bei Benutzung aller Normalörter ohne Unterschied. |aus 1818—1838 | aus 1818—1S48 | Differenz |Epoche Jan. 9,72 M. Par. Zt. MM | 359°59 24,67 | 359 59 21.930 | + 2,74 x | 1069,852108 | 1069,851933 | — 0,000174 6 | 5738 794 | 5738 867 |+ 0,73 ” | 157 18 24,32 | 157 18 25,75 |-+ 1,43 | 334 29 27,03 | 334 29 50,98 | +23,95 Ü 13 20 37,93 13 20 40,91 | + 2,98 5 | 1/3200448 1 / 3271742 1— U | ı/90,532 VE | 1 factor Aber freilich legen beide Systeme gerade den besseren Beobachtungen so starke Fehler bei, dafs man entweder von ihnen abgehen mufs oder anneh- men, dafs aufser der Constante des Widerstandes noch etwas anderes bei dem Laufe des Cometen eingewirkt hat. Hält man sich blofs an die letzten 20 Jahre, so wird die Merkursmasse noch viel mehr vermindert als es früher angenommen ward. Bei Benutzung aller Normalörter der letzten 20 Jahre ohne Unterschied wird sie zu 1/10252900 herabsinken, nur ein Fünftel der früheren Laplaceschen Masse, wobei in- dessen immer noch die Dichtigkeit 0,6 etwa sein würde, beträchtlich gröfser als die Dichtigkeit des 2%, t und 3. Schliefst man die Beobachtungen nach dem Perihele aus den letzten 20 Jahren aus, so wird sie zu 1/8234192 ange- nommen werden müssen, etwa ein Viertel der Laplaceschen Masse und die Dichtigkeit würde 0,7 sein. Die eben angeführte Zahl bei Benutzung sämmt- licher Normalörter von 1818—1848 für die Merkursmasse ist $ der La- G2 52 Encxke über den Cometen von Pons. placeschen Masse, und die Dichtigkeit wäre 1,5. — Dafs die Merkursmasse beträchtlich unter der Laplaceschen Masse bleibt, kann hiernach wohl kei- nem Zweifel unterliegen, aber da die Verminderung, wenn sie am geringsten ist, 2 und wenn sie am stärksten, £ beträgt, so möchte ich an der früheren Bestimmung, die etwa in der Mitte liegt und # beträgt, vorläufig nichts än- dern. Die Bestimmung der Constante des Widerstandes hängt damit auf das engste zusammen und wird sich, wenn die Merkursmasse bestimmt wer- den sollte, mehr in enge Grenzen einschliefsen lassen als es bis jetzt mög- lich war. In dem Falle des gröfseren Werthes der Merkursmasse mufs sie um den 84“ Theil vermehrt werden, wenn die neuesten zehnjährigen Beob- achtungen mit hinein gezogen werden. In dem Falle des kleineren Werthes wird sie ebenfalls eine noch stärkere Vergröfserung erfahren. Ganz sicher wird die Entscheidung erst wiederum nach mehreren Umläufen erfolgen, dann aber auch hoffentlich die Merkursmasse bestimmter angenommen wer- 5 den können, und es so nach und nach möglich werden, sich der Wahrheit so viel zu nähern, als unsere immer sehr unvollkommene Kenntnifs der Kräfte, welche bei Körpern, wie Cometen, einwirken, gestatten möchte. — DPI I— Philologische und historische Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. onen =.n..nanuunnannnanannrarnaan Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 1852. In Commission in F. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung. h; R scloercodeigl ‚bau adeigololie | \ id 5 Di Arie R f ru 17 1 N [i \ gang CB went TR BEPERY. ve A: Bi mt nunie Der Y j IN Frau, chi la) Ir Ba bö | ca “ uw Ka Ware 3 N a wi I r E . DET “hr i : U Kae Ir; j [r%% un ande 1,4 in a dhurk Al: sl Li er Be a ZITT ET. un, Ada vr Brake we eher! > ala rm) er a uw Ar 1 AT ’ Teer? | wen E oki NS, Win krgehreein agtn rTrneee E AS en a u = Ale ne 7 a j Zr = eh he an Da dh mare : teal j a Te =: 5 u | Ih u a u ‘ ni ei B ! j u th a, ne HR ‘ . f 5 b \ j ‘ur, ne MTluc ua Zee 2 Bi ec ia H Beet a Br 5 j 1 \ fi i In hia’kt: PAnoFKA: Parodieen und Karikaturen auf Werken der klassischen Kunst..... DirKsen: Die Auszüge aus den Schriften der römischen Rechtsgelehrten, in den Noctesw Attieaerdesy AN Gellus ns Years uedesceiee Derselbe: Auszüge aus den Schriften der römischen Rechtsgelehrten, übertra- gen in die Werke des Boethius ....-...or..oreconrneo. JACOB GRIMM über den ursprung der sprache ...........2.... 08 0006 00 Dierselbie über.den liebesgott. „ee... ounesonececneenneeonenenceee Lepsıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis und seine geschichtlich-my- thologische Entstehung. ...........220c2enc000e rel PERn7 über AVVıpols, Lebenzunds Schriften rererere ie ne le orale oreiele leleranelenele W. Grimm: Altdeutsche gefpräche, nachtrag. .........rereeeececneneeee Derselbe über Freidank, nachtrag....... esse Kr lereheacfererehetler.he SCHOTTEuberhdiegsagesvonaGeser-chann gerne are gere onensloleiegolenerslaiereielekereiere RıTTEr über die geographische Verbreitung der Baumwolle und ihr Verhältnils zur Industrie der Völker alter und neuer Zeit ........... ö JACOE, GrimmLüber eme urkunde des xIL. Jh. 2... 0 0... nen ereieeieeloiaere PAnoFKA: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg und Wien......... FE ERTNMGE Zurs gelchichtezdesseims. en erer teren last eieterereleleielereelerete.ee JACOB GRIMM: Anhang zu der abhandlung über eine urkunde des zwölften jelonlune GriS 6.006800 90 6 ben DIETERICI über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa ........s2ss2e20.: 103 141 157 215 235 257 263 297 361 385 321 715 721 vs — vr se ea 240 oh re ine RN. Bull nasibosn!t Dr ug ers lenaeluaeuser ann suullahd Ali SllEA Bao a ‚uote user ob are a a ee all KR Wer: Dusseı.: ; ae EEZ bie ei KA) Zr a EN fü oh Seite en IT Ze nenn Be Fe I Fat RT . Hosindiil PELETT I) „dla B anbinnn andre br zonloswn PETE uns äh AulZ ri OBBh ı= a eg Z BT ee a el a a A ALERT RR Ba a an a et NE aan onliäggurg, oıloohunbit A urn A a a br a aaa ee a ASPIRE n miflköw rs PETER ao Made zrulbendde a un 1 ET 2 Ar, NEN 7 I u; Pa N en anb eo def adanale ab ee | vua spisoh ak anal RER POLE nasse 6 Au ee + Dali? Ian llorrumnatl nb ger dat, 4 all il PER „a rain I alla ER Der IR .- RRREDRELERE UT 4, Ar no in much JA “ Beer BR) Fr RN, alalabı £ m ra run oma ‚aan Re a ine yunleomt ob al EL Beer, event. sne vları ale Alt a De i - Bu Bein: a af a EK E En Parodieen und Karikaturen auf Werken der klassischen Kunst. Von H"- PANOFKA. wminnannnamna ww [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 13. Februar 1851.] B: dem glänzenden Reichthum an Witz und Humor den die Komödien der Griechen in so hohem Grade entfalten, muste es mit Recht befremden dafs die Rückwirkung auf die bildende Kunst so schwach und unbedeutend erschien, zumal die leztere auf diesem Felde mit den ihr zu Gebote stehen- den Mitteln (!) weit leichter Ruhm und Lorbeern ernten konnte als die Poe- sie. Daher dürfte eine Zusammenstellung des Vorzüglichsten was von Pa- rodieen und Karikaturen auf dem Gebiete der klassischen Kunst (*) zu unsrer Kenntnifs gelangt ist, nicht blos zu einer richtigeren Auffassung einer bisher nicht genug berücksichtigten Richtung und Entwickelung des helleni- schen Geistes wesentlich beitragen, sondern auch gleichzeitig neue 'Thatsa- chen unter einem neuen Gesichtspunkt zu Tage fördernd, manch unerwar- tetes Licht über Litteratur und Kunst zugleich verbreiten. So lange für diese Untersuchung kein andrer Stoff zu Gebote stand als der allzuspärliche des schriftlichen Alterthums, liefs sich eine erfolgrei- che Lösung dieser Aufgabe nicht im entferntesten erwarten. (') Horat. Epist. ad Pis. v. 9. 10: Pictoribus atque poetis Quodlibet audendi sernper fuit aequa potestas. (*) Die durch die Kostbarkeit der Bildertafeln gebotene Beschränkung mahnte uns, zwei wichtige Gattungen von Parodieen von dieser Publication auszuschlielsen. Die eine umfalst dramatische Parodieen, Hilarotragodieen; zwei leuchtende Beispiele derselben, einer Antigone und einer Zerstörung Iliums haben wir bereits Annal. de l’Institut Ar- ch&ol. Vol. XIX. Tav. d’agg. K. 1847. pag. 216. und in Gerhard’s Archäol. Zeitung D. u. F. 1849. Taf. V,2. S. 43, 44. bekannt gemacht. Für die andre, Thierparodieen, wo- von wir nur zwei Beispiele Taf. I, 8. und 9. aufgestellt, bieten Gemmen und Pasten ein so bedeutendes geistreiches Material dafs eine sinnige Zusammenstellung und Deutung des- selben einen glänzenden Erfolg sich versprechen könnte. Philos.- histor. Kl. 1851. A [82] Pınorka: Parodieen und Karikaturen Denn aus dem Kreise der Götterwelt kennen wir nur durch Apulejus (?) g auf einem Sessel gefahren, offenbar eine Parodie der grofsen Erd -und Na- als Parodie in Aktion eine zahme Bärin in matronalem Anzu turgöttin, die mit der Artemis Brauronia deren Priesterinnen Bärinnen agaroı hielsen, wie mit der Artemis Kalliste Arkadiens sich assimilirt. An diese Göttin schliefst sich vermuthlich als zweite Parodie der Affe mit gewebtem Pileus und saffranfarbiger phrygischer Tracht an, der einen goldenen Becher, wohl eine Kymbe oder Kypellon, für die der Kybele geistesverwandte Erdmutter hielt, wie der Hirt Ganymed als Mundschenk neben Zeus. Ich betrachte diesen Affen als Parodie des Attes, Begleiters der Cybele, oder des Arkas, Sohnes der Bärin Kallisto. Zum Verständnifs dieser beiden Parodieen veröffentliche ich die sinn- verwandte, bisher ungeahndete Parodie derselben Gottheiten auf einer gel- ben Paste im kgl. Museum (°); eine Bärin durch krumme und grade Flöte welche sie bläst, als phrygische Erdmutter charakterisirt, spielt zum Tanz einem Eichhörnchen auf, das den Attes personifieirt (Taf. I, 8.). Die dritte Parodie eines mit aufstrebenden Flügeln neben einem schwachen Greis einherschreitenden Esels erklärt Apulejus selbst für eine Parodie des Pegasos und Bellerophon. Plinius (*) erwähnt von Ktesilochos, einem Schüler des Apelles — Ol. CXH. — das Gemälde einer Dionysosgeburt aus dem Schenkel des Zeus (°) der als Kopfbedeckung eine Mitra trägt (°) und wie eine Frau vor Geburtsschmerzen stöhnt: um ihn herum standen ver- muthlich die Dlithyien mit erhobenen und geöffneten Händen seine Entbin- (?) Apule]. Metam. XI, vılı. Fidi et ursam mansuem cultu matronali; sella vehebatur; et simiam pieo textili crocotisque Phrygüs, Catamiti pastoris specie aureum gestanlem po- culum; et asinum pinnis adglutinalis adambulanten cuidam seni debili; ut illum quidermn Bellerophontem, hunc autem diceres Pegasum, tamen rideres utrumque. (°) Tölken Verzeichnils d. Gemm. d. kgl. Mus. VII Kl. 155., wie schon Winkelmann VII Kl. 119. Eine tanzende Maus vor einer Katze welche die Doppelflöte spielt. (*) H. N. XXXV, xı, s. 40. Apellis discipulus, petulanti pietura innotuit: Jove Liberum parturiente depicto mitralo, et muliebriter ingemiscente. Vgl. Zeus Lecheates in Alipherae (Paus. VIII, xxv1, 4.) und Jupiter Genitrix. (°) Vgl. die etruskischen Spiegel dieses Gegenstandes bei Visconti Mus. Pio Clem. IV, B. 1. Millin. Gal. myth. LXXT, 222. (°) Zum besseren Verständnils läst sich die Hauptfigur des Hekateopferrelief bei Ger- hard Ant. Bildw. Taf. GCCVI, 1. benutzen. auf Werken der klassischen Kunst. 3 dung zu erleichtern und den ans Licht kommenden Knaben aufzunehmen. Aus der heroischen Mythologie erwähnt Sueton (7) im Leben des Tiber ein höchst unzüchtigesBild desParrhasius auf welchem dem Meleager Ata- lante ore morigeratur. Der Kaiser Tiber hatte dies Bild durch Vermächtnifs erhalten unter der Bedingung dafs wenn er an dem Gegenstand Anstofs nähme, er hundert Tausend Sesterzien statt dessen empfangen sollte, allein Tiber 208 das Bild nicht blos vor, sondern weihte es in seinem Schlafzimmer. Man hat dies Bild bisher nur unter dem Gesichtspunkt ausschweifender Wollust betrachtet ohne zu erwägen wie sehr man dadurch dem Genie des Parrha- sius zu nahe tritt. Denn, galt es nur eine solche obscöne Handlung darzu- stellen, warum wählte Parrhasius nicht lieber Venus und Adonis, Perseus und Andromeda, Alpheus und Arethusa, anderer zu geschweigen? es mufs daher noch ein besonderer witziger Gedanke der die gemeine Scene gewis- sermalsen entschuldigt, dieses Bild hervorgerufen haben so dafs es nicht als ein blos unzüchtiges, sondern auch als ein pikantes parodisches (°) Gemälde uns entgegentritt. Diese Überzeugung gewinnen wir sobald wir den Cha- rakter der Jungfräulichkeit beachten welche die griechische Mythologie der Atalante vorzugsweise vor allen übrigen Heroinen beilegt, wie im Kreise der Göttinnen Artemis denselben beansprucht, daher in Bildwerken nicht selten die Gestalten beider mit einander verwechselt werden: und zugleich erwägen dafs der Namen Atalante die Ungewiegte, Ungedrückte wie adun- (”) Sueton. Tiber. 44. Tiberius Caesar Parrhasiü tabulam, in qua Meleagro Atalanta ore morigeratur, legatarn sibi sub condicione, ut si argumento offenderetur, decies pro ea H.-S. acciperet, non modo praetulit, sed et in cubiculo dedicaeit. Gf. Plin. H. N. XXXV, ıx, s. 36. Pinxit et minoribus tabellis libidines, eo genere petulantibus jocis se reficiens. Vgl. die vol- center Kylix mit gelben Figuren (Catal. d. Yas. Etrusg. de Luc. Bonaparte n. 102.) von Hrn. de Witte beschrieben: Un jeune homme ä& demi agenouille et tenant un vase qui a une espece de goulot forme par un phellus que Vephebe porte a sa bouche pour boire. Derriere Pephebe lextremite d’un lit, au dessus HO. MAIZXZ KANAOXZ. Diam. 19. Cent. au Ca- binet du Cte. de Pourtales. Auch Photius Lex. p. 192., 12. Kusorazu: 6 Kasıvia 6 Fo zuoD Aazumigu. To de reis maidızois Aonrzaı Aazwvigsw Aeyovsw. Mercum (Meineke Fragm. poet. com. II, I, p. 200. emendat “Ertun et "Agısropauns) yag Onseüs oUTWws Eyorsaro, vs "Agısrortrys. Vergl. Aleibiades unter Hetären auf einem vorzüglichen griechischen Re- lief im neapler Museum, von Gerhard (Neap. Antiken Marm. Z. d. Musen 283.) mit Un- recht für Bacchus und Grazien erklärt. (°) petulantibus jocis wie die Dionysosgeburt des Ktesilochos von Plinius H. N. XXXV, x1, s. 40. als peiulans pictura in gleichem Sinne der Parodie und Satire bezeichnet ward. A2 4 Pıworxka: Parodieen und Karikaturen os die Ungebändigte, im Gegensatz von Öatnup die Gebändigte, die Gemahlin, auf denselben Charakter der Jungfräulichkeit seinerseits hinweist. Hieraus folgt unmittelbar die der Atalante inwohnende Scheu vor Schwängerung aus welcher die Handlung in der Parrhasius sie malte, sich erklären läfst. Dem- nach erkenne ich eine Parodie der Jungfräulichkeit in diesem Bilde des Parrhasius auf welchem Meleager vor der sitzenden Brustentblösten Atalante (°) seines Namens würdig auf ihre beiden Äpfel Jagd machte. Für diese Auffassung spricht auch auf einer Vase echt etruskischer Fabrik (Taf. I, 1. und 2.) das Bild der völlig nackten Atalante, nur durch den Eberkopf am Fufs eines Bassins charakterisirt worauf sie sich stützt: ihr gegenüber steht Meleager mit Lanze und Schild: zwischen beiden, dieser zugekehrt, und durch altes und häfsliches Gesicht markirt, wohl einer der verschmähten Liebhaber, ein Öheim des Meleager. Die Rückseite (Taf. I, 2.) giebt ein parodisches Gegenstück zur mythischen Scene, nemlich Faun als Meleagros Jagdfreund, in heifser Umarmung seiner Geliebten die von Atalante sich nicht unterscheidet. Hieran reiht sich als politische Karikatur ein bei Plinius (!°) erwähntes Bild desMaler Klesides — nach Alexander dem Grofsen — der für seine fortwährende Zurücksetzung von Seiten der Königin Stratonice sich da- durch rächte dafs er dieselbe sich herumwälzend mit einem Fischer malte, von dem das Gerücht ging die Königin liebe ihn: sein Holzbild stellte er im Hafen von Ephesos aus: er selbst aber machte sich rasch zur See auf und davon. Die Königin dagegen bewies ihre Freisinnigkeit und Kunstliebe indem sie verbot das Gemälde wegzunehmen, obgleich die Ähnlichkeit bei- der Personen wunderbar ausgedrückt war. Von einer ungleich witzigeren litterarischen Karikatur zum Ruhme Ho- mers berichtet Aelian (!!), nemlich einem Gemälde des Palaton ('?) aus (°) Vgl. die Silbermünzen von Aetolien bei Combe Numi Mus. Brit. tab. 5, n. 23. Müller Denkm. a. K. Th. II, Taf. XV. n. 165. (‘°%) Plin. H. N. XXXV, xt, s. 40. Glesides reginae Stratonices injuria nnotuit. Nullo enim honore exceptus ab ea, pinxit volutanten cum piscatore, quem reginarm amare sermo erat, eamque tabulam in portu Ephesi proposuit, ipse velis raptus est. Regina tolli vetuit, utriusque similitudine mire expressa. (') Aelian. V. H. XIII, 22. et intpp. ('?) Die Gründe weshalb ich den Namen Palaton dem korrumpirten Galaton, oder (beim Sch. Luciani Contempl. p. 499. T. I. ed. Wetst.) Gelaton vorziehe, beruhen in dem Zu- auf Werken der klassischen Kunst. b) den Zeiten der Ptolemäer (!?). Es stellte den Homer dar, wohl auf einer Kline halbliegend, wie erin ein am Boden stehendes Becken bricht, während eine vor ihm stehende, lang bekleidete Frau, die Momrıs oder die Mouse ihm mit beiden Händen den Kopf hält: dieübrigen Dichter die als Gäste dem Symposion beiwohnen, schöpfen emsig das ausgebrochene mitihren Trinkbechern sich ein, nach Art der beim Gastmal gewöhn- lich am Krater beschäftigten Epheben. Das Innenbild einer volcenter Kylix im Gregorianischen Museum (!*) zu Rom (Taf. I, 3.) läst sich bei der Restau- ration des Palatonischen Gemäldes mit Erfolg benutzen. Der Umstand dafs die angeführten Beispiele sämtlich in die Zeit der ma- cedonischen Herrschaft fallen, kann zu der Meinung verleiten als habe diese Gattung der Kunst sich erst so spät bei den Hellenen entwickelt: eine Ansicht welche die bisher am meisten bekannten Karikaturen zu unterstützen schei- nen, indem wir sie auf pompejanischen Wänden gemalt finden. Die eine dersel- ben (Taf. 1,7 ) zeigt des AeneasFluchtmitseinem Vater Anchisesauf derSchulter und dem kleinen Ascanius an der andren Hand; statt der drei Trojaner sehen wir die Handlung durch drei Hunde versinnbildet ('5). Die andre Karikatur zeugt von ungleich mehr Geist (Taf. I, 6.) der Er- findung und Talent der Ausführung: sie veranschaulicht das Atelier eines Malersund seiner Schüler ('%), nebsteinem Fremden derssich por- traitiren läst, und vielleicht zweien seiner Freunde die andrerseits eintreten um zu beurtheilen ob das Portrait getroffen sei. Sämtliche Perso- nen erscheinen als Pygmäen. Während die bisher angeführten Beispiele der Wand - oder Holzma- lerei anheimfallen, bietet eine Reihe bisher verkannter oder noch uner- sammenhang welchen ich zwischen diesem sonderbaren Stoff des Bildes und dem Namen des Künstlers wahrnehme, man möge nun diesen von z«AAdssw verunreinigen, be- flecken, oder von palatum Gaumen herleiten. Nararuv d2 5 Zwygados Eyganbe Fov wer "Oymgov abrov Ewolvre, Tols ÖE aAAoug MOINTeS TE eumlassaeve dgvonzvous. (‘”) Nach Meier gr. Kunstgeschichte II, S. 193. (*) Innenbild einer volcenter Kylix mit rothen Figuren im Mus. Gregor. Vol. II, Tav. LXXXI. (°) Pitt. d’Ercol. IV, 368. Millin G. myth. CLXXIIT, 607. (‘°) Mazois Pompeji II, pag. 68. Vign. aufgestochen in der Revue Archeologique. „Fünf Künstler von denen zwei an der Staffelei zwei Fremde porträtiren und ein Kranich,” und bei Leemans Mededeeling omtrent de Schilderkunst der Ouden. 6 Panorka: Parodieen und Karikaluren klärter Vasenmalereien ein fruchtbareres Feld für die vorliegende Untersu- chung. Die noch heut zu Tage sich wiederholende Erscheinung dafs die Kari- katurenzeichner mehr durch den Geist der Erfindung als durch die Sorgfalt der Ausführung Lob verdienen, tritt schon in hohem Grade in den sinnver- wandten Werken der griechischen Künstler uns entgegen, so dafs diese Kunst- galtung vorzugsweise in Figuren schwarzen Styls oft der vernachlässigtesten Zeichnung sich offenbart, und manche parodische Vasenbilder dieser Art für ernste Mythenbilder alterthümlichen Styls ausgelegt werden. Obgleich in gewissen Fällen die Rohheit des Styls verleiten kann diese Vasenbilder auf die Kindheit der Kunst zurückzuführen, so erscheint es doch andrerseits ge- rathener, dieselben vielmehr aus einer absichtlichen Sorglosigkeit der Zeich- nung hervorgegangen zu glauben und je nach ihrer Beschaffenheit sie mehr oder weniger der Verfallzeit der Vasenmalerei nahe zu rücken. In diese Klasse gehört meines Erachtens eine Amphora mit schwarzen Figuren auf blassgelbem Grund, deren Zeichnung (Taf. III, 1. 2.) oder rich- tiger deren Gekakel ich hier verkleinert vorlege, und die mit um so grö- fserem Recht an die Spitze dieser Abhandlung tritt als sie den äufseren An- lafs zur gegenwärtigen Untersuchung darbot ('). Am Bauch des Gefäfses nimmt ein Jüngling, wohl an einem Felsrü- cken oder Hügel sitzend zu denken, unsre Aufmerksamkeit vorzugsweise in Anspruch indem er ein jugendliches Menschenbein in der Rechten und einen gleichen Menschenarm in der Linken hält. Links kommen zwei Jünglinge auf ihn zu, einen überaus langen Hebebaum mit beiden Händen mühsam tra- gend: hinter der sitzenden Hauptfigur befindet sich rechts ein andrer Jüng- ling knieend in einem käfigähnlichen Geflecht von Baumzweigen eingesperrt das wohl mit Unrecht für ein Scheiterhaufen gehalten ward. Es ist offen- bar derselbe Jüngling dem der Menschenfresser bereits Fuls und Arm aus- ('7) Dieselbe entdeckte ich im Sommer 1847 in der Bibliothek eines berühmten Münz- kenners zu Neapel, wo sie voll Staub auf hohen Bücherschrank verbannt, unbeachtet vom Besitzer wie von so vielen befreundeten Archäologen die dessen Antikensammlungen wäh- rend ihres dortigen Aufenthaltes in Augenschein nahmen, in der langen Reihe von Jahren vergeblich auf ihre Namentaufe wartete. Trotz dieser Vernachlässigung und Nichtigkeit der Vase vom künstlerischen Standpunkt aus, gelang es mir nur mit Mühe und verhält- nilsmäfsig bedeutendem Geldopfer in den Besitz dieses Gefälses zu gelangen, welches jetzt in die kgl. Sammlung des Berliner Museums aufgenommen ist. H. 10. Z. zu 6 Z. auf Werken der klassischen Kunst. 7 gerissen: denn grade diese beiden Theile, rechter Arm und rechtes Bein, vermissen wir an seinem Körper. Noch weiter rechts läuft ein andrer nack- ter Jüngling, den Kopf noch nach dem unglücklichen Schlachtopfer zurück- gewandt, nach der entgegengesetzten Seite zu, schreiend und Hülfe fle- hend mit ausgestreckten Armen. Den Hals des Gefäfses schmückt jederseits ein grofses Auge (Taf. III, 2.). Es unterliegt wohl keinem Zweifel dafs hier das Abenteuer des Ulyss und seiner Gefährten bei Polyphem uns veranschaulicht wird und zwar durch den Arm- und Bein-beraubten Jüngling im Käfig und seinen ein gleiches Loos mit Recht fürchtenden Gefährten auf eine vollständigere Weise, als es die bisher entdeckten Bildwerke (!?) uns gezeigt hatten. Von den zwei Hebelträgern dürfte wohl einer den Ulyss uns vergegenwärtigen, von dem ja der listige Plan den Polyphem mit glühendem Hebel von Olbaumholz zu blenden ersonnen und ausgeführt ward. Zur näheren Bezeichnung des Cy- klopen dient überdies noch das Auge am Hals des Gefälses, nicht ohne An- spielung auf seine Blendung. Allein der Mangel gigantischer Gestalt, wilden Gesichtsausdruckes und struppigen Bartes, die zur Charakteristik des Polyphem unentbehrlich, auf keinem der bisher entdeckten Bildwerke dieses Gegenstandes (vgl. Taf. II, 5.) fehlen, gestattet uns nicht, hier ein treues Bild jenes humoristischen Mythos zu erkennen welcher der Dichtung des Homer ('?) und des Euripi- des (*°) zum Grunde liegt. Es fehlt nicht blos die Andeutung einer Höle, sondern auch das Trinkgefäfs in der Hand des Odysseus womit dieser den Cyklopen einzuschläfern beabsichtigt ehe er die Blendung vornimmt. Bei Homer (?!) tragen die Gefährten und Ulyss als der fünfte die Stange; hier begegnen wir nur zweien. Demnach stehen wir hier nicht auf dem gewöhn- lichen Boden wo ein Künstler die Verse eines berühmten Dichters gewissen- haft in seinem Bilde wiedergiebt, sondern auf einem Felde das von den Grie- chen mit Fleifs und Glück bebaut, ..von den neueren Alterthumsforschern bisher noch keiner umfassenderen Beachtung gewürdigt ward. ('?) Monum. ined. de U’Instit. archeol. I, Pl. VII, 1, 2, 3. Duc de Luynes Ann. de P’Instit. arch. Vol. I, p. 278-284. ('?) Hom. Odyss. IX. (@°) Eurip. Cyclops, Satyrdrama. (©) Hom. Od. IX, v. 335. s Pınorka: Parodieen und Karikaturen So unzweifelhaft sowohl die Handlung auf dem Bauch des Gefäfses, als das Auge am Halse desselben, auf eine Darstellung des Odysseusabenteuers beim Cyklopen hinweist, so sicher ist es, sobald man die nur von Epheben gespielte Scene näher betrachtet und hiebei den Humor berücksichtigt der besonders in dem Polyphem, dem eingesperrten Odysseusgefährten und dem Dritten nach Hülfe schreienden sich offenbart, dafs diese Vase eine Parodie der Cyklopenblendung uns zu vergegenwärtigen bestimmt ist. Wenn man sich erinnert dafs nach der Aufserung des Platonios (*?) die ’Odusreis des Kratinos eine Parodie der homerischen Odyssee (dıarupyov 775 "Odvaseias "Oungov) in Komödienform enthielten, wie denn Kratinos auch sonst zu den Parodieendichtern gezählt wird (*°): so liegt die Versuchung nahe unser Vasenbild damit in Verbindung zu setzen. Allein die von jenem Drama uns übrig gebliebenen Verse lehren deut- lich dafs Kratinos so wenig wie Homer und Euripides die Betäubung des Polyphem mit Hülfe eines starken Weines sich versagte, wovon in unsrem Bilde keine Spur ist: was aber besonders an den Zusammenhang mit einem parodischen Stück des Kratinos zu denken verbietet, ist die Darstellung der Scene durch Epheben und nicht durch Schauspieler mit komischen Masken und Kleidern, wie sie bei Aufführung Kratinischer Komödien gewifs uner- läfslich war. Deshalb ziehen wir vor, das Gekakel unsrer Vase der Erfindung des Vasenfabrikanten oder seines Gehülfen zuzuschreiben, zumal im Neapler Museum eine ähnliche Vase sich befindet die auf dem Hals ebenfalls ein Auge, auf dem Bauch eine Reihe Thiere zeigt (**), und wahrscheinlich als Seitenstück zu der unsrigen die Heerde des Polyphem zu vergegenwärti- gen bestimmt war. Wollte man aber durchaus dies Vasenbild auf ein poe- tisches Produkt als Quelle zurückführen, so könnte dies nur ein parodi- sches Gedicht sein, ähnlich dem von Horaz (°?) erwähnten „der Cyklop”. das zur Tanzbegleitung einer mimischen Mythosaufführung abgesungen ward. (2?) Platonius Ilegı drepopäs zwundzv p. XI. apud Kuster. Grysar de com. Dor. p. 230. sqg- (@) Athen. XV, p. 698. Welker Allgemein. Schulzeit. 1839. Abth. II, n. 57. Recens. von Grysar de com. dor. (°) Gerhard und Panofka Neapels Antiken S. 328. Zimm. VI, Schr. I. Obres Fach Nasiterno. (©) Horat. Sat. I, v, 63. Pastorem saltaret uti Cyclopa, rogabat. auf Werken der klassischen Kunst. 9 In dieselbe Gattung der Parodieen gehört auch das Bild einer mit rothen Figuren unvernachlässigter Zeichnung geschmückten nolanischen Hy- dria, welches Millingen als dramatischen Tanz vor einem Choregen bekannt machte (°°), während de Laglandiere (27) bestimmt durch den unter einem Baum hingekauerten fast nackten bärtigen Mann, den sitzenden König und fünf zum Theil mit eingesammelten Früchten diesem sich näherndeFrauen, derNausicaaundihrer Gefährtinnen Fürsprachebei Alkinoos zu Gunsten des obdachlosen Schutzbedürftigen Ulyss erkannte. Eine später in Vulei entdeckte Amphora in der Pinakothek in Mün- chen (°°), welche den Mythos getreu der homerischen Schilderung darstellt, indem Nausikaa und ihre vier Gefährtinnen bei der Wäsche beschäftigt sind, beweist durch die Zeichnung des Ulyss bei dem Baum, dafs wirklich dieser Mythos dem Millingenschen Vasenbild zu Grunde liegt: nur ist die Beschäf- tigung der Frauen eine verschiedene, die Scene selbst als mimischer Tanz aufzufassen, und die (Quelle nicht Homer, sondern vermuthlich ein parodi- scher Dichter. In die Klasse der Parodieen setze ich ferner nächst einer archaistischen Amphora des brittischen Museums (*) den KampfdesHeraklesmitHera Aigiochosin Gegenwart von Athene und Poseidon darstellend, Taf. III, 4 und 5.), eine merkwürdige, artistisch höchst untergeordnete Am- phora unsres Museums (Taf. II, 1 und 2.), deren Hauptvorstellung zwei der ausgezeichnetsten Archäologen (°°) auf desZeus Minervengeburtin Ge- Nil illi larva, aut tragicis opus esse colhurnis. Horat. Ep. II, ı1, 125. Nune Satyrum, nune agrestem Cyclopa movetur. C£. Athen I, 20. der Polyphem war ein bekannter Pantomimus den Polyphem in seiner Liebe zu Galathea darstellend. (Pollio in Gallien. 8. Vopisc. in Carin. 19.). (°°) Monum. ined. de P’Institut arch£eol. I, VI. Annal. de P’Instit. I, p. 274. (©) Annal. de P’Instit. I, p. 276, 277. Vgl. Hes. v. jyrrrgıe wo der getrockneten Fei- gen, als erster Nahrung der Autochthonen Erwähnung geschieht, die deshalb an den Plynterien vorangetragen wurden. (2°) Gerhard Auserlesene Vasenb. III, Taf. CCX VII. (°°) Gerhard Auserl. Vasenb. II, CXXVII. S. Birch in d. Archäologia Vol. XXX. p. 342.-348. Panofka im Bull. del Instit. arch. 1848. p. 125, 126. (°°) Gerhard Berlins Ant. Bildw. n. 586. S. 190. Auserlesene Vasenb. I, S. 6. Lenormant et de Witte Küite ceramographique Vol. I, Pl. LXIV. — Leicht möglich, dals der Kampf des Achill und Memnon im Beisein ihrer Mütter um den Leichnam des kleinen Antilochus Philos. - histor. Kl. 1851. B 10 Pınorka: Parodieen und Karikaturen genwart der Ilithyien und des Hermes bezogen, und der französische überdies in der Composition selbst mit Anerkennung des rohen etruskischen Styls die Kopie eines berühmten Gemäldes dieses Inhaltes zu entdecken glaubte. Wenn der Vergleich einiger Vasenbilder die Athene nicht aus dem Haupt des gebärenden Zeus emporsteigend, sondern vielmehr bereits auf seinem Knie stehend (°!) zeigen, zu dieser Erklärung verleitete: so mufste die Erwägung dafs auf unserer Vase Athene nicht als kleines Mädchen, sondern von gleicher Gröfse wie die übrigen Gottheiten des Vasenbildes auftritt, von der Unhaltbarkeit dieser Deutung, selbst wenn man über Unstatthaftigkeit ei- nes unbärtigen Zeus hinwegsieht, alsbald überzeugen. Der Vasenmaler scheint vielmehr eine Parodie des Parisurtbeils beabsichtigt und mit Erfolg aus- geführt zu haben. Dafür spricht der auf einem Klappstuhl sitzende unbärtige Paris dessen erhobene Hände Beruhigung der mit Helm und Lanze auf ihn einstürmenden Athene verrathen: hiermit verträgt sich der Göttin Schild- emblem, ein angreifender ithyphallischer Silen, um so besser, als er theils vermöge seiner Richtung auf Paris selbst als IapSevorimns (°?) anzuspielen vermag, theils zum Beweis dient dafs die jungfräuliche Keuschheit der Pal- las in diesem Moment zum Schweigen gebracht ist. Hinter Athene eilt Aphro- dite in aufgeregter Stimmung zu Paris nach, während links der jugendliche Hermes mit erhobener Linken und dem Caduceus in der Rechten, der bis an den Hals vom Peplos über den Chiton verhüllten Hera vorangeht. Wie auf der Vorderseite Paris von Athene und Aphrodite zugleich bestürmt wird, so treffen wir auf der Rückseite (Taf. II, 2.) einen Gans-ähnlichen Vogel mit jugendlichem Kopf, etwa eine Keledon (*°), bedrängt aufzufliegen versu- chend zwischen zwei ihn umstehenden Panthern. Kein Thema aber eignete sich mehr zur Parodie als der Schönheitsstreit der drei Göttinnen, bei deren Kunstdarstellungen die Erklärer zwar oftmals an einzelnen Figuren den bur- lesken Charakter nicht übersahen, aber deshalb die Bilder selbst von dem auf einer archaistischen Amphora (Gerhard Auserlesene Vasen III, CLV.) auch dem Kreise der Parodieen angehört. (°') Laborde Vas. Lamberg I, LXXXII; Lenormant et de Witte Elite Ceramogr. I, Pl. LV. Pl. LIX. (°”) Hom. Il. XI, v. 384. (°°) Gerhard Auserlesene Vasenb. I, XX VII. auf Werken der klassischen Kunst. 11 Gebiete ernster archaischer Darstellung in das satyrischer Parodieen hin- überzuweisen weder Bedürfnifs noch Muth fühlten. Das schlagendste Beispiel einer Parodie des Parisurtheils bietet eine volcenter Amphora in der Pinakothek zu München dar (Taf. II, 6 und 7.), in Gerhard’s Auserlesenen Vasenbildern Ill, crxx in den Farben des Ori- ginals wiedergegeben. Ein weifshaariger und weifsbärtiger Mann in schwarzem rothverbräm- ten Peplos über weilsem Chiton, eröffnet den Zug der drei Göttinnen: die Rechte erhebend hält er in der Linken einen Heroldstab wie der hinter ihm folgende unbärtige Hermes, der mit Petasus und rothem Peplos mit weilsen Streifen bekleidet, die Rechte ausstreckt und den Kopf zurück zu Hera wen- det die ein rother Schleier den sie mit der Rechten hält, charakterisirt. Da- rauf folgt Athene behelmt, über dem schwarzen Chiton einen weifsen Pep- los mit rothen Sternen tragend, an der Brust ragt der Kopf einer Ziege her- vor zur Andeutung der Aegis: in der Linken hält sie die Lanze. Den Zug schliefst Aphrodite mit schwarzem Tutulus auf dem Kopf, mit rothem Peplos über dem schwarzen Chiton bekleidet, die Rechte erhoben, in der Linken ein schwer zu errathendes Attribut haltend. Die Rückseite zeigt rechts Paris mit gleichem weifsen Peplos mit ro- then Sternen wie Minerva; in der Linken hält er einen Speer, mit.der aus- gebreiteten Rechten begleitet er seine Rede gegen den Alten der Hauptseite. Ihm kehren drei Stiere den Rücken, der mittlere weifs, die äufseren schwarz: auf dem Rücken des dem Paris nächsten steht ein Vogel in der Richtung des Paris. Vor den Stieren kauert ein Hund den Kopf umwendend und die Zunge ausblöckend. Den weifshaarigen Zugführer benannte Dr. Braun (°*) Nereus der allerdings den Beinamen der Greis Tegwv führt und anstatt eines Skeptrons wohl ein Kerykeion wie der Herrscher Agamemnon (°°), halten könnte. Ob aber der Umstand dafs bei der Hochzeit von Peleus und Thetis der Schönheitsstreit der Göttinnen ausbrach, hinreicht seine Gegenwart hier zu motiviren, dürfte gewichtigen Zweifeln unterliegen. Noch unbegründeter (°*) Ann. d. Instit. arch. XI, p. 221. f. (°°) Dodwell Classical Tour T. I. p. 197. Müller Denkm. a. K. I, Taf. III, 18. auf einer bei Korinth gefundenen Vase die Eberjagd des Thersandros darstellend. B2 42 Pınxorka: Parodieen und Karikaturen freilich scheint uns die vom Herausgeber der Vase (°%) dieser Figur beige- legte Benennung Zeus, dessen greises Haar hier durch den komischen Cha- rakter des Ganzen „als des Olymps Allvater sich rechtfertigen soll.” Denn einmal fehlt es uns an Muth dem Zeus graue Haare zu machen und zweitens dürfen wir wohl nicht an Zeus denken wenn von des Olymps Allvater wirk- lich die Rede sein soll, sondern können diesen Titel nur für Kronos gel- tend machen. Kronos ist es auch den der Vasenmaler uns hier vorführt, nicht blos weil er auf den Berg Ida am besten hinpasst, da ja seine Gemah- lin Rhea-Cybele den Beinamen Idäische Mutter führt, weil auf dem Ida seine Hochzeit gefeiert wird (°”) und weil seine Kinder die idäischen Dakty- len heifsen: sondern weil Kronos auch den Beinamen Tegwv der Greis (*°) vorzugsweise vor allen übrigen Göttern führt, die Verschleierung sich bei ihm als dews latens der Latium seinen Namen giebt, (°?) besonders rechtfer- tigt und der Heroldstab als Symbol der Streitschlichtung und Entscheidung in seinen Händen um so weniger befremden darf, als die Alten in der Ab- leitung des Namen Kgovos von zgivw scheiden (*") eben so unzweideutig als in dem Beiwort @yzuAowurns (*') seinen Charakter als klugen Kritiker an- erkannten. Demnach tritt hier Kronos an der Spitze der streitenden Göt- tinnen auf dieser Vase in ganz gleichem Sinne auf, wie auf andern Vasenbil- dern desselben Mythos aufser Merkur auch die der Eirene nahe verwandte Iris (**) den Göttinnen vorangeht. Während der Vogel bisher (*°) für ein Specht oder Rabe als apollini- scher Vogel gelten muste: ward der so lehrreiche in Farbenwahl und Stel- (°°) Gerhard Auserl. Vas. IH, CLXX. S. 56. und ff. Bull. delP Instit. arch. 1829. p. 84, 16. Rapp. volc. not. 57. (°”) Mus. Borb. Vol. II, Tav. LIX. (°) Lucian Saturnal. Ath. XIV, 45. Ovid. Fast. V, 627 und 34. Plut. Qu. Rom. X. (°?) Mus. Borb. Vol. IX, Tav. XXVI, Visconti Mus. P. Clem. VI, 2. Clarac Mus. du Louvre Pl. 395. Varro de L.L. V, 57. Ovid. Fast. I, 238. Creuzer ein alt athen. Gefäls S. 54.: in einer gräcisirten Stelle des Sanchuniathon beim Eusebius. P. E. I, 10. p. 33. Colon. kommt IAos als Namen des Kronos vor. (*°) Etym. M. v. Kgovos — ryv Exzgırıv Fourwv Kgovov uveuasSar. — ano de dasıw wÜrov Koevov sion Iaı ort mawWros Sewv eig gr ereßare. (*') Hesiod. Theog. v. 19. Gall. di Firenze III, 118. (**) Gerhard Etr. und Kamp. Vas. d. Kgl. Mus. Taf. XIV. (*”) Gerhard Auserl. Vas. a.a. O. auf Werken der klassischen Kunst. 13 lung der einzelnen Thiere so deutlich ausgesprochne Parallelismus der Thier- symbolik mit der mythischen Gomposition leider völlig übersehen. So ge- wifs aber Zeichnung und Färbung des Bildes der Vorderseite den Zug der drei Göttinnen darstellend, ganz das Ansehen einer Parodie und Karikatur an sich trägt: ebenso entschieden wiederholt sich dieselbe Parodie in dem Bilde des kauernden zungeblöckenden Hundes für die Person des Hermes mit dem er die Bewegung des rückwärts gewandten Kopfes gemein hat, und der drei Hera, Athene und Aphrodite vertretenden Stiere, von denen der mittlere durch weifse Farbe an die in gleichfarbiger Kleidung erschei- nende Athene sich anschliefst, während die schwarze Farbe der beiden an- dern dem schwarzen Kostüm der Hera und Aphrodite entspricht. Aphrodite wird übrigens noch näher durch den auf dem Rücken ihres Stieres stehen- den Vogel charakterisirt, der, er stelle nun einen Raben, xcg«£ vor, oder den auf ithyphallischen Esels-Rücken sichtbaren priapischen Vogel (**), in beiden Fällen in der Thiergesellschaft die Stelle des Paris einnimmt, mit dem er auch Stellung und Richtung des Kopfes gemein hat (*°). Unter dem Titel „Unterhandlung mit Paris” wird in Gerhard’s Auserlese- nen Vasenbildern III, Taf. CLXXII. eine volcenter Amphora mit schwarzen Figuren (Taf. II, 3u. 4.) veröffentlicht, Mercur darstellend welcher von einem aufschauenden Hunde begleitet, zwei Göttinnen dem seiner Rede aufmerksam zuhörenden Paris entgegenführt. Paris mit einem Peplos über dem langen Chi- ton bekleidet, würde wegen seines Bartes und seines Scepters und mit Rück- sicht auf die Gegenwart des Hundes eher den Namen Pluton für sich in An- spruch nehmen können, dem Hermes seine Gemahlin Kora von Athene geleitet aus der Oberwelt zurückbringt: wenn nicht andere vollständigere Vasenbilder mit denselben Figuren die Gerhard’sche Erklärung zu rechtfertigen vermöch- ten, wonach Paris in allen archaischen Darstellungen bärtig sich zeigt. Hera ohne Scepter führt hier das Wort nach ihrer im Gespräch erhobenen Linken zu (*‘) Silbermünzen von Mende Mionn. Rec. d. Pl. XLVIII, 4. Suppl. III, Pl. VII, 14. (*) Vergleiche Gerhard Auserl. Vasenb. II, CV, CVI. die archaische Amphora des gegen Geryones schiefsenden Herakles, hinter dem Athene und die drei schwarzrothen Stiere (auf den Dreimann Geryones bezüglich) nach links gekehrt; nach rechts blickend ein vierter (auf Herakles anspielend) und eine weilse Kuh auf Athene. Am Boden todt liegen der Hund der Heerde und der Hirt Eurytion. Darauf beziehen sich die zwei leichengefräfsi- gen Raubvögel in der Luft zu den Seiten der Quadriga des Jolaos. 14 Pınorka: Parodieen und Karikaturen schliefsen. Athene ist mit Helm, Aegis und Lanze gerüstet. Auf der entge- gengesetzten Seite dieser Amphora bemerkt der Erklärer, ist dem chthonischen Sinn des Parismythos entsprechend, Dionysos mit Oelzweig und Kantharos inmitten zweier muntrer, bacchischer Gruppen dargestellt, zweier Bacchantin- nen nemlich welche in jeder Hand mit Krotalen versehen, von gefälligen Sile- nen geschultert werden. Durch diese tiefere religiöse, Deutung der Rückseite in Verbindung mit dem Bild der Vorderseite zeigt der Verfasser dafs ihm auf dieser Vase der schöne Gegensatz zwischen Ernst und Scherz völlig verbor- gen blieb. Die Entführung der beiden mit Krotalen versehener Frauen (Taf. II, 4.) entspricht offenbar den zum Schönheitskampf erschienenen Göttinnen Athene und Hera, von denen die erstere dem Herakles für die Stymphali- denarbeit Krotalen schenkte (*%), die letztere in Kroton als Juno Lucinia besondere Verehrung genofs. Dafs dieser Sinn wirklich der voleenter Amphora zum Grunde liegt, erhellt aus dem Vergleich einer Amphora mit schwarzen Figuren im K.K. An- tikencabinet zu Wien (*7), wo wir statt des von zwei Göttinnen heimgesuchten Paris eine Bacchantin von einem höchst beschlagenen Silen verfolgt antreffen indefs ein zweiter ihr entgegenkommt. Die Rückseite entspricht fast voll- kommen der Bacchantinnenentführung der Parisvase: nemlich vor dem epheu- bekränzten unbärtigen Dionysos mit Kantharus in der Linken und Trau- benzweig in der Rechten kniet ein Silen um auf die Schultern eine Bacchan- tin zu nehmen welche in beiden erhobenen Händen eine Flöte hält: hinter Dionysos in entgegengesetzter Richtung kniet ein gleicher Silen um eine Kro- talistria auf seinen Schultern zu empfangen. Herr Lenormant (*°) hat das Verdienst auf einer volcenter Amphora mit schwarzen Figuren gegenwärtig im britischen Museum, eine Parodie des Parisurtheils entdeckt zu haben. Der bärtige Paris sitzt daselbst auf einem Stuhl und hält in der erhobenen Hand einen Apfel dessen obre Hälfte schwarz, die untre weifs ist: ihm nahen sich drei Epheben mit drei Jüngeren auf dem Rücken. Auf Anlafs einer Vase welche das Spiel Enko- (*°) Apollod. II, 5, 6. (*) Unvollständig und abweichend beschrieben bei Arneth das K. K. Münz - und Anti- ken-Kabinet S. 14. (Kasten IV, 3. B.) 94. (*°) Lenormant et de Witte Elite ceramograph. I, Pl. LXVI. auf Werken der klassischen Kunst. 15 tyle genannt veranschaulicht (“?), habe ich (°°) nachgewiesen das der Be- siegte den Sieger wie ein Pferd den Reiter tragen muls und dafs zu gleichem Dienst der Erast dem Eromenos verpflichtet ist. Daher dürfte es keinem Zweifel unterliegen dafs auch hier ein gleiches Verhältnifs zum Grunde liegt. Die Rückseite zeigt einen Epheben mit Pegasus und Pferd, etwa Kastor, vor und hinter ihm eine Mantelfigur. Der Gedanke den auf dem Schlachtfelde gefallenen Krieger demim Kampf des Trinkgelages sinkenden Zecher(°') gegenüber- zustellen gab zu einer Reihe interresanter Parodieen Gelegenheit deren kurze Erwähnung hier an ihrem Platze sein dürfte. AlsParodie destodten Patroklos um dessen unbärtigen Leichnam auf einer volcenter Kylix mit rothen Figuren (in Besitz des Herrn Basseggio zu Rom) einerseits der Kampf der Griechen und Trojaner sich erhebt (°°), ganz gleich dem Vasenbilde dieses Gegenstandes im königlichen Museum (5°), bezeichne ich auf der Rückseite dieser Trinkschale den Trunkenen der in- mitten eines mit Flötenspiel vom Zechgelage heimkehrenden Zuges, wie eine Leiche an Kopf und Füfsen fortgetragen wird. Im Innern erscheint ein Silen mit einer Thyrsustragenden Bacchantin. Aufähnliche Weise zeigt eine Amphora des Hrn. Joly de Bammeville (°*) als Parodie des getödteten Achill den Ajas auf der Schulter aus (*”) Mon. de P’Instit. I, Pl. XLVIL, B. (°°) Ann. de PInstit. arch. Vol. IV, p. 336-344. (°') Im Iatros des Aristophon bei Athen. VI, p. 238. sagt der Parasit: de FW age Sau Werov ov Faaowouvrun; FaraırTYV vonsov "Avratov loggv. (°?) Gerhard Archäol. Zeit. N. F. Beil. 2. 23*. Juni 1847. (°°) Panofka Tod des Skiron und Patroclus Taf. II. Dieselbe Vorstellung des Kampfes um den Leichnam des Patroclus überraschte uns auch auf einer volcenter Kylix mit ro- then Figuren im Museo Borbonico Gall. d. Vasi St. IX, Armad. a. m. s. entrando. Ganz wie auf dem Giebel des Aeginetentempels liegt Patroclus unbärtig, mit dem Schwert in der Hand, mitten an der Erde. Um ihn kämpfen zwei Panopliten mit der Lanze, hinter denen jederseits ein zielender Bogenschütze. Zwei Sphinxe schlielsen die Scene ein, wie auf der Rückseite wo Herakles den nemeischen Löwen bekämpft, Athene links, Jolaos mit Pileus und Keule dem Kampfe zuschaut. Im Innern greift ein älterer Jüngling mit einem Mantel bekleidet einem Knaben ans Glied: beide sind bekränzt. Offenbar mit Be- ziehung auf das Liebesverhältnils zwischen Achill und Patroclus, das auch in Bezug aut Herakles und Iolaos bezeugt wird. (°*) Braun Bull. dell ’Instit. archeol. 1843. p. 183. 16 Pınsorka: Parodieen und Karikaturen der Schlacht fortträgt, einen Silen den zwei Satyrn ohne Zweifel in Folge zu grofser Trunkenheit forttragen. Eine andre volcenter Olla in Provinzialstyl gemalt (5°) zeigt einerseits den gefallenen Achill auf den Schultern des Ajas, andrerseits den trunknen Silen auf zwei Satyrn gestützt die ihn von dem Feld seiner Grofsthaten fort- bringen. Mit treffenden Bemerkungen über den komisch-satirischen Gegensatz begleitet Dr. Braun (°%) die Beschreibung einer Amphora des Herrn Bucei in Civitavecchia, auf deren einen Seite Ajas mit dem todten Achill auf dem Rücken, auf der andern ein Satyr auf der Schulter eines zweiten sitzend erscheint. Mit Recht legt derselbe Gelehrte (°’) einen gleichen Sinn einer vol- center Kylix mit rothen Figuren unter, auf deren Vorderseite eine Amazone verwundet am Boden liegt die eine andre den Bogen spannend zu rächen sucht, während auf der Rückseite ein Mann müfsig am Boden liegt, wohl im Singen begriffen zur Begleitung eines daneben stehenden Flötenspielers. In diese Klasse von Vasen gehört wohl auch ein Lekythos von Oerve- tri mit dem Abschied des Amphiaraos geschmückt (°°). Der berühmte Seher durch die Inschrift APIEPEOZ unzweifelhaft, hält den Helm noch in der Hand. Eriphyle erhebt das unseelige Halsband wofür sie ihren Ge- mahl verkauft hatte, und trägt einen der Söhne, wahrscheinlich Amphilo- chos (°°), im Arm. Zwei Mantelfiguren schliefsen die Scene ab, ich vermu- the hinter Amphiaraos Adrast der mit ihm übereingekommen war alle Strei- ügkeiten durch Eriphyle entscheiden zu lassen; hinter Eriphyle Polyneikes der durch das Halsband der Harmonia Eriphyle bestochen hatte ihren Ge- mahl wider seinen Willen zum Feldzug zu bereden. Auf dem Hals des Gefäfses stehen zwei Ephebenim BegriffHähne zum Kampf auf einander loszulassen. Dr. Braun bemerkt, das Spiel passe gut zu der Idee des Krieges an welche das Hauptbild der Vase zu denken uns auffordert. Allein hätte der Maler nur diesen Gedanken auszudrücken (°°) Braun Bull. del” Instituto. 1842. p. 165. (°°) Braun Bun. 1843. p. 183. (°”) Braun Bull. 1842. p. 165. (°°) Braun Bull. 1844. p. 35. )Rara.10: auf Werken der klassischen Kunst. 17 beabsichtigt, so reichte es vollkommen hin zwei Hähne im Beginn des Kam- pfes einander gegenüber auftreten zu lassen, wie dies z.B. der Künstler ei- ner Trinkschale des Kgl. Museums unter dem Innenbild des Abschieds des Neoptolemos von Lycomedes gethan hat (%°). Mir scheint ein tiefer eingrei- fender Gegensatz in der Wahl der beiden Bilder ausgesprochen. Wie die beiden Epheben die beiden Hähne zu Kampf und Verderben anregen, so handeln Adrast und Polyneikes in Bezug auf Amphiaraos und Eriphyle. Die Vorstellung einer Kylix mit kleinen schwarzen Figuren im Museo Bor- bonico wo eine Sphinx mit weilsem Körper und schwarzen Flügeln rechts von drei nackten, links von vier gleichen Tänzern umtanzt wird, weifs ich nur als Parodie der Sieben gegen Theben (°!) zu erklären, da die in würdiger Ruhe sitzende Sphinx an Theben um so mehr erinnert, je weniger ihr passives Verhalten mit dem Charakter einer Hetäre die allerdings im Alterthum bisweilen Sphinx benannt ward, sich verträgt und je ungewöhnli- cher ein ohne Theilnahme der Frauen von Männern ausschliefsend aufge- führter Tanz erscheint. Eine volcenter Amphora mit schwarzen Figuren in der Pinakothek in München stellt einerseits die Kuh Jo dar welche der am Boden liegende Wächter Argos mit Hundsgesicht am Strick hält: links naht sich ihm Hermes in der Absicht ihn mit der Harpe zu tödten und Jo zu befreien (°?). Auf der Rückseite des Gefälses streiten zwei Centauren um eine Hirschkuh (°°), offenbar eine Parodie des Streites zwischen Herakles und Apoll um dasselbe Thier (°%), wie ihn ein schöner Bronzehelm im Cabinet des Duc de Luy- nes (°°) zuerst kennen lehrte. Allein erst wenn man sich den Namen der Hirschkuh ins Gedächtnifs ruft in welche Helios die Jägerin Arge verwan- delte weil sie sich vermessen hatte den Sonnengott zum Wettlauf herauszu- fordern (°%), gewinnt man die tiefere Einsicht in die Verbindung der beiden Vorstellungen. Dann überzeugt man sich dafs wie auf der Hauptseite Jo (°°) n. 1029. Gerhard Ant. Bildw. Taf. XXXV. Hom. Od. XI, 508. (©) Vgl Athen. I, p. 22. (°) Panofka Argos Panoptes Taf. V. Abh. d. Berlin. Akad. d. Wiss. 1837. (°) Archäol. Zeit. N. F. Beilage 2. S. 17*. (°) D. de Luynes. Nowvelles Annal. I, p. 51-75. (°) Monum. des Now. Ann. Pl. III, A. et B. (°°) Hygin F. 205. Philos.- histor. Kl. 1851. C 18 Pınorka: Parodieen und Karikaturen zwischenHermesund Argosmitten inne und zwar bedrängt steht, soaufderRückseitedieHirschkuh Arge um welche die zwei Cen- tauren sich streiten. Den Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung bietet ein apulisches Oxybaphon mit gelben Figuren (°”) dar: Hermes packt den doppelköpfigen Argos der mit Keule die fliehende Jo mit Kuhhörnern verfolgt: die Rück- seite zeigt eine Frau zwischen zwei männlichen Mantelfiguren. Für die Thierparodieenheroischer Mythologie zeugt eine gelbe antike Paste im k. Museum (Taf. I, 9.) die offenbar eine Parodie der Ermor- dung des Agamemnon durch Klytemnestra die einen Ziegenkopf mit Anspielung auf Aegisth als Kopfschmuck trägt, darstellt. Herr Tölken dem Sinn und Bedeutung dieses Denkmals verborgen blieb, beschreibt sie folgen- dermafsen (°°): eine Eule in seltsamer Gestalt mit zwei menschlichen Armen, erhebt eine Doppelaxt, um einem Hahn den sie mit der einen Klaue beim Kamm ergriffen hat, den Kopf abzuschlagen. Von den mythischen Parodieen gehe ich auf die baechischen oder richtiger satyrischen Parodieen (°°) über, von denen ich voraussehe dafs man sie sämtlich aus dem Satyrdrama wird herleiten wollen. Indem ich von der Wahrheit dieser Behauptung mich bis jetzt noch nicht völlig überzeugt habe, begnüge ich mich für diese Untersuchung einiges nicht un- erhebliche Material zusammenzustellen. Ein in Nola ausgegrabener Amphoriskos mit schwarzen Figuren (?P), der an Kunstwerth die Polyphemamphora nur wenig überbietet, zeigt zwei Satyrn im BeginndesRingens, vonsohagrer Gestalt wie sie bei Sa- tyrn anderwärts sich schwerlich nachweisen liefse. Erwägt man dafs die Pa- lästen wohlgenährt und feist sein musten um mit Ehren in den Spielen aufzu- (°”) Avellino, Bull. Archeol. Tom. II, Tav. IV. Archäol. Zeit. N. F..n. 12. S. 189. (°°) Tölken Gemmenverz. d. Kgl. Mus. VII Kl. n. 179. v. St. (°°) Hierher gehört die Amphora nolana mit schwarzen Figuren, schlechtesten Styls, bei Cav. Betti (Archäol. Zeit. N. F. 1848. n. 16. S. 248): Tanzende Sphinx die Pfote ge- bend; Satyr vor ihr tanzend und trompetend mit einer tyrrhenischen Tuba. Die Rück- seite zeigt den unbärtigen Oedipus (?) eine Blume mit Frucht in der erhobenen Hand vor der Pfote-erhebenden Sphinx. Die Vorderseite vielleicht Parodie des Tiresias der das Orakel der Sphinx nach seiner Pfeife tanzen läfst. Hes. v. @yugroüs suvaSgarsroüs, Mevrsıs ws "Armıiuv. (”°) Bei Cav. Betti in Neapel, Archäol. Zeit. N. F. 1848. S. 248. auf Werken der klassischen Kunst. 19 treten (7!), so leuchtet ein dafs der Maler hier nur die Parodie eines Rin- gerpaares darzustellen beabsichtigte. Einen gleichen parodischen Charakter lege ich einem Lekythos im Museo Borbonico zu Neapel bei (*), dessen Figuren sehr fein und korrekt in schwarzen Umrissen auf weifsgelbem Grund gezeichnet sind: ein bärti- gerin Mantel gehüllter Satyr schreitet nach rechts vor, neben ihm einBock. Insofern die Mantelkleidung bei Satyrn die am gewöhnlichsten nackt oder mit einem Ziegen - Reh- oder Pardelfell bekleidet erscheinen, in hohem Grade befremden mufs und der Bock ohne Bindenumkränzung der Hörner und ohne die Nähe eines Altares nicht als Opferthier aufzufassen ist: halte ich mich berechtigt in diesem Vasenbild die Parodie eines Tragö- diendichters zu erkennen, dem wenn er in den Dionysien gesiegt, be- kanntlich ein Bock rg«@yos als Preis zufiel (”°). Diese Deutung findet ihre Rechtfertigung in dem sinnverwandten Bilde einer nolanischen Diota mit rothen Figuren guter Zeichnung im Museum St. Angelo zu Neapel (”*). Auf der Vorderseite treten zwei bärtige kahlköp- figeSilene mit Stab und Mantel auf, den der zweite wie ein Reisender über der Schulter schwer aufgeladen hat. Auf der Rückseite erscheint ein dritter Silen in gleichem Costüm. Da Stock und Mantel (?°) den Philosophen charakterisiren und die Kahlköpfigkeit als drittes Attribut noch hinzukommt, so erkenne ich auf dieser Vase eine Parodie von drei Philosophen. Hieran schliefst sich die unzweifelhafteParodie eines Philosophen oder einesDichters äsopischer Fabeln in Gestalt eines Pygmäen mitSpitzbart, Mantelund Krückenstab: ihm gegenüber sitzt auf einem Fels ähnlich wie die thebanische Sphinx, ein Fuchs(’°): dieses (°') Hesych. Aödydbayor. "Apyesloı de avögees FoÜs mod ErStovras. zur 0 yunvarrızor muge "Agysioıs oVrus ERzyorro. (”) Mus. Borb. Gall. d. Vas. St. VI, Armad III, 322. (°) Panofka Yasi di Premio Tav. III; Gerhard Auserlesne Vas. I, XXX. XXX VI. Schol. Nem. II, 1. Horat. Epist. ad Pison. v. 220: Carmine qui tragico vilem certavit ob hircum Mox etiam agrestes Satyros nudavit. (*) Wie fast alles in dieser auserwählten Sammlung unedirt. (°) Horat. Sat. I, ı11, 133. Cyniker und Stoische Aretologi durch Bart und Stock kenntlich. (°°) Mus. Gregor. Vol. II, Tav. LXXX. 2a. Vgl. Apul. Metam. XI, vu: nec qui pallio baculoque et baxeis et hircino barbitio philosophum fingeret. C2 20 Pınorka: Parodieen und Karikaturen * Thier könnte indefs auch als Zuhörer und Schmeichler hier seine Stelle finden, vor dem schon Horaz (Epist. ad Pison. v. 436.) warnt: Si carmina condes, Nunguam te fallant animi sub vulpe latentes. Es bleibt mir noch übrig zu zeigen dafs auch die politische Paro- die und Karikatur der griechischen Vasenmalerei nicht fremd blieb. Das glänzendste Beispiel liefert die berühmte volcenter Kylix archai- stischen Styls mit schwarzen Figuren auf gelbem Grund (Taf. II, 3.) im Ca- binet des Duc de Luynes, auf welcher der König von Cyrene, Arkesilaos (77), oder nach Otifr. Müller (??) eine Magistratsperson dieses Namens aus Oyrene den Wollenverkauf, nach Welcker die Sylphiumaufspeicherung beaufsichtigt. Obwohl das karikirte in den Physiognomieen und Geberden einzelner Figuren von den früheren Erklärern bereits hervorgehoben worden, so blieb ihnen doch der eigentliche Sinn dieses Vasenbildes verschlossen, das nur als ein wichtiges Zeugnils von Vasenmalerei historischen Inhalts geschätzt ward, bis Welcker (”?) in einer geistreichen Erklärung nachwies dafs das- selbe auf den Titel einer politischen Karikatur Anspruch hat. Allein auch er übersah die tiefere Bedeutung der vielen in dem Bilde mitwirkenden Thiere, obschon seinem Scharfblick nicht entging dafs deren Anwesenheit durch ihre Bestimmung die Lokalität von Oyrene zu veranschaulichen nicht vollständig gerechtfertigt wird (°°). Sobald man aber dieser Besonderheit we- gen dies Vasenbild mit der oben S.13. erläuterten Parodie des Parisurtheils vergleicht: so ergiebt sich ein ähnlicher Parallelismus zwischen Thiersymbo- lik und Haupthandlung, indem nicht nur die Zahl der Thiere mit den in die- sem Bilde auftretenden menschlichen Figuren übereinkommt, sondern auch die mehr oder minder hervortretende Bedeutsamkeit der verschiedenen Thiere genau dem höheren oder niedern Charakter der menschlichen Theilnehmer an der Handlung entspricht. An den sitzenden Arkesilaos schliefst sich der unter seinem Sessel sitzende kleine Panther mit Halsband an, welcher auf griechisch den glei- () D. de Luynes Ann. de PInstitut. Archeol. Vol. V, p. 56-62. Monum. de PInstit. I, XLVII. Panofka Bild. ant. Lebens Taf. XVI, 3. Micali Mon. ined. Tv. 97. (°°) Handb. d. Arch. 8.427, 6. S. 691. (79) Rhein. Mus. V, S. 140-147. (@°) a. a. ©. S. 144. 145. auf Werken der klassischen Kunst. 21 chen Namen agumAos führt (°'); die im Rücken getrennt von allen übrigen Thie- ren kriechende Eidechse verräth durch diese Stellung und ihre Scharfsich- tigkeit (°*) einVerhältnifs zu dem kleinen Wächter PYAAKOX im unteren ge- wölbten Raum, dem Vorrathskeller (ve1g6s, Aax20s). Der über der Wage sicht- bare grofse Vogel kann wegen langen graden Schnabels und nicht genug langer Beine schwerlich einen Storch oder Kranich vorstellen, sondern einen Stofs- vogel feindseelig den Tauben, welche sich deshalb vor ihm, wie schon aus Aelians Bericht erhellt, in die Höhe geflüchtet haben (°%). Er vertritt offenbar in der Thiergesellschaft die Stelle der äufsersten Figur rechts, des Z?upouafos, nach Welker des Generalpächters der das Silphion abliefert, einer Persönlichkeit die den Rang eines höheren, seinen Untergebenen wohl wegen seiner Strenge verhassten Beamten inne hat, und dessen Name bisher sAıbo- nanbesmeines Erachtens oAıpouafos für avipsuafes heifst, mit ovidos für aiovos, oipwv zusammenhängend das einen Beutel w7g« und Trichter bedeutet (%*), und uersw angreifen, halten, suchen. Einen solchen sipvos oder sipuv hält dieser Mann offenbar mit der rechten Hand. Indem wir in der Thiergesell- schaft als seinen Stellvertreter den Stofsvogel ansehen, vor dem die Tauben ängstlich in die Höhe fliegen, dürfte es vielleicht gerathener sein in Rücksicht auf seinen Schnabel zu bemerken dafs Hesychius einen Spiefs mit dem die Auf- seher die Füllung der Säcke prüfen, mit dem Namen sipwv bezeichnet ($°). (°') Aelian. de nat. anim. VII, 47: ragdarzuv de szUnvo 72 za agznAoı eint d8 or bası yevos Eregov Fu magdarsmv ToUg dazmAous eivarı. (©?) Aelian de nat. anim. V, 47. (©) Aelian. III, 45. (°°) Hesych. N/ouwr. Sumaads ag Sgumos zar Atos, 9 eidog Ingiov nugumzosidss za Ogyavov Saehomı Olmorov, Ev 3 FoUs Magsımmous EmITZOMOUTL zu FWv Frey, zar roÜ mugoÜ 0 zadırzor (zavriszo G.), za os oi zammdor (eis) Fov oivov Aouvras, za oayandv rı eis mooerw Übarwv ev rois eumonsuois. Als Beweis dals oAboneyos Sliphomaxos, zu lesen, vergl. die In- schrift Xanthos auf einer archaischen volcenter Vase bei Gerhard Auserl. Vasenb. III, CXC. CXCI. (°) In Rücksicht auf den Taubenjäger erinnern wir dafs die Erzmünzen von Siphnos mit dem Typus fliegender Tauben geschmückt sind (Combe Mus. Hunt. F. T. 49, XXVI und XXVIII), wagen aber nicht das auf seinen Fülsen sichtbare für das Insekt ciAdr, die Schabe, oder szoAorzvög« (Hes. s. v.) auszugeben; dagegen dürfte in dem ausgestreck- ten Zeigefinger des Sniphomaxos eine Anspielung auf den zum Sprüchwort gewordnen lasterhaften Finger-Gebrauch der Siphnier wohl von dem Maler dieser politischen Karika- [80] 19 Pıvworka: Parodicen und Karikaturen Dem Range nach ihm gleich, wo nicht höher setze ich den bärtigen, vor der linken Wagschale fast knieenden Mann mit dem ich den hingekau- erten Affen der Thiergesellschaft in Verbindung bringe. Sein Name ist wahrscheinlich (ENIZT)AOMOZ gewesen (°°), die erste Sylbe der Inschrift vermuthlich mit dem antiken Stück abhanden gekommen so dafs moderne Restauration hier sichtbar sein wird. ’ErisraSuos heifst nicht nur was zum Gewicht zugelegt werden mufs, sondern auch ein Vorgesetzter, Vorstand 2. B. suuzocicv des Trinkgelages, Auges des Landes, daher wir wohl berech- tigt sind ’Erisr@Suos hier als Wageinspektor zu übersetzen. Hiermit stimmt die Richtung seines Kopfes und Haltung von Hand und Körper wohl überein. Eine ähnliche Vermuthung hege ich hinsichtlich des Knaben der mit Arkesilaos spricht und die Inschrift (°”) IObOPTOZ über sich hat: mich dünkt es fehlen zu Anfang zwei Buchstaben EP so dafs sie den Wollwäger bedeutet, im Zusammenhang mit ®epri@w wägen und zu vergleichen mit Egıochogos der Wolleträger. Stellt die gewogene Masse nicht Wolle, sondern Silphium dar, so müste hier oırpıohogros gelesen werden. Diesem Knaben entspricht im oberen Feld am Zelt links die äufserste der drei Tauben; die zwei andern Tauben beziehen sich auf die zwei bärtigen Sackträger deren einer den bereits richtig erklärten Namen IPMO®OPOZ Geflechtträger führt, während der andre die Inschrift OPYXO über seinem Kopfe hat die man wegen der gröfseren Buchstaben nicht als Eigennamen gelten liefs, son- dern als Zeitwort SgUX,w sollich ausgraben, ausschütten (°°)? verstand. katur beabsichtigt sein. Hes. sipvios: agga ev. ragt rdv Zupvinv arome dredidoro us ru Öazruru Srımarıkevruw. ÖnAot ovv rov dd ÖarruAlou alboumevov Emı ou AaRoTyYgRov. Leicht möglich dals der Knabe sgıobosros durch gleiche Stellung an der Wagschale und ähnliche Finger- haltung das Verhältnils zwischen beiden andeutet. Hes. supvirdew zaradazrurıgew, dıe- Beßrnvrar yag or Zıpvaoı Ws radızois Yguızvor. Fıbvieren cv 70 FRAUEN TEL — subAös heifst auch der Tadel, Spott; und als Adjectiv hungrig, gefrälsig. (°°) Bisher ward nur or«Sos als Name der Wagschale ergänzt. (7) Bisher für ı0®ogros der Pfeileträger, von Welcker (a. a. O. S. 142.) für aupogros der Wagewart erklärt. (°) Welcker am angeführten Orte, wie schon Micali (Stor. degli ant. pop. Ital. T. III, p- 170.), läst den Mann Oyugov ausrufen; „seine Geberde stimmt mit der des wbogras und zugleich des Arkesilaos überein, was gewils nicht unabsichtlich ist. Es ist nemlich eben ein solches Maas, wie in ein jedes dieser Gellechte gefalst wurde, abgewogen worden, in gutem Gewichte, denn das Silphion hier drückt die andre Schale mit den Gewichtsteinen etwas in die Höhe, und der Lieferant hier wie der Wagaufseher dort giebt zugleich das auf Werken der klassischen Kunst. 23 Allein bei genauerer Betrachtung dürften diese Worte nicht aus dem Munde des Sliphomaxos fliefsen wie man bisher meinte, sondern des ihm ge- genüberstehenden Sackhälters. Demnach veranschaulicht diese Kylix inso fern sie den Königvon Gyrene Arkesilaos als reichen und geizigen Wollinhaber in diesem seinen Beruf gegenüber seinen Beamten und Sklaven darstellt, eine politische Karikatur (°°), und gewinnt wesentlich an Bedeutung, so hoch auch seine bisherige Schätzung als histo- risches Bild immerhin sein mochte. Ich schliefse diese Untersuchung mit der Deutung einer volcenter Am- phora in schwarzen Figuren, aus Caere, (Taf. I, 4 und 5.). Ihre Beschreibung im Bulletino dell’ Instituto Archeologico 1846. p. 84. lautet folgendermalsen: drei behelmte Männer reiten auf den Schultern dreier andern die in Thiere verkleidet, jedoch ohne Schwanz, wiewohl mit Pferdebüsten versehen, die Zeichen, dals diesmal die Sache gethan sei. Der Silphomapsos fängt schon an, von der Wage in den Korb einzupacken und ruft dem Gehülfen zu &yvzov „stopfe fest.” (©) Welcker S. 144, und ff. erkennt mit Recht in dem lächerlichen Hut und dem lang herabfallenden Haar des Königs Übertreibung wirklichen königlichen Kostüms, Schweins- rüssel an Arkesilaos, Sliphomaxos und seinem Gehülfen, während die Lastträger damit ver- schont sind. Die vom Silphion lebenden werden als Bodenaufwühler, Wurzelgraber, schweinische Wühler dargestellt. — Ich vermuthe das Wort zugyvaio: gab gleichbedeutend mit vorveio: zu der Parodie der Schweinsrüssel Anlals, unbeschadet der Glosse des Hesy- chius Nvosuyyer Arerrıze: die Sackträger sind hellenische Sklaven und daher ohne diese Physiognomie. Welker S. 145.: Sobald man diesen Ton und Geist in der ganzen Vorstel- lung bemerkt hat, so leuchtet ein dals der reiche Fürst, und selbst das Bild Africas, in hellenischem Sinn mit Spott und Übermuth behandelt ist. Dafs das einträgliche Silphion zur Regal gemacht worden, läst sich erwarten, und dahin deutet vielleicht auch das Sprüch- wort Barrov aiAdıov. Der letzte Arkesilaos muste im Streit mit seinen Unterthanen über Grundstücke und Einkünfte sein Land verlassen (Herod. IV, 161 sq..). Die Italioten standen in Handelsverkehr mit Kyrene schon seit der 50. Ol. (Thrige p. 267.): also konnte man um so eher in späterer Zeit die Zustände des Landes in Etrurien wohl kennen. Neben der Ansicht die Pindar von Arkesilaos aufstellt, und die selbst nicht ohne bedenkliche Andeutungen ist, muls eine andre mehr im Geist eines Xenophanes, Simonides, 'Timo- kreon, oder vielleicht mehr scherzhaft im Sinn eines Epicharmos oder der Phlyakographen von ihm verbreitet gewesen sein: Witz der Dichter oder Erzähler ist ohne Zweifel der scherzhaften Malerei vorausgegangen, in der vermuthlich manche Anspielungen darauf liegen, wie z. B. in dem starken Tropus von dem vos görwrcv. Daraus ist vermuthlich auch das Wort sırvdoneos, als ein Scheltname entlehnt. — Die Art wie der Fürst, gleichsam als Pachtherr, sich das Silphion von besondern Beamten die ihrem Namen nach freie Hand zu haben scheinen es von den Unterthanen zu erpressen, aufbringen und in Magazine schaffen liels, aus denen es dann in den Handel überging, scheint durch das Monument klar genug angedeutet.” 24 Pınorka: Parodieen und Karikaturen Hände an die Seite gestützt erscheinen. Vor ihnen steht ein blasender Flö- tenspieler. Der Helm des ersten ist mit einem Kreis, der des zweiten mit Hörnern, der des dritten mit Federn ausgezeichnet. Auf der Rückseite be- gegnet man drei nackten ithyphallischen Silenen: jedem der zwei hintersten tanzt eine Frau in eng anliegendem kurzen Chiton voran, während dem vor- dersten ein andrer Silen mit Pferdefüfsen gegenüber steht, in der Linken die beiden Flöten haltend: am starken Gliede hat er sein Flötenfutteral aus Rehfell angehängt. Das in Rom auf Satyrdrama bezogene Bild dieser Amphora welche nunmehr in der Sammlung des kgl. Museums aufgestellt ist, lege ich in ver- kleinerter Zeichnung hier vor und erlaube mir darauf aufmerksam zu ma- chen dafs auf der Hauptvorstellung die Abwesenheit von Satyrn uns hindert an ein Drama satyricum zu denken, so wie der Mangel komischer Masken und Kostüme von Seiten der Krieger das Abbild einer Komödienscene kaum zuläst. Dagegen dürfte die Ansicht dafs ein Tanz burlesken Charakters zur Flötenbegleitung auf dieser Vase gemalt ist, wohl allgemeiner Zustimmung sich erfreuen. Der eigentliche Sinn dieses Vasenbildes wäre aber für immer verschlossen geblieben, wenn nicht ein merkwürdiger Bericht des Athe- näus (°°) uns unerwartet zu Hülfe gekommen wäre das Dunkel dieses archäo- logischen Räthsels vollständig aufzuhellen. Die Sybariten hatten die Üppig- keit so weit getrieben dafs sie auch bei den Schmausen die Pferde gewöhn- ten nach der Flöte zu tanzen. Da die Krotoniaten dies wusten, so gaben sie als sie die Sybariten bekriegten, wie Aristoteles in der Politie derselben erzählt, den Pferden das Tanzlied zum Besten. Sie hatten nämlich Flöten- spieler im Heere. Sobald nur die Pferde die Flötentöne hörten, fingen sie nicht nur zu tanzen an, sondern rissen auch mit ihren Reitern zu den Kroto- niaten aus (°'). (°°) Athen. XII, p. 520. (°') Athen. a. a. ©. Gleiches erzählt von den Kardianern Charon von Lampsakos im zwei- ten Buch der "Rzo: folgendes schreibend: die Bisalten zogen nach Kardia zu Felde und sieg- ten: ihr Feldherr war Onaris. Dieser als Kind in Kardia verkauft und als Sklave dienend bei einem Kardianer, ward ein Barbier. Den Kardianern kam der Orakelspruch dafs die Bisalten gegen sie anrücken würden und häufig sprachen sie davon in der Barbierstube sitzend. Önaris entfloh aus Kardia nach seinem Vaterlande und kommandirte die Bisalten von ihnen zum Feldherrn erwählt, gegen die Kardianer. Die Kardianer hatten sämtlich ihre Pferde bei den Symposien nach der Flöte tanzen gelehrt und auf den Hinterfülsen auf Werken der klassischen Kunst. 25 Demnach vergegenwartigt diese Vase den durch eigenthümliche Kriegs- list errungenen Sieg der Krotoniaten über die Sybariten. Nicht unwahr- scheinlich ist es dafs die Krotoniaten das Andenken an die Befreiung ihres Vaterlandes am Jahrestage durch eine mit Gesangbegleitung verbundne mi- mische Parodie wie sie diese Vase uns vorführt, bewahrten. Hiermit ver- trüge sich zur Charakterisirung der Ußgıs der besiegten Sybariten ein wollü- stiger Tanz von ithyphallischen Silenen und Nymphoi auf der Rückseite der Vase um so besser, als der Maler gewifs nicht ohne Absicht den Silen der zur Doppelflöte den übrigen aufbläst, mit Pferdefüfsen versehen hat. Sehr abweichend äufsert sich Gerhard über diese tyrrhenische Am- phora(*). „Eine obscöne Mummerei dreier Kentauren darstellend, welche durch drei geharnischte und schmuckreich behelmte Jünglinge mit eben so viel gebückten und ihnen als Reitpferd dienenden Männern gebildet ist; über letztere ist ein Wams gezogen, welches zugleich einen Pferde- schweif und einen zwischen den Beinen der Reiter hervortretenden Pferde- kopf enthält. Die Reiter haben ihre linke Hand auf die Wämse dieser Thiere gelegt, den rechten Arm aber gebietend erhoben; ihr verschiedener Helm- schmuck besteht aus einem Rad, einem Halsband und etwa einem Paar Eselsohren, wie zum Zweck der Verhöhnung, dem Sinn dieser ganzen ko- mischen Procession nicht übel entsprechend, die von einem Flötenspieler in Festgewand empfangen wird. Die unverständlichen Schriftzüge sıoyooxe mögen irgend einen begleitenden Jubel- oder Schmähungsruf andeuten. — Ganz wohl stimmt mit dem verwegenen Sinn dieses Hauptbildes auch dessen Gegenstück auf der Kehrseite des Gefälses. Zwei kurz bekleidete Jünglinge sind, fast als wären es Gefangene, zwischen drei ithyphallische Silene ver- stehend tanzten sie mit den vorderen die Flötenmelodieen wohl verstehend. Das wuste Onaris und verschaffte sich aus Kardia eine Flötenspielerin die zu den Bisalten kommend viele Flötenspieler einlernte: mit diesen zieht er zu Feld gegen Kardia. Und als die Schlacht losging, liels er die Flötenmelodieen blasen so viel die Pferde der Kardianer konnten. Wie die Pferde die Flöte hörten, stellten sie sich auf die Hinterbeine und fin- gen an zu tanzen. Die Stärke der Kardianer war aber die Reiterei, und so wurden sie besiegt. Vgl. Mionn. Suppl. I, p. 341, n. 993. Freies Pferd gallopirend n. 1. Rv. Adler im Flug eine Schlange zerreilsend. AB. Mionn. Deser. I, p. 426, n. 11. Frauenkopf 1. Rv. Weidendes Pferd KAPAI. (*) Neuerworbene Denkmäler d. Kgl. Vasensammlung zu Berlin. n. 1928. H. 1 F. 4 2. zu 84 Z. Durchm. in Rom bei Hrn. Basseggio im Jahre 1846. angekauft. Philos.- histor. Kl. 1851. D 26 Pınorka: Parodieen und Karikaturen iheilt, und dieser ganze Zug geht einem ganz ähnlichen, nur durch Bocks- beine als Pan unterschiedenen, bacchischen Dämon entgegen der in seinen beiden Händen Flöten gefafst hält, aufserdem aber an seiner starrenden Männlichkeit durch ein Baud befestigt, noch irgend einen Gegenstand ver- steckten Muthwillens, anscheinend ein Häschen oder ein ähnliches Thier zur Stelle bringt.” Ein flüchtiger Blick auf die Komödienvase wo der Centaur XIPQN durch zwei Komiker auf höchst sinnige Weise dargestellt wird (°°), reicht hin um das gänzlich verfehlte dieser Erklärung darzulegen. Die vermutheten Eselsohren auf dem Helm des ersten Kriegers scheinen mir nur wie häu- fig auch auf andern Vasenbildern zwei Federn. Hinsicht der Inschrift dürfte es zweckmäfsig sein sich zu vergegenwärtigen dafs öxew tragen als Pferd bedeutet, und öysurzs vom Hengst als Beschäler und auch von Män- nern in lascivem Sinn gebraucht wird. (°2) Lenormant, Quaestion. cur Plato Aristophanem in convivium induxerit. Paris 1838. Panofka Bild. ant. Leb. Taf. VII, 5. Inhalt der Erläuterungstafeln. Para 1. Atalante, Oheim des Meleager, und Meleager, auf einer Vase echt etruskischer Fabrik. 2. Parodie: Faun als Meleagros in heilser Umarmung seiner Geliebten. Rückseite der- selben Vase. 3. Folgen eines zu leidenschaftlichen Symposion; Trümmer einer volcenter Trinkschale im Museo Gregoriano in Rom. 4. Parodie des Sieges der Krotoniaten über die Sybariten durch die List der Flötenme- lodieen womit sie der Feinde Pferde verlockten: die Sybariten stellen die Pferde vor: die Krotoniaten wie andre Sieger lassen sich tragen: archaistische Amphora im Kgl. Museum in Berlin. . Marsyas mit Flöten ithyphallisch wie zwei andre zwischen zwei bekleideten Epheben, die als Üßgıorer zwischen zwei Sybariten auftreten: Rückseite derselben Vase. ou a 10. in [Se So} Ss» 19 I auf Werken der klassischen Kunst. . Maleratelier durch Pygmäen repräsentirt; pompejanisches Wandgemälde. . Aeneas mit seinem Vater Anchises auf der linken Schulter, dem kleinen Ascanius am rechten Arm: sämtlich in Gestalt von Hunden. Pompejanisches Wandgemälde. . Erdmutter als Bärin, eine krumme und eine grade Flöte blasend vor tanzendem Eich- hörnchen. Gelbe Paste des Kgl. Museums in Berlin. - Klytemnestra als Eule mit Ziegenkopf (auf Aegisth bezüglich) auf dem Kopf, erhebt das Beil gegen Agamemnon als Hahn auf dessen nach dem Boden gesenkten Kopf schon ihre Klaue steht. Gelbe Paste im Kgl. Museum in Berlin. Karikatur eines Philosophen oder Fabelndichters gegenüber einem Fuchs. Innenbild einer volcenter 'Trinkschale im Museo Gregoriano in Rom. Mar IT: . Paris und die drei Göttinnen: archaistische Amphora im Kgl. Museum in Berlin. . Keledon zwischen zwei Panthern. Rückseite derselben Vase. . Paris und zwei Göttinnen: archaische Amphora. Zwei Bacchantinnen von Silenen geschultert: Rückseite derselben Vase. . Blendung des Menschenfresser Polyphem durch Ulyss und seine Gefährten: Innen- bild einer archaistischen Kylix des Duc de Luynes. 6. Rinderheerde des Paris. | . Die drei Göttinnen, Paris und Hermes: Vorderseite derselben etruskischen Amphora. Mars. . und 2. Parodie der Polyphemblendung: schwarzfigurige Amphora im Kgl. Museum in Berlin. . Arcesilaos, König von Cyrene, in seinen Schätzen an Silphium oder Wolle: politische Karikatur. . Kampf des Herakles gegen Hera Aigiochos und Poseidon. . Rückseite auf der Form der Vase im brittischen Museum. EI u af Ti K kraiite en | Meine | i ee f dr LE Y a i 4 ins e wei or Mau PTERRER © A raliaahes ST). used a: # N A I, N v. Pia Liam. nahe a ae 1 nannte \ id, he “u nhlthefh ‚ TIER aba he IN m nt ” Be ‚d % Nor 'r 1’ ae PAR" IR a, Eng INTER 124 ru? Du Pl 1 ‚amant N N BR ‚ni ha Yun Br De 5 Y t ar. | a 25 vr hin KEN, u Mt, ME mr, ie AH IE: BAT IT T 3 Fa a) Ki: Adi ae mini Hab # f j u, “2 * ? on* 4 el Er } uw” Bi Lu ah u u | ’ A VE. PAARE un I 1222) ara | 2 jr > I AN N A NERE re LI ri Dee Ey Ars u Brut n Ms ae) ala N Du ur dr N f N hi ‚yyeil ? m. N r hl NEnBr eh aa. a or 6 pe Au. 4 We ii Ak . a. i nun aa og Al a Me He rn a ARABIEN r Aral em | i TR REN) f | ww j orale Orr Kae 7 „rare Ba hen wein Ä a m un za 2 E U er ui nkankhind fl MU. ah DIEE wo lan Er = ehr, er EV t a 2 Zur der. lbh. des Hera Iunoffia (Lurmdicen und hartkaturen ), 1 if YR Uest. Piail. Klasse: DH. —_—— nn tk. Kunst -Inst 7 R Jaone Berlin Zur der, lbh. des Herrn Kanofia (dimodtieen und Aarikaturen ) N af. N. Host. Blit, Klasse, Il. R.Jnene's th, Kunst- Inst. Barkin. Zu der Abh, des Herrn Iunofka (Hhrodtieen und karikaturen) N 7 af. I. Mist. 1hit. Masse. II. BB Se Ü) Fu, N oxY. N % S do er \pmoaoPof_ S/ >o) IH 8 PN N = \ f N R, Juone’s lith, Runst-Fust, Berlin, Die Auszüge aus den Schriften der römischen Rechts- gelehrten, in den Noctes Atticae des A. Genius. Von vw H"- H. E. DIRKSEN. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. und 6. Februar 1851.] D.., den Titel der Attischen Nächte führende Compilation, welche A. Gellius, ein Zeitgenosse der Antonine, aus den reichen Schriftschätzen der, ihm vorangegangenen, griechischen und lateinischen Classiker veran- staltet hat, ist auch auf die Benutzung der Quellen des römischen Rechts eing aus der letzten Zeit des Freistaates und aus dem Anfange der Kaiserherr- egangen, und enthält unschätzbare Bruchstücke des R. Juristen-Rechts, schaft. (!) Es hat daher an lauter Anerkennung der Bedeutsamkeit dieser Sammlung, für das Studium der Geschichte des R. Rechts, in keinem Zeitab- schnitte der Literatur dieses Theiles der Rechtswissenschaft gefehlt. Von den ersten Bearbeitern der römischen Rechts-Geschichte (?) und Alterthums- Kunde, (?) bis herab auf die Rechtshistoriker des verflossenen (*) gleichwie des laufenden Jahrhunderts, (°) haben einige der namhafteren sich mit der Kritik und Auslegung der römisch -rechtlichen Bruchstücke jener Compila- tion im Zusammenhange beschäftigt. Wie viel aber immerhin, durch Sprachforscher und Rechtskundige, für die Wortkritik und Auslegung des Gellius theils schon geleistet ist, theils (') Fabricius Biblioth. lat. class. T. II. p. 413. Bähr Gesch. d. R. Literat. $. 351. (?) z.B. Rivallius Hist. iur. civ. Mogunt. 1527. und 1539. 8. (°) Es mag hier verwiesen werden auf Alex. ab Alexandro genial. dier. libb. und f des Cael. Calcagninus collectan. vetustat. (in Opp- p- 376. sq. Bas. 1544. F.) (*) z.B. die beiden Conradi: (S. Haubold Inst. I. R. literar. T. I. no. 214. p. 168. no. 233. p. 186. Lips. 1809. 8.) der ältere, Franz Carl, in den Parerga und in einzel- nen seiner Monographieen, (S. F. C. Conradi scripta minor. ed. Pernice. Vol. I. Hal. 1823. 8.) der jüngere, Joh. Ludw., in den Excurs. ad Gell. (S. den, durch ihn besorgten, Nachdruck der edit. Gronoviana Gellii. V. II. p. 521. sq. Lips. 1762. 8.). (?) Namentlich A. W. Cramer, in Excurs. ad Gell. (In dessen Klein. Schriften, her- ausgegeben von H. Ratjen. S. 64.-136. Leipzig 1837. 8.). An diesen schliesst sich: J. de Glöden, A. Gellii quae ad ius pertinent Ser. I. Rost. 1843. 8. 30 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, noch in Aussicht gestellt sein mag, (°) so scheint nichtsdestoweniger die wich- tige Vorfrage bisher kaum berührt, und jedenfalls nicht gründlich erwogen worden zu sein: Ob, und in welchem Umfange, die Darstellung unsers Compi- lators, in den einzelnen Abschnitten seines Werkes, als die getreue Copie der, durch ihn ausdrücklich bezeichneten, Quellen anzusprechen sei? Nicht als ob man die zu Tage liegende Trennung der excerpirten Textesworte eines frem- den Referates von der eigenen Rede des Gellius, in den dieselben einleitenden oder begleitenden Bemerkungen, durchaus übersehn hätte. Die über die Latinität des Gellius angestellten Untersuchungen, (7) so wie die wieder- holte Prüfung der Urtheile desselben über einzelne römisch -rechtliche In- stitutionen, (°?) bekunden zur Genüge das Gegentheil. Allein es hätte bei der Beachtung dieser Äusserlichkeiten nicht sein Bewenden haben, und je- denfalls nicht ein stillschweigendes Zugeständnis von bedenklicher Tragweite daran geknüpft werden sollen. Dasselbe besteht in der Voraussetzung, dass, da Gellius die durch ihn epitomirten fremden Schriften grossentheils nament- lich bezeichnet hat, sein Verfahren hinsichtlich der Quellen-Citate überhaupt zu dem Schlusse berechtige, er sei nur da, wo er eine concrete Quelle nam- haft gemacht, als der Copist derselben zu betrachten, und man habe ihm selbst alles dasjenige in Rechnung zu stellen, was nicht in erkennbarer Weise als ein fremdes Referat durch ihn hingestellt worden. (°) Bernhardy Grundriss d. R. Literat. $. 132. a. E. S. 667. fg. Halle 1850. 8. Herr Dr. M. Hertz, der die handschriftlichen Hülfsmittel zu der von ihm vorbereiteten Textes - Kritik des Gellius eben so vollständig als genau verglichen hat, (S. den Monatsbericht üb. d. z. Be- kanntmachung geeign. Verhandlungen d. Berlin. Akad. d. W. Jahrg. 1847. S. 403. fg.) ist mit dankenswerther Bereitwilligkeit meinem Wunsche entgegengekommen, die Varianten seiner Collationen der Pariser Handschrift, (Cod. Paris. olim Reg.) so wie der Leidener, (C. Rotten- dorfianus, bibl. univ. Lugd. Bat. cod. Gronov.) und der Vaticanischen (C. Vatican. 3452.) zur Benutzung bei den, im Verlaufe dieser Abhandlung nach der Gronov’schen Recension beige- brachten Textesstellen mir mitzutheilen. Die Unterscheidung dieser drei Codices ist durch die Buchstabenzeichen P. R. V. charakterisirt. Dies gilt für Lib. I. bis Lib. VII. Für Lib. IX. bis Lib. XX. sind die Varianten beigebracht aus: Lugd. maior. (L.) Regius Par. (R.) Beruer. Fragm. (B.) Voss. Lugd. minor. (V.) Cod. Regin. I. in Vatic. (O.) und Cod. II. it. Petavian. (P.) (") S. Funccius de veget. lat. lingu. senect. IV. $$.7.-11. Auch Cramer a. a. O. hat sich mehr mit der Sprache des Gellius beschäftigt, als mit der Kritik von dessen Quellen, z. B. in den ausführlichen Bemerkungen zu Lib. 1. ce. 12. (°) Es mag hier verwiesen werden auf die Verhandlung in XX.1. über die Bedeutung und Zweckmässigkeit gewisser Vorschriften der XII Tafel- Gesetzgebung, welche der Ge- genstand lebhafter Besprechung geworden ist für die Politiker der folgenden Zeitalter. in den Noctes Atticae des A. Gellius. 31 Ein solches Postulat, angewendet auf Sammel-Werke überhaupt, er- scheint unvereinbar mit den strengen Forderungen der historischen Kritik. Bei der Abwägung nämlich der Glaubwürdigkeit von Meldungen eines Com- pilators, mithin bei der Handhabung des Gesetzes, dass den Angaben eines solchen Autors weder zu viel noch zu wenig vertraut werden dürfe, hängt alles von der genauen Ermittelung ab, inwiefern die benutzten Quellen qua- litativ und quantitativ gleichmäfsig durch denselben behandelt worden seien. Es fällt dies aber zusammen mit der Frage: ob der Epitomator über- all das fremde Referat, dem Texte gleichwie dem Inhalte nach, diplomatisch getreu wiedergegeben, oder ob er dasselbe als das Resultat einer freien selbstständigen Auffassung hingestellt und in die Form des eigenen Rede- ausdruckes gekleidet habe? sodann: ob nur in dem bezeichneten Umfange des beigebrachten wörtlichen Excerptes der fremde Referent als redend ein- geführt worden sei, oder ob dessen Mittheilungen über diese Grenze hinaus- reichen und von den scheinbar selbstständigen Aufserungen des Epitomators getrennt werden müssen? Die eigenen Andeutungen des Verfassers der Com- pilation über solche Gegenstände sind nur dann entscheidend, wenn sie als übereinstimmend befunden werden, sowohl mit den Einzelheiten der Aus- führung als auch mit dem Plane des Unternehmens, oder mit der Aussage anderer unabhängiger Zeugen. Dies leidet vorzugsweis Anwendung auf die Arbeit des Gellius, wel- che sichtbare Spuren aufzuweisen hat von dem Einflusse, theils der succes- siven Ansammelung des Materials, theils der Zurichtung desselben für die verschiedenartigen Formen der Einkleidung. Denn die Mannigfaltigkeit der zu besprechenden Gegenstände verstattete bei diesem Unternehmen einer- seits die grösseste Freiheit für den Umfang der Ausführung, machte aber an- dererseits bestimmte Anhaltspunkte für die Aufmerksamkeit des Lesers wün- schenswerth. Zur Beförderung dieses Zweckes erschien als besonders ge- eignet die Einfassung jedes vereinzelten Gegenstandes der Verhandlung in einen eigenen Rahmen, so wie das Anknüpfen der Darstellung an concrete Persönlichkeiten, hinsichtlich der benutzten Schriftsteller und der als münd- lich verhandelnd eingeführten Individuen. Neben den Eigenheiten der Form- gebung ist ferner die Entstehung unserer Compilation, als das Erzeugnis einer jahrelang fortgesetzten Lecture, in Erwägung zu ziehen, um so mehr da die Bildung von Excerpten nicht von Anfang an durch die Aussicht auf 32 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Veröffentlichung des zu verarbeitenden Materials geleitet worden war. Die angefertigten Auszüge scheinen von gedoppelter Art gewesen zu sein, näm- lich Excerpte theils für den Inhalt iheils für die Textesworte der benutzten Originale. Dass bei den umfangreichen Werken, (?) welche der Geschmacks- Richtung jener Zeit und den Kenntnissen des Epitomators, oder auch der Bequemlichkeit desselben, besonders zusagten, eine stätige Folge der Ex- cerpte sei festgehalten worden, (1°) ist nicht vorauszusetzen. Wohl aber darf angenommen werden, dass die Auszüge aus der Mehrzahl der übrigen Schriften bei weitem sporadischer ausgefallen, und zum Theil nur durch das Bestreben hervorgerufen sein mögen, den aus jenen Quellen gewon- nenen Stoff zu vervollständigen. Jedenfalls hat man die Elemente dieser Sammlung zu sondern in ältere Lesefrüchte und in spätere Nachträge; ob- wohl die letzteren theils dem Zeitraume vor dem Redigiren der Sammlung ihren Ursprung verdanken, (!!) theils gleichzeitig oder sogar später eingetra- gen sein mögen. (1?) Begreiflich durfte ein solcher Compilator, der ent- schlossen war, die gewählte Form der Darstellung festzuhalten, bei der Überlieferung des fremden Materials nicht überall mit gleicher Strenge den erborgten Redeausdruck, gegenüber dem eigenen, erkennbar begrenzen. Auch würde die consequente Durchführung vollständiger diplomatischer Treue auf Hindernisse gestossen sein, indem Gellius selbst bekundet, dafs bei der Redaction ihm die Originale der früher epitomirten Schriften zum Theil nicht mehr zur Hand gewesen seien, und er die Textes- Referate durch Inhaltsauszüge habe ergänzen, ja wohl gar zu Anführungen aus der Erinner- ung seine Zuflucht nehmen müssen. ('?) (°) Für die kürzeren Monographieen ist das Gegentheil ausdrücklich bezeugt. XV. 8. XIX. 4. fg. ('%} Vergl. z. B. XII. 14. fg. XII. 3. XVII. 21. ('') Für die blos nach Hörensagen überlieferten Meldungen ist eine annähernde Zeit- bestimmung ihres Ursprunges begreiflich nicht zu erreichen: denn nur ausnahmsweis ge- denkt Gellius (XIV. 1. XX. 6.) der gleichzeitigen Aufzeichnung; während er im allge- meinen anzudeuten pflegt, dals er die schriftliche Übertragung aus der Erinnerung ver- sucht, (I. 15. 23.) auch wohl einige Freiheit bei der Redaction sich erlaubt habe. (XI. 1. a. E. XII. 20.). (2)1,5..7, 237 XIIT. MOSER Ver ER 221: (* ) Vergl. ausser der Praefat. I. 23. II. 24. II. 2. fg. 16. VI. 2. VII. 16. 20. X. 15. XI. 48. XII. 11. XIII. 22. XVII. 2. 9. XX. 10. in den Noctes Atlicae des A. Gellius. 33 Das Bedürfnis, die Individualität und den Umfang der durch Gellius benutzten Quellen, unabhängig von dem eigenen Bekenntnis dieses Compi- lators, kritisch zu bestimmen, tritt besonders an solchen Stellen des Werkes anschaulich uns entgegen, wo ein fremder Führer zwar nicht ausdrücklich bezeichnet, jedoch durch die Vergleichung anderer classischer Überlieferun- gen mit Bestimmtheit zu ermitteln ist. Dies gilt unter andern von der Mit- theilung des S. C. de philosophis ei rhetoribus latinis, und des Edietum Cen- sorum de coercendis rhetoribus laiinis, (XV. 11.) welche, mit Ausnahme der Überschrift, (1%) die genaue Copie darstellt der entsprechenden Ausführung in der Schrift: De claris rhetoribus. (c. 1.) Die gemeinsame Benutzung öf- fentlicher Denkmäler darf schwerlich dabei vorausgesetzt werden ('?). Nicht weniger ist die Aufforderung, zur Sonderung der diplomatisch treuen von der blos umschreibenden Wiederholung eines fremden Referates, so wie zur Trennung beider von der eigenen Beurtheilung des Compilators, auch in andern Fällen geboten. Zunächst dann, wenn derselbe einen bestimmten Gewährsmann zwar genannt hat, jedoch dem fortlaufenden Inhalts-Auszuge aus dessen Schrift noch anderweite Citate beiläufig eingeschaltet sind. (!°) Sodann da, wo ein Referat scheinbar selbstständig hervortritt, allein wegen seines Inhaltes mit Zuversicht schliefsen läfst auf die Einführung und theil- weise Verarbeitung fremder Organe. (!”) Es könnte nun den Anschein ge- winnen, als ob diese beiden Richtungen der Kritik, die zuvor als die Prüf- ung der qualitativ und der quantitativ genauen Benutzung der Quellen charakterisirt wurden, gesondert in's Auge zu fassen und in beschränkter An- wendung auf vereinzelte Ausführungen des Gellius zu verfolgen seien. In- dess man wird sich leicht überzeugen, dass die bezeichneten kritischen Ope- ralionen nur äufserlich aus einander gehn, dagegen im Prineipe gleichwie ('*) Der Zusatz: /atinis, bei rhetoribus, scheint jedenfalls dem Gellius in Rechnung ge- stellt werden zu müssen. S. Bernhardy a. a. ©. 8.37. Anm. 142. S. 188. Spangenberg monument. legal. antiquit. R. p. 8. sq. Berol. 1830. 8. ('?) Dies thuen freilich diejenigen, die den Text der fraglichen Urkunden, nach den Mittheilungen der genannten Classiker, in die Sammlung epigraphischer Monumente über- tragen. Vergl. St. A. Morcelli Opp. epigraphic. V. I. p. 282. fg. 285. fg. Ed. alt. Patav. 1819. 4. Spangenberg a.a. O. (1°) z.B: 11.24. ('”) So z. B. in der, unten Abtheil. III. a. E. zu besprechenden, Erörterung der Anga- ben in XVI. 13. über die Unterscheidungs- Merkmale der Municipien und Colonieen. Philos. - histor. Kl. 1851. E 34 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, in den Resultaten übereinkommen. Denn um des Falles nicht einmal zu gedenken, wo die durch Gellius benutzte Quelle gar nicht benannt ist und erst durch Combination ermittelt werden muss, so hat auch an denjenigen Orten, wo der Compilator einen einzelnen Referenten oder mehrere Ge- währsmänner namhaft macht, der Kritiker die Grenzen für jede Berichter- stattung mit den nämlichen Elementen zu suchen, deren er sich bedient, um o an einem vereinzelten Referate abzuwägen. Je sorgfältiger aber die Kritik die Betheiligung eines classischen Referenten, gegenüber dem Compilator, in beiden Beziehungen zu Werke geht, um so zuversichtlicher wird man aus ihren Ergebnissen bestiminte Erkennungs-Merkmale ableiten können, sowohl für den Charakter der durch Gellius benutzten und nicht genügend bezeich- neten Quellen, als auch für das Maas und die Form dieser Beautzung. Den bisherigen Andeutungen widerspricht keineswegs das Verfahren, welches bei der Behandlung der gegenwärtigen Aufgabe in Anwendung kom- men soll. Wir gedenken einige der prägnantesten Beispiele, aus der Zahl der von Gellius epitomirten Organe des Juristen-Rechts der Römer, zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. An diesen soll gezeigt werden, dass die Voraussetzung einer stattgehabten Benutzung juristischer Organe, so wie die Begrenzung des Umfanges des Excerptes und des Verhältnisses der Betheiligung unter mehreren genannten Gewährsmännern, sowohl aus dem Inhalte und den Sprachformen des Referates, als auch durch die Ver- gleichung mit entsprechenden Überlieferungen der classischen röm. Rechts- doctrin, mit Sicherheit begründet werden kann, unabhängig von dem eige- nen Zugeständnis des Compilators. Denn die Organe des röm. Juristen- Rechts, da sie im Besitz einer scharf ausgeprägten Kunstsprache waren und in beträchtlichem Umfange uns überliefert sind, erscheinen vor allen durch Gellius ausgebeuteten Quellen besonders geeignet zur Unterstützung eines derartigen Versuches der Kritik. Bei der veranstalteten Auswahl ist freilich nicht den an materieller Belehrung reichhaltigen Stücken der Vorzug zu- erkannt worden, sondern vielmehr denjenigen, an welchen die formellen Beziehungen der Individualität jedes Gewährsmannes, und der Maasstab für die Benutzung der vereinzelten Referate, am erkennbarsten hervortreten. Damit jedoch die Förderung eines solchen Unternehmens von jeder Einsei- tigkeit bewahrt bleibe, mögen an die Spitze der Untersuchung der einzelnen juristischen Referate einige allgemeine Betrachtungen gestellt werden, über in den Noctes Attlicae des A. Gellius. 35 die eigenthümlichen Schwierigkeiten der Quellen-Kritik des Gellius, und über die vorhandenen Mittel zu deren Beseitigung. Diese vorbereitende Er- örterung hat über das gesammte Material der Compilation sich zu verbrei- ten, ohne Beschränkung auf Excerpte von römisch-rechtlichem Inhalt. I. Die eigenen directen Äusserungen des Gellius über das, bei dem Sammeln und Redigiren seiner Excerpte befolgte Verfahren, scheinen auf den ersten Blick ein eben so glaubhaftes als ausreichendes Zeugnis zu bilden für die Ermittelung der Methode, nach welcher derselbe die durch ihn aus- gebeuteten Quellen benutzt und die Resultate davon zusammengestellt hat. Er erinnert in der Einleitung seines Werkes, dass in diesem die nämliche Reihenfolge der Gegenstände beibehalten worden sei, welche seinen schrift- lichen, aus Bücher-Excerpten und mündlichen Mittheilungen hervorgegan- genen, Aufzeichnungen zu Grunde gelegen habe. (!*) Gleichzeitig giebt er zu erkennen, dass bei der Auswahl des Stoffes zwar mit grösserer Berück- sichtigung der Belehrung als wie der Unterhaltung der Leser verfahren sei, (1°) ('°) Praefat. S. 2. „Usi autem sumus ordine rerum fortuito, quer anlea in excerpendo feceramus. Nam perinde |proinde P. R.] ut lorum quemque in manus ceperam, seu graecum seu latinum, vel quid memoratu dignum audieram, ita quae |[itaque P. R.] libitum erat, cuius generis cumque erant, indistincte atque promiscue adnotabam: eaque mihi ad subsidium memoriae, quasi quoddam litterarum penus, recondebam; ut, quando usus venisset aut rei aut verbi, cuius me repens forte oblivio tenuisset, et libri, ex quibus ea sumseram, non ades- sent, facile inde nobis inventu atque depromtu foret”” Auch der unmittelbar folgende Re- desatz (S. Anm. 20.) trennt die, durch eruditiones, tractationes und lectiones gewonnenen, Gattungen schriftlicher Vermerke. (1?) Ebendas. $. 11. fg. Sed ne consilium quidem in excerpendis notandisque |quaerendis- que R.]| rebus ide mihi, quod plerisque istis fuit: namque illi omnes, — in quas res cumque inciderant, — converrebant; quibus in legendis ante animus senio aut taedio languebit, quam unum alterumve repererit, quod sit aut voluptati legere, aut cultui legisse, aut usui meminisse. Ego vero — ipse quidem volvendis Iranseundisque multis admodum voluminibus modica ex üs, eaque sola accepi, quae aut ingenia promta expeditaque ad honestae eruditionis cupi- dinem utiliumque artium contemplationem celeri faciligue compendio ducerent, aut homines aliis iam witae negotis occupatos a turpi certe agrestique rerum atque verborum imperilia vindicarent.” E2 36 Dinksex: Die duszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, jedoch ohne Beeinträchtigung der Mannichfaltigkeit des Materials. (?%) Damit kommen überein die beiläufigen Bemerkungen, denen man in den einzelnen Abschnitten des Werkes begegnet. Dieselben bestätigen zunächst, dass an die, aus dem Studium einer vereinzelten Schrift erwachsenen, Auszüge hin- terher Nachträge aus verwandten Quellen, zum Theil auch aus fremden Com- pilationen, gefügt worden seien. (?!) Man wird ferner unterrichtet, wie der Sammler durch fremde Empfehlung zu dem Studium gewisser Bücher sich habe leiten lassen, denen er reichhaltige Lesefrüchte schuldig geworden sei. (?”) Vornehmlich aber belehrt uns Gellius gelegentlich, dass erst bei der Redaction der einzelnen Abschnitte die mannigfaltigen Notizen aus sei- nen Excerpten in eine Übersicht gebracht und künstlich zu einem Ganzen verbunden seien. (*°) Wollte man solche allgemeine Auslassungen, in der Anwendung auf die Kritik der Quellen für jeden einzelnen Abschnitt, zu unbedingter Gelt- (@°) Ebd. $.3. Facta igitur est in his quoque commentarüs eadem rerum disparilitas, quae fuit in illis adnotationibus pristinis, quas breviter et indigeste et incondite eruditionibus, Ira- ctationibus lectionibusque variüis feceramus. Die Mittheilung des Hrn. Dr. Hertz zu den Schlussworten lautet: „Zraczationibus fehlt in P.R., so wie auch in einer der jüngeren Hdss. auf der Pariser Bibliothek (8666. olim Colbert.). Diese liest: incondite annota- tionibus lectionibusque; die andern jungen Hdss. incondite annotationibus, tra- etationibus lectionibusque. Nur die beiden guten Hdss. P. R. bieten erudizionidus.” (@') XVII. 2. „Cum librum veteris scriptoris legebamus, conabamur postea memoriae vege- tandae gratia indipisci animo ac recensere, quae in eo libro scripta essent: — eratque hoc sane quam utile exercitium ad conciliandas nobis, ubi venisset usus, verborum sententiarum- que elegantium recordationes: velut haec verba ex Q. Claudii primo annali, quae meminisse potui, notavi; quem librum legimus biduo proximo superiore. — Haec ego non pauca |Haec ego pauca, in sämtlichen Hdss.] inzerim super eo libro, quorum memoria post lectionem suppetierat, mihi notavi.” Vgl. IX. 4. (@?) XVII 4. „Nos auten postea ex Apollinari didicimus ete.— Etyma quoque harum vocum et origines scriptas esse dicebat in libris Nigidianis, quos requisitos ego et repertos cum primarum significationum exermplis ut commentarüs harum Noctium inferrem, notavi, et intulisse iam me aliquo in loco commentationibus istis existimo.” (©) I, 23. „Ea Catonis verba huic prorsus commentario indidissem, si libri copia fuisset id temporis, cum haec dictavi. (Quodsi non virtutes dignitatesque verborum, sed rem ipsam scire quaeris, res fere ad hunc modum est.” XVII. 21. „Ut ab istiusmodi, inguam, temporum aetatumque erroribus caveremus, excerpebamus ex libris, qui Chronici adpellantur, — easque nunc excerptiones nosiras, varlis diversisque in locis factas, cursim digessimus. — Satis auten visum est, in hoc commentario de temporibus paucorum hominum dicere etc. in den Noctes Alttlicae des A. Gellius. 3m ung bringen, so dürften bedenkliche Resultate sich herausstellen. Denn es würde daraus folgen, dass die in die Form mündlicher Verhandlung ge- kleideten Mittheilungen thatsächlich nichts gemein gehabt haben mit dem In- halte der, aus schriftlichen Quellen gezogenen, Excerpte; sodann aber, dass die, in jeder einzelnen Abtheilung der Compilation enthaltenen, Ausführun- gen verschiedenartiger Berichte auch in der vorstehenden Reihenfolge aus ihren Originalen geflossen seien, so dass darnach die Ordnung der concreten Organe für die bezüglichen Excerpte unabänderlich festgestellt wäre. In- dess mit diesen Folgerungen sind die Thatsachen nicht in Einklang zu setzen. Es liegt nämlich eine eigenthümliche Schwierigkeit für die Handhabung der Quellen -Kritik des Gellius sowohl in der, mit Vorliebe herbeigezogenen, Form der gesprächsweisen Belehrung, als auch in der bunten Zusammen- stellung der Aussagen verschiedener Schriftsteller in fast jeder Abtheilung der Sammlung. Für die Prüfung dieser Eigenthümlichkeit der Methode unsers Compilators, so wie in Beziehung auf die Mittel zur Ausgleichung derselben mit den Forderungen der historischen Kritik, dürften die folgen- den Bemerkungen nicht ungeeignet sein. Die Gesprächs-Form der Darstellung erscheint bei Gellius nur aus- nahmsweis bedingt durch die äusserliche Veranlassung der angeknüpften Er- örterung. In den meisten Fällen ist sie blos zufällig und willkührlich her- beigeführt: ähnlich wie derselbe Compilator an andern Stellen, zur Einleit- ung für die Mittheilung seiner Lesefrüchte, Bezug genommen hat auf brief- lichen Verkehr, (?*) oder auf Zeit- und Orts-Verhältnisse aus dem Bereiche eigener Erlebnisse. (2°) Bisweilen findet man die Theilnehmer der mündli- chen Verhandlung höchst ungenau bezeichnet, und die gesprächsweise Fass- ung der Mittheilung so nachlässig gehandhabt, dass die Erdichtung der ge- wählten Einkleidung auf der Hand liegt; (2%) abgesehen davon, dass man zum Theil bestimmte Persönlichkeiten als stationäre Masken wiederholt auf (@) z.B. I. 23. X. 1. () Vergl. II. 3. IV.1. V.4. VI.6.13.16. VIL17. IX. 2.4.15. X. 25. XL. 3.7.18. 16. fg. XII. 19. 21. XIV. 5. XV.1.3.7. fgg. XVI. 6. 8. 10. XVII. 2. 6. 8.15.20. XVIIL. 4.6.9. XIX. 1.5. fg. 9.12. fg. XX.1. (@) 1.7. V. 13.21. VI. 15. VII. 17. XII. 14. XIII 12. fg. 30. XIV. 5. XV. 4. 30. XVI. 9. XVII 5. XVII. 13. 38 Dirksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, die Bühne geführt erblickt. (?°) Allein auch da, wo die redenden Charak- tere mehr individualisirt sind, beschränkt sich der Einflufs der Gesprächs- Form auf die rhetorische Einkleidung der Darstellung, während die Hand- habung der eingeschalteten Quellen-Excerpte unberührt davon geblieben ist. (?) Daneben mag nicht unerwähnt bleiben, dass mitunter Gellius selbst einen Gegenstand der Erörterung als besonders geeignet für die rhetorische Behandlung bezeichnet, indess gleichzeitig angedeutet hat, es müsse, in Folge äusserer Bestimmungs-Gründe, der einfacheren Form schriftlicher Überlieferung der Vorzug gegeben werden. (??) Bei andern Anlässen (°°) ist durch unsern Compilator ausdrücklich bekundet, wie er die Äufserun- gen der als redend eingeführten Personen, so wie die ihm mitgetheilten Be- merkungen eines Individuums, nur unvollkommen aus eigener Erinnerung wiedergegeben, mithin die rednerische Form der Zusammenstellung erst bei der Redaction seiner Sammlung versucht habe. So ungleichartig aber im- merhin, in Beziehung auf sorgfältige Bearbeitung, die verschiedenen Reden und Gespräche ausgeführt erscheinen, so tritt doch bei allen die Verknüpf- ung mit dem Bücherstudium des Compilators mehr oder minder anschaulich hervor. Denn bald hat derselbe dem Redenden zahlreiche und genaue An- führungen fremder Schriftstellen in den Mund gelegt, (°') bald derartige Be- weisstücke als Nachtrag folgen lassen, zur Bestätigung oder Berichtigung des Gesagten. (°?) Bisweilen ist er wohl auch von der Form des Dialoges über- (°’) z.B. der Grammatiker, der über die Bedeutung alltäglicher und scheinbar unbedenk- licher Bezeichnungen, oder wegen der Übertragung griechischer Kunstworte befragt, die Antwort hochmüthig ablehnt, oder ohne Geschick ausrichter; (TV. 1. VII. 17. VIII. 10. 14. XI. 16. XVII. 4. 7. XIX. 10. XX. 10.) so wie der auf veraltete Ausdrücke Jagd machende, oder dieselben ohne Grund anfeindende, Gelehrte und Geschäftsmann. (S. I. 10. 22. V. 21. VI. 15. fg. XI. 7. XIII. 30. XIV. 5. XV. 9. XVI 6. 10. XVII. 5. XVIII. 9.). (22)T.16. (2?) VI. 8. „Lepida igitur quaestio agitari potest, utrum etc. — Sed hanc utramque decla- matiunculam — celebraverint, quibus abunde et ingenü et otii et verborum est. Nos satis habebimus, quod ex historia est, id divere.” S.IX. 15. fg. Ey. B. IE27207 XV EA ITRV IE RE XI, @') 1.7. I. 26. IV. 1. XIII. 24. 28. XIV. 1. XV. 1. XVI. 10. XVII 10. fg. XVOL4. fg. XIX. 1. 8. 10. 13. XX. 6. 8. (*) IL. 22. IV.1. VI. 17. X. 13. XIV. 1. fg: XVI.:2740. XVII. 11.20. XVIBAfe. 10.12. XIX. 8. An einigen Orten hat Gellius ausdrücklich erinnert, dass er das von dem in den Noctes Atticae des A. Gellius. 39 gegangen zu schriftlichen Mittheilungen mittels eigener Darstellung; (°°) oder er behandelt die mündlichen Äusserungen, theils eines einzelnen Referen- ten (°*) theils einer Mehrzahl derselben, (°) durchaus wie die Auszüge von Schriftstücken. Und dass auch in den am sorgfältigsten redigirten Dialogen, deren Text directe Anführungen fremder Schriften nicht aufzuweisen hat, indirecte Hinweisungen auf die Benutzung solcher Quellen kaum zu verken- nen sind, lässt an zahlreichen Beispielen sich nachweisen. (°°) Die andere Eigenthümlichkeit, durch welche Gellius von den übrigen Compilatoren sich unterscheidet, besteht in der Form der Bezeichnung der Quellen für jeden Abschnitt seiner Sammlung, gleichwie in der Art der Zu- sammenstellung von Referaten verschiedener Gewährsmänner. Der Gram- matiker Festus hat bei der Angabe seiner Quellen, neben der Anführung zahlreicher Einzelnamen, mannichfaltige Collectiv-Bezeichnungen der excer- pirten Autoren zur Anwendung gebracht. Gleiches gilt von dem ältern Plinius; nur dass bei diesem ausserdem, durch den im ersten Buche seines Werkes vorangestellten Elenchus auctorum, eine fortlaufende Controlirung der Quellen für den Text gesichert ist. (*”) Dagegen sind dem Gellius ei- gentliche Collectiv-Benennungen, gegenüber der Individualisirung seiner Ge- währsmänner, nicht eben geläufig; mit nur wenigen Ausnahmen, zu denen unter andern die Bezeichnung Feteres gehört, welcher man bei ihm, gleich- Redner mitgetheilte hinterher in dessen eigenen Schriften angetroffen, oder auch in den bekannten Werken anderer gelesen habe. S. XVII. 5. a.E. XIX. 1.a. E. EI 7.026. 1IE:2. IV21.’V.43. XI. 13.419NE7222730. KIV. 2.5 XV. 4,9. XV 06. XVII. 5. XVII. 8. fg. XIX. 8. C) 1.5. XV.8. XIX.3. XX.4. €) XII. 19. fg. 22. XV. A. XVI.1. XVII. 7. (°°) Ausser der Erörterung in XX.1. (S. unten Abthl. III. a. E.) dürfte dahin gehören die Auslassung über den Stammbaum der Catonen. (XIII. 19.) Denn obwohl die ausführ- liche Mittheilung hier dem Sw/picius Apollinaris in den Mund gelegt ist, so ergiebt die Schlussbemerkung, („Aaec Sulpicius Apollinaris nobis audientibus [audientibus nobis in den besten Hdss. durchgängig.] dixit: quae postea ita esse, uli dixerat, cognovimus cum et lau- dationes funebres et librum commentarium de familia Porcia legeremus.”) dass Gellius die Einzelheiten für seine Ausführung den bezeichneten Schriften entlehnt habe. (’) Von den römisch-rechtlichen Quellen des Festus und Plinius wird in später zu veröffentlichenden Abhandlungen des Verf. die Rede sein. 40 Dıinssen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, wie bei andern seiner Zeitgenossen, Vorfahren und Nachfolger, (°®) in verschie- denartigen Beziehungen (°”) und Zusammenstellungen (*°) begegnet, ohne dass bei deren Gebrauch eine sichere chronologische Begrenzung festgehalten war. (*') Indess darf man damit nicht verwechseln die unbestimmten, direc- (°) Vergl. darüber Bernhardy a.a. O. $.36. Anm. 135. S. 181. fg. Varro deL.L. V. 44. 98. VI. 58. VII. 33. Columella de R. R. I. in praefat. vergl. II. 2. 4. 8. 22. III. 10. Vv.1. RR. 2. (°) So in der Anwendung auf Geschichtschreiber, Philosophen, Redner, Dichter, Gram- matiker u.a. m. 11.6.1413. 110.162 1V21.7..16. 31.16.18, 92412, 4X 29 ER TE SERIE 649 X 111. 3° 16.205220 XIV TE XV 9215. XVT.52729. XV 12. XSVTIE 20ER RER: (*%) z.B. Yeteres homines, v. nostri, im Gegensatz zu: nunc, v. nos. (1. 15. a. E. 29. II. 2.26. VI.14. VII 11. X. 20. 243 XI. 1. XI. 6. 13. XIO. 6. 9. 11.:X VIE 12.XIX. 8. XX. 1.) Zatini veteres, s. vetustiores, auch prisci. (1. 10. 20. V.12. 20. vergl. XV.13.) Seriptores veteres. (1.4. V. 6.21. VII. 2.12. IX. 44. XI. 9. XIII. 3. XVII. 2, XVII. 6. XIX. 11.) Yeieres, Äntiquiores, Antiquissimi viri, Omnis vetustas, als gleichbedeutende Ausdrücke. (X. 24. XI. 6. xVvil. 4. XIX. 9.). (*') Dieselbe Ausstellung trifit freilich auch andere Gewährsmänner dieses, gleichwie eines frühern Zeitalters, z.B. Minucius Felix in Octav. c. 22. ,„, — Omnes seriptores vetustatis, graeci romanique — prodiderunt. Scit hoc Nepos et Cassius in historia, et Thal- Zus ac Diodorus hoc loquuntur.” c. 33. „Seripta eorum relege, vel si Romanis magis gaudes, ut transeamus veteres, Flavii Josephi, vel Antoni Juliani de Judaeis require.” Varro de L.L. V1.33. „Mensium nomina fere aperta sunt, si a Martio, ut antiqui constiluerunt, nu= meres. Nam primus a Marte. Secundus, ut Fulvius seribit et Junius, a Fenere, quod ea sit Aphrodite: cuius nomen ego antiquis litteris quod nusquam inveni, magis pulo dietum, quod ver omnia aperit, Aprilem.” VII. 26. „In multis verbis, in quo antiqui dicebant S., postea dictum R.” \Vergl. $.29. $. 52. „Ab eo veteres poetae — adpellant etc.” S.8. 84. IX. 17. X. 73. Donatus art. grammat. II. 10. SS. 4. 6. 1.16. 8.6. Val. Probus institut. gramm. II. 3. $.9. II.4. 8.2. fg. Auch Nonius Marcell. de propr. serm. bedient sich vielfach der Bezeichnung: Feteres, (1. 1. 13. fg. 47. 68. 79. fg. 206. fg. 215. fg. 238. 250. fg. 263. 309. II. 4. 13. 76. 78. 233. 341. 373. fg. 406. 553. 577. 681. 756. 921. III. 10. 49. 242. IV. 215. 218. 225. 235. 292. fg. V. 68. 81. fg. Besonders beachtenswerth ist des- sen Ausführung I. 258. „Sororis adpellationern veteres eleganti interpretatione posuerunt; ita- que maximi iuris scriptores exprimendam putaverunt. Antist. Labeo: Soror, inquit, adpellata est quod quasi seorsum nascilur, separalurque ab ea domo, in qua nala est.” (vergl. Gell. XIII. 10.) I. 266. — „Nam et Catonem et caeteros antiquiores — pronunciasse contendit (sc. ‚Varro.)” II. 11. „Apludas, frumenti furfures dieunt rustici veteres. Hoc in antiquis inveni- tur, quorum in dubio est auctoritas: quamquam et Plautus in Astraba fabula ita dixerit, culus incertum est an sit eius comoedia.” ]1. 243. „Diurnare, honestum verbum pro diu vi- vere. Et apud veterem prudentern auctoritatis incognitae: „Neque oplimum quemque inter nos sinunt diurnare.” vergl. das. 4632787. II. 21..29: 4925131487206. 253: V. 7727 92ER: 2. fgg. 16. 26. (gg. 30. fg. 42. 68. 78. 85. fg. 106. VIM. 21.78. XIL 1.4. fg. 24. 29. in den Noctes Atlicae des A. Gellius. 41 ten oder umschreibenden, Bezeichnungen von Schriftstellern (*?) und Schrift- werken. (“*) Denn diese sind nicht selten blos als Einleitung gebraucht, zur Namhaftmachung von concreten Gegenständen und Persönlichkeiten, (**) so wie als Übergang zur Berufung auf die Ausführung eines andern verein- zelten Gewährsmannes, (‘°) oder eines Compilators. (*%) Regelmässig ent- hält jeder einzelne Abschnitt die Angabe der besondern Quelle, aus welcher dessen Inhalt geschöpft ist. (7) Allein nur selten, zumal bei ausführlichen Darstellungen, hat der Gompilator einem vereinzelten Führer sich ange- schlossen, während gewöhnlich Auszüge aus verschiedenen Schriften durch ihn zusammengestellt sind. Und alsdann kann der Versuch zur Ermittelung der Autorschaft, gleichwie zur genauen Begrenzung des Umfanges für die einzelnen Beiträge, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Denn dies tritt nicht blos da ein, wo Gellius, nachdem er mit dem Referate des Inhaltes einer fremden Mittheilung begonnen hat, zu der eigenen Beurtheil- ung und Auslegung seines Gewährsmannes übergeht; sondern vornehmlich da, wo Inhalts-Referate mit Textes- Referaten abwechseln, und zum Theil die Namens-Angaben der epitomirten Autoren einander kreuzen. Im allge- () Um der allgemeinen Bezeichnungen: „Philosophi, oratores, grammatici, me- diei etc. (1.7.13. III. 16. V. 15. X. 29. XI.1. XVII 7.9. fg.) nicht zu gedenken, mag hier nur verwiesen werden auf die Charakterisirung der Bearbeiter concreter Gebiete der Wissenschaft. (1.3. X. 9. 18. 23. XIII. 2. XIV. 3. XVII. 11.) (®) z.B. V. 6. („In gquadam comoedia Caecilii etc”) 1.12. X. 26. XIII. 12. XV. 9. („In quadam epistola legimus, v. scriptum reliqui£.”) VII. 20. („In guodam . . .” commentario scriptum reperi.') (*‘) So z.B. bei den röm. Geschichtschreibern; (I. 11. 13. 19. II. 11. 13.) bei den Grammatikern und Philosophen, (II. 6. XVII. 11.) und bei gewissen Bearbeitern des Sa- ceral-Rechts. (I. 12. X. 15. XIII. 14. fg. () IV. 12. („Cuius rei utriusque auctoritates sunt, et M. Cato id saepenu- mero adtestatus est.”) Vergl. c. 13. c.19. V.16. VI.7.a. E. XI. 2. XV. 1. (“) So z.B. in Beziehung auf den ältern Plinius. S. II. 16. IX. 4. X. 12. XVII. 15. (7) Obgleich bisweilen eine solche Bezeichnung unterblieben ist, und der nicht ge- nannte Gewährsmann durch anderweite Ermittelung mit Bestimmtheit nachgewiesen wer- den kann. Dies gilt, abgesehen von dem zuvor besprochenen Beispiel der Ableitung des Referates in XV. 11. aus dem Lid. de clar. rhetor. c. 1., in den zahlreichen, von den Her- ausgebern des Gellius nachgewiesenen Fällen, wo Mittheilungen des Livius, Plutarch u. a. m. stillschweigend benutzt worden sind. Philos.- histor. Kl. 1851. F 42 Dirksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, meinen darf man freilich die Rangordnung der eitirten Gewährsmänner als ei- nen verlässlichen Anhaltspunkt, zur Ermittelung der Autorschaft für die ver- schiedenen Excerpte, benutzen.(*%) Allein nicht immer ist der Hauptführer des Epitomators schon zu Anfang der Ausführung namhaft gemacht, so dass die hin- ter ihm genannten nur den Schweif dieses Kernes darstellen. (**) Vielmehr fin- det man bisweilen den Namen des Gewährsmannes bei einem fortlaufenden Re- ferate, in welches vereinzelte Notizen aus den Werken anderer benannter Au- toren eingestreut sind, erst am Schlusse aufgeführt. Alsdann bildet die Rei- henfolge der Citate einen unzuverlässigen Massstab für die Begrenzung der Autorschaft einzelner Referate. (°) Auch tritt noch ein anderes Bedenken hinzu. Wenn Gellius den Inhalt einer Mittheilung zwar einem bestimmten Gewährsmanne überwiesen, allein nachträglich erinnert hat, dass dieselben Angaben gleichfalls bei einem andern Autor anzutreffen seien, dann kann der Zweifel entstehen, ob man den später genannten als einen selbstständi- gen Referenten zu betrachten habe, oder als den blossen Copisten jenes ur- sprünglichen Führers. (°') Nach der Charakterisirung dieser eigenthümlichen Schwierigkeiten der Quellen-Kritik des Gellius, bleibt weiter von den Hülfsmitteln zu han- deln, die deren Beseitigung herbeiführen können. Die Eigenheiten der Anlage und Ausführung unserer Compilation, welche wir als die Quelle der gerügten Übelstände kennen gelernt haben, tragen zum Theil gleichzeitig das Correctiv für dieselben in sich. Denn die Mannichfaltigkeit der behandelten Gegenstände rechtfertigt es, wenn der Compilator bisweilen während der Fortsetzung der Redaction zu einem be- reits behandelten Thema zurückkehrt; so dassnunmehr, durch die Vergleich- ung der Ausführung an verschiedenen Stellen, die Prüfung der Methode des Quellen-Studiums erleichtert erscheint. Freilich ist für die Abschnitte (*) Zumal in denjenigen Abschnitten, welche blos eine‘ Zusammenstellung vereinzelter Citate enthalten. (*”) Diese verhalten sich zu dem vorangestellten ungefähr so, wie die Zugaben, mit welchen Gellius aus eigenen Mitteln dergleichen Referate ausgestattet hat. Vergl. VI. 5. 42. VII. 4. 15. X. 20. XII. 10. XVI. 5. XVII. 4. (°°) Die Belege findet man in Abthl. II. dieser Abhdlg. (°') z.B. IV. 4. Vergl. des Verf. Abhdlg.: Üb. d. Wirksamkeit der Ehegelöbnisse u. s.w. Anm. 25. (Jahrg. 1848. S. 97. dieser Denkschriften.) in den Noctes Atticae des A. Gellius. 43 von römisch -rechtlichem Inhalt diese Nachhülfe kaum von einiger Ergiebig- keit; indem hier die Wiederaufnahme eines schon besprochenen Gegenstan- des grossentheils blos beiläufig zu geschehen pflegt, (°) oder nur einen Nach- trag liefert aus den früher unbenutzt gebliebenen Quellen. (°*) Als ungleich belangreicher bewährt sich dagegen der Gewinn, den die Methode unsers Compilators an die Hand giebt, die (Quellen vereinzelter Mittheilungen ge- nau zu bezeichnen. Insofern dies nämlich solche Organe sind, welche noch jetzt in den Originalen vorliegen, oder in andern Compilationen zugänglich sind, bildet die Vergleichung derselben eine reichhaltige Fundgrube, sowohl für die Wortkritik des Gellius als auch für die Begrenzung der Inhalts- und Textes-Referate desselben. Und dazu gesellt sich, gerade bei den römisch- rechtlichen Mittheilungen, der entscheidende Vortheil, den die Zusammen- stellung von Sprache und Inhalt solcher Referate des Gellius, mit den uns überlieferten Bruchstücken des römischen Juristen-Rechts, in Aussicht stellt. Da nämlich, wo unser Compilator, sei es nach eigener Kenntnis oder ge- leitet durch rechtskundige Gewährsmänner, einen rechtlichen Gegenstand selbstständig besprochen hat, ist dessen Autorschaft sofort zu erkennen, theils an der unbestimmten Formulirung der Begriffe und an der unzurei- chenden Auslegung, theils an der mangelhaften Präcisirung des Redeaus- druckes und an der willkührlichen Zugabe von rhetorischen Elementen des Stiles. Dagegen bei dem Hervortreten der gegentheiligen Erscheinung darf das Vorhandensein eines Referates aus juristischer Quelle als entschieden vorausgesetzt werden, selbst in Abwesenheit jeder namentlichen Bezeichnung eines bestimmten rechtskundigen Führers. Die sogleich anzuknüpfende Prüf- ung einzelner Referate, aus dem römischen Juristen-Recht, wird den Beweis davon liefern. (°*) Im allgemeinen aber mag schon hier verwiesen werden (°°) So z.B. über gradus et ordo officiorum, (V.13. XX.1.) über die Bestrafung des Furtum, (VII. 15. XT. 18. XX. 1.) u.m.a. (°) z.B. über die Formen der Abstimmung im röm. Senate, (III. 18. IV. 10. XIV. 7.) und über die Zudicia censoria. (IV. 20. VII. 18. 22. (°*) Freilich sind auch solche Stellen nicht unbeachtet zu lassen, wo Gellius über rö- misch-rechtliche Einrichtungen, so wie über Eigenthümlichkeiten des juristischen Sprach- gebrauches überhaupt sich verbreitet, und ausschliesslich seiner eigenen Anschauung von diesen Gegenständen Worte geliehen hat. (z.B. XII. 13. XIII. 13. XIV. 12.) Allein un- gleich entscheidender ist die Beweiskraft derjenigen Referate, welche unmittelbar oder mittelbar auf einen bestimmten rechtskundigen Führer hinweisen. F2 44 Dinesen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, auf den Sprachgebrauch: Veteres, und Feteris iuris auctores, welcher zwar in der eigenen Rede des Gellius einer bestimmten Charakterisirung er- mangelt, (°°) dagegen in dessen Referaten aus römischen Rechtsquellen überall die nämliche scharfe Ausprägung zu erkennen giebt, die derselbe in der Terminologie der classischen röm. Rechtsdoctrin aufzuweisen hat. (°%) Es ist dies die Beschränkung der fraglichen Bezeichnung auf die Rechtsge- lehrten, die vor der Einführung des Ius respondendi durch die R. Kai- ser blühten, gegenüber den Juris auctores, s. conditores, der Kaiser- periode. (°) II. Für die folgende Prüfung, der vornehmsten Beispiele von ausführlichen römisch-rechtlichen Mittheilungen, dürfte diese Anordnung des Materials am meisten sich empfehlen. Voranzustellen sind solche Referate, deren Zurückführung auf bestimmte rechtskundige Gewährsmänner, ausser den ei- genen Angaben des Compilators, durch das directe Zeugnis anderer Quellen unterstützt wird. Daran schliefsen sich diejenigen Mittheilungen, für wel- che eine derartige Zusammenstellung der Quellen nicht zu bewirken ist, viel- mehr nur die Vergleichung mit entsprechenden fremden Ausführungen, gleich- wie mit dem Sprachgebrauche der römischen Rechtsgelehrten, als Anhalts- punkt benutzt werden kann für die Vermuthung, dass Gellius auch hier einen bestimmten rechtskundigen Führer gefolgt sein möge. Und die Versuche der Conjectural-Kritik, von solchen muthmasslich ausgebeuteten Gewährs- männern einzelne Persönlichkeiten zu ermitteln, dürften innerhalb ziemlich enger Grenzen sich bewegen. Denn die verhältnismässig geringe Anzahl der in unserer Compilation mit Namen bezeichneten juristischen Schriftsteller berechtigt zu der Folgerung, dass Gellius überhaupt nur aus einem mässigen Kreise von Originalwerken seine unmittelbaren Lesefrüchte aus dem römi- schen Juristen-Recht möge gewonnen haben. (5°) (°) Vergl. die Belege oben in Anm. 39. 40. (°) z.B. IV. 1.2. vergl. II. 10. V. 19. VII. 15. (°”) S. des Verf. Beiträge zur Kunde d. R. Rs. Abhdl. 2. S. 159. fg. Lpz. 1825. 8. (°°) Vergl. XIV. 2. (unten Anm. 69.) in den Noctes Atticae des A. Gellius. 45 Das erste Capitel des vierten Buches beginnt mit der mündlichen Ver- handlung, zwischen dem Philosophen Favorinus und einem ungenannten Grammatiker, über die Bedeutung von penus. Ausgehend von dem Sprach- gebrauche des gemeinen Lebens, nach welchem gewisse Gegenstände des täglichen Verbrauches im Haushalt als Bestandtheile des Vorrathes häusli- cher Consumtions-Artikel (penus) anerkannt wurden, wendet sich der Phi- losoph zu der kunstgerechten Feststellung des Begriffes jener Bezeichnung. Unter Beibringung von Textesworten, welche scheinbar dem Rechtsgelehrten Qu. Mucius Scävola entlehnt sind, definirt derselbe den penus als den Gesammt- Vorrath des Hausbedarfs für die dauernde Ernährung der Fami- lienglieder. Gellius hat aus des Servius Sulpieius Schrift: Reprehensa Scaevolae capita, die nachträgliche Berichtigung beigebracht, dass nach Aelius Catus auch die nicht zum leiblichen Genusse dienenden Gegen- stände des täglichen häuslichen Verbrauches, z. B. Weihrauch und Wachs- kerzen, dem penus zugezählt worden seien. Ausserdem erinnert er, dass in dem zweiten Abschnitte der Zidri iuris civilis des Masur. Sabinus es gleichfalls zur Sprache gebracht sei, wie nicht weniger den Vorräthen zur Unterhaltung der Hausthiere, und nach der Ansicht mehrerer auch dem im Hause gesammelten Brennmaterial, die gleiche Stellung gebühre; während dagegen von den, zum Betriebe eines Gewerbes dienenden Vorräthen, aus welchen gleichzeitig der fragliche Bedarf der Hausgenossen bestritten werde, nur der Betrag eines einjährigen Verbrauches zum penus gezogen werden 8 dürfe. (°°) (°) IV, 1: „Quaeris, inquit, (sc. grammaticus,) rem minime obscuram. Quis adeo ignorat, penum esse vinum et triticum et oleum et lentem et fabam atque huiuscemodi cetera? Et- amne, inquit Favorinus, milium et panicum et glans [sfandem V. P. R.] et ordeum penus est? sunt enim propemodum haec quoque eiusmodi.— Sed, ut faciam te aequiore animo ut sis, ne ili quidem veteris iuris magistri, qui sapientes adpellati sunt, definisse satis recte exi- stimantur, quid sit penus. Nam Qu. Scaevolam, ad demonstrandum penurm |demonstran- dam penu F. P. R.] his verbis usum audio: „Penus est, inquit, quod esculentum aut pocu- lentum est” Quod ipsius patrisfamilias, aut liberum patrisfamilias eiusque familiae, quae cir- cum eum [eius quam circum eos F. P. R.] aut liberos eius est et opus eorum |non V.R. P.] facit, causa paratum est, ut Mucius ait, penus videri debet. Nam quae ad edendum biben- dumque in dies singulos prandii aut coenae causa parantur, penus non sunt; sed ea potius, quae huiusce generis longae usionis gralia contrahuntur et reconduntur, ex eo quod non in 46 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Dass die Bruchstücke des Justinianischen Pandekten-Rechts, welche über den Inhalt des legatum penoris sich verbreiten (°°) und auf die in dem vorstehenden Capitel besprochenen Gegenstände und bezeichneten Per- sönlichkeiten vielfach zurückkommen, ein belangreiches Hülfsmittel bilden zum Verständnis der Mittheilungen des Gellius, ist zwar im allgemeinen aner- kannt, (61) jedoch nicht in vollem Umfange gewürdigt worden. Denn man hat sich begnügt, aus den bezüglichen Überlieferungen der Rechtsbücher Justi- nian’s Elemente zur Unterstützung und theilweisen Ergänzung des Berichtes unserer Compilation zu gewinnen. Dagegen ist es unbeachtet geblieben, dass die Charakterisirung der durch Gellius benutzten Organe des R. Juri- sten-Rechts auffallende Blössen darzubieten scheint, und dass die Momente zu deren Rechtfertigung in den Überresten der Schriften jener Rechtsgelehr- ten zunächst aufzusuchen sein dürften. Durch die flüchtige Vergleichung der verschiedenen Referate wird nicht leicht jemand zu der bedenklichen Behauptung verleitet werden, als ob die gesammte Ausführung des Gellius auf das Citat aus Qu. Mucius, und auf dessen theilweise Berichtigung durch Servius Sulpicius, be- schränkt gewesen sei; so wie dass die schliessliche Verweisung auf das Rechts- promtu sint, [est P. R.] sed intus et penitus habeantur, [Rabeatur, R.] penus dieta sunt. [dieta est. R.].— Praeterea de penu adseribendum hoc etiam putaoi. Seroium Sulpicium in reprehensis Scaevolae capitibus scripsisse, Cato |al. Seio, v. Sexto. Die Codd. V. P. R. haben: sato] Aelio placuisse, non quae esui tantum [ohne zanzum F. P. R.] et potui forent, sed tus quoque et cereos [ohne ei cereos R.] in penu esse, quodque esset eius [guod esset eius, P. quod esset non eius, YV. quod non esset eius, R.] ferme rei causa comparatum. Masurius autem Sabinus in libro [ohne Zöro F.P. R.] iuris cieilis secundo, etiam quod iumentorum causa adparatum esset, quibus dominus uteretur, penori adtributum dieit. Ligna [Signa P: P. R.] quoque et virgas et carbones, quibus conficeretur penus, quibusdam ait videri esse in penu. Ex his autem, quae promercalia et usuaria in locis iisdem [ösdern in locis F. P.] essent, [esse F. P. R.] ea sola esse penoris putat, quae sint usui annuo. [guae satis sin? usw annuo. F.P.R.] Die von den Kritikern erhobenen Zweifel über die Persönlichkeit des hier erwähnten rechtskundigen Gewährsmannes Aelius erinnern an ähnliche Versuche zur Textes-Kritik in Justinian’s Rechtsbüchern. Der in Fr. 2. D. de don. int. V. et U. 24. 1. Fr. 3. $. 9. de penu leg. 33. 9. c. 1. pr. C. Just. de comm. servo man. 7.7. erwähnte Na- men des Sext. Caecilius wird von mehreren in Sext. Aelius umgeändert. Vergl. E. Merillii Obss. II. 2. Variant. ex Cuiac. II. 11. Menagii amoenitatt. J. C. c. 22. (°°) Dig. XXXIII. 9. De penu leg. S. Brisson. de Formul. VII. 76. (°') Vergl. Menage a.a. 0. c. 23. in den Noctes Alticae des A. Gellius. 47 system des Masur. Sabinus auf eine Verwechslung mit dem, anderweit ver- bürgten, (2) Citat aus des Qu. Mucius Lib. II. iuris eivilis hinauslaufe. Der Versuchung zu derartiger leichtfertiger Texteskritik sind die Ausleger des Gellius freilich fern geblieben; allein die Gründe ihres weiteren Verfah- rens haben mit nichten Anspruch auf unsere Billigung. Es wird nämlich durch sie angedeutet, dass das vorstehende Citat aus Lib. 2. iuris civilis des Masurius Sabinus, gleich einem aus Lib. 3. eod. an einer andern Stelle des Gellius, (°%) zu der Voraussetzung berechtige, es sei das Rechts- system des Sabinus von beschränktem Umfange gewesen, womit auch der, in dem Index Florentinus der Justinianischen Pandekten enthaltene, Nachweis übereinkomme: „Sabinu iuris civilion Bıßrıa roıa.” Allein die Achtheit eben dieser Angabe entbehrt jeder Beweiskraft, indem es zuge- standen ist, dass überhaupt kein unmittelbares Excerpt aus dem genann- ten Werke dieses Rechtsgelehrten in Justinian’s Compilation übertragen wor- den sei. Dazu kommt, dass in demselben Index entsprechende Meldungen, von Werken des Alfenus Varus und des Antistius Labeo, nicht auf die Originale Bezug haben, sondern auf die, durch spätere Rechtskundige gefertigten, Auszüge derselben. (°%%) Und überdem bleibt zu erwägen, dass die ausführlichen Arbeiten der Commentatoren jenes Rechts-Systemes des Sabinus(°°) einen verhältnissmässigen, nicht unerheblichen, Umfang für den Text des Originals voraussetzen lassen. (°°) Indess der Mittelpunkt der eigentlichen Schwierigkeit ist an einem andern Orte zu suchen. Gellius lässt den Favorinus die Mittheilung aus der Schrift des Qu. Mucius durch diese Phrase einleiten: „es seien die veteris iuris magistri noch nicht zu einer befriedigenden Bestimmung des Begriffes von penus gelangt.” Nichtsdestoweniger steht aber fest, dass (°) Fr. 3. pr. D. eod. 33. 9. (2) Noct. Att.'V.18. (°°) Es heisst daselbst: „’AApyvoÜ Digestön Alßrıa resoegarovre, und Aaßeu- vog HsıSavov Bißrıe 0270,” gleichwie: „Posteriorum Bißrıa d2xa” Dies aber ist zu verstehen von: Pauli epitome Digestorum Alfeni; sodann von dessen Notae in libros Pithanon, und von Javoleni epitome posteriorum Labeonis. (°°) Aus den Zidri ad Sabinum des Pomponius wird Lib. 36., aus jenen des Pau- lus Lib. 47., und aus denen des Ulpian Lib. 51. citirt. (°°) Die entgegengesetzte Ansicht findet man vertreten in B. W. Leist’s Versuch ei- ner Gesch. d. R. R’ssysteme. $$. 10. fg. S. 41. fg. Rostock. 1850. 8. 48 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Qu. Mucius Scävola selbst dem Kreise der veteres iuris auctores an- gehört hat. Sodann, die Ansicht des Qu. Mucius Scävola ist durch Gel- lius blos nach Hörensagen geschildert, und nichtsdestoweniger von der An- führung einiger Textesworte desselben begleitet worden. Vor allem aber scheinen die vereinzelten Bestandtheile des angeblichen Mucianischen Citates unter sich nicht im Einklang zu stehen. Denn der erste Redesatz spricht von Qu. Mucius in der dritten Person, obwohl daselbst auch dessen Tex- tesworte. wiedergegeben sind; während der zweite Satz, indem er die Be- hauptung dieses Rechtsgelehrten wesentlich berichtigt, mit dem Inhalte des voranstehenden nicht übereinkommt. Diesem scheinbaren Conflicte ist mit- tels der Voraussetzung zu begegnen, dass Gellius den Gesammt-Inhalt dieses Capitels auf ein Inhalts- und theilweises Textes-Excerpt der, erst am Schlusse von ihm namhaft gemachten, Schrift des Masur. Sabinus gestützt und die- sem Führer die Verweisungen, sowohl auf Qu. Mucius Scävola als auch auf Servius Sulpicius Rufus, entlehnt habe. Dagegen die Einkleidung in die Form der mündlichen Verhandlung dürfte als die eigene willkührliche Zugabe des Compilators zu bezeichnen sein. Die Beweisführung für dieses Postulat soll nicht erschlichen werden durch die Bemerkung, dass die dem Favorinus beigelegte Phrase: „ne illi quidem veteris iuris magistri, qui sapientes adpellati sunt, defi- nisse satis recte existimantur etc.” nach der Terminologie des Gellius keine ausreichende Bedeutung hat, (°”) während dieselbe, als ein Bestand- theil der Schriftsprache des Sabinus gedacht, genau übereinkommt mit dem Sprachgebrauche der römischen Rechtskundigen, sowohl für den Ausdruck V eteres, (°%) als auch hinsichtlich der Bezeichnung Sapientes. (°) Eher mag auf die anderweite Meldung des Gellius (?") Gewicht gelegt werden, dass er, bei seiner Vorbereitung zur Thätigkeit als Geschworener, vornehm- (°) S. oben Anm. 39. 40. (©) S. Anm. 57. Er selbst nennt sonst die Rechtsgelehrten: Zurisperiti. Vergl. XIV. 2. (Anm. 70.) (6%) Fr. 2. 88. 37. fg. D. de orig. iur. 1. 2. (°°%) XIV. 2. „Quo primum tempore a Praetoribus lectus in iudices sum, — libros utriusque linguae de officio iudieis scriptos conquisivi, — atque — ex ipsa lege Julia, et ex Sabini Ma- surü, et quorundam aliorum iurisperitorum, commentarüs commoniti et adminiculati sumus.” in den Noctes Alticae des A. Gellius. 49 lich aus den Commentarii des Masur. Sabinus Belehrung geschöpft habe. Und entscheidend ist jedenfalls diese Thatsache, dass in den Auszügen aus den Libri ad Sabinum des Ulpian und Paulus, welche fast aus- schliesslich das Material zu dem zuvor bezeichneten Abschnitte der Justinia- nischen Pandekten geliefert haben, genau dieselbe Folge der Erörterungen und Anführungen wahrgenommen wird, wie in diesem Capitel des Gellius; wodurch der Rückschluss auf das hier benutzte Original gerechtfertigt er- scheint. Vor allem ist die Bemerkung Ulpian’s (”!) zu beherzigen, dass Qu. Mucius das legatum penoris definirt habe als identisch mit: „ea, quae esui poluique sint, legata;” dagegen von Sabinus die genauere gegangen sei: „gquae harum patrisfamiliae, uxoris, liberorumve eius, vel familiae, quae circa eos esse solet.” Denn Formulirung aus dadurch werden wir in Stand gesetzt, das durch Gellius dem Favorinus beigelegte Citat in zwei Bestandtheile zu sondern, in die ursprüngliche De- finition des Qu. Mucius und in den ergänzenden Nachtrag des Sabinus. Dann sind es aber nicht mehr des erstern Textesworte, sondern die des zu- letzt genannten, welche Favorinus angeführt hat. Dadurch erscheint auch die Formulirung des Ausdruckes: „Nam Qu. Scaevolam — his verbis usum audio,” nicht minder gerechtfertigt als jene, auf die veteris iuris magistri, s. sapientes bezügliche, Eingangs- Phrase. Ferner geschieht bei den genannten Commentatoren des Sabinus der berichtigenden Zusätze Erwähnung, durch welche bereits Servius Sulpi- cius die vorstehende Ausführung des Qu. Mucius vervollständigt hatte. (7?) Namentlich ist der demselben bei Gellius vindicirte Nachtrag, ausführlicher und mehr im Zusammenhange, von Ulpian (7?) besprochen. Endlich sind die, am Schlusse unsers Capitels, aus dem Rechtssysteme des Sabinus hervor- gehobenen Gegenstände gleichfalls durch Ulpian (?*) auf den von ihm com- mentirten Text jenes Systems zurückgeführt, und mit der Dogmen - Ge- schichte dieser Lehre in Verbindung gesetzt worden. Andererseits dient die Vergleichung eines, aus des Alfenus Varus Digesten-Werk erhaltenen, (7°) (') Fr. 3. pr. S$. 1. fgg. D. de penu leg. 33. 9. (J,Kr: 3: : (?°) Fr. 3 eod. 33. 9. vergl. Fr. 167. D. de V.S. 50. 16. (’*) Fr. 3. 88.7. 9. de penu leg. 33. 9. (°) Fr. 60. $. 2. D. de legat. III. (32. 1.) Alfenus Lib. II. Digestorum a Paulo Philos.-histor. Kl. 1851. G eod 50 Dirksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Responsum zur genauern Bestimmung desjenigen, was Gellius in der Schluss- bemerkung aus der Schrift des Sabinus mitgetheilt hat. Denn man mag nun die von Alfenus überlieferten Rechtsgutachten für dessen eigene, selbst- ständige, Entscheidungen halten, oder für jene seines Lehrers Servius Sulpiecius, (7°) jedenfalls geht aus dessen Bemerkung hervor, dass schon vor der Zeit des Masur. Sabinus die römische Rechtsdoctrin diesen Lehr- satz anerkannt hatte: „guae promercalia et usuaria in locis iisdem essent, ea sola esse penoris, quae sint usui annuo.” Der minder exacte Redeausdruck des Gellius verleitet dagegen zu der Deutung, als sei dies ein, erst durch Sabinus begründetes, Resultat gewesen. Nicht weniger dient die Vergleichung des entsprechenden Abschnittes der Rechtsbücher Justinian’s (77) zur genaueren Begrenzung des Umfanges der, im zweiten Capitel des nämlichen Buches, von Gellius benutzten Organe des römischen Juristen-Rechts. (?%) In demselben sind Textesworte epitomator. „Lana, lino, purpura uxori legatis, quae eius causa parata essent,” cum multam lanam et omnis generis reliquisset, quaerebatur an Omnis deberetur? Respondit, si nihil ex ea destinasset ad usum uxoris, sed omnis commixta esset, non dissimilern esse deli- berationem, cum penus legata esset, et multas res, quae penus essent, reliquisset, ex quibus paterfamilias vendere solitus esset; nam si vina diffudisset, habiturus usioni ipse et heres eius, tamen omne in penu exislimari: sed cum probaretur eum, qui testamentum fecisset, partem penus vendere solitum esse, constitutum est ut ex eo, quod ad annum opus esset, heredes legatario darent. Sic mihi placet et in lana fieri etc. (°°) Vergl. Zimmern a.a. O. $. 79. Anm. 24. Das Citat des Gellius VI. 5. (an die- ser Stelle: „Aespondi ego, inquit ete.”) scheint die erste der obigen Voraussetzungen zu unterstützen. (”) Dig. XXI. 1. De Aedilit. Edicto. (&) IV.2. „In edicto Aedilium curulium, qua parte de mancipiüs vendundis cautum est, seriptum sic fuit: „Titulus seriptorum singulorum utei [ohne utei P. P. R.] seriptus sit curato, ita utei [ut P.P.R.] intelligi recte [intelligere te F.] possit, quid morbi vitiive quoique [cuique P. P. R.] sit, quis fugitivus errove sit, noxave solutus non sit.” Propterea quaesierunt iurisconsulti veteres, quod mancipium morbosum quodve vitiosum recte diceretur, quantumque morbus a vitio differret. Caelius [differet celius P. P.] Sabinus in libro, quem de edicto Aedilium curulium composuit, Labeonem refert, [ohne Labeonem refert R.] quid esset morbus, hisce verbis definisse: „Morbus est [e P. P.] habitus cuiusque corporis contra naturam, qui usum eius facit deteriorem.’ Sed morbum alias in toto corpore accidere dicit, alias in parte corporis. Totius corporis mor- bum esse, veluti si phthisis aut febris; partis autem, veluti si caecitas aut pedis debilitas; „balbus autem, inquit, et atypus, vitiosi magis quam morbosi sunt,; ul equus in den Noctes Atticae des A. Gellius. 51 des Edietes der Aedilen, über die Verhaftung der Sklavenhändler wegen Ankündigung und Vertretung der Gebrechen ihrer Marktwaare, vorangestellt und von der Bemerkung begleitet, dass die veteres iurisconsulti inRom verschiedener Ansicht gewesen seien, hinsichtlich der Begrenzung der Begriffe von vitium und morbus, bei Gegenständen des Marktverkehrs. Darauf folgt eine Mittheilung aus des Caelius Sabinus Commentar zu dem genannten Edict, welche Labeo’s Definition von mordus, gegenüber den res vitio- sae bespricht, und mit Rücksicht auf einzelne Anwendungsfälle die, zum Theil schon von den Zeitgenossen dieses berühmten Rechtsgelehrten erho- benen, Einwendungen dagegen geltend macht. Indess die Grenzen dieses Referates dogmen -geschichtlicher Materialien sind nicht erkennbar bezeich- net worden, und die Unsicherheit des Umfanges der vereinzelten Referate erscheint dadurch noch gesteigert, dass zum Schlusse auf die, schon im Ein- gange berührte, Ansicht der veteres iurisperiti, über die Kriterien von [sun guam morbosi. Et equus R.]| mordax aut calcitro, vitiosus non morbosus est.” Sed cui morbus est, idem etiam vitiosus est. [ohne est. P.] Neque id tamen contra fit. [si P.] Potest enim, qui vitiosus est, non morbosus esse. Quamobrem cum de homine morboso age- retur, nequayuam, [neque, F. P. R.] inguit, ita diceretur: „Quanti [Quando W. P. R.] 06 id [odit, R.] vitium minoris erit” De eunucho quiden quaesitum est, an contra _edi- cetum Aedilium videretur venumdatus, si ignorasset [ignoraret R.] emtor, eum eunuchum esse. Labeonem respondisse aiunt, redhiberi posse quasi morbosum. — De sterili autem muliere, si nativa sterilitate sit, [ohne sit, P.] Trebatium contra Labeonem respondisse dicunt. Nam cum redhiberi eam Labeo, quasi minus sanam, putasset necesse, „non oportere,” aiunt Trebatium ei edicto adposuisse, „si ea mulier [recesse alunt trebacium (contra labeonem) ex edicto aposesi ea mulier F.] a principio genitali sterilitate esse. — De myope [errnum ope F. P. demum ope R.] quoque, qui luscitiosus latine adpellatur, et megı vwdod [ohne die griechische Phrase Y. P. R.] dissensum est; alii enim redhiberi omnimodo debere, alii contra, nisi id vitium morbo contractum esset. Eum vero, [essez. Cum vero F.P. R.] cui dens |evidens P.] deesset, Servius redhiberi posse respondit, Labeo in causa esse redhi- bendi negavit. „Nam et magna, inquit, pars dente aliquo carent, neque eo magis plerique homines morbosi sunt; et absurdum admodum est dicere, non sanos nasci homines, quoniam cum infantibus non simul dentes gignuntur.” Non praetereundum est, id quoque in libris veterum iurisperitorum scriptum esse, morbum et vitium distare, quod vitium perpetuum, morbus cum accessu discessuque sit. Sed hoc si ita est, neque caecus neque eunuchus morbosus est, contra Labeonis, quam supra dixi, sentenliam. Verba Masuri Sabini adposui ex libro iuris civilis secundo: „Furiosus, mutusve, cuius quod membrum lacerum laesumque |[lesumue F. P. laesumue R.] est, aut obest quominus ipse aptus sit, morbosi sunt. Qui non longe videt, tam sanus est, quam qui tardius [tardus R.] currit. G2 52 Dirksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, vitium und morbus, zurückgegangen und das Citat einer Textes-Stelle aus dem Rechtssystem des Masurius Sabinus eingeschaltet ist. Wollte man hier die Worte unsers Referenten in vollem Umfange auffassen, so würde dieses unstatthafte Resultat sich herausstellen, dass Gel- lius, obwohl er einräumt, die excerpirten verda edictinach deren ursprüng- licher Formulirung angeführt zu haben, (nicht nach ihrer Geltung in der Rechtspraxis der Gegenwart, wie aus der Äusserung hervorgeht: „scriptum sic fuit,’) er nichtsdestoweniger die Voraussetzung zu unterstützen scheint, als ob die libri veierum iurisperilorum zum Gegenstand seiner beson- deren Studien gemacht, und dass auch die mitgetheilten Notizen über Re- sponsen von Servius, Trebatius und Labeo aus dem Vorrathe selbst- ständiger Lesefrüchte geschöpft worden seien. Diese Ausserungen lassen sich auf ihr richtiges Maass zurückführen durch die Zusammenstellung mit den, in Justinian’s Pandekten uns überlieferten, Auszügen aus den Commentaren zum Aedilitischen Edict. Zwar ist von des Cälius Sabinus Edicts -Com- mentar, gleichwie von dessen Schriften überhaupt, kein Bruchstück in Ju- stinian’s Rechtsbücher übertragen, und der, das Edict der Aedilen behan- delnde, Abschnitt derselben besteht vornehmlich aus Auszügen der Com- mentare des Gaius und Ulpian zu diesem Edict, abgesehen von einigen Excerpten der gleichnamigen Arbeit des Paulus. Allein die Mittheilungen jener beiden Commentatoren stecken voll Verweisungen auf die Auslegung des jüngeren Sabinus, (Caelius,) der unter Vespasian’s Regierung blühte, und den man sorgfältig zu sondern hat von dem älteren (Masurius) Sabi- nus, dem Zeitgenossen des K. Tiberius. (7°) Ausserdem ist sowohl aus die- sen Commentaren, als auch aus den Excerpten der Libri ad Sabinum der nämlichen Rechtsgelehrten, ein reichhaltiges Material, zur Vergleichung mit den einzelnen Angaben des dogmengeschichtlichen Apparates bei Gellius, zu entnehmen. (°?) Vergl. Fr. 2. $. 47. D. de orig. iur. 1.2. Die Ansicht Zimmern’s (a. a. O. $. 87. Anm. 6.) dass in den Bruchstücken des Commentars von Ulpian zum Aedilitischen Edict Caelius Sabinus bald Caelius schlechthin, bald Sabinus genannt werde, beruht auf einem Irrthum. Bei Gaius (Fr. 20. D. h. t. 21. 1.) findet man den Namen Caelius Sabinus vollständig ausgeschrieben, während bei Ulpian die Bezeichnung Caelius jeder- zeit auf den jüngern Sabinus, der Ausdruck Sabinus dagegen eben so bestimmt auf den ältern (Masurius S.) gerichtet ist. (Fr. 1. $. 7. vergl. Fr. 9. Fr. 14. $. 10. Fr. 17. 8S. 1. 6. fg. 15. fg. eod.) in den Noctes Atticae des A. Gellius. 33 Die Prüfung dieser Hülfsquellen führt zu der Überzeugung, dass in dem vorstehenden Capitel des Gellius ein fortlaufender Auszug aus des Cälius Sabinus Edicts-Commentar vorliegt, von welchem Werke auch an einer andern Stelle dieser Compilation ein umfassender Gebrauch gemacht ist. (°) Der fragliche Auszug, welchem gleichfalls die Schlussbemerkung über die libri veterum iurisperitorum, so wie das Citat aus dem Rechts- System des ältern Sabinus angehört, scheint das Original, zwar verkürzt aber wortgetreu, wiederzugeben. Den Beweis für diese Voraussetzung entnehmen wir zunächst aus der Redaction der, bei Gellius vorangestellten, Textesworte des Aedilitischen Edictes, welche nicht übereinkommt mit der uns anderweitig überliefer- ten (°') aus den Tagen Hadrian’s abstammenden, und mithin dem Gellius gleichzeitigen Formulirung. Die Benutzung derselben in dem Commentar des Cälius Sabinus, eines Rechtsgelehrten der Vor-Hadrianischen Zeit, erscheint durch sich selbst gerechtfertigt. Dem nämlichen Commentator ist auch die einleitende Bemerkung über die Quaestio veterum I. Ctorum, bezüglich des Unterschiedes von vizium und morbus, in Rechnung zu stel- len; indem die folgenden Worte zwar mit der Anführung einer Deutung Labeo's beginnen, jedoch sofort auf die Ansichten der älteren Rechtskun- digen zurückführen, deren auch in den Überlieferungen der späteren Com- mentatoren bei gleicher Veranlassung gedacht ist. () Dem widerspricht es nicht, dass wir die Schlussbemerkung des Gellius, über die in den libri veterum iurisperitorum anzutreffende Definition von vitium und mor- bus, weder dem Referate des Cael. Sabinus beizuzählen, noch aus einer selbstständigen Lecture der Schrifien jener Veteres abseiten des Gellius abzuleiten wagen. Wir glauben nämlich, es sei diese nachträgliche Notiz CHINA. VITA. (°) Fr. 1. 8.1. D. 1. 1.21.41. Ulpian Lib. I. 44 Edict. Aedil. curul. Aiunt Aediles: „Qui mancipia vendunt, certiores faciant emtores, quid morbi vitiique cuique sit, noxave solutus non sit; eademque omnia, cum ea mancipia venibunt, pa- lam recte pronuncianto.” (°) Vergl. Fr. 1. pr. $$. 7. fg. Fr. 8. Fr. 10. fg. D. eod. 21.1. Dass bei Gellius auch gegen den Schluss des Capitels eine genauere Begrenzung der eigenen Ansicht Labeo’s, gegenüber jener der Yeieres, vermisst wird, fällt nicht dem Masur. Sabinus zur Last, sondern der Redaction unsers Compilators. 54 Dirksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, hervorgegangen aus dem Rechts-Systeme des älteren Sabinus und stelle ein kurzes Inhalts-Referat dar, welchem hinterher die beigefügten Textesworte einer vereinzelten Bemerkung sich anschliessen, deren Identität noch durch ein anderweites Zeugnis (°°) beglaubigt ist. Denn die hier den veteres iurisperiti zugeschriebene Begrenzung der Begriffe von vitium und mor- bus, auf welche sowohl in den römischen Rechtsquellen (®*) als auch bei den nichtjuristischen Qlassikern (°°) mehrfach hingedeutet wird, ist durch den ältern Sabinus thatsächlich (°°) einer erneuten sorgfältigen Prüfung un- terworfen worden; so dass die Vermuthung nahe liegt, es habe Gellius die Elemente zu seiner beiläufigen Kritik dieses Gegenstandes dem genannten Gewährsmanne entlehnt. Eine fernere Bestätigung für die Voraussetzung einer, über das aus- drückliche Zugeständnis des Gellius hinaus reichenden, fortlaufenden Epi- tomirung gewisser Schriften des älteren Sabinus, liefert die ausführliche Mittheilung über die Bestrafung des Diebstahls, im achtzehnten Capi- tel des eilften Buches. (?”) Dieselbe beginnt mit einer kurzen einleitenden (&) Vera. Rr.9-D eod 2117 (°*) Fr. 101. $. 2. D. de verb. signif. 50. 16. (°) Dahin darf man wohl auch zählen den Bericht des Nonius Marcell. de prop. serm. V. 77. (Morbum a vitio prudentia veterum sie voluit separari, ut sit morbus, cum accessit utique aut temporis aut contagü; Pitii perpetua et insanabilis atque irrevocabilis causa.) obgleich dieser Grammatiker sonst die Terminologie vezeres prudentes keineswegs aus- schliesslich auf die Rechtskundigen angewendet, (II. 243. 463. 787. V. 50. 79. Vergl. oben Anm. 41.) vielmehr als gleichbedeutend mit der Bezeichnung auctorizas doctorum (VI. 2. 4. 9. 16. 26. 42. VII. 21. VII. 11.) gebraucht hat. (&) Fr. 1. 8.7. D.h.t. 2.1. (°7) XL. 18. „„Decemviri autem nostri, qui post reges exactos leges, quibus populus R, ute- retur, in XII Tabulis scripserunt, neque pari severitate in puniendis [itaque R. P.] omnium generum furibus, neque remissa nimis lenitate usi sunt. Nam furem, qui manifesto furto prensus esset, tum demum occidi permiserunt, si aut cum faceret furtum nox esset, aut interdiu telo se cum prenderetur defenderet. Ex ceteris autern manifestis furibus liberos verberari addi- cique lusserunt ei, cui factum furtum esset, si ınodo id luci fecissent, neque se telo defendis- sent; servos item furti manifesti prensos verberibus adfici et e saxo praecipitari, sed pueros impuberes praetoris arbitratu verberari voluerunt, noxamque ab his factam sarciri. Ea quo- que furta, quae per lancem liciumque concepta essent, proinde ac si manifesta forent, vindi- caverunt. Sed nunc a lege illa decemvirali discessum est; nam si qui super manifesto furto iure et ordine experiri velit, actio in quadruplum datur. „Manifestum autem furtum est, ut ait Masurius, quod deprehenditur dum fit; faciendi finis est, cum perlatum est, quo ferri in den Noctes Atticae des A. Gellius. 55 Betrachtung über die Diebstahls-Strafen nach den Gesetzen Draco’s und Solon’s. Darauf folgt die zusammenhängende Erörterung der Behandlung des Furtum in den XII. Tafeln, so wie über deren Umgestaltung durch das spätere einheimische Gewohnheits-Recht. Der Begriff des Furtum mani- festum wird besprochen, nebst Beibringung von Textes-Worten aus einer nicht näher bezeichneten Schrift des Masur. Sabinus. Dagegen in Bezug auf die Deutung von Furtum oblatum und conceptum, gleichwie hin- sichtlich anderer Einzelheiten der Diebstahls- Theorie, ist auf desselben Rechtsgelehrten Schrift De furtis verwiesen worden, aus welcher auch einiges, üher den Diebstahl an Immobilien und über die Straffälligkeit der Gehülfen des Diebes, als Zugabe entlehnt ist. Daran reiht sich das Citat aus einer ungenannten Schrift des Rechtsgelehrten Aristo, über die Straf- losigkeit des Stehlens nach dem einheimischen Rechte der Ägypter und Spartaner; so wie die Einschaltung einiger, zwar dem Gegenstande nicht coeperat.” Furti concepti, item oblati, tripli [tripliei R.] poena est. Sed quod sit oblatum, quod conceptum, et pleraque alia ad eam rem, ex egregüs veterum moribus accepta, neque inutilia cognitu nequr iniucunda, qui legere volet, inveniet Sabini hbrum, cui titulus est de furtis, in quo id quoque scriptum est, quod vulgo inopinatun est, non hominum tantum, neque rerum movenlium, quae efferri |moventiumque auferri R, mov. quae offerri P.] occulte et subripi possunt, sed fundi quoque et aedium fieri furtum; condemnatum quoque furti co- Zonum, qui fundo quem conduxerat vendito, possessione eius dominum intervertisset. Atque id etiam, quod magis inopinabile est, Sabinus dicit, furem esse hominis iudicatum, qui cum fugitivus praeter oculos forte domini iret, obtentu togae, tamquam se amiciens, ne videretur a domino obstitisset. Aliis deinde furtis omnibus, quae nec manifesta adpellantur, poenam imposuerunt dupli. Id etiam memini legere me in libro AÄristonis iurisconsulti, haudquaquam indocti viri: apud veteres Aegyptios etc. — Sed enim M. Cato in oratione, quam de praeda militibus dividunda scripsit, vehementibus et ilustribus verbis de impunitate peculatus atque licentia conqueritur. Ea verba, quoniam nobis impense placuerunt, adscripsimus. „Fures, inquit, privatorum furltorum in nervo atique in compedibus aetatern agunt, fures publici in auro atque in purpura.’” (uam caste autem ac religiose a prudenlissimis viris, quid esset furtum, definitum sit, praetereundum non puto; ne quis eum solum furem esse putet, qui oceculte tollit aut clam subripit. Verba sunt Sabini ex libro iuris civilis secundo: „Qui alienam rem adtrectavit, cum id se invito domino facere iudicare deberet, furti tenetur.” Item alio capite: „Qui alienum tacens lucri faciundi causa sustulit, furti obstringitur, sive scit cuius sit, sive nescit?” Haec quidem sie in eo, quo nunc di.xi, Sabinus scripsit de rebus furti fa- ciendi causa adtrectatis. Sed meminisse debemus, secundum ea quae supra scripsi, furtum sine ulla quoque adtrectatione fieri posse, sola mente atque animo, ut furtum fiat adnitente; quocirca ne id quidem Sabinus dubitare se ait, quin dominus furti sit condemnandus, qui servo suo uti furtum faceret imperavit.” 56 Dınksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, aber der Ausführung des Capitels entsprechenden, Worte aus einer Rede Cato’s. Den Beschluss bildet ein Textes-Referat aus dem zweiten Buche des Rechts-Systemes jenes älteren Sabinus, über die durch die römische Rechtsdoctrin formulirten Kriterien des Furtum, nebst einer eigenen Be- merkung des Gellius, die den sehr unzulänglichen Versuch darstellt, die mitgetheilte Definition des Sabinus aus einer anderweiten Äusserung des- selben zu widerlegen. Die vorstehenden directen Auslassungen unsers Compilators bilden augenscheinlich ein geschlossenes Ganzes, und hängen äusserlich nicht zu- sammen mit einer früheren, (VII. 15.) aus Labeo’s XII Tafel - Commentar und des Qu. Mucius Scävola Rechts-System gezogenen, Mittheilung über das Furtum usus. Denn die Schlussworte unsers Capitels: „secundum ea, quae supra scripsi, furtum sine ulla quoque adtrectatione ‚fieri posse, sola mente atlque animo ul furtum fiat adnitente,” enthalten nicht etwa die Verweisung auf eine vorangegangene unabhängige Ausführung desselben Gegenstandes, sondern beziehen sich auf das zuvor nach Sabinus angeführte Beispiel desjenigen, der durch das Ausbreiten sei- ner Toga einen flüchtigen Sklaven der Verfolgung des Herrn entzogen hatte; woran der andere, von Gellius aus der nämlichen Quelle abgeleitete, Fall des dominus sich reiht, qui servo suo uti Furtum faceret imperanit. Allein die scheinbar ganz unzweideutigen Äusserungen, über die Beschaf- fenheit der einzelnen für diesen Abschnitt benutzten Quellen, müssen mit besonderer Vorsicht aufgefasst worden, indem deren wörtliche Auslegung zu Widersprüchen führen würde. Der Eingang des Capitels, bis zu der Verweisung auf die Schrift des älteren Sabinus, scheint das Resultat der selbstständigen Auffassung und Darstellung des Gellius zu enthalten. Auch das Citat aus einem Werke des Aristo ist auf den ersten Blick als die Frucht der eigenen Lecture unsers Compilators anzusprechen, gleichwie dessen Schlussbemerkung denselben als einen Censor charakterisirt, welcher eine eigene unabhängige Ansicht ge- genüber der, durch Masur. Sabinus vertretenen, Een Be trin geltend macht. Allein die Prüfung von Sprache und Inhalt der vorste- henden Ausführung, verglichen mit den übereinstimmenden Erörterungen in andern Überliefer ungen des römischen Juristen-Rechts, führt zu wesent- lichen Berichtigungen der Andeutungen des Gellius. Die kritisirende Be- in den Noctes Allicae des A. Gellius. 57 merkung am Schlusse des Capitels hat man freilich als das unbestreitbare Eigenthum dieses Compilators anzuerkennen; allein die derselben zu Grunde liegende Verwechslung der Begriffe von auetor und socius delicti (®°) dient gleichzeitig als ein beredtes Zeugnis für die Richtigkeit der Voraus- setzung, dass Gellius das voranstehende Referat, über die Behandlung des Furtum durch die Decemvirn und durch die Redactoren des späteren Ge- wohnheits-Rechts, nicht aus dem Vorrathe des eigenen Wissens geschöpft haben könne. Vielmehr darf die, dem Citate aus der Monographie des Sabinus vorausgeschickte, die Gegenstände in angemessener Folge hervor- hebende und nach allen Regeln der juristischen Terminologie besprechende, Redaction als der getreue, obwohl verkürzte, Auszug des Original-Werkes eines römischen Rechtsgelehrten angesprochen werden. Minder exact er- scheint das später folgende sporadische Inhalts-Referat aus dem genannten Werke des ältern Sabinus zusammengesetzt. Hier ist nämlich der rhetori- sche Ausdruck der Darstellung des Gellius nicht zu verkennen. Wir aber glauben als dasjenige Werk, welchem jenes zusammenhängende juristische Referat in der ersten Hälfte unsers Capitels entlehnt worden, die nämliche Schrift des Sabinus bezeichnen zu dürfen, auf welche, zur Ermittelung umfassenderer Belehrung, die Leser hinterher ausdrücklich verwiesen sind. Dafür spricht zunächst die Form der Anknüpfung des Textes-Referates von Sabinus, über Furtum manifestum, an das unmittelbar vorhergehende. Es drückt sich darin deutlich der Übergang aus von dem Excerpiren des Textes eines fremden Referenten zu der Mittheilung eines Auszuges von Worten des Originals. Und ungleich entscheidender noch ist diese Thatsa- che, dass in den Bruchstücken der Commentare zu des Sabinus Rechts- System (®°) dieselben Einzelheiten des Inhaltes gleichwie der Ausdrucks- weise (*°) anzutreffen sind, denen man in jenem Referate des Gellius begeg- net. Ja noch mehr, die dem letztern zu Grunde gelegte Unterscheidung, von Furium manifestum, nec manifesium, conceptum und obla- ium, wird durch Gaius, (*!) den Anhänger der Schule der Sabinianer, als (°) Inst. IV. 1. De oblig. qu. ex del. SS. 11. fg. (#°) S. die Auszüge aus den Lidri ad Sabinum in dem Tit. Dig. De furtis. 47. 2. (°%) z.B. die Äusserungen über die Fezeres in Fr. 17. pr. D. eod. 47.2. (°‘) Inst. comm. III. 183. fgg. Philos.- histor. Kl. 1851. H 58 Dınxsen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, des Masur. Sabinus Theorie geschildert von den vier genera furtorum, gegenüber jener des Servius Sulpiecius, welcher nur die beiden zuerst ge- nannten als selbstständige Gattungen des Diebstahls zulassen wollte. Und die vier genera furiorum sind überdem in derselben Folge bei Gaius abgehandelt wie bei Gellius. In welchem Verhältnis aber der Liber de furtis des älteren Sa- binus zu dessen Libri iuris civilis gestanden sei, ist nicht leicht zu ermit- teln. Die ausdrückliche Trennung beider Werke bei Gellius darf nicht als ein entscheidendes Zeugnis angesehn werden. Es liegt vielmehr die Vor- aussetzung nahe, als sei hier eher an einen besonders rubrieirten Abschnitt des umfangreichen Hauptwerks zu denken, als an das Verhältnis einer Mo- nographie über eine vereinzelte Lehre zu dem Gesammt-System des einhei- mischen Rechts; (°?) zumal da eine ähnliche Verwechslung zwischen einer Einzelschrift und dem integrirenden Bestandtheil eines grösseren Ganzen, in Beziehung auf die Werke Capito’s (°) unserm Compilator entschieden zur Last fällt. Der Umfang der Libri iuris civilis des Masur. Sabinus ist allerdings zweifelhaft; (°*) dies hindert jedoch nicht, den angeblichen Liber singularis de furtis, welchem Gellius verschiedene Capitel bei- legt, als einen vereinzelten Abschnitt jenes Rechts-Systems anzusprechen. Denn bei dem daneben genannten Liber Aristonis J. Cti ist die Identität mit den Notae Aristonis ad Sabinum, die neben den Libri ad Sabi- num der andern bekannten Commentatoren genannt werden, (°°) kaum in Zweifel zu ziehen. Die ungenaue Bezeichnung aber der fraglichen Schriften findet ihre Erklärung darin, dass die sämmtlichen Inhalts- und Textes-Aus- züge, aus denen das Referat unsers Capitels zusammengesetzt ist, in dem bekannten Rechts-Systeme des Sabinus ihren Mittelpunkt haben. Als letztes Beispiel zur Unterstützung unserer Ansicht, dass die Ver- gleichung entsprechender Überlieferungen in andern Organen des Juristen- (°?) Diese Ansicht, dass der Zider de furtis des Masur. Sabinus mit dessen Zibri iuris cioilis zusammenfalle, ist schon von andern verfochten. S. Bach Hist. iurisprud. R.Lib.3. ec. 1. Sect. 6. 8.13. not. K. (°) S. unten Anm. 128. fg. (°*) Vergl. oben Anm. 64. fg. (®) Zimmern a.a. O. I. $. 89. in den Noctes Atlicae des A. Gellius. 59 Rechts der Römer ein verlässliches kritisches Hülfsmittel bilde, für die Zu- rückführung einzelner juristischer Referate des Gellius auf die festen Gren- zen ihrer concreten Quellen, mag der bekannte Bericht unserer Compilation dienen, (°°) über die Vorschrift des Atinischen Gesetzes, wegen der Be- grenzung des Verbotes der Verjährung an entwendeten Sachen. Auf die Mittheilung der bezüglichen Textesworte des Gesetzes folgt die Benachrich- tigung, dass über die Auslegung der Phrase: „subreptum erit,” nach der Angabe des Qu. Mucius Scaevola, sowohl dessen Vater als auch die gleich- zeitigen namhaften Rechtsgelehrten Brutus und Manilius, verschiedener Ansicht gewesen seien. Den Schluss bildet ein umfassendes Referat aus ei- ner, dem fraglichen Gegenstande gewidmeten, grammatischen Erörterung des P. Nigidius. Die Ausleger des Gellius, indem sie dessen Angaben wortgetreu deuten, räumen stillschweigend ein, dass die vorangestellte Mit- theilung unmittelbar aus dem Rechts-Systeme des Q. Mucius Scävola sei geschöpft worden. Sie unterstützen dies durch die Verweisung auf ein Bruchstück aus dem Commentar des Pomponius(*) zu dem genannten (°°) XVII. 7. „Legis veteris Atiniae |atime R. atimiae P.] sunt: „Quod subreptum [al. subruptum] erit, eius rei aeterna auctoritas esto!” (Quis aliud putet in hisce verbis, quam de termpore tantum futuro legern loqui? Sed Qu. Scaevola, [a we sceuola R. quae sceuola F. Q. Sceuwo/a und ohne den Nachsatz patrem suum P.] patrem suum et Brutum et Manilium, viros adprime doctos, quaesisse ait dubitasseque, utrumne in postfacta modo furta lex valerel, an etiam in antefacta? quoniam „subreptum |[al. subruptum; R. subrutum] erit” utrumque tempus videretur ostendere, tam praeteritum quam futurum. Ita- que P. Nigidius, civitatis R. doctissimus, super dubitatione hac eorum scripsit in XXIT. grammaticorum commentariorum: | commentariorum commaticorum P.] atque ipse quoque idern putat, incerlam esse terınporis demonstralionem; sed anguste perquam et obscure disse- rit, ut signa rerum ponere videas, ad subsidium magis memoriae suae quam ad legentium disciplinam. Videbatur tamen hoc dicere: verbum esse [dicere suum uerbum et esse R.] et erit, quando per sese ponuntur, habent atque relinent temmpus suum; cum vero praeterito iugantur, [iunganzur Zl vim temmporis sul amiltunt et in praeteritum contendunt etc.” (°”) Fr. 123. D. de verbor. significat. 50. 16. Pomponius Lib. XXFTI. ad Qu. Mucium. „Ferbum erit interdum etiam praeteritum, nec solum fulurum tempus demonstrat. Quod est nobis necessarium scire, et cum codicilli ita confirmati testamento fuerint: „Quod in codicillis seriptum erit;” utrumne futuri termporis demonstratio fiat an etiam praeteriti, si ante scriptos codicillos quis relinquat: quod quidem ex voluntate scribentis interpretandum est. Quemadınodum autem hoc verbum „est” non solum praesens sed et praeteritum tem- pus significat, ta et hoc verbum „eri®” non solum fulurum, sed interdum etiam praeteritum tempus demonstrat. Nam cum dicimus: „L. Titius solutus est [e5] obligatione,” et H2 60 Dıinksen: Die Juszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Werke des Qu. Mucius, gleichwie auf entsprechende Äusserungen des Rechtsgelehrten Paulus (*°) über die Verordnung des vorstehenden Geset- zes. Das Zeugnis des Paulus, nicht minder auch eine ähnliche Aussage des Salvius Julianus, (°) bewährt sich bei näherer Prüfung als unerheblich für die Quellen-Kritik des zu besprechenden Referates von Gellius, und nur die Vergleichung der Bemerkungen des Pomponius erscheint als belang- reich. Aus der Inscription eines andern Bruchstückes desselben Werkes (!"°) ergiebt sich, dass dieser Commentator in Lib. 24. ad Qu. Mucium die Lehre von den Usucapions-Verboten abgehandelt hatte, und dass demnach die zusammenhängende Erörterung in Fr. 123. D. 1.1. 50. 16. über die Be- deutung des Ausdruckes: erit, füglich auf die Auslegung der Textesworte des Atinischen Gesetzes bezogen werden kann. Nichtsdestoweniger halten wir die Folgerung für ungerechtfertigt, als ob die Meldung des Gellius an der bezüglichen Stelle unmittelbar aus den Libri iuris civilis des Qu. Mucius entlehnt worden sei. Vielmehr dürfte der Zusammenhang der Dar- stellung zu der Vermuthung berechtigen, dass der hinterher genannte P. Nigidius, dessen grammatische Schriften auch in andern Abschnitten dieser Compilation reichlich ausgebeutet, ('"!) und auf welche die Leser zum Be- hufe eindringender Belehrung über grammatische Gegenstände ausdrücklich verwiesen worden sind, (1%) das gesammte Material zu diesem Capitel beige- steuert habe. Darauf führt, abgesehen von der Conformität der Sprache, zunächst die Thatsache, dass Gellius auch an anderen Stellen (1%) Mittheil- praeteritum et praesens significamus; sicut hoc: „L. Titius adligatus est;” et idem fit cum ita loquimur: „Troia capta est;” non enim ad praesentis facti demonstrationem re- fertur is sermo, sed ad praeteritum. (°®) Fr. 4. 8. 6. D. de usurpat. 41. 3. Fr. 215. de V. S. 50. 16. (°°) Fr. 33. pr. de usurp. 41.3. (‘%) Vergl. z.B. Fr. 24. eod. 41.3. (*°') S. den Index seriptorum laudatorum, v. Nigidius, im Anhange der criti- schen Ausgaben des Gellius. Ferner XII. 14. und M. Hertz comm. de P. Nigidii Figuli studiis atque operib. Berol. 1845. 8 (%2) z.B. XVII. 3. a. E. ('®) Vergl. unten Anm. 109. fg. Das Beispiel in VII. 15. („Qu. Scaevola in librorum, quos de iure eivili composuit, sexto decimo verba haec posuit etc.”) könnte man als eine Ausnahme gelten lassen, obwohl der Einwand nahe liegt, dass in dem vorange- stellten Auszuge aus Labeo’s XII Tafel-Commentar die Verweisung auf die Schrift des Qu. Mucius möge enthalten gewesen sein. in den Noctes Atticae des A. Gellius. 61 ungen aus den Schriften des Qu. Mucius auf Grund fremder Referate ge- macht hat. Sodann ist in unserm Capitel P. Nigidius ausdrücklich als Re- ferent bezeichnet für die zwischen den Vorgängern des Qu. Mucius verhan- delte Controverse. Endlich ist der Vorwurf der Unklarheit zu beachten, den Gellius hier, gleichwie an einem andern Orte, (!"*) gegen die Argumen- tation und Ausdrucksform des Nigidus erhoben hat. Die Einzelheiten nämlich, auf welche diese Ausstellung gegründet ist, scheinen mit den Ele- menten der Auseinandersetzung zusammenzufallen, welche Nigidius ent- 5 weder in dem Originalwerke des Qu. Mucius, oder bei den Commenta- toren desselben vorgefunden haben mochte. Denn die Vergleichung des In- haltes von Fr. 123. D. 1.50. 16. ist wohl geeignet, eine solche Voraussetzung zu unterstützen. Demzufolge würde aber Gellius, wenn er auf die ursprüng- liche Quelle zurückgegangen wäre, seinen Tadel gegen eine andere Persön- lichkeit zu richten gehabt haben. IM. Es bleibt noch von solchen Ausführungen des Gellius zu handeln, für welche der Beweis einer stattgehabten Benutzung nicht namhaft gemachter rechtskundiger Gewährsmänner, so wie die Bestimmung der Grenzen für derartige ausdrücklich bezeichnete Referate, entweder garnicht, oder blos theilweis sicher gestellt ist durch die Hülfe der Vergleichung von anderweitig erhaltenen Bruchstücken vereinzelter Organe der römischen Rechtsbildung. Gewöhnlich kann hier die Beweisführung nur vermittelt werden durch Schluss- folgerungen, gestützt auf die Methode der Redaction unserer Compilation, und auf die Zusammenstellung mit den Resultaten des Studiums von Spra- che und Inhalt der Überreste des Juristen-Rechts der Römer. (105) Je freier ('%) XIX. 14. ('%) Auf entfernte Analogieen, z. B. auf das methodische Verfahren der älteren R. Rechts- gelehrten bei der Construirung der Elemente einer juristischen Begriffs- Bestimmung, so wie bei der Aufzählung der einzelnen Voraussetzungen einer rechtlichen Einrichtung, (Vergl. Gell. I. 12. und Cie. Topic. c. 4. fg.) darf hier um so weniger besonderes Ge- wicht gelegt werden, als diese Methode dem Einflusse der Philosophie und Rhetorik auf die Rechtsdoctrin der Römer in Rechnung zu stellen ist. 62 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, nun bei dieser Operation die Combination sich bewegen darf, um desto sorg- fältiger hat der Kritiker das Betreten des schlüpfrigen Pfades vager Vermu- thungen zu meiden. (!%%) Denn es würde eine kaum zu empfehlende Specu- lation sein, wenn man den Vorrath Vor-Justinianischer Rechtsquellen da- durch vergrössern wollte, dass man blos muthmassliche Überreste von juri- stischen Referaten sofort als thatsächliche Bestandtheile des römischen Juri- sten-Rechts anspräche. Vor allem aber ist die Versuchung zu dem folgenden Fehlschluss abzuweisen. Man begegnet in unserer Sammlung einigen Er- örterungen von allgemeinem Interesse, die, wegen einer beiläufigen Be- ziehung auf rechtliche Verhältnisse, auch durch die römischen Rechtsge- lehrten in ähnlicher Weise, besprochen sind, so dass dieselben zum Theil die nämlichen Thatsachen und Gewährsmänner benutzt haben, wie Gellius. Daraus darf nun keineswegs dies Resultat ohne weiteres abgeleitet wer- den, dass der Bericht des Gellius aus derartigen juristischen Quellen un- mittelbar geschöpft worden sei. Deun das Gegentheil ist bisweilen mit Be- stimmtheit zu erkennen, theils an der Verschiedenheit in den einzelnen An- gaben von Thatsachen, ('?7) iheils wegen des Vorhandenseins anderer, un- gleich näher liegender und dem Bedürfnis des Gellius mehr zusagender, Organe der Ausbeutung. ('°°) Von durchaus zweifelhafter Geltung ist ein bei Gellius vorkommendes Beispiel der Behandlung eines rechtswissenschaftlichen Stoffes, nämlich der juristischen Berechnung der Tageszeit. Der Gegenstand an sich, so wie die beiläufige Bezugnahme auf die Autorität eines namhaften R. Rechts- kundigen, scheint die Voraussetzung der Benutzung eines bestimmten juri- 5 stischen Führers zu rechtfertigen. Nichtsdestoweniger sind hinreichend osten- ('%) Wie wenn man bei II. 15., wegen der in’s einzelne gehenden Mittheilung über die Bestimmungen des Julischen und Papischen Gesetzes, bezüglich der begünstig- ten Rangordnung vermählter und mit Kindern gesegneter Beamten, die Benutzung eines concreten Organes des Juristen-Rechts voraussetzen wollte. ('”) z.B. in den Bemerkungen über die Dauer der Schwangerschaft, und über mehr- fache menschliche Geburten. (III. 16. X. 2.) Der Bericht des Gellius über das, in sein Zeitalter reichende, Ereignis erscheint unabhängig von den Angaben der Reehtsgelehrten bezüglich derselben, oder ähnlicher Thatsachen. (Fr. 3. D. si pars hered. pet. 5. 4. Fr. 7. pr. de reb. dub. 34. 5. Fr. 36. de solution. 46. 3. Vergl. Menagii amoenit. iur. c. 31.) ('®) z. B. die Compilation des ältern Plinius. S. den /Zndex scriptorum zum Gel- lius, v. Plinius. in den Noctes Altticae des A. Gellius. 63 sible Gründe für das Gegentheil vorhanden; wie aus der folgenden Zusam- menstellung der beiderseitigen Argumente sich ergeben wird. Die, in der entsprechenden Ausführung des Macrobius (!%) copirte, durch die Ausleger der Olassiker, gleichwie durch die Bearbeiter der Lehre von der juristischen Zeitrechnung, (!!°) nach Verdienst gewürdigte, ausführ- liche Mittheilung im zweiten Capitel des dritten Buches von Gellius verbrei- tet sich über die, nach den einzelnen Volks- und Orts-Rechten, besonders aber nach dem Heimaths-Recht der Römer, abweichenden Methoden der Tages-Berechnung, und berührt vereinzelte Anwendungsfälle, bezüglich ge- 0? wisser politischer, gleichwie sacral- und privat-rechtlicher, Verhältnisse bei den Römern. Dies Referat welches in einem vereinzelten Punkte mit der entsprechenden Mittheilung des Plinius (!!!) übereinkommt, scheint des Varro Zidrihumanarum antiquitatum selbst als die gemeinschaftliche (Juelle bezeichnet zu haben, von welchem Werke auch in anderen Abschnit- ten unserer Compilation vielfach Gebrauch gemacht ist. (!!?) Dennoch dürfte die Frage nicht ganz überflüssig sein: ob daneben vielleicht noch ein unge- nannter rechtskundiger Führer benutzt worden? Die Textesworte des Gellius: „Qu. quoque Mucium J. Ctum dicere solitum legi,” sind freilich we- nig geeignet, eine solche Voraussetzung zu unterstützen, indem sie auf ein blosses Citat hinweisen, das füglich dem Varro entlehnt sein kann. Und ähnliches gilt von der Schlussbemerkung: „Isthaec autem omnia — cum in libris veterum inveniremus ete.” (!'%) Belangreicher erscheint dage- gen ein früheres Referat des Gellius (!!*) über die Bedeutung des, in den Libri censorii vorkommenden Ausdruckes: „farissae Capitolinae”. Dieses ist nämlich durch die Erzählung eingeleitet, dass der Rechtsgelehrte (‘°) Saturnal. I. 3. (''°) Vergl. Savigny’s System d. heut. R. Rs. Bd. 4. $. 180. S. 326. Anm. b. ('') H. N. II. 77. Entfernter steht hier Nonius Marcell. de propr. serm. VI. 16. v. Meridiem. ('?) Index seriptorum bei Gellius, v. Varro. (''°) Dies ist nicht, nach dem Sprachgebrauche der classischen R. Juristen, von den veteres iurisperiti zu verstehen, (S. oben Anm. 57.) sondern nach der Terminologie des Gellius zu deuten, mithin auf den zuvor genannten Varro, und die von diesem citir- ten Autoren, zu beziehen. (Vergl. Anm. 42. fg.) ('*) N. A. I. 10. Vergl. Nonius Marcell. a. a. O. II. 341. v. Flavissas. 64 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Servius Sulpieius Rufus, dessen allgemeine wissenschaftliche Bildung auch bei andern Veranlassungen ehrende Anerkennung erhalten hat, (!'5) eine schriftliche Anfrage über das bezeichnete grammatische Probleın an Varro gerichtet und von diesem eine briefliche, durch Gellius ihrem we- sentlichen Inhalte nach mitgetheilte, Erwiederung empfangen habe. Und ähnlich wie in dem vorliegenden Fall hat auch bei andern Gegenständen (!!°) der Forschungsgeist des genannten Rechtsgelehrten auf dem Gebiete der Geschichte seines Heimaths-Rechtes sich bewährt. (117) Demzufolge könnte Gellius füglich durch die Vermittelung dieses Führers zu der Notiz über Qu. Mucius geleitet sein. Nichtsdestoweniger reicht die Thatsache der unmittelbaren und umfassenden Benutzung der bezeichneten Schrift Varro’s aus, um den juristischen Einzelheiten der fraglichen Mittheilung zum Stütz- punkt zu dienen. (!'°) In dem zehnten Capitel des vierten Buches (!'?) ist die, auch spä- ('') Ebendas. und VI. 12. (HLV: 4. (7) S. des Verf. Abhdlg.: Über die Wirksamkeit der Ehegelöbnisse. (Jahrg. 1848. dieser Abhdlgg.) (5) XIV. 7. Hier ist ein ähnliches Antwortschreiben Varro’s auf eine Anfrage des Pompeius benutzt. (''°) IV. 10. Ante legem, quae nunc de Senatu habendo observatur, ordo rogandi senten- tias varius fuit. Alias primus rogabatur, qui a Censoribus princeps [princeps a censoribus F. P. R.] in Senaturmn lectus fuerat, alias qui designati Consules erant: quidam e Consulibus, studio aut necessitudine aligqua adducti, quem is visum erat, [guam is ul sumerat F. quam is uisum erat P, quam sin sumerat R.] honoris gratia extra ordinem sentenliam primum rogabant. Observatum tamen est, cum extra ordinem fieret, ne quis quemquam ex alio quam ex consulari loco senten- tiam primum regaret. C. Caesar in consulatu, quem cum M. Bibulo gessit, quatuor solos extra or- dinem rogasse sentenliam dicitur: ex lis quatuor principem rogabat M. Crassum; sed postquam fillam Cn. Pompeio desponderat, primum coeperat Pompeium rogare. Eius rei ralionem reddidisse [reddisse VrIP: R.] eum Senatui, Tiro Tullius, M. Ciceronis libertus, refert, itaque se ex patrono suo audisse scribit. Id ipsum Capito Ateius [capita eius F. capito at eius P. capito atenus R.] in libro, quern de officio senatorio composuit, scriptum reliquit. In eodem libro Capitonis id quoque scriptum est: „C., [ohne €. F.] inquit, Caesar consul M. Catonem sententiam ro- gavit. Calo rem, quam consulebatur, quoniam non e republ. videbatur, perfici nolebat. Eius rei gratia ducendae, longa oratione utebalur eximebatque dicendo diem. Erat enım ius Se- natori, ut sentenliam rogatus diceret ante quidquid vellet aliae rei, et quoad vellet. Caesar consul viatorern vocavıt, eumque cum finem non faceret prehendi loquentern et in carcerem duci iussit. Senatus consurrexit, prosequebatur Catonem in carcerem. Hac, inquit, invidia facta Caesar destitit et mitti Calonem iussit.” in den Noctes Altticae des A. Gellius. 65 ter (1°) noch einmal berührte, Veränderung besprochen, welcher in Cicero’s Tagen die alte Sitte war unterworfen worden, die Abstimmung im rö- mischen Senate nach dem Range der Mitglieder zu leiten. Es ist hier, nach dem Vorgange von Tiro, dem bekannten Freigelassenen Cicero’s, und von dem Rechtskundigen Ateius Capito, ausgeführt dass Jul. Cäsar als Consul, theils durch politische Sympathieen theils durch Familien -Rück- sichten, sich habe bestimmen lassen, bei der Handhabung des Regulativs der Abstimmung zu wechseln. Zum Schlusse der Darstellung ist ein Textes- {o) Auszug aus der Schrift Capito’s über die Pflichten der Senatoren einseschal- 8 tet, in welchem das bekannte Verfahren Cäsar’s gegen den jüngeren Cato besprochen ist, als dieser die Aufforderung unbeachtet liess, seine absicht- lich in die Länge gezogene Senats-Rede zu beendigen. Nach dem Wortlaute dieser Darstellung erscheint die Voraussetzung gerechtfertigt, dass hier eine Mittheilung Varro’s die Hauptquelle bilde, dagegen der Bericht Capito’s blos beiläufig benutzt worden sei, theils zur Eintragung einer literarischen Verweisung, theils zur Einschaltung eines, den Hauptgegenstand kaum be- rührenden, anderweiten Citates. Nichtsdestoweniger dürfte bei näherer Prüf- ung das umgekehrte Verhältniss der benutzten Quellen, nämlich diese That- sache sich herausstellen, dass das Referat des Gellius von Anfang an, auch die Verweisung auf Tiro nicht ausgeschlossen, lediglich ein Inhalts-Excerpt, mit dem Nachtrage einiger Textesworte, aus der Schrift Capito’s bildet. Zur Unterstützung dieser Behauptung mag nicht darauf Gewicht ge- legt werden, dass Gellius hier das sonst beobachtete (!*!) Verfahren vermis- sen lässt, das Werk Tiro’s, auf dessen Zeugnis er sich beruft, genauer zu schildern. Erheblicher ist der Einwand, dass Inhalt und Sprache des ge- (2°) IV.7. a. E. Singulos autem debere consuli gradatim incipique a consulari gradu, ex quo gradu sernper quidem antea primum rogari solitum, qui princeps in Senatum lectus esse; lum aulem, cum haec scriberet (sc. Farro,) novum morem institutum refert, per am- bitionem gratiamque, ut is primus rogareltur, quem rogare vellet, qui haberet Senatum, dum is tamen ex gradu consulari esset. — Haec et alia quaedam id genus in libro, quo supra dixi, M. Varro epistola ad Oppianum [opianum R.] scripta exsecutus est. Sed quod ad $. C. duobus modis fieri solere, aut conquisitis sententüs aut per discessionem, parum con- venire videlur cum eo, quod Ateius [ad eius R.] Capito in coniectaneis seriptum reliquit: nam in libro CCLIX. Tuberonem dicere ait etc. Vergl. UI. 18. ('”') VI. 3. XI. 9. S. den Index sceriptorum bei Gellius, v. Tiro. Philos.- histor. Kl. 1851. I 66 Dinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, sammten Referates auf denselben Führer hinweisen, welcher, dem Rede- ausdruck zufolge, (1??) ein Rechtskundiger gewesen sein muss. Besonders g wie dem Tiro in Rechnung zu stellen sein dürften, auf die in der Einrichtung des Senats- Collegiums beim Beginne der Kaiserherrschaft eingetretene, Veränderung. Die Vermuthung aber, dass Gellius hier die Mittheilungen Capito’s im Zu- sammenhange benutzt habe, wird durch das Verfahren beglaubigt, welches an deuten die Eingangsworte, welche dem Gellius eben so weni andern Stellen der Compilation in Beziehung auf denselben Führer beobachtet ist. (173) In dem schon erwähnten Abschnitte, (1?) der von der Zusammen- berufung der Senatoren und von der Formulirung ihrer Beschlussnahmen handelt, ist zwar vorzugsweis von einer Schrift Varro’s Gebrauch gemacht, allein zum Schlusse auf die Autorität Capito’s in einer Art verwiesen wor- den, die eine genaue Bekanntschaft mit diesem Gewährsmanne verräth. Frei- lich sieht man daselbst nicht die, in unserm Capitel figurirende, Monographie De officio senatorio (!’”) namhaft gemacht; allein dessen Libri con- iectaneorum, die als sehr umfangreich geschildert sind, (!?°) mögen jene Schrift, sei es vollständig oder ihrem wesentlichen Inhalte nach, als inte- grirenden Bestandtheil umschlossen haben. Hat ja Gellius bei einer andern Gelegenheit, (127) wo er aus dem nämlichen Werke Capito’s berichtet, der bezüglichen Abtheilung desselben einen selbstständigen Titel: De iudiciis publicis, überwiesen, während an einer anderen Stelle (!°°) der Commen- tarius de iudiciis publicis dieses Rechtskundigen als eine scheinbare Monographie von ihm citirt ist. (!??) Auch zeigt die Vergleichung jener (‘”?) Vergl. die andern Excerpte aus Capito’s Schriften. (Index auciorum, v. C. Ateius Capito.) z.B. II. 24. (EHEZIBERTDN! ('?*) XIV. 7. (oben Anm. 120. (‘”) Man findet freilich auch Beispiele von unbestimmten Anführungen Capito’s. So raz: (2°) XIV. 7. a. E. (oben Anm. 120) c. 8. ee”) IV. A. ('°) X. 6. Ähnliches gilt auch von der Anführung: I. 25. „M. Varro in libro Hu- manarum, qui est de bello et pace.” (‘”) Auf Grund der Thatsache, dass Capito’s Zidri coniectaneorum nicht überall als ein selbstständiges Werk desselben von Gellius bezeichnet sind, und dieser auch in der Praefat. bevorwortet hat, wie zu seiner Zeit die Benennung Coniectanea als ein Mode-Titel für Sammelwerke gelte, würde vielleicht eine noch weiter reichende Vermu- in den Noctes Alticae des A. Gellius. 67 beiden Referate des Gellius, dass in dem ersten derselben der Inhalt des Decretes der Volkstribunen, dagegen in dem andern eine wortgetreue Mit- theilung über den Vorfall, welcher das Einschreiten der Aedilen herbeige- führt hatte, nach Capito’s Anleitung geliefert werden sollte, während sonst wohl auch aus andern (Quellen entsprechende Urkunden durch Gellius mit- getheilt zu werden pflegen. ('?°) In dem Abschnitte, der von dem Flamen Dialis im Zusammen- hange handelt, ('°!) tritt dagegen, auch nach dem Wortlaute der eigenen Angaben des Gellius, die Benutzung der Werke Varro’s entschieden zurück hinter jene der namhafteren Gewährsmänner für das römische Sacral-Recht. Wir begegnen hier einem fortlaufenden Excerpte aus der Schrift des Fabius Pictor, nebst einer dem ältern Sabinus ('?) entlehnten, Notiz über ge- wisse Ermässigungen des, für das genannte priesterliche Amt geltenden, Rituals. Diese beiläufige Bemerkung erinnert an derartige Bestimmungen der Gesetzgebung, welche der Regierung Tiber's, und mithin dem Zeitalter dieses Rechtsgelehrten angehören. ('°°) Erst am Schlusse ist ein kurzes In- serat aus Varro’s Lidri rerum divinarum eingeschaltet. Diesem zur Seite stellen wir zwei andere Berichte unsers Compilators, in welchen blos gelegentlich auf eine Schrift des Masurius Sabinus verwiesen ist, während thung zu wagen sein. Es könnte nämlich mit jener Schrift Capito’s ein ähnliches Be- wenden gehabt haben, wie mit dem gleichnamigen, von Gellius (VI. 5. Alfenus I. Cius, Seroli Sulpieii discipulus, rerumque antiquarum non incuriosus, in libro Digestorum tri- gesimo, Coniectaneorum autem secundo, — inquit etc.) benutzten und auf eigen- thümliche Art bezeichneten, Werke des Alfenus Varus. (S. Bach Hist. iurispr. R. II. 2. Sect. 4. 8. 47. not. f. und Zimmern a.a. 0.1. 8.79. a. E.) Es würde dabei nicht an den Titel einer selbstständigen Schrift zu denken sein, sondern an ein grösseres Sam- melwerk, welchem die werthvollsten Arbeiten eines bestimmten Kreises von Rechtsgelehr- ten einverleibt worden waren. Eine derartige umfangreiche Sammlung wird dem Aufıi- dius Namusa beigelegt, als berechnet für die Aufnahme der schriftstellerischen Leistungen der Schüler des Servius Sulpicius. (Fr. 2. $. 44. D. de orig. iur. 1. 2.) Diesem Kreise gehörte Alfenus Varus entschieden an, während Capito, als ein Schüler des A. Ofi- llius, nur mittelbar in Beziehung zu demselben stand. (Fr. 2. $$. 44. 47. D. eod. 1. 2.) Es mag aber auch an Nachträgen zu jener Sammlung des Aufidius nicht gefehlt haben. (laden (SEX ID, (2) Vergleichbar dem Zusatze Capito’s zu dem Referate aus der Schrift des Antist. Labeo, in I. 12. ('”) Tacit. Ann. IV. 16. Vergl. Lachmann’s Anmerkgg. zu Gaius Inst. I. 112. 12 68 Dıirksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, es wahrscheinlich gemacht werden kann, dass an beiden Orten ein fortlau- fender Auszug aus den bezeichneten juristischen Werke geliefert worden sei. Das erste dieser Referate (!°*) enthält eine zusammenhängende Ausführ- ung der römisch -rechtlichen Theorie von der Annahme an Kindes Statt über- haupt, und von der Arrogation insbesondere. Ein bestimmter rechtskundiger Führer bei dieser Erörterung ist nicht ausdrücklich genannt; denn das zum Schlusse beigebrachte Citat aus Masur. Sabinus wird auf eine vereinzelte Rechtsfrage beschränkt. Nichtsdestoweniger darf die gesammte Mittheil- ung, mit Ausschluss der Textesworte aus einer Rede des P. Scipio, nach den Merkmalen der Sprache und nach allen Einzelheiten des Inhaltes, einem (5) V.19. „Cum in alienam familiam inque liberorum locum extranei sumuntur, aut per Praetorem fit, aut per populum. Quod per Praetorem fit, adoptalio dicitur; quod per populum, adrogatio. Adoptantur autem, cum a parente, [epparente Y.] in cuius potestate sunt, terlia mancipatione in iure ceduntur, alque ab eo qui adoptat, apud eum apud quem legis actio est, vindicantur. Adrogantur ü, qui cum sul luris sunt in alienam sese -polestatem tradunt, eiusque rei ipsi auctores fiunt. Sed adrogationes non temere nec inexplorate com- miltuntur. Nam comitia arbitris pontificibus praebentur, quae curiata adpellantur; aetasque eius qui adrogare vult, an liberis potius gignundis idonea sit, bonaque eius qui adrogatur ne insidiose adpetita sint, consideratur; iusqueiurandum a Qu. Mucio pontif. max. conceptum dieitur, quod in adrogando iuraretur. Sed adrogari non potest nisi iam vesticeps. Adroga- tio autem dicta, quia genus hoc in alienam familiam transitus per populi rogationem fit. Eius rogationis verba [Huius uerba rogationis R.] haec sunt: „Felitis iubeatis, Quirites, [ohne Quirites F. P. R.] uti L. Valerius L. Titio tam iure legeque filius sibi [ohne sıbi P. P. R.] siet, | fet F. sit P.] quam si ex eo patre matreque familias eius natus esset, utique ei vitae necisque in eo potestas siet, uti patri endo |patriendo F. P. R.] filio est? Haec ita, uti dixi, ita vos Quirites rogo.” Neque pupillus autem, neque mulier quae in parenlis potestate non est, adrogari possunt; quoniam et cum feminis nulla comitiorum communio est, et tutoribus in pupillos tantarm esse auctoritatern potestatemque fas non est, ut caput liberum fidei suae commissum alienae ditioni [conditioni F, R.] subüciant. Libertinos vero ab ingenuis ado- plari quidem iure posse, Masur. Sabinus scripsit. Sed id neque permitti dicit, neque permit- tendum esse unguam putat, ut homines libertini ordinis per adoptationem [adoptiones Y. P. R.] in iura ingenuorum invadant. Alioquin si | Alioquin inquit si V. P. R.] iuris ista anti- quitas servetur, etiam servus a domino per Praetorem dari in adoptionem potest. Idque ait plerosque iuris veteris auctores posse fieri scripsisse. Animadvertimus in oratione P. Scipionis, quam Censor habuit ad populum de moribus, inter ea quae reprehendebat, quod contra maio- rum instituta fierent, id etiam eum culpavisse, quod filius adoptivus patri adoptatori inter praemia patrum prodesset. WVerba ex ea oratione haec sunt: „In alia tribu patrem in alia flium suffragiurm ferre; filum adoptivum tam procedere, quam si ex se natum [quam si senatum V. P. R.] habeat; absentes [adsentis BE P.] censeri iubere, ut ad censum nemini ne- cessum [necessu V. R.] sit venire.” in den Noctes Atticae des A. Gellius. 69 der namhafteren römischen Rechtsgelehrten zugeschrieben werden, und zwar einem solchen, der gleich dem ältern Sabinus, vor dem Zeitalter der An- tonine blühte. Die vorherrschende juristische Färbung des Redeausdruckes zeigt sich zunächst bei der Bezeichnung beider Arten der Adoption, sodann aber bei der Entwickelung der Voraussetzungen der Arrogation; wie aus der Vergleichung der entsprechenden Darstellungen von Gaius (!%°) und Ul- pian (136) erwiesen werden kann. Selbst die minder in’s Auge fallenden Einzelheiten der juristischen Terminologie, deren genaue Kenntnis dem Gellius ferne lag, lassen sich auf eine Rechtsquelle zurückführen. So z. B. erinnern die Worte: „iutoribus in pupillos tantam esse auctorita- tem,” an die dem Servius Sulpicius zugeschriebene Definition der Tu- tel. (1%) Nicht weniger stehen die, dem Mas. Sabinus ausdrücklich über- wiesenen Bezeichnungen: „iuris ista antiquitas,” und „iuris veteris auctores,” im Einklange sowohl mit der bekannten (!’%) Ausdrucksweise der classischen R. Rechtsgelehrten, welche diese Benennungen auf die Rechts- kundigen aus dem Zeitalter vor August beschränkten, als auch mit der, in Justinian’s Referate über die nämliche Rechtsfrage ('°) wiedergegebenen , Terminologie. Und was die Einzelheiten des Inhaltes anbelangt, so zeigt die Erwähnung der unbedingten Ausschliessung von Unmündigen bei der Arrogation, dass der hier durch Gellius benutzte rechtskundige Gewährs- mann, vor der bekannten Verfügung des K. Antoninus Pius, (!*°) welche die ('??) Inst. comm. I. 97. fg. EI-EretVII. 49fg: (°”) Fr. 1. pr. D. de tutel. 26.1. Paulus, Lib. 38. ad Edict. „Tutela est, ut Seroius definit, vis ac potestas in capite libero, ad tuendum eum qui propter aetaten suam sponte se defendere nequit, iure civili data ac permissa.” S.$.1.1. eod. 1.13. (°®) Oben Anm. 57. ('°?) 8.12. I. de adoption. 1. 11. „Apud Catonem bene scriptum refert antiquitas, servos, si a domino adoptati sint, ex hoc ipso posse liberari. Unde et nos eruditi in nostra constitu- tione etiam eum servum, quem dominus actis intervenienlibus filum suum nominaverat, liberum esse constituimus; licet hoc ad ius filü accipiendum non sufficiat.” Vergl. c.1. 8.10. C. de Lat. libert. toll. 7.6. Über die mannichfachen Versuche zur Auslegung der ausgeho- enen Worte des $. 12. 1. 1. 1. 11. S. Huschke Studien d. R. Rs. Bd. I. S. 212. fg. b Worte d 12.7E 1212 410SCH hke Stud d. R. Rs. Bd. I. S. 212. fg Puchta Curs. d. Instit. II. $. 213. S. 443. Anm. q. (9) Gaiusa.a. 0.1. 102. „Lem impuberes apud populum adoptari aliquando prohibitum est, aliyuando permissum est: nunc ex epistola optimi Imp. Antonini, quam scripsit pontifi- eibus, si iusta causa adoptionis esse videbitur, cum quibusdam conditionibus permissum_ est.” 70 Dirksen: Die Juszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Arrogation der Pupillen unter gewissen Vorbehalten für statthaft erklärte, geschrieben haben muss. (441) Das zweite der zuvor bezeichneten Referate ist weniger mit äusseren Argumenten ausgestattet, zur Unterstützung des Postulates, dass die erst ger als die unmittelbare Quelle der gesammten Ausführung zu betrachten sei. Es ist dies die Mittheilung über {cca Larentia und Caia Tarratia. (!*) Zwar am Schlusse genannte Schrift des älteren Sabinus nichtsdestoweni wird im Eingange Bezug genommen auf die Angaben der Annalen; allein nicht in der Weise, wie an andern Stellen unserer Compilation, auf die Be- richte der Annalisten eingegangen ist, sondern in einer so unbestimmten Form des Ausdruckes, dass die Voraussetzung gerechtfertigt erscheint, es sei hier ein fremdes Referat wiederholt worden. Auch die folgende Verweis- ung auf das Werk des Valerius Antias, nebst dem Zusatz: „ut quidam alii tradiderunt;” imgleichen die Einleitung des Schluss-Citates durch die Phrase: „Sed Sabinus Masurius in primo Memorialium, secu- tus gquosdam historiae scriplores etc.” widerstreiten nicht der Behaupt- ('*') Über die Betheiligung des Qu. Mucius, an dem von Gellius referirten Rogations- Formular, S. Fr. Balduini iurispr. Muciana pag. 394. (in Heineccii Iurisp. R. et Att. Tu) (2) VI. 7. Accae Larentiae et Caiae Tarratiae, | Accalarencia et gaia et arracie za sive lla Fufetia [effufecia Keil est, nomina in antiquis annalibus celebria sunt; earum alterae post mortem, Tarratiae autem vivae amplissimi honores a populo R. habiti sunt. [ohne sunz F.] Et Tarratiam quidem virginem FVestae fuisse lex Horatia testis est, quae super ea ad populum lata: qua lege ei plurimi honores fiunt, inter quos ius quoque testimonü dicendi tribuitur, testabilisgue una omnium feminarum ut sit datur. Id verbum est ipsius legis [legis ipsius F.] Horatiae. Contrarium est in XII Tabulis scriptum: „Improbus [inprobus F.] intestabilisque esto!” Praeterea, si quadraginta annos nala sacerdotio abire ac nubere voluisset, ius ei potestasque exaugurandi altque nubendi facta est, munificientiae et benificii gratia quod campum Tiberinum, sive Martium, populo R. condonasset. Sed Acca Larentia corpus in vulgus dabat, pecuniamque emeruerat ex eo quaestu uberem. Ea testamento, ut in Antiatis historia sceriptum est, Romulum regem, ut quidam aliü tradiderunt populum R., bonis suis heredem fecit. Ob id meritum a Flamine Quirinali sacrificium ei publice fit, et dies e nomine eius in fastos additus. Sed Sabinus Masurius in primo Memorialium, secutus quosdam historiae scriptores, Accam Larentiam Romuli nutricem fuisse dicit. „Ea, inquit, mulier ex duodecim filüs maribus unum morte amisit, in illius locum Romulus Accae La- rentiae sese filium [acca esse fillum C. F. 1532.) dedit seque et ceteros eius filios Fratres Arvales adpellavit. Ex eo tempore collegium mansit Fratrum Arvaliurm nomine XL, Cuius sacerdoti insigne est spicea corona et albae infulae.” in den Noctes Atticae des A. Gellius. 71 ung, dass man es hier mit einem fortlaufenden Auszuge aus dem nämlichen Werke des Sabinus zu schaffen habe. Denn die Methode, solche Punkte des Inhaltes hervorzuheben, die für geistliches und weltliches Recht bedeut- sam erschienen, daneben aber Textesworte aus der Lex Horatia und den XII Tafeln einfliessen zu lassen, lässt auf einen rechtskundigen Berichter- statter mit Wahrscheinlichkeit schliessen. Auch ist an einem andern Orte (13) von derselben Schrift des Sabinus allem Anscheine nach in ungleich grö- sserem Umfange Gebrauch gemacht worden, als die ausdrückliche Angabe des Gellius voraussetzen lässt. Das im fünfzehnten Buche Cap. 27. über die Formen der Comi- tien, nach dem Vorgange von Lälius Felix, mitgetheilte (1**) mag ferner zur Bestätigung dienen für das mehrfach nachgewiesene Verfahren unsers Compilators, bei Mittheilungen von römisch -rechtlichem Inhalte sich einem einzelnen rechtskundigen Führer anzuschliessen, und dem Inhalts - Auszuge aus dessen Werke beliebige Textes-Stellen desselben einzuschalten. Die sichtbaren Spuren des juristischen Sprachgebrauches, und der genauen For- mulirung der Begriffe, begründen für das Referat in der ersten Hälfte des Ca- pitels genügend die Vermuthung einer getreuen Benutzung juristischer Texte. (>) N. A. V. 6. (**) XV. 27. In libro Laelü Felicis ad Qu. Mucium primo seriptum est, Labeonem scribere: „Calata comitia” esse, quae pro collegio pontificum habentur; aut Regis aut Flaminum inaugurandorum causa; eorum autem alia esse curiata, alia centuriata. (Curiata per lictorem curiatum calari, i.e. convocari, centuriata per cornicinem. Jisdem comitüs, quae calata adpellari diximus, sacrorum detestatio |ditestatio F. distestatio P.] et testamenta fieri solebant. Tria enim genera testamentorum fuisse accepimus: unum, quod calatis comitüs in populi concione fieret; alterum in procinctu, cum viri ad proelium faciendum in aciem voca- bantur; tertium per familiae emancipationem, cui aes et libra adhiberetur. In eodem Laelü Felicis libro haec sceripta sunt: „Is, qui non universum populum sed partem aliquam adesse iubet, non comitia sed concilium edicere debet. Tribuni autem neque advocant patricios, ne- que ad eos referre ulla de re possunt. Ita ne leges quidem proprie, sed plebiscita adpellan- tur, quae Tribunis pleb. ferentibus accepta sunt: quibus rogationibus ante patrici non tene- bantur, donec Qu. Hortensius dictator eam legem tulit, ut eo iure, quod plebes statuisset, omnes Quirites tenerentur.” Item in eodem libro hoc sceriptum_ est: „Cum ex generibus homi- num suffragium feralur, curiata comitia esse; cum ex censu et aetale, centuriala,; cum ex regionibus et locis, tributa. (Genturiata autem comitia intra pomoerium fieri nefas esse, quia excercitum extra urbem imperari oporteat, intra urbem imperari ius non sit: propterea cen- turiata in campo Martio haberi, excercitumque imperari praesidii causa solitum, quoniam populus esset in suffragüs ferendis oceupatus.” 72 Dırxsen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Auch kommt die Ausführung über die alten Testaments-Formen der Römer überein mit der bezüglichen Darstellung des Gaius. (!*) Die Beziehungen des Lälius Felix, und seiner Schrift, zu der Person des Qu. Mucius Scävola und zu dessen Rechts-System, welche in der Darstellung des Gellius uns entgegen treten, (1%) lassen die allgemein angenommene ('*) Zuzählung desselben zu den zunftmässigen R. Rechtskundigen als zweifellos erschei- nen. (#5) Anders verhält es sich mit der Erwähnung eines Laelius, neben Scaevola und Capito, in einer Stelle des älteren Plinius; (!*) da in Übereinstimmung mit dem Elenchus auctorum die Lesart: L. Aelium, jener (Laelium) vorzuziehen ist. ('?°) Die im sechszehnten Buche Cap. 13. besprochene, aus keiner bestimm- ten Quelle abgeleitete, Darlegung der Unterscheidungs-Merkmale von Mu- nieipien und Colonieen, ('°') hat gegenüber dem Referate des Fes- ('*) Inst. II. 101. fg. ('*) S. Zimmern a. a. O. $. 84. S. 314. (7) z.B. Maiansius: Fragment. XXX. J. Ctor. T. I. p. 208. Vergl. des Verf. Bruch- stücke aus den Schriften d. R. Juristen. S. 101. fg. Kgsbg. 1814. 8. (3) Die Ausleger des Gellius haben die Persönlichkeit und das Zeitalter dieses Schrift- stellers nicht besonders beachtet. S. Niebuhr Röm. Gesch. I. S. 346. Anm. 786. (EISEN N XIV. 13. (5%) Vergl. L. Carrio antiquar. lection. comm. I. 8. Antv. 1576. 8. F. Ritschl Par- erga zu Plautus u. Terenz. V.I. p. XXI. XXVIII. 239. 370. u. den Verf. a. a. O. S. 102. (122) XVI. 13. Municipes et municipia verba sunt dictu facilia et usu obvia; et neutiquam reperias, |repetias R. reperies V. inuenias P.] qui haec dicit, quin scire se plane putet, quid dicat; sed profecto aliud est, aliud dicitur. Quotus enim fere nostrum est, qui cum ex coloniaP. R. sıt, non et [ohne et R.] se municipem et populares suos municipes esse dicat? quod est a ratione et a veritate longe aversum: sic adeo et municipia quid, et quo iure sint quantumque a colonia differant, ignoramus existimamusque meliore conditione esse colonias quam municipia, De cuius opinionis [opinationis R.] tam promiscuae erroribus D. Hadrianus in oratione, quam de Ttalicensibus unde ipse ortus fuit in Senatu habuit, peritissime disseruit; mirarique si ostendit, quod et ipsi Italicenses, et quaedam item alia municipia antiqua, in quibus Uticenses nominat, cum suis moribus legibusque uti possent, [potuissent P.] in ius coloniarum mutari gestiverint. [gestaverint. R.] Praenestinos autem refert maximo opere a Tiberio Imp. petisse orasseque, ut ex colonia in municipii statum redigerentur; idque illis Tiberium pro referenda |pro ferenda R. proferenda VF.] gratia tribuisse, quod in eorum finibus sub ipso oppido ex capitali morbo revaluisset. Municipes ergo sunt ceives R. ex municipüs, legibus suis et suo iure utentes, muneris tantum cum populo R. honorarii participes, a quo munere capescendo adpellati vi- dentur, nullis alüis necessitatibus, neque ulla populi R. lege adstricti, [striezi R.) nisi in quam populus eorum fundus factus est. Primos autem municipes sine suffragü iure Caerites esse in den Noctes Alticae des A. Gellius. 73 tus, (1°?) in welchem die Trennung der Wortbedeutungen von Municipium durch das Zeugnis rechtskundiger Gewährsmänner unterstützt ist, vielfa- chen Einspruch von Seiten der Alterthumsforscher erfahren. Durch Nie- buhr’s (5%) Untersuchungen über diesen Gegenstand ist zwar auf die, in dem Berichte des Festus charakterisirten, römischen Rechtskundigen die Aufmerksamkeit von neuem hingeleitet, (1°*) dagegen von einer selbstständi- factos [faetos esse P.] accepimus, concessumque Ulis ut civitatis R. honorem quidemn caperent, sed negoliis tamen atque oneribus vacarent, pro Sacris bello Gallico receptis custoditisque: hinc tabulae Caerites adpellatae versa vice, in quas Censores referri iubebant, quos notae causa suffraglis privabant. Sed coloniarum alia necessitudo est: non enim veniunt extrin- secus in civitatem, nec suis radicibus nituntur, sed ex civitate quasi propagatae sunt, et iura institutaque omnia populi R., non sui arbitrii, habent. Quae tamen conditio, cum sit magis obnoxia [obni.xa R.] et minus libera, potior tamen et praestabilior existimatur, propter amplitudinem maiestatemque populi R., cuius istae coloniae quasi effigies parvae simulacraque quaedam esse videntur; et simul, quia obscura obliterataque sunt municipiorum iura, quibus uti iam per innolitiam non queunt.” (‘”®} v. Munieipium, p. 127. v. Municeps, p. 142. Ed. O. Müller. Lips. 1839. (*”) Röm. Gesch. II. S. 62. Anm. 106. S.70. Anm. 121. Vergl. Savigny’s System. Bd. VIII. $. 352. Anm. £. : (”*) Der bei Festus v. Municeps, hinter Aelius Gallus vorkommende Namen Ser- vilius wird, mittels Veränderung des Textes in: Servius filius, gewöhnlich auf den Sohn des berühmten Rechtsgelehrten Servius Sulpicius Rufus bezogen. Niebuhr a.a.0. S. 66. Anm. 112. hält dies für ausgemacht, theils weil Cicero (ad familiar. IV. 3.) diesen Sohn seines Freundes als einen hoffnungsvollen jungen Mann bezeichnet habe, theils weil der Ausdruck aiebat bei Festus auf eine blosse mündliche Mittheilung des- selben schliessen lasse, mithin die Thatsache nicht entgegenstehe, dass in der Aufzählung der römischen Rechtskundigen der Namen des jüngeren Servius vermisst wird. (Fr. 2. $$- 35. fg. D. de orig. iur. 1. 2.) Allein diese Gründe können nicht überzeugend ge- nannt werden. Die Bezeichnung aiedat wird nicht minder auf schriftliche Äusserungen bezogen als auf mündliche. (S. des Verf. Manuale latinitat. v. Aio.) Eine mündliche Mittheil- ung würde dem Servius filius nur alsdann durch die Rechtskundigen nachgesprochen worden sein, wenn derselbe als Rechtsgelehrter allgemeine Anerkennung genossen hätte. Dann aber würde von Seiten der juristischen Classiker nicht blos der eigenen Persön- lichkeit desselben gelegentlich Erwähnung geschehn, sondern auch dem Bedürfnis genügt sein, den älteren Servius durch den Zusatz pazer von dem Sohne zu unterscheiden, gleichwie dies bei Nerva, Celsus u. a. beobachtet ist. Für die ursprüngliche Lesart bei Festus fehlt es an ausreichender Unterstützung, indem ein Rechtskundiger Namens Servilius nur beiläufig genannt wird. (Fr. 10. D. de iure patron. 37.14.) Es dürfte da- her die Vermuthung nahe liegen, dass dieser verdorbene Text aus der Misdeutung der Bezeichnung: Servius Sulpicius, welche auf den berühmten Träger dieses Namens hinweist, hervorgegangen sei. Philos.- histor. Kl. 1851. K 74 Dıinksen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, gen Kritik der Quellen des Gellius durchaus abgesehen worden. ('%°) Man hat dazu um so mehr sich berechtigt geglaubt, als das vorstehende Resultat der Mittheilungen des Gellius eine vorgekommene Benutzung brauchbarer Führer kaum voraussetzen lasse. Wenn wir indess nicht irren, so vermag auch hier die Prüfung von Sprache und Inhalt des Referates uns aufzuklären, sowohl über die Beschaffenheit gleichwie über die Art der Nutzbarmachung, der von Gellius epitomirten (Quellen. Die Einleitung, so wie der Schluss des Capitels, lassen keinen Zwei- fel, das man es daselbst zunächst mit der eigenen rhetorisirenden Darstell- ung des Compilators zu schaffen habe. Freilich gilt dies mehr von der eigenthümlichen Form des Redeausdruckes, als von dem Inhalte. Denn die, auch zuletzt wiederholte, zur Vorbereitung der weiteren Ausführung dienende, richtige Bemerkung, über die im Laufe der Zeiten veränderte politische Stellung der genera eipitatum, kann füglich einem rechtskun- digen Gewährsmanne entlehnt sein. Dasselbe passt auch für den Übergang zu der Senats-Rede des K. Hadrian, über das Gesuch der Italicenser, (13°) ihrer Civitas, welche bis dahin ein Municipium gewesen, die Stellung einer R. Colonie angedeihen zu lassen. Es ist dies wohl die nämliche Rede Ha- drian’s, welche in Justinian’s Rechtsbüchern (!?7) bei einer ähnlichen Veran- lassung, obwohl ohne nähere Bezeichnung ihres Zusammenhanges, erwähnt wird. In derselben waren blos vereinzelte Thatsachen ausgeführt, zur Un- terstützung der, aus der Zeit des Freistaates überlieferten, Bevorzugung der politischen Stellung der Municipien gegenüber den Colonieen. Der von Gellius benutzte Referent mochte beabsichtigt haben, diesem Rechtssatz ('°) Auch der Vorredner zum Index lectionum der Berliner Universität (Semest. hibern. 1848.) hat davon abgesehen, und ausschliesslich mit der Untersuchung über die primitive Bedeutung von municipium sich beschäftigt, welche er auf die Betheiligung an dem Hospitium public. zurückführt, gestützt auf die Ableitung von munus i. e. donum; wogegen freilich schon Varro de L.L. V. 179. Verwahrung eingelegt hat. (*°°%) Vergl. A. W. Zumptii commentation. epigraph. p. 411. Berol. 1850. 4. ('?”) Fr. 1. $.1. D. de censib. 50.15. Ulpian. Lib. I. de censidus „Ut D. Endr in quadam oratione ait etc.” Vielleicht ist auf eine ähnliche Oratio zu beziehen die um- schreibende Bezeichnung in dem epigraphischen Denkmal bei Orelli a.a. O.I.n. 804. — Ficani. Censorglacenses. — Consecuti. Ab. Indulgentia. O. M. Imp. Antonini. A. Pii, Beneficio. Interpretationis. Eius. Privilegia. etc.” Vergl. Fr. 8. 8.7. D. eod. 50. 15. in den Noctes Altticae des A. Gellius. 75 eine doctrinäre Begründung zu geben, gleichzeitig aber das abweichende Resultat der Praxis seines Zeitalters dahin zu formuliren, dass durch die politischen Zustände der Gegenwart die Unterscheidung der Munieipien und Colonieen eine blos äusserliche geworden, ja sogar den zuletzt genannten Civitates eine mehr begünstigte Stellung gegönnt sei. ('°°) Bei der Verkürz- ung dieses Bestandtheils seines Quellen-Referates scheint Gellius höchst un- genau verfahren zu sein. Die Verwirrung in seiner Darstellung ist haupt- sächlich dadurch herbeigeführt, dass er verwandte Begriffe verwechselt und die Resultate der eigenen Auslegung nicht sorgfältig genug von dem Inhalts- Referate des excerpirten Originals gesondert hat. Denn der Eingang zu der Erklärung der Municipes, bis zu den Worten einschliesslich: „a quo mu- nere capessendo adpellati videntur,” erscheint als unverfänglich. Da- gegen der Zusatz: „neque alüs necessitatibus,” bis zu „factus est,” dürfte hervorgerufen sein durch die”Verwechslung der, im Original muth- masslich als gesondert hingestellten, Municipia fundana, mit den non fundana. Der nächste Redesatz, von den Municipia sine suffragio handelnd, scheint mit grösserer Schonung des excerpirten Originals redigirt zu sein. Und auch die daran sich schliessende Definition der Colonieen, abgesehen von der daraus abgeleiteten Folgerung, weist auf ein gleiches Ver- fahren hin. (15°) Jedenfalls hat man die, durch unabhängige Zeugnisse be- glaubigte Thatsache, (!%°) dass im Zeitalter des Gellius die Stellung der Co- lonieen höher geachtet wurde als jene der Munieipien, nicht der Erfind- ungsgabe dieses Compilators in Rechnung zu stellen. Zum Schlusse wählen wir den berühmten Dialog im ersten Capitel des zwanzigsten Buches, über die Zweckmässigkeit gewisser Bestimmungen ('°®) Über die Verleihung des blossen Titels einer Colonie an einzelne Städte vergl. A. W. Zumpt ebds. p. 457. fg. (59) Auf diese Definition passt die treffende Bemerkung Savigny’s a.a. OÖ. VII. S. 352. Anm. g. dass seit der Z. Julia de civitate sociorum die Bezeichnung Muniei- pium regelmässig derjenigen Classe von Städten vorbehalten geblieben sei, die nicht ur- sprünglich von Rom aus, gleich den Colonieen, als Gemeinden begründet worden waren. ('°°) Es dürfte kaum ernstlich behauptet werden, dass, weil die Bedeutung von Muni- ceps weiter reichte als wie jene von Municipium, nämlich auch die Bürger einer Colonie umfasste, (Savigny a.a. O. Anm. h.) eine entsprechende Nivellirung der Terminologie von Municipium und Colonia durch Gellius willkührlich postulirt worden sei. Über die Bei- spiele von Veränderung der Munieipien in Colonieen 5. A. W. Zumpta.a. O. p. 441. sq. K2 76 Dırzsen: Die Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, des XII Tafel-Gesetzes, welcher angeblich zwischen dem Philosophen Favorinus und dem Rechtsgelehrten Sex. Caecilius gehalten sein soll. Die im ersten Abschnitte dieser Abhandlung aufgestellte Behauptung, dass die Einkleidung einer Mittheilung in die Form der mündlichen Verhandlung als eine lediglich zufällige Äusserlichkeit der Darstellung aufzufassen sei, und keineswegs die Negirung enthalte einer zu Grunde liegenden Benutzung von schriftlichen Referaten einzelner Gewährsmänner, findet auch hier Bestätig- ung. Man darf freilich nicht voraussetzen, dass Gellius blos eine Recapitu- lation früherer Besprechungen über die hier verhandelten Gegenstände habe versuchen wollen. Denn das zuvor (!°!) über solche Punkte beiläufig beige- brachte kommt mit der vorstehenden Erörterung weder dem Umfange noch der Methode der Behandlung nach überein. Vielmehr zeigen Einleitung und Fortführung des Dialoges, dass Gellius bei dieser Veranlassung sich der Führung eines gleichzeitigen namhaften Rechtsgelehrten, des Sext. Caeci- lius, angeschlossen habe. Entscheidend dafür dürfte diese Stelle des Dia- loges sein, welche die Entgegnung des Rechtskundigen auf des Philosophen Angriffe gegen das Gesetz einleitet. Cäcilius lobt hier den Favorinus wegen Beurtheilung und Deutung der XII Tafeln, knüpft aber daran die Bitte, den Standpunkt der Speculation mit jenem der historischen Prüfung zu vertauschen, da ein jedes Gesetz als ein Erzeugnis seiner Zeit aufgefasst werden müsse. Dies wird von dem Juristen durch die Untersuchung einer Reihe vereinzelter Bestimmungen der Xvirn unterstützt, ohne dass daneben der Ansicht des Philosophen ein gesondertes Organ des Ausdruckes über- wiesen wäre. Die dem Caecilius bei dieser Veranlassung zugeschriebenen Äusser- ungen darf man, nach Sprache und Inhalt, als das Referat einer juristischen, muthmasslich den XII Tafeln sich anschliessenden, Schrift bezeichnen. Über die Person des Verfassers derselben schwanken indess die Vermuthungen. Die durch Gellius selbst so nahe gerückte Anknüpfung an die Individualität des, auch sonst vielfach genannten, Sextus Oaecilius ist nichts weniger als unbedenklich. Die gewählte Form des Dialoges machte zwar die Ein- (‘°') z.B. das über ordo und gradus officiorum gesagte, (V. 13.) so wie die Mit- theilung über ges confessum und iusti dies, (XV.13.) endlich die Auslassung über die Strafen des Diebstahls. (XI. 18.) in den Noctes Atticae des A. Gellius. 7 führung eines gleichzeitigen namhaften Rechtskundigen unerlässlich, gewährte aber für die Anführung und Auslegung der XII Tafel- Texte vollkommene Freiheit zum Anschlusse an die Arbeiten der älteren bewährten Commenta- toren dieses Gesetzes. Allein auch zugestanden, dass der Redner und der epitomirte Schriftsteller hier die nämliche Person gewesen sei, so ist da- durch nicht eben viel gewonnen für die Aufklärung der Lebensumstände einer solchen juristischen Capacität. Denn ob dieser Sext. Caecilius, des Gellius und der Pandekten-Juristen, zusammenfällt mit der Persönlichkeit desSext. Africanus, oder auch des durchaus problematischen Sextus? (1°?) darf als ein zur Zeit noch nicht gelöstes Räthsel betrachtet werden. ('°°) ('%) Vergl. Menagiı amoenit. c. 23. F. Kämmerer Obss. J. C. I. 9. p. 38. sq. Ro- stoch. 1827. 8. ('®) Der T. Sextius Africanus, dessen die Acta Fratrum Arvalium gedenken, (Orelli a. a. O. I. n. 1812.) gehört schwerlich dahin. Vergl. die chronologische Übersicht in Marini A. e M.d. Frat. Arvali. P. I. p. XLV. Rom. 1795. 4. > — ) ‚ j Ben > sk AR Ze a a ER OR D » A yer } Be N 5 ln Mi NW WIEZEEE TEE dns. 5 ae ee zug nn a a eh re {ns N errang Auen ullenduuıi: er \ n ET EmeN EIN TE en 0, 70 1 © Kren hart ah, © Sn MAMA no re aahehh re lang ku TION ah la vun tw a hen) sen DERBERUT LEITET ER TER TE 37 ERNTTREIEE TITLE PET IT 20008 7 ihnen ae Yyanapige kill: VER ar aa lie ai RITIT © «0 ha ale eledan: PIHIIFA RG, ArırT 7 kun ao dein ae sk 0 ya lo dr Be rate ers man ee WEN wi PO REG a BR ern 77 213777 77 m RER wen Beer Tr W. 4 | Ba Atze N Par ern u an 7 un ah), BR Eh > a uldyh ah id N % ki Bi Li DIR N NR Me . ai | Past ug + N in® RR . ar Er L jr en a FR Bee af ee 4 Ka I PR hehe york une PER SE “ A I baren A ARE N a vera Sr Wr ee urcey. ee a Ar | Naw Auer a, Uran ars he ur ar BZ URBETT. } ‚. lang) un Anapas bare u Re eg Ama Ve Par Dr ur DEIN, be ae. 2 Me en P sr hlbeeahn Bl h Lee an Pe is .J'yalın, en 2 7N, Benin: + Er Ser SS Se Auszuge aus den Schriften der römischen Rechtsgelehrten, übertragen in die Werke des Boethius. A von H”- H. E. DIRKSEN. ann wanna [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 27. Februar 1851.] D: beiden Bruchstücke aus des Gaius Institutionen, gleichwie das eine Fragment aus dem gleichnamigen Werke des Paulus, welche der Gom- mentar des Boöthius zu Cicero’s Topik (!) aufzuweisen hat, sind schon den frühesten Bearbeitern der Vor-Justinianischen Rechtsquellen, sowohl den Herausgebern und Erklärern der Einzelwerke als auch den Ordnern von Sammlungen jenes Quellen-Vorrathes, (?) durchaus nicht entgangen. (°) Geringere Beachtung ist freilich einem andern Referate desselben Commen- tators zu Theil geworden, welches eine Mittheilung über die Formen der Conventio uxoris in manum mariti, namentlich über die Coemtio, aus den Institutionen Ulpian’s geschöpft hat, ohne die Textesworte des Origi- nals erkennbar hervorzuheben. (*) Und noch seltener wurde Kenntnis ge- nommen von dem Auszuge aus einer nicht näher bezeichneten Schrift des m m ll m nu —— Br u — + (') S. unten Anm. 15. 32. fg. (?) Anm. 17. fg. 36. fg. (°) Und durch diese Sammler sind jene Bruchstücke wiederum den römischen Rechts- historikern bekannt geworden. So hat z.B. G. van Lynden (Specim. exhib. interpre- tation. iurisprud. Tullian. in Topic. exposit. p. 43. fg. 110. fg. L. B. 1805. 8.) die be- zeichneten Fragmente von Gaius und Paulus nur aus Schulting’s Zurisprud. Ante- Justinian. geschöpft. Dass die selbstständige Prüfung der Ausführung des Boäthius, welche jenen Mittheilungen aus dem R. Juristen-Recht vorangeht, oder dieselbe begleitet, kein unerhebliches Hülfsmittel zur Förderung der Aufgabe van Lynden’s gebildet haben würde, ist diesem selbst durchaus entgangen. (*) S. Anm. 52. fg. S0 Dinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, bekannten R. Rechtsgelehrten C. Cassius Longinus, welches Excerpt in dem Anhange des Werkes von Boöthius De geometria Aufnahme gefun- den hat. (°) Die Aufmerksamkeit auf diese Überlieferungen ist in neuester Zeit begreiflich erhöht worden, in Folge der Auffindung umfangreicher ächter Überreste des classischen Juristen-Rechts der Römer. Die Herausgeber des Original-Textes der Institutionen des Gaius haben, sowohl an den bei- den bezüglichen Stellen dieses Werkes, (°) jene Auszüge des Boöthius aus demselben als Hülfsmittel der Kritik benutzt, als auch an anderen Orten, (7) wo Andeutungen römisch -rechtlichen Inhaltes bei diesem Commentator an- getroffen werden, die der entsprechenden Ausführung solcher Gegenstände bei Gaius sich nähern, zur Förderung des Verständnisses dieses ihres Au- tors auf solche verwiesen. Nicht weniger ist durch die Ermittelung muth- masslicher Bestandtheile des Institutionen- Werkes von Ulpian (°) jenem Auszuge aus demselben bei Boethius mehr Berücksichtigung zugeführt wor- den. (?) Und die sorgfältige Kritik, welche der neueste Herausgeber der sogenannten Gromatiker auf die Sonderung der Elemente des Inhaltes dieser, in der äussersten Verwirrung uns überlieferten Compilation, so wie auf die Herstellung des Textes derselben verwendet hat, ist auch der Zu- rückführung jenes, angeblich durch Boethius mitgetheilten, Bruchstückes von Cassius Longinus auf den ursprünglichen Referenten desselben zu gut gekommnn. ('°) Von diesem Standpunkte der Gegenwart kann die, für die Geschichts- Kunde des römischen Rechts belangreiche, Frage: ob Boöthius, ausser den in seinem Zeitalter (vom J. 470. bis 524. u. Chr.) allgemein benutzten Schriften einzelner römischer Rechtsgelehrten, auch noch einige andere Werke derselben, oder ihrer Vorgänger und Zeitgenossen, gekannt und (°) Anm. 74. fg. (°) Gaii institution. comm. I. 119. II. 24. d. Ausg. v. Lachmann. Berol. 1842. 8. () S. z.B. I. 159. 188. II. 60. III. 201. (°) Endlicher: De Ulpiani institution. fragm. Vindob. 1835. 8. Savigny Verm. Schriften. Bd. 3. no. XXXI. Berl. 1850. 8. (°) z.B. in E. Böcking: Fragmentor. Ulpiani edit. alt. p. 82. not. 6. Bonn. 1836. 8. (1%) Gromatici veteres. Ed. C. Lachmann. p. 17. 124. 399. Berol. 1848. 8. übertragen in die Werke des Bocthius. s1 excerpirt habe? nicht ohne Aussicht auf Erfolg gründlich untersucht werden. Eine solche Prüfung darf zwar keineswegs beschränkt bleiben auf eine ver- einzelte Gattung der Schriften des Boethius; doch bietet allerdings dessen Commentar zur Topik Cicero’s den bei weitem reichbhaltigsten Stoff für die Zusammenstellung mit andern Organen der römischen Rechtskunde. Und die Mittheilungen dieses Commentators, aus Werken des classischen Juristen-Rechts der Römer, unterliegen durchaus nicht der Verdächtigung, als ob dieselben nicht sowohl aus eigener Anschauung geschöpft, als vielmehr der umfassenden Ausführung des frühern Bearbeiters der nämlichen Schrift Cicero’s, des Rhetors und Grammatikers Marius Fictorinus, ('t) ent- lehnt seien, oder zum Theil auf blosser Umschreibung der, im Texte Cice- ro’s, nach den Lehrsätzen der rechtskundigen Zeitgenossen desselben, ge- bildeten Äusserungen beruhen möchten. Denn Boöthius hat es nicht nur als seine eigene Ansicht wiederholt (!?) ausgesprochen, dass er den Commen- tar des Vietorinus durchaus nicht zum Muster für die eigene Arbeit ge- nommen, vielmehr die Irrthümer desselben zu meiden gesucht habe; es ist auch bei ihm eine vereinzelte Mittheilung dieses seines Vorgängers über eine bekannte rechtliche Begriffsbestimmung erhalten, (!%) welche deutlich erken- nen lässt, dass Vietorin auf die Vergleichung entsprechender Ausführungen in den Werken der römischen Rechtskundigen keineswegs eingegangen sei. Was aber die umschreibende Ausführung der Cicero’nischen Textesworte ('') Vergl. Bähr Gesch. d. R. Literat. $$. 274. 354. Bernhardy Grdr. d. R. Literat. 8. 118. S. 603. 8. 125. S. 638. Bearb. 2. Halle. 1850. 8. (‘”) Nämlich in dem Prooem. seines Comm. und zu c. 1. (Lib. I. p. 757. fg.) e. 2. (ebds. p. 767.) so wie in dem Eingange zu Lib. VI. (p. 842. der Opp. Boäthii. Bas. 1570. F.) ('°) Zu c. 6. (Lib. III. p. 800.) „Ponit etiam Victorinus inter differentias definitionum Ülam quoque, quae per quandam laudem fieri potest; ut: Lex est mens et animus et consilium et sententia civitatis. Quod maxime ratione caret”’” Dass Victorin nicht veranlasst sein konnte, auf die dem einheimischen Rechte angepassten Definitionen der R. Rechtsgelehrten, z.B. auf jene des Ateius Capito, (Gellius N. A. X. 20.) oder des Gaius (Inst. comm. I. 3.) hier Rücksicht zu nehmen, bedarf nicht der Rechtfertigung. Allein er hat sich auch von den entsprechenden Ausführungen der griechischen Philoso- phen und Redner ferne gehalten, welche bei dieser Veranlassung durch die römischen Rechtskundigen theils mit Anerkennung wiederholt, theils in eigenthümlicher Auffassung nachgebildet sind: z.B. durch Papinian und Marcian. Fr.1. Fr.2. D. de legib. 1. 3. Philos.-histor. Kl. 1851. L 82 Dirksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, durch Boäthius angeht, so dürfte die Grenze zwischen diesem Verfahren des Commentators und der Anknüpfung von Überlieferungen aus andern Quel- len, fast überall, und jedenfalls bei concreten Rechtsfragen, mit Entschie- denheit zu ermitteln sein. Die Belege dafür werden in der folgenden Un- tersuchung am anschaulichsten an solchen Stellen hervortreten, wo das Referat des Boöthius aus der Schrift eines rechtskundigen, benannten oder ungenannten, Führers selbstständig hingestellt, auch wohl mittels Deutung und Umschreibung dem Texte Cicero’s angepasst und untergeordnet ist. Zur Erledigung unserer Aufgabe dürfte diese Methode des Verfahrens die am besten geeignete sein, dass wir mit den einzelnen historisch begrün- deten Excerpten von römisch-rechtlichem Inhalte den Anfang der Unter- suchung machen, und alsdann zu denjenigen juristischen Referaten übergehn, deren Quelle blos nach Gründen der Wahrscheinlichkeit bezeichnet werden kann. Denn dadurch wird die Gelegenheit geboten, bei den namhaft ge- machten rechtskundigen Gewährsmännern nachzuweisen, wie viel in der Ausführung des Bo&thius als eine wortgetreue Copie seiner Quelle, und was als Referat des Inhaltes allein angesprochen werden darf. Sodann dürfte zu ermitteln sen, welche von den Überlieferungen ungenannter juri- stischer Führer auf die Autorschaft eines zuvor mit Namen bezeichneten Rechtsgelehrten sich zurückführen lassen; und ob mit einigem Grunde vor- ausgesetzt werden kann, dass ausser der angeführten Schrift noch andere Werke desselben Gewährsmannes dem Boäthius zur Hand gewesen seien. An diese Prüfung wird die folgende Erörterung sich knüpfen lassen: ob die Einführung der Worte des Cassius Longinus in dem, von Seiten der Ächtheit angezweifelten, Nachtrage zu einer andern Schrift des Boöthius, als eine unverdächtige Mittheilung unsers Autors an Form und Inhalt zu er- kennen sei? Aus solchen Einzelheiten wird schliesslich das Ergebnis der Un- tersuchung, über Beschaffenheit und Umfang der von Boöthius gekannten und benutzten Organe des römischen Juristen -Rechts mit Leichtigkeit und Sicherheit abzuleiten sein. r Der Auszug aus des Paulus lidri Institutionum mag hier voran- gestellt werden. Zunächst wegen der Verwandtschaft des Inhalts mit ent- übertragen in die Werke des Boethius. 53 sprechenden Ausführungen desselben Rechtsgelehrten, gleichwie mit der be- kannten Erörterung des nämlichen Gegenstandes bei Ulpian. (!*) Sodann weil Boethius die Mittheilung der Textesworte des Paulus ('?) mit einem Vorworte und einem Nachtrage ausgestattet hat, die ein, zwar nicht unge- schicktes jedoch keineswegs ausreichendes, juristisches Räsonement enthal- ten. Dazu kommt noch, dass derselbe, bei einer spätern Veranlassung, (!°) zu ('*) In dessen Übersicht des Schicksals der Dos nach Lösung der Ehe (Frr. VI. 4. fg.) ist zunächst dasjenige indirect bestätigt, was Paulus direct beglaubigt und Cicero’s Text als eine anerkannte Rechtsregel hingestellt hat, nämlich dass in dem Falle der, durch den Ehemann allein, verschuldeten Ehescheidung die Dos unverkürzt durch denselben her- ausgegeben werden musste, auch wenn Kinder aus dieser Ehe am Leben sein mochten, Darauf folgt die mit jener des Paulus übereinstimmende directe Bescheinigung, dass bei der durch die Frau verschuldeten Scheidung die Reientio dotis propter liberos für ein Sechstheil auf jedes Kind, jedoch nicht über die Hälfte des Dotal-Capitals hinaus, habe geltend gemacht werden können. S. v. Lynden a.a. O. Cap. 2. $. 2. ('?) Cie. Top. c. 4. „Ab antecedentibus (se. ducuntur argumenta:) Si viri culpa fa- ctum est divortium, etsimulier nuncium remisit, tamen pro liberis manere ni- hil oportet” Ä consequentibus: Si mulier, cum fuisset nupta cum eo, quicum con- nubium non esset, nuncium remisit; quoniam qui nati sunt patrem non se- quuntur, pro liberis manere nihil oportet” Boäthius in comm. h. 1. (Lib. II. p. 782.) „Exempli vero talis est explanatio. Civita- tis R. iure liberi retinentur in patrum arbitrio, usque dum tertia ermancipatione solvantur. Ergo si quando divortium intercessisset culpa mulieris, parte quidem |al. quadam] dotis pro liberorum numero mulctabatur. De qua re Paulus Institutionum libri secundi [al. Institutorum librorum secundo] titulo De dotibus, ita disserult: „Si divortium est ma- trimonii, et hoc sine culpa mulieris factum est, dos integra repetetur. Quodsi culpa mulieris factum est divortium, in singulos liberos sexta pars dotis a marito retinetur, usque ad mediam [ez dimidiam ] partem dumitaxat dotis.” Quare quoniam quod ex dote conquiritur, liberorum est, qui liberi in palris potestate sunt, id apud virum necesse est permanere. Facto igitur divorlio cvontenditur: An dotis pars pro liberis apud virum debeat permanere.” Wine Übersicht der Varianten dieses Textes findet man in dem Abdruck der Orelli’schen Ausg. des Cicero. ('°) Cie. Top. c. 17. „Inprimisque in arbitrio rei uxoriae, in quo est: Quod aequius melius,” parati esse debent.” Boöthius in comm. h.|. (Lib. VI. p. 845.) „Est autern iudicium [e2. Inprimisque in iudicio] uxoriae rei, quotiens post divortium de dote contentio est. Dos enim, lieet matrimonio constante in bonis viri sit, est. tamen in uxoris iure, et post divortium welut res uxoria peti potest. Quae quiden dos interdum his conditionibus dari solebat, ut si inter virum uxoremque divortium conligisset, quod melius aequius esset apud virum remaneret, reliquum dotis restitueretur uxori: id est, ut quod ex dote iudicatum fuisset melius aequius esse ut apud virum maneret, id vir sibi retineret; quod vero non esset melius aequius apud virum manere, id uxor post divortium reciperet. In quo L2 84 Dinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, dem Inhalte jenes Bruchstückes zurückgekehrt ist und eine wichtige Mit- theilung damit in Verbindung gesetzt hat, über die Rechte der Ehegatten an dem Dotal- Vermögen während stehender Ehe, wobei die Autorschaft eines Rechtsgelehrten, sowohl an dem Inhalte als auch an dem Wortlaut, kaum zu verkennen ist, mithin die Vermuthung nahe gerückt erscheint, es möge auch hier ein Referat desselben Paulus vorliegen. Die genaue Bezeichnung der Schrift des Rechtsgelehrten Paulus, welcher die ausgehobenen Textesworte beigelegt sind, ist sowohl durch Ant. Augustinus ('’) als auch durch A. Schulting, ('!*) welchen die späteren Civilisten (1?) sich angeschlossen haben, als unverdächtig angespro- chen worden. Uberdem ist weder dem Jac. Gothofredus (2°) noch dem A. Schulting (°!) eine bemerkenswerthe Äusserung der Westgothischen Glosse zum Theodosischen Constitutionen-Codex (°?) entgangen, wel- che die Verordnung K. Julian's, über die Aufrechthaltung der Retentio- nes dotis des R. Juristen-Rechts, mit der Bemerkung begleitet hat, es sei dieser Gegenstand von dem Rechtsgelehrten Paulus ausführlich besprochen worden, theils in dem Abschnitte „De dotibus”, seiner Libri senten- liarum, theils in den Libri Responsorum, unter der Abtheilungs- Rubrik: „Dereuxoria”. Aus dieser Mittheilung darf mit nichten gefolgert iudicio non tantum boni natura spectari solet, verum etiam comparatio bonorum fit. — Quae omnia et [al. ex] procedentibus causis investigari solent. Nam si viri culpa divortium factum est, aequius melius est nihil apud virum manere. Si mulieris est culpa, aequius melius est sextans relineri. In hisque omnibus peritissimi I. Cti esse debent.” ('") De nominib. propr. I. Ctorum. c. 1. Cl. 4. no.5. v. Paulus. (In E. Otto’s Thesaur. Iur. Civ. T. 1. p. 185. not. a.) (‘°) Iurisprud. Ante-Justinian. am Schlusse der Ziöri sententiar. des Paul. (9) z.B. van Lynden und Böcking a. a. O. (@) in Comm. ad Theod. Cod. II. 13. c. 2. (2!) Derselbe spricht davon sowohl in der Anmerkg. zum Texte des fraglichen Pauli- nischen Bruchstückes, als auch im Eingange zu den Rec. Sentent. des Paulus, indem er es als ein Zeichen der Flüchtigkeit der Westgothischen Redaction hervorhebt, dass die Glosse auf eine Ausführung in der Epit. dieser Schrift verwiesen hat, die im Texte durchaus vermisst wird. (@) Theod. C. III. 13. de dotib. c. 2. Interpretat. „De retentionibus vero, quia hoc lex ista non evidenter ostendit, in iure h.e. in Pauli sententiis, sub titulo De dotibus requirendum, aut certe in Pauli responsis, sub titulo De re uxoria. Vergl. Savigny Gesch. d. R. Rechts in M. A. Bd. 2. $. 16. S. 50. Anm. d. Ausg. 2. übertragen in die Werke des Boethius. s5 werden, als ob durch Boäthius, (dessen Bezeichnung der aus des Gaius Institutionen entlehnten Auszüge als diplomatisch verlässlich erwiesen ist,) die Titel der Zidri Institutionum und Sententiarum des Paulus hier verwechselt seien. Vielmehr liegt der Verdacht ungleich näher, dass der Verfasser der Westgothischen Glosse eine solche Übereilung verschuldet, und das minder bekannte Institutionen-Werk dieses Rechtsgelehrten mit dessen allgemein verbreiteten Sammlung der Sententiae receptae für identisch gehalten habe; ähnlich wie man bei Isidor (*) des Paulus Re- sponsen und Sentenzen durch einander geworfen findet. Den Anlass zu einem solchen Irrthume der Interpretat. des Th. C. mochte die Thatsache geboten haben, dass in der Westgothischen Epitome der Libri sententia- rum des Paulus die entsprechende Titel-Rubrik, freilich aber ohne den bezüglichen Inhalt, angetroffen wird. (**) Die juristische Argumentation des Boäthius über das Princip der Rückerstattung der Dos nach getrennter Ehe, theils mit Abzügen theils ohne solche, beschränkt sich auf die Charakterisirung der väterlichen Ge- walt bei den Römern, als eines Verhältnisses dauernder Abhängigkeit der Hauskinder von ihrem Vater. Von dem Einflusse dieser Familien-Gewalt auf die Güterrechte der Betheiligten ist nichts zur unmittelbaren Anschauung des Lesers gebracht worden. Aus einer derartigen unzulänglichen Auffass- ung folgt indess nimmermehr, dass Boäthius hier lediglich in der Umschreib- ung des Ciceronischen Textes sich bewegt habe, und nicht einem bestimmten rechtskundigen Führer gefolgt sei. Damit würde schon die Thatsache kaum zu vereinigen sein, dass Boäthius in dem Laufe seiner Darstellung, (25) als gleichbedeutend mit der Terminologie Cicero’s: nuncium mittere, für die einseitige Erklärung der Ehescheidung, die Bezeichnung der classischen R. Rechtsgelehrten: lidellum repudii (nunciare,) gebraucht hat, welcher Sprachgebrauch erst in Folge der, durch das Julische Gesetz über den Ehebruch eingeführten Form der Scheidungs-Erklärung, (26) sich gebildet oder doch befestigt zu haben scheint. (*°) Origin. V. 14. V. 24. 8. 30. Vergl. Theod. Cod. I. 4. ed. Haenel. (EREISEIESZLEB: (°°) In der Ausführung, die sich an die obige ($. Anm. 15.) Mittheilung schliesst. (°) Fr. 9. D. de divort. 24. 2. Fr. 1. 8.1. D. unde V. et U. 38. 11. Fr. 43. D. ad L. Jul. de adulter. 48. 5. 86 Dıinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Was die fernere Mittheilung des Boäthius über das JZudicium rei uxoriae anbelangt, (2) so ist sie zwar von den Bearbeitern der Geschichte des R. Rechts, gleichwie von den Sammlern der Überreste Vor-Justiniani- scher Rechtsquellen, unbeachtet geblieben; entschieden aber aus keinem andern Grunde, als weil dieselbe die ausdrückliche Bezeichnung eines juri- stischen Gewährsmannes nicht an der Stirne trägt. Uns jedoch scheinen Inhalt so wie Wortlaut des fraglichen Textes genügende Bürgschaft zu lei- sten, für dessen Ableitung aus einem vereinzelten Organe des classischen R. Juristen-Rechts, und wir glauben sogar die Voraussetzung unterstützen zu können, dass dies eine Schrift von Paulus gewesen sei. Denn die Worte: „Dos enim, licet matrimonio constante in bonis viri sit, esttamen in uxoris iure", entsprechen vollkommen der bekannten Formulirung des Principes, von den Güter-Rechten der Ehegatten an den Dotalstücken, wäh- rend stehender Ehe: „Quameis in bonis mariti dos sit, mulieris ta- men est”; (”°) wovon eine beiläufige Andeutung bei Gaius (°”) und eine wortreiche Umschreibung in einem Gesetze Justinian’s (?°) angetroffen wird. Kann man diesen ersten Redesatz in des Boöthius Mittheilung als den Original- Text eines rechtskundigen Führers ansprechen, so darf mit nicht geringerer Wahrscheinlichkeit auch das folgende als das umschreibende Re- ferat des Inhaltes der nämlichen Quelle aufgefasst werden. Und der Über- gang, der hier von der einfachen Mestitutio dotis, nach gelöster Ehe, zu der künstlicheren Behandlung des Falles einer verschuldeten Ehescheidung {e} gemacht ist, möchte schwerlich das Postulat der vorgekommenen Benutzung von des Paulus Schriften entkräften. Dazu kommt noch das zuvor (°!) () S. oben Anm. 16. (°) Fr. 75. D. de iure dot. 23. 3. Tryphoninus Lib. VI. Disputation. Vergl. Savigny Syst. d. heut. R. Rs. Bd. II. $. 72. S. 113. fg. () Gaius Inst. comm. II. 63. ('°) ce. 30. de iure dot. Cod. Just. V. 12. „In rebus dotalibus — mulierem in his vin- dicandis omnern habere post dissolutum matrimonium praerogativam iubemus, — cum eaedem res et ab initio uxoris fuerint et naluraliter in eius permanserint dominio. Non enim, quod legum subtilitate transitus earum in palrimonium mariti videatur fieri, ideo rerum veritas deleta vel confusa est. Folumus itaque — ut, sive ex naturali iure eiusderm mulieris res esse intelligantur, sive secundum legurn subtilitatern ad mariti substanliam pervenisse etc. @1) S. Anm. 22. übertragen in die Werke des Boethius. 87 besprochene Zeugnis der Westgothischen Glosse, welches, gerade für die Lehre vom Dotal-Recht, die vorzugsweise Berücksichtigung der Werke des Paulus im Zeitalter des Boöthius ausser Zweifel stellt. Ferner dies negative Argument, dass in den, von unserm Autor sonst wohl benutzten, Institu- tionen des Gaius der bezeichneten Lehre eine selbstständige und ausrei- chende Behandlung nicht zu Theil geworden ist. Wir wenden uns jetzt zu ungleich bekannteren Citaten des Boöthius (°?) aus dem R. Juristen-Recht, nämlich zu dem von der Mancipation han- delnden Auszuge, aus dem ersten Buche der Institutionen des Gaius, (°°) und zu dem Bruchstücke über die In iure cessio, aus dem zweiten Buche desselben Werkes. (°*) Die Kenntnis von diesen beiden Fragmenten, deren erstes in einem verkürzten Referate auch bei Priscian (°°) angetroffen wird, reicht zurück bis auf die Nachfolger der Glossatoren in Bologna. Denn Andr. Aleciatus () gedenkt jener Mittheilungen, unter ausdrücklicher Verweisung auf die Verbreitung derselben durch die Rechtslehrer Cinus von Pistoja und Albericus. (°7) Begreiflich ist den späteren Sammlern und Bearbeitern Vor-Justinianischer Rechtsquellen (°%) das Vorhandensein dieser Original-Reste des Gaius, bei Priscian und Boäthius, nicht entgangen. Werfen wir noch einen Blick auf die eigene Ausführung des Boe- thius, (#?) welche jene Citate begleitet. Der Eingang schliesst sich freilich () Zu Cic. Topic. c. 5. (Comm. Lib. III. p. 797.) (°°) Inst. comm. I. 119. (°*), Ebds. II. 24. () Art. grammat. Lib. VI. a. E. Vergl. die Anmerkgg. in der Lachmann’schen Ausg. des Gaius. I. 119. (°°) Praetermissor. Lib. I. v. Nexus. (Opp. T. II. p. 150. Bas. 1571. F.) Hier ist die blos theilweise Anführung der Worte des Gaius durch die Bemerkung vermittelt: „Quan- doquidem hic locus etiam Cynum Albericumque Rosatum non praeterüt.” () S. Savigny Gesch. d. R. Rs. im M. A. Bd. VI. Cap. 50. und 52. (°°) Vergl. A. Augustinus a. a. O. (oben Anm. 17.) Cl. 3. no. 4. v. Caius. p. 110. not. c. E. Merillius Obss. V. 33. und die Herausgeber der Epit. Institution. Caiti. 1. 6. 8.3. II. 1. 8.6. (in A. Schulting’s Iurispr. Ante-Iust.) Um des Brissonius de Formul. VI. 63. u m. a. nicht zu gedenken. (°°) a. a. ©. (Anm. 32.) Auf die Textesworte Cicero’s: (Abalienatio est eius rei, quae mancipi est, aut traditio alteri nexu, aut in lure cessio, inter quos ea iure cioili fieri possunt.) folgt diese Auslegung: „Nam iure civili fieri aliquid non inter ' 88 Dinksen: Juszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, unmittelbar an den Wortlaut des vorstehenden Textes; allein die folgende Ausführung, sowohl die Äusserung über mancipi res, als auch die, zwi- schen die beiden Bruchstücke des Gaius gestellte, Charakterisirung der nec mancipi res, und besonders die Schlussbemerkung über den Einfluss der Usucapion auf die Vervollständigung der abalienatio einer mancipi res, berechtigt zu der Voraussetzung, dass hier ein Inhalts-Auszug aus dem näm- lichen Organe des R. Juristen-Rechts vorliege, welchem die beiden Textes- Referate entlehnt sind. Freilich verstattet die Lückenhaftigkeit der Hand- schrift des Gaius an dieser Stelle (“°) nicht die Vergleichung des Zusammen- hanges der Darstellung im Original. Auch liegt zu Tage dass Boethius, bei der Auffassung und Übertragung der Gedanken seines rechtkundigen Füh- rers, ein weder vollständiges noch genaues Referat geliefert, und sogar entschiedene Misdeutungen verschuldet hat. Ausser diesen direct bezeichneten Auszügen der Institutionen des Gaius, lassen sich erkennbare Spuren einer anderweiten Benutzung dessel- ben Werkes bei Boöthius nachweisen. In dem Commentar zum fünften Capitel der Topik ist die Aufzählung der, durch Cicero dem Ius civile überwiesenen, einzelnen Organe der einheimischen R. Rechtsbildung (*') von einer Erklärung begleitet, (*?) die alios nisi inter cives R. potest; quorum est etiam ius civile, quod AII Tabulis continetur. Omnes vero res, quae abalienari possunt, i.e. quae a nostro ad alterius transire dominium possunt, aut mancipi sunt aut non mancipi. [e'. possunt, mancipi dictae sunt.] Mancipi res veteres adpellabant, quae ita abalienabantur, ut ea abalienatio per quandam nexus fieret solennitatem. Nexus vero est quaedam iuris solennitas, quae fiebat eo modo, quo in Insti- tutionibus Caius exponit. — (Quaecunque igitur res Lege XII Tabularum aliter nisi per hanc solennitatem abalienari non poterat. Sui iuris autem ceterae res nec manicipi voca- bantur. Eaedem vero etiam in iure cedebantur. Cessio vero tali fiebat modo, ut secundo comrmentario idem Caius exposuit. — Res igitur, queae mancipi sunt, aut nexu — abaliena- bantur, aut in iure cessione. Has autem solennitates quasdam esse iuris, ex superioribus Caii verbis ostenditur. At si res ea, quae mancipi est, nulla solennitate interposita tradatur, abalienari non poterit, nisi ab eo cui tradatur usucapiatur (*°) Inst. comm. II. 15. 20. (oc 5. „Ut si quis ius civile dicat id esse, quod in legibus, S.Ctis, rebus iudicatis, iuris- peritorum auctoritate, edictis magistratuum, more, aequitate consistat” S. v. Lynden a.a. 0. c. 6. 8.1. p. 99. fgg. (2) Lib. III. p- 796. „Nunc exponenda arbitror Ciceronis exempla.— Lex igitur est, quam populus centuriatis comitüs sciverit; S.Cta sunt, quae fuerint Senatus auctoritate decreta. — übertragen in die Werke des Boethius. 39 der entsprechenden Deutung des Gaius (**) zwar nicht sklavisch sich an- schliesst, jedoch eine freie Aneignung derselben kaum verkennen lässt. Dazu kommt, dass Boethius in einer andern Schrift, (**) auf die frag- liche Definition Cicero’s sich beziehend, zu deren Vervollständigung auch die iussa Principum angeführt hat, ähnlich wie bei Gaius (*) die Rede davon ist. Noch belangreicher ist das, bei der Erklärung des Ciceronischen Tex- tes über die Eintheilungen der Tutel(‘‘) eingehaltene, Verfahren. Schon an einem andern Orte (*7) wurde ausgeführt, dass dieser Äusserung Cicero’s die Bezugnahme auf den Zwiespalt der namhaftesten Rechtsgelehrten seiner Zeit, des Qu. Mucius Scaevola und Servius Sulpicius Rufus, über genera und species tutelarum, zu Grunde liege; wie aus der Belehrung des Gaius (*) über diesen Gegenstand zu entnehmen sei. Freilich be- schränkt sich dessen Mittheilung auf die Bezeichnung der vornehmsten Re- sultate jener verhandelten Streitfrage, indem derselbe, wegen der Begründung der einzelnen Behauptungen, auf seine eigene in zwei andern Werken nie- dergelegte Ausführungen verwiesen hat. Die Art nun, wie Boäthius aus den Institutionen des Gaius die Elemente zur Erklärung des vorstehenden Jurisperitorum auctoritas sest eorum, qui ex AÄII Tabulis, vel ex edictis magistratuum, ius civile interpretati sunt, probatae civium iudieis creditaeque sententiae. Kdicta magistratuum sunt, quae Praetores urbani vel peregrini, vel Aediles curules, iura diwere. (*) Inst. comm. 1.3. fg. 6. fg. (“*) De definitione. Lib. I. p. 654. „Cicero in Topicis collocaeit, posse nos ius civile enu- meratione definire. — Non autem tolum ius enumeratum est. Quippe cum sit et in 8. Ctis et plebiscitis, sit in edictis et principum iussis, sit fortasse adhuc et in alıis. Cr ara 02: (*°) Topic. c. 8. „Partitione autem sic utendum est, nullam ut partem relinquas: ut, si partiri velis tutelas, inscienter facias si ullam partern praetermilttas.” (*) In der Abhdlg. Üb. Cicero’s untergegang. Schrift De iure civ. etc. (Jahrg. 1842. S. 191. dieser Abhdll.) (*°) Inst. comm. I. 188. „Ex his adparet, quot sint species tutelarum. Si vero quaeramus, in quot genera hae species deducantur, longa erit disputatio; nam de ea re valde veteres dubitaverunt, nosque diligentius hunc tractalum exsecuti sumus, et in edicti interpretatione et in his libris quos ex Qu. Mucio fecimus. Hoc solum tantisper sufficit admonuisse, quod quidam quinque genera esse dixerunt, ut Qu. Mucius; alii tria, ut Servius Sulpicius; alii duo, ut Labeo; alii tot genera esse crediderunt, quo£ etiam species essent.” Philos.- histor. Kl. 1851. M 90 Dinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Ciceronischen Textes zu gewinnen versucht hat, (*) ist auffallend genug. Als vier Arten der Tutel sind von ihm namhaft gemacht: die gesetzliche Vormundschaft der Agnaten, so wie jene der Patrone, ferner die testamen- tarische und die obrigkeitliche Bevormundung. Daran schliesst sich diese Bemerkung, dass es allerdings noch verschiedene andere Anwendungsfälle gebe, dass aber ihm, dem Referenten, die abweichenden Ansichten der Rechtsgelehrten über deren erschöpfende Classifieirung nicht hinreichend bekannt seien. Es dürfte hier die Voraussetzung wohl zu wagen sein, dass Boethius, da er aus der bezüglichen Mittheilung des Gaius, welche lediglich ein historisches Material darbietet, sich nicht ausgiebig informiren konnte, auch nicht die anderen von Gaius selbst citirten Schriften zur Hand hatte, die erforderliche Belehrung durch ein Recapituliren der, in der vorausge- schickten Darstellung der Institutionen des Gaius (°°) besprochenen, Dela- tions-Gründe der Tutel zu ermitteln suchte, wobei er freilich, als ein nicht sachkundiger Referent, arge Blössen gegeben hat. Und erscheint dieses Postulat gerechtfertigt, so dürfte dadurch gleichzeitig die anderweite Be- hauptung unterstützt werden, dass im Zeitalter des Boöthius, ungeachtet der Empfehlung sämmtlicher Werke des Gaius durch das sg. Citir- Gesetz K. Valentinian's III., vorzugsweis die Institutionen dieses Rechtsgelehrten allgemein benutzt worden seien. (°') Das Referat aus Ulpian’s Institutionen, (°?) welches scheinbar nicht die Textesworte seiner Quelle wiedergiebt, sondern nur den Inhalt derselben (“°) Lib. IV. p. 807. „Tutela quippe quatuor fere modis est: aut enim per consanguinita- tis gradum est, aut patronatus iure defertur, aut testamento patris tutor eligitur, aut urbani Praetoris iurisdictione formatur: et sunt forsitan plures, sed nune istae sufficiunt. — Sed ut conveniens videalur exemplum, requirendae sunt tales tutelarum partes, quae iunctae tutelas efficere possint, non quae singulae tutelae nomine designentur; quod nescio an quisquam iurisperitiae professor |al. iurisperitiam professus] tales tutelae partes ediderit.” (°) I. 143. fg. (') Justinian’s Const. Omnem reipubl. $. 1. (Ad Antecessores.) Vergl. Zimmern Gesch. d. R. Priv. Rs. bis auf Justin. Bd. I. $. 70. (°) Cie. Top. c.3. „A forma generis, quam interdum, quo planius accipiatur, partem licet nominare, hoc modo: Si ita Fabiae pecunia legata est a viro, si ea materfamilias esset; si ea in manum viri non convenerat, nihil debetur. Genus enim est, uxor; eius duae formae: una matrumfamilias, earum quae in manum convenerunt; altera earum, quae tantummodo uxores habentur; qua in parte cum fuerit Fabia, legatum ei non videtur.” Boethius h.|l. übertragen in die Werke des Boethius. 9 bezüglich der conventio uxoris in manum mariti bespricht, ist von verschiedenen Sammlern Vor-Justinianischer Rechtsquellen (°°) berücksich- tigt worden. Diese Mittheilung ist für unsere Untersuchung besonders be- deutsam, zur Kundmachung der eigenthümlichen Methode, nach welcher Boäthius das seinen juristischen Quellen entlehnte Material sich anzueignen ke) und zu verarbeiten pflegte. Die Ächtheit der vorstehenden Bezeichnung des rechtskundigen Ge- währsmannes, gleichwie seiner angeführten Schrift, ist ausser Frage. An eine Verwechslung mit des Gaius Institutionen, deren Original - Text (2) eine, von der des gegenwärtigen Referates durchaus verschiedene, Darstell- ung der Co@mtio aufweist, ist eben so wenig zu denken, als an die Ver- tauschung mit Ulpian’s Liber singularis regularum. Denn in dieser Monographie waren die Formen der Conventio in manum mariti, allem Anschein nach, (°°) ungleich summarischer besprochen, als in dem durch Boöäthius hier benutzten Werke. Ganz zu geschweigen, dass diesem unserm Commentator die Bekanntschaft des Liber singularis regular. nicht so geläufig sein mochte als wie jene des Institutionen-Werkes von Ulpian. Bei der Ausführung des Boäthius ist zunächst diese Thatsache zu be- achten, dass die Autorschaft Ulpian’s bei der Mittheilung über das Ritual der Coöämtio besonders hervorgehoben ist. Dies berechtigt zu der Fol- ‚Lib. II. P- 779. „Uxoris species sunt duae: una matrumfamilias, altera usu; sed communi generis nomine uxores vocanlur, Fit vero id saepe, ut species eisdem nominibus nuncupentur, quibus et genera: materfamilias vero esse non poterat, nisi quae convenisset in manum; haec autem certa erat [al. haec autem erat] species nuptiarum. Tribus enim modis uxor habe- batur: usu, farreatione, [e2. ferreatione, al. farre,] coemptione; sed confarreatio solis pontifi- cißus conveniebat. Quae autem in manum |al. manus] coemptione |al. per coemptionern] convenerant, hae matresfarmilias vocabantur; quae usu, vel farreatione, [e2. quae vero usu, vel farre,] minime. Coemptio vero certis solennitatibus peragebatur, et sese in coemendo invicem interrogabant; vir ita: an sibi mulier materfamilias esse vellet? illa respondebat, velle; iten mulier interrogabat: an vir sibi paterfamilias esse vellet? ille respondebat, velle. Itaque mulier viri conveniebat in manum, et vocabantur hae nuptiae per coemplionem, et erat mulier materfamilias viro, loco filiae. Quam solennitatem in suis Institutis Ulpia- nus exponiü.” () z.B. A. Augustinus a.a. O. Cl. 4. no. 4. v. Ulpianus. p. 163. not. a. Böcking a.a.O. p. 82. not. 6. (°*) Inst. comm. I. 113. fg. (°°) S. Ulpianı Fır. IX. 1. 92 Dinesen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, gerung, dass dieser Theil des Referates als eine nahe zu getreue Copie des Original-Textes von Ulpian angesprochen werden darf. Auch sind die Einzelheiten des Inhaltes, gleichwie des Wortlautes, dieser Voraussetzung nicht entgegen. (°°) Denn die unterlassene Hinweisung auf die, bei Gaius a. a. OÖ. bemerkbar gemachte, Verknüpfung der Co@ämtio mit der Manci- pation fällt nicht der Ausführung Ulpian’s zur Last, sondern erscheint be- dingt durch die Art der Auffassung des bezeichneten Gegenstandes von Seiten des Boäthius. Derselbe suchte nämlich bei seinen rechtskundigen Gewährs- männern zunächst nur nach einer Rechtfertigung der, von Cicero gebrauch- ten, Benennung Materfamilias, für die uxor in manu. Nun glaubte er den Sitz dieser Terminologie in dem Wortformular der Coömtio, wel- ches den in Frage stehenden Ausdruck besonders hervortreten liess, entdeckt zu haben und er liess sich dabei zu dem Fehlschluss verleiten, dass aus- schliesslich durch Co&mtio, nicht aber durch Confarreatio oder Usus, einer Ehefrau das Prädicat der Materfamilias habe zugeführt werden können. Freilich darf ein solches Verfahren um so mehr befremden, da in dem Grundtexte Cicero’s das wahre Sachverhältnis anschaulich hingestellt ist, auch Boäthius in der Fortsetzung seiner Ausführung das richtige Resultat mit Cicero’s Worten wiedergegeben hat. Vielleicht vermag diese Thatsache etwas zur Erklärung beizutragen, dass schon Gellius (°’) den Grammatikern seiner Zeit vorgerückt hat, sie seien bei der Deutung der Bezeichnungen Materfamilias und Matrona in Irrthümer verfallen, und dass Boäthius in den ihm zugänglichen grammatischen Compilationen (°°) die Spuren sol- cher abweichenden Auslegungen erweislich angetroffen hat. Im übrigen ist auch bei der allgemeinen Auslassung über die Formen der Conventio in manum, welche der Mittheilung des Excerptes aus Ulpian’s Institutionen vorausgeht, kaum zu verkennen, dass Boäthius die nämliche Rechtsquelle dafür benutzt, obwohl nicht überall richtig gedeutet (°%) Auch Cic. de orat. I. 56. hat das Wortformular bei der Co@mtio vorzugsweis in’s Auge gefasst. Und dass bei dem Aussprechen desselben beide Contrahenten mitwir- ken mussten, ist unbestreitbar, während die Gegenseitigkeit ihrer Betheiligung bei der Vollziehung des Mancipations-Actes mit Grund angezweifelt werden mag. Zimmern a.a. 0.1. 8.227. Puchta Curs. d. Instit. III. $. 225. @7) N. A. XVIIR. 6. (°°) Festus v. Materfamilias. Nonius Marcell. c. 5. $. 82. übertragen in die Werke des Bocthius. 95 habe. Denn das über die Confarreatio bemerkte erscheint minder auf- fallend, sobald man voraussetzt, dass Ulpian bei dieser Veranlassung eine, der entsprechenden Äusserung des Gaius (°?) analoge, Hinweisung auf den Zustand der Rechtspraxis in seinem Zeitalter möge haben einfliessen lassen. Auch gegen die Correctheit des Redeausdruckes ist nicht erhebliches einzu- wenden. Denn bei dem Satze: „Tribus enim modis uxor habebatur,” versteht die Ergänzung sich von selbst: sc. in manu; der Wechsel aber der Bezeichnungen farreatio und confarreatio findet in dem ursprünglichen Text: farre, der auf die durch Gaius (°’) und Ulpian (°°) beglaubigte Form des Ausdrucks: farreo, zurückgeführt werden kann, ausreichende Begründung. II. Gegenüber den, bis hierher besprochenen, Auszügen aus dem Juristen- Recht der Römer, welche die Namen der Verfasser entweder an der Stirne tragen, oder dieselben an bestimmten äusseren Merkmalen erkennen lassen, bleibt jetzt von solchen römisch -rechtlichen Mittheilungen des Boöthius zu handeln, bei denen die Vermuthungen über Form und Ursprung des benutz- gen beschränkt 8 sind. Daran wird ferner die Prüfung der Frage zu knüpfen sein: ob das, in ten Referates auf die Beachtung von mehr negativen Anzei einem apocryphischen Schriftstücke des Boöthius enthaltene, auch durch andere Referenten uns überlieferte, Bruchstück eines nicht näher bezeichne- ten Werkes des berühmten R. Rechisgelehrten ©. Cassius Longinus, ab- gesehen von seiner Ächtheit, dem Boäthius in Rechnung gestellt werden darf? Wir sind sicherlich nicht befugt, eine jede Hinweisung auf die Be- grenzung rechtlicher Begriffe, oder jede, durch eine künstliche Bezugnahme auf bestrittene Rechtsfragen in das Gebiet 'der R. Rechtskunde zu übertra- gende, Anspielung des Commentators der Ciceronischen Topik auf ein selbst- ständiges Studium des classischen Juristen-Rechts der Römer zurückzuführen. Denn mit gleicher Berechtigung würde man in dem Original-Texte Cicero’s, 3) I. 112. „Farreo in manum conveniunt etc. — Quod ius etiam nostris temporibus in usu est; nam Flarmines maiores, i. e. Diales, Martiales, Quirinales ... sacrorum, nisi . . con- „ farreatio .. (%) a. a. 0. IX. 1. 94 Dıinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, aus der Anführung der einfachsten rhetorischen Beispiele, die Hinweisung auf Rechts-Controversen herleiten können. (°') Allein auch bei den, in des Boöthius Commentar uns begegnenden, Definitionen und Referaten von ent- schiedener juristischer Ausprägung ist zunächst zu untersuchen: (°?) ob etwa blos eine Umschreibung und Ausführung des commentirten Ciceronischen Textes vorliege? (°°) sodann: ob die Elemente zur Beurtheilung der behan- (°') So z.B. wenn man aus der Bemerkung (Top. c. 15. „Causarum igitur genera duo sunt; — alterum, quod naturam efficiendi non habet, sed sine quo effici non possit; ut si quis aes causam statuae velit dicere, quod sine eo non posset effici”) die Hindeutung fol- gern wollte auf die Verbreitung der, später von den Rechtsschulen ergriffenen, Streit- frage über den Eigenthums-Erwerb durch Speecification. (#2) Wie wenig Boäthius beflissen war, jeden solchen Anlass zur Herbeiziehung bereit liegender Materialien für eine zusammenhängende juristische Ausführung zu benutzen, geht aus seiner Besprechung der Mittheilung Cicero’s hervor, (Top. c. 4.) über die Unfähig- keit der, durch Agnaten bevormundeten, ledigen Frauen zur Testaments-Errichtung. Nicht blos Gaius, (Inst. II. 112. fg.) sondern auch andere Schriften Cicero’s würden für diesen Zweck mit Erfolg haben ausgebeutet werden können. (Vergl. Savigny’s Vermischt. Schrift. Bd. I. no. 10. S. 287. fg.) () Dahin gehört nicht blos die, an den Wortlaut der Äusserungen Cicero’s über Usucapio, Gentilität, Positliminium u. Ss. w. (Top. c. 5. c. 6. c. 8.) sich anschliess- ende, Ausführung des Commentators. (Lib. TI. p. 794. 803. Lib. IV. p. 809.) Vornehm- lich kommt in Betracht der, den bekannten Ciceronischen Text (ebds. c.2. „Cum Lex Aelia Sentia assiduo vindicem assiduum esse iubeat, locupletem iubet locu- pleti; locuples enim est assiduus, ut ait Aelius, adpellatus ab asse dando.”) begleitende Zusatz des Boöthius: (Comm. Lib. I. extr. p. 774. „Vindex est igitur, qui alterius causam suscipit vindicandam, veluti quos nunc procuratores vocamus. Lex igitur Aelia Sanctia etc”) Denn hier kann kaum gezweifelt werden, dass dem Commentator kein rechtskundiger Führer zur Seite gestanden sei. Weniger wegen der Erklärung des vindex, die für den ersten Redesatz vielleicht auf die Führung des Gaius (a. a. O. IV. 21.) zurückgeleitet werden könnte, so dass der irrthümliche Nachsatz, für welchen Cuiacius (Obss. V. 29.) mittels der Textes-Kritik (praediatores, s. praedicatores,) eine Ausgleichung vergeblich versucht hat, (S. v. Lynden a.a. O. p. 125.) als die eigene Zu- gabe des Boäthius anzusprechen sein würde. Vielmehr ist das Festhalten des corrumpirten Textes: Lex Aelia Sanctia, (für L. XII Tabb.) hier massgebend. Die Möglichkeit des Geltenlassens einer solchen colossalen Verunstaltung würde, unter der Leitung eines rechtskundigen Gewährsmannes, ganz ausgeschlossen geblieben sein, während dieselbe be- greiflich erscheint unter der Voraussetzung, dass der Gesichtskreis des Commentators nicht über die Grenze des zu erläuternden Textes hinaus gereicht habe. Der Nachsatz im Original: Zocuples enim est, ut ait Aelius etc. konnte nämlich zu der Combina- tion verleiten, als ob der älteste Ausleger der XII Tafeln, der bekannte Rechtsgelehrte übertragen in die Werke des Boethius. 95 delten Rechtsfrage vielleicht aus der Lectüre der übrigen rhetorischen und philosophischen Schriften Cicero’s, (°*) oder aus jener der späteren Rheto- ren und Declamatoren, (%%) gewonnen sein mögen? Anders dagegen verhält es sich mit solchen rechtlichen Erörterungen, die auf dem Gebiete der Rechts- doetrin sich bewegen und deren Behandlung, der Form gleichwie dem In- halte nach, die Benutzung eines rechtskundigen Führers mit Entschiedenheit voraussetzen lässt. Von diesen ist hier zu handeln, insofern sie eine ver- lässliche Grundlage bieten, um die Vermuthungen über die Beschaffenheit der concreten Rechtsquelle zu unterstützen. Die angegebenen Merkmale passen schwerlich auf die Auslegung der bekannten Äusserung Cicero’s, über die Formen der feierlichen Freilassung 8 von Sklaven; (°°%) während dieselben unzweifelhaft wahrzunehmen sind in Aelius Catus, (Fr. 2. $. 38. D. de orig. iur. 1.2.) der Rogator des von Cicero bespro- chenen Geseizes gewesen sei. Dies mag auf ein apocryphisches Scholion barbarischen Ursprunges (etwa Aelius, i.e. sancior legis) gestützt worden sein, oder vielleicht auch ein solches erst hervorgerufen haben. Jedenfalls sind die bisherigen Versuche, jene bei- spiellose Verstümmelung des Ciceronischen Textes zu erklären, erfolglos geblieben. S. v. Lynden a.a. ©. c. 6. $. 3. p. 126. fg. und des Verf. Übersicht d. XII Taf. Fragmente, S. 159. fg. (°*) Dahin dürfte zunächst zu zählen sein die Ausführung zu Cicero’s Top.) c. 4., über den Ususfructus ancillarum uxori legatus. Hier hat Boethius (Comm. Lib. II. p- 784.) eine verkehrte Anwendung gemacht von dem Einflusse des Eintretens des Sub- stituten auf das Schicksal der, bereits durch den Vorerben zur Vollziehung gebrachten, Vermächtnisse. Sodann die Bemerkungen über die, Top. c. 10. berührte cause Curiana, (Comm. Lib. IV. p. 813.) welche mehrfältig bei Cicero und den späteren Rhetoren be- sprochen ist. Vergl. den Jahrg. 1847. dieser Abhandlungg: Üb. d. Methode d. Rhetoren u.s. w. Anm. 33. (®) In der zuletzt angeführten Stelle des Commentars heisst es: „Si quis enim iurisperi- tus adiiciat id: „Quod non iure contractum est, nullius esse momenti;” adhibeatque exem- plum tale, veluti si quis rem non mancipi mancipaverit, num idcirco aut rem alienavit, aut se reo facto potuit obligasse? Minime. Quod enim non iure contractum est, nihil retinet fir- mitatis.” Et alia huiusmodi apud iurisperitos inveniuntur, in quibus oralores maxime valent, quibus eliam in tantum fingere licet, ut eorum oratione etiam mortui saepe ab inferis exci- tentur” Auch die, auf Cicero’s Top. c. 11. (vergl. v. Lynden a. a. O. c. 7. $.1. p. 134. fg.) bezügliche, Ausführung (in Comm. Lib. IV. p. 814.) über den Gegensatz der Tutela feminarum und pupillorum, dürfte hierher gehören. (ee) Topic. c. 2. „Si neque censu, neque vindicta, nec testamento liber factus est, non est liber”” Bo&thii comm. Lib. I. p. 771. „Quoniam faciendi liberi tres sunt partes: una quidem ut censu liber fiat, censebantur enim antiquitus soli cives R.: si quis 96 Dinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, der zusammenhängenden Ausführung des Boäthius über die Gattungen der Capitis deminutio. (°°) Dort nämlich ist die Formulirung der Begriffe schwankend, und die Deutung der Einzelheiten zum Theil so ungenau, dass die gelieferten Resultate unmöglich der Einwirkung zu Rathe gezogener Or- eane der einheimischen Rechtskunde in Rechnung gestellt werden dürfen. Das über die Manumissio vindicta gesagte scheint zwar einige juristische Elemente zu enthalten, und von dem Standpunkte der spätern Rechspraxis sich rechtfertigen zu lassen, welche die ursprünglichen Formen dieses Rechts- actes so sehr ermässigt hatte, dass die Verrichtungen des Adsertor einem der Lictoren des Magistratus anvertraut werden durften. (°®) Allein um eine solche Belehrung zu gewinnen, würde Boethius es kaum für nöthig er- achtet haben, sich aus den Schriften der römischen Rechtsgelehrten Rath zu holen. Ganz anders dagegen bewährt sich die Übersicht der Gattungen der Capitis deminutio. Sowohl die Bestimmung der Begriffe, als auch die Wahl der einzelnen Beispiele, nämlich der Deyortatio für die ma- xima und der Deductio in coloniam latinam für die media capitis deminutio, verräth den Einfluss eines rechtsgelehrten Führers, obwohl es nicht leicht ist über die Persönlichkeit desselben bestimmte Vermuthungen zu bilden. An die Institutionen des Gaius kann hier freilich nicht gedacht ergo consentiente vel iubente domino nomen detulisset in censum, civis R. fiebat et seroitutis vinculo solvebatur; atque hoc erat censu fieri liberum, per concensum [a!l. consensum] domini nomen in censum deferre et effici civrem R. Krat etiam pars altera adipiscendae libertalis, quae vindieta vocabatur. Findieta vero est virgula quaedam, quam lictor manumittendi seroi capiti imponens eundem seroum in libertatem vindicabat, dicens quaedam verba solennia; at- que ideo illa virgula vindieta vocabatur. Illa etiam pars faciendi liberi est, si quis suprema voluntate in testamenti serie servum suum liberum scripserit. (e2) Topic. c. 4. „Si ea mulier testamentum fecit, quae se capite nunquam deminuit, non videtur ex edicto Praetoris secundum eas tabulas possessio dari,” Boethii comm. Lib. II. p. 781. fg. „Capitis deminutio est prioris status permuta- tio. Jd multis fieri modis solel: vel maxima, vel media, vel minima. Maxima est, cum et libertas et civitas amittitur, ut deportatio. Media vero, in qua civilas amititur, retlinetur Ül- bertas, ut in latinas colonias transmigratio. Minima, cum nec civitas nec libertas amilttitur, sed status prioris qualitatis [gualitas? ] imminuitur, [e2. immutatur ,] velut adoptaltio,; aut quibuslibet aliis modis prior status retenta civitate potuerit immutari.” (®) Gaius a.a.O. I. 20. Plinius Epist. VII. 16. 32. Fr. 5. Fr. 7. fgg. Fr. 20. 8.4. Fr. 23. D. de manum. vind. 40. 2. Vergl. Unterholzner, in d. Zeitschr. f. gesch. Rs. W. 11.5. Puchta Curs. d. Instit. II. $. 213. übertragen in die Werke des Boethius. 97 werden, indem diese in der entsprechenden Ausführung (°) keine Überein- stimmung zu erkennen geben. Ob aber vielleicht mehr für die Benutzung von des Paulus Institutionen als für jene des Ulpian die Vermuthung strei- tet, dürfte kaum mit einiger Sicherheit zu entscheiden sein. Die Vergleich- 8 larum, (?°) welche in manchen Punkten abweicht, würde zwar nur scheinbar ung der bezüglichen Erörterung in des letztern Liber singularis re der Bevorzugung dieses Rechtsgelehrten entgegen treten, da zwischen der genannten Schrift und dem Institutionen - Werk desselben Verfassers eine Übereinstimmung in allen Einzelheiten der Ausführung schwerlich voraus- gesetzt werden darf. Dagegen ist nicht zu leugnen, dass, nach den zahlrei- chen Auszügen aus andern Schriften des Paulus zn schliessen, welche Ju- stinian’s Pandekten-Compilation eben für die Lehre von der Capitis demi- nulio sich angeeignet hat, (?!) des Boöthius Zeitgenossen in diesem Abschnitte des R. Civil-Rechts, ähnlich wie in jenem von dem Dotal-Recht, (7?) die Ausführung des Paulus für besonders zusagend erachtet haben mögen. Mit grösserer Wahrscheinlichkeit kann die Autorschaft des Gaius an- gesprochen werden für eine Mittheilung im Commentar zur Topik, (7) wel- che das Wesen der Fiducia bespricht. Jedoch ist dies beschränkt auf vereinzelte Andeutungen über diesen Gegenstand, denen man in dem Insti- tutionen-Werke des genannten Rechtsgelehrten begegnet, (7%) auch hat Boc- thius nicht das wörtlich getreue Referat dieses Gewährsmannes geliefert, son- dern vielmehr die Resultate von dessen Belehrung in die eigene Darstellung verarbeitet. (°°) Ebds. I. 159. fg. (DO) Err. XI. 10. fe. (‘) Fr.3. D. de cap. min. 4. 5. (Paul. Lib. XI. ad Edict.) Fr. 5. Fr. 7. Fr. 9. eod. (Id. eod.) Fr. 11. eod. (Id. Lib. II. ad Sabin.) (‘”) Vergl. oben Anm. 15. fg. 7) Top. c.10. „Si tutor fidem praestare debet, si socius, si cui mandaveris, P p si qui fiduciam acceperit, debet etiam procurator.” Boethii comm. Lib. IV, q pP . 813. Fiduciam vero accepit, cuicungue res aligua mancipatur, ut eam mancipanli reman- pP Fr q gi /£ F cipet: velut si quis termpus dubium timens amico potentiori fundum mancipet, ut ei, cum tem- pP q P p pus quod suspectum est praeterierit, reddat. Haec mancipatio fiduciaria norninatur, idcirco quod restituendi fides interponitur. () a. a..0. II. 60. III. 201. Philos.-histor. Kl. 1851. N 98 Dirksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, Es bleibt noch von dem bemerkenswerthen Bruchstücke einer Schrift des Cassius Longinus zu handeln, welches über die Erweiterung des Grundeigenthums mittels der Alluvionen Aufklärung vom rechtlichen Stand- punkte ertheilt. Dasselbe ist der Aufmerksamkeit der Sammler Vor-Justinianischer Rechtsquellen keineswegs entgangen. (7°) Unter den Auslegern des Römisch- Justinianischen Rechts hat es Menage (’%) aus dem Commentar des Agge- nus Urbicus zum Frontinus, dagegen Constantinaeus (7) aus des Boöthius Lib. II. geometriae mitgetheilt. Bei beiden erscheint das Referat der Textesworte als ein unvollständiges, indem dasselbe nur den auf die eigentliche Alluvio bezüglichen Inhalt aufgenommen hat. Erst durch die neueste kritische Bearbeitung der sg. Gromatici veteres sind die Abweichungen, in der Form und dem Umfange, der Überlieferung die- ses Textes festgestellt worden. Darnach erweist sich nämlich die Abhandlung des Hyginus De generibus controversiarum, in welcher für den Ab- schnitt von den Alluvionen Cassius Longinus als rechtskundiger Gewährs- mann eingeführt ist, (7%) sowohl für die entsprechende Mittheilung des Ag- genus Urbicus (”?) als auch für jene des Boäthius, (°°) als die gemeinsame Quelle; wie aus der Zusammenstellung dieser Referate (°!) zu entnehmen (°) z.B. A. Augustinusa.a. O. Cl. II. no. 2. p. 235. fg. v. C. Gassius Longinus, hat sich beschränkt auf die Anführung von Äusserungen desselben, welche bei andern R. 5 8 D Rechtsgelehrten angetroffen werden. (°°) Amoenit. iur. ec. 43. a. E. „Meminit eius (sc. Cassii Longini) honorifice et Aggenus Urbicus, commentario in Frontinum de limitibus agrorum, his verbis: „Cassius Longinus, 8 5 vir prudentissimus, iuris auctor hoc statuit, ut quidquid aqua lambendo abstulerit, id posses- Pp RT q p sor amittat.” (’) Jac. Constantinaeus subtil. enodation. I. 8. (Otto’s 'Thesaur. J. C. T. IV. p. 495.) „Cassius Longinus apud Boethium Lib. II. geomeir. „Quidquid aqua lambendo abstu- pP q q lerit, inquit, id ad possessorem, qui scilicet ripam suam sine allerius damno tueri debuit, perlinet.” (°®) Gromatici vet. Ed. C. Lachmann. p. 124. 2 omm. in Frontin. Lib. I. De controvers. 53 PA 7% DUE Frontin. Lib. I. D t Ebds. p. 17 (©) Demonstrat. art. geometr. p. 399. fgg. das. () I Hyginus. I. Aggenus Urbicus. III. Boäthius. Cassius Longinus, prudentis- Cassius Longinus, virpruden- Sed Cassius Longinus, prud- pP 5 pP simus vir, iuris auctor, hoc sta- tissimus, iuris auctor, hoc sta- entissimus iuris auctor et iudex, übertragen in die Werke des Bocthius. 99 ist. Die Frage aber: ob, wenn gleich die unmittelbare Benutzung des Hygin durch Aggenus unbedenklich sein mag, doch für die Übereinstimmung zwischen Boöthius und Hygin vielleicht eine andere Erklärung zu ermit- teln sein dürfte, z. B. das Vorhandensein einer von beiden gemeinschaftlich benutzten Quelle? verliert sehr wesentlich an Interesse, in Folge der Wahr- nehmung, dass die Autorschaft des Boethius für denjenigen Abschnitt seiner Geometrie, der das Fragment des Cassius Longinus enthält, durchaus nicht feststeht. (°?) Die ersten Gesammt-Ausgaben der Monographieen des Boethius ent- halten das zweite Buch der Geometrie garnicht, (°°) während die späteren, welche dieses nachträglich bringen, (°*) dasselbe auf Treu und Glauben, als den Anhang einer der Compilationen von agrimensorischem Inhalt, aus eini- gen Handschriften herüber gezogen haben. Denn dass jedenfalls die Über- lieferung des Auszuges aus einem Werke des Cassius Longinus nicht durch Boethius selbst kann eingeleitet sein, erhellet sowohl aus der ganz ab- weichenden Form der Einführung dieses Citates, (°%) wie auch aus der ver- Zuit, ut quidquid aqua lambi- scendo abstulerit, id possessor amilttat, quoniarn scilicet ripam suam sine alterius damno tueri debet. rens alveum mutasset, Si vero maiore vi decur- suum quisque modum agnosceret, quo- niam non possessoris neglegen- tia, sed tempestalis violentia ab- in- reptum apparet. Si vero sulam fecisset, a cuius agro fecisset, is possideret; et si ex communi, quisque suum reci- peret. tut, ut quidquid aqua lambi- endo abstulerit, id possessor amiltat, quoniam scilicet ripam suarm sine alterius damno tueri debet. de- eurrens alveurm mutasset, suum Si vero maiore vi quisque modum agnosceret, quia non possessoris neglegentia, sed ternpestalis violentia abreptum apparet. Si vero insulam fecis- set, a culus agro fecisset, id possideret; aut si ex communi, quisque suum reciperet. hoc statuit, ut quidquid aqua lambiendo abstulerit, possessor amittat, quoniam scilicet ripam suarm sine alterius damno tueri debet. Si vero maior vis de- currerit et in fines alterius alveum mutat suum, et fat in- sula in quo concurrerit unus- quisque modum fluminis maio- ris agnoscere debet, et eam in- sulam ipse sibi vindicabit, cuius terram termpestative praeoccu- pavit, quoniam non possessoris neglegentia, sed tempestatis vio- lentia apparet abreptum (°) S. Bernhardy Grdr. d. R. Literat. $. 127. a. E. S. 648. Bearb. 2. Halle 1850. (®) z. B. die Venetianer Ausg. v. 1499. (®*) S. d. Baseler Ausg. v. 1570. F. p. 1520. fg. (@) Dies gilt nicht blos von dem befremdlichen Zusatz: iwdex; sondern auch von der ungeschickten Verkürzung: prudentissimus iuris auctor, gegenüber der angemesseneren Umschreibung im Texte des Hygin. Ein solches Verfahren hat nichts gemein mit der, 9) - N 100 Dinksen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, kehrten Stellung der Textesworte im zweiten Theile des Redesatzes, wodurch eine Verwirrung herbeigeführt ist, die nicht ausschliesslich den Abschreibern schuld zu geben, vielmehr der Unkunde des Redigenten der Compilation in Rechnung zu stellen sein dürfte. Wie dem aber auch sein mag, es ist bei dem mitgetheilten Excerpte weder überhaupt an der Autorschaft des Cassius Longinus mit einigem Grunde zu zweifeln, noch auch daran, dass das vollständige Referat, und nicht blos der auf die eigentliche 4llurio bezügliche Eingang desselben, aus der Feder dieses Rechtsgelehrten geflossen sei. Der als Verfasser genannte Cassius Longinus war unfehlbar der berühmte Schüler des Masurius Sabinus, von dem die Schule Ga- pito’s die Benennung der Cassianer beigelegt erhielt; ($°) nicht jener an- dere rechtskundige Longinus, (%7) von welchem kaum feststeht, dass er der Gens Cassia angehört habe, und dem ohnehin das ehrende Prädicat prudentissimus vir, iuris auctor, nicht eignen würde. Die Schrift, der das vorstehende Bruchstück entlehnt worden, ist zwar nicht näher be- zeichnet, doch dürfte über deren Identität kaum ein begründetes Bedenken obwalten. Denn unter den wenig zahlreichen schriftstellerischen Leistungen, welche jenem namhaften Rechtsgelehrten zugeschrieben werden, bildeten ‚dessen Libri iuris civilis das Hauptwerk. (°°) Dieses wurde, ähnlich der gleichnamigen classischen Arbeit seines Lehrers Sabinus, von späteren Rechtskundigen theils mit Anmerkungen ausgestattet, theils mit einem fort- laufenden Commentar versehen, theils in der Form eines räsonirenden Aus- zuges verarbeitet. Als Verfasser eines Werkes der zuletzt geschilderten Gattung wird Javolenus Priscus genannt, der nämliche welcher an den zuvor von uns besprochenen, Methode des Boäthius, Auszüge aus den Schriften einzelner namhafter Rechtsgelehrten dem Leser vorzuführen; auch ist die Ausdrucksweise des Boe- thius eine andere, selbst da wo er auf rechtskundige Gewährsmänner überhaupt Bezug nimmt, ohne auf einzelne Schriften derselben zu verweisen. Vergl. Comm. Lib. IV. p. 807. (oben Anm. 49.) und Lib. V. p. 840. (°) Fr. 2. 8.47. D. de orig. iur. 1. 2. (8) Ebendas. „Fuit eodem tempore et Nerva filius; fuit et alius Longinus ex equestri quidermn ordine.” Vergl. Menage a.a. O. c. 43. (°) Bach Hist. iurispr. R. III. 1. Sect. 6. $.17. Zimmern a.a. O. I. $. 85. Puchta 222, 0.01. 8.299} übertragen in die Werke des Boethius. 101 Libri posteriores des Antist. Labeo in entsprechender Weise sich ver- sucht hat. (°°) Beide Schriften desselben sind in Justinian’s Pandekten ex- cerpirt, und die erhaltenen Auszüge lassen auf die Einrichtung der Grund- werke zurück schliessen. Man darf namentlich voraussetzen, dass des Ja- volenus Lib. XV. ex Cassio die äussere Anordnung der Libri iuris civ. des Cassius getreulich wiedergegeben haben. Und da in Bruchstü- cken des Lid. XI. ex Cassio (°°) Andeutungen über den Eigenthums -Er- werb durch Occupation und Accession enthalten sind, so dürfte die Ver- muthung als nicht gewagt erscheinen, dass eben dieser Abschnitt jenes Original- Werkes der Sitz des in Frage stehenden Textes-Referates von Cassius gewesen sei. Dass der Gesamt-Inhalt dieses Fragments, und nicht blos der Ein- gang desselben, auf Cassius Longinus zurückzuführen sei, erhellet nicht minder aus dem Zusammenhange der Redesätze, als aus der vorausgeschick- ten Ausführung des Hyginus, welche die Formen der Alluvio überhaupt zusammengefasst hat, und mithin nicht ausschliesslich für eine vereinzelte Richtung derselben die Unterstützung durch die Aussage eines Rechtskun- digen konnte zu vermitteln suchen. Darf man aber Cassius als den Vertreter des Lehrsatzes der gleichzeitigen Rechtsdoctrin betrachten, dass der Eigen- thums-Erwerb an der neugebildeten Insel, gleichwie an dem abgetretenen Strombette, den anliegenden Privat-Grundbesitzern zufalle, so folgt daraus noch nicht, wie die Ausleger des Röm. Justinianischen Rechts (?') behaup- ten, dass auch schon die früheren Rechtsgelehrten, und namentlich jene des Augusteischen Zeitalters, der nämlichen Theorie zugethan gewesen seien, und demnach eine abweichende Äusserung Labeo’s (%?) mit jenem allgemeinen Principe durch künstliche Deutung in Übereinstimmung ge- bracht werden müsse. Uns will vielmehr bedünken, dass in dem bezügli- chen Pandekten-Fragment durch Labeo eine, jener seines Gegners Capito (€) Man findet die, aus Javolen’s Schriften entlehnten, Pandekten-Fragmente zusam- mengestellt in Hommel Palingenes. iur. T. I. p. 197. fg. (°) Fr. 58. D. de adqu. rer. dom. 41. 1. Fr. 112. de verbor. signif. 50. 16. (°') S. v. Vangerow Leitfad. d. Pandekt. I. $. 328. S.559. Puchta Vorlesgg. üb. d. heut. R. R. I. S. 318. (2) Fr. 65. $. 4. vergl. $.2. D. de adqu. rer. dom. 41. 1. 102 Dıirxsen: Auszüge aus den Schriften der röm. Rechtsgelehrten, u. s. w. entgegengesetzte, Ansicht vertreten sein möge, nach welcher der alveus, intotum velpro parte, derelictus den Charakter der aqua publica beibehielt, d.h. als res publica dem Staate verblieb. (%) Doch ist es ausser Streit, dass die durch Cassius, unfehlbar nach dem Vorgange seines Lehrers Sabinus, vertretene Theorie später zu allgemeiner Geltung gelangte. () In 8.2. der angezogenen Pandekten-Stelle ist nicht, so wie in $. 4., die vorange- stellte Sentenz ausdrücklich dem Labeo in den Mund gelegt. Auch findet man von der Theorie, die mit der Person dieses Rechtsgelehrten durch uns in Verbindung gesetzt ist, Änklänge an andern Stellen der Gromatici. So z.B. in des Aggenus Urbic. comm. in Frontin. Lib. I. de controv. agror. p. 21. Lachmann. „Multis modis loca publica diei possunt; sed dum diversis conditionibus constringuntur, non possunt nisi sua suis locis ince- dere. Nam et ubi vis aquae alvei Tiberis populi R. tantummodo insulam fecit, locus est publieus.” > ÜBER DEN URSPRUNG DER SPRACHE. fe von herrn JACOB GRIMM. mann ann WwnwVn [gelesen am 9. januar 1851.] u dem grofsen weltweisen in unsrer mitte ist die frage, deren gegenstand ich eben bezeichnet habe und die schon vor achtzig jahren unter uns zum preise gestellt war, jüngst bei der philosophisch historischen classe zweimal ange- regt worden. Herr von Schelling machte nemlich den vorschlag eine solche aufgabe jetzt zu wiederholen, zog ihn aber unmittelbar darauf zurück. Bald hernach gab er in einer eignen vorlesung einige auskunft über die unzufrie- denheit, welche Hamann gegen Herders damals von der akademie gekrönte preisschrift an den tag gelegt hatte, so wie proben eines lateinischen gedichts von noch unbekanntem verfasser über der sprache ursprung. Hoch zu be- dauern ist, dafs er selbst dabei nirgend seine eigene ansicht kundgeben oder errathen lassen wollte; an jener neuen preisaufgabe, wenn sie festgehalten und näher entfaltet worden wäre, würde man darüber wol manches haben entnehmen können, da es kaum möglich scheint einen solchen vorschlag an- schaulich zu machen, ohne dafs zugleich im entwurf selbst des preisstellers und eines solchen preisstellers meinung bestimmend durchbräche. Nur das eine dürfen wir als unzweifelhaft voraus setzen, dafs ihm die herderische lösung wenigstens für unsere zeit keineswegs genug thut, denn sonst wäre überflüssig gewesen sie neuerdings auf die bahn zu bringen. Wie man aber auch den im jahr 1770 erlangten und erlangbaren er- gebnissen zugethan oder ungeneigt sei, das läfst sich gar nicht in abrede stellen, dafs seitdem die lage der sprachforschung wesentlich oder gänzlich verändert worden ist und darum schon ein versuch, was sie uns gegenwärtig biete, auf jene frage in erneuter antwort anzuwenden wünschenswerth er- scheinen mag, da auf jedweden in philosophische oder historische betrach- tung zu ziehenden gegenstand die ihm gewordne gröfsere pflege und feinere ausbildung günstig einwirken mufs. Alle sprachstudien finden sich nun 104 Jıcos Grimm heutzutage ungleich vortheilhafter gestellt und ausgerüstet, als zu jener zeit, ja sie sind, kann man sagen, erst in unserm jahrhundert zur wahren wis- senschaft gediehen. Die art und weise nach welcher die classischen spra- chen ehdem betrieben wurden und in wahrheit immer noch angebaut zu werden pflegen (wie es auch den von mir gewis hochgestellten übrigen zwe- cken der philologie nicht unangemessen ist), führte nie oder blofs zufällig zu allgemeinen und entscheidenden aufschlüssen über das verhältnis der sprachen unter einander. Man mühte sich in das wesen der lateinischen oder griechischen zunge einzudringen so weit es nöthig war, um den geist kostbarer, für alle zeiten bewundernswerther denkmale zu erfassen, die sie hervorgebracht und auf uns überliefert hatten, und dieses geistes habhaft zu werden, dazu gehört unermefslich viel. Solchem ziel gegenüber verhielt sich der sprache noch so gewaltige äufsere erscheinung und form dienend; wahrzunehmen was in ihr über den redebrauch, über die technik der dichter und den inhalt der werke hinaus gieng, war der classischen philologie ge- ö wissermafsen gleichgültig und von allen feiner eingehenden beobachtungen schienen ihr fast nur solche werthvoll, welche der textcritik zu festern re- geln irgend verhelfen konnten. für sich selbst zog das innere gewebe der sprache wenig an und wurde in seiner schönheit und fülle gleichsam voraus gesetzt, weshalb auch die auffallendsten worterscheinungen, wo sie ihrem be- grif nach klar sich darstellten, meistens unerwogen blieben. etwa wie der seine sprache fertig handhabende, in ihr waltende dichter fast keiner kunde ihres innern baus noch minder ihrer geschichtlichen veränderungen bedarf und nur hin und wieder ein seltnes wort aufsucht, dem er eine gelegne stelle zu geben hat; war der grammatiker auch blofs ausnahmsweise irgend einer ihm anstöfsigen wortgestalt der wurzel auf der spur, an welcher er seine kunst zu üben trachtete. So erklärt sich warum lange jahrhunderte hindurch die unabhängig fortgesetzte aufmerksame behandlung lateinischer und grie- chischer sprache auf der schule wie in den stuben der gelehrten mit der ein- fachen formlehre am wenigsten vorrückte und fast nur für die halb schon aufserhalb der grammatik liegende syntax früchte trug. Weder verstand man, wozu diese beiden classischen sprachen gerade mächtig reizen musten, ihre gestalten scharf an einander zu halten und wechselsweise jede mit glei- cher berechtigung aus der andern zu erörtern, da man fehlerhaft die lateini- sche als unterwürfige tochter der griechischen ansah; noch weniger unsrer über den ursprung der sprache. 105 muttersprache aufzuhelfen, die in der schule allenthalben frohndienste eines unbefugten handlangers zu leisten hatte, geschweige ihr den dritten haupt- platz einzuräumen, obgleich, wie aus drei gegebnen puncten eine figur zu bilden, aus den verhältnissen dreier unter sich verwandter sprachen ihr le- bendiges gesetz zu finden ist. Man hat das sprachstudium vielfach und auch nicht ohne grund dem der naturgeschichte an die seite gestellt; sie gleichen einander sogar in der art und weise ihres mangelhaften oder besseren betriebs. denn ins auge springt, dafs gerade wie jene philologen die elassischen sprachdenkmäler um ihnen critische regeln für die emendation beschädigter und verderbter texte abzugewinnen erforschten, so auch die botaniker ihre wissenschaft ursprüng- lich darauf anlegten in einzelnen kräutern heilsame kräfte zu entdecken, die anatomen in die leiber schnitten, um des innern baus sicher zu werden, auf dessen erkenntnis nun die herstellung der gestörten gesundheit gestützt wer- den könnte. die stoffe zogen als ein mittel, nicht für sich selbst an. All- mälich aber bereitete sich eine änderung der ansicht und des verfahrens vor. Da es natürlich ist und durch alle erfahrung bestätigt wird, dafs die men- schen an dem einheimischen, ihren augen täglich dargebotnen vorübergehend vom fremden und neuen stärker berührt und zur betrachtung gereizt werden; so darf man wol behaupten, dafs durch reisen ins ausland, wie durch zufuhr fremder, seltner pflanzen in unsre gärten die übersiedelung vielfacher thier- gestalten aus fernen welttheilen nach Europa den wissenschaften ein andres gepräge aufgedrückt wurde und bei erforschung der gegenstände sie von je- nen practischen zwecken gleichsam abstanden und sich auf unbefangnere, darum wissenschaftlichere untersuchungen einliefsen. denn das ist eben wah- res zeichen der wissenschaft, dafs sie ihr netz auswerfe nach allseitigen er- gebnissen und jede wahrnehmbare eigenheit der dinge hasche, hinstelle und der zähesten prüfung unterwerfe, gleichviel was zuletzt daraus hervor gehe. Die sprachwissenschaft, wie mich dünkt, hat auf demselben weg, dessen be- treten die pflanzen und thierzergliederung ihrem engeren standpunct ent- rückte, und zu einer vergleichenden botanik und anatomie erhob, endlich eben so durchgreifende umwälzung erfahren. Ohne zweifel wurde durch das von der kaiserin Catharina in den jahren 1787-90 veranstaltete Petersbur- ger wörterbuch, wenn es auch auf noch sehr ungenügenden grundlagen auf- gerichtet war, sprachvergleichung überhaupt wirksam angeregt und gefördert. Philos.-histor. Kl. 1851. Ö 106 Jıcos Grimm Allein weit gröfsern einflufs auf sie hatte die in allen welttheilen, hauptsäch- lich in Indien befestigte herschaft der Briten, durch welche das genaue ver- ständnis einer der reinsten und ehrwürdigsten sprachen der ganzen welt, die man früher beinahe gar nicht gekannt hatte, erweckt, gesichert und ver- breitet wurde. die vollkommenheit und gewaltige regel des sanskrit muste, obschon auch den weg bahnend zu einer der ältesten und reichsten poesien, recht dazu einladen sich mit ihr um ihrer selbst willen vertraut zu machen und hat, nachdem das eis einmal gebrochen und gleichsam ein magnet ge- funden war, zu welchem die auf dem sprachenocean schiffenden hinschauen konnten, auf die weit erstreckte reihe der mit der indischen unmittelbar zusammenhängenden und verwandten sprachen ein so erhellendes, sonst un- geahntes licht fallen lassen, dafs daraus eine wahrhafte geschichte aller die- ser sprachen, wie sie noch nie vor eines sprachforschers auge gestanden hatte, mit tief eindringenden und überraschenden resultaten theils schon hervor gegangen theils eingeleitet worden ist. Und da um dieselbe zeit man zugleich bemüht gewesen war, das bisher unbegreiflich gering geachtete ge- setz unserer eignen deutschen sprache historisch zu entfalten, wie der natur- forscher in den halmen und knoten einheimischer gräser dieselben wunder- baren triebe erkennen mufs, die er an ausländischen pflanzen wahrnahm; so konnte nicht fehlen, dafs von unserm eigensten und unmittelbarsten stand- punkt aus zugleich der blick auf die uns benachbarten slavischen, littauischen und keltischen sprache lebhafter geworfen wurde, welchen allmälich allen die nemliche geschichtliche bedeutung und betrachtung zu theil geworden ist oder zweifelsohne werden wird. Auf solche weise haben sich, wo nicht alle, doch die meisten glieder einer grofsen fast unabsehbaren sprachkette gefunden, die in ihren wurzeln und flexionen aus Asien bis her zu uns reicht, beinahe ganz Europa erfüllt und schon jetzt die mächtigste zunge des erdbo- dens genannt werden darf, auf welchem sie unaufhaltsam weiter fortschrei- tet, den sie einmal überall erfüllen wird. Diese indogermanische sprache mufs nun zugleich durch ihren innern bau, der sich an ihr in unendlichen abstufungen klar verfolgen läfst, wenn es irgend eine andere sprache im stande ist, auch über den allgemeinen gang und verlauf der menschlichen spra- che, vielleicht über deren ursprung die ergibigsten aufschlüsse darreichen. Ich bin befugt die thunlichkeit dieser untersuchung über den ursprung der sprache als blofses problem hinstellen, dessen gelingen noch von vielen über den ursprung der sprache. 107 darf in zweifel gezogen werden. sollte es sich lösen können, mögen solche zweifler einwenden, so hätten unsere sprachen und unsere geschichte viel weiter als sie thun zurück zu reichen, denn es ist glaublich, vielmehr es ist schon ausgemacht, dafs die ältesten denkmäler der sanskrit oder zendspra- che, gleich den hebräischen oder was sonst man für die frühste sprache ausge- ben wolle, um lange zeit, um viel jahrtausende von dem wirklichen ursprung der sprache oder der schöpfung des menschengeschlechts auf erden abstehn. Wie kann über eine solche kluft hinweg ein anfang der sprache ermessen werden? fällt die gesamte frage nicht in die reihe der unmöglichkeiten? Dies bedenken scheint aber noch stärker einzuleuchten, wenn wir die lage und den gegenstand der naturforschung, die, wie eben erhellte, sich zur sprachforschung ähnlich verhält, erwägen. jene forscher streben in die ge- heimnisse des naturlebens zu dringen, d.h. die gesetze der zeugung und fort- dauer der thiere, des keimes und wachsthums der pflanzen zu ergründen. nie habe ich vernommen, dafs darüber hinaus ein seiner aufgabe sich bewuster anatom oder botaniker auch die erschaffung der thiere und pflanzen hätte wollen nachweisen; höchstens kann ihm klar werden, dafs einzelne thiere oder kräuter, um ihren zweck vollständig zu erreichen, an bestimmter stelle zuerst erscheinen und geschaffen sein musten. Wenn sodann analogie ob- waltet zwischen schöpfung und zeugung, sind doch beide als ein erster und zweiter act wesentlich verschieden von einander. die ewig sich erneuende forterzeugung erfolgt vermöge einer in das erschaffene wesen gelegten kraft, während die erste schöpfung durch eine aufserhalb dem erschafnen waltende macht geschah. die zeugung ruft, wie das schlagen des stahls an den stein schlafenden funken weckt, neues dasein hervor, dessen bedingung und ge- setz bereits dem zeugenden anerschaffen war. Hier aber scheint für den genau überlegenden in der that ein wendepunct zu liegen, wo naturforschung und sprachforschung wesentlich sich von einander scheiden, und alles fol- gende wird gerade davon abhängen, ob wir die sprache als ein erschafnes oder unerschafnes anerkennen. War sie erschaffen, so bleibt ihr erster ur- sprung unsern blicken eben so undurchdringbar als der des zuerst erschaffe- nen thiers oder baums. Falls sie aber unerschaffen, d.h. nicht unmittelbar durch göttliche macht, sondern durch die freiheit des menschen selbst her- vorgebracht wurde und gebildet, so mag sie nach diesem gesetz ermessen, ja von dem was uns ihre geschichte bis zum ältesten stamm hinauf ergibt, 02 108 Jaıcog Grimm darf über jenen unerfüllten abgrund von jahrtausenden zurück geschritten und in gedanken auch am ufer ihres ursprungs gelandet werden. Der sprach- forscher braucht also nicht die hand abzulegen, sondern kann weiter gehn als der naturforscher, weil er ein menschliches, in unsrer geschichte und freiheit beruhendes, nicht plötzlich sondern stufenweise zu stande gebrach- tes werk seiner betrachtung unterwirft, da im gegentheil alle erschafnen un- freien wesen gar keine geschichte kennen und bis auf heute beinahe noch eben so sich verhalten, wie sie aus des schöpfers hand hervor gegangen sind. Hiermit ist im voraus freilich schon ausgesprochen, was ich als mögli- chen erfolg meiner ganzen angestellten untersuchung betrachtet wissen will; gleich wol müssen für sie eine reihe einzelner gründe in anschlag gebracht werden und es wird aufserdem nicht ungerathen sein, diesen erst noch voran gehn zu lassen, was zu gunsten eines unmittelbar von der gottheit ausgegang- nen ursprungs der sprache könnte gesagt werden. weil nun ein solcher noch auf doppelte weise denkbar wäre, insofern nemlich gott die sprache den menschen anerschaffen oder erst nach der schöpfung selbst offenbart hätte; so soll zuvörderst von einer geschaffenen, dann von einer offenbarten spra- che gehandelt und näher dargethan werden, warum keine von beiden anzu- nehmen sei. Eine geschaffene, naturwüchsige menschensprache voraus zu setzen mahnt von der oberfläche her augesehn nicht weniges. vergegenwärtigen wir uns ihre schönheit, macht und manigfaltigkeit, wie sie sich über den ganzen boden der erde erstreckt, so erscheint in ihr etwas fast übermenschliches, kaum vom menschen selbst ausgegangnes, vielmehr unter dessen händen hier und da verderbtes und in seiner vollkommenheit angetastetes. Gleichen die geschlechter der sprachen nicht den geschlechtern der pflanzen, thiere, ja der menschen selbst in aller beinahe endlosen vielheit ihrer wechselnden gestalt? erblüht nicht die sprache in günstiger lage wie ein baum, dem nichts den weg sperrt und der sich frei nach allen seiten ausbreiten kann, und wird unentfal- tet, versäumt und absterbend sie nicht einem gewächs ähnlich, das bei man- gel an licht oder erde schmachten und dorren muste? Auch die erstaunende heilkraft der sprache, womit erlittenen schaden sie schnell verwächst und neu ausgleicht, scheint die der mächtigen natur überhaupt, und nicht anders als diese versteht sich die sprache darauf mit geringen mitteln auszureichen über den ursprung der sprache. 109 und volles haus zu halten: denn sie spart ohne zu geizen, sie gibt reichlich aus und vergeudet nie. Treten wir aber dem eignen element der sprache näher. fast die ganze natur ist lautes und klanges erfüllt, wie sollte er ihrem edelsten ge- schöpfe dem menschen nicht schon in der schöpfung ertheilt worden sein? machen die thiere mit ihrer der menschensprache gleich endlos verschiednen stimme sich nicht unter einander verständlich, erschallt der vögel manigfal- ter gesang nicht durch alle lüfte? menschliche einbildung hat den thieren wirkliche sprache beigelegt. die sage meldet sogar, dafs im goldnen zeit- alter alle thiere noch mit den menschen traulich gesprochen hätten, dafs sie seitdem ihre sprache nur verhielten, aber im augenblick des drangs aus- brechen liefsen, wie Bileams eselin, als ihr unrecht widerfahren und der engel des herrn erschienen war, das wort erhob. diese redete in menschenweise, andere thiere sollen in ihrer eignen sprache, oder wie es zu heifsen pflegt, in ihrem welsch und latein sich vernünftig unterreden, was hören und ver- stehn könne, wer durch genufs einer weifsen schlange oder eines drachen- herzens kunde davon sich erworben habe. so sangen dem Sigurd, nachdem er Fafni erlegt und seine fingerspitzen in dessen herzblut getaucht hatte, die vögel auf den ästen was ihm ferner noch zu thun übrig sei. (!) Wir unterscheiden die gesamte natur in eine todte und lebendige, womit nicht zusammen fällt, dafs sie stumm oder laut sei. unter den ele- menten stumm ist nur die träge erde, denn die luft saust und heult, das feuer sprüht, knistert, prasselt, dem meer legen wir rauschen (?) bei, dem bach klingeln, murmeln, plätschern, ja sein geriesel dünkt uns ein schwatzen und plaudern (garrulus rivus.) Gleich der erde geben die star- ren steine keinen laut von sich, auch den lebendigen, an den boden ge- fesselten, gangs unfähigen pflanzen wurde er nicht verliehen: wenn baum- blätter flüstern, ists der wind der sie von aufsen rührt. Allen thieren da- gegen ist bewegung und gefühl verliehen, nicht allen stimme, denn die fische bleiben lautlos, von den inseeten machen sich nur hörbar die schwirrend im flug durch ihre athemlöcher luft stofsen oder harte flügeldecke an einander reiben; aus ihrem innersten durch ihren mund geht keine stimme. Aber (') fataque vocales praemonuisse boves. Tibull. II. 5, 78. 63 % 2 (2) proinfos. Terasse yyyerse. 110 Jıcos Grimm jedem vollkommneren warmblutigen thier, vögeln wie säugenden, ist immer ein ganz besonderer laut eigen, mit welchem es seine empfindungen wech- selsweise des behagens, der lust und des schmerzes, lockend oder scheu- chend kund thun kann; einigen unter ihnen und zwar nicht den uns sonst verwandteren vierfüfsigen thieren, sondern voraus dem gevögel wurde ein klangvoller, meistens anmutiger und herzerfreuender gesang zugetheilt. stehn alle thierlaute nicht der menschensprache zur seite? hat man doch hei- sere, rauhe, harte menschensprache dem gekrächze der raben, quaken der frösche, bellen der hunde und wiehern der rosse verglichen, Diese thierische in ihrer äufserung gleich der thiergestalt selbst ma- nigfalteste stimme ist aber sichtbar von natur in jedes thier geprägt und wird von ihm hervorgebracht ohne sie erlernt zu haben. Lafst ein eben ausge- schloffenes vöglein dem nest entnommen von menschenhand aufgefüttert werden, es wird aller laute mächtig sein, die seinesgleichen, unter welchen es sich noch nie befand, eigen sind. darum bleibt die jeder thierart ange- wiesene stimme immer einförmig und unveränderlich: ein hund bellt noch heute wie er zu anfang der schöpfung boll, und mit demselben tirelieren schwingt die lerche sich auf wie sie vor vielen tausend jahren that. das an- geschaffene hat weil es angeschaffen ist unvertilgbaren charakter. Alle thiere leben und handeln also nach einem in sie gelegten dunkeln trieb, der an sich gar keiner steigerung fähig von anfang schon seine natür- liche, dem menschen manchmal unerreichbare vollkommenheit mit sich trug. das spinngewebe ist so zart und regelrecht vom thierlein aus seinem leib ge- zogen und ausgespannt wie im laubblatt die selbstgewachsnen rippen. die biene wirkt ihre kunstmäfsige sechseckenzelle ein wie das andere mal, ohne haarbreit je von dem ihr vorgeordneten muster und bauplan abzuweichen. Dennoch wohnt den thieren mehr oder minder aufser dem in ihnen her- schenden instinet der nothwendigkeit ein analogon von freiheit bei, die sie leise anfliegt, aus der sie unmittelbar wieder in ihre natur zurück treten, wenn bienen ausgeflogen sind um honigstof einzuholen und sich auf eine heide niederlassen, von welcher sie immer zu rechter zeit und sicher den heimweg 8 schwarm geben, die sich ein paar hundert schritte abwärts verfliegen und nach ihrem stock nicht verfehlen; mag es einzelne unter dem in der irre zu grunde gehn: ihnen isi die kleine freiheit verderblich gewor- den. Es gibt gelehrige thiere, die der mensch für seine zwecke abrichtet über den ursprung der sprache. | und leicht ist wahrzunehmen, dafs je ausgebildeter jener kunsttrieb sich ent- faltete, desto weniger solches abrichten von statten geht. die biene oder ameise wären für alle menschliche lehre unempfänglich, aber hund, pferd, rind, falke nehmen sie bis auf einen gewissen grad an und ergeben sich dem willen des menschen. alle jedoch, erliefse man sie dessen, würden gern in ihre natürliche ungezwungenheit zurück kehren und das angelernte ver- gessen. Das ganze thierleben scheint eine nothwendigkeit, aus der zuckende richtungen oder blicke der freiheit sie nicht vermögen loszureifsen. Die stimme mit welcher die thierwelt für alle einzelnen geschlechter einförmig und unabänderlich ausgestattet wurde, steht demnach in unmit- telbarem gegensatz zur menschlichen sprache, die immer abänderlich ist, unter den geschlechtern wechselt und stets erlernt werden mufs. Was der mensch nicht zu lernen braucht und alsobald in das leben tretend von selbst kann, das bei allen völkern sich gleich bleibende wimmern, weinen und stöhnen oder jede andern ausbrüche leiblicher empfindung, das allein könnte dem schrei der thierischen stimme mit recht an die seite gesetzt werden, das gehört aber auch zur menschensprache nicht, und läfst mit deren werk- zeugen sich eben so wenig als der thierlaut genau ausdrücken, nicht einmal vollständig nachahmen. Wir wollen dem für des naturlauts unverrückbarkeit beigebrachten fall einen andern für das unangeborensein der menschensprache gegenüber halten und einmal setzen, dafs auf einem schlachtfeld das neugeborne kind einer französischen oder russischen mutter aufgenommen und mitten in Deutschland erzogen würde; es wird nicht französisch, nicht russisch, son- dern gleich allen andern kindern, unter welchen es erwächst, deutsch zu sprechen anheben. seine sprache war ihm nicht angeboren. Dieselben gleichgearteten menschen, die heute uns geboren bald alle laute und eigenheiten unsrer jetzigen sprache sich erwerben, würden vor fünfhundert oder tausend jahren zur welt gebracht eben so leicht und un- vermerkt in den besitz alles dessen gelangt sein, was unsrer vorfahren spra- che von der heutigen unterscheidet. die besonderheit jeder einzelnen sprache ist also abhängig von dem raum und der zeit, in welcher die sie übenden geboren und erzogen werdeu, raum und zeit sind anlafs aller veräuderungen der menschensprache, aus ihnen allein läfst sich die manigfaltigkeit und ab- weichung der einem quell entstammenden völker begreifen. der heutige 112 Jacos Grimm Tiroler und Friese werden einander gegenüber ihre rede zu verstehn mühe haben, obgleich ihre urväter näher zusammen gestanden, einem und dem- selben volksschlag angehört haben müssen. Auch unter einander verstehen- den, ungeschieden lebenden menschen pflegen je nach geschlecht und indi- viduum dennoch eigenheiten und abstände der sprache einzutreten, die bald einen gröfseren umfang und vorrath von wörtern, bald armut oder mangel daran wahrnehmen lassen, so dafs ihnen insgesamt ihre sprache zwar als gemeinbesitzthum, zugleich aber einzelnen als besonders zuständige aus- drucksweise erscheinen mufs, die von jener einförmigkeit thierischer stimm- begabung himmelweit fern ist. Nein, die sprache ist dem menschen weder angeboren noch anerschaf- fen und in allen ihren leistungen wie erfolgen kann sie mit der thierstimme nicht gleichgesetzt werden; nur eins müssen beide mit einander einigerma- fsen gemein haben, die ihnen unterliegende nothwendig durch den erschaffe- nen leib bedingte grundlage. Jeder laut geht hervor durch eine bewegung und erschütterung der luft, selbst jenes elementarische rauschen des wassers oder knistern des feu- ers war im gewaltsamen an einander schlagen der wellen, die ihren druck auf die luft übten, oder im verzehren der brennstoffe, welche die luft er- vegten, bedingt. Dem thier wie dem menschen sind stimmwerkzeuge von natur eigen, mittelst welcher sie in manigfache weise eindrücke auf die luft bewirken können, deren unmittelbare folge ein regelrechter, gleichartig wirkender schall ist. das thier bringt damit einzelne ähnliche laute wie der mensch hervor, dieser vermag sie weit reicher und allseitiger zu entfalten. das geordnete entfalten der laute heifst uns gliedern, articulieren und die menschensprache erscheint eine gegliederte, womit das homerische beiwort der menschen ei uegores, uegorss avSpwrea oder Aperci zusammentrift, von neigomaı oder wegiZw, die ihre stimme theilenden, gliedernden. wesentlich hängt aber diese lautgliederung ab von dem aufrechten gang und stand der menschen (!), vermöge dessen sie die einzelnen laute ruhig und gemessen vernehmen lassen können, während die thiere zur erde gebückt sind: (') selbst &vSgwros, mannes gesicht oder aussehn habend weist nach dieser aufrechten stellung des antlitzes. der erste theil des wortes nimmt durch einfluls des P ein © statt A an und gehört zu avyo dvögcs — skr. nri und nara, vir, homo. andere dachten an avm «@Sgeiv, aufwärts schauen. über den ursprung der sprache. 113 pronaque quum spectent animalia caetera terram, os homini sublime dedit caelumque tueri jussit, et erectos ad sidera tollere vultus. (') Die nothwendige reihe und das mafs dieser laute und schälle ist natür- lich bedingt wie die tonleiter in der musik oder die folge und abstufung der farben, ihrem gesetz kann nichts hinzu gethan werden. denn aufser den sieben grundfarben, die unendliche mischung dargeben, sind keine andern denkbar, und eben so wenig läfst sich den drei vocalen ai u, aus welchen e und o, samt allen übrigen diphthongen und deren verdichtung zur blofsen länge entspringen, das geringste zufügen, noch die ordnung der halbvocale und consonanten, die sich in zahlloser manigfaltigkeit der verbindungen er- zeigen, dem grunde nach erweitern. Diese urlaute sind uns angeboren, da sie durch organe unseres leibs bedingt entweder aus voller brust und kehle gestolsen und gehaucht, oder mit hilfe des gaumens, der zunge, zähne und lip- pen hervor gebracht werden. einige ihrer bedingungen sind auch so greif oder fafsbar, dafs es nicht völlig mislingen konnte, sie durch künstliche mechani- sche vorrichtungen bis auf einen gewissen grad nachzuahmen und scheinbar darzustellen. Da nun aber die leibesorgane mehrerer thierarten den mensch- lichen gleichen, so darf nicht befremden, dafs gerade unter den vögeln, deren sonstiger bau weiter als der säugethiere von uns absteht, die uns aber in aufrechter haltung des halses näher kommen, darum auch wollautige ge- sangstimmen haben, dafs vorzugsweise papageien, raben, stare, elstern, spechte (?) im stande sind menschliche wörter fast vollkommen zu erfassen und nachzusprechen. Von den säugethieren dagegen vermag das kein einzi- ges, zumal nicht die in andern stücken uns zum erschrecken ähnlichen affen, welche, obgleich sie uns manche gebärden abzusehn suchen, nie darauf ver- fallen unsere sprache nachzuäffen. man sollte denken, den affenarten, welche aufrecht zu gehn lernen, müste es gelingen vocale, zungen und zahn- laute zu erreichen, wenn ihnen auch lippenlaute, weil ihre zähne blecken, unmöglich fielen; aber keine spur, dafs sie sich sprechens unterfangen. (') Ovid. met. 1, 84. (*) der specht (wörtlich der spähende, weissagende vogel) hiels darum ueoo, gleich dem menschen, und in altrömischer wie in altdeutscher sage verweben sich Picus und Bienenwolf mit heldengeschlechtern. bemerkenswerth scheint, dals papageien und raben auch die höhe des menschenlebensalters erlangen. Philos. - histor. Kl. 1851. P 114 Jacos Grimm Johannes Müller hat uns neulich die kehlen einiger singvögel scharf untersucht und darin nachgewiesen was ihren gesang hebe und zeuge. ich weils nicht, ob es möglich wäre, dafs die zergliederung auch in den aus- gebildeten kehlen menschlicher sänger eindrücke gewahrte, die eine grolse entwickelung der gesangsfähigkeit verkündigten; oder um noch stärkeres zu fragen, ob es dem anatom gelänge, in den sprachorganen solcher völker, die entschieden harter gutturale pflegen oder wie die Slaven schwere zischlautverbindungen eingeübt haben, äufsere spuren davon aufzuweisen. wäre das der fall, so würde ich nicht abgeneigt sein, weil solche eigenthüm- lichkeiten sich vererben können, wie einzelne gebärden und schulterdrehun- gen unbewust vom vater auf den sohn übergehn oder geschwister häufig dieselbe anlage zum gesang empfangen haben, (!) ich würde also geneigt sein, schon in den kinderkehlen einzelner völker eingeprägte anlage für die aus- sprache eigner lautbestimmungen vorhanden zu glauben, so dafs jenem in Deutschland zur welt gekommenen Russen oder Franzosenkind immer noch einige unserer laute schwer gefallen wären. Dies ergäbe das gegenstück zur thierischen beschränkung der nothwendigkeit durch die freiheit, insofern hier umgekehrt die menschliche sprachfreiheit durch einen zug der nothwen- digkeit beeinträchtigt schiene, den sie doch leicht überwindet. Die anato- mie wird noch lange zu lernen haben, ehe sie die sprachwerkzeuge eines auf der ebene eingewohnten Norddeutschen von denen eines süddeutschen al- penhirten unterscheidet. Unserm hauptergebnis aber, dafs die menschliche sprache unangeboren sei, wird nichts dadurch benommen. die natürliche lautgrundlage, deren sie gleich der thierischen stimme bedarf und die sie voraus setzt, wie unsre seele den menschlichen schädelbau, sind nichts als das instrument, auf dem die sprache gespielt wird, und dies spiel erzeigt sich beim menschen in einer manigfaltigkeit, die den unveränderbaren thier- lauten völlig entgegen steht. Den physiologen wird doch mehr das instru- ment selbst, den philologen das spiel darauf anziehen. Nun aber wurde aufser der eben verworfnen angeborenheit der spra- che noch eine andre annahme als denkbar voraus gesetzt, dafs sie von des menschengeschlechts urheber diesem zwar nicht unmittelbar im act der schöpfung, vielmehr nach der schöpfung mitgetheilt, durch das menschliche (') man nimmt selbst wahr, dals geschwister ähnlich niesen. über den ursprung der sprache. 115 gedächtnis aufgefafst und dann von geschlecht zu geschlecht fortgepflanzt und ausgebreitet worden sei, mit allem wechsel und aller verderbnis, die sie un- ter des menschen hand habe erfahren müssen. Jene göttliche mittheilung oder ofienbarung der sprache, vergleichbar der eines göttlichen gesetzes, müste dennoch früher als dieses fast alsogleich nach vollbrachter schöpfung des ersten menschenpaares eingetreten sein, weil ein solches der sprache beinahe keinen augenblick hätte entrathen können, und mit der schöpferi- schen allmacht unvereinbar schiene, dafs ihrer fertigen, edelsten ereatur im anfang gebrochen habe was ihr später zu theil werden sollte. Diese auffassung würde von der ihr im verfolg entgegen zu setzenden eines menschlichen ursprungs der sprache sich zwar in der grundlage we- sentlich, in bezug auf die fortpflanzung einer so kostbaren gabe scheinbar wenig unterscheiden. eine solche fortpflanzung erfolgt von geschlecht auf geschlecht, da niemals alle menschen zugleich sterben, wie sie allmälich zur welt kommen, folglich die überlebenden den nachlebenden hinterlassen was sie selbst von ihren vorfahren empfangen hatten, gleichviel ob eine von gott offenbarte oder von den ersten menschen frei erworbene sprache weiter getragen worden sei. die offenbarung brauchte nur einmal erfolgt zu sein, voraus gesetzt, dafs sie nie wieder ganz erloschen war, sondern ihren schein immer, wenn auch schwächer von sich geworfen hätte; die menschenerfin- dung könnte sich öfter wiederholt haben. im fall der offenbarten sprache wäre gleichwol anzunehmen, dafs die ersten ihr näher gestandnen menschen gegenüber den späteren von der göttlichen macht bevorzugt, jene nachthei- liger gestellt worden seien, was gottes gerechtigkeit widerstritte. Die vorstellung einer offenbarten sprache, dünkt mich, mufs denen willkommen sein, welche in den anfang aller menschlichen geschichte einen stand paradisischer unschuld setzen, hernach durch den sündenfall die edel- sten gaben und fähigkeiten des menschen zerrüttet werden, folglich auch die gottähnliche sprache von ihrem gipfel herabsinken und dann nur geschwächt den nachkommen zustehn lassen mögen. Diese ansicht könnte zusagen, und halt gewinnen, weil die ganze geschichte der sprache, so weit wir in sie gedrungen sind, in der that ihren abfall von einer vollendeten gestalt zur minder vollkomnen zu verrathen, somit anzudeuten scheint, dafs auch für die sprache wie für die gesamte menschliche natur eine herstellung und erlösung eintreten und nach dem verlornen zustand anfänglicher vollkom- P2 116 Jacos Grimm menheit und reinheit auf geistigem wege allmälich müsse zurück gekehrt werden. Dennoch finden wir diese deutung schon im widerspruch mit den ur- kunden unsrer heiligen schrift, welche einer statt gefundnen göttlichen offen- barung der sprache an den menschen nirgends gedenkt, vielmehr das von ihr selbst unerklärt gelassene dasein der sprache voraus setzt und deren ver- wirrung erst lange zeit nach dem sündenfall eintreten läfst. Sinnreich und ergreifend wird aller sprachenzwiespalt aus einem gewaltsamen frevel über- mütiger menschen abgeleitet, die den himmel stürmenden titanen des grie- chischen mythus ähnlich der gottheit durch einen thörichten thurmbau näher zu rücken wähnten, und darüber die einfachheit ihrer sprache verloren, welche sie nun von dieser stätte verworren in alle theile des erdbodens aus- trugen. Neulich hat ein gewandter maler in reicher composition diese viel- leicht aus blofsem misverstand des hebräischen wortes babal, welches ver- mischen, mengen bezeichnet, erwachsne sage veranschaulichen wollen. hier aber kann die kunst nur spielen, nichts ausrichten; da die zersplitterung der sprache über die ganze erde und ihre endlose manigfaltigkeit (1) höchst naturgemäfs war, und die gröfsten zwecke der menschheit förderte, darf sie blofs wolthätig und nothwendig, keineswegs verwirrend heifsen und ist sicher auf ganz andere weise erfolgt, als uns diese einem lauten einspruch der sprachgeschichte überhaupt ausgesetzte erzählung zu verstehn gibt. Hier reicht meine untersuchung an einen theologischen standpunct, vor dem sie nicht zu erschrecken braucht. Unter offenbarung denken wir uns eine kundthuung oder manifesta- tion, die Griechen nennen sie @rozarunlıs enthüllung, die Römer revelatio entschleierung, und diese wörter alle laufen auf denselben begrif hinaus, das offen gemachte war vorher verschlossen, das enthüllte bedeckt oder ver- schleiert. Niemand kann bezweifeln, dafs eine schaffende urkraft unablässig auch ihr werk fortdurchdringe und forterhalte: das wunder der weltdauer kommt dem ihrer schöpfung vollkommen gleich. diese sich unausgesetzt (') die auch im mittelalter angenommen wurde, das sich oft auf 72 sprachen einschränkt Parz. 736, 28 von einem heidnischen könig: er hete fünf und zweinzec her, der neheinez sandern rede vernam. über den ursprung der 'sprache. 11 kundthuende göttliche kraft ist keinem als dem verstehenden eine kennbare offenbarung. da sie die gesamte natur durchdringt und in allen dingen ent- halten ist, liegt sie zugleich offen und verborgen da und mag blofs durch das mittel der dinge selbst erforscht werden. denn sie ist in allen dingen, eben darum nicht aufser ihnen. unverstanden redet die natur, so lange der suchende nicht auf ihre spur kommt und sie ihm verständlich wird. Des alterthums kindliche vorstellung pflegte aber unmittelbaren ver- kehr der gottheit mit den menschen anzunehmen, dessen wirklichkeit unsrer vernunft unbegreiflich und so unzulässig ist wie die der meisten andern my- then. denn hat die gottheit anfangs sichtbar sich gezeigt, warum sollte sie je nachher aufgehört haben es zu thun? dies ist dem ihr nothwendig beiwoh- nenden begrif der stätigkeit entgegen; das unerschaffene kann keine geschichte haben, mufs sich ewig gleich bleiben. man fühlt sich in einen kreis von widersprüchen gebannt, die wenn überall vortretend kaum irgend greller obwalten, als wo ein göttlicher ursprung der sprache behauptet werden soll. Der griechischen poesie verursacht es nicht den mindesten anstofs, dafs die götter erscheinen und in der sprache des landes reden, so wenig es heute auf unsrer schaubühne befremdet, dafs helden und männer aller län- der sich einstimmig in der jetzigen sprache ausdrücken, da sie nur durch das mittel unsrer eignen vorstellungen uns anschaubar werden. Es mufs aber ein grund vorhanden gewesen sein, warum bei Homer wie noch bei den tragikern zwar Apollo, Hermes, Athene und andere götter und göttinnen, nie- mals Zeus selbst (!) den menschen leiblich erscheinend und redend vorgeführt wird; gleichsam stellen sich jene nur als seine boten dar, die den höchsten, an sich unaussprechlichen willen in menschenworte zu kleiden und zu fassen beauftragt sind und in der wuchernden vielgötterei treten lauter unterwür- fige handlanger des höchsten wesens auf, dessen eigenschaften sie vorstellen, dessen geheifs sie verkünden und ausrichten, wie die catholischen engel oder heiligen. Im alten testament erscheint gott gleich von anfang leibhaft und redet mit Adam Eva Noah Abraham Moses, die seine rede von selbst verstehend (') diesen anstand verletzt also Plautus, wenn er im Amphitruon den Jupiter selbst er- scheinen und reden läfst. Auch in der edda, als die drei götter Odinn, Hoenir, Loki auf erden wandeln, führt nur Loki die rede, die andern schweigen. 118 Jaıcos Grimm und darauf antwortend dargestellt werden; nirgend ist gesagt, dafs eine erste eröfnung dieses verständnisses eingetreten oder nöthig befunden worden sei. Doch schon zu Moses zeit beginnt sich gott ferner zu stellen, nur auf dem berg zu erscheinen, nur in der wolke zu reden, aus welcher donner und blitz fahren, ganz wie der donnernde Zeus im gewölk sich erzeigt. allmä- lich pflegt er gar nicht mehr selbst, sondern der engel des herrn aufzutreten, und bereits Moses gegenüber wird es einigemal zweifelhaft, ob ihm des herrn stimme oder die seines boten erschollen sei. später redet gott zu den menschen nur durch der weissagen und engel mund, deren höhere gabe von einem näheren verhältnis zu gott abgeleitet werden könnte, wie die aus- schüttung des geistes in der apostelgeschichte (10, 44-46) unmittelbar die zungen löst ('), daraus läfst sich aber der einfache ursprung der längst be- standnen menschensprache nicht begreifen, wenn man auch jenem ausgufs über das bild hinaus die wirkliche eingebung menschlicher sprachpraxis bei- legen will. das buch, von welchem wir den namen der apocalypsis entneh- men, wurde zu Johannes durch einen engel des herrn gesandt, und der apostel Paulus redet von zungen der menschen und engel, wie Plato den verkehr (ouiria »aı Öarerros) zwischen göttern und menschen durch daemone vermit- teln läfst, aber alle vorstellung von daemonen und engeln ist in der natur der welt unbezeugt, in der geschichte, so glaublich man sie zu machen ge- strebt hat, unbegründet. Wie soll unsre vernunft der menschlichen sprache ursprung aus gött- licher offenbarung, die doch nothwendig keine heftige inspiration, sondern einfache rede gewesen und mittelst dieser rede weiter getragen sein müste, fassen? waren die ersten menschen fähig gottes worte zu vernehmen, d.h. zu verstehn, so scheint es unvonnöthen ihnen eine sprache zu enthüllen, g sie bereits besitzen musten. vorhin ) jedoch haben wir erwiesen, dafs ihnen keine sprache anerschaffen war, folg- die als jenes verständnisses bedingun lich dafs sie gar nicht im bereich eines mittels standen, von welchem das g. Die natur des menschen war zur zeit der schöpfung nicht anders als sie heute ist, sie vermochte le- verstehn, dessen sie unerläfslich bedurften, abhien diglich durch ihre sinne und die vernunft, womit sie ausgestattet war, ein- drücke zu empfangen, die auf anderm wege ihr gar nicht zu theil werden (') auch die sage meldet, dafs die gabe des dichters plötzlich über einen gekommen sei. über den ursprung der sprache. 119 konnten. nirgends steigt eine lehre so gewaltsam auf die menschen herab, dafs ihr nicht ein inneres lernen entgegenkommen müste. Noch mehr, sollen und dürfen wir uns gott redend denken? redete, d.h. spräche er menschliche worte, so müsten wir ihm auch menschlichen leib, zumal alle jene leiblichen organe beilegen, von welchen gegliederte rede abhängt. es scheint mir aber gleich widersinnig einen vollkommnen menschenleib ohne eins seiner gliedmafse, z. b. ohne zähne, als die gottheit mit zähnen, folglich essend sich vorzustellen, da die zähne nach unsrer wei- sen natur zwar mit beholfen sind zum sprechen, hauptsächlich aber zum zermalmen der speise dienen. auf solche weise würde es ganz unmöglich sein, eins der andern glieder des leibs, deren innerer und äufserer einklang unsre höchste bewunderung rege macht, irgend der schaffenden gottheit abzusprechen oder beizulegen. (!) Wenn aber überhaupt ein leib, mindestens ein menschlicher der gott- heit gar nicht anstände, wie könnte rede oder bedürfnis der rede ihr bei- gemessen werden? was sie nur denkt, das will sie auch, was sie will hat sie ohne aufenthalt und zweifel mit mehr als blitzesschnelle vollführt. wozu hätte sie sich eines boten bedient um langsamer auszurichten, was sie mit einem wink, wenn es ihrer weisheit gefällig gewesen wäre, vollbringt? rin- nen in dem göttlichen sein alle jene von uns gesondert betrachieten eigen- schaften, allmacht, urplan und ausführung nicht zusammen? ohne ihres gleichen, doch uneinsam waltet die gottheit allenthalben in der unendlichen natur fülle, des behelfs einer der menschlichen auch nur von ferne vergleich- baren sprache bedarf sie nicht, wie ihre gedanken nicht den weg des men- schendenkens gehn. Dafs an eines menschen ohr jemals, so lange die welt steht, ein un- mittelbares wort gottes gedrungen sei, kann alle menschliche geschichte mit nichts erweisen. seine verlautbarung würde keiner menschensprache nahe kommen, eine harmonie der sphären sein. wo, dafs gott redete, aufgezeich- net ist, hat der geschichtschreiber einer sage gefolgt, die für die dunkelheit der vorzeit eines gangbaren bildes sich bediente; wer wollte buchstäblich 8 nehmen, wenn gesagt ist, dafs gott das gesetz mit seinem finger in die her- (') mit recht Wolfram im Parz. 119, 20 von gott: der antlitzes sich bewac (nicht ge- bildet war) näch menschen antlitze. 120 Jacos Grımm nach von Moses zerbrochne steintafel geschrieben habe? die heilige schrift die wir gottes wort nennen, ist uns ehrwürdig durch ihr hohes alterthum und die edle einfachheit ihrer darstellung; allein wer sie auch zuerst abfafste stand von dem anfang der schöpfung bereits allzuweit ab, als dafs er anderes als bild und sage davon mit zu theilen vermocht hätte. was von der heid- nischen sage jeder allenthalben zugesteht, mufs er auch für die des A. T. ein zu räumen wahrheitliebend und besonnen sein. Arnobius eifert mit schlagenden gründen wider das heidenthum, ohne zu ahnen, dafs manche derselben auch gegen die neue lehre gebraucht werden können. Das verhältnis gottes zur natur beruht auf gleich festen, unerschüt- terbaren geseizen wie die bande der natur unter sich, und da diese ihr ge- heimnis und wunder nur in sich selbst, nicht aufser sich tragen, so mufs jedes nicht natürliche mittel von ihnen ausgeschieden sein. ein geheimnis, bei dem es unnatürlich hergienge, gibt es nicht. (!) Es mag auffallen, dafs weder das griechische noch indische alterthum versucht haben die frage nach dem ursprung und der manigfaltigkeit mensch- licher zungen zu stellen und darauf zu antworten. die heilige schrift strebte wenigstens das eine der beiden räthsel, das der manigfaltigkeit durch den thurm von Babel zu lösen. ich kenne nur noch eine arme estnische volksage, welche dieser lösung sich etwa an die seite stellen liefse. Der alte gott, als 8 den menschen ihr erster wohnsitz zu eng geworden war, beschlofs sie über den ganzen erdboden auszubreiten, jedem volk auch eine besondere sprache zu ertheilen. in dieser absicht stellte er einen kessel mit wasser zum feuer, liefs die einzelnen stämme der reihe nach heran treten und für sich die töne entnehmen, welche das eingesperrte und gequälte wasser singend hervor brachte. Hier also wurde den menschen wo nicht ihre erste, wenigstens eine neue sprache durch die naturlaute eines elements überwiesen. (') Lessing (sämtl. schriften 10, 4. 5) bemerkt zu einem aufsatze Jerusalems über den ursprung der sprache, dafs die sprache durch ein wunder dem ersten menschen nicht mit- getheilt sein könne, darum der mensch sie noch nicht erfunden zu haben brauche; im umgang mit höheren geschöpfen, durch herablassung des schöpfers selbst könne sie ge- lernt worden sein, was einige wahrscheinlichkeit gewinne dadurch, dafs die menschliche erfindung lange jahrhunderte gedauert haben müsse und des schöpfers güte den armen doch nicht so lange die sprache entzogen haben werde. alle solche voraussetzungen sind sichtbar ohne boden. über den ursprung der sprache. 121 Ich habe, worauf mein ziel sich beschränkte, dargethan, dafs die menschensprache so wenig eine unmittelbar geoffenbarte sein könne, als sie eine anerschafne war; eine angeborne sprache hätte die menschen zu thieren gemacht, eine geoffeubarte in ihnen götter voraus gesetzt. es bleibt nichts übrig, als dafs sie eine menschliche, mit voller freiheit ihrem ursprung und fortschritt nach von uns selbst erworbne sein müsse: nichts anders kann sie sein, sie ist unsre geschichte, unsre erbschaft. Das was wir sind, wodurch wir uns von allen thieren unterscheiden, führt im sanskrit den bedeutsamen ehrwürdigen namen manudscha, welcher auch vorzugsweise in unsrer deutschen sprache bis auf heute sich erhalten hat, goth. manniska, ahd. mannisco, nhd. mensch und so durch alle mund- arten; dies wort darf zwar mit gutem grund auf einen mythischen ahnen Manna, Mannus, den schon Tacitus bezeugt, auf einen indischen könig Manas zurückgeleitet werden, dessen wurzel man d.h. denken ist und wozu unmittelbar auch manas, uvos, mensch fallen. Der mensch heifst nicht nur so, weil er denkt, sondern ist auch mensch weil er denkt, und spricht, weil er denkt, dieser engste zusammen- hang zwischen seinem vermögen zu denken und zu reden bezeichnet und ver- bürgt uns seiner sprache grund und ursprung. vorhin sahen wir griechische benennungen des menschen hergenommen von seinem empor gerichteten antlitz, von seiner gegliederten rede, hier ist er noch treffender nach seinem denken genannt. Die thiere reden nicht, weil sie nicht denken, und heifsen darum die unredenden, altn. ömzslandi, wie die unvernünftigen, mutae bestiae, mutum et turpe pecus, das gr. @Acyos drückt zugleich aus unredend und undenkend. (1) Das kind beginnt zu reden, wie es anhebt zu denken und die rede wächst ihm wie ihm der gedanke wächst, beides nicht additiv, sondern multiplicativ. Menschen mit den tiefsten gedanken, weltweise, dichter, redner haben auch die gröfste sprachgewalt; die kraft der sprache bildet völker und hält sie zusammen, ohne solches band würden sie sich ver- sprengen, der gedankenreichthum bei jedem volk ist es hauptsächlich was seine weltherschaft festigt. Die sprache erscheint also eine fortschreitende arbeit, ein werk, eine zugleich rasche und langsame errungenschaft der menschen, die sie der freien (') ratio ist auch oratio, wie Aoyos wort und vernunft. Philos.-histor. Kl. 1851. Q 122 Jıcos Grimm entfaltung ihres denkens verdanken, wodurch sie zugleich getrennt und ge- eint werden. alles was die menschen sind haben sie gott, alles was sie über- haupt erringen in gutem und bösem haben sie sich selbst zu danken. die inspiration des propheten ist nur ein bild für den in ihm erweckten und wachen gedanken. weil aber die sprache anfangs unvollkommen war und ihr werth erst steigt, kann sie nicht von gott, der vollendetes prägt, ausgegangen sein. Der schöpfer hat die seele, d. h. die kraft zu denken, er hat die sprachwerkzeuge, d.h. die kraft zu reden in uns beides als kostbare gaben gelegt, aber wir denken erst indem wir jenes vermögen üben, wir sprechen erst indem wir die sprache lernen. gedanke wie sprache sind unser eigen- thum, auf beiden beruht unsrer natur sich aufwindende freiheit, das sentire quae velis et quae sentias dicere, ohne sie würden wir thieren gleich baarer nothwendigkeit hingegeben sein und mit ihr sind wir empor geklommen. Diese sprache, dies denken steht aber nicht abgesondert da für einzelne menschen, sondern alle sprachen sind eine in die geschichte gegangene gemein- schaft und knüpfen die weltaneinander. ihre manigfaltigkeit eben ist bestimmt, den ideengang zu vervielfachen und zu beleben. von dem sich ewig erneu- ernden, wechselnden menschengeschlecht wird der köstliche allen dargebotne erwerb auf die nachkommen übertragen und vererbt, ein gut das die nach- welt zu erhalten, zu verwalten und zu mehren angewiesen ist. denn hier grei- fen lernen und lehre unmittelbar und unvermerkt in einander. die ersten worte vernimmt der säugling an der mutterbrust von der weichen und sanften mutterstimme ihm entgegen gesprochen, und sie schmiegen sich fest in sein reines gedächtnifs, bevor er noch der eignen sprechorgane mächtig geworden ist, darum heifst sie die muttersprache und so erfüllt sich mit den jahren in schnell erweiterten kreisen ihr umfang. sie allein vermittelt uns am un- vertilgbarsten heimat und vaterland, und was von den einzelnen geschlechtern und stämmen, die gleiche spracheigenheit eingedrückt empfangen, mufs wei- terhin von der ganzen menschlichen gesellschaft gelten. Ohne sprache, dichtkunst und die zur rechten zeit sich eingestellten erfindungen der schrift und des bücherdrucks würde die beste kraft der menschheit sich verzehrt haben und ermattet sein. auch die schrift hat man die götter den menschen weisen lassen wollen; doch ihr überzeugend menschlicher ursprung, ihre wachsende vollkommenheit muls, wenn es nöthig wäre, den erweis des menschlichen ursprungs der sprache bestätigen und vollführen, über den ursprung der sprache. 193 Herodot meldet uns, Psammetich der Ägypter könig um zu versuchen, welches volk und welche sprache zuerst erschaffen worden sei, habe zwei neugeborne kinder einem hirten einsam aufzuziehen gegeben mit befehl kein wort vor ihren ohren auszusprechen und zu achten, welchen laut sie nun hervor bringen würden. nach einiger zeit verlauf, als der hirt diesen kin- dern sich genähert, hätten sie mit ausgestreckten händen Rexes ausgerufen, und dann öfter dasselbe wort in gegenwart des königs wiederholt. auf angestellte erkundigung sei man aber gewahr worden, dafs die Phryger das brot esxds nennen und habe dadurch die überzeugung gewonnen, dafs die Phryger das älteste volk der erde seien. (') Wäre es möglich, denn die ganze erzählung klingt höchst abenteuer- lich, einen solchen versuch jemals anzustellen und in der weise durchzufüh- ren, dafs man neugeborne kinder grausam auf eine abgelegne insel aussetzen und von stummen dienern grofsziehen lielse; so würde man zwar keine worte der ältesten menschensprache, die ihnen ja durchaus nicht angeboren sein konnte, vernehmen, wol aber hätten diese elenden dem menschlichen erb- theil entrissenen geschöpfe mit ihrem erwachenden denkvermögen von vornen an beginnend gleich den ersterschafnen menschen eine sprache sich zu erfin- den, und falls ihre abgeschiedenheit andauern könnte, auf ihre nachkom- men fortzupflanzen. Nur um so theuern preis, was jedoch nie so lange die erde dauern wird, zur ausführung gelangen dürfte, weil sich zahllose hindernisse entgegen stemmen müsten, könnte die sprachforschung unmit- telbare bestätigung dessen entnehmen, was sie aus andern gründen zu fol- gern berechtigt ist. Ich nähere mich meiner eigentlichen aufgabe oder doch dem für die meisten meiner zubörer anziehendsten theil derselben, welcher auf die frage antwort geben soll, wie man sich zu denken habe, dafs die ersten menschen die erfindung ihrer sprache bewerkstelligten. Vorausgeschickt werden mufs jedoch in aller kürze, ob, ganz abge- sehn von dem hier noch bei seite gelassenen problem, in wie fern die grund- verschiedenen sprachen der erde auf eine erste bildung oder nur auf meh- rere bildungen sich zurück führen lassen, ob man auch da, wo eine einzige, weit verbreitete und hernach in viele äste zerfallende ursprache vorliegt, nur (') Herod. 2, 2, vgl. fragm. histor. graecor. 1, 22. 23. Q2 494 Jaıcos GrımMm ein menschenpaar oder mehr als eins anzusetzen habe, durch welches sie hervorgebracht und fortgepflanzt worden sei? Das ist anzunehmen, dafs mann und weib zusammen, vollwüchsig und zeugungsfähig erschaffen wurden, denn nicht setzt der vogel das ei, die pflanze den samen, sondern das ei den vogel voraus, das korn die pflanze; kind, ei, samenkorn sind erzeugnisse, folglich unurerschaffen: der erste mensch war also nie kind, doch das erste kind hatte keinen vater. Aber dafs von jedem thier, von jedem kraut nur ein paar, nicht mehrere neben einan- der erschaffen worden, dafs alle gräser in ihrer fülle aus eines halmes wucher vervielfacht seien, hat wenig für, mehr gegen sich. die ein paar entstehn lassende schöpferische kraft konnte unbehindert auch mehrere zusammen schaffen, wie sie schon im ersten paar das gleichartige zweimal hervor zu brin- gen gehöthigt war. gegen den ausgang der gesamten thiermenge aus einem paar jeder gattung hat man auch nicht ohne schein den gesellschaftstrieb der ameisen und bienen eingewandt, der ihnen mufs angeboren gewesen, nicht allmälich entwickelt sein, folglich nicht erst auf die entwickelte menge ge- wartet haben kann. Auf den menschen und die sprache angewandt ist es sogar wahrscheinlich, dafs mehr als ein paar erschaffen wurde, schon aus dem natürlichen grunde, weil die erste mutter möglicherweise lauter söhne oder lauter töchter hätte gebären können, wodurch alle forterzeugung ge- hindert worden wäre, noch mehr aus dem sittlichen, um vermischung von geschwistern, wovor die natur ein grauen hat, zu verhüten. die bibel geht darüber still hinweg, dafs Adams und Evas, wenn sie allein standen, kinder unter einander sich begatten musten. (') Auch erklärt sich der sprache ursprung viel leichter, wenn alsogleich zwei oder drei menschenpaare, und bald ihre kinder, an ihr bildeten, so dafs alle sprachverhältnisse auf der stelle sich zahlreich vervielfachen konn- ten; die einheit der entspringenden regel läuft darunter keine gefahr, weil auch schon bei einem menschenpaar zwei individuen, mann und frau, die sprache erfinden musten und hernach ihre kinder sich mit daran betheiligten. man kann den frauen, die nach einigen generationen, zumal wenn mehrere paare stattfanden, gern ihre eigne, von den männern in manchem gesonderte 8 sitte und stellung einnahmen, sogar-eigenheiten der mundart für ausprägung (') Göthe lälst die ersten menschenpaare zu dutzenden hervor gehn. Eckermann 2, 21. über den ursprung der sprache. 125 der ihnen vorzugsweise geläufigen begriffe von frühe beilegen, wie sie uns am bestimmtesten das prakrit gegenüber dem sanskrit bezeugt. aber in allen alten sprachen sehen wir männliche und weibliche flexionen neben einander unterschieden, was auf keinen fall ohne einflufs des frauengeschlechts auf die sprachgestaltung selbst kann geschehen sein. Aus dem verhältnis der sprachen nun, welches uns über die verwandt- schaft der einzelnen völker sichereren aufschlufs darreicht, als alle urkunden der geschichte es vermögen, läfst sich auf den urzustand der menschen im zeitraum der schöpfung und auf die unter ihnen erfolgte sprachbildung zu- rück schliefsen. dem menschlichen geist macht es erhebende freude über die greifbaren beweismittel hinaus das zu ahnen, was er blofs in der vernunft empfinden und erschliefsen kann, wofür noch die äufsere bewahrheitung mangelt. wir gewahren in den sprachen, deren denkmäler aus einem hohen alterthum bis zu uns gelangt sind, zwei verschiedne und abweichende rich- tungen, aus welchen eine dritte ihnen vorher gegangene, aber hinter dem bereich unsrer zeugnisse liegende nothwendig gefolgert werden mufs. Den alten sprachtypus stellen uns sanskrit und zend, grofsentheils auch noch die griechische und lateinische zunge vor; er zeigt eine reiche, wolgefällige, bewundernswerthe vollendung der form, in welcher sich alle sinnlichen und geistigen bestandtheile lebensvoll durchdrungen haben. In den fortsetzungen und späteren erscheinungen derselben sprachen, wie den dialeeten des heutigen Indiens, im Persischen, Neugriechischen und Roma- nischen ist die innere kraft und gelenkigkeit der flexion meistens aufgegeben und gestört, zum theil durch äufsere mittel und behelfe wieder eingebracht. Auch in unsrer deutschen sprache, deren bald schwach rieselnde, bald mäch- tig ausströmende quellen sich durch lange zeiten hin verfolgen und in die wagschale legen lassen, ist dasselbe herabsinken vom früheren höhepunet gröfserer formvollkommenheit unverkennbar und dieselben wege des ersatzes werden eingeschlagen. halten wir die gothische sprache des vierten jh. ge- gen unsre heutige, dort ist wollaut und schöne behendigkeit, hier, auf ko- sten jener, vielfach gesteigerte ausbildung der rede. überall erscheint die alte gewalt der sprache in dem mafse gemindert als etwas anderes an die stelle der alten gaben und mittel getreten ist, dessen vortheile auch nicht dürfen unterschätzt werden. Beide richtungen stehn einander keineswegs schrof entgegen und alle sprachen erzeigen sich auf manigfalten, ähnlichen aber ungleichen stufen. 196 Jacos Grimm die formabnahme hat z.b. auch im gothischen oder lateinischen bereits begon- nen und für die eine wie die andere sprache darf man eine vorausgegangene Re) ältere und reichere gestalt ansetzen, die sich zu ihrem classischen bestand ver- hält wie dieser etwa zum neuhochdeutschen oder französischen. anders und allgemein ausgedrückt, ein erreichter gipfel der förmlichen vollendung alter sprache läfst sich historisch gar nicht feststellen, so wenig die ihr entgegen- gesetzte geistige sprachausbildung heute auch schon zum abschlufs gelangt ist, sie wird es noch unabsehbar lange zeit nicht sein. Es ist zulässig selbst dem sanskrit voraus noch einen älteren sprachstand zu behaupten, in wel- cher die fülle seiner natur und anlage noch reiner ausgeprägt gewesen wäre, gar nicht mehr erreichen. Ein verderblicher fehler würde aber sein, und er scheint mir gerade die geschichtlich wir bei untersuchung der ursprache hemmend eingewirkt zu haben, jene vollen- dung der form noch höher aufwärts und bis in ein vermeintes paradis zurück zu verlegen. vielmehr ergiebt der beiden letztern sprachperioden aneinan- der halten, dafs wie an den platz der flexion eine auflösung derselben getre- ten sei, so auch die flexion selbst aus dem verband einmal erst entsprungen sein müsse. Nothwendig demnach sind drei, nicht blofs zwei staffeln der entwickelung menschlicher sprache anzusetzen, des schaffens, gleichsam wachsens und sich aufstellens der wurzeln und wörter, die andere des em- porblühens einer vollendeten flexion, die dritte des triebs zum gedanken, wobei die flexion als noch nicht befriedigend wieder fahren gelassen und was im ersten zeitraum naiv geschah, im zweiten prachtvoll vorgebildet war, die verknüpfung der worte und gedanken abermals mit hellerem bewustsein bewerkstelligt wird. Es sind laub, blüte und reifende frucht, die, wie es die natur verlangt, in unverrückbarer folge neben und hinter einander eintreten. Durch die blofse nothwendigkeit einer ersten unsichtbaren, den beiden an- dern für uns sichtbaren perioden voraus gegangnen wird, dünkt mich, der wahn eines göttlichen ursprungs der sprache ganz beseitigt, weil es gottes weisheit widerstritte dem, was eine freie menschengeschichte haben soll, im voraus zwang an zu thun, wie es seiner gerechtigkeit entgegen gewesen wäre, eine den ersten menschen verliehne göttliche sprache für die nachle- benden von ihrem gipfel herab sinken zu lassen. Mit betrachtung der sprache, wie sie im letzten zeitraum erscheint, allein würde man nie dem geheimnis ihres ursprungs näher getreten sein, über den ursprung der sprache. 127 und allen aus dem gegenwärtigen sprachstand nach dem etymon eines wortes forschenden pflegt es damit fehlzuschlagen, da sie weder die bildungstheile von der wurzel rein abzulösen noch den sinnlichen gehalt derselben zu er- mitteln vermögen. Anfangs entfalteten sich, scheint es, die wörter unbehindert in idylli- schem behagen, ohne einen andern haft als ihre natürliche vom gefühl an- gegebne aufeinanderfolge; ihr eindruck war rein und ungesucht, doch zu voll und überladen, so dafs licht und schatten sich nicht vertheilen konnten. (1) Allmälich aber läfst ein unbewust waltender sprachgeist auf die nebenbegriffe sehwächeres gewicht fallen und sie verdünnt und gekürzt den hauptvorstel- lung ) dem einwuchs lenkender und bewegender bestimmwörter, die nun wie halb als mitbestimmende theile sich anfügen. die flexion entspringt aus und fast ganz verdeckte triebräder von dem hauptwort, das sie anregten, mitgeschleppt werden, und aus ihrer ursprünglich auch sinnlichen bedeu- tung in eine abgezogne übergegangen sind, durch die jene nur zuweilen noch schimmert.. Zuletzt hat sich auch die flexion abgenutzt und zum blofsen ungefühlten zeichen verengt, dann beginnt der eingefügte hebel wieder gelöst und fester bestimmt nochmals äufserlich gesetzt zu werden; die sprache büfst einen theil ihrer elastieität ein, gewinnt aber für den unendlich gestei- gerten gedankenreichthum überall mafs und regel. Erst nach gelungner zergliederung der flexionen und ableitungen, wo- durch Bopps scharfsinn so grofses verdienst errungen hat, hoben sich die wurzeln hervor und es ward klar, dafs die flexionen gröfstentheils aus dem anhang derselben wörter und vorstellungen zusammen gedrängt sind, welche im dritten zeitraum g 8 und deutliche zusammensetzungen angemessen, dem zweiten flexionen, suf- ewöhnlich aufsen voran gehn. ihm sind präpositionen fixe und kühnere composition, der erste liefs freie wörter sinnlicher vorstel- lungen für alle grammatischen verhältnisse auf einander folgen. Die älteste sprache war melodisch aber weitschweifig und haltlos, die mittlere voll ge- _ dungener poetischer kraft, die neue sprache sucht den abgang an schönheit durch harmonie des ganzen sicher einzubringen, und vermag mit geringeren mitteln dennoch mehr. (') man könnte sagen, dafs die Hexionslose chinesische sprache gewissermalsen in der ersten bildungsperiode verharrt sei. 198 Jacog GkımMm Der den ursprung der sprache hüllende schleier ist gelüftet, nicht vollends aufgedeckt. Es kann hier weder ausführbar noch mein zweck sein alle oder die meisten beweise für die vorgetragene ansicht aus zu heben,‘ was ein eignes schweres buch fordern würde, ich strebe nur die wesentlichen grundlagen der untersuchung hinzusteilen. Nichts in der sprache, wie in der ganzen sie gleichsam auf ihren schofs nehmenden natur, geschieht umsonst, alles, was ich schon oben sagte, aus- reichend ohne verschwendung. einfache mittel richten das stärkste aus, kein buchstab ursprünglich steht bedeutungslos oder überflüssig. Jeder laut hat seinen natürlichen, im organ das ihn hervorbringt gegründeten und zur anwendung kommenden gehalt. Von den vocalen hält @ die reine mitte, ö höhe, u tiefe, a ist rein und starr, 2 und u sind flüssig und der consonantierung fähig. offenbar mufs den vocalen ins- gesamt ein weiblicher, den consonanten insgesamt ein männlicher grund bei- gelegt werden. Von den consonanten wird / das linde, » das rauhe bezeichnen. wahr- zunehmen ist, dafs in vielen wörtern der ältesten sprache r waltet, wo die jüngeren Z setzen, während das s der älteren dem r der jüngeren weicht. niemals aber gehn s und Z in einander über. entweder wollte der sprach- geist eine entsprungne lücke ausgleichen, oder was richtiger scheint, beiderlei r sind auch in der aussprache schon verschieden, jenes dem / naherein und rollend, dieses mit s verwandte heiser und unrein. Alle consonantverdoppelungen sind der ältesten sprache ab zu erken- nen, und erst allmälich durch assimilation verschiedner consonanten und zumal häufig aus anstofsendem z entsprungen. Consonantlautabstufung, die sich am aller deutlichsten und zu zweien malen in den verschiebungen der deutschen sprache ereignete, pflegt mit wundervollem instinet, indem sie alle stummen laute verrückt, ihnen doch jedesmal wieder die rechte stelle anzuweisen. haben irgendwo in der sprache naturtrieb und freie kraft zu- sammen gewirkt, so geschah es in dieser höchst auffallenden erscheinung. Der ursprache waren eund o fremd. wenn diphthonge und brechun- gen dem zweiten zeitraum, dem dritten umlaute und noch andere vocaltrü- bungen gemäfs sind, so wird man dem ersten vorzugsweise fast nur kurze vocale und einfache consonanten beizumessen haben. über den ursprung der sprache. 129 Doch die natur der einzelnen laute zu erörtern liegt mir hier nicht ferner ob; dies würde mehr da an seiner stelle sein, wo jene leibliche an- lage unsers organismus auf die sprache sorgfältig angewandt werden soll. Hebel aller wörter scheinen pronomina und verba. das pronomen ist nicht blofs, wie sein name könnte glauben machen, vertreter des nomens, sondern g denkvermögen wach geworden ist ‘ich’ ausspricht, finde ich auch im Ja- erade zu beginn und anfang alles nomens. wie das kind dessen dschurveda ausdrücklich anerkannt, dafs das ursprüngliche wesen “ich bin ich’ spreche und der mensch, wenn er gerufen werde ‘ich bin es’ antworte. Alle verba und nomina, das persönliche verhältnis an sich bezeichnend, fü- gen pronomina ein, wie sie in der dritten sprachperiode äufserlich dazu aus- gedrückt werden. Als der mensch das erstemal sein ich, das im sanskrit aham lautet, sprach, stiefs er es aus voller brust im geleit eines kehlhauchs und alle urverwandten zungen sind sich hierin gleich geblieben, nur dafs sie das reine a schwächen oder die gutturalstufe verschieben. im obliquen casus tritt ein halb zurück weisendes labiales m vor. das deutende 2 der an- geredeten zweiten person mufs hingegen im casus rectus und obliquus haften. gröfsere manigfaltigkeit als die beiden ersten sich gegenüberstehenden per- sonen fordert aber die fernere dritte, und ihr hauptkennzeichen war entweder s oder i, jenes vorzugsweise zur bezeichnung des flüssigen reflexivbegriffes, der sich auch dem verbum suffigiert. Aufser dem belebenden pronomen liegt die gröfste und eigentliche kraft der sprache im verbum, das fast alle wurzeln in sich darstellt. Alle verbalwurzeln, deren anzahl im ersten sprachzeitraum beim be- ginn nicht über einige hundert hinaus gereicht zu haben braucht, aber äu- fserst schnell wuchs, enthalten sinnliche vorstellungen, aus welchen unmit- telbar auch analoge und abstraete knospen und sich erschliefsen konnten, wie z.b. dem begrif des athmens der des lebens, dem des ausathmens der des sterbens entspriefst. es ist ein folgenschwerer satz, dafs licht und schall aus denselben wurzeln fliefsen. Alle verbalwurzeln wurden aber mit dem einfachsten aufwand an mit- teln erfunden, indem ein consonant dem vocal vor oder nachtrat. ob aus blofsem vocal wurzeln bestehn können, darf noch in zweifel gezogen werden, da nach dem vorhin vom wesen der vocale und consonanten überhaupt ge- sagten die zeugung einer wurzel von dem sich vermählen beider geschlechter Philos.-histor. Kl. 1851. R 130 Jaıcos Grimm abhängig scheint. das sanskrit kennt keine allein von kurzem a gebildete wurzel, wogegen kurzes i als wurzel für den begrif gehn (die auch im latei- nischen i, welches aber lang ist, blos läge) und kurzes x als wurzel für tö- nen angenommen wird; ihnen beiden könnten aber consonanten abgefallen sein. Unter den mit consonant und vocal gebildeten scheinen die consonan- tisch anlautenden den consonantisch auslautenden im alter voranzugehn, weil auch den vocalisch auslautenden ein zweiter consonant allmälieh zuzutreten pflegt, nicht den vocalisch anlautenden vorzutreten, z. b. neben der wurzel mä ergibt sich eine zweite wurzel mad, welche dem lat. metiri, unserm messen entspricht. etwas anders ist, dafs die wehenden anlaute v A und s vor liquiden bald vorzutreten bald abzufallen pflegen, was man nun für das ältere halte: das vortreten, denke ich. Welchen vocal und welchen consonant der erfinder für ein verbum nehmen wollte, lag abgesehn von der natürlich vorbrechenden und sich geltend machenden organischen gewalt des lautes meist in seiner willkür, die gar nicht statt gefunden hätte, wäre sie von jenem einflufs immer und völlig abhängend, selbst aber mit feinerem oder gröberem gefühl geübt wer- den konnte. in diesen einfachsten bildungsgesetzen sehn wir also auch hier nothwendigkeit und freiheit einander durchdringen. Wenn z. b. im sanskrit die wurzel pä, gr. =ıeiv, sl. piti ausdrückt, so hindert nichts, dafs ein andrer spracherfinder dafür auch kä oder tä ergriffen hätte. ein grofser theil der indogermanischen wurzeln hat blofs sein historisches urrecht, dem nur or- ganische bestimmungen zutreten können. Doch instinetmäfsig ist vorgesehn, dafs in der einzelnen sprache wenig oder keine gleichlautige wurzeln für ver- verschiedene vorstellungen statt haben, d. h. von den erfindern nicht mehr- mals dieselben laute für grundverschiedne vorstellungen gewählt wurden, was unabsehbar verwirren müste. zu unterscheiden hiervon ist aber sorg- sam die uns oft noch unerkannte und dunkle verwandtschaft mehrfacher sinnlicher und abgezogner begriffe, die aus den buchstaben einer und der- selben wurzel erwachsen. Ob und wie viel wurzeln, die auf doppelten stummen consonant an und auslauten, man im ersten zeitraum gestatten dürfe, lassen die bisherigen untersuchungen noch unentschieden. An jedem verbum können im zweiten zeitraum personen, numerus, tempus, modus und genus bezeichnet werden, die personen durch angefügte über den ursprung der sprache. 131 persönliche pronomina, die tempora meistens durch hilfswörter, die ur- sprüglich los angeschlossen allmälich zur flexion verwuchsen. Aufser be- zeichnung der vergangenheit durch ein solches hilfswort, trat zu gleichem zweck auch ein wiederholen der wurzel oder reduplication derselben ein, da das vergangne natürlicherweise im wiederholen seinen ausdruck findet. mit solcher reduplicierenden form hängt aber nach erlöschen der reduplications- silbe noch der deutsche ablaut innig zusammen, und wie diphthonge in vocal- längen sich verengen, thun es die reduplicationen im ablaute. in unsern deutschen mit ablaut gebildeten praeteriten darf demnach kein hilfsverbum einverleibt gedacht werden. Alle nomina, d.h. die den sachen beigelegten namen oder eigenschaf- ten setzen verba voraus, deren sinnlicher begrif auf jene angewandt wurde, z.b. unser hahn, goth. hana bezeichnet den krähenden vogel, setzt also ein verlornes verbum hanan voraus, das dem skr. kan, lat. canere entsprach, und dessen ablaut goth. hön, ahd. huon uns zugleich über huon pullus gal- linaceus, nhd. huhn ins klare bringt. nicht anders führt sich der sl. name des hahns pjetel auf pjeti singen, der litt. gaidys auf giedmi zurück, Der wind, lat. ventus, sl. vjetr, litt. vejas, skr. väju heifst der wehende von vä, goth. vaian spirare, genau wie dvsucos animus zum goth. anan spirare, unser geist zu einem alten geisan vento fervi gehören; den in väju, vejas abgehen- den linguallaut haben ventus wind vjetr, ehenso geist eingeschaltet, wie es unzählige mal, z.b. auch in unserm hund gegenüber dem lat. canis, gr. »Uwv geschah. hier strömen beispiele von allen seiten ohne ende zu. unser heute verdunkeltes bohne steht gleich dem lat. faba wurzellos, doch ergibt sich leicht, faba müsse aus fagba, bohne, ahd. böna, folglich goth. bauna aus bagbana, bagbuna hervorgegangen sein, wozu auch das sl. bob gefügt werden darf; zu fagba, bagba lehrt uns dann das gr. hayeiv die rechte wur- zel: fagba war efsbare frucht, wie auch fagus, unser ahd. puocha, nhd. buche und gr. p«x7 linse denselben ursprung verraten. Höchst natürlich und menschlich aber war, dafs die sprachfindung jedem namen ein geschlecht ertheilte, wie es entweder an der sache selbst ersichtlich vorlag oder ihr in gedanken beigelegt werden konnte. In der flexion wurde jedoch das männliche genus am vollkommensten und rührigsten geprägt, das weibliche ruhiger und schwerer, so dafs jenem mehr consonanzen und kurze vocale, diesem lange zusagen, ein aus beiden erzeugtes neutrum sich R2 133 Jaıcos Grimm aber in die eigenheiten beider theilt. Durch die unterscheidung der ge- schlechter wird mit dem glücklichsten grif, wie durch einen ruck, in alle lagen, denen das nomen unterzogen werden mufs, regel gebracht und klarheit. Diese lagen sind zumal verhältnisse des casus und numerus. während nemlich den gerad stehenden, im satz herschenden casus ein pronomen kenn- zeichnet, müssen die obliquen casus ihre räumlichen begriffe durch partikeln ausdrücken, die gleich jenen auxiliaren des verbums dem nomen hinzutre- ten, nach und nach fest mit ihm verwachsen manigfache flexionen erzeugen. Den flexionen, als sie entsprangen, wird solcher verengungen und zusam- menziehungen wegen überwiegend langer vocal oder diphthong zugestanden haben und wie er sich verdünnte, die flexion erblafst sein. In den neueren sprachen sehn wir endlich die erblichne flexion fast oder ganz gewichen und von aufsen durch artikel und praepositionen ersetzt, welche uns ahnen las- las, dafs die flexion selbst einmal aus ähnlichen bestandtheilen hervorgegan- gen sein muste. Wenn das franz. le loup und du loup dem lat. lupus und lupi gleich steht, nachweislich aber aus ille lupus, de illo lupo entsprungen ist, so folgt dafs auch der ausgang s ein pronomen enthalten und die flexion i auf eine volle ursprüngliche form zurück geleitet eine partikel erscheinen lassen werde. Da nun die partikeln selbst, mit ausnahme der dem angebornen or- ganismus heimfallenden, halbthierischen interjectionen, ursprünglich leben- dige nomina oder pronomina waren, denen nach und nach abgezogne func- tionen beigelegt werden, so ist der sprache lebendiger kreislauf abgeschlossen. Die sprache kann einzelne und grofse vortheile fahren lassen, z. b. das medium und passivum, den optativ, viele tempora und casus der form nach aufgeben und sich dafür mit deutlicheren umschreibungen schleppen oder auch den sinnlichen ausdruck mit gar nichts ersetzen, z.b. die schöne, beholfne dualform. ein zeitlang erreichten wir noch das skr. tschaksusi, das gr. örse durch beide augen, das gr. xegoiv durch mit beiden händen, und der beisatz erweist die naturgemäfsheit des alten dualis, endlich genügte das blofse augen und händen. Ich bin in raschen umrissen über reichhaltige, unerschöpfliche, meinem vortrag sich hier oft versagende sprachverhältnisse geglitten, um noch für eine allgemeinere betrachtung der angesetzten drei periodeu raum zu gewin- über den ursprung der sprache. 133 nen. Es ergibt sich, dafs die menschliche sprache nur scheinbar und von einzelnem aus betrachtet im rückschritt, vom ganzen her immer im fortschritt und zuwachs ihrer inneren kraft begriffen angesehen werden müsse. Unsere sprache ist auch unsere geschichte. wie eines volkes, eines reiches grund gelegt wurde von einzelnen geschlechtern, die sich vereinten, gemeinsame sitten und gesetze annahmen, im bunde handelten und den um- fang ihres besitzthums erweiterten; so forderte auch die sitte einen findenden ersten act, aus dem alle nachfolgenden hergeleitet werden, auf den zurück sie sich beziehen. die dauer der gemeinschaft legte hernach eine menge von abänderungen auf. Den stand der sprache im ersten zeitraum kann man keinen paradisi- schen nennen in dem gewöhnlich mit diesem ausdruck verknüpften sinn irdischer vollkommenheit; denn sie durchlebt fast ein pflanzenleben, in dem hohe gaben des geistes noch schlummern, oder nur halb erwacht sind. ihre schilderung darf ich etwa in folgende züge zusammen fassen. Ihr auftreten ist einfach, kunstlos, voll leben, wie das blut in jugend- lichem leib raschen umlauf hat. alle wörter sind kurz, einsilbig, fast nur mit kurzen vocalen und einfachen consonanten gebildet, der wortvorrat drängt sich schnell und dicht wie halme des grases. alle begriffe gehn hervor aus sinnlicher, ungetrübter anschauung, die selbst schon ein gedanke war, der nach allen seiten hin leichte und neue gedanken entsteigen. Die verhältnisse der wörter und vorstellungen sind naiv und frisch, aber ungeschmückt durch nachfolgende, noch unangereihte wörter ausgedrückt. mit jeden schritt, den sie thut, entfaltet die geschwätzige sprache fülle und befähigung, aber sie wirkt im ganzen ohne mafs und einklang. ihre gedanken haben nichts bleibendes, stätiges, darum stiftet diese früheste sprache noch keine denkmale des geistes und verhallt wie das glückliche leben jener ältesten menschen ohne spur in der geschichte. zahlloser same ist in den boden ge- fallen, der die andere periode vorbereitet. In dieser haben alle lautgesetze sich vervielfacht und glänzend aufge- than. aus prachtvollen diphthongen und ihrer ermäfsigung zu vocallängen entspringt neben der noch waltenden fülle der kurzen wollautender wechsel; auf solche weise rücken auch consonantelr, nicht mehr überall durch vocale gesondert, aneinander und steigen kraft und gewalt des ausdrucks. Wie aber die einzelnen laute sich fester schliefsen, beginnen partikeln und auxi- 134 Jıcos GrımMm liare näher anzurücken und indem sich der ihnen selbst einwohnende sinn allmälich abschwächt, mit dem wort das sie bestimmen sollten sich zu eini- gen. statt der bei verminderter sinneskraft der sprache schwer überschau- lichen sonderbegriffe und unabsehbaren wortreihen ergeben sich wolthätige anhäufungen und ruhepuncte, welche das wesentliche aus dem zufälligen, das waltende aus dem untergeordneten vortreten lassen. Die wörter sind länger geworden und vielsilbig, aus der losen ordnung bilden sich nun mas- sen der zusammensetzung. wie die einzelnen vocale in doppellaute drängten die einzelnen wörter sich in flexionen, und wie der doppelte vocal in dichter verengung wurden auch die flexionenbestandtheile unkenntlich, aber desto anwendbarer. zu fühllos gediehnen anhängen gesellen sich neue deutlicher bleibende. Die gesamte sprache ist zwar noch sinnlich reich, aber mächti- ger an gedanken und allem was diese knüpft, die geschmeidigkeit der flexion sichert einen wuchernden vorrat lebendiger und geregelter ausdrücke. Um diese zeit sehen wir die sprache für metrum und poesie, denen schönheit, wollaut und wechsel der form unerläfslich sind, aufs höchste geeignet und die indische und griechische poesie bezeichnen uns einen im rechten augen- blick erreichten, später unerreichbaren gipfel in unsterblichen werken. Da nun aber die ganze natur des menschen, folglich auch die sprache dennoch in ewigem, unaufhaltbarem aufschwung begriffen sind, konnte das gesetz dieser zweiten periode der sprachentwicklung nicht für immer genügen, sondern muste dem streben nach einer noch gröfseren ungebundenheit des gedankens weichen, welchem sogar durch die anmut und macht einer vol- lendeten form fessel angelegt schien. Mit welcher gewalt auch in den chören der tragiker oder in Pindars oden worte und gedanken sich verschlingen; es entspringt dabei das gefühl einer der klarheit eintrag thuenden spannung, die noch stärker in den indischen bild auf bild häufenden zusammensetzun- gen wahrnehmbar wird; aus dem eindruck dieser wahrhaft übermächtigen form trachtete der sprachgeist sich zu entbinden, indem er den einflüssen der vulgaridiome nachgab, die bei dem wechselnden geschick der völker auf der oberfläche wieder vortauchten. Gegenüber dem seit einführung des christenthums versinkenden latein trieben auf andrer schicht und unterlage die romansprachen empor und neben ihnen machten sich im lauf der zeit die deutsche und die englische sprache nicht einmal mit ihren ältesten mit- teln, sondern in der durch die! blofse kraft der gegenwart bedingten mi- über den ursprung der sprache. 135 schung luft. Den reinen vocalen war längst trübung, die wir durch umlaut, brechung und noch auf andere dem alterthum unbekannte weise bezeichnen, gefolgt, unserm consonantismus war beschieden verschoben, entstellt und verhärtet zu sein. man mag bedauern, dafs die reinheit des ganzen lautsy- stems geschwächt fast aus der fuge geriet; allein niemand wird auch ver- kennen, durch entsprungne zwischentöne seien unerwartet neue behelfe, mit welchen aufs freiste geschaltet werden konnte, zu wege gebracht worden. Eine masse von wurzeln wurde durch solche lautänderungen verfinstert, fortan nicht mehr in ihrer sinnlichen urbedeutung, nur für abgezogne vorstellungen fort unterhalten; von den ehmaligen flexionen gieng das meiste verloren und wird durch reichere, freiere partikeln ersetzt, vielmehr überboten, weil der gedanke aufser der sicherheit auch an vielseitiger wendung gewinnen kann. Wie schon die vier oder fünf griechischen und lateinischen casus an sich un- vermögender erscheinen als die vierzehn der finnischen sprache, und den- noch mit aller solcher mehr scheinbaren als wirklichen behendigkeit diese weniger ausrichtet; so ist auch unsern neuern sprachen überhaupt minder als man glauben sollte dadurch benommen, dafs sie die überreiche form des griechischen verbums entweder unausgedrückt lassen oder wo es daran liegt umschreiben müssen. Was das gewicht und ergebnis dieser erörterungen angeht, so mag ich mit einem einzigen aber entschiedenen beispiel ihrer beinahe enthoben sein. keine unter allen neueren sprachen hat gerade durch das aufgeben und zerrütten alter lautgesetze, durch den wegfall beinahe sämtlicher flexio- nen eine gröfsere kraft und stärke empfangen als die englische und von ihrer nicht einmal lehrbaren, nur lernbaren fülle freier mitteltöne ist eine wesent- liche gewalt des ausdrucks abhängig geworden, wie sie vielleicht noch nie einer andern menschlichen zunge zu gebot stand. Ihre ganze überaus gei- stige, wunderbar geglückte anlage und durchbildung war hervorgegangen aus einer überraschenden vermählung der beiden edelsten sprachen des späteren Europas, der germanischen und romanischen, und bekannt ist wie im eng- lischen sich beide zu einander verhalten, indem jene bei weitem die sinnliche grundlage hergab, diese die geistigen begriffe zuführte. Ja die englische sprache, von der nicht umsonst auch der gröfste und überlegenste dichter der neuen zeit im gegensatz zur classischen alten poesie, ich kann natürlich nur Shakespeare meinen, gezeugt und getragen worden ist, sie darf mit vol- 136 Jaıcos Grimm lem recht eine weltsprache heifsen und scheint gleich dem englischen volk ausersehn künftig noch in höherem mafse an allen enden der erde zu walten. Denn an reichthum, vernunft und gedrängter fuge läfst sich keine aller noch lebenden sprachen ihr an die seite setzen, auch unsre deutsche nicht, die zerrissen ist wie wir selbst zerrissen sind, und erst manche gebrechen von sich abschütteln müste ehe sie kühn mit in die laufbahn träte: doch einige wolthuende erinnerungen wird sie darbieten und wer möchte ihr die hofnung abschneiden? Die schönheit menschlicher sprache blühte nicht im anfang, sondern in ihrer mitte; ihre reichste frucht wird sie erst einmal in der zukunft darreichen. Wer aber kann dieser zukunft heimliche wege alle spähen? einer grofsen weltordnung angemessen war, dafs im lauf der zeiten dichte wälder wichen vor rankenden reben und mehltragenden halmen, die beim anbau des erd- bodens immer breitere strecken einnahmen; so auch scheinen unter ausein- ander gelaufenen, im weiten raum zerarbeiteten, später sich wieder berüh- renden sprachen endlich nur solche des feldes meister zu werden, die nährende geistesfrucht gebracht und geboren hatten. Und statt dafs von den stufen jenes babylonischen thurms herab, der gen himmel strebte, wie es aegyptische pyramiden, griechische tempelhallen und der Christen ge- wölbte kirchen auch thun, alle menschensprachen getrübt und zerrüttet aus- getreten sein sollen, könnten sie einmal, in unabsehbarer zeit, rein und lau- ter zusammen fliefsen. Nicht starr und ewig wirkendem naturgesetz, wie des lichts und der schwere, anheim gefallen waren die sprachen, sondern menschlicher freiheit in die warme hand gegeben, sowol durch blühende kraft der völker geför- dert als durch deren barbarei niedergehalten, bald fröhlich gedeihend, bald in langer, magerer brache stockend. Nur insofern überhaupt unser ge- schlecht am widerstreit des freien und nothwendigen unausweichlichen ein- flüssen einer aulserhalb ihm selben waltenden macht unterliegt, werden auch in der menschlichen sprache vibration, abdämpfung oder gravitation dürfen gewahrt werden. Wohin uns aber ihre geschichte den blick aufthut erscheinen leben- dige regungen, fester halt und weiches, nachgibiges gelenk, farbige manig- & faltigkeit, ungestillter wechsel, der noch nie zum letzten abschlufs gelangen liefs; alles verbürgt uns, dafs die sprache werk und that der menschen ist, über den ursprung der sprache. 137 tugenden und mängel unserer natur an sich trägt. Ihre gleichförmigkeit wäre völlig undenkbar, da dem neu hinzutretenden und nachwachsenden ein spielraum offen stehn muste, dessen nur das ruhig fortbestehende nicht bedarf. Im langen, unabsehbaren gebrauch sind die wörter zwar gefestigt und geglät- tet, aber auch vernutzt und abgegriffen worden oder durch die gewalt zufäl- sen. Wie die blätter vom baum fallen sie von I) ihrem stamm zu boden, und werden von neuen bildungen überwachsen und liger ereignisse verloren gegan verdrängt: die ihren stand behaupteten, haben so oft farbe und bedeutung gewechselt, dafs sie kaum mehr zu erkennen sind. Für die meisten einbu- fsen und verluste pflegt aber beinahe auf der stelle und von selbst sich ersatz und ausgleichung darzubieten. Das ist das stille auge jenes hütenden sprach- geistes, der ihr alle wunden schnell heilt und vernarben läfst, alle ihre an- gelegenheiten ordnet und vor verwirrung bewahrt, nur dafs er einzelnen spra- chen seine höchste gunst, andern geringere erwiesen hat. Das ist auch, wenn man will, eine naturgrundkraft, die aus den uns angebornen, einge- pflanzten urlauten unerschöpflich hervorquillt, dem menschlichen sprachbau sich vermählt, jede sprache in ihre arme schliefst. doch jenes lautvermögen steht zum sprachvermögen wie der leib zur seele, welche das mittelalter treffend die herrin, den leib den kämmerer oder das kammerweib nannte. Von allem was die menschen erfunden und ausgedacht, bei sich ge- hegt und einander überliefert, was sie im verein mit der in sie gelegten und geschaffenen natur hervor gebracht haben, scheint die sprache das gröfste, edelste und unentbehrlichste besitzihum. unmittelbar aus dem menschlichen denken empor gestiegen, sich ihm anschmiegend, mit ihm schritt haltend ist sie allgemeines gut und erbe geworden aller menschen, das sich keinem ver- sagt, dessen sie gleich der luft zum athmen nicht entrathen könnten, ein erwerb, der uns zugleich leicht und schwer fällt. Leicht, weil von kindes beinen an die eigenheiten der sprache unserm wesen eingeprägt sind und wir unvermerkt der gabe der rede uns bemächtigen, wie wir gebärden und mienen einander absehn, deren abstufung endlos ähnlich und verschieden ist gleich der der sprache. poesie, musik und andere künste sind nur bevorzugter menschen, die sprache ist unser aller eigenthum, und doch bleibt es höchst schwierig sie vollständig zu besitzen und bis auf das innerste zu ergründen. Musik aus todtem instrument geweckt, mit ihrem schweifenden, glei- tenden, mehr gefühlten als verstandnen ausdruck, steht der alle gedanken Philos.- histor. Kl. 1851. Ss 138 Jacos Grimm deutlich fassenden, bestimmt greifenden, gegliederten sprache entgegen, im gesang aber tritt sie gesprochnen worten hinzu und gibt ihnen feierliches ge- leit. Solchen menschengesang vergleichen mag man dem der vögel, welcher über das bedürfnis thierischer schreie hinaus tiefere, anhaltende empfindung bekundet, wie auch einzelne gelehrige vögel ihnen oft wiederholte weisen ablauschen und herpfeifen. dennoch, so beseelt er scheine, ist der süfse nachtigallenschlag immer derselbe und nur angeborne, unwandelbare fertig- keit, unsre musik aber aus dem gefühl und der phantasie der menschen her- vorgegangen, überall verschieden. In zeichen gesetzt kann das lied nach- gesungen, die musik nachgespielt, wie das wort aus dem buch gelesen werden. Die sprachmaschine, von der ich oben redete, gieng davon aus die menschen- sprache weniger im gedanken als im wortschall nachzuahmen und physiolo- gisch hinter den mechanismus der grundlaute zu kommen. Darin aber dafs musik, was ihr name andeutet, und poesie einer hö- heren eingebung beigelegt, göttlich oder himmlisch genannt werden, zeug- nis für der sprache übermenschlichen ursprung zu suchen, scheint schon darum unstatthaft, weil die sprache, bei welcher eine gleiche annahme ge- bricht, jenen beiden nothwendig voran gieng. denn aus betonter, gemesse- ner recitation der worte entsprangen gesang und lied, aus dem lied die andere dichtkunst, aus dem gesang durch gesteigerte abstraction alle übrige musik, die nach aufgegebnem wort geflügelt in solche höhe schwimmt, dafs ihr kein gedanke sicher folgen kann. Wer nur überzeugung gewonnen hat, dafs die sprache freie menschenerfindung war, wird auch nicht zweifeln über die quelle der poesie und tonkunst in vernunft, gefühl und einbildungskraft des dichters. viel eher dürfte die musik ein sublimat der sprache heifsen als die sprache ein niederschlag der musik. Traun geheimnisvoll und wunderbar ist der sprache ursprung, doch rings umgeben von andern wundern und geheimnissen. schwerlich ein kleine- res liegt in dem der sage, die bei allen völkern über den ganzen erdboden in gleicher unermessenheit und abwechselung zuckt und auftaucht, durch lange gemeinschaft der menschen erwachsen und weit fortgepflanzt worden sein mufs. Nicht sowolin ihrem wesen selbst beruht dasräthsel der sprache, als viel mehr in unsrer schwachen kunde von dem ersten zeitraum ihrer erscheinung, da sie noch in der wiege lag, den ich dadurch mir zu verdeutlichen strebte, dafs ich kunstlose einfachheit sinnlicher entfaltung als sein merkmal setzte: über den ursprung der sprache. 139 um diesen angel dreht sich meine ganze vorstellung, darin unterscheide ich mich von meinen vorgängern. war uns das wesen der flexion nicht auch in dunkel gehüllt, eh eine decke nach der andern davon weggezogen wurde? Zahllose begebenheiten selbst aus historischer zeit sind erst dem auge des ge- schichtforschers klar geworden, des menschengeschlechts älteste geschichte lagert verborgen gleich der seiner sprache, und nur die sprehforschung wird lichtstralen darauf zurück werfen. Eine sprache ist schöner und scheint ergibiger als die andere; dem dich- ter verschlägt es nichts, und er weifs geringen mitteln dennoch grofse wirkung zu entlocken, wie aus grauem gefieder entzückende stimme schallt. auch die nordischen skalden verstanden sich auf kunstreiche liederform und thürm- ten band auf band, bild auf bild; ist man eingedrungen in ihre weise, so läfst sie bald leer, weil immer nur von kampf, sieg und milde gesun- genwird, Pindar regt aber alle saiten der seele an. Ein mythus ist tie- fer und lieblicher als der andere, doch am stärksten ergreift uns der, um welchen die gröfste fülle der poesie erwachsen war; gegen den griechi- schen, dessen grundlage er oft bilden soll, verliert der aegyptische, weil er fast nur samen und frucht darreicht, laub und blüte der dichtkunst ihm ganz mangeln. In der gesamten poesie steht aber nichts seiner anlage und ent- faltung nach der sprache so nah und ebenbürtig als das epos, und auch es muls von einfachem boden zur höhe sich aufgeschwungen haben, die wir an ihm bewundern. Wer in ihm und in den edelsten denkmälern menschlicher dichtung und sprache nur geschwächten widerschein oder abglanz gewaltige- rer gestaltungen, die der welt entschwunden seien, sehn wollte, erklärte damit weniger als nichts, weil das worauf zurück geschoben wird, stände es irgend zu erlangen, noch lauter nach erklärung schriee. Ich gedachte hier zuletzt noch aufzuwerfen, in wie fern mit der im voraus gehenden fast einzig und allein ins auge gefafsten indogermanischen sprache die andern zungen der erde aus einer und derselben quelle dürfen abgeleitet werden oder nicht? wesentlich würde das über den allgemeinen ursprung aller gewonnene ergebnis dadurch nicht verändert werden; doch hinter dem aufserordentlichen kaum sich abgrenzenden umfang einer solchen auch nur angerührten untersuchung, selbst wenn ich beispielsweise sie auf den verhalt der finnischen sprache zu jener, worüber ich verschiedentlich nachgedacht habe, einschränken wollte, müsten meine kräfte bleiben. Bei 52 140 Jacos Grimm über den ursprung der sprache. dem fortgang historischer forschungen, wenn sie sich zu allen bedeutenden sprachgeschlechtern der erde gewendet haben, werden grofse aufschlüsse für das hier erörterte und hoffentlich zu gunsten des von mir gefundnen sich einmal ergeben. jetzt aber würde ich doch nur das wasser getrübt ha- ben für fremde fischer. Enden kann ich nicht, ohne vorher dem genius des mannes zu huldi- gen, der was ihm an tiefe der forschung oder strenge der gelehrsamkeit ab- gieng, durch sinnvollen tact, durch reges gefühl der wahrheit ersetzend wie manche andere auch die schwierige frage nach der sprache ursprung bereits so erledigt hatte, dafs seine ertheilte antwort immer noch zutreffend bleibt, wenn sie gleich mit andern gründen, als ihm dafür schon zu gebot standen, aufzustellen und zu bestätigen ist. ÜBER DEN LIEBESGOTT. von herrn JACOB GRIMM. [gelesen am 6. januar 1851.] res anderthalb jahren entwarf uns in behenden, gedrängten zügen, wie er sie zu liefern pflegt, Gerhard den griechischen Eros, denen ich wenig an- zufügen oder abzubrechen hätte, läge mir nicht im sinn, die dabei ganz zur seite gelassenen vorstellungen anderer völker, namentlich unsers eignen alter- thums vorzuführen und nachzuholen; es zieht an ihre einstimmung zu ge- wahren und kann sein, dafs ihre beschaffenheit auch auf den griechischen mythus einiges licht fallen lasse und ihn näher entfalten helfe. Ich unter- scheide mich aber von meinem vorgänger wesentlich darin, dafs mir gar keine bildwerke zur stütze dienen, deren reiche fülle ihm allenthalben handhaben darbot: denn kaum gibt es überhaupt altdeutsche götterbilder, und den längst verschollnen gott, welchen ich neu aufrichte, muste ich, wie man sagt, erst wieder mit nägeln aus der erde graben. Aber gleich den philologen, die gar nichts ohne noten schreiben, können die griechischen archäologen keine abhandlung geben ohne bilder, und doch, dünkt mich, würde ein ideal sprachlicher und mythologischer untersuchung eben alle anmerkungen und bilder schon entbehren. die bildende kunst ist verführerisch, und wenn sie anfangs unbeholfen auftrat, getreu am typus haftete, geht sie allmä- lich ihrer macht sich bewust werdend ganze schritte über ihn hinaus und mehr einer wolgefälligen schönheit der gestalten nach. dort erreicht sie den gehalt des mythus nicht, ohne ihn zu entstellen; hier will sie ihn abändern und für sich gerecht machen. auch die dichter schalten nach willkür, allein der durch das ohr zum geist dringenden poesie steht eine ungleich freiere macht des ausdrucks zu gebot als der stumm ins auge fallenden kunst und ihre quelle fliefst sowol voller als lauterer. Es soll damit ungesagt sein, dafs wir nicht eifrig aus den blühenden werken der kunst wie den minder anschaulichen der poesie zu schöpfen hätten; am aller wenigsten wollte ich meiner vielleicht 142 Jaıcog Grimm nur unbefriedigenden, stückhaften untersuchung aus dem nothgedrungnen abgang aller bildlichen darstellungen und jedweder sonst hier verschwende- risch dargereichten augenweide gar einen vortheil bereiten. Plato hat in einem seiner geistreichsten und gewandtesten dialoge, im gesellschaft 8 von freunden war verwundert, dafs unter allen göttern allein Eros unbesun- symposium das wesen des Eros unvergleichlich besprochen. eine gen und ohne preis bleibe; man kam überein, jeder nach der reihe solle auftreten und ihm die lobrede halten. Zuerst spricht Phaedrus und führt aus, Eros sei einer der gröfsten und ältesten götter, den Hesiod alsogleich hinter dem chaos neben der erde nenne, er treibe und feuere alle we- sen an. Pausanias besteht darauf, dafs man zwei Erote, den himmlischen und gemeinen zu unterscheiden habe, wie es eine himmlische und ge- meine Afrodite gebe (1). Ilavsaviov d& mauranzvov, heifst es wortspielend, soll Aristophanes reden, der aber eben vom schlucken befallen wird und dessen stelle Eryximachus einnimmt, er trägt vor, dieser doppelte Eros walte in allen dingen der ganzen natur, wovon manche sinnreiche anwendung ge- macht wird; nun hat des Aristophanes schlucke nachgelassen und der redner verdeutlicht des gottes grofse macht durch eine sagenhaft klingende fabel von drei menschengeschlechtern, die anfangs vorhanden gewesen, einem männlichen, weiblichen und mannweiblichen, deren seltsame gestalt ge- schildert wird, die aber Zeus unter Apollons beistand umgeschaffen habe, bei welchem anlafs dann die leidenschaft der liebe entsprungen sei. Auf diese wunderbare erzählung folgt Agathons gelungne rede, die nicht sowol des gottes einflufs und wirkung sondern ihn selbst darstellen will als den schönsten, seligsten aller, den jungen, zarten, allerzeugenden gott, der den menschen friede, dem meer stille, den winden ruhe schaffe, er sei xagırwv, Imegou, moS9ou warn, alle zuhörer stimmen diesem beredten preise laut bei. Endlich erhebt sich Sokrates, der nicht eigentlich seine meinung zum besten gibt, vielmehr hinterbringt, was ihm einmal die weissagerin Diotima mitge- theilt hatte. weder schön und gut sei Eros, weder gott noch mensch, son- dern zwischen beiden stehend ein daemon, kein seliger gott, weil ihm ja das gut mangle, göttlichkeit mangel ausschliefse. Diotima erzählt eine sage (') vom himmlischen Eros leitet er die liebe zu verständigen jünglingen ab; man ver- gleiche über den gegensatz der frauenliebe und knabenliebe die reden des athenischen Charikles und korinthischn Kallikratides in Lucians Amores. über den liebesgott. 143 von Eros erzeugung am geburtsfest der Afrodite, als Penia sich dem meth- trunknen Poros zugesellt habe, Eros sei darum ewige sehnsucht nach un- sterblichkeit. Sichtbar ragen unter allen gehaltnen reden die beiden des Agathon und Sokrates hervor, eben hat dieser geendet, als man klopfen an die thür vernimmt und Alkibiades angetrunken eingelassen wird. er kommt plötzlich, ja aufser sich und bekränzt den Agathon, dann zwischen Agathon und Sokrates niedersitzend zieht er von Agathons haupt wieder blumen und zweige, mit ihnen auch Sokrates zu bekränzen. Nun beginnt das trinkgelag von frischem und an Alkibiades ergeht die aufforderung seinerseits Eros zu preisen, er aber will den Sokrates preisen und beginnt eine kühne rede, die erhebende ohne zweifel historische züge des mutigen, standhaften betragens einflicht, welches zur zeit des feldzugs Sokrates an Alkibiades seite beobach- tet hatte: damit endet das gastmal. man kann sich keinen edleren übergang aus den gedanken einer geistigen betrachtung in die verhältnisse des wirkli- chen lebens denken und gegenseitig müssen beide sich dadurch erheben und erhöhen. Aber auch im Phaedrus redet Plato merkwürdiges und tiefsinniges von dem wesen des Eros, indem er die natur der geflügelten seelen darstellt, die sich zu den göttern empor schwingen: einem theil derselben fällt ihr flügelpaar ab und sie kehren zum irdischen leib zurück, nähren sich auf dem felde der wahrheit und gewinnen neue flügelkraft, um nach verlauf von vie- len tausend jahren wieder gen himmel auf zu steigen. in solchem irdischen zustand beginnen ihnen nun beim anblick der schönheit die neuen flügel schmerzhaft zu keimen und auszubrechen, wie bei dem zahnenden kind die zähne; die erinnerung an das einmal angeschaute göttlich schöne erwärmt und beseligt sie, diese empfindung, diefs süfse durchdringen heifst iueges. zwei von den Homeriden überlieferte gedichte nennen den Eros selbst aus solchem grunde Ilregws, was sie so ausdrücken, dafs der von den menschen als Eros bezeichnete gott in der eignen göttersprache Pteros, der geflügelte heifse: Yy y Er N} Tov Ö’ Aroı Suyrol uev 'Eowra Kadoucı moryvov, aSavarcı de Iregwra, dıa mregoburog avayan. nicht also von den philosophen, schon von den dichtern war die ansicht ausgegangen und fragen dürfte man wenigstens, ob es möglich sei, das wort egos (liebe) und egauaı überhaupt als kürzung einer volleren form zu betrach- 444 Jacos Grimm ten, welcher ein abgefallener anlaut vr oder rer gebührt habe? über verwe- gen wäre doch etwa lat. äla zu deuten aus ptala und dem skr. patatra, gr. zregev, ahd. fedara zu nähern, da es richtiger aus axla axilla zusammenge- drängt wurde. wir wollen nachher eine bessere erklärung von egancı finden. Abgesehn vom ursprünglichen sinn des wortes ist aber festzuhalten, dafs Eros das göttliche kennzeichen der flügel vorzugsweise in anspruch nimmt. und damit die vorstellung geflügelter, ausfliegender seelen, die vom liebesgott fast unzertrennlich sind, seit ältester zeit zusammenhängen mufs. Zwar soll nach einer scholie zu Aristophanes seine in gut attischer kunst all- gemein anerkannte beflügelung erst um ol. 60 von einem bildhauer Bupa- los (!) eingeführt worden sein, welches zeugnis doch hier nichts entscheiden kann, da die wenn immer an dieses meisters bildwerken zuerst wahrgenom- menen flügel sonst weit früher bekannt gewesen sein dürfen. Auch Properz II. 2,1 weifs den erfinder nicht, dessen arbeit er anerkennt, quieumque ille fuit, puerum qui pinxit Amorem, nonne putas miras hunc habuisse manus? hic primum vidit sine sensu vivere amantes, et levibus curis magna perire bona. idem non frustra ventosas addidit alas, fecit et humano corde volare deum. (?) sehnsüchtiger ruft Tibull II. 2, 17 den Amor heran utinam strepitantibus advolet alis, von dem Moschus sagt 1, 16 mregosıs ws egvis Edirraraı aAAoT Em aAAcus, und noch der archipoeta unsers mittelalters valet et duplieibus semper plaudit alis Amor indeficiens, Amor immortalis; unter allen menschlichen leidenschaften ist keine, die der flügel mehr be- gehrte und bedürfte als die liebe, wenn ich ein vöglein wär, flög ich zu dir, und vögel sollen die botschaft liebender tragen, das reicht über alle olym- piaden hinaus, was kümmert mich jener scholiast? (') dem man noch anderes aufgebracht zu haben nachsagt. Pausan. IV. 30. 4. (?) vgl. hierzu Eubulus bei Athenaeus lib. 13. p. 562. über den liebesgott. 145 Ein andrer für meine untersuchung entscheidend werdender umstand tritt hinzu, auf welchen Plato freilich nicht hinführte, den aber genug zeug- nisse unzweifelhaft lassen. Eros mufs zwar überall als sohn der Afrodite, zugleich aber des Her- mes betrachtet werden, deren beider vereinigung, wie der name des herma- froditen an sich lehrt, jene auch in Platons erzählung vorbrechenden androgynischen vorstellungen herzu ruft. Näheres darüber zu sagen, könnte nur in einer abhandlung der Afrodite selbst versucht werden, auf welche ich hier nicht eingehe. Aber Eros ist, wie Gerhard mit vollem recht aufstellt, eine dem Hermes durchaus entsprechende, beinah ursprünglich gleiche gott- heit. denn auch in Hermes wohnt schöpferische kraft, wie er wird Eros in pelasgischer weise als roher stein verehrt, und ist gleich ihm ein hirtengott, der als götterbote nieder zur erde steigt. Nun aber sind wiederum flügel an achsel und füfsen vor allen andern göttern dem Hermes beigelegt und schon indem wir ihn uns mit Eros innig verwandt und gleichartig darstellen, dür- fen wir gar nicht anstehn dem vater wie dem sohn beflügelung als wesentlich zuzuerkennen. Eros und Hermes sind schnelle boten durch die lüfte, Eros von Afrodite, Hermes von Zeus entsandt. Bevor ich weiter schreite, soll noch einmal auf die schon angedeutete, von Plato ausgesprochne ansicht zurück gelenkt werden, liebe sei eigentlich erinnerung (dvauvnsıs, wyyun) der seele an die früher angeschaute göttliche schönheit, demnach mit ueves, mens unmittelbar verwandt. Wer sieht nicht, dafs wort und vorstellung der griechischen sprache hier ausdrücklich denen der unsrigen begegnen? minna bezeichnete unserm alterthum nicht nur erin- nerung, andenken (!), sondern auch die ganze leidenschaft der liebe, und (') das unablässige sinnen und trachten der minne drückt Properz III. 25, 7 treffend aus durch instare: instat semper Amor supra caput, instat amanti et gravis ipsa super libera colla sedet, weshalb auch, da sie ihren gegenstand nie aus dem auge verliert und alles andenken für unauslöschlich gilt, für oder gegen sie kein eidschwur nöthig, kein meineid strafbar ist. Freidank sagt 99, 4. minne nieman darf verswern, si kan sich selbe än eide wern. des meineids liebender statthaftigkeit bezeugt Pausanias in Platons convivium 183: vs ye Azyouaı ol moAAd, Or1 zul ouvuvri Aovw SUyyvWlan magd Seav Eravrı rov Ogzov. abaodısıov Philos.-histor. Kl. 1851. 1; 146 Jıcos Grimm noch die dichter des mittelalters säumen nicht uns frau Minne als ein persön- liches, der liebe vorstehendes, die liebe weckendes, die herzen bindendes wesen aufzuführen (!); wer den liebesgott als ihren sohn, wie Eros der Afro- dite fassen und dem sohn alle eigenschaften der mutter einräumen wollte, könnte nicht irren, auf diesem punct rinnen mutter und sohn ganz in einander. In einer schönen stelle des wolframischen Titurel 63 heifst es geradezu: fliuget minne ungerne üf hant, ich kan minne locken, d.h. sie erscheint als fliegender vogel, den man heran lockt (dafs er mit den flügeln rauschend schlage), oder selbst als beflügelt, und nicht anders werden ihr sper, lanze, pfeil oder stral, mit welchen sie, mutter wie sohn, die men- schen verwunde, zugeschrieben. Wenn aber ebenda auch die naive frage gestellt wird: minne ist daz ein er, ist daz ein sie? oder im gedicht von Mai 64, 26: ist minne wip oder man? so gemahnt mich das an des Sokrates frage (sympos. 199) moregov eo rı TOLOUTOG clos eivaı Tıvos 6 "Epws Egws, N oldevesz ei Hnrgos wos margos &rrı; die fragenden wusten nicht, wie sie das geisterhaft niedergeflogene wesen auffassen sollten, männlich oder weiblich? darum gilt Eros für einen zwitter. Nicht anders als frau Minne auf denken und sinnen ist auch ein gött- liches wesen altnordischer mythologie, welcher sonst der frauenname Minne abgeht, einleuchtend auf dasselbe seelenvermögen zu beziehen. denn aufser Freyja, der grofsen liebesgöttin und Frigg der göttermutter, deren benen- nung zum goth. frijön amare, skr. pri, sl. prijati fällt, zählt die edda unter den göttinnen auch eine Siöfn her, die alle herzen zur liebe reize. nun heifst siöfn zugleich braut, siafni bräutigam, freier, bule, und diese wörter hän- gen doch zusammen mit sefi, ags. sefa, alts. sebo mens, animus, insofern sefan söf, goth. safjan söf= sapere, intelligere aus einem ältern sifan saf, siban saf abstammt, da siöfn und siafni nothwendig ein goth. sibna (wie goth. ibns ibna =altn. iafn iöfn) fordern. hierdurch würde zugleich ein übergang gewonnen auf die dem wort und der sache nach verwandte, doch von Siöfn yag dgzov oV das eivar. ganz wie ein dichter des mittelalters den bulern zu lügen er- laubt. Hätzlerin LXVII. (') vgl. DM. 846. 848, allegorische gedichte schildern ihre burg und ihr gefolge; aber auch in der heimischen heldensage treten frau Minne und Sigeminne auf, im wald und im meer wohnen waltminnen und merminnen, DM. 404. 405. 455. Minna als frauenname bei Dronke n.607 und Minne MS.1, 142. über den liebesgott. 447 unterschiedne göttin Sif; das goth. sibja, ahd. sippa, ags. sib bedeutet freund- schaft, folglich liebe und sifi, ahd. sippo einen freund oder verwandten, ganz wie freund zu frijön, amicus zu amare gehören, weshalb auch ans ahd. seffo satelles (Graff 6, 169.) erinnert werden darf. Einen männlichen lie- besgott könnte sogar Freyr neben Freyja darstellen (!), in der ganzen nor- dischen sage ist aber keine spur weder eines sohns jener göttinnen, dem die liebe als amt übertragen sei, noch andrer erotischer genien, es müsten sich denn über die älfar neue aufschlüsse ergeben. das mannweibliche bricht doch vor in dem doppelnamen Freyr und Freyja. Diotima hatte guten grund, von den göttern Eros auszuschliefsen und als daemon zu bezeichnen. in der götter reihe wäre er das einzige kind und schon darum kann er als solches nicht den rang mit ihnen theilen, in seiner natur liegt deutlich etwas elbisches. gleich ihm führen unsere in schönheit glänzenden elbe ein geschofs, mit dem sie gefährlich verwunden, und zur elbkönigin verhalten sie sich wie Eros zur liebesgöttin, seiner mut- ier, dazu stimmt treffend, dafs eine ganze rotte nackter liebesgötter, eine turba minuta, nuda gedacht werden (*), und das elbische geschlecht schon darum geflügelt vorzustellen ist, weil es in die gestalt der schmetterlinge übergeht. auf diesem grund empfängt auch der liebliche, von Apulejus warm erzählte, noch in unsere kindermärchen lebendig herabreichende my- thus von Amor und Psyche sein rechtes licht, es ist der bund zwischen Eros und der sehnenden seele; selbst Augustin läfst die seele mit ihren flügeln sich zu gott aufschwingen: quisquis dilexit deum, animam habet pennatam liberis alis volantem ad deum, was ein christlicher prediger des mittelalters näher ausführt (?). hier stehn wir unmittelbar an jenen platonischen seelen. die sich zur ewigen schönheit zurück sehnen und die irdische liebe ist zur geistigen, himmlischen verklärt: darum eben gab es einen doppelten Eros, den gemeinen und den himmlischen, und des Eros anschlufs an Hermes, (') wobei des Fricco simulacrum ingenti priapo fictum (deutsche myth. 193. 1209.) von gewicht ist, und Ig«ros von der wurzel pri. (*) Propertius 3, 24. bei Ovid aber met. 10, 515 heilst es von einem neugebornen kinde: qualia namque corpora nudorum tabula pinguntur Amorum talis erat. Ein mhd. dichter läfst sogar frau Liebe als kind gemahlt werden (Diut. 2, 104.) (°) Haupts zeitschrift 7, 144. T2 148 Jaıcos Grimm der die seelen geleitet findet sich auch von dieser seite bestätigt. Immer aber erscheint Eros nicht selbst als hoher gott, nur als ein geistiges, von den göt- tern gesandtes und die menschen zu ihnen heimführendes wesen. griechischen die römische mythologie in dem umfang dieser vorstellungen wenig oder Man hat gemeint und ausgesprochen, dafs gegenüber der nichts eigentliches aufzeige, ihre personificationen Cupido und Amor gera- dezu den Griechen abgeborgt und nachgeahmt seien. Der römischen Venus ist man wol genöthigt, aufser ihrem unentlehnten namen auch noch manches besondere zu lassen, was sie vor Afrodite auszeichnet, wovon hier nicht kann geredet werden. Ich behaupte, dafs auch Amor und Cupido, wie bereits ihre altlateinischen namen verbürgen, altrömischen ursprungs waren, wenn gleich mit der einreifsenden griechischen literatur dieser entwandte vorstellun- gen auf sie übertragen worden und nun verdrängten oder trübten, was sich bei den Römern besonderes gefunden hatte. dahin wäre ich geneigt aufser anderm einzelne über Amors bewafnung mit bogen und pfeil zu rechnen, zu- mal den unterschied seines goldnen und bleiernen geschofses, welche liebe wecken oder scheuchen (!), was ich bei den Griechen nicht finde, die den Eros zwar öiduua re&a Yapırwv spannen lassen, deren eins aber lebensglück, das andere unheil bringt und die der auszeichnung durch die metalle entbeh- ren (?). unsere mhd. dichter folgen der römischen weise, und auch bei Veldeck, welcher Virgils zwölftes buch durch die ausgesponnene liebesge- schichte sehr erweitert, schiefst Amor mit goldnem und bleiernem ger (En. 9947. 10053); Wolfram legt Parz. 532 dem Amor den ger, dem Cupido die sträle bei, doch im Wigal. 830 führt Amor die sträle und den brand. Veldeck läfst (9884) die Venus mit einer scharfen sträle schiefsen. Amor und Cupido sind brüder (En. 9993) (?). Nach Tibull IH. 1, 67 soll Amor, (') Ovid. met. 1, 468: eque sagittifera prompsit duo tela pharetra diversorum operum: fugat hoc, facit illud amorem. quod facit auratum est, et cuspide fulget acuta, quod fugat obtusum est, et habet sub arundine plumbum. (?) Eurip. Iphig. aul. 549, die worte werden aber bei Athenaeus lib. 13 p. 562 auch dem Chaeremon zugeschrieben, von dem sie vielleicht Euripides entlehnte. (°) der werde got Amür, der süeze got Amür. MS. 2, 198°. 199°. der Minnen sträle MS. 4, 60°, sonst auch strik und bant. MS. 1. 60°. 61°. Gerhart 3043. 64. 2, 54. 3, 53. diu Minne vert en sprunge. Herb. 2538. über den liebesgott. 149 auf ländlichem gefilde geboren (!), seine pfeile zuerst gegen das wild ge- braucht, hernach auf die menschen gewandt haben. Cupido nun steht zunächst dem griechischen Pothos, dem gott der sehnsucht, der trauer und des süfsen verlangens (?), unsern minnesängern heifst die liebe überaus häufig diu senende nöt, die senende sware oder sorge, ein liebender heilst senedre, ich glaube, dafs zu diesem der älteren wie der volkssprache abgehenden senen sich das altn. sakna, schwed. sagna, dän. savne desiderare halten, also ein ahd. sachanian, sahnan sehnan voraus setzen läfst. wie Cupido von cupio ist IleScs von roSew gebildet, und schwer- lich, was man vorgibt, ein samothrakisches wort, da es sich ungekünstelt zu Faryw Emadov merovIa verySa maSos mevSos fügt (°), alle diese wörter, gleich dem lat. patior, leid und sehnsucht ausdrücken. nach Athenaeus führte auch eine auf gräber gepflanzte blume den namen 709os, etwa wie heute noch die alchemilla vulgaris den eines trauermantels. bei Bopp 208° heifst die den Indern heilige, zu vielen gebräuchen dienende seeblume (nym- phaea nelumbia) padma, und von ihr Lakschmi, die göttin der schönheit Padmä, was wiederum auf Sigeminne und Minne als seeblume, nix blume (DM. 457) führt. Wie aber Amor? hier liegt die wurzel amare offen, und ich möchte mit Amor das noch unaufgeklärte iusges verbinden, das Pindar ganz für &gws setzt. unbefugt nemlich scheint mir dessen zusammenstellung mit dem insel- namen "Iußges, die nach Stephanus dem Hermes heilig war. in iuegos ist der alaut abgeschwächt, und ütuegos, unbeschadet des kurzen e vor dem 7, würde sich unmittelbar zu amor stellen, dem zwar das reine a geblieben, die an- lautende gutturalis dagegen, von welcher im gr. wort noch der spiritus asper übrig scheint, abgestreift ist. amor müste demnach in chamor oder camor vervollständigt werden, wie vielen lat. wörtern der anlaut c verloren ge- gangen ist. Bopp hat längst gelehrt, dafs das lateinischen amo und amor aus camo und camor entsprungen sind, womit auch unsrer mythologischen betrachtung (') pervig. Ven. 76: ipse Amor puer Dionae rure natus dieitur. hunc ager, cum parturiret ipsa, suscepit sinu, ipsa florum delicatis educavit osculis. (2) yrvzüs odous 6 ou moSou Öazvsı. Luciani Amores cap. 3. In ’ ” Q y (?) raSos und z:vSos wie QaSos und LevSos. 450 Jıcos GrımM sich ein weiteres feld öfnet. amare entspricht also dem skr. kam desiderare, velle, amare, und sobald man eärus aus camrus (wie n0005, noüges aus kamära puer) herleitet, zeigt uns carus auch den erhaltnen, in amare und amor ab- gelegten kehllaut. Amor wird folglich vielleicht für Himeros, sicher für Camor genommen werden dürfen. Im sanskrit aber bedeutet das subst. Käma, mit verlängertem a, nicht nur amor, cupido, desiderium, voluntas, sondern unmittelbar einen persönlichen liebesgott, welcher zugleich den na- men Kandarpa führt, von darpa stolz und derselben wurzel kam, deren m vor dem anstolsenden d sich in n wandelte, gerade wie das abstracte subst. känti desiderium aus kämti erwuchs. Dieser Käma scheint nun freilich noch nicht in den veden als gott aufzutreten; doch im achten veda, der eine mi- schung sehr alter mit neuen bestandtheilen enthält, findet sich die wichtige zu jener griechischen bei Hesiod stimmende meldung, dafs aus des chaos finsternis alsbald Käma, d.i. lust und sehnsucht sich hervorgethan habe. Die gangbaren späteren nachrichten nennen Käma oder Kämadeya einen sohn des himmels und der teuschung, und er wird dargestellt auf einem papagei reitend, ausgerüstet mit bogen von zuckerrohr und fünf oder sechs pfeilen, deren spitzen duftende blumen sind; ob er auch anderes schädliches geschofs entsende, bleibt verschwiegen. flügel scheinen ihm hier unbeigelegt, doch dem fluge kommt das reiten auf dem vogel gleich, wie vor Afrodites wagen ) tauben gespannt sind. von käma und duh mulgens zusammengesetzt ist Kämaduh, der name einer gefeiten wünschelkuh, aus deren euter man alles was begehrt wird melken kann. Zumal gewinnt bedeutung, dafs Vasanta der frühling Kämas unzertrennlicher freund ist, die wonne der blühenden erde trift zusammen mit der liebeswonne, worauf ich hernach zurück komme. Andere namen des Käma, die hier fast nur angeführt werden mögen, sind Ananga der leiblose, Manmatha der herzbewegende, Manöhara der herz- greifende, in beiden letzten liegt enthalten manas mens oder evos, folglich wieder unser minne, die minne, die liebe heifst manöbhava, im herzen ent- sprungen. Rati oder Rati voluptas ist gemahlin des Käma, vgl. das sl. rad lubens, radost laetitia. da auch Kamalä eine benennung des lotus ist, be- stätigt sich vielleicht dadurch was vorhin über padma gesagt wurde. Es ist zeit zu dem deutschen gott vorzurücken, dessen aufnahme, glaube ich, nun von allen seiten vorbereitet sein wird, ich habe ihn längst erkannt, und er trägt den namen Wunsch, d.i. desiderium, voluntas, amor, über den liebesgolt. 151 genau wie dieser begriffe übergang sich im sanskrit erzeigte: die sache hat ihre volle richtigkeit. unsere minnesänger des dreizehnten jh. sind es, was sich gebührte, die neben frau Minne das andenken ihres alten herrn und meisters sicherten; doch haben sie, wie über verabsäumung des Eros bei den griechischen dichtern klage gieng, auch nicht seine macht in der liebe, ie nur seine schöpferische kraft, freilich eine höhere und jener zum grund lie- gende gefeiert. Sie thun es aber in frischen, neu wiederholten bildern und gleichnissen; so oft die höchste menschliche schönheit geschildert werden soll, wird sie als unter seiner hand gebildet und geschaffen dargestellt, der Wunsch hat daran seine gewalt, seinen fleifs gekehrt, seine meisterschaft er- zeigt, das geschöpf ist sein kind, dessen er sich freut, ein wunschkind; seine aue, seine blume, sein kranz, seine wünschelrute werden bei allen anlässen genannt, auch sein gürtel gleicht dem der Afrodite, (') darf es Wunsches blume wieder an Pothos, die sehnsuchtsblume, an Kamala, an Kämas blu- menpfeile mahnen? alle jenen redensarten müssen noch aus tiefem heiden- thum abstammen, damals nur reicher und unverhüllter ausgedrückt worden sein, als es im munde christlicher dichter zulässig war, doch die obwaltende personification läfst sich in den meisten stellen gar nicht verkennen (?). Dafs unter Wunsch wirklich ein alter gott gemeint war, ist schon da- raus zu ersehn, dafs die nordische edda Odins vielen beinamen gerade zu Oski einverleibt, ohne uns dessen eigenheit irgend zu schildern: sie war ihr schon verschollen, der name wurde blofs in der überlieferung fortgeführt. die schwache wortform Oski begehrt ein ahd. Wunscio, Wunsco oder mhd. Wünsche, statt deren die starke angenommen war, der altn. Oskr entspre- chen würde, wie als weiblicher name Osk vorkommt. ältere denkmäler könnten solche abweichungen leicht ausgleichen. Wie gesagt erscheint nun Wunsch, und das ist uns hier hauptsache, da auch Eros die schaffende, welterhaltende, fortzeugende kraft ausdrückte, soviel sich jetzt entnehmen läfst, nicht als gott der liebe, obgleich noch in deutlichem bezug auf die schönheit der gestalt, sondern als schöpfer und ausflufs des höchsten aller götter, wofür sonst unsern vorfahren Wuotan, der dem griechischen Hermes gleichsteht, galt. Hermes heifst durwe, wuo- (') Wuntzgürtel in Karajans Wiener gültenbuch s. 192°, wie der Minne gewalt und kranz zusteht, Neifen 7, 1. 8, 30. Tit. 3349. 3363. (?) gesammelt sind sie DM. s. 126-131. 152 Jaıcos Grimm tan Gipicho (von göpan), der alles was man wünscht gebende und eine menge begabter wünscheldinge gleichen jener indischen Kämaduh. Der Wunsch hat aue und hain gleich Wuotan an vielen orten und wie dem Eros ein hain zu Leuktra beigelegt wurde. Wuotan ist ferner, nicht anders als Eros, ein wehender, säuselnder gott, Biflindi, die zitternde, sich bewegende luft selbst. Hier bestätigt sich nach allen richtungen das oben erkannte unmittel- bar nahe verhältnis zwischen Hermes und Eros, die einander vertreten kön- nen wie Wuotan und Wunsch. Hermes und Eros erscheinen vorzugsweise geflügelt, kaum zu zweifeln ist, dafs auch Wuotan im höheren alterthum so dargestellt wurde: seit das reiten auf rossen den götterwagen vertrat, dachte man ihn sich durch die luft reitend, zu pferde fliegend, auf geflügeltem ros oder wie den indischen Käma auf einem vogel. durch die luft geleiten ihn schöne kriegsjungfrauen, die nun wunschkinder, wünschelfrauen, öskmeyjar heifsen, einigemal in gestalt von schwänen, als schwanjungfrauen erscheinen, von deren liebesbund mit helden die sagen wunder berichten. nicht zu übersehn aber ist, dafs solchen schwanfrauen ausdrüchlich prä, d.h. trach- ten und sehnen beigelegt wird, sie sehnen sich von den menschen zurück in ihre heimat und entfliegen dahin. die entfliegenden schwäne sind dem- nach jene seelen bei Plato, die geflügelt sich zu den göttern erheben, nach- dem sie eine zeit lang sehnsuchtsvoll auf erden geweilt hatten. diese seelen ziehen im geleite und heere Wuotans durch die luft, welches heer im verlauf der zeit als ein wildes und wüthendes dargestellt wurde, aber elbische, dae- monische, erotische schaaren mit sich führt: die ausgelassenbeit der elben- reigen und endlich sogar der hexentänze hat darin ihre volle gewähr. Allen solchen vorstellungen schliefst sich Hermeswuotan, der psycho- pomp und götterbote an, dessen »ngUreiov unsre im volksglauben lebendig fortgehegte wünschelrute oder wünschelgerte ist, des Wunsches stab, eine baßdes &rBeu mai mAcurev, ja des Eros glück oder unheil sendender pfeil wird damit zusammengestellt werden dürfen. Diefs geschoßs heifst aber ausdrücklich ro&ev xagirwv, und wiederum weist das prächtige haar, welches Hartmann “'här dem Wunsche gelich’ nennt, bedeutsam hin auf bezüge der Chariten oder Gratien zu Eros, deren Plato gedenkt, auf Homers zouaı xagırersıv öueieı, ich lese auch bei Lucian (pro imag. cap. 26) xounv rais Kagııw arsızare, es wird sich schon nachweisen über den liebesgolt. 153 lassen, dafs Eros und Afrodite, wie sie selbst durch die zierde der locken geschmückt sind, auch ihren günstlingen liebreizendes haar bereiten. Des Eros einflufs auf die menschen ist endlich auch eine gewalt über die leblose natur, eben aus jener hohen allgemeinen göttlichen gabe ent- springend und abzuleiten, an die seite zu stellen. Wie den menschen friede, schaft er dem meer stille, den winden ruhe, reraysı ö& yaryurv, vnvenlav avduwv, die auch Afrodite den schiffenden sendet (!). Dazu stimmt, dafs Hnikar, eine andere personification Odins den segelnden, sobald er in ihr schif ge- treten ist, allen meeressturm stillt und sänftigt, der günstige, schiffart för- dernde wind bezeichnend Wunschwind, Oskabyr genannt wird, byr, buri der sich hebende. Ebenso erfolgt augenblickliche ruhe des gewässers, wenn der finnische gott Väinämöinen, dessen nahen bezug auf Wuotan und Eros ich hier andeute, nicht ausführe, die wogen durchwandelt, denn von su- vanto der wasserstille führt er den beinamen Suvantolainen und die uarazıa oder yaryın heifst den Finnen Väinämöisen tie, Väinämöinens weg oder pfad. Doch habe ich bei unsern deutschen dichtern noch keine voraus zu setzende anwendung des göttlichen Wunsches auf das hervorbringen des frühlings entdecken können, wie der indische Käma und Vasanta eng verbunden schei- nen und Eros im neuen lenz der erde besamer ist. Da das wort wunsch, ags. vysc, engl. with, altn. ösk durch alle heu- tigen deutschen sprachen läuft und nur der eigenheit jeder derselben ange- messene änderungen erleidet, mufs es auch in der gothischen erwartet wer- den, unsere bruchstücke des Ulfilas hatten nirgends ein #09cs zu verdeutschen und man wird der glaublichen form vunsk nicht sicher. selbst die buchsta- ben nsk erscheinen in keinem goth. wort verbunden, widerstreben aber die- ser mundart ganzen weise nicht. Ich bin darauf verfallen, das ahd. wunse saudium unterzule- 5 gen; in vielen andern wörtern reihen die vorstellungen wonne, freude, lust zu fassen als wunisc, d.h. ihm wunna, wunia deliciae, und liebe an einander. da nun für wunna die goth. sprache vinja sagt, wäre ihr auch vinsk gerecht, wodurch sogar die vorherschende ags. schreibung visc und das engl. wish bestätigt werden könnte, während für das z in wunsc das nordische o in ösk zeugt. Indessen bietet auch das sanskrit mehrere sich vielleicht verwandte ausdrücke für den begrif des wunsches dar. einmal - Ey 27 er ’ x ’ . . (%) RUTTS, ollacı, TS Seo) Aumaroe yaryım mosmosroAousns 70 ozacbos. Luciani Amores cap. 11. Philos. - histor. Kl. 1851. U 154 Jaıcos GrımM bedeutet isch desiderare, velle, ischt desiderium, wozu Bopp das gr. mociT- row, selbst das von mir anders gedeutete duegos, gleichsam iruegos gehalten hat. wiederum ist ischja ver optatum, ersehnte frühlingszeit. Da auch eine andre wurzel vas desiderare, optare, vasa voluntas, uäi desiderium ausdrückt, möchte ich nach sich oft ereignendem wechsel des $ mit reinem s(!), jenes schon einigemal angeführte vasanta frühling, folglich das lat. ver veris für 8 ves vesis, gr. &@g &agos heranziehen und wirkliche verwandtschaft zwischen 8 &ag und Edos, "Egws ahnen lassen, wie die mythischen begriffe Käma und Va- santa einander begegnen, wobei auch das goth. vis malacia zu erwägen wäre; doch aller berührung der buchstaben von "Egws und Ilregws müste entsagt werden. Noch aber ist das skr. unserm wunsch zu allernächst stehende wort unangeführt. die wurzel kam, sahen wir, drückte aus amare, desiderare; aulser dem weiter gebildeten kängks$ desiderare, känghä desiderium, welche ich ihr zuführe, und deren n für m aus einflufs des nachfolgenden kehllauts erkläre, wie es in känta amatus vor dem 7 eintrat, finden sich auch noch väntschh oder vängksch desiderare, väntschhä desiderium, dessen unmittel- barer zusammenhang mit wunsch ins auge fällt. liefsen sich aber vängksch mit kängksch identifieiren, so würde am ende auch wunsch der wurzel kam zuzusprechen sein und dann die einheit zwischen Amor, Käma und Wunsch noch klarer. Wie Oski ein beiname Odins war, sehen wir diesem in der edda au- fserdem einen bruder Vili zugesellt, welcher deutlich Wille, ahd. Willo, goth. Vilja voluntas und voluptas ausdrückt, also da wünschen und wollen dasselbe sind, beide begehren oder lieben enthalten, der vorstellung des persönlichen Wunsches genau entspricht (?), so dafs gleich Wuotan und Wunsch den Römern Amor und Cupido, den Griechen Himeros und Pothos identisch neben einander treten. Vili der gott ist demnach nichts als Wuo- tans eigner ausflufs und dem Wunsch völlig überein gedacht, sein blofses (') z.b. in skr. ansa und ansa (goth. amsa, lat. umerus, humerus f. umesus, gr. öuos f. ös1os = ouros) oder in skr. asru und asru lacrima. (?) DM. 1198 wurde gezeigt, dafs unser alterthum den jagdhunden die namen heidni- scher götter beilegte, in welcher beziehung ich geltend machen darf, dafs Helbling 4, 441. einen hund Wunsch, Hadamar von Laber 289, und nach ihm Altswert 176, 23 einen hund Wille vorführen. über den liebesgoltt. 155 dasein im mythus verbürgt uns von neuem den auch in Wuotan enthaltnen begrif der allmächtigen liebe. Meine untersuchung nimmt in anspruch nicht nur in unsrer heimischen mythologie zum erstenmal liebesgötter aufgestellt, sondern auch nachgewiesen zu haben, dafs in Eros, Pothos, Himeros, Amor, Cupido, Käma, Wunsch und Wille eine und dieselbe gottheit des liebens, begehrens, denkens, minnens, trachtens und sehnens walte, mit welchen ausdrücken unsre dichter die vom gott angefachte, aus trauer in Just, aus lust in trauer übergehende leidenschaft zu bezeichnen pflegen. von der liebe schöpferischer kraft wird des men- schen seele gleich der ganzen natur aufgeregt und beruhigt. Diese vorstel- lungen treffen wir unter allen völkern fast in der nemlichen weise entsprun- gen an, und dabei bald auf die eine, bald auf die andre seite das gewicht gelegt. im Eros war das lieben, in unserm Wuotan das schaffen hervorge- hoben, doch nicht ohne dafs auch bei jenem die allgewalt der schöpfung ('), bei diesem die liebliche schönheit und anmut unverhalten ausbrächen. der liebe und sehnsucht waren, wie der trachtenden seele die flügel von selbst gewachsen, ja man sagt, dafs aufser dem wunsch auch das verwünschen, die imprecation, der fluch unaufhaltsam in die luft steigen oder in die höhe fliegen. Vor der lichten anschauung des göttlichen wie des irdischen bei Plato sahen wir fast alle erotischen vorstellungen schon in ihrer fülle erschlossen oder im keim angedeutet. Schwer gelungen sein möchte es irgend einem werke bildender kunst auch nur einen geringen theil derselben klar in sich zu fassen, und wie die dichter diese gottheit sollen vernachlässigt haben, hat kein versuch sie bildlich darzustellen genug gethan. Denn nicht allein das nothwendig scheiternde bestreben jenes androgynische verhältnis leiblich auszudrücken muste in widernatürlichen, zurückstofsenden darstellungen auf abwege führen, sondern, wie mich dünkt, sind auch aus dem verzerrten bilde ewiger jugend des Eros in eine ihrem begriffe nach unentwickelte, ge- zwungen frühreif gemachte kindergestalt die vielen geflügelten engel her- vorgegangen, mit welchen freilich schon alte bildhauer, noch weit mehr die mahler an der kunst sich versündigt haben (?). ein Eros als sanfter knabe (') bei Athenaeus lib. 13. p. 561 wird Eros nach alten zeugnissen als urheber der freundschaft, der freiheit und des siegs geschildert. (?) Luciani Amores cap. 32: lovov Hılv au, Oaaov olgavıe, zagius TaguorySı, dirlas euyvoaun isgoavrae MUoFRgLWV Eos, OU zuR0v wymıov, Oo gu ygadav maıloucı Aelbes, aAR U2 156 Jacos Grimm über den liebesgott. in entfalteter schönheit oder als zarter albgeist mag uns gefallen, als tändeln- des bausbäckiges kind geht er hinaus über die grenze, die ihm von der ur- sprünglichen idee und von der natur angewiesen ist. a Pe Be sa > x N »Q\ Q/ x ’ E > m \ J ovNM TOWFOTTODOS EIYEVUNTEV RONN> TEAEIOV EUDTU TENTEUTR. SU Yo zE abavous za REYUMEUNS dogibiees 70 av Euogpures. —— ED — Über den ersten A egyptischen (sötterkreis und seine geschichtlich R mythologische Entstehung. ve Han KEPSIVS. namen [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. Juni 1851.] D. Aegyptischen Mythologie ist es in der neueren Wissenschaft ähn- lich ergangen, wie der Aegyptischen Chronologie. Erst hielt man sich nur an die griechischen Berichte, namentlich an Herodot, und blieb daher über den wahren Zusammenhang völlig im Dunkeln, weil die Griechen nur mit einem kleinen Theile jener Götterlehre bekannt waren, und auch diesen nur in später und sehr getrübter Auffassung mitzutheilen vermochten. Dann lernte man die Monumente kennen, die mit einemmale ein so überreiches Material an authentischen und daher unabweisbar wichtigen, aber nur un- vollkommen verstandenen Inschriften darboten, dafs zwar vieles schon beim ersten Anlauf berichtigt und festgestellt werden konnte, zugleich aber eine andere viel ärgere Verwirrung herbeigeführt wurde, an der diese Wissen- schaft noch immer vorzüglich leidet. Daher kommt es zunächst darauf an, in dem reichen Schatze monumentaler Urkunden eine gewisse Ordnung her- zustellen und einige sichere Haltpunkte zu gewinnen. Wer sich zum erstenmale in dem fremdartigen Kreise der ägyptischen Darstellungen umsieht, der wird sich bald durch die Menge der Götter über- rascht finden, denen er schon in ein und demselben Tempel, wie viel mehr an den verschiedenen Cultusstätten des tempelreichen Landes begegnet. Während in den griechischen und römischen Heiligthümern in der Regel nur eine Gottheit verehrt und dargestellt wurde, erscheinen an den Wänden jedes gröfseren ägyptischen Tempels leicht an zwanzig oder mehr Götterge- stalten, denen der König Opfer bringt. Ihre Verschiedenheit ist leicht er- kannt, theils durch die mannigfaltigen Symbole, die sie auf dem Kopfe oder 158 Lersıus über den ersten Aegyptischen Göltterkreis statt des Kopfes zu tragen pflegen, theils durch die stets hinzugefügten Na- men. Viel schwieriger ist es, ihren genealogischen oder mythologischen Zusammenhang zu erkennen, da die begleitenden Inschriften gewöhnlich keine Auskunft darüber geben. Man hat sich daher auch bisher damit be- gnügt, die am häufigsten vorkommenden Götter mehr oder weniger zahlreich in willkührlicher oder doch unbegründeter Ordnung zusammenzustellen und es ist begreiflich, dafs eine systematische oder überhaupt verständliche Über- sicht des ägyptischen Pantheon erst dann möglich sein wird, wenn eine ein- fache Gliederung dieser Göttervielheit erkannt und das historische Princip ihrer Anordnung nachgewiesen sein wird. Dafs eine solche Anordnung wirklich vorhanden war, geht, wenn es überhaupt in Zweifel gezogen werden könnte, daraus hervor, dafs uns die Griechen von bestimmten Geschlechtern oder Kreisen der ägyptischen Göt- ter und ihrer Aufeinanderfolge ausdrücklich berichten. Die Frage ist nur, ob und wie weit sich eine solche Ordnung im Einzelnen nachweisen und durch die Denkmäler bestätigen läfst. Es ist der Zweck der nachfolgenden Bemerkungen, zunächst die Götter des obersten Kreises näher zu be- stimmen und die Gründe ihrer Zusammenordnung, so wie der nach Zeit und Ort erfolgten Abweichungen anzugeben. Bevor Champollion die Denkmäler zugänglich gemacht hatte, konnte man bei allen Constructionen der ägyptischen Götterkreise nur von der be- kannten Stelle des Herodot ausgehen, in welcher er drei Ordnungen und aus jeder einige einzelne Götter anführt. Er sagt im 145. Kapitel des zwei- ten Buchs: „Bei den Griechen gelten Herakles und Dionysos und Pan für „die jüngsten Götter; bei den Aegyptern aber gilt Pan als uralt und wird „zu den acht sogenannten ersten Göttern gerechnet, Herakles zu „den zweiten, welche die zwölf genannt werden, Dionysos zu den drit- „ten, die aus den Zwölfen entstanden. Wieviel Jahre nun von Herakles „nach der eigenen Aussage der Aegypter bis zum Könige Amasis sind, habe „ich früher gesagt; von Pan sollen noch mehr Jahre sein; von Dionysos „aber die wenigsten, nämlich 15,000 bis zum Könige Amasis.” Im 43. Ka- pitel hatte er bereits gesagt: „Von Herakles habe ich gehört, dafs er zu „den zwölf Göttern gehöre” und ferner: „Herakles ist aber den Aegyptern „ein alter Gott, und nach ihnen sind 17,000 Jahre verflossen bis zum Kö- „nige Amasis, seit aus den acht Göttern die zwölf Götter entstanden, zu und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 159 „denen sie den Herakles als einen rechnen.” Endlich führt er noch im 156. Kapitel beiläufig an, dafs die Göttin Leto, welche in der Stadt Buto einen grofsen Tempel hatte, zu den acht zuerst entstandenen Göttern gehörte. Hiernach gab es also eine erste Ordnung von acht ältesten Göt- tern, zu denen der Pan von Mendes und die Leto von Buto gerechnet wurden; eine zweite, von zwölf Göttern, aus der ersten entstanden, zu welcher Herakles gehörte; eine dritte endlich war aus der zweiten entsprungen; zu ihr gehörte Osiris. Der erste Gelehrte, welcher diese Angaben mit den übrigen Nach- richten der Alten über ägyptische Mythologie in Übereinstimmung zu brin- gen und zu einem gröfseren Systeme zu verarbeiten suchte, war der fleifsige und belesene Jablonski. Dieser setzt in den Prolegomenen zu seinem Pantheon Aegyptiorum die Meinung auseinander, dafs die acht ersten Götter des Herodot die Kabiren seien, die nach diesem ein Heiligthum in Memphis hatten, für Söhne des Hephaistos galten, und wie dieser ihr Vater in Pyg- mäengestalt, ähnlich den Phönikischen Patäken, abgebildet wurden; dafür spreche die angegebene Zahl von acht Kabiren, oder „grofsen” Göttern bei den Phönikern. Dieselben acht Götter findet er in den sieben Planeten, mit dem Gotte des Fixsternhimmels als achten, wieder (Prol. p. LXI). Diodor führe gleichfalls, obwohl er die Zahl nicht nenne, acht Götter einzeln auf, welche denen des Herodot entsprechen sollten, mache sie aber mit Unrecht zur zweiten Ordnung. Auch Manetho führe in seiner ersten Götterdynastie acht Götter auf (p. LXVII); von diesen seien aber nur die beiden ersten richtig; „religua pessimi sane commatis censenda sunt;” er wisse nicht, was er von der Sorgfalt, Kenntnifs, Genauigkeit oder der bona fides des- selben halten solle. Eine physische Auslegung der acht grofsen Götter müsse man in den acht Urgöttern wieder erkennen, die von Theo Smyr- 'naeus und in den Orphieis aufgezählt werden und welche von Pythagoras der ägyptischen Lehre nachgebildet worden seien. Als die 4 oder 8 Ele- mentarstoffe erscheinen sie ihm endlich in den Anführungen bei Seneca, Jamblichus, Tertullian u. A. Zu diesen acht ersten Göttern seien später noch vier hinzugekommen, nämlich die Personifikationen der vier Jahres- punkte oder Sonnenphasen, die er in Ammon-Hercules, Horus, Serapis und Harpocrates wiederfindet (p. LXXIV); diese hätten die acht ersten zu den zwölf Göttern der zweiten Ordnung vervollständigt. Die dritte Götter- 160 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis ordnung endlich sei erst in historischer Zeit mit der Einführung der fünf Epagomenen des Jahrs, welche als die Geburtstage des Osiris, Arueris, Typhon, Jsis und Nephthys angesehen wurden, hinzugekommen (p. LXXV); sie habe also vorzüglich diese fünf Götter, von denen Herodot den Osiris nenne, umfafst. Einige von diesen Sätzen wurden bestritten und theilweise berichtigt von dem vielseitig und besonnen forschenden Prichard in seiner Darstel- lung der ägyptischen Mythologie, ohne dafs es ihm jedoch gelungen wäre, eine andre Grundansicht durchzuführen und unsre Kenntnifs des Gegenstan- des auf eine neue Stufe zu heben. Dies konnte erst gelingen, als es möglich wurde, die Denkmäler zu befragen. Champollion hatte kaum den ersten Grund zur Hieroglyphen- kenntnifs in seiner 1822 erschienenen Lettre a Mr. Dacier gelegt, als er sich auch schon der ägyptischen Mythologie zuwendete. Er begann bereits 1823, also noch vor der Publikation seines Preceis du systeme hieroglyphique, sein mit vielen farbigen Abbildungen geschmücktes Pantheon Egyptien. Das Un- ternehmen war aber vorzeitig. Er erkannte dies später selbst, und liefs es daher unvollendet. Dennoch machen ihm diese ersten und gröfstentheils später bestätigten Zusammenstellungen der von den Griechen genannten und auf den Monumenten wiedererkannten Gottheiten alle Ehre, und haben ge- rade deshalb noch immer ihren Werth nicht verloren, weil sich Champollion jederzeit von leerem Schematisiren und allen vorgefafsten Theorieen frei zu halten wufste. Er kündigt daher das Werk auch nur als eine Collection des personnages mythologiques an, und giebt in der That nur einzelne Götter ohne ihre Folge und ihren Zusammenhang begründen zu wollen oder auch nur flüchtig zu besprechen. Auch in seinen späteren Werken hat er nirgends seine Ansichten über die ägyptischen Götterkreise näher dargelegt, obgleich seine in Aegypten genommenen Noten hinlänglich bezeugen, wie sorgfältig er den mythologischen Einzelheiten, die ihm wichtig schienen, nachspürte. Nach ihm gab Wilkinson in seinen Manners and Customs of the an- cient Egyptians nicht nur eine vollständigere Sammlung von Götterbildern und ihren Legenden, als sie früher vorhanden war, sondern auch eine Reihe von Ansichten über das Religionssystem der Aegypter überhaupt nach den Angaben der Griechen (vol. IV, p.185. 227.), und versuchte schliefslich eine Ausscheidung von acht Göttern, die er für die Ordnung der grofsen und seine geschichtlich -mythologische Entstehung. 161 Götter hielt. Er nennt als solche Veph oder Kneph, Amun oder Amun-Re, Phthah oder Pthah, Khem, Sate, Maut oder vielleicht Buto, Bubastis, und Neith. Diodor nenne auch acht Götter; lasse es aber ungewils, ob er die grofsen meine. Die Reihen des Manethös führt er gleichfalls an, versucht aber nicht diese verschiedenen Angaben in Übereinstimmung zu bringen oder zu erklären. Bunsen verkennt die Schwierigkeit der Frage nicht. Er sieht von den spätern Berichten der Griechen ganz ab und hält sich nur an die Denkmä- ler und Herodot. In der Liste, welche Manethös giebt, scheint ihm die ersie Dynastie von sieben Göttern allen drei Ordnungen des Herodot zu entspre- chen, da Osiris der jüngsten Ordnung angehöre; die bei Manethös auf Ho- rus folgenden Götter seien daher von Herodots Gewährsmännern nicht mehr zu den Göttern, sondern zu den Heroen gezählt worden. Der erste Kreis sei aus Gottheiten von verschiedenen Landschaften zusammengesetzt wor- den; zu ihnen rechnet er Ammon und Chnubis aus der Thebais, den Piha von Memphis, die Neith von Sais und den Gott der Thebäischen Panopolis Chem; dazu treten noch Mut oder Leto von Buto, die Genos- sin Chems, Sate, Knephs Genossin, und Ra-Helios, der Gott von Helio- polis im Delta. Als zweite Ordnung der 12 Götter führt er auf: Khunsu, den Sohn des Ammon, Tet (Thoth)-Hermes, den Sohn des Kneph, die Kinder (?) des Ptah: Atmu und Pecht-Bubastis, endlich die Kinder des Helios: die Hathor-Aphrodite, den Mau, die Ma, Göttin der Wahrheit, die löwenköpfige Tefnu, den Munt-Mandulis, Sebak, den krokodilköpfigen Gott, Seb-Kronos und Nutpe-Rhea. In die dritte Ordnung endlich setzt er die Kinder des Seb: Set-Typhon, Osiris, Isis, Nephthys, Aroeris, Horus-Harpokrates, Sohn des Osiris und der Isis, und Anubis, Sohn des Osiris und der Nephthys. Schwenck hat ein besonderes Buch über die „Mythologie der Aegyp- ter” (1846) geschrieben, in welchem er die Angaben der Alten über die einzelnen Götter zusammenstellt, und von Monumenten hauptsächlich das vergleicht, was Wilkinson gegeben hatte. In der Einleitung (p. 41. 42.) be- spricht er auch die Frage nach den Götterkreisen, meint aber, dafs sie sich nicht befriedigend lösen lasse, und überhaupt für Glauben und Kult von (') Äg. Stelle in d. Weltgesch. Bd. I, p. 428 ff. Philos.- histor. Kl. 1851. x 162 Lersıus über den ersten degyptischen Gölterkreis keiner hohen Bedeutung gewesen zu sein scheine; aufser den von Herodot selbst angegebenen einzelnen Göttern lasse sich nicht bestimmen, welche andern Götter in diese Kreise gehört haben. Die $ Elementargötter des Seneca seien nur eine Auslegung der Naturanschauung; auch die Phöniki- schen Patäken bieten keinen Anhalt. Die 12 Götter der zweiten Ordnung seien auch weder mit den Monatsgöttern, noch mit den Göttern der 12 ägyptischen Nomen zusammenzubringen, wenigstens sei es nicht zu beweisen. Ebensowenig stimmen die Manethonischen Reihen mit Herodot; noch be- gegne man endlich diesen sogenannten Götterkreisen auf einem Denkmale in irgend einer erkenntlichen Weise. Er hält also die Frage überhaupt für unlösbar und läfst Alles im Dunkeln. Ganz anders der neueste Bearbeiter der ägyptischen Mythologie, Röth, in seinem ersten Theile der Geschichte der Philosophie, welcher die Aegyptische und die Zoroastrische Glaubenslehre umfafst. Dieser Ge- lehrte stellt ein vollständiges System der ägyptischen Mythologie auf, ver- folgt es in alle Einzelheiten, zieht dabei alle Angaben der griechischen, namentlich auch der späteren philosophischen Schriftsteller in Betracht, sucht es durch eine fleifsige Vergleichung des ihm zu Gebote stehenden hieroglyphischen Materials zu begründen, und setzt es endlich auch mit den Religionssystemen der Griechen und andrer alten Völker in die engste Ver- bindung. Die Ausführung dieses mühsamen Werkes zeichnet sich durch viel Scharfsinn der Combinationen und eine durch gewandte Behandlung des reichen Stoffes gewinnende Darstellung vortheilhaft aus, und es wird we- nigstens die vervollständigte Sammlung und manigfaltige Zusammenstellung des hierher gehörigen Materials von Werth bleiben, wenn sich auch die Mehr- zahl seiner Erklärungen und Vergleichungen als völlig unhaltbar herausstel- len sollten. Es liegt überdies seiner ganzen Darstellung wesentlich die spätere gräcisirte Auffassung der ägyptischen Mythologie und Philosophie zum Ehmak; welche zwar unleugbar eine Fortbildung gewisser schon früh vor- handener ächt ägyptischer Grundbegriife war, aber doch sorgfältig von jener alten Anschauungsweise selbst zu unterscheiden ist. Der unbefriedigendste Theil der Untersuchungen liegt aber in der wenn auch fleifsigen, doch meist auf mangelhafter und abgeleiteter Kenntnifs beruhenden Benutzung der hie- roglyphischen Denkmäler; seine durchgängige Vergleichung der ägypti- schen mit den griechischen Götternamen und die Hineinlegung der Bedeu- und seine geschichtlich- mythologische Entstehung. 163 tungen, welche den Zusammenhang seines Systems bilden, sind meistens wenig mehr als ein geistreiches Spiel seiner gelehrten Phantasie ('). Wir müssen uns auch hier damit begnügen, die Übersicht der Göt- ternamen zu geben, welche der Verfasser seinen drei Ordnungen eingereiht hat, und die Prüfung der umfangreichen Begründung dahingestellt sein lassen. (') So gilt ihm Poseidon als eine Umformung des Seth mit dem vorgesetzten ägypti- schen Artikel Pe, und Neptunus mit Bochart von Nephthys (der Schwester des Osiris) abzuleiten scheint ihm nicht so ungereimt, als man auf den ersten Anblick glauben möchte (Noten p. 202). Dionysos wird auf ein ägyptisches $-st-oce, poenam retribuens (statt +oce, damnum inferre) zurückgeführt und dasselbe ys für oce findet er in Erinnys wieder, wel- ches dasselbe Wort ist wie Osiris, indem jenes aus ıps-it-oce, retribuens poenam, dieses aus oce-ıps, poenam retribuens (beides unägyptische Bildungen) entstand (p. 152). Jape- tos ist ihm (p. 178) soo-ne-1w®, Joh-pe-Toth (d.i. Mond-der-Thoth); Perseus ist aus zwei Namen des Typhon Bore und Seth zusammengesetzt (p. 131); Asklepios (p. 238) aus aıy xAeı, magnus revelator (nämlich aus ow, multus, magnus, und swAn, &eAn revelare un- richtig gebildet). Antaeus (p. 160) ist eine gräcisirte Form von Omödte (d. i. Nubti, Bei- name des Seth von der Stadt Ombos). Erikepaios (p. 66) war gap ce, Arsaphes (wofür aber Har-Chem zu lesen). Den Pan oder Phanes findet er (p.64) in der Legende Nuzer- pen (d.i. „dieser Gott”), die Hekate in der Göttin Hek't (p. 50), den Namen der Tita- nen in Tetun (p. 177), Prometheus in dem Monatsnamen Pharmuthi (p. 143); die Nymphe Daphne in der löwenköpfigen Taphne (Tefnet) (p. 142); die Zeio in der Reto (p. 134); Joh den Mond erkennt er im semitischen Jao wieder (p. 146), u. s. w. Etymologieen und Wortvergleichungen waren von jeher für Viele verführerisch und gefährlich; aber auch in seiner historischen Kritik scheint der Verfasser nicht glück- lich gewesen zu sein. Die Pyramiden wurden nach ihm von einer Phönikischen Hyk- sos-Dynastie erbaut. Cheops, Chephren und Mykerinos waren Phöniker vom Stamme der Philisti. Die beiden ersten unterwarfen den ägyptischen Gottesdienst ihrer Ariani- schen Lehre, der dritte Mykerinos nahm den ägyptischen Glauben an und ward deshalb gepriesen. Diese Annahme war eine vom herrschenden Königshause ausgehende „Regie- rungsmalsregel.” Daher kommt es, dafs die uns überlieferte phönikische Glaubenslehre „so ganz und gar aus ägyptischen Bestandtheilen besteht, dals in ihr auch nicht Eine „neue Lehre, Ein neuer Götterbegriff vorkommt, durchaus Nichts, das sich nicht auch „in der ägyptischen fände.” Die Herodotische Zeitangabe der Pyramidenerbauung sei die richtige, die des Manethös unmöglich, da es „geradezu widersinnig sei, die ausgebildete „Hieroglyphenschrift in jene Urzeiten des vierten Jahrtausends vor Chr., so nahe den „Anfängen aller Geschichte setzen zu wollen.” (Text p. 90. 200 ff.) Die Ausbrei- tung der ägyptischen Civilisation von Süden nach Norden, von Aethiopien herab bis nach Unterägypten, ist ihm geschichtlich sicher (p. 84). Die ältesten ägyptischen Denk- mäler rühren von Königen der sechzehnten Dynastie her, welche (nach Eusebius) vor den Hyksos herrschte (p. 85). Die fünf Epagomenen lälst er nach der falschen Sothis unter dem Könige Aserr eingeführt werden (p. 121. 230). Die Götterzahlen beurtheilt er nach den Angaben des Alten Chronikon (p. 139. 196). Die griechischen Zodiakalzei- X2 164 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis Es werden vier Urgötter angenommen, nämlich 1. der Gott Kneph(*), der Urgeist. 2. die Göttin Neith, die Urmaterie. 3. der Gott Sevech, die Urzeit. 4. die Göttin Pascht, der Urraum. Dies sind die vier äufsern und überweltlichen Gottheiten. Aus diesen ging die erste Ordnung der acht grofsen innenweltlichen aber überirdischen, entstandenen aber un- sterblichen Götter, die acht Kabiren, hervor. Es entstanden: aus dem Äneph-Agathodaemon die Götter 1. Menthu-Mendes-Pan-Pha- nes - Arseph - Erikepaios, der Erzeuger, der weltbil- dende Geist. , 2. Phtah- Hephaistos - Seph- Tore, das Weltfeuer, die. Urwärme, der materielle Weltbildner. aus der /Veith die Göttinnen 3. Pe, der Himmel. 4. Anuke, der feste Kern, die Erde. aus dem Sevech die Götter 5. Re, der erste Lichtgott, die Sonne. 6. Joh- Chonsu, der zweite Lichtgott, der Mond. aus der Pascht die Göttinnen 7. Hathor, der dunkle Welt- raum. S. Sate, der helle Weltraum. Auf diese überirdischen Gottheiten folgten die irdischen, sterblichen. Diese entstanden indem die vier Urgötter, aus denen schon die acht überirdischen Götter entstanden waren, auf die Erde herabstiegen und zunächst vier ir- dische Abbilder von sich schufen. Nämlich: chen, die Wage, den Wassermann u. a. versetzt er in die „allerersten Zeiten der ägyp- tischen Civilisation” (p. 172). Es ist einleuchtend, dafs solche Ansichten grofsentheils auch auf einer mangelhaften philologischen Kritik beruhen müssen, deren zahlreiche Pro- ben wir aber nicht weiter verfolgen. (') Kneph, der hier an der Spitze der ganzen Götterlehre steht, ist sowohl dem Na- men als der philosophischen Bedeutung nach eine der jüngsten Erweiterungen der ägyp- tisch-griechischen Spekulation. Es dürfte nicht leicht irgendwo in den vorchristlichen Jahrhunderten von ihm die Rede sein. und seine geschichtlich -mythologische Entstehung. 165 Kneph, der Urgeist, erschien als 1. Nil-Okeanos. Neith, die Urmaterie, als 2. Netpe-Okeame- (Rhea-Demeter-Te- thys- Astarte - Aphrodite- Kybele). Sevech, die Urzeit, als 3. Sedb-Kronos. Pascht, der Urraum, als 4. Reto-Leio. Hieran schlossen sich noch acht andere irdische Gottheiten, nämlich 5. Tat-Hermes. 6. Chaseph-Mnemosyne. 7. Imuteph-Asklepios. 8. Nehimeu-Hysgieia. 9. Mui-Phoebus (-Emphe - Emeph- Hikto-Eikton). 10. Taphne-Daphne. 11. Pharmuthi-Prometheus. 12. Tme-Themis. Dies waren die zwölf Götter der zweiten Ordnung. Die Nachkommen derselben bildeten die dritte. Zu diesen gehörten namentlich die Kinder des Seb und der Netpe, nämlich Osiris-Dionysos, Arueris-Herakles, Bore- Seth-Typhon, Isis-Persephone, NVephthys-Hestia, Schai-Plutos-Triptole- mos, Aannu-Despoina; dazu die Kinder des Osiris: Horus der jüngere, Anath-Bubastis, Harpokrates, Anubis. Wir werden sehen, wie wenig diese Anordnung der ägyptischen Göt- ter mit derjenigen übereinstimmt, die man auf den Denkmälern aller Zeiten und Orte bezeugt findet. Aber auch auf die Angaben des Herodot und des Manethös legt dieser Gelehrte nur wenig Gewicht. Dem ersteren entnimmt er allerdings die Zahl der acht und der zwölf Götter der ersten und zweiten Ordnung; doch hält er es für einen Irrthum desselben, dafs er den Hera- kles, den er im Harueris seiner dritten Ordnung wiederfindet, der zweiten, und die Leto, die nach ihm der zweiten angehört, der ersten Ordnung zu- rechnet, auch sei die Isis nicht mit der Demeter zu vergleichen, sondern die Netpe-Rhea. Die Manethonischen Götterlisten erwähnt er mehreremale, vermischt aber damit die Angaben der falschen Sothis und des Alten Chronikon und versucht sie weder mit seiner Anordnung in Übereinstimmung zu bringen, noch ihre gänzliche Abweichung irgendwie zu erklären. 166 Lersıus über den ersten degyptischen Götterkreis Man mufs sich billig darüber wundern, dafs, seitdem das Geschichts- werk des Manethös in Bezug auf die menschlichen Königsdynastieen der Aegypter zu so hohen Ehren gekommen ist, noch niemand die aus ihm ge- meldeten Angaben über die ägyptischen Götterordnungen zum Ausgangs- punkte einer besonderen Untersuchung gemacht und sie in ihr richtiges Ver- hältnifs zu den übrigen Nachrichten der Schriftsteller und zu den kml zu setzen versucht hat. Es werden von Manethös mehrere Götterabtheilun- gen genannt, welche gleichsam als verschiedene Dynastieen, wie die der menschlichen Könige, hinter einander regiert haben sollten, so dafs jedem einzelnen göttlichen Könige eine bestimmte Regierungsdauer beigelegt wurde. Ebenso finden wir bei Herodot die verschiedenen Götterordnungen als hin- ter einander in bestimmten Zeiträumen sich folgend aufgeführt, und auch innerhalb derselben werden einzelne Götter genannt, von deren Herrschaft an eine bestimmte Zahl von Jahren bis zur Zeit des Berichterstatiers ver- flossen war ('). Man sollte meinen, dafs schon hiernach die Annahme un- vermeidlich gewesen wäre, dafs die Ordnungen des Manethös denen des Herodot entsprechen sollten. Ohne Zweifel wurden aber alle, die eine solche Annahme festzuhal- ten versuchten, sogleich durch den einen Umstand abgeschreckt, dafs He- rodot den bekanntesten unter den ägyptischen Göttern, den Osiris, dem letzten, Manethös dem ersten Götterkreise zuschreibt. Da dieser Wider- spruch nicht zu erklären war, so folgte man Herodot gegen Manethös, und ebenso, wie die Angabe des Herodot über die späte Errichtung der Pyrami- den von Memphis die sämmtlichen früheren Forschungen über die ägyptische Menschengeschichte in unauflösliche Irrthümer geführt hatte, bis Manethös und die Denkmäler diesen Grundfehler beseitigten, und die verschobenen Glieder wieder in ihre Ordnung brachten, so hielt auch seine Nachricht über Osiris die ersten Grundlagen der ägyptischen Götteranordnung bisher im Dunkeln und leitete die Forscher von vorn herein auf eine falsche Spur. Auch hier sind es wieder die Denkmäler, die allein entscheiden können, und diese bestätigen auf das Vollständigste die Angaben des Manethös und lehren die Nachrichten der Griechen erst verstehen und gebrauchen. Was nament- () Vgl. oben p. 158 und Herod. > 144: To mooregou rav ER Lu Seols eivaı Toüg Ev Alyursy Geypvras, oiztovras due Toisı Av9pwması zu FouTwv mie: Eva ToV zp@reoure eivan. und seine geschichtlich - mythologische Entstehung. 167 lich die Stellung des Osiris betrifft, so wurde dieser Gott jederzeit von den Aegyptern den ersten und nicht den letzten Göttern zugezählt. Es finden sich nämlich auf den Denkmälern häufig Zusammenstellun- gen von Göttern, welche offenbar bestimmte abgeschlossene Kreise bilden, denn das geht unwiderleglich aus ihrer Anordnung hervor, welche überall wesentlich ein und dieselbe ist. Die meisten Götter erscheinen paarweise, so dafs jedem Gott eine Göttin als Gemahlin oder doch als häufigste Gefährtin beigesellt ist. Die- sen Götterpaaren schliefst sich in den gröfseren Tempeldiensten häufig noch eine dritte Person an, welche als von jenen entsprossen dargestellt wird, und zuweilen ihren eigenen Tempel neben dem des Hauptgottes hat. Gewisse untergeordnete Gottheiten erscheinen am häufigsten in einer Vierzahl, und wenn diese sich wieder in Götterpaare, nach den Geschlechtern, theilen, so treten statt vier, acht Götter zusammen. Ein Götterkreis unterscheidet sich aber von allen übrigen sowohl durch die gröfsere Anzahl von Personen die ihn bilden, als dadurch, dafs er die bekanntesten und am meisten verehrten Götter umfafst. Obgleich ich in Aegypten erst spät auf diesen wiederkehrenden Götterverein aufmerksam wurde, so habe ich jetzt doch sechsunddreifsig Beispiele desselben von den verschiedenen Monumenten zusammenstellen könnnen, woraus gewifs hin- reichend hervorgeht, dafs wir es hier nicht mit einer zufälligen sondern mit einer festen und bedeutungsvollen Vereinigung der höchsten Götter zu ihun haben. Wenn wir von einzelnen Abweichungen, auf die wir später zu spre- chen kommen werden, zunächst absehen, so sind es folgende Götter, welche diesem Kreise nach den Denkmälern vorzugsweise angehören: 1. Mentu. 2. Atmu. 3. Mu und Tefnet. 4. Seb (Kronos) und Nut (!). (') Es scheint, dafs die Göttin = Nut und nicht Nezpe zu lesen ist, da 5 meist ein inhärirendes z hat und ich ihren Namen mehrmals ohne den Himmel, zuweilen auch mit dem Himmel allein geschrieben gefunden habe, und einmal N; ebendahin führt auch die Legende: El) d. i. „Nut im Hause der Nut” auf einem Altar in Turin. Wenn das Zeichen aber ausgesprochen wurde, so dürfte es vielmehr %ur und nicht pe gelesen worden sein. 168 Lersıus über den ersten Aegyptischen Göltterkreis 5. Osiris und Isis. 6. Set (Typhon) und Nephthys. 7. Horus und Hathor. Aufser den beiden ersten Göttern ist jedem der folgenden eine Göt- tin beigegeben. Wenn wir es nun hierbei, wie nach der Darstellung des Manethös anzunehmen ist, mit regierenden Göitern zu thun haben, so zählen ihre Gemahlinnen natürlich nicht mit. In der Liste, die uns Euse- bius aus Manethös aufbewahrt hat, sind daher auch keine Göttinnen, son- dern nur Götter und zwar, wie hier sieben Götter mit ihren Regierungsjah- ren aufgeführt. Nur die Isis wird neben Osiris genannt, aber ohne besondere Zahl, so dafs wir dort 8 Personen, aber nur 7 Jahresangaben haben. Von den sieben bei Manethös genannten Göttern stimmen die vier letzten mit unsrer Liste überein, nämlich Kronos (Seb), Osiris, Typhon (Set) und Horus. In derselben Folge finden sich diese vier Namen auf einem Fragmente des Turiner Papyrus aus der Zeit der Ramses, welcher eine Liste der ägyptischen Könige in Dynastieen abgetheilt und mit Angabe ihrer Re- gierungsjahre enthielt und mit den Götterdynastieen begann. Von diesen letzteren ist aber nur wenig erhalten und leider fehlt gerade der Anfang, nämlich die drei Götterkönige, welche wie zu vermuthen, den drei ersten Manethonischen Göttern entsprachen. Diese Lücke ist um so empfindlicher, weil die Listen der Denkmäler die Manethonische Angabe zunächst nicht zu bestätigen scheinen. Als zuerst regierender Gott wurde von Manethös nicht Mentu sondern Hephaistos das ist Phtha, als zweiter nicht Atmu, sondern Helios d.i. Aa, (Phre) genannt. So berichtete Eusebius nach der Armenischen Übersetzung, die hier für uns die einzige Quelle ist. Der dritte Gott ist aber auch bei Euse- bius nicht erhalten. Es ist eine Lücke an dieser Stelle, die schon im grie- chischen Texte vorhanden sein mufste. Man hat diese Lücke nach einer Stelle des Syncellus (p. 19, A.) durch den Namen Agathodaimon ergänzt, aber allem Anscheine nach mit Unrecht. Syncellus führt in jener Stelle die Götterdynastie aus der Sothis, einer dem Manethös untergeschobenen Schrift des dritten Jahrhunderts nach Chr. an. Wenn sich nun auch nachweisen läfst ('), dafs der Verfasser der (‘) S. meine Chronol. der Aeg. I, p. 413 ff. 484. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 169 falschen Sothis die Götterdynastieen, die er mittheilte, keineswegs ganz er- 8 funden, sondern wirklich bis auf die als Monate angesehenen und danach reducirten Regierungsjahre aus dem ächten Manethös entlehnt hat, so scheint doch auch er schon den dritten Götternamen nicht mehr vorgefun- den, sondern eben durch den des Agathodaimon ergänzt zu haben, wenn diese Ergänzung nicht etwa erst dem noch späteren Panodoros zugehört, aus dessen Überarbeitung im fünften Jahrhundert der jetzt vorliegende Text der Sothis hervorging. Denn der Agathodaimon ist überhaupt erst sehr spät in die ägyptische Mythologie hineingetragen worden und dürfte sich nicht leicht vor dem ersten Jahrhundert nach Chr. nachweisen lassen. Dem Ma- nethös wenigstens war diese Bezeichnung, die erst in einer späten Identifi- eirung ihren Grund hatte (!), sicher unbekannt. Auch im Alten Chro- nikon findet sich dieselbe Lücke, obgleich sie nicht besonders als solche angedeutet ist, denn es folgen sich hier: Hephaistos, Helios, Kronos. Sie war also älter als Eusebius, da das Chronikon vor ihm abgefafst wurde (?). Dagegen erscheint in den späteren Chronographen Joannes Malalas, Cedrenus und im Chronikon Paschale ein neuer sonst unbekannter Götter- name Nörıs hinter "HAıcs (°). Auf diesen folgt aber sogleich Osiris mit Über- gehung des Kronos, so dafs man zunächst geneigt sein würde, den Sosis nicht für den fehlenden Gott, sondern für einen Stellvertreter des Kronos anzusehen. Dem steht aber ein andres beachtenswerthes Zeugnifs entgegen. Dieses findet sich in den Fragmenten des Joannes Antiochenus, welcher nach den Untersuchungen des neuesten Herausgebers Charles Mul- ler (*) zwischen 610 und 650 nach Chr. schrieb, und daher älter als die eben genannten Chronographen ist. Er enthält zwar in den von Muller zum erstenmale publieirten Stücken auch dieselben Stellen, welche jene aus ihm oder einer mit ihm gemeinschaftlichen Quelle abgeschrieben haben, aufser- dem aber noch ein andres Fragment, bei Muller das erste, welches schon von Cramer in seinen Anecdotis Graec. Parisiensibus aus den Excerpten des (') Der phönikische Agatkodaimon ward nach Sanchuniathon bei Eusebius mit Äneph, einer späten Bezeichnung des hieroglyphischen Nurn zusammengestellt. Num aber findet sich in Kaiserzeit mit Mu-si-Ra identificirt. (*) Chronol. der Aeg. I, p. 528. (°) Der von Scaliger mitgetheilte sogenannte Barbarus giebt als erste drei Götter fol- gende an: Ifeszum, Solem und Osinosirin. Offenbar ist hier der dritte Name aus Sosis und Osiris zusammengezogen. (*) Fragmenta Historic. Graecor. vol. IV, p. 536. Philos. - histor. Kl. 1851. Y 170 Lersıus über den ersten Aegyplischen Götterkreis Salmasius mitgetheilt war. Dieses Stück ist offenbar aus einer sehr verschie- denen Quelle geflossen und lautet so: Alyvrrısı dbarıy, ws “Hoausros aurav Eßarirsusev @meigsus Tiıvas Kgovaus- nera rodrov "HAros 6 ‘Hoaiorov ern KAZZ d. led); ner aurov Iüs, nroı”Apys, neS$ cv KAß red "Hrdov, Ara Kocvos. Hier erscheinen also die vier Götter "Hbaırros, "HAuos, Zws (der Sürıs der Andern) und Kgovos (1) in vollständiger Reihe. Diese Stelle ist um so wichtiger, da aus dem Folgenden hervorgeht, dafs sie den ächten Manethonischen Listen, und zwar nicht nach der Eusebischen, sondern nach der Afrikanischen Recension entnommen ist (?). Wir können daher mit grofser Wahrschein- lichkeit annehmen, dafs in der Afrikanischen Liste der Manethonischen Göt- terdynastieen der dritte Gott, der bei Eusebius fehlt, Zus genannt war. Freilich stimmen auch hiermit die Denkmäler noch nicht überein. Wir kennen überhaupt keinen ägyptischen Gott, welcher Sus oder Su ge- lautet hätte. Vielmehr steht in der dritten Stelle der Denkmälerlisten ohne Ausnahme ein Gott, welcher Mu gelesen wird, gewöhnlich mit dem Bei- saze si Ra „Sohn der Sonne,” welches erwarten liefse, dafs er von den Griechen etwa Mas oder Mevrigns genannt worden wäre. Er ist der ein- zige der sieben ersten Mempbhitischen Götter, welcher von den Griechen mit keinem ihrer eigenen Götter identifieirt wurde (?), noch auch unter seinem ägyptischen Namen ihnen näher bekannt gewesen zu sein scheint. Es wäre (') Der ägyptische Name lautet hier Keb, eine Form, welche sich statt der gewöhn- lichen Seb in Ptolemäischer Zeit öfters auch in hieroglyphischen Inschriften findet. Diese Bestätigung ist von Werth, weil der Wechsel von 2) Keb oder u] (s. uns. Tafel III, No. 3) nnd >| oder ] Seb schwer zu erklären ist. Die Worte ro0 “HA:ov scheinen versetzt zu sein und gehören hinter Iur. (?) Das zeigt der Name des Königs Bivwgıs, welcher bei Africanus BivwSgıc, bei Euse- bius Biodes heilst; ferner die Worte bil EEaerns aogemevos Basırsdwv dteryevero Meygis av 2, welche wörtlich so bei Africanus stehen (bis auf Besırevsw), während Eusebius eine andere Wendung hat; so wie der Umstand, dafs in der Bemerkung über Sesostris die Angabe seiner Grölse, wie bei Africanus fehlt, während sie sich bei Eusebius einge- schoben findet. (°) Aulser in unserer Stelle selbst, wo er mit "Aors zusammengestellt wir. Wenn die Worte aus Africanus richtig entlehnt sein sollten, so würden sie von Gewicht sein. Die ober-ägyptischen Denkmäler scheinen allerdings nichts darzubieten, was eine Zusammen- stellung des Sonnensohnes Mu mit Ares erklären könnte. Indessen ist es doch der Be- merkung werth, dals ein zweiter vielfältig mit Mu verbundener oder vertauschter Name desselben Gottes ua, geschrieben wird, auch in unsern Götterlisten, z. B. in einer aus Silsilis unter Horus und einer andern aus Karnak s. Taf. I, No. 1. Dieser Name ist und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 171 daher wohl möglich, wenn die ägyptische Aussprache fest steht ('), dafs frühzeitig eine falsche Lesart dieses unbekannten Namens in die Abschriften der Manethonischen Götterliste eingedrungen wäre. - Um so bekannter waren die beiden ersten Götter der Manethonischen Reihe, welche nach Eusebius Hephaistos (®2@, Ptah) und Helios (Ra) heifsen. Ebenso berichtete Africanus, wenn wir die späten Berichte des Joannes Antiochenus und (mit Böckh) des Barbarus auf ihn zurückführen dürfen. Auch von andern Schriftstellern wird es mehrfach bestätigt, dafs Hephaistos der älteste Gott der Aegypter (*), und Helios des Hephaistos Sohn und Nachfolger in der Regierung gewesen sei (?). Statt ihrer stellen aber fast alle monumentalen Listen die Götter Mentu und Atmu an die Spitze der Reihe, zwei Götter, welche wir von den Griechen nicht erwähnt finden. Woher kommt diese Abweichung? Es ist hier der Ort, auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der bei allen Vergleichungen der griechischen Nachrichten mit dem, was uns die Enhur zu lesen, da er sich auch ie ® oder ee geschrieben findet, und eriu- nert dadurch an den Namen "Ovovg:s, "welchen "ein Leidener Papyrus als ägyptische Be- zeichnung des Ares angiebt. S. Leemans, Pap. Gr. Lugdun. p. 124: rv mgosayogsvonevov Aiyumrızrei "Ovovss Et, en d8 "Ao 15: (') Der Name wird hieroglyphisch mit der Straufsfeder geschrieben und hat den Vokal u als Komplement 0»; die Figur des Gottes führt die Straulsfeder auf dem Kopfe Ä, oder, besonders unter dem Namen Enhur, einen Kopfschmuck von vier geraden Fe- dern 4. Es ist mir nicht bekannt, dals statt des symbolischen Zeichens der Feder jemals ein, allgemein phonetisches Zeichen gebraucht worden wäre. Die Lautung dieser Feder als M scheint aber mit Sicherheit hervorzugehen aus dem Namen der Göttin Ma NS C. ME, ans, veritas, und der Gruppe BR oder 7 c. move, splendor. Doch sind verschie- dene Aussprachen ein und desselben symbolischen Zeichens in verschiedenen Bedeutungen nicht unerhört, und es verdient daher hier bemerkt zu werden, dafs in späterer Zeit, wo man, mit einer gewissen Östentation hieroglyphischer Gelehrsamkeit gleichlautende Hie- roglyphen, meist mit symbolischen Anspielungen, zu vertauschen liebte, die Figur des Mu A öfters für die Gans oder das Ei OD, welche s oder s lauten vorkommt, z. B. in den geläufigen Formeln si Ra „Sohn des Ra,” Hor si Hes, „Horus, Sohn der Isis,” so dals in diesen Fällen die Figur des Mu nothwendig s gelesen worden sein muls. Der Vokalwechsel von si und szw würde in Römischer Zeit, wo auch — ned und nu u.a. oft verwechselt wurden, nicht anstölsig gewesen sein. Dals der Name des Mu zuweilen auch (s. uns. Taf. IV, n. 3.) geschrieben wird, hellt die Sache nicht weiter auf. (?) Amm. Marcell. XVII, 4, 22: "Hopares 6 röv Seav meryg, aus Hermapion. Diod. I, 13. (°) Cie. de nat. deor. III, 21. Arnob. IV, p. 135. Diog. Laert. Prooem. 1. Y2 172 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götierkreis Monumente lehren, stets im Auge zu behalten ist. Die Griechen und na- mentlich schon Herodot, theilen uns in der Regel nur das mit, was sie in Unterägypten sahen und hörten, sie repräsentiren uns im Ganzen die Lehre der Priester von Memphis und Heliopolis, und zwar aus der späten griechischen Zeit. Unterägyptische Darstellungen sind uns aber fast nur aus den Gräbern der grofsen Nekropolen von Memphis erhalten, und diese beziehen sich ausschliefslich auf die Verhältnisse verstorbener Privat- personen. Skulpturen von Tempeln oder Palästen, die sich auf den Kult der unterägyptischen Götter bezögen, sind kaum vorhanden. Dagegen be- sitzen wir eine unzählige Menge von Denkmälern und ihren Darstellungen aus Oberägypten, welches in griechischer Zeit schon bedeutend an Macht und Glanz gegen das untere Land verloren hatte, den Fremden überhaupt ferner lag und deshalb auch weniger von ihnen gekannt und beachtet wurde. Es hatte sich aber von den frühsten Zeiten an ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden, schon durch die Natur des Landes und die klima- tischen Verhältnisse sehr verschiedenen Landestheilen, ausgebildet, welcher die Aegypter selbst veranlafste, von ihrem Lande meistens als von einem Doppelreiche zu sprechen. Lange Zeiten hindurch, und im Alten Reiche war dies die Regel, wurden beide Theile von verschiedenen Königsfamilien beherrscht, die ihre besonderen Residenzen, Memphis und Theben hatten; und auch die über das ganze Land herrschenden Pharaonen nannten sich nicht „König von Chemi,” sondern WA „König des obern und untern Landes” oder — „Herr der beiden ander Nicht minder waren die Sprachen in Ober- und Unterägypten von jeher, wie noch in koptischen Zeiten, dialek- tisch scharf von einander geschieden, und die Kunst trug einen andern Cha- rakter in Memphis als in Theben. Daher kann es nicht Wunder nehmen, dafs auch die Götterkulte in beiden Ländern vieles Eigenthümliche hatten, und die Priesterlehren, die sich in den beiden Residenzen, wenn auch auf gemeinschaftlicher Grundlage, doch im Einzelnen unabhängig von einander ausbildeten, vielfache Abweichungen unter sich darboten. Ihre Auseinan- derhaltung wäre den Griechen nimmer gelungen, wenn sie auch eine solche beabsichtigt hätten. Sie hielten sich an das, was ihnen zunächst zugänglich war, an die Berichte der unterägyptischen Priester. Zu diesen gehörte aber auch Manethös, der gelehrte Priester und Grammateus von Heliopolis; daher wir bei ihm um so ausschliefslicher die unterägyptische Lehre zu, und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 173 finden erwarten müssen. Dafs wir diese nicht immer durch die ober- ägyptischen Denkmäler bestätigt finden, erklärt sich also von selbst, und darf uns weder gegen zuverlässige Berichte der Griecben, noch gegen das Zeugnifs der Monumente mifstrauisch machen. Hiezu kommt noch das besondere Verhältnifs der Lokalkulte zu einander und zu der mythologischen Anschauungsweise des Volkes über- haupt. Nirgends war der Einflufs der Lokalkulte auf die priesterliche Dar- stellung der allgemeinen Götterlehre so grofs wie in Aegypten. Die ge- schichtlich nachweisbaren Veränderungen in der ägyptischen Mythologie knüpfen sich vorzugsweise an den wechselnden politischen Einflufs einzelner Städte. So wie der Lokalkult in jeder Hauptstadt einer Provinz der reli- giöse Mittelpunkt für den ganzen Nomos wurde, so gewann wieder der Lo- kalkult der jedesmaligen Königsresidenz den entschiedensten Einflufs auf die Verehrung seines besonderen Gottes im ganzen Lande, und wenn, wie dies lange der Fall war, mehrere Residenzen sich gleichzeitig in die politische Herrschaft theilten, so standen sich ebenso die an ihre Lokalkulte geknüpften mythologischen Systeme gegenüber. Ammon, welcher als Kern und Spitze des ganzen ägyptischen Göttersystems angesehen zu werden pflegt, war bis zur Erhebung Thebens wo er als Lokalgott verehrt wurde, ein untergeord- neter wenig genannter Gott. Am Ende des Alten Reiches, in der zwölften Manethonischen Dynastie, welche sich Theben zur Residenz wählte, ge- winnt auch er an Bedeutung, aber erst im Neuen Reiche, als die thebani- schen Königsdynastieen zur vollen Alleinherrschaft und zu einer Alles über- strahlenden Macht gelangt waren, erscheint Ammon-Raals „König der Götter” und macht sich durch den Einflufs seiner Priester als solcher im gan- zen Lande geltend, ohne jedoch selbst unter diesen günstigen Umstän- 8 der ersten Götter war schon vor der Thebanischen Blüthe abgeschlossen worden; Ammon vermochte die bisherigen Choragen nicht aus ihrer Stelle den seine späte Erhebung ganz verleugnen zu können. Denn der Kreis zu verdrängen und wurde selbst in Theben nur hin und wieder densel- ben vorangestell. Mentu (Month) und Atmu (Tum) bleiben, wie frü- her und in allen folgenden Zeiten, an der Spitze des oberägyptischen Göt- terkreises. Hätten wir den Anfang des Turiner aus Theben stammenden Papy- rus erhalten, so würden wir ohne Zweifel diese beiden Götter, nicht 174 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis die von Manethös genannten Phtha und Ra, in den ersten Stellen der Göt- terdynastie finden. Indessen habe ich doch auch in Oberägypten und zwar in Philae ein Denkınal gefunden, welches uns die Memphitische Reihenfolge darbietet, so wie sie von Manethös angegeben wird. Es ist aus dem Ende der Ptole- mäerherrschaft, als Memphis längst wieder den Glanz von Theben verdun- kelt hatte, daraus erklärt sich dieser vereinzelte speciell memphitische Anklang am südlichen Ende Aegyptens. In dieser Darstellung beginnt die Götterreihe mit Phtha und Ra; dann folgen die übrigen Götter ohne Abweichung bis auf den damals längst verbannten Set-Typhon, welcher durch einen anderen Gott ersetzt ist. (!) Durch dieses wichtige Denkmal wird die Identität des auf den oberägyptischen Denkmälern erscheinenden Göttereyklus mit der ersten Manethonischen Götterdynastie, trotz des ab- weichenden Anfangs, völlig aufser Zweifel gestellt. Wo aber Manethös und die Denkmäler sich gegenseitig bestätigen, da verlieren die abweichenden Nachrichten der Griechen ihr Gewicht. Es bleibt nur übrig zu untersuchen, wie weit sich ihr Irrthum erstreckte, und woher die Mifsverständnisse kamen, um nicht auch ihre richtigen Nachrich- ten mit den unrichtigen ohne Grund zu verdächtigen. Wie Herodot dazu kam, den Osiris der dritten, statt der ersten Göt- terordnung zuzurechnen, habe ich anderswo nachzuweisen gesucht. (?) Es gab eine unter den Griechen verbreitete Ansicht, nach welcher Horus, des Osiris Sohn, der letzte göttliche Herrscher vor Menes war. Deshalb schienen beide Götter der letzten dritten Dynastie angehören zu müssen. Dafs aber die Priesterlehre keinesweges den Menes auf Horus folgen liefs, wissen wir durch Manethös und den Turiner Papyrus mit Sicherheit. Dagegen steht die andere hierher gehörige Nachricht des Herodot, dafs Pan und Leto zu den ersten Göttern gehörten mit der ägyptischen Lehre in keinem nachweislichen Widerspruch. Der Pan des Herodot ist nicht der oberägyptische von Panopolis. Herodot nennt diese Stadt nur unter dem Volksnamen Chemmis. Erst nach seiner Zeit wurde der Chem der zu Chem- mis, Koptos, und in den meisten Heiligthümern der Wüste verehrt ward, 1 (‘) S. Tafel IV, no. 2. (*) Chronol. der Aeg. I, p. 253. und seine geschichtlich- mythologische Entstehung. 175 mit dem griechischen Pan verglichen, ohne Zweifel besonders, wenn auch nicht allein, wegen seiner ithyphallischen Natur. Herodot spricht ausdrück- lich vom Pan von Mendes im Delta, und fügt hinzu dafs er ganz wie der grie- chische Pan dargestellt, und sowohl der Gott als der Ziegenbock Mendes von den Aegyptern genannt werde (!). Das letztere ist nur von dem heiligen Bock in Mendes zu verstehen, nicht von allen Ziegenböcken, die sowohl hierogly- phisch als koptisch einen anderen Namen haben. Wir besitzen keine hiero- glyphischen Denkmäler von Mendes, aber auf den Münzen des Mendesischen Nomos ist der Bock abgebildet, theils allein, theils auf der Hand einer rö- misch bekleideten Gottheit. .Der chemmitische Pan ist dagegen von den Denkmälern hinlänglich bekannt, und hat nichts von einer Bocksgestalt; auch wird nirgends berichtet, dafs in Panopolis der Bock verehrt worden sei; noch erscheint er auf den Münzen dieses Nomos. Vielmehr berichtet He- rodot (2, 42), dafs in Theben, dessen Gott häufig mit dem der benach- barten Panopolis identifieirt ward, die Schaafe (Widder) verehrt, die Ziegen (Böcke) geopfert wurden, im Gegensatze zu Mendes, wo man die Ziegen verehrte, die Schaafe aber opferte. Die Götter von Mendes und von Chem- mis haben also gar nichts mit einander gemein, als dafs der eine von Herodot, der andere von den späteren Griechen mit dem griechischen Pan verglichen wurde. Noch weniger Grund hat die Meinung Anderer, dafs der Herodoti- sche Mendes in dem oberägyptischen Gotte Mentu, der als Theil von grie- chisch geschriebenen Namen, Hermonthis, Pamonthes u.a. in der Regel Month lautete, wiederzufinden sei. Vielmehr halte ich den Namen der Stadt Mendes für älter als den des Gottes und seines heiligen Bockes. Der Gott hatte seinen Beinamen Mendes von der Stadt, wie Set hieroglyphisch le, (der Gott von) Ombos, Horus =, (der Gott von) Edfu, Chem SEEN (der Gott von) Koptos heifst. Wir haben kei- nen Grund zu bezweifeln, dals der Gott von Mendes zu der ersten Götterord- nung gerechnet wurde; es scheint dafs er eine besondere Form des Osiris (?) war. Darauf deuten die Mysterien, von denen Herodot zu reden sich scheut, darauf auch der Kopfputz, den der Gott auf den Mendesischen Münzen trägt. Mit‘ Unrecht ist die phallische Natur des Osiris, die Herodot (II, 48) und (') Ebenso sollte der 75is nach Mart. Cap. II, 178 7’hroth genannt worden sein. (?) Vgl. Diod. I, 25: Fov de YOrıgw ... mworrcı Mäve vevonizert. 176 Lersıus über den ersten degyptischen Götterkreis Plutarch (de Is. c. 41) ausdrücklich und wiederholt bezeugen, in Abrede gestellt worden, weil sie sich auf den oberägyptischen Denkmälern selten findet; es ist eben einer von den Fällen, wo die griechischen Nachrichten zunächst auf Unterägypten zu beziehen sind. Ebenso verhält es sich mit der Zeto, welche nach Stephanus von Byzanz (denn Herodot sagt dieses nicht, wie öfters angenommen wird) auch Buto genannt worden sein soll. Sie war die Göttin der Stadt Buto im Delta, von der sie ohne Zweifel den Beinamen erhielt, und scheint eine Form der Hathor gewesen zu sein; daher sie zu den Göttern der ersten Ordnung ge- zählt wurde. Herodots Angaben sind also, bis auf die über die Stellung des Osiris, mit den ägyptischen Lehren nicht in Widerspruch. Noch gröfser aber ist die Übereinstimmung bei Diodor was nicht zu verwundern ist, da inzwischen die Schriften des Manethös in griechischer Sprache erschienen waren, deren directe oder indirekte Benutzung sich bei Diodor in der That nachweisen läfst, namentlich in seinen mythologischen Angaben (I; 11-13). Er sagt, dafs Helios, nach Andern Hephaistos, über Aegypten zuerstgeherrscht habe; dann folgte Aronos und Rhea (d.i. Seb und Nut); von ihnen stammen Ösiris und Isis. Andere, sagt er, und zwar die Meisten nennen an ihrer Stelle Zeus die und Hera, und lassen von diesen die fünf Götter Osiris, Isis, Typhon, Apollon (Horus) und Aphrodite (Ha- thor) ausgehen. Sehen wir von diesen anderen gräcisirenden Mytholo- gen, wie billig, ab, so bleibt uns eben die vollständige ägyptische Reihe, mit Ausnahme nur des dritten Gottes Mu, der auch hier übergangen ist. Die neueren Gelehrten pflegen nun diese erste Ordnung die der „grolsen” Götter zu nennen. Herodot gebraucht diesen Ausdruck nicht; er ist mir auch bei anderen Schriftstellern nicht vorgekommen. (!) Die Denkmäler sprechen aber allerdings häufig von grofsen und auch von kleinen Göttern. In der Göttertafel des Todtenbuches (c. 141, 7. 8.) werden „alle grofsen Götter” und „alle kleinen Götter” genannt; ebenso in einem Thebanischen Grabe aus Psametichzeit, und in einem andern aus (') Es scheint, er stammt erst von Jablonski her, welcher in den acht Göttern des Herodot die Kabiren wieder zu erkennen glaubte, und GCadiri von dem semitischen %kebir grols ableitete. Koaßeıos mag in der That‘von den Dioskuren gebraucht, gelegentlich durch Seo: neyarcı übersetzt worden sein, was jedoch Welckers gelehrte Erklärung der Kabiren als der feurigen Götter, von der Wurzel zw nicht ausschlielst. und seine geschichtlich - mythologische Entstehung. TR der 19. Dynastie (!); desgleichen in einer Inschrift der grofsen Halle von Karnak, und in einer andern im Tempel von Qurna (?). Noch häufiger werden die „grofsen Götter” in Bezug auf einzelne Orte der Verehrung ge- nannt z.B. „die grofsen Götter” von Theben, von Derr, von Pselchis, von Senmut u.a. und nicht selten heifsen namentlich die Götter der ersten Ord- nung, wo sie gemeinschaftlich bezeichnet werden, die „grofsen’. Im Ein- zelnen jedoch wird der Titel „der grofse Gott” noch weiter ausgedehnt und auch von Göttern der zweiten Ordnung gebraucht. Es scheint daher der Ausdruck „die grofsen Götter” von den Aegyp- tern auf den zweiten Götterkreis zugleich ausgedehnt worden zu sein, und dürfte demnach mit Unrecht nur auf die ältesten Götter des Herodot bezo- gen werden. Dagegen ist mir die Bezeichnung der „kleinen Götter” bis jetzt nur als allgemeiner Ausdruck, und nie weder von einzelnen Göttern, noch von bestimmten Göttervereinen gebraucht vorgekommen. Eine andere Übereinstimmung zwischen den griechischen Nachrichten und den Monumenten in Bezug auf die Götter in ihrer Eigenschaft als Re- genten Aegyptens liegt darin, dafs die Namen der bedeutenderen Götter, insbesondere, obgleich nicht ausschliefslich, die der ersten Ordnung, hin und wieder in die bekannten Königsschilder eingeschlossen vorkommen, wodurch sie als Könige bezeichnet werden sollten. g aus der e) andern ist nicht streng genealogisch zu fassen; wenigstens würde dies nicht aus Die von Herodot erwähnte Entstehung der einen Götterordnun den Denkmälern nachzuweisen sein (?). Nur eine zeitliche Aufeinanderfolge (') Champollion Notices p. 523. führt diese Worte an, giebt aber für & das Zeichen & welches er auch sonst häufig damit verwechselt. Die Gruppe S> ist verschieden von 82. Die erste hat eine adjektivische Bedeutung und steht dem zugehörigen Substantivum nach, kann aber auch wie einNeutrum substantivisch gebraucht werden; es wird unrichtig mit dem koptischen xert oder er (hierogl. —' l und —”) zusammengestellt, da aus hiero- gliphischem & %,d. i. ch (kopt. $) nicht x oder x werden kann. Die zweite ist immer ein Substantivum und hat in der Regel ein anderes Substantiv im Genitiv hinter sich. Ich gehe hier nicht auf die Unterschiede der Bedeutung ein. (?) Champ. Mon. pl. 152. Hier ist © als & und > statt Ss zu lesen. (°) Thoth, der erste Gott der zweiten Ordnung, erscheint auf den mir bekannten Denkmälern nirgends als von einem andern Gotte entsprossen. Die Angabe von Wil- kinson Mann. and.cust. V, p. 11. dals er in Semneh Sohn des Kneph (Num) genannt Philos.-histor. Kl. 1851. Z 178 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis der Regierungsepochen scheint hierdurch angedeutet worden zu sein. In Bezug auf diese stimmen aber selbst die einzelnen Zeiträume, so weit sie sich für die Dauer der verschiedenen Götterordnungen aus den Angaben des He- rodot entnehmen lassen, mit den Manethonischen Zahlen vollommen überein. Herodot giebt nämlich an, dafs vom Anfange des zweiten Götterkrei- ses bis auf Amasis (nämlich bis auf Amasis Il, den letzten einheimischen König der Aegypter vor Herodot) 17,000 Jahre verflossen waren, und von Osiris, einem Gotte des dritten Kreises 15,000. Nun regierten nach einer eigenthümlichen Berechnung des Herodot die er im 142. Kapitel des zweiten Buchs, kurz vor und im Zusammenhange mit den Götterzahlen anführte, die menschlichen Könige seit Menes in Aegypten 11,340 Jahren bis zum Könige Sethös (dem Zyr der Afrikanischen Listen). Ziehen wir diese Zahl von den obigen Götterzahlen ab, ohne den Unterschied der beiden Könige Sethos und Amasis zu beachten, so bleiben für die zweite und dritte Göt- terordnung zusammen 5640 Jahre; kommt der Unterschied in Rechnung, so bleiben c. 5470. Da Osiris nur einer der dritten Götter sein sollte, nicht der erste, so dürfen wir, um die Dauer der zweiten Götterordnung zu be- stimmen, nicht 15000 von 17000 abziehen, sondern sie mufste weniger als 2000 Jahre, der Unterschied dieser beiden Zahlen, betragen; und die dritte mulste folglich um ebenso viel mehr betragen als die Summe beider Dyna- stieen weniger 2000, das heifst als 3640 oder als 3470. Nach Manethös re- gierte nun die dritte Götterdynastie 3650, die zweite 1570 Jahre, was folg- lich mit den Angaben des Herodot vollkommen zusammenstimmt. Über die Regierungszeit der ersten Ordnung sagt Herodot nichts; sie betrug nach Manethös 12,300 Jahre (!). Auch die Diodorischen Götterzahlen, obgleich in einiger Verwirrung vorgetragen, gehen auf die ächt ägyptischen Angaben ohne wesentliche Ab- weichung zurück. Nach Manethös betrugen die zwölf Sothisperioden der werde, beruht auf einem Irrthume. Thoth nennt daselbst die Königin die ursprünglich zwischen Num und Thoth stand und später weggemeilselt wurde, „Tochter des Num,” S. Denkmäler aus Aegypten III, 59. Auch die Ableitung des ägyptischen Mercurius vom Nilus bei Cic. de nat. deor. 3, 21. sagt nichts, als dafs die Aegypter eben keine beson- dere Abstammung von ihm angaben, so wenig wie von Vulkanus (Ptah) und Minerva (Neith), welche daselbst ebenfalls vom Nilus, dem „Vater der Götter”, ae . DNEMT t abgeleitet werden. (') S. m. Chronol. der Aegypter I, p. 482. und seine geschichtlich-mythologische Entsteh ung. 179 Götterregierungen 17520 Jahre und mit der vormenischen Dynastie der 30 Heroen, 17870 Jahre; Diodor giebt die Gesammtzahl auf nicht viel weniger als 18,000 Jahre an. Von Osiris bis Alexander rechnet er mehr als 10,000; nach Manethös waren es 10,231. Die Übereinstimmung kann also nicht gröfser sein ('). Aus Allem, was bisher nachgewiesen wurde, geht unwiderleglich her- vor, dafs die drei Götterkreise des Herodot den drei Götterdynastieen des Manethös entsprachen und dafs die erste dieser drei Ordnungen in dem häu- fig wiederkehrenden Göttervereine der Denkmäler wiederzuerkennen ist, dafs folglich auch Osiris von Herodot mit Unrecht der dritten Ordnung zu- geschrieben wurde, da er nach Manethös und den Denkmälern vielmehr, nebst seinem ganzen Geschlechte, der ersten Ordnung zugehörte. Auffallend könnte es scheinen, dafs die Anzahl der ersten Götter bei Herodot auf 8 beschränkt wird. Es scheinen dadurch die Göttinnen über- haupt ausgeschlossen zu werden, während doch Herodot selbst die Leto als zur ersten Götterordnung gehörig anführt. Es geht aber aus dem Gesagten gerade hervor, dafs die verschiedenen Ordnungen eben nur als Dynastieen aufgefafst wurden, und die angegebene Anzahl also die der einzelnen Re- gierungen ist, in welchen die den Göttern verbundenen Göttinnen ebenso- wenig, wie die Königinnen in den menschlichen Dynastieen besonders zäh- len konnten. Diese Weise nach Götterpaaren zu zählen, lag den Aegyptern um so näher, da gerade bei den höheren Göttern die zugehörige weibliche Gottheit in der Regel nur der Ausdruck des weiblichen Princips der dem Gotte in- wohnenden Natur, also seine nothwendige Ergänzung war. Nur die niede- ren Götter und späteren Personificationen erscheinen meistens vereinzelt, weil sie nicht mehr aus dem grofsen Zusammenhange ursprünglicher An- schauung hervorgegangen waren. Auch pflegen die weiblichen Gottheiten, selbst die der ersten Ord- nung, fast nie den Beisatz „grofse Göttin” zu führen, eine Bezeichnung, wie (') Die Zahlen in den Fragmenten des 'Turiner Königspapyrus stimmen im Einzelnen, wie in der Regierungszeit des Horus, mit Manethös vollkommen überein. In andern Punk- ten scheinen sie abzuweichen, woraus wir schliefsen mülsten, dafs auch in diesen cykli- schen Berechnungen die Thebäische Lehre, für die wir bis jetzt keine andre Quelle be- sitzen, von der Memphitischen abwich. Z2 180 Lersıvs über den ersten Aegyptischen Gölterkreis sie mir nur von der Isis, und auch hier nur in seltenen Fällen vorgekommen ist (1). Diese Göttin, das Urbild aller übrigen weiblichen Gottheiten, nimmt aber auch in andern Beziehungen eine besondere Stellung ein; ja es scheint, dafs sie zuweilen als allein regierende Göttin aufgefalst worden ist, wozu der Osirismythus, wie er von Plutarch und Diodor erzählt wird, sehr wohl Veranlassung geben konnte. Denn nach diesem führte sie in der That eine Zeit lang, nach dem Tode des Osiris und der Besiegung des Set (Typhon) durch den Horus, die Regierung allein (?). Auch führt nur sie unter den Göttinnen öfters den Titel } 5 „königliche Gemahlin” des Osiris. Daher mag es kommen, dafs sie in “der Manethonischen Götterliste, wie sie uns jetzt wenigstens bei Eusebius vorliegt, als einzige Göttin mit aufgeführt wird, obgleich ohne Regierungszahl. Im Turiner Papyrus wird sie nicht genannt. Es ist aber der Zahl acht, welche Herodot für die erste Götterord- nung angiebt, überhaupt kein so grofses Gewicht beizulegen, wie dies bisher gewöhnlich geschehen ist. Seine Angabe bezieht sich ohne Zweifel auf die Lehre einer bestimmten wahrscheinlich der Memphitischen Priesterschaft. Die Denkmäler lehren uns, dafs die Anzahl der Götter, die zur ersten Ord- nung gezählt wurden, je nach Zeit und Ort, verschieden war; Manethös selbst giebt uns nur sieben Namen mit Regierungszahlen, und dies war ohne Zweifel, wenigstens in der unterägyptischen Lehre der späteren Zeit, die allgemeinere Annahme, obgleich uns die Denkmäler gröfstentheils acht oder auch mehr Götter nennen. Wenn wir nämlich die einzelnen Beispiele, die uns auf den Denkmä- lern begegnen, näher unter einander vergleichen, so müssen wir zunächst einerseits die oberägyptischen Darstellungen von den wenigen sicheren un- terägyptischen, die sich nachweisen lassen, und unter den ersteren wieder die älteren von den späteren unterscheiden. Auch sehen wir fürs erste von den weiblichen Gottheiten ab, welche in der Regel, doch nicht ohne Aus- nahme, den Göttern und zwar in der Weise zugesellt sind, dafs unmittelbar hinter jedem Gotte die zu ihm gehörige Göttin folgt, entweder in fortlau- fender Reihe, oder so, dafs Gott und Götiin näher mit einander als mit dem folgenden Paare verbunden sind. Es geht aus dieser Anordnung zugleich (') Häufiger ist der Beisatz ES uer’t „die alte”, oder auch °3 aa’ „die grofse”, während die höheren Götter in der Regel den Namen 1 „der grolse Gott” führen. (*) Diod. I,22. Plut. de Is. c. 19. ” und seine geschichtlich - mylhologische Entstehung. 181 ey ei sicherste Weise hervor, welche männlichen und weiblichen Gotthei- ten in der ägyptischen Mythologie unmittelbar mit einander verbunden wur- den, ein sehr wichtiger Punkt, über welchen die bisherigen Ansichten eben so schwankend wie über alle übrigen Theile dieser Lehre waren. Die äl- testen Göttertafeln des Neuen Reichs gehen in die Zeit Tuthmosis Ill. zu- rück, vor dessen Regierung überhaupt wenig Denkmäler, namentlich Tem- pelgebäude errichtet wurden, weil es erst ihm gelang, die Asiatischen Eroberer des Landes völlig von ägyptischem Boden zu vertreiben. Von vier Götter- listen aus seiner Zeit enthält eine (!) im Speos Artemidos, südlich von Be- nihassan, die gewöhnliche Reihe von Mentu bis Horus. Sie werden von dem ibisköpfigen T’hoth, dem Haupte der zweiten Götterordnung, als „die Ver- sammlung der grofsen Götter von Theben” angeredet und für den König Thuthmosis III, dessen Schild später in das des Sethos I. verwandelt worden ist, angerufen. Name und Gestalt des Set (Typhon) ist ausgekratzt. Ein zweites Beispiel findet sich im grofsen Tempel von Karnak auf sechs Pfeiler vertheilt, und enthält dieselben Personen. Eine dritte Darstellung unter diesem Könige ist an einer Wand desselben Tempels (?); hier sind den ge- nannten Göttern noch mehrere andere zugefügt, die wegen Verstümmelung nicht deutlich zu erkennen sind; unter den letzten befindet sich auch Sebak, ein vorzugsweise oberägyptischer Gott mit Krokodilskopf, welcher von Al- ters her namentlich in Ombos in Gemeinschaft mit Sez und Haroeris einen besondern Kult hatte (?). In einer vierten Darstellung zu Medinet Habu (*) enthält die obere Reihe nur die beiden ersten Götter Mentu- Ra und Atmu, gefolgt von acht oder neun wenig bekannten Göttern, denen sich der König selbst anschliefst; die untere Reihe nimmt die bekannte Folge mit Mu wie- der auf und führt sie bis Horus und Sebak. Statt des Set ist später T’hoth aufgesetzt worden. In einem Thebanischen Grabe von Abd el Qurna unter Amenophis I. erscheint statt Mentu und Atmu der letztere allein, und hinter Hor wird noch der Kataraktengott Num hinzugefügt. (') Denkmäl. aus Aeg. III, 2. S. Taf. I, No. 2. (*) Denkmäl. III, 34. (?) Alle drei Götter erscheinen schon in der 18. Dynastie als „„Herren von Ombos;” Sebak schon in der sechsten Dynastie. (*) Denkmäl. IH, 37. # 2 F ’ 182 Lersıus über den ersten Aegyptischen Gölterkreis Unter Amenophis III. findet sich in Lugsor (!) eine doppelte a. tafel, deren jede vor Mentu noch den Amen und die Amen’t vorausge- hen läfst und mit Sebak schliefst. Zwei andere Darstellungen in Lugsor (?) unter demselben Könige beginnen mit Mentu, sind aber im Übrigen theil- weise verstümmelt; in der einen werden die Götter, wie in einer früher er- wähnten, von T’hoth angeredet. In einer vierten Procession unter Amenophis III in Soleb (?) ist Mentu durch Ra (Helios) vertreten; eine Darstellung in dem Grabe eines seiner illegitimen Nachfolger, zeigt die Götterversamm- lung in einer Barke vereinigt; sie beginnt mit Hor-Ra (statt Meniu oder Mentu-Ra) und schliefst mit Horus, jedoch mit Übergehung des Set. Unter dem Könige Horus, dem letzten der 18. Dynastie, findet sich in Silsilis eine auch von Champollion (*) mitgetheilte Göttertafel, in wel- cher Amen-Ra statt Mentu eintritt; hinter Horus folgte wahrscheinlich noch Sebak. Zwei andere Reihen enthalten eine Anzahl anderer oberägyp- tischer Götter, welche in Silsilis verehrt wurden. Aus der 19. Dynastie ist in der grofsen Halle von Karnak eine Reihe von Darstellungen erhalten, in welchen Aamses I. die fünf ersten Götter, dann den Horus, dann den Sedbak anbetet (°). Sein Sohn Sethosl. hat eine Verehrung des noch fehlenden Sei hinzufügen lassen. An einem der süd- lichen Pylone sind zwei grofse Göttervereine dargestellt, denen von Sethos1. Opfer gebracht werden (°). Der erste enthält die bekannten Götter von Mentu bis Horus und Sebak nebst ihren Göttinnen in drei Reihen überein- ander dargestellt; vor allen schreitet in dreimal gröfserer Gestalt Amen-Ra, dem König zunächst entgegentretend, einher. Der zweite enthält funfzehn andere Götter, deren erster T’hoth ist, gleichfalls in drei Reihen geordnet und wiederum unter dem Vortritt des Amen-Ra. Eine Darstellung unter Ramses IV. in Karnak enthält die gewöhnliche Folge von Mentu bis Hor (') Denkmäl. III, 74. (2) Denkmäl. III, 75. (°) Denkmäl. III, 85. (*) Notices p. 264. () S. Taf. I, No. 3. (°) S. Tafel II, No. 1. Dem vorausschreitenden 4men-Ra ist hier das Mafs der übri- gen Götter gegeben worden. Vgl. Denkmäler Abth. III. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 183 und Sedbak. Desgleichen eine andere unter dem Könige Herhor der 21. Dynastie ('). Auch im Todtenbuche werden dieselben Götter des ersten Kreises öfters erwähnt. In der ersten Stelle (K. 134) erscheinen sie auf der Sonnen- barke (?); vor Atmu sitzt statt des Mentu der Sperber des Horus, und Set ist übergangen. In der zweiten (K. 140) steht Ra statt des Mentu, und hinter Mu ist das heilige Auge Utat eingeschoben, ‚Set, hier S Suti(?) geschrieben, fehlt nicht, und Mentu ist hinter Horus zugefügt; in der drit- ten (K. 141) ist Mentu durch die Barke der Sonne vertreten und andre Un- regelmäfsigkeiten lassen zweifeln, ob hier die Götter des ersten Kreises als solche dargestellt werden sollten. In allen drei Stellen wird aber Sebak nicht hinter Horus zugefügt. Die übrigen 12 Beispiele, welche in die Zeit der Ptolemäer und Rö- mischen Kaiser gehören, weichen fast ohne Ausnahme in den ersten fünf Na- men von der gewöhnlichen Reihe nicht ab (). Nur in einer Darstellung zu Dendera wird vor Mentu noch Amen- Ra zugefügt (*). Erst hinter Osiris tritt eine Verschiedenheit ein, weil der hier vakant gewordene Platz des Sez auf verschiedene Weise ausgefüllt wurde (°). In fünf Fällen tritt T’hoth () an diese Stelle, und in zweien derselben wird er auffallender Weise vor Osiris gesetzt. Überall wird hier dem Thoth wie dem Set die Nephthys zur Begleiterin gegeben. In fünf andern Fällen wird der Set dagegen durch den älteren Horus oder Haroeris, vertreten, so dafs in diesen Reihen zwei Horus, ein älterer und ein jüngerer, neben einander erscheinen. In einem Falle ist hinter den beiden Horus auch T’hoth noch hinzugefügt. In den Thebanischen Listen folgt in der Regel hinter Horus noch Sebak; in Den- dera blieb dieser weg, weil hier der Krokodilgott verabscheut wurde. (‘) S. Tafel II, No. 2. (?) S. Tafel III, No. 1. CO)ES= Lak. II, No. 2,3. EV, No.1=8. C)IS. Tab. IV. No, 3. (?°) S. unten Zusatz A. (°) Thoth-Hermes kämpfte mit Horus gegen Typhon, den Usurpator des Osirischen Reiches (Plut. de Is. c. 55. Inschr. von Rosette lin. 26) und rechtfertigte den Osiris ge- gen die Beschuldigungen des Typhon und dessen Genossen (Plut. de Is. c. 54). 154 Lersıus über den ersten degyptischen Gölterkreis Nur in einer Darstellung zu Philae ('), die schon oben erwähnt wurde, erscheinen an der Spitze der Versammlung Piah und Ra, wie dies, nach der Manethonischen Reihe zu schliefsen, die unterägyptische Lehre war. Auf diese folgen, wie in den übrigen Reihen, Mu, Seb und Osiris. Statt des ‚Set ist hier aber weder Thoth noch Haroeris, sondern Num, der Gott von Elephantine und der Katarakten, eingetreten. Auf diesen folgt Horus; ob auch Sebak noch hinzugefügt war, ist nicht zu erkennen, weil die Dar- stellung hier abgebrochen ist. Aufser diesen bisher angeführten Beispielen, welche sämmtlich, mit Ausnahme der dem Todtenbuche entnommenen Rei- hen, mit Sicherheit nach Oberägypten gehören, kann ich doch wenigstens zwei Denkmäler anführen, welche eben so sicher aus Memphis stammen, Dieses sind die beiden von Jomard und Anderen publieirten in der Nähe von Memphis, wahrscheinlich bei den Pyramiden, gefundenen Ellen, von denen jetzt die eine in Turin, die andre in Paris aufbewahrt wird (?). Jede dieser Ellen ist in 28 Theile getheilt, und auf der Oberseite sind in diese 28 Felder ebensoviel Götternamen eingeschrieben, welche in einer darüber- hinlaufenden Inschrift „die Herren des königlichen Ellenmafses” genannt werden. Von diesen 28 Göttern gehören die ersten 10 dem ersten Götter- kreise an, und werden durch die 4 Ösiriskinder Amset, Hapi, Tutmu- tef (?) und Kebhsenuf zu den 14 Göttern der ersten halben Elle vervoll- ständigt (*). Die Götterreihe der zweiten Hälfte beginnt mit T’hoth. Sehr (') Tafel IV, No. 2. (2): S. Taf. I, No. .4. 5. e (°) So liest Birch jetzt den Namen Ne der bisher Siu-mutef oder Su-mutef gelesen wurde. Der Stern heilst hieroglyphisch und koptisch siw und wird häufig, z. B. im Namen des x] Seb und in den Kaisernamen für s gebraucht. Birch fand aber eine Variante jenes Namens geschrieben S „=_ und diese Lesung wird bestätigt durch den in Psametichzeit häufigen Titel von Prinzessinnen | x welcher eben so oft auch oder im geschrieben wird, und derselbe zu sein scheint wie der Titel ar im alten Reiche (s. m. Auswahl Aeg. Mon. Taf. VIII). Auch findet sich der Stern nicht selten für die Zahl 5, koptisch $r0», (auch $), wie auch Horapoll. I, 13: röv mevre apSuov (onmeivovres) arreoe Swygabouri, bestätigt. Auch scheint die Gruppe N oder x (Todtb. K. 13,2. 121,2 u.a.) dem koptischen $eas, glorificare, zu entsprechen. (*) Auf der zweiten Elle ist Se irrthümlich ausgelassen, und dafür ein späterer Gott doppelt gesetzt. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 185 bemerkenswerth ist aber hier die Abweichung im Anfange der ersten Reihe. Es beginnt hier weder Amen- Ra oder Mentu und Atmu, wie auf den ober- ägyptischen Denkmälern, noch auch Piah, den man hier erwarten sollte, sondern, mit Übergehung des Piah, sogleich Ra, welchem sein Sohn Mu folgt. Zwischen diesem Mu und dem folgenden Sed ist ferner ein ganz neuer Gott Aa oder Kai, der mir auf andern Monumenten überhaupt noch nicht vorgekommen ist, eingeschoben. Nur in einer letzten Darstellung des Götterkreises, die ich hier anführen will, wird derselbe Gott nochmals ge- nannt, und zwar an der Spitze der ganzen Reihe ('). Es ist dies das älteste Beispiel unsrer Götterreihe, das mir überhaupt bekannt geworden ist, und das einzige aus dem Alten Reiche. Es findet sich auf einer granitenen Al- tarsäule in Turin, auf welcher das Thronschild des der sechsten Dynastie angehörigen Königs Pepi über die Zeit der Entstehung des Denkmals keinen Zweifel läfst. Die einzelnen langen Streifen, die von oben nach unten lau- fen, sind gröfstentheils mit den Namen vieler Götter und der Sitze ihrer Verehrung angefüllt. Voraus und von den folgenden getrennt geht aber die Reihe der Götter des ersten Kreises, welche sich auch dadurch als höchste und allgemeinste Götter auszeichnen, dafs bei ihnen kein besonderer Ort ihrer Verehrung wie bei allen übrigen hinzugefügt ist. Hier erscheint nun statt des Mentu der unbekannte Gott Kai; auf diesen folgt der oberägyptische Atmu; hinter diesen werden zwei andere Götter Tera und Terer, die auch in andern Götterlisten an derselben Stelle vorkommen, hinzugefügt; dann folgt regelmäfsig Mu und Tefnet, Seb und Nut, Osiris und Isis, Set (ausgekratzt) und NVephthys; endlich Horus und eine Göttin, welche vielleicht die Hathor vertreten soll. Diese lange Reihe einzelner Beispiele lehrt uns zunächst, dafs weder die Anzahl der Götter des ersten Kreises, noch die einzelnen Götter selbst überall und immer dieselben blieben. Die meisten Beispiele geben aller- dings 8 Götter, nicht viel seltener sind aber die Reihen mit 7 Namen und einzelne Fälle geben auch noch weniger als 7, oder noch mehr als 8, wobei (') S. Taf. I, no. 1. Die Aussprache des ersten Zeichens könnte noch zweifelhaft sein. Das zunächst ähnelnde Zeichen des Thierkopfes fent scheint es nicht zu sein, weil das Ohr fehlt, welches in einer andern Gruppe des Turiner Altars deutlich gezeichnet ist. Bestätigt sich das erste Zeichen als X, so könnte man geneigt sein, den öfters erschei- nenden Gott ||I damit in Verbindung zu bringen. Philos.- histor. Kl. 1851. Aa 186 Lersıus über den ersten Aegyplischen Gölterkreis die der Göttinnen stets ungerechnet sind. Für den Thebanischen Göt- terkreis scheint durch die hinzutretenden Götter Amen und Sebak die Zahl 9 als die regelmäfsige gegolten zu haben. Dadurch erklärt sich, dafs der Kreis „der 9 grofsen Götter von Theben” ausdrücklich erwähnt wird: SIMTZSrSU. © Wir erhalten hiernach folgende Übersicht für den ersten Götterkreis. Nach Memphitischer Lehre: Nach Thebanischer Lehre: 8 iR) Ptah. (®S&. "Hobaırres.) 5 Irene Amen ("Aupwv. Zeus.) u Ü [= r 2: N Ra (HAıcs.) 2. | Mentu (MuvS.) 3. EN Mu (Zus?) 3. EEG) Atmu (Tevn.) und x) Tofnet. 4. DA Mu. in 4. SS] Sed (Koives.) und — Tofnet. und ° ud) Nut (‘Pia.) 5. & IN Seb. 5. 1) Hesiri COrıgıs. Ausvurss.) und > "N Nur. u. (6.) Is! Hes. Iris. Anunrne.) 6. 9 Hesiri. Gl Der, Set (£43. Tipur.) und Io Hes. und IR Nebti (N&pSus.) iu gs Set. 7. (8.) N Hur. (Qgee. "Arerruv.) Ken 79 Nebti und [A] Hathur (aSug 8. NN Far. "Apgedirn.) und [A] Hathur. (9. N N) Sebak.) nee Ä| Tenneet. ns Ä) Penit. (oder Pit?) (') So in einer Inschrift von Alexander II. im Tempel von Karnak über einer Darstellung, welche allerdings nur acht sitzende Götter ohne Namen enthält. Dieselbe Legende, je- doch ohne den Namen von Theben, findet sich schon auf einer unter Sesurtesen II. ge- fertigten Stele in Wien. und seine geschichtlich -mythologische Entstehung. 187 Verfolgen wir nun diese Götterreihe in ihre einzelnen Theile, um auf ihre Entstehung zurückschliefsen zu können, so stellt es sich deutlich heraus, dafs die Anzahl der Götter dieses obersten Kreises erst allmälig vergröfsert wurde, und diese mythologische Schöpfung sich eng an die Entwickelung der staatlichen Verhältnisse anschlofs. Man unterscheidet nämlich innerhalb der angegebenen Götterreihe einen deutlichen Abschnitt einer ersten und einer zweiten Gruppe. Die zweite umfafst das Osirisgeschlecht, welches nach unten mit Horus, dem Sohne des Osiris und der Isis, schliefst, nach oben von Set und Nut, den Eltern des Osiris und des Set abgeleitet ist. Die vorausgehende Gruppe umfafst in Oberägypten den Mentu, Atmu und Mu, also nur Sonnengöt- ter. Die stehende nähere Bezeichnung des Mu ist Si Ra, Sohn des Ra. So heifst er namentlich auch auf allen oberägyptischen Denkmälern, obgleich hier Ra (Helios) in seiner einfachsten Form nicht oder doch nur sehr selten in der Götterreihe erscheint. Dies erklärt sich daraus, dafs die beiden Götter Mentu und Atmu, welche hier an die Stelle des Ra treten, nichts anderes als eine Spaltung dieses Gottes in seine zwei Hauptphasen, die aufgehende und die unterge- hende, die überweltliche und die unterweltliche Sonne, bedeuten. Es wird dieses durch die Darstellungen und die hieroglyphischen Inschriften aus- drücklich bestätigt. Atmu wird geradezu „die Sonne der Nacht” genannt, Mentu aber gilt als die Sonne des Tags und als der höchste Ausdruck, gleichsam die höchste Potenz der Sonne. Er wird deshalb auch vorzugsweise Mentu-Ra, „Mentu die Sonne” genannt, und wird, wenn er nicht, wie häufig, gerade im Gegensatz zu Atmu aufgefafst ist, fast in allen Stücken mit Ra selbst identificirt. Daher haben wir auch öfters in den oberägypti- schen Götterreihen den Ra an der Stelle des Mentu genannt gefunden, selbst wenn ihm Atmu, den er doch, wie in der unterägyptischen Reihe, mit ver- treten könnte, noch besonders folgt. Mu, dessen Name wohl richtig durch das koptische move, als Glanz, oder Licht erklärt zu werden scheint, und daher nicht selten den Sonnendiskus zum Determinativ erhält ©: oben) den strahlenden Diskus , heıfst aber nicht nur „Sohn des Ra”, sondern findet sich auch zuweilen als Sohn des Mentu, oder als Sohn des ‚ wie das Appellativum (s. Atmu erwähnt, was sich aus dem über diese Götter Gesagten erklärt. Ebenso Aa2 188 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis heifst auch die beständige Begleiterin des Mu, die Göttin Tefnet, „Tochter der Sonne.” ? Es ist hier nicht mein Zweck, tiefer in die Symbolik dieser Götter im Einzelnen einzugehen. Es kommt uns hier nur darauf an festzustellen, dafs die erste Gruppe, sowohl der ober- als unter-ägyptischen Götterreihe, nur aus Sonnengöttern besteht, und auf Aa (Helios) zurück geführt werden mufs. Mit dieser Gruppe ist die zweite, das Geschlecht des Sed (Kronos) genealogisch nicht verbunden. Seb und Nut (Netpe) erscheinen nirgends einer andern Gottheit entsprossen. Vielmehr heifst Seb vorzugsweise „Vater der Götter” und Nut „Gebärerin der Götter”. Sie werden also weder auf den zunächst vorhergehenden Mu, noch auf Ra zurückgeführt. Auf den memphitischen Ellen sehen wir zwischen Mu und Seb den unbekannten Gott Ka oder Ki eingeschoben. Dafs dieser Gott vielmehr der ersten als der zweiten Gruppe zugehört, scheint daraus hervor zu gehen, dafs er auf dem Turiner Altar dem Atmu vorausgeht. Ebenso ist der öfter eingeschobene Gott Tera zur ersten Gruppe gerechnet, weil er in der Regel dem Mu vorausgeht. Endlich ist der Ombische Gott Sebak, der krokodilköpfige, offenbar nur eine oberägyptische Erweiterung, welche weder genealogisch, noch in irgend einer anderen Beziehung sich an die Osirisgruppe näher anschliefst. Er fehlt in der oberägyptischen Reihe des alten Reichs auf dem Turiner Altar, und in den ältesten Beispielen des Neuen Reiches; ebenso fehlt er in den Reihen des Todtenbuchs, und auf den mempbhitischen Ellen. Auch drang sein Kultus nicht einmal in ganz Oberägypten durch, da uns aus- drücklich berichtet wird, dafs das ihm heilige Krokodil im Elephantine, Appollinopolis und Tentyris verfolgt und gegessen wurde. (1) In der That habe ich in dem ganzen reich mit Inschriften bedeckten Tempel von Dendera keine einzige Darstellung dieses in Theben so häufig erscheinenden Gottes entdecken können. Dagegen drängt sich nun zunächst die Frage auf, welches denn die Stellung des Ptah-Hephaistos war, welchen Manethös an die Spitze sämmtlicher Götter stellt. Es ist sehr bemerkenswerth, dafs wir ihn nir- gends, selbst nicht auf den memphitischen Ellen, in den Listen der Denk- (') Herod. 2, 69. Strab. p. 817. Aelian. de nat. anim. X, 14. und seine geschichtlich -mythologische Entstehung. 189 mäler gefunden haben, mit der einzigen späteren Ausnahme der Darstellung in Philae. Ich zweifle nicht, dafs wir ihn öfters wiederfinden würden, wenn wir mehr unterägyptische Denkmäler besäfsen,; aber wahrscheinlich in keinem andern Verhältnisse, als wir den Ammon auf den Thebanischen Denkmä- lern gefunden haben. Nur in drei Beispielen war nämlich 4mmon oder Amen-Ra, dem Mentu vorangestellt; in einem vierten vertrat er den Mentu und hinter ihm folgte sogleich 4tmu. Dieses Verhältnifs weist offenbar darauf hin, dafs weder Ammon, noch PAtha, ursprünglich an diese Stelle gehörten, sondern beide eben nur an die Spitze aller Götter hin und wieder aus besonderer Verehrung für diese beiden Götter der zwei bedeutendsten Lokalkulte des Reichs, zu Memphis und Theben, gestellt wurden. Daraus erklären sich zugleich die beiden selbst in Unterägypten wie es scheint neben einander bestehenden Ansichten, nach welchen bald Helios bald Hephaistos der erste göttliche Regent Aegyptens gewesen sein sollte. Die erstere Ansicht finden wir nicht nur bei Diodor der andern gegenüber gestellt, sondern sie wird auch in dem sogenannten „Alten Ohronikon” ver- treten, einer zwar späten und trüben Quelle, welche aber doch in diesem Punkte keine so wesentliche Neuerung einzuführen gewagt haben würde, wenn sie sich nicht auf frühere Zeugnisse hätte stützen können. Nach ihm sollte Hephaistos, weil in ihm kein Wechsel von Tag und Nacht sei, eine völlig unbegrenzte Zeit (@reipeus Xgevevs) regiert haben, während dem Helios 30,000 Jahre zugeschrieben werden, welche im Sinne des Chronikon tägige Jahre, nach andrer Auffassung aber viermonatliche Jahre, oder ägyptische Jahreszeiten, Horen, bedeuten sollten, und aus den ursprünglichen 10,090 vollen Jahren gemacht worden waren, welche Manethös dem Hephaistos und Helios zusammen zuschrieb. Offenbar war aber der memphitische Gott schon tiefer in die mytho- logischen Lehren des Landes, und namentlich Unterägyptens, verflochten worden, als der später emporgekommene Ammon. Darauf weist sowohl die Auffassung des Manethös, als die bestätigende Götterreihe von Philae, da- rauf auch der Umstand hin, dafs Hephaistos bereits in die genealogische Ver- knüpfung aufgenommen ward, indem er wenigstens von den Griechen und Römern, und auch schon von Manethös ausdrücklich als „Vater des Aa” 190 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis bezeichnet wird. Dafs sich dieses auf den oberägyptischen Denkmälern bis jetzt nicht nachweisen läfst kann weniger Verwunderung erregen, als dafs er sich hier doch sehr oft in der nicht minder bed echt als „Vater der Götter”, dargestellt findet. Man könnte dagegen erwarten, in Theben den Ammon nicht nur systematisch, sondern auch genealogisch vor Mentu, als dessen Vater, erwähnt zu sehen. Er wird aber zwar sehr häufig „König der Götter”, aber nicht, oder doch so viel mir bekannt nur mit einer Ausnahme, „Vater der Götter”, noch weniger „Vater des Aa” genannt. Vielmehr wird er in der Regel mit Aa selbst identifieirt, welcher letztere im Todtenbuche (K. 8, 2.) und wohl auch sonst, offenbar in seiner Eigenschaft genannt wird. Wir müssen also ohne Zweifel sowohl den Ammon, oder 4men- als erster Gott des ersten Götterkreises „Vater der Götter” Ra von Theben, als auch den Ptah (Hephaistos) von Memphis, aus dem ursprünglichsten Kreise der höchsten Götter trennen, und behalten für diesen nur den Ra (Helios) nebst dessen Sohn, den Lichtgott Mu, und ferner das Geschlecht des Seb (Kronos). Dafs diese beiden Gruppen keine ursprüngliche Folge bildeten, und überhaupt einer verschiedenen Anschauung angehörten, leuchtet auch bei der flüchtigsten Betrachtung ein; auch der genealogische Zusammenhang fehlt, wie vorhin schon bemerkt worden. Es ist also vorauszusetzen, dafs auch diese beiden Gruppen erst zu einer gewissen Zeit mit einander zu der dy- nastischen Einheit verbunden wurden, in der wir sie bei Manethös finden, und auf den Denkmälern schon bis in die sechste Dynastie zurück verfolgen können. Um uns dieses Verhältnifs zu erklären, wird vielleicht eine einfa- che historische Betrachtung genügen. Wir wissen, dafs vor Theben und vor Memphis noch eine später fast verschollene Stadt, die älteste Residenz und die Wiege aller Königsge- schlechter, namentlich auch der memphitischen Menes-Dynastie, war. Dieses war die oberägyptische Stadt This, in welcher die vorhistorische Dynastie der 30 Thinitischen Heroen residirte, aus welcher Menes, der erste geschicht- liche König, nach Unterägypten, wo er Memphis und die erste Memphiti- sche Dynastie gründete, auszog, und welche noch unter der Manethonischen zweiten Dynastie als Mittelpunkt des oberägyptischen Reiches blühte. Diese uralte Stadt This, von welcher noch in griechischer Zeit der Thinitische Nomos seinen Namen führte, und welche, obgleich im Laufe der Geschichte und seine geschichtlich -m ıythologische Entstehung. 191 kaum genannt, doch noch in einem griechischen Papyrus des 7. Jahrhun- derts n. Chr. mehrmals erwähnt wird, hatte seit langer Zeit hauptsächlich dadurch ihre Bedeutung verloren, dafs sich unmittelbar neben ihr, wahr- scheinlich schon unter den ersten Dynastieen des Alten Reichs, die neue Stadt Adbydos erhob, in welcher das alte This allmälig ganz aufging, und von welcher es dann nur als der westliche Stadttheil durch seinen besonde- ren Namen noch unterschieden gewesen zu sein scheint. Nun wissen wir, dafs in This und Abydos der älteste und jederzeit berühmteste Lokalkult des Osiris seinen Sitz hatte. Die reichen und from- men Leute des ganzen Landes liebten es ihre Mumien nach Abydos schaffen und dort in der Nähe des heiligsten und ächtesten Osirisgrabes beisetzen zu lassen. Dieser Gebrauch, den Plutarch (?) erzählt, läfst sich noch jetzt durch zahlreiche Todtenstelen, die auf dem ausgebreiteten Gräberfelde hinter den Ruinen der beiden Schwesterstädte ausgegraben werden, bis in die 12. Dynastie zurück nachweisen. Auf diesen Stelen wird im Anfange gewöhnlich Osiris „Herr von This” (?) und „Herr von Abydos” angerufen, Beinamen, die auch in andere heilige Texte und Formeln sehr häufig über- gegangen sind. Es ist daher nicht anders zu erwarten, als dafs dieser Kult der ältesten Hauptstadt von Aegypten sich auch am frühesten und allgemeinsten über ganz Aegypten verbreitete. In Memphis, wohin bereits Menes den Kult des Osiris verpflanzt haben muste, finden wir diesen Gott von jeher in höch- ster Verehrung. Auch hier wurde sein Grabmal gezeigt, nach einer Sage, die sich wohl an diesem wie an allen übrigen Orten wo er bestattet sein sollte, nur aus dem dahin verpflanzten Thinitischen Todienkulte bildete; dem Stier Apis, der das lebendige Abbild des Osiris sein sollte, war ein besonderer lo- kaler Kult in Memphis geweiht. Aufserdem wird aber von Herodot (II, 42.) ausdrücklich bemerkt, dafs Osiris und Isis die einzigen Götter Aegyp- tens seien, welche von sämmtlichen Aegyptern verehrt wurden, während bei den übrigen Gottheiten grofse Verschiedenbeit der Verehrung statt finde. Auch die eigenthümliche vielverzweigte und vielgedeutete Gestaltung des Osirismythus, des einzigen gröfseren Mythus, den die Aegypter über- (*) De Is. c. 20. (?) Es scheint mir, dafs die bekannte Gruppe Tre oder Ne keine andere Stadt als This bezeichnen kann. Vergl. Todtenduch K. 18, b. c._ 192 Lersıus über den ersten Aegyptischen Gölterkreis haupt ausgebildet hatten, beweist den frühen Ursprung und die bevorzugte Stellung dieses Kultus unter allen übrigen. Er bildet in mehr als einer Be- ziebung den eigentlichen Mittelpunkt der ägyptischen Mythologie und der priesterlichen Spekulation und Liturgik; auf Osiris und Isis bezogen sich näher oder ferner wahrscheinlich alle Mysterien, die unter verschiedenen Namen an verschiedenen Orten in Aegypten gefeiert wurden; und die ge- schichtlichen Veränderungen, welche dieser Mythus im Laufe der Zeit er- fuhr und welche sich zum Theil noch jetzt mit Hülfe der Denkmäler nach- weisen lassen, gehören gewifs zu den merkwürdigsten Erscheinungen in irgend einer alten Mythologie. Um so wichtiger dürfte es sein eine Einsicht in den Zusammenhang oder das Verhältnifs zu erhalten, in welchem die Osirisgruppe zu der ersten jenes höchsten Götterkreises, dem sie schon durch ihren Platz als zweite Gruppe untergeordnet ist, steht. Man könnte zunächst fragen, ob Ra-Helios nicht auch wie andere Götter aus einem Lokalkulte an die Spitze der Götterreihe getreten sei. Es ist bekannt, dafs es in Aegypten mehrere Sonnenstädte gab, in welchen Aa vorzugsweise seinen Kult hatte. Unter diesen ist namentlich Heliopolis-On berühmt, welches bereits im ersten Anfange der ägyptischen Geschichte ge- nannt wird mit der annalistischen Nachricht, dafs hier der Kult des heiligen Sonnenstieres gleichzeitig mit dem des Apis in Memphis eingeführt worden sei. Wir würden dann eine Erweiterung des Lokaldienstes von This durch den von Heliopolis, dann durch den von Memphis, endlich durch den von Theben vor uns sehen, und die ganze äg 5 8 aus einzelnen Lokalkulten zusammengesetzt sein. yptische Religion würde demnach Dem widerspricht aber schon der Umstand, dafs keine historische Veranlassung zu einer solchen Erhebung des Lokalkultus von Heliopolis, des unterägyptischen oder irgend eines andern, gefunden werden dürfte, da nicht einmal eine einzelne Dynastie bekannt ist, welche aus dem bekannten Heliopolis hervorgegangen wäre, noch weniger je die Hauptstadt des Reiches in diese Nachbarstadt von Memphis verlegt wurde. Dazu kommt, dafs sich auf diese Weise auch nicht die oberägyptischen Sonnengötter Mentu und Atmu erklären würden, man müfste denn annehmen, dafs diese wieder aus andern Lokalkulten hervorgegangen, und gleichsam nur zufällig in ihren Eigenschaften mit dem Ra von Heliopolis zusammengetroffen wären. Endlich und seine geschichtlich- mythologische Entstehung. 193 eignete sich die Natur eines Sonnendienstes überhaupt nicht dazu, zuerst in einem speciellen Lokalkultus ausgebildet und dann erst in das allgemeine Volksbewufstsein aufgenommen zu werden. Es ist aber auch nicht anzunehmen, dafs sich die Gruppe der Son- nengötter Ra und Mu etwa organisch aus der zweiten, der Ösirisgruppe, herausgebildet hätte, wie sich dieses zum Beispiel von den Göttern Sed und Nut, den Eltern des Osiris, behaupten läfst, von welchen ohne Zweifel der gegangen ist, sondern welche eine nahe liegende Er- weiterung desselben nach oben sind. Denn es ist schon öfters darauf hin- Osirismythus nicht aus gewiesen worden, dafs die Sonnengötter nicht einmal in eine genealogische Beziehung mit dem Osiriskreise gesetzt worden sind. Es bleibt folglich nur die umgekehrte Annahme übrig, und diese be- stätigt sich meiner Meinung nach auf das Bestimmteste von allen Seiten, dafs der Sonnenkult selbst der frühste Kern und das allgemeinste Princip des ägyptischen Götterglaubens war, welcher, vor allen Lokalkulten vorhanden, in allen einen wesentlichen Theil bildete, und überhaupt nie, bis in die spä- testen Zeiten, aufhörte als die äufserliche Spitze des gesammten Religions- systems angesehen zu werden ('). Ra ist der einzige in der Reihe der höchsten Götter, welcher kein weibliches Princip neben sich hat. Ebenso werden in der Thebanischen Reihe den beiden aus der Zerspaltung des Ra entstandenen Göttern Mentu und Atmu keine Göttinnen zur Seite gestellt. Wo Ra oder Mentu- ha, wie in Hermonthis, als Haupt einer Triade erscheinen sollte, wird er sich selbst, nur mit weiblicher Endung, als eine weibliche Aa gegenüberge- stellt. Erst das überall hervortretende Bedürfnifs nach consequenter Durch- führung des doppelten Princips bei allen höchsten Göttern hat es augen- scheinlich veranlafst, dafs in den oberägyptischen Reihen zwei untergeordnete Göttinnen, die Tennet und die Penit (oder Pit) am Schlusse der Reihe (?), aber, wie auch aus andern Denkmälern hervorgeht, mit Bezug auf die weib- losen Götter Mentu und Atmu hinzugefügt zu werden pflegen, welche durch (') Vgl. Porphyr. bei Euseb. Praep. ev. 3, 4. (?) Auch wenn, wie öfters der Fall ist, Sedak den beiden Göttern vorausgeht, sind sie nicht ihm zugesellt zu denken, da sie eben auch ohne ihn nicht zu fehlen pflegen. Mentu erscheint auch einzeln häufig mit der Tennet verbunden; ob sie aber als seine Ge- mahlin gedacht wurde, könnte zweifelhaft sein, da sie eine „Tochter des Ra” war. Philos.- histor. Kl. 1851. Bb 8 194 Lersıus über den ersten er Gölterkreis diese besondere Stellung nur noch mehr hervorheben, dafs der Sonnengott von Ursprung an nur männlich, und doch mit männlicher und weiblicher Schöpfungskraft zugleich versehen war. Ra ist das beständige, unzählig oft wiederkehrende Urbild der Kö- nige, welche ihre höchste Gewalt auf Erden von jeher nur von der höchsten Gottheit des Himmels unmittelbar ableiteten, ein Gebrauch, welcher selbst wieder dazu beitragen mufste, die Stellung des Aa unter den ägyptischen Göttern stets in ihrer ursprünglichen Würde zu erhalten. Ra ist sogar die höchste Potenz und das Urbild fast aller grofsen Göt- ter. Erst durch die Identifieirung mit Aa wurde es möglich, jeden Lokal- gott an die Spitze der ägyptischen Götterreihe zu stellen. Wir finden daher auf den Denkmälern nicht nur einen Mentu- Ra und einen Atmu-ha, son- dern auch einen Num (Chnumis)-Ra, Hapi (Nil)-Ra; einen Chem (Pan)- Ra, Sebak-Ra, Hor-Ra, Chensu-Ra, auch einen T'hoth- Ra, und am be- kanntesten ist der Thebanische 4men- Ra. Nicht Ammon, sondern Aa ist der wirkliche „König der Götter,’ und Ammon wird dieses erst durch seine Verbindung mit Ra (!). Denn Ammon für sich allein führt diesen höchsten Titel eines Götterkönigs, so viel mir bekannt, nie, wohl aber Ra, der auch öfters mit dem gewöhnlichen Titel der Könige Aegyptens als NR 2 in seinen Hymnen angerufen wird. Kein anderer Göttername wird in der angegebenen Weise mit so vielen andern zusammengesetzt, wie der des Ra, und dafs derselbe auch als „Vater der Götter” erscheint ist schon oben erwähnt worden. Aber auch mit Osiris, und dies ist für uns von gröfserer Bedeutung, wird Ra identifieirt. Die Stellen, in welchen von griechischen und römi- schen Schriftstellern behauptet wird, dafs Osiris ursprünglich die Sonne sei, sind schon von Jablonski zusammengestellt worden. Wichtig ist es aber zu bemerken, dafs die von Diodor an die Spitze seiner mythologischen Be- merkungen gestellte Angabe, dafs die Aegypter ursprünglich nur zwei Göt- ter, den Helios und die Selene, jenen im Osiris, diese in der Isis, verehrt hätten, ohne Zweifel aus einer mythologischen Schrift des Manethös her- genommen ist, was zwar von Diodor selbst nicht hinzugefügt wird, aber aus (') Die Griechen bildeten aus 1} ,„ Amen-Ra suten nuter'u, das beson- dere Wort "AncvgaruvSng. Corp. Inser. No. 4717. und seine geschichllich-mythologische Entstehung. 195 andern Er cen derselben Sache hervorgeht, auf die wir in einer folgenden Abhandlung zurückkommen werden. Endlich bestätigen auch die Denkmäler, dafs Osiris noch bis in späte Zeit zuweilen als Aa aufgefalst wurde. Er wird in dieser Eigenschaft selbst im Todtenbuche (K. 142, 22) Osiris- Ra genannt, und Isis heifst öfters: „die Königliche Gemahlin des Ra.” Es schliefst diese Identifieirung des Osiris mit Ra keineswegs die zahl- reichen übrigen Auslegungen seines Mythus aus. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs eine andre Auffassung die Schicksale des Osiris mit den Phasen des befruchtenden Nils in die engste Verbindung brachte. Plutarch theilt uns noch mehrere andere Ansichten über die Bedeutung des Ösiris- mythus mit, deren jede einen gewissen Anspruch auf Beachtung verdient; und die doppelte Natur des Osiris als Herrscher der Oberwelt und als Rich- ter in der Unterwelt, tritt uns schon früh aus den Denkmälern entgegen und bildet eine wesentliche Seite der Osirislehre. Es ist aber bier nicht mein Zweck, auf die besondere Gestaltung dieses Mythus, in dessen Entwicke- lung sich der allgemeine Fortschritt vom Sonnen- und Mondkult zum pan- theistischen Naturkulte und endlich zu einem moralischen Ideenkulte, am vollständigsten abspiegelt, näher einzugehen, sondern nur die Ansicht zu begründen, dafs der Sonnenkult der ursprüngliche Nationalkult der Aegypter war, und dafs der früheste mythologische Ausdruck, oder doch der früheste Ausflufs desselben in dem Lokalkulte des Osiris zu This und Abydos wieder zu erkennen ist. Die Unterordnung des Lokalen und Individualisirten unter das All- gemeine in dem seit, oder schon vor dem Beginne des Menes-Reichs be- reits abgeschlossenen obersten Götterkreise erklärt sich nun von selbst. Wir werden demnach, um unser Ergebnifs in wenig Worte zusam- menzufassen, den Sonnenkultus als ur-, ja vielleicht schon vor -ägyptisch ansehen müssen, als unveräufserliches Nationalerbe des ägyptischen oder auch, richtig verstanden, des hamitischen Menschenstammes. Das erste lokale Auge an diesem mythologischen Stamme bildete sich in dem Ursitze der ägyptischen Könige zu This in Oberägypten aus, und nahm die Gestalt des Osiriskultus an. An diesen knüpfte sich von nun an jeder innere Fortschritt der religiösen und philosophischen Erkenntnifs Bb2 % RK 196 Lersıvs über den ersten Mischen Gölterkreis der Aegypter; er ward der lebendige Mittelpunkt aller nationalen mytholo- gischen Bewegung und verbreitete sich auch äufserlich durch das ganze Land. Durch die Erhebung von Memphis erhielt der memphitische Lo- kalgott Ptah-Hephaistos seine besondere Stellung an der Spitze der Thi- nitischen Götter. Der mythologische Procefs in der Weltanschauung war ö damals, im Beginn der geschichtlichen Zeit des Aegyptischen Reichs, noch flüssig und schöpferisch genug, um an dieses Ereignifs zugleich einen grofsen geistigen Fortschritt zu knüpfen. Piah wurde nicht mit Aa identificirt, sondern als eine geistigere Potenz angesehen und als solche, in der Mem- phitischen Lehre wenigstens, noch über den Aa gesetzt; Ita selbst, die physische Erscheinung des Weltgottes, wurde als erzeugt von dem aus dem Geiste schaffenden Piah aufgefafst. Wenig davon verschieden war später der mythologische Verlauf in Theben, als dieses an die Stelle von Memphis getreten war. Aufser der Spaltung des Ra in die beiden Götter Mentu und Atmu, deren Doppel- existenz in gewisser Hinsicht den Mangel der geschlechtlichen Duplieität ersetzen sollte, trat hier die Erhebung des Thebanischen Lokalgottes 4m- mon ein. Er wurde zwar, der Lehre nach, nicht über Aa gesetzt, aber mit ihm identifieirt, und zwar mit derselben Wirkung wie in Memphis, dafs nun wieder Ammon zu einem den Ra gleichsam vergeistigenden Principe wurde, auf dessen religiöse und philosophische Entwickelung sich bald die spekulative Thätigkeit der Priester wendete. Eine höchst merkwürdige Episode in der Geschichte der ägyptischen Mythologie verdient hier erwähnt zu werden, weil an dieser Stelle ihr all- gemeinerer Zusammenhang am verständlichsten werden dürfte. Ich meine die eigenthümliche Entgegenstellung des reinen Sonnenkultus gegen die Herrschaft des geistigeren Ammonsdienstes unter der Regierung eines Königs der 18. Dynastie, Amenophis IV. ('). Dieser König, der im Anfange (') Man hat über diesen König, wegen der eigenthümlichen Darstellungen aus seiner Regierung, und weil man Baustücke seiner Tempel in Gebäuden des Königs Horus ver- baut gefunden, die wunderlichsten Meinungen aufgestellt, indem man ihn bald für uralt, sogar vormenisch, bald für einen Hyksoskönig hielt. Ich habe ihn nie für einer an- dern als der 18. Dynastie zugehörig gehalten, und so hat er sich nun längst ausgewie- sen. Er war ein Sohn Amenophis IIH., den er in Soleb anbetet, und der Königin Tü, welche in Amarna öfters als seine „königliche Mutter” in hohen Ehren erscheint. Sein * und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 197 des 15. Jahrhunderts den Thron der Pharaonen bestieg, versuchte nichts Geringeres als eine Purificirung, denn so erschien es ihm ohne Zweifel, der ganzen ägyptischen Landesreligion, durch eine radikale Zurückführung der- selben auf ihren ersten Ursprung, den Kult der Sonne, als deren einziges Bild nur der Diskus selbst geduldet wurde. Er ging so weit die sämmtlichen ägyptischen Götter, die ja alle erst spätere Ableitungen und insofern Ver- unstaltungen des Urdienstes waren, vornehmlich aber den Ammon als herr- schenden Gott von Theben, aus allen Kultusstätten des Landes vertreiben zu wollen, und gab den Befehl, den wir zur Verwunderung vollständig aus- geführt sehen, alle Götternamen auf allen öffentlichen Monumenten und selbst bis in die zugänglichen Privatgräber hinein, auszukratzen und ihre Bilder nach Möglichkeit zu vernichten. Man hatte bisher nur die Zerstörung der Bilder und Namen des Am- mon als des häufigsten Gottes in Theben, bemerkt und verschieden erklärt. Namentlich vermuthete man unter den später wieder aufgesetzten Namen des Ammon einen andern Gott, den er verdrängt hätte. Es findet sich aber, dafs in den Hallen des dritten Tuthmosis im grofsen Ammonstempel von Karnak, in dem nicht fern davon liegenden Phthatempel desselben Königs, so wie in dem Tuthmosistempel der Memnonien zu Medinet Habu, desglei- chen in allen Skulpturen Amenophis III. in Lugsor, und an vielen andern Orten, sämmtliche Götternamen mit wenigen vergessenen Ausnahmen ausgekratzt und erst später wiederhergestellt worden sind (!). Die Verfol- gung betraf allerdings hauptsächlich den Ammon und seine Gemahlin, weil dieser damals an der Spitze der Götter stand. Davon finden sich zahlreiche Beispiele in allen Theilen Aegyptens, von den Tempeln zu Soleb und Sem- neh in Aethiopien bis zu den Privatgräbern aus der zwölften Dynastie in wirklicher und ursprünglicher Name, ehe er sich Bey-en-aten nannte, war Amenophis (IV) und der seiner Gemahlin, die den ihrigen gleichfalls änderte oder doch vermehrte, Nefru- titi. Vor seiner Thronbesteigung scheint er ein Priester des Ra gewesen zu sein, da er sich noch im Anfange seiner Regierung als König zugleich „ersten Priester des Sonnengottes” nennt. S. Denkmäl. III, 110. (‘) Denkmäl. Abth. III, 35.74. u.a. Die Wiederherstellungen sind zum Theil durch Abschleifen grolser Flächen so sorgfältig gemacht, dafs sie nur bei genauer Besichtigung zu erkennen sind. Nur die deutlichsten Zerstörungen sind in dem Denkmälerwerke der preulsischen Expedition angegeben worden; mehr wird im Texte darüber gesagt werden. 198 Lersıus über den ersten Aeg gyptischen Götterkreis Benihassan. Die Göttin Neben (!) (Eileithyia) wurde ebenso streng ver- folgt, wahrscheinlich weil sie dasselbe Symbol wie Mut, die Gemahlin des Ammon, den Geier führte und überhaupt nur die lokale Form der Mut von Eileithyia gewesen zu sein scheint. So ist der von Amenophis IH. zu El Kab, dem alten Eileithyia, ihr errichtete Tempel in allen Darstellungen auf.das schonungsloseste verunstaltet worden, indem ihr Name und die ganze Figur auf allen Wänden ausgekratzt wurden (°). In allen während der Regierung dieses Königs ausgeführten Inschriften findet sich kein Gott genannt, aufser Ra; sogar die den verfolgten Göttern heiligen Symbole wur- den in der Schrift sorgfältig vermieden. Der Geier, ursprünglich nur das Symbol für das Wort Mutter, dann dieser Bedeutung wegen auch Sym- Ga ) Die Göttin in 1 J2 oder 1,5 INr wurde bisher Suden gelesen. Das Zeichen List aber in 7) neben wa, in _Qü neben \\ , in N. neben N m nen neben ir: nd di N 9 N Ö Ö) iA andern Gruppen unzweifelhaft ein n; wir werden daher auch die Geiergöttin vielmehr Neben oder Neben't lesen müssen. Zwar findet sich in den angeführten Fällen hin und wieder auch 1 für N gesetzt; die richtige Schreibart war aber a" und die Form | findet sich zwar häufig in neueren Abschriften und Publicationen, ist mir aber auf sorgfältig behandelten Originalen guter Zeit nicht vorgekommen, und würde selbst da nur als Ver- sehen des Sculptors angesehen werden müssen. (?) Eben geht mir mit der Korrektur des gegenwärtigen Bogens zugleich die Beilage zu No. 262. der Allgem. Zeitung vom 19. Sept. zu, in welcher durch ein wunderliches Milsver- ständnils die Autorschaft jener Götterverfolgung des Sonnenverehrers, deren Ergründung mich so oft beschäftigt hat, niemand anders als mir selbst zugeschrieben wird. Ein jugendlich begeisterter Apostel der Röthschen Glaubenslehre, Herr Julius Braun, ka- rakterisirt nämlich in einem Briefe aus Aegypten jenen Tempel des Amenophis, den er „der phönikischen Raumgöttin Eileithyia,” „der Göttin von Syene,” „dem Bilde der Geburtsschmerzen” widmet, durch den einfachen Zusatz: „von Lepsius ver- stümmelt.” Da wir während unsers kurzen Aufenthaltes in El Kab durchaus nichts für unsre Sammlung, welche jetzt in Berlin aufgestellt ist, von dort mitgenommen haben, als einige Zeichnungen und Papierabdrücke, so kann Herr Julius Braun offenbar nur jene 3600 Jahre alten Verstümmelungen seiner „‚phönikischen Raumgöttin von Syene” im Auge gehabt haben. Der gelehrte Landsmann hätte besser gethan, die für jeden verständigen Leser handgreiflichen Erfindungen über den Zerstörungseifer der Preulsischen Expedition, nebst dem gleich darauf folgenden Spottangriffe gegen das Preufsische Heerwesen, den französischen und englischen Touristen, deren Spuren er in taktloser Weise breit tritt, zu überlassen. Wenn er auf neue Weise glänzend debütiren wollte, so waren dazu seine geistreichen mythologischen Visionen, über die sein gefeierter Meister selbst erröthet sein dürfte, mehr als hinreichend. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 199 bol der Göttin Mut, ward deshalb in jener Zeit auch in der gewöhnlichen Bedeutung für Mutter nicht mehr gebraucht, sondern ohne Ausnahme durch ein allgemein phonetisches Zeichen des m, oder = ersetzt. Die Consequenz seiner unerhörten Mafsregeln trieb den König sogar dahin, dafs er seinen eigenen Namen Amenophis, da er mit Ammon zusammengesetzt war, nachdem er ihn eine Zeit lang noch auf dem Throne geführt hatte, ver- änderte und dafür den neuen Bey-en-aten „Verehrer der Sonnenscheibe” annahm. Auch die von ihm selbst bis dahin errichteten Monumente muls- ten daher der Verunstaltung ausgekratzter und übergeschnittener Namen un- terliegen. Seinen Vorgängern Amenophis I. und Il. und seinem eigenen Vater Amenophis III. konnte er keine neuen Namen geben. Um aber auch hier den verhafsten Gott überall verschwinden zu lassen, wurde auf den sämmtlichen Monumenten seiner Vorfahren das Familienschild Amenophis zerstört und statt dessen das jeden König unterscheidende Thronschild eingeschrieben. Daher die auffallende Erscheinung, dafs man so häufig zwei Schildern mit dem Namen Ra-neb-ma, dem Thronnamen Amenophis III, neben einander begegnet. Ebenso findet sich in den Darstellungen Ame- nophis II. das Schild Ra-aa-ter-u zweimal neben einander (!). Endlich scheint es dem kühnen Reformator in der königlichen Ammonsstadt selbst nicht mehr geheuer gewesen zu sein. Er verliefs sie und baute sich eine neue Residenz in Mittelägypten, in einem grofsen Ausbug der östlichen Thal- seite. Die Gegend wird heutzutage El Amarna genannt. Hier dehnt sich ein weites Ruinenfeld zwischen den Dörfern El Tell (?), Hag'i Kandil, Ama- rieh und Hauäta aus, in welchem noch jetzt lange gerade Strafsen und die Grundrisse unzähliger Häuser, grofser Prachtanlagen, von denen eine allein an 750 Pfeilerreste auf einen Flächenraum von c. 170,000 Q Fufs erkennen läfst, mehrerer anderer Paläste und Tempel, und in der Mitte die Umrisse des Haupttempels des Sonnengottes mit zwei Vorhöfen und drei Pylonpaa- ren sichtbar sind (*). In den Felswänden des zurücktretenden Gebirgs sind Ö x Sta Amenophis II. WR EI Amenophis III. Denkmäl. aus Aeg. Denkmäl. aus Aeg. III, 61. 66. 67. BR BAER III, 82. 83. 89. 8 On Der Se ” eine gewöhnliche arabische Bezeichnung für alte Ruinenstätten. (°) S. die Aufnahme der ganzen Gegend und der Stadtruinen Denkmäl. Abth. I, Taf. 63.64. 2 200 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis die Gräber seiner vornehmsten Beamten eingehauen, voll der interessante- sten Darstellungen jener Zeit, von denen Einiges jetzt auf den Wänden un- sers Neuen Museums ausgeführt ist. Hier erscheint der König selbst häufig dargestellt; die höchst eigenthümliche Bildung seines Kopfes, seiner Ge- sichtszüge und der ganzen Gestalt, die überall unverändert wiederkehrt, beweist, dafs wir in diesen Darstellungen sein Porträt vor uns haben, das sich von dem der übrigen Pharaonen, deren Porträts wir besitzen, auffallend unterscheidet. Bald steht er zu Wagen, hinter ihm die Königin und die Prinzessinnen gleichfalls zu Wagen, seine Leibgarde im vollen Laufe zur Seite, im Hintergrunde der Palast, den er verlassen hat('); bald vertheilt er von einem Balkon seines Palastes zahlreiche Kränze an begünstigte vor- nehme Diener (?). Dann schreitet er wieder, seine königliche Mutter Tä an der Hand führend, in den Tempel der Sonne (?). Hier wird er beim Eintritt aus dem ersten in den zweiten Vorhof von dem obersten Priester der Sonne mit tiefer Verbeugung empfangen ; in der Mitte des zweiten Ho- fes, der von offenen Hallen und vielen Statuen des königlichen Paares und der königlichen Eltern umgeben ist, steht unter freiem Himmel der mächtige Sonnenaltar, mit Opfergaben angefüllt, zu welchem eine Treppe hinauf- führt; auch die hintersten bedeckten Räume des Tempels bis zur innersten Zella, welche um einige Stufen erhöht und durch einen Kandelaber erhellt ist, sind sichtbar. Auch hier ist, gegen sonstige ägyptische Sitte, keine Statue des Sonnengottes aufgestellt. Dieser erscheint überhaupt nie in menschlicher Gestalt. Die Verehrung galt nur dem sichtbaren strahlenden Sonnendiskus selbst. Dieser erscheint schwebend über dem Tempel und über dem König, wo dieser sich immer zeigt. Von dem Diskus gehen nach unten viele Strahlen aus, deren jeder einzelne in eine Hand endigt. Die Strahlenhände vor dem Gesicht des Königs und der Königin halten ihnen das Symbol des Lebens an die Nase, durch welche der lebendige Odem ein- strömend gedacht wurde; andere umfangen ihre Körper. Rauch-, Trank- und Speise-Opfer werden der Sonne stets unter freiem Himmel gebracht, und so bewegt sich auch der äufsere Kultus des neuen Gottes überall im Gegensatze zu dem bisherigen. (') Denkmäl. III, 92. 95. (2) Denkmäl. III, 97. 103. 105. 109. (°) Denkmäl. III, 101. 102. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 201 Die merkwürdige Episode war übrigens nur von kurzer Dauer. Wir wissen, dafs der König Bey-en-aten wenigstens zwölf Jahre regierte. Er hatte sieben Kinder, die so häufig abgebildet sind, dafs wir sie auf den Mo- numenten heranwachsen und sich allmälig von drei zu sieben vermehren se- hen. Es waren aber nur Töchter; der König hatte keinen Sohn. Doch finden wir die älteste Tochter, wahrscheinlich noch bei Lebzeiten ihres Vaters, an den designirten Nachfolger verheirathet, welchem der König be- reits einen Theil seines Reichs oder seiner Herrschaft abgetreten zu haben scheint, da sich sein Schwiegersohn auch schon König von Aegypten, und seine Tochter Königin nennt ('). Jedenfalls erhob sich aber schon nach wenigen Jahren die entschie- denste Reaktion von Seiten der alten nationalen Hierarchie. Die alten Göt- ter traten wieder in ihre Rechte ein; ihre Bilder und Namen wurden wieder hergestellt, neue Tempel gebaut; dagegen wurden alle Heiligthümer und Paläste des Diskusverehrers zerstört und abgetragen, und selbst die Bild- werke in den Felsengräbern und an den Wänden des Gebirgs, so weit sie diesen König und seinen Gott betrafen, ausgekratzt oder mit Stuck ausge- füllt. Die ganze neu erstandene Residenz wurde entvölkert und gewaltsam zerstört, daher ihre Ruinen noch jetzt einen so interessanten und lehrreichen Anblick gewähren; denn plölzlich entstanden und plötzlich zerstört, tragen die regelmäfsigen, durch keinen historischen Schutt verwischten und verän- derten Anlagen, noch ganz den Charakter einer neuen, trotz ihrer Gröfse leicht überschaulichen Stadt, wenigstens in ihren architektonischen Grundrissen. Die Gräber des Königs und seiner Familie sind nicht aufgefunden, und mögen gänzlich vernichtet worden sein. Der Name des königlichen Re- formators erscheint auf keinem späteren Denkmale, und wurde in allen of- fieiellen Listen geflissentlich übergangen. Es dauerte aber noch längere Zeit, bis diese, wenngleich kurze, doch begreiflicherweise tief auch in die dyna- stischen Verhältnisse eingreifende Revolutionsepoche ganz eigner Art über- wunden wurde. Wir finden noch zwei andere Könige auf diesen Amenophis folgen, deren Legitimität oder Regierungsweise angefochten wurde, obgleich (') Die Königin heilst wenigstens ebenso wie die älteste Tochter, die allerdings in demselben Grabe auch als Prinzessin erscheint. S. Denkmäl. III, 99. Philos.- histor. Kl. 1851. Ce 202 Lersıus über den ersten degyptischen Gölterkreis sie dem neuen Sonnenkult entsagt hatten. Erst der dritte Nachfolger Ho- rus wurde von den spätern Königen anerkannt und in der legitimen Königs- folge aufgenommen, und mit diesem schlofs die Dynastie. Eine neue Kö- nigsfamilie, die der Ramses folgte, und hob schon unter ihrem zweiten und dritten Könige, den Pharaonen Josephs und Mosis, das Reich auf den Gip- felpunkt seiner Macht. Es ist in der That schwer zu begreifen, welche besondern Umstände einen legitimen Pharaonen ermuthigt haben mögen, eine so vollständige Umwälzung der tiefgewurzelten Religionslehre eines grofsen und hochgebil- deten Volkes zu versuchen. Es ist möglich, dafs der Kult andrer Völker, sei es der angrenzenden Aethiopen (!), mit denen die Aegypter während der Hyksosherrschaft in engere Verbindung gekommen waren, sei es der durch die Kriege der Tuthmosis und Amenophis ihnen bekannt gewordenen asia- tischen Völkerschaften, einen äufsern Anstofs dazu gegeben haben. Immer wird man die tiefere Erklärung dieser eigenthümlichen historisch -mytholo- gischen Erscheinung nur darin finden können, dafs dem vielgestaltigen ägyp- tischen Polytheismus der Sonnendienst, der jedoch längst zu höheren Stufen vermenschlicht und vergeistigt worden war, ursprünglich zum Grunde lag. Der letzte Versuch endlich einer mythologischen Neuerung und nach- träglichen Erhebung eines Lokalgottes über die andern Götter des Landes, den wir kennen, knüpft sich an die letzte ägyptische Königsresidenz, an Alexandrien. Die merkwürdigen Umstände bei der Gründung des Sa- rapiskultus durch den ersten Ptolemäer, des Lagus Sohn (?), in dieser schnell aufblühenden Stadt, die, den politischen Umständen gemäfs, den (') Eine Andeutung von der Verehrung der physischen Sonne bei den langlebigen Aethiopen liegt in dem, was Herodot (III, 18) von dem sogenannten „‚Sonnentische’” erzählt. (2) Plutarch de Is. c. 28. Auch Taciz. hist. IV, 83 kann unter dem Piolemaeus rex, qui Macedonum primus Äegypti opes firmavit, nur Ptolemaeus Soter verstehen. Alle übri- gen Nachrichten, die von Tacitus IV, 84 angeführt werden, verlegen die Einführung unter Ptolemaeus Philadelphus; denn auch der ungewöhnliche Ausdruck: Prolernaeo, quem tertia aetas tulit, kann doch nur d> dritte Königs-Geschlecht bedeuten, wobei Philipp und xander II, wie Annal. VI, in den Worten: qui ex Macedonibus tertius regnaoit über- gangen sind. Sollte Ken gemeint sein, so a: diese Nachricht ganz vereinzelt stehen, und sich schwer begreifen lassen. und seine geschichtlich- mythologische Entstehung. 203 Schwerpunkt des ganzen Reichs an die Küste des früher verabscheuten Salz- meeres legte, werden von mehreren Schriftstellern erzählt, und sind nebst ihren mehrfachen Abweichungen bekannt. Der neue Gott wurde von dem griechischen Herrscher gewifs mit Bedacht zugleich aus einer griechischen Stadt genommen und in einem ägyptischen Gotte wiedergefunden (!). Ursprünglich war der Sarapis eine unterweltliche Gottheit, welche von Plutarch geradezu IIAcUrwv genannt wird, von Tacitus Dis pater. Daher konnte er auch mit Osiris, dem Dionysos oder Pluton den Griechen (Diod. 1, 25) identifieirt werden. Zugleich lag es aber in seiner neuen Stellung, die er nach dem Willen der Alexandrinischen Herrscher an der Spitze der ägyptischen Götter einnehmen sollte, dafs er auch mit Ra, der Sonne, dem Könige der Götter, eins werden mufste; daher wir ihn in den griechi- schen Inschriften nicht selten als Zeds "HAıos ueyas verehrt finden. Sein Kul- tus ward von den Ptolemäern so begünstigt, dafs Aristides (?) zwei und vierzig Heiligthümer desselben in Aegypten anführen konnte. Die späteren philosophischen Schulen hielten sich aber vorzugsweise an die für die Speculation viel ergiebigeren, und einer höheren geistigen Entwickelung in griechischem Sinne fähigeren Elemente, die sie in den drei hauptsächlichsten Lokalkulten des Osiris, Phtha und Ammon vorfanden. Alle drei waren ihnen verschiedene Wirkungen oder Potenzen ein und des- selben die Welt durchdringenden Noüs. Am vollständigsten wurde dieses in den Büchern des Hermes nach folgender Stelle des Jamblichus (°) ausgespro- chen: 'O Önmioupyınös voüs, zul 715 aAyIelas meosTarns zal Tobias, Eoyouzvos uEy Emı yeverw nal ryv dbavy Tav RERQUMMEVUV Acyuv Öuvanıy eis dus ayuv "Auuwv zard zyv ray Alyumriuv yAurcav Acyeraı. uvreruv dE anbeudas Enarra al reyyiızüs Mer’ armIelas BIa.... ayasay dt romrızds dv "Orıgıs KEerAgTaL. Der letzte der drei, Ammon, war ihnen also der erste geworden, der geistige Schöpfer, der das Verborgene nach der Wahrheit ans Licht bringt; als zweiter steht neben ihm PAiha der mit höchster Kunst und Har- (') S. unten Zusatz B. (2) VII, 56. oUr0s Övo zul TerT@gEzoVT«e iega zar ’Alyumrov, 00705 mavrus Tolg dv my veug Fuvey st TE zur ZOTWEl, dUrgE rov davegwv zu FDV dmopenru, Hryepv dvSgumuv za Ödamovuw. Die Zahl 42 war bei den Aegyptern heilig (s. m. Vorrede zum 'Todtenbuch p. 6) und sollte daher vielleicht nur eine grolse Menge bedeuten. (?) De myst. 8,3. Cc2 204 Lersıvs über den ersten Aegyptischen Göltterkreis monie ausführende Bildner des Schönen; und als dritter Osiris, welcher das Gute in der Welt schafft. Dann aber fährt er fort: "Errı &4 oiv zal @AAy rıs üyenovia mag aureis av megt yeverıv 0Auv FTOIYEIWV Hal Tav Ev aurois Öuvanewv, reragwv ev agrevinwv, rerragw ÖE SyAurav, Ara dmoveuourw 'HAiw. Es sei aber noch ein andres Prineip bei den Aegyptern das über die Elemente und deren Kräfte ge- setzt sei. Dieses werde der Sonne zugetheilt. Hier ist der Gegensatz des Sonnenkultus in seiner kosmischen Natur, und der drei Localkulte in ihrer intellektuellen Bedeutung, wie er sich allmälig immer schärfer herausgebil- det hatte, deutlich ausgesprochen. Auch über diese an den Sonnenkult angeknüpfte Lehre und my- thologische Darstellung der vier Elemente, Wasser, Feuer, Erde und Luft, zu welchen das Iveuua als fünftes tritt, geben uns die Denkmäler höchst willkommene Aufschlüsse, deren Darlegung aber einer folgenden Abhandlung überlassen bleibt. Zusatz A. (p. 183). Über Set- Typhon. Der Gegensatz zwischen Set (r0v Tusava 399 dei Alyurrısı naAoueıw Plut. de Is. c. 41) und Horus oder Osiris ist schon alt, und älter als die Ver- folgung desselben durch die Priester. Sein Name findet sich schon im alten Reiche, z. B. auf dem werthvollen Altar in Turin aus der sechsten Dynastie. Hier wird er zweimal genannt; erst in der Reihe der ältesten Götter, wie oben angeführt; bier ist sein Name zerstört; dann unter den folgenden Lokalgöt- tern, wo er = geschrieben ist, mit dem Determinative des Steins. Im Neuen Reiche erscheint er meistens mit dem Kopfe oder in der Gestalt eines fabelhaften Thieres von gelber Farbe, mit hohen abgestutzten Ohren, ge- bogener Schnauze, und hoch aufgerichtetem starrem Schwanze : Kr Er wird auf den Denkmälern der 18. und der nächstfolgenden Dynastieen ge- wöhnlich SR oder Je (1) Vubti oder Nudt, genannt, d.h. „der Om- bische” (Gott), weilerin Ombos vorzüglich verehrt wurde. Dafs dies nur (') Denkmäl. III, 34. 35. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 205 ein Beiname war, von der Stadt, die schon im alten Reiche als Kultusort des Sebak (s. oben) vorkommt, hergenommen, geht daraus hervor, dafser auch am oder NINTe (') oder auch "le ohne Thierfigur und mit dem Stadtzeichen hinter sich geschrieben wird. Eine besondere Verehrung wurde ihm in der 19. Dynastie zu Theil, in welcher sich mehrere Könige nach ihm benannten. Auch hier wird er meistens nur symbolisch geschrieben; doch findet sich nicht selten auch ein besonderer Name für ihn, und zwar in der Form Ydo4 oder IS N ; Sutey, mit dem Determinativ des Thieres. Dafs hiermit kein fremder, neu eingeführter Gott, gemeint ist(?), was an sich viel für sich zu haben scheint, eht daraus hervor, dafs er denselben Titel führt, wie der Gott von Ombos, nämlich YBoNI2H (?) „Sutey-aa-peh'ti” (*), und sogar Sms „Sohn der Nut” (°) heifst, wie er auch, mit dem Thiere allein geschrieben, auf andern Monumenten jener Zeit öfters genannt wird. Es läge also höchstens die Identificirung eines fremden Gottes mit dem altägyptischen vor, wenn nicht vielleicht anzunehmen ist, dafs in jener Zeit die allgemeine Form des Namens Sutey war. Dann würden wir auch den Namen der beiden Könige Sethos I. und II, welche sich schrieben und bisher nach meinem eigenen Vorgange ‚Seti gelesen wurden, hiernach Suteyi lesen müssen (°). Auf der Rückseite des Ramses-Kolosses in Berlin ist der Gott ISSN z mit eigenthümlichem Kopfschmucke darge- stellt und wird von dem Prinzen Menephthes, Sohn des Königs Menephthes angebetet, während unmittelbar darüber der König Menephthes „geliebt vom N (Suteg) des Menephthes” genannt wird, und in einer Inschrift ') Unter Amenophis II. in einem Grabe von (Qurnah. 2) De Rouge£, Rapport sur l’explor. des coll. &g. p. 6. ®) Pap. of the Brit. Mus. pl. 27.165 Rev. 2) =99% wird in der Inschrift von Rosette usyaAsdo&os übersetzt. ) Pap. pl. 32. ) Suteyi würde man später SwSerıs gesprochen haben, wie Xufu Soödis u.a. Im Namen S2Swoıs, wo das doppelte & und der lange Vocal immer schwer zu erklären wa- ren, würde dann nur eine Versetzung des Vokals stattgefunden haben. Die Anwendung scheint mir aber noch bedenklich, weil sich in Silsilis der Name eines Prinzen des Kö- nigs Menephthes ZANDER geschrieben findet, wo das zerstörte Zeichen kaum etwas anderes als die Sez-Figur sein konnte, und auf einem Smaltringe in meinem Be- sitze derselbe Name Sezi mit dem Thier und der Endung z sehr deutlich zu lesen ist, 5 6 rn rn rn rn rn en 206 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis am Tempel von Karnak (') vom 21. Jahre Ramses II. wird in der zweiten Zeile Ki „Sohn der Nut,” und im Verfolge häufig Ydo4 genannt; man las also die Figur des Gottes Sutey auch wenn der phonetische Name nicht da- vor stand. Diese bei Rosellini nicht sehr correct mitgetheilte Inschrift war es ohne Zweifel, welche Herrn de Roug£ zu der Meinung veranlafste, der Kult des Gottes Sutey, dessen Name mir allerdings noch nicht unter Sethos I, aber schon im 5. Jahre seines Nachfolgers begegnet ist, sei von Ramses I. in Folge seiner Kriege gegen die Xeta eingeführt worden. Es wird hier nicht nur der Sutey der Xeta, sondern auch die Sutey mehrerer einzelner frem- der Städte genannt. Daraus scheint hervorzugehen, dafs der Ombische Gott überhaupt als ein Gott des Auslandes angesehen wurde, in wel- chem sich alle fremdländischen Götter wieder finden liefsen. Daher kommt es, dafs dasselbe fabelhafte Thier sich in derselben Zeit auch hinter dem Namen des Gottes nd Bar oder ee Baru als Determinativ findet, der jedoch stets vom Sutey, dem Sohne der /ut, unterschieden, zu- weilen unmittelbar neben ihm genannt wird (?) und nicht ohne eine ge- wisse Wahrscheinlichkeit mit dem semitischen Bal zusammengestellt worden ist. Ebenso würden sich die von Plutarch (?) genannten als ägyptisch nicht nachzuweisenden Namen Zw) und B&Qwv (Beßus) als fremden Typhonischen Göttern zugehörig erklären lassen. Dieser Begriff des Sei oder Sutey als des aufserägyptischen Got- tes dürfte überhaupt den Schlüssel zu der räthselhaften Natur desselben und seiner zu verschiedenen Zeiten verschiedenen Auffassung darbieten. Die späten griechischen, aber doch zum Theil aus Manethös entnomme- nen Erzählungen und Deutungen dieses Mythos sind dann eine begreifliche Entwickelung des alten Verhältnisses. Der Gegensatz des Set zu Osiris und dessen Verjüngung Horus tritt bereits in den ersten Dynastieen des Neuen Reiches hervor. Bekannt sind die Darstellungen der doppelköpfigen Gottheit, welche nach der einen Seite als Horus, nach der andern als Set dessen Schreibung sich mit der Lesung Suzeyi nicht verträgt. Wir müfsten dann für den Sohn der Nut eine kürzere Form Set oder Suti (s. unten) und eine längere abgeleitete Sutey in gleichzeitigem Gebrauche annehmen. ()>Ros. M. Rot. 164. (*) Pap. of the Brit. Mus. pl. 32. (©) De Is. c. 62. und seine geschichtlich - mythologische Entstehung. 207 erscheint (!), so wie die doppelte Krönung der Könige durch Horus und Set, die sich noch in der 21. Dynastie findet; ähnlich erscheinen sie in an- dern symbolischen Handlungen verbunden. In dem Todtenkulte trat ‚Set erklärlicher Weise mehr zurück. Daher fehlt er in den Götterlisten der Königsgräber (s. ob.); im Reiche des unte- ren Osiris hatte er keine Macht. Daraus scheint die merkwürdige Erschei- nung herzuleiten, dafs die Könige Sethos I. und II. und Setnegt in ihren eigenen Gräbern mit veränderten Namen erscheinen. Statt der Figur des Set ist fast überall die des Osiris entweder gleich ursprünglich gesetzt, oder nachträglich, aber nicht erst in späterer Zeit, überge- malt. Der König war selbst Osiris geworden, das schien sich mit dem von Set hergenommenen Namen nicht zu vertragen. Die gelbe oder hellbraune Farbe des Thieres scheint nicht ohne Be- zug auf die nordischen Ausländer gewählt zu sein, welche typisch durch eine gelbliche Hautfarbe von den Aegyptern unterschieden wurden, wie auch bei Plutarch (c. 22. 30. 31.) Typhon selbst rugges #7 xgcx genannt wird und die hellfarbigen Menschen (?) für typhonisch galten. Aber es gab auch einen schwarzen Set mit Bezug auf die Neger. Dieser wurde durch einen schwarzen Raben mit den hoch abgestutzten Set- Ohren dargestellt und hiefs Sal ‚ Set nehes, der Neger Set(°); ja derselbe geöhrte Rabe IN oder ist auch häufig das erste Zeichen im Worte nehes, Neger, selbst, und lautet dann 2, in der Gruppe UBS die Neger, NE das Ne- gerland. Der Gegensatz des Aufserägyptischen zu Aegypten war nicht noth- wendig ein feindlicher. Selbst die bei andern Völkern verehrten Götter pflegten im Alterthume als solche anerkannt und geachtet, und am liebsten als unwesentlich verschiedene Formen ihrer eignen Götter angesehen zu werden; auch die Aegypter nahmen schon früh fremde Götter in ihrem eige- nen Lande auf. Set ging aber selbst von Aegypten und dessen Götterge- schlechte aus und wählte sich nur seiner von Ursprung an gegentheiligen (*) Champ. Notices p. 420 aus dem Grabe Ramses III, Wilk. Mann. pl. 38 aus dem eines späteren Ramses. (G)) muggol, TaoWy por bei Plut. c. 30. 33. Diod. 1, 88 sind nicht die rothhaarigen, son- dern die geldhäutigen. (?) Burton, Exec. hierogl. pl. 37. 208 Lersıus über den ersten Aegyptischen Götterkreis Natur gemäfs die Herrschaft über das Ausland, das er den von ihm geliebten Herrschern zu Füfsen legte. Das Verhältnifs konnte sich aber auch anders gestalten. Wenn das Fremde feindlich, siegreich und unversöhnlich auftrat, mufste die eigne Feindschaft geweckt werden; der Gegensatz wurde der von Gut und Böse, von Verehrtem und Verabscheutem. Eine solche Zeit trat in Aegypten ein; wir finden die Figur und den Namen des Set fast auf allen Denkmälern ausgehackt und verstümmelt. Die Epoche wann dies geschah, ist mit Bestimmtheit noch nicht nachzuweisen. Die letzten Beispiele der Verfolgung, die mir vorgekommen sind, gehören in die 21. Dynastie. Aus der 22. Dynastie kenne ich überhaupt keine Erwähnung des Set; doch be- sitzen wir aus dieser und den nächstfolgenden verhältnifsmäfsig wenig Mo- numente, so dafs ein Schlufs aus dem Nichtvorkommen in dieser Zeit un- sicher sein dürfte. Leider ist die Chronologie der einzelnen Todtenpapyrus noch wenig erforscht, und von den meisten ist nicht einmal der Fundort verzeichnet worden. Die grofse Turiner Rolle scheint wie die ihr ähnlichen, nament- lich das längste Pariser Exemplar, aus Theben zu stammen; dorthin gehört auch eine gewisse Klasse dem Style nach sehr verschiedener Papyrus, die sich durch eine kräftige ziemlich cursiv gehaltene Hieroglyphenschrift aus- zeichnen. Diese scheinen die älteren zu sein und dann würde Manches da- für sprechen, dafs das Turiner Exemplar, dessen stilvolle Zeichnung viel- mehr auf die ersten Dynastieen des Neuen Reichs hinweisen würde, viel- leicht in die zweite Blüthezeit, in die Dynastie der Psametiche gehören dürfte. Ohne jedoch späteren genaueren Untersuchungen über die Epoche dieser Papyrusliteratur vorgreifen zu wollen, scheint doch soviel mit Sicher- heit behauptet werden zu können, dafs jene Rolle nicht, wie die Herren Hincks und de Rouge meinen, in Ptolemäische Zeit gehört. Im Todtenbuche nun wird der Gott wie auf dem Turiner Altar lE (K. 42, 8) oder (| m "N (K. 17, 74) Set mit dem Determinative des Steins geschrieben; doch findet sich nicht selten auch die Schreibart 5 (K. 78, 34. 110, 14), m (K-78, 31), ie sg). 8, 3.110, 11. 140, 6); auch die Gruppe Ins 2 ( (K.9, 3) scheint hierher zu gehören. Dieser Name Sut oder Suti, 1 sich bereits in der Götterliste der 21. Dynastie unter Her- hor findet (Taf. Il.no.2), erinnert wieder an den früheren Suzey, während und seine geschichtlich -mythologische Entstehung. 309 durchaus nichts berechtigt, wie Andere selbst ohne diese Schreibart zu ken- nen, zu thun pflegen, dabei an den Stern der weiblichen Sothis zu denken. Der Gott ist zwar in der Götterreihe K. 134 und 141, wahrscheinlich aus denselben Gründen wie in den Königsgräbern, ausgelassen; doch wird er K. 140 an seiner Stelle aufgeführt. Sein Kampf mit Horus scheint K. 17, 25 erwähnt zu werden; und K. 42 wird er nicht, wie Andere annehmen, mit Thoth identifieirt, sondern mit ihm zusammengestellt, wie dies schon in älterer Zeit geschieht. Dagegen erscheint Thoth bereits an der Stelle des Sei auf dem Sar- kophage der Prinzessin Anches-en-Ranefruhet im Brittischen Museum, und in Ptolemäischer Zeit wird er überall in den Götterreihen durch Thoth oder Horus ersetzt. Die Auffassung des Typhon, wie wir sie bei den Griechen sehen, dürfte sich ihrem wesentlichen Theile nach ebenso schon bei Manethös ge- funden haben. Er wird von seiner Mutter Rhea (Nut) nicht auf die rechte Weise geboren, sondern bricht plötzlich durch ihre Seite hervor (Plut. c. 12); er ist feuerfarben und sendet die ausdörrende verderbliche Hitze, daher er nach Einigen (c. 52) auch die Sonne, nämlich die versengende, feindliche sein konnte, im Gegensatz zu der erfrischenden Feuchtigkeit des Ösirischen Nils (ec. 33. 64); er ist zugleich der Gott des Salzmeeres (c. 32. 33), welches die segensreichen Wellen des Nil verschlingt, und der schwarze Erdschatten, durch welchen das Licht des Mondes verlischt (c. 44). Er wirkt in jeder gewaltsamen Hemmung und Widerstrebung (c. 49. 62) und ist der verblen- dete Feind der Isis, welcher die heilige Lehre zerstört und vernichtet (K. 2); er ist der Lügner und Verläumder, der den Osiris der unehelichen Geburt anklagt, wogegen er durch Hermes (Thoth) gerechtfertigt werden mufs (e. 19. 54); er tödtet hinterlistig den Osiris und sucht sich seiner Herrschaft zu bemächtigen. In einem magischen Papyrus zu Leyden (!) wird er ange- rufen als der Gott „der im Leeren ist, schrecklich und unsichtbar, der all- mächtige Zerstörer und Veröder, der Alles erschüttert und selbst unüber- windlich ist.” Er wird den götterfeindlichen T'yphon und Python verglichen (ec. 25); ihm ist das böse Krokodil und das wilde Nilpferd heilig (c. 50), und besonders der störrige, übermüthige, troınpetenstimmige Esel, welcher (') Reuvens I, p. 39. Philos. - histor. Kl. 1851. Dd 210 Lersıus über den ersten degyplischen Götlerkreis daher ın Koptos vom Felsen gestürzt wurde, am Feste des Helios kein Futter erhielt, auch auf den Opferkuchen gefesselt abgebildet ward (c. 30. 31. 50). Überhaupt schrieb man dem Typhon alle Thiere, Pflanzen und Ereignisse böser und schädlicher Art zu (c. 50), und sein Geburtstag galt für einen allgemeinen Unglückstag (c. 12). Aber Typhon war nicht allein der Gott der dürren Wüste und des unfruchtbaren Meeres, die Aegypten, das glückliche Land der Mitte, feind- lich umgeben, sondern auch der im Süden und Norden stets drohenden Nachbarvölker, der Aethiopen und Palästinenser. Auf jene weist die mit Typhon zur Verschwörung gegen Osiris verbündete Aethiopische Köni- gin Aso hin, die ihm nebst den 72 Dämonen beisteht (c. 13), und welche man, nach der physischen Deutung, auf die aus Aethiopien wehenden hei- (sen Winde bezog (c. 39). Die nördlichen Feinde wurden hauptsächlich unter dem verhafsten störrigen Esel verstanden, welcher geradezu für ein Götterbild der Juden ausgegeben wurde (!). Beidem Auszuge der Juden aus Aegypten, sollte ihnen, wie Tacitus erzählt, als sie sich in der Wüste verirrt hatten, eine Heerde wilder Esel den Weg zum Wasser gezeigt haben (?); und Plutarch (c. 31) erzählt, Typhon selbst sei auf einem Esel sieben Tage aus der Schlacht (gegen Horus) geflohen und habe dann den Hiero- solymos und Judaios gezeugt. Der den Aegyptern vorzüglich verhafste Perserkönig Ochos ward mit dem Beinamen der Esel beschimpft (Plut. ce. 31.). Auch auf späten Monumenten findet man den Sei mit einem Eselskopfe dargestellt. Aus einem gnostischen Papyrus zu Leiden ist der eselsköpfige ‚Set von Salvolini (?) mitgetheilt worden; hier trägt er in jeder Hand eine Lanze, auf der Brust ist CHO geschrieben, unter ihm WEPBHT und BOAXOCHO. Im Tempel der Apet zu Karnak erscheint er gefesselt und wird vor Ptolemaeus Euergetes II von Horus bei den Eselsohren gefafst und geschlagen, doch nicht unter dem Namen Sei. Auch am nördlichen Thor von Karnak wird er mit Eselsohren dargestellt und von EuergetesI von Seker-Osiris erstochen, Noch andere Erzählungen weisen auf die Verbindung des Typhon mit den (') Taeit. Hist. V, 4. Diod. XIV, 1. Joseph. c. Ap. 2, 7. Plutarch Symp. 4, 5. Viel- leicht brachte man den ägyptischen Namen des Esels eıw, eas, ıw mit dem ’Iew, Ai der Hebräer zusammen. (O)rRacy HistaV.9: (°) (Camp. de Rhamses pl. I, n. 38) und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. DAN verhafsten nördlichen Nachbarn hin. So sollte die Tanitische Nilmündung, die nach Osten hin am Eingange des Landes von Palästina her gelegen ist, den Aegyptern verhalst sein und nur mit Abscheu genannt werden; denn hier sei die Leiche des Osiris von den Verschwornen ins Meer hinausgestofsen wor- den und nach Byblos geschwommen (ec. 14. 15). Auch die eigentliche Grenz -Stadt des Ösirischen Reiches Abaris das spätere Pelusium (!) war nach Manethös (?) eine nach alter Sage Typhonische Stadt, und in dem nicht fern noch östlicher gelegenen Sirbonischen See sollte der er- schlagne T'yphon gefesselt liegen, wie schon Hero.dot (III, 5) berichtet. Alle diese Züge der weitverbreiteten Sage zusammengenommen wei- sen darauf hin, dafs ihr Grund älter und geschichtlicher ist, als man jetzt oft anzunehmen geneigt ist. Wenn wir auf den alten Monumenten nichts davon duieestäilitadkn, so ist das noch kein Beweis, dafs der Mythus da- mals nicht vorhanden war. Die wesentlichen Züge der mythischen Dich- tung sind die durch List erreichte Überwindung des Osiris durch Typhon und die Rache des jungen Horus, welcher den T’yphon besiegt und, nachdem dieser von der Isis wieder frei gelassen, ihn in mehreren anderen Schlachten nochmals schlägt und endlich vertreibt. Den Beweis vom Alter dieses My- thus abgesehen von den Einzelnheiten liegt schon allein in dem häufigen Beinamen des Horus Nieren „Horus der Rächer seines Vaters ri) Osiris’. In der Inschrift von Rosette wird der junge Epiphanes, nachdem er die Rebellen von Lycopolis nach langer Gegenwehr besiegt hatte, mit Hermes und Horus verglichen, „welche ebendaselbst (im Delta) die vor- mals Abgefallenen überwunden hatten’ und weiter oben mit "Ngos 6 Erauuvas Ta margı aürov ’Orıgeı Dieser Beiname des Rächers oder Reiters (denn das hieroglyphische Zeichen wird auch für awrng gebraucht) findet sich bereits in Ramseszeit, odeı noch früher. Es scheint mir daher fast unabweislich, dafs wir diese Erzählung für die mythologische Auffassung oder vielmehr für den symbolischen Ausdruck der grofsen geschichtlichen Ereignisse zu halten haben, welche das Reich aus dem tiefsten Verfall durch die endliche wiederholte Besiegung der nörd- lichen Erbfeinde auf den Gipfelpunkt seines Ruhmes erhoben und die natio- (‘) S. m. Chronol. I, p. 342. (2) Joseph. c. Ap. I, 26. Dd2 212 Lersıus über den ersten Aegyptischen G öllerkreis nalen Gefühle der Aegypter im Innersten aufregen mufsten. Nur ist es nicht möglich, dafs schon damals Set geradezu, wie dies in der späteren Sage geschah, mit dem Erbfeinde selbst identifieirt wurde. Vielmehr würde es der früheren Auffassung gemäfs seines Amtes gewesen sein, die Barbaren des Auslandes dem Osiris zu überliefern und dafür gepriesen zu werden. Erst nach einem späteren unglücklichen Kriege gegen die nördlichen Nach- barn, in welchem T'yphon selbst gleichsam abgefallen zu sein schien, konnte die letzte Gestaltung des geschichtlichen Mythus, wie er uns jetzt vorliegt, entstehen. Zusatz B. (p. 203). Über Sarapis. Der Name des Sarapis wird gewöhnlich von Osiris- Apis abgeleitet; doch zweifelt mit Recht schon Plutarch (de Is. c. 29. ei u&v Alyurrıov Errı rouvona red Zapamıdas), ob der Name überhaupt ägyptisch sei. Am meisten würde dafür sprechen, dafs sich in den griechischen Papyrus (!) öfters die Namen ’Orogarıs und ’Orcguvevis für die heiligen Stiere “Arıs und Mvevis finden. Dafs hier der erste Theil wirklich dem Osiris entspricht (gegen Letronne Inscr. I, p. 297. und Schwenck, Mythol. der Aeg. p. 98) lehrt der Vergleich mit "Orogongis d.i. Les ‚ Hesiri-uer, über dessen Zu- sammensetzung die demotische Schreibung (Young, Rudim.p.87) entscheidet. Auch hieroglyphisch kommt der Gott Osiris- Apis öfters vor z. B. auf einer Memphitischen Stele des —-P a Anemhi in Wien, wo der Tempel des Osiris- Apis NE, erwähnt wird, so wie auf einer Londner Stele des BER TTS Herhetu, und schon auf dem Berliner Sarkophag das [\" I x_ Senbe/, welcher Priester des Osiris- Apis 17 war (2). Oef- ter noch kommt die Verbindung Hap-Osiris vor, geschrieben IS 157 mit dem Zusatze = 3 z.B. auf der Berliner Stele das ls, Scha-Hap, al aa) D (') Gr. Pap. of the Brit. Mus. I, p. 33. 39. Leemans, Pap. Gr. Lugd. I, p. 42. 48, Sdrumae (?) In der letzten Gruppe ist die Gans Determinativ zum Worte Hap, wie öfter; daher auch die doppelte Gans zuweilen als Variante für den Namen des affenköpfigen Osirissohnes Hap erscheint. S. uns. Taf. I, n. 4. 5. und seine geschichtlich-mythologische Entstehung. 213 einer Londner der \== Ta-Imhotep (!), einer Wiener des vn Tethi, einer vierten des Herrn Härkis in Alexandrien (?) und auf einem Pariser Sarko- phage des MR Any-hapi. Dieser Gott wird stets mit einem Stierkopfe abgebildet, ebenso wie der Az Hapi-ang „der lebendige Apis” auf andern Monumenten. Diese letzte Bezeichnung welche auch in der Inschrift von Rosette für den Apis gebraucht wird, galt offenbar dem Stiere Apis, da ihn ein Zusatz auf der Wiener Stele das Anemhi Yan Ip Ä — „König aller göttlichen Thiere” (Vierfüfser) nennt. Der stierköpfige Apis-Osiris scheint gleichfalls den Stier Apis, als „das Bild der Seele des Osiris” (Plut. de Is. c.20) zu bezeichnen. Aber auch der "Oroparıs der Papyrus, und folglich der Osiris- Apis der hieroglyphischen Inschriften, war der lebendige Stier, da von seinem evxeros und seinem dgyevrabıerrns die Rede ist. Von dem Sarapis aber meldet niemand, dafs er als Stier verehrt, oder stierköpfig dargestellt worden sei. Dem König Ptolemaeus erschien er als ein schöner Jüngling, nach Tacitus; nach Porphyrius (bei Euseb. Pr. ev. 3, 11) ward er mit purpurnem Gewande dargestellt, und Athenodor (Clem. Alex. Protr. p- 43) sagt, sein Bild sei blau gefärbt worden, um ihn dunkel erscheinen zu lassen, was auf eine Darstellung mit Menschenkopf schliefsen lälst. Es ist daher noch sehr zweifelhaft, ob uns überhaupt schon der ägyptische Name des Sarapis vorliegt. Die interressanten Ausgrabungen des Herrn Mariette an der Stelle des Sarapistempels von Memphis werden diese Frage vielleicht lösen. Sollte sich durch sie ergeben, dafs der ägyptische Name des Sarapis wirklich Osiris- Apis war, so würden wir daraus auf die merkwürdige That- sache schliefsen müssen, dafs, wenigstens in Memphis, der neue fremde Gott von Alexandrien völlig mit dem alten Memphitischen Stiergott Apis identificirt wurde. Denn dafs der Stier "Oregarıs nicht etwa noch ein an- derer als der Stier "Arıs war, geht daraus hervor, dafs auch für den Son- nenstier in Memphis sich aufser dem angeführten Namen "Orspuveuss der einfache Mvev:s findet (Letronne Rec. des Inser. I, p. 296). Endlich würde sich daraus auch das eigenthümliche Verhältnifs der Memphitischen Tempel unter einander leichter erklären lassen, welches Letronne (p. 268) bespricht (') S. meine Auswahl Aegypt. Urkund. Taf. 16. (2) Prisse, Mon. pl. 26. 214 Lersıus über den ersten Aegyptischen Gölterkreis u. s. w. und unerklärt läfst. Der Tempel des Apis, welcher zur Zeit des Strabo (p.807) sogar wichtiger als der grofse Phthatempel war, konnte nun selbst ein Zapa- mieiov genannt werden, dem dann alle übrigen Tempel untergeordnet wur- den. Selbst das gewifs unbedeutendere von Strabo zuletzt genannte Hei- ligthum in der Wüste bei Saqgära, welches mit jenem durch eine Sphinxreihe verbunden war, und speciell dem fremden Sinopisch-Alexandrinischen Gotte, dem griechischen Sarapis, geweiht sein mochte, erschien dann nur als eine Erweiterung des Apistempels, welcher nun in Verbindung mit den übrigen Tempeln r° ueya Nagarısov genannt wurde. Auf diesen fremdartigen Ursprung weist auch Alles hin, was bisher über die erwähnten Ausgrabun- gen verlautet hat. So würde sich ferner erklären, wie in ein und demselben Papyrus der ’Orop-amıs und das Saparı-eiov genannt werden konnte, wie es kam, dafs der Stier im Serapeum lebte und starb, und endlich, wie Pau- sanias (1, 18, 4) die auffallende Behauptung machen durfte: „den Aegyptern ist das prächtigste Heiligthum des Sarapis in Alexandrien, das älteste aber in Memphis” denn der Sinopische Gott zog sicher in Alexandrien früher ein, als in Memphis. Dafs aber der Name Saparıs, der von rue, rcges, oder einem ägyp- tischen raigeı abgeleitet wurde, eine Verstümmelung von "Orogamıs sei ist, da- rum doch in keiner Weise glaublich, da der Name des "Origıs den Griechen zu geläufig war, und beide Formen, wie bemerkt, neben einander gebraucht wurden. Die Aegypter aber, die den fremden Gott nur mit grofsem Wider- streben (Zyrannide Ptolemaeorum pressi) aufnahmen, wie Macrobius (Sat.1,7) ausdrücklich erzählt, mögen die Aehnlichkeit des Namens gern, und gewils mit Beifall des weisen Fürsten, benutzt haben, ihrem alten Gotte durch die geschickte Verschmelzung noch gröfsere Ehren zuzuwenden. Zur Abhandlung di DYN.VI. Altar in Turiı DYN.XVII. Speos Artemidos. DYN.XR. Grofser Tempel von Karnak. IV. DYN.XVII. Elle ausMemphis. aus Memphis. | | el oh Rn Ne < SCH ) arg: Da = z N 9 } I JENES: ar PIeHE ae | | STR > 2 - “ pt sche? ı Gött eis Pi Hist. Haas _ TE A) SEAL, en an Ih a RA. Hr } y: fi Id: ellss =: OlSez: = Mas N el: EIERN? IN hi = See See age hi eein TER: BITTER eh Ak Jah ie | LithvE.Weidenbach. KT DR } En“ f a ai 4% mM} = De tg ER Ihe wir f rg 27 Es = nz 24 n% =: PRINT; "u m ische en Götterkreise. Plal Hise-Klasse 1851. = 1= = Zu u We OR FHAHr N h B 2| ZithvrE Weidenbach, „ ur, 4" Br er = ar: / Se - = ul gi N Y 3 x ' !) ” Be, 4 7 4.12 | il; xy ® 4 ug Sa “u: er N Na Sr n — sd, 2) a] BE on -.» 4 4, “ £ E) SR Je % Be DET] ei er s = el) N ee (2 re E a Ba Ka ae -. —“ 2 EAN. Pr [2 Dr en Pe Wr = - y © ä Een ) Sr \b, ENEA Mi i ! nat, als 8 ir IT N Pi Le, z Bert N ? — sn 7 Be ET) IR, v . Ener. .. N Mr . = 3 “ ee D fi — : © 2 > wa ARR. u a 2 Ve u@T U < ex » un, „es Mas), m < 4.73 er Sn - £ ng AIR R = Sa e ie 1% aa “| a IDE u Pr 4 IF si Du mr z N 19 4 Sa „ % 7, “ \ z BE win" . Er Ir 5 I SEI N = . — nd ’ he Er Pr u Fr = = ar . j F er 13: rt ae Bor r De - pr a \ . - X a R.%, \ M n \ L \ . 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Über seine Lebensverhältnisse finden sich fremde Nachrichten nicht vor; aus seinen eigenen Äufserungen aber scheint sich mit Sicherheit zu er- geben, dafs er im Ablauf des 10" Jahrhunderts geboren, einem angesehe- nen Burgundischen Hause angehörte. Seine wissenschaftlliche und kirchliche Bildung empfing er wahrscheinlich in einem der geistlichen Stifte im Ge- biete der Aar, und schöpfte da die warme Liebe zu den Wissenschaften, die ihn von der Bewundrung der Römischen Dichter, Geschichtschreiber und Philosophen zu eigenen schriftstellerischen Arbeiten geleitet hat. Er war unter andern mit Virgil, Horaz, Ovid, Lucan, Statius, Macrobius vertraut. Das Studium der heiligen Schriften und der Kirchenväter ward für ihn die nothwendige Stufe zum Eintritt in den geistlichen Stand, worin er bis zur Priesterwürde aufstieg. Daneben aber blieb er den Dingen dieser Welt nicht fremd, sondern gewann unter anderm durch persönliche Anwesenheit auf Reichsversammlungen eine selbständige Einsicht in den Gang der Geschichte und Kenntnifs der leitenden Männer seines Vaterlandes. Im Jahre 1024 finden wir ihn auf dem grofsen Wahltage zu Oppenheim. Ob er schon damals oder bei einer späteren Veranlassung dem neuen König Konrad II bekannt geworden, ist nicht klar, gewifs aber dafs er sich ihm wohl späte- 'stens nach dem Untergange des Königreichs Burgund angeschlossen hat und als Kapellan bei ihm angestellt ward; in dieser Eigenschaft hatte er den 216 Pertz Kaiser allenthalben zu begleiten, soweit er nicht etwa durch Kränklichkeit verhindert ward. Nach des Kaisers Tode verblieb er in derselben Stellung zu dessen Sohn Heinrich III. Mit diesem war er überhaupt schon früher in persönlicher Verbindung; und es liegt der Gedanke nahe, dafs der gebil- dete in elassischer und kirchlicher Wissenschaft erfahrne und durch das Le- ben gereifte Mann bei dem jungen Könige wohl als Lehrer und Erzieher ge- wirkt haben möge. Die Art wie er sich in seinen Zuschriften gegen den Für- sten stellt, ist einer solchen Annahme so wenig zuwider, dafs sie vielmehr aus dem Inhalte der Schriften eine gewisse Bestätigung gewinnt. Alles näm- lich was uns von Wipo’s Schriften an den König noch übrig ist, scheint in verschiedener Anlage und Form doch auf denselben Zweck, die Belehrung, Leitung und Ausbildung des Fürsten, berechnet zu sein. Für die älteste der noch vorhandenen Schriften des Wipo halte ich die Proverbia. Es sind dieses Einhundert Sprichwörter in lateinischer Sprache, die unter dem Namen des Verfassers zuerst im Jahre 1733 durch Martene und Durand aus einer Handschrift des St. Mathiasklosters zu Trier bekannt ge- macht wurden (!). Diese Handschrift findet sich jetzt in der Trierer Stadt- bibliothek, ist nach dem Urtheil des Herrn Professor Dr. Waitz, der sie für die Monumenta Germaniae untersucht hat, im 13" Jahrhundert geschrie- ben, und wie die angestellte Vergleichung zeigte, mit Ausnahme der Recht- schreibung ganz gut herausgegeben. Verfasser und Richtung erhellen aus der Überschrift: Proverbia Wiponis edita ad Henricum Conradi imperatoris filium der Umfang aus dem übergeschriebenen Hexameter: Ineipit inventum referens proverbia centum. Indessen enthält die Handschrift nicht wirklich hundert, sondern mit Aus- schlufs jener Überschriften nur 99 Sprichwörter, und mehrere derselben sind offenbar nicht richtig erhalten. Den fünf letzten Versen, leoninischen Hexametern, schliefsen sich ohne Absatz funfzig andre an, ein Auszug des Buches de conflictu virtutum et vitiorum, welches Arevalo dem Bischof Isi- dor von Sevilla zuschreibt (?); und den Schlufs machen 22 weitere Sprich- 1 (') Nova Colleetio Monumentorum T.IX. p. 1095 - 1100. (*) Isidori Opera T.1I. p. 62. über Wipo's Leben und Schriften. 217 wörter in leoninischen Hexametern. Ob die beiden letzten Abschnitte, und zumal der letzte der durch die Worte Expliciunt proverbia von den vorher- gehenden beiden geschieden ist, demselben Verfasser angehören, darf be- zweifelt werden; zwar gewähren Stoff und Form keinen Anhaltspunet für 5 oder wider, aber die Überschrift der Proverbia scheint doch bestimmt Wi- po’s Autorschaft auf das erste Hundert zu beschränken. Diese Vermuthung bestätigt sich durch Vergleichung der ersten ohne Wipo’s Namen erschienenen Ausgabe, welche Bernhard Pez bereits vor Mar- tene im Jahre 1729 im 6'" Bande seines Thesaurus anecdotorum aus einer Tegernseer Handschrift des 12" Jahrhunderts veranstaltete. Sie führt die wahrscheinlich vom Herausgeber herrührende Überschrift Henrieci proverbia, und nach dem Verse Incipit inventum quod fert proverbia centum eine zweite: Pax Heinrico, Dei amico, wonach man also einen unbekannten Hein- rich als Verfasser ansehn würde. Die Sprichwörter zerfallen hier in drei Capitel von 30, 36 und 30 Versen, denen sich ohne alle Unterscheidung fünf mit dem Buchstaben A anfangende fremdartige Sprichwörter angehängt finden. Diese nebst einer Anzahl nicht mit abgedruckter sind aus dem Sprich- wörterbuche des Othlo von S. Emmeram (!) entnommen. Es gehören also nur 96 Verse dem Wipo an, unter ihnen auch einer welcher bei Martene fehlt und die Hundertzahl erfüllt. Der Text weicht bisweilen ziemlich weit von dem Marteneschen ab. Die dritte Ausgabe erschien 1734 in Fabricius Bibliotheca Latina me- diae et infimae aetatis am Ende des dritten Buchs; sie schliefst sich dem Martene’schen Texte an, und ist vielleicht äus derselben Handschrift geflos- sen. Der Text begreift die Proverbia Wiponis und die 50 Verse des Aus- zugs de conflietu virtutum et vitiorum, und schliefst mit Explieiunt Prover- bia. Auf eigenen Werth hat daher diese Ausgabe keinen Anspruch. Ähnlich der Tegernseer, aber von ihr verschieden ist die Handschrift der K. Bibliothek zu München Cod. Latinus N. 14733, welche mir durch Vermittlung des K. Ministerii der auswärtigen Angelegenheiten vor einiger Zeit hieher mitgetheilt wurde. Sie ist im 12'" Jahrhundert geschrieben, be- ginnt ohne andre Überschrift mit dem Grufse Pax Heinrico Dei amico und (') Sie stehen bei Pez Thes. III. 2. p. 488 und 489 in derselben Folge. Philos.- histor. Kl. 1851. Ee 918 Pertz enthält 90 Verse. Der Text gleicht dem Tegernseer, hat aber eigenthümliche Abweichungen; so liest man im 17‘ Verse Regnum caelorum non est Judeorum statt invidorum. Einen noch geringeren Umfang haben nach Hrn. Professor Hoffmanns Mittheilung (!) die Handschriften der Österreichischen Stifter St. Florian aus dem 12‘ Jahrhundert und Melk, nämlich aufser der Überschrift Ineipit in- ventum und dem Grufse Pax Heinrico nur 78 Verse; die Melker schaltet nach dem 30°" einen eigenen ein, der bei Wipo fehlt. Der Text stimmt mit der Tegernseer und Münchner Handschriften. Von der Cambrayer Handschrift des 12‘ Jahrhunderts hat Herr Geh. Archivrath Mone im Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters 1835 (?) Nachricht und verschiedene Lesarten gegeben. Die Handschrift zählt nur 65 Verse, deren Folge von dem Gedruckten abweicht. Genauere Nachricht über diese wie über eine von ihm zu Douai benutzte wird Herr Dr. Beth- mann ertheilen. Eine achte Handschrift sah ich in Wien, sie findet sich unter den Hand- schriften der Theologie N.575 und ist auf Papier im 15‘ Jahrhundert ge- schrieben (°). Mit Hülfe dieser Handschriften wird es nicht schwer das Werk des Wipo von Anhängseln zu scheiden, es der Überschrift gemäfs auf 100 Verse festzustellen, und einen richtigen Text zu geben. Denn betrachten wir den Text näher, so finden wir dafs mit Aus- nahme der vier oder fünf letzten Verse, welche leoninische Hexameter sind, jedes Sprichwort aus zwei gereimten Hälften besteht, und je drei Sprich- wörter sich an denselben Gegenstand knüpfen. Die nach Abzug der Hexa- meter übrige Masse zerfällt also in 32 dreizeilige Strophen, welche wiederum in fünf Theile, jeden von sechs Strophen, gegliedert sind. Die Sprichwörter des ersten Theils betreffen Gesetz, Wissenschaft, Weisheit — Glaube, Hoffnung, Liebe; (‘) Haupt und Hoffmann altdeutsche Blätter 1836. I. S.12 - 14. (2) S. 363. (°) Eine neunte zu Wolfenbüttel befindliche Handschrift ist auf Pergament im 13. Jahr- hundert geschrieben. über Wipo's Leben und Schriften. 219 der zweite Theil handelt von den Eigenschaften des Gemüths Demuth, Sanftmuth, Friedfertigkeit, Keuschheit, Gnade, Wahrhaftigkeit; der dritte von Handlungen, dem Geben, Beten, Fasten, dem Wachen, Bekennen, Tadeln. Im vierten Theile preis't er Nüchternheit, Mäfsigung, Muth, Tapferkeit als Eigenschaft der Herr- scher, und verbindet damit Sprüche über Bischöfe und Schutz der Witt- wen, Waisen und Armen. Der fünfte Theil knüpft seine Sprüche an die Gliedmafsen Auge, Ohr, Zunge, Hand, Fufs, und schliefst mit der Dankbarkeit. Die 31" und 32° Strophe beziehen sich auf den Gegensatz des gegen- wärtigen und des zukünftigen Lebens, und die leoninischen Schlufshexa- meter enthalten die Aufforderung zur Verachtung der Welt um des Him- mels willen. Es leuchtet ein, dafs in dieser Anordnung zugleich Regel und Auf- schlufs über die Ächtheit und die Stellung einzelner Verse liegt, hinsicht- lich deren verschiedene Handschriften unter einander abweichen; dafs es also richtig ist, wenn die Münchner und andre Handschriften nach dem 44“ Verse der Ausgaben Martene’s und Fabricius einen Vers einschalten, dafs sie hingegen irren, wenn sie den 80°" Vers hinter den 51°“ versetzen; und dafs der Vers, welchen die Melker Handschrift mehr als die übrigen ent- hält, unächt ist. Die gereimte Fassung der Sprüche war für das Auswendiglernen und Behalten berechnet, der Inhalt so wie er sich für einen jungen bild- und strebsamen Fürsten eignete. Die Leute welche, mit demselben Rechte wie der Blinde von der Farbe, von der finstern Barbarei des Mittelalters spre- chen, würden doch einigermalsen erstaunen, wenn sie gleich zu Anfange die- ses Fürstenspiegels das angebliche Eigenthum neuerer Zeiten, Gesetzlichkeit und Aufklärung, aufgestellt finden: Decet regem discere legem. Audiat rex quae praecipit lex. Legem servare hoc est regnare. Notitia litterarum lux est animarum. Saepius offendit qui lumen non adtendit. Qui habet scientiam ornat sententiam. Ee2 220 PeExrtz Über die Zeit der Abfassung steht nichts fest; dürfte man sich strenge an die Überschrift der Trierer Handschrift halten, welche den Heinrich nicht als König sondern nur als Kaiser Konrads Sohn bezeichnet, so würde die Schrift zwischen den 26°“ März 1027 und den 14'* April 1028 in Heinrichs 10‘ oder 11'* Lebensjahr treffen. Einige Jahre später fällt eine zweite Schrift, worin Wipo, gleichfalls in hundert Versen, die Kälte des Jahres 1033 schilderte. Nach dem am 6'* September 1032 erfolgten Tode Rudolfs, des letzten Königs von Burgund, hatte Odo Graf von Champagne das Reich angefallen und ein- genommen. Kaiser Konrad, dem es durch Erbvertrag und die bereits für diesen Fall geleistete Huldigung der Grofsen gebührte, befand sich damals 5 nach Beruhigung und Theilung Polens, im östlichen Sachsen, begab sich 8 jedoch sobald es die Geschäfte gestatteten ins südliche Deutschland, und feierte nebst seinem Sohne Heinrich das Weihnachtsfest in Strafsburg. Hier sammelte er ein Heer, rückte im Januar über Basel und Solothurn in Bur- gund ein, und ward am 2“ Februar zu Peterlingen von den Grofsen des Landes als König anerkannt und gekrönt. Odo hielt jedoch die Festungen besetzt, und deren Belagerung fand in der Heftigkeit des eingetretenen Win- ters ein grofses Hindernifs. Die aufserordentlichen Erscheinungen dieses Naturereignisses gaben dem Wipo Anlafs zu einem Gedicht, welches er dem Kaiser überreichte. Er erzählte darin unter anderm, dafs im Lager vor Mur- ten, welches bekanntlich an einem See liegt und sumpfige Umgebungen hat, die Pferde wenn sie nach der täglichen Bewegung Abends ihre Beine auf die Erde setzten, während der Nacht so anfroren, dafs man sie Morgens mit Äxten und Pfählen aus dem Eise befreien mufste. Ein Reuter der keine Hülfe fand, tödtete sein eigenes Rofs, zog ihm das Fell über den Schen- keln ab, und liefs den Körper in der Erde eingefroren stehn. Bei den Menschen aber hörte aller Unterschied des Anblicks auf, Jünglinge und Greise sahen übereins aus: bartlos oder bärtig, sie alle erschienen bei Tag und bei Nacht in weifsen Bärten. Die Art wie Wipo dieses Gedichtes er- wähnt, zeigt dafs er selbst es verfafst hatte; es ist bis jetzt noch nicht wie- der aufgefunden. Am 4 Junius 1039 starb Kaiser Konrad. Als der neue König von seinem ersten Feldzuge nach Böhmen zurückgekehrt, im Februar 1040 an üben Wipo's Leben und Schriften. IM den Bodensee kam, Reichenau und St. Gallen besuchte (!), überreichte ihm Wipo ein Gedicht auf den Tod seines Vaters. Es besteht aus neun Strophen von je fünf trochaischen Tetrametern, bei denen sich jedoch der Dichter grofse Freiheiten nimmt und bisweilen fast nur die Sylben gezählt zu haben scheint. Der Schlufsvers jeder Strophe ist das Gebet Rex Deus vivos tuere, et defunctis miserere. Dieses Gedicht ward von Eccard nach einer Cambridger Handschrift heraus- gegeben. Ich habe zwei Handschriften desselben benutzt. Zuerst dieselbe Cambridger in der Universitätsbibliothek N. 1552, auf Pergament im 11'“ Jahrhundert geschrieben; sie enthält eine ganze Anzahl ähnlicher Gedichte von denen gleich die Rede seyn wird. Eine zweite Pergamenthandschrift fand ich in der Burgundischen Bibliothek zu Brüssel; sie stammt aus Gem- bloux, und enthält von einer Hand des 12'" Jahrhunderts mehrere noch im 11" Jahrhundert verfafste Gedichte. Beide geben jedoch nur die vier ersten Strophen, die übrigen fünf haben sich in den Gestis Kounradi imperatoris erhalten, denen Wipo am Schlufs das Gedicht hinzufügte. Man wird natürlich zu der Frage versucht, ob und welche der übri- gen Gedichte die sich in beiden Bänden finden, dem Wipo angehören? Ec- card hat die ihm aus Cambridge mitgetheilten Stücke im Quaternio Monu- mentorum veterum herausgegeben, aber noch einige Nachlesen gelassen, deren erste ich gehalten und von der ich im 7“ Bande des Archivs für ältere deut- sche Geschichtskunde (?) Nachricht gab. Es finden sich unter den Gedich- ten die Lieder auf die Erzbischöfe Hariger (912-927) und Wilhelm (954 - 967) von Mainz, Kaiser Otto’s I Aussöhnung mit seinem Bruder Heinrich und auf die Ungarnschlacht, welche dem Gegenstande nach ins 10“ Jahr- hundert gehören; aus dem 11‘ Jahrhundert auf Erzbischof Heribert von Cöln (999 - 1021), auf Kaiser Heinrichs II Tod (1024), auf Kaiser Kon- rad (1027), Heinrichs III Königskrönung (1028) und das auf Konrads Tod (') Diesen Zeitpunct hat schon Stenzel richtig bestimmt. Die Annales Sangallenses ma- iores sprechen von des Königs Besuch in St, Gallen; zu Reichenau stellte er Anfang Fe- bruars Urkunden aus. (2) S. 1001 ft. 222 Pexrtz (1039). Weder in den Gegenständen noch in der Art der Behandlung läge also ein Hindernifs gegen die Annahme, alle diese Lieder rührten von Wipo her, der theils eigene Erlebnisse theils aus der mündlichen Volksüberliefe- rung überkommene Stoffe poetisch behandelt hätte: aber das reicht nicht hin, um sie ihm auch wirklich beizulegen. Man darf nicht übersehen, dafs jene Lieder nur ein Bestandtheil des Buches sind, welches entschieden auf eine Liedersammlung angelegt ist, und auch ganz andere enthält, z. B. scherzhafte Lieder von der Eselin zu Homburg, dem Priester und dem Wolf, dem Constanzer Schwaben, das schöne Lied von Lantfrid und Kobbo, und ein gleichfalls noch unbekanntes ältestes deutsches Minnelied, wie das auf Otto’s Aussöhnung halb Deutsch halb Lateinisch abgefafst; und dafs das ein- zige Lied darin welches sicher dem Wipo angehört, nur den ersten Stro- phen nach mitgetheilt ist, die Sammlung also vorherrschend den Charakter einer Blumenlese trägt. Dazu kommt dafs die Sammlung in England ge- schrieben ist, wie man aus der Englischen Form des w oder uu erkennt (Cpnradus), und dafs andre Lieder die man folgerecht ebenfalls und noch aus einem andern Grunde gern dem Wipo zuschreiben mögte, die in der Handschrift des Brittischen Museums Harlej. 3222 aus dem 11“ Jahrhundert dem Kaiser Heinrich III und seiner Gemahlin Agnes gewidmete Versificatio proverbiorum Salomonis, erweislich nicht den Wipo sondern einen Nieder- ländischen Mönch Arnulf zum Verfasser haben. Diese Rücksichten verbieten jeden sichern Schlufs, und man wird daher die Entscheidung über die Ver- fasser jener Lieder bis auf weitere Kunde aussetzen müssen. Die Möglich- keit dafs einige derselben, namentlich die sich auf Heinrich II Konrad und Heinrich III beziehen, von Wipo herrühren, läfst sich jedoch nicht ver- kennen. Eine vierte Schrift ist der Tetralogus Heinriei regis. Sie ward von Peter Canisius aus einer Augsburger Handschrift in den Lectiones anti- quae herausgegeben, und in deren zweiter Ausgabe von Basnage unverän- dert wieder abgedruckt. Sie besteht aus 326 meistens leoninischen Hexa- metern, und ward Heinrich dem Dritten zwei Jahre nach seinem Regierungs- antritt, also in seinem 25°" Lebensjahr übergeben. Dieser Zeitpunct läfst sich genau feststellen; Heinrich war damals nach Vers 5 juvenis, König, nicht Kaiser, rex Caesarque future (v. 111), also zwischen 1039 und 1046, seine Mutter Gisela, die am 14" Februar 1043 gestorben ist, noch am über Wipo's Leben und Schriften. 223 Leben; das Gedicht liegt nach v. 203 - 217 vor Heinrichs Ankunft in Bur- gund, welche zu Anfang des Jahres 1042 erfolgte, und ward dem König überreicht als er zu Strafsburg Weihnachten feierte (1), also am 25°" De- cember 1041. Der Zeitpunct steht fest, da Heinrich Weihnachten 1039 und 1040 in anderen Gegenden verweilte; es wäre jedoch möglich, dafs der Ort nicht Argentina sondern Augusta gelesen werden müfste, da der Annalista Saxo, welcher an dieser Stelle wahrscheinlich aus Wipo selbst geschöpft hat, so lies’t, und beide bei etwas verblichner Schrift oder ungenauem Le- sen leicht verwechselt werden können. Ich vermag daher Stenzels Meinung, der das Gedicht in das Jahr 1044 verlegt, nicht beizustimmen. Der Dichter sagt in einer prosaischen Vorrede an den König: „Deiner Frömmigkeit zugängliche Erhabenheit, Herr König, macht meine Schwäche zu deiner Gnade wünschenswerthem Gipfel eilen; und gleich- wie eine Eidechse (stellio) die in des Königs Gebäuden zu weilen strebt, so wünsche ich obgleich in jeder Hinsicht dunkel, deines Glanzes Freu- den doch mit meinen Schriften zu besuchen. Und weil es nach Salomo’s Zeugnifs ein Ruhm ist, des Königs Rede zu erforschen, so habe ich dir mein Herr König dieses kurze Viergespräch gemacht, wodurch du die schlafverscheuchenden Sorgen des Gemeinwesens bisweilen ausgleichen, und den Geist zu Ausführung deiner Vorsätze anregen könnest. In die- sem Viergespräch nun ermahnt zuerst der Dichter die Musen dich zu loben. Der Musenchor segnet und lobt dich Herr König. Darauf redet das Gesetz dich an mit den Rathschlägen welche deiner Würde wohl ziemen. Die Gnade zuletzt mit milder Anrede wird mäfsigen wozu das Gesetz dich nach dem Rechte angereizt hat.” Diesem Plane gemäfs beginnt der Dichter mit einer Aufforderung an die Musen, ihm das Lob des jugendlichen Königs, seiner Weisheit einzu- geben. Die Musen antworten mit dem Lobe Gottes, und bereiten sich zum Lobe des Königs, der Christo zunächst diesen Erdkreis regiert. Sie empfeh- len ihn dem Schutze des Gottes der Könige, der Maria, des Erzengels Mi- chael, des Täufers Johannes, der zwölf Apostel, des Stephanus und Silve- ster, aller geweihten Jungfrauen und Heiligen. Die Musen singen dieses dem (') Vita Chuonradi cap. 4. 224 Peatz Könige, nnd werden seinen Ruhm stets verherrlichen; es sind ihre Gaben womit Virgil, Horaz, Lucan, Statius die alten Helden verherrlichten, womit Ovid seine Schriften geziert hat, aber nie haben sie so gern einen Mächtigen gepriesen als den dritten Heinrich, dessen Ruhm durch ihre Bemühung alle Zeiten überdauern wird. Denn der König besitzt alles was einem König zum Ruhm gereicht; er ist nach dem Wunsche seines Volkes gleich Eee zu Frieden und zu Krieg, er besitzt guten Rath und ist die Zierde der Wissen- schaft, er ist freigebig und gnädig wie er die Schuldigen züchtigt, und von Allem was menschliche Sitte ziert besitzt er das Ganze oder einen Theil. Gestalt, Abstammung, Redlichkeit, und was sonst sich auf mehrere vertheilt, vereinigt sich in ihm; er ist zu preisen als die Ruhe der Völker, der Frieden des Erdkreises, der stärkste Thurm der Welt, der die Feinde der Kirche zu Boden streckt, daher auch die Welt für die Ehre seines Hauptes gesorgt hat: „Du bist das Haupt der Welt, dein Haupt ist der Regierer des Olymps, des- sen Glieder du mit gerechtem Zügel des Gesetzes regierst. Du besitzest die höchste Tugend, die Demuth; einem gebeugten Nacken geziemt es die Krone zu empfangen.” So schliefsen die Musen ihren Gesang, um dem Wipo Raum zu geben dasjenige aufzuschreiben was für den König das Gesetz eingiebt. Mit dem 113'" Verse folgt des Gesetzes Sang zum Lobe des Königs; die Überschrift bei Canisius: „Carmen Legis plaude Regis” mufs ohne Zwei- fel in Carmen Legis pro laude Regis verbessert werden. Das Gesetz bespricht seine Stellung zum König; des Königs Preis ist des Gesetzes Festigkeit. Es segnet ihn als den festen Bürgen des Friedens der Welt, da er den Erdkreis der Zweite regiert, würdig nach dem Herrn des Himmels das Weltliche zu schirmen; die sechs Tugenden welche vor- züglich einen König erheben, Demuth, Frömmigkeit, Friedensliebe, edle Ab- kunft, Gestalt und Kriegsentschlossenheit, sie besitzt König Heinrich. Der König und das Gesetz sind innig verbunden: wer das Gesetz verachtet, des- sen Waffen schlägt der König nieder; wer des Gesetzes Rechte erfüllt, den beschützt der König. Er ist von Habsucht frei, er beugte nicht für Geschenke das Recht. Er handelt wie ein Gelehrter; welcher König ist gelehrter als er? welcher Kaiser hat besser die gesetzlichen Verbote schon in den ersten Jah- ren seines Lernens gekannt? Preis deshalb seinem in stetem Lobe wieder- auflebenden Vater Kaiser Konrad, dem am meisten am Herzen lag dafs sein über Wipo's Leben und Schriften. 225 Sohn durch Studien zur Herrschaft vorbereitet würde, gelobt sey die Mut- ter Gisela aus Karls des Grofsen Stanım, sie hatte Sorge getragen, dafs der König das Gesetz studierte, sie ihm gerathen Bücher zu lesen um als Kunst- erfahrner die verschiedenen Gebräuche zu beurtheilen. Der Lehre Licht leitet den dunkeln Erdkreis; und die Römische Macht besiegte einst feind- liche Völker durch weise Plane, nicht immer siegte sie durch Waffen. Ge- lobt sey du König mit deiner Mutter, auf deren Wunsch die Weisheit dir Al- les gab um des Reiches Ehre durch Recht zu schützen”. Nachdem Gott frü- heres Hindernifs hinweggenommen, möge der König in unauflöslicher Einig- keit mit seiner Mutter bleiben; andere Freunde könne er immer erwerben, in diesem Leben keine Mutter mehr. Es schliefst mit dem Rathe: wenn Gott dem König den ganzen Erdkreis unterworfen habe, wenn niemand seine Befehle zu verachten wage, die Welt in Frieden vereinigt sey und er Kaiser geworden, wenn das flüchtige Wort unter Augustus berühmten Namen seine Befehle durch das Reich trage, „dann lafs ein Gebot durch das Land der Deutschen ergehen, dafs jeder Reiche alle seine Söhne in Wissenschaften unterrichte und sie von seinem Gesetz überzeuge, damit wenn die Fürsten tagen, Jeder ihnen aus seinen Büchern ein Beispiel vorbringe. Mit solchen Sitten lebte einst Rom geehrt, mit solchen Studien konnte es so grofse Ty- rannen fesseln; dieses beobachten die Italer alle nach den ersten Windeln, und die ganze Jugend wird gesandt in den Schulen zu schwitzen; den Deut- schen allein scheint es überflüssig oder schändlich jemanden zu belehren, der kein Geistlicher wird. Aber befiehl, gelehrter König, dafs Alle in den Reichen gelehrt werden, auf dafs mit dir die Weisheit in diesen Landen herrsche.” Zuletzt wird der König ö nach dem Tode des Kaisers seinen neuen Herrn zu sehen begehre; einst eingeladen nach Burgund zu kommen, das habe er dieses Reich mit grofser Arbeit bezähmt, möge er sich nun der zu 8 s ee) dienen bereiten Völker gebrauchen. © Mit dem 220°“ Verse wendet sich die Gnade an den König: Nächst dem gerechten Gesetze müsse die Gnade den König begleiten; beide ergän- zen einander; gleich dem Herrn des Himmels möge der König Erbarmen und Strafe verbinden, schon die Krönungsordnung habe dieses vorher- gesagt, wenn der Bischof ihn mit dem Schwert umgürtet: Wenn du König zürnest, so beruhige dich in Erbarmen. So wechsle auch in der Natur Ent- Philos. - histor. Kl. 1851. Ff 296 Perrtz gegengesetztes mit einander ab: Wasser erweicht das Harte, Flamme erhär- tet das Weiche und umgekehrt; der harte Diamant wird vom weichen Blute aufgelös’t ('), das Glas durch das Band des Bleies besser zusammengefügt, Eisen mit Kalk in erglühender Masse geschmolzen; auf Trauer folgt Frohes, nach Säuren schmeckt Süfsigkeit, nach dem Süfsen wiederum Saures. Diese frommen Lehren gelten nicht dem König, dessen Gnade niemand bezweifle, sondern denen die ausschliefslich durchs Gesetz geleitet werden. Als der Mensch seine Freiheit mifsbrauchend sich zum Bösen gewen- det, habe Gott dagegen das Gesetz gegeben, dessen Übertreter die Strafe träfe. Als aber die Härte des Gesetzes die Menschen zur Verzweiflung ge- bracht, habe der Herr die Schreienden erhört; er sey als Erlöser in die Welt getreten und habe die Gnade gebracht. Nicht das Gesetz abgeschafft, sondern ihm zur Seite die Gnade gesetzt, damit jenes die Aufrührer strafe, diese die Reuigen aufrichte. So mögen, da wir alle sündigen, auch wir die Gnade mit dem Recht verbinden: das Gesetz sey gut wenn es die Verzei- hung auf dem Rücken trägt, die Gnade nütze wenn das Gesetz ihr vorauf- ging; das Gesetz sey für den Widerstrebenden, die Gnade für den Umkeh- renden, dann werde in beidem Guten die Welt bestehen. Der Dichter schliefst mit guten Wünschen für den König. Dieses der wesentliche Inhalt des Gedichtes, welches einen der aus- gezeichnetsten Deutschen Kaiser bald nach seinem Regierungsanfange be- grüfst. Man darf glauben, dafs es in der gefälligen Form des Lobes den Zweck hat, dem 25jährigen kräftigen jungen Fürsten die wesentlichen Rath- schläge an’s Herz zu legen, welche ihn in Erfüllung seiner grofsen Aufgabe leiten sollten; sie bilden also nach einem Zeitraum von 14 Jahren gewisser- mafsen die weitere Entwickelung der Proverbia. Es wäre überflüssig hier auf den Inhalt weiter einzugehn, man hat einen Mann vor sich, dem Kopf und Herz an der rechten Stelle sitzen. In dem Bilde der Zeit welches uns darin aufgeht, ziehen indessen zwei Züge das Auge auf sich. Der erste ist die Idee des Kaisers; der Kaiser ist dem Dichter unbezweifelt nach Gott der Herrscher der Welt, ohne die geringste Ahnung davon, dafs irgend ein Andrer Anspruch darauf machen dürfte diese Herrschaft über alles Welt- (') Nach Plinius hist. natur. 37, 4,15. Solinus c.52. Isidorus 1.16. c.13. M. Pinder de adamante p. 54. 55. über Wipo's Leben und Schriften. 2327 liche mit ihm zu theilen oder gar sie ihm zu entreifsen. Dieser Glaube, der mit der Kaiserwürde durch Karl den Grofsen von den Römern auf die Deutschen gekommen war, und in der Absetzung dreier Päpste gerade durch Heinrich den Dritten seine letzte heilende Kraft für die Anordnung selbst der zerrütteten geistlichen Macht zu bewähren hatte, sollte bald genug der Angelpunct eines vernichtenden Kampfes werden. Der Mann welcher diesen Kampf beginnen sollte, der Mönch Hildebrand, stand damals noch völlig im Hintergrunde; noch 32 Jahre verflossen, ehe er den päpstlichen Stuhl be- stieg und unternahm der Christenheit seine Gesetze aulzulegen. Zweihun- dert Jahre darauf endete dieser Kampf mit der anerkannten Erniedrigung des Kaiserthums unter die dreifache Krone; aber mit diesem Siege entschied sich auch die Verweltlichung des Papstthums und sein dereinstiger Sturz; andere zweihundert Jahre und aus der armen Bergmannshütte am Harz er- stand ein anderer Mönch, der beides die weltliche und die päpstliche Macht des Papstes aufs tiefste erschütterte und sie in der halben Christenheit zu Falle brachte. Der zweite Zug ist Wipo’s innige Liebe zur Wissenschaft als der Er- leuchterin der Geister, und sein Eifer für ihre Ausbreitung zum Gewinn für die Landeswohlfahrt. Er ist der Erste in Deutschland, der eine gesetzliche Verpflichtung der Wohlhabenden zu wissenschaftlicher Erziehung ihrer Söhne beantragt, der auf ein Kaiserliches Ediet über den Schulzwang dringt. Kaiser Heinrich III konnte seinen Wunsch nicht gewähren, und es hat be- kanntlich seitdem fast 8500 Jahre gedauert, bis man in Deutschland wirklich so weit gelangt ist. Über die Zweckmäfsigkeit solcher Gesetze würde auch der treffliche Wipo seine Meinung nicht geändert haben, wenn er hätte erfah- ren können, dafs im 19‘ Jahrhundert Jünglinge die ihre gelehrte Schul- bildung vollendet hatten, die Frage nach der Zahl der Evangelisten wohl mit drei und mit fünf beantworteten, und dafs einem Gymnasial- Oberlehrer in sein Zeugnifs gesetzt werden mulfste: es scheine ihm von der Geschichte der Sächsischen Kaiser nichts bekannt geworden zu seyn. In dieselbe Zeit mit dem Tetralogus mag das von Canisius damit herausgegebene Gedicht Versus Wiponis ad mensam Regis fallen. Es besteht aus 10 Distichen, und wünscht dem König Heinrich bei der Weih- nachtstafel Glück. Ff2 228 Pexrrtz Am Weihnachtstage 1046 empfing Heinrich in Rom aus der Hand des von ihm auf den päpstlichen Stuhl erhobenen Bischofs Suidger von Bam- berg, Clemens Il, die Kaiserkrone; als er fünfviertel Jahre darauf, Ende Aprils 1048 wieder nach Constanz kam, wird ihm Wipo sein letztes und bedeutendstes Werk überreicht haben. Dieses ist die Geschichte des Kaisers Konrad unter dem Titel Gesta quorundam imperatorum Chuonradi et Heinrici. Das Werk beginnt mit einer Zuschrift an den Kaiser Heinrich, worin er ihm das Buch übergiebt, und seine Absicht ausspricht beider Konrads und Heinrichs Thaten die er erleben würde, zu beschreiben, und zwar so, dafs er wahrhaftig darstelle wie beide — als Ärzte — der Vater in das Römi- sche Reich heilsam eingeschnitten, der Sohn es verständig geheilt habe. Seine Erzählung beruhe theils auf eigner Beobachtung, theils auf Erzählung Anderer, da er wegen langer Kränklichkeit nicht häufig in Konrads Capelle anwesend seyn können. Schriften Anderer über diese Gegenstände, welche vorhanden seyn sollen, habe er nicht gesehn. Heinrichs Thaten zur Lebens- zeit seines Vaters werde er unter des Letztern Thaten erzählen, die späteren für sich anordnen. In der Vorrede erklärt er den Nutzen der Geschichte: sie erhebe die Guten und schrecke die Bösen. Er halte es für unerlaubt, der heidnischen Herrscher, des Tarquinius Superbus, Tullus und Ancus, Aeneas und Turnus, Thaten mit vollem Munde zu verkünden und die christlichen Fürsten, unsre Karle und die drei Ottonen, Kaiser Heinrich II, Kaiser Konrad II und Hein- rich III zu vernachlässigen. Im Alten Testamente seyen die Triumphe der gläubigen Helden gefeiert, und die Lehren der alten Philosophen haben in dieser Hinsicht auf verschiedene Weise für den Staat gesorgt: so solle man auch den christlichen Fürsten gewähren, was die Heiden den ihrigen von selbst geben. Er schreibe also, weil keine Religion es verbiete, die Absicht es empfehle, weil es dem Vaterlande nütze und der Nachwelt Heil bringe. Er äufsert sich dann über seinen Plan in derselben Weise wie gegen den Kaiser. Die Geschichte Konrads beginnt mit dem Tode seines Vorgängers und den Vorbereitungen zur Wahl, welche ausführlich unter Schilderung der wichtigsten dabei anwesenden Personen erzählt wird. Der Verfasser selbst war zugegen und beobachtete die Verhandlungen; er sagt, er habe über Wipo's Leben und Schriften. 229 nie vorher einer so grofsen Reichsversammlung beigewohnt. Er begleitete dann den neuerwählten König nach Mainz zur Krönung. Die Darstellung dieses Anfangs der Regierung in fünf Abschnitten nimmt mehr als ein Drit- theil des ganzen Werkes ein. Der weitere Verlauf folgt in 34 Abschnitten dem Gange der Begebenheiten während der nächsten 15 Jahre bis zum Tode des Kaisers. An einzelnen Stellen sieht man deutlicher, dafs Wipo als Au- genzeuge schildert; bei einem andern Anlafs nennt er als Gewährsmann den Bischof Heinrich von Lausanne und die übrigen Burgunder. Wir erfahren auch, dafs Wipo aufser den früher aufgeführten noch zwei Gedichte verfafst hat, das eine von kürzerem Umfange, er nennt es ein Breviarium (!), über Konrads Krieg gegen die Liutizen im Jahr 1035, worin vorkomme, wie der Kaiser bisweilen in den Sümpfen bis an die Schenkel stehend gekämpft und die Krieger zum Kampfe ermuntert, nach dem Siege aber eine Menge Sla- ven wegen Verstümmelung eines Christusbildes zu Tode gebracht habe; der Dichter begrüfst ihn dafür als „Rächer des Glaubens” und vergleicht ihn mit den Römischen Herrschern Titus und Vespasian, die zur Bufse für Christi Verkauf für 30 Silberlinge durch die Juden, 30 Juden für einen Silberling verkauft hätten. Dieses Gedicht überreichte er dem Kaiser Konrad. Das andere Gedicht heifst Gallinarius (?); über seinen Inhalt ist nichts bekannt; vielleicht handelte es von Konrads Kriege gegen die Gal- lier, den Grafen Odo von Champagne; Wipo erwähnt daraus nur einen Vers Chuonradus Caroli premit ascensoria regis, der sich in der vierten Sa- tire finde; man sieht daraus, dafs das Gedicht in Hexametern geschrieben war und aus mehreren Theilen bestand. Jener Vers sollte das Sprichwort ausdrücken Konrad hat Karls Steigbügel an seinem Sattel, um die Unermüdlichkeit und Thatkraft des Kaisers anzudeuten, die das Volk an Karl den Grofsen erinnerte. Auch andere Sprichwörter erwähnt Wipo (°), die aber Lateinisch waren, und sich gleich denen seiner Proverbia in sich reimten. Auch andere Hexameter bringt er hin und wieder im Texte an, vielleicht aus seinen eige- (') cap. 33. O)reap-6: (?) cap. 2. ut proverbiis communibus utar. 230 Perrtz nen Dichtungen die uns nicht mehr erhalten sind (!). Das Buch, über dessen hohen Werth für die Geschichte ich nichts zu bemerken brauche, schliefst mit dem Gedichte auf Konrads Tod. Der Geschichtschreiber bewährt sich wie wir ihn aus seinen metrischen Schriften kennen; Wahrheit und Recht sind seine Leitsterne bei dem was er schreibt, und das Leben welches er darzustellen unternimmt, hat er gekannt. Seine Freimüthigkeit besteht auch da wo er den Kaiser zu tadeln hat; die Form worin er es thut, zeigt den Mann von Anstand und Bildung. Die Zeit der Abfassung des Werkes ergiebt sich aus verschiedenen in- neren Merkmalen. Es ward geschrieben nach der Unterwerfung Ungarns (?) im Jahr 1043, nach Heinrichs Kaiserkrönung (?) Weihnachten 1046, und vor dem Abfall des Königs Casimir (*) von Polen im Frühling 1050, also in den Jahren 1048 oder 1049. Bekannt wurde es sehr bald nach diesem Zeitpuncte, da schon Her- g seiner Chronik für die Jahre 4024 bis 1039 benutzte; und Hermann begann sein Werk um das Jahr 4049 und führte es bis zum Jahre 1054 fort. Ein Jahrhundert darauf be- nutzte es Otto von Freisingen für seine Weltchronik (°), und kurz darauf, mann von Reichenau es bei der Abfassun in demselben Jahrhundert, der Verfasser der Zwettler Fortsetzung der An- nales Mellicenses. Aber einen weiteren Kreis von Lesern scheint es nicht gefunden zu haben. Handschriften davon gehören daher zu den gröfsten Seltenheiten. Zwar führt Pasini unter den Handschriften des K. Athenäi zu Turin N. 508 einen Papier-Codex des Wipo aus dem 17“ Jahrhundert auf, aber bei Untersuchung desselben in Turin überzeugte ich mich leicht, dafs es nur eine neuere Abschrift der Pistorschen Ausgabe, also für die Berichti- gung des Textes werthlos ist. Einer längeren Zeit bedurfte es zur Prüfung einer Nachricht des Grofs- herzoglich Badischen Geh. Archivrath Dümge, der in dem Archiv zu Karls- ruhe eine späte Papierhandschrift aufgefunden hatte, die jedoch viele Lücken (') z.B. cap. 2. 3. 5. 7. 16. 23. 28. 30. 34. 38. reapıd. (?) Vorrede. (*) cap. 29. (°) lib. VI. cap. 28. 29. 30. 31. über Wipo's Leben und Schriften. 331 zeige ('); denn als es sich um eine Vergleichung derselben handelte, war sie nach Dümge’s Versicherung verlegt und unter anderen Schriften so verloren, dafs sie viele Jahre lang nicht wieder auftauchte. Als dieses unter Dümge’s Nachfolger Herrn Geh. Archivrath Mone geschah, that ich die nöthigen Schritte um die Mittheilung zu erhalten, und sandte als diese ohne Erfolg blieben, im Jahre 1849 den für die Monumenta Germaniae beschäftigten Hrn. Dr. Abel, um an Ort und Stelle die Vergleichung vorzunehmen. In- dessen auch Hr. Dr. Abel mufste ohne seinen Zweck zu erreichen Karlsruhe verlassen, da die Handschrift auch damals wieder nicht aufzufinden war. Ich wandte mich daher an das K. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, und verdanke dessen dringender Vermittlung, dafs die Grofsherzoglich Ba- densche Regierung mir im vorigen Jahre die Handschrift zur Benutzung hie- her sandte. Die Handschrift ist Papier in Folio, vom Ende des 16“ Jahr- hunderts und wie der Text und die Schlufsworte „Revidirt cum Originali. manu propria” zeigen, aus einer älteren Handschrift abgeschrieben. Der Schreiber hat — wahrscheinlich weil das erste Blatt seines Originals aufsen beschädigt war — mehrere Stellen der Vorrede nicht lesen können und lü- ckenhaft wiedergegeben, die Eigennamen nach dem Brauche seiner Zeit ge- schrieben, den Buchstab z oft nicht verstanden sondern dafür h gesetzt, aber an manchen Stellen allein die wahre Lesart erhalten. Die Handschrift welche Pistorius zu Anfang des 17 Jahrhunderts in einer Schwäbischen Bibliothek fand und zu seiner Ausgabe in den Rerum Germanicarum veteres Scriptores VI Frankfurt 1607 benutzte, ist nicht die jetzige Karlsruher, steht ihr aber in manchen Stücken, besonders auch im fal- schen Lesen des z so nahe, dafs sie aus derselben Handschrift wie jene entnom- men seyn dürfte; aus der ersten Ausgabe sind die späteren 1653 und 1654 und die Struvesche ohne irgend nennenswerthe Verbesserung abgedruckt, auch die Auszüge bei Bouquet T. XI. S.1-5. 615-620 haben keinen Werth. Da nun die Quelle der Karlsruher und der ehemaligen Pistorschen Handschrift nicht wieder ans Licht getreten ist, so bleibt zur Herstellung des ächten Textes nichts übrig, als dafür-nicht nur die Karlsruher sondern auch die aus dem Wipo abgedruckten Texte des Hermann, Otto und der Zwettler Chronik sorgfältig zu benutzen, und /da sich bei genauer Prüfung (') Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde Bd. I. S, 464. 392 Perrz des Textes auch mehrere Stellen ohne handschriftliche Hülfsmittel ein- leuchtend richtig wiederherstellen lassen, so wird die neue Ausgabe des Buchs in dem unter der Presse befindlichen 12'" Bande der Monumenta Ger- maniae einen in Worten und Sachen vielfach berichtigten Text darstellen. Über das letzte Werk welches Wipo zu schreiben vorhatte, die Ge- schichte Heinrichs III, ist bekannt, dafs es sich unmittelbar an die Ge- schichte Konrads schliefsen und soweit erstrecken sollte, als der Verfasser die Thaten des Kaisers erleben würde. Er wollte darin insbesondere Hein- richs Thaten in Burgund darstellen, seine Krieges- und Friedensentwürfe, die kirchlichen und weltlichen Versammlungen, deren einigen Wipo selbst beigewohnt hatte ('). An einer andern Stelle verheilst er den Verfolg der Geschichte der Erzbischöfe Ambrosius und Heribert von Mailand, er dachte zu erzählen wie Letzterer mit Zustimmung des Königs Heinrich seinen Stuhl bis zu seinem Tode behauptet habe (?). Ob jedoch das Buch wirklich geschrieben worden, läfst sich schon deshalb bezweifeln, weil Wipo selbst für den Fall wenn er als der früher ge- borne auch früher als der König durch den Tod abgerufen werden sollte, das angefangene Buch seinem Forisetzer empfiehlt: „Der nach mir schreibt möge sich nicht schämen auf meinen Grundlagen seine Wände aufzuführen, er möge es nicht verachten den fallenden Griffel zu erheben, nicht beneiden meine Anfänge, wie er nicht wollen wird dafs jemand seine Vollendung be- neide. Denn wenn wer beginnt die Hälfte [des Verdienstes] hat, so darf der nicht am Schlusse dieses Werkes undankbar seyn, welcher den Anfang vorbereitet gefunden hat.” Es ist mir schon früher aufgefallen, dafs neben Wipo auch Hermann von Reichenau aufser seiner Chronik eine besondere Geschichte Conrads und Heinrichs geschrieben haben soll; das Zeugnifs Berthold’s, welcher Her- manns Chronik fortsetzte, läfst indessen darüber keinen Zweifel: „gesta quoque Chuonradi et Heinriei imperatorum pulcherrime descripsit” und Otto von Freisingen führt einen Rhythmus daraus über Heinrichs Feld- zug gegen die Ungarn im Jahre 1044 an, welcher mit den Worten beginnt: Vox haec melos pangat. (') Vita Chuonradi cap. 1. (?) cap. 36. über Wipo's Leben und Schriften. 233 Ich habe von diesem gleichfalls verlorenen Werke einzelne Über- bleibsel in der Chronik des Annalista Saxo zu finden geglaubt, der für die Jahre 1039 bis 1048 aus einer uns nicht mehr zugänglichen Quelle gleich- zeitige Nachrichten aufgenommen und so erhalten hat. Es ist auffallend, dafs sie auch gerade da schliefsen wo wir Wipo sein Buch über Konrad ab- schliefsen sehen. In einer Stelle beim Jahre 1046 wird man an Wipo’s Schreibweise erinnert; es ist von den drei Gegenpäpsten zu Rom Benediet Gratian und Silvester die Rede welche Heinrich III absetzte, und der Chro- nist sagt: super quibus regi quidam heremita scripserat: Una Sunamitis nupsit tribus maritis Rex Heinrice Omnipotentis vice Solve conubium triforme dubium! das lautet fast, wie Wipo von sich selbst zu reden pflegt. Nimmt man nun hinzu, dafs Wipo und Hermann in naher Verbindung gestanden ha- ben müssen, da dieser Jenes Werk schon gleich um die Zeit des Erschei- nens für seine Chronik benutzt hat; dafs es ferner wenig glaublich er- scheint dafs Hermann Wipo’s Erzählung in seiner Chronik für Konrads Regierung stark benutzt und aufserdem noch ein eigenes Werk darüber geschrieben habe; dafs aber auch über Wipo’s Schicksale nach dem Jahr 1049 nichts weiter bekannt ist: so mögte man sich zu der Annahme ver- sucht fühlen, Wipo habe jenen Zeitpunet nicht lange überlebt, und Her- mann sein Werk über Heinrich III übernommen und bis zum Jahre 1048 fortgeführt; so dafs wir also in jenen Stellen des Annalista Saxo Überbleib- sel beider Geschichtschreiber besitzen würden. Der Inhalt dieser Stellen ist mit einer solchen Annahme völlig vereinbar; und ich glaube, man wird sich, bis vielleicht neue Entdeckungen weiteren Aufschlufs gewähren, mit dieser Vermuthung begnügen können. ——— m >> Philos.- histor. Kl. 1851. Gg N | | | 0 Bee 00 ne ie i N | | pe ale, BE FRRRNERUN Con Al an IR) höre oil da Ben” TR Ne un tn 2) FG op john (in Benni. | bh 2 I ION EI an ET Zr 07 u 1977 0008 Bi [% “ nl Isahlallhure Ba alle una rs rk nemmm 17 bin mg a Be - ee. F aa ae dsullnaiın U 101772777 nad N TIER TE 1 sr 0 a0: Mer man aut bt aaa area ab inkoag uahlaitile 2 Bi». 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Hg nl a" PR i A a Rn vn In Een Rn Da 2 yo ‚4 rt. / Hi _ ALTDEUTSCHE GESPRÄCHE. — NACHTRAG. Von h” W. GRIMM. mnnNmNNN AN [gelefen in der akademie der willenfchaften am 3. April 1851] A B 43 Minerro. guillo. tin Guareftaz up ‘| ubi € tua femin + ef prachen »| lenior ml uult 60 Guandine guarın ger zamer in Er loqui tecum. Ero fu guillo | & | quare n fuilti adm. enualde |; ego. ego lic uo lo. B RL NS a j Geren felephen bitte ıp. in oreb&te. 45 Guefell\le min ros | a a EIN | tu iacuilti ad feminä in tuo lecto. mitte lella, Kguwille taruthz rite |; Guez or erre. az pede femauda rebulga * forl uoloire geren felephen pendez u ıp fefterai Eminen terua. neroche. | fi feiuerit hoc lenior tual irat? erit tibi a.ı|: Karin b&az "| infidencuro qd p meu cap. een i lera dicil. Guaz qu&enger. erra |; qd dieitil uof. er } Semigot elfe. neha 65 Co oreflu narra | aufeulta fol. bentT netrophen | fi me . ‘ u a Gualdeftu aba detinen rof®. ter. aht dl adiuu& nabeo nihil er z&ine ruge | wellef coriü d&uo equo Erro. san selaphen |; dor hibere invcallarted: 50 mire. citeft | tep”. i en Bi | ftultuf woluntarie fottit Gimen min ros | da narra. er, Jarda gerra. mihi . . equü. j Gg2 o 236 W. Gxrımm Int Got man :|, bon’ homo Gimer min fcelt |; (cu F haben go Nego Gimer min [pera. on hen Atıl'eeo a Gimer min Juar 70 luzzil -. parum uolo bibere 55 Gimer min an/co :|- guantof. Erro e. guille trenchen :|; ego :|' abe[ annonä ad equof. ’ Habe/ corne min ro/Ja. ne u ERRE erro ‘| fic habeo. Ne haben. ne cultellum candela. trophen |iabe.. * quid. 4. Go noi |; latis Gimer min ftap ']; Gıimer. cherize ']; u ul Zuzer -|- parom. 75 Erro guillif trenchen gualıgot guın ']- fi uif bibere bonü uinu. Swille min&eruen fie uolo infide. i = Guefeft taz} qgd—hie Gne. guez |; nelcio Büzze minefco | ere a mea cabatcta C 80 Que/an ger. ıuda mın. erra | uidilti hodie feniorem. Begotta. giftra. necafai.|| or. erra |; nec heri nec hodie uidi En gua liche fieta. co ler nenger |; in q loq hoc didicifti. Guanna farden ger |; qt uicef fotifti. Terue nafte-|-f... nafte | (ao. co... Altdeutfche gefpräche. 237 D hu R t R Be 85 Abtotgot fraume | dl uol Jaldom. Gualogo b* got |; bene te don& dl. Guanegeltu || eutho | ... in cher untuenf. derre o ua. Guar“ guantu |; ubi.. * [2 Begottet neuit X nenhurt | nullum E uerbu [ero dede G 91 Cathenen ein F 101 Gauathere. latz mer ferte def | uade ua 96 Adft cher.”euto - dif inm£&hitht. t cad henenf nalti te hodie. Hichatz huguef. heuto brot. Hi ıhat/t Guariftin quenna |; heutu flef. Hi trench ubi — tua fema. huin Guereftin man | 100 Inbiz .. merdige. | ubi—tuul homo Guild“ de re. ouetzef -| de pomif. Terua taz guilli | fi uolo. H 72 # &cher 103 Adfien arıdrer durf.| ad altera uilla.f irenche: guole ingote/mine in aller || en h got elen t i and erie Nr } guatfiara cher dare |; qd fecifti ibi. guaftare guefenda ;| minefce maria | milful fui mine hu Frau. Vnderi huer |; bibite indi amore :: : do [ce marie mee... in tend & in ea ura 338 W. Grimm A Min herro wille dina fprächün fenior meus vult loqui tecum. Ih ouh fö willu et ego fie volo. 15 Gafatalö min ros mitte fellam. Ih willu dar üz ritan fors volo ire. In minen triwön ne ruoche bi daz |. in fide non curo quod dicis. Sam mir got helfe, ne habdm ne tropfon -|; fi me deus adjuvet, non habeo nihil. Herrö, jä enfläfet dormire (dormite). 50 Cit ift tempus elt. Gip mir min ros da mihi meum equum. Gip mir minan jeilt fcutum. Gip mir min per. Gip mir min [wert {pata ((patham). 55 Gip mir mine hantfcuoh@ quantos. Gip mir minan flap fuftim. Gip mir min mezzer cultellum. Gip mir kerza candela (candelam). B Guär ift daz wip? ubi eft [tua] femina? 6o Wanta ne wärut ir za mir? quare non fuifti ad me? Ine wolta ego nolui. Ir enfliefut bi daz wip in iwaremo pette tu Jacuifti ad feminam in tuo lecto. Weiz (1. weffi) iver herro daz pi dia [mähida ir enjliefut bi daz wip, fih triwö irbulge fi feiverit hoc fenior tuus iratus erit per meum caput. W az quedet ir, herro? qui dieitis vos? 65 Gahöreflü, narro? aufeulta (aufeultasne) fol? W oldifiü aba de dinemo roffe dir hüt ze dinemo rugge? velles corium de tuo equo habere in collo tuo? Narro er fartdär gerno ftultus voluntarie futit (futuit). [80} = > Altdeutfche gefpräche. Guotman bonus homo. Habem ih ganuogo habeo fatis ego. 70 Zuzil parum. Herro, ih willu trinkan ego volo bibere. Habes korn furi miniu ros? habes annonam ad equos? Sö tuon ih, herro fıc habeo. Ne habem ne tropfon non habeo quid: vel ganuogi fatis: vel Zuzil parum. 75 Herro, willis trinkan wolaguot win? fi vis bibere bonum vinum? So willu mina triwa fie volo in fide. W az ifi daz? quid eft hoc? Ine weiz nefcio. Buoz€ mine feuohä cura mea calceamenta. C so Gafähut ir hiuto minan herron? vidifti hodie feniorem ? Bi gote giftra ne gafah ih iwaran herron nec heri nec hodie vidi feniorem tuum. In welich£ro fteti galirnet (galirndtut) ir daz? in quo loco hoc didicifti? Wanne fartut ir? quot vices (quando) futuifti? Triwö nafte fide ..... D 85 Gebe iu go Jruma ds vos donet felicitate [ülidom. W ola gebe iu got bene te donet ds. Wanne geftü? hiuto hodie. Wäre wentat ir? ubi (quo) itis? 90 Bi gote ih ne weiz niwiht vel nehein wort nullum verbum feio de domino. E Gät enes findes vade viam, vel gät enes weges. Wär ift din quena? ubi eft tua femina? Wär ift din man? ubi eft tuus homo; 240 W. Grimm Wil dü ezzan? visne edere? obezes? de pomis? 95 Triwö daz willu ih {i volo. F Azut ir hiuto? dinafti te hodie? Ih az hiuto bröt. Ih az hiuto fleife. Ih tranc win. 100 Inbiz . . merda. Gefaterä, läz mir fertan. Unmez ih dih H Az enemo anderemo dorf ad alteram villam. MW äz tälut ir där? quid feeifti ibi? 105 Was dare gefendit miffus fui. Trinket wola in gotes minnö, in (indi) allrö guotönö heilagönö bibite in dı amore et omnium bonorum [anctorum. Am fchlufs des vorigen jahrs’ empfieng ich von Moriz Haupt eine abfchrift von mehreren altdeutfchen zeilen, die hr Henfchel, der heraus- geber von Ducanges gloflarium in einer Parifer handfchrift fehon vor län- gerer zeit gefunden und ihm jetzt mitgetheilt hatte. inhalt und fprache lie- fsen mich bald eine fortfetzung der altdeutfchen gefpräche erkennen, die ich aus einem vaticanifchen pergamentblatt in dem jahrgang 1849 der fchriften der akademie bekannt gemacht habe. als ich hn Henfchel um auskunft über einiges ungewiffe erfuchte, war er fo gefällig nicht nur feine abfchrift mit ihrer quelle nochmals zu vergleichen und das zweifelhafte feft zu ftellen, fondern er fügte auch noch einige früher nicht bemerkte zeilen aus derfel- ben handfchrift hinzu. meine arbeit war fchon beendigt, da überrafchte mich Altdeutfche gefpräche. 241 hr Dr H. Keil, dem während feines aufenthalts in Paris der codex in die hände gefallen war, und der nicht wufste dafs ich bereits kenntnis davon hatte, mit einer zweiten forgfältigen abfchrift. die übereinftimmung bei den lesbaren wörtern war mir ebenfo erwünfcht als die verfchiedenheit bei fchwierigen, halb verfehwundenen. ich bin alfo durch die güte beider ge- lehrten in den ftand gefetzt worden einen vollftändigen und genauen abdruck zu liefern: foweit es ohne facfimile angeht, eine nachbildung der handfchrift. das ende einer zeile, wenn fie mufte abgebrochen werden, ift mit zwei ftri- chen bezeichnet, das unlesbare mit puncten, und wo etwas von der fchrift abgefchnitten ift oder könnte abgefchnitten fein, fteht ein ftern. einzelne buchftaben wären wahrfcheinlich durch anwendung eines reagens noch her- aus zu bringen. wie bei dem vaticanifchen blatt habe ich eine übertragung ins althochdeutfche folgen laffen, in welcher zufätze von mir durch kleinere fchrift unterfchieden find. Auch meinen wunfch mir über die befchaffenheit und den inhalt der Parifer handfchrift nähere auskunft zu geben, hat hr Henfchel bereitwillig erfüllt. der codex (7641 lat. in 4°) wird in der neuen ausgabe von Ducange (7,442) in das ende des zehnten jahrhunderts gefetzt, fcheint mir aber, zu- mal fich das offene a noch zeigt, älter zu fein; indeffen ift nicht möglich mit voller ficherheit darüber zu entfcheiden. er befteht aus 85 blättern: bl. 1-74 enthält in zwei fpalten ein lateinifches gloffar, welches der viel verbreiteten Papias- Anfilaubusifidorifchen familie nicht zugehört, mit Abavus beginnt und mit Zelos endigt. dann folgen bl. 74'-81° ‘sywonım cıcenonıs’, 81%-84° “SENTENTIE SENECE’, 84®- 85° “GLOSSE SPIRITALIS IUXTA EUCHERIUM EPM”. es finden fich elf lagen, jede von vier doppelblättern, ausgenommen die erfte die nur drei, und die letzte die drei und ein einfaches blatt hat. an diefer letzten lage fcheint nichts zu fehlen, aber an der erften fehlt ein doppelblatt, ficher nemlich das unterfte oder achte, da das letzte (gegenwärtig das fechfte) der erften lage mit Architectus fchliefst, und das erfte blatt der zweiten lage (gegenwärtig das fiebente) mit Aue/a beginnt, mithin alle wörter die mit Af und At anfangen nicht vorkommen. das erfte blatt der erften lage vermifst man zwar infoweit nicht als das gloffar richtig mit Abarus beginnt, aber es ift nichts natürlicher als die vorausfetzung es sei ein blatt mit der vorrede vorhanden gewefen. der codex rührt nicht von einer hand her, denn fchrift und dinte find nicht immer diefelben: fchon blatt A? zeigt fich ein ande- Philos.- histor. Kl. 1851. Hh 342 W. Grimm rer fchreiber; dabei eine menge in der folge von andern nachgetragener gloffen. Die deutfche fehrift füllt die leeren räume welche die lateinifchen zei- len von ungleicher länge übrig gelaffen hatten. A und B ftehen auf der vor- dern feite des erften blattes neben den beiden fpalten, © auf dem obern rande, D auf dem zweiten blatt rückwärts auf dem obern rande, E vor der erften, G nach der zweiten fpalte, F zwifchen beiden. H auf der vordern feite des dritten blatts in zwei zeilen auf dem obern rande. von dem 4“ bis zum 12‘ blatt folgen zeilen in der gewöhnlichen, unverändert gelaffenen alt- deutfchen fprache, die ich in Tatians evangelien wieder gefunden habe, de- ren bekanntmachung alfo nicht hierher gehört. Alle diefe deutfchen zeilen fcheinen von derfelben hand, welche die vaticanifchen gefchrieben hat: in der nachbildung durch den fteindruck ift nur die dinte etwas zu fchwarz ausgefallen, fie wird ebenfo blafs sein wie fie in der Parifer handfchrift fich zeigt. die eigenthümlichen fchriftzüge find fich überall infoweit nicht gleich als fie von dem zweiten blatt an nachläffh- ger und minder zierlich werden, fogar flüchtig. von bl. 4 an bis 7, bei den ftellen aus Tatian, find fie gröfser, manchmal um das doppelte, dabei forg- fältiger und gleichmäfsiger. Da die erfien drei blätter des lateinifehen wörterbuchs von derfelben hand find, die den lateinifchen text des vaticanischen blatts gefchrieben hat, ebenfo die fchriftzüge der deutfchen zeilen fich vollkommen gleichen, da endlich die höhe der beiden handfchriften überein fliimmt (die Parifer er- fcheint nur, weil fie beim einband befchnitten ward, wodurch fogar einige buchftaben wegfielen, um einen viertelzoll fchmäler), fo unterliegt der fchlufs kaum einem zweifel, dafs jenes vaticanifche, nur auf der rückfeite befchrie- bene blatt das fehlende der Parifer fei und den prolog dazu liefere, wozu fein inhalt vollkommen pafst. es mufte fchon abgelöft fein, bevor jene ein- gebunden und befchnitten ward; der einband ift alt. Was unter AB 43-79 fteht gehört den fprachformen nach dem zu, den ich bei dem vaticanifchen blatt den dritten fehreiber genannt habe, und von dem zeile 37-40 herrühren. das eigenthümliche das ich dort feite 15 zufammengeftellt habe, erfcheint auch hier wieder. geftattet wird das an- lautende A und zwar in haben immer, bei andern wörtern wird es ausge- laffen, wie dort bei als 40; vgl. z.43. man findet e/l 50.77 wie dort 37. Altdeutfche ge/präche. 243 die althochdeutfche vorpartikel ga, die dort nicht vorkommt, wird hier durch co 65 oder go 69. 74 ausgedrückt, nicht durch ge gue, wie in dem fiück das 13-36 umfafst, 15. 16. 24. 26. 27. 28. reichlicher find hier die beifpiele von den linguallauten: die tenuis im anlaut, Zine 43. 66. tönen 66. taz 47.77. ter 66, einmal dez 63: ebenf[o dort din 39. tine 41. einmal thär 46, was dort fehlt, auch ift bei Zön 73 Ah übergefchrieben; alfo gleiches fchwanken. den unterfchied aber, den ich zwifchen 13-29 und 30-36 ge- macht habe (vergl. feite 15), muls ich jetzt aufgeben, da auch hier erro und erre vorkommt; vergl. die anmerkung zu 43. offenbar jedoch von einem anderen rühren CDEFGH 80-106, das beweifen die verfchiedenheiten in den fprachformen, wovon ich die wichtigern anführen will. in diefem theil erfcheint i für e=ih in cafai 81. au für u in fraume 85. w wird durch Au ausgedrückt in hurz 90. huin 99. hueges 91 neben gu in guanna 83.87. gua- liche 82. guolo 86. guäre 88. guär 92.93. guant 88. guilit 94. guilli 95. guais 104. guas 105; dagegen in 43-79 häufig gu, einmal co 37, niemals hu. c fteht einige male im anlaut für g, nicht blofs in der vorpartikel co- lernen 82 und cafai 81, wie wir fie in AB fanden, auch in cät cäd 91. ne- ben ger 82.83 mehrmals cher 88. 96. 104.105. hier allein wird ein unor- ganifches A vorgefetzt (vergl. Grammatik 1?, 188. 437. Sprachfchatz 4, 692. Roland xvıır. Graf Rudolf f. 6.7. die anmerkung zu Wernher vom Nieder- rhein 14,4 und Herbort 199) A&ü 85. henen, henens 91. hich 97.98. hi 99. 102; vergl. die anmerkung zu 97. dagegen fällt hier aufser in iuda SO das organifche A nicht ab, worüber die anmerkung zu 1 und 43 nachzufehen ift: ja es ift bei euto 80 und @len 106 übergefchrieben. das anlautende z, wie in AB ölter, tü 87. 94. tin 93. taz 95. tare 105 neben durf 103. däre 104, aber z wird, aulser in indiz 100, ausgedrückt durch is ds in ä/ft 98. guats 104. ad/i 96. ads 103. ferner durch 13 in oretzes 94. atz 97. 98. latz 101: end- lich durch 2 in inmet 102. ftatt efl hier is 92 und es 93. man fieht fchwan- kender flüchtiger und fehlerhafter it CDEFGH überall gefchrieben, wie auch die auslaflungen (81. 85. 88. 94. 106) zeigen. demnach wären für die gefpräche jetzt drei verfafler anzunehmen: dem erften fällt 13-36 zu, dem zweiten 37-41 und 43-79, dem dritten 80-106; ich lafle es dahin geftellt fein, ob man zeile 42 als den zufatz eines vierten betrachten, oder fie noch dem zweiten beilegen will. Ich habe bei der erklärung des vaticanifchen blattes nicht von ver- Hh2 44 W. Grimm faffern fondern von fchreibern geredet und mehreren die bemühung beige- legt eine alterthümliche fchrift nachzuahmen: jetzt, wo fich ausweift dafs alles deutfche in diefem codex, felbft die aus Tatian entnommenen ftellen, (ehr wahrfcheinlich von einer und derfelben hand herrühren, bin ich der meinung dafs in der urfchrift verfchiedene nach einander das nicht [chwie- rige gefchäft übernommen hatten den angefangenen gefprächen zuzufetzen was ihnen in diefer art einfiel und was fie für reifende nützlich hielten; dar- aus erklären fich die eingemifchten rohen zeilen, die zu dem übrigen inhalt nicht paffen. natürlich bediente fich ein jeder feiner mundart und fchreib- weife. das fachliche wörterbuch (1-12) wird wohl das felbftändige werk eines andern gewefen fein, dem fich der urheber der gefpräche anfchlofs: möglich auch dafs diefer es felbft verfafst hatte. der welcher in das lateini- {che wörterbuch die deutfchen zeilen einzeichnete, behielt was er vorfand buchftäblich bei und bemühte fich zugleich eine alterthümliche fchrift dar- zuftellen. ob er nur einen auszug aus feiner quelle machte, oder ob er dort nicht mehr vorfand, läfst fich nicht entfcheiden, aber jenes dünkt mich wahr- fcheinlicher, weil wir auch von dem fachlichen wörterbuch nur den anfang erhalten, und er bei den gefprächen mit zeile 107 vielleicht abbrach, um noch ein paar proben aus einer handfchrift Tatians zu geben, in welchen fich keine {pur ungewöhnlicher fprachformen findet. dafs ein fremder, in Deutfchland reifender die gefpräche zuın handgebrauch nieder gefchrieben habe, wie Waitz (Götting. anzeigen 1851 ft. 97. 98 feite 968) annimmt, fcheint mir gegen alle wahrfcheinlichkeit zu fein. Waitz erblickt die entftellung deutfcher (doch wohl hochdeutfcher) laute durch eine fremde feder, ich da- gegen die fchwierige auffaflung der eigenthümlichen laute einer niederdeut- {chen mundart. er müfte dann drei fremde federn voraus fetzen, die fich zufällig zufammen gefunden und ihre ver[chiedene fchreibweifen und zwar (was einem fremden fchwer fallen follte) ziemlich folgerichtig durchgeführt hätten. Geiftliche waren die verfaffer gewis nicht, das beweift der bis auf weniges weltliche inhalt, zumal in den Parifer blättern. wir wollen ihn näher betrachten. Ein herr läfst frühmorgens feinen knecht rufen und heifst ihn das rofs fatteln. der knecht wendet ein (ich nehme an dafs die 48" zeile vor die 47" zu ftellen ift) es fehle an dem nöthigen, womit er vielleicht futter für das Altdeutfche gefpräche. 245 pferd meint. den herrn kümmert das nicht, und als der knecht ihn ermahnt noch zu bette zu bleiben, erwidert er es fei zeit zu reifen und fordert nicht nur abermals das pferd, fondern auch fchild fper fehwert handfchuhe ftab und meffer. unter ftab kann nicht etwa ein eberfpiefs (Sprachfchatz 6, 610) 'verftanden werden, da die volle rüftung zeigt dafs der herr nicht zur jagd ausreiten will, fondern zum kampf. ich führe dazu aus dem Anegenge 114,4 eine ftelle an, fine truogen fwert noch ftap noch deheiner flahte wer. ein kiule wol beflagen, die Erek (2349) zum turnier erhält, mag dasfelbe fein, oder die vil ftarken brügele, von welchen im Engelhart (2735 vergl. die an- merkung) die rede ift. bei den ferbifchen rittern war nach den alten liedern die oft koftbare, wohl befchlagene keule ein wichtiges ftück der rüftung. meffer und fchwert gehören zufammen (Hagens gefammtabenteuer 2.257,63) und bei Herrand von Wildonie (das. 339, 90) tröftet der ritter fich damit dafs fein gegner ohne fehwert und meffer gekommen fei, während er feine wehr bei fich habe. mit dem melfler tödtete der fieger im zweikamf den ge- fallenen (Konrads trojan. krieg 4245): im Waltharius (337. 1390) heifst es femifpata und wird an der rechten feite getragen, bei Konrad von Haflau (Haupts zeitfchrift 8. 571, 712) ftechmezzer. da der herr zuletzt eine kerze fordert, fo fieht man dafs der tag noch nicht angebrochen war. Ganz andern inhalts ift das folgende gefpräch. es beginnt mit der er- kundigung des herrn nach einem weib, auf welche jedoch keine antwort er- folgt. er fragt hierauf den angeredeten warum er nicht zu ihm gekommen sei. “ich hatte keine luft” erwidert diefer, der alfo nicht in feinen dienften fteht. der herr macht ihm den vorwurf ein weib (ohne zweifel ift ein lieder- liches gemeint) bei fich im bette gehabt zu haben und droht ihm mit dem g etwas er- o° fahre. der fchuldige antwortet in der art eines verlegenen ‘was fagt ihr, zorn feines herrn, wenn diefer von feiner fehlechten aufführun herr?” ‘höre mich an, narr,' fpricht diefer und duzt ihn jetzt verächtlich, “willft du deines pferdes fattel auf deinem rücken tragen?” das war eine fchimpfliche ftrafe, von welcher die Rechtsalterthümer f. 719 ein beifpiel aus dem 9‘ Jahrhundert beibringen (59-67). “Guter man’ redet, wie es fcheint, der herr einen fremdling an, den er für einen dürftigen hält. aber die frage fehlt, ob er etwas verlange. die- fer antwortet ich habe was ich bedarf, nur etwas weniges wünfche ich, einen trunk’ (68-71). 246 W. Gkımm Der herr erkundigt fich bei dem diener ob er getreide für die pferde habe. die antwort ift nach den verfchiedenen umftänden eingerichtet, es ift vorhanden oder es fehlt gänzlich (72-74). Bei dem herrn wird angefragt ob er luft habe guten wein zu trinken. er bejaht es und fragt was ift das? der diener weils es nicht, und man er- fährt nicht was gemeint fei. diefer erhält noch den befehl von dem herrn ihm die fchuhe auszubeflern (75 -79). Es folgen fünf zeilen (80-84), deren zufammenhang man nicht fieht. die frage ob man heute den herrn gefehen habe, und die verneinende ant- wort ift ähnlicher weife fchon in zeile 27.28 da gewefen. rohe fitte verraten die zeilen 83. 84. gemeine knechte mögen hier mit einander reden. Ein reifender wird voraus gefetzt, der nachtherberge erhalten hatte und im begriff ift weiter zu ziehen. ‘gott verleihe euch glück und heil’ fpricht der hausherr zu ihm: ‘fo gefchehe es’ antwortet der fremdling. der haus- herr fragt wann er gehen und wohin er fich wenden wolle: der fremde ant- wortet 'heute’, aber, da er die wege nicht kennt, weils er nicht wohin. ‘geht ' jenes weges’ [pricht der herr und fcheint ihm den pfad zu zeigen (85-91). Kommt jemand von geringem ftand heran, fo wird er, ift es ein mann, gefragt wo feine frau, ift es ein weib, wo der mann fei. zur fpeife wird nur obft angeboten, aber gerne genommen (92-95). An den vornehmen wird bei feiner auskunft die frage gerichtet ob er zu mittag gegellen habe. er hat brot fleifch und wein genoffen (96-100). es gefchieht allo der hüsere genüge, von welcher Haupt in der Zeitfchrift 6, 387-392 handelt. der Meifner fagt hüsere dri dince haben wil, als ich be- [eheide: gnouc edeler fpife und guoten trune (diu zwei diu prife ich beide), und daz der wirt zegegenwertic fi. MSHag. 3, 86°. die frage des hausherrn, von der ich bei dem vyaticanifchen blatt feite 12. 13 geredet habe, gehört auch zur hausehre. ich trage hier eine ftelle aus dem Meifner MSHag. 3, 91? nach, /wenn ich den biderben wirt dä heime fuoche, der gebe mir finen gruoz, ob ers geruoche, daz ich fin ere breite in der krifienheit. ein frelich gruoz und ouch ein friuntlich frägen enfol dem biderben wirte nimmer trägen; fus freuwe er finen gaft, fö [windet im fin leit. auch einen guten morgen bot der wirth dem gafte Tit. 1507. Die zeilen (101.402), in welchen eine dirne mit dem ausdruck roher leichtfertigkeit aufgefordert wird fich preis zu geben, können nicht von dem Aldeutfche gefpräche. 247 herrühren, der einen andern wegen feines umgangs mit einem weib fo hart angelaflen hat. Zuletzt fehen wir, wie ich glaube, zwei geiftliche im gefpräch. der eine war auf einer wanderung gewefen: der welcher ihn empfängt ift viel- leicht der pförtner des klofters. die frage des letztern, “wo wart ihr hinge- gangen?” mufs ausgefallen fein. der fatz beginnt mit der antwort ‘nach jenem andern dorf’. weiter wird gefragt was er dort gethan habe, und wir hören dafs er mit einer fendung hingefchickt war. zuletzt folgt die einladung ‘trinkt in der liebe gottes, der jungfrau Maria und aller heiligen’. Nach diefer betrachtung des inhalts gehe ich zur erörterung des ein- zelnen über. 43. erro wie 31. 49. 71.73.75, als dativ 33, fodann erre 21.19, als accus. 28, fogar erra acc. 64. 80. da ebenfo a in narra 65. 67 und in iuda 80 fteht, fo ift felidä und mettind für felidö und mettinö nicht mehr auf- fallend; vergl. zu 15. man fieht fchon an diefen beifpielen wie leicht die vocale diefer mundart in einander übergehen. — das anlautende Ah ift wie immer bei erro, auch abgefallen in coorefl 65. auht 66. iuda 80 und in dem lateinifchen ac 15; vergl. zu 1. es fehlt niemals bei dem deutfchen habent 48. haben 69. 74. habes 72, meift aber bei dem lateinifchen abuilti 15. abeo 48. 69. abes 72, wobei die romanifche ausfprache (aver) mag gewirkt haben, nur zweimal habeo 69. 73. vor ip 62 ift gu = w weggefallen und d vor az 63.— guillo, wie in der hand- fchrift deutlich Bichahe ift als dritte perfon auffallend, auch die erfte lau- tet einmal guillo 43, fonft guille 46. 71. 76, guili (= willu ih) 95: die zweite guillis 75, guildo (gildo ift druckfehler) 30, quiltu 94. fprächen die fchwache form, die auch in Wackernagels lefebuch 180, 34 vor- kommt. 44. ero foll dem lateinifchen et ego entfprechen: es darf nicht erro gebef- fert werden, denn es ift hier von jemand die rede, den der herr abge- fehickt hatte den reitknecht zu rufen, und dem diefe auszeichnung nicht zukam. e ift das.althochd. iA, aber wie ift ro zu erklären? hernach 76 und 95 kommt diefelbe antwort wieder vor, wo das paffende zerüe da- bei fteht, follte demgemäfs hier ein fehler zu beffern fein? — fü hier und auch wohl 76, dagegen J6 73; der 0 6, 11 weift beide formen nach. 348 W. Grımm 45. guefatle ift anzunehmen, was zwifchen z und / fteht foll als ausgeftri- chen betrachtet werden. & für e wie in Zerüe 36 und na 60. 46. th zeigt in üthz, das auch utht könnte gelefen werden, die länge des vo- cals an, wie ht in üht 66.— zu beachten ift der gekürzte infinitiv rite hier und ferte 58.— fors fteht nochmals 40. 47. teria während fonft terüe fteht 25.29. 84 und mine terüe 36 (zu den dort' gegebenen nachweifungen füge ich noch /ö mir mine träwe Her- bort 9807): auch ift zerüen 76, wo der [chreiber in den plur. über- fchwankte zerie zu lefen, und 63 habe ich es hergeftellt. hier aber ift umgekehrt der plur. anzunehmen und emäinen (= enminen) terüen zu beffern: fo fteht ze triwön Sprachfch. 5, 467. intrüwin Athis 4, 68. Lambrechts Alexander 4658. entriuwen Silv. 3336. Engelh. 2131. Troj. krieg 13841. es find alfo drei formen der betheuerung bekannt. hier ift auch wie 76 (vergl. 84) die überfetzung ‘in fide’ zugefügt, die fonft fehlt: 63 fteht ‘per meum caput’. über dem auf fide folgenden n fehlt der ftrich, der 48 nicht vergeflen ift. — bei röche ift das perfönliche pronomen ausgelaffen, wie bei haben 48. habes 72. guillis 75. was 105; vergl. zu 23. — was das nach taz übergefchriebene a bedeuten foll weifs ich nicht. 48. femi hat ein hochdeutfcher in femer gebeflert, aber jenes ift eine niederländifche form, über welche man Huydecoper zu Melis Stoke 2,470 nachfehen kann, der nur irrt, wenn er (f.587) Ein wort dar- aus machen will, wie /eme Roland 120, 18 A. femir Walther 82, 19. Jemmer Göli MS.2,57° darthun; die verkürzung aus /d mir ift Gramm. 3, 243 nachgewiefen wie der häufige gebrauch der betheuerung bei Herbort in der anmerkung zu 2024. an diefe niederländifche form knüpfe ich eine folgerung: ich war, als ich nur das vaticanifche blatt kannte (vergl. f.15. 16), über die eigentliche heimat diefes denkmals noch ungewis, aber aus dem was ich (f.14) über die nähe von Frank- reich gefagt habe, aus der erfcheinung romanifcher wörter (compagn 15 fors 40.46, wozu noch fol 65 und fi 95 kommt) und aus anderen anzeigen (vergl. zu 52.53. 54. 61. 67. 91. 93.98. 99.103) ziehe ich jetzt den fchlufs, dafs diefe gefpräche in dem deutfchen theil von Flandern find niedergefchrieben worden, mithin als das ältefte denkmal der niederländifchen fprache und zwar einer eigenthümlichen mundart 49. 0. 51. 53. Altdeutfche gefpräche. 249 dürfen betrachtet werden; es hat auf diefes ergebnis keinen einflufs, wenn man auch geneigt ift die niederfchreibung fpäter, etwa ins 10" jahrhundert zu fetzen. — ftatt habent mufs haben gelefen werden, wie in der entfprechenden ftelle 74 fteht. dort ebenfalls die doppelte verneinung ne...ne, wovon der Sprachfchatz 2, 271 noch ein bei- fpiel liefert. — merkwürdig ift, was fich hier und 74 zum erften- mal zeigt, Zropfe in der bedeutung von nihil: damit beftätigt fich die anficht (Gramm. 3, 730), wonach das otfriedifche, in gleicher bedeu- tung gebrauchte drof davon abzuleiten ift; aber auch unfer fcheltwort tropf, das einen fchwachköpfigen menfchen bezeichnet, der nichts werth ift, gehört dahin. fel für fl in feläphen hier und in felephen 62. 63 ift fchon in frühfter zeit des althochdeutfchen eine feltene erfcheinung (Gramm. 1°,175), aber Jeelt 52, wo jedoch ein A übergefchrieben ift, war dort regel (Gr. 1?, 174). — feläphen hier, felaphen 38, queten 64 ift als die zweite perfon plur. praes. anzumerken: cumet 17 daneben wird wohl ein abfchreiber ge- ändert haben. ebenfo im praeter. däden 22 vergl. 103. guären 24. 60. Jelephen 62. 63. colernen 82. färden 83. ef wie 37, aber is 31.393. das in den nächften zeilen wiederholte gimer hat gleich femi 48 nicht das doppelte m, das die hochdeutfchen denkmäler des 12‘ jahrhun- derts fetzen, gimmir Kaiferchr. pfälz. hf. bl. 40°. Fundgruben 1, 260. Paulus in Haupts zeitfchr. 3. 520, 43; vergl. Benecke zum Iwein 1597. . E in /eelt für i ift niederländifch (Gramm. 1°, 470) und ftimmt zu dem angelfächfifchen feeold: ebenfo ift trenchen (althochd. trinkan) 71.75, pe (pi) 21 und das von mir hergeftellte fe 63 zu beurtheilen. 54. /pera und fwarda gehört zu öbethe 1 und munda 5; vergl. die an- merkung zu 72 und 105. a für & in /warda ift niederländifch nach Gramm. 1?, 468. . min für mine wohl wegen des folgenden vocals. . min (= minan) flap ift zu 28 erörtert. fuftum H. . ain matzer führt auf mezzifahs mazfahs (Sprachfch. 6, 90). . die dehnung kerize kommt in keinem beifpiel des Sprachfchatzes (4, 497) vor; vergl. die anmerkung zu 16. 25. . vor uip ift g abgefallen, nicht durch einen fchreibfehler, fondern der Philos. - histor. Kl. 1851. Ii 19 oı Di 60. 61. 63. W. Grimm mundart gemäfs, hernach fogar ip 62.— tua im lateinifchen ift fehler- hafter zufatz. — bei femin ift a weggefchnitten. in ne ift der letzte buchftabe ungewis: H. bemerkt dafs auch Guan- dina könne gelefen werden und K. hat Guandinai, doch mit einem frage- zeichen. — zamer H. zam&in| als fei etwas abgelehnitten, mit der angabe dafs die buchftaben am ungewis feien K. wahrfcheinlich ift nach ze 24. 38 und 66 hier zemer anzunehmen. en zufammengezogen aus e ne; vergl. 78.— a=oin ualde (hier einmal u ftatt gu), gualdefiu 66, gualigöt 75, gualo 86 ifi niederländifch nach Gramm. 12, 469. — bei nolui der letzte buchftabe undeutlich K. . ftatt bitte mülte di daz oder bi dez ftehen wie in der folgenden zeile, aber das natürliche gefchlecht tritt hervor. — von ip war z. 59 die rede. ftatt gudz müfte das praet. con). geletzt werden, deffen genaue form ich aber nicht angeben kann. — vor az ift d abgefallen. — pe= pi ift zu 52 bemerkt: die präpofition hat bier den accus. bei fich. — femauda erkläre ich durch /mähida, und fem für fm ift zu 25 nachgewielen. das lateinifche ift über das wort hinweg gegangen, weil es wohl keinen aus- druck dafür wufte. — fchwer zu erklären ift frfterae, ich ändre fe terüe; vergl. z. 47. f& für /öh = fih nehme ich an, weil in diefem denkmal das auslautende A abfällt (zu 9), und f& dann dem & = ih (zu 18) entfpricht. merkenswerth ift aber die erfcheinung diefes pronomens, das in den mittelniederländifehen, wie in den altfächfifehen, angelfächfifchen und nordifchen denkmälern fich gar nicht oder fehr mangelhaft zeigt (Gramm. 12,781.782). über den flexionsvocal a in rebulga (K fetzt hinter @ das zeichen als könne etwas abgefchnitten fein) ift Gramm. 1?, 857 nachzu- fehen. 65. fol ift romanifch (Raynouard 3, 348): Ducange hat follus. 66. 67. ab& mit dem zeichen des ungewiffen K. ich halte aba für das richtige, dem, als einem feltenen wort für fona gleich das lateinifche de beige- fetzt ward. — Zinen für tinem ift nicht auffallend. — rosH. — auAt H. unter haut wird der fattel verftanden, wahrfcheinlich ein fchaffell, das noch jetzt dazu dient. ein altdeutfches verbum fertan fart gefortan, entfprechend dem angel- fächfifehen ferdan, nordifchen ferda inire ftuprare hat Schmeller 3,233- 285 aus Spätern zeugniffen fchon wahrfcheinlich gemacht, das hier und 68. 69. 70. 74. Altdeutfche gefpräche. 251 nochmals zeile 100 fich zeigt. zu‘ den dort angeführten ftellen gehört noch dü verforteniu huor Altfchwert 54, 24 und was Ziemann f. 384 beibringt. die urfprüngliche bedeutung ift ftofsen, zerreilsen, gewalt- fam fchädigen, und in diefer kommt Jerten, geforten, zerferten und das fubft. fart, eigentlich und uneigentlich gebraucht, häufig vor im Ring Heinr. Wittenweilers; die ftellen find feite vır gefammelt. — gerre für gerne (wie flerre für ferne) ift niederländifch; vergl. Gramm, 1?, 488. guolman biedermann, bonus homo (Rechtsalterth. 294), und fo fteht es im Leben Jefu (Vorau. hf. 248, 18 Diemer) und im Parzival 740, 30. es wird die anrede fein, die man bei einem fremdling gebrauchte, was das lateinifche nicht eingefehen hat, und es fehlt dahinter die frage was wünfchet ihr?’ auch die Samariterin redet den heiland guotman an (Wackern. lefeb. 103, 22. 104, 20) und im Ortnit ([. 26. ftr. 76 Ettim.) Alberich den Lamparter fogar her Guotman. goxrego K. durch gonögo wird ganögo und ganöga, das der Sprach- fchatz 2,1009 mit fragzeichen anführt, beftätigt; vergl. zu 74.— habeo H, was ohne zweifel mit heo gemeint ift. parum uolo habere H, indem er das in der folgenden zeile über tren- chen ftehende uolo bibere, wie K hat, fo lieft und hierher zieht. in luzzil ift der letzte buchftabe ungewis K. . der plur. roffa könnte zu /pera und fwarda 53.54 gehören, doch auch, wie bei corne dem pl. auf u und e beim ftarken neutr. im altfächf. altfrief. angelf. und mittelniederländifchen entfprechen. feltfam dafs hier die praepofition fehlt. diefe zeile ftimmt mit 48 überein. Z vor rophen ift nicht deutlich H. — gonöi ift gleich gonögi und entfpricht der althochdeutfchen form ga- nuogi: zeile 69 ftand die andere ganögo.— luzer ift entweder in lZuzil zu ändern, wie 70 fteht, oder in Zuzec, dem altfächfifchen Zuttic im Heljand entfprechend. 75. die zweite perf. auf is in guillis kommt nur noch bei Tatian vor (Sprach- fchatz 1,818): daneben guiltu 93; vergl. z. 43. — hier guin, 98 huin; H fchreibt gain. 76. /uille zulammen gezogen aus fü guille, vergl. zu 44..— nine teruen H. min&eruet..*K. 77. hocH. 1li2 [8] ou 2 78. 10: 80. 81. 83. 34. W. Grimm e=ih ift in diefen ftücken unferes denkmals ficher, es müfte alfo hier e ne ftehen wie 26. 27, oder ne wie 32, oder en wie 61. follte das vor- angeltellte g einwirkung einer vollftändigen form eg fein? buozan ift refareire reficere (Sprachfchatz 3, 225. 226), daher /chuoh- buozari Sprachfch. 3, 226 und altbüezer ; vergl. Schmeller 1, 212. 231. Beneckes wörterb. 1, 284° und Haupts zeitfchrift 8, 396. im lateini- fchen lieft H das erfte wort era mit der bemerkung dafs ra verwifcht fei, K ebenfalls als ungewis ere a.— das letzte wort hat H gar nicht, und nach K ift nur caba...ä deutlich. ich glaube es ift zu lefen cura mea calceamenta. vergl. Rudlieb II, 229 quo funt fareita tua tam bene cal- ciamenta. die vorpartikel ift hier que gefchrieben, wie 28. dafelbft auch min = minan.—nach erra fteht oben bei K noch ein dünner queerftrich, der aber zufällig zu fein fcheint. begotta hernach begotte 90; auch der Sprachfch. 3, 12 hat ein beifpiel. K hat negotta mit der bemerkung dafs n ungewis fei. — giü lranelafai H. — gifira ift eine alte form und fiimmt mit der gothifchen. hier en, aber 21 in. — gualiche wie dine 42, das alfo nicht braucht ge- beffert zu werden. — leta ift vielleicht in /lete zu ändern, aber diefe fprache liebt die endigungen auf a: möglich auch dafs fletaz zu lefen ift, da hoc fonft im deutfchen nicht ausgedrückt wäre. guanna kann nicht quot vices heifsen, es muls quando ftehen. von dem lateinifchen wort hat K nur f... gelehen, H lieft firo, ich glaube es hat fide da geftanden, als überfetzung von terue. —najle ift fchwierig, K bemerkt dafs e das erftiemal auch o oder 7 könne gelefen werden. da das wort aber wiederholt wird, fo kann man nicht wol einen fchreibfehler voraus fetzen und etwa vermuten es habe nahte da geftanden, für nehten nocte, als antwort auf quanna in der vorher ge- henden zeile, wie auch im Paffional 361,94 ein folches nehte vorkommt. vielleicht fteckt das angelf. und altfrief. nas darin, dem noch eine par- tikel angehängt ift, und das Gramm. 3, 723 als eine kürzung von nalles durch prorfus non erklärt wird. die wiederholung najle -|- fuo co... hat K allein, der.ausdrücklich bemerkt das lateinifche fei verwifcht, auch könnte noch etwas abgefchnitten fein: möglich dafs omnino non an- zunehmen wäre. 85. 56. 37. 88. 89. Altdeutfche gefpräche. 353 das erfte wort ift fchwer zu lefen und alle buchftaben find unficher, hu hie Abtotgot H, Mtergote K. ich vermute es hat Gebe hu got da geftan- den, wozu. ich eine ftelle aus Otfried anführe, zhia fruma gibit er iu Jär 2.22, 42. hü ift der niederländifche, neben ü geltende dat. pl. (Gramm. 1?,782); in der Vorau. hf. (372, 19.21) der accuf. hiuch. — au für u in frauma ift auffallend, entfpricht aber dem gothifchen aı in vaırms.— im lateinifchen fehlt etwas, ich ergänze donet felicitate, woran fich fäldöm als zweite erklärung fchliefst. Guologo H. auch diefe worte fcheint der abfchreiber nicht verftanden zu haben: das lateinifche das klar ift, führt darauf, zu lefen gualo gebe ügot. das ift entweder die erwiderung des angeredeten, oder ein ver- fchiedener ausdruck des vorigen. guane göftü ift deutlich, aber der fingularis befremdet. das übergefchrie- bene, fehr kleine z könnte ein offenes a fein, um die form gäftü anzu- zeigen. die lateinifche erklärung fehlt; abgefchnitten ift hier nichts. eu- tho enthält die antwort auf die frage. das lateinifche, al H, f.u K, ift unlesbar. es kann aber kein zweifel fein über das was da geftanden hat. das voran ftehende untuens fcheint das lateinifche intuens zu fein, mit den folgenden zwei deutfchen wörtern und dem übergefchriebenen in, deffen i noch nicht ficher ift, weifs ich nichts anzufangen. H nnd K ge- ben fie übereinftiimmend, nur dafs letzterer die bemerkung hinzufügt man könne auch derro lefen. vielleicht hat der abfchreiber etwas aus- gelaffen.— Guar“ H.— guant mufs für guent ftehen, denn das praefens ift doch gemeint. das angelfächfifche vendan kommt in der einfachen bedeutung von ire vor: dann ift anzuführen wanta er in wuofti Notk. 106,33. do alfö von fime lande ein fö werder fürfte wande Ernft 1782. & daz min fele wende von dem libe dal. 5145. wir fuln ze lande wenden Livl. chronik 2834. ein teil ir von dem firite wande Lohengr. f.112. begotteh ift zulammen gezogen aus bi gote ih.— neuit X K, doch ift H als ungewis bezeichnet, newit/ft H.— nen entfpricht dem hochdeutfchen ne- hein. — in hurt fteht u= 0 wie in durf 102; vergl. Gramm. 1°, 277. — von nullum hat K nur den erften buchftaben gelefen. — verbu H, uerba K.—feroK, fen mit der bemerkung dafs es undeutlich fei H; ich glaube es ilt fcio zu lefen. — ded"e erkläre ich de domino und fehe darin eine 254 Yı: 93. 9. 95. 97. 98. IR W. Grimm überfetzung von be gote, die ganze zeile enthält wol die antwort auf die frage wohinaus er fich wenden wolle. in der folgenden zeile wird er angewielen welchen weg er einzufchlagen habe, abzutheilen ift edt henens cindes. — in cät fteht ce für g, wiewohl nach K auch g könnte angenommen werden, in eindes aber für z, und zwar für das niederländifche, anlautende, von dem hochdeutfchen ganz ver- fehiedene, wofür alfo hier ein für die alte zeit noch fehlendes beifpiel (Grammatik 1%, 496. 497) aufgefunden ift. — henens kann der wieder- holung wegen, nicht als fchreibfehler für Aenes betrachtet werden, fon- dern mufs eine unorganifche mundartliche form fein. in huegues gilt gue nur fo viel als ge, wie in zunguen u. f. w.; vergl. zu 6. guereflan Ü. es wird auch hier guariftin anzunehmen fein, wie das la- teinifehe verlangt. bei quiltu vergl. die anmerkung 43. — ezzen das auch der gen. ovezzes fordert, hat der fchreiber ausgelaffen, dazu gehört de re, worin edere fteckt. — ouotzes IH, duezzes K, der aber d als ungewis bezeichnet. — vor pomis [etzt K zwei punete als ob etwas unlesbar fei. Teruia K. — fi die romanilche bejahung, die aus fic entftanden ift, das in gleicher verbindung bei dem zweiten verfafler zeile 44 und 76 vor- kommt. der Sprachfchatz hat einige beilpiele von hie hich, wozu hih in glolfen aus dem 8"" Jahrhundert (Haupts zeitfchr. 3, 467") und hie Rother 121 kommt. bei zufammenziehungen fteht ö allein, cafai 81 und will 95: die andern gebrauchen e; f. die anmerkungen zu 18 und 61. € in /lds ift niederländifeh (Gramm. 1°, 258). s ftatt fe ift mundartlich und kommt auch in hochdeutfehen reimen vor; vergl. Über Freidank f. 49. e für a in trench muls, wenn kein fehler dahinter liegt, auch niederlän- difeh fein, wiewohl in der Gramm. 1°, 255 dieler Fall nicht bemerkt wird. 100.nach H weggekrazt und kaum lesbar, bei K ganz übergangen. inbiz ift deutlich und merdige ift wohl eine dehnung von merda (fuppa), oder der dativ merede (coena); vergl. Sprachfch. 2, 845. 846. der zwifchen beiden wörtern ftehende buchftabe ift ungewis und kann ein e oder i fein, vielleicht foll gefagt werden ich habe vorkoft und fuppe gegellen’. 101. 103. 104. 105. 106. 107, Altdeutfche gefpräche. 255 revathere commater (Sprachflchatz 3, 378), hier bezeichnung einer lie- 5 , s I) derlichen dirne, in welchem finne Ducange ire ad commatres anführt. gevalere heifst aber auch allgemein guter freund, Reinh. fuchs 178. 5 5 ie) > Stricker 6, 4 Hahn. bruder Wernher MS. 2, 160", und das volk ge- braucht noch heute dielen ausdruck als freundliche anrede eines frem- den. ebenfo im allgemeinen finn gevaterfchaft Wigal. 8448. jüng. Tit. 1929, 4. inmet hi thi, wie getrennt werden mufs, ift eine elliptifche redensart, wobei guille ferten verftanden wird. man follte unmet vermuten, aber die handfehrift ift deutlich. h n Adfion a dror I. das übergelchriebene A und n ift eine befferung der gC- I) hängt; der dat. neutr, gene ift fehon da gewelen. — bei uilla fehlt der gt; \ £ h(. der praepolition az ilt das pronomen jen mit abgefallenem e an ftrich über a. das kreuz dahinter bezieht fich auf das andere, das im anfang der folgenden zeile vor guatflata fteht und zeigt an dafs jene frage hierher gehört. tata kann nicht richtig fein, es ift ein fehreibfehler für zäten; vergl. anım. zu 49. bei guefenda ift a zu ftreichen, wenn man nicht annehmen will es fei angehängt wie bei den zu 53 bemerkten fubftantiven, oder man müfte guefendat für gafendit belfern. das lateinifche fehlt bei K. mine ohne verdoppelung des n weilt auf das angelfächfifche myne. die aus dem heidenthum ftammende, von den chriften beibehaltene fitte 1.55 erläutert. des minnetrinkens ift in der Deutfehen mythologie (5 es ift die [prache der geiftlichen unter fich: ebenlo kommt vor jagen, biten in der minne; vergl. Haupt z. Gottfried von Neifen 45, 32. — tren- chen in trenchet cher zu ändern war unnöthig; vergl. zu 49.—es ift zu lefen unde aller göten helegen; auch im Freidank 24,5 werden die heiligen die guoten genannt, das deutfcehe verwirrt fich und geht in den nominat. über, während das lateinifche im genit. bleibt. es follte wohl da ftehen Awer mine huge. — dö fehlt bei K und auch intend. —ea ift nach H undenutlich : es foll viel- leicht heifsen intendat in ea curam, und et qui ift vorher gegangen, ap „u va tldal adhimaatak zul ra PRSEUN VER | BR TR EN ek ano RS tree en Andi: na er Ko EreIEE Ir TR BUNT Ir er) dainide ri $ BER ETIIUL LET IT le ir al Be kt OR Nee Ba nennt: KT dei ale tere oh Ära wu Br sh aan oe vun hdehen ae m k werah, RR Milde id tale ie Anis. il ‚Eleae ae aim Yhh ara ” ee ee RE aumsghrch PERS 277 Fe f F ai : ’ , ‘ ’- Yu ß sl$ anuhliatl oa I wenn. BIETER) it SEA 3 Sa WB EI ©; ee, Aue A ir ae N mans hir in DM { . ic eb I 00 s% lan aM RT. 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November 1851] l. meiner bereits in den fchriften der akademie (1849) gedruckten vor- lefung über Freidank glaube ich neue gründe angegeben zu haben, welche uns berechtigen in Walther von der Vogelweide und Freidank einen und denfelben dichter zu erblicken, und will erwarten ob fie kraft genug haben auch andere zu überzeugen. man kann fie mit einem ftrich ungültig machen, wenn man zu beweifen vermag dafs Walther durch körperliche fchwäche verhindert war an dem kreuzzuge im jahr 1228 theil zu nehmen. hr von Ka- rajan hat in einer eben erfchienenen, aus den fitzungsberichten der kaifer- lichen akademie der wiffenfchaften zu Wien (band 7) befonders abgedruck- ten abhandlung über zwei gedichte Walthers von der Vogelweide den ver- fuch gemacht, diefen beweis zu führen, natürlich ohne das verhältnis zu Freidank mit einem wort zu berühren. er ftellt die behauptung auf, Wal- ther fei etliche und fechzig jahr alt gewefen, als er 1227 das lied Ir reinen wip, ir werden man gedichtet habe. dies zu begründen, fetzt er voraus Wal- ther habe im 22"“ jahr angefangen zu dichten, fei mithin 1165-67 geboren. hatte der reich begabte, wol fchon früh geweckte geift im achtzehnten be- gonnen, was niemand für unwahrfcheinlich halten wird, fo hatte er damals das fechzigfte noch nicht erreicht. doch ich gehe darüber hinaus, gefetzt er war 60 jahr alt, fo konnte er noch rüftig fein, wie im 55“ fchon hinfällig. hr v. Karajan befchreibt ihn aber als einen fchwachen greis, der am ftabe geht. von fchwäche fteht nichts weder in jenem noch in einem andern lied, und es wird nicht gefagt dafs er fich des ftabes bereits bedient habe, er ver- langt nur danach, wir werden gleich fehen weshalb. will man die ftelle die hier entfcheiden foll richtig deuten, fo mufs man inhalt und ftimmung des Philos.- histor. Kl. 1851. Kk 358 W. Grımm liedes beachten. alt konnte fich der dichter nennen und todesgedanken he- gen, wenn er das von der anhöhe abfteigende leben betrachtete. er fagt der Welt ab, mit welcher zu brechen er bei dem anblick ihrer rückfeite (Wacker- nagel in Haupts zeitfchrift 6, 152) fchon in einem andern liede (f. 100) be- reit fchien: taufendmal habe er leib und fele für fie gewagt, jetzt narre fie ihn und verlache feinen zorn. er denkt an die rettung des unfterblichen theils, min fele müeze wol gevarn! ruft er aus und rät dem leib die irdifche minne aufzugeben und der unvergänglichen anzuhangen. eine ähnliche ftim- mung nur mit höherem fchwung zeigt das kurz vorher gedichtete lied (f. 124) Owe war fint ver/wunden alliu miniu jär! er beginnt jetzt mit der mahnung an gefangliebende frauen und männer, ihm, der feit vierzig jahren gelungen habe, ehre und wohlwollen reichlicher zu gewähren; er fühlt fich zurück- gefetzt und vergeffen. hierauf fagt er 66, 33 Lat mich an eime ftabe gan und werben umbe werdekeit mit unverzageter arebeit, als ich von kinde habe getan. Jö bin ich doch, fivie nider ich fi, der werden ein, genuoc in miner maze ho. fein vorfatz ift deutlich ausdrückt, er will aufs neue nach werdekeit, nach gung. das ift nicht die fprache eines hinfälligen greifes, der nicht mehr allein ftehen kann, der höchften ehre ftreben und zwar mit furchtlofer anftren fondern eines entfchloffenen mannes, der auch das ende feiner laufbahn in glanz ftellen will; hat er doch auch für die zukunft noch gedichte verfpro- chen (125, 10), alfo bis jetzt keine abnahme der geiftigen kräfte gefpürt. was follen aber die worte lät mich an eime ftabe gän? gewis nicht was hr v. Karajan daraus folgert und was fie in anderer verbindung wol heifsen könnten, gebt mir den ftab des alters in die hand, der meine fchwankenden fchritte ftüzt: das würde mit dem zugleich ausgefprochnen vorfatz in un- vereinbarem widerfpruch ftehen. ich bin über den finn nicht zweifelhaft, Walther fagt ‘lafst mich den pilgerftab ergreifen’. er hat die abficht dem kaifer, feinem lehnsherrn, der ihm geneigt war, und dem er den kreuzzug an- geraten hatte (10, 17), zu folgen. zu einer folchen gefahrvollen, für einen bejahrten doppelt befchwerlichen fahrt über das meer war ein entfchlufs und guter mut nötig. Walther hatte fchon vorher den wunfch danach aus- über Freidank. 259 gedrückt und die mit helm, panzer, fchilt und geweihtem fchwert gerüfteten ritter ermahnt mitzuziehen. er ruft dann aus (125, 4) wolte got, wer ich der figenünfte wert! wäre ich würdig an dem fiege theil zu nehmen! er meint das heil das-daraus erwachfe könne auch ein földner mit feinem fper erlangen und fchliefst mit der wiederholung feines wunfches, 125, 9 möht ich die lieben reife gevaren über fe, /® wolte ich denne fingen wol, und niemer mer ouwe. es ftanden hinderniffe entgegen, die wir nicht kennen, vielleicht war er, was Wackernagel (zu Simrock 2,196) vermutet, bei unverhehlter armut (125, 5) nicht im ftand, die ausrüftung zu befchaffen: es können aber noch an- dere gründe ihn zurück gehalten haben. er fafst jetzt den entfchlufs als pil- ger oder waller mitzugehen und fagt man folle ihn den ftab in die hand neh- men laffen, der bei einer folchen fahrt gebräuchlich war und durdo, roman. bourdon hiels; nachweilungen darüber findet man bei Ducange. Wernher vom Niederrhein fagt 33, 12 du falt zu fente Jacobe varin mit dinir fchirpen und mit dime ftave, undi vort zum heligin grave. als fein vorfatz feft ftand, dichtete er das kreuzfahrerlied (f.76), deffen zeit fehon die wiederholte klage über den tod, der den menfchen in fünden finde (77,4.5), bezeichnet. in dem folgenden jahr zog er dann mit dem kaifer, und in Syrien entftand das kreuzlied, in welchem er fich der erlang- ten werdekeit freut, 14, 38 Allererft lebe ich mir werde, Sit min fündie ouge fiht daz here lant und ouch die erde der man wil der Eren giht. mirft gefchehen des ich ie bat, ich bin komen an die tat da got mennijchlichen trat. die übereinftimmung der einzelnen ausdrücke mit Freidank habe ich fchon in der Einleitung cxxıx nachgewiefen. das heil. grab, deffen erwähnung fonft nicht fehlen würde, hat Walther fo wenig gefehen als Freidank, ver- Kk2 260 W. Grimm mutlich weil beide nicht zu den kämpfenden gehörten. Freidank fagt fich zum troft 63, 17 für fünden nie niht fenfter wart dan über mer ein reiniu vart; wer niht daz here grap gefiht, Sin lon ıft defie minre niht. Ich will noch einen ftreitigen punct berühren. Walther hatte, wie wir von ihm felbft wiffen, in Öftreich feine erfte jugend zugebracht und dort feine kunft wahrfcheinlich von Reinmar erlernt. er harrte aber an dem hofe des herzogs Leopold nicht aus, und wenn er auch einige male nach Wien zurück kehrte, fo gefchah es niemals auf längere zeit, in fpä- tern jahren gar nicht mehr. er fcheint dagegen eine natürliche anhänglich- keit zu den fchwäbifchen kaifern gefühlt zu haben. von Öftreich aus be- gab er fich zu Philipp, und wenn er auch nicht bei ihm blieb, weil er fich über ihn zu beklagen hatte, fo fehen wir ihn doch hernach wieder in ver- bindung mit Friedrich II, dem er fchon zu dank verpflichtet war (84, 30), bevor er ein lehen von ihm erhalten hatte. möglich dafs er von geburt ein Öftreicher war, aber es ift erft zu erweifen: die beiden gedichte die man anführt vermögen das nicht. in dem einen, ohnehin nicht ganz klaren, das Lachmann früher anders aufgefafst hatte, läfst Walther die fahrenden fänger von dem tag zu Nürnberg berichten, 84, 19 die feiten mir, ir malhen fchieden danne lere: unfer heimfchen fürften fin fö hovebare, daz Liupolt eine müefte geben, wan der ein gaft dd were. fie giengen leer aus, weil die dort verfammelten fürften fo edle fitte zeigten, dafs Leopold von Öftreich allein hätte geben müffen, wenn er nicht da gaft gewefen wäre. das ift alles ironifch ausgedrückt, und fo ift auch die ent- fchuldigung Leopolds gemeint, die ebenfo für die übrigen hätte gelten müffen, weil fie, wie er, da gäfte waren; vielleicht hat fie der fparfame Leopold allein ausgefprochen. hovebaere war fie nicht, denn bei Artus machte die abwefenheit aus feinem reich keinen unterfchied, Artüs was des landes gaft: finer kofte iedoch dä niht gebraft Parz. 775,29, und Erek konnte in diefer lage nur nicht fo reichlich geben als er wünfchte, aber Ar- tus half ihm aus 2261-69. das andere lied Yil meneger mich berihtet (£.107) über Freidank. 261 kann noch weniger angeführt werden. dafs Walther in Öftreich lebte, als er es dichtete, bezweifelt niemand, und dafs hie auf Öftreich zu beziehen ift und er damals andere ihm noch unbekannte länder frömdiu nennt, verfteht fich von felbft. fagt er doch im alter 124, 8 liut unde lant, dä ich von kinde bin erzogen, die fint mir frömde reht als ob ez fi gelogen. endlich foll der reim 34, 18 verwarren : pfarren, als “ein hervor ftechender zug landfchaftlichen vocalismus, bedeutend ins gewicht fallen’. allein diefer reim weift nicht ausfchliefslich auf Öftreich, fondern auch auf das füdwelft- liche Schwaben, denn ich habe ihn bei Hug von Langenftein (Martina 223°), der in dem Breisgau zu haus war, wieder gefunden. Schwaben halte ich nach einigen ausdrücken, die freilich noch keine gewisheit geben können (Einleit. xrı), für das geburtsland Freidanks. E Aion ie Ber TU 00: a fun u Aria alen 7 Tre PT N en na Alrkn sen Krane gtanen Asp ehhan Mika us ten e a items Alaliorranı) Blu U I. late ee a . dasa: Aula Yu ra TERN Rare Pia im ia Ent apa ER RAR are ha ah aber AI) d ar A Pi et dp. 9 Yen brain um I, ah vr ry Te? An: Al A A DI 2 ae 1720777727777 Ih ER ee re ee sehn ale ulyadir aa Be III Tee I EI TEST Tr 5 A Th ee RITITEEEn Men > Vene DlaR I ae DSL IE 3 BE 7 77 21 772 a Zn Pe BR Re er ale man Kken! u neh da er re ee iehoeı Yin ee ’ ve wa Er TEN “ Abe. Mi ra ie " h Pr ® + b > er VG ra) urdnaece y ne A N an ae rn «ii ah > DE E77 arte frg ae Anke Ki Ser uk fi vn. ver) ars 2 „ EE ei Ehe Ye Br " ds si e HN L u cn ww di Bi 3 j Be Fe Far y I Ve vu u Balu 5 U VEIT AN) a Sr Dun ro Te Em, a va A er ae 1 ee N; e De I Der er: ' Ah va r hard Der vo TER N en ee hal | du hahhe AA. EN nu 2 2.577577 5722 = vrrken, rak Al a Wr ig kr: pe ‚roh aldi 4 ur © Baer" eg dr A Er che EINE Br Ti PATE 1 Au I "777, ges 7% Dr konn iM Irene. ) ee SIT sinken a Ian7r? cz nr Über die sage von Geser-chan. Von Hr". SCHOTT. nn [gelesen in der akademie der wissenschaften am 10. April 1851.] 2. dritten theile seiner 'nomadischen streifereien unter den Kalmyken’ hatte Bergmann zu anderen übersetzungen (aus dem kalmykischen) auch die einer Geser-sage (s.233-84) mitgetheilt, die er unpassend als religionsschrift bezeichnete. 1836 liefs J. J. Schmidt in Petersburg einen ostmongolischen text drucken, dessen vollständiger titel so lautet: “erzählung von dem wol- thätigen göttlichen chane Geser Mergen, welcher die wurzel der zehn gifte (übel) in den zehn weltgegenden vertilgt hat.’ (1) diesem texte folgte drei jahre später eine zwar treue, aber oft geschmacklose übertragung ins deutsche. (?) Die von Schmidt bekannt gemachte Sage ist viel umfassender als die bei Bergmann, welche nur der von den Ostmongolen sogenannte kleine Ge- ser’ ist. er gilt als anhang oder ergänzung des ‘grofsen’, von dem er jedoch gesondert bleibt, und bildet seinem inhalte nach ein büchlein für sich. frü- here begebenheiten werden darin zusammengefasst und nur eine haupt- begebenheit ist nachgetragen. Durch den edeln Magyaren Csoma Körösi hat man auch kunde von einem buche in tibetischer sprache erhalten, das den titel Ge-sar dung er- zählung von Ge-sar, führt. (*) über das verhältnis des tibetischen werkes (') .mongolisch “arban dsügün arban choorajin ündüsüni täsülüksän atschitu bokda Gäsär Märgän chaganu togodsi. das letzte wort (erzählung) ist dem deutschen analog gebildet; denn es kommt unstreitig von 2ogo zahl, zählen. (?) “die thaten Bogda Gesser Chans...... eine ostasiatische heldensage, aus dem mon- golischen übersetzt von Schmidt. 1839. (°) s. dessen tibelische grammatik, s. 280. das wort dung (geschrieben sgrungs) bezeichnet 264 Scuorr zum mongolischen kann aber noch nichts ermittelt werden, da man ersteres in Europa nicht besitzt. Der von Schmidt veröffentlichte Geser zerfällt in sieben bücher oder capitel von sehr ungleichem umfange. das erste, beinahe ein drittheil des ganzen, ist reich an mannichfachen begebenheiten: es beginnt im himmel, in der vorweltlichen existenz unseres helden, und erzählt dann seine mensch- werdung und wundersame jugendgeschichte bis zum funfzehnten lebensjahre. die übrigen bücher berichten über je eine hauptbegebenheit und sind alle weit kürzer, das fünfte ausgenommen, welches an umfang sogar dem ersten überlegen. ist. sie bilden zusammen einen mährchenceyclus von ziemlich lockerem zusammenhang, in welchem aber die hauptpersonen, handelnd oder leidend, immer wiederkehren. der held, von dem das ganze seinen namen hat, ringt sich in unaufhörlichen kämpfen wider menschen - und dä- monenlist empor zur höchsten stufe der herrlichkeit und vollendet zugleich das werk der befreiung, das ihm übertragen worden. Erstes Buch. Buddha Säkjamuni fordert während seines letzten erdenwallens den göttlichen ‘herren der erde’ (Mahadeva, Indra, Chormusda) auf, nach fünf- hundert jahren einen seiner söhne herabzusenden, damit er die menschheit von iren peinigern erlöse. Mahadeva verspricht dies zwar feierlich, vergisst aber in der langen zeit wieder was er versprochen — eine verzeihliche sünde, wenn man erwägt, was ein solcher herr alles zu denken hat; denn mensch- lichen gewalthabern ist in irem viel engeren kreise wol häufiger dergleichen begegnet. zweihundert jahre nach ablauf obigen termins mahnt ihn ein er- schreckendes ereignis an das gegebene wort. (!) da übernimmt der zweite aus der trias seiner söhne, dessen himmlischer name mongolisch Ulä bütä- gäktschi d.i. werkvollender lautet, auf allgemeines zureden die grofse mis- sion; denn er war der gewaltigste kämpfer auf der scheitelfläche des Su- meru. unterdess weissagt man hinieden, dafs ein retter kommen und was keine durchgehends wahre geschichte, sondern eine mährchenhafte oder mit mährchen ge- mischte; denn es ist particıp der vollendung vom verbalstamme sgrung (grung, dung) mischung, (') ein ansehnlicher theil der mauer um die götterresidenz bricht ganz unerwartet zu- erdichtung, sogar lügenhalter bericht. sammen, über die sage von Geser-chan. 265 für eine irdische mutter ihn gebären soll. ein junges weib von hoher ab- kunft wird an der seite des greisen stammfürsten Sanglun, der ohne sein zuthun in iren besitz gekommen, auf übernatürliche weise schwanger, und die niederkunft erfolgt unter gar wunderbaren umständen. die frucht ires (unbewusten) umgangs mit einem höheren wesen ist ein knabe von abschre- ckender hässlichkeit, der aber bei seiner geburt schon sprechen kann und die erstaunlichste klugheit und zauberkraft besitzt. der junge Joro findet bald und oft gelegenheit, von seinen ausserordentlichen gaben gebrauch zu machen, und fast immer geschieht dies mit einer würze neckischen humors, der in seiner späteren laufbahn (nach dem 15. lebensjahre) nur selten wie- derkehrt. manche in diese erste periode fallende handlungen des künftigen Geser sind wahre eulenspiegelstreiche; dahin gehört z. b. eine, deren object sein pflegevater ist. Es fällt dem alten Sanglun ein, sich von dem büffel, den er eines tages mit Joro gemeinschaftlich ritt, abwerfen zu lassen und todt zu stellen. Joro heult entsetzlich, schafft das nöthige holz zu einem scheiterhaufen herbei, schüttet es neben seinem vater auf, und zündet es an. wie die flamme em- porlodert, schielt der alte, dem es schon unheimlich wird, seitwärts. da wirft ihm Joro ein paar handvoll erde auf die augen und sagt: “väterchen, es soll nichts gutes bedeuten, wenn ein todter die augen öffnet.” wie das feuer stärker lodert und prasselt, zieht der alte krampfhaft die beine zusam- men. da sagt Joro: “die glieder der überlebenden können sich nicht aus- strecken, wenn jemand im tode die beine zusammenzieht. er nimmt einen balken und legt ihn auf des alten füfse, damit sie hübsch gerade bleiben. bald darauf schickt er sich an, ihn auf den holzstofs zu tragen. jetzt wird es dem alten zu arg; er ruft: “dein vater ist nicht todt, er lebt!” aber Joro spielt immer noch den harlekin: ‘es ist — sagt er — für die nachkommen von schlechtester vorbedeutung, wenn jemand im tode noch spricht.” bei diesen worten macht er miene, den Sang-lun ins feuer zu werfen, als dieser verzweiflungsvoll aufschreit: ‘ich sage dir ja, dafs ich nicht todt bin; willst du deinen vater lebendig verbrennen?” Joro giebt ihm mit grofsem phlegma seine befriedigung darüber zu erkennen, dafs er noch lebe, hilft ihm wieder auf den büffel, und bringt ihn nach hause. Das schwankende urtheil der beiden irdischen eltern über iren unbe- greiflichen sohn ist sehr characteristisch. haben sie ihm einmal stupide be- Philos.-histor. Kl. 1851. Ll 266 Scnuorrt wunderung gezollt, so erscheint er ihnen bald wieder als ein narr, eine teu- felsbrut, ein ausgemachter dummkopf. in dieser weise äufsern sich be- schränktheit und philisterthum unter allen zonen. wie ganz anders der älte- ste seiner beiden milchbrüder, Dsese Schikir? dieser vertritt die edle und fromme einfalt, wie sein vater die dumme, mit grobem eigennutz ge- paarte: er ahnet seines Joro höhere natur, läfst sich durch das viele räthsel- hafte an ir nicht irre machen, und widmet ihm aufopfernde bruderliebe. rührend ist ire wiederbegegnung, als Schikir einmal im wahne gestanden, dafs sein Joro irgend einer dringenden gefahr erlegen sei. Es war nämlich in der person eines seiner zwei väterlichen oheime, des fürsten Tschotong, ein feindliches princip in des helden leben getreten. dieser begann seine nachstellungen damit, dafs er Joro durch sieben Albin, menschenfressende unholde in riesengestalt, verderben wollte. (1) allein die Albin erkennen den knaben schon beim ersten anblick als Geser, und huldi- gen unter furcht und zittern seiner macht. Joro heifst sie, statt irer reit- pferde, die sie ihm abtreten müssen, sieben hölzerne stäbe (an hexenbesen erinnernd) zwischen die beine nehmen und in stürmischem ritte davon eilen. unterdefs trauert Schikir einsam in seinem zelte; er beschliefst, im falle die ungeheuer seinen Joro gefressen, einen kampf wider sie auf leben und tod. wolgerüstet sprengt er an den ort, wo Joro’s zelt steht: er schleicht mit gezogenem säbel heran, blickt durch eine spalte, und sieht zu seiner unbeschreiblichen freude, dafs sein freund wolbehalten der ruhe pflegt. er hatte nach bannung der Albin noch eine räuberschar gezwungen, ihm ire pferdeherde auszuliefern und dann mönche zu werden. mit einem sprung ist Schikir im zelte, beide umarmen einander und vergiefsen freu- denthränen. bei dieser gelegenheit giebt sich Joro seinem irdischen bruder als Geser zu erkennen — ein vertrauen, das er bis jetzt keinem menschen bewiesen hat. er fügt hinzu: ‘sage dies niemand; denn bis in mein funf- zehntes jahr werde ich die tyrannen als Joro demütigen, dann aber als Ge- ser mich offenbaren. sei getrost! es ist nicht meine bestimmung, zu sterben. nimm diese pferde und bringe sie meinem armseligen vater als geschenk von mir. (') Die Albin sind, den mongol. wörterbüchern zufolge, dämonen, die als irrlichter auf den feldern hüpfen. auch heifst das irrlicht aldinu gal d.i. albinflamme. der stamm dieses wortes muls ald sein, und es erinnert unwillkürlich an unser a/p. über die sage von Geser-chan. 267 Schikir täuscht den Tschotong mit falscher nachricht von Joros tode und treibt dem Sanglun die pferde zu. wenn der alte philister so handgreif- lich gute früchte von des pflegesohns thaten sieht, läfst er sichs schon ge- fallen; ja dieses mal ruft er aus: “das ist doch ein sohn, der mein ebenbild heifsen kann!’ Von den eulenspiegeleien des jungen Geser erwähne ich noch die art der bewerbung um seine erste gemalin. seine unansehnliche und hässliche hülle scheint ihm keinen anderen weg offen zu lassen. Während Joro eines tages auf der jagd war, begegnete ihm Aralgo Goa, die tochter des Ma Bajan, eine fleischpastete in einem sack auf dem rücken tragend. von Joro befragt, was ir begehr sei, sagte sie, ir vater habe sie hergesandt, ihn um einen lagerplatz zu bitten. Joro geht mit ir nach seinem väterlichen zelte, heifst das mädchen draussen warten, und bringt die speise seiner mutter, welche, beiläufig gesagt, iren hochbejahr- ten, auf die unglimpflichste weise von ir behandelten mann vollständig zu beherrschen scheint. als Joro zurück kam, fand er die schöne Jungfrau eingeschlafen. da holt er schnell aus der hürde ein neugebornes füllen, wickelt es in iren rockschofs, und rüttelt sie aus dem schlafe. die Jungfrau erwacht. “ha des sündhaften mädchens — spricht Joro zu ihr — hast du mit dem eignen vater zugehalten, dafs du ein kind mit einem pferdekopfe ge- bierst? oder mit dem älteren bruder, dafs dein kind eine mähne hat? oder mit dem jüngeren, dafs es einen schweif hat?” die jungfrau fährt mit den worten: “was schwatzt dieser mensch?” von irem sitze auf, und das füllen entfällt irem schofse. “o weh, welche schande! — ruft sie aus — was soll ich ihun? lieber Joro, erzähl es keinem menschen und nimm mich zum weibe!” Onkel Tschotong, das böse princip unseres helden, ermüdet nicht mit anschlägen, die alle für den urheber ein verdriessliches, doch nie ein tra- gisches ende nehmen. der tückische vatersbruder hat nicht das schicksal anderer bösewichter; es wird ihm nur seine ohnmacht, ob zwar ohne erfolg, zu gemüt geführt. im verlauf dieser machinationen zieht er einen mächtigen pfaffen, den lama Tschoridong, dessen schwester er heirathen will, in sein interesse. mit diesem lama hat Joro, vorsätzlich, wie es scheint, eine fa- tale begegnung. Tschoridong ist auf der reise zu einem grofsen feste, das sein künftiger schwager veranstaltet: in einem walde tritt der gerade auf der L12 268 Scuorr jagd sich umtreibende Joro den prälaten an und bittet ihn um eine unter- stützung. Tschoridong bedeutet ihm, dafs er als reisender keinen proviant entbehren könne, ladet ihn aber zum feste bei Tschotong, wo es desto rei- chere gaben absetzen solle. Joro entgegnet: "barmherziger lama, wenn es dir mit einer milden gabe ernst wäre, so könntest du mir ja dein pferd oder dein obergewand ablassen” diese zumutung nimmt der geistliche herr, der eben kein heiliger Martinus ist, so übel, dafs er seiner würde gänzlich ver- gifst und dem zudringlichen mit der reitpeitsche ins gesicht haut. Joro reifst 8 ihn dafür vom pferde herunter, läfst sich aber durch seinen beschwichtigend 5 thun. Joro enifernt sich mit den worten: “auf die fürbitte meines oheims herzueilenden guten oheim Tsargin bewegen, ihm kein sonstiges leid anzu- lafs ich dich los; aber noch in dieser welt werde ich vor den augen einer grofsen versammlung dir schande bereiten und in jener vor dem richter der todten dich zu schanden machen!’ Joro hält sein wort. er begiebt sich des anderen tages mit seiner mut- ter zu dem festmahle. in der richtigen voraussetzung, dafs man ihm dort nichts anbieten werde, nimmt er einen sack voll ziegenfleisch gegen den hun- ger mit. angekommen, findet er nicht einmal einen sitz für sich und seine mutter. die letztere nimmt auf blofser erde platz; Joro aber holt von drau- ssen einen haufen trocknen pferdemist, steckt in diesen haufen einen gras- halm, den er zuvor dreifach gespalten hat, biegt die drei spitzen um, und läfst sich zum allgemeinen scandal gemütlich auf dem halme nieder. wäh- rend die gäste mit umgehung Joros mit einander schmausen und zechen, er- greift dieser einmal das wort und sagt: “oheim, hier ist ein berg von fleisch, dort ein see von brantwein; die beglückten augen sehen es, aber dem un- glücklichen schlunde wird es versagt. gieb mir, oheim, das vorderviertel, das du eben in der hand hältst!” Tschotong will nun seinem hass mit würde luft machen, fällt aber bald in das gemeine und ekelhafte. er ruft aus: ‘ich gönnte dir wol das schulterblatt, wär es nicht sinnbild meines reich- thums. ich gönnte dir die obere markröhre, wäre sie nicht das glückzei- chen meiner kinder. was die untere markröhre betrifft, so würde ein wegge- ben derselben das übel aller übel sein. nimm also für dich die kahle erde! empfange den husten! nimm den schleim und die thränen der weinenden! nimm das an beiden ufern und am ursprung des flusses verendete vieh in empfang!’ über die sage von Geser-chan. 269 Joro erhebt sich und kehrt die verwünschungen des oheims mit einer überraschenden wendung in segnungen um. jetzt versucht der lama Tscho- ridong seine zauberkünste an ihm; allein Joro bekommt durch gegenzau- ber die seele des geistlichen herren in seine hand, und läfst, indem er diese abwechselnd schliefst und wieder öffnet, den unglücklichen lama bald die besinnung verlieren, bald wieder zu sich selbst kommen. eine wespe, die der geistliche herr aus seiner nase entsendet hat, um dem verhassten ein auge auszustechen, beherbergt plötzlich die seele des hohen prälaten: sie fährt in eine hülle, die ir und noch mancher menschenseele ganz gut an- steht. Joro erhält vollständige genugthuung und als zugabe die braut seines feindes Tschotong, die er aber grofsmütig seinem bruder Schikir ablässt. Nun erscheint eine ritterlich gesinnte Mongolin auf dem schauplatz unserer sage. die fürstentochter Rogmo Goa, entschlossen, nur dem stärk- 8 sten ringer und geschicktesten Bogenschützen auf erden ire hand zu rei- chen, kommt mit einem gefolge vollendeter meister in beiden künsten nach Tibet. nachdem dreifsig helden dieses landes besiegt sind, tritt der knabe Joro in die schranken; aber unsichtbarer weise kämpft für ihn sein doppel- gänger, der göttliche Geser. man wird einigermafsen an den unsichtbaren beistand erinnert, welchen Siegfried im siebenten gesang des Nibelungen- liedes dem Burgunderkönige leistet. einen fuls auf einen berg, den ande- ger ungeheuer weit über sich selbst hinweg, und sein um die morgenröthe zum ren auf des meeres strand setzend, schleudert Geser den schwersten rin himmel abgeschossener pfeil langt erst am späten abend und mit allerlei fantastischen vöglein geziert, wieder auf erden an. Rogmo Goa, die nichts weniger erwartet hatte, als dafs der verkommenste und ekelhafteste pygmäe, der ir je zu gesicht gekommen, als gewaltigster athlet seiner zeit sich erwei- sen würde, ergreift voll grausen die flucht. aber Joro schwingt sich wie ein böses gewissen hinter ir aufs rols, und sie mufs ihn mit nach hause nehmen, wo über einen solchen schwiegersohn grofses herzeleid entsteht. die tochter wird von iren eltern mit vorwürfen überhäuft, und der häfsliche knirps, den sie als gatten mitgebracht, gar schnöde behandelt; es ist aber unmöglich, seiner los zu werden. Der unversöhnliche onkel Tschotong bietet alles auf, um Joro die edle mongolische jungfrau wieder zu entreissen. es werden ihm verschiedene her- culische arbeiten der reihe nach auferlegt, und immer soll Rogmo der preis 370 Scnorr sein, oder, im falle des mislingens, für ihn verloren gehen. () einmal gilt es sogar, den vogel Garuda (?) am himmel zu erschiefsen; er muss aber zu diesem zweck aus dem himmel gelockt werden. da wendet Joro eine ähn- liche list an, wie der fuchs gegen den raben, nach dessen käse ihm gelüstet: “vogel Garuda — so ruft er aus — wie herrlich ist nicht deine stimme! wie schön muss erst dein körper, wie prächtig dein flug sein’ u. s. w. der Ga- ruda, ein sehr eitler vogel, kommt heraus und entfaltet seine reize, worauf Geser ihn wirklich vom himmel herunterschiefst. Rogmo Goa, die noch kürzlich voll antipathie gegen Joro war, klagt iren eltern plötzlich, dafs er nicht mit ir wie mit seinem weibe lebe, und droht, ihr dasein freiwillig zu enden. hier könnte ein critiker schreien, dafs dieses jähe umschlagen der gefühle ja mit nichts motivirt sei; und freilich ist keine übergangsperiode angedeutet. es giebt aber ein europäisches mähr- chen von einem edelfräulein, das einen, durch eine feindliche fee verwünsch- ten prinzen, der in scheuslicher verschrumpfung, mehr einem unförmlichen kegel, als einem menschen ähnlich, im mondschein vor ir herumtanzt, lange mit grausen betrachtet, und endlich, nachdem er die schätze seines geistes und herzens ir entfaltet, bis zur schwärmerei lieb gewinnt. sollte nicht der mongolischen fürstentochter etwas ähnliches begegnet sein, die weisheit, tapferkeit, und der ruhm des jungen Joro, der ein freiwillig verwünschter heissen kann, ir herz allmälig erobert haben? (?) auch wird sie dafür belohnt wie jenes edelfräulein, die in irem prinzen, als er wieder seine natürliche gestalt empfangen, einen bezaubernd schönen jüngling umarmt. Joro er- fährt von seiner schwiegermutter die sinnesänderung der Rogmo, und fügt es nun so, dafs diese ihn in verklärter Geser-hülle auf seinem lager sehen kann. das mädchen erkennt beim eintreten die gestalt wieder, die sie ein- mal zufällig erblickte, ohne damals zu ahnen, dafs es Joro sei, und wirft sich, trunken von entzücken, auf seinen körper. Geser zerstört durch einen harlekinwitz die ganze poesie der scene, indem er ausruft: ‘es ist sitte, dafs (') es erinnert dies an die mühe- und gefahrvollen dienste, welche die gebieterin des räthselhaften nordlandes (Pohjola) von den finnischen heroen Lemminkäinen und Ilmarinen verlangt, um den besitz irer reizenden tochter zu verdienen. Kalevala (zweiter ausgabe) im 13., 14., und 19. runo. (?) ein mythischer vogel der Hindus, auf welchem Wischnu reiten soll. (C) Isaw Othello’s visage in his mind, sagt Desdemona! über die sage von Geser-chan. 971 der mann auf dem weibe liege, nicht das weib auf dem manne!’ dann erzählt er ir alle grolsthaten, die er von seiner geburt an verrichtet, zum beweise, dafs es nicht an zeichen und wundern fehle, die seine hohe mission beurkun- den. unter anderen erwähnt er auch etwas das sonst nicht vorkommt, also auf eine lücke in der bisherigen erzählung schliessen läfst, seinen kampf näm- lich mit der “tochter des drachenfürsten. diese, sagt er, habe ihn das erste mal ringend: niedergeworfen, als aber das glück sich gegen sie gewendet, auf seinem schofse rubend mit ihm frieden geschlossen. (1) Rogmo Goa hört “bald weinend, bald lachend’ den zauberfluss dieser rede an, und Ge- ser scheint nun auf ire ergebenheit rechnen zu können. Zweites buch. Dieses erzählt Gesers zug gegen einen Manggu, der in gestalt eines berggrofsen tigers im norden hauset und menschen verschlingt. (?) die drei himmlischen schwestern unseres helden machen ihn auf dies ungeheuer auf- merksam und ermahnen ihn, es mit vorsicht zu bekämpfen. Geser lässt alle ihm ergebene helden kommen und fordert sie auf, ihm auf diesem zuge zu folgen, da er ihnen jetzt das erste zeichen seines berufes geben werde. das ungeheuer wird erlegt, vorher aber prüft Geser die hingebung der sei- nigen durch verstellte dringende lebensgefahr — eine probe, die sein milch- bruder Schikir am rühmlichsten besteht. Drittes buch. Ein kaiser der Kitad (Chinesen) hat den tod seiner gemalin so zu herzen genommen, dafs er sich von irer leiche nicht trennen kann und den unerhörten befehl ergehen lässt, jeder unterthan solle die handlung, die er gerade vornimmt, selbst das essen mit eingerechnet, heulend und wehkla- gend verrichten. die folge dieses befehls ist grofse rathlosigkeit der minister. da wagt es ein namenloser mensch aus dem volke, ein kahlköpfiger schmied, die hohen diener des kaisers — freilich nur gegen sein weib — als schwach- köpfe zu qualificiren, und behauptet, kein mensch auf erden, ausser Geser- (') diese tibetische Brunhild wird als eine der gemalinnen des helden erst im fünften und sechsten buche handelnde person. (*) die Manggu’s (mehrzahl mit angehängtem s oder d) sind menschenfressende dä- monen von riesengrölse, gleich den Räkschasa’s der indischen mythe. 9723 Scuorr chan, könne seine kaiserliche majestät zur besinnung bringen. die frau, eine art Xantippe, wie Gesers mutter, erinnert den rusig seinen beschränkten unterthanenverstand, und zwar mit solchem poltern, en kahlkopf an dafs der eingeschüchterte eheherr nur mit list sein haus verlassen kann, um vor die höchsten statsbeamten zu ireten. in irer entsetzlichen noth ma- chen diese herren dem proletarier eine beispiellose concession: ‘das ist eine schwere aufgabe — sagen sie — Geser-chan hierher zu schaffen — jedoch, wenn du es nicht kannst, wer sollte sonst im stande sein, es zu ihun?’ Der kahlkopf wird als bevollmächtigter an Geser geschickt, der zwar seine hülfe verheisst, aber eine ganze liste von zaubermitteln aufzählt, die man ihm zuvor herbeischaffen müsse. die meisten dieser mittel liefert seine grofsmutter im himmel. dann reist er nach China, stiehlt dem kaiser die leiche seiner gemalin, und legt ihm dafür das aas eines hundes in den schofs. für diesen schimpf will der kaiser ihn tödten lassen und versucht alle mögliche mittel vergebens. Geser rettet sich aus der schlangengrube, der wespenhöhle, dem finsteren loche, dem feuer u.s. w. endlich zwingt er die majestät gar, ihm ire tochter Küne Goa zum weibe zu geben. Viertes buch. Während Geser’s abwesenheit macht onkel Tschotong den sträflichen versuch, seine gemalin Aralgo Goa, die auch Tümen Dsirgalang (d. i. zebn- tausend freuden) genannt wird, zu verführen. iren fernen aufenthalt er- spähend, reitet er auf seinem gelbschecken dahin und hält folgende anrede an sie: “Edles unglückliches weib! der sich Geser Chagan nennt, kommt er auch nur, seinen schatten dir zu zeigen? nachdem er die regierung des Küme Chagan der Kitad geordnet, dessen tochter Küne Goa genommen und drei jahre dort verweilt, ist er zurückgekehrt, weilt an der seite Rogmo Goa’s (deiner rivalin), und geht nimmer zu dir! ob du herwärts oder hinwärts blickest, du beseligst zehntausende! bei solchem liebreize solltest du leiden müssen? ich will mich deiner annehmen!’ Tümen Dsirgalang entgegnet: “Wehe, wehe! oheim Tschotong, was für ein wort ist dies? wenn zehntausende, wie du, im verein herankämen, würden sie nur eines schat- tens von meinem Geser, der mir im traum erschiene, werih sein? deine über die sage von Geser-chan. 918 rede höre der blaue ewige” himmel über uns! die goldne fläche unter uns, in diesem leben unsere mutter, höre sie! alles was lebt und sich reget, werde bei solcher kunde taub und geblendet!’ ; Da Tschotong trotz dieser feierlichen abweisung nicht zu bedeuten ist, lässt ihn Aralgo Goa samt seinem pferde wacker durchprügeln. er schleppt sich fürbas und sinnt nun auf andere mittel, das weib von Geser zu trennen. ein zwölfköpfiger riese wird durch Tschotong's list bewogen, dem Geser eine krankheit anzuzaubern,; und Tümen Dsirgalang's entfernung soll einzige bedingung der wiedergenesung ires gatten sein. das treue weib verschenkt all ire habe an die zu irem hofhalt gehörenden armen, von denen sie rüh- renden abschied nimmt, und begiebt sich allein auf den weg. sie trifft mit dem riesen zusammen, dessen gunst sie zu gewinnen sucht, damit ir Geser gerettet werde. das ungethüm bringt die schöne frau auf sein schloss und erklärt sie für seine gemalin. Geser, in folge dieses ereignisses wieder genesen, macht sich auf den weg zu Aralgo Goa, deren schicksal ihm bekannt geworden, ohne dafs er weiss, in welcher absicht sie dem riesen sich ergeben hat. auf der reise be- steht er sehr verdriefsliche abenteuer, die ihm sein ungeschlachter gegner schon aus der ferne bereitet, und deren besiegung den beistand der drei himmlischen schwestern unseres helden nöthig macht. in das schloss kann er nur durch die lüfte gelangen und zwar auf dem rücken seines “magischen braunen‘. die list der Aralgo und die stupide leichtgläubigkeit des riesen, der, einem kinde gleich, eben so bald verzagt, als beschwichtigt wird, veranlas- sen kurzweilige auftritte. Das ganze geschlecht des‘zwölfköpfigen’ wird mit ihm vertilgt,; aber Aralgo, die iren Geser mit so vielen opfern wieder erlangt hat, giebt ihm nun einen trank der vergessenheit ein, damit er sichs nie wieder beikommen lasse, von irer seite zu weichen. Fünftes buch. Drei brüder, chane der Mongolen von Schiraigol, berathen sich da- rüber, wo man für den sohn des einen eine würdige braut finden könne. die chane heissen: der vom schwarzen zelte, der vom weissen, und der vom gelben. in folge irer berathung schicken sie fünf boten, vier geflügelte und einen ungeflügelten, in die vornehmsten reiche der welt und sogar in Philos.- histor. Kl. 1851. Mm 274 Scuorr den himmel. der in den himmel geschickte (ein weisser sperber) kommt nicht wieder; die übrigen verkünden nach irer heimkehr, was sie gesehen. vor allem interessirt die schilderung, welche der rabe, der nach Tibet ge- flogen, von Geser's gemalin Rogmo und von den herrlichkeiten macht, die sie umgeben. Jetzt verwandeln sich die drei schutzgeister besagter fürsten zusam- men in einen grofsen vogel, um auf kundschaft auszuziehen; sie bilden so eine wahrhaft unzertrennliche weiss-gelb-schwarze allianz; denn der eine von ihnen wird weisses vorderstück, der andere gelbes mittelstück, und der dritte schwarzer schweif. nachdem dieser gewichtige vogel auf dem kranze des rauchfanges des ordu (!) Geser’s, wo Rogmo Goa wohnte, einige zeit verweilt, kehrt er wieder und bestätigt, was der rabe schon gemeldet hat. am nächsten tage brechen die drei chane mit einem unermesslichen heere wi- der Tibet auf, um das reizende weib zu erobern; und es entspinnt sich nun ein krieg, bei welchem Geser, durch Aralgo’s trank der vergessenheit in der riesenburg zurückgehalten, lange zeit unbetheiligt bleiben muss. seine zum schutze des hoflagers und der Rogmo kämpfenden helden, unter denen Schi- kir, Nantsong, Schumar und onkel Tsargin hervorleuchten, thun in vielen mörderischen schlachten wunder der tapferkeit, allein Rogmo Goa wird durch eine verrätherei Tschotong’s den feinden zur beute, und der versuch irer befreiung kostet fast allen helden das leben. Geser's hoflager wird ein- genommen, und sein stern scheint hieniden gänzlich erblichen. Hier einige stellen aus diesem ersten theile der fünften erzählung (vom ausbruch des krieges bis zu Schikir’s heldentod). Als eine menge aufgescheuchtes wild den ersten anzug der chane von Schiraigol verkündet, ruft Schumar aus: ‘Das heer des chanes vom weissen zelte naht heran wie siedende milch — mein Schikir, fahre hinein und schäume sie ab! (') unter ordu versteht man das zelt des chans oder seinen tragbaren palast; dann ein ganzes lager. da ein ordu, als einzelnes zelt betrachtet, kreisförmig ist, so wird es auch bild eines sitzenden oder vielmehr kauernden weibes. der vorhin gedachte rabe sagt von Rogmo unter anderen: ‘Ihr körper, wenn sie sich erhebt, gleicht einer majestätischen, in kosthare stoffe ein- gehüllten tanne, und, wenn sie niedersitzt, einem weissen ordu, in welchem fünfhun- dert menschen raum finden.” über die sage von Geser-chan. 275 Das heer des chanes vom gelben zelte naht wie loderndes feuer — ich, Schumar, will es löschen! Das heer des chanes vom schwarzen zelte naht wie eine wasserflut — mein Nantsong, ziehe den graben der sie vernichtet!’ Einige seiten weiter ruft Schikir dem Bandsur mit nadowessischem bilde zu: ‘stofse du windesschnell auf den feind, wie der falke auf die bunte ente am quell des Nairandsa !’ Eines tages wird der junge Nantsong gefährlich verwundet; auf seinem ritte durch wasserlose einöden sinkt er erschöpft von seinem treuen rosse, das nun wölfe und raben von ihm abwehrt und dabei in folgende klagen ausbricht: “Du mein falke, der lebensfroh am blauen himmel schwebte: bist du ins netz gefallen? Du mein delphin, der munter im tiefen meer sich tummelte: bist du von händen gepackt, mein gebieter? Du auf der goldnen erdfläche nach willkür wandelnder neffe meines Geser, mein Nantsong: bist du eines dämons beute geworden, mein gebieter? Die dreissig tapfern hielten zusammen, wie die töne der laute, wie die glieder Jdes schilfrohrs; wir dreissig grauschimmel hielten zusammen, wie die federn eines vogels. Sohn einer mächtigen gottheit, mein Nantsong! hat ein mensch des Dsambudvipa (!) dich erlegen können, mein gebieter? — Wenn ich euch (wölfen und raben) diesen edeln leib zum frafs überliefse: würde ich Nantsong's treues ross zu heissen verdienen?” Der todesmüde bewegt die beiden raben, die an seinem fleische sich letzen wollen, ins mongolische lager zu fliegen und von seinem hülflosen zu- stand kunde zu bringen. Buidong, der die “sprache der vögel versteht’, dient ihnen als dolmetsch. (') diesen indischen namen führt, nach den cosmologischen vorstellungen der Buddhi- sten, der mittelste von fünf welttheilen, die als inseln gedacht werden: er begreift Indien und das ganze bekannte festland. die bedeutung ist ‘insel des dsambu, d.i. wo diese frucht (Eugenia Jambu) reichlich wächst. Mm2 976 Scuorr Rogmo’s gefangennehmung wurde das signal zum letzten verzweif- lungskampfe. Schikir erfährt in seinem wohnsitz aın Tsatsargana-strome das ende seiner waffenbrüder, und verfolgt nun mit dem greise Tsargin die spur der siegreich abziehenden chane von Schiraigol. auf irem gemeinsamen ritte sendet Schikir einen weheruf an Geser. den ruf vernimmt die Rogmo durch magisches wissen aus der ferne und lässt ermunternde worte herübertönen. aber Schikir sagt: “wenn mein Geser kommt und mich fragt, was ich ge- than — wie soll ich antworten‘ besser ist es, ich sterbe; denn mein leben hat keinen nutzen mehr!’ Die feinde werden eingeholt; Schikir mäht ire reihen nieder ‘wie ein rüstiger schnilter’ von durst gequält, trinkt er aus den blutgetränkten flu- ten des Chatun-stromes; aber das blutige wasser berauscht ihn und er fällt besinnungslos zu boden.(!) da haut ihm, den wol kein sterblicher im kampf erlegt hätte, der chan vom schwarzen zelte mit eigner band den kopf ab. Rogmo Goa nimmt das theuere haupt, liebkost es und vergiefst heisse thrä- nen. (?) da sie unter den erschlagenen keinen körper ohne wunden finden kann, um der seele des helden eine andere menschliche behausung zu geben, so lässt sie die noch irrende seele in einen edelfalken übergehen. dann er- richtet sie aus pfeilen der erschlagenen feinde einen scheiterhaufen für den leichnam. Nun kommen wir zum zweiten theile dieser fünften erzählung. Rogmo schickt die trauerkunde nebst mahnung zur rache mittelst eines pfeiles aus Schikir’s köcher durch die lüfte an Geser. der ersten botschaft folgen noch andere; aber Geser wird jedes mal durch tränke, die ihm Aralgo mischt, zurückgehalten. endlich (nach neunjährigem aufenthalt im schlosse) kann er, begleitet von derselben gemalin, die heimkehr antreten. Nach allerlei auf dem ungeheuren wege bestandenen abenteuern kommt Geser zu seinem ordu, wo der böse oheim Tschotong jetzt schaltet und wal- (') die burgundischen ritter im Nibelungenliede müssen iren durst auch einmal mit dem blute erschlagener löschen, und sogar mit ungemischtem, ohne jedoch davon be- rauscht zu werden. (2) vgl. Chriemhild in den Nibelungen, XVII, 1078: Sie hvop sin schöne hovbet mit ir wizen hant, do chustes also toten den edeln ritter gvot; ir vil liehten ovgen vor leide weinten do blvot. über die sage von Geser-chan. 377 tet. dieser war im verlauf des krieges gefangener der mongolischen chane eworden; gegen das versprechen, die erbeutung der Rogmo zu erleichtern 8 8°8 F 5 ’ ö hatte er seine freiheit, und, nach dem glücklichen erfolge, die herrschaft über Tibet (an Geser’s stelle) erlangt. Geser’s alter vater Sanglun, jetzt im dienste des usurpators, wird von diesem, der ein böses gewissen hat, den vermeintlichen fremdlingen entgegengeschickt, um sie schleunigst wieder aus- zuweisen; aber sein götllicher sohn giebt sich ihm bald zu erkennen. “Tümen Dsirgalang breitete eine filzdecke vor Sanglun aus, füllte thee in eine grofse schale aus horn, und reichte ihm dieselbe. als der alte die schale erblickte, lächelte er; als er den thee getrunken hatte und die schale zurückstellte, weinte er. jetzt gab ihm Tümen Dsirgalang das vor- derviertel eines schafes. der alte langte sein zulegemesser hervor, konnte aber mit dem zerlegen nicht zu stande kommen. da wurde Geser gerührt und warf ihm durch den vorhang (hinter welchem er sich verborgen hielt) sein bohrmesser mit dem krystallhefte zu. Sanglun nahm das messer und lächelte wieder; dann schnitt er das fleisch in stücke, afs einiges davon, und gab das übrige weinend zurück. Tümen Dsirgalang fragte ihn, warum er abwechselnd lache und weine. Sanglun sagte: "meine gebieterin, du fragst mit recht also. der vertilger der wurzel der zehn übel, der wolthätige und weise Geser-chan war mein kind. es sind jetzt neun jahre, dafs er hin- gegangen, um einem zwölfköpfigen riesen seine gemalin Aralgo Goa wieder zu entreissen. ich hatte ihn todt geglaubt. als ich nun diese schale von horn erblickte, dachte ich, er sei gekommen, und lachte. dann wieder dachte ich: mein geliebter sohn, diese schale ist die deinige, wo aber bist du selbst? und muste weinen. eben so ging es mir mit dem bohrmesser am krystallhefte” jetzt vergoss auch Tümen Dsirgalang thränen. Geser konnte nicht mehr an sich halten; er sprang hervor und fiel seinem vater weinend um den hals.’ Dieser zug des helden ist um so schöner, da Sanglun ihn niemals ver- standen und oft unwürdig genug behandelt hat. er entlässt den alten mit ei- nem geschenk für seine mutter und empfiehlt ihm besonnenheit. dieser erfreut die Geksche Amurtschila mit der vorläufigen nachricht, dafs ihm ein mensch begegnet sei, von dem er erfahren habe, Geser lebe noch, und komme, an dem verhassten Tschotong rache zu nehmen. 278 ScHorr Geser verwandelt sich jetzt in einen alten bettelmönch. er tritt als solcher in das ordu vor seinen onkel Tschotong. diesem bringt er zuerst die falsche kunde von Geser’s tode; aber eine rohe handlung, die der tyrann in seiner gegenwart sich erlaubt, bestimmt ihn zum sofortigen widerruf des gesagten, und er scheidet mit der versicherung, dafs Geser nicht blos lebe, sondern bereits im anzuge sei, um Tschotong zu tödten. aus dem ordu begiebt sich der vermeintliche lama auf den weg nach seinem schlosse. ein armer hirtenknabe, den er frägt, wem er angehöre, sagt ihm weinend, er sei der unglückliche sohn des edeln Schikir; er sehne sich, einst an dem ver- hassten feind rache zu nehmen; aber der sclavendienst würde seinen körper wol aufreiben. er fleht den lama um einen kräftigen segen zum heil der seele seines vaters und des todt geglaubten Geser, und bietet ihm dafür gut- herzig die kärgliche kost, die seinen eignen hunger stillen sollte. ohne sich zu erkennen zu geben, aber aufs tiefste bewegt, rühmt Geser den jugendli- chen edelmut des kleinen und erfüllt ihn mit froher hoffnung. Einige schritte weiter begegnet ihm eine alte sclavin mit durchgeriebe- ner schulter, die trocknen mist einsammelt — es ist seine mutter! wenn Ge- ser vor dem sohne seines milchbruders sein incognito noch bewahren konnte, so ist esihm vor dieser unmöglich: er erscheint ir nach wenig ausgetauschten worten in seiner wahren gestalt, auf dem magischen braunen, den er vom himmel gerufen, und bekleidet mit seinem, wie morgenthau schillernden panzer. jetzt geht es ohne aufschub über Tschotong her; aber die rache, die an diesem genommen wird, hat einen mutwilligen und unedeln, des göltersohns nicht würdigen character. die fürbitte seines guten onkels Tsar- gin rettet jedoch das leben des nichtswürdigen. Und nun operirt Geser, wiederum mit list, gegen die fürsten von Schiraigol. als hundertjähriger bettelmönch lagert er an einem brunnen, wo die töchter der drei brüder wasser holen. die eine derselben, Tsoimsun Goa, erkennt des fremdlings wahre natur, begeistert sich für ihn, und schmuggelt ihn in der gestalt eines kleinen bettelknaben, der eine menge künste versteht, am hofe des ‘chans vom schwarzen zelte' ein. hier demü- tigt er den prahlerischen bräutigam der Tsoimsun (der sechs von Geser's helden getödtet hat), indem er dessen bogen spannt, (1) und tödtet ihn dann (') der mongolische kämpfer halte in dem wahne gestanden, dals er allein seinen bo- gen spannen könne. ein finnischer volksdichter lässt (Kalev. XXVI, 357 ff.) den helden über die sage von Geser-chan. 2379 im ringkampfe. ein gleiches schicksal haben die übrigen ausgezeichnetsten helden der drei chane. Die gefangene Rogmo, um welche so viel kostbares tibetisches blut vergebens geflossen, weilt in Geser’s nähe; allein er erlebt an dieser begab- testen seiner gemalinnen den verdruss, dafs sie ihm abgeneigt geworden ist und für ire mongolischen landsleute partei nimmt. sie erweckt im chane vom weissen zelte den argwohn, dafs der bei hofe angestellte wunderknabe wol Geser sein könne, und bietet alle ire ränke auf, um hinter das geheim- nis zu kommen. aber Geser entkräftet alles durch gegenlist, bis er dem chan vom weissen zelte, Rogmo’s dermaligem gatten, das leben genommen hat. zur demütigung des untreuen weibes fügt er es so, dafs sie ires buh- len herz als abendkost verzehren muss, und nun tritt er mit ir als seiner gefangenen den rückweg an. Die beiden brüder des ermordeten sammeln ir übriges heer, um rache zu nehmen; allein Geser macht alles nieder und vernichtet das geschlecht der Schiraigol. Von den abenteuern auf der riesenburg bis hierher ist eine gewisse analogie mit den schicksalen und thaten des Odysseus nicht zu verkennen. der riese kann für einen geistesverwandten Polyphems gelten; und wenn er sich von Aralgo Goa seinen grolsen zahnstocher geben lässt, um damit einige menschen, die ihm bei seiner letzten grässlichen mahlzeit zwischen den zäh- nen stecken geblieben, herauszustochern, parodirt er noch seinen homeri- schen collegen. Aralgo will den helden für sich allein besitzen, wie Calypso den Odysseus, und giebt ihm zu diesem ende letheische (zum glü- cke nicht circeische) tränke ein. Odysseus befreit nach seiner vielfach er- schwerten rückkehr die seinigen vondem schmäligen joche übermütiger usur- patoren — eben so Geser, dessen eltern einem blutsverwandten todfeind scla- vendienste thun, während eine seiner frauen ausländischen feinden zur beute Lemminkäinen triumphirend sagen: ‘den würde ich für einen mann erklären, als einen hel- den schätzen, der meinen bogen spannte (joka jouseni vetäisi) in den gemächern von Pohjola’, d.h. einen bewohner Pohjola’s, der solcher kraftprobe fähig wäre. — im Nibe- lungenliede heisst es (XVI, 961.) von Siegfried: .... ovch fvrt er einen bogen, den man ziehen mvse mit antwerche dan, der in span- nen solde, ern hete iz selbe gelan. Vgl. die antwort, welche der könig der Aethiopier den abgesandten des Cambyses giebt: Herodot im dritten buche, cap. 21. 280 Scnuorr geworden ist. Odysseus giebt sich nach seiner heimkehr nur wenigen zu erkennen und betritt den palast seiner väter in bettlergestalt — eben so Ge- ser: beide helden lassen ire list irer tapferkeit den weg bahnen, obschon dies bei Odysseus kaum viel nötiger scheint, als bei dem göttlichen Geser, da jener doch eine gottheit zur beschützerin hat. endlich ähneln einander beide sogar in der probe mit dem bogen: derjenige welchen Geser spannt, e in der hülle 8 eines bettelknaben, und tödtet dann den übermütigen besitzer des bogens. ist zwar nicht sein eigner; aber er verrichtet diese handlun Nach seiner glücklichen heimkehr lässt Geser-chan den edeln und treuen Schikir zum himmel entrücken; die treulose Rogmo aber durch höl- lengeister in der art bearbeiten, dafs ein theil ires körpers dahin, der andere dorthin wandern muss, (1) während die seele einen gelben ziegenmelker zur behausung erhält. diese barbarische züchtigung trübt des verklärten selig- keit: aus den höheren regionen fordert Schikir seinen Geser auf, die unglückli- che, in anerkennung der guten dienste, die sie ihm früher geleistet, wieder herzustellen und zu sich zu nehmen. Geser thut dies, indem er die zerstreuten körpertheile der Rogmo sammelt und dem ganzen die frühere gestalt giebt. (?) Und jetzo wär es endlich an der zeit, dafs Geser-chan, "umgeben von seinen helden und von den völkerschaften, die er beherrscht, nicht blos “ruhig und in götterfreude lebte, wie es am schlusse dieses buches heisst, sondern auch eben so ruhig endete. aber ein fortsetzer der sage, die gewiss ursprünglich mit diesem buche zu ende war, ist anderer meinung gewesen. Rogmo muss zum zweiten male untreu werden, und in folge dessen trifft unsern Geser, gerade auf dem ceulminationspuncte seiner herrlichkeit, die tiefste demütigung die er jemals ahnen konnte. Sechstes und siebentes buch. Ein tückischer Manggu kommt in der gestalt eines heiligen obergeist- lichen an Geser’s hof. Rogmo Goa, von dem ankömmling befragt, ob sie seine gemalin werden wolle, verheisst ihm dies für den fall, dafs er Geser (') die plageteufel vergraben ir hintertheil im eise, werfen ire brust in den fluss, und geben ire eingeweide den gluten der sonne preis. (?) vgl. Lemminkäinens mutter in Kalevala (R. XV.), wo sie die fragmente des körpers ires sohnes, welchen der gott der unterwelt zerstückt hat, wieder zusammensuchend und zusammenfügend, ihm das leben zurückgiebt. über die sage von Geser-chan. 281 besiegen könne. der angebliche lama verspricht von seiner seite, iren er- lauchten gemal durch magische kraft in einen esel zu verwandeln, was ihm auch gelingt, indem er das bild eines esels auf seinen scheitel legt. nur durch die list einer anderen gemalin (Ads’u Mergen, der tochter des drachenfür- sten) wird Geser nach einiger zeit wieder entzaubert. Bei der kunde von der eselwerdung ires sohnes war Geser's mutter vor schrecken und schmerz gestorben. dies veranlasst nun eine höllenfahrt unseres helden, damit er auch den ungeheuern der tiefe furchtbar werde. nach vergeblichen erkundigungen im himmel und auf erden steigt er in der gestalt des vogels Garuda (s. oben) ins schattenreich hinab, zerschmettert mit seiner gewaltigen streitaxt die höllenpforte, und bemeistert sich durch zauber des todtenrichters. er befreit seiner mutter seele, die er nun im munde seines magischen rosses zum himmel befördert. motivirt wird ire zeitweilige verbannung in die hölle damit, dafs sie bei Geser’s geburt gezweifelt habe, ob sie einen göttersohn oder einen teufel geboren. diese sünde muste ab- gebüfst werden. Geser kehrt auf die oberwelt zurück, und verstöfst nun die Rogmo für immer: sie muss einen lahmen und einäugigen bettler zum eheherrn annehmen. dann heisst es am schlusse wieder, dafs der götter- sohn forthin vergnügt und zufrieden in seinem schlosse gewohnt habe. bis an das ende seines erdenwallens ist die sage auch hier nicht geführt; man kann aber den erzählern nachrühmen, dafs sie uns, wie Göthe im ersten theile seines Faust, vom himmel durch die welt zur hölle führen. * * * In dem eindrucke, welchen das lesen der Geser-sage zurücklässt, dürften die unangenehmen elemente bei den meisten abendländischen lesern wol überwiegend sein. wir haben in diesem “ungejäteten garten’ durch eine solche menge wildes gestrüpp und wucherndes unkraut uns arbeiten müssen, dafs die erinnerung an einzelne, da und dort schüchtern ir haupt erhebende blumen von erfreulichem anblick uns schwerlich schadlos halten kann. zau- berei von der bizarrsten art waltet durch das ganze; oft jagt ein spuk den anderen in tollem galopp, und mancher ist schal, kindisch, oder selbst ekel- haft zur genüge. aber auch abgesehen von solchen zerrbildern hat die mi- schung des göttlichen mit dem ungeschlacht menschlichen, und zwar in einem und demselben individuum, viel widerliches. nicht blos leute aus gemeinem irdischem thone, sogar verwandlungen höherer wesen lassen sich Philos.-histor. Kl. 1851. Nn 23823 Scsorr in der leidenschaft zu redensarten und handlungen von platter gemeinheit oder niedriger bosheit herab. (!) doch sind derartige excesse mit wenig ausnahmen alle von der art, dafs sie weit mehr unser ästhetisches als unser sittliches gefühl verletzen. wenn übrigens in der Gesersage ein weib iren mann mit scheltworten überhäuft, oder ein mann seine ehehälfte mit prü- geln: so gehen diese Handlungen von menschen aus, die auch sonst auf unsere sympathie wenig oder gar keinen Anspruch machen können; sie be- rühren daher lange nicht so unangenehm, wie im Nibelungenliede die ‘zer- bläuung' der Chriemhild durch Siegfried, oder wie in Kalevala der gute rath seiner schwiegereltern an Ilmarinen, mit einem birkenreis nachzuhelfen, wenn seine junge frau gegen seine ermahnungen taub bleiben sollte. Mehreren unter den vorragenden gestalten unserer sage bleibt jedoch das gemeine fremd. ehrenwerth erscheint überall der greise Tsargin, Geser's älterer oheim; als echter held und edler mensch bewährt sich Dsese Schi- kir in wort und that durch seine ganze laufbahn; und der einzige miston in der schönen harmonie seines wesens ist, dals er, nachdem seine seele in einen raubvogel übergegangen, den wunsch äussert, das herz dessen zu ver- zehren, der ihn heimtückisch getödtet hat. unter den frauen Geser's be- weist ihm Aralgo Goa selbstverläugnende ergebenheit; ir ganzes verbrechen besteht darin, dafs sie den geliebten auf ewig an ire seite bannen und so seinem hohen beruf entfremden möchte. Adsu Mergen, eine Atalante und Bradamante Tibets, eben so gewaltig als jägerin wie im ritterlichen kampfe, wird das vornehmste werkzeug der entzauberung des mannes, der allein fähig war, sie zu besiegen. (?) Mancher frägt wol, wie man sichs zu erklären habe, dafs Geser, dessen göttlichkeit doch nicht bezweifelt werden darf, so oft in bedenkliche lagen (') dies begegnet niemals den helden der Kalevala, obgleich sie in irem häuslichen leben schlichte finnische bauern sind, wie die helden der Gesersage schlichte nomadenhäuptlinge. bei jenen ist aber der contrast irer ungewöhnlichen naturgaben mit der einfachsten exi- stenz oft rührend und immer wolthuend, weil das rohe und gemeine ausgeschlossen bleibt. (2) es werden überhaupt vier frauen Geser’s aufgeführt, unter denen aber die Chinesin (Küne Goa), nachdem er aus China zurückgekehrt, gar nicht wieder auf den schauplatz tritt. sonst ist die dreizahl in unserer sage vorwiegend: Geser ist im himmel einer von drei söhnen des Chormusda, und auf erden des Sanglun; auch hat er drei, himmlische schwestern. drei mongolische fürsten (wiederum brüder) ziehen gegen Tibet in den krieg, dessen stammfürsten abermals drei brüder sind, über die sage von Geser-chan. 283 geräth, kleinmütig wird, und bei seinen himmlischen verwandten schutz und hülfe sucht? diese menschlichkeiten fliefsen aus derselben quelle wie die flecken sein& characters: er ist nur eine buddhistische gottheit, und befindet sich auch als solche nicht in seinem wahren elemente, so lang er auf erden wandelt. Alle sogenannten götter, die der Buddhismus anerkennt, sind zwar an macht und geistigen eigenschaften über die menschheit erhaben, al- lein immer noch umgrenzte und endliche wesen, wie der mensch, die selbst in iren höheren regionen irren, hülfsbedürftig werden, sogar sündigen kön- nen. noch ungeheuere entwicklungsperioden haben sie zu durchwallen, ehe die Buddhastufe, das endziel des leuterungsprocesses jeder individualität, erreicht ist. (1) wir haben schon gesehen, wie Geser’s himmlischer vater dem Buddha Sakjamuni seine huldigung darbringt und dessen befehle em- pfängt; wie er das ihm anbefohlene vergessen konnte und dann eifrig bemüht war, seinen fehltritt wieder gut zu machen. vor den Buddha’s sind die götter des alten hinduismus allzumal arme sünder; und von iren herabge- sandten söhnen darf man aus noch stärkerem grunde keine absolute voll- kommenheit verlangen. Welch grofsen vorschub diese umstände einem sagenerzähler leisten, bedarf keiner ausführung. mit einem wesen von schrankenloser macht, bei dem es also nur auf willen oder laune ankäme, um allem bösen den gnaden- stofs zu geben, war wenig anzufangen. aber ein beschränkter gott, der vor überlistung, verzauberung, ja physischer überwältigung durch andere wesen nie g und der erzähler konnte ihn zu sich und seinem leserkreise nach gefallen anz sicher ist, gab unerschöpflichen stoff zu immer neuen situationen; herabziehen, was denn auch im reichsten mafse und ohne alle besondere motivirung geschehen ist. wir dürfen also nicht darüber nachgrübeln, wa- rum Geser einmal dämonen offen bekämpft, ein anderes mal wider sterbli- che menschen list anwendet; warum er eine art heiliger leibgarde hat, um eventuell einer physischen übermacht besser trotzen zu können, (?) u. dgl. (') da hier nicht der ort ist von dieser lehre ausführlich zu handeln, so verweise ich auf meine abhandlung “über den Buddhaismus in Hochasien und in China. Berlin 1846. (?) schon vor seiner einfleischung verlangt Geser von Chormusda dreissig helden sei- nes himmlischen gefolges, die ihm auf erden zu dienste stehen sollen. diese unfassliche mannschaft leistet aber im verlauf der sage nicht eben grolses. Nn2 984 Scuorr Einiges in der Gesersage erinnert an die heiligen der buddistischen le- gende. es wird zwar kein opfertod zum besten der creatur und kein predigen der heilbringenden lehre erwähnt; aber einmal wenigstens wirkt Geser direct im interesse der letzteren, da nämlich, wo er einer schar räubern den befehl giebt, mönche zu werden (s. 26. des textes). aus dem legendenschatze ist ferner das beben der ganzen erde entlehnt, so oft eine starke, aber edle ge- mütsbewegung den göttlichen anwandelt, z. b. als er seinem vater beim wie- dersehen um den hals fällt (s. 150.), als die seele seines Schikir ihm er- scheint (s. 160.), u.s. w. (1) die erde wird dann allemal durch aufgestreutes räucherwerk wieder beruhigt. Geser’s feindlicher onkel Tschotong steht ihm ungefähr so gegenüber, wie dem Buddha Sakjamuni sein feindlicher vetter Devadatta. aber Geser’s vornehmster beruf ist die that, nicht die Als Petrus in der christlichen urkunde den versuch zu Jesu befreiung macht, ent- gegnet ihm dieser: “glaubst du nicht, dals mein vater im himmel, wenn ich ihn darum bitten wollte, mir zwölf legionen engel schicken würde?’ diese legionen wären eine himm- lische heerschar gewesen, zum schutze des sohnes gottes gegen eine irdische macht. (') die legenden der Buddhisten gesellen dem erdbeben, das zu ehren irer heiligen bei besonderen gelegenheiten entsteht, noch donner und einen blumenregen bei. man sehe die texte, welche Schmidt seiner mongolischen grammatik angehängt hat, und andere, in Kovalevski’s chrestomathie aufgenommene legenden. besonders wird der opfertod eines heiligen von solchen zeichen begleitet. so erbebt auch die erde und verdunkelt sich der himmel in unserer christlichen urkunde beim hintritte des erlösers. Bei dem tragischen ende anderer grofsen menschen zeigt die natur ebenfalls trauer und entrüstung. Virgil meldet (Georgic. I, 466.) von der sonne, wie sie aus theilnahme für den ermordeten Julius Caesar: . caput obscura nitidum ferrugine texit, so dass die gottlose generation eine ewige nacht befürchtet habe; und der persische dich- ter Firdüsi, nachdem er den schmählichen tod des edeln jungen Siayusch erzählt, fügt hinzu: uw 08 305 L ol a 5 I slo, Au, > 8 Eye Alu ES ee als vom cypressenleibe das sonnenhaupt (des jünglings) getrennt war, als dieses königliche haupt in todesschlaf versank. ..... da erhob sich ein sturm mit schwarzem staube, die sonne und den mond verdunkelnd; kein mensch konnte des anderen antlitz sehen.’ über die sage von Geser-chan. 285 lehre, und er gleicht insofern den grofsen historischen herrschern, in denen man verkörperungen von göttern oder angehenden Buddha’s verehrt. aus Indien stammt nur das religiöse und mythologische; es durchdringt aber eine sage, die uns weit aus Indien, tief in die fast unbekannten regionen zwischen dem Himalaja und dem oberen. Hoang-ho entrückt, wo ganz an- dere dinge zu schauen sind. wir treiben uns hier unter freien nomaden um, mit iren herden, irem berauschenden milchbrantwein, irer schalkhaftigkeit, derbheit und widerharigkeit, die selbst das weib der steppe zu einem ganz anderen wesen macht, als die zum dulden und zur selbstaufopferung gleich- sam geborne Indierin. Alle diese umstände geben unserer sage, trotz irer vielen und wesent- lichen mängel, einen weit höheren reiz als irgend einer der zahllosen heiligen- legenden des Buddhismus, die ausserdem nur indische geisteserzeugnisse (und vielleicht die schwächsten von allen) sind. selbst eine art reaction gegen die aus Indien überkommenen lehren, oder ein versuch, sie mit ge- wissen einheimischen vorstellungen zu vereinbaren, macht sich hin und wie- der geltend. beispiele zum belege: Aralgo Goa schwört einmal beim blauen himmel (kükä oktargoi) und der goldnenerdfläche (altan dälägäi).(!) sie nennt letztere die Jjet- zige mutter’ (ädügän äkä), d.h. die mutter der hinieden wohnenden. diese beschwörungsweise ist den Buddhisten fremd, aber ganz angemessen der alten naturreligion Hoch- und Östasiens, welche im erzeugenden himmel und der empfangenden und gebärenden erde die höchsten wesen erkennt, denen das ganze geisterreich sich unterordnet. den Chinesen ist noch jetzt gelb (hoäng) die farbe der erde, wobei freilich ein dunkles oder braungelb zu denken, das für den frommen verehrer der grofsen wesenmutter zur goldfarbe wird. wenn kaiser und grofswürdenträger dem himmel opfern, tragen sie azurne, und wenn sie der erde opfern, gelbe gewänder. Eine chinesische sage lässt die mutter des protoplasten Fu-hi zufällig in die fufsspur eines räthselhaften riesen treten und auf diese art schwanger werden. (?) mit der schwängerung der mutter Geser’s geht es ähnlich zu. diese begegnet eines tages einem riesen (Jjäkä kümün); sie fällt vor schrecken (') s. 74. des textes. Schmidt hat das wort altan (gold, golden) unnöthiger weise hier mit braun übersetzt. (?) San tsaai tu hoei, heft 11,blatt 14. 9386 Scnorrt in ohnmacht, kommt nach einiger zeit wieder zu sich, und bemerkt auf irem weiteren wege im schnee die frische spur ungeheuerer fufstapfen. (!) weibliche neugier bewegt sie jetzt, der spur nachzugehen. so gelangt sie zu einer höhle und erblickt in derselben eine seltsame männliche figur, die, den reif von irem buntgefleckten barte streifend, gar naiv vor sich hin sprach: “in dieser nacht habe ich eine arge strapaze gehabt.’ das räthselhafte wesen erscheint nie wieder: es ist wahrscheinlich der 'bergfürst Oa Guntschid', der an einigen stellen Geser’s "magischer irdischer vater’ genannt wird. (?) Fragen wir nun nach der ursprünglichen und besonderen heimat un- serer sage, so bieten sich uns schwierigkeiten, deren überwindung kaum möglich sein dürfte. sie kann nur entweder aus Tibet stammen, oder aus der Mongolei; allein das verhältnis des tibetischen textes zum mongolischen ist noch nicht aufgeklärt. die im letzteren vorkommenden personennamen sind eben so oft tibetisch als mongolisch, zuweilen sanskritisch; auch finden wir Tibeter mit mongolischen und Mongolen mit tibetischen namen. Geser (genauer Gesar) ist nach Kowalewski (mongol. wörterbuch, s. 2457.) das abgekürzte sanskritwort Aep kesara, welches eine pflanzenfaser und die blume mimusops elengi (eine der sapotee'n) bedeutet. Schmidt in sei- nem tibetischen wörterbuche übersetzt ge-sar ‘das innere einer blume oder deren pistill, der blumenkelch;‘ davon abgeleitet ist das tibetische ge-sar- (') Schmidt übersetzt (s. 11.): “die frische spur eines menschen, der schritte von der länge einer halben klafter gemacht hatte.‘ dann lässt er die Amurtschila ausrufen: “was für ein entsetzlich weit ausschreitender mensch mag hier gewe- sen sein!’ aber von schritten ist im texte nicht die rede; in der ersten stelle heisst es: alda dälim mürtü kümün halbklafterspuriger mensch, und in der anderen: jäkä mürtü grolsspuriger. es muss also die riesige länge der fulstapfen gemeint sein. mür entspricht dem chinesischen 5) tsi, das auch in der angeführten stelle des San-ts’ai vorkommt; schritt aher heisst im mongolischen alchu. (?) buchstäblich altan dälägäi-jin chubilgad ätschigä aureae planitiei transfor- matus pater. Bekanntlich war der alte und stumpfe Sanglun bei Geser’s zeugung unbetheiligt; des- sen himmlischer vater Indra mochte es aber unter seiner würde glauben, einem irdischen weibe direct beizuwohnen; er wählte also eine nicht näher bestimmte mittelperson, die übrigens vermutlich nnr emanation seines eignen wesens war. über die sage von Geser-chan. 287 tschan (einen gesar habend) die lotusblume.(!) Geksche Amurtschila, der name der irdischen mutter unseres helden, ist in rücksicht seines zwei- ten theils erweislich mongolisch; diesen verstehe man als imperativ: ‘geniefse der ruhe, des glückes, sei glückselig!’ denn amurtschila-chu heisst, wie amurtschi-chu, felieitate frui. Sanglun giebt sich seiner ganzen form nach als tibetisch zu erkennen; nicht so Tsargin, weil man das mongol. verbum tsargi-chu, (schreien) hat; dagegen muss Tschotong wieder ti- betisch sein. Goa, was die namen der verschiedenen geliebten oder gema- 8 linnen Geser’s begleitet, ist mongolisch und heisst schön. Aralgo muss derselben sprache angehören, obwol seine bedeutung zweifelhaft; anders ist es wieder mit Rogmo, einem tibetischen namen, der so viel als freundin, gefährtin bedeutet. (?) und doch soll Rogmo eine Mongolin, Aralgo eine Tibeterin gewesen sein! einen tibetischen namen führt auch Tsoimson, die tochter eines der mongolischen chane von Schiraigol; ich glaube in die- sem namen eine verderbung des tibetischen tschoi-smon (geschrieben tsch'os-smon) d.i. 'nach der religion verlangend’ zu erkennen. Dsese Schikir mag seinem ersten theile nach tibetisch sein (wol für dse-sa, ge- schrieben rds’e-sa ehrerbietung); schikir aber ist die mongol. verderbung des sanskrit. sarkarä zucker. Eine vorliebe für tibetische und indische namen zeigen die Mongolen seit irer bekehrung zum Lamaismus. So nehmen die Muhammedaner, von welcher nation sie auch sein mögen, vorzugsweise arabische namen an. den bildnern wird es aber nie einfallen, aus einer der sprachen irer zöglinge nomina propria heimzuführen; daher kein Araber je mit türkischem oder persischem, und kein Tibeter je mit mongolischem namen erscheint. da (') das auf dem titel der sage und sonst noch öfter dem namen Geser beigefügte märgän ist mongolisch, und kann hier mit “weise’ übersetzt werden. gewöhnlich bedeu- tet es erfahren, geschickt, tüchtig. vergl. die mandschuische wurzel merk (thema merki) nachforschen, und eine gleichbedeutende sanskritische in den formen mrig (für marg) und märg. Die auf seite 5 des textes dem namen Geser beigefügten worte serbo donrup (genau ser-po gdon-rub) sind beide tibetisch. das erste heisst gelb, das andere teufel- angreifend (aus gdon teufel, böses, und rub anfallen, angreifen). Schmidts vorrede zur übersetzung, s. IX. (?) von rog (rogs) mit dem weiblichen zusatze mo. 388 Scnuorrt nun in unserem texte auch Tibeter mongolische namen haben, so ergiebt sich hieraus ein einwand gegen den tibetischen ursprung der sage. Diesem einwand lielsen sich noch andere zugesellen. obwol das tibe- tische hochland unter seinen bewohnern tapfere stämme aufzuweisen hat, wie z. b. die von den Chinesen sogenannten Si Fan: so fehlt ihnen doch jener anflug von ritterlichkeit, welcher die Mongolen auszeichnete, und der uns in vorliegender sage eben so wenig entgeht, als in den sagen aus Temud- schin’s jugend, die von Sanang Setsen und zum theil von den Chinesen aufbe- wahrt sind. in der alten Mongolenzeit wurden selbst berühmte walfen und rüstungsstücke mit eigennamen belegt, um ihnen eine gewisse unsterblich- keit zu geben, wie in Scandinavien und dem mittelalterlichen Westeuropa; und es verdient grofse beachtung, dafs kein in unserer Gesersage vorkom- mender name dieser art tibetisch ist. so heifst die goldne fangschlinge, wel- che sich Geser mit anderen waffen von seinem himmlischen vater geben lässt, Dooriskui (Dagoriskui) d.i. ‘allgemein berühmt oder ‘gefeiert. den- selben eigennamen führt ein helm, den fürst Tschotong (s. 42.) als preis eines weltrennens ausbietet. die anderen zwei preise sind: das schwert Tomartsak (!) und der schild Tümän Odun d.i. ‘zehntausend sterne. desselben fürsten köcher (sagadak) wird (s. 129.) Schirgoldsin genannt, was hier vermutlich gleichbedeutend mit schirgaldsin "von ewiger dauer. Geser erlegt (s. 45.) einen wilden stier mit dem bogen Alangkir; dieses wort mag nun das sanskritische gay alangkära (schmuck) sein. eben so argwöhne ich sanskritische abstammung des auf gleicher seite vorkommenden pfeiles Ismanta, wenn man auch nicht gerade an zig ischu (pfeil) zu den- ken hat. So oft ein held zum kampfe sich rüstet, werden seine vornehmsten schuz - und truzwalfen aufgezählt und mit epitheten versehen; eben so ge- schieht des streitrosses ehrende erwähnung. da liest man von "magischen braunen‘, ‘geflügelten grauschimmeln‘, von panzern, die ‘dem thau gleich funkeln’, von ‘blizfarbener schulterbekleidung‘, u. s. w. eines theiles dieser poetischen beiwörter hätte selbst Homer sich nicht zu schämen gebraucht. (') ob von demselben etymon, welches die wörter toma-tu, toma-rchal und toma- rchak erzeugt hat? von diesen bedeuten das erste und dritte ‘pralerisch, anmalsend‘, das zweite ‘pralerei. r über die sage von Geser-chan. 289 Wie in Sanang Setsen’s chronik (so lang er von der vorzeit seines vol- kes handelt), so sind auch in die Gesersage unverkennbar lyrische stücke eingeflochten, die mit jenen viel analoges haben. was aber bei den Mongolen den rythmus ausmacht, das ist nur eine art parallelismus, eine kühnere bil- dersprache, und zum theil wiederkehr desselben wortes am ende der sätze. veranlassung zu solchen ergüssen ist meist schwermütige sehnsucht, und be- sonders gern kleidet der stegreifdichter seine gefühle in fragende redewen- dungen. einige proben sind schon mitgetheilt. (') Wir haben die etwa möglichen einwendungen gegen den tibetischen ursprung der Gesersage aufgeführt. betrachten wir nun, was sich zu gun- sten dieses ursprungs sagen lielse. auf nationalität der helden und auf den schauplatz der ereignisse wollen wir keinen werth legen; denn mongolische stämme haben zu verschiedenen zeiten weit in Tibet hineingewohnt; auch erhält jede sage und märe gröfseren reiz, wenn man ir einen fremden schau- platz anweist. allein die unsrige verräth eine gewisse vorliebe für das tibe- tische volk; ire gröfsten helden und edelsten persönlichkeiten (beiderlei ge- schlechts) sind Tibeter; dagegen ist Rogmo Goa, die einzige wankelmütige und untreue von Geser’s gemalinnen, eine Mongolin. dazu sind die Tibe- ter das obsiegende volk, die Mongolen das unterliegende. Vielleicht hat die sage in iren grundzügen wirklich den Tibetern früher angehört, als den Mongolen. ire durchdringung mit buddhistischen elementen konnte sie dem nachbarvolke empfehlen, wenn es gleich in derselben sich verdunkelt sah. begabte mongolische wiedererzähler liehen aber den vor- kommenden Tibetern sitten und character irer landsleute, gossen überhaupt einen vaterländischen schmelz über das ganze, und machten es so in der Mongolei wahrhaft volksthümlich. Die gegenden Tibet’s, wohin Geser's eigentliches stammland ver- legt wird, sind vermutlich da zu suchen, wo unsere karten noch Terra incognita zeigen. (?) obschon der göttersohn die Mongolen besiegt, so er- (*) ich finde, dafs ein scharfsinniger junger gelehrter, Dr. Schade aus Erfurt, unter den, seiner abhandlung “daz buochlin von der tohter Syon’ (Berlin 1849.) angehängten streitsätzen auch diesen vorgelegt hat: “in narratione Mongolica quae oratione pedestri de rebus a Gessero rege gestis scripta est, inesse carmina |yrica. (?) sein stammsitz wird Nulum-tala genannt; das erste wort ist ohne zweifel tibe- tisch, das zweite aber, was ebene, steppe hedeutet, schon mongolisch. die übrigen, in Philos.- histor. Kl. 1851. Oo 290 Scnuort streckt sich seine herrschaft doch nicht über Tibet's grenzen hinaus, und eroberer kann er in keinem betrachte heissen. (1!) er begnügt sich mit de- mütigung oder vernichtung des bösen in jeder gestalt, und thut gutes ohne ansehen der nation. so lässt ihn die sage (s. 12.) einen magischen berghasen tödten, der demselben volke Monggol, welches über Geser’s liebste an- gehörigen später so bitteres wehe brachte, grofsen schaden zugefügt hatte. nur einmal führt er krieg; aber die initiative war von den feinden ausge- gangen. ausserdem scheint er im eignen gebiet eine “unfruchtbare krone zu tragen; denn von irdischen nachkommen unseres göttersohns ist nirgends die rede. Geser ist also eine, von Ogus, dem türkischen sagenhelden, überaus verschiedene erscheinung. diesen hat der Islam.herausgebildet, wie jenen der Buddhismus. jeder von beiden wirkt zur verherrlichung einer heils- lehre; aber Ogus als glücklicher eroberer, als würdiger ahnherr der welt- stürmenden Türken. der sage vorkommenden geographischen namen gehören gröfstentheils, wo nicht alle, der letzteren sprache an: wir finden sie meist im fünften buche, welches den krieg mit den Schiraigol erzählt. Schiraigol heisst “gelber fluss’ und ist ohne zweifel übersetzung des chinesischen Hoang-ho. vermutlich denkt der erzähler die wohnsitze des nach die- sem flusse benannten mongolischen stammes südlich vom In-schan, wo der Hoang-ho in grolsem bogen das heutige land der Ordos umzieht. der Chatun-strom (Ch. mürän), dessen lauf die heere folgen, und an welchem es zu mörderischen kämpfen kommt, ist wieder derselbe Hoang-ho, aber noch weiter aufwärts, in Tangut und dem nördlichen Tibet. Äläsütü-oola (Sandberg) muss ein gebirge sein, das nicht weit von dem Chatun- mürän ablag (s. 119, 120, 122, 124-29); näher kann die örtlichkeit nicht bestimmt werden. Die herumschweifenden Sardaktschin, deren auf seite 25 meldung geschieht, sind, wie Schmidt bereits vermutet, unstreitig ein volk von Transoxanien. in der “Weltschau des osmanischen polyhistors Hadschi Chalife finde ich, da wo Samarkand beschrieben wird (s. 349. der in Constantinopel gedruckten ausgabe) folgende stelle: BEST „5 lbs DB. alKe „ib “eine gegend der Rd, die Sartak heisst, ist ein bewohnter basar und ein wolgebautes marktrevier. es ist nämlich das revier der Sarten (Bucharen), die alle handel treiben. von dem namen des Sartak stamt aber wieder le Sartaktschi in der bedeutung ‘bucharischer handelsmann. (') mit Tschinggis hat er nur darin ähnlichkeit, dafs seine mutter anderen stammes ist, als der vater, und (wenn auch nicht von diesem) geraubt wird, wie die mutter des Tschinggis (nach Sanang Setsen); ferner, dals Tschinggis (bei Sanang) in seinem Bogord- schi einen Jonathan hat, wie Geser in seinem Dsese Schikir. über die sage von Geser-chan. 39 In den bis heute bekannten werken von historischem oder halbhistori- schem character, die Hinterasien ans licht gefördert hat, finden wir von Geser keine spur; und doch will die nach ihm betitelte sage sogar sein ungefäres zeit- alter kennen. gleich zu anfang wird bemerkt, Buddha habe ‘vor seinem eintritt in das niryäna’ (wörtlich ‘bevor er das beispiel des nirväna gezeigt, nirvanu düri üdsägülküjin urida) die aufforderung an den gott Chor- musda gerichtet, ‘nach ablauf von fünf Jahrhunderten’ (tabun dsagun dsil boloksanu choina) einen seiner söhne herabzusenden, was aber, wegen der vergesslichkeit dieses gottes, erst nach sieben jahrhunderten geschehen sei. die angabe ist aus zwei gründen sehr unbestimmt; denn 1) wird nicht gesagt, ob jene aufforderung kurz oderlang vor Buddhashinscheiden ergangen; 2) haben die Tibeter allein vierzehn verschiedene ausgangspuncte für ire buddhistische aera (Buddbas todesjahr) aufzuweisen. unter diesen kommen jedoch zwei dem wahrscheinlichen zeitpunct am nächsten, indem der eine 576, der andere 546 vor Christi geburt fällt. halten wir uns nun an das letztere datum und nehmen wir zugleich an, Buddhas erwähnter befehl sei nicht gar lange vor seinem hintritt erlassen worden, so fiele die geburt Geser's etwa anderthalb jahrhunderte nach Christi geburt. dieser zeitpunct läge aber noch sehr weit jenseit der beglaubigten geschichte Tibets, als welche erst in unserem 7ten jahrhundert beginnt; und noch viel weiter jenseit der mon- golischen. die tradition der Tibeter reicht bis etwa 300 vor u. z., weiss aber, wie schon angedeutet, von keinem Geser; eben so wenig die der Mongolen. Hat also die person, welche in der sage diesen namen führt, wirklich einmal existirt — und nur dann kann von einer sage die rede sein — so möchte ich sie für einen ‘importirten’ helden erklären. dies giebt mir gele- genheit, eine stelle in Schmidts vorrede zu dem verdeutschten Geser zu be- leuchten, die (s. X.) also lautet: ----- “Vermutlich hat er (Geser) historischen grund. er wird in der sage als beherrscher der drei tibetischen völkerschaften Tusa, Dongsar und Lik genannt. dies (?) hat den Chinesen anlass gegeben, ihn in ire ‘ge- schichte der drei reiche’ zu verflechten, und ihm eine epoche in irer chrono- logie anzuweisen, nämlich den anfang des dritten Jahrhunderts unserer zeit- rechnung. aber was haben die Chinesen durch ire anscheinend (?) genaue 002 293 Scnuort sach - und zeitbestimmung nicht schon alles (?) zu geschichte gemacht, vor- züglich wenn es einer älteren zeit angehört! Geser-Chan steht übrigens auch bei den Chinesen in hohen ehren und die jetzt in China herrschende dyna- stie erkennt ihn sogar als iren schutzgeist an.’ Über die verdächtigung der Chinesen gehe ich kurz hinweg. der wür- dige Schmidt hat die nachrichten chinesischer schriftsteller immer mit sehr unverdienter geringschätzung behandelt. eines theils lag dies an seiner gänzlichen‘ unkentnis derselben, anderen theils auch wol an dem um- stande, dafs es sein loos war, gerade mit dem gallsüchtigsten und moralisch verworfensten aller sachwalter, die China jemals unter den Europäern ge- funden, in verdriefsliche händel zu gerathen. Schmidt behauptet also, Geser sei schuzgeist der Mandschu-dynastie in China. die kaiser dieser dynastie verehren als ire schuzgeister dreizehn sogenannte Onggod,(!) von denen zehn aus der tungusischen heimat stam- men, zwei dem Buddhismus erborgt sind, und einer der chinesischen sage angehört. dieser dreizehnte wird Kuan genannt; von ihm giebt es zwei biographieen sehr verschiedener art: eine ganz nüchterne, die vom anfang bis zum ende glaubwürdig ist, und eine mit wundern ausgeschmückte. die erstere finden wir am ausführlichsten im 36sten buche des San-kuo-tschi, einer abtheilung der urkundlichen reichsgeschichte; die andere zieht sich ° durch den gleichbetitelten historischen roman. Kuan mit dem beinamen Jü war ein chinesischer heros, der in den lezten zeiten des hauses Han zu Kiai-tscheu im westlichen Schan-si das licht erblickte. er diente dem interesse des states Schu-han im heutigen Sfe- tschuen, eines von den ‘drei reichen’, in welche China nach dem sturze der Han ungefähr ein halbes Jahrhundert getheilt war. Kuan-jü vernichtete als “ (') vgl. meinen academischen artikel: ‘über den tungusischen Schamanencultus am hofe der Mandschukaiser in den abhandlungen der academie von 1842. was ich daselbst (s. 467.) über die Onggod gesagt, bedarf noch einiger zusätze. diesen genien entsprechen an abkunft wie an bedeutung die Henget der Finnen und Inged der Esten; denn henki (ing) ist athem, hauch, körperloses wesen, wieonggo, onggon, und jene waren elementargeister, wie diese. auch bei den östlichen Türken finden wir das wort BL ogan oder „,y&,) ogon, welches durch ‘gott erklärt wird in einem wörterbuche zu den schriften des Ali-Schir. Monatsbericht der academie vom juli 1851, s. 456. über die sage von Geser-chan. 293 parteigänger das heer eines empörers, der die kaiserlichen truppen geschla- gen hatte; seine laufbahn endete aber damit, dafs er selber des verrathes beschuldigt und demzufolge enthauptet ward. von seiner persönlichen tap- ferkeit wird folgende probe erzählt: einst spornte er sein pferd mitten unter die feinde, weil er den feindlichen feldherrn an seiner standarte erkannt hatte, tödtete diesen, hieb ihm den kopf ab, und sprengte damit ins lager zurück. Pater Goncalves, der (s. 365 seiner Arte China) ebenfalls nach- richten von unserem Kuan giebt, erzählt auch ein (seiner mythischen bio- graphie entlehntes) wunder, das sich nach der enthauptung des helden er- eignet haben soll; und sezt hinzu, dieses (?) sei die veranlassung, warum man ihn als heiligen und Mars verehre, und zwar unter dem namen Kuan-ti d.i. 235 kaiser Kuan. (!) man muss nämlich wissen, dals jenes 3% ti (geisterfürst, kaiser) ein dem familiennamen beigegebener titel ist, den unser held seit seiner canonisirung führt. Schin-tsung von der dynastie Ming (1573-1619) geruhte ihm einen weit längeren posthumen ehrennamen zu ertheilen. nach Goncalves hatte der held auch ein “schwert von ungewöhnlicher länge’ be- sessen: ja, zum gedächtnisse dieses schwertes (em memoria da espada cumprida de que usava) den namen Kuan erst angenommen (?). von all diesem weiss die älteste und allein authentische biographie nichts. Da nun das zeitalter dieser unstreitig historischen person dem zeitalter des Geser der Tibeter und Mongolen, wenn wir es richtig bestimmt, sehr nahe komt; da ferner die dynastie Schu-han, welcher Kuan-jü diente, in grofser nähe des tibetischen hochlandes iren herrschersitz hatte: so darf man wol vermuten, dafs der ruf ires gröfsten helden in Tibet eingedrungen sei und dafs die tibetische sage sich ihn angeeignet habe. (!) por este motivo he venerado como santo e Marte, com o nome do imperador Cuon-ti. Kuan erschien nämlich als enthaupteter in der luft, seinen kopf verlangend, den man im triumphe forttrug. als dies ein bettelmönch, der ihn gekannt hatte, hörte, sagte er: du forderst deinen kopf, und wie viele, von dir enthauptete, ver- langen ire köpfe?” da Kuan hierauf nichts erwiedern konte, segnete ihn der mönch mit einem weihwedel, so dals ihm ein neuer kopf wuchs. der mönch sagte dann: ‘'bewahre forthin die ruhe des geistes, und du wirst ein geisterfürst werden!’ 994 Scsort Absurd ist aber die entgegengesezte annahme; denn die Chinesen wa- ren damals schon ein vergleichungsweise sehr gebildetes volk, das treffliche selbstständige denker und eben so fleissige als besonnene aufzeichner von begebenheiten besals. und warum sollten sie, deren ruhmvolle, im aus- lande weithin gefürchtete dynastie Han so manchen helden aufzuweisen hat, unzufrieden mit irem Tschang-kien, Li-kuang-li, Pan-tschao u. s. w., noch einen heros von den ungeschlachten und so tief verachteten horden des westens erborgt haben? — vorausgesezt nämlich, seine existenz sei erweis- lich, was ja, wie wir oben gesehen, nicht einmal der fall ist. Die sagenhafte und in gewissem betrachte romantische bearbeitung des San-kuo-tschi, in welcher auch Kuan eine grofse rolle spielt, er- schien erst unter der Mongolenherrschaft; aber sagen aus jener wildbewegten zeit hatten neben den historischen nachrichten gewiss schon lange cursirt, und konten lange vorher in Tibet eingedrungen sein, um dort eine andere, selbstständige gestaltung zu erhalten. das ‘lange schwert des Kuan z. b. war vielleicht erzeuger des ‘drei klafter langen geistigen schwertes (biligün gurban alda sälmä), welches Geser von seinem himlischen vater em- pfängt, und von dem er häufig gebrauch macht. Die in der Gesersage erwähnten drei tibetischen völkerschaften Tusa, Dongsar und Lik, deren fürsten die drei brüder Tsargin, Sanglun und Tschotong waren, erinnern uns an die chinesische eintheilung der ältesten bewohner Tibets in drei Miao; denn diese bedeutung hat der chinesi- schename — ar San-miao, welcher nachmals mit Kiang vertauscht — ir) wird. (!) * In was für ein zeitalter mag nun endlich die mongolische bearbei- tung der sage fallen? der mit kraft und frische in ir sich geltend machende sinn für abenteuer und kühne thaten überhaupt gestattet wol nicht, ir ein späteres zeitalter anzuweisen, als dasjenige, in welchem selbstgefühl und eroberungslust der ostmongolischen stämme wieder einmal mächtig (') vgl. Ritters Asien, band III, s. 274. über die sage von Geser-chan. 295 aufgeflamt waren und diese horden aufs neue zum schrecken Östasiens machten. obgleich der Buddhalehre verfallen, besafs der Mongole damals (im 15ten und einem theile des 16ten jahrhunderts) noch energie und elasticität genug, um irem pfäffischen elemente keine unbedingte herr- schaft über sich zu gestatten. noch rang diese wilde natur mit dem ein- geimpften fremdartigen stoffe, der geräuschlos und unmerklich tiefer und tiefer eindringen sollte, bis das werk der umgestaltung vollbracht war. LED nn j r PITıRn u in y » 3 2 j P j R ” 4 u Rz ’ ai La f i w A ud ri \y =“ 1105 WESER NE N TE Ye EEE weit © PESRILBTITT FG Kl salat ‚nah, Te sa grund I: rad ae eneeg . ı hihi a eu uk TR RETTTITEHETT zurkeau ah app via ka gyauak bar ng ara der er ern Kuga \ id ini rl a 1% £ i i g 1 nr u — .. ii An ar u A A an, en Über die geographische Verbreitung der Baumwolle und ihr Verhältnifs zur Industrie der Völker alter und neuer Zeit. Erster Abschnitt. Antiquarischer Theil. on EIZZELETLER. nn [Vorgetragen in der Akademie der Wissenschaften am 18. Juli 1850 und 6. November 1851.] Virg. Georg, II. 116: divisae arboribus patriae. Er. nährenden und bekleidenden Gewächse erregen nach ihren geogra- phischen Verbreitungen über den Erdball ein besondres Interesse, weil sie zur Befriedigung der nächsten Bedürfnisse des Menschenge- schlechts eine eigenthümliche Mitgift der verschiedensten Heimathen für die mannichfaltigsten Völkerschaften waren. Sie mulfsten auf die fort- schreitende Entwicklung der Massen der Völker, sei es auf ihr Um- herschweifen, auf ihre Agricultur, oder auf ihre Industrie, den gröfsten Einflufs ausüben. Von aufsen her, von der planetarischen Natur- seite, war dadurch eine Mannichfaltigkeit der Richtungen der Thätigkeiten vorgezeichnet, die zurückwirkend werden mufste auf die Entwicklung der Kräfte und der geistigen, innern Natur der Völker, je nachdem diese sich, auf die ihr eigenthümliche Weise, jener Gaben der Natur zu bemächtigen lernten. So mufste aus diesem Zusammentreffen äufserer und innerer Bedin- dungen für Stoff und Form, durch das fortwirkende Streben des Menschen- geschlechts, nach Jahrtausenden eine Vielartigkeit von Erzeugnissen, ein Reichthum nicht blofs äufserer Productionen, sondern auch innerer Ergeb- nisse für das Leben der Menschen und ihre Gedankenwelt hervorgehen, der Philos.- histor. Kl. 1851. Pp 298 Rırren über die geographische Verbreituug der Baumwolle für die eivilisirteren Völker unüberschaulich aber zugleich auch Bedingung allseitig möglicher Entwicklung für jedes Individuum der menschlichen Ge- sellschaft geworden ist. Denn, auf einer einsamen, wenn schon tropischen Österinsel, selbst in einem für sich abgescehiedenen ganzen Erdtheile, mufste der Mensch, wenn auch noch so begabt, doch nur auf seine einartige, äufsere, wenn auch, wie bei dem Chinesen oder dem Mexicaner zur Zeit seiner Entdeckung, noch so reichen Naturumgebung, wie viel mehr noch bei dem naturärmern Australier, beschränkt, in der einseitigen Richtung seiner einmaligen Entwicklung, verharren, so lange er unberührt blieb von Impulsen anderer Naturverhältnisse und dem Leben wie der Gedankenwelten anderer Völker. Erst durch diese tritt der Mensch und das Volk aus seiner eignen Lebens- Armuth und ohnmächtigen Vereinzelung hervor; durch Anschluls an die Welt, durch die That wie durch den Gedanken. Erst dadurch wird das besondere zu einem Gemeinsamen und Allgemeinen, der Theil tritt zum Ganzen, das Glied zum Organismus, indem alle Lebenskräfte hin und zu- rückströmen, hin und her wirksam werden. So konnte die freiere auch nach aufsen wirkende,innere Gedankenwelt der Hellenenstämme, wenn schon in einer umschränkteren tellurischen Sphäre, aber doch im Brennpunct der Civilisation der Alten Welt, zwischen Orient und Oceident, umfluthet von der milden Natur des mediterranen Culturmeeres, zur classi- schen Vermittlerin einer harmonischen, humanen Entwicklung aller Völker der Erde werdeu, während ihre südliche, Libysche Nachbarin, die Ägyptische Civilisation, zwar eine bewundernswürdig innerhalb ihrer Grenzen gesteigerte, aber einseitig continentale, für sich abgeschlossene ge- blieben, die nicht wie jene zur allgemeinern, unmittelbaren Weltentwicklung berufen war. Aber nicht blos das eine allerdings unendlich bevorzugtere Men- schengeschlecht in seinen zahlreichen Völkergruppen, auch jedes andere Glied des planetarischen Organismus, wie z. B. das gange Pflanzengeschlecht, steht, wie jenes, in demselben Verhältnisse der Isolation wie des An- schlusses an das Gesammte, und wird durch diesen erst, was es zuvor nicht war, aus einem Abgesonderten, aus einem Einzelwesen, ein Zusammen- gehöriges zum System der ganzen Schöpfung. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 299 Nicht nur die Menschenwelt ist seit dem Anbeginn ihres Daseins eine andre geworden, auch die Pflanzenwelt, nur ein Glied des planetari- schen Ganzen, mufste gleichfalls eine andre in ihren Entwicklungen und Functionen für dasselbe werden, weil diesem eben der Character eines nicht abgerundeten, festgestellten, sondern eines fortschreitenden sich fort- entwickelnden Organismus eingeprägt war. So mit Allem, selbst mit dem, was wir der fälschlich sogenannten unorganischen, oder leblosen Seite der Natur, irrig todte Natur genannt, zuzuschreiben pflegen. Wenn der electrische Funke im Blitzstrahl in den früheren Jahrtausenden nur zerstö- rend erschien, während er doch allseitig erregend war, so konnte er durch seine inwohnende Leitungsfähigkeit in dem galvanoelectrischen Drathe zum Träger der Gedanken, und den Raum überwindend, erhoben werden; der scheinbar schlummernde Magnetismus der Erde ward zum werkthätigen Len- ker durch die Oceane, der festgewurzelte Tannenwald des Festlandes konnte, durch sein specifisch geringes Gewicht, zur schwimmenden Flotte, vermit- telst des Segels, aus unscheinbarer Pflanzenfaser gewoben, was schon Plinius in Verwunderung setzte, (quodve miraculum majus herbam esse quae admo- vet Aegyptum Italiae ete. H. N. XIX. 1.) auf den beweglichen Gewässern die Enden der Erde in gegenseitigen Contact bringen. Jedes einzelne Gewächs konnte vermöge seiner Mitgliedschaft an dem planetarischen Organismus, dem es angehört, je nach der ihm inwohnenden Naturmitgift, und je nach seiner Begabung für das Ganze, auch eine neue Entwicklung eingehen, eine neue Function für den Fortschritt des Planeten gewinnen; denn eben in der Entwicklungsfähigkeit seiner Gliederung liegt die Perfeetibilität des Tellurischen Erdganzen, das, darin, dem menschlichen, durch Leib und Seele bedingten Organismus ganz gleich steht, in sofern uns dir Menschenwelt nur als die Beseelung der Naturwelt erscheint. Dafs auch in dem Pflanzenleben, wie in dem Thierleben und dem Menschenleben, die verschiedensten ursprünglichen Begabungen hervortre- ten, ist allbekannt, wie, dafs in den Entwicklungen dieser Begabungen ein grofser Reichthum der Geschichte sich entfaltet hat, die nicht blofs aus- schliefslich, wenn schon im höheren Sinne ein Vorrecht und Eigenthum der Menschengesellschaft geworden, doch auch zu den Erscheinungen der Thier- welt wie der Pflanzenwelt, des Planeten selbst gehört, dem ja auch seine Pp2 300 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle Geologie, seine Archäologie, seine Cultur-Geschichte nicht abgesprochen werden kann. Wie jedes Thiergeschlecht, mehr oder weniger, an der Geschichte der planetarischen Entwicklung des Ganzen seinen Antheil hat. man denke nur an die Raub- und Pelzthiere der Vorzeit, an die geselligen die Völker auf ihren Wanderungen begleitenden verschiedenen Arten der Heerden, an die Seethiere, wie die umherschweifenden Schaaren und Colosse denen die allmählige Entschleierung der Polarwelten verdankt wird — eben so werden die verschiedenen Gruppen und Familien des Gewächsreiches sich an den grofsen Zug der Begebenheiten des ganzen Lebens des Erdballs mit ange- schlossen, und bald einen geringeren bald einen grölseren Einfluls auf das- selbe ausgeübt haben. Ja, kein selbst leblos erscheinender Theil dieses Erdballs, sei es in seiner weiten continentalen Ausbreitung, sei es in seinem kleinsten Stäub- chen, ist von diesem organisirenden Einflufs auf das Leben des Ganzen aus- geschlossen. Denn, welche Gewalt hat nicht, um alles andere zu geschwei- gen, sich in dieser Hinsicht das Goldstäubchen, schon in ältester Zeit gen der Menschen hinauf errungen, und in unseren Zeiten der in frühern Jahrtausenden für Nichts geachtete elastische Wasserdampf. und auch heute, bis zu den geistigsten Bestrebun Die Begabungen der Naturkörper zu solchen Errungenschaften, in den Schoofs der Schöpfung, zur Veroffenbarung durch und für den Ent- wicklungsgang des Menschengeschlechts und der Völker versenkt, sind aller- dings sehr verschieden mehr oder weniger hervorragender Art, welche schon einen mächtigen Einflufs auf den Gang der Welt- und Völker-Geschichten gewonnen haben, oder als noch verborgene Kräfte dereinst für das Ganze oder für einzelne Richtungen gewinnen können. Denn, noch schlummern viele, und vielleicht, die meisten Kräfte im Innern der Natur, die eben so unerschöpflich wie unergründlich bleiben wird. Von vielen hat sich ihr Adel der inneren Begabung für das Wohl des Ganzen, aus dem mannichfaltigsten Entwicklungsgange der Völkerschaften schon längst bewährt, bei andern ist dies der Zukunft noch vorbehalten. Denken wir nur an die Heilkräfte der officinellen Gewächse und Stoffe aller Art seitHippokrates, Galen’s und Avicenna’s Zeiten bis heute, für den thierischen Organismus; an das tausendfältige Materiale der drei Naturreiche und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 301 für Industrie, Ernährung, Bekleidung, Herberge und so vieles Andere mehr, und um nur an Specialitäten zu erinnern an den Zuckerstoff, die Kaffee- bohne, dieBaumwolle. Der Zuckerstoff, vor einem Jahrtausend noch in Indiens Rohrwäldern einheimisch, durch die Zuckerrohrplantagen bis nach Amerika versetzt, entrils Millionen der schwarzen Bevölkerung ihrer afrikanischen Heimath; derselbe Stoff, in der einheimischen Wurzel, durch die Chemie aufgefunden, befreit diese Millionen wieder von der Sclavenar- beit in der Neuen Welt und giebt sie ihrer Heimath zurück. Der Kaffee- baum; ehedem nur in seiner beschränkten arabischen Heimath ergiebig, hat, durch seine Begabung der Assimilation, die Wanderung um den ganzen äquatorischen Erdball vollendet, während die Theepflanze, auf ihre ursprüngliche Sphäre fast beschränkt geblieben, und doch einen eben so grofsen Einfluls auf die Lebensweise der Völker, selbst ihres eigenen Erd- theiles, bis zu den polaren Regionen hin, ausgeübt hat, der noch nicht voll- ständig erwogen ist. Aber die Baumwolle, einst, zu Alexanders Zeit, nur noch am Ganges und Indus ihre Anwohner in weilse Gewande hüllend, gen unter 5 den Völkern der beiden Welten hervorgebracht. Die Baumwollenfrage hat welche Veränderungen hat sie seitdem erlitten, welche Umänderun die Industrie- und Finanz-Welt Europa’s seit einem halben Jahrhundert in fortwährend schwebender Bewegung erhalten, und die cis- und trans-atlan- tische, selbst die mediterrane Staatswirthschaft, durch Erschütterungen und Hebungen, zu vielfachen Änderungen genöthigt. Das Erzeugnifs der neuen Welt hat das der Alten, vom Centralmarkte Europa’s schon fast verdrängt, und die Maschinenfabrication Grofsbritaniens, wie Mitteleuropa’s, hat die persönliche Arbeit vieler Millionen der indischen Weberkaste, die Jahrtau- sende hindurch das Monopol der indischen Hand-Gewebe für die übrige Welt besessen hatten, fast auf Nichts gebracht, und dadurch den indischen Populationen andre Lebensrichtungen vorgeschrieben. Die heutige Um- wandlung der Cultur und Industrie, an diesem Gewächse, setzt zum Transport seiner gewaltigen Massen des Rohstoffes, allein, jährlich Seegel- flotten von mehr als 2000 grofsen Lastschiffen durch indische und atlanti- sche Oceane, hin und her, in fortgehende Bewegung, die von Hunderttau- send Seeleuten gelenkt werden müssen. Die aus diesem Rohstoff, in den 5 mittlern europäischen, gewerbthätigsten Staaten, wieder verarbeiteten Fabri- cate, und die Vertreibung dieser Waaren in alle Weltgegenden, giebt nicht 302 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle nur vielen andern Hunderttausenden Leben und Thätigkeit, sondern macht auch Hunderte von Millionen an Gapitalien gewinnen, welche die Einkünfte der gröfsten König- und Kaiser-Reiche weit übertreffen, und, durch ihren Umschwung, dem Fortschritt der Civilisation wiederum ganz neue Bahnen des Weltverkehrs eröffnen. Dies sind im Allgemeinen sehr bekannte Thatsachen, und doch, wenn wir genauer in das besondere eingehen, und nach Ursprung, äufsern und innern Zusammenhange, nach Grund und Bedingung, wie nach den be- stimmten Grenzen solcher Ergebnisse und Thatsachen forschen, bleibt uns die Wissenschaft, auf viele Fragen, die auf diesem Gebiete der Erkenntnifs des planetaren Zusammenhangs der Erscheinungen mit den Geschichten der Menschheit wol zu lösen wären, die Antwort noch schuldig. Es ist unstreitig die Aufgabe der geographischen Wissenschaft, zur Lösung solcher Fragen das ihrige, von ihrem Standpuncte aus, beizutragen, weil sie von den erfüllten Räumen des Planeten ausgeht, auf die sich über- all der Causalzusammenhang der Erscheinungen im Organismus des Planeten zurückbezieht. Es fehlen aber nicht selten noch die ersten Elemente zur Beantwortung solcher den Gesammtorganismus des Planeten betreffende Fra- gen, zu deren Lösung man nur durch viele Vorarbeiten gelangen kann. Wir haben es versucht, durch eine Reihe von Monographieen, aus den ver- schiedenen Gestaltungen der Naturstoffe und der Natur-Reiche, in solche Fragen und ihre Beantwortung einzugehen, nämlıch in ihren Bezie- hungen zur Geschichte des Menschengeschlechts nach verschiedenen Rich- tungen hin, um einen festeren Boden als die blofse Speculation auf diesem Gebiete zu geben im Stande ist, zur Lösung mancher von jenen Fragen zu gewinnen, zumal den organisirenden Einflulfs der Glieder auf das Ganze betreffend. Wir heben diesmal aus dem Gewächsreich eine Pflanzenfamilie hervor, die zu den bekleidenden gehört, die von gleichem Einfluls, wie die Dat- telpalme auf das Agriculturleben der Tropenwelt, wie das Cameel auf das Nomadenleben der Völker, so auch sie seit den ältesten Zeiten, im Orient, und seit den späteren Jahrhunderten im Oceident, einen vorherr- schend organisirenden Einflufs auf das Industrieleben der Alten und Neuen Welt ausübt, und einen mächtigen Umschwung im Verkehr von bei- den herbeigeführt hat. Wenn wir hier die geographische Verbreitung und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 303 der Baumwolle im Auge haben, so ist es nicht die Pflanze allein, nach Genus und Species, wie sie das botanische System kennen lehrt, sondern ins besondre auch der Theil ihres Erzeugnisses, der ihr ihre industrielle Be- deutung giebt; es ist vielmehr der Einflufs, den die ganze planetarische Na- tur des Gewächses, und seine eigene Stellung darbietet, nicht blos derjenige, den die Physiologie und Climatik desselben auf sein Erzeugnis ausübt, son- dern auch wiederum die Rückwirkung dieses Erzeugnisses auf die Entwicklung des Völkerlebens, das sich desselben in seiner vollendetsten Ausbildung be- mächtigt und zu den mannichfaltigsten Nutzanwendungen umgestaltet hat. Das characteristische des vegetativen Baues, derHeimath, der Verflanzung und Cul- turweise in verschiedenen Gebieten und Zonen, die Metamorphosen der da- durch veränderten vegetativen Verhältnisse, der Gebrauch, und das verschie- dene Genie der Völkerschaften, das sich an der Behandlung und Industrie des- selben Gegenstandes entfaltet, und in deren Geschichte erprobt hat, dies alles sind Bedingungen die zu der Kenntnifs der primitiven Zustände desselben Ge- wächses hinzukommen müssen, um die ganze Sphäre seiner Entwicklungsfä- higkeit, wie seines organisirenden Einflusses, auf das Gesammte in Betrach- tung zu ziehen, und ihm seine characteristische Stellung in der Entwick- lung, des Planeten und seiner Bevölkerungen anweisen zu können, nicht in seiner Isolirung, sondern in seinem Anschlufs, oder in dem lebendigen Zusammenhange der Diifge. Wie bei der Gruppe der nährenden, mehltragenden Cerealien, wie Hafer, Gerste, Waitzen, Korn, Reis, Hirse, Mais sich an die Hauptver- hältnisse und characleristischen Eigenschaften derselben, auch eine Fülle von Nebenverhältnissen anschliefst, so kann es nicht fehlen, dafs auch bei den bekleidenden Stoffen, der Baumwolle, dem Lein, Hanf, der Seide, viele Nebenverhältnisse, schon um der Vergleichung willen mit zur Sprache kommen, auf die wir jedoch hier weniger Rücksicht nehmen werden. Da wir theils schon in andern Monographien (z. B. über die Seide) uns mit die- sen äbgefunden haben, theils aber auch hier auf einem so reichhaltigen Ge- biete mehr nur auf die Hauptverhältnisse beschränken werden. Doch wird die Vergleichung mit dem nebenbuhlerischen und oft mit unsern Gegen- stande verwechselten Leinen nicht immer zu vermeiden sein. Wir müssen es gleich von vorn herein bedauern, dafs die deutsche Benennung Baumwolle eine unpassende ist, welche falsche Nebenbegriffe 304 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle erzeugt und dadurch zu mancherlei Mifsverständnissen geführt hat; denn sie ist keine Wolle im ursprünglichen Sinne des Wortes (Yulla im goth.), (') und kommt auch von keinem Baume, sondern gewöhnlich von einem niedern Strauche. Noch weit nachtheiliger ist dieselbe unbestimmte Benennung bei Griechen und Römern (£gıov ürt Evrou J. Pollux; Zanigerae arbores Plin.) für das höhere Alterthum gewesen, wo die dadurch veranlafsten Verwechslun- gen mit andern Gegenständen öfter ganz unentwirrbar erscheinen. Dennoch ist das unpassende Compositum in verschiedenen germanischen Sprachen so eingebürgert, (?) dafs es sich nicht wieder daraus verdrängen läfst, obwol es keineswegs bei allen civilisirten Westeuropäern Wurzel gefalst hat. Denn bei Spaniern, Portugisen, Franzosen, Engländern ist der orien- talich einheimisch-arabische Name, Koton (?) (auch Aoin) vorherr- schend geworden, und dadurch die so leichte Verwechslung des Stoffes wie der Pflanze mit andern Wollenarten der Thiere, oder mit andern wolltragen- den Gewächsen vermieden. Wir werden zuweilen genöthigt sein, um des klaren Verständnisses älterer Autoren willen, uns hie und da, dieser richtigern, speciellen Bezeich- nung des rohen Materiales zu bedienen, die mit dem Umlaut von Katun, nur als Bezeichnung eines einzelnen Fabrikates aus demselben Material in den deutschen Landen aufgenommen ist, in denen man dieses Fabrikat, und das Material, aus dem es gewoben, viel früher kennen lernte als das Ge- wächs das beide hervorgebracht, wie dies mit so vielen Handelswaren und Productionen des Orients der Fall war, wodurch die Erforschung der ur- sprünglichen Verhältnisse der Localitäten wie der Gegenstände, von denen dieselbe ausgingen öfter unbesiegbare Schwierigkeiten darbietet, wie bei Sericum, Kinnamom, Olibanon, Myrrhe u. v.a.m. (') Fulla goth.; Wolla althochd.; ul nord.; Millna lith.; Urna sanser.; &giov gr.; Pillus lat. s. Graff alth. Sprachschatz I. 794. (2) Boomwol holl.; Bohmwolle lett.; Bomuld dän.; Bomull von bom Baum und ul Wolle, im Schwedischen u. s. w. (?) Koton (Kotn) arab. und Khotn hindustan.; cozton engl.; coton französ. und breton; cotwn wälsch; cozon irisch und galisch (auch codes, conach, canur, galisch-irisch. Algodon spanisch a/godaö portugisisch. und ihr Verhälinifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 305 Eine verschiedene Verzweigung durch die oceidentalen Völkerschaf- ten bat eine andre ebenfalls orientale Benennung gewonnen; nämlich Pum- beh (oder Pemdeh) der Perser, sie bezeichnet schon im Bundehesch, die von der Thierwolle gänzlich verschiedenartige Wolle der Gewächse (s. Bundehesch XXV1I. Tschaguin neschanan pembeh, d.i. Baum, der Wolle trägt zur Bekleidung) (!). Das persische Pumb£h ist auch in das neuere Hindustan als pumbah, in das türkische pembe, in das armenische Bombak, in das neugriechische Baußazı übergegangen; in das lateinische des Mittelal- ters, während der Kreuzzüge (?) als Bombax, oder bambax, aufgenommen, daher es bei Italienern als Bambagia oder Bambagio bei M. Polo, die all- gemeinste Bezeichnung der Baumwolle geworden. Wie leicht aus dieser persischen Bezeichnung, in den verschiedensten Übergängen der Benennun- gen, (?) eine Verwechslung mit der altgriechischen Beußv& des Aristoteles (Histor. Animal. V. c. 19.) (*) hervorgehen konnte, welche durch viele Schriften des Mittelalters hindurch geht, ergiebt sich von selbst, bis in neue- rer Zeit die systemalische Botanik wieder, das analog klingende Bombax (BowÖc£, die Interjection bei Aristoph. Thesm. 45, 48, und Plautus Pseud. 1. 3. 131.) zur Bezeichnung einer eigenen Pflanzenfamilie, der Bombaceen gebraucht hat, welche eine eigenthümliche von der Kofon verschiedene mehr seidenartige Faser trägt, zu welcher auch Bambax ceiba gehört, die öfter mit Koton verwechselt worden ist. An die aus der persischen Benennung, pumbeh, in den weitern inner- asiatischen, westlichen Verkehr fortgeschrittenen Bezeichnungen schliefsen sich diejenigen jener osteuropäischen, zumal vieler slavischen Völker- stämme, an, wie z. B. die Croaten in Bambak, die Russen in Bumaga, auch 8 die Illyrier und Ungarn in Pamuk und Pamut. Die ineinanderfliefsenden, (') Zend Avesta von Kleuker. Riga 1677. Th. III. S. 106. (?) Jacob. de Vitriaco I. 84. sunz idi (in Palaestina) praeterea arbusta quaedam, ex quibus colligunt Bombacem, quae Francigena Cotonem, seu Coton appellant: est quasi medium inter lanam et linum, ex quo subtilia vestimenta contexuntur. (°) s. Du Cange Glossar. Latinit. Med. Aevi. Ed. Paris. 1733. I. fol. 1222-23. s. v. Bombax, Bombyx, Bombacium, Bombasium, Bambucinum, Parmnbicium, Bombasum, Bormbi- cinum _ etc. (*) s. Allg. Vergl. Erdkunde X. S. 1058. Philos.-histor. Kl. 1851. Qgq 306 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle oder sich gegenseitig ersetzenden Laute: m, p, w, Zund n haben hier eine Menge von Benennungen veranlalst, deren genauere Ermittlung, vielleicht dem Sprachforscher den Weg des Verkehrs der dadurch bezeichne- ten Waare durch diese Völkerschaften, denen die Pflanze selbst eine fremde geblieben, anzeigen dürfte. Hier ist es ausreichend zu bemerken, dafs sich der ursprünglich persischen Wurzelbezeichnung, bei einer andern Reihe die- ser osteuropäischen Völkerschaften, der Zusatz des gothischen und lit- thauischen (Yulla und Wilna) angehängt, und so ein dem germanischen „Baumwolle” analoges Compositum zur Bezeichnung desselben Gegenstandes gebildet hat, wie im böhmischen und slawakischen Baw/na, im litthauischen Bawilne, im polnischen Bawetna. Anmerkung. Verzweigung des persischen pumbeh, nach Spra- chen und Formen. Aus dem persischen ist pumbah hindustani, ganz wie im persischen geschrieben; im türkischen pembe, als Wolle (rohe Baumwolle heifst Khozä). Mit angehängten k im armen. bambak (geschrieben, pampag gesprochen). Neugriechisch Rapßazı, bombax und bambax neulatein; bambagia ital.. An die ersten Formen schliefsen sich bumbak croat. ragusan. bosnisch walachisch. bombasha kärnthisch. In der Mitte blos m, ohne »Laut: dumuga russ. (als Baumwolle mit Adj. näher bestimmt, wie chloptschäataja bumaga, flockige Baumwolle von chlöpok, Flocken von Wolle, gewöhnlich zur Bezeichnung des Pa- pieres gebraucht). Illyrisch pamuk; ungarisch pamut (auch pamuk; ein zweites Wort ist gyapott, und als ganz fremd das mongolische Kübüng, Baumwolle. Pamur ist croat. ragus., bosnisch (auch Gyopüt und Mavez). In der Mitte mit w, am Ende Z oder n im windischen pavola, pa- vouna; kärnthnisch parola, slovenisch pävola. In den vorigen schon wahrscheinlich, aber in den folgenden entschie- den, enthält der zweite Theil das Wort „Wolle”. Polnisch bawett'na (wet'na Wolle); litth. dawilne (wilna Wolle); böhmisch und slow. bawlna (wIna, Wolle). Es kann hier zweifelhaft sein, ob der erste Theil noch zu der persischen Wurzel zu rechnen ist, oder nicht. (1) (') Mser. Mittheil. von Prof. Dr. Buschmann. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 307 Wenn aus dieser Aneinanderreihung ethnographischer Bezeichnungen einer Waare, in den beiden letzten Jahrtausenden, in Beziehung auf dieselbe, für den Verkehr zwischen den Völkern des Abendlandes schon einiges Licht hervorschimmert, und schon die Wurzelbenennungen auf das Morgenland hinweisen, zumal auf arabische und persische Bevölkerungen und Völker- bewegungen, so erhalten wir doch für die früheren Jahrtausende des ferne- ren Orientes dadurch, über die Heimath des Gewächses und sein Er- zeugnils noch keine Aufklärung. Diese müssen wir in den nur zu oft getrübten Zeugnissen des früheren ‚Alterthums und im Orient selbst suchen, auf welchen, im Oceident, so Vie- les als auf einen gemeinsamen Ursprung zurückweiset. Wir können hier vorläufig als bekannt voraussetzen, dafs die Halbinsel zwischen Ganges und Indus, seit den urältesten Zeiten eine Heimath der Baumwolle war; ob eine ausschliefsliche Heimath wird sich erst weiter unten nachweisen lassen. In den ältesten sanskritischen Werken (wie z. B. im Amera Kosha II. IV,4.4.) ('!) wird die Baumwollenstaude Karpäsi genannt (auch vadarä, tun‘ dikeri Samudräntä), die Baumwolle selbst Kärpäsa (auch vädara, tüla), wozu A. W. Schlegel bemerkte, (?) dafs dieser indische Name, ohne Zweifel, mit der Sache, durch die Phönicier den Griechen zu- erst (als zagraros) zugeführt worden sei. (°) Schon Gelsius (Hierobot. P. II. 157.) unter Carpas im hebräischen, und Gesenius (Handw. Buch, 3. Ausg. S. 399.) im hebräischen und chal- (') Will. Jones Catalog. in Asiatic Researches 4. London. IV. 331; s. Chr. Lassen Indi- sche Alterthumskunde L. 1843. p. 250., Not. 2. (?) Indische Bibliothek B. II. 393.; s. Will. Vincent zRe Commerce and Navigat of the Anc. London. 4. II. p. 699. (°) Spätere Anmerkung aus J. Forbes Royle on zhe Culture and Commerce of Cotton in India. Lond. 1851. pag. 117-118. Nach Professor Wilson heilst im Sanskrit Baum- wolle und Baumwollenzeug Kurpasa, Kurpasum, und Baumwollensaame Kurpas-asthi. Daher die heutige Benennung in Indien Kupas, Baumwolle mit dem Saamen bezeichnet. Im Manu Institut. II. pag. 44. ist die Baumwolle schon bevorzugt durch das Gesetz, dafs die Opferschnur des Brahmanen dreifach und von Baumwolle gemacht sein mnfs, die des Kschatriya oder von der Kriegercaste nur von Sana (jetzt Sanni d. i. von Crotolaria juncea oder Hibiscus cannabinus), die des Vasiya nur von Thierwolle. Qq2 308 Rırrea über die geographische Verbreitung der Baumwolle däischen, zur Erklärung der Stelle im Buch Esther I. 6, hatten diesen Wortzusammenhang (!) bemerkt, daraus zugleich hervorgehen konnte, wel- che Bedeutung des Wortes bei Griechen und Römern, wo der gemilderte fremde Ausdruck, Carbasus, so häufig vorkommt, die ursprüngliche und welches die übertragene secundaire (carbasina vela in Iheatris Plin. XIX. 6.), meist poetische Anwendung sei. So entschieden auch Karpäsi und Karpäsa die Baumwollenpflanze und ihr Erzeugnifs in Indien bezeichnen, und man bei dem hebräischen Carpas an die indische Sprachform erinnert wird, so kann doch immer ein Zweifel (2) gegen die Identität des Stoffes bleiben, wiewol man, der Ana- logie des Namens wegen mit dem Sanskrit, dies Wort gewöhnlich durch: ein feines Baumwollenzeug, übersetzt hat. Die Anwendung von Carpas, im genannten Buche Esther, zur Be- zeichnung der Teppiche, mit welchen der innere Hof des Pallastes zu Susa, zur Zeit Ahasverosh und der Esther behangen war, entspricht sehr wol dem antiken Gebrauche von dergleichen Schmuck, der auch, nach Chares Erzäh- lung, bei Alexanders Hochzeitsfeste in derselben Art beschrieben wird, (Libr. Histor. de reb. Alex.), (?) und ganz eben so, bis in das letzte Jahrhundert, in der Anordnung des Grofsmoghulischen Audienzsaales im Pallast zu Delhi, mit roth und weils gestreiften Teppichgehängen zwischen den Säulen, fortbestand. Da aber das Wort, im Buche Esther, zwischen zwei andre ge- stellt ist, welche die weilse und die purpurblaue Farbe bezeichnen, so ist schon von Rosenmüller bemerkt, (*) dafs auch das mittlere Wort, eher eine Farbe bezeichnen werde, als einen Stoff, und wahrscheinlich die grüne Farbe (caraphs der Araber) weil die chaldäische Paraphrase dasselbe Wort durch lauchgrün übersetzte (Luthersche Übers. 1.6: Da hingen im Hofe der Gärten am Hause des Königs zu Susan weifse, rothe und gelbe Tücher ete.). Es würde demnach, hier, vielmehr einer übertragenen Bedeutung auf ein gewisses farbiges Zeug entsprechen, und nicht sowol den Stoff bezeich- (') Gesenius Gesch. der hebr. Sprache und Schrift 1815. S. 66. (?) James Taylor Remarks to the Sequel of the Erythrean Sea in Journ Asiat. Soc. Bengal. 1847. Vol. XVI. P. 1. p. 24-25. Arrian braucht Karpasa für beides, für Stoff und Fabrikät. (°) Athenaeus Deipn. L. XII. 8.54. ed Schweigh. T. IV. p. 499. (*) Rosenmüller Alterthumsk. 1830. IV. s. 178. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 309 nen, obwol dies dem Bestehen aus Baumwolle darum keineswegs widersprä- che, vielinehr bestätigte, da die Purpurfärberei, d.i. von Prachtfarben, nur bei Baumwolle anwendbar ist, und auch, wie Chemiker versichern, heute noch nicht bei Leinen erzielt werden kann; daher z. B. das Indigoblau auf Leinenzeugen immer dunkelblau bleibt, und niemals das lichte Purpurblau erreicht, das aus dem Orient auf die Märkte von Tyrus gebracht wurde (Ezech. 27. 24.). Dagegen widerspricht dies dem Stoff in der Anwendung desselben Wortes Carbasus bei Griechen und Römern, da aus Plinius und Anderer Angaben bestimmt hervorgeht, dafs bei ihnen damit eine Sorte sehr feinen Linnengewebes bezeichnet wird, die man zuerst als ein Kunstproduct zu Tarragona in Spanien kennen lernte. (Plin. H. N. XIX, 2: Et Hispania citerior habet splendorem lini praecipuum, torrenlis in quo po- litur natura, qui alluit Tarraconem. Et tenuitas mira, ibi primum Carbasis repertis.) Nicht der Flachs selbst (inum) wie man gewöhnlich annahm, son- dern nur dessen Gewebe, die zuerst dort am Ebro in der damaligen gröfsten Capitale der Ostküste Spaniens zu weben erfunden wurden, erhielten also, nach Plinius Worten, diesen Namen, der mehr auf die Natur der Gewebe als des Stoffes sich bezieht. Carbasina vela im weitesten Sinne werden dann ein Luxusartikel der Römer, worüber James Yates (!) die vollständigsten Nachweise gegeben hat. Die Angabe des Plinius schliefst jedoch den orientalischen Ursprung des Wortes Carbasus nicht aus, wenn schon das Fabricat aus Hesperien kam: denn auf sie*wurde doeh wol nur die Benennung eines schon früher aus dem Orient stammenden Wortes, eine Art feineres Gewebe bezeichnend, übertragen, wenn es auch aus einer andern Materie gefertigt war. Oder sollte Plinius nur die Angabe der Tarraconenser, deren Capitale in älte- ster Zeit schon die Gröfse von Carthago zugeschrieben ward, falsch inter- pretirt haben, welche unter Carbasina wirklich Baumwollengewebe verstehen konnten. Denn, seit ältester Zeit mit Phöniciern und Carthagern in Han- delsverbindung stehend konnten sie die orientalische Bezeichnung durch, jene, eher, auf directem Wege erhalten haben, als die Römer. Merkwür- dig ist es, dafs bis heute, in der Baskischen, d.i. der alten Iberier Sprache der Name für ein feines Gewebe (lenzo ancho y delgado) noch in der (?) J. Yates Textrinum antiguorum. Lond. 8. I. p. 348. d. App. D. p. 458. 310 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle mit dem antiken Carpasa sehr analogen Form curbicheta (sudarium in der Übersetzung) und mit Transposition sich in erabicheta, erobitchela () erhalten hat, während dieBaumwollenpflanze lina bera und die Baum- wolle selbst wie das Zeug, lIna beralina einen Anklang an das linum bei Plinius beibehielt. (Auch das antike griechische sngızov, Seide, behielt das baskische, in siricua, bei). Der älteste Gebrauch von z«grarcs bei Griechen, geht nach Statius, aus griechischen Comödien, wahrscheinlich den dem Menander entlehnten Wor- ten: „Carbasina, Molochina, Ampelina,” bis in das Jahr 200 vor unsrer Zeitrechnung (?), also in die unmittelbare Nachfolgezeit Alexanders zurück, in der man schon an die Verbreitung orientalisch-indischer Gewebe und Stoffe aus dem Orient zum Oceident wol denken konnte. Aber später wurde dieselbe Benennung allgemeiner zur Bezeichnung schöner oder fester Gewebe, Kleider, Seegel (abusive wie Servius zu Virgil Aen. III. 356 und 57 sagt, zu: ei aurae Vela vocant tumidoque inflatur Carbasus austro). Carbasus, immer, durch Baumwollenzeug, wegen der Etymologie zu übersetzen, würde daher irrig sein, obwol es immer etwas besonderes, prunkvolleres, ungewöhnlicheres bezeichnet (z. B. Cicero in Verrem. Act. II. 1. v.c’ 12., wo des luxuriösen Verres, als Praetor in Si- cilien, Tabernacula carbaseis inlenta velis genannt werden). In der Stelle bei Q. Curtius von den Indern kann wol nicht Linnen, sondern nur Koton verstanden werden, wo er ihre Kleidung beschreibt: De Gest. Alex. M. VIII. 31: „Carbaso Indi corpora usque &d pedes velant” zu- mal wenn man diese Angabe mit Strabo XV, 719, vergleicht, wo dieser von Indiern sagt, dafs sie sich weifser Kleider bedienen, und die weilsen Sindones und die Karpäsa tragen” (‘lvöois erSArı Aevay xonr Sau, za Fivöcrı Asurals zal RUIFETONS), unter denen doch wol nichts anderes als Baum- wollenzeuge verstanden werden dürften. » Hier gesellt sich bei Strabo, also, noch eine andre Bezeichnung, Sindon zum Karpasos hinzu, deren Bedeutung und Gebrauch bei den Völ- kern der alten Welt noch gröfsere Schwierigkeiten darbieten würde, wenn ihm nicht eine locale Bezeichnung beiwohnte, die zu dem Hauptstrome In- (*) nach Pr. Buschmann Mser. (*) Nach Statius Fragm. in J. Yates Texzrin. Antig. p. 341. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 311 diens als dem ersten Ursprunge dieser Benennung hinführt. Denn, seitdem es aus dem Studium der ältesten Sanskritdenkmale sich ergeben hat, dafs Sindhu der wahre, einheimische Name des indischen Grenzstromes, des In- dus der Griechen und Römer ist, was übrigens Plinius VI. 20. schon wulste: Indus incolis Sindus apellatus, und nach ihm auch Arrian, Peripl. Mar. Erythr. p. 21. Swöcs und SivSos, Ptolemaeus, (!) Hesychius u. a. m.), so leidet es nach v. Schlegel(?) und Lassen (?) keinen Zweifel, dafs cwöav, ovos, eine von dortiger Herkunft bezeichnete Waare (Hesych. v. Xıvdaus, Yırwvas aıwdovas, wie die modernen Indiennes) ist, da weder im Sanskrit noch in den abendländischen Sprachen sich für dieses barbarische Wort eine ge- nügende Etymologie darbietet. Auch dem critischen Herausgeber der Frag- mente des Megasthenes(*) scheint dies wenigstens höchst wahrscheinlich. Anders stellt sich die Frage ob Sindon ursprünglich ein Baumwol- lengewebe bezeichne, was von vorn herein allerdings sehr wahrschein- lich ist, wenn auch die spätere Anwendung des Wortes sich sogar, durch vage Verallgemeinerung, grölsern Theiles auch nur auf ein feineres Gewebe überhaupt, oder auf ein feinstes Linnengewebe insbesondre beziehen sollte. Wie vieles wird nicht im gemeinen Leben auf ähnliche Weise, auch heute noch z. B. Zimmt genannt, was doch niemals einem Kinnamomstrauche ange- hört hat. Wenn es sich bis in die neueste Gegenwart zeigte, wie schwierig es sei, bei den feinsten Geweben den Stoff zu unterscheiden, z. B. ob es Lin- nen oder Baumwollenzeug, oder ein Gemenge von beiden sei, was nur durch Chemie und Microscop zu enträthseln war, so ist es begreiflich, wie ein Herodot undandere Vorderasiaten, oder Griechen, die, bei den verschiede- nen Völkern, am Rande des mittelländischen Culturmeeres, die dort durch den Handel zusammengebrachten, verschiedenartigsten Waaren kennen lernten, ohne genauere Kunde von ihrer Herkunft zu erhalten, sich in ihrer Beur- theilung irren, und oftmals die Benennungen verwechseln oder fälschlich an- (') Ptolem. VII, 1: 70 oroum roü Tvdov, 6 zareirmı ZivSwv. (?) Indische Bibliothek a. a. O., im Berl. Kalender 1829. p. 6: A. W. v. Schlegel de l’Origine des Hindous in Essais liter. et histor. Bonn. 1842. p. 441-442. (°) Lassen Ind. Alterthk. I. p. 36. Not. 4. (*) E. A. Schwanebeck Megasthenis Indica. Bonnae 8. 1846. p. 32. 312 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle wenden mufsten. Dals sich die Bezeichnung Sindon (Zwdwv), in den Fragmen- ten, die sich aus den hinterlassenen, oder verloren gegangenen Schriften der Zeitgenossen und Begleiter Alexanders, wie eines Aristobulos, Clitarch, Nearchos, Onesicritos, und Megasthenes, an sehr vielen Stellen, auf Baumwolle und Baumwollengewebe bezieht, ist ziemlich allgemein anerkannt, und auch nicht zu bezweifeln, weil mit der Kenntnifs der Sache, nach Gewächs, Heimath, Waare und Anwendung, die nun entdeckt war, auch die bestimmtere.Benennung, und Unterscheidung möglich wurde, wenn schon durch die spätern Jahrtausende hindurch, über diesen Gegen- stand, die Vorstellungen der Mehrsten immer noch sehr verworren blieben. Aber es läfst sich wol denken, dafs auch schon längst vor Alexanders Ent- deckung von Indien, doch schon durch den uralten Verkehr babylonisch- assyrischer und phönicischer Handelsleute, der Name des Sindon, als eines fremden, feinern Gewebes, sich zu den Vorderasiaten verbreitet hatte, ohne dafs darum eine genauere Kenntnifs desselben vorhanden gewesen wäre, und deshalb nur zu häufig Verwechslung mit andern näher bekannten, doch auch nur fremdartigen und feinern Geweben statt finden konnte. Dies scheint nun bei Herodot der Fall gewesen zu sein, dessen An- gaben auf die verschiedenste Weise erklärt worden sind. Alle Anwendungen des Wortes Sindon bei Herodot hat schon Schweighäuser im Lexicon Hero- doteum (s. v. Zwd@v övos, n; linteum praeserlim sublilius) critisch zusammen- gestellt. Nach den beiden Stellen (Herodot. I. 200.), wo von den Baby- loniern die Rede ist, die ihre gefangenen und getrockneten Fische zu wei- terer Verspeisung im Sindon (rürı dı@ wıöoves n.7.A.) aufbewahrten, und II. 95., wo von den ägyptischen Fischern gesagt wird, dafs sie des Nachts ihr Lager zum Schutz gegen die peinigenden Mückenschwärme mit einem Netze umstellen, weil ihr Körper in ein Sindon eingewickelt doch nicht gegen die durchdringenden Mückenstiche geschützt sein würde, läfst sich hiernach das Materiale des Sindon keineswegs beurtheilen. Da Herodot I. 195., aber, bei Beschreibung der Babylonier Klei- dung, ausdrücklich des Linnen erwähnt, der Tunica aus Leinwand (xı- Süvı modnverei Awvew), die bis auf die Fülse reicht, über welche sie eine andere Tunica von Schaafwolle anthun («AAsv Eigiveov ıSave), und darüber noch ein (') Lexicon Herod. 8. Argentorati 1824. p. 271. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker aller u. neuer Zeit. 313 kleines weifses Mäntelchen hängen (yAavıdısv Azuxov), womit auch Strabo's Beschreibung übereinstimmt, (!) so könnte man denken, dafs Herodot, ab- sichtlich, von dem ersten Lineon, das zuletzt genannte Aavıdıov Asvxcv, auch dem Stoffe nach, etwa aus Sindon, habe unterscheiden wollen. Da nun die Babylonier in der Kunstweberei der verschiedensten Stoffe, Muster und Färbung (Plin. H. N. VIII. 74.) und in Prachtstoffen aller Art frühzeitig Meister waren, wie dies schon aus dem Buche Josua VII. 21. hervorgeht, wo von dem köstlichen babylonischen Mantel Achams die Rede ist, und ihre kostbarsten Gewande auf dem Markte nach Tyrus geführt wurden (Ezechiel 27, 24.), so haben die neuern Autoren, zumal Heeren (Ideen 1.2. p. 205. u. a.), auch das Linon der Babylonier, wie viele andre Zeuge derselben, für Baumwollengewebe halten zu müssen geglaubt. Beweise hiefür feh- len jedoch. Die Cultur und Bearbeitung des Koton, oder Pumbeh, scheint allerdings frühzeitig, im Persergolf am Euphrat mit Sorgfalt betrieben wor- den zu sein, wie dies Theophrast in der bekannten Stelle von Tylos (Hist. Plant. IV. 7.), mehr noch die sorgfältigste Behandlung dieses Gegenstandes im Libro de Agricultura des Arabers Ibn el Awam, (?) wahrscheinlich macht, der sein Werk nach verloren gegangenen Nabatäischen Quellen, und denen alter babylonischer Agricultoren bearbeitet hat, wie dies von Quatre- mere nachgewiesen ist. Die neuesten Ausgrabungen der Monumente zu Babylon, Chorsabad, Nimrud, Niniveh am Euphrat und Tigris, haben zwar sehr viele genaue Abbildungen von Trachten, die auch mit jenen ältern Beschreibungen wol zu, vergleichen sind, an das Licht gebracht, aber leider, gesteht der Entdecker jener assyrischen Architecturen, Layard, (?) selbst, es liefse sich mit Gewifsheit noch aus keinem der dargestellten Gewande auch auf den Stoff zurückschliefsen, ob sie aus Wolle, Leinen, Baumwolle oder Seide gefertigt waren, wie etwa die faltenreichen medischen Gewande. Denn sie sind zu sehr mit Ornamenten, Figuren oder Stickereien überladen, (') Strabo XVI. 746. der auch XVI. 739. Borsippa, als die Stadt der grolsen Lein- wandmanufactur (Awovgyerov Eye) nennt. (?) Kitäb el allahah von el Schaich Ahmed Ibn el Awam, ed. Josef Anton. Banqueri in Libro de Agrieultura. Madrid. Fol. 1802. Cap. XXI. Artie. 1. (°) A. H. Layard Nineveh and its remains. 2 Ed. 1849. Vol. II. ch. 4. pag. 321.; VI. pag. 413. Philos. - histor. Kl. 1851. Rr 314 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle meist eng am Leibe liegend, und an den untern Säumen mit starken Borten und Frangen besetzt: so, dafs der natürliche Faltenwurf fehlt, aus dem man etwa auf den Stoff, daraus sie gewoben, zurückschliefsen könnte. Wären die im Pallaste entdeckten Vorhänge nicht sogleich, bei ihrer Berührung in Staub zerfallen, so hätte man ein sicheres Urtheil darüber gewinnen können ob sie aus Baumwollenzeugen bestanden. Auch die spätere vollendetere, griechische Kunst gewährt keine Aushülfe zur Unterscheidung der verschied- nen, in der Malerei und Bildhauerei dargestellten Stoffe: nur leichtere, feine selbst durchsichtigere Gewebe, sagt Winkelmann (!) stellten sie in ihren schönen Bekleidungen dar, die man meist für leinene halten müsse, weil Leinwand nach Angabe der Autoren die älteste Tracht der Athener und der Griechinnen gewesen (nach Thukydides, Theocrit, den Tragikern u. A.); und, nennen sie auch Byssina, oder Sindon, wie z.B. Thucydides das leichteste Gewand der Athenischen Pestkrankeu, in seiner Beschreibung, der Pest bezeichnet (Lib. II. c. 49. rüv ravu Asrrüv inariwv zaı rıwdovuv Tas Emı@ords), das sie wegen des brennenden Schmerzes von sich warfen um ganz nackt zu sein, so sei doch in der Kunstbetrachtung deshalb kein Unterschied zu finden, der nicht in den dünnern oder stärkern Zeuge bestehe, da die erstern sich der Form der Glieder mehr anschliefsen und feinere Falten wer- fen, diese aber breitere und tiefere. Auch die spätern Kunstbetrachter konnten in Hinsicht des Stoffes zu keiner Unterscheidung gelangen, wie denn die Erklärer (?) z. B. des berühm- ten antiken Wandgemäldes, der griechischen Hochzeit (die Aldobran- dinische Hochzeit genannt), sich bei den dort vorkommenden, ausgezeichne- ten Drappirungen der Braut, zumal bei dem Brautschleier mit der allgemei- nen Bemerkung begnügen, dafs es eins der feinsten, durchsichtigsten Gewebe des Alterthums vorstelle, sei es nun „wie unser Nesseltuch oder Mussolin” von Baumwolle (dyssus), oder ein unserm Kammertuch ähnliches Ge- wand von der feinsten Leinwand (Sindon, 8Scvıov Aerrev). Dennoch spricht sich das Kunstgefühl Winkelmanns an einer andern Stelle seines classi- (') Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums. Ausg. Dresden 1812. Band III. Buch VI., Kap. 1. von der Bekleidung p. 5. und Not. 9. p. 315. (°) €. A. Böttiger die Aldobrandinische Hochzeit, eine archäologische Ausdeutung; nebst Abhandlung von H. Meyer. Dresden 1810. p. 32-33. und Not. 10. p. 127. vgl. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 315 schen Werkes (!) dahin aus: das leichte Zeug in den griechischen Darstel- lungen sei vornehmlich Baumwolle gewesen, wie es auf der Insel Cos gewebt worden, und sowol unter Griechen und Römern eine Kleidung des weiblichen Geschlechts gewesen, aber bei Männern für zu weichlich gegol- ten habe. Er folgte hier in dieser letzten Meinung aber nur dem Salmasius, der das Raupengespinst einer Bombyxart (Plin. H. N. XI. 17.: Bombycas et in Co insula nasci tradunt ......nec puduit has vestes usurpare eliam viros, levitatem propter aestivam. etc.) mit Baumwolle verwechselt hatte. Die beiden andern Herodotischen Stellen, II. 86., und VII. 181., sind dadurch von den erstgenannten beiden unterschieden, dafs in ihnen noch ein charac- teristischer Zusatz hinzugefügt und ein Sindon byssina genannt wird. Die letztere Stelle nennt diesen Stoff bei Persern, bei Gelegenheit des verwun- deten Schiffhauptmannes der Aegineten Pythes, im Perserkriege unter Xerxes, der in persische Gefangenschaft gerieht, aber wegen seiner aufser- ordentlichen Tapferkeit selbst von den Barbaren bewundert und darum, da er ganz zerhauen war, von ihnen doch sehr sorgsam gepflegt wurde. Sie leg- ten Myrrhen auf seine Wunden, sagt Herodot, und verbanden diese mit Streifen von Sindon byssina. (VII. 181.: anygn re wuevar a Eixca nal awdavos Qurcins rerauwsı zarsırırrovres.) Schwerlich kann man hier zu den Bandagen die Verwendung von Baumwollenzeugen annehmen, welche die Chirurgie für die Heilung verwirft, wie dies schon durch Leuwenhoecks (&) miecroscopische Untersuchung der scharfen Ränder des Baumwollenfa- densim Gegensatze des runden Leinenfadens nachgewiesen wurde, der die Wunde nicht wie jener erhitzt. Und dafs dies auch schon den Alten bekannt war, zeigt des Plinius Stelle, der die Anwendung der Leinwand für die Chirurgie hervorhebt (H. N. XIX. 4.: Linteorum lanugo e velis na- pium marilimarum maxime in magno usu medicinae est.) Herodot wollte, also, an jener Stelle wol nur von feiner Leinwand sprechen, und dies stimmt auch vollkommen mit der andern viel gerühmte- ren Stelle, im B. II. 86. überein, wo von der Einbalsamirung der Mumien die Rede ist. Die-Ägypter, sagt Herodot, hüllten den ganzen (') ebend. Bd. III. p. 7. Salmas. Exerc. in Solin c. 7. p. 101-102. (°) Leuwenhoecks Letter. 14. May, 1677. in den Philosophic. Transact. No. 136. Lon- don 4. 1676. p. 899-905. Rr2 316 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle Todtenkörper ein, und umwickeltenihn mit Streifen von Sin- don byssina. (kareAisaeunı Fav dursu To wua nwosvos Quraivng reAaumTı KaTa- TerunuEvVaTı #. 7. A,). Dafs diese rerAauavss Sıvdovirau, diese Mumienbinden von Sindon, aber, ganz identisch mit jenen chirurgischen Binden waren, ergiebt sich aus Julius Pollux, (!) und das witzige Epigramm (Brunck An. III. 169.) bestätigt dies, wo der gegenseitige Verkehr des ’Evragiarrys, des Mumienbestatters, und des "Iargss, des Wundarztes, beschrieben ist, wie der erste die in den Gräbern gestolnen Binden der todten Mumien für den Chirurgen herbei- schaft, dafür ihm, jener, von den Lebendigen, die Leichen seiner gewese- nen Patienten überliefert. Hier hatte sich nun früher hin, durch blofses Vorurtheil und mangel- hafte Untersuchung, die Meinung bei den Gelehrten fast allgemein festge- stellt, dies müsse ein feines Baumwollengewebe bezeichnen, dafs auch die Antiquare und die sonst schärfsten Beobachter der frühern Zeit bei dem gemeinsam gewordnen Irthume beharrten. Noch im Jahre 1830, sagte A. W.v.Schlegel mit Sicherheit: „Die Binden welche die ägyptischen Mumien vielfach umwickeln seien nicht Leinwand, sondern Baummwolle;” was Herodot ausdrücklich gesagt glaubte Blumenbach (im J. 1794.) durch eigne Prü- fung an Mumienzeugen in den Londner Museen und durch den Ausspruch der besten dortigen Gewerbkundigen bestätigt zu finden. (?) Der Ge- brauch dieser Waare war uralt; könne man auf einer grammatischen Spur, im Karpasos, die Wege des antiken Phönicierhandels bis nach In- dien verfolgen, so möge die Entzifferung der Hieroglyphe auf den Mumien- binden das Alter des Ausfuhrhandels aus Indien und den uralten Verkehr zwischen Indien und Ägypten beweisen; denn Baumwolle wurde, fährt v. Schlegel fort, zu Herodots Zeit in Ägypten noch keine gebaut, sonst würde, schliefst er weiter, Herodot darüber nicht Stillschweigen behauptet haben, da er doch von der Wolle der Bäume in Indien Nachricht gibt. Aber diese ganze Hypothese, welche vielen andern zur Stütze diente, zumal so günstig für einen urältesten Verkehr Indiens mit Ägypten zu sein (') Jul. Pollux Onomasticon ex Recens. Bekkeri. 1846. p. 185. s. Yates Texzrin. Andiq. I. 269. (*) Im Berlin. Kal. 1829. S. 6. Blumenbach Beitr. z. Naturgesch. Th. II. Göttingen 1811. S. 73. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 317 schien, mufste bei genauerer mieroscopischer ernster Erforschung der Mu- mienbinden und Umhüllungen verlassen werden, aus denen sich, erst seit einem Jahrzehend, mit Entschiedenheit ergeben hat, dafs bei allen bisherigen gewanden ins unzählige vermehrt hatten niemals Baumwollenzeuge, sondern immer Erforschungen die sich in neuester Zeit an so vielen Mumien nur Leinengewebe gefunden wurden. James Thomson von Qlitheroe hat das Verdienst diese Thatsache im Jahre 1834 zur endlichen Entscheidung gebracht zu haben. Sie ergab sich auch Bauers mieroscopischen Zeichnungen nach seinen eignen Untersu- chungen an sehr vielen Mumienzeugen des britischen Museums, des Königl. College der Chirurgen in London, und des Hunterschen Museums in Glas- 8 gow, und an gegen 400 von allen Seiten zugeschickten Proben Mumienzeu- ges. Das en dieser Untersuchungen legte er im J. 1834 der Royal So- ciety in einem Memoir on the Mummy Cloth of Egypt vor, es wurde in den Annals of Philosophy, Juni 1834 gedruckt, ist in seiner Originalform mit den zugehörigen Kupfertafeln in verschiedne nachfolgende Werke, (!) wie z.B. in Edw. Baines History of Cotton Manufacture übergegangen, und hat im vorigen Jahre 1849 in Wöhlers Annalen der Chemie auch eine deutsche Übersetzung mit einigen Zusätzen (*) erhalten. Obwol die älteren Autoren der frühern Jahrhunderte, und selbst noch Jablonski, der, bei den Ägyptern bis in die neuere Zeit vorherr- schend gewesenen Volks-Ansicht, dals Leinwand die Mumienzeuge bilde, geblieben waren, ohne genauere Untersuchungen darüber anzustellen: so nahm doch diese Meinung, seit J. R. Forsters gelehrter Abhandlung de Bysso antiguorum eine andre Wendung. Rouelle zu Paris, in seiner Ar- beit über das Einbalsamiren der Mumien, war ihm vorangegangen und hatte sich, in den Memoires de !_ Academie, 1750, (?) bei einer Reihe von Unter- suchungen für die Baumwollenzeuge der Mumiengewande ausgespro- chen. Durch Dr. Solander und seines Freundes J. R. Forster Untersu- (') Philosoph. Magazin. Third. Serie Vol. V. No. 29. Nov. 1834; in Edw. Baines Hi- story of Cotton Manufacture. Lond. 8. 1835, On the Mumy Cl. etc. p. 534-544. (2) Fr. Wöhler und J. Liebig Annalen der Chemie und Pharmacie, 8. Band LXIX. p- 128-143. . (°) Rouelle in Memoires de !’Acad. Fr. 1750. 318 Rırren über die geographische Verbreituug der Baumwolle chungen wurde diese Meinung bestätigt, und fand, seitdem bei einer grö- fsern Zahl der Gelehrten und Antiquare durch ganz Europa Beifall. Dr. Hadley hatte zwar im Jahr 1763, bei seinen sehr sorgfälligen Mumiensec- tionen, in dem Museum der Royal Society, (1) noch ausdrücklich erklärt, genaue- d ste in den Philosophischen Transactionen Jahr 1765 beschrieben, gefunden dafs er nur Linneneloth und Linnen -Fillets, deren Lagen er auf das habe. Doch sei es ihm zweifelhaft geblieben, dals eben Sindon byssinum immer ein linteum praeserlim sublilius, nach Angabe der Alten sein sollte, da er auch ganz grobes Leinengewebe vorgefunden, dafs er mit russischem Leintuch (russian sheeling) verglich. Bei Engländern, Franzosen und Deut- schen wurde die Ansicht von den Baumwollenzeugen vorherrschend,, bei Thom. Young, Hamilton, Harris, Porson in der Rosette Inser. (Clarke greck marbl. 63.) so auch bei Granville, wiebei Mongez, lomard, (?) und Andern. — Larcher übersetzte im Herodot alle betreffenden Stellen mit Cotton; J. H. Vofs (in Virg. Georgica II. 120.) Kurt Sprengel (in Hist. Rei herb. I. 1. p. 15.) Winkelmann, Böttiger, Hartmann, Gesenius, Rosenmüller, und Andere, stimmten mehr oder weniger damit überein, Heeren, in seinen Untersuchungen über den Verkehr der Völker des Al- terthums, blieb der Meinung Blumenbachs getreu, und so sehr allgemein war dieser Irthum geworden, dafs selbst sein scharf critisirender Gegner v. Schlegel demselben folgte. Selbst Rosselini, der so viele Mumien gesehen, sagte noch, dafs er 200 Mumien untersucht habe, und schlofs sei- nen Excurs über (den Byssus) diese Gewande damit, dafs er sie stets aus Baumwolle (constantamente di Cotone) (?) gefunden, wie Blumenbach und Rouelle. In seier Ansicht wurde er noch durch ein Factum bestärkt, dafs ihm das Vorhandensein von Baumwolle im obern Ägypten bestätigte. In einem der Gräber zu Thebä, sagt Rosellini, das er selbst zum ersten male eröffnen liefs, fand er mit andern Sämereien, wie Gerste (') Hadley in Philosoph. Transact. 1764. Vol. LIV. Lond. 1765. p. 4-14. (?) Mongez Recherches sur les habillemens des Anciens. 1810. in Hist. et Mem. de I’Instit. Roy. de France. Classe d. Hist. et Lit. Paris 1818. T. IV. p. 234. (°) Ippolito Rosellini Monumenti dell Egitto e della Nubia, Parte II. Monurnenti Civih. Pisa T.I. 1834. 8.6. I Byssus degli antichi non era una specie piu eleita di lino, ma bensi un Gossypium (il Cottone). p. 341-361. und ihr Verhällnifs zur Industrie d. Fölker alter u. neuer Zeit. 319 und dergleichen, auch eine Vase ganz gefüllt mit Coton-Saamen (un vaselto ripieno dei semi del Cotone);, (!) dieser Saame der im Königl. Mu- seum zu Florenz aufbewahrt wird, wurde von dem Naturforscher Dr. Pie- tro Hannerd, für Saamen von Gossypium religiosum anerkannt. Auch widerholt hat sich derselbe Cottonsaamen, dort, in andern Gräbern vor- gefunden, wie Rosellini versichert. Will man nicht annehmen, dafs auch hierbei, wie bei so vielen an- dern Gelegenheiten durch schlaue Araber ein Betrug vorgewaltet, und durch sie erst mit modernen Saamen das antike Gefäfs gefüllt worden, was in Ro- sellinis Gegenwart, unter seiner persönlichen Eröffnung, wie er es selbst ausdrücklich bezeichnet, doch kaum denkbar und auch zwecklos erscheint: so wäre in antiker Zeit das Vorkommen des Saamens, in Ober-Ägyp- ten wol nicht zu leugnen, und selbst die Cultur der Pflanze, wol, höchst wahrscheinlich, als eine benutzte, wenn auch viel weniger als der Lein; und, keineswegs wäre doch darum der Mumien-Byssus noch, wie Rossellini an- nahm, nothwendig ein Baumwollenzeug. Und noch weniger liefs sich aus dem ungeheuern Verbrauch der Mumienzeuge am Nil, auf den uralten und und außserordentlichen Handelsverkehr Ä gyptens mit Indien zurückschliefsen, wie dies v. Schlegel andeutete, wie dies zumal v. Bolen und Andere nach- zuweisen versucht haben. Jam. Thomson gesteht, dafs seit vielen Jahren mit mancherlei Untersuchungen beschäftigt, er selbst früherhin derselben Ansicht gewesen, bis er durch Belzoni, bei dessen Anwesenheit in London, mit einer sehr grofsen Menge, von Mumienstoffen der verschiedensten Art, von den gröbsten bis zu den aller feinsten, aus dessen am Nilstrom gemach- ten Ausgrabungen versehen worden sei, die ihn zur genauern Untersuchung anspornte. Hinreichende Gründe hatte man bei frühern Annahmen keine angeführt, wie meist nur auf äufsern natürlichen Glanz des Linnenfadens, und auf gröfsere Weichheit beim Baumwollenzeuge Rücksicht nehmend; die einsichtsvollsten Fabrikanten Englands, die bei der Beurtheilung dieser Stoffe zu Rathe gezogen wurden, konnten zu keinem entschiednen Urtheil gelan- gen. Auch die Chemie hatte noch keinen Anschlufs zu Unterscheidung bei- der Stoffe gegeben, so schien denn nur das Microscop die Frage lösen zu können. Und dieses entschied zwischen der Faser des Leinbastes und (') ebend. p. 359. und Not. 360. 320 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle dem Haar des Baumwollensamen auf das vollständigste. Schon hatte der scharfsichtige Leuwenhoeck anderthalb Jahrhunderte zuvor; dazu die Wege gebahnt; seine treflliche Beobachtung war aber unbeachtet geblieben. (') Der characteristische Unterschied zwischen Baum- wolle und Leinen, der zu jener Entscheidung führt, wurde auch späterhin von Erasmus Wilson (?) und Ure, (?) dann auch von Deutschen Beobach- tern, wie vielfältig von Herrn Kaufmann Lehnert in Berlin, jüngst durch die Preisschrift Corda’s in Prag, nach mühsam microscopischen Arbeiten aufser Zweifel gestellt. Die Untersuchungen der Herren Link über die Leinfaser und Hrn. Ehrenberg weitere Beobachtungen über das Haar der Baumwolle und des Bomdy.x mit polarisirtem Lichte, die uns noch mit neuen Criterien für Stoff und Construction bereicherten, bestätigten jene Charac- tere, doch kann weiter unten bei der Beschreibung und der Culturverbrei- tung der Pflanze wie des Stoffes erst von ihnen umständlicher die Rede sein, da uns zuvor noch manche andre Benennungen und historische Unterschei- dungen im herkömmlichen Gebrauche zu entwirren übrig bleiben. Denn hierin scheint uns, selbst nach den neusten gelehrten Untersu- chungen, welche sich diese Entwirrungen zu einer vollständigeren Aufgabe in (') Leuwenhoeck’s ziemlich vergessen gewesene Entdeckung verdient hier wieder in Erinnerung gebracht zu werden, da sie vollkommen bestäligt, was so viel später, zum zweiten male wieder entdeckt werden mulste, um für das historisch-antiquarische Studium erst fruchtbar zu werden. Leuwenhoeck |. c. p. 895. sagt: Having considered the saying of Chirurgions that Cotton is fiery and malignani if any wound be dressed therewilh, I have found that Ihe fierinefs or malignity consists in this, that Cotton hath two flat sides, and consequenty every part of it hath two sharp sides, which being thinner than globuls, that make up the Carneous filaments and being also stiffer than the globular flesh, it comes to pafs, that Cotton being laid upon a wound, not only the globuls of the yet sound flesh are annoyed by the sharp sides of it, but also the new matter which is conveyed to make new flesh is yet softer than the flesh already made, is the more easıly cut asunder and dis- soled; whereas on the contrary Linnen-rags having roundish parts, and many of them lying firm together, and so making up a greater body, are not capable to wound the globu- lar parts of the flesh.— In neuerer Zeit wird die Baumwollenscharpie mitunter auch wol in der Chirurgie angewandt. 2) Erasmus Wilson of London in Brigegs Paper on Cotton 1840, im Report of the 5 pP Royal Asiatie Society. London. Proceedings of the Committee of Commerce and Agricult. App- p-. 48-52. (°) Dr. Andr. Ure zhe Cotton Manufacture of Great Britain. Lond. 1836. I. p. 83-86. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 321 James Yates Textrinum antiguorum gestellt hat noch manches unermittelt ge- blieben zu sein. Herodot brauchte, in den angeführten Stellen, zur Bezeichnung des Gewebes nur die Adjective Burswos, von einem Burses spricht er nirgend in seinem Werke, ein Material das vielen der alten Autoren selbst, seiner Natur nach ziemlich unbekannt geblieben zu sein scheint, und bei den spä- tern Schriftstellern, bald mit Plinius und Pausanias (!) eine Art feinen Flachses bezeichnen sollte, die nur in Elisund in Palästina wachse, bald wie zu Arrians, Tertullians und Procops Zeiten (?) den seidenartigen weichen Stoff der Pinna marina, dann aber auch mit Xoton identificirt wurde, so dafs J. H. Vofs den Byssus einer Art gelber in Afrika wachsender Baumwolle vergleichen konnte. (?) E. Curtius erklärt den Byssus in Elis bei Pausanias entschieden für Baumwolle. (*) Die lehrreichste Stelle über den Byssos, weil in ihr nicht blos von dem Stoff, sondern von dem Gewächs das ihn bringt, die Rede ist, finden wir bei J. Pollux, aus Naucratis gebürtig, gegen Ende des 2ten Jahrhun- derts, dem wol aus eigner Anschauung hier ein richtigeres Urtheil über ägyp- tische Gegenstände zuzutrauen ist, als den mehrsten übrigen Autoren der spätern Zeit, oder der frühern, die meist nur in vergleichenden, oder poe- tischen Redeweisen sich dieses fremden Ausdrucks bedienen. Auffallend ist es, dafs diese Stelle nur selten einmal näher beachtet worden ist, wozu bei- tragen mag, dafs sie in sieben der benütztesten aber lückenvolleren Hand- schriften, nebst andern, ausgefallen war, nun aber in Pollux Onomasticon ex Recensione Immanuelis Bekkeri, von diesem Jahre vollständig VII. 75., p- 292. einzusehen ist. Da wo Pollux von den Kleidungen und Zeugarten a. a. O. spricht, sagt er: die Byssina und der Byssos seien bei den Indern (rag Ivdcis) dem Aussehennach demLinonähnlich. Aber auch bei den Agyptern, fährt er fort (nen de xai map ’Auyurricıs), werde eine Art Wolle von (') Pausanias Eliaca V. c.5. und VI. 26. Achaic. VII. c. 20.; Plin. XIX. 1. 4. (2) s. J. Yates Textrinum antig. I. ch. 5. p. 152-159. (@) J. H. Vofs in P. Virgilus Maro Landbau II. v. 120. und Not. p. 313. (*) E. Curtius Peloponnesos. Gotha 1851. Band II. p. 10-11. und Note 10. p. 95. Philos.- histor. Kl. 1851. Ss 322 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle einem Baume erzeugt («© Evrou rı &g'ov yıveraı), daraus man dem Linon sehr gleichkommende Zeuge fertigte, die jedoch noch stärker oder dichter (Tayvreea) seien. Hierauf folgt unmittelbar, bei Pollux, die unverkennbar genaue Be- schreibung der Baumwollenpflanze. Da dem Verfasser des Texirinum Antiquorum der Sinn dieser Stelle mit seiner Ansicht von dem jüngern Alter des Wachsthums der Baumwollen- pflanze in Ägypten nicht vereinbar schien, so suchte er durch die Conjec- tur (1) zu helfen indem er das non de nal mag ’Auyurricus, zwischen mag Ivdais, und dro Zur rı x. 7. A. für eine zwischen geschobne Glosse aus dem 14ten oder 15ten Jahrhundert erklärt, und raga de Ivdels mit drö ZuAcu ri Egıov yıryve raı unmittelbar in einen Satz zusammenzieht. Hierdurch würde allerdings den Ägyptern der Byssos, oder Coton, zu Pollux Zeit, als dort wachsend abgesprochen, was aber mit der nachfolgenden genauen Beschreibung der Pflanze und mit dem daraus gefertigten Gewebe, bei Agyptern im Wi- derspruch zu stehen scheint. Auf diesem Baume (devdpw, früher Zvrov ge- nannt), sagt Pollux weiter, wachse die Frucht, einer dreifach getheilten Wallnufs (zaguov) am meisten ähnlich, deren Kapsel nach der Blüthe auf- springe; in ihr sei die Wollart, (£gov) von welcher der lockre Faden zum Einschlag (»gcrn: Aa, im ägyptischen, unter den Lautbildern, der Einschlag(?) und dann das Gewebe) gemacht werde, enthalten. Den Aufzug oder die Kette des Gewebes errichteten sie aber von Linon (rov ÖE arymova üpısrarı durß Awedv). Dieses Egev läfst sich aber auf keine Weise, etwa, durch eine besondre Appretur des Leinfadens erklären. Obwol auch hier im Eingang der Stelle, bei Pollux, die Vergleichung des Byssos mit dem Linon der Inder angedeutet wird, so ist doch aus der sogleich folgenden ganz exacten Beschreibung des Gewächses, nach seinem Wollertrage, un- verkennbar die Baumwolle gemeint, welche, demnach, im zweiten christ- lichen Jahrhundert, und wahrscheinlich auch längst zuvor, mit dem Linon zusammen, in gemischte Zeuge aus beiden Stoffen verwebt wurden. Sollte daraus sich Herodots Sindon dbyssinon erklären lassen, ein Ausdruck der (') I. Yates Textrin. Antig. 1. c. p. 348-350., Appendix E. p. 467-472. (?) Bunsen Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte. I. p. 679. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 323 überhaupt ein feineres Gewebe, meist ein leinenes bezeichnete. Der Zusatz byssinon würde dann nicht blos als schmückendes Beiwort gelten, sondern sich auf den lockern Einschlag von Baumwolle beziehen, der diesen Zeugen, bei ihrer Dichtigkeit, doch auch eine gröfsere Geschmeidigkeit und Weich- heit geben mochte, als die reine Leinwand besals. Die Meinung, als hätte bier Dyssus, der Einschlag, nur eine andre Appretur des Leingarns bezeich- nen sollen, im Gegensatz der Appretur von diesem in der Kette des Gewe- bes, diese läfst sich, hier, im Zusammenhange mit Pollux Beschreibung der Pflanze wenigstens, nicht, in Einklang bringen. Bis jetzt bleibt die Angabe des Pollux zwar durch die Erfahrung in einer Art noch unbestätigt: denn Wilkinson in seinem lehrreichen Werke über die Gebräuche der alten Ägypter behauptet (1) wenigstens, dafs man bisher noch keine solche gemischten Gewebe in den Mumiensärgen gefun- den habe. Aber wie unendlich vieles wird noch in denselben zu entdecken übrig sein, nach Gliddons (?) Berechnungen über die vielen während weniger Jahrtausende hindurch unter die Erde im Nilthale versenkten Mumien, in denen man nicht nur, nach 4 Perioden ganz verschiedener Mumisirungsme- thoden, sondern auch die gröfste Mannigfaltigkeit von beigegebenen Stoffen, von den gröbsten bis zu den feinsten und mannichfaltigsten Arten, von den untersten Casten des Volks bis zu den Königen hinauf verfolgen kann, wo- von noch nicht der hundertste Theil zugängig geworden. Und der erfahren- ste Kenner der ägyptischen Gegenwart, Wilkinson warnt mit Recht vor vor- eiligen, absoluten Schlüssen, (?) über die Weberei der Ägypter aus den bis- herigen Ergebnissen, weil dies eben so thöricht sei, als wolle man aus unsern heutigen Grabstätten den heutigen Manufacturstand beurtheilen. Das kost- barste und wichtigste der vor mehreren Jahrtausenden im Nilthale Leben- den sei verloren gegangen, und bis jetzt nur das Wenigste in Fragmenten davon zur Kunde gekommen, was ins besondere die der Vergänglichkeit zu sehr unterworfene antike Färberei und Weberei betreffe. (') J. G. Wilkinson Manners and Customs of the Ancient Egyptians. Lond. 8. 1837. Vol. III. p. 115. (*) G. R. Gliddons Otia Aegyptiaca. Lond, 1849. p. 88. u. f. (°) Wilkinson I. c. III. 120. u. £. 324 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle Wenn die microscopische Untersuchung bisher nur Leinenfaden in den älteren Mumienzeugen entdecken konnte, so schliefst dies eine wahr- scheinlich eingeführte Fabrikation, wie sie Pollux beschreibt, noch keines- wegs ganz aus; es wären immer noch viele andre Stoffe zumal aus den spä- tern Jahrhunderten nicht nur microscopisch sondern auch chemisch zu prüfen, da man erst kürzlich auch in den gemischten, modernen Geweben die Me- thode erfunden hat, die Baumwolle des Gewebes durch concentrirte Schwe- fel- oder Chromsäure zu zerstören und aufzulösen, während der Leinenfaden dabei in demselben Gewebe ganz unverletzt bleibt. Der Verfasser des Texirinum antiquorum, in Folge seiner Conjectu- ren, () die er auch auf Plinius Stellen ausdehnt, bezweifelt nun auch, nach- dem er den Pollux die exacteste Beschreibung der Baumwollenfrucht zuge- standen, doch noch dessen Angaben, und behauptet ganz willkührlich, dafs in keinem Lande, wo man einmal Leinen gewebt, man auch noch Baumwol- lenzeuge gewebt haben werde, weshalb er Pollux Angabe für falsch erklärt, und es auch für unmöglich hält, dafs die Baumwolle in alter Zeit in Ägypten angebaut sei, was aber keineswegs von ihm näher bewiesen wird. Wir blei- ben dagegen ganz einfach bei der Angabe des Onomasticons stehen, weil sie nicht etwa, wie die Einmischung wolfeilerer Baumwolle in moderner Webe- rei, eine Fälschung der Leinwand beschreibt, sondern offenbar eine dort gebräuchliche Methode, welche die genaueste Kenntnifs des Pollux von sei- nem Gegenstande (er war auch der erste, welcher des in 3 Theile aufplat- zenden Pericarpus der Baumwollenfrucht erwähnt hatte) über allen Zweifel erhebt. Diese von Pollux angegebene Webe-Methode liefs sich auch aus dem microscopisch ermittelten Systeme altägyptischer Manufactur, durch neue Untersuchung nachweisen. Dieses ägyptische System unterscheidet sich characteristisch von den Webereien anderer antiken Völker, z.B. der alten Hindus, wie auch der neuern dadurch, dafs selbst bei rein linnenen Stoffen der Mumienzeuge, doch eine Differenz in der Stärke des Leinenfa- dens der beiden Hauptbestandtheile jedes Gewebes, der Kette oder des Auf- Zugs, und des Einschlags, vorhanden ist. (') I. Yates Textrinum antiquorum |. c. p. 350. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 325 Bei allen durch J. Thomson (!) microscopisch untersuchten Lein- wandproben aus den Mumiengräbern, und Wilkinson stimmt ihm vollkommen bei, war stets das Garn des Aufzuges (der Kette, oryuwv, tela, Warp der Engländer) weit stärker, als das des Einschlags (»goxn, sublemen; Woof der Engländer); bald war es doppelt, oder dreifach, nicht selten vierfach. Ein Zeug das Belzoni gab, frei von Gummi, von ursprünglicher Weifse, fein, dicht, fest, elastisch, von gröfster Schönheit und in den Faden sehr gleich- arlig gesponnen, hatte im Einschlag nur einen Faden gedrehtes Garn, wäh- rend der Aufzug 2 hatte; und bei genauester Zählung bestand dieses Doppelte aus je 90 zusammengedrehten Faden, während das einfache Garn des Ein- schlags nur aus 44 Faden bestand. .Bei andern Geweben war das Verhältnifs sogar wie 130 zu 40, oder selbst wie 120 zu 30. Dieses eigenthümliche System erklärt sich leicht daraus, dafs das Wer- fen des Einschlags mit dem Weberschiff, welches die Hand zu vollführen hatte, dem ägyptischen Weber die Arbeit zu langsam förderte, man, daher, der Festigkeit des Zeuges und der schnellern Weberei durch den stärkern Aufzug zu Hülfe kam. Obwol bei den hindustanischen Baumwollenwebe- reien dieselbe, mühsame Arbeit des Weberschiffs, ohne alle Maschinerien, ebenfalls aus freier Hand vollführt werden mufste, so ward doch bei ihnen, niemals der Unterschied der Stärke des Garns zwischen Aufzug und Einschlag eingeführt; sondern beide blieben sich ganz gleich, was den Werth ihrer Zeuge sehr erhöhte. Unstreitig, weil der so ungemein zart organisirte Hindü, zugleich bei seinen feinsten Musselingeweben, mit einer bewundernswürdi- gen Geduld zur Bearbeitung derselben begabt war, eine Geduld, die viel- leicht keinem andern Volke so wie ihm, schon seit den ältesten Zeiten zu Theil ward, und sich bis heute erhalten hat. Die Stärkung des feinen Baum- wollenfadens wurde, wie schon in Manus Gesetz angegeben ist, durch Reis- anz verschiedene Websystem der alten Ägypter wasser (?) bewirkt. Das g (') J. Thomson a.a. O. p. 538., in Baines Hist., Wilkinson Manners and Customs II. p-. 121. (?) Manu. Instit. VIII. p. 397. sagt, nach Wilson: Der Weber der 10 Palas Baumwol- lengarn erhalten, muls dieses durch Reiswasser gestärkt und zum Weben verwendet als 41 Palas zurückgeben; sonst muls er Strafe zahlen. Das älteste Zeugnils für dieses Stär- ken um dem Baumwollengarn seine Tenacilät zu geben befindet sich nach Wilson in Rig Veda Hymn. 105. v. 8. 326 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle konnte daher, bei einer schon bestehenden Differenz der Stärke des blofsen Leinfadens, um so leichter zu einer Differenz auch des Stoffes, nämlich zu gemischter Verarbeitung des Leinenfadens, als Aufzug, mit Baumwolle, als Einschlag, übergehen, wie dies aus Pollux klarer Beschreibung hervorgeht. Dieselbe Verbindung, welche Thomson bei seiner microscopischen Unter- suchung noch nicht kannte, wurde aber durch Wilkinsons Zeugnifs, (1) be- stätigt der versichert, dafs dasselbe Websystem auch heute noch, in der mo- dernen Weberei der Ägypter wie zu Pollux Zeiten im Gebrauche sei. Wie weit rückwärts von Pollux Zeiten, die Verwendung der Baum- wolle in Ägypten statt fand, blieb bisher noch unermittelt; wir können sie aber mit Bestimmtheit, bis auf den ägyptischen König Ämasis, also über ein halbes Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, aus der bekannten Stelle bei Herodot III. 47. nachweisen, die vom Panzerhemde (dem Torax) spricht, das Ämasis den Lacedämoniern geschenkt hatte und das von Hero- dot so genau beschrieben ist. Es war aus Awcv der feinsten Art gefertigt, aber mit vielen eingewebten Thierfiguren, und geschmückt mit Gold und (Sticke- reien?) aus dem Eiplonı amd Eureu, also der Wolle der Bäume. Ein anderer Thorax der Art, den Amasis der Athene zu Lindos, auf der Insel Rhodos, weihte, beweiset wie jener, dafs damals Baumwolle, die Herodot bei den Indern sehr wol kannte, ihrer bei Ägyptern aber nicht ausdrücklich er- wähnte, doch schon in Agypten verbraucht ward. Aber zu welcher Zeit diese Baumwolle zuerst in Ägypten etwa bekannt geworden, oder in all- gemeinen Gebrauch zur Tracht zu dem frühern Linnen hinzugekommen, wis- sen wir nicht, und noch weniger ob sie überhaupt dort jemals, in ältesten Zeiten, einheimisch gewesen, wie die in Thebaischen Gräbern durch Ro- sellini gefundnen Kotonsaamen vermuthen lassen könnten. Kein antikes Zeugnifs spricht dafür; wol, aber, die heutige, allge- meine Verbreitung eigenthümlicher Species von Gossypium, durch das ganze tropische und ut äreche Afrika, im Norden wie im Süden des Äquators, vom obern Nil in Nubien und Habesch bis zum Senegal, von Mosambik und dem hohen Shoa, durch die Deu (Ar- gobba)(?) die eben deshalb so genannt werden, wie anderwärts etwa Wein- (') Wilkinson Manners and Cust. a. a. O. III. p. 118. (°) Isenberg and Krapf Journ. London 1843. p. 289. und ihr Ferhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 327 länder, Getreideländer, nämlich Efat und Kaffa, durch den ganzen Su- dan bis Timbuetu, zum Nigerstrome und bis Bornu am Tschad-See. Sollte das ägyptische Nilthal von einer grofsen einheimisch libyschen Pflan- zengruppe unbesucht geblieben sein, da die wilden Floren doch, in der Regel, immer sehr weit abwärts auch in die tieferen Stromthäler mit fortzu- wandern pflegen. Oder sollte man es vorziehen zu sagen, diese Verbreitung sei erst eine Folge späterer Anpflanzungen im Nilthale und der Cultur dieses fremden Productes; so widerspricht diesem der wilde Zustand dort wachsender, eigenthümlicher, von den asiatischen verschiednen Species, deren nun schon, 2 im Habesch durch Dr. Roth, und aus Schimpers Sammlungen von Tigre, 2 im transäquatorischen Afrika an der Mosambikküste durch Dr. Peters, und auch andre im hiesigen königlichen Herbarium durch Dr. Klotsch ermittelt sind; auch würden andre Malvaceen Gruppen, die mit dem Genus Gossy- pium so nahe verwandt sind, so wie die einheimischen Benennungen der Sprachen im Sudan dagegen sprechen, wovon erst weiter unten der Nach- weis folgen kann. Allerdings könnte man sich auf ähnliche historisch bekannt gewordne, spätere Einbürgerungen von Producten berufen, die auch weiteste Ver- breitungen gewonnen haben; wie z. B. auf das dem afrikanischen Boden fremde Zuckerrohr, das schon einmal, in der Periode des Chalifats, (!) vor Edrisis Zeiten, und vor wenigen Jahrzehenden zum zweiten male, von Ibrahim Pascha, aus den Sundischen Inseln nach Sennaar verpflanzt wurde, und gegenwärtig am Zusammenfluls des weifsen und blauen Nilstroms, um Chartum, mit seinem reichsten Ertrage ganz Ägypten versieht, wie es in der ersten Periode, einst, vom Nil, an alle Gestade des mittelländischen Mee- res gewandert und selbst in Amerika einheimisch geworden war. So, könnte man sich denken, sei auch das Cotontragende Gewächs aus dem baumwol- lenreichen Indien erst in das Nilthal übertragen, wie das Cameel erst zur Pto- lomäer Zeiten aus Arabia felix, in die Thebais (wie wir anderwärts nachge- wiesen), (*) weil man von beiden in den Wandgemälden und Hieroglyphen (') Über die geographische Verbreitung des Zuckerrohrs. Berlin 1840. S. 76. u. f. (*) Die geographische Verbreitung des Cameels in der Alten Welt, s. Allg. Erdkunde (Arabien) XIII. Th. S. 702. u. £. 338 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle keine antiken Spuren vorfindet. Aber, hier findet der grofse Unterschied statt, dafs nur die eine und dieselbe Species, bei Zuckerrohr, wie beim Cameel, die grofse universelle Ausdehnung genommen hat, die afrikanische Baumwolle, aber, verschiedenen Species von Gossypium angehört, und die selbst heutzutag in Agypten mit so aufserordentlichem Vortheil ge- baute, noch, hinsichtlich der Species, einer botanischen Untersuchung sehr bedürflig ist, da sie ursprünglich aus dem Sennaarsaamen und von dem Gewächs im oberen Nillande, um Chartum, erst seit ein paar Jahr- e& der Baumwolle nach ie) Agypten, hätte von der arabischen Küste ausgehen können, wo ihr zehenden herstammt. Die nächste Verpflanzun Wachsthum, seit Alexanders Zeit, durch Theophrast, in seiner Histo- ria Plantarum bekannt geworden, aber, wo dieses Wachsthum nothwendig auch in viel frühere Jahrhunderte zurückgeht. Die genaueste Beschreibung und Nachricht von der Cultur, an zwei verschiedenen Stellen, läfst hierüber keinen Zweifel übrig, Die Bäume, sagt Theophrast, an der ersten Stelle (H. Pl. IV. 4. p. 132.),(') von dem die Inder, Zeuge (r« inarıa) machen, haben ein Blatt wie der Sykaminos (Schwarzer Maulbeer- baum), aber die Pflanze gleiche dem Hundsrosenstrauche (zwvo- gadaıs &usıcv), d.i. unserer Rosa canina. Sie pflanzen dieselbe aufden. Feldern in Reihen, so, dafs sie aus der Ferne wie Weinstöcke (zurercı) aussehen; ein Vergleich der vollkommen auch heute noch den Anblick der Pflanzungen von Gossypium herbaceum, die wir in Livadia und auf Santorin gesehen, entspricht, und Kurt Sprengels Zweilel, in seinen Anmerkungen zu dieser Stelle, völlig beseitigt. (?) Die zweite Stelle des Theophrast, (°) in demselben Buche (Cap. 7.), ist weit vollständiger und spricht von der Insel Tylos im Persergolfe ge- legen, den er den Arabischen Golf nennt, von der er, wahrscheinlich aus eigner Anschauung, oder doch von Phöniciern unterrichtet, mit mehreren Nachrichten von Gewächsen, auch folgende giebt: Die Wolle tra genden Bäume (ra dvdga ra &giopega) die dort in Menge wachsen, habenein (') Theophrasti Eresii Opp. ed. Link u. Schneider. Lips. 1818. T. I. p. 132. (2) Theophrasts Naturgeschichte der Gewächse, übers. v. K. Sprengel. Th. II. p. 150. (°) Theophrasti Opp. ed. Link u. s. w. I. p. 144. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 329 Blatt dem Weinlaub gleich, nur etwas kleiner, sietragen keine Frucht sondern nur das, was die Wolle enthält, welches der Grö- fse eines Frühling-Apfels (uAAov Eaugıwev, was der Gröfse nach etwa mit yAAov zudwviov, verglichen werden könnte) (!) gleicht. Dies zerplatzt, wenn es gereift ist, und gibt die Bälle von Wolle, aus welchen sieSindonzeuge (swösvas) weben; theils wolfeilere, theils von grö- fserem Werthe. Unmittelbar fügt Theophrast den Satzhinzu: dasselbe wirdauchinIndienerzeugt, wieich oben gesagthabe (armeo Erey,M, auf die erste Stelle sich beziehend), und auch in Arabien. Die gröfste Unvollkommenheit dieser sonst exacten Beschreibung liegt in dem Satz: „sie tragen keine Frucht,” aber diesen Mangel ersetzt des Aristobulus, eines Generals unter Alexander M., gegebne Beschreibung, die Strabo aufbewahrt hat (Strabo XV. 1, 496.), wo dieser sagt: die Fruchtkapsel des wolltragenden Baumes enthaltedie Saamenkerne (zugyva), die man herausnehme aus der Wolle, und diese dann verarbeite. In beiden Stellen, ergibt sich, hieraus, ist also von demselben Gewächse die Rede, mit der Veränderung, dafs, in der ersten, dasselbe mit einem Strauche verglichen, in der zweiten ein Baum genannt wird, was als kein wesentlicher Unterschied zu betrachten ist; eben so wenig die Vergleichung des Blattes, einmal mit dem Weinblatt und dann mit dem Maulbeerblatt, da beide in ihrer wesentlichen Gestal- tung durch ihre fünflappigen Abtheilungen, unter sich, und mit dem Baum- wollenblatt die nächste Verwandschaft zeigen, was auch ein Blatt von Gossypium herbaceum des Systems, beim ersten Anblick bestätigt. Wir lernen zugleich, dafs dasselbe Gewächs in Indien, im Perser- golf in der Nähe der Euphratmündung und in Arabien, auf eine Art, in Reihen gepflanzt, wie noch heute überall, und niedrig gehalten, als Busch, (um desto ertragreicher zu sein), ceultivirt wurde, um daraus Zeuge zu weben. Diese nennt Theophrast, der Zeitgenosse Alexanders Sindona, und sagt ausdrücklich, dafs es keineswegs blos feinere Gewebe bezeichne, sondern sowol gemeine, gröbere wie sehr köstliche. Der Name ‚Sindon kann also nicht, wie die meisten Erklärer der alten Autoren anneh- men, sich blos auf die Feinheit des Gewebes, auf dessen Leichtigkeit, Durch- (') Dr. W. H. Vincent /he Commerce and Navigation of the Ancient in the Indian Ocean. London 4. 1807. Vol. I. p. 14. Not. 34., und II. p. 749-750. Philos. - histor. Kl. 1851. Al 330 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle sichtigkeit, Glanz u. s. w. beziehen, wenigstens nicht seit der Periode Alex- anders, sondern er bezeichnet, nach Theophrasts genauester Angabe, ein aus fremdem Material, aus Baumwolle, und im Orient, im Auslande, ge- fertigtes Zeug. Es scheint dies nur die oben bezeichnete etymologische Ableitung des Namens, vom Lande des Sindstromes, zu bestätigen, von wo die Cultur der Pflanze, am wahrscheinlichsten durch Phönieier, zu ihrer Insel Tylos (Tyros bei Strabo, Ormuz oder Bahrein) im Persergolf, als die erste Plan- tage derselben gegen West gekommen sein mag; wie leicht konnte sie von da zur Zeit der Ptolemäer nicht in das obere Nilthal gelangen, wenn sie dort nicht schon einheimisch gewesen wäre. Hatte schon Herodot, die Kennt- nifs von wolletragenden Bäumen in Indien (Herod. III. 106.) ge- habt, aber von solchen bei seinem Besuche in Ägypten nichts erwähnt, so haben Vofs, Schlegel, Yates und Andere, darin, wol mit zu grofser Zu- versicht einen negativen Beweis zu finden geglaubt, dafs zu seiner Zeit im Nilthale diese Gewächse auch nicht vorhanden gewesen: denn sagt man, sonst hätte der aufmerksame und redselige Herodot ihrer sicher erwähnt. Aber, wie vieles ist nicht von Herodot übergangen und spätern Nachfolgern zu er- zählen übrig geblieben. Hatte er doch eben so wenig von der Leinpflanze in Ägypten gesprochen, die dort von unendlich gröfserer Wichtigkeit war, und nennt nur den Alvov der Ägypter, d. i. die Leinwand, im Vergleich mit der colchischen und sardonischen (II. 105.), die Flachspflanze aber, so wenig wie die Baumwollenpflanze. Nur den Namen Sindon gebraucht er, aber für feinere und zumal die leinenen Mumienzeuge, weil er über die Technik und über das verschiedne Material im unklaren bleibt. Man könnte nur etwa ausHerodots Stillschweigen schliefsen, dals zu seiner Zeit im untern Nillande der Baumwollenbaum für die Cultur und Industrie der Ägypter noch keine besondere Bedeutung gewonnen hatte, aber keineswegs dals er darum auch dort, und noch weniger im obern nubischen Nillande, jenseit der Cataracten, wohin Herodot nicht vordrang, von jeher gänzlich ge- fehlt habe. Dafs aber im oberen Nillande die Baumwolle wuchs, darüber ist uns, noch hundert Jahre vor Pollux Angabe das Zeugnis bei Plinius aufbe- wahrt: Hist. Nat. XIX. 3. in der bekannten Stelle, in welcher zum ersten male der Name Gossypion vorkommt, dessen Ursprung unbekannt geblieben, und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 331 der aber doch die Bezeichnung des Genus in dem botanischen Systeme ge- worden ist. Der obere Theil Ägyptens, gegen Arabien hingewandt, sagt Plinius, erzeugt einen Strauch den einige Gossypios nennen, meh- ‚rere aber Xylon, weshalb die daraus gefertigten Linnen (lina) den Namen Xylina d.i. Xylinische erhalten haben. (Superior pars Aegypti in Arabiam vergens gignit [ruticem, quem aliqui Gossipio n vocanl, plures Aylon, et ideo lina inde facta Xylina). Der Strauch ist klein, fährt Pli- nius fort, einer bartigen Nufs gleicht die Frucht, deren innere Flocke wie Wolle gesponnen wird (Parvus est similemque barbatae nucis deferi frucium, cujus ex interiore bombyce lanugo nelur). Kein Zeug ist diesem an Weifse und Weichheit vorzuziehen; diese Kleider sind den ägyptischen Priestern die angenehmsten (nec ulla sunt eis candore mollitiave praeferenda. Vestes inde Sacerdotibus Aegypti gratissimae). — So weit Plinius. Da diese Stelle, aber, die spätern Aussagen des Pollux, über das Wachsthum der Baum- wolle in Ägypten, bestätigt, so wird sie vom Verfasser des Texirinum anli- quorum (!) ebenfalls für eine blofse, spätere Glosse wie jene des Pollux, gänzlich verworfen und für Unsinn erklärt. Eine critische Vergleichung aller Codices des Plinius, die uns über diese Stelle noch fehlt wird hierüber zu urtheilen haben; bis jetzt bleibt die Ansicht, als sei sie von späterer Hand erst zwischengeschoben, unbegründet, wenn auch mancher Punct in ihr noch der Aufklärung bedarf. Selbst, wenn sie ächt wäre, meint Yates, würde sie nichts beweisen, da der Schlufs: vestes inde sacerdotibus Aegypti gra- tissimae, allen andern Nachrichten der Alten widerspreche; der Ausdruck: superior pars Aegypli in Arabiam vergens, sei eben so falsch, denn nur das untere Ägypten stofse durch die Landenge Suez an Arabien; den Namen Gossypium kenne kein andrer Autor, und der Ausdruck Bombyx, der hier ganz irrig für nux stehe, sei sonst nur zur Bezeichnung des Seiden -Insectes, Bomby.x, gewöhnlich. Die Zwischenschiebung der ganzen Stelle zwischen die Beschreibung des Linum, von dem Plinius die 4 verschiedenen Arten: Taniticum ac Pelusiacum, Buticum Tentyriticum und Orchomenium aufzähle, beweise eben, dafs hier der Sinn unterbrochen sei und sie nicht hierher gehöre; es könnten demnach die Schlufssätze: nec ulla sunt eis candore ete. (') Yates Texzrin, Antig. I. p. 348-350.; und Append. D. p. 454-460. Er2 332 Rırren über die geographische Verbreituug der Baumwolle und: vestes inde sacerdolibus ete., zwar zu dem linum Tentyriticum, nicht aber zur Glosse mit dem Gossypium gehören. Sieht man aber die Stellung genauer an, so findet keine Unterbre- chung des Sinnes statt, sondern die sogenannte Glosse bildet einen natürli- chen Übergang zur Aufzählung der vierten Gattung der Linumarten, zwischen welche Plinius noch eine fünfte Gattung, das Xylinum eingeschoben hat, und dann den Schlufs macht mit den Worten: „Quartum genus Orchome- nium appellant” wodurch er schon zu verstehen gibt, dafs es auch kein ei- gentliches Zinum sei, sondern wie A'ylinum nur so genannt werde. Denn er erklärt dieses Orchomenium sogleich dadurch, dafs er sagt: Fit e palustri velut aruudine, dumtaxat panicula ejus. Es ist also wirklich keine Flachsart, sondern vermuthlich ein Eriopheron, das nur die Sumpfgegenden des Nil- delta’s, einst, schmückte, aber von Orchomenos in Böotien den Namen trug; wo wir ein solches am Kopais-See und in seinen weitverbreiteten Morästen, auch, in unzähliger Menge mit seinen silberschimmernden Wollbü- scheln bewundert haben. Auch die andern Vorwürfe scheinen uns zur Verwerfung der ganzen Stelle keineswegs hinreichend begründet zu sein: denn „vergens in Arabiam” ist doch verschieden vom Angrenzen, wobei an die Landenge Suez gedacht wurde; vergens bezeichnet aber sehr genau die immer grölser werdende süd- liche und östliche Annäherung Oberägyptens gegen das eigentliche Arabien hin, bis sich beide um die Meerenge Bab el Mandeb beinahe berüh- ren. Der Ausdruck „dBombdyx” bei Plinius, soll nicht den Ausdruck „bar- bata nux” ersetzen, sondern vielmehr das innere der Kapsel mit der Flocke (ex interiore bombyce lanugo), gleichsam dessen Cocongespinst bezeich- nen. (1) Der barbarische Name Gossypium oder Gossypios, der schwerlich aus der Luft gegriffen ist, da er zum zweiten male in der Stelle des Plinius über Tylos, hier mit einem y geschrieben, vorkommt (Hist. N. XI. 21. Arbores vocant Gossympinos etc.) beweist vielmehr, wenn er schon bei kei- nem andern classischen Autor vorkommt, dafs er doch ein dort einheimi- scher noch nicht in allgemeinern Gebrauch gekommener war, und es blieb daher noch wünschenswerth, denselben, was noch nirgends versucht war zu ermitteln, ob er den asiatischen oder den afrikanischen Sprachen (') Wie bei Aristoteles Hist. An. s. in Allgem. Erdk. X. S. 1058-1060. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 333 angehören möchte. Die nächste Aufklärung hätte man wol im koptischen zu suchen, wo das Wort jedoch nicht vorzukommen scheint, aber doch aus denselben entlehnt sein könnte. (1) Dadas koptische Kös (auch Gos gespro- chen) dasBesorgen derLeiche (curare cadaver ut sepeliatur) und bo'n kös oder bo kos, den Arbor sepulturae, bezeichnet, so würde, durch Transpositio- nen, wie diese auch bei andern koptischen Benennungen herkömmlich sind in Köspo, oder Göspo, durch das zwischengeschobne mildernde ii, den Namen des Plinius Gos-si-pio, nicht sehr verändert wiedergeben. Diese koptische Be- nennung des Baumwollenbaumes würde, also, eine spätere Zeit bezeich- nen, in welcherauch Baumwollezur Bestattungder Todten, gebraucht wurde, wie dies in den christlichen Zeiten bei Kopten der Fall war, und auch bei der längstnachgelassenen religiösen Strenge, den Priestern die Baum- wollengewande die angenehmsten sein mochten. Es erklärt sich hieraus ganz einfach, weshalb der Name Gossypios nur von wenigen gebraucht wurde, die Benennung Aylon und Xylina, aber, gebräuchlicher war, wobei jedoch auch wieder Zweifel aufsteigen müssen, da Plinius zuerst das Gewächs einen frutex nennt, dann aber Xylon (Shylon, weshalb Harduin hinzufügt: EuAov lienum sonat), was sonst doch nur Holz, Zimmerholz, dann auch wol Baum bedeutet, jener Beschreibung eines Strauches aber jedenfalls widersprechen mag. Anders ist es, wenn Otesias: £irwa inarıa (Fragm. p. 253. ed Bähr) bei den Indern nennt, da dort wirklich Zeuge von Bäumen (von Gossypium arboreum), oder von andern Malvaceen, oder auch von wirklichen Baum- bast (von Hibiscus tiliaceus u. A.) wie sie bei den Eremiten in der Sakontala vorkommen, die nach Lassen Yälkäla heifsen. (?) Solche Zeuge sind es unstreitig, welche die noch rohen indischen Krieger in Xerxes Feldzuge gegen Griechenland trugen, die Herodot VII. 65.: @ro Evrwv meremueva nennt, was man irrig durch Baumwolle übersetzt hat, die Herodot vielmehr durch: eıgıov «v6 Zureu, bezeichnet. Es werden dieselben sein, die auch Strabo aus der Borke der Bäume gemachte (XV. 713. : erIAras are pAolwv devdgiwv) nennt, welche von den Hylobiern, den indischen Waldbrüdern getragen wurden. ') Nach Prof. Petermanns gültiger Mittheilung. (') (?) Lassen Ind. Alterth. I. p. 90. 334 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle Jene aus dem Bast der Malvaceen gefertigte, welche der Peripl. Maris Erythr. (p. 28 ed. Huds.) unter den indischen Waaren als noroywa aufführt, Molocinia römischer Autoren, erhielten, wie Yates bemerkt, (!) ihren Na- men nicht a mollitie, von der Weichheit, sondern von dem Gewächs, der Malve, der uarayn, oder 100%, die Theophrast und Plinius, auch Colu- mella (X, 247.) nennen. Mit dem Xylon, oder Aylinum, für Baumwolle in der einzigen Stelle bei Plinius, wissen aber die griechischen wie die lateinischen Etymologen nichts anzufangen, als elwa aylinum für eine Contraction von aylon und Ü- num zu halten, was jedoch auch wenig Beifall gefunden. Wie Carbasus, Sindon, Byssus, scheint uns auch AXy/on ursprüng- lich einem barbarischen Worte anzugehören und nur durch Umlaute einen griechischen Anklang mit Zvrev, Holz, erhalten zu haben, wie so viele ori- entalische; wie es denn nur in Zusammensetzungen mit indischen Selten- heiten vorkommt, wie z. B. in Aylo cinnamomum, Xylocasia, Xylo balsa- mum u.a. (Plin. H. N. XU. 42. 54.). Sehr nahe liegt die Vermuthung, dafs mit diesen bekannten Ceylo- nensischen Waaren des höchsten Alterthums, auch der einheimische Name der Insel, Ceilon, oder Cylon (einheimisch Shilon), auf die Waare, die von daher in den Handel zu Arabern und Ägyptern kam, übertragen wurde, wie dies bei Sindon, Indienne, Calico (calicut) Musselin (von Mosul) und andern Benennungen, in andern Zeiten auf ähnliche Weise, der Fall war. Wilks, in seiner Geschichte des südlichen Indiens, (?) versichert uns, als Augenzeuge, und Sprachkenner, dafs die buddhistische Taprobane der Alten, auch heute noch, in Indien überall, Cylon, gesprochen werde; wie das griechische, nur in der Aspiration verstärkte, griechische ZuAov, mit dem y geschrieben. Es ist die Zarıry Insel bei Ptolemaeus. Die Insel Silan (Silan-div) im Kosmos Indicopleustes die heute bei Europäern genannte Cei- lon. „Dieser Name wäre, daher, in Plinius Schreibweise, eben so unverän- dert geblieben, wie Sind, im gräcisirten Sindon, das mit ebenfalls verstärk- (') J. Yates Textrin. Antig. I. p. 304.; s. W. Vincent Commerce and Navigat, of the Anc. II. p. 741. s. w. [LOAD Y ve. (*) Wilks Historical Sketch of South India. London 1810. III. p. 20. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 335 tem Zisch- und Hauchlaut, sk A, sich im Koptischen des Nilthales, und zwar nach Bunsens Angabe, (!) im Memphitischen und Sahidischen Dialect, als yeıtw, Shento erhalten hat, und die allgemeinere Bedeu- tung Leinwand, Bekleidung u. s. w. beibehielt. Das älhiopische hend, mit der ursprünglich gebliebenen Bedeutung für Sind und Hind, oder Indien, ist wol auch auf demselben Wege, wenn nicht durch arabische Vermittlung zu den Nilquellen gekommen; so, dafs sich die primitive Bedeutung und der ursprüngliche Laut, wie die Waare, überall ihre weite Bahn gebrochen. Wenn unsre Conjectur das heutige Ceylon für identisch mit Xylon zu halten für zu gewagt erscheinen sollte, so erinnern wir daran, dafs einst Salmasius das arabische Wort Salihaca, womit ein Aroma von der Insel Ceylon bezeichnet wird, (welches der Aylocasia zu entsprechen scheint), mit ZuAın, (ligneus) der Griechen für identisch hielt, wogegen W. Vincent wol mit mehr Wahrscheinlichkeit den Namen Sahalike (2) der Insel, als das primitivere Wort nachwies. In der ägyptischen Hieroglyphenschrift und den Wandmalereien, in denen so häufige Hinweisung auf Flachsbau und Leinen sich findet, ist, bis jetzt, noch keine Bezeichnung für Baumwolle nachgewiesen. Die berühmte dreifache Inschrift von Rosette, (?) in deren 1Ster Zeile der griechischen Schrift, von den Teppichen und Gewanden (Burswuv ’Ofeviwv) der Prie- ster die Rede ist, welche diese an den Hofstaat des Königs Ptolemaeus V. Epiphanes zu liefern hatten, gibt, leider, in den demotischen und in den hie- roglyphischen Schriftzügen, über die einheimischen Benennungen dieser Gewebe, keinen Aufschlufs, da eben diejenigen Stellen, welche denselben entsprechen würden, lJückenvoll und verlöscht sind. Ein anderes Citat bei Plinius, über diesen Gegenstand (Plin. Hist. N. XII, 13 u. 21.) können wir übergehen, da der Autor in ihm nur die be- kannte Angabe des Theophrast, (*) und noch dazu ungenau, wiederholt, mit (') Bunsen Ägyptens Stellung in der Weltgeschichte I. p. 606.; Dav. Scott on the Substance called Fine Linnen in the Sacred Writings. in Edinb. N. Phil. Jour. 1827. p. 74. (?) W. Vincent Commerce and Navigat. ]. c. II. p, 715. (°) Druman Untersuchungen der Inschrift von Rosette. Königsb. 1823. p. 133., Übers. p- 29. u. Anm. p. 169. (*) J. Yates Texzrin. Antig. App. D. p. 452-454. 336 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle dem Zusatz des Namens der Gewächse in Tylos, die er diesmal etwas ver- ändert Gossympinos nennt, und aus einer andern uns unbekannten Stelle hinzufügt: Juba sage, dafs die dort gemachten Gewande noch feiner seien, als die indischen. Doch bleibt es zweifelhaft, ob diese Worte sich auf Tylos beziehen sollen. Auch die bekannten Worte Virgils in Georgie. II, 120.: „Quid nemora Aethiopum molli canentia lana” (Äthio- pens Haine mit weicher Wolle beschimmert), die so häufig, zumal auch J. H. Vofs Gelegenheit zu Erklärungen gegeben, können uns hier wie viele andere keinen nähern Aufschlufs über unsern Gegenstand geben, da sie nicht local genug gehalten sind, und die genannten, z. B. ganz unbestimmt lassen, welche Gruppen derÄthiopen, ob dielibyschen, diearabischen, oder dieindischen gemeint seien. Auch scheint der weitere Verfolg die- ser Untersuchungen von dem gelehrten Verfasser des Texirinum antiquorum fast schon erschöpft zu sein. Uns bleibt jedoch, hier, für die älteste Zeit noch eine andre Reihe der Benennungen und des Vorkommens übrig, deren Untersuchung uns, al- lerdings mit einiger Zaghaftigkeit, selbst in die vorhomerischen und trojanischen Zeiten zurückzuführen scheint, welche bisher noch keine Würdigung erhalten hatte. Wir meinen das griechische ’OSowm, 6Soviov, das allgemein mit Lein- wand, oder ein Stück Linnen übersetzt ward. Wir wagen es nicht die beiden schwierigen Stellen in der Iliade, und die eine in der Odyssee, denn andre kommen hierüber daselbst nicht vor, besser erklären zu wollen, als unsere gelehrten Vorgänger. (!) Die eine, vom Schleier der Helena N. III. 141. (Apyevvyoı zarunbaneım &Sovyrı, was Vofs übersetzt: in Schleier gehüllt von silberfarbner Leinwand) läfst im Othone, nur ein höchst feines Gewebe erkennen, ohne den Stoff aus dem es gewoben genauer zu bezeichnen. Doch erklärt Pollux VII. 54. diese Stelle (?) schon mit den Worten: „Asunev ErInua Aemrev EE Egiou aA dur En Awou:” — Die zweite Stelle, Il. XVIIL. 595., schildert auf dem Schilde des Achilles, von (') Thesaurus Graecae Linguae H. Steph. ed. Hase Paris 1846. Vol. V. p. 1755-1756.; Dam. Lexic. Etymol. 1709.; Nitsch erklärende Anmerkungen zu Homers Odyssee. B. II. p- 144. u. £. (*) J. Pollux ed. Bekkeri. p, 287. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 337 Hephästos kunstvoll dargestellt, den Reigen tanzender Jungfrauen und Jüng- linge, jene in feine Othone (Aerras öScvas; zarte Leinwand, bei Vofs) ge- kleidet, diese in dicht gewebte Chitone, oder in Tuniken von glänzen- dem Gewande. Auch hier wird zwar ein Gegensatz aber kein Stoff näher bezeichnet. — In der Odyssee VII. 107. wo die Hofhaltung des Phäaken Königs, Alkinoos, mit orientalischem Prunk, wie bei einem Salomo, nach Movers Ausdruck (!) in den Gärten, wie im Pallaste, idealisch geschildert ist, wer- den in den Prunkgemächern auch die zahlreichen Dienerinnen erwähnt, wel- che das Korn für den Schmaus der Gäste malen, indels andere die Spindel drehen, und, noch andre weben, an den dichten Othonen (xaıgorewv d'oSoveuv, so dicht gewebte Leinwand, übersetzt Vofs, dafs selbst das Oel davon abläuft). Mag man das beigefügte Epitheton auch auf die eine oder die andre Weise erklären, die Natur des Gewandes wird dadurch nicht geändert, des- sen Stoff immer als ein seltner, ausgezeichneter erscheint. Er wird immer in Beziehung auf weibliche Bekleidung, etwas Anderes bezeichnen, als die gewöhnliche Leinwand aus welcher der xırwv, die dichtere männli- che Tracht gefertigt war. Auch Yates, der im Textrinum Antiguorum (2) den Stoff jener auch für Leinwand ansieht gibt doch zu, dafs eine ganz be- sondere Art gemeint sein müsse, und vermuthet, dafs an den beiden Stellen, in der Ilias, ein erst aus Ägypten s Kunstwerkstätten eingeführter Stoff genannt sei, der, bis dahin den Hellenen, die überhaupt in der Webkunst noch sehr zurück gewesen, unbekannt geblieben. Er hält daher das Wort, ’OScvr, für ein ägyptisches; obwol er diels bis dahin noch nicht zu belegen im Stande sei; mit der kostbaren Waare sei es aber zu den Hellenen über- tragen worden. Doch würde diese Erklärung der dritten Stelle, der we- benden Frauen im Pallast der Alkinoos, widersprechen, die aber in Yates Textrinum Antiquorum unberücksichtigt geblieben. Bei Herodot kommt das Wort öScviov gar nicht vor, und schon dies könnte die so eben ausge- sprochene Erklärung zweifelhaft machen, wenn man in seinem Verschweigen (') Movers Phönicier Th. II. p. 541. (?) Textrin. Antig. I, 265-267. Philos. - histor. Kl. 1851. Uu 338 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle einen negativen Beweis finden wollte, wie man diesen in seinem Nichtnen- nen der ägyptischen Baumwolle hat finden wollen. Theophrast berührt nur an 2 Stellen die 'OSevi« (!) Zeuge, in deren Lappen man Sämereien zur Aussaat einwickle, und an einer dritten Stelle nennt er eine Pflanze, mit Seifenkraut ähnlichen Blättern (urrwv, eine Art Mohn, Papaver Rhoeas, nach Schneider), die man zum weifswaschen der Othone gebrauche. Auch Galen und Dioscorides V. 152. sprechen von einer Art Appretur dieser Zeuge, indem sie einer Erdart, MEgox,Ses, erwähnen, mit der man dieselben glänzend mache (u yguvra &ı arıAmväuvres ras’OSovas, eine Art Glanzkatun?). Die ö$cvie Busswa der Rosette Inschrift sind schon oben genannt; bei Lucian bezeichnen ’OSevıw dasselbe, was Diogen. Laertius und andere Autoren owösva nennen. Alle folgenden Stellen die im Thesaurus(?) genannt und vollständig aufgeführt sind, stimmen darin über- ein, mit Henric. Stephanus Worten zu reden: ’O-Scvn nihil aliud est gquam ves- timenlum Aerreryros, sublilitatis maximae; bei Philostratus und andern gleichbedeutend mit er-Sns Aerrn der verweichlichten Bewohner von Tarsus, Daher yunaızeiov "OSoviov Aerrov. Und so der später verallgemeinerte Gebrauch des Wortes, von dem Hesychius, sub v. ’OSevn, die merkwürdigen, mit Pollux VII. 54. dem Sinne nach ganz übereinstimmenden, Worte hinzufügt: Awouv Übaspa, nal may To iTyvov adv un Awouv Y, (3) Leinwand, aber auchal- les feine wasauch nicht von Linnen gemacht sein mag. In diesem Schlufssatz scheint die ursprünglich richtigere, auf Xoion beschränkt ge- wesene primitive Bedeutung noch hervorzuschimmern, eine Bedeutung, die der Verfasser des Teextrinum als die secundaire ansieht; ein secundairer späterer Gebrauch konnte allerdings die Ausdrücke ’0Seviov ’Ivdızov, OIo- vıov To agizov in Gang bringen. Dieselbe Stelle des Hesychius hat auch Salmasius (*) mit Nachdruck wiederholt und sich ihr accomodirt: Scio Graecis 6Sovıov more omne tenue vestimentum appellari zav jan Awvcuv 9, mit (') Theophrast Hist. Pl. IX, 12, 5. ed Schneider I. p. 309. ebend. I. p. 229. und de Causis P1.’V! 1649: 531. (*) Thesaurus Graecae Linguae ab H. Steph. ed. Hase, Paris 1846. Vol. V. p. 1756. etc. (?) Textrin. ntig. I. p. 265. (*) Salmas. de Clitophontis et Leucippes Amoribus Lugd. Bat. 1640. 12. b. Hartmann |. c. III. p.42. und ihr Verhällnifs zur Industrie d. Völker aller u. neuer Zeit. 339 dem Nachsatz: Sed proprie linteum hic appellatur. Et quia lintea lanis subliliora, ideo eliam ad lana iraducltum est, quae tenuia essent. Die griechische Etymologie von 5Scvn mufste wol darum rathlos blei- ben, weil wir in ihm ein barbarisches Wort aus dem Arabischen, näm- lich Koton, d.i. Baumwolle, aus der ältesten Phönicier Handelsperiode überliefert erhalten haben, wie das sanskritische Carbasos, das indi- sche Sindon aus den Nachbarländern. Die Abwerfung des vordern, star- ken, arabischen Kehllautes der Griechen, fand eben so statt, wie (nach Lang- les) bei den heutigen Ägyptern, welche das arabische g@f nur noch durch eine ganz schwache, gutturale Aspiration andeuten, welche die Jonier ganz fallen liefsen. In so fern könnte man zugeben, dafs dieses Wort erst auf einem Umwege, aus Arabien über Ägypten, mit der Waare zu den Hellenen gekommen wäre, um der Ansicht James Yates beizutreten, der es aus Agyp- ten herleiten wollte. Der directere Weg aus Arabien, wo Koton von jeher allgemein Bekleidung und einheimisches Gewächs gewesen, wie in Persien, ist aber unstreitig bei phönieischen Handelsleuten zu suchen, die selbst, seit der Ophirfahrt, auch aus Indiens Märkten von Barygaza, die feinsten indischen Musseline dem Abendlande zuführen konnten wenn sie derglei- chen nicht etwa selbst schon in Sidon webten; so, dafs bei den Vordersia- ten durch sie der Schleier der Helena zu Trojanern, und der Äoton, die Baumwolle, als Webgarn in den Pallast des Alkinoos gebracht, oder doch wenigstens zur Kenntnifs des Dichters gelangt sein mochten, der durch diesen, damals, noch seltensten und kostbarsten ausländischen Stoff, an den wenigen, aber ausgewähltesten Stellen seines unsterblichen Gesanges, auch den von ihm besungenen Nichthellenen einen eigenthüm- lichen Glanz und Schmuck, dadurch, zu geben wufste. Hatte doch Paris selbst, nach Ilias VI. 290. die köstlichsten Gewande aus Sidon, nach Troja gebracht. Eine Stelle, die unsere Ansicht, dafs Baumwollengewebe der Phö- nicier, unter dem Namen der Othone, auch schon in jenen frühesten Zeiten sich über die archipelagischen Gestade verbreiten konnten, ist in den Historien Diodors aufbewahrt; aber in ihrem merkwürdigen Zusammen- hange mit dem bisher gesagten, von den früheren Erklärern, und auch von dem Verfasser des Texirin. An/iq. ganz übersehen, weil man bei ihr auch wol nur an Leinen-Gewande dachte. UN? 340 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle Die Insel Melite (das heutige Malta) sagt Diodor. V. 12.: (t) hat Künstler (rexviras) der mannichfaltigsten Art, die vorzüg- lichsten unter ihnen sind aber diejenigen, welche die Othone von ausgezeichnet schöner Weichheit und Feinheit weben (ngarısras dE Tös OSovia mauvras N TE Aemreryri nal TN MaAanoryrı damgern.) Die Insel Melite, fährt Diodor fort, ist aber eine Colonie der Phö- nicier, die sie wegen des treffllichen Hafens zu ihrem Asyl erwählten, um von da ihre Geschäfte in dem fernen Abendlande mit gröfserer Bequem- lichkeit zu betreiben. Ihre Bewohner wurden durch den Handel reich und berühmt. Hier, also, sehen wir in der ersten Blütheperiode der Phöni- cier, und der Begründung ihrer Colonien (zu Hirams und Salomos Zeiten, um das Jahr 1000; vielleicht also schon zur Zeit des Jonischen Sän- gers), auf der mediterranen Insel eine Fabrikation für Baumwollenge- webe im Gange, welche das herkömmliche Vorurtheil, einer viel spätern Ver- breitung dieser Stoffe, wol gänzlich niederschlägt. Denn diese Begründung der Phönicier-Golonie in Melite, geht lange Zeit dem Herodotos vorher, der sie nicht genannt hat. Sollten die Waaren von Melite nicht auch in Ägypten Eingang gefunden haben können, wenn schon, von kunstvoller Baumwollenarbeit nur ein einziges Beispiel aus Amasis Zeit, uns mit Be- stimmtheit überliefert ist. Da Melite in einer uns unbekannten Zeit zur Tochtercolonie der Carthager überging (etwa während des Peloponnesischen Krieges, 430 vor X.), (2) denn zu Skylax Zeit, um das Jahr 350 stand sie schon unter Cartha- gischer Herrschaft,(?) so mufs jene Baumwollenweberei schon lange vor dem ersten Punischen Kriege im Gange gewesen sein. In diesem zerstörte und verheerte (*) der Consul Attilius die Insel, und ihre schön gebaute Stadt, im Jahre 257. vor Chr., weil sie den Carthagern gehörte. Aus Ci- ceros Reden (in Verrem IV. 46.) wissen wir, dafs die Fabrikation der (') Diodor. Sicul. ed Wessel. T. I. p. 339. (2) s. Phil. Cluverii Sicilia antigua Lugd. Bat. 1619. Fo.. 431. (°) Skylax Coryand. ed Hudson Geogr. M. Vol.I. p. 50.: s. Ukert G. d. Gr. u. R. I. 2. p. 295. (*) Paul Orosius Histor. Lib. IV. c. 8. ed S. Havercamp. Lugd. Bat. 1767. p. 235. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 341 üppigsten, weiblichen Kunstgewebe, deren sich der Schwelger be- diente, dort, zu seiner Zeit noch immer im Gange war. Noch Hesychius kannte diese Baumwollengewebe, die er unter dem besondern Namen Merıraua anführt: ’OSevi@ (rwa) diapega Ex Merirys, wozu Wesseling die Worte fügt: Zenuissima arborum lana quae Graecis &gio Eu- Aov nobis vulgo Gossypium. Wesseling erkannte also die 'OSovia schon für Baumwollenzeuge an, ohne jedoch einer Identität des griechischen Wortes mit dem arabischen zu erwähnen. Dr. Vincent in seinem berühmten Werke über (!) den Periplus des Erythräischen Meeres und den Verkehr der Alten mit Indien, mufste wol durch den schlagenden Inhalt dieses Periplus, auf die wahre Bedeutung von ’oSeviev geführt werden, dafs er mit Musselin übersetzt. Aber seine ganz unhaltbare (?) Etymologie des Wortes Cotton, von Mala Colonea (Juittenapfel, weil Theophrast wie Plinius XII. 21. die Gröfse der Baumwollenkapsel mit einem uAAov Eaegıvov, den er für identisch mit einem AAov zudwvıov einem Quittenapfel hielt, verglichen hatten, führten ihn so sehr irre, dafs die wichtigsten Belege in Arrians Periplus, bei ihm, ohne Frucht blieben. Ungeachtet er selbst den Grundsatz, den auch wir überall befolgt haben, festzuhalten suchte, wenn es für ein ausländisches Pro- duct einen gleichlautenden einheimischen, heimathlichen Namen gebe, lie- ber diesen für den ursprünglichen als den griechischen für die primitive Originalbenennung zu halten: so fehlte er doch bei dem arabischen Namen Koton dagegen, da er die Mala Cotonea (der Lateiner, bei Varro R. R.1. 59. u. a.) in Creta (deren Stadt zudwvıe, Steph. Byz., nicht Cotonea, gehei- fsen, wenn schon Cosoneum einen Quittenapfel bezeichnet) zum Vergleich nahm, obwol von dem ältern Wachsthum des Gossypium auf dieser Insel Creta nichts bekamnt ist. Er leitete deshalb, (°) mit seinen Vorgängern, auch ’OSoviov als Diminutiv, ein Stückchen vom °OSdvy ab (das er durch: the thin inner garment of women corresponding to the yırwv of men, bei Homer zu erklären suchte), was aber keineswegs durchgehenden Maafsstab für das Wort ’OSoviov abgiebt. (') Dr. Will. Vincent zre Commerce and Navigation of Ihe Ancient in the Indian Ocean. London 4. 1807. Vol. II. p. 749-750. (?) ebend. Vol. I. p. 14. Not. Cotton seems to derive its name from the fruit in Crete called by Plinius Mala Cotonea. (°) W. Vincent I. c. Vol. II. p. 750. 342 Rırrer über die geographische Verbreituug der Baumwolle Der Verfasser des Textr. Antig. blieb bei seiner Ansicht (!) der ur- sprünglichen Identität der Worte "OSovn mit Sıwdwv und Bursos stehen, als Bedeutung von Leinwand, von welcher sie nur verschiedne Qualitäten be- zeichnen sollte, auf die belehrenden Angaben des Periplus Maris Erythraei nahm er gar keine Rücksicht, gab aber zu, dals in den spätern Zeiten diese Benennungen auch, aber auf uneigentliche Weise, auf Baumwollen- zeuge angewendet seien. Wir haben daher jetzt noch den genauern Nachweis dieser und ande- rer Bezeichnungen bei Strabo und im Periplus zu geben übrig, wodurch uns diese Untersuchung abgeschlossen erscheint. Allerdings tritt die letztere jüngere allgemeiner werdende Bezeichnung immer mehr in ihrer wahren Be- deutung hervor, je genauer man durch die Entdeckungszüge Alexanders und seiner Nachfolger mit den Producten, Waaren und Lebensweisen Indiens bekannt ward. Schon bei Strabo und in Arrians Periplus des Erythräischen Meeres, der freilich erst aus der Zeit des Kaiser Claudius, also aus der Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts, oder selbst noch später herstammt, tritt dies immer sichtbarer hervor, wie sich dies auch schon aus folgenden Daten ergeben wird. Die Nachricht von einem der Begleiter Alexanders, von seinem Feld- herren Aristobulos, über die wolletragenden Bäume, gehört besonders hierher, da er der Einzige seiner Zeit ist, der in der Kapsel der Baumwol- lenfrucht die Saamenkerne (ugäva, s. ob.) nannte, die eine Wolle zurück- lasse, welche, wenn man jene herausgenommen, gekrämpelt werde (EawerIai, Strabo XV. 694.). Nearchos sagte, dafs in Indien auf den Bäumen Wolle (£gıv) wachse, und aus dieser webten sie sehr feine Gewebe (£unrgisus awöcvas, Strabo XV. 693.). Clitarchos sagte, dafs die Waldbrüder Zeuge aus Baumrinde (s. oben) tragen, die Stadtleute aber in Baumwolle gekleidet gehen (in Sindon, Strabo XV. 719.). Daher das Sindontragen (rwoovo- degouvra, sindonum induere, Strabo XV. 712.) gleichbedeutend sei mit einer lockern Lebensweise, und bachantisch sei es, sagte Magasthenes, in dem Sindon und der Mithra einhergehen (Asvurıaxev d& nal To wösvopogeiv nal To KırgeusSaı). (?) (') Textrin. Antig. I. p. 267. u.a. O. (?) E. A. Schwanbeck Megasth. Indic. Bonn 8. 1846. p. 135. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Fölker alter u. neuer Zeit. 343 Doch fügt Strabo, zu obigen Stellen hinzu, man könne noch sagen, dafs die Inder überhaupt weifse Gewande trügen, sowol weise Sindone als auch Karpasa. Andere behaupten die Sorge für die Todten sei bei den Indern gering, dagegen die Sorge für dieLebenden weit gröfser: denn sie trügen schön geblümte, (buntfarbige, nach Lassen) Baumwollen- gewande (rwöcvas re pogeurw &vav-Ieis), und beladen ihre Körper mit Schmuck von Gold und Edelsteinen (Strabo XV. 709.). Dies letztere sind die eige- nen Worte des Megasihenes. (1) Derselbe sagte zwar kurz vorher, die Inder wüfsten nichts von der Schrift, sondern beschafften Alles aus dem Gedächt- nifse, aber Strabo berichtigt dies in so weit, dafs sie Briefe auf dicht ge- schlagnem Baumwollenzeuge oder aufBaumwollenpapier schreiben (Emiroras de Ygapeı Ev aiwderı Aav HERDOTNRLEVALS. Strabo XV. 717.). Wenn in Arrians Indica VII. 3., von Bäumen die Rede ist die ganze Knäuel von Wolle tragen (öiameg oAuras), so ist dies eine nur ober- flächliche, aber doch richtige Angabe; wenn aber eben daselbst XVI. 1. von köstlichen Linnen, das man von Bäumen erhalte (Awcov rev dro ruv devdgewv) die Rede ist, welches unter allen das reinste Weils habe, so bleibt dies nur eine falsche Anwendung von Awev, und kann nicht als Beweis dienen, dafs sivdov Leinwand bezeichne. (?) Wenn Strabo in diesen Nachrichten über Indien fast ausschliefslich den Ausdruck civdev gebraucht, so ist dies für die ächte, primitive Bedeutung dieses Wortes, als Baumwollengewebe, bei Hellenen wol recht characteristisch; denn alle seine Quellen rühren von macedonischen Griechen, von solchen Augenzeugen her, die im directe- sten Verkehr auf dem nördlichen Handelswege über den obern Sind, oder Indusstrom, mit den Indern in Berührung kamen, und der ältesten, ächten Bedeutung des Wortes treu blieben. Die directeste südliche Handelsverbindung von Ceylon, durch den Indischen Ocean mit den Flotten der Ptolemäer nach Berenike und Kop- tos, wird dahin den Namen der Ceylon-Waare, Xylon, gebracht haben. Aber zwischen diesen beiden lag die phönicisch - arabische Handelsstrafse. Die arabischen Quellen waren Strabo unzugänglich geblieben, daher auch hei ihm der Ausdruck On so wenig vorkommt, als (') ebendas. p. 114. (?) J. Yales Texzr. Antig. I. p. 337. 344 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle bei Herodot, Plinius und Anderen. Nur bei Phönieiern, wo wir ihn schon durch Diodor auf Melite, bei Ägyptern, wo wir ihn auf der Rosette- Inschrift in Anwendung gebracht sahen, vorzüglich aber auf dem Gebiete der Araber, ist er auch für Griechischschreibende characteristisch ge- worden, vorzüglich in dem Periplus Maris Erythraei, des dort ein- heimischen Bericht-Erstatters des griechisch-arabischen Handels- verkehrs. Diese genetisch-ethnographische Ansicht der primitiven Herkunft und des primitiven Gebrauchs, jener bei den Völkern des Abendlandes eingebürgerten, orientalischen Benennungen, im Gegensatz der Ansicht eines späterhin nur verallgemeinerten, oberflächlichern, secun- dairen Gebrauchs derselben Worte, den man sich bisher, bei Autoren und Völkern nur als zufällig, oder willkührlich dachte, oder einen Zusammen- hang derselben nur vom Standpunkte der classischen Literatur aus be- trachtete, scheint, in den mehrsten Fällen, auch die Gründe dieses oder jenes bevorzugten Gebrauchs bei den verschiedenen Quellenschriftstellern nachwei- sen zu können. Auch bei den alttestamentlichen Bezeichnungen derselben Gegenstände, tritt dies noch insbesondere hervor. Unsre Methode, die wir hier in Anwendung zu bringen versucht haben, hat uns meist zu ganz entge- gengesetzten Resultaten geführt wie die welche der jüngste gelehrte engli- sche Bearbeiter des Texirinum antiquorum, dem wir jedoch auch viele treff- liche Forschungen verdanken, verfolgt hat, und die er zumal in Beziehung auf rivdwy und OSovy zu finden glaubte. Er sagt: (?) Obwol Sindon ursprüng- lich Linnen bedeutete, so ist es doch eben so wie ’O.$o, auch für Cotton- zeuge gebraucht worden, zumal für die feinern Arten, die in Ägypten gefer- tigt wurden. Anfänglich bezeichneten beide Ausdrücke nur Linnenzeuge allein; so wie aber die Linnenmanufactur sich auch in andre Länder ver- breitete, und die Exporten von Indien zu denen von Ägypten hinzukamen, wurden alle Varietäten von Linnen und Cottonzeugen, wo sie auch gewebt sein mochten mit dem ägyptischen Namen rivdov und ’O-$ovy genannt. Wir halten dafür, dafs die Beachtung des Periplus Mar. Erythr. unsre ent- gegengesetzte Ansicht noch mehr ins klare stellen wird. (') Textrin. Antig. I. p. 267. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 345 Dessen Verfasser, der Pseudo-Arrian, ist ein erfahrungsreicher Kenner des Handels auf den arabischen und indischen Meeren, und ihren Gestaden, bis zum Ganges hin, wo er in allen gröfseren Häfen mit den besuchteren Marktorten und dem Waarenumtausch, mit den Exporten und Importen der Landschaften sehr vertraut erscheint. Bei der reichern Aufzählung indi- scher und arabischer Waaren, mit vielen einheimischen und fremden Benennungen, in denen er alle seine Vorgänger weit übertrifft, führt er mehr- mals auch das Sindon, weit häufiger, ja fast unzählige male, auch das Otho- nion an, sehr natürlich weil der Name Koton im Handel auf dem erythräi- schen Meere, mit dem abyssinischen, oberägyptischen und indi- schem Gestade, als der einheimisch arabische, auch der gebräuchlich- ste war: denn arabische Schiffer und Handelsleute spielten hier wol die Hauptrolle. Beide dienen dazu, den reichen Schatz indischer Baumwollen- zeuge der mannichfaltigsten Art und selbst mitunter wol auch einmal andre, wie serische Gewebe, zu bezeichnen. Dafs auch bei ihm swowr, entschieden das Baumwollengewebe be- zeichnet, ergiebt sich am deutlichsten gegen den Schlufs seines Berichtes, & wo er endlich das grolse Emporium an der Mündung des Gangesstromes erreicht, das mit diesem gleichen Namen hat. (!) Von da, berichtet er, werde das Malabathron, die gangetische Narde, das Pinikon (Bys- sus, Pinna marina), von da nebst vielen andern Kostbarkeiten, werden auch die aller ausgezeichnetsten Sindone ausgeführt, welche man die Gangetischen nenne (zei swösves ı dapopwraraı, dal’ayyırızal Acyausvaı p- 36.). Hierunter kann durchaus nichts anderes verstanden werden, als die superfeinsten, bengalischen Musseline, welche durch das ganze Mit- telalter, zumal an den Höfen der Grofs Moghule in Delhi und vieler indi- scher Fürsten so berühmt und gesucht waren, und es heute noch sind. Da wir durch Arrian an alle indische Gestadelandschaften geführt werden, so wollen wir ihn hier nur zu denjenigen Hauptemporien begleiten, wo von den Baumwollenwaaren die Rede ist. Aus den Häfen des arabischen Meeres, sagt der Peripl., führte man in das Axumitische Reich, unter Zoskales (Za Hakale d. i. Schah Hakale, (') Periplus Maris Erythr. ed Hudson in Geogr. Graeci Min. Vol. I. p. 36.; vergl. W. Cornmerce and Navigat 11. p. 759 759. Philos.- histor. Kl. 1851. Xx 346 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle reg. von 76-99 n. Chr. G.)(!) im Berber-Hafen ein, aufser indischem Stahl und anderen Waaren, auch ein sehr feines, indisches Baumwol- lengewebe ((OSeviov Indy mAaruregov) (?) das man auch Monakhe nannte. Dann auch ordinaire Sarmatogine (Fapnaroynvan, d.i. gröbere Baumwolle zum polstern)(°) Gürtel, Gaunake (zawaxaı?), Molochine und we- nige Sindone. In das Weirauchland, den Sachalitischen Golf, (*) führte man von Barygaza: Olhonium, Oel und Getreide zu den Arabern ein, und erhielt von ihnen Weirauch (°). Von der Metropole Minnagara in Indien führte man diemehrsten Baum wollenzeuge (TAsirrov ’OSoviev) nach Barygaza, auch seidene Garne (vaua angızev) und auch Indigo (Ivörzev uerav). (9) Jenseit des Indus-Flufs (des Sinth) und des Run-Golfs (eıgwwev) (7) nach Barygaza, brachte man viele Edelsteine, indische Baumwollenge- webe, Molochine und sehr viele gemeinere Baumwollenzeuge (Fiwöcves Tvdizaı, al meroywaı, al izavev Yudary ’OSoviev) (°). Xudarov entspricht dem heutigen Dungaree nach Vincent. Von Barygaza führte man aus: Narden, Bedellium, Myrrhe und alle Arten von bunten Baumwollenzeugen (kai ’OScviov Fayroiov; bunte Katune?); auch Molochine, Seide und Garne (vzue). In die Emporien des südlichen Dekan (Aayıwaßadys) brachte man dieselben und viele andere Waaren. In Pandions Reich, zu Taprobane, und in die weithin am indischen Meere nach dem Innern sich erstreckenden Küsten Masalia’s (Cholomandala, Koromandel), wurden die meisten Baumwollengewebe gefertigt (yivvorrau ev aurnrwöovss rRuıstaı).(?) DenSchlufs dieser sehr reichhaltigen Aufzählung, aus der wir nur Einiges hervorgehoben, mit den feinsten Gangetischen Musselinen, haben wir schon zuvor « angeführt. eripl. I. c. p. 5; Vincent |. c. II. p. 695. 696. trabo XV. 693. Vincent |. c. II. p. 749. Ilg. Erdk. XIII. S. 307. u. £. i p- 18. p- 22. 24. p- 23.; s. Erdk. Asiens B. VII. S. 157, 171. p- 28.; Vincent I. c. II. p. 741. p- 34. 35. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 347 Über das Vorkommen der Baumwolle in den alttestamentalischen Schriften, bei den Hebräern, was wir hier, bei ihrer centralen, ethno- graphischen Stellung, vorzüglich in Beziehung auf ihre Nachbarvölker, zu- mal Phönicier, Araber, Ägypter, auch wol Babylonier, Perser und Inder, zur gegenseitigen Aufhellung der historisch gewordenen Benennungen im höhern Alterthume, nicht ganz übergehen können, dürfen wir uns kürzer fassen, da die Benennungen bei ihnen einfacher, und Forschungen über die- selben schon durch die ausgezeichnetesten Orientalisten uns vorliegen (Bo- chart, Jablonsky, Faber, Forster, Gesenius, Hartmann, Rosenmüller, Tuch, Petermann u. A.). Dem Wesentlichen nach stimmen die Resultate ihrer Forschungen meist unter sich überein, wenn auch in der Anwendung auf so manche schwierige, jedoch mehr untergeordnete einzelne Stellen, in den Quellen der so reichen und mannichfaltigen semitischen Literatur, den Beherrschern dieses Gebietes sich noch ein reiches Feld der Critik darbietet. Aufser dem Sanskritisehen Carpas im Buche Esther worüber wir schon früher Auskunft suchten, finden sich im hebräischen, vorherrschend nur zwei Bezeichnungen Schesch und Buz (WS und xı2), die ziemlich allge- mein für Baumwolle anerkannt sind. Von Schesch ist das Feierkleid mit dem Joseph durch Pharao ange- than ward, als er ihn mit Ring und goldnem Halsschmuck zum Obersten in Ägyptenland einsetzte (1 B.M. 41. 42.). Diese Stelle übersetzt Luther mit weifser Seide, v. Meyer mit köstlicher Leinwand, Lepsius(!) mit Kleidern von Byssus, was, nach ihm, vorzugsweise Kleid der ägyptischen Könige und Priester war, wodurch zugleich die Erhebung Josephs in die vornehmste Klasse, in die der Priester, angezeigt wird. Von weifsen, gewobenen Schesch war der Leibrock und die Kopfbedeckung Aarons, des ho- hen Priesters und seiner Söhne (2 B.M. 39, 27.). Die hebräischen Frauen webten am Sinai ihr Gespinst von blau, Purpur und weifsem Schesch, für den Schmuck des hohen Priesters und der Stiftshütte (2 B. Mos. 35, 25.). Die Thür von dieser erhielt ihren Vorhang von blau, Purpur, Scharlach und aus weilsem Schesch gewoben, und eben so der Vorhang vor den Che- rubim im Allerheiligsten (2B. Mos. 36, 34 und 37.). (') R. Lepsius Chronologie der Ägypter. Th. I. 4. p. 381. Note 2. Xx2 348 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle Einige dreifsig Mal, sagt Rosenmüller (!) in seiner lehrreichen Er- klärung dieses Wortes, kommt derselbe Name Schesch, allein, in den beiden ersten Büchern Mosis vor. Er wird an den mehrsten Stellen mit Baumwolle übersetzt, weil darauf die Bedeutung im koptischen mit Schens (weite) führt, das auch von Petermann für identisch mit dem hebräischen Schesch, das als Burses von den Alexandrinern wiedergegeben ist, erklärt wird. Allerdings darf man nicht vergessen, dafs unter den Pharaonen zu Mosis Zeiten die altägyptische Benennung unbekannt geblieben, und die Überlieferung der Bedeutung im Koptischen, nur erst aus der späteren Periode der Ptolemäer datiren könnte. (?) Obalso das Wort Schesch ur- sprünglich ein ägyptisches Wort war, das nur zu den Hebräern überging, mit der Sache, wird wol zweifelhaft bleiben. Die Weberei hatte in Agyp- ten schon vor der mosaischen Zeit einen hohen Grad von Ausbildung erhalten, und diese Kunst übertrug das Volk Israel, mit seinem Auszuge aus Ägypten, nun auch in das gelobte Land. Hier mag es aber auffallen, dafs man ziemlich allgemein das Vorhan- densein der Baumwolle bei den Ägyptern in den ältesten Pharaonen-Zei- ten, nicht gelten läfst, aber in den beiden ersten mosaischen, und auch den folgenden Büchern, vorzugsweise Schesch mit Baumwolle über- setzt hat. Der Verfasser des Trexzr. Antig., der sich nicht tiefer in diese Unter- suchung einläfst, geht leicht an der Schwierigkeit vorüber, indem er sich an die Aussage der hebräischen Rabbiner hält, welche erklärten: Shesh, oder Ses, sei eine Art von Flachs (a kind of flax), der nur in Ägypten wachse und von der feinsten Qualität sei. Schon J. R. Forster, de Bysso, erklärte den Ausdruck Schesch der Hebräer für gleichbedeutend mit Byssus, weil die Alexandrinischen Überset- zer Schesch stets durch Byssus wiedergeben; diesem wird von allen spätern Erklärern beigestimmt, ohne dafs über die Bedeutung von Byssus Einstim- migkeit herrschend wäre. Da, aber, Forster die Mumienzeuge der alten Ägypter, irriger Weise, insgesammt für Baumwollenzeuge hielt, so stellte er auch die Hypothese auf, das hebräische Schesch sei nur eine Contraction (') Rosenmüller Bibl. Alterthk. IV. B. 1830. p. 175-180.; vergl. Ipp. Rosellini Monu- menti Cieili |. c. P. II. p. 344-350. (*) Dav. Scott a. a. O. p. 74. und ihr Verhälinifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 349 aus dem ägpytischen ‚Schenes, nämlich aus Sche, Baum, und Es, das, nach seiner Vermuthung, die Frucht der Baumwollenstaude bedeuten sollte, und dafs durch das eingeschobene n, der Genitiv bezeichnet sei. Da das griechische Wort Burros stets im Koptischen durch Schens (weite, nicht Schensch wie Rosenmüller schreibt) gegeben wird, so hielten auch Jablonski, und andere Erklärer, diese Angabe für gewifs (Jablonski Op. I. 290.). Neuere Kenner des Koptischen halten dafür, dafs jene For- stersche Etymologie von Schenes, oder vielmehr Schens, nicht zu rechtfer- tigen sei, da ec, d.i. Es, im Koptischen, nirgends für Baumwolle bekannt sei. Die Koptische Benennung für Baum, Holz, ist allerdings we, Sche, went, Schen und die Reduplication Schschen. Gesenius leitete das hebräische Wort .‚Schesch (Hebr. W. S. 873.), daher, lieber von einem andern hebräischen Worte: „weifs sein” her, und meint, dies könne auch aus der ägyptischen Sprache entlehnt sein, indefs man dabei zugleich an die hebräische Etymologie gedacht hätte. Hiernach würde also, der Stoff, aus welchem das Zeug gewoben war, dadurch gar nicht bezeichnet seien, sondern nur eine allerdings sehr frappante Eigenschaft der Baumwolle und Baumwollenzeuge, die blendend weifse Natur dieses Productes, (!) die nicht erst durch bleichen, oder durch eine be- sondere Kunst bervorgebracht zu werden braucht, sondern dem Stoffe so eigen ist, dafs er, wol dadurch characteristisch bezeichnet werden konnte. Auch ist diese schimmernde Weifse an vielen Stellen der Alten hervorge- hoben, z.B. in der Offenbarung Joh. 19. 14. u. a, O. Hartmann, der Forsters Ansicht, dafs die Mumiengewande aus- schliefslich aus Baumwolle beständen, keineswegs unbedingt theilt, meinte, (?) man werde weniger irren, wenn man annehme, dafs die verschiedensten Ar- ten von Leinwand gewöhnlich zur Todtenbekleidung gehörten, aber, sehr feine Gattungen von Baumwollenzeugen nicht ganz davon ausge- schlossen geblieben sein möchten, wozu bis jetzt die Erfahrung und Unter- suchung unter den Monumenten, wie wir oben sahen, freilich noch keinen Beleg aufgefunden hat. Doch stimmt Hartmann darin mit Forster über- (') Dav. Scott a. a. ©. p. 73. (°) A. Th. Hartmann die Hebräerin am Putztisch 1809. Th. I. p. 62.; und Anmerkun- gen und Erläuterungen 'Th. III. p. 34-46. 350 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle ein, dafs das hebräische Wort Schesch, ursprünglich Baumwolle, oder die Baumwollenstaude, späterhin Baumwollenzeuge bedeutet haben möge, obwol durch dasselbe Wort, Schesch, auch wol die feinste Lein- wand, so wie auch das später üblich gewordene Wort Buz (z.B. 2 Chron. 3,13. und 3, 13.) dieselbe ebenfalls bezeichnet hätte. Die Annahme von Schesch, als Baumwolle, scheint auch durch den fortwährenden gleichartigen Gebrauch desselben Wortes bei den spätern Arabern gerechtfertigt zu werden. Zu seiner Zeit, sagte Niebuhr, (t) nannte der Araber das feine Nesseltuch, das er um den Kopf zu binden pflegt, Sasch; und dies erkannte Hartmann ganz für identisch mit dem he- bräischen Worte Schesch an. Die feinen Baumwollenbinden und Gürtel, und die mit Gold durchwirkten Baumwollenstoffe der Turbane im Orient, heifsen Scheesch; dasselbe Wort, das sich gegen Ost bis zum Ganges, im West aber im Scias (Sch'asch nach S. de Sacy), bis nach Italien verbreitet hat. Prosper Alpin Hist. Nat. Aegypti 1735. 4. p. 38. sagte: In Arabia ex hae xylini lanugine telas illas tenuissimas (quas sessa illi appellant, atque mullis Byssorum anliquorum esse persuasum est) parant ete.. Zu diesen Beweisen für die Bedeutung der Baumwolle sagt Hart- manna.a. O., rechne er auch noch alle die biblischen Stellen, wo von purpurrothen, karmosinfarbigen und ähnlich gefärbten Schesch die Rede sei, und weiset hierüber die Gründe (?) nach, zu denen man noch hinzufügen kann, was schon früher bemerkt wurde, dafs nur Baumwolle durch Färbe- rei solche Prachtfarben annimmt, Leinen aber nicht. Buz (x*2), oder richtiger dos, oder bus gesprochen jene zweite bei den Hebräern erst entschieden seit Salomos Zeiten (?) gebräuchlicher ge- wordene Benennung, wird in den späteren Büchern des Alten Testamentes, der Chronik, Esther, bei Ezechiel 22, 16., der sagte: „Die Syrer bringen dir, o Tyrus, Rubin, Purpur und dös auf deine Märkte,” statt Schesch, zur Bezeichnung der Baumwolle gebraucht. Dieses Wort wird nicht nur von den Alexandrinern, mit der griechischen Endsylbe os, mit (') Niebuhr Beschreibung von Arabien. p.62. (?) Hartmann a. a. O. III. p. 126-139. (°) Dav. Scott on zhe substance called Fine Linnen in the Sacred VWFritings ın Edinb. N. Phil. Journ. 1827. p. 71-76. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 351 Byssos übersetzt, sondern es ist dieses hebräische Wort, nach Prof. Peter- manns gütiger Mittheilung, auch dasselbe in der äthiopischen Sprache ein- heimische Wort: besös oder bisös auch bisön (Exod. 25, 4., und Luc. 16, 19.). Im Koptischen soll es nach Dav. Scott und den Nachforschungen Dr. Partheys(') nicht vorhanden sein; sein Ursprung scheint wol eher ori- entalisch, aus salomonischer Zeit, seit der Ophirfahrt, erst nach dem Westen übertragen, und gräcisirt worden zu sein; denn auch die Benennung besös und disös, stammt in der semitischen Schwestersprache, dem äthiopischen, nach Prof. Petermann, wahrscheinlich erst aus späterer Zeit, und ist viel- leicht erst durch die Griechen vermittelt worden. J. R. Forster hielt Bussos, wie Schesch, auch für ein ägyptisches Wort wofür aber kein Beweis vorhanden. Doch stimmt der Verfasser des Texzrin. Antig. (?) ihm darin bei. Ein Beweis für eine orientalische Abstammung des hebräischen dos, vielleicht seit der Ophirfahrt, ist uns bis jetzt auch noch unbekannt ge- blieben. Nach J. Ludolf heifst Busres im Äthiopischen auch asmar und melat, Exod. 36. 9. sqq., was aus dem Chaldäischen und Talmudischen melätä, (von wnAwrn), oder nach Ludolf von Aldet hergeleitet wird. Sollte man nicht vielmehr die Insel Melite, oder Malta, als Fabrikat, für diese Baumwollen-Waare, nach Diodors Angabe, vorziehen, da die Stoffe, nach Hesychius, wirklich den Namen Meliteia führten. Auch in Palästina waren, nach dem 1 B. Chron. 4, 21., solche We- bereien im Gange, wo aus dem Geschlechte Juda, das Haus Asbea, zur In- nung der Musselinweber, aus Bus (Byssus,) genannt ward. Börros wird von den Alexandrinern stets als identisch mit dem hebräi- schen Schesch, als Baumwolle bezeichnet; nach Prof. Petermann wird beides in der Amhara Sprache auch durch Ze, wiedergegeben, was die Identität bestätigt, und auch mit dem hebräischen Worte Schesch, nach dem genannten Sprachforscher, (*) wirklich identisch ist. Unter den ägyptischen Dingbildern (*) scheint nach Bunsen, auch basöu der Name (der sich auch ins angelsächsische verirrt hat,) für Byssus (') Dr. G. Parthey Msc. Mittheilung. (2) J. Yates Texzrinum antiquorum p. 279. (°) Nach Petermanns Msc. ) 352 Rırren über die geographische Verbreitung der Baumwolle gewesen zu sein, da ein ganzer Leibrock daselbst, Shenti (sivov?) ein halber Leibrock basou (Burees) heifst. Diese ganze Gruppe der verschie- densten semitischen Benennungen stimmt, demnach, in ihrer einen gemein- schaftlichen Grundbedeutung überein. Leider besitzen wir keine directen Nachrichten über die Benennungen bei den Phöniciern, welche aber, wie sich aus Anderem und auch aus Diodors Othonien-Webereien in Melite ergab, der arabischen Benennung Äoton sich bedient haben müssen. Mufs es nicht auffallen, dafs auch Philo in Alexandrien, in den Jü- dischen Historien, wie Hartmann bemerkte, (!) die feinen Zeuge, womit das Gotteszelt der Hebräer behangen war, mit Aerras ’OScvas bezeichnet, und an einer anderen Stelle die leichte Sommerbekleidung: Awnv OScvyv nennt, was man gewöhnlich mit leichtes Leinengewand übersetzt hat. Sollte es nicht vielmehr, wortgetreuer ein feines Gewand von Koton, von Baumwolle d. i. ein Byssusgewand bezeichnen, da Burses und dos iden- tisch sind? Man setzt dieser Ansicht eine andere Stelle bei Philo, p. 597. ent- gegen, weil diese sage, der Hohe Priester, beim Eintritt in das Allerheilig- ste, müsse Gewänder vom reinsten Byssos tragen, und dies übersetzt auch Hartmann selbst durch leinene Kleider. Man stützt sich auf die vorige Stelle, bei Philo p. 667., wo es heilst: der Vorhang des Allerheiligsten sei aus Schesch, d.i. Byssos gewebt, deswegen fügt Philo hinzu, weil man ihn mit der Erde vergleicht, aus der er unmittelbar hervorsprosse, wie die Purpurschnecke aus dem Meere. Man deutet dies daher auf Flachs; und, Byssus, sagt Hartmann sei also, bei den Alten für Beides, für Flachs wie für Baumwolle in Gebrauch gekommen. Aber wurde diese Erklä- rung des Philo nicht vielmehr im Gegensatz der thierischen Wolle, der Schaafwolle gesagt, die schon bei den Agyptern für unrein galt: denn auf den Baumwollenstrauch pafst dieser Gegensatz nicht, da er eben so rein aus der Erde hervorsprofst, wie der Flachs.. Wenn daher, schon zu Mose Zeiten, der Vorhang vor den Cherubim, des Allerheiligsten in der Stifts- hütte am Sinai, aus Schesch gewebt war (2 B. Mos. 36, 37.), so scheint kein Grund vorhanden, dafs er späterhin nicht mehr aus derselben Mate- rie (Byssus gleich Schesch) sondern nur aus Leinen hätte gewebt wer- den dürfen. (') Hartmann a. a. O. III. Th. p. 41. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 353 Die so gewöhnlich gewordene Ausschliefsung der Baumwolle, aus allen Erklärungen antiker Angaben, bei Ägyptern und Hebräern in ihren hei- ligen Gebräuchen und Einrichtungen fand ihre Hauptstütze in der Darstel- lung des Plutarch, der jedoch erst unter Trajan und Hadrian sein Werk über Isis und Osiris schrieb, darin die folgende weitläufige Erklärung sich „befindet. „Isisdiener, sagt er, tragen den Linnenkittel (Awas &rSAras) (1) „and das geschorne Haar. Der Menge ist es unbekannt warum die Priester „ihre Haare abscheeren und linnene Kleider tragen. Manchen liegt über- „baupt nichts an der Belehrung über solche Dinge; Andre sagen wegen der „Verehrung des Schaafes (?) enthielten sich die Priester der Wolle, wie des „Fleisches; den Kopf liefsen sie wegen der Trauer scheeren, Linnen, aber, „trügen sie wegen der Farbe des blühenden Flachses, die der ätherischen „weltumfassenden Lichtbläue gleichkomme. Allein die einzig wahre „Ursache ist, dafs den Reinen, wie Platon sagt, nichts Unreines berühren „darf. .... Lächerlich fährt Plutarch fort, wäre es, während man bei den „Sühnungen die eignen Haare abscheert, und den ganzen Körper gleichmä- „fsig glättet, dagegen die Haare der Thiere anzunehmen und zu tragen. — „Der Flachs wächst auf unsterblicher Erde, trägt eine geniefsbare Frucht, „und giebt ein schlichtes reinliches, beim Umhüllen nicht beschwe- „rendes Kleid, für jede Jahreszeit wol passend, und wie man sagt am „meisten frei von Ungeziefer.” Wir brauchen nicht zu wiederholen, dafs die von Plutarch angegebenen Vorzüge wie dem Linnen meist eben so, bis auf die blaue Himmelsfarbe, dem Gewebe aus Gossypium auch zu Gute kommen. Dafs die ägyptischen Prie- ster leinene Kleider tragen, kann nicht als uneingeschränkte Regel gelten, da Plin. Hist. XIX. 2. bemerkt, dafs die Gossypium-Gewande den ägyplischen Priestern die angenehmsten Kleider seien (Festes inde sacerdotibus Aegypti gralissimae); auch hingen die Oberpriester bei feierlichen Gelegenheiten noch andere Gewande selbst Thierhäute 2. B. Leopardenfelle, als Mäntel um. Bei der Umhüllung der Mumien macht Parthey, (?) in seinen Anmerkungen zu (') Plutarchs Isis und Osiris nach neuverglichenen Handschriften mit Übersetzungen und Erläuterungen herausgegeben v. G. Parthey. Berlin 1850. $. 3. p. 5-6. (2) vergl. ebd. p. 261. (°) Plutarch Isis und Osiris v. Partbey Anmerk. p. 157-158. Philos. - histor. Kl. 1851. Yy 354 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle Plutarchs Stelle in Isis und Osiris, noch darauf aufmerksam, dafs die ver- schiedenen Zeiten wol zu unterscheiden seien, da die neuesten Untersuchun- gen von Birch zeigen, dafs sogar bei den ältesten bekannt gewordenen Mu- mien, wie z. B. bei denen des Königs Menkare, aus der 4ten manethonischen Dynastie, Hüllen von Schaafwolle (!) angewendet wurden, und dafs erst in der 12ten Dynastie sich leinene Binden zu zeigen anfangen, die von da an (vielleicht in Folge jenes von Plutarch ausgesprochene Priester- Dogmas), in allgemeinem Gebrauche geblieben. Was Herodot II, 37. von linnenen Kleidern der Ägypter die immer frisch gewaschen sein müssen, und in demselben Capitel noch einmal wieder- holt von den ägyptischen Priestern, mit Nachdruck, sagt, dafs sie nur ein linnen Kleid und nur Schuhe von Byblus tragen, und ein anderes Kleid als diesesnicht anlegen dürfen (Herod. II. 37. &uara de Ave dopterı, und dann wieder erSAra de dogessı ce igees Awveyv Movunv — dagegen er die Mumi- engewande mit ganz anderem Ausdruck, mit Sindon byssinon bezeichnete) stimmt mit diesem Dogma der zu Herodots Zeiten geltenden Ordensre- gel auch vollkommen überein. Ob diese Priestersatzung auch schon früher, und dann auch später noch gegolten habe, nach der Ptolemäer Zeiten, ist eine andere Frage; doch wahrscheinlich, da, bei der Einführung des Isisdien- stes in Rom die Eingeweihten in die Mysterien auch nur Linnenkleider erhielten. Deshalb, aber, konnten die Priester, wie Wilkinson (2?) wol sehr richtig bemerkt, aufser ihrer Unterkleidung auf dem blofsen Leibe, und au- fser dem Tempelornat, im gemeinen Leben, auch noch Kleider von ande- ren Stoffen tragen, wie Plinius sagte; und die Nichtpriester werden, sicher, volle Freiheit gehabt haben in der Wahl des Stoffes ihrer Beklei- dung; nichts hinderte sie den kühlen Flachs, oder den weichen Cottonstoff vorzuziehen, wenn nur der Körper nach dem Tode in Linnenbandagen ein- gewickelt ward. Schon die Rosette-Inschrift zeigt, sagt Wilkinson, dafs die Baumwolle nicht blos zu Kleidern sondern auch zu allgemeinerem Haus- bedarf, zu Stuhldecken, Teppichen, Lagern bei den Ägyptern verarbeitet wurde, zu denen das Linnen weniger geeignet war, und auch gemischte (') Gliddon Odia Aegypt. London 1849. p. 74. (°) J. G. Wilkinson Manners and Customs 1. c. Vol. III. p- 117-120. und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 355 Zeuge, aus beiderlei Stoffen, wie Jul. Pollux Stelle beweiset, der Äsyp- tischen Weberkunst, wie andere Anwendungen dieser Stoffe, nicht fremd blieben. Wir schliefsen hiermit den ersten Abschnitt unserer historisch- antiquarischen Untersuchung über das Vorkommen der Baum- wolle bei den Alten, und gehen später zu dem zweiten mehr botani- sch-geographischen Abschnitt der Untersuchung bei den Neuern über. Die aus obigem erhaltenen Resultate lassen sich in folgende Haupt- momente zusammenfassen. Resultate. 4; Die dem Deutschen Compositum Baum-wolle, entsprechenden allgemeinern Benennungen bei den Alten, wie Eotov amo Eurov, egıo &- cv, aylinum, Pumbeh bei Persern, lanigerae arbores u. A., haben zu vielen Verwechslungen verschiedenartiger Stoffe, Gewächse und Zeugarten bei den Völkern des Abendlandes Veranlassnng gegeben. 2: Das vom altgothischen stammende Yulla und boum, aber spät erst zusammengesetzte Baumwolle, hat bei den germanischen Völ- kern bis zu Holländern, Dänen und Schweden vorherrschend Eingang gefunden. Das arabische Koton, dagegen, bei den Westeuropäern in neuern Zeiten, bei Franzosen, Spaniern und Engländern, als Co- ton, Algodon, Algodüo, Cotton. Das persische Pumbeh mit Bom- bax, hingegen, bei Völkern der italischen Zunge, und bei der grö- fseren Zahl innerasiatischer und osteuropäischer Slavenstämme, wo es theils mit dem gothischen Ulla, oder dem lithauischen Wilna, zusammengesetzt, die verschiedensten Umlaute bei den con- tinentalen Bevölkerungen in ihren Dialecten erlitten hat, die auf die Wanderungen durch diese Völkerstämme bis zu den Magya- ren zurückschliefsen lassen. 3. Die primitiven, oder ursprünglichern, heimathlichen Benennungen stammen fast alle aus barbarischen, d.i. nicht griechischen Sprachen her, sind aber meist mit gräcisirten Formen bei den Völ- kern des Westens eingebürgert, jedoch meist mit späterhin immer Yy2 396 Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle mehr verallgemeinerten Bedeutungen. Nur mit Wahrscheinlich- keit, selten mit Sicherheit, lassen sich die Wanderzüge dieser Tra- ditionen genauer ermitteln. Mit gröfserer Bestimmtheit liefsen sich, dagegen, diese primiti- ven Benennungen, aus den Sprachen des Orients nachweisen, wenn auch die Zeit der Überlieferung schwieriger zu bestimmen ist, und es bei manchen zweifelhaft bleiben kann, ob sie einer orientalen oder einer libyschen Heimath angehörten. Solche barbarische, erst classisch gewordene Benennungen sind: Carbasus, Sindon, Byssus, Sindon byssinon, OSovn, 'OSoviv u. A.; sie werden von den Autoren sehr verschiedenartig gebraucht, und können auf ihre Quellen und Völkerschaften wie auf die Handelsver- bindungen zurückschliefsen lassen, von denen sie ihre Ausdrücke ent- lehnten. So ist Carpas, aus dem Sanskrit mit mildernden Umlaut in Car- basus zu Hebräern, Griechen und Römern bis zu Tarraconensern und Vasconen in Gebrauch gekommen; vielleicht auf einem nördli- chen, von Colchiern ausgehenden, celtiberischen Wege, oder direc- ter noch durch Phönicier, Karthager zu den Iberen. Das sıwöwv, cıvdov von Sindus, oder Sindhu, aus dem nördlichen Indien, auf der bactrisch - pontischen Strafse des Binnenlandes, am wahrscheinlichsten zu Vorderasiaten und den Hellenen verbreitete Wort für Baumwolle, erhielt nach schon vorangegangener allge- meiner Bezeichnung auch bei Ropten, als Shento gebräuchlich ge- geworden, für feinere Gewebe, erst durch Alexanders Kriegszug der Macedonier seine bestimmtere Bedeutung und allgemeine genauere Anwendung durch den ganzen Occident, in Folge der Berichte seiner Begleiter. Durch Theophrast ist Sindon entschieden den Baum- wollenpflanzungen in Tylos beigelegt. Das Wort Burros, bei Herodot, im Sindon byssinon, die Mumien- gewande bezeichnend, die aber microscopisch als Linnenzeuge erfun- den wurden, wird zuerst bei Hebräern, seit den Salomonischen Zei- ten, also seit der Ophirfahrt, als das primitive, hebräische dös, oder büs, bekannt, und kommt zur allgemeinen Bezeichnung feiner Ge- wande in Gebrauch, obwol es bei Hebräern, nur identisch mit 10. und ihr Ferhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 357 Schesch, Baumwolle bezeichnet. Mit der griechischen Endung os, in Burces, hat es dieselbe auch im äthiopischen besös und bisös ange- nommen; im ägyptischen ist das Wort 5asoz neuerlich aufgefun- den. Dafs mit Byssos und Zinon gemischte Websystem der Agypter ist durch Jul. Pollux genau bezeichnet, und dadurch der characteristische Unterschied vom Websystem der Hindu ermit- telt. Die Alexandriner übersetzten Schesch stets mit Byssos. Das Wort Gossypion durch Plinius zum ersten male, und nur einzig von ihm, als einheimisches Gewächs in Ober-Ägypten genannt, von zuvor gänzlich unbekannt gebliebener, sprachlicher Herkunft, und doch in den späteren Jahrhunderten, ausschliefslich, der Name des Natursystens für das ganze Genus der Baumwollenpflanze ge- worden, ist wahrscheinlichst, afrikanisch einheimischen Ur- sprungs, da es im koptischen Göspo, mit zwischengeschobenem ;, Gos(si)p(i)o, den Baumwollenbaum als Arbor sepulturae be- zeichnet, ein Name der allen anderen Völkern, bis auf Plinius Zeit, unbekannt blieb. Eben so scheint im koptischen, das arabische Koton, in Ko(n)t(i)on verwandelt zu sein, das, nach Edwards Ex- cerpten, wie Eklibos, wo bos wol identisch mit Byssus, ebenfalls koptische Benennungen für Baumwolle sein soll, so wie auch das noch unbekanntere Sfer« (etbepa). Xylon und xylinon bei Plinius in Ägypten, als Bezeichnung häufig für Baumwolle genannt, aber auch nur dort ein localer Name geblieben, da er bei andern griechischen und römischen Clas- sikern nicht in Gebrauch kommt, und, ganz widersinnig, nur als Contraction von ZuAov und Awev zu erklären versucht, sonst aber höchst wahrscheinlich auch barbarischen Ursprunges ist, scheint zunächst die Abkunft von Shylon, Silon, Seilan, (unser heutiges Cey- lon) zu verrathen, ein Name für die Waare, die von jener Insel durch die Flotten der Ptolemäer Zeiten, direct aus Indien über Be- renike und Koptos in das obere Nilthal eingeführt sein wird, wo, bei Kopten, die xylinische, das ist Ceylonische Waare als Name des auch bei ihnen einheimischen Göspo (Gossypium) in Ge- brauch kommt. 358 44: 12. Rırrer über die geographische Verbreitung der Baumwolle Schesch, bei Hebräern, schon in den ersten mosaischen Büchern, seit dem Auszuge des Volkes Israel aus Ägypten, als Bezeichnung für Baumwolle, bei dem Schmuck der Stiftshütte am Sinai und sonst in Gebrauch, vielleicht selbst ein von Ägyptern erst mitgebrachtes, aber bei ihnen nicht näher bekannt gewordenes Wort, das später weniger in Gebrauch blieb, und seit den Salomonischen Zeiten mehr durch das gleichbedeutende dös, daraus Dyssos entstand, ersetzt wurde. Da, aber, die Sinaihalbinsel, Arabien, wo Baumwolle nicht weniger seit ältesten Zeiten einheimisch war, eben so benachbart liegt, wie Ägypten, und durch Midianiten schon zu Mose Zeiten in reichem Ver- kehr mit den arabischen Stämmen gestanden, so braucht der Name und die Waare nicht erst durch Ägypter zu ihrer Kenntnifs gekom- men zu sein: zumal da, bis heute, derselbe Ausdruck Scheesch, Schasch, Sas für Kleidungsstücke von dem feinsten Baumwollenge- webe, in Gebrauch geblieben ist. Die Worte OScvn und ’OS£vıov der Griechen, seit den Homerischen Gesängen nur bei Trojanern und Phäaken, zur Bezeichnung feinster, kostbarster, schimmernder, den Hellenen noch fremder Stoffe, ange- führt, dann aber Stoffe bezeichnend, für welche Phöniecier in der er- sten Blütheperiode ihrer Colonisation im Mittelländischen Meere, die berühmtesten Weberstätten, wie z. B. nach Diodor, auf Melite (Malta) angelegt und in hohen Schwung gebracht hatten; diese Worte, für die man keine griechische Etymologie nachweisen kann, sind si- cher erst durch Phönieische Tradition und Waarentausch von den Jonischen Griechen aufgenommen und gräcisirt worden. Nämlich aus der allgemein gebräuchlichen arabischen Benennung Xoton, oder Kotn, die unstreitig auch die herrschende bei Phöniciern geworden war, und von diesen, schon in ältesten Zeiten zu Galliern und Iberen übergehen mochte, wo sie in Algodon und Algodäo, bis heute ver- blieb. Dafs eben diese, im jetzigen Tehama und Oman, einheimi- sche Benennung, mit dem gemilderten und bei Griechen von vorn ganz abgeworfenen arabischen Kehllaute, von Koton, längs dem Ge- stadelande der Baumwollenheimath, am erythrässch-indischeu Ocean, bei Ägyptern, Arabern und den südlichen Indern, die vorherr- in Handel und Wandel (der viele Jahrhunderte schende Benennung und ihr Verhältnifs zur Industrie d. Völker alter u. neuer Zeit. 359 hindurch vorzüglich in den Händen der Phönicier und Araber blieb, war, wie sie es auch bis heute geblieben, geht aus dem griechisch geschriebenen Handelsberichte des Periplus Maris Erythraei hervor. In ihm ist ’OSoviov die Hauptbezeichnung der Baumwollengewebe aller Art, und zwar in allen Emporien von Agypten bis Hinterindien, wo denn dieselbe Benennung, auf dem letzten und gröfsten der indischen Marktorte, an der Mündung des Ganges, im heutigen Bengalen, wie- der gleichbedeutend mit den Gangetischen Sindonen, als den durch- sichtigsten feinsten und berühmtesten Baumwollenstoffen unter allen, recht characteristisch, in diesem Handelsberichte den Beschlufs macht. ———HETD——— rn ER rn NEE Ir hi) EN 4 Amel RE en RS Bi i amt : i Han is; 10 55 “sh THE han ABI A rt Aa, RT RE a ne ee wi I; tra u AR Art Au 1 1 Pr: in RER su TE Mme#M che IR I M BET Hask 2 rar N MT T nt 210, tin De 7 or al y an an Be VE urn EI TEEEr E DR 2 777,2 75/° 222 E HR ER Br | A 7 BEL Mal PEN POLL A RE p ‚er kit, ie Er Ua PrRiNaTIgE ul Ba a 17 Ten un a a an or LER a ER" HAB HEITTL 01127 52 u nun hm kit we EEE ‚Ariane a Er 72 nz 9 Ah OR N j < hr: ie ir en & Be Na: uE , vage IR ke wer Ks MaeT, nn No % T Br ir ey a a f n Mr 2 . > + ä . % ’ j 3 u R u I T = ' 5 / ‘ di 4 0 Pin 2 e i m & ee Di Fre 7) F hr ’ si e . 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A| y u Mr ’ 1 i - ‘ „ e > 5 E ) x ur) T ” e . b i | u a , Pe RN u (i +2 ÜBER EINE URKUNDE _DES XI JH. vw von herrn JACOB GRIMM. mmrnnnnnamnwmen [gelesen den 14. august 1851.] I. hohen sommer des jahrs 1839 oder 1840, als ich zu Cassel bellevue- strafse no. 10 ebner erde wohnte, wurde ich eines morgens zwischen drei und vier uhr durch heftiges klopfen an die hausthür aus dem schlafe ge- weckt, und empfieng, nachdem einige minuten verstrichen waren, die mel- dung, dafs ein fremder da sei, der mich dringend zu sprechen verlange. kaum hatte ich mich notdürftig angekleidet, so trat ein mir unbekannter mann ins zimmer, und begann, eine rolle papier in seiner hand haltend, ohne umschweif mir zu eröfnen, mit der westfälischen post eben angelangt und im begrif um fünf uhr auf dem Frankfurter eilwagen seine reise fortzusetzen, habe er gelegenere zeit nicht finden können, den mir zugedachten besuch abzustatten, dessen zweck kein andrer sei, als eine mitgebrachte urkunde meinen augen vorzulegen und mich um die deutung eines darin vorkommen- den ihm unverständlichen ausdrucks zu ersuchen. Offenbar gehörte dieser mann zu den nicht seltnen leuten, welche sich einbilden, wer im ziemlich leicht zu erwerbenden rufe deutscher sprachgelehrsamkeit stehe, müsse, gleichsam ein lebendiges lexicon, im stande und bereit sein alle an ihn ge- richteten fragen auf der stelle zu beantworten und über jedes dunkle wort sich nachschlagen zu lassen. Er entrollte nunmehr die urkunde, welche im jahr 1120 niedergeschrieben war, und hob aus ihr den satz “manifesto autem dei judicio eo morsacio interfecto’ mit der bitte hervor, ihm den schwierigen ausdruck 'morsacio zu erklären. Eines solchen morsacio wegen einen aus den armen des schlafes zu reifsen! Es war nicht das original der urkunde, was mir vor augen gelegt wurde, nicht einmal des originals, sondern des in Falkes Corveier traditionen enthaltenen druckes abschrift. ich las den satz durch, überlief den zusammenhang der urkunde, holte das mir zur hand liegende werk von Falke herbei und hielt dessen text zur abschrift: beide Philos.- histor. Kl. 1851. Zz 362 Jıcos GrımMm . stimmten zusammen. eine unmittelbare auskunft über das fragliche wort aber versagte sich durchaus, das entweder auf interfeeto zu ziehen war, und dann die person, von welcher die rede gieng, bezeichnete, oder einen orts- namen enthalten konnte. weder diesen noch den persönlichen wuste ich sogleich zu erraten, mir lag daran in kühler morgenluft des frühen unbeque- men gastes mich zu entledigen, und indem ich beide möglichkeiten der aus- legung kürzlich vorschlug, machte ich mich anheischig ihm die ergebnisse fortgesetzter forschung künftig einmal in briefen mitzutheilen. Er entfernte sich allem anschein nach sehr unbefriedigt, ich aber säumte nicht nach sol- cher unterbrechung mich noch einige stunden der süfsen gewohnheit des schlummers vielleicht mit der hofnung zu überlassen, dafs im traum, nach dem bekannten homerischen £vapyss Gveigov vuares auoAyd, das verschleierte wort sich mir leibhaft enthüllen möge, wie über ihren gedanken einschla- fenden etymologen oft geschieht, obgleich die dann allzuleicht gewonnene deutung den erwachenden bald wieder zu zerrinnen pflegt. Indessen hatte mir auch der letzte morgenschlaf diesmal nichts zugeraunt oder eingegeben, und als ich das bette verlassen und die noch aufgeschlagen zu tische liegende urkunde wiederum nüchtern und bedächtig gelesen hatte, verstand ich mor- sacio, das auch von Falke in den dritten index rerum praecipuarum mit dem nominativ morsacius rätselhaft eingestellt war, um kein haar besser; allein andere mir jetzt stärker auffallende stellen und wörter der urkunde schie- nen ähnliche, wo nicht gröfsere bedenken darzubieten, so dafs ihr ganzer zusammenhang, zugleich anziehend und abschreckend, wol verdiente bei schicklicher gelegenheit einmal eigens vorgenommen zu werden. Manche andere arbeiten und geschäfte traten dazwischen, diese urkunde blieb jah- relang hbeiseits liegen, doch der öftere gebrauch der Corveier traditionen rückte sie mir immer aufs neue zu gesicht, ja endlich fand sich ungesucht sicherer aufschlufs über morsacio, welchen ich jenem frager, dessen tod mir unterdessen berichtet worden war, nicht mehr hinterbringen konnte. All- mälich begannen auch die übrigen anstöfse, die das alte diplom gab, sich zu ebnen, und ich mufs gestehn, selbst jene energische, unvergefsliche weise, mit der es sich das erstemal bei mir eingeführt hatte, machte mich ihm ge- neigt; ich bitte um die erlaubnis, zu gegenwärtiger augustheifser nachmittags- stunde, niemand aufweckend, ich besorge eher einschläfernd, es bier vorle- gen und zum gegenstand einer genaueren betrachtung machen zu dürfen. über eine urkunde des 12. jh. 363 Es lautet (!) folgendermafsen: In nomine sancte et individue trinitatis. Eırkenbertus corbeiensis ab- bas presentibus atque futuris. placuit nostre humilitati omnibus notum fa- cere, in quibus tempore nostro pro posse ecelesie nobis commisse providi- mus, et quanto labore que inutiliter emergebant resecare studuimus, ea videlicet intentione, ut successoribus nostris, si qua super causis per nos quoquo modo finitis inquietudo mota fuerit, dum qualiter composita sint noverint, defensionem certissimam hec nostra seripta proferant. loco autem prodesse volentes opprobrium sug dissidie habeant, si non solum ipsi pro se non laborare, sed nec aliorum laboribus provisa curaverint conservare. Fuit igitur in diebus nostris quidam Twaetihaoye, qui magistratum sibi et dominatum super has curtes vendicabat: Gudelmon. Ovenhuson. Hestinon. Ziatesson. Ikkenhuson. Munichuson. Medesthorp. Sologon. Bramhornon. Fridderun. Visbike. Bernesthorp. Sutholt. et per hoc prebendam fratrum sibi, non fratribus utiliter usurpare intendebat. offieium autem ipsum sibi hereditarium affırmabat, unde res. ita se habet. Pater ejus Reinfridus de ipsis curiis annualim solebat ad manus prepositi reditus colligere. post hoc ausus est dicere, sui juris esse, inibi villicos statuere, pro libitu euncta dis- ponere. manifesto autem dei judieio eo Morsacio interfecto, predecessor meus beate memorie Marewardus filio ejus adhuc ad mamillas posito ofh- cium et benificium patris concessit, sed puer paulo post obiit, offieium autem et beneficium in polestatem abbatis rediit. 'Tum mater cum hoc Godefrido adhuc perparvo adjutorio eorum, quos attrahere potuit, beneficium vix hac conditione optinuit, ut offieium coram abbate multisque affuerant perpetim abdicaret. Hoc pacto mater contieuit cum filio. a me quoque officium non quesivit, cum beneficium suum suscepit. Post autem quum nupsit, et justis suis fautoribus fretus pro quo XXX jam annis conticuerat ofheium requisi- vit. Unde cum me nunc per prineipes et ceteros liberos homines meos, nune per ministeriales meos nimium sollieitaret, premio ab hac sententia eum revocare contendi, sed non recepit. Judicio igitur quesito, cum jam lege ministerialium partem suam videret infirmari, quod prius obtuleram re- eipere tandem consensit, quia offieium remanere sibi non posse persensit. Dedi itaque ipsi VII marcas, et coram subscriptis testibus officium volun- tarie abdicavit. (') Falke traditiones corbeienses p. 214. Zz2 364 Jıcos GkrımM Gerberto decano. Wulframno camerario. Godefrido preposito. Hu- gone preposito omnique congregatione. Sigifrido comite et advocato. Wi- dikindo viceadvocato. Conrado de Everstein. Sigeberto nobili. Reinoldo vassallo. Gumberto de Wartberg. Reinboldo fratre ejus de Koanstein. Bern- hardo de Waldekke. Folcmaro de Ittera. Folenando. Conrado de Evyer- skute. Heinrico Olepe. Thiedrico. Bern. Thietmaro. ministerialibus. Adel- rado. Godescalco et fratre ejus Annone. Heriboldo. Liudolfo. Waldrico camerario. item Waldrico pincerna. item Waldrico juniore. Godescalco parvo. Gerberto. Reinhero. Annone. Wernhardo. Walone. Karolo. Al- tolfo. Widolone. Odone. Wazone. Thiedrico. Helmwigo. Wagone. Walt- berto. Folcberto. Godescaleo. Albwino. socero Godefrido, de quo racio est. Skerpoldo. Conrado. Reinboldo. Actum Corbeie anno domini M.C.XX. regnante Heinrico V. idus Maji. hee ut nulli sint in dubio firmamus domini nostri sancti Viti sigillo. Es folgt das monogramm für Vitus zwischen den worten signum sancti Viti martyris. Bevor ich mich nun auf den eigentlichen inhalt dieser urkunde ein- lasse, soll etwas, das mich darin am allerlängsten gequält hat, auch nachdem morsacio bereits seine aufklärung empfangen hatte, abgehoben und ich hoffe glücklicherweise ganz beseitigt werden. Es ist dies der unerhörte name der in ihr auftretenden hauptperson, welcher bei Falke Twaetihaoyc lautet, und von ihm s. 215 höchst unwahrscheinlich ausgelegt wird, Twaet solle manns- name, haoyc aber name des gaues Ahugo sein. Corvei lag bekanntlich im gau Auga, d.i. aue, wofür sich wol Augagö auegau, kaum Ahugö sagen, doch aus solchem Ahugö nimmer ein haoyc, incola pagi, herleiten liefse. _ Nirgend begegnet sodann ein altsächsischer oder westfälischer mannsname Twaeti, dessen seltsame gestalt auch in hochdeutschen urkunden nicht ihres gleichen findet. Nach lange vergeblichem herumraten entschlofs ich mich, in twaeti (!) eine entstellung von twethi, twedi, ags. tvaede, fries. twede duplex (woraus das nl. twede, nhd. zweite, secundus, statt des organischen ander entspringt) (*), in haoyc ein haoik, nd. hoike kappe, mantel zu su- chen, so dafs sich ein beiname, wie sie im zwölften jh. aufzukommen be- (') wie z.b. der eigenname Dadi, Dedi auch Daedi geschrieben erscheint. ann, hildesh. ad a. 1034. 1035. (Pertz 5, 99. 100.) (*) die Corveier heberolle bei Wigand 2, 2.4. gewährt zuede. über eine urkunde des 12. jh. 365 ginnen, mit dem sinn von doppelmantel ergäbe. dafür schienen sogar ur- kunden des dreizehnten jh. hinreichende analogien darzubieten, ja man hört noch heute wendehoike von einem menschen sagen, der den mantel nach dem winde dreht. Erhards westfälische urkunden p. 132. 149 gewähren aus dem eilften jh. den mannsnamen Hoico, Langs regesta 2, 333 liefern einen Henricus dictus hoige im j. 1243 und 3, 431 Henricum et Hermannum dictos hoge im j. 1274; noch zutreffender war ein Wernerus dietus ellevenhoyke in Jungs historia benthemensis nach einer urkunde von 1290. solch ein eilf- mantelträger bestätigte er nicht den zunamen des doppeltgemanteltem in un- serm diplom vollkommen? Der schein triegt. Das original der urkunde war durch die wechsellälle unsrer zeit von Corvei in das archiv zu Münster versetzt worden und in seine regesta historiae Westfaliae, band 1, Münster 4847, s. 146. 147 nahm Erhard einen berichtigten abdruck des ganzen denk- mals auf. nun rate man, was statt des verwünschten twaetihaoye in der ur- kunde wirklich steht: nichts anders als Godefridus, das der schreibende mönch im jahr 1120 mit griechischen buchstaben ausgedrückt hatte, die Falke oder sein schreiber nicht verstand. aus einem TQAEPPHAOYC ward das ungeheuer Twaetihaoyec, jetzt ist alles klar, Godefridus stimmt zum gan- zen übrigen inhalt der urkunde, unter deren zeugen Albwin, als schwieger- vater Godefrids, de quo ralio est, von dem die rede ist, ausdrücklich auftritt. Abt Erkenbert waltete über Corvei vom jahr 1106 bis 1128, die ur- kunde wurde 1120 ausgestellt, schreitet aber auf ältere, dreifsig jahre früher eingetretne händel zurück, die unter den vorausgehenden abt Marcward (von 1082-1106) fallen. sie reichen also in die unselige, verworrene zeit kaiser Heinrich des vierten, dessen schwankende, bald lässige bald gewaltsame re- gierung alle verhältnisse des frischen aber noch wilden deutschen volks in ihren fugen erschütterte. Die urkunde selbst gehört schon den tagen Hein- rich des fünften, seines nachfolgers an. Ein mann, wie anzunehmen ist, aus dem ädelstande, namens Rein- fried, in der obern Wesergegend angesessen und begütert, befand sich mit dem geistlichen stift Corvei in näherem verband. er hatte, in den achziger jahren des eilften jh. oder etwas früher schon, gefälle der abtei an verschie- denen ortschaften, deren lage und benennung hernach erwogen werden soll, einzunehmen und dem probst einzuhändigen. indem er sich als stifiischen beamten und benefieiaten betrachtete nahm er das amt für ein erbliches in 366 Jıcos Grimm anspruch, kraft dessen ihm zustehe nach seinem freien belieben zu schalten und namentlich alle meier an solchen orten anzuordnen, was der abtei zu- wider sein muste. Durch Reinfrieds, wie sich ergeben wird, im jahr 1092 erfolgten frühen tod gewann die angelegenheit für das geistliche stift günsti- gere gestalt, Erkanbert drückt sich aus, manifesto dei judiecio eo Morsacio interfecto, das dunkle wort ist keine Reinfrieden herabsetzende bezeichnung, wie man auf den ersten blick denken könnte, sondern gibt den ort an, wo er, der abtei höchst willkommen, mit tod abgegangen war. Er hatte einen an der mutterbust liegenden sohn hinterlassen, dem abt Marcward das väterliche offieium und beneficium wieder zu verleihen keinen anstand nahm, das kind starb aber bald darauf und nun wurden vom stift beide, amt und lehen, zu- rückgezogen. Die mutter jedoch that hernach für sich und den kleinen Go- defried, unter dem schutz ihrer freunde, einspruch, es bleibt in der urkunde ungesagt, ob Godefried neben jenem erstbelehnten und gleich gestorbnen säugling ein noch jüngerer und gar erst nachgeborner sohn Reinfrieds war, eins von beiden mufs man nothwendig voraussetzen. wieihm auch sei, Rein- frieds witwe erreichte damit nichts als dafs ihr das beneficium unter der be- dingung gelassen wurde, dem offieium für ewige zeiten zu entsagen. Das geschah, mutter und sohn schwiegen anfangs, Godefried, heran wachsend, übernahm das beneficium, ohne von dem unterdessen auf Marcward gefolg- ten Erkenbert, jedenfalls mithin nach 1106, das offieium neu zu begehren. im verlauf der zeit aber heiratete er und scheint dadurch die zahl seiner freunde und gönner gemehrt zu haben, auf welche vertrauend er sein altes, dreilsig jahre lang vernachlässigtes recht auf das officium wieder anregte. Er- kenbert unterhandelte jetzt und bot ihm geld, wenn er ganz abstände, doch Godefried weigerte und wollte es auf einen rechtspruch ankommen lassen, der ihm gleichwol ungünstigen bescheid brachte. Godefried muste sich entschliefsen sieben mark anzunehmen und feierlich auf jenes amt zu ver- zichten. Sieben mark silbers bilden heute eine kleine summe, damals liefs sich schon ein ordentliches grundstück dafür erwerben; dennoch scheint sie für das aufgegebene amt nur ein winziger ersatz. Nach dem canonischen grundsatz ‘beneficium traditur propter officium’ sollte man annehmen, dafs kirchliche beneficien notwendig auf ein olficium hinweisen: das stift fand im vorliegenden falle seinen vortheil darin, dem mi- nisterial das benefiz zu lassen, durch entziehung des amts den einfluls auf über eine urkunde des 12. jh. 367 die unterthanen zu schmälern. wie bedeutend solche benefieien waren, lehrt eine urkunde des j. 1160 über die ministerialen des h. Liudger in Helm- stedt ('). auch eine urkunde von 1153 bei Falke p. 657 unterscheidet zwi- schen beneficium und offieium, Ob Godefrieds ansprüche oder die des Corveier abts begründeter wa- ren, ist ohne genauere kunde von allen vorgängen selbst schwer zu sagen, beiden parteien darf ein gleiches streben zugetraut werden ihre gerechtsame und besitzthümer auszudehnen und zu erweitern. Der zwiespalt zwischen kaiser und pabst, um diese zeit, muste dem weltlichen wie dem geistlichen stand genug vorwände zu ungesetzlichen eingriflen verabreichen. Die volks- mäfsigere macht der herzöge war geschwächt oder gebrochen und der könig, in den schlingen gewandter erzbischöfe lange gefangen, begünstigte vorzugs- weise grafen und den hohen adel, deren emporstreben ihm geringere gefahr zu bringen schien. Den geistlichen ständen gelang es häufig, sich von den herzögen wie von den grafen unabhängig zu machen, der adel schwankte und fand es zuträglich sich bald bei fürsten, bald bei geistlichen in dienstmann- schaft zu ergeben, die grolse zahl und streitfertigkeit solcher vasallen wurde eine hauptstütze beider, zugleich aber wesentliche ursache, dafs die kraft des volks und der könige in Deutschland zersplitterte, bis diesen allmälich das aufblühen der städte und des bürgerstands neuen halt gewährte. Wie Heinrich der vierte die Sachsen ungerecht bekriegt hatte, konnten auch ein- zelne fürsten es wagen mit ihrem gefolge von edelleuten einander zu über- ziehen, ohne dafs die stämme selbst nur den geringsten anlafs zur feindschaft und fehde hatten. In dem feudalismus und ritterthum wie in der geistlichen herschaft wirkt ein allgemeines oder ideales prineip, das über die selbeigne natur der völker hinweggeht und sie verkennt, darum auch, als mit ihr un- verträglich, zuletzt wieder von ihr ausgestolsen wird. Diese betrachtungen verbinden sich mit dem aufschlufs über das wort, um dessen willen die gegenwärtige untersuchung insgemein begonnen worden war. Morsacio, der für den schnellen anlauf dunkle, rätselhafte name, ge- winnt alsbald an deutlichkeit, wenn man das ce vor dem i in t umsetzt, wie beide buchstaben oft wechseln, er bezeichnet eine gegend des friesischen (') mittheilungen des thüring. vereins I. 4, 39 ff, 368 JaAcos Grimm bodens, auf dem ein kampf vorgefallen war, bei welchem Reinfried, Got- frieds vater, das leben einbüfste. Die geschichte, sonst allen Friesland be- treffenden vorfällen wenig sorge zuwendend, hat diesen kleinen krieg nicht unaufgezeichnet gelassen. Die annales corbeienses ad a. 1092 (Pertz 5, 7) besagen: Counradus comes cum multis aliis a Morsaciensibus oceisus est. wenn der herausgeber hier zu Morsaciensibus die anmerkung liefert: in dextera Albis ripa, Magde- burg oppositis, dımit auf den ursprünglich slavischen pagus Morizine, Mo- resceni, Mrozini (') zielend; so geht und führt er irre, Friesland lag von diesem strich der mittleren Elbe weit entfernt, wie die aussage der übrigen annalisten aufser allen zweifel setzt. Sigebertus ad a. 1092 (Pertz 8, 366): Westfali Fresoniam aggressi om- nes pene a Fresonibus perimuntur. Annalista Saxo ad a. 1092 (Pertz 8, 728): Conradus, comes de Werla cum filio suo Hermanno multisque aliis nobilibus a Fresonibus, qui dicuntur Morseton, occisus est. so auch die annales hildeshemenses (Pertz 5, 106): a Fresonibus. Diese Mörseton waren deutlich Friesen, deren sitze in der nähe von Aurich zu suchen sind, und hiefsen so, weil sie in sumpfgegenden, wie Holtseton, die in waldgegenden, oder Wortseton, die auf der wort wohnten. ihr ge- biet führte den namen Morsacium = Morsatium. da nun mör, ahd. muor, fries. mär pl. märar, palus, gleichviel mit bröc, ahd. pruoh, ist, wird man wenig fehlen, den namen Mörseton, ahd. Muorsäzon, für dasselbe zu hal- ten, was das bekanntere Bröcmen, ahd. Pruohman bedeutet. man pflegt zwar die Bröcmen (?), deren rechte und gesetze bei Richthofen s. 135- 181 gesammelt stehn, in den Federitgau und münsterschen sprengel, die angrenzenden Morseten in den bremischen einzuordnen; doch der sichtbare einklang beider namen und ihre unmittelbare nachbarschaft gestattet, Mor- seten und Brocmen ganz für den nemlichen volkstamm zu halten, der zu verschiedner zeit und von verschiedner seite her mit doppelten wörtern eines und desselben gehalts benannt wurde (?). Wiarda weder in seiner ausgabe (') Pertz 8, 657. Höfers zeitschrift für archivkunde 1,509. 512. (?) lat. Brocmanni, eine verwerlliche form ist Brokmer. (°) zur bestätigung dient der dorfname Brocseten in einer urk. von 1230, heutzutage Broxten im Osnabrückischen kirchspiel Gesmold (mitth. des Osnabr. vereins I, 55. 63), über eine urkunde des 12. jh. 369 der willküren der Brokmänner, noch im ersten band seiner ostfriesischen ge- ’ o schichte, so viel ich sehn kann, spricht der Morseten namen aus, geschweige dafs er ihres im jahr 1092 über die Westlalen davon getragnen sieges ge- gelrag Bes dächte. Wenn aber nach Wiardas vorrede zu den willküren $. 1 das heutige Brokmännerland ins Auricher amt fällt und im gesetz selbst $. 160 Aurikera gestelond d.i. trockenland den umliegenden sumpfen entgegengesetzt wird; so ist der beweis gelührt, dafs diese Brokmen und die auf der karte zu Lap- penbergs Hamburger urkunden ins Auricher gebiet gestellten Morseten not- wendig ein und derselbe stamm sind. An der spitze des für sie so übel ausgefallnen zugs westfälischer krieger gegen Friesland focht graf Conrad von Werla ('!), dem eine grofse zahl edel- leute, unter ihnen auch unser Reinfried, die ihre heimat nicht wieder sahen, gefolgt war. über den eigentlichen anlals der feindschaft zwischen beiden theilen gebricht es an aller nachricht; zu mutmalsen ist, dafs graf Conrad, den nahe verwandtschalt an grafen Bernhard, den kaiserlichen vogt des frie- sischen Emsgaus zu knüpfen scheint, von diesem heran gerufen wurde, oder o } ’ to) ’ dafs sein reiches und mächtiges geschlecht selbst ausprüche auf in Friesland gelegene güter, die ihm die Friesen streitig machten, zur geltung bringen wollte. Ohne zweilel kamen die Westfalen durch das Münsterland, dem laufe der Ems folgend, heran gerückt, wurden von den Friesen, die eifer- süchtig auf ihre hergebrachten rechte alle vortheile ihres sumpfigen und 5 5 pl durchschnittenen bodens zu nutzen verstanden, wehrhaft empfangen und schnell besiegt. Nach einer durch Seibertz (?) ausgesprochnen vermutung suchte graf Conrad den von seinem oheim Bernhard dem zweiten mutig ge- Io) 58 gen erzbischof Adalbert von Bremen vertheidigten Emsgau an sich zu brin- gen und vielleicht wahrten die taplern Morseten zugleich bremische gerecht- same, so dals unterthanen des Bremer sprengels gegen die des Münsterer estritten hätten. Adalbert war aber schon 1072, zwanzig Jahr vor dem zug ’ ö) 5 gestorben, dessen dazu alle bremischen geschichtsquellen geschweigen, da sie ursache gehabt hätten ihn, wenn er der bremischen kirche gewinn brachte, hervorzuziehen. Nach Conrads tod ist von weiteren ansprüchen werlischer dessen einwohner alte, vielleicht jenen Friesen verwandte Bröcs@ion waren. der osna- brückische dichter Broxtermann (+ 1800) mag daher stammen. (') Croll de comitibus werlensibus (acta acad. theod. palat. tom. 4.) (*) geschichte der alten grafen von Werl. Arnsberg 1845 s. 82. Philos. - histor. Kl. 1851. Aaa 370 Jacos GrımMm grafen auf den Emsgau nirgends die rede. Heinrich, ein sohn des gefallnen Conrads, war von Heinrich dem vierten schon 1084 dem stifte Paderborn vorgesetzt worden und verwaltete es lange, bis zu 1127. In ganz Westfalen, wie unsere urkunde lehrt, muste die unglückliche heerfart gegen Morseten im andenken der leute unvergessen geblieben sein. Einen augenblick möchte ich hier, über die schranke der urkunde hinaus, mich einer allgemeineren, wiewol mit ihr zusammenhängenden be- trachtung ergeben. Der alte friesischchaukische stamm, auf den saum der meeresküste, von der Schelde bis zu den Jüten, gedrängt, einigemal unterbrochen, konnte zwar seine äulsere unabhängigkeit nicht, wol aber eine innere, in dem gan- zen schrot und kern seiner sinnesart und sitte wurzelnde vor allen übrigen deutschen völkerschaften lange, selbst bis auf unsere tage behaupten. Unsere geschichte überhaupt stellt uns vor augen, wie die eigenheit der stämme, in gefahr gesetzt durch die dynastischen eingriffe aufstrebender fürstengeschlechter, und häufig solcher, die gar nicht einmal aus der mitte des stamms selbst hervorgegangen, sondern von aufsen her vorgedrungen waren, im verlauf der zeit abgeschwächt und aufgerieben wurde. Die mei- sten deutschen gebiete, in ihrem alten haft und zusammenhang zerrissen, zerstückelt und quer durchschnitten, nahmen allmälich ganz neue gestalten an. So wollte es, mufs man glauben, die vorsehung um anderer zwecke willen, deren unergründbarkeit doch ermattenden völkern weder vorwand noch entschuldigung abgeben darf, ihrer angestammten überall nachzucken- den natur und berechtigung irgend zu entsagen. Die Friesen waren wenig- stens ein stamm, der namen, gesetze und sprache zähe festhielt, wenn er schon den lange mutig geführten kampf für seine freiheit endlich fahren lassen muste. : Eine friesische geschichte, wie sie verdiente erforscht und zusammen- getragen zu werden, ist noch ungeschrieben. dies volk nahm wenig bedacht darauf seine thaten selbst zu verzeichnen, allein es strebte dafür mehr als irgend ein andrer deutscher stamm, seine rechte und gesetze zu erhalten und rein in der muttersprache abzufassen. Wenn nun die geschichte oft zu be- richten hat, um welchen preis diese errungen und verloren wurden; so mufs ein fortwährend erhaltener besitz althergebrachter gerechtsame ein reicheres, lebendigeres bild eines volks aufstellen, als es seine geschichte selbst zu über eine urkunde des 12. jh. 371 thun vermöchte. Sind denkmäler der sprache und der gesetze eines volks auf die nachwelt gebracht, so hat es auch eine geschichte, welche zwar aus den historischen quellen vielfach beleuchtet werden kann, während in den uns vollständig von der geschichte überlieferten thaten eines andern volks, dessen rechte uns unbekannt sind, manche dunkelheit zurückbleiben mufs. Seitdem Karl der grofse die Friesen mit dem schwert bekehrte, ver- streicht keins der folgenden Jahrhunderte, in dem sie nicht ihren widerstand und ihr beharren bei selbständiger herschaft kämpfend dargethan hätten. wie wäre es einem haufen westfälischer ritter möglich gewesen gegen diese stol- zen vaterlandliebenden bauern etwas auszurichten, deren streiche im jahr 754 des ihnen eine neue lehre aufdringenden Bonifaeius nicht geschont hatten. Es sei nur an einzelne, der zeit unsrer urkunde vorausgehende oder bald nachgefolgte, von den annalisten hervor gehobne ereignisse erinnert, deren thatbestand sich weit anders darstellen würde, wenn nicht ihre gegner, sondern Friesen selbst uns davon berichtet hätten. Kein andres deutsches volk hat wiederholte angriffe auf seine freiheit so mutig und lange erfolg- reich von sich abgewehrt. Thietmar 6, 14 im jahr 1005 von Heinrich dem andern: Fresones rex navali exereitu adiens ab ceptis contumacibus desistere et magnum Liudgar- dae sororis reginae zelum placare coegit, was auch beim annalista Saxo (Pertz 8, 656) fast mit denselben worten wiederholt wird. Liudgard war Arnulphs, oder wie ihn Melis Stoke 1,891 nennt, Aernouds, des grafen von Holland witwe, welchen die Westfriesen noch unter Otto des dritten zeit bei dem orte Winkelmet angegriffen und geschlagen hatten. auf dieses schadens er- satz drang Liudgard, und es scheint, dafs der könig die Friesen mit gewalt ihn zu leisten anbielt. Einen neuen handel, der bald darauf ins j. 1018 fällt, meldet aus- führlicher und lebhafter Alpertus de diversitate temporum 2,20. 21 (Pertz 6, 718.719.) Friesen, ihren sitz verlassend, hatten im wald Meriwido (!) wohnungen aufgeschlagen, andere, vom annalist räuber genannte männer (') in silva Meriwido d. i. meerwald, oder M&riwido moorwald, später Merwede, heute Merwe, worunter man jetzt einen arm der Maas, zwischen Dordrecht und Rotterdam ver- steht; doch frühe schon traf die benennung des waldes und waldstroms hier zusammen, da Alpertus 1, 8 per flumen Meriwido vecti sagt. Aaad 372 Jaıcos Grimm sich zugesellt und schädigten von da die vorüber schiffenden tielischen (!) kaufleute. diese, selbst gewinnsüchtige, treulose menschen, suchten des königs schutz, welcher dem Adelbald, bischof von Utrecht, und dem Go- defrid, herzog von Lothringen, die Friesen aus jenem platz zu verjagen be- fahl, ein grofses heer, bessere reiter als seeleute, ward gesammelt und ein- geschift. die Friesen standen gerüstet bei Flaridingun (*); als sie den feind gelandet sahen, zogen sie in gedrungnem haufen auf eine anhöhe und der von gräben durchschnittene boden hinderte allen angrif. das gehemmte, un- thätige deutsche heer durchfuhr ein panischer schrecken und jeder suchte sein heil in der flucht; viele verloren im flufs und auf sinkenden schiffen das leben, andere wurden von den heran eilenden Friesen erschlagen, eine menge von leichen schwamm ins meer, bischof und herzog entrannen mit genauer noth. Thietmar 8, 13 erzählt das treffen im ganzen ebenso, nur fügt er hinzu, dafs graf Dietrich von Holland diesmal mit den Friesen gemeinschaft- liche sache gemacht hatte; die annales leodienses (Pertz 6, 18) und Ecke- hardus (fälschlich ad a. 1016. Pertz 8, 193) stellen sogar alles als einen streit zwischen Godefried und Dieterich dar. Sigebertus ad a. 1018 (Pertz 8, 355) aber sagt: in Fresonia Deoderico comite, filio Arnulfi gandavensis, debellante Fresones in vindietam patris sui ab eis oceisi, Godefridus dux ad eum debellandum ab imperatore mittitur, et conserto prelio, repente voce nescitur unde emissa fugite fugite', eunctis fugientibus, multi a paueis Fre- sonibus perimuntur, dux vero capitur; und hiermit einstimmig Rupertus leodiensis (Pertz 10, 268). Dies scheint der gründlicheren darstellung Al- perts in einigem zu widersprechen, kann sie aber nicht entkräften, wie sie zum überflufs noch durch den annalista Saxo (Pertz 8, 673) bestätigt wird, dessen worte ich hier nicht aushebe. Der ganze hergang erläutert den un- srer urkunde bündig, wie die Westfriesen lielsen sicher auch die ostfriesi- schen Morseten nichts von der günstigen lage ihres landes unbenutzt, um den einfall ihnen sonst überlegner heere mit erfolg abzuwehren. (') aus Thiel zwischen Nimwegen und Dordrecht. (?) heute Vlaardingen unfern Rotterdam, die volle form des namens lautete Fladir- ‚dinga, Phladirtinga (Pertz 7, 127), ich denke, statio navium motilans alas, von den flat- ternden wimpeln und segeln. nnl. vladderen, vledderen, volitare, plaudere alis, verkürzt vlaaren, vleeren. über eine urkunde des 12. jh. 373 Im jahr 1046, unter Heinrich dem dritten, geschah wieder ein seezug nach demselben Fladirtingen und auch hier erblicken wir den holländischen Dieterich an der Friesen spitze, anfangs stritt der kaiser gegen ihn glücklich, das folgende jahr giengen aber alle errungnen vortheile wieder verloren. die berichte finden sich bei Herimann (Pertz 7, 125), Lambert (Pertz 7, 154) und Anselm (Pertz 9, 229), mit welchen Stenzels geschichte der fränkischen könige s. 145. 146 zu vergleichen ist. In demselben jahrhundert ragte herzog Benno oder Bernhard an ge- walt und einflufs durch ganz Engera und Westfalen hervor und hatte auch die grafschaft im friesischen Emsgau erworben. die des Hunesgau und Fi- velgau lieh der junge Heinrich der vierte 1057 dem mächtigen bremischen erzbischof Adalbert. (!) Zwischen Bernhard und Adalbert hatten lange schon mishelligkeiten gewaltet, doch begleitete der erzbischof den herzog nach Friesland, wo vom widerspenstigen aber streitfertigen volk ungekürzter zins eingefordert werden sollte. Fresones, wie sich Adam 3, 41 mit einem verse Virgils ausdrückt, in ferrum pro libertate ruebant, und wiederum tru- gen die Sachsen eine niederlage davon, des herzogs und erzbischofs lager wurden geplündert, Bernhard starb 1059. der krieg hatte wahrscheinlich im Emsgau und bereits in den ersten jahren von Heinrich des vierten re- gierung statt. Auch dieser sieg muste bei den Östfriesen noch in festem andenken haften, als sie vierzig jahre hernach den einfall unsrer Westfalen blutig zu- rückschlugen. Nur zehn jahre später fand Heinrich der dicke, graf von Nordheim, dem kaiser Heinrich der vierte gegen das ende seiner regierung friesische comitate des Utrechter sprengels übertragen hatte, dort gleichfalls den tod. Eckehards worte zuın j. 1106 (Pertz 8, 225) verdienen ausgehoben zu wer- den: ante triennium Heinricus cerassus, Cuononis germanus et natu senior, dum in Fresiae marcham, cui praeerat, res acturus profieiseitur, a vulga- ribus Fresonibus, quibus dominationis suae jugum grave fuit, obsequium spectans insidiis vallatur; re quoque cognita fugiens ad mare, vulneratur a nautis, simul et suffocatur. hujus tanti viri, qui nimium tolius Saxoniae (') Lappenberg Hamb. urk. no. 79. Adam von Bremen 3,8 sagt, dals schon Hein- rich der dritte Fivelgau an Bremen gab. 374 Jacos Grımm graviter ferebatur; woher der annalista Saxo (Pertz 8,764) seine nachrichten schöpft. Wenn ich recht mutmalse, fand auf diesem zug noch ein hochmütiger West- principatum secundus a rege gerebat, interitus ab universo regno fale den tod, denn die annales corbeienses ad a. 1103 (Pertz 5, 7) melden: Eppo, vir potens, Houltessen remittere noluit, sed ait, “cum Huclehem (Hö- kelheim) dimittam et Huldesson! et factum est, nam brevi post oceisus, nec scilicet ultra duas ebdomadas, Huclehem, Houltesson et vitam perdidit, worin die Corveier, wiein unsrer urkunde, ein gericht gottes finden durften. Die geschichte des eilften und zwölften jh. setzt also den ruhmvollen widerstand in helles licht, welchen das friesische volk gegen das andringen seiner mächtigen feinde leistete; ich enthalte mich ähnliche beweise dafür auch aus der folgenden zeit beizubringen. (!) endlich muste es der über- macht erliegen, und hauptsächlich scheint seine kraft an dem emporblühen Hollands unmittelbar neben ihm gebrochen zu sein, dessen stärke bis auf heute noch in der nie ganz untergegangnen volksart der Friesen mit beruht, wie auf der entgegenstehenden seite die Nordfriesen eine uns fortdauernde stütze Deutschlands wider die dänischen anmafsungen bilden. Nach diesem auslauf in die geschichte wende ich mich zum inhalt der Coryeier urkunde zurück, um aus ihr noch ergebnisse für altdeutsche sprache und poesie zu ziehen. Für unsre sprache haben urkunden grofsen, ja unberechenbaren werth, weil sie eine menge untergegangner ortsnamen und personennamen in deren echter, unverderbter form enthalten. oft zählt eine einzige urkunde funfzig oder hundert maneipien und zeugen auf, und man erwäge die fülle zahlloser urkunden. frühere herausgeber haben thörichterweise solche namen ver- nachlässigt oder ganz unterdrückt, die leicht wichtiger sein können als was die urkunde sonst enthält. jetzt läfst man ihnen endlich verdiente aufmerk- samkeit angedeihen. Urkunden des nördlichen Deutschlands gewinnen noch an reiz, weil bei abgang anderer denkmäler sie fast das einzige mittel sind die alte sprache dieser gegenden einigermafsen kennen zu lernen. (') man lese in Lappenbergs geschichtsquellen von Bremen s. 117. 130. 131. 140 le- bendige schilderungen der züge gegen die Rüstringe und Butenjader in den jahren 1366. 1400. 1412. über eine urkunde des 12. jh. 375 Es werden dreizehn dörfer namhaft gemacht, in welchen Reinfrid und Godefrid gefälle des stifts erhoben ; die meisten waren in der nähe Corveis, im Waldeckischen oder Paderbornischen gelegen, einige auch im münsteri- schen sprengel. Acht derselben stehn im dativ plur. auf -on, nach der alten weise diesen casus für ortsverhältnisse zu gebrauchen; allmälich schwand das bewustsein seiner eigentlichen natur und er ward nun als neuer nomina- tiv mit falschem genitiv auf -ens verwandt, oder man gerieth auf andre ab- wege, wie gleich der erste dorfname zeigt. Statt des pl. Gudelmon unsrer urkunde schreiben die älteren tradi- tionen 163 Falke, 387 Wigand im dat. sg. Gudulma, heute heifst der ort Godelheim. noch sprachgemäfser zu schreiben wäre Gudulma, Gudelmon, mit aspiriertem d, woraus zugleich die weglassung des zweiten h sich begriffe, denn volle form würde sein Gudhelma, Gudhelmon und der wortsinn bel- lonae galeä oder galeis, aus irgend einem grund benannte man den ort nach der kriegsgöttin helm. seinesgleichen habe ich sonst nur noch einmal in dem hanauisehen dorf Gundhelm, wo die hochdeutsche form waltet, ge- funden. einen ort, der blofs Helma oder Helmon lautete, weils ich aus keinen diplomen nachzuweisen, heutige dorfnamen Helme und Helmen las- sen aber darauf schliefsen; noch häufiger begegnen Helmsdorf und Helms- berg. Möglich inzwischen wäre in den dativen Gudelma und Gudelmon ein ausgefallnes heim zu ergänzen, wie Lachmann zu Nib. 1077 Clehon für Cle- heim, Lorsa für Lauresheim, Loche für Lochheim aufgezeigt hat; nur läfst sich nicht Gudelmesheim ahd. Gundhelmesheim ansetzen, dessen s in der kürzung unverwischt bleiben müste, nicht also steckte darin ein gen. des mannsnamens Gudhelm, Gundhelm (trad. Wizunb. no. 173. cod. lauresh. 204.) (!) doch das heutige Godelheim schiene gerechtfertigt. Ein paar andere zusammensetzungen, in deren erstem theil helmon auftritt, haben mich lange gepeinigt. das braunschweigische Helmstädt heifst in alten ur- kunden immer Helmonstedi, später Helmenstede, Helmenstide, endlich erst Helmsted (?); im waldeckischen Itergau lag eine villa Helmonseede (tr. corb. Wig. 393; bei Falke 169 und 302 unrichtig Helmonstede), in der Corveier (') vgl. Gunthelmishüson (Falke p. 134); Dietelsheim aus Diethelmesheim; Megenhel- meswilare (Neugart 878); Egeletzhausen aus Egihelmeshüsen (MB. 31a, 41a. 817); Wil- halminge (MB. 28b, 464a. 1280.) (?) urk. von 952. 1145. 1154. 1237 in den mittheilungen des thüring. vereins 2, 452. 457. 459. 486. 376 Jıcos Grimm heberolle bei Wigand 2, 137 Helmenseethe, 2, 139 Helmenenschethe, heut- zutage Helmscheit. kaum ist dies praefix helmon ein dat. pl., eher zu den- ken wäre an die schwache flexion helmen (gramm. 4, 509) oder an den ahd. mannsnamen Helmuni (Meichelbeck 108), wo nicht gar an das altn. hialmun gubernaeulum navis.) schon weit ältere urkunden, die von 751 und 758 bei Mabillon no. 40. 44 drücken den namen Helmgöz aus Helmengaudus. Ovenhüson, das heutige Ovenhausen im Corveier gebiet, Hestinon (bei Falke steht Hestmon), in Wigands heberolle 2, 138 Hestene, in einer urk. von 120,3 bei Falke p. 408 Hesten, ist das jetzige dorf Heste zwischen Al- husen, Erbsen, Istrup, Schmechte, verschieden von Herste zwischen Driburg und Brakel. vielleicht, mit ausgefallnem r, ursprünglich auch Herstinon? vgl. ahd. harst, harsta ceraticula, frixura. oder sollte mit Hestinon sich be- rühren Astnun in der heberolle 1.2, 18, Hertnen bei Möser 8, 386? Ziatesson, in jener urk. von 1203, auch neben Hesten, Ziatessen, in der heberolle bei Wigand 2, 138 Zatessen, soll Siddesen (für Sittesen?) un- weit Brakel an der Nette sein. das weiche alts. z stände dann für s, und Siatesson gemahnte ans ahd. siaza, sioza praedium (Haupt 2,5) und den orts- namen Maätzensieze (MB. 6, 503. 508. 8, 43); die hessischen dörfer Rocken- süfs, Hohensüls sind Rockensiefse, Hohensiefse (weiblich.) da aber die endung -esson, -essen aus anstofs eines genitivs -es an hüson entspringt (?), ist ein alts. neutrum’siat, ags. seot anzunehmen und der dorfname aus sia- teshüson siatesson gekürzt. Die lage von Ikkenhüson, in der heberolle 2, 138 Ykkenhusen, kann ich nicht sicher angeben, wahrscheinlich war es das heutige Ikenhusen un- weit Borgentrik im bisthum Paderborn; der name ist gebildet wie Icanröde (trad. corb. 475 Falke, 214 Wig.) und das ags. Icancumb, Icanöra, Ican- gxt (Kemble 6,305) mit einem in den Corveier trad. oft begegnenden manns- namen. Ico, ags. Ica, ahd. Icho, wofür auch die alts. kürzung Io (trad. cob. 268) und Ia (Mösers urk. p. 36) zu gelten scheint, ist gleichsam ein vol- les ic, ich = lat. ego, gr. &yw, ahd. ihha (Graff 1,118), das wahre ich, als eigenster name. Munichüsen, in der heberolle 2, 138. 139 Munekehusen, Munikehu- sen, nhd. Münchhausen läfst sich auf mehr als einen ort ziehen, doch €‘) z.b. Arolsen Aroldessen aus Aroldeshüson; Adeloltessen aus Adalolteshüson; Odas- sen aus Osdageshüson. auch in Thüringen sagte man Sengersen für Sangerhausen. über eine urkunde des 12. jh. 377 gemeint hier scheint das heutige Monninghusen zwischen Geseke und Lippstadt. Sologon, in der heberolle 2, 138 bezeichnet einen sumpfigen ort, in dem sich eber wälzen, ahd. solagun volutabris (Graff 6, 186.) in ahd. ur- kunden ein Epuressol, apri volutabrum trad. fuld. 2, 49 und ganz ebenso in ags. Eoforsol, heute Eversole (Kemble no. 364.) Falke p. 787 aus ur- kunden von 1299 und 1304: in campo Soligghe, Solinge (ahd. solagunge, solgunga volutabrum.) Brämhornon (bei Falke falsch Brambornon) von horna ecke, winkel, ags. hyrne, fries. herne, und bräma rubus, also dornwinkel. erinnert man sich an bälahorna und an die dörner des leichenbrands, so überrascht die analogie der ortsnamen Balhorn und Bramhorn. eine bestimmte stelle für Bramhornon steht aber nicht zu ermitteln, auch die heberolle 1. 2, 22. 2, 138 Bramhornon. Medesthorp, in der heberolle 2, 138. 139 Medestorp, anderwärts in hochdeutscher form Metdisdorph bedeutet villa mulsi, gleicht also den orts- namen Medofulli, Medebiki und dem ags. Medeshäm, in welchen allen die vorstellung des methes waltet. es lag im waldeckischen landstrich, ich weifs nicht, warum es von Ledebur in den münsterschen sprengel, kirchspiel Ems- hüren, gesetzt wird. Fridduren, in den trad. corb. 328 Falke, 67 Wigand Friduren, in der heberolle 2, 138. 139 Fredderen, Vrederen, 1. 2,23 Friderun, das heu- tige Freren in der Emsgegend, ostwärts von Lingen, im alten pagus Agro- tingun. seine abgelegenheit von Corvei kann neues licht werfen auf den Reinfried unsrer urkunde, der an diesem ort einkünfte des stifts holend leicht zum zug an die Ems bewogen wurde. auch die heberolle 1.2,18 verzeichnet gefälle in Meppen. schwerer deutung scheint der ortsname Friduren, die form Friderun, an einen in Neidharts liedern oft wiederkehrenden frauenna- men klingend, setzt doch hier einen nom. Fridura voraus. Visbike f. Visebike ist fischbach, bleibt aber, da auf viele örter diese benennung gehn kann, örtlich unsicher. bei Paderborn flielst ein fischbeke in die Emmer. Falke 707 meint Visbek an der Erpe im Waldeckischen. Bernesthorp soll nach Falke 247. 407. 556 im waldeckischen Itergau gelegen haben, heute Berndorf amts Eisenberg. auch in der heberolle 2, 138 Philos.- histor. Kl. 1851. Bbb 378 Jaıcos Grimm Bernesthorp, und der gen. von dem häufigen mannsnamen Bern (altn. Biörn) abzuleiten. Sutholt = Suthholt, mit auswurf des einen h. auch bei Kemble 907 Sutborn f. Südborn, 361. 420 Suttun f. Südtün. die heberolle 1.2, 23 schreibt Suddorphe und Suthdorpe, bei Möser 8, 379 steht in Sutdorpe. lage von Suthholt unbekannt, den gegensatz des namens bietet die silva Nort- holt in einer urkunde von 1118 bei Erhard p. 144. Aufser diesen dreizehn ortsnamen bringt noch die unterschrift der zeugen einige merkwürdige. Zwar das Reinoldo dassalo bei Falke s. 215, der gern den grafen Reinold von Dassel, welchen urkunden von 1097 bis 1129 aufführen, des berühmten Reinold, erzbischofs zu Cöln (+ 1167) va- ter, hier wiedergefunden hätte, mufs vor der berichtigten lesart vassallo weichen. Statt Reinboldus de Koanstein schreibt Falke Kaanstein, welches ich diesmal verfechten möchte; es ist die im herzogthum Westfalen gelegne burg Kanstein, wie aber deutet sich ihr name? ich denke aus dem ahd. chaha oder chäha cornicula, monedula (Graff 4, 359), einem uralten, weit- verbreiteten wort, skr. käka, käga cornix (Bopp 69. 70) neben käkala cor- vus, ags. ceo, engl. chough, nnl. kä, käuw, schwed. kaja, norw. kaae, schweizerisch alpkachle alpkrähe, kächli (Stalder 1,80), böhm. poln. kawka, franz. choukas. Kaanstein, Kanstein ist demnach dohlenstein, krähenstein und mufs der alten auslegung eines andern westfälischen felsens, der Extern- steine durch rupes picarum neue stütze gewähren. in der Hildesheimer grenzbeschreibung kommt ein Mesanstein (meisenstein) dicht neben Kanan- burg (Lüntzel s. 42) vor, wo vielleicht auch Kaanburg herzustellen wäre. ein anderes Kanstein vermag ich auch in Baiern aufzuzeigen, die Schotten- brüder in Regensburg hatten ein nahgelegnes praedium Chanstein, Kanstein. MB. 30a, 8 (a. 1213) 58 (a. 1217). 31a, 477 (a. 1212) und in einer späteren urkunde von 1385 MB. 27,294 tritt ein, ohne zweifel davon benannter Chunrad der Canstain(er), neben einem Perchtolt Mukkenstainer auf. den Mückenstein umschwärmten mücken, den Kanstein dohlen, daher die namen. Dolenstein, Dollenstein in Baiern heilst Parz. 409, 8 Tolenstein. Conradus de Everscute weist auf einen ort an der Diemel in Hessen, heute Eberschütz, die trad. corb. 329 Falke, 68 Wig. schreiben Hever- scutte; glaublich hiefs die stätte davon, dals ein eber an ihr erlegt wurde. Was vor allem bei diesen zeugenunterschriften auffällt, sind die durch puncte getrennten drei namen Thiedrico . Bern . Thietmaro, welche ich dem- . = über eine urkunde des 12. Jh 379 ungeachtet zusammen verbinde und Thietmaro in Thietmari bessere, ganz wie auch unten am schlufs der urkunde Albwino socero Godefrido offenbar in Godefridi zu berichtigen ist. Hier mag aber, nochmals über die grenzen unsrer urkunde hinaus, ein auch für die geschichte der poesie nicht bedeutungsloser gebrauch des alter- thums zur sprache kommen. Wie zuweilen heute empfindsame eigennamen für täuflinge aus der vorzeit oder aus gedichten und romanen gewählt, z. b. aus Ossian oder Jean Paul entlehnt ins leben übertreten; so pflegten unsere vorfahren, denen die grofse fülle gangbarer, einheimischer eigennamen noch nicht genügte, einzelne den helden des epos, allmälich auch der höfischen gedichte abzuborgen. Erscheinen in einer menge unserer ältesten eigenna- men thiere, so wurden auch menschennamen in die thiersage übernommen, aus der thiersage wieder für das menschliche leben gebraucht. Viele leute können Dieterich, Hildebrand, Siegfried, ohne dafs man an das epos dachte, geheifsen haben, doch oft mochte für die wahl des na- mens gerade eine solche rücksicht stattfinden, wenn er nicht als wahrer eigensame, vielmehr als diesem zutretender beiname erscheint, zumal sind in ortsnamen, ganz entschieden in häusernamen dergleichen bezüge anzu- nehmen. denn häuser, die nach berühmten helden genannt waren, trugen häufig auch abbildungen derselben zur schau, nach welchen sich die ein- wohner des orts lebendiger zu recht fanden, als wir uns heute nach kahlen nummer. In unsrer urkunde sehen wir, wofern meine deutung nicht abirrt, einen dienstmann des stiftes wirklich Dieterich (von) Bern, Dietmars (sohn) heifsen und das gewährt eins der ältesten zeugnisse für die gangbarkeit der heldensage in Westfalen, von wo, wie man weils, die Nordmänner eben ihre Vilkinasaga holten, die nach dem untergang unsrer einheimischen überlie- ferung ein lebhaftes bild derselben zurückwirft. Statt des einen ministerialen könnten es freilich drei einzelne namens Thiedric, Bern und Thietmar ge- wesen sein und ihre aufeinanderfolge barer zufall; doch bleibt, des schrei- bers drei puncten zum trotz, mir jene annahme viel wahrscheinlicher. Dieser (') es wäre eine ganze samlung solcher zum iheil dunkler eigennamen aus den ur- kunden vorzulegen, und ihnen zur seite zu stellen was sich von benennungen der häuser 5 I 5 R) plätze und stralsen bei den Römern vorfindet, vgl. Dirksen in den abhandlungen unserer akademie von 1848 s. 52. 53. Bbb2 380 Jaıcos Grımm x Dietrich von Bern ist aus dem beginn des zwölften jh., bis wohin unsre ge- schriebnen Nibelungenlieder nicht mehr hinauf reichen, doch werden andere, und schon ältere, im munde des volks gelebt haben. ein ‘Dieterich von Berne’ bürgerlichen standes erscheint in einer Augsburger urkunde des ]- 1162 (MB. 33a. 42); ein ‘Dietericus veronensis’ als zeuge in einer bairischen von 1175 (MB. 10,29.) eine Seckauer urkunde von 1239 wird abgefalst zu Wien 1239 “in domo Dietrici ex inferno (Fröhlich diplom. Styriae 1,312), auf welchem hause Dieterich, dem mythus nach, im Vulcan brennend (hel- densage s. 38. 39) dargestellt war. eine urkunde aus dem trierischen Co- chen? vom j. 1265 (Günther no. 217. 2, 344) nennt uns "Th(eodericus) de Berne, miles’ welcher nochmals im j. 1297 (daselbst no. 372. 2,519) zur bezeichnung seines sohnes aufgeführt wird. “Sewardus armiger, filius quon- dam Theoderici militis in Kocheme dietus de Berne, wo wiederum zu bes- sern ist ‘dieti, denn Seward wird den beinamen seines vaters nicht auch ge- führt haben, noch weniger kann unter Bern etwa Bonn zu verstehn sein, weil beide Kochemer waren. Wie nun hier der schreiber das dicti in dietus verdrehte, hat der Corveier schreiber aus Thiedrico de Berne Tbhietmari filio die drei namen Thiedrico. Bern. Thietmaro gebildet und jeder der hier nachgewiesnen Dietriche von Bern zeugt für den andern. an den namen Dietrich, der ihnen immer nach der taufe zustehn mochte, fügte sich der beiname von Bern aus der heldensage ungezwungen an, und des corveiischen Dietrichs vater braucht nicht einmal Dietmar geheifsen zu haben, obgleich schon ein vater Dietmar seinen sohn Dietrich nach dem helden nennen konnte. Nur das beachte man, dafs es überall dienstmänner zu sein scheinen, die mit dem beinamen, vielleicht von ihrem herrn und am hofe ausgezeichnet wurden. Im laufe des zwölften, dreizehnten und vierzehnten jh. schossen zu den älteren einfachen namen die beinamen wie pilze auf, aus welchen gro- {sentheils unsere heutigen zunamen sich entfaltet haben. der unsicherheit überall sich wiederholender namen wurde dadurch bei den geringeren stän- den, die sich nicht durch die zugefügte angabe des grundbesitzes unterschei- den konnten, vielfach gesteuert; oft aber mögen sie auch ohne solchen anlafs in der heiterkeit und aufregung des lebens entsprungen sein. “Hainzen den Hiltprant’ nennt eine urkunde von 1390 (MB. 8, 263), das haus ‘zum roten Hildebrand’ eine bei Gudenus 2,548, und man darf wol daran denken, dafs nach Vilkinasaga Hildebrand wie Dieterich rothen schild über eine urkunde des 12. jh. 351 führte. “‘domus Welandi fabri, urk. von 1262 (Lang reg. 3, 181); "locus qui dieitur Wielants tanne’ (MB. 28b. 471), aber schon weit früher in einer grenzbeschreibung vom j. 825 ‘ad Wilandes (l. Wielandes) brunnen’ (MB. 31a. 41); ein ‘Heinrieus dietus Wielant’, urk. von 1286 (MB. 16,295); “Her- bordus dietus Welent, urk. von 1296 (Seibertz no. 465); wo der schmied hinzugefügt ist, hat die anspielung gröfsere sicherheit, doch auch ein zu an- dern namen tretendes Wieland läfst auf den alten helden schliefsen und dem schmied konnte eine tanne, ein brunnen passend geeignet werden. Neid- hardts lieder nennen uns bauern mit den namen Dieterich, Wielant, Bite- rolf, Sigenot, Ilsune, her Hamdie, Üetelgöz (MSH. 3,213 b. 218 b.), wo- runter ia Hamdie = Hamideo (heldensage 37) und Üetelgöz, Wüetelgöz (Haupt 1,577) hervor zu heben sind als in den uns verbliebenen liedern schon verschollene. hohes alters ist Fizzilo (MB. 11, 112) und Sintarfizilo (Haupt 1, 2.5) in urkunden bereits des neunten, zehnten jahrhunderts, doch mehr wahre namen als beinamen. Gleich Wieland dem schmid erscheinen auch ‘Witego faber’ im j. 1238 (MB. 7, 122) und “Cuonradus Miminch' (MB. 35a., 71. 76. 102), über der werkstätte wirklicher schmiede musten sie sich gut abmalen lassen. Den namen Nibelung bieten diplome fast aller Jahrhunderte, vom achten an, oft dar. ich wähle hier belege, wo die natur des beinamens mehr als des geschlechtlichen erhellt: ein ‘servus Nevelunc’ im j. 993 (bei Miracus 1,147), doch führen auch sonst knechte immer die namen edler herrn; “Nibelungus prior’ im j. 1210 (Baur Arnsburg no. 6); “Lotzo dietus Nybe- lung’, j. 1320 (Baur no. 510); ‘of dem hus der Nebelungen’ j. 1334 (Baur no.655), da stand wol ihr kampf roh abgebildet. Welisine, Welsinch (Juvavia 427. 128), goth. Valisiggs, vgl. Belisarius. ‘Nordianus’ MB. 13, 114, inter monumenta priflingensia s. a., doch unter abt Rudger, der 1206 starb, also noch im schlufs des 12. jh., der aus Vilkinasaga bekannte und auch im wein- schwelg angezogne Jägermeister. “Schilpunc im j. 888 (Ried no. 68.) Wil- kinus bei Würdtwein subs. 5, 431. °H. und Johann Bitterolf/ “Johannes Wizlan, Johannes dietus Wizlan, Wizlan laicus’ hat Mone (nl. volkslit. s. 397) aus rheinbairischen und Elsässer urk. des 13. 14 jh. gewiesen. “Eck- chardus dietus Fasolt, “Wilhelmus dietus Fasold’in urkunden von 1323. 1326. 1336 (Baur no. 561. 582. 671) und zu Halberstadt 1332. 1340 ein“Burchard Vasolt. “der alt Nudunc heifst ein bauer fastn. sp. 575, 29, ‘Ötel Helm- schrot’ 585,3. 3852 Jacos Grimm Diese namen zeugen von allgemeiner verbreitung der heimischen sage unter dem volk in den verschiedensten gegenden Deutschlands, vorzugsweise bei dienstleuten, bürgern, bauern. für manchen beinamen mag uns auch die sage verschollen sein, wenn man sie z. b. hinter einem Sigiboto volo, Siboto qui dieitur volo (pullus equinus) MB. 7, 360. 362 vermuten will; es kann auch ein andrer grund obwalten. Wetterauische urkunden des 13. 14 jb. zeigen oft den beinamen Halbir, Halppir: ‘Hermannus Halbir miles’ (Böh- mer cod. Francof. p. 64. 71. a.1236. 1242); ‘Erwinus dietus Halbir’ a. 1260 (Gudenus 5, 34); ‘Cuno et Hermannus fratres dieti Halbeir' a. 1265 (Baur no. 103); ‘Cuno Halbir’ a. 1275 (das. no. 148); a. 1291 (das. no. 236); “Cuno dictus Halppir’ miles de Gyssen a. 1307 (Kindlingers hörigkeit s. 356.) ich war anfangs geneigt, dies Halbir auf den schwank vom ritter, ‘der die halbe bir az, der die halbe bir nuoc, der die halbe bir warf in den munt’ und dem solche unhöfische sitte spottreden zuzog, zu beziehen, das gedicht brauchte darum nicht vor 1236 und nicht von Conrad von Würzburg ver- falst zu sein, die sage konnte vor der dichtung umgehn; doch sehe ich ein, dafs Halbir vielmehr Halbbier, dünnes bier, kofent, wie man noch heute sagt, bedeuten mag, nicht die halbe birne. dietus Dunnebir. Baur no. 553. Als am schlufs des zwölften jh. die tafelrundesagen begannen aufzu- 1) dringen, nahmen, fast im gegensatz jener von bürgern und bauern fortge- tragnen namen des heimischen epos, ritter gern die höfischen namen der helden königs Artus an, und zuerst erwarten dürfte man hier die von Tristan, Erek, Gawein und Iwein. einen Ybanus de Chamere gewähren bairische ur- kunden der angabe nach um 1160 (MB. 9,546), Iwan de Chamer um 1190 MB. 10, 403), beide jahrbestimmungen sind ungenau und es verlohnte sich wol genau zu ermitteln, wann dieser Iwan aus dem bekannten geschlechte der von Kammer lebte, Hartmanns gedicht erschien erst im laufe der neun- zige dieses jh.; da aber auch die form Iwan von Iwein absteht, so war sie wahrscheinlich schon auf anderm wege in der zweiten hälfte des jh. unter den bairischen rittern so verbreitet, dafs einer den taufnamen Iwan empfieng, als beiname stellt er sich hier nicht dar. ein ‘Iwanus infirmorum magister’ erscheint im wetterauischen urkunden zwischen 1220-33 (Baur no. 10), ein “Eibanus servus’ wieder in einer bairischen um 1249 (MB. 27, 58), ein Yba- nus scultetus de Coburg’ 1289 (Schultes 2, 18), ein ‘Heinricus de Ybanstal’ in einem Passauer zinsregister (MB. 28, 477), und leicht werden sich noch über eine urkunde des 12. Jh. 383 mehr Iwane oder Ibane in hochdeutschen urkunden des 13. 14 jh. aufzeigen lassen. Eines urkundlichen Erek erinnere ich mich nicht. Der höfische Ulrich von Lichtenstein auf seinem abenteuerlichen zug theilte im j. 1240 die namen Parzifal, Gawän, Ybän, Tristram, Lanzilet, Ither, Erek und Se- gramors aus (s. 488-491.) Walewan, also nach der niederländischen gestalt, tritt aufin einer urkunde von 1188 (MB. 13, 126), "Walewanus miles in Hem- menrode' bei Caesarius heisterb. 1,27; "Galwan der ganwerschin’ (1. gauwer- schin, d.i. Lombarde, caorzinus) a. 1298. im östr. archiv 6, 165 vgl.197;"Gawa- nus hovelarius’ 1241 (MB.8,51); Tristan zuerst im j. 1300 (MB. 3, 568), doch werdenältere beispiele möglich sein. Lanzelet hat mir keine urkunde vor 1331 (in Höfers deutschen urk. s. 243) dargeboten, auch er mufs sich früher aufwei- sen lassen. In dem schon späteren Augustin Tristram von 1463 in Beheims Wien hat Tristram bereits die art eines geschlechtsnamens und empfängt neuen vornamen hinzu. Seit der ersten hälfte des 13 jh. können Parzival, Gamuret und Wigolais auftreten, doch habe ich keinen so alten Parzival aus urkunden angemerkt, "Gameridus’ a. 1237 (MB. 13,207); “Gamriht (f. Gah- muret) schulthaiz’ 1247 (MB. 11, 34); ‘Ottokar der Gamred’ a. 1372 (MB. 30b., 301.) im 14. 15 sind bairische Parzivale und Wigoleise weiter nicht selten, z. b. Partzival 1382 (MB. 27, 271); 1435 (16, 479); Wigilois 1405. 1438 (27, 399. 425) und auch letzterer ist in Wolfskel Wigelais 1462 bei Beheim 178,22 geschlechtsname, Hund, ein bekannter bairischer geschicht- schreiber des 16 jh., führte den vornamen Wiguleius. Von frauennamen gehört vor allen hierher Isalde, da nicht nur in die Vilkinasaga cap. 222 be- reits eine Isold, als Irons gemahlin, sondern selbst ins lied von der klage z. 1378 eine herzogin Isalde zu Wien aus Eilharts Tristant aufgenommen wurde; Isalde, fraue zu Brunsberg, erscheint im j. 1326 (urk. bei Höfer 196.) im Gudrunlied 582. 715. 759 steht der name Wigaleis, in der Ra- benschlacht 806 Morolt von Eierland (Irland) aus Tristan. Es ist bekannt, dafs man in mehrern norddeutschen städten, z. b. Magdeburg, Greifswald eigne Grale, Tafelrunden und Artushöfe im 14. 15 jh. anlegte, wo dann auch die ritternamen im schwang können gewesen sein. Geringeren einflufs übten die namen kerlingischer helden, sie waren in der ritterwelt, scheint es, unbeliebt, und ich weifs aus unsern urkunden keinen mann, der sich Rolant (') oder Olivier genannt hätte. ausnahmsweise zeigt (') ich finde Ruland als hundenamen um 1420. 384 Jacos Gxrımm über eine urkunde des 12. jh. sich im j. 1307 zu Wien ‘her Rüeger der Viviantz’ (MB. 30b., 37) nach Wolframs Wilhelm, und Baligan im Biterolf und Dietlieb 315. 1371, selbst Beligan im heldenbuch gehn zurück auf Turpins Beligand, wie auch sonst in nebenzügen alle kreise in einander überspielen. etwa lassen sich die Ro- landseulen norddeutscher stadtmärkte jenen Artushöfen an die seite setzen und scheinen nicht älteres ursprungs. Wer den, nicht von ungefähr, nach den ständen abweichenden wi- derschein dichterischer eigennamen in dem gebrauch des wirklichen lebens näher verfolgen wollte, als es mich jetzt anzieht, würde den gegebnen bei- spielen manche andere beifügen können. register. Adalbert v. Bremen 369 Fladirtinga 372 Icanrode 376 Roland 353 Artushof 383 Folo 382 Ico 376 Siddesen 376 Bälahornon 377 Friduren (Freren) 377 Ikkenhuson 376 Sieze 376 Baligan 384 Gamuret 383 Isald 383 Sintarfizilo 381 Bern 378. 380 Gauwerschin 383 Iwan 382 Sologon 377 Bernesdorp 377 Brämhornon 377 Bröcmen 368 Bröcseton 368 Broxtermann 369 Conrad von Werla 369 Dieterich v. Bern 379.380 Doblenstein 378 Dunnbier 382 Eberschütz 378 Ebersol 377 Ellevenhoike 365 Emsgau 373 Erkenbert abt 366 Externstein 378 Fischbek 377 Fizilo 381 Gawan 383 Godefridus 365. 366 Godelheim 375 Gral 383 Gudelmon 375 Gundhelm 375 Halbbir 382 Heinrich v. Nordheim 373 Helmgöz 376 Helmscheit 376 Helmschrot 381 Helmsted 375 Hestinon 376 Hildebrand 380 Hoico 365 Holtesson 374 Hökelheim 374 Kaanstein 378 Liudgard 371 Markward abt 366 Medesdorp 377 Meisenstein 378 Meriwido 371 Miming 381 Morizine pagus 368 Morolt 383 Morsacium 368 Mörseton 368 Mückenstein 378 Munichüson 376 Nibelung 381 Nudung 381 Ovenhüson 376 Reinfridus 365 Sudholt 378 Twaetihaoyc 364 Tristran 383 Vivianz 384 Walewan 383 Walising 381 Wendehoike 365 Wieland 381 Wigaleis 383 Winkelmet 371 Wittich 381 Wizlan 381 Wüetelgöz 381 Ziatesson 376 Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg und Wien. FFFUNVon v H”" PANOFKA. [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 1. Mai 1851.] Iaypw 9 Emcı Snow bavip aspo”. Pindar Olymp. XII, 94. ke den verschiedenen Gattungen antiker Kunstdenkmäler nehmen die Gemmen eine der ersten und ehrenvollsten Stellen ein. Die Achtung die sie geniefsen, rührt aber hauptsächlich von dem hervorra- genden Talent und Geist her welchen einzelne Steinschneider bei Aus- arbeitung ihrer Werke entwickelten. Dagegen flimmert nur schwach das Bewustsein dafs diese Antikengattung nächst dem durch künstlerische Vir- tuosität hervorgerufenen Genufs, zugleich für Kunstanschauung und Kunst- geschichte in den verschiedensten Richtungen, für Religion und Mythologie, für öffentliches und Privatleben sehr reiches und schätzenswerthes Material liefert. Dieses Material wird leider von den Wenigsten geahndet, geschweige erforscht. Die goldreichen Minen liegen fortwährend unbearbeitet: das Schicksal der antiken Gemmen erinnert lebhaft an das Loos jener vorzügli- chen Wandgemälde von Pompeji und Herculanum die unter dem Schutz grauer Lavadecke und reich besoldeter Intendanten, viele Jahrzehende ohne den geringsten Nutzen für die Wissenschaft schlummern. Dafs die tief geschnittenen Steine und antiken Pasten der gröfseren Zahl nach im Alterthum zum Siegeln dienten wird ziemlich allgemein anerkannt. Leider verschmähte man aber die unmittelbare Folgerung daraus zu ziehen, nemlich diejenigen unter ihnen welche nächst dem Bild noch eine inschriftliche Beigabe darbieten, einer besonderen Beach- tung zu würdigen, insofern offenbar ein Zusammenhang zwischen Bild und Inschrift sich voraussetzen läfst. Da diese wissenschaftliche Theil- Philos.-histor. Kl. 1851. Ccc 386 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen nahme ihnen bisher versagt worden, so habe ich mich dieser Aufgabe unter- zogen die Klasse der inschriftlichen Gemmen in den öffentlichen Museen Europa’s einer gründlichen Prüfung zu unterwerfen. Die auf den Gemmen befindlichen Inschriften lassen sich in zwei Hauptklassen theilen. I. Eigennamen, griechische oder römische, ausgeschriebne oder mit blo- fsen Anfangsbuchstaben bezeichnete, bald im Genitiv, bald im No- minativ angegeben. Diese Eigennamen beziehen sich a) auf den Besitzer des Siegelrings, seinen Namengebenden Schutzgott oder Schutzheros, oder seinen berühmten homonymen Ahnherrn, d) auf den Künstler der den Stein geschnitten; letzterer wird leicht bemerklich durch die eben so kleinen als feinen Schriftzüge. Bis- weilen hat jedoch der Künstler den Ring für sich selbst zum Sie- gelu gearbeitet, und ist somit zugleich Besitzer des Siegelrings. II. Wünsche, Motto’s mannigfaltiger und geistreicher Art. Bei der Folge in der wir die Gemmen behandeln, hat die Rücksicht auf die bildliche Darstellung uns geleitet, so dafs wır mit den Göttern beginnen und zwar die älteste Dynastie an die Spitze stellen. Eingedenk des franzö- sischen Spruchs Charite bien enlendue commence par soi meme machen wir den Anfang mit den I. INSCHRIFTLICHEN GEMMEN DES KGL. MUSEUMS ZU BERLIN. Es sind gerade 90 Jahr her, dafs der Archeget der Archäologie die Beschreibung derselben in seiner Description des pierres grarces de la Collecliion du Baron de Stosch veröffentlichte. Diese gehaltreiche Schrift ward lange Zeit von Archäologen fleilsig benutzt und angeführt, bis vor 15 Jahren ein Wissenschaftsgenosse (!) sie für ein Winkelmanns unwürdi- ges Werk erklärte das aus der Reihe seiner Schriften zu streichen sei, und an dessen Stelle wie er in der Vorrede ausdrücklich versichert, ein neues völlig umgearbeitetes Werk welches die Irrthümer des Vorgängers beseitigt und berichtigt, der gelehrten Welt darbot. So hatte einst Medea (') Tölken Erklärendes Verzeichnils der antiken vertieft geschnittenen Steine der Kgl. Preufs. Gemmensammlung. Berlin 1835. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 387 den Töchtern des Pelias die Versicherung gegeben ihren gealterten Vater wieder jung zu machen, indem sie ihn in kleine Stücke zerschnitten in einem erhitzten Kessel wieder aufkochen würde. Die Töchter vertrauten ihren Worten. Pelias ward zerstückt und gesotten, aber der verheifsene verjüngte Pelias kam nie zum Vorschein. (*) Eine Psychostasie der bei- den Beschreiber der Stoschischen Gemmensammlung ehrlich und gewissen- haft angestellt vermag allein im Interesse der Wahrheit und der Wissen- schaft darüber aufzuklären, wer von beiden Archäologen mehr Ursache und Recht habe dem anderen Verdienst und Namen seiner Arbeit abzusprechen. Ich beginne mit einer Hekatombe epigraphischer Gemmen des kgl. Museums und zwar auf die Weise dafs bei jeder Gemme die Tölkensche Beschreibung wörtlich an die Spitze tritt; hierauf wird von der früheren Winkelmann’s wo sie bereits dasselbe ausgesprochen hat, nur das Zif- fercitat angegeben; wo sie aber im Guten oder Schlimmen von jener ab- weicht, die Variante jedesmal gewissenhaft mitgetheilt: dann folgt ohne lange Widerlegung der Vorgänger meine eigne, auf eigenthümliche Forschung beruhende Erklärung von Bild und seinem Zusammenhang mit der Inschrift. Amicus Plato, sed magis amica veritas. 1. IUPITER AMMON. C. AMAN(IUCS). Taf. 1, 1. Ammonios. Taf. III, 32. Karneol. Ein Widder, umher die Inschrift C. AM. AN. Tölken VIII Kl. 104.— Winckelmann mann II Kl. 432. führt ihn unter dem Abschnitt Mercur auf und giebt die Inschrift nicht abweichend. Dafs die Inschrift ungenau mitgetheilt ist lehrt schon ein flüchtiger Anblick des Originals; der Besitzer des Siegelringes hiefs Cajus Amanius und wählte insofern er den Zeus Ammon als seinen Schutzgott und Namenge- ber verehrte, sinnig dessen Symbol, den Widder, zu seinem Siegel. Die- ses Namens bekanntere Form lautet Ammonius: wir finden sie auf einer athenischen (3) Tetradrachme (s. Taf. III, 32.) wo der Münzbeamte, (wahr- (?) Das Bedürfnils bei jedem Stein die Bezifferung des Winkelmannschen Katalogs für Vergleich und Beurtheilung beider Beschreiber beizufügen fühlte Hr. Tölken weder bei Publikation seines Katalogs, noch hat er ernsten Mahnungen mehrerer Wissenschaltsgenos- sen, durch einen Nachtrag von einigen Seiten dieses Versehen wieder gut zu machen bis jetzt Gehör geschenkt. (°) im brittischen Museum; Mionn. Deser. II, 117, 57. Ccc?2 388 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen scheinlich Daduch oder Hierophant der eleusinischen Mysterien, zwei bren- nende Fackeln, an Widderhörner (Paus. VII, 26, 2.) erinnernd, und andremale (*) einFüllhorn, das Horn der Ziege Amalthaea, zum Siegel gebrauchte. Diesen Stein habe ich bereits in meiner Schrift „Von einer Anzahl an- tiker Weihgeschenke” (Abh. der Königl. Akad. d. Wiss. 1839.) Taf. I, 7. veröffentlicht und S. 17. mit Erinnerung an den Altar der Hera Ammonia neben dem des Zeus Ammon und Hermes Parammon im Hain Altis in Olym- pia (Paus. V, 16, 7.) erläutert. 3. MARSYAS. GAIOS. Taf. T, 3. Marsyas und Ge-Cybele. Taf. IV, 26. Obsidian, als Cabochon geschliffen. Marsyas als ein alter Silen gebildet und ganz von vorn dar- gestellt sitzt auf einem untergebreiteten Thierfell und hält in jeder Hand eine Flöte, zur Seite die Inschrift PAIOC. Tölken III Kl. 761.— Winckelm. II Kl. 1136. bezeichnet , ihn als antike Paste, erwähnt kein Fell und liest FAIOY als Name des Steinschneiders. Den Namen Gaios (°) führte der Besitzer des Siegelrings offenbar auf seinen Schutzpatron, den Silen Marsyas zurück, welchem einerseits als Sohn der Erde(®) dieser Name zukömmt, und der andrerseits indem er mit sei- nem Flötenspiel der Erdgöttin Cybele-Ge im Mythos wie auf Kunstdenkmä- lern als Freund und Begleiter so häufig zur Seite steht, auf diesen Namen Gaios, zur Ge gehörig, volle Ansprüche hat. Dies enge Verhältnifs er- hellt deutlich aus einem pompejanischen Wandgemälde (s. Taf. III, 26.) wo dieser Silen mit der Cista auf dem Kopf, ein Tympanum in der Hand, der Göttin in ihrem Hieron sich nähert (Mus. Borb. XII, 8.). Zur genaue- ren Bezeichnung dieses Verhältnisses dient noch das mit Unrecht übersehene Trinkgefäfs zur Linken des offenbar auf einem Pantherfell gelagerten, und mit einem Agrenon bekleideten Silen: wir finden hier absichtlich keinen der bekannten bacchischen Trinkbecher, sondern eine xU@n (Hes. s. v.), (*) Mionn. Deser. II, 116, 56. 5 ’ ’ ’ {ai er m m . . (°) Hesych. v. yaısıv" Yaizsıv, veuvuverTar. v. yardrar #sgronel, zaranwz@reı. Hiernach lielse sich der Silen Gaios (gavisus der Römer, gai der Franzosen) mit Komos und Gelos als Lustig auf eine Linie stellen. (°) Nonn. Dionys. XIV, 97. XXIX, 262. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 389 „un (7) oder xureAdev, (°) d.i. ein Gefäls welches seines Namens wegen an Kybella in Phrygien (Tzetz. ad Lycophr. 1170.) erinnernd, gleich den andremale zu gleichem Zweck angewandten Becken zuußara, die Göttin Kybele symbolisirt. Auf einer rothfigurigen volcenter Kylix der Gigantomachie im königl. Museum (?) erscheint der von Artemis siegreich bekämpfte, mit der Inschrift FAIQNN bezeichnete Gigant mit einem Pantherfell bekleidet, und was der Erklärer übersah, in dem reich herabwallenden Haar des helmlosen Haup- tes seine Abkunft von Ge verrathend. (!°) Da ein andrer vorzüglich geschnittener Stein mit dem umstrahlten Kopf des Hundes Sirius (!!) die Inschrift FAIOC EMOIEI zeigt: (!?) so ist wohl auch hier derselbe Künstler anzuerkennen, indem der horizontale Strich über der Kymbe wohl dem Tl angehört, welches auf ein nicht sichtbares € folgte. Doch halte ich den Künstler zugleich für den Besitzer des Ringes. 3. MARSYAS. EBER. Tiaf. I, 2. M. Metr(ous) Cae(lator). Karneol. Ein Eber; im Felde die Inschrift M. METR. und ein Monogramm aus den Buchstaben AEL oder AEC. Tölk. VIII Kl. 123..— Bei Winck. VII Kl. 63. wird die Buchstabenan- gabe des Monogramm vermilst. Dafs der Eber in Verbindung mit der Namensinschrift M. Metr. steht kann keinem Zweifel unterliegen. Insofern aber Metr. uns auf die Magna Mater, die Cybele hinleitet, dürfen wir nicht verschweigen, dafs Zeus aus Zorn über der Kybele Liebe zu Attes, der ihren Dienst in Lydien eingeführt hatte, einen Eber in die Fluren der Lydier sandte um den Liebling der Göt- (7) Rech. p. 18. Pl. IV, 32. (°) Panofka Recherch. sur les noms des Vas. p. 30. pl. V, 75. (°) Gerhard Trinkschal. und Gef. d. K. M. Taf. II. (‘°%) Annal. de l’Institut archeol. Tom. I. p. 293. Monum. I, pl.X. (‘‘) Bracci Memor. d. ant. incisori. T. I. Tab. XLIV, p. 241-49. R. Rochette Lettre a M. Schorn p. 138. ('?) Köhler die geschnittenen Steine mit den Namen der Künstler S. 157. St. Peters- burg 1851. versteht dieselbe ohne Grund von einem römischen Steinschneider Cajus und erklärt in seiner autokratischen Hyperkrisis, trotz höchster Anerkennung dieses Meister- werkes, Inschrift so wie Schnitt eines den alten Steinschneidern unbekannten Steins „des Granats’” für modern, und zwar einem Gerücht zufolge für eine Arbeit Natter’s. 390 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen tin zu tödten. (Paus. VII, 17,5.) Wegen dieses Mythos mögen wir den Eber un- b R » . » er 5 serer Göttin nicht auf Altes, wiewohl dieser als" Yys angerufen ward, (!?) bezie- hen. Es scheint uns vielmehr angemessener in dem Eber den Flufs gewor- denen Marsyas('* ) zu vermuthen, vorzugsweise uns stülzend auf den Typus der Münzen von Seignia mit dem Doppelkopf eines bärtigen Silen und eines Ebers (!5). Wir glauben dafs dieses merkwürdige Bild Marsyas einerseits als Silen, andrerseits als Fluls in Gestalt eines Ebers veranschaulicht und erin- nern daran, dafs der aus des Marsyas Haut gebildete Weinschlauch (1°) sei- nerseits auf diese Thiergattung hinweist. Auch die zum Andenken an die Befreiung von der Pest stattfindende Ceremonie am Flufs Sythas in Aegia- lia mit dem Hieron der Peitho auf der Agora, und dem Naos des ausgesühn- ten Apoll verdient gründliche Beachtung, insofern in den Naos dieses Apoll Meleager den Speer weibte, womit er den Eber getödtet, und die Flöten des Marsyas ebenfalls geweiht wurden, welche nach der Schindung des Si- len der Flufs Marsyas in den Maeander hinabtrug: als sie darauf im Asopos wieder zum Vorschein kamen und ans Sieyonerland antrieben, fand sie ein Hirt und schenkte sie dem Apoll (Paus. II, 7, 7.). Daher dürfte sich dem religiösen Grundbegriff nach, der Flufs Sythas durchaus nicht von dem in einen Flufs verwandelten Marsyas (7) unterscheiden. Wenn Münzen der Stadt Metropolis in Ionien (Eckhel D. N. I, 530.) mit einem Eberkopf geschmückt sind, indefs andere den Typus der Cy- bele zeigen, (Mion. S. VI, 259, 1152.) so begegnen wir offenbar demselben Gedanken welcher unsrer Gemme zum Grunde liegt, und finden hierin eine gleiche Begründung unsrer Deutung, wie in der Flötenmelodie Metroon (unrg@ev) die Marsyas zu Ehren der Magna Mater erfunden haben soll (Paus. X, 30, 5.), und in der Aussage des Aelian (de nat. anim. XII, 46.) wonach der Eber durch Musik der Flöte gefangen wird. Ob der Anfang von Metr. Metrous, Metropolita, Metrobios oder Metrobalanos zu ergänzen sei, wie nach ('%) Demosth. de Cor. Vol. I, p. 313, lin. 27 ed. Reiske. (C)kles: Werns. 6 aUroerrs MagsVas. ('’) Sestini Lett. e Diss. num. Tom. V, p. 31. Panofka Antikenkranz zum fünften Ber- liner Winckelmannsfest S. 12. u. Taf. no. 9. ('°) &szos Magsvov Plut. de fluv. X, 2. ('”) Vgl. Marsus aper Horat. Od. I, 1, 28. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 391 der dieser Göttin heiligen Eicheltragenden Eiche ein Fl. Verus Metrobalanus auf einer Inschrift bei Donati I, 8. vorkommt, läfst sich nicht mit Sicherheit bestimmen, wiewohl die in Metrobalanos enthaltene Eichel als Nahrung die- ser Thiergattung für diesen letzteren Namen eine gröfsere Wahrscheinlichkeit darbietet. Das von Tölken Aec oder Ael gelesene Monogramm scheint uns viel- mehr Cae zu lesen. Aber für Caelius es zu deuten und M. Caelius Metrous zu erklären, verbietet sowohl die entgegengesetzte Richtung der Buchstaben JA), als deren minder ehrenvolle Stelle, zumal oberhalb hinter M. für diese drei Buchstaben nicht nur Platz leer war, sondern auch eine Symmetrie mit den vier Buchstaben gewonnen wurde. Unsers Bedünkens ist daher Cae für Caelator zu erklären und be- zeichnet M. Metrous als Steinschneider, und zwar hier als Künstler und Besitzer dieses Ringes zugleich. Dafs übrigens zu dem Hofstaat römischer Kaiser auch solche Hofgraveurs gehörten beweist eine Inschrift bei Gruter 583, 9. Amiantus Germanici Caesaris caelator fecit. 4. GIGANT. GRACKUS). Taf.L, 4. Hellfarbiger Sarder. Ein Gigant (Agrios) in der Rechten eine Keule schwingend, umher die Inschrift I GRAC. Tölk. III Kl. 50.— Winckelm. II Kl. ı07. beschreibt ihn als Titan ohne Namenangabe und liest L. GRAC. Es liegt nahe hier an einen der Gracchen zu denken, da einerseits die ältere Schreibart dieses Namens Graccus lautete (Quintil. I, 5.), und and- rerseits die revolutionnaire politische Laufbahn der beiden Volkstribune Tib. und Caj. Gracchus für die Wahl eines physischen Revolutionnair, wofür wir den Keulenschwingenden Gigant dreist ansehen dürfen, zum Siegel beson- ders passend erscheint. Nur stimmt der Vorname 7 d.i. Junius zu keinem der berühmteren Gracchen; ebensowenig läfst sich zwischen J und @ die ge- ringste Spur eines Punktum entdecken. Daher geräth man in Versuchung Graci zu lesen, wie ja Martial IV, 39. und Plinius N.H. XX, 11, 49. Vasen eines Künstlers Gratius rühmend erwähnen. Diese Vermuthung gewinnt an Glaubwürdigkeit sobald wir uns vergegenwärtigen dafs Apollodor I, 6, 2. den in dem grofsen Götter-und Gigantenkampf von Artemis erlegten Erdsohn mit Namen Gration aullührt. Demnach konnte auch ein Ringinhaber Gra- cius im Giganten Gration seinen Schutzdämon und Namengeber ehren. 392 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 5. ZEUS. STIER. SATURNINI. Taf. ], 5. Gestreifter Sardonyx. Der Frühlingsstier (cornupeta); umher der Name Saturnini. Tölk. III Kl. 1417.— Winckelm. III Kl. 1202. Der Name Saturninus macht uns bedenklich hier mit Hrn. Tölken das Sternbild zu erkennen, zumal die wörtliche Übersetzung uns auf Koeviwv d.i. Zeus hinweist der solche Stiergestalt annahm als er Europa entführte. Doch dürfen wir nicht übersehen dafs auf Denaren der Gens Sentia (1°) mit der Inschrift L. Saturnini Saturn unbärtig mit einer Sichel, also als Acker- gott auf sprengendem Viergespann erscheint, und bei den Alten der sto- {sende Stier als den harten Erdboden auflockernd und Pflugstelle vertretend, aufgefasst wurde, überdies Saturnia tellus der alte Name für Italia war, Italus aber und vitulus dasselbe bedeuten. 6. JUPITER. THELG(INUS). Taf. 1, 6. Karneol. Jupiter mit einem Mantel bekleidet, in der Linken das Scepter und auf der rechten Hand einen Adler. Zur Seite T. HELG, wahrscheinlich den Namen des Besitzers anzei- gend. Tölk. III Kl. 76.— Winckelm. II Kl. 35. giebt THELG an. Fälschlich liest Hr. Tölken Titus Helgius, da offenbar Thelg d.i. Thelginus zu lesen. Dieser Name hängt mit Seryew, mildern, besänf- tigen, zusammen: der Ringbesitzer verdankt seinen Namen einem Zeus der den Begriff des Serywv, Serurnpios, reAyw in sich schliefst und deshalb sowohl in der Drapirung dem Asklepios sich assimilirt, als durch die Abwe- senheit seines gewöhnlichsten Attributs, des Blitzes, den Charakter der Milde verbürgt. Der Jupiter Thelginus den diese Gemme kennen lehrt, galt in der grie- chischen Religion offenbar als Gemal der in Jalysos als Telchinia (Diod. V, 55.), zu Athen als Telxinia angebeteten Hera (Hesych. s. v.). Hinsicht des Cultus auf Jalysos darf man nicht vergessen dafs Terywıs der alte Name der Insel Rhodos ist (Strabo XIV, 653.), wohin auch die neun Telchinen ver- setzt werden, mufs zugleich aber erwägen, dafs Tery via ehemals auch Kreta hiefs, dessen Silbermünzen einen Zeus dem unsrer Gemme völlig gleich, nur auf einem Stuhl sitzend, ('°) und ähnlich dem lykaeischen Zeus Arka- (*°) Morelli g. Sentia. Panofka Antike Weihgeschenke. Taf. I, 1. S. 55. (‘”) Combe Mus. Hunt. T. 21, XVII. zu Berlin, Haag, Kopenhazen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 395 ’ 8 I 8 8 diens (2°) vergegenwärtigen. Erwägen wir dafs der Begriff des Heilen auch dem Namen ’ArsZavdgos (1) zum Grunde liegt, so wird der Typus unseres Zeus mit der Umschrift ENI BATINENZT ANEZANAPOY (*) auf Silberme- daillons Alexander d. Gr. nicht befremden. Wegen der Beischrift IAXLONOZ verdient auch noch der mit Scepter in der Rechten und Adler vor sich, thro- nende Zeus der Münzen von Kyrene, (??) wegen stehender Stellung die noch ähnlichere Jupiterfigur der Münzen von Bargasa in Carien, (**) Tripolis (5) und Laodicaea (*°) gegenüber der Ephesischen Artemis, mit unserem Gem- menbild verglichen zu werden, so wie ein völlig gleicher Zeus auf einer Gemme, (27) dessen unter dem Adler auf einem Dreifufs stehendes zweihenk- liges Weingefäfs für ihn wohl den Namen Zeus Philios (°°) in Anspruch neh- men dürfte. 7. ADLER AUF HEROLDSTAB. AUCTUS. Taf. I, 7. Zeus Eirenopoios. Taf. III, 18. Braune antike Paste. Ein aufblickender flügelschlagender Adler trägt in den Fängen einen Ca- duceus; unten der Name AVCTVS. Tölk. VIII Kl. 160..— Winckelm. IV Kl. 208. Der Sinn dieser Paste erhellt aus einer blafsblauen Paste der Vollard- schen Sammlung n. 40., gegenwärtig im kgl. Museum, wo Jupiter mit dem Caduceus von einem Adler getragen wird, unten sieht man zwei Palmzweige. (s. Taf. III, 18.) So gewiss die Palmzweige auf Sieg hinweisen, so sicher läst sich für den Namen Auctus der Gewachsene eine gleiche Beziehung des Sieges voraussetzen, um so mehr als uns Vasenbilder die Göttin Nike durch Inschrift unzweifelhaft, mit dem Attribut des Caduceus in der Hand kennen gelehrt haben. Deshalb möchte ich beide Pasten auf den Cultus des Sieg-und Friedenbringer Zeus Nixnpegos (*?) und Eigyvorsios oder Eign- () Combe M. Hunt. T.7, I, I. IM. (°') Panofka Asklepios und die Asklepiaden. S. 66, 67. (@) Mionn. Descr. Rec. d. Pl. LXX,4. Vorderseite Alexanderkopf mit Löwenfell. (@) M. Hunt. T.23, IX u. X. (2) M. Hunt. T. 12, XXIX. () M. Hunt. T. 61, IV. (2°) Gerhard Ant. Bildw. Taf. CVII, 11. (2) Impronte gemm. d. Instit. arch. Cent. V, 2. (25) Paus. VIII, 24, 2. () Aeschyl. Sept. c. Theb. v. 484. Philos.-histor. Kl. 1851. Ddd 394 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen vorbogos beziehen, ohne zu verschweigen dafs der Name Auctus sowohl, als die beiden Palmzweige mich abhalten einen sonst wahrscheinlichen Zeus Rathgeber aiviıes, aivgrıss wie er auf dem Berge Ainos in Kephallenia (°°) verehrt ward, hier zu vermuthen. Zum Vergleich mit dem Typus unsrer Gemme mit Auctus empfiehlt sich ein Denar der Gens Sosia, der nächst der Umschrift C. SOSIVS Q ei- nen Adler auf einem Blitz zeigt an welchen vorn ein Caduceus sich an- lehnt, (3!) umsomehr als die Bedeutung von Sosius und Auctus nicht son- derlich von einander abweicht. Den Beinamen Auctus führte übrigens so- wohl der Proconsul von Achaja, Acilius, (**) als auch ein L. Vesclarius bei Muratori (Inser. 631, 1.). 8, BLITZ. ANTHUSA? Tall, 8: Blitz mit Blumen. Taf. III, 22. Karneol. Donnerkeil mit der Inschrift ANTHVSAE S MEMORIA. Tölk. III Kl. 130. — Winckelm. II Kl. 90. liest SANTHVSAE MEMORIA. Sobald man erwägt dafs Anthusa die Blühende heifst und gleichzeitig des Cultus der Hera Antheia in Argos, der Feronia der Römer, und der von Zeus als Adler entführten Dia-Hebe (°°) sich erinnert, wird der Zusammen- hang zwischen Jupiterattribut und Inschrift nicht mehr verborgen oder zwei- felhaft bleiben, vielmehr die glückliche Wahl dieses Siegels für Anthusa um so leichter Anerkennung finden, als die Ungewitter, insofern sie die Vege- tation, Wachsthum und Blüthe fördern, der griechischen Kunst Anlafs ga- ben, den Blitz des Zeus häufig theils mit Lorbeerzweigen (°*) nach beiden Seiten, theils mit Blumen in Verbindung zu bringen, wie der blumenge- schmückte Blitz in der Hand eines thronenden Zeus (s. Taf. III, 22.), bisher unerklärt, auf einem pompeianischen Wandgemälde (°°) deutlich zeigt. Ist der Buchstabe S vielleicht für Sorori zu verstehen? und verdient etwa eine in Rom befindliche, auf der Via Appia aus dem Grabmal der Freigelassenen (°°) Schol. Apoll. Rhod. Argon. II, 297. (°') Riccio Monete di fam. Rom. Tayv. XLIV. (°?) Cie. Famil. XIII, 50. (°) Panofka Zeus und Aegina. S 5. u. f. (*) Monum. d. Instit. arch. Vol. II. Tav. VI. (®) Mus. Borb. Vol. XI, Tav. 39; die Blumen fehlen bei Zahn Pompeji, Herculanum und Stabiae drittes Werk, Taf. 14. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 395 der Livia Augusta, des Sext. Pompejus oder Ter. Varro (Corp. Inser. Gr. no. 6577.) herstammende Inschrift ’Ievaia "AvSoura Mirwves üderpN Yaıge einige Berücksichtung? Eine römische Inschrift bei Gruter (593, 6.) erwähnt eine Anthusa Tochter des Asclepiades, Caesaris servi. 9. NEPTUNUS SALVIUS: Taf. I, 9. L. Anton. Salvius. Karneol. Neptun den rechten Fuls auf das Vordertheil eines Schiffes setzend, in der rech- ten Hand einen Delphin, in der Linken den Dreizack; umher die Inschrift L. ANTON. SALVIVS. Tölken III Kl. 170..— Winckelm. II Kl. 445. Übersehen ward dafs der Gott auf dem Schiffsvordertheil d.h. in antis steht, und als solcher ein Antonius ist, wie auf Silbermünzen des Königs Antigonus Apoll auf dem Vordertheil eines Schiffes sitzt, an welchem man BAZINENZ ANTIFONOY liest; (%%) und die Münzen der Gens Antonia ih- rerseits meist mit einem Schiff mit Ruderern geschmückt sind. (°”) Dieser Antonius ward aber zugleich als ein Salvius, Zurng verehrt und verlieh sei- nen Namen dem Schützling der sein Bild zum Siegelring wählte. Das Bild dieser Gemme dünkt uns um so beachtenswerther, als es zugleich den be- sten Commentar für jenes Heiligthum darbietet, welches Odysseus bei sei- ner Rückkehr von Ilium der Athene Soteira und dem Poseidon der ohne Zweifel auch Soter hiefs, gegründet hatte und wovon Pausanias VIII, 54, 4. noch Spuren auf der Spitze des Berges Boreion in Arkadien antraf. Er- wägt man die Geiahren denen Odysseus zur See ausgesetzt gewesen, so leuchtet ein dafs der von ihm geweihte Poseidon der Erretter ebenso wie Athene die Erretterin auf einem Schiffsvordertheil tretend dargestellt sein musten. Mit Rücksicht auf die vielen Stürme mit denen Odysseus zu kämpfen hatte, wählte er wahrscheinlich den Platz für dies Heiligthum auf dem Berge der seinen Namen Boreion vom Winde Boreas entlehnt hatte. Als im Perserkriege des Xerxes Flotte vom Sturm drei Tage lang geschlagen, endlich an die Küsten von Magnesia geworfen ward, riefen die Mager ‘den Wind Boreas an und opferten der Thetis und den Nereiden (Herod. VII, 191.): die Griechen ihrerseits thaten Gelübde dem Poseidon Soter (He- rod. VII, 192)). (°°) Mionnet Suppl. III, Pl. XT, 2. (°) Riccio Mon. d. ant. fam. di Roma. T. V, 39-50. Ddd2 396 Panxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 10. MEERPFERD. CN. TA(LASSIUS). Taf. I, 10. Achatonyx. Ein Meerpferd irrozaumn mit den Buchstaben CNTA bezeichnet. Tölk. III Kl. 200..— Winckelm. II Kl. 486. liest genauer CN. TA. Vermuthlich steht Cn. Ta. für Cnejus Talassius, zumal Talassa die Personification des Meeres durch die Nachbarschaft eines Meerpferdes (Paus. II, 1, 8.) in der bildenden Kunst characterisirt wird und die Schreibart Ta- ‚lassius für Thalassius eine Analogie in einer athenischen Tetradrachme findet wo des Münzbeanıten Name ®uAarrıos, da er ein Kameel (der Dulder rararıss als Lastihier) zum Siegel gebrauchte, (3°) offenbar Tararrıcs hätte geschrieben werden sollen, da das Kameel ein Thier der Wüste, nicht des Meeres vorstellt. Bedenkt man zugleich dafs Salacia der römische Name für Sararra ist und dafs « und r so häufig einander substituirt werden, so bedarf die Erklärung des Namens Ta für Talassius gleich Salacius keiner weiteren Begründung. 11. Ceres. GEMELLI(NUS). Taf. 1, 11. Karneol auf der einen Seite beschädigt. Ceres hält in der einen Hand ein Büschel Aehren, in der andern eine Schale mit Früchten: neben der Ceres eine Ameise, unter den Fülsen der Göttin ein Stern; umher die Inschrift GEMELLI. Tölk. III Kl. 223..— Winckelmann II Kl. 228. Den Eigennamen ergänzen wir Gemellinus, da Plinius (Epist. X, 36 und 37.) einen Vibius Gemellinus als Procurator Caesars in Bithynien er- wähnt, oder Gemellina, laut einer Inschrift bei Muratori (683, 7.): Aurelia Gemellina. Da aber die Inschrift Gemelli durch ihre Verbindung mit dem Stern an das Zwillingspaar der Dioscuren erinnert: so erscheint es ange- messener an die enge Verbindung dieser Götter mit Demeter (°?) zu appelli- ren, um Stern und Namen als mit dem Hauptbild im besten Einvernehmen sich klar zu machen. Was die Göttin in der Linken hielt (vielleicht einen Blitz auf die Hitze des Sommers bezüglich) läst die Fragmentirung des Steins nicht bestimmen. Schliefslich wollen wir nicht verhehlen dafs Gemelli auch der Genitiv des vollständigen Namens des Ring-Besitzers sein könnte, wie eine griechische Inschrift von Massilia (Corp. Inser. Gr. 6767.) einen Künst- (°°) Mionn. S. III, 109. p. 551. Golz gr. num. Tab. XIV, 19. (°”) Archaeolog. Zeitung 1845. Taf. XXVII, 1. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 397 ler Titus Gemellus nachweist der seine eigne Büste zum Grabdenkmal für sich anfertigte. 12:!BONUS EVENTUS:!CY(EUS). Taf..I, 12. Achatonyx. Bonus Eventus als Jüngling stehend, in der Rechten eine Patera, in der Linken ein Büschel Aehren, zu den Fülsen des Gottes ein Adler, hinter ihm die Buchstaben CVF. Tölken III Kl. 1561.— Winckelmann II Kl. 1828. spricht genauer von einer Schale mit Früchten. Der Name Cyfus kommt ohne Zweifel aus dem Griechischen, da Ste- phanus von Byzanz Kuoes als Stadt in Perrhäbien nach einem Perrhäber Ky- phos so benannt, und eine andre gleichen Namens in Thessalien nebst ei- nem Flufs Kyphos aufführt. (*%) Dem Worte zUpos scheint wie dem »Un« der Begriff von Fülle, Befruchtung, Schwängerung zum Grunde zu liegen und in diesem Sinne einem Dämon mit Aehren und Fruchtschale (rUreAAev, coupe der Franzosen) der Name Kyphos eben so gut zu entspre- chen, als auf den Münzen von Sardes der Name Tylos (männliches Glied) dem Triptolem. Oder sollte vielmehr CYF für EYF(orion), ein Synonym von Bonus Eyventus, als Seegenspender hier aufzufassen sein? 13. SEGEN DES ACKERBAUS. EUPHEMUS. Taf. I, 13. Karneol. Sicilien als weibliches Angesicht in der Mitte von drei Schenkeln (die sogenannte Tri- quetra *) und von drei Aehren umgeben, in Anspielung auf die Gestalt und Fruchtbarkeit der Insel; im Feld EYPHEMI. *) die Insel Rhodos führt dasselbe Zeichen und theilt auch den Namen Trinacria PlnyHaNDSV2306: Tölken III Kl. 1384.— Winckelm. IT Kl. 23. Sicilien unter seinem gewöhnlichen Symbol (der Triquetra) mit den Characteren EYPHEIMI. — Ob in dem Bild unsrer Gemme die an und für sich nicht zu bestrei- tende Personification Sieiliens ausgedrückt sei scheint mir sehr zweifelhaft. Vergleichen wir den entsprechenden Typus der Erzmünze von Jaetia (*') in Sicilien wo drei gleiche Schenkel mit je drei Aehren dazwischen einen geflügelten Medusenkopf ausgebildeten Kunststyls umgeben: so leuchtet ein dafs der Kopf unserer Gemme ebenfalls der Gorgone Medusa angehört und nur durch alterthümlichen Styl sich von dem der sicilischen Münze unter- (*) Aus der thessalischen Stadt Kyphos stammte Guneus (Tzetz. ad Lycophr. v. 897-98.). (*) Combe Mus. Hunt. T. 31, IV. 398 Pıxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen scheidet: der eine wie der andre versinnbildet den Mond. Was die drei Aehren nebst den drei Beinen betrifft, so beziehe ich sie auf die drei Zei- ten des Säens welche dem Namen Triptolemos und der Tertiatio der Römer zum Grunde liegen. (*”) Wie aber das Mondgesicht hier als Mittelpunkt der Säzeiten — ähnlich dem Helios mitten im Thierkreis — zu erscheinen berech- tigt ist darüber geben am kürzesten Auskunft des Plinius (H. N. II, 99. 102.) Worte: Lunae sidus terras salurat. Demnach erkennen wir auf unsrer Gemme keine Lokalgottheit, sondern eine Gottheit des Erdseegens und empfehlen zum Vergleich die in gleicher Richtung angebrachten drei Aehren auf Silbermünzen der Sichelstadt Arpi. (*) Warum wählte aber Euphe- mus grade ein solches Bild zu seinem Siegel? ich vermuthe weil sein Name Euphemus Glückwünscher, Seegner bedeutet und als solcher sowohl mit Bonus Eventus, als mit dem Liebling der Erdgöttin, Iasion, der Idee nach sich identifieirt. Indefs verehrte unser Euphemos zugleich jenen my- thischen Euphemos, den Sohn des Poseidon und der Europa (wohl Demeter Europa) als Schutzpatron, welcher als keiner der Argonauten die vom Tri- ton zum Gastgeschenk angebotne Erdscholle aufnehmen wollte, vom Schiff herabeilte um sie in Empfang zu nehmen und dadurch die Herrschaft über das fruchtbare Libyen für seine Nachkommen erwarb. Denn Eu- phemus war der Ahnherr von Battus, dem Gründer von Kyrene. (°*) Auf diesen Euphemos spielt der Typus einer Silbermünze der kretischen Stadt Itanus an, einerseits mit einem Triton der mit seinem Dreizack einen Fisch trifft, andrerseits mit zwei aufrecht stehenden sich umschlingen- den Schlangen mit der Umschrift EYPAMO: indem dieser Euphamos den berühmten Gründer von Kyrene als Ahnherrn verehrte. 14. CONCORDIA ODER JUNO LUCINA. Taf. I, 14. Tnall(a). Gelbe antike Paste. Ceres auf eine Säule gelehnt, hält im Arm ein Füllhorn und mit der Hand eine lange aufgerichtete Fackel. Zur Seite die Inschrift TNALL rchtlfg. Bartholdysche - Sammlung. Tölken III Kl. 216. (*) Panofka Namen der Vasenbildner. S. 25-28. (®) Carelli num. Ital. vet. Tab. XC, 5. Rv. Athenekopf. Tab. XC, 7. Sichel; Rv. sprin- gendes Pferd. (*) Pind. Pyıh. IV, 1-56. Schol. v. 76. Apoll. A. II, 562. Hygin. f£. 14. 173. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 399 Sowohl das Füllhorn, als die lange Fackel im Einklang mit Stat. Silv. I, 2, v. 239. et insigni geminat Concordia taeda bestimmen uns, weil nir- gends Spuren von Aehren sichtbar sind, hier vielmehr die Götlin der Ein- tracht, Concordia zu vermuthen, zumal wir die völlig gleichen Symbole, lange brennende Fackel und Füllhorn in der Hand eines Amor auf Mün- zen (*°) von Corduba antreffen. Hiezu passt der Name der Besitzerin Tnall d.i. Tnalla für Tallna um so besser, als er ein Synonym von Thalia und Thallo, eine der Chariten bezeichnet, welche Göttinnen bekanntlich die Idee der Ein- tracht in ihrer Händefassung ausdrücken. Indefs wollen wir nicht ver- schweigen dafs die stehende Göttin unsrer Gemme auch als die Geburts- göttin Ilithyia sich deuten läst für welche als Phosphoros, Lucina, die lange Fackel insofern sie ans Licht bringt (Paus. VII. 23, 5.) sich eignet, während andrerseits das Füllhorn als Sinnbild der gesegneten Umstände den Sosipolis vertritt der in Elis im Tempel der Eileithyia Olympia ihr zur Seite stand, mit besondren Opfern geehrt (Paus. VI, 20, 2, 3.), und auf einem Gemälde im Tychetempel in Elis mit einem Füllhorn in der Hand gebildet war (Paus. VI, 25, 4.). Zu Gunsten dieser Erklärung spricht noch der Umstand dafs in Etrurien die Geburtsgöttin den Namen Thalna führte, wie etruskische Spiegel mit der Geburt von Athene, Dionysos u. a. deutlich beweisen. 15. LIEBESBÜNDNISS. AGATHOPUS. Taf. I, 15. Karneol mit Gold restaurirt. Zwei in einander gelegte rechte Hände, als Zeichen der Vermälung und Eintracht, Darüber AGATHOPI. Tölk. VI Kl. 476.— Winckelm. V Kl. 221. Der Eigenname Agathopus mit ayanaı, dyara zusammenhängend, drückt Liebe und Eintracht aus, den Charakter der Grazien welche als Un- trennbare "Auogiavaı höchst sinnig auf Münzen von Amorium durch das Bild unsrer Gemme versinnbildet werden. Wegen des auf Liebe hinweisenden Symbols dürfte es angemessen sein auf eine Grabschrift (Corp. Inscer. Gr. 6328.) welche Pephilemene (Geliebte) dem Agathopous ihrem gar süfsen Bruder setzte, aufmerksam zu machen. Spuren eines unter den zwei Hän- den befindlichen Symbols, Aehren oder Mohnstengel, sind von den früheren Beschreibern übersehen worden, aber deshalb doch unleugbar. (°”) Mionn. Deser. I, 11. 70. 400 Pınorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 46. MARS IN RUNDEM TEMPEL. Taf. I, 16. M. Val. Aequal(is). Karneol. Ein runder Tempel mit zwei gewundnen Säulen am Eingang in den Tempel: Mars mit der Rechten den Speer und mit der linken Hand das nicht gezogene Parazonium hal- tend: den linken Fufs setzt er auf einen Helm. Auf beiden Seiten der kuppelartigen Ein- dachung des Tempels ist ein Widderkopf mit einem Pedum angebracht und über dem Gip- fel derselben ein Donnerkeil. Zur Seite die Inschrift M. VAL. AEQUALIS. Tölk. III Kl. 365.— Winckelm. II Kl. 88. Jupiter mit Blitz und Scepter in einem runden Tempel stehend, hat den rechten Fuls auf das Vordertheil eines Schiffes gesetzt. Ein Blick auf die Gemme genügt um die Tölkensche Beschrei- bung als die berichtigende und allein richtige anzuerkennen. Die Tempel- statue bekundet sich als Mars durch die &wvn den Gürtel, das Wehrge- henk welches das charakteristische Attribut des Ares bildet. (*) Indem wir die Namen M. Valerius durch die Marsstatue und den Blitz in der Kuppelmitte versinnbildet glauben (*7), wie auf einer Münze von Rhodos (*°) der Münzbeamte Eukrates ebenfalls einen Blitz zum Siegel anwandte: erken- nen wir in dem Attribut der beiden Widderköpfe und der beiden Krummstäbe als diduusı ein Symbol des Namen Aequalis. Insofern Aequalis aber gleich, und gleich machend bedeutet, entspricht es dem griechischen öueles das ein Beiname des Mars wie ’AMAorgeranres zu sein scheint. Denn das Wort Emouou erklärt Hesychius durch den Krieg der zugleich gehen macht und in welchem für Alle die Gefahr gleich ist. Zu verschmähen ist jedoch deshalb ebenso- wenig Aelians Nachricht (de nat. anim. X, 18.) dafs der Widder die sechs Wintermonate auf der linken Seite liegt und schläft, wenn ihn der Schlaf ergreift, von dem Frühlingsaequinoctium an aber sich wieder ausruht, in- defs auf der rechten Seite liegt. Also bei jedem Aequinoctium ändert der Widder seine Lage. Dafs das Schildkrötendach die Form des Himmelsgewölbes versinnli- chend bei den Römern dem runden kuppelförmigen Theil von Tempel und sonstigem Gebäude den Namen lestudo verlieh, bezeugt Varro de Lingua Latina IV, 33. Dafs aber unabhängig hiervon die Zestudo der Römer entspre- chend dem swarrırucs der Griechen, ein eigenthümliches Kriegsmanoeuvre (*) Lucian. quomodo hist. sit. conserib. 8. T. IV, p. 167. ed. Bip. (”) Vgl. auf den Münzen der Gens Valeria (Riccio Mon. d. ant. fam. Tab. XLVII, 4.) den Mars mit Helm, Lanze und Tropaeum neben L. VALERI FLACCI. (“) Combe Mus. Hunt. T. 45, IV. Panofka Ant. Weihgesch. T. 1, 9. $.42. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 401 bezeichnet und aufserdem als Belagerungsmaschine den Namen Zestudo arietaria führte wie Vitruv. X, 19. lehrt, verdient hier um so gröfsere Beachtung, als derselbe Schriftsteller den Beinamen arietina dadurch erläutert dafs der Wid- der nach Art der Schildkröte den Kopf bald herausstreckt, bald zurückzieht, und der Widderkopf auf unsrer Gemme die Stelle vom Kopf der Schild- kröte einnimmt. IT SARESZOSTERIOS. Taf. 1, 17: Athene Zosteria Taf. III, 17. Achatonyx. Mars in römischer Kriegstracht: zur Seite die Buchstaben ZW. Markgräfl. Anspach- sche Sammlung. Tölk. III Kl. 356. Die Hauptsache des sich rüsten ward übersehen: und dennoch weisen die Buchstaben &w unverkennbar auf Zwerngıss hin, das ursprünglich ein Beiname des Ares war, ehe es zum Eigennamen für Sterbliche diente. Un- ter gleichem Beinamen Zwsrngia ward auch die Kriegsgöttin Athene in The- ben verehrt, wo ihr Ampbitryon zwei Marmorstatuen geweiht hatte, weil er hier die Waffen anlegte als er den Euböern und dem Chalkodon sich gegen- überstellen wollte. „Die Waffen anlegen fügt Paus. IX, 17, 2. hinzu, nannten nemlich die Alten QwrarSs sich umgürten und so als Homer dichtete, Agamemnon gleiche dem Ares hinsicht der Zwvn, des Gürtels, sagt man er spiele auf die Walfenrüstung an”. Dieselbe Athene Zosteria ward auch bei den epiknemidischen Lokrern verehrt (Steph. Byz. v. Zurrng). Als Seitenstück zu Ares Zosterios publicire ich eine Athene Zosteria auf einer unedirten (Taf. III, 17.) dunkelblauen Paste meiner Sammlung: sehr ähnlich, aber von keinem der Vasenbeschreiber erkannt erscheint dieselbe Göttin auf einem gelbfigurigen Stamnion (*?) des königl. Museums (°°) neben einem Pfeiler worauf ZO®QN sich herabzieht, und bis jetzt ebenfalls unge- tauft auf einem Marmorwerk im Vatikan. (°') (”) Dubois Maisonneuve Introduct. ä l’Etude d. Vas. Pl. LXXXIL 1. (°°%) Levezow Verzeichn. der Vasengall. no. 850. Gerhard Berlins ant. Bildw. S. 247. (°') Mus. Chiaram. XX VII, 679. Gerhard Beschreibung des Vatikanischen Museums 82. Statue der Pallas, ehemals in der Villa Negroni, mit um die rechte Schulter hingendem Wehrgehenk. Philos. - histor. Kl. 1851. Eee 402 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 18. EBER: UVUS. PHILO. Taf. I, 18. Sehr dunkler Sarder. Ein Eber; vor dem Eber in einem kleinen vertieften Felde der Name P+1!LO, hinten in einem ähnlichen Felde eine andre nicht mehr lesbare Inschrift. Tölk. VIII Kl. *127.— Winckelm. VII Kl. 62. Ein Eber mit der Inschrift PJ11O!. Die von den beiden Beschreibern nicht erforschte Inschrift in der hin- tern Cartouche lautet VVVS das wir gleich öns durch udus feucht, fliefsend erklären, daher dieRegen bringenden Hyaden von Rutilius (°?) Hyades udae genannt werden. Da nun der Eber zur Bezeichnung des Winters kyems dient, insofern dieser die Regen- und Gielszeit xeiuwv bezeichnet, werden wir uns auch nicht wundern wenn der Geber des Siegelrings auf vollkommen analoge Weise zum Sinnbild seines Eigennamens Feucht, Upus (°°) einen Eber benutzte. Wir vermuthen nemlich in Uvus den Namen des Gebers, weil diese Cartouche die hintere, minder angesehene Stelle einnimmt. Da- gegen verräth die Cartouche vorn an der Hauptstelle in dem Worte Philo den Namen dessen für den der Ring bestimmt war. Da aber Philo so gut wie Philus als römische Beinamen vorkommen, so liefse sich nicht leicht ent- scheiden welcher dieser beiden Namensformen hier der Vorzug gebühre, wenn es nicht gerathener schiene Philo als Dativ für Philus zu verstehen dem das Liebesgeschenk dieses Siegelrings von seinem Freunde Uvus be- stimmt war. 19. STOSSENDER STIER: ALEXA. Taf. I, 19. Karneol. der Frühlingsstier (cornupeta): drunter ANEZA. Tölk. IH Kl. *1416.— Winckelm. II Kl. 1603. Den von Welcker (°*) auf den Vater eines berühmten Steinschneiders Aulos bezogenen Künstlernamen Alexander deutet Visconti (°°) mit vollem Recht auf den in der Mitte des 17ten Jahrhunderts mit dem Beinamen il Greco lebenden ausgezeichneten Steinschneider Alessandro Cesati. (°°) Da (?) Itin. I, 633. 53) So uva ab uvore dem inneren Saft Varro de Ling. Lat. IV, 21. Serv. ad Virg. Ca 5 5 Eclog. X, 20. uventes oculi feuchte Augen Petron. Satyr. 115. uvidus gleichbedeutend 5 5 3 5 mit udus, humidus. (°*) Kunstblatt 1827, n. 84. (°°) Opp. nov. T. II, p. 118. Osservaz. (°°) R. Rochelte Lettre & M. Schorn, Suppl. au Catal. des artistes p. 108. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 403 das Moderne sowohl in der Gestalt und Stelle der Schriftzüge, als in ver- schiedenen Theilen der Zeichnung des Thieres sich verräth und aus.dem Ver- gleich mit der Gemme Taf. I, 5. Taf. I, 20. Taf. I, 40. um so klarer sich ergiebt, so schien mir die Aufnahme dieses vorzüglichen modernen Steins lehrreich und somit hinlänglich motivirt, 20. MARS STOSSENDER STIER: C. F(URIUS). Taf. I, 20. Karneol. Der dionysische Stier; unter demselben die Buchstaben €. F. Alt Kurf. Brandenburg- sche Sammlung. Tölk. III Kl. 1109. Die Abwesenheit von Thyrsus, Efeubekränzung oder sonstigem bac- chischen Attribut zwingt uns hier in dem stofsenden Stier den Gott Ares (37) zu erkennen, zumal des Besitzers Name Cajus Furius (°) so viel wie Ocv- gıos (?°) entschieden auf den Scügos "Agrs (Hom. 11. V, 507.) hinweist. 21. MARS-ORAKELCONSULTANT. POTITUS. Taf. I, 21. Taubenorakelconsultant. Taf. III, 20. Karneol. Jason steht vor einer Säule um welche sich der Kolchische Drache windet und auf der oben der Zaubervogel Iynx sitzt welchen Iason von Medea erhalten hatte; am Fuls der Säule der Widder des Phrixus: zur Seite POTITI. Tölk. IV Kl. "145.— Winckelm. III Kl. "61. bat bereits dieselbe Deutung, schreibt aber nur von einem „Vogel.” Weder das Eigenthümliche einer Drachenumwundenen Säule statt eines Baumes, noch die merkwürdige Fingerhaltung des vor derselben ste- henden jungen Kriegers erweckte bisher die Aufmerksamkeit der Erklärer und veranlasste sie zu Forschungen und Vergleichen die über diese Gemme Licht zu verbreiten im Stande wären. Ein klassisches Zeugnifs für die richtige Auffassung dieses Typus ver- danken wir Dionys von Halicarnass: (°°) „In Tiora das Matiene heift soll ein sehr altes Orakel des Ares gewesen sein. Seine Art der Orakelgabe soll der bei den Dodonäern gefabelten einst sehr ähnlich gewesen sein; aufser (°”) G. Cedren. Compend. hist. T. I, p. 15. ed Bekk. p. 29: nach Ninos herrschte über die Assyrer Thuros der auch Ares genannt wurde als der kriegerischeste. Vgl. den stolsenden Stier der Münzen von Thurium; Sovgos und Swos Beiwort des Ares. (°°) Ovid. Metam. XIII, 871.: Ut taurus vacca furibundus adempta Stare nequit. (°°) Fourius bei Eckhel D. N. V. T. V, p. 222. (°°) Antiq. Rom. I, p. 12, 1. 18-26. Eee2 404 Paxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen dafs dort auf einer heiligen Eiche (*!) sitzend eine Taube die Weissagungen abgesungen haben soll: bei den Aboriginern aber ein Gottgesandter Vogel (Seoreurros epvis) den sie Picus Specht, die Hellenen aber Öpvoronamrns Ei- chenpicker nennen, auf einer hölzernen Säule erscheinend dasselbe that.” Obwohl der Vogel auf der Säule unserer Gemme mit dem Specht so wenig Ahnlichkeit verräth, als mit dem von Hrn. Tölken vermutheten Iynx, so besitzt er doch höchst wahrscheinlich die Eigenschaft eines Propheten und wir sehen hier ein dem von Tiora ähnliches Marsorakel vor uns, dessen in der Stelle des Dionysios ausgesprochne Ähnlichkeit mit dem Taubenorakel zu Do- dona am besten durch eine andre Gemme (Taf. 11I,20.) veranschaulicht wird, wo ein Krieger mit gleicher Händebewegung ebenfalls vor eine Säule tritt, auf welcher drei Tauben aus einem flachen Korb herausguckend oflenbar die drei weissagenden Tauben von Dodona vorstellen, welche er um Rath zu fragen im Begriff steht. Dies darf um so weniger Wunder nehmen als der Ortsname Tiora dem der Göttin Dione von Dodona entspricht und bei den Aboriginern wahrscheinlich dieselbe befruchtende Göttin Dione unter dem Namen Tiora dem Ares als Gemalin zur Seite stand, wie wir sie in Dodona dem chthonischen Zeus eng verbunden antreffen. Wie aber der Zeus von Do- dona den Charakter eines Pluton hat, so ist derselbe Begriff des Reichen (°) und Reichmachers in dem Ares von Tiora so wenig als in dem Ares von Kolchi, dem Inhaber des goldnen Vliefses, zu verkennen. Der leztere hatte in Sparta ein altes Heiligthum: die Statue mit Namen Ongeitas Fang- oder Beutemacher, hatten die Dioskuren von Kolchi mitgebracht (Paus. III, 19, 8:)- Nach unserer Gemme zu schliefsen ward dieser Orakelgott Ares dem Widder geopfert wurden, in Latium als Potitus angebetet und hat sich bis zur heutigen Stunde in Italien als Heiliger erhalten dem ein in der Legation von Ferrara gelegner Ort seinen Namen San Potito verdankt. Von dem Mars Potitus entlehnte der Besitzer des Siegelrings seinen Namen. Eine Inschrift bei Gruter 290. erwähnt als Kriegstribun und Consul einen C. Va- lerius. L. F. Vol. N. Potitus Volusus. (°) Arneth das Taubenorakel von Dodona. (°°) Man denke an die Potitii die Mächtigen, Reichen, und die Armen Pinarii, rewwvres, (penuria). zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 405 Diese Gemme ist bereits in meiner Schrift: von einer Anzahl antiker Weihgeschenke Taf. III, 3. S. 32. (Abh. d. K. Akad. d. Wiss. 1839.) ver- . öffentlicht und erklärt worden. 22. DIE WÖLFIN MIT ROMULUS UND REMUS. Taf. 2 Faustulus und der Specht: Eupropus. Violette antike Paste. Der Hirt Faustulus findet die Wölfin mit den Kindern unter einem Wein- stock mit Blättern, Trauben und Ranken, an dessen Stamm (l’e avis Martia, der propheti- sche Baumspecht, sitzt: hinter dem Hirten steht die Inschrift EVPROPVS.— Wahr- scheinlich bezieht diese Darstellung sich auf eine von der gewöhnlichen abweichende Überlieferung *). Tölk. V Kl. 78. *) Dals ein Specht die Kinder aus seinem Schnabel gefüttert habe, erzählt Aurel. Victor de orig gentis Rom. c. 20. Addunt quidam, Faustulo inspectante, picum quoque advolasse, et ore pleno cibum pueris ingessisse; inde videlicet lupum picurmque Martis tutelae esse. Winckelm. IV Kl. 132. lälst Weinstock und Baumspecht unerwähnt. Die Inschrift EVPROPVS verräth uns den Namen des Besitzers der Gemme, zngleich aber auch dessen Beziehung zu der vorgestellten Hand- lung, indem der Baumspecht an dem Stamme des Weinstocks sitzend, als prophetischer Vogel des Orakels des Mars, selbst ein EUmgOmOS ist. Denn wenn Hesychius @esrgoro: durch navreıs, &x Seco mgoAeyovres erläutert, so dür- fen wir wohl Eiwgowos durch eÜ rgeAeywv erklären und ihm vielleicht in den griechischen Wörterbüchern eine Stelle wünschen. Vgl. Theopropos auf einer Münze von Milet, dem Sitz des Branchidenorakels (°). 33. HELM AUS WIDDER- UND EBERKOPF, LÖWENFELL UND KEULE, SCHLAFENDEM HUND UND WOLFIN MIT ROMULUS UND REMUS: P. XANTUS. Taf. I, 23. Karneol. Phantastischer Helm aus einem Eberkopf und Widderkopf zusammengesetzt: nur ist als Träger des Helmbusches hier noch die Wölfin angebracht welche Romulus und Remus säugt und zur Seite der Name des Besitzers dieses Siegels P. XANTI. Tölk. VILKI. "24. Winckelm. IL Kl. 1041. Ein verzierter Helm aus einem liegenden Wolf, und aus den Köpfen eines Ebers und eines Widlders gebildet, auf demselben als Träger des Feder- busches die Wölfin welche Romulus und Remus säugl; neben dem Helm der Name P. XANTIL Offenbar beschreibt Winkelmann gewissenhafter als Tölken, indem er den Hauptschmuck des Helms, das liegende Thier nicht übersieht: nur scheint (°°) Combe Mus. Hunt. p. 204. u. 9. 406 Panxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen uns dasselbe weniger ein liegender Wolf, als ein liegender Hund zu sein welcher als Begleiter des Ares und andrer Heroen auf Bildwerken uns öf- ter begegnet. Auffallen aber mufs es dafs beide Archäologen zwei wichtige zwischen Widderkopf und Ebeıkopf angebrachte Symbole, nemlich Löwen- fell und darunter Keule, gänzlich übersanen. Wenn aber einerseits nächst diesem Thiere auch Eber und Widder (&p) so gut als der Helm selbst, auf den Kriegsgott Ares hinweisen, den Vater des Romulus und Remus, die wir von der Wölfin gesäugt auf dem Gipfel des Helmes wahrnehmen: so verdient auch andrerseits das Symbol der Wölfin wegen der Verbindung mit dem Na- men des Besitzers Xantus noch einige Berücksichtigung, indem grade in Lycien eine Stadt Xanthus am gleichnamigen Flusse lag, berühmt durch ei- nen Tempel des Sarpedon, (°*) und andrerseits der Monat Xanthus bei den Macedoniern dem Aprilis der Römer entsprechend (Hesych. s. v.) im Zusam- menhang mit einem zur Sühnung des Heeres in Macedonien begangenen Fest Xanthica, offenbar den als Xanthos in diesem Lande verehrten Kriegsgott sei- nerseits verbürgt. Die entgegengesetzte Lage des Widder- und Eberkopfes und das zwischen beiden sichtbare Löwenfell mit Keule über welchem sich das Bild eines schlafenden Hundes erhebt, ruft uns die Idee des Frühlings und Win- ters ins Gedächtnißs, welche Widder und Eber auszudrücken vermögen, so wie zwischen beiden das Löwenfell und der schlafende Hund, die Hitze des Sommers, zumal lezterer auf die Hundsstagshitze anspielen kann. Zum Schlufs veranlassen uns noch die Symbole von Wölfin, Widder- und Löwenfell darauf aufmerksam zu machen, dafs EavScs feuergelb die Farbe des Wolfes und Widders wie des Löwen ist, und dafs des Helmes Rofsschweif insofern er wie eine gewebte (Zavrev) Binde aussieht, mit Hülfe von Euripides Orest. v. 12. osreunara Eyvar EmenAwgev Der Epw. sich zu- gleich als Anspielung auf den Namen Xantus auffassen liefse. Der Name des Ringbesitzers Publius Xantus mit dem Helm worauf Löwen fell und Keule in der Mitte sichtbar sind, mahnt uns noch folgender römischen In- schrift (Gruter Inser. I, p. 44, 10.)P. Scantius (für Xantius) Florus Her- culi d. d. eine Stelle in diesem Abschnitt zu gönnen, (°*) Strabo XIV, 666. Hecat. bei Steph. Byz. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 407 34. HELM MIT KRANZ, STERN, BLITZ GESCHMÜCKT, SCHILD MIT SCHWERTEMBLEM: NERE(IUS). (Taf. I, 24.) Karneol. Ein Helm mit doppeltem Lorbeerkranz und mit einem Donnerkeil geziert, unter dem Helm ein Schild; zur Seite NERE. Tölk. VII Kl. "29.— Winckelm. Il Kl. 1038. Übersehen ward der Stern an der Seite des Unterhelns, das Schwert als Zeichen des Schildes, und dafs die am Ober- und Untertheil des Helmes sichtbare Bekränzung nicht ein und derselben Blätterart angehört. Die Inschrift Nere läst sich Nereius ergänzen und weist auf den Nereidenenkel Pyrrhos als Ahnhern zurück, insofern das Ornament des Blitzes dem Worte zvsöos feuerroth entspricht, der Helm selbst dem andern Namen des Achilleiden, Neoptolemos, und das Schwert als Schildzeichen an des Grofsvaters Peleus Schwert (IlyAews uax,uge) sich anknüpfen läfst. Obwohl nicht zu leugnen ist dafs Nereius auf dieser Gemme in Verbindung mit den Symbolen des Bildes auch an den Typus des mit Helm, Schild und Lanze be- waffneten, in Fischschwanz ausgehenden Nereus der Erzmünzen von Heraklea in Lucanien (6%) zu erinnern vermag, der mit dem im lakonischen Geronthrae (Paus. III, 22, 5.) verehrten Ares wohl ein und dieselbe Person ist: so dür- fen wir doch ebensowenig bei der Erklärung dieser Gemme die Göttin Ne- ria, Nerio, Neriene vergessen welche Aulus Gellius (Noet. Att. XIII, 21.) als Gemalin des Mars uns kennen lehrt, der vermuthlich selbst unter dem Namen Nerius als Blitzwerfender Kriegsgott wie bisweilen Athene, angeru- fen ward. Von dieser Kriegsgöttin Neria leitete höchst wahrscheinlich die berühmte Königin Nereis, die Tochter des Pyrrhus und Gemälin des Ge- lon (Paus. VI, 12, 3.) ihren Namen her. Doch sollen uns hier weder die Embleme des Helms, noch die gelungne Ausführung des Steinschnittes zu der Vermuthung verleiten als habe die Gemme einst der syracusaner Königin die noch heute in der Inschrift des Theaters von Syracus BAZIAIZZAZ NHPHIAOZ verewigt ist, zum Siegeln gedient. (°°) 25. VICTORIA AUF VIERGESPANN: FES. (Taf. I, 25.) Rother Jaspis. Victoria mit Kranz und Palme auf einer jagenden Quadriga: oben die Buchstaben FES rechtlfg. Tölk. III Kl. 1242.— Winckelm. II Kl. 1090. (°°) Millingen anc. coints Pl. I, 20. (°°) Hinsicht des Sternes und seiner Beziehung zum Namen Nereius Spinner erinnern wir an den französischen Ausdruck: les etoiles filent. 408 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Dafs Fes für Festina steht und gleich dem &«, Aa auf bemalten pana- thenaischen Preisamphoren ein hurtig als Zuruf den Pferden bezeichnet scheint mir sowohl wegen der Stelle der Inschrift, als wegen des Zusammen- hangs in dem mit dieser Gemmenvorstellung Cicero’s (III. Phil. 1.) Worte Mea festinatio non vicloriae avida est, sed eliam celeritalis stehen, weit wahr- scheinlicher, als in Fes den Anfang eines Eigennamens Festus, zu vermuthen, mit dem der hier angedeutete errungne Sieg in den Festspielen sich ver- knüpfen liefse. 26. APHRODITE AREIA: KAIKISIANOUARIA. Taf. I, 26. Achatonyx. Venus Victrix; auf eine Säule gelehnt hält sie in der Rechten den Apfel als Preis der Schönheit, in der Linken einen Palmzweig: umher die Inschrift KAIKICIANOY APIA. Tölken III Kl. 432.— Das binter APIA zur Interpunktion dienende Efeublatt hatte Win- kelmann II Kl. 558. nicht übersehen, Hr. Tölken aber ausgelassen: dasselbe zeugt ent- sprechend den Schriltzügen und der Arbeit für die späte Zeit dieser Gemme. Die Erwäg >) namen Areia in einem Heiligthum zu Sparta (Paus. III, 17, 5.) angebetet ung dals die siegreiche Aphrodite bewalfnet mit dem Bei- ward wirft ein unerwartetes Licht auf den Zusammenhang dieses Gemmen- bildes mit dem Namen "Alu welcher-die von Kaikisianos geweihte Statue der Venus Victrix als "Apsıa uns vorstellt. So begegnet uns auf einem zu Ostia gefundenen Sarkophag, den Annia (°7) Hilara ihrer Mutter Arria be- stimmte, (6%) neben dem Brustbild der Verstorbenen als deren Schutzgöttin Venus Ariamit einer Lanze bewaffnet, in der rechten Hand einen Apfel hal- tend, also vollkommen gleich unsrem Gemmenbilde, aber als Aria aulserdem noch durch den ihr gegenüberstehenden Gemal Ares characterisirt. Über diesen Stein äufsert Hr. L. Stephani (in Köhler geschn. Steine mit d. Nam. d. Künstler S. 249. u. ff.): da die Inschrift rechtläufig ist, so kann der Stein nicht zum Siegeln benutzt worden sein, da hier weder an den Namen des Besitzers noch Künstlers zu denken. Ich halte daher den Caecilianus (denn € statt Z ist wohl nur Versehen des Steinschneiders) für den Wei- henden: ’Agsi« oder nach der späteren Orthographie dieses Steins "Agıa kann sowohl als ein das Bild der Aphrodite erklärender Nominativ, als auch als (7) Wohl eher Caninia als Annia und deshalb der Hund in verschiednen Bildwerken. (°) Gerhard Ant. Bildw. Taf. XXXVI. der die Beziehung zwischen Bild und Inschrift nicht bemerkte. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 409 Dativ des Namens der Göttin gefasst werden, welcher der Stein dargebracht war? Nicht APIA KAIKICIANOY wie Hr. Stephani liest, sondern KAIKICIA- NOY APIA steht auf dem Stein, analog dem von ihm selbst angeführten MANAIOY A®BPOAITH (R. Rochette Lettre aM. Schorn p. 157. Clarac Cat. d. art. p. 160.), und zwar als Nominativ. 97. ZWEI SIEGESROSSE, MITTEN KRANZ WORIN VENERIA. a Achatonyx. Zwei Pferde, zwischen ihnen ein Lorbeerkranz und in diesem die Inschrift VENERIA. Tölk. VIII Kl. "71. Winckelm. VII Kl. 9. giebt unbestimmt „ein Kranz” an. Dafs Veneria ein Frauenname war lehrt sowohl eine in Rom entdeckte griechische Grabschrift (Corp. Inser. Gr. 1680.) welche Amethystos seiner 24 Jahr alten sehr theuren Mitsklavin Ovevegi« setzte, als eine römische, wo- nach Flavia Veneria Bessa zufolge eines Traumgesichts dem Pluto und der Proserpina eine Capelle weihte (Gruter p. XCVI, 3.), Indefs dadurch gewinnen wir noch keine Einsicht in die bildliche Dar- stellung dieses Siegelringes. Seitdem eine archaisirende volcenter Vase (°°) Aphrodite auf sprengendem Viergespann neben Poseidon durch deutliche In- schriften unzweifelhaft uns kennen lehrte, dürfen wir kaum Bedenken tragen diesen Siegelring einem Siege im Wagenrennen am Venusfeste zuzuschrei- ben. Die Verbindung der Aphrodite mit Poseidon bezeugt nicht nur Hero- philos beim Scholiasten zu Pindar (Pyth. VII, 24.) indem er Rhodos als deren Tochter angiebt, sondern auch Tzetzes zu Lycophron (Cass. v. 806.) welcher Eryx als Frucht dieses Liebesbündnisses bezeichnet. Dies leztere Zeugnifs gewinnt an Gewicht, sobald wir erwägen dafs die Stadt Sieca in Afrika den Namen Veneria führte (??) wegen ihres berühmten Tempels der Eryeinischen Venus, und dafs die männlichen Hierodulen des weltberühmten Venustem- pels in Eryx in Sieilien ebenfals Venerii(’!) hiefsen (Cic. Verr. IV, 38, 5. IV.20,%.:95.):; () Lenormant et de Witte Elite Ceramogr. III, XV. Panofka Die gr. Eigennamen mit Kalos im Zusammenhang mit d. Bildschmuck. Taf. II, 1. (°°) Val. Max. II, 6, n. 15. Solin. 27. (”) Cic. Verr. IV. 38, 5. IV, 20. und 25. Philos.- histor. Kl. 1851. Fff 410 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 98. SCHIFF ARGO MIT WIDDERKOPF AUF EINER SÄULE, UND TAUBE: BAELIC(IA). Taf. I, 28. Wolkiger Sarder. Schiffsschnabel, auf demselben die der Meeresgöltin Venus geweihte Taube; umber BAELIC. Tölk. VII Kl. 126..— Winckelm. VI Kl. 85: ein Vogel auf einem Schiffsschnabel mit der Inschrift BAELIC. Insofern der Widderkopf auf das goldne Vliefs und der Vogel auf die Hülfe der liebenden Medea sich beziehen könnte, liefse sich an das Schiff Argo (??) denken. Hinsicht der Deutung des Namens aber wage ich noch weniger mit einer Vermuthung hervorzutreten, obschon des Namens Anfang BAE mit der Sprache des Widders übereinkommt (7°) und dessen Ende licia mit der eigenthümlichen Halskette-ähnlichen Verzierung längs desSchif- fes sich vielleicht in Verbindung setzen liefse. 929. EROTEN LASSEN HÄHNE KÄMPFEN: Dad. Taf. I, 29. Herausfordernder Hahn. Münze von Dardanos. Taf. III, 28. Rother Jaspis. Fragment in Gold ergänzt. Zwei Eroten lassen Hähne kämpfen, oben bemerkt man auf einem Dreifuls (rgared«) einen Kranz und Zweige als Siegspreise, über den Häh- nen die Buchstaben DAD. Tölken III Kl. *492.— Winckelmann II Kl. "701. fügt nicht rgamesu hinter dem Dreifuls hinzu, erwähnt keine Zweige und liest DAD. Ist die Inschrift wirklich echt, so mufs Dad(arni) für Dardani die Käm- pfenden, —von Öngıs Kampf herzuleiten — gelesen werden. Hiefür spricht sowohl die bekannte Streitlust der Hähne, als die Wahl dieses Vogels zum Stadtwappen von Dardanus in Troas, wie die verschiedenen Silber - und Erzmünzen dieser Stadt (?*) zur Genüge beweisen. Die Taf. III, 28. nach Mionnetscher Paste publieirte drückt sowohl in der Bewegung des Thieres, als in der lodernden Fackel auf die er tritt, den im Stadtnamen liegenden Begriff des Kampfes unzweideulig aus. 30. EROS PONTIOS: L. MA(RIUS). Taf. I, 30. Karneol durch Feuer getränkt. Amor steht auf einer von zwei Delphinen gezognen Muschel: oben die Buchstaben L. M. A. Tölk. III Kl. 556..— Winckelm. II Kl. 750. (°?2) Propert. IV (III), 22, 11-14. Tuque tuo Colchum propellas remige Phasin, Peliacae- que trabis tolum iter ipse legas, Qua rudis Argoa nalat inter saxa columba In faciem prorae pinus adacta novae, 4 (°) Hes. Beistupee. ai aiyes Ev tegerızole. — Batzuros meoßarwörs. (°*) Mionn. D. I, 654. Suppl. V, p. 551. Harwood Pop. et Urb. Num. Tab. IH, 21. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 411 Auf der Gemme ist keine Spur von Interpunction: den Namen lese ich Lucius Marius, wovon Lueius auf Mondlicht bezüglich in der Mondsichel- ähnlichen Muschel, und Marius, Beiwort des Meeresgottes, (7%) in den zwei Delphinen sich abspiegelt. 31. AMOR GLÜCKLICH FISCHEND: EUROPA. Taf. I, 31. Karneol. Amor sitzt fischend auf der Prora eines Ruderschiffes; über dem Schiff die Inschrift EVROPA. Tölk. III Kl. 569. — Winckelm. II Kl. 762. Amor auf dem Hintertheil einer Barke, über derselben die Inschrift EVROPA. Der an dem Buchstaben P sich nach unten anschmiegende Hacken könnte verleiten EVRORA zu lesen und zu glauben der Steinschneider habe in der ersten Zeile hinter EV ein P ausgelassen, so dafs das Wort Eu- prora lauten müsse und der Eigenname der Frau mit des Eros sitzen auf der Prora zusammenhinge. Allein der Mangel jeder Spur von P hinter dem V der ersten Zeile bei so grolsem leeren Raum bestimmt uns die Lesart Europa beizubehalten. Die Bedeutung des Namens leite ich aber nicht wie bei der vom Stier-Zeus entführten Minostochter von eis und wry die weit- schauende ab, sondern von eü und bern gute Wucht, guten Zug ha- bend, mit Rücksicht auf die Angel des Amor an der schon ein Fisch hängt und die selbst durch bor« bezeichnet sein kann, wie dieses Wort besonders bei der Wage von dem sich senken der beschwerteren Schale gebraucht wird. 32. AMORS BESTRAFUNG: Aszews. Taf. I, 32. Grüner Jaspis. Amor steht an eine Säule gebunden, auf welcher oben der Greifder Nemesis sitzt; vor Amor die Inschrift AIKAIWC. Tölk. II Kl. 642.— Winckelm. II Kl. 855. Während Winckelmann mit richtigem Blick den gebundnen Eros als von Psyche gestraft betrachtete und deshalb diesen Stein in die der Psyche gewidmete 12te Abtheilung einreihte: warf ihn Hr. Tölken wiederum in die aller speziellen Krisis in seinem Werke ermangelnde überfüllte Erosgattung zurück, ohne dies Verfahren auch nur mit einer Silbe zu begründen. Die Inschrift Arzaws gerecht, offenbar auf die Strafe bezüglich die Psyche dem Eros zugedacht, weiset ibrerseits auf das Verhältnifs mit dieser Göttin hin, und hängt mit dem Radhaltenden Greifen den Hr. Tölken mit Recht als Re- 75) Marion Stadt in Laconien, überreich an Wasser. (Paus. III, 22, 6. ( » Fff2 442 Panorxa: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen präsentanten der Göttin Nemesis bezeichnet, zusammen, da dieselbe mit Dike als Göttin gerechter Strafe sich identificirt. Das Rad vermifst man in 8 Hrn. Tölkens wie in Winckelmanns Beschreibung. 5 33. GEFESSELTER SCHLAFGENIUS: ILUS. Taf. 1,33. . Karneol. Der trauernde Genius erscheint hier zugleich gefesselt (compede vinctus), auch fehlt der Altar, so dals die Darstellung mit der eines trauernden Eros gleichbedeutend wird. Zur Seite die Inschrift ILVS. Tölk. II Kl. *1378.— Winckelm. II Kl. 837. Ein Amor auf eine umgekehrte Fackel sich stützend; seitwärts ILVS. Indem Hesychius {Acı durch deruoi Fesseln erklärt, Aura durch »gunbaı, zaruıla verbergen, irvaı durch zamaraı er ruht aus, {Aus der Eingewickelte durch uurrys, und iAuyyss, Duy&, Schwindel, durch ö rs nebarys onorırucs Verfinsterung des Kopfes: so findet man nicht nur alle Einzelheiten im Bilde dieses Schlafgenius vollständig gerechtfertigt, sondern zugleich die Wahl eines solchen Typus zum Siegelring für Hrn. Ius hinreichend motivirt. Die Fufsfesslung unsres Schlafgenius, die Winckel- mann übersah, erinnert an die Fufsfesselung der verhüllt sitzenden Göttin Morpho in Sparta (Paus. III, 15, 8.), deren Name und Bildung auf ihren Zusammenhang mit Morpheus, dem Sohn des Schlafs und Bildner der Traumgestalten (Ovid. Met. XI, 635.) schliefsen läst. Auch jenen Ilos, den Sohn des Mermeros (Morsimos, Mors) in Ephyra, — der Giftstadt im Lande der Epeier zwischen Elis und Olympia, — von dem Odysseus das Gift zum Bestreichen der Pfeile holen wollte, dem aber Ilos aus Furcht vor der Ver- geltung der Götter es abschlug (Hom. Od. I, 259.), dürfen wir bei Erklä- rung unsrer Gemme nicht vergessen, insofern Abkunft von Mermeros und männertödtendes Gift uns auf Tod und Schlaf hinweisen. ’IAcics, auch Eiruetes hiels in Delphi ein Monat. (7°) 34. RING WORAUF HIMEROS AUF HAHNENGESPANN, INNEN LAUFENDER HASE, ZU DEN SEITEN EINE ÄHRE, SCHMETTER- LING DRÜBER, UNTEN LIEGENDE FACKEL. M. VIRRI. Taf. I, 34. Karneol. Ein Ring innerhalb desselben ein Hase, umher zwei Aehren, ein Schmetterling, ein konsularisches Ruthenbündel und über demselben die Inschrift M. VIRRI, auf dem Ringe (°°) Böckh €. I. Gr. I, p. 814. K. Fr. Hermann gr. Monatsnam. $. 63. Abweichend, und richtiger erklärt von 'Th. Bergk (Beitr. zur gr. Monatskunde S. 63.) als iAaios und zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 413 Amor auf einer mit zwei Hähnen bespannten Biga. Tölk. VIIKI. *154.— Winckelm. VKI. 211. Die Hauptstelle des Siegelringes nimmt Amor auf der Hahnenbiga ein und bildet das eigenthümliche Siegel des Karneols: dessen innere Seite zeigte vielleicht den Hasen zwischen zwei Aehren, oben einen Schmetterling und unten allerdings ein Ruthenbündel, das jedoch hier Winckelmann schon rich- tig als eine horizontalliegende unangezündete Fackel beschrieb. Fragen wir nach der Bedeutung der Vorstellung, so leuchtet ein dafs dem Amor auf Hähnebespanntem Wagen der Name Himeros, Cupido, d.i. Genius der Begier, zukommt, womit auch der wegen seiner Fruchtbarkeit der Aphrodite heilige Hase sowohl, als die auf Hitze (‚Segcs) hinweisenden Symbole von Aehren und Schmetterling — der vielleicht auch Psyche ver- tritt — sich wohl vertragen. Was den Eigennamen Marcus Virrius anbelangt (für den man Virbius, den späteren Namen des Hippolyt zu emendiren in Versuchung geräth), so erklärt einerseits Hesychius Bigön durch rugayga Blasebalg, dgeravov Sichel, beides Instrumente die mit Feuer und Hitze im engsten Zusammenhang ste- ben; andrerseits schliefsen sich der Römer virilia männliches Glied, so wie der Cultus der Fortuna Virilisin Rom dem Wesen nach an die Hauptfigur unsrer Gemme, in welcher wir den sinnlichen lasciven Eros erkennen, des- sen am Boden liegende Fackel als Bezeichnung des Abends für einen solchen Eros nicht befremden kann. 35. HAND MIT HEROLDSTAB, SCHMETTERLING, DRÜBER AMO, DAHINTER KEULE. Taf. I, 35. Schwarzer Jaspis. Ein Schmetterling über eine Hand schwebend, welche einen geflügelten Caduceus hält; oben eine Herkuleskeule, und zur Seite des Schmetterlings die Inschrift ANO, amo. Tölk. HI Kl. *729.— Winckelm. II Kl. 908. Die Keule drückt die Allgewalt des durch das Wort Amo vertretnen Amorals Pandamator aus: der Schmetterling versinnlicht Psyche welche nach des Lebens Ablauf Hermes, durch die Caduceushaltende Hand be- zeichnet, heimführt. auf Rei Sühnfeste Resrygıe bezogen, die im Juli in der Schwüle des Sommers an ihrer Stelle sind. Dann ist Eros gefesselt: nel mese di Luglio ed Agosto Moglie mia, non ti accosto. 414 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 36. SONNENGOTT MIT RUDER AUF DELPHIN: M. P(ollio) F(ortunatus). Taf. I, 36. Amethyst. Helios als Herr des Schicksals: mit dem linken Arm lehnt er sich auf einen Pfeiler; und hält in der Rechten ein Steuer, welches auf dem Erdball steht. Oben die Buchstaben MPF. Tölk. HI Kl. 23.— Bei Winckelm. II Kl. 1185. hält der Gott in der Rechten das Ruder der Fortuna. So gewöhnlich der strahlende Helios auch auf sprengendem Vierge- spann, oder mit noch halb vom Meer verdeckten Rossen neben sich, oder als Wagenlenker mit erhobner Peitsche und einer Weltkugel in den Händen auf Kunstdenkmälern uns entgegentritt; so selten ist doch das Bild dieses Gottes wie er auf dieser Gemme erscheint. Ohne Strahlenkranz würde je- dermann den Gott Apollo nennen, zumal das Aufstützen auf einen Pfeiler diesem Gotte wie seinem Geleite, den Musen, besonders zukommt. Nicht minder entschieden spricht sich in dem Steuer welches auf dem bisher als Welt- kugel angesehnen Delphin ruht, die Macht über Welt und Schicksal aus, so dafs wir gewifs nicht irren wenn wir diesen Gott uns in enger Cultusverbin- dung mit Tyche (??) denken. Es gilt nun den richtigen Namen für das Göt- terbild zu errathen, der gleichzeitig den Glanz des Sonnengottes, die Loose der Glücksgottheit und den Bund mit dieser lezteren für sich geltend zu machen vermag. Diese Bedingungen erfüllt der Apollo Klarios dessen Beinamen nicht nur auf den hellen, leuchtenden hinweist weshalb er mit gleicher Strah- lenkrone auf den Münzen von Kolophon (7°), erscheint, sondern eben so ge- wils mit »Aagos, »Angos das Loos zusammenhängend, den Gott verbürgt der über das Loos jedes Sterblichen zu bestimmen hat, gleich Tyche, weshalb auch in der bithynischen Stadt Schadenfrei, Apamea ebenfalls Apollo Klarios verehrt ward, wie die Münzen (Mionn. Suppl. V, 8.) bezeugen. Was endlich das engere Verhältnifs des Gottes mit Tyche anbelangt, und das ihm beigegebene Meerlenkungssymbol, so klärt am besten hierüber folgende Stelle des Pausanias (11, 2, 7.) auf: „(in Korinth) ist auch ein Naos der Tyche; die Statue aufrecht stehend, von parischem Marmor; neben demsel- () Mit Ruder und Delphin erscheinen auf Münzen von Praeneste die beiden Fortunen wegen ihrer Meeresabkunft und Herrschaft. (°) Mionn. D. III, 27. S. VI, 100. Panofka Einfl. d. Gotth. auf d. Ortsnam. I, Taf. III, 18. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 415 ben ist ein Hieron für alle Götter. Nahe dabei ist eine Quelle gebaut und Poseidon auf derselben von Erz und unter den Fülsen des Poseidon ist ein Delphin der Wasser ausströmt: und Apollo von Erz mit Beinamen Klarios.” In den Buchstaben M. P. F. erkenne ich M. Pollio Fortunatus welcher leztere Zuname dem KAagıos ‚als Loosegott entspricht, so wie die Strahlen- krone des Apoll vielleicht äuf Pollio anspielt. Zur Begründung unsrer Deutung 8 me (?°) mit dem Bild der geflügelten Fortuna Victoria wesentlich bei, trägt eine noch unerklärte Gem- die in der linken Hand ein Füllhorn und einen Palmzweig hält, ein Ruder, oberhalb mit männlichem Kopf geschmückt, und einen Kranz in der Rech- ten: drüber eine Mondsichel. Die Buchstaben M. B. F. verrathen den Na- men des Besitzers Marcus Balbus Fortunatus in Beziehung zu den Symbolen der Gemme und vielleicht als Sieger zur See, weshalb sein Portrait auf dem Ruder erscheint. Dieser Gemme entspricht folgende Inschrift bei Gruter (I. p. LXXVI, 8.) Pietati Fortunae Primigeniae — Fortunalus verna. 37. KOPF DES HELIOS, MONDSICHEL DRÜBER, MORGENSTERN DRUNTER: SEXTIANOS. Taf. I, 37. Karneol. Kopf des Helios, über ihm der Halbmond, unter ihm ein Stern. Umher die Inschrift CEZTIANOC. Tölk. III Kl. 3;.— Winckelm. II. Kl. 1180. Der Stern drückt wohl den Morgenstern aus, der Helioskopf den Mit- tag, und die Mondsichel den Abend. Der Name des Besitzers Xe£riavos entspricht dem Sextilis d.h. dem 6ten Monat im antiken Jahr welches mit dem März anfing, also dem August wo die gröfste Sonnenhitze mit den Hundstagen eintritt. 38. LAUFENDER GREIF, DRUNTER KÖCHER UND BOGEN: T. SEX(TUS). Taf. I, 38. Karneol in Gold ergänzt. Ein laufender Greif, unter demselben ein Köcher und Bogen nebst der Inschrift T. SEXT. Tölk. IH Kl. *786.— Winckelm. IL Kl. 1168. Der laufende Greif vertritt die Stelle des Sonnengotts: der Greif ist bekanntlich der Wächter des Goldes, des Symbols der Sonne. Daher (”°) Impronte gemm. d. Instit. arch. Cent. V. 94. 416 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen zeigen die Münzen von Goldsonnenstadt oder Lichtglanzstadt Aure- liopolis in Lydien den Apoll auf springendem Greifenzwiegespann. (°°) Der Name des Besitzers war Titus Sextus: den Grund weshalb er dieses Symbol des Sonnengottes zum Siegel wählte habe ich bei der vorhergehenden Gemme n. 37. bereits entwickelt. 39. KREBS, ABENDSTERN UND MONDSICHEL: LUILALLUS. Tatsı14:39, Fledermaus über dem Krebs. Taf. III, 36. Achatonyx. Sternbild des Krebses in Gestalt eines Pagurus oder Taschenkrebses, zwischen den Scheeren desselben Sonne und Mond, umher die Inschrift L-VI- LALLI. Tölk. III Kl. 1422.— Winckelm. II Kl. 1207. giebt bei der Inschrift keine Interpunktion an. Auch hier hat Hr. Tölken verschlimmbessert, indem auf dem Original wie Winckelmann bereits richtig angab, LVILALL! Luilalli zu lesen ist. Nicht minder irrt Hr. Tölken wenn er als Sonne beschreibt was selbst ein ungelehrter Beschauer wegen seiner Kleinheit nur für einen Stern ansehen wird, und zwar wegen der Nachbarschaft der Mondsichel am natürlichsten für den Abendstern, Hesperus. (?') Wernoch zweifeln sollte dafs hier nur die Leuchten der Nacht an ihrem Platze sind, dem empfehle ich zum Vergleiche den Marmor-zodiacus im Louvre (®?) wo der Krebs an der Stelle dieser beiden Symbole ein nicht minder entschiednes Zeichen der Nacht, nem- lich eine Fledermaus über sich hat die er mit seinen Scheeren erfasst. (Taf. III, 36.) Insofern der Eigenname des Ringbesitzers Luilallus lautet und Seuche-ansager (von Zues und lallus) bedeutet, entspricht ihm das Sym- bol des Krebses als Himmelszeichen das mit der Zeit sengender Hitze und daraus sich entwickelnder Krankheiten zusammenhängt, und auch mythisch sich durch den Beinamen lernäischer Krebs, weil er der lernäischen Hydra (der lues zar &Eoynv) zu Hülfe kam indem er ihren Bekämpfer Herakles in den Fufs bifs, rechtfertigt. (°) Schliefslich dürfen wir nicht vergessen dafs (°°) Mionn. D. IV, 15, 75. (°') Vgl. Gerhard Ant. Bildw. Taf. 38. Selene auf Krebs. (°?) Visconti Monum. Gab. 16. 17. Clarac Mus. de Louvre Pl. 171. Millin G. myth. XXIX, 87. 88. (*°) Columella X, 13: hauserit et fammis Lernaei bracchia Cancri. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 447 noch heutzutage insofern Krebs ein bösartiges tödliches Geschwür ausdrückt, es den Namen Luilallus auch seinerseits motivirt. 40. MELEAGER: T. FL. AUG.(USTUS). Taf. I, 40. Meleagerschild mit Sonnengott. Taf. III, 31. Karneol. Meleager stützt sich auf die beiden Jagdspielse und der Eberkopf liegt vor ihm auf ei- ner Säule; zu seinen Fülsen ein Hund. Zur Seite "F LAVG (T. Flav. G.) Tölk. IV Kl. 163.— Wiuckelm. III Kl. 117. liest "FL. AVG. Meines Erachtens gehörte der Siegelring dem Titus Flavius Augustus. Da der Eber den Winter Ayems bezeichnet, so kann der ihn erlegende Jä- ger nur das Bild der neu erwärmenden Sonne ausdrücken, weshalb wir die Sonne als bisher noch unerklärtes Schildzeichen dieses Heros auf einem (s. Taf. III, 3.) Sarkophag „Tod des Meleager” in der Villa Albani (°*) und aus demselben Grund auf einem andern Sarkophag (°°) als Schildzeichen des Jagd- und Lichtgottes Pan antreffen. In gleichem Sinne wählte T. Flavius Au- gustus das Bild des Meleager zu seinem Siegel, weil der Name Flavius gelb, so gut wie der Augustus glänzend für einen Sonnenheros sich vorzugsweise eignet. Überdies empfiehlt sich Meleager unahhängig hievon schon als He- ros des Brennlandes zum Siegel für T. Fl. Aug. da die beiden römischen Namen dem griechischen AirwAss Brenner genau entsprechen. 44. AITHALES, SIEGESROSS DES PHORMIS. Taf. I, 41. Achatonyx. Ein stehendes Pferd, über demselben AIOAAHC, und unter dem aufgehobnen Vorderfuls ein Monogramm; aulserdem ist es mit einem Pfeil und einem Lorbeerkranz ge- zeichnet, wahrscheinlich um Schnelligkeit und Siege im Wettlauf anzudeuten; der Schweif ist auf eigenthümliche Art geflochten. Tölk. VIII Kl. *66.— Winckelm. VII Kl. 2. Ein Pferd mit aufgebundnem Schwanze; neben demselben das Wort AIOAANHE und ein Monogramm, welches die Buchstaben bildet: MOP®.— Hr. Stephani (Köhler Geschn. St. S. 277.) führt AIOAAHC hinter anderen sicheren Pferdenamen nur als wahrschein- lichen an. Wir erkennen hier ein Pferd das im Wettrennen heiliger Spiele den Sieg davon getragen, aber weder mit einem Pfeil, noch mit einem Lorbeer- (#*) Zoega Bassiril. Tav. XLVI. (°°) Gerhard Ant. Bildw. Taf. 109. hat nicht darauf geachtet. Philos.-histor. Kl. 1851. Ggg 418 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen kranz geschmückt wie Hr. Tölken angiebt, sondern mit einem Zweig und einem Kranz auf dessen Natur wir später zurückkommen werden. Sein Name AiSaArs erinnert an Aithon eines der Rosse des Helios, (°°) an das gleichnamige Pferd des Hektor (“7) welches Brandfuchs übersetzt wird, und an Aithe die Stute Agamemnons (°°) die ihm geschenkt der An- chisiad Echepolos (Pfohlenbesitzer). Noch näher entspricht unserem Pferdenamen der Inselname AiSarıa das heutige Elba, dessen vulcanischer Boden zu der Benennung Heifse, Brennende Anlafls gab. Wenn Hesychius «Joy durch Aaurgov, vupßer, perav erklärt und ebenso aiSaAcev durch zexaunevor, Aaurgev: so ist daraus ersichtlich dals der Begriff heifs, feurig, glühend der ursprüngliche war, der abgebrandt, schwarz, als abgeleiteter, spä- ter aufkam, an welchen sich aiSary: Trodcs, To Ex zauwov uerav Asche, Rufs und Kohle, so wie ai9ar nerawaı schwarz folgerecht anschliefst. Bei der Wahl zwischen Grauschimmel mit Bezug auf die Asche, Rappen und Brandfuchs können wir leicht in Verlegenheit gerathen, möchten aber be- herzigend dafs selbst unter der Asche noch Funken glimmen, die vollstän- dige graue Eselfarbe für dies siegreiche Pferd uns verbitten, vielmehr die Andeutung von Roth nnd Feuer die im Namen sich ausspricht, bei demselben voraussetzen. Der Name aber des Besitzers von Pferd und Ring welchen Hr. Töl- ken mit Stillschweigen überging, während Winckelmann bereits Mo9® gele- sen hatte, lautet meines Erachtens ®oguis Phormis, und erklärt zunächst die Eigenthümlichkeit des aufgeflochtenen Pferdeschwanzes, indem @eguis, doguos und $eguuov (Hes. s. v.) ein Geflecht von Binsen oder Schilf, wie Körbe, Matten bedeutet. Demnach erfahren wir durch diesen Stein dafs Phormis seinem Pferde Aithales einen Sieg welchen die offenbar eingebrann- ten Symbole des Kranzes und Zweiges bezeugen, verdankte, und eine Anspie- lung auf seinen Namen Geflecht in dem geflochtnen Schwanz seines Pfer- des sich verbürgt. Allein in welchen Spielen das Pferd gesiegt, aus welchem Lande Phormis selbst herstammte, wann und wo er gelebt, welche Würden er bekleidet, alle diese Fragen müsten wir unerledigt lassen, wenn nicht Pausanias V, 27, 1.2. uns hierüber so wie über andre nicht minder erhebli- (°°) Ovid. Metam. II, 153. Hyg. 183. (€) Hom. Il. VIII, 185. (°) Hom. Il. XXIII, 295. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 419 che Punkte diese Gemme betreffend folgende eben so wichtige als überra- schende Aufschlüsse zu geben vermöchte: „Unter ihnen (nemlich den Weihgeschenken in Altis) sind auch die Weih- „geschenke des Maenalier Phormis der aus Maenalos nach Sicilien über- „setzte zu Gelon, dem Sohn des Deinomenes, und nachdem er diesem selbst „und später dessen Bruder Hieron im Felde glänzende Dienste geleistet, zu „so grolsem Glück sich emporschwang dafs er diese Geschenke nach Olym- „pia weihte, und auch andre nach Delphi dem Apoll. Die nach Olympia „sind zwei Pferde und zwei Lenker, neben jedem der Pferde steht ein Mann „zum Zügel halten. Das erstere der Pferde und der Mann ist vom Argiver „Dionysios, das zweite sind Arbeiten des Aegineten Simon. Das erstere der „Pferde hat eine Inschrift auf der Seite, der Anfang ist nicht metrisch. Sie „lautet aber so: Phormis hat es geweiht. Der Arkader aus Mainalos, jezt aber ein Syracusaner. 2) „Dies ist das Pferd dem nach Eleer Sage das Hippomanes, die „Pferdetollmachung (irrewaves) inwohnt. Es ist bekannt dafs auch andres „diesem Pferde zur Ehre durch die Weisheit eines Magiers wiederfuhr. An „Gröfse und Ansehen steht es sehr hinter den Pferden zurück so viel im Hain „Altis aufgestellt sind; überdies ist es beschnitten am Schwanz und dieses „Grundes wegen hässlicher. Die männlichen Pferde begehren nach ihm nicht „blos zur Zeit des Frühlings, sondern jedweden beliebigen Tag. Ja sie lau- „fen nach dem Hain Altis die Fesseln zerbrechend oder auch ihren Führern „entfliehend, und springen auf dasselbe weit rasender herauf als wenn sie „der schönsten lebenden Stute der Heerde beikommen. Es gehen ihnen da- „bei die Hufen ab und dennoch lassen sie nicht früher ab noch mehr zu wie- „hern und mit gewaltigem Andrang es zu besteigen, bis sie durch Geisseln „und eine stärkere Gewalt fortgezogen werden: früher ist keine Möglichkeit „sie von dem Erz los zu bekommen.” Den Bericht des Pausanias bestätigt und vervollständigt Aelian de Nat. Anim. XIV, 18: „Wenn eine Stute geworfen hat so hängt das mit dem Jungen herausgewachsene Fleisch nicht viel sondern we- nig, nach Einigen von der Seite herab, — laut Plin. N. H. VIII, 42. s. 66. von schwarzer Farbe — nach Anderen von der Hüfte, nach An- deren von den Geschlechtstheilen. Dies macht die Stute unsichtbar in- Gg32 420 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen dem sie es abfrisst; dieses Stückchen Fleisch (die Nachgeburt) heisst Hippo- manes irrouwes: zu dieser Handlung leitet die gütige Natur aus Mitleid gegen die Pferde die Mutter. Denn wenn jenes, sagt man, immer und ewig her- abhinge, so würden männliche und weibliche Pferde zu einem unbezwingba- ren Reiz der Bespringung entbrennen. Das mag wohl wie mir scheint ein Geschenk des Poseidon Hippeios oder der Athene Hippeia an dıe Pferde gemacht sein, damit ihnen die Nachkommenschaft verbleibe und nicht durch rasende Geilheit zu Grunde gehe. Die Rofshirten wissen dies auch sehr wohl, und wenn sie das vorgenannte Fleischstückchen bedürfen um jemandem eine Schlinge zu legen und in ihm Liebe zu entzünden, (?°) so bewachen sie die schwangre Stute und sobald sie geworfen, rauben sie sogleich das Füllen, schneiden das vorgenannte Fleisch ab und werfen es in den Huf der Wöch- nerin: denn da allein wird es gut wie in einer Schatzkammer aufbewahrt: das Füllen opfern sie der aufgehenden Sonne. Denn die Mutter säugt es nicht mehr sobald ihm jenes Kennzeichen fehlt und es den Beweis des Wohl- wollens nicht mehr hat; denn durch das Ausessen dieses Fleisches fängt die Mutter erst das Junge gründlich zu lieben an. Wenn nun ein Mann in Folge einer Hinterlist jenes Fleischstückchen kostet, so wird er von einer zügellosen Liebe ergriffen, erglüht und schreit laut auf und stürzt unaufhaltbar sowohl auf den garstigsten Knaben als auf eine bejahrte und hässliche Frau, bezeugt die Krankheit und sagt den Begegnenden wie liebesrasend er ist: sein Kör- per schmilzt und schwindet, seine Seele wird von Liebeswuth getrieben. So höre ich auch dafs in Olympia die eherne Stute welche die Pferde lieben, und auf die sie rasend sind, und die sie bespringen wollen und mit Liebestönen anwiehern sobald sie sie erblicken, eine solche Hinterlist von diesem Hippomanes besitze welches in dem bezauberten Erz versteckt ist und durch eine verborgne Mechanik des Künstlers lege das Erz den leben- den diese Schlinge. Denn die Naturwahrheit der Stute sei nicht so grofs dafs die sehenden Pferde durch dieselbe getäuscht und liebesrasend hätten werden sollen. Und vielleicht erzählen die Erzählenden etwas dabei, viel- leicht auch nicht; was ich hörte, davon habe ich gesprochen.” Auf gleiche Weise äufsert sich Plinius N. H. XXVIH, c. 11: „Denn das Hippomanes besitzt solche Kraft der Bezauberung dafs es angegossen an \ . . . . . . .. (°?) Hes. v. irroueves dessen bedienen sich die Zauberinnen zu ihren Liebestränken. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 421 die Mischung des Erzes bei dem Bild der Olympischen Stute die männlichen Pferde heranzieht und zur Wuth der Bespringung treibt.” Hieraus entnehmen wir dafs das Pferd in den olympischen Spielen den Preis gewann, daher Zweig und Kranz vom wilden Oelbaum herrüh- ren womit man die Sieger zu’ schmücken pflegte. Dafs unsre Gemme eine Kopie dieses berühmten ehernen Pferdes wel- ches Phormis zu Olympia weihte, uns kennen lehrt kann nun wohl keinem Zweifel unterliegen: Wie wenig die Race mit den schönen Rossen auf dem Panathenäenfries, den feurigen syrakusanischer Quadrigen, den starken Ren- nern tarentiner Münzen sich vergleichen läst, leuchtet eben so entschieden ein. Hiermit in Übereinstimmung deutet des Rosses aufgehobener Vorderfufs nicht allein auf seine Ungeduld zum Abrennen, sondern zugleich auf das im Huf versteckte Stück Fleisch von der Geburt einer Stute, wodurch die Geilheit der wirklichen Pferde gegen dies eherne begreiflich wird. Allein besonderes Gewicht ist darauf zu legen dafs diese Gemme im Verein mit den ausführlichen und so lehrreichen Zeugnissen des Pausanias und Aelian uns nicht nur die Anschauung eines berühmten Kunstwerks in ö Erz verschafft welches nach dieser kleinen Kopie nunmehr sich in Lebens- gröfse ausführen liefse und die Stelle des verlornen berühmten Originals zu ersetzen vermöchte, sondern zugleich das Talent seines Verfertigers, des Dio- n ysios von Argos, hinreichend ermessen läst. Insofern der Künstler als Zeitgenosse des Gelon und Hieron erscheint, gewinnen wir nicht blos Sicher- heit über die Zeit seines künstlerischen Wirkens, sondern werden auch na- türlich zum Vergleich seiner Arbeit mit den Siegeswagen der syrakanischen und agrigentinischen Herrscher geleitet, so wie zu der Überzeugung dafs deren schöne Medaillons uns ebenfalls Kopien berühmter Weihgeschenke von Olympia zur Anschauung bringen. Dafs der ausgezeichnete Steinschneider fast um dieselbe Zeit leben mufste wenn er für den berühmten Phormis diesen Siegelring anfertigte würde unmittelbar daraus folgen, wenn nicht die künstlerische Ausführung einerseits und andrerseits das runde C im Namen AıSarns uns überzeugte dafs wir wenigstens ein Jahrhundert jünger unsre Gemme setzen müssen. Diese Erwägung führt uns zu der Annahme dafs vielmehr ein Homonyme und Nachkomme des berühmten Phormis diesen Stein mit der Kopie des Siegesrenners seines Vorfahren sich schneiden lies um ihn als Siegelring zu 422 Pıanorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen gebrauchen. Da die lange Inschrift des Weihenden sich auf so kleinem Raum nicht anbringen liefs, so half sich der Künstler sinnig theils durch An- gabe von Zweig und Kranz auf dem Pferde selbst, theils durch die Form des Monogramms für Phormis, die lebhaft an einen Kandelaber (Auyves) oder Weihrauchbecken (Suuierngiev) erinnernd, dieldee desWeihgeschenks (üvaSnua) auf versteckte Weise zu bezeichnen vermag. Die Untersuchung zu welcher die Gemme der Stute Aithales mich hinleitete, zwingt mich von dem Hippomanes welches die Erzstatue des Argiver Dionysios in ihrem Hufe eingeschlossen trug, noch zum Schlufs einen Blick auf den Taraxippos (Pferdescheu) zu Olympia zu werfen über dessen Ursprung und Wesen Pau- sanias (VI, 20, 8.) mannigfaltige Angaben darbietet und also schliefst: „ein Aegypter sagte, Pelops habe vom Thebaner Amphion etwas erhalten und da vergraben wo sie den Taraxippos anrufen. Und durch das Vergraben wurden damals dem Oinomaos und später Allen ihre Pferde in Verwirrung gebracht. Dieser Aegypter behauptete, Amphion sei wie auch der Traker Orpheus in der Magie tüchtig gewesen, und durch ihre bezaubernden Gesänge seien dem Orpheus wilde Thiere zugekommen und dem Amphion zum Bau der Mauer Steine. Die wahrscheinlichste Sage meines Erachtens ist aber dafs Taraxip- pos ein Beiname des Poseidon Hippios ist.” Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen dafs das Vergrabne was die Pferde scheu machte und von der Bahnrichtung ableitete, nichts anderes als ein solches Hippomanes war welches die Pferde so anzuziehen vermochte wie Orpheus die Thiere. Wenn ich mir zum Schlufs die Bemerkung er- laube dafs durch diese Entdeckung die Schätzung dieser Gemme ums hun- dertfache steigt, glaube ich keinen Widerspruch befürchten zu dürfen. 42. KLIO: MAS(O). Taf. I, 42. Hermes Mnemon, Karneol des Prof. Gerhard. Taf. III, 14. Brauner Sarder. Kalliope die Muse des epischen Gesanges, liest stehend und den Fuls auf ein Säulenkapitell setzend, mit auf die Knie gestütztem Arm, ganz vertieft eine Schriftrolle; zur Seite MAS rchtlfg. Tölk. III Kl. "1319.— Winckelm. II Kl. 1277. Klio gebückt und auf das linke Knie gestützt, den linken Fuls auf ein jonisches Kapitell gesetzt, liest eine Schriftrolle; seitwärts die Buchstaben MAS. Bei dem Mangel einer gegenüberstehenden Muse mit Saiteninstrument würden wir eher als für eine singende Muse des Epos, mit Winckelmann für zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 423 die Muse der Geschichte, für Klio uns hier entscheiden, die auch sonst in entfalteter Rolle lesend uns begegnet. Das Säulenkapitell worauf sie steht läst vermuthen dafs die Gemme die Kopie einer Marmorstatue veranschau- licht. Mit dieser Auffassung stimmt auch der Name Mas d.i. Maso den Besitzer des Ringes verrathend, aber gewils nicht ohne Beziehung zu dem Bilde, da uaw forschen, Hasıng quaestor, narrgia die Prüfung welche der magister, maestro anstellt bedeutet, und dieser Begrilf auf Klio die Muse (Mör«) der Geschichte seine natürliche Anwendung findet. Wenn aber die Capitolinischen Fasten bei Gruler 229. einen Consul C. Papirius Maso U. C. DXXIIl. erwähnen, von dem Plinius (XV, 29, 38.) den L. Piso erzählen läst er habe zuerst auf dem Albaner Berg einen Tri- umph über die Corsen gefeiert und pflegte myrtenbekränzt den circensischen Spielen zuzuschauen: so dürfte es vielleicht nicht zu kühn sein grade an die- sen hier zu denken, indem der Name Papirius durch die ausgebreitetete Pa- pyrusrolle in welche Klio nachdenkend hineinschaut, schicklich versinnlicht würde, und diese ruhmvolle That grade die Aufmerksamkeit der lesenden Klio in Anspruch nehmen könnte. Eine inschriftlose Gemme gleichen Gegenstandes hat Gerhard (°°) veröffentlicht und VenusLibitina in einer Schriftrolle lesend, auf das Kapitelleiner Grabsäule hoch auftretend erkannt. Zu lehrreichem Vergleich empfiehlt sich ein Karneol des Prof. Ger- hard (Taf. III, 14.) auf dem ich Hermes Mnemoon (°') als Todten-Buchhalter bei Hades erkenne, aufmerksam einschreibend während ihm gegenüber der bärtige Kopf eines Verstorbenen aus der Erde emporschaut. Diese Vorstel- lung erläutert des Aeschylus Supplic. v. 917. Kns. "Eguf neyiotw mgoevw narrneiw. 43. SIRENE LIGEIA MIT DREI FLÖTEN: LIHI(A). Taf. I, 43. Smaragd Plasma. Eine Sirene die Doppelflöte blasend, in der Hand hält sie eine einfache Flöte; zur Seite LIHI. Tölk. IV Kl. *332.— Winckelmann III Kl. 358. erwähnt nur die Dop- pelllöte. Vermuthlich steht das Bild der Sirene Ligeia deren drei Flöten viel- leicht auf die Trias der Sirenen hindeuten sollen, im Zusammenhang mit Li- (°°) Über den Gott Eros. Taf. V, 11. S. 38. Abh. d. Akad. d. Wiss. 1848. E') C. I. Gr. 6631: Ilereigıos "Ezuns. 424 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen gius, dem Namen des Ringinhabers, indem das H hier die Stelle der Aspi- ratio tenuis g vertritt. Die Sirene Ligeia wurde durch Meeressturm nach Terina ans Ufer geworfen und dort mit einem Grabmal ausgezeichnet (Ly- cophr. Cass. 726. Steph. Byz. v. Tegwa). Den Flügel der Sirene bildet ein Palmzweig, wohl auf musischen Sieg bezüglich; statt der Kopfbinde wird man versucht einen Krummstab Zituus, etwa Hirtendichtung andeutend, zu erkennen. 44. BEKRÄNZTE PHILOSOPHENHERME: HER(MAIOS). Taf. I, 44. Grüner Jaspis. Kopf des bärtigen Hermes von vorn, mit reichen Locken und einem Schulter-An- satz, als solle der Kopf in einen Hermenfuls eingefügt werden; zur Seite die Inschrift HER. M.B.A. Tölk. III Kl. *332.— Der Kopf scheint weniger dem Charakter des Gottes entsprechend, als die Gesichtszüge eines Philosophen, oder Redner der Hermaios hiefs, zu verrathen und zu dessen Siegelring gedient zu haben, womit die Hermenform sich sehr wohl verträgt, obschon sie zugleich eine Anspielung auf den Namen des Besitzers verbergen kann. 45. GESTOHLNER STIER DER HEERDE APOLLOS: HERMAISCUS. Tat. I, 43. Karneol. Der Frühlingsstier (cornupeta); umher der Name HERMAISCYS. Tölk. III Kl. *1418.— Winckelm. II Kl. 1201. Da Hermaiscus den kleinen Hermes bezeichnet der grade als Rin- derdieb (°2) bekannt ist, so scheint es mir natürlich hier einen von der Heerde der Apollorinder entlaufnen Stier zu erkennen den der Inhaber des Ringes, mit Namen Hermaiscus, zum Siegel sich wählte. 46. LIEGENDER THYRSUS UND CADUCEUS: P. VAL. LADA. Tatı.1,'46. Ähnlicher umschleifter Scepter in der Hand einer Nike, Münze des Königs Amyntas. Taf. III, 23. Karneol. Der Name P. VAL LADAX Siegel des P. Valerius Ladas; über dem Namen ein be- bänderter Thyrsus, unter demselben ein geflügelter Caduceus. Tölk. IX Kl. 85.— Win- ckelm. II Kl. 420: der Caduceus und ein Thyrsus, zwischen denselben P VAL LADAE. (°?) Archaeolog. Zeitung 1844. Taf. XX. S. 321-26. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 425 Den kürzesten und besten Commentar zur Wahl des geflügelten Ca- duceus zum Siegel für Ladas liefert Pausanias II, 19, 6: innerhalb des Naos (des Iyeischen Apoll in Argos) ıst Ladas der seine Zeitgenossen in der Schnelligkeit der Fülse übertroffen, und Hermes der eine Schildkröte zur Anfertigung der Lyra aufgenommen. Dieser Hermes aber hiefs Akakesios, ein Beiname der dem römischen Valerius mit valeiudo zusammenhängend, ziemlich nahe kommt. Auf diesen Namen Valerius beziehe ich das Sym- bol des Thyrsus auf unsrer Gemme in so fern es den Dionysos als Arzt largos vertritt. Dafs unsre Auslegung aber die richtige sei bezeugt eine Münze des Königs Amyntas mit der Umschrift BAZINENZ AMYNTOY und einer Nike die ein gleich bebändertes Scepter darbringt, (°°) in so fern Auuvras der Helfer dem römischen Valerius genau entspricht. ATS HIEROBDSTAB: PO. Taf. I, 47. Tiefbrauner Sarder. Der geflügelte Caduceus; zur Seite die Buchstaben PO. Tölk. III Kl. 906.— Winckelm. II Kl. 418. Caduceus und die Buchstaben P ©. Die zwei Anfangsbuchstaben umschliefsen den Caduceus auf ähnliche Weise wie auf den Münzen von Theben und Phenea und könnten verleiten hier an Populonia zu denken dessen Münzen einerseits einen geflügelten Ca- duceus, andrerseits zwei Caduceus in entgegengesetzter Richtung und die Inschrift PVPLVN zeigen. (°*) Indefs liegt wohl wahrscheinlicher den Buch- staben PO ein Eigenname zu Grunde: etwa Polycharmon da auf einer athenischen Tetradrachme ein Münzbeamter dieses Namens mit einem glei- chen geflügelten Caduceus siegelte, (°°) oder Polemokrates Herr über den Krieg, insofern der geflügelte Caduceus Waffenstillstand und Frieden sym- bolisirt; oder Podes, Podon Füssler, Pompeius, Pomponius, Pompilius, mit Rücksicht auf Hermes den Läufer und Boten (rourss)? 48. ESEL AUS SEEMUSCHEL HERVORKOMMEND, CADUCEUS: MEMNON. Taf. I, 48. Schwarzer Jaspis. Eine gewundne Seemuschel, aus der ein Esel hervorkommt; hinten ein ge- (°°) Mionn. Rec. d. Pl. LXX, 4. (**) Mionn. 8.1, p. 202, 43. (°°) Combe Mus. Hunt. Tab. 9, XXIL. Panofka Ant. Weihgesch. Taf. IV, 3. S. 32. Philos.- histor. Kl. 1851. Hhh 426 Pınworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen flügelter Caduceus, vorn das Monogramm JM. Tölk. VIII Kl. 300.— Winckelm. VII Kl. 14. Der Name des Ringbesitzers lautet Meuvwv: der Esel welchen die Griechen wegen seines fortwährenden stehen bleibens mit dem Worte ueuvwv der Bleiber bezeichneten, dient daher mit Recht zum Siegel des Memnon, wie ich dies schon bei Gelegenheit einer volcenter Kylix, deren Inneres mit einem Esel und der Umschrift Meuvwv Karos geschmückt ist, nachgewiesen habe. (%) Nach der Angabe des Pollux (IX, 48.) hiefs der Platz wo Esels- fleisch verkauft wurde das man in Athen afs, (27) neuvovie. Der Caduceus aber geht auf denselben Namen Meuvwv, der als männ- liche Form von Minerva für Meminerva, sich mit Mnemon identifieirt, wobei des Homerischen Verses (Od. VIT, 138.) auf Merkur zu gedenken ist “Qu mUnaTu FmEvVdeTRov orı MunTaiaro nolrcv, so wie des Mercur der mit einem Dip- tychon in der Hand als Mvyuwv auf einem Vasenbilde (°%) uns begegnet. Den gleichen Gott Hermes Mnemon aus einem Diptychon das Leben der Verstorbenen deren einer mit dem Kopf aus der Erde heraussteigt, durch- gehend und prüfend zeigt ein schöner Sardonyx des Professor Gerhard. (s. Taf. III, 14.) 49. MAULESEL AUS SEEMUSCHEL HERVORKOMMEND. RUPHION. Tar1Ag, Mit Ausnahme des Caduceus kehrt dieselbe Vorstellung auf einer Gemme wieder von der ich durch die Gefälligkeit des Herrn Dubois in Paris einen Pastenabdruck erhielt. Das Original kam in die Kgl. holländische Sammlung in Haag. Der Name Rufion POYPIQN mit denselben Symbolen wie Memnon auf dem Stein des kgl. Museums verbunden, gewährt dieser Gemme ein besonderes Interesse. Indem der Eigenname Rufion Roth zunächst seine Beziehung zu der rothen Muschel, ostrea rufa Hispaniae (Plin. XXXIL, 6, 21.), bekundet, wirft er zugleich auf die Gemme n. 48. (°°) Die griech. Eigennamen mit Kalos. S.59. (°7) Sch. Aristoph. Vesp. 194. (°®) Gerhard Auserl. Vasenb. I. 50, 51. Panofka Ann. de l’Instit. arch&olog. Vol. XVII. Tav. d’agg. B. 1845. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 427 wo ausgleicher Meerfrucht ein Esel hervorkriecht den wir bereits als Memnon kennen lernten, ein unerwartetes Licht. Denn die Muschel aus der er wie aus Mutterleibe hervorkommt, versinnlicht die Röthe als Eos welche be- kanntlich die Mythologie als Mutter des Memnon aufführt. Da aber der Esel wegen seiner Potenz, auch als Thier der Gottheiten der Generation, in Kunst nnd Religion uns entgegentritt und deshalb insbesondere dem Pria- pus dienstbar sich zeigt: so verdient hierbei in Betracht gezogen zu werden dafs das mit Rufion identische Beiwort ruber diesem mit Mennig bestrichnen Gotte vorzugsweise anheimfällt, wie Ovid. Fast. I, 415: ei ruber hortorum deus et tutela, Priapus, und Tibull I, 1, 21: Pomosisque ruber custos pona- Zur in hortis, deutlich beweisen. 50. MEMNON ODER MARS: RUFUS. Taf. II, 1. Karneol. Ajax der Sohn Telamons, steht mit Helm, Schild, und Lanze bewaffnet; vor ihm ein Harnisch; zur Seite die Inschrift RYFI. Tölk. IV Kl. *320,— Winckelm. II Kl. 67. Ein fortschreitender Heros mit Helm und Schild bewaffnet; zu seinen Fülsen der Rumpf eines menschlichen Körpers und seitwärts das Wort RYFI. Vielleicht Jason, der, nachdem er Absyrtus, Bruder der Medea, getödtet hatte, ihm alle Glieder abschnitt. Ein flüchtiger Blick auf dies Gemmenbild genügt Hrn. Tölkens Be- schreibung als die richtigere zu empfehlen, wenn auch seine Benennung Ajas unmotivirt zurückzuweisen sein wird. Indefs auch dieser Archäolog über- sah ein Moment das für die Deutung der Figur lehrreich und bestimmend er- scheint. Nicht ohne Absicht hat nemlich der Steinschneider den zur Seite des Kriegers stehenden Panzer so ausgearbeitet dafs wenn man denselben horizon- tal liegend betrachtet, er den Kopf eines gezäumten Maulthiers ohne Ohren darstellt. Dieser Umstand gewinnt an Ernst durch die Verbindung mit der Inschrift RYFI welche uns Herrn Roth, ohne Zweifel dem Krieger- stande angehörig, als Besitzer dieses Ringes kennen lehrt. Die beiden be- reits erläuterten Steine des Memnon und Rufion berechtigen aber vollkom- men in dieser Figur den Sohn der Eos, Memnon zu erkennen welchen Ru- fus als Schutzpatron verehrte. Allein mit gleicher Wahrscheinlichkeit dürfte auf dieser Gemme der Kriegsgott Mars selbst uns entgegentreten, für den der Name Rufus als Na- mengeber des Ringbesitzers um so besser passt, als die Spartaner die rothe Farbe zur Kriegertracht wählten damit in der Schlacht die eignen Wunden Hhh2 428 :Paworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen sich nicht heraus erkennen liefsen, (°°) und die Gallier die gleichfarbige Uni- form trugen, laut Martial Epigr. XIV, 129: Iioma magis fuscis vestitur, Gallia rubris. Et placet hic pueris militibusque color. Hinsicht des im Panzer mitausgedrückten Mauleselkopfes verdient Aelian de nat. anim. XII, 34. zu Rathe gezogen zu werden: „die Sarakoren halten die „Esel weder zu Lastthieren, noch für die Mühlen, sondern zum Kriege und „ertragen auf ihnen die Waffengefahren wie die Hellenen auf den Pferden. „Welcher aber unter den Eseln bei ihnen am besten schreien kann (öyxwder- „regos) den führen sie als heiliges Weihgeschenk dem Ares zu.” In ähnlichem Sinne weihten die Römer dem Mars an seinem Fest im October ein Pferd das den Namen Octobris führte (!%°) und dessen Kopf ab- gehauen wurde. 51. BILDNISS EINES KOMISCHEN SCHAUSPIELERSM. AUR. RUFIO. Taf. II, 2. Sarder. Jugendlicher Kopf mit einer Binde in den Locken; umher der Name MAR RYFIO. Tölk. V Kl. "218.— Winckelm. IV Kl. 312. Kopf eines jungen Menschen mit dem Dia- dem; hinter demselben der Name RYFIO, vor demselben ein Eselskopf. Offenbar giebt Winckelmann eine genauere Beschreibung, indem er nicht übersah dafs sobald man das Brustbild umkehrt, hinten am Halse ein langohriges Thier zum Vorschein kommt. Nur ist dies kein Esel, sondern ein Eichhörnchen, das wegen seiner rothen Farbe den Namen Rufio zu symbo- lisiren gebraucht ward. Da aber die Inschrift nicht Marcus Rufio, son- dern Marcus Aurelius Rufio lautet und augos der Hase und der schnelle bei Hesychius erklärt wird, so dürfte das langohrige und schnelle Thier unserer Gemme das mit der Aura schon munter wird, wohl auch zugleich auf den Namen Aurelius anspielen. Endlich darf man noch eine bisher unbeachtete komische Maske die beim Umkehren des Kopfes durch Hals, Kinn, Mund und Nasenspitze gebildet wird, für diese Gemme nicht übersehen, indem sie zu dem Schlufs berechtigt, unser Rufio habe dem Stand entweder der Schauspieler oder Komödiendichter angehört. (°°) Plut. Institut. Lacon. 24. Plut. Lycurg. c. 27: die Lacedämonier wurden in der kriegerischen dowızis bestattet. ('°) Plut. Qu. Rom. 97. Festus p. III u. 186. v. Oct. equus. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 429 52. ESCHARA UM ÄHREN ZU RÖSTEN: ESTIA. Taf. II, 3. Rother Jaspis. Ein Getreidemaals mit Henkeln und Fülsen aus welchem Ähren hervorragen. Zur Seite die Buchstaben ES, Tölk. III Kl. 263.— Winckelm. II Kl. 273. Ein Modius mit vier Ähren; neben demselben die Buchstaben ES. Ich vermuthe wegen der drei Fülse hier vielmehr einen tragbaren Altar (eryage) die Ähren zu rösten: Die Buchstaben ES lassen sich Estia ergänzen und auf die Göttin Hestia zurückbeziehen die dem Brotbacken vor- stand, (!°!) und als solche in dem Symbol dieser Gemme angemessen ver- treten wird. Vom siebenten bis vierzehnten Mai sammelten die drei ältesten Vestalinnen einen Tag um den andern Ähren ein, die sie dann selbst zu dör- ren, zu stampfen und zu mahlen pflegten. Hieraus bereiteten sie dreimal im Jahre, an den Lupercalien, Vestalien und am dreizehnten September den Opferschrot. (!%%) Den Namen Estia übrigens als Namen lebender Personen finden wir in einer Inschrift bei Maffei Mus. Veron. 262,8: L. Vibius Estia. 53. KOPF DER BACCHUSGEMALIN: BAC(CA). Taf. II, 4. Weilsgebrannter Karneol. Kopf der Ariadne mit Efeu bekränzt und von vorn gesehen; zur Seite die Inschrift BAC (Baccha). Tölk. III Kl. "963.— Winckelm. II Kl. 1464: Brust- bild der Ariadne von vorn, mit Epheu bekränzt; an der Seite die Buchstaben BA. Betrachtet man die Bekränzung genauer, so entdeckt man alsbald die Anspielung der Beere dacca auf den Namen der Ringbesitzerin die offenbar BAC d.i. Bacca hiels. 54. EFEUBEKRÄNZTER SILENSKOPF: SELEU(KOS). Taf. II, 5. Silens- und Panskopf. Taf. IH, 27. Blaue antike Paste. Silensmaske in der Ähnlichkeit des Sokrates, mit Satyrohren und um den kahlen Scheitel ein Epheukranz. Umher CENEYK. Tölk. VII Kl. 319.— Winckelm. II Kl. 1358. beschreibt hier eine Sokratesmaske mit Satyrohren und übersieht die Inschrift. Der Vergleich der Gemme (Taf. II, 27.) wo des Silens und des Pans Kopf janusartig verbunden, der erstere eine Mondsichel ceAyvn, der leztere einen Morgenstern ($ws$oges) über sich hat, (!°°) lassen uns den Zu- sammenhang zwischen dem kahlen Silenskopf als Mondbild und dem von (%%) Ovid. Fast. VI, 321-44. ('%) Serv. ad Virgil. Eclog. VIII, 82. Vgl. m. Antikenschau S. 22. n. 13. ('®) Creuzer Symbol. Band IV, Taf. I, 9. 430 Panxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen ” = In c@Aas herrührenden Eigennamen Xerevxos auf unsrer Gemme errathen. Dafs der Name nicht wie früher Allgerugin angenommen ward, dem Steinschnei- der gehöre hat Köhler (Geschn. St. 5. 74.) bemerkt, ihn aber einem Schau- spieler zugewiesen. 55. SIILENSMASKE AUF TRAUBENKORB. PANTHER MIT THYRSUS TRAUBEN NAGEND: M. CANINKUS BOTRYS). Taf. I, 6. Karneol. Ein Panther steht aufgerichtet an einer Cista mystlica und wendet sich nach den Trau- ben eines Weinstocks hinter ihm; auf der Cista eine Silensmaske und ein angelegter Thyr- sus; im Felde die Inschrift M. CANINI. Tölk. III Kl. *1106..— Winckelm. II Kl. 1599. sagt blos „Maske”. Je weniger der Zusammenhang des Namens M. Caninius mit den ver- schiednen eingeschnittnen Symbolen als Siegel des Besitzers bisher zur Spra- che kam, je weniger ohne diese Gemme die eigenthümlic he Etymologie des Namens Caninius uns in den Sinn kommen ae desto mehr Grund ist vor- handen diesen geschnittnen Stein seiner bisherigen Unbeachtetheit zu ent- ziehen. Die Maske dem kahlköpfigen, bärtigen Silen angehörig, alten Silen, den Seryvos Forıos, auch rarres genannt. Dieser Silen ist ein vertritt den besonderer Freund des Weines, worauf sowohl der fälschlich als Cista mystica gedeutete Traubenkorb, als der nach Trauben lechzende Panther hindeutet. Demnach finden wir in Caninius eine Übersetzung von roAus der Weifse und leiten es von caneo, canesco, roAstuaı ab, erinnern aber zugleich g steht, an des Festus Worte: Canephora mulier appellatur quae fert canum i. e. qua- hinsicht des Korbes der mit diesem Silen in engster Verbindun lum quod est cistae genus, um diesen Flechtkorb canus als Anspielung für Caninius gleichfalls nicht unbenutzt zu lassen. Unser M. Caninius führte aber noch einen Beinamen der ebenfalls in der Gemme deutlich dargestellt ist, der aber schwer fallen dürfte erra- then und noch schwerer anerkannt zu werden, wenn nicht der glückliche Zu- fall der Ausgrabung in S. Lorenzo folgende in Kom befindliche griechische Grabschrift (!%*) ©. K.M. Kavewin Ig(w)roxryrw M. Kavewıos Borgus pveias Yagw. (‘°*) Ex Schedis Ambrosianis Muratori T. IH, p. MCDXLVIII, 11. C. Inscr. Gr. 6599. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 431 uns denselben, nemlich Borgus Traube offenbarte welchen sowohl der Trau- benkorb als die vom Panther angesprungene Traube des Weinstocks auszu- drücken vermag. 56. SATYR MIT SILENSMASKE: DIODOR ANTYL. Taf. II, 7. Karneol. Ein hockernder Satyr hält auf den Knieen eine Silensmaske: umher die Inschrift DIODOR ANTYL. Tölk. III Kl. "1041.— Winckelm. II Kl. 1527. liest DIODOR ANTYI. Da Silen den Kinderwärter des Bacchuskindes nicht blos, sondern überhaupt den Pädagogen und Lehrer der Weisheit in der griechischen Re- ligion personificirt und der Frühling andrerseits in dem Bilde eines jugend- lichen Faun (s. Taf. III, 33.) von der Kunst aufgefasst wird, so liefsen sich die beiden Namen Diodorus Antylo lesen und ersterer in der Bedeutung vonFrühlingsgabe mit dem Satyr in Verbindung bringen, lezterer aber um so wahrscheinlicher mit der Silensmaske in Zusammenhang stellen als in dem @vri ante das Vorhalten vor dem Gesicht wie es das Wesen der Masken ist, zu liegen scheint, weshalb wir auch auf den Münzen von Antissa (19) keinen Kopf, sondern eine Maske des bärtigen Dionysos antreffen. Beim Anblick dieses knieenden Satyr der die Maske des kahlen Silen mit Theil- nahme betrachtet, drängt sich andrerseits die Vermuthung hervor der Schüler Diodorus betraure hier den Verlust seines verstorbenen Lehrers Antyllus, wie ja schon der Scholiast des Thucydides (IV, 19, 28.) einen Rhetor dieses Namens als Erklärer des Thucydides anführt. Allein wir le- gen auf diese Vermuthung kein besonderes Gewicht und verwahren uns nur im voraus gegen die Ansicht als wolle der Satyr die Silensmaske zu eigner Vermummung benutzen, da in diesem Fall sein zarter jugendlicher Körper wenigstens die Bekleidung eines Agrenon nicht entbehren konnte. 57. JUGENDLICHES SATYRBRUSTBILD: DIOKLES. Taf. II, 8. Faunbrustbild als Frühling, herkulanisches Gemälde. Taf. III, 33. Rother Jaspis. Brustbild eines jugendlichen Satyr mit der Nebris über der Schulter; umher die Inschrift AIOKAEOYC rchulfg. Tölk. IIT Kl. "1010.— Winckelm. U Kl. 1485. Kopf eines jungen Fauns und die Umschrift AIOKAEOYC. (‘®) Mionn. D. II, 35, 27. davor Widderkopf. 432 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Nicht Nebris, Hirschfell, sondern Ziegenfell dient dem Satyr zur Be- kleidung. Der Vergleich eines pompejanischen Wandgemäldes der vier Jah- reszeiten als Brustbilder wo eine jugendliche blumenbekränzte Faunbüste mit Pedum und Syrinx (Taf. II, 33.) den Frühling repräsentirt, bestimmt uns auch auf unsrer Gemme den Frühling &ap zu erkennen, zu dessen Be- kleidung das Fell eines jungen Bocks eg, sich vorzugsweise eignet. Erwä- gen wir zugleich dafs die Nachtigall vielfach als Aıss ayysrcs Bote des Früh- lings besungen wird: so dürfen wir gestützt auf unsre Erklärung einer nola- nischen Diota mit dem Namen Diokles (‘%) auch den gleichen Namen des Ring-Besitzers Diokles gewöhnlich Zeusruhm übersetzt, als mit dem Brust- bild des Frühlings in enger Verbindung stehend betrachten, insofern der- selbe Eigenname auch Schlüssel der heiteren reinen Luft — man denke an sub dio — bedeutet. 58. PAN UND BOCK: ER(OS). Taf. II, 9. Achatonyx. Pan das Pedum haltend und ein Ziegenbock; zwischen den Kämpfenden ein Hase; hinter Pan die Inschrift ER. Tölk. HI Kl. 1124.— Winckelm. Il Kl. 1542. Ein Satyr mit auf den Rücken gelegten Händen in der Stellung mit einem Bock zu kämpfen; zwi- schen dem Satyr und dem Bock ein Hase und ein Palmzweig und hinter dem Satyr die Buchstaben ER. Die von der Winckelmannschen abweichende, aber darum nicht min- der ungenaue Tölkensche Beschreibung scheint mir in Rücksieht des auf Seiten des Ziegenbocks den Iycaeischen Pan ('!"”) anspringenden Thieres welches für ein Hase angesehen wird, im Irrthum: seine Gestalt, lange Oh- ren und kurzer Schwanz, so wie die Art des Sprunges verrathen ein Kanin- chen, wohl zur Andeutung der frühen Morgenstunde. Den Palmzweig halte ich vielmehr für einen Baum, Weide, Oelbaum auf dessen rechter Seite ein Bruch im Stein sich vorfindet. Von dem vermutheten Zweikampf zwischen Pan und Bock den häufig Kunstvorstellungen vergegenwärtigen, entdecke ich keine Spur so wenig wie von Pedum: vielmehr steht Pan die Hände auf dem Rücken gebunden als Besiegter vor Eros. Im Zusammenhang mit der Vor- ('°) Die Eigennamen mit Kalos. Taf. II, 7. S. 18, 19. (‘) Vergl. den ithyphallischen Silen den ein bärtiger Bock anspringt, auf einer Vase bei Dubois Maisonneuve Introduct. ä l’Etude d. Vas. Pl. XCI. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 433 stellung steht der Name des Ringbesitzers. Es liegt nahe dessen Anfang Er durch Eriphus zu ergänzen, da Athenäus (11,58 b.) einen komischen Dichter dieses Namens anfünrt, im Etymologieum M. p. 372, 4. Eriphe als Amme des Dionysos genannt wird und Hesychius &sıpes als Beiwort des Dionysos in Lacedämon, vermuthlich in Gestalt eines jungen Bocks, und als klei- nenBock derimFrühling erscheint erläutert. Allein auf der Gemme sieht man kein Böcklein, sondern einen Bock. Deshalb möchten wir in Be- zug auf den Sieger Eros lieber diesen Namen als den des Ringbesitzers ver- muthen, zumal Plinius N. H. XXX V, 47,58. einen Staberius Eros und eine Inschrift bei Gruter 1174, 4. einen C. Salius Eros erwähnt. 59. SECHSSTRAHLIGER STERN: OREION. Taf. I, 10. Karneol. Ein Stern mit sechs Strahlen, zwischen denselben WPEIWN Orion. Tölken III Kl. 1411.— Winckelm. II Kl. 1237. Dafs Orion auch zu den Eigennamen der Sterblichen gehörte, lehrt eine Grabschrift Corp. Inser. gr. n. 6454. Ein Homonyme wählte das Ge- stirn Orion zum Siegel. 60. NEMESIS BEKRANZT VON VICTORIA: HER(ENNIO) PHILOD(EMUS;). Taf. II, 11. Karneol. Nemesis mit dem Zügel in der linken Hand wird von der Victoria bekränzt: umher die Inschrift HER PLOD. Tölk. III Kl. "1270. — Winckelm. II Kl. 208. Minerva einer Victoria gegenüber stehend die ihr einen Lorbeerkranz darreicht, herum die Buchstaben FERPLOD. Die auf Gemmen vorkommende Vorstellung der Victoria gegenüber der von ihr zu bekränzenden Minerva verleitete Winckelmann zu ungenauer Beschreibung; da aber unsre Gemme keine Spur von Helm so wenig als and- rer Bewaffnung zeigt, so ist nur die Tölkensche Auffassung der Göttin als Nemesis für die richtige anzuerkennen. Die Inschrift lese ich Herennio Philodemus indem Herennio mit der Figur der Nemesis in Verbindung ge- setzt, Philodemus mit der der Victoria zu deuten ist. Zur Rechtfertigung dieser Auslegung bemerke ich dafs der Name Philodemos Bindenfreun- din wohl keiner Göttin mit grölserem Rechte zukommt als Jder mit Binden, dadyuare, und Kränzen herabschwebenden Siegesgöttin, deren Name Victo- ria ja auch von vincire binden abgeleitet wird. Mit diesem Namen Philo- Philos.- histor. Kl. 1851. int 434 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen demos verdient der sehr ähnliche Nikodemos verglichen zu werden auf einer volcenter Diota (!%%) als deren Empfänger ein beigefügtes zarcs den Nikode- mos als Sieger uns offenbart, insofern die mit Giefskanne herabschwebende Siegsgötlin die Inschrift dieses Namens in ihrer unmittelbaren Nähe zeigt. Den Namen Herenninussleite ich von der Here Martea her, welche die Alten laut dem Zeugnifs des Festus, nach emplangner Erbschaft verehrten: eine Göt- tin welche vom Namen der Erben, heredum, benannt und für eine der Beglei- terinnen des Mars gehalten wurde. Diese verschiednen Eigenschaften der- selben lassen sich in der Nemesis unsrer Gemme ungezwungen wiedererken- nen, zumal ihr Name Vertheilerin von dem der Erbschaftsgöttin wenig abweicht und unabhängig hiervon das Bild der behelmten Nemesis auf zahl- reichen Gemmen, bisher als Minerva Nemesis gedeutet, vielmehr richtiger als Here Martea aufzufassen sein möchte. Dieser Göttin Brustbild mit Stirn- krone und dem Namen Pietas, — wie die Aidws der Griechen der Nemesis sehr sinnverwandt — begegnen wir auf Denaren der Gens Herennia, deren Rückseite nächst der Beischrift HERENNIYS einen der beiden Brüder zeigt welche beim Ausbruch des Aetna ihre Eltern auf ihre Schultern davontra- gend vor der Todesgefahr zu retten wusten. (9) 61. KOPF DES HERAKLES: DIKAIOS Taf. II, 12. HERAKLESKOPF, ° STIERBÜSTE: MÜNZE VON ERYTHRAE. Taf. III, 19. ÄHNLICHE VORSTELLUNG, MÜNZE VON DIKAEA Taf. II, 35. EROS VON THESPIAE, TYCHON: GEMME. Taf. III, 25. Chalcedon durch Feuer getrübt. Kopf des bärtigen Herkules mit Lorbeerkranz; umher AIKAIOC. Tölk. IV Kl. *50.— Winckelm. II Kl. 1690. übersah die Kopfbekränzung. Wenig geschnittne Steine dürften sich über eine so leichtfertige Beschau- ung und Beschreibung zu beklagen ein Recht haben wie der vorliegende: ein Vergehen das um so weniger sich verantworten läst, je unerwarteter und schätzenswerther die Fundgrube für Religion und schriftliche Zeugnisse des klassischen Alterthums erscheint die diese Gemme uns eröffnet. Den beiden (‘°®) Die Eigennamen mit Kalos. Taf. III, 5. S. 84. Gerhard Auserlesne Vasenbilder II, CLV. (‘°) Riccio le monete di ant. fam. di Roma. Tab. XXI. Herennia. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 435 Alterthumsforschern entgingen bei diesem geschnittnen Stein nicht weniger als fünf Symbole, nemlich 1) sobald man den Kopf umdreht, erscheint von dem Hals desselben grofsentheils gebildet der Kopfeiner jungen Kuh, in der Richtung nach links; 2) ein männliches Glied wozu der Künstler das eine Ohr und Auge nebst der Stirn der Kuh benutzte; 3) eine Schlinge am Hinterkopf des Herakles als Ende einer nebst dem Kranz das Haupthaar des Herakles umschliefsenden Binde: nach dieser Schlinge richtet sich das männ- liche Glied aufs entschiedenste hin. 4) Stellt man noch einmal die Gemme auf den Kopf und betrachtet genau die Vorderseite des Gesichts, so entdeckt man einen Negerkopf dessen Haupthaar durch den Bart des Herakles ge- bildet wird, dessen kleine Augen tief liegen unter niedriger Stirn, zu dessen Stumpinase und dicken Lippen des Herakles Mund und Nase sich hergeben müssen. Dieser Mohren-Kopf und Hals erhebt sich vielleicht 5) aus einer grofsen Purpurschnecke, zu deren Bildung der Steinschneider das Haupthaar des Herakles benutzte. Rechnen wir noch zu diesen fünf Symbolen als 6tes den Hereuleskopf selbst, als Ttes dessen Blätterkranz der nicht wie Hr. Tölken beschreibt, von Lorbeer, sondern entschieden von Pappelblättern gebildet ist, und 8) die Inschrift Azaus Gerecht hinzu: so wird man uns zugestehen dafs hier nicht wenig scheinbar unauflösliche Räthsel uns entge- gentreten mit der dringenden Aufforderung nachzuforschen ob nicht hinter diesen auf den ersten Blick so sonderbaren und heterogenen Typen eine Einheit religiöser und mythischer Idee sich verbirgt welche deren sinnreiche Verbindung zu einem schönen Bildwerk von Seiten des Künstlers ins Leben rief und motivirte.. Den Faden um uns in dem Labyrinth dieser Gemme nicht zu verirren, verdanken wir wie in so vielen anderen Fällen, so auch diesmal dem Pausa- nias der in drei gewichtigen Stellen den wesentlichsten Commentar für dies Bildwerk liefert. Die Hauptstelle im IXten Buch Kap. 27, 5. lautet fol- gendermafsen: „Auch HerakleshateinHieronbei den Bewohnernvon Thes- piae; ihm dient als Priesterin eine Jungfrau bis sie der Tod hin- rafft: als Grund davon geben sie folgendes an. Herakles soll in einer und derselben Nacht die funfzig Töchter des Thestios alle beschlafen haben au- fser einer: diese wollte nicht mit ihm Umgang haben worauf er gesetzlich richtete, siesolle Jungfrau bleiben, aber Zeitlebens ihm als Prie- Fa 436 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen sterin dienen. Ich habe auch eine andre Erzählung gehört dafs Herakles in ein und derselben Nacht alle Töchter des Thestios schwängerte und dafs ihm alle Knaben gebaren, die jüngste und die älteste aber Zwillinge: jenes kann ich aber für nicht glaubwürdig halten dafs Herakles so sehr in Zorn en die Tochter eines befreundeten Mannes gerathen sei. Überdies da so gep air er unter den Menschen war, er Andre die Schandthaten begingen strafte und besonders die gegen die Götter frevelten; so wird er sich wohl nicht selbst einen Tempel und eine Priesterin als wäre er ein Gott, gesetzt haben. Sondern mir schien dies Heiligthum älter zu sein als die Zeit des Herakles, Sohnes des Amphitryon, und dem Herakles, einem der soge- nannten idäischen Daktylen, anzugehören, dessen Hiera ich auch bei den Erythräern in Jonien und bei den Tyriern fand. Indefs war auch den Boeotiern dieser Name des Herakles nicht unbekannt; wo sie ja auch erzählen, das Hieron der Mykalessischen Demeter sei dem idaeischen Herakles anvertraut worden.” Über diesen lezteren Cul- tus spricht sich Pausanias B. IX, 19,4. ausführlicher aus: „Sie stimmen über- ein die StadtseiMykalessos genannt worden weil dieKuh daselbst brüllte (Euvanraro) welche den Kadmos und sein Heer nach Theben führte. Am Meere bei Mykalessos liegt das Hieron der Mykalessischen Demeter; eswird jede Nacht, heifstes, vonHerakles geschlossen und dann wieder geöffnet. Dieser Heraklesist einer deridaeischen Dak- tylen. Eszeigtsich auch daselbst noch folgendes Wunder: vor den Füfsen setzen sie was irgend im Herbst aufgewachsen ist: das bleibt das ganze Jahr hindurch frisch.” Aus diesen höchst belehrenden Berichten des Pausanias entnehmen wir dafs der Pappelbekränzte Herculeskopf auf unsrer Gemme den idaeischen Daktylen Herakles veranschaulicht und der Obertheil der Kuh die Mykales- sische Demeter versinnlicht. Das Amt des Kleduchos welches er bei ihr bekleidete, indem er des Nachts ihren Tempel schlofs und des Morgens öff- nete, verglich ich bereits in der Monographie des Argos Panoptes (!!°) mit dem Beruf des Argos, des Wächters der Kuh Jo welche dieser am Tage frei weiden liefs und am Abend anband: es scheint mir wahrscheinlich dafs die Schlinge der Kopfbinde hierauf anspielt. (4) 5] 32, 38T; zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 437 Durch dies Zeugnifs des Pausanias gewinnt auch erst der Typus der Gold-Münze welche Karystos (!!!) zugeschrieben wird, einerseits einen lor- beerbekränzten bärtigen Herakleskopf, andrerseits die Hälfte eines Stiers und eine Keule drunter, mit der Inschrift KAl drüber, Licht und Beziehune. Des Pausanias Bericht der Idaeische Daktyle Herakles besitze bei den Erythraeern Tempel, findet seine vollkommne Bestätigung in den Münztypen (Taf. II, 14.) von Erythrae die als Rückseite eines bärtigen Herakleskopfes den Vorderiheil eines Stieres mit Keule dahinter und EPY drüber zeigen. (112) Übersehen wir aber nicht dafs Pausanias von dem Heiligthum in Dhespies welches er dem idaeischen Daktylen vindieirt, noch eine demotische Sage mittheilt, wonach die einzige der funfzig Töchter des Thestios weil sie ihm den Beischlaf verweigerte, von ihm gerichtet ward Zeitlebens Jungfrau zu bleiben und ihm als Priesterin zu dienen. Dieser Richterspruch rief ohne Zweifel den in des Pausanias Worte dizarau angedeuteten Beinamen Arzatos der Gerechte hervor, unter welchem man ihn in Thespiae anbetete. Die Kuh in- sofern sie als junge erscheint, symbolisirt meines Erachtens die Thespiadin welche «@dunros bleiben wollte und zu seiner lebenslänglichen Priesterin ver- urtheilt ward. So wurden der Göttin ewiger Jungfrauschaft, der Hestia, einjährige Kühe geopfert. (1%) Mit dieser Sage verbänden sich schon auf befriedigende Weise die beiden Symbole des männlichen Gliedes und der Schlinge; (!!*) allein wir müssen zugleich, da wir in diesem Tempel Herakles als Kleduchos bereits kennen gelernt, des Hesychios Glossen KArides beachten, wonach xAyls Schlüssel (chiave der Italiener) auch das männliche Glied ge- nannt wurde, und mit demselben Wort xAnides bei den Ephesiern die woll- nenBinden bei der Artemis bezeichnet wurden. Indefs sobald wir erwägen dafs der Cultus des Herakles der uns jetzt beschäftigt, in Thespiae spielt, und hiemit die unleugbare Thatsache verbinden dafs das männliche Glied wie (‘'') Archaeol. Zeit. 1846. Taf. XLI, 23: gehört sie etwa der Stadt Dikaia? (1'?) Arch. Zeit. 1846. uch XLI, 2. Vgl. Aelian de nat. anim. II, XX. Boss de "Egv- Ioaloı zwoürt zaı aegere Ws wre. (''’) Spannh. ad Callim. h. in Cerer. 109. (*'*) Diod. V, 64. Herakles der idäische Dactyle setzt die Olympischen Spiele ein, nicht der Sohn der Alkmene. pası ÖE oyusie Tourwv Otamevew, v0 moAAds TWv YuraızWv erı za vov An avew Erwöns ame Tovrou ro STeov, ER megtauLeree moieiv, WS yEyovoros aurod yoyros, za ra megi TAG TEeAerag Emırerydsuroros. © f 435 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen unsre Gemme es zeigt, in griechischer Kunst vorzugsweise den Eros symbo- lisirt: lo liegt es nahe eine Anspielung auf den Eros von Thespiae hier zu vermuthen, zumal wenn man folgende Stelle des Pausanias (IX, 27, 1.) sich ins Gedächtnils ruft: „Unter allen Göttern ehren die Bewohner von Thespiae den Eros am meisten von Anfang an: und ihr ältestes Standbild desselben ist ein unbearbeiteter Stein. Wer bei den Thespiensern den Eros als den vornehmsten unter allen Göttern zu ehren eingeführt hat weifs ich nicht: es ehren ihn aber um nichts geringer die Bewohner von Parium am Hellespont, die von oben herab von Jonien stammen, Colonisten von Erythrae her.” Auf diesen Eros von Thespiae beziehe ich die merkwürdige Gemme (Taf. IH, 25.) eines Eroskopfes dessen Brust einen Phallus darstellt, im Thorwaldsen- schen Museum, (!'5) bei Gerhard (!!°) „priapischer Eros” genannt statt Tychon. Es bleibt uns nur noch übrig die merkwürdigen Symbole des Neger- kopfes aus der Purp urschnecke aufsteigend im Zusammenhang mit dem Hauptbild zu erläutern. Hiezu hilft uns der Bericht des G. Cedrenus Hi- stor. Compend. T. 1], 1, p- 4. ed. Bekker p. 34: „Unter der Regierung des Kö- nigs Phoenix war Herakles der Philosoph, der Tyrier benannt, welcher die Purpurschnecke auffand und dem König diese wichtige Entdeckung der Purpurfärberei mittheilte.” In dem Aethiopenkopf erkenne ich den Kö- nig Phoenix und in der Muschel das Sinnbild der Purpurfärberei welche der Tyrische Herakles gelehrt haben soll. Hierauf bezieht sich eine Erzmünze von Tyrus, einen Mann mit Pileus zwischen vier Muscheln zeigend. Die Linke ruht auf der Purpurschnecke von Tyrus die am Boden liegt, die Rechte auf einem Hund vor seinen Füfsen: die Hauptseite zeigt einen ver- schleierten Frauenkopf mit Thurmkrone, einen Palmbaum hinter sich. (117) Andre Erzmünzen von Tyrus zeigen einerseits den Kopf des Hercules, andrer- seits TYP in Monogramm über einer Keule, im Feld IZ und IYB, alles in einem Eichenkranz. (!'%) Den überraschendsten Beweis für unsre Auffassung des Herakles Dikaios im Zusammenhang mit der Kuh liefert eine merkwür- dige Münze schönen alterthümlichen Styls der Stadt Dikaia oder Dikaeopo- (5) Müller D£ser. III, n. 440. (‘'6) Über den Gott Eros, Abh. d. Kgl. Ak. d. Wiss. 1848. Taf. I, 5. Creuzer Symb. 5 7 IV, 163. (''”) Sestini Mus. Hederver. T. XXXI, 9. (*'*) Beger Thes. Brandeb. III, 17. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 439 lis in Thracien angehörig, (Taf. II, 35.) wo dem bärtigen Hereuleskopf mit Löwenfell der offenbar auf den Beinamen Dikaios die gerechtesten Ansprü- che hat, auf der Rückseite der Vordertheil eines Stiers mit der Überschrift AIK (1'?) entgegentritt. Der Name Dikaios begegnet uns aber auch in der heroischen Mytho- logie und zwar ebenfalis in Verbindung mit Herakles und einer jungen Frau, laut folgender Erzählung n. 19. des Conon: „Syleus und dessen Bruder Di- kaios, Söhne des Poseidon, wohnten am thessalischen Gebirge Peleion. Nach- dem Herakles den Syleus — den bösen Bruder, welchen Apollodor II, 6, 3. als eine Art Sinnis oder Skiron, in Aulis berrschend schildert den Herakles tödtete — erschlagen, gab Dikaios ihm dessen Tochter Xenodike zur Gemalin. Diese aber härmte sich bald über des Heros Abwesenheit zu Tode. Herakles kam zu ihrer Leichenfeier und hätte sich in die Flammen gestürzt, wenn ihn nicht die Anwesenden zurückgehalten. Das Volk aber baute auf dem Grabe der Todten dem Herakles einen Tempel.” Mit Rück- sicht auf den Namen Xenodike und auf die edle Handlung des Herakles bei ihrem Tode zweifle ich nicht dafs diesem seinem Tempel ebenfalls der Name des Herakles Dikaios zufiel. Arzuıos als Eigenname in späterer histori- scher Zeit findet sich auf Grabschriften (C. Inscr. Gr. 6365, 6366.). 62. JUGENDLICHER HERAKLES; VON HYLLOS. Taf. I, 13. Sardonyx von 6 Lagen, durch Feuer verändert und mit Gold ergänzt. Hercules als Jüngling stehend und mit der Keule in der rechten Hand. Zur Seite die unzweifelhaft antike In- schritt YAAOY. Tölk. IV Kl. *60.— Winckelm. IV Kl. 154. Dafs der Name Hyllos wegen des Genitivs und vornehmlich wegen kleiner und feiner Buchstaben den auch durch andre Arbeiten bekannten ausgezeichneten Steinschneider verräth, ist kaum zweifelhaft: leicht möglich dafs der Künstler zugleich Besitzer des Siegelringes war. Diese Vermuthung wird durch die Wahl des dargestellten Gegenstandes hervorgerufen, indem Hyllus der Sohn des Herakles und der Deianira Tochter des Oeneus hiefs, und die übersehne Punktirung des Haares wie häufig auf Vasenbildern die Wolligkeit ausdrückend, den phönicischen Herakles bezeichnet. An Hyllus selbst zu denken verbietet die Abwesenheit des bei Ptolemaeus Hephaestion B. III. erwähnten kleinen Horns welches diesem an der linken Seite des (‘'?) Ackermann Numismat. Chronicle II, p. 102. n. 2. 440 Panorxa: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Kopfes herauswuchs und das ihm als er im Zweikampf gefallen, der Sicyo- ner Epopeus entrifs um Wasser des Styx darin mitzunehmen. (472) 63. MELEAGER AUF DER EBERJAGD: LUPUS. Taf. II, 14. Gestreilter Sardonyx etwas durchs Feuer getrübt. Ein Jäger greift im vollen Lauf seines Pferdes einen Eber an, hinter diesem ein dürrer Baum: im Feld LVPVS. EA. Tölk. VI KI. "26.— Hr. Stephani (Köhler Geschn. St. S. 263, Not. 231.) meint: Als Ebername dürfte auch die Inschrift: Lupus auf einer Berliner Gemme aufzufassen sein, so wie der Hundename Lupa bekannt ist. Ich vermuthe in dem nackten Heros zu Pferde der mit dem Jagdspeer auf den Eber losstürzt, Meleager, den Herr Wolf, Lupus, um so schick- licher zum Siegel wählen konnte, als der Name dieses Heros Schaffänger sich mit dem des Wolfes identifieirt. So vergleicht Cassandra bei Aeschy- lus Agamemnon v. 258. wie den Agamenınon wegen seines hohen Muthes mit einem Löwen, so den Aegisth mit einem Wolf, weil aiyıgew nach Ziegen trachten bedeutet. Weil aber der Wolf gleich dem Specht das dem Mars heilige Thier ist, hatte ein andrer Lupus, nemlich C. Servius Lupus dem Mars als seinem Schutzgott und Namengeber ein Heiligthum gewidmet (Gru- ter Inser. I, p. LVII, 7.) Übrigens ist Lupus ein häufiger römischer Beiname z. B. L. Cornelius Lentulus Lupus consul ann. U. CDXCVUI (Fast. Capi- tol. ap. Gruter. Inser. 234.). 64. UNGLÜCKSWEISSAGUNG DES AMPHIARAOS BEI OPHELTES TODE. TYTE, PHULNICE, AMPHTHIARE, ATRESTHE, PARTHANAPAES. Taf. II, 15. Karneol an der Rückseite eines Käfers abgesägt. Eine Versammlung von fünf Helden des ersten Zuges gegen 'Theben. Vorn zur Rechten sitzt auf einem Stuhl Polynices in einen Mantel gekleidet der die rechte Schulter blos lälst, den Arm auf das Knie stützend und mit der (2°) Publieirt von Bracci Memor. T. II, Tav. 78. p. 121. Die Inschrift ward von Köh- ler (Geschn. Steine mit Künstlernamen S. 182.) seinem Naturell gemäls in folgenden Wor- ten für falsch erklärt: „Winckelmann nannte die Vorstelluug Aventinus; Bracci diese Benennung verwerfend, sagle, es sei Herakles. Mir scheint der eine eben so wenig Grund zu seiner Meinung gehabt zu haben, als der andre. Es ist ein sehr kleiner Stein von dessen Zeichnung und Ausführung sich ohne eigne Ansicht nichts sagen läfst. Dafs die Aufschrift des Namens Hyllus nicht alt, sondern ein Zusatz des Stosch sei, läst sich nicht bezweifeln, wenn man sich des Ursprungs dieses Namens auf der Gemme erinnert welcher dieser Name zuerst eingeschnitten wurde.” zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 441 Hand den gesenkten Arm berührend; neben ihm sein etrurischer Name IIINAY (Phulnice). Ihm gegenüber sitzt auf einem anders geformten Stuhl gleichsam in sinnender Stellung zusammensinkend der weissagende Heros Amphiaraos, auf seinem Schols liegt ein Pantherfell, welches zugleich den linken Vorderarm bedeckt, die rechte Hand hält eine aufgerichtete Lanze; neben ihm der Name IJQAITDMA (Amphtiare). Zur Seite des Lezteren sitzt auf einem wiederum verschieden gebildeten Sessel mit übergeschlagnen Beinen und ganz in seinen Mantel gewickelt Parthenopaeas, er hat die Hände vor den Knieen zusammengelegt und erhebt das Antlitz gleichsam als ob er eine ermuthigende Rede an die berathenden Fürsten richte; hinter und unter ihm windet sich die Inschrift (Paus. V, 17.) MADOANATAEZ (Parthanapaes). Hinter Polynices steht Tydeus, geharnischt, einen Helm mit hohem Helmbusch auf dem Haupt, auf der rechten Hand den aufgerichte- ten Speer fassend und mit dem Schild dessen innere Seite man sieht, am linken Arm; ne- ben ıhm der Name 4+V+ (Tute). Hinter Amphiaraos erblickte man den Erreger des Krieges Adrastos. Ganz bewaffnet, mit einem Helm an welchem selbst die Seitenklappen ausgedrückt sind, und mit hohem Helmbusch, scheint er, der Berathung müde, mit erhob- ner Lanze und Schild in den Kampf zu eilen; neben ihm sein Namen AFDEF ©E (Atre- sthe). Unter den Sitzenden ist der Boden mit grolser Sorgfalt angedeutet. Auch hier ma- chen die Inschriften den hetrurischen Ursprung dieses in seiner Art einzigen Kunstwerks unzweifelhaft. Tölk. II Kl. *75.— Winckelm. III Kl. ı72. Dieser vorzügliche Skarabäus ist von Winckelmann, ('!) Millin (172) und Müller (!?°) veröffentlicht und ziemlich einstimmmig gedeutet worden. Müller a.a. O.S. 42: „Man sieht die Heroen welche von Argos gegen Theben zogen, über die Unternehmung berathschlagen. Adrastos (Atresthe) ist bereits aufgebrochen, ihm folgt Tydeus (Tute), der entschlossenste Krie- ger bei der Unternehmung; noch sitzt Amphiaraos (Amphtiare), der besorgte Seher, der mit einem Widderfell umhüllt ist, wie die sich umhüllten, wel- che sein Orakel nach seinem Tode befragten. Polyneikes (Phulnices), welchem der Weissager den Fluch des Vaters in Erinnerung zurückgerufen zu haben scheint, sitzt in niedergeschlagner Haltung ihm gegenüber. Hinter Ampbiaraos sitzt in seinen Mantel gewickelt und die Hände um das eine Knie geschlagen Parthenopaeos (Parthanapae).” Man mufs bedauern dafs Hr. Tölken nicht diese im Jahr 1835 ge- gebne Erklärung zur Berichtigung des Pantherfells wenigstens benutzte. In der Auffassung sowohl des hier vom Steinschneider dargestellten Moments aus dem ersten Thebanischen Zug, als der einzelnen Theilnehmer dieser (”') Monum. ined, II, n. 104. Werke Band VII. Taf. 2A. (‘”) Millin gal. myth. CXLIII, 507. (12?) Denk. a. K. I, Taf. LXIII, n. 319. Philos.-histor. Kl. 1851. Kkk 442 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 5 her eine neue Deutung dieser Gemme zu näherer Prüfung vor. Handlung weichen wir wesentlich von unsern Vorgängern ab und legen da- Der Umstand dafs Amphiaraos den Hauptplatz in dem Mittelpunkt der Scene einnimmt läst keinen Zweilel dafs er den Protagonisten der Hand- lung vorstellt. Auf seinen Charakter als Seher hat bereits Müller hingewie- sen indem er seine Widderfellbekleidung treffend mit den Widderopfern an den unterirdischen Orakelgott in Verbindung setzte. Wir erlauben uns da- ran zu erinnern dafs der Widder auf griechisch a heifst und dafs insofern ein Widderfell als Umbüllung für Amphiaraos eine Namenshieroglyphe ab- zugeben vermag, wie für Ares die Widderköpfe als Schmuck seines Helms. Gegen das Abrathen vom Krieg vor dem Auszug scheint die Lanze auf die seine Rechte sich stützt, zu zeugen. Ich vermuthe daher lieber als Zeitpunkt dieser Scene den Tod desArchemoros, den Ampbhiaraos hier als unglückliches Anzeichen für den Ausgang desKrieges deutet. (!*%) Solche Unglücksweissagung bestürzt natürlich am meisten den Polynices. Diesem gegenüber sitzt ganz bis auf den Kopf verhüllt, mit lang nach hinten herabhängendem Haar, das linke Bein mit beiden Händen umschlingend als Ausdruck der Trauer, Parthanapae. Insofern dieser an Achill auf Skyros erinnernd, einem Parthenier, oder vuues (!?5) gleich erscheint, d.h. wie ein Mädchen aussieht, harmonirt bei ihm wie bei Amphiaraos, Tracht und Name vollkommen, was längst hätte müssen beachtet werden. Im Hin- tergrund zur Seite des Polynices, völlig gerüstet, vielleicht mit Eberfell, auf die Lanze gestützt, steht Tydeus, TVTE, entweder für "Ydsvs Eber- (‘**) Argum. Pind. Nem. I, 3. Apollod. III, 6, 4: "Anudıegeos de eimev, To onuelov re ’ ’ = x \ n E ’ 3:2.Y. eüN a 9» re \ PH WEAAOVTE moonavreVerTcn. vov de ward, "Aoyemosov Erarerav. oi be EIerav Em aurd row rWV Nenzuv ayave. Stat. Theb. IV, 718 qq. Vergl. auch Piudar. Nem. X, 9. wo Amphiaraos mortiuoro vebos heilst. ('?) Panofka Namen der Vasenbildner S. 6. Taf. I, 2. Vgl. Aeschyl. Sept. c. Thebas v. 533. wo der Bote den Parthenopaeos schildert: ’ ’ ” SED, E} ’ PAdsrrue zur ımawgov, arögoraıs avyp. ’ a” v x DAN Freiysı Ölour.os wor die maaridw, wons buousve, Faaıpüs avrer)ouTe See. 5 Ö’unov, ovrı FazTevwv eruvumor, becvrae, yopyav So Ey wv, mgosiTTaran, zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 443 mann (!”°) gleich Ares, (!?”) oder entsprechend dem lateinischen Zutus, als der entschlossenste Krieger in diesem Feldzug. Rechts ihm im Rü- cken hinter Amphiaraos wie im Begriff sich zu entfernen sehen wir Adrast behelmt wie Tydeus, die Liuke vom böotischen Schilde gedeckt, in der Rechten als König die eine Glosse des Hesychius argestos- @beßnros unerschrocken erklärt, ein langes Skeptron. Seine Namensinschrift Argeote passt, obwohl bisher übersehen, eben so wohl zu seiner Wappnung als zu seinem Charakter insofern er den Krieg anstiftete. Die vollständige Bestäti- gung unsrer Gemmenerklärung gewährt ein von Herrn Minervini (!*?) publi- cirtes, aber nicht verstandnes Vasenbild das in der Mitte zur Andeutung Thebens und der Weissagung eine Sphinx auf einer jonischen Säule zeigt an welcher Amphiaraus behelmt, auf einen scepterähnlichen Krückenstab ge- stützt, auf einem Klappstuhl sitzt. Er hört dem ihm gegenüber ste- henden und zum Krieg mahnenden Tydeus zu, dem der unbärtige myr- tenbekränzte Polynikes hinter ihm beipflichtet. Andrerseits hinter Am- phiaraus erkennen wir Adrast und hinter diesem verschleiert wie eine Jungfrau Parthenopaeus. Rufen wir uns die Worte des Inhalts von Pindars Nemeischen Ode I, 3. ins Gedächtnifs: „Ampbiaraos hatte ge- sagt dies Zeichen sage ihnen den Ausgang vorher; den Knaben nannten sie Archemoros Todesanfang: ihm zu Ehren setzten sie die Nemeischen Spiele ein” (Apollod. III, 6, 4. Stat. Theb. IV, 718, sqq.): so gewinnen wir zugleich einen Beweis dafs der Künstler diese Scene insofern sie die Stiftung der nemeischen Spiele nach sich zog, als würdigen Vorwurf wählen konnte. Zur Begründung dieser unsrer Erklärung erinnern wir noch schliefslich an des Boten Rede Aeschyl. Sept. contra Thebas v. 568-594. wonach Amphia- raos den Tydeus Urheber aller Übel, den bösen Rathgeber von Adrast schilt und dann den Polyneikes auf seinen Namen Vielstreit (!??) an- spielend vornimmt. Indem unmittelbar vorher der Bote den Parthenopaeos geschildert als Jungfraun-ähnlich nicht dem Sinn, aber der Gestalt, doch ('?°) Apollod. III, 6, 1. ('?”) Panofka Einfluls d. Gotth. auf d. Ortsnam. S. 28. (‘*®) Minervini Monum. inediti di Raff. Barone. Tav. X. ('??) Vgl. Aesch. Sept. c. 'Theb. v. 829: oi ö7r osTus zar’ eruwuniav au moAUvsızETs WAOVT ars dtavorg. Kkk2 444 Panworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen finstern Blicks, finden wir in dieser Aeschyleischen Stelle grade die Fünfzahl Heroen unsres Skarabäus. 65. MIT DER STRIGEL SICH REINIGENDER: TUTE. Taf. I, 16. Karneol. Tydeus reinigt sich nach den zu Ehren des Opheltes gegebnen Todtenspielen mit der Stlengis (szrigilis). Ein bei den alten Künstlern sehr beliebter Gegenstand (drofuouevan) um in gewaltsamen Stellungen die menschliche Gestalt zu entwickeln, was hier mit fast unglaublicher Kunst geschehen ist. Zur Seite der hetrurische Name des Tydeus: a+V+ wodurch dies merkwürdige Denkmal als unzweifelhaft hetrurisch bewährt wird. Tölk. II Kl. "143. Winckelm. III Kl. 174. 'Tydeus, einer der sieben Helden gegen Theben, zieht sich den Wurfspiels aus dem rechten Fuls. — Winckelmanns W. Bnd. VII, Taf. IIB.— Müller D. a. K. I, Taf. LXIII, 320: 'Tydeus (Tute) als dmogvonevos destringens se: eine jugendliche gymnastische Figur, die sich in gewaltsamer Stellung das Oel und den Staub der Palästra mit dem Schabeisen abkratzt. Übersehen ward dafs der etruskische Name Tute mit dem lateinischen tundere, tondere zusammenhängt und wie Zuse von fusus denGeschabten (?°) bezeichnet, also dem griechischen dro£veuevos genau entspricht, zumal die Strigel Eirrga zugleich das Werkzeug ist dessen sich der tonsor der Bart- kratzer bei den Alten bediente. Des Hesychius Glosse rurce izereusı erklä- ren die Ausleger durch rrirseı von rruw procido, eine Handlung die mit der auf diesem Skarabäus ziemlich übereinstimmt. Zum Vergleich mit diesem Palästriten mit der Beischrift rure empfielt sich wohl noch folgender merk- würdige Typus einer Münze von Tuder (Carelli Num. vet. Ital. Tav. XVIIL): Hand mit Cestus; Rv. zwei entgegengesetzt liegende Keulen I3Q3+V+. 66. ODYSSEUS: A(RCISIADES?). Taf. I, 17. Ungemein schöner Sarder. Odysseus sitzt trauernd auf einem Felsen der Insel der Kalypso und sehnt sich nach Ithaka. Zur Seite der Buchstabe A. Tölk. IV Kl. *357.— Winckelm. III Kl. 350. Unbeachtet blieb das sehr augenfällige über der linken Schulter Schär- penähnlich herabhängende Gewandstück das nur auf das mondeuvov, den hülf- reichen Schleier, sich beziehen läfst, welches Ino dem von Poseidon durch Stürme hart bedrängten zum Schwimmen nach der Insel Scheria verlieh ('°) Vgl. den sich kratzenden Hund der Münze von Tuder. (Carelli Num. vet. Ital. T. XV, 2.). zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 445 (Hom. Od. VI, 170.). Da Ino aber dem Odysseus ihr Kredemnon ('') erst nach der Abreise von der Insel der Kalypso verlieh, so mufs falls nicht der Steinschneider aus Unwissenheit einen Anachronismus beging, ein andrer Moment der Odyssee diesem Bilde zum Grunde liegen, etwa seine Heimkehr nach Ithaka, worauf auch der Wanderstab, nicht Lanze, in seiner Rechten zu deuten vermöchte. Was den Buchstaben A, offenbar Anfang des Namens des Ringbesitzers, anbelangt, so wirft vielleicht folgende Stelle des Gramma- tikers Diomedes (I, p. 307. ed. Putsch) einiges Licht auf dessen Verständ- nils: Est Ulyssi agnomen Polytlas. Nam praenomen est ut ait Ibycus, Ulys- ses, nomen Arcisiades, cognomen Odysseus. Indefs geben wir im voraus zu, dafs insofern spätere Sagen als Sohn des Odysseus von Penelope einen Arkesilaos, (3?) von Circe einen Agrios, oder einen Antias und Ar- deas, (1?) von Calypso einen Auson ('*) anführen, man Wahl und Qual zugleich hat in den Anfangsbuchstaben dieses Siegelrings statt des Ulyssesna- men Arcesiades einen Homonymen dieser verschiednen Ulyssessöhne hier zu vermuthen. 67. ULYSSES HEIMKEHR: M. VOL(USIUS). Taf. II, 18. Brauner Sarder. Odysseus unbekannt nach Ithaka heimgekehrt, steht mit bittender Hand und auf einen Knotenstab gestützt. Zur Seite M. VOL. Tölk. IV Kl. *389. — Winckelm. II Kl. 359. Die Namensinschrift verräth einen M. Volusius der das Bild des Ulys- ses deshalb zum Siegelring wählte, weil der römische Name Volusius — mit volvere zusammenhängend gleich dem roue der Franzosen, bezeichnet er zu- gleich den Charakter des Odysseus als moAUTgomoS — genau dem griechischen OAvreus, OAureus mit vorgesetziem Digamma aeolicum entspricht. Der Name Volusus oder Volesus ist ein Beiname der patricischen Gens Yaleria oder V alesia (Inscr. ad. Grut. 6. 5.): P. Valesius Volesi f. Poplicola. und 97, 2: P. Valesius Volusi f. Poplicola. (‘°') Mosaikfulsboden im Braccio nuovo des Vatikan, Gerhard Vatican. S. 89. Panofka Mus. Blacas. Pl. XII. ('°?) Eustath. ad Hom. p. 1796, 50. (‘?®) Xenagoras bei Dion. Halic. I, 72. (*) Tzetz. Lycophr. 44. 696. Schol. Apollon. A. IV, 553. Serv. Virg. Aen. III, 171. 477. Suid. s. v. Avcovsw. 446 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 68. AJAS UND TEUKROS IM KAMPF BEI DEN SCHIFFEN: MAR(CUS) HERE(NNIUS). Taf. II, 19. Blaue antike Paste. Ajax kämpft von dem Schiffe des Protesilaos, neben ihm Teukros mit Bogen und Pfeil; zur Seite die Inschrift MAR HERE. Tölk. IV Kl. 325.,— Winckelm. III Kl. 243. Ajas der Telamonier, König von Salamis, erscheint auf diesem vor- züglichen Kunstwerk getreu der Schilderung Homers (15) und Pindars, (13°) als der Grofse, „höher denn alles Volk an Haupt und Schultern.” (137) Zur Charakteristik dieses Helden dient der grofse argolische Schild dessen Em- blem wie es scheint ein Stern mit Unrecht in beiden Beschreibungen über- gangen ward. Dafs hier Ajas, laut den Gesängen Homers, (13) in der Schlacht bei den Schiffen in den vordersten Reihen ruhmvoll kämpft leuch- tet beim ersten Blick auf die Paste eben so sehr ein, als dafs der ihm zur Seite den Bogen spannende Schütze seinen Halbbruder, den Salaminier Teu- kros darstellt, welchen Homer (!°°) als den besten Bogenschützen im helle- nischen Heer vor Ilion preiset. Die Inschrift Mar. Here. weifs ich nur auf Marcus Herennius zu be- ziehen. Warum derselbe sich das Bild des Ajas zum Siegeln wählte, läst sich schwer errathen. Insofern die Denare der Gens Herennia (14°) einer- seits den Kopf der Frömmigkeit mit Stirnkrone geschmückt und die Inschrift PIETAS, andrerseits die Umschrift M. HERENNIVS und einen der Catanensi- schen Brüder mit seiner vor dem Aetna geretteten Mutter aufder Schulter zei- gen, wird der Charakter der Pietät für M.Herennius hinlänglich bezeugt. Sollte vielleicht in gleichem Sinne das Bild des Ajas hier gewählt sein, dessen Pie- tätsich sowohlals er den Leichnam des Patroklos gegen Hektor schirmte, (!*!) unzweideutig bekundete, als nicht minder entschieden in dem von der bil- denden Kunst so glücklich verewigten Moment wo er den Leichnam des Achill auf seinem Rücken vom Kriegsschauplatz fortträgt? (‘?) Il. IX, 169; XIV, 410. (‘°) Isthm. VI, 25 (37.). ('°”) II. III, 226. Od. XI, 550. (‘®) Il. XIII, 700.; XIV, 409.; XIII, 190.; XV, 414.; XVI, 113. (‘°°) Il. VIIL, 281. ff. (1°) Riecio le Monete di ant. fam. dı Roma. Tav. XX. (‘*') Hom. Il. XVII, 128. 732. Giebelgruppe des Athenetempels in Aegina. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 447 Nicht uninteressant ist der Vergleich der Tabula Iliaca (!*?) welche denselben Gegenstand ähnlich veranschaulicht. 69. PALAMEDES: PA. Taf. I, 20. Gestreifter Sarder. Palamedes dekt sich knieend mit dem Schilde und hält das kurze Schwert ge- zückt in der Rechten, bereit sich gegen seine Feinde zu vertheidigen; zur Seite [IA recht- Ifg. — Ist in späterer Zeit absichtlich in älterem Styl gearbeitet. — E.A. Tölk. II Kl. "148. Je seltner die Werke der griechischen Kunst mit diesem Gegen- stand (1%) uns bekannt machen, desto schätzenswerther erscheint diese unsre Gemme, zumal die Anfangsbuchstaben MA die Ergänzung Patroklos nicht gestatten, weil Bart, hohes Alter und an Hephaistos oder Poseidon erinnernde Physionomie den Gedanken an diesen Freund des Achill nicht zulassen, dagegen für den schlauen, nicht besonders edlen Palamedes um so besser passen. Man könnte vermuthen seine eigenthümliche knieende Stellung wie sie bei Würfel- und Knöchelspiel erfordert wird, enthalte eine leise Erinnerung an diese Spiele die Palamedes erfunden hat: allein natürli- cher erklärt man dieselbe durch Plin. H. N. VII, 56: ordinem exercitus, signi dalionem, tesseras, vigilias, Palamedes invenit Trojano bello. STÄDTE. 70. LEUCHTTHURM DER INSEL PHAROS BEI ALEXANDRIA: PA Fat. IL, 21. Grüne antike Paste. Ein hoher Pharus, oben mit der Statue und den blasenden Meercentauren; in den Mauern erkennt man Fenster, und unten ein Thor zu welchem eine Brücke den Zugang bildet. Umher die Buchstaben MAY. (Wäre dies MAPINN zu lesen, so könnte hier ein Pharus von Paphos auf der Insel Cypern dargestellt sein, vielleicht nach dem Vor- bild des alexandrinischen aufgeführt). Tölk. VII Kl. 111.— Winckelm. VI Kl. 57. Der Hafen von Alexandria und sein Pharus, mit einem Schiff welches in dem Hafen landet. Ein Vergleich des Leuchtihurms mit dem der Insel Pharos, und Isis Pharia mit Sistrum und Schleier den sie zum Segel ausspannt auf einer ägyp- tischen Münze von Hadrian (1%) genügt um Winckelmanns Auslegung den Vorzug zu geben der auch richtiger ein Schiff erkannte wo Tölken ein 142) Millin Gal. myth. CL. 25, 27. EMI NAYZI MAXH. M (*) Vgl. den Krieger in ähnlicher Stellung auf einem Bronzespiegel Mus. Borb. VII, 63. ('**) Zoega Num. Aegypt. imper. Tab. VIII, n. 16.; coll. VI, 9. Guigniaut Relig. Rec. d. Pl. LII, 160.a. 448 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen %Y sieht und das minder grofs natürlicher auf einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln sich beziehen liefse. (1) Die Figur auf der eylinderförmigen Basis welche den Leuchtthurm krönt, scheint eine Göttin mit Fackel und zwar eine GöttinArtemisCharinautes wie ich sie aufathenischen Tetradrachmen (!*°) erkannte, vorzustellen. Pharos hiefs die kleine Insel bei Alexandria in Egyp- ten mit dem berühmten Leuchtthurm, schon bei Homer (!*) erwähnt: sie verdankt den Namen dem Steuermann des Menelaos, Pharos (St. Byz. s. v.). Wenn aber diese Insel, was sehr wahrscheinlich ist, hier gemeint ist, so mufs man wegen der Buchstaben MA annehmen, sie habe später Paros ge- heifsen, wie ja auch eine kleine Insel in Dalmatien früher Paros, bei Strabo (VII, 315.) Pharia genannt wird. 74. VERSCHLEIERTES FRAUENBRUSTBILD MIT MAUERKRONE: LAUDIKIKA). Taf. II, 22. Karneol. Die Stadt Laodicea, als weibliches Brusthild (rUyn FoAsws), mit einer Mauerkrone und verhülltem Hinterhaupt; zur Seite die Inschrift ANAYAIKI.— Unter den Städten desselben Namens ist Laodicea im innern Phrygien und ein andres am Fulse des Libanon am berühmtesten. Wahrscheinlich ist hier das leztere gemeint. Tölk. II Kl. 41386.— Winckelm. II Kl. 10. Kopf der Cybele mit dem Worte AAYAIKR. Sowohl Laodicaea in Phrygien (1) zeigt auf seinen Erzmünzen das Brustbild einer Frau mit Mauerkrone als Rückseite einer Victoria mit Kranz und Palme, als Laodicaea am Libanon in Coelesyrien auf den Münzen des Caracalla, (1%) wo dieselbe Göttin mit Mauerkrone auf Felsen sitzend, von einer Victoria mit Palme gekrönt, und jederseits ein Flufs mit Wasserurne erscheint. Der Umstand dafs auf unsrer Gemme nicht von ganzer Figur der Göttin die Rede ist, noch von Victoria oder Flüssen die geringste Andeutung sich zeigt, verbietet uns Hrn. Tölken beizupflichten. Vielmehr scheint uns das Bild dieser Gemme auf Laodicaea in Syrien ('°°) zu beziehen, dessen Mün- (‘*) Vgl. Mon. de I’Institut arch&ol. Vol. I, pl. 39. wo ebenfalls die Erklärung zwischen Schiff und Vogel schwankt. (**%) Annal. de l’Instit. arch. Vol. XII, p. 201-3, Tav. d’agg. 1840. 1, 1. (*) Od. IV, 355.; vgl. Thucyd. I, 104.; Strabo I, 37.; XVII, 791. ff. (‘*®) Mionn. S. VII, p. 578, 410. (°) Mionn. S. VIII, p. 213, 88. (‘°°) Mionn. S. VIII, p. 167, 198. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 449 zen ein Frauenbrustbild mit Schleier als Rückseite eines thronenden Jupi- ter Nicephorus zeigen, und dessen Gründung 48 J. v. Ch. G. dem Styl die- ses Steinschnitts nicht wiederspricht. 72. KOPF DES HEROS PERGAM(OS). Taf. II, 23. Kopf des Heros auf einer Münze von Pergamos. Taf. III, 30. Obsidian in weilsem Querstreif. Kopf des Heros Pergamos Sohn des Neoptolemos und der An- dromache, mit einer Binde um die Stirn und von ungemeiner Schönheit; vor ihm der Name MEPTAM. Dieser Enkel des Achill wurde als Gründer der späteren reichen Stadt Pergamus verehrt. Bartholdysche Sanımlung. Tölk. IV Kl. 399. Obschon der deutliche Name keinen Zweifel zuläst dafs er dem He- roskopf des Steines zugehört, so verdient doch die um die Stirn befestigte Kopfbinde grade bier einige Berücksichtigung, insofern der Name Perga- mos mit Ilium gleichbedeutend, dieEinzwängung (eayeiv, Eoyanıngıcv, car- 8 cer) ausdrückt und die Binde für die Charakteristik des Pergamos hier den- selben Dienst leistet, welchen die Tänien für die Windelgöttin Ilithyia ('°') und die Laube pergula aus der auf Münzen von Perga die Artemis Pergaia nur ihren Kopf heraussteckt. (1%?) Der Kopf unsrer Gemme ragt an Adel und idealem Ausdruck (in der Gravirung leider nicht hinlänglich wiederge- geben) weit über dem bärtigen, ebenfalls mit einer breiten Binde ums Haar geschmückten Kopf hervor, welchen die Münzen von Pergamos durch In- schrift Kr(ir)ras Tleoyauos (Taf. III, 30. nach Mionnetischer Paste) als Kopf des- selben Heros uns kennen lehren. Dafs übrigens in der Stadt Pergamos auch Einwohner später den Namen Pergamos führten, lehrt eine in Rom befindliche Grabinschrift des Julianus, Sohnes des Pergamus (C. Inser. Gr. 6593.), und eine andre mit Angabe des Patron T. Flavius Pergamus (C. Inscr. Gr. 6647.). 73. AKRATOSMASKE AUF HOHEM VIERKÖPFIGEN GEFÄSS: POTIOLOI. Taf. II, 24. Rother Jaspis. Eine Amplıora aus drei Masken gebildet und auf der Mündung desselben noch eine Maske. Im Feld MOTIOAOI Puteoli. Tölk. VII Kl. 267.— Winckelm. V Kl. 164. Dieses zweihenklige Gefäfs, nicht Amphora, sondern Diota oder Kantharos zu benennen, ist ohne Zweifel denen nachgebildet welche aus der (*°') Panofka die griech. Eigennam. mit Kalos. Taf. II, 8. S. 33. ('?°) Vom Einflufs d. Gotth. auf d. Ortsnamen. Taf. III, 31. S. 33. Philos.- histor. Kl. 1851. Lil 450 Pınorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen feinen schwarzen Erde von Puteoli (15%) gearbeitet, mit solchen Köpfen in Relief — ähnlich den chiusinischen Gefäflsen (!%*) die aber von sehr roher schwarzer Erde sind — geschmückt waren. Höchst bezeichnend liegt sehr abweichend von den übrigen Köpfen, — nothwendig vier an der Zahl — auf der Mündung statt des Deckels eine Silenmaske. Diese dem Zecher Akratos (Paus. I, 2, 4.) zugehörig, (!?°) hätte hier um so weniger übersehen werden sollen, als dem Städtenamen HerıAcı, wie dem Wort worngıcv der Begriff des Trinkens (riwew, rorev) zum Grunde liegt. Sollte vielleicht das Bild dieser Gemme uns das Stadtwappen von Puteoli erhalten haben? 74. WASSERMANN ZWEI DIOTEN AUSGIESSEND: RHEGION. Taf. II, 25. Smaragd Plasma. Ein Jüngling mit einer Tunika und einer Art Toga (toga Graecanica) be- kleidet, hält in jeder Hand eine Diota, welche er beide zugleich umkehrt; zur Seite PHFTION. Wahrscheinlich ein Lokalgenius des an der Meerenge welche Italien und Si- cilien scheidet, gelegnen Rhegium. Tölk. III Kl. "1385.— L. Stephani in Köhlers Schrift „die geschnittnen Steine mit den Namen der Künstler” S. 2/19. äulsert: „Rhegium die geschenkte Sache im Aceusativ, wenn Tölkens Erklärung richtig ist.” Wiuckelm. II Kl. 1555. Eine Bacchantin stehend, hält in jeder Hand eine umgestürzte Vase, und unter dem linken Arm einen grofsen Krug; herum liest man PHFION. Meines Erachtens ist Rhegion hier wie Rhea von bew fliefsen abzu- leiten und Wassermann zu übersetzen: er vergegenwärtigt das Zeichen des Thierkreises amphora. Die für einen sonstigen Mundschenk höchst unstatt- hafte zu schwere Bekleidung erklärt sich aus seinem winterlichen Charak- ter. Denn Winter ist in Griechenland wie in Italien die Giefszeit xsıuwv, hyems: bei solcher Auffassung wird auch das Aufheben des langen Klei- des befriedigend motivirt. Rhegion gielst aus seinen Dioten Regen hinab, wie am Morgen jedes Tages die Eos aus ihren Hydrien Thau, ('?%) und wie auf einer nolanischen Diota eine Asvuxzarıa Deukalia überschriebne Frau als Personification der Sündfluth, Wasser aus ihrer Schale auf die Erde herab- ('#) Plin. N. H. XXXV, 12. vasa Cumana. Tibull. II, ıı, 48. ('%*) Vasen n. 1797, 98, 99, 1800, 1802 im kgl. Museum, jedoch nur mit einem Kopf in Relief am Hals. ('°) Mus. Borb. V, 282. (‘”°) Millingen anc. uned. Monum. Pl. VI. Panofka Griechinnen I, 1. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 451 giefst. (1?”) Nachdem ich den Cultus des Trophonius und Hereyna von Le- badea auf Münzen von Rhegium (!3°) nachgewiesen, und überdies der Stadt- name Lebadeia auf Asıßew spenden, giefsen hinweisend, mit dem von Rhegium, von gew flielsen herzuleiten, eine unleugbare Sinnverwandt- schaft verräth: dürfte es angemessen sein daran zu erinnern dafs im Hain des Trophonios zu Lebadea im Hieron der Demeter Europa auch ein Regen- Zeus, Zeus Hyetios der im Freien stand (Paus. IX, 36, 3.), verehrt wurde, welcher dem Begriffe nach als Regengeber mit dem Pyyıwv Rhegion über- schriebnen Wassermann unsrer Gemme zusammenfällt. Der von Winckelmann beschriebne grofse Krug ist nichts als eine Ver- letzung des Steins an dieser Stelle. 75. SCHIFF UNTER SEEGEL: RHE(GION). Taf. II, 26. Sardonyx von drei Lagen. Ein Schiff mit einem Mast und aufgespanntem Segel ohne Ruder; oben die Buchstaben FPH. Tölk. VII Kl. "s7”.— Winckelm. VIKI. 43. Zwei Ruder lassen sich deutlich erkennen. Die Inschrift lautet nicht FPH, sondern PHF offenbar für PHFION oder PHFINH Namen des Schiffs und seines Patrons der mit diesem Ring siegelte. 76. MEERDRACHEN: AGATO ACHRINI. Taf. I, 27. Karneol. Ein Seepferdchen AGATO ACRINI. Tölk. VIII Kl. 291.— Winckelm. II Kl. 489. Ein Meerungeheuer; um dasselbe die Inschritt AGATO ASRINI. Wir erkennen hier kein Seepferdchen, sondern einen Meerdrachen, eine Gattung Seeungeheuer die uns auch auf Erzmünzen von Syrakus be- gegnet. Von der Belehrung welche dieser Stein darbietet, haben beide Ar- chäologen keine Ahndung. Sie übersahen dafs Acrini hier die Bewohner der Stadt Akrae in Sicilien bezeichnen kann, welche Cicero Verrin. V, 43 ('°%) abweichend von dem griechischen Namen auf Münzen Axgamwv, Acrini nennt. Diese Stadt, eine Gründung von Syrakus, (Thuc. VI, 5.) zwischen der Metropole und Pachynum gelegen, verdankte ihren Namen Akrae ihrer unter allen Städten der Insel höchsten Lage. (*?”) Gargiulo Raccolta di Monum. del Mus. Borb. Vol. II, Taf. 41. (‘°®) S. m. Schrift Trophonioskultus in Rhegium, Abh. d. Akad. d. Wiss. 1848. S. 3, 9. ('?°) Sil. Ital. XIV, 207. L112 452 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Verschweigen dürfen wir indefs nicht dafs Plinius (N. H. III, 8, 14.) die Bewohner dieser sieilischen Stadt Akrae welche die Bergmutter Akraia vorzugsweise verehrte, nicht Acrini, sondern Acrenses nennt. Diese Rücksichten vermöchten fast unsre Aufmerksamkeit auf die autonome Stadt Akrisin Libyen zu lenken welche zur Zeit der Herrschaft des Agathokles, Eu- machos, der Legat seinesSohnes Archagathos, eroberte, und seinen Soldaten zur Plünderung Preis gab, nachdem er die Bewohner zu Sklaven verkauft hatte. (Diod. XX, 57.) Alleın es scheint uns doch gerathner dem sicilischen Akrae treu zu bleiben und anzunehmen, dafs Agatus sich um die Stadt verdient ge- macht hat und deshalb durch ein öffentliches Dekret oder sonstiges Monu- ment ausgezeichnet und belohnt worden, wovon die Inschrift des Siegelrings das Andenken bewahren soll. 77. TANZENDE VICTORIA MIT KRANZ UND PALME: AMMAIENSES. Taf. I, 28. Karneol. Victoria mit Kranz und Palmen; im Felde die Inschrift: AMMAIENSES. Tölk. IH Kl. *ı223..— Winckelm. II Kl. 1068. Dafs Ammaia eine Stadt in Mesopotamien hiefs erfahren wir durch Ptolemaeus V, 18 und 19. Die Bewohner vermuthe ich errichteten das Denkmal einer Victoria wie sie unsre Gemme in verkleinertem Maasstab zeigt, in Folge eines Sieges der der Stadt zum Heil gereichte, und mit aus- führlicher Inschrift auf dem Postament, wovon die Gemme wegen Enge des Raumes nur den Namen der Geber aufnehmen konnte. Ob der Inhaber des Siegelrings wenn nicht der Sieger selbst, doch ein Nachkomme des Siegers, oder nur ein Theilnehmer an der Schlacht gewesen, läst sich bei dem Mangel historischer Quellen und lapidarischer Monumente unmöglich bestimmen. 78. WOLF EIN FERKEL VERZEHREND, SAU MIT ZWEI ANDERN: GELO. Taf. II, 29. Gleicher Wolf auf einer Münze von Argos. Taf. III, 34. Karneol. Eine Sau mit Ferkeln, deren eins von einem Wolf verzehrt wird; daneben ein Baum, unten das Wort GELO. Tölk. VIII Kl. 123.— Winckelm. VII Kl. 55. übersah den Baum und las CELO.— Eins der wichtigsten Zeugnisse für die Bildersprache der Griechen liegt bis jetzt völlig werthlos und ungenutzt, obschon litterarische und bild- zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 453 liche Quellen den Sinn dieser Gemme vollständig aufzuhellen vermögen. Unter den Denkwürdigkeiten von Argos erwähnt Pausanias (Il, 19, 3.) ein Hieron des Apollo Lykios, dessen Schnitzbild und Naos Danaos aus fol- gendem Grunde weihte: „Als Danaosnach A rgos gekommen, stritt er um die Herrschaft mit des Sthenelas Sohn Gelanor; nachdem beide in der Volksversammlung viel verführerisches gesprochen und nicht weniger gerech- tes Gelänor zu sprechen geschienen, schob das Volk, heifst es, die Entschei- dung auf den folgenden Tag auf. BeiAnbruch des Tages stürzt auf die vor der Mauer weidende Rinderheerde ein Wolf, anhaltend kämpfte er gegen den Stier, den Anführer der Rinder. Die Argiver kommen überein mit die- sem den Gelanor, Danaos aber dem Wolf zu vergleichen weil weder dies Thier mit den Menschen zusammenlebt, noch Danaos bis zu jener Zeit. Da aber der Wolf den Stier bezwang, so bekam deshalb Danaos die Herrschaft. So nun in dem Glauben Apoll habe gegen die Rinderheerde den Wolf herbei- geführt, gründete er ein Hieron des Apollo Lykios (6). Vor dem Naos ist eine Basis mit dem Kampf eines Stieres und Wolfes in Relief, mit ihnen eine Jungfrau einen Stein gegen den Stier aufhebend; die Jungfrau halten sie für Artemis: Danaos hat dies geweiht.” Aus diesem Bericht entnehmen wir dafs der WolfdenDanaos, der Stier den Gelanor personifieirt und finden hie- mit in Übereinstimmung die Bildung des Flusses Gelas als Stier mit bärti- gem Menschenkopf auf Münzen der sicilischen Stadt Gela, ohne zu verken- nen dafs auch viele andre Flüsse in gleicher Mensch-Stiergestalt auf Werken der alten Kunst uns begegnen. Da indefs unsre Gemme einen Wolf nicht als siegreichen Gegner eines Stieres, sondern einer Sau uns vorführt, und der mit der Vorstellung gewifs nicht aufser Verbindung stehende Eigenname weder Gelanor, noch Gelas, sondern Gelo lautet: so müssen wir vielmehr einer von Aelian de nat. anim. XII, 1. umständlich erzählten Anekdote aus der Jugend des Gelon unsre Aufmerksamkeit zuwenden: „Als Gelon der Syracusaner noch ein Knabe war, sprang ein sehr grofser Wolf in die Schule und raubte mit den Zähnen aus dessen Händen die Schreibtafel (rav derrev). Gelon stand auf von seinem Sitz, verfolgte ihn, ohne Angst vor dem wilden Thiere und fest- haltend an seine Tafel. Als er aber aus der Schule heraus war, stürzte das Gebäude ein, und traf den Lehrer mit den Knaben; durch göttliche Vorse- hung ging Gelon allein unverlezt umher. Und was unglaublich erscheint, 454 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen nicht getödtet, sondern gerettet hat ihn der Wolf, indem die Götter nicht verschmähten selbst durch unvernünftige Wesen durch das eine das König- thum voraus zu verkünden, durch das andre vor nah bevorstehender Gefahr zu retten.” Wie in dieser Erzählung Aelian’s der Wolf dieSchreibtafel dere, so raubt auf unsrer Gemme der Wolf das Ferkel der Sau. Da aber Schwein sowohl als Ferkel bei den Griechen ö&Apaz hiefs, von derprs die Mutter, matrix herzuleiten, und auch grade diese Scene auf der Gemme uns unabhängig veranschaulicht wird: so trage ich kein Bedenken unser Bild mit dem vom Wolfe geraubten derpa£ als eine Variante der Aelianschen Er- zählüng zu betrachten und daran zu erinnern dafs in dem Mythos des Hera- kles im Hesperidengarten die (Aa nicht immer durch Apfel, sondern manch- mal auch durch springende Ziegen versinnlicht werden. Für die eigenthümliche Stellung des Wolfs auf unsrer Gemme ver- dient wegen überraschend ähnlicher Zeichnung (Taf. II, 34.) der Typus ei- ner Münze von Argos ('‘°) verglichen zu werden, da laut obigem Bericht des Pausanias der Wolf für Danaos gerade in Argos den durch den Stier vertretnen Gelanor angreift. 79. PORTRAIT VIELLEICHT EINES PHILOSOPHEN: HILARUS. N Karneol. Kopf mit sehr vernachlässigtem Haar und Bart, vielleicht um einen Cyniker darzustel- len; umber HILARI. Tölk. V Kl. *5..— Winckelm. IV Kl. 66: Kopf des Sokrates. Anfangs bezweifelte ich den antiken Charakter dieses Steins, zumal die im Hals angebrachte zweite Hälfte des Namens auf antiken Bildwerken jedenfalls zu den Seltenheiten gehören dürfte. Allein die Erwägung dals die Namensinschrift Hilari mit dem mehrfach aus schriftlichen Zeugnissen gesi- cherten Namen Hilarus sich wohl verträgt, bestimmte mich den Portraitkopf vielleicht eines Philosophen hier zu vermuthen; Köhler (Geschn. St. S. 77.) sieht hier mit Unrecht eine Maske in Profil welche ihn an den römischen Schauspieler M. Ofilius Hilarus (Pl. N. H. VII, 53, 34.) hinweist. Der Ringbesitzer hiefs Hilarus, wie denn eine griechische Inschrift (C. Inser. Gr. 6497.) einen Hilaros als Gemal einer Victorine, und eine römische bei Gru- ter 845. 10. einen T. Caesius Hilarus und Sex. Cassius Hilarinus anführt. (‘%) Rückseite Fisch; Archäol. Zeit. N. F. 1849. Taf. IX, 17. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 455 80. TRAGISCHE MASKE: APOLLONIDES. Taf. II, 31.— Tragische Maske ANAW. Taf. III, 21. Granat. Tragische Maske mit einem Diadem, umher der Name APOLLONIDES. Tölk. VII Kl. *310.— Winckelm. IL Kl. 1353. Eine Maske mit drei Haarlocken hinten und der Name des Steinschneiders APOLLONIDES. Hr. Raoul Rochette (Lettre aM. Schorn p. 120.) hält diesen Stein von mittelmäfsiger Arbeit für eine römische Kopie eines griechischen Werkes des berühmten Steinschneider Apollonides. Dafs der Name des Apolloni- des auf dieser Gemme schon wegen seiner grofsen Schrift den Ringbesitzer und zwar der Tragödie als Lebensberuf angehörig uns offenbart leuchtet ein: ob als Dichter, oder nur als Schauspieler, läst sich nicht mit Sicherheit be- stimmen. Derselbe mufs worauf sein Name schliefsen läst, ein Grieche von Geburt gewesen sein. Vielleicht ist eine Gemme des Wiener Cabinets (Taf. III, 21.) bisher als Apollokopf mit der griechischen Umschrift ANQA für ArwArwv gedeutet, (1%) demselben Apollonides zuzuweisen theils wegen der unverkennbaren dramatischen Maske mit gestickter Binde im Haar, theils weil die griechischen Buchstaben 5 n AMAW vielleicht für Aroarwrıdys zu lesen sind. ('°2) 81. BLINDER OEDIPUS: JU(NIUS) M(A)M(I)FER. Taf. II, 32. Achatonyx. Ein Greis geht gebückt an einem gehognen Stab (pedum:) das Insigne der Komödie, zur Seite die Inschrift V.MMFA. Tölk. VI Kl. 169.— Winckelm. II Kl. 1310. Ein Schauspieler gehend, hat einen Hirtenstab in der Hand; herum liest man die Buchstaben REMMV. Irre ich nicht, so stellt der Schauspieler einen Blinden vor, der nur mit Hülfe seines Krummstabs den Weg findet: an Oedipus oder Tiresias zu denken liegt um so näher, als in dem Gesicht keine komische Maske sich (°') Arneth in dem Prachtwerk ‚,‚die Kameen des K. K. Antikenkabinets zu Wien.” Taf. XX, 25. (‘°) Bracci Mem. T. 1, Tav. 27, p. 143. AMCANOY gelesen und auch von Millin und Vis- conti auf den Steinschneider den lezterer ANEAAOY liest, bezogen. Köhler (Geschn. St. S. 75.) protestirt gegen Künstlernamen mit Recht und versteht die Inschrift vom Ringbe- sitzer. Stephani S. 273. „Es scheint mir unzweifelhaft dafs die gegebnen Buchstaben- Linien nur von dem Unverstande entweder des Steinschneiders oder dessen der den Stein untersuchte, herrühren und dafs ihnen der Name ’Ars7775 zu Grunde liegt. (?) Einen zwei- ten Stein führt Clarac Cat. des art. p. 44 an” 456 Paworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen verräth, demnach auch der Krummstab nicht einem Komödianten grade an- zugehören braucht. Die Namensinschrift lese ich Ju(nius) M(a)M(i)fer und finde in dem Namen Mammifer den Grund eines Bettelsackträgers Oedipus genau so, wie ihn eine volcenter Kylix des Hieron (Monum. d. Instit. arch. Tom. II, Tav. 48.) uns bereits kennen gelehrt. Hinsicht des Namens Mam- mifer vermuthe ich dafs wie warres ein Gefäls in Form einer vollen Brust bezeichnete, so auch mamma für einen Schlauch und Sack gebraucht werden konnte. Vielleicht ist es nicht unnütz bei Gelegenheit dieser Gemme und der begleitenden Inschrift sich den Typus der Silberdenare der G. Mamilia ins Gedächtnifs zurückzurufen, insofern daselbst der vielgewanderte Odys- seus ebenfalls mit Wanderstab versehen bei der Heimkehr von seinem Hunde begrüfst wird und in dem Namen Ouöureeus die Beziehung dieses Heros zu Mamilius Limentanus zu suchen ist (s. m. Antike Weihgeschenke Taf. 1V,5. Abh. d.K. Ak. 1834.). 82. TÄNZERINN MIT KORB AN EINER BALANCIRSTANGE UND WEINTRAUBE: PHILOD(EMO) AGIL(I) Q(UINTUS) S(ORORI). Taf. 33 Karneol. Ein auf den Zehen stehender Mann trägt mit den Händen balancirend eine Stange auf der Schulter; umher die Inschrift PHILOD. AGILOS: das Siegel scheint sonach als Na- menallegorie gewählt zu sein. Tölk. VI Kl. *198.— Winckelm. V Kl. 242. Eine nackte Figur trägt einen ähnlichen Stock, wie das Skelett auf vorhergehendem Steine, auf der Schulter, und in der Linken eine Weintraube; herum liest man PHILOD. AGILOS. Agilos dürfte sprachlich nicht zu rechtfertigen sein, obwohl Hr. Töl- ken keinen Anstol[s nimmt ohne weiteres es wie agilis behende, beweglich aufzufassen. Auf der Gemme steht auch nicht OS sondern QS; ich vermu- the Philodemo Agili Quintus Sorori oder Salutem. Im Gegensatz mit Hrn. Tölken erkenne ich in der nackten, mit unzweifelhaften weiblichen Brüsten und einer Backenhaube mit Zipfel hinten oder Haarzopf versehnen Figur eine Seiltänzerin, für welche das Balanciren sowohl als der Name Asgilis sich eben so gut passt, als der an die Stange angebundne Korb und die Weintraube zu dem auf die Göttin des Erdsegens Demeter hinweisenden Namen-Philo- demos. Publicirt ward die Gemme bereits von Hrn. v. Olfers über ein merk- würdiges Grab in Kumae (Abh. d. Berlin. Akad. d. Wiss. 1830.) Taf. V, Fig. 5 und S. 37 folgendermalsen beschrieben: Figur mit einer helmartigen zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 457 Mütze trägt auf der Schulter eine einarmige Wage und in der rechten Hand etwas einer Traube ähnliches. Die Inschrift in schlecht geformten Buchsta- ben ist L.Q.S. PHILOD. AGI. 83. OPFERER MIT ENTE: NATIS. Taf. II, 34. Karneol. Ein alter Mann steht auf einen Stab gelehnt und mit übergeschlagnen Fülsen; er hält in der einen Hand einen unkenntlichen, indels sehr genau gearbeiteten Gegenstand, auf welchen er mit der andern Hand deutet; vielleicht ein Haruspex, ein Wahrsager aus den Eingeweiden der Opferthiere, besonders der Leber, womit das was er in Händen hat, Ähn- lichkeit hat. Zur Seite die hetrurische rückläufige Inschrift NAHIS, was mit dem latein. nasci, natus und der römischen Göttin Natio (a nascentibus nominata Cic. de nat. D. IM, 18.) verwandt zu sein scheint. Tölk. II Kl. 533;.— Winckelm. IT Kl. 1845. Karneol in Käferform. Ein Mensch mit einem Stock und einer Art Beutel, aus dem er etwas zu zie- hen scheint; neben ihm die Charaktere 2IFAN. Vielleicht ein Magier welcher das Loos zieht. Mir scheint die vermuthete Leber vielmehr eine der Federn entrupfte Ente zu sein die auf griechisch vyrra heifst und so auf den Namen Natis dorisch für Netis anspielen kann. Das hindert aber nicht dafs Herr Natis auch als Opferer oder als Wahrsager aus den Eingeweiden auf dieser Gemme erscheinen kann. 84. OPFERER MIT BOCKSKOPF UND KRUMMEN MESSER: C.ROSC. Taf. II, 33. Juno Lanuvina Kopf mit Ziegenfell, Rosei. Taf. III, 29. Ziegenbock MVP Münze von Pyrrha. Taf. III, 38. Karneol. Ein nackender Opferer, in gebückter Stellung, hält in der rechten Hand ein krummes Opfermesser, und falst mit der Linken eins der langen Hörner eines Bockskopfes neben ihm. Sowohl der blos imitirte althetrurische Styl, als auch die beigelügte lateinische In- schrift: C. Rose. welche ohne Zweifel den römischen Besitzer dieses Siegels anzeigt, be- weisen, dals dasselbe nicht wirklich den älteren Zeiten angehört. Tölk. II Kl. *ıs1. — Winckelm. II Kl. 1854. Diese Gemme wirft ein unerwartetes Licht auf die Münzen der Gens Roscia die mit dem Kopf der Ziegenfell-bekleideten Juno Lanuvina oder Ca- protina (s. Taf. III,29.) geschmückt sind. Denn einerseits läst sie auf einen Zu- sammenhang zwischen dem Namen Roscius und dem Ziegenbock schlie- fsen, weshalb auch eine Erzmünze der lesbischen Stadt Pyrrha (die Rothe) Philos.-histor. Kl. 1851. Mmm 458 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen einen Bock als Typus (Taf. III, 38.) trägt, (!°°) und andrerseits berechtigt sie zu der Vermuthung, der Bockskopf auf unsrer Gemmesei für die Ziegen -Juno bestimmt. (1%) Nachdem die röthliche Farbe des Bocks den Beinamen die- ser Götlin von Lanuvium hervorgerufen, ging der Name Roscius von der Göttin auch auf ihre Schützlinge über, daher wir ihn vorzugsweise in La- nuvium wo diese Caprotina ihren Hauptkultus hatte, antreffen. Dafs der berühmte römische Schauspieler Q. Roscius aus Lanuvium gebürtig war bezeugt Cicero Divin. I, 36. Indefs weder auf ihn, noch auf den Volkstri- bun L. Roseius Otho von dem die lex Roscia theatralis stammte dafs die equiles auf den vierzehn den Senatoren nächsten Stufen, von der plebs geson- dert safsen, dürfen wir das Siegel dieser Gemme beziehen deren Besitzer den Vornamen Lucius führte; doch stammte er wohl ebenfalls aus Lanuvium und bekleidete vielleicht eine Priesterwürde im Tempeldienst der Juno Lanuvina. 85. HIRT MIT EINER ZIEGE: DORIO. Taf. II, 36. Karneol. Ein Hirt melkt unter einem Baum am Boden sitzend eine Ziege. Zur Seite DORIO. Tölk. VI Kl. 42.— Winckelm. II Kl. 1501. Ein Faun der eine Ziege melkt. ‚ So sehr auch die Haltung von Hirt und Ziege der von Winckelmann vermutheten Handlung genau entspricht, (1%) so verbietet uns doch die Un- sichtbarkeit eines Eiters und Melkbechers ihr beizupflichten, dagegen veran- lasst ein über der mit einem Stirnband versehnen Stirn sichtbares Horn einen Faun hier zu vermuthen der mit einer Ziege spielt. Um den Zusammenhang zwischen dem Namen des Ringbesitzers Dorio und der Ziege zu erkennen, mu[s man sich vergegenwärtigen dals Acgıwv von degas herzuleiten, welches Hesychius durch depua mes@arou pellis Schaafsfell erläutert. Vgl. Hesych. v. Öeöpıs und v. öeggov und P. Diaconi Excerpta Festi IV, p. 70. ed. Müller: Ashgeıs Graeci appellant pelles naulicas quas nos vocamus segestria, wobei der lateinische Name Segesta für die sicilische Stadt Aryerra den besten Commentar zu liefern vermag. Hesychius erklärt ferner degides für Schlacht- messer zum Fellabziehen der Opferthiere. (!°6) (*°°) Vorderseite MYP Frauenkopf der Pyrrha. (Arch. Zeit. 1846. Taf. XLI, 25.) (‘%) Horat. Carm. I, ıv, 11. mit der Gemme Taf. IV, 4. unsrer Abhandlung. ('®) Mus. Pio Clem. Vol. IV, 14. Tav. XXVa. ('°) Vgl. Namen der Vasenbildner. S. 12. Not. 59. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 459 86. MANN MIT EINEM VOGEL: EIRENE. Taf. II, 37. Karneol. Ein römischer Pullarius unbekleidet, hält auf der linken Hand die Cavea auf welcher ein flatterndes Hühnchen sitzt, und in der Rechten einen Beutel mit Fulter: zur Seite die Inschrift EIPHNH. Tölk. II Kl. *1484.— Winckelm. II Kl. 1813. Ein Augur stehend, hält in der Rechten einen unbekannten Gegenstand mit einem Vogel, in der Linken einen Beutel. Winckelmanns „unbestimmten Gegenstand” ziehe ich dem „Käfig” des Hrn. Tölken vor. Denn Form sowohl als Umfang wiederstreiten dieser lez- teren Auffassung. Der Gegenstand worauf der Vogel tritt, gleicht vielmehr einem modernen Tassenkopf, und war vermuthlich gefüllt des Vogels Hun- ger oder Durst zu stillen. Was „den Beutel” anbelangt, so geräth man zu- erst auf den Gedanken er stelle vielmehr das andre Ende des über dem lin- ken Arm herabfallenden Gewandes dar, oder bezeichne eine Schlinge wo- mit der Vogel gefangen ward. In diesem Falle stände das Attribut im Ein- klang mit dem dicht dabei angebrachten Namen der Besitzerin Eigyvn, von eiow sero, neclo knüpfen herzuleiten; wie auch der Vogel, vielleicht eine Taube, jedenfalls ein zahmer Vogel, dem Friedensbegriff der Eirene zusagt. Zu lehrreichem Vergleich bietet sich eine Erzmünze von Pergamus (!°7) dar, einerseits der Kopf der Athene Jasonia mit Schlange davor und der Um- schrift Hegyanunvav; andrerseis einnackter Mann stehend, von vorn ge- sehen, mit einem Vogel aufder Hand; und der Umschrift Erı orga. I. Horruwvos, insofern der Name Pollio mit pollus, pullus ju nges Huhn zu- sammenhängend diesen eigenthümlichen Typus hervorrief. Stellt aber das Attribut in der Rechten des Mannes wirklich einen Beutel mit Futter vor, so wird es zweckmäfsig sein den Beutel in der Hand der Tyche und des Hermes sich ins Gedächtnifs zu rufen wo derselbe den Reichthum Aovres symbolisirt, zumal in Athen neben der Statue des Am- phiaraos die der Eirene mit dem Knaben Plutos im Arm (Paus. I, 8, 3.) aufgestellt war, und somit auch auf unsrer Gemme die Verbindung des sym- bolisirten Plutos mit Eirene nicht zurückzuweisen sein dürfte. Die Erfin- dung der Auspicien legt übrigens Plinius N. H. VII, 56. dem Tiresias bei, in Übereinstimmung mit Aeschylus Sept. c. Theb. v. 24-26. wo Eteokles (”) Mionn. D. I, p. 592, n. 525. M mm? 460 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen FR > m ’ . .. diesen Seher als Vogelnährer oiwvav Boryg der durch weissagende Vögel un- trügliche Kunst ausübt, bezeichnei. 87. MANNSFUSS, KINDESHAND: M. L. SA(LVIUS? ODER RAPION?). Taf, 11,38. Karneol. Ein Fuls und über demselben eine Hand, zur Seite die fragmentirte Inschrift M.L. SA.... Tölk. VIKI. 208.— Winckelm. V Kl. 233. Ein Fuls mit einer Hand, herum die Buchstaben M. L. S. A. Dafs Hand und Fufs nicht derselben Person angehören, sondern die Hand einem Kinde, und der Fuls einem Erwachsnen, verdiente eben so sehr Beachtung als die eigenthümliche Art wie die Hand dargestellt ist und die offenbar an die Handhaltung der Betenden erinnert. (!6%) Erwägt man zu- gleich dafs Glieder des menschlichen Körpers nach glücklicher Genesung in verschiedenstem Material ausgeführt in die Tempel der Heilgötter geschenkt wurden, so wird man der Vermuthung Gehör geben, ein Vater der mit sei- nem Kinde fahrend aus dem Wagen gestürzt war, selbst den rechten Fufs gebrochen, während sein Kind sich die rechte Hand verlezte, habe nach der Wiederherstellung zwei ex voto, nemlich die wieder gesunden Körpertheile dem Heilgott dargebracht. Nicht unmöglich dafs das Bild des Gottes in dem jetzt verstümmelten Theil der Gemme durch eine Schlange unter dem Fufs versinnbildet war. Die Inschrift lese ich Marcus (vielleicht Manius mit Be- zug auf die Hand) Lucius Salvius oder Sarapion, ('%) beides Namen die vom Heilgott ihren Ursprung entlehnten. An einen Künstler zu denken in dessen Werkstätte sich Füfse und Hand als Modelle aufgehängt finden, (!7°) verbietet sowohl der Umstand des nicht aufgehängt sein als der Mangel von Hammer oder sonstigen den Künst- ler andeutenden Werkzeugs. 88. Ein Schuh; CN. CAL(IGULA ODER IGARIUS). Taf. II, 39. Sardonyx von zwei Lagen. Ein Schub; oben die Inschrift CNL. Tölk. VII Kl. 143.— Win- ckelm. V Kl. 239. (‘°®) Vgl. R. Rochette Mon. ined. XLVII, 2. ('°) Maffei Mus. Ver. 249, 6. Gruter 740, 8. Vgl. Pellerin Melange de Med. I, pl. 23, p. 340. die Erzmünze mit dem Kopf der Cornelia Salonina und andrerseits menschlichem Fuls und Bein, Blitz darüber. ('”°) Gerhard Trinkschal. d. K. Mus. Taf. XII, XIII. Panofka Bilder ant. Leb. Taf. VIII, 5. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 461 Den horizontalen Strich der aus der ersten Hälfte des N zugleich ein A macht, übersahen beide Beschreiber: so blieb ihnen der Sinn des Bildes und sein Zusammenhang mit der Namensinschrift verborgen. Der Schuh nemlich heifst calıga. Der Name des Ringbesitzers lautete entweder CN (ejus) CAL(igula) oder CN(ejus) CAL(igarius) welchen lezteren Namen die Römer auch für Schuhmacher gebrauchten. 89. LAMPE IN FORM EINES SCHUHES: L. FUND(ANIUS). Taf. II, 40. Karneol. Ein Schuh; unter demselben die Inschrift L FVND. Tölk. VII Kl. 144.— Win- ckelm. V Kl. 89. Eine Lampe in Form eines Schuhs, und die Buchstahen L. FVND. Offenbar ist Winckelmanns Deutung die genauere und richtigere. Der Ringbesitzer hiefs Lucius Fundanius; auf den Vornamen Lucius spielt die Lampe ('’!) an, auf den Namen Fundanius der Schuh, da fundus der Grund, die Basis, auf griechisch zgrzıs heist, dieses aber wie crepida der Römer(!7?) bedeutete wohl auch den Schuh. Eine Rede des Cicero pro M. Fundanio erwähnt Servius zu Virgil. Georg. II, 342.; einen M. Fundanius Fundulus nennt Livius XXV, 2. und einen ©. Fundanius Fundulus als Consul a. u. c. DX1. bezeugen die Fasti Capitolini (Gruter p. 292. col. 1.). 90. ARMSPANGE: SPHELE. Taf. II, 41. Granat. Eine Fibula und auf derselben die Inschrift CPEAH. Tölk. VIIKI. 159.— Win- ckelm. V Kl. 247. Dals hier nicht von Fibula, sondern nur von einer Armspange die Rede sein kann, leuchtet auf den ersten Blick ein. Das Wort very erklärt Hesych. v. opeırcv und v. apnAcv durch Acfov, Fuzvev, eüzwwnrov. Der Begriff des hohlen tritt auch in arecs, aryAalev wieder hervor; es ist dasselbe Wort wie Yerriev und ist von odew, arew soviel wie rdiyyw herzuleiten. (173) Die Arm- spange wurde um den rechten Arm vorzugsweise getragen. (Hes. audıde£ia- Varrıe). (‘”') Lampe als Fufs. Mus. Borb. VI, 30, 3. 172) Apulej. Metam. XI, 8. Zum succinctum chlamyde crepides et venabula venatorem pulg), ıy fecerunt. (7) Etym. M. v. sipedavcs. 462 Panorza: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Die von Prof. O. Jahn (!7*) in des Plin N. H. XXXIV, 8, 19, 70. lange Zeit korrumpirten Stelle scharfsinnig wieder eingeführte Pseliumene, wohl richtiger Spelumene des Praxiteles stellt nichts andres vor als ein junges Mädchen das sich das Armband umzulegen in Begriff ist.— Sphele aber zu- gleich als Name der Ringbesitzerin anzusehen trage ich um so weniger Beden- ken, als schon Homer (!’5) einen Sphelos Sohn des Bukolos aus Athen, und Vater des Jasos anführt und ähnliche Personennamen wie Ring und Kette noch bei uns heutzutage vorkommen. 91. KRATER MIT LEOPARDEN STATT HENKELN: IN(UUS). rar 11242 Rother Jaspis. Ein Kantharosähnliches Gefäß, dessen Henkel durch zwei Mäuse gebildet werden, welche auf dem Rande desselben sitzen; neben dem Gefäls die Buchstaben IN. Tölk. VII Kl. *175.— Winckelm. V Kl. 144. Die Mäuse sind zwei Leoparden, nicht wirkliche, sondern metallene, welche der Künstler sinnig statt Henkel wegen ihrer Weinlust an die Mün- dung des nicht Kantharos, sondern ohne Zweifel Krater zu nennenden Wein- behälters heraufspringend bildete. Der Name des Besitzers der Gemme lau- tete Inuus: sein Siegel bezog sich entweder auf den Iyceischen Gott Pan der unter diesem Namen angerufen ward (Liv. I, 5. Arnob. 3, p. 113. Macrob. Sat. I, 22.) wegen des Bespringens aller Thiere ad ineundo passim cum om- nibus animalibus (Serv. ad Virg. Aen. VI, 775. Isid. Origg. VIII, 11. ad fin.), oder auf dieNympheIno, die Erzieherin des Weingottes Dionysos. 92. HIRTENGEFÄSS: Q. C. LATRO. Taf. II, 43. Gestreifter Sardonyx. Ein grolses Gefäls mit weiter Öffnung, mit Handgriffen am unteren Theil, zum Tragen desselben, wahrscheinlich ein Mischkrug (dupihogeus). Umher die Inschrift 0. C. LATRO. Tölk. VII Kl. 180..— Winckelm. V Kl. 99. Nach Beseitigung des Namen @uotpegevs den die Griechen nicht für Mischkrüge anzuwenden pflegten, leuchtet ein dafs dieses plumpe Gefäfs den Eindruck eines hölzernen oder irrdenen Hirtengefäfses zu Milch und Honig wie die r&%« (!7°) und »eren (177) gebraucht, macht. Vielleicht ent- ('”*) Archaeol. Zeit. N. F. 1850. N. 17. S. 192. Sillig Tom. V, p. 155. liest spilumenen. (7) Il. XV, 338. (7°) Panofka Recherch. sur les Noms d. Vas. Pl. IV, 66. pag. 27. (‘7’) Recherch. Pl. I, 21. pag. 12. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 463 spricht dieser plumpe und grofse Krater mit dem Namen Q. C. Latro in Verbindung, dem griechischen Mavns (7%) welcher Name ebenfalls einen Sklaven bezeichnet. Denn dafs Latro wie die weibliche Form Latris, mit dem griechischen Aargevw zusammenhängend, die dienende Person aus- drückt, beweist Properz IV, 7, 75: Deliciaeque meae Latris, cuinomen ab usu, Ne speculum dominae porrigat ille novae. Einen M. Porcius Latro, einen Spanier von Geburt, und sehr theuren Ge- nossen des M. Annaeus Seneca nennt Seneca Controv. I, 7, fin. Einen La- treus führt Ovid Metamorph. XII, 210sqq. unter Centauren auf. 93. URNE MIT LAUBGEWINDEN: L. VEG(ETIUS). Taf. II, 44. Karneol. Eine Amphora deren Rundung mit Laubgewinden verziert ist: unter dem Gefäls die Inschrift L. VEC. Tölk. VILKI. 231.— Winckelm. V Kl. 154. Die an Granatapfel erinnernde Deckelverzierung der enghalsigen ho- hen zweihenkligen Urne die nicht absichtslos am Bauch mit einer Blätterguir- lande geschmückt ist, spielt auf den Namen des Besitzers an, der nicht L. VEC sondern L. VEG d.i. Lucius Vegetius hiefs, erinnernd an den bekann- ten Schriftsteller de re militari Flavius Vegetius aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts n. Chr.. Diesem Namen der nur aus sehr später Zeit bis jetzt bekannt ist, entspricht auch das nichts weniger als geschmackvolle Gefäfs, welches in dem Ringbesitzer Lucius Vegetius vielleicht einen Vege- tationsbefördrer d. h. Gärtner uns offenbart. Zum Vergleich empfielt sich im Belvedere des Vatican „ein Cippus einer Castritia Vegentilla; links eine tiefe länglich viereckige Öffnung zur Libation; auf dem Deckel ein Ding wie ein halber Granatapfel” (n. 422. Gerhard d. vatikanische Museum S. 67.). 94. AMAZONE ZU PFERD: VON AULOS. Taf. II, 45. Blaue antike Paste. Ein bewaffneter Krieger mit rundem Argolischen Schild jagt in vollem Ros- seslauf, die eine Hand emporhebend; unten der Name AYAOY. Tölk. VI Kl. 11.— Winckelm. II Kl 978. übersah die Inschrift. Der Medusenkopf als Schildzeichen verdiente beschrieben zu werden, statt dessen war das Beiwort runde als überflüssig wegzulassen, indem argo- ('72) Rech. Pl. I, 15. pag. 10. p. 45. 464 Panxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen lische im Gegensatz mit boeotischen und anderen ebenrundeSchilde be- zeichnen. Was aber die Figur selbst anbelangt so scheint die Bekleidung, Beschuhung. und besondersdie in der erhobnen Rechten geschwungne Waffe, weder Lanze, noch Schwert, sondern nach der Art des Haltens nur Streitaxt, für die Amazonenfürstin Penthesilea zu sprechen für welche das Medusen- haupt als Schildenblem auch besonders passt. Sie erscheint im Beginn des Zweikampfs mit Achill, den so viele vorzügliche Vasenbilder mit der in glei- cher Stellung auftretenden Amazonenfürstin uns veranschaulichen. Der Name AYAOY in kleinen Buchstaben unter sprengendem Rofs läfst uns den berühmten Steinschneider Aulos als Erfinder dieser vorzügli- chen Arbeit kennen. 95. RENNER AUF VIERGESPANN: VON AULOS. Taf. II, 46. Violette antike Paste. Jagende Quadriga mit vorzüglich schöner Anordnung der Rosse; unten der Name AYAOY. Tölk. VIKI. 133.— Winckelm. V Kl. 43. übersah die Inschrift. Von demselben Künstler A ulos wie die gleiche Inschrift unter den Pferden lehrt, rührt auch dies noch weit bewundernswürdigere Kunstwerk her, lebhaft an die Medaillons der syrakusanischen Herrscher Hieron und Ge- lon erinnernd, aber zugleich auch nach dem Hain Altis zurückversetzend wo dergleichen Werke im Grofsen als Zeugnisse olympischer Sieger doppelte Bewundrung auf sich zogen. Wegen auffallender Ähnlichkeit der Pferde- haltung empfehlen sich vornemlich zum Vergleich eine Quadriga des Exake- stidas, eine des Eukleidas, und auch in Bezug auf die Stellung des Wagenlen- kers ein Viergespann des Euainetos auf einer Silbermünze von Katanea. ('79) 96. SIEGER ZU PFERD: AUROTHE(A). Taf. I, 47. Violette antike Paste. Reiter mit Palmzweig im schnellsten Lauf; umher ROTHELA. Tölk. VIKI. 121.— Winckelm. V Kl. 47. Dieser Sieger im Wettrennen vermuthlich in Apollinischen Spielen darf sich den schönen Geprägen tarentinischer Münzen gleichen Gegenstan- des dreist zur Seite stellen. Der bisher selbst noch von L. Stephani (!#) irrig Rothela gelesne Name lautet offenbar AYROTHE Aurothe für Au- (7) R. Rochette Lettre sur les graveurs des monnaies gr. Pl. II, 18. I,5 und I, 8. (‘°) Köhler d. geschn. Steine, S. 267. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 465 rothea und bezeichnet den Namen des siegenden Renners. Dafs dieser einen Namen führte der aussagt er laufe so schnell wie die Morgenluft aura, wird weniger befremden sobald wir uns vergegenwärtigen, dafs des Korinther Pheidolas berühmter siegender Renner der auch im Hain Altis in Olympia aufgestellt war, den gleichen Namen Aura (Paus. VI, 13, 5.) führte. 97. SIEGERHAND MIT GELDPREIS EINES SILBERDENARS DAR- STELLEND EINEN SIEGENDEN RENNER L. PISO FR(UGI;: UNTEN PRO TIG(RI). Taf. II, 48. Silberdenar der Gens Calpurnia mit ähnlicher Vorstellung und andrerseits lorbeerbekränztem Apollokopf. Taf. III, 37. Gelbe antike Paste. Eine Hand hält zwischen den Fingern eine Münze, worauf ein Reiter mit einem Palmzweig auf jagendem Rols dargestellt ist, umgeben von der Inschrift L. PISO. FR. Unter jener Hand der Name P. ROTIG. Tölk. VIKI. 207.— Winckelm. V Kl. 234. Eine Hand hält eine Münze auf der man einen Amor zu Pferde sieht, und den Namen L. PISO. F. Unter der Vorstellung liest man P. ROTIC. Ist es zu viel gefordert wenn wir vom Direktor des Münzkabinets er- warteten er würde bei Beschreibung dieser Gemme hinzufügen, die Münze welche die Hand hält, gehöre der Gens Calpurnia ('°') an, deren Denare einerseits einen Wettrenner mit Palmzweig auf sprengendem Pferd und die Inschrift L. PISO FRVGI und andrerseits einen Lorbeerbekränzten auf Apoll gedeuteten Kopf (s. Taf. III, 37. nach einem schönen Exemplar des kgl. Mus.) zeigen? Riccio a. a. Ö. p. 35. bemerkt bei der Publication dieser Münzen: „alle diese Denare gehören dem L. Piso, Sohn desL. und Enkel des C. Er prägte sie in seiner Quästur gegen 551 zu Ehren des Grofsvaters, wel- cher Praetor Urbanus war, und die decursiones und ludi Apollinares er- neuend, vom Senat die jährliche pompöse Feier derselben beschliefsen liefs: daher der Apollkopf auf der Rückseite.” Dr. Pinder die antiken Münzen des kgl. Mus. S. 107. no. 527. äulsert: „durch diese Münzen des Lucius Calpurnius Piso Frugi und seines Sohnes Gajus werden die ludi Apollinares verherrlicht, deren alljährliche Feier auf Veranlassung des Praetor Calpur- nius im Jahre 543 beschlossen wurde.” Die Hand muste übermäfsig grofs ausfallen damit die Einzelheiten auf dem Typus der von ihr gehaltnen Münze, (‘°!) Riccio le Mon. d. ant. Fam. di Roma. Tav. X, 6. Philos.- histor. Kl. 1851. Non 466 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Bild und Inschriften, deutlich würden: sie verräth aber genauer betrachtet Roheit und dafs sie keinem vornehmen Manne zuzumuthen ist. Wem gehört aber die Hand? und was bedeutet diese in ihrer Art einzige Gemmenvorstel- lung? Die Hand ist meines Erachtens die des Reitknechts als Siegers im Wettrennen. Dieser Gemme verdanken wir aber zugleich die interressante Notiz dafs diese Wettrennen zu Ehren des Apoll die L. Piso erneuerte, ein @ywv agyugirns, ludi argentari, waren, indem die Sieger Silberdenare mit diesem Gepräge als Siegespreis empfingen. Es wird angemessen sein daran zu erin- nern dafs schon in Griechenland, und zwar in Pellene Apoll mit dem Bei- namen Theoxenios an seinen Festen die Sieger in den Wettspielen mit Sil- bermünzen belohnte (Paus. VII, 27, 1.). Wie stimmt diese Auslegung aber zu der von meinen Vorgängern falsch gelesnen Inschrift? PROTIG kann man anfangs versucht werden für Protigenes auszulegen und auf den Sieger und Ringbesitzer zu beziehen. Schade nur das diese Form sprachwidrig ist in- dem nur Protogenes und Protogeneia als Namen vorkommen. Beherzigen wir die im Laufe dieser Arbeit schon öfter gewonnene Er- fahrung dafs bei Gemmen von Rennern der Name des Rosses das wichtigste ist und daher oft verewigt wird ohne Beifügung des Namens seines Reiters: so eröffnet sich fur die Inschrift Protig ein neues und unzweifelhaftes Licht, indem sie pro Tigri für den Tiger zu übersetzen, d.i. für das Pferd wel- ches wegen seiner ungemeinen Schnelligkeit diesen Namen Tigris führte, und deshalb auch auf der Münze in Gestalt und Bewegung sehr Tigerähnlich erscheint. Zur Unterstützung meiner Auslegung bemerke ich noch dafs Tig- ris bei den Medern und Armeniern Pfeil bedeutet, (!%?) und dafs die rei- fsende Schnelligkeit welche Horaz (Od. IV, 14, 46.) und Lucan (V, 405.) an dem Tiger hervorheben, den Namen Tigris wie für einen Jagdhund bei Ovid (Metam. III, 217.), so für ein pfeilschnelles Pferd wie das unsrer Glas- Paste, zu motiviren vermochte. Wer aber noch an der Richtigkeit unsrer Auslegung zweifeln sollte, dem rufen wir des Martial Vers VII, 6. mit Be- zug auf Renner im Circus ins Gedächtnifs: an Tigris Passerinus. Ähnlich hiefs der siegende Renner der Söhne des Pheidolas, ein Weihge- (‘*°) Varro L. L./IV,20.Plin.HY N. VI,27,31: zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 467 schenk zu Olympia, wegen seiner Schnelläufigkeit Auzos Wolf (Paus. VI, 13, 10.). 98. RENNER IM CIRCUS: PITIKINNAS. Taf. II, 49. Chalcedon. Ein Reiter mit einer Peitsche in der Hand, auf einem Rennpferde, welches einen Palmzweig im Maule trägt; oben der Name MITIKINNAC. Tölk. VI Kl. *122.— Win- ckelm. V Kl. 46. Der Schurz um den Leib weist auf Wettrennen im Circus hin: der merkwürdige Name Ikrızwvas gehört vielleicht zu demselben Stamm wie mıruAsvew die Hände schnell bewegen im Rudern, überhaupt sich rühren, thätig sein, und gehört wahrscheinlicher dem Rofs als dem Reiter an. 99. SIEGER AUF RENNENDEM VIERGESPANN: SALL(ONIOS). rar. Ill, 3. Rother Jaspis. Jagende Quadriga deren Lenker einen Kranz und einen Palmzweig hält; oben der Name CAVV. Tölk. VI Kl. 137.— Winckelm. II Kl. 1091. Victoria auf einer Quadriga und die Buchstaben CAVV. Wäre die Inschrift mit lateinischen Buchstaben geschrieben, so liefse sie am natürlichsten sich Sallustius ergänzen und auf den siegreichen Len- ker des Viergespanns der sich dieses Steins zum Siegeln bediente, bezie- hen. Die griechischen Buchstaben bestimmen uns aber entweder ZaArev- nos zu ergänzen, — ein Eigenname von der messapischen Stadt Sarrevriz (St. Byz.) herzuleiten — oder Zarrovıcs, den ein Epigramma adespoton der Anthologia Palatina (‘*°) uns als Mannsnamen kennen lehrt, und diesen Sallonios für den Sieger im Weltrennen und Besitzer dieses Siegelrings zu erklären. 100. SIEGER AUF ZWÖLFGESPANN IM CIRCUS. STESAS. Dar zul, 1. Violette anlike Paste. Eine ähnliche Darstellung wo der Aurigator zwölf jagende Rosse in einer Fronte lenkt; er hält einen Kranz in der Hand empor und eine heranschwebende ge- flügelte Victoria mit dem Palmzweige setzt ihm einen zweiten Kranz aufs Haupt; umher der Name STESAS, rchtlfg. Tölk. VI Kl. 139.— Winckelm. V Kl. 51. ohne Angabe der Inschrift. (‘*°) ad 169. (Append. 282.) ed. Tauchnitz. Nnn2 468 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Der Aurigator der ludi Circenses stellt einen Griechen vor; denn der Name Stesas ist offenbar griechisch: eine volcenter Amphora des Exekias lehrt uns einen Stesias als Besitzer des Gefälses kennen, wegen des Bildes der Rückseite vielleicht als Sieger im Wettlauf zu Viergespann. (13*) 101. SIEGER AUF VIERGESPANN IM CIRCUS: SCORPIANUS. Daf. II1,,2, Heliotrop. Jagende Quadriga, deren Lenker einen Kranz und einen Palmzweig hält; im Felde der Name Scorpianus, welcher wahrscheinlich den siegreichen Aurigator selbst anzeigt, denen bei der Liebe der Römer für die Rennspiele und die Partheiungen des Circus sogar Statuen errichtet wurden. Tölk. VI Kl. *136..— Winckelm. V Kl. 41. Ein Mann lenkt einen von vier Pferden gezognen Wagen und hält in der Rechten einen Kranz, in der Linken einen Palmzweig; herum liest man die Inschrift Scorpianus. Sxogriavos giebt Herodian bei Stephanus Byz. s. v. als Volksname an: davon entstand später wie so häufig, der Personenname. 102. LIEGENDER LÖWE: LIMEN ANICETUS. Taf. III, 5. Achatonyx. Ein liegender Löwe: umher LIMEN ANICETVS. Tölk. VIII Kl. s.— Win- ckelm. VII Kl. 93. Dafs liegende Löwen am Eingang der Tempel nicht blos in Egypten, sondern auch in Griechenland die Stelle von Tempelwächtern vertraten ist allbekannt: mit Bezug hierauf wird dieser Löwe, das unbesiegbare Thier, treffend unbesiegbare Schwelle genannt. Den Dienst welchen der Hund als Wächter am Eingang dem Privathause leistet, versieht der Löwe an der Schwelle des Tempels, so dafs Zimen anicetus und care canem als sehr sinn- verwandte Inschriften sich empfehlen. Das griechische Wort Anicetus @i- »nros statt des lateinischen inszcius hier anzutreffen weiset auf eine Stadt hin wo beide Sprachen gleichzeitig im Handel und Wandel ihre Geltung hatten; nicht unmöglich dafs der Ringbesitzer zugleich Anicetus hiefs, wie C. Julius Anicetus der dem Sol eine ara weihte. (!°°) Noch befremdender aber ist ("**) Gerhard Auserlesne Vasenbilder II, CVIIL. Panofka Namen der Vasenbildner. Taf. 10 506 ('*) Gruter Thes. Inser. lat. T.I, p. 33. 1. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. FVien. 469 die Endung Anicetus statt Anicetum, da limen dem Geschlecht nach nicht masculinum im Lateinischen ist. Der Sprachfehler liefse sich leicht beseitigen indem wir auch Zimen als griechisches Wort Au» Hafen, nur mit lateini- schen Lettern geschrieben wie @vixnres auffassten. Allein dann entgeht uns die Ideenverknüpfung zwischen Inschrift und Bild durchaus, zumal liegende Löwen wohl weniger als andre Thiere bei griechischen Häfen ihre Stelle fanden. 103. LIEGENDER WOLFSHUND: CAVE LUCO. Taf. II, 6. Karneol. Ein liegender Wolf: über und vor ihm die Inschrift C. AVE. IVC, unten C. Tölk. VIII Kl. 43.— Winckelm. VII Kl.73. Ein Wolf liegend und der Name C. GAVERIVS. Der Wolf scheint wegen des Schwanzes und mit Rücksicht auf die Inschrift wohl eher ein Hund von der Gattung derer welche den Namen Avdxos ihrer Ähnlichkeit mit dem Wolfe verdankten. (!*%) Zufolge einer Glosse des Hesychius heifsen die Wölfe die Hunde der Nacht. Dafs übrigens Hunde selbst den Eigennamen Avxos Wolf führen konnten, bezeugt ein Hundename Auzas bei Simonides 59. (App. 84.). Die von beiden Beschreibern so arg verkannte Inschrift Cave Luco nimm dieh in Acht vor dem Wolfshund erinnert an die Inschrift Cave canem bei einem Hund an der Kette auf einem Mosaikfufsboden im Atrium eines pompejanischen Hauses. Dafs der Hund Lucus, nicht Lupus hiefs weist auf denselben gleichzeitigen Gebrauch grie- chischer und römischer Sprache hin, den wir bei n. 102. wahrnahmen. 4104. FUCHS AUF EINEN RATHSSTUHL KLETTERND: Kowa ev Bawr. Taf I, 14: Ähnlicher Stuhl auf Münzen von Larissa. Taf. III, 24. Chalcedon. Ein Fuchs, auf einen Stuhl gestiegen, versucht noch höher zu klettern; unten die Inschrift: KOINA EN BAIWN rchilfg. welche eine satyrische Bedeutung zu haben scheint. („zu Bajae ist diesgewöhnlich”). Tölk. VIII Kl. 51..— Winckelm. VII Kl. 66. Ein Fuchs auf einem Gestell mit der Inschrift KOINA EN BAIWN. Dafs auch diesmal Winckelmann indem er schwieg, sich als gröfserer philosophus bewährt denn Hr. Tölken der mit solchem Beispiel von griechi- scher Sprach- und Bilderkenntnifs hervortritt, wird niemand in Abrede stel- len. Der Stuhl ist kein gewöhnlicher Stuhl, sondern ein Obrigkeits- x (ap)ekles: vuzregivor #Uvss’ 0i Auzcı. 470 Panworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen stuhl, Sgcvos, der Sitz des Zeus, der Könige die von Zeus stammen, und der Richter: dies beweisen am bündigsten die Münzen, sowohl die von Diocaesarea in Cilieien wo ein Blitz, Attribut des Zeus, auf solchem Throne liegt während zwei Löwen, Symbol des Königthums, denselben umgeben, ('°7) als die von Larissa (Taf. 111,24.) mit gleichem leeren Thron, ('?®) und die von Ainos, (!*?) wo ein ähnlicher Thron, bisweilen mit dem Idol der Hestia darauf und ein Caduceus davor, (!%°) die Rathsversammlung bezeichnet. Für unsrer Gemme Erkärung ist aber besonders eine Erzmünze von Tarsos wichtig, ei- nen gleichen Thron zeigend worauf Athene sitzt den Stein vor sich in einen Kados werfend mit der Umschrift zowoßourev ereu$ Tapre(ws). (1?!) Dieser Rathssessel repräsentirt demnach die Commune, zcwa. Auf diesen klettert ein Fuchs herauf als wollte er Königsstuhl oder Präsidentenstelle ein- nehmen, und was völlig übersehen ward, dann (die Versammlung) mit einer Rede beglücken. Im Einklang mit dieser Vorstellung lautet die Inschrift: in dieCommuneeindringend xewa ev Bawwv wahrscheinlich verschrieben für eußarov. Denn obwohl Zußarav und Eußursiwv so gut wie &ußamwwv in der Regel mit dem Dativ, also hier xeweis, konstruirt wird, so ermangelt doch die Verbindung von Eußamvwv, eußarav mit dem Accusativ, wenn gleich vor- zugsweise poetisch, nicht gänzlich gewichtiger Belege: Pind. Nem. X1, 44. «Ar Eumav Eyadavopiais ußawvousv. Eurip. Rhes. v. 225. vauv &ußarsvwv. Heraclid. v. 875. xAngeus dußarevrerSe %,Sovos. Eußareız hiefs die Besitznehmung des verpfändeten Grundstücks (Anecd. Bekkeri p. 249. und Etym. M. wo be- (7) Vaillant Recueil d. Med. d. peupl. T. IH, p. 252. Suppl. Pl. CXXXV, 1. Rv. Kopf des M. Jul. Philippus (des Sohns). (*®®) Vaillant Rec. d. Med. T.II, p. 172. Europa Pl. XX VII, 25. Rıv. Lorbeerbekränzter Jupiterkopf. (*®?) Der Stadtname bedeutet Rath: vgl. m. Abh. Einflufs der Gottheiten auf die Orts- namen II, S. 3. (9) Awıov. Vorders. Hermeskopf; Goldm. (Ackermann Numismat. Chronicle Vol. III, July 4840 - Jan. 1841. Plat. ad p. 102. Fig. 1.) Diesen Thron erklärt Borell für eine Wein- presse, Allier de Haute Roche bei Dumersan (Descr. d. med. p. 21. Pl. III, 3.) für ein „moulin a broyer le grain.” (*') Auf der Vorderseite Kopf des M. Aur. Sever. Antoninus Augustus. (Ackermann Nu- mism. Chronicle T. IX, 40.) zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 471 merkt ist dafs späterhin dafür &ußadia gesagt ward). Vergleicht man mit die- ser Gemme des Peisthetäros Worte in des Aristophanes Vögeln V. 691-653: op« vov ws &v AlTwrou Aoyoıs ETTiv Aeyanevov 4 TI, Tv aA TEN, WS PAaupws EKOLVWVNTEV ETW More. Sieh jetzt wie in den Fabeln des Aesop Etwas erzählt wird, dafs dereinst der Fuchs mitdem Adlerschlechtdie Theilung machte: so möchte man glauben der Stuhl sei ein Symbol des Praesidium das früher der Adler als Qarırevs inne hatte, bis der Fuchs ihm eine Theilung vorschla- gend ihn verdrängte. 105. ZWEI STÖRCHE: ZOSIMUS. Taf. III, 7. Rother Jaspis. Zwei Tauben, über denselben der Name: Zosimus. Tölk. VIII Kl. 258 — Win- ckelm. VII Kl.206. Antike Paste. Zwei Tauben; über denselben der Name Zosimus. Nicht Tauben, sondern Störche rsragyar ('??) erblicken wir auf dieser Gemme, die Sinnbilder der Pietas, wie Griechen und Römer, so gut wie Agypter (Aelian de nat. anim. X, 16.) diese Vögel als besonders fromm, eürsßeis, hochschätzen, da sie sowohl für ihre Jungen zärtlich sorgen, als ihre Eltern im Alter auf ihren Fittigen tragen, pflegen und in Ehren halten (Ael. III, 23. XI, 30.). Der Name Zosimus bedeutet vitalis, derleben kann, und steht ge- wifs mit diesem schönen Zug der Störche als Lebengeber (!%) und Le- (2) Über die Natur dieser Vögel verdanke ich meinem Collegen Hrn. Dr. Peters fol- gende Belehrung: „Ähnlichkeit im Kopf mit einem Geier, aber die unbefiederten Beine und der grade Schnabel entfernen ihn davon. Auerhahn und Trappe haben kurze Schnä- bel, ersterer auch befiederte Fülse. Es bleibt nur die Wahl zwischen Kranich und Storch; und ich möchte die beiden Vögel am meisten mit unserm gewöhnlichen Storch (ciconia alba) vergleichen, mit dem auch der abgegrenzte (weilse) Spiegel der Flügel gegen die schwarzen Schwanzfedern welche den kurzen Schwanz bedecken, am meisten übereinstim- men würde.” ('”) Vgl. den Storch mit der Umschrift Kudızyvuv und auf der Rückseite den jJugend- lichen Kopf mit Binde des Kvfızos auf Erzmünzen von Kyzikos, (Vaillant Rec. d. Med. Tom. I, p. 52. Asie. pl. XLIII.) da diese Stadt wegen ihres mit Geburt zusammenhän- genden Namens auch durch den Cultus der Geburtsgöttin sich auszeichnet. Die Liee des Storchesals Lebenbringer spricht sich auch meines Erachtens in dem Mythos aus wonach 472 Panorxa: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen benerhalter, in enger Verbindung zumal sie auch überdies ein hohes Alter erreichen. Einen Zosimos, Sohn des Önesiphon, und seiner Gemalin Treito- nis die für ihren Sohn ein exvoto an Aesculap und Hygia schenkten, lehrt eine griechische Inschrift bei Gruter (I, p. LXIX, 1.), einen caelator M. Canulejus Zosimus eine andre Inschrift bei demselben (p. 639, 12.), und einen P. Tossius Zosimus eine römische bei Maffei (Mus. Ver. 81, 2.) uns kennen. 106. PFERDHAHN MIT MENSCHENGESICHT, ANSTATT DES OHRES WIDDERKOPF MIT ÄHRE: LONGOS. Taf. IH, 8. Karneol. Ein Hahn mit einem Menschengesicht auf der Brust, und dessen Schweif aus einem Widderkopf mit Ähren im Schnabel gebildet wird; mit dem Namen AOFTOC. Tölk. VIII Kl. *270.— Winckelm. VII Kl. 237. Ein Hahn mit einem Pferdekopf, mit einem Menschengesicht am Vordertheil des Körpers mit aus einem Widderkopf gebildeten Flü- geln der eine Ähre trägt, mit den Buchstaben AOTTOC.— Offenbar vollständiger und richtiger beschrieben. Zu Gunsten der Symbole des Widderkopfes und der Ähren auf dem Ring desLongus Aoyyss, dürfte der Vergleich der Münztypen der sieilischen Stadt Longone zu empfehlen sein, insofern eine kleine Silbermünze dieser Stadt einen unbärtigen Kopf mit Bockshörnern und auf der Rückseite ei- nen Herculeskopf mit Löwenfell, eine andze Münze in Erz, ebenfalls im britti- schen Museum, einerseits eine tragische Maske, andrerseits ein in Bocks- kopf ausgehendes, mit einer Pyramis und zwei Weintrauben gefülltes Füll- horn, daneben AOF zeigt; vielleicht derselbe Münztypus den Mionnet Deser. d. Med. I, 250, n. 353. etwas abweichend also beschreibt: Unbärtiger Kopf mit Binde r. Rv. AOF Füllhorn. Wenn andrerseits Aayyalw zaudern, furchtsam sein und fliehen, mit dem von Aeschylus ('?*) vom Pferde gebrauchten Aoyyalı gleichbedeutend ist, so wird unsre Aufmerksamkeit auf den von Hrn. Tölken unbeschriebnen Pferdekopf in Beziehung zu Aoyyos gerichtet. Auf ähnliche Weise entlehnte der römische Familienbeiname Longus der Lange seinen Ursprung von der Gestalt des Körpers (Quintil I, 4. und I, 6.): so erwähnt Livius XXI, 6. des Laomedon Tochter Antigone weil sie an Gestalt der Juno (wohl Lucina) sich zu mes- sen wagte, von dieser in einen Storch verwandelt ward (Ovid. Metam. VI, 93.).— Hesych. Zagızes- EmiTerov merapyav. v. Zagoüv zaTevdsır. (%) Poll. IX. 136. Aristophan. Phrynichi Bekk. p. 51. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 473 einen T. Sempronius Longus. Dafs die phantastische Thiergestalt unsrer Gemme übrigens ebenfalls den Eindruck einer langen longus macht, leuch- tet von selbst ein. 107. SQUILLENKREBS: ELP(IS) KAL(E). Taf. II, 13. Sardonyx von drei Lagen. Ein Meerkrebs mit der Inschrift EAMI KAA. Tölk. VIIL Kl. *317.— Winckelm. II Kl. 511. Eine Art Meerkrebs und die Inschrift KAAZAN. Diese Gattung langer und kleiner Seekrebse hiefs zaunagos, auch rapis squilla ('°°) der Squillenkrebs, auf französisch creveite. Ubersehen ward dafs er hier etwas erschnappt hat. Wie hier EAzıs mit dem nauuagos in Verbin- dung erscheint, so begegnen wir auf schönen Münztypen der sicilischen Stadt Kamarina('?°) der Aphrodite Euploia die ich ({%”) alsHoffnungbringerin "EAriönpesos auf Erzmünzen der aeolischen Stadt Kymae nachgewiesen habe. Eine Inschrift mit EArıs Maizyviavyn ward nah bei Aricia ausgegraben. Eine römische Inschrift (Gruter p. XCVI, 9.) Cuninae Feliei Sacr. Claudia Hel- pis d. d. läfst eine Claudia Elpis der Wiegengöttin die von den kleinen Kin- dern den fascinus (die Berufung) abwehrte, einen Altar widmen. Sollte die Binde fasciae im Maul des Krebses sich auf die Bindengöttin Ilithyia, die Cunina der Römer beziehen? 108. MAUS MIT BRÖDCHEN: MNESTHE THEOGENEIS. Taf. II, 12. Dieselbe auf dreifüßsigem Tisch, Mondsichel zwischen zwei Sternen drüber. Taf. II, 15. Dieselbe auf einem Lychnos. Taf. III, 16. Rother Jaspis. Eine Maus an einem Brötchen nagend, umher die Inschrift MNHCOH OEO- TENEIC. Tölk. VIII "145.— Winckelm. VII Kl. 118. Eine an einem Gegenstande nagende Maus mit. der Umschriftt MNHCOHOEOFENEIC.— Stephani (Köhler Ge- schn. St. S. 248.) erklärt es wie auf grölseren Steinschriften für Eur, als Zuruf an die beschenkte Person und auch wohl eine Antwort auf ein uvnuovsve. Osoyeveis erkläre ich mir als dichterische Femininform von @eoyeuns (198) und bemerke hinsicht dieses lezteren dafs Harpocration v. @eoysiruv (Gott- nachbar) uns unterrichtet, Einige hätten denselben ©ecyevas (Gottgeboren) (3) Hes. v. Kaaagous" ZguSgas zugldas. ('”) Torremuzza Sicil. vet. num. Tab. XVIII, 2. (‘?”) Antikenschau S.16. n. 6. ('”) Wenn im Orakelspruch die Mäuse yyyeveis genannt werden, so kann ®eoyersis von Thea d.i. Ge geboren bedeuten. Philos.-histor. Kl. 1851. ÖOoo 474 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen genannt. Mvnr-Sn scheint verschrieben für Mvyrrn: „an Mneste schenkt den Ring Theogeneis.” So wird eine Aedia Mneste bei Gruter Inser. 750, 10. erwähnt. Hinsicht des Gegenstandes läfst sich an das Sprüchwort Jlomae mures molam lingunt (Seneca de morte C. Caes.) appelliren, und hiemit ein Carneol der Frau Prof. Gerhard (s. Taf. IIl, 16.) zusammenstellen, der eine Maus mit einem Brötchen auf einem Candelaber, Symbol der Nacht, uns vergegenwärtigt. Gestützt auf Mondsichel zwischen zwei Sternen, un- zweifelhafte Bezeichnung der Nacht, deute ich auf gleiche Weise eine Brot- nagende Maus mitten auf einem dreifüfsigen Schenktisch (s. Taf. III, 15. Nicolo des Prof. Gerhard), ohne zu verschweigen dafs diese Gemme, weil man ihren dreifüfsigen Tisch als apollinischen Dreifufs auffafste, ob- schon für diesen der tiefe Kessel Ae@ys unentbehrlich ist, bisher mit dem trojanischen Cultus des Apollo Sminthius in Hamaxitos in Troas (Ael. nat. anim. XII, 5. Strab. XIII, 604.) in Verbindung gesetzt ward. Der Mäuse Weissagungsfähigkeit lälst sich aber um so weniger in Zweifel ziehen als Aelian Var. Hist. I, 11. sie ausdrücklich bezeugt (vgl. Plin. N. H. VII, 57.). ZAUBERRINGE. 109. AUFSTEIGENDE EIDECHSE: LUMINA RESTIFUTA.TAETIE 9. Achatonyx. Eine Eidechse; umher die Inschrift LVMINA RESTITVTA. Toölk. VII Kl. *328.— Winckelm. VII Kl. 124.— Schon in meiner Antikenschau wo ich diese Gemme publicirte, Er- läuterungstaf. n. 11, rügte ich S. 20, dafs die Beschreiber weder eine Über- setzung wiederhergestellte Augenlichter beifügten, noch ahndeten die Richtung der Eidechse von unten nach oben ans Licht kommend, stehe insofern mit der Inschrift schon im Einklang,. als dieses Thier, ein echter Lichtfreund, (1%) mit Wiederkehr von Tageslänge und Sonnenwärme seine winterliche Erdwohnung verläfst und deshalb die Rückkehr des Frühlings bezeichnet. Den Zusammenhang zwischen Inschrift und Vorstellung offenbart auf die befriedigendste Weise Aelian de Nat. anim. L. V, c. 47: „Als ein Mann eine Eidechse von jenen sehr grünfarbigen und gröfseren erfasst, mit einem (9) Welcker das Bonner Kunstmuseum N. 28. Apollo Sauroctonus. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 475 ehernen Griffel geblendet und in einen frischen thönernen Topf mit kleiren Löchern zum Luftschöpfen, aber nicht zum Entschlüpfen hineingeworfen hatte, schüttete er sehr thonfeuchte Erde darüber, legte ein Kraut, dessen Namen er nicht erklärte, und einen eisernen Ring mit einem Achat, woraufeine Eidechse geschnitten war, mit hinein, und vergrub den Topf, nachdem er neun Siegel aufgedrückt hatte, von denen er täglich eins wieder abnahm. Als er mit Beseitigung des lezten den Topf wieder öffnete, nahm Aelian wahr, dafs die Eidechse wieder sah und schärfere Au- gen hatteals die früheren. Das Thier ward wieder freigelassen woher es gekommen: jenen Ring aber erklärte der Mann, der dies gemacht hatte, für gut gegen Augenübel.” Gleiches berichtet Plin. N. H. XXIX, 6. hinsicht des heilsamen Gebrauchs der Eidechse bei Augenkranken: nur ne- ben den irrdenen Gefälsen erwähnt er auch gläserne worin die blinde Ei- dechse auf frische Erde gelagert, mit solchem Ring von Eisen oder auch von Gold eingesperrt, und dann wieder sehend herausgelassen wird, wäh- rend die Ringe gegen Augentriefen helfen. Bemerkenswerth bleibt dafs wäh- rend alle klassischen Zeugnisse (so auch Artemidor Oneirocr. II. 5.) nur in Eisen eingefasste Ringe dieser Art kennen, Plinius auch goldne erwähnt, wenn nicht die Stelle durch falsche Lesart oder Glosse verderbt ist. Stel- len des Aelian und Plinius verbreiten nicht nur ein befriedigendes Licht über die Bedeutung der Eidechse und ihre Verbindung mit der Inschrift „wie- dergewonnenes Augenlicht”, sondern unterrichten uns zugleich, dafs dieser Achatonyx grade zu einem solchen Zauberring $aguaxırns durruros gehörte, deren Heilkraft und häufiger Gebrauch von Seiten griechischer Arzte und Zauberinnen durch hinlängliche Zeugnisse des schriftlichen Alter- thums (?°°) verbürgt wird. 110. AUFSTEIGENDE EIDECHSE, DRÜBER MONDSICHEL: RUCKSEITE «u Aauw. Taf. III, 10. 10a. Gelb und grüner Jaspis. Eine Eidechse oder Salamander; über seinem Kopf der Halbmond, mit der concaven Seite gegen ihn gekehrt, auf der Rückseite das Wort EYAAM() rchtlfg. Tölk. I Kl. *152.— Winckelm. VIII Kl. 33. für Abraxas angesehen, ohne Angabe der Inschrift. (2°) Hes. v. Öazriros Pagnazrys. Arist. Plut. 884. Lysistr. 1027. Antiphan. zu Athen. II, p. 1232. O002 476 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Die Inschrift eö Aauw gut für den Augentriefigen bezeugt den Gebrauch auch dieser Gemme zu einem Zauberring. Denn Aauss dorisch für Anus bedeutet Zippus, augentriefend; %yun die in den Augenwinckeln ge- rinnende Unreinigkeit. 111. DERSELBE GEGENSTAND: Ilyga. Taf. II, 11. RÜCKSEITE KavSe oure. Taf. III, 11a. Grüner Jaspis. Eine Eidechse oder ein Salamander, über seinem Kopf der Halbmond, mit der concaven Seite gegen ihn gekehrt, umher die Buchstaben: FIHPA. Auf der Rückseite des Steins in zwei Zeilen die Inschrift KAN®E OYNE rchtilfg. Tölk. I Kl. 151. der diesen wie den vorhergehenden Stein den griechisch-ägyptischen Denkmälern ein- reiht.— Winckelm. VIII Kl. 39. für Abraxas angesehen ohne Angabe der Inschrift. Auch für diesen Stein zu einem solchen Zauberring gehörig geben die oben mitgetheilten Stellen des Aelian und Plinius den re Com- mentar. Denn rrg« bedeutet die Blinde und bezieht sich auf die Eidechse vauge. Die Rückseite mit der Inschrift KavSe eure übersetze ich: Augen- winckel genese! Vgl. Hom. Od. XXIV, 401. Hymn. in Apoll. v. 1168. Bei Theocrit II, 58. ist Favga die Art Eidechse mit dem Beinamen baguazirıs Nicandr. Alex. 551. sonst Salamander genannt. Wegen offenbar falscher Inschrift A. FIOI (wohl auch Steinschnittes) habe ich einem Karneol mit dem Brusibild der „Thalia” bei Tölken (III Kl. #1327.), und aus gleichem Grunde Tölken’s (III Kl.sı5.) „Diana Pelagia (MEAAFTI) auf einem Lapis Lazuli”, so wie dem „Sar- donyx mit dem Brustbild einer Ceres Plusia”, deren Inschrift AÖYE bereits Tölken (III Kl. 211.) mit einem "Fragezeichen begleitete, in dieser Publication eine Stelle versagt. Hätte Hr. Stephani (Köhler Geschn. St. mit Künstlernamen $. 258.) aus dem Pastenabdruck die Falschheit der von ihm Asuria gelesenen Inschrift bemerkt, so würde mit seiner Erklärung auch sein Inte- resse an dem Stein geschwunden sein. Fassen wir nun zum Schluls die Leistungen der beiden Gemmenbeschreiber zum besse- ren Überblicke in wenige numerische Resultate zusammen, so ergeben sich: 38 Gemmen vollkommen gleich beschrieben bei Tölken wie bei Winckelmann (5, 7, 9, 11, 15, 19, 24, 25, 30, 32, 34, 35, 37, 38, 45, 46, 47, 48, 57, 60, 62, 64, 66, 67, 68, 73, 77, 84, 86, 37, 88, 92, 93, 98, 101, 102, 108, 109.). 7 Gemmen ungenauer Inschriftlesung bei Tölken wie bei Winckelmann (1, 18, 40, 75, 82, 96, 103.). 19 Gemmen genauererInschriftlesung bei Tölken als bei Winckelmann (2, 4, 8, 13, 39, 51, 53, 54, 56, 78, 80, 81, 94, 95, 97, 100, 107, 111.). 2 Gemmen genauerer Inschriftlesung bei Winckelmann als bei Tölken (6, 10.). 1 Gemme bei Tölken das Monogramm falsch gelesen, bei Winckelmann gar nicht (3). 1 Gemme bei Winckelmann das Monogramm falsch gelesen, bei Tölken gar nicht(41.). zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 477 9 Gemmen gleich unrichtiger oder un genauerBeschreibung bei Tölken und Win- ckelmann (21, 58, 61, 80, 83, 85, 90, 91, 105.). 19 Gemmen richtigerer oder genauerer Beschreibun g bei Tölken als bei Winckel- mann (16, 22, 28, 29, 31, 41, 43, 54, 55, 59, 65, 71, 74, 79, 81, 97, 99, 110, 111.). 15 Gemmen richtigerer oder genauerer Beschreibung bei Winckelmann als bei Tölken (2, 4, 12,23, 26, 27, 36, 42, 50, 51, 52, 70, 76, 89, 106.). 1 Gemme in einem Attribut genauer bei Winckelmann, im andern bei Tölken be- schrieben. (33.). 1 Gemme durch irrigeInschriftdeutung Tölkens entstellter als durch Winckelmann s Schweigen (10.). 3 Gemmen von Tölken unbegreiflicherweise aus Winckelmann abgeschrieben als Tauben statt Störche (105.), als Mäuse (91.) statt Leoparden, und als Fibula statt Armspange (90.). I. INSCHRIFTLICHE GEMMEN DER KGL. MUSEEN ZU HAAG, KOPENHAGEN, LONDON, PARIS, PETERSBURG, WIEN. 1. LYCAEISCHER ZEUS: LUPERCUS. Taf. IV, 1. Karneol der Londner Sammlung n. 800. Raspe 2262. Ein Adler auf einem Fels in dessen Höhle eine Ratte (verglei- che Taf. IV, 49. wegen des Schwanzes kein Kaninchen) von einem Wolishund verfolgt wird, gewinnt bedeutend an Interesse durch die Inschrift des Namens Luperci der dem Besitzer angehört. Denn die- ser Eigenname ruft uns nicht nur die in Rom gefeierten Lupercalien, die Auxaie Arkadiens (Paus. VIII, 2, 1.) ins Gedächtnis, sondern berech- tigt auch den Adler auf dieser Gemme als Vertreter des Iycaeischen Zeus aufzufassen, dessen Hieron in Megalopolis nächst zwei Altären und zwei Ti- schen zwei Adler zeigte, deren einer auf den Iycäischen Zeus, der andre auf den Iyeäischen Pan, daselbst Sinoeis genannt (Paus. VIII, 30.2.) sich bezog. Denselben Iycäischen Pan vermuthen wir hier unter dem Bild des den Mor- genjäger begleitenden Hundes, der bei Anbruch des Tages die Ratte, das Symbol der Nacht, in die Höhle hinein verfolgt. Die Ratte ist zugleich ein unreines Thier: ihre Vernichtung stimmt zu dem Charakter des Festes der Lu- percalien, die im Februar, der seinen Namen a februando soviel wie luere, 478 Paworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen reinigen, sühnen bekam, gefeiert wurden.(?°!) Demselben Götterkreise schreibe ich auch das berühmte Marmorrelief im Vatican (*02) zu, wo auf einer Fels- grotte innerhalb welcher ein knabenhafter bocksfülsiger Pan mit umgeknüpf- tem Fell, Pedum und Syrinx steht, ein Adler mit einen: Hasen als Beute sicht- bar ist. Vor der Grotte giebt eine efeubekränzte langbekleidete Nymphe ein grofses Horn zum Trinken einen auf einem Fels sitzenden Kleinen, den man bald Zeus bei Amalthea, (°°) bald mit Unrecht wegen vermutheter Hörnchen Dionysos zu nennen beliebte. Unter des Knaben Sitz befinden sich zwei Ziegen, die eine jung, die andre mit schwellendem Eiter: offenbare Thier- parallele zur Gruppe des nackten Kleinen und seiner Nährerin. Der Adler über der Gruppe entscheidet schon für die Gegenwart des kleinen Zeus, mit welchem als lycäischen die Nähe des Pan sich sehr wohl verträgt. 2. ADLER AUF BEKRÄNZTEM ALTAR: EYME(vs). Taf. IV, 2. Karneol der Petersburger Sammlung VI, 1. Dafs Eumenes, Wohlgemuth, ursprünglich ein Beiname des Zeus gewesen, lebren uns im Einklang mit dem Typus dieser Gemme die Erz- münzen von Eumeneia die bald als Rückseite eines Jupiter Labrandeus mit Hirsch zur Seite, einen stehenden Adler mit der Umschrift Euuevewv zei- gen; (?%*) bald als Rückseite des Flusses Glaucus TAauxos einen lorbeerbe- kränzten unbärtigen Kopf Ayuos Euuevewv und in Contremarke einen Adler auf Blitz (205) darstellen. Dafs der Kranz auf dem Altar ebenfalls einen Lor- beerkranz bezeichnen soll, vermuthe ich um so sicherer, als eine andre Münze derselben Stadt einerseits mit einem lorbeerbekränzten Jupiterkopf, andrerseits mit Evuevewv in einem Lorbeerkranz geschmückt ist.(2°°) Eumeneia Stadt in Grofsphrygien, war von dem Bruder des Attalus, König von Per- (@°') Ovid. Fast. II, 31. Plut. Romul. 21. Serv. ad Virg. Aen. VII, 343. (2) Gall. Giustin. II, 61. Böttiger Amalthea Taf. 1. S. 74. Gerhard Beschreibung des vaticanischen Museums. $.7, 8. (@®) Paus. VIII, 38, 2. Auf dem Berg Lykaion Ort Kretea wo der kleine Zeus ge- nährt ward. (@*) Mionn. Suppl. VI, 362, n. 345. (®) Sestini Descriz. d. Med. Fontana I, p. 114. T. III, Fig. 17. » (°°6) Mionn. D. IV, 292; n. 358. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 479 gamus (Strab. XIII, 4.) gegründet (Strab: XII, 8. 576.). Stepbanus von Byzanz kennt auch eine Stadt dieses Namens in Karien. Den Namen Eume- nes führte auch ein Feldherr und Geschichtschreiber Alexanders des Grofsen aus Kardia, Stadihalter in Kappadocien. 3. FLIEGE: DIOD(ORUS). Taf. IV, 3. Onyx der Londner Sammlung 821. Raspe 15730. Die Fliege in Verbindung mit der Inschrift Diod lehrt uns das In- sekt als Siegel des Ringbesitzers Zeusgabe oder Frühlingsgabe kennen. Die Wahl dieses Symbols kann um so weniger befremden, als die Erschei- nung der Fliegen mit dem Herannahen der heitern und warmen Jahreszeit zusammenfällt. Zugleich erinnert des Gemmenbild unwillkührlich an die Typen andrer Gemmen welche den Fliegenzeus «rouvios (?7) mit mensch- lichem Kopf, aber in Gestalt einer Fliege uns darstellen. 4. WEIBLICHES BRUSTBILD MIT ZIEGENFELL, GEGENÜBER BÄRTIGER PANSKOPF. Taf. IV, 4. Karneol der Wiener Sammlung XXV, 8. Arneth Beschreib. d.k. k. Münz- und Antikenkab. S. 85, n. 177: „AMIZITIA Kopf der Echo? daneben der Kopf des Pan, darüber ein Stern, unten Lagobolus. Carn.” Weibliches gelocktes Brustbild mit einem Ziegenfell umschleiert und mit einem Halsband geschmückt: gegenüber gehörnter bärtiger Panskopf in kleinerem Maafstab; oberhalb zwischen beiden Köpfen ein Stern; unterhalb ein Zituus. Trotz der unzweifelhaft falschen, ohne Verstand und Talent gekrit- zelten Inschrift glaubte ich dieser Gemme, deren künstlerische Ausführung von dem kunstsinnigen Direktor des Wiener Antikenkabinets Hrn. v. Arneth sehr geschätzt wird, einen Platz in meiner Publication wegen der Merkwür- digkeit ihrer Vorstellung nicht versagen zu dürfen. Der nahe liegenden Vermuthung eines Kopfes der Juno Lanuyina widerstreben Gesichtsausdruck und lockige Haarbehandlung des weiblichen Kopfes, da beide vielmehr Mar- morstatuen vornehmer Römerinnen aus der Kaiserzeit uns ins Gedächt- nifs rufen. Nach der Analogie römischer Münzen dürfen wir den liuus als (@°) Winckelmann pierr. gr. de Stosch Tab. XXI, n. 77. Guigniaut Relig. Pl. LXIX, 266. 480 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Zeichen priesterlicher Würde mit dem weiblichen Brustbild in Verbindung setzen, den Stern aber als Morgenstern aulfassend, mit dem Lichtgott Pan, dem Faunus der Römer verknüpfen. Wie aber die Priesterin in einer bei der Juno Sospita von Lanuvium hergebrachten Ziegenbekleidung mit dem Pan oder Faunus in ein enges Verhältnis treten kann, erfahren wir durch eine Stelle des Festus (p. 64.) v. Februarius, wo er den Monat Februar von der Juno Februata, Februalis oder Februlis herleitet, weil derselben in diesem Mo- nat Opfer gebracht wurden, und ihre Feste die Lupercalien waren, an welchem Tage die Frauen mit dem Kleid der Juno d.i. mit einem Zie- genfell (amiculo Junonis i. e. pelle caprina) gesühnt wurden (februabantur). Demnach erblicken wir hier den Kopf des lycäischen Pan, des Faunus Lu- percus, an dessen Fest im Februar die Frauen mit Bekleidung der Juno Fe- bruata d.i. einem Ziegenfell gereinigt wurden. Auf denselben Götterverein der Caprotina mit Pan als Potenz weisen des Varro Worte L.L. VI, 18. hin: Nonae Caprotinae quod eo die in Lalio Junoni Caprotinae mulieres sacrificanlur et sub caprifico faciunt. e caprifico adhibent virgam. Ob eine dritte Bürgschaft für diesen durch das Symbol der Ziege auch äufserlich seine Verwandtschaft bekundenden Götterverein der Ziegen-Juno und des Ziegen-Faun (?°°) bei Livius XXXIV, 53, zu suchen sei, wo C. Cornelius Ce- thegus 558. a. U. c. einen Tempel der Juno Sospita auf dem Forum Olitorium zu Rom, und gleichzeitig der Praetor Urbanus Cn. Domitius einen Tempel dem Faunus weihte, (Cie. Divin. I, 2.) lassen wir dahingestellt sein. Hin- sicht der Inschrift sollte es mich nicht wundern wenn einmal mit gleicher bildlicher Vorstellung eine Gemme zum Vorschein käme, deren antike und lesbare Inschrift an gleicher Stelle uns einen Namen des Portraitskopfes of- fenbarte, der durch Anspielung auf das Wort Ziege zugleich sein Schutz- verhältnifs zu den beiden Gottheiten ausspräche. 5. PFAU DER HERA: KAANOC. Taf. IV, 5. Onyx der Londner Sammlung 719. Der Pfau erinnert zunächst an den Freund und Wächter der Hera, den Argos Panoptes, der bekanntlich in diesen Vogel verwandelt ward (0) (°8) Horat. Carm. I, IV, 11: Nunc et in umbrosis Fauno decet immolare lucis, seu poscat agna sive malit haedo (©) Panofka Argos Panoptes. Taf. III, 1. I,9. II, 3, 4, 8, 9. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 481 von dem der Ringbesitzer vermuthlich seinen Namen herleitete. Die In- schrift Karos schön gebürt wohl wenigen Vögeln mit gleichem Recht wie dem Pfau. Der unter dem Pfau sichtbare Fisch weiset vielleicht auf die Insel Lesbos hin, wo im Heratempel die Frauen Wettkämpfe der Schönheit an- stellten. Diese Schönheitsgerichte hielsen KaArırrei« (Athen. XIII, 610.) und dienten wahrscheinlich als Vorbild für das Parisurtheil zu Gunsten Aphroditens (Rückert Troja. II, 3.). Leicht möglich dafs bei diesem ein unter dem Bilde des Pfau hier versinnlichter Argos, wie später Paris, in Be- zug auf die Schönen von Lesbos das Schiedsrichteramt bekleidete. Auf die- selben Karrırreia scheint das schöne, bisher mifsverstandne pompejanische Wandgemälde der Casa de’ Bronzi (Zahn Pompeji II, 54.) zu beziehen, wo als Hauptfigur ein schöner Pfau, mit Schild oder Spiegel davor, etwas tiefer einem Schmuckkästchen, von drei Amoren gefüttert wird, während eine Psy- che ihm einen Kranz aufsetzt. Hinter ihm liegt auf einer kannelirten Säule die goldne Stirnkrone der Hera, dabei ihr Skeptron oben von kleinem Kreuz gekrönt wie das Scepter der Hestia auf dem pompejanischen Wandgemälde der zwölf Götter, (?!°) auf noch höherer Säule eine Flügelfigur. Da Ste- phane und Scepter die geeignetsten Symbole für die Göttin der Herrschaft, Hera, bilden, und der Schild als Preis für die Sieger in den Heraeen zu Argos ausgetheilt ward: so bedarf wohl unsre Auffassung des pompejani- schen (?!!) Bildes keiner näheren Begründung. Den hiervon unabhängigen Begriff der Schönheits-und Ehegöttin, wie er in einem alten Schnitzbild der Aphrodite Hera, dem die spartanischen Mütter bei der Hochzeit ihrer Töchter opferten, (Paus. III, 13, 6.) wohl auch zum Grunde lag, drücken sowohl die drei um den Pfau beschäftigten Eroten aus, als die Gegenwart der Psyche welche auf die Verbindung von Amor und Psyche hinweist. 6. BATHYLLUSBRUSTBILD: BAOVA(?os). Taf. IV, 6. Hyacinth der St. Petersburger Samml. VII Kasten, 29 Abitlı. 29. Kopf und Haaranordnung entsprechen dem Bilde in Anakreons neun- (@'°) Gerhard in den Ann. de l’Instit. arch. Vol. XXII, Tav. d’agg. K. 1850. wo der Scepter ungetreu, abweichend von andern älteren Zeichnungen und Publicationen gesto- chen ist. (@') Vgl. Mus. Borb. XI. 15. Philos.-histor. Kl. 1851. Ppp 482 Panorsa: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen und zwanzigster Ode auf seinen Liebling Bathyllos. Denselben habe ich (*!2) auf den Rückseiten zweier Vasen im brittischen Museum, die eine mit der Inschrift Nupes Karos und auf der Vorderseite Avargeov, nachgewiesen. Ro- senkranz auf dem Haupt und brennende Fackel assimiliren den Bathyllos dieser Gemme dem Hymenaeos auf einem pompejanischen Wandgemälde (213) was um so weniger überraschen kann, sobald wir in dem Nuoys für Numpns den bräutlichen und hochzeitlichen Charakter nicht übersehen, und zugleich der Quelle Bathyllos in Megalopolis gedenken unter einem Hügel, auf wel- chem der Tempel der Hera Teleia d.i. der Hochzeitsgöttin erbaut war (Paus. VII, 31,6.): derselben Hera die unter gleichem Namen als Ga melia auf Samos die Statue des Bathyllos, ein Weihgeschenk des Polykrates, am Altar ihres Tempels aufgenommen hatte (Apulej. Flor. II, p. 15.). Ähnlich dem Bild dieser Gemme dürfen wir ihn auch wohl als Stütze des schönen Lyaios, dem Eros zur andren Seite voranschreitet, in Anacreons siebzehnter Ode auf ei- nem Trinkbecher von Silber, v. 15, 16: öuol naAw Ava "Egura #al BaSuAAov uns denken. Die lodernde Fackel vor dem Kopf unseres Bathyllos mahnt uns auf einen mit gleicher lodernder Fackel tanzenden Silen mit Überschrift Barur- Aos (21%) die Aufmerksamkeit zu lenken, zumal in dem figurenreichen Bilde eines Dionysischen Thiasus an dem er sich betheiligt der Charakter der Liebe vorherrschend sich offenbart, und er als Tänzer an die BaSyAAsıos coymaıs (Athen. I, 20e.) erinnert. Erwägen wir dafs Bathyllos als Eigenname historischer Personen in Griechenland (*'5) und später von Freigelassnen in Rom (*!%) bezeugt wird: (*'?) S. m. Anzeige von S. Birch Observ. on the figur. of Anacreon and his dog (Ar- chaeologia Vol. XXXI, p. 257-64.) in d. Archaeol. Zeit. N. 32. Aug. 1845. S. 127. 215) Mus. Borb. XII, 17. Panofka Bild. ant. Leb. XI, 5. ) (@) O. Jahn Vasenbilder Taf. II. unvollständig ArurXos publicirt; das B kam erst spä- ter zum Vorschein. (R. Rochette lettr. arch£ol. I, 1. 2. ©. Jahn Archäol. Aufsätze S. 142.). (©?) Böckh d. attische Seewesen X, f. 27. Bathyllos Sohn des Polyaretus Dem. 40, 6. (°'%) Pantomime und Liebling des Mäcen. Pers. V, 123. c. vett. schol. Juvenal. VI, 68. Taeit. Ann. I, 54. Grut. Inscr. 623, 6. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 483 so können wir mit Recht annehmen, der Ring mit dem Bild des Bathyllos, des Geliebten Anakreons, habe einem Freien oder Freigelassenen dieses Na- mens gedient. Nach dem Ausspruch Köhlers (Geschn. St. S. 62.), Inschrift und Arbeit dieses Steines sei modern, äufsert Hr. Stephani: (S. 245.) „Der Bathyllos hat ein nach der Seite gewandtes Jünglingsgesicht; das lange und reiche Haar mit einem Rosenkranz geschmückt; den Kopf schwermüthig gesenkt; auf der rechten Schul- ter etwas Gewand; von der Brust abgewendet eine aufgerichtete Fackel. Bild und Buchstaben der im Rücken des Brustbildes nicht rechtläufig angebrachten Inschrift sind kräftig, ohne Ängst- lichkeit, nicht ohne theilweise Nachlässigkeit geschnitten; Lippen und Nasenflügel, wie häufig an antiken Gemmen etwas zu stark markirt; der Rosenkranz mit besondrer Vorliebe, aber in freien Formen ausgeführt. Zur Annahme eines modernen Ursprungs sehe ich keinen ausreichenden Grund und namentlich dürfte man wohl fragen, ob dem modernen Steinschneider die erotische Bedeutung der Fackel geläufig genug gewesen sein würde. Denn dals sie hier diese hat und dafs der bekannte Liebling des Anakreon gemeint sei, wird Niemand bezweifeln. Der Stein dürfte also vielmehr eine interessante Erweiterung der griechischen Iconographie enthalten.” 7. STORCH, RAD AUF SÄULE: APHIPIAOC. Taf. IV, 7. Rother Jaspis der Londner Sammlung n. 736. Storch das linke Bein nach einer Säule erhoben auf der etwa eine Wagschale herabhängt und drüber ein Rad steht; vor seinem Fufs ein Stern. Hinter seinem Rücken und über seinem Kopf zieht sich APHI®IAOC Ares- geliebt. Die Verbindung des Rades als eines der Hauptsymbole mit dem Na- men Marslieb gewinnt an Bedeutung, sobald wir damit eine panathe- naische Preisamphora (?!7) vergleichen wo die Kriegsgöttin Athene als Zei- chen ihres Schildes ebenfalls ein Rad ringsum von der Inschrift Ev®iAeros umgeben uns kennen lehrt. Man wird demnach einräumen müssen dafs auf zwei verschiednen Monumenten das Rad als von der Kriegsgottheit ge- liebt uns entgegentritt. Erwägen wir dafs rereucs von r&Au wenden abzu- leiten, nichts andres als das Umdrehen, Gewühl bedeutet: so wird es uns nicht mehr Wunder nehmen dafs die Alten das Rad als Hieroglyphe für roreuss gebrauchten, grade wie sic die Idee des rercs durch ein analoges Bild, den Discus, als Himmelsscheibe versinnlichten. Ob hiemit das Flü- gelrad des Triptolemos zusammenhängt, da rreisues und FoAsuos dasselbe Wort ist, geben wir nnsern bildersprachfeindlichen Collegen zu bedenken. (2'7) Bei Gerhard Camp. und Etrur. Vas. Taf. A, 5. jedoch nicht beachtet. Ppp2 484 Panorxa: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Allein insofern der Storch zu den Zugvögeln gehört die im Früh- ling wiederkehren (?!%) welehen die Griechen mit dem Worte 1 Widder, dem Thiere des Ares bezeichneten, und die Römer mit dem Marsmonat, März, begannen; dürfte das Beiwort "ApnıbıÄos Aresgeliebt mit gleichem Recht dem Storche zukommen. Die Wage im Zusammenhang mit Ares rechtfertigen die Verse 5 und 6 des homerischen Hymnus auf den Kriegsgott, welche ihn als Mithel- fer der Themis, Fuvapwye @zurres, als der gerechtesten Männer Anführer Armorarwv aye dwrav anrufen. Homer Il. IV, 150. giebt dem Menelaos das Epithet "AgnipiAos und Anakreon Epigr. 16, 2. nennt Areiphilos als Vater eines Melanthos. 8. GREIF UND RAD: MAPIWN. Taf. IV, 8. Onyx braun und rother Lage, der Wiener Sammlung VI, 6. Greif den erhobnen linken Fuls auf ein Rad setzend. So nahe auch der Gedanke an Nemesis beim Anblick dieser beiden Symbole gelegt wird, so verbietet uns doch der griechische Eigenname Marion darauf einzugehen. Da derselbe vielmehr auf den Kriegsgott Mars hinzuweisen scheint, so kommt uns für denselben einerseits die eben nachgewiesene Bedeutung des Rades wesentlich zu Statten, andrerseits die auf Statuen des Mars nicht seltne Ge- genwart des Greifen bald als Ornament des Helms, bald als Griff des Schwer- tes, wobei des Gottes vorzügliche Verehrung im Hyperboreerlande, welches die Greifen versinnlichen, in Anschlag zu bringen sein dürfte. Hinsicht des griechisch geschriebnen Namens des Ringbesitzer Magıwv wird es zweck- mäfsig sein, von Hesychius v. pagieiv: öxAeirIaı, mugerrew das feurige und umwälzende des Krieges, welches Greif und Rad bezeichnen, gerechtfer- tigt zu sehen, so wie auch seine Glosse Magıv rev Tüv Konres unsre Erklärung ebenfalls unterstützt, insofern Ares in Gestalt eines Ebers den Adonis tödt- lich verwundete. Den Eigennamen Marion führte ein Pankratiast in Olympia (Paus. V, 21,5.), und ein Rhodier (auf einer Goldmünze von Rhodos im königlichen Museum). (2) Plut. de Isid. et Osir. 74. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 485 9. MARS, TROPÄUM: PRI(MUS). Taf. IV, 9. Karneol der Wiener Sammlung II, 5.— Arneth Beschreibung S. 83. n. 119. Unbärtiger Mars in vollständiger Rüstung, hält in der erhobnen Rech- ten das Wehrgehenk, darunter ein Tropäum; PRI für Primus der Erste, indem die Römer ihre Jahresrechnung mit dem Marsmonat März begannen, dieser also den ersten Monat bildete. Man vergleiche hierzu Malala Chro- nogr. L. VII, p. 218: ‘O (‘Paues) exrıre nal 7% "Apnı vacı: xai &v aurd ro um Erroinsev Eoprav neyamyv Surias TW "An, KurETas nal T0v MAva aurov Magrıov, Tov B ’ m e/ e ’ Er mgwnv Aeycuevov Ilpımov, omeg egumveveras Apews. 10. MARS VICTOR: V(ICTORI) R(UFUS). Taf. IV, 10. Onyx der Wiener Sammlung III, 7.— Arneth S. 83, n. 120. Behelmter unbärtiger Mars mit einer Lanze, und auf der linken Schul- ter ein Tropäum tragend, vermuthlich Vietori Rufus. Sowohl der Name des Gebers Rufus (vgl. die Deutung der Gemmen n. 50. (Tat. II, 1.) des kgl. Mus.) als der des Ringempfängers Victor waren ursprünglich Beinamen des Kriegsgottes. 11. STORCH EIN GROSSES HORN BLASEND: O©ANAP (os oder ıs). Taf RVyt1; Plasma der Londner Sammlung 735. Das Horn wie die krumme Trompete xaurvrn (?!?) oder arooyyurn (220) sarrıyE diente als eigentliche Kriegstrompete, womit die Stunden geblasen wurden. (?*!) Zum Verständnifs dieses Gemmenbildes bedarf es zunächst der Erwägung dafs der Storch reragycs heifst, ein Wort womit zugleich die tyrr- henisch - pelasgischen Urbewohner Atticas als meAapyoi bezeichnet wurden, von denen die pelasgische Mauer in Athen herrührt. Zugleich mufs man sich ins Gedächtnifs rufen dafs das Horn welches der zeragycs bläst, eine tyrrhenische Erfindung ist. (??*) Da aber rugryvixev bei den griechischen (2?) Pollux IV, 11, 85. (2°) Artemidor I, 58. (2!) sarmıyyuv wgoroytuv Porphyr. ad Ptolem. harmon. p. 259. In Falerii war ein Mo- nat nach dem Mars benannt. () Athen. IV, 184.4. Panofka Ann. de P’Instit. arch. Tom. XVI, Tav. d’agg. 1844. J. p- 227. 486 Paworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Schriftstellern häufig für reAar'yırov gebraucht wird und TleAaryei dasselbe Wort wie reAagyor ist: so schwindet alles Befremdende beim Anblick eines meAupyos Storch mit der tyrsenischen Erfindung des Blashorns. Den Eigennamen des Ringbesitzers BaAapcs führte in Boeotien auf dem Wege von Heiligthum des Zeus Laphystios nach dem der Athene Itonia, ein Flufs der sich in den Kephisischen See ergofs (Paus. IX, 34, 4.). Wie hier der Flufs Phalaros mit den Tempeln zweier Unterweltsgottheiten in Ver- bindung tritt, so finden wir das Blashorn das der Storch auf dieser Gemme bläst, vorzugsweise bei Leichenbegängnissen sowohl der Etrusker, als Römer mehrfach benutzt, was ohne Zweifel mit dem Trauer- und Todes- charakter seiner Töne zusammenhängt. Wenn Müller Orchomenos S. 40. be- merkt: „Am Berge Laphystion vorbei fliefst der Flufs Phalaros, welcher bei Koroneia noch den Regenbach Hoplias oder Hoplites (später Isomantis) in sich aufnimmt, auf den ein Orakel von Lysandros, des Spartiaten, Tode gedeu- tet wurde: Nur den Hoplites meide, den schallenden, also gebiet’ ich. (Paus. IX, 34, 4. Plut. Lys. 29. wo ®aragy für pAragw zu lesen):” so kann ich mir nicht die Bemerkung versagen, dafs der Anblick unsrer Gemme verbunden mit dem der Gemme Taf. IV, 7. einen überraschenden Commentar zu den bei- den griechischen Versen des Orakels “Orkirmv neradovra durafarsaı TE HEAEUN), Ins re oanovS dıov doruov naSomır ev lovra. liefert indem »ered&w von Kriegsgeschrei und auch gleichbedeutend mit »ngurrw (Eur. Hec. 616.) gebraucht ward. Derselbe Name kehrt bei dem Argonauten Phaleros, Sohn des Alkon, wieder, der den Hafen Phalerum von Athen gegründet haben soll und auf einem eignen Altar einen Heroendienst empfing. (??3) Insofern das Wort $arages jonisch parrges hell, leuchtend, weifs, schäumend bedeutet, pafst es zu der weilsen Farbe dieser Vögel, so wie auch ein Vogel mit weifser, kahler Platte, (/ulica Linnaei) bei den Griechen $aragıs hiefs. @aAagos das weder als Eigenschaftswort noch als Eigenname vorkommt, zu lesen schien mir unzulässig. (@) Apoll. Rh. I, 96. Paus. I, 1, 4. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 487 42. KRÄHE MIT BEHELMTEM ATHENEKOPF: CHARITO. Taf. IV, 12. Karneol der Londner Sammlung 868. Ein Denar des L. Valerius Aciseulus (Sphyros) mit kleinem Beil, ascia, dahinter geschmückt, zeigt auf der Rückseite das Bild unsrer Gemme, nemlich Athene Koronis in Krähengestalt mit Helm, Schild und zwei Lan- zen; L. VALERIVS. (2**) Beim Graben zur Grundlegung der Mauer von Korone in Messenien erzählt Pausanias (IV, 34, 3.) ward eineeherne Krähe entdeckt; derselbe Reisebeschreiber sah auf der Hochburg von Korone im Freien stehend eine Statue der Athene mit einer Krähe in der Hand. Dieselbe enge Verbindung der nogwvn mit Athene gewahren wir auch in Titane (Paus. II, 11, 9.) wo die Koronisstatue an dem Fest der Athene nach dem Hieron der Göttin zu dem alten Schniizbild derselben heraufge- bracht wurde. Zu dem der Athene-Koronis eigenthümlichen Charakter einer Heil- und Siegsgöttin stimmt auch auf dieser Gemme der das Bild begleitende Name Charito. Denn von xagıs abzuleiten schliefst er sich einerseits an die Gunstverleihende Nike an und andrerseits an die dem Asklepios bisweilen als Heilgöttinnen beigesellten Grazien Xagıres. Der Name Charito kommt als römischer Beiname bei Gruter Inscr. 170. Qu. Romanius Charito vor. Bei den Griechen gilt Xagırw als Frauen- name (??°) und Xagırwv als Name eines Mannes aus Agrigent, (?”°) eines be- kannten Schriftstellers (Suid. s. v.) und eines Atheners Hawavıevs (C. I. Gr. 744.) dessen Demos insofern er von dem Heilgott Paian seinen Namen ent- lehnte, für unsre Gemme vielleicht eine ernstere Beachtung verdient. 13. FACKELLÄUFER MIT SCHILD: AAMFIAAIAE. Ungefärbter Glaslluls; Kopenhagner Sammlung 833. Bröndsted Reisen in Griechenland I], S. 289. Bärtiger Schildläufer mit brennender Fackel in der Rechten; hinter ihm von der Rechten zur Linken ZAIAAMMAA. Der auf Athene hindeutende Schild in Verbindung mit dem Fundort Corcyra, einer Kolonie von Corinth, berechtigt wohl zu der Vermuthung, der Stein stelle einen Sieger in Spielen (*) Nouv. Annal. de I’Instit. arch. Tav. d’agg. G. 1838. n. 2. Panofka Asklepios. Taf. 8. (@) Philodem. 18. (V, 13.). (2°) Aelian. Var. Hist. II, 4. 488 Panworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen des Fackellaufs vor, (??7) welche daselbst zu Ehren der Lichtgottheit gefei- ert wurden, die in der Metropole Korinth als Athene EAAuwrıs solcher Fackelläufe bei ihrem Fest ‘ErAwri« sich erfreute. (2?) Ihre Bedeutung als Mondgöttin, Göttin der nächtlichen Helle, wie die mit gleichnamigem Fest in Kreta gefeierte Europa, hat bereits Creuzer (?”?) gründlich erörtert. Obwohl nun aber die Inschrift uns im Einklang mit dem Bilde den Ringbesitzer als Sieger in den Hellotien vorstellt, so darf uns dies nicht hin- dern in Lampadias zugleich den Eigennamen desselben zu erkennen, etwa wie auf einer tarentinischen Silbermünze (2°) ein Fackelläufer zu Pferd in der Beischrift Auıuay,es uns Stand und Namen zugleich ausdrückt. 14. EUKLEIA DIE GÖTTIN DES GUTEN RUFES: EYKAEIA. Taf. IV, 14. Amethyst der St. Petersburger Sammlung. X Kasten, 44 Schublade, 55. Die Siegesgöttin mit umgekehrter Trompete oder Fackel in der Rech- ten, hält in der Linken eine Schale über dem Haupt eines mit Kopftuch be- deckten, nackten, in Herme endenden Priap. Neben dem Bein der Nike steht ein Rad, hinter ihr liegt ein Dreizack; vor ihrem Gesicht erblickt man eine Mondsichel zwischen zwei Sternen. Längs dem Flügel zieht sich die Inschrift EYKAEIA. Obwohl ich gegen die Echtheit der Inschrift sowohl als gegen die tief- geschnittne Vorstellung grolse Bedenken hege, entschlofs ich mich dennoch zur Publication dieses Steins, weil die Motivirung der einzelnen Attribute für das Bild einer Göttin Eukleia mir über den Bereich der Erfindungsgabe eines modernen Künstlers hinauszugehen scheint und daher zu der natürli- cheren Annahme berechtigt, ein neuerer Künstler habe hier einen wirklichen antiken Stein auf freie Weise wiederholt. Denn so sehr auch die zu dem Verhältnifs des Ganzen unverhältnifsmäfsig grolse und tiefe Schale die mo- derne Arbeit verräth und in dem Kopf des Priap ein würdiges Seitenstück findet: so dürfen wir andrerseits doch nicht verkennen wie jedes der hier (@°) Mosaik gleichen Gegenstandes bei Gerhard Ant. Bildw. LXIII, 1. (°”®) Schol. Pind. Ol. XII, 56. Athen. XV, 22. Etym. M. p. 332. K. F. Hermann got- tesdienstliche Alterth 52, 27. (2°?) Zur Gemmenkunde S. 58. u. ff. und S. 169. ff. (°°) R. Rochette sur I. monn. d. Graveurs pl. III, 28. Panofka Antike Weihgeschenke Taf. II, 10. ’ zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 489 dargestellten Symbole zu Namen und Charakter der Göttin Eukleia sehr wohl passt. Rufen wir uns eine Silbermünze von Syrakus auf König Agathokles bezüglich ins Gedächtnifs, die unter der Umschrift ATAOOKAEIOZ eine Nike am Tropäum hämmernd, daneben Dreibein, als Rückseite eines Ähren- bekränzten Kopfes der Kora KOPAZ (??!) zeigt: so vermag die Ähnlichkeit des Bildes auf Gemme und Münze, zumal begleitet von gleichbedeutender Inschrift EvxAsıe und AyaSoxrAeıcs, uns schon zu überzeugen dafs hier kein blofses Spiel des Zufalls obwaltet, vielmehr bei den Hellenen der Begriff des guten Rufs in Religion und Kunst sich in die Gestalt einer Siegsgöttin mit solchen Attributen zu hüllen für angemessen fand. Eine noch überra- schendere Ähnlichkeit mit der Gemmenvorstellung offenbart aber eine Silber- münze des Königs Demetrius, einerseits Ayunrgisu Basırews um einen mit Dreizack kämpfenden Poseidon, andrerseits eine trompetende Nike auf Schiffsvordertheil (2°?) zeigend. Der Wohlberühmtheit, Eukleia, hatten die Athener einen Naos errichtet (Paus. I, 14, 4.) als ein Weihgeschenk von der Beute der Perser die Marathon besetzt hatten. Diese Eukleia hatte zusammen mit Eunomia (die gute, gesetzliche Ordnung) ihren Tempel nicht weit von Kallirrho@ und einen männlichen Priester. (2°?) Sollte der Charakter der Eunomia durchdas Rad der Nemesis, vielleicht auch durch die Schale in der Hand der Eukleia auf dieser Gemme sich offenbaren, und das befremdende welches die Ein- setzung eines männlichen Priesters für zwei weibliche Gottheiten mit sich führt, in dem Standbild des mit Eukleia hier in enge Verbindung tretenden Gottes der Männlichkeit, einige Aufklärung finden? um so mehr als Kallirr- ho& die Quelle war von der am Hochzeitstage das Wasser zum Brautbad ge- holt zu werden pflegte. Die Gegenwart des Dreizacks läfst auf den Ruhm in Folge eines See- sieges schliefsen die vielleicht in einer Mondnacht gewonnen ward. Jeden- falls hat die Eukleia der Gemme nichts mit Artemis Eukleia gemein deren Naos und Statue von Skopas Pausanias (IX, 18, 1.) in Theben anführt, wäh- (°') Mionn. Deser. Pl. LXVII, 3. (22) Mionn. D. Pl. LXX, 11. (®) Böckh C. I. Gr. 1,258. Philos. - histor. Kl. 1851. Qqq 490 Panorxza: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen rend Xenophon (Hellen. IV, 42.) Feste derselben Göttin in Korinth erwähnt die auch vermuthlich in Coreyra gefeiert wurden wo ein Monat EvxAeıos hiefs. (2?*) Eine höchst wichtige Stelle zur Erörterung der Eukleia liefert Plutarch Aristid. XX: Tyvd’ EvrAsıav ci nv woAAoL nal vonlouriw "Apreu- evıcı de darıy "Hoanreous ev Suyarsga nal Mugrous yeveIaı rns Mevarriou ev Suyargos, IargoxAov 8° adeApns TEAeurNTaTav de magSevov Ey,civ mapa re Baiwwrois nal Aongeıs rıuas Bunes yag aury nal ayarıa Tage TaTav dyogav Lögurau, za mooSuousw ai TE Yanoumevar nal ci YaouvTEs. Das Opfer des Brautpaares an die Eukleia wirft ein unerwartetes Licht auf das Standbild des Gottes der Generation, dem Eukleia sich zuwendet. Eukleia als Frauenname lehrt uns Athenaeus (XIII. 583e.) und eine Inschrift (Böckh ©. I. Gr. 1756.) kennen so dafs auch eine Ringbesitzerin diesen Na- men führen konnte. 15. DER FLUSS GELAS ALS STIER MIT MENSCHENKOPF: FEAAZ. Taf. IV, 15. Karneol der Londner Sammlung 744. Raspe 8671. Der Flufs Gelas als Stier mit geneigtem bärtigen gehörnten Manns- kopf, wie ihn die Münzen der sicilischen Stadt Gela zeigen, drüber FTEAAZ zwischen einem Stern und einem schwer zu enträthselnden Attribut; unter dem Stier soll wohl eine kriechende Schlange vorgestellt sein, hinter dem Schwanz eine Blume? Die Behandlung des Stierkopfes und der Ausdruck des Kopfes wür- den allein schon hinreichen den modernen Ursprung des geschnittnen Steins zu bezeugen, auch wenn gar nicht die Unbestimmtheit und Unverständlich- keit der vier den Stier umgebenden Symbole und die Schriftzüge des Wor- tes TENAZ diese Überzeugung zu unterstützen vermöchten. Nichtsdestowe- niger dürfte hierbei eine Frage zu genauerer Prüfung sich empfehlen, nem- lich ob nicht eine antike Glaspaste wo besonders die vier Symbole worunter ein Pflugschaar, unbestimmt und nicht leicht erkennbar sich ausnahmen, einen neueren Künstler mit seinem Schönheitsgefühl dies Kunstprodukt zu schaffen auffordern konnte. (*°°) Osan. auctar. lex. Gr. p. 72. K. Fr. Hermann Gottesdienstl. Alterth. 52, 26. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 491 46. ITHYPHALLISCHE KINDESHERME DES MUTINUS TUTINUS: Q. TVTILIC.L. Der Haager Sammlung. Ithyphallische Herme eines Kindes dessen Oberkörper und Arm von der Chlamys bedeckt sind; rings herum Q. TVTILI C. L. Quinti Tutili Caji Liberti. Die Gemme verdient besondre Beachtung weil sie ein durch die beige- fügte Inschrift gesichertes Bild des Gottes Mutinus Tutinus der Römer kennen lehrt. Knabenhaft, eingehüllt, in Hermenform und mit stehendem Glied erscheint er auf griechischen wie römischen Bildwerken und fällt sei- ner Grundidee nach mit Jakchos, Liber, (infans so viel wie Mutinus) zu- sammen. Als Mutter des Tutinus verehrten die Römer die Tutelina oder Tuti- lina die als Schutzgottheit z. B. der geärndteten Früchte der Stadt Rom er- klärt wird, (2?) wie ja auch Mutinus Tutinus in den Gärten für das reife Obst zum Schutz als Vogelscheuche diente. 17. TRUNKNER SILEN ZU ESEL UND BACCHANTIN: LVCILIA PIERI S. Taf. IV, 17. Karneol der St. Petersburger Sammlung; Pierr. grav. du Cab. d’Orl£ans I, p. 253. Ein weinbekränzter und weinbeschwerter Silen mit Thyrsus in der Linken, leerem Kantharus in der gesenkten Rechten, erhält sich mit Mühe noch aufrecht auf seinem Esel. (23°) Das langsame und lastbeschwerte Thier scheint von einer mit Rücksicht auf Haaranordnung und Körperform wohl weiblichen (??7) bacchischen Figur, den Peplos im linken Arm haltend, ange- trieben zu werden. Die Inschrift verstehe ich Lucilia Pieri S(oror). Der (@°) Augustin. Civ. D. IV, 8. Macrob. Sat. I, 16. Plin. H. N. XVIH, 2. Varro L. L. IV, 36. (©°°) Ovid. Metam. IV, 26, 27: Quique senex ferula titulantes ebrius artus Sustinet; aut pando non fortiter haesit asello. (”) Vergleiche auf dem Basrelief des Gastmals des Ikarios den trunknen Silen nicht auf einen Satyr, sondern auf eine Bacchantin gestützt (Millin G. m. LXVI, 263.). Bis- her erkannte man auf unsrer Gemme einen Satyr mit Pferdeschweif. Qqgq2 492 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen trunkne Silen spielt auf den Namen Zecher und Seegensdämon Daimon Agathos an, der dem Worte Pieros zum Grunde liegt: als Eselreitender Seilenos d. i. Selenos (??) erinnert er an die Maulthierreitende Mondsöttin Selene (Paus. V, 11, 3.). Eine gleiche Beziehungsweise vermuthe ich zwi- schen dem Namen seiner Schwester Lucilia Leuchtende und der bacchi- schen Gefährtin Aura die ihn vorwärts drängt: sie entspricht der Morgengöt- tin die im kosmischen Lauf der Lichtgottheiten auch auf Vasenbildern der langsam einhertrabenden Mondgöttin ungeduldig auf dem Fulse folgt. (°°°) 18. BACCHISCHE LIEBESGRUPPE: OCTPAT. Taf. IV, 18. Sardonyx der Londner Sammlung. Sitzender unbärtiger, aber bejahrter Mann mit Satyrohren und ge- wundnem Kranz im Haar; er hält mit der Rechten den Peplos einer Bacchan- tin mit geschwungnem Thyrsus zurück die sich von seinen lästigen Zudring- lichkeiten baldigst zu befreien strebt; oberhalb OCTPAT. Wenn die Stelle der Inschrift esrger wo kaum für den vorangehen- den Buchstaben C der nöthige Raum da ist, über ihren modernen Ursprung keinen Zweifel gestattet: so verräth sich wo möglich in dem Bilde selbst der von der Antike so abweichende moderne Geist noch weit bestimmter und mannigfaltiger. Die Absicht einen Silen darzustellen ist durch Zeichnung einer, sitzenden Statuen römischer Kaiser nachgebildeten Portraitfigur gänzlich verfehlt; beim Anblick des Körpers ohne den Kopf würde man auf Hephä- stos oder Prometheus am ersten zu rathen berechtigt sein. Das eines Künst- lers durchaus unwürdige Motiv des vorgestreckten rechten Beines zur Ab- sperrung der Bacchantin, so wie damit im Widerspruch das zimperliche An- fassen ihres Gewandes statt dafs Silen oder Kaiser beide die Bacchantin selbst vielmehr am Körper ergreifen würden, endlich die höchst affektirte Gewan- dung der Bacchantin und ihr halb zu kleiner Thyrsus bieten reiche Belehrung dar, wie selbst bei gelungner Arbeit ein neuerer Künstler unfähig erscheint einen antiken Gegenstand selbständig zu componiren und ihm im Einzelnen antiken Geist einzuhauchen. (”®) Rothfigurige Kylix des kgl. Museums zu Berlin n. 1940. (2°) Vgl. Taf. I, 27. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Mien. 493 49. TANZENDER FAUN: LYCOREVS. Taf. IV, 19. Onyx der Londner Sammlung 488. Jugendlicher Faun mit kleinen Hörnern, seinen Tanz mit erhobner Händebewegung wie zum Schleudern begleitend LYCOREVS. Bei Pausanias (X, 6, 2.) gründet Lykoros, Sohn des Apoll und der Nymphe Korykia, die Stadt Lykoreia Wolfsberg auf der Höhe des Parnass. Da Auxos der Wolf das Symbol des anbrechenden Tages vertritt, so hat die Gestalt des Faunus nichts befreımdendes für Lykoreus, welcher dem Luper- cus der Römer in Wesen und Namen genau entspricht; und wenn Phoibos den Beinamen Lykoreus bei Apollonius (Arg. IV, 1490.) und Callimachus (h. in Apoll. v. 19.) führt, so ist gewils nicht blos der delphische Gott, sondern der Morgenjäger und Gott des Sonnenaufgangs darunter zu verstehen. Der Lycoreus dieser Gemme ist vermuthlich derselbe welchen Servius ad Virgil. Aen. II, 761. als Asylgott aufführt. Lycoreus hiefs auch der Die- ner des Bebrykerkönigs Amykos, der dem Polydeukes zum Faustkampf die Riemen bot (Apollon. Arg. II, 51.). 20. SATYR EINEN EROS SCHAUKELND: COBRO. Taf. IV, 20. Brauner Jaspis der Wiener Sammlung XV, 31.— Arneth Beschreibung S. 54, 190. Ein jugendlicher Satyr das Haar umbunden, schaukelt auf erhobnem Fufs einen Eros; COBRO. Koßgivau hiefs ein Ort in Medien am Zagrosgebirge (Polyb. V, 44, 7.) welches der Titanen Schwingung und Zerreifsung des kleinen Dionysos Zagreus uns ins Gedächtnifs ruft. Ke@arcs (Kobold) bezeichnet einen Pos- senreisser, Begleiter des Bacchus wie Satyrn und Faune; Hesychius erklärt noßsıgos durch xo@arss: das Etymologieum M. leitet das Wort von Komrev und zorıs ab. Kombe (Hes. s. v.) hiefs die Mutter der Kureten. Hinsicht des Gegenstandes empfielt sich zum Vergleich das Innenbild einer rothfigurigen Trinkschale des kgl. Museums (n. 1609.) wo Gerhard (Trinkschalen d. Kgl. Mus. Taf. XVI, 1.) den Knaben Dionysos auf der Hand eines knieenden Silens, seines Erziehers, erkennt. 21. SATYR UND BOCK: SA(TYRUS) OCT(AVIO ODER OBRD). Taf. IV, 24. Sardonyx der Londner Sammlung 500. Bärtiger Satyr am Boden auf einem Palmstengel sitzend hält einen vor 494 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen ihm stehenden Bock am Kinn; SA(tyrus) OCT(obri). Die Bocksnatur der Sa- tyrn, die selbst bisweilen mit Bocksmasken (?*°) wie auch mit Bocksbeinen auf Vasenbildern sich zeigen, berechtigt den Namen Sa für Satyrus zu erklären und so einen Zusammenhang zwischen Bild und Inschrift zu erkennen. Den Na- men Oct für Octavio oder Octobri mit dem sechsten Monat im Jahr in Ver- bindung deuten wir auf den Gott der Weinlese, auf Bacchus der selbst die Gestalt des Ziegenbocks annahm und in dessen Cultus dieses Thier vorzugs- weise eine grolse Rolle spielt. 92. TICINUS MIT EINER TRAUBE, UND SCHÖPFKANNE: TIC(inus). Mar. IV, 22. Onyx der Wiener Sammlung VII. Kast. Jüngling mit Chamys, in der Rechten eine Traube, in der Linken zwei gezackte Blätter haltend; vor seinen Fülsen eine Schöpfkanne; hinter ihm TlIC(inus). Die Attribute der Epheben lassen über seinen Charakter eines Mund- schenks beim Wein keinen Zweifel. Der hinzugefügte Eigenname des Besit- zers Tic für Ticinus lautet einerseits gleich mit dem der Stadt Ticinum im Transpadanischen Gallien und dem gleichnamigen Nebenflufs des Po; (**!) andrerseits aber fällt er mit Sikinos zusammen, dem Sohn des Thoas und einer Nymphe, die der Insel des aegaeischen Meeres den Namen gab (Apol- lon. Rh. I, 625.) und früher Oino@ Weinreiche hiefs. (**) Nach Andern war Sikinos ein Kreter; die Kreter aber sind Tänzer wie Aristoxenos sagt; Zirwvis hiels bekanntlich auch ein Satyrtanz (Athen. XIV, 6305.). Auf den Erzmünzen dieser Insel die einerseits eine Weintraube und ZIKI zeigen, dürfte der unbärtige epheubekränzte Bacchuskopf viel wahrscheinlicher uns- ren Sikinos (Süfsling) vorstellen. 33. ROSSHAHN: ENITONOC EPIGONOS. Taf. IV, 23. Onyx der Londner Sammlung 857. Die Verbindung einer Pferdebüste mit einem Hahnkörper ist als Bild persischer Teppiche aus Aristophanes Fröschen v. 937. unter dem Namen (@”) De Witte Cab. Durand Vas. 142. p. 48. (*) Strab. V, 217, 209. Steph. Byz. s. v. (*°”) Apoll. Rh. I, 624. Strab. X, 464. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 495 irmarerrgiav Rofshahn bekannt und durch Vasenbilder (2) sowohl, als Gemmen und Glaspasten (?**) bereits hinlänglich veranschaulicht. Hier ge- sellen sich indefs zu dem Hippalektryon noch zwei andre werkwürdige Sym- bole, nemlich ein Doppelkopf gebildet von einem bärtigen Kopf der fast das Ansehn eines Silens hat, und ihm im Rücken dem Kopf eines Widders. Es würde sehr schwer fallen über Wahl und Stellung der vier höchst eigen- thümlichen Elemente dieser Hieroglyphe sich aufzuklären, wenn nicht glück- licherweise der um das Chimärenbild sich herumziehende Name Erıyovos uns zu Hülfe käme. Betrachten wir den Namensanfang Erı, so läfst sich nicht verkennen dafs ihm die an der Spitze sichtbare Pferdebüste entspricht, da &res, euros statt des nachherigen irres dasselbe Wort wie equus ist, worauf sowohl Epona die Göttin der Pferdezucht, (*) als Epeios der Urheber des höl- zernen Pferdes (2°) vor Troja, (**”) hinweist. In gleicher Richtung mit dem Pferdekopf und zwar unter demselben zieht ein kahler bärtiger Kopf unsre Aufmerksamkeit auf sich; stellt er eine Silensmaske vor, so dürfen wir uns nur an die Benennung irrcı Pferde für Silene wegen ihrer Rofsschweife, Ohren und bisweilen Füfse erinnern, um die Überzeugung zu gewinnen dafs auch er mit den ersten beiden Sylben des Namens, mit’Erı im Einklang steht. Sollte aber hier wegen stehender Silensohren vielmehr ein Menschenkopf ge- meint sein, so liefse sich entweder an den vorgenannten Künstler Epeios, oder an das für einen Philosophen sich wohl eignende Portrait des Ringbe- sitzers Epigonos selbst denken. Schreiten wir nun zur Beachtung des Widderkopfes vor, der diesem Kopf janusartig sich anschliefst, so zweifeln wir keinen Augenblick dafs er die zweite Hälfte des Namens, nemlich yovos bildlich auszudrücken bestimmt ist. Denn der griechische Name für Widder «a bedeutet zugleich die Po- tenz appev und hiermit im Einklang wählte einerseits die thracische Stadt 243) Kylix des Xenokles bei Gerhard Trinkschal. d. K. Mus. Taf. I, 5. RR Y (@*) Weilse Glaspaste meiner Sammlung. () Walz Kunstbl. 1845. n. 25: die Göttin Epona. Heidelb. Jahrb. 1845. (2°) Plin. N. H. VII, 56: Equum (qui nunc aries appellatur) in muralibus machinis Epeum (scil. invenisse) ad Trojam. (7) Panofka Eigenn. mit Kalos. Taf. IV, 4. S. 53-55. 496 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Gonnoi, Zeugung (?*) den Widder zum Typus ihrer Münzen; andrer- seits der König Antigonos Gonatas, (Zeuger) auf seinen Silbermünzen Bockshörner und Ohren an seinem unbärtigen Portrait (Mionn. S. III, 246, 596.), und auf seinen Erzmünzen den Gott der Potenz selbst, Faunus, den Gonatas der Götterwelt, im Begriff ein Tropäum zu errichten (Mionn. 1. c. 598. sqq.). Hinsicht des zweiten Symbols auf dieser Seite, nemlich des Hinterkörpers des Hahns, müssen wir uns ins Gedächtnifs rufen dafs dieses gefiederte Thier wegen seiner hitzigen Natur von den Griechen in glei- chem Sinn wie der Bock aufgefafst und in der Bildersprache angewandt ward. (2°) Davon liefern die Silbermünzen der sicilischen Stadt Himera, deren Name mit fusgos, cupido, Begier, Wollust, zusammenhängt, den schla- gendsten Beweis. Denn bald zeigen sie Hahn und Henne (Mus. Hunt. T. 30, XIX.), bald den Jüngling Himeros auf einem Bock reitend und auf der Rückseite den Vordertheil eines Bocks mit bärtigem Panskopf, nach hinten in einen Hahnenschweif endend (M. Hunt. T, 30, XXI.), bald einen ithy- phallischen Silen als gleichbedeutenden Dämon der Potenz, an einer Fon- taine mit Löwenrachen sich badend (M. Hunt. T. 30, X VIII.). Demnach 'bildet diese sogenannte Chimäre ein glücklich gewähltes Siegel für Herrn Epigonos und vermag zugleich die Anspielung die dem Epigonos (Aristophan. Ecelesiaz. v. 167.) zum Grunde liegt, ans Licht zu ziehen. 24. PFERD MIT ÄHREN IM MAUL: SASEIV(S). Taf. IV, 24. Karneol der St. Petersburger Sammlung VII Kast. 73. Es liefse sich hier an Poseidon denken der aus Liebe zu Demeter die Gestalt eines Rosses in Arkadien annahm, (?°°) zumal seine Verehrung als Harrg in Eleusis, dem römischen Beiwort Sator (?°') vom Saamenstreuen entsprechend, die Beziehung zu der Inschrift Saseju zugleich kund gäbe. Denn wenn wir auf Augustinus de civitate Dei IV, 3. hören: sata frumenta (@) S. m. Schrift Einflufs d. Gotth. auf d. Ortsnamen. Th. II, S.14. Taf. I, 5. (°°°) Fulgent. Mythol. II, 11: Inde gallinaceos pedes (scil. Sirenes habent) quia libi- dinis affectus omnia quae habet spargit. (2°) Paus. VIII, 42, 1. 2.; 37, 6. 25, 5. Panofka Verlegne Mythen Taf. I, 2 und 3. S.7. u. ff. (*°') a satione Serv. ad Virg. Georg. init. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 497 quamdiu sub terra essen, praepositam voluerunt habere deam Sejam: so folet dafs Saseju für Sasejus die männliche Form von Seja mit der Redupli- S ) ) ) pP cation Sa uns darbietet und ebenfalls die Idee der Saat in sich schlielst. 25. KAAAICTOC ZWISCHEN ZWEI ÄHREN. Täf. IV, 25. Karneol der Kopenhagner Sammlung 318. Der Gedanke an den schönen Jasion mit dem sich Demeter ver- mählte auf dreimal geackerten Blachfeld und den Pluton oder Plu- tos in Kreta gebar, (*°*) bietet sich am natürlichsten dar sowohl mit Rücksicht auf die Inschrift als auf die beiden sie umgebenden Ähren die wahrscheinlich die beiden grofsen Götllinnen Demeter und Kora versinnli- chen. Da aber jedem Hellenen bei dem Worte zaAcs auch ein zayaSos auf die Lippen kam und auch in Arkadien die Namen gebende Göttin der Kalli- sto nicht blos als Artemis Kadrırry, sondern auch als "Agırrn (Paus. I, 29, 2. VIII, 35, 7.) angebetet ward: so machen wir darauf aufmerksam dals die beiden Ähren bei den Römern unzweifelhaft mit dem Namen arisiae bezeich- net wurden. Kallistos kommt übrigens als Eigennamen von Personen so- wohl in Marathon (C. I. Gr. 35.), als in Kolophon (Mionn. D. III, 82. S. VI, 103.) vor und kann daher auch hier den Ringbesitzer uns angeben. 36. FORTUNA: EY$BHMOY. Taf. IV, 26. Karneol der St. Petersburger Sammlung VI Kast. 23. Fortuna mit Modius, Füllhorn in der Linken, Ruder in der Rechten EYPHMOY. Sobald wir erwägen dafs eüpnueire dem lateinischen favete linguis, seid günstig mit euren Zungen, entspricht und dafs es nichts in der Welt giebt was dem Neid, Leumund und der bösen Anwünschung mehr ausgesetzt ist als das Glück: so kann uns auch das Passende der Inschrift die dem Sinne nach mit der der Gemme n. 27. Aßaszavros Unberufen übereinstimmt, in Beziehung zu dem Bilde nicht entgehen. Unabhängig hiervon aber offenbart die Gemme uns als Ringbesitzer einen Euphemos, dessen Namen wir theils (22) Hesiod. Theog. 969. Philos.-histor. Kl. 1851. Rrr 498 Paworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen in der Mythologie bald für den Sohn des Poseidon, (253) bald für den des Troi- zen (25*) antreffen, theils in historischer Zeit noch mehrfach in Athen, Ka- rien, Metapont und Magnesia wiederfinden. Vergleiche unsre Erklärung des Siegelrings Taf. I, 13. mit demselben lateinisch geschriebnen Namen Euphemus. 27. HÄNDEDRUCK MIT MOHNSTENGEL UND ZWEI ÄHREN: ABAC(zav)TOC. Taf. IV, 27. Karneol der Haager Sammlung 637. Wir erkennen hier eine Streitschlichtung und Rückkehr zu friedlicher Eintracht. Der Mondstengel bezeichnet die Ruhe, die beiden Ähren deuten auf den Seegen des Friedens, der Händedruck auf Aussöhnung und Bündnifs. Demnach vergegenwärtigt diese Gemme ein Bild des Waffenstillstandes Eneyeipia (für exexeigia Händehaltung) mit seinen wohlthätigen Früchten, womit auch die Umschrift’Aßarzavres der vom Neidnichtanzutastende, oder wie wir sagen Unberufen, auf diesen glücklichen Zustand bezüglich sehr wohl passt. Deshalb dürfen wir aber nicht übersehen dafs die Inschrift Aßarkavros zugleich den Namen des Ringbesitzers verräth, wie denn ein Sphet- tier dieses Namens, ein Sohn des Asklepiades, (C. I. Gr. 192.) und ein Ke- phisier, Sohn des Eumolpos, (C. I. Gr. 270.) beide aus Athen, und auch in Rom Abascantus (Gruter p. 63, 3.) durch Inschriften bezeugt werden, 28. CADUCEUS MIT ZWEI ÄHREN: HOMEROPA. Taf. IV, 28. Karneol der Haager Sammlung 402. Caduceus von zwei Schlangen gebildet die nach einem oberhalb in der Mitte befindlichen kleinen Apfel schnappen; vom Caduceus entspriefst unten jederseits eine Ähre; ringsum HOMEROPA. Erwägt man dafs der Mythos vom Ursprung des Heroldstabes sich auch an die Befehdung zweier feindlichen Schlangen knüpft, zwischen wel- che Hermes seinen Stab hineinwarf, und so die Gegner aus einander brachte, woher dann der Begriff des Streitigkeitschlichtens für Waffenstillstand oder Frieden durch dieses Attribut vorzugsweise ausgedrückt ward: so leuchtet (©) Pind. Pyth. IV, 44, 45. Apoll. Argon. I, 179. (©) Hom. Il. II, 846. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 499 zugleich ein dafs hier der kleine Apfel womit die feindlichen Schlangen ge- kötert werden, die Stelle des hineingeworfnen Mercurstabs vertritt. Zu- gleich wird man aber auch einsehen dafs hiermit der Name der Ringbesitze- rin Homeropa die auf Geisseln sieht, als Synonym von Waffenstill- stand sehr wohl übereinstimmt und die beiden Ahren auf den Seegen des Friedens hinweisend damit nicht in Widerspruch stehen. 29. HAND MIT CADUCEUS ZWISCHEN PALMZWEIG UND MOHNSTENGEL: NIKOMHAHC. Taf. IV, 29. Karneol der Kopenhagner Sammlung 371. Mit dem Namen Nikomedes welcher Siegsherr sich übersetzen liefse, stehen die verschiednen Symbole die zum Siegel des Ringbesitzers dienten, im besten Einklang. Denn wenn der Palmstengel den Sieg vixn offenbart, so bezeichnet der Mohnstengel seinerseits sowohl die Ruhe als die Frucht- barkeit, der Heroldstab den Frieden, welche beide in Folge des Sieges erst eintreten. 30. HÄNDEDRUCK, HALSBAND DRÜBER, DRUNTER OMONOHA. Taf. IV, 30. Achatonyx der St. Petersburger Sammlung III Kast. 21. Ein Trauring durch die in einander geschlungnen Hände, die Unter- schrift Eintracht ‘Onovera, und das drüber liegende Halsband class, welches an das mythische der Harmonia unwillkührlich erinnert, unverkennbar charakterisirt. 31. MERCURKOPF MIT CADUCEUS: ILIYSSVS. Taf. IV, 31. Karneol der Pariser Sammlung 269. Brustbild des unbärtigen Mercur mit geflügeltem Caduceus davor; hinter dem Kopf ILIYSSVS. Auf einer volcenter Vase (?°°) ist die Erscheinung des jugendlichen Mercur gegenüber einer jugendlichen Frau, die Niemand für seine Mutter halten würde, sondern für seine Gemalin, wenn nicht die Inschrift MAIA (°) Gerhard Auserlesne Vasenb. I, xıx, 1. Panofka d. gr. Eigennamen mit Kalos. Taf. II, 3. Rrr2 500 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen und HEPMEZ dagegen spräche, eben so wenig beachtet worden, als die Gruppirung derselben durch gleiche Inschrift gesicherten Gottheiten in einer Götterversammlung wo aufser diesen nur Götterehepaare sich vorfinden. (25°) Ich trage kein Bedenken auf beiden Monumenten Hermes der ja in Meta- pont als Hardorcges (Hes. s. v.) verehrt ward, und auf Kunstwerken so viele Götterkinder in Windeln trägt, als Gemal dieser Maja, der Wärterin und Hebamme, zu betrachten und daran zu erinnern dafs die Römer eine Göttin Maja, auch Majestas, eine Tochter des Faunus, als Gattin des Vulcan ver- ehrten, der sie an den Calenden des Mai eine trächtige Sau opferten (Ma- crob. Saturn. I, 12.). Den Namen lliyssus vergleiche ich mit Dithyia der Wickel- und Win- delgöttin und leite beide von erursw, eiruw, au umwinden, umhüllen ab. So gewinnen wir einen Namen den der Ringbesitzer von seinem Schutz- gott Mercur als Knabenwärter und Maja-Gemal entlehnt hatte. Als ähnli- cher Mannsname kommt Eiusses bei Quintus Smyrnaeus I, 228. vor. 32. MERCUR: L. OCTAVILAETI. Taf. IV, 32. Karneol der Pariser Sammlung 275. Unbärtiger Mercur mit Flügelhelm und Flügelfufs, die Chlamys über dem linken Arm, den Caduceus in der Rechten, mit erhobnem rechten Fufs an einen Steinhaufen gelehnt. L. OCTAVI LAETI. Insofern dem Hermes der Cubus also die Acht geweiht ist, findet die Beziehung des Octavius zu Mereur ihre Begründung: indem auf einer atheni- schen Tetradrachme der Münzbeamte Heivugaguwv (°7) mit einem Caduceus siegelt, berechtigt er uns für den Römer Zaetus Erfreut dasselbe Eintrachts- und Friedenssymbol in der Hand des Merkur geltend zu machen. Vielleicht verdient noch ein Plasma der Herzschen Gemmensammlung in London (n. 468. des Katal.) „neben einem Mercur mit Flügelhut, Beutel und Heroldstab ein Skorpion” (Gerhard Arch. Anzeiger N. 34. Oct. 1851. S. 99.) einige Berücksichtigung, insofern der Skorpion das achte Zeichen im Thierkreis bildet und in den Monat October hineinfällt. (°°%) Auf einer rothfigurigen volcenter Trinkschale. (°”) Combe M. Hunt. T. 9, XXII. Panofka Antike Weihgeschenke. Taf. IV, 3. zu Berlin, Haag, K. openhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 501 33. ELEPHANTENKOPF MIT CADUCEUS UND DREI MENSCHLI- CHEN KÖPFEN; EVEANICTOV. Taf. IV, 33. Rother Jaspis der St. Petersburger Sammlung VII Kast. Abth. 29, 55. Elephantenkopf einen Caduceus im Rüssel haltend: des Thieres Scheitel bildet ein bärtiger Silenähnlicher Kahlkopf; dem Elephantengesicht im Rücken schliefst sich Janusartig ein bärtiger Kopf an mit gelocktem oder vielleicht bekränztem Haupthaar, im Ausdruck an Könige oder Seher auf Vasenbildern erinnernd; im Rücken des vorgenannten Kahlkopfs erblicken wir einen Kopf vielleicht mit zwei aufspriefsenden Bockshörnern an der Stirn, welche durch die zwei Elephantenzähne gebildet werden. Ringsum EVEANICTOV.— Der Name bisher fast immer von dem Steinschneider ver- standen, ward von Köhler (Geschn. St. S. 75.) mit Recht dem vormaligen Ringbesitzer zugewiesen. Schneider bei der gelehrten Erklärung des Wortes &Xepaıpw belisten, das er mit Recht mit Arw, Arıkw und Erwgn die Hoffnung in Verbindung setzt, bemerkt: „auf die Ähnlichkeit des Wortes mit &ri&pas, oder gar auf die Ableitung davon beruht die Fiktion Hom. Odyss. XIX, 564 von der Pforte der Träume aus Elfenbein (&repas) durch welche die trügerischen leeren Träume kommen, wie schon die alten Ausleger bemerkt haben.” Da die Stelle für das Verständnifs unsrer Gemme sich vielleicht benutzen läfst, so theilen wir der Penelope Rede wörtlich mit: Eeiv, Aroı mer eveıpoı duny,avcı, Grgrrouudor YıyvovT, oUde Tı Favra TEAEIETLL avSpumaow. dor yap TE mUAaL anevnvOv eiriv everpwv" ai ev yap nEDdETTL TerEUy,araı, al d erebavrı Tav oi uw KErASwrı did moıaTou ErEbavros, id’ Erebalgovraı, Erd ürguavra degovres- oi de dia Eeorüv nepawv ASwrı Sugade oid’eruna npaivouss, Bgorwv OTE Rev rıs Idnran. Liefse sich auf dieser Gemme an die täuschenden Träume im Elephan- tenrüssel und Silenskopf versinnbildet denken, wobei der Caduceus den Schlaf- und Traumbringer Hermes vertreten könnte, während hier- mit im Gegensatz die Wahrheit der Erfüllung mit sich führenden Träume durch den mit zwei Hörnern wie Faunus ausgerüsteten Kopf des 502 Paworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen Traumgottes Phantasus und den Kopf eines Sehers oder Traumdeuters wie Tiresias oder Ampbhiaraos veranschaulicht werden? Der Name EveArısros bedeutet wohl hoffnungswerth und läfst sich mit dem Bilde des Elephantenkopfes insofern verbunden denken als die Haut des Elephanten hart, fest ist und das Zuverlässige, Beßawwv, der Hoff- nungauszudrücken vermag. Vielleicht läfst sich auch zu Gunsten des Elephan- tenkopfes in Verbindung mit Euelpistos noch Aelian de natura animalium L. XI, c. 14. benutzen: orı zal uynunv ayaSov &rrı ro Ciov roüro (scil. elephas), zal&vroAas buAafaıoide (Beruf des Hermes), za un bevrarSaı ryv rüv mapuanaraJeuevwv örıouv aurw moondoniav re xal EAmida, Allein der Elephant ist auch mit das langlebendste Thier und kann als solches ein langes Leben bezeichnen. Ob aber in dem Sinn der Hel- lenen ein hohes Alter als etwas sehr wünschenswerthes angesehen wurde dürfte wenigstens nach Sophocles Oedip. Colon. v. 1234-38. und Pind. Olymp. I, 82-84. manchem Zweifel unterliegen, wenn nicht andrerseits eöaiwv als Beiwort und Eigennamen (*°*) dafür zu zeugen vermöchte. Oder ruft diese Gemme wie ähnliche Gemmen den indischen Gott Indra als Vorbild des vieläugigen Argos (1°?) uns zeigen, so den indischen Gott Ganesa mit Elephantenkopf und Leier (2°) uns ins Gedächtnifs, der als Gott des Jahres, des Erfolgs, der Zahlen, der Erfindung und der Weisheit überhaupt angebetet ward, und dem Hermes der Griechen und Janus der Römer sich assimilirte? so dafs EieArisros guter Hoffnung werth sich un- abhängig von seiner Bedeutung als Eigenname des Ringbesitzers, als Epithet für das Neujahr zum Glückwunsch ebenfalls eignen würde. 34. VENUS VICTRIX. Taf. IV, 34. Plasma der Wiener Sammlung V, 13.— Arneth S. 83, n. 136. Die bewaffnete Aphrodite an einen Pfeiler gelehnt, die Urania als Ge- malin des Ares auch Areia in Sparta (Paus. III, 17, 5.) angerufen: ABPO- AEITH TH ANEIKHTW VENERI VICTRICI. (28) Panofka gr. Eigennam. mit Kalos. S. 43-45. Taf. III, 4 u. 6. Hes. eier züynaws, sUnorans. ’ (°°) S. m. Argos Panoptes S. 38-40. Taf. II, 5, 6, 7, 8, 9. Taf. III, 4, (°°) Moores Hindu Pantheon Tab. 32. Guigniaut Relig. Pl. VI, 28. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 503 Der Helm den die mit einer Lanze in der Linken bewaffnete Göttin auf vorgestreckter Rechten hält, versinnlicht den Sieg und rechtfertigt die ohne Zweifel auf ein ex voto bezügliche griechische Beischrift mit lateinischer Übersetzung: An die unbesiegbare Aphrodite, An Venus die Siege- rin. Ob diese beiden Inschriften ursprünglich die Basis eines Weihgeschenks schmückten worauf die Marmorstatue dieser Göttin sich erhob, so dafs der Ring für den Geber nur die Erinnerung an seine Weihung enthält, oder ob der Ring selbst, allein oder mit anderen kostbaren Stücken das ex voio an die Aphrodite Aniketos bildete, läfst sich nicht mehr entscheiden. 35. VENUS: APRYLES. Taf. IV, 35. Karneol der Wiener Sammlung V, 4.— Arneth S. 83, 125. Venus nur den Unterkörper verhüllt, die Linke an den Schenkel ge- legt, die Rechte nach dem Hinterkopf erhebend: APRYLES. Wenn Ovid (Fast. IV, 61, 629. 90, 130. 1, 39.) bezeugt dafs der Monat Aprilis der Venus geweiht war, der aus dem Schaum, üpgev, des Meeres emporgekommnen Göttin Aphrodite, so leuchtet der Zusammenhang zwischen Bild und Inschrift dieser Gemme von selbst ein, und Apryles für "AmguAns bezeichnet den Genitiv von "ArguAn, einem Namen der ursprünglich der Göttin gehörte und später auf ihre Schützlinge überging, 36. TAUBENPAAR, ROSE DAVOR: PWAINOC. Taf. IV, 36. Schwarzer Karneol der Londner Sammlung $19. Raspe 15723. Vögel und Blumen sind die allbekanntesten Attribute der Liebesgöt- tin. Die Rose Soden, der Münztypus der Insel Rhodos, offenbart auch mytho- “ logisch ihre enge Beziehung zu Aphrodite, indem Rhodos bald eine Toch- ter des Helios und der Aphrodite, bald des Poseidon und der Aphrodite genannt wird. (°%') Die späte Zeit der diese Gemme angehört, entschuldigt Schreibart und Form des Namens statt der gewöhnlichen Form ‘Pedwr (C. I. Gr. 353 und 572.) und ‘Podwv (Suid.); der Name ‘Pwöwwos erinnert mehr an “Pudalcı, deren Stadt Rudiae in Calabrien Strabo VI, 3. p. 282. erwähnt. (@°') Schol. Pind. Ol. VII, 24. Tzetz ad Lycophr. 923. 504 Panxorza: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 37. PSYCHE IN FUSSFALLE UND EROS: MAMYBIAOY. Taf. IV, 37. Karneol der Londner Sammlung 375. Raspe Catal. de Tassie pl. XLII. 7170. Psyche mit Schmetterlingsfügeln sitzt auf einem Fels, mit der Linken ihren nur den Unterleib verhüllenden Peplos erhebend: der linke Fufs er- scheint in einer Fulsfalle; ihr gegenüber eilt Eros herbei, mit Bogen und Pfeil in der Linken, hinter ihm ein hoher Baum unter dessen Blätterzweigen ein Schmetterling nach Psyche zufliegt; hinter Psyche zieht sich MAMBIAOY herab. — Köhler (?°*) hält Inschrift und Vorstellung für neu. Diesen Karneol für modern zu erklären fehlt es bei dem modernem Geist so nahe stehenden Gegenstand und Hinblick auf den Amor keineswegs an mannigfaltiger Versuchung; wern nicht andrerseits die Übereinstimmung mit echt antiken Darstellungen desselben Gegenstandes zu milderem Urtheil bestimmen könnte. Die Fufsfalle der Psyche kann uns jedenfalls über die wahre Bedeutung des heutzutag so oft gebrauchten Wortes Skandal auf- klären. Hesych. v. SxavdaanSg irras nal Fravdarov, 75 Ev rals nuiaypaıs.— V. Zxavdaros: &urodırucs. Der Genitiv MAMPIAOY bisher als Werk des Stein- schneiders Pamphilos aufgefasst, wird wegen der Stelle und Buchstabengrö- fse der Inschrift mit gröfserem Recht demjenigen zuzuweisen sein, der die Gemme geschenkt bekam. Die Anspielung die im Bild des Eros und seinem Namen Garlieb sich ausspricht, tritt ganz ähnlich auf einem römischen Sarkophag zum Vorschein. 38. HÄNDEDRUCK: OAAAIK(ves). Taf. IV, 38. Karneol der St. Petersburger Sammlung VII Kast. 33. Schubl. 100. Dafs der wechselseitige Händedruck schon im Alterthum den Sinn unsres „gieb mir die Hand drauf!” in sich schlofs, zeigt am deutlichsten auf einer Erzmünze von Commagene (?%) die Inschrift MMZTIZ Treue über einem solchen Händedruck mit dem Sinnbild des Handels, dem Caduceus, in der Mitte. In ähnlichem Sinn treffen wir den Händedruck als Sinnbild des Ehepaktes sehr häufig auf Gemmen an. Insofern aber im Götterkreis die Gefährtinnen der Liebesgöttin, die Grazien, vorzugsweise die Hand geben und (°°?) Geschn. St. S. 181. (°®) Panofka Einfl. d. Gotth. II, Taf. II, 23. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 505 festhalten, hat die nach ihnen benannte Stadt der Unzertrennlichen Auogiavay in Phrygien in der Mitte dieser Inschrift höchst sinnig das gleiche Symbol des Händedrucks (?°*) zum Stadtypus gewählt. Da mit dem Namen Thalia auch eine der Chariten bezeichnet wird, so liefse sich das Sym- bol hier auf dieselben Göttinnen beziehen, wie auf den Münzen von Amo- rium. Indefs dürfte wahrscheinlicher dieser Stein, gleich so vielen andren mit demselben Emblem, für Herrn Thallinos (2%) oder Thaliskos (2°) zum Trauring gedient haben. 39, NACKTES BRUSTBILD MIT FLÜGELN UND PERLSCHNUR IM HAAR; T.ViI.HIL. Taf. IV, 39. Karneol der Londner Sammlung bei Tassie Cat. 7670. Victoire. Vitula heifst die Göttin welche der Freude vorsteht und mit der Sie- gesgöttin Victoria für identisch erklärt wird (Maer. Saturn. III, 2.). Diesem entspricht die Glosse des Festus: vitulans laelans gaudio ut in pralo vitu- lus. Ennius: habet is coronam vitulans victoria. Irre ich nicht, so liefert der Vers des Ennius den bündigsten und befriedigendsten Commentar zu die- sem Gemmenbild, indem die corona an der Stirn als vita, vilta hier zur Be- zeichnung der Flügelgöttin Vitula auf gleiche Weise gebraucht wird, wie andremale Tänien und Kranz bei der Bindegöttin Victoria (quae vincit) als unentbehrliche Attribute uns begegnen. Mit dieser Deutung stimmt auch die Inschrift überein indem HIL offenbar für Hilaris den Schützling der Freu- dengöttin Vitula uns kennen lehrt. Hiermit im Einklang würde der voran- gehende Name Vi für Vitulus sich empfehlen, wenn nicht derselbe bisher nur als cognomen vorkäme. Daher scheint es rathsamer Vi auf die natür- lichste Weise als Vibius zu ergänzen, nicht ohne Seitenblick auf jene den Wegen vorstehende Göttin Vibilia (*°) deren Wesen und Beruf sich ge- wifs nicht allzusehr von dem unsrer Freuden - und Siegesgöttin Vitula ent- fernte. (@°*) Einfl. d. Gotth. II, ı1, 22. (2) Oarwos auf volcenter Vase. Birch und Newton Catal. of Vas. in Brit. Mus. 821#. (2°°) Alciphron III, 35. (@°”) Arnob. IV, p. 131. Varro R. R. I, 2, Philos.- histor. Kl. 1851. Sss 506 Paınorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 40. HAHN MIT DER UMSCHRIFT AETO MY«XlI(e). Taf. IV, 40. Plasma der Wiener Sammlung I, 32. Plutarch (?°8) berichtet dafs in Plataeae bei der Feier der Ehe des Zeus und der Hera zuvor der Leto Mychia oder Nychia d.h. der Leto im Winckel oder der Nächtlichen aus Dank für den dem Lie- bespaar bewährten Schutz geopfert ward, und dafs diese Leto Mychia mit der Hera Teleia oder Gamelia d.h. der Hochzeitlichen Altar und Tempel theilte. Da Leto die Verborgenheit ausdrückt und durch die Beiwörter Muyi« und Nuyie dieFinsternifs der Nacht noch schärfer her- vortritt: so darf es uns nicht wundern dafs auf dieser Gemme ein Hähn, der Verkünder des Tages, ihr geweiht wird, nicht als ein ihr genehmes Thier wie dem Helios, sondern als ein ihr verhasstes, zu schlachtendes, wie ja der- selbe Vogel der ihr geistesverwandten Magna Mater sowohl, als der Nacht- göttin Hekate (Gerhard Ant. Bildw. Taf. LXXV, 1.) und der Nacht selbst (Ovid. Fast. I, 445.) geopfert ward. 41. HIRSCHKUH EIN KNÄBLEIN SÄUGEND: AAMACK(s). Taf. IV, 41. Sardonyx der St. Petersburger Sammlung X Kast. 46 Schubl. 103. Das Bild eines von einer gehörnten Hirschkuh gesäugten Knaben ruft uns zunächst die Aussetzung des Arkader Telephos ins Gedächtnifs. Allein die Inschrift Auuarz belehrt dafs hier ein andrer Arkader gemeint ist, nem- lich Damaskos der Sohn des Hermes und der Nymphe Alimede, der aus Arkadien nach Syrien kam, daselbst die Stadt Damaskus gründete und nach sich benannte. (St. Byz. s. v.) Den Typus dieser Gemme jedoch in sehr verschiednem, untergeordneten Kunststyl, zeigte bereits eine Erzmünze der Stadt Damaskus unter Kaiser Philippus dem Vater geprägt (Mionn. V, 292, 63.) welche Vaillant (2°) scharfsinnig auf den kleinen Askos den eine Hirschkuh dama säugt, als Gründer der Stadt Damaskus bezog. Da die tiefere Begründung dieser bildlichen Darstellung in unsres Freundes de Witte gelehrter Monographie „le geant Ascus” (Revue Numismat. 1844.) (°°®) Libr. deperdit. fragm. IX, 3.— Über die Sec uYxıo K. Fr. Hermann Gottes- dienstl. Alterth. $. 15, 2. (°°®) Numism. aerea Imperat. T. II, p. 232, 233. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 507 erschöpfend durchgeführt ist, — wo selbst auch als Rückseite des lorbeer- bekränzten Kaiserbrustbildes mit Paludamentum und der Umschrift InpeM. Iul. Philippus P. F. Aug. eine gehörnte Hirschkuh an der ein am Boden sit- zender Knabe säugt, mit der Umschrift Col. Dama. Metro. und unten einem Widderkopf, und Pl. I, 3. die Hirschkuh dama, allein (Mionn. S. VII, 193, 2.) abgebildet ist: — so bleibt uns nur übrig zu bemerken, dafs der Knabe mit Unrecht bei Vaillant und de Witte Ascus heifst, da Stephanus von Byzanz ihn Damascus nennt. Hieran knüpfe ich die Vermuthung dafs der Name des Kindes analog dem Telephos, von der Titze d. i. dem Schlauch @rxos der Hirschkuh dauarıs, dama, seinen Namen entlehnte. 42. PELEUS DIE LANZE SCHNEIDEND; EMIKH(?)P. Taf. IV, 42. Sardonyx Scarabäus der Londner Sammlung 278. Raspe 1969. Ein nackter Mann der mit einem Sichelschwert einen hohen Baum sich zur Lanze zurecht macht, kann nur Peleus vorstellen, der sich von einer Esche des Berges Pelion eine Lanze schnitt — Stipes properanti falce dolatus Peleus (Propert. IV, 2.) — die nachher auf seinen Sohn Achill über- ging und später in Bezug auf Telephos zu dem berühmten Sprüchwort, „wer verwundet, wird auch zu heilen vermögen” Anlafs gab. Obwohl gegen die Echtheit der Umschrift EMIKH(?)POC zumal hinsicht des Buchstaben zwi- schen Kund / gerechte Bedenken sich erheben dürfen, so glauben wir doch dafs auf dem antiken Original eine ähnliche Inschrift sich vorfand, vermuth- lich Erızaig(os). Man erinnere sich dafs analog unserem Bilde Lysipps Erzbild in Sieyon, der Genius des rechten Augenblicks Kaıgcs ein Scheermesser in der Hand (Callistrat. Stat. 6.) wegen des zuge und xougeus als wesentliches Attribut führte. Dieser Kairos erscheint mit solchem Sichelmesser in der Rechten und gesenkter lodernder Fackel in der Linken, mit Fledermausflügeln am Rücken, als Zeitpunkt der Nacht, davonflie- hend, auf einem Sarkophag auf welchem Helios dem Hahnrei Hephästos das liebende Götterpaar Mars und Venus entdeckt. (27°) "Erizagos war nach Strabo VIII, 373. der alte Namen des argolischen Epidauros. Indefs liefse sich auch denken dafs auf dem antiken Original ENIKOYP für Erizeugos Helfer (°) Winckelmann Monum. ined. 27. Millin Gal. myth. XXXVIII, 168*. Sss? 508 Panorxa: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen gestanden habe, — man denke an Apollo Epikurios zu Bassae (?”!) — mit Beziehung auf die Heilkunde welcher in Folge des Unterrichts bei Chiron nicht nur Achill, sondern auch schon sein Vater Peleus oblag, zumal noupeUs der Bartscheerer grade eines solchen Messers sich bediente. 43. PFEILABSCHIESSENDE AMAZONE MIT LEDERNER HELM- KAPPEIUND'CHITON. "AlEROFTELTVIAE! Karneol der Londner Sammlung 337. Die Inschrift drückt vielleicht den Wunsch aus, der Pfeil möge durch- gehen von die und inuı und also das Ziel treffen: so liefse sich die Inschrift mit einer ähnlichen KAOIE vergleichen die im Lanzenzweikampf Athene dem mit seiner Lanze sie bedrohenden Ares zuruft. (27?) 44. PALMZWEIG: MOSCHIO. Taf. IV, 44. Onyx der Londner Sammlung 718. Der Zweig bezeugt den Ringbesitzer als Sieger, dient aber nebenbei insofern die Griechen jeden jungen Zweig, Stengel Kory,s nannten, zum passenden Siegel für Herrn Moschio. Moschus und Moschis (Muratori 477, 5.), auch Moschilus (Muratori 158, 1.) sind aus römischen Inschriften, Meryiay aus Münzen von Apollonia, Dyrrhachium mit dem Typus einer Kuh die ein Kalb (uorxos) säugt, bekannt. (27?) Für diese Gemme ist aber eine Erzmünze von Smyrna (?7*) besonders wichtig, die als Rückseite eines jun- gen lorbeerbekränzten Kopfes die Inschrift ZMYPNAIQN MOZTXINN über einer Cestusumwundnen Hand mit zwei Palmstengeln im Feld zeigt, und eine von Halikarnass, (275) einerseits die verschleierte Ceres mit Ähren und Fackeln AAIKA MOCXI, andrerseits Neptunkopf, „devant un roseau ou toute autre plante aqualique.” Es leuchtet ein dafs „die Wasserpflanze oder Schilf” als uorxos ebenfalls die Anspielung auf Moschion in sich trägt. (@) Paus. VIII, 41, 5. Stackelberg der Apollotempel zu Bassae. (@?) Panofka Vas. di Premio. Tay. 6. (€) Mionn. D. II, 29, 11. (°) Mionn. D. III, 49, 1084. (°”) Mionn. S. VI, 494, 294. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 509 45. SIEGENDER UND BESIEGTER STREITHAHN: M. METELLIA. P. IVLIPOLLIA. NORVM. Taf. IV, 45. Karneol der Wiener Sammlung F. I, 33. Der Zweig vor dem stolz sich aufblähenden Hahn bezeichnet den Sie- ger, der nach der Erde gesenkte Kopf des gegenüberstehenden den Besieg- ten. Die Anspielung der Hähne auf den Namen Pollia, pollus, pullus, leuch- tet von selbst ein. (?7°%) Insofern der Hahn als Verkünder des Tages dem Helios geweiht ist, und hier mit der Inschrift Pollia in Verbindung tritt, läfst sich auch die Gemme Taf. I, 36. wo M. Pollio das Bild des Sonnengot- tes Apoll zum Siegel gebraucht, mit Nutzen vergleichen. Dürfte man an Hahnenkämpfe als eine Gattung der Zudi Apollinares denken, da der Hahn dem Helios heilig ist (Paus. V, 25, 5.) und die Silberdenare der Gens Asi- nia das strahlenbekränzte Haupt des Apollo mit der Inschrift POLLIO zeigen? 46. AUSRUHENDER WOLF: AKAKIN FPHION. Taf. IV, 46. Onyx der Londner Sammlung 764. Das Bild dieses ausruhenden sich die Hinterpfote leckenden Wol- fes (277) erinnert sehr an den gleichen Typus der Münzen von Adria. (27°) Die schwer zu deutende Inschrift wissen wir nur als Motto zu erklären, in- dem wir azazıv verschrieben für axaxov oder axaryv, und yoniov als Bezeich- nung des Thieres „der Alte” auffassen, so dafs im Gegensatz mit der bekann- ten Inschrift Curve canem neben einem Hund an der Kette, hier neben einem ausruhenden Wolf die Versicherung „ein unschädlicher Alter” d.h. er thut dir nichts, er beifst nicht, geh nur vorbei! uns vor Augen träte. Vielleicht hiefs der Gemmenbesitzer Akakos nach dem Sohn des Lykaon, dem Erbauer der Stadt Akakesion in Arkadien, oder Akakios, den Suidas als Mannsname in späterer Zeit anführt. (@°) Vgl. d. Erzm. von Pergamos bei Mionn. D. II, p. 592, n. 525: siehe unsre Erklärung zu Taf. II, 37. (@) Nach Hrn. Dr. Peters gütiger Belehrung wegen des dicken Schwanzes vielleicht eher ein Schakal. (2°) Carelli Num. Ital. vet. T. XV, 1. 2. Rv. bärtiger kahler Kopf, Atreus oder Adreus mit Kopfbinde, auf den das Beiwort yerios sehr wohl passen würde. Vgl. den gleichen Ty- pus des liegenden Wolfes auf Münzen von Tuder in Luceria; Rv. Viersaitige Kithara, Mondsichel (Carelli Tav. XV, 2. XVI, 7, 8. 9, 10.) 510 Panxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 47. SITZENDE SPHINX: MNA(ceas). Taf. IV, 47. Sarder der Wiener Sammlung VI, 1. Der Name des Ringbesitzers lautete vermuthlich Mnaseas; insofern er mit wvarSaı freien, sich vermälen wollen zusammenhängt, (27%) und den Begriff der Verhüllung welche auch Mnemosyne, Polymnia so gut wie die Braut uvnrrn charakterisirt, in sich schliefst: eignet sich für ihn das Sym- bol der Sphinx, der Einschliessenden, Umfassenden mit gleichem Recht, wie für Artemis Pergaia auf Münzen von Perga. (23°) Inschriften erwähnen ein Böoter Mnasias, Pollux (XVII, 14, 3.) einen andern dieses Namens, und Athenaeus (XIV, 620c.) einen Rhapsoden Mna- seon. Das Symbol der Sphinx würde sich für lezteren, so gut wie für den Böoter passen. 48. LÖWE EINEN HIRSCH BESIEGEND: KPATINOY. Taf. IV, 48. Karneol der St. Petersburger Sammlung VI Kast. 27 Schubl. 7. Der Löwe als Sieger einen schon gestürzten Hirsch zerfleischend, der schöne Typus der Münzen von Velia, (?*!) dient hier zum Siegel eines Kra- tinos dessen Name Starke, Sieger höchst passend durch das Symbol des kräftigsten Thieres zumal in solchem Moment veranschaulicht wird. Nicht unmöglich wäre es dafs der Ringbesitzer Kratinos aus Velia stammte. 49. SPITZMAUS; OBEN UND UNTEN BUSTROPHEDON R Taf. IV, 49. Karneol der St. Petersburger Sammlung IX Kast. 42 Schubl. 50. M W. Da vaw, nasucı begehren, suchen, bedeutet, welches einen Haupt- zug der Maus bildet, so leuchtet ein dafs Inschrift und Bild im Einklang stehen. Als Eigennamen kennen wir denselben im Griechischen zwar nur in der Form Mars für eine Stadt in Argolis, später Hafen von Hermione: (?®?) allein der römische Name Maso, z. B. C. Papirius Maso (?°?) der meines (2°?) Panofka Antikenschau S. 22, 23. (23°)- Einfl. d. Gotth. auf d. Ortsnamen. I, Taf. III, 32, S. 39. (°°') Combe Mus. Hunt. 62, III. D. de Luynes Med. gr. III, 15. (°°°) Hom. Il. II, 562. Strab. VIII, 376. St. Byz. (@°) Fasti Capitol. Gruter. 229. Plin, N. H. XV, 29, 38. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 511 Erachtens mit Unrecht von uarswv major hergeleitet wird, bürgt für sei- nen griechischen Ursprung. Vergleiche unsre Erklärung der gleichnamigen Gemme des kgl. Museums Taf. I, 42. Indem wir dies ansehnliche, nicht ohne Mühe zusammengestellte Ma- terial den Meistern griechischer und römischen Epigraphik zu selbstständiger Forschung darbieten, dürfen wir wohl für unvermeidlich eingeschlichne Feh- ler Nachsicht und dankenswerthe Belehrung erbitten, um so zuversichtlicher als das Ergebnifs dieser Gemmenuntersuchung, nemlich der beständige Zusammenhang zwischen Bild und Inschrift, bei aufmerksamer Prü- fung auch den Lapidarmonumenten welche Basreliefs mit Inschriften verbin- den, vorzugsweise Grabmonumenten, zu Statten kommt. Hinsicht der Ableitung etruskischer Namen aus dem Griechischen, bisweilen auch aus dem Lateinischen, konnte ich mir keineswegs verhehlen wie sehr dieselbe längst aus der Mode gekommen, der jezt hochtönend und allmächtig herrschenden aus ganz anderen Regionen etymologisirenden Ansicht wider sprieht und daher ihrer Beschimpfung gewärtig sein kann. Allein wer frei von Vorurtheilen, die Mühe nicht scheut, wie ich es gethan, sämmtliche Inschriften etrus- kischer Spiegel im Zusammhang mit den oft höchst eigenthümlichen Vorstel- lungen der sie angehenden Figuren schärfer ins Auge zu fassen als es bisher geschehen, und einer gleich ernsten Prüfung die echt etruskischen Vasen mit ihren echt etruskischen Inschriften zu unterwerfen: der wird zu meiner Über- zeugung gelangen dafs die von mir versuchte Etymologie für etruskisirte Namensformen durch die mit ihnen zusammenhängenden Bildwerke sich er- weisen läfst, wie denn die verschleiert und in tiefer Trauer auftretende Frau mit etruskischer Inschrift Hevrarıra (*°*) augenscheinlich nicht die geringste Spur von der berühmten Amazonenfürstin an sich trägt, und nur durch die griechische Auslegung ihres mit r&v-Sos Trauer wie Penthilos zusammenhän- genden Namens eine ‚genügende Rechtfertigung und Erklärung findet. (*°*) Monum. de I’Instit. arch£ol. II, Pl. IX. Ann. de I’Institut. Vol. VI, p. 277. 512 Panxorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen NACHTRÄGE. Zu Taf. I, 13. Dreibein mit drei Ähren, Mondsichel drüber und punische Inschrift, Rv. Ährenbekränzter Kopf, der Kopf der punischen Ceres mit Hörnern. Münter Relig. d. Karthager. Taf. I, 11. Guigniaut Relig. LV, 212a. Zu Taf. I, 39. Epigr. Antipatr. in Anacr. Z': eudsı © Y yruzegn vuzrıAadog ıScon. Zu Taf. II, 8. vgl. Lares Volusiani bei Gruter p. 319, 9. Zu Taf. II, 15. Lanzi Saggio d. lingua Etrusca ed. II, Tom. II, Tav. IV, n. 7., Inghirami Mon. Etr. VI, Tv. 212, n. 1. Welcker Ep. Cyclus II, S. 332. mit Note 25: „Nicht sowohl eine Berathung der Heerführer, als vielmehr die Weissagung des Amphiaraos im Hause des Adrastos vor dem Auszuge des Heeres und in Gegenwart der beson- ders bedeutsamen oder interressanten Personen. Rechts ganz verhüllt sitzt Adrast. Sein Name ist durch ein Versehen des Steinschneiders dem Parthenopaeus, so wie derjenige dieses Helden dem Adrastos beigeschrieben. — (?!) Links Polyneikes in Nachdenken und "Trauer. Hinter diesen und in mehrfachem Gegensatz mit ihnen stehen 'Tydeus und Parthenopaios. Tydeus einer der wildesten und furchtbarsten Helden vor Theben und als solcher der Widerpart und Gegensatz des Amphiaraos.” Overbeck (Gallerie heroischer Bildwerke d. alt. Kunst. S. 83.) der Welckers Auf- fassung nicht blos hinsicht der Grundidee des Ganzen, sondern auch in Bezug auf Erklärung und Namensversetzung der Figuren theilt, motivirt die Gegenwart des Parthenopaios als des Jüngsten neben dem Ältesten, des Unbetheiligten, rücksichtslos Kampllustigen, mit kriegrischer Geberde neben und gegenüber dem Betheiligtsten, dem tief von der Warnung ergriffenen, in nachdenkliche Trauer versenkten; schwer- lich allein wie Welcker andeutet, zur Abrundung beigesellt. Er ist zunächst Wider- part des Adrastos, wie Tydeus zunächst des Polyneikes, er ist mit Tydeus zusammen Repräsentant des Bundesheeres u. s. w. Zu Taf. II, 15. Not. 129. des Textes füge p. 44. sqq. hinzu: und Overbeck Gall. heroischer Bildw. Taf. 1.14. S.38. u. ff. der die lezte verhüllte Figur nicht wie M. weib- lich, sondern zweifelhaft hält. Oedipus ist ihm der links stehende Jüngling mit Wanderstab und Bekränzung als Prolepsis des Sieges über die Sphinx. Den sitzen- den Mann erklärt O. wie M. für den König Kreon; die beiden bärtigen für Bürger Thebens und Begleiter Kreons, und die verhüllte Figur mit Minervini p. 47. für Jokaste, die Alte auf einen Stab gestützt. (?!) Zu Taf. II, 16. Nach Overbeck (Gall. her. Bildw. Taf. V,7. S. 129, 130.) Tydeus Ver- wundung. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 513 Zu Taf. II, 32. bei Wieseler Theatergebäude XII, 26. die Inschrift falsch publicirt, als „Schreitender gebückter Greis: die Inschrift gewils eher auf den Besitzer als auf die Rolle bezüglich. (Köhler in Böttiger Archäol. und Kunst. S. 44. u. ff.)” Zu Taf. IV, 12. vgl. Gruter thes. Inscript lat. p. 63, 3. Cn. CorneLivs Charito. A. Fimi- nius (?) Januarius M. Quintilius Hermeros Abascantus En. Corneli Charitonis Ser. Silvano des animo dono dederunt, mit Zoega Bassiril. Tav. XIII. wo ein Cybele- altar mit der Inschrift L. Cornelius Scipio Oreitus im Zusammenhang, Cybele als Meter Oreia, Attes und die Krähen (cornices), auf dem Pinienbaum zeigt. Zu Taf. IV, 14. vgl. EVKAEIA mit Peitho bei Aphrodite auf einer Vase bei R. Rochette Monum. inedits. Pl. VIII, 2. — LCD Dt nen. Philos.-histor. Kl. 4851. Mt 514 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen INHALT DER BILDERTAFELN. INSCHRIFTLICHE GEMMEN DES KÖNIGLICHEN MUSEUMS ZU BERLIN. are . Jupiter Ammon als Widder: Aman(ius). Karneol. . Marsyas Eber: M. Metr(ous) Cae(lator). Karneol. . Marsyas: Gaios (I'«ıos) Steinschneider und Ringbesitzer zugleich. Obsidian. . Gigant: I Grac(ius). Hellfarbiger Sarder. . Zeus Stier: Saturnini. Gestreifter Sardonyx. . Jupiter: Thelg(inus). Karneol. . Adler auf Heroldstab: Auctus. Braune antike Paste. . Blitz: Anthusae S. Memoria. Karneol. . Neptunus Salvius: L. Anton. Salvius. Karneol. . Meerpferd: Cn. Ta(lassius). Achatonyx. . Ceres: Gemelli(nus). Karneol. . Bonus Eventus: Cy(fus). Achatonyx. von rm Par pi om © . Seegen des Ackerbaues: Euphemi. Karneol. . Concordia oder Juno Lucina: Tnall(a). Gelbe antike Paste. . Liebesbündnils: Agathopi. Karneol. Pen au . Mars in rundem Tempel: M. Val. Aequalis. Karneol. . Ares Zosterios: Zw. Achatonyx. . Eber: Uyus Philo.”Sehr dunkler Sarder. . Stolsender Stier: Alexa. moderne Arbeit des Alessandro Cesati. Karneol. . Mars als stolsender Stier: C. F(urius). Karneol. Dura" Pt => u 1> lo on | . Marsorakel-Consultant: Potiti. Karneol. . Die Wölfin mit Romulus und Remus, Faustulus dabei: Eupropu(s). Violette antike Paste. 23. Helm aus Widder- und Eberkopf, Löwenfell und Keule, schlafendem Hund und Wöl- fin mit Romulus und Remus: P. Xanti. Karneol. 24. Helm mit Kranz, Stern, Blitz geschmückt, Schild mit Schwertemblem: Nere(ius). Karneol. D D 25. Victoria auf Viergespann: Fes(tina). Rother Jaspis. 26. Aphrodite Areia: Kaikisianouaria. (Karzısıavovagıc). Achatonyx. 27. Zwei Siegesrosse, mitten Kranz worin: Veneria. Achatonyx. 28. Schiff Argo mit Widderkopf auf einer Säule, und Taube: Baelic(ia). Wolkiger Sarder. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. aupuo»» zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 515 Eroten lassen Hähne kämpfen, oben in der Mitte Dreifufs: Dad. Rother Jaspis. Amor Marinus: Ma(rius). Karneol. Amor glücklich fischend: Europa. Karneol. Des Eros Bestrafung: Arzaıws. Grüner Jaspis. Gefesselter Schlafgenius: Ilus. Karneol. Ring worauf Himeros auf Hahnengespann, innen laufender Hase, zu den Seiten eine Ähre, Schmetterling drüber, unten liegende Fackel: M. Virri. Karneol. Hand mit Heroldstab, Schmetterling, drüber Amo, dahinter Keule. Schwarzer Jaspis. Sonnengott mit Ruder auf Delphin: M. P(ollio) F(ortunatus). Amethyst. Kopf des Helios, Mondsichel drüber: Ze£rıavos. Karneol. Laufender Greif, drunter Köcher und Bogen: T. Sex(tus). Karneol. Krebs, Abendstern und Mondsichel: Luilalli. Achatonyx. Meleager: T. Fl. Aug(ustus). Karneol. Aithales (A:Sarrs) Siegesrols des Phormis (Pozuıs). Achatonyx. Die Muse Klio: Mas(o). Brauner Sarder. Die Sirene Ligeia mit drei Flöten: Lihi(a). Smaragd Plasma. Bekränzte Philosophenherme: Her(maios). Grüner Jaspis. Gestohlner Stier der Heerde Apollo’s: Hermaiscus. Karneol. Liegender Thyrsus und Caduceus: P. Val. Lada. Karneol. Heroldstab: Po(lycharmon): Tiefbrauner Sarder. Esel aus Seemuschel hervorkommend, Caduceus: Me(mnon). Schwarzer Jaspis. Maulesel aus Seemuschel kommend: Ruphion (Poypiwv). Nach einem Pastenabdruck; das Original ist im Haag. Taf. II. . Memnon oder Mars: Ruf(us). Karneol. . Bildnifs eines komischen Schauspielers: M. Aur. Rufio. Sarder. . Eschara um Ähren zu rösten: Estia. Rother Jaspis. . Kopf der Bacchusgemalin: Bac(ca). Weifsgebrannter Karneol. . Efeubekränzter -Silenskopf: Seleuk(os) Xerevz(os). Blaue antike Paste. . Silensmaske auf Traubenkorb; Panther mit Thyrsus nagend: M. Canini(us Botrys) Karneol. . Satyr mit Silensmaske: Diodor. Antyll. Karneol. . Jugendliches Satyrbrustbild: Arozrsovs. Rother Jaspis. . Pan und Bock: Er. Achatonyx. . Sechsstrahliger Stern: Oreion. Karneol. Nemesis bekränzt von Victoria: Her(ennio) Philod(emus). Karneol. . Kopf des Herakles: Azaıos. Chalcedon. . Jugendlicher Herakles von Hyllos: YArcv. Sardonyx. . Meleager auf der Eberjagd: Lupus. Gestreifter Sardonyx. . Unglücksweissagung des Amphiaraos bei Opheltes Tode: Tyte, Phulnice, Amphthiare, Atresthe, Parthanapaes. Karneol von einem Skarabäus. Tr? 516 Panworka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen [STE a x w 8 > td iD KO N=} — » ok . Mit der Strigel sich reinigender: Tyte. Karneol. . Odysseus: A(rcesiades?). Sarder. . Ulysses Heimkehr: M. Vol(usius). . Ajas und Teukros im Kampf bei den Schiffen: Mar. Here(nnius). Blaue antike Paste. . Palamedes: TIA. Gestreifter Sarder. . Leuchtthurm der Insel Pharos bei Alexandria: ITA. Grüne antike Paste. . Verschleiertes Frauenbrustbild mit Mauerkrone: A«udız. Karneol. . Kopf des Heros Pergamos: Hoya. Obsidian in weilsem Querstreif. . Akratosmaske auf hohem vierköpfigen Gefäls: Potioloi, Horror. Rother Jaspis. . Wassermann zwei Dioten ausgielsend: Rhegion, Pyy:ov. Smaragd Plasma. . Schiff unter Seegel: Rhe(gion) Pyy(tov). Sardonyx. . Meerdrachen: Agato Acrini. Karneol. . Tanzende Victoria mit Kranz und Palme: Ammaienses. Karneol. . Wolf ein Ferkel verzehrend, Sau mit zwei anderen: Gelo. Karneol. . Portrait vielleicht eines Philosophen: Hilari. Karneol. . Tragische Maske: Apollonides. Granat. 2. Blinder Oedipus: Iu. M(a)mifer. Achatonyx. . Tänzerin mit Korb an einer Balancirstange und Weintraube: Philod(emo) Agil(i). Q. S(orori). Karneol. . Opferer mit Ente: Natis. Karneol. . Opferer mit Bockskopf und krummen Messer: C. Rosc. Karneol. . Hirt mit einer Ziege: Dorio. Karneol. . Mann mit einem Vogel: Eirene, Eı>yvy. Karneol. . Mannsfufs, Kindeshand: M. L. Sa(lvius). Karneol. . Ein Schuh: Cn. Cal(igula oder igarius). Sardonyx von zwei Lagen. . Lampe in Form eines Schuhes: L. Fund(anius). Karneol. . Armspange: Sphele, Yıpe?y. Granat. . Krater mit Leoparden statt Henkeln: In(uus). Rother Jaspis. . Hirtengefäls: Q. C. Latro. Gestreifter Sardonyx. . Urne mit Laubgewinden: L. Veg(etius). Karneol. . Amazone zu Pferd: von Aulos, Avrov. Blaue antike Paste. . Renner auf Viergespann: von Aulos, Avrovu. Violette antike Paste. . Sieger zu Pferd: Aurothe(a), Violette antike Paste. . Siegerhand mit Geldpreis eines Silberdenars darstellend einen siegenden Renner: L. Piso Frugi: unten Pro Tig(ri). Gelbe antike Paste. . Renner im Circus: Pitikinnas, Irızıwves. Chalcedon. Taf. II; . Sieger mit Zwölfgespann: Stesas. Violette antike Paste. . Sieger auf Viergespann im Circus: Scorpianus. Heliotrop. . Sieger auf rennendem Viergespann: Sall(onios), ZaAr. Rother Jaspis. - Fuchs auf einen Rathsstuhl kletternd: Kow« ev Aaıwv. Chalcedon. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 517 Liegender Löwe: Limen anicetus. Achatonyx. Liegender Wolfshund: Cave Zuco. Karneol. Zwei Störche: Zosimus. Rother Jaspis. Pferdhahn mit Menschengesicht, anstatt des Ohres Widderkopf mit Ähre: Longos, Aoyyos. Karneol. Aufsteigende Eidechse: Zumina restituta. Achatonyx. und 102. Aufsteigende Eidechse, drüber Mondsichel: Rückseite Ev Aauw. Gelb und grüner Jaspis. und 11a. Derselbe Gegenstand: Rückseite: KavSs ovAs. Grüner Jaspis. . Maus mit Brötchen: Mnesthe Theogeneis, MvyrSn Osoyevsıs. Rother Jaspis. . Squillenkrebs: Err(ıs) Kar(n). Sardonyx von drei Lagen. . Hermes Mnemon; Karneol des Prof. Gerhard. . Maus mit Brötchen auf dreifülsigem Tisch, Mondsichel zwischen zwei Sternen drüber; Nicolo des Prof. Gerhard. . Maus mit Brötchen auf einem Candelaber; Karneol der Frau Prof. Gerhard. . Athene Zosteria; dunkelblaue Paste meiner Sammlung. . Zeus Eirenopoios; blalsblaue Paste im kgl. Museum. . Herakleskopf; Rv. Stierbüste EPY. Erzmünze von Erythrae. . Krieger als Taubenorakel-Consultant. . Tragische Maske: AMIAW. Onyx mit brauner und weilser Lage im K.K. Antiken- kabinet zu Wien. . Blitz mit Blumen in der Hand des thronenden Jupiter; pompejanisches Wandgemälde. . Bindeumschleiftes Scepter in der Hand der Nike; Münze des Königs Amyntas. . Rathsstuhl auf Münzen von Larissa. 5. Brustbild des Eros von Thespiae, Tychon; Amethyst im Thorwaldsenschen Museum zu Kopenhagen. . Marsyas und Ge-Cybele; pompejanisches Wandgemälde. . Doppelkopf des Silen und Pan; Gemme. . Herausfordernder Hahn auf brennender Fackel; Münze von Dardanos. . Kopf der Juno Lanuvina mit Ziegenfell, Rosci; Denar der Gens Roscia. . Kopf des Pergamos auf einer Münze von Pergamos. . Meleagerschild mit dem Brustbild des Sonnengottes; auf einem Sarkophag der Villa Albani. . Zwei brennende Fackeln an Widderhörner erinnernd, Siegel des Ammonios auf einer Tetradrachme von Athen. - Faunbrustbild als Frühling; herculanisches Wandgemälde. . Wolf auf einer Münze von Argos. . Herkuleskopf, Rv. Stierbüste, AIK; Silbermünze von Dikaea. . Fledermaus über dem Krebs; Relief vom Marmor-Zodiacus im Louyre. 518 Panorka: Gemmen mit Inschriften in den königlichen Museen 37. Siegender Renner mit Palmzweig L. Piso Frugi Roma; Rv. Lorbeerbekränzter Apol- lokopf. Silberdenar der Gens Calpurnia. 38. Ziegenbock MYP. Münze von Pyrrha. "Taf. DVE INSCHRIFTLICHE GEMMEN DER KGL. MUSEEN ZU HAAG, KOPENHAGEN, Po» Pr» Decococmauaandı Are > © 15. 16. DDDDDD VD Ina p on - xD je =) LONDON, PARIS, PETERSBURG UND WIEN. . Lycaeischer Zeus: Luperei. Karneol der Londner Sammlung. . Adler auf bekränztem Altar: Eune(vys). Karneol der St. Petersburger Sammlung. . Fliege: Diod(orus). Onyx der Londner Sammlung. . Weibliches Brustbild mit Ziegenfell, gegenüber bärtiger Panskopf. Karneol im Wie- ner Antikenkabinet. . Pfau der Hera: #«%os. Onyx der Londner Sammlung. . Bathyllusbrustbild: B«Sur(Aos). Hyacinth der St. Petersburger Sammlung. . Storch, Rad auf Säule: AgyıpıAos. Rother Jaspis der Londner Sammlung. . Greif und Rad: Mazıwv. Onyx der Wiener Sammlung. . Mars, Tropaeum: Pri(mus). Karneol der Wiener Sammlung. . Mars Victor. V(ictori) R(ufus). Nieolo der Wiener Sammlung. . Storch ein grofses Horn blasend: ®arap(os). Plasma der Londner Sammlung. . Krähe mit behelmtem Athenekopf: Charito. Karneol der Londner Sammlung. . Fackelläufer mit Schild: Aauradızs. Ungefärbter Glasfluls der Kopenhagner Sammlung. . Eukleia die Göttin des guten Rufes: EvzAsı«. Amethyst der St. Petersburger Samm- lung. Der Flufs Gelas als Stier mit Menschenkopf: Ter«s. Karneol der Londner Sammlung. Ithyphallische Kindesherme des Mutinus Tutinus: Q. Tutili C. L. in der Haager Sammlung. . Trunkner Silen zu Esel und Bacchantin: Lucilia Pieri S. Karneol der St. Petersburger Sammlung. . Bacchische Liebesgruppe: Osrg«r. Sardonyx der Londner Sammlung. . Tanzender Faun: Lycoreus. Onyx der Londner Sammlung. . Satyr einen Eros schaukelnd: CGobro. Brauner Jaspis der Wiener Sammlung. . Satyr und Bock: Oct(avio oder obri). Sardonyx der Londner Sammlung. . Tieinus mit einer Traube und Schöpfkanne: Tic(inus). Nicolo der Wiener Sammlung. . Rofshahn: Ereyovos Epigonos. Onyx der Londner Sammlung. . Pferd mit Ähbre im Maul: Saseju. Karneol der St. Petersburger Sammlung. . Zwischen zwei Ähren Karrısros. Karneol der Kopenhagner Sammlung. . Fortuna: Eupruov. Karneol der St. Petersburger Sammlung. . Händedruck mit Mohnstengel und zwei Ähren: Aßas(zav)ros. Karneol der Haager Sammlung. . Caduceus mit zwei Ähren: Homeropa. Karneol der Haager Sammlung. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. zu Berlin, Haag, Kopenhagen, London, Paris, Petersburg u. Wien. 519 Hand mit Caduceus zwischen Palmzweig und Mohnstengel: Nixownöys. Karneol der Kopenhagner Sammlung. Händedruck, Halsband drüber, drunter Oyovor@. Achatonyx der St. Petersburger Samm- lung. Mercurkopf mit Caduceus: Iliyssus. Karneol der Pariser Sammlung. Mercur: L. Octavi Laeti. Karneol der Pariser Sammlung. Elephantenkopf mit Caduceus und drei andren Köpfen: EveArırrov. Rother Jaspis der St. Petersburger Sammlung. Venus Victrix: Adgodsıry avızyrw. Plasma der Wiener Sammlung. Venus: Apryles. Karneol der Wiener Sammlung. Taubenpaar, Rose davor: Pwöwos. Schwarzer Karneol der Londner Sammlung. Psyche in Fufsfalle und Eros: Iaupırov. Karneol der Londner Sammlung. Händedruck: Oa2Aı(vos). Karneol der St. Petersburger Sammlung. Nacktes Brustbild mit Flügeln und Perlschnur im Haar: T. Vi. Hil. Karneol der Londner Sammlung. Hahn: Aero Muxı(«). Plasma der Wiener Sammlung. Hirschkuh ein Knäblein säugend: Aauasz(os). Sardonyx der St. Petersburger Sammlung. Peleus die Lanze schneidend: Erızr9. Sardonyx Scarabäus der Londner Sammlung. Pfeilabschielsende Amazone: A:ssS. Karneol der Londner Sammlung. Palmzweig: Moschio. Onyx der Londner Sammlung. Siegender und besiegter Streithahn: M. Metellia. P. Juli Pollia. norum. Karneol der Wiener Sammlung. Ausruhender Wolf: Azazır Terıov. Onyx der Londner Sammlung. Sitzende Sphinx: Mv«(sexs). Sarder der Wiener Sammlung. Löwe einen Hirsch besiegend: Ko«rwov. Karneol der St. Petersburger Sammlung. Spitzmaus: Masw. Karneol der St. Petersburger Sammlung. Br ee 49h Jane} naar sgenlandet j 2 DER HORE € N keins ingndensnd 2 he arnolelod. Fe; re ausland Be zb Pa url ana j A NT. ‚genlomee Aare oh don ni ah ar. wnllahl, ‚oonsunteni une sel, ih; hau eunsbei), si Ige ge Br , nytalense, wog M ae aa ob: analtl Tara wrisbeggun geh i ’ PORN? rl eh Tome wien PEN zanbaol.auh, Insanadt arm ou. nee oral sol ‚ aanlanmne antun ah tasngif akuter hauen nk art ayuisleints Ö IE aakı, lonniehh, „Lern)sän® ung vsh long ELITE el ai ade. km elagalf sim blidiceryit - wolle \ Re . 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Del vn EthvR Jaene Zur der Jbh. des Herrn Kmoffe :Conmen mit Inschriften. 1% af: HE Ist Phil. Klasse IND Del.,Lith.v.Druck v R Jaens. Kunst- Inst. Berlin F E Ps # E \ 0 Tee eat [9.4 tt PET: Eu E u. Fi 2 „ug | « & ’ y ” ya f u 5 Ai : f 2 16772 rar TS Ale = | De u . ZUR GESCHICHTE DES REIMS Von” H” W. GRIMM. mn [gelefen in der akademie der wilfenfchaften am 7. März 1850] D.: gewöhnliche reim fordert verfchiedenheit des anlautes oder um es all- gemeiner auszudrücken, er beginnt erft mit dem vocal, der rünrexoe dage- gen fetzt völlige gleichheit aller buchftaben voraus; ein reimwort oder auch beide dürfen bei ihm in zufammenfetzung mit einer partikel, einem fubftan- tiv oder adjectiv ftehen: immer aber müflen fie verfchiedene bedeutung haben, und gleiche ift nur unter befondern bedingungen erlaubt. Ich beginne die betrachtung mit dem dreizehnten jahrhundert und habe gründe Walther und Freidank voran zu ftellen. beide gebrauchen die- fen reim höchft felten. jener bindet nach Lachmanns zwar in den text nicht aufgenommenen, aber fehr wahrfcheinlichen vermutung Zete (verb.): tete (fubft.) 30, 10, dieser nur wirt (fubft.): wirt (verb.), jedoch zweimal 87, 10. 156, 20. auffallender ift dafs beide die zufammenfetzungen mit -Lch -liche -L- chen, die fich fo häufig darbieten und von ihnen in dem nicht rührenden reim öfter verwendet werden, hier meiden; vergl. Über Freid. [.49. 50 und die anm. zu 126, 7. wahrfcheinlich hält es Gotifried von Strafsburg ebenfo, fonft ftehen jene beiden in diefer eigenthümlichkeit allein. wir werden hernach fehen dafs die andern dichter des 13° jahrhunderts und viele fehr häufig diefe reime auf -Zöch -Liche -lichen gebrauchen: Veldeke geflattet fie einige male, wenn er fie auch nicht zu lieben scheint: Reimar, Otto der dichter des Erac- lius, der Marner und der bruder Wernher wenigftens einmal, wobei man den geringen umfang ihrer gedichte in anfchlag bringen mufs. Lichtenftein läfst fie in seinen liedern nicht zu, wohl aber in feinen andern gedichten. im Wartburger krieg kommt überhaupt kein rührender reim vor. zurück- haltend damit ift Konrad von Würzhurg und Frauenlob. blicken wir in die frühfte zeit, fo erfcheinen fie fchon häufig bei Otfried und nach ihm mehr Philos. - histor. Kl. 1851. Uuu 522 W. Grimm: oder weniger in allen gedichten, die hier in betracht kommen können, bis zum ende des zwölften Jahrhunderts, ja es gibt einige, die keinen andern rührenden reim dulden. Wenn bei dreifachem reim zwei rührende wörter neben oder zwifchen einem nicht rührenden ftehen, fo wird die wirkung der rührung aufgehoben. auch dichter die fonft den rührenden reim nicht lieben oder gar nicht anwen- den, gebrauchen ihn dann unbedenklich und laffen auch wol diefelben wör- ter mit gleicher bedeutung zu, was fie fonft fireng meiden. Reinmar zit: ftrit : zü MS.1, 83°. Veldeke küniginne : minne : minne MS: 4, 19. ER sne : als € MSHag. 3, 468°. Gottfried von Stralsburg kan: gewan : gewan Lobgefang 31, 1-3. himelriche : minnecliche : geliche MS. 2, 184°. Walther unbewollen : wollen : bevollen 5, 19. werdekeit : herzeleit : leit 24, 15. richen : trügelichen : Friderichen 26, 23. hier läfst er -lche zu, geliche : himelriche: sicherliche 76, 36. er bindet fogar in zwei ftrophen enkan gemachet lachet : gewan gemachet lachet 110, 17-19. 24-26. der tugendhafte Schreiber gebunden : eniwunden : wunden MS. 2, 102°. lied eines ungenannten fieh : ich : ich MSHag. 3, 321°. Neidhart geleit : treit : leit 11,5 Ben. endelichen:: ficherlichen : ftrichen 12,8. hiure : fiure : hiure 19,2. Gottfried von Neifen wendet : fendet : wendet 6, 22. flunden : wunden : underwunden 8, 35. wen- den : fenden : fenden 9, 14. 40, 7. feldebere:: bere: were 21, 12. röt: nöt : röt 36, 33. beliben : liben : vertriben 43, 11. Heinrich von Türlein heil: meil : unheil Krone bl. 1?. wert : wert : wert 3°. alle : valle : alle 12°. hant- fuft : füft : gift 15”. naeme : genaeme: widerzaeme. 68°. guot:wolgemuot : wol gemuot 30010. Ulrich von Winterfteten mich : grimmeclich : tougenlich MSHag. 1, 148°. gelich : rich : minneclich 1, 158°. gelich : fremdeclich : rich 1,163°. ficherliche: fröudenriche : geliche1,169%. der Düring gewalleclichen: entwichen: minneclichen MS. 2, 20°. Winli gewan: gewan: man und gerichen : minneclichen : berichen MS. 2, 21’. Tanhäufer enzwei : hei: enzwei MS. 2, 61%. hei: hei: enzwei 3, 63°. gelichen : richen : lobelichen 2, 63°. ja : ja : wä- end 2, 66°. Schulmeister von Efslingen niht : iht: niht MS. 2, 93. Walther von Breifach eigenliche : geliche : riche und finneriche : geliche : geliche MS. 2, 95. Hermann der Damen wirt (verb.) : verbirt : hellewirt MSHag. 2, 162*. der um die form immer beforgte Frauenlob gebraucht den zweizeiligen rüh- renden reim in feinen zahlreichen reimerfüllten gedichten überhaupt nur zwei- mal und nur in zulammenfetzungen (meifterfchaft : ritterfchaft feite 147 zur ge/chichte des reims. 923 Ettm. und jeemerlichen : unbarmeclichen f. 234), dagegen den dreifachen öfter, himelriche : wirdecliche : tegeliche [. 42,43. freislich : eislich : unmeis- lich {. 93. erzeiget : zeiget : geneiget [.205. mir : dir : mir [.249. Regenboge unbefcheidenheit : leit : befcheidenheit und rich : tugentlich : gelich MSHag. 2,30%. Ein gleiches verhältnifs findet bei dem vierfachen reim ftatt, fei es dafs zwei nicht rührende darunter ftehen oder nur einer, Veldeke dance: iwanc : danc : trance MS. 1, 19°. dance : kranc : danc : fanc 1, 19. Heinrich von Morunge winde : kinde : underwinde : vinde MS. 1, 54°. Singenberg in fünf firophen M8. 1,153° waere : waere : unmarre : maere. leiden : leiden : bei- den: beiden u.{.w. merkwürdig find zwei lieder, die unter Walthers namen gehen, in den vier ftrophen des einen (f. 122. 133.) findet man winde : er- winde : linde (fubft.). linde (adject.) : wandelbeere : beere : [waere : gebaere. gedingen : dingen : ringen : geringen. gemeine (ad).) : gemeine (verb.) : reine: gebeine, unter diefen reimen ift kein rührender mit gleicher bedeutung der wörter. das zweite lied befteht aus einer ftrophe von zwanzig zeilen (47, 16- 35). die erften fechs lauten Ich minne, inne, lange zit: verfinne Minne sich, wie fie [chöne löne miner lage. nü löne jfchöne: defl min flät: vil klene meine mich, niene meine kleine mine klage, der vierfache reim wird hier durch fehlagreime ie in zwei zeilen gebildet, und es ift bedingung dafs der 1" und 4“ wie der 2“ und 3“ zugleich rührende find. in den beiden erften zeilen find es wörter mit verfchiedener, in den vier andern aber mit völlig gleicher bedeutung. diefer art find in einer fonft gleich gebildeten ftrophe eines unbekannten (Lachmann zu Walther 47, 16) auch die beiden erften, alfo fteht hier herre : verre : verre : herre. hulde : [chulde : fchulde : hulde. niuwe : riuwe : riuwe : niuwe. ift Walther der dichter des liedes Ich minne, finne? es wird in der Heidelberger lieder- handfchrift (£. 9. 10) dem Reinmar zugelegt, das macht es fchon zweifelhaft. mich dünkt es nicht wahrfcheinlich dafs Walther fich zu einer folchen über- künftlichen fpielerei mit dem reim, wenn fich in feinen andern gedichten kein gegenftück findet, herab gelaffen habe, freilich auch nicht Reinmar, Uuu2 5934 - W. Grimm: wiewohl fich anführen läfst dafs diefer mit unerträglicher wiederholung des worts minne, die einige male einem fchlagreim gleicht und doch keiner ift (MS. 1, 776), etwas ähnliches fich erlaubt hat; aber diefe ftrophe wird auch Heinrich von Rücke (MS. 1,98) beigelegt. auch dafs zuerft angeführte lied Ein meifter las fcheint wir gefinnung und ausdruck nach nicht Walthers geift zu verraten, und ich fiimme den gründen Wackernagels (Altfranzöfifche ge- dichte £. 218. Gefchichte der lit. f. 199) bei, der es ihm abfpricht. ich gebe noch weitere beifpiele eines solchen vierfachen reims, von welchen Gottfried von Neifen die meilten liefert, /winden : vinden : erwinden : underwinden 17, 35. gebunden : wunden : befunden : überwunden 18, 26. vertriben : beliben : wiben : liben 18, 34. gunde : enbunde : underwunde : erwunde 28, 8. güete: gemüele : güete : hüele 36, 4. minneclichen : richen : inneclichen : wichen 39, 37. underwunden : befunden : wunden : unverbunden 50, 33. Ulrich von Win- terfieten minneclichen : tougenlichen : eniwichen : herzeclichen MSHag. 1, 148° Rudolf von Rotenburg falckeit : fiatekeit : werdekeit : breit MSHag. 1, 336°. Frauenlob feite 261. 1, 25-29 zange : iwange : lange : iwange. Es verfteht fich von felbft dafs bei weiterer anhäufung die einmifchung rührender wörter noch weniger anftofs macht. Heinrich von Morunge JE: €: mE : me: erg€ MS. 1,51" Neidhart gemuot : fruot :guot : hehuot : tuot : be- huot 37,4 Ben. Gottfried von Neifen beiwingen : ringen : fingen : gedingen : gelingen : dingen : ringen : dringen 25, 22-34. gebunden : wunden : erwunden: underwunden : kunden : funden : wunden.: flunden 26, 7-19. fwaere:: enbeere: fröideboere : gevarre : [waere : waere : mare: baere 26, 30 — 27,4. Ulrich von Gutenberg gelän : gelän : kan : undertän : man : kan MSHag. 1, 118°. Taler an : gelän : gän: wän:: an: gän MS. 2, 100°. Frauenlob &wıkeit : meit : wir- dekeit : weit : bereit :treit f. 20. noch: bloch : doch : noch : joch : koch f. 115. lät : hät : flät:wät: hät: nät f. 116. zange : twange : lange : Iwange: umbevange f. 261. Ich unterfuche zunächft den rührenden reim bei Walthers und Frei- danks zeitgenolfen. Hartmann bedient fich deffen nicht ganz felten, doch häufig nur in fei- nem erften werk, im Erek. ich will zufammen ftellen was überhaupt bei ihm fich zeigt, /in (verb.) : fin (pronom.) Erek 2389. in : in (pronom. und partikel) Er. 1707. 2513. 9647. Gregor 2211. 2869. Iwein 6711. herren (gemahl) : herren Er. 8969. dicke (adv.) : dicke ({ubft.) Er. 2625. leit (verb.) : Zeit (fubft.) zur gefchichte des reims. 525 Er. 3449. zagen (feiglinge) : dne zagen Er. 4225. arme (ad).) : arme (fubft.) Er. 5891. /webte in wäge: mers wäge Er. 7061. dü will : wilt ({ubft.) Er. 7181. dingen (fubft.) : üz dingen (verb.) Büchlein 1, 1353. Aie (präter.): hie (partikel) Gregor 2453. liuten (verb.):liuten (fubft.) Greg. 3587. ringe (adv.):ich ringe Büchl. 1, 1873. Lac: lac Er. 3389. 4437. 5035. auch palas : Pallas Er. 8201 mufs ich anführen. in der einen zeile eine vorgeletzte partikel gedinge : dinge Er. 3045. Büchl. 1,1864. walt : gewalt Er. 3113. 6759. 6827. gewert : wert Er. 3777. wünne : gewünne E. 5625. eniwefen :wefen Er. 3275. breit : zerbreit Er. 8725. lich : gelich Gregor 2756. Iw. 1333. 1669. 3595. verlös: fiegelös Er. 947 : los Büchlein 1, 815. ich mache: ungemache Büchl. 2, 35. dä mite : vermite Er. 1059. wert : eniwert Er. 4949 : gwert 6471. füere: gefüere Er. 9973. vernement : nement Iw. 2171. enpfielen : vielen Iw. 6225. armen : erbarmen Gregor 3277 das faft bei allen dichtern vorkommt, kann ich übergehen, da man die gleiche wurzel nicht wird erkannt haben. auch ein beifpiel, wo in beiden zeilen eine mitreimende partikel vorgefetzt ift, Belangen : gelangen Büchl. 1,1880. -Lch -liche -lichen zeigt fich nur im Erek häu- fig, gelich : herlich 287: lobelich 743: manlich 843: bliuclich 1319: wet- lich 1851: lobelich 1909: riterlich 2301: alfamelich 2285. 2317: famenlich 2321. grimmeclich : ungelich 9251. geliche : lobeliche 781: riterliche 2457: friuntliche 2596: müezecliche 2940: billiche 3335: unmüezecliche A 395: woerliche 4857: wirdecliche 5093: vollecliche 7147: klägeliche 7967: wun- derliche 9739. algeliche : vollecliche 2959. heimliche : wipliche 5105. bar- mecliche : herzeriweliche 5743. manlichen : lafierlichen 903. glichen : riter- lichen 1945: volleclichen 2813: angeftlichen 3139: ungiudeclichen 2381, fogar, was ich bei keinem andern gefunden habe, zwivellichez: gelichez 7067. in den ührigen gedichten habe ich es viel feltener bemerkt, in den Büchlein heimlich : gelich 2,77. billich : ungelich 2, 175. werrliche : geliche 1, 909: ungeliche 2, 171. müelichen: gelichen 1, 651. in den liedern felecliche : ungeliche 15,9. im Gregor geliche : wünnecliche 33: heimliche 2761: befchei- denliche 3159. im Armen Heinrich mislich : gnislich 167. im Iwein gelich : eislich 427: tägelich 753: wünneelich 1683: unmügelich 2659. gemeliche : geliche 2217. gelichen : flizlichen 3755. die zufammenfetzung mit /chaft nur im Erek, riterfchaft : herfchaft 1977. gefchaft : meifterfchaft 7365. 7605. die übrigen fubftantivcompofitionen laffen fich ebenfalls leicht überfehen, 536 W. Grimm: im Iwein zeigt sich gar keine, in den andern gedichten fchefte : riterfchefte Erek 2333. gewant : ifengwant E. 2407. ftegereife : goltreife E. 7669. hirdt : rät Arm. Heinr. 1453. Greg. 2049. ifenhalten : behalten : Gregor 2818: gehalten 2871. ferner välande : lande E. 5647. miffelunge : wandelunge Büchlein 1, 1153. Imdin : in E. 175. 1315. montanje : Britanje E. 1913. Karnant : genant E. 2881. Marguel : Luntaguel E. 1934. ergän : Kardi- gän 2851. gelingen : Karlingen Büchl. 1, 1279. /peculätor : tor A. Heinr. 1357. Henegöu : Hafpengöu Gregor 1403. hier liegt immer die verfchieden- heit der bedeutung am tage, gleichheit deffelben geftattet Hartmann nur, wo der rührende reim durch das hilfsverbum, oder das perönliche pronomen oder eine partikel gebildet wird, er hät: ir hät Iw. 3411. daz minn ich: des forg ich Iw. 7437. da verlüre niemen an wan ich. zwäre jä bin ich (iedoch min felber vient nicht) Büchl. 1, 1451. da hän ich michel angeft zuo :nü gedenke felbe ouch dar zuo Arm. Heinr. 1099. diu muoz verder- ben dä mite, wan dä verliufet fi mite Büchlein 2, 771. Noch zurückhaltender als Hartmann erf[cheint Wolfram; aufser einem einzigen beifpiel ohne compofition, € (fubft.) : € (partikel) Wilh. 465, 19, finde ich nur den reim auf los, verlös : lös Parz. 693, 17: helfelös Parz. 501, 27. Wilh. 421, 7, 450, 5: rehllös Parz. 524, 25: figelös Parz. 693, 27. Wilh. 421,7. 450, 5, und dann noch (wenn ich nichts überfehen habe) teidine : dinc Parz. 729, 5. eigennamen und fremde wörter fondere ich ab, im Parzival Kaylet : Dölet 48, 7. 58, 28. Waleis : Kanvoleis 59, 23. 60, 9. 77,19: leis 281, 11. Brandelidelin : Lehelin 67, 17. 85, 27. bäruc: rue 108, 41. -Zich kommt noch am meiften vor, -Zche felten, -löchen habe ich gar nicht gefunden, gelich : ritterlich Parz. 104, 19. 534, 23: minneclich Parz. 648, 21: wer ich Parz. 532,27. Wilh. 57,1: grazlich Parz. 562,5: Aires Parz. 648, 21: wünneeclich Parz. 796, 13: unzallich Wilh. 52, 25: koftlich Wilh. 116, 7: unzerganclich Wh. 216, 15. rilterlich : unge- lich Parz. 24,9. werlich : ieslich Parz. 351,27. manlich : ieslich Wh. 260, 13. zornecliche : ficherliche Parz. 120, 19. geliche : fenliche Parz. 704, 27. im Ti- turel wie in den liedern zeigt fich kein rührender reim. Wolfram gebraucht nicht, wie Hartmann, hilfsverbum, perfönliches pronomen und partikel. Gottfried läfst das pronomen zu, enzwifchen fi (llolt und Triftan) : hin dan lac er, her dan lac fi 427, 19. durch in : ir fuoge haeten under in 445, 1. fi meinde in : gelobtens under in 420, 5, wobei freilich gefchlecht zur gefchichte des reims. 927 numerus und cafus unterfcheidung bewirken. mit verfchiedener bedeutung im Triftan € ([ubft.) : € (partikel) 42, 29. fin: fin (verbum und pronomen) 86, 21. 229, 21. 487, 7. habe (eigenthum) : habe (hafen) 223, 23. 224, 13. wis (fubft.) wös (adject.) 248, 39. 6 wäfen! : wäfen 254, 19. vafle (adv.): va/te (fubft.) 390, 33. arme (fubft.) : arme (adject.) 395, 1. wilde (wildnis) : wilde (hochwild) 429, 27. 433, 13. tranc : dranc Lobgesang 28, 9. mit vor- gefetzter partikel gen@me:: fich an genaeme 231, 37. gewar (verb.) : gewar (adject.) 360, 19. zehant : hant 75, 15. meine : ungemeine 484, 27. zulam- menfetzungen mit fubft. und adject., herberge : berge 139, 27. gedankhaft : haft 428. lich: gotelich 393, 21: wünneclich 441, 33: fehedelich 442, 17. erbärmeeliche : liche 393, 32. nirgend -Üch -lichen, ein einziges mal -liche, unmüezecliche : iegeliche 456, 29, das natürlich befremdet. die lesarten ge- währen keine abweichung der handfchriften, ich glaube dennoch dafs man ändern mufs. Triftan und Ifot haben fich eingefchloffen, auch Brangäne hat fie verlaffen und zu den frauen fich nieder gefetzt: da kommt der könig und fragt nach der königin vil harte unmüezecliche. nu fprach ir iegeliche ‘fi fläfet, herre, ich waene! diu verdähle Brangaene diu arme erfchrac unde gefchweic. es ift zu lefen ir geliche, die mit Brangäne gleichen dienft bei der königin that; durch die fubftantivifche geltung von geliche tritt der reim aus der reihe der hier nicht zuläfligen. Ich habe von den meiftern, die der kunft des dreizehnten jahrhun- derts die richtung gaben, jeden einzeln betrachtet, die übrigen falle ich zu- fammen. gleiche bedeutung der reimwörter wird nur geftattet, wenn fie aus dem pronomen, hilfsverbum und den partikeln beftehen. beifpiele hat fchon Hartmann und Gottfried gewährt: ich ftelle hier zufammen was fich bei den übrigen dichtern findet; von dem volksepos wird befonders die rede fein. Konrad von Fufsesbrunnen reimt im Leben Jefu ir : ir (welhez meinet ir? dö Jprächen fie ze ir) 74, 75. und in der Urflende er : er (daz fi ge/wigen unz er rehte vernaeme waz er fellfaenes wolde Jagen) 109, 46. Herbort was : was (dö Hector genefen was und der fride gegeben was 9390). in : in (fie ranten zuo engegen in üf den rinc under in) 9875. Heinrich von Türlein if: ift (fit er uns gekündet ift : [wer under uns der fruofte ift) Krone 25° Lich- tenftein mir : mir (des kan fi niht geweigern mir : ich helf uns drin, dir unde mir) 154, 8. verderben mich : bedenken mich 352,1. befmiden mich : daz müet mich 544, 27. geviele niht : verfwiegn niht 29,7. für übel niht : von 528 W. Grımm: niemen niht 273, 29. gelurniren niht : höhes muotes niht 309, 23 Stricker weere: waere (ob der walt lemlic waere und niht wan ritter waere) Karl 80° fcheint nicht ganz ficher, da vielleicht ware : bare zu ändern ift. Rudolf von Ems fin : fin (daz ir durch den willen fin iuch ruochet underwinden fin) Wilh. v. Orlens 3497. Ulrich von Türheim gar :gar (der hals alfo diu gu/fe gar: daz houbet was geflellet gar näch einer grözen mülin) Wilh.... Tanhäufer von mir :näch mir MS. 2, 62° Pafhional hät: hät (daz fiwer vier ugende' hät, die es mit grözer tugende hät I. mugende hät) 117, 37. der: der (age mir, herre, wer ift der? dö fprach Jefus zim ‘fich, der) 59, 2. im : im (ir erge wart her für gelesen: fwaz fi der heiten ie üf im. [umelich gie dä zu im) 65, 85. in: in (ir heubet neigete fi üf in und fach noch jaemerliche üf in) 73, 67. an: an (fin gewonlichez cleit täten fi im wider an und griffen arcliche in an) 68, 18. doch näch alle minem willen din : wol mich liebez crüce din 210, 9 gehört nicht hierher: es ift zu lefen näch allem willen, min. jüng. Titurel wären : wären (in Tafme fi wären: gap allen die dä wären) 4451. Renner gemerken kan : (übergen) kan 5825. neben fich : hinder fich 6169. fprächen niht : gefähen niht : griffen niht : giengen nıht : [chrien nicht 10844-49. Wigamur mir : mir (rilter balt, nu fage mir waz fchulde heeteft dü ze mir?) 654 Boner gelichet fich : blät er fich 46, 11. fiözet fich : hüete fich 85, 67. wunderliche fi : daz fi 74, 41. Diefe gränze wird überfchritten wenn felbftändige verba, fubftantiva und adjectiva im zweiten reimwort mit völlig gleicher bedeutung wie- derholt werden. erlaubt ift dies nur, wie wir oben gefehen haben, bei dem drei- und mehrfachen reim, nicht aber bei dem einfachen reimpaar. wo ein folcher reim vorzukommen fcheint, zeigt fich bei ge- nauerer betrachtung immer einige verfchiedenheit in der bedeutung, die ihn zuläffig macht, oder er beruht auf verderbnis des textes. ich will die ftellen, die hier in betracht kommen, fo weit ich fie kenne, anführen. bei Herbort elter vater : vater 17992 find die begriffe verfchieden, ebenfo läfst fich der welfche gaft: der diutsche gaft bei Thomafın pfälz. hs. bl. 224° erklären, auch noch al: über al (/ö beredent in die al, diez im rie- ten über al) 199°, dagegen wäre nicht zu entlchuldigen vertragen : vertragen (der rich durchz guot muoz vil vertragen unwirde, die ich niht wolt vertra- gen) 42°. aber die ftelle ift offenbar verderbt, ich bemerke zu den von Rückert angegebenen lesarten, dafs auch die Göttinger handfchrift haben zur gefchichte des reims. 529 fetzt, was richtig fein könnte, da Thomafın geben : pflegen 202" reimt. bei Konrad von Heimesfurt ift ftatt wolte : wolte 1053 zu lefen folde : wolde; Pfeiffer (Haupts zeitfchrift 8, 159) bemerkt dafs auch fehen : fehen vor- komme, allein ich kann die ftelle in dem gedicht nicht finden. in Heinrichs vom Türlein Krone 21362-65 heifst es J6 harte in begunde der herte Jläf Iwingen und folhe nüwe twingen daz er fich niht mohte erholn. die dritte unverftändliche zeile ift etwa in folhe ruowe bringen zu lefen. bei Herbort ift gefunt : wol gefunt 6417 in gefunt : ungewunt zu ändern, wie [chon Frommann angezeigt hat, ebenfo bei dem tugendhaften Schrei- ber beroubet : beroubet (MS. 2, 101°) in betoubet : beroubet, und bei Rein- bot erkorn : erkorn 2691 in erkorn : erborn. in Strickers Daniel find einige verderbte zeilen herzuftellen, die ich, da das gedicht noch nicht gedruckt ift, aus der Drefdner hs. anführen will, “nu begund er bald er haue (l. nit begunde er balder zouwen), vn hatte [chier gehaue ein loch fo breit und fo hoch’ bl. 123. “da der kunec Artus faz, der was des herfte ane [az (]. herfte än wider/az.) bl. 211. 212. “der ift nit fo verfon& das er habe der wieze kunft (}. gunft). kunde ein mä alle kunfi die got auf der erden ie gefchuf ün liefs werden’ bl. 229. bei Rudolf ift güete : güete Gerh. 1039 in güete : blüete zu beffern, bei Raumelant verirret : verirret MS. 2,226" in verirret : verwirret, und beim Marner behaget : behaget MSHag. 2, 257° in bejaget : behaget; ich lefe nem- lich die erfte zeile diw din pris vil wol bejaget. ftatt folden : folden Her- zog Ernft 3939 ift folden : wolden (auch ftatt mer : mer mare 4529 me: fe) zu fetzen. bei Ulrich von Türheim kommen einige zweifelhafte ftellen vor, ver- dienen müeze : geleben müeze Trift. 518, 17 kann man zulaffen, da müezen als hilfsverbum fteht, aber einer ftelle im Wilhelm, daz wir keines mannes Philos.-histor. Kl. 1851. Xxx 530 W. Grimm: ellen bedürfen zuo din eines ellen wäre nur durch eine änderung zu helfen, etwa daz wir deheines hergefellen. bei dem Litfchauer fteht /wer in der riuhe riten fol, fin pfert er wol beflahen fol MS. 2, 237, aber die lesart fol beflahen wol (MSHag. 3, 735) ift allein richtig. in Türleins Wilhelm heifst es wie fie gebären folde, dö man fi toufen folde bl. 13°, will man nicht toufen wolde lefen, was fehr paffend fcheint, fo fteht hier füln wie müezen in der vorhin angeführten ftelle aus Ulrich von Türheim. im Paflional ift wolken : wolken 106, 68 in volken : wolken zu beflern, bekumen : bekumen 126, 16 in bekumen : kumen, und böfen : böfen 228, 58 in böfen : löfen. für einen gebildeten, guten muftern nachftrebenden dichter, wie fich der verfaffer der Guten frau zeigt, wäre m&: m& 1255 unerträglich: um ihn zu entfchuldigen hat der herausgeber den reim durch einen abfchnitt getrennt, aber ich zweifle nicht die zweite zeile ift verderbt und man mufs lefen näch drin tagen oder €. follte Konrad von Würzburg der überall glättet folche verwerfliche reime gerade in feinem letzten gedicht, im Trojanifchen krieg geduldet haben, während fich in feinen übrigen werken durchaus keiner fin- det? es ift unglaublich, und ich bin überzeugt dafs fie fämtlich auf verderb- nis des textes beruhen. es fällt gleich in die augen dafs äne var 2383 und von dirre vart 23601 ftehen mufs. bei den übrigen beffere man äne fiure 2497, des kleides fin 3101, dä: /@5007, gefinde:: kinde 5726, unde dä 6346, richiu volle 6684, beiderfit 10295, der fläf an im gelige 11071, ze Jagenne : ze klagenne 11350, und fin lip 20257, überflüetec 20623, jugent 20959, gegerwet 22765, verkorn 22836. eine ftelle in Heinrichs von Freiberg Triftan mit aller nöt : des tödes nöt 3633 unterfcheidet den allgemeinen und befondern begriff, und ebenfo verhält es fich in einer ftelle des gedichts vom priefter Johann (Altd. blätter 1, 314), el der järe (in der ganzen zeit): drizec järe 226. wo in der Heidelberger handfchrift des jüngern Titurels, die Hahn heraus gegeben hat, ein folcher reim vorkommt, ift ficher eine verfälfchung des textes anzunehmen. der alte druck von 1477 beflert die meiften, da- nach ift zu lesen Aitze : witze 317. füeren : rüeren 382. girde : wirde 3157. riche : geliche 4371. vinden : erwinden 4655. gewidert : gevidert 5719. fiere : Schiere 6004. fchulde : fehulde 2824 ift die ganze ftelle verderbt, und ftatt gebende : ent/tehende, wie hier der alte druck hat, ift jehende : entfehende zu lefen. Lohengrin feite 63 ift wahrfcheinlich flalte : gevalie und f. 189 ge- Stammet : gefämet zu fetzen. bei Boner findet man 97, 40 Pfeiffer zur gefchichte des reims. 931 vil bezzer ift daz zwene man ein frouwen haben denn ein man zwei wip. fchwerlich hat der dichter, der fonft nur genaue reime geftattet und den rührenden felten anwendet, fich diefe rohheit zu fchulden kommen laflen; Benecke hat eine fpätere nachhilfe in den text genommen. ich ändere vil bezzer ift daz zwene hän eine frouwen denn ein man zwei wip. im Wigamur ift zu beffern geiwungen nuo 796, alle wunder 4660 und gen mittem tage geviene 4579. fireng erwiefen fcheint mir der verwerfliche reim bei keinem gebildeten dichter. erft am ende des jahrhunderts, vielleicht erft im anfang des folgenden kam der fchmied Regenboge auf den unglück- lichen gedanken in feinem langen ton (MSHag. 3, 468*) fünf ftrophen, jede von 23 zeilen, man kann denken mit welcher anftrengung zufammen zu häm- mern, wo alle weitgetrennten reime nicht blofs rührende find, fondern auch bis auf fint : hofgefint lauter unerlaubte; um fo auffallender als er in feinen übrigen gedichten fich des rührenden enthält. Wenn bei vollem gleichklang der wörter die bedeutung verfchieden ift, fo gilt der reim als kunftgerecht, und ich weifs kein gröfseres gedicht diefer zeit, in dem er nicht vorkäme, bei einigen felten, bei andern häufig: am fichtbarften tritt er hervor, wenn die reimwörter blofs liegen d.h. durch eine zulammenfetzung nicht gleich äufserlich unterfchieden find. ich gebe die beifpiele fo vollftändig als möglich. Athis & (fubft.) : & (partikel) C’, 109, /luogin [porn zu füin:: in andir fitin A"”,51. Eraclius marc (münze) : marc (medulla) 1427. want (verb.) : want (fubft.) 3145. Lanzelet werden (verb.):; werden (adj.) 4583. Wigalois reit (verb.) : reit (adjeet.) 12,5. wol getan : geltän 30, 30. 202,3. werden : werden 63, 30. fin : fin (pronom. und verb.) 109, 2. 170,23. flat: flat 274,14. Konrad von Fulsesbrunnen im Leben Jefu in (pronom) : in (partikel) 73, 16. 84,61. hieze (genannt werde) : hieze (anordne) 75, 44. gemaches (fubft.) : gemaches (verb.) 87, 84. dat (fubft.) : bat (prät.) 88, 1. age (verb.) : fage (fubft.) 97, 46. Urftende alter (fenec- tus) ; alter (altare) 127, 48. Konrad von Heimesfurt wären (adject.) : wären (verb.) 53. & (fubft.) : & (partikel) 45,271. Welfcher gaft & (partikel) : (fubft.) 74°. leit (verb.) : leit (fubft.) 82°. muoz (verb.) : muoz (fubft.) 83°. für Axx2 532 W. Grimm: übel guot : zem oberiften guot 94°. fchaffen : fchäfen 107°. wife (modus) : wife (adj.) 108°. wifen (verb.) : wifen (adj.) 108°. eriuce : fich eriuce 178°. Ere (fublt.) : re (verb.) 202°. kunt (verb. für kunnet) : kunt (adjeect.) 217°. wern (dauern) : wern (gewähren) 223°. Herbort fin (verb.) : fin (pronom.) 1401. mare (adject.) mare (fubft.) 1635. wert (adj.) : wert (fubft.) 1865. 9062. wis (fublt.) : wis (adject.) 3023. 10905. in (pronom.) : in (partikel) 3735. 11959. 13574. 14452. 16172. lide (verb.) : löde (fubft.) 5802. enden (verb.): enden (fubft.) 6191. habe (verb.) : habe (fublt.) 11885. habe (ver- mögen) : habe (hafen) 17604. genäde (fubft.) : genäde (verb.) 17976. ane (fubft.) : ane (partikel) 18022. Heinrichs von Türlein (1) Krone fin : fin 53°. 30023. wirt : wirt (fubft. u. verb.) 60%. habe (hafen) : habe (vermögen) 70°. varn (verb.) : varn (nachen) 71°. bergen (fublt.) : bergen (verb.) 7%. was (erat) : was (campus herbidus) 17470. wde (fubft.) : wae (verb.) 27672. habe (verb.) : habe (fubft.) 27097. hän (verb.) : han (fubft.) 29945. Stri- cker wert (verb.) : wert (adject.) kl. ged. XI, 29. fin : fin Karl 48°. werde (ad).) : werde (verb.) 112°. in (pronom.) : in (partikel) 113°. dö fi mich heten verrälen und mich fchuofen in die nöt, daz rach ich; des gie mir nöt 128° zeigt verfchiedenheit der bedeutung. fin : fin Amis 945. in (pronom.) :in (par- tikel) 233. wirt : wirt 2255. Lichtenftein fin : fin 21, 31. 129, 17. 337, 19. 470, 30. 471,5. fit (fubft.) : fä (verb.) 80, 25. han (hilfsverb.) : Ran (ha- bere) 38, 31. 335, 21. hie (präf.) : hie (partikel) 209, 3. habe (fubft.) : habe (verb.) 467, 21. her: her 472,1. komen hinne : verbergen hinne 512, 18. Rudolf von Ems fin : fin Wilh. v. Orens 3974. Fleck gnäde Jagen : fingen unde Jagen 3 find die begriffe getrennt, wie alt: fünf jär alt 613. fin : fin 3731. 5179. wife (fubft.) : wife (adj.) 2027. wis (fubft.) : wzs (adj.) 3459. fü (pronom.) : fi (verb.) 4097. 5533. wirt : wirt 3199. werde (fubft.) : werde (verb.) 6017, doch vergl. die anmerk. man (fubft.) : man (verb.) 6559. wert (adject.) : wert (verb.) 7873. Gottfried von Neifen bar (verb.) : bar (adj.) 8, 31. wer (pronom.) : wer (verb.) 9, 18. heil (adj.) : heil (fubft.) 21, 24. 24,17. [ware (fubft.) : fwaere (adject.) 23, 18. man (fubft.) : man (verb.) 23, 24. fenden (verb.) : fenden (fehnenden) 24, 1. ende (fubft.) : ende (verb.) 24,2. guot (ad).): guot (fubft.) 39, 8. bluot (fanguis) : bluot (flos) 39,11. (') ich gebe die beifpiele nach der Wiener handfchrift, die ich in der Berliner ab- fchrift benutzt habe, bevor die ausgabe von Keller in meinen händen war; diefe tritt mit z. 12062 ein. zur gefchichte des reims. 933 Jolt (fubft.) : folt (verb.) 39, 26. Zeit (fubft.) : Zeit (verb.) 39, 7. meifter Alexan- der val (fubft.): val (adj.) lachen (fubft.): lachen (verb.). bat (fubft.): dat (verb.). want (verb.) : want (fubft.). varn (fubft.) : varn (verb.). wint (ventus) : wint (canis) MSHag.3,28°. Ulrich von Winterfteten ougen (fubft.) : ougen (verb.) MSHag. 1, 145°. Ulrich von Türheim lachen (verb.) : lachen (fubft.) Trif- tan. häufiger im Wilhelm man (fubft.) : man (verb.). ellen (mafs) : ellen (kraft). werde : werde. gewirket hät : fper biime hät. wäfen : [chrien wäfen. leit (fubft.) : Zeit (prät.). wege (fubft.) : wege (verb.). wäge (fluctus) : wäge (lanx). armen : armen. wirt : wirt. hoeren:üf heren. Herzog Ernft mere (fubft.) : mare (adject.) 4599 und das ungenaue lite (prät.) : iute 5305. Tanhäufer zriuwe (adject.) : /zriuwe (fubft.) MS. 2, 64°. Ulrich von Türlein kunden : kunden Wilhelm 19. werde : werde 100°. 121°. werden : werden 116°. 124°. dri flunt : ze flunt 118°. er nam : für liebe nam 127. was : ge- bluomter was 131°. nam (nomen) : nam (verb.) 137°. E:& 144°. Paflional got herre, den ich meine, dü bift, den ich meine 2, 87. wär: war 23, 23. weich (verb.): weich (adv.) 23, 58. fagete (dixit) : fagete (fägte) 49, 5. gruoben (verb.) : gruoben (fubft.). berge : ze berge 95, 27. 101,46. 108, 84. arme (fubft.) : arme (adjeet.) wife (fubft.) : wife (adj.) 146, 10. genaeme (verb.) : genaeme (adj.) 212, 55. al (fubft.) : fal (verb. — fol) 278, 59. vafte (adv.) : vaflte (jejunium) 335, 37. flat (l. an der ftat auf der ftelle) : [tat (urbs) 336, 83. Marienlegenden hin von mir wilt keren : du falt dich dar an keren 131,163. arm (ad).) : arm (fubft.) 231, 545. Heinrich von Meifen fin: fin Unfervater 478. armen : armen 2260. Meifener muozen (fubft.) : muozen (verb.). arm (brachium) : arm (pauper) : wazzers arm. wi- der (partikel) : wider (vervex) Amgb. f.43. Konrad von Landegge ich muote : muole (dat.) : muote (prät. von müejen) MS. 1,199. Boppe rifen (fubft.) : rifen (verb.) MS. 2, 230°. Konrad von Würzburg gebraucht die- fen reim in den erzählenden gedichten mit grofser zurückhaltung: nur einige male habe ich ihn im Trojanischen krieg bemerkt: €: € 10192. wilde : wilde (adject. und fubft.) 16203. erden (welt) : erden (heimat) 22148. diu (vart) wart erhaben : der apfel guldin und erhaben 23519. dagegen wird ihm ein lied von drei ftrophen (MSHag. 2, 318°. XIII.) beigelegt, worin nicht blofs linde (fubft.) : linde (adject.). dicke (adv.) : dicke (adject.). /chöne (adv.): ‚Jehöne (verb.) vorkommen, fondern auch der dreifache reim winterleit : leit (duldet) : Zeit (liegt). wert (dauert) : wert (adj.) : wert (gewährt). gewant 534 W. Grımm: (partie. von wenden) : gewant (fubft.) : gewant (prät. von winden). ja ein anders von zwei ftrophen (MSHag. 3, 453°) ift ganz aus folchen reimen zulammen gefetzt z. b. künde (fubft.) künde (polfem) : künde (nunecio). rin- gen (fubft.) : ringen (luctari) : ringen (imminuere). /cheiden (dat. pl. von Scheide Gilurus) : von ir [cheiden (verb.) : fcheiden (vagin»): fpane feheiden. in den übrigen liedern find fie gemieden, fogar in der mühlam gearbeiteten vorrede zum Engelhart, wo fie gute dienfte hätten leiften können. ja wir werden hernach fehen dafs Konrad die andere art diefes reims, von welcher gleich die rede fein wird, ebenfalls nur in den erzählenden gedichten und auch da nicht minder fparfam gebraucht: in den liedern macht Züterlich : wünneclich (MS. 2, 200°) die einzige mir bekannte ausnahme: die Klage der Kunft, worin ficherlichen : richen : künicrichen : gelichen vorkommt (MSHag, 3, 334°), darf als ein untergefchobenes gedicht (vergl. Wackernagels ge- fchichte der literatur feite 114 anm. 29) nicht angeführt werden. der ge- danke liegt alfo nahe, auch jene beiden lieder für unecht zu halten, bei einem ungenannten rinde (cortex) : rinde (bovi). linde (fubft.) : linde (adject.). winde (hunde) : Zuftes winde MSHag. 3, 4689. jüng. Titurel der eine : eine (adv.) 2836. ander (alius) : ander (alter) 3080. Boner für wär : war 57,53. über ein : ein 70,25. fin : fin 99,65. Lohengrin folde (verb.) : folde (fubft.) f. 163. Renner arm (ad).) : arm (fubft.) 346. wider (partikel) : wider (fubft.) 1694. wirt (fubft.) : wirt (verb.) 4559. 3353. 5553. 5611. 9256. 21203. guot (fubft.) : guot (adj.) 3843. 4896. 9508. 10606. 20391. 21631. /parn (fubft.) : /parn (verb.) 4815. 21072. alter (altaria) : alter (fenectus) 5033, werden (fublt.) : werden (verb.) 5061. dä heime : heime (grille) 5615. 5657. genuoc (adj.): genuoc (verb.) 5832. leben (fubft.) : leben (verb.) 6607. werde (verb.): werde (fubft.) 8168. chepfen (fchöflen) : fchepfen (verb.) 8410. effe (as im würfel) : e/fe (kamin) 11406. wär: war 13710. lachen (verb.) lachen (fubft.) 14092. 15934. lägen (prät. von ligen) : lägen (infidi- ari) 14756. vifch noch man (menfch) : pfa/fe noch man (laie) 17898. under wegen : wegen (verb.) 19046. wife (fublt.) : wife (adj.) 19862. marc (me- dulla) : mare (geld) 19891. mit lambes vellen : vellen (verb.) 21529. gevallen (placere) : gevallen (delapfus) 21533. leit (verb.) : Zeit (fubft.) 23384. der fpätere Suchenwirt, der noch am fchlufs des 14" jahrh. lebte, hat fich mit einem gedicht von 118 zeilen abgequält (f. 146), in welchem nur rührende reimpaare vorkommen: falt alle find diefer art und keine unerlaubte darunter, znr gefchichte des reims. 535 Stehen beide rührende reimwörter oder auch nur eins in zufammenfet- zung, fo tritt der unterfchied der bedeutung fogleich hervor und kann kein bedenken erregen; ohnehin bietet fich diefer fall öfter dar. es fcheint mir ange- meflen, die reime auf -Lch -liche -lichen, -heit, -fchaft, -tuom und -haft abzufondern: da diefe wörter jetzt (das adject. haft in Gottfrieds Triftan 23, 13 ausgenommen) nur noch in zulammenfetzungen vorkommen, fo ift ihr be- griff verdunkelt und das rührende wird weniger empfunden. (a) -lich, -liche, -lichen. nur zweimal zeigt fich -löcher bei Heinrich vom Türlein und im jün- geren Titurel, nur einmal -Zchez in Hartmanns Erek. Reimar gelichen : gemel- lichen MS. 1,83, der einzige rührende reim, den er zuläfst. König Tirol riz- terlich : herteclich MS. 2,250°. Eraclius nur ficherliche : minnecliche 3777. Lanzelet gelich : mennegelich 2975. fenftecliche : billiche 2235. gezogen- liche : minnecliche 3145. 3479. 8451: riterliche 5283: bitterliche 6849. [e- lecliche : algeliche 7299. güetliche : nemliche 7635. wirdecliche : befcheiden- liche 8591. Wigalois füberlich : tegelich 11, 10: gelich 77, 8: ieslich 187, 33. jeemerlich : gelich 123, 7. wunderlich : jegelich 43, 22. heimlich : tege- lich 45, 23: billich 51, 31. tegelich : unbillich 97, 35. ungelich : mislich 165, 19. geliche : meifterliche 24, 18. 26, 8: gefuocliche 27, 29: minnecli- che 28, 3. 73, 24. 238, 36: wünnecliche 48, 24: gemeinecliche 116, 29: kreftecliche 171, 9. herzenliche : väterliche 246, 5. jaemerliche : offenliche 250, 39: kreftecliche 171, 9. 262, 19. bei beiden alfo, bei Wirnt und Ulrich von Zezichofen, kein lichen. ich habe bei den eben angeführten gebildeten, der beften zeit zugehörigen dichtern, vollftändig fein wollen, bei andern, wenn fie nicht ausgezeichnet find, genügt eine auswahl. im Welfchen gaft alle drei formen, doch -lichen am häufigften, frevelich : ‚frowelich 7". jficherlich 7’. neetlich : gelich 23°. 79°. etelich : beeslich 26°: wunderlich 76°. wunderlich : gemelich 42°. eteliche : [umeliche 71°: ‚ficherliche 136°. ungeliche : wunderliche 28°. tougenliche : ficherliche 58°. gemeinliche : höve/chliche 60°: genzliche 94”. genzliche : ficherliche 164”. tegeliche : werltliche 196°. müezeclichen : lefterlichen 3°. frowelichen : höch- verliclichen 4°. ficherlichen : beeslichen 5°. 5” : unhövifchlichen 11° : gelichen 196”. 204° : fraelichen 212° : übelichen 214° : genzlichen 220°. 224° : flizec- lichen 221° : offenlichen 222". offenlichen : tougenlichen 222°. beeslichen : Jrümeclichen 157° : geiftlichen 171°: befcheidenlichen 212°. unmezlichen : unkiufchlichen : unredelichen 155°. tegelichen : übellichen 167‘. Konrad 536 W. Grimm: von Fufsesbrunnen in der Kindheit Jefu griulich : freislich 83, 3. gelich : grimmelich 83, 42. minnecliche : kintliche 88, 29. gelichen : eweclichen 76, 69. 79, 20. in der Urftende erbarmeclichen : gneedeclichen 121 , 83. gelichen (verb.) : jeemerlichen 124, 48. Konrad von Heimesfurt gebraucht nur lich und nur einmal, gelich : unteetlich 825, was gegen die vermuthung Pfeiffers (Haupts zeitfchrift 8, 153) fpricht, er fei auch der verfaffer der Ur/ftende. bei Herbort lich und liche häufig iegelich : gelich 2929. 3177. 10755. 16874. 16906: grezlich 6487. lügelich : mislich 3045. frelich : engejftlich 3195. tegelich : gelich 9362. herlich : gelich 15934. minneeliche : hübefchliche 527. zornecliche : werliche 2094: geliche 7777. hübefchliche : ftolzliche 2425 : frevelliche 7447. gezogenliche : besliche 8031. geliche : iegeliche 10979. 16233. freisliche : geliche 11709. jaemerliche : unfeleeli- che 14957. ewecliche : endeliche 15293. herliche : geliche 16750. 18433. unwipliche : besliche 17254; nur einmal -lichen, gezogenlichen : iegeli- chen 631. in Heinrichs Krone -lch, felten -Zche und -lichen, und ein- mal -licher, ungelich : wunderlich 8° : kumberlich 38° : lügelich 17749 : mif- felich 18073 : füberlich 14035 : tugentlich 16324 : rilich 15341 : wunneclich 29154. gelich : ieslich 40" 26993. 27952 : klegelich 45° : eislich 73°. 12780. 20895. 13402. vorhtlich : ieslich 43°. fodann kofteliche : geliche 14747. iegeliche: geliche 25387. gezogenlichen:: betlichen 39° und iegelicher : gelicher 25904. Gottfried von Neifen minneclich : gelich. minneclichen : gelichen 34,22. auch im Mai -Zch und liche häufig und nur einmal -lichen, gelich : wünneclich 5, 23: frelich 49, 31: unmügelich 50, 25: tugentlich 72, 31: flizeclich 96, 3: minneclich 97, 3. 107, 29: werdeclich 116, 33: ungezogen- lich 166, 11: willeelich 228, 1. ungelich : eweclich 2, 25. ferner geliche: Bitterliche 38, 35: innercliche 93, 29: innerliche 204, 15: willecliche 210, 5: reifeliche 210, 17: @rliche 240, 5 und lefterlichen : gelichen 156, 9. eigen- thümlich dafs hier immer gelich geliche gelichen ohne weitere zufammen- fetzung in dem einen der beiden reime fteht, ungelich 2,25 macht kaum ausnahme, nur Ziepliche : iugentliche 242, 24: aber ich glaube das gedicht fchliefst mit 242, 23, und halte die folgenden fechs zeilen für einen unechten anhang. Lichtenftein im Frauendienft /underlich : gelich 94, 13. ernftlich : endelich 102, 3. ritterlich : wünneclich 188, 3: minneclich 231, 12: lobelich 272,3. wunderlich : fteeteclich 327 , 21. minneclich : meifterlich 442, 12. J[ehedelich : lefterlich 537, 12. nur im Frauenbuch einmal magetliche : zor- zur gefchichte des reims. 837 nicliche 625, 27 und heimlichen : fwachlichen 613, 15, wiewol man erwä- gen mufs dafs klingende reime im Frauendienft felten find. bei Stricker erfcheint -Lch fehr vereinzelt, gelich : billich kleine ged. I, 26: undillich V1, 94. wünneclich : gelich Karl 15°. gelich : herlich 28°. helfelich : iegelich 51°. gelich : grözlich (adv.) 112°. auch im Daniel nur gelich : minneclich bl. 17. freislich : gelich bl. 60 und einmal geliche (verb.) : grözliche (adv.) bl. 1. unficher ift /poteliche : müezecliche in der fabel von dem fuchs und krebs (Haupts zeitfch. I, 398). die Warnung zeigt blofs /relich : gelich 1219. unbil- lich : griulich 3191. Neidhart lobelich : minneclich 24, 8 Ben. : wünneclich 54, 1. gelich : viretegelich 32, 5 und geliche : fumeliche 26, 2. in den ver- dächtigen liedern gelich : minneclich MSHag. 3, 212°. geliche : waerliche 241°. Reinbot nur wünnecliche : geliche 3284. bei Rudolf von Ems zwar kein -ich, doch -liche und zwar am häufigften im Gerhart. ich zähle fie fämtlich auf, algeliche : minnecliche 753. 1979. veftecliche : jeemercliche 1531. lobeliche : gewaltecliche 4317. freliche : werdecliche 5533. grezliche : wün- necliche 5723. wünnecliche : geliche 5937. fletecliche : geliche 6909. einmal ficherlichen : güetlichen 2209. im Wilh. v. Orlens klegeliche : algeliche 4496. geliche : herzecliche 4997. rüliche : geliche 5213. minnecliche : trürecliche 10421. Fleck gebraucht -lich und häufig -Ziche (vergl. Sommer zu Flore f. 266): aber -Zchen durchaus nicht, gelich : edelich 469: herlich 3561: wast- lich 6967. ungelich : minneclich 251. von -liche nur beifpiele, geliche: befcheidenliche 231: lüterliche 1767. hovefchliche 2001 : nemeliche 4053: vollecliche 4243. algeliche : befcheidenliche 1107. riliche : innecliche 3467. verzegenliche : flizecliche 3865. unervorhtecliche : gliche 6503. Gottfried von Neifen minneclichen : minneclich : gelichen: gelich 34, 22. Otto von Botenlauben gnadecliche : endeliche MSHag. 1, 11°. klagelichen : tougenli- chen MS. 2, 172°. Walther von Klingen gliche : gen@decliche MS. 1, 31®. Markgraf von Hohenburg minneclich : gelich MS. 1, 17°. Jacob von Warte geliche : ficherliche MS. 1, 66‘. Marner nur manlichen : gelichen MS. 2, 172°. Reimar von Zweter wunderlich : gelich MS. 2, 135°. ungeliche : fume- liche2, 132°. gelichen : edellichen 2, 125": ficherlichen 2, 144°. eweclichen: ficherlichen 2, 148°. bruder Wernher nur willecliche : ficherliche MS. 2, 162°. der wilde Alexander unendelich : gelich MSHag. 1, 306°. Raumeland wipliche : geliche MSHag. 2, 370°. Meifener minneclich : gelich MSHag. 3, 89% untugentlich : gelich 3, 109%. lefterlichen : gelichen 3, 109. lügelichen : Philos.-histor. Kl. 1851. Yyy 538 W. Grimm: gelichen 3, 110. -löche nur im dreifachen reim, himelriche: vorhtecliche:geliche 3, 93°. Ulrich: von Winterfteten grimmeclich : tougenlich MSHag. 1, 154° minnecliche : geliche 1, 157°. geliche : herzecliche 1, 164°. ungeliche : ficher- liche 1, 165°. tougenliche : minnecliche 1, 166". tougenlichen : gelichen A, 159. Rudolf von Rotenburg gelichen : minneclichen MSHag. 1, 79%. der von Gliers gelich : wünneclich MSHag. 1, 106°. Chriftian von Hamle geli- chen : minneclichen MSHag. 1, 113°. der fcehenk von Limburg minnecliche : geliche MS. 1, 59. Reiman von Brennenberg lobelich : gelich MS. 1, 184°. 185°. wunderliche : ficherliche 1, 155°. Chriftian von Lupin vorAteeliche: zornliche MS. 2, 16°. Ulrich von Muneger genadeclichen : unendelichen MS. 2, 46’. Hug von Werbenwag geliche : minnencliche MS. 2,50°. Göli wünnecliche : geliche MS. 2, 58°. der von Buwenburg minneclichen : geli- chen MS. 2, 150°. Hadlaub gebraucht nur -Zche und überhaupt keinen andern rührenden reim, geliche : minnecliche MS.2, 185". ungeliche : min- necliche 2, 192°. zartliche : minnecliche MSHag. 2, 294°. -Uch fetzt er aher in verbindung mit andern reimen, wodurch nach der oben angeführten regel die berührung aufgehoben wird, wunderlich : ungelich : fich MSHag. 2, 300°. minneclich : hovelich : Erenrich : ich 2, 306°. der Kanzler wunderlich: unbegrifelich MS* 2, 245°. Herzog Ernft gebraucht nur einmal -Lich, das er auch im nicht rührenden reim (gelich : fich 3315) verwendet, wünneclich : zühteclich, öfter -liche, menliche : redeliche 481. geliche : willecliche 1259: grözeliche 1737: jaemerliche 1951: behegeliche 20%: minnecliche 2695: willeclliche 3312: wunderliche 3727: getriuweliche 5335, nur zweimal -Zchen, wo aber auch -Zche ftehen könnte, firiteclichen : nitlichen 1311. allertege- lichen : krefteclichen 1385. in dem Paffional kommt blofs -Zich vor und auch diefes verhältnismäfsig (das grofse werk enthält gegen 100,000 zeilen, wovon erft mit einfchlufs der dazu gehörigen Marienlegenden etwa 40,000 gedruckt find) äufterft felten: ich habe nur bemerkt offelich : endelich 14, 73. güellich : getrüelich 16, 58. ordenlich : eweclich 21, 10. vientlich : ge- meinlich 201, 83. Gute frau tegelich : billich 809. gelich : unmügelich 2925. gelichen : tegelichen 2123. kein -Lche, wiewol es fehr oft mit röche gebun- den wird 43. 233. 1130. 1295. 3238 u. f.w. Heinrichs von Meifen Unfer- vater zeigt häufig -äch, -felten -Zche, gar nicht -Zchen, gelich : geift- lich 443: lobelich 630. 871: unfihtlich 1005: frühteclich 3183: mügelich zur gefchichte des reims. 539 3374: un/chedelich 4248. wirdeelich : tegelich 827. 936. unnützelich : tege- lich 837. tegelich : klegelich 3151. freislich :engeftlich 3014. 4534: lobelich 4453. fodann gebruoderliche : geliche 185. warliche : geliche 1922. aus Ulrich von Türheim habe ich angemerkt geliche : minnecliche Wilhelm pfälz. handfchr. bl. 250 und gelichen : gefelleclichen Triftan 540, 37. in Ulrichs von Türlein Wilhelm nur gelich : fumelich 94° geliche : men/chliche. bei Konrad von Würzburg ift -Lch -Lche felten genug, ich habe nur gefunden lüterlich : wünneclich MS, 2, 200°. engeslich : minneclich Weltlohn 69. klä- gelich : minneclich Engelh. 2326. von wünneclich : ungefihteclich Troj. kr. 9918 wird gleich hernach die rede fein, von dieplich ; lieplich MSHag. 2, 323° weiter unten. fodann geliche : ficherliche MSHag. 2, 315’. riliche:: minnecliche Engelh. 1620. geliche : fnellecliche Engelh. 2699: innecliche Engelh. 957. -Zichen kommt bei Konrad nicht vor. Heinrich von Freiberg geftattet im Triftan nur -Zich, gelich : megetlich 693: koeftlich 1319: herlich 1347: tugentlich 4231. minneclich : friuntlich 1978. heimlich : lifteclich 3024. lieplich : wünneclich 4929. klegelich : gemeinlich 6743. dagegen im Johann von Michelsberg geliche : wünneeliche 12 und prislichen : wünneclichen 65. man müfte die verfchiedenheit aus früherer abfaffung diefes gedichts erklä- ren, aber ich habe noch weitere gründe den Heinrich von Freiberg, der fich darin nennt, für einen andern zu halten. im jüngeren Titurel, wo lauter klingende reime gebraucht werden, kann nur -Zöche oder -löchen vorkommen. fie find nicht häufig, Zegelöche : ungeliche 159: hurtecliche 555. ungeliche : Jelecliche 805: hoveliche 4112. geliche : herzenliche 1090: menliche 1203: Jlühtecliche 1383: ritterliche 1466 (und fo ift auch 2801 zu lefen): behen- decliche 2554: Junderliche 2830: ewecliche 3085: verborgenliche 3297: ungenadecliche 3786: ritterliche 5563. 5928: werdecliche 5984: tegeliche 6165. menliche : kreftecliche 3541. die Heidelberger handfchrift hat noch einige mehr, die aber vor den befferen lefarten des alten drucks verfchwin- den, höch und riche ftatt beiwungenliche 798. fürften, frien, gräven, arm und riche ftatt fürftenlichen an ir herren ftat vil wunder werdecliche 1077. triuwenriche ft. hoveliche 1096. trügeliften richen ft. trügenliche 1558. riche ft. geliche 2545. krefte riche ft. krefticliche 2921. 3401. riche ft. [underl- che 4301. jämers riche ft. 5945. Sigune in der klage über Tfchionatulanders leiche {pricht Yyy2 540 W. Grımm: “ich meine üf erde in folchen nceten lebende, ich waen von miner noete waere ein lewen herze töt üf hebende:! von meinem klagegefchrei würde ein löwenherz lebendig werden, mit hin- deutung auf die fage von dem löwen, der feine jungen lebendig fchreit. das hat der bearbeiter des Heidelberger textes nicht verftanden und fetzt eine albernheit dafür “ich mein üf erde mit klage fö klegeliche: ez wirt diu klage bernde an mir noch vil der klage jaemerliche’ 5159. fodann -lichen, frevellichen : meijterlichen 337. güetlichen : ficherlichen 723. werdiclichen : lieplichen 1244. ritterlichen : gelichen 2021. hurticlichen : gelichen 2109. krefteclichen : gelichen 2316. kriftenlichen : ordenlichen 2801. volleclichen : unhovelichen 2884. werdeclichen : menlichen 3604. gelichen : flühteclichen 3910: lobelichen 4958. menlichen : koftlichen 4182. tegelichen: gewalteclichen 6130. -lchen wird in der Heidelberger handfchr. nicht ver- mehrt. überhaupt höchfi felten ift ungelicher : billicher 2586 ([.oben535) im Reinfried von Braunfchweig, den ich in K. Gödekes auszügen benutzen kann, finde ich -Zch und -Liche, kein -Lchen, griuwelich : [icherlich feite 67. keifer- lich : minnenclich 104. wozu noch geiftlich : meiftlich 50 kommt. fodann endeliche : minnecliche 12. tougenliche : minnecliche 14. grimmecliche : geli- che 45. wunderliche : behendecliche 97. eigenliche : ungeliche 100. bei Frauenlob habe ich nur jaemerlichen : unbarmeclichen feite 234 bemerkt. auch in Lohengrin ift der reim höchtt felten, ritterlich : ungelich f. 71. züh- tecliche : geliche f. 59. ritterliche : geliche f. 139. im Wigamur alle drei formen, Aerlich : teerlich 423. lobelich : ungehiurlich 478. gemelich : tege- lich 514. mislich : lieplich 1102. kintlich :waerlich 1310. gnözlich : grözlich 1434. hovelich : minneclich 1548. grözlich : ungelich 1710. gelich : gezogen- lich 1952: hovelich 1982: ritterlich 2326: tugentlich 3437: minneclich 5725. tugentlich : ritterlich 2042: zierlich 2326. minneclich : gemelich 4361. fodann geliche : wunderliche (fo ift zu lefen) 1025: ritterliche 1229 und werlichen: ungehegelichen 1. unbehegelichen 664. gelichen : waerlichen 3425. fo häufig in Hugos Renner -Zch und -Lichen, fo felten -liche, gelich : lefterlich 922: edellich 2461: Junderlich 2804. 10376: werltlich 4241. unbillich 4975. 6131: unzimlich 5729: jaemerlich 7376. 16830: krefteclich 7886: zwivellich 11942: zur gefchichte des reims. 541 kleefterlich 12080: heimlich 20665: tiuvellich 23891: getriuwelich 24212: ungelich 3759. 24565: giteclich 24645. unbillich : ungelich 2834. werltlich : ungelich 4241. lüterlich : inneclich 4669. wizzentlich : eweclich 4679. unbarm- herzeclich : jeemerlich 6799. umverfpelteclich : vel/chlich 7772. jaemerlich : offenlich 9071: frelich 15492. unordenlich : unhevelich 9169. unelich : unzimlich 9171. unkriftenlich : unerlich 9173. unmuoterlich : unbruoderlich 9174. ungefellich : unendelich 9176. unredelich : unfriedelich 9182. unor- denlich : unbarmherzeclich 9240. ungelich : [chedelich 9348. offenlich : [un- derlich 10375: jeemerlich 24050. güteclich : ungelich 10734. funderlich : inneclich 10965. tegelich : wertlich (fo lieft die Frankf. hs. f. 202°) 13662. heimlich : offenlich 17078 (fo ift zu beffern, wie in den andern ftellen fteht) 17078. 21793. 24305. veterlich : inneclich 15758. rilich : jaemerlich 16322. willeclich : heimlich 17098. ordenlich : effenlich 17900. unordenlich : unbruo- derlich 18079. engeftlich : minneclich 19134. tougenlich : demüeteclich 20729. reineclich : [underlich 22802. güetlich : minneclich 23268. men/chlich : göt- lich 23809. nur zweimal habe ich ein ficheres che bemerkt, wunderliche : geliche 88. offenliche: erneftliche 19855. von -lichen beifpiele genug, edelli- chen : efellichen 1458. einvelteclichen : erneftlichen 6437: frumeclichen : lefterlichen 7100. eweclichen : gelichen (verb.) 13510. jamerlichen : ewec- lichen 14003. 17036. 18382: minneclichen 17241. gelichen (verb.) : tugent- lichen 15092: wünneclichen 20075. freelichen : volleclichen 20718. waerli- chen : verfümeclichen 21875. willeclichen : unnützelichen 214881. bei Boner der fich felten einen klingenden reim erlaubt nur -Zch und nicht oft, gelich: trügenlich 83, 11: fenfteclich 69, 3: herlich 82, 33. ungelich : valfcheclich 33437. Noch ift etwas eigenthümliches bei diefem reim zu bemerken: manch- mal berühren fich darin e/n! r! ohne dafs zugleich die vorhergehende filbe mit zum reim gehörte. dies laffen aber nur einige zu. Hartmann einmal in dem minder ausgebildeten Erek barmecliche : herzeriwecliche 5743, wo Haupt herzeriweliche beffert. Wirnt wünnecliche : gefellecliche 22, 24. jaemerliche : ‚ficherliche 258, 30. Thomafın ma&zeclichen : demüeteclichen pfälz. hs. bl. 158°. offenlichen : tougenlichen 222°. ficherlichen : lefterlichen Götting. hs. bl. 142°. und Dresd. hs. unmazeelich : unfteteclich. Urftende erbarmecliche: gnedecliche 121, 83. Wernher von Teufen zühteclich : minneclich MS. 1, 44°. Lichtenftein züchteclich : minneclich 170, 1. manneclich : trüreclich 542 W. Grimm: 315, 31. Junderlich : ritterlich 76, 17. 193, 29. 268, 25. 487, 26. ritterlich: jeemerlich 221, 19: kumberlich 235, 17. wunderlich : meifterlich 444, 12. Rudolf veftecliche : jaemercliche (wo aber wol jeemerliche zu beffern ift) Gerhard 1531. minnecliche : trürecliche Orlens 10421. Fleck unbe/cheiden- liche : gezogenliche 3137. Ulrich von Winterfteten minnecliche : fenflec- liche MSHag. 1,557°. Konrad von Kilchberg zühteclich : minneclich MS. 1, 14°. Reimar von Zweter werdeclich : fünderlich MSHag. 3, 468'. Chriftian von Lupin werliche : [underliche MS. 2, 17". Herzog Ernft wünneclich : zühteclich 5057. Rabenfchlacht volleclichen:trüreclichen 18. Rofengarten D. wünneclich : gewalteclich 583. Konrad von Würzburg nur wünneelich : ungejihteclich Troj. kr. 9918. jüng. Titurel krefticliche : gewalticliche 34. fenftieliche : kreftieliche 2839, wo aber der alte druck enftelichen : kreftelichen lieft. Hugo hat kein bedenken bei diefem reim und fetzt ihn häufig, anjihteclich : zühteclich Renner 561. giteclich : flizeclich 1978: jee- merclich 7376: mildeclich 7646. minneclich : willeclich 2900: eweclich 6448. willeclich : eweclich 6045: gedulteclich 20749. einvelteclich : wünneclich 10390: eweclich 12008. flizeclich : inneclich 12188. inneclich : milteclich 24543. volleclich : unfleteclich 15918. eweclich : minneclich 24330: genae- declich 2440 und &weclichen : minneclichen 1868. fodann ordenlich : effen- lich 17900. tougenlichen : offenlichen 12470. kumberlich : unerlich 2676. das find alle beifpiele, die ich gefunden habe. diefer reim kommt alfo bei den dichtern, die als mufter voran ftehen, wie Wolfram, Gottfried von Strafsburg, Singenberg und Gottfried von Neifen, nicht vor: bei Walther und Freidank ift er unmöglich: wir werden unten fehen dafs er fich nur in dem innern reim einer unechten ftrophe der Nibelungen zeigt, auch nicht in der Klage und im Dietleib. gebildeten dichtern, Lichtenftein etwa ausge- nommen, entfchlüpft er nur als feltene ausnahme, und Lachmann hat recht, wenn er ihn (zu den Nibel. 70 und zum Iwein feite 546. 550) für kunft- los erklärt. (b) Den rührenden reim mit dem in zufammenfetzungen ftehenden -heit meiden gänzlich nicht blofs Walther, Freidank, Hartmann, Wolfram, Gottfried und Neidhart, fondern auch die meiften ihrer nachfolger. zwei- mal im Lanzelet manheit : vermezzenheit 7721: wärheit 7309. bei mehreren nur einmal, Eraclius Baltheit : kriftenheit 2351. Heinrichs Krone /chalkheit: gewonheit 27°. Mai bösheit : manheit 67, 31. Flore wärheit : gelegenheit zur gefchichte dez reims. 543 3601. Stricker Zörheit : manheit Daniel bl. 80. bei Reimar von Zweter und dem Meifner goteheit : kriftenheit MS. 2, 136°. MSHag. 3, 92. auch bei Konrad nur das einzige, auch in andrer beziehung merkwürdige klärheit : wärheit Tro). kr. 20967. bei Herbort dagegen ift diefer reim nicht felten, manheit :,zageheit 3057: krankheit 11171: veikheit 17676. fnelheit : [cheen- heit 6303. wisheit : pfafheit 10686: 18248: manheit 10851. 16670. 17676. wärheit : kuonheit 1189: /mäheit 9468. gewonheit : gewisheit 15281. gotheit: zierheit 16316. noch häufiger bei Thomafın arkheit : leckerheit 6°. wär- heit : ficherheit 41°: manheit 81°: fchalkheit 36°: iräkheit 117°. 206°: nel- heit 151°. 206°: leckerheit 153°: trunkenheit 156°. 196': kriftenheit 171°: bösheit 194: kintheit 210°: trügenheit 220°: zageheit 222. leckerheit : trunkenheit 67°, 115°. 195": träkheit 195°. trügenheit : lösheit 115°. be- Jeheidenheit : ficherheit 116° : wärheit 134°: [cheenheit 152". lurzheit : gou- kelheit 217°. träkheit : zageheit 153°: fnelheit 206°. Paflional wisheit : got- heit 10, 25. kintheit : wärheit 56, 22. zierheit : wisheit 119, 17. gewonheit : criftenheit 167, 6: /mäheit 345, 78. Marienlegenden törheit : kriftenheit 247, 235. Renner befcheidenheit : verfiandenheit 928. kriftenheit : gelich- Jenheit 12016: gewonheit : kriftenheit 13623. 16866: unverftandenheit 16187: trunkenheit 16800. wenn ein wurzelhaftes ch an Aeit ftöfst, wo dann beide % in einander übergehen, fo ift allerdings ein rührender reim noch anzunehmen: ich kenne nur Lanzelet richeit : wärheit 2831. Paffional wärheit : richeit 281, 47 und Reinfried von Braunfchweig richeit: kriftenheit f. 49. ein gleiches gilt aber nicht von /ch : h, das ebenfalls nur wenige gebrauchen, Herbort manheit : hübefcheit 902. gotheit : men/cheit 1701. 18214. Thomalın kintheit : nerrifcheit 12°: hövifcheit 24°: wärheit: girifcheit 15°. 183°. 212%. 215°: nerifcheit 21». girifcheit : zageheit A14°: bösheit 182°. 212°: befcheidenheit 214°. menfcheit : gotheit 129%. 150°. ner- refcheit : tumpheit AA”: trunkenheit 153°. Paflional küfcheit : gewonheit 11,61: kintheit 12,25. wärheil 261, 45: wisheit 324, 19. gotheit : men/ch- eit 19, 32. 78, 45. 107, 50. 244, 37. Heinrichs von Meifen Unfervater gote- heit :menfcheit 277: underfcheit 283. noch weiter auseinander fteht küfch- eil : richeit, dem ich nur einmal begegnet bin im Paflional 248, 44. fehr felten ift -fcheit : -[cheit, W. gaft teerifcheit : nerrifcheit 43" zweimal, und in den Marienlegenden küfcheit : menfcheit 23, 67; wir werden es noch bei Eilhart finden. öfter -keit : -keit, tritt nemlich die ableitung ec ic zu heit, fo wird der 544 W. Grimm: laut durch k aus gedrückt, und damit bilden einige, doch faft nur diejenigen welche auch -heit : -heit zulaflen, jenen reim. Herbort unfelikeit : füezekeit 7564: erbarmherzikeit 9444. manicvaldikeit : fünfvaldikeit 7603. füezekeit : Steetekeit 17690. bei Thomafın genügen beifpiele, farlikeit : bleedikeit 11°: duldikeit 72°. frümikeit : unfteetikeit 16°: kündikeit 139%. ftaetikeit : werde- keit 38’. Lichtenftein flatikeit : faelikeit 41, 11: werdikeit 425. 19. Fleck gütekeit : behendekeit 4781. Otto von Botenlauben werdekeit : faeldekeit 1. feelekeit MSHag. 1, 31°. Reinman von Brennenberg un/teetekeit : werdekeit MS. 1, 184°. Paflional barmherzikeit : bitterkeit 68, 58. wildekeit 391, AT: edelheit 148, 14. heilikeit : innikeit 129, 5. reinikeit : hertikeit 320, 14. 322, 47: irrekeit 205, 8. blindekeit : irrekeit 298, 77. Marienlegenden innekeit : reinekeit 108, 79: barmherzikeit 230, 523. Heinr. v. Meifen Unfervater wer- dekeit : hertekeit 1453. im dem Renner habe ich nur einmal und zwar in einem erweiterten reim bemerkt drieltekeit : einveltekeit 11278. Boner läfst -keit : -keit allein zu, Öditterkeit : füezekeit 2,17. 4, 11. 13,33. 25, 49. 33, 39. fenftekeit : hertekeit 66, 47. fchalkeit : kündekeit 71, 71. dagegen -keit: -heit ift kein rührender reim. ihn gebrauchen Lanzelet falikeit : fehönheit 5159. Wirnt manheit : frümekeit 20, 35. 194, 22: feelikeit 107, 27. Her- bort ftetikeit : manheit 12134. 'Thomafın unftetekeit : wärheit 39°: bös- heit 61”. wärheit : unfelikeit 73°. 78°: üppekeit 216°. duldekeit : zageheit 155”. kintheit : ftaetikeit 210° u.f.w. Heinrichs Krone wärheit : werdikeit 21°. Heinrich von Freiberg manheit : wirdekeit Trift. 2007. Reinmar von Zweter trügeheit : fleetekeit MS. 2, 150°. Paffional künheit : heilikeit 6, 91. Swindekeit : kintheit 12, 51. wisheit : bitterkeit 13, 15: Ewikeit 119, 87. ein- valdikeit : wärheit 25, 66. unvolkomenheit : lüterkeit 80, 23. füzikeit : klär- heit 133, 71. Heinrichs von Meifen Unfervater werdekeit : herheit 1439: her- tekeit 1453: goteheit 2304. einekeit : wärheit 4827. Reinfr. von Braunfchw. rehtekeit : kriftenheit f. 52. Wigamur kintheit : gevüegekeit 342. unfinne- keit : ftolzheit 5069. auch Konrad fcheut ihn nicht, im Silvefter kommt er am häufigften vor, kriftenheit : feelikeit 43: irrekeit 1560: girekeit 2044. gefuntheit : füezekeit 493. grimmekeit : pfafheit 1225. manicvallikeit : got- heit 2817. fonft noch im Engelh. gefellekeit : befcheidenheit 363. unwerde- keit : fmäheit 5613. im Partenop. werdekeit : klärheit. im Tro). krieg edelkeit: ficherheit 4277. gefellikeit : trügenheit 17692. werdekeit : tumpheit 18176. grimmekeit : zageheit 18711. Renner heilikeit : gelichfenheit 21221. ebenfo zur gefehichte des reims. 545 wenig kann ch : kund ch : k als rührend betrachtet werden, die ein paarmal beiKonrad vorkommen, fiecheit :üzfetzikeit Silv. 922: werdekeit Engelh. 5847 und menfcheit : feelikeit : fteetikeit Silv. 4105. 4373. fremdekeit : jüdifcheit Gold. fchmide 1717. diefes ch : k erfcheint mehrmals. bei Thomafın, giri- fcheit : feelikeit 25°: kündekeit 127°: üppekeit 206°. nerrifcheit : kündekeit 155°. 188°: unfelikeit 167". unhövifcheit : unftatikeit 195°. auch im Paf- fional feetikeit : küfcheit 14, 66. 16, 10: valfcheit 321, 2. menfcheit : heili- keit 18, 9: bitierkeit 61, 36: miltikeit 90, 9. itelkeit : valfcheit 198,6. Marien- leg. werdikeit : valfcheit 27, 159. Wigamur valfcheit : fletekeit 1129. mil- tekeit : hübfcheit 2645. (ec) Auch -/chaft : -fchaft zeigt fich nur bei einigen. es ift {chon oben (£.525) bemerkt dafs Hartmann im Erek riterfchaft : herfchaft reimt, daran fchliefst fich Wirnt riterfchaft : heidenfchaft 236, 11: gefellefchaft 293,9. valfchaft : meifterfchaft 64, 23. Herbort ritterfchaft (die ritter): ritter- Jehaft (vitterliches feft) 3015: gefellefchaft 3015. 3333. 4001: friuntfchaft 4085. 11121: dotefchaft 7999. 8039. 14271. 15355: vinifchaft 16722: wirtfchaft 17850. Thomafın meifterfehaft : eigenfchaft 137": gefellefchaft 166°. künnefchaft : gefellefchaft 152°. Heinrichs Krone ritterfchaft : lant- Jehaft 25” : botefchaft 44°: gefellefehaft 14006. 27983: wirt/chaft 14895: man/chaft 15422: hüsgenözfchaft : ritterfchafi 19330. Lichtenltein ritter- Jehaft : botfchaft 43,27. Rudolf von Ems rütterfchaft : herfchaft Wilh. v. Orlens 5730. Fleck gnözfchefte : friuntfchefte 373. heidenfchaft : friunt- fehaft 2525. Boppe MS. 2, 232”. ritterfehaft : keiferfchaft. Pallional her- Jehaft : heidenfehaft 25, 26. 166, 67. Marienleg. vintfchaft : herfchaft 196, 49. Gute frau rüterfehaft : gefellefehaft 1469 ift ungewis. Frauenlob ritterfchaft : meifterfchaft feite 147. Wigamur ritterfchaft : gefellfchaft 4605. Jüngerer Titurel nur einmal (2598 ift verderbt) heidenfchefte : rit- terfchefte 2326. Lohengrin ritterfchaft : botefchaft f. 48, wenn nicht zu lefen ift mit finer ftolzen ritter kraft. Renner meifterfchaft : ritterfchaft 487: eigenfchaft 3827: gefellefchaft 13780. Boner bifchaft : meifterfchaft vorrede 41. vigentfehaft : friuntfchaft 95, 75. -fchaft : -haft bildet fo wenig einen rührenden reim als -/cheit : heit, daher öfter bei Konrad von Würzburg, Engelh. gefellefchaft : tugenthaft 351. Trojan. krieg ritter- Jehaft : jämerhaft 13127: fröudenhaft 17596. redehaft: grävefchaft 17966. botefchaft : tugenthaft 18015: famenthaft 18101. Lieder wunderhaft : Philos.- histor. Kl. 1851. Zzz 546 W. Grimm: gefchaft MSHag. 312° meifterfchaft : figehaft 331°. der Kanzler mäe- Schaft : /ippehaft MS. 2, 246°. aus dem Flore merke ich an dienefthaft : man/chaft 4861. Wigamur riterfchaft : zwivelhaft 503: iugenhaft 3403. (d) -Zuom:-tuom gewähren Eraclius wistuom : richtuom 369. Wel- fcher gaft bistuom : herzentuom 54°. Flore richtuom : wistuom 1601. Paflio- nal bistuom : wistuom 110, 5. (e) -haft : -haft ebenfalls nur bei wenigen, Welfcher gaft zugenthaft : namhaft 56°. untugenthaft : fehadehaft 82°: zagehaft 83°. 17%. Heinrichs Krone manhaft : zinshaft 45°. Herzog Ernft manhaft : wärhaft 4517. Wigamur tugenthaft : [ehadehaft 1852. fchon im 12" jahrh. kommt diefer reim, wie wir unten fehen werden vor, auch bei Heinrich von Veldeke. bei Reinolts von der Lippe vierfachem reim gefchat : famethaft : kraft: fige- haft MSHag. 3, 50° findet keine berührung ftatt. Noch find die übrigen mit fubftantiv-adjeetiv- oder partikeleompofi- tionen, in feltenen fällen mit ableitungen gebildeten reime zu betrachten. Era- clius ritterfchaft : fehaft (fubft.) 2665. berge : halsberge 4479. Lanzelet äküfte : küfte 1335. herbergen : bergen 3225. war : gewar 7614. heim : ceheim 8461. Konrad von Fufsesbrunnen wart : bewart 73, 37. kunden : urkunden 80, 15. heilant : lant 81, 70. Anegenge nam : vernam 103, 61. wife : ich bewife 104, 49. Wirnt riterfchaft : [chaft 19,7. 46, 30. 119, 34. 230, 34. haben : erhaben 41, 28. 51,5. 284,24. zehant : hant 53, 10. 108, 23. 241, 35. wunden : überwunden 82, 2. verlös : figelös 193, 36: valfchlös 208, 9. Herbort ötmüetee : höchmüetee 139. zit : höchzit 209. befwaer- niffe : übelniffe 631. gevencniffe : verreteniffe 6713. zouberniffe : verraet- niffe 13237. vinfterniffe : gevencniffe 17582: gefteltniffe 18211 (diefer reim auch in den Marienliedern der hanöv. handfchr., die noch ins 12" jahrh. gehören). halsbere : berc 1301. 4998. halsberge : berge 8701. ftat : walftat 1541. 1565. 5773. 7037. erfam : luftfam 2941. hönfam : lobefam 299. luf- Jam : gruozfam 3211. -fam : -fam kommt im 13°“ jahrh. nur hier und im Mai vor, früher war es weniger felten; wir werden es in Heinrichs gedicht vom gemeinen leben, Hartmanns Credo, in der Litanei, im Himmelreich, in Wernhers Maria und in einem Alram von Greften beigelegten lied finden. beftät : ftät 3955. warnunge : famenunge 4157. luont : befiuont 3997. ride : bercfride 6193. wunden : überwunden 8695. gendde : ungendäde 9451. hörten : gehörten 8626. gewizzen : wizzen 10417. hant : zehant 10531. zur gefchichte des reims. 547 11781. ware: geware 11862. unbefcheiden : fceheiden 2214. liez : geliez 14955. verlös : triuwelös 16974: figelös 17362. 17432: lös 17110. fchult:: verfchult 16976. untriuwe (fublt.) : ungetriuwe (adject.) 16982. gaz : ver- gaz 17658. gemache:ungemache 17794. furt : zefuort 17808 : gefuort 18128. ruowe:: unruowe 17818. Thomafın hant : zehant 8. 62°. 186°. gevallen : vallen 10”. minne : unminne 19°. er (pronom.) : under 20°. vinger lin : blüemelin 21°. gemuot : muot 48°. rät: hirdt 54°. tugent : unlugent 83". 98%. genomen : vernomen 113°. 205°. 223°. ritterfchaft : [chaft 116°. wizzen : verwizzen 121”. vergeben : geben 13%. ich en/chilt : fehilt (fubft.) 142°. riche : tugende riche 143°. einvalt : manicvalt 150°. demuot : übermuot 155°. nemen: vernemen 163°. 198°. 201°. 203°. 215°. verfuochet : [uochet I77®. höchvart:vart 182". 193°. getän : undertän 185°. 200°. entweich : weich 193°. dinge:gedinge 220°. Heinrichs Krone gewizzen : wizzen 1*. 35°. 38°. unwirde: ich wirde 3°. unwirdet : wirdet 6*. 34°. geboten, erboten : boten 12".68°. eheim: heim 17°: vaterheim 16359. geliuret : untiuret 22°. halsbere : berc 22". her- berge:berge 15066. 17320. halsbergen: bergen 81°. nam : vernam 2%. gefüere: widerfüere 31°. gewalt : wall 45°. 74°. ungaz : vergaz 70". bergen (dat. pl.) : fich bergen 79°. höchvart: zuovart 7%. haft (lublt.) : manhaf/t 12693. lich (fubft.) : gelich 14380. 16526. widerfuor : fuor 19333. miffefuor : erfuor 29421. Konrad von Heimesfurt zwelfboten : geboten 67. entboten : boten 407. herberge : berge 149. gehiez : hiez 443. gelich : lich 513. befta- ten : geftaten 649. der von Singenberg vinde : enpfinde MS. 1, 155°. Gott- fried von Neifen walt : gewalt 8, 23. 38, 26. bant : gebant 9, 2. lös: fröi- delös 9, 10. langet:: belanget 14, 27. verber : ber 33, 36. gewer : wer 39, 2. ervar : var 39, 7. in einem andern liede (34, 26.) folgen immer fünf rüh- rende reime auf einander, und die fchlufszeilen der vier ftrophen find eben- falls unter fich mit rührenden reimen gebunden. (1) erwinden : winden (canibus) : winden (ventis) : ze Winden : überwinden, want. (2) feldebcere: gebare (adj.) : offenbaere : fröidebeere : verbere : gebere (verb.). guot (fubft.). (3) erlouben : louben (fubft.) : louben (verb.) : gelouben (verb.) gelouben (fubft.) : Bottenlouben. fteinwant. (4) befcheiden (infin.) : gefchei- den (partic.) : fcheiden (infin.): befcheiden (adject.) : verfcheiden : wir [chei- den. guot (adject.). Mai fchaft : ritterfchaft 4, 15. verlös : lös 134, 23. herrenlös 491, 6. zehänt: hant 166, 29. 212, 33. 234, 13. gewaere: woere 170, 15. vart : höchvart 209, 4. gehörfam : lobefam 212, 7. Lich- Zzz2 548 W. Grımm: tenftein /innelös : verlös 70, 21. 361, 25. 365, 23: lös 361, 25. ze hant: hant 83, 23. 99, 21. 263, 31. 488, 11. geftaten : unftaten 169, 6. üf gehaben : haben 187, 17. gebat': bat (balneum) 228, 29. danc : gedane 360, 11. welt : erwelt 363, 17. 364, 1. 9. werden (verb.) : unwerden 645,1. auffallend felten bei Rudolf von Ems: ich habe nur anzuführen aus dem Wilhelm von Orlens figelös : verlös 1297. enden : verenden 4554. Stri- ckers Karl verlös : figelös 71°. 80": lös 121°: farldelös 122°. wenden : erwen- den 104°. wert : gewert 131°. in (pronom.) : in (partikel) 113%. gejagt : ver- jagt 72° ift zu beffern in gejagt : verzagt;, vergl. Roland 199, 12. Amis herzogen : gezogen 893. waere : alwaere 943. Daniel jungelingen : gelingen bl. 26. fitzen : enifüzen 33. boten : verboten 134. 235. enpfangen : ane ge- vengen 185. belibe: libe 205. bei Fleck fehr häufig; das verzeichnis bei Sommer f. 265. 266 ift nicht ganz vollftändig, erwenden : miffewenden 907. ich wife: der unwife I31. wis: gewis 1031. lange : belange 1129. ende : verende 1217. verlös : figelös 1633: helfelös 5093. 5339: trofielös 5983: endelös 7267. verwizen : itewizen 2191. wiz : itewiz 6899. bereit : reit 3261. gemüete : heimüete 3353. ‚füere : gefüere 3395. verrihte : enrihte 3399. bime wege : after wege 3493. ich meine : gemeine 3639. ellenden : vollenden 2721. wint : erwint 3773. miffewende : wende 4191. bebluot : bluot 4451. naeme: genaeme 4527. 7507. verluft : geluft 4693. Jeheide : befcheide 4853. dance: gedanc 4775. 5191. danken : gedanken 5877. ze muote : muote (verb.) 5453. dinges : gedinges 5239. tegedine : dinc 5465. leit : üf geleit 5555. vermaren: meeren 5641. wiffe : gewiffe 5921. gewar : war 6129. wart:bewart 6139. herzogen : gezogen 6539. miffetän : getan 6807. entweich :weich 7207. geviel: enpfiel 7227. erboten : boten 7649. bei Reinbot dagegen nur enphähen : um- bevähen 1702. Herzog Ernft zehant : hant 479. ritterfchaft : gefchaft (verb.) 4405. Rudolf von Rotenburg gefchaft (fubft.) : meifter/chaft MSHag. 1, 85%. Winli ent ftän : ftän MS. 1, 22°. Reinmar von Brennenberg aget/tein : ifen- Stein MSHag. 3, 329. Türheims Triftan ungemache : mache 557, 37. unge- habe: habe. Wilhelm überwinde : underwinde. höchvart : vart. entwarf : warf. enbirt : gebirt. einander : ander. behangen : umbehangen. unrehte : rehte. ungemaches : du maches. ich mache : mit gemache. Türleins Wilhelm rit- terfchaft : [chaft 32". Paffional gefchaft : meifterfchaft 1, 57. under/fcheit: menfcheit 13, 11. vurwarl : wart 16, 16. anderweide : weide 20, 25. öfter- znr gefchichte des reims. 549 pflägen : pflägen 21, 48. maneger leie : leie 80, 33. vergezzen : ungezzen 95, 57. vuor : ervuor 116 34. unbehende : hende 132, 86. haben : uberha- ben 170, 51. vur wär : gewar 172, 13. zehant : hant 184, 70. owe : we 214, 93. wirt (verb.) : hellewirt 237, 92. entweich : weich 220, 60. geleit : leit 301, 59. haben : erhaben 359, 39. wirt (fubft.) : entwirt 366, 62. halden : enthalden 373, 77. itewizen : verwizen 373, 85. Marienlegenden engelden : vergelden 107, 49. Gute frau müedinc : dine 1879. tuome : heiltuome 2405. Heinrichs von Meifen Unfervater /amenunge : ordenunge 1283. bei 8° dichte bedenkt, fehr felten, im Silvefter gewant : want (prät.) 1962. dan- noch : noch 3485, zuht : unzuht 4701, und im Engelhart hein (heim) : dehein Konrad von Würzburg, zumal wenn man den grofsen umfang feiner 1541. waren: beweeren 6059. Heinrich von Freiberg hant : zehant Tritt. 4719. leit (fabft.) : überleit 6123. gebernde : enbernde 6417. in der ftrophe eines ungenannten verfwinde : [winde. erwinde : ich winde MSHag. 3, 468%. jüng. Titurel ander : einander 2344. herbergen : bergen 2383. ervarnde : varnde 2636. hende : behende 5668. wunden : erwunden 5950. bei dem grofsen umfang diefes gedichts äufserft wenige beifpiele, wie fich auch ([. 534) von dem nicht in zufammenfetzung ftehenden rührenden reim nur zwei fanden. es ift fchon oben (f. 530) bemerkt wie durch verderbnis des textes in der Heidelberger handfchrift die unftatthafte berührung fich eingedrängt habe, hier mufs ich hinzufügen dafs auch für unfern fall eine ähnliche erfchei- nung eintrete. es zeigt fich nämlich eine anzahl zwar erlaubter rührender reime, die aber abfichtlich in den text diefser handfchrift eingefchwärzt find, da fie manchmal mit weiteren veränderungen in zufammenhang ftehen. der urheber derfelben hat dem gedicht eine zierde beilegen wollen, an welcher der dichter felbft kein wolgefallen gehabt hatte. der alte druck ift frei von diefen verfälfchungen, und ich will hier feine offenbar beffern lesarten ange- geben, die den rührenden reim immer aufheben, innecliche ftatt finneriche 937. wilden und unbilden ft. wilden und unwilden 703, 2. bendec ft. wendec 762. minnecliche ft. zühtieriche 1049. unverwendet ft. unverendet 1122. mit dienfte [under wanken ft. mit worten mit gedanken 4206. undervachet ft. undermachet 4818. fumer/funne oder (nach der hanöv. handfchr.), was den vorzug verdient, öfterfunne ft. öfterwunne 5406. freude wernde ft. freude bernde 5412. zouber/chefte ft. zouberkrefte 5665. gewidert ft. gevidert 5719. verzagle ft. verfagte 5797. klagende ft. tragende 5892. ftürme, wetter 550 W. Grımm: herte ft. gröz michel ungeverte 5557. Wigamur mänöt : nöt 1216. ritter- Schaft : /perfchaft 4977. Renner leit : verleit 152. bergen (fubft.) : verber- gen 583. manger leie : leie 541. laden : geladen 946. verboten : boten (fubft.) 1070. wirt (verb.) : hellewirt 3209. 5091. 12805. Aimelrich : künecrich 3495: ertrich 7636. 8303. 16370. 17678. 18438. 18884. 19849. 21150: genäden rich 8102. künecrich : rich 16086. ertriehe : himelriche 4917. zigen (fubft.) : gezigen 4195. gazzet : vergazzet 5461. hant : zehant 6313. tät : miffetät 6357. walt : gewalt 6859. werde : unwerde 7470. huote : ifne- huote 7496. [chiuheline : griuwelinc 8096. zerinne : entrinne 8110. fibenvalt: einvalt 8677. libe : belibe 11918. gehoere : heere13418. kumberjär : hunger- jär 13548. für wär : war 13710. drier leie : leie 14042. maneger lei : leie 16040, 16248. 23318. witze : wanwitze 14894. fetzen : entfetzen 16600. lich : ungelich 17142. verborgen : borgen : 17180. fluollachen : lachen (ridere) 17346. beliben : liben 17744. under wegen : wegen (verb.) 19046. ungefchriben : gefehriben 19190. bilde : unbilde 19633. gewunnen : wunnen 19979. finnee : unfinnee 20043. vergilt : engilt 20377. deckelachen : lachen (fubft.) 21223. Boner torwart : banwart 15, 41. diupfläl : ftal 22, 31. zer- gieng : gieng 43, 31. ze hant : hani 34, 27. 60, 27. 86, 21. 89, 35. 91, 13. 65: über hant 56, 51. entwirt : wirt ({ubft.) 63, 57. gedanc : danc 85, 9. geben : vergeben 89, 12. gevalt : manecvalt 96, 49. Fremde wörter und eigennamen ftelle ich zufammen, difande : fande Eracl. 751. tier : tehtier Eracl. 473: forehtier Parz. 592, 9. Wolframs Wilh. 379, 25. Lanz. 731. Marroc : roc Lanz. 4427. Diomedes : des Her- bort 7463. 8939. 8967. 9009. 9410. 9913. Pälimedes : Diomedes daf. 11755. Kaftör : Nefiör daf. 281. 1439. E/fiönam nam daf. 1945. rich : Friderich Welfch. gaft 180s. Lichtenftein 468, 1. Neidhart 28, 2. Ben. bruder Wern- her MSHag. 3, 10°: Heinrich Lichtenftein 8, 17. 78,1. 191, 5. 469, 19. 527, 9. Türleins Wilhelm 92°: Yfterich Lichtenft. 106, 13: Oefterich 350, 15 daf.: DVolrich 199, 9 daf.: Dieterich daf. 490, 20. Lohengrin f. 109. Dieterich : himelrich MS. 2, 64°. riche : Oefterriche Welfch. gaft 194°. des : Orcades Heinrichs Krone 21777. igern : gern daf. 22331. klei- nöt : nöt daf. 26198. 28606. tjoftiure : tiure daf. 27992. man : Herman Lichtenft. 193, 3. Genelüne : lüne Strickers Karl 77°. nam : Helenam Fleck 1609. Rennewart : wart. Rennewarten : warten Türheims Wilhelm. Tantri- Jel : rifel Heinrichs von Freiberg Triftan 3401. 4327. 4555. Ludewie : Brüns- zur gefchichte des reims. bpy1 wie MS. 2, 85°. Babilön : lön Lohengr. f. 115. Anchardaffin : fin f. 121. dö:: credö Palfional 115, 85. Herödes : des daf. 46, 3. 156, 83. 167, 79. 350, 95. Herödiädes : des daf. 350, 85. trüt: Gerdriüt Gute frau 3041. Albaröfe : liljenröfe jüng. Titurel 5295. Canadicke : dicke Wigamur 4747. Hugewitze: witze Renner 6359. Wir haben oben (f. 524) gefehen dafs bei anhäufung der reime da- zwifchen oder daneben geftellte nicht rührende reime die berührung auf- heben: ebenfo fcheinen auch unerlaubte zuläffig, wenn fie mit ee gemifcht find, eine ftrophe des Meifners (Amgb. f. 43) gewährt beifpiele, rat (rota) : rät (verb.) : rat (rota) : Kuonrät : unrät : rät (fubft.) : rät (verb.) : rät (fubft.). State : unftaete : ftaete. In diefem ausgedehnten und bei einzelnen wiederum fehr befchränk- ten gebrauch zeigt fich der rührende reim während des dreizehnten jahr- hunderts: gehen wir feiner erften erfcheinung nach, fo begegnen wir - ihm fchon im althochdeutfehen. Otfried bedient fich feiner mit voller freiheit und zeigt uns die bedingungen, unter welchen er angewendet ift, am deutlichften. ich ordne die beifpiele aus ihm mit ziemlicher voll- ftändigkeit, wie ich hoffe, den bisher angewendeten unterfcheidungen gemäfs. gleicher laut und gleiche bedeutung erfcheint nicht felten bei dem hilfsverbum fin und dem pronomen. von jenem wird nur fo ift was und fi (fit) gebraucht, worolt ift : druhtin ift 1. 3, 42. gidän ift : iz ift Il. 1, 41. unfer ift : in worolt ift Il. 4, 67. ther hinana ift : thanana er ift 1. 13, 19. kind ift : liebeften ift II. 13, 33. kreftiger ift : in worolti ift IIL. 2, 18. unre- dina ift : wanan er ift III. 16, 56. bilemit was: geloubig ni was 1. 4, 76. Jefiz was : queman was I. 16, 17. untar iu fü: er funtilöfer fi UI, 17, 39. biliban fi: thar er fi III. 23, 55. gewis fü: uppigaz fi V. 1, 18. 30. u. f. w. 24, 36. abwertaz fi: war iz fEV. 23, 41. perfönliches ungefchlechtiges pro- nomen, fona thir : mit thir 1. 4, 57. untar thir : widar thir 111. 7, 83. weiz thih : hiluh thih V. 8, 37. hilu thih: gurtit anderer thih V.15, 42. untar in : fagen ih iz iu II. 13, 39. zimit iu : untar iu IV. 11, 49. untar iu : fora iu IV. 13,8. zi iv : untar iu IV. 23, 19: forahtet ir iu V.4, 37. perlön- liches gefchlechtiges pronomen, gimuatfagöta er in : was thar mit in Il, 44, 113. zi in : untar in 1ll. 16, 51. V. 12, 14: ingegin in IV. 20,9. fon in: untar in III. 25, 39. gizalta iz allaz in : mit in V. 11, 46. untar in : mit in IV. 18, 12. V. 10, 27. dran in in : mit in V. 10, 29. pronom. demonftr., nir- 552 W. Grimm: welit ihaz: bi thaz 11.12.58. wiziftthüthaz:: gifceinta fiu Ihaz III. 11,15. thaz: umbi thaz Ill. 14, 102. wizit ir thaz : er ni deta thaz Il. 16, 25: ubar thaz III. 20, 17. wizift thaz : ubar thaz III. 12, 28. 35. 20, 17. V. 23, 112. fagen ich iu ihaz : umbi thaz Ill. 14, 99. wirdit innan thes : breft imo thes V. 23, 139. bi thiu : thin I. 14, 90. after thiu : bi thiu TI. 13. 43. fora thiu : bi thiu IV, 1, 12. zi thiu : di thiu II. 21, 11: after thiu II. 1, 24: in thiu IV. 13, 10. poffeffiv. und perfönliches pronomen, druhtin min : irgazi thü min IV. 33, 17. poffefliv., lera minu : nift fi minu III. 16, 13. in wär min : ihaz wefan min Il. 11. 62. von partikeln habe ich nur ein beispiel zaltun wir io : fähen wir nan @r io 1. 17, 15. gleichlaut mit verfchiedenheit der bedeu- tung duam : duan (facere) I. 1, 44. III. 20, 179. wunni (fubft.) : wunni (verbum) II. 6, 39. nim es gouma : goumä 111. 7, 42. wifu (adject.) : wifu (fubft.) III. 17, 24. libe (fublt.) : libe (verbum) III. 19, 37. gelicho " (adverb.) : gelöcho (fubft.) III. 20, 36. V. 25, 56. eino (unus) : eino (folus) V. 7, 15. ubar al:al ll. 1, 36. maht : thü maht III. 20, 44. duat‘: wola duat Hartmann 78. in : fin (pronomen und verbum) I. 27, 57. IT. 6, 46. III. 14, 35. 19, 2. IV, 36, 24. V. 11, 30. min (pronomen pof- felfiv.) min (perfönliches pronomen) IV. 33, 17. in : in (pronomen und partikel) III. 23, 28. 1V. 9, 9. 16, 10. 23, 30. 34, 6. 35, 5. da bei Otfried völliger gleichlaut der vocale und confonanten nicht nothwendig ift, fo will ich noch anführen wäri : wiari Ill. 4, 3. märon : merön Ill. 7, 86. garnö: gerne 1. 5, 12. felidon : fälidon 1.7, 24. ungimezen : gimazen \. 10, 24. rehte: rihtel. 10, 26. 26, 14. rehte : irrihte 111. 7,68. er: rl. 27, 55. werke: wirke II. 12, 10. III. 1, 10. wi/ön: weifen I, 18, 24. IV. 15, 47. be: liabe, liebe 111. 14, 8. IV. 37, 14. V. 20, 45. 23, 55. 188. gewiffo : wa/fo II. 13, 20. githunkit : githenkit III. 13, 36. gibirgi : giburgi 111. 8, 3. flulli: Juli Il. 8, 48. wirdi: wurdi IV. 19, 45. thenke : thunke IV. 19, 68. ter- ren : thurren IV. 26, 52. garno : gerne IV. 29, 33. hanton : hunton Il. 10, 34. mannon : minnön Il. 12, 2. IV. 6, 55. 11, 52. V. 12, 65. 71. 78. 15, 6. 23, 74. kunfti: konfti III. 16, 7. ubili : ubiri V. 23, 75. färe : fere IV. 34, 19. nuzzin : nezzin V. 13, 10. lüto : liutö IV. 24, 13. 26, 6. Zati: liuti IV. 33, 32. leibta : lubta V.11, 43. worte : wirte II. 10, 13. gleich- laut, wenn eins von beiden reimwörtern in zuflammenfetzung fteht, wo- bei fich verfchiedenheit der bedeutung alsbald ergibt, thegankind : kind 1. 14, 21. houbit : mannahoubit 11. 6, 52. richi: himilrichil. 28, 12. I. 12, zur ge/chichte des reims. 553 61. 16, 31. 21, 29. IV. 4, 50. V. 18, 11. 23,70. 86 : kuningrichi IV. 7, 79: woroltrichi V. 19, 59. riches : himilriches Salom. 37. III. 26, 22. umbiring: ring V.1,32. [chuldheizo : heizo Ill. 3, 5. IV. 34, 15. fazzön : liohtfazzon V1. 16, 15. alalichi : lichi IV.29,45. guallichi: licht V.12, 45. /umiliche : liche V. 25, 71. gilichan : miffilichan ll. 5, 14. zi wäru : alawäru Hartm. 60. alawäri :wäri 1. 22, 12. IL. 4, 15. 9, 75. II. 2, 28. V. 7,46. 9, 192. nöti: ebonöti ]. 23, 24. einöti : nöti 11. 3, 59. 4, 30. am häufigften erfcheint zufam- menfetzung mit partikeln, worin beide reimwörter ftehen können, dleibö: leibö III. 6, 55. nuzzi : annuzzi IV. 33, 5. giheizan : heizan ll. 14, 75. Ill. 12, 31. wirdit : firwirdit 11. 17, 7. bihiazi : hiazi IV. 20, 17. läzet : biläzet 11. 21,41. gifwichi : bifwichi TIL. 15, 44. bifwiches : gifwiches IL. 13, 17. gifwi- chit : bifwichit V. 23, 156. bige : gige V. 23, 363. gab : firgab V. 12, 60. Firliazi : biliazi Il. 6, 33: giliazi V. 33, 18. wurti: firwurtil. 17,7. wurtin : firwurtin UL. 6, 47. firwerde : werde Ill. 8, 32. firbärun : bärun IV. 6, 6. firburgi : burgi IV. 6, 22. wizzi : firiwizzi III. 20, 41.126. V. 18,4. V. 18, 4: itwizi IV. 30, 21. duam : giduan IV. 6, 29. ward: giward III. 6, 44. giwerde : werde Ill. 13, 18. giligge : ligge III. 23, 56. anlwurli : giwurli 1.5, 34. 22.38. III. 20, 109. V. 15, 15: wurzti IV. 27,29. giwurti:wurti Ill. 2, 30. 4, 20. 11,62. 15, 68. IV. 15, 58. 29, 16. V. 22, 16. wizi : dwizi IV. 31, 2. ungerno:: gerno 1. 17, 32. um- mahli : mahti Il. 23, 21. urheize : biheize IV. 23, 28. minu : urminnu 1. 4, 50. giang : zigiang 111. 8,15. wiht : niawiht 1.25,27. V.19, 57. niwiht: niawiht 11. 5, 12. III. 13, 35. iharawert : geginwert V.7,58. fun : herafun I. 19, 21. 22,41. I. 3, 26. 4, 29. 6, 48. 7, 11: Aeimortfun 11. 4, 73: thara/un 11. 6, 6 u.f. w. thara/un:: hera/un V. 23, 46: wifun V. 18, 6. auch gifnah : nah V. 5, 10 mag hier ftehen. (a) wenige zufammenfetzungen mit -Zh, häufige mit -Wcho, güih : gilumflih 1. 25, 25: /umilih 111. 3, 17. iagilih : [amalih V. 25, 65. gilicho: guallichol. 13, 24: driulicho 1. 16, 10: frawalicho 1. 17,56. II. 9, 14. 13, 14. 16, 32: baldlicho I, 27, 40: gomi- licho I, 27, 47: lugilicho U. 4. 62: blidlicho Il. 4, 64. giwaralicho 1. 17, 46. III. 16, 22. drugilicho II. 6, 13: geiftlicho II. 10, 16. 14, 70: kraft- licho 1. 23, 34. I. 11, 10. IV.7,42. V.4,23: garalicho Il. 21, 26: fol- licho 1. 23, 6. IH. 22, 18: w@naglicho III. 10, 14: jämarlicho III. 24, 8. theganlicho 111. 26, 40: /uazlicho IV. 1, 18: kuninglicho IV. 22, 28: liublicho IV. 29, 35. 37, 18: forahtlicho ]. 15, 24. U. 4, 96. V. Philos.- histor. Kl. 1851. Aaaa ro OD 554 W. Grimm: 20, 12.20. baldlicho:theganlicho IV. 13, 21. herlicho : guallicho IV. 19,55. iagilicho : geiftlicho V. 23, 203. nicht -heit :-heit nur heit: zagaheit IV. 7, 76. -tuom nur in /uäsduam : duan 11. 7,20: giduan V. 10,7. wisduam : duan 1. 1, 50. IV. 1,50. 19,2. mit verfchiedenheit der vocale gifartin : fuartin IV. 35, 25. güthiganö : theganö 11. 9, 12. giwiffo : waffo Il, 13,20. giwiffi: weffi IV. 18, 30. elilente : lante V, 9, 17. liobo : giloubo 111. 23, 8. IV.13, 28. liubi : giloubi V. 20, 44. liuben : gilouben 111. 26, 12. leibta : liubta V. 11, 43. libe : giliabe V. 20, 39. widarwerto : wortö 11. 4, 93. 104. worte: antwurte ll. 14, 74: ewarte IV. 19, 15. worton : widarwerton 1. 23, 20. II. 16, 26: dwarton I, 17, 35. Ill. 24, 108. IV. 3.9. 8, 13. 19,.18.:27, 27. 30,19. 36, 2. 37, 26. geginwerti: wurti Il. 10, 8. geginwerii : giwurti V. 24, 21. giwelti : wolti IV. 17, 16. wollet : irwellet IV. 22, 11. irwellent : wollent V.23, 32. ubarlüt : liut Il. 6, 31. Juntilöfan : firliafan IV. 26, 22. döti: gidäti V. 7, 41. lantliutö : lüto IV. 26, 5. auch durch ableitungen und flexionsendigungen kann der rührende reim gebildet werden, rehtaz : thaz 11. 12, 56. thaz : fliazantaz 11. 14, 30: feinantaz Il. 17,11. ihaz : bli- daz IV. 33, 6. furdir : thir III. 13, 13. thes : mithontes Il. 24, 12: heim- ortes Ill. 14, 47. thes: nahtes IL. 23, 31: findes III. 24, 104: tödes IV. 30, 16: muates V. 20, 83. fartes : mithontes V. 13, 36. heilant : lant ]. 1,13. 23,32. III. 4, 2. 24,1. IV.1,13. 4,64. lante : heilante V.9, 23. henti: rouhentil. 4,20: wihentil. 4, 74. thanne : widarftantanne Ill. 26, 50. got : bimunigöt IV. 19,47: bredigöt V. 16, 28. nöt:: firdamnöt II. 5, 24. III. 13, 34. V. 2,16. 16, 34: gieinöt III. 15, 2. IV. 1, 2: zeinöt IV. 23, 23: dizeinöt IV.5, 20: redinöt IV. 6, 46: biredinöt V. 19, 17: pinöt IV. 7,77: weinöt IV. 26, 32: bifeganöt V. 3, 15: gifamanöt V. 11,2. bibinöta : nötta IV. 34, 1. nötf: thionötil. 13, 12. V. 20, 90: regonöti Il. 1,18. ebonöti III. 5, 13: fteinöti IL. 17, 31: /peniöti IIL. 14, 12: gifa- manöti III. 10, 26. 26, 47. nötin : warnötin IV. 14, 7: fteinötin III. 22, 34. wifun : fun 11. 9, 34. 87. 97. 12, 68. gewiffi: f£lIl. 19, 6. IV. 20, 19: 22,7. 26; 37. V.46,.11. 23, 370 Wwifl: fEl. 3, 18: 1022055 IV 7. 28,21. V.6,11. 15,13. Zindo : thö IV. 23, 39. fö : giwiffo III. 5, 15. 6, 13. 10, 35. 18, 47. 24, 23. IV. 19, 33. 29, 2. V. 9, 31. egifo: fö N. 4, 22. 39. drägon : ftetigon V. 17, 31. thingon : menni/gon 111. 20, 22. V. 19, 19. 41. u.f. w. famanungu : manungu III. 15, 10. mammunii : munti V. 23, 29. 59. 131. 173. 185. u.f.w. ein rührender reim mit gleicher zur gefchichte des reims. 950 bedeutung, /ö wer fo ouh muas eigi, gebe themo ni eigi 1. 24,7, fällt weg, fobald man richtig neigi aus[pricht, wie auch eine handfchrift fchreibt: ebenfo kommt vor nift: ift 11. 4, 47. 13, 23. 54. III. 6, 52. 20, 137. zin: in. 1754311: 7,16.IIT. 110523. 1V. 94; 34.) zn: iu IV& 10, 48513, 50 199, 12. das kurze Ludwigslied gewährt /kluog her : ftah her 109, 1. hio was: thurft was 110, 5. das lied auf den hl. Georg aus dem neunten jahrh. wereltriche:: himilriche 5. in den wenigen gedichten, die aus dem elften jahrhundert auf uns gekommen find, fehen wir Ötfrieds regel feftgehalten. Die Schöpfung (Diemer 93-103) läfst nur das pronomen zu, an demo fehftin dagi worhter in (den menfchen): difiu werilt al irwart durch in 95, 11. inis undankis dienöt er: gotis holdin, mit vorhtin machit er 100, 1. fodann geifti heri joch vil edili: woli gizam den edilin (fubftantivifch) 94, 8. in fcalkis wis : in funis wis 99, 5. zuovirficht : anificht 99, 3. (a) mis- lich : gelich 99, 21. (b) döticheit (1. dötheit) : gotheit 96, 21. anzumer- ken ift mennifcheit : gotheit 97, 10. das ältere Anegenge (die vier Evan- gelien bei Diemer 319-330) ich lobe dich : gih ich an dich 320, 21. fin : fin (verb. und pronom.) 329, 25. gefin (verftand) : wir fin 320, 19. (a) wun- terlich: gelich 323, 16. in der Weltbefchreibung (Merigarto) findet fich folgende ftelle ‘done maht ih heime vuefe, dö fkouf in ellente min vuefe’ 5, 3.; das wäre der erfte unzuläffige reim. aber ich halte den text für verderbt und lefe done maht ich heime haben muoze, dö fkuof ih in ellende mine fuoze. Lob Salomons (Diemer 107-113) (a) gilichin (verbum) : richlichin 113, 17. (b) crifienheit : wisheit 107,7: wärheit 113, 23. (d) röchtuom : wistuom 108,2. (e) ginözfchaf : herfehaf 112,9. ungenau dife : laudis 113,26. Auch bei den gedichten aus dem zwölften Jahrhunderts halte ich eine abfonderung der verfchiedenen arten des rührenden reims, wie ich fie bei dem dreizehnten jahrhundert durchgeführt habe, nicht für vortheilhaft, da ihre anzahl geringer ift: man wird lieber überfehen was jedes einzelne enthält. die bücher Mofes (Fundgrubea 2) gewähren öfter hilfsverbum und pronomen» von jenem, faft wie Otfried, nur ift, was, fi, fin, alf6 iz ift: der dä ift 92, 20. ungewizzen was : ungenefen was 87, 42. dir wole fi : mir hie fi 58, 21. daz wär fi: dä heime fi 63, 15. gewis fin : herre fin 53, 24. gelouben dir : erfeinen dir 93, 35. zuo mir neige dich: ich begrife dich 28, 29. (giengen) näch ime : ir rede pevulhen fi ime 68,3. fine bruoder forhten in: Si engulten wider in 82, 39. trütchint min : den munt min 38, 42. zu diefen tritt, und hier Aaaa2 556 W. Grimm: zum erftenmal, der reim mit derfelben partikel, furktet iu nieht : miffedunch iuch nieht 69, 37. fodann ze wäre : wäre (verb.) 47, 37. worten (par- tic.) : worten (dat. pl.) 57, 27. riche (fubft.): röche (adject.) 73, 38. flat: Jtät 9, 9. wunne: wunne 36, 5 it in wunne : kunne zu beffern, was fchon Wackernagel (Lefebuch 173, 7) gethan hat. da hier ungenaue reime vorher- fchen, fo will ich noch anführen zrinchen : trunchen 38, 40. der : dir 39, 29. ziehen : zihen 46, 15. herie : harte 100, 26. antwurte : worten 93, 16. 96, 30. 99, 3. Egiptum : richtuom 72,3. mit zufammenfetzungen, engele : höch- engele 11,5. heim : öheim 43, 45. 46, 32. fercholen : cholen 69, 6. gewäre: wäre (verb.) 90, 41. freisfam : gehörfam 13, 17. uberwant : unterwant 49, 6. (a) zufammenfetzungen mit -Zch öfter, mit -Zöche und mit -lichen felten, gelich : minnechlich 10, 5: forhtlich 13, 21: egelich 26, 20: Erlich 73, 11: wunderlich 86, 23. 88, 4. @rlich : zierlich 19, 3: tugentlich 55, 30. mannegelich : untötlich 23, 10. iegelich : famelich 33, 34. zuhtlich : umpil- lich 56, 27. grözlich : erlich 83, 36. miffelich : ungewärlich 93, 30. min- nichliche : ämerliche 48, 32. geliche : fameliche 99, 27. wislichen : tump- lichen 37, 29. fridelichen : wiclichen 62, 43. vrölichen : minnechlichen 89, 35. aber keine zufammenfetzung mit -Zuom und -heit. ich merke noch an /pot- tes: des 29, 13. dö : rehto 39, 41: wortö 43, 45. gedienöt : nöt 56, 45. die- nöten : nöten 100, 21. in der ganz abweichenden bearbeitung der Vorauer handfchrift von den büchern Mofes findet fich hilfsverbum, pronomen und partikel, dar inne was : geordinet was 12, 23. gelegen was : geheizen was 25, 14. geboren wart : erflagen wart 10, 28. dich : dich 24, 5. fliez in üz: warf in üz 9,27. dö er under wegen chom, der engel im ingegene chom 37, 8, wo der unterfchied der bedeutung in under wegen und ingegene liegt. fodann fin : fin (pronomen und verbum) 14, 18. 26, 75. 23. frowe Säre: färe 19, 23. mit zufammenfetzungen, heimwart : &wart 16, 7. ze wäre : wäre (verb.) 16, 9. 52, 14. 65, 3. minnelichen : lichen 25, 3. öheim : heim 25, 6. nerigen : irnerigen 38, 26. ubermuot : muot 39, 17. man : nieman 51, 8. nöt : bezeichenöt 39, 21. 43, 24: virdamnöt 39, 4. genöte : dienöte 25, 12. 26, 9: gefegenöte 28, 11. wefenunge : offenunge 82, 12. (a) -Lch öfter, zweimal -äche, gelich : Erlich 7, 4. 82, 5: vreislich 12, 28: wunderlich 69, 12: /underlich 79, 15. anelich : unfuntlich 88, 23 und fumeliche : ungeli- che 68,10. gewalticlichen (gewalticliche?) : wisliche 8,16. (b) trächeit : ver- wizecheit 7, 24. drei gedichte, überfchrieben Vom recht, Die hochzeit, zur gefchichte des reims. 557 Der verlorne fohn (in Karajans denkmälern), die wahrfcheinlich von dem- felben verfaller herrühren, wol gezogen fin : vil unbetrogen fin 13, 2. beflöz er : liez er 43,2. ferner vor trage: näch trage 15,9. winnet (ejulat) : gewin- net 21, 20. Ewarte: warte 27, 12. riche: himelriche 29, 12. (a) iegelich : erlich 29, 5 und, nach wahrfcheinlicher ergänzung, wunderlich : gelich 47, 17. Leben Jefu (Vorauer handfchr. bei Diemer 229-279, in den Fundgru- ben I, 130-193 nach einer handfchrift des zwölften Jahrhunderts, die aber vollftändiger ift, indem das leben des evangeliften Johannes 130-130 voran fteht) gewährt auffallend viel beifpiele von dem reim mit dem hilfsverbum, dem perfön. pronomen und einigen partikeln, vom hilfsverbum Zn nur ift, was, fint, Jeltfeene ift : geheizen ift Fundgr. 137, 45. wär ift: der iz ift Diemer 248, 26. F. 164, 13. diu werlt ift : gegeben ift D. 253, 16. min pluot ift: gege- ben ift D. 253, 21. F. 168, 19. fin herre ift : gefendet ift D. 254, 22. F. 160, 33. ergangen ift : verfaget ift D. 266, 14. F. 181, 21. verholn was: umbegurtet was D. 258, 19. F. 173, 25. Selig fint : gewirfert fint F. 137, 45. geborn wart : gefehen wart D. 233, 25. F. 144, 11. mir : mir D. 254, 8. F. 169 und (wo D. eine lücke hat) 149, 23. dir : dir D. 252, 7. F. 131, Diana Da 2555, In E169 43. D. 269,:26.1.E. 184,,35.. D.270, 45. F. 185, 16. was da: wonete fidä D. 231, 21. er fluoc fi üz : tragen üz D. 251, 2. fluoc iz allez dar üz: tragen üz F. 166, 18. ruore mich niht : ich ne kome niht D. 267,20. F. 182,29. zwivelöten fi niht : was dä niht D. 269,2. F. 183,45. der gewöhnliche rührende reim fehlt nicht, wäre (verb.): ze wäre D. 274, 24. 268, 27. F. 163, 7. ze wäre : wären F. 170,1. die herren : unfereme herren (Chriftus) D. 272, 20. F. 187,7. riche (ad- ject.) : röche (fubft.) D. 252, 18. /in (verb.) : fin (pronom.) F. 131, 21. üf gie: gie D. 167, 5. F. 182,5. danne gie : wider gie D. 267, 25. F. 182, 37. fagen : wisfagen D. 229, 2. F. 140, 13. ze wäre : miteware D. 277,1. F. 191, 19: waere (verb.) F. 168, 5. gebetten : gebeten D. 235, 12. heilant: lant D. 234, 4. 245,14. 275, 26. ein plint man: ein guotmann D. 248, 18. hirät : rät F. 141, 8. Jefus : alfus D. 242, 17. 256, 18. F. 171, 27. ir minnet :ich hän geminnet D. 254, 15. F. 169, 23. gedinge : dingen D. 378, 3. F. 192, 11. chindes : des D. 238, 24. tödes : des 259, 10. verendöt: töt D. 262, 19. F. 177,31. nöt : lonöt D. 262, 10. F. 177, 35. als unvoll- kommener reim minne : manne D. 254, 17. F. 169, 25. (a) grözlich : wun- neclich D. 250, 15. F. 165, 39. erlich : gelich D. herlich : gelich F. 145, 558 W. Grımm: 27. gotlich : wislich F. 149, 19. trürlichen : kintlichen D. 154,6. trürech- chen : kintlichen F. 169, 9. (b) -heit in gotheit : menesheit D. 265,5. F. 180, 9 nur einmal wie (d) -/uom in wistuom : hertuom D. 264, 25. F. 179, 89. unerlaubt wäre über vierzec tage: vor finen marterlichen tage D.249, wenn man nicht vierzec tage als einen befonderen engeren begriff will gelten laf- fen: aber ich bin überzeugt dafs diefe zwei zeilen einen unechten zufatz ent- halten, wie fie auch in F. nach 165, 4 fehlen. auf das Leben Jefu folgen in beiden handfchriften (Diemer 280. Fundgr. 193) unmittelbar hinter ein- ander noch zwei gedichte, der Antichrift und das Jüngfte gericht, als ent- hielten fie eine fortfetzung: in F. find fie äufserlich gar nicht getrennt, bei D. nur durch einen grölsern anfangsbuchftaben; auch hat man bisher in die- fen dreien nur ein ganzes gefehen. die vergleichung der rührenden reime lehrt aber dafs das Leben Jefu einem andern mufs beigelegt werden. diefe reime nemlich find hier nicht nur fparfamer, fondern auch blofs in zufammen- fetzungen angewendet, und unter diefen findet fich -[ehaft, das dort nicht, im Lob Salomons und hier zuerft vorkommt. Antichrift (d) distuom : herzochtuom D. 280,9. F. 194, 8, wo herzentuom gefchrieben ift. irrecheit : criftenheit D. 281,14 wird auch hier nicht als rührender reim gelten. Jüngftes gericht (a) wunnechlich : gelich D. 287,13. F. 200,7, (b) wärheit : ficherheit D. 292, 8. F. 204, 39. (e) winefcapht : trütfcapht D. 291, 9. F. 204, 1. am fchlufs des Jüngften gerichts nennt [ich die dichterin Ava: fie verläugnet auch nicht ihr gefchlecht, denn wer würde fonft bei dem elften tag (286, 1) an den untergang des gefchmeides der frauen gedacht haben? dafs fie auch den voran gehenden Antichrift verfafst habe, kann man vermuten, die reime find nicht dagegen, doch bei dem geringen umfang des Antichrifts zu keiner überzeugung gelangen. der herausgeber hält (XVI. XVII) die beiden kinder, deren Ava gedenkt, für den älteren Hartmann, von welchem wir das Credo befitzen, und für den Heinrich der das gedicht Von dem gemeinen leben verfalst hat. wenn er aber (f. XXXV) noch weiter annimmt Ava habe das Leben Jefu wo nicht ganz, doch zum gröfsern theil gedichtet und Hartmann fei ihr mitverfaffer gewefen, fo fteht die verfchiedenheit der reime entgegen. wie ich daraus habe fehliefsen müflfen dafs das Leben Jefu, der Antichrift und der Jüngfte tag nicht von einem und demfelben dichter herrühren können, fo geht auch daraus hervor dafs Hartmann, der dichter des Credo, keinen antheil an dem Leben Jefu gehabt habe: bei ihm kommt, wie fich nachher zur gefchichte des reims. 559 zeigen wird, kein hilfsverbum und kein perfönliches pronomen vor, die dort fo häufig find, auch kein -lichen, dagegen -heit öfter, das wir dort nur einmal und ftreng vergl. oben [. 543. foll diefer Hartmann der fohn der Ava gewefen fein, fo genommen in einem nicht rührenden reim fanden; mufs es fich auf anderm weg erweilen laffen, was vielleicht den weitern forfehungen Diemers gelingt; von Heinrich wird gleich die rede fein. in der älteren Judith (Diemer 117-123) zeigen fich keine rührende reime, vielleicht weil das gedicht nur einen fo geringen umfang hat, wol aber in der jüngeren (127-180), bewollen bin: gevaren bin: gewefen bin 172, 11. ferner geliche : ze liche 142,8. wart : &wart 150,11. flat (fubft.) : ftät 151, 14. entlibe:libe 172,15. halsberge:berge 175,12. ze wäre:waere (conjunct.) 176, 6 führe ich an, weil beim verbum der umlaut fehlen konnte. ein- mal (a) algeliche : gna@declichen (wol gnadecliche) 141, 20. das Loblied auf Maria (Diemer 295-316) enthält keinen rührenden reim und kann daher nicht wol, wie der herausgeber f. XXX V vermutet, von dem dichter der Litanei verfalst fein. das Loblied auf den heiligen geift von dem priefter Arnolt (Diemer 333-357) kennt, wie der herausgeber f. L nachweift, die Kai- ferchronik und die meiften in der Vorauer handfchrift enthaltnen gedichte. ich finde bei ihm nur krefte: halpkrefte 342, 11. das gedicht von dem himm- lifchen Jerufalem (Diemer 361-372) hat keinen rührenden reim. ebenfo fehlt er in den gedichten einer frau (Diemer 375-378), und das ift der vermutung nicht günftig (vergl. Diemer f. XXXV), die fie der frau Ava beilegt, denn diefe gebraucht ihn. der Phyfiologus (Karajans denkmäler) bevangen fint : befwaeret fint 81, 11. in mislichen fleten ift : fö heitirer ougen ift 92, 13. ferner nöt : meinöt 87, 4: gewizenöl 93, 21. (a) gelich : wildelich 81, 75. geiftlich : vleifchlich 96,5 und fumeliche : geiftliche 102, 12. die umfangrei- che Kaiferchronik gewährt nur weniges, des dar ift: ireullet ift 2969. dirre hof ift : wär ift 5797. töt ift: warm ift 12453. ferner vur wär hän : gefaget hän 2954. der heilige man : man (eheman) 4016. wuoteriche: riche 7699. gefun- den : [unden 7945. gebot : geböt 9495. mänöt :nöt 12735. (a) allirmenneg- lich : billich 1007. gelich : wunderlich 2440: £weclich 3450. bewegelich : 1öt- lich 2442. eislich : menneclich 5337. geifllich : eweclich 9634 und herliche vlizecliche 4753. guotliche : vorhtliche 6111. (b) wisheit : kriftenheit 1093. wärheit : bösheit A770. (d) vizzetuom : hertuom 12259. mit gleicher bedeu- tung wisfagen : wisfagen 9630 und £re : re 14071 ift gewils nach den lesar- 560 W. Grimm: ten in wisfagen: verdagen, ere:möre zu beffern. des älteren Hartmanns Credo zeigt kein hilfsverbum und keine partikeln, nur einmal das pronomen demon- fir. gedenke an daz : räte ich dir daz 2820. fodann frowen : frowen (fubft. u, verb.) leit (verb.) : Zeit (adject.) 1581. gnäde : gnäde (fubft. u. imperat.) 3112. äne ende:ich ende 3701. gewerde:werde 455. want :gewant 2070. wunne: dü gewunne 2540. libe : beliben 1063. 1905. 2018. 3048. bewaren : ware 2942. gaz : vergaz 2695. geware : beware 2634. verlös : erbelös 621. wolluft : ver- luft 2494. zwirliche (füberliche?) : miffeliche (verb.) 3703. gemuotfam : ge- hörfam 239. in unvollkommenen reimen felben : felden 2050. volewige: ent- wichen 3032. nicht felten (a) -Wch, gelich : ungefihtlich 87: wislich 279. Semelich : tagelich 2782: iegelich 2822. mugelich : gelich 583: tagelich 2810. Junderlich : wunderlich 9. 337. allertagelich : alfamelich 1025. -Lche nur einmal, innicliche : minnicliche 1986, wo vielleicht -Zich zu ändern ift. (b) -heit öfter, goteheit : magetheit 729. kriftenheit : verfümeheit 2940: wärheit 2968. 3633. wisheite : goteheite 145, 197: klärheitc (fo ift zu lefen) goteheite 1439. Heinrichs gedicht vom gemeinen leben oder Fon des tödes gehu- gede, (a) untugentlich : gebrüchlich 827. ernftliche : fröliche 561. geli- chen : wislichen 235 : [umlichen 358. (b) girifcheit : fehalkheit 799 ift oben feite 543 erörtert. (d) richtuom : frituom 135. criflentuom : wistuom 383. auch ungehorfam : lobefam 828. fiechtuom : geluon 612. ftatt ruofen : ruofen 639 ift ruofen :wuofen zu lefen. rihtere : widervehlaere 283 gehört nicht hierher. Heinrich gebraucht alfo nur die berührung ver- dunkelnde zufammenfetzungen, wie wir ein gleiches im Antichrift und im Jüngften gericht bemerkt haben. diefe eigenthümlichkeit hebe ich hier hervor, weil dadurch die vermutung (vergl. Diemer XVI), dafs diefer Hein- rich zugleich der dichter der Litanei fei, unwahrfcheinlich wird. es find zwei handfchriften der Litanei bekannt, beide aus dem zwölften Jahrhundert: die Strafsburger, abgedruckt in Mafsmanns gedichten des zwölften jahrhunderts feite 43-63, ift etwa um fünfhundert zeilen vollftändiger, als die Grätzer, die Hoffmann in den Fundgruben 2, 216-238 bekannt gemacht hat. die fprachformen fcheinen in jener etwas alterthümlicher zu fein, fonft ftim- men beide ziemlich überein, und keine zeigt neigung den text zu ändern: um fo überrafchender ift es, dafs in einer ftelle, die ein gebet enthält und am ende vorkommt, 1393-1460 M. 235, 38-237, 24H. eine auffallende ver- fchiedenheit fich zeigt, die einer überarbeitung gleicht, während in den acht zur gefchichte des reims. 561 schlufszeilen, die nicht mehr zu dem gebet gehören, wieder übereinftim- mung herfcht. die lesarten der Strafsburger handfchrift verdienen in der mehrzahl entfchieden den vorzug; ich will das hier nicht ausführen, wo es 8; uns nur auf eine ftelle ankommt: fie lautet in der Strafsburger amene, herre, dines vater kint in der himelifchen Jerufalem (dar üz ne lä niht beften) den orthaben dirre getihte), daz wir von gefihte zuo gefihte befeöwen dih felben in den himelifchen felden. dagegen in der Grätzer, die ich buchftäblich herfetze, amene i herre uater diniu chint in der himilifchen ierufalem der felben gnaden la niht biften dinen fcalch Heinrichen der uil harte einlichen fich dar üf giflizzen hat wer mit finne dizze gibet uerftat Jwelhe gnade er damit erwerue daz er der teilnumftich werde. hier zeigt fich, wie es fcheint, eine überarbeitung, und die Strafsburger enthält wahrfcheinlich das echte. in der erften zeile iftz, ein fchreib - oder lefe- fehler, zu ftreichen: in der dritten und vierten zeile ift zu beffern niht entfien dinem, und einlichen in der fünften nur verftändlich, wenn man dafür emezlichen fetzt. es ift daher grund vorhanden den namen Hein- rich für eingefchwärzt zu halten. fal: fal 1. fol : fol (volutabrum ) 461 M. fol : gifol 224, 42 F. libe :entlibe 1361 M. 234, 45 F. herban: Columbän 596 M. fehlt in F. bei M. findet fich nur (a) -Zlch, gelih:: tagelih 249, wo F. 220, 6 mit einer änderung glichen (verb.): tägüichen hat. in den übrigen ftellen ftiimmen beide zulammen, unwonlih : lobelih 365. tagelih : unveriregelih 684. redelih : unbewegelih 871. tugintlih : lobelih 1325. bruoderlih : gemeinlih 1393. (b) -heit mehrmals, magitheit : wärheit 381: gnadicheit 1064. armicheit : gnadicheit 772: heilicheit 904. rei- nicheit : gnacdicheit 988: gedulticheit 1309. wärheit : frumicheit 1323. (d) Philos.- histor. Kl. 1851. Bbbb 962 W.Grımm: richtuom : frituom 327: wistuom 860. irretuom : richtuom 1429. datum (la- tein.) : fiechtuom 918. (e) berhaft : werhaft 1120. einmal wunnefam : al/jam 1327. F. allein waere (verb.) : ze wäre 224, 34, wo M. beffer were : toufaere 454 hat. dafs der dichter der Litanei nicht zugleich der dichter des älteren Anegenge fein kann (Diemer XXXV), beweift die vergleichung der reime. Antichrift Elias und Enoch (Fundgr. 2, 106-134) demuot : höchmuot 109, 6. werde (verb.): unwerde 118, 41. manlih:gelih 123, 24. (a) gelich: egeslich 116, 21: gramelich 122,70: lobelich 122,28. algeliche : ftatecliche 121, 19: waerliche 130, 32. 131, 24. bruchstück von Johannes dem täufer (Fundgr. 2, 129-141) wär ift : komen ift 141,16. (a) geiftlichen : miffelichen (verb.) 140, 10. ertriche : himelriche 140, 14. das Himmelreich (Haupts zeit- fchrift 8, 145) befteht aus 378 zeilen, deren reime durchaus rein find. ge- Sehen fint : erwenet fint 359. untötlichen : lichen (verb.) 55. leitwente : mür- wente 215. wirt (verb.) : wirt (fubft.) 77. heilfame : freisfame 164. (c) wirt- Jehefte : wertfchefte 239. herfchefte : genöz/chefte 341. jüngeres Anegenge daz des lebens were: er danne were. (a) gewallicliche : ewicliche 7, 13. fodann fiechtuom : tuon 3, 17. wistuom : getuon 6, 17. 39. 57. 9, 55. 10, 14. erdenöt : nöt 3, 67. was:wahs 4,11 kann wohl nicht als rührender reim gelten, fo wenig als m@re : mere 24, 53. aber geborn : geborn 21, 13 wäre ein unerlaubter mit gleicher bedeutung, wenn nicht der zufammenhang noth- wendig auf die änderung verlorn : geborn führte. Albers Tundalus gitän : wol gitän 46, 59: übel gitän 46, 67. verlös : batelös 54, 68. genuhtfam : alfam 42,9. ketenlin : glöckelin 63, 16. (a) freislich : jeemerlich 51, 62. eislich : [chedelich 52, 61. unvertregelich : klegelich 52, 82: ungemechlich 54, 54. jeemerlich : gelich 56, 61. herlich : erlich 60, 2: mislich 63, 37. wunneclich : ummugelich 64, 12. billichen : gelichen 50, 12. (b) fchönheit : wärheit 59,6. gotheit 64, 43. aber unerlaubt ift got muoze din walten: diner herverte muoz er walten 69, 69, wenn hier nicht ein fehler fteckt: vielleicht ift zu beffern got muoze dich behalten und diner hervart walten. Wernbhers Maria €: & (fubft. und partikel) 151, 17. wart : bewart 154, 18. 211, 57. lich: watlich 165, 31. gewern : entwern 169, 11. dü were : ge- waere 171, 39. werden (verb.) :erwerden 190, 90. heilant : lant 196, 16. 204, 7: Egiptelant 208, 17. (a) bezeichenlich : wunneclich 206, 11. iugent- liche : kunecliche 163, 30. algeliche : grözliche 166, 15: fröliche 172, 30. gemeinliche : lobeliche 168, 17. alliche : manecliche 192, 17. fröliche : wil- znr gefchichte des reims. 563 lecliche 193, 24. herzecliche : verftantliche 205, 39. mortgelichen : tobeli- chen 208,5. (b) gewärheit : gotheit 201, 14. trugeheit : wärheit 201,22. (c) meifterfchaft :lantfchaft 169,7. herfchefte : trüt/chefte 180, 16. ftatt vin/ter: vinfter 208, 31 ift vinfter : winfter zu lefen. Rolandslied von in : unter in 234,18. ich gevolget hän: fchaden hän 203, 20. fines herzen tougen neweffe nieman innen: dä wurzilt der tiuvel inne 103, 32. gelouben :irlouben 44, 16. raften : rafte (verbum und fubft.) 156, 1. (a) herlich : gelich 22, 26. grem- lich : herlich 23,5. misliche : [umeliche 105, 25. geliche : wärliche 215, 10. tötliche : gemeinliche 277, 8. (b) bösheit : gewareheit 66, 20. kriftenheit : wärheit 123,17. 294,14. 301,13. bei eigennamen dä : Brechmundä 264, 6. fä: Preciöfa 272, 15. 278,7. 289, 11. Jofüe:e 243, 14. Tarmarke: marke 96, 2. Targilifen : Bilifen 276, 8. aber es kommt noch folgende ftelle vor, vil tiure er hin ze gote rief mit tränenden ougen : dö fach er mit Jlaifelichin ougin den engel von himele 2, 23-24. das fcheint ein ficheres beifpiel von dem nicht erlaubten reim, aber man mufs erwägen dafs hier ein unterfchied voraus gefetzt wird zwifchen den zu gott fehauenden trauer- erfüllten gedanken, und den wirklichen augen, die den engel erblicken, und fo ermuntert auch Turpin die helden zum kampfe, mit flaifel- chen ougin feult ir fin (gottes) antlutze gefehen 130, 29. der ausdruck kommt auch anderwärts vor, er fach dä diu tougen diu vleifchlichiu ougen niht mugen vol fehen Tundalus 64, 7. daz er fi mohte befchouwen mit 8 Jleifchlichen ougen hl. Margareta 253 (Haupts zeitlchrift 1, 166). Lam- brechts irRätder gebraucht hilfsverbum, persönliches pronomen und parti- kel, dä du herre niwit an ne macht wefen:näh minem rate wefen 4105. (Weismann). verwandelöte fih : vertunkelöte fih 135. fi gänt nackit allizane und hänt lutzil umbe und ane 4617. fodann wis (fubft.) wis (ad).) 380. habe (f[ubft.) : habe (verbum) 917. glefen (glefin) : gelefen 3399. heris kraft : vor mit micheler kraft 3913. grüben (verb.) : grüben (lubft.) 4599. mälen (verb.): z6 dem mäle 5442. fal (fubft.) : fal (verb.) 5788. wifen (fubft.) : wöfen (verb.) 6808. getän :: üf getän 282. getän : undertän 115. lugenmere : um- mere 89. höe: ebenhöe 931. berchfride : fride 979. riche : entriche 1386: himelriche 7092. 7136. walt : gewalt 3357. 4912. 6738. bote : gebote 3367: urbote 6358. figelös : frowedelös 3443: verlös 4069: Erenlös 6350. half: andirhalf 4295. zewären : wären (verb.) 4603. 4582. 5268. 5574. 5672. 5742. 6393. 6970. wäre (verb.) : zwäre 4093. wert: bewert 5354. abe ginc: Bbbb2 564 W. Grımm: ane ginc 5095. vollengine : zegine 9188. irzoge: herzoge 6178. herzogen : irzogen 1624. zufammenfetzungen mit -Zich -liche -lichen, -heit, -tuom, -[chaft und -haft, (a) freislich : eislich 252. 1658. 5659. gelich 5246: tagelich : un- geloublich 5875. glich : fterblich 4705 : herlich 5816. 5854. 5857. geliche: ‚freisliche 338. herliche 5368: wisliche 6488. meliche : frevilliche 488. tage- liche : zageliche 2907. unfrideliche : wisliche 4927. gezogenliche : algeliche 6366. fröliche : trüweliche 6647. lifiecliche : werliche 6920. Jicherlichen : freislichen 4279. herlichen : grözlichen 7098. (b) wisheit : richeit 73. wis- heite : degenheite 2380. (c) vientfcaft : früntfcaft 6213. (d) wistuom : rich- tuom 7068. (e) wärhaft : Erhaft 3651. 6736. Graf Rudolf nur (b) dorpe- richeit : edelicheit 7, 2. manheit : degenheit 19, 25: geilheit 20, 18. Bonus (Haupts zeitfchr. 2, 208) (a) unmügelich : treglich 9. fich gelichen : flizicli- chen 230. Das gedicht von den martern der heil. Margareta (Haupts zeit- fehrift 1, 152), das aus 762 zeilen befteht, geftattet den rührenden reim nur in den zufammenfletzungen mit -Zich, (a) wunneelich : gelich 275. grimmec- lich : ebengelich 289. grüslich : funtlich 325. ficherlich : fleifchlich 321. unbarmeclich : grüslich 363. gelich : billich 761. einmal mit -Zehen, grüsli- chen : mortlichen 433. Wernher von Niederrhein ich dir fagin fal: den du dragin fal 55, 30 (du fol auch im Welfchen gaft f. Reinhart fuchs 384, 30), hier fteht das hilfsverbum in verbindung mit einem zweiten reim. unter- fchied der bedeutung läge in /len undi griez: des meres griez 4,27, aber die ftelle ift verderbt; vergl. die anmerkung. zu beflern ift di nie Jun- den bigan (l. funden mochte bigän) : antwurten bigan 9, 23. clagit he me : conlurbavit m& 51, 9: -üch -liche -lichen wird gemieden, auch finde ich nur einmal (b) mildecheide : renicheide 58, 2. ftatt irlöfi : irloft 46, 13 ift zu lefen irlöft: gilöft. unerlaubt würde fein fleit : fteit 53, 13, aber beflere ich dan de in dem £wangelje fleit, de von deme urteile üz geil. die niederdeutfchen Marienlieder der hanöverfchen handfchrift, die gegen 5000 zeilen enthalten, gebrauchen weder hilfsverkum noch prono- men oder partikel: fonft aber (a) ewelich : füverlich bl. 1°. gelich : felich 4°, 22°: füverlich 22°. 54°. 87°: heimelich 44°. füzelich : füverlich 19°. minnec- liche : funderliche ®. lüterliche : eweliche ®. volliche : geliche 10°. füverli- che: geliche (verb.) 21”. geliche: eweliche 36°. wunderliche : [underliche 37°. bitterliche : fcehemeliche 38°. funderliche : geliche 48°. 91”. eweliche: Junderliche 56”. 58°. unmezliche : geliche 77°. (b) füzicheit : felicheit 5. zur gefchichte des reims. 565 heilicheit : einveldicheit %. gerechticheit : gehörfamecheit 9. edelcheit : reine- cheit $. biltercheit : füzicheit 29. otmüdicheit : ftedicheit 39°: werdicheit 41°. barmherzicheit : unverdoldicheit 45". heimlicheit : idelcheit 50°: otmü- dicheit 51°: einveldicheit 58”. fenftmüdicheit : mildicheit 91°. wärheide : bös- heide 6°. füzicheide : driveldicheide 6°. mildicheide : unverfluzicheide 26%. vrölicheide : trüricheide 30°. heimilicheide : fenfimüdicheide 4°. otmiüdi- cheide : felicheide 47°: werdicheide 53°. drunkenheide : befcheidenheide 50°. ‚[üzicheide : heimilicheide : wisheide : felicheide 52’ . wisheide : reinicheide 57°: einveldicheide 58°. heimlich 61°. reinicheide : gelufticheide 91°. ficherheide: barmherzicheide 93°. (d) richeditm: heilichdüm 8°. auch minnefam : lovefam 8°. 9 und das hier zuerft erfcheinende und hernach nur noch bei Herbort vorkommende uper/tentniffe :bedrücniffe 30°. fodann re (fubft.) : ere (verb.) 1°. geifte : geifte abltract und perfönlich genommen (/ö gerne wanede he in dineme geifte, de aller meifte uver alle geifte) 2°. fchade (fchatten) : (chade (fchaden) 5°. Zeven (fublt.) : Zeven (verb.) 5°. 87°. fanc (fubft.) : fanc (verb.) 9. worden (verbis) : worden (part. praet.) 20°. 50°. 61°. 63°. 64°. 66°. 82. ‚Jalven (fubft.) falven (verb.) 24°. wis (adj.) : wis (fubft.) 23°. 48°. 75°. /pife: engele /pife (bildlich) 24°. armen (fubft.) : armen (adj.) 27°. eren (fubft.) : ren (verb.) 40°. rächen (fubft.) : rüchen (verb.) 40°. du brandes : brandes (fubft.) 64°. geboden (fubft.) : geboden (part. praet.) 66". fin (efle) : fün (pronom.) 66". wirt (fubft.) : wirt (verb.) 71°. have (fubft.) : walehave (ad).) 77°. minnen (andenken) : minnen (lieben), ich will die ftelle ganz herfetzen, he lovet dine (der jungfrau Maria) /chönheit bit diner minnen in dem fange geiftlicher minnen 7%. fal (verb.) : fal (fubft.) 92”. ich getrüwe : getrüwe (adj.) 93°. in zufammenfetzungen alzehant : hant 4°. nemen : vernemen 5*. 79°. gebrichet : zebrichet 5°. gedenken : verdenken 5°. erlüchtet : lüchtet 10°. wurdes : antwurdes 11°. iezü: zu 18°. haven : erhaven 40°. 78°. 85. 86b®. vollekumen : kumen 47": willekumen 82. gevellet : bevellet 53°. offer- man:man 56°. himelriche.: kunincriche 38° : riche 57°. riche : ertriche 6%. ertriche : himelriche 77°. riches : keiferriches 92”. geboden (fubft.) : geboden (part. praet.) 66". ungezzen : vergezzen 76°. anc (fubft.) : ge- fanc (verb.) 85°. gemach : enmach 91°. kere : umbekere 93°. der unerlaubte reim ift nur einmal aufser zweifel, van finer minnen, van finer röfin wer- dent geverwet alle röfin 72°, ein ander mal, denn alle engele die fint in deme ‚Jefteme chöre : fi havent mE eren wan die vonf chöre 39°, foll wol die bei- 566 W. Grimm: gefügte zahl einen unterfchied begründen, und in einer dritten ftelle 19° fteht zwar beide : beide mit gleicher bedeutung neben einander, aber es folgt unmit- telbar beide (fubft. = bite): leide : gefcheide, wodurch die berührung aufgeho- ben wird. Albertus gebraucht im hl. Ulrich werz: wert 41 und Jun: fuon 882 mit verfchiedenbheit des begrifls, zrugelich : gelich 620. Heinriche : Nordent- riche 794. mezlichen : gelichen 448. dafs im Reinhart fuchs, bl. Aegidius und dem erften text von Eilharts Triftant kein rührender reim fich zeigt, erklärt fich leicht aus dem verhältnismäfsig geringen umfang der bruch- ftücke, die fich davon erhalten haben. ich will noch die liederdichter die- fes jahrhunderts anführen welche diefen reim gebrauchen, wiewol ihre gedichte von geringem umfang find. Dietmar von Eift walt : gewalt MS. 1, 41°. Kürenberg (a) ‚fchedelich : lobelich 1,38. fchedelich : gelich MS. 1,38%. Spervogel (b) gotheit : kriftenheit MS. 2,229°. Meinlo von Sevelingen mir: mir MS. 1,97%. volkslied ir : ir (war went ir : neig ih ir) Carmina burana f. 153. das unter Alram von Greften ftehende lied lobefam : minnefam MS. 2, 110°. dafs Reimar, der noch in das dreizehnte Jahrhundert reicht und deffen lieder zahlreicher find, keinen andern rührenden reim zuläfst als (a) gelichen : gemelichen MS. 1, 83° habe ich oben (f. 521) bemerkt, wol aber finde ich bei Ulrich von Gutenberg habe danc : ungedance MS. 1, 114°. undertän : wol getän 116°: miffetän 118. Ich habe Heinrichs von Veldeke noch nicht ah gethan: er dichtete zwar die Äneide in den achtziger jahren des zwölften jahrhunderts, aber bildung und kunft ftellen ihn an die fpitze der folgenden periode. bei ihm fucht man die mit dem pronomen, hilfsverbum oder der partikel gebil- deten rührenden reime vergeblich: die unerlaubten darf man gar nicht erwar- ten, und mit ficherheit ift füeren : füeren 128 in füeren : rüeren, minne : minne 9146 in minne : finne zu beflern, ebenfo wider : wider 1750 in wider: nider (vergl. 7187), was durch die Berliner handfchrift beftätigt wird. daz her: daz her 9170 ift gleichfalls verderbt: nach der Wiener handfchrift (in der Berliner fehlt die ftelle) find die beiden zeilen zu lefen ez was niht durch wer : dar in herbergetez her. richtig fteht ich mac : mäc 2176. genuo- gen (prät.) : genuogen je. ) 2951. Frag verlös : figelös 4420: erbelös. 8102. Yensfen Eat 4168. halsberge : berge 5972. 6434. 7124. 8329: herberge 6434. worten : antworten 8498, müedine : teidine 12526. Mar- roc : roc 6286. -lich und -liche nur dreimal, (a) lobelich : mannegelich (nach zur gefchichte des reims. 967 der Wiener handfchrift ieglich) 5848. eislich : freislich 3195. Junderliche : ficherliche 12068 (die ftelle fehlt in der Berliner und Wiener handfchr.). "lichen kommt nicht vor, denn Ziftlichen : [underlichen 3533 ift verderbt, und mit der Berliner und Wiener handfchrift find die beiden zeilen zu lefen mit lifteclichen dingen albefunderlingen. (b) wärheit : wisheit 1505: ungezo- genheit 8502: bösheit 11248: girheit 12396. (ce) botefchaft : hörfchaft 3900: gefellefchaft 3574: friuntfchaft 4104: wirtfchaft 4128. ritterfehaft: herfchaft 4510. 9380: gefellfchaft 3299. 5189. 7260. 8736. 9006. meifterfchaft : vient- Schaft 5776. friuntfchaft : gefellefchaft 7560. herfchaft : wirtfchaft 13000. (d) röchtuom :wistuom 405. 2374: magetuom 4234. (e) erhaft:werhaft 5036: wärhaft 18414. aus diefen reimen geht hervor dafs Veldeke in keiner bezie- hung zu dem fpäteren Herzog Ernft fieht, wo -Wche viel öfter vorkommt, (oben f[. 538), dagegen das hier nicht feltene -Aeit, (denn lösheit : wirdekeit Ernft 47 ift kein rührender reim) -/chaft und -tuom mangelt. das alte bruchftück (Fundgr. 1, 225-230) enthält nur 126 zeilen, es läfst fich alfo daraus nichts beweifen; indeflen zeigt fich darin kein reim diefer art. der dichter des Pila- tus fteht der zeit wie der bildung nach neben Veldeke. er reimt rehte : un- rehte 1,107. genäde : ungenäde 1,110. gewalt : walt 2,9. heimuote : armu- ote 2, 95. kunincriche : riche 2,141. lant:: heilant 2, 407. Herodes : des 2, 411. fodann (b) femfiikeit : barmherzikeit 1, 100 und (c) gefellefeaf': bereitfcaf 2, 29. dafs -Lich -lche und -lichen fehlen, kann in dem geringen umfang des gedichts feinen grund haben. ganz anders bei dem dichter des Servatius, der ebenfalls als zeitgenoffe Veldekes angefehen wird (Haupts zeitfchrift 5, 76), denn er gebraucht in 3548 zeilen den rührenden reim faft nur in der zufammenfetzung mit -Zch (a) tägelich : unver- trägelich 169: klägelich 743. 1777. grezlich : kunterlich 1935. unmeglich : klegelich 2193 und einmal gärliche : faelecliche 841. fonft noch (d) bistuome: tuome, auch Zande : heilande 517. 2353. manlich (fubft.) : glich 291. 2581. endlich will ich hier der überarbeitung von Eilharts Triftant eine ftelle geben, weil fie in metrifcher beziehung diefer zeit zuzugehören fcheint. wir finden darin niht als fubft. und partikel, wenn he enwolde wibes niht, ez waere in liep iht oder niht 1111. fin (verb.) : fin (pronom.) 3237. 5863. werde (ad).): werden (verb.) 4451. fodann läfst fie den rührenden einige male zu, wo er fich dem unerlaubten nähert, doch noch erträglich ift, daz was von rötem golde riche (prächtig): daz gap im al der künic riche (mächtig) 619. er tet 568 W. Grımm: als im der herre hiez : Triftant im hundert fchillinge geben hiez, wo zu lefen ift Triftant im hundert fchilline hiez (verhiefs) oder der im hundert [chilline geben liez 6250. diu frowe den boten gewinnen hiez : Piläfe der knappe hiez, die bedeutung des reimwortes ift hinlänglich verfchieden, vielleicht ift auch hier zu ändern gewinnen liez 6060. zuo dem fe kam er gän (1. gegän): dä vant er vil [chiffe gän (fahren) 7137. -lichen in zufammenfetzungen als adverbium ift nicht felten, (a) menlichen : freislichen 125. getrüwelichen : ‚Frölichen 2518. zornlichen : weerlichen 3075. erneftlichen : inneclichen 3379. 4842. /potlichen 6493. weerlichen : offenlichen 7153: törlichen 7602. ficher- lichen : wislichen 7259. lieplichen : jeemerlichen 7327. tegelichen : heilecli- chen 7670. nur einmal das adject. herlich : unmazlich 299. einmal wer- liche : geliche 1145, wenn man nicht werrlichen lefen will mit freierem reim, wie bitterlichen : geliche 97 fteht. (b) -heit in wärheit : wisheit 1445: wiz- zenheit 3515. fogar hovefcheit : unkiufcheit 141 (f. oben f. 543). frümikeit: manheit 1231 enthält, wie oben gezeigt ift, keinen rührenden reim, auch nicht herfchaft : fchadehaft 2162 oder früntfchaft : unbehaft 5724. ich merke noch an dift : liebift 2234. Von der volksdichtung rede ich abfichtlich zuletzt. älterer Laurin kleine fin: gewaltie fin f. 11. öheim min: gruoz min 59. dä: dä 72. fodann wife (adj.): wife (fubft.) 68. über al: al 25. vernam :nam 33. fin : gefin (pron. u. verb.) 39. ze hant : hant 75. (a) @rlich : genzelich 48. ficherlich : lobelich 53. (b) wärheit:: kriftenheit 46. auffallend würde man : man 44.76 mit gleicher bedeutung fein, wenn wir nicht die rohe arbeit eines fpielmanns vor uns hätten. Rother her genözte fich in : he fazte fie ineben in 1319. fin (pro- nom.): fin (verb.) 1859. (a) tagelich: herlich 1383. fodann herre: heren 2454. dagegen guot : guot 2237 (adjeet.) mit gleicher bedeutung fällt der fpiel- mansdichtung zu. im Dietleib fteht der rührende reim mit gleicher bedeutung beim hilfsverbum und perfönlichen pronomen, ich müge üf iuwer triuwe hän: daz irz ze guote wellet hän S0S6. dä ich fo grözen [chaden mohte wol gewun- nen hän:/waz ich noch her geftriten hän 12736. daz bin ich: j& hän ich 12450. doch ftatt d@: dä in helme döz und [werte klanc hört man von in beiden dä: Walther von Späne was ouch dä 11199 ifı fä : dä, ein hier häufiger reim, zu lefen, auch hin : in 1569 ftatt hin: hin. getän : wol getän ift zuläffig, allen- falls auch under fie komen : danne komen 1606 bei dem gegenfatz in der be- deutung: aber ich zweifle nicht es ift zu ändern under fie bekomen. dagegen zur gefchichte des reims. 569 wäre began : began 2785 nicht zu entfchuldigen: die ftelle lautet fin gewae- ‚fen und den volen Hagene prüeven dö began : finnen er alfo begän, der fin ze koufen hate begert, ez were titfent mare wert : ich glaube es ift zu lefen dö finnete er alfö der man. fonft habe ich noch angemerkt haft : ritter- Jehaft 2465. herzoge : gezoge 12228. hiez : gehiez 13368. Gelfrät : rät 845. Gelfräten : räten 6245. Häwart :wart 1241. Dieterich : rich 5257. 7545. 7921. 12510. Helferich : Dieterich 10350. 11568. 11754. röche » Dietriche 4585. 5731. 11256. Helfriche: riche 11999. Helferichen : richen 11946. Imbrecke : recke 5659. 7635. 9892. 12858. Imbrecken : recken 4597. 4767. 10674. 11206. Liudegafte:: gafte 5051. rine : Irine 8750. 10496. 12083. Dietleip:beleip 4909. 75:35. 11178. 11604. 12764. Wiker : her 7797. rät : Wolfrät 10282. Gernöt : nöt 10600. bewerren : waeren 11570. gewiz- zen : verwizzen 6461. 10880. itewizen : verwizzen 12504. kindelin : tohterlin 4205. (a) lafterlich : gelich 2555: ungelich 498. offenlich : herlich 4987. flizecliche : geliche 2023. lobeliche : ritterliche 6257: angeftliche 7439: heim- liche 7925: herliche 11322. Klage als in diu vrowe geleit hät. min fin der krefte niht enhät 1891. ferner mare (adject.): mare (fubft.) 1001. haben: erhaben 2040. verlös : houptlös 433: untriwelös 1025. Herrät : rät 2120. Dancwart : wart 1894. Gifelher : her 1517. Gunther : Gifelher 95. Sige- here: here 781. (a) wizzenlich : tägelich 24. ungelich : islich 1423. minnee- liche : geliche 1512. freislichen : loblichen 1966. (b) gotheit : kriftenheit 492. die behandlung des rührenden reims macht fchon wahrfcheinlich dafs beide, Dietleib und die Klage, felbft in diefer abfaffung älter find als unfer Nibelunge- lied. die verderbte zeile 190 ändere ich nicht wie Lachmann in der anmer- kung mit dem reim komen : komen, [ondern von erözen Jehulden /6 bekomen: fie wärn ins riches aehte komen. in der überein der Klage ift hät : hät 3859 geblieben, haben :erhaben in erhaben : begraben 4239 geändert, weiter find eingeführt arme (adject.) : arme (fubft.) 1591. merre (adject.) maere (fubft.) 3423. töt (fublt.) : zöt (adject.) 4410. bewart : wart 1307. var : miffevar 3097. pileman : man 1463. zit: höch- gezit 4137. (a) unfriuntliche : tobeliche 2747. geliche : minnecliche 3141: jeemerliche 3209. in den Nibelungen wird der rührende reim fehr mäfsig an- gewendet: der mit dem hilfsverbum, dem pronomen oder einer partikel von gleicher bedeutung gebildete ift gänzlich ausgefchloffen. in den echten ftro- phen fin (pron.) : fen (verb.) 965, 3. wart : bewart 21,1: Eckewart 1041,1. Philos.- histor. Kl. 1851. Cece 570 W. Grımm: 1223, 1. bewart : Häwart 1285, 1: Dankwart 1592, 1. Liudgafı : gafı 139, 3. /pilman : man 1416, 1. wol gelän : gelän 1245, 3. fen : beften 1776, 3. vernam : nam 2242, 1. nur (a) islich : lobilich 304,1. gelich : lobelich 2150, 3. aber hof’: bifchof 1448, 1 (auch in der Klage 1652. 1677. 1701) bildet keinen rührenden reim (vgl. oben feite 545). in den unechten ftrophen Ecke- wart: bewart 9, 3. flat (ripa) : flat (urbs) 1228, 3. man : /pileman 195, 1. 1416,1. Liudger : ger 212, 3. haben : erhaben 347, 3. meit : gemeit 1168, 1. geböt : enböt 1388, 1. len : beften 1776, 2. in der überarbeitung find fie (im gegenfatz zu der überarbeitung der Klage, wo fie vermehrt find) verfchwunden bis auf fpileman : man 12339. vernam : nam 1931. (a) iefe- lich : lobelich 2455. gelich : lobelich 8376. eine ftelle mufs ich näher betrachten, desn fult ir niht engelten : ich wil iu waege fin durch mines fu- nes liebe; des fult ir gar än ange/ft fin 8982-85. in dem alten text des fult ir niht enkelten : ich tuon iu triwen [chin durch iwers mannes liebe unde des edelen kindes fin 1014, 3. 4. nach meinem gefühl lautet der text der über- arbeitung beffer und natürlicher: die änderung könnte es glücklich getroffen haben. da aber auch die lesart von B (wo der text von der überarbeitung nicht berührt wird) des fult ir gar än ange/t fin fich dahin neigt, fo kann man fich des gedankens nicht erwehren, hier liege das echte, und die andern handfchriften hätten den rührenden reim fin: fin mit gleicher bedeutung, den fie nirgend zulaffen, wegfchaffen wollen. das Nibelungelied zeigt manchmal überfchlagende reim in der cäfur und unter diefen auch rührende. ehe ich davon rede, will ich eine bemerkung einfügen. Überfchlagende reime kommen in den echten ftrophen nur etwafechzehn mal vor, in den unechten häufiger, mehr als noch einmal fo oft, ja ftrophe 1 und 17 in beiden hälften: fie find mithin in den unechten, die ungefähr den vierten theil des ganzen liedes ausmachen, verhältnismäfsig viel weiter vorge- drungen. bemerkt man ferner dafs fie in den Gudrun und den bruchftücken von Walther und Hildegund abermals fich fteigern, fo darf man aus diefem fortfchritt fchon auf ein höheres alter der überfchlagenden reime in den echten ftrophen zurück fchliefsen. nun ergibt fich aber ein unterfchied, die überfchla- genden reime der echten ftrophen gehören zugleich zu den unvollkommenen, wie wir fie aus den dichtungen des zwölften jahrhunderts kennen, alfo Hagne: degnen 120, 1. Hagnen : degnen 1974, 3. läzen : mäze 2153, 3. mare: eren 21, 3. maere: verre 138, 1. mere : mare 583, 1. maere : waeren 106, zur gefchichte des reims. 571 1. recken : rechen 968, 1. gere: fware 1881, 3. küniginne : Rine 794, 1. gewinnen : minen 160, 1. Sigemunde : friunde 679, 1. triuwe : getrouwen 2114, 3. genau find nur mare : [waere 2137,1. mere: fere 2071,41 und ge- gen die zahlreichen überfchla- genden reime der unechten ftrophen die regelmäfsigkeit des dreizehnten lobte : ertobte 2143,1. gerade umgekehrt zei Jahrhunderts, mare: waere 324, 1. 807,1. geba@re : maere 102, 11. mare: videleere 1372, 1. maeren : lobebaeren 1,1. berge : herberge 454, 2. degene : engegene 102, 7. ere: mere 123, 1. eren:geren 656, 1. leide: beide 17, 3. dinge: ringe 802, 3. gedingen : ertwingen 114, 1. küniginne : inne 1546, 1. beliben : wiben 17,1. riche:: degenliche 102, 5. richen : tou- genlichen 147,1. Rine : Pilgerine 1435, 3. ziten : rüten 1537, 1. höchgezi- ten : firiten 1, 3. [chiere : viere SS0, 1. wolde : folde 1054, 1. gefunden : wunden 1893, 1. gefunden : verchwunden 238, 1. 1796, 3. gerouwen : zer- blouwen 837, 1. guoter : muoter 341, 5. die wenigen ungenauen laffen fich leicht befeitigen, fedele : edelen 243, 3. ift nach den lesarten zu berichti- gen, ören: herren 43, 1 könnte mitgehen, und ftatt den zinnen : küniginne 377, 4 dürfte man unbedenklich der zinne fetzen. diefe reinen reime der unechten ftrophen und ein paar aus Wolframs Parzival darin aufgenommene wörter (Lachmann zu 423, 2. 417, 5. Heldenfage f. 65) weifen auf einen beftimmten zeitpunkt ihrer abfaflung. ich kann mir den gegenfatz, in welchem fie zu den alterthümlichen reimen der echten ftrophen ftehen, am natürlichften durch die annahme erklären, jene echten ftrophen feien im zwölften jahrhundert damals entftanden, als die bei Kürnberg zuerft auf- tauchenden, bei Friedrich von Haufen fchon ausgebildeten überfchlagen- den reime aufgekommen waren, und der fpätere fammler oder ordner des Nibelungeliedes habe zwar die endreime der regel feiner zeit näher gebracht, die überfchlagenden aber unberührt gelaffen, da fie höchftens als eine zierde, nicht als eine nothwendigkeit betrachtet wurden. merkwürdiger weile zeigt Gudrun ein ähnliches verhältnis, nemlich in den überfchlagenden reimen erfcheint dort neben den überwiegenden genauen eine nicht unbeträchtliche anzahl alterthümlich freier (z.b. degene : lebene. gelouben : ougen. waere: ‚fere), die man in den endreimen vergeblich fucht. durch diefe wie die nächft folgende beobachtung wird zugleich die annahme unechter ftrophen, die Lachmann mit fcharffinn heraus gefunden hat, aufs neue beftätigt, wenn Cece2 # 572 W. Grimm: er auch den heptaden zu liebe einige mit unrecht dazu gefchlagen hat. in der Gudrun find fie nicht zu verkennen. Doch ich kehre zur betrachtung des rührenden reims zurück. er fin- det fich nicht in den überfchlagenden reimen der echten ftrophen des Nibe- lungeliedes man müfste denn Äriemhilt : Prünhilt 784, 3. 789, 4 dazu rechnen, oder recken : rechen 968, 1 und triuwe : getrouwen W114, 3 als rührende anfehen. aber eine ftelle mufs ich in ihrem zufam- menhang herfetzen, ‘ob ez dir wol gevalle, vil liebe vrouwe min, fö wold ich gerne fenden näch den vriunden din die minen videlere in Bur- gondon lant! die guoten videleere hiez er bringen fän ze hant 1347. vide- loere : videleere wäre als rührender reim unerhört und fo roh dafs man ihm dem ordner des gedichts nicht zutrauen darf; die handfchriften Ih haben die guoten boten bede geändert, aber es war nicht nöthig: hier wird an einen reim gar nicht gedacht, fondern es ift die natürliche, altepifche wie- derholung. in den unechten ftrophen finden fich die regelrechten überfchla- genden reime berge: herberge 454, 3. jämerliche: fumeliche 963, 1 und der höfifchen dichtern anftöfsige (oben [. 541) trüricliche : minnecliche 70,1. aber vil gerne : vil gerne 1358, 3. 4. ift unerträglich; hier fteckt ein fehler und die befferung in der handfchrift D des farhen in zen Hiunen gern diu ougen min ift gefchickt. die überarbeitung hat recken : rechen 8610. triuwe : getrouwen 18095. berge : herberge 3970. trürecliche : minnecliche 545. jämerliche : Jumeliche 8570 beibehalten, aber vil gerne : vil gerne nicht geduldet 11870, fodann neu eingeführt der genefen were: gefunt ware 18455. gewunne : wunne 15100 und die ungefälligen (oben f. 541) bitterliche : jeemerliche 8362. vollecliche : willecliche 14424. flizecliche : minnecliche 2358. für ein blofses verfehen halte ich recken : recken 8618, zumal das richtige degne : recken 969, 1 in dem alten text fteht. in der Gudrun erfcheint der rührende reim noch feltner als im Nibelungelied, ich habe nur gefunden fin: fin (verbum und pronomen) 631, (158, 1). 2719 (680, 1). degan : gän 8027 (1324, 1) und jant: alle fant 3003 (751, 1). zufammenfetzungen mit -Zch -Lche und -lichen nicht oft, (a) lobe- lich: tegelich 1891 (473, 1): anelich 4965 (1241, 1). minneclich : anelich 4957 (1239, 1). Zafterliche : geliche 1153 (288, 3). grimmecliche: lobeliche 3737 (934, 3). geliche : lobeliche 5371 (1342, 3). frelichen : trü- reclichen 3897 (974,3). fodann daz fi die ritterfchaft niht wol geben kunden: zur gefchichte des reims. 873 J6 Ji aller befte kunden 2897 (724, 3), was zuläfüig ift; das ift aber nicht än ere : finer tohter Ere 1765 (441, 3), wo man fine tohler here beffern muls, was fchon Ziemann gethan hat. in den häufigen überfchlagenden reimen nur mceren (fublt.) : maeren (adj.) 2808 (702, 3). in den alten von Lafsberg her- ausgegebenen bruchftücken von Ecke mich : mich ftr. 8. fodann her (adject.): her (partik.) 97. fürften ere:ere (fieg) 145 und zufammenfetzungen mit -lich -liche und -lichen, (a) ficherlich : fridelich 232. ficherliche : willecli- che 226: la/terliche 228. jaemerlichen : gelichen 141. Sigenot bei Lafs- berg volge mir : hät geholfen mir ftw. 40 und (a) klegeliche : kreftecliche 31. in den wenigen bruchftücken von Walter und Hildegund und in den zehn firophen, die vom Goldemar Albrechts von Kemenaten übrig find, kommt kein rührender reim vor. Ortnit (bei Ettmüller) entweich : weich fir. 24 [. 50. Engelman : man fir. 28 {. 7. Alberich : rich {iw. 57. f. 23 und öfter. gefchaft : herfchaft fi. 38 f. 20. an (avus.) : an (partikel) fir. 22 f. 105. ich will noch unreinekeit : kriftenheit fir. 23 f. 6 anführen, es gilt aber nicht für rührend. unter den überfchlagenden reimen zeigt fich mit gleicher bedeu- tung füeren : füere ftr. 38 [.41, aber die ohnehin fchlechte ftrophe ift gewis unecht, fie fteht nur in einer handfchrift, und die übrigen haben etwas ande- res und befferes. in den bruchftücken aus der Dietrichs fage Dietrich : rich Altdeutfche blätter 1, 341. Dietrichs flucht daz diu werli erftorben ift : als wite fö diu erde ift 742. dagegen ftatt ich:ich 5083 ift ich:ich mich zu lefen in übereinfiimmung mit der Starhemberger handfchrift. amt in (pro- nom.) : in (partikel). man : nieman 3291. 8017. ergän : abe gän 3397. rich: W olfdietrich 2286. 2295: Dieterich 4892: Friderich 2717 u.f.w. Ermrich: Friderich 2455: Dietrich 2515. 2567. 2639. 3071 u. f. w. Hugdietrich : Francrich 2356. Dietrich : Helfrich 5901. Ifterich : Dietrich 8191. riche: Francriche 2349: Dietriche 3963. richen : Dietrichen 2869. Dietrichen: Ermrichen 3325. 6629. Sigeher : her 5841. -lich, -liche und -lichen, (a) Zugentlich : gelich 1211. ficherlich : endelich 4701: gelich 6915. geliche: ficherliche 6471: grimmecliche 6497. heimeliche (fubft.) : getriuweliche 945. kurzliche : endeliche 1971. ficherliche : herliche 2003. jeemerliche : lobeliche 3779. befcheidenliche : ungetriuweliche 5229. küneclichen : ficherlichen 8147. (a) ritterfchaft: herfchaft 8194. in der Rabenfchlacht erfcheint was : was 160. ich fetze die ganze ftrophe her, wie ich fie mit hilfe der Starhem- berger handfchrift berichtigt habe, 974 W. Grimm: Dö diu ftarke famenunge z Ezelburc komen was, ez jähen alte und junge und allez daz da was, daz üf der breiten erde nie zufamne keem fö manic recke werde. ftatt und allez daz dä indert was, wie im druck fteht, hat die Stah- remb. als uns daz buoch las, worin ich nur eine abfichtliche änderung des reims fehe. ferner rich : Dietrich 32. 333. 395. 1115. 1120. 1140. riche : Helfriche 576. richen : Dietrichen 83. 1133. Ermrichen : Dietrichen 487. -lich -liche und lichen, (a) lobelich : ficherlich 524. klägeliche : heimliche 14: lobeliche 318. ficherliche : unmazecliche 500: hertecliche 429: eisliche 624. geliche : endeliche 148: manliche 594. ficherlichen : ritterlichen 250: untroeftlichen 271: andehteclichen 512: vientlichen 648: etlichen 665: lobe- lichen 982: jaemerlichen 1086. fchon oben habe ich volleelichen : trürecli- chen 18 angeführt. Rofengarten C lieben bruoder min : die ringe min 471. entwefen : gewefen 1027. rich : himelrich 995: freuden rich 999. in den überfchlagenden reimen (a) frumeclichen : keiferlichen 3. vientlichen : grim- meclichen 1906. Rofengarten D dich : dich 1531. fin (conjunctiv): fin (infi- nitiv) 431. Dietrich : rich 61,66. (a) ficherlich : gelich 49: lobelich 435. auch hier wünneclich : gewalteclich 583. Laurin (druck vom jahr 1500) fin (pronom) : fin (verb.) 1247. feitenfpil: fpil 1851. Dieterich : rich 1291. 1553. 2417. 2399. 1. Den schraGreım bilden zwei unmittelbar auf einander folgende reim- wörter, die innerhalb der zeile und unabhängig von dem endreim ftehen. Freidank fagt fingen Jpringen Jol diu jugent: die alten walten alter tugent 52, 6. 7 und in dem 48 abfchnitt f. 165-169 ift iiegen triegen durchge- führt; mit triuwen (minder beglaubigt ift die lesart Zriuwe) triuwe gelten 44, 11 gehört nicht hierher. verbleibt die firophe Ich minne, finne lange zit, wovon die fechs erften zeilen (oben f. 523) erörtert find, bei Walther, fo wäre der fchlagreim auch bei ihm gefunden, der fich aufserdem in den vier letzten zeilen nochmals zeigt, au I J 2, 46 aut haec in noflros fabricala e/t machina muros, E) u w 2 9 haud fecus accen/o glifeit violentia Turno. > HRSE (b) Bucol. 1, 11 non equidem invideo; miror magis: undique totis 3, 15 et, finon aliqua nocuiffes, mortuus effes. ‚ 8 iam nova progenies coelo demittitur alto. 4 6, 7 Ware, tuas cupiant et triflia condere bella; 8, 99 Moerin, faepe animas imis excire fepuleris, 1 Georg. 10 Jaxa ciet, Jeatebrisque arenlia temperat arva. 143 tum ferri rigor atque argutae lamina ‚Jerrae 2, 253 neu fe praevalidam primis oflendat ariftis! Aen. 1, 7 Albanique patres atque altae moenia Romae. 60 fed pater omnipotens fpeluncis abdidit atris, 8, 233 flabat acuta filex, praecifis undique fazxis 10, 549 canitiemque fibi et longos promiferat annos. 11, 658 delegit pacisque bonas bellique miniftras; 12, 93 aedibus adfiabat, validam vi corripit haftam, 709 procurfo rapido, coniectis eminus haflis, (ce) Bucol. 3, 39 diffufos hedera veftit pallente corymbos. 9, 13 chaonias dicunt aquila veniente columbas. Georg. 1 2 (d) Bucol. ‚ 117 unde cavae tepido fudant humore lacunae. ‚4 et ‚Ffaciet, quoniam fordent tibi munera noftra. 51 ipfe ego cana legam tenera lanugine mala 3, 97 nunc frondent filvae, nunc ‚Formofiffimus annus. 4, 6b iamredit et Virgo, redeunt Saturnia regna; 30 et durae quercus fudabunt rofeida mella. Georg. 1,123 movit agros, curis acuens morlalia corda, 638 (e) Bucol. 3, 9 10, 51 W. Grimm: et quo (‚fed faciles Nymphae rifere) facello. carmina, pafloris Siculi modulabor avena. (f) Bucol. 5, 7 fiveftris raris fparfit labrufca racemis. 17 8, 66 10, 29 101 320 puniceis humilis quantum Jaliunca rofetis; coniugis ul magicis [anos averlere facris nec lacrimis crudelis Amor, nec gramina rivis, alba petens, pelagoque alius trahit humida lina; tardaque Eleufinae matris volventia plauftra, Orchades, et radi, et amara paufia bacca, non ego te, dis et menfis accepta fecundis, candida venit avis longis invifa: colubris, 3, 144 flumina, mufcus ubi et viridiffima gramine ripa, 4,342 Aen. TA 8, 663 10, 526 11, 372 (g) Bucol. 2, 50 Georg. 2, 88 169 3, 321 ambae auro, piclis incinctae pellibus ambae, Tyrrhenamque manum totamque fub arma coaclam hie exfultantes Salios nudosque Lupercos, efi domus alla; jacent penitus defoffa talenta nos, animae viles, inhumata infletaque turba, mollia luteola pingit vaccinia caltha. Cruftumüs Syrüsque piris, gravibusque volemis. exlulit: haec Decios, Marios, magnosque Camillos, pabula, nec tota claudes faenilia bruma. Aen. 4, 637 fie veniat; tuque ipfa pia lege tempora vilta. 9049 179 10, 529 (i) Bucol. "I5R4 25 2 2, 0 porlat equus, criflaque tegit galea aurea rubra. ora puer prima fignans intonfa iuventa. vertilur, aut anima una dabit difcrimina tanta. nos patriam fugimus; tu, Tityre, lentus in umbra quantum lenta folent inter viburna cupreffi. et iam Jumma procul villarum culmina fumant, quam dives pecoris, nivae quam lactis abundans. 27 judice te metuam, fi nunguam Ffallit imago. 52 Georg. 1, 204 531 Ken. HM, vierfach, caflaneasque nuces, mea quas Amaryllis amabat: praelerea tam Junt, Arcturi fidera nobis addunt in fpatia et fruftra relinacula tendens ipfos ferre duces, inimicaque nomina figi. zur gefchichte des reims. 639 ‚ 18 alba lisuftra cadunt, vaccinia nigra leguntur, ‚„ 11 noftra valent, Lycida, tela inter Martia, quanltum Bucol. (k) Bucol. 61 Zum canit Hefperidum miratam mala puellam; 34 hirfutum fupercilium promiffaque barba; 2. 9 6 bo) (l} Bucol. 5, 58 ergo alacris filvas et cetera rura voluptas 8, 10 fola Sophocleo tua carmina digna cothurno? 0 1 9) 10, 22 Galle, quid infanis? inquit; tua cura Lycoris Georg. 84 nec ulla interea eft inaralae gratia terrae. D 8 (n) Georg. 2, 43 non mihi fi linguae centum fint oraque centum, (0) Bucol. 7, 65 fraxinus in fileis pulcherrima, pinus in hortis, populus in fluvüs, abies in montibus allis; Georg. 2,506 ut gemma bibat et Sarrano dormiat oftro; condit opes alius, defoffoque incubat auro; auch hier bei dem mehrfachen reim, Bucol. 2, 50 mollia luteola pingit vaccinia caltha. ipfe ego cana legam tenera lanugine mala (a) 6, 24 olvite me, pueri; fatis eft poluiffe videri. 8, 80 limus ut hic durefeit, et haec ut cera liquifeit Georg. 2,422 quum femel haeferunt arvis aurasque tulerunt; (b*) Georg. 2, 21 filvarum fruticumque viret nemorumque facrorum. fo) -) Aen. 1, 373 et vacet annales noflrorum audire laborum, (e*) 12, 902 tollentemve manu faxumque immane moventem (p) Bucol. 6, 33 et liquidi fimul ignis, ut his exordia primis 8, 15 quum ros in tenera pecori gratiffimus herba; 9, 31 fie cylifo paftae diftendant ubera vaccae; 10, 64 ipfa placent; ipfae rurfum concedite filvae. George. 1,111 quid, qui, ne gravidis procumbat culmus ariftis, s m 9 8 Ba 202 remigis fubigit, fi hrachia, forte remifit, 492 Emathiam et latos Haemi pinguefcere campos. 2, 419 et iam maturis metuendus Jupiter uvis. 425 hoc pinguem et placitam paci nutritor olivam. PS P re 466 nee cafia liquidi corrumpitur ufus olivi; Aen. 11,838 alque procul medio iusenum in clamore furentum der reim am fchlufs zweier zeilen ift ebenfo häufig wie bei Lucretius, ich befchränke mich auf wenige beifpiele, 640 W.Grımm: (gq)Bucol. 2, 41 capreoli, fparfis etiam nunc pellibus albo; bina die ‚Jiecant ovis uberae; quos tibi fervo. Georg. 2,360 viribus eniti guarum et contemnere ventos affuefcant, Jummasque fequi tabulata per ulmos. ac dum prima novis adolefeit frondibus actas, parcendum teneris, et dum fe laetus ad auras palmes agit, laxis per purum immiffus habenis ipfa acie nondum falcis tendanda, fed uncis 500 quos rami Jructus, quos ipfa volentia rura ‚ponte tulere fua, carpfit, nec ferrea iura 4, 498 invalidas tibi tendens, heu non tua, palmas! dixit et ex oculis Jubito, ceu fumus in auras Aen. 1, 390 namque tibi reduces focios claffemque relatam nunlio et in tutum verfis Aquilonibus aclam, Bucol. 9, 11 audieras, et fama fuit: fed carmina tantum noftra valent, Lycida, tela inter Martia, quantum (r) Aen. 3, 656 ipfum inter pecudes vafta fe mole moventem paftorem Polyphemum et litora nota pelentem, 4,256 haud aliter terras inter coelumque volabat litus arenofum ad Libyae, ventosque fecabat (£) Bucol. 10, 53 malle pati, tenerisque meos incidere amores arboribus: erefcent illae, crefcetis, amores. Georg. 2, 406 ecce inimicus, atrox, magno [tridore per auras infequitur Nifus; qua Je fert Nifus ad auras, Aen. 7,653 mille viros, dignus, patrüs qui laetior effet imperüs, et cui pater haud Mezentius, effet. 8, 396 quo tibi, diva, mei? Jimilis fi cura fuiffet, tune quoque fas nobis Teucros amare ‚Fuiffet: 8, 541 transfoffi ligno veniunt; vix unus Helenor et Lycus elapfi, quorum primaevus Helenor, es folgt auch in drei zeilen derfelbe reim, Bucol. 10, 8 dum tenera attondent fimae virgulta capellae. non canimus furdis: refpondent omnia filvae. quae nemora aul, qui vos Jaltus habuere, puellae zur gefchichte des reims. 641 (t) Aen. 1, 95 quis ante ora patrum Troiae fub moenibus altis contigit oppetere! o Danaum ‚fortiffime gentis, T'ydide, mene Tliacis occumbere campis 517 quae fortuna viris, claffem quo litore linguent, quid veniant; cuncti nam lecti navibus ibant, orantes veniam et templum clamore petebant, 10, 623 oratur iuveni, meque hoc ita ponere fentis; tolle fuga Turnum atque in/tantibus eripe fetis: hactenus indulfiffe vacat. fin altior iftis 11, 173 tu quoque nunc flares immanis truncus in armis, e/fet par aetas et idem fi robur ab annis, Turne. fed infeliv Teucros quid demoror armis? in vieren, (u) 11, 462 corripuit fefe et teclis citus extulit allis. tu, Volufe, armari Volfcorum edice maniplis; duc, ait, et Rutulos! Equitem, Me/fapus, in armis, et cum fratre Coras, latis diffundite campis. fogar zwei reime überfchlagend, (v) Aen. 2,459 tela manu miferi iactabant irrita Teucri. lurrim in praecipiti flantem fummisque fub aftra eductam teclis, unde omnis Troia videri et Danaum folitae naves et Achaia caflra, 12, 677 morte pali nec me indecorem, germana, videbis amplius. hunc, oro, ‚fine me furere ante Jurorem. dixit et e curru faltum dedit ocius arvis perque hojles, per tela ruit, mae/tamque fororem fo auch Georg. 1, 110. Aen. 2, 103. 4, 427. 5, 508. 515. Bei Horatius zeigt fich der reim im hexameter minder häufig als bei Virgilius, doch in gleicher verfchiedenheit und abftufung. ich bin fparfam mit beifpielen, nur habe ich mich bemüht den feltenen zweifilbigen nicht zu überfehen. (a) Satir. I. 1, 27 fed tamen amoto quaeramus Jeria ludo. 28 ille gravem duro terram qui verlit aralro, 42 furtim defoffa timidum deponere terra? 95 /upremum tempus, ne fe penuria victus Philos. - histor. Kl. 1851. Mmmm I, Epift. 1. 11. Ars poet. (b) Satir. 1. Il. Epift. I. 1. Ars poet. (ec) Satir. I. II. Epift. INT Ars poet. W. Gsımm: Ir 9 omnia conduclis coemens obfonia nummis: “ 47 Sifyphus; hunc varum difiortis cruribus, illum 19 at tu conclufas hircinis follibus auras, er 70 prorfus iucunde cenam produximus illam. “ 65 egregio infperfos reprehendas corpore naevos, er 1 Sunt, quibus in fülira videor nimis acer et ultra ‚ 313 Zantum diffimilem, et tanto certare minorem? 69 preffa Venafranae quod baca remifit olivae 31 atria fersanlem poflico falle clientem. = = 9 cognomen vertas in rifum et fabula fias. = 183 quod numero plures, virtute et honore minores, = De ovaRr DO [on GR WR 137 expulit elleboro morbum bilemque meraco, = 38 /umite materiam veftris, qui feribilis, aeguam 461 fi curet quis opem ferre et demiltere funem, 2, 61 offieit, evitare? bonam deperdere ‚Jamam 114 num, tibi quum fauces urit Jitis, aurea quaeris 3, 54 huee res el iungit, iunctos et Jervat amicos. 9, 44 nil ego conlulerim iucundo fanus amico 8, 9 conferpus vili porlanda locabat in arca; 9, 58 exclufus fuero, defiftam; tempora quaeram; 3, 136 in matris iugulo ferrum tepefecit acutum? 4, 31 fed non omne mare eft generofae fertile teflae: 41 curvat aper lances carnem vilantis inertem: 7, 107 nempe inamarefeunt epulae fine fine pelitae, 20, 12 coeperis, aut lineas pafces taciturnus inertes 1, 60 Ahos edifcit et hos arto ftipata Lheatro 336 percipiant animi dociles teneantque fideles. 359 indignor quandoque bonus dormitat Homerus. 3, 95 prodiderit comiffa fide [pon/umve negarit? 6, 123 aut feripto quod me tacitum iuvet, unguor olivo 3, 76 dietantis, quod tu nunquam refcribere poffis. 4, 52 nocturna, fiquid craffi eft, tenuabitur aura, 2, 54 ni melius dormire putem quam feribere verfus? 147 nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo: (d) Satir. I. (e) 1. Epift. 1. Ars poet. (g) Satir. 1. u. Epift. 1. (i) Satir. 1. H. Epift. 1. Ars poet. (k) 8, zur gefchichte des reims. 643 17 quum mihi non tantum furesque feraeque [uetae. 24 Canidiam pedibus nudis paffoque capillo, 74 laevo fufpenfi loculos tabulamque lacerto, 39 magnas Graecorum malis implere catervas. 8 momenlo cita mors venit aut vicloria laela. 10 fordidus atque animi quod parvi nolit haberi, 86 regibus hie mos eft, ubi equos mercantur, opertos C 122 furta latrocinüs et magnis parva mineris 20 compofitum melius cum Bitho Bacchius. in ius >) tran/nanto Tiberim, Jomno quibus eft opus alto, E 59 142 pauper Opimius argenti pofiti intus et auri, 184 22 hie foffa eft ingens, hic rupes maxima: erva nudus agris, nudus nummis, in/ane, paternis? Fibidius, quas Maecenas adduxerat umbras. 1 Prima dicte mihi, [umma dicende Camena, 45 in verbis etiam tenuis caulusque ferendis 241 peret idem, Judet multum /ruftraque laboret 278 po/t hunc perfonae pallaeque repertor honeftae 332 poffe linenda cedro et levi fervanda cupre/fo? 87 complures alios doctos ego quos et amicos 26 1 Quamveis, Scaeva, Jatis per tibi confulis, et feis 29 quarum fubfuta talos tegat inflita vefte: 50 nec magis his aliena malis; nil mi officit, inguam, 58 rara avis el picla pandat fpectacula cauda: verficulos natura magis factos et euntes quam rudis et Graccis intacti carminis auctor 45 autumat. haec populos, haec magnos formula reges, virlus, fuma, decus, divina humanaque pulchris perfta atque obdura, feu rubra Canicula findet praecincti recte pueri comptique miniftrent? 23 fie mihi tarda fluunt ingrataque tempora quae pem 47 non domus et fundus, non aeris acervus et auri 470 nee fatis adparet cur verfus factitet: utrum 37 [peetandum nigris oculis nigroque capillo. Mmmm? 644 W. Grımm: () Satir. II. 3, 228 unguentarius ac Tufei turba inpia vici, 4, 51 Maffica fi caelo fuppones vina fereno Epif. I. 2, 16 Tliacos intra muros pecalur et extra. 5, 15 collectosne bibant imbres puteosne perennes 46 con/pieitur nitidis fundata pecunia villis. II. 1,233 Choerilus incultis qui verfibus et male natis Ars poet. 38 fumite materiam ve/tris, qui feribitis, aeguam (n) Satir. II. 6, 6 fi neque maiorem feci ratione mala rem Epift. I. 12, 25 ne tamen ignores quo fit Romana loco res (0) Satir. I. 6, 10 multos faepe viros nullis maioribus ortos et vixiffe probos, amplis et honoribus auctos: (a*) Epift. I PAan7 Jratrem maerenlis, rapto de fratre dolentis nur dies einzige beifpiel des zweililbigen reims in diefer ftellung habe ich gefunden, aber ein anderes mit dem dreifachen, Epift. I. 2,214 Zufifti fatis, edifti fatis atque bibifti: (b*) Satir. I. 5, 25 millia tum pranfi tria repimus atque fubimus Epift. I. 8, 9 fidis offendar medicis, irafcar amicis, fogar ein dreifilbiger, Satir. I. 6, 3 nec quod avus tibi maternus fuit atque paternus, (i*) Satir. I. 2, 119 non ego: namque parabilem amo Venerem facilemque. 10, 71 faepe caput fcaberet, vivos et roderet ungues. II. 3, 50 ile finiftrorfum, hic dextrorfum abit, unus utrique 67 tune infanus eris fi acceperis? an magis excors Epift. ID. 1,262 difeit enim citius meminitque libentius illud 2, 211 lenior et melior fis accedente fenecta? (1’) Satir. I. 2, 11 refpondet. laudatur ab his, culpatur ab illis. (p) Epift. I. 1, 37 ter pure lecto poterunt recreare libello. 15, 46 confpicitur nitidis fundata pecunia villis. 18, 48 cenes ut pariter pulmenta laboribus empta; 66 fautor utroque tuum laudabit pollice ludum. U. 1, 27 dicetitet Albano Mu/as in monte locutas. Ars poet. 36 non magis effe velim quam nafo vivere pravo zwei am fchlufs einfilbig gereimte zeilen begegnen fo oft, dafs ich mich mit hinweifungen begnüge, (g) Satir. I. 1, 96. 2, 66. 94. 3,7. 80. 4, 6. 86. 139. 5, 25. 77. 80. II. zur gefchichte des reims. 645 Bipaltz 1. 1, 18: 31,1,9, 19:17 110018,,97.0 I 1, 43. 124.221. 2, 39. 44. 130. 173. 180. Ars poet. 105. 333. 444. 475. (r) Satir. I. 1, 78 ne te compilent fugientes, hoc iuvat? horum Semper ego optarim pauperrimus effe bonorum. Ars poet. 99 non fatis eft pulchra effe poömata: dulcia funto, et quocumque volent, animum auditoris agunto. (f) Satir. I. 5, 16 multa prolutus vappa nauta alque viator cerlatim, tandem fe/fus dormire viator I. 41, 83 iudieiumque? efto fiquis mala: fed bona fiquis indice condiderit laudatus Caefare? fiquis mehrere wörter, Satir. I. 3, 9 nil aequale homini fuit illi, faepe velut qui currebat fugiens hoftem, perfaepe velut qui 6, 45 nunc ad me redeo liberlino patre natum, quem rodunt omnes libertino patre natum. Epift. I. 18, 16 propugnat nugis armatus: “feilicet ut non ‚fie mihi prima Fides et vere quod placet ut non I. 2,149 fi volnus tibi mon/trata radice vel herba non fieret levius, fugeres radice vel herba die ftellen wo drei und vier zeilen reimen, zeige ich nur an, (t), Satir. 1. 1,70. 2,11. II. 3, 63. Epift. 1. 18, 34... II. 1, 112. 2, 186. (u) Ars poet 436. Tibullus behandelt den reim im hexameter nicht anders als die vori- gen, im pentameter wie Catullus. einige beifpiele, (f) I. 6, 54 fanguis, ut hic ventis diripiturque cinis. (8) Il. 2, 6 clauditur et dura ianua firma era. 5, 14 fomnia, ter fancla deveneranda mola. 1, 52 quam fleat ob nofiras ulla puella vias. b, 28 Jobria fuppofita pocula vietor aqua. Il. 4, 52 quantum nec cupido bella puella viro, (a*) I. 4, 54 ofeula: pugnabit, fed tamen apta dabit. (p) 4, 14 virgineus teneras flat pudor ante genas. 30 quam cito formofas populus alba comas! auch hier findet fich der reim nicht felten im ganzen diftichon, 646 W. Grimm: I. 1, 1 Divitias alius fulvo fibi congerat auro et teneat culti jugera multa foli, 61 flebis et arfuro pofitum me, Delia, lecto, triftiibus et lacrimis ofcula mixta dabis. 2, 68 ille licet Cilicum viclas agat ante catervas, ponat et in capto Martia cafira folo, 6, 23 at mihi ficredas, illam fequar unus ad aras: tunc mihi non oculis fit timuiffe meis. II. 4, 27 nune mihi fumofos veteris proferte Falernos con/ulis, et Chio folvite vincla cado. III. 4, 31 ut iuveni primum virgo deducta marito inficitur teneras ore rubente genas, 67 me quondam Admeti niveas paviffe iuvencas non eft in vanum fabula ficta iocum: mit überfüllung und durchführung desfelben reims, I. 5, 43 non facit hoc verbis, ‚facie tenerisque lacerlis devovet et flavis noflra puella comis. 9, 49 illa velim rapida V ulcanus carmina flamma torreat et liquida deleat amnis aqua. 10, 25 at nobis aerata, Lares, depellite tela, hoftiaque e plena my/flica porcus hara; Auch bei Propertius zeigt fich der reim im hexameter in gleicher weife, (a) HI. 18, 5 me modo laudabas et carmina noftra legabas: V. 11, 23 Sifyphe, mole vaces, taceant Ixionis orbes, 65 vidimus et ‚Fratrem fellam geminaffe curulem, 81 fat tibi fint noctes, quas de me, Paulle, Jatiges, (b) 9, 11 hie. ne certa forent manifeftae figna rapinae, () HI. 7, 53 periuras tune ille folet punire puellas, 9, 1 Affiduae multis odium peperere querellae: (e) I. 4, 23 nullas illa fuis contemnet fletibus aras, (f) U. 2, 7 aut quum Dulichias Pallas fpatiatur ad aras, III. 11, 3 nullus erit caflis iuvenis corruptor in agris, (i) I. 9, 17 nunc mihi fumma licet contingere fidera plantis: 19, 1 Haec certe deferta loca et taciturna querenti, (a*) I. 18, 5 quia etiam abfenti profunt tibi, Cynthia, venli: IV. (c‘) (BIrIil; \% 11, zur gefchichte des reims. 1 Dulcis ad hefternas fuerat mihi rixa lucernas, 37 e quarum numero me conligit una dearum: 5 nunc fine me plena fiunt convisia men/a, 49 quaelibet aufteras de me ferat urna tabellas: 6 7 der reim im pentameter begegnet, zumal in dem abfchnitt, vielleicht noch häu- figer als bei Catullus; ich hebe nur den zweililbigen heraus, (Hl IVisy 2.6 22, N340: auch rührend, Ka) Tns24, IWIW6; 2 maxima praeda tibi, maxima cura mihi. 42 in mare cui Joli non valuere doli. 18 natura hic pofuit quiequid ubique fuit. 2 armaque de ducibus trina recepta tribus. 5 qui dare multa potefl, multa et amare poteft. 64 hoc de me jat erit fi modo malris erit. man wird II. 7, 2 und 21, 8 das weitere fpiel des reims mit dem gegenfatz der gedanken bemerken. Das in beiden zeilen gereimte diftichon begegnet hier in jeder elegie mehrmals, und im erften buch allein wenigftens zwanzigmal. ich begnüge mich ein paar ftellen anzuführen, wo in beiden zeilen derfelbe reim ange- wendet ift, I. II. oder wo fich ein zweifilbiger reim zeigt, was jedoch niemals in beiden zeilen der fall ift, 2, 11, 21 fed facies aderat nullis obnoxia gemmis, qualis Apelleis eft color in tabulis. 31 his tu femper eris nofirae gratiffima vitae, taedia dum miferae fint tibi luxuriae. 29 afpice quid donis Eriphyla invenit amaris, arferit et quanlis nupia Creufa malis. 21 tuque o Minoa venundata, Scylla, gura, tondens purpurea regna paterna coma. 87 atque ita mutato per fingula pallia lecto re/pondi, et tolo folvimus arma toro. 19 idem eques et ‚Frenis, idem fuit aptus aratris, et galea hirfutis compta lupina iubis. 19 aut fi quis pofita iudex fedet Acacus urna, in mea fortlita iudicet offa pila: 648 W.Gxrımm: 1. 18, 5 quin etiam abfenti profunt tibi, Cynthia, venti: afpice, quam faevas increpal aura minas. Il. 7, 4 Praetor ab Illyricis venit modo, Cynthia, terris, mazxima praeda tibi, maxima cura mihi. II. 12, 5 non tam nocturna volueris funefta querela attica Cecropüs obftrepit in Folüs, IV. 7, 4 Duleis ad hefternas fuerat mihi rixa lucernas, vocis et in/anae tot maledicta tuae. 15, 29 aut humer ignotae cumulis vallatus harenae. non iuval in media nomen habere via. 22, 17 omnia Romanae cedent miracula terrae: nalura hic pofuit, quiequid ubique fuit. mit anhäufung des reims, V. 1,137 militiam V eneris blandis patiere f[ub armis, et F eneris pueris utilis hoflis eris, aber Propertius geht weiter, er läfst zwei gereimte diftichen unmittelbar auf einander folgen, III. 17, 11 et modo pavonis caudae flabella fuperbae et manibus dura frigus habere pila et cupit iratum talos me pofcere eburnos quaeque nitent Sacra vilia dona Via. 30, 9 quum videt accen/is devotam currere Laedis in nemus et Triviae lumina ferre deae. feilicet umbrofis fordet Pompeia columnis porticus aulaeis nobilis Altalicis, IV. 10, 1 Quid mirare, meam fi verfat ‚Femina vitam et trahit addictum fub fua iura virum, criminaque ignavi capilis mihi lurpia Jingis, quod nequeam fracto rumpere vincla iugo? 16, 15 ipfe feram vites pangamque ex ordine colles, quos carpant nullae me vigilante ferae. dum modo purpureo fpument mihi dolia mujlo, et nova pre/fantes inquinet uva pedes, V. 1, 17 nulli cura fuit externos quaerere divos, cum iremeret patrio pendula turba facro, ed ) zur gefchichte des reims. 64 annuaque accen/o celebrare Parilia faeno, qualia nune curto luftra novanlur equo. fogar drei, III. 32, 85 Aaec quoque perfecto Iudebat Iafone Varro, Varro Leucadiae maxima flamma fuae. haec quoque lafcivi cantarunt feripta Catulli, Lefbia quis ipfa notior eft Helena. haec eiiam docti confeffa eft pagina Cakvi, cum caneret miferae funera Quintiliae. Auch Ovidius tritt in die fufsftapfen feiner vorgänger: der reim zeigt fich oft und, wie es mir fcheint, am häufigften in den gedichten aus der zeit feiner verbannung, alfo in den fpätern. nur habe ich in diefen (wenn fie mir nicht entgangen find) keine zwei unmittelbar auf einander folgende gereimte diftichen bemerkt, fo oft auch eins allein vorkommt. bei dem zweifilbigen reim macht fich der häufigere gebrauch der genitivendigungen -orum, -arum bemerkbar, die wir bei Lucretius, Catullus und Horatius gar nicht, bei Virgilius nur ein paarmal, bei Propertius einmal und nicht im abfchnitt des hexameter fanden; auch diefe am meiften in den fpäteren gedichten. Bei dem hexameter belege ich von den verfchiedenen fällen nur die minder gewöhnlichen, (g) Heroid. 1, 31 atque aliquis pofita mon/trat fera proelia menfa: 19, 49 paucaque quum tacla perfeci flamina tela, Amor. I. 7, 65 nec noflris oculis, nec nofiris parce capillis: Ars am. 3, 453 funt quoque non dubia quaedam mala nomina ‚fama: Rem. am. 37 his lacrimis contentus eris fine crimine mortis: Medic. faciei 99 vidi quae gelida madefacta papafera lympha Metam. 1, 266 barba gravis nimbis, canis fluit unda capillis, Epift. II. 8, 19 claufa tamen mifi Scythica libi tela pharetra: (h) Heriod. 19, 63 multaque praeterea lingua relicenda modefta, Epift. IV. 14, 55 tempora facrala mea funt velata corona, (i) Amor. I. 8, 111 quin albam raramque comam, lacrimofaque vino Ars am. 3, 443 nec coma vos fallat liquida nitidiffima nardo: Ibis 551 nudave derepta pateant tua vifcera pelle, Philos. - histor. Kl. 1851. Nnnn 650 W. Grimm: (l) Heroid. 2, 111 quae tibi fubieci latiffima regna Lycurgi, Metam. 13, 185 immeritam faevae nalam mactare Dianae. Epift. I. 10, 43 qui meritam nobis minuat, non finiat iram, (i) Metam. 8, 96 turbatusque novi, refpondit, imagine facti: di te [ubmoveant, o noflri infamia faecl, 11, 517 inque fretum credas totum defcendere coelum, inque plagas coeli tumefactum feandere pontum. 13, 692 hanc non femineum iugulo dare pectus aperto, illam, demif, o per fortia vulnera Lelo, 15, 395 haec ubi quinque fuae complevit faecula vitae, ülicis in ramis, tremulaeve cacumina palmae, fogar durch vier zeilen zieht fich derfelbe reim, Metam. 6, 531 Zugenti fimilis, caefis plangore lacertis, intendens palmas, proh diris, barbare, factis, proh crudelis, ait: nec te mandata parenlis cum lacrimis movere püs, nec cura Jororis, vergl. 6, 689-392. (a*) Heroid. 8, 27 vir, precor, uxori, frater fucurre forori: 19, 129 at tibi flammarum memori, Neptune, tuarum Fafti 6, 553 una miniftrarum folita eft, Cadmei, tuarum, Ibis 75 noxque tenebrarum pecie reverenda tuarum, Metam. 6, 89 nomina fummorum jibi qui tribuere deorum. 8, 773 quae tibi factorum poenas inflare tuorum ferner 9, 622. Fafti 1, 509. 5, 117. 621. 665. Trift. II, 419. IV, 2.7. V. 6, 35. 14, 9. Epift. II. 3, 47. II. 9, 7. Ibis 143. Fafi IH. 487 Thefea culpabas, fallacemque ipfe vocabas; Epift. I. 5, 67 Thyrfus enim vobis, geftata eft lauera nobis. IV. 8, 59 fic affectantes coeleflia regna Gigantes (b*) Heroid. 11, 111 nate, dolor matris, rabidarum praeda ferarum, 18, 133 iam patet atiritus folitarum limes aquarum, 19, 181. Metam. 4, 344. 14, 10. 414. Metam. 6, 198 Auic aliquid populo natorum po/fe meorum; Fafti 1, 465. Trift. III. 3, 73. IV, 10,1. V.5,5. 6,41. 7,6. Epitft. TI, An (c‘) Metam. 6, 638 Zendeniemque manus, et iam fua fata videntem, zur gefchichte des reims. 651 i') Amor. III. 2, 83 rifit et argutis quiddam promifit ocellis: 2 5 ] p mit einem dreifilbigen reim, Metam. 1, 16 fie erat inftabilis tellus, innabilis unda (n‘) Heroid. 10, 57 venimus huc ambo: cur non difcedimus ambo? Ars am. 2, 459 ofeula da flenti, Veneris da gaudia flenti: Heroid. 7 non ego deferto iacuiffem frisida lecto, pP s 5 U 8 27 tu nova fervatae carpes libamina famae, Metam. ‚477 vitta coercebat pofitos fine lege capillos. Du BE er SS w 9, 19Tinet profternite humi iuvenem magica arma moventem. Trift. V.14, 31 fi qua tamen pretü fibi merces ipfa petiti, häufig ift der reim am fchlufs zweier hexameter, wie Metam. 1, 1. 248. 342. 394. 584. 9, 14. 134. 202. 406. 6, 468. 487. 598. 621. 7, 177. 259. 348. 497. 11, 288. 339. 428. 384. 631. 12, 21. 389. 556. 585. 611. 13, 37. 14, 343. 500. 561. nur beifpiele von feltenen fällen, (r) Metam. 2, 830 vocis haberet iter. [axum iam colla tenebat, y | oraque duruerant fignumque exfangue fedebat. 6, 198 Auic aliquid populo natorum poffe meorum; non tamen ad numerum redigar [poliata duorum 639 tendentemque manus, et iam fua fata videntem, et "mater, mater clamantem, et colla petentem 7,677 iamdudum dubito: certe fi fraxinus effet, Fulva colore foret; fi cornus, nodus ineffet. 8, 359 fertur, et Eupalamon Pelagonaque, dextra tuentes cornua, projternit. ‚Joci rapuere tacenles. (d) 3, 361 reddere de multis ut verba noviffima po/ffet. ‚fecerat hve Iuno, quia, quum deprendere poffet. 4, 996 illa, manus ut ‚forte tetenderat in maris undas, Jaxea facta manus in easdem porrigit undas: es wiederholen fich auch mehrere wörter, Metam. 1, 361 namque ego, crede mihi, fi te modo pontus haberet, te fequerer, coniux, et me quoque pontus haberet. 5, 369 iu /uperos, ipfumque lovem: tu numina ponti victa domas, ipfumque, regü qui numina ponti. 9, 791 femina nuper eras, puer es. date munera templis: nec limida gaudete fide. dant munera templis: Nnnn?2 652 W. Gxrımm: (t) 4, 336 definis? aut fugio, tecumque, ait, ifta relinquo. Sulmacis extimuit; locaque haee tibi libera 1rado, hofpes, ait: fimulatque gradu defcedere verfo. 6, 82. 7, 62. 8, 119. 195. 673. 11, 358. 14, 586. 833. (u) 6, 659 apta mihi vis eft: vi triftia nubila pello; vi freta conculio, nodofaque robora verio: induroque nives, et lerras grandine pulfo. idem ego, quum Jratres coelo [um naclus aperto, bei dem pentameter ift der zweifilbige auch hier felten, (a*) Heroid. 18, 154 indieium dubiae non placet effe viae. Remed. am. 216 flabit et in media pes tibi faepe via. Amor. II. 14, 28 et nondum naltis dira venena datis? einmal im zweiten abfchnitt Heroid. 19, 10 ponitis in varia tempora longa mora. als eine befondere zierde fcheint es zu gelten, wenn im zweiten abfchnitt die worte, aus welchen der erfte befteht, ganz oder mit geringer abänderung wiederholt werden. Heroid. 15, 40 nulla futura tua eft: nulla futura tua efl. 184 convenit illa mihi, convenit illa tibi. Ars am. 2, 204 tu male iactato, tu male iacta dato. Diftichen, in welchen der hexameter und pentameter gereimt find, begegnen fo häufig dafs beifpiele überfllüffig wären. oft ift derfelbe reim durchgeführt, öfter als bei Tibullus oder Propertius, Heroid. 3, 133 fis licet immilis, matrisque ferocior undis; ul taceam, lacrimis comminuere meis. 4, 57 Pafiphae mater, decepto fubdita tauro, enixa eft utero crimen onusque Juo. 13, 111 excutior fomno, fimulacraque noctis adoro; nulla caret fumo The/falis ara meo. 18, 71 quanto, quum fulges radiüs argentea puris, concedunt flammis fidera cuncta tuis: Amor. III. 2, 17. 6, 51. Ars am. 1, 190. 207. 311. 527. 531. 2, 745. 3, 5 71. 317..623..,Fafti 1,,339.. 4, 9.7275 3,,91-,159.:177. 839. Tritt. Tu 47. II. 445. IIL,.3, 21.4, 21..1V. 8, 1. Epift. DI. .3,25. 4,1. IH. 2,149. Ibis 39. 251. zur gefchichte des reims. mit überfüllung, Amor. I. 5, 9 eece Corinna venit, tunica velata recincta, candida dividua colla tegente coma. Ars am. 1, 527 Gnofis in ignolis amens errabat arenis, qua brevis aequoreis Dia feritur aquis. 2, 301 adftiterit lunicata: moves incendia, clama; ‚fed timida, caveat frigora, voce roga. Fafti 2, 593 vos illi in prima fugienti obfiflite ripa, ne [ua fluminea corpora mergat aqua. Ovidius fchliefst auch zwei gereimte diftichen an einander, Heroid. 11, 115 non mihi te lieuit lacrimis perfundere iuflis, in tua non tonfas ferre fepulcra comas. non fuperincubui, non ofecula frigida carpfi: diripiunt avidae vifcera nofira ferae. 19, 35 prolinus in [ummo vigilantia lumina tecto ponimus, affuelae figna nolamque viae. toriaque verfalo ducentes [tamina fufo feminea tardas fallimus arte moras. Amor. 11. 14, 25 /ponte fluent matura fua: fine crefcere nata; eft prelium parvae non leve vila morae. vefira quid effoditis fubiectis vifcera telis, et nondum nalis dira venena dalis? einmal wird derfelbe reim bis auf einen ungenauen durchgeführt, Ars am. 1, 311 in nemus et faltus thalamo regina relicto fertur, ut Aonio concila Baccha deo. ah quolies vaccam vultu [pectavit iniquo et dixit "domino cur placet ifta meo’? Die dichter aus dem zeitalter des Auguflus, bei denen fprache und metrifche kunft auf gleicher höhe ftand, habe ich einzeln und ausführlich betrachtet, gleiche umftändlichkeit fcheint mir bei den nachfolgenden, denen fie vorbild waren, nicht nöthig: die bemerkung genügt dafs der reim von {e) ihnen auf gleiche weile und innerhalb derfelben grenzen angewendet wird. ich finde bei Martialis und Iuvenalis den einfilbigen eben fo oft, den zwei- filbigen eben fo felten, und will aus jenem nur einige gereimte, auf einander folgende diftichen bemerken, 654 W. Gxrımm: Epigr. IV.45, 1 Haec tibi pro nato plena dat laetus acerra, Phoebe, Palatinus munera Parthenius. ul qui prima novo fignat quinquennia luftro, impleat inunmeras Burrus Olympiadas. 73, 1 Quum gravis extremas Veflinus duceret horas, et iam per Stygias effet iturus aquas, ullima volventes orabat penfa Sorores, ut traherent parva flamina pulla mora, iam fibi defunetus, caris dum vivit amicis: moverunt telricas tam pia vola deas. die wiederholung desfelben worts treibt Martialis weiter, vergl. II, 7. IV, 71. VII, 92. 10. IX, 98. dagegen bei andern, ich nenne nur Gratius Falifeus, Manilius, Calpurnius, Perfius, Lucanus, Valerius, Silius, Statius, fcheint mir der reim eher ab- als zugenommen zu haben. ich fuche den grund in der gefunkenen fprache und geringern kunftfertigkeit: abficht war dabei nicht. ebenfo verhält es fich mit den dichtern der folgenden Jahrhunderte: mit Serenus, Nemefianus, Lactantius, Aufonius, Claudianus, Avianus, Ju- vencus, Prudentius im vierten: mit Sedulius, Merobaudes, Profper Aqui- tanus im fünften; mit Prifeianus, Arator, Venantius Fortunatus im fechften Jahrhundert. Auf anfang und fchlufs eines gedichts befondere forgfalt zu verwen- den, war natürlich: daher erklärt fich wol dafs an diefer ftelle zuweilen der reim gehäuft ift. Calpurnius füllt damit die fieben hexameter, womit er beginnt, Statius die drei erften der Silvae, Anfonius die fünf letzten der Mofella. Einen unzweifelhaften fortfchritt des leoninifchen reims müfte man am ende des zweiten Jahrhunderts anerkennen in dem gedicht De iudicio domini, das Fabricius (f. 236) und Meril (f. 82), doch letzterer mit unficherheit, dem Tertullianus beilegen: hier herfeht der gleichklang im abfchnitt des hexameters fichtbar vor, zumal im eingang. allein man kann an der unechtheit diefes gedichts nicht zweifeln, dafs einer spätern zeit angehören muls; vergl. Bährs gefchichte der röm, lit. fuppl. 1, 18. 75. Unter den gedichten des fpanifchen bifchofs Orientius (Martene ihe- faurus novus anecdotor. 5, 19-46), der in das erfte drittel des fechften jahr- hunderts fällt, befinden fich drei, De nativitate domini, De trinitate, Expla- zur gefchichte des reims. 655 natio nominum domini, die zufammen 186 hexameter ausmachen: ein vier- tes De epithetis falvatoris noftri befteht aus fünf diftichen. in dem zweiten (£. 41.42) kommen ganz in gewöhnlicher weile ein paar einfilbige reime vor und ein paar drei- und vierfache. ein anderes verhältnis zeigt ein grofses, in. etwa fünfhundert diftichen abgefalstes, Commonitorium oder Memoriale überfchriebenes gedicht: hier ift reichlich der dritte theil mit reimen ausge- ftattet. gleich der eingang zeigt wie er vorherfcht, Quisquis ad aeternae fefiinus praemia vitae perpetuanda magis quam perilura cupis, quae caelum referet, mortem fugel, afpera vitel, ‚feliei eurat tramite, difce viam. man fieht die zweite zeile enthält einen doppelten reim, die dritte einen dreifachen, nur die vierte einen ungenauen. der zweifilbige erfcheint im pentameter fchon häufiger, (a’) f. 21 non vino madidi, non epulis gravidi. 27 primo animus capitur, poft eliam moritur. 29 primum fervitü mox fuit imperü. 35 et quod fi feierit quid tibi merces erit. 36 et quae per varias mors ruit una vias. hoc quoque quod loquimur tempore praemorimur. 38 quot patuit vitüs, tot quoque Jupplieüs. 39 pallores fletus gaudia vota metus. (n”) >14: impendens alis, ora parata alis. 32 crede mihi fieri vel mihi non fieri. 34 vel gaudere nimis vel modo flere nimis. von diefen drei rührenden reimen gehört nur der erfie zu den unerlaubten, in dem zweiten ändert die verneinung den begriff, und in dem dritten ift die partikel ftatthaft. () 21 nolo tuos hircos, nolo tuos vitulos. diefer drang zum reim im gegenfatz zu den übrigen gedichten des Orientius, wie die auffallend höhere gewandtheit in den gedanken und im ausdruck legen es nahe, das Commonitorium als ein untergefchobenes, in viel fpäte- rer zeit verfalstes gedicht zu betrachten. dafs Orientius fich am fchlufs felbft nennt, vergröfsert eher den verdacht, und das zeugnis welches Martene (f. fe) 18) aus dem Sigebert von Gemblours, der in das 11“ jahrh. gehört, bei- 656 W.Grımm: bringt, hat kein gewicht, da es aus dem gedicht genommen ift. übrigens hat man die echtheit auch aus andern gründen fchon angefochten; vergl. Bähr fuppl. 1, 72. Als älteftes zeugnis für den leoninifchen reim (vergl. Santen zum Te- rentianus Maurus f. 216. 217) gilt gewönlich die infchrift an einer von Beli- farius in der mitte des 6“ jahrh. erbauten kirche zu Rom, die Baronius annal. ad a. 538 bekannt gemacht hat, Hane vir patricius Vilifarius, urbis amicus, ob culpae veniam condidit ecclefiam. hane idcirco pedem facram qui ponis in aedem, ul miferelur eum, faepe precare deum. der reim ift zweifilbig und genau, im erften hexameter dreifach: aber zwei diftichen, die der form nach bei den claffifchen dichtern fehon möglich gewe- fen wären, können nicht als anfangspunct gelten, wobei ich noch voraus fetze dafs die infchrift nicht etwa in fpäterer zeit ift zugefügt worden. einzelne diftichen (vergl. Schuch 60-6:3) kommen noch weniger in betracht, wie etwa die infchrift auf einem eftrich vom jahr 787, Sancte memenlo deus, quia condidit ifte Datheus, hanc aulam miferis auxilio pueris. Es müffen gedichte von einigem umfang fein, wenn daraus ein fchlufs foll gezogen werden: bei denen welche in die karlingifche zeit fallen, zeigt fich der reim nicht anders als bei ihren muftern, den altrömifchen. Alcuin (geb. 735 geft. 804) wendet den einfilbigen nicht häufiger an als jene, den zweifilbigen noch feltner. das gedicht De converfione Saxo- num (Froben 2, 615”), wo der einfilbige vorherfcht, kann von ihm nicht berrühren, wie man es ihm auch nur zweifelnd beilegt, fondern gehört in fpätere zeit. In gleicher reihe ftehen Hraban (geb. 776 geft. 856) und fein fchüler Walefried Strabo (geb. 807 geft. 842), bei denen ich ein weiteres vordrin- gen des reims keineswegs bemerken kann. im hexameter zeigt er fich in den verfchiedenen abftufungen, die wir kennen. bei Walefried (Canifüi lec- tiones antiquae II. 2, 185-274 Bafnage) hebe ich nur den vierfachen heraus, (8) f. 209 ille ferox rapaxque minax mendaxque fagaxque. 246 olfactu auditu guflu f[peculamine tactu, und einen fünffachen, wo jedes wort ihn trägt, zur gefchichte des reims. 657 f. 201 fobrius ornatus jocundus cautus honeftus. der zweifilbige im hexameter ift mir bei Hraban nicht begegnet. bei Wale- fried nur einig (a’) [. 250 fit dominus tecum, femper tua gralia mecum. e male, (b*) 189 continuo redeunt gaudentes atque timentes. 193 fola tibi, veniam cunctorum praefto malorum. ähnliche und mit dem genit. pl. gebildete f. 199. 202. 210. im pentame- ter kommt bei Hraban (Opera 6) zwar der zweifilbige vor, doch felten genug, (a') f. 2030 Corduba quem genuit: Africa quem tenuit. 203 Hu mundum fine capis, lumen et arce dabis. 204F praeful in aede dei, fis memor ipfe mei. 208u# et modo qui fuimus jam modo definimus. bei Walefried, der aber die difiichen feltner als Hraban angewendet hat, nur (a‘) f. 251 quae tibi quando fero centuplicala gero. Da in Walefrieds zahlreichen gedichten der reim unhäufig ift, und man ihn in längeren ftellen vergeblich fucht, fo überrafcht es, wenn wir ihn ein paar mal bei ihm durchgeführt fehen. zuerft in einem gedicht an Gri- mald über den tod Wettins vom jahr 840 (f. 221), alfo in einem feiner letz- ten. es befteht aus 61 hexametern, die bis zum 41", wie gewöhnlich, den reim felten zeigen, von da an aber ift er bis zum fchlufs mit genauem gleich- laut faft ganz durchgeführt. ich nehme nur daraus eine zeile, die den zwei- filbigen doppelt gebraucht, (a) 45 panibus el quinis, tum pifcibus ordine binis ebenlo verhält es fich mit zwei gedichten am fchlufs der fammlung. das eine (f. 262) befteht aus 15 hexametern, darunter auch zweifilbige, (a*) 8 tale quod ex vobis referat folamina nobis. 11 vel melius fari, vel prorfus pofco negari. das andere ([. 263. 264) hat in 26 hexametern nur drei zeilen ohne reime, die aber verderbt fein mögen; auch hier ein zweifilbiger, (a) 8 cujus frons quinis (l. binis) deciesque recognita quinis endlich mufs ich noch zwei elegien anführen, die eine auf die jungfrau Maria (£.227) befteht aus drei diftichen, in welchen der reim vollftändig durchgeführt ift: die andere (f. 251) zeigtin zwanzig diftichen die eigenthümlichkeit, dafs nur einmal (zeile 33) im hexameter der reim fehlt, dagegen achtmal (zeile 8. Philos. - histor. Kl. 1851. Oo0o0 658 W. Grimm: 10. 12. 14. 16. 20. 30. 32) im pentameter. will man annehmen Walefried habe den verfuch gemacht den reim als regel durchzufetzen, was in dem kleinen gedicht auf die Jungfrau Maria gelang, nicht aber in dem grölsern, {o würde doch für diefe zeit der verfuch auffallen, da, wie wir hernach fehen werden, die regel erft am ende des jahrhunderts fich feftftellte. wahr- fcheinlicher dünkt mich daher dafs die angeführten gedichte, in welchen der reim gehäuft ift, ihm mit unrecht beigelegt werden und einem fpätern zugehören. darin beftärkt mich eine fchon vorhin bemerkte zeile, die aus einem echten gedicht entlehnt ift, wo fie (f. 250) faft ganz gleichlautend vorkommt, f. 227 fit dominus tecum, femper haec gratia mecum. In dem anfang des 9“ Jahrhunderts, fchon bevor Walefried zu dich- ten begann, mufs das 586 hexameter enthaltende gedicht Carolus magnus et Leo papa entftanden fein, über deflen verfaffer man nur vermutungen hat (Bähr fuppl. 3, 85. 86). er verräth nicht geringere bildung als die eben befprochenen beiden dichter der karlingifchen zeit. in der anwendung des reims ift er weiter gegangen, der viel häufiger hervor tritt, namentlich in den erften 150 verfen, wo er entfchieden überwiegt; der verfafler, fcheint es, bemühte fich anfangs ihn ganz durchzufetzen, gab es aber wieder auf. der zweifilbige kommt bei ihm nicht vor: zwar eine zeile fcheint ihn zu enthal- ten, wo er aufserdem ein rührender und zwar ein unftatthafter wäre, 429 namque pote/ft legio omnis et hinc exercitus omnis, aber ich ändere poteft (celfo de colle videri) legio, amnis, was auch einen beffern finn gewährt. in drei zeilen wiederholt fich das reimwort, (0) 61 fulget in orbe potens, prudens gnarusque, mode/lus inlufter facilis doctus bonus aptus honeftus mitis praecipuus iuflus pius inclitus heros. Das denkmal das zunächft berückfichtigung verdient, ift die grab- fehrift auf Ludwig den frommen zu Metz (Hiftorie litieraire de la France 4, 587), der im jahr 840 ftarb; fie mag bald nachher verfafst fein. Imperü Julmen, Francorum nobile culmen. erutus a faeclo conditur hoc tumulo, rex Ludowicus pietatis tantus amicus quod Pius a populo dicitur et titulo. zur ge/chichte des reims. 659 Hildegard foboles, Caroli Magni pia proles, in pacis metas colligit hunc pietas. Humelicum villam, quidquidve refertur ad illam, Arnulfo fancto contulit huieque loco. ‚flirps a quo procerum, regumque vel imperatorum, quorum muneribus fiftitur ifte locus. man fieht der reim fehlt nie und ift ebenfo oft zweifilbig als einfilbig. Einige kürzere infchriften aus diefer zeit, die Schuch (f. 60. 61) beibringt, zeigen gleichfalls den reim, wiewol man bei folchen veran- laffungen eine befondere forgfalt und zierde, wofür der reim wohl galt, vor- aus fetzen mufs: gröfsere gedichte allein können das verhältnis darftellen. In den fchlufs des 9" jahrhunderts fallen die in hexametern und in diftichen abgefafsten gedichte des Conftanzer bifchofs Salomon (Canifi lect. ant. Ill. 3, 239-250), der 919 ftarb. hier ift der fieg des reims, der im ganzen genau ift, entfchieden, und zeilen wo er fehlt kommen nur noch vereinzelt vor. der zweililbige ift auch im hexameter vorgedrungen. (a*) Sf. 240 non contemplamur cum mulua famina famur. En hen non miferet patris, nulla ef miferatio malris. at vero gentes flulte fimulacra colentes OD m 8 DS je) haec eft [umma quidem, quod coepi feribere pridem. [X2} DS Ss oa quanto plus dederis, tanto plus danda mereris: arca cluit dando, vacualur et ipfa negando, 246 iftie dum viguit nil mihi trifte fuit. cum perpeffus eram: nil paliens fueram. 247 turba beatorum Meffiae difcipulorum. ergo quid facimus, quod declinare nequimus. (b*) 240 Hierufalem, dans figna gementi five dolenti, (p) 249 nos neque repetit, quem pelra mer/a tegit. accipe folamen, quod feis [pondere creantem. Der Waltharius ift von einem Sangaller geiftlichen Eckart I. wahr- fcheinlich zwifchen 920-940 verfafst, hernach von einem genoffen Gerald, magifter fcholarum, der nach 965 dem bifchof Erkanbald das gedicht zu- fchickte, gepflegt, und im folgenden jahrhundert von Eckehard IV., in der abficht die fprache der claflilchen näher zu bringen, überarbeitet. es fällt auf dafs nur der kleinere theil mit dem reim geziert ift, während er bei dem Oo0002 660 W. Grimm: früheren Salomon, über deffen zeit kein zweifel fein kann, fchon entfchie- den durchgeführt war. den zweifilbigen, auf den es jetzt vorzüglich an- kommt, habe ich in den 1456 hexametern, aus denen das gedicht befteht, ziemlich felten gefunden; ich rede hier nur von dem genauen, der ungenaue ift häufiger. (a) 64 ibant legati totis gladüs fpoliati, 88 non incufamur, fi talibus aequiparamur. 266 his armillarum tantum da Pannoicarum, 556 cultores regionis, et en galeam Haganonis 1146 an joli infidias facerent propiusque laterent. 1202 five [uperborum crepitantia frena virorum, 1372 fed caffis fabrefacta diu meliusque peracta der dreifache (f) kommt mehrmals vor, z.b. 128. 372. 508. 1156. 1233. 1384, der vierfache nur einmal, (g) 1273 unice enim carum rutilum blandum pretiofum auch der binnenreim ift häufig, (i) 526 hoflibus invifus, fociis mirandus obitat, 923 hie vero metuenda virum tam bella videres. 1363 ictum praevalidum ac mirandum fecit, eique 1445 imponunt equiti, et fie difiecti redierunt, 1446 Franci Wormatiam, patriamque Aquitanus adipit. ein rührender, (n) 1216 fi modo fupremis laus defit, dedecus affit. derfelbe reim in zwei zeilen, fo dafs auch die fchlufswörter zufammen- ftimmen, (0) 74 pergit in exilium pulcherrima gemma parentum. pofiquam complevit pactum flatuitque tributum, 105 donec iam cunctos fuperarent fortiter Hunos. militiae primos tunc Altila fecerat illos, 134 prae cunctis temet nimium dilexit amicis, quod volo plus factis le quam cognofcere dictis. und ferner 90. 158. 279. 384. 386. 490. 494. 1009. 1222. 1399. manch- mal wiederholt fich der genaue reim nur dreimal in den zwei zeilen, 237 quid lingua fimulas quod ab imo pectore damnas, oreque perfuades toto quod corde refutas? zur gefchichle des reims. 661 731 eminus emiffis haud aequo Marte fagittis Waltharium turbans. contra tamen ille virilis 1353 fed iam faxo, locum propius ne accedere tardes; ecce luas feio praegrandes in corpore vires, ebenfo 573. 935. 958. 1287. 1316. 1389. Im ganzen alfo fteht in beziehung auf den reim Waltharius den claffı- fchen oder vielmehr den gedichten des achten jahrhunderts näher, wiewol er ihn doch häufiger gebraucht als Hraban und Walefried, und fichtlich begünftigt; es gelang ihm nur nicht ihn durchzuführen. die bemühung Eckeharts IV. die fprache des gedichts zu reinigen, kann den reim nicht etwa entfernt haben, denn in deflen eigenen gedichten auf den heil. Otmar (Pertz 2,55) ift er eine nothwendigkeit und der zweifilbige fogar vorherfchend. Eckeharts I. ftrenge, faft herbe darftellung weift auf die frühere zeit: wie vil zierlicher, anmutiger und umftändlicher drückt fich der dichter Rudliebs aus, der doch nicht viel jünger ift. auch Geralds einflufs kann nicht grofs gewefen fein, darüber läfst fein prolog (Lat. ged. 59) keinen zweifel: wie er fich auch am Waltharius mag betheiligt haben, hier, wo er felbft fpricht, fügt er fich gänzlich der form feiner zeit, und in den zweiundzwanzig an 5 Erkanbald gerichteten zeilen vermifst man nur einmal (zeile 4) den endreim, der aber durch binnenreime hinlänglich erfetzt ift. ich komme hernach noch auf ihn zurück. Bei Hrosuith (* 984), die fich der zeit nach anfchliefst, erfcheint in dem gedicht De geftis Othonum der reim in voller geltung: der einfilbige ift regel, der zweifilbige unhäufige ausnahme. es wird genügen, wenn ich von hier an nur die reimwörter anführe, (a’) geftorum : tuorum 162, 13 Reuber. gentem : habentem 163, 37. perfectorum : virorum 168, 39. moerenti : do- lenti 164, 41. (p) habitantes : gentes 162, 9. plebi : fideli 164, 18. regem: ‚fidelem 168, 35. Die zeit des Theodolus, der eine ecloge von 312 hexametern verfafste, ift ungewis: man fetzt fie in das jahr 980. da der reim zwar durchgeführt, doch bis auf ein paar ausnahmen (/raude puellari me non patiar fuperari 317) einfilbig ift, fo könnte fie älter fein und in den anfang des Jahrhunderts gehören. Das gedicht De nominibus voluerum ferarum lignorum pifeium (Alt- deutfche blätter 1, 348-50. Haupts zeitfchrift 5, 360. 361) fetze ich an das ende des 10‘ jahrhunderts; es befteht aus 53 hexametern. der reim herfcht 662 W. Grımm: darin ebenfo wie in den gedichten des bifchofs Salomon: nur zwei zeilen (wenn fie nicht verderbt find) 11 und 30 haben keinen endreim, wol aber den binnenreim: der einfilbige ift wie dort bis auf zeile 3 genau: der zweifilbige ziemlich häufig und auch wol ungenau. (a*) caeli: fideli 1. frin- gellus : amarellus 8. paucar um : ferarum 22. digna:ligna 35. cornus : ornus 42. ballena : murena 53. (p) nifus : pieus 2. turtur : vultur 4. dee- ri: refidebit 14. vibex : ilex 40. [ambucus : paliurus 46. ‚falices : vites 47. Von dem mönch Fromund zu Tegernfee, deffen gedichte in den an- fang des 11“ jahrh. fallen, find kleinere in hexametern und diftichen abge- fafste fiücke vorhanden, wovon der gröfsere theil, etwa 700 zeilen, bei Pez thefaurus anecdotor. 6, 167-188 abgedruckt ift. der reim hat zwar entfchie- den das übergewicht, fehlt aber nicht felten, in einigen gedichten mehr, in andern weniger. fo find in dem 17" die zwanzig hexameter, aus denen es befteht, faft fämtlich reimlos: felbft im pentameter mangelt er zuweilen, wie z.b. im 18" gedicht. der reim ift einfilbig, den zweifilbigen habe ich nicht oft gefunden, im hexameter (a*b’c’) divellor : pellor 1. feite 167, ambo- rum : domorum 9, 171. prifcorum : feeptrigerorum 9, 172. regnorum : ma- lorum 10, 174. fervorum : tuorum 12, 177. rebus : diebus 13, 178. multo- rum : malorum 16, 180. im pentameler pariter : iter 10, 174. folü : imperü 12,176. flamen : amen 13, 177, dazu kommt noch ein diftichon, 13, 178 portent gaudentes cunctae fua munera gentes congrua dona jibi, Caefar amande, tibi. auch einige ungenaue, (p) ullus: urfus 6, 171. traham : pfallam 11, 175. noftris: hoftis 12, 176. dulcifono : domo 15, 179. fomni : Ponti 15, 180. parens : habens 20, 183. Diefen gedichten laffe ich folgen die beiden prologe in der chronik Dietmars von Merfeburg, die er im jahr 1012 begonnen hatte. der eine fteht voran, der andere zum lobe des kaifers Otto vor dem dritten buch (Pertz 5, 733-34 und 758); jener enthält 42, diefer 25 hexameter. der reim ift immer genau (733, 20 muls benignus ftatt benigne gelefen werden) und in dem erften prolog ea 2 in dem zweiten immer einfilbig. wo er in jenem fehlt (733, 22. 27. 734, 10), ift ein binnenreim dafür ge- fetzt, in diefem fcheint er nur einmal zu fehlen. 758, 3 fede patris magni, vivens per fecla fecundo ( fucceffu) doch im frühern text ftand richtig ‚felici. zwar hat Dietmar felbft bei der letz- zur gefchichte des reims. 663 ten durchlicht feines werks im jahr 1018 dafür fecundo gefetzt, aber mit un- recht oder in übereilung, denn er nahm bei diefer änderung auf den reim keine rückficht. der zweifilbige kommt nur im erften prolog vor; (a*) afferibatur : variatur 733, 33. futurorum : bonorum 734,7. predeceffo- rum : meorum 734, 19. Thietmari : amari 734, 21. ich bemerke noch (n) nunquam : quicequam 733, 35. Befondere erwägung verdient das durch innern gehalt darftellung und fprache ausgezeichnete gedicht von Rudlieb; nachträge zu der ausgabe in den lateinifchen gedichten des X. und XI. jahrhunderts hat Haupt in der zeitfchrift 1, 401-404 geliefert. die nothwendigkeit des reims ift hier fo entfchieden, dafs die wenigen zeilen, wo er fehlt (III, 525. IV, 118. VI, 4. IX, 12), kaum in betracht kämen, wenn fie auch nicht durch verderbnis des textes follten herbei geführt fein. einiges eigenthümli- che will ich voran ftellen. der dichter verwendet auffallend oft einfilbige pronomina; nur der leichtern aufftellung wegen laffe ich das pronomen voran gehen, während es am häufigften im zweiten reim fteht, me: fe VI, 30. me: audire I, 87: defervire Il, 25: notificare Ill, 282: eloquere Il, 283: fepe- lire VI, 54: refpondere XVI, 10. me: rege Il, 200: domine II, 201: di- ‚Jtriete II, 206: infide VI, 35: vafe VI, 52. dreifach, velle:te:me UI, 542. ille : minime : rogitasme XNV1, 5. furtive : amare : me XNVI, 84. ebenfo Se : applicuere Il, 93: valete III, 221: habe III, 509: ligare III, 595: Zu- fiffe X, 79. fe: cliente III, 449: die Ill, 594: curte V, 36: rifibile VI, 12: /ponfae XIV, 65: omne XVII, 32: coelefte XVII, feite 198: propere Haupt 404, 58. te : me Il, 541. X, 73. te: tefte Il, 88: natae Il, 208: pofce Il, 467. fuperbe III, 479: poteftate Il, 504: nocte V, 6: vae VI, 85. ferner is: difpofitis TIL, 143. aquis: his Haupt 401, 4. endlich nos : vos XVII, 25: mos XIV, 40. im Waltharius finde ich nur me: fludiofe 249. jufte:te 659. his: eftis 1106. er gebraucht wie Otfried (oben f. 532. 533) die pronomina im rührenden reim, amplexando fe : deiciunt fe IL, 91. induerant fe : falerant fe Il, 576. fallant te: fallan- tur et a te 1ll, 537. inter nos : velut nos Il, 224. intro quem : foras quem XV, 37. haec :iftaec III, 176. auch findet fich ubicumque : uterque I, 111. nunquam : quem Ill, 271. ich weils nur nunguam : quicguam bei Dietmar von Merfeburg daneben zu ftellen. endlich reimen im Rudlieb nicht felten auf einander die endigungen der adverbien pariter : libenter : audacter : jocu- 664 W. Grımm: lanter u. f{. w. I, 8. 65. III, 34. 490. 512. 590. V, 33. VII, 65. VIII, 41. 47. X, 77. XV, 58. Haupt 403, 10. Offenbar mufs man hier eine befondere, bei andern nicht gewöhnli- che anwendung des reims erblicken, die darauf hinweilt, dafs der verfaffer die gefetze des deutfchen reims beffer kannte als die übrigen lateinifchen dichter jener zeit. auffallend ift der ungenaue einfilbige, der fich hier ne- ben dem genauen, ganz entfchieden vorherfchenden zuweilen zeigt und, da jeder vers einen reim verlangt, nicht bezweifelt werden kann. ich wähle die beifpiele mit rückficht auf den wechfel der vocale, ingenitam : nobilita- iem 1, 2. fu/pirans : flens I, 69. repetunt : dant Il, 47. jubet : habebat II, 48. inclinet : inquit IL, 76. nos : veniamus Il, 128. 148. inaequales : nos 1. 139. int : [unt IL, 177. velint : funt Ill, 536. condignas : grates Ill, 46. hue :iftie Il, 58. concordent : fuerunt II, 69. veficam : minutim IL, 120. viduas : pupillos Ill, 241. dilectos : fodales Ill, 563. vultur : cadaver VU, 23. nos: fraus XVII, 18. viel feltener find die confonanten ungenau, wo dann der vocal gleich fein mufs, nos : mors I, 110. hune : voluerunt \V1, 125. während der einfilbige reim immer noch die mehrzahl ausmacht, hat fich der zweifilbige im verhältnis zu den bisher angeführten gedichten fo fehr ausge- breitet dafs ich mich auf beifpiele befchränken mufs, (a* b* c’) deferviffe: meruiffe 1, 5. convivatur : jocatur I, 105. catum : beatum 1, 135. praecur- forem : bicolorem 1, 140. donorum : variorum 11, 4. bona : dona 1, 46. rumoris : honoris Il, 121. more : amore II, 167. praepediabantur : confili- antur II, 217. ditari : tenuari Il, 222. lorifregi : recepi Il, 226. bello : duello II, 243. firmatur : adbreviatur Il, 23. redduntur : queruntur Ill, 24. con- venerunt : conflituerunt J1l, 27. parma : arma Il, 47. igne : maligne UI, 66. quingenta : talenta III, 78. tollebant : gerebant 11, 86. butina : bina III, 105. moramen : famulamen Il, 191. lameniamur : gregamur Ill, 237. re/urgendo : gemendo III, 285. pertractemus : demus Ill, 297. fervifti : fei- ‚fi III, 298. oblivifei : reminifei Il, 299. illis : lapillis TIL, 376. cenfu : fenfu III, 431. audito : ito III, 447. primis : imis III, 450. praedico : amico II, 451. dira: ira 1Il, 454. fubfannando : joculando V, 124. tollatis : debili- tatis VI, 78. commater : frater IX, 3. mures : fures XII, 4. veniffent : fte- tiffent XIV, 6. poffemus : habemus XVI, 127. vincentur : perimentur XVII, 9. herbarum : variarum Haupt 401, 27. venatar : amator 402, 36. fucce- dente : repente 402, 63. gaude : laude 404, 45. häufig ift der zweifilbige zur gefchichte des reims. 665 ungenau, fei es durch verfchiedene vocale oder verfchiedene confonanten, z.b. (p) dignaris : probabis 1, 137. corde : ore 1,53. IV, 54. demandafti: parati II, 60. noftris: veftris II, 62. melius : alius II, 87. tefte: de tell, 88. audiffet : adeffet Il, 90. illos : amicos 11, 106. impunitos : inimicos I, 115. fibi: dixit I, 176. ferrent : effent IL, 250. cameli: muli III, 167. vivit : mifit III, 227. iufte : honefte UI, 240. tibi: meruifti III, 249. pro- deffe : tribuiffe III, 300. latro:arto II, 443. fperat :verfat III, 465. valedicunt : figunt Il, 558. fido : amico UI, 571. revertamur : queamus Il, 610. effet: poffet IL, 616. XIII, 31. vidua : amica IV, 105. proterve: Juperbe V, 44. credo : crebro VI, 2. maritali : confociari WII, 57. XIV, 25. celarunt : amarent IX, 29. conclave : matre X, 36. Juras : doli- turos XUI, 78. amborum : divitiarum XIV, 60. jigillata : parva XVI, 20. Jufeepit : recedit XVI, 22. pallet : alget XVI, 32. dotem : omnem XVI, 45. mater : operalur XV], 85. feiret : praetitularet XVI, 104. ein paarmal wird dem einen reimwort noch ein confonant angehängt, no/ter : honefte II, 170. aqua : diffluitabat I, 608. male : grates XVI, 128. einige meift ungenaue dreifilbige, die ich anderwärts bisher nicht bemerkt habe, pranderemus : biberemus Il, 127. deponebant : volebant Il, 220. armatos : paratos II, 234. faltabant : variabant lll, 88. fervabo : temerabo Ill, 440. uxori: pudori V, 112. man fieht es gelten die freiheiten Otfrieds, und diefen entfprechen auch die zwei eingerückten deutfchen reime liebes : loubes und wunna : minna XVI, 67. 68. noch häufiger als im Waltharius zeigt fich der dreifache reim mit den bekannten verfchiedenheiten der ftellung, z. b. I, 30. 40. 63. 75. 128. 138. UI, 13. 72. 229. 253 u.f.w. ich hebe nur eine ftelle aus, weil ich eine bemerkung dazu machen mufs, (f) I, 30 efi quod ait verum, dietum fibi vult fore verum. nach dem gefetz des deutfchen reims wird die unerlaubte berührung in ve- rum durch das dazwifchen geftellte dicıum aufgehoben. aufserdem habe ich den rührenden nur einmal gefunden, (n) III, 359... ne poffint cerni maiuscula fi fint. der vierfache, der im Waltharius nur felten begegnet, kommt hier oft genug vor: einige beilpiele, (g) 1.50 arrepto freno, monito calcare poledro, II, 41 omnibus ille locus eft vifus ad hoc falis aptus, III, 31 eius praefulıbus tunc praebilus eft amor ipfius. Philos.-histor. Kl. 1851. Pppp 666 W. Grimm: 214 orant et pro te fludiofe nocte dieque, 400 carta perlecta fiunt ibi triftia corda, IV, 79 et tuus eft panis folaminis omnis inanis, V, 101 ni folus nafas curcus fuit et varicofus. V, 102 fiant oculi gemini velut effoffi tenebrofi. X, 24. XIII, 82. fercula poft multa poft pocula totque fecuta XV, 5 nam denos aunos, quos tu fueras apud [4fros], XVI, 28 dum tam praeclarum coneinctum viderat oftrum, über den vierfachen hinaus wird der reim gelfteigert, (h) I, 125 caflris ingreffis, pueris et equis ftabulatis, I, 39 funt ubi vieti veftri noftrique redempti 130 o nofiri domini miffi [ummique patroni, 137 virlus mira tua, pielas, tu magna Jophia III, 141 praejidibus pulchris madris crifisque poledris, eine gefuchte anhäufung ahmt den fprechenden vogel nach, VII, 22 u/que "qui es in coelis lis lis lis triplicatis, beifpiele von dem ziemlich feltnen binnenreim, (i) II, 3 non folis verbis quorum fatis eft inveniemus, (i*) III, 83 aique leopardi gemini binique leones, XII, 5 accuruntque coci, tollunt properantque parare. fpielerei fcheint, XII, 73 nunc hunc, nunc dominos, nunc gratificat refidentes. eine andere eigenthümliche ftellung, II, 177 “induciae quo fint laudatae quandove, dic, funt‘?” ebdomadae tum praetereunt tres, induciae Junt denn hier ift der binnenreim in beiden zeilen durchgeführt und die fchlufs- wörter wiederholen fich. ähnlich, XIV, 13 et plures alü comitantes his famulari. his vinum ferre iubet illo pro famulari; am fchlufs dasfelbe wort in zwei auf einander folgenden zeilen haben wir fchon bei den claffıkern gefunden, fo auch, (f) II, 29 nofter pontifices ut idem facerent iubet omnes, et poft abbates ex ordine bafiat omnes. der durch zwei zeilen geführte reim ift ungleich häufiger als im Waltharius, fowol der vierfache als der dreifache: dahin I, 34. 113. I, 200. 222. zur gefchichte des reims. 667 II15.81., 9459744245100 166,220 2630336 - 369. 376. 397. 452. 467. 543. 554. 594. IV, 9. 85. V, 64. 96. VI, 59. 77. 4024110. 113. VL 33227. RTL RIEE 121460569 74: XVI, 90. XIX, 11. ich merke nur ein paar mit dem zweifilbigen an, (0) Il, 18 ofcula datque Jıbi: "quid narras”, poft ait illi, omne bonum dici tibi de me fat meruifti? VII, 51 is fe moviffe, fed cernitur illa nata/ffe. neutrum, faltaffe, neumas manibus variaffe, XIII, 1 quos miles virga perterrens cogit ad arva. miratur domina domicellarumque calerva, wiederholung desfelben worts in der mitte beider zeilen, III, 505 nec quid ei praeftes, veraciter id quia perdes. cum rogat ut praejftes, eft tunc melius, ‚Jibi quo des; V, 50 ['nefeio qui)s fitis, ait is, “ftulte fatis itis, [nefeio qui)s füis, nunc nobis quidee velitis. VI, 52 inclufam vaje vultis [ubmergere fi me, deforis in vafe, quod ‚feci, notificate, überfchlagende reime in vier zeilen, UI, 186 auratas parmas, lituos ad bella canoros, inque fuos libras fexaginta tribuendas. et poft praefidibus det equos ‚Faleris redimitos, alque fwis denas cunctis libras tribuendas. das genügt dem dichter noch nicht, er häuft den reim in beiden zeilen, II, 5 eft ut equis frenis, auro compte ‚Faleratis, pellieüs cerifis, varicofis, five crujfennis. vergl. 160. III, 142. 115 quos inpunilos, quamvis meritos, inimicos reddere, laudares in nulla re nichilatos, III, 131 fimia nare brevi, nate nuda murcaque cauda, voceque milvina, cute crifa catla marina, 135 auxit cum pfitachis binis coreisque gemellis, monedulis, flurnis doclis garrire loquelis, ferner III, 282. V, 2. V1, 59. er läfst mehrmals den reim durch drei zeilen ziehen, IIl, 244 ergo tui cuncli cum [unt hoftes nihilati, partim defuncli, partim membris mutilati, Pppp2 668 W.Grımm: illorum nulli tibi quid plus [unt nocituri. 266 pro fola matre lacrimis perfunditur ore. id refeifeente populi rumore fodale, ultra credibile nimium fit mentis acerbae; 306 pafcha fuit tecum mihi femper coltidianum, Semper habens multum vel honorum five bonorum a te non folum, fed ab unoquoque tuorum. ebenfo V, 49. VI, 52. XVIH, ec, 5. ja durch fünf zeilen, III, 139 loricis, galeis ducibus, feutis .... alatis, munerat altque tubis auro pra poft decoralis, praefidibus pulchris madris crifisque poledris, militibus [ummis feu pelicüsve chrufennis. his ita dispofitis modicum requiefcere vult is. Nach Schmellers vermutung (Latein. ged. f. 225) hat der mönch Fro- mund auch den Rudlieb und zwar des ziemlich weltlichen inhalts wegen in feiner jugend gedichtet. ich kann dem nicht beifiimmen, dort ift der reim noch nicht ganz durchgedrungen, hier fehlt er kaum in einer zeile, und der zweifilbige, der dort nur vereinzelt erfcheint, ift hier weit vorgerückt; fchon aus diefem grund fprechen jene gedichte ein höheres alter an. dazu kommt dafs von den bemerkten auffallenden eigenthümlichkeiten des reims bei dem mönch keine fpur fich zeigt. ich bringe dabei das geiltige übergewicht noch nicht in anfchlag, das fich entfchieden auf der feite Rudliebs findet: die kühne auffaffung und behandlung der fage, der verftand und die weltkenntnis, endlich die gewandtheit in gedanken und ausdruck verraten nicht einen jugendlichen dichter, fondern fcheinen die frucht eines gereiften mannes zu fein. Weit abftehend an innerm gehalt, ift doch, was den reim und deffen häufige anwendung betrifft, die Ecbafis captivi neben dem wol nicht viel ältern Rudlieb zu nennen. die eigenthümlichkeiten, die dort hervor zu he- ben waren, findet man hier nicht, nur im rührenden reim (n) quidam : quid- dam 17. nunquam : quisguam 671. quicquam : quemquam 1058. quemquam: unguam 1109. aufserdem berühren fich prodeft : obeft : probatum eft 43. adeft :non eft 793. abeft: prodeft 895. quod non vult :quod vult 746. pardo : leopardo 757. der zweifilbige bleibt auch hier noch in der minder- zur gefchichte des reims. 669 zahl, ift aber eben -fo hänfig: einige beifpiele, (a’) dietandi : vagandi 6. mufcarum : ferarum 242. damnetur : voceltur 524. aplandis : piperandis 645. prifeorum : avorum 664. vefeuntur : fruuntur 686. pater : frater 748. (p) geflarum : patrum 34. totam : tortam 43. feci : replevi 269. fabae : palmae 250. aper : acer 648. auch ein dreifilbiger, 232 me circumvolitabant, dente fed a/peritabant, und ein doppelreim, 471 totus conticuit grex, atque crucis filuit lex. der dreifache ift verhältnismäfsig (das gedicht enthält 1226 hexameter) ebenfo häufig wie im Rudlieb: auch der vierfache fehlt nicht, (3) 903 tunditur expuitur deluditur atque negatur, 979 fit vox omnigenum volucrum pecudumque ferarum, binnenreim öfter im Rudlieb, (i) 291 blandus corde fapor, fragrans odor, apta voluptas, 607 nec pes ire valet, nec cervix praevalet il. ebenfo 631. 698. 1086. 1092. 1167. zwei reimpaare, (k) 158 quwid calidum gelidum, dominorum quid famulorum, wiederholungen desfelben reims in zwei zeilen haben, dem Rudlieb gegen- über, bedeutend zugenommen, die nachweifung aus den erften 200 zeilen zeigt das verhältnis, das fich in den folgenden nicht mindert, 8. 11. 15. 23. 39. 46. 50. 116. 121. 149. 165. 186. 215. auch die wiederholung in drei zeilen ift angewach[en, man fehe 5. 30. 54. 110. 420. 557. 613. 771. 884. 959. 1034. 1095. 1128. 1158. einmal 1096-97 wird zugleich am ende dasfelbe wort wiederholt. ein beifpiel mufs ich anführen, wo nemlich der dreifache reim wiederholt wird, fo dafs er neunmal auf einander folgt, 714 non eft periurus neque fordidus ac furiofus, comis et urbanus, animo pius, ore ferenus, confilio cautus, moderatus, pacis amicus, An diefer ftelle will ich der lateinifchen fprüchwörter Wippos, capel- lans des kaifers Heinrich III. gedenken, die er um 1027 -28 fchrieb (Canifüi lect. antiq. 1, 190. Fabricii bibl. lat. med. aevi 1, 447 Manfı. Altd. blätter 1, 12). fie gehören infofern nicht hierher als fie nicht in hexametern abgefafst find, fondern mit zwei endreimen ein einfaches reimpaar darftellen: aber ich thue ihrer erwähnung, weil in den 78 zeilen nur ein mal z. 15 der ein- 670 W. Grimm: filbige reim res : /pes vorkommt, die übrigen alle zweifilbige find und zwar ganz genaue. man fieht daraus in welcher geltung diefer reim damals ftand. Von Eckehart IV. (ftarb 1036) war fchon beim Waltharius die rede. in feinen gedichten auf den heil. Otmar (Pertz 2, 55-58), die gegen 200 hexameter ausmachen, unter welchen kein reimlofer fich zeigt, ift der ein- filbige zurück gedrängt und der zweifilbige hat die oberhand gewonnen. ich finde jenen nur einige male, z.b. (a) vehemens : urgens 55, 10. trepidat:: geftat 55, 39. duas : coronas 56, 22. obüt : [uperavit 58, 2. der zweifilbige ift genau, z. b. (a’) pelago : imago 55, b. caedat : laedat 55, 25. pincerna: phalerna 55, 31. inflatus : hiatus 55, 33. Otmarus : amarus 56, 3. Ecke- hardos : tardos 56, 42. fpectando : amando 57, 11. pacem : tenacem 57, 44. dicta : viela 58, 9. ebenl[o oft ungenau, z. b. (b*) iuflum : caflum 55, 4. pedes : perpes 55, 9. contingunt : pangunt 55, 21. nullo : Gallo 55, 41. viros : vivos 55, 0. fancta : cuncta 57, 27. figens : lugens 58, 16. fonft bemerke ich noch, (f) 58, 24 ut veniat ad nos, rogo, quosque pelalis egenos, (1) 57, 29 ‚Fur foleas rapuit, complofas aique reiecit. (n) 57,-22 numquid ait: mala funt mihi quae cano vel, roga, profunt? Hermannus Contractus (* 1054) verfalste in etwa 300 diftichen ein gedicht De conflietu ovis et lini, das Meril 379-399 bekannt gemacht hat. der reim fehlt zwar in keiner zeile, doch herfcht der einfilbige noch entfchieden vor, und in fo weit ift Hermann vor Eckehart IV. zu fetzen. der zweifilbige fteht etwa fo oft als im Rudlieb und in der Ecbafis, auch ift er öfter unge- nau: dabei zeigt fich im gegenfatz zum Rudlieb die eigenthümlichkeit, dafs faft immer die vocale gleich, die confonanten verfchieden find. ich will die nöthigen beifpiele ausziehen, fimplex : fpecies feite 386. profert : ‚Fovet 357. hoc: maior. ftellas : moveat 388. aliquis : pulabit. breviter : pla- cet. domus : efficitur 390. mundat : flolas 392. vetus : aliud. hac : careat. ‚felix : albis 394. faeturus : praeful 395. felix : capit. eft : fides 397. nomen: idem 398. verfchiedene vocale mit gleichen confonanten habe ich nur zweimal gefunden, fanctas : ufus 395. totum : orbem 396. es kommt auch vor, dafs in einem reimwort ein confonant angehängt wird, der in dem andern fehlt, fo reimt einfilbig Zrahitur : diu. fubit : fibi 382. mirari: nequit 386. exor- nat : thiara. Moy/is : novi. noftri : generis 391. fummi : pontificis. Jacob: duro 392. manu : cultus 394. oculos : meo 396. ich enthalte mich der bei- zur gefchichte des reims. 671 fpiele von dem zweifilbigen genauen reim, der einige zwanzigmal erfcheint. ebenfo oft der ungenaue, mit verfchiedenheit der confonanten, z. b. campi: vocari. feges : lenet 379. fiylo : replico. cernis : herbis 330. nullum : ufum. velis : iacebis. palulo : nudo. manibus : penitus 381. promeritas : animas. vili: ibi 382. ovis : orbis 389. tangis : tranfis 390. aleret : effet 399. ein paar- mal der dreifache reim, fo wie zwei reimpaare. auch der rührende kommt vor, (n) 396 ille fubire poteft cui dolus omnis abet. 397 agno iure fubeft, qui facit omne quod eft. nur einmal ift derfelbe reim im diftichon durchgeführt, 383 haec et in oblongum formans lac pingue butyrum non efcam tanlum, fed facit antidotum, Petr. Damianus ( 1072) verfalste feine eigene grabfchrift in fieben diftichen (Schuch f. 63). fie beginnt Quod nune es fuimus, es quod fumus ipfe futurus. his fit nulla fides, quae peritura vides. ‚Frivola Sinceris praecurrunt omnia veris, Juccedunt brevibus faecula temporibus. hierauf einfilbige reime und nur noch im pentameter des fünften diftichons proprium : principium. im letzten pentameter fogar der unvollkommene reim gemilu : deus, wie wir ähnliche bei Hartmanns Contr. gefunden haben. In der aus fechs diftichen beftehenden grabfchrift Siegfrieds, abts zu Tegernfee, deffen briefe in die mitte des 11“ jahrh. fallen, herfcht der zweililbige reim vor (Pez thef. anecd. 6, 1, 242); ich theile die zwei er- ften mit, Abbas eximius tumba fitus hac Sigefridus, omnia dum vinguit terrea deferuit. ac paupertalis fufcepit onus grave gralis, vivat cum domino dives ut hoc pretio. In der zweiten hälfte des folgenden jahrhunderts zeigt Herrad von Landsberg (*- 1195) in dem aus 75 diftichen beftehenden gedicht De lapfu carnis (Hortus deliciarum f. 153) noch keine wefeniliche verfchiedenheit: der reim ift durchgefetzt, aber der einfilbige ift in der minderzahl, und ift fogar einmal ungenau, faciet : vidit feite 157, und zweimal wird eft gebun- 672 W. Grimm: den mit requies und fames 153. 154. der zweifilbige ift öfter ungenau. ein paarmal erfcheint der dreifilbige im pentameter, feite 154 fervet avarilia, rumpilur invidia, 156 quidquid in hoc oritur praeterit et moritur. von dem dreifachen, der nicht felten ift, verdienen einige beifpiele angeführt zu werden: im hexameter, (f) 153 eft opus ut comedai, rurfum bibat atque quiefcat, 155 Junt illic vermes ferpentes atque dracones, zugleich mit einem dreifilbigen binnenreim. 153 perpelitur culices pulices et mille dolores. mit wiederholung desfelben worts, 155 quidquid eos torquet, fic torquet ut e/fe refervet, im pentameter, 15. yon mentem perturbant dilacerant hebitant. marcent praelereunt inlereunt pereunt. 156 nam mihi ut lieuit, paruit ut potuit. weiter bemerke ich, (g) 155 ieiuna, vigile, commi/fa pia prece vela, (h) 153 efurit atque fit comedit bibil atque quiefeit: (k) 156 quae volui fuit, tua iuffa falubria [previt: der rührende reim zeigt fich öfter: im hexameter, (n) 154 hune fpes impellit, formido tremorque repellit. 155 ne careas vita, ludos fpectacula vita: im pentameter, 155 appete quod prodeft, refpue quidquid obefl. 156 fi finis bona eft, nee tibi finis obeft. morlem non adimunt, vivere non redimunt. aber auch der unerlaubte wird zugelaffen, im hexameter, 155 ut fugias mortem vivens infer tibi mortem. 158 ut vietor mortis aditur (1. aditum) claudat tibi mortis, im pentameter, 157 nam quicunque perit, fe quoque tefte perit. In den eclogen des Metellus von Teegernfee (Canifii lect. antig. III. 2,179) hat der hexameter zweifilbige meift genaue reime, denn fie fallen nicht, wie der herausgeber meint, in das jahr 1060, fondern find, nach zur gefchichte des reims. 673 dem zeugnis das Bafnage beibringt, um ein jahrhundert jünger. hier alfo war der weitere fchritt gethan, nemlich der einfilbige reim völlig ausgewiefen. In diefe zeit fetze ich ferner, des durchgeführten zweifilbigen reims wegen, die aus etwa 300 hexametern beftehende Apologia pro fchola Wir- zeburgenfi, die Pez thef. anecdotor. I. 1, 189-199 aus dem codex, der Fromunds gedichte enthält, hat abdrucken laffen: endlich fechs hexameter, die Mone (Anzeiger 1837. 485) aus einer handfchrift des 12“ jahrh. als in- fchrift gleichzeitiger gemälde mitgetheilt hat. Von den gedichten des Archipoeta, der mindeftens bis zum fchlufs des zwölften Jahrhunderts gelebt hat, gehören zwei hierher. das fechfte nemlich enthält 22 hexameter und geht dann in ftrophen über. dort trägt jede zeile einen zweifilbigen und genauen reim; unter diefen könnte man dicebant : vi- debant 10. fieri : videri 15 als eine annäherung zum dreifilbigen betrachten. in dem dritten gedicht find die beiden erften hexameter reimlos, der 3", 4" und 21" haben die gewöhnlichen leoninifchen reime, bei den übrigen ift immer das eine reimwort aus zwei wörtern zufammen geletzt, immenfe: regimen fe. cuius : manu ius. flos es : eos es. vivas : confilü vas u. f. w., ein kunftftück, das früher nicht vorkommt, das er aber auch in feinen ftrophi- fchen liedern angewendet hat, z. b. vereor te: forte Il, 43. penes te : ve/te II, 77. nec thus: electus V, 2. indiferete : de te VII, 4. Noch weiter wird die künftelei getrieben, und zwar mit fichtbarem wol- gefallen, in einem gedicht, das die überfchrift Omne punctum führt und das Friedr. Jacob (M. Reineri Alemaniei Phagifacetus et Godefridi Omne punc- tum. Lübeck 1838) aus einer zu Lübeck befindlichen pergamenthandfchrift herausgegeben hat. aus einer Heidelberger papierhandf[chrift vom j. 1452, hatte Mone im Anzeiger 1834, 159 fehon mittheilungen gemacht: er nennt den dichter einiger anfpielungen wegen Gottfried von Thiemen nach einer ftadt in Brabant, legt ihm noch andere gedichte bei und fetzt ihn in die mitte des 14" jahrhunderts: villeicht ift er älter, und ficher bleibt nur dafs er Gottfried hiefs, indem er fich am fchlufs felbft fo nennt. dies gedicht verdient befondere aufmerkfamkeit, da es fcheint dafs der verfaffer von allen arten des leoninifchen reims beifpiele hat geben wollen. von den 340 hexametern, aus denen es befteht, enthalten die erften 177 fämtlich jenen eigenthümlichen, bei dem Archipoeta bemerkten reim, der aber, um die fchwierigkeit noch mehr zu erhöhen, zugleich und ohne ausnahme ein rüh- Philos. - histor. Kl. 1851. Qqqgg 674 W. Grimm: render fein mufs, und zwar ein regelrechter mit verfchiedenheit der bedeu- tung. er ift nicht blofs zweililbig, fondern auch öfter drei- und vierlilbig, und manchmal wiederholt fich derfelbe in zwei zeilen. ich gebe einige beifpiele, 1 Crifte, regis qui nos, in me fenfus rege quinos: cuftodemque datae vitae mihi, [upplico, da te. hoflem, ne fua vis noceat, rex pelle fuavis, nec queat hac veluti vietor gaudere vel uti. 26 omnis honoratae legis datus eft honor a te, Jpesque limoratae menlis venit et timor a te. 98 cuncta facraviffe docet alma dei facra vis fe. dona facramenli profunt fane facra menti nec male vementi funt congrua fanave menli. Criftus agi tantum bona vult bona dux agitantum. hoftis agi tantum mala vuli mala dux agilantum. 171 pro/pera fors quamvis det opes et opem tibi quam vis, commodius quamveis rem confert ius tibiÄ, gquam vis. dives cum dator es, hilares imitare datores. et dandas dato res hunc, qui bona cuncta dat, ores. Jpem qua te reris auctum Fuge ter quater aeris. rem re nitentes cumulare foris, renitentes ‚fronte, retinentes fidei qua non retinent aes. mit zeile 177 tritt ein anderes geletz ein, der aus zwei wörtern gebildete reim ift nicht mehr nothwendig und erfcheint nur einzeln (185. 192. 193), wo er dann nicht rührend ift, auch wird der gewöhnliche zweifilbige zuge- laffen und zuweilen noch angehäuft, z. b. 186 aeris eris praedis. fi non veris homo credis. 190 aeris amor, curis, fi quem miferis agis, uris. mit z. 194 beginnt eine dritte verfchiedenheit, von welcher hernach die rede fein wird, wo jener aus zwei wörtern beftehende reim in den endreimen (213. 229. 240. 325. 331. 339) und binnenreimen (213. 229. 231. 258-281. 302. 335) häufig erfcheint. Merkenswerth dafs in dem andern mit dem Punctum und fehon früher (im j. 1488; vergl. Theoduli ecloga ed. F. G. S. Schwabe p. 24) herausge- gebenen, aus 439 hexametern beftehenden gedicht Phagifacetus feu de mori- ER bus in menfa requifitis, ebenfalls aus ungewilfer zeit, deffen verfafler mag zur ge/chichte des reims. 675 fter Reinerus Alemanicus de Saxonia gegenannt wird, ein abfichtlicher reim nur in einem fprichwort vorkommt, 166 quadrupes in plano quandoque cadit pede fano, non mirere, bipes, ‚fi labitur ergo libi pes. wo bipes : tibi pes ein zweililbiger jener art ift. In die zeit des Archipoeta werden die lehren des Cato gehören, aus welchen in den Fundgruben 2, 105 und von Schuch f. 67 einiges mitgetheilt ift: die reime find ohne ausnahme zweifilbig und rein. ferner die infchrif- ten in der bafılica zu Hersfeld, die man in den werken Hrabans 6, 234 fin- det, und die fiegelinfchriften italienifcher ftädte, die Fr. Böhmer in Mones anzeiger 1839, 259 folg. bekannt gemacht hat. Betrachtet man die abermals gefteigerten künfteleien in zwei gedich- ten von der zerftörung Trojas (am vollftändigften bei Meril f. 309. 400), fo ift man geneigt fie in das ende des 13‘ jahrh. zu fetzen. ihre eigenthüm- lichkeit befteht darin, dafs die reime nicht blofs durchaus zweifilbig und durchaus genau find, fondern dafs auch ohne ausnahme derfelbe reim in jedem diftichon durchgeführt, ja in dem erften gedicht ein paarmal in zwei auf einander folgenden diftichen wiederholt wird, z.b. feite 312 urbsque beata fatis, urbs primae nobilitalis, dives honoralis dantibus absque dalis. regna beata fatis donec nocuere beatis praedo voluptatis et male rapla ralis. noch überboten werden diefe fchwierigkeiten durch weitere anhäufungen des reims in dem prolog, den ich deshalb herfetzen mufs. feite 309 Pergama Jlere volo, ‚Fato Danais data Jolo: Jolo capta dolo: capta, redacta folo. exitiale Jona, quae prima tenes Helicona, et metra me dona promere po/fe bona. eft Paris absque pare; quaerit, videt, audet amare; audet temptare ‚furta, pericla, mare. zu dem Archipoeta bemerke ich fidum : qui, dum feite 403, hier der einzige reim diefer art. einzelne in diefer weile gereimte diftichen, darunter die infchrift auf einer glocke, weift Meril 210 nach, andere künfteleien Schuch f. 72-81. ich kann hier die betrachtung des leoninifchen reims fchliefsen, der in den folgenden jahrhunderten fortdauerte ohne eine neue feite zu zeigen. Qqqgq?2 676 W. Grimm: Es ift leicht zu begreifen dafs nicht jeder fich dem zwang diefes reims unterwarf, felbft nicht zu der zeit wo er in feiner höchften blüte ftand: dahin gehört der dichter des Ifengrimus aus dem anfang und des Reinardus aus der mitte des zwölften Jahrhunderts (fo wird ungefähr ihr alter beftimmt), die beide in diftichen abgelafst find. ferner Günthers Ligurinus in hexame- tern vom jahr 1200, undein verfuch den eingang von Wolframs Wilhelm zu überfetzen, aus dem dreizehnten Jahrhundert (bei Lachmann XLIH. XLIV). die diftichen des Poenitentiarius (Reinhart fuchs 397) zeigen aber häufig den reim und zwar den einfilbigen; ftände nicht ein anderer grund entgegen (vergl. Reinh. CLXXXV), fo müfte man glauben das gedicht fei nicht in das dreizehnte jahrhundert zu fetzen, fondern bedeutend älter. Hier ift einer befonderen erfcheinung zu gedenken, die mit dem leo- ninifchen reim in einem gewiffen zufammenhang fteht, aber zugleich auf das einfache reimpaar, von dem hernach die rede fein wird, hindeutet: man band nemlich, wiewol ziemlich felten, zwei hexameter oder ein diftichon blofs mit endreimen. zwar fanden fich fchon bei den claffıkern manchmal zwei hexameter auf diefe weile vereinigt, aber hier ift eine abfichtliche und regelmäfsige durchführung gemeint. das merkwürdigfte beifpiel liefern die diftichen des fchon im elften jahrhundert gedichteten Luparius (Reinhart fuchs 410), der vielleicht noch älter ift, denn wir begegnen darin nur einfil- bigen aber genauen reimen. ich will die vier erften diftichen anführen, Sepe lupus quidam per pafcua leta vagantes arripuit multas opilionis oves. ledere raptorem pofiguam virtute nequivit; illaqueare dolo pa/tor eum ftuduit, nam rigidam flectit tanto conamine quercum, ut caput illius tangere poffü humum, et capiti flexo laqueus fic nectitur unus, mobilis ut lagueum detineat baculus. diefer reim gibt zugleich ein ficheres mittel an die hand, die eingefchobenen ftellen zu unterfcheiden, weil diefe den gewöhnlichen aber auch noch einfil- bigen leoninifchen reim zeigen; dergleichen unechte diftichen ftehen 9-12. 43 und 44. 63-66. ein anderes beifpiel (Meril f, 80) gewähren vier difti- chen des pabftes Calixtus II. (-- 1124), wo aber der reim zweifilbig ift. he- xameter ebenfalls mit zweifilbigen endreimen, zwifchen 1088-1160 abgefalst, zur gefchichte des reims. 677 weift Schuch f. 68-69 nach, andere Meril f. 80. anm. 1. die wichtigften da- runter find der Pilatus (Mones anzeiger 1835, 435) und der Facetus (Wig- gerts fcherflein 2, 6): ich bemerke dazu noch ein rätfel aus dem zwölften jahrhundert (Mones anz. 1838, 41) und die lateinifche überfetzung von Frei- danks fprüchen, die am vollftändigften in dem alten, höchft feltenen druck (ohne jahr und ort) erhalten ift. Das vorhin (f. 673) erwähnte gedicht Punctum führt mit unerfättli- cher reimluft in feiner zweiten hälfte von zeile 194 bis zu ende diefe form noch weiter: es bindet nicht blofs zwei hexameter, fondern auch drei und vier mit demfelben zwei- oder dreifilbigen endreim: es fügt diefem noch einen binnenreim hinzu, der mindeftens zweifilbig, häufig auch drei- filbig fein mufs: und das ift noch nicht genug, es wird öfter ein zweiter bin- nenreim hinzugefetzt, fo dafs dann faft alle wörter gebunden find. ich gebe beifpiele von den verfchiedenen abftufungen, 194 Jurgia vites, ne mala lites pugna ‚Sequatur: ira tepefcat, lingua quiefcat, lis reprimatur. ‚fi det olufeula menfa minu/fcula pace quieta, non pete grandia largave prandia lite repleta. ‚[unt mediocria vitaque fobria congrua janis, eft lafcivia, quae convivia caplat, inanis. 204 prodiga laute, provida caute plebs epulatur: ebria vano, fobria fano more notatur. 208 rara mode/tia, multa moleflia litigiorum cum potoribus ac luforibus eft deciorum. 222 cum fua non det, cui dare fpondet fraus baratonis, eft fugilivo tuta nocivo villa irudonis. non epulae placuere gulae tenues epulonis: Jeu baratrum bona cuncta patrum vorat os baratonis. 338 ‚fellere callet, callida fellet ‚raus meretricis: re/pue bafia quae dat amajia talis amicis. fi mediteris, quanta teneris reddere, quis fis, recta fequeris, quas male quaeris rebus omijfis. 252 Non dubito mea quin fubito metra livor inique corripiat, nec fufeipiat, qui faevit ubique. non vereor nec obeffe reor, fi culpet inique Jalfidicus, quae veridicus commendat iniquis. 678 W. Grımm: der binnenreim kann fich auch in der nächften zeile wiederholen, 218 feurra crumenam poft breve plenam fic vacuabit, ac alienam po/t modo cenam faepe vorabit. wie in dem erften theil des gedichtes z. 1-177 der endreim und der reim in der cäfur ein rührender fein mufs und einer davon aus zwei wörtern befte- hen, fo ift dies z. 258-281 auch auf den binnenreim angewendet, z.b. 258 /perne dolofum. faepe dolo fum, crede, gravatus. linque dolofi verba, dolo fi fit male fatus. non vitiofis par vitio fis; fi comitaris hos vitiofe, qui vitio fe dant, vitiaris. 266 praedo minatur: praedominatur, fi male parlam perditionem per ditionem vergit in arctam. /perne rapinam, poffe rapi nam Jeis rapientem. inque rapinae vola rapi ne tu ‚ine mentem. 372 cras, homo, vix eris: ut bene vixeris in nece trifüi, res opereris, quas ope reris profore Chrifti. auch erfcheint einmal eine beinahe vollkommene wiederholung aller reime, wobei zum theil diefelben worte wiederkehren, 317 non tibi ius carum con/lat, fed ius epularum. non tibi ius gratum con/tat, Jed ius piperatum. noch ift zu bemerken dafs einige male rührende endreime mit gleicher bedeu- tung zugelaffen find; man fieht daraus dafs der dichter die gefetze des deut- fchen reims nicht kannte. 200 fundere fobria mens opprobria dura cavebit; lingua fed ebria non funebria bella cavebit. 264 legis iniquae feriptor, ini quae dictat honeftas: vincis, ad aptas fi cor adaptas res et honejflas. 299 tu veluti fentis luti foediffima fordes clade luas diroque tuas cruciamine fordes. Endlich zeigt fich eine art vermittelung zwifchen der vier- oder fechs- fachen ftrophe und dem leoninifchen reim in dem gedicht von der übertra- gung des leichnams des heil. Dionyfius Areopagita in das Emmeramsklofter (Wolf über die lais f. 466 vergl. 115), das von einem mit der metrifchen kunft wenig vertrauten geiftlichen etwa im 10‘ jahrh. mag verfafst fein. es befteht aus acht, nicht vollftändig erhaltenen fätzen, die einmal der ftrophe zur gefchichte des reims. k 679 entfprechen und fich zu dem trochäifchen rhythmus neigen, aber im ganzen wie profa lauten. in der mitte und am ende der langen zeile fteht jedesmal ein reim: bis zum fünften fatz ift er einfilbig, von da an zeigt er fich auch zweifilbig, gentes : prementes. auxilium : hoflium. refediffet : tractaviffet. tractare : explorare. Diefen gefchichtlichen nachweifungen laffe ich einige betrachtungen folgen. der leoninifche reim mit feinen verfchiedenen abftufungen erfcheint bei den römifchen claffikern und bereits bei Lucretius als etwas herkömmli- ches, und kann feiner natur nach nicht als eine neue erlindung gelten. die lateinifche fprache mit ihren volltönenden endigungen brachte ihn häufig von felbft hervor, und es würde, auch wenn man die abficht gehabt hätte, fehwie- rig gewefen fein ihn zu verbannen: aufserdem fchmeichelte der gleichklang dem ohr zu fehr als dafs man ihn hätte abweifen follen. dafs er unbemerkt geblieben fei, wird niemand behaupten wollen, ich glaube vielmehr man hat wolgefallen daran gehabt und ihn nicht blofs zugelaffen, fondern auch geför- dert, nur niemals mühfam herbei geführt. die deutfchen nachahmer des alten versmafses, denen fo viele mittel abgehen, haben ihn, wahrfcheinlich weil fie etwas barbarifches darin erblickten, forgfältig vermieden; auch wäre er aller- dings bei ihnen viel auffallender hervor getreten. W. Wackernagel (Gelfch. des deutfchen hexameters und pentameters f. IX) hat gezeigt dafs der [yntacti- fche parallelifmus in den hauptabfchnitten beider versarten darauf hingewirkt und ihm feinen platz angewiefen habe, wo er dann einen mittelreim bildete. wenn er auch am häufigften an diefer ftelle vorkommt, fo war er doch daran nicht gebunden, er durfte auch in einem andern fufs ftehen, zum drei- und vierfachen heran wachfen, oder fich in binnenreime zurück ziehen. daihn kein zwang hervor rief, und er allezeit in der minderzahl blieb, fo konnte er weder dem dichter noch dem zuhörer läftig werden: einen entfchiedenen vortheil fehe ich darin, dals er nur eine filbe und felten die wurzel eines wortes ergriff, denn dadurch ward einem zu grofsen einflufs gewehrt, und doch beftand daneben die freiheit, wenn es fich fo fügte, den ftärkeren zwei- filbigen, und zwar den genauen wie den ungenauen einfliefsen zu laflen. diefer wechfel mufte die anmut und bedeutung der rhythmifchen gliederung erhöhen, und der gebrauch des gleichklangs war ebenfo natürlich als kunft- gerecht. es änderte nichts wenn ein dichter ihn häufiger, der andere felt- ner anwendete, wobei der zufall walten konnte, fo wie es noch kein über- 680 W. Grimm: “ mafs war, wenn er in einigen zeilen oder in ein paar diftichen ohne unter- brechung fortgieng. In diefer glücklichen ftellung beharrte er ohne wefentliche änderung bis in die karlingifche zeit. aber es pflegt zu gefchehen dafs eine aus der natur der dinge hervorgegangene, glücklich entwickelte form, wenn man ihre bedeutung nicht mehr empfindet, der freiheit beraubt und in ein ftarres gefetz gebunden wird, das immer fchwierigere bedingungen auflegt. von dem fchlufs des 9“ Jahrhunderts an erblicken wir den leoninifchen reim in beftändigem vordringen, bald im kampf mit der alten freiheit, bald in ent- fchiedenem übergewicht. noch ift er einfilbig, aber im 11" jahrh. erhebt fich der zweifilbige, der bisher nur vereinzelt erfchienen war, und ftrebt nach der herfchaft, die ihm nach langem [chwanken im beginn des 12“ jahrh. zufällt. bei feinem fchweren tritt wird die erfolgte umwälzung erft recht fühlbar. fein voller klang mag dann und wann, bei leichtem flufs der rede, gerne gehört werden, aber auf die länge wird dies eintönige geläute uner- träglich. im 13“ jahrh. treten noch weitere anhäufungen des reims und künftlichkeiten aller art hinzu, die jeden freien athemzug des dichterifchen geiftes erflicken. XV. LATEINISCHE STROPHE. nichts [cheint natürlicher als die vorausfetzung dafs die dichter der lateinifchen kirchengefänge in der äufseren form den liedern des volks gefolgt find und dorther auch den reim empfangen haben. ob diefer fehon in den faturnifchen verfen, bei denen er in keinem fall eine nothwendig- keit war, mufs angenommen werden, mag dahin geftellt bleiben. wir fragen wann er zuerft in der einfachen, meift vierzeiligen ftrophe des geiftlichen liedes fich zeige. mit abficht angewendet begegnen wir ihm zuerft bei dem mailändi- fechen bifchof Ambrofius, einem Gallier, der bis zum ende des vierten jahr- hunderts lebte. ihm wird eine grofse anzahl von hymnen beigelegt, unter welchen die echten zu unterfcheiden fchwer fällt. die Benedictiner haben in dem zweiten theil feiner werke (Paris 1690. f. 1219-24) zwölfe ausgewählt, welche durch alte zeugniffe gefichert find, geben aber zu dafs unter den übrigen fich noch echte befinden können. es wird am ficherften fein, aus jenen beifpiele zu wählen. zuerft zwei ftrophen ohne allen reim, conditor: regis : tempora : faftidium 1. concinat : concrepet : amor : fobria Il. ftro- zur gefchichte des reims. 681 phen mit zwei reimlofen zeilen und einem reimpaar, clauferit : noclium. nefeiat : reluceat Il. luminis : virginis. conditor : ecelefiae XII. zwei voll- kommene reimpaare, fempora : gralia. verilas: ecclefias III. viris : dividis. dentibus : cibus V. gaudium : credentium. pocula : carmina XlI. dabei ein ungenauer reim, refpice : corrige. cadunt : foleitur 1. drei gleiche reime und eine reimlofe zeile, redit : refunditur : conditur : revertitur 1. genlium : virginis : faeculum : deum IV. regat : corpore : ‚Ferveat : nefeiat VII. pervia: gralia : permanet : [aecula Xll. die : preces : adiuves : folsimus 11. princeps: duces : milites : lumina V1Il. mit geringer abweichung einer zeile auch ein- mal vier gleiche reime, dedit : eriminis : diluit : fuftulit MI. endlich, wenn es nicht zufall ift, einmal überfchlagende, Zubrico : fomnient. dolo : fufeitet II. man fieht der reim, der am häufigften einfilbig ift, aber auch zweililbig, ja dreifilbig fein kann, wird angeftrebt, ift aber nicht nothwendig. die 9" 10° und 11“ hymne habe ich bei diefen beifpielen unberückfichtigt gelaffen: fie werden zwar von Hincmar dem Ambrofius beigelegt, da dies aber auch mit andern, gewis unechten gefchieht, fo ift fein zeugnis nicht von grolsem gewicht: ich bezweifle ihre echtheit und halte fie für fpäter, weil der reim darin fchon vorgerückt ift. er fehlt hier kaum in einer zeile und ift nur einige male ungenau, intulit : munere IX. paraclito : feculum IX. fomnolentiam : obruat X. luminis : dies X. fonlt zwei regelmäfsige reimpaare, wie concinat: ambiat : fequentium : exordium IX. fupplices : amputes : canentium : perpe- tuum IX. trinitas : unitas. igneus : cordibus XI. carmine : vefpere. gloria : Jaecula XI. auch einmal vier gleiche reime arlubus : [urgimus : canentibus : depofeimus IX; einen rührenden habe ich nicht bemerkt. die fammlung von hymnen, die den namen des Ambrofius trägt und höchft wahrfebeinlich noch echte, ihm zugehörige enthält, befteht aus kirchengefängen, die in gleichem geift wie in gleicher form von mehreren find gedichtet wor- den: fchon in dem neunten jahrhundert ward ein anfehnlicher theil davon ins deut/che wörtlich überfetzt; ich bediene mich der ausgabe von Ge- org Fabrieius (Bafel 1554) und von Jacob Grimm (Göttingen 1830). für die jüngften darunter halte ich diejenigen, in welchen der reim und wiede- rum der genaue am häufigften fich zeigt, der ohne zweifel allmälig und grad- weile vorgefchritten ift: dahin gehören in der Göttinger fammlung 11. VI. XIX. XXI. XXI. im ganzen erfcheinen diefelben verfchiedenheiten und abftufungen des reims, die ich bei den anerkannten hymnen des Ambrofius Philos. -histor. Kl. 1851. Brrr 682 W. Grimm: nachgewiefen habe. ich enthalte mich alfo weiterer beifpiele, nur das fcheint mir merkenswerth dafs unter den vieren, die in keiner als in der neuern fammlung fich befinden, drei find (II. XIV. XVIH), in welchen die meiften reimlofen ftrophen, vorkommen: diefe nemlich könnten zu den älteften ge- hören, vielleicht noch vor Ambrofius gedichtet fein. dagegen rechne ich einen hymnus (XIX) zu den jüngern, wo auffallend oft die vier gleichen reime angewendet find, rutilat : intonat. iubilat : ululat A. gemitibus : doloribus : dominus : angelus 4. apofloli : domini : erudeli : impü 5. angelus : mulieribus: dominus : quantocius b. einzeln erfcheinen die vier reime auch anderwärts XXI, 1. XXII, 2. XXVI, 4. Fabr. f. 363. 785-790. ebenfo der voran- gehende grad, drei gleiche reime mit einer blofs aflonierenden oder ganz reimlofen zeile, II, 6. VI, 2. XIX, 9. 10. XXI, 3. 4. 6. XXIII, 4. bei Fabricius f. 794. 799. 790. den rührenden reim habe ich mehrmals bei dem hilfsverbum gefunden, agius es : ipfe es Il, 5. orandum eft : deprecandus eft XVI, 1. Chriftus eft : agnus eft:azyma : oblata eft XXI, 4. fodann morta- lis : immortalis (Fabr. 805); in den hymnen gehören fie zu den älteften beifpie- len von diefem reim. der zwei- und mehrfilbige fehlt nicht, lucis : eru- cis VI, 3. /umine : domine XIV, 1. femine : [piramine Fabr. 792. furgenti- bus : dicentibus XXIII, 1. potentialiter : perfonaliter Fabr. 788. als eine befondere freiheit betrachte ich die wiederholung moriatur vita omnium : refurgat vita omnium XX, T. dagegen ift die fiırophe contines : nomen fuum. regnum tuum : volunlas tua 1, 7 als eine reimlofe zu betrachten. gehören die fieben hymnen auf die fehöpfungstage dem Ambrofius zu, dem fie beigelegt werden (Fabr. 363-66), was wol möglich ift, fo zeigt fich bei ihm fehon die wiederholung desfelben reims in der nächften ftrophe, Zumini : terminum : menfium : notiffimum. Omnium : mentium : vinculum : eriminum. Vor Ambrofius hätte ich drei andere nennen müllen, weil ihre hymnen zum theil in eine etwas frühere zeit, etwa in die mitte des 4" jahrh. fallen kön- nen, allein es fchien mir beffer jenen voran zu ftellen, der die ftrophenform in den lateinifchen gedichten geltend machte. ich meine den Damafus, Hi- larius und Prudentius. die gedichte des pabftes Damafus, der ein Spanier von geburt war und im jahr 384 hochbejahrt ftarb, find faft alle in hexame- tern abgefafst, und man kennt von ihm nur zwei ftrophifche hymnen. die echtheit der einen auf den heil. Andreas (Bibl. max. 27, 83°) wird bezwei- felt: der reim ift darin wie bei Ambrofius behandelt, es finden fich in den zur gefchichte des reims. 683 fünf ftrophen, aus welchen fie befteht, reimlofe zeilen und reimpaare mit genauem und ungenauem reim, provehit : diligit. praeparat : gaudia und languidos : fufeipe. vicloriam : palriam. die andere auf die heil. Agathe (Bibl. max. 27, 83°. Fabr. 773. Meril £. 118) von fechs ftrophen gilt für echt, wird aber von einigen dem Prudentius beigelegt: fie kann weder die- fem noch dem Damafus zugehören, fondern mufs fpäter verfalst fein, denn es kommen bis auf die geringe abweichung in fugiens : opem 5, 1 regelmä- {sig nur genaue reimpaare darin vor. dafs Hilarius, bifchof von Poitiers, in der mitte des vierten Jahrhunderts kirchenlieder gedichtet hat, ift durch zeugnilfe ficher geftellt, aber der hymnus de epiphania, den Fabricius 792 und Mevil 117 ihm beilegen, ift gewis unecht und viel fpäter, da die ftro- phen genau durchgereimt find. dagegen beginnt das alte Antiphonarium des klofters Benchor (Muratori anecdota ex Ambrofianae bibliothecae codieibus 4, 127) mit einem dem Hilarius beigelegten hymnus auf Chriftus, der echt zu fein fcheint; der reim fehlt noch öfter als bei Ambrofius und zeigt, wo er angewendet wird, gleiche abltufungen; ich hebe nur den rührenden inge- nito : unigenito heraus. der Spanier Aurelius Prudentius aus der zweiten hälfte des 4“ jahrh., in hohen würden lebend und claffifeher bildung zuge- wendet, gebraucht in feinen umfangreichen kirchenliedern (Fabricius 40 folg.) den reim nur felten, obgleich er offenbar nicht zufällig ift, praefeü : fpei. libri : dei (Al) gaudium : profpera : mala : omnia (42). nubila : turbida 42. Betrachten wir die folgende Jahrhunderte, fo begegnen wir bei Sedu- lius aus der erften hälfte des 5" jahrh. in der hymne auf Chriftus (Meril f. 142) keiner ftrophe ohne reim: in den reimpaaren ift er genau und ungenau. bei ihm drei rührende zeilen, gurgitis : attulit : detulit : f[ustulit, auch Ve- nantius Fortunatus, bifchof zu Poitiers, der am ende des 6“" jahrh. ftarb, läfst keine ftrophe ohne reim zu: der genaue herfcht vor, und die vierzeilige ftrophe ift öfter durchgereimt. auch er läfst einmal den reim in der nächften ftrophe wiederkehren, Floruit : edidit. protulit : permanet. Pertulit : extilit: condidit : induit (Fabr. 694). diefe anhäufung ausgenommen, ftehen die reime des pabftes Gregor I., eines zeitgenoflen des Fortunatus, auf gleicher ftufe (Fabr. 7853-84. 795-96. 800. 801). das bruchftück eines liedes auf den fieg Chlotars II. über die Sachfen im jahr 622 (Meril 239), das bald hernach wird gedichtet fein, weift auf die ftrophe mit vier gleichen zweifil- bigen reimen. bei Alcuin kommt die firophe mit vier gleichen einfilbigen Rrrr2 684 W. Grımm: reimen (Opera 2, 294 Froben) zum vorfchein. Hraban, der den übergang des 8" ins 9" jahrh. macht, fcheint in feinen vierzeiligen hymnen (Opera Colon. 1626. 6, 221-228), die fich der gewöhnlichen form anfchliefsen (er hat auch einige in lateinifchen versmalsen gedichtet), die alterthümliche weile des Ambrofius zum mufter genommen zu haben. wir finden bei dem reim diefelben abftufungen: die ftrophe befteht aus zwei reimpaaren mit verfchie- denem reim, z. b. Aomo : nalio. morluam : machinam 5, 1, oder ift durch- gereimt, z. b. plebium : norum : ommium : criminum 6, 1. der reim ift genau, und ungenau: er kann in einem reimpaar fehlen, z. b. optime : dirige. tibi: munera 5, 9. dedicant : exyians. flumina : artifex 6, 2, ja es gibt firophen die ganz reimlos find, z. b. munera : genlium. myj/terio : gloriam 5, 2, oder coinquinet : porlio. manftıo: conferat 6, 4. umfomehr fällt es auf, dafs Hra- ban in einem gröfsern gedicht De fide catholica (feite 209-213), das aus ftırophen von drei reimpaaren belteht, den reim und zwar den genauen (mit der geringen ausnahme Zerminus : incendium f. 212 F.), der manchmal zwei- filbig, fogar dreifilbig ift, fireng durchgeführt hat. man muls glauben, wo- für auch andere gründe fprechen (vergl. Bähr drittes fuppl. f. 106), dafs das gedicht untergefchoben und das difichon am fchlufs, das ihn als verfaf- fer nennt, unecht fei. ich will daraus den mit dem hilfsverbum gebildeten rührenden reim, der in den hymnen Hrabans nicht erfcheint, anführen, udi es: lapfus es 210. u. pulfus eft : minifiratus efl 211 6. expulfus eft : libera- tus eft 2128. confractae funt : liberati funt c. Walefried Strabo behandelt in ein paar hymnen (Canifii lectiones antiquae II, 3, 209. 225-27 Bafnage) den reim ebenfo wie fein lehrer Hraban, er fehlt in einigen ftrophen durch- aus, in andern halb, oder das doppelte reimpaar ift angewendet: ich habe keine ftrophe gefunden, worin ein reim durchgefürt wäre, wol aber mori- bus : jucundiffimus. gratia : ditiffimus. zu Hraban und Walefried gefellt fich noch Ratpertus (Canifius II. 3, 202), der in das ende des 9" jahrh. fällt. in dem lied auf die zerftörung des klofters Montglonne im jahr 848 von 39 ftrophen (Meril 255) halten fich bis auf wenige ausnahmen vierlache, einfilbige und zweililbige immer genaue reime ziemlich das gleichgewicht. in einer hymne von Notker balbulus (Canifius 2. p. 6, 218-19), der im jahr 912 ftarb, ift jede der zwölf ftrophen durchgereimt, aber die zweifilbigen reime wiegen vor. zwei lieder, eins auf Rom, das andere auf einen knaben, aus einer handlchrift des 10‘ jahrh. (Meril f. 239. 240) zeigen in jeder der zur gefchichte des reims. 685 drei ftrophen, aus welchen fie beftehen, durchgereimte zeilen. da aber die reime fämtlich zweifilbig und genau find, fo kann ich der vermutung bei Meril (f. 239. anm. 5), wonach die beiden gedichte ins 7" jabrh. gehören follen, nicht beitreten. mit der ausbildung des reims in diefer zeit fteht in auffallendem widerfpruch der leich von den beiden Heinrichen, der in der zweiten hälfte des 10‘ jahrh. gedichtet ift, denn darin find die reime ein- filbig und ungenau, vielleicht weil es fchwer war lateinifche und deutfche wörter in vollen gleichklang zu bringen. ein hymnus Fulberts, bifehofs von Chartres, der im jahr 1029 ftarb, ift in allen fünf firophen regelmäfsig (Fabr. 798): jede enthält zwei reimpaare mit ein-oder zweililbigem, faft ganz ge- nauem reim. in der lateinifchen überfetzung des deutfchen liedes Ratperts auf den heil. Gallus (Meril 156) von Eckehard IV. deren ftrophen aus fünf reimpaaren beftehen, hat der zweifilbige, immer reine reim entfchieden die oberhand. fo verhält es fich ferner in den gedichten aus dem ende des 11!" jahrhunderts, in den liedern auf den tod Wilhelms des eroberers im jahr 1087 (Meril 294), in dem gefang auf den erften kreuzzug (Meril 297), aus dem ich den rührenden reim paffus eft: perforatus eft : confixus eft : re- demptus eft anführe, und in der hymne auf Maria Magdalena (Meril 150). in diele zeit oder etwas fpäter find jene merkwürdigen, ins lateinifehe über- tragenen, im anhang zum Waltharius bekannt gemachten volkslieder zu fetzen. bei Herrad von Landsberg in der mitte des 12'* jahr. finden fich nur noch wenige einfilbige reime. ihre neigung zum gebrauch des reims zeigen (wenn fie ihr zugehören) zwei gedichte (f. 160. 161 bei Engelhardt), in welchen der innere, der doppelte, der überfchlagende und der endreim neben ein- ander angewendet find, wie es [ich gerade fügte, z. b. mundus abit fine munditia nec forde carebit, illius in amicitia qui corde manebit. cuncta ruunt velut unda fluunt, nihil ejt fine naevo: quid variabile, quid nece labile coepit ab aevo: auch der dreifache, iu male trux, es ad inferna dux, ubi nulla viget lux: lutea fex, cerliffima nex, eft quod tua dat lex. durchgedrungen ift der zweifilbige in den hymnen eines unbekannten (Fabri- cius 810-815), deren zeit danach wird zu beftimmen fein, ebenfo in den vier- zeiligen firophen der carmina Burana (nr 106. 168. 169. 175. 178), des 686 W. Grimm: gedichts von dem jüngften gericht (Haupts zeitfchrift 3, 523) und der von Th. Wright (London 1844) herausgegebenen myfterien und gedichte, fo- dann, was wegen ihrer bedeutenden zahl am entfcheidendften ift, bei dem Archipoeta, der in einem lied ziemlich oft auch dreifilbige zuläfst, wie po- tentialiter : naluraliter : fpiritualiter : qualiter 1, 7. fomnia : omnia : laten- tia : fapientia I, 11. temeritas : veritas I, 12. moriur : oritur I, 15. copia : inopia. nobilia : fimilia I, 40. dvei dreifilbige und ein zweifilbiger, ‚fruenti- bus : bibentibus : defieientibus : fumptibus 1, 45. noch weiter geht Floram deprehendit : Flora reprehendit feite 79. häufiger als bei früheren wird bei ihm derfelbe reim in der folgenden zeile fortgeführt, fo dafs er als achtma- lige wiederholung erfcheint, dahin I, 35 und 36. 38 und 39. V,1.2. IX, 3 und 4. 5 und 6. 7 und 8. X, 3. 4. feite 83, 34. 35. den rührenden habe ich nur einmal bemerkt, patitur : compatitur. pungitur : compungitur I, 22. auf die letzte [pitze getrieben ift die regelmäfsigkeit in den nahe aus 400 ftrophen beftehenden gedichten des Gilbertus (herausgegeben von L. Trofs. Hamm 1849), der in die zweite hälfte des 12‘ jahrh. fällt: ferner in der klage über die ermordung des hl. Thomas von Canterbury im jahr 1170: über den fall von Jerufalem im jahr 1178, und in dem lied auf den dritten kreuzzug im jahr 1189 (alle drei bei Meril 411-420). in dem aus 145 ftrophen befte- henden gedicht von dem heil. Alexius (Altdeutfche blätter 2, 273) und in der ebenfalls umfangreichen vilio Fuliberti (Meril 217-230) ift jede ftrophe mit vier zweifilbigen genauen reimen ausgeftattet. XV. ROMANISCHE STROPHE. dasältefte denkmal, das fich bei den Romanen erhalten hat, ift das mindeftens ins 9“ Jahrhundert gehörige franzöfifche lied auf die heilige Eulalia. es läfst fich in fieben vierzeilige ftirophen abtheilen, deren reim einfilbig und einige male genau, meifst aber frei ift, Maximüen: pagiens 12. 13 und element ::empedementz 15. 16 kann man als zweifilbig be- trachten: vielleicht fteckt hier ein fehler, da die vierte die einzige ftrophe ift, wo der finn nicht fchliefst, fondern in die folgende übergeht. am ende find die worte par fouue clementia zugefügt, die nicht eigentlich zu dem gedicht gehören. der dichter fagt er habe fich die kirchenlieder zum vorbild genom- men, ich beziehe das auf den geiftlichen inhalt und die melodie: die ftrophi- fche form aber konnte im volkslied bekannt fein; vergl. F. Wolf lais 117. zur gefchichte des reims. 687 der zeit nach folgt das in normanifcher mundart verfafste, wahrfcheinlich in das 11’ jahrh. gehörige lied auf Alexis (Haupts zeitfchrift 5, 302; vergl. die trefflichen anmerkungen von Diez in den Altrom. denkm. f. 114) von 125 ftrophen. diefe find in der regel fünfzeilig, nur ein paarmal vierzeilig, eine ift dreifilbig: das doppelte reimpaar war alfo nicht anwendbar, und jede ftro- phe ift durchgereimt. kaum ein paarmal ift der reim genau, adaifement : gentement : belament : nient : talent AV. largent:: gent:: difeumbrement :nient: talent 106, und mit geringer abweichung leprus : palazinus : languerus : malen- dus : dolur 111. der einfilbige ift noch überwiegend, der zweifilbige hat am häufigften in der erften filbe ein e, fo bele: nacele: acertes: converfet : ceffet AT. mudede : pedre : dunethe: frere: returnerent 24, und ähnlich 27. 29. 48. 53. 76. 80. 85. 94. 98. 100. 113. 114. 116. 117. 119. 121. doch kommen auch an- dere vocale vor, cartre : alafcet : pape : guardet : Efauie 75. cartre : barbe: meffage : repairaffes : reconfortaffes 78, vgl. 90. dutance : angeles : e/tran- ges : anames : grande 122. peitrine : medifme : enhadithe : avoglie : vediffe 87. ferviffe : vide : replenithe : dire: medifme 123. apoftolie : noife : goie:: adiutorie:tolget 101; vgl. 125. canuthe:retenude: cure : aparude : abfoluthe 82. aventure : porleure : venude : feude : duret 89. faiture : figure :crealure: aparude: fuffe 97. in die mitte des 14" jahrh. gehört ein englifch-normän- nifches volkslied (F. Wolf über die lais f. 443) von 92 firophen mit vier zeilen, die aber hier kürzer find; ftr. 14. ift dreifilbig und ftr. 87 fünfzeilig. jede ift durchgereimt, aber der einfilbige reim zeigt fich bis auf ein paar ge- ringe abweichungen genau: wo er als zweifilbig gelten kann, wie ftr. 14. 15. 20. 36. 39. 55. 63. 68, nur mit e oder i in der erfien filbe, ift er freier, wiewol fir. 71 und 88 auch vollkommene reime liefern. fehon die an- geführten gedichte von dem 9“ jahrhundert an machen es wahrlcheinlich dafs auch bei den Romanen die vierzeilige ftrophe die natürliche, ältefte form des volksliedes war, und zwar mit den verfchiedenheiten, die wir bei der lateinifchen bemerkt haben: dafs fie auch für die ältefte fpanifche romanze galt, hat F. Wolf (Spanifche romanzen in fliegenden blättern f. 76) darge- than. in den künftlich gebauten gefängen der troubadours ift fie verfchwun- den, wie fie den deutfchen liederdichtern des 13" jahrh. zu einfach war: doch hat der ältefte von jenen, Wilhelm von Poitiers (“- 1127), noch einige versmalse angewendet, die aus jener können hervorgegangen fein, worüber 8 Wolf (lais 88. 89) und Diez (Altroman. denkm. f. 109. 121) nachzufehen ift. 688 W. Grimm: Den gebrauch der firophe in altenglifchen gedichten beweifen die hymnen von Godric faint, der im jahr 1170 ftarb (Ritfons bibliographia poetica f. 2-4); fie find vierzeilig mit zwei meift einfilbigen und genauen reimpaaren. XV. Weit in der formlofigkeit gehen drei lateinifche gefänge, die fich an die ungebundenheit der fequenzen halten und ohne zweifel von geift- lichen herrühren; fie mögen unmittelbar nach den ereigniffen, auf welche fie fich beziehen, gedichtet fein. zuerft nenne ich den gefang auf den tod des erzbifchofs Heribert von Cöln im jahr 1021 (Meril f. 279). er befteht aus kürzern und längern fätzen, welche wie profa erfcheinen, in welche aber der genaue und ungenaue reim und daneben die alliteration regellos eingemifcht ift, und auch nicht immer, denn in einigen fätzen zeigen fich beide nicht, wenigftens nicht deutlich. allerdings mufs der ge- fang das metrum vertreten haben. in dem erfien fatz reimen die ge- trennten wörter principium : rerum. plectrum : regum und nofiris : püs: coeplis, die alliteration ruht auf prineipium : püs : plecirum : precamur. in dem zweiten nate : fancte : ore : corde : vitae : fragililate, aber keine allitera- tion. in deın dritten immortales : cives : mortales : concives, daneben coeli: cives : concives : commendate. in dem vierten fibris : cordis : tentis : triftes: laetas : caufas und partim : praeclamantes : paflore : pio : patrono. im fünf- ten /ibi: fercum : fuper. im fechften farculo : fluduit : feiens : fibi : fealis : Jublatus. im fiebenten omnium : morum : fpeculum : bonorum und placuit : populo : pius : pollens : Phythagoreae. im neunten miniflravit :magno: mon- Jirans : mundum : mala : mundi. im zehnten veflivit : vacans : vitae : virtu- tum. im elften demum : cumulum : bonorum : iemplum : fpeciofum : fitum : ‚Janctam a glebam : diem : magnum : iremendum und Jummae 2 janclitalis: Janctae : fpeciofum : fitum : fanctam : fecure. im dreizehnten mundum : re- rum. crealarum : omnem : finem : nofirum : folum und finis : finem : fac: ‚finiri. der zweite gefang auf den tod Heinrichs II. im jahr 1024 (Meril f. 286), der etwas mehr ftreben nach rhythmus zeigt, ift ganz mit einfilbigen reimen ausgefüllt, die auch wohl dreifach find. alliteration fehlt, oder man müfte fie in rector : redemptor 2. probum : poffe 9 finden. der dritte ge- fang (Meril f. 287) in vierzehn fätzen auf die krönung Konrads des Saliers zur gefchichte des reims. 689 im jahr 1024 fcheint am allerwenigften gegliedert. einfilbige und mehr- filbige reime, z. b. caro:: Chrifto : nato : domino 1. humanae : raucae: divinae 3. angelicam : militiam : fanctam : [ymphoniam : variam : discor- 5 NT diam : harmoniam 3. imperium :romanum. agnos : lotos 4. adulando : fla- gellando 5 u. f.w. alliteration, caute :cane : caute : cane : con/pira : Karole, welche wörter hinter einander ftehen 1. providentia : praeclara : praedejli- nagit 5. patri : pneumati und laudes : laudant 14. Als das äufserfte kann die einmifchung des reims mitten in die lateini- fche wie in die deutfche profa betrachtet werden, wovon Wackernagel (Ge- fehichte der deutfchen literatur f. 84. 85) beilpiele gegeben hat: die ver- kehrtefte anwendung, die man davon machen konnte. fo] xvm. Von diefem rohen gebrauch des reims wenden wir uns wieder zurück zu der betrachtung feiner naturgemälsen entwicklung. ward die epifche dichtung nicht blofs gefungen fondern auch gelprochen oder gelefen, und erhielt der inhalt derfelben durch fortbildung einen weitern umfang, fo war veranlaffung vorhanden die ftrophifche form aufzugeben. bei den Romanen finden wir erzählende dichtungen, die in abfehnitte von unbeftimmter länge getheilt find, jeder derfelben hat in der regel einen einzigen, befonderen endreim, der durch alle zeilen geht. man gebrauchte dafür früher den aus- druck vers (Diez altroman. denkmäler 85-87), jetzt nennt man fie TıRaDEs MONORIMESs. das provenzalilche gedicht von Boethius, das man wol mit recht in den beginn des 10“ Jahrhunderts fetzt, zeigt diefe form in unglei- chen, kürzern und längern tiraden. der reim darin ift einfilbig und oft genau, kann aber auch als blofse alfonanz auf dem vocal allein ruhen; in einem abfchnitt von fechs zeilen (34-39) läfst fich die hinneigung erblicken zwei filben zu binden, valor : emperador : onor : fenor : genzor : doctor. innerhalb eines abfehnitts folgen zuweilen verfchiedene reime auf einander, fo ut ent ant 106-118 ix ent 137 -50. in dem Rolandslied find die tiraden von verfchie- dener, immer mäfsiger länge, und darin wechfeln einfilbige, aber auch zweililbige reime, doch find jene häufiger. fechon diefe fortfchritte, ohne die ausgebildetere fprache in anfchlag zu bringen, führen darauf das Ro- landslied in der geftalt, in der wir es kennen, für etwa ein Jahrhundert jün- ger zu halten als den Boethius, wie alt auch feine grundlage fein mag. da- Philos. -histor. Kl. 1851. SsSss 690 W. Grımm: neben erwähne ich die bruchftücke eines provenzalifchen gedichts auf die heil. Fides von Agen an der Garonne, das Fauchet Origine de la langue et pochie francoiles aufbewahrt hat, der es ins 11" jahrh. fetzt; man hat alter und echtheit ohne grund verdächtigt; vergl. Diez altroman. denkm. f. 109. es befteht aus zwei tiraden, wovon die eine zweifilbige, die andere einfilbige und genaue reime hat. hierauf kommen die diehtungen, in welchen der umfang der tiraden und damit die anhäufung des reims gewachfen ift, wie das provenzalifche gedicht von dem Albigenferkrieg aus dem anfang des 13'“ jahrhunderts, Fierabras, die Aimonskinder, Alexander von Lambert li tors, Garin de Loherain, Guillaume d’Orange, Gerhard von Viane, Amis und Ami- les, Jourdains de Blaivies und andere, wo indeffen der einfilbige reim noch immer überwiegt: den zweifilbigen finde ich am weiteften vorgedrungen in der Berte aus grans pies. in der zweiten hälfte des 13‘ Jahrhunderts ver- fuchte Adenez le Roi, ohne nachahmer zu finden, einen künftlichen wechfel: er liefs auf jede tirade mit einfilbigen eine andere mit zweifilbigen reimen folgen, behielt aber darin denfelben vocal bei (Conrad Hofmann über ein fragment des Guillaume d’Orange f. 5). Lateinifche gedichte führen das alter diefer form, die nur aus der volksdichtung dahin konnte übergangen fein, viel weiter hinauf. fie kommt fchon in der mitte des dritten Jahrhunderts bei dem chriftlichen dichter Com- modianus zum vorfchein, in deffen fchlufsgedicht (Inftructiones f. 111. 120. Schurzfleifch) alle 26 zeilen, aus welchen es befteht, auf o reimen. ich mufs auch des dem Tertullian fälfchlich beigelegten gedichts De judicio do- mini erwähnung thun, weil es doch immer in das fechfte jahrhundert gehö- ren kann. es befteht aus leoninifchen hexametern, wovon die fechs erften, dann wieder der achte bis zum zwölften auf as ausgehen, fo dafs derfelbe reim, den innern mitgerechnet, zweiundzwanzigmal fich wiederholt: dann fünf zeilen auf o, fechs auf is. der verfaffer ftrebt noch an andern ftellen die fchwierige bedingung diefer form zu erfüllen: in neunzehn zeilen her- fchen um und an, in einer andern reihe wird is durchgeführt. man kann in diefem gedicht die einwirkung der tirade auf den leoninifchen hexametern erblicken, entfchiedener finde ich fie in einem moralifchen gedicht des hl. Comsgillus (Antiphonarium monafterii benchorenfis f. 139), abts des klofters Benchor in Irland, der in der zweiten hälfte des 6“ jahrh. lebte. es befteht aus kurzzeiligen tiraden von verfchiedener, doch niemals fo bedeutender länge, zur gefchichte des reims. 691 wie in den romanifehen gedichten, deren jede mit einem refrain fchliefst. der reim ift vorherfchend einfilbig und mit geringen abweichungen genau. 5 gering sen innerhalb einer tirade geht einige male der reimvocal in einen andern über, gleich in der erften ein a, in anderniine, am in um, os in am. die form fteht allo der im Boethius bemerkten fehr nahe. es kommt aber noch eine eigenthümlichkeit hinzu, die anfangsbuchftaben der tiraden enthalten ga 0 BD wöhnlich in der erften zeile, manchmal in allen, das alphabet nach der wöhnlichen ordnung, nur dafs das griechifche X in Chriftus auf F’ a daneben beinerke ich dafs /W durch Ay in Hymnum ausgedrückt wird und wol die angelfächfifche, noch heute im englifehen erhaltne aus[prache anzeigt, doch wird auch in einem abfchnitt der altdeutfchen gefpräche hu für w ge- fetzt (Nachtrag feite 11). diefe anwendung des alphabets, womit man viel- leicht dem gedächtnis zu hilfe kommen wolte, findet fich auch bei andern gedichten, die Meril (f. 121 anm.) zufammen ftellt: das ältefte darunter ift ein pfalmus contra partem Donati (Meril f. 120, vergl. Bähr fuppl. 2, 245), den der hl. Auguftin im jahr 393 gedichtet hat. er wählte, wie er ausdrück- lich fagt, diefe form, die er während feines aufenthalts in Rom und bei Am- brofius in Mailand mochte kennen gelernt haben, um dem gemeinen volk und den ununterrichteten verftändlich zu fein. von der tirade weicht fie in- fofern ab als die einzelnen abfchnitte darin, bis auf geringe ausnahmen, eine gleiche zahl der zeilen enthalten, fonft aber ftimmt fie damit überein. durch alle abfchnitte des nahe aus dreihundert langzeilen beftehenden gedichts, geht unveränderlich (um, wie es [cheint, das auswendiglernen zu erleichtern) der endreim e, und an dem fchlufs eines jeden abfchnitts wird als refrain eine und diefelbe zeile wiederholt. wir befitzen in diefem gedicht das älte- fie zeugnis von dem dafein und der volksmäfsigen natur der tirade. das lied der belagerten in Modena vom jahr 924 (Meril 268) befteht aus neun ftro- phen, die fämtlich auf a reimen, denn die unechtheit der dritten und vier- ten zeile der fünften ftrophe, Zu murus luis fis inexpugnabilis, fis inimicis hoftis tu terribilis, verrät der mangelnde reim auf « und der innerhalb der zeile angehäufte auf is. auch die 28 langzeilen eines liedes von Fulbert (Meril f. 278) gehen alle auf a aus, und es ift in fieben ftrophen abzuthei- len. beide gedichte bilden eine vermittelung zwifchen der ftrophe und tirade. Ssss?2 692 W. Gxrımm: IR EINFACHES REIMPAAR. die deutfche fprache konnte bei der mannigfaltig- keit ihrer endigungen nicht fo leicht wie die romanifche gleiche reime auf ein- ander folgen laffen, und fchon deshalb war die tiradenform bei uns nicht mög- lich. die anhäufung die erft fpäter zum vorfchein kommt und fich doch im- mer in engen grenzen hält, hat blofs äufsere ähnlichkeit damit, denn fie zeigt fich nur vereinzelt, eingemifcht nach laune, ohne innern grund. die nicht volksmäfsige, erzählende oder lehrhafte dichtung wählte was fich zu- nächft darbot, das einfache reimpaar, das heilst die zerfallene, ihrer glie- derung beraubte ftrophe. die reimpaare wurden unmittelbar an einander gereiht, und ein abfchnitt, den man nach belieben machte, nur dadurch be- zeichnet, dafs man den zweiten reim den finn abfchliefsen liefs, wäh- rend in dem zufammenhang der rede dies der erfte that, und damit eine lebendige verbindung unterhielt. ich finde das einfache reimpaar zuerft in dem bruchftück der Weltbefchreibung, die unter dem namen Merigarto bekannt ift und in den anfang des 11“ jahrh. fällt: darin find zeilen von un- gleicher länge, und es kommt vor dafs in demfelben reimpaar die eine acht, die andere dreizehn filben (4, 26. 27) enthält, die eine fünf, die andere zwölf(6, 29. 30); der reim ift einfilbig oder zweifilbig, genau oder ungenau; es zeigt fich die unficherheit, welche der auflöfung einer organifchen ord- nung folgt. die lateinifchen gedichte diefer zeit find, wie wir gefehen haben, fchon zu voller regelmäfsigkeit des reims mit entfchiedenem übergewicht des zweifilbigen gelangt, man wird alfo nicht annehmen dürfen dafs fie auf diefe neue, noch rohe form irgend einflufs gehabt haben. der grund diefer erfchei- nung lag darin, dafs die eigenen betrachtungen und gedanken des dichters anfiengen fich geltend zu machen, oder die erzählung durch lebendige über- lieferung nicht mehr gezügelt, ungehemmt fich ausdehnen wollte: mit andern worten, die perfönlichkeit des dichters trat in die dichtung ein. auch bei dem einfachen reimpaar mufte jede zeile, wie in der ftrophe, vier hebungen fordern, da aber die natürliche fchranke einmal durchbrochen war, fo ward anfänglich die regel nicht mehr empfunden: man vermehrte oder vermin- derte die hebungen willkürlich, bis man bei höherer ausbildung wieder auf . den rechten und natürlichen weg kam. in jener Weltbefchreibung laffen fich längere ftellen ausheben, die leidlich gegliedert find und das gefetz zu befolgen fuchen, wenn auch ungefchickt und fehlerhaft. in diefem ftreben liegt mir zur gefchichte des reims. 693 der beweis feines dafeins. ich theile eine eine folche ftelle mit, die mit ge- ring gen änderungen könnte regelrecht gemacht werden. dö ich z Uztrihte quam, dö vand ich einin [vili] guoien man, den vili guoten Reginpreht. er uople gerno allez reht: er was ein wisman, J6 er gote gizam. ein erhaft phaffo, in aller [lahte guote, der fagela mir ze wäre, Jum (l. [am) andere gnuogi dare, er wäre wile (l. wilen) givarn in Islant, där michiln rihtuom vant mit holze erline, mit melwe youh mit wine. daz koufien fi zi fiure: dä ift (daz) wito tiure. unvollkommener im reim, mehr überfüllt mit langen zeilen und weniger ge- lenk im versmals ift das gedicht von der Schöpfung (Diemer 93), das ich daher auch weiter zurück fchiebe, wogegen das alte Anegenge (die vier evangelien bei Diemer 319) jener Weltbefchreibung ziemlich nahe kommt, und die bekehrung des heil. Paulus (Haupts zeitfchr. 3, 510) fchon einige fchritte weiter zur.regelmäfsigkeit gethan hat. übrigens würde manche zeile der hier berührten gedichte durch critifche behandlung des textes wahr- fcheinlich eine beffere geftalt gewinnen. ich kann alfo nicht wie Wackerna- gel darin baare reimprofa erblicken. entfchiedene fortbildung im reim wie im versmafs zeigen die bücher Mofis [chon in dem älteften theil bei Diemer. da wir zunächft nur den reim zu betrachten haben, fo ift hier nicht der ort die weitere entwickelung des metrifchen zu verfolgen: ich will nur anmerken dafs das gedicht von dem grafen Rudolf, das in die fiebziger jahre des 12: jahrh. fällt, der vollkommenen ausbildung des reimpaars fehr nahe fteht, die ein anderes, von den martern der heil. Margareta, das der reime wegen doch vor Veldeke zu fetzen ift, fehon erreicht zu haben fcheint. das einfache reimpaar hat lange gedauert, erft hundert jahre fpäter verlor diefe form in 694 W.Grımm: der regelmäfsigkeit Konrads von Würzburg ihren eigentlichen gehalt und gieng endlich in die rohen knittelverfe über. Möglich dafs in lateinifchen gedichten das einfache reimpaar ift ange- wendet worden, nur bedürfen die beifpiele, die Meril (f. 187-189 anm.) beibringt, genauerer unter[uchung: zu erwähnen find hier die mit endreimen regelmäfsig gebundenen fprichwörter Wippos (oben 669) und die hexameter oder diftichen, von welchen (oben 676) bei dem Luparius die rede war, und die bereits im 11“ jahrh. fich zeigen. Diez (Altroman. denk. f. 109) rechnet hierher die erzählung von den wundern des heil. Nicolaus (Meril f. 185-89), wovon die handfchrift in das 10“ jahrh. gefetzt wird, allein ich kann darin nur die bekannte vierzeilige ftrophe fehen, in welche das gedicht zerfällt; der beweis liegt darin, dafs jedesmal nach vier zeilen der finn fchliefst; ebenfo beurtheile ich die legenden von Fulbert (Meril 189. 190). So weit fich aus den bekannt gewordenen denkmälern ein fchlufs zie- hen läfst, tritt bei den franzöfifchen dichtern das reimpaar plötzlich und gleich in fertiger geltalt ziemlich zu derlfelben zeit auf, wo es in Deutfchland feine völlige ausbildung erhielt, in der zweiten hälfte des 12'" jahrh.;, Graf Rudolf ift gedichtet als Chriftian von Troyes blühte. es bildete dort einen gegenlatz zu der volksmälsigen form der durchgereimten tiraden, fetzte fich aber wie bei uns in der kunftdichtung feft. ich befchränke mich natürlich auf die älteften gedichte diefer art. da Gautier von Arras vielleicht etwas früher dichtete als Chriftian von Troyes, der gegen das ende des jahrhun- derts ftarb, fo will ich von dem Eraclius zuerft reden. der einfilbige reim wechfelt mit dem zweifilbigen, aber diefer fordert nicht nothwendig in der zweiten filbe ein tonlofes e, reime wie randon : abandon 1635. l’adefa: l’enpefa 1227. dangier : cangier 4747. pourtendus : defcendus 4727. javoir: avoir 5293 find nicht felten. der reim ift überall genau, wo dagegen gefehlt feheint, ift verderbnis des textes anzunehmen, fo z.b. 1485-86. 4427-28. 4539-40, wo die lesarten das richtige enthalten. häufig ift der rührende: wie im deutfchen werden präpofitionen, partikeln und hilfsverbum dazu verwendet, a dw : entour lu 1553. celui : Zui 101. 205. 1893. 2865. 3563. 5573. viegnes-tu : veus-tu 1809. devant : devant 1399. eftoient : eftoi- ent 6329. unter die unerlaubten kann man noch nicht zählen, fo nahe fie daran ftreifen, je vous dis : tou dis 4991. m’aidera : nos aidera 5121. en va: Sen va 6033. ob ein entfchieden unerlaubter vorkommt, ift bei dem uneri- zur gejchichte des reims. 695 tifchen text mit ficherheit nicht zu fagen, denn in einigen ftellen, wo er anzu- nehmen wäre wie 4371. 5977. 6097. 6263. 6295. 6443, weifen ihn die lesarten zurück, aber diefe könnten auch abfichtliche änderungen enthalten. erweite- rung des reims, efprouverai : trouverai 1561. eftahle : coneftable 1611. 1631. kalengier : arengier 2159. couftumiere : lumiere 2495. amendement : enten- dent 2829: conmandement 5575. mandement : demandement 4463. dop- pelreim, eft enfegnie : eft engegnie 2493. bon loujer : fon foujer 4189. dift : li fift 4399. ki le noroit : ki le paifoit 2391. ki te cace: ki te manace 259. fl le fet: fe il le hei 3625. tl ne fet: il ne het 3885. pites de toi: pite de moi 6253. tous li plus biaus : tous li plus loiaus 2027. anhäufung der reime ift felten und geht nie über zwei reimpaare hinaus, z. b. engien : rien. rien : bien 2629. öfter werden beide reimwörter mit einiger verfchiedenheit wiederholt, apierte : pierte. piert : apiert 3379. pris : fouspris. prife : fousprife 4129. defires : confires. confiree : defiree 4471. doch auch Zentree : encon- tree. entre: venire 4633. der gleiche mangel critifcher ausgaben erfchwert die unterfuchung der werke Chriftians von Troyes, die wir aufserdem bis jetzt nur unvollftändig kennen. ganz abgedruckt ift erft Le chevalier de la charette oder Lancelot du lac (Reims 1849) und Le chevalier au lion oder Iwein (Mabino- gion 1, 134-214. vergl. Kellers romfart 525 folg.): nur bruchftücke aus dem Perceval (Contes populaires des anciens Bretons von Villemarque 2, 266 folg.) und aus dem Erek (Arthurfage von Schulz 298 folg. Haupts Erek V-VI. X-XIlI). Chriftian behandelt das reimpaar im ganzen nicht anders als Gau- tier. auch hier ift bei dem zweifilbigen reim das unbetonte e in der letzten filbe keine nothwendigkeit, man findet fera : relevera. ailliez : bailliez. ofas: repofas. alliffions : feu/fions. meilor : greignor u.f.w. der rührende ift häufig, am häufigften im Lanzelot von feite 164 an, fo dafs man auf den gedanken gerät, der fortfetzer Gottfried von Laigny fei an diefer ftelle ein- getreten. fogar mehrmals hinter einander ift er gefetzt, wozu fich in den deutfchen gedichten kein gegenftück finden wird, ofle : ofte. meins : meins. face : face Lion feite 198°. fünfmal, neuft : reconeuft. pas : pas. repere : re- pere. genz : genz. tout :tout Lanz. feite 178. er galt, wie es fcheint, für eine zierde, während die beffern deutfchen dichter ihn lieber meiden. ich nehme nur die beifpiele von präpofitionen partikeln und hilfsverbum heraus, moi : de moi Lanz. 5. de lui: a celui Lanz. 79. 84. avecques lu: apres lu Lion 153°. de lui : avec lui Lion 181”. viert il: repria il Lion 189. orendroit: 696 W. Grımm: orendroit Lanz. 170. de leenz : par leenz Lion 200°. plus : plus Lanz. 95. eftoit : eftoit Lion 136°. fufl : fuft Lion 138°. furent : furent Lanz. 19. der unerlaubte ift hier nicht felten: einige wie a mes Il. mains : tenir au mains Lanz. 26. bien le fai: je ne fai Lanz. 42. vingt et trois : chevaux trois Lanz. 49. filz Lac : Lanceloz dou lac Erek bei Haupt XI könnte man nachfehen, da eine gewiffe verfchiedenheit eintritt, aber nicht folgende, die alle im Lanzelot vorkommen, prifon : prifon 30. 183. fere : fere 78. felons : fe- lons 101. eles voudroient : eles voudroient 145. velt : velt 145. vint : vint 151. demander : demander 176. veez:veez 184. corre:corre 187. erweiterter reim im Lanzelot, remeinent: demeinent 113. @ l’encontre : encontre 143. tef- moignera: befoignera 170. Lanzelot : chancelot 177. fodann dreifilbige, man- 8 deroiz : demanderoiz Lion 156°. dedaingnerai : feignerai Percev. 267. des- 8 confeilliee : appareilliee Perc. 279. merveille : vermeille Erek XII. doppel- reim, im Lanzelot Ze fai : ne fai 42. alire :a lire 54. 139. les os : les os 85. Vennor eft foe : lanor eft toe 89. de toi: de moi 90. ne demore : ne hore 9. ne leuft:ne feuft 101. me feiftes: me veiftes 120. fon lit: fon delit 134. le het : le fet 139. en font : fen vont 145. en pris: en pris A70. in dem Chevalier au lion ne fuft : ne fuft 136°. le dift :le mift 149%. le fache : le Jache 157°. fi mort : fi fort 167°. ne fel: ne el 175°. Üilaift : li plaift 210. ma foi:a foi 212°. im Erek bei Schulz, ö mere: li pere 304. le pas: le pas 313. im Perceval ö ot:il ot 285. weiter gehend, Zu ne Üfez : tu me hez Lanz. 107. file geta : fi le porta Lion 175°. und je ni poi trere : je ne poi fer& Lanz. 111. die anhäufung des reims geht auch hier felten über zwei reimpaare hinaus und wiederholt, wie bei Gautier, meift diefelben wörter mit geringer änderung: einige weiter gehende habe ich vorhin bei erwähnung des rührenden reims angeführt; dann habe ich im Lanzelot gefunden, dele: novele. bel: Abel. fontenelle : ifnele 186. in dem bruchftück vom Triftan,, das Michel im 1" band feiner ausgabe bekannt gemacht hat, ift die wiederho- lung derfelben wörter mit gleicher bedeutung im unerlaubten rührenden reim am weitelten getrieben, la ou eftoit : la ou eftoit feite 49. n’eft pas mervelle: n’eft pas mervelle 90. enfenble o lwi : enfenble o lui 92. que demorer : que demorer 103, eine rohheit, die fich kein deutfcher dichter erlaubt hat. feinere bildung läfst fich erkennen in dem von Im. Bekker bekannt gemach- ten Flore und Blanceflore: ich habe keinen rührenden reim darin entdeckt, den man unerlaubt nennen könnte, und führe nur an errds vous : uees vous zur gefchichte des reims. 697 1523. morte eft : voirs eft 685. ele demende combien a: qu'ele recut cou dont mal a 155. mors efloit: encainte eftoit 99. bei dem doppelreim ift regelmä- fsigkeit /a nouele: la pucele 339. en fon eftage: en fon corage 2705, et hai- rons : et paons 3185. auch hier zwei reimpaare mit gleichem reim, 725. 2409. 3027; einmal wird das eine reimwort wiederholt, Jiome : home. fome: Rome 443. Diefe form nicht ftrophifcher gedichte tritt in deutfchen gedichten, fo weit wir zurück fehen können, mit ihren ungebildeten anfängen im be- ginn des 11“ Jahrhunderts hervor: in Frankreich erfcheint fie, wenn nicht ältere denkmäler an den tag kommen, erft in der zweiten hälfte des 12 und, wie fchon bemerkt, gleich in der fertigen geftalt, zu welcher die deutfchen dichter eben in diefer zeit gelangt waren; bei dem rührenden veim fehlt einficht in die natürlichen gefetze, und er ift oberflächlich behan- delt. eine einwirkung romanifcher auf deutfche kunft hat Wackernagel in feinen fchönen abhandlungen zu den altfranzöfifchen liedern dargethan, wenn man ihm auch nicht in allen beziehungen folgen kann: aber eine folche be- rührung beider völker wird doch nicht blofs nach einer feite wirkungen ge- habt haben, und wenn auch die Franzofen allzeit weniger empfänglichkeit für die eigenthümliche bildung anderer, auch angrenzender völker gezeigt haben, fo mufs man doch an die möglichkeit denken, dafs diefe form, die fich dem bedürfnis durch einfachheit und leichte anwendung empfiehlt, von Deutfchland aus nach Frankreich gelangt lei. Arras und Troyes find nicht weit von der grenze entfernt, und Chriftian lebte einige zeit an dem hof des grafen Philipp von Flandern. Altenglifche, durch die fammlungen von Ritfon und Weber bekannte, erzählende gedichte des 13“ Jahrhunderts haben das einfache reimpaar wahr- fcheinlich den Franzofen abgelernt. ich habe darin aufser der reinheit des reims vorliebe für den zweifilbigen bemerkt. XX. Nachdem bildung und gebrauch des reims betrachtet ift, darf ich die frage nach feinem ursprung berühren. gleichklang findet fich leicht unbeab- fichtigt und von felbft ein und ift wahrfcheinlich von den meiften völkern fchon in frühen zeiten in der dichtung, oder doch in formeln und [prüchen angewen- det worden. man kann allo von dem erfallen und hervorheben desfelben reden Philos.- histor. Kl. 1851. Live 698 W. Grimm: wie von feiner fortbildung und endlichen herfchaft, nicht aber von einer plötzlich auftauchenden erfindung. diefe anfıcht ift fchon öfter geäufsert worden, wie die gelehrte zufammenftellung der ver[chiedenen meinungen über feinen urfprung von Ferd. Wolf (Über die lais f. 161-166) nachweift. neuerdings hat fich in beziehung auf den deutfchen reim eine fiimme von gewicht dagegen erhoben, W. Wackernagel (Gefchichte der deutfchen natio- nalliteratur $. 30) erklärt es für unzweifelhaft dafs Otfried den reim aus den lateinifchen gedichten kennen gelernt und zuerft angewendet habe. da in den wenigen aus der vorotfriedifchen zeit auf uns gekommenen denkmälern oder bruchftücken die alliteration fich zeigt, die zwar auf einem gleichlaut aber ganz anderer art beruht und fich von dem endreim wefentlich unter- fcheidet, fo müfte durch Otfried, den geiftlichen dichter, eine neue kunft eingeführt und auf einmal ein völliger umfchlag erfolgt fein. freilich trat bei ihm in anderer beziehung ein verfchiedenes verhältnis ein, die lateinifchen hymnen, der verberrlichung der gottheit und des religiöfen lebens gewidmet, laffen wol eine betrachtung oder lehre einfliefsen, und das werden auch an- dere gedichte gethan haben, aber Otfried erzählt das evangelium in der ab- ficht feine fittlichen und geiftlichen betrachtungen daran zu knüpfen; das war fein eigentliches ziel. in diefe richtung wird vor ihm kein deutfches gedicht, am wenigften ein weltliches lied eingegangen fein, und wir erblicken hier zum erften mal die dichtung nicht von dem geift des volks, fondern von der eigenthümlichen bildung eines befonderen ftandes und von der per- fönlichen begabung eines einzelnen getragen und durchdrungen. aber wie abweichend auch Otfrieds auffaffung war, fo ift doch höchft wahrfcheinlich dafs er, ungeachtet feiner abneigung vor der weltlichen volksdichtung, nicht blos herkömmliche redensarten und fprüche daraus beibehielt, fondern auch die ganze äufsere form, mithin auch den reim. die armut die Wackernagel in dem gebrauch deffelben bemerkt, ift der volksdichtung eigenthümlich und in den Nibelungen noch gröfser. erft die kunftbildung gefällt fich in rei- chem, häufig gefuchtem wechfel der reime: dort aber wird das überlieferte mittel auf die einfachfte und unfchuldigfte weife verwendet, gerade wie die darftellung bei aller tiefe der gedanken fo fchlicht ift, dafs die höfifchen dichter mit geringfehätzung darauf blicken zu dürfen glaubten. wer eine fremde form abborgt, pflegt fie nur äufserlich zu ergreifen, er empfängt nicht zugleich ihr inneres leben. woher hat Otfried die feinen aber nicht er- zur gefchichte des reims. 699 dachten gefetze, womit er leicht und ficher, als folge er nur der überlieferung, den rührenden reim, den erweiterten, den doppelten, den ungenanen und den angehäuften behandelt, gefetze die nach und nach verfchwanden, weil man fich von ihnen keine rechenfchaft zu geben wufste? gewis nicht aus den lateini- fehen hymnen, in welchen fie nur zum theil und unvollkommen beobachtet find. noch eine andere frage, wenn Otfried den reim lateinifchen dichtern ent- lehnte, fo war er auf vollen gleichklang angewielen, der zu feiner zeit bei jenen fchon durchgeletzt war, warum ift er davon abgegangen‘? was berech- tigte ihn zu einer folchen freiheit? auf diefen einwurf zielt wol Wackernagels bemerkung, dafs Otfried die latinität zu verdeutfchen gewufst habe, er meint die einführung des ungenauen reims. doch diefer ift nichts als der naturge- mälse beginn des gleichlauts, und man müfte annehmen der deutfche dich- ter habe eine fchon fertige entwickelung zu ihren anfängen zurück lenken wollen und den richtigen weg glücklich gefunden, denn auch diefer freie reim hat feine natürlichen grenzen. und wie ilt es gekommen dafs fein werk, die arbeit eines gelehrten geiftlichen, die fchwerlich grofsen einflufs auf die volksdichtung gewan, nachhaltig genug wirkte, um die dichter der Samari- terin und des Ludwigsliedes, ja alle übrigen bis gegen die mitte des zwölf- ten Jahrhunderts zu befiimmen diefen freien reim anzuwenden” die meiften von ihnen gebrauchen ihn nicht blofs häufiger fondern auch roher als Otfried, unter welchen gleich der verfalfer des 138° pfalms, der nicht viel [päter mag gelebt haben, fich bemerklich macht. war der Weilsenburger mönch ihr vorbild, fo haben fie ihn fchlecht aufgefalst: kannten fie aber den reim durch die lebendige überlielerung, fo darf man fich nicht wundern dafs er allmälig fank, und dafs zu der zeit, wo er untergieng, oft die hälfte der reime ungenau war; er konnte in dem zuftand, in dem wir ihn bei dem pfaf- fen Konrad oder dem dichter des königs Rother erblicken, nicht länger bleiben ohne völlig zu verwildern. Das wenige was [ich aus der zeit vor Otfried erhalten bat ift mythi- fchen oder epifchen inhalts, und bei dem vortrag diefer dichtungen wird fingen und fagen noch keinen eigentlichen gegenfatz ausgemacht haben. blofs gelungene lieder jener zeit, vulgares cautilenae, find nicht auf uns ge- langt, doch beftimmte zeugniffe laffen an ihrem dafein nicht zweifeln. die cantica ruftica et inepta, oder turpia et luxoriofa, wie die geiftlichen in ihrem widerwillen fie fchalten, mögen fich auf wirkliche, nicht abfichtlich vor- Eoee2 700 W.Grımm: ausgeletzte ereigniffe bezogen haben, wie dies bei echten volksliedern ge- fchieht, aber fie giengen doch von befondern gefühlen und fiimmungen aus, die durch folche beziehungen follten ausdrückt werden, und muften fich dadurch von den blofs mythifchen und epifchen unterfcheiden; hat doch das eddifche lied das den fcehmerz der Gudrun bei Sigurds leiche ausdrückt einen lyrifcehen grundton. wurden fie mit wiederkehrender melodie gefungen und diefe war, ausgenommen die tanzleiche, welche die wechfelnden bewegun- gen beim reigen begleiteten, nothwendig, fo muften fie in ftrophen abge- theilt werden; die ftrophe ift daher das unterfcheidende, und Wackernagel läfst fie folgerichtig auch erft von aufsen kommen. da fie aber meiner mei- nung lich dafs jene cantilenae vulgares fchon darin ihre form gefunden hatten, nem- nach bei dem gefang nicht konnte entbehrt werden, fo ift wol glaub- lich in jenen einfachen, meift aus vier, manchmal aus fechs oder drei zeilen beftehenden abfätzen, die beim volkslied nachweislich bis zum 13" jahr- hundert fortgedauert haben. ift doch die ftrophifche abtheilung in den ed- difehen liedern nicht zu bezweifeln, die nur zuweilen die drei oder vier zei- len überfchreitet, und man darf glauben dafs fie auch im Hildebrandslied die urfprüngliche gewefen fei. der reim war darin an fich nicht nothwen- dig und durfte ganz fehlen, oder es konnte die alliteration angewendet fein, ja beide neben einander. finden wir doch in einzelnen zeilen der älteften alliterierenden gedichte bereits den reim. beilpiele davon hat Meyer (Ge- fchichte des deutfchen reims f. 9-15) aus deutfchen nordifchen und angel- fächlifchen denkmälern beigebracht, auch find die zufammengehörigen, auf einander reimenden eigennamen neben andern alliterierenden in Grimnismäl ftr. 27.29, auf die Simrock aufmerkfam gemacht hat, in erwägung zu ziehen. es ift nicht glaublich dafs die alliteration plötzlich verfchwunden und ebenfo plötzlich der reim als gegenfatz aufgekommen fei: das wäre der natürlichen entwicklung ganz entgegen gewefen. allmälig ift er vorgedrungen, erft in ungenauer form als blofse affonanz, bis er die oberhand und durch gröfsere genauigkeit auch grölsere macht erhielt. die alliteration war an fich zarter und edler, weil fie eine feinere empfänglichkeit des ohrs voraus fetzte, durch den anfchlufs an die hebung der metrifchen bewegung fich anfchmiegte, und durch freiere ftellung und häufigere wiederkehr minder reizte. eben darin lag der grund warum fie untergieng: man bedurfte eines ftärker wirkenden gleichlauts, der zugleich durch die unveränderliche ftellung am fchlufs der zur gefchichte des reims. 701 zeile die aufmerkfamkeit ftärker anregte. im Norden verfchwand das alte ein- fache fornyrdalag, die alliteration erhielt fich zwar in künfilicher ausbildung, erfcbeint aber auch in regelmäfsiger verbindung mit dem endreim, der in der volksmäfsigen form von runhenda das übergewicht erlangte und ein- und zwei- filbig mit voller reinheit auftrat. die alliteration war für die ältefte dichtung, die über anhöhen hinfchreitend mit kurz zugemeflenen, oft formelhaften wor- ten die mythifche und gefchichtlich umgewandelte fage erzählte, die natür- lichfte form. fo finden wir fie in den eddifchen liedern und in dem von den Angelfachfen auf die britifche infel hinüber gebrachten Beowulf: fo zeigt fie fich auch in den deutfchen aus jener zeit übrig gebliebenen, zum theil auf das heidenthum hinweifenden liedern. in dem fpäteren niederdeutfchen Heljand (abgefehen davon dafs das evangelium jede berührung, auch die von einer dichterhand abweilt) fühlt man fchon dafs diefe form nicht recht mit dem inhalt fich einigt und für eine breitere ruhigere erzählung nicht ge- macht war. dem milden weichen geift Otfrieds und feiner redfeligkeit mufte fie wiederftreben, und es war natürlich dafs er fich der ftrophe mit dem reim zuwendete. übertraf ihn der verfaffer des Heljands an geilt und kraft, fo dringt bei ihm in den belebtern ftellen eine gröfsere innigkeit und eine natürlichkeit des ausdrucks hervor, in welchem man den einflufs der durch das chriftenthum umgewandelten zeit erkennen mufs; die alte darftel- lungsweife wurzelte in der grofsartigen aber ungezähmten naturkraft des heidenthums. wahrfcheinlich, wenigftens nach den erhaltenen denkmälern zu urtheilen, war Otfried der erfte, der die ftrophe mit dem reim in einem gröfsern gedicht anwendete, aber in einigen, allerdings feltenen fällen kommt die alliteration auch bei ihm noch zum vorfchein, wie Lachmann (Über Otfried f. 281) fchon nachgewielen hat, und ebenfo in dem 138°“ pfalm (Meyer f. 18); man kann fie als gegenfatz zu den vorhin erwähnten verein- zelten reimen in den alliterierenden gedichten betrachten. fie finden fich auch neben dem endreim in einem lateinifchen gedicht des ziemlich gleich- zeitigen St. Galler mönchs Hartmann (Canifius 2. 3, 130 Bafnage), z. b. ‚fie mandat ipfe maximus magifler [ummi filius. aft qui felices fertili glebas foecundat germine iÜllum laetantem cumulat Fructus laboris centuplex. ganz entfchieden mit dem zweifilbigen endreim verbunden zeigt fie fich in den etwa um ein Jahrhundert älteren lateinifchen gedichten der Angelfachfen Ald- 702 W. Grimm: helm und Ethilwald (Altd. wälder I, 127. 128). ich kann nicht mit ficherheit behaupten dafs man die völlig reimlofen zeilen Otfrieds (es find einige mehr als Meyer f. 17 anführt) als nachwirkungen ältefter zeit bereälhen mülffe, da fie vielleicht in einem critifchen text verfchwinden (fo ift I. 18, 9 leicht zu helfen, wenn man löoht ans ende fetzt), aber zuläffig bleibt die vermu- tung umfomehr als, wie wir gefehen haben, in den ältern lateinifchen hym- nen nicht felten ftrophen ohne allen reim vorkommen. die abftufungen des ungenauen reims, in denen er fich entwickelte und ausbildete, laffen fich - bei Otfried deutlich bemerken: oft ift der unterfchied von dem völlig reinen nur noch gering, und diefer, der einfilbige wie der zweifilbige, ift fchon fo weit vorgerückt dafs er überwiegt; in dem rührenden, wo nicht die form der beiden reimwörter, fondern ihre bedeutung den unterfchied ausmacht, ift der gipfel des gleichlauts erreicht. XXI. GESCHICHTLICHE FORTBILDUNG. als die im althochdeutfchen betonten en- digungen nach und nach fich abfehwächten und nicht mehr im ftand waren eine hebung zu tragen, wandelten fich die zweifilbigen reime, deren erfte filbe lang war, in klingende um. in reinhochdeutfchen gedichten gebührt ihnen in der letzten filbe unabänderlich ein unbetontes e: die niederdeut- fchen, aber auch die mitteldeutfchen, laffen daneben das i ihrer endigungen zu: ich habe dies Athis f. 13 nachgewiefen und will hier aus dem Pafflıonal noch ein paar entfcheidende beifpiele anführen, wo deutfche wörter wie lönis 97, 47. rälis 105, 7. 150, 43. aftermälis 247, 60 auf die lateinifchen Simeönis, mäjeflälis, mäterjalis reimen, auch perfondlis : effentidlis 2, 33 ift hier gerecht. bei dem einfachen reimpaar trugen von nun an die beiden zeilen mit klingendem reim in der regel nur drei hebungen und bildeten da- durch einen gegenfatz zu dem ftumpfen, der entweder aus einer betonten oder aus zwei kurzen filben beftand und vier hebungen hatte. der wechfel zwifchen beiden arten that einer gewilfen verweichlichung vorfchub und ge- ftattete dem reim einen gröfseren einflufs, ja er veranlafste die verletzung eines natürlichen gefetzes, indem die meiften dichter bei dem klingenden gelegentlich auch vier hebungen zuliefsen: am ende des jahrhunderts, bei Hugo von Trimberg, war daraus eine regel geworden. zuerft wendete, wie Wackernagel (Altfranzöfifche lieder f. 215) bemerkt, Veldeke den klingen- zur gefchichte des reims. 703 den reim nach fefter regel an, wiewohl man ihn auch fchon in dem etwas frühe- ren gedicht von der hl. Margareta, bei Friedrich von Haufen und dem Sper- vogel anerkennen darf; der dichter des Pilatus fchliefst fich diefen an. das Nibelungelied, Walther und Hildegund wehrten fich noch dagegen, Rein- mar läfst ihn zu, Hartmann in feinen liedern nur felten: in das lied von Gu- drun drang er als gleichberechtigt ein, und in der Titurelftrophe fiegte er 8 vollftändig. fonft war den erzählenden gedichten mit einfachem reim- paar, noch mehr den Iyrifchen, der wechfel ftumpfer und klingender reime vortheilhaft. Lichtenftein liefs diefen wechfel in den meiften liedern, im Frauenbuch und in den Büchlein des Frauendienftes gelten, in der erzählung des Frauendienftes aber herfcht der ftumpfe: auch dichtete er lieder, in welchen nur ftumpfe (z.b. 402, XV. 406, XVII) oder nur klingende (403, X.VI) angewendet find. den einfach überfchlagenden reim, der in der zweiten hälfte des 12‘ Jahrhunderts eingang fand, kann man einen glücklichen fortfchritt nennen, wie die daraus fich entwickelnde verflechtung der reime in der erweiterten, kunftvoll gegliederten ftrophe; mit mafs und gefchick wuften fie Hartmann, Wolfram und Walther in ihren liedern zu verwenden. man empfindet da welche vortheile der reim gewährt, und was reizendes und anmutiges darin liegt. wie fchön hat Göthe diefe wirkung durch das erftaunen und wolgefallen der griechifchen Helena im Fauft aus- gedrückt, als der volltönende gleichklang zum erftenmal ihr ohr berührt. aber die kunft artet leicht in künftelei aus, das haben die den meilftern fol- genden liederdichter hinlänglich gezeigt: nicht blofs fuchte man auffallende und feltene wörter für den reim, man erfand willkürliche und unfruchtbare gefetze, welche die fchwierigkeiten bei feinem gebrauch häuften. fchon Gottfried von Neifen misbraucht ihn, wenn er ihn mühfelig, aber mit gro- {ser gewandtheit in einem lied (oben f. 586) fo weit auseinander bringt dafs er ganz zu fehlen fcheint, und das bindende und verknüpfende, worin fein wefen und feine kraft ruht, völlig unwirkfam geworden ift. der gebrochne, der grammatifche reim, die körner und paufen find {pielereien. Ich will den weg bezeichnen, den die kunft einfchlug um die alte frei- heit zu befchränken. der ungenaue reim, den Otfried fehr mäfsig und mit natürlichen fchranken, gleich dem dichter der Samariterin anwendet, der aber in der folge häufiger und zugleich roher ward, dauerte bis über die mitte des 12'“ Jahrhunderts fort. man kann fagen dafs er fich bereits überlebt hatte, als er durch Heinrich von Veldeke, bei dem fich überhaupt 704 W.Grımm: der wendepunct entfchied, unterdrückt ward. von da an erfcheint er nur in einzelnen gemilderten ausnahmen, wie z. b. bei Wolfram; kein gebilde- ter dichter würde 7: u, @a:ö gebunden haben. damit war der alten freiheit die fpitze abgebrochen. bei Gottfried von Stralsburg verfehwand er völlig, und ihm fchloffen fich die kunftreichften unter den übrigen dichtern an. in der that zeigt fich jetzt eine reinbeit des reims, die an fich bewunderung ver- dient und in folcher vollendung nie wiederkehren wird. Konrad von Würzburg erreichte den gipfel und fchwelgte in der gefchicklichkeit, womit er den reinen reim in allen verfchlingungen fpielen liefs. er war auch der letzte, denn die bei ihrem ziel angelangte, fertig gewordene kunft würde, wie alles was feine blüte erreicht hat, von felbft allımälig abgewelkt fein: fie fank aber fchnell, da die zugleich herabgekommene fprache fie nicht län- ger auf diefer höhe erhalten konnte. bei dem rührenden reim, dem gegen- fatz des ungenauen, ein ähnlicher verlauf: auch hier war Heinrich von Vel- deke der erfte, der reimwörter von gleicher bedeutung auch in den fällen ausichlofs, wo Otfried fie zugelaflen hatte. er fühlte nicht mehr den grund der ftatthaftigkeit, der darin lag dafs hilfsverba pronomina und partikeln erft in der verbindung mit den wörtern, von welchen fie abhängen, ihre Oo volle bedeutung und damit verfchiedenheit des begriffs erlangen. die fol- genden meifter nahmen Veldekes lehre an, und es befremdet fchon, wenn Hartmann von Aue, der bei dem beginn feiner laufbahn fich noch nicht fo entfchieden wie die andern von dem volksmälsigen abgewendet hatte, die alte berechtigung noch einige male gelten läfst, Lachmann (z. Iwein 7438) nennt es ein wageftück, was es nicht war. fubftantiva adjectiva und verba in völlig gleicher bedeutung zu verbinden erlaubte fich kein deutfcher dich- ter des 13" jahrhunderts, der einigermafsen gebildet war, während franzö- fifche, die an der fpitze ftanden, darin nichts fehlerhaftes erblickten. aber in dem erlaubten rührenden reim durfte man keine unbeholfenheit, am wenigften verderbnis fehen: er hatte nur nicht den fchein der künftlichkeit, die alles durchdringen follte. fichtlich fchieben ihn die ausgezeichnetern zur feite, Reinmar, Walther und Freidank, Wolfram: felten geftatten ihn die dichter des Eraclius, des Athis, des herzogs Ernft, Stricker, Rudolf von Ems, Reinbot von Dürn: Hartmann gebraucht ihn in feinem erften werk, dann aber hält er damit zurück. am zuläffigften fchien er noch, wenn eins von den rührenden wörtern oder beide in zufammenfetzung ftanden, weil diefe zur gefchichte des reims. 705 die verfchiedenheit des anlauts, die der gewöhnliche reim fordert, vertraten. dafs Konrad von Würzburg ihn fo viel als möglich befchränkte, war zu er- warten: der dichter des Pallionals, des jüngeren Titurels, des Lohengrins, Frauenlob und Boner find fehr fparfam damit. bei den fpäteren meifterfän- gern galten die aequivoca (fo nannte man diefen reim nach Wagenfeil 528) fogar für einen argen fehler. nur Gottfried von Strafsburg fcheute ihn nicht, und andere wie Wirnt, Fleck, der dichter des grafen Mai gebrauchten ihn mit vorliebe. als befondere zierde feheint ihn Gottfried von Neifen betrachtet zu haben, mit künftlicher verflechtung ift er in zwei liedern (8, 22. 38, 26) angebracht, fo dafs kein anderer reim dazwifchen kommt. zwei an- dere (23, 8. 34, 26) find ganz damit angefüllt, einzelne ftrophen die- fer art haben meifter Alexander (MSHag. 3,28°) und der Meifener (MSHag. 3, 104. XIII, 3) geliefert. man fieht das fehwanken der anfichten, das nicht ausbleibt, wenn die ficherheit der überlieferung aufhört. das über- mafs im Welfchen gaft begreift man, wenn man bedenkt dafs Thomafın, der nicht in feiner mutterfprache dichtete, die reime fuchen mufte und fich half fo gut esgieng. ich habe die zulammenfetzungen mit -äch -liche -lichen -heit -[chaft und -tuom gefondert, weil darin die verfchiedenheit der anfıcht am deutlichften zu tage kommt. unter diefen find wiederum -lch -liche -lichen die merkwürdigften, denn bald fehen wir alle drei formen gebraucht oder verworfen, bald eine, bald zwei. die wahrnehmung felbft bietet ein gutes critifches hilfsmittel dar, aber es ift fehwer die gründe der verfchiede- nen anlichten nachzuweifen. XXI. Ich werfe noch einen blick auf unfere zeit. die urfprünglichen, aus der natur der dinge hervorgegangenen gefetze verfallen, fobald ihre noth- wendigkeit nicht mehr empfunden wird, und erliegen zuletzt den einwirkun- gen einzelner, die nach gutdünken daran ändern und damit weitere willkür hervor rufen. wie fern fteht unfere zeit der mannigfaltigkeit, mit wel- cher die alte dichtung verfchieden anlautende reime durch rührende unter- brach, vollkommene mit unvollkommenen, diefe wieder in ihren vielfachen abftufungen wechfeln liefs, und den gleichklang erweitern oder auf eine filbe befchränken durfte. wie ward dadurch der einfache ungefuchte aus- druck gefördert, der den gedanken rein und vollftändig auszufprechen ge- Philos.- histor. Kl. 1851. Uuuu 706 W. Grimm: ftattet. es fällt mir nicht ein die herftellung diefer alten freiheit zu verlangen, die fich doch der veränderung nicht hätte entziehen können und im volkslied, wo fie noch fortdauert, verwilderte: denn das ift der andere entgegenge- fetzte abweg, auf welchen das naturgemäfse gerät, wenn es von dem leben- digen geift verlaffen wird. es ift ferner nicht abzuwenden, auch nicht zu tadeln dafs künftliche behandlung auf gröfsere fchärfe der form dringt und nach zierlicher ausführung ftrebt. aber zu der genauigkeit des dreizehnten jahrhunderts können wir es doch nicht wieder bringen, nachdem die fprache fo manche urfprüngliche verfchiedenheit der laute aufgegeben, verwandte vermifcht und gleich gemacht hat. zu jener zeit war durch das recht zwei kurze filben als eine lange gelten zu laflen, den erften fuls in drei filben auszudehnen und die fenkung manchmal zu unterdrücken, bei dem einfa- chen reimpaar der erzählenden gedichte eine bewegung des verfes möglich, die den gedanken des dichters zu begleiten vermochte und die eintönigkeit die man diefer form oft vorgeworfen hat abzuwenden wufste: uns ift, auch in den prächtigften ftanzen, kaum etwas anderes übrig geblieben als der jambifche oder trochäifche flufs, der unaufhaltfam fortftrömend durch fein eintöniges raufchen ermüdet und das forgfamere aufhorchen einfchläfert, zugleich aber dem reim, weil er den gedanken auf fich hinzieht, ein un- gebürliches gewicht verleiht. um aber den gleichmäfsigen fchritt hal- ten zu können, erlaubt man fich dehnungen und zufammenziehungen, die unferer ausfprache widerftreben, und die man nur erträgt, weil man daran gewöhnt ilt; wofür die alte kunft fefte gefetze hatte, das wird jetzt nach laune und willkür behandelt. bei dem reim meint man die letzte höhe der kunft erftiegen zu haben, wenn man ihn in völliger reinheit auftreten läfst, und doch ergötzt er mehr das auge des lefenden als das ohr des hörenden. man hat, gleichfam als entfchädigung für den zwang, die gehäuften allonanzen der romanifchen gedichte einführen wollen, aber wie mufte man fich winden, um fie in erforderlicher abwechflung und menge zu liefern, und dabei wollte man leicht und anmutig erfcheinen. nach meiner meinung ilt es, zumal im mehrfilbigen reim, unbedenklich verwandte, in der ausfprache wenig unterfchiedene vocale zuzulaffen: im 13‘ jahrh. wo diefe laute genauer und fchärfer unterfchieden wurden, konnte man mit reinem gleichlaut dem ohr gefällig fein, und hatte in der ftrophe die erlaubnis durch eine aulser dem reim ftehende zeile, durch den fogenannten waifen, ihn zu zur gefchichte des reims. 707 unterbrechen. man betrachtet es als einen vorzug dafs man den rührenden reim als unbeholfen ausfchliefst, und hat doch nur einen vortheil aufgegeben. man kann die gefetze des klingenden nicht mehr beachten, weil man fie nicht kennt und leben: geben, fehlangen : wangen, labung : begabung, verhängnis : bedrängnis für reime ganz gleicher art hält. warum will man jetzt, wo etwas befleres unerreichbar ift, fich unnütze fchwierigkeiten auf- bürden? Göthe hat folche feffeln niemals geduldet, und wenn er es gethan hätte, ich zweifle dafs die lieder, die ihm aus voller bruft ftrömten, folche macht ausüben und in fo vertrauliche nähe rücken würden. beginnt doch eins davon mit einem reim, deffen fich die anhänger der firengen regel fchä- men würden, mit leitern : vergöltern, und wer möchte freudeoll : leidvoll, betrübt : liebt geändert fehen? Platens reime, die unter der fchärfften zucht geftanden haben, geben feinen fchönen gedichten die glätte und den glanz kunftreicher fchnitzwerke in elfenbein, die man bewundert, aber nur mit den augen, nicht mit den händen zu berühren wagt. NACHTRAG. Bei dem mittelreim im fünften abfchnitt hätte noch aus Freidank bemerkt werden müllen 32, 19 ie lefer und ie lafer, ie beefer und ie befer. hier ilt der rührende reim an [ich ein unerlaubter, aber das formelhafte ift mächtiger. fodann 60, 19 fich huop nit unde ftrit. ÜBERSICHT. I. rührender reim 521 (1). II. fchlagreim 574 (54). binnenreim 578 (58). IV. übergehender reim 579 (59). V. mittelreim 582 (62). VI. paulen 583 (63). VII. körner 586 (66). VII. gram- matilcher reim 587 (607). IX. gebrochener 588 (68). X. ungenauer 589 (69). XI. doppelreim 589 (69). XII. erweiterter 600 (80). XIII. anhäufung 616 (96). XIV. leoninifcher 627 (107). XV. lateinifche ftrophe 680 (160). XVI. romanilche 686 (166). XVII reim in formlofen lateinifchen gedichten 688 (168). XVII. tirades monorimes 689 (169). XIX. einfaches reimpaar 692 (172). XX. urlprung 697 (177). gelchichtliche fortbildung 702 (182). XXI. gegenwart 705 (185). Uuuu?2 W. Grimm: REGISTER. ABCleich 620 (100). Adenez le Roi 690 (170). hl. Aegidius 566 (46). Aimonskinder 690 (170). Alber 562 (42). 589 (69). 592 (72). 602 (82). 609 (89). Albertus 566 (46). 582 (62). 592 (72). Albrecht von Kemenaten 573 (53). 606 (86). v. Raprechtsweil 575 (55). Alcuin 656 (136). 683 (163). Aldhelm 701 (181). Alexander von Lambert li tors 690 (170). meilter Alexander 533 (13). 537 (17). 705 (185). Alexis 637 (167). hl. Alexius 686 (166). Alram von Grelten 546 (26). 566 (46). 612 (92). Altenglifche gedichte 607 (177). Ambrolius 680 (160). Amis und Amiles 690 (170). Anegenge 546 (26). 562 (42). 591 (71). das ältere 555 (35). 616 (96). 693 (173). Antichrilt 558 (38). Antichrift Elias und Enoch 562 (42). 609 (89). Apologia pro [chola Wirzeburgenli 673 (153). Arator 654 (134). Archipoeta 673 (153). 686 (166). Armolt 559 (39). Athis 531 (11). 596 (76). 610 (90). 611 (91). 702 (182). 704 (184). Auguftinus 691 (171). Aufonius 654 (134). Ava 558 (38). 559 (39). Avianus 654 (134). Belifarius 656 (136). Beowulf 701 (181). Bernge von Horheim 578 (58). Berte aus grans pies 690 (170). Boethius 689 (169). Boner 528 (8). 530 (10). 534 (14). 541 (21). 545 (25). 550 (30). 599 (79). 705 (185). Bonus 564 (44). 620 (100). Boppe 533 (13). 545 (25). 577 (57). 583 (63). 598 (78). 609 (89). Brunwart v. Augheim 599 (79). carmina Burana 566 (46). 618 (98) zweimal. 619 (99). 685 (165). Burkart v. Hohenfels 575 (55). Buwenburg 538 (18). 591 (71). Calixtus Il. 676 (156). Calpurnius 654 (134) zweimal. Carolus Magnus et Leo papa 658 (138). Cato 675 (155), Catullus 634 (114). Chlotar II. 683 (163), Chriftian v. Hamle 538 (18). v. Lupin 538 (18). 542 (22). 578 (58). v. Troyes 694 (174). 695 (175). Claudianus 654 (134). Comgillus 690 (170). Commodianus 690 (170). Commonitorium 655 (135). Damalus 682 (162). Damianus 671 (151). Dieterichs flucht 573 (53). 590 (70). 606 (86). bruchftück aus der Dietrichsfage 573 (53). Dietleib 568 (48). 590 (70). 596 (76). 605 (85). 613 (93). Dietmar v. Eilt 566 (46). 612 (92). Dietmar v. Merfeburg 662 (142). Dionylius Areopagita 678 (158). Düring 522 (2). 582 (62). 598 (78). 610 (90). Echalis 668 (148). Eckehart I. 659 (139). IV. 659 (139). 670 (150). 685 (165). Eddifche lieder 700 (180). 701 (181). Eilhart 566 (46). 589 (69). überarbeitung des Tri- ftant 543 (23). 567 (47). 582 (62). 592 (72). Elifabeth 611 (91). Eraclius [. Otto. herzog Ernft 529 (9). 533 (13). 538 (18). 542 (22). 546 (26). 548 (28). 567 (47). 598 (78). 610 (90). 612 (92). 704 (184). fchulmeilter von Elslingen 522 (2). 619 (99). Ethilwald 702 (182). Eulalia 656 (166). Evangelienharmonie 608 (88). Facetus 677 (157). Fides von Agen 690 (170). zur gefchichte des reims. Fierabras 690 (170). Fleck 532 (12). 537 (17). 542 (22) zweimal. 546 (26). 548 (28). 550 (30). 545 (25). 591 (71). 597 (77). 614 (94). 623 (103). 705 (185). Flore und Blanceflore 696 (176). gedicht einer frau 559 (39). Gute frau 530 (10). 538 (18). 545 (25). 549 (29). Frauenlob 521 (1). 522 (2). 524 (4). 540 (20). 545 (25). 577 (57) zweimal. 581 (61). 591 (71). 599 (79). 607 (87). 610 (90). 620 (100). 705 (185). Freidank 521 (1). 574 (54). 576 (56). 539 (69). 590 (70). 593 (73). 604 (SA). 608 (88) zwei- mal. 622 (102). 624 (10%). 625 (105). 704 (184). 707 (187). latein. überfetzung 577 (157). Friedrich von Haufen 571 (51). 600 (80). 620 (100). 703 (183). Fromund 662 (142). 668 (148). Fulbert 685 (165). 691 (171). 694 (174). vifio Fuliberti 686 (166). Garin de Loherain 690 (170). Gautier v. Arras 694 (174). Geltar 578 (58). hl. Georg 555 (35). 616 (96)- Gerald 659 (139). 661 (141). Gerhard v. Viane 690 (170). Gilbertus 686 (166). Gliers 538 (18). 591 (71). Godefridus 673 (153). 677 (157). Godric [aint 688 (168). Goldemar [. Albrecht v. Kemenaten. Göli 538 (18). Göthe 707 (187). Gottfried von Laigny 695 (175). v. Neifen 522 (2). 524 (4) zweimal. 532 (12). 536 (16). 537 (17). 547 (27) 577 (57). 579 (59) zweimal. 584 (64). 536 (66). 587 (67). 588 (68). 598 (78). 610 (90). 612 (92). 618 (98) zweimal. 619 (99). 620 (100) zwei- mal. 703 (183). 705 (185). v. Stralsburg 521 (1). 522 (2). 524 (4). 526 (6). 535 (15). 576 (56). 579 (59). 582 (62). 590 (70). 594 (74). 600 (S0) zweimal. 605 (85). 619 (90). 611 (91). 614 (94). 624 (104). 625 (105). 704 (184). 705. (185). 709 Gratius Falifeus 654 (134). Gregor. 683 (163). Grimnismäl 700 (180). Gudrun 570 (50). 571 (51). 572 (52). 590 (70). 595 (75). 600 (80). 605 (85). 610 (90). 613 (93). 626 (106). 703 (183). Guillaume d’Orange 690 (170). Günther 676 (156). Hadlaub 538 (18). 578 (58). 591 (71). 599 (79). Hartmann mönch 701 (151). verfalfer des Credo 558 (38). 559 (39). 560 (40). 591 (71). 601 (81). 610 (90). v. Aue 524 (4). 535 (15). 541 (21). 545 (25). 579 (59). 587 (67). 590 (70). 593 (73). 600 (80). 603 (83). 609 (89). 610 (90). 612 (92). 620 (100). 622 (102). 624 (104). 625 (105). 703 (183) zweimal. 794 (184) zweimal. gedicht auf den tod Heinrichs II. 688 (168). Heinrich verf. des gedichts vom gemeinen leben 558 (38). 560 (40). 576 (36). 591 (71). Heinrich dichter der Litanei 561 (41). die beiden Heinriche 685 (165). Heinrich von Freiberg 530 (10). 539 (19). 544 (24). 549 (29). 550 (30). 591 (71). 599 (79). 607 (87). 611 (91). 614 (94). 624 (104). v. Meilen 533 (13). 538 (18). 543 (23). 544 (24) zweimal. 549 (29). 591 (71). 598 (78). 608 (88) zweimal. 609 (89). 614 (94). 620 (100). 625 (105). v. Morunge 523 (3). 524 (4). 533 (63). 586 (66). 591 (71). 598 (78). 609 (89). 620 (100). v. Rücke 524 (4). 578 (58). 619 (99). v. Sax 597 (77). vom Türlein 522 (2). 527 (7). 529 (9). 530 (10). 532 (12). 535 (15). 536 (16). 542 (22). 544 (24). 545 (25). 546 (26). 547 (27). 550 (30). 597 (77). 606 (86). 608 (88). 620 (100). 625 (105). v. Veldeke 521 (1). 522 (2). 523 (23). 546 (26). 566 (46). 579 (59). 587 (67). 589 (69). 590 (70). 592 (72). 602 (82). 608 (88). 609 (89). 618 (98). 620 (100). 622 (102). 702 (182). 703 (183). 704 (184). Helbling 619 (99). 620 (100). 624 (104). 710 Heljand 701 (181). Herbort 527 (7). 529 (9). 532 (12). 536 (16). 543 (23) zweimal. 544 (24). 545 (25). 546 (26). 550 50 (30). 590 (70). 596 (76). 606 (86). 608 (88). 610 (90). 618 (98). 624 (104). Heribert v. Cöln 688 (168). Hermann der Damen 522 (2). Hermannus Contractus 671 (151). Herrad v. Landsberg 671 (151). Hersfelder infchriften 655 (155). Hilarius 683 (163). Hildebrandslied 700 (180). Himmelreich 562 (42). 576 (56). 552 (62). 589 (69). 609 (89). 610 (90). 611 (91). Hochzeit 556 (36). markgraf v. Hohenburg 537 (17). 579 (59). Horatius 641 (121). Hraban 656 (136). 684 (164). Hrosuith 661 (141). Hugo v. Langenltein 599 (79). 607 (87). 608 (88) zweimal. 609 (89). 610 (90). 611 (91). 614 (94). v. Trimberg 528 (8). 534 (14). 540 (20). 542 (22). 543 (23). 544 (24) zweimal. 545 (25). 550 (30). 551 (31). 583 (63). 599 (79) zweimal. 600 (80). 610 (90). 621 (101). 623 (103). 625 (105). 607 (87). 702 (182). v. Werbenwag 538 (18). Hymnenfammlung 681 (161). Ilengrimus 676 (156). Jacob v. Warte 537 (17). fall von Jerulalem 686 (166). das himmlifche Jerulalem 559 (39). leben Jefu in der Vorau. hs. 557 (37). 601 (81). priefter Johann 530 (10). Johann v. Michelsberg 539 (19). Johannes der täufer 562 (42). Jourdains v. Blaivies 690 (170). Judith älteres gedicht 559 (39). 601 (81). Jüngftes gericht 558 (38). Juvenalis 653 (133). Juvencus 654 (134). Kailerchronik 559 (39). 591 (71). 602 (82). 621 (101). Kanzler 538 (18), 546 (26). 599 (79). 619 (99). Karajans denkmäler 601 (81). 609 (89). 621 (101). Klage 569 (49). 590 (70). 596 (76). 605 (85).613(93). überarbeitung 569 (49). W. Grımm: Klage der kunft 534 (14). lied auf einen knaben 684 (164), Konrad verf. des Rolandsliedes 563 (43). 699 (179). v. Fulsesbrunnen 527 (7). 531 (11). 536 (16). 546 (26). 596 (76). 622 (102). . Hafllau 577 (67). . Heimesfurt 528 (8). 529 (9). 531 (11). 536 (16). 547 (27). 578 (58). 590 (70). 597 (77). 623 (103). 606 (86). 608 (88). v. Kilchberg 542 (22). 591 (71). Landegge 533 (13). 583 (63). 598 (78). v. Würzburg 521 (1). 530 (10). 633 (13). 539 (19). 544 (24). 545 (25) zweimal, 549 (29). 575 (55). 581 (61). 588 (68) zweimal. 591 (71). 598 (78). 600 (80). 606 (86). 607 (87). 609 (89). 611 (91). 614 (94). 618 (95). 624 (104). 694 (174). 704 (184). 705 (185). Konrad der Salier 688 (168). lied auf den erlten kreuzzug 685 (165). den dritten 686 (166). Kürenberg566 (46). 571 (51). 592 (72). 612 (92). Laber 583 (63). Lactantius 654 (134). Lambrecht 563 (43). 592 (72). 602 (82). 608 (88). 609 (89). 610 (90). 622 (102). Laurin 674 (54), älterer 568 (48). Ligurinus [. Günther. fchenk von Limburg 538 (18). 581 (61). Litanei 560 (40). 561 (41). 609 (89). 621 (101). Litfchauer 530 (10). 583 (63). Lohengrin 530 (10). 534 (14). 540 (20). 545 (25). 550 (30). 551 (31). 705 (185). Lucanus 654 (134). Lucretius 627 (107). Ludwig v. Thüringen 611 (91), Ludwigslied 555 (35). 615 (95). 616 (96). 699 (179). Luparius 676 (156). 694 (174). Mai und Beaflor 536 (16). 5/12 (22). 590 (70). 597 (77). 606 (86). 705 (185). Manilius 654 (134). hl. Margareta 564 (44). 693 (173). 703 (183), loblied auf Maria 559 (39). hymne auf Maria Magdalena 685 (165). Mariengrülse 575 (55). 609 (89). 610. (90). 618 (98). 623 (103), << 5 zur gefchichte des reims. Marienlegenden 533 (13), 543 (23) zweimal. 544 (24). 545 (25) zweimal. 591 (71). 611 (91). 621 (101). Marienlieder der hanöy. hs. 56/1 (44). 589 (69). 592 (72). 610 (90). 617 (97). 619 (99). Marner 521 (1). 529 (9). 537 (17). 611 (91). Martialis 653 (133). Meinlo v. Sevelingen 566 (46). Meifener 533 (13). 537 |(17). 543 (23). 551 (31). 608 (88). 705 (185). Merobaudes 654 (134). Metellus v. Tegernlee 672 (152). lied der belagerten in Modena 691 (171). klofter Montglonne 684 (164). Mofes 555 (35). 601 (81). 608 (88). 621 (101). Vorauer hs. 556 (36). 591 (71). 601 (81). 609 (89). 693 (173). Neidhart 522 (2). 524 (4). 527 (7). 537 (17). 550. (30). 575 (55). 590 (70). 597 (77). 606 (56). Nemelfianus 654 (134). Nibelungelied 569 (49). 570. 571 (50. 51). 572 (52). 590 (70). 595 (75). 605 (85). 612 (92). 625 (105). 703 (183), überarbeitung 570 (50). 572 (52). 613 (93). De nominibus volucrum ferarum lignorum pilcium 661 (141). Notker balbulus 684 (164). Obernburg 610 (90). Orientius 654 (134). Ortnit 573 (53). Otfried 521 (1) 551 (31). 589 (69). 591 (71). 600 (80) zweimal. 608 (88). 615 (95). 616 (96). 625 (105). 698 (178). 701 (181). 702 (182). 703 (183). Otto dichter des Eraclius 521 (1). 531 (11). 535 (15). 542 (22). 546 (26) zweimal. 550 (30). 590 (70). 596 (76). 600 (80). 606 (86). 624 (104). 704 (184). v. Botenlaube 537 (17). 544 (24). Ovidius 649 (129) Paffional 528 (8). 530 (10). 533 (13). 533 (18). 543 (23) viermal. 545 (25) zweimal. 546 (26). 548 (28). 551 (31). 591 (71). 598 (78). 606 (86). 608 (88). 609 (89). 611 (91). 614 (94). 620 (100). 621 (101). 623 (103). 625 (105). 654 (134). 702 (182). 705 (185). bekehrung des hl. Paulus 620 (100) 693 (173). Perlius 654 (134). gebet zu dem hl. Petrus 616 (96). Pfaffenleben 610 (90). 620 (100). Phagifacetus [. Reinerus Alemanicus. Phyliologus 559 (39). Pilatus 567 (47). 589 (69). 592 (72). 703 (183). lateinilch 677 (157). Platen 707 (187). Poenitentiarius 676 (156). Propertius 646 (126). R Profper Aquitanus 654 (134). Prudentius 654 (134). 683 (163). Pfalm der 3Sfte 699 (179). 701 (181). Punctum [. Godefridus. Rabenfchlacht 542 (22). 573 (53). 596 (76). 606 (86). Ratpertus 684 (164). 685 (165). latein. rätlel 677 (157). Raumelant 529 (9). 598 (78). Vom recht 556 (36). Regenboge 523 (3). 531 (11). 599 (79). 611 (91). Reinardus 676 (156). Reinbot 529 (9). 548 (28). 598 (78). 614 (94). 704 (184) Reinerus Alemanicus 674 (154). Reinfried v. Braunfchweig 540 (20). 543 (43). 544 (24). 571 (71). 608 (88). Reinhart fuchs 566 (46). Reinmann v. Brennenberg 518 (18). 544 (24). 548 (28). Reinmar 521 (1). 522 (2). 523 (3). 535 (15). 566 (46). 587 (67). 590 (70). 592 (72). 703 (183). 704 (184). v. Zweter 537 (17). 542 (22). 543 (23). 544 (24). 578 (58). 583 (63). Reinolt von der Lippe 546 (26). Rolandslied altfranzös. gedicht 689 (169). lied auf Rom 684 (164). Rofengarten C 574 (54). D 574 (54). Rother 568 (82). 699 (179). Rubin 591 (91). Rüdiger der Hunthofer 624 (104). Rudlieb 663 (143). graf Rudolf 564 (44). 693 (173). 694 (174). Rudolf v. Ems 528 (8). 529 (9). 532 (12). 537. (17). 542 (22). 545 (25). 548 (28). 583 (63). 591 (71). 597 (77). 600 (80). 608 (88). 610 (90). 611 (91). 614 (94). 623 (103). 625 (105). 704 (184). v. Rotenburg 524 (4). 538 (18). 548 (28) 578 (58). 712 Rudolf der fchreiber 619 (99). Buch der rügen 620 (100). Ruprecht 620 (100). Salomon bifchof v. Conftanz 659 (139). Salomons lob 555 (35). Samariterin 616 (96). 699 (179). 703 (183). de converfione Saxonum 656 (136). Schöpfung 555 (35). 601 (81). 616 (96). 693 (173). der tugendhafte Schreiber 522 (2). 529 (9). 578 (58). 575 (55). 576 (56). 590 (70). Schretel 599 (79). Sedulius 654 (134). 683 (163). Serenus 654 (134). Servatius 567 (47). 592 (72). 608 (88). 609 (89). 611 (91). 614 (94). fiegelinfchriften 675 (155). Siegfried von Tegernfee 671 (151). Sigenot 573 (53). Silius 654 (134). Singenberg 523 (3). 547 (27). 577 (57). 579 (59). 618 (98). der verlorne fohn 557 (37). Spervogel 566 (46). 703 (183). Statius 654 (134) zweimal. Steinmar 578 (58). 581 (61). Stricker 527 (7). 529 (9). 532 (12). 517 (17). 543 (23). 548 (28). 550 (30). 590 (70). 608 (88). 624 (104). 704 (184). Stolle 591 (71). Suchenwirt 534 (14). Taler 524 (4). 575 (55). Tanhaufer 522 (2). 528 (8). 533 (13). 610 (90). 620 (100), Tertullianus 690 (170). Theodolus 661 (141). Thomas v. Canterbury 686 (166). Thomalin 528 (8). 531 (11). 535 (15). 541 (21). 543 (23) zweimal. 544 (24) zweimal. 545 (25) zweimal. 546 (26) zweimal. 547 (27). 550 (30). 596 (76). 610 (90). 624 (104). 705 (185). Tibullus 645 (125). Tirol 535 (15). jüngerer Titurel 528 (8). 530 (10). 534 (14). 535 (15). 539 (19). 542 (22). 545 (25). 549 (29). 551 (31). 583 (63). 600 (80). 608 (88). 611 (91). 705 (185). Triftan altfranz. gedicht 696 (176). W. Grimm: Trojas zerftörung 675 (155). Tundalus [. Alber. Ulrich v. Gutenburg 524 (4). 566 (46). 598 (78). 619 (99). 620 (100). v. Lichtenftein 521 (1). 527 (7). 532 (12). 536 (16). 541 (21). 544 (24). 545 (25). 548 (28). 550 (30). 577 (37) zweimal. 578 (58). 579 (59). 585 (65)- 586 (66). 587 (67). 590 (70). 597 (77). 600 (80). 606 (86). 619 (99). 620 (100). 703 (183). v. Muneger 538 (18). v. Türheim 528 (8). 529 (9). 530 (10). 533 (13). 539 (19). 548 (28). 550 (30). 596 (76). 600 (80). 606 (86). 614 (94). vom Türlein 530 (10). 539 (19). 550 (30). 588 (68). 621 (101). v. Winterlteten 522 (2). 524 (A). 533 (13). 538 (18). 5/2 (22). 580 (60). 591 (71). 606 (86). 610 (90). v. Zezikoven 531 (11). 535 (15). 542 (22). 544 (24). 546 (26). 550 (30). 577 (57). 596 (76). 624 (104). Urftende 527 (7). 531 (11). 536 (16). 622 (102). Valerius 654 (134). Venantius Fortunatus 654 (134). 683 (163). Virgilius 636 (116). volkslieder im anhang zum Waltharius 585 (165). Wachsmut v. Muülnhaulen 578 (58). 591 (71). Walefried Strabo 656 (136). 684 (164). Waltharius 659 (139). Walther und Hildegund 570 (50). 573 (53). 703 (183). Walther von Breilach 582 (2). v. Klingen 537 (17). v. d. Vogelweide 521 (1). 522 (2). 523 (3). 574 (54). 578 (58) zweimal. 579 (59). 583 (63) zweimal. 584 (64). 586 (66). 590 (70). 592 (72). 600 (80). 604 (84). 618 (98). 619 (99). 620 (100). 703 (183). 704 (184). Warnung 537 (17). 596 (76). 608 (88). 623 (103). Wartburger krieg 521 (1). Weltbefchreibung (Merigarto) 555 (35). 616 (96). 692 (172). bruder Wernher 521 (1). 537 (17). 550 (30). Wernher von Honberg 591 (71). zur gefchichte des reims. 713 vom Niederrhein 564 (44). 589 (69). 622 (102). v. Tegernfee 562 (42). v. Teufen 541 (21). 575 (55). Wiener meerfahrt 620 (100). Wigamur 528 (8). 531 (11). 550 (30). 545 (25) zweimal. 546 (26) zweimal. 551 (31). 540 (20). 544 (24). 608 (88). 620 (90). Wilhelm der eroberer 685 (165). v. Poitiers 687 (167). Winli 522 (2). 548 (28). 575 (55). 582 (62). Wippo 669 (149). 694 (174). Wirnt 531 (11). 535 (15). 541 (21). 545 (25). 546 (26). 590 (70). 597 (77). 620 (100). 624 (104). 705 (185). Witzlav 577 (57). 581 (71). Wolfram 526 (6). 550 (30). 578 (58). 590 (70). 594 (74). 605 (85). 608 (88). 610 (90). 624 (104). 703 (183) zweimal. 704 (184) zwei- mal. Wolframs Wilhelm latein. überfetzung 676 (156). Th. Wright 686 (166). > — Philos. - histor. Kl. 1851. HEIST # vu Dal un ie tn Ben Por pr ie a a ‚ ee ER 1, - u a Ra ER A A Ds a ) ; ie LAT IR ‚ae 9% ’ Se ER 1% an or on RR Sr a TR ww DU ME ARE PTR TOR) ER per a ar at: A er Y " Ä r 24 Ind 2 ur a ar MR ee Ber Ki une ccm) ihr ‚on ” j ha) Be - ln" m“ BarTe TS Nocn ar Hi yaostelendi ke En za. d7 hi ‚Art N In ANAND ET VRT ah LER TE Pa Fer j re RR ton “ i 64 7 Ir fr a ha \ Ina a Re, EFT! or4 i Yard re re : p 4 si vr ie 7 am j ‚ ku AUT. 4 RN De 5, y . f D } ur’4 ‘ Ye 2 iu Fa E73 % PR 73 TEN h eo d iM sis au) wiÄige en Kr gt gt if - Las 5 ; 1 Pr, e ar +7 ak 17] Sn hr * i h ee ES 5939 ver, ' Yan A a m 3 Kerr hi i4r78 f m ur Ysera DR Se h \ Ye Ate Dre vd (hie KA S adln As A ) Ir vun 60», A ; IR ne" H rR »s4; ur As 5 w ‘ ı# ie PR } u A R N WM u re re {2 Done Ir} ‚» £ „ PR II BRETT As Br " B 2 is Verbin ER ® a’ ee, art . ap Ko Tea ‚ AFTER Be A a2 Leslie Hu ‚ j j in oe Wi‘ BY Rr/"T Tr en IE Te "> 4 R Be Te ruhe Be as as Dr valddae a FR Peer OP I er In EN tondk ie r Er a MR ee vr U 0 a ur hahr Asi F De 777 Hy n La P er ae . f j a jo ’uy PR, 27 or er re EN EOTn Dur: et an AR © ER Ha 0: ‘ ” u £ f Fire Mu. PFT BON ELLE sah, ru I 5 Be. ANHANG ZU DER ABHANDLUNG ÜBER EINE URKUNDE DES ZWÖLFTEN IAHBEIUSDERTS, von herrn JACOB GRIMM. vorgetragen in der gesammtsitzung vom 29. April 1852. mnnmnNANTAmw ir nehme noch, alles in bezug auf Morsacium s. 368, das von anfang an mich zu dieser untersuchung gebracht hat, die nicht unwichtige frage auf, ob den Morseten der urkunde nicht schon die Marsacii und Marsaci römi- scher nachrichten von Deutschland im ersten jahrhundert unsrer zeitrech- nung gleich zu setzen seien? die aufgabe erlangt dadurch einen höheren reiz. forschungen über älteste geschichte und geographie scheinen mir häufig zu mislingen oder auf halbem wege stehn zu bleiben, weil man sich zu streng an die spätere lage der völkerstämme bindet und ihre ältern, oft veränderten sitze dahin zurückleiten will; wer sich der auf diesem felde wahrhaft uner- läfslichen combination entschlägt, wird wenig ausrichten. Plinius 4, 15, in einer fürs friesische und batavische alterthum classi- schen stelle sagt: in Rheno ipso, prope centum m. pass. in longitudinem nobilissima Batayorum insula et Cannenufatum, et aliae Frisiorum, Chau- corum, Frisiabonum, Sturiorum, Marsaciorum, que sternuntur inter He- lium ac Flevum. Tacitus aber hist. 4, 56, von Vocula und Claudius Labeo redend: illuc Claudius Labeo, quem caplum et extra conventum amandatum in Frisios diximus, corruptis custodibus perfugit, pollicitusque si praesi- dium daretur, iturum in Batavos, et potiorem civitatis partem ad societatem romanam retracturum; accepta peditum equitumque modica manu nihil apud Batavos ausus quosdam Nerviorum Betasiorumque in arma traxit, et furtim magis quam bello Canninefates Marsacosque incursabat. Vocula Gallorum fraude illectus ad hostem contendit. Xxxx? 716 J. Grimm: anhang zu der abhandlung Alles ist hier von grofsem werth, ich schränke mich diesmal ein auf die Marsacii, welche Plinius zuletzt nennt nach den Sturien, während Ta- Canninefates et Marsacos verbindet. Einfachem blick geht mit einem mal auf, dafs unsere rührigen Mor- seten schon den Römern als Marsacii entgegen standen; es wäre seltsam und unwahrscheinlich, dafs gleiche namen in fast gleicher lage verschiednes be- zeichnen sollten, weil lange jahrhunderte dazwischen liegen. aber manche erwägungen drängen dabei. Marsacii, Marsaci ist so wenig als Triboci ein mit ac, oc abgeleiteter name, sondern wie dieses aus tri und boci zusammengesetzt aus mor und sati; mehrsilbige altdeutsche namen sind in der regel zusammensetzungen. Marsatii, Marsati zu ändern wäre doch verwegen, wenn schon uncia- les Cund T in den ersten Jahrhunderten schwankte (Iscaevones, Istaevones), o? & Noch liegt für uns im dunkel oder zwielicht, wann eigentlich die zeigt uns Morsacii = Morsati nicht näheren we zischende aussprache des lateinischen ci, cio und tio entsprungen sei. be- kanntlich zischt tinur, wenn ein zweiter vocal darauf folgt, ei aber immer, wir sprechen Marti, Martis rein und erst Martius, Martio zischend, hinge- gen Marci zischend wie Marcianus, ci mufs also dem zischlaut leichter, frü- her, stärker heimgefallen sein als tio, tii, tium und feinere aussprache wie gehör wusten wahrscheinlich Marcianus von Marcus und Martianus von Mars abstammend zu scheiden. doch allmälich klangen beide, wie uns heute, Marzianus. Überall, wo nicht entlehnt wurde, vielmehr lateinische den deutschen wörtern natürlich zur seite stehn, entspricht, gleichviel ob harte oder wei- che vocale nachfolgen, lat. T dem goth. TH, ahd. D (ratio, goth. rapj6ö, ahd. redia) und lat. C dem goth. ahd. H für (celare goth. hilan, ahd. helan; decem, goth. taihun, ahd. zöhan). hier bleiben alle diese sprachen getreu ihrer naturanlage. Trat hingegen erborgung lat. wörter ein, so suchte die deutsche den vernommenen laut des fremden ausdrucks thunlichst beizube- halten. zur zeit, wo goth. akeit, alts. ekid eindrang, lautete also lat. ace- tum sicher noch aketum, und das ahd. ezih beruht auf blofser umsetzung der gutturalis und lingualis, ezih = echiz, wie schwed. ättika, dän. eddike. nicht anders setzen unser kirsche oder kiste ungetrübte aussprache des lat. über eine urkunde des zwölften jh. 17 cerasum, cista= kerasum, kista, ohne zischenden nachschlag voraus. als aber neben dem lautverschobnen ahd. techamo auch ein dezemo —=Jat. decima sich bildete, kam diesem decima schon die nachgeahmte aussprache dezima zu, und wie wir aus archangelus ein gezischtes erzengel machen, war schon im achten, neunten jh. ahd. arzät, nhd. arzt aus archiater, @gxierges ent- sprungen, also mufs das der romanischen zunge abgehörte wort wie arzater geklungen haben. solche beispiele lassen sich vervielfachen. Freilich, vom achten jh. bis rückwärts zum ersten ist ein gewaltiger abstand, doch der trieb zu zischenden nachschlägen war zu natürlich, als dafs er nicht frühe schon hier und da sollte aufgetaucht sein. Bei den Frie- sen selbst hörten verkehrende Römer, wenn meine vermutung statihaft ist, Märsätjan, da für diese frühe zeit noch auslautendes, später abgestreiftes n anzusetzen ist. Märsätjan, mit nachschlagendem j, dem noch ein a folgt, klang ihnen nicht mit reinem ti sondern wie ci, und ihr ci, wenn es auch kein entschiedenes zi war, konnte doch schon als angegriffenes ki, etwa kji, oder so ausgesprochen werden, wie ein heutiger Schwede tji, fast wie tschi hervorbringt. Tacitus, mit sonst zulässiger verdichtung des cii in ci, ci, wandelte Morsacii in Marsaci, dem kein deutsches Marsatan, nur Marsatjan unterliegen konnte. vielleicht auch dachten Römer dabei an die ihnen ge- läufige form griechischer namen wie Lampsacus, Thapsacus; mit wurzelhaf- tem sak ist aber in erklärung des deutschen Marsaci nicht auszukommen, ebensowenig erscheint irgend wo eine spur von deutschem Marsah, und die Marsi und Marsigni stehen wol aufser aller berührung mit den Marsacii. Hat der vorgetragne übergang des ti in ci schein, so gibt das wort einen grund wider die gewöhnliche annahme (z. b. bei Conr. Leop. Schneider s. 247. 356), dafs die zischende aussprache des ei und tii weit später begonnen habe. es gebricht auch nicht an andrer ursache um daran zu zweifeln (Ve- nus myrthea, murtea, murcia) und selbst auf münzen des ersten jh. erschei- nen merkwürdige spuren desz für t (Lutaei f. Lutatii) unser mittelalter, wie wir sahen, schrieb für Morseten unbedenklich Morsacii, für Holtsetor, Holt- sati, Holtsatii, Holsacii (dies wie Hollandi f. Holtlandi). Nicht zu übersehen in Marsacii ist das a nach dem anlautenden m, weil gerade es zum friesischen mär, nicht mör für lacus, palus stimmt. ich stellte das schon gramm. 1, 410 auf. Richthofen 916 gibt dem wort die 718 J. Grimm: anhang zu der abhandlung bedeutung graben, doch die wiederkehrende formel ur märar and ur merca 234, 11; ur mär and ur merka 339, 32 will sagen über moor und über heide, etwa was schon in Wernhers Maria 149, 37 mos und muor meint, mag gleich 307, 32. 341, 15. 419, 30 im dorf und hof mär einen pfuhl oder graben bezeichnen, wie ja lat. lacus selbst auf den schmiedetrog gehn kann. einer sehr nahen berührung zwischen mari, mere, mare und mär, mör, muor, pälus steht eigentlich nichts entgegen, und unser see, das bald hohe see, meer, bald einen! andsee und sumpf bezeichnet, kommt ihr zu statten. Wie ist wol der name der nordholländischen stadt Alkmaar zu fassen? ein ahd. alahmuor wäre arx, templum in lacu, in palude, treffende benennung eines friesischen, canninefatischen Alemär. denn selbst für die Canninefaten mufs der name Cenemare in beschlag genommen werden (gesch. der deut- schen sprache s. 586), und wer für alts. fathi im Hel. 17, 1. 89, 10 die schon einmal gerathene bedeutung von revres wahr macht, darf auch die Canninefaten für anwohner der see oder des meers halten, also das spätere Kennemär gleichsetzen einem älteren Canninefati d. i. Canninemoor. Noch heute hat im Kennemerland eine besondere, auf die Canninefaten zurück- weisende volkssprache sich erhalten. Bei einzelnen Friesenstämmen galt viel- leicht das hernach überwiegende mör, ahd. muor, nnl. moer palus, obschon die Holländer Alkmär beibehielten, nicht in Alkmoer wandelten. Fragt es sich nun nach bestimmter anwendung so bedeutsamer, uns noch durchsichtiger volksnamen, wie Märsätjan, Mörseton, Bröcseton, Holt- seton auf örter und landstriche selbst, so mufs im verlauf der zeiten ein vielfacher wechsel eingetreten sein. Die Friesen hiengen an ihren boden, seit sie von aufsen gedrängt wurden und mächtige nachbarn im rücken hat- ten, fest; als sie sich noch freier fühlten und ihrerseits erobernd vorschrit- ten, kann nicht fehlen, dafs sie ihre namen auch über die eigentliche grenze ihres volks hinaus trugen, und warum sollte nicht unter ihnen selbst mehrfa- cher zugang oder abgang der stämme eingetreten sein? Es hat darum beden- ken, einen oder den andern solcher stammnamen in die spätere gauverfas- sung fortzuschieben und dann andern gegenden abzusprechen. Wie noch heutzutage in ganz Deutschland die alten volksnamen wenigstens als eigenna- men einzelner geschlechter fortleben und beinahe in jeder stadt ein Sachse, Hesse, Baier, Franke und Westfal zu finden ist, oft ganze dörfer und nie- über eine urkunde des zwölften jh. 719 derlassungen Sachsen, Hessen, fern von den ältesten wohnsitzen der stimme selbst genannt sind; so erscheint z. b. Brocseton als ein über Friesland weit hinaus verbreiteter dorfname; man berichtet mich, dafs z.b. in Bonn der manns- name Bruchsitter fortlebt, wie ich schon den dichter Broxtermann anlührte. Brocseton hat die Freckenhorster heberolle (Dorow XX VII) im Münster- land, wie Bikieseton u.a. m. um so weniger getraue ich mir alle Morseten und Brocseten in gewisse friesische bezirke einzuengen, genug, dafs es alte Friesen und anwohner der nördlichen küste waren. Ein scholiast zu Adam von Bremen (bei Pertz 289, 23) hat die be- merkenswerthe stelle: Fresia regio est maritima, inviis inaccessa paludibus, habetque pagos 17, quorum tertia pars respicit bremensem episcopatum, his distincti vocabulis: Ostraga, Rustri, Wanga, Triesmeri, Herloga, Nordi atque Morseti. et hi septem pagi tenent ecclesias circiter 50. hanc Fresiae partem a Saxonia dirimit palus, quae Waplinga dieitur et Wirrahae fluvii ostia. a reliqua Fresia palus Emisgoe terminat et mare oceanum. dann: de illis 17 pagis quinque pertinent ad monasteriensem episco- patum, quos sanctus Lutgerus illius loei primus episcopus a Karolo impera- tore in donatione percepit. sunt his distineti vocabulis: Hugmerchi, Hu- nusga, Fivilga, Emisga, Federitga et insula Bant. Damals fielen nun die Morseten in den Bremersprengel, was natür- lich über die lage der alten Marsacii, lange bevor an einen bremischen oder münsterischen bischof gedacht werden kann, nichts entscheidet. Richthofen belehrt mich, dafs der altfriesische zu Münster gehörige Emesga aus vier bestandtheilen gebildet war, dem eigentlichen Emesgana- lond, dem Brokmonnalond, Mormonnalond und Overlederalond, dafs aber die durch die Leda von Overlederalond geschiedne gegend bei Leer heute noch Mormervogtei, in älteren urkunden des 14. 15. jh. Mormonnalond heifse. Da nun dem wortverstande nach Brokmänner auch Brokseten, Mor- männer auch Morseten sind, so erhellt hieraus, dafs Morseten sowol dem Bremer als auch dem Münstersprengel angehörten und eben so schwer zu behaupten als zu leugnen steht, dafs an jenem kampf gegen die Westfalen auch die bremischen Morseten sich betheiligten. Die miracula Liudgeri bei Pertz 2, 425, mit den worten in parte Frisiae, quae dieitur Morsaten, mei- nen wol die münsterischen. Übrigens scheint Mormer nichts als ein später 720 J. Grımu: anhang z. d. abhandl. üb. eine urkunde d. zwölften jh. verkürztes Mormänner und das von mir ohne noth getadelte Brokmer wird geradeso aus Brokmänner entsprungen sein. treues zusammenhalten aller Brokseten und Morseten, unbekümmert um ihre kirchliche vertheilung, ver- steht sich nach der friesischen sinnesart beinahe von selbst. So haben die Morsacii der natur des landes und volkes der Friesen nach sich identisch erwiesen mit den alten Marsacii römischer kunde, welche Zeuls s. 138 noch nicht zu deuten wuste und statt zu den Morseten zu den Marsignen und Marsen stellen will. Meersassen sein konnten sie so gut wie Moorsassen. wol aber verweist Lappenberg in seinen anmerkungen zu Adam von Bremen mit recht schon bei Morseti auf die Marsacii des Plinius. ———HMETD—— Über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. Pi Von v H” DIETERICI. nn [Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 19. Juni und 24. Nov. 1851.] Sikeoilch geht in der göttlichen Ordnung in dem zweiten Kapitel des er- sten Bandes von der Ansicht aus: es sei unter den Todesfällen der Menschen eine bewundernswürdige Ordnung und die Gewalt des Todes an die aller- strengsten Regeln gebunden. Er giebt in der weiteren Ausführung dieses Kapitels bestimmte Zahlenverhältnisse, auf wie viel Lebende Einer stirbt. Er unterscheidet gröfsere Städte, kleinere Städte und plattes Land. In den Städten, namentlich den gröfseren, sei eine stärkere Sterblichkeit als auf dem Lande; aber mit dieser Unterscheidung könne man annehmen, dafs für alle gröfseren Städte, alle kleineren und das platte Land, ein und dasselbe allgemeine Gesetz der Sterblichheit gleichmäfsig gelte. Er sagt im $. 38 ausdrücklich: mit nicht zu beachtenden kleinen Differenzen sei eine Über- einstimmung des Gesetzes der Sterblichkeit unter den Dörfern der Kurmark, Schwedens, Englands. Er fährt fort: „So wie in der Sterblichkeit der Land- „leute, ebenso ist auch unter den Einwohnern der Städte eine Übereinstim- „mung derselben. Sollte man es sich wohl als möglich vorgestellt haben, „dafs Rom, London, Amsterdam und Stockholm einerlei Gesetzen soll- „ten unterworfen sein, da doch die Himmelsstriche, worunter sie liegen, „die Nahrungsmittel und andere Umstände ziemlich unterschieden sind? „Woher kommt aber diese Abweichung benannter Städte von den Dörfern? „Wir können die Ursache in nichts als in dem sehr grofsen Unterschiede der „Lebensart und Sitten suchen. Die Ähnlichkeit der Sitten und Lebensart „ist die Ursache, dafs die Regeln der Sterblichkeit auf dem Lande und „in grofsen Städten allenthalben gleich grofs sind, und immer einen ähnli- „chen Unterschied der Sterblichkeit zwischen Städten und Dörfern zeigen. Philos. - histor. Kl. 1851. Yy yay; 722 Dırrerıcı „Die Natur und derselben Kräfte sind also überall gleich: die Ungleichheit „in der Dauer (des Lebens) ist allein in der Unähnlichkeit der Sitten und „Diät gegründet. Wären die Sitten und Lebensart überall in Städten und „auf dem Lande, so wie die Natur von einerlei Beschaffenheit, so würde „die Sterblichkeit auch meist einerlei sein.” Diesen Ansichten entsprechend bemerkt Süfsmilch im $. 35, man könne durchschnittlich in Europa auf den Dörfern die Zahlen wie 1:40, in den kleineren Städten wie 1:32, in den gröfseren wie 1:28 und in den grölsesten wie 1:24 bis 25 festsetzen. Es ist also Süfsmilch’s Hauptansicht, nach göttlicher Ordnung be- stehe ein ganz allgemeines Sterblichkeitsgesetz für alle Menschen und so auch für ganz Europa. Gegen dieses allgemeine Naturgesetz, das etwa wie 1:38 angenommen werden könnte, entstünden Schwankungen nur in Bezug auf ländliche und städtische Bevölkerung, so dafs auf dem Lande 1: 40, in gröfseren und kleineren Städten die Todesfälle seien, wie 1 zu 24. 28. 32. Der Unterschied zwischen Stadt und Land rühre wesentlich nur daher, dafs in den Städten ein luxuriöseres und weniger sittliches Leben statt finde als auf dem Lande. Sollten diese Ansichten des würdigen Probstes in Köln durchweg rich- tig sein? Wird auch willig zugegeben, dafs, wie schon nach der Schrift, des Menschen Leben 70, und wenn es hoch kommt, 80 Jahre währet, eine ge- wisse Ordnung in den Sterbefällen sei, so fragt sich doch, ob der Durch- schnitt, ob die Verhältnifszahl, 1:32, 1:34, 1:38, 1:40, nicht bei grö- fserem Wohlstande, besserem Leben, sich nach und nach ändern könne? ob bei günstigeren Zuständen der Civilisation, bei besseren medicinal - poli- zeilichen Anstalten, bei gröfserem Woblstande auch in den niedrigsten Klas- sen und dadurch herbeigeführter besserer Pflege der Neugebornen, der klei- nen Kinder, bei denen die Zahl der Sterbenden besonders grols ist, das Men- schengeschlecht nicht die Kraft und Anlage von Gott erhalten babe, den Tod, wenn nicht abzuhalten, so doch auf späteres Lebensziel hinauszuschieben? ob in den Stammverschiedenheiten der Menschen nach ihren natürlichen An- lagen und ihrer Körperbeschaffenheit nicht Bedingungen früheren oder späte- ren Absterbens liegen, so dafs ein allgemeines Sterblichkeits-Gesetz für alle Menschen auf der Erde nicht angenommen werden kann? ob, in sofern wirk- über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 723 lich der Unterschied zwischen Stadt und Land constant ist, das gröfsere Ab- sterben in den Städten wirklich allein in dem luxuriöseren und unsiltlicheren Leben in denselben, oder vielleicht auch darin zu suchen sei, dafs in den Städten viel junge Leute, von 15 bis 20 Jahren, zusammenkommen, und gesetzt sind als auf dem Lande? ob überhaupt es richtig ist, dafs ein allgemeines Durch- also die Populationen in den Städten ganz anders zusammen schnittsverhältnifs für ganz Europa angenommen werden kann? ob nicht wirklich sehr erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Sterblichkeitsver- hältnisse in den verschiedenen Ländern Europa’s bestehen? Der wackere Süfsmilch hat grofse Verdienste um die Statistik. Er hat gerade die in Rede stehenden Verhältnisse zuerst im Zusammenhange mit Besonnenheit behandelt. Indessen ist die Wissenschaft seit seiner Zeit vorgerückt. Nach dem Tode Süfsmilch’s inkl bis Ende des vorigen Jahrhunderts folgte man in der Statistik ziemlich allgemein den von iblscpn und schon frü- her oder gleichzeitig, wenn auch weniger systematisch von Petty, King, Kerseboom, Struyk, Short, Deparcieux, Wargentin und andern ausgesprochenen Ansichten und Berechnungen, und hielt im Allgemeinen an dem Gedanken fest, dafs ein unwandelbares, ewiges Gesetz für die Sterb- lichkeit der Menschen im bestimmten Zahlenverhältnifs von Gott und der Natur festgesetzt sei. Es sind in diesem Sinne, und in dieser Richtung sehr wackere Arbeiten geliefert, und jedenfalls war die Aufmerksamkeit in der Statistik und in der politischen Arithmetik auf diese Fragen allgemein ge- worden. Man bemühte sich die Listen der Gestorbenen zu sammeln, und diese immer vollständiger aufzustellen. Wenngleich indessen noch viel fehlt, dafs dies überall geschehen sei, so ergaben sich doch nach und nach so vielerlei Verschiedenheiten und Abweichungen gegen die von Süfsmilch aufgestellten Sätze, dafs man, etwa von Anfang des laufenden Jahrhunderts an, mehrfach auch an der Richtigkeit der Consequenzen, die Süfsmilch gezogen hatte, zu zweifeln begann. D’Ivernois, Bickes und andere machten diese Fragen, die sie unter dem Begriff der Bewegung der Bevölke- rung, auch wohl der Populationistik mit mehreren anderen Problemen zu- sammen behandelten, zum Gegenstande besonderer Untersuchungen. Ins- besondere wendeten N. Statistiker auf diese Betrachtungen ihre Aufmerksamkeit. Ich nenne vorzugsweise Villerme; ganz neuerlich sind Yyyy2 724 DiıETeERTCI im Journal des debats und andern Zeitblättern und periodischen Schriften diese Fragen vielfach besprochen. Man geht in Frankreich und Belgien, ebenso in England sehr allgemein von der Ansicht aus, dafs gegen die Süfsmilch’sche Theorie wirklich eine Verschiedenheit der Sterblichkeit, d.h. des Verhältnisses der in einem Jahre gleichzeitig Lebenden gegen die in demselben Jahre Sterbenden in den verschiedenen Staaten Europa’s statt finde. Man nimmt einfach die Bevölkerung des Landes, und vergleicht diese gegen die in einem gegebenen Jahre in demselben Lande vorgekom- menen Todesfälle. — Es ist ferner ziemlich allgemein angenommen, dafs die Verschiedenheiten dieses Verhältnisses ihren Grund haben in gröfserer Civi- lisation, überhaupt besseren Culturzuständen, besserer Nahrung, besserer Ordnung, gröfserem Wohlstande. Doch sind neuerlichst von sehr bedeu- tenden wissenschaftlichen Autoritäten auch gegen diese Ansichten Bedenken erhoben. Als Beweis der jetzigen Behandlung dieser Fragen, führe ich fol- gende Stellean aus einem Aufsatz Legoyts, eines fehr fleifsigen und tüchti- gen Forschers, der in einer Abhandlung Du Recensement de la population de la France en 1846 et du mowvement de la population en Europe im Journal des cconomistes Tom. XVII. S. 188 Folgendes sagt: Das Sterblichkeits- Verhältnifs sei: Norwegen 1 :50,5; England 1: 46,3; Dänemark 1:46,05 Frankreich 1:43,53; Belgien 1 : 42,1; Hannover 1:42,0;, Schweden 1:41,2; Holland 1:40,3; Preufsen 1: 35,5; Bayern 1:35,5; Sachsen 1:34,15; Sardinien 1: 34,1; Oesterreich 1:34; Würtem- berg 1:29,1; Rufsland 1:27. Es sei klar, dafs das Klima nicht die Ver- anlassung verschiedener Lebensdauer sei, und man nicht allgemein sagen könne, im Norden lebe man länger; denn Frankreich stehe günstiger als das bei weitem nördlichere Schweden. „La prolongation de la vie moyenne, fährt Legoyt fort, depend du degres de civilisation morale et materielle au quel sont parvenues les nations et l’exemple de la Russie en fait foi. Les populations de ce royaume representent en effet assez exactement, quant & leur condition sociale, celles de ! Europe occidentale au seizieme siecle: dest la me&me ignorance, le m&me fanalisme, le meme esprit d imprevoyance, la m&me oppression du travail par une feodalite egoiste et violente. La Nor- pege elle Danemark, au contraire, peuvent etre consideree, par la diffusion de l’insiruction elementaire, par les moeurs douces et polies des classes supe- rieures, par les grandes ame£lioriations apporlees au sort des classes pauvres, über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 725 par la liberalite de leurs institutions politigues, comme marchant a la suite de la France et de Ü_Angleterre. — Ich ehre diese Ansicht, und hänge zum Theil ihr selbst an. Aber doch auch nur zum Theil. Der Elementar- Schulunterricht ist nach allen statistischen Ermittelungen in Preufsen viel besser, als in Frankreich, Dänemark und Schweden. Wie kommt es, dafs Preufsen ein viel schlechteres Sterblichkeitsverhältnifs zeigt, als Frankreich, Dänemark, Norwegen? — Würtemberg ist im gesitteten Zustand sicherlich nicht geringer zu achten als Bayern; und in Würtemberg ist ein viel schlech- teres Sterblichkeitsverhältnifs als in Bayern. — Bei Mittheilung mehrerer Tabellen über Sterblichkeit schreibt mir Herr von Humboldt in Bezug auf die Differenzen in den Ländern Europa’s: „Es liegt wohl an Racen- „verschiedenheit, nicht an Wohlstand, Nahrung, Pflege der kleinen Kin- „der, drei Momente die in Frankreich nur elender als bei uns schei- „nen. Est durans originis vis sagt Tacitus schon im Agricola cap. XI, wo er von Verschiedenheit der Stärke und Gestaltung in den Racen spricht. (1)” Allerdings unterstützt es diese Ansicht, dafs z. B. im Preufsischen Staat, in den Provinzen Posen, Schlesien, Preufsen, wo viel Slaven wohnen, ein viel ungünstigeres Sterblichkeitsverhältnifs obwaltet, als in allen übrigen ur- sprünglich germanischen Provinzen. Andererseits sind die jetzigen Engländer und die Deutschen, den Stämmen nach, doch wohl näher an einander, als die jetzigen Engländer und jetzigen Franzosen; der Sterblichkeit nach stehen aber die Engländer weiter von den Deutschen als von den Franzosen. — Legoyt bemerkt in der oben näher bezeichneten Abhandlung in Betreff des günstigen Sterblichkeitsverhältnisses in England gegen Frankreich: J2 faut (') Tacitus sagt von Britannien, es sei nicht ermittelt, ob Eingeborne oder Eingewan- derte zuerst Britannien bebaut hätten. Die Körperbeschaffenheit sei verschieden, die Co- lonen mit gelblichem Haar und starkem Wuchs erinnerten an den germanischen Ursprung. Anders seien die mit dunklerem Gesicht und krausem Haare die nach Spanien hin gränzen und von den Iberern abstammen sollen. „Ceterum Britanniam qui mortales initio coluerint, indigenae an advecti, ut inter barbaros, parum cornpertum. habitus corporum varü, alque ex eo argumenta. namque rutilae Caledoniam habitantium cornae, magni artus, Germani- cam originem adseverant. Silurum colorati vultus et torti plerumque crines, et posita contra Hispania, Iberos veteres trajecisse easque sedes occupasse fidern faciunt. proximi Gallis et si- miles sunt, seu durante originis vi, seu procurrentibus in diversa terris positio coeli corpori- bus habitum dedit. in universum tamen aestimanti Gallos vicinum solum occupasse credi- bile est.” 736 Dıirrterıcı ienir compte, en outre, de ce fait, que le regime alimentaire du peuple an- glais est notablement plus substantiel qu'en France. Mehrere haben die Meinung, dafs die bessere Nahrung, Weizen statt Roggen, Getreide statt Kartofteln, Wein statt Branntwein u. s. w. bei verschiedenen Völkern ein län- geres Leben herbeiführe. Boeckh macht im Staatshaushalt der Athener eine genaue Beschreibung ihrer Art zu leben; ihre Mahlzeit war einfach und nahrhaft. Nach allgemeinem Eindruck möchte ich glauben, dafs bei den Griechen viel Alte waren. Boeckh bestätigt mir diese Ansicht. Als Beweis kann schon der anliegende Auszug (a) aus Pseudo-Lucians Macrobii dienen, der eine beträchtliche Anzahl von Königen, Philosophen, Historikern, Red- nern und Dichtern angiebt, die älter als 80 Jahre wurden, mehrere sind 100 bis 124 Jahren angegeben, welches jetzt sehr seltene Fälle sind. Pli- nius führt in der Historia naturalis Lib. VII. nach dem Census des Jahres 74 aus der 8°" Region (das südliche Oberitalien an dem rechten Ufer des Po) 75 Personen über 100 Jahre an. 54 Personen von 100 Jahren yen ZWEI CZ 4 —- 1390 — A —- — 1357 WERT EHIE 7 - - 120 — in Parma 3. in Velleji 4. 1 -— — 131 in Ariminum. 75 89 hundertjährige führt Phlegon mit Namen an; sehr viel davon in Placentia. Im Preufsischen Staat waren 1849 unter 498,362 Todten 1534 über 90 Jahr alt. — Die Zahl ist nicht ganz unbedeutend, 5, Proc. aller Todten; doch scheint bei den Alten ein noch viel günstigeres Verhältnifs gewesen zu sein (cf. Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft von Bergk und Caesar 7‘ Jahrgang 1849. no. 2 und 3). In England, Wales, Schottland sind 1841 auf 18,650,965 Menschen 353 hundert Jahr und aufwärts gezählt, also auf die Million etwa 19. Schwerlich hatte die 8° Region mehr als drei Mill. Menschen, so dafs 57 Alte über 100 Jahre darauf zu rechnen wären, und resp. 75 oder 89 werden im Alterthum für diesen Theil Italiens angegeben. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 727 Noch wird als Grund gröfserer Sterblichkeit Folgendes von Statisti- kern erwähnt. Die gröfseste Sterblichkeit ist bei den Kindern vor noch nicht vollendetem ersten Lebensjahre. Die unehelichen Kinder sterben in viel grölserem Verhältnifs ab im ersten Lebensjahre als die ehelichen. Staa- ten, in denen sehr viel uneheliche Kinder vorkommen, müssen ein ungün- stigeres Sterblichkeitsverhältnifs haben, als solche, bei denen unter sonst gleichen Umständen wenig uneheliche Kinder sind. Andere suchen in Stadt- und Landleben, Fabrikation oder Ackerbau, dichter und dünner Bevölkerung, und noch andern Umständen die Ursachen der verschiede- nen Sterblichkeitsverhältnisse. Man sieht wohl, dafs nach den hier nur angedeuteten verschiedenen Ansichten, die Gründe der Verschiedenheit der Sterblichkeit, in so fern eine solche besteht, noch nicht zweifellos sind. Es kann sehr wohl sein, dafs man für verschiedene Staaten zur Erklärung der statistischen Ermittelung mehrere oder hier diesen, dort jenen Grund heranziehen mufs. Man kann aber in solche Untersuchung gar nicht eingehen, den etwa obwaltenden Gründen gar nicht mit Erfolg nachforschen, wenn man über das Factum selbst, die wirklich bestehende Verschiedenheit nicht vollständig im Klaren ist, und wenn die Ermittelung des Sterblichkeitsverhältnisses nicht in allen Staaten in gleicher Weise vorgenommen ist. Die Rechnungen und die Ansätze der Rechnungen müssen zunächst genau geprüft werden; und ich finde nun, dafs in dieser Beziehung in den gewöhnlichen statistischen Anga- ben, wenn nicht Fehler, so doch Ungenauigkeiten vorkommen, so dafs die Vergleichung der Zahlen nicht zu richtigen Schlüssen führt, da die Prämis- sen, naeh denen die Verhältnisse berechnet werden, nicht immer gleich sind. In dieser Beziehung führe ich Folgendes an: 1) Im Preufsischen Staat, in dem Oesterreichischen, fast überall in Deutschland rechnet man bei den Todten die todtgebornen Kinder mit, und vergleicht also alle Todten gegen die Bevölkerung. In Frankreich und Belgien giebt man die Todtgebornen zwar an, bei Berechnung des Sterblich- keits-Verhältnisses aber rechnet man die Todtgebornen nicht mit. In Eng- land rechnet man die Todtgebornen auch nicht mit, ja man weils sie nicht einmal. In den officiellen Sterbelisten ist ausdrücklich angeführt (Tadles of the Revenue, Population, Commerce Part X1l. 1842. Seite 242): The suill- born are not registered. If a child brealhe, he is held to be born alive, and 728 Diırrterıcı registered. Also nur wenn ein Kind nach der Geburt geathmet hat, wird es als zur Bevölkerung, zur Menschenzahl gehörig gerechnet; kommt es todt zur Welt, so gilt es in England als nie dagewesen. Da das Sterblichkeits- verhältnifs nach den Lebenden berechnet wird, so ist allerdings richtig, dafs die Todtgebornen nie dahin gehört haben, wenngleich zu der zweiten Vergleichungszahl, den Todten, sie allerdings gehören, wie man von dieser Ansicht in Deutschland ausgeht. Für gröfsere Bevölkerungen ist die Anzahl der Todtgebornen fast überall etwa 5 Procent der Todten; schwankend von 4,5 bis 5,2. — Man hat also die Wahl, überall die Todtgebornen hinzuzu- rechnen, und bei England etwa fünf Procent den Todten hinzuzuzählen. Es scheint mir aber zweckmäfsiger überall die Todtgebornen fortzulassen; denn für England fände man sie doch nur durch Schätzung, und wenn man nicht das ganze England nimmt, sondern für Theile von England die Sterb- lichkeitsverhältnisse berechnen will, so trifft auch der Procentsatz von 5 nicht überall richtig zu. In den nachfolgenden Tabellen und Vergleichungen ist daher überall das Verhältnifs der Todten oder der Zahl der in einem Jahre Sterbenden zu den Lebenden ohne Todtgeborne dargestellt. 2) Es ist nicht ungewöhnlich, die Todten nach Durchschnitten fest- zustellen, und dann gegen die letzte Angabe der Bevölkerung zu vergleichen. Man sagt etwa so: Es sind in Frankreich gestorben: 1846 . 2. 831,498 — 18471 Pa mpg 83b, 02h 1848. 2.27 844,198 — Summa 2,531,682 Durchschnitt 843,894. — Die letzte Zählung war 1546, und ist durch diese die Bevölkerung Frankreichs festgestellt auf 35,401,761. Den Durchschnitt von 843,894 als Divisor gesetzt, ergiebt gegen die Bevölkerung ein Sterblichkeitsverhältnifs von 1:41,95. Dies ist nicht genau. Die Bevölkerungen steigen in Europa alljährlich. Man kann gegen die Bevölkerung von 1846 nur die Todten von 1846 vergleichen, und 831,498 in 35,401,761 ergiebt 1 : 42,58 nicht 1 : 41,95. Wenn die Differenz hier unerheblich erscheint, so kann sie in andern Län- dern viel bedeutender werden; — in England zählt man nur alle 10 Jahre; En 2 über die Sterblichkeitsverhällnisse in Europa. 729 die letzte Zählung war 1841; man käme auf ein unrichtiges Resultat, wenn man etwa den Durchschnitt der Todten von 1847, 1848, 1849, oder die Todten von 1850 gegen die Bevölkerungszahl von 1841 vergliche. Man kann einwenden, in einem einzelnen Jahre kann eine Epidemie, die Cholera, Sterben unter den Kindern an Masern, Scharlach u. s. w. ein fal- sches Resultat geben, Durchschnitte sind besser. — Ohne Frage ist es wich- tig, in den verschiedenen Ländern mehrere Jahre zurück das Sterblichkeits- verhältnifs zu ermitteln; dies gehört jedoch ausführlicher in eine besondere Reihe von Betrachtungen, auf welche ich später kommen werde. Sollte in einem bestimmten Lande in einem bestimmten Jahre die Cholera oder eine ähnliche Krankheit grofse Verheerungen angerichtet haben, so dafs die Ver- hältnifszahl sich sehr bedeutend änderte, so würde dies, da man ähnliche Rechnungen nun doch schon längere Zeit angestellt hat, sogleich hervortre- ten, und man mülste dann ein früheres Zählungsjahr oder das nächstfolgende oder vorhergehende der Todten wählen. Ich bemerke jedoch vorläufig, dafs ein solcher Fall bei den für die jetzige Zeit nachfolgenden Darstellun- gen eigentlich nur in einem Falle, bei dem Preufsischen Staat vorgekommen zu sein scheint. Zur Übersicht sind bei mehreren Staaten die Vorjahre be- rechnet. Um von übereinstimmenden sicheren Prämissen auszugehen, scheint es mir, um die jetzt in Europa statt findenden Sterblichkeitsverhältnisse festzustellen, nothwendig, von den in bestimmter Zahl durch amtliche Zäh- lung festgestellten Todten und Bevölkerungen der letzten Zählungsahre auszugehen. 3) Es ist richtig, dals man nur für grofse Bevölkerungen ein der Wahrheit nahe kommendes Sterblichkeitsverhältnifs berechnen kann. Für kleine Gebietstheile, für kleine Communen würden mehr Sterbefälle in die- sem oder jenem Jahr durch diese oder jene herrschende Krankheit herbeige- führt, die Verhältnifszahl unrichtig herausstellen. Dennoch ist es anderer- seits nicht genug, wenn man sich damit beruhigt, vom ganzen Staate die Tod- ten eines Jahres anzulühren, und diese gegen die ganze Bevölkerung zu verglei- chen. Die gefundene Verhältnifszahl gewinnt erheblich an Bedeutung und Klarheit, wenn man die verschiedenen Provinzen und Landesabtheilungen berechnet; man sieht dann, zwischen welchen Gränzen das Sterblichkeitsver- hältnifs schwankt, welchen Sinn, wenn ich so sagen soll, die Totaldurch- schnittssumme hat. — Zweckmälsig aber ist es, bei diesen Specialangaben Philos. - histor. Kl. 1851. Zzzz 730 Dıiererıcı sich streng daran zu halten, wie in officieller Weise die Provinzen oder Landestheile angegeben werden; — macht man Eintheilungen nach eigener Auffassung und Idee, und anders als sie von den Regierungen und überhaupt im Lande angenommen sind, so verlälst man allzuleicht den Boden sicherer Grundlage. — Es kann dies für bestimmte Zwecke zulässig sein, z. B. Fabrik- gegenden gegen Ackerbautreibende u. dergl. zu vergleichen; — solche Rech- nungen wollen aber mit grolser Vorsicht angestellt sein, und müssen in ihrem Detail, wie sie angestellt worden, immer näher dargelegt werden. 4) Überhaupt nimmt man es, mit der Art der Berechnung der Sterb- lichkeitsverhältnisse eines Landes in vielen statistischen Schriften sehr in ganz allgemeiner Auffassung. Man behandelt in solchen Darstellungen statistisch oft ohne Weiteres einen Staat ganz wie den andern; ich halte das für unvor- sichtig. Bei den Zählungen selbst der Bevölkerung, bei der Ermittelung der Todesfälle in Bezug auf kirchliche Gebräuche und religiöse Vorstellun- gen, walten oft sehr verschiedene Ansichten ob, die für die Zahlen von Ein- flufs werden. In manchen gröfseren Reichen z. B. Grofsbritanien sind die Todesfälle nur für einzelne Theile des Reichs zu erhalten; in andern nur von gewissen Religionsparteien z. B. in Rufsland nur von der Griechi- schen Kircbe. Es ist daher nothwendig, jeden Staat für sich zu behandeln; und wo es an zuverlässigen, die Totalbevölkerung umfassenden Nachrichten fehlt, die Berechnung des Sterblichkeitsverhältnisses lieber ganz aufzugeben, als aus unsichern und unvollständigen Nachrichten zu unrichtigen Schlüssen sich verführen zu lassen. Hiernach werde ich in der folgenden Darstellung die jetzigen Sterb- lichkeitsverhältnisse in Europa zu finden suchen; die Todten ohne Todtge- bornen berechnen, das letzte Jahr der Zählung und die Sterbelisten des- selben Jahres in positiver Zahl zu Grunde legen, überall neben der Berech- nung des ganzen Landes die gröfseren Landestheile besonders angeben; end- lihh bei jedem Staate Näheres über die Art der Berechnung und der Ermit- telung der thatsächlichen Verhältnisse anzeigen. — Von England haben wir genaue Sterblichkeitslisten über Alt-England und Wales, in den officiellen Tadles of revenue, population, commerce, die von Porter und dem statistischen Büreau in London herausgegeben werden. Es ist noch 1822 über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 731 eine besondere Bill wegen ordentlicher und genauer Führung dieser Sterbe- register zum Gesetz erhoben; doch bemerkt Mac-Culloch, dafs auch jetzt noch bei manchen Dissenters, bei Römisch - Katholischen und Juden (cf. Statistical account S. 413) in London und mehreren andern Orten die To- desfälle nicht genau in die Register eingetragen würden. Bedeutend können indessen diese Auslassungen nicht sein, da fortdauernd auf deren immer gröfsere Genauigkeit hingearbeitet wird, und in den offieiellen Tabellen einer Unsicherheit in diesen Zahlen in keiner Art Erwähnung geschieht. Von Schottland und Irland dagegen findet sich in den officiellen Tabellen über die Todesfälle nichts angeführt; in keinem statistischen Werke sind hierü- ber positive Zahlen mitgetheilt. In den ofliciellen Tables of revenue, popu- lation pp., die von Porter und dem statistischen Büreau in London heraus- gegeben werden, finden sich ohne weitere Ausführungsgründe keine Anga- ben über die Sterblichkeitsverhältnisse von Schottland und Irland. Mac- Culloch giebt in Statistical Account of the British Empire London 1837 den Grund an. Er sagt von Schottland: in vielen Parochieen giebt es gar keine Register der Begrabenen, und die, welche vorhanden sind, geben höchst unvollständige Nachrichten. Es ist in Schottland sehr gewöhnlich, dafs viele Personen nicht da, wo sie sterben begraben werden, sondern in andern Parochieen, wo ihre Vorfahren oder ihre Verwandten begraben sind; arme Personen aber bezahlen keine Beerdigungsgebühren und werden daher meist in die Kirchenregister gar nicht eingetragen. Es sei zu hoffen, dafs dieser Übelstand, der ebensowohl dem Interesse der Individuen als dem Fortschritt der statistischen Wissenschaft entgegenläuft, bald geändert werde. Mehrere Bills seien deshalb schon bei dem Parlament eingebracht, bis jetzt aber sei keine zunı Gesetz erhoben (Seite 429 und folg.). In Bezug auf Irland bemerkt derselbe Verfasser Seite 443, dafs die Register über Gebur- ten, Trauungen und Todesfälle in Irland in noch viel traurigerem Zustande seien, als in Schottland. Es sei zu hoffen, dafs die Gesetzgebung bei Ge- legenheit der Zählungen der Volksmenge in Irland ihre Aufmerksamkeit auch darauf richte, durch die Geistlichen der Kirchen und Kapellen genauere Nachrichten über die Geburten, Trauungen und Todesfälle nach den Kir- chenregistern zu erhalten. Bis jetzt aber sei, wie dringend auch das Bedürf- nifs erkaunt werde, in dieser Beziehnng noch nichts angeordnet. Zzızz? 732 Dirrterıcı Ich mufs mich daher auf Alt-England und Wales beschränken, und lege meiner Betrachtung die officiellen Zahlen der Zählung von 1841 nach Bevölkerung und Sterbefällen, letztere, wie schon oben angeführt, ohne Todtgeborne zum Grunde. Sie ist in den officiellen Tabellen nach 11 ver- scbiedenen Gebietstheilen angegeben, und schwankt von North - Western, das heist: den Grafschaften Cheshire und Lancashire mit 1 : 38,7 zu South- Western, enthaltend die Grafschaften Wilts, Dorset, Devon, Cornwall und Sommerset 1 :53,4. London, welches für sich angegeben ist, hat ein Ver- hältnifs von 1; 42,7. Der Durchschnitt für ganz Alt-England und Wales ist 1: 46,2. Näheres giebt die Tabelle A. Noch mag in Bezug auf englische Verhältnisse angeführt werden, dafs in Hinsicht der englischen Armee in Ostindien in T’he Statistical Companion by T. C. Banfield and C. R. Weld sich Folgendes angeführt findet: In der Präsidentschaft Bengalen ist der Durchschnitt der Todesfälle bei den Europäern in der Armee 7,;s auf 100 d.h. 1 von 13,55, bei den Ein- gebornen in der Armee 1,79 auf 100 d.h. 1:56. In der Präsidentschaft Madras ist das Verhältnifs der Todesfälle in in der englischen Armee bei den Europäern auf 100 = 3,816 d.h. 1:26, bei den Eingebornen der Armee ist die Procentzahl 2,095 d. h. 1 : 47,7. Mag immerhin bei diesen Zahlenverhältnissen durch Krieg und andere Umstände manche Unsicherheit vorhanden sein; gewifs ist, dafs in der eng- lischen Armee in Ostindien bei den Europäern, da sie nicht acclimatisirt sind oder doch erst acclimatisirt werden müssen, ein viel gröfseres Abster- ben vorhanden ist als bei den Eingebornen. — Von Frankreich haben wir in dem Annuaire und in den officiellen Documens statistiques ge- naue Nachrichten über die Sterbeverhältnisse. Über die Richtigkeit dieser Angaben kann kein begründeter Zweifel obwalten, da seit langer Zeit diesel- ben genau geführt werden, aus Religionsansichten hergenommene Abwei- chungen in Frankreich nicht wie in England statt finden, vielmehr diese Noti- zen von den geordneten Civilbehörden vertreten werden. Es wird in Frank- reich alle 5 Jahre gezählt. Die nächste Zählung ist im laufenden Jahre 1851. — über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 733 Die Anlage B giebt die Resultate der Sterblichkeitsverhältnisse ohne Todtgeborne nach der Zählung von 1846, der letzten, welche officiell be- kannt gemacht ist; nach den 86 Departements und besonderer Hervorhebung von Paris. Der Durchschnitt für ganz Frankreich ergiebt das Sterblichkeits- verhältnifs von 1 :42,6. Es schwanken aber die Verhältnisse nach den ein- zelnen Departements von 1 :34,3zu 1:59,35. Das schlimmste Sterbeverhält- nifs ist in folgenden Departements: Hautes Alpes, worin Gap, Briancon, Embrun, 1:34,33; Gard, worin Nismes, Avignon, wie 1:35,3; Nieder- Alpen, worin die Städte Digne, Sisteron und andere, wie 1 : 35,8. Die besten Sterblichkeitsverhältnisse sind in dem Departement der Orne, worin Argentan, Mortagne 1 :59,3; Creuse, worin Gueret, Aubusson 1:54 und Hautes-Pyrenees, worin Tarbes, Barreges 1: 53,6. In Paris ist die Verhält- nifszahl 1 : 36,8, so dafs also ein niedrigeres Sterbeverhältnifs stattfindet als in manchen Departements. Wenn auch in einzelnen Jahren bei den verschiedenen Departements Abweichungen der Sterblichkeitsverhältnisse vorkommen, so zeigt doch eine Vergleichung auch früherer Zählungen, dafs das südliche und westliche Frankreich von Nismes an, nach Westen zu die ungünstigsten Sterblichkeits- verhältnisse hat, und nach allen bereits vorgenommenen Vergleichungen ist die Sterblichkeit in Paris nicht die schlechteste in Frankreich; wenngleich allerdings die mehrsten Departements ein besseres Sterblichkeitsverhältnifs zeigen. — In Belgien werden in den — von (Juetelet bearbeiteten — Annuaires und in den of- ficiellen Documens statistiques die Sterblichkeitsverhältnisse in grofser Voll- ständigkeit mit und ohne Todtgeborne angegeben. Ich wähle nach dem angenommenen Princip die Zahlen ohne Todtgeborne. Bedenken kann gegen diese Nachrichten nicht obwalten, da sie durch die Civilstandsregi- ster und die gesetzlichen Landesbehörden fortdauernd sehr genau ermit- telt werden. Die Anlage C ergiebt die Berechnungen für die Provinzen für die Zäh- lung von 1846; für ganz Belgien sind auch einzelne Vorjahre angegeben. Das ungünstigste Verhältnifs war 1846 in West-Flandern, das günstig- ste in der Provinz Namur; die Schwankungen gehen von 1 zu 31,3 bis 1: 55,8. 134 Dierterıcı Die Provinzen Antwerpen, Brabant, West- und Ost-Flandern stehen ungün- stiger, als Hennegau, Lüttich, Limburg, Luxemburg, Namur. In Brüssel ist das Sterblichkeitsverhältnifs wie 1 : 31,4, ist also ungünstiger als in irgend einer Provinz. Der Durchschnitt ergiebt für ganz Belgien ein Sterblichkeits- verhältnifs wie 1 :40,2..— Für die Niederlande ist ein officielles Jaarboekje over 1840 vorhanden, in welchem speciell die Sterfgevallen nach den Monaten, und in allgemeiner Tabelle für die Pro- vinzen die Sterbefälle im Verhältnifs zu den Geburten, Trauungen und Ehe- scheidungen angegeben sind. Ich folge dieser letzten Tabelle (Seite 117), aus welcher sich folgende Verhältnilszahlen berechnen (vgl. Anlage D). Der Totaldurchschnitt ist 1 : 37,5; also ein grölseres Sterblichkeits- verhältnifs als in Belgien. Am schlechtesten steht Nordholland 1 : 29,4; am günstigsten Geldern 1 : 46,3. Für Amsterdam berechnet sich 1 : 27,4. Es ist zwar nicht ausdrücklich gesagt in dem Jaarboekje, dafs die Todtgebornen bei den Sterbefällen nicht mitgerechnet seien; indefs glaube ich dies voraussetzen zu dürfen, weil 1) dieses ganze Jaarboekje nach dem Muster der französischen An- nuaires eingerichtet ist, auch vielfache Vergleichungen zwischen den stati- stischen Ergebnissen in Frankreich gegen Niederland darin angestellt sind. 2) Die Liste der Sterbefälle nach den Monaten ergiebt eine Total- summe von 70,665, die Liste, welche hier nach der Angabe für das ganze Land zur Vergleichung gezogen ist 69,668; also 997 weniger. 3) Bei Amsterdam S. 123 sind die „Levensloos vertooet” mit 450 besonders angegeben. Mit ihnen waren in Amsterdam 7780 Todte und nur 7740 Geburten; ohne die Todtgebornen stellt sich das Verhältnis wie 1:27,41 d.h. schon geringer als in irgend einer Provinz der Niederlande. 4) Esist in der Erklärung zu den Tabellen (Seite 121. N. 1) gesagt: Es ist die Bevölkerung des Reichs während des Jahres 18.38 durch Mehrzahl der Gebornen gegen die Gestorbenen um 31,644 gestiegen, ungefähr 5, der ganzen Bevölkerung. Nach der ganzen Fassung scheint es mir, dafs hiernach nur die Zahl der Gestorbenen aller schon lebend vorhanden gewesenen gerechnet ist. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 735 Sollte ich indessen in diesen Annahmen irren, und sollten die Todt- gebornen mitgerechnet sein, so würde sich die Anzahl der Todten, wenn man ö Procent Todtgeborne unter allen Todten annimmt, nach Abrechnung der Todtgebornen stellen auf 66,185; und die Verhältnifszahl sein 1 : 39,5. Von den Oesterreichischen Staaten haben wir in neuester Zeit zuverlässige und genaue Zahlen durch die amt- lich herausgegebenen Übersichtstafeln zur Statistik der österreichischen Mo- narchie. In Ungarn und Siebenbürgen sind bis jetzt keine genauern Zäh- lungen der Bevölkerungen vorgenommen, von den übrigen Provinzen sind sie vollständig vorhanden. Nach der Anlage E ergiebt sich (ohne die Todtgebornen) ein Verhält- nils von 1:33,1; am ungünstigsten steht die Militairgrenze 1 : 26,0; auch Gallizien und Oesterreich ob der Enns, zeigen höchstens 1: 30,5, am besten steht Kärnthen und Krain 1 : 40,6. — In Bayern stellt sich ein den Verhältnissen Oesterreichs sehr ähnliches Ergebnifs. Die Todten ausschliefslich der Todtgebornen verhalten sich zu den Lebenden wie 1 : 33,4. — Wir haben in den von Hrn. v. Hermann amtlich herausge- gebenen Beiträgen zur Statistik des Königreichs Bayern sehr genaue Angaben über die hier in Rede stehenden Zahlenverhältnisse. Unter-Franken und Aschaffenburg haben das günstigste, Schwaben und Neuburg das ungünstig- ste Sterblichkeitsverhältnifs (vgl. Taf. 7). — Im Preufsischen Staat ist ein etwas günstigeres Verhältnifs 1: 34,5s als in Bayern und Oesterreich, aber ein ungünstigeres als in Frankreich und England. Merkwürdig genug haben, wie schon früher angedeutet worden, die östlichen Provinzen mit Ausnahme Hinterpommerns, Schlesien und Posen sehr ungünstige, die west- lichsten und Brandenburg sehr günstige Verhältnisse. Übrigens war 1816, 1822, 1825 ein Sterblichkeitsverhältnifs von 1:39; so dafs die Cholera und das Sterben an verwandten Krankheiten seit 1831 im Preufsischen Staat ein schlechteres Verhältnifs veranlafst zu haben scheint, das erst in neuerer Zeit sich wieder verbessert. Dies ergiebt sich näher aus der Tabelle G. 736 DisErterıcı Vom Königreich Sachsen liegen sehr fleifsig gearbeitete und zuverlässige Nachrichten vor in den Mit- theilungen des stalistischen Vereins für das Königreich Sächsen. Sie gehen in Betreff der Sterbelisten zurück bis zum Jahre 1827; von welcher Zeit ab sie für einzelne Jahre Bevölkerung und Todte angeben. Bei letzteren sind die Todtgebornen mitgezählt, und lassen sich nicht für die verschiedenen Kreisdirectionen, wohl aber für das ganze Königreich (das übrigens 110 Quadratmeilen kleiner ist als der Regierungsbezirk Pots- dam) übersehen. Das Sterblichkeitsverhältnifs ist etwas ungünstiger als im Preufsischen Staat, wie aus der Anlage H näher ersichtlich ist. — Vom Königreich WWürtemberg sind von Memminger in der amtlichen Beschreibung von Würtemberg, so wie in den später officiell von dem statistisch-topographischen Büreau her- ausgegebenen Würtembergischen Jahrbüchern nicht die positiven Zahlen einzelner Jahre, sondern 10 jährige Durchschnitte von 1822 bis 1832; von 1832 bis 1842 angegeben; auch ist in den Jahrbüchern ausdrücklich bemerkt: Zu bedauern ist, dafs die Todtgebornen bei gegenwärtiger Einrichtung der Bevölkerungslisten ganz unberücksichtigt bleiben, und daher über deren Zahl nichts angegeben werden kann. Die in den Jahrbüchern (Jahrgang 1843 Zweites Heft Seite 7.) officiell angegebenen Verhältnisse sind für ganz Wür- temberg 1 : 28,5, und nach den vier Kreisen Neckarkreis . 1: 290 Schwarzwald . . 1:29,6 Jagstkreis ER Donaukreis . . 1:26,6 Würtemberg hat ungefähr so viel Einwohner, als das Königreich Sachsen. Auch die Gesammtzahl der Todten stimmt nahe zusammen. Die Bevölke- rung Würtembergs wird angegeben (1840) auf 1,682,338; in Sachsen war sie (1840) 1,706,276. Sachsen hat durchschnittlich 3000 bis 4000 Todtge- borne. Rechnet man auch für Würtenberg 4000, so stellt sich, da die durchschnittliche Zahl der Todten in den Jahren 1832 bis 1842 auf jährlich 97145 angegeben wird, das Sterblichkeitsverhältnifs immer wie 53,145 zu über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 737 1,682,338 d. h. wie 1:31,6. In den Jahrbüchern (S. 9) wird das Verhält- nifs (inel. Todtgeborner) für mehrere Jahre folgendergestalt berechnet 1SBSBE- =10-101802 18360 mn Ali 95 1837 natettarhr 426;5 1 Kor 1 een ee LE) 18313 al ISA Ener No DE en "ea Ei 1842 Nein 29. Wie man auch an den Zahlen Einzelnes in tadelnder und bezweifeln- der Kritik aussetzen mag; günstiges Sterblichkeitsverhältnils hat, das ungünstigste in Deutschland. unleugbar scheint, dafs Würtemberg ein sehr un- Wollte man einwenden, dafs die vielen Auswanderungen aus Wür- temberg das Sterblichkeitsverhältnifs anders und ungünstiger stellten, als es ohne solche Auswanderung unrichtig. Die Auswanderungen sind in Würtemberg allerdings stark ; in- en sein würde, so ist ein solcher Einwand ganz dessen tragen dieselben nach dem Staats- Anzeiger für Würtemberg vom 5 April 1851 nr. 97 u. 98 (ef. Mittheil. des statist. Bür. 1851 Nr.X. S. 158 folg.) pro 1849 — 3593 und pro 1850 — 3155. — Es mag die volle Summe genommen werden, wenngleich das nicht ganz richtig ist, da auch Einwanderungen stattfinden, die von den Auswanderungen abgezogen werden müssen, um auf die richtige Volkszahl zu kommen. 1850 betrugen sie 752 Personen, für 1849 sind sie nicht angegeben. Zieht man die 1849 angege- benen Auswanderer von der Bevölkerung 1,692,336 ab, so erhält man 1,678,795 Bevölkerung; Todte sind ohne Todtgeborne 53,145. Es ist 53,145: 1,678,745 wie 1:31,65; — zählt man die ausgewanderten 3593 der Bevölke- rung von 1,682,338 hinzu, so erhält man 1,685,931; und es ist 53,145: 1,635,931 wie 1 :31,7. — Man sieht, wie diese Zahlen auf das Sterblich- keitsverhältnifs so gut als gar keinen Einfluls haben; es bleibt immer stehen, dafs das Sterblichkeitsverhältnifs in Würtemberg sehr ungünstig ist. — Von Hannover haben wir eine vollständige auf amtlichen Nachrichten beruhende Darstel- lung von Tellkampf: die Verhältnisse der Bevölkerung und der Lebens- Philos.- histor. Kl. 1851. Aaaaa 738 Dieterıcı dauer im Königreich Hannover. Schon im Jahre 1778 wurde von der Regierung eine Instruction erlassen, wonach die Superintendenten und Pre- diger, auch diejenigen, welche es sonst angehet, bei jährlicher Verfertigung und Einsendung der Parochial-Listen, oder Verzeichnisse der Gebornen, Confirmirten, Copulirten und Gestorbenen, sich zu richten haben. Es ist dieser Instruction ein vollständiges Schema beigefügt, nach welchem die Zahlen eingetragen werden sollten; die Pfarrer sollen die Eintragung aus den Kirchenbüchern sub fide pastorali bewirken, wenn ein Pfarrer krank oder die Pfarre vacant ist, so sollen die vertretenden Amtsbrüder das Ge- schäft übernehmen, und drei Wochen nach Ablauf des Jahres sollen „bei Vermeidung unangenehmer Verfügung” die Listen von den Pfarrern den Su- perintendenten eingesandt werden, von welchen sie bis Mitte Februar bei der landesherrlichen Regierung eingereicht sein müssen. — Herr Tellkampf sagt nun zwar (S.69), dafs doch oft Nichtanzeigen von Sterbefällen und Nachlässigkeiten der Eintragung vorkämen. Dies wird allerdings zuzugeben, indessen doch kaum anzunehmen sein, dafs bei einer so lang bestehenden Einrichtung und festen Regierungsverordnungen diesen Nachrichten nicht sollte vertraut werden können. Alle statistische Angaben stimmen aber da- rin überein, dafs in Hannover ein gar sehr günstiges Sterblichkeitsverhält- nils, von 1:42 vorhanden ist (vgl. Anlage /). — Auch Dänemark und Schweden zeigen sehr günstige Sterblichkeitsverhältnisse. In Dänemark war sie nach früheren Angaben in v. Baggesen „der dä- nische Staat” Kopenhagen 1845, ohne Todtgeborne 1: 47,5, nach dem offhi- ciellen Statistik Tabelvoerk für 1849 immer wie 1: 42. Für Schweden berechnet Forsell Statistik von Schweden 1835 — 1:49 für das Jahr 1825. Legoyt berechnet sie, ohne seine Quellen näher anzugeben, wie 1: 41,2. Die Anlage X giebt eine nähere Zusammenstellung. — Von Rufsland ist eine nach amtlichen Quellen gearbeitete Statistik von Bulgarin 1839 er- schienen. Es wird angeführt, dafs sehr alte Leute, besonders Männer, von 100, 110, ja einer von 155 Jahren in der Eparchie von Wätka gefunden über die Sterblichkeitsverhälltnisse in Europa. 739 gefunden würden. Von den positiven Zahlen aber aller Gestorbenen wird ausdrücklich bemerkt, dafs nur die Todten männlichen Geschlechts und der griechisch - russischen Kirche angegeben würden, und dafs auch, wie Vieles in neuerer Zeit vom Gouvernement geschehen sei, die Bevölkerungszahlen 8 selbst sehr unsicher seien, da hauptsächlich nur die Abgabenzahlungen ihnen zum Grunde liegen. Das Sterblichkeitsverhältnifs wird von Bulgarin für den Anfang dieses Jahrhunderts wie 1:40 oder 1:38; für die Jahre 1829 und 1830 nach d’Ivernoiswie 1 : 28,s; — von Legoyt, ohne Anführung sei- ner Quelle, für die jetzige Zeit wie 1:27 angegeben. — Alle diese Angaben sind meiner Meinung nach viel zu hypothetisch und unsicher, als dafs ich wagen möchte, weitere Schlüsse daran zu knüpfen. Auch für Spanien und Portugal fehlen für die neuere Zeit alle irgend zuverlässigen Nachrichten. In Spanien ist man jetzt sehr bemüht, wenigstens die Bevölkerung fester zu ermitteln; An- zeigen der Gestorbenem habe ich nirgend auffinden können. Von Portugal giebt Balbi im Essai statistigue sur le royaume de Portugal 1822 die Zahl der Todesfälle an auf 78908 gegen 3173000 Einwohner im Jahr 1819; dies gäbe ein Verhältnifs von 1:40,21. Bickes und nach ihm Schubert stellen nach 5 jährigem Durchschnitt das Verhältnifs auf 1: 39,42. Indessen sind diese Angaben theils zu alt, theils auch zu wenig sicher constatirt, als dafs ich sie allgemeinen Betrachtungen zum Grunde legen möchte. — Für Italien endlich sind die Zahlen der östereichischen Besitzungen, Lombardei, Vene- dig schon angegeben. Wir besitzen von den übrigen italischen Staaten eine nach amtlichen Quellen gearbeitete Statistica dell’ Italia vom Conte Serristori, die 1839 in Florenz erschien. Das Buch ist sehr fleifsig; aber über die An- zahl der Sterbefälle ist wenig vollständiges darin, da die amtlichen Notizen darüber zum grofsen Theil fehlen. Dies gilt namentlich vom Kirchenstaat, von dem nur Rom näher angegeben ist; auch über Sardinien fehlen amtliche Quellen. Überall aber sind die Todten nur im Ganzen angegeben; man kann sie für wenige Staaten nach Provinzen und Landesabtheilungen erse- hen; ob die Todtgebornen dabei sind oder nicht, ist nirgend ausgespro- chen. — Wasich darüber habe ermitteln können, ist in der Anlage Z zusam- Aaaaa? 740 DiıeETeErıcı mengestellt; durchschnittlich kann man danach das Sterblichkeitsverhältnifs in Italien 1 : 32 oder 1 : 33 rechnen, wie es sich auch in der Lombardei und Venedig herausstellt. Die Resultate dieser verschiedenen Ermittelungen sind für die Staaten Europa’s folgende: a. sicher. 4) England und Wales 1 : 46,2 2) Frankreich - - - 1:42,6 3) Belgien- - - - 1:40, 4) Oesterreich - - 1:331 5) Bayern - - - - 1:334 6) Preufsen - - - 1:34,58 früher 1:39 7) Sachsen- - - - 1:31 8) Hannover - - - 1:42 b. nicht ganz so zuverlässig, aber doch im Allgemeinen wohl zutreffend. 9) Niederland- - - 1:37, 10) Würtemberg - - 1:28,8 11) Dänemark - - - 1:42,- 12) Schweden - - - 1:41. 13) die italischen Staaten 1 : 32 oder 1: 33. c. ganzunsicher. 14) Rufsland - - 1:40 oder 1:27 15) Portugal - - 1:40,21 oder 1:39,42 16) Spanien ganz unbekannt. Mit ziemlicher Sicherheit darf man hiernach wohl aussprechen, dafs Süfsmilch’s Annahme, es gebe ein gleiches Sterblichkeitsgesetz für alle Menschen, das nur durch Stadt und Land verschieden sei, nicht richtig ist. Es sind wirklich immerhin doch sehr verschiedene Sterblichkeitsverhältnisse in den Staaten Europa’s. Auch ist es nicht richtig, dafs die grofsen Städte unter den verschiedensten Himmelsstrichen gleiche Sterblichkeit hätten. London hat 1:42,7, Paris 1:36,35; Brüssel 1 : 31,4; Amsterdam 1 : 27,4; Wien 1 : 25,5, Berlin 1: 31,5. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 741 Will man nun aber versuchen, die Gründe näher zu prüfen, welche für die Verschiedenheit der Sterblichkeitsverhältnisse angegeben werden, so erfordert diese Untersuchung noch eine grofse Reihe anderer statistischer Betrachtungen. Geht man vom Klima aus, so mufs man die statistischen Resultate gruppiren nach Nord und Süd, kalt und warm, gesund oder ungesund, in so fern letzteres aus natürlichen Verhältnissen, Sumpfgegenden, Berggegen- den u. s. w. sich vielleicht herleiten läfst. Nimmt man die Racenverschiedenheit als maasgebend an, so mufs man die statistischen Resultate nach den Stämmen der Bewohner gruppiren. Unentschieden bleibt, auch wenn das Factum wahr sein sollte, dafs Slaven, Germanen, Gallier u. s. w. kein gleiches Sterblichkeitsverhältnifs hätten, ob der Grund hiervon in ursprünglicher Naturkraft oder in der den Stämmen eigen- thümlichen Sitte und Lebensart zu suchen sei. Sagt dochv. Humboldt selbst so vortrefflich im KosmosI. S. 355. „Indem wir die Einheit des Menschen- geschlechts behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen. Es giebt bildsamere, höher ge- bildete, durch geistige Cultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme.” Und Ehrenberg weiset nach, dafs dieselben Krankheiten bei Negern, Kal- mücken und Europäern zum Grabe führen. Sucht man den Grund in besseren Culturverhältnissen, gröfserer Sorge für die kleinen Kinder u. s. w. so wird es wichtig werden, in demselben Lande die Sterblichkeitsverhältnisse verschiedener Zeiten zu vergleichen. Wenn notorisch in einem Jahrhundert die Culturverhältnisse sich gebessert haben, so mülste in demselben Lande das schlechte Sterblichkeitsverhältnifs sich in ein besseres verwandelt haben. Liegt der bessere Zustand in besserer Nahrung, so mufs man nach den Consumtionsverhältnissen, wie sie aus Durchschnitten sich ergeben, die statistischen Resultate der verschiedenen Länder gegen einander ver- gleichen. Ist man der Meinung, es entstehe die Verschiedenheit der Sterblich- keit aus Stadt und Land, Fabrikation und Ackerbau, dichter und dünner Bevölkerung, so werden Städte, und kleinere Distrikte, landräthliche Kreise voll städtischer und ländlicher Bevölkerung, mehr von Fabrikarbeitern oder 742 DieETteErscı mehr von Ackerbauern bewohnt, Gegenden mit dichter und dünner Bevöl- kerung zu vergleichen sein. Man wird endlich auch nicht unterlassen dürfen, die Zahl der Gebur- ten mit den Todesfällen zusammen zu stellen. Da von den Menschen, die geboren werden, eine überwiegend grofse Zahl im ersten Lebensjahre ab- stirbt, so wird schon durch sehr viele Geburten ein ungünstiges Sterblich- keitsverhältnifs herbeigeführt; und hierbei wird auch in Erwägung kommen, ob und in wie fern durch eine sehr grofse Zahl unehelicher Kinder, wie sie namentlich in Bayern statt findet, ein Einfluls auf das gesammte Sterblich- keitsverhältnifs geübt wird. Man sieht wohl, in wie viele verschiedene Betrachtungsreihen die Lö- sung dieser Aufgabe zerfällt; und man wird vorsichtig sein müssen, die Er- klärung der Erscheinung immer aus einem und demselben Grunde ableiten zu wollen. Es wird bald dieser, bald jener Grund sein, der die Erschei- nung erklärt, wenigstens bald dieser bald jener als überwiegend hervortre- ten. Man wird bei mehreren Ländern verschiedene Gründe zusammen nehmen müssen, wenn auch vielleicht einer derselben — die grölsere Civili- sation — die allgemeinste Geltung haben sollte. In dem Nachfolgenden ist versucht, die factischen Verhältnisse nach den verschiedenen oben angedeuteten Gründen zu gruppiren. Eine sehr verbreitete Meinung ist, die gröfsere oder geringere Sterb- lichkeit hange ab 4. vom Klima. Was heifst Klima? Man spricht wohl von einem stürmischen oder rubigen, feuchten oder trockenen Klima; indessen sind Wind und Nässe doch nicht die zunächst entscheidenden Momente, die Hauptbedeutung des Wortes Klima ist: Wie warm oder kalt ist es an einem gegebenen Ort? wie dies auch in neuester Zeit von Humboldt, Dove und allen Meteorologen unbedingt ausgesprochen wird. Nun ist, von heilser Zone und übermäfsi- gen, erdrückenden Hitze abgesehen, der Sommer, die warme Zeit in allen gemäfsigten Himmelsstrichen, der menschlichen Gesundheit vortheilhafter als die kalte. Wenn man bei den Todesfällen in den statistischen Tabellen die Jahreszeiten: Januar, Februar, März — April, Mai, Juni — Juli, August, September — October, November, December — von einander scheidet, so über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 743 tritt in allen Ländern ganz unzweifelhaft hervor (vgl. Tabelle MY), dafs in den Wintermonaten viel mehr Menschen sterben als in den Sommermonaten, und das ist constant für weit zurückgehende Zeit. Die Wärme ist das Princip des Lebens, nicht die Kälte. Man sollte hiernach schliefsen, dafs in Europa in Italien ein günstigeres Sterblichkeitsverhältnifs sein müsse als in England, Dänemark. Es ist aber gerade das Gegentheil der Fall. Es stirbt in Ita- lien durchschnittlich der 32“ bis 35°, in England der 46“, in Dänemark der 42°“ Mensch; in dem südlichen Regierungs - Bezirk Liegnitz kommt auf 33- 34; in dem nördlichen Regierungs-Bezirk Cöslin kommt auf 43 bis 44 Le- bende Ein Todesfall. Man hat nun umgekehrt gesagt, und Legoyt spricht es ganz ent- schieden als einen vielfach angenommenen Satz aus: Im Norden, in kälteren Klimaten ist die Lebensdauer länger als in den wärmeren. Es verführt zu dieser Ansicht, dafs nach den jetzt vorliegenden Ermittelungen in England, Dänemark, Schweden, auch Hannover das Sterblichkeitsverhältnifs erheb- lich günstiger ist als in den ÖOesterreichischen Staaten, in Italien, höchst wahrscheinlich auch in Spanien und Portugal. Indessen widerstreitet es doch im Allgemeinen medieinischer Erfahrung, dafs die Kälte länger erhal- ten sollte als die Wärme. Stärkt man sich auch im rauhen Klima und wird für Witterungseinflüsse weniger empfänglich, so gilt dies doch wohl nur von älteren Leuten und von Kindern und jungen Menschen vom 8, 10°“, 12'* Lebensjahre ab. Es gilt nicht von den Säuglingen und jungen Kindern, für welche ein kälteres Klima besonders in der gröfseren und ärmeren Masse des Volkes gewils nicht günstig ist. Gerade in diesen Altersklassen sind aber überall die allermeisten Sterbefälle. Auch wiederspricht positive Erfahrung der Annahme, dafs in südlichen Klimaten durchweg ein ungünstigeres Sterb- lichkeitsverbältnifs sei als in nördlichen. In Frankreich stirbt Einer von 42,6, im Dänemark von 42; — in der Rheinprovinz von 39 bis 40, in der Provinz Preufsen von 29 bis 30 Einer. — Man ist auf die Idee gekommen, nicht so wohl klimatisch nach kalt und warm, sondern nach Lage und Raum nicht Norden und Süden, son- dern Osten und Westen zu trennen. Das Klima kommt hierbei allerdings in so fern mit zur Betrachtung, als für die alte Welt die grofse Continental- masse in Asien ein kälteres Klima herbeiführt, und in Chiva, unter gleichen Breitengraden mit Rom, die Russen im Feldzuge erfroren. Es ist auch rich- 744 Diererıcı tig, dafs, wenn man Europa allein im Auge hat, im Westen im Ganzen ein besseres Sterblichkeitsverhältnils vorhanden zu sein scheint als im Osten. England, Frankreich, Belgien, Niederland auch Hannover haben günstigere Sterblichkeitsverhältnisse als die österreichischen Staaten und das nordöstli- che Deutschland; in dem Reg.-Bez. Erfurt stirbt der 35% -37°; im Reg-Bez.. Posen der 24“ bis 25° Mensch. — Indessen finden sich doch auch gegen diese Ansicht, dafs der Westen günstigere Sterblichkeitsverhältnisse als der Osten habe, selbst in Europa die erheblichsten Abweichungen. Das west- lichere Würtemberg hat schlechtere Sterblichkeitsverhältnisse als das östli- chere Bayern, in dem östlicheren Reg.-Bez. Frankfurt stirbt der 39°“, in dem westlichen Reg.-Bez. Magdeburg der 34°“; in Amsterdam stirbt der 27% Mensch, in Berlin der 32°“. — Aufserdem ist aber doch wirklich die Unter- scheidung von Osten und Westen dem Klima, dem Begriff warm und kalt nicht entsprechend. Wie eigenthümlich auch die isothermen Linien gehen mögen, wie sehr die gleiche Isotherme in Europa nördlicher als in Asien sich finden mag, kalt und warm wird sich in der Hauptsache doch immer nach Norden und Süden nur trennen lassen, nicht nach Osten und Westen. Dazu kommt, dafs die Bestimmung, was Osten und Westen sei, mit dem Wohnort sich ändert. Für die Amerikaner liegen England und Frankreich, wo sich nach den bisherigen Ermittelungen jetzt die günstigsten Sterblich- keitsverhältnisse zeigen, im Osten; — ein Amerikaner mülste sagen, die gün- stigsten Sterblichkeitsverhältnisse lägen im Osten, d.h. in England, Frank- reich, Dänemark, — die ungünstigsten in seinem Westen in Asien, Rufsland. — Die Anlage N giebt eine übersichtliche Darstellung der Sterblich- keitsverhältnisse nach Nord und Süd, für Europa und den Preufsischen Staat; auch sind Zusammenstellungen nach Osten und Westen (Berlin als den Beobachtungsort vorausgesetzt) hinzugefügt. — Es dürfte aus diesen Zusammenstellungen und Betrachtungen wohl hervorgehen, dafs man nicht sagen kann: das Klima entscheide durchgrei- fend über günstige oder ungünstige Sterblichkeitsverhältnisse. — Es läfst sich nicht nach Nord und Süd, nach kalt und warm die Erde theilen, und etwa aussprechen, auf dem nördlichen oder auf dem südlichen Theile ist die Sterblichkeit gröfser. — Auf derselben isothermen Linie, die durch England, Frankreich, Deutschland, Rufsland geht, finden sich sehr ver- schiedene Sterblichkeitsverhältnisse. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 745 Mit dieser allgemeinen Bemerkung soll aber nicht gesagt sein, dafs durchaus kein Zusammenhang sei zwischen klimatischen und Sterblichkeits- verhältnissen. — Es fehlen zwar genauere statistische Data, aber es ist kaum zu zweifeln, dafs unter Esquimaux und Lappländern im hohen Norden, dafs in manchen überwiegend heifsen Gegenden im mittleren Afrika, viel- leicht auch in Südamerika durch das Klima so ungünstige Lebensbedingun- gen gegeben sind, dafs hier eine kürzere Lebensdauer des Klimas wegen vorhanden sein mufs. Die Mündungen des Niger in Africa, des Missisippi bei New Orleans, Batavia in Java sind notorisch ungesund. Es gilt ähnli- ches von den Maremmen in Italien. Aber dies sind Ausnahmen, Einzeln- heiten, bei denen aufser dem Klima in Bezug auf warm und kalt, andere Einflüsse ungesunder Miasmen und Ausdünstungen hinzutreten. Von Ex- tremen in Bezug auf Kälte und Wärme, von besonderen Eigenthümlichkeiten gewisser Gegenden abgesehen, wird man nicht sagen können, dafs das Klima die Sterblichkeitsverhältnisse unter den Menschen entscheide, oder auch nur überwiegend normire. Ein zweiter Grund, aus welchem man die Verschiedenheit der Sterb- lichkeit unter den Menschen zu erklären sucht, ist 2. der Unterschied der Racen. Wenn man unter Racen die grofsen Verschiedenheiten unter den Menschen versteht, die wir nach den Kategorieen: Caucasier und Circassier, Neger, Kalmücken und Chinesen — Malayen und Papuas — Amerikaner — Neu Holländer und Bewohner der Südseeinseln — Grönländer, Esquimaux überhaupt Bewohner der nördlichsten Gegenden — unterscheiden, so ver- mag ich auf die Frage: ob nach diesen verschiedenen Racen eine Verschie- denheit der Sterblichkeit Statt finde, keine Antwort zu geben. Nur von den Europäern, der kaukasischen Race, liegen statistische Angaben über die Sterblichkeit der Menschen vor, und auch diese sind noch sehr unvollstän- dig und oft ungenau. Aber auch in der kaukasischen Race unter den Euro- päern finden sich Stammverschiedenheiten. Ich weils, dals diese bis in sehr viele Abtheilungen zerlegt werden können; es kommt mir bei der vorliegen- den Untersuchung aber darauf an, grofse Kategorieen zusammen zu fassen. Denkt man daran, wie seit der Schlacht von (Juebek 1759 in Amerika das anglo-germanische Element das herrschende geworden ist, und wie seitdem Philos.-histor. Kl. 1851. Bbbbb 746 DıeEerterıcı die ganze Entwickelung der neuen Welt in Riesenschritten vorwärts gegan- gen ist; wie sehr dagegen der Süden Amerika’s, von Spaniern und Portugie- sen mehr beherrscht, zurücksteht, wenn gleich auch hier ein bedeutender Fortschritt unzweifelhaft eingetreten ist, so möchte ich für meinen Zweck in Europa 3 Hauptracen unterscheiden: 1. den anglo-germanischen Stamm, umfassend: Engländer, Deutsche, Niederländer, Scandinavier ; 2. den romanisch-gallischen Stamm, umfassend: Franzosen, Belgier, Spanier, Portugiesen, Italiener; 3. die Slaven, umfassend: Russen und Polen einschliefslich Wenden, Mäh- ren, Böhmen, auch andere ähnliche Volksstämme im Osten Europa's; wobei ich besondere kleinere Nationalitäten, als Basken, Iren, Litthauer, Finnen und andere übergehe. Allerdings scheint es, als ob der anglo-germanische Stamm die gün- stigsten Sterblichkeitsverhältnisse habe: wenigstens steht England oben an mit 46:1, auch Dänemark, Hannover, Niederland, Rheinland und West- phalen im Preufs. Staate zeigen sehr günstige Zahlen. — Im Ganzen hat der romanisch-gallische Stamm etwas ungünstigere Verhältnisse, wie nament- lich in Italien und dem südwestlichen Frankreich hervortritt. Indessen sind die Unterschiede doch nur gering, und es finden sehr erhebliche Anomalieen 8 Statt. Die Deutschen in Würtemberg und Bayern haben ein ungünstigeres Sterblichkeitsverhältnifs, als die Romanen und Gallier im nördlichen Frank- reich und Belgien. Überhaupt hat Frankreich im Durchschnitt des ganzen Landes ein besseres Sterblichkeitsverhältnifs als die meisten deutschen Län- der. Ich bin bedenklich als erwiesenen Satz auszusprechen, dafs die Le- bensdauer des anglo-germanischen Stammes nach den faktischen Zahlenver- hältnissen länger sei, als bei dem romanisch-gallischen Stamme. Dagegen scheint es mir nach den statistischen Ermittelungen unzweifelhaft, dafs bei den slavischen Volksstämmen in Europa ein ungünstigeres Verhältnifs der Sterblichkeit hervortritt, als bei den übrigen Volksstämmen. Dies ist klar in den österreichischen Provinzen, die von Slaven bewohnt sind; ganz gewils zeigt es sich im Preufsischen Staat, woselbst in den Regierungsbezirken Bromberg, Posen, Marienwerder, Oppeln, welche meist slavische Bevölke- rung haben, auch die ungünstigsten Sterblichkeitsverhältnisse sich zeigen. Man darf nicht vergessen, dafs in sehr vielen Ländergebieten die hier be- 7 nn über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 7 merkten Volksstämme Slaven und Germanen, Slaven und Romanen, Roma- nen und Anglo-Germanen in einander übergehen, sich vermischen; je grö- {ser diese Vermischung im Laufe der Zeit geworden, um so unsicherer wird es, aus der gefundenen statistischen Zahl eine weitere Schlufsfolge zu ziehen. Indessen wird doch die folgende Tab. N einigermafsen das Gesagte bestätigen. Ich bin nicht der Meinung, dafs Slaven, Romanen, Anglo-Germanen von der Natur eine verschiedene Lebenskraft erhalten hätten, uud deshalb die Sterblichkeitsverhältnisse bei ihnen in verschiedenen Abstufungen her- vortreten. Wohl aber bin ich der Meinung, dafs wie Rechte und Gesetze von Geschlecht zu Geschlecht sich vererben, so auch nach den Stämmen Lebensart und Gewohnheit und Sitte sich fortpflanzen. Nun wird wohl zu- gegeben werden können, dafs unter dem Slavischen Volksstamm, wenn man nicht auf die höheren, gebildeten Stände, sondern auf die Masse und grofse Zahl der niederen Volksklasse sieht, Ordnung, Reinlichkeit, Mäfsigkeit, Wohlstand, weniger allgemein sind als unter den Romanen, Galliern, Anglo- Germanen; — und hierin allein suche ich den Grund, weshalb unter den verschiedenen Stämmen der Bevölkerungen in Europa verschiedene Sterb- lichkeitsverhältnisse hervortreten. Die ziemlich allgemein in Frankreich und England angenommene fer- nere Ansicht ist, dafs sich die grölsere oder geringere Sterblichkeit richtet 3. nach den Verhältnissen der eröfseren oder eerineeren 5 gering Givilisation eines Volkes. Auch die Vertheidiger der sogenannten guten alten Zeit, unter wel- cher hier die mittelalterlichen und die Zustände bis zu Ende des 17“ und zum Theil des 18“ Jahrhunderts verstanden werden, möchten es doch nicht ableugnen können, dafs das Leben der Menschen in Wohnung, Bequem- lichkeit, erlaubten Genüssen vielerlei Art in neuester Zeit sehr fortgeschrit- ten ist, gegen nur I oder 2 Jahrhunderte zurück, und es entstehen diese besseren Zustände doch immer nur durch die Fortschritte der geistigen Cul- tur unter den Menschen; denn das Reich der Erfindungen, die Verbesserung staatlicher und geselliger Ordnung sind doch nur eine Frucht des Geistes, der Wissenschaft, der Bildung, der menschlichen Civilisation. Macaulay giebt in der Geschichte Englands seit dem Regierungsantritte Jacobs I im Bbbbb2 748 Dırrterıcı ersten Bande, im 3°" Kapitel eine Beschreibung Englands und Londons im Jahre 1685 und deren grofser Veränderung seit dieser Zeit. Er führt aus, wie der Mangel an Wegen und Communicationen den Verkehr gehemmt, wie ge- ring der Lohn der Arbeiter, wie kärglich die Existenzmittel, wieroh zum Theil Sitte und Vergnügen waren. Es ist aufserordentlich schwierig, aus den zer- streut und sparsam vorhandenen Notizen herauszubringen, wie seit 1684 bis jetzt in London und England und Wales die Sterblichkeit sich gestellt hat. Macaulay schätzt die Bevölkerung von England und Wales 1685 auf 54Mill.; Sterbelisten vom ganzen Lande waren nicht vorhanden. Sie sind jedoch von London da, und werden von Petty auf 22,000 bis 25,000 Todte für 1680 1685 angegeben. London selbst hatte nach Macaulay 1685 wenig über eine halbe Million Einwohner. John Chamberlayne giebt iin Magnae Britan- niae Notitia, or, Ihe present state of Great Britain London 1729. Seite 203 an, dafs für 1684 von einem Autor, der damals einen Plan von London heraus- gegeben, die Bevölkerung auf 1,200,000 Seelen geschätzt sei; — viel richtiger sei die Berechnung von Will. Petty, der 115,846 Familien und 695,076 Seelen angebe. William Petty rechnet Seite 12 in Several Essays in Poli- tical Arithmelick London 1755, dafs im Jahre 1682 in London gezählt seien 22,331 Todte, und da Einer von 30 sterbe, sei die Einwohnerzahl 669,930; dies werde auch dadurch bestätigt, dafs, wie er glaubhaft unter- richtet sei, 1682 in London gewesen seien 84,000 bewohnte (tenanted) Häu- ser; 8 auf jedes gäbe 672,000 Seelen. — Bei der heute noch bestehenden und schon damals allgemeinen Sitte in London, dafs jede Familie ihr Haus für sich bewohnt, ist Pett y’s Durchschnitt 8 auf das Haus wohl zu grofs, man wird 6 bis 7 nur annehmen können, so dafs man danach auf 600,000 Men- schen etwa käme. Nimmt man aber auch die höchste hier berechnete See- lenzahl von 672,000, so giebt sie im Vergleich zu 22,331 Todten, ein Verhält- nifs von 1:30, wie Petty rechnet; — nimmt man 22,331 zu 600,000, so er- hält man 1:27; nimmt man 25,000 zu 550,000 so erhält man 1:22; und rechnet man 22,331 zu 550,000, so erhält man 1:25. Macaulay spricht ausdrücklich aus (S. 310 Anmerkung): er halte 1:25 für das richtige Sterb- lichkeitsverhältnifs in London 1684; ich glaube dies auch: gewifs aber ist, dafs zwischen 1:25 oder 1:30 das Verhältnifs stand. — King rechnete für das Ende des 17“ und den Anfang des 18‘ Jahr- hunderts in England 170,000 Todte gegen 55 Mill. Einwohner, d.i. 1: 32; — über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 749 Thomas Short zählt nach zehnjährigem Durhschnitt für 1730 bis 1740 in 7 Marktflecken und 54 Kirchspielen Englands 46,630 Lebende; und Gestor- bene 1,359 d.h. 1: 34,3. Büsching führt an IV. S. 678 u. 671, dafs nach Richard Price 1769 London 651,580 Einwohner gehabt habe; dies gegen 25,352 verglichen, gäbe 1 : 25,7, und wäre dies gegen 1684 nach der An- nahme von Macaulay 1:24 bis 1:25 immer eine Steigerung. Aber ich halte die Zahl der Einwohner 651,580 für zu niedrig. London hatte 1754 zwischen 120 und 130,000 Häuser; welches bei durchschnittlich 5 bis 6 Ein- wohnern immer eine Bevölkerung von 750 bis 800,000 Menschen geben würde, nach welchen die Gestorbenen zu den Lebenden etwa 1:32 sein würden. Nach Porter war 1841 die Menschenzahl in England und Wales 14,995,138; die Zahl der Todten 343,847, das ergiebt ein Verhältnifs von 1: 43,6; — London hatte nach Porter 1841 nach der Zählung 1,942,336 Einwohner; die Zahl der Todten war 1841 nach Porter 45,507; das giebt 1: 42,7. Wie mancherlei Unsicheres bei diesen Zahlenermittelungen sein mag, wie denn Porter selbst im Progress of nation höhere Verhältnifszahlen 1:50 und mehr angiebt, Unsicherheiten, die wesentlich dadurch entstehen, dafs viele Dissenters ihre Todten nicht angeben, in früherer Zeit dies auch wohl bei den Armen vorgekommen ist: so viel tritt doch aus der Totalbetrach- tung unzweifelhaft hervor, dafs in England und London das Verhältnifs der Gestorbenen zu den Lebenden seit etwa 150 Jahren sich jedenfalls sehr er- heblich gebessert hat. Paris hatte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach Büsching’s sehr sorgfältigen Zusammenstellungen etwa 600,000 Einwohner; die Durch- schnittszahl der Todten ist (cf. Süfsmilch I. Th. 6. Tab.) 17,686; d.h. das Verhältnifs ist 1 : 34. — Für neuere Zeiten ergiebt sich das Verhältnifs nach Chabrol für 1817 von 20,852 zu 713,966 wie 1 : 34,2. — Nachdem Annuaire für 1850 war im Seinedepartement, das aufser Paris nur wenige Orte enthält, das Verhältnifs auf 1,364,467 Einwohner 38,250 Todte d.h. 1 : 35,7. — Im ganzen Frankreich findet sich in den officiellen Documens statisti- ques (cf. S. 385.) folgendes Verhältnifs berechnet: 750 Dirrerıcı 1801 Einw. 27,349,003 Todte 772,058 Verh. 1: 35,12 1806 — 1. 29.107,43. 7818270 — dh Tips 18 10-230,30;461,87 5: 5 7A Eh 1826:.— 31,858,957 837,610. (Il 38,04 1831 — 32,569,223 — 800,430 — 1:40,09 1836 — 33,840,910 — 816,413 — 1:41,08 nach Schnitzler S. 288. 1841 — 34.230,17 — 8098854 — 1:49,85. Es kann nicht verkannt werden, dafs einzelner Schwankungen unge- achtet, die Zustände in den Sterblichkeitsverhältnissen in Frankreich sich verbessert haben. — Mit Zuverlässigkeit sind die Sterblichkeitsverhältnisse im Preufsischen Staate seit 1748 zu übersehen. Die folgende Tabelle O giebt diese Über- sicht. Die Jahre von 1810 bis 1814 ergeben ungünstige Zahlen. Die Ver- gleichung der Jahre 1748 bis 1793 gegen 1816 bis 1849 zeigt, dafs in der er- sten Periode 32 bis 34 das Mittelverhältnifs ist, das niedrigste Jahr 1751 giebt 1:28,25, das günstigste 1793 zeigt 1: 36,10. In der zweiten Periode ist die niedrigste Zahl 29,27; und dies ist das Jahr 1831, in welchem ganz entschieden die Cholera höchst ungünstig auf die Sterblichkeitsverhältnisse eingewirkt hat. 29,27 ist aber doch schon eine bessere Verhältnifszahl als 28,25. Die günstigste Zahl in der Periode 1816-1846 ist in 1825 mit 39,57, die doch erheblich besser ist, als in der früheren Periode die höchste Zahl von 1793, nämlich 36,40. Überhaupt aber halten sich die Zahlen von 1816 bis 1849 auf 33, 34, 35, 36, 37, sind also jedenfalls vorgeschritten gegen 1748 bis 1793, wo sie meistentheils auf 32 und 33 bleiben. Man kann in- dessen gegen diese Berechnung einwenden, dafs der Preufsische Staat in der Zeit von 1748 bis 1793 ein anderes Territorium hatte als 1816 bis 1849, und dafs die Veränderung dieses Territorii, indem in den westlichen neuen Provinzen, Rhein und Westphalen ein günstigeres Sterhlichkeitsverhältnifs statt findet, als in den östlichen Theilen der Monarchie, Veranlassung der besseren Zahlen in der Zeit von 1816 bis 1849 sei. Es sind deshalb in der folgenden besonderen Tabelle P die Sterblichkeitsverhältnisse solcher Ge- biete des Preufsischen Staats seit 1748 berechnet, die immer Preufsisch wa- ren, und mit sehr geringen Ausnahmen unverändert geblieben sind; auch sind die Sterblichkeitsverhältnisse Berlins zusammen gestellt. Die Durch- über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 751 schnitte ergeben unzweideutig, dafs in Pommern, Kur- und Neumark, Mag- deburg und Halberstadt (von Schlesien fehlen leider die Notizen) ein Fort- schritt unzweifelhaft ist. Die Durchschnitte steigen nämlich für die Zeit von 1748 bis 1793 gegen 1816 bis 1849, in Pommern von 37,15 auf 39,75; in Kur- und Neumark von 34,42 auf 38,65; in Magdeburg und Halberstadt von 30,97 auf 38,12. Nicht dasselbe zeigt sich in der Provinz Preufsen, den früheren Departements Litthauen und Östpreufsen, den jetzigen Regierungs- bezirken Gumbinnen und Königsberg. Der Durchschnitt ist von 1748 zu 1793 — 33,36 und von 1816 zu 1846 — 32,72. Es wäre aber doch ein Fehl- schlufs, wollte man deshalh annehmen, dafs in Preufsen die Sterblichkeit in der Zeit von 1748-1793 kleiner gewesen sei als 1816 bis 1849. Abge- sehen davon, dafs 1779 sich ein so aufsergewöhnlich günstiges Jahr heraus- stellt, dafs ich versucht bin, einen Irrthum in den Zahlenangaben der Todes- fälle anzunehmen; ist in der neueren Periode das Jahr 1831 so aufserordent- lich ungünstig, dafs das Sterblichkeitsverhältnifs von 1828 zu 1831 sich ver- ändert von 1:36,34 zu 1:23,54. — Es ist noch nicht genug erkannt, wie verheerend die Cholera gerade in der Provinz Preufsen gewirkt hat. Die Nachwehen zeigen sich noch 1834 und 1837. Läfst man das Jahr 1831 aus der Durchschnittsberechnung fort, so erhält man 33,92 statt 32,72. Auch giebt die Betrachtung der einzelner Jahre 1816-1849 bessere Zahlen im Gan- zen als 1748-1793. Auch in Berlin ist ein Fortschritt sichtlich. Man kann nur aus einer grofsen Reihe von Zahlen auf richtige Schlüsse kommen, und da möchte wohl nicht zu verkennen sein, dals auch im Preufsischen Staat ein namhafter Fortschritt in den Sterblichkeitsverhältnissen zu erkennen ist. Ich kann schliefslich bei dieser Gedankenreihe nicht unterdrücken, an die Alten zu erinnern. Ich habe früher nachgewiesen, wie viele Gelehrte, Staatsmänner, Philosophen bei den Griechen und Römern ein sehr hohes Alter von 90, 100 und mehr Jahren erreichten. Solche Fälle, auch nur von 90 oder 100 Jahren, gehören bei uns zu den allerseltensten Ausnahmen. — Unsere geistige Bildung ruht heute noch auf dem Studium der alten Schrift- steller. Es gab sehr viel gebildete Römer und Griechen und die Lehren der bedeutendsten Autoren waren sehr ein Allgemeingut. Sollte nicht Bil- dung, Verstand, richtiges Erkennen der Verhältnisse aller Art auch dahin geführt haben, dafs nach Sitte und Gewohnheit Jedermann verständig 753 DiırErteErıcı lebte, und sollte ein verständiges Leben nicht dazu beigetragen haben, dafs Viele ein hohes Alter erreichten? ich möchte mich viel lieber zu dieser Ansicht, als zu der Meinung bekennen, dafs die Natur den Menschen bei den Alten gröfsere Lebenskraft von der Geburt aus ertheilt habe, als bei uns der Fall ist. Ein fernerer Grund längerer oder kürzerer Lebensdauer wird gesucht 4. in den Nahrungsmitteln und Consumtionsverhältnissen. Es läfst sich durch Einfuhr und Ausfuhr und durch Steuerverhältnisse, wo Abgaben auf die ersten Nahrungsmittel gelegt werden, statistisch ermit- teln, welche und wie viel der gewöhnlichsten Verzehrungsobjecte in grö- fseren Staaten auf den Kopf sich für das Jahr berechnen. Es beruht aufserdem in der Notorietät, ob Weizen oder Roggen, Wein oder Bier und Branntwein die gewöhnlichen vegetabilischen Speisen und Getränke einer Na- tion sind. Die Fleischeonsumtion läfst sich mehrfach aus Steuern oder auch approximativ aus dem Viehstand und der Zahl des geschlachteten Viehes ermitteln. Nach solchen Grundlagen hat man festgestellt, dafs jetzt a. in England auf den Kopf durchschnittlich verzehrt werden 50 Pfund Fleisch, 5% Scheffel Weizen, das Getränk ist allgemein Bier, nicht Wein. — b. in Frankreich wird auf den Kopf an Fleisch verzehrt 30 Pfund, an Ge- treide und zwar Weizen 6-7 Scheffel, das Getränk ist Wein, nicht vorzugsweise Bier. c. im nördlichen Deutschland verzehrt der Kopf etwa 34 Pfund Fleisch; 4 Scheifel Getreide und zwar $ davon Roggen; dabei 6-7 Scheffel Kartoffeln jährlich; das Getränk ist wenig Wein: es kommen auf den Kopf 1 bis 2 Quart jährlich; dagegen 15 bis 20 Quart Bier, und 6 bis 8 Quart Branntwein. — Es wird nun behauptet, dafs die gesündere, bessere, stärkere Nah- rung nothwendig ein besseres Sterblichkeitsverhältnifs herbeiführen müsse. — Weizen ist nach allen chemischen Untersuchungen bei weitem nahrhafter als Roggen, welcher mehr durch Wasser und Hülsen den Magen füllt, als durch eigentlich nährende Substanz. Kartoffel ist gesund, aber auch viel mehr durch ihr Volumen den Hunger stillend, als durch nahrhafte Theile. i- der Kartoffel wird bei der Branntweinbrennerei nur als sogenannte trockene d.h. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 733 nährende Substanz berechnet, & sind wässerige Theile. Wein ist nicht näh- rend, aber belebend; Bier enthält nach der Art, wie es jetzt als bayrisches Bier geliebt wird, narkotisches, die sonst gewöhnlichen ausgegorenen Biere haben nichts Belebendes, wie der Wein, aber viel nährende Theile. — Es liegt nun wohl in der Natur der Dinge, dafs, wo Weizenbrod all- gemein verzehrt, und Wein getrunken wird, dies der Gesundheit vortheil- hafter sein muls, als wo Roggen die gewöhnliche Nahrung ist und viel Bier und Brantwein getrunken wird. Eine starke Fleischnahrung wie in England stattfindet muls auch der Lebensdauer vortheilhaft sein. Es ist indessen bei diesen Verhältnissen der klimatische Einflufs nicht zu übersehen. In England ist bei häufigem Sturm und Regen und der Einwirkung des rings umgebenden Meeres kräftige Nahrung nothwendig. — Ich habe in der Anlage O nur die Länder gegen einander gestellt, bei denen viel Weizen und die bei denen mehr Roggen und Kartoffeln verzehrt werden. Dänemark und Schweden verzehren mehr Roggen, dort wird nicht Wein sondern viel mehr Bier und Brantwein getrunken; — dennoch zeigen sich bei beiden Ländern sehr günstige Sterblichkeitsverhältnisse. Ich kann mich der Besorgnifs nicht erwehren, dafs in Schweden Irrthümer in der Rechnung I) selben aufgesucht sind. Bei Dänemark habe ich diese Besorgnils weniger, und den positiven Zahlen-Angaben sein mögen, wie sorgfältig die- und liegt hierin ein Beweis, dafs die Nahrung allein das Sterblichkeitsver- hältnifs nicht bedingt; auch bei Roggenbrod, Kartofteln, Bier und Brant- wein kann, wie in Dänemark, ein längeres Lebensziel erreicht werden. — Bei den übrigen Ländern zeigen Frankreich, England, Belgien, wo Weizen die Hauptnahrung ist, bessere Zahleuverhältnisse als Preulsen. — Aber auch im Preufsischen Staate tritt hervor, dafs diejenigen Gebiete in denen Weizen die Hauptnahrung ist, besser stehen in Bezug auf Sterblichkeit, als diejeni- gen in denen mehr Roggen die gewöhnliche Nahrung ist. In den Städten der Rheinprovinz kommen nach den Resultaten der Mahl- und Schlacht- steuer häufig 50, 90, 100, ja 200 Pfd. und mehr Weizen auf den Kopf und 180 bis 250 Pfd. Roggen. In den Städten der Provinz Posen ist die Wei- zenverzehrung oft nur 30 Pfd. pro Kopf, und steigt nur in Bromberg und Posen etwas über 100 Pfd., wogegen die Roggennahrung durchschnittlich fast in allen Städten auf 250 bis 300 Pfd. steigt. Vom platten Lande haben wir über die Körnernahrung keinen so sichern statistischen Anhalt, als durch Philos. - histor. Kl. 1851. Cccce 754 DıeErrterıcı die Mahl- und Schlachtsteuer in den Städten. Doch ist wohl notorisch, dafs im grofsen Durchschnitt überall am Rhein mehr Weizen verzehrt wird als im Posenschen. Das Sterblichkeitsverhältnifs ist aber in der Rheinpro- vinz durchschnittlich 1 : 42 bis 1:45; im Posenschen 1 : 20 bis 1:25. — Die Zahlen möchten nicht beweisen, dafs die Nahrung und die Gat- tung der Nahrungsmittel allein und unbedingt über die Lebensdauer ent- scheiden; indessen tritt ihr Einflufs in mehreren Landesgebieten doch un- verkennbar hervor. Auch die Alten lebten im Ganzen mäfsig und einfach und von gesunden Nahrungsmitteln. Es wird sodann der Satz aufgestellt: 5. Die Sterblichkeit ist grölser in Fabrikations- als in mehr Ackerbautreibenden Gegenden. Im Allgemeinen spricht für den Gedanken, dafs das Zusammenleben vieler Menschen in Fabrikgebäuden, die vielfach sitzende Lebensart und der Mangel der Bewegung in freier Luft das Leben verkürze, schon die Beo- bachtung, dafs in grofsen Städten in der Regel ein ungünstigeres Sterblich- keitsverhältnifs ist als auf dem Lande. Zwar ist in London und Paris das Sterblichknitsverhältnifs günstiger, als in unsern mehr Ackerbautreibenden Regierungsbezirken Marienwerder und Bromberg; dies aber hat andere Gründe; vergleicht man Paris gegen ganz Frankreich, so ist in Paris die Sterblichkeit wie 1 : 35,7, in ganz Frankreich wie 1:42,21; in London ist die Sterblichkeit wie 1:42,7, in ganz England wie 1 : 46,2. Wir kön- nen indessen diesen Verhältnissen noch etwas näher treten. Von den 11 Distriets- Abtheilungen, nach denen von England in den officiellen Ta- bellen die Sterblichkeitsverhältnisse angegeben werden, ist der fabrikreich- ste unzweifelhaft Nord-Western, der aus Cheshire und Lancashire besteht. Hier ist das Sterblichkeitsverhältnifs 1 : 38,7. In den 10 übrigen Districten ist das Verhältnifs überall günstiger. Es schwankt zwischen 1 :42,7 und 1: 53,4. — In Frankreich ist die fabrikreichste Gegend das Departement du Nord. In diesem ist das Sterblichkeitsverhältnifs wie 1: 39,6. In den nahe liegenden mehr Ackerbautreibenden Departements, Mosel, Marne, Oise, Orne steht das Verhältnifs viel günstiger resp. 1:47,8; 1:43,6; 1: 43,3; 1:593. — Indessen zeigen sich doch schon in Frankreich merkwürdige Anomalieen. Das Departement der Marne, zwischen Dpt. du Nord und über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 755 Orne hat ein schlechteres Sterblichkeitsverhältnifs als das Dept. du Nord, nämlich 1: 38,5; und im Dept. de la Marne ist weniger Fabrication als im Dept. du Nord. Man wird wenigstens nicht unbedingt sagen können, wo starke Fabrikation ist, zeigt sich immer ein schlechteres Sterblichkeitsver- hältnifs als wo mehr Ackerbau getrieben wird. Noch auffallender zeigen sich solche Anomalieen im Preufsischen Staat. Zwar zeigt die Tabelle A, dafs die städtische Bevölkerung durchschnittlich ein ungünstigeres Sterblich- keitsverhältnifs hat, als die ländliche; will man aber diese Erscheinung den Fabricationsverhältnissen zuschreiben, so möchte dieser Schlufs nicht richtig sein. Unsre ganze Leinwandindustrie hat ihren Sitz nicht in den Städten, sondern besonders in Schlesien fast ganz auf dem Lande. Die westlichen Provinzen Rheinland und Westphalen haben aufserordentlich viel mehr In- dustrie als die östlichen Preufsen, Posen und Pommern, und in letzteren war 1849 das Sterblichkeitsverhältnifs 1 : 29,67; in Rheinland und Westpha- len 1 : 42,59. Man kann nach den Zahlen der Tabelle nicht sagen, dafs in den mehr ackerbautreibenden Regierungsbezirken der Provinzen Schlesien, Sachsen, Westphalen und Rheinland ein gröfseres Sterblichkeitsverhältnifs vorhanden sei, als in den industriereichen. Ja, der fabrikreichste Regie- rungsbezirk des Preufsischen Staats, Düsseldorf, hatte 1843 ein sehr gün- stiges Sterblichkeitsverhältnifs von 1:44,50; — während das viel mehr acker- bautreibende Trier 1 : 39,82 hatte. Im Regierungsbezirk Düsseldorf ist nur der nördlichere Theil des Niederrheins Kleve, Rees, Geldern überwiegend Ackerbautreibend, alle übrigen Kreise Krefeld, Gladbach, Elberfeld, Düs- seldorf, Solingen u. s. w. sind vorherrschend fabrikativ. Die in der Ta- belle für diese verschiedenen Bezirke berechneten Sterblichkeits- Verhält- nisse zeigen zwar etwas günstigere Zahlen in den nördlichen Kreisen; doch hatte der ackerbautreibende District 1846 ein Sterblichkeitsverhältnifs von 1:42,75; der mehr der Fabrikation zugehörige 1843 ein Verhältnifs von 1:49,53. — Man hat bei Fabrications-Bevölkerungen wohl in Erwägung zu ziehen, welche Art von Fabrik und in welcher Form und Weise die Fabrikation be- trieben wird. In unserm Wuppertbale, insbesondere dem Kreise Solingen, besteht die grofse Stahl und Klingenfabrik nicht in grofsen Etablissements. Die Unternehmer haben viel mehr merkantiles Geschäft; die eigentlichen Arbeiter sind selbstständige kleine Leute, die an der Wupper und deren Cccecc?2 56 DıeETerıcı Zuflüssen sogenannte Kotten, zerstreutliegende vom Wasser getriebene Schleifsteine in kleinen Häusern besitzen, und darin selbstständig arbeiten gegen accordirte Preise für Messer, Scheeren und was sie sonst dem Unter- nehmer liefern. In Westphalen ist das verfertigte Garn meist noch mit der Hand gesponnen, und die Spinner wohnen als Tagelöhner für sich. Besser noch ist das Verhältnifs fleifsiger Weber, die in ihrem meist isolirt liegenden Hause ihre 2— 3 Webestühle, aufserdem Acker und Wiesen besitzen, und im freien Accord ihre Waare an die Kaufleute und Unternehmer in Bielefeld verkaufen. Die nachtheiligen Folgen der Industrie für die Gesundheit der Arbeiter treten in der Regel erst später hervor, wenn im grofsen Raume in Baumvollspinnerei und ähnlichen Anlagen eine Menge Menschen den ganzen Tag zusammen arbeiten. Aber auch in solchen Verhältnissen kann durch vernünftige Einrichtung der Zustand der Arbeiter sehr verbessert werden; wie denn humane Fabrikherrn allerdings daran denken und auch gesetzliche Bestimmungen durch Verbot der Beschäftigung von Kindern, Verkürzung der Arbeitszeit und dergleichen mehr gegen die hier allerdings nicht abzu- leugnenden Übel einwirken. — Endlich wird mit Recht als Grund grofser Sterblichkeit angeführt 6. eine grolse Anzahl von Geburten. Es bestätigt sich durch die Statistik aller Länder, dafs verhältnifs- mäfsig die meisten Menschen im ersten Lebensjahre sterben. Beispiels- weise hatte der Preufsische Staat 1849 Einwohner 16,331,187. — Da- runter waren Kinder bis zum vollendeten 5 Lebensjahre 2,454,783, d.h. unter 100 Einwohnern waren 15 Kinder bis zu 5 Jahren. Wären alle Jahr- gänge 1.2.3.4. 5. gleich an Zahl, so fielen auf jeden Jahrgang 490,957. Es sind aber viel mehr Einjährige. Ihre Anzahl mufs mit der Anzahl der Geburten des Jahres 1849 übereinstimmen, denn wenn am 31. Dechbr. 1849 gezählt und die Bevölkerungsliste festgestellt wird, so sind alle Kinder die vom 1. Januar bis 31. Decb. 1849 geboren wurden, Kinder unter Einem Jahre von der Bevölkerung des Jahres 1849. Dafs nicht am 31. Decb. son- dern am 16. gezählt wird, kann nichts Erhebliches ändern; da die in den 14 Tagen vom 16 — 31. Decb. 1849 geborenen nicht wesentlich von denen vom 16— 31. Decb. 1848 gebornen differiren werden. Nun sind 1849 ge- boren 691,562. Gestorben sind, wie gezählt wird, vor vollendetem 1" über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 757 Lebensjahre 112,962; hierzu treten die Todtgeborenen, die bei den Gebore- nen im Preufsischen Staate mit gezählt werden, mit 26,639 giebt 139,601. Von 691,562 sind 139,601 — 20,2 P.C. Der 5“ Theil aller neugebornen Kin- der stirbt im ersten Lebensjahre. Kein anderes Lebensjahr zeigt gleiche Ver- hältnisse, selbst nicht die äulsersten höchsten Altersklassen ausgenommen, bei denen überdies in Rechnung zu stellen ist, dafs die Anzahl der in hohem Alter Lebenden gering ist. Personen über 60 Jahre waren 1849 im Preu- fsischen Staat 966,488; Todte über 60 Jahre sind gezählt 94,592, diese sind von den Lebenden dieser Altersklassen 9,s P.C. und diese Todesfälle ver- theilen sich auf die Altersklassen von 60 bis 90 also auf 30 Jahre. Aller- dings müssen die alten Leute am Ende nach und nach alle absterben; aber das Absterben geschieht nach und nach, und es zeigt sich schon aus diesem hier gestellten Überschlag, dafs man von keinem einzigen Lebensjahr, dem 60, Hier, 62er, 63, 64%", 65%", und so weiter sagen kann, der 5" Theil der 60 jährigen, 61 jährigen, 62 jährigen, 63jährigen u. s.w. sterbe in jedem Jahre. Die Bedeutung der grofsen Sterblichkeit im ersten Lebens- jahre tritt auch dadurch hervor, dafs z. B. von allen Todten im Preufsischen Staate im Jahre 1849 d.h. von 498,562, Kinder von noch nicht vollende- tem ersten Lebensjahre gewesen sind 139,601 d.h. von 100 Todten des Jahres 1849 waren Kinder von noch nicht vollendetem ersten Lebens- jahre 28 (genauer 27,99). Ähnliche Zahlenverhältnisse zeigen sich in allen Staaten; und es ist dadurch klar, dafs, wenn in einem Volke ver- hältnifsmäfsig sehr viel Kinder geboren werden, das Sterblichkeitsverhältnifs in demselben sich ungünstiger stellen mufs wegen des grofsen Antheils der noch nicht einjährigen Kinder an der Gesammtzahl aller Todten. Berech- net man also nach den verschiedenen Ländern und Landestheilen, auf wie viel Lebende Einer geboren wird und auf wie viel Lebende Einer stirbt, so wird da wo auf wenig Lebende Einer geboren wird (also viel Geburten sind) auch auf wenig Lebende Ein Todesfall kommen, also ein ungünstiges Sterblichkeitsverhältnifs obwalten. In England und Wales war die Anzahl der Geburten 1841 bei der letzten Zählung 512,158 d.h. bei einer Bevölkerung von 15,8379,286 Eine Geburt auf 31 Lebende. Das Sterblichkeitsverhältnifs ist 1: 46,2. Im Preufsischen Staate war 1849 die Zahl der Geburten 691,562 d.h. 1 auf 23,6. Das Sterblichkeitsverhältnifs ist ungünstiger als in England; 1 : 34,58. 758 Dıereriıcı In den österreichischen Staaten sind auch viel Geburten 885,255 auf 22,408,188, wobei Ungarn, Siebenbürgen und die Militairgrenze, in denen noch keine ordentlichen Zählungen statt finden, nicht mitgerechnet sind. Das Verhältnifs ist 1:25,35 — die Sterblichkeit 1 : 33,1. — In Bayern war nach Herman 1843 die Gesammtbevölkerung 4,440,327 die Zahl der Geburten war in demselben Jahre 158,197 also 1:28; die Sterb- lichkeit ist 1 : 33,4. In Frankreich ist das Sterblichkeitsverhältnifs günstig 1: 42,6. Das Verhältnifs der Geburten (cf. Schnitzler und officielle Tabellen) ist seit län- gerer Zeit 1:35: die verhältnifsmäfsig geringe Zahl von Geburten hat ihren Grund in der durch ganz Frankreich gehenden Abneigung vor einer zahlrei- chen Familie. Es ist gewöhnlich, dafs in der Ehe nur 2 Kinder sind. Überhanpt ist der Satz: Eine grolse Anzahl von Geburten führte ein ungünstigeres Sterblichkeitsverhältnifs herbei, nicht so zu verstehen, als ob man etwa eine Reihe formiren und a priori sagen könnte: wenn die Sterb- lichkeitsverhältnisse vom günstigen zum ungünstigsten folgendergestalt fort- schreiten 1:46; 1:42; 1:38; 1:35; 1:33; 1:30 so werden die Gebur- ten in gleicher Art gehen, wie 1:36; 1:34; 1:32, 1:30; 1:28; 1:26. Theils können einzelne Jahre reich an Geburten oder reich an Todesfällen sein, wie z.B. 1849 reich an Geburten im Preufsischen Staate war, theils wirken in manchen Ländern wie z. B. Frankreich besondere Verhältnisse; theils endlich sind die einjährigen Kinder doch immer nur ein Theil der Todten, und dieser Theil kann auf das ganze Verhältnifs nicht so entschie- den einwirken, dafs dadurch eine sehr heryortretende, das ganze Verhältnifs ordnende Reihe der Zahlenergebnisse entstehen mülste. Dafs ein Einflufs der Geburten aber vorhanden, zeigt sich, wenn man viele hierher gehörige Zahlen vergleicht, und dann nur den Totaleindruck festhält, einzelne Ab- weichungen und Anomalieen in einem bestimmten Jahre übersehend. Es sind zu dem Ende die Zahlen nach den Distrieten und Landestheilen für den Preufsischen Staat, für England und Frankreich (Tab. $. T. U.) zusammen gestellt, welche in ihrer Gesammtheit wohl klar machen, dafs im Allgemei- meinen in den Landestheilen, in welchen eine besonders hohe Zahl von Geburten hervortritt, auch kein sehr günstiges Sterblichkeitsverhältnifs in der Regel statt findet. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 759 Es ist bei dem Einflufs einer grofsen Anzahl von Geburten auf das Sterblichkeitsverhältnifs noch anzuführen, dafs, wenn unter den Geburten eine grofse Anzahl unehelicher Kinder sind, dies das ungünstige Sterblich- keitsverhältnifs allerdings noch vermehren kann, da der unehelichen Kinder viel mehr absterben als der ehelichen. Von den 691,562 Geburten des Jah- res 1849 im Preufsischen Staate sind unehelich 51,011, ein Verhältnifs wie 1:13,. Es starben von den 640,551 ehelichen Kindern 100,493 wozu kommen todtgeborne 23,880, sind 124,373. Das Verhältnifs ist 1:5,15. Von den 51,011 unehelichen Kindern starben im ersten Jahre 12,469, dazu die Todtgebornen 2759, sind zusammen 15,228; ein Verhältnifs wie 1: 3,35. — Wo nun unter den Kindern sehr viel uneheliehe sind, kann das stärkere Absterben derselben das Sterblichkeitsverhältnifs un- günstiger stellen. So waren in Wien 1844 unter 18,316 Neugebornen, 8,676 uneheliche und 9,640 eheliche. Die Summe aller Todesfälle war 14,679. Die Bevölkerung Wiens ist 374,378, also das Sterblichkeitsverhält- nifs 1:25,5. Immerhin mag die grofse Zahl der unehelichen Kinder hier von Einflufs sein. Indessen ist dieser Einflufs doch nur lokal, auf gröfsere Städte und kleinere Landstriche beschränkt. Für grofse Staaten mag man diesen Einflufs nicht überschätzen. Die einjährigen Kinder sind immer nur ein Theil der Gestorbenen, höchstens der dritte, und von diesem dritten Theil ist die Zahl der unehelichen wiederum nur ein Theil und in den mei- sten Fällen ein kleiner Theil, so dafs die Gesammtverhältnisse durch Über- schreitungen des gewöhnlichen Maafses bei einem Theile vom Theile nicht erheblich in der Regel können verändert werden. Ungünstige Sterblichkeits- verhältnisse können hier und da durch viel uneheliche Kinder mit herbei- geführt werden; indessen werden für ganze Staaten die Bedingungen allge- meiner zu suchen, mehr und viel andere Gründe anzunehmen sein, wel- che ein ungünstiges Sterblichkeitsverhältnifs herbeiführen. Man stellt in statistischen Schriften oft es als ein für sich stehendes, nicht weiter zu erklärendes, mit anderm Verhältnifs nicht im Zusammenhang sich befindendes Factum auf, dafs in dem und dem Lande, in der und der Pro- vinz sehr viel Geburten vorkommen. Es ist wie herkömmlich, dafs im Preu- fsischen Staat als Thatsache einfach hingestellt wird, der Regierungsbezirk Oppeln habe sehr viel Geburten, allerdings aber auch sehr viel Todesfälle. Es sei in dieser Richtung eine starke Bewegung in der Bevölkerung. Diese 760 Dierterıcı Anschauung deutet auf die Voraussetzung, die nicht selten in Schriften als unzweifelhaft ausgesprochen wird, dafs die Zeugungskraft in dieser oder jener Bevölkerung bei den männlichen, das Empfängnifsvermögen bei dem weiblichen Geschlecht stärker sei, als in andern Gegenden, bei anderer Be- völkerung; man folgert die Erscheinung verhältnifsmäfsig vieler Geburten aus einer verschiedenen angebornen Naturkraft unter den Menschen. Ich halte diese Ansicht nicht für richtig. Ihr widerspricht, dafs in demselben Lande in einem Hungerjahre wenig, in fruchtbaren Jahren viel Kinder ge- boren werden, wie sich dies im Preufsischen Staate in einer Reihe von Bei- spielen nachweisen liefse. Ich halte vielmehr dafür, dafs eine unverhältnifs- mälsig grofse Zahl von Geburten mit den Zuständen der Civilisation im Zu- sammenhange sei. Wird die ganze Nation, auch in den unteren Schichten der Gesellschaft vernünftiger, besonnener, wohlhabender, ordentlicher, so verbreitet sich, wie im eigentlichen England, der Sinn, dafs die Ehe nicht eher geschlossen werden dürfe, als bis die Existenzmittel gesichert sind. Die Nation bekommt Scheu vor leichtsinnigen Ehen. Unrichtig ist der nicht moralische Abweg, der in Frankreich herrscht, dafs nur wenig Kinder geboren werden sollen; richtig aber, wenn die Ehen in etwas späteres Alter wohl hinausrücken, vor allem aber das Eingehen der Ehen vorsichtig ge- schieht. — Die oben mitgetheilten Zahlen der Geburten dürften der Be- merkung, dafs diese Verhältnisse im Zusammerhang mit dem Grade der Civi- lisation einer Nation seien, wohl sehr zur Seite stehen. Die aufgestellten sechs Gründe sind wohl nicht die einzigen, die man zur Erklärung der verschiedenen Sterblichkeitsverbältnisse anführen kann und an- geführt hat. Es können deren gewils noch mehrere aufgesucht werden. Wenn in einer bestimmten Gegend unter bestimmten klimatischen und sonstigen Verhältnissen gewisse Krankheitsformen, Fieber, Ausschlag und dergleichen allgemein werden, so würden solche Umstände ein stärkeres Sterblichkeits- verhältnifs in dieser oder jener Gegend herbeiführen. Wenn bei Berg-nnd Hüttenbau viel Individuen mit Blei oder Arsenikgewinnung beschäftigt sind, so würden für diesen Theil der Bevölkerung vielleicht besondere Gründe raschen Absterbens vorhanden sein. Es lassen sich vielerlei solche eigen- thümliche Verhältnisse, die auf die Sterblichkeit von Einflufs sind, denken. Es können neue hervortreten. Die meisten solcher (sründe betreffen jedoch mehr einzelne Distriete, kleinere Theile einer Bevölkerung, und wenn an- über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 761 dererseits auch die ganze Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist, so scheint es doch, als ob folgende Ansichten schon aus dem, was bisher ge- sagt worden, sich als ziemlich gewisse Resultate herausstellten. 1) Es ist die gröfste Vorsicht bei Ermittelung der Zahlenverhältnisse selbst nöthig. In früheren Jahrhunderten war man auf diese statistischen Momente weniger aufmerksam; es können für jetzt und für frühere Zeit leicht Ungenauigkeiten vorkommen. Man prüfe daher genau, ehe man an das Aufsuchen der Gründe der Erscheinungen geht. Man vergleiche eine grolse Anzahl statistischer Ergebnisse, und abstrahire, ohne durch einzelne Anomalieen sich bestimmen zu lassen, von dem Totaleindruck ganzer Zah- lenreihen, ob und welche Unterschiede in den Sterblichkeitsverhältnissen vorhanden sind. 2) Unverkennbar ist, dafs allerdings eine Verschiedenheit obwaltet; die westlichen Länder Mitteleuropa’s, England, Frankreich, Belgien, Hol- land, das nordwestliche Deutschland, auch Dänemark, zeigen nach sicheren Beobachtungen die günstigsten Zahlen. 3) Sucht man nach den Gründen dieser Erscheinung, so sei man darin vorsichtig, nicht für alle Fälle einen Grund allein anzunehmen; es kann bald dieser bald jener Grund entscheidend sein, sehr oft müssen meh- rere zugleich zur Betrachtung gezogen werden; und gerade in solchen Fäl- len wird es complieirt, die Gründe der hervortretenden Erscheinung auf- zufinden. 4) Von den sechs bisher vorzugsweise angegebenen Gründen der ver- schiedenen Sterblichkeitsverhältnisse wird das Klima immer für sich zu be- trachten sein. Es scheint jedoch, dafs, wie der Mensch fast unter allen Zo- nen existirt, wenn er acclimatisirt ist, das Klima nicht so erheblich von Ein- flufs auf die Lebensdauer ist, als man oft annimmt. Namentlich sind die kleineren klimatischen Unterschiede, die in Mittel-Europa Statt finden, wohl nicht von erheblicher Bedeutung, und des Klima’s wegen lebt der Mensch in England und Frankreich nicht längere oder kürzere Zeit als im nordöstlichen Deutschland. 5) Die übrigen besprochenen fünf Gründe, Racenverschiedenheit, Civilisation, Nahrungsmittel, Beschäftigung im Ackerbau und der Fabrica- tion, grofse Anzahl der Geburten, sind mit dem dritten Grunde: Grad der Civilisation im nahen Zusammenhange. Die Stämme haben wohl nicht Philos.-histor. Kl. 1851. Dadddd 762 Dir rerıcı wegen angeborner gröfserer Lebenskraft, sondern weil Sitte und Gewohn- heit dem Leben entsprechen oder nicht, eine kürzere oder längere Lebens- dauer, — bessere, reichlichere und gesündere Kost tritt ein, wenn der Bil- dungsgrad der Nation sich vervollkommnet, ihr Wohlstand durch Fleifs, Arbeitsamkeit und Ordnung sich verbessert; die Zustände der Fabrikation können sehr wohl so geordnet werden, dafs sie der menschlichen Gesund- heit nicht nachtheilig werden; die Anzahl der Geburten wird sich bei fort- schreitender Civilisation, und je mehr Vernunft bei dem Eingehen der Ehen überall angewandt wird, in ein richtiges Verhältnifs zu der Menschenzahl und den Existenzmitteln stellen. — Die ganze Betrachtung reducirt sich am Ende doch darauf, dafs der Mensch zwar nicht vermag, sehr weit hinaus die Lebensdauer auszudehnen, wohl aber, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten, viele der Schädlichkeiten abzuhalten, welche das Leben abkür- zen. Die Alten, die unzweifelhaft bei hoher Bildung mit Verstand zu leben sich bemühten, geben einen wohl kaum anzuzweifelnden Beweis. Es tritt die sehr merkwürdige Erscheinung hinzu, dafs unter den jetzigen Verhält- nissen gerade die in der Civilisation am meisten vorgeschrittenen Völker Europa’s nach allen Berechnungen die längste Lebensdauer haben. Dies günstige statistische Resultat hat etwas Erhebendes. Es ist die Aufgabe der Gesetzgebung, Bildung und Sittlichkeit zu fördern, damit sie sich bis in die untersten Schichten der Gesellschaft verbreiten. Der Erfolg einer solchen, wahrhaft weisen Gesetzgebung wird auch an längerer Lebensdauer sichtbar werden. — über die Sierblichkeitsverhältnisse in Europa. 763 a. Pseudo-Lucian Macrobii. Könige: Agathocles, Tyrann v. Sicilien, 95 Jahr. Hiero, » » » 92 » Antigonus, K. v. Macedonien, 81 Jahr alt, in der Schlacht getödtet. Lysimachus, DIE » Aa» DER » » Antigonus, Sohn des Demetrius, 80» Antipater v. Macedonien ..... 80 » Ptolemaeus’ Laer 2. 2 .*.. 86 » Philetaerus v. Pergamus ... . 80 » Attalus, K. v. Pergamus .. . 82 » Philosophen: Demokrit v. Abdera . . . 104 Jahr, hungerte sich zu Tode. Xenopbilus (Pythagoraeer) 105 » Solon, Thales u. Pittakus 100 » #eno der Stoiker ...... 98: »» @leanthesnra. u. 0. 99 » hungerte sich zu Tode. FRheophrasiinl. u... 85 nach andern über 107 Jahr; in einem der Prooemien zu den Charakteren giebt er sich für 99 Jahr alt aus.] [Pyerkon au. ne gegen 90 Jahr.] Nenaphanes’ ı.. al. 2% 91 » Xenokratesr > sone so 54 » arneadesn sa Vaneo 85 » Cheysippus 2.4.4: Si » Diogenes v. Seleucia. .. 88 » Posidonius v. Apamea .. 84 » Critolaus der Peripatetiker 82 » Blato a0. Hl, SR Say Athenodorus v. Tarsus. . 82 » INestorayBarsussse ren 92» Xenophon.srnan.ue in 90 » Ddddd2 764 DirErterıcı Historiker: Gtesibius + FINE IE NEN. 124 Jahr alt. Hieronymus Ja ra IR RR 104 » » und zwar bis zuletzt in bester Gesundheit. Hellanieus v. Lesbos ? 2..e re: 8585 ».» Pherecydes v. Syros oder von Leros 85 » » Timaeus v. Tauromenium. .. . . 96 » » Aristobulus v. Cassandrea. . .über 90 » » lo) N nee As ee, > 82 » » starb durch einen Fall vom Pferde. Hypsicrates v. Amisus ... .x.. OD Redner: Gorelasinn. ae eek 108 Jahr, hungerte sich zu Tode. Isocrates schrieb im 96" Jahr seine oratio Panegyrica, starb 99 Jahr alt. ıysiasgr Teer en 80 Jahr.] Apollodorus v. Pergamus 82 » Potaman,. Alan issesk: 90 » Dichter: SORHOCIES. ne je un: 95 Jahr (90 Jahr). [Timotheus v. Milet . . 90 oder 97 Jahre.] Cratinus der Komiker . 97 Jahr. Philemo » » = 97 » Epicharmus » 5 Anacreon Da: 355» Stesichoruss sr 35 » Bindar. Al sn 80] » Simonides v. Ceos über 90 » rühmte sich im 80“ Jahre, dafs ihm niemand an Gedächtnifs gleichkomme. Eratosthenes v. Cyrene 82 Jahr. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 765 A. 221 Verhält- Bevölkerung | Todesfälle | nilszahl Distrikte ı | London, 1,942,336 45,507 42,7 enthaltend: Theile der Grafschaften Middlesex und Surrey und von Kent (Greenwich und Lewisham). 2 | South Eastern, 1,466,241 28,994 50,6 die Grafschaften Surrey und Kent (ohne London), Sussex, Hampshire und Berkshire. 3 | South Midland, 1,140,615 24,525 46,5 d. Grafschaften Middlesex (ohne Lon- don), Hertford, Buckingham, Oxford, Northampton, Huntingdon, Bedford und Cambridge. 4 | Eastern, 1,040,051 20,713 50,2 die Grafschaften Essex, Suffolk und Norfolk. 5 | South Western, 1,737,402 32,536 53,4 die Grafschaften Wilts, Dorset, De- von, Cornwall und Sommerset. 6 | West Midland, 1,901,801 41,888 45,4 die Grafschaften Gloucester, Here- ford, Shrop, Stafford, Worcester u. Warwick. 7 | North Midland, 1,109,966 23,098 48,0 die Grafschaften Leicester, Rutland, Lincoln, Nottingham und Derby. 8 | North Western, 2,064,647 53,380 38,7 die Grafschaften Cheshire und Lan- cashire. 9 York, 1,582,977 33,624 47,1 die Bezirke West Riding, East Ri- ding, with York and Nort Riding. 10 | Northern, 825,751 18,488 44,6 die Grafschaften Durham, Nothum- berlaud, Cumberland u. Westmorland. 11 | Welsh, 1,067,499 21,094 | 505 die Grafschaften Monmouth, South und Nord Wales. Summa 15,879,256 | 343,847 | 46,2 Die Bevölkerung entnommen aus dem Appendix lo ninth annual report of the registrat general of births, deaths and marriages. Lon.lon 1849. pag. 88; die Todesfälle aus Tables of he revenue, population, commerce et of the united Kingdom, ard its dependencies. Part. XII. (1542) pag. 241. 766 DisETterıcı B. 1816 s 1816 Departements Bere No.| Departements —————— —— Verh. zZ ° Bevölk. |Todesf.| Zahl Ain 367,362 | 9,287 | 39,5 45 Lot 294,566 | 6,710] 43,9 Aisne 557,422 13,937 |39,0| 46 Lot et Garonne 316,260 | 7,728] 44,8 | Allier ' 329,510 | 8,074 | 40,8] 47) Lozere 143,331 | 3,780| 37, Alpes Basses 156,675 | 4,380 |35,5| 48) Maine et Loire 504,963 | 10,150) 49,7 Alpes Hautes 133,100 | 3,881 |34,3| 49, Manche 604,024 | 12,011| 50,3 Ardeche 379,614 | 9,657 39,3] 50| Marne 367,309 | 9,474| 38,8 Ardenne 326,823! 6,485 50,1] 51) Marne Haute 262,079| 5,556 47,2 Ariege 270,535 | 6.326 |42,8| 52 Mayenne 368,439 | 7,750 47,5 Aube 261,881 | 6,074 |43.1| 53 Meurthe 445,991 , 10,403, 42,9 Aude 289,661 | 7,168 40,4] 54, Meuse 325,710 | 7,474| 43,6 Aveyron 389,121 | 8,627 45.1! 55 Morbihan 472,773| 10,828] 43,7 Bouches du Rhone 413,918 [11,647 |35,5| 56| Moselle 448,087 | 9,364| 47,8 Calvados 498,385 | 9,973 |49,8| 57 Nievre 322,262| 7,428! 43,4 Cantal 260,479| 5,750 \45,0| 58| Nord 1,132,980 | 28,637| 39,6 Charente 379,031 | 8,189 | 46.3 | 59) Oise 406,028 | 9,365) 43,3 Charente Infer. 468,103 |11,804 | 39,6 | 60 Orne 442,107 | 7,472) 59,3 Cher 291,540 | 7,676 | 38,4 Pas de Calais 695,756 | 15,010] 46,3 Correze 317,569 | 8,907 | 35,6| 62| Puy de Döme 601,594 | 13,672) 44,0 Corse 230,271 | 4,625 |49,8| 63, Pyrendes Basses| 457,832| 9,553] 47,9 Cöte d’or 369,524 | 9,696 | 40,9 Pyreuees Hautes| 251,285 | 4,684 Cötes du Nord [628,526 114,904 | 42,2 Pyrenees Orient.| 180,794| 5,105 Creuse 285,650) 5,258 |54,0| 66| Rhin Bas 580,373| 14,371 Dordogne 503,557 112,542 40,1 | 67) Bihin Haut 487,208 | 12,504 Doubs 292,347 | 6,812/42,0 | 68| Bhöne 545,635 | 13,684: Dröme 320,075| 7,195 |44,5| 69| Sa6ue Haute 347,096 | 8,251 Eure 423,247 | 9,231 | 45,8 Saöne et Loire 565,019 | 13,496 Eure et Loire 292,337 | 6,358 | 45,9 Sarthe 474,876| 8,911 Finistere 612,158 |15,977 | 38,3 Seine 1,364,933. | 35,586 Gard 400,381 |11,384 | 35,3 Seine et Marne 340,212| 7,689 Garonne Haute 481,938 110,704 | 45,0 Seine et Oise 474,955 | 10,839 Gers 314,885 | 6,753 | 46,6 Seine Inferieure 758,852 | 20,182 Gironde 602,444 112,646 | 47,6 Sevres Deux 320,685| 6,609 Herault 386,020 110,284 | 37,5 Somme 570,529| 13.457 Ille et Vilaine 562,958 113,285 |42,4| 78! Tarn 360,679) 8,798 Indre 263,977 | 6,137 | 43,0 Tarn et Garonne]| 242,498) 6,023 Indre et Loire 312.400 | 6,841 | 45,6 Var 349,859) 9,018 Isere 598,492 113,458 | 44,5 Vaucluse 259,154| 7,091 Jura 316,150| 8,317 |37,9| 52] Vendee 376,184) 8,524 Landes 295,220 | 6,956 |42,0| 83| Vienne 308,39L| 7,101 Loire et Cher 256,833 | 6,034 |42,5| 84| Vienne Haute 314,739 | 8,009 Loire 453,786 |11,132 | 40,8 | Vosges 427,894 | 9,932 Loire Haute 307,161 | 7,339 41,9) 86 Yonne 374,803) 8,356] 44,9 Loire Infer. 517,265 110,588 | 48,9 (Paris 1,053,897 | 28,595! 36,8) Loiret 331,633 | 8,555 | 38,8 Sumına |35,401,761 831,498] 42,6 @ 19V RD D SUSI SI SI SI SI I -1.-1 -1 über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. C. Belgien. Zählung v. 15. Oct. 1846 Todesfälle ohne die |Verhält- Todtgebornen nilszahl No. Provinzen Bevölkerung 1846 1 Antwerpen 406,354 9,786 41,5 2 Brabant 691,357 17,376 39,7 3 West-Flandern 643,004 20,494 31,3 4 Ost- Flandern 793,264 22,351 35,4 5 Hennegau 714,708 15,405 46,4 6 Lüttich 452,828 9,974 45,4 7 Limburg 185,913 3,969 46,8 8 | Luxemburg 186,265 3,768 49,4 9 Namur 263,503 4,717 55,8 Summe | 4,337,196 107,840 40,2 Brüssel 123,874 3,951 31,4 Quetelet Annuaire 1848 pag. 165. (SIEDELTE 4,208,814 101,143 41,6 (IBSZ)E Ser 4,242,600 103,234 4l,ı (UBA20)Er Er 4,028,677 105,448 38,2 Documents statistiques sur le Royaume de Belgique etc. 76 - 768 Diırrterıcı D. Niederlande. Bevölkerung Provinzen vom Todesfälle | Verhält- 1. Jan. 1839 | 1838 |nifszahl Nord Brabant 370,228 8,506 43,5 Geldern 341,641 7,375 46,3 Nord Holland 427,158 14,548 29,4 Süd Holland 517,876 14,507 35,7 Seeland 147,081 4,825 30,5 Utrecht 142,004 3,969 35,7 Friesland 230,026 5,426 42,4 Ober Issel 193,610 4,810 40,3 Gröningen 174,250 4,033 43,2 Drenthe 71,155 1,669 42,6 Summe| 2,615,029 | 69,668 | 37, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 (Jaarboehje over 1840, pag. 115 u. 119.) Amsterdam | 200,784 | 7,330 | 27. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. E. Oesterreich. Provinzen. Bevölkerung Oesterreich unt. d. Enns 1,494,399 Oesterreich ob. d. Enns u. Salzburg 856,694 Steiermark 1,003,074 Kärnthen und Krain 784,786 Küstenland 500,101 Tirol und Vorarlberg 859,250 Böhmen 4,347,962 Mähren und Schlesien 2,250,594 Galizien und die Bukowina 5,105,558 Dalmatien 410,998 Lombardei 2,670,833 Venedig 2,257,200 Militairgrenze 1,226,408 Summe | 23,767,857 Ungarn (annähernd) 11,000,000 Summe | 37,443,033 1846 Siebenbürgen (desgl.) 2,675,176 ® Verhält- Todesfälle 50,459 22,667 28,242 19,323 13,668 22,820 128,308 61,853 167,175 718,085 (Übersichts- Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie etc. p. Wenn che een ehe, sul 943741378 14,679 Springer, Stalisiik des österreichischen Kaiserstaates ete., J. 91 und (IB3D)}. acer Tas A | MOTOREN (1834) 2.20. 21002000 21.234.413 (1337), ee AL 634,783 815,766 645,767 684,294 nifszahl 29,6 37,9 35,5 40,6 36,6 37,6 33,9 36,4 30,5 47,6 Philos.- histor. Kl. 1851. Eeeee 769 770 DırETeERICIı F. Baiern. 1843 # Regierungs-Bezirke ——-|Verhält- Bevölkerung | Todesfälle | nilszahl Ober-Baiern 694,344 22,083 31,4 Nieder - Baiern 535,499 15,318 34,9 Pfalz 595,193 16,310 36,5 Ober -Pfalz und Regensburg 463,187 14,599 | 31,7 Ober-Franken 496,783 14,640 33,9 Mittel-Franken 618,478 15,986 32,4 Unter-Franken und Aschaffenburg 687,887 15,546 37,8 Schwaben und Neuburg 548,956 18,160 30,2 1 2 3 4 5 6 7 8 Summe | 4,440,327 | 132,642 | 33, (Beiträge zur Statistik des Königreichs Baiern, herausg, v. Herrmann, p- 19 und 171.) über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 771 G. Der Preufsische Staat, zu Ende 1849. Zahl aller Gestorbenen | Ein Todes- ausschlielsl. | fall kommt der Todtgeb. Io Lebende Regierungsbezirke Bevölkerung Königsberg 847,533 24,158 35,08 Gumbinnen 614,047 15,377 39,93 Danzig 404,667 16,004 25,29 Marienwerder 621,046 24,234 25,63 Posen 897,339 35,186 25,50 Bromberg 454,675 24,435 18,61 Stadt Berlin 423,902 13,450 31,52 Potsdam ohne Berlin 845,033 20,033 42,18 Frankfurt 860,087 20,641 41,67 Stettin 562,127 15,950 35,24 Köslin 448,516 9,530 47,06 Stralsund 187,058 4,909 38,1 Breslau 1,174,679 42,040 27,94 Oppeln 965,912 32,525 29,0 Liegnitz 921,002 25,548 36,05 Magdeburg 691,374 19,019 36,35 Merseburg 742,644 20,031 37,05 Erfurt 347,279 8,746 39,71 Münster 421,935 9,357 45,08 Minden 463,229 11,323 40,91 Arnsberg 579,757 13,248 43,16 Köln 497,330 13,527 36,77 Düsseldorf 907,151 20,800 43,61 Koblenz 502,984 11,684 43,05 Trier 492,182 10,718 45,92 Achen 411,525 9,750 42,21 Summe | 16,285,013 472,223 Militair in Baden, Hol- a re stein, Hamburg etc. 46,174 |Zahl mit begriffen Überhaupt 7 16.331,187 472,223 Insbesoudre: die Stadt | BR: Berlin zu Ende 18149 423,902 13,450 _ SOZ-1 TI RUVD —- Mu dl u m jmd Fun URWVWND"»- du -ı 18 19 [52 C] DDDDD “WED —- » an 34,58 Aufserdem der ganze Staat zu Ende 1816 10,349,031 273,209 1522 11,664,133 298,168 1825 12,256,725 309,784 1837 14,098,125 417,464 1843 15,471,084 421,253 Eeeee2 772 Dierterıcı H. Sachsen. Mittheilungen d. statist. Vereins für das Königreich Sachsen, Lief. 17 pag. 27. 104. Kreisdirektions- Bevölkerung | Todesfälle Verhält- Bezirke 1846 1846 |nilszahlen Dresden’. 0.0. 464,107 14,119 Leipzig . ara 417,041 13,223 Zwickau ... 669,114 23,017 Bautzen per 286,171 8,603 Summe | 1,836,433 58,962 Todtgeborne 3,501 55,461 Das Königreich im Jahre 1527 . . 1,358,003 37,736 IS2JETZ 1,396,849 42,218 1834 . . | 1,595,668 | 47,245 Bil ao 1,652,114 48,084 1840 .. 1,706,276 47,104 ISIS 1,757,800 52,668 ik Hannover. Bevölkerung | Todesfälle | Verhält- 1842 1842 |nifszahlen nt I a le ee en Hannovers 28 re; | 333,279 8,167 40,8 Hildesheim... ENu mr 362,678 9,465 38,3 Kinebunessgr gr an 315,239 7,469 42,2 Shdeamteur me, . # 256,029 5,752 44,5 Osnabrück . 1. vr Seren 267,583 6,249 42,8 ANITICH re EEE 166,223 2,946 56,4 Klausthal, Berghauptmannschaft 30,305 795 38,0 Summe | 1,731,336 40,843 42,3 ohne Militair Landdrostei-Bezirke (Die Verhältnisse der Bevölkerung und der Lebensdauer im Königreich Hannover, von Tellkampf.) über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 773 K. Dänemark. Bevölkerung |Todesfälle | Verhält- am 1. Febr. 1840 1839 nilszahl Königreich Dänemark 1,283,027* 26,233” | 48,9* Herzogthum Schleswig 348,526 7,406 47,0 » Holstein 455,093 10,413 43,7 » Lauenburg 45,342 872 51,9 | Die Nebenländer (208,000) | Dee ng Summe | 2,131,988 | 44,924 | 47, v. Baggesen, der dänische Staat ete. pag. 129 und 161. Übereinstimmend mit der Angabe des amtlich herausgeg. Tabellenwerks etc. Forsell giebt in seiner im Jahre 1835 herausgekommenen Statistik von Schweden nur die Listen üher Bevölkerung etc. bis zum Jahre 1825. Es betrug die Bevölkerung i. J. 1825 2,771,252 die Zahl der Gestorbenen . . . . 56,465 wonach sich das Verhältnifs der Gestorbenen zu den Le- benden wie 1:49,0 stellt. *Nach dem i. J. 1850 herausgekommenen Statistisk Tabel- vaerk etc. betrug die Bevölkerung d. Königreichs Däne- mark am 1. Febr. 1850. .. ... . 1,407,747 I. p. 125. die Anzahl der Gestorbenen i. J. 1849 33,504 II. p. 92. wonach sich das Verhältnifs der Gestorbenen zu den Le- benden wie 1:42,0 stellt. 774 DieErterıcı B. Neapel und Sicilien. Jahr. Bevölkerung. Todesfälle. Verhältnifszahl. (1824) 5,512,379 163,432 33,7 (1828) 5,733,430 173,482 33,0 (1831) 5,509,839 192,235 30.2 (1832) 5,858,136 165,261 35,4 Schubert, Handbuch der Allgem. Staatskunde von Europa. I. 4. pag. 34 f. Die Bevölkerung für die Jahre 1831 und 1832 berichtigt nach Serristori etc. Toscana. Jahr. Bevölkerung. Todesfälle, Verhältnifszahl. (1836) 1,436,785 41,759 34,4 Schubert, Handbuch der Allgem. Staatskunde von Europa. I. 4. pag. 555 und 563. Für die einzelnen Provinzen des Grofsherzogthums Toscana giebt Serristori in seiner Statistik etc. das Verhältnifs der Lebenden zu den Gestorbenen für die Provinz Florenz wie 1:31 » » » Pisa 1:31 wo » Siena super. 1:26 IE » Siena infer. 1:23 Parma. Jahr. Bevölkerung. Todesfälle. Verhältnifszahl. (1825) 432,900 12,612 343 (1630) 451,800 15,706 28,8 (1831) 454,080 16,055 28,2 (1833) 465,600 ° 14,781 31,6 Serristori, Statistica dell’ Isola di Sicilia e del ducato di Parma. pag. 30 f. Rom. Jahr. Bevölkerung. Todesfälle. Verhältnifszahl. (1825) 138,000 4,446 310 (1830) 147,285 495 295 (1831) 150,666 5.102295 (1836) 158,678 3275 484 (1839) 148,908 12,563 119 Serristori, Statistica degli Stati Pontifici etc. pag. 23 f. I | Sr über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. M. Zusammenstellung der Sterblichkeits- Verhältnisse nach den Jahreszeiten. Zahl der Gestorbenen überhaupt Procentsatz Jah a - Saale | Tanuar April Juli |October Jan. | Apr. | Juli | Oct. Februar| Mai | August |Novmbr.) Summe |Febr. Aug. | Nov. März Juni | Septbr. |Decmbr. März 1 Sept. | Dec. 1822 | 89,485 | 87,970| 72,754 | 80,798 331,007 | 27,03 | 26,58 | 21,08 24,41 England 1823| 98,707 | 90,119 | 76,280. 84,995 350,001 28,20 | 25,75 | 21,79 | 24,26 1844| 99,069 | 86,134 | 75,440 | 83,204 | 343,847 | 28,51 | 25,05 21,94 24.20 Frankreieh [1834 [234,237 |208,517 |193,764 200,065 | 836,583 | 28,00 123,16 | 23,01 Durchschnittsangabe nach Be 1845 | 32,654 | 27,477 | 21,296 | 22,362 | 103,789 | 31,46 26,47 | 20,52 | 21,55 1846 | 29,599 | 28,476 | 26,908 | 28,028 | 113,011 | 26,19 | 25,20 | 23,51 | 24,50 | 1847 | 36,633 | 33,500 | 24,359 | 25,676 | 120,168 | 30,48 | 20,27 | 21,37 |1848 | 41,234 | 28,376 | 21,346 | 22,778 | 113,734 | 36,26 ‚95 | 18,77 | 20,02 Niederlande |1838| 22,116 | 17,597 | 14,946 | 16,006 | 70,665 | 31,50] 24.00 | 21,15 | 22,65 Belgien 1840 |125,615 |104,650 | 83,940 |104,419 | 418,624 | 30,01 | 25,00 | 20,05 | 24,91 1841 [124,416 | 96,405 | 91,503 [102,932 | 415,256 | 29,96 | 23,22 | 22,03 | 24,0 1842 [123,681 [104,293 | 96,028 111,180 | 435,182 | 28,42 | 23,97 | 22,06 | 25,55 1843 [131,217 [114,551 | 95,310 |103,495 | 444,573 | 29,51 | 25,77 | 21,44 | 23,2 1844 [121,611 | 98,661 | 81,899 |101,671 | 403,842 | 30,11 | 24,43 | 20,28 | 25,18 1845 [129,181 105,621 [100,787 | 97,476 | 433,065 | 29,3 | 24,39 | 23,27 | 22,51 1846 |115,606 105,615 [120,613 [131,315 | 473,149 | 24,42 | 22,32 25,50 | 27,76 1847 |145,259 123,228 [115,058 [128,691 | 512,236 | 28,36 24,06 | 22,16 | 25,12 1848 154,603 120,960 [127,554 [138,625 | 541,742 | 28,54 | 22,33 | 23,55 | 25,55 1849 |128,818 |115,635 |131,030 |123,379 | 498,862 | 25,52 | 23,18 | 26,27 | 24,13 Preufsen 776 Die rerıcı [ib Zusammenstellung der Sterblichkeits- Verhältnisse nach dem Klima. Jahr Ein Todesfall Namen der Staaten etc, der Bevölkerung | Todesfälle | kommt auf Zählung Lebende | Nord-Europäische Staaten. Mänemarkı ee 1849 1,407,747 33,504 42,0 Schwedens „ach. ach 1825 2,771,252 56,465 49,08*) Hannover . EUREN IR 1842 1,731,336 40,843 42,30 England und Wales WE 1841 | 15,879,286 343,847 | 46,2 Süd-Europäische Staaten. Frankreich . . . . 1846 35,401,761 831,498 42,6 Oesterreich mit Lonkarde: etc,* ”)| 1846 23,767,857 718,085 33.1 Neapel und Sieilien . . . . 1832 5,358,136 165,261 35,4 Toskana. Mor ne) Kunair ? 1836 1,463,785 41,759 34,4 Parnawl®. m I%, EIER 1833 465,600 14,781 31,6 Rom: wi mus) MAR BASEL 1838 148,903 12,563 11,9 *) Nach Forsel, Statistik von Schweden. Es sind auch noch die Verhältnisse, jedoch ohne posi- tive Jahl der Einwohner und der Gestorbenen angegeben: für 1826 auf 46,5 Lebende 1 Todesfall » 1827 » 44a » » » 1828 » 37,00 » » » 1829 » 35,5 » » **) Ohne Ungarn und Siebenbürgen. Im Preufsischen Staate. Regierungsbezirke des Nordens. 1843 619,553 16,914 Gumbinnen . 1846 632,356 21,075 1849 614,047 15,377 39,93 1543 821,265 21,572 38,07 Königsberg . 1816 847,952 26,457 32,05 1819 847,533 24,158 35,08 Regierungsbezir "ke des Südens. Trier . . 1846 488,699 12,016 40,67 1849 492,182 10,718 45,92 1843 452,877 13,081 34,62 Minden 1846 459,833 12,747 36,08 ww 38-7 s23 u 1843 478,338 12,012 1849 463,229 11,323 über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 777 Jahr Ein Todesfall Namen der Staaten etc. der Bevölkerung | Todesfälle | kommt auf Zählung Lebende Überhaupt Landestheile des Nordens. Potsdam, Frankfurt, Posen, Bromberg, Stettin, Köslin, || 1843 6,737,343 177,854 37,88 Stralsund, Königsberg, 1846 7,095,878 202,740 35,00 Gumbinnen, Danzig, Ma- || 1849 7,166,030 223,907 32,30 rienwerder. Überhaupt Landestheile des Südens. are 6 1843 8,733,741 243,399 35,80 b oe E ’ ’ ’ , ner nanhd nicht | 1946 | 9.017.066 | 246,394 36,60 8 1849 | 9118,83 | 248,316 36,72 Überhaupt Landestheile des Ostens. Stettin, Köslin, Königsberg, Gumbinnen, Danzig, Marien- || 1843 9,686,227 245,354 39,48 werder, Posen, Bromberg, 1846 10,161,687 258,796 39,27 Frankfurt, Breslau, Oppeln, || 1849 10,227,623 285,628 35,81 Liegnitz. | Überhaupt Landestheile des Westens. 1843 5,784,857 175,899 32,89 alle übrigen Bezirke . 1846 5,951,251 190,338 31,27 1849 6,057,390 186,595 32,45 Philos. - histor. Kl. 1851. Fffff 778 DıeEeTterıcı 1. Zusammenstellung der Sterblichkeits- Verhältnisse nach den Racen. Jahr Ein Todesfall der Bevölkerung | Todesfälle | kommt auf Zählung Lebende A. Germanen. Oesterreichische deutsche Länder. Unter der Enns . . 1,494,399 50,459 29,6 Ob » Enns und Salzburg Bis 856,694 22,667 37,9 Steyermark . . : 1,003,074 28,242 35,5 Tyrol und Vorarlberg 859,250 22,820 37,6 Preufsische deutsche Länder. (der Staat ohne die Regierungs- 1843 | 12,663,698 329,820 38,10 Bezirke Marienwerder, Posen, 1846 13,147,921 361,584 36,36 Bromberg, Oppeln) 1849 13,346,041 355,843 37,51 Hannover. 4 us sararır 1842 1,731,336 40,843 42,30 Baiern . 1843 4,440,327 132,642 33,10 | Sachsen | 1846 1,836,433 | 55,461 33,10 B. Slaven. | Oesterreichische slavische Länder. Kärnthen und Krain . . . 784,786 19,323 40,60 Böhmen. . . ck 1846 4,317,962 128,308 33,90 Mähren und Schlesieh nn; 2,250,594 61,853 36,10 Gallicien und die Bukowina 5,105,558 167,175 30,50 Von Preufsen die Regierungs- 1843 2,807,386 91,433 30,70 Bezirke Marienwerder, Posen, 1846 2,965,017 87,550 33,89 Bromberg, Oppeln . . . . 1849 2,938,972 | 116,380 25,25 C. Gallier. Frankreich. . . . 1846 | 35,401,761 831,498 42,60 D. Anglo-Germanen. England... . . | 1841 | ı14,811,787 | 322,753 45,50 über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 779 Jahr Ein Todesfall | der Bevölkerung | Todesfälle | kommt anf Zählung | Lebende Insbesondere im Preufsischen Staate. A. Slaven. a. Polen. 1843 857,230 27,866 30,76 1) Regierungsbezirk Posen . 1846 900,430 25,516 35,29 1849 897,339 35,186 25,50 1843 432,957 13,769 31,aa 2) Regierungsbezirk Bromberg h 1846 463,969 13,712 33,51 1849 454,675 24,435 18,61 3) Kreise Carthaus, Berendt, Star- 1843 159,169 4,363 36,18 gardt, Neustadt des Reg. Bez. 1846 167,192 6,539 25,27 Danzig 1849 179,050 6,034 29,67 4) Regierungsbezirk Marienwer- 1843 530,430 16,458 | 32,17 der ohne den Kreis Deutsch- 1846 563,096 17,834 | 31,57 Krone 1849 571,899 22,609 25,30 5) Kreise Ortelsburg und Nei- 1843 81,939 2.881 28,14 denburg des Reg. Bez. Kö- h 1846 85,196 2,991 28,19 nigsberg 1849 86,143 2,657 32,12 6) Kreise Angerburg, Goldap, |) 1843 233.638 7.216 ab Oletzko, Lyk, Lötzen, Seus- 1846 er 8.865 Se Arne EI 2 ‚ODE ’ burg, Johannisburg des Reg. 1849 233.582 6515 35.85 Bez. Gumbinnen | 18413 939,624 32,202 29,18 7) Regierungsbezirk Oppeln 1546 957,318 29,130 33,89 1849 965,912 32,525 29,70 8) Kreise Namslau, Wartenberg, |} 1843 217,096 6,805 31,90 Oels, Trebnitz, Münsterberg } 1846 225.814 5,315 42,19 des Reg. Bez. Breslau 1849 226,716 7,186 31,55 9) Kreise Kalau und Lübben des 12 Ka 1624 Ze Reg. Bez. Frankfurt 1ER 20 1,724 a8: = 1849 82,414 | 1,95 | 41, Summe 4. Slaven 1846 3,709,265 111,626 33,23 1849 3,697,730 139,132 26,58 b. Litthauer. DOREEN on, mn Seeger Kreise Heidekrug, Niederung, 1843 167,915 4.547 36,93 Memel, Labiau d. Reg. Bez. Kö- 1846 173,183 5,386 32,21 nigsberg und Gumbinnen 1549 161,587 |! 4,501 36,57 c. Deutsche. | Ba. 2 ’ 1843 11,781,589 303,489 38,82 een Theile des Preufsi- 1846 | 12,230,190 | 332,122 36,82 1849 12,168,870 328,590 37,95 Fftff2 780 DiErterscı II. Zusammenstellung der Sterblichkeits- Verhältnisse nach den Kulturverhältnissen. Jahr Ein Todesfall der Bevölkerung | Todesfälle | kommt auf Zählung Lebende A. Der Preufsische Staat. a) in seiner Begrenzung bis zum | 1748 2,313,625 72,150 Jahre 1806, mit Ausschlufs der | 1751 2,454,551 86,891 Provinz Schlesien. Sal 1E6 12,900 3,527,305 108,065 3,560,417 107,802 3,660,369 112,993 3,159,274 107,439 3,943,395 | 117,212 4,020,011 110,435 5) in seiner Begrenzung nach 4,661,990 144,001 dem Frieden zu Tilsit. 4,650,493 | 171,991 nicht gezählt 4,251,087 174,228 4,446,645 221,640 c) in seiner gegenwärtigen Be- 10,349,031 | 273,209 grenzung, 10,981,934 | 319,139 11,664,133 298,168 12,256,725 309,784 12,726,110 355,953 13,038,960 445,407 13,509,927 | 402,606 14,098,125 417,464 14,928,571 396,494 15,471,084 421,253 16,112,938 449,134 16,331,187 | 472,223 über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 751 Illa. Zusammenstellung der Sterblichkeits-Verhältnisse nach den Civilisations- Zuständen. | Departements Departement Departements Departements Litthauen u. Königsberg | Vor- u. Hinterpommern Kur- und Neumark |[Magdeb. u. Halberstadt Ein Ein Ein Ein Todes- | Todes- Todes- | Todes- Todes- | Todes- Todes- | Todes- al ‚ölkerung erölk jölkerung nvölker: ale 1 Berölkerung Di ala, Kai aut EEE ler Eile ee ee Tllane| rer rue | Hallanf Lebende Lebende Lebende Lebende 1748 | 567,369|15,133| 37,50 | 313,366 9,483) 33,05 | 670,488 20,350] 32,90 |2537,659/10,935| 26,31 1751 | 585,460/18,287| 31,91 | 326,595 ,11,404| 29,52 | 738,194 28,902] 25,51 [300,449|12,422) 24,19 1754| 625,549|119,054| 32,93 | 368,996) 8,938] 41,28) 794,412) 24,159) 32,88 1328,636| 11,160] 29,45 1776 | 841,560|26,506 31,39) 401,516, 9,528] 42,14 | 876,157) 24,182| 36,23 |340,767| 9,756| 34,93 1779| 844,238/21,057| 40,09 | 411,291/11,968] 34,37 | 893,408, 26,643) 33,53 |315,697|10,256| 33,71 1782 | 859,475/29,304) 29,33 | 420,891/10,904| 38,60 | 915,667, 25,138) 36,43 |365,667|11,462) 31,90 1785 | 885,939|25,922| 34,18 | 433,256|10,264| 42,21 | 939,813) 25,529 36,51 [372,611|12,766| 29,19 1791| 909,294/24,671| 36,86 | 447,227)13,348] 33,51 | 966,318) 26,735) 36,14 [337,441|12,223| 31,70 1793 | 927,255|30,965| 29,95 | 455,476|10,494| 43,40 | 997,992) 24,701 40,10 |103,449)10,160| 39,74 Durch- schnitt 17% 782,904|23,467| 33,36 | 397,627|10,703 37,15 | 865,828! 25,152 34,12 Ibn 11,238; 30,97 $ ! : b Regierungsbezirke q : Regierungsbezirke Regierungsbezirke = a = a Regierungsbezirk Konigsbergu.Gumbinnen Stettin u. Köslin EG BEN, DENE Magdeburg und Frankfurt 1816| 874,162/24,865 | 35,16 | 545,373 12,088 44,95 |1,254,176| 30,309] 41,38 |460,405| 11,61 1| 39,65 1819 |1,005,543]32,876| 30,60 | 596,306]16,570 35,99 |1,335,160) 36,179) 36,90 |456,000|13,322| 36,18 1822 |1,097,407|30,498| 35,98 | 660,768]15,287| 43,22 |1,430,129| 31,925| 44,50 507,575 12,003) 42,29 1825 |1,163,349|34,260| 33,96 | 701,501!15,692| 44,70 |1,478,665| 33,394| 44,37 |527,545|11,582) 45,55 1828 |1,216,154|33,467 | 36,34 | 727,896|16,501| 44,11 |1,539,592| 39,249! 39,24 )549,132 13,344) 41,15 1831 |1,243,571/52,819| 23,54 | 761,868[21,717| 35,08 11,579,939| 51,145 30,89 |562,932|16,979| 33,15 1834 |1,269,120)41,388| 30,66 | 787,245/25,069 31,40 |1,651,320| 49,039, 33,67 1577,178 18,256 31,62 1837 |1,304,654|41,965| 31,09 | 829,857|20, 135. 41,46 [1,741,411| 45,821) 38,00 |598,981 16,035| 37,35 1840 1,393,790:39,248 35,51 | 885,646122,939 38,61 |1,857,097! 48,252 39,49 |628,695!15,148! 41,50 1843 |1,440,818|38,486| 37,43 | 930,628]19,816| 46,96 |1,935,107 a 42,02 |647,326) 16,877) 38,36 1846 |1,480,305147,532] 31,14 | 982,092125,694 38,22 |2,066,993) 51,973] 39,77 1674,082]17,136) 39,34 1849 |1,461,580|39,535| 36,97 1,010,643/25,480) 39,66 |2,129,022) 54,124| 39,31 |691,374| 19,019] 36,35 | schnitt 1816 tsrilnie las 784,985|19,749) 39,75 1,666,551| 43,121) 38,65 en 38,12 Dıiererıcı Ein Todes- Jahr Bevölkerung | Todesfälle | fall kommt auf Lebende 1782 140,625 4,527 31,06 17% 150,803 5,738 26,11 un 172,122 5,590 30,50 Berlin 138% 172,908 5,589 30,90 1804 178,029 7,681 23,18 1803 178,506 6,014 29,68 1804 182,157 5,713 31,80 [Durchschnitt] 167,879 5,836 28,77 1816 182,001 5,550 32,50 1819 201,900 6,123 32,97 1822 209,146 5,287 39,56 1825 220,277 6,090 36,20 1828 236,830 6,220 38,08 Berlin 1831 248,682 9,074 27,41 1834 265,122 8,709 30,44 1837 283,722 10,590 26,79 1840 330,230 8,839 37,36 1843 353,149 8,362 42,23 1846 408,502 9,276 44,04 1849 423,902 | 13,450 31,52 [Durchschnitt] 280,289 | 8,131 34,17 über die Sierblichkeitsverhältnisse in Europa. 783 IV. Zusammenstellung der Sterblichkeits- Verhältnisse nach den Konsumtions- Verhältnissen. Jahr Ein Todesfall der Bevölkerung | Todesfälle | kommt auf Zählung Lebende A. Länder, in denen viel Weitzen, weniger Kartoffeln und Roggen verzehrt werden. Erankreich meer ... 35,401,761 831,498 Eineland 2 Een 15,879,286 | 343,847 Beleien? .; EraamEN.2. 4,208,814 101,143 4,242,600 103,234 4,028,677 105,448 4,337,196 107,840 B. Länder, in welchen das Gegen- theil stattfindet. Preufsen . 15,471,084 420,513 h 16,112,938 449,134 16,331,187 | 472,223 *) 1,407,747 33,504 2,771,252 56,465 Schweden Dänemark ."I ma... 2,131,988 44,924 *) Ohne Holstein, Schleswig, Lauenburg. 784 Dierteriıcı V. Zusammenstellung der Sterblichkeits-Verhältnisse nach Stadt u. Land, Fabrikation u. Ackerbau. Jahr Ein Todesfall Im Preulsischen Staate, der Bevölkerung | Todesfälle | kommt auf Zählung Lebende A. Stadt und Land. a) In den Provinzen Preufsen, (Stadt 1,219,881 48,063 25,98 Posen und Pommern. Land 3,817,127 121,729 31,36 b) Brandenburg, Schlesien, er 2,232,874 72,657 30,73 Sachsen. Land 1849 4,736,038 129,376 36,63 E Stadt 1,117,973 30,692 34,14 c) Westphalen u. Rheinland. "and 3.158.120 69.715 5a H Stadt 4,570,728 151,412 30,19 Ay StastesHherhaupt fr Land | | arıaass | 20811 36,51 Me ee eh Me kunt „1 EM oe ee BB u u a a er en B. Ackerbauu. Fabrikation. Provinzen Preufsen 1a er Ian2 ae e) Pos Pommern, g Ackerbau |. 1846 | 5.028.885 | 150,767 33,36 osen 2 nn 1819 5.037.008 | 169,783 29,67 1543 6,567,897 | 211,426 31,06 b) TÜRE TEI Bea Fabrikation |Y 1816 | 6,875,254 | 209,298 32,55 ann Se ) ıs9 | 6971,912 | 202,033 34,51 TEN 4,100,951 100,913 40,64 e | „100, : } ) ee und | Fabrikation|| 1546 | 4.208,799 | 112,063 37,56 nz 1849 4,276,093 | 100,407 42,59 d) Regierungsbezirke von Schlesien, Sachsen, Rheinland, Westphalen. aa) überwiegend Ackerbau. 1843 217,096 6,805 31,90 der südl. Theil von Breslau *) 1846 225,814 5,315 42,19 1849 226,716 7,186 31,55 | 1843 939,624 32,202 29,18 Oppeln 1846 987,318 29,130 33,59 \ 1849 965,912 32,525 29,70 1843 647,326 16,877 38,36 Magdeburg 1846 674,149 17,136 39,34 1849 691,374 19,019 36,55 1843 418,765 9,817 42,66 Münster". Kae... 1846 421,044 10,247 41,00 1849 421,935 9,357 45,08 *) Die Kreise Namslau, Wartenberg, Oels, Trebnitz, Münsterberg. über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 785 Jahr [Ein Todesfall Im Preuflsischen Staate. der Bevölkerung | Todesfälle kommt auf Zählung | Lebende Noch aa) überwiegend Ackerbau. | | 1843 478,338 12,012 39,82 1 N er 1846 488,699 12,016 40,67 1849 492,182 10,718 45,92 1543 489,900 12,978 37,75 Koblenz... v2 si 499,557 13,164 37,9 1819 502,984 11,684 43,05 bb)überwiegend Fabrikation | | | | 1843 900,108 32,102 28,04 der nördl. Theil von Breslau 1846 940,180 29,237 32,12 1849 947,963 34,854 27,20 1843 892,056 27,397 32,56 Tieenitzaer 2 BER Ser: Iow 912,497 26,767 34,09 1849 921,002 25,548 36,05 1843 701,037 18,211 38,50 Merseburg, .) Jualy rer. | 724,686 18,327 39,54 1849 742,644 20,031 37,05 1843 335,543 8,592 37,74 Birfurg el Rare. Li 343,617 8,119 40,81 1549 347,279 8,746 39,71 \ 1543 452,877 13,081 34,62 Minden „| u 2: 1846 459,833 12,747 36,08 J 1849 463,229 11,323 40,91 18143 549,801 12,390 44,37 Arnsbera#f .) re . dern. Ian 561,812 11,536 38,86 1549 579,757 13,248 43,76 1843 465,363 11,709 39,74 Kölnatı cd er Schr: Im 481,593 14,127 34,30 1549 497,330 13,527 36,77 1543 851,456 19,004 44,80 Düsseldorf . 1846 887,614 23,935 37,08 1849 907,151 20,800 43,61 1843 394,451 9,922 39,76 iNchene er ea: el ® 402,617 11,291 35,66 1819 411,525 9,750 42,21 Y 1543 | 5,541,999 152,708 36,26 Durchschnitt I 5,720,479 159,356 So 1349 5,517,850 | 157,527 36,86 cc) Im Reg. Bez. Düsseldorf. vorherrschend Landbau, 1843 192,715 3,870 49,50 die Kreise Kleve, Rees und ill 1516 197,040 4,609 42,15 Geldern . 1849 198,414 3,878 5l,ı6 1843 658,741 15,134 43,53 Bes Fabrikation, 1846 690 574 19.326 35. FE UIIBELE NEN Re 1849 708,737 16,922 4l,ss Philos.- histor. Kl. 1851. 786 Diıeterscı VI. Zusammenstellung der Sterblichkeits - Verhältnisse in Vergleich mit den Geburten. Geburten Todesfälle Gegen 100 Preufsen —— oo); fü i Volkszahl Eine Einer | Todesfälle R egie rungs-Bezirke überhaupt auf überhaupt auf waren Lebende Lebende | Geburten 1) Königsberg . . . 1843 821,265 | 34,310 | 23,92 | 21,572 | 38,07 | 159,19 1846 1849 12) Breslau . . . . 1843 1846 1849 182,981 6,723 | 272 | 4,520 | a0, | 148,4 187,058 7,314 | 25,58 | 4,909 | 38,11 | 149,00 1,117,204 | 43,096 | 25,92 | 38,907 | 28,1 | 110,7 1.165.994 | 46,331 | 25,17 | 34,552 | 33,7 | 134,0 1,174,679 | 50,188 | 23,27 | 42,040 | 27,94 | 120,10 1846 847,952 | 34,746 | 24,10 | 26,457 | 32,05 | 131,33 1849 817,533 43,195 | 19,19 24,158 | 35,08 180,04 2) Gumbinnen. . . 1843 619,553 26,780 | 23,13 16,914 | 36,63 158,33 1816 632,356 | 24.073 | 26,27 | 21,075 | 30,05 | 114,8 1849 614,047 | 32,834 | 18,70 | 15,377 | 39,93 | 213,53 3) Danzig. . . . . 1843 387,306 16,770 | 23,10 | 10,580 | 36,61 | 158,51 1846 405,805 17,262 | 23,51 14,601 | 27,79 118,23 1849 404,667 | - 19,558 | 20,18 | 16,004 | 25,20 | 124,08 4) Marienwerder. . 1843 577,575 | 27,910 | 20,69 | 17,596 | 32,2 | 158,62 1846 613,300 29,066 | 21,10 19,192 | 31,96 151,45 1819 621,046 | 31,914 | 19,16 | 24,234 | 25,63 | 131,60 5) Posen. . . . . 1843 857,230 | 36,553 | 23,45 | 27,866 | 30,6 | 131,17 1846 900.430 | 40,447 | 22,25 | 25,516 | 35,0 | 158,52 1849 897,339 42,024 | 21,35 35,186 | 25,50 122,28 - 6) Bromberg . . . 1843 432,957 | 20,772 | 20,84 | 13,769 | 31,44 | 150,86 1846 463,969 | 21,846 | 21,24 | 13,712 | 33,94 | 159,31 1849 454,675 | 22,759 | 19,98 | 24,435 | 18,61 93,14 7) Potsdam mit Berlin 1843 1,135,335 | 41,477 | 27,37 | 27,097 | 41,00 | 153,07 1846 1,226,566 | 45,477 | 26,98 | 31,376 | 39,10 | 144,94 1819 1,268,935 | 47,193 | 26,0 | 33,483 | 37.90 | 140,95 8) Frankfurt . . . 1843 799,772 | 29,957 | 26,70 | 18,945 | 422 | 158,13 1846 810,127 | 32,801 | 25,61 | 20,597 | 40,10 | 159,25 1819 860,087 | 34,190 | 25,16 | 20,641 | 41,07 | 165,64 9), Stettin. >. 0.....1843 517,522 | 21,184 | 24,3 | 11,516 | 44,94 | 183,9 1816 547,952 | 22,872 | 23,06 | 14,270 | 38,10 | 160,28 1849 562,127 | 23,858 | 23,53 | 15,950 | 35,24 | 149,7 10) Köslin. . . . . 1813 413,106 | 16,501 | 24,59 8,300 | 49,77 | 202,42 1816 434,140 | 17,089 | 25,00 | 11,424 | 38,00 | 149,39 1819 448516 | 19,711 | 22,5 | 9,530 | 47,06 | 206,83 11) Stralsund . . . 1843 175,722 6,286 | 27,95 3,699 | 42,10 | 169,99 | über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 78 Geburten Todesfälle Gegen 100 ‚Preu {sen ) Volkszahl Eine Einer | Lodesfälle Regierungs-Bezirke überhaupt auf überhaupt auf waren Lebende | Lebende | Geburten 13) Oppeln . 1843 939,624 | 40,776 | 23,04 | 32,20% | 29,18 | 126,63 1846 987,318 | 42,871 | 23,03 | 29,130 | 33,89 | 147, 1819 965,912 | 48,379 | 19,97 | 32,525 | 29,70 | 148,73 14) Liegnitz . 1843 892,056 |, 31,56% | 28,27 | 27,397 | 32,56 | 115,20 1846 912,497 | 33,474 | 27,26 | 26,767 | 34,00 | 125,06 1849 921,002 | 35,590 | 25,58 | 25,548 | 36,05 | 139,31 15) Magdeburg 1813 647,326 | 23,879 | 27,11 | 16,877 | 38,36 ı 141,0 1846 674,149 | 25,496 | 26,44 | 17,136 | 39,54 | 148,79 1849 691,374 | 27,530 | 25,11 | 19,019 | 36,35 | 144,5 16) Merseburg . 1843 701,037 | 25,137 | 27,80 | 18,211 | 38,50 138,03 1846 724,686 | 27,591 | 26,23 | 18,327 | 39,54 | 150,55 1849 742,644 30,490 | 24,36 20,031 | 37,05 152,23 17) Erfurt 1843 335,543 | 11,842 | 28,33 8,892 | 37,74 | 133,18 1846 343,617 12,756 | 26,94 8,419 | 40,51 151,51 1849 347,279 13,728 | 25,30 8,746 | 39,71 156,91 18) Münster . 1843 418,765 12,754 | 32,83 9,817 | 42,66 | 129,92 1546 421,044 | 12,031 | 35,00 | 10,247 | 41,oo | 117, 1549 421,935 | 13,567 | 31,10 9,357 | 45,08 | 145,00 19) Minden . 1843 452,877 | 17,794 | 25,55 | 13,081 | 34,62 | 136,02 1546 459,833 16,590 | 27,23 12,747 | 36,08 132,50 1849 463,229 | 19,413 | 23,56 | 11,323 | 40,91 | 171,4 20) Arnsberg 1843 549,801 | 20,743 | 26,51 | 12,390 | 44,37 | 167,42 1846 564,842 | 19,731 | 28,63 | 14,536 | 38,86 | 135,74 1849 579,757 | 22,094 | 26,24 | 13,248 | 43,16 | 166,77 21) Köln . 1843 465,363 | 18,001 | 25,55 | 11,709 | 39,74 | 153,74 1846 484,593 | 18,023 | 26,50 | 14,127 | 34,30 | 127,58 1849 497,330 | 19,526 | 25,17 | 13,527 | 36,77 | 144,5 22) Düsseldorf. 1843 851,456 | 32,315 | 26,55 | 19,004 | 44,80 | 170,04 1846 857,614 | 31,218 | 28.4.3 | 23,935 | 37,08 | 130,4 1549 907,151 | 34,291 | 26,45 | 20,800 | 43,61 | 164,86 23) Koblenz . . 1843 489,900 | 17,550 | 27,91 | 12,978 | 37,5 | 135,2 1846 499,557 | 18,145 | 27,48 | 13,164 | 37,95 | 137,84 1849 502,984 | 18,751 | 26,82 | 11,684 | 43,05 | 160,48 24) Trier . 1843 478,338 15,913 | 30,06 | 12,012 | 39,82 | 132,48 1846 488,699 | 16,038 | 30,47 | 12,016 | 40,67 | 133,47 1549 492,182 18,017 | 27,32 10,718 | 45,92 168,75 25) Achen 1843 391,451 14,280 | 27,62 9,922 | 39,76 | 143,02 1546 402,617 | 13,427 | 29,9 | 11,291 | 35,66 | 118,92 1849 411,525 | 14,518 | 28.3 9,750 | 42,21 | 148,00 Summe 1843 |} 15,471,084 | 604,472 | 25,59 | 421,253 | 36,73 | 143,4 1846 |) 16,112,938 | 626,424 | 25,12 | 449,134 | 35,88 | 139,15 1849 |) 16,331,187 | 691,562 | 23,62 | 472,223 | 34,58 | 146,45 788 Dir terıcı Vla. Frankreich. Bevölk Geburten Todesfälle Gegen Yu 4 evölkerung Todesfälle No, Departements 1846 MIT, Eine IR, Einer BE ep auf Lebende ca auf Lebende) [est Bebenslein Sehptzn 1 Aın 367,362 10,228 35,92 9,287 39,5 110,87 2 Aisne 557,422 14,504 38,43 13,937 39,9 104,08 3 Allier 329,540 9,506 34,67 8,074 40,8 117,24 4 Alpes Basses 156,675 4,294 36,19 4,380 35,8 98,04 5 Alpes Hautes 133,100 4,100 | 32,46 3,881 34,3 105,64 6 Ardeche 379,614 12,370 30,69 | 9,657 | 39,3 | 128,09 7 Ardenne 326,823 8,153 40,09 6,485 50,4 125,72 8 Ariege 270,535 7,055 38,35 | 6,326 42,8 111,52 9 Aube 261,881 6,326 41,40 6,074 43,1 104,15 10 Aude 289,661 7,705 37,59 7,168 40,4 107,50 11 Aveyron 359,121 11,354 34,27 8,627 45,1 131,61 12 Bouches du Rhone | 413,918 13,474 30,72 11,647 35,5 115,69 13 Calvados 498,385 9,950 50,09 9,973 49,9 99,77 14 Cantal 260,479 6,494 40,11 5,780 45,0 112,35 15 Charente 379,031 9,198 41,21 8,189 46,3 112,32 16 Charente Infer. 468,103 11,435 40,94 11,804 39,6 96,87 17 Cher 294,540 10,105 29,15 7,676 38,4 131,65 18 Correze 317,569 10,073 31,53 8,907 35,6 113,09 19 Corse 230,171 6,812 33,79 4,625 49,8 147,29 20 Cöte d’or 396,524 9,857 40,23 9,696 40,9 101,66 21 Cötes du Nord 628,526 19,548 32,15 14,904 42,2 131,16 22 Creuse 285,680 7,080 40,34 5,288 54,0 133,89 23 | Dordogne 503,557 | 13,788 | 36,5 12,542 | 40, 109,93 24 Doubs 292,347 7,632 38,31 6,812 42,9 112,04 25 Dröme 320,075 9,127 35,07 7,195 44,5 126,85 26 Eure 423,247 8,344 50,72 9,231 45,8 90,39 27 Eure et Loire 292,337 7,340 39,83 6,358 45,9 115,45 28 Finistere 612,151 20,968 29,02 15,977 38,3 131,24 29 Gard 400,381 13,636 29,36 11,384 35,3 119,70 30 Garonne Haute 481,938 19,072 25,27 10,704 45,0 78,18 3l Gers 314,885 6,514 48,34 6,753 46,6 96,46 32 Gironde 602,444 15,070 39,98 12,646 47,6 119,17 33 Herault 386,020 11,107 34,75 10,284 37,5 108,00 34 Ille et Vilaine 562,958 17,030 33,06 13,285 42,4 128,19 35 Indre 263,977 7,721 34,19 6,137 43,0 125,51 36 Indre et Loire 312,400 7,285 42,88 6,841 45,6 106,49 37 Isere 598,492 16,471 36,34 13,458 44,5 112,39 38 Jura 316,150 7,861 40,22 8,317 37,9 94,52 39 Landes 298,220 9,546 31,24 6,956 42,9 137,23 40 Loire et Cher 256,833 7,371 34,54 6,034 42,5 122,16 4l Loire 453,786 14,810 30,64 11,132 40,8 133,04 über die Sterblichkeitsverhältnisse in Europa. 789 No D i : Bevölkerung Geburten Todesfälle en 5 epartements SE BnrrE R 1846 | merkt | urraimnge] Berka | ernena on 42 Loire Haute 307,161 9,084 33,51 7,339 41,9 123,78 43 Loire Inferieur 517,265 15,675 33,70 10,588 48,9 148,04 44 Loiret 331,633 10,286 32,23 8,555 38,8 120,23 45 Lot 294,566 7,409 39,76 6,710 43,9 110,42 46 Lot et Garonne 346,260 6,950 49,82 7,728 44,8 89,93 47 Lozere 143,331 4,380 32,72 3,780 37,9 115,87 48 Maine et Loire 504,963 12,492 40,12 10,150 49,7 123,07 49 Manche 604,024 13,273 45,51 12,011 50,3 110,51 50 Marne 367,309 9,987 36,78 9,474 38,8 105,42 51 Marne Haute 262,079 6,128 42,77 5,556 | 47,2 110,30 52 , Mayenne 368,439 9,416 39,13 7,750 47,5 121,50 53 Meurthe 445,991 11,444 38,97 10,403 42,9 110,01 54 Meuse 325,710 8,123 40,10 7,474 43,6 108,68 55 Morbihan 472,773 14,961 31,60 10,828 43,7 138,17 56 Moselle 448,087 12,883 34,18 9,364 47,8 137,58 57 Nievre 322,262 10,273 31,37 7,428 43,4 138,30 58 Nord 1,132,980 34,957 32,11 28,637 39,6 122,07 59 Oise 406,028 9,646 42,09 9,365 43,3 103,00 60 Orne 442,107 8,906 49,64 7,472 59,3 119,19 61 Pas de Calais 695,756 18,921 31,38 15,010 46,3 126,06 62 Puy de Döme 601,594 15,625 38,51 13,672 44,0 114,28 63 Pyrenees Basses 457,832 10,562 43,35 9,553 47,9 110,56 64 | Pyrenees Hautes 251,285 5,553 45,35 4,684 53,6 118,55 65 Pyrenees Orient. 180,794 6,639 27,23 5,105 35,4 130,05 66 Rhin Bas 530,373 19,612 29,59 14,371 40,4 136,47 67 Rhin Haut 487,208 16,541 29,45 12,504 38,9 132,28 68 Rhöne 545,635 15,965 34,18 13,684 39,8 116,67 69 Saöne Haute 347,096 8,867 39,14 8.251 42,0 107,46 70 Saöne et Loire 565,019 16,078 35,14 13,496 41,9 119,13 71 Sarthe 474,876 10,516 45,16 8,911 53,3 118,01 72 Seine 1,364,467 43,492 31,37 35,586 38,3 122,21 73 Seine et Marne 340,212 8,792 38,70 7,689 44,2 114,34 74 Seine et Oise 474,955 11,343 4l,s7 10,839 43,8 104,65 75 Seine Inferieure 759,990 22,132 34,34 20,182 37,6 100,98 76 Sevres Deux 320,685 8,646 37,09 6,609 48,5 130,82 77 Somme 570,529 15,081 37,83 13,457 42,4 112,07 78 Tarn 360,679 9,431 38,24 8,798 40,9 107,19 79 | Tarn et Garonne 242,498 5,315 | ddsı 6,023 | 402 88,2 || 80 Var 349,859 8,752 39,97 9,018 38,8 97,05 81 Vaucluse 259,154 8,214 31,5 7,091 36,5 115,51 82 Vendee 376,184 11,810 31,85 8,524 44,1 138,55 83 Vienne 308,391 8,404 36,70 7,101 43,4 118,35 84 Vienne Haute 314,739 9,867 31,90 8,009 39,3 123,20 85 Vosges 427,894 11,146 38,39 9,932 43,1 112,22 86 | Yonne 374,856 9,582 39,13 | 374856 | 9582 | 395 | 8356 | 440 | Io Summe "Summe | 35,401,761 | 983,173 | 36,00 | 831,478 | 426 |] Als 35,401,761 983,473 | 36,00 | 831,478 42,6 | 118,2 1 10 11 Dıirrterıcı über die Sterblichkeitsverhälinisse in Europa. VIb. Grofsbritannien. Geburten Todesfälle Bevölke- Gegen 100 4 2 Eine Einer Todesfälle rung Distrikte 8 2 überhaupt | auf Le- |überhaupt Jauf Le-| waren 1541 bende N bende | Geburten London, 1,942,336 | 57,342 | 33,87 | 45,507 | 42,7 | 126,01 enthaltend: Theile der Grafschaf- ten Middlesex und Surrey und von . Kent (Greenwich und Lewisham). - South Eastern, 1,466,241 | 44,751 | 32,76 | 28,994 | 50,6 | 154,03 die Grafschaften Surrey und Kent (ohne London), Sussex, Hampshire und Berkshire. South Midland, 1,140,615 | 37,333 | 30,55 | 24,525 | 46,5 | 152,2 die Grafschaften Middlesex (ohne London), Hertford, Buckingham, Oxford, Northampton, Huntingdon, Bedford und Cambridge. Eastern, 1,040,051 | 32,197 | 32,30 | 20,713 | 50,2 | 155,44 die Grafschaften Essex, Suffolk u. . Norfolk. South Western, 1,737,402| 51,844 | 33,51 | 32,536 | 53,4] 159,35 die Grafschaften Wilts, Dorset, De- von, Cornwall und Sommerset. West Midland, 1,901,801 | 61,650 | 30,5; | 41,888 | 45,4 | 147,18 die Grafschaften Gloucester, Here- ford, Shrop, Stafford, Worcester u. Warwick. North Midland, 1,109,966 | 36,591 | 30,53 | 23,098 | 48,0 | 158,12 die Grafschaften Leicester, Rutland, Lincoln, Nottingham und Derby. North Western, 2,064,647 | 75,539 | 27,35 | 53,380 | 38,7 | 141,51 die Grafschaften Cheshire u. Lan- cashire. York, 1,582,977| 54,210 | 29,20 | 33,624 | 47,1 | 161, die Bezirke West Riding, East Ri- ding, with York and Nort Riding. Northern, 825,751 | 28,339 | 29,14 | 18,488 | 44,6 | 153,28 die Grafsch. Durham, Nothumber- land, Cumberland u. Westmorland. Welsh, 1,067,499 | 32,362 | 32,99 | 21,094 | 50,6 | 153,42 die Grafschaften Monmouth, South und Nord Wales. Summa |15,879,256 512,158 | 31,00 343,847 | 46,2 | 148,95 Die Bevölkerung entnommen aus dem Appendir to ninth annual report of the registrat general of births, deaths and marriages. London 1849. pag. SS; die Todesfälle aus Tables of the revenue, population, commerce et of the united Kingdom, and its dependencies. Part. XII. (1842) pag. 241. 7 j & £ Pe a u. cl me Q SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRARIES 3 9088 01298 8382