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CR % f . d 7 u 0 * Ei M& ef A s ART, m N PIEnE b i 0% N k u ; et Dre u j ’ f % ı f ö - # 2 =; FNEEIRE IIORN hai“ i are ? Al NIE BI E NILIDOH urn ANHERBBAEN ART A ® EIRTS | . N [2 N: Hi er KATI ® J ‚Hi IR ART! Ar f Dj w ir u A nr 7% 2 j u h " . N 5 % v = y D 0 ABHANDLUNGEN KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1913 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE CLASSE MIT 4 TAFELN Oppi ce 4br BERLIN 1913 VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN COMMISSION BEI GEORG REIMER De ET Se Zune Kurz u Y R Pe 5 Ar 5 [ ’ ar 2 2% u 0) - ol ap \ v7 A N REN ü 2 -. i Mi e a u. 4727 f u K . nr ur VITO IR HE = ASIH Sera oe ann er. Ha W AO nach Berlin, gräneke in en Reichsdrı E EOE SV ÄUSIHRAE RAN AINIFTTÄMEHN ANGER ARTEN r nie I TE Be sTur. ZEINTE tanz A later: KARHRIDNAD a Be Ok ME VORSUnmET Wi Enhälkkt; Öffentliche Sitzungen . B 5 Se Verzeichnils der im Jahre 1913 gelesenen An batdliseen Preisausschreibung Statut der Bradley- Medaille : - & - b Statut der Stiftung zur Förderung der che und) veligionsgeschichiile iR Studien im Rahmen der römischen Kaiserzeit (saec. I-VI) Verzeichnils der im Jahre 1913 erfolgten besonderen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Eee wissenschaftlicher Unter- nehmungen i : Verzeichnifs der im Jahre 1913 ers eehiefenen im Aufte age oder mit Unen stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke . Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1913 Verzeichnifs der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1913 nebst den Verzeichnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz- Medaille und der Beamten der Akademie Abhandlungen. Nr. 1. E. E. Gorpmann: Vitalfärbung am Centralnervensystem. (Mit 4 Tafeln) . « VII— VIII. . VIII—XIV. . XIV—XV. —XIX. . XIX—XXII, . XXII—-XXIV. « XXIV—-XXVI » XXVII—-XXVIII . XXIX—XXXVII. . 1-60. Ari relienuand Mulları ui rk ee POLE | Ha gu Vernehlll Abk ıh unhalhinemd, ri iful) ie ur lad, u nie h u ee EN: 7 Yktlirle) 1 IH vonder ini A “u Rx I PN N ee Te er. a ea mr Tat ns BEH r ai oh late ae 7. iördicheng RETTET BE? A nad hin | sin Dee POL Fil ah ee ae EITE Ian T nd errgaaan £ ‚Inrl werds um lau hoilasil ol ara ae! En EEE Ten vl) kbarkadalarısTt ml kan, 1 E ge bui u Me yo ihn BL Are wırwihirh RN („nit lan a Baal a nah Lan Ne a 1 ee eg # Herma: ml DIENEN, me ü, ” un U IT N ee HR » ash AT: ih ihn ie aan Dam u y KETTE s iH BR JAHR 1913. Öffentliche Sitzungen. Sitzung am 23. Januar zur Feier des Geburtsfestes Seiner Majestät 5 J des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Friedrichs Il. Der an diesem "Tage vorsitzende Secretar Hr. Planck eröffnete die Sitzung mit einer kurzen auf die Doppelfeier des Tages bezüglichen An- sprache. Darauf hielt Hr. Penck den wissenschaftlichen Festvortrag: Die Formen der Landoberfläche und Verschiebungen der Klimagürtel. Es folgte der Bericht über die seit dem letzten Friedrichs-Tage (24. Januar 1912) in dem Personalstande der Akademie eingetretenen Veränderungen und schliefs- lich wurde verkündet, dafs die Akademie ihrem ordentlichen Mitglied Hrn. Simon Schwendener die Helmholtz-Medaille verliehen und dem ordentlichen Professor der Physiologie an der Universität Halle Dr. Emil Abderhalden für seine Untersuchungen über die Zusammensetzung und physiologische Verwerthung verschiedener Eiweifsstoffe die Helmholtz-Prämie von 1800 Mark gewährt habe. Von der Verlesung der Jahresberichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie und über die ihr an- gegliederten Stiftungen und Institute in der Sitzung wurde abgesehen, sie sind jedoch dem Sitzungsbericht im Wortlaut angefügt. Sitzung am 26. Juni zur Feier des Regierungsjubiläums Seiner Majestät des Kaisers und Königs und des Leibnizischen Jahres- tages. Hr. Roethe, als vorsitzender Secretar, eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache, die den doppelten Anlafs der Feier zum Gegenstand hatte. Darauf hielten die seit dem letzten Leibniz-Tage (4. Juli 1912) neu eingetretenen Mitglieder ihre Antrittsreden, die von den beständigen Secre- taren beantwortet wurden, nämlich die HH. Norden — Erwiderung von Hrn. Diels, Schwarzschild — Erwiderung von Hrn. Planck, Schuch- VI hardt — Erwiderung von Hrn. Roethe, Beekmann — Erwiderung von Hrn. Planck und Loescheke — Erwiderung von Hrn. Diels. Es folgten Gedächtnifsreden auf Hermann Munk von Hrn. Rubner und auf Erich Schmidt von Hrn. Roethe. Sodann wurden Mittheilungen über eine Preisaufgabe der Charlotten- Stiftung für Philologie und über das Stipendium der Eduard Gerhard-Stiftung gemacht. Schliefslich wurde verkündigt, dafs die Akademie eine Anzahl von Leibniz-Medaillen verliehen habe, und zwar in Gold dem Professor Dr. Georg Sehweinfurth in Berlin, in Silber dem Professor an der deutschen land- wirthschaftlichen Akademie in Tetschen Dr. Joseph Emanuel Hibsch, dem Präeisionsmechaniker Karl Richterin Berlin, dem Archivrath Dr. Hans Witte in Schwerin und dem Professor Dr. Georg Wolff in Frankfurta.M. Verzeichnifs der im Jahre 1913 gelesenen Abhandlungen. Physik und Chemie. Warburg, Dr. G. Leithäuser, Dr. E. Hupka und Dr. K. Müller, über die Constante c des Wien-Planck’schen Strahlungsgesetzes. (Cl. 9. Jan.; S. B.) Scheel, Prof. K. und Dr. W. Heuse, die specifische Wärme von Helium und einigen zweiatomigen Gasen zwischen +20 und — 180°. Vor- gelegt von Warburg. (Cl. 9. Jan.; 8. BD.) Wien, zur Theorie der elektrischen Leitung in Metallen. (G. S. 16. Jan.; Ss. B. 6. Febr.) Rubens, über die Absorption des Wasserdampfs und über neue Rest- strahlengruppen im Gebiete der grofsen Wellenlängen. (Cl. 13. Febr. ; S..B. 5. Juni.) Diels, die Entdeckung des Alkohols. (G. S. 6. März; Abh.) Fischer und Dr. K. Zach, Reduction der Acetobromglucose und ähnlicher Stoffe. (G.S. 27. März; S. B.) Planck, über das Gleichgewicht zwischen Oseillatoren, freien Elektronen und strahlender Wärme. (Cl. 3. April; 8. B.) IX Stark, Prof. J., R. Künzer und G. Wendt, ein-, zwei- und dreiwerthige Linien des Aluminiums in den Canalstrahlen. Vorgelegt von Rubens. (Cl. 17. April; $. B. 8. Mai.) Fischer und M. Rapaport, über die Carbomethoxyderivate der Phenolcar- bonsäuren und ihre Verwendung für Synthesen. IX. (G.S. 5. Juni; 8. B.) Fischer und H. OÖ. L. Fischer, Synthese der o-Diorsellinsäure. (G.S. 5. Juni; S. B.) Schaefer, Prof. C. und H. Stallwitz, Untersuchungen über ein zwei- dimensionales Dispersionsproblem. Vorgelegt von Planck. (Cl. 3. Juli; 8. B- 17. Juli.) Warburg, über das Verhältnifs der Präeisionsmessungen zu den allgemeinen Zielen der Physik. (G.S. 10. Juli.) Rubens und Prof. O. von Baeyer, über den Einflufs der seleetiven Ab- sorption des Wasserdampfs auf die Energievertheilung der langwelligen “Quecksilberdampfstrahlung. (G. S. 24. Juli; 8. B.) Beekmann, Studien über Schwefel, Selen und Tellur. (Cl. 31. Juli; S. B.) Stark, Prof. J., Beobachtungen über den Effeet des elektrischen Feldes auf Speetrallinien. Vorgelegt von Rubens. (G. S. 20. Nov.: 8. B.) Nernst, zur Thermodynamik ceondensirter Systeme. (Cl. 11. Dee.; 8. B.) Mineralogie und Geologie. Penck, über die Höttinger Breceie bei Innsbruck. (Cl. 30. Jan.; Abh. 1914.) Liebisch, über die optischen Eigenschaften der durch die Absorption von «-Stahlen erzeugten pleochroitischen Höfe. (G. S. 20. Febr.) Branca, Ziele vulcanologischer Forschung. (Cl. 3. Juli; S. B. 24. Juli.) Botanik und Zoologie. Haberlandt, zur Physiologie der Zelltheilung. (Cl. 27. Febr.; 8. B. 27. März.) F. E. Schulze, die Erhebungen auf der Lippen- und Wangenschleimhaut der Säugethiere. II. Die Beutelthiergattung Macropus (Shaw). (G.S. 24. April; $. B.) Anatomie und Physiologie, Pathologie. Rubner, über die Nahrungsaufnahme bei der Hefezelle. (Cl. 9. Jan.; S. B. 13. Febr.) Orth, über tuberculöse Reinfeetion und ihre Bedeutung für die Entstehung der Lungenschwindsucht. (G. S. 16. Jan.; 8. B.) Goldmann, Prof. E. E., Vitalfärbung am Centralnervensystem. Vorgelegt von Waldeyer. (Cl. 30. Jan.; AbA.) Waldeyer, das Skelet eines Scheinzwitters. (Cl. 17. April; 8. B.) O0. Hertwig, Keimesschädigung durch chemische Eingriffe. Fünfte Mit- theilung. (Cl. 12. Juni; S. B.) Waldeyer, über Mifsbildungen des Rhineneephalon. (Cl. 27. Nov.) Rubner, über die Rolle des Wassers im quergestreiften Muskel. (G. S. 18. Dee.) Astronomie, Geographie und Geophysik. Hellmann, über die ungewöhnliche Trübung der Atmosphäre im Sommer 1912... (Cl. 9. Jan.) Hellmann, über die Herkunft der Staubfälle im » Dunkelmeer«. (Cl. 13. März; S..B.) Hellmann, psychologisch bedingte Fehler bei meteorologischen Beobach- tungen. (Cl. 13. März; S. B.) Sehwarzschild, über die Verwendung des Objeetivprismas zum Studium der Sternspeetren. (G. S. 27. März.) Sehwarzschild, über die Radialgeschwindigkeit des Sterns 63 Tauri. (GSM T MAT SB.) Schwarzschild und Prof. G. Eberhard, über Umkehrungen der Öaleium- linien H und K in Sternspeetren.. (G.S. 27. März; S.B.) Helmert, über eine Änderung im Arbeitsplan des Königlichen Geodäti- schen Instituts für die Bestimmung der Lothabweichungen. (Cl. 17. Juli.) Wilsing, Prof. J., Untersuchung der Wirkung der Doppelbrechung auf die Genauigkeit der Strahlenvereinigung beim 80-em-Objeetiv des Astrophysikalischen Observatoriums bei Potsdam. Vorgelegt von Schwarzschild. (G.S. 6. Nov.; 8. B.) Struve, über die Bestimmung von Sternparallaxen am Königsberger Re- fraetor. (Cl. 13. Nov.) XI Mathematik. Frobenius, über die Reduetion der indefiniten binären quadratischen For- ınen. (Cl. 13. Febr.; S. B.) Schur, Prof. I., zur Theorie der indefiniten binären quadratischen Formen. Vorgelegt von Frobenius. (Cl. 13. Febr.; S. B.) Schwarz, über einen Beweis des von Weierstrafs ausgesprochenen Satzes: Wenn die Umkehrungsfunction des Integrals eines algebraischen Diffe- rentialausdruckes eine endlichvieldeutige Function des Integralwerthes ist, so ist diese Funetion entweder eine (ein- oder mehrdeutige) ellip- tische Funetion, eine algebraische Function einer Exponentialfunetion, oder eine algebraische Funetion. (Cl. 8. Mai.) Schwarz, über ein, wie es scheint, neues elementares Verfahren zum Be- weise des Satzes: Unter allen ebenen geradlinigen Vielecken von 2" Seiten, welche denselben Umfang haben, besitzt das regelmäfsige 2" Eck den gröfsten Flächeninhalt. (Cl. S. Mai.) Frobenius, über die Markoff’schen Zahlen. (Cl. 29. Mai.; 8. B.) Meissner, W., über die Theilbarkeit von 2’—2 durch das Quadrat der Primzahl p = 1093. Vorgelegt von Frobenius. (G.S. 10. Juli; S.B.) Landau, Prof. E., über die Nullstellen Dirichlet’scher Reihen. Vorgelegt von Frobenius. (G.S. 23. Oet.; S. B.) Schottky, über die Lindemann’schen Summen. (Cl. 30. Oet.) Mechanik und Technik. Müller-Breslau, Versuche mit excentrisch und centrisch gedrückten Gitterstäben. (G. S. 23. Oet.) Zimmermann, über den Einflufs des Windes auf Bauwerke und eine Vorrichtung zum Messen der Winddrucke auf Flächen und Körper. (G. S. 20. Nov.) Philosophie. Stumpf, Empfindung und Vorstellung. (Cl. 13. März.) Kabitz, Dr. W., über eine in Gotha aufgefundene Abschrift des von S. König in seinem Streite mit Maupertuis und der Akademie ver- öffentlichten, seinerzeit für unecht erklärten Leibnizbriefes. Vorgelegt von Erdmann. (Cl. 3. Juli; S. B.) b* xl Praehistorie. Schuchhardt, Westeuropa als alter Culturkreis. (Cl. 30. Jan.; 8. B. 17. Juli.) Geschichte des Alterthums. Hirschfeld, zur Geschichte der römischen Kaiserzeit in den ersten drei Jahrhunderten. (Cl. 13. Febr.) Dressel, über Medaillons aus der römischen Kaiserzeit. (G. S. 10. April.) E. Meyer, Untersuchungen zur Geschichte des Zweiten Punischen Krieges. (Cl. 17. Juli; S. B.) E. Meyer, Bericht über eine Expedition nach Aegypten zur Erforschung der Darstellungen der Fremdvölker. (G.S. 24. Juli; S. B.) Wilhelm, Inschrift zu Ehren des Paulinus aus Sparta. (Cl. 31. Juli; 8. 2.) Mittlere und neuere Geschichte. Koser, das politische System und die Regierungsweise des Grossen Kur- fürsten in dem Friedensjahrzehnt nach dem nordischen Kriege. (Cl. 17. April.) Lenz, die juristische Faeultät an der Berliner Universität unter dem Mi- nisterium Eichhorn. (Cl. 8. Mai.) Schäfer, CGonsilio vel judieio = mit minne oder mit rechte. (Cl. 3. Juli; 5 BD. 17. Jul.) Koser, über die sogenannte Bodmann-Habel’sche Urkundensammlung. (Cl. 11. Dee.) Kirchengeschichte. Harnack, der Geist der morgenländischen Kirche im Unterschied von der abendländischen. (G.S. 6. Febr.; S. B.) Sachau, über die ältesten Schicksale des Christenthums im Orient, spe- eiell in den Euphrat- und Tigrisländern. (Cl. 27. Febr.) Rechtswissenschaft. Seckel, über einen neuerworbenen juristischen Papyrus der Sammlung des Berliner Museums. (Cl. 11. Dee.) XII Allgemeine, deutsche und andere neuere Philologie. W. Schulze, die lautlichen Wandlungen der Namen Israel und Osroes. (Cl. 3. April; 8. B.) K. Meyer, zur keltischen Wortkunde. II. (G. S. 22. Mai; S. B.) Burdaceh, der juristische Rahmen des altdeutschen Streitgesprächs » Der Ackermann aus Böhmen«. (Cl. 12. Juni.) Roethe, Wolfram und Chrestien. (G. S. 19. Juni.) Kurrelmeyer, Prof. W., die Doppeldrucke in ihrer Bedeutung für die Textgeschiehte von Wielands Werken. Vorgelegt von Roethe. (G.S. 19. Juni; AbA.) Brandl, über Shakespeares Sonette, ihre Anordnung, ihre Rhetorik und die dunkle Dame. (Cl. 31. Juli.) Morf, Moliere’s Hoffestspiel vom Tartuffe (1664). (G. S. 6. Nov.) K. Meyer, zur keltischen Wortkunde. IV. (Cl. 27. Nov.; S.B.) Heusler, die Anfänge der isländischen Saga. (G.S. 4. Dee.; Abh.) K. Meyer, über die älteste irische Diehtung. II. (Cl. 11. Dee.; Abdh.) Classische Philologie. Norden, aus Cicero’s Werkstatt. (Cl. 9. Jan.; S. B.) Heeg, Dr. J., pseudodemokritische Studien. Vorgelegt von Diels. (Cl. 13. Febr.; Ada.) Diels, Hippokratische Forschungen. IV. (G. S. 6. März.) Mewaldt, Prof. J., eine Fälschung Chartiers in Galens Schrift über das Koma. Vorgelegt von Diels. (G.S. 6. März; 8. B.) von Wilamowitz-Moellendorff, die Überlieferung der Tragödien des Aischylos. (G.S. 22. Mai.) von Wilamowitz-Moellendorff, Apollonios und Kallimachos. (Cl. 29. Mai.) Diels, antike Schulknabenscherze auf einem sieilischen Ziegelstein. (Cl. 17. Juli;; 8..B.) Orientalische Philologie. Erman, ein Fall abgekürzter Justiz in Aegypten. (Cl. 9. Jan.; AbA.) Mittwoch, Prof. E., zur Entstehungsgeschichte des islamischen (Gebets und Cultus. Vorgelegt von Sachau. (G.S. 16. Jan.; Abh.) XIV Bang, Prof. W., über die Herkunft des Codex Cumanicus. Vorgelegt von Müller. (Cl. 13. Febr.; $. B.) Lidzbarski, Prof. M., eine punisch-altberberische Bilinguis aus einem Tempel des Massinissa. Vorgelegt von E. Meyer. (Cl. 27. Febr.; 8. B. 13. März.) Lüders, die Pranidhibilder im neunten Tempel von Bäzäklik. (Cl. 8. Mai; S..B. 312 Juli.) Griffith, the Nubian Texts of the Christian Period. (Cl. 3. Juli; Abh.) Erman, die Obeliskenübersetzung des Hermapion. (Cl. 30. Oct.; 8. B. 12. Febr. 1914.) Lüders, epigraphische Beiträge. II. (Cl. 27. Nov.; S8. B. 18. Dee.) Amerikanistik. Seler, das Manuscrit Mexicain Nr. 22 der Bibliotheque Nationale de Paris. (61713. Noy;; 8. B. 18. Dee) Preisausschreibung. Preisaufgabe der Charlotten-Stiftung. Nach dem Statut der von Frau Charlotte Stiepel geb. Freiin von Hopffgarten errichteten Charlotten-Stiftung für Philologie wird am heuti- gen Tage eine neue Aufgabe von der ständigen Commission der Akademie gestellt: »Es wird eine Sammlung der Fragmente der älteren Aka- demiker (mit Einschlufs von Herakleides und Eudoxos) und auf dieser Grundlage eine Darstellung des Schulbetriebs der Akademie in dieser Epoche gewünscht. Da diese Aufgabe in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht befriedigend gelöst werden kann, so soll ein beliebiger Ausschnitt (z. B. über Philippos) als Probe zur Bewerbung eingereicht werden. « Die Stiftung der Frau Charlotte Stiepel geb. Freiin von Hopff- garten ist zur Förderung junger, dem Deutschen Reiche angehöriger Philo- logen bestimmt, welche die Universitätsstudien vollendet und den philo- Gr xV sophischen Doectorgrad erlangt oder die Prüfung für das höhere Sehulamt bestanden haben, aber zur Zeit ihrer Bewerbung noch ohne feste Anstellung sind. Privatdocenten an Universitäten sind von der Bewerbung nicht aus- geschlossen. Die Arbeiten der Bewerber müssen spätestens am 1. März 1914 6 Uhr Abends im Bureau der Akademie eingeliefert sein. Sie sind mit einem Denkspruch zu versehen; in einem versiegelten, mit demselben Spruche be- zeichneten Umschlage ist der Name des Verfassers anzugeben und der Nach- weis zu liefern, dafs die statutenmälsigen Voraussetzungen bei dem Bewerber zutreffen. Schriften, welehe den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. In der öffentlichen Sitzung am Leibniz-Tage 1914 ertheilt die Aka- demie dem Verfasser der des Preises würdig erkannten Arbeit das Stipendium. Dasselbe besteht in dem Genusse der Jahreszinsen (1050 Mark) des Stiftungs- capitals von 30.000 Mark auf die Dauer von vier Jahren. Statut der Bradley-Medaille. Vom 18. Juli 1913. Bei der Feier des fünfzigjährigen Doctorjubiläums von Arthur Auwers am 25. Juni 1912 wurde dem Jubilar eine Copie des im Besitz der Royal Soeiety in London befindlichen Ölbildes von Bradley überreicht. Die zur Be- schaffung dieses Bildes in dem akademischen Kreise und weiter unter Fach- genossen und Freunden des Jubilars veranstaltete Sammlung ergab einen Überschufs, dessen Aushändigung zu dem Zweck, damit ein Zeichen bleibender Erinnerung an die Leistungen Bradley ’s und die spätere Bearbeitung seiner Beobachtungen zu stiften, dem Genannten gleichzeitig angekündigt wurde und später erfolgt ist. Der Jubilar hat diesen Überschufs in zweitausend Mark vierprocentiger Charlottenburger Stadtanleihe mit Zinslauf vom 1. Oetober 1912 und einem Baarbetrage von 123 Mark der Akademie in ihrer Sitzung am 24. October 1912 zur Begründung einer von ihr aus dem Zinserträgnifs zu verleihenden xXVI goldenen Medaille für ausgezeichnete Leistungen vornehmlich auf dem Ge- biete der Präeisionsastronomie überwiesen. Zur Annahme dieses Capitals hat der Herr Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten unter dem 18. Juli 1913 seine Genehmigung ertheilt. Im Einverständnifs mit Hrn. von Auwears hat die Akademie das folgende ebenfalls unter dem 18. Juli 1913 vom vorgeordneten Königlichen Ministerium genehmigte Statut aufgestellt und demgemäfs die Verwaltung der Stiftung zu übernehmen beschlossen. Bunde Die Medaille erhält die Bezeichnung »Bradley-Medaille der Königlich Preufsischen Akademie der Wissenschaften«, und wird an solehe Gelehrte aller Länder verliehen, die sich durch hervorragende Leistungen auf den von Braprey und Besser bearbeiteten Gebieten ausgezeichnet haben. Zum ersten Male soll die Medaille im Jahre 1918, zur Hundertjahr- feier des Erscheinens von Besser's Epoche machendem Werk: »Fundamenta Astronomiae ex observationibus viri incomparabilis James Bradley de- dueta«, weiter jedes fünfte Jahr zur Verleihung stehen. Die Verkündung der Verleihung soll in den bezeichneten Jahren in der Friedrich-Sitzung der Akademie erfolgen. 8.2. Die Medaille wird in Gold geprägt, mit 55 Millimeter Durchmesser und 100 Gramm Goldgewicht. Die Stempel für die Prägung stellt der Stifter zur Verfügung. Auf die Vorderseite kommt als Aufschrift: »In memoriam J. Bradley et F. W. Bessel astronomorum illustrium« und als Umsehrift: »Condidit A. Auwers die XXV Iunii MÖMXII«. Auf die Rückseite kommt als Aufschrift: » Viro elarissimo (Name) (Jahr) « und als Umsehrift: »adiudicavit Academia Regia Seientiarum Borussica«. Das hier einzusetzende Jahr ist das, in dem die Verkündung der Zuer- kennung erfolgt. 8 3. In dem Jahre, das einem für die Verleihung der Medaille bestimmten voraufgeht, fordert in der ersten Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe nach den Sommerferien (zuerst also im October 1917), und im An- XVII schlufs hieran «durch Rundschreiben der vorsitzende Classensecretar die ordent- lichen Mitglieder der Ölasse auf, Vorschläge für die Verleihung der Medaille bis zur ersten Classensitzung im November einzubringen. In dieser Sitzung werden die eingebrachten Vorschläge besprochen und zur Auswahl eines einzigen — oder in den Ausnahmefällen $8 und $ 9 zweier — unter denselben einer Commission überwiesen, die sich aus den Vertretern der Astronomie und Geodäsie zusammensetzt, und die durch Be- schlufs der Classe noch weiter verstärkt werden kann. Der betreffende Classenbeschluls ist in der nämlichen Sitzung zu fassen. Die Commission verhandelt, mündlich oder schriftlich, unter der Leitung ihres als ordentlicher Akademiker ältesten Mitgliedes. Über das Ergebnifs der Verhandlung hat dieses dem vorsitzenden Classensecretar spätestens acht Tage vor der letzten Ulassensitzung im December schriftlich zu berichten. Zur Einbringung eines Vorschlages durch die Commission ist es erfor- derlich, dafs auf denselben die absolute Mehrheit der zu der Commission gehörigen Mitglieder sich geeinigt habe. $ 4. Ist ein Vorschlag für Verleihung der Medaille gemacht, so wird in der nächsten ordentlichen Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe, zu welcher deren ordentliche Mitglieder unter Angabe des Verhandlungsgegen- standes besonders einzuladen sind, über denselben durch geheime Ab- stimmung entschieden. Handelt es sich um zwei Verleihungen, so wird über eine jede besonders, nach alphabetischer Folge der Namen, abgestimmt. Zur Annahme eines Vorschlags ist die absolute Mehrheit aller ordent- lichen und der etwa an der Sitzung theilnehmenden auswärtigen Mitglieder erforderlich. $ 5. Ein von der physikalisch-mathematischen Classe angenommener Vor- schlag wird durch Protokollauszug sogleich dem vorsitzenden Secretar der Gesammtakademie mitgetheilt, in der nächsten ordentlichen Gesammtsitzung der Auszug verlesen, und in derselben Sitzung über den Vorschlag der Classe dureh Kugelung abgestimmt. Falls der Vorschlag nicht die Mehrheit aller an der Abstimmung theilnehmenden ordentlichen und auswärtigen Mitglieder C XVII der Akademie erhält, ist derselbe abgelehnt und die Verleihung der Medaille ruht bis zum nächsten Termin ($ 1). Zu der für die Kugelung bestimmten Sitzung ist besonders einzuladen. $ 6. Wenn die physikalisch-mathematische Classe keinen Vorschlag zu machen hat, so wird «der Gesammtakademie davon in der in $ 5 bezeich- neten Sitzung Nachricht gegeben. e ST: Mit der Zuerkennung durch die Gesammtakademie ($ 5) erwirbt der der Auszeichnung gewürdigte Gelehrte eine vererbliche Forderung auf die ver- liehene Medaille. Die Medaille wird an den Forderungsberechtigten oder seine Erben nach der Verkündung der Zuerkennung ($ 1, Abs. 3) ausgehändigt. $ 8. Wenn eine Verleihung zu einem der verordneten Termine nicht zu- stande kommt, so steht es der physikalisch-mathematischen Classe frei, zu dem nächsten Termin die Verleihung von zwei Medaillen zur Verhandlung zu stellen. Ob diefs geschehen soll, bestimmt die Classe in der Sitzung, in der sie nach $ 3 in die Verhandlung über die nächste Verleihung eintritt. Kommt die Verleihung der zurückbehaltenen Medaille auch zu diesem nächsten Termin nicht zustande, so fliefst der dafür zurückbehaltene Betrag dem Medaillenfonds zu. Wenn Überschüsse bei dem Medaillenfonds in laufender Rechnung sich bis zu einem Betrage angesammelt haben, der die Verleihung einer weiteren Medaille gestatten würde, so steht es der Classe ebenfalls frei, zu dem näch- sten Termin die Verleihung von zwei Medaillen zur Verhandlung zu stellen. Erfolgt die zweite Verleihung zu diesem nächsten Termin nicht, so fliefst der überschüssige Betrag sogleich dem Medaillenfonds zu. XIX $ 10. Der Fonds der Bradley-Medaille wird von der mit der Verwaltung des akademischen Vermögens und Einkommens beauftragten Casse wie dieses verwaltet. In der Rechnung wird er unter besonderm Titel bei den aka- demischen Stiftungen geführt. Zahlungen leistet die Gasse auf Anweisung des vorsitzenden Secretars der Akademie. Der aus der ursprünglichen Überweisung und den Zugängen nach $ 8 und $ 9 gebildete Fonds ist unangreifbar. sanle Zu einer Veränderung dieser Festsetzungen sind übereinstimmende Be- schlüsse der physikalisch-mathematischen Classe und der Gesammtakademie sowie die Genehmigung durch das vorgeordnete Königliche Ministerium erforderlich. Statut der Stiftung zur Förderung der kirchen- und religionsgeschicht- lichen Studien im Rahmen der römischen Kaiserzeit (saec. I—V]). Vom 28. Juli 1913. Hr. Harnack hat ein ihm an seinem 60. Geburtstag von Freunden zu wissenschaftlichen Zweeken übergebenes Capital (21600 M. in 4 procentigen Pfandbriefen der Frankfurter Hypothekenbank) der Königlich Preufsischen Akademie der Wissenschaften überwiesen zur Begründung einer Stiftung. Die Akademie hat die Gabe angenommen und für die Stiftung, die nach dem Tode des Stifters den Namen »Harnack-Stiftung« empfangen soll, nachstehendes Statut festgestellt. $.1: Die Stiftung ist bestimmt, die kirchen- und religionsgeschichtlichen Studien im Rahmen der römischen Kaiserzeit (saec. I—VI) zu fördern. Innerhalb der Grenzen dieser Aufgabe soll sie die freieste Bewegung haben „* c XX Sie kann Preisaufgaben ausschreiben, ausgezeichnete Werke zum Druck befördern oder prämiiren, Ausgaben von Quellen unternehmen oder fördern, deutsche Gelehrte ohne Rücksicht auf das Geschlecht unterstützen (sei es zur Förderung ihrer Studien, sei es zu wissenschaftlichen Reisen) u. s. w. u.s.w. Doch soll sie ein und dieselbe wissenschaftliche Aufgabe nicht länger als zehn Jahre subventioniren — die Bewilligung hat in jedem zweiten Jahre auf’s Neue zu erfolgen — und persönliche Unterstützungen nur als einmalige gewähren. Unverwehrt ist es ihr auch, die Zinsen nicht zu vertheilen, sondern zum Capital zu schlagen. Das Capitalvermögen der Stiftung, welches unangreifbar ist, wird gebildet aus dem Stammeapital und etwa noch künftig eingehenden Bei- trägen. Es wird wie die übrigen Gelder der Akademie aufbewahrt und verwaltet. un ww Die Zuwendung aus den Zinsen erfolgt alle zwei Jahre am Leibniz- tage (erstmalig im Jahre 1915). Sie kann getheilt werden; doch dürfen Zuwendungen unter 600 M. nicht gewährt werden. Bei sinkendem Geld- werth ist die Akademie befugt, diese Summe zu erhöhen. S 4. Die Akademie der Wissenschaften führt durch ihre philosophisch- historische Classe die Oberaufsicht über die Stiftung und die Verwaltung des Stiftungsvermögens. Die Classe hat daher auch die Decharge zu er- theilen, soweit dies nicht durch die Oberrechnungskammer zu geschehen hat. SB Die Stiftung selbst wird verwaltet durch ein Curatorium, in welches die philosophisch-historische Classe der Akademie zwei ihrer Mitglieder und die theologischen Facultäten zu Berlin, Giesen und Marburg je eines ihrer ordentlichen Mitglieder wählen. Die Wahlen gelten auf die Dauer von zehn Jahren. Wenn ein Mitglied des Curatoriums vor Ablauf der Wahlperiode ausscheidet, so ist für die noch übrige Dauer der Wahlperiode ein neues Mitglied zu wählen. Eines der beiden akademischen Mitglieder wird von der Classe zum Vorsitzenden des Curatoriums ernannt. XXI 723 6. Im Januar jedes zweiten Jahres (erstmalig im Januar 1915) theilt die philosophisch-historische Classe der Akademie dem Vorsitzenden des Cura- toriums mit, welche Summe am Leibniztage desselben Jahres verfügbar sein wird. Dieser fordert sodann die Mitglieder des Guratoriums zu schrift- lichen Vorschlägen auf und ladet sie innerhalb der Monate April bis Juni zu einer Sitzung in Berlin ein. In dieser Sitzung erfolgt die Beschlufsfassung mit einfacher Majorität. Der gefafste Beschlufs wird der philosophisch-historischen Classe der Aka- demie mitgetheilt und von dieser am Leibniztage verkündigt. Zur Gültigkeit eines Beschlusses ist die Anwesenheit von mindestens vier Mitgliedern nothwendig. Sind weniger Mitglieder erschienen, so wird ein zweiter Termin anberaumt. Zur Gültigkeit eines Beschlusses genügt in diesem Fall die Anwesenheit von drei Mitgliedern. Die Beschlufsfassung kann auch auf schriftlichem Wege geschehen und die Sitzung somit ausfallen, wenn kein Mitglied Widerspruch erhebt. Ist aber die Abhaltung einer Sitzung beschlossen, so ist schriftliche Stimm- abgabe unzulässig. Wenn sich für keinen Antrag eine Majorität ergiebt, so werden die fälligen Zinsen zum Capital geschlagen. Die auswärtigen Mitglieder des Curatoriums erhalten ihre Reiseauslagen aus den Mitteln der Stiftung ersetzt. un m Wenn die staatlichen theologischen Facultäten jemals aufgehoben werden sollten, so hat die philosophisch-historische Ulasse der Akademie die freie Entscheidung darüber, wie nunmehr das Guratorium im Sinne der Stiftung zusammenzusetzen ist. Der Stifter wünscht, dafs die Stiftung womöglich von der Schenkungs- steuer befreit wird, und will im Verein mit der Akademie der Wissen- schaften Schritte thun, um die Befreiung zu erwirken. XXIl Das vorstehende Statut ist von dem Herrn Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten unter dem 28. Juli 1913 genelimigt worden, nachdem die landesherrliche Genehmigung zur Annalıme der Stiftung unter dem 22. Juli 1913 ertheilt worden war. Verzeichnifs der im Jahre 1913 erfolgten besonderen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung wissenschaftlicher Unter- nehmungen. Es wurden im Laufe des Jahres 1913 bewilligt: 2300 Mark dem Mitglied der Akademie Hrn. Engler zur Fortführung der 4000 5000 6000 5000 4000 800 1000 1500 Herausgabe des » Pflanzenreich «. dem Mitglied der Akademie Hrn. F. E. Sehulze zur Fort- führung des Unternehmens »Das Tierreich «. Demselben zur Fortführung der Arbeiten für den Nomenclator animalium generum et subgenerum. dem Mitglied der Akademie Hrn. Koser zur Fortführung der Herausgabe der Politischen Correspondenz Friedrich’s des Grofsen. dem Mitglied der Akademie Hrn. von Wilamowitz-Moellen- dorff zur Fortführung der Sammlung der griechischen In- schriften. der Deutschen Commission der Akademie zur Fortführung ihrer Unternehmungen. für eine im Verein mit anderen deutschen Akademien ge- plante Fortsetzung des Poggendorff’schen biographisch -lite- rarischen Lexikons. zur Förderung des Unternehmens des Thesaurus linguae La- tinae über den etatsmälsigen Beitrag von 5000 Mark hinaus. zur Bearbeitung der hieroglyphischen Inschriften der griechisch- römischen Epoche für das Wörterbuch der aegyptischen Sprache. XXIll 500 Mark zu der von den cartellirten deutschen Akademien unternommenen 3000 500 500 2000 500 1000 D » Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge. aus allgemeinen Mitteln der Akademie für die interakademische Leibniz-Ausgabe'. dem Mitglied der Akademie Hrn. Penek zu kartographischen und photographischen Aufnahmen von der Höttinger Breceie bei Innsbruck. dem Mitglied der Akademie Hrn. Diels zur Ausführung von Vorarbeiten für eine Herausgabe der Mappae clavicula. Hın. Prof. Dr. Dankwart Ackermann in Würzburg zur Er- forschung des Eiweilsabbaus beim Menschen und Warmblüter. Hrn. Privatdocenten Dr. Friedrich Flade in Marburg zu Unter- suchungen über das elektrochemische Verhalten der Metalle. Hrn. Dr. Heinrich Friese in Schwerin i. M. zur Herausgabe eines Werkes über die europäischen Bienen. Hın. Kurt Gohlke in Königsberg i. Pr. zur Drucklegung eines Werkes über die Brauchbarkeit der Sero-Diagnostik für den Nachweis zweifelhafter Verwandtschaftsverhältnisse im Pilan- zenreich. Hrn. Privatdocenten Dr. Erich Grafe in Heidelberg zu Unter- suchungen über den Mechanismus und die Bedeutung der Stickstoffretention mit Ammoniaksalzen. Hın. Dr. Walter Horn in Berlin zur Fortführung der Be- arbeitung der Inseetenfauna der Insel Formosa. Hrn. Prof. Dr. Hermann Jordan in Tübingen zu Unter- suchungen am Centralnervensystem wirbelloser Thiere. Hrn. Dr. Ludwig Keilhack in Haubinda bei Hildburghausen zur Beendigung seiner zoologischen Erforschung der Hoch- gebirgsseen in den Dauphine-Alpen. Hrn. Prof. Dr. Max Laue in Zürich zu Untersuchungen über die Interferenzerscheinungen an Röntgenstrahlen. Hrn. Prof. Dr. Friedrich Meves in Kiel zu Untersuchungen über die Befruchtung bei Seethieren. Die Kosten dieser Ausgabe werden zum grölsten Theil aus dem für die Zwecke der Internationalen Association der Akademien bestimmten Fonds bestritten. XXIV 200 Mark Hrn. Prof. Dr. Ruppin in Kiel zur Herstellung eines Tiefsee- thermometers. 400 » Hrn. Prof. Dr. Paul Schiefferdecker in Bonn zu Unter- suchungen über das Verhalten von Muskeln und Haut bei Menschen und Thieren. 1000 » Hrn. Privatdocenten Dr. Arthur Stähler in Berlin zur Neu- bestimmung des Atomgewichtes des Tellurs. 00 » Hrn. Privatdocenten Dr. Richard Vogelin Tübingen zu Unter- suchungen über die Leuchtorgane bei Käfern. 300 » Hrn. Prof. Dr. Karl Friedrich Lehmann-Haupt in Liver- pool zur Anfertigung von Photographien für sein Corpus inseriptionum Chaldicarum. 480 » Hrn. Prof. Dr. Max Walleser in Mannheim zur Drucklegung des 4. Bandes seiner Buddhistischen Philosophie in ihrer ge- schichtlichen Entwickelung. Verzeichnifs der im Jahre 1913 erschienenen im Auftrage oder mit Unter- stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke. Unternehmungen der Akademie und ihrer Stiftungen. Das Pilanzenreich. Regni vegetabilis conspeetus. Im Auftrage der Königl. preufs. Akademie der Wissenschaften hrsg. von A. Engler. Heft 58 —61. Leipzig und Berlin 1913. Das Tierreich. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. Begründet von der Deutschen Zoologischen Gesellschaft. Im Auftrage der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin hrsg. von Franz Eilhard Schulze. Lief. 35—40. Berlin 1913. Acta Borussieca. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahr- hundert. Hrsg. von der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Die einzelnen Gebiete der Verwaltung: Münzwesen. Münzgeschicht- licher Teil. Bd. 4. Berlin 1913. Inseriptiones Graecae consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae editae. Vol. 5, Fase. 1. 2. Inseriptiones Laconiae Messeniae XXV Areadiae. Fase. 1. Inseriptiones Laconiae et Messeniae ed. Gualtherus Kolbe. Fasc. 2. Inseriptiones Arcadiae ed. Friderieus Hiller de Gaert- ringen. — Vols. 2 et 3 editio minor. Pars 1. Inseriptiones Atticae Euclidis anno posteriores ed. Iohannes Kirchner. Pars 1 deereta con- tinens. Fase. 1. Berolini 1913. Kant’s gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd. 5 (Neudruck). Bd. 15, Hälfte 1. 2. Berlin 1913. Die antiken Münzen Mysiens, unter Leitung von F. Imhoof-Blumer hrsg. von der Kgl. Akademie der Wissenschaften. Bearb. von Hans von Fritze. Abt. 1. Berlin 1913. Burdach, Konrad. Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Ge- schichte der deutschen Bildung. Im Auftrage der Königl. Preufsischen Akademie der Wissenschaften hrsg. Bd. 2, Tl. 1, Hälfte 1. Berlin 1913. Deutsche Texte des Mittelalters hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd. 24. Mittelhochdeutsche Minnereden. I. Berlin 1913. Wielands Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Deutschen Kommission der Königlieh Preußischen Akademie der Wissenschaften. Abt. 1, Bd. 10. Abt. 2, Bd. 4. Berlin 1913. Thesaurus linguae Latinae editus auetoritate et consilio Academiarum quin- que Germanicarum Berolinensis Gottingensis Lipsiensis Monacensis Vin- dobonensis. Vol. 5, Fase. 5. Vol. 6, Fase. 1. Supplementum: Nomina propria Latina. Fase. 4. Lipsiae 1913. Briefwechsel zwischen Bessel und Steinheil. Hrsg. im Auftrage der König- lichen Akademien der Wissenschaften zu Berlin und München. Leipzig 1913. Humboldt-Stiftung. Ergebnisse der Plankton-Expedition der Humboldt-Stiftung. Bd. 3. Le: Rhumbler, Ludwig. Die Foraminiferen (Thalamophoren). Tl. 2, Lief. 1. Lde: Dreyer, Friedrich. Die Polyeystinen. Lief. 1. Lh 12: Borgert, A. Die Tripyleen Radiolarien. Atlanticellidae. Tl.2. Kiel und Leipzig1913. Fischer, Eugen. Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem beim Menschen. Jena 1913. XXVIl Schultze, Leonhard. Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika ausgeführt in den Jahren 1903—1905. Bd. 5, Lief. 2. Jena 1913. (Denkschriften der Medieinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Bd. 17.) Savigny-Stiftung. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae iussu Instituti Savigniani compositum. Tom. 2, Fase. 2. Berolini 1913. Eduard Gerhard-Stiftung. Weege, Fritz. Das goldene Haus des Nero. Neue Funde und Forschungen. Berlin 1913. Hermann und Elise geb. Heckmann Wentzel-Stiftung. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte. Hrsg. von der Kirchenväter-Commission der Königl. Preufsischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd. 21: Philostorgius, Kirchengeschichte. Bd. 22: Origenes. Bd. 5. Bd. 23. 24: Eusebius. Bd. 6. 7, Tl. 1. Leipzig 1913. Beiträge zur Flora von Papuasien. Hrsg. von ©. Lauterbach. Serie II. III. Leipzig und Berlin 1913. Philippson, Alfred. Topographische Karte des westlichen Kleinasien. Lief. 3. Gotha 1913. Von der Akademie unterstützte Werke. Leonhardi Euleri opera omnia. Sub auspieiis Societatis Seientiarum natu- ralium Helveticae edenda eur. Ferdinand Rudio, Adolf Krazer, Paul Stäckel. Ser. I: Vol. 10. 11. 21. Lipsiae et Berolini 1913. Fulcheri Carnotensis Historia Hierosolymitana (1095-1127). Hrsg. von Heinrich Hagenmeyer. Heidelberg 1913. Gohlke, Kurt. Die Brauchbarkeit der Serum-Diagnostik für den Nach- weis zweifelhafter Verwandtschaftsverhältnisse im Pflanzenreiche. Stutt- gart und Berlin 1913. Abu’l Barakat Ibn al-Anbari. Die grammatischen Streitfragen der Basrer und Kufer. Hrsg. von Gotthold Weil. Leiden 1913. XXVIl Lange, Rudolf. Thesaurus Japonieus. Japanisch-deutsches Wörterbuch. Bd. 1. Berlin 1913. Libanii opera rec. Richardus Foerster. Vol. 7. Lipsiae 1913. (Bibliotheea script. Graee. et Roman. Teubneriana.) St. Matthew, St. Mark, St. Luke, St. John in Nubian Kunuzi-Dialeet. Übers. von Samuel Ali Hisen. Revidiert von Heinrich Schäfer. Berlin 1912. Schiemann, Theodor. Geschichte Russlands unter Kaiser Nikolaus I. Bd. 3. Berlin 1913. Supplementa Entomologica. Hrsg. vom Deutschen Entomologischen Museum. N. 2. Berlin-Dahlem 1913. Taschenberg, O. Bibliotheea zoologica II. Verzeichnifs der Schriften über Zoologie, welche in den periodischen Werken enthalten und vom Jahre 1861—1880 selbständig erschienen sind. Lief. 19. 20. Tessmann, Günter. Die Pangwe. Leipzig 1913. Völkerkundliche Monographie eines westafrikanischen Negerstammes. Bd. 1. 2. Berlin 1913. Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1913. Es wurden gewählt: zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-mathematischen Classe: Hr. Albert Einstein, bestätigt durch K. Cabinetsordre vom 12. November 1913; zum ordentlichen Mitglied der philosophisch-historischen Classe: Hr. Georg Loescheke, bestätigt durch K.Cabinetsordre vom 31. März 1913; zu eorrespondirenden Mitgliedern der physikalisch-mathematischen Ulasse: Hr. Hugo de Vries in Amsterdam » Karl von Goebel in München am 16. Januar 1913, » Hermann von Vöchting in Tübingen | XXVII Hr. Edmund B. Wilson in New York am 20. Februar 1913, » Karl Freiherr Auer von Welsbach Be Schlofs Welsbach (Kärnten) » Ernest Solvay in Brüssel » David Hilbert in Göttingen eos am 22. Mai 1913, » Felix Klein in Göttingen zu correspondirenden Mitgliedern der philosophisch-historischen lasse: Sir James Murray in Oxford am 6. Februar 1913, Hr. Franz Ehrle in Rom am 24. Juli 1913. Gestorben sind: das ordentliche Mitglied der philosophisch-historischen Ülasse: Hr. Erich Schmidt am 30. April 1913; das Ehrenmitglied: Earl of Crawford and Balcarres in Haigh Hall, Wigan am 31. Januar 19135 die eorrespondirenden Mitglieder der physikalisch-mathematischen Classe: Hr. Heinrich Weber in Strafsburg am 17. Mai 1913, » Hubert Ludwig in Bonn am 17. November 1913; das eorrespondirende Mitglied der philosophisch-historischen Classe: Hr. Julius Euting in Strafsburg am 2. Januar 1913. AXIX Verzeichnifs der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1913 nebst den Verzeiehnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille Hr. und der Beamten der Akademie. l. Beständige Secretare. Diels . Waldeyer . Roethe Planck — Physikalisch-mathematische Classe Hr. Arthur von Auwers . Simon Schwendener Wilhelm Waldeyer Franz Eilhard Schulze Adolf Engler Hermann Amandus Schwarz Georg Frobenius Emil Fischer Oskar Hertwig . Max Planck . Emil Warburg . Gewählt von der phil.-hist. Classe phys.-math. - phil.-hist. - phys.-math. - l. Ordentliche Mitglieder. Philosophisch-historische Classe Hr. Alexander Conze Hermann Diels . Heinrich Brunner Otto Hirschfeld . Eduard Sachau . Gustav von Schmoller . Adolf Harnack . Karl Stumpf . Adolf Erman Reinhold Koser . Max Lenz Datum der Königlichen Bestätigung 1895 1896 Nov. Jan. 1911 Aug. 1912 Juni 27. 20. 29. 19: Datum der Königlichen Bestätigung 1866 1877 1879 1881 1884 1884 1884 1885 1887 1887 1890 18590 1892 1893 1893 1893 1894 1895 1895 1895 1896 1896 Aug. April Juli Aug. Febr. April Juni März Jan. Jan. Jan. Febr. Dee. Jan. Febr. April Juni Febr. Febr. Aug. Juli Dee. 18. 23: 13. 15. AXX Datum der Königlichen Bestätigung Plıysikalisch-mathematische Classe Philosophiseh-historische Classe Hr. Ulrich von Wilamowitz- Moellendrf . . . . . 1899 Aug. 2. Hr. Wilhelm Branca 1899 Dec. 18. = Robent zelnen re 900 Tank = Hemnche Müller= Breslau 22 Tan - Hemrich Dressel . . . . 1902 Mai 9. - Konrad Burdah . . . . 1902 Mai 9 = HRrsedriehScholiky" on ee. rer 03a = rGustavu Roelne 2 2277277775551903= Jan 25: - Dietrich Schäfer. . . . . 1903 Aug. 4 - Eduard Meyr . . . . . 1903 Aug. 4. - Wilhelm Schulze . . . . 1903 Nov. 16. - Alois Brandl... ..... 1902 Aprıla. =. „HermannSerübess ehe ee a IA = Hermann Zimmermann... 022 „IN a nn ION = WAdolf>Martens ehe end rn Er 2 TO OASBATTE NDR = Walther »Nersstr a: a ee OO HRENOYAM2AN =. Mac Mübnen:ı en. BSR EN ne ne BE O0OBET) EC" Se ohannes Orte ee dee = wAlbrecht.zBenck: => 2° se u. come ee ne 906 - Friedrich Müller . . . . 1906 Dec. 24. - Andreas Heuer . . . . 1907 Aug. 8. =, Hemrich Rubens . N 2 vn en ne OD Nm =. Theodor Liebisch, rn ne sn ke ah ch Dee AUS - Eduard See . . . . . 1908 Aug. 24. - Heinrich Lüdes . . . . 1909 Aug. 5. = lalanndo Alan © 0 005 ENTE Ne - Gottlieb Haberlandt ee ln ei =. Kuno. Meyer... . . u. » „OLE Salsa: - Benno Erdmann . . . . 1911 Auli 25. =. Grstad klellmann 3 er ee a OD ee = EmulSeckel OD an - Johann Jakob Maria de Groot 1912 Jan. 4. - Eduard Norden. . . . . 1912 Juni 14. =. Karl, Schwarzechld 2 Ion - Karl Schuchhardt . . . . 192 Au 9% =. Birmst, Beckmann m: 2 wa ee er O2 DE - Georg Loechke . . . . 1913 März 31. = 2. 2hlbent ansteme.. 37 20 u See ee OSEAN Oval Ill. Auswärtige Mitglieder. Physikalisch-mathematische Classe Philosophisch-historische Classe Hr. en öldeke in Stralsburg - Friedrich Imhoof-Blumer in Winterthur . : - Pasquale Villari in Florenz . Hr. Wilhelm Hittorf in Münster i.W. - Eduard Suwess in Wien . - Adolf von Baeyer in München METER TEURER ER AIR, - Vatroslav von Jagid in Wien - Panagiotis Kabbadias in Athen Lord Rayleigh in Witham, Essex U IE - Hugo Schuchardt in Graz IV. Ehrenmitglieder. Hr. Max Lehmann in Göttingen . { : Hugo Graf von und zu Lerchenfeld in Berlin ; Hr. Richard Schöne in Berlin-Grunewald Frau Elise Wentzel geb. Heckmann in Berlin Hr. Konrad von Studt in Hannover . - Andrew Dickson White in Ithaca, N.Y. Bernhard Fürst von Bülow in Rom Hr. Heinrich Wölfflin in München XXXI Datum der Königlichen Bestätigung 1900 1900 1900 1900 1900 1905 1908 1908 1910 1912 — März 5% März 5. März 5. März 5: März 5. Aug. 12. Sept. 25. Sept. 25. April 6. Sept. 15. Datum der a oniglichen ätigung 1887 1900 1900 1900 1900 1900 1910 1910 Jan. März März März März Dee. Jan. Dee. 24. XXX Karl Frhr. Auer von Welsbach auf Schlofs Welsbach (Kärnten) . ET: V. Correspondirende Mitglieder. Physikalisch-mathematische Classe. Ernst Wilhelın Benecke in Stralsburg Oskar Brefeld in Berlin-Lichterfelde Heinrich Bruns in Leipzig . e Otto Bütschli in Heidelberg Karl Chun in Leipzig Giacomo Ciamician in Bologna Gaston) arbouzn Parse Er William Morris Davis in Cambridge, Mass. . Richard Dedekind in Braunschweig . Nils Christofer Duner in Uppsala Ernst Ehlers in Göttingen . Roland Baron Eötvös m Budapest E% Sir Hr. Ma. Fürbringer m Heidelberg Archibald Geikie in Haslemere, Surrey David Gill in London Karl von Goebel in München . Camillo Golgi in Pavia . ; Narl Graebe in Frankfurt a.M. . Ludwig von Graf in (raz . Julius von Hann in Wien . Viktor Hensen in Kiel 3 Richard von Hertwig in München David Hilbert in Göttingen Vietor Horsley in London . Felix Klein in Göttingen Adolf von Koenen in Göttingen Leo Koenigsberger in Heidelberg . Wilhelm Körner in Mailand Friedrich Küstner in Bonn . Henry Le Chatelier in Paris Philipp Lenard in Heidelberg . Gabriel Lippmann in Paris Ilendrik Antoon Lorentz in Haarlem Datum der Wahl 1913 1900 1899 1906 1897 1900 1909 1897 1910 1880 1900 1897 1910 1900 1889 1890 1913 1911 1907 1900 1889 1898 1898 1913 1910 1913 1904 1893 1909 1910 1905 1909 1900 1905 Mat 223 Febr. 8. Janı 19% ein, 0 März 11. Jan. 18. (Ofane 2218 Febr. 11. Juli 28. März 11 Febr. 22 Jane2ıl“ Janı a6: Febr. 22. Febr. 21. Jun 58 Jans lin: Dec. 21. Juni 13. Febr. 8. Febr. 21. Febr. 24. April 28. Juli 10. Juli 28. Juli 10. Mai 5. Miane® as fe Ver 27: Dee. 14. Janm le Febr. 22. Mai 4. Hr. Felix Marchand in Leipzig - Friedrich Merkel in Göttingen . - Franz Mertens in Wien. - Henrik Mohn in Christiania : Alfred Gabriel Nathorst in Stoc holen E - Karl Neumann in Leipzig . - Max Noether in Erlangen . - Wilhelın Ostwald in Got Bothen: Kgr. Sachsen . - Wilhelm Pfeffer in Leipzig . - Emile Picard in Paris 3 - Edward Charles Pickering in ee, Mars : - Georg Quincke in Heidelberg . - Ludwig Radlkofer in München Sir William Ramsay in London Hr. Gustaf Retzius in Stockholm . - Theodore Wiliam Richards in es Mas - Wilhelm Konrad Röntgen in München - Heinrich Rosenbusch in Heidelberg - Georg Ossian Sars in Christiania - Oswald Schmiedeberg in Stralsburg - Gustav Schwalbe m Stralsburg - Hugo von Seeliger in Müne hen j Hermann Graf zu Solms-Laubach in ln e Hr. Ernest Solvay in Brüssel - Johann Wilhelm Spengel in Gielsen - ‚Johannes Strüver in Rom Ä Sir Joseph John Thomson in Cambridge Hr. Gustav von Tschermak in Wien Sir William Turner in Edinburg Hr. Hermann von Vöchting in Tübingen . - Woldemar Voigt in Göttingen . - Hugo de Vries in Amsterdam . - ‚Johannes Diderik van der Wauls in Amsterdam h - Otto Wallach in Göttingen . - Eugenius Warming in Kopenhagen - August Weismann in Freiburg i. Br. - Emil Wiechert in Göttingen - Wilhelm Wien in Würzburg - ‚Julius von Wiesner in Wien - Edmund B. Wilson in New York XXXIII Datum der Wahl 1910 1910 1900 1900 1900 1893 1896 1905 1889 1898 1906 1879 1900 1896 1893 1909 1896 1887 1898 1910 1910 1906 1899 1913 1900 1900 1910 1881 1598 1913 1900 1913 1900 1907 1599 1897 1912 1910 1899 1913 Juli 28. Juli 28. Febr. 22. Febr. 22. Febr. 8. Mai 4. Jam 30: lass 112% Dee. 19. Febr. 24. dark all: März 13. Febr. 8. Oct. 29. Jun 1: Oct. 28. März 12. Oct. 20. Febr. 24. Juli 28. Juli 28. anal. Juni 8. Mai 22. Janus: Febr. 8. Juli 28. März 3. März 10. Jan allo: März 8. Jan. 16. Febr. 22. Juni 13. Jan. 19. März 11. Febr. 8. Juli 14. Juni 8. Febr. 20 XXXIV Sir Philosophisch-historische Classe. . Karl von Amira in München . Ernst Immanuel Bekker in Heidelberg . Friedrich von Bezold in Bonn . Eugen Bormann in Wien Emile Boutroux in Paris James Henry Breasted in Chicago Harry Bresslau in Stralsburg . Ingram Bywater in London Rene Cagnat in Paris : Arthur Chuguet in Villemomble (Seiner Franz Cumont in Rom . Samuel Rolles Driver in Der Lowis Duchesne in Rom . Franz Ehrle in Rom . Paul Foucart in Paris 5 James George Frazer in ne Wilhelm Fröhmer in Paris Percy Gardner in Oxford Ignaz Goldziher in Budapest . : Francis Llewellyn Griffith ia Oxford Ignazio Guwidi in Rom Ss: Georgios N. Hatzidakis in ken : Albert Hauck in Leipzig Bernard Haussoullier in Paris . Barclay Vincent Head in London Johan Ludvig Heiberg in Kopenhagen . Karl Theodor von Heigel in München . Antoine Heron de Villefosse in Paris . Leon Heuzey in Paris Harald Hjärne in Uppsala . Maurice Holleaux in Paris . Edvard Holm in Kopenhagen Theophile Homolle in Paris . Christian Hülsen in Florenz Hermann Jacobi in Bonn Adolf Jülicher in Marburg . Frederic George Kenyon in London . Hr. Georg Friedrich Knapp in Strafsburg Basil Latyschew in St. Petersburg Datum der Wahl kl —_ oo. 1900 1897 1907 1902 1908 1907 1912 1887 1904 1907 1911 1910 1893 1913 1884 1911 1910 1908 1910 1900 1904 1900 1900 1907 1908 1896 1904 1893 1900 1909 1909 1904 1887 1907 1911 1906 1900 1893 1891 Jans 18: Juli 29. Febr. 14. Juli 24. Febr. 27. Juni 13. Mai 9. Nov. 17. Nov. 3. Febr. 14. April 27. Dee. 8. Juli 20. Juli 24. Julis 17: April 27. Juni 23. Oct. 29. Dec. 8. Jan. 18. Dec. 15. Jan. 18. Jans 18: Mae: Oct. 29. März 12. Nov. 3. Febr. 2. Jans 18. Febr. 25. Febr. 25. Nov. 3. Nov. 17. Mai 2. Febr. 9. Nov. 1. Jan. 18. Dec. 14. Juni 4. ". Friedrich Leo in Göttingen August Leskien in Leipzig . Friedrich Loofs in Halle a. S. Giacomo Lumbroso in Rom Arnold Luschin von Ebengreuth in ee John Pentland Mahaffy in Dublin Gaston Maspero in Paris ; Wilhelm Meyer-Lübke in Wien Ludwig Mitteis in Leipzig . ‚James Murray in Oxford ', Axel Olrik in Kopenhagen Georges Perrot in Paris. Edmond Pottier in Paris Franz Praetorius in Breslau Wilhelm Radloff in St. Petersburg Pio Rajna in Florenz s Moriz Ritter in Bonn Karl Robert in Halle a.N.. Edward Schröder in Göttingen Richard Schroeder in Heidelberg . Eduard Schwartz in Freiburg i. Br. Emile Senart in Paris Eduard Sievers in Leipzig . Edward Maunde Thompson in act ! . Vilhelm Thomsen in Kopenhagen Ernst Troeltsch in Heidelberg . Paul Vinogradof in Oxford Girolamo Vitelli in Florenz . Jakob Wackernagel in Göttingen . ‚Julius Wellhausen in Göttingen Adolf Wilhelm in Wien Ludvig Wimmer in Kopenhagen . Wilhelm Windelband in Heidelberg Wilhelm Wundt in Leipzig KXXV Datum der Wahl — 1906 Nov. 1. 1900 Jan. 18. 1904 Nov. 3. 1874 Nov. 12. 1904 Juli 21. 1900 Jan. 18. 1897 Juli 15. 1905 Juli 6. 1905 Febr. 16. 1913 Febr. 6. 1911 April 27. 1884 Juli 17. 1908 Oct. 29. 1910 Dee. 8. 1895 Jan. 10. 1909 März 11. 1907 Febr. 14. 1907 Mai 2. 1912 Juli 11. 1900 Jan. 18. 1907 Mai 2. 1900 Jan. 18. 1900 Jan. 18. 1895 Mai 2. 1900 Jan. 18. 1912 Nov. 21: 1911 Juni 22. 1897 Juli 15. IE Jan 19: 1900 Jan. 18. 1911 April 27. 1891 Juni 4. 1903 Febr. 5. 1900 Jan. 18. XXXVI Hr. Hr. Inhaber der Helmholtz-Medaille. Santiago Ramon y Cajal in Madrid (1904). Emil Fischer in Berlin (1908). Simon Schwendener in Berlin (1912). Verstorbene Inhaber: Emil du Bois-Reymond (Berlin, 1892, 7 1896). Karl Weierstra/s (Berlin, 1892, - 1897). Robert Bunsen (Heidelberg, 1892, + 1899). Lord Kelvin (Netherhall, Largs, 1892, + 1907). Rudolf Virchow (Berlin, 1898, + 1902). Sir George Gabriel Stokes (Cambridge, 1900, + 1905). Henri Becquerel (Paris, 1906, 7 1908). Jakob Heinrich van’t Hoff (Berlin, 1910, F 1911). Inhaber der Leibniz-Medaille. a. Der Medaille in Gold. James Simon in Berlin (1907). Ernest Solvay in Brüssel (1909). Henry T. von Böttinger in Elberfeld (1909). Joseph Florimond Duc de Loubat in Paris (1910). Hr. Hans Meyer in Leipzig (1911). Frl. Elise Koenigs in Berlin (1912). Hr. Georg Schweinfurth in Berlin (1913). b. Der Medaille in Silber. . Karl Alexander von Martius in Berlin (1907). A. F. Lindemann in Sidmouth, England (1907). Johannes Bolte in Berlin (1910). Karl Zeumer in Berlin (1910). Albert von Le Cog in Berlin (1910). Johannes Ilberg in Wurzen (1910). Max Wellmann in Potsdam (1910). Robert Koldewey in Babylon (1910). - Gerhard Hessenberg in Breslau (1910). Werner Janensch in Berlin (1911). Hans Osten in Leipzig (1911). Robert Davidsohn in Florenz (1912). N. de Garis Davies in Kairo (1912). Edwin Hennig in Berlin (1912). Hugo Rabe in Hannover (1912). Joseph Emanuel Hibsch in Tetschen (1913). NE XXXVII Hr. Karl Richter in Berlin (1913). - Hans Witte in Neustrelitz (1913). - Georg Wolff in Frankfurt a. M. (1915). Verstorbener Inhaber der Medaille in Silber: Georg Wenker (Marburg, 1911, + 1911). Beamte der Akademie. Bibliothekar und Archivar der Akademie: Dr. Köhnke, Prof. Archivar und Bibliothekar der Deutschen Commission: Dr. Behrend. Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Harms, Prof. — Dr. von Fritze, Prof. — Dr. Karl Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. — Dr. Ritter, Prof. — Dr. Apstein, Prof. — Dr. Paetsch. — Dr. Kuhlgatz. ıL 7 AEX ahl Am er Ag Inne As EN OHITPNErnT 7, sg h ic ehe u 62 Dr 3 Hal Ab ei Hl u "Rei 0 ar oh EN ie te ee lei) Re une ai em Ar TH Fa aa E vanadaolene alt 410 * ABER) 0 eh wo 5 N = or Hana tt SHERBE aD ru ara Ka Ra li Ah eher arlds be WA All - we el I re ei ee PR: ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1913 . PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE CLASSE NR.1 VITALFÄRBUNG AM ZENTRALNERVENSYSTEM BEITRAG ZUR PHYSIO-PATHOLOGIE DES PLEXUS CHORIOIDEUS UND DER HIRNHÄUTE VON Pror. Dr. EDWIN E. GOLDMANN MIT 4 TAFELN BERLIN 1913 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN COMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1913 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE CLASSE Nr.1 VITALFÄRBUNG AM ZENTRALNERVENSYSTEM BEITRAG ZUR PHYSIO-PATHOLOGIE DES PLEXUS CHORIOIDEUS UND DER HIRNHÄUTE VON Pror. Dr. EDWIN E. GOLDMANN MIT 4 TAFELN BERLIN 1913 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN COMMISSION BEI GEORG REIMER De DS « $ u} = ur I ‚ie N (e up‘ EN m =) {1} % gr = Le RA 4 ng i - u Be % i. B. De Vorgelegt von Hrn. Waldeyer in der Sitzung der phys.-math. Klasse am 30. Januar 1913. Zum Druck eingereicht am 6. März 1913, ausgegeben am 13. Juni 1913. An Die äußere Anregung zu den nachfolgenden Studien habe ich aus Unter- suchungen geschöpft, die ich an der Plazenta von Maus und Ratte ange- stellt habe, um das Verhalten derselben gegenüber vitalen Farbstoffen zu bestimmen. Ich hatte zunächst die wichtige Tatsache feststellen können, daß trotz der ausgedehntesten Färbung des Muttertieres, der Plazenta und der Eihäute der Fötus völlig ungefärbt bleibt. Wenn ich sogar Farb- stoffe wie Cyanosin zur Injektion verwandte, dessen Diffusionsvermögen ein so großes ist, daß es selbst vom Magendarmkanal aus innerhalb we- niger Minuten diffuse Rotfärbung des Muttertieres veranlaßt, blieb der Fötus farblos, während anderseits die Färbung sich beim Neugeborenen gleich geltend machte, sobald es die ersten Milchtropfen von der Mutter empfing. Die Plazenta schützt demgemäß den Embryo vor der Einwirkung der Farbstoffe. Andererseits hat die genaue histologische Untersuchung der Plazenta gezeigt, daß spezifische Zellelemente desselben, welche vorwiegend fötalen Ursprungs sind, die Speicherung der vitalen Farbstoffe veranlassen. Anderweitige histochemische Untersuchungen, insbesondere solche, die den Glykogen- und Fettstoffwechsel der Plazenta umfaßten, hatten ergeben, daß genau die gleichen Zellelemente, welche die vitalen Farbstoffe in der Pla- zenta binden, auch Fett und Glykogen aus den mütterlichen Ernährungs- bahnen aufnehmen und temporär speichern, ehe diese Substanzen in den fötalen Kreislauf übergehen. Nun hat das Studium über die Verteilung vitaler Farbstoffe in den Organismus der mannigfachsten Tierspezies dargetan, daß trotz allgemeinster Beteiligung der Körpergewebe das zentrale Nervensystem unbeeinflußt bleibt. Auch wenn die Vitalfärbung »hoch«getrieben wird und die Gewebe in- tensiv gefärbt sind, bleibt das zentrale Nervensystem schneeweiß; nur an einer einzigen Stelle gelangt der Farbstoff im zentralen Nervensystem zur 17 4 Epwın E. GoLpmann: Ausscheidung, und zwar in den Epithelzellen des Plexus ehorioideus. Auf die besonderen Verhältnisse an der Hypophyse komme ich noch genauer zu sprechen. Diese Erscheinungen im Zusammenhange mit den vorhin er- wähnten Beobachtungen an der Plazenta veranlaßten mich, den Plexus cho- rioideus einer erneuten histochemischen Untersuchung zu unterziehen, mit Rücksicht auf folgende Fragen: ı. Versieht der Plexus ehorioideus bereits im fötalen Leben eine spezifische Funktion und welche? 2. Wie verhält sich das Epithel gegenüber vitalen Farbstoffen? Hieran anschließend ergab sich 3. als weiteres Problem, das Verhalten der vitalen Farbstoffe sowie ihre pharmakodynamische Wirkung zu bestimmen, je nachdem sie von der Gefäßbahn oder vom Lumbalsack aus appliziert wurden. I. Meine Studien über den fötalen Plexus habe ich ausschließlich an Ratten und Mäusen angestellt, nicht zum mindesten aus dem Grunde, weil ich bei diesen Tieren die ausgedehntesten histochemischen Untersuchungen in verschiedensten Stadien ihrer Entwicklung unter normalen und patho- logischen Verhältnissen bereits ausgeführt hatte. Bei der Maus und Ratte stellt ferner die fötale Anlage ein so kleines Untersuchungsobjekt dar, daß man dieselbe leicht in situ, nebst Uteruswand in Serienschnitte zerlegen kann, wobei man in einem einzigen mikroskopischen Schnitte histochemische Übersichtsbilder ganzer Organsysteme erhält. Bekanntlich haben innerhalb der letzten Jahre, seitdem verfeinerte histochemische Untersuchungsmethoden bekanntgeworden sind, zahlreiche Untersuchungen über das Vorkommen von Glykogen in fötalen Geweben stattgefunden. Dieselben haben eindeutig ergeben, daß das Glykogen ein außerordentlich wichtiges Baumaterial im fötalen Haushalte darstellt. An anderer Stelle habe ich ausführlich dargetan, wie neben der allgemeinen Verteilung des Glykogens im fötalen Organismus, sein zeitliches Auf- treten in den einzelnen Organen, entsprechend den verschiedenen Stadien der Embryonalentwicklung, unser besonderes Interesse herausfordert. Es mußte nun auffallen, daß bei der Ubiquität des Glykogens im Fötalkörper Vitalfärbung am Zentralnervensystem. B) dasselbe nach Angabe der Mehrzahl der Autoren im fötalen Nervensystem fehlen sollte. Von neueren Autoren seien nur Barfurth und Gierke er- wähnt. Barfurth schreibt (S. 229): »Gehirn und Rückenmark der von mir untersuchten Embryonen von Schafen, Rehen, Meerschweinchen, Ka- ninchen, der Forelle und des Frosches waren glykogenfrei.« Anderseits sagt er von wirbellosen Tieren: »Die eigentlich tätigen nervösen Ele- mente weisen nur unbedeutende Spuren von Glykogen auf; ihre binde- gewebigen Hüllen spielen aber Vorratskammern, in denen die Aufspeiche- rung erfolgt. Ähnlich negativ lauten die Angaben Gierkes. »Bei menschlichen Neugeborenen hat zwar Cramer chemisch geringe Glykogenmengen nach- gewiesen, mikroskopisch erwies sich aber das Gehirn für unsere mikro- chemischen Methoden stets völlig glykogenfrei« (S. 513). In grellem Widerspruch hierzu stehen die Beobachtungen Creightons, der bei Katzenembryonen von drei Zoll Länge Glykogen auf das reich- lichste im Epithel des Plexus chorioideus angetroffen hat. Er schreibt S. 20: »The Glycogen of the choroid plexus about the middle of embryonie life is so abundant, and in an jodine preparation it seems so to dominate the whole structure, that it suggests a glandular function of the epithelium, as if this somewhat compact body filling the whole space of the ventricle, were for the time being an excretory or metabolie organ related to the growth of the brain.«e Auch beim menschlichen Embryo ist Glykogen im Plexusepithel beschrieben worden, und zwar von Loeper, der die Angabe macht (S. 1011): »L’epithelium des plexus choroides est tr&es caracteri- stique. Chez le foetus il est ceubique vacuolaire et rempli de volumineuses granulations glycogeniques qu’on ne rencontre en aussi grande abondance en aucun autre point du cerveau.« (relegentlich einer Demonstration meiner Präparate, die gleich näher beschrieben werden sollen, machte mich Ehrlich auf eine unter seiner Leitung entstandene, in der einschlägigen Literatur bisher ganz übersehene wichtige Dissertation Meyers aufmerksam, die schon 1884 zu unserem Thema bemerkenswerte Beiträge lieferte. Meyers Untersuchungen sind mit Ehrlichs Glykogenmethode an Hühner- und Kaninchenembryonen ausgeführt worden. »Erst am 8. Tage zeigte sich beim Hühnerembryo ein glykogenhaltiger Streifen im Gehirn« (S. ı1). Hieran anschließend führt Meyer aus, daß es ihm gelungen sei, in dem Zentralorgan aller von ihm 6 Enwın E. GouLnmanm: untersuchten Embryonen, beim Huhn, beim Kaninchen, bei der Maus und endlich beim Menschen Glykogen in geringer Menge aufzufinden, und zwar nicht diffus, sondern in Gestalt von »fest konturierten Gebilden«. Sonder- barerweise vermißte Meyer beim Hühnchen Glykogen in den Chorioideal- zotten in allen von ihm untersuchten Entwicklungsstadien. Den Höhepunkt erreichte die Glykogenspeicherung beim Hühnchenembryo am 15. Tage der Entwieklung. Außer im Gehirn wurde Glykogen von Meyer am Rücken- mark gefunden, und zwar »in staunenswerter Dichte am Sinus rhomboi- deus, wenn auch nur auf kurzen Streeken und sehr beschränkten Bezirken « (S. 14). Dem Embryo des Hühnchens analog verhielt sich der des Kanin- chens, von jenem nur unterschieden durch den positiven Ausfall der Gly- kogenreaktion am Plexus chorioideus. Beiden gemeinschaftlich ist jedoch ein genau in der Medianlinie verlaufender glykogenhaltiger Streifen, der durch die ganze Medulla oblongata bis hinauf zum Mittelhirn sich erstreckt, nie- mals aber auf das Rückenmark übergreifen soll. Das glykogenhaltige Ge- bilde, sagt Meyer, »gleicht dem Durchschnitt eines Champagnerglases, dessen Fuß direkt am mittleren Schädelbalken aufruht, dessen Öffnung da- gegen das hohe Epithel der Medulla oblongata gleichsam hervorquellen läßt« (S. 26). Das Glykogen liegt in feinen, ungleichmäßigen Tropfen da, ohne daß seine Beziehung zu Zellen sich sicher bestimmen ließe. Einen ähnlichen Glykogenstreifen der Medulla, in seiner Ausdehnung und Form wechselnd, hat Meyer bei der Maus und auch bei einem fünfmonatlichen menschlichen Fötus gefunden. Er neigt zu der Ansicht, daß der Glykogen- streifen ein Verwachsungsphänomen darstellt. In postembryonalen Ge- hirnen verschwindet der Strang sofort, beim Kaninchen bleibt er noch kurze Zeit bestehen, wenn auch bloß in Rudimenten. Die Plexus chorioidei halten das Glykogen etwas länger zurück. Bei meinen Glykogenstudien habe ich die Karminmethode von Best bevorzugt, wobei ich zur sichereren Fällung geringster Glykogenmengen Alkohol vom schlagenden Herzen des Muttertieres injizierte. In frühesten Stadien der Embryonalentwicklung von Maus und Ratte habe auch ich im primitiven Medullarrohr Glykogen vermißt. Das Epithel der Medullarrinne war glykogenfrei. Sobald aber die Differenzierung des Gehirns so weit vor- geschritten ist, daß die Plexus chorioidei als solche erkennbar werden, dann tritt in der Gehirnanlage Glykogen an außerordentlich charakteristischer Stelle auf. Vor allem sei des Plexusepithels gedacht. Wie die beifolgen- Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 7 den Figuren (Taf. I, Fig. ı und 2) ergeben, heben sich die Plexuszotten als leuchtend rote Gebilde von ihrer Umgebung ab. Frei in den Räumen des 4., 3. und der beiden Seitenventrikel liegen größere und kleinere runde, durch das Karmin lebhaft gefärbte Tropfen, von denen eine große Zahl in kontinuierlichem Zusammenhange mit dem Plexusepithel stehen. Die Zellen des letzteren zeigen ihr Protoplasma dicht angefüllt mit roten Schollen, Tropfen und Tröpfehen, die den basal gelegenen, durch die Hä- matoxylingegenfärbung blau tingierten Kern verdecken können. Vielfach liegt die Epithelfläche benachbarter Zotten dicht aneinander, dann sind sie durch solide Glykogenbrücken miteinander verbunden. Auf das schärfste hebt sich jeweils das Plexusepithel von dem benachbarten Ventrikelepithel ab, insofern als die Plexusepithelien durchweg glykogenhaltig sind, wäh- rend anderseits das Ventrikelepithel völlig glykogenfrei ist. Neben freien Glykogentropfen findet man in der Ventrikelhöhle abgestoßene Epithelien, deren Kern die Kernfarbe nur schwach annimmt, während ihr vakuoläres glykogenfreies Protoplasma wie ausgelaugt erscheint. Mitosen wurden auch in glykogenhaltigen Plexusstellen angetroffen, wohl ein sicherer Beweis dafür, daß die Anwesenheit des Glykogens im Zellenleibe keineswegs degenerativen Ursprungs ist. Bei völliger Entwicklung der Großhirnbläschen gewinnt man den Eindruck, als wäre der Glykogenreichtum im Plexus der Seitenventrikel größer als in dem des 3. oder 4. Ventrikels.. Weder am Plexus des 4., noch an demjenigen der Seitenventrikel ließ sich Glykogen in dem gefäßhaltigen Bindegewebe der Zotten nachweisen. Der glykogenhaltige Plexus des 3. Ventrikels jedoch schien auf einer basalen Glykogenplatte aufzuruhen, in dem größere Glykogentropfen prävalierten. Die Anwesen- heit von Glykogen im Plexusepithel war auch einige Tage nach der Geburt der Mäuse- und Rattenföten nachweisbar. Von dem an zellige Gebilde des zentralen Nervensystems gebun- denen Glykogen hob sich jenes Glykogen ab, welches scheinbar frei und extrazellulär gelegen war, einerseits im Nervengewebe selbst, anderseits in den Gehirn- und Rückenmarkshäuten. Allenthalben handelte es sich um leuchtend rote Tropfen und Tröpfehen, die zum Teil isoliert, zum Teil in zusammenhängenden Formationen auftraten. Von dem letz- teren sei zunächst die Rede, vgl. Taf. Ic und d Im ganzen Verlaufe des Rückenmarkes habe ich der Commissura auterior entsprechend eine Glykogen- säule beobachtet, die, von dem Pialseptum ausgehend, bis hart an das Epithel 8 Enwın E. GoLpmann: des Zentralkanales heranreichte. An der Medulla oblongata ändert sich das Verhältnis des Glykogenstreifens insofern, als nunmehr eine aus Körnern und Körnchen aufgebaute Platte den ganzen Querschnitt der Medulla, und zwar im anterioren posterioren Durchmesser durchsetzt. Eine Unterbrechung erfährt die Platte allein im Gebiete des Zentralkanales. Da, wo der letztere zur Rautengrube sich erweitert, tritt eine entsprechende Verbreiterung der Glykogenplatte auf, sie bleibt aber stets subepithelial. Im Gebiete des Mittelhirns nimmt die Platte eine ähnliche Lage zum Aquaeduetus Sylvii ein, wie ich sie soeben vom Zentralkanal deı Medulla oblongata beschrieben habe. In dem Bereiche des 3. Ventrikels ist die Platte geschwunden. Mit Sicherheit ließ sich nun feststellen, daß diese streifen- und plattenartigen Verbände von Glykogenschollen ohne Zusammenhang mit Zellele- menten bleiben. Sie scheinen zwischen dem Geflechte der marklosen Nervenfasern und zwischen den Nervenzellen wie eingefilzt zu sein. Ich erwähnte schon, daß außer diesen Glykogenstreifen auch isolierte Glykogentröpfehen angetroffen werden. Besonders reichlich lagen sie z. B. in der weißen Substanz des Rückenmarks, und zwar vorwiegend an der Peripherie derselben, desgleichen auch in der unmittelbaren Umgebung jener Glykogensäulen, die die vordere Kommissur auszeichnen. Ebenso fand man solche isolierte Glykogentropfen im Nach- und Mittelhirn reich- lich zu beiden Seiten der soeben beschriebenen medialen Glykogenplatten. Aber auch scheinbar regellos verteilt, sowohl in der weißen als auch in der grauen Substanz, sind die roten Tropfen zu sehen. Vielfach sah es so aus, als wären sie von den anstoßenden Subarachnoidealräumen aus einge- schwemmt worden. Konstant fand sich nämlich das Glykogen in den Hirn- häuten, allerdings überwiegend stark in den weichen. Auch hier habe ich den sicheren Eindruck gewonnen, daß, von vereinzelten Zellen abgesehen, das Glykogen extrazellulär gelegen ist. Ganz besonders an solchen Stellen, wo das Maschenwerk der Subarachnoidea enger entwickelt war, konnte man die Glykogentröpfehen in den Maschenräumen selbst erkennen, von den feinen kernhaltigen Bindegewebsfasern gleichsam eingeschlossen. Größere subarachnoidal gelegene Glykogenhaufen zeigten sich im Bereiche der von Key und Retzius so genau beschriebenen, basalen Zisternen. Nach dem ganzen geschilderten Befunde kann es einem Zweifel kaum unterliegen, daß für das zentrale Nervensystem des Fötus das Glykogen in der Tat ein wichtiges Bauelement darstellt. Erscheint es darum nicht Vitalfärbung am Zentralnervensystem. ) von besonderer Bedeutung, daß allein im Plexusepithel Glykogen eine exquisit intrazelluläre Lage besitzt? Wer derartige Präparate durch- mustert, vor allem die zahllosen Tropfen und Schollen beachtet, die zum Teil mit dem Plexusepithel noch zusammenhängen, zum Teil von ihm be- reits losgelöst, frei in der Ventrikelhöhle liegen, der muß zu dem Schluß gedrängt werden, daß das Glykogen geradezu ein Ausscheidungsprodukt der Plexuszellen darstellt. Spricht nicht die ganze Art seiner Verteilung in dem Subarachnoidealraum dafür, daß Glykogen in ihn eingeschwemmt wird und von hier aus in die Substanz des Gehirns und Rückenmarkes gelangt, ihre weiße sowie ihre graue Substanz durchsetzend? Welche ist aber die Bedeutung jener Glykogensäulen und -platten, die ich am Rücken- mark am Nach- und Mittelhirn, ebenso wie Meyer gefunden habe? Die plausibelste Erklärung für diese Gebilde scheint mir die zu sein, daß sie solchen Stellen des zentralen Nervensystems entsprechen, wo in besonders reichem Maße Gefäße bez. Lymphgefäße in die Nervensubstanz eindringen. Wir hätten es also auch hier nur mit einem Einschwemmungsphänomen von Glykogen aus dem Subarachnoidealraum zu tun. Es muß weiteren Untersuchungen vorbehalten werden, ob nicht an solchen Stellen gleichsam Depots von Baumaterial für die weitere Entwicklung des Nervensystems gebildet werden. Läßt sich nun auch postembryonal Glykogen im zentralen Nerven- system, speziell im Plexusepithel, nachweisen? Ich habe schon erwähnt, daß bei neugeborenen Tieren der Glykogennachweis in dem Plexusepithel mehrere Tage nach der Geburt gelingt. Meine Untersuchungen reichen etwa bis zum 14. Tage. Bei völlig ausgewachsenen Tieren habe ich in allen darauf untersuchten Fällen, weder bei der Maus noch bei der Ratte, mikrochemisch im Plexusepithel oder auch sonst im Gehirn Glykogen dar- stellen können. Ich habe auch nieht versäumt, das Gehirn von Tieren in verschiedenen Stadien der Gravidität zu untersuchen. Auch hierbei fiel die Untersuchung fast ausnahmslos negativ aus. Um so bemerkenswerter muß daher die Angabe Yoschimuras erscheinen, daß ihm vermittels der Färbung nach Best der Glykogennachweis im Plexusepithel am mensch- lichen Material aus verschiedensten Lebensaltern gelungen ist, und zwar gleichzeitig im Plexusepithel der Seitenventrikel und des 3. und 4. Ventrikels. Leider erfahren wir nieht von Yoschimura, ob sein »Menschenmaterial « gesunden oder kranken Individuen entstammte. Wichtig ist, daß der posi- Phys.-math. Abh. 1913. Nr 1. 2 10 Epwın E. GoLpmann: tive Befund ausnahmslos ein intrazellulärer war. Die Glykogenkörner liegen nach Yoschimura »im ganzen Zelleibe zerstreut, in Vakuolen, ja sogar außerhalb der Zelle frei an deren Oberfläche« (S. 9). Also durchaus meinen Befunden am fötalen Plexus entsprechend. In diesem Zusammenhange erscheint es sicherlich von Interesse, daß bereits im Jahre 1553 von Glaude Bernard eine die Fehlingsche Lö- sung reduzierende Substanz in der Zerebrospinalflüssigkeit entdeckt wor- den ist, die er für Traubenzucker gehalten hat. Ausgedehntere chemische Untersuchungen über diesen Punkt liegen aus neuerer Zeit von Mott vor, der den Nachweis erbracht hat, daß Glu- kose in der Tat unter normalen Verhältnissen in Mengen von 1.2 bis 2.5 Promille in der Zerebrospinalflüssigkeit des Menschen vorhanden ist, daß dieses Mengenverhältnis allerdings ein geringeres wird bei gewissen Stö- rungen im zentralen Nervensystem, z. B. bei Dementia praecox. Mott ist übrigens auf Grund seiner Untersuchungen zu der Ansicht gelangt, daß Glukose für die Funktion des zentralen Nervensystems von großer Bedeu- tung ist. Demgemäß gewinnt der Befund von Glykogen im Plexus chorioideus eine erhöhte Wichtigkeit, und zwar im Hinblick auf die sekretorische Tätigkeit des Plexusepithels einerseits, mit Rücksicht auf den Glykogen- gehalt des zentralen Nervensystems anderseits. Auf die besonderen Verhältnisse der Hypophyse, was ihren Glyko- gengehalt betrifft, komme ich weiter unten genauer zurück. Es mußte nun von besonderem Interesse sein, die Frage zu prüfen, ob unter pathologischen Verhältnissen Glykogen im zentralen Nervensystem, speziell im Plexusepithel, nachgewiesen worden ist. Hierüber liegen leider nur spärliche Angaben, soweit ich die Literatur übersehe, vor. Was das Plexusepithel anbetrifft, so erwähnt Loeper (S. 1012), daß bei Erwachı- senen er nur in drei Fällen Glykogen im Plexusepithel nachweisen konnte. ös handelte sich um Diabetiker mit starker Zuckerausscheidung, bei denen auch der Liquor reichlich Zucker enthielt. Ähnliche positive Befunde über Glykogen im zentralen Nervensystem von Diabetikern sind von Neu- bert (S. 65) und Best erhoben worden. Abgesehen von Diabetes ist auch bei der Miliartuberkulose von Devaux Glykogen in der Hirnrinde ge- funden worden. Außerordentlich wichtig erscheint es mir, daß auch unter pathologischen Verhältnissen das Glykogen im Plexusepithel intrazellulär, Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 11 im übrigen Nervensystem vorwiegend extrazellulär, und zwar besonders reichlich entlang den Pialscheiden der Hirnrinde, in perivaskulären Lymph- räumen des zentralen Nervensystems angetroffen wurde. Die Anwesenheit von Glykogen zuweilen in Ganglienzellen erklärt sich zwanglos aus der Tatsache, daß Glykogentropfen »in den Lücken um die Nervenzellen lagen, analog wie in den Lymphspalten« (S. 66 Neubert). Also auch die pathologischen Erfahrungen sprechen dafür, daß die Ausscheidung von Glykogen vom Plexusepithel erfolgt, und daß das im zentralen Nervensystem befindliche Glykogen sekundär in die Lymphräume und in die Ganglienzellen durch die Zerebrospinalflüssigkeit gelangt. Die Bedeutung dieser Tatsache wird aus meinen bald mitzuteilenden, vital- färberischen Untersuchungen erhellen. Ich habe nun in jüngster Zeit den Nachweis erbringen können, daß Zellelemente, die sonst nur im fötalen Leben glykogenhaltig sind, auch im postfötalen Zustande glykogenspeichernd werden können, wenn erhöhte phy- siologische Ansprüche an sie gestellt werden. Die Epidermiszelle, welche bei der Überhäutung einer Wunde beteiligt ist, zeigt Glykogen in ihrem Protoplasma wie beim Fötus. Desgleichen findet sich im Bronchialepithel des Erwachsenen ähnlich wie beim Fötus Glykogen, wenn der Bronchus etwa in einer tuberkulösen Infiltrationszone gelegen ist. Sollte daher nieht auch beim Plexusepithel die Wiederkehr zu dem glykogenhaltigen Fötalzustande damit zusammenhängen, daß beim Ersatz absterbender oder abgestorbener Nervensubstanz vom Plexusepithel jenes Baumaterial von neuem herbei- geschafft werden muß, welches bei dem Wachstum des zentralen Nerven- systems eine so hohe Bedeutung besitzt? Sei dem wie ihm wolle, ich hoffe, durch meine Ausführungen die Anregung dazu gegeben zu haben, daß künftighin in weit umfangreicherem Maße, als es bisher der Fall gewesen ist, das Verhalten des Plexusepithels bei den mannigfachen Störungen des zentralen Nervensystems untersucht wird. Erst dann werden die unter pathologischen Verhältnissen verzeichneten qualitativen und quantitativen Veränderungen der Zerebrospinaltlüssigkeit eine sicherere Grundlage erhalten. Doch ehe ich diese Ansicht näher begründen kann, muß ich den zweiten Teil meiner Untersuchung über das Verhalten des Plexusepithels gegen- über vitalen Färbungen mitteilen. 12 Epwın E. GoLpmaAnn: u. Im wesentlichen haben Untersuchungen dieser Art den Zweck ver- folgt, neue Tatsachen zur Klärung der heute noch vielumstrittenen Frage herbeizuführen, ob und inwieweit der Flexus chorioideus bei der Bildung und der besonderen chemischen Zusammensetzung der Zerebrospinaltlüssig- keit beteiligt ist. Seitdem Luschka das Vorkommen von Granula im Protoplasma der Plexuszellen und deren Ausstoßung in die Ventrikelflüssigkeit beschrieben hat, sind bis in die neueste Zeit die mannigfachsten histologischen Methoden in Anwendung gezogen worden, um den histochemischen Charakter der auch an ungefärbten Präparaten im Protoplasma der Plexuszellen sichtbaren Tropfen und Körner genauer zu bestimmen. Desgleichen sind die Veränderungen dieser Gebilde unter dem Einflusse zahlreicher sekretbefördernder und sekrethemmen- der Substanzen studiert und beschrieben worden. Ausgedehnte Zusammen- stellungen der einschlägigen Literatur finden sich in den aus jüngster Zeit stammenden Arbeiten von Yoschimura, Hworostuchin und Engel. Fast übereinstimmend gelangen sämtliche Autoren zu dem Schluß, daß das Plexusepithel sekretorische Funktionen besitzt. So schreibt Engel (S. 200): »Es lassen sich in den epithelialen Zellen des Plexus chorioideus des Men- schen mit geeigneten Methoden Struktureigentümlichkeiten darstellen, welehe als Ausdruck einer sekretorischen Tätigkeit aufgefaßt werden dürfen. Sie bestehen in dem Auftreten von Granula im Zellenleibe, welche sich fuchsi- nophil und basophil verhalten. Die verschiedene Zahl und Anordnung der Granula in den Elementen, die Veränderungen in der Form der Zellen, in der Lage und im feineren Bau des Kernes müssen als Ausdruck der Phasen eines Sekretionsprozesses gelten.« Ich führe noch aus der Arbeit von Hwo- rostuchin folgende Leitsätze an (S. 240). »Das Studium des feineren Baues des den Plexus chorioideus des Seitenventrikels und des 4. Ventri- kels bedeckenden Epithels ergibt positive Resultate hinsichtlich der Betei- ligung desselben an der Bildung des Liquor cerebrospinalis. In den ruhen- den Drüsenzellen des Plexus chorioideus sowie in den frühen Sekretions- stadien sind Mitochondrien vorhanden, hinsichtlich derer Gründe vorliegen, sie für identisch mit den vegetativen Fäden Altmanns zu halten. In den späteren Sekretionsstadien sind in den Epithelzellen Gebilde sichtbar, die an die Halbmondkörperchen von M. Heidenhain erinnern.« Hinsichtlich Vitalfärbung am Zentralmnervensystem. 13 der von den Drüsenzellen ausgearbeiteten Produkten gelang es Hworo- stuchin Lezithin festzustellen, ein Befund, der auch von Yoschimura, Ciaeeio und andern erhoben worden ist. Die sekretorische Funktion des Plexusepithels ist jedoch von beson- derer Art; schon Petit und Gerard haben auf folgende Eigentümlichkeit derselben hingewiesen (S. 619): »L’element seer@tant est en rapport imme- diat avee le sang, dans lequel il baigne par sa portion basale. Mais con- trairement aux glandes a seeretion interne proprement dites, le produit la- bor@ par les plexus, n’est pas directement resorbe par la voie sanguine; il s’eecoule d’abord dans une cavite intermediare. Il resulte de ces dispositions anatomiques, que les plexus du systeme nerveux central peuvent &tre consideres comme des glandes A seeretion externe, mais ä destination interne. On remarquera, en autre, que dans un tel appareil les rapports receiproques des elöments constitutifs sont inverses des ceux qu’on observe dans les glandes A steretion externe.« In welcher Weise die Sekretionsprodukte in die Zerebrospinaltlüssig- keit gelangen, darüber sollten vitale bzw. supravitale Färbungen Aufschluß geben. Wohl die gründlichsten Untersuchungen dieser Art stammen von Schläpfer. Die neuere Arbeit von Francini war mir leider im Original nicht zugänglich. Nach ihm soll voneinander unabhängig im Protoplasma und Kern der Plexuszellen eine Tröpfehen- bzw. Körnchenbildung vor sich gehen. Noch vor ihrer Ausstoßung aus dem Zellenleibe findet eine Durch- tränkung des Tröpfehens mit der Körnchensubstanz des Kernes derart statt, daß die letztere einen stark färbbaren Saum des Tröpfehens veranlaßt. Erst jetzt kommt es zur Ausstoßung, wonach im Zellenleibe Vakuolen zurück- bleiben sollen. Meine eigenen Untersuchungen stehen denjenigen von Schläpfer am nächsten, dem wohl das Verdienst zukommt, zuerst in umfassendster Weise die Vitalfärbung für die Bestimmung der Plexusfunktionen verwandt zu haben. Schläpfers Versuche sind mit Methylenblau und Neutralrot vorgenommen worden, also mit Farbstoffen, die bei intravitaler Applikation durch Reduktion und Reoxidation ständig chemischen Alterationen unterworfen sind. Beide Farbstoffe besitzen in wechselndem Grade toxische Eigenschaften, die darum ihre Applikation beeinträchtigen. Zudem gelingt die Fixation der mit diesen Farbstoffen vital gefärbten Geweben nur in unvollkommener Weise. Aus allen diesen Gründen mußte sich Schläpfer vorwiegend auf 14 Epwın E. GoLpmann: supravitale Färbungsmethoden am entblößten oder herausgeschnittenen Plexus beschränken. Es gelang ihm am Protoplasma der Plexuszellen granuläre, von ihm als Globuloplasten bezeichnete Gebilde darzustellen, welche bei der Anwendung eines Gemisches von vital wirkenden Farbstoffen ein selek- tives Vermögen für die einzelnen Komponenten der Farbstoffmischung entfal- teten. Das färberische Verhalten dieser Globuloplasten veranlaßte Schläpfer anzunehmen, »daß sie feinste plasmatische Eiweißsuspensions- kügelchen sind, umhüllt von einer dünnen Schicht einer lipoid- artigen Substanz« (S. 133). Die lipoide Schicht, das »färbende Prinzip«, bildet also nur die Kugel- hülle, die bei Anwendung von Verdauungsfermenten, z. B. von Trypsin, seiner Wirkung widerstrebt. Da die interglobuloplastische, albuminoide Sub- stanz bei der Trypsinwirkung in Lösung übergeht, lassen sich die Globulo- plasten isolieren. Diese Gebilde besitzen nun nicht allein, nach Schläpfer, eine morphologische, sondern auch eine funktionelle Selbständigkeit, die aus ihrer Selektionsfähigkeit für Farbstoffe, aus ihrem Vermögen Fer- mente zu bilden, und anderem sich erschließen läßt. Ob das Selektions- vermögen der Globuloplasten für verschiedene Farbstoffe auch auf chemische Verschiedenheiten unter denselben schließen läßt, vermag Schläpfer nieht zu entscheiden. Jedenfalls gewährt nach seiner Ansicht die vitale Färbung einen Aufschluß über den Sekretionsmechanismus. Durch Schwinden der Grenzhaut fließen die Globuloplasten zu Tropfen zusammen, welche bei Zu- nahme ihres Volumens an Farbintensität und Oberflächenspannung abnehmen. Sie zerplatzen schließlich intrazellulär, wölben die Zellwand gegen das Ventrikellumen vor und treten heraus. Schläpfer hat nun durch eine äußerst sinnreiche Versuchsanordnung küpenbildende Vitalfarben, insbeson- dere wieder das Methylenblau dazu verwandt, um das intrazelluläre Ver- halten des Sauerstoffes zu untersuchen. Hierbei gelangte er zu dem wich- tigen Schluß, »daß die Verbrennungsprozesse sehr wahrscheinlich an die Globuloplasten gebunden sind, ihnen also außer physiologischen auch che- mische Funktionen direkt zugesprochen werden müssen« (S. 140). »Damit erscheint die Zelle in der Tat in einen großen Teil von che- mischen Bezirken zu zerfallen, die alle durch Lipoidhüllen individualisiert sind. « Ich habe nun bei meinen Versuchen nur Vitalfarben verwandt, von denen ich durch vorausgegangene ausgiebige Versuche habe feststellen Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 15 können, daß sie trotz intensiveren vitalfärbenden Eigenschaften und trotz hoher Dosierung nennenswerte toxischen Eigenschaften, insbesondere an dem Nervensystem nicht entfalten. Ausgehend von der durch die klassi- schen Versuche Ehrlichs erwiesenen großen Labilität des Nervensystems gegenüber Zirkulationsstörungen, vor allem gegenüber den Erscheinungen des Absterbens, habe ich die betreffenden Farben nur intravital ange- wandt. Hierzu veranlaßte mich insbesondere der Umstand, daß es mir ge- lungen war, durch Formalin die Vitalfarben im Gewebe so zu fixieren, daß die mikroskopischen Schnittbilder das Verhalten des lebenden Gewebes in allen Einzelheiten widerspiegeln. Wenn ich im folgenden nur von Trypan- blau und Isaminblau spreche, so will ich gleich erwähnen, daß sämtliche in der jüngsten Zeit, insbesondere von Schulemann beschriebenen Vital- farben, dem Trypan- und Isaminblau gleiche Bilder des Plexusepithels liefern. Über die Technik nur zwei Worte, da dieselbe in allen Punkten jener gleicht, die ich in meinen Monographien genauer beschrieben habe. Am klarsten werden die histologischen Bilder, wenn man die Versuchs- tiere durch wiederholte, in Zwischenräumen von 4 bis 6 Tagen vorgenom- mene Farbstoffinjektionen in der Färbung hochtreibt. Vor Entnahme des zentralen Nervensystems wird an dem narkotisierten Tier eine Formol- injektion vom schlagenden Herzen aus vorgenommen. Nach völliger Fixa- tion und Härtung des Gehirns in einer roprozentigen Formollösung wer- den von demselben Gefrierschnitte angelegt, die zur Darstellung der Zell- kerne mit Alaunkarmin gegengefärbt werden. Schon makroskopisch lassen sich an Schnitten, die parallel zur Längsachse des Gehirns gelegt, die Seitenventrikel freilegen, die blauen Plexuszotten im Seitenventrikel er- kennen, die um so mehr hervorstechen, als sie das einzige Gebilde im Ge- hirn darstellen, welches die Vitalfarbe angenommen hat. Das übrige Ge- hirn und Rückenmark bleibt schneeweiß. Meine Untersuchungen beziehen sich auf Froseh, Maus, Ratte, Meerschweinchen, Kaninchen, Hund und Affe. Bei allen «diesen Tieren finden wir die nämlichen Erscheinungen, Vital- färbung des Plexus, Ausbleiben jeder Färbung des übrigen zentralen Ner- vensystems. Bezüglich der Zerebrospinaltlüssigkeit muß ich meine im Jahre 1909 gemachten Angaben dahin modifizieren, daß in der Regel die Zerebrospinal- tlüssigkeit auch bei Tieren, bei denen die Färbung hochgetrieben worden 16 Enwın E. GoLpmann: ist, ungefärbt bleibt. Geht das Tier etwa an dem Effekte einer toxischen Farbdose zugrunde, oder geschieht die Untersuchung der Flüssigkeit erst einige Zeit nach dem eingetretenen Tode des Tieres, so kann auch die Zere- brospinalflüssigkeit eine schwache Tinktion darbieten. Diese Färbung stellt also die Ausnahme dar, worauf übrigens auch Bouffard für das Trypan- blau aufmerksam gemacht hat. Ehe ich den histologischen Befund am vital gefärbten Plexus der von mir untersuchten Tierspezies schildere, möchte ich nur zusammenfassend erwähnen, daß auch mikroskopisch im übrigen Nervensystem unter nor- malen Verhältnissen jedwede Färbung an Zellen oder sonstigen Nerven- elementen vermißt wurde. Die besonderen Verhältnisse der Hypophyse sollen gesondert dargestellt werden. Am Plexus der Seitenventrikel und des 3. und 4. Ventrikels werden zweier- lei voneinander scharf geschiedene Elemente vital gefärbt. Taf. II, Fig. ı und 2. ı. Die Plexuszellen selbst und 2. Zellen, welche der bindegewebigen Grund- lage der Plexuszotten angehören. Die letzteren gleichen in Gestalt und Größe etwa den großen mononukleären Lymphozyten. Taf. II, Fig. 2a. Ihr Proto- plasma ist gefüllt von groben, dunkelblau tingierten Granulis, welche häufig den Kern der Zelle völlig zudecken. Die Gestalt dieser Zellen ist in der Regel rund, sie zeigt aber bei ihrer Wanderung bis zu den Zottenspitzen die mannigfachsten Veränderungen. Nicht selten sind sie zu kleinen Häuf- chen angeordnet, welche die perivaskulären Lymphräume erfüllen. Auch am Plexusbindegewebe haben die spezifischen Färbungen, die ich an anderer Stelle genau beschrieben habe, ergeben, daß hier nicht eine der bekannten Zellformen, sei es der Blutbahn, sei es des Bindegewebes, vorliege. Vor allem ließ sich diese vital gefärbte Zelle des Bindegewebes von Plasma- oder Mast- zellen differenzieren. Es handelte sich eben um jene histiogene Wanderzelle, die ich bereits in meiner ersten Mitteilung, ihrer Verwandtschaft zum Pyrrol- blau wegen, als Pyrrolzellen beschrieben habe, und deren charakteri- stische, anatomisch-physiologische Eigentümlichkeit darin besteht, daß ihr granuläres Plasma alle bekannten Vitalfarben annimmt, daß die Zelle in hohem Maße ehemotaktisch reizbar, wanderungsfähig und phagozytär ist. Also im normalen Nervensystem findet sich unsere Pyrrolzelle allein in dem Plexusbindegewebe, und wie wir bald sehen wer- den, auch in der Hypophyse; in pathologischen Zuständen des Nervensy- stems aber spielt diese Zelle eine ähnlich wichtige Rolle, wie ich sie für Vitalfärbung am Zentralnervensystem. IK die mannigfachsten pathologischen Zustände anderer Organsysteme bereits des Genaueren dargestellt habe. Hiervon bald mehr. Auch in der Plexuszelle (Taf. II, Fig. 25 u. Fig. ı) selbst handelt es sich um eine Vitalfärbung von Granulis, welche aber hier unendlich viel feiner und kleiner sind, als in den Pyrrolzellen. Ich möchte nun von vorn- herein die merkwürdige Erscheinung hervorheben, daß die Plexuszellengra- nula durchaus nicht zu denjenigen zählten, die gleich nach Einführung der vitalfärbenden Lösung zur Darstellung gebracht werden können, wie etwa die Granula der Kupfferschen oder der Pyrrolzellen. Darum kann es leicht geschehen, daß die Pyrrolzellen des Plexusbindegewebes schon lebhaft tingiert sind, ehe überhaupt eine Färbung an den Plexuszellen selbst bewirkt wird. Erst nach wiederholten Injektionen lassen sich mit dem Immersionssystem, besonders bei der Maus, feinste, vital gefärbte Granula in den Plexuszellen nachweisen. Es ist dies eine Erscheinung, der wir auch an anderen, be- sonders der inneren Sekretion dienenden Gebilden begegnen, so vor allem an der Nebenniere und der Hypophyse. Ausnahmslos habe ich gefärbte Granula am Plexus chorioideus intrazellulär angetroffen, frei an der Zelloberfläche oder gar frei in der Ventrikelhöhle habe ich solche nie gesehen, was selbst- verständlich nicht ausschließt, daß ein Austritt von Granulis erfolgen kann. Nur sind extrazelluläre Granula oder Sekrettropfen durch unsere intra- vitale Farbmethode nicht darstellbar. Es läßt sich, was nun die Lage der Granula betrifft, eine gewisse Regelmäßigkeit feststellen, insofern als die Granula die der freien Ventrikelhöhle zugekehrte Zelloberfläche bevor- zugen, während der Kern im basalen Zellabschnitt verbleibt. Die Größe der Granula kann bei verschiedenen Tieren und auch bei der gleichen Tier- spezies sehr variieren. Besonders fein sind sie bei der Maus, und um sie hier zu sehen, bedarf es stärkerer Immersionssysteme. Aber selbst bei der Maus, insbesondere bei der Ratte, erkennen wir große Verschiedenheiten in den Dimensionen der Granula. Obwohl sie niemals die Größe der Pyrrol- zellengranula erreichen, nehmen sie zuweilen so an Volumen zu, daß man sie auch bei schwächerer Vergrößerung als runde Gebilde erkennen kann. Hierbei nimmt die Tinktionsfähigkeit eher zu als ab, so daß Zellen mit größeren Granulis vermöge ihrer intensiveren Blaufärbung stark gegen solche mit kleineren kontrastieren. Bei Übersichtsbildern solcher Adergeflechte gewinnt man leicht den Eindruck, als seien Teile derselben ungefärbt, be- nachbarte dagegen dunkel tingiert. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, Phys.-math. Abh. 1913. Nr.1. 3 18 Epwın E. GOLDMANN: daß auch bei intensiver Färbung der Plexuszellen ungünstige Er- scheinungen nervöser oder sonstiger Art beim Versuchstier ebenso- wenig zur Beobachtung gelangen, wie etwa Entwicklungsstörungen des Fötus bei lebhafter Färbung der Plazenta und der Eierhäute. Im wesentlichen stimmen meine Befunde, die Granulastruktur der Plexuszellen betreffend, mit den auf supravitalem Wege gewonnenen von Schläpfer überein. Allerdings habe ich einen Austritt von vital gefärbten »Globuloplasten« aus der Zelle nicht gesehen, ebensowenig habe ich alle jene Verwandlungsvorgänge von Globuloplasten beobachtet, die nach Schläpfer zu Tropfenbildung und schließlich zum intrazellulären Platzen dieser Tropfen Anlaß geben sollen. Da alle diese Vorgänge an herausge- sehnittenen oder entblößten Plexuszellen, häufig erst nach Stunden sich feststellen ließen, so kann die Möglichkeit, daß hier Zerfallsvorgänge an der absterbenden oder bereits abgestorbenen Zelle vorgelegen haben, nicht von der Hand gewiesen werden. Jedenfalls glaube ich aussprechen zu dürfen, daß für das Studium der tatsächlich am Plexus sich abspielenden Zellvorgänge die von mir angewandte intravitale Methode, bei welcher der Plexus unverändert in seiner Lage und unter physiologischen Verhält- nissen verbleibt, sicherere und einwandfreiere Resultate liefert als die supravitale Schläpfers. Ist nun das durch unsere Methode am Plexusepithel gewonnene Er- gebnis in dem Nachweis erschöpft, daß die Zelle vital färbbare Granula enthält, oder gestattet uns dieser Befund einen weiteren Einblick in die Plexusfunktion, besonders im Hinblick auf die Frage, in welchem Zusam- menhange die Plexusfunktion zur Sekretion der Zerebrospinalflüssigkeit steht? Ehe ich an die Beantwortung dieser Frage herantrete, wird es not- wendig sein, kurz einige weitere Punkte zu besprechen. Ich kann es mir versagen, an dieser Stelle alle Argumente von neuem ins Feld zu führen, die mich veranlaßt haben, anzunehmen, daß unsere vital gefärbten Granula in der Tat präformierte Gebilde des Protoplasmas und nicht etwa phagozytäre Einschlüsse, durch die Vitalfarben veranlaßte sekundäre Bil- dungen oder ausschließlich Sekretmassen darstellen. Über diesen Punkt habe ich mich an anderer Stelle genauer ausgesprochen. Selbstverständlich bin ich weit davon entfernt, alles, was unsere Vitalfarben im Zellproto- plasma der verschiedensten Zellformen zur Darstellung bringen, für iden- tisch zu erklären. Darf es wundernehmen, wenn das Sekretgranulum der Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 19 Nebenniere, des Plexus chorioideus, des Epithelkörperchens, vitaltärberisch andere Protoplasmabilder gibt als etwa die Granula einer Kupfferschen Sternzelle oder gar einer Pyrrolzelle, bei denen phagozytierende Funk- tionen so im Vordergrunde stehen. Mit welchem Recht Schulemann allein aus der verschiedenen Intensität der Färbung in den Granulis ein- zelner Zellgruppen, auf prinzipiell verschiedene Kategorien der Färbung schließen will, ist mir aus seinen Ausführungen nicht ersichtlich. Warum in der hellblau sich färbenden Epithelzelle sein »Reaktionskörper« fehlt, in der tiefblau gefärbten Sternzelle z. B. vorhanden sein soll, darüber bleibt er uns jeden Beweis schuldig. Wenn Schulemann gar die Behauptung aufstellt, daß die Granula (S. 14) »erst durch den Eintritt der Farbe in die Zellen gebildet werden, und eine chemische Verbindung der Farbe mit dem hypothetischen Reaktionskörper darstellen«, so müssen ihm die zahl- losen Beobachtungen über granuläre Strukturen an der lebenden, unge- färbten Plexuszelle auf der einen Seite, der Serosazelle des Peritonaeums auf der anderen Seite entgangen sein, die alle schon längst vor Einfüh- rung vitaler Färbungen bekannt waren. Sollte in der Tat das Auftreten der Granula im Sinne Schulemanns ein rein chemischer Vorgang und nieht mit vitalen Strukturelementen des Protoplasmas verknüpft sein, wie ließen sich die Beobachtungen an der absterbenden und abgestorbenen Zelle erklären, die ich u. a. in meinen Tuberkulosestudien so ausführlich dargelegt habe, wobei mit der zunehmenden deletären Wirkung des Ba- zillus die Granulastruktur mehr und mehr schwindet und schließlich ein diffus gefärbtes, homogenes Plasma zurückbleibt. Zum mindesten müßte Schulemann zugeben, daß sein hypothetischer Reaktionskörper an ein lebendes Protoplasmaelement gebunden sei, denn mit dem Tode der Zelle hört die von ihm angenommene chemische Verbindung zur Granula- form auf. Da Sehulemann in seinen einzelnen, in rascher Aufeinander- folge erschienenen Arbeiten seine Stellung zur Frage über die Bedeutung der vital färbbaren Granula so diametral geändert hat, muß ich es mir ver- sagen, an dieser Stelle ihm hierin weiter zu folgen. Gerade die Beobach- tungen am Plexus haben gezeigt, wie unrichtig Schulemanns Behaup- tung ist (S. 14). »Beim Hochtreiben einer Maus in der Vitalfärbung ver- mehrt sich nur die Zahl der Granula und nicht die Intensität der Färbung des einzelnen Granulums.« Ich habe eben ausführlich dargelegt, wie erst nach wiederholten Injektionen die Färbung der Granula in den einzelnen 3* 20 Epwın E. GoLpmans: Plexuszellen an Intensität sukzessive zunimmt. Es wird sich ohnehin im Verlaufe dieser Arbeit Gelegenheit genug bieten, die Bedingungen genauer kennen zu lernen, unter denen Vitalfärbungen auch an Zellen des Nerven- systems eintreten, was bei der bisher üblichen Applikationsweise unserer Farbstoffe fehlschlug. Ich habe übrigens keinen Grund, meine an andrer Stelle ausgeführte, auf histochemischen Beobachtungen fußende Anschauung, daß die vital färbbare Substanz eine labile »Eiweißfettverbindung« darstellt, zu modi- fizieren. Welche Rolle derartige Verbindungen im Zelleben und insbeson- dere bei dem Zustandekommen der Immunität spielen, darüber hat Ehr- lich in seinen bekannten Vorträgen zur experimentellen Pathologie und Chemotherapie uns des näheren belehrt. Er schreibt (S. 31): »Das Kobra- lezithin, das sich bei der chemischen Analyse als ein Monostearyllezithin repräsentiert, ist der Typus für eine Reihe von Vorgängen, welche sich im Zelleben und in der Immunität sicherlich in zahlreichen Fällen ab- spielen und deren Wesensart darin besteht, daß eiweißartige Komponenten von bestimmter Wirkung sich mit dem Lezithin oder anderen Fettstoffen zu Verbindungen kuppeln, welche durch neuartige Eigenschaften charakterisiert sind.« Desgleichen erwähnt er (S. 32): »Ich glaube, daß diese bei den Schlangengiften er- wiesene Möglichkeit des Überganges gewisser an und für sich unwirksamer Stoffe von Eiweißcharakter in Lipoidverbindungen von stark funktioneller Wirkung eine weitverbreitete Rolle bei den Vorgängen im lebenden Orga- nismus spielt und für die Verteilung und Wirkung von Bedeutung ist.« Das Bild, welches ich von der Vitalfärbung am Nervensystem ent- worfen habe, wäre ein unvollständiges, würde ich nicht das Verhalten der Hirn- und Rückenmarkshäute einerseits, dasjenige der Hypophyse anderseits berücksichtigen. Bei Tieren, die in der Vitalfärbung hochge- trieben sind, findet man bei Entnahme der Zentralorgane die Gehirn- und Rückenmarkshäute blaßblau gefärbt. Diese bläuliche Färbung läßt sich z. B. an den Spinalnerven auch jenseits des Intervertebralloches an den austre- tenden Wurzeln verfolgen. Ganz besonders lebhaft wird die Färbung an den Spinalganglien. Für die Untersuchung der Häute hat sich mir folgen- des Verfahren bewährt, welches bei Maus, Ratte und Kaninchen ganz be- sonders geeignet ist, da hier die Häute überaus zart und dünn sind. Ich schneide etwa der vorderen Kommissur entsprechend am Rückenmark die Vitalfärbung am Zentralnervensysiem. 21 Dura ein, löse dann wie einen Mantel zart die Rückenmarkshäute von der Medulla ab. Ist das Nervensystem in Formol gut fixiert gewesen, so läßt sich dieser Akt der Lösung am zweckmäßigsten unter Wasser vollziehen. Das zarte Häutchen wird auf einem Objektträger aufgefangen, gut ausge- breitet, rasch entwässert und wie ein mikroskopischer Schnitt mit und ohne Gegenfärbung behandelt. In ganz ähnlicher Weise werden die Gehirnhäute zur mikroskopischen Untersuchung vorbereitet. Es hat sich nun die bemerkenswerte Tatsache ergeben, daß vorwie- gend in dem lockeren Gewebe der Arachnoidea vital gefärbte granuläre Zellen angetroffen werden, die, frei in den Geweben der Spinnwebenhaut liegend, zuweilen in Häufchen vorkommen. In jeder Beziehung gleichen diese Zellen jenen, die ich in dem Plexusbindegewebe bereits geschildert habe. Es sind also die allverbreiteten »Pyrrolzellen«, welche, wie wir bald sehen werden, unter normalen Verhältnissen schon vorhanden, bei pathologischen Prozessen berufen sind, eine wichtige Rolle zu spielen. Es sind dies Zellen, welche in den Häuten des zentralen Nervensystems schon früheren Forschern aufgefallen sind. Ich brauche nur an die klassischen Untersuchungen von Key und Retzius (Studien in der Anatomie des Nervensystems und des Bindegewebes, Erste Hälfte, S. 127) zu erinnern. Gelegentlich der Beschreibung der »weichen Haut«, unter der die schwe- dischen Forscher bekanntlich Pia und Arachnoidea zusammenfassen, spre- chen sie von eigentümlichen Zellen, welchen die Balken der die weiche Haut begleitenden Scheiden anliegen. Diese Zellen »besitzen einen ovalen, etwas abgeplatteten, hellen, scharf konturierten Kern, um den ein Haufen von Körnchen liegt, welche teils feiner, mehr protoplasmatisch sind, teils aber größere Kugeln ausmachen. Diese Körnchen kommen fast an jedem Kern vor, sind aber zuweilen nur sehr sparsam vorhanden, zuweilen aber auch sehr zahlreich, die Enden der Kerne fast verdeckend.« »Durch Rosanilin färben sich die Körner, besonders die feineren, mehr protoplasmatischen, viel mehr als die übrigen Scheiden rot. Zuweilen sind keine solchen Körn- chen mehr vorhanden, sondern nur die größeren, glänzenden Kügel- chen. Diese färben sich weniger lebhaft durch das Rosanilin, dureh Überosmiumsäure werden sie wohl etwas dunkler, aber doch nicht schwarz wie Fettkügelchen, ihr Glanz ist auch nicht ganz so stark wie bei diesen.« Ein Blick auf die herrliche Tafel 10, Fig. 8, wird dem Leser, der mit meinen Arbeiten über Pyrrolzellen, insbesondere 22 Epwın E. GoLpmaAnn: am Netz, vertraut ist, keinen Zweifel darüber lassen, daß die von Key und Retzius beschriebenen »Häutchen- oder Plattenzellen« identisch mit unseren Pyrrolzellen sind. Das Interesse an diesen Zellen ist mit ihrem Vorkommen in den Hirn- und Rückenmarkshäuten überhaupt nicht erschöpft. Ich habe sehon die stärkere Blaufärbung der austretenden Wurzeln und vor allem des Spinal- ganglions erwähnt. Genauere Untersuchungen dieser Gebilde ergeben be- sonders starke Anhäufungen von vital gefärbten Pyrrolzellen in dem die Nervenbündelehen trennenden lockeren Bindegewebe, vor allem in dem die Spinalganglienzellen umgebenden bindegewebigen Lager. Auch diese Tatsache war schon Key und Retzius bekannt, sie schrei- ben z. B. von den Wurzeln (Teil I, S.8): »In der Nähe des Ganglions findet man in Querschnitten, besonders nach vorgenommener Färbung, eine sehr große Menge von rundlich ovalen Kernen, die mehr oder weniger dicht beisammen liegen. Bei näherer Untersuchung sieht man nun um diesen Kern ein körniges Protoplasma, welches eine eigentümliche Anord- nung zeigt. Nach dem Ganglion wird dies Zellgewebe in der Regel immer reichlieher, um in das interstitielle Gewebe des Ganglions überzugehen. Man kann es deswegen in dieser Hinsicht als ein vorbereitendes oder »prä- paratorisches« Gewebe auffassen.« Wieder auf S. 47 erfahren wir bezüg- lich der Spinalganglien: »die Ganglienzellen liegen entweder einzeln oder gruppenweise in ein interstitielles Gewebe eingebettet, welches, wie oben erwähnt wurde, schon in den Wurzeln erscheint und da als eine Art prä- paratorischen Gewebes beschrieben ist«, Ein Studium der auf Tafel II ab- gebildeten Figuren gibt einen ausgezeichneten Aufschluß über die Pyrrol- zellen in dem interstitiellen Gewebe des Ganglions. Damit hätten wir die wichtige Tatsache festgestellt, daß schon in den Häuten des zentralen Nervensystems, insbesondere in den austretenden Wurzeln und den Spinalganglien, jene vital färb- baren »Körnchenzellen« sieh finden, von denen ich bereits in meiner ersten Abhandlung über Vitalfärbung ausgeführt habe, daß sie zu dem eisernen Bestand im Bindegewebe der periphe- ren Nerven zählen. Demgemäß finden wir an der »weichen Haut« des zentralen Nervensystems Zellbilder, welche, soweit die vital färbbaren Ele- mente in Frage kommen, stark an das große Netz erinnern. Aller- dings läßt sich unter normalen Bedingungen der Reichtum der » weichen Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 23 Haut« an diesen Zellen in keiner Weise mit demjenigen des Netzes ver- gleichen. Es erlangt durch diese Befunde die Auffassung von dem organischen Zusammenhang der bindegewebigen Scheiden des peripheren Nervensystems, von dem Zusammenhange ihrer Saftbahnen mit denjenigen des zentralen Nervensystems eine neue und wichtige Stütze, ganz besonders, wenn man die Fähigkeit der Pyrrolzellen zu weitgehenden Verschiebungen und Wan- derungen berücksichtigt, die ieh in meinen Arbeiten zur Vitalfärbung so ausgiebig beschrieben habe. Nur noch ein Wort über die Vitalfärbung der Hypophyse. Ich bin auf dieselbe zuerst durch die Befunde Schulemanns aufmerksam gewor- den. Diese Färbungen waren mir ursprünglich entgangen, weil ich bei der Untersuchung der Hypophyse in dem Glauben befangen war, Granula von der Größe derjenigen in Pyrrolzellen, Hodenzwischenzellen usw. zu finden, ferner die Untersuehungen an Tieren, bei denen die Vitalfärbung nicht ge- nügend hochgetrieben war, vornahm. Inzwischen ist auch mir die Färbung der Hypophyse gelungen. Ich kann die Angaben Schulemanns nur voll- auf bestätigen. Von dem Epithelteil der Hypophyse schreibt Schule- mann (S. 241) wie folgt: »Die Hypophyse bietet in ihrem Epithelteile fast das gleiche Bild wie die Epithelkörper. Auch hier enthalten die Epi- thelzellen die hellblauen tropfenförmigen Granula. Das Bindegewebe zeigt ab und zu blau granulierte Zellen. Im Hirnanteil der Hypophyse scheint mir das Trypanblau in den gleichen Stellen und in ähnlicher Form wie die eigentlichen Pigmente der Neurohypophyse abgelagert zu sein, die nach Cohn an die Gliazellen gebunden sind. « Bezüglich der vitalen Granulierung in dem Epithel von Maus und Ratte habe ich Bilder erhalten, die mich in hohem Maße an diejenigen des Plexus erinnern. Auch an der Hypophyse nimmt die Intensität in der Färbung mit der zunehmenden allgemeinen Färbung des ganzen Tieres langsam, aber sukzessive zu, so daß makroskopisch der Hirnanhang als ein blaues Knöpfehen an der weißen Hirnbasis erscheinen kann. Niemals habe ich in dem Bindegewebe des Epithelteiles die vital gefärbten Pyrrolzellen vermißt, welche Gestaltsveränderungen wie die Zwischenzellen des Hodens oder die Kupfferschen Sternzellen darbieten können. Die Ähnlichkeit zwischen der Epithelzelle der Hypophyse und der- jenigen des Plexus ist auch andern Beobachtern bereits aufgefallen. Loeper 24 Epwın E. GoLpmAnn: führt aus: »Tous ces faits permettent de considerer la cellule choridienne comme une cellule glandulaire, ainsi que Petit et Gerard l’ont deja montre chez l’animal. Son aspect granuleuse, les corps müriformes qu’elle contient la rapprochent m&me de certaines cellules de I’hypophyse« (S. 1012). Endlich scheint mir ein wichtiger Vergleichspunkt zwischen Hypo- physe und Plexus chorioideus in dem Glykogenbefund an der Hypophyse gegeben zu sein. Ich stütze mich hier auf die ausgezeichneten Unter- suchungen von Neubert. Er schreibt (S. 87): »In der Hypophyse kommt normalerweise Glykogen vor, und zwar erst in den Epithelien meist kleiner Kolloidzysten der Grenzzone zwischen Vorder- und Hinterlappen sowie im Gefolge von Epitheldegenerationen frei im Zystenraum, zum Teil in inniger Vermischung mit analog sich bildendem Kolloid, zweitens im gliösen Ge- webe und als intraplasmatischer Bestandteil von Ganglienzellen des Hinter- lappens. « »Das Glykogen der Zystenepithelien und des nervösen Hypophysen- anteils ist als Ausdruck von deren rudimentär primitiven Natur aufzufassen. In bestimmten pathologischen Fällen, vorzüglich bei Diabetes, ist die Gly- kogenbildung vermehrt. « Von großer Wichtigkeit erscheint mir, daß nach Neubert das Glykogen an der Hypophyse in der Hauptsache von dem Epithel der »Grenzzone« gebildet wird, hier also intrazellulär gelagert ist, während in dem nervösen Hinterlappen, abgesehen von den Ganglienzellen, das Gly- kogen extrazellulär vorhanden ist, also mit großer Wahrscheinlichkeit sekundär in das gliöse Gewebe eingeschwemmt worden ist. Ob hierbei die von Edinger festgestellten Hypophysenkanäle eine Rolle spielen, soll zunächst unerörtert bleiben. Um bei dem Vergleich mit dem Plexus zu bleiben, würde demgemäß das Epithel der Grenzschicht der glykogenbilden- den, fötalen Plexuszelle gleichen, während das extrazellulär gelegene Gly- kogen in dem nervösen Hinterlappen der Hypophyse dem Verhalten des se- kundär in das zentrale Nervensystem eingeschwemmten Glykogens entsprechen würde. Es ist nun sicher nicht bedeutungslos, daß es in jüngster Zeit Tölken gelungen ist, den Nachweis zu führen, »daß die in den Hinter- lappen der Hypophyse einwandernden Zellen nieht etwa Vorderlappen- epithelien darstellen, sondern vielmehr Abkömmlinge der umgewan- delten, embryonalen Zellen der Zysten und des Spaltraums der inter- mediären Zone darstellen. Es ist daher (S. 639) die Pars intermedia Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 25 als Hauptstätte der Einwanderung epithelialer Zellen in den Hinterlappen anzusehen.« In den Kreis dieser Betrachtungen gehört nun ein außerordentlich wichtiger Befund von Key und Retzius, der sonderbarerweise in Ab- handlungen über die Hypophyse, soweit ich die Literatur übersehe, nir- gends berücksichtigt worden ist (Teil I, S. 97). » Unterhalb der Duralamelle, welche die Sella turciea bedeckend die Hypophyse überzieht, breitet sich diese Scheide über die Oberfläche der Hypophyse hinaus. In dieser Weise wird hier von der Arachnoidea gleichsam ein Divertikel gebildet, die Hypo- physe wird mithin von einem kleinen subarachnoidealen Raum oder einer Zisterne hier umgeben. Bei Subarachnoidealinjektionen füllt sich dieser Raum, wie an der Taf. VII, Fig. ı und 2, zu sehen ist. Rings um die Hypo- physe ist aber die Fortsetzung der Arachnoidea mit der dieses Organ um- fassenden Scheide innig verwachsen, welche die Dura wie ein Divertikel um dasselbe sendet und gleichzeitig damit die Wand der umgebenden duralen Sinus bildet. « In einer Fußnote fügen die Verfasser folgende bedeutsamen Worte hinzu: »Wie die Hypophyse in der angegebenen Weise an ihrer oberen Fläche einen subarachnoidealen, von Zerebrospinalflüssigkeit gefüllten Raum besitzt, so hat sie auch an ihrer unteren Fläche einen breiten venösen Sinus. Diese Einbettung der Hypophyse zwischen einer serösen Zisterne und einem venösen Sinus ist ohne Zweifel von Interesse und scheint uns sogar die Eigentümlichkeit dieses rätselhaften Organs zu vermehren. « Nach alledem will es mir scheinen, daß die in den Hinterlappen der Hypophyse gelangenden Stoffwechselprodukte jener Zellen, welche aus dem Zystenepithel der Pars intermedia hervorgegangen sind, durch die Zisterne an der Hypophyse in den allgemeinen subarachnoidealen Raum gelangen, in analoger Weise wie die Sekretionsprodukte des Plexus in die Ventrikel- flüssigkeit. Von der Bedeutung dieser Stoffwechselprodukte kann nach unseren heutigen Erfahrungen über die mit Hypophysenerkrankungen ein- hergehenden Ausfallserscheinungen ein Zweifel kaum mehr bestehen. Auch die Hypophyse wäre demnach ein gleichzeitig mit »innerer und äußerer Sekretion« versehenes Organ, ähnlich wie der Plexus choroideus und ferner gleich dem Plexus von einschneidender Bedeutung für die physiologischen Vorgänge im zentralen Nervensystem selbst. Was die Verbreitung der Hypophysenprodukte in das zentrale Nervensystem hinein anbetrifft, Phys.-math. Abh. 1913. Nr. 1. 4 26 Eopwın E. GoLDpMmaAnNn: eine Tatsache, die Edinger in neuerer Zeit durch Injektionsversuche fest- gestellt hat, so ist dieses Eindringen der Stoffwechselprodukte, wie mir aus den Abbildungen Edingers hervorzugehen scheint, auf dem Umwege der an der dorsalen Hypophysenfläche gelegenen Zisterne zu erklären. Endlich noch die wichtige Tatsache, daß auch das Hypophysenepithel, ebensowenig wie dasjenige des Plexus, unsere vitalen Farbstoffe in die Zerebrospinalflüssigkeit gelangen läßt. Damit bin ich an den Kardinalpunkt meiner Untersuchungen gelangt. Erlaubt die vitale Färbung Rückschlüsse auf die sekretorische Tätigkeit der Plexuszellen? III. Über die bisherigen Untersuchungen morphologischer und rein phy- siologischer Natur (Petit, Gerard, Capelletti, Cavazzini, Reich- mann, Meeks u.a.), die die sekretorische Tätigkeit der Plexuszellen zum mindesten als höchst wahrscheinlich erscheinen lassen, ist so häufig be- richtet worden, daß ich eine abermalige Aufzählung der betreffenden Ar- beiten unterlasse, wobei ich auf die Zusammenstellung von Blumenthal, vor allem aber auf die ausgezeiehneten Vorträge von Mott über die Zere- brospinalflüssigkeit hingewiesen haben möchte. Ich beschränke mich auf die Mitteilung der durch Halliburton und Dixon gefundenen Tatsache über die sekretionstreibende Wirkung von Salzwasserextrakten, die aus lem Plexus ehorioideus von Menschen und verschiedenen Tieren hergestellt waren. Flößte man ein solehes ı prozentiges Extrakt einem Versuchstier intravenös ein, so konnte man schon nach wenigen Sekunden eine rasche Absonderung von Zerebrospinaltlüssigkeit beobachten, welche ganz allmäh- lich sistierte. Die wirksame Substanz ist in verdünntem und absolutem Alkohol löslich. Ähnliche, aber schwächere sekretionstreibende Wirkungen haben Halliburton und Dixon mit Extrakten der weißen und grauen Nervensubstanz erreicht, mit Extrakten anderer Körpergewebe, ja selbst mit solchen der Hypophyse, jedoch nicht. Von morphologischen Veränderungen am vital gefärbten Plexusepithel sowie von Begünstigung oder Hemmung der Vitalfärbung an demselben kann ich an dieser Stelle etwas Bestimmtes noch nicht mitteilen. Experi- mente nach dieser Richtung sind im Gange, von denen ich an anderer Stelle Genaueres zu berichten haben werde. Ich möchte in dieser Arbeit me nen re a ee ee ww u Tr Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 27 allein darauf Nachdruck legen, daß trotz intensiver Blaufärbung des Plexus ein Übertritt des Farbstoffes in die Zerebrospinalflüssigkeit nicht erfolgt. Haben wir es hier mit einer Wirkung von seiten des Plexus zu tun, welche derjenigen einer »physiologischen Grenzmembran« entspricht? Zur Beant- wortung dieser Frage wird es zunächst von Bedeutung sein, zu untersuchen, in welcher Weise anderweitige, im Blute gelöste Substanzen sich verhalten, und vor allem festzustellen, ob dieselben in die Zerebrospinalflüssigkeit übertreten. Bekanntlich existiert über diese Frage eine außerordentlich ausgiebige Literatur. Ich verweise hierbei auf die klassischen Untersuchun- gen von Widal und Sicard, auf diejenigen von Jacob, Lewandowsky, Dirksen u. a. und auf die allerneuste Zusammenstellung über diesen Gegenstand von Rotky. Ich begnüge mich, einige prägnante Stellen aus der Arbeit von Sicard anzuführen (S. 58): »Chez tous nos malades para- lytiques generaux ou tabetiques soumis therapeutiquement & les doses ele- vees diiodure de potassium (10 A ı2 grammes) ou de bleu de methylene (0,5 & 1,0 grammes), soit par ingestion, soit par injeetion sous-cutanee; jamais nous n’avons pu deceler dans le liquide eephalorachidien trace d’io- dure de potassium ou de bleu de methylene en nature ou a l’etat de chro- mogene. « Experimente an Tieren haben das gleiche ergeben. »L’inoeulation de doses elevces sous-cutanees et intraveineuses d’io- dure de potassium (2, 3 et 4 grammes chez des chiens de 8ä ıo kilo- grammes), doses m&me suffisantes dans trois cas pour amener la mort des chiens, n’a jamais permis de retrouver ce corps dans le liquide cephalo- rachidien de ces animaux. Les resultats ont ete egalement negatifs, quand nous avons recherche avec M. Widal chez nos animaux (apres inoculations sous-cutanees A doses repetees et prolongees de cultures typhiques) les proprietes agglutinatives. Elles etaient excessivement developpees dans le serum de nos chiens, elles existaient, A un taux moindre, dans les serosites pericardique, pleurale, peri- toneale, elles manquaient totalement dans leur liquide cephalorachidien.« In ähnlicher Weise haben die Untersuchungen von Lewandowsky, Bendix u.a. das vollständige Fehlen von Alexinen in der Zerebrospinal- tlüssigkeit ergeben. Auch in neuester Zeit hat Rotky an gesunden und kranken Menschen nachweisen können, daß Jod, Quecksilber, Brom und Salizylsäuresalze in die Zerebrospinalflüssigkeit nicht übergehen. Ebenso 4* 28 Epwın E. GoLpmann: kann der Durchtritt von pathologisch in der Blutbahn zirkulierenden Sub- stanzen, wie Bilirubin bei lang bestehendem Ikterus, in die Zerebrospinal- flüssigkeit ausbleiben. Um so bemerkenswerter muß es erscheinen, daß sehon unter normalen Verhältnissen Substanzen wie Urobilin, Chloroform, Urotropin in die Zerebrospinalilüssigkeit übergehen. Worauf beruht nun dieses sonderbare, von allen sonstigen Körper- tlüssigkeiten abweichende Verhalten des Liquor cerebrospinalis? Handelt es sich tatsächlich um eine Impermeabilität der Hirn- und Rückenmarks- häute für blutgelöste Substanzen? Da unter gewissen pathologischen Ver- hältnissen — ich erinnere hier an Diabetes, die Urämie, vor allem an die tuberkulöse Meningitis — auch in die Zerebrospinalflüssigkeit künstlich in die Blutbahn eingeführte und pathologisch gebildete Substanzen übergehen können (Dircksen, Sicard, Rotky, Appelt, Capka, Mott u. a.), so hat man in solchen Fällen von einer »Permeabilität« der Meningen gesprochen. Es scheint mir, daß für eine solehe Annahme genügende Beweisgründe fehlen. Wie sollten wir es uns erklären, daß bei akuten und postluetischen Meningitiden in der Regel die Meningen impermeabel und selbst bei tu- berkulöser Meningitis ihre Permeabilität eine ganz inkonstante ist. (Die genaue Literaturübersicht bei Capka.) Wie einfach löst sich das Rätsel, wenn wir an die Stelle der Permeabilität der Meningen die Permeabilität des Plexusepithels setzen. Von großer Bedeutung für unsere Frage sind die interessanten Untersuchungen Schmorls, welche ergeben haben, daß (S. 291) »eine Anzahl von Stoffen, die gelöst im Blut vorhanden und in die Spinalflüssigkeit übergegangen waren, in der Mehr- zahl der Fälle, in der Ventrikelflüssigkeit nicht gefunden wer- den konnten.« Eine Aufklärung über diesen höchst auffallenden Befund gab die genauere Untersuchung der Ausnahmefälle, d. h. derjenigen, in denen diese Stoffe sowohl in der Spinaltlüssigkeit, als auch in der Ven- trikelflüssigkeit vorhanden waren.« Bei allen diesen Fällen waren mehr oder minder schwere Veränderungen an den Plexus cho- roidei nachweisbar. Die pathologischen Befunde am Plexus waren aus- gedehnte tuberkulöse Erkrankungen des Plexus neben tuber- kulöser Meningitis, Verfettung des Epithels bei Phosphorvergiftung, entzündliche Infiltrationen des Plexusgewebes u. a. Schmorl zieht aus seinen Untersuchungen den Schluß, daß den Plexus choroidei und den sie und die Wände der Hirnventrikel über- Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 29 ziehenden Epithelien, die Funktion zukommt, den Übergang ge- wisser im Blut enthaltender Stoffe in die Ventrikelflüssigkeit hintanzuhalten, daß demnach die normale Beschaffenheit dieser Epithe- lien maßgebend für die normale Beschaffenheit der Ventrikelflüssigkeit ist, die man schon längst als Sekretionsprodukt des Plexus betrachtet hat. Kehren wir nunmehr zu den Ergebnissen unserer vital färberischen Experimente zurück, so scheinen auch diese nur eine Deutung zuzulassen. Tatsächlich haben wir festgestellt, daß die vitalen Farbstoffe in allen Kör- perflüssigkeiten zur Ausscheidung gelangen, mit alleiniger Ausnahme der Zerebrospinalflüssigkeit. Aber auch der Übertritt in die Zerebrospinal- flüssigkeit kann ausnahmsweise statthaben, wenn das Tier durch eine toxische Dosis vergiftet wird. Jedenfalls wird der Farbstoff, selbst wenn er in beträchtlicher Menge in der Blutbahn zirkuliert, allein in den Gra- nulis der Plexuszellen und der Hypophysenepithelien sowie in denjenigen der Pyrrolzellen gespeichert. Auch bei reichlicherer Speicherung in den Plexus- epithelien fehlen alle nervösen Reiz- oder Ausfallssymptome. Die Annahme, daß die Plexuszellen es sind, die den Übertritt der vitalen Farbstoffe in die Zerebrospinalflüssigkeit verhüten, wird nicht unwesentlich durch unsere Glykogenstudien an dem fötalen Nervensystem und durch unsere Erfahrungen an der Plazenta gestützt. Wie wir ausführlich dargetan haben, hat während des fötalen Lebens einzig im Gebiete des Plexus chorioidei eine Sekretion des Glykogens stattgefunden. Von den Ventrikeln aus gelangen die Glykogen- tropfen auf dem Wege der Zerebrospinalflüssigkeit zur allgemeinen Ver- teilung in das Nervensystem. Die Plexuszelle ist es hinwiederum (ich sehe von der Pyrrol- und Hypophysenzelle ab), die einzig unter den Zellformen des Nervensystems den vitalen Farbstoff speichert. Genau die gleichen Verhältnisse haben wir an der Plazenta beobachtet, wo auch spezifische fötale Zellen, die die Glykogenzufuhr für den wachsenden Fötus regulieren, die vitalen Farbstoffe derart speichern, daß ihnen der Übertritt in das Fruchtwasser verhindert wird. Wie mächtig dieser Schutz ist, haben meine Zyanosinversuche erwiesen. Demgemäß sind wir, wie bei der Plazenta, auch beim Nervensystem berechtigt, von einer »physiologischen Grenz- membran« zu sprechen, deren Wirksamkeit auf dem vitalen Zellmechanis- mus der Plexuszellen beruht. Nicht besondere Gefäßeinrichtungen oder Ge- fäßalterationen der Meningen sind es, die in der Norm den Übertritt von blutgelösten Substanzen verhüten oder begünstigen, sondern die jeweilige 30 Epwıv E. GoLpmann: physiologische oder pathologische Verfassung der Plexuszellen. Gerade unsere Erfahrungen mit den in den Meningen in wechselnder Menge an- zutreffenden Pyrrolzellen zeigen wiederum auf das deutlichste, wie die »Permeabilität« der Meningen für unsere Farbstoffe vom Gefäßap- parat unabhängig ist und allein von dem spezifischen Selektions- vermögen wohl differenzierbarer Zellformen beherrseht wird. Was nun speziell den Gefäßapparat anbetrifft, so habe ich auch im Ner- vensystem Imbibitionserscheinungen mit unseren Farbstoffen an der Gefäß- wand beobachtet, und zwar in Gestalt von spezifischen Färbungen an ihren elastischen Wandelelementen. Dessenungeachtet findet ein Durchtritt der Farbstoffe nicht statt. Es ist nun von größtem Interesse, daß Evans und Meceurdy auch für das Nervensystem eine Bestätigung unserer allge- meinen Erfahrungen gebracht haben, daß die Impermeabilität der Gefäß- wand für vitale Farbstoffe aufgehoben wird, wenn ihr absterbende Ele- mente anlagern. Es tritt dann an der degenerierten Nervenzelle genau wie an der zugrunde gegangenen Leber- und Nierenzelle eine diffuse Proto- plasma- und eine distinkte Kernfärbung auf. Ein helleres Licht in das Dunkel dieser Erscheinungen sowohl, wie auch ganz besonders in dem rätselhaften Schutz, der für das Nervensystem von der Plexuszelle ausgeht, werden die nunmehr zu beschreibenden Ver- suche werfen, deren Zweck es gewesen ist, das Verhalten und insbeson- dere die pharmakodynamische Wirkung unserer Farbstoffe zu bestimmen, wenn dieselben auf dem Wege der Zerebrospinalflüssigkeit dem Nerven- system zugeführt werden. IV. Versuche dieser Art sind außer mit Farbstoffen bekanntlich mit chemi- schen Substanzen mannigfachster Art schon unternommen worden. Ich brauche nur an die grundlegenden Arbeiten von Pasteur, Quincke, Bier, Widal, Sieard, Bruno, Jacob, Lewandowsky u.a. zu erinnern. Im wesentlichen wurden derartige Versuche von folgenden Fragestellungen be- herrscht. ı. Besteht ein Unterschied in der pharmakodynamischen Wirkung der zu untersuchenden Substanz, je nachdem sie von der Blutbahn oder dem Subarachnoidialraum dem Nervensystem zugeführt wird? 2. Wo ist der Angriffspunkt für die Wirkung solcher Substanzen zu suchen, in dem rar ve Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 31 Nervensystem, den Wurzeln oder den Nervenzellen? 3. Gibt die sub- arachnoideale Farbstoffinfusion a) über die Strömungsverhältnisse, b) die Resorptionsbedingungen, e) die Abflußwege der Zerebrospinalflüssigkeit einen Aufschluß? 4. Erlangen wir bestimmtere Kenntnis über die Herkunft und Funktion der Zerebrospinalflüssigkeit unter normalen und pathologischen Bedingungen, ist sie eine Lymphflüssigkeit? Zur Beantwortung aller dieser Fragen vermag die subarachnoideale Injektion von Vitalfarben einen Beitrag zu liefern, wie nunmehr gezeigt werden soll. Ich möchte von vornherein erwähnen, daß meine Unter- suchungen aus äußeren Gründen nur im beschränkten Umfange stattfinden konnten, ich hoffe jedoch, daß sie, ungeachtet ihrer Unvollständigkeit, Andere, welche unter günstigeren Verhältnissen arbeiten können als ich, veranlassen mögen, die Versuche fortzusetzen. l. Meine Experimente sind nun an Kaninchen und Hunden derart aus- geführt worden, daß die subarachnoideale Injektion des Farbstoffes entweder vom Lumbalsack oder von der Schädelhöhle aus unternommen wurde. Bei der Applikation vom Schädel aus habe ich die Trepanationsöffnung an dem Seitenwandbein angelegt und die Injektion der Farbstofflösung in der Regel erst vorgenommen, wenn aus der subdural eingeführten Nadel Zerebrospinal- flüssigkeit abtropfte. Ich habe sorgfältig jede Verletzung des Gehirns ge- mieden. Daß mir dies in der Tat gelungen war, bewies ausnahmslos die später vorgenommene Autopsie. Schwieriger gestaltet sich die subarach- noideale Injektion am Lumbalsack, insbesondere bei Kaninchen. Es ist dies eine technische Schwierigkeit, die allen Untersuchern auf diesem Ge- biete nur zu bekannt ist. Anfangs suchte ich dieselbe durch eine Laminek- tomie zu überwinden. Ich überzeugte mich jedoch, insbesondere bei Ka- ninchen, daß für die Art meiner Versuche die Voroperation bei den Tieren zu eingreifend war. Ich habe aus diesem Grunde auch die einfache Haut- inzision über dem Hiatus Lumbosacralis, mit stumpfer Durchtrennung der Rückenmuskulatur und Freilegung der Wirbelsäule verlassen, wie sie Klose und Vogt empfohlen haben, zumal da ich allmählich eine Übung darin erlangte, durch eine freie Punktion direkt in den Lumbalsack mit meiner Nadel zu gelangen. Hierbei kam es mir sehr zu statten, wenn ich jüngere Tiere, bei denen an den Ligamenta interspinalia und intervertebralia eine 32 Epwın E. GoLpmann: Verknöcherung noch nicht begonnen hatte, zu meinen Untersuchungen wählte. Die Tiere wurden narkotisiert und die Punktion bei ihnen an stark nach hinten ausgebogener Wirbelsäule vorgenommen. Die punktie- rende Hand spürte im übrigen den Eintritt der Nadel in den Lumbalsack sofort daran, daß selbst bei dem tief narkotisiertem Tier im Augenblick des Eindringens eine blitzartige Zuckung in den unteren Extremitäten er- folgte. Ich habe schließlich nach erlangter größerer Erfahrung darauf ver- zichtet, durch die eingeführte Nadel ä tout prix Zerebrospinalflüssigkeit zu aspirieren, konnten doch die Ergebnisse meiner Versuche darüber einen Zweifel nicht aufkommen lassen, daß die Injektion der Farbstoffe tatsächlich in den subarachnoidealen Raum gelangt war. Bei der Dosierung der Farb- lösung wurden selbstverständlich die von Heineke und Laewen zuerst gegebenen Regeln genau befolgt. Wir haben also bei Kaninchen mit Bruch- teilen eines Kubikzentimeters einer $— ı prozentigen T'rypanblaulösung begonnen. Da, wo es uns nicht allein auf die Bestimmungen von toxi- schen Grenzwerten unsrer Lösung ankam, haben wir auch größere Flüssig- keitsmengen angewandt. Dies geschah insbesondere bei Hunden, wenn von einer 'Trepanationsöffnung des Schädels aus die Einspritzung vorge- nommen wurde. Hier mußte ich bei mittelgroßen Hunden bis 2,5 cem einer I prozentigen Lösung injizieren, um eine Aufklärung darüber zu ge- winnen, auf welchem Wege die Abströmung der Zerebrospinaltlüssigkeit erfolgt. Am eklatantesten fielen die Versuche über die pharmakodynamische Wirkung subarachnoidealer, injizierter Trypanlösung beim Kaninchen aus. Die Ergebnisse der einzelnen Versuche waren derart einförmig, daß ich darauf verzichten kann, Protokollserien in großer Ausführlichkeit mitzuteilen. Schon bei der Lumbalinjektion von 0,5 ccm einer 0,5 prozentigen Trypan- blaulösung konnte man folgendes Krankheitsbild beobachten. Zunächt lagen die hinteren Extremitäten des Tieres ausgestreckt, wie gelähmt, da. Dann fingen in denselben klonische Zuckungen an, die sich rasch über den Rumpf nach den vorderen Extremitäten ausbreiteten. Das Tier erwachte häufig mit einem Schrei aus der Narkose, versuchte sich auf die Füße zu stellen, um in rasender Flucht sich fortzubewegen. Stieß es an einen Gegenstand an, so machte es halt, der Kopf wurde durch einen opisthotonischen Krampf steif nach hinten oder umgekehrt durch einen emprosthotonischen nach vorn geworfen. Das Tier verlor das Gleichgewicht und fiel um. Es Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 33 traten Rollbewegungen mit heftigen Krampfzuständen an den Extremi- täten, der Gesichts- und Kaumuskulatur auf. Erschöpft sank das Tier zurück, um nach wenigen Sekunden von neuem, durch Krampfzustände unterbrochen, Fluchtbewegungen zu versuchen, wobei die hinteren Extremi- täten nachgeschleppt wurden. Diese Erscheinungen währten je nach der an- gewandten Dosis 20—30 Minuten. Dann verfiel das Tier in ein tiefes Koma, sämtliche Reflexe waren erloschen. Puls und Atmung, beide zwar be- schleunigt, gingen noch weiter und sind von mir bis 9 Stunden nach ein- getretenem Koma beobachtet worden. In der Regel tritt jedoch der Tod zeitiger ein, insbesondere, wenn größere Dosen des Mittels angewandt werden. Die Wirkung beim Kaninchen ist die gleiche, je nach dem die Injektion vom Gehirn oder Rückenmark aus gemacht wird. Eine besonders charakte- ristische Änderung in der Reihenfolge der Erscheinungen, ausgenommen natürlich die lokalen Erscheinungen an den hinteren Extremitäten, habe ich nicht gesehen. Um gleich schwere Bilder, wie vom Lumbalsack aus, zu erzeugen, scheint es, als ob man bei der Injektion vom Schädel aus etwas höhere Dosen brauchte. Ich möchte jedoch hierauf kein zu großes Gewicht legen, da selbstverständlich bei Tieren verschiedenen Alters, ver- schiedenen Gewichts usw. individuelle, unbestimmbare Differenzen bestehen können. Jedenfalls haben wir für das Kaninchen mit aller Sicherheit die bemerkenswerte Tatsache feststellen können, daß eine einmalige, ja selbst eine in Zwischenräumen von 24—48 Stunden ausgeführte zweimalige intravenöse Injektion von 30—50 ccm einer Iprozentigen Trypan- blaulösung vertragen wird, ohne daß die geringsten Nerven- erscheinungen klinisch beobachtet werden, während schon die subarachnoideale Injektion von 0,5 eem einer O,5prozentigen Lösung den Tod des Versuchstieres unter dem akuten Ausbruch der schwersten Reiz- und Ausfallssymptome des Nervensystems herbeiführen kann. Da meine Experimente mit der Lumbalinjektion von Trypanlösung beim Hunde nicht so einförmig verlaufen sind wie beim Kaninchen, will ich nur von jenen berichten, bei denen die Trypanblaulösung unter die Dura mater cerebri gebracht wurde. Benutzte ich schwache Lösungen, etwa 0,5 Prozent und nur geringe Mengen hiervon bis zu I cem, so traten wohl vorübergehend einseitige Krampferscheinungen der Gesichtsmusku- latur auf, das Tier erholte sich aber bald davon, und schien später un- Phys.-math. Abh. 1913. Nr. 1. 5 34 Epwın E. GoLpmann: gestört. Ich habe in einzelnen Fällen von der angelegten 'Trepanations- öffnung aus die Injektion kleiner Dosen in Zwischenräumen von 6 bis 8 Tagen wiederholt, abermals mit dem gleichen Erfolge, ohne dauernde Schädigung. Solche Versuchstiere habe ich zu weiteren Studien über lokale Schädigungen im Gehirn und vor allem zum Studium von artefiziell er- zeugten Entzündungen und Blutungen verwandt. Ein schweres Krankheitsbild. habe ich beim Hund erst erzeugt, als ich 2—2,5 ccm einer ıprozentigen Lösung subarachnoideal infundierte. Selbstverständlich habe ich diese große Flüssigkeitsmenge bei denkbar ge- ringstem Druck und nur ganz allmählich eingespritzt. Im Laufe der In- jektion trat einmal Atmungsstillstand ein, so daß künstliche Atmung ein- geleitet und die Injektion für einige Minuten unterbrochen werden mußte. Das Tier erholte sich bald und empfing die volle Dosis. Es lebte von 4 Uhr nachmittags bis 9 Uhr vormittags des nächsten Tages. Puls und Atmung blieben regelmäßig, aus einem tiefen Koma ist es jedoch nicht erwacht. Die gleich nach dem Tode vorgenommene Autopsie ergab das bald genau zu schildernde Bild am zentralen Nervensystem, welches beim Hunde in nichts von dem am Kaninchen abwich. Solche extremen Ver- suche am Hunde mit Dosen von 2—2,5 cem einer I prozentigen Lösung habe ich mehrfach mit dem eben geschilderten und in der gleichen Zeit- folge eingetretenen Ausgange ausgeführt. Es ist mir aber hierbei aufge- fallen, daß die Tiere aus der Narkose zunächst wie Gesunde erwachen, sogar herumspringen können, um dann unverhältnismäßig rasch und un- vermittelt komatös zugrunde zu gehen. Da, wo es darauf ankommt, die ganz allmähliche Ausbreitung des Farbstoffes am zentralen Nervensystem intravital, und zwar makro- skopisch wie mikroskopisch zu verfolgen, erscheint mir der Hund ein geeigneteres Versuchstier zu sein wie das Kaninchen. Sehr auffallend ist mir, daß beim Hunde die motorischen Reizerscheinungen, die durch den Farbstoff ausgelöst werden, keineswegs sich mit denen beim Kanin- chen vergleichen lassen. Ich brauche kaum zu erwähnen, daß vom Hunde intravenös weit größere Mengen der Farbstofflösungen schadlos vertragen werden als vom Kaninchen. Am ehesten sind unsere Versuche denen von Lewandowsky vergleich- bar, bei welchen Ferrozyannatriumlösung in wechselnder Konzentration ver- wandt wurde. Im allgemeinen riefen wenige subarachnoideal injizierte Zen- Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 35 tigramme von Ferrozyannatrium beim Kaninchen schwere, unseren oben geschilderten außerordentlich ähnliche Krankheitsbilder hervor, während die intravenöse Injektion der hundertfachen Menge Ferrozyannatriums fast schadlos ertragen wurde. Ähnlich lauten die Angaben Brunos für die intrazerebrale Injektion der gleichen Substanz (S. 37). »Es liefert also hier eine sonst für den Kreislauf indifferente chemische Substanz bei der Gehirninjek- tion ein Vergiftungsbild, welches durch zerebrale Reiz- und Läh- mungserscheinungen und tiefe Großhirnnarkose ausgezeichnet ist, und das ebenfalls wie beim Morphium den Tod des Versuchs- tieres herbeiführt.« Dem Ferrozyannatrium verhielt sich ähnlich das Methylenblau. Vom Kreislauf aus wurde ein Kaninchen erst getötet nach der Injektion von 30 cem einer 5prozentigen Lösung, während ein + cem dieser Lösung bei der Injektion ins Gehirn genügte, um ein sofort einsetzendes tödliches Vergiftungsbild zu erzeugen (S. 371). Nach den genauen Versuchen Lewandowskys, die, was die Differenz in der Wirkung intravenöser und subarachnoidial injizierter Substanzen an- betrifft, mit den unsrigen vollauf übereinstimmen, lassen sich prinzipielle Gegensätze zwischen intrazerebraler und subarachnoidealer Appli- kation, wie sie Bruno betont hat, nicht mehr aufrecht erhalten. Es scheint, (laß allerdings bei direkter Injektion ins Gehirn und Rückenmark geringere Dosen größere Effekte auslösen, als wenn sie subarachnoideal appliziert wer- den (vgl. u. a. die genauen Angaben von Sicard für Morphium, Kokain usw.). Dies ändert jedoch an der nunmehr hundertfach von den verschiedensten Autoren bestätigten Tatsache nichts, daß Substanzen, welehe vom Blute aus nicht oder wenig wirksam sind zu den heftigsten Erscheinungen Anlaß geben können, wenn sie intrazerebral oder subarachnoideal appliziert werden. Das gleiche Verhalten unseres vitalen Farbstoffes ermöglicht es uns der zweiten Frage näher zu treten, wie diese differente Wirkung zustande kommt. Hierüber gibt die Verteilung des Farbstoffes nach seiner subarachnoidealen Injektion Aufschluß, eine Verteilung, die wir mikro- und makroskopisch auf das ge- naueste verfolgen konnten. 2 Ich sehildere zunächst den Befund bei Kaninchen, denen 0,5 cem einer 0,5 und ı prozentigen Trypanblaulösung in den Lumbalsaeck injiziert worden ist. ax 9) 36 Epwıvn E. GoLpmann: Für das genauere Studium der durch die Vitalfarben bedingten Veränderungen des zentralen Nervensystems liegen die Verhältnisse am günstigsten, wenn die Versuchstiere den Eingriff möglichst lange überleben. In einzelnen Fällen wurde das Tier erst 12-—ı14 Stunden nach der Injektion getötet. Für histo- logische Untersuchungen sind nur lebenswarme, in 1oprozentiger Formalin- lösung fixierte Präparate verwandt worden. Unmittelbar nach der Tötung des Tieres wurde Gehirn und Rückenmark samt den austretenden Wurzeln bis jenseits des Spinalganglions freigelegt. Desgleichen sind vor allem der Opti- eus mit dem Bulbus und der Nervus olfactorius mit der Nasenschleimhaut frei präpariert worden. Das makroskopische Bild war ein über Erwarten erstaunliches (Taf. III, au.b). Es fand sich das Rückenmark in seiner ganzen Ausdehnung tiefblau gefärbt. Die Färbung der Wurzeln war zwar eine viel hellere, doch ließ sich dieselbe bis jenseits des Spinalganglions deutlich verfolgen. Eine dem Rücken- mark völlig gleichende Tinktion war an dem Hirnstamm wahrzunehmen, nur die Hemisphären des Kleinhirns trugen ein helleres Kolorit. Besonders tief war die Färbung an dem basalen Hirnabschnitt. Hier erstreckte sich dieselbe einerseits entlang den beiden Optiei bis zur Korneoskleralgrenze, anderseits mit den beiden Olfaetorii bis zum Bulbus, ja bis in die Nasenhöhle hinein. In lebhaftem Kontrast hierzu standen die Großhirnhemisphären, die an ihrer Konvexität ganz blaß erschienen. Nur entlang den größeren von der Basis zu der Hirnobertläche ziehenden Blutgefäßen konnte man mehr oder weniger breite blaue Streifen erkennen. Dieser Befund wurde ausnahmslos in jedem Falle erhoben, in dem das Tier unter den oben beschriebenen Krankheitser- scheinungen verendete. Nur ganz vereinzelt, und zwar bei der Anwendung von größeren Flüssigkeitsmengen, konnte ich auch außerhalb der Gehirn- und Rückenmarkshöhle bei dem Tiere eine Färbung nach- weisen. Dieselbe stellte sich als ein blauer Strich im Verlaufe der die großen Halsgefäße einschließenden Gefäßscheiden dar. Ich will gleich erwähnen, daß auch die genaue mikroskopische Untersuchung, weder an der Leber, noch an der Niere eine Blaufärbung erkennen ließ. Wäre der Farbstoff von der Lymph- oder Blutbahn aufgenommen worden, so wäre seine Ausscheidung durch die Niere rasch erfolgt. Beim Kaninchen änderte sich am makroskopischen Bilde nichts Wesent- liches, wenn die subarachnoidiale Injektion vom Schädel aus erfolgt war, nur trat in diesen Fällen eine Blaufärbung auch an den Großhirnhemisphären en u Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 37 auf, wobei auf der injizierten Seite die Färbung eine lebhaftere sein konnte als auf der gesunden. Ging das Tier nach der Injektion zugrunde, so war stets die Färbung des Rückenmarks bis zum Conus terminalis gleichmäßig und dunkel. Ich will gleich erwähnen, daß, wenn der Versuch in kürzerer Zeit unterbrochen wurde, also 1— 14 Stunden nach dem Auftreten der ersten Vergiftungserscheinungen, so war auch dann die Verteilung des Farbstoffes im Nervensystem genau wie ich sie soeben beschrieben habe. Ich erwähne endlich, daß eine Färbung sämtlicher Höhlensysteme des Gehirns und Rückenmarks nachweisbar war. Von dem in ıoprozentiger Formalinlösung fixierten und gefärbten Nervensystem fertigte ich Gefrierschnitte an, die ich teils ungefärbt, teils nach Gegenfärbung mit Alaunkarmin in der üblichen Weise zur histologischen Untersuchung konservierte. Um lange histologische Schilderungen zu ver- meiden, verweise ich auf Taf. II, Fig. 3, die ein vollständig getreues Bild eines Rückenmarksquerschnittes ohne Gegenfärbung gibt. Die Leptomeninx war diffus blau gefärbt. Sowohl an den Kommissuren als auch an den Gefäß- eintritten sowie allenthalben wo Piallamellen in die Substanz des Rücken- marks eintreten, sind die Fortsätze der weichen Rückenmarkshäute an ihrer blauen Farbe kenntlich. Aber nicht nur die groben Lamellen, sondern auch die feinsten Fäserchen zeigten bei der Betrachtung mit Immersionslinsen Blaufärbung. Besonders zierlich hob sich das Gitterwerk dieser Fäserchen von den größeren Gefäßstämmen und Kapillarästen ab. In vielen Fällen gelang neben einer Tinktion des Bindegewebes auch eine Vitalfärbung des gliösen Netzes, das die Nervenfasern in zartestem Maschenwerke umspinnt. Vielfach gingen diese Fäserchen direkt in Fortsätze »pluripolarer Gliazellen« über, (leren Kern »vitalblau« gefärbt war. Komplizierter als an der weißen Sub- stanz erschien die Färbung an der grauen. Hier hoben sich die diffus blau gefärbten Ganglienzellen des Vorder- und Hinterhornes von dem heller tingierten Netzwerk der Grundsubstanz scharf ab. Stets war der Kern der Ganglienzelle gefärbt. Bis weit von dem Zentrum der Zelle ent- fernt konnten ihre Fortsätze samt ihren zahlreichen und komplizierten Rami- fikationen verfolgt werden. Die Färbung der Ganglienzelle und ihres Zu- behörs war eine so distinkte, daß sie an einer isolierten Nervenzelle kaum deutlicher ausfallen könnte. Da, wo eine Kernfärbung vorhanden war, er- schien das Protoplasma der Zelle allemal diffus tingiert. Von einer Plasma- struktur war nichts zu erkennen (Taf. IV, Fig. a). 38 Epwın E. GoLpomann: Bei der Schilderung von Gehirnschnitten kann ich mich reeht kurz fassen. Auch hier begegnen wir wieder der Blaufärbung der » weichen Hirnhaut« und ihrer Fortsätze in die Gehirnsubstanz. An Stellen der Hirn- rinde, wo die Färbung eine intensivere war, ließen sich auch hier zuweilen »vital gefärbte« Gliafasern und Gliazellen erkennen. Vor allem aber traten auf das deutlichste die großen Pyramidenzellen mit ihren Ausläufern und ihren dunkelblau tingierten Kernen hervor. Wenn auch die Rinde makro- skopisch farblos erschien, konnte man doch mikroskopisch bis zur Markgrenze gefärbte Pyramidenzellen nachweisen. Analog am Kleinhirn leuchteten die großen, gefärbten Purkinjeschen Zellen hervor. Neben dem Bindegewebe waren stets Ganglienzellen, inkonstant dagegen Gliazellen und Gliafasern im Gehirn sowohl, als auch im Rücken- mark gefärbt, wenn das Versuchstier der toxischen Wirkung unserer Farb- lösung erlag. Beim Hunde haben wir makroskopisch die gleiche Verteilung des Farbstoffes wie beim Kaninchen gefunden, wenn eine größere den Tod des Tieres veranlassende Dosis von 2—2,5 cem der ıprozentigen Farb- lösung vom Schädel aus zur Anwendung kam. Beide Hemisphären, das ganze Rückenmark, Gehirn und Rückenmarksnerven bis zu den Spinalganglien waren in wechselnder Intensität gefärbt. Sonderbarer Weise habe ich beim Hunde vitale Gliafärbung, vor allem aber die sehr ausgedehnten Gang- lienzellfärbungen wie beim Kaninchen nicht gesehen. Niemals fehlten Ganglienzellfärbungen im 4. Ventrikel. Ich habe schon darauf hin- gewiesen, wie anders das Krankheitsbild beim Hunde sich darstellt als beim Kaninchen, wie vor allem beim Hunde jene schweren Krampfzustände fehlen können, welche für die Vergiftung des Kaninchens so überaus charakte- ristisch sind. Ich werde bei einer anderen Gelegenheit genauer über mikro- skopische Befunde am zentralen Nervensystem des, durch subarachnoideale Trypanblaueninjektion erkrankten Hundes berichten. Soweit ich die Ver- hältnisse bislang übersehe, scheint mir die rasche Wirkung hoher Dosen beim Hunde das Fehlen jener diffusen und ausgebreiteten Ganglienzell- färbungen zu erklären, die für das Kaninchen so überaus charakteristisch sind. Zu dieser Annahme veranlassen mich folgende Beobachtungen. Machte ich beim Kaninchen vom Gehirn aus gleichfalls eine Injektion einer hohen Dosis (I—1,5 eem einer ı prozentigen Lösung), so ging das Tier zwar unter den üblichen Krampferscheinungen, aber rasch zugrunde. Das makrosko- Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 39 pische Bild des zentralen Nervensystems war wieder das übliche, aber die Ganglienfärbung, z.B. im Rückenmark, war eine beschränktere, da- gegen eine intensivere in der Medulla oblongata. Anderseits habe ich am Hunde, bei dem durch die Applikation kleiner Dosen in den Lumbalsack klinisch kaum nachweisbare Krankheits- erscheinungen ausgelöst wurden, einige Tage nach der Injektion Unter- suchungen des schwach gefärbten Rückenmarks vorgenommen, die folgende bemerkenswerte Ergebnisse zutage gefördert haben. Bei schwacher Ver- größerung erschien die Substanz des Rückenmarks bis auf einzelne, bald genauer zu schildernde gefärbte Bindegewebszellen in der unmittelbaren Umgebung der Gefäße, ganz ungefärbt. Betrachtete man aber einen solchen Schnitt mit Immersionslinsen, so fand man an den großen Ganglienzellen der Vorder- und Hinterhörner Bilder, wie ich sie in Taf. IV, Fig. b dargestellt habe. Im ganzen Gebiete des Protoplasmas lagen feinste, vital gefärbte Granula. Diese Granula beschränkten sich nicht allein auf den Leib der Zelle, sondern sie ließen sich auch in die Fortsätze und deren Äste verfolgen. Sehr häufig traten ganze Granulahaufen an der Abgangsstelle solcher Fortsätze auf. Ich habe fast ausnahmslos an jeder Ganglienzelle, und wie ich gleich hervorheben will, ausschließlich an Ganglienzellen des ganzen Rückenmarksquerschnittes solche Granula ange- troffen. Zum Unterschiede von der Färbung der Ganglienzellen beim Kaninchen, haben wir es hier nicht mit einer diffusen Protoplasmafärbung, sondern mit einer diskreten Granulafärbung zu tun. Ferner fehlt hier eine Kernfärbung, ein sicherer Beweis dafür, daß die vitale Färbung an einer gesunden, und nicht an einer abgestorbenen oder abster- benden Zelle erfolgt ist. Nicht weniger bemerkenswert waren beim Hunde die Ergebnisse jener Versuche, bei denen kleine, vorübergehende Zuckungen auslösende Farb- stoffmengen in die zerebralen Intraarachnoidealräume gebracht wurden. Ich ließ solche Tiere erst mehrere Tage nach der Farbstoffinjektion töten. Was nun zunächst den makroskopischen Befund am Gehirn anbe- trifft, so zeigte es sich, daß bei der Applikation kleiner Dosen (0,5— 0,8 cem der ı prozentigen Lösung) die Blaufärbung sich auf eine Hemisphäre be- schränken konnte. Im wesentlichen trat die Färbung an der Konvexität der betreffenden Hemisphäre auf. Zuweilen überschritt sie die Mittellinie und breitete sich partiell auch über die Konvexität der anderen Hemisphäre 40 Epwın E. GoLpmaAnn: aus. Erst bei Injektionen größerer Farbstoffmengen ließen sich Färbungen beider Hemisphären erzielen. Hierbei breitete sich der Farbstoff auch auf die Gehirnbasis aus, ohne daß dieselbe die Medulla oblongata oder gar das Rückenmark erreicht hätte. Wie ich sehon erwähnte, war die diffuse Färbung des ganzen Nervensystems nur dadurch zu erzielen, daß Dosen von 2— 2,5 eem zur Anwendung kamen, denen die Tiere erlagen. Selbst- verständlich war auch beim Hunde, genau wie beim Kaninchen stets an den Hohlräumen des Gehirns und des Rückenmarks eine deutliche Färbung wahrnehmbar, wenn der Farbstoff eine allgemeine Verteilung über das gesamte zentrale Nervensystem erfahren hatte. In welcher Weise geschah nun die Ausbreitung des Farbstoffes, wenn eine geringe Menge desselben vom Schädel aus injiziert wurde und dem- entsprechend lediglich eine partielle Färbung an der Gehirnkonvexität ver- anlaßte? Hierüber geben wieder einen trefflichen Aufschluß mikroskopische Schnitte, die in der oben angegebenen Weise angefertigt wurden. Ich verweise den Leser auf Taf. IV c, die lange histologische Detailschilderungen überflüssig machen dürften. Zunächst erscheint wieder die Pia, samt ihren Fortsätzen in die Ge- hirnsubstanz hinein, tiefblau gefärbt. Neben diesen Pialsepten fesseln unsere Aufmerksamkeit in erster Linie die kortikalen Blutgefäße bzw. ihre Hüllen. Am eklatantesten lassen sich die zu beschreibenden Einzelheiten erkennen, wenn man ein großes Gefäß im Gehirnschnitte trifft, das, einem »Pial- triehter« entlanglaufend, an dessen Grunde sich in feinere und feinste Ästehen auflöst. Allenthalben werden die Gefäße von vital gefärbten Zellen begleitet, die eine überaus charakteristische Lage und Struktur auf- weisen. Zwischen der Nervensubstanz und der Gefäßwand findet sich je nach dem Kaliber des Gefäßes ein weiter, wechselnder Spaltraum. Die Wände dieses Spaltraumes sind von Zellen begrenzt, von denen die Mehr- zahl den vitalen Farbstoff gespeichert hat. Zuweilen gleichen diese Zellen den feinen Retikulumzellen der Lymphdrüsen, auch darin, daß sie feinste durch den vitalen Farbstoff blau tingierte Granula enthalten. Die größere Anzahl jedoch scheint der Gefäßwand direkt aufzuliegen. Ihr Proto- plasma ist in eigentümlicher Weise vakuolisiert, so daß sie ein blasig aufgetriebenes Aussehen gewinnen. Die Grenzleisten der Vakuolen sind blau gefärbt, der Kern der Zelle jedoch völlig ungefärbt. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß wir hier Zellbilder vor uns ne rue Vitalfärbung am Zentralnervensysiem. 41 haben, die den perivaskulären Scheidenraum der Gehirngefäße begrenzen, jenen Scheidenraum, von dem zuerst Key und Retzius und seither so viele andere Autoren den Nachweis erbracht haben, daß er in direkter Kom- munikation mit dem Intraarachnoidealraum steht. Könnte wohl in eindeu- tigerer Weise als durch die intraarachnoideale Injektion unseres Farbstoffes dieser Zusammenhang erwiesen werden, könnten ferner in klarerer Weise die Raumverhältnisse dieser perivaskulären Scheiden, als durch die vitale Färbung ihrer Wandelelemente zur Anschauung gebracht werden? Bei diesen Experimenten am Hunde habe ich am Gehirn eine Gan- glienzellfärbung nur in beschränktem Umfange beobachtet, vorausgesetzt, daß eine Läsion des Nervensystems nicht erfolgt war. Ebensowenig habe ich einen Übergang des Farbstoffes in den Ventrikel festgestellt. Das ganze Bild änderte sich jedoch unter pathologischen Verhält- nissen. Ich will an dieser Stelle nur in aller Kürze über Entzündungsver- suche und über Verletzungen am Gehirn, die zu intrazerebralen Blutungen führten, berichten, indem ich mir weitere Mitteilungen auf diesem Gebiete vorbehalte. Eine Entzündung erzeugte ich dadurch, daß ich bei Hunden die erste Trepanationsöffnung wiederholt freilegte und kleine Injektionen von Farblösungen unter Vernachlässigung aseptischer Kautelen vornahm. Das Tier wurde erst getötet, nachdem einige Tage seit der letzten Injek- tion verflossen waren. Einmal erlebte ich auch den spontanen Tod des Versuchstieres. Autoptisch fand sich dann eine meningeale Reizung, die am ausgesprochensten in der Gegend der Trepanationsöffnung war. Da die Hirnhäute tiefblau gefärbt waren, konnten die anatomischen Veränderun- gen derselben nur durch die mikroskopische Untersuchung festgestellt wer- den. Hierbei konstatieren wir nun die wichtige Tatsache (Taf. IV d), daß in der erheblich verdiekten Hirnhaut neben den ungefärbten, ge- lappt kernigen Leukozyten zahlreiche große mononukleäre Zellen sich fanden, in deren Protoplasma neben vital gefärbten Gra- nulis grobe diffus blau gefärbte Einschlüsse sich fanden. Diese Zellen gleichen in jeder Beziehung unseren mit Zerfallsproduk- ten beladenen Pyrrolzellen, deren »Makrophagennatur« ich ge- legentlich meiner Studien am Peritonaeum, der Milz und der Lymphdrüse so ausführlich dargelegt habe. Solche Makrophagen lagen jedoch nicht ausschließlich in dem subarachnoidealen Maschenwerk, sie konnten im ganzen Verlaufe der Pialtrichter bis weit in die Hirnrinde Phys.-math. Abh. 1913. Nr. 1. 6 42 Epnwın E. GoLDmann: verfolgt werden, und zwar als Begleiter jener Leukozyten, welche die perivaskulären Gefäßscheiden mehr oder weniger ausfüllten. Da, wo Er- weichungsherde sich gebildet hatten, fand man neben den Trümmern der zerfallenen, blau tingierten Nervensubstanz auch Ganglienzellen diffus ge- färbt mit dunkelblauen Kernen. Ganz analog ist die Rolle, die diese vitalgefärbten » Makrophagen « bei intrazerebralen Blutherden spielen. Auch hier läßt sich eine stärkere Ansammlung derselben zunächst in der weichen Hirnhaut, vor allem an den arachnoidealen Balken nachweisen. Entlang den Pialtrichtern wandern sie in die perivaskulären Gefäßscheiden, von denen sie zum Blutherde aus- schwärmen, genau in der gleichen Weise, wie ich es für Lebernekrosen an anderer Stelle beschrieben habe. Die Identität dieser vital gefärbten und vital färbbaren Makrophagen mit unseren Pyrrolzellen einerseits, mit den »Körnchenzellen« anderseits, erscheint mir nunmehr sicher. Ich komme hierauf noch näher zu sprechen. Ich möchte nur an dieser Stelle darauf hinweisen, daß schon unter normalen Verhältnissen diese Pyrrolzellen wie ich schon oben ausgeführt habe, Bewohner der Meningen sind. Ganz ähnlich wie an anderen serösen Häuten, so vor allem am Peritonaeum nehmen sie bei lokalen oder allgemeinen Reizzu- ständen an Zahl zu, sie gelangen in den freien Zerebrospinal- raum und folgen vermöge ihrer'hohen Lokomotionsfähigkeit dem Gebote selbst entfernt im zentralen Nervensystem wirken- der chemischer Reize, wobei sie in hohem Maße phagozytär tätig sein können. Meine histologischen Schilderungen muß ich noch mit einem kurzen Hinweis auf die Färbung der Hirn- und Rückenmarksnerven nach subarach- noidealer Injektion der vitalfärbenden Lösung vervollständigen. Ich erwähnte schon, wie bei derartigen Farbstoffinjektionen sich die Färbung am Opticus bis zur Korneoskleralgrenze, am Ölfactorius bis zur Nasenschleimhaut ver- folgen läßt. Der Kürze halber will ich allein die Verhältnisse am Optieus schildern. Von der dichten, dunkelblau gefärbten Pialscheide des Nerven lösen sich zahlreiche Fortsätze ab, welehe die Nervenbündel in Maschenräumen verschie- denster Weiten voneinander trennen. Alle diese Bindegewebslamellen sind blau gefärbt. Von besonderem Interesse erschien es mir, daß nicht nur diese gröberen Stützelemente die Färbung aufweisen, sondern häufig auch Netze u Te nn Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 43 feinster und zartester Fäserchen, die zur Gliafaserung des Opticus gehören. Wie ließ sich wohl klarer der Zusammenhang der den Optieus durchsetzenden Lymphkanäle mit dem allgemeinen Sub- arachnoidealraume nachweisen, als durch diese »vitale Injektion « der- selben? 3 Demgemäß ist die Verteilung meiner vitalfärbenden Lösung im zentralen Nervensystem bei ihrer Subarachnoidealinjektion durchaus ähnlich derjenigen, die für Ferrozyannatrium und Methylenblau von Bruno und Lewandowsky beschrieben worden ist. Da in unserem Falle durch die Speicherung der Farb- stoffe eine chemische Änderung derselben im Sinne einer Reduktion nicht zustande kommt, anderseits mikroskopische Gewebsschnitte des ge- färbten Nervensystems gemacht werden können, lassen sich klare Antworten darüber geben, wo der Angriffspunkt für die toxische Wirkung der Farbstoffe zu suchen ist und auf welchem Wege die Farbstoffe an diesen Angriffspunkt gelangen. Ich brauche kaum an dieser Stelle darauf hinzu- weisen, wie zahlreich die Arbeiten sind, die sich mit dem Problem beschäf- tigen, an welcher Stelle Nervengifte verankert werden. Unsere Vitalfarben (das haben wohl die Kaninchenversuche klar erwiesen) gelangen direkt an die Ganglienzellen, dringen in dieselben ein, und lösen zunächst Reizerscheinungen an denselben aus, welche bei der raschen Verteilung der Farbstoffe vom Lumbalsack aus bis zur Medulla oblongata und schließlich bis zum Großhirn sich als »Zuckungen einzelner Muskeln, allgemeine Krämpfe, auch als koordinierte, halb willkürlich erscheinende Bewegungen« dokumen- tieren (Lewandowsky S. 485). Sehr bald folgt dem Reizzustande die Läh- mung, welche dem Tode der Ganglienzelle gleichkommt. Hierbei durchdringt der Farbstoff das Zellprotoplasma und ruft jeneKernfärbung hervor, welche für Vitalfarben in der Tat das untrügliche Zeichen des Zelltodes darstellt. Wenn somit beim Kaninchen vermittels der Vitalfarben die Auf- einanderfolge der einzelnen Krankheitserscheinungen durch die morpholo- gischen Veränderungen an den Ganglienzellen auf das deutlichste sich ver- folgen läßt, so liegen schon beim Hunde die Verhältnisse viel komplizierter. Bei der Anwendung kleinerer Farbdosen, die klinisch kaum bemerkbare Krank- heitssymptome bedingen, bei denen auch später Ausfallserscheinungen aus- blieben, findet sich zwar der Farbstoff in den Ganglienzellen, aber wie ganz 6* 44 Epwiın E. GoLpmann: anders als beim Kaninchen. Anstatt diffuser Protoplasma- und Kernfärbung finden wir distinkte Granulafärbung, welche sich streng auf das Protoplasma der Ganglienzelle und seiner Fortsätze beschränkt. Dieses Verhalten der Ganglienzelle beim Hunde fordert geradezu zum Vergleiche mit demjenigen der Plexuszellen heraus. Auch an der Plexuszelle tritt eine ähnliche Granula- färbung nach der intravenösen Applikation des Farbstoffes auf, ohne daß die Plexuszelle eine Funktionsstörung erleidet. Sollte diese Speicherung des Farbstoffes in den Granulis der Ganglienzellen dieselben vor der deletären Wirkung des Farbstoffes schützen? Mit andern Worten besitzt die Ganglien- zelle des Hundes in ihren färbbaren Granulis Schutzstoffe, welche das Ein- dringen des Farbstoffes an den »Lebenskern« verhüten. Zu dieser Voraus- setzung würde durchaus die Tatsache passen, daß bei extremer Dosierung diese Schutzvorrichtung versagt, wie schließlich auch der vom Plexus für das gesamte Nervensystem ausgehende Schutz aufhört, sobald die toxische Dosis auf das Plexusepithel einwirkt. Solche und ähnliche Fragen harren noch einer endgültigen Lösung. Ich habe keinen Zweifel, daß vergleichende, bei verschiedenen Tieren auszuführende Versuche mit unseren Vitalfarben, zu ihrer Klärung einen wichtigen Beitrag zu liefern berufen sind. Daß ausgedehntere morphologische Veränderungen an den Ganglienzellen fehlen können, wenn die Vergiftung des Tieres sehr rasch zum Tode führt, darf nach unseren sonstigen Erfahrungen mit Vitalfarben einerseits, mit Ner- vengiften anderseits nicht wundernehmen. Ich erinnere u.a. an die von Klose und Vogt gesammelten Erfahrungen bei der Spinalanalgesie. »Deut- liche Zellveränderungen konnten wir aber erst an Tieren konstatieren, die nach drei Tagen bis zu einer Woche und mehr nach dem Eingriff untersucht wurden« (S. 771). Bei unseren Vitalfarben liegen die Verhältnisse zwar anders, aber auch hier muß das Tier einige Stunden den Eingriff überleben, um die ganze Serie derjenigen Veränderungen zu zeigen, welehe ich soeben beschrieben habe. Für das Eintreten des Todes ist ja auch nicht die Zahl der »vital gefärbten« Zellen entscheidend, vielmehr der Sitz derselben, genügt es doch, wenn die das Atmungszentrum konstituierenden Zell- gruppen dem toxischen Einflusse der Vitalfarben verfällt. Ließen sich nun auch Verschiedenheiten bei Hund und Kaninchen bezüglich der Aus- dehnung und Art der Ganglienzellenfärbung konstatieren, so bestand ander- seits Übereinstimmung bei beiden Tieren in dem Modus der Farbstoffzu- Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 45 fuhr zur Ganglienzelle selbst. Genau entsprechend den von Heineke und Laewen gewonnenen Erfahrungen bei der Lumbal-Anästhesie können wir für unsere Farbstoffe es aussprechen (S. 392), »daß der Verlauf der Ver- giftung bei der intraduralen Injektion in seinen Figentümlichkeiten nicht durch die Resorptionsgeschwindigkeit, sondern durch die direkte Wirkung des Giftes auf die Substanz des zentralen Nervensystems bestimmt wird. Erst durch den Kontakt mit den Zentralorganen wird dem Verlauf der Ver- giftung der charakteristische Stempel aufgedrückt. « Abgesehen davon, daß alle Resorptionserscheinungen für unsere Vital- farbstoffe fehlen — dieselben würden sich bekanntlich rasch in Färbungen der Nieren offenbaren — hat die mikroskopische Untersuchung auf das klarste erwiesen, auf welchem Wege die Farblösung durch die Zere- brospinalflüssigkeit direkt an die Ganglienzelle gelangt. Wie ungeheuer ausgedehnt und rasch die Diffusion selbst kleinster Farbmengen stattfindet, darüber belehren uns die Imbibitionserscheinungen an den Hirn- häuten, ihren feinsten intrazerebralen, intraspinalen und intraneuralen Fort- sätzen, sowie auch die Vitalfärbungen an den Gliazellen und Gliafasern. Angesichts dieser Bilder erscheint es mir um so rätselhafter, daß große Farbstoffmengen, welche bei der intravenösen Applikation in den Gehirn- gefäßen zirkulieren, selbst die feinste Kapillarwand nicht zu durchdringen vermögen, solange die »gliöse Grenzmembran« intakt ist, d. h. die Nerven- substanz in ihrer Vitalität nicht geschädigt ist. Erscheint es auf Grund unserer Erfahrungen mit Vitalfarben wahrscheinlich, daß eine Affinität der Kapillarzelle des Nervensystems notwendig ist, um bestimmte Stoffe an die Nervenzelle hindurch gelangen zu lassen? (Lewandowsky S. 486). Drängen nicht vielmehr alle von uns mit Vitalfarben gesammelten Erfahrungen zu der Annahme, daß der Übertritt derselben in die Zerebrospinalflüssigkeit durch die spezifische Funktion des Plexusepithels hintangehalten wird? Wird diese Hemmung des Plexus vermittels der Lumbalinjektion umgangen, dann ist das gesamte Nervensystem der Einwirkung unserer Farbstoffe preisgegeben. Was für unsere Vitalfarben somit erwiesen, scheint mir auch für Nervengifte eine allgemeine Bedeutung zu haben. Die Strychninwirkung, welche auch vom Blute aus ausgelöst wird, braucht nicht auf eine » Affinität der Kapillarzelle« des Nervensystems für Strychnin, wie Lewandowsky annimmt, zurückgeführt zu werden. Viel- mehr scheinen mir, in Analogie mit den oben geschilderten Erfahrungen, 46 Epwın E. GoLpmaAnNn: die Verhältnisse so zu liegen, daß das Strychnin je nach der angewandten Dosis das Plexusepithel mehr oder weniger schädigt, demgemäß in die Zerebrospinalflüssigkeit gelangt, von der es an die Orte seiner »spezifischen Affinität« geschwemmt wird. In diesem Sinne ist es daher auch durchaus verständlich, daß ein Zehntel der Giftmenge, subarachnoideal injiziert, ge- nügt, um bestimmte vom Blut aus erzielte Wirkungen des Strychnins her- vorzubringen. Daß beim Ferrocyannatrium, wie bei unseren Vitalfarben die »Differenz zwischen den auf dem Blut- und Subduralwege beigebrachten wirksamen Dosen« eine weit größere ist als beim Strychnin, erklärt sich aus der einfachen Tatsache, daß diese Substanzen keine nennenswerten toxischen Eigenschaften für das Plexusepithel besitzen. Absolut wird diese Frage erst zu lösen sein, wenn es uns gelingt, spezifische Degenerationen am Plexus hervorzurufen, ähnlich wie wir isolierte Läsionen der Leberzelle durch die Einwirkung des Ikterogens zu erzeugen imstande sind. (Vgl. meine zweite Monographie.) Noch ein Wort über den besonderen Ausbreitungsmodus unserer Farb- stoffe in makro- und mikroskopischer Beziehung. Ich habe ausführlich dargetan und auch bildlich illustriert, wie nach der Lumbalinjektion der Farbstoff das gesamte Rückenmark und den Hirnstamm besonders an seiner Basis, samt Optieus und Olfaetorius dunkel färbt, während die Großhirn- hemisphären nur eine streifenförmige Ausbreitung des Farbstoffes darbieten oder auch farblos erscheinen können. Hierbei kommt auch eine Färbung sämtlicher Hohlräume des zentralen Nervensystems zustande. Anderseits habe ich ausgeführt, wie bei der Injektion geringer Farbstoffmengen unter- halb der Dura mater cerebri die Färbung sich auf eine Hemisphäre be- schränken kann, ohne die Gehirnbasis, die Ventrikel oder den Zentralkanal zu erreichen. Alle diese Tatsachen erklären sich auf das einfachste, wenn man die klassischen Studien von Key und Retzius, vor allem deren Injektionsergebnisse an der Hand ihrer Tafeln berücksichtigt. Ich hebe dieses Cramer gegenüber hervor, der in neuerer Zeit vitale Injektionen mit Methylenblau bei Hunden ausführte, welche sich bezüglich der Verbreitung des Farbstoffes in vollster Übereinstimmung mit den meinigen befinden. »Die großen Subarachnoidealräume an der Basis des Gehirns, sind eine un- mittelbare Fortsetzung der Subarachnoidealräume des Rückenmarks« (S. 93 erste Hälfte. An der Basis des Gehirns finden sich die von Key und Retzius genau beschriebenen Ausweitungen des Subarachnoidealraumes, von en re a u nennt Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 47 ihnen als Zisternen beschrieben, welche auch die Dorsalfläche des ver- längerten Markes und des Mittelhirnes umgreifen. »Erst von den großen Basalzisternen aus gelangen Injektionsmassen zur Oberfläche der Großhirn- hemisphäre. Zuerst verlaufen diese Injektionsstoffe in der Tiefe der Furchen, vorzugsweise in der Umgebung der Blutgefäße, d. h. in den Subarachnoideal- kanälen derselben, dann steigt die Injektionsmasse mit den Gefäßen gegen die Oberfläche hinauf, allmählich auch die Umgebung derselben füllend « (S. 109). Ähnlich ist der Zusammenhang zwischen den Subarachnoideal- räumen an der Oberfläche der Kleinhirnhemisphären mit den benachbarten Zisternen der Hirnbasis. Für alle diese Tatsachen, sowie für die von Key und Retzius zuerst erwiesene Fortsetzung der Subarachnoidealräume in die Lymphkanäle der höheren Sinnesnerven und der peripheren Nerven, haben unsere » Vital- injektionen« einen neuen wichtigen Beleg geliefert. Desgleichen haben unsere mikroskopischen Untersuchungen, den von Key und Retzius gefundenen Zusammenhang der perivaskulären Räume des Gehirns und Rückenmarks mit Subarachnoidialräumen auf das sicherste dargetan. Für Studien dieser Art erweist sich die vitale Färbbarkeit der die perivasku- lären Räume auskleidenden Zellen als ein wichtiges histologisches Hilfs- mittel, zumal, wenn es sich darum handelt, die Fortsetzung dieser Räume in die »periganglionären« Gewebslücken zu verfolgen. Bekanntlich hat man bisher angenommen, daß jene intrazerebralen und intraspinalen Ausläufer des Subarachnoidealraumes, welche als weite perivaskuläre Lymphscheiden sich darstellen, blind enden, und zwar am Übergang der kleinsten Venen und Arterien in das Kapillargebiet. Schon Mott hat, insbesondere nach Unterbindung der großen Halsgefäße, in den Gehirnen der betreffenden Versuchstiere »periganglionäre« Gewebsspalten darstellen können, welche mit den perivaskulären Scheideräumen von Kapillaren direkt kommuni- zieren. Nach meinen Untersuchungen kann wohl gar kein Zweifel mehr bestehen, daß, wenn nach subarachnoidealer Farbstoffinjektion eine vitale Ganglienzellfärbung eintritt, der Farbstoff entlang den perivaskulären Schei- den bis direkt an die Ganglienzellen gelangt, und zwar auf jenen von Mott erwiesenen Bahnen. Es ist dies eine Tatsache von großer Bedeutung für die Entscheidung der wichtigen Frage, inwieweit die Zerebrospinalflüssig- keit die Lymphilüssigkeit des zentralen Nervensystems darstellt, eine Frage, auf die ich bald zurückkomme. An dieser Stelle habe ich nur zu betonen, 48 Epwın E. GoLpmann: daß in der Tat Stoffe, welche gelöst in die Zerebrospinalflüssigkeit ge- langen, mit ihr in die Pialtrichter, von deren feinen und feinsten perivas- kulären Ausläufern aus schließlich bis in die unmittelbare Umgebung der Ganglienzellen strömen, woraus hervorgeht, daß der Liquor in direktem Kontakt mit den Nervenzellen steht. Die Annahme, daß die peri- vaskulären Fortsätze der Pialtrichter als »Lymphräume« fungieren, gewinnt noch eine weitere Stütze in der Tatsache, daß die Zellen, welche diese Räume sowie auch die feinen, die Räume überquerenden Bindegewebs- bälkchen bekleiden, genau wie die Retikulumzellen in den Lymphdrüsen unsere Vitalfarbe in feinsten Körnehen speichern. Somit läßt sich zusammenfassend erklären: unsere vitalen Farbstoffe besitzen wohl eine Affinität zum Nervensystem, spe- ziell zu den Ganglienzellen. Bei der subkutanen oder intravenösen Appli- kation derselben können sie nicht in die Ganglienzellen gelangen, sie wer- den am Plexus gespeichert. Werden sie jedoch in die Zerebrospinalflüssig- keit gebracht, so vermögen sie sich durch das ganze Nervensystem aus- zubreiten, wobei sie ihre Toxizität an dem massenhaften Untergang von Ganglienzellen zu erkennen geben, in welche sie auf dem Wege der peri- vaskulären Fortsätze des subarachnoidealen Raumes, durch die Zerebrospi- nalflüssigkeit getragen werden. 4. Findet eine Resorption der Farbstoffe aus dem Subarachnoidealraume statt, gelangen sie zunächst in die Lymph- oder Blutbahnen, erfolgt die Resorption rasch oder langsam? Über diese Fragen haben meine Untersuchungen nur einen unvoll- kommenen Aufschluß gebracht, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der großen Toxizität der Farbstofflösungen wegen nur geringe Mengen derselben angewendet werden konnten. Die geringen Mengen verteilen sich im Nervensystem so rasch, blieben vor allem an seinen Strukturelementen in so ausgedehntem Maße haften, daß wohl nur äußerst kleine, durch die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden kaum nachweisbare Quantitäten den Subarachnoidealraum verlassen. Nur bei Hunden, bei denen 2—.2,5 cem in die Schädelhöhle injiziert wurden, konnten nachträglich Färbungen in Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 49 den tiefen Halsdrüsen nachgewiesen werden. Es ist dies ein Befund, der, wie ich aus der zusammenfassenden Arbeit von Mott entnehme, mit Untersuchungen anderer Autoren, die sich mit den Resorptionsverhältnissen in der Zerebrospinalhöhle beschäftigt haben, übereinstimmt. Bekanntlich ist man in neuerer Zeit! eher geneigt, auf Grund der Ar- beiten von Hill, Cushing, Reiner, Schnitzler u. a. anzunehmen, daß die Zerebrospinalflüssigkeit direkt in die Gefäßbahn, speziell am Schädel in den Sinus longitudinalis bzw. in die Vena jugularis abfließt. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß bei Experimenten dieser Autoren große Flüssigkeitsmengen, zum Teil unter Anwendung von Druck, verwandt wurden, wobei Verhältnisse geschaffen werden, die denen des Lebens nicht entsprechen. Daß bei solchen Injektionen in dem zarten Gewebe des Ge- hirns leichte Gefäßrupturen erfolgen können, die falsche Ergebnisse be- dingen, bedarf keiner weiteren Ausführung. Bei meinen Versuchen war der Abtluß der Farblösung in die Halsdrüsen ein »vitaler« Vorgang. Ich glaube daher, daß ihm eine physiologische Bedeutung zukommt. Man könnte mir entgegenhalten, daß nachweislich die Resorption gewisser Sub- stanzen aus der Zerebrospinalhöhle so rasch geschieht, daß der Über- tritt derselben füglich in die Blutbahn erfolgen muß. So hat Ziegler festgestellt, daß eine in den Liquor eingebrachte Ferrocyankalilösung be- reits nach ı0o Sekunden im Blute der Vena facialis posterior und erst frühestens nach einer halben Stunde in den Lymphwegen nachweisbar war (Propfing S. 451). Auch Lewandowsky hat bei seinen Versuchen mit Ferroeyannatrium einen unverhältnismäßig raschen Übertritt desselben (20— 30 Minuten) in den Harn beobachtet. Auf der anderen Seite haben außer Cavazzini ganz besonders Klose und Vogt durch ihre überaus sorgfältigen Untersuchungen gezeigt, »wie das Verweilen der Alka- loide im Duralsack unverhältnismäßig lange anhält und wie es für die verschiedenen Anästhetika gewichtigen zeitlichen Differenzen unterliege«. Endlich erwähne ich die Angaben Sicards (S. 60) »Si chez les chiens nous abandons, dans l’espace sousarachnoidien, de l’iodure de potassium ou du bleu de methylöne en quantite suffisante (0.50 A ı gr., 0.02 ä o gr. 0.5 de bleu de methylene chez les chiens), nous pouvons retrouver ces ! Für die ältere Literatur sei auf die Monographie von Key und Retzius verwiesen. Phys.-math. Abh. 1913. Nr. 1. 7 50 Epwın E. GoLpmann: corps apres un certain temps dans l’urine de l’animal. L’elimination se fait cependant plus tardivement que l’inoeulation conseeutive A l’injeetion sous-eutanee ou intra-veineuse, mais elle est compensee par une duree plus longue«. Ich meine daher, daß aus der größeren oder geringeren Resorptions- geschwindigkeit, die wahrscheinlich für verschiedene Substanzen individuell sehr verschieden ist, ein Rückschluß über die besonderen Abflußwege für die Zerebrospinalflüssigkeit nicht statthaft ist. Hierüber entscheidet am Ende die anatomische Untersuchung, die, soweit unsere Farbstoffe in Frage kommen, zugunsten der Lymphwege ausgefallen ist. Zur Erforschung der Abflußwege der Zerebrospinalflüssigkeit steht den Vitalfarben noch ein weites Gebiet offen. Schon Quincke und Sieard haben auf die großen Differenzen hin- gewiesen, die in dem Subarachnoidealraum für die Resorption von echten Lösungen und von Emulsionen bestehen. Auch feinste Suspensionen finden durch den Strom des Liquors im Nervensystem allmählich eine allgemeine Verbreitung. Es besteht aber die interessante Erscheinung, daß die frei suspendierten Fremdkörper sehr bald aus dem Liquor verschwinden, indem sienach Sicard durch Leukozyten phagozytiert werden und in Granulations- häufehen innerhalb der Hirnhäute zur Ablagerung gelangen. Eine Abfuhr soleher kleinster Fremdkörper in die allgemeinen Lymphwege findet in der Regel nicht statt. Injizierte Sicard in den Subarachnoidealraum eines Hundes feinste Emulsionen von Öl oder chinesischer Tusche, so konnte er noch vier, ja noch neun Monate später, Öltropfen im Seitenventrikel bzw. in den Geweben der Pia nachweisen. Es erscheint mir nun fraglich, ob bei der Phagozytose von ungelösten Produkten in der Zerebrospinaltlüssigkeit allein Leukozyten tätig sein sollen. Meine Untersuchungen, speziell bei pathologischen Zuständen der Hirnhäute und des Gehirns, haben vielmehr gezeigt, daß den schon unter normalen Verhältnissen in den Hirnhäuten vorkommenden »Makrophagen« bzw. »Pyrrolzellen« eine wichtige Rolle hierbei zufällt. Ihre Zahl vermehrt sich zusehends. Sie erscheinen, mit Einschlüssen beladen, frei im Subarachnoi- dealraume sowie in den Geweben der entzündlich gereizten Hirnhaut, vor allem aber in den perivaskulären Räumen der Hirngefäße, welche bekannt- lich bei allen leptomeningitischen Prozessen mit Zellformen verschiedenster Herkunft sich anfüllen. Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 51 Aus der großen Literatur über diese perivaskulären Veränderungen, speziell bei chronischer Meningoencephalitis, wähle ich die klassischen mikro- skopischen Darstellungen von Mott und Spielmeyer, um zu zeigen, daß auch diesen Forschern unter den, die perivaskulären Räume infiltrierenden Zellmassen besondere Zelleelemente aufgefallen sind, die mir eine große Übereinstimmung mit unseren Pyrrolzellen zu haben scheinen. Ich meine die »large granule cells oder morular cells« (They eorrespond to Körnchen- zellen of Alzheimer) von Mott, die »Körnchenzellen« Spielmeyers, von denen er berichtet (S.20). »Schließlich habe ich noch von einer in den Infiltraten und frei im Gewebe liegenden, regelmäßig vorkommen- den Zellform zu reden, von einer Art 'Körnchenzelle’. An vielen von diesen maulbeerförmigen Zellen ist der Kern pyknotisch verändert und die maschigen Plasmafäden äußerst zart, die Vakuolen dagegen groß und teilweise zusammen- getlossen und die Zellkugeln selber zweimal so groß wie eine Plasmazelle. Von besonderer Wichtigkeit ist, daß der tröpfchenartige Inhalt keine Fettreaktion gibt. Die Neuroglia bzw. Fibrinmethode dagegen gibt eine sehr prägnante Farb- reaktion. Die Tröpfchen, die den Zelleib einnehmen, färben sich intensiv mit Methylenviolett und halten den Farbstoff bei der Differenzierung lange fest. « Jeder, der Spielmeyers Abbildung (Tafel 5, Fig.5) mit meinen Bil- dern von der Pyrrolzelle vergleicht, wird von der Identität der beiden Ge- bilde überzeugt sein. Die Herkunft dieser Zellen kann nach meinen Unter- suchungen nicht mehr zweifelhaft sein. Sie sind normale Bewohner der Hirnhaut und ihrer intrazerebralen, intraspinalen und intraneuralen Fort- sätze. Mit der Feststellung dieser Tatsache ist die »anatomische und physio- logische« Verwandtschaft der Leptomeninx mit den serösen Häuten, speziell dem Peritonaeum, dureh ein neues Bindeglied erwiesen. Ich brauche den gütigen Leser nur auf meine ausgedehnten Studien über die »täches lai- teuses« des Netzes, über die Tätigkeit der in ihnen gebildeten Pyrrolzellen, hinzuweisen, um darzutun, warum ich auch für die Pyrrolzellen des zen- tralen Nervensystems Leistungen besonderer Art unter normalen und patholo- gischen Bedingungen in Anspruch nehme. Ich hoffe, in kurzer Zeit! weitere Belege für meine obigen Ausführungen beizubringen. Jedenfalls beherbergt die Leptomeninx einen Phagocyten par excellence, dessen chemo- ı Meine neuesten Untersuchungen haben ergeben, daß, wie im Peritonaeum, auch an der Leptomeninx normalerweise neben Pyrrolzellen acidophile, oxydasehaltige Leukoevyten vorkommen. 52 Epwın E. GoLpmann: taktische Erregbarkeit eine außerordentlich große ist. Er ist histologisch durch seine Fähigkeit, Vitalfarben zu speichern, vor andern »freien « Zellen ausgezeichnet. Die Untersuchungen von Quincke, Sicard u.a. über das Schicksal von feinsten Fremdkörpern im Subarachnoidealraum haben noch eine weitere, praktisch außerordentlich wichtige Bedeutung. Wir wissen u. a. von der Schlafkrankheit, wie außerordentlich die Prognose derselben durch den Nachweis von Trypanosomen in der Zerebrospinalflüssigkeit getrübt wird. Sieard hat nun mit Recht darauf hingewiesen, wie verschieden die Wir- kung der Zerebrospinaltlüssigkeit sich darstellt, je nachdem diese Wirkung in vitro oder in vivo auf Parasiten zustande kommt (S. 47). »Peut-on conclure de ces proprietes bacterieides eonstatees — in vitro — ä& l’action de ces m&emes proprietes — in vivo —? Nous ne le pensons pas, les ex- periences faites sur les animaux d@emontrent le contraire. Nous verrons, par exemple, avee quelle rapidite meurent les chiens inocules par la voie sous- arachnoidienne avee du pneumocoque, du charbon ou du baecille tetanique. « Ganz ähnlich bei der Schlafkrankheit. Gelangt der Parasit in den Subarachnoidealraum, so kann er seine toxische, zur chronischen Meningo- Enzephalitis führende Tätigkeit ungestört fortsetzen. Selbst die »Heilmittel«, denen der Plexus den Zutritt zum subarachnoidealen Raum verschließt, können ihn in seinem Schlupfwinkel nicht treffen. Wie Dr. Mott mir brief- lich mitteilt, ist er sogar der Ansicht, daß die Reinfektion des Blutes von solchen im Subarachnoidealraum verschont gebliebenen Try- panosomen ausgehen kann. Er hatte die Güte, mir noch folgende Tat- sachen mitzuteilen. »Der einzige Fall von Trypanosomiasis ugandensis, der zur Heilung kam, betraf einen Kranken, bei dem 3 Jahre nach der Infek- tion in der Zerebrospinalflüssigkeit Parasiten fehlten. Er hat niemals Zeichen von »Schlafsucht« dargeboten. Er starb 5 Jahre nach der Infektion an Pneumonie. Bei der Autopsie konnte auch von einer Meningo-Enzephalitis nichts nachgewiesen werden. « 5. Es verbleibt uns noch die wichtige Frage, zu prüfen, ob durch unsre Versuche Anhaltspunkte für die Strömungsverhältnisse des Liquor gewonnen worden sind. Wir haben jedenfalls feststellen können, daß die Ausbreitung unsrer Farbstoffe im Subarachnoidealraume, vorausgesetzt, daß den »physio- Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 53 logisch-anatomischen« Bedingungen desselben (Heineke und Laewen) durch die Anwendung kleiner Flüssigkeitsquanta Rechnung getragen wird, rascher von der Rückenmarks- als von der Schädelhöhle aus erfolgt. Ähn- lich lauten die Erfahrungen andrer Experimentatoren, vor allem diejenigen von Sieard. Wir haben ferner in Übereinstimmung mit Sicard gefunden, daß nach der Lumbalinjektion die Farbstoffe außerordentlich rasch das ganze Rückenmark, die Basalzisternen des Gehirns mit ihren terminalen Ausläufern Optieus- und Olfactoriusgebiete färben, ohne die Oberfläche der Großhirn- hemisphären zu erreichen. Umgekehrt hat sich aus unsern Versuchen er- geben, daß bei Injektion geringer Farbstoffimengen von der Schädelhöhle aus der Farbstoff zunächst eine, dann die andere Hemisphäre färbt, ehe er in die Basalzisternen abtließt. Die Verbreitung der Farbstoffe in unsern Versuchen war auch klinisch auf das deutlichste an den charakteristischen Nervenerscheinungen zu ver- folgen, die sukzessive zunahmen in dem Maße, als der Farbstoff aus dem Lumbalsack bzw. von der Hirnoberfläche bis zur Medulla oblongata vor- drang. Endlich habe ich zu erwähnen, daß ein Unterschied in der Aus- breitungsgeschwindigkeit unserer Farbstoffe in den Subarachnoidealraum von der Konzentration der Lösung unabhängig blieb. ı prozentige, ja selbst 2prozentige Lösungen zeigten in dieser Beziehung keine nennenswerten Differenzen gegenüber den o.5prozentigen Lösungen. Auf grund aller dieser Tatsachen stimme ich durchaus mit Heineke und Laewen, vor allem mit Klose und Vogt überein, wenn sie behaupten, »daß aktive, an den lebenden Organismus gebundene Strömungen neben den bekannten physikalischen Bedingungen beim subarach- noidealen Transport fremder Lösungen die Hauptrolle spielen« (S. 739). Die intensive aktive Liquorströmung bedingt es, »daß Gifte, welehe post- mortal nur dem Gesetz der Diffusion unterworfen sind, intra vitam inner- halb kürzester Zeit im ganzen Subarachnoidealraum Verbreitung finden«. (Klose und Vogt, S.743.) Daß hierbei die regionären anatomischen Raum- verhältnisse des Subarachnoidealraumes die Strömung mitbeeinflussen, be- darf nach meinen obigen Mitteilungen über Injektion vom Lumbalsack und von der Konvexität der Hirnhemisphäre aus keiner weiteren Begründung. Dieser »aktiven Strömung« haben wir in der Praxis jedenfalls Rechnung zu tragen, wenn chemisch differente Substanzen zur subarachnoidealen In- jektion benutzt werden. Wie rasch dieselben auf dem Wege ihrer Aus- 54 Epwın E. GoLDmAnNn: breitung im Subarachnoidealraum die ausgedehntesten Zerstörungen von Ganglienzellen bewirken können, das haben wohl unsre Farbstoffversuche aufs deutlichste erwiesen. Zum Schluß noch ein Wort über die Natur der Zerebrospinalflüssig- keit. Auf die Frage, ob dieselbe eine Lymphflüssigkeit sei oder nicht, gehe ich nieht näher ein, zumal da diese Frage in letzter Zeit häufig und gründlich, vor allem von Mott, Lewandowsky, Blumenthal u.a. be- sprochen worden ist. Unsere Versuche haben zweierlei gelehrt. Vom Plexus ehorioideus erhält die Zerebrospinalflüssigkeit wichtige Stoffwechsel- produkte, die der Nervensubstanz durch den Liquor zugetragen werden. Der Plexus vermag anderseits die Zerebrospinalflüssigkeit und damit die Nervensubstanz vor dem Eindringen von Substanzen zu schützen, die sich bei der direkten Einfuhr in den Subarachnoidealraum als ein schweres Gift für die Ganglienzellen erweisen. Anderseits ist schon lange bekannt, daß die Zerebrospinalflüssigkeit Bestandteile der Gehirnsubstanz enthält, vgl. Reichmann u.a. Dementsprechend hat wohl Lewandowsky das richtige getroffen, wenn er ausführt, daß die Zerebrospinalflüssigkeit den Stoffwechsel des zentralen Nervensystems vermittelt, indem sie » Nährmaterial derselben zu-, verbrauchte Stoffe abführt« (S. 493). Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, gelangen wir zu einem richtigen Verständnis der ganz eigen- artigen, von andern Körpertlüssigkeiten so abweichenden Zusammensetzung des Liquors, die in höchst zweckmäßiger und vollkommener Weise es er- möglicht, daß die Nervensubstanz aus der Zerebrospinalflüssigkeit Nähr- stoffe aufnimmt, anderseits verbrauchte Stoffe in dieselben auszuscheiden vermag. Es soll mir fern liegen, den Plexus für die Gesamtsekretion des Liquor verantwortlich zu machen, daß er seine Zusammensetzung in hohem Maße beeinflußt und wichtige Bestandteile demselben zuführt, dar- über lassen wohl meine Versuche einen weiteren Zweifel nicht zu. Mit dem Faktor der größeren oder geringeren Permeabilität des Plexusepithels wird jeder praktische Versuch, die Erkrankungen des zentralen Nerven- systems chemotherapeutisch zu beeinflussen, zu rechnen haben, falls die direkte Applikation wirksamer Substanzen auf dem Wege der Spinal- punktion kontraindiziert ist. Kann es daher wundernehmen, daß, wie bei den niedersten Wir- beltieren plexusartige Organe bereits bemerkbar werden (Zyklostomen, Sehläpfer S. 104), auch bei den Embryonen höherer Vertebraten die # Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 55 Plexus chorioidei schon frühzeitig ihre spezifische Funktion beginnen? Wir kommen somit zu dem Schluß, daß der Plexus ein wichtiger Schutz- und Regulationsmechanismus für das zentrale Nervensystem darstellt, und daß differenten Substanzen Tür und Tor für ihren Eintritt in das zentrale Nervensystem geöffnet werden, wenn die physiologische Eintrittspforte, der Plexus chorioideus, umgangen wird und solche differente Stoffe durch die Lumbalpunktion in eine direkte Berührung mit den Nervenelementen gebracht werden. Einen großen Teil meiner Tierexperimente durfte ich im Laborato- rium der hiesigen Nervenklinik ausführen, wofür ich Hrn. Geheimrat Hoche meinen Dank schulde. Ganz besonders dankbar fühle ich mich gegenüber meiner treuen Mithelferin und Assistentin Schwester Marie Schmelcher, die auch bei diesen Untersuchungen mir durch ihre Ge- schieklichkeit und Gewissenhaftigkeit eine große Hilfe gewesen ist. Ich habe endlich zu erwähnen, daß die Mittel zu dieser Untersuchung mir von dem leider inzwischen verstorbenen Sir Julius Wernher, Hrn. Otto Beit und Hrn. Adolf Hirsch zu London zur Verfügung gestellt wurden ; denen gilt gleichfalls mein Dank. 56 Epwın E. GouLpmann: Literaturverzeichnis. Barfurth. Vergleichende histochemische Untersuchungen über Glycogen. Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 25, 1885. Best. Münchener medizinische Wochenschrift 1908, Nr. 12, S. 647. Biedel und Kraus. Centralblatt für innere Medizin 1898, Nr. 47. Blumental. Über Cerebrospinaltlüssigkeit. Ergebnisse der physiologischen Bioche- mie 1902. Bruno. Über die Injektion von Giften ins Gehirn. Deutsche medizinische Wochen- schrift 1899, Bd. 25, S. 369. Cavazzini. 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Beiträge zur experimentellen Pathologie und Chemotherapie. Leipzig 1909. Sonderabdrucke aus dem 1V. Internationalen Kongreß für Irrenpflege ıgıo. Derselbe. Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Berlin 1885. Engel. Über die Sekretionserscheinungen in den Zellen der Plexus choroidei des Menschen. Archiv für Zellforschung Bd. 2, Leipzig 1909. Findlay. The choroid plexuses of the lateral ventrieles of the brain, their histology normal and pathologieal. Brain. Vol. XXI, London 1899, S. 161. Gierke. Das Glycogen in der Morphologie des Stoffwechsels. Beiträge zur patho- logischen Anatomie. Bd. 37, 1905, S. 502. Goldmann. Die äußere und innere Sekretion des gesunden und kranken Organis- mus im Lichte der vitalen Färbung. Teil I. Beiträge zur Chirurgie Bd. 54, 1909, S. 192. Derselbe. Die äußere und innere Sekretion des gesunden und kranken Organismus im Lichte der vitalen Färbung. Teil II. Beiträge zur Chirurgie, Bd. 78, ıgı2. Beide Ar- beiten als Sonderabdrucke bei H. Laupp, Tübingen. m nn Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 57 Goldmann. Vitalfärbung und Chemotherapie. Berliner klinische Wochenschrift, Sep- tember 1912. Halliburton and Dixon. Journal of Physiology Bd. go, 1910. Heineke und Laewen. Experimentelle Untersuchung über Lumbalanästhesie. Lan- genbeck’s Archiv Bd. 81, S. 373. Hill. On cerebral aenaemia and the effects which follow ligation of arteries. Philo- sophical transaetions of the Royal Soeiety 1900. Derselbe. Physiology and Pathology of the cerebral eireulation, London 1896. Hworostuchin. Zur Frage über den Bau des Plexus choroideus. Archiv für mi- kroskopische Anatomie Bd. 77, Bonn ıgrı, S. 232. Jakob. Klinische und experimentelle Erfahrung über die durale Infusion. Deutsche medizinische Wochenschrift 1900, Bd. 26, S.47 und S. 64. Imhof. Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Lumbalmarkes bei den Vögeln. Archiv für mikroskopische Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bonn 1905, Bd. 65, S. 498. Kafka. 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Zur Physiologie und Pathologie des Liquor cerebrospinalis. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilkunde Bd. 42, ıgrıı, S. r. Reiner und Schnitzer. Cit. nach Mott. Lancet ıgro. Rotky. Untersuchungen über die Durchlässigkeit der Meningen für chemische Stoffe. Zeitschr. für klinische Medizin, Berlin 1912, Bd. 75, S. 94. Schläpfer. Über den Bau und die Funktion der Epithelzellen des Plexus chorioi- deus. Beiträge zur pathologischen Anatomie, Supplementbd. 7, 1905, S. ror. Schmorl. Liquor cerebrospinalis und Ventrikelflüssigkeit. Verhandlungen der Deut- schen Pathologischen Gesellschaft. Erlangen ıg1o0. Schulemann. Vitalfärbung und Chemotherapie. Archiv der Pharmacie Bd. 250, rg12, S. 389. Derselbe. Vitalfärbung und Chemotherapie. Archiv der Pharmacie Bd. 250, 1gı2, S. 252. Derselbe. Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie Bd. ıt, ıgı2. Derselbe. Beiträge zur Vitalfärbung. Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 79, 1912, S. 223. Saxer. 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Leipzig und Wien 1910. Bd. 18. Die weitere Literatur ist in dem erschöpfenden Referate von Kafka (s. oben) 1912 zu finden. Vitalfärbung am Zentralnervensystem. 59 Tafelerklärung. Tafel l. Fig. 1. Übersichtsbild vom Zentralnervensystem eines Rattenembryos. Glykogenfärbung nach Best. a) Plexus chorioidei des Seitenventrikels. b) Plexus chorioideus des Ill. Ventrikels. ce) Glykogenplatte median durch die Medulla oblongata verlaufend. d) Glykogensäule der vorderen Kommissur des Rückenmarkes entsprechend. Fig. 2. Rattenembryo. Glykogenfärbung nach Best. Plexus chor. des Seitenventrikels. Epithelzellen mit Glykogenkörnern angefüllt. Glykogenkörner zum Teil frei an der Oberfläche des Epithels. Tafel 1. Fig. ı. Plexus chor. des Seitenventrikels einer Ratte. Vitalfärbung mit Trypanblau. Übersichtsbild. In den Epithelzellen vital gefärbte Granula. Fig. 2. Plexuszotte bei starker Vergrößerung, Vitalfärbung mit Trypanblau. a) Pyrrolzellen mit dunkelblau gefärbten groben Granuli. b) Epithelzellen mit feinen, gleichfalls durch Trypanblau gefärbten Granuli. Kern- färbung durch Alaunkarmin. Fig. 3. Übersichtsbild der Med. spinalis vom Kaninchen nach Injektion von 0.5 cem einer 0.5 prozentigen Trypanblaulösung in den Lumbalsack. Diffuse Blaufärbung der Ganglienzellen des Vorder- und Hinterhornes mit deutlich ausgesprochener Kernfärbung. Desgleichen Blaufärbung der Pialsepten. Fig. 4. Weiche Hirnhaut einer Ratte, nach subkutan vorgenommener Vitalfärbung durch Trypanblau. Die granulierten Pyrrolzellen, zum Teil in Häufchen, zum Teil frei- liegend, sind auch vielfach entlang den Blutgefäßen angeordnet. Tafel 11. Übersichtsbild des Zentralnervensystems eines Kaninchens, bei dem o.5 cem einer 0.5 prozentigen Trypanblaulösung vom Lumbalsack aus injiziert worden ist. Dunkelfärbung des ganzen Rückenmarkes und des Hirnstammes. Desgleichen Dunkel- färbung des Optieus, der Sklera und Regio olfactoria, hellere Färbung der austretenden Wurzel, fast völlige Farblosigkeit der Großhirnhemisphäre. c) dorsale Ansicht. b) ventrale Ansicht. Tafel IV. a) Ganglienzelle aus dem Vorderhirn der Med. spinalis eines Kaninchens nach Injektion von 0.5 cm3 einer o.5 prozentigen Trypanblaulösung in den Lumbal- 60 Epwın E. Gounmann: Vitalfärbung am Zentralnervensystem. d — sack. Neben deutlicher Kernfärbung diffuse Blaufärbung des Protoplasmas und seiner Fortsätze. Mit phagocytären Einschlüssen. 4 Ganglienzelle aus dem Vorderhorn der Med. spinalis eines Hundes nach In- Jektion von ı cm3 einer rprozentigen Trypanblaulösung in den Lumbalsack. Gegenfärbung mit Alaunkarmin. Deutliche Granulafärbung in dem Protoplasma der Ganglienzelle und der Dendriten. Starke Vergrößerung eines Gefäßes der Hirnrinde, an dem man, neben den fein granulierten Wandelelementen des perivaskulären Raumes, von der Fläche gesehen ähnliche, mit blau gefärbtem Protoplasma versehene Zellen an der Oberfläche der Gefäße erkennen kann. Artifiziell erzeugte Leptomeningitis eines Hundes nach subduraler Injektion von ı cm3 einer ıprozentigen Trypanblaulösung. Unter den Zellen des Infiltrates vital gefärbte Pyrrolzellen. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Phys.-math. Abh. 1913. Nr. 1. Edwin E. Goldmann: Vitalfärbung am Zentralnervensy stem. Taf. I. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1913. Nr.1. Edwin E. Goldmann: Vitalfärbung am Zentralnervensystem. Taf. II. a 3) ® ua K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1913. Nr.1. Edwin E. Goldmann: Vitalfärbung am Zentralnervensystem. Taf. III. Pys.-math. Abh. 1913. Nr.1. Edwin E. Goldmann: Vitalfärbung am Zentralnervensystem. Tat. IV. ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE MIC FEB 81921 Orfios zeit ——— BERLIN 1914 VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER af r RT, ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE r En we e- EM N % N u FL RL; e2 5 zn Se N - u, | ARDATIAL. TITEE i u i a | ra YET ner Ale DEREN E bien, | IE? IR ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE n FEB 81921 Offiog ira VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN anson:an Institug;, "Lcse] BERLIN 1914 IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER 1: In HAAREN sig Sara Berlin, eine in der "ick, | — Ser Bt BEN HRERER: azyel (ER N j EU ah 2 Sea aaı ) a 0 en 2 r vo Ge EN | = S ß LIRE ALINA AFTER Na STAA MARDEHMAOH I EEE a e® rn NO HB AORFIR GR. Al In kKakt Öffentliche Sitzungen . a Verzeichnis der im Jahre 1914 gelesenen Abhandlungen AR Ar Bericht über den Erfolg der Preisausschreibungen für 1914 und neue Preisausschreibungen . Statut der Albert-Samson-Stiftung NH: Verzeichnis der im Jahre 1914 erfolgten onen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Austührung wissenschaftlicher Unter- nehmungen - e 3.9 Verzeichnis der im Jahre 1914 enter im Aoflage ae mit Bee stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1914 Verzeichnis der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1914 nebst den Verzeichnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille und der Beamten der Akademie . Abhandlungen. Nr. 1. L. Wırr: Kolloidale Substanz als Energiequelle für die mikro- skopischen Schußwaffen der Cölenteraten . - . » 2. Branca: Bericht über die mir zugegangenen U nteile den Huch. genossen, betreffend die in »Ziele vulkanologischer Forschung« von mir gemachten Vorschläge . . . 2°. .- S. XXXII—XXXIV. S. KNXXIV—XXXVI. S. XXXVI—XXNVI. S. XXxIX—xLVII. S. 1—28. S. 1—67. e VII—-IX. SILX——XVs . XV—XX. «e KXI—XXXI. i „ “r 2 . ae ; i j ey rs FR \ ’ IR Ash erren BIRT Pin Ay ua Hub ‚ MM f RT ER 5 N N au N en | n a EN BT, &h ri D. BON ur 25 h . ink yon „ RETTET eLTTT. AILITT ET LE VE 7? Te I Sr RT Dr: » 4 er a . EG = win: KIUL iu we iu = . j gr f Aw uhhlM 0 er h d ann D Bern ae]: Se ' ” cı ‚ f EI erde a iA so ) & 3 nn g = Ei} f Zur \ a a VE FR R rer PN nA ie aa 4 % , u 4 , ‘ NETZE iris Br d u N ü ah ia i Hs 1 ya RN h . CE le he W a E ind le u erg 1 NOT DIETZ Te JAHR 1914. Öffentliche Sitzungen. Sitzung am 29. Januar zur Feier des Geburtsfestes Seiner Majestät des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Friedrichs Il. Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar Hr. Waldeyer eröffnete die Sitzung, die letzte öffentliche Sitzung in dem provisorischen Heim der Akademie Potsdamer Straße 120, mit einer Ansprache. in der er einen Rückblick auf die in diesem Gebäude verlebten zehn Jahre gab und aus- führlicher über die Albert-Samson-Stiftung berichtete. Darauf erstattete Hr. von Wilamowitz-Moellendorff einen eingehenderen Bericht über das Unternehmen der Sammlung der griechischen Inschriften. Alsdann hielt Hr. Lüders den wissenschaftlichen Festvortrag: Über die literarischen Funde von Östturkistan. Es folgte der Bericht über die seit dem letzten Friedrichs-Tage (23. Januar 1915) in dem Personalstande der Akademie eingetretenen Veränderungen, und schließlich wurde verkündet, daß Seine Majestät der Kaiser und König geruht haben, dem zweiten Direktor der Königlichen Staatsarchive Geheimen Archivrat Professor Dr. Paul Bailleu in Charlottenburg für sein Werk »Königin Tuise« den Verdun-Preis zu erteilen. Festsitzung am 22. März zur Einweihung des Neubaues der Akademie Unter den Linden 38. Seine Majestät der Kaiser und König hatten die Einweihung des neuen, den Zwecken der Königlichen Akademie der Wissenschaften wie der Königlichen Bibliothek und der Universitätsbibliothek gemeinsam die- nenden Neubaues auf den 22. März angesetzt. An der großartigen Feier nahmen außer den Botschaftern und den Gesandten der deutschen Bundes- staaten sowie den Spitzen der Behörden die Beamten der beiden König- vi lichen Bibliotheken, die Leiter der deutschen und der benachbarten aus- wärtigen Bibliotheken, ferner die Rektoren der deutschen Universitäten teil. Von akademischer Seite waren der Einladung des Hrn. Unterrichts- ministers fast alle ordentlichen Mitglieder und Beamten sowie eine große Anzahl auswärtiger, Ehren- und korrespondierender Mitglieder der Aka- demie gefolgt. Die Feier begann um 11°, Uhr mit der Schlußsteinlegung des Ge- bäudes in dem Vorraum des Kuppelsaales der Königlichen Bibliothek. Nachdem Seine Exzellenz der Unterrichtsminister eine Urkunde über diesen Akt verlesen hatte, in der auch der anwesenden vier Sekretare der Aka- demie Erwähnung getan ist, ward das Pergament in eine Kapsel ge- schlossen und in den Schlußstein vermauert. Dabei taten Seine Majestät die üblichen drei Hammerschläge »Zum Preise Gottes, von dem alles kommt, zur Förderung der Wissenschaft und zum Nutzen des Volkes«. Nach einem Kaiserhoch, das der 1. Chargierte des Vereins deutscher Studenten ausbrachte, betraten unter Vorantritt des Unterrichtsministers, der Sekretare der Akademie und des Generaldirektors der Königlichen Bibliothek Seine Majestät der Kaiser und König, Ihre Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten der Kronprinz und die Kronprinzessin, Prinz und Prinzessin August Wilhelm, Prinz Eitel Friedrich, Prinz Oskar, Prinz und Prinzessin Ferdinand von Rumänien mit Gefolge den hohen Kuppelraum der Königlichen Bibliothek, von dessen Empore ein Fanfarengruß des Bläser- chors die Eintretenden begrüßte. Nach einer vom Königlichen Hof- und Domchor vorgetragenen Motette erhoben sich Seine Majestät der Kaiser und König zu einer Ansprache. Es folgten Ansprachen des Hrn. Ministers der geistlichen und Unter- richts-Angelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz und des vorsitzenden Sekretars der Akademie Hrn. Diels, sowie eine Rede des Generaldirektors der Königlichen Bibliothek Hrn. von Harnack, die mit einem Kaiserhoch schloß. Der Domehor sang das Salvum fac regem, und der Bläserchor be- schloß die denkwürdige Feier. Seine Majestät empfingen darauf den vor- sitzenden Sekretar der Akademie zum Abschiede und stellten Allergnädiest in Aussicht, die neuen Räume der Akademie später besichtigen und einer Festsitzung beiwohnen zu wollen. Ein ausführlicher Bericht über diese Festsitzung ist in den Sitzungs- berichten abgedruckt. Sitzung am 2. Juli zur Feier des Leibnizischen Jahrestages. Hr. Diels, als vorsitzender Sekretar, eröffnete diese erste öffentliche Sitzung im Neubau mit einer Ansprache, die die Baugeschichte der Aka- demie seit ihrer Begründung zum Gegenstand hatte. Darauf hielten die seit dem letzten Leibniz-Tage (26. Juni 1913) neu eingetretenen Mitglieder ihre Antrittsreden. die von den beständigen Sekre- taren beantwortet wurden, nämlich die HH. Einstein — Erwiderung von Hrn. Planck, Hintze — Erwiderung von Hrn. Roethe, Sering — Erwiderung von Hrn. Roethe und Goldschmidt —- Erwiderung von Hrn. Diels. Sodann wurden Mitteilungen über akademische Preisaufgaben für 1914 aus dem Gebiete der Mathematik und für 1917 aus dem Gebiete der Philosophie, über Preisausschreibungen aus dem Ellerschen Legat, dem Cotheniusschen Legat und der Graf-Loubat-Stiftung, über eine Preisaufgabe der Charlotten-Stiftung für Philologie und über das Stipendium der Eduard- Gerhard-Stiftung gemacht. Schließlich wurde verkündigt, daß die Akademie die Leibniz-Medaille in Silber dem Architekten Dr. Walter Andrae in Assur, dem General- major Dr. Erwin Schramm in Bautzen und dem Bibliothekar Richard Irvine Best in Dublin verliehen habe. Verzeichnis der im Jahre 1914 gelesenen Abhandlungen. Physik und Chemie. Wien, über eine von der elektromagnetischen Theorie geforderte Einwir- kung des magnetischen Feldes auf die von Wasserstoffkanalstrahlen ausgesandten Spektrallinien. (Kl. 22. Jan.: SB.) Rubens und Prof. H. von Wartenberg, Beitrag zur Kenntnis der lang- welligen Reststrahlen. (GS. 5. Febr.; SB.) Nernst und Dr. F. Schwers, Untersuchungen über die spezifische Wärme bei tiefen Temperaturen. VII. (Kl. 12. Febr.; SB. 19. Febr.) Holborn, Prof. L., und Dr. M. Jakob, über die spezifische Wärme c, der Luft zwischen 1 und 200 Atmosphären. Vorgelegt von Warburg. (Rl. 12. Febr.; SB.) x Willstätter, Prof. R., über die Farbstoffe der Blüten und Früchte. Vor- gelegt von Beckmann. (Kl. 26. März; SB.) Eucken, Dr. A., über den Quanteneffekt bei einatomigen Gasen und Flüssig- keiten. Vorgelegt von Rubens. (GS. 28. Mai: SB.) Beckmann, Verfahren zur Prüfung der Luft auf Gehalt an brennbaren Stoffen. (GS. 18. Juni; SB. 30. Juli.) Fischer und F. Brauns, Verwandlung der d-Isopropyl-malonaminsäure in den optischen Antipoden durch Vertauschung von Karboxyl und Säure- amidgruppe. (Kl. 25. Juni; SB.) Fischer, über Phosphorsäureester des Methylglukosids und Theophyllin- glukosids. (Kl. 25. Juni; SB. 30. Juli.) Willstätter, Prof. R., und H. Mallison, über die Verwandtschaft der Anthocyane und Flavone. Vorgelegt von Beckmann. (GS. 9. Juli; SB.) Planck, eine veränderte Formulierung der Quantenhypothese. (GS. 23. Juli; SB. 30. Juli.) Warburg, über den Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. IV. (Kl. 30. Juli; SB.) Willstätter, Prof. R., und L.Zechmeister, Synthese des Pelargonidins. Vorgelegt von Beckmann. (Kl. 30. Juli; SP.) Einstein, die formale Grundlage der ällgemeinen Relativitätstheorie. (Kl. 29. Okt.; SB. 19. Nov.) von Laue, Prof. M., die Beugungserscheinungen an vielen unregelmäßig verteilten Teilehen. Vorgelegt von Planck. (GS. 3. Dez.; SB. 17. Dez.) Mineralogie, Geologie und Paläontologie. Liebisch und Dr. E. Korreng, Kristallisationsvorgänge in binären Syste- men aus Chloriden ‚von einwertigen und zweiwertigen Metallen. (Kl. 12. Febr.; SB.) Lepsius, Prof. R., die Höttinger Breccie bei Innsbruck in Tirol. Vorgelegt von Branca. (Kl. 14. Mai; SB.) Branca, Bericht über die ihm zugegangenen Urteile der Fachgenossen, betreffend die in »Ziele vulkanologischer Forschung« von ihm gemach- ten Vorschläge. (GS. 28. Mai; Abd.) xl Branca, bisherige Ergebnisse der Untersuchung der von Dr. Reck in der Serengeti-Steppe, Deutsch-Ostafrika, ausgegrabenen Reste von Säuge- tieren. (Kl. 26. Nov.; SB. 17. Dez.) Botanik und Zoologie. Will, Prof. L., kolloidale Substanz als Energiequelle für die mikroskopi- schen Schußwaffen der Cölenteraten. Vorgelegt von F. E. Schulze. (Kl. 8. Jan.; Abh.) Haberlandt, zur Entwicklungsphysiologie der Rhizoiden. (Kl. 26. März; SB.) Engler, über Herkunft, Alter und Verbreitung extremer xerothermer Pflan- zen. (Kl. 14. Mai; SB.) Haberlandt, zur Physiologie der Zellteilung. Zweite Mitteilung. (Kl. 10. Dez.; SB.) Anatomie und Physiologie, Pathologie. Orth, über eine Geschwulst des Nebennierenmarks nebst Bemerkungen über die Nomenklatur der Geschwülste. (Kl. 8. Jan.; SB.) Waldeyer, über das Ostium pharyngeum tubae. (GS. 7. Mai.) OÖ. Hertwig, die Verwendung radioaktiver Substanzen zur Zerstörung lebender Gewebe. (Kl. 16. Juli; SB. 30. Juli.) Weißenberg, Dr. R., über infektiöse Zellhypertrophie bei Fischen (Lympho- eystiserkrankung). Vorgelegt von O. Hertwig. (Kl. 16. Juli; SD.) Orth, zur Frage nach den Beziehungen des Alkoholismus zur Tuberkulose. (Kl. 12. Nov.; SB.) Astronomie, Geographie und Geophysik. Penck, antarktische Probleme. (Kl. 22. Jan.; SB.) Wilkens, Dr. A., über die Integration der Grundgleichungen der Theorie der Jupitermonde. Vorgelegt von Struve. (Kl. 26. März; SD. 7. Mai.) Hellmann, über die Bewegung der Luft in den untersten Schichten der Atmosphäre. Erste Mitteilung. (GS. 2. April; SD.) Hellmann, über die Blütezeit der Astrometeorologie in Deutschland. (GS. 2. April.) xl Helmert, die isostatische Reduktion der Lotrichtungen. (Kl. 16. April; SB.) Schwarzschild, über die Häufigkeit und Leuchtkraft der Sterne von ver- schiedenem Spektraltypus. (Kl. 16. April; SD. 30. April.) Schweydar, Dr. W., Beobachtung der Änderung der Intensität der Schwer- kraft durch den Mond. Vorgelegt von Helmert. (Kl. 16. April; SB.) Rubens und Schwarzschild, sind im Sonnenspektrum Wärmestrahlen von großer Wellenlänge vorhanden? (Kl. 11. Juni; SB.) Vahlen, Prof. Th., über den Lambertschen Satz und die Planetenbahn- bestimmung aus drei Beobachtungen. Vorgelegt von Struve. (Kl. 25. Jung; 82. 9. Juli.) Schwarzschild, über Diffusion und Absorption in der Sonnenatmosphäre. (GS. 5. Nov.; SB. 17. Dez.) Schwarzschild, über die Verschiebungen der Bande bei 3883 Ä im Sonnen- spektrum. (GS. 5. Nov.; SB. 17. Dez.) Hellmann, über die Verteilung der Niederschläge in Norddeutschland. (GS. 5. Nov.; SB.) Struve, über den Neubau der Königlichen Sternwarte in Berlin-Babels- berg. (GS. 3. Dez.) Mathematik. Frobenius, über das quadratische Reziprozitätsgesetz. (GS. 19. Febr.; SB.) Frobenius, über das quadratische Reziprozitätsgesetz. II. (K1. 30. April; SB.) Frobenius, über den Fermatschen Satz. III. (GS. 28. Mai; SB.) Schwarz, über eine auf die Leibnizschen Definitionen gegründete Theorie der geraden Linie. (Kl. 11. Juni.) Sehottky, zwei Kurven und zwei Flächen. (Kl. 29. Okt.; SB.) Philosophie. Erdmann, Psychologie des Eigensprechens. (Kl. 8. Jan.; SB.) Stumpf, zur Analyse der Vokale. (GS. 28. Mai.) Prähistorie. Scehuchhardt, der altmittelländische Palast. (GS. 19. Febr.; SB.) XI Chronologie. Cohn, Dr. B., die Anfangsepoche des jüdischen Kalenders. Vorgelegt von Struve und Sachau. (GS. 19. Febr.; SB.) Geschiehte des Altertums. Hirschfeld, kleine Beiträge zur römischen Geschichte. (GS. 23. April.) Dressel, über drei Medaillons der römischen Kaiserzeit aus dem Königl. Münzkabinett. (Kl. 14. Mai.) Erman, die religiöse Reform Amenophis’ IV. (Kl. 16. Juli.) E. Meyer, über den Zweiten Punischen Krieg und die Persönlichkeit des Seipio Africanus. (Kl. 12. Nov.) Mittlere und neuere Geschichte. Schillmann, Dr. F., der Anteil König Friedrich Wilhelms IV. an der Be- rufung der Brüder Grimm nach Berlin. Vorgelegt von v. Harnack. (GS. 23. April; SB.) Koser, Grundlinien für eine Bibliographie der zeitgenössischen Literatur über Friedrich den Großen. (Kl. 30. April.) Koser, über die Registerbücher der Grafen und Herzöge von Kleve und Mark aus der Zeit von 1356—1803. (Kl. 25. Juni.) Koser, neue Mitteilungen aus dem Briefwechsel des Akademiepräsidenten Moreau de Maupertuis. (Kl. 16. Juli.) Schäfer, über die Verbreitung des Deutschtums nach dem Osten. (GS. 22. Okt.) Kirchengeschichte. von Harnack, Tertullians Bibliothek christlicher Schriften. (GS. 19. Febr.; SB.) Loofs, zwei mazedonianische Dialoge. (GS. 23. April; SB. 7. Mai.) von Harnack, Vorstufen und Rivalen des Neuen Testaments. (Kl. 11. Juni.) Frhr. von Oppenheim, M., und Prof. F. Frhr. Hiller von Gaertringen, Höhleninschrift von Edessa mit dem Briefe Jesu an Abgar. Vorgelegt von v. Wilamowitz-Moellendorff. (GS. 23. Juli; SB.) XIV Rechtswissenschaft. Seckel, dos caduca und hereditas caduca in dem neuerworbenen Papyrus der Berliner Museen. (GS. 15. Jan.) Sachau, über die Rechtsliteratur und Rechtsgeschichte im orientalischen Christentum. (Kl. 25. Juni.) Allgemeine, deutsche und andere neuere Philologie. Diels, zur Geschichte der Alliteration. 1. (Kl. 16. April.) K. Meyer, über eine Handschrift von Laon. (Kl. 30. April: SB.) K. Meyer, zur keltischen Wortkunde. V. (Kl. 14. Mai; S2.) Burdach, universalistische, nationale und partikularistische Mächte in der schriftsprachlichen Bewegung zur Zeit Gottscheds. (Kl. 30. Juli.) K. Meyer, zur keltischen Wortkunde. VI. (GS. 22. Okt.; SB.) Roethe, über Jakob Vogels Lied: »Kein seeligr Tod ist in der Welt« und über Vogels literarhistorische Stellung. (Kl. 29. Okt.) Kögel, R., die Palimpsestphotographie. Vorgelegt von Seckel. (Kl. 29. Okt.; SB.) W. Schulze, Beiträge zur Wortgeschichte. (GS. 19. Nov.) Brandl, über den Deutschen in der englischen Literatur. (Kl. 26. Nov.) Heusler, die Heldenrollen im Burgundenuntergang. (GS. 17. Dez.; SB.) Klassische Philologie. von Wilamowitz-NMoellendorff, Neues von Kallimachos. I. (Kl. 22. Jan.; SB. 12. Febr.) Norden, über das siebente Buch der Annalen des Ennius. (Kl. 12. Febr.) Wegehaupt, Dr. H., der Florentiner Plutarchpalimpsest. Vorgelegt von v. Wilamowitz-Moellendorff. (Kl. 12. Febr.; AbA.) von Wilamowitz-Moellendorff, über die griechische Metrik. (GS. 9. Juli.) Robert, über den Genfer Pheidias-Papyros. (Kl. 16. Juli; SB.) Archäologie. Loescheke, über böotische Vogelschalen. (Kl. 26. März.) Krüger, Prof. E., und D. Krencker, Vorbericht über die Ergebnisse der Ausgrabung des sogenannten römischen Kaiserpalastes in Trier. Vor- gelegt von Loescheke. (Kl. 30. Juli; AdA. 1915.) XV Orientalische Philologie. de Groot, die Anlässe der Feldzüge des Tschingkiskan nach Mittel- und Westasien. (Kl. 22. Jan.) Herzfeld, Dr. E., die Aufnahme des sasanidisechen Denkmals von Paikuli. Vorgelegt von Lüders. (Kl. 22. Jan.: Abh.) Lüders, epigraphische Beiträge. IV. (GS. 2. April: SD. 23. Juli.) Baron von Staäl-Holstein, Dr. A., KOPANO und Yüeh-shih. Vorgelegt von Lüders. (Kl. 30. April; SB. 14. Mai.) Delitzsch, Prof. F., sumerisch-akkadisch-hettitische Vokabularfragmente. Vorgelegt von W. Schulze. (Kl. 30. April; AbA.) Grapow, Dr. H., über die Wortbildungen mit einem Präfix m- im Ägyp- tischen. Vorgelegt von Erman. (Kl. 11. Juni: Adh.) Kuhn, Dr. F., das Dsehong lun des Tsui Schi. Vorgelegt von de Groot. (Kl! 11. Juni; AbdA.) Lange, HH. O., eine neue Inschrift aus Hermonthis. Vorgelegt von Erman. (Kl. 30. Juli; SB. 5. Nov.) Müller, zwei Pfahlinschriften aus den Turfanfunden. (Kl. 10. Dez.: Abh. 1915.) Bericht über den Erfolg der Preisausschreibungen für 1914 und neue Preisausschreibungen. Akademische Preisaufgabe für 1911 aus dem Gebiete der Mathematik. Die Akademie hat in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1910 folgende Preisaufgabe gestellt: »Die Klassenzahl des allgemeinsten Kreiskörpers soll berechnet und mit der Klassenanzahl seiner Divisoren verglichen werden. « Bewerbungsschriften, die bis zum 31. Dezember 1913 erwartet wurden, sind nicht eingelaufen. Die Akademie will daher von ihrer Befugnis Ge- brauch machen, die Preissumme dem Verfasser einer in das Gebiet der gestellten Preisaufgabe einschlagenden, innerhalb des Zeitraums 1911-—1914 veröffentlichten Schrift oder dem Urheber einer in der gleichen Zeit aus- geführten wissenschaftlich hervorragenden Arbeit als Ehrengabe überweisen zu dürfen. Sie erkennt den ausgesetzten Betrag von fünftausend Mark XVI dem außerordentlichen Professor der Mathematik an der Universität Leipzig Dr. Paul Koebe für seine ausgezeichneten Arbeiten auf dem Gebiete der Funktionentheorie zu. Preisausschreiben aus dem Ellerschen Legat. In der Leibniz-Sitzung des Jahres 1910 hat die Akademie für das Jahr 1914 wiederholt folgende Preisaufgabe aus dem Ellerschen Legat ausgeschrieben: »Die Akademie verlangt Untersuchungen über die unsern Süßwasser- fischen schädlichen Myxosporidien. Es ist alles, was von der Entwicklung dieser Parasiten bekannt ist, übersichtlich zusammenzustellen und minde- stens bei einer Spezies «er vollständige Zeugungskreis experimentell zu ermitteln. « Der ausgesetzte Preis betrug viertausend Mark. Es ist eine Bewerbungsschrift rechtzeitig eingegangen, mit dem Motto: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.« Diese Arbeit gibt eine auf eigene Untersuchungen basierte und die vorhandene Literatur _ berücksichtigende Darstellung eines in der Gallenblase des Zitterrochens Torpedo und einiger anderer Selachier lebenden Myxosporidiums, des Chlo- romyxum leydigi Mingazzini. Sie entspricht aber nicht der von der Aka- (lemie gestellten Aufgabe, insofern erstens die Untersuchung nieht an den unseren Süßwasserfischen schädlichen Myxosporidien, sondern an einem im Mittelmeer vorkommenden Fische angestellt ist, und weil zweitens die Forderung der Akademie: alles, was von der Entwicklung dieser Parasiten bekannt sei, übersichtlich zusammenzustellen, nieht erfüllt ist. Schon aus diesen Gründen kann der Arbeit der ausgesetzte Preis nicht erteilt werden. Die Akademie will nunmehr, da die Preisausschreibung wiederholt erfolglos geblieben ist, von ihrer Befugnis Gebrauch machen, die Preis- summe dem Verfasser einer in das Gebiet der gestellten Preisaufgabe ein- schlagenden, innerhalb des Zeitraums 1911—1914 veröffentlichten Schrift oder dem Urheber einer in der gleichen Zeit ausgeführten wissenschaftlich hervorragenden Arbeit als Ehrengabe überweisen zu dürfen. Sie erkennt den ausgesetzten Betrag von viertausend Mark ihrem korrespondierenden Mitglied Hrn. Viktor Hensen in Kiel für seine hervorragenden Verdienste um die Planktonforschung und sein Werk »Das Leben im Ozean« zu. XVil Preisausschreiben aus dem Cotheniusschen Legat. Die Akademie hat in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1908 und wiederholt in derjenigen von ‚1911 folgende Preisaufgabe aus dem Üotheniusschen Legat ausgeschrieben: ° »Der Entwickelungsgang einer oder einiger Ustilagineen soll möglichst lückenlos verfolgt und dargestellt werden, wobei besonders auf die Über- winterung der Sporen und Mycelien Rücksicht zu nehmen ist. Wenn irgend möglieh, sind der Abhandlung Präparate, welche die Frage ent- scheiden, beizulegen. « Bewerbungsschriften, welche bis zum 31. Dezember 1913 erwartet wurden, sind auch diesmal nicht eingelaufen; dennoch will die Akademie die Aufgabe zum dritten Male unverändert stellen. Der ausgesetzte Preis beträgt zweitausend Mark. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, französischer, englischer oder italienischer Sprache abgefaßt sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Beschluß der zuständigen Klasse von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeichnen, und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äußerlich zu wiederholen. Schriften, welche den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurückziehung einer eingelieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungsschriften sind bis zum 31. Dezember 1916 im Bureau der Akademie, Berlin NW 7, Unter den Linden 38, einzuliefern. Die Ver- kündigung des Urteils erfolgt in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1917. Sämtliche bei der Akademie zum Behuf der Preisbewerbung einge- gangenen Arbeiten nebst den dazu gehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urteilsverkündigung ab von der Akademie für die Ver- fasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Akademie frei, die nieht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. XVIill Preisaufgabe der Charlotten-Stiftung. Gemäß dem Statut der von Frau Charlotte Stiepel geb. Freiin von Hopffgarten errichteten Charlotten-Stiftung für Philologie hat die Akademie in der Leibniz-Sitzung am 26. Juni 1913 die folgende Preis- aufgabe gestellt: »Es wird eine Sammlung der Fragmente der älteren Akademiker (mit Einschluß von Herakleides und Eudoxos) und auf dieser Grund- lage eine Darstellung des Schulbetriebs der Akademie in dieser Epoche gewünscht. ® Da diese Aufgabe in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht be- friedigend gelöst werden kann, so soll ein beliebiger Ausschnitt (z. B. über Philippos) als Probe zur Bewerbung eingereicht werden. « Die Aufgabe ist in zwei rechtzeitig abgelieferten Bewerbungsarbeiten angegriffen worden. Die erste mit dem Kennwort: Vetus Academia haec tamquam omnüum arti- ‚fieum offieina hat eine Sammlung der Fragmente von 37 minder bedeutenden und von 4 wichtigeren Akademikern (Herakleides, Eudoxos, Polemon und Krates) geliefert. Speusippos, Xenokrates, Krantor wurden als bereits ge- nügend behandelt beiseite gelassen. Der Bearbeiter hat zwar eine fleißige und hier und da Neues bietende Zusammenstellung der Fragmente gegeben, aber da er das Ganze zu um- fassen suchte, was ausdrücklich bei der Stellung der Aufgabe als untunlich bezeichnet worden war, und die nötige eingehendere Behandlung eines be- liebigen Ausschnittes, wie sie gewünscht war, nicht geliefert hat, so kann die Aufgabe um so weniger für gelöst gelten, als der Versuch, den »Schul- betrieb unter den Nachfolgern Platos« in einer Schlußdarstellung zusammen- zufassen. dartut, daß der Verfasser den Schwierigkeiten dieser Aufgabe noch nieht gewachsen ist. Die zweite Bearbeitung mit dem Motto H rär no? enerreia zuh behandelt entsprechend der in der Preisaufgabe angegebenen Beschränkung ledig- lich Philippos von Opus. Nach einer kurzen Aufzählung der Zeugnisse und Fragmente geht der Verfasser auf Leben und Schriften des Akademikers in eingehender Forschung ein. Durch eine scharfsinnige Interpretation der Epinomis in Verbindung mit den anderweitig überlieferten Daten gelingt es ihm, das bisher recht undeutliche Bild des Mannes überraschend auf- xixX zuhellen und mit den Studien des greisen Platon und seiner Mitschüler in Verbindung zu setzen. Die Verknüpfung («des Philipp mit Philolaos’ Lehre führt schon über Platon hinaus; noch mehr der Gestirnkult, der überzeugend auf ehaldäische Einflüsse in der Akademie zurückgeführt wird. Endlich ergibt sich enge Anlehnung an den Kalender Euktemons. Vermißt wird eine eingehendere Stilanalyse der Epinomis, obgleich sich der Ver- fasser, wie Andeutungen zeigen, auch hiermit beschäftigt hat. Der Ver- fasser wird gut tun, diese Lücke bei der Publikation auszufüllen. Die Darstellung, die am Anfang etwas vag gehalten ist, gewinnt mit dem Fortschreiten der Arbeit immer mehr wissenschaftliche Konsistenz und gestattet. mit Leichtigkeit den neuen und weitblickenden Forsehungs- resultaten des Verfassers zu folgen. Er hat unzweifelhaft einen sehr wert- vollen Beitrag zur Geschichte der älteren Akademie geliefert und zugleich angedeutet, wie diese an Platons letzte Phase anknüpfende Astrolatrie und Dämonologie Philipps bei Poseidonios und den Neuplatonikern ihre weitere Ausgestaltung erhält. Die Akademie hat daher dieser zweiten Arbeit den Preis der Char- lotten-Stiftung zuerkannt. Die nach Verkündung des vorstehenden Urteils vorgenommene Er- öffnung des Namenszettels ergab als Verfasser Dr. Werner Wilhelm Jaeger, zur Zeit der Bewerbung Privatdozenten der Universität Berlin, jetzt außer- ordentlichen Professor an der Universität Basel. Akademische Preisaufgabe für 1917 aus dem Gebiete der Philosophie. Die Akademie stellt für das Jahr 1917 folgende Preisaufgabe: »Der Anteil der Erfahrung an den menschlichen Sinneswahrnehmungen soll systematisch untersucht und dargestellt werden. Es kommt nicht darauf an, daß die Menge der in der physiologischen und psychologischen Literatur angehäuften Einzeltatsachen gesammelt, sondern darauf, daß die ver- schiedenen Formen der sinnlichen Erfahrung so scharf als möglich nach Art und Grenzen ihrer Wirksamkeit bestimmt und die gemeinsamen Faktoren und Gesetzlichkeiten in den verschiedenen Sinnesgebieten aufgezeigt werden. Genaue Nachprüfung der verwerteten Beobachtungen ist erforderlich, größere selbständige Experimentaluntersuchungen über entscheidende Punkte sind erwünscht. « xXX Der ausgesetzte Preis beträgt fünftausend Mark. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, französischer, englischer oder italienischer Sprache abgefaßt sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Beschluß der zuständigen Klasse von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeiehnen, und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äußerlich zu wiederholen. Schriften, welche den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurückziehung einer eingelieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungsschriften sind bis zum 31. Dezember 1916 im Bureau der Akademie, Berlin NW 7, Unter den Linden 38, einzuliefern. Die Ver- kündigung des Urteils erfolgt in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1917. Sämtliche bei der Akademie zum Behuf der Preisbewerbung einge- gangenen Arbeiten nebst den dazu gehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urteilsverkündigung ab von der Akademie für die Ver- fasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Akademie frei, die nicht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. Preisausschreibung aus der Graf-Loubat-Stiftung. Die Akademie wird am Leibniz-Tage im Juli 1916 aus der Graf- Loubat-Stiftung einen Preis von 3000 Mark an diejenige gedruckte Schrift aus dem Gebiet der präkolumbischen Altertumskunde von ganz Amerika (Nord-, Zentral- und Südamerika) zu erteilen haben, welche unter den ihr eingesandten oder ihr anderweitig bekannt gewordenen als die beste sich erweist. Sie setzt demgemäß den 1. Januar 1916 als den Termin fest, bis zu welehem Bewerbungsschriften an sie eingesandt und in Berlin eingetroffen sein müssen. Statutenmäßig dürfen nur solche Schriften prämiiert werden, welche innerhalb der letzten zehn Jahre erschienen sind. Als Schriftsprache wird die deutsche und die holländische zugelassen. XXI Statut der Albert-Samson-Stiftung. Vom 19. Juli 1905 /7. September 1914. Sl. Zweck der Stiftung. Die Stiftung erfolgt zugunsten der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und hat den Zweck, durch Gewährung der er- forderlichen Mittel die Ausführung von wissenschaftlichen Forschungen und Untersuchungen über die natürlichen, biologischen Grundlagen der Moral, der individuellen sowohl wie der sozialen, zu ermöglichen oder zu fördern und die Ergebnisse dieser Forschungen zu veröffentlichen und zu verbreiten. Die Ziele und Zwecke der Stiftung sollen erreicht werden: a) durch Erforschung der anthropologischen, ethnologischen, geo- graphischen, geologischen und meteorologischen Einflüsse auf Lebensweise, Charakter und Moral der Menschen; b) durch anatomische, entwicklungsgeschichtliche, vergleichend ana- tomische und physiologische Forschungen auf dem Gebiete des Nervensystems; durch Arbeiten auf dem Gebiete der experimentellen Psychologie. m Auch sind pathologisch-anatomische und psychiatrische Unter- suchungen, falls sie geeignet sind, die Stiftungszwecke zu fördern, nicht ausgeschlossen; d) durch Erforschung der Urgeschichte und Geschichte der Moral und Ethik. Theologische, juristische, politische und philosophische Untersuchungen sollen nur insoweit in Betracht kommen können, als sie zur Geschichte der Moral und Ethik gehören. Besonders zu bevorzugen sind diejenigen wissenschaftlichen Unter- suchungen, welehe den Aufbau einer besten Morallehre auf Grundlage in- XXI duktiver Forschung in den genannten Fächern zu fördern geeignet er- scheinen und damit zu praktischen Folgerungen für die Hebung des Ge- meinwohles Aussicht geben. 2. un Bezeichnung der Stiftung. Die Stiftung führt den Namen: » Albert-Samson-Stiftung«. Dieselbe hat die Rechte einer Korporation und ihren Sitz in Berlin. Sie führt ein eigenes Siegel. 8.3. « Stiftungskapital. Das Stiftungskapital ist unangreiflich; nur die Zinsen desselben dürfen für Stiftungszwecke zur Verwendung gebracht werden. un 4. Aufsichtsbehörde und Verwaltungsorgane. Die Stiftung steht unter Oberaufsicht des Königlich Preußischen Mi- nisteriums der geistlichen, Unterriehts- und Medizinal-Angelegenheiten und wird verwaltet durch ein Kuratorium von sieben Mitgliedern der Preußi- schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Von diesen sieben Mitgliedern sollen zwei die beiden Sekretare der physikalisch-mathematischen Klasse sein und vier den biologischen Fächern dieser Klasse oder auch den Vertretern der Geographie, der Geologie und Paläontologie, soweit diese zur physikalisch-mathematischen Klasse zählen, angehören. Das siebente Mitglied soll der philosophisch-historischen Klasse angehören und zwar Vertretern der Geschichtswissenschaften oder der Phi- losophie entnommen werden. Die Ernennung der fünf zu den Sekretaren der physikalisch-mathe- matischen Klasse hinzutretenden Mitglieder des Kuratoriums erfolgt durch Wahl seitens der beiden Klassen der Akademie, indem jede Klasse für sich wählt, nämlich die physikalisch-mathematische Klasse vier ihr an- gehörige Mitglieder, die philosophisch-historische Klasse eines desgleichen, und zwar unter Beobachtung der durch die oben bezeichneten Fächer auf- erlegten Beschränkungen. XXIll Die Wahl geschieht für die Dauer von fünf Geschäftsjahren. Das Geschäfts- und zugleich Reehnungsjahr läuft vom 1. April bis zum 31. März des folgenden Jahres. Bei Berechnung der ersten Wahlperiode wird die Zeit von da ab, wo der erste Wahlakt stattgefunden hat, bis zum nächsten l. April den darauffolgenden fünf Jahren beigezählt. Im letzten Vierteljahr einer Wahlperiode, spätestens vier Wochen vor Ablauf derselben, findet Neuwahl statt; indessen treten die für die nächste Wahlperiode gewählten Kuratoren erst bei Beginn derselben in Funktion. Wiederwahl ist zulässig. Scheidet ein Mitglied während der Wahlperiode aus, so wird für den Rest derselben von den übrigen Mitgliedern des Kuratoriums ein Ersatz- mann aus derselben Klasse und wenn möglich aus demselben Fache ge- wählt, welchem der Ausgeschiedene angehörte. Die Wahlen der Mitglieder des Kuratoriums für die erste und jede folgende Wahlperiode erfolgen auf Betreiben des vorsitzenden Sekretars der physikalisch-mathematischen Klasse in einer ordentlichen Sitzung, zu welcher jedes der Klasse angehörende ordentliche Mitglied schriftlich unter Mitteilung des Gegenstandes einzuladen ist. Die Einladung gilt als erfolgt, wenn das betreffende Schreiben nach der hiesigen Wohnung des Adressaten gerichtet und eine Woche vor dem Wahlltage zur Post gegeben ist. Die Wahlen selbst erfolgen nach dem in $ 25, 2 des Statuts der Königlichen Akademie der Wissenschaften vorgeschriebenen Modus; es soll indessen gestattet sein, wenn kein Einspruch erhoben wird, über alle zur Wahl Vorgeschlagenen mit einem und demselben Stimmzettel abzustimmen. SE Organisation des Kuratoriums. Nach erfolgter Wahl der Mitglieder des Kuratoriums beruft der vor- sitzende Sekretar der physikalisch-mathematischen Klasse dieselben zu einer konstituierenden Sitzung, welche baldmöglichst nach Beginn der Wahl- periode stattzufinden hat. In der Sitzung wählen die Mitglieder aus ihrer Mitte einen Vorsitzen- den und einen Stellvertreter für die Dauer der Wahlperiode. Beide müssen der physikalisch-mathematischen Klasse angehören. Scheidet der Vorsitzende während der Wahlperiode aus, so rückt der Stellvertreter für den ganzen Rest derselben in dessen Stelle. XXIV Für die Einladung zu dieser Sitzung, die Leitung derselben und Voll- ziehung der Wahlen finden die im vorstehenden Paragraphen getroffenen Bestimmungen gleichfalls Anwendung. 8 6. Befugnisse und Beschlüsse des Kuratoriums im allgemeinen. Das Kuratorium vertritt die Stiftung in allen gerichtlichen und außer- gerichtlichen Angelegenheiten, verwaltet das Stiftungsvermögen und hat über die stiftungsmäßige Verwendung der aufkommenden Revenuen zu be- schließen. Das Kuratorium faßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit in den von dem Vorsitzenden anzuberaumenden Sitzungen. Zu jeder Beschlußfassung ist Stimmgebung von mindestens vier Mit- gliedern des Kuratoriums einschließlich des Vorsitzenden oder seines Stell- vertreters erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Eine Ausnahme von diesen Bestimmungen tritt ein, wenn es sich um Geldbewilligungen für Stiftungszwecke handelt. Für solche ist die Zu- stimmung von mindestens fünf Mitgliedern des Kuratoriums erforderlich. Über die Verhandlungen und Beschlüsse des Kuratoriums in den Sitzungen ist ein Protokoll aufzunehmen. Dem Kuratorium bleibt die Festsetzung der Geschäftsordnung über- lassen, und es soll demselben gestattet sein darin zu bestimmen, daß Ab- stimmungen über Anträge oder Angelegenheiten von minderer Wichtigkeit — niemals also über Geldbewilligungen — auch schriftlich im Wege des Umlaufs erfolgen können; indessen darf durch die Geschäftsordnung an den in diesem Statut ausdrücklich vorgeschriebenen Normen nichts geändert werden. ST. Rechte und Obliegenheiten des Vorsitzenden. Die Verhandlungen und Geschäfte des Kuratoriums werden von dem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter geleitet. Derselbe beruft die Mit- glieder des Kuratoriums, sobald die Lage der Geschäfte dies erfordert oder wünschenswert erscheinen läßt, insbesondere auch alsdann, und zwar längstens binnen vierzehn Tagen, wenn zwei Mitglieder unter schriftlicher Begründung darauf antragen. XxV Die Einladungen erfolgen schriftlich unter Mitteilung der Tagesordnung spätestens drei Tage vor der Sitzung. im übrigen nach Maßgabe der in $ 4 und 5 für die Wahlsitzungen getroffenen Bestimmung. Auch die Führung der geschäftlichen Korrespondenz gehört zu den Funktionen des Vorsitzenden beziehungsweise des Stellvertreters. S 8. Anlegung des Stiftungsvermögens. Das Stiftungsvermögen muß in Hypotheken oder Wertpapieren sicher und zinsbar angelegt werden, soweit der Verkauf der überkommenden Werte der Mehrheit des Kuratoriums angezeigt erscheint. Wertpapiere gelten für sicher, wenn sie von der Reichsbank als be- leihbar anerkannt sind: über die Wahl der als sicher anerkannten Wert- papiere sowie über den Betrag, welcher in einem oder dem anderen (dieser Wertpapiere anzulegen ist, entscheidet das Kuratorium mit fünf Stimmen. Hypotheken müssen auf Berliner Grundstücken oder doch auf Grund- stücken in Orten eingetragen werden, welche als Vororte von Berlin gelten, und zwar dergestalt, daß denselben andere nieht im Besitze der Stiftung befindliche Hypotheken oder Grundschulden im Range nicht vorgehen. In Hypotheken, welche auf Grundstücken der bezeichneten Vororte ruhen, darf höchstens ein Viertel des Stiftungskapitals angelegt werden. Rücksichtlich der Beleihungsgrenze ist Einstimmigkeit des Kuratoriums erforderlich. Größere Sicherheit ist einem höheren Zinsertrage vorzuziehen. Die Anlegung als Grundschulden ist unstatthaft. Der Erwerb von Grundstücken oder von anderen unbeweglichen Sachen für die Stiftung darf nur zur Vermeidung eines dem Grundkapital der Stiftung drohenden Verlustes, ausnahmsweise auch in denjenigen Fällen erfolgen, in welchen sich die Anschaffung als ein für Erreichung der Stiftungszwecke unabweisbares Bedürfnis herausstellt. Sollte das Stiftungskapital dennoch einen Verlust erleiden, so sind zur Deckung des entstandenen Fehlbetrages zunächst der nach $ 13 gebildete Reservefonds und, wenn dieser hierzu nieht ausreichend ist, die aufkommen- den Jahresrevenuen abzüglich der Verwaltungsunkosten zu verwenden. Die Jahreserträge werden zu Stiftungszwecken erst dann wieder verfügbar, wenn das Stiftungskapital wieder auf seine ursprüngliche Höhe gebracht und dem Reservefonds der ihm entnommene Betrag wieder zugeführt ist. d XXVl 89. Aufbewahrung der Dokumente und Kassenführung. Die der Stiftung gehörenden Gelder, geldeswerten Papiere und Doku- mente werden durch die von dem Königlichen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten mit der Verwahrung der akade- mischen Gelder usw. betraute Kasse aufbewahrt, zur Zeit durch die König- liche Universitätskasse zu Berlin. Diese Kasse ist ermächtigt, für die Stiftung nicht nur die Erträge der aufbewahrten Fonds und etwaige sonstige Forderungen einzuziehen, sondern auch überhaupt Gelder in Empfang zu nehmen und darüber zu quittieren. Dieselbe übernimmt auch die Rendantur, die Buchführung für das Vermögen der Stiftung und leistet auf Anordnung des Kuratoriums — $11 — die auf die Erträgnisse der Stiftung angewiesenen Zahlungen. Am Schlusse des Geschäftsjahres stellt die Kasse die Rechnung als einen Anhang zu der Rechnung der Akademie auf und stellt ein Exemplar der- selben dem Kuratorium zu. Die alljährliche Prüfung, eventuell Richtigstellung und Entlastung der Rechnung erfolgt in derselben Weise und dureh dieselben Organe wie für die übrigen Fonds der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Von dem Ergebnis ist dem Kuratorium Mitteilung zu machen. Sl0r Der Stiftung obliegende Kosten. Die Kasse erhebt für die Verwaltungsgeschäfte Kosten nach demselben Maßstabe wie für die übrigen bei der Königlichen Akademie der Wissen- schaften errichteten Stiftungen. Die Mitglieder des Kuratoriums versehen ihre Funktionen ehrenamtlich. Die dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter aus der Geschäfts- führung und Korrespondenz erwachsenen Auslagen werden denselben aus den Revenuen der Stiftung erstattet. Zu den Kosten der Geschäftsführung gehört auch die Besoldung der Hilfskräfte, welche der Vorsitzende des Kuratoriums zur Führung der Registraturgeschäfte und Fertigung der schriftlichen Arbeiten heranzuziehen befugt ist. XXVll Sal. Form der für die Stiftung abzugebenden und für dieselbe bestimmten Willenserklärungen. Alle von dem Kuratorium ausgehenden die Stiftung betreffenden Sehrift- stücke müssen am Schlusse den Namen der Stiftung: » Albert-Samson-Stiftung « tragen. Bei der durch den Vorsitzenden des Kuratoriums bzw. dessen Stell- vertreter zu führenden geschäftlichen Korrespondenz, ingleichen bei Zahlungs- anweisungen an die Kasse bis zu einem Betrage von 300 Mark, genügt die dem Namen der Stiftung beizufügende alleinige Unterschrift des Vor- sitzenden oder seines Stellvertreters mit einem diese Eigenschaft andeu- tenden Zusatz. Dagegen bedürfen alle Schriftstücke, Kundgebungen und Urkunden, durch welche für die Stiftung Verbindlichkeiten übernommen, Rechte auf- gegeben oder an andere abgetreten werden, ingleichen Zahlungsanweisungen, welche den Betrag von 300 Mark übersteigen, zu ihrer Gültigkeit außer dem Namen der Stiftung noch der Unterzeichnung durch drei Mitglieder des Kuratoriums, unter denen sich der Vorsitzende oder dessen Stellver- treter befinden muß. Die Unterzeichner haben auch hier ihrer Unterschrift einen ihre Eigenschaft andeutenden Zusatz beizufügen. Auch ist die Bei- drückung des Stiftungssiegels erforderlich. In gleicher Weise bedarf es bei Rechtshandlungen, welche die Stiftung angehen, der Mitwirkung und Vertretung durch drei Mitglieder des Kura- toriums, unter denen sieh der. Vorsitzende bzw. dessen Stellvertreter be- finden muß, und der Vollziehung durch dieselben unter dem Namen der Stiftung in vorstehend vorgeschriebener Weise; doch bedarf es der Bei- drückung des Stiftungssiegels nicht, wenn die Rechtshandlung vor Gericht oder einer anderen staatlichen Behörde oder vor einem Notar beurkundet ist. In prozessualischen Angelegenheiten einschließlich des Zwangsver- steigerungs- und Zwangsverwaltungs-Verfahrens kann sich das Kuratorium durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen; die auszustellende Vollmacht ist wie andere Rechtsakte zu vollziehen. Die Legitimation der Mitglieder des Kuratoriums einschließlich des Vorsitzenden und seines Stellvertreters wird den Gerichten und anderen d’ XXVIll Behörden sowie auch Privatpersonen gegenüber durch eine diese Eigen- schaft bestätigende Bescheinigung des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten geführt. Beschlüsse und Entscheidungen der Gerichte, Erlasse anderer Behörden, Zustellungen, Kundgebungen und Willensäußerungen aller Art von Privat- personen gelten als an die Stiftung erfolgt, wenn dieselben an den Vor- sitzenden des Kuratoriums oder dessen Stellvertreter gerichtet und dem Adressaten behändigt sind. $ 12. Vorschläge und Anträge auf Geldbewilligung sowie Beschluß- nahme über dieselben. Tunliehst bald nach Ablauf eines jeden Geschäftsjahres und zugleich Reehnungsjahres stellt das Kuratorium fest, welche Zinserträge des Stiftungs- kapitals aus dem verflossenen und aus den früheren Geschäftsjahren zur Verfügung stehen, und welche Mittel hiernach für wissenschaftliche Zwecke zur Verwendung gelangen können, und macht dem vorsitzenden Sekretar der Akademie von dem Resultat der Feststellung Mitteilung, die von ihm in der nächsten Gesamtsitzung vorgelegt wird. Vorschläge zu Geldbewilligungen zu machen, ist jedem ordentlichen und auswärtigen Mitgliede der Berliner ‚Akademie gestattet. Diese sind schriftlich an den vorsitzenden Sekretar der Akademie zu richten, welcher sie dem Plenum zur Kenntnis bringt und an das Stiftungskuratorium weitergibt. Anträge auf Geldbewilligung sind ohne Einschränkung zu- lässig und von dem Kuratorium baldmöglichst in Erwägung zu ziehen, nachdem sie demselben eingereicht sind. Eine öffentliche Aufforderung zur Vorbringung von Vorschlägen oder Einreichung von Anträgen ist unstatthaft. Dagegen sollen diejenigen Akademien und gelehrten Gesellschaften, welehe mit der Berliner Akademie der Internationalen Assoziation der Akademien angehören, von der Höhe der verfügbaren Mittel alljährlich in Kenntnis gesetzt werden, so daß ihre Mitglieder Vorschläge machen können. Diese Vorschläge sind ebenfalls an den jedesmaligen vorsitzenden Sekretar der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften zu richten und wie die Vorschläge der Mitglieder der Berliner Akademie selbst zu behandeln ($ 12, Abs. 2). Die Entscheidung auch über diese Vorschläge steht ausschließlich dem Berliner Kuratorium zu. XXIX Das Kuratorium hat über die ihm von dem vorsitzenden Sekretar der Akademie übermittelten Vorschläge und Anträge in einer zu diesem Zwecke anzuberaumenden Sitzung zu befinden und ist berechtigt, nach freiem Ermessen eingegangene Vorschläge und Anträge ohne weiteres ab- zulehnen oder über die weitere Behandlung derselben, also auch darüber zu beschließen, was zum Zweck der Prüfung behufs definitiver Beschluß- nahme noch zu geschehen hat. Insbesondere ist dem Kuratorium ge- stattet, diejenige Klasse der Akademie, deren wissenschaftlicher Sphäre ein Vorschlag oder Antrag angehört, um gutachtliche Äußerung zu ersuchen. Wenn nach der Ansicht des Kuratoriums die gemachten Vorschläge oder gestellten Anträge spruchreif sind, entscheidet dasselbe definitiv über Ablehnung oder Genehmigung und Bewilligung der Geldmittel. Die Genehmigung und Geldbewilligung kann auch unter Bedingungen erfolgen; über Erfüllen derselben hat ebenfalls lediglich das Kuratorium zu befinden. Das Kuratorium teilt die gefaßten Beschlüsse dem Minister der geist- lichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und dem vorsitzenden Sekretar der Akademie zur Kenntnisnahme mit und gibt auch der Kasse von der stattgehabten Geldbewilligung und den zu erwartenden Geldan- weisungen Nachricht. $ 13. Bestimmungen über die nicht zur Verwendung gelangten Jahres- einkünfte und Bildung eines Reservefonds. Die Stiftungsmittel sollen nur zu den in $ 1 bezeichneten Zwecken Verwendung finden. Können sie mangels geeigneter Anträge keine Ver- wendung finden, so sind sie zur Bildung eines Reservefonds für die Zwecke der Stiftung zu verwenden. Auch von anderen Donatoren können Mittel zur Vergrößerung der Stiftung angenommen werden, und der Stifter richtet an die jeweiligen Mitglieder des Kuratoriums die Bitte, für solche Erweiterung der Stiftungs- mittel nach Kräften wirken zu wollen. Zweck und Name der Stiftung bleibt jedoch unverändert; indessen können die Namen der Donatoren in den Jahresberichten veröffentlicht werden. ös ist wünschenswert, daß die Stiftungsmittel in erster Linie für Auf- gaben des zuständigen Gebietes verwendet werden, denen eine größere Be- XXX deutung zukommt; doch soll durch diese Bestimmung nicht von einem stetigen programmatischen Arbeitsbetriebe der Stiftung abgelenkt werden, der in den Intentionen des Stifters liegt. Sonach sind auch Unterstützungen kleinerer Untersuchungen, insofern letztere den Stiftungsaufgaben förderlich erscheinen und sich in den programmatischen Arbeitsbetrieb einfügen, zulässig. Mit den nieht zur Verwendung gelangten Jahresüberschüssen soll ein Reservefonds gebildet werden, welcher in derselben Weise wie das Stiftungs- kapital selbst von dem Kuratorium zinsbar angelegt und unter Mitwirkung der Kasse verwaltet werden soll. Für das sich solchergestalt bildende Reservekapital und die davon aufkommenden Zinsen sollen dieselben An- ordnungen, welche bezüglich des Stiftungskapitals und dessen Zinsen ge- troffen sind, ebenfalls in Geltung treten, jedoch mit der Ausnahme, daß zu größeren Unternehmungen und Forschungen im Bedarfsfalle auch das Kapital des Reservefonds in Angriff genommen werden darf mit der Maß- gabe, daß behufs leichterer und schleunigerer Flüssigmaehung die Anlegung nicht in Hypotheken, sondern in Wertpapieren erfolgen soll. Erst wenn der Reservefonds den Betrag von 300000 Mark — drei- hunderttausend Mark — erreicht hat, fließen die nicht zur Verwendung gelangten Überschüsse dem Kapitalfonds der Stiftung zu. $ 14. Bestimmungen für die Ausführung der beschlossenen Unter- nehmungen. Das Kuratorium erteilt den Antragstellern auf die eingereichten An- träge Bescheid und trifft die zur Ausführung der beschlossenen Unter- nehmungen erforderlichen Maßregeln. Hierbei sind die Unternehmer der aus Stiftungsmitteln dotierten Arbeiten und Forschungen zu verpflichten, Berichte über die Ausführung und die gewonnenen Resultate dem Kuratorium einzureichen. Dieses legt die ein- gegangenen Berichte der Akademie zur Kenntnisnahme und, wenn es die- selben zur Veröffentlichung geeignet findet, zur eventuellen Aufnahme in ihre Schriften vor. Dort nicht zum Druck gelangende Berichte ist das Kuratorium befugt und wird vom Stifter gebeten, nach seinem Ermessen an anderen Stellen, insbesondere auch in in- und ausländischen Tages- und periodischen Blättern, zu veröffentlichen. Dasselbe gilt, falls die Akademie XXXI ihre Genehmigung erteilt, von den in den akademischen Schriften abge- druckten Berichten. In der zur Feier des Jahrestages König Friedrichs II. von der König- lichen Akademie der Wissenschaften abzuhaltenden öffentlichen Sitzung er- stattet einer der dem Kuratorium angehörenden Sekretare oder ein anderes Mitglied desselben über die Wirksamkeit der Stiftung den Jahresbericht. $ 15. Änderung des Stiftungsstatuts. Abänderungen der Bestimmungen dieser Stiftungsurkunde dürfen bei Lebzeiten des Stifters nur mit dessen Genehmigung erfolgen. Auch nach dem Tode desselben sind Abänderungen nur zulässig, wenn dieselben von dem aufsichtführenden Ministerium für notwendig oder dringend wünschens- wert erachtet werden. Dieselben bedürfen außer der Genehmigung des aufsichtführenden Ministeriums und der Allerhöchsten Bestätigung des übereinstimmenden Beschlusses des Kuratoriums und der Königlichen Akademie der Wissen- schaften. Bei Abänderungen des Stiftungsstatuts, welche Sitz und Ver- tretung der Stiftung betreffen, ist noch die Zustimmung des Ministers des Innern und der Justiz erforderlich. Eine Änderung der Stiftungszwecke und der Bestimmung, daß das Stiftungskapital unangreifbar sei, ist für alle Zeiten unbedingt ausgeschlossen. $ 16. Beginn der Wirksamkeit der Stiftung. Die Stiftung tritt nach Erteilung der Allerhöchsten Bestätigung mit dem Tode des Stifters in wirksame Tätigkeit. Nachdem der Stifter, Rentner Albert Samson in Brüssel, am 6. Sep- tember 1908 gestorben war, wurde die landesherrliche Genehmigung der Stiftung durelıi Allerhöchsten Erlaß vom 20. Januar 1912 erteilt. Das vor- stehende Statut der Stiftung, dessen Wortlaut dem Testament Albert Samsons vom 19. Juli 1905 entnommen ist, wurde durch Erlaß des vorgeordneten Herrn Ministers der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten vom 7. Sep- tember 1914 genehmigt. Das Stiftungskapital beträgt zur Zeit 897300 Mark. XXXIl Verzeichnis der im Jahre 1914 erfolgten besonderen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung wissenschaftlicher Unter- nehmungen. Es wurden im Laufe des Jahres 1914 bewilligt: 2300 Mark dem Mitglied der Akademie Hrn. Engler zur Fortführung der 4000 7000 6000 5000 4000 20000 800 500 1000 1500 8300 » Herausgabe des »Pflanzenreich «. dem Mitglied der Akademie Hın. F. E. Schulze zur Fort- führung des Unternehmens »Das Tierreich «. Demselben zur Fortführung der Arbeiten für den Nomenclator animalium generum et subgenerum (5000 Mark) und für die Drucklegung dieses Werkes (2000 Mark). dem Mitglied der Akademie Hrn. Koser zur Fortführung der Herausgabe der Politischen Korrespondenz Friedrichs des Großen. dem Mitglied der Akademie Hrn. von Wilamowitz-Moellen- dorff zur Fortführung der Sammlung der griechischen In- schriften. der Deutschen Kommission der Akademie zur Fortführung ihrer Unternehmungen. der Orientalischen Kommission der Akademie zur Fortführung ihrer Arbeiten. für eine im Verein mit anderen deutschen Akademien ge- plante Fortsetzung des Poggendorffschen biographisch -lite- rarischen Lexikons. für eine von den kartellierten deutschen Akademien aus- gehende Expedition nach Teneriffa zum Zweck von licht- elektrischen Spektraluntersuchungen. zur Förderung des Unternehmens des Thesaurus linguae La- tinae über den etatsmäßigen Beitrag von 5000 Mark hinaus. zur Bearbeitung der hieroglyphischen Inschriften der griechisch- römischen Epoche für das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. zu der von den kartellierten deutschen Akademien unternom- menen Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge. XXXII 2000 Mark dem Mitgliel der Akademie Hrn. Beekmann zu photochemi- 3000 1000 120 2000 2000 500 >00 2000 800 300 3000 1300 » schen Untersuchungen mit Röntgenstrahlen. Hrn. Prof. Dr. Max Bodenstein in Hannover zu photo- chemischen Versuchen. Hrn. Prof. Dr. Otto Eggert in Danzig zur Herausgabe einer Tafel der numerischen Werte der trigonometrischen Funk- tionen. Hrn. Dr. Viktor Franz in Leipzig zu Untersuchungen an Mormyriden. Hrn. Dr. Erwin Finlay Freundlich in Berlin-Babelsberg zur Ausführung einer astronomischen Expedition nach der Krim. Hrn. Prof. Dr. Kurt Gagel in Berlin zu einer Reise nach den Kanarischen Inseln behufs Untersuchung der Lagerungs- verhältnisse der Tiefengesteine. Hrn. Dr. Paul Hanitzsch in Leipzig zu Forschungen über die Siphonophoren. Hrn. Dr. Robert Hartmeyer in Berlin zu Studien über die Systematik der Aseidien. Hrn. Prof. Dr. Ernst Hertel in Straßburg zu Arbeiten auf dem Gebiete der Lichtbiologie. Hrn. Prof. Dr. Otto Kalischer in Berlin zur Fortsetzung seiner Versuche betreffend die Hirnfunktion. Hrn. Privatdozenten Dr. Gerhard Kautzsch in Kiel zu Studien über die Entwickelung der Aseidien. Frl. Dr. Olga Kuttner in Halle a.S. zu biologischen Unter- suchungen tropischer Oladoceren auf Java. Hrn. Dr. Ernst J. Lesser in Mannheim zu Arbeiten über das Verhalten des diastatischen Fermentes und des Glykogens. Hrn. Dr. Wilhelm von Möllendorff in Greifswald zu Unter- suchungen über den Transport von Farbstoffen im Säugetier- organismus. Hrn. Dr. Paul Viktor Neugebauer in Berlin zur Erweiterung des ersten Heftes seiner Tafeln zur astronomischen Chronologie. Hrn. Prof. Dr. Jean Peters in Berlin zur Berechnung von Koordinatentafeln. XXXIV 600 Mark Hrn. Prof. Dr. Heinrich Poll in Berlin zu Vererbungsstudien am Menschen. - 600 » Hrn. Dr. F. E. Rühe in Berlin zur Ausführung von Plankton- forschungen in Süd- und Mittelschweden. 1000 » Hrn. Prof. Dr. Otto Ruff in Danzig zu Untersuchungen über das Ruthenium. 250 » Hrn. Privatdozenten Dr. Adolf Walther in Gießen zu Ver- erbungsversuchen an Hühnern. 2500 » Hrn. Prof. Dr. Nathan Zuntz in Berlin zu Untersuchungen über die Einwirkung der Höhenluft auf die Lebensvorgänge. 600 » Hrn. Generalleutnant Dr. Max von Bahrfeldt in Hildesheim zur Förderung seiner Arbeiten über die Kupfermünzprägung unter der römischen Republik. 1500 » IHrn. Privatdozenten Dr. Hans Jantzen in Halle a. S. zu einer kunsthistorischen Forschungsreise nach Frankreich. 1000 » Hrn. Prof. Dr. Adolf Schulten in Erlangen zu einer topo- graphisch-archäologischen Forschungsreise in Spanien. Verzeichnis der im Jahre 1914 erschienenen im Auftrage oder mit Unter- stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke. Unternehmungen der Akademie und ihrer Stiftungen. Das Pilanzenreich. Regni vegetabilis conspeetus. Im Auftrage der Königl. preuss. Akademie der Wissenschaften hrsg. von A. Engler. Heft 62. 63. Leipzig und Berlin 1914. Das Tierreich. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. Begründet von der Deutschen Zoologischen Gesellschaft. Im Auftrage der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin hrsg. von Franz Eilhard Schulze. Lief. 41. 42. Berlin 1914. Politische Correspondenz Friedrich’s des Grossen. Bd. 36. Berlin 1914. Inseriptiones Graeeae consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae editae. Vol. 11, Fase. 4. Inseriptiones Deli eonsilio et auetoritate Academiae Inseriptionum et humaniorum Litterarum Franco- gallicae editae. Fasce. 4. Ed. Petrus Roussel. Berolini 1914. XXXV Kant’s’ gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd. 16. Berlin 1914. Deutsche Texte des Mittelalters hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd. 22. Das Väterbuch. Berlin 1914. Corpus medicorum Graecorum auspieiis Academiarum associatarum ed. Aca- demiae Berolinensis Havniensis Lipsiensis. V 9, 1. Galeni in Hippocratis de natura hominis comm. III ed. I. Mewaldt, in Hippoeratis de vietu acu- torum comm. IV ed. G. Helmreich, de diaeta Hippocratis in morbis acutis ed. I. Westenberger. XI 2, 1. Pseudogaleni in Hippocratis de septimanis ed. G. Bergstraesser. Lipsiae et Berolini 1914. Dr.-Karl-Güttler-Stiftung. Bousset, W. ‚Jüdisch-COhristlicher Scehulbetrieb in Alexandria und Rom. Göttingen 1914. Humboldt-Stiftung. Bücking, H. Geologische Übersichtskarte der Rhön. Berlin 1914. Sievers, Wilhelm. Reise in Peru und Ecuador ausgeführt 1909. München und Leipzig 1914. (Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Gesell- schaft für Erdkunde zu Leipzig. Bd. 8.) Savigny-Stiftung. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae iussu Instituti Savigniani compositum. Tom. 4, Fase. 1. Berolini 1914. Hermann-und- Elise-geb.- Heckmann- Wentzel-Stiftung. Beiträge zur Flora von Mikronesien. Zusammengestellt von @. Volkens. Serie I. Leipzig und Berlin 1914. Beiträge zur Flora von Papuasien. Hrsg. von ©. Lauterbach. Serie IV. Leipzig und Berlin 1914. Deutsches Reehtswörterbuch. Hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Quellenheft und Bd. 1, Heft 1. Weimar 1912. 14, XXXVI Von der Akademie unterstützte Werke. Berlet, Otto. Pergamon und Umgebung. Zwei Karten. Berlin 1914. (Aus Altertümer von Pergamon. Bd. 1.) Wissenschaftliche Ergebnisse der Tendaguru-Expedition 1909—1912. Tl.1 —3. Berlin 1914. (Archiv für Biontologie. Bd. 3, Heft 1. 3. 4.) Leonhardi Euleri opera omnia. Sub auspieiis Societatis Seientiarum natu- ralium Helvetiecae edenda eur. Ferdinand Rudio, Adolf Krazer, Paul Stäckel. Ser. I: Vol. 12. Lipsiae et Berolini 1914. Neugebauer, Paul V. Tafeln zur astronomischen Chronologie II. Tafeln für Sonne, Planeten und Mond nebst Tafeln der Mondphasen für die Zeit 4000 vor Chr. bis 3000 nach Chr. Leipzig 1914. Sachau, Eduard. Syrische Rechtsbücher. Bd. 3. Berlin 1914. Ungnad, Artur. Babylonische Briefe aus der Zeit der Hammurapi-Dy- nastie. Leipzig 1914. (Vorderasiatische Bibliothek. Stück 6.) Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1914. Es wurden gewählt: zu ordentlichen Mitgliedern der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Richard Willstätter | bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 16. De- » Fritz Haber {| zember 1914, » August Brauer, bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 31. Dezember 1914: zu ordentlichen Mitgliedern der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Otto Hintze, bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 16. Februar 1914, » Max Sering | bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 2. März » Adolf Goldschmidt [ 1914; XXXVI zu Ehrenmitgliedern: Er. »A st von Trott zu Solz in Berlin } Ei = rang : Seh i See Kor £ kurn, \ bestätigt durch K. Kabinetts- » Rudolf von Valentini in Berlin | Se Oma Nord. » Friedrich Sehmidt in Berlin-Steglitz zum korrespondierenden Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Ferdinand Braun in Straßburg am 19. November 1914; zu korrespondierenden Mitgliedern der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Franz Brentano in Florenz le oe 1914 » Georg Elias Müller in Göttingen } » Bernhard Seuffert in Graz » Joseph Bidez in Gent : \ nl » Paul Wendland in Göttingen J » Samuel Muller Frederikzoon in Utrecht am 23. Juli 1914. » Michael Rostowzew in St. Petersburg | Se lo Das ordentliche Mitglied der philosophiseh-historischen Klasse Hr. Max Lenz verlegte im April 1914 seinen Wohnsitz nach Hamburg und trat damit gemäß $ 6 der Statuten der Akademie in die Reihe der Ehren- mitglieder über. Gestorben sind: das ordentliche Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Adolf Martens am 24. Juli 1914; (die ordentlichen Mitglieder der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Alexander Conze am 19. Juli 1914, » Reinhold Koser am 25. August 1914; die auswärtigen Mitglieder der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Eduard Suess in Wien am 26. April 1914, » Wilhelm Hittorf in Münster i. W. am 28. November 1914; AXXVII das Ehrenmitglied: Frau Elise Wentzel geb. Heckmann in Berlin in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1914: die korrespondierenden Mitglieder der physikalisch-mathematischen Klasse: . Heinrich Rosenbusch in Heidelberg am 20. Januar 1914, David Gill in London am 24. Januar 1914, Karl Chun in Leipzig am 11. April 1914, August Weismann in Freiburg i. Br. am 5. November 1914, Nils Christoffer Duner in Uppsala am 10. November 1914, Ingram Bywater in London am 17. Dezember 1914; die korrespondierenden Mitglieder der philosophisch-historischen Klasse: . Friedrich Leo in Göttingen am 15. Januar 1914, Samuel Rolles Driver in Oxford am 26. Februar 1914, Barelay Vincent Head in London am 12. Juni 1914, Georges Perrot in Paris am 30. Juni 1914. XXXIX Verzeichnis der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1914 nebst den Verzeichnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille und der Beamten der Akademie. l. Beständige Sekretare Gewählt von der Hr. Diels . - Waldeyer . - Roethe - Planck phil.-hist. Klasse . phys.-math. - phil.-hist. - phys.-math. - 2. Ordentliche Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Hr. Arthur von Auwers . - Simon Schwendener Hr. - Wilhelm Waldeyer - Franz Eilhard Schulze - Adolf Engler - Hermann Amandus Schwarz - Georg Frobenius - Emil Fischer - Oskar Hertwig . - Max Planch . - Emil Warburg g - Wilhelm Branca - Robert Helmert . 4 - Heinrich Müller-Breslau . Philosophisch-historische Klasse Hermann Diels . Heinrich Brunner Otto Hirschfeld . Eduard Sachau . Gustav von Schmoller . Adolf von Harnack Karl Stumpf . Adolf Erman Ulrich von Wilamowitz- Moellendorff . Heinrich Dressel Datum der Königlichen 1895 1896 1911 1912 estätigung Nov. Jan. Aug. Juni Datum der Königlichen Bestätigung oo 1866 Aug. 18 1879 Juli 13 1881 Aug. 15 1884 Febr. 18 1884 April 9 1884 Juni 21 18855 März 9 1887 Jan. 24 1887 Jan. 24 1890 Jan. 29 1890 Febr. 10 1892 Dez. 19 1893 Jan. 14 1893 Febr. 6 1893 April 17 1894 Juni 11 1895 Febr. 18 1595 Febr. 18 1895 Aug. 13 1899 Aug. 2 1599 Dez. 18 1900 Jan. 31 1901 Jan. 14 1902 Mai 9 xL Datum der Königlichen Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse Bestätigung ee a Hr. Konrad Burdah . . . . 1902 Mai 9 Eir'WlnsiednielunScholtk) Se ne EEE 9 0 3 are = Gustav, hoatie 22727779037 IJanı 35 - Dietrich Schäfer. . . . . 1903 Aug. A = Eduard“Meyer .'. . „ . 1903 Aug. 4 - Wilhelm Schulze . . . . 1903 Nov. 16 - Alos Band . . . . . 1904 April 3 = Herman. Swuve N BR TEN Bar RD Se 2 UAENE = Hermann) Zimmermann BE ru 2 =, "Wolter 2Nemist: „5 a hate as Keiner a Re IUDDBENOyR22 =) Max RUbNErs. see Mens we Re BER REN 0 EEE = Johannes Orth. 0 2. a en El O00 Dee = Albrecht» Benckn > 0 su) 2 a aan ICE Dez - #riedrich Müller -. . . . 1906 Dez. 24 = Andreas Heusler ©. 2271907 Aug. 28 = Hewrich ‚Rubens 0 20 Ne 22. Iheodogalebische. = „Pweare U. ee Er 0STENN > - Eduard Sde . . - . . 1908 Aug. 24 = Hensel, Dilderss 09ER = Kleunvicl Mor OLE er = ıGotthebslaberlandt: cr NOT =... Kımo, Meyerı.. . 2 5 2 I Rule - . Benno Erdmann . . . . 1911 Juli 25 =. Gaustiauallellman 2 er OO ; = Em Seckel rar - Johann Jakob Maria de Groot 1912 Jan. 4 - Eduard Norden. . . . . 1912 Juni 14 =. ‘Karl; Schwunrzschld a. ID une: - Karl Schuchhardtt . . . . 1912 Juli 9 >, Ernst. ‚Beckmann: 2 0 eu er STD - Georg Loescke . . . . 1913 März 31 =, Albert Ennstem. 000 a SENO ve = Otto Hintzer SO AzaReRr6 - Max Sering . . . . . .*1914 März 2 - Adolf Goldschmidt I AM AZ, - Richard Willstätter . ne ee ee, N EN ROW) EzZwEG = Myitz Haben N ee oz = WAugusb Brauer. N. sn ee ee Se ee ee Fe XLI 3. Auswärtige Mitglieder Datum der Königlichen Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse Se ’ Bestätigung Hr. Theodor Nöldeke in Straßburg 1900 März 5 - Friedrich Imhoof-Blumer in Winterthur. . . . . 1900 März 5 - Pasquale Villari in Florenz. 1900 März 5 Bir. Agua koonı.Basyer' in!Monchenwian..! Me. a ne en 1905 Aug T2 - Vatroslav von Jagid in Wien 1908 Sept. 25 - Panagiotis Kabbadias inAthen 1908 Sept. 25 Bordimkantegi m“ Watham, Essex... 2... man EIN ORAprIl 6 - Hugo Schuchardt in Graz . 1912 Sept. 15 4. Ehrenmitglieder Datum der Königlichen Bestätigung Hr. Max Lehmann in Göttingen . . . N nn a SL Et - Max Lenz in Hamburg . . a ee at a EDIT Iugo Graf von und zu Lerchenfeld in Berlin ee 00 ArZ: *:5 Hr. Richard Schöne in Berlin-Grunewald . . . . 2 2.2.2...1900 März 5 ER OTTAGOR VORN Studt Bern 100 März 17, - Andrew Dickson White in Ithaca, N.Y. . . . . 2 2.2... 1900 Dez. 12 Bernhard Fürst von Bübow n Rom . . ». . 2 2 2.2.2... 1910 Jan. 31 Heshemrien Woljan in Mimehen 2... ERTrFIII0F Dez. 14 Sr Augusttvon Trott zu Sole ın Berlim Fr ee N 19147März 2 = Rudolf von Valentmi m Berlin . 2. 2 2. ve... 1914 März 2 - Friedrich Schmidt in Berlin-Stegliz . . . . 2 .2.......71914 März 2 XL 5. Korrespondierende Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Karl Frhr. Auer von Welsbach auf Schloß Welsbach (Kärnten) . Hr. Ernst Wilhelm Benecke in Straßburg - Ferdinand Braun in Straßburg - Oskar Brefeld in Berlin-Lichterfelde - Heinrich Bruns in Leipzig . - Otto Bütschli in Heidelberg - Giacomo ÜCiamician in Bologna - Gaston Darboux in Paris ir erhmaiz: - William Morris Davis in Cambridge, Mass. . - Richard Dedekind in Braunschweig . - Ernst Ehlers in Göttingen . Rolund Baron Eöwös in Budapest Hr. Max Fürbringer in Heidelberg Sir Archibald Geikie in Haslemere, Surrey Hr. Karl von Goebel in München . - Camillo Golgi in Pavia . i - Karl Graebe in Frankfurt a.M. . - Ludwig von Graf in Graz. Julius Edler von Hann in Wien Hr. Viktor Hensen in Kiel - Richard von Hertwig in München - David Hilbert in (söttingen Sir Vietor Horsley in London Hr. Feliv Klein in Göttingen - Adolf von Koenen in Göttingen - Leo Koenigsberger in Heidelberg . - Wilhelm Körner in Mailand - Friedrich Küstner in Bonn . - Henry Le Chatelier in Paris - Philipp Lenard in Heidelberg . - Gabriel Lippmann in Paris ; - Hendrik Antoon Lorentz in Haarlem - Felix Marchand in Leipzig - Friedrich Merkel in Göttingen . Datum der Wahl 1913 1900 1914 1599 1906 1897 1909 1897 1910 1880 1897 1910 1900 1889 1913 1911 1907 1900 1889 1898 1898 1913 1910 1913 1904 1893 1909 1910 1905 1909 1900 1905 1910 1910 Mai 22 Febr. 8 Nov. 19 Jan. 19 Jans al März 11 Okt. 28 Febr. 11 Juli 28 März 11 Jan. 2] Jan, =u6 Febr. 22 Febr. 21 Jan. 16 Dez. 21 Juni 13 Febr. 8 Febr. 21 Febr. 24 April 28 Juli 10 Juli 28 Juli 10 Mai 5 Mai 4 Jan. 7. Okt. 27 Dez. 14 Jan. 2 Febr. 22 Mai 4 Juli 28 Julle28 Hr. Franz Mertens in Wien. - Henrik Mohn in Christiania ! - Alfred Gabriel Nathorst in Soidhr - Karl Neumann in Leipzig . - Max Noether in Erlangen . ER - Wilhelm Ostwald in Groß: Bothan; Ken Sachsen - Wilhelm Pfeffer in Leipzig . - Emile Picard in Paris } - Edward Charles Pickering in male Muse - Georg Quincke in Heidelberg - Ludwig Radlkofer in München Sir William Ramsay in London Hr. Gustaf Retzius in Stockholm . i - Theodore William Richards in Bed Mae. - Wilhelm Konrad Röntgen in München - Georg Ossian Sars in Christiania - Oswald Schmiedeberg in Straßburg - Gustav Schwalbe in Straßburg - Hugo von Seeliger n München - Hermann Graf zu Solms-Laubach in Straßburg Hr. Ernest Solvay in Brüssel - Johann Wilhelm Spengel in GeeBen - ‚Johannes Strüver in Rom Ä Sir Joseph John Thomson in pad Hr. Gustav von Tschermak in Wien Sir William Turner in Edinburg Hr. Hermann von Vöchting in Tübingen . - Woldemar Voigt in Göttingen . - Hugo de Vries in Aakterdam £ i - ‚Johannes Diderik van der Waals in en e - Otto Wallach in Göttingen . - Eugenius Warming in Kopenhagen - Emil Wiechert in Göttingen - Wilhelm Wien in Würzburg - Julius von Wiesner in Wien - Edmund B. Wilson in New York XLIII Datum der Wahl 1900 Febr. 22 1900 Febr. 22 1900 Febr. 8 1893 Mai 4 1896 Jan. 30 1905 Jan. 12 1889 Dez. 19 1898 Febr. 24 1906 Jan. 11 1879 März 13 1900 Febr. 8 1896 Okt. 29 1893 Juni 1 1909 Okt. 28 1896 März 12 1898 Febr. 24 1910 Juli 28 1910 Juli 28 1906 Jan. 11 1899 Juni 8 1913 Mar 722 1900 Jan. 18 1900 Febr. 8 1910 Juli 28 1881 März 3 1898 März 10 1913 Jan. 16 1900 März 8 1913 Jan: 16 1900 Febr. 22 1907 Juni 13 1899 Jan. 19 1912 Febr. 8 1910 Juli 14 1899 Juni 8 1913 Febr. 20 XLIV Hr. Philosophisch-historische Klasse Karl von Amira in München . Ernst Immanuel Bekker in Heidelberg . Friedrich von Bezold in Bonn . Joseph Bidez in Gent Eugen Bormann in Wien Emile Boutroux in Paris ‚James Henry Breasted in ante Franz Brentano in Florenz Harry Breßlau in Straßburg . Rene Cagnat in Paris Arthur Chuquet in Vıllemamble (Sane) Franz Cumont in Rom Louis Duchesne in Rom . Franz Ehrle in Rom . Paul Foucart in Paris : ‚James George Frazer in Carpe Wilhelm Fröhner in Paris Percy Gardner in Oxford Ignaz Goldziher in Budapest . Franeis Llewellyn Griffith in Oxford Ignazio Guidi in Rom ö : Georgios N. Hatzidakis in Athen. Albert Hauck in Leipzig Bernard Haussoullier in Paris . Johan Ludvig Heiberg in Kopenhagen . Karl Theodor von Heigel in München . Antoine Heron de Villefosse in Paris . Leon Heuzey in Paris Harald Hjärne in Uppsala . Maurice Holleaux in Versailles Edvard Holm in Kopenhagen Theophile Homolle in Paris . Christian Hülsen in Florenz Hermann Jacobi in Bonn Adolf Jülicher in Marburg . ir Frederic George Kenyon in London . . Georg Friedrich Knapp in Straßburg Basil Latyschew in St. Petersburg August Leskien in Leipzig . Friedrich Loofs in Halle a. S. (Giacomo Lumbroso in Rom Datum der Wahl — 1900 Jan. 18 1897 Juli 29 1907 Febr. 14 1914 ul 9 1902 Juli 24 1908 Febr. 27 19072 Jun 13 1914 Febr. 19 1912: Mai 9 1904 Nov. 3 1907 Febr. 14 1911 April 27 1893 Juli 20 1913 Juli 24 1884 Juli 17 1911 April 27 1910 Juni 23 1908 Okt. 29 1910 Dez. 8 1900 Jan. 18 1904 Dez. 15 1900 Jan. 18 1900 Jan. 18 190772 Ma 22 1896 März 12 1904 Nov. 3 1893 Febr. 2 1900 Jan. 18 1909 Febr. 25 1909 Febr. 25 1904 Nov. 3 1887 Nov. 17 1907 Mai 2 1911 Febr. 9 1906 Nov. |] 1900 Jan. 18 1893 Dez. 14 1891 Juni 4 1900 Jan. 18 1904 Nov. 3 1874 Nov. 12 . Arnold Luschin von Ebengreuth in Graz John Pentland Mahaffy in Dublin Gaston Maspero in Paris Wilhelm Meyer-Lübke in Wien Ludwig Mitteis in Leipzig . Georg Elias Müller in Be Samuel Muller Frederikzoon in Utrecht " ‚James Murray in Oxford '. Axel Olrik in Kopenhagen Edmond Pottier in Paris Franz Praetorius in Breslau Wilhelm Radloff in St. Petersburg Pio Rajna in Florenz Moriz Ritter in Bonn Karl Robert in Halle a.S.. Ä Michael Rostowzew in St. Petersburg Edward Schröder in Göttingen Richard Schroeder in Heidelberg . Eduard Schwartz in Straßburg Emile Senart in Paris Bernhard Seuffert in Graz . Eduard Sievers in Leipzig . Edward Maunde Thompson in ass ; . Vilhelm Thomsen in Kopenhagen Ernst Troeltsch in Heidelberg . Paul Vinogradof in Oxford Girolamo Vitelli in Florenz . Jakob Wackernagel in Göttingen . Julius Wellhausen in Göttingen Paul Wendland in Göttingen . Adolf Wilhelm in Wien Ludvig Wimmer in Kopenhagen . Wilhelm Windelband in Heidelberg Wilhelm Wundt in Leipzig XLV Datum der Wahl 1904 Juli 21 1900 Jan. 18 1897 Juli 15 1905 Juli 6 1905 Febr. 16 1914 Febr. 19 1914 Juli 23 1913 Febr. 6 1911 April 27 1908 Okt. 29 1910 Dez. 8 1895 Jan. 10 1909 März 11 1907 Febr. 14 1907 Mai 2 1914 Juni 18 NE A 1900 Jan. 18 1907 Mai 2 1900 Jan. 18 1914 Juni 18 1900 Jan. 18 1895 Maı 2 1900 Jan. 18 1912 Nov. 21 1911 Juni 22 1897 Juli 15 1911 Jan. 19 1900 Jan. 18 1914 Juli 9 1911 April 27 1891 Juni 4 1903 Febr. 5 1900 Jan. 18 XLVI Hr. Inhaber der Helmholtz-Medaille . Santiago Ramon y Cajal in Madrid (1905) Emil Fischer in Berlin (1909) Simon Schwendener in Berlin (1913) Verstorbene Inhaber: Emil du Bois-Reymond (Berlin, 1892, -- 1896) Karl Weierstraß (Berlin, 1892, + 1897) Robert Bunsen (Heidelberg, 1892, -- 1899) Lord Kelvin (Netherhall, Largs, 1892, +- 1907) Rudolf Virchow (Berlin, 1899, -+- 1902) Sir George Gabriel Stokes (Cambridge, 1901, -- 1903) Henri Becquerel (Paris, 1907, -- 1908) Jakob Heinrich van’t Hof (Berlin, 1911, 7 1911) Inhaber der Leibniz-Medaille a. Der Medaille in Gold James Simon in Berlin (1907) Ernest Solvay in Brüssel (1909) Henry T. von Böttinger in Elberfeld (1909) ‚Joseph Florimond Duc de Loubat in Paris (1910) Hr. Hans Meyer in Leipzig (1911) Frl. Elise Koenigs in Berlin (1912) Hr. Georg Schweinfurth in Berlin (1913) b. Der Medaille in Silber . Karl Alexander von Martius in Berlin (1907) A. F. Lindemann in Sidmouth, England (1907) ‚Johannes Bolte in Berlin (1910) Albert von Le Cog in Berlin (1910) Johannes Ilberg in Chemnitz (1910) Max Wellmann in Potsdam (1910) Robert Koldewey in Babylon (1910) Gerhard Hessenberg in Breslau (1910) Werner Janensch in Berlin (1911) Hans Osten in Leipzig (1911) Robert Davidsohm in Florenz (1912) N. de Garis Davies in Kairo (1912) Edwin Hennig in Berlin (1912) Hugo Rabe in Hannover (1912) ‚Joseph Emanuel Hibsch in Tetschen (1913) Karl Richter in Berlin (1913) XLVII Hr. Hans Witte in Neustrelitz (1913) - Georg Wolff in Frankfurt a. M. (1913) - Walter Andrae in Assur (1914) - Erwin Schramm in Bautzen (1914) - Richard Irvine Best in Dublin (1914) Verstorbene Inhaber der Medaille in Silber: Karl Zeumer (Berlin, 1910, -- 1914) Georg Wenker (Marburg, 1911, -- 1911) Beamte der Akademie Bibliothekar und Archivar der Akademie: Dr. Köhnke, Prof. Archivar und Bibliothekar der Deutschen Kommission: Dr. Behrend. Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Harms, Prof. — Dr. von Fritze, Prof. — Dr. Karl Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. — Dr. Ritter, Prof. — Dr. Apstein, Prof. — Dr. Paetsch. — Dr. Kuhlgatz. Registrator und Kalkulator: Grimheid. Hausinspektor und Kanzlist: Friedrich. Akademiediener: Hennig. — -Janisch. — Siedmann. Hilfsdiener: Gl/aeser. aeN u. >» tatol ul NE Wi), a FA i Tu » x [ a mE 2 i ur dert ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR. 1 KOLLOIDALE SUBSTANZ ALS ENERGIEQUELLE FÜR DIE MIKROSKOPISCHEN SCHUSSWAFFEN DER COELENTERATEN VON | Pror. Dr. LUDWIG WILL 72 MIT 10 TEXTFIGUREN man Prem NN N / Wr: x RR k MAY 8 1914 ä EN way BET ee 1 nd ce L hraiz BERLIN 1914 usus.. VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE Nr. 1 KOLLOIDALE SUBSTANZ ALS ENERGIEQUELLE FÜR DIE MIKROSKOPISCHEN SCHUSSWAFFEN DER COELENTERATEN VON Pror. Dr. LUDWIG WILL MIT 10 TEXTFIGUREN BERLIN 1914 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER y X Vorgelegt von Hrn. F. E. Schulze in der Sitzung der phys.-math. Klasse am 8. Januar 1914. Zum Druck eingereicht am 15. Januar 1914, ausgegeben am 5. März 1914. = = g F Ahle ry Di. Nesselkapseln der Cölenteraten sind mikroskopische Maschinen, die der Organismus in besonderen Bildungszellen, den Cnidoblasten erzeugt und zu verschiedenen Zwecken, vorzüglich zum Nahrungserwerb verwendet. Der Fall, daß andere Organismen, z. B. Schnecken, sich die Nesselkapseln der Cölenteraten aneignen und zu eigenem Gebrauch verwenden, sei hier nicht berücksichtigt. Der besondere Charakter dieser Maschinen ist der einer Schußwaffe von ganz hervorragender Durchschlagskraft. Wagner', sowie besonders mein Schüler Toppe” haben gezeigt, daß die bei der Explosion hervor- schießenden Schläuche imstande sind, die Panzer selbst von Mückenlarven zu durchschlagen, obwohl diese eine Dieke besitzen, die den Durchmesser des Nesselschlauches um ein Vielfaches übertrifft. Wenn dieses Durch- schlagen eines dicken Chitinpanzers auch durch eine chemische Einwir- kung des durch die Schlauchwand hindurch diffundierenden Sekretes auf das Chitin unterstützt wird, so bleibt doch für die mechanische Durch- schlagskraft des Schlauches soviel übrig, um den Vorgang im höchsten Grade rätselhaft erscheinen zu lassen. Der Vergleich der Schußwirkung mit der eines Panzerplatten durchschlagenden modernen (Geschosses ist durchaus nicht gewagt. Genau wie dieses in weichen Substanzen einem größeren Widerstande begegnet wie in festen, sehen wir auch, wie der Nesselfaden, der einen harten Chitinpanzer glatt durchschlägt, sofort eine Ablenkung seiner Richtung um 90° erfährt, sowie er auf die Weichteile des Beutetieres trifft. ! Wagner. G. On some movements and reactions in Hydra. Quart. Journ Mier. Se. vol. 48. 1905. > Toppe, 0: Über die Wirkungsweise der Nesselkapseln von Hydra. Zool. Anz. 1909. 1* 4 I Want: Es muß also bei der Explosion der Nesselkapseln eine ganz hervor- vagende Kraftquelle in Tätigkeit gesetzt werden. Daß als eine solche (lie von mir wieder zu ihrem Recht verholfene Elastizität der Kapselmembran', sowie auch die von Chun’, mir selbst! und Toppe’ in den Cnidoblasten zahl- reicher Cölenteraten nachgewiesene Nesselkapselmuskulatur nicht genügen kann, ist klar, wenn man bedenkt, welche Widerstände bei der Explo- sion zu überwinden sind und welche gewaltige Arbeit überdies noch mit der Durehbohrung eines harten und dicken Chitinpanzers zu leisten übrig bleibt. Die bei der Explosion zu überwindenden Widerstände sind in der Hauptsache Reibungswiderstände. Bekannt sind die großen Druckkräfte, die erforderlich sind, ein Flüssigkeitströpfehen innerhalb einer kapillaren Röhre vorwärts zu treiben und damit die Adhäsion des Tropfens an der Rohrwandung zu überwinden. Bei der mit einer Umkrempelung verbun- denen Ausstülpung des Nesselschlauches gleiten aber zwei kapillare Röhren ineinander, die vielfach noch nicht einmal einen Durchmesser von ı u erreichen, also so eng sind, wie sie kaum je einem Physiker zu Versuchen vorgelegen haben. Die Adhäsion beider ineinandergleitenden Kapillar- wandungen muß damit eine so starke Reibung erzeugen, daß keine dem Organismus oder der Kapsel selbst zur Verfügung stehende Energiequelle ausreichen dürfte, diesen enormen Reibungswiderstand zu überwinden geschweige denn noch eine darüber hinausgehende Kraftwirkung zu erzeugen, wenn nicht gleichzeitig mit dem Freiwerden der die Schußwirkung be- dingenden Energie auf irgendeine Weise zugleich der Reibungswider- stand aufgehoben wird. Eine solche Energiequelle, die gleichzeitig die Gewalt der Schuß- wirkung erklärt und durch dieselbe physikalische Veränderung, welche diese bedingt, auch jede Reibung der ineinander sich bewegenden Rohr- teile unmöglich macht, habe ich in einer früheren Mitteilung über die Klebkapseln der Aktinien® in dem von mir entdeckten Fadensekret ı Will, L. Über das Vorkommen kontraktiler Elemente in den Nesselzellen der Cölenteraten. Sitzungsber. u. Abhandl. naturf. Ges. Rostock. Bd. r, 1909. ® Chun, (€. Die mikroskopischen Waffen der Cölenteraten. Humboldt, Bd. ı, 1882. ° Toppe, 0. Untersuchungen über den Bau und die Funktion der Nesselzellen der Cnidarier. 1. der feinere Bau der Nesselzellen usw. Zool. Jahrb. Anatom. Abt. Bd. 29, ı910. ‘ Will. L. Die Klebkapseln der Aktinien und der Mechanismus ihrer Entladung. Sitzungsber. u. Abhandl. naturf. Ges. Rostock. 1909, Bd. ı. _ ————n nn Bu a a ua u Tealiacrassicornis. Klebkapsel in fort- geschrittener Ex- plosion. Sekret- spivalen auf dem ausgestülpten Schlauch sichtbar. Fuchsinfärbung. Vergrößerung: 2000. Kollordale Substanz als Energiequelle usw. 5) derselben nachgewiesen. Dasselbe besteht in einem festen oder wenigstens annähernd festen Kolloid von stark hygroskopischen Eigenschaften, einem ganz außerordentlichen Leitungsvermögen für Wasser, sowie einer sehr weitgehenden Quellungsfähigkeit. Das Fadensekret tritt hier in Form von drei Spiralen, den Quelleisten, auf, die den unausgestülpten Schlauch an seiner inneren Wand umziehen, am ausgestülpten Schlauch aber an seiner Außenwandung in stark gequollenem Zustand ange- troffen werden (Fig. ı und 2). Die Quelleisten sind Strukturen, die der Fadenwand selbst angehören. Im frischen Zustand, wegen ihres dem Wasser annähernd gleichen Liehtbreehungs- vermögens nahezu unsichtbar, treten sie erst nach Anwendung bestimmter Farbmittel hervor. Ich konnte für sie den Beweis erbringen, daß ihrem Quell- sekret eine so hervorragende Rolle bei dem Explosionsprozeß dieser Kapselgattung zukommt, daß damit wenigstens für die Klebkapseln der Aktinien die Frage nach den mechanischen Ur- sachen der Explosion als gelöst gelten konnte. In Kürze läßt sich diese mechanische Wirkung der Quell- leiste dahin zusammenfassen, daß sie nach Öffnung des Kapsel- deckels infolge ihrer hohen Affinität zum Wasser und ihres starken Quellungsvermö- Fig. >. gens von vorne nach hin- ten fortschreitend fast mo- mentan in Quellung gerät, welehe bewirkt, daß er- stens, die Dicke der ein- zelnen Leiste von vorne nach hinten fortschreitend, zunimmt; zweitens, «(lie Abstände der einzelnen Spiralwindungen vonein- ander sich ganz bedeutend vergrößern ; drittens, der Tealia erassiroenis. Klebkapsel im Anfang der Ex- Durehmesser dereinzelnen plosion. Sowohl der ausgestülpte wie der noeh nicht ausgestülpte Schlauch zeigen die Sekret- Windung ebenfalls eine spiralen. Puchsinfärbung.. ‚Vergrößerung: 2000. 6 L. Wirt: beträchtliche Zunahme erfährt, die meist das 3—4fache der ungequollenen Spirale beträgt. Diese unmittelbaren Folgen der Quellung führen dazu, daß der gesamte eingestülpte Schlauch unter bedeutender Verlängerung und Durchmesserzunahme sowie gleichzeitiger Umstülpung raketenartig aus der Kapselöffnung hervorschießt wie eine unter Druck gehaltene Spiralfeder Fig. 3. bei plötzlichem Aufhören desselben. Wegen der Einzelheiten der Beweisführung sei auf die oben zitierte Schrift ver- wiesen und hier werde nur an der Hand der Fig. 3, die die Spitze eines erst teilweise ausgestülpten Schlauches dar- \ stellt, erläutert, wie die jeweils an der Spitze liegende Win- A dung der Fadenspirale das Maximum ihres Durehmessers er- Ei reicht hat und, indem sie hiermit gleichzeitig zu einem N Bestandteil des äußeren Schlauches geworden ist, diesem 1 eine solche Weite verleiht, daß der nachfolgende innere A Schlauch ohne jede Berührung mit der Wandung in dem- Tealia crassicornis. selben gleiten kann. Spitze eines noch in der Ausstül- pung begriffenen geschieht also ganz automatisch und die in der Aufquellung Sehlauches. Über- Die Ausstülpung des Schlauches der Aktinienklebkapsel N) eines festen Kolloids bis zur Vertlüssigung liegende Kraftquelle gang der inneren _ y a £ ‚ SE 3 S Spirale in? (die istJim (Viereinamit. der mechanischen Spiralwirkung der Leiste äußere unter be- eine so bedeutende, daß sie infolge der gleichzeitigen Beseiti- deutender Quel- hung. Fuchsinfär- SUN aller Reibungswiderstände sicher genügt, um die Inten- bung. Vergröße- sität der Schußwirkung hinreichend zu erklären, auch wenn ung: 3500. sie keine Unterstützung durch die Elastizität der Kapsel- membran erführe, die übrigens bei diesen dünnwandigen Kapseln nicht so sehr ins Gewicht fallen dürfte, wie das bei den dickwandigen Kap- seln der im folgenden zu besprechenden Cnidenarten ohne Zweifel der Fall ist. Die im vorstehenden rekapitulierte Lösung des Explosionsproblems für die Klebkapseln der Aktinien bedingt nun aber auch für die bisher in der Literatur ausschließlich berücksichtigten übrigen Nesselkapseln der Cölenteraten eine ganz neue Fragestellung dem Explosionsproblem gegen- über. Sollten nieht auch bei ihnen bisher unbekannte Fadenstrukturen vorhanden sein, die der Sitz gleicher Kräfte und die Ursache des gleichen in seiner äußeren Erscheinung längst bekannten Entladungsvorganges sind? Es wäre wirklich wunderbar, wenn gleiche Erscheinungen innerhalb des- Kolloidale Substanz als Energiequelle usw. 7 selben Tierkreises, ja, bei den Aktinien sogar desselben Individuums', eine verschiedene Ursache haben sollten. Allerdings nehmen die bisher als »Spiroeysten« beschriebenen Kleb- kapseln der Aktinien auch nach meiner Rektifizierung ihrer bisherigen Auffassung immer noch eine Sonderstellung unter den als Nesselkapseln bekannten Waffen der Üölenteraten ein. Sie besitzen vor allen Dingen ein kristalloides Kapselsekret gegenüber dem kolloidalen aller übrigen Kapselsorten. Allein die Tatsache, daß auch bei sehr vielen Kapseln mit kollo- idalem Kapselinhalt das morphologische Bild der Quelleisten in Gestalt von meist mit Dornen besetzten Spiralen bei zahlreichen Cölenteraten wiederkehrt, war Ermunterung genug, um auch bei ihnen zu prüfen, ob nicht auch diesen Dornenspiralen neben der ihnen meist zugeschriebenen Funktion als Haftapparate noch eine viel wichtigere Rolle als den Explosionsvor- gang auslösende Quelleisten besäßen. Inwieweit meine Vermutung sich als richtig erweist, mögen die nachfolgenden Zeilen dartun. Als Untersuchungsobjekte dienten mir sämtliche Kapselformen der verschiedenen einheimischen Hydraarten, beide Kapselarten der Hydranten von Syncoryne sarsii sowie die mit sogenanntem Achsenkörper versehenen diekwandigen Kapseln von Tealia erassicornis und Actinia equina, die beiden letzteren von Helgoland stammend. Die Untersuchung der großen Cniden- formen der Siphonophoren erhoffe ich von der Zukunft. Zunächst sei hier festgestellt, daß nicht nur, wie ich bisher glaubte, allein die Klebkapseln der Aktinien, sondern sämtliche Nesselkapseln aller untersuchter Formen zwei verschiedene Sekrete, Kapsel- sekret und Fadensekret besitzen, von denen hier das letztere aus- schließlich behandelt werden soll. Das Fadensekret. 1. Syneoryne sarsii Loven. Bei Syncoryne kommen zwei verschiedene Formen von Nesselkapseln vor, nämlich »größere, bauchig eiförmige und kleinere, schmalere wurst- förmige«, wie sie F. E. Schulze” nennt, die beide, wie ich diesem Forscher ’ Bei den Aktinien sind bekanntlich neben den Klebkapseln auch die sonst bei den Cölenteraten vorkommenden gewöhnlichen Nesselkapseln vorhanden. ®2 Schulze, F.E., Über den Bau von Syncoryne sarsii Loven usw. Leipzig 1873, S. 5. 8 I AVannme beistimmen kann, in Gestalt, Bau und Größe sehr den entsprechenden Ge- bilden von Hydra gleichen. Die großen Nesselkapseln der Syncoryne sind nun zum Studium des Fadensekrets ganz besonders geeignet und bildeten daher den natürlichen Ausgangspunkt der Untersuchung. Der ausgestülpte Nesselschlauch oder Nesselfaden läßt wie bei den entsprechenden Kapseln der Hydra einen kurzen, mit drei Spiralreihen starker Dornen bewaffneten Halsabschnitt sowie einen sehr langen zylin- drischen, mit kapillarem Lumen versehenen Absehnitt, den eigentlichen Nesselschlauch unterscheiden (vgl. F. E. Schulze a.a.O. sowie eine von mir gegebene Abbildung)‘. Dieser letztere, wichtigste Schlauchabsehnitt inter- essiert hier besonders. Während derselbe bei andern Cölenteraten ebenfalls mit mehr oder weniger gut ausgebildeten Spiralen von Härchen oder Dornen besetzt ist, fehlen diese dem Nesselschlauch der Syncoryne vollständig. An frischen, in Seewasser untersuchten Schläuchen vermißt man sogar jede Spur von noch so schwach ausgeprägten Spiralleisten, die etwa den Trägern des Dornenbesatzes bei andern Formen entsprechen könnten’. Um so überraschender sind die Bilder, die der Schlauch kurze Zeit nach dem Zusatz einer Methylenblaulösung ı:500 bis 1:800 aufweist. So- lange derselbe noch mit dem ausströmenden Kapselsekret gefüllt ist, er- scheint er gleichmäßig tiefblau; je mehr aber das Kapselsekret den Schlauch verlassen hat und je blasser dadurch die Gesamtfärbung desselben geworden ist, um so deutlicher treten auf seiner Oberfläche überaus kräftige, tiefblau gefärbte regelmäßige Spiralwülste auf (Fig. 4a). Es sind dieselben Quell- leisten, welche ich für die Klebkapseln der Aktinien beschrieben habe. Wenn dieselben erst nach der Färbung sichtbar werden, so kann das nur daran liegen, daß das dieselben bildende Sekret infolge des mit Wasser annähernd gleichen Lichtbrechungskoeffizienten im frischen Zustand nur nieht wahrgenommen werden kann. Daß das Sekret in hohem Grade quel- ı Will, L., Über das Vorkommen kontraktiler Elemente usw. Sitzungsber. und Ab- handl. naturf. Ges. Rostock 1909, Fig. 4, Taf. ı. ® An frischen, aber entleerten und kollabierten Schläuchen beobachtet man allerdings gelegentlich eine ganz schwache Andeutung von den Faden umziehenden Spiraltouren, wie ich sie mehr schematisch auch in die Fig. 4 meiner eben zitierten Abhandlung eingetragen habe, die ich aber für gelegentlich auftretende Folgen des Kollabierens halten muß, obwohl auch der Möglichkeit nichts im Wege steht, daß es sich um die letzten Reste der gleich- zubeschreibenden (Quelleiste nach Lösung der Hauptmenge des Quellsekrets handeln mag. a NULL Syncoryne sarsü. Große völlig ent- a Spira- birnförmige leerte Kapsel. len in verschiedenen Sta- dien der Quellung, 5 Lö- sung der Sekretspirale, Sekretreste zu Tropfen zusammengeflossen. Sehlaueh in die Ruhe- lage zurückgekehrt. Methylenblaufärbung. Vergrößerung: 2000. Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. s) lungsfähig ist, geht aus der Verschiedenheit der Bilder hervor, die sowohl verschiedene Schläuche wie derselbe Schlauch zu verschiedenen Zeiten nach erfolgter Ausstül- pung bietet. Je früher nach der Explosion man Gelegen- heit hat, die Quellspirale zu beobachten, um so schmäiler, aber auch um so dunkler erscheint sie gefärbt; bei fort- gesetzter Quellung wird sie zu dieken Spiralwülsten von etwas geringerer Färbungsintensität, die nur an den Seiten des Schlauches, da also, wo die Spiralwindung von der vorderen Wand auf die hintere Schlauchwand übergeht, wo man sie also im optischen Durchschnitt erblickt, tief schwarzblau erscheint. Die weitere Quellung ist mit einer fortschreitenden Lösung des Quellsekrets verbunden, die an verschiedenen Schläuchen, ja sogar an verschiedenen Abschnitten desselben Schlauches zu verschiedenen Bil- Der einfachste Fall ist der, daß die Quelleiste blasser und blasser und zugleich immer schmäler dern führen kann. wird, so daß schließlich nur eine blaßblaue feine Spiral- linie die Stelle andeutet, an der vorher die kräftige Sekret- spirale lag. In andern Fällen erfährt die Spirale infolge | Sekrets Stellen eine Unterbrechung, wobei sich (Fig. 4a) dann häufig gänzlicher Lösung des an einzelnen die Hälfte eines Umganges, offenbar infolge von Span- nungen, aus dem Zusammenhang mit der Schlauch- wand, loslöst und als gebogene Spange frei ins Wasser ragt. Dieselbe Erscheinung ist mir schon von den Kleb- kapseln der Aktinien her als ein häufiges Vorkommnis bekannt und auch an den Schläuchen der großen birn- förmigen Kapseln von Hydra habe ich sie mehrfach kon- statiert. Ein sehr gewöhnlich wiederkehrendes und auch an den verschiedenen Kapselsorten von Hydra zu beob- achtendes Bild ist schließlich das, wo das sich lösende Sekret nach zwei einander gegenüberliegenden Punkten eines Spiralumgangs in Form eines blaßblau gefärbten Tröpfehens zusammenfließt (Fig. 4b) und damit jede Spur einer Spirale verschwindet. Phys.-math. Abh. 1914. Nr.1. 2 10 L. Wıvt: Gegenüber dem Kapselsekret geht übrigens die Lösung des Faden- sekrets sehr langsam vor sich. In vielen Fällen war nach 14, in andern nach 24, ja 38 Stunden noch keine völlige Lösung erfolgt, wenn die Kap- seln längst vom Kapselsekret entleert sind. Infolgedessen ist jede Ver- wechslung von (Quellsekret mit Kapselsekret ausgeschlossen. Stets hat die Lösung der Quellspirale zur Folge, daß das Lumen des Schlauches mindestens auf die Hälfte, meist aber auf einen viel geringeren Bruchteil seines bisherigen Durchmessers zurücksinkt (Fig. 4b). Das be- deutet, daß genau wie bei den Klebkapseln der Aktinien die in Quellung befindliche Spirale die Schlauehwand über ihre Gleiehgewichtslage gedehnt hat, so daß sie nach Lösung des Quellsekrets kollabieren, d.h. in ihre Gleichgewichtslage zurückkehren muß. Der Schlauchwand kommt also, wenn auch in viel geringerem Grade wie der Kapselmembran, eine ge- gewisse Elastizität zu. Selbstverständlich muß die Quelleiste, welche wir in gequollenem Zu- stande auf der Oberfläche des ausgestülpten Fadens nachgewiesen haben, im ungequollenen Zustande auch auf der Innenfläche des noch nicht aus- gestülpten Schlauches ebenfalls in Gestalt von Spiralen vorhanden gewesen sein. Dieser Nachweis könnte mit der Methylenblaumethode nicht erbracht werden, da das sich tiefblau färbende Kapselsekret alles im Innern der Kapsel verdecken würde. Der Nachweis ist nur mit Farbstoffen wie das Fuchsin S., zu erbringen, die nicht das Kapselsekret, wohl aber das Faden- sekret der ruhenden Kapsel färben. Leider habe ich diesen Nachweis, zum Teil infolge des nicht allzu reichlichen Materials von Syneoryne, versäumt, werde ihn aber unten für die ganz gleich sich verhaltenden großen Kap- seln von Hydra erbringen, so daß auch für Syncoryne kein Zweifel be- stehen kann, daß auch hier in betreff der Quellspirale des ruhenden Schlauches die Verhältnisse genau so liegen wie bei Hydra (vgl. Fig. 5a und Sd) und wie besonders für die Klebkapseln der Aktinien (a. a. O.) eingehen«d gezeigt wurde. In abnorm gequollener Form konnte dagegen auch für Syneoryne das (Quellsekret auch im unausgestülpten Schlauch nachgewiesen werden. Es war das mehrfach in solchen Fällen möglich, in denen die Kapsel infolge von Deckglasdruck künstlich geplatzt und das Kapselsekret ausgetlossen war. Der unausgestülpte Schlauch war dann in einzelnen Schlingen aus der Sprengöffnung der Kapsel hervorgetreten und zeigte dann rosenkranz- förmige Auftreibungen, hervorgerufen durch entsprechend rosenkranzförmig Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. 1a angeordnete Ballen von Quellsekret, die durch abnorme Quellung bedingt waren, ähnlich wie ich das für das Quellsekret der Aktinien (a. a. O. Fig. 3, Taf. II) beschrieben habe. Jedenfalls tritt auch an der Quellspirale von Syncoryne das Maximum der Quellung erst ein, wenn die Quelleisten an die äußere Oberfläche des ausgestülpten Fadens gelangt sind, infolgedessen dieser (Fig. 4a) derartig ge- weitet wird, daß der noch nicht ausgestülpte Fadenteil sich ohne jeg- liche Reibung in ersterem bewegen kann. Ferner ist klar, daß die Quelleisten von Syncoryne beim Ex- plosionsvorgang dieselbe mechanische Rolle spielen müssen, wie ich sie oben kurz für Klebkapseln der Aktinien resümiert habe. In einem Punkt unterscheidet sich aber das Quellsekret von Syn- coryne von dem der Aktinienklebkapseln, nämlich durch den anscheinend völligen Mangel des Klebevermögens, so daß ihm damit die bei letzteren so eharakteristische Bedeutung für das Festleimen der Beute abgeht. Genau dieselbe Quellspirale kommt auch den kleinen wurstförmigen Kapseln der Syncoryne zu, den Nesselschlauch weitend, wo die Spirale in Quellung sich befindet, ihn wieder in die Ruhelage zurücktreten lassend, wo die Quellung zur völligen Lösung des Sekretes geführt hat. Die Bilder sind fast die gleichen, wie ich sie z. B. in Fig. 7 für die kleinen zylin- drischen Kapseln von Hydra abgebildet habe, nur daß der Schlauch an einer kurzen basalen Strecke noch kurze Dornen trägt. 2. Hydra. Die Untersuchung von Hydra erstreckte sich auf die Arten grisea, fusca und attenuata, und zwar über alle vier Formen von Nesselkapseln, die man als große birnförmige, als große und kleine zylindrische und als kleine. birnförmige zu unterscheiden pflegt. a. Große birnförmige Kapseln. Der Nesselfaden läßt auch hier wieder den langen zylindrischen, außer- ordentlich dünnen Schlauch sowie einen basalen erweiterten Halsabschnitt (Fig. 6a, b) unterscheiden, dessen obere die bekannten in drei Spiraltouren angeordneten Dornen und Stilette tragende Partie noch als konisches Zwischen- stück unterschieden werden kann. Ebensowenig wie bei Syncoryne lassen DE Hydra fusca. birnförmige a Kapsel im Anfangs- stadium der Explosion. Sekretspirale stark ver- Große Kapsel. quollen am ausgestülp- ten Schlauchteil, im un- Zustand am unausgestülpten Schlauch. 5 Absehnitt eines ausgestülpten gequollenen Schlauches, dessen Se- kretspirale bereits zum größten Teil gelöst ist. Schlauehwand Ruhelage 2 kehrt. Fuchsinfärbung. Vergrößerung: 2000 in die zurückge- T. Win: sich auch bei Hydra an dem eigentlichen Schlauch irgend- welche Strukturen ohne Reagenzienanwendung unter- scheiden. Das ändert sich aber, sowie die obenerwähnte Me- thylenblaulösung oder das Fuchsin S. in ı prozentiger Lö- sung zur Anwendung kommt, nur sind wegen der großen Dünne des Nesselfadens und der besonders hohen Löslich- keit beider Sekrete die großen Kapseln von Hydra lange kein so günstiges Objekt wie die großen Kapseln von Syn- eoryne oder die drei kleinen Cnidensorten von Hydra selbst. Auch der Nesselschlauch der großen Kap- seln von Hydra ist von Quelleisten überzogen, die in engen, vermutlich drei Spiralen von der Spitze des ausgestülpten Schlauches bis an seine Basis, d.h. bis an die Dornen des konischen Zwischenstücks zu verfolgen sind (Fig. 5a, 6a,b). Das Sekret der Quelleisten färbt sich sowohl mit Methylenbau wie mit Fuchsin S. Sehr gute Präparate erzielte ich auch, indem ich die Kapsel zu- nächst in Wasser unter Klopfen zur Explosion brachte, dann noch etwa 10 Minuten mit Sublimat oder Sublimatos- mium fixierte und erst hierauf nach Auswaschen die Fuchsinfärbung anwandte. So ist z. B. das Präparat ge- wonnen, aus dem die Figuren 5a, b hier wiedergegeben sind. Fig. 5a ist eine Kapsel im Anfangsstadium der Man erblickt hier an der Schlauchspitze die Sekretleisten als breite Bänder, die infolge ihrer weitgehen- Explosion. den Quellung den Schlauch mächtig erweitert haben. Die- selbe Bandform der Leisten habe besonderer Schönheit an den Klebkapseln von Cerianthus beobachtet; sie scheint im übrigen eine ziemlich verbreitete ielı bereits früher in Verquellungsform zu sein, da sie auch bei den übrigen Kapselsorten von Hydra wiederkehrt. Fig. 5b stellt dagegen ein kleines Schlauchstück einer bereits völlig explodierten und entleerten Cnide dar, an dem die Sekretspirale schon größtenteils gelöst, daher sehr fein ist, infolgedessen die Fadenwand in die Ruhelage Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. 13 zurückgekehrt und das Schlauchlumen stark verengert ist. Auch hier kommt es, wie bei Syncoryne ausgeführt, infolge lokaler Lösung des Sekrets zur Ablösung von Sekretspangen, so daß Bilder wie Fig. 4a entstehen. An Fig. 5a erkennt man auch das Vorhandensein der Quelleiste auf dem noch nicht ausgestülpten noch innerhalb der Kapsel befindlichen Fadenteil. Dem (Quellsekret dieser großen Kapseln kommt in gequollenem Zu- stand eine gewisse Klebrigkeit zu, denn in zahlreichen Fällen fand ich kleine zufällig im Präparat vorhandene Fremdkörperchen der Quelleiste an- haften. Auch beobachtet man gelegentlich, wenn zwei nebeneinander ge- lagerte Nesselkapseln gleichzeitig explodieren und hierbei ihre hervor- schießenden Schläuche sich berühren, eine Verklebung beider. Schon Toppe hat (a. a. ©.) bei Velella und besonders eingehend für die großen birnförmigen Kapseln der Hydraarten die Beobachtung mitge- teilt, daß die großen Stilette und Dornen des konischen Zwischenstücks einen Hohlraum besitzen, der nach ihm mit dem Lumen des konischen Zwischenstücks in Kommunikation stehen soll. Entsprechend seiner An- gabe, die ich durchaus bestätigen kann, nehmen Stilette und Dornen bei Methylenblaufärbung explodierter Kapseln die gleiche tiefblaue Färbung an wie das Kapselsekret, auch wenn dieses längst aus der Kapsel ausge- treten ist. Die Färbung beruht seiner Angabe nach auf der Anwesenheit von Resten von Kapselsekret, die in den Hohlräumen von Stiletten und Dornen zurückgeblieben sind. Das ist jedoch nur zum Teil richtig. Richtig ist, daß tatsächlich Stilette und Dornen hohl sind, aber ihr Lumen steht nicht mit dem Hohlraum des Halsteils in Verbindung, sondern mündet nach außen mittels einer dreieckigen Öfinung an der Basis jedes Stachels. Richtig ist ferner, daß der Hohlraum der Stacheln und Dornen sekreterfüllt ist, eine Füllung, die sich in vielen Fällen noch lange Zeit, zuweilen noch 24 Stunden nach Aus- tritt des eigentlichen Kapselsekrets, erhält. Daß aber die Füllung nicht aus Kapselsekret bestehen kann, wie Toppe meint, geht erstens daraus hervor, daß, wie erwähnt, die Stilettöffnung nicht nach innen, sondern nach außen mündet, zweitens daraus, daß das Kapselsekret der großen Cniden von Hydra allen andern mir bekannten Kapselsorten gegenüber einen ganz besonders hohen Grad von Löslichkeit besitzt, so daß es meistens sehon in Bruchteilen einer Sekunde, und selbst in mit Methylenblau ge- fälltem Zustande höchstens nach einer viertel Stunde völlig gelöst und 14 L. Wirt: aus der Kapsel verschwunden ist, die Füllung der Stilette sich aber, wie bemerkt, noch viele Stunden erhalten kann. In Wirklichkeit sind Sti- lette und Dornen mit dem viel schwerer löslichen Fadensekret, demselben, das wir in der Quellspirale angetroffen haben, erfüllt. a! Den Beweis hierfür kann ich an den explodier- 19.6: ten Cniden von Hydra fusca, ganz besonders aber an H N den sehr viel größeren von Hydra attenuata erbrin- N gen. Untersucht man solche naclı erfolgter Explo- N sion, so sieht man an einigen die Stilette und Dornen NY nn noch in toto mit Methylenblau bzw. Fuchsin S. Ä gefärbt. An andern aber (Fig. 6a, b, ce) sind die | BIRNKS |) oberen Teile derselben farblos geworden, indem l i ''\2 der Farbstoff sich nur noch auf den basalen Ab- ya | \ schnitt beschränkt. Das konische Zwischenstück weist dagegen bei einem solchen Zustand seiner Bedornung als ein Novum drei spiral verlaufende / Spangen von Quellsekret auf, die genau die Basen der einzelnen Dornen miteinander verbinden und je nach dem Lösungsgrad des Sekretes erscheinen die Spiralen blaß oder intensiv dunkelblau. Stets läßt sich feststellen, daß die Quelleisten des koni- schen Zwischenstücks in Dreiecksform an der Basis der großen Stilette beginnen. Dieses Dreieck, al | dessen Spitze der Spitze des Stiletts zugewandt ist, bezeichnet die äußere Öffnung der Stilett- Zu a, b. Hydra fusca. Dieselbe Kapsel bei hoher und tiefer Einstel- höhle, von deren wirklicher Existenz ieh mich lung. Sekretspivalen am konischen wiederholt an solehen Cniden, besonders vonHydra Zwischenstück. Methylenblaufär- P 4 N - Bing: i attenuata (Fig. 6c) überzeugen konnte, bei denen Zu e. Hydra attenuala. Konisches das Quellsekret infolge teilweiser Lösung des- Zwischenstück mit Sekretspiralen. selben die Stilettöffnung zum Teil freigelegt hatte. Öffnungen der Stilette. Methylen- a s E NEON Bi Er Hiernach haben also die Stilette und Dornen blaufärbung. Vergrößerung: 2000. nieht nur eine mechanische Aufgabe als Haft- oder Bohrapparate, sondern sie sind zugleich Reservoire für das hochwichtige Quellsekret, das bei Berührung mit Wasser in Quellung gerät, aus der Stilettöffnung heraustritt, um auf der Oberfläche des koni- schen Zwischenstücks eine äußerst kräftige Quelleiste zu erzeugen, die die Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. 15 Aufgabe hat, das konische Zwischenstück zur Ausstülpung zu bringen. Die (Quellspirale des konischen Zwischenstücks geht kontinuierlich (Fig. 6a, b) in die entsprechende Spirale des Schlauches über, mit der sie also auch hin- sichtlich ihrer Funktion völlig übereinstimmt. Die mitgeteilte Beobachtung entbehrt nun gewiß nicht eines besonderen Interesses, weil sie ein Licht auf die funktionelle Bedeutung aller jener Dornen und Härchen wirft, welche wir in Gestalt von durchweg drei Spiralen (die Schläuche so zahlreicher Nesselkapselformen überziehen sehen. Ich halte es für dringend wünschenswert, diese und andre Beobachtungen an den großen Nesselkapselformen des Mittelmeers zu bestätigen und auszubauen und be- halte mir vor, eine ..entspreehende Untersuchung bei sich bietender Gelegen- heit selbst auszuführen. Zur Zeit muß ich mieh damit begnügen, eine solche Bestätigung weiter unten für die bedornten Schläuche der großen zylindri- schen Kapseln von Hydra zu bringen. b. Kleine zylindrische Kapseln. Beide Sorten von zylindrischen Kapseln aller unserer Hydraarten sind wegen ihres bedeutenden Schlauchdurchmessers ganz ausgezeichnete Ob- jekte für das Studium der Quelleisten und kommen wegen der allgemeinen Zugänglichkeit des Materials in erster Linie in Betracht, wenn man sich von dem Vorhandensein der von mir beschriebenen Strukturen durch eigene Beobachtung überzeugen will. Die Quelleiste ist auch hier sowohl mit Methylenblau wie mit Fuchsin S. gut färbbar. Notwendig ist nur eine Apochromatimmersion mit Kompensationsokular 12 bzw. 18, eine intensive Beleuchtung' und einige Geduld. Da nämlich die Methylenblaulösung Kapselsekret und Quellsekret mit gleicher Intensität färbt, tritt die Quell- leiste erst dann am deutlichsten hervor, wenn wenigstens ein Teil des Kapselsekrets ausgetreten bzw. Kapsel und Schlauch ganz entleert sind. Da aber das Kapselsekret der kleinen Cnidensorten von Hydra bei weitem nieht so schnell gelöst wird. wie das der großen, namentlich nicht nach Methylenblaueinwirkung, wird man einige Zeit warten müssen, um die von mir beschriebenen Bilder zu sehen. Ja, wenn man die Vorsicht ge- braucht, minimalste Wachsfüßchen anzuwenden und das Präparat mit Pa- raffin abzuschließen, kann man noch nach Tagen seine Studien an dem- selben machen. : Jch benutzte die Zeißsche Nernstlampe bzw. eine Metallfadenlampe von 200 Kerzen. Hhydra fusca. Kleine zylindri- sche Kapsel. @ noch zum Teil gefüllte Kapsel mit teilweise ex- plodiertem Sehlauch. Der noch nicht ausgestülpte Schlauchteil nur wegen der Sekretfüllung des explodierten Schlauchteils nieht siehtbar. Sekretspiralen in star- ker Quellung. 5 völlig explo- dierte Kapsel mit bandartig ver- quollener bereits teilweise ge- löster Sekretspirale. Methylen- blaufärbung. Vergrößerung: 2000. L. Wırr: Ich kann mich in dieser Mitteilung mit einem Hinweis auf die Figuren 7a und b begnügen, aus denen ohne weiteres hervorgeht, daß sich das Quell- sekret genau wie bei den bisher betrachteten Kap- seln verhält. Fig. 7a zeigt: das Sekret an einer erst, teilweise explodierten Kapsel mit noch sekreterfüll- tem Faden, der wie mit dieken Schraubenwindun- gen umzogen erscheint, die die Schlauchwand der- artig gedehnt haben, daß sie zwischen den einzelnen Spiralwindungen eingezogen erscheint. Die Kapsel Fig. 7b ist dagegen bereits vällig explodiert und auch schon vollständig entleert; auch ist das Quell- sekret bereits teilweise gelöst, so daß es nur noch blaßblaue breite Bänder bildet, die aber noch genü- gen, um den Schlauch in seinem anfänglichen Deh- nungszustand gespannt zu erhalten. Spitze ist die Fadenwand in ihre Ruhelage zurück- gekehrt, weil hier die Quellspirale vollständig gelöst Nur an der ist, wobei die letzten Sekretreste wie bei Syncoryne innerhalb jeder ursprünglichen Windung nach zwei verschiedenen Punkten zusammengeflossen sind. Die letzte Figur habe ich aus der Reihe meiner Skizzen ausgewählt, weil sie eine gewisse Klebrig- Der Nesselfaden ist beim Schuß gegen die Objektträgeroberfläche ge- prallt, so daß das Ende eine Ablenkung unter spitzem Winkel erfahren hat. Hierbei hat sich das Sekret einer Spiralleiste zu einem langen Faden ausgezogen, keit des Quellsekrets beweist. der sich an den Objektträger angeheftet hat, genau so, wie ich das in zahlreichen Fällen von den Kleb- fäden der Aktinienkapseln beschrieben habe. Das Quellsekret hat also ebenfalls eine klebrige und unter gegebenen Bedingungen fadenziehende Beschaffen- Wenn reichen genauer untersuchten Kapseln der einzige heit. nun auch dieser Befund unter zahl- ist, also in der Praxis diese Klebewirkung gegen- Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. 17 über der Kraftwirkung der Quelleiste beim Schuß gar nicht ins Gewicht fällt, so zeigt er doch, daß der Unterschied zwischen dem vorliegenden Hydrasekret und dem hervorragend klebenden Quellsekret der Aktinien- klebkapseln immerhin nur ein gradueller ist. Schon Toppe schreibt a. a. 0. dem Sekret der zylindrischen Kapseln eine besondere Klebrigkeit zu. Sie sollen in erster Linie der Hydra zur Festheftung dienen, wenn sie sich im losgelösten Zustand mit ihren Ten- takeln vorwärts bewegt. Diese Klebrigkeit ist also nieht, wie Torpr noch annehmen mußte, die Eigentümlichkeit ihres Kapselsekrets, sondern viel- mehr des von mir nachgewiesenen Fadensekrets. Schließlich will ich nieht unerwähnt lassen, daß ich in zahlreichen Fällen die Quellspiralen auch auf den noch nicht ausgestülpten Fadenteilen habe nachweisen können. Selbstverständlich sind sie hier nur von sehr viel geringerem Durchmesser und die einzelnen Windungen durch einen bedeutend geringeren Abstand voneinander getrennt. Das Verhalten ist durchaus dem der Figur Sd ähnlich. ec. Große zylindrische Kapseln‘. Die großen zylindrischen Cniden unserer Hydra bieten gegenüber der vorstehend beschriebenen Sorte deshalb ein besonderes Interesse, weil sie bei allen Hydraarten die einzige Kapselsorte sind, bei denen der Schlauch mit Dornen bzw. Härchen besetzt ist, ihn in seiner gesamten Länge in Gestalt von Spiralreihen überziehend, mit alleiniger Ausnahme eines ganz kurzen basalen Stücks. Toppe gibt zwar im Gegensatz zu Nussbaum, der drei Borstenreihen unterschied, an, daß nur eine in dichten Windungen gelegene Spirale vorhanden sei; ich kann aber mit Sicherheit dafür ein- treten, daß hier ein Irrtum Toppes vorliegt, da ich an Schläuchen, deren Spiralen durch abnorme Quellung wie ein Bindfaden aufgedreht waren, mit Sicherheit zwei Spiralen auseinanderhalten konnte. Ich halte es daher für wahrscheinlich, daß die Nussbaumsche Angabe zu Recht besteht. Die Borstenreihen nehmen sowohl mit Methylenblau wie mit Fuchsin S. eine intensive Färbung an, und doch ist das Bild, welches die Spirale an aus- gestülpten Schläuchen mit beiden Farbstoffen bietet, ein sehr verschiedenes. ! Bei Hydra attenuata haben die dieser Kapselsorte entsprechenden Cniden ausnahms- weise eine birnförmige Gestalt (Fig. Sa). sind aber sonst ganz ebenso gebaut und mit den gleichen Eigenschaften ihrer Sekrete ausgestattet. Phys.-math. Abh. 1914. Nr.1. 3 18 PB Ware: ee 57 Hydra fusca und Hydra attenuata. Große zylindri- sche dornentragende Kapseln. a, b, e Methylenblau- färbung; e,d Fuchsinfärbung. a von Hydra attenuata, bei der die entsprechende Kapselsorte tatsächlich nicht zylindrisch, sondern birnförmig ist. Schlauchspitze fortgelassen. Auf den unteren Spiralen noch die sekretentleerten, deshalb farblosen Dornen. D-e Hy- dru fusca. b zur Hälfte explodierte Cnide mit zum Teil abnorım gequollenen Spiralen ; unterer Schlauch- abschnitt mit den entleerten Dornen und aufgetrie- benem Dornen freien Halsstück. ce entleerte Kapsel. deren Qnelleiste von den in Spiralen angeordneten lebhaft gefärbten Dornen repräsentiert wird, welche das Quellsekret enthalten. « geplatzte rulende Cnide mit den Spiralwindungen am unausgestülpten Schlauch. e explodierte, ganz entleerte Unide, in deren Schlauch die gewöhnlichsten Bilder, die der Lösung des Quellsekrets vorausgehen, eingezeichnet wurden, Vergrößerung: 2000. Bei Fuchsinfärbung sieht man meist jede Spirale deutlich aus den einzelnen, durch kleine Zwischen- räume voneinander getrennten Dörn- chen (Fig. 8c) bestehen, doch kom- men auch solehe Bilder vor, bei denen die einzelnen Dornen durch Portionen rotgefärbten Sekrets verbunden sind, so daß also spiralige Sekretleisten entstehen, auf‘ denen die einzelnen Dörnchen sieh erheben. Wendet man dagegen Methylen- blau zur Färbung an, so findet man einige Zeit nach der Explosion an Stelle der Dörnchenspiralen entspre- chend gelegene gleichmäßig gefärbte kontinuierliche Sekretspiralen, die je nach dem Quellungszustand dünner oder dieker sein können, in sehr vielen Fällen aber wie dicke wulstige Schraubenwindungen den Faden in seiner gesamten Länge überziehen (Fig. Sa, b). Nur ein ganz kurzes basales Schlauchstück, an dem auch die Dörnchen vermißt wurden, ent- behrt auch der Sekretspiralen, da die- ser kurze windungslose Abschnitt an explodierten Kapseln (Fig. Sa, b) viel- fach wulstartig aufgetrieben erscheint, könnte er vielleicht als ein kurzer Halsabschnitt, dem der großen Kap- seln entsprechend, aufgefaßt werden. In vielen Fällen sieht man die Dörnchen noch der blauen Sekret- spirale aufsitzen, allein sie zeigen jetzt nicht melır die intensive frühere Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. 19 Färbung, sondern sind ganz blaß geworden (Fig. 8a, b), so daß sie aus diesem Grunde häufig der Beobachtung entgehen. Das Sekret dieser Spi- ralen verhält sich in bezug auf Quellungs-, Lösungs- und Tinktionsver- mögen ganz genau so wie bei den bisher beschriebenen Kapselformen, so daß kein Zweifel bestehen kann, daß wir es in diesen Spiralleisten ebenfalls mit Quellsekret zu tun haben. Ebenso sicher aber ist nach den Befunden an Fuchsinpräparaten, daß es vor dem Eintritt der Quellung nieht in Form einer kontinuierlichen Leiste vorhanden war, sondern daß die Dornen selbst die Träger des Quellsekrets sind und sich infolgedessen mit den angewandten Farbstoffen intensiv färben, solange sie sekretge- füllt sind, aber farblos werden, wenn das in Quellung versetzte Sekret ausgeflossen ist und sich zu einer kontinuierlichen Quelleiste vereinigt hat. Das sind Folgerungen, die sich unmittelbar aus den Präparaten ergeben ; dagegen bin ich über die Art und Weise, wie dieses Austließen ermöglicht wird, erst durch meine oben angeführten Beobachtungen an den Stiletten der großen birnförmigen Kapseln von Hydra attenuata ins klare gekommen. Auf Grund derselben glaube ich annehmen zu dürfen, daß auch diese kleinen Dörnehen und Härchen ebenso wie die großen Stilette eine basale äußere Öffnung haben, durch welche das enthaltene Sekret ausfließen kann, sobald es durch Berührung mit Wasser in Quellung gerät. Da die Dörn- chen am unausgestülpten Schlauch einander mit ihren Basen berühren, ent- steht für die Bildung einer kontinuierlichen Quelleiste nach Ausfließen des Inhalts keinerlei Schwierigkeit. Die verschiedenen Bilder, welche Fuchsin- und Methylenblaupräparate ergeben, beruhen einfach auf dem verschiedenen Verhalten der beiden Farb- stoffe kolloidalen Substanzen gegenüber. Fuchsin S. bewirkt sowohl beim Kapselsekret wie dem Fadensekret eine Fällung in irreversibler Form. Es wirkt genau so wie Zusatz der gewöhnlichen Plasma- und Kernfixierungs- mittel. Dabei werden konzentrierte Sekrete in fester Form als Körnchen, stark gequollene, also verdünnte Sekrete als ein Wabenwerk ausgefällt, dem unter Umständen noch feste Körnchen eingelagert sein können. So kann das Fuchsin dazu dienen, die betreffenden Strukturen auf dem jeweiligen Stadium der Quellung dauernd zu fixieren unter gleichzeitiger Färbung. Das Methylenblau wirkt aber in der angewandten Verdünnung genau so wie neutrale Salzlösungen auf Kolloidsubstanzen, d. h. sie werden »aus- gesalzen« nach der Ausdrucksweise der physikalischen Chemie, oder, was das- gs 20 L. Wirt: selbe ist, sie bewirken eine Fällung in flüssiger Form, die reversibel, d. h. im Überschuß des Fällungsmittels, hier des Methylenblaus, wieder quellungs- bzw. lösungsfähig ist. Daher ist das Methylenblau ein Mittel, die Quellung und Lösung der Sekrete im gefärbten Zustand wie unter natürlichen Ver- hältnissen, nur in verlangsamter Gangart zu verfolgen, deren Tempo mit zunehmender Konzentration des Methylenblaus abnimmt. Die Endstadien der Quellung sind im wesentlichen dieselben, wie sie oben von den großen birnförmigen Kapseln von Syncoryne und Hydra beschrieben wurden. Das Maximum der Quellung zeigt Fig. $b, in der namentlich die terminale Windung, wie ich das auch bei Aktinien gelegent- lich beobachtete, eine ganz riesige Dicke erreicht hat, wie sie übrigens nur ganz ausnahmsweise vorkommt. Die Endstadien des Prozesses habe ich in den Schlauch Fig. 8e eingezeichnet, in dem wir in der Mitte die uns schon bekannten Bänder wiederfinden, während unten das noch nicht gelöste Quellsekret vor seiner definitiven Lösung in einzelne kleine Tröpf- chen zusammengeflossen ist (vgl. Fig. 4b von Syncoryne), die meist an zwei gegenüberliegenden Punkten eines Spiralumgangs sich sammeln. In mehreren Fällen habe ich an geplatzten Kapseln (Fig. Sd) die Quell- spiralen in leicht gequollenem Zustand am unausgestülpten Schlauch kon- statieren können. Von einer Klebrigkeit des Quellsekrets habe ich bei der vorliegenden Kapselsorte nichts wahrgenommen. d. Kleine birnförmige Kapseln. Diese für alle Hydraarten charakteristische Kapselform zeigt in mancher Beziehung eigenartige Verhältnisse infolge ihrer von der der übrigen Kapsel- sorten abweichenden Funktion, die von Toppe' eine genauere Schilderung erfahren hat. Der Nesselfaden erfährt bei seiner Ausstülpung eine enge korkzieherartige Aufrollung (Fig. ga), die dazu benutzt wird, die Borsten der Beutetiere zu umwinden und diese mechanisch festzuhalten. Mir fiel noch besonders auf, daß der Faden bei seiner Ausstülpung eine ganz be- sondere Zunahme an Länge und Durchmesser erfährt, die nicht ausschließ- lich auf‘ osmotische Verhältnisse sowie auf Dehnung durch Quelleisten zu- rückführbar ist, weil sie zu einem großen Teil auch nach völliger Ent- Poppe, O., un die W ee a Nee der Hydra. Zool. Anz. Ba. 23, Nr. 24/25, 1909. Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. Hydra fusca. Kleine birnförmige explodierte Cniden. a-d Methylenblaufärbung. ef. g Fuch- sinfärbung. «a völlig explodierte, aber noch ge- füllte Kapsel mit den Quellspiralen. d entleerte Unide (der graue T’on wurde versehentlich ein- getragen). Die stark gequollene Spirale am distalen verletzten Ende des Schlauehs teilweise abgerollt. c teilweise entleerte Kapsel mit nor- maler Quelleiste. d entleerte Kapsel mit größten- teils gelöster Quelleiste, deren Sekret teilweise zu Klebfäden ausgezogen, die sich an die Kapsele angeheftet haben. e entleerte Kapsel. Das ge- quollene Schlauchsekret ist im Begrifl, an die Innenseite des spiralig gerollten Schlauches zu fließen. f das Quellsekret hat sich ganz an die Innenseite der Schlauchwindungen begeben und sich zu Klebfäden ausgezogen. Spiralen sekret- frei und deshalb sehr schwach siehtbar. g ähn- liehe Kapsel, bei der ausnahmsweise auch von der konvexen Seite der Schlauehwindung Kleb- fäden ausgehen. Vergrößerung: 2000. 21 leerung bestehen bleibt, so daß jeden- falls die der Schlauchwand innewohnen- den Elastizitätskräfte andere sind wie bei den übrigen Hydrakapseln. Schon Toppe hat an der frischen Unide am noch eingestülpten Faden die richtige Beobachtung gemacht, daß er auf seiner Oberfläche eine »eigenartige Riefelung« zeige. Seine Zeichnungen geben dieselbe in Form von Spiralwin- dungen wieder und in der Tat besitzt der Faden dieser Önidenart ebenfalls spiralige (uelleisten, wie die Untersuchungen an ausgestülpten Schläuchen bestätigen. Sie erscheinen an Methylenblaupräparaten durchaus in der Form, in der sie uns bereits von den großen birnförmigen und kleinen zylindrischen Kapseln von Hydra bekannt sind (Fig. 9a, b, ec) je nach dem Quellungsgrad als dieke wulstige Schrau- benwindungen oder schmale, intensiv ge- färbte Spirallinien. Bei stärkerer Quel- lung treten sie hier meist auch an den Schläuchen noch gefüllter Kapseln recht deutlich hervor. An den Schläuchen anderer Kapsel- formen haben wir nun wiederholt die Erscheinung konstatiert, daß das auf der Höhe des Quellungsstadiums befindliche Sekret vielfach die Neigung hat, sich in Tropfenform an zwei gegenüberliegenden Punkten eines Schraubenumganges anzu- sammeln; auch das kommt beim Quellsekret dieser kleinen birnförmigen Kapseln vor (Fig. 9d). Normalerweise sammelt es sich hier aber nur an einer Stelle des Schraubenumgangs, nämlich an der Innenseite der Korkzieherwin- dungen des Schlauches an. Ein hierfür typisches immer sich wiederholendes 22 L. Wirr: Bild bietet die Fig. ge, f, bei der sich nach der Explosion das Sekret ganz an die konkave Seite des Schlauches verzogen hat. An nicht gut ausge- waschenen Präparaten erscheint deshalb an dieser Schlauchseite das Quell- sekret häufig als eine dieke rot- oder blaugefärbte Linie, die sich aber bei gründlicher Auswaschung als aus einzelnen Abschnitten (Fig. 9f, g) bestehend erweist, deren jeder einer Spiralwindung entspricht. An der Innenseite der Korkzieherwindungen normal explodierter Schläuche beschreibt Toppe einen Besatz feinster, stark lichtbreehender Härchen, die in seiner durchaus korrekten Abbildung (a. a. O. Fig. 59) entsprechend meinen eigenen Beobachtungen nach hinten gerichtet, d.h. von der eng- sten Korkzieherwindung den weiteren zugewandt sind. Ich halte sie aber (Fig. 9f, g) entgegen Toppe, nicht für präformierte Härchen, sondern für Klebfäden, die entsprechend denen der Klebkapseln der Aktinien erst im Moment der Explosion entstehen. Daß sie keine präexistierenden Gebilde sind, geht ohne weiteres daraus hervor, daß sie an zahlreichen unter dem Deckglas nieht ganz normal aufgerollten Schläuchen mit Sicherheit fehlen (Fig. 9a, b, e); daß sie Klebfäden sind, die erst bei der Explosion unter gegebenen Bedingungen entstehen, wird dadurch bewiesen, daß sie unter den künstlichen Bedingungen des Deckglaspräparats auch gelegentlich an abnormer Stelle, z. B. an der Konvexität des Schlauches entstehen, wenn zufällig diese Stelle bei der Explosion, mit dem Deckglas in Berührung gekommen ist (Fig. 9g), oder die Schläuche benachbarter Kapseln bei der Entladung miteinander in Berührung gekommen (Fig. 96, d) und da- her miteinander verklebt sind. Die einzelnen Klebfäden besitzen auch keinen scharfen Kontur, wie er präexistierenden Härchen zukäme, sondern eine verwaschene Oberfläche. Sie machen genau den Eindruck, wie wenn ein mit frischer Tinte hergestellter Punkt mit der Hand nach einer Rich- tung verwischt ist und gleichen auch hierin den Klebfäden der Aktinien. Bei der Aufgabe dieser kleinen Kapseln, mit den Windungen ihrer Schläuche die Borsten der Beutetiere zu umfassen, muß natürlich diese klebende und fadenziehende Eigenschaft des Quellsekrets ihre besondere Bedeutung gewinnen. Wie bei den Klebkapseln der Aktinien hat also auch hier das Quellsekret die doppelte Aufgabe zu erfüllen, einmal die automatische Ausstülpung des Fadens zu ermöglichen und sodann die Beute festzukleben. Kolloidole Substanz als Energiequelle usw. 23 8. Tealia erassicornis. Auch die Schläuche der diekwandigen Nesselkapseln von Aktinien (Tealia erassicornis und Actinia equina), deren Kapseln gegenüber den dünn- wandigen Klebkapseln mit einem flüssigen Kolloid gefüllt sind und die sich daher mit Methylenblau intensiv färben (im Gegensatz zu den Kleb- kapseln), besitzen Quelleisten. Schon zur Zeit meiner oben zitierten Mit- teilung über die Klebkapseln habe ich sie an entleerten und methylen- blaugefärbten Schläuchen wiederholt beobachtet und gezeichnet, jedoch von ihrer Existenz damals geschwiegen, weil sie bei der Dünne der Schläuche ebenfalls sehr fein und wenig geeignet zum ersten Nachweis ihrer phy- siologischen Funktion sind. Nachdem ich sie aber neuerdings wiederholt konstatiert und inzwischen die vorstehend geschilderten Beobachtungen an einer ganzen Reihe von Nesselkapseln mit kolloidalem Inhalt gemacht habe, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auch die methylenophilen Kapseln der Aktinien Quelleisten besitzen, die also auch wohl dieselbe Rolle beim Explosionsprozeß zu spielen haben. 4. Ergebnisse. Alle bisher untersuchten Nesselkapseln der Gölenteraten besitzen nicht ein, sondern zweierlei Sekrete, ein den Inhalt bildendes Kapselsekret und ein Fadensekret. Das Kapselsekret aller Kapseln ist eine Flüssigkeit. Nur bei den Klebkapseln der Aktinien repräsentiert es eine Lösung von Kristalloiden und bleibt infolgedessen mit allen Farbstoffen ungefärbt. Die Kapselsekrete aller übrigen Kapseln, der der Aktinien sowohl wie aller übrigen Üölen- teraten sind flüssige Kolloide, die mit Methylenblau intensiv, mit sauren Farbstoffen, wie Fuchsin S., dagegen in der ruhenden Kapsel nicht ge- färbt werden. Unmittelbar nach dem Beginn der Explosion werden sie dagegen außer mit Methylenblau auch mit Fuchsin S. gefärbt, so daß mit dem Explosionsbeginn eine Reaktionsänderung des Kapselsekrets verbunden ist, auf die ich in einer weiteren Mitteilung noch Gelegenheit haben werde, zurückzukommen. Das kolloidale Kapselsekret erfährt durch Methylenblau eine Fällung in flüssiger Form, die reversibel ist. Die Reversibilität nimmt mit Zu- nahme der Konzentration des Fällungsmittels ab. Das Methylenblau ver- hält sich also dem Kapselsekret gegenüber wie neutrale Salze in bezug 24 L. Wırr: auf die Eiweißkörper (Aussalzen derselben). Fuchsin S. bewirkt eine irre- versible Fällung des Kapselsekrets (aber nur nach Einleitung der Explosion), d. h., das durch Fuchsin $. gefällte Sekret ist im Überschuß der Farb- lösung nicht löslich; eine vollständige Denaturierung des Sekrets findet dagegen keineswegs statt, denn durch zugesetzte Methylenblaulösung wird es wieder in Lösung übergeführt. Das Fadensekret tritt in Form von meist drei spiraligen, den ein- gestülpten, ruhenden Schlauch auf den Innenseiten überziehenden Quell- leisten auf, die entweder kontinuierlich sind oder aus einzelnen sekret- erfüllten Dörnehen bestehen. Bei der Explosion gelangen die Quelleisten auf die Außenwand des ausgestülpten Schlauches. Das Faden- oder Quell- sekret ist ein festes Kolloid, das äußerst hygroskopisch, wasserleitend und quellungsfähig ist, daneben aber in manchen Fällen noch klebende Eigen- schaften besitzt. Es färbt sich mit Methylenblau und Fuchsin S. meist in gleichem Maße. Eine Ausnahme bildet nur das Quellsekret der Aktinien- klebkapseln, bei dem das Färbungsvermögen mit sauren Farbstoffen be- deutend überwiegt, während das Methylenblau erst nach mehrtägiger Ein- wirkung eine ganz blasse Färbung bewirkt. Entsprechend dem Verhalten der Farbstoffe dem Kapselsekret gegenüber ist auch beim Fadensekret die Fällung mit Methylenblau reversibel, die mit Fuchsin S. dagegen nicht. Die infolge des Wasserzutritts nach, Sprengung des Kapseldeckels ein- setzende Quellung bewirkt erstens eine Diekenzunahme der einzelnen Quell- leiste, zweitens eine Zunahme des Abstandes der einzelnen Spiralwindungen voneinander, drittens eine Zunahme des Durchmessers der einzelnen Spiral- windung. Die Folge ist die mit Umkrempelung verbundene automatische Ausstülpung des Nesselschlauchs, die gänzlich ohne Reibung der inein- andergleitenden Schlauchteile vor sich gehen kann (vgl. Fig. 4a), weil durch die Durehmesserzunahme der gequollenen Spirale der äußere Schlauch eine solche Weite erhält, daß der innere noch nicht ausgestülpte und noch nicht von den Quellungserscheinungen ergriffene Schlauehteil sich sogar noch in Windungen und Schlingen legen kann, ohne die Wandung des äußeren Schlauches zu berühren. Wo das Quellsekret im Innern von Dörnchen verwahrt wird, besitzen diese eine basale äußere Öffnung, aus der es bei Berührung mit Wasser im gequollenen Zustand heraustreten kann, um eine kontinuierliche Quelleiste zu bilden. Die großen Dornen und Stilette am konischen Zwischenstück Kolloidale Substanz als Energiequelle usw. 25 des Halsteils der großen birnförmigen Oniden unserer Hydraarten dienen im besonderen zum Beweis dieses Vorganges. Wie die Ausstülpung des Sehlauches selbst wird auch die des konischen Zwischenstücks durch die Quelleisten desselben bewirkt, während die Ausstülpung des eigentlichen Halsteils nur durch die Elastizität der Kapselmembran veranlaßt wird. Das Sekret der Quelleisten ist die wichtigste Energiequelle für den Entladungsakt. Besitzt die Quelleiste außer den soeben behandelten Eigenschaften überdies noch einen besonderen Grad von Klebrigkeit, so kann es neben seiner geschilderten Hauptrolle noch andere Funktionen übernehmen. So kann sich unsere Hydra mit Hilfe der Klebrigkeit des Fadensekrets der kleinen zylindrischen Kapseln mit ihren Tentakeln an einer Unterlage fest- heften. Die Aktinien sind, wie ich früher (a. a. O.) zeigte, mit Hilfe des in besonderem Grade klebrigen Quellsekrets ihrer Klebkapseln sogar imstande, selbst größere Beutetiere förmlich festzuleimen, wie ich speziell an einem kleinen Rochen feststellen konnte, der mit den Tentakeln einer Tealia in Berührung gekommen und nun nieht mehr imstande war, von denselben loszukommen. Ähnliche Funktionen übernimmt auch das Quellsekret der kleinen birnförmigen Kapseln von Hydra, das ebenfalls die Fähigkeit be- sitzt, sich zu Klebfäden auszuziehen. Machen wir uns nun auf Grund dieser Erkenntnis der Quelleisten eine (resamtvorstellung von den Vorgang der Nesselkapselexplosion, so wickelt sich die Entladung in folgender Weise ab: Eine Beute berührt das seit Schulze als Sinneshaar erkannte Unido- cil der Bildungszelle; der empfangene Reiz wird auf das Protoplasma und die in ihm enthaltenen Muskelfibrillen fortgeleitet, worauf die Kontraktion dieser oder des ganzen Cnidoblasten erfolgt, welche ihrerseits bewirkt, daß der Deckel der Nesselkapsel, vielfach unter Mitanwendung des Stilettappa- rates gesprengt wird. Daß der von der Beute ausgeübte Reiz ein mechanischer sein muß, geht daraus hervor, daß nur kräftig sich bewegende größere Beutetiere, wie kleine Krebse, Würmer und Mückenlarven eine Explosion der Nessel- kapseln von Hydra auslösen können, selbst die größten Infusorien aber nicht, weil die Berührung des Cnidoeils von ihrer Seite eine zu wenig energische ist. Da es aber andererseits nicht gelingt, selbst durch die kräftigste Berührung des Cnidoeils mit einer Nadel eine Explosion zu er- Phys.-math.Abh. 1914. Nr. 1. 4 26 L. Wırıt: zielen, dürfen wir annehmen, daß mit der mechanischen Berührung des Cnidoeils noch ein chemischer Reiz seitens der Beute verbunden sein muß. Das ist um so wahrscheinlicher, als unter Umständen chemische Mittel allein genügen, um die Explosion durch Reizung des Unidoeils hervor- zurufen. Ein solches Mittel ist z. B. verdünnte Schwefelsäure (10 prozentig), welehe am intakten Tentakel massenhafte Entladungen bewirkt, isolierte, aus ihrem Onidoblasten entfernte Kapseln aber in keiner Weise beeinflußt!. Ist der Deckel gesprengt, so hat das umgebende Wasser Zutritt zum Kapselinnern, doch gestaltet sich der Einfluß desselben verschieden, je nachdem man eine Kapselform vor sich hat, bei der der Nesselschlauch sich unmittelbar an die Kapselmembran ansetzt (z. B. Fig. 7, 8) oder eine solehe, bei der sich zwischen Schlauch und Kapsel ein Halsabschnitt ein- schiebt, der bei manchen Formen, wie den großen birnförmigen Oniden von Hydra und Syncoryne noch ein konisches Zwischenstück (Fig. 5) unter- scheiden läßt. Bei den ersteren einfacheren Kapseln tritt nach Sprengung des Deckels das Wasser unmittelbar in Berührung mit dem Quellsekret des Schlauches, und zwar zunächst an seiner Insertionsstelle an der Kapselwand, so daß es Gelegenheit hat die erste Spiralwinduug in Quellung zu setzen und sie weitend, Raum zu schaffen für die Umstülpung der folgenden Schlauchteile. Wie ich schon früher (a. a. ©. S. 14) ausgeführt, wird die Weiterleitung des Wassers in dem noch unausgestülpten Schlauch in viel geringerem Grade durch Kapillarwirkung des Schlauchlumens als dureh das viel rapider wirkende Wasserleitungsvermögen des Schlauchsekrets selbst bewirkt. Jeden- falls erfolgt die Quellung der Spiralen fast momentan und der Schlauch wird automatisch ausgestülpt. Bei der zweiten Kapselform mit Hals und konischem Zwischenstück — ich beziehe mich speziell auf die großen birnförmigen Uniden von lIydra — dringt wohl nach Sprengung des Deckels das Wasser in das Innere des Halsstücks, aber, da dessen Wand wie auch die des konischen Zwischenstücks für Wasser absolut impermeabel ist, noch nicht zum Kapsel- sekret und dem in ihm aufgewunden liegenden Schlauch. Hier erfolgt ! Derartige künstliche Explosionen sind von den natürlichen auseinanderzuhalten. Sie können auch noch durch eine Reihe anderer Mittel bewirkt werden, die in einer andern Mitteilung behandelt werden sollen. Hier sei immer nur von der natürlichen Explosion gehandelt. Kolloidale Substanz als Energiequelle usw. 27 zunächst die Ausstülpung des Halsabschnitts lediglich unter dem Einfluß der Elastizität der Kapselmembran, wobei gleichzeitig die zu einer dolchartigen Spitze zusammengelegten Stilette nach Durch- stoßung des Kapseldeckels sich auseinanderspreizen müssen, wenn das Wasser zum Quellsekret treten soll. Tun die Stilette, wie das mehrfach vorkommt, das nicht, so entstehen »Versager«, wie einer in Fig. 10 ab- Fig. 10. gebildet ist. In diesem Falle kommt nur der Halsteil selbst zur Ausstülpung, aber weder konisches Zwischen- stück noch Schlauch. An solehen Kapseln ist der Hals- teil ballonartig aufgetrieben — oft noch viel mehr, als es die Abbildung zeigt — unter Ausgleich aller Falten, die an dem vorgestülpten Halsteil entleerter Kapseln stets beobachtet werden. Es ist weder Sekret aus der Kapsel herausgetreten oder Wasser zum Kapselinhalt hinzuge- treten, wie daraus hervorgeht, daß auf Grund zahlreicher Messungen das Gesamtvolumen dieser Versager (Kapsel- inhalt und Balloninhalt) stets sehr genau gleich dem der ruhenden Kapsel ist!. Hydra fusca. Große Normalerweise findet bei der Ausstülpung des Hals- birnförmige Kapsel un- 1 3 Kunsdı | £ 1 a 5 vollständig, * nur mit teils auclhı eine Auseinanc erspreizung deı Stilettspitzen dem Halsteil explodiert statt, wodurch das Wasser erst Zutritt zum Quellsekret der »Versager«), Halsteil ar: . N Okt 1 r Ri in Dornen und Stilette und zur Quelleiste des Schlauches er- ‚allonar 1123 au ge rıeben £ 2 E f unter Ausgleich alleran hält, worauf unter Quellung des Sekrets auch konisches der entleerten Kapsel Zwischenstück und Schlauch aus der Kapsel hervor- (vel. Fig. 6a, b) vorhan- hieß denen Falten. Fuchsin- SC leben. färbung. Hieraus geht hervor, daß die in der Elastizität der Vergrößerung: 2000. Kapselmembran gegebene Energiequelle nur zur Ausstül- pung des Halsteils ausreicht, daß aber die Explosion des konischen Zwischen- ! Die einzelnen Messungen sollen später publiziert werden. Die vollständige Beweis- kette für die aufgestellte Behauptung lautet folgendermaßen: Die Beobachtung von methylenblau- gefärbten völlig explodierten Kapseln zeigt übereinstimmend, daß das Kapselsekret nur durch den Schlauch selbst diffundiert, nie aber durch die Kapselmembran oder die Wand von Hals- teil und konischen Zwischenstück. Daraus muß man auf die Impermeabilität dieser drei Wandungen für das Kapselsekret schließen, die übrigens auch noch in anderer Weise ge- stützt werden kann. Es kann also auch im Falle der Fig. ro kein Kapselsekret herausdit- fundiert sein. Ist das aber nicht der Fall, so kann auch kein Wasser eingetreten sein, denn sonst müßte eine Volumenzunahme stattgefunden haben. Es können also bei Erzielung des Zustandes der Fig. 10 keinerlei osmotische Erscheinungen mitgewirkt haben. 28 L. Wınn: Kolloidale Substanz als Energiequelle usw. stücks und des eigentlichen Schlauches durch die Quelleisten bewirkt wird. Der Halsabschnitt übernimmt bei der Entladung die Rolle der Gummiblase, die bei einem Spreeapparat zwischen Schlauch und Flasche eingeschaltet wird: er wirkt druckregulierend. ÖOsmotische Verhältnisse spielen bei der natürlichen Entladung, wie ich nunmehr positiv feststellen kann, bis zum Eintritt einer gewissen Phase keine Rolle. Die Kapselmembran ist außer für Wasser und das eingeschlossene Kapselsekret auch für die meisten Elektrolyte impermeabel. Permeabel ist sie nur für Substanzen, welehe eine chemische Affinität zur Kapsel- membran und dem Kapselsekret besitzen, wie gewisse Farbstoffe und Fixier- mittel; das sind aber Substanzen, die nur schwach dissoziiert sind: Osmose setzt erst mit dem Momente ein, wenn bereits ein kleiner wenn auch geringer Schlauchteil zur Ausstülpung gekommen ist, denn die Schlauch- wand ist der einzige Teil aller an der Nesselkapsel zu unterscheidenden Membranbildungen, der sowohl für Wasser, wie für das Kapselsekret durch- lässig ist. Erst nach Ausstülpung eines beliebigen Schlauchteils wird eine Kommunikation zwischen dem umgebenden Wasser und dem eingeschlos- senen Kapselsekret durch die Schlauchwand hindurch möglich, und sofort äußert sich die hohe Affinität beider in energischen Diffusionserseheinungen, die sehr rasch, bei den großen Kapseln von Hydra im Bruchteil einer Sekunde die völlige Lösung des Kapselsekrets und die Entleerung der Kapsel bewirken. Aber bevor dieses Ende des Entladungsvorganges er- reicht ist, also im Verlauf der osmotischen Erscheinungen, muß im Innern des Schlauches notwendig eine vorübergehende Volumenvermehrung der Kapsel- und Schlauchtlüssigkeit und eine bedeutende Drucksteigerung statt- finden, welche einerseits die Wirkung der Quelleisten bei der Ausstülpung des Schlauches unterstützen müssen, anderseits aber im Innern des Schlauches einen bedeutenden Turgor erzeugen, der im Verein mit der mechanischen Spiralwirkung der Quelleisten dem sich ausstülpenden Schlauch denjenigen Grad von Starrheit verleiht, der ihn befähigt, eine derbe Chitinmembran zu durchschlagen. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, — u it ne Eee er a SE a EL 1 a ah le a A ah an a 3 2 2 Ka Korn Bl he u ce ‚zul 04 u Zu? A na m 5 ern u a Ka ul nd U ie Ua 2% fi . ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR.2 ‚BERICHT ÜBER DIE MIR ZUGEGANGENEN URTEILE DER FACHGENOSSEN, BETREFFEND DIE IN »ZIELE VULKANOLO- GISCHER FORSCHUNG« VON MIR GEMACHTEN VORSCHLÄGE VON WILHELM BRANCA BERLIN 1914 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1914 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE Nr. 2 BERICHT ÜBER DIE MIR ZUGEGANGENEN URTEILE DER FACHGENOSSEN, BETREFFEND DIE IN »ZIELE VULKANOLO- GISCHER FORSCHUNG« VON MIR GEMACHTEN VORSCHLÄGE VON WILHELM BRANCA BERLIN 1914 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN Aa hoonlan Ingtgn> Bi 9% AUG 3 11916 6) os Linraryı IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER - ' Ba ee De ne Ar Vorgelegt in der Gesamtsitzung am 28. Mai 1914. Zum Druck eingereicht am gleichen Tage, ausgegeben am 6. Juli 1914. Inhalt. I. Einleitung. Die gemachten Vorschläge, die (fast) allge- meine Zustimmung zu denselben; ein Mißverständnis; eine II. Gefährdung. 56. Im. Friedländer. 66. E.Suess ... Seite | Das Wichtigste aus den eingelaufenen Briefen, je- doch mit Ausschluß der eingehenderen Urteile über vulkano- logische Forschungsinstitute; in alphabetischer Ordnung der Erateile, Bänder und Personen. . nennen... Seite 18 Io. II. I2. 13% I4. I. Afrika. E. H. L. Schwarz, Rhodes Univ. Grahamstown. II. Amerika Nord, Mexiko. Aguilera, Mexiko. E. Boese, Instituto Geologico de Mexico. III. Amerika Nord, Verein. Staaten. Eugen T. Allen, Washington. Branner, Stanford Univ. Kaliforn. W.Clarke, Washington. Daly, Harvard Univ. Cambridge Mass. Hobbs, Ann Arbor Michigan. Winchell, Wisconsin Univ. Madison. IV. Amerika Süd, Chile. Comte de Montessus de Ballore, Santiago. V. Australien. P. OÖ. Morgan, Wellington Neuseeland. VI. Europa. a. Bulgarien. Bontchew, Sofia. b. Dänemark. B. Böggild, Kopenhagen. Thoroddsen, Kopenhagen. 50. 51. 52. 53- 54- BrRANCcA: e. Deutschland. Baschin, Berlin. Max Bauer, Marburg. Beckenkamp, Würzburg. Bergeat, Königsberg. Bergt, Leipzig. R. Brauns, Bonn. Bücking, Straßburg. Dannenberg, Aachen. Fraas, Stuttgart. Frech, Breslau. Günther, München. Gürich, Hamburg. Kalkowsky, Dresden. E. Kayser, Marburg. Klemm, Darmstadt. Königsberger, Freiburg i.B. von Kries, Krietern b. Breslau. Lenk, Erlangen. Linck, Jena. Meinardus, Münster i. W. Michael, Berlin. Mügge, Göttingen. Oebbeke, München. Osann, Freiburg i.B. Passarge, Hamburg. Philippson, Bonn. Rinne, Leipzig. Rosenbusch --, Heidelberg. Rothpletz, München. Sapper, Straßburg. Tamman, Göttingen. Tornquist, Königsberg. Volz, Erlangen. Wichert, Göttingen. von Wolff, Danzig. d. England. John W. Judd, Kew. e. Frankreich. Barrois, Lille. Glangeaud, Clermont. Lacroix, Paris. Meunier, Paris. ———- Urteile über »Vulkanologische Forschung «. II. Briefliehe Äußerungen speziell über die Frage der Gründung größerer oder kleinerer vulkanologischer Norsebiinesinstitute....weletee. MAR en Seite ı. E.H.L. Schwarz. 2. Aguilera. 3. Böse. 7. Reg. A. Daly. 8 Wm. H. Hobbs. 18. Bergeat. 19. Bergt. 20. R. Brauns. 23. Frech. 26. Gürich. 30. Königsberger. 36. Mügge. 38. Osann. 45. Tammann. 46. f. Italien. Agamennone, Rom. Friedländer, Neapel. Zambonini, Turin. g. Niederlande. K. Martin, Leiden. Molengraaff, Delft. Wichmann, Utrecht. h. Norwegen. - Brösger, Kristiania. i. Österreich-Ungarn. Becke, Wien. Hibsch, Tetschen a. Elbe. von Löczy, Budapest. Rudzki, Wien. E. Süss+, Wien. k. Portugal. Bensaude, Lissabon. l. Rußland. Br. Doss, Riga. Tschernyschew 7, Petersburg. m. Schweiz. A. Brun, Genf. D. A. Heim, Zürich. Tornquist. 49 Brancaä: 58. Martin. 59. Moolengraaft. 60. Wichmann. 61. Brögger. 63. Hibsch. 64. von Löczy. 70. A.Brun. 72. A. Hleim. . Kurze Zusammenfassung über die die anderen Vor- schläge betreffenden brieflichen Äußerungen Seite 61 . Sehritte, die in Berlin zur Verwirklichung der Vor- schlagevgetan sınd 0.0.2200 Seee ee Seite 64 | Urteile über »Vulkanologische Forschung .«. IE \ SEE Vorschläge waren es, die ich in der im Titel genannten Schrift! S.8ı2 und 854, dem Urteile der Fachgenossen unterbreitet hatte: I. os 52. 5b. Internationales Zusammenarbeiten aller Vulkanologen und Zusam- menkünfte derselben, vielleicht auf den geologischen Kongressen. Herausgabe eines internationalen mehrsprachigen Jahresberichts über die vulkanischen Ereignisse. Herausgabe einer internationalen mehrsprachigen Zeitschrift für Vulkanologie. Gründung vulkanologischer Forschungsinstitute in möglichst vielen Ländern, entweder unter einem physikalischen Chemiker, dem ein petrographischer Geolog zur Seite steht, oder umgekehrt. Also eine Zweigliederung der Institute, deren eine Hälfte theo- retische und experimentelle Forschung betreiben würde, deren andere’ Hälfte sämtliche Vulkane des betrefienden Landes, ganz besonders auch die bisher mehr oder weniger unbekannten der et- waigen Kolonien, an Ort und Stelle genau untersuchen und kar- tieren würde, während die an das Institut geschiekten Gesteine, Mineralien, Gase in diesem untersucht werden würden. Aufforderung an die Regierungen, alle Schiffskapitäne ihrer Kriegs- und Handelsflotten zu Berichten über eventuelle submarine Vulkan- ausbrüche und Seebeben zu veranlassen. Eine kurze vielsprachige Belehrung über die Natur dieser Ereig- nisse sowie einen ebensolchen Fragebogen auszuarbeiten und diese ı W. Branca, Ziele vulkanologischer Forschung. Eine Begründung des Antrages der Berliner Akademie der Wissenschaften auf Internationalisierung der vulkanologischen Forschung. Sitzungsberichte dieser Akademie 1913, Bd. 38, S. 8r0—856). [0 ) BrAncAa: den Regierungen zu übersenden mit dem Antrage, an allen See- mannsschulen diese Unterweisung in den Unterricht aufnehmen zu lassen. | 6. Die von mir versuchte Zusammenstellung der Ziele vulkano- logischer Forschung durch Namhaftmachung weiterer Ziele zu vergrößern. Factaloquuntur! Nichtwenigerals71Fachgenossen, 35 reichs- deutsche und 36 außerdeutsche, haben sich der Mühe unterzogen, in kürzerer oder ausführlicherer Darlegung mir ihre Meinung über diese Vorschläge brieflich mitzuteilen. Fast alle haben sich mehr oder weniger freudig zustimmend geäußert. Ich bitte an dieser Stelle allen diesen Fachgenossen im Namen der Sache aufrichtigsten Dank aussprechen zu dürfen; wobei ich mir, selbstverständlich, völlig dessen bewußt bin, daß diese Mühewaltung, der sie sich unterzogen, lediglich der Sache, nicht mir gegolten hat. Ich hatte in jener Arbeit gesagt, daß ich über die mir zugehenden Antworten Bericht erstatten werde. Dieser Verpflichtung komme ich im folgenden nach. Ich war dabei im Zweifel, ob ich nur kurz und nur in deutscher Sprache die Zustimmung bzw. die Vorschläge und Ansichten der verschiedenen Briefschreiber anführen, oder ob ich Sätze, auf die es in diesen Urteilen ankommt, in der Sprache der Schreiber wörtlich anführen solle. Das letztere ist der umständlichere Weg; er erschien mir aber doch notwendig, um ein möglichst genaues, ganz richtiges Bild ‘von den Urteilen der Betreffenden zu geben: Allein schon deswegen, um allen diesen Fachgenossen die verschie- denen geäußerten Urteile und Meinungen zur Überlegung bereits vorher vorzuführen, bevor sie — vielleicht im Jahre 1916 auf dem internatio- nalen Geologenkongreß zu Brüssel oder schon früher? — sich vereinigen, um Beschlüsse behufs der Organisation zu fassen. Eine solche genauere Wiedergabe der Meinungen schien mir aber noch aus einem anderen Grunde durchaus nötig zu sein: Man kann einer Reihe von Vorschlägen in sehr verschiedenem Grade der Intensität zustimmen. Die Zustimmung kann eine laue, matte sein, nur diktiert durch das Be- streben, dem Betreffenden gegenüber nicht unhöflich, nicht unfreundlich sein zu wollen; und sie kann eine rückhaltslose sein, weil man voll und Urteile über »Vulkanologische Forschung «. =) ganz sich auf die Seite des Betreffenden und seiner Vorschläge stellt. Beides ist dann »Zustimmung«. Aber die erstere hat geringes, die letztere hat großes Gewicht; und um nun den Fachgenossen eine Übersicht über die Ansichten ihrer Kollegen zu ermöglichen, die nicht durch meine, vielleicht parteiliche Darstellung gefärbt wieder- gegeben wird, darum erschien es mir nötig, die eigenen ent- scheidenden Worte der Fachgenossen anzuführen, wenn dadurch auch Wiederholungen unvermeidlich wurden und der Bericht stark anschwoll. Ein Mißverständnis, das in einigen Briefen gegenüber der von mir gemachten Zusammenstellung der Ziele vulkanologischer Forschung zum Ausdruck kommt, bedarf der Aufklärung: In meiner Arbeit über die Ziele vulkanologischer Forschung hatte ich aus mehreren Gründen absichtlich die große Verschiedenartigkeit und den Reichtum der möglichen Aufgaben hervorgehoben und aufgeführt. Einmal, weil es mich interessierte, die Fülle der Probleme, die sich uns im Vul- kanismus darbieten, mir selbst vor Augen zu führen. Zweitens, um damit anderen zu zeigen, daß eine ganze Anzahl von vulkanologischen Forsehungs- instituten errichtet werden könne, deren jedes wieder andere Aufgaben als seine Spezialität pflegen könnte. Drittens, um den Fachgenossen, die bei ihren Regierungen die Unterstützung meiner Bestrebungen beantragen wollen, eine bequeme Zusammenstellung an die Hand zu geben, auf die sie zurück- greifen könnten, um die übergroße Vielseitigkeit und Wichtigkeit der vulkanologischen Forschung den maßgebenden Behörden anschaulich zu machen. Mehrfach aber bin ich dahin mißverstanden worden: Ich wolle, daß jedes Institut alle diese verschiedenen Aufgaben bearbeiten solle, und es ist infolge davon mir brieflich der Einwurf gemacht worden, daß ich viel zu weit aushole, zu vielerlei wolle, was ja weit über die Kräfte eines Forsehungsinstituts gehe, daß man sich doch beschränken müsse. Eine solche Absicht hat mir absolut fern gelegen. Die verschiedenen Forschungs- institute sollen sich, so meinte ich, in die Fülle der Aufgaben nach Belieben teilen; oder falls zwei auf demselben Gebiete arbeiten wollen, sich verab- reden, so daß nicht beide ganz übereinstimmende Forschung betreiben. Gerade dazu, um unnütze, doppelte Arbeit zu vermeiden, soll der inter- nationale Zusammenhalt, die »cooperation« dienen. Phys.-math. Abh. 1914. Nr. 2. iv 10 Branca: Auf dem praktisch-geologischen Gebiet aber, so z. B. in der Unter- suchung und Kartierung der Vulkane, oder in der Lösung der Aufgabe, die Lage früherer Vulkangebiete zum Meere festzustellen, oder in der Darstellung der verschiedenen Schmelzherde usw. — auf diesem Gebiete können sämt- liche vulkanologische Forschungsinstitute dasselbe Thema bearbeiten, an der Lösung derselben Aufgabe sich beteiligen, ohne daß auch nur zwei der Institute dasselbe tun; denn jedes Volk würde eben nur die ihm gehörigen lebenden und toten Vulkane bearbeiten. Ich habe also alle Ziele vulkanologischer Forschung, so weit sie sich mir darstellten, aufgezählt. Aber was für Aufgaben sich die Direktoren der Forschungsinstitute wählen, das wollte ich ihnen selbstverständlich damit nicht vorschreiben, denn das ist deren eigenste Sache. Klar und deutlich geht das, was ich mit dieser Übersicht bezweckte, aus den Worten auf Seite 813 meiner Arbeit hervor: »Bei einer Darlegung der Ziele müssen eben alle Ziele namhaft gemacht werden, soweit sie als solche zur Zeit klar hervortreten. Daraus folgt ja noch keines- wegs, daß alle diese Ziele gleichzeitig und von allen Seiten in Angriff genommen werden sollten. Vielmehr ergibt sich ganz von selbst, daß das nur nacheinander geschehen könnte, und daß ein Teil dieser Ziele überhaupt erst durch sehr langwieriges Zusammenarbeiten vieler erreichbar sein würde. Ein anderes Mißverständnis einiger Herren liegt darin, daß sie mich verstanden zu haben glaubten, ich wolle »ein internationales Forschungs- institut«. Das ist nicht von mir gesagt und gemeint worden; ich möchte vielmehr viele nationale Forschungsinstitute, deren Direktoren sich inter- national verständigen. Ich glaube daß mit diesen Erklärungen jeder Einwurf, der in dieser Richtung von einigen der Herren meinen Vorschlägen gemacht worden ist, sich Ihnen nun als hinfällig erweisen wird. Eine Gefährdung dieses allgemeinen Einverständnisses könnte nur durch zwei der mir zugegangenen Briefe erfolgen; ich will diese daher gleich an dieser Stelle ausführlich besprechen und widerlegen und mich dann erst dem Inhalte aller anderen Briefe zuwenden. 56. Hr. J. Friedländer, Neapel, schreibt, daß er gegen mich »po- lemisch« werden müsse. Völlig zu Unrecht; und da die von so vielen Sach- Urteile über » Vulkanologische Forschung«. 11 verständigen freudig gutgeheißene Sache geschädigt werden könnte, wenn infolge dieser Polemik die irrtümliche Vorstellung erweckt würde — und tat- sächlich, wenn auch ganz vereinzelt, ist sie erweckt worden — als sei Hrn. Friedländers Tun nicht genug anerkannt, als seien ihm Schwierigkeiten gemacht, als solle sein Institut unterdrückt werden, so muß ich ausführ- licher darauf eingehen. Nichts von dem ist der Fall. Weder irgendeine Akademie noch ich persönlich suchen sein Institut zu unterdrücken; ganz im Gegenteil, ich bemühe mich ja dafür, daß möglichst viele vulkanolo- gische Forschungsinstitute gegründet werden. Auch die vollste Anerkennung seines Vorhabens habe ich in meiner Schrift ausgesprochen. Wenn also trotzdem von keiner Akademie Hrn. Friedländer eine Unter- stützung zuteil geworden ist, so liegen hier die Schwierig- keiten nicht in der Sache, sondern in der Person, d.h. in der Frage nach dem wissenschaftlichen Geeignetsein der Person des Hrn. Friedländer als Leiter dieses Institutes. Selbstverständ- lich hatte ich das in meiner Schrift aus Rücksichtnahme auf Hrn. Fried- länder nicht mit diesen Worten gesagt, sondern nur von »Mängeln in der beabsichtigten Organisation« gesprochen. Da Hr. Friedländer jedoch sieh nicht auf‘ das Briefliche beschränkt, sondern bereits in zwei ver- schiedenen Druckschriften' seine Polemik veröffentlicht hat, so bin ich nun, um durch ihn die Sache nicht noch weiter schädigen zu lassen, gezwungen, hier offen darzulegen, wie die Dinge liegen. Hrn. Friedländers, den Vulkanologen bekannter Plan seines For- sehungsinstituts enthält drei verschiedene Dinge: ı. die Gründung eines vulkanologischen Forschungsinstituts in Neapel aus eigenen Mitteln und denen anderer Privater; 2. die Stellung dieses Instituts als eines »Zentralinstituts« für alle vulkanologischen Forschungen, also eines dominierenden Instituts; 3. die Stellung Hrn. Friedländers als des Direktors dieses For- . schungsinstituts. Das ist zwar in seinem Plane nicht direkt ausgesprochen, geht aber aus allem unzweifelhaft hervor. Zu ı kann ich nur wiederholen, daß kein Gelehrter und keine Aka- demie Hrn. Friedländer vollste Anerkennung versagen werden, wenn er ! Beiträge zur Geophysik Bd. 13, Heft 3, S. 1z1—ı26. Ferner in »Der Geologe« von Max Weg, Leipzig 1913, wo Hr. Friedländer sich ebenfalls gegen meine Schrift wendet. J# 12 BrancAa: größere Mittel aus seinem eigenen Vermögen zusammenbringt, um ein Forschungsinstitut ins Leben zu rufen. Auch zu 3 kann ich nur sagen, daß kein Gelehrter, keine Akademie irgend etwas dagegen einwenden würde, wenn der Stifter eines aus eigenem Vermögen gegründeten Forschungsinstituts sich selbst zum Direktor des- selben macht. Das ist ja völlig seine eigene Angelegenheit, die niemand etwas angeht; und es ist sicher sehr schön und sehr anerkennenswert, wenn ein reicher Mann sich für die Wissenschaft so interessiert, daß er ihr große Opfer an Geld bringt und seine Zeit ihr zuwendet. Aber — Hr. Friedländer wünschte für seinen dreiteiligen Plan auch die pekuniäre Unterstützung anderer Privater und vor allem auch die moralische und pekuniäre Unterstützung von Akademien; und diese ist ihm versagt worden, weil sie ihm wegen des sub 2 und namentlich des sub 3 genannten Teiles seines Planes notwendig versagt werden mußte. Ein Forsehungsinstitut ist ‚nicht an und für sich eine wissenschaft- liche Größe, sondern es wird das erst, wenn es von einem nach jeder wissenschaftlichen Richtung hin zur Leitung des betreffenden Instituts befähigten Direktor geleitet wird. Keine Akademie wird und kann daher irgendeinen solchen Plan unterstützen, wenn sie nicht die volle Überzeugung hat, daß der Leiter des Instituts auf dem zu erforschenden Gebiete ein durch seine Kenntnisse und Arbeiten vollbewährter Forscher ist, dessen Persönlichkeit so- mit die sichere Gewähr dafür gibt, daß die Unterstützung den rechten Mann trifft; denn mit ihrer Unterstützung übernimmt die Aka- demie bis zu einem gewissen Grade die Garantie, daß der betreffende Leiter des Instituts sehr Tüchtiges leisten wird. Der einzelne kann sich über eine solche Prüfung der Geeignetheit des Betreffenden hinwegsetzen und dessen Plan unterstützen, denn er übernimmt keine Verantwortung damit. Eine Akademie oder sonstige gelehrte Körperschaft kann das aber nicht, denn sie übernimmt damit eine Verantwortung. Das ist der Grund, warum die Akademie — und, wie Hr. Friedländer selbst sagt, »auch andere akademische Kreise« — den Plan des Hrn. Fried- länder nicht unterstützen konnten, wenn sie ihn auch an und für sich schön fanden. Wenn nun Hr. Friedländer sich bemüht zu beweisen, daß ein Geldmann eigentlich besser zum Leiter eines Forschungsinstituts geeignet sei, weil er das Geschäftliche besser verstehe als ein Wissenschafts- nn nn ne Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 15 mann, so wird ihm niemand darin beistimmen. Auch die Beispiele, die Hr. Friedländer für sich anführt, so unter anderem das von Carnegie gestiftete Geophysical Laboratory in Washington, beweisen nicht für, sondern gegen ihn; denn Hr. Carnegie hat nicht etwa sich selbst zum Leiter des Instituts gemacht, sondern Männer, die Beweise wissenschaftlicher Tüchtig- keit gegeben hatten. Nun beansprucht Hr. Friedländer vollends für das von ihm geleitete Institut, daß es auch noch die Zentralstelle für alle anderen vulkanologischen Forschungen der Erde sein solle. Für eine solche Zentralstelle aber würde in noch viel höherem Grade ein durchaus bewährter Mann der Wissenschaft als Direktor nötig sein. In meiner Schrift habe ich ausgeführt, daß ein physikalischer Chemiker und ein petrographischer Geolog die Leitung eines solchen vulkanologischen Forschungsinstituts haben müßten, weil eben die zu lösenden Aufgaben auf diesen beiden Gebieten liegen; und weil Hr. Friedländer weder das eine noch das andere bis jetzt ist, darum konnte er ganz unmöglich von einer wissenschaftlichen Körperschaft unterstützt werden. Sollte er als Leiter seines Instituts durch seine Arbeiten später beweisen, daß er Hervor- ragendes auf diesen Gebieten leistet, so wird ihm sicher dann auch die Unterstützung von Akademien zuteil werden. Bis dahin aber kann Hr. Friedländer billigerweise nur die volle Hochachtung beanspruchen, die jedem zuteil wird, der ohne der Wissen- schaft anzugehören, trotzdem einen Teil seines Geldes, sein Interesse und seine Zeit der Wissenschaft darbringt. Dieser Anerkennung habe ich in meiner Schrift durchaus Ausdruck gegeben, und aus demselben Gefühl heraus habe ich es dort vermieden, offen das zu sagen, was auszusprechen mich nun Hr. Friedländer gezwungen hat. Er, der so voll Interesse für die vulkanologische Sache ist, hätte doch gerade umgekehrt sehr er- freut darüber gewesen sein müssen, wenn für die Schaffung möglichst vieler Institute gewirkt wird. Hrn. Friedländers Polemik gegen meine Vorschläge ist also nicht berechtigt und wäre im Interesse der Sache besser unterblieben. Ich komme nun zu dem zweiten Briefe: 66. Hr. E. Süss, Wien, der leider nun dahingegangene Nestor der geologischen Wissenschaft, ist der einzige der Forscher, der sich gegen die von mir gemachten Vorschläge wendet. Er schreibt, da er schon schwer 14 Branca: daniederlag, im Januar 1914 nur die kurzen Worte: »Mit Ihrem Programm bin ich nicht einverstanden. Zu viel; dabei in den wichtigsten Fragen auf Carnegie (Geophysical Institut) übergreifend. Italien und Friedländer, wo der Arzt neben dem Patienten sitzt, kalt zurückgeschoben; keine ausreichende Begründung für Berlin. « Dieser Brief steht in seinem ablehnenden Urteile allen anderen von Fachgenossen abgegebenen gegenüber. Es widersteht mir, die Einwürfe, die der hochverehrte Forscher macht, jetzt widerlegen zu müssen, wo dieser darauf nichts mehr erwidern kann. Aber er hat auf meine Anfrage hin, ob er die Veröffentlichung seines Briefes wolle, die Frage bejaht. Ich bin daher gezwungen, diesem Wunsche des hochver- ehrten Meisters nachzukommen. Ich bin aber auch im Interesse der Sache gezwungen, seine Einwürfe, die zum Teil direkt auf Mißverständnis beruhen, zum andern Teil mir nicht berechtigt erscheinen, zu widerlegen. Zunächst sein »zu viel« bezieht sich auf die von mir gemachte Auf- zählung der Ziele vulkanologischer Forschung; hier liegt indessen dasselbe Mißverständnis zugrunde, wie bei mehreren anderen der Herren, das ich auf S. 9 aufkläre. Es lag mir ja völlig fern, diese ganze überwältigende Vielheit der Aufgaben jedem einzelnen Institut als Objekte der Forschung zumuten zu wollen. Sie ist in durchaus anderer Absicht gemacht, der Einwurf ist also ein irrtümlicher. Auch das zweite der von Hrn. E. Süss geäußerten Bedenken vermag ich nicht anzuerkennen: Dem von Carnegie gestifteten Geophysical Laboratory in Washington kann ich unmöglich gewissermaßen das alleinige Vorrecht auf diese physikalisch-chemischen Forschungen zuerkennen, so daß wir in Europa gar nicht daran denken dürften, ebenfalls Forschungsinstitute dieser Richtung zu eröffnen. Dazu kommt ferner, daß das Geophysieal Laboratory von Öarnegie bekanntlich durchaus nicht für vulkanologische, sondern für industrielle Zwecke gegründet worden ist (vgl. auch den Brief Abschn. III des Hrn. Hobbs). Nun macht es zwar gegenwärtig unter seinen Direktoren Unter- suchungen wesentlich in mineral-synthetischer Richtung, die also auf gewisse Fragen des Vulkanismus hinzielen. Aber es ist kein Staats-, sondern ein privates Institut, und unter einem späteren Direktor kann es leicht möglicher- weise seiner ursprünglichen industriellen Bestimmung zurückgegeben werden. Vor allem aber wäre es ein Irrtum, wenn man glauben wollte, dieses Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 15 Carnegie-Institut in Washington genüge, um alle Fragen experimentell zu lösen. Jeder, der die überaus große Schwierigkeit der chemisch- physikalischen und petrographischen Fragen richtig erwägt, wird zugeben müssen, daß eine ganze Anzahl von Instituten noch hundert Jahre lang reichliche Arbeit vor sich haben würde, um diese Fragen zu lösen (s. S. 59). Ich darf daher wohl annehmen, daß der hochverehrte Forscher wesent- lich ein ganz anderes, nämlich ein pekuniäres Bedenken im Auge gehabt habe, indem er gemeint haben mag, daß die anderen Völker, wenn sie Staatsinstitute errichten, sich bezüglich der Geldmittel nicht mit dem Carnegie-Institut würden messen können. Das mag der Fall sein; aber es gibt mehr und weniger teure Experimente bzw. Untersuchungen; und es würde Sache der Direktoren der verschiedenen Institute sein, sich in dieser Beziehung in die Arbeit zu teilen, je nach ihren Mitteln und Neigun- gen. Die anderen Völker dürfen deswegen nicht gegenüber dem amerika- nischen Institut auf jedes Mitarbeiten verzichten. Das dritte von dem hochverehrten Forscher geäußerte Bedenken beruht sicher wie das erste auf einem Mißverständnisse. Das Friedländersche Institut in Neapel wird ja weder bekämpft, noch in seinem Dasein bedroht, noch angefeindet, sondern im Gegenteil von mir durchaus anerkannt. Es handelt sich vielmehr nur um die Fragen, ob die Berliner Akademie dieses Institut unterstützen solle oder nicht, und ob neben dem Friedländerschen Institut noch von andern Völkern vulkanologische Institute gegründet werden sollen oder nicht. Hier aber muß ich doch hervorheben, daß ja auch die Wiener Akademie das Friedländersche Institut nicht unterstützt hat, doch wohl aus denselben Gründen wie die Berliner Akademie. Man kann sehr wohl der Ansicht sein, daß man seine Unterstützung lieber einem eigenen als einem fremden Forschungsinstitute zuteil werden lassen müsse, ohne deswegen doch dieses fremde Institut zu bekämpfen oder auch nur mit mißgünstigen Augen anzusehen. Das vierte Bedenken endlich lautet »keine ausreichende Begründung für Schaffung eines vulkanologischen Forsehungsinstituts in Berlin«. Hier hat der hochverehrte Forscher nicht in Erwägung gezogen, daß in Deutsch- land die Verhältnisse in vulkanologischer Beziehung jetzt völlig anders liegen als in Österreich-Ungarn. Früher hatten beide Länder nur erloschene Vulkane. Jetzt ist Deutschland durch seine Kolonien in die 16 Branca: Reihe der Länder getreten, denen durch ihren Vulkanbesitz die wissenschaftliche Verpflichtung obliegt, dem Studium des Vul- kanismus eine erhöhte Aufmerksamkeit zuschenken. Ganz genau läßt sich zwar die Anzahl der tätigen Vulkane unserer Kolonien nieht angeben und nur ganz ungefähr die der erloschenen‘. ! Ich gebe hier diese Zusammenstellung wieder, die natürlich keinen Anspruch auf Genauigkeit erheben kann. Tätige Erloschene Vulkane Vulkane bzw. Kratere Deutsch-Südwestafrika ...........- —_ etwa 5—Io Kt E RUN EE Er e I » 80—Ioo Teer sreec _ —_ Deutsch-OstamikaseerE Ser 5 40—50 sinetause ee — — Melanesiene er een etwa 15 ». 30—50(?) IMikronesienyern rer 5 »" 15—25(?) ID Ann OT ERS eRE I ? Insgesamt etwa 27 etwa 170—235(?) Die tätigen Vulkane in den deutschen Kolonien sind nach Hrn. Dr. Hennigs Zusammenstellung die folgenden: Deutsch-Östafrika. A. Zentralafrikanischer Graben. ı. Der Kiwu-See hatte 1904 einen unterseeischen Ausbruch; Westgruppe der Kirunga-Vulkangruppe, und zwar 2. der Mittelkrater des Kirunga cha Niragongwe und 3. der Kirunga cha Namlagira. B. Großer Östafrikanischer Graben. 4. Oldonjo l’Engai, der nördliche der beiden Gipfelkrater. C. Massai-Graben. 5. Meru, Tätigkeit in junger historischer Zeit wahrscheinlich (1877?) und Wasser- dampfwolken beobachtet; dennoch nicht völlig erwiesen. Summa: 5 tätige Vulkane. Kamerun. Großer Kamerun-Berg (Mongo ma Loba), einziger beglaubigter Ausbruch: 26. April 1909. Summa: ı tätiger Vulkan. Samoa. Sawaii, erst seit 1902 in Tätigkeit. Summa: ı tätiger Vulkan. Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 1ly3 Aber nach einer Zusammenstellung des Hrn. Dr. Hennig er- gibt sich doch die überraschend große Zahl von etwa 27 tätigen Vulkanen, die zu Deutschlands Kolonien gehören, wozu noch 170— 235 erloschene koloniale Vulkane kommen mögen. Darin liegt die Begründung der wissenschaftlichen Verpflichtung Deutschlands für ein deutsches vulkanologisches Forschungsinstitut. Ich glaube im Vorstehenden gezeigt zu haben, daß diese ablehnenden Äußerungen des leider von uns gegangenen, hochverehrten Nestors der Geologie teils auf Mißverständnis beruhen, teils sich nicht aufrecht erhalten lassen. Jedenfalls stehen sie in vollstem Gegensatz zu denen aller anderen Herren, deren Äußerungen ich nun im folgenden wiedergebe. Mikronesien. Marianen-Inseln, nur Nordgruppe. 1. Insel Guguan: der nördlichste von 3 Kratern an der Westküste (vielleicht) tätig. 2—3. » Pagan, tätiger Doppelvulkan. 4. » Assongsong, Dampt verschiedentlich beobachtet, unmittelbar Tätigkeit noch nicht. 5. » Urakas, ständige Rauchentwicklung. Summa: 5 tätige Krater. Melanesien. Kaiser-Wilhelms-Land (tätige Vulkane nicht bekannt). Schouten-Inseln: 6. Lesson-Insel, 7. Manam, . Karkar, 9. Ritter-Insel, 13. März 1888 explodiert. 0.) Bismarck-Archipel. Neupommern: 10. Below-Berg, ı1. Villaumez-Berg, ı Solfatara, ı Schlammsee nebst Schlammvulkanen, ı2. Bamus, schwach tätig, 13. Ulawum, heftige Ausbrüche. Nördlich der Gazelle-Halbinsel Neupommerns: 14. Insel Kombin, 15. » Kaije, seit 1878 lebhaft tätig. Salomonen: im Kronprinzengebirge mehrere tätige Vulkane, darunter der Bagana, im Kaisergebirge Balbi, nur Rauchentwicklung. Summa: etwa ı5 tätige Vulkane. Sa Sarum also ungefähr 25 tätige Vulkane. Phys.-math. Abh. 1914. Nr. 2. os 18 Branca: 1. Das Wichtigste‘ aus den mir zugegangenen Briefen in alphabetischer Ordnung der Erdteile, Länder und Personen. I. Afrika. ı. Hr. E.H.L. Schwarz, Rhodes Univers. Grahamstown, äußert sich mit den Worten: »I beg to offer you my heartiest eongratulations that you have been able to move in the matter.« In Abschnitt III gebe ich das über ein kleines vulkanologisches Institut in Grahamstown von Hrn. Schwarz Gesagte wieder. H. Amerika Nord, Mexiko. 2. Hr. Aguilera, Instituto Geolögico de Mexico schreibt durchaus einverstanden: »J’ai le plaisir de vous informer, que je suis en tout par- faitement d’accord avec vos propositions concernants les recherches vol- canologiques et surtout par rapport a la fondation d’instituts voleanologiques dans les divers pays« (Weiteres s. im Abschnitt II). 3. Hr. E. Boese, Instituto Geolögieo de Mexico. »Mit den von Ihnen gemachten Vorschlägen bin ich vollkommen einverstanden«.... »Vor allem wichtig erscheint mir, daß in den verschiedenen Ländern vulkanologische Forschungsinstitute gegründet werden; mit einem einzigen am Vesuv scheint es mir nicht getan«.... »Im mexikanischen (geologischen) Institut bestand bereits seit einiger Zeit die Absicht, eine solche vulkanologische Station, wenn auch noch in kleinem Maßstabe, zu begründen«.... »Es sollte durch einen solchen (internationalen) Zusammenschluß eine Vereinheitlichung der Arbeits- und Beobachtungsmethoden herbeigeführt werden. « II. Amerika Nord, Vereinigte Staaten. 4. Hr. Eugen T. Allen, Carnegie Institution of Washington, schreibt zustimmend zur Gründung von Forschungsinstituten und internationaler Vereinigung der Vulkanologen: »It seems to me that vulcanology is a subjeet which especially demands eooperation, both among the seiences and among nations. ..... Its nature, too, is such that it can be direetly studied in ! Mit Ausschluß der über die Organisation der Institute gemachten Angaben, die ich in Abschnitt III wiedergebe. Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 19 only a few places remote from one another; the need of (inter)national co- operation is therefore obvious. Dagegen ist Hr. Allen nicht für Gründung einer Zeitschrift »the in- crease in the number of scientific periodicals is in general undesirable«. 5. Hr. J.C. Branner, Stanford University, Cal., stimmt ebenfalls zu: »I shall be glad to do anything in my power to encourage such work. « 6. Hr. J. W. Clarke, Geologieal Survey, Washington, sagt: »I am sincerely in sympathy with your plan for an international association, and shall be glad to do what I can to co-operate with it.« Jedoch wegen der Kosten ist er gegen einen Beitrag für die vulkanologische Association und daher auch gegen Subskription auf ein vulkanologisches Jahrbuch. 7. Hr. Reginald A. Daly, Harvard Univ., Cambridge Mass., schreibt zustimmend; ist ferner dafür, daß jede Station ihre Berichte für den Jahres- bericht und die Arbeiten für das Jahrbuch als Manuskript einschickt, nicht fertig gedruckt, wie ich vorschlug. Der Druck soll in Italien erfolgen, »the natural center of volcanological researches«. Vorausgesetzt ist hier- bei das Bestehen eines »Italian subeommittee«, das den Druck besorgen würde. Als weitere Aufgaben vulkanologischer Forschung möchte Hr. Daly die Fragen stellen: ı. Is a volcanie vent a true furnace? Dr. Day agrees with me that this must be the case at Kilauea — that heat is there being generated near the top of the lava column. 2. How is heat transferred to the volcanie pipe from the earth’s interior? 8. Hr. Wm. H. Hobbs, Ann Arbor Univ., Mich., ist einverstanden mit allem. Jedoch, wie Daly, dafür, daß für Jahresbericht und Jahrbuch ein be- stimmter Ort gewählt wird, an den alle Berichte und Manuskripte zum Druck eingesendet werden. Für den Jahresbericht müßte dort »a central office« ge- gründet werden, eventuell auch »separate, but small eommittees could be selected for each country«, die das Material sammeln und einsenden. Was das Jahrbuch anbetrifft, so sei zwar soeben von Friedlaender ein solches gegründet worden. »However, the "bulk of material is so large that there is room for at least two journals of international cha- racter«, eine Äußerung, die ich unterstreichen möchte. Bezüglich meines Vorschlages, daß die Schiffskapitäne verpflichtet werden sollten, Bericht über etwaige Seebeben und submarine Ausbrüche zu er- statten, weil die Durchsicht aller Loggbücher zu schwierig sei, ist Hr. Hobbs y% [37 20 Branca: doch der Ansicht, es sei »of great importance that in each country the logs of ship masters should be passed in review by competent persons«. Sehr hervorzuheben scheint mir die starke Betonung, mit der Hr. Hobbs seine Zustimmung zu dem internationalen Zusammenschlusse ausspricht: »There can be no doubt that vulcanologists should unite for eo-operative work and for conference much more tlıan they have in the past. The new fields which have been opened up for study in recent years make such co-operation, in my belief, imperatively necessary. Personally I shall be glad to co-operate in any way that I can.« 9. Hr. A.W.Winchell, Univers. of Wisconsin, Madison. »I believe that a periodical of voleanology would be useful in colleeting the scattered litterature on the subjeet, and I hope that you may see your way clear to the etablishment of such a journal. If it were etablished the annual report suggested by you might be included as one of the numbers of the Journal. The most feasible plan to secure greater eo-operation between vol- canologists than at present is by means of the etablishment of such a periodical.« IV. Amerika Süd, Chile. ı0. Hr. Gomte de Montessus de Ballore, Service sismologique du Chile, Santiago, spricht sich sehr zustimmend in allen Punkten aus: »Il me semblerait tout aussi oiseux d’insister comme vous le demandez, sur Futilite, la necessite m&me, de la er&ation d’une association inter- nationale de voleanologie. Cela est parfaitement &vident.« Ebenso entschieden ist die Äußerung zugunsten der von mir vor- geschlagenen internationalen Zeitschrift: »La publication d’un volume an- nuel, colleetion de memoires partiels emanes des divers pays adherents, est tres desirable; c’est la consequence forcee de l’existenee meme de la future association.« Aber, wie auch andere der Herren, so verlangt Graf de Montessus, daß die Arbeiten als Manuskript (nicht fertig gedruckt) ein- geschickt werden müßten: »Je prefererais l’envoi pur et simple des travaux originaux, les cotisations nationales etant destinees, du moins en partie, A faire face aux frais d’impression, au siege m&me de l’assoeiation, quelgqu’il soit plus tard.« Bei den engen Beziehungen, die zwischen Vulkanologie und Seismologie obwalten, scheint es mir von großer Bedeutung, wenn eine Autorität auf Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 21 seismologischem Gebiete wie Graf de Montessus fordert, daß die vulkano- logischen Forschungsinstitute nicht nur einen physikalischen Chemiker und Petrographen haben sollten: »Dans tous les pays, jestime necessaire d’y adjoindre un sismologue; et pour les pays dont la geographie est encore insuffisamment eonnue, il y faut aussi un geographe.« In der Tat fordern die Untersuchungen der Vulkangebiete als notwendige Vorbedingung die geographische bzw. topographische Aufnahme des betreffenden Gebietes. Wenn also Graf de Montessus seine obigen Worte mit dem Satze schließt: »C’est ineontestablement le cas du Chili«, so gelten diese Worte genau ebenso für nicht wenige andere Staaten, speziell auch für Deutschland, das in seinen Kolonien eine überaus große Zahl erloschener und eine nicht so kleine Zahl (etwa 27) tätiger Vulkane besitzt, deren genaue geologische Auf- nahme eine wissenschaftliche Pflicht wäre, die jedoch nur nach vorheriger topographischer Aufnahme in wirklich zufriedenstellender Weise erfolgen kann. Für den vulkanologischen Jahresbericht und für das internationale Jahr- buch waren von mir die 4 Sprachen vorgeschlagen worden: Deutsch, Eng- lisch, Französisch, Italienisch. Demgegenüber macht Graf de Montessus auch die Aufnahme des Spanischen geltend: » Toutes les fois que l’occasion s’en presente, je m’eleve contre l’ostraeisme dont cet idiome (la langue espagnole) est l’objet dans les publications, internationales, alors que l’ita- lien, langue parlöe par quelques 60 millions d’hommes, est admis con- curremment avec l’allemand, l’anglais et le francais et l’on oublie que l’espagnol est parle par plus de 150 millions. « Ich persönlich würde nichts gegen Aufnahme auch der spanischen Sprache haben. Doch ist zweierlei zu bedenken: Einmal nämlich kann in wissenschaftlichen Dingen nicht gut die Zahl der Münder, die eine bestimmte Sprache sprechen, den Ausschlag geben, sondern die Zahl derjenigen Gehirne, durch welche die Wissenschaft kräftige Förderung erfährt. Zweitens, und damit eng verknüpft, handelt es sich um die rein praktische Frage: Wie viele der Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch lesenden Forscher aller Völker verstehen die spanische Sprache genügend gut, um den Inhalt spanischer Arbeiten leicht fassen, verarbeiten, benutzen zu können? Mir will scheinen, daß diese Zahl eine so geringe ist, daß die in spanischer Sprache schreibenden Vulkanologen ihre Arbeit nicht zu der verdienten Anerkennung und Benutzbarkeit bringen würden, 22 BrANcA: die ihnen zuteil werden würde, wenn sie in einer jener anderen Sprachen schreiben würden. Anderenfalls müßten doch sicher die russische und ungarische, auch die japanische Sprache als gleichberechtigt mit den obengenannten Sprachen in diesen internationalen Schriften zugelassen werden, da doch ausgezeichnete vulkanologische und seismologische Arbeiten in großer Zahl in ihnen ge- schrieben werden. Aber so sehr es als selbstverständlich zu verstehen und zu billigen ist, daß jedes Volk in seiner eigenen Sprache wissenschaftlich publiziert, so leidet doch das Interesse der Wissenschaft — und das ist das einzige, das uns in unseren Bestrebungen leiten sollte — darunter, wenn vorzügliche Arbeiten nur deswegen nicht Allgemeingut werden, weil die Sprache, in der sie geschrieben sind, den meisten anderen Forschern unverständlich bleibt. Die alte Zeit, in der alle wissenschaftliche Arbeit nur in lateinischer Sprache geschrieben wurde, wäre, wenn sie sich wieder ins Leben rufen lassen könnte, das Ideale; denn es würde damit der Sprache keines Volkes zu nahe getreten. Ganz wie die seismologische internationale Association schon wieder- holt die Notwendigkeit betont hat, daß für jedes Land an der Hand der Originaldokumente eine kritische Geschichte der Erdbeben geschrieben werden sollte, die sich in ihm vollzogen haben, so fordert auch Hr. Graf de Montessus: »Il est done indispensable que la future Association inter- nationale de voleanologie inserive de m&me dans son programme l’histoire regionale des phenomenes eruptifs d’une maniere plus explieite et plus energique qu’il n’a et& fait dans votre me@moire.« ...»une telle histoire . aura pour r&sultat un inventaire provisoire des volcans actifs actuels, &teints dans les temps historiques ou geologiques«. Wie überaus wichtig eine solche in allen Ländern verfaßte kritische Geschichte ihres Vulkanismus sein würde, liegt auf der Hand. V. Australien, Neu-Seeland. ı1. Hr. P.G. Morgan, Geological Survey, Wellington N. Z., ist ein- verstanden, da »vuleanology is one that necessitates this co-operation«... »I shall be pleased to co-operate with you as far as I am able.« Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 23 VI. Europa. a. Bulgarien. ı2. Hr. G. Bontehew, Univers. Sofia, stimmt mit den Worten zu: »habe ich Gedanken mit Kollegen, Spezialisten dieses Zweiges, ausgetauscht und kann Ihnen hiermit unseren allgemeinen innigsten Wunsch zur Ent- stehung solcher für die Wissenschaft so wertvollen Institute ausdrücken .«. b. Dänemark. 13. Hr. B. Böggild, Univers. Kjöbenhavn. Die Bemerkungen im Briefe des Hrn. Böggild beziehen sich nur auf eine andere Zusammenfassung der von mir sub 6 und 7 besprochenen Ziele. - 14. Hr. Th. Thoroddsen, Univers. Kjöbenhavn, berichtet: » Unsere Akademie hat gestern einen Ausschuß gewählt, um darüber zu beraten, ob wir in dieser Richtung (Gründung eines Forschungsinstitutes) etwas tun können.« »Einen Zusammenschluß der vulkanologischen Forscher .... finde ich sehr wünschenswert. « ce. Deutschland. 15. Hr. OÖ. Baschin, Geographisches Institut, Berlin, schreibt in allem zustimmend. » Nachdem nicht nur die geodätischen Arbeiten, son- dern auch die Erdbebenforschung, die Gletscherforschung, die Herstellung der Erdkarte in 1:1000000 und zeitweilig auch die Polarforsehung durch internationale Kooperationen in grund- legender Weise gefördert worden sind, desgleichen die meteoro- logischen und die erdmagnetischen Messungen seit Jahrzehnten nach einem internationalen Schema ausgeführt werden und die Leiter der einzelnen Beobachtungsnetze zu diesem Zweck ständig in Fühlung miteinander bleiben, ja selbst für den so jungen Zweig der wissenschaftlichen Luftschiffahrt seit vielen Jahren bereits eine ständige internationale Kommission besteht, er- scheint der Mangel einer analogen internationalen Zusammen- arbeit auf dem großen Gebiete der Vulkanologie dem Fern- stehenden eigentlich kaum begreiflich.« Ich möchte ein Ausrufungszeichen hinter diese von mir hier gesperrt wiedergegebenen Worte setzen und hinzufügen, daß ja auch auf vielen andern Gebieten längst internationales Zusammenarbeiten als wünschenswert erkannt und eingeführt ist. 24 BrRANcA: Der Erste, der für internationales Zusammenwirken auf vulkanologi- schem Gebiete eingetreten ist, war übrigens der preußische Landesgeologe Michael (Zeitschrift d. Deutschen Geologischen Gesellschaft, Sitzung vom 5. Mai 1906). Später hat dann Im. Friedländer auf dem internationalen Geologenkongreß zu Stockholm 1910 dafür zu wirken gesucht und das in Kanada 1913 wiederholt. Baschin verweist auch bezüglich meines Vorschlages einer mehr- sprachigen internationalen vulkanologischen Zeitschrift auf den Nutzen, den andere gleiche Zeitschriften unverkennbar gewähren; so die bereits im 18. Jahrgang stehende »Terrestrial Magnetism and Atmospheric Eleectrieity. An International Quaterly Journal«, oder die seit 1906 als Organ der inter- nationalen Gletscherkommission erscheinende » Zeitschrift für Gletscherkunde«. Sodann schlägt Hr. Baschin vor, gewisse vulkanologische Beobach- tungen zugleich meteorologisch nutzbar zu machen. »Die Richtung, in welcher die dem Gipfel hoher Vulkane entströmende Rauchwolke davonzieht, erlaubt es, die Windrichtung in diesen Höhen fest- zustellen, und liefert somit für die Meteorologie wertvolles Material. So konnte neuerdings durch die drei englischen Südpolarexpeditionen von Scott und Shackleton, die 1901— 1903, 1908-—— 1909, 1I910— 1912 ihre Stationen am Fuße des mehr als 4000 m hohen Mount Erebus angelegt hatten, durch Be- obachtung der Rauchwolke wichtige Aufschlüsse über die Zirkulation der Atmo- sphäre in großen Höhen jener fernen südlichen Breiten gewonnen werden. « Nach anderer Richtung hin sucht dann Hr. Baschin sehr geschickt aus der Höhe der Rauchwolke Schlüsse auf die vulkanische Energie zu ermöglichen. 2 »Die Höhe, bis zu der solche Vulkanwolken emporsteigen ...., bietet einen Maßstab für die auf anderem Wege schwerlich zu messende Energie, mit der die Eruptionen stattfinden. Da der Widerstand, den die Luft dem senkrechten Emporschleudern einer Rauchwolke entgegensetzt, leicht durch wenige artilleristische Versuche mit verschieden großen Pulverladungen ge- messen und dann durch Extrapolation nach oben hin berechnet werden kann, so wäre es auf Grund solcher Versuche möglich, festzustellen, wie groß die latente Energie ist, die bei der Auslösung durch die Explosion frei wird. Daß schon die Kenntnis der Größenordnung dieser im Erdinnern vorhandenen Spannung für die Theorie des Vulkanismus von großem Werte sein würde«, liegt auf der Hand. Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 25 16. Hr. Max Bauer, Univers. Marburg, erklärt sich mit allen Vor- schlägen einverstanden. Er möchte die Untersuchung der Produkte vul- kanischer Tätigkeit in erste Linie gerückt sehen, da erst auf Grund dessen gewisse andere Punkte des Programms (petrographische Provinzen usw.) in Angriff genommen werden können. Das ist ohne weiteres anzuerkennen, denn ein jeder Staat bzw. jedes vulkanologische Institut soll ja verpflichtet sein, die ihm gehörigen Vulkane nach jeder Richtung hin zu untersuchen und kartographisch aufzunehmen; ich denke mir, daß die von den betreffen- den Geologen gesammelten Gesteine an das betreffende Institut eingesandt und dort chemisch und mikroskopisch untersucht werden müssen. Mit Recht betont dann Hr. Bauer weiter, daß »die vulkanischen Mi- neralien, Sublimationsprodukte, Sommamineralien doch auch von wichtiger Bedeutung für die Kenntnis vulkanischer Vorgänge sind«, so daß diese Seite der Untersuchung stärker hervorgehoben zu werden verdiene. Bezüglich der von mir besprochenen Nomenklaturfrage, daß ein und dieselbe mineralogische Kombination und Struktur, zu Unrecht, wenn alt einen andern Namen trage als wenn jung, vertritt Hr. Bauer die Ansicht, daß das doch einmal nur auf Ergußgesteine beschränkt sei und zweitens ihm von geringer Bedeutung erscheine. »Der Name scheint mir unwesent- lich, wenn nur die Erkenntnis die richtige ist.« Dem muß ich beipflich- ten; aber trotzdem, ich habe mich zu viel mit der Lebewelt beschäftigt, um von der Vorstellung loszukommen, daß auch in der Gesteinswelt gleiche Dinge nicht verschiedene Namen haben dürfen. 17. Hr. Beekenkamp, Würzburg, äußert sich zustimmend dahin: »Ich bin überzeugt, daß man nur durch ein systematisches Zusammen- arbeiten aller Berufsgenossen der Lösung (zahlreicher vulkanologischer Fragen) näherkommen kann. Die vorgeschlagene Errichtung besonderer vulkanologischer Forschungsinstitute in den verschiedenen Ländern halte ich deshalb für sehr zweckmäßig. .. . Ich erkläre mich vollständig mit den von Ihnen gegebenen Anregungen einverstanden. « ı8. Hr. Bergeat, Königsberg i. Pr., spricht sich gleichfalls durchaus einverstanden mit den gemachten Vorschlägen aus: »Eine von wissenschaftlich verantwortlichen Leitern überwachte Be- richterstattung über die vulkanologischen Vorgänge der Erde ist ein Be- dürfnis.... Man braucht nur daran zu denken, wie außerordentlich viel wissenschaftliches Material mangels einer großzügigen, über die Erde aus- Phys.-math. Abh. 1914. Nr. 2. 4 26 BrAnNcA: gebreiteten Organisation bisher verlorengegangen ist.« Bezüglich der vul- kanologischen Zeitschrift betont Hr. Bergeat: »Sie müßte zugleich ein referierendes Organ sein. Statt der Mehrsprachigkeit würde ich französische oder noch besser englische Sprache vorschlagen. Deutsch wird von vielen Eng- ländern, Amerikanern oder Franzosen nicht verstanden. Über die Nützlichkeit geophysikalischer Laboratorien kann nicht der geringste Zweifel bestehen. « 19. Hr. Bergt, Leipzig, erklärt sich mit den gemachten Vorschlägen für einverstanden: »Unter den Aufgaben und Zielen vermisse ich unter den Nebenprodukten des Vulkanismus die Erzlagerstätten, soweit sie den vulkanischen und nachvulkanischen Erscheinungen ihre Entstehung ver- danken. Das Museum für Länderkunde zu Leipzig... . pflegt nach wie vor die Vulkanologie und wird die bildliche und kartographische Darstellung der Vulkangebiete der Erde, der tätigen Vulkane sowohl wie der älterer Zeiten, ferner die Petrographie der vulkanischen Gesteine besonders aus- bauen und pflegen helfen. « 20. Hr. R. Brauns, Bonn, einverstanden, schreibt: »Unter Nr. 21 wären auch Temperaturmessungen an der hervorbrechenden Lava zu nennen und Bestimmung des spezifischen Gewichtes der flüssigen Lava. Die Heraus- gabe eines Jahrbuches, in dem die Berichte aller der vulkanologischen Forschung dienenden Institute erscheinen, wäre notwendig. Anzustreben wäre ferner eine möglichst vollständige Sammlung von Photographien aller Vulkanberge. « 21. Hr. Bücking, Straßburg i. Els., betont sein Einverständnis mit den Vorschlägen: »Ich billige die Vorschläge, welche Sie gemacht haben, vollkommen; insbesondere bin ich mit einer Internationalisierung der Vul- kanforschung einverstanden sowie mit der Gründung eines Jahrbuches aller vulkanischen Erscheinungen, einer internationalen Zeitschrift für Vulkano- logie... mit der Errichtung ständiger vulkanologischer Forschungsinstitute in den verschiedenen Staaten. « 22. Hr. Dannenberg, Aachen, schreibt gleichfalls: »Ich spreche hier- durch mein vollkommenes Einverständnis aus mit der Herausgabe eines internationalen Jahrbuches, einer internationalen Zeitschrift für Vulkanologie und der Begründung vulkanologischer Forschungsinstitute in den einzelnen Ländern. ... Freilich wage ich kaum auf eine Verwirklichung im ganzen Umfange zu hoffen; aber... auch ein Ansatz dazu wäre schon mit Freuden zu begrüßen. « Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 27 23. Hr. Fraas, Stuttgart, erklärt sich gleichfalls mit den gemachten Vorschlägen für einverstanden: »Eine internationale Behandlung und Schaffung einer Zentralstelle halte ich für unbedingt erforderlich, aber unter Wahrung möglichster Selbständigkeit der einzelnen Länder. Mit dem inter- nationalen Jahrbuch und ebenso der Zeitschrift gleichfalls einverstanden. Vielleicht könnte die Zeitschrift redaktionell mit dem Jahrbuch verbunden werden. Wünschenswert wäre es auch, wenn die Zeitschrift als refe- rierendes Organ für Vulkanologie ausgebaut würde. Eigene Forsehungs- institute in den einzelnen Ländern sind anzustreben, doch werden dieselben nicht immer als selbständige Institute ausgebaut werden können, sondern wären an andere dann anzugliedern. « 24. Hr. Frech, Breslau, erklärt sich gleichfalls einverstanden mit der »Gründung eines internationalen Jahrbuches der vulkanischen Ereignisse, einer internationalen Zeitschrift für Vulkanologie und vulkanologischer Forschungsinstitute in den verschiedenen Ländern sowie für einen festeren Zusammenschluß der vulkanologischen Forscher«. 25. Hr. Günther, München, schreibt im gleichen Sinne: » Wenn die internationale Association die Sache in die Hand nimmt, darf man selbst- redend viel eher hoffen, daß volle Erfolge erzielt werden. Zumal die neue vulkanologische Zeitschrift würde gewiß allein schon den Boden bereiten für die Schaffung jener Forschungsinstitute, die natürlich ganz anders als ein isoliertes Vesuv-Observatorium zu wirken imstande wären.« 26. Hr. Gürich, Hamburg, schreibt: »Ihre Vorschläge zur Bewegung vulkanologischer Forschungen begrüße ich mit großer Befriedigung; ich halte Ihre Idee von der Begründung eines internationalen Jahrbuches für Vulkanologie für eine sehr glückliche. Eine besondere Zeitschrift für den- selben Gegenstand würde sicher die bestehenden geologischen Zeitschriften entlasten. Die Einrichtung besonderer Forschungsinstitute wird diese ge- plante Entwicklung mächtig fördern. « | 27. Hr. Kalkowsky, Dresden, äußert sich durchaus einverstanden mit den gemachten Vorschlägen und sagt dann sehr treffend zunächst: »Der großen Menge von Fragen gegenüber, die sich auf die vulkanischen Erscheinungen der Erde beziehen, wird wohl jeder einzelne Geologe im besonderen eine eigene Stellung einnehmen; es kommt aber jedenfalls zur Zeit gar nicht darauf an, über Umfang und Inhalt der Ziele vulkanologischer Forschung zu verhandeln. Man muß sich vielmehr der Darlegung W.Brancas 4* 28 Branca: im ganzen rückhaltlos anschließen; danach erscheint eine Internationali- sierung der Vulkanforschung mit Jahrbüchern und Zeitschriften als durch- aus zweekmäßig. Die angeregte Errichtung selbständiger vulkanologischer Forschungsinstitute aber ist die allerdringendste Forderung. ... .« Die bisher unvermeidliche » Vergeudung von Arbeitszeit und Geld verlangt die Schaffung großzügig angelegter und ausgestatteter Forschungsinstitute für Einzelge- biete, die die eigenwillige Betätigung der Forscher nieht hemmen, sondern fördern würden. Die Erkenntnis aber, daß Forscher-, Lehr- und Ver- waltungstätigkeit allgemach die Kräfte eines einzelnen vom Staate ange- stellten Gelehrten übermäßig und zum Nachteil der einzelnen Tätigkeiten in Anspruch nehmen, hat sich schon längst Bahn gebrochen, wenngleich bisher meist die Abhilfe fehlt.« 28. Hr. E. Kayser, Marburg, sagt gleichfalls: »Ich stimme in allem Wesentlichen mit Ihren Vorschlägen überein, bin durchaus Ihrer Meinung, daß eine planmäßige Erforschung des Vulkanismus zu den allervornehmsten Aufgaben der Geologie gehört... . Ich bin aber auch mit Ihnen der Über- zeugung, daß unsere Kenntnis der vulkanischen — ähnlich wie der seis- mischen — Vorgänge nur dann Aussicht auf wirklich erhebliche Fortschritte hat, wenn sich alle Kulturvölker zur Zusammenarbeit vereinigen. Die Gründung einer internationalen vulkanologischen Zeitschrift sowie die Schaffung möglichst zahlreicher besonderer Institute für vulkanologische Forschung sind treffliche Mittel zur Lösung der hohen Aufgaben... . Ich kann daher Ihren Vorschlägen nur von ganzem Herzen zustimmen. « 29. Hr. Klemm, Darmstadt, schreibt ebenso: »Auch ich bin der An- sicht, daß auf dem von Ihnen angegebenen Wege durch Errichtung inter- nationaler vulkanologischer Institute ... sich Fortschritte ... werden er- zielen lassen, die sonst nicht oder erst viel später erreicht werden könnten. « Unter den Aufgaben möchte Hr. Klemm auch betont wissen: »Ent- stehung, Zusammensetzung und Ablagerungsformen vulkanoklastischer Mas- sen; Mechanismus der Eruptionen; postvulkanische Vorgänge; hydrother- male Einwirkungen auf die Gesteinskaolinisierung; Ausbleichungserschei- nungen; Erzgangbildung. « 30. Hr. Königsberger, Freiburg i. Br., spricht sich gleichfalls dureh- aus einverstanden mit den gemachten Vorschlägen aus. Bezüglich der Jahresberichte über die vulkanischen Erscheinungen äußert er sich dahin: »Es dürfte nieht schwierig sein, an den verschiedenen entlegenen Orten, Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 29 an denen sich aktive Vulkane befinden, geeignete Persönlichkeiten, wie Lehrer, Lehrerinnen, Kaufleute, zu finden, die aus Interesse oder gegen ein kleines Entgelt jährlich einen kurzen Bericht einsenden könnten. ... Man sollte auch Gegenden, die lediglich nur noch Fumarolentätigkeit aufweisen, mit einbeziehen. « Zu den einzelnen Punkten meiner Darlegung der Ziele äußert sich dann Hr. Königsberger weiter in der folgenden Weise: »Zu 5. Die Darstellung der geographischen Lage der Vulkane zum Meere in früheren Zeiten gibt ganz überraschende Ergebnisse. Vielerorts wird allerdings die Feststellung der früheren Grenze noch schwierig werden. Die Feststellung der Größe der Schmelzherde und die Konzentration der vulkanischen Tätigkeit bei einem immer kleiner werdenden Bezirk ... würde für die Feststellung der Tiefenlage des flüssigen Magmas nützlich sein können. Was die vulkanischen Gesteine anlangt, so wären auch die Tiefengesteine auf einer vulkanologischen Karte mit zu berücksichtigen; denn man sieht mancherorts ... die Ergußgesteine einen Übergang oder doch wenigstens eine ziemlich nahe Zusammengehörigkeit vom Basalt zu Gabbro bilden. « Zu 7. hebt Hr. Königsberger hervor, daß nicht nur nach dem spe- zifischen Gewicht, sondern auch »wohl chemisch ein Übergang zwischen der sauerstoffhaltigen Gesteinskruste und dem metallischen Eisenkern vor- handen sein muß. Man stößt daher bald auf die Frage, ob in verschie- denen Perioden der Erdgeschichte vielleicht nicht nur eine physikalische Veränderung der Erdkruste, sondern auch eine chemische stattgefunden hat, und ob nicht die Erdatmosphäre trotz des Fortbestehens ähnlicher organischer Formen wesentlich andere Zusammensetzung und andere Dichte besessen hat. « Zu 8S—ı2. Hier könnten, abgesehen von der rein geologischen Be- arbeitung »auch physikalische Experimente an Modellen aufklärend wirken«. Zu 13. erwähnt Hr. Königsberger, daß »von den schwedischen Phy- sikern ... eine Methode zur Feststellung von Magneteisen in der Tiefe theoretisch ausgearbeitet und praktisch erprobt worden ist«. Zu 14., betreffend die Rolle der Gase, schreibt der Genannte: »W.J. Müller und ich haben eine Zeitlang Versuche ausgeführt, bei denen sich ergab, daß die Wechselwirkung zwischen Kohlensäure (bzw. den schwachen 30 BrAnNcA: Säuren überhaupt) und Kieselsäure sehr wesentlich für die chemischen Vor- gänge in wäßrigen Lösungen bei hohen Temperaturen sind. « Als weitere Aufgabe wird dann noch hervorgehoben »Temperatur- messungen in der Nähe von Vulkanen; Bestimmung der Meerestempera- turen in der Nähe mariner Vulkane. Die zum Teil rein physikalische Seite der vulkanologischen Fragen sollte man bei der Gründung eines vul- kanologischen Forschungsinstitutes vielleicht doch auch berücksichtigen «. 31. Hr. von Kries, Erdwarte Krietern b. Breslau, sagt: »Ich begrüße Ihren Vorschlag,‘ die Vulkanologie zu organisieren, auf das freudigste.« 32. Hr. Lenk in Erlangen spricht sich dahin aus: »Über Ihre Vor- schläge kann man wohl gar nicht anderer Meinung sein und ich erkläre mich aus voller Überzeugung für die drei von Ihnen namhaft gemachten Programmpunkte: internationales Jahrbuch, internationale Zeitschrift, vul- kanologische Forschungsinstitute. « 33. Hr. Linek, Jena, schreibt: »Ich stimme im ganzen Ihren Aus- führungen zu, verkenne aber nicht, daß es eine Aufgabe von schier un- endlichem Umfange ist, welche Sie darin dem Forscher setzen.« Zu diesem Letzteren möchte ich verweisen auf das, was ich auf S. 9 über Miß- verständnisse gesagt habe. Es hat mir fern gelegen, daß die Forschungs- institute alle diese Aufgaben sogleich in Angriff nehmen sollen. Viel- mehr bin ich gerade für eine Spezialisierung der einzelnen Forschungs- institute eingetreten, für welche Hr. Linek in seinem Schreiben dann auch eintritt. Hinsichtlich der von mir aufgeführten einzelnen Ziele hebt Hr. Linck hervor: »Die Plastizität nimmt nach den bisherigen Untersuchungen mit steigender Temperatur zu, aber die Kurve verläuft schon bei wenigen 100° über dem Schmelzpunkt asymptotisch, bei steigendem Druck dagegen nimmt die Plastizität vermutlich ab. Aktiver Magnetismus dürfte keine primäre Eigenschaft irgendeines Gesteins oder Minerals sein, sondern wird ver- mutlich hervorgerufen durch Einwirkung von elektrischem Strom. Die vulkanischen Gase dürften wahrscheinlich in dem Magma bei hoher Tem- peratur nicht als Gase, sondern als flüssige Verbindungen vorhanden sein (Nitride, Karbide), deren Zersetzung unter Gasbildung bei verhältnismäßig geringer Temperatur vor sich geht. ... So ist jedenfalls auch das Wasser nicht als solches in dem Magma vorhanden, wenn es überhaupt zugegen ist; und in gleicher Weise verhält es sich mit den bituminösen Substanzen. Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 31 Man müßte demnach versuchen, bei wesentlich über dem Schmelzpunkt liegender Temperatur in den Magmen solche Verbindungen zu erzeugen, die bei fallender Temperatur unter Gasbildung zerfallen. Der Einfluß der radioaktiven Mineralien wird meines Erachtens weit überschätzt. ... Be- züglich der Kontraktionswärme ist anzunehmen, daß die ausgeführten Rechnungen zwar richtig, aber deren Prämissen falsch oder unvollständig sind. « »Die Erklärung der Vielartigkeit der Eruptivgesteine durch reine Dif- ferenziationen erscheint auch mir außerordentlich gezwungen. Ich möchte glauben, daß dabei die Einschmelzung bezüglich das Hineindiffundieren von anderen Materialien früher doch auch sicher vorhandener archäischer Salzlager eine Bedeutung hat. Eine auf internationaler Grundlage leicht durchzuführende Arbeit mit einem dankbaren Resultat wäre allerdings (wie ich das vorschlug) die Systematik der Eruptiven, die heute die großen Zusammenhänge radikal vergessen hat. « 34. Hr. Meinardus äußert sich gleichfalls zustimmend zu den ge- machten Vorschlägen: »Es wird ohne Frage durch eine einheitliche Or- ganisation der Forschungen und der Methoden viel Arbeitskraft gewonnen und Arbeitsvergeudung vermieden. « 35. Hr. Michael, Berlin, sprieht mir »sein volles Einverständnis mit den gemachten Vorschlägen über eine Organisation der internationalen Vul- kanforschung nach Umfang und Art aus«. Hrn. Michael gebührt übrigens das Verdienst, daß er »bereits im Jahre 1906 (Zeitschrift der Geolog. Ge- sellschaft, 4. Mai 1906) sich dahin geäußert habe, daß ein internationales Forschungsinstitut an die Stelle des ziemlich unfruchtbaren italienischen Vesuvobservatoriums treten möchte oder daß einzelne Staaten sich zur Er- richtung eigener Observatorien entschließen möchten .«. 36. Hr. Mügge, Göttingen, s. unter Abschnitt II. 37. Hr. Oebbeke, München, schreibt: »Ich begrüße die Gründung von Instituten, die sich in erster Linie vulkanologischen Studien widmen sollen, mit großer Freude. Nur möchte ich darauf hinweisen, daß die Gefahr einer zu großen Spezialisierung und Einseitigkeit naheliegt.« 38. Hr. Ösann, Freiburg i. Br., schreibt: »Mit dem von Ihnen :ent- wiekelten Programm bin ich vollständig einverstanden; insbesondere scheint mir die Inangriffnahme der zu lösenden Fragen von einer breiten inter- nationalen Basis aus sowie die Gründung von internationalen Zeitschriften 32 BrANcA: unumgänglich nötig zu sein, wenn wirkliche Erfolge erzielt werden sollen. Ohne zusammenfassende Organe gehen viele wertvolle Einzelbeobachtungen, die vielleicht zum Teil gar nicht, zum Teil in sehr schwer zugänglichen 'Lokalzeitschriften publiziert werden, verloren, oder man verliert die Über- sicht über dieselben. « 39. Hr. Passarge, Hamburg, äußert sich gleichfalls in zustimmender Weise: »Wie Sie wissen, sehe ich in der Begründung von Forschungs- instituten das Heil der deutschen Wissenschaft. ... Auch darin stimme ich überein mit Ihnen, daß man sich von internationaler Forschung viel ver- sprechen darf. Die Erdbebeninstitute sind als Beispiel hierfür anzuführen. .... Das deutsche Forschungsinstitut sollte ein Zentrum der literarischen Er- zeugnisse in Deutschland werden. Wer dort in Zukunft über Vulkanismus arbeiten will, muß dann dieses Institut besuchen. « 40. Hr. Philippson, Bonn, sagt: »Ich begrüße mit Freude und Inter- esse Ihre Anregung zu einem internationalen Zusammenschluß der vulka- nologischen Forscher und erkläre meine Zustimmung zu Ihren Vorschlägen. « 41. Hr. Rinne, Leipzig, erklärt sich zunächst »ausdrücklich einver- standen mit der vorgeschlagenen Internationalisierung der Vulkanforschung, der Gründung eines Jahrbuches aller vulkanologischen Ereignisse sowie einer internationalen Zeitschrift für Vulkanologie«. Gleichfalls durchaus einverstanden ist Hr. Rinne mit der Schaffung vulkanologisceher Forschungsinstitute; und indem er hervorhebt, daß Sachsen reich sei an mannigfachen Eruptivgebilden, schreibt er: »Es wäre sehr er- freulich, wenn ein physikalisch-chemisch-petrographisches Forschungsinstitut im Königreich Sachsen errichtet würde, als Glied einer Reihe solcher An- stalten in verschiedenen Ländern. « Als weitere Aufgaben macht dann Hr. Rinne noch die folgenden namhaft: a) »Systematische Untersuchungen über Bildung und Umänderung ge- steinsbildender Minerale in den Des-Coudresschen Gefäßen, die ein Operieren mit Temperaturen bis über 1200° und Drucken bis mehrere 1000 kg/gem auch bei Gegenwart von Wasser gestatten. Es wird mit Hilfe solcher Apparate vielleicht gelingen, die thermalen Metamorphosen an den Erup- tiven durch Nachahmung näher kennen zu lernen und von den Erscheinungen der Oberflächenverwitterung zu trennen sowie ferner die Entstehungsbereiche wichtiger Mineralien (Diamanten usw.) zu präzisieren.« Urteile über »Vulkanologisshe Forschung «. 33 b) »Studium der Eigenschaften von Mineralien der Eruptive (z. B. ihres spezifischen Gewichtes und ihrer Optik) bei hohen Temperaturen, also bei Verhältnissen ihrer Entstehung. « e) »Bedeutsam ist nach meiner Meinung die ständige Stellungnahme des Petrographen mit den Erfahrungen der Metallographie, der keramischen Wissenschaft unter Vergleich der Schmelzflußerstarrungen mit den Kristalli- sationen aus Lösungen nach physikalisch-chemischen Grundsätzen. « » Außerdem ließen sich noch manche spezielle Versuchspläne aufstellen. Indes es herrscht ja jetzt schon embarras de richesses; mit anderen Worten, es gibt in der Tat tausend Gründe, welche die Dringlichkeit der Ausführung Ihres Planes dartun.« Ich möchte besonders hervorheben die Beziehungen, welche Hr. Rinne hier zur Keramik und Metallographie betont und die auch von Hrn. Tammann (s. Nr. 45) hervorgehoben werden. 42. Hr. Rosenbusch, Heidelberg, leider inzwischen verstorben, hat sich in der folgenden Weise geäußert: »Ich kann Ihnen sagen, daß ich eine internationale Zeitschrift für diesen Forschungskreis dankbar begrüßen würde. Sie würde wesentlich dazu beitragen, den Blick des Einzelforschers zu weiten und ihn vor der Fachversimpelung in irgendeiner Spezialität zu bewahren. « »Dagegen kann ich mir eine erfolgreiche Tätigkeit in irgendeinem internationalen vulkanologischen Institute kaum denken (s. nächsten Absatz). Die große Verschiedenheit der Arbeitsrichtung würde eine einheitliche Leitung eines solchen Institutes kaum möglich werden lassen. ... Wenn ich mir dagegen denke, wir hätten in verschiedenen Staaten Institute mit zum Teil chemisch-physikalischem, zum Teil petrographischem und zum Teil geologischem und tektonischem Arbeitscharakter und man müßte die leitenden Persönlichkeiten alljährlich oder in anderen regelmäßigen, nicht zu langen Intervallen, zu gemeinsamer Beratung zusamenrufen, so würde ich mir davon sichere und glänzende Rusultate versprechen. « Die obige Annahme Hrn. Rosenbuschs, ich habe mich für Gründung eines einzigen internationalen Institutes, das alle von mir aufgeführten Ziele verfolgen solle, ausgesprochen, beruht indessen auf einem Mißver- ständnis. Ich habe sie trotzdem hier zum Abdruck gebracht, weil das, was Hr. Rosenbusch nun diesem einzigen internationalen Institute gegenüber- stellt und befürwortet, ja gerade das ist, was ich meine, so daß ich also aus Phys.-math. Abh. 1914. Nr. 2. 5 34 Branca: den Worten dieses hochverdienten petrographischen Forschers die schönste Bestätigung dessen annehmen darf, für das ich mich bemühe. 43. Hr. Rothpletz, München, schreibt: »An Ihren Vorschlägen habe ich gar nichts auszusetzen oder hinzuzufügen. Der Mangel aktiver Vulkane in Deutschland scheint mir kein Argument zu sein gegen die Gründung eines solchen Institutes bei uns«. Und das sicher um so weniger, als Deutsch- land ja nicht weniger als ungefähr 27 tätige Vulkane in seinen Kolonien besitzt. Da die Münchener Akademie, deren Mitglied Hr. Rothpletz ist, also auf seine Fürsprache, sich dem von der Berliner Akademie bei der Assoziation der Akademien in Petersburg gestellten Antrage angeschlossen hat, so erübrigt sich hier eine weitere Anführung dieser Zustimmung. 44. Hr. Sapper, Straßburg, äußert sich in der folgenden Weise: »Ich freue mich aufrichtig darüber, daß durch Ihre Pläne ein engerer Zu- sammenschluß der Vulkanologen der Erde angebahnt wird und daß zugleich, wenn natürlich auch nur allmählich, die vielseitigen in Betracht kommenden Fragen einheitlich, wenn auch in verschiedenen Instituten in Angriff ge- nommen werden sollen. Ich begrüße auch sehr die Idee eines internationalen Jahrbuches der vulkanischen Freignisse und einer internationalen vulkano- logischen Zeitschrift. Was das erstere Projekt betrifft, so war ich eben im Begriff, dasselbe, soweit es mir möglich war, selbst in die Hand zu nehmen. Ich hatte bereits in einigen Ländern des lateinischen Amerika mich um Lokalberichterstatter bemüht. ..... Selbstverständlich werde ich mein Vor- haben einstellen, sobald Ihre Organisation durchgeführt ist... ..« Des ferneren betont Hr. Sapper, daß in den »herrenlosen Polargegenden doch wohl nur durch das Studium der Logbücher von Walfängern usw. Nachrichten zu erhalten sein werden, soweit nicht dort zufällig wissenschaftliche Expe- ditionen unterwegs sind«. Ebenso liegt eine Schwierigkeit nach ihm in »manchen Ländern Mittel- und Südamerikas, deren Regierungen wahrscheinlich theoretisch sogleich zustimmen würden, wenn sie auf dem Weg der Akademien zur Bericht- erstattung aufgefordert würden, die aber möglicherweise doch keine ge- nügenden Berichte einliefern werden, so daß eine Ergänzung auf privatem Wege hier notwendig werden würde«. Besonders betonen möchte Hr. Sapper aber »die Notwendigkeit der fachmännischen Beobachtung, wenigstens der bedeutsameren vulkanischen Ausbrüche. Soweit sie in Kulturländern vor sich gehen, ist ja dafür ge- Urteile über » Vulkanologische Forschung «. 35 sorgt; in. den Kolonien schon weniger, aber in herrenlosen Gebieten und ebenso im lateinischen Amerika würde das nur zufällig, wenn gerade ein erfahrener Vulkankenner zugegen ist, möglich sein. Ich glaube, da sollte die internationale Organisation einsetzen und in den Fällen, wo von Staats wegen keine genügende Untersuchung eines bedeutsamen Ausbruches er- folgt, von Gesellschafts wegen für Übersenden eines Fachmannes an (die betreffende Stelle sorgen. Die Errichtung vulkanologischer Forschungs- institute in verschiedenen Ländern, so auch in unserem deutschen Vater- lande, würde ich ebenfalls als sehr erfreulich und erfolgversprechend be- trachten «. 45. Hr. Tammann, Göttingen, s. in Abschnitt II. 46. Hr. Tornquist, Königsberg i. Pr., schreibt: »Mit der Inter- nationalisierung erkläre ich mich durchaus einverstanden, ebenso mit der Gründung des Jahrbuches. Zu empfehlen wäre es, daß die Zentralstelle die eingehenden Berichte in einen kurzen Gesamtbericht jährlich zusammen- faßt, in dem die Vulkane nieht nach der politischen Zugehörigkeit, sondern nach ihrer naturwissenschaftlichen Zusammengehörigkeit, d.h. der vulka- nischen Gebiete, zusammengestellt sind. Die Zeitschrift würde für die An- bahnung der Einheitlichkeit der Beobachtungsweise von Bedeutung sein.« Hr. Tornquist schlägt bezüglich der vulkanologischen Forschungsinstitute vor, daß zunächst »durch internationale Verständigung vorerst nur ein Institut in Aussicht genommen würde. Ich würde ein solches für Tene- riffa vorschlagen, als ein Vulkangebiet, in welchem viel Lava und wenig Asche ausgeworfen wird, welches ferner der Sphäre der großen Nationen nicht zu fern liegt... .« »Das in dem Bericht entwickelte ausführliche Programm ist möglichst noch mehr nach der geologischen Seite auszubauen: das Verhältnis des Vulkanismus zur Tektonik. Die genaue Registrierung der vulkani- schen Erdbeben an drei das vulkanische Gebiet umgebenden Seismographen würde über die Tiefe des vulkanischen Explo- sionsvorganges Aufklärung geben und außerordentlich zur Klärung der Frage über Zusammenhang zwischen Vulkanismus und Tektonik beitragen. Es wären natürlich in erster Linie vertikale Seismographen zu verwenden. « »Bei den in Aussicht genommenen Vulkankarten würde ich sehr ungern die geologische Struktur des Landes vermissen. Die benachbarten Gesteine 5* 36 BrAnNcAa: sind für die Beurteilung der im Vordergrund des Interesses stehenden Auf- schmelzungs- und Durchschmelzungserscheinungen von großer Bedeutung. Ich möchte sogar den Gedanken anregen, den Unterschied der pazifischen und atlantischen Eruptiva ... dadurch zu erklären, daß die ersteren durch Aufschmelzung viel Sediment-Gesteinsmaterial aufgenommen haben, wodurch eine magmatische Differenziation selbst bei geringen Entfernungen zustande gekommen ist.« Hr. Uhlig, Tübingen, hatte brieflich eingehendere Äußerungen ver- heißen, sie sind jedoch leider nicht in meine Hände gelangt. 47. Hr. Volz, Erlangen, schreibt: »Ich begrüße den Zusammenschluß der Vulkanologen mit großer Freude. Bin vollständig einverstanden mit einer Internationalisierung der Forschung, der Gründung eines Jahrbuches, einer internationalen Zeitschrift und Errichtung eines vulkanologischen For- schungsinstitutes bei uns.« Hr. Volz macht einen interessanten und, wenn er ausgeführt würde, gewiß überaus wichtigen Vorschlag, indem er schreibt: »Es würde außer- ordentlich förderlich und nützlich sein, wenn eine kurze Über- sicht über unser bisheriges Wissen auf dem Gebiet der Vulka- nologie in der Weise gegeben würde, daß jeder Vulkanologe seine diesbezüglichen Arbeiten kurz registriert. Bei der großen Fülle des Materials würde ein Referat, wohl schon zu lang werden; es würde sich eher empfehlen, abgesehen von Titel und Erscheinungsort, nur in kurzen Stichworten die behandelten Themata, Vulkane und Vulkan- gebiete anzuführen. Dies Register möge das erste Ziel der Publi- kation bilden, vielleicht mit einem guten Index versehen. Wahr- scheinlich würde es vollkommen genügen, wenn die zwei oder drei letzten Jahrzehnte der Vulkanforschung in dieser Weise registriert würden, nach Möglichkeit von den Forschern selbst. Bei den Verstorbenen würden Ja wohl jüngere Fachleute hierzu zu finden sein.« 48. Hr. Wichert, Göttingen, hat nur ausgesprochen: »daß mich das Problem außerordentlich interessiert«, aber leider hat der hochverdiente Geophysiker keine weiteren Ansichten über die gemachten Vorschläge geäußert. 49. Hr. von Wolff, Danzig 27 genden Worten aus: »Eine wirkliche Förderung der Vulkanforschung kann spricht seine Zustimmung mit den fol- nur auf den zwei Wegen erreicht werden, die von Branca namhaft ge- Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 37 macht worden sind: ı. durch ein geregeltes internationales Zusammen- arbeiten aller Kulturstaaten, 2. durch besondere wissenschaftliche Kraft- anstrengungen im eigenen Lande. ... Die Aufgabe eines jeden Staates wäre, die in seinem Hoheitsgebiet liegenden Vulkane zu bearbeiten, zu über- wachen und das in den Archiven befindliche historische Material über frühere Ausbrüche der Wissenschaft zugänglich zu machen. Eine Zentralstelle müßte geschaffen werden, die dieses Material sammelt und an einer Stelle vereinigt, und zwar durch Begründung eines Jahrbuches der vulkanischen Ereignisse und durch Begründung einer internationalen vul- kanologischen Zeitschrift, die beide zunächst vielleicht zu vereinigen wären. « »Für Deutschland« — und dasselbe gilt natürlich für alle anderen Länder in gleicher Lage — »würde die Aufgabe erwachsen, die tätigen Vulkane seiner Kolonien zu überwachen. Es müßten mit Hilfe der Be- hörden geeignete Persönlichkeiten gefunden werden, wie Offiziere der Schutz- truppe, Ärzte, Regierungsbeamte oder andere Ortsansässige, die sich bereit erklären, derartige Aufgaben auf sich zu nehmen, und sich verpflichten, der Zentralstelle Bericht zu erstatten. « »Kosten würden der Regierung kaum dadurch erwachsen. Um das Interesse und Verständnis in den in Frage kommenden Kreisen zu erwecken, müßte man daran denken, in den der Vorbereitung zum Kolonial- dienst dienenden Instituten besondere Vorlesungen über Vul- kanismus einzurichten. Im Falle eines großen Vulkanausbruches müßten Mittel zur Verfügung gestellt werden, um einen Fach- mann hinauszuschicken..... In dieser Beziehung sei auf das gute Beispiel von Frankreich im Falle des Mont-Pele-Ausbruches ver- wiesen. Bei dem großen Ausbruch des Deutschland gehörigen Savai- vulkanes ist diese Gelegenheit leider verpaßt worden. « Bezüglich eines vulkanologischen Forschungsinstitutes hebt Hr. von Wolff zwar als Nachteile eines solchen hervor, daß die zur Verfügung gestellten Mittel »nur dem kleinen Kreise von Forschern zugute kommen, denen das Forschungsinstitut anvertraut ist, während manche, sicherlich befähigte Kräfte nicht in den Dienst der Sache eingestellt werden können. Diese Nachteile werden jedoch entschieden überwogen durch die großen Vorteile, die ein Forschungsinstitut darbietet. ... Es verspricht ein Zu- sammenarbeiten auf dem Gebiete der Petrographie und Geologie mit einem physikalischen Chemiker ganz besondere Förderung. Es scheint mir daher 38 Branoca: der Gedanke der Gründung eines Forschungsinstitutes ein sehr glücklicher zu sein.« Zur Ermittelung der Intensität vulkanologischer Tätigkeit macht Hr. von Wolff folgenden Vorschlag: »Die Maxima der Temperatur eines Vulkanes fallen mit Ausbrüchen, die Minima mit Ruhepausen zusammen; die Vulkane sind daher thermisch zu überwachen. Diagramme, welche die Änderung der vulkanischen Phase, der Temperatur mit der Zeit, angeben, würden die Vorgänge im Vulkanherd widerspiegeln und auch am ersten erkennen lassen, ob äußere, z. B. kosmische, oder meteorologische Einflüsse mitbestimmend sind. Dieses Ma- terial wäre später in Karten zusammenzufassen, die in der Weise, wie es bei Höhenkarten geschieht, die Gegenden gleicher vulkanischer Intensität aussondern. Ich erwarte von derartigen Darstellungen Ergebnisse von all- gemeiner Bedeutung für die vulkanischen Vorgänge in der Erdkruste. « Bezüglich der petrographischen Untersuchungen spricht Hr. von Wolff dafür, daß dieselben möglichst vergleichend unternommen werden sollen. Es müßten z. B. »zur Lösung des Pechsteinproblems alle nur erreichbaren Pechsteinvorkommen vergleichend untersucht werden, und zwar in petro- graphisch-mikroskopischer, chemischer und geologischer Felduntersuchung. In gleicher Weise wäre die Verknüpfung bestimmter Gesteinstypen mit Sedimenten bestimmter Art zu studieren. Das quantitative petrographische System der Amerikaner halte ich für keinen Fortschritt. Es reißt, da es zu einseitig auf chemischer Grundlage aufgebaut ist, die natürlichen Zu- sammenhänge auseinander... Eine quantitative petrographische Systematik soll sich wirklich nur auf den vorhandenen Mineralbestand gründen. Dieser bringt nicht nur die chemische Zusammensetzung, sondern auch die be- sonderen Bildungsbedingungen zum Ausdruck «. d. England. 50. Hr. John W. Judd, Kew, schreibt einverstanden. Allerdings muß er leider sagen: »I fear that my age and state of health will prevent my taking any active part in a project, for which I cannot but feel the greatest sympathy.« =» e. Frankreich. 51. Hr. Ch. Barrois, Univers. de Lille, äußert sich durchaus einver- standen mit meinen Vorschlägen: »vos propositions sur la fondation d’une confederation internationale des recherches.... j'y applaudis de grand Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 39 c@ur; vos propositions si elles etaient realisees seraient precieuses pour la Volcanologie«... »Je m’associe done pleinement A vos desirs.« Ich hatte auch bereits geäußert, daß diese Vereinigung der Vulkano- logen innerhalb der schon bestehenden geologischen internationalen Kon- gresse stattfinden könne. Sehr treffend ist nun das, was Hr. Barrois dafür geltend macht, indem er neben der idealen auch die praktische Seite einer solchen Vereinigung hervorhebt. Aber er will wohl auch noch weiter- gehen, wenn er sagt: »Mon avis serait de mettre ä profit l’association internationale que nous possedons deja dans le ‚Congres geologique inter- national‘, plutöt que de ereer un nouveau comite. En effet, le premier existe; il fonetionne bien; ... il comprend deja plusieurs comites per- sistants entre les congres (glaeiers, types paleontologiques); ... il publie des rapports de cooperation internationale, en langues usuelles; et pour tout cela, ses organisateurs trouvent de l’argent aupres des particuliers et aupres des gouvernements« ... »Ne pourrait-on faire profiter les congres inter- nationaux de ces bonnes et genereuses dispositions®? Pour un prochain congres on pourrait choisir la Volcanologie internationale comme th@me general... on organiserait une section persistante de Volcanologie.« Darin liegt gewiß sehr viel Zutreffendes. Aber zu bedenken scheint mir immerhin, daß die Organisation der vulkanologischen Jahresberichte und diejenige der vulkanologischen Zeitschrift niemals von dem inter- nationalen Geologenkongreß in die Hand genommen werden würde. Das müßten die Vulkanologen selbst tun. 52. Hr. Glangeaud, Univers. de Clermont, ist gleichfalls mit allen vorgeschlagenen Punkten einverstanden: »Je souscris avec empressement A vos idees relatives: 1° A cette internationalisation, 2° A la fondation d’un an- o nuaire de tous les evenements de Volcanologie, 3° a la fondation d’une revue internationale au moins en 4 langues... et A la creation d’Instituts de Voleanologie dans tous les pays.« Hr. Glangeaud macht sodann eine ganze Anzahl weiterer Aufgaben vulkanologischer Forschung namhaft, die ich hier kurz wiedergebe und die gewiß vollster Berücksichtigung sich erfreuen werden. »1. Degradation des volcans par les agents atmospheriques: le vent et l’eau; par les torrents, les glaciers, la mer; 2. Dislocation des coulees de lave ou des £difices voleaniques poste- rieurement de leur @mission; 40 Branca: 3. Etude des faunes et des flores incluses dans les formations vol- caniques ou en relation avec elles, permettant de determiner l’age maximum et minimum des ruptions, la succession des phases @ruptives d’un meme centre (Paleontologie Volcanique); 4. Relations de position des Volcans avec les fractures ou les regions effondrees; 5. Les differentes modes de dynamisme voleanique (Classification et definition exacte); 6. Valeur et variation du degre geothermique dans les regions vol- caniques. 7. Cause possible des variations de composition chimique des laves provenant d’un meme centre; 8. Utilisation des materiaux volcaniques (laves, projections, gaz, eaux thermales, bitumes); 9. Hydrologie volcanique, non thermale.« 53. Hr. A. Laeroix, Musee d’Histoire naturelle de Paris, äußert seine Zustimmung mit den folgenden Worten: »En prineipe je suis d’accord avec vous, mais sous la reserve de la recherche des moyens materiels neces- saires A la realisation de votre programme. « »1. La redaetion d’un Rapport international concernant les evenements vuleanologiques de l’annee serait fort utile.... Je me chargerais volontiers de ce qui concerne les colonies francaises interessees« — eine Bereit- willigkeit des verdienstvollen Vulkanologen, welche die höchste Aner- kennung verdient. Wenn in jedem Lande, das im Besitze tätiger Vulkane ist, ein ebenso arbeitsbereiter Forscher wie Hr. Laeroix sich namhaft machen wollte, dann wäre das Zustandekommen dieses so überaus nötigen, wichtigen »Jahresberichtes der vulkanischen Ereignisse« bald gesichert. Bevor mein Vorschlag, daß wir bei allen Marineministerien den An- trag stellen sollten, die Schiffskapitäne zu Berichten über etwaige submarine vulkanische und seismische Freignisse zu verpflichten, ausgeführt wird, erklärt Hr. Lacroix mit vollem Rechte es für »indispensable, d’elaborer un questionnaire detaille de facon A ce que les observations & faire soient comparables«. Es würde also Aufgabe der Kommission sein, sobald wie möglich für die Schiffskapitäne einen Fragebogen auszuarbeiten, aber auch, so möchte ich hinzufügen, eine kurze Belehrung über Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 41 das Wesen soleher Ereignisse, die auf allen Seemannsschulen, etwa eine Stunde umfassend, dem Unterrichte eingeschaltet werden müßte. 2. Für die internationale mehrsprachige Zeitschrift für Vulkanologie hält Hr. Laeroix es für richtiger, kurzerhand einen Verleger zu suchen. »Ne serait-il pas possible de le traiter comme un journal en cherchant un editeur? Une diffieulte surgira sans doute dans la limitation des sujets que l’on eomprenda dans la Vuleanologie.« Diese Schwierigkeit würde sich natürlich nur gewissen Arbeiten gegen- über ergeben. Hier würde die Entscheidung zufallen dem Redakteur, eventuell unter Beihilfe der Redaktionskommission, die aus Vertretern verschiedener Länder bestehen müßte. Was den ersten Punkt anbetrifft, so bin ich er- mächtigt zu erklären, daß der geologische Verlag von A. Born- traeger in Berlin sich bereit erklärt hat, diese internationale vulkanologische Zeitschrift herauszugeben, die einen in den vier Sprachen lautenden Titel tragen würde, daß Hr. Kollege Bergeat in Königsberg i.Pr. die Redaktion übernehmen würde und daß einige Herren als Vertreter der verschiedenen Länder die Redaktionskommission bilden sollten. 3. Durchaus einverstanden ist Hr. Lacroix mit dem Plane, die Gründung vulkanologischer Forschungsinstitute zu betreiben; aber »Dans le cas oü de semblables instituts pourraient &tre erees, il y aurait un avantage de premier ordre a ce qu'ils s’entendent, comme l’ont fait les Observatoires astronomiques pour la Carte du Ciel, de facon ä& speeialiser leur effort prineipal, tout en restant libres d’ex@euter par ailleurs un programme aussi etendu que le permettraient leurs ressources en hommes et en argent«. Gewiß wird jeder- mann einverstanden sein mit der Notwendigkeit dieses Vorschlages, damit einer Vergeudung von Kraft, Arbeit, Zeit vorgebeugt werde. 4. Hr. Lacroix spricht sich sodann dafür aus, es sei »tout & fait desirable, que l’on puisse etablir une union internationale des vulcanolo- gistes et peut-etre sera-t-il pratique de profiter du prochain Congres geologique pour jeter les bases d’une semblable entente«. Aber eine auf zu viele Köpfe ausgedehnte Mitgliedschaft der beratenden Kommission macht es ihm »vraisemblable que l’on n’aboutira qu’& de la confusion«, worin ich ihm allerdings beipfliehten muß, ebenso wie darin, daß innerhalb dieser Kommission »il est necessaire, qu’il y ait &quilibre entre les diverses nations«. Phys.-math. Abh. 1914. Nr.2. 6 42 Branca: 54. Hr. St.-Meunier, Musce d’Histoire Naturelle, Paris, äußert sich bezüglich des Vorschlages einer internationalen Vereinigung der Vulkano- logen: »J’applaudis sans reserve A ce projet d’une eonfederation internationale de recherches volcaniques.« ... »Quant a la fondation du Rapport annuel sur les &venements volcanologiques, tous les pays y collaboreront avee empressement.« ... »L’annuaire international eontenant tous les m@moires publies dans l’annee rendrait d’incomparables services; nous devons faire tout notre possible, dans nos patries respectives, pour realiser cette @uvre de concentration et de coordination de nos travaux.« ... »Plus il y aura d’union et d’echanges de vues entre les savants des differents pays (et In- stituts voleanologiques), plus les progres seront rapides pour la solution des grands problemes. « f. Italien. 55. Hr. Agamemnone, R. Össervatorio Geodinamico, Rocca di Papa. Ebenfalls zustimmend: »...Io non sono affatto un vulcanologo, per il fatto di oceuparmi quasi eselusivamente di sismologia«... ma »ad ogni modo, come persona che s’interessa al progresso della seienza in generale, e essendo persuaso che in ogni ramo dello seibile umano la cooperazione di tutti gli scienziati, che lo coltivano, puö e deve giovare immensamente, non Posso non approvare le sue quattro proposte. « 56. Hr. Friedländer, Neapel, s. vorn S. ıo. 57. Hr. Zambonini, Universita di Torino. Zustimmend mit den Worten: »Le sue proposte ... meritano ogni elogio, e, qualora venissero attuate, tornerebbero indubbiamente di grande vantaggio agli studi vulcanologiei. E vivamente desiderabile che gli sforzi uniti e concordi di tanti studiosi riescano a scuotere un po’ i Ministeri, che in tutti i paesi vedono sempre di malumore le nuove iniziative, che richiedono fondi con- siderevoli. « g. Niederlande. 58. Hr. Kr. Martin, Rijks Geologisch-Mineralogisch Museum, Leiden. »Dem Inhalt Ihrer Vorschläge kann ich nur zustimmen. Das gilt insonder- heit von der Gründung eines mehrsprachigen Jahrbuchs der vulkanischen Ereignisse und einer internationalen Zeitschrift für Vulkanologie. Doch sollte man hierin meines Erachtens nur in deutscher, englischer, französischer Sprache schreiben, das Italienische aber ausschließen, um so mehr, als die Urteile über »Vulkanologische Forschung«. 43 Italiener das Französische in der Regel gut beherrschen. Nach Aufnahme des Italienischen dürften auch andere Nationen leicht um Zulaß ihrer eigenen Landessprache ersuchen, und der Zweck eines internationalen Verstehens würde auf diese Weise Gefahr laufen, vereitelt zu werden.« »Daß die Errichtung vulkanologischer Forschungsinstitute der Errei- chung der von Ihnen gestellten Ziele in hohem Maße förderlich sein muß, dürfte jedem von vornherein klar sein.« Es läßt sich gewiß nicht verkennen, daß die von Hın. Martin ge- machten Folgerungen richtig sind: nämlich, daß der Zweck eines inter- nationalen Verstehens um so schwerer erreicht wird, je mehr Sprachen zu- gelassen werden; und daß dann auch noch andere Sprachen für ebenso berechtigt werden erklärt werden. Graf de Montessus de Ballore hat das ja für Zulassung des Spanischen bereits geltend gemacht (s. Nr. 10). In- dessen Italien ist gerade mit der Vulkanforschung von alters her so eng verbunden, und die italienische Sprache steht dem Lateinischen so nahe, daß man vielleicht gerade sie als ganz besonders berechtigt erklären könnte. Die Sprachenfrage bildet bei allen internationalen Verhandlungen eine Schwierigkeit; möchte sie uns nicht zur Klippe werden. An und für sich müssen wir natürlich theoretisch alle Sprachen als gleichberechtigt erklä- ren, soweit in ihnen gute vulkanologische Arbeiten geschrieben werden. Aber praktisch, d.h. im Interesse der Sache, des leichten Verstehens, können doch nur einige ausgewählt werden. 59. Hr. Moolengraaff, Technische Hoogeschool, Delft. »Ich erkläre mich mit allen von Ihnen in großen Zügen dargelegten Vorschlägen einver- standen.«.... »Für die Einheitlichkeit der Publikationen (im vulkanologi- schen Jahresbericht und in der Zeitschrift) würde es mir erwünscht erscheinen, die Beiträge in Maschinenschrift an eine Zentral- stelle, die Redaktion, einzusenden und dort die eigentliche Veröffent- lichung (den Druck) stattfinden zu lassen. « »Erfolgreich würde es mir erscheinen, wenn bei den Zusammenkünften der Vulkanologen jedesmal bestimmte Arbeitsaufgaben (auch Untersuchun- gen im Felde) vorher genannt und in den Vordergrund gestellt werden könnten und auch möglicherweise die Mittel, vielleicht auch die Personen für die Ausführung gefunden werden könnten. « Danach scheint Hr. Moolengraaff sich die Sache so zu denken, daß die Vereinigung der Vulkanologen die Mittel für die Lösung gewisser Auf- 6* 44 Branca: gaben beschaffen solle. Dazu bedürfte es einer gemeinsamen Kasse, und ich fürchte, es würden dann bald an diese von allen Seiten Anforderungen gestellt werden. Es wäre daher wohl besser, wenn jedes Forschungsinstitut bzw. jeder Staat die Lösung der betreffenden Aufgabe selbst bezahlte, daß aber die zu bearbeitenden Aufgaben nach gemeinsamer Beratung verteilt würden. 60. Hr. Wichmann, Rijks-Univers. te Utrecht, Mineralogisch-Geologisch Instituut. »Die von Ihnen gegebene Anregung kann nicht freudig genug begrüßt werden, denn die Verwirklichung Ihres Planes würde die einzige Gewähr bieten, aus den gegenwärtigen, zum Teil wahrhaft kläglichen Zu- ständen herauszukommen. « Sehr richtig ist das, was Hr. Wichmann über die Notwendigkeit des von mir vorgeschlagenen Jahresberichtes der vulkanischen Ereignisse sagt: »Die Versuche einzelner Forscher, Jahresberichte zu erstatten, mußten mißglücken, weil .... die betreffenden Autoren zu einem nicht unbeträcht- lichen Teile auf Zeitungsnachrichten angewiesen waren. So haben sie die Nachwelt nur allzuoft mit ganz verstümmelten Berichten beglückt Wenn man bedenkt, daß jene Jahresberichte mit als Grundlage für die Vulkan- kataloge gedient haben, die der eine Autor kritiklos vom andern übernahm, so leuchtet ein, daß diese Werke außerordentlich lückenhaft sind. « Sodann wendet sich Hr. Wiehmann ebenfalls, wie alle Herren, die näher darauf eingehen, gegen meinen Vorschlag bezüglich des Druckes als nicht durchführbar und tritt dafür ein, daß alle Berichte als Manuskript an eine Stelle geschickt werden, an der sie gedruckt und mit Register ver- sehen werden'. »Zugunsten einer Zeitschrift für internationale Vulkanfor- sehung braucht kaum ein Wort noch verloren zu werden, denn die Zersplitterung der Literatur ist allmählich eine geradezu beängstigende geworden.« h. Norwegen. 61. Hr. W. C. Brögger, Kristiania. In dankenswertester Weise hat fofo) ’ Hr. Brögger sich sogleich als ein Mann der Tat erwiesen und nach ver- ! Um absolute Gleichheit bei allen teilnehmenden Ländern zu erzielen, hatte ich — obwohl ich das Schwierige der Ausführung wohl einsah — vorgeschlagen, daß jedes Volk seinen Jahresbericht und seine Arbeiten für die Zeitschriften bei sich drucken lassen und dann das Gedruckte an eine Verlagsbuchhandlung einsenden solle, die nur gewissermaßen der Buchbinder sein würde. Das wird aber von vielen Seiten abgelehnt. Urteile über »Vulkanologische Forschung«. 45 schiedenen Seiten hin für die Sache gewirkt. Ich gebe das, was er über die Organisation des norwegischen Institutes sagt, in dem die Äußerungen über Institute behandelnden Teil III. Hier möchte ich nur seine die übrigen Fragen behandelnden Ansichten wiedergeben. Bezüglich des internationalen Jahrbuches der vulkanischen Ereignisse und der internationalen Zeitschrift für Vulkanologie erklärt er sich mit meinen Vorschlägen »ganz einverstanden, falls die Anforderungen zur ge- nauen Übereinstimmung der Formatgröße nicht allzu pedantisch streng durch- geführt werden müßten .«. Ohne Erfüllung einer solchen Forderung würde indessen kein gut aus- sehender Band entstehen können. »Daß auch Ihre vierte Frage (festerer Zusammenschluß der vulkanologi- schen Forscher) berechtigt ist, scheint mir einleuchtend. « 1» Österreich-Ungarn. 62. Hr. Becke, Wien, schreibt: »Für eine internationale Vereinbarung scheint mir die Aufstellung eines ganz bestimmten Programms eine unmög- liche Bedingung zu sein. Man müßte aus den vielen Problemen, die Ihre Denkschrift aufzählt, eines fest umgrenzen, das nach dem Stand der Wissen- schaft aktuell ist und das Aussicht hat, Mitarbeiter zu finden. Ein Vor- schlag nach dieser Richtung hin ist allerdings nicht ganz leicht. Aber ein Verzeichnis der tätigen Vulkangebiete nach Lage, Aufbau, Art der Tätig- keit, Beschaffenheit ihrer Produkte erscheint mir das nächstliegende. Samm- lung, kritische Sichtung der Literatur, Erforschung dort, wo Untersuchun- gen noch fehlen, müßten parallellaufen. Eine Vereinbarung über fortlaufende Beobachtung möglichst vieler Vulkane, alles das, was Ihre Denkschrift als Jahrbuch der Vulkanausbrüche bezeichnet, scheint mir erstrebenswert. Natür- lich stehen da in erster Linie jene Nationen und Staaten, in deren Gebiet sich Vulkane befinden. Wir Österreicher müssen uns da bescheiden. Die Begründung einer internationalen Zeitschrift wird von manchem für not- wendig gehalten. Wichtiger erscheint mir die Ausführung guter Untersuchun- gen, die, wie ich glaube, immer ihren Platz und ihren Weg finden. Aber es mag die Begründung einer solchen Zeitschrift schwer zu umgehen sein. « 63. Hr. Hibsch, Tetschen a. Elbe, äußert sich in der folgenden Weise: »Ihre..... Anregungen, die auf eine kräftige Förderung der Vulkanologie hinzielen, begrüße ich lebhaft. .... Von diesen Vorschlägen erscheint mir 46 Branca: besonders wichtig der auf die Gründung vulkanologischer Anstalten hin- zielende. Durch die Errichtung möglichst vieler, von weitblickenden sach- kundigen Männern geleiteter vulkanologischer Anstalten würde ein wirk- licher Fortschritt ermöglicht werden. Zunächst müßten Anstalten .... auf den lebenden Vulkanen gegründet werden. Dann aber sollte jeder Staat noch seine eigene vulkanologische Anstalt als Forschungsstätte besitzen .... Jedenfalls können rein vulkanologische Fragen nur in selbständigen Insti- tuten direkt studiert und der Lösung zugeführt werden. « »Den Vorschlag, ein internationales Jahrbuch der Vulkanologie zu schaffen, unterstütze ich. Dieses hätte über die gesamten vulkanischen Ereignisse des Jahres zu berichten und die vulkanologische Literatur zu verzeichnen. Durch zusammenfassende Referate wäre dann über den Fort- schritt der vulkanologischen Forschung jeweils Umschau zu halten.« In solchen Referaten wünscht Hr. Hibsch alles das aus anderen Wissen- schaften, Chemie, Physik, Astronomie, Geophysik, Mathematik usw. auf- genommen zu sehen, was von irgendeiner Bedeutung für die Vulkanologie sein könnte. Hr. Hibsch will also dem vulkanologischen Jahrbuch einen Teil des Stoffes (Referate, Literaturzusammenstellung) übertragen, welcher in meinem Vorschlage der vulkanologischen Zeitschrift zukäme. So erklärt es sich, daß er sagt: »Die Neugründung einer eigenen ... . internationalen Zeitschrift für Vulkanologie neben diesem internationalen Jahrbuche halte ich nicht für notwendig. « Ich möchte hierzu bemerken, daß wenn eine Zeitschrift durch Auf- nahme weiterer Dinge viel umfangreicher wird, sie sich natürlich auch entsprechend teurer stellen muß, so daß der von Hrn. Hibsch geltend ge- machte Standpunkt, daß aus Mangel an Mitteln viele Institute nicht an die Anschaffung einer neuen Zeitschrift denken würden, doch dadurch hinfällig wird. Den Vorschlag regelmäßiger Zusammenkünfte aller Vulkanologen be- grüßt Hr. Hibsch gleichzeitig mit dem Wunsche, daß diese Zusammen- künfte dem internationalen Geologenkongreß eingeordnet sein oder ihm doch unmittelbar nachfolgen sollten. 64. Hr. von Löczy, Budapest, stimmt ganz den gemachten Vor- schlägen bei; er sagt: ı. »Nur eine Internationalisierung der Vulkanforschung kann ein einheitliches Bild des Vulkanismus unserer Erde schaffen.« 2. »Die Organisation der Statistik aller vulkanologischen Ereignisse in der vorge- Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 47 schlagenen Form ist entschieden wünschenswert.« 3. »Die gleiche Not- wendigkeit bezieht sich auf die Gründung einer mehrsprachigen inter- nationalen Zeitschrift.« 4. »Die Errichtung vulkanologischer Forschungs- institute glaube ich auf solche Länder beschränken zu sollen, in denen tätige Vulkane vorhanden sind oder auf Länder, deren Kolonien Vulkane oder submarine vulkanische Herde haben. In Ländern, welche nur fossile Vulkane in ihren Gebieten besitzen, glaube ich, die vulkanologische Arbeit je einer Landeskommission übertragen zu sollen. « 65. Hr. Rudzki, Krakau, schreibt: »Ich erachte die Gründung eines internationalen Zentralblattes für Vulkanologie für wünschenswert.« Den anderen Vorschlägen gegenüber hält sich der verdienstvolle Physiker, der auch die die Vulkanologie berührenden Probleme der Erde so hell be- leuchtet hat, für nicht kompetent. 66. Hr. E. Süß, Wien. S. Abschnitt I S. 13. k. Portugal. 67. Hr. Ben-Saude, Lissabon, hat sich nur über die Frage der vulkanologischen Institute geäußert; und es ist sehr begreiflich, daß zur Zeit in Portugal nicht an die Gründung eines solehen gedacht werden kann. Er schreibt aber zustimmend: »Je suis tout & vos ordres pour faire... l’etude de l’organisation d’instituts voleanologiques dans les differents pays. « »J’ai eu deux entrevues avec le Ministre de l’Instruction publique pour lui exposer le contenu de votre... programme ...« mais »il n'est que raisonnable de remettre ä plus tard l’organisation d’un institut vol- canologique chez nous. Ü’est done pour des raisons economiques que le Portugal ne peut, pour le moment, accompagner les autres nations dans une entreprise, qui aura certainement les plus grands resultats pour l’avancement .... de la volcanologie.« l. Rußland. 68. Hr. Br. Doss, Riga, stimmt bei mit den Worten: »Ich erkläre, daß ich den Punkten ı—3 vollständig zustimme (Internationalisierung, Jahresbericht, Zeitschrift), ... daß ich ganz Ihrer Meinung bin, daß nur durch ein internationales Zusammenwirken unabhängiger Forschungsinstitute wertvolle Fortschritte auf dem Gebiete der Vulkanologie .... zu erreichen sein werden. « 48 BRANcA: »Zu Punkt 4 (Gründung vulkanologischer Institute) mich zu äußern, halte ich bei dem Stande, den die Frage z. Zt. in Rußland einnimmt, für überflüssig (d. h. Rußland wird ein solches gründen). « 69. Hr. Tsehernyschew, Geologisches Komitee, St. Petersburg. Der leider so früh und so jäh der Geologie und seinen Freunden entrissene, unvergeßliche Kollege hatte sein Einverständnis mit allen Vorschlägen um so kürzer ausdrücken können, als er ja mit dahin gewirkt hatte, »daß wir in Petersburg bald werden ein Institut haben, das allen Zielen der vulkanologischen Forschungen entsprechen wird. ... Mit den 3 (anderen) Fragen bin ich ganz einverstanden. « m. Schweiz. 70. Hr. Alb. Brun, Geneve. Hr. Brun äußert sich zunächst dahin, daß die Zahl der von mir namhaft gemachten Aufgaben eine zu große sei. Hier gilt das, was ich auf Seite 9 über dieses Mißverständnis ge- sagt habe. Bezüglich des Jahresberichtes und der Zeitschrift ist Hr. Brun einverstanden; doch meint er, man solle zunächst nur mit dem Jahres- berichte allein beginnen, der dann ja auch Originalarbeiten enthalten könne. Sehr bald werde sich dann die Notwendigkeit der Zeitschrift ergeben. Mir scheint indessen gerade umgekehrt das Zustandekommen des Jahres- berichtes so große Schwierigkeiten zu,machen, daß die Zeitschrift viel eher ins Leben treten kann. Für den Jahresbericht ist es nötig, für jedes Land, das tätige Vulkane hat, zuverlässige Berichterstatter zu finden, die über alle vulkanischen Ereignisse Berichte einreichen. Das aber kann wohl erst allmählich möglich gemacht werden, wenn die internationale Vereinigung geschaffen ist und funktioniert. Hr. Brun stimmt ferner zu, daß »une reunion plus intime de vul- canologues est tout & fait desirable et l’organisation de congres speciaux independants aurait de grands avantages«. Über das, was Hr. Brun be- züglich vulkanologischer Institute sagt, habe ich in Abschnitt III berichtet. 71. Hr. A. Heim, Zürich, schreibt: »Ich bin vollauf einverstanden ı. mit der Gründung eines internationalen Jahrbuches der vulkanischen Ereignisse; 2. ebenso mit einer internationalen Zeitschrift für Vulkanologie; 3. ebenso mit der Errichtung vulkanologischer Forschungsinstitute. « »Allein ich bin nicht einverstanden mit der Tendenz, das ganze Pro- gramm für die Lösung vulkanologischer Fragen und für vulkanologische Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 49 Forschung überhaupt international zu organisieren, wie es Ihre Schrift im Auge hat.«.... »Ein Programm der Vulkanologie nach ihrem momentanen Stande kann nicht zugleich das Programm für international organisierte Forschung sein. Eine solche Organisation wäre unfruchtbar und lähmend, weil sie viel zu weit ausgreift. Aus dem Programm der Vulkanologie überhaupt sind für die internationale Arbeitsorganisation nur ganz be- stimmte, dafür geeignete Beobachtungsfragen auszuscheiden, diejenigen nämlich, die ohne internationale Organisation gar nicht gelöst werden können. « Auch hier liegt das Mißverständnis vor, als habe ich die von mir aufgeführten Ziele vulkanologischer Forschung in der Absicht dargelegt, daß sie alle von den betreffenden international organisierten Forschern be- arbeitet werden sollten. Das hat mir absolut fern gelegen; man wolle das lesen, was ich auf S. 9 darüber gesagt habe. Welche Aufgaben die hoffentlich sich international organisierenden Vulkanologen bearbeiten wollen, das ist selbstverständlich ganz ihre Sache. III. Briefliche Äußerungen speziell über die Gründung größerer oder kleinerer vulkanologischer Forschungsinstitute. Afrika. ı. Hr. E.H.L. Schwarz, Grahamstown, berichtet: »The authorities of the Rhodes University College are building me a fine new laboratory where special accommodation is apart for chemical and petrographical research, and I hope in the near future to accomplish definite work on some of the problems of vulcanology.« Amerika Nord, Mexiko. 2. Hr. Aguilera, Instituto Geolögieo de Mexico, teilt mit: »De notre part nous avons choisi d&ja l’emplacement d’une station (observatoire) dans le flane du volcan de Colima et le Gouvernement est tout dispose a la realisation de ce projet aussi-töt qu’il soit possible. « 3. Hr. E.Boese, Instituto Geolögico de Mexico, schreibt, vermutlich auf dasselbe Observatorium Bezug nehmend: »Im mexikanischen Institut be- Phys.-math. Abh. 1914. Nr. 2. 7 50 BrRANcA: stand bereits seit einiger Zeit die Absicht, eine solche vulkanologische Station, wenn auch in kleinem Maßstabe, zu begründen, und ich hoffe, daß dies nach Klärung der politischen Lage ins Werk gesetzt werden kann.« Amerika Nord, Vereinigte Staaten. 7. Hr. Reginald A.Daly, Harvard Univ. Mass., verweist auf die Wich- tigkeit des vom Massachusetts Institute of Technology and its friends am Kilauea gegründete neue Observatorium, »since it is obvious that Kilauea will give fundamental results more rapidly than any other active volcano«. 8. Hr. Wm. H. Hobbs hebt hervor, daß » Carnegie Institution is a pri- vate institution and not founded primarily for voleanological work. There are two other private institutions, each more or less temporary in character which supply funds for studies by individuals; namely, that direeted by Prof. Jaggar, and that directed by Mr. Frank Perret«. Die Gründung einer ganz besonderen Art, eines schwimmenden Observatoriums für Seebeben und submarine Vulkanausbrüche, hat Hr. Hobbs vor Jahren vorgeschlagen: »I made the suggestion that a special staff of skilled seientists with topographers, photographers, ete. should be provided with a suitable vessel such as a small ceruiser...., with a view to visiting upon the ground the scenes of recent earthquakes and voleanic eruptions and carrying out researches with the aid of the best modern equipment and with the requisite time at their disposal. Volcanie eruptions and seismie disturbances, being generally near the borders of the sea, the party of investigators could best avoid the many hardships ... . This suggestion I now offer as equally well adepted for an international institute ... .« Europa. Deutschland. 18. Hr. Bergeat, Königsberg, schreibt: »Ein deutsches vulkanologisches Forschungsinstitut müßte in der Art des Geophysical Laboratory in Washing- ton errichtet werden. Es müßte vulkanologische Forschungen der ver- schiedensten Art im Felde veranlassen. ... Für die Durchführung sorg- fältiger Aufnahmen, Gasanalysen, Beobachtungen von Eruptionen müßte ein Fonds vorhanden sein, der es erlaubt, unverzüglich Mittel flüssig zu machen, um schnellstens Beobachter nach dem Schauplatze vulkanischer Ereignisse entsenden zu können. « Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 51 »Dagegen glaube ich nicht, daß sich aus einer ständigen Beobacehtungsstation an einem der gewöhnlich wenig tätigen Vulkane ein Vorteil ziehen läßt, der im Verhältnis zu den Kosten steht. Der Observator würde bald Langeweile leiden; denn abgesehen von einer gründlichen geologischen Aufnahme, zu der man ja kein Observatorium nötig hat, würde er in der Regel nur mechanische Registrierarbeiten, wiederholte, vielleicht im ganzen nicht immer Neues bietende Gasanalysen und dgl. verrichten müssen. Etwas anderes wäre es, wenn man die Mittel zu einer ambulanten derartigen Ein- richtung hätte; dazu braucht man aber schließlich nur einige Zelte.« Das scheint mir ein sehr beherzigenswerter Vorschlag zu sein. » Was ich im Carnegie-Laboratorium gesehen habe, hat mir außerordent- lich gefallen. Die Leute... hatten keine Anfänger zu unterrichten, keinen mittelmäßigen Leuten zu Doktorarbeiten zu verhelfen, auch keine Etiketten und Inventarien zu schreiben, ein Idealzustand.« 19. Hr. Bergt, Leipzig, macht geltend, daß das Institut in Leipzig nach wie vor für kartographische und bildliche Darstellung aller Vulkane der Erde sowie ihrer Gesteine sich betätigen werde. 20. Hr. R. Brauns, Bonn, äußert sich über die Institutsfrage in der fol- genden Weise: »Die erste Aufgabe scheint mir das Studium an tätigen Vulkanen zu sein, da viele grundlegenden Fragen nur durch Studium an Ort und Stelle gelöst werden können. ... Für eine erfolgreiche Unter- suchung eines Vulkans in einer Kolonie würde es nicht genügen, daß ein Geologe in der Kolonie stationiert wäre, der sich bei einem Ausbruch zum Studium desselben aufmachen würde; es müßte da vielmehr eine wohl aus- gerüstete Expedition aufbrechen. ... Der Leiter der Expedition müßte den Vulkanberg sehon vorher genau kennen, um den Ausbruch genauer verfolgen und die eingetretenen Veränderungen feststellen zu können. « Des ferneren tritt Hr. Brauns dafür ein, daß in den Instituten Samm- lungen von Photographien aller Vulkane der Erde angelegt werden sollten. »Der Direktor eines vulkanologischen Forschungsinstituts, etwa in Berlin, hätte mit diesen Dingen nur insofern zu tun, als er die Ausrüstung zu organisieren, Instruktionen zu erteilen und die Forsehungsergebnisse in Empfang zu nehmen hätte. Für physikalisch-chemische Untersuchungen ist das Carnegie-Institut so großartig eingerichtet, daß ihm derartige Ar- beiten in der Hauptsache zu überlassen wären. ... Immerhin bliebe für LE: d 2 Branca: ein Forschungsinstitut, dem allerdings sehr große Mittel zur Verfügung stehen müßten, noch genug zu tun übrig. « Ich möchte demgegenüber doch durchaus den Standpunkt festhalten, daß der Aufgaben so viele und so schwierige sind, daß eine ganze Anzahl von Forsehungsinstituten noch für hundert Jahre zu lösende Aufgaben finden würde. Mit Recht hebt an anderer Stelle Hr. Bergeat hervor, daß die amerikanischen Mitarbeiter des Carnegie Geophysical Laboratory, Day, Wright, mindestens einen großen Teil ihrer Ausbildung in Deutschland genossen haben. Ich kann daher nicht verstehen, daß man auf ein vul- kanologisches Forschungsinstitut in Deutschland Verzicht leisten sollte unter dem Gesichtspunkte, daß man in Amerika ja schon alle Fragen lösen werde. 23. Hr. Frech, Breslau, schreibt: »Ich möchte in Kürze einige Punkte hervorheben, welche gerade für Deutschland die Notwendigkeit eines solchen, das Reich und die Kolonien im weitesten Sinne umfassenden Forschungs- instituts notwendig erscheinen lassen. Die deutschen Schutzgebiete um- fassen in Ostafrika, Kamerun und dem Pazifik ganz besonders wichtige und interessante Forschungsprobleme.« Diese werden nun in einem weite- ren Schreiben eingehender behandelt und dabei zugleich auf Anatolien hin- gewiesen, das »in geologischer wie geographischer Hinsicht seit Russegger ein Bildungsziel deutscher Forscher gewesen ist und jetzt diese Aufmerk- samkeit um so mehr verdient, als die Türkei nicht einmal für die Unter- suchung nutzbarer Mineralien, geschweige denn für theoretische wissen- schaftliche Untersuchungen irgend etwas aufwendet«. Die Probleme, die in den Vulkanen Anatoliens und anderer Vulkane dieser Gegenden vor- liegen, werden dann in dem Schreiben des Hrn. Frech weiter spezialisiert. Hr. Gürich, Hamburg, äußert sich über die Forschungsinstitute, für die er durchaus eintritt, dahin: »In. erster Linie kommt die Untersuchung der tätigen Vulkane in geologischer, physikalischer und chemischer Be- ziehung in Betracht. ... Vulkanologische Forschungsinstitute werden in erster Reihe an vulkanischen Örtlichkeiten angebracht werden müssen. Die geologische Kartierungsarbeit in Vulkangebieten ... kann aber die geo- logische Aufnahme der den Vulkan umgebenden Schichtgesteine nicht ent- behren. ... Die chemische Untersuchung der vulkanischen Gesteine darf nicht an den üblichen Grenzen der Gesteinsanalyse haltmachen; es müssen auch die Elemente mit geringerer prozentischer Beteiligung berücksichtigt Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 53 werden, und man muß versuchen, die quantitative Beteiligung auch der Mineralarten festzulegen. .. .« »Es werden also an die vulkanischen Örtlichkeiten gebunden sein: ı. geologische Institute mit Kartierungsarbeiten, 2. im weiteren Sinne petrographische Institute mit chemischen und physikalischen Untersuchungs- methoden, 3. geophysikalische Institute. « » Unabhängig vom Ort sind: 4. petrogenetische Institute, die auf ex- perimentellem Wege die vulkanischen Vorgänge deuten sollen. « 30. Hr. Königsberger, Freiburg i. Br., gibt den folgenden Gedanken Ausdruck: »Ein sehr wichtiger Teil der Aufgabe wäre die Bearbeitung der vulkanischen Erscheinungen in unseren Kolonien; zu deren Erforschung sollten Geologen hingeschickt ‘werden, die auch petrographisch und etwas physikalisch-chemisch geschult sind. .... Der Direktor des Forschungs- instituts sollte sehen, in Fühlung mit diesen Auslandsgeologen in Vulkan- gebieten zu bleiben. Apparate und Literatur müßten durch seine Ver- mittelung dem Geologen zur Verfügung gestellt werden. ... Das Institut sollte in der folgenden Weise organisiert sein: ı. Eine speziell geologisch- vulkanologische Abteilung zum Verkehr mit den Geologen in unseren Kolo- nien und zu ihrer Unterstützung. 2. Eine Abteilung für die theoretische und experimentelle Anwendung der Physik auf die Geologie, ein Wissens- zweig, der bei der jetzigen Ausdehnung und Durchbildung der geologischen Forschung notwendig wird, bei uns aber noch wenig gepflegt ist. Es handelt sich um das Studium der Geothermik, der elektrischen Vorgänge in der Erde, der Konstitution des Erdinnern, der Erstarrung und Ver- lagerung der Magmen, der Untersuchung der Spannung in den Gesteinen, Beziehungen von Magnetismus und Schwerestörungen zu Erguß- und Tiefen- gesteinen usw. 3. Eine physikalisch-chemische Abteilung, die speziell vul- kanologische Probleme verfolgen könnte. 4. Außerdem müßte ein mine- ralogisch-petrographisch geschulter Mitarbeiter vorhanden sein, der zur Hilfe für die anderen Abteilungen vorhanden wäre.« 36. Hr. Mügge, Göttingen, hat — im Gegensatz zu manchen anderen Herren, die an dem Vielen Anstoß nehmen — den Zweck meiner Zu- sammenstellung über die Ziele sehr richtig erfaßt, wenn er schreibt: »Es freut mich, daß Sie einmal den ganzen gewaltigen Umfang der mit dem Vulkanismus in Zusammenhang stehenden Fragen dargelegt haben; es scheint fast, als ob viele Naturforscher sich bisher kaum darüber klar ge- 54 BrRANcAa: worden sind, wie wenig wir bis jetzt über das Fundament unserer Erde wissen. Das hängt zweifellos zusammen mit der einseitigen Entwicklung, die die Chemie seit den sechziger Jahren genommen hat, namentlich bei uns in Deutschland, wo wir in jeder Hochschule meist mehrere che- mische Laboratorien haben, unter diesen 50— 100 aber kaum eines, in dem die Chemie der die Erdkruste vorwiegend aufbauenden Elemente und Verbindungen eine nennenswerte Förderung er- fahren hätte. Dadurch ist denn auch der naturgemäße Zusammenhang zwischen Chemie einerseits, Mineralogie und Geologie anderseits so sehr verloren gegangen. Die vulkanischen Fragen sind meines Erachtens für die nächste Zeit wesentlich Fragen der Chemie. « Die Berechtigung meines Vorschlages betr. Gründung vulkanologischer Forschungsinstitute in den verschiedenen Ländern kann wohl nicht tref- fendere Begründung finden als durch diese Worte des Hrn. Mügge. Ich habe ja betont, daß physikalische Chemiker (abgesehen von der petro- graphisch-geologischen Abteilung) für diese Institute nötig wären. Wenn man nun die sehr große Zahl der chemischen Laboratorien an unseren Hochschulen in Erwägung zieht und dabei bedenkt, daß kein einziges bisher der Erforschung der vulkanologischen Chemie, d.h, der Erforschung des Innern der Erde geweiht ist, so liegt die Berechtigung meines Vor- schlages ohne weiteres zutage. Aus solchen Untersuchungen » würden vermutlich mehr Anregungen entspringen als z. B. aus den vielen Nord- und Südpolarexpeditionen'«, sagt Hr. Mügge an anderer Stelle. Hr. Mügge geht dann weiter auf die Organisation eines solchen deutschen vulkanologischen Instituts ein. Er befürwortet drei Laboratorien: ı. Schmelzlaboratorium mit elektrischem Ofen; 2. chemisch-analytisches Laboratorium; 3. mineralogisch-petrographisches Laboratorium. Dazu dann 4. eine oder mehrere Stationen an Vulkanen. Für diese Laboratorien dann die entsprechenden Vorstände. 38. Hr. Ösann, Freiburgi. Br., macht geltend, daß ein vulkanologisches Institut » mit der Untersuchung und Beobachtung tätiger Vulkane beginnen muß. Nur durch fortgesetzte Detailuntersuchungen, die hier einsetzen, wird es möglich sein, auch allgemein wichtige Fragen ... mit der Zeit einer ! Freilich spricht sich Hr. Mügge weiter in seinem Briefe gegen ein internationales Forschungsinstitut, weil von zu schwerfälliger Organisation, aus; indessen beruht das auf einem Mißverständnis, da ich ein solches nicht vorgeschlagen hatte. Urteile über »Vulkanologische Forschung «. BB) Lösung näher zu bringen. Zu dem Zwecke müßten ... an Vulkanen Stationen errichtet werden, in denen geschulte Kollegen ständig wohnen. Das ge- sammelte Material kann dann an eine Zentralstation gesandt und dort weiter untersucht werden. « » Deutschland besitzt in seinen Kolonien tätige Vulkane und damit nicht allein die Möglichkeit, sondern auch eine gewisse Verpflichtung, auf eigenem Boden solche Stationen zu errichten. Eine Zentralstation zur Untersuchung des gesammelten Materials würde wohl am besten den jetzt in Entstehung begriffenen (Kaiser-Wilhelm-) Instituten in Berlin angegliedert werden. « 45. Hr. Tammann, Göttingen, macht die folgenden Ausführungen: »Da in Deutschland selbst der Vulkanismus in das Leben der Nationen nicht direkt eingreift, so könnte man der Meinung sein, daß seine Erforschung für uns von untergeordneter Bedeutung ist. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Denn die Kenntnis des Verhaltens der Stoffe bei hohen Tem- peraturen und Drucken, welche ein solehes Forschungsinstitut zu erar- beiten hätte, würde unserer Industrie zugute kommen. Die Keramik, die Glasindustrie und die Metallurgie würden mannigfache Anregungen und sichere Unterlagen erhalten. « » Auf’ den Einwand, daß der Staat für die wissenschaftliche Fundierung dieser Industrien schon hinreichend sorgt, ist zuzugeben, daß in den letzten Jahren in der Tat in dieser Hinsicht für die Metallurgie manches ge- schehen ist; daß aber ein Forschungsinstitut, welches das Verhalten der Stoffe bei hohen Temperaturen und Drucken festzustellen hätte, noch viele Aufgaben finden könnte, welche ihrer Bearbeitung harren, obwohl dieselben sowohl für die Industrie als auch für die Deutung vulkanischer Erschei- nungen von gleicher Bedeutung wären. Dazu kommt, daß, wenn ein solches Institut über die Anregungen, die ihm von Vulkanologen durch Mitteilung ihrer Beobachtungen wurden, verfügen sollte, es eine größere Wahrschein- lichkeit hätte, der Industrie nützliche Dinge ans Licht zu ziehen als Ar- beitsstätten, welchen diese Erfahrungen nicht zu Gebote stehen. « »Das betreffende Forschungsinstitut würde entsprechend seinen Ein- richtungen und der Richtung seiner Mitarbeiter zweckmäßig in zwei Ab- teilungen zu gliedern sein. In der Abteilung für Arbeiten bei hohen Drucken würde die Bestimmung des Volumens, der Viskosität und anderer Eigen- schaften in Abhängigkeit von Druck und Temperatur sowie die Ausar- beitung der Zustandsdiagramme der Einstoffsysteme auszuführen sein. In 56 BrAnNcA: der Abteilung für hohe Temperaturen würde die Ausarbeitung der Zu- standsdiagramme der Mehrstoffsysteme, der Mischungen von Silikaten, Ni- triden, Karbiden, Siliziden usw., Thermochemie der Silikate, die Wirkung von Wasser auf Gesteine bei höheren Temperaturen, Entgasung der Magmen und die Wirkung von Temperaturgefällen bei ihren Differenzionen und anderes vorzunehmen sein. « »Ein solches Institut würde der Wissenschaft und der Industrie Nutzen bringen; indem es die physikalisch-chemische Wissenschaft fördert, würde es wissenschaftliche Unterlagen sichern, die der Vulkanologie und Industrie von gleicher Bedeutung wären. « 46. Hr. Tornquist, Königsberg i. Pr., will zunächst nur ein inter- nationales Institut, und dieses auf Teneriffa, befürworten. Niederlande. 58. Hr. K. Martin: »Als meine persönliche Meinung darf ich nur den Wunsch aussprechen, daß auch Holland, welches durch die Kolonien ein ganz besonderes Interesse an vulkanologischen Forschungen hat, sich in diesem Sinne an dem geplanten internationalen Unternehmen beteiligen möchte«. 59. Hr. Moolengraaff: »Was die Niederlande anbelangt, so wäre meines Erachtens die Stadt Bandung in den Preanger Regentschaften auf der Insel Java als der angewiesene Ort (für ein vulkanologisches Forschungs- institut) zu betrachten. Eine Filiale könnte eventuell auf den Holländischen Kolonien in Westindien gegründet werden. Unabhängigkeit von der Lehr- tätigkeit scheint mir für die Forscher an diesen Instituten erwünscht. « 60. Hr. Wiehmann: »Die Gründung eines vulkanologischen Instituts hierzulande würde ich nach jeder Richtung hin unterstützen. « Hr. Wiehmann will, daß eins der nationalen Institute als Zentralinstitut funktionieren müsse, und das Zentralinstitut hat »die Anlegung eines Archivs für sämtliche Vulkane« durchzu- führen. »Durch Schaffung eines derartigen Archivs würde das Zentralinstitut zu einer Auskunftsstelle werden füralle, die sich mit der Erforschung bestimmter Vulkangebiete beschäftigen, gar nicht zu reden von den vielen wertvollen Anregungen, die von ihm ausgehen können... Das Sammeln und Bearbeiten der Lite- ratur, welche die Grundlage für diesen Katalog bilden würde, müßte den nationalen Instituten überlassen bleiben. « Urteile über » Vulkanologische Forschung «. 97 Norwegen. 61. Hr. Brögger, Kristiania, die Bedeutung der gemachten Vorschläge voll und ganz anerkennend, hat »sofort ı. bei der Akademie der Wissen- schaften in Kristiania durch einen Vortrag, 2. bei der Regierung, 3. bei dem geologischen Verein Schritte zur Verwirklichung dieser (d. h. der von mir vorgeschlagenen) Pläne getan«. »Es freut mich, nun mitteilen zu können, daß sowohl unsere Akademie als der geologische Verein sich meinem Vorschlag: daß auch Norwegen an der internationalen vulkanologischen Forschungsarbeit teilnehmen müsse, einstimmig angeschlossen haben. Auch auf das Interesse der Regierung hoffen wir dann rechnen zu dürfen. ... Ich bin ferner ganz damit ein- verstanden, daß unabhängige Spezialinstitute für die vulkanologische For- schung sehr wünschenswert sind. Bei den sehr beschränkten ökonomischen Hilfsmitteln eines kleinen Landes, wie Norwegen, läßt sich aber leider ein eigenes vulkanologisches Institut hier nur in sehr beschränktem Maßstabe schaffen. « In einem kleinen Lande, wie Norwegen z. B., wird sich ein eigenes vulkanologisches Institut erklärlicherweise nur in bescheidenem Maßstabe schaffen lassen. Hr. Brögger denkt sich die Organisation in der Weise, »daß ein vulkanologisches Komitee mit vier Mitgliedern zu ernennen ist (zwei für das südliche, einer für das östliche und einer für das nördliche Norwegen). Dies Komitee leitet die systematische vulkanologische Unter- suchung in unserem Lande (und eventuell daneben auch auf Spitzbergen) und liefert jedes Jahr einen Rapport an das internationale vulkanologische Jahrbuch ab. Der Vorsitzende des Komitees wird gleichzeitig Vertreter für Norwegen in der internationalen vulkanologischen Kommission; als solehen hat unsere Akademie mich (Brögger) ernannt. Als wissenschaft- licher Assistent für das Komitee würde ein eigener Öhemiker angestellt werden, der teils die nötigen Gesteinsanalysen, teils auch eventuell spezielle, für die Vulkanologie bedeutungsvolle physikalisch-chemische Untersuchungen im Auftrage des Komitees zu arbeiten hätte. « Bezüglich der Organisation eines vulkanologischen Forschungsinstitutes in einem großen Lande wie Deutschland schreibt Hr. Brögger: »Ich darf nun wohl als selbstverständlich voraussetzen, daß die Teilnahme Deutsch- lands, und namentlich Preußens, als eine Conditio sine qua non angesehen Phys.-math. Abh. 1914. Nr.2. 5 58 BraAnNcA: werden muß, falls eine internationale Organisation der Vulkanforschung überhaupt zustande kommen soll. ... Das alles gilt um so mehr, als ja die ' Idee einer derartigen Organisation zuerst von Deutschland ausgegangen ist. Da ferner eine erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiete der Vulkanforschung unzweifelhaft die Errichtung einer nicht allzu kleinen Anzahl nach einem gemeinschaftlichen Plan arbeitender vulkanologischer Forschungsinstitute voraussetzen muß, mit einer Ausstattung, welche nur in den größeren, reicheren Kulturländern denkbar ist, so nehme ich auch aus diesem Grunde als ziemlich selbstverständlich an, daß auch in Deutschland und dann wohl in erster Linie in Preußen ein derartiges Forschungsinstitut ..... ge- gründet werden müsse. « »Die Aufgaben der Vulkanforschung sind so mannigfach, außerordentlich umfassend und dabei zum Teil so schwierig, daß sie in übersehbarer Zeit eben kaum ohne internationale Zu- sammenarbeit gelöst werden können. Darum scheint es mir aber auch einleuchtend, daß die erste vorliegende Aufgabe dieser internationalen Zusammenarbeit diejenige sein muß, eine genügende Planmäßigkeit einer zweckmäßigen Verteilung der Arbeit zustande zu bringen. Es scheint mir sehr schwierig und umständlich, dies alles durch Schriftwechsel zu er- reichen. ... Es dürfte gewiß vorteilhafter sein, wenn Repräsen- tanten der verschiedenen interessierten Länder in einer reprä- sentativen Konferenz durch mündliche Verhandlung die Grund- zügeund die wichtigsten Einzelheiten eines Planes zur Verteilung dervulkanologischen Forscehungsarbeitnäher besprechen könnten. In jedem einzelnen Lande wird man ja beurteilen können, welche speziellen Aufgaben mit den zugänglichen Arbeitskräften und disponiblen Geldmitteln mit Erfolg in Angriff genommen werden können. « »Es scheint mir einleuchtend, daß eine bedeutende Anzahl der Auf- gaben der Vulkanforschung in der Weise durch gemeinschaftliche Arbeit gelöst werden muß. Dies gilt speziell von fast allen unter I in Ihrer Ab- handlung zusammengefaßten Aufgaben Nr. 1—ı0. Anders stellt es sich mit einer Anzahl der unter Il in Ihrer Abhandlung aufgeführten Aufgaben, vorherrschend physikalisch-chemischer Natur. Hier müßte eine zweck- mäßige Verteilung der Aufgaben vorteilhaft sein. Die Lösung vieler dieser Aufgaben setzt z. B. sehr kostspielige experimentelle physikalisch-chemische Untersuchungen voraus, welche nieht nur eine Anzahl tüchtiger Spezia- Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 59 listen, sondern auch reichlich ausgestattete Laboratorien erfordern, die nur von den größeren Ländern gegründet und unterhalten werden können.« »Unter der Voraussetzung, daß eine internationale Organisation der Vulkanforschung zustande kommen kann, dürfte es deshalb in höchstem Grade wünschenswert sein, daß möglichst viele der großen Kulturstaaten ... solche Forschungsinstitute errichten, welche nach näherer Verabredung schon von Anfang an die vorliegenden wichtigsten Aufgaben unter sich verteilen. Selbst für 4 oder 5 derartige vulkanologische Forschungsinstitute würden auch bei einer planmäßigen Teilung gewiß noch hinreichend viele große Aufgaben auch für viele Jahre vorliegen.« Es scheint mir nötig, diese Ansicht eines so erfahrenen Forschers, wie Hr. Brögger hier, besonders hervorzuheben gegenüber den, wenn auch nur ganz vereinzelten Äußerungen, nach denen das Geophysical laboratory in Washington ja ganz allein genüge, alle diese Untersuchungen zu machen (s. S. 15). »Da ferner die Initiative zu einer organisierten internationalen Vulkan- forschung von Deutschland ausgegangen ist, scheint es mir billig und ge- recht, daß auch die zentrale Leitung (namentlich dann die Redaktion und Herausgabe des internationalen Jahrbuches und der internationalen vul- kanologischen Zeitschrift) in Deutschland besorgt werden müsse. Dann muß aber auch das vulkanologische Institut einen hervorragenden Forscher unter seinen Leitern rechnen ...« Außer einer physikalisch-chemischen Abteilung für das deutsche vul- kanologische Institut schlägt dann Hr. Brögger weiter die Errichtung einer mehr »geologisch-vulkanologischen Abteilung vor, die namentlich auch die Eruptionsgebiete der deutschen Kolonien zu erforschen haben würde. Die betreffenden Forscher in den Kolonien würden dann ihre Sammlungen und ihre Untersuchungsresultate an das vulkanologische Zentralinstitut für Deutschland einsenden. « Österreich. 63. Hr. Hibsch, Tetschen a. Elbe, schreibt: »Die vulkanologischen Institute werden nicht alle nach derselben Schablone einzurichten sein und jedes, mit örtlichem Einschlag versehen, nach einer anderen Richtung hin arbeiten.« Hr. Hibsch tritt nun weiter dafür ein, daß in Aussig, wo bereits »ein prächtiges kleines Museum besteht, daß das Bömische Mittel- gebirge, eine ausgezeichnete Alkaligesteinprovinz, in allen seinen Gesteinen, g# 60 BraAnNcA: Mineralen ... vertritt, auch alle Karten, Bilder, Literatur des Gebietes« besitzt, zu einem »vulkanologischen Forschungsinstitute für die Alkaligesteinsprovinzen der Erde« mit Karten, Bildern, Literatur, Dünnschliffen ausgestaltet werden möge. Freilich würde dazu, da die Stadt Aussig nicht diese Kosten allein tragen könnte, ein jährlicher Zuschuß von einigen Tausend Mark erforderlich sein, wofür dann dem Betreffenden die Verfügung über einen freien Arbeitsplatz zustände. 64. Hr. von Löczy, Budapest, legt zunächst dar, daß »Ungarn das reichste Land ist in Europa an erloschenen mittel- und jungtertiären Vul- kanen, auch ältere vulkanische Bildungen besitzt mit einer überaus großen Mannigfaltigkeit von eruptiven Gesteinen«; daß daher seit vielen Jahren das Studium dieser Vulkane von ihm in Angriff genommen sei. »Um diese Stu- dien... mit Resultaten von immerbleibendem Werte fortführen zu können, bedürfen wir gewiß solcher internationalen ... Vereinbarung und Zusammen- wirkung ...« Aber »die Errichtung vulkanologischer Forsehungsinstitute glaube ich doch auf solche Länder beschränken zu sollen, in welchen tätige Vulkane vorhanden sind, oder auf Länder, deren Kolonien Vulkane oder submarine vulkanische Herde haben. In Ländern, welche nur fossile Vul- kane besitzen, glaube ich die vulkanologische Arbeit je einer Landes- kommission übertragen zu sollen, in welcher verschiedene kompetente Institute vertreten werden mögen. « Schweiz. 70. Hr. Albert Brun, Genf, will wie Hr. Wichmann unterscheiden die »Instituts voleanologiques dans les differents pays« und ein »Institut vol- canologique unique et international«. Dieses letztere »devra s’organiser selon la grandeur des subsides accordes par les &tats. On ne pourra done s’oceuper de ce qu’il pourra &tre .... que lorsque l’on saura quelle peut &tre la somme disponible d’argent annuellement disponible. Pour le moment, il me semble, que l’on pourrait commencer par un bureau de renseignements, bibliographie, soit bureau de centralisation des travaux publies et de collationnement. On laisserait au developpement normal de l’institution le soin de ereer un labo- ratoire special, si cela devenait necessaire. « Es ist erklärlich, wenn Hr. Brun die Ansicht ausspricht, »je ne pense pas que le Conseil federal accepte de subventionner un institut de voleano- logie, qui... . est trop etranger ä la geologie suisse«. Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 61 71. Hr. Albert Heim, Zürich, äußert sich dahin, daß »die Aufgabe der ja von ihm auch befürworteten vulkanologischen Forschungsinstitute die systematische Beobachtung des jetzigem vulkanischen Lebens der Erde sein« soll. Daher würde nach ihm alles, was vorzeitliche Vulkane betrifft, nicht zu den Aufgaben solcher Forschungsinstitute, sondern zu denen der geologischen Landesanstalten gehören. Auch »physikalisch-experimentelle Untersuchungen allgemeiner Art... sind nach meinem Dafürhalten den bestehenden Laboratorien zu belassen, nicht von den angestrebten inter- nationalen Instituten zu betreiben «. I Kurzer Überblick über die anderen Ansichten und Vorschläge. Über die bezüglich der Institute gemachten Äußerungen habe ich in Abschnitt III ausführlich und unter Anführung der Worte berichtet. Über den Inhalt der anderen in Abschnitt II berichteten Äußerungen möchte ich hier in Kürze einen Überblick geben. j Weitere namhaftgemachte Ziele der Forschung. Der von mir in meiner Schrift gemachte Versuch einer Darlegung der Aufgaben und Ziele vulkanologischer Forschung hat erfreulicherweise von verschiedensten Seiten eine Erweiternng erfahren. Hr. Daly (S. 19) wünscht die thermische Überwachung der Vulkane (wie von Wolf) und möchte die beiden Fragen ausdrücklich hervorgehoben sehen: ı. »Is a volcanie vent a true furnace? Dr. Day agrees with me that this must be the case at Kilauea — that heat is there being generated near the top of the lava column.« 2. »How is heat transferred to the volcanie pipe from the earth’s interior?« Hr. Comte de Montessus de Ballore (S. 20) fügt hinzu die Erforschung der Geschichte der Vulkane, soweit sich in den Akten der verschiedenen Länder Nachrichten über frühere Ausbrüche auffinden lassen. Hr. Baschin (S. 23) weist hin auf die Verwertbarkeit der Rauchsäule für die Beobachtung von Windströmungen in bedeutenden Höhen und für den Grad der eruptiven Energie. Hr. Bauer stellt besonders die Untersuchung der Ge- steine und Mineralien in den Vordergrund; Hr. Bergt (S. 26) will die Unter- suchung der Erzlagerstätten, soweit sie vulkanischen oder postvulkanischen Ur- 62 BrANcA: sprunges sind, mit in den Kreis der Aufgaben gezogen wissen. Hr. R. Brauns (S. 26) betont die Temperaturmessungen und Bestimmungen des spezi- fischen Gewichtes der flüssigen Lava. Hr. Klemm (S. 28) richtet den Blick auf die klastischen Massen, den Mechanismus der Ausbrüche, groß- vulkanische Vorgänge, hydrothermale Einwirkungen auf die Gesteine. Hr. Königsberger (S. 25) will in den Kreis der Aufgaben mit einbezogen wissen Temperaturmessungen des Landes bzw. des Meeres in der Nähe der Vulkane und gibt eine ganze Anzahl von anderen Anregungen. Hr. Linck (S. 29) gibt gleichfalls weitere Gesichtspunkte, unter denen hervorzuheben sind der Gedanke des Hineindiffundierens von Salzlagern in das Magma und der Vorschlag zu Experimenten, durch die entschieden werden kann, ob die Gase im Magma als solche oder als flüssige Verbindungen vor- handen sind. Hr. Rinne (S. 32) gibt den experimentellen Weg an, auf dem man die thermalen Metamorphosen der Eruptivgesteine durch Nachahmung näher erforschen könnte; er wünscht Untersuchung des Verhaltens der Minerale (spez. Gewicht, Optik usw.) bei hohen Temperaturen, also bei Verhältnissen ihrer Entstehung. Hr. Tornquist (S. 35) betont die Notwendigkeit, doch auch die den Vulkanen benachbarten Gesteine mit zu kartieren, da diese eventuell durch Einschmelzung die Eruptiva verändert haben könnten und gibt den Weg an, auf dem man die Tiefe ermitteln könne, in der Ex- plosionsvorgänge sich vollziehen. Hr. von Wolff (S. 36) betont die Wich- tigkeit einer thermalen Überwachung der Vulkane und will, ganz wie auch Hr. Comte de Montessus (S. 20), daß die betreffenden alten Schriften bzw. Akten in jedem Vulkanlande durchgesehen werden, damit eine Ge- schichte der betreffenden Vulkane sich ergibt. Hr. Becke (S. 45) wünscht die Aufstellung eines genauen Verzeichnisses der tätigen Vulkane. Die Zeitschriften. Hr. Comte de Montessus (S. 20) wünscht die spanische Sprache als berechtigt mit aufgenommen zu sehen; Hr. Bergeat (S. 25) hält es für das Zweckmäßigste, wenn umgekehrt nur eine einzige Sprache gewählt würde, und zwar, da die deutsche schwer und vielen Engländern und Franzosen nicht geläufig ist, die französiche oder englische. Der von mir vorgeschlagene, sehr unpraktische, aber trotzdem zur Vermeidung von Empfindlichkeiten gewählte Weg, daß jeder Staat: seine Berichte für den Jahresbericht und die Arbeiten für die Zeitschrift selbst drucken und sie fertig einschicken solle, ist von verschiedensten Seiten Urteile über »Vulkanologische Forschung «. 63 als unausführbar verworfen worden. Es wird vielmehr vorgeschlagen, daß Jahresbericht wie Zeitschrift von einer Verlagsbuchhandlung, an die die Manuskripte geschickt werden, herausgegeben werden, daß jedoch der Jahresbericht, da er anfänglich noch recht unvollständig sein wird, zu- nächst mit der Zeitschrift verbunden werden solle. Die HH. Daly, Hobbs, Montessus de Ballore, Fraas, Tornquist, von Wolff, Lacroix haben sich, der eine mehr nach dieser, der andre mehr nach jener Rich- tung hin geäußert. Ich schließe mich gern an und würde als Verleger den geologischen Verlag von Borntraeger in Berlin, als Redakteur Hrn. Prof. Dr. Bergeat in Königsberg i. Pr., als internationale Herausgeber die HH. A. Lacroix, Brögger, Daly, Hobbs, Comte de Montessus'de Ballore, Branca vorschlagen. Von verschiedenen Seiten wird gewünscht, daß die vulkanologische Zeitschrift auch referierend sein soll (Bergeat, Fraas). Hr. Volz (S. 36) schlägt ferner vor, daß zunächst einmal jeder Vul- kanologe seine Arbeiten kurz registrieren soll, bei den Verstorbenen würden das jüngere Kollegen übernehmen, so daß eine Übersicht über alle vul- kanologischen Arbeiten für etwa die letzten drei Jahrzehnte leicht zustande kommen könnte. Die Berichterstattung über vulkanologische Ereignisse hat natürlich ihre Schwierigkeiten. Hr. Königsberger schlägt vor, Lehrer, Kaufleute von vulkanischen Orten für ein kleines Entgelt dafür zu gewinnen, aber auch die Fumarolentätigkeit mit einzubeziehen. Hr. von Wolf will Offiziere, Beamte, Ärzte in den Kolonien für die Berichterstattung zu gewinnen suchen und darum in den der Vorbereitung für den Kolonialdienst dienenden In- stituten eine Vorlesung darüber ins Leben rufen. Ich selbst hatte ja schon gleiches, mutatis mutandis, bezüglich der submarinen Vulkanausbrüche und der Seebeben für alle Seeoffiziere der Kriegs- und Handelsflotten vorgeschlagen. Hr. Hobbs (S. ı9) hält aber außerdem auch das Studium der Logg- bücher für nötig, er schlägt auch ein schwimmendes Observatorium vor, ähnlich wie Hr. Bergeat (S. 25) ein ambulantes Observatorium für die Beobachtung tätiger Landvulkane befürwortet, teils weil viel billiger, teils weil die Beobachter in einem festen Observatorium sehr bald von Lange- weile geplagt werden würden. Hr. Lacroix (S. 40) hat sich bereit erklärt, die Berichterstattung über die zu Frankreich gehörigen Vulkane in die Hand zu nehmen. 64 Branca: Hr. Sapper (S. 34) hatte bereits vorher eine Berichterstattung für einige Länder des lateinischen Südamerika organisiert und will diese, wenn all- gemeinere Berichterstattung durchgeführt worden ist, gern in den Dienst der letzteren stellen. Hr. Sapper (S. 34) und Hr. von Wolff (S. 36) regen an, daß auch für Beobachtung großer Vulkanausbrüche in solehen Ländern, in denen von Staats wegen nichts dafür geschieht, in den Kulturstaaten Mittel bereit sein sollten, um schnell einen Fachmann hinschieken zu können. N Bericht über die Schritte, die in dieser Angelegenheit in Berlin bisher getan sind. Die Erfüllung der von mir gemachten und von so zahlreichen Fach- genossen gutgeheißenen Vorschläge kostet Geld, darin liegt die Schwierig- keit des Erreichens. Diese Schwierigkeit kann nur überwunden werden, wenn alle Vulkanologen in allen Ländern sich bemühen; dann entsteht eine Bewegung, deren immer lebhafter werdender Wellenschlag schließlich zum Erfolge führt. Warum sollen wir mit unserem Vorgehen warten bis zum Jahre 1916, wo Assoziation der Akademien und Geologenkongreß tagen werden? Für die Sache ist es besser, wenn wir schon jetzt zu handeln beginnen. In jedem Lande aber wird der Hinweis auf das, was in anderen Ländern in dieser Beziehung bereits getan ist, förderlich sein. Ich will daher hier Bericht erstatten über das, was ich in Berlin bisher bewirken konnte und das hoffentlich in allem zum Erfolge führen wird. Zuvor möchte ich jedoch noch einige Worte über eventuelle vulkano- logische Institute sagen: In denjenigen Ländern, die größere vulkanologische Forschungsinstitute gründen wollen, sollte, mir scheint das wenigstens für Deutschland das Richtige, jedes Institut zwei Abteilungen haben. Der einen Abteilung würde die Untersuchung der Vulkane des betreffen- den Landes bzw. seiner Kolonien obliegen; d. h. einerseits im Felde die Kartierung sowie die Sammlung der Gesteine, Mineralien und Gase an Ort und Stelle, sowie eventuell ambulante (s. Bergeat) Beobachtung der tätigen Urteile über »Vulkanologische Forschungen«. 65 Vulkane; anderseits im Institut, die chemische und mikroskopische Unter- suchung der eingesandten Gesteine usw. Also eine petrographisch-geolo- gische Abteilung. Der anderen Abteilung würde die experimentelle und theoretische Er- forschung des Wesens des Vulkanismus obliegen sowie die Verwertung der durch jene Untersuchungen der Gesteine, Gase usw. erlangten Ergebnisse unter allgemeinen Gesichtspunkten. Ob man außer diesen beiden Abteilungen noch eine physikalische einrichten sollte (s. Königsberger), ist eine Frage, die wohl im Auge behalten werden müßte. Jedenfalls könnte eine solche Dreiteilung nur für ganz große Institute sich eignen. Umgekehrt dürfte für kleinere Staaten ein vulkanologisches Institut angezeigt sein, das überhaupt nur eine Abteilung, die petrographisch-geolo- gische, hätte (s. Brögger S. 57). Sehr beherzigenswert scheinen mir, gegenüber einem gewissen Drängen nach Gründung von Observatorien an tätigen Vulkanen, die Worte Bergeats zu sein, in denen die Langeweile betont wird (S. 51), der die Mannschaft der Observatorien auf die Dauer erliegen dürfte. Ob nicht der sehr mäßige Erfolg des Vesuv-Observatoriums wesentlich darauf zurückzuführen sein mag? Mir scheint Bergeats Vorschlag ambulanter Observatorien, deren Leiter den Vulkan von Zeit zu Zeit wechseln können, die auch kein kost- spieliges Gebäude nötig haben, sondern im Zelte leben, die dann auch anderen Arbeiten an erloschenen Vulkanen sich hingeben können, sehr viel für sich zu haben. Ich wende mich nun zu dem Berichte über das, was sich bisher für die Sache in Berlin hat tun lassen: ı. Die Akademie der Wissenschaften in Berlin ist bei dem Preußischen Kultusministerium vorstellig geworden um Gründung eines vulkanologischen Forschungsinstitutes. 2. Die Wentzel-Heckmann-Stiftung bei derselben Akademie hat auf meinen Antrag einen größeren Betrag in Aussicht gestellt für die Inangriff- nahme einer Untersuchung unserer kolonialen Vulkane; eine Untersuchung, die zunächst in Deutsch-OÖstafrika beginnen soll. In Ergänzung dazu ist, mit Unterstützung des Kultusministeriums, 3. das Kolonialamt gebeten worden, einen gleichen Zuschuß zu dieser Summe gewähren zu wollen. Phys.-math. Abh. 1914. Nr.2., J 66 BrANcA: Es werden sich auch, wie ich hoffe, noch weitere Mittel von anderer Stelle her erlangen lassen, so daß die gewaltige Aufgabe, unsere erloschenen und tätigen Vulkane (s. S.ı6 Anmerkung) in den Kolonien gründlich zu untersuchen, vermutlich bald kräftig in Angriff genommen werden kann. 4. An den Hrn. Unterstaatssekretär des Reichs-Kolonialamtes ist von der Akademie die Bitte gerichtet worden, geeignete Leute in den Kolonien mit der Berichterstattung über etwaige vulkanische Ereignisse betrauen zu wollen, die einstweilen — bis ein vulkanologisches Forschungsinstitut er- richtet ist — ihre Berichte an die Akademie der Wissenschaften in Berlin einzusenden hätten. 5. In gleicher Weise ist, unter Hinweis darauf, daß von vulkanolo- gischer Seite aus auch in anderen Staaten analoge Schritte getan werden dürften, von der Akademie bei dem Hrn. Unterstaatssekretär des Reichs- marine-Amtes das Gesuch gestellt worden, daß die HH. Kapitäne der Kriegs- und der Handelsschiffe zu Berichten veranlaßt werden möchten über etwaige untermeerische vulkanische Ereignisse, welche Berichte an dieselbe Adresse wie sub 4 zu senden wären. Es wird wohl auch zur Einwirkung auf die HH. Kapitäne der Handels- schiffe noch ein Gesuch an andere Stelle gerichtet werden müssen. Nament- lich wird durch das sub 7 zu erwähnende Komitee eine kurze, dann in alle beteiligten Sprachen zu übersetzende Belehrung über submarine vul- kanische Ereignisse im Wortlaut genehmigt werden müssen, an die sich dann ein Fragebogen für die Berichterstattung anschließen müßte. 6. Die geologische Verlagsbuchhandlung von Bornträger in Berlin hat sich bereit erklärt, eine viersprachige Zeitschrift für Vulkanologie zu ver- legen, während Hr. Prof. Dr. Bergeat, Königsberg i. Pr. sich bereit erklärt hat, eventuell die Redaktion der Zeitschrift zu übernehmen. 7. Von verschiedenen Seiten ist in den Briefen darauf hingewiesen worden, daß die vorbereitenden Schritte, um die Vereinigung der Vulkano- logen nun zunächst einmal ins Leben zu rufen, nicht von einem zu großen Komitee unternommen werden sollten, da ein zu großes Komitee bekannter- maßen Schwierigkeiten mit sich bringt. Im Jahre 1916 wird bei der Tagung der internationalen Assoziation der Akademien im Mai in Berlin eine Berichterstattung zu erfolgen haben; und im Herbst 1916 auf dem internationalen Geologenkongreß werden dann, indem die Bildung einer Urteile über » Vulkanologische Forschungen«. 67 vulkanologischen Sektion auf dem Kongresse beantragt werden wird, alle Vulkanologen abzustimmen haben über die Organisation ihrer Vereinigung. Bis dahin aber wird ein über die Mitglieder des Arbeitskomitees hinaus etwas erweitertes Komitee die Geschäfte zu führen haben und für die Sache zu wirken suchen. Meinem verehrten Kollegen, Hrn. A. Lacroix in Paris, möchte ich an dieser Stelle für unermüdliches Mitarbeiten aufrichtigen Dank aussprechen. ne a ufralye, lege BR Pe Jun HL TER 7 rd) He lieh 2 han] ıD) le aa Be EN, Hose een? alte, ob we A sl nf WUE SUR m wi Kauulth, int HAaOR nl) Ale N Es e Fi EN rn. . ü j s 2 ra2.ılar ahllaiın are (ti er =. pl ar ER X erlag ee a ia$ ' Ha Fa SITE RE PN ER ke — Be | | Er El RICH - R 40 N Via i u 1, Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KADEMIE DER WISSEN SCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE MIT 20 TAFELN \Anson!an Instityg,” ' “6287 EN | FEB 819217) Ltioo ut BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE nes er Rt 7 re I A 7 Le, ATZE TEN N . . “. Hi? rar Rt i r I B: & Dr ; f % . > R > a x en). 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Verzeichnis der im Jahre 1915 Ben Mihandlungen DO A Bericht über den Erfolg der Preisausschreibungen für 1915 und neue Preisausschreibungen . i Verzeichnis der im Jahre 1915 er folgten besonderen eldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur a wissenschaftlicher Unter- nehmungen B s Verzeichnis der im Jahre 1915 en renen im Auflage ode mit U stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1915 Verzeichnis der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1915 nebst den Verzeichnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille und der Beamten der Akademie . Abhandlungen. Nr. 1. H. Vırcnow: Gesichtsmuskeln des Schimpansen (Mit 4 Tafeln) M. Roramann und E. Teuser: Aus der Anthropoidenstation auf Teneriffa. I : i 3. W.Könrer: Aus der Bo goidEnsfakton Be: Teneriffa, 1. » 4. H. Srranı und E. Baru.mann: Embryonalhüllen und Pla- zenta von Putorius furo (Mit 16 Tafeln) - Brawca: Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger den Trias- und Liaszeit. [2 [S}1 « VII VTIT =. VILL XIV « XIV XVII . XVII— XVII « KVIUI XXX . XX——XXI « XXII—XXX 1—81 1—20 1—70 1—69 1—77 myany Er Er R Bir, ‚ie ET j De; Ki en ‚aspithunidd‘ : Aa et muntt hund RT nz Ta urenz A rn 2 eh RER, nee doshahaiın Bir Tr ’ voll) vralsilni ernnehhn BRRHER as (TED Pe wm 4 PART, um En hr un TOR Pin‘ SR FR le A sr {rer - BEINE Nasa ale DDr N LER 2 bimuhad A a re Nee li! Britt dainhefT au, ja Buy Stelle al Arne 4 oh Arber So, ee wi ha een Tuohs TR WER zahl BRHIBREN weh zen rung Au r re 2 Ed: ii DL (ahaat r ui) ltadine war vi der Ga ‚it re al ya LE 1 Fb ere Nr SH 11 ok ‚ Voanst: kam u e a ER) NE PNRERRRNE we AIR E TORE NOTE hund or e Bd Bi: ae li deitlhukerienim war TH PETE L I Er ( BL {alt DE RN meet aa ak h el ae a BEFRAGT OTETeN ah YEne Ant H ee ns Fi ar - ve 2 ah Öffentliche Sitzungen. Sitzung am 28. Januar zur Feier des Geburtsfestes Seiner Majestät des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Friedrichs 1. Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar Hr. Roethe eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache und gab einen kurzen Jahresbericht über die Tätigkeit der Akademie. Darauf erstattete Hr. Franz Eilhard Schulze einen eingehenderen Bericht über das Tierreich-Unternehmen, Hr. Hintze einen solehen über die Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen und die Acta Borussica. Alsdann hielt Hr. Branca den wissenschaftlichen Fest- vortrag: Die vier Entwicklungsstadien des Vulkanismus und die Frage seiner internationalen Erforschung. Nachdem endlich der Vorsitzende ver- kündet hatte, daß die Akademie die Helmholtz-Medaille ihrem beständigen Sekretar Hrn. Planck verliehen habe, und ihm die Medaille mit glück- wünschenden Worten überreicht hatte, schloß er die Sitzung mit einer Ansprache, die in ein Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König ausklang. Sitzung am |. Juli zur Feier des Leibnizischen Jahrestages. Hr. Planck, als vorsitzender Sekretar, . eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache. Darauf hielten die seit dem letzten Leibniz-Tage (2. Juli 1914) neu eingetretenen Mitglieder ihre Antrittsreden, die von den beständigen Sekre- taren beantwortet wurden, nämlich die HH. Willstätter — Erwiderung von Hrn. Planck, Brauer — Erwiderung von Hrn. Waldeyer, Holl — Erwiderung von Hrn. Diels, Meinecke -— Erwiderung von Hrn. Roethe und Correns — Erwiderung von Hrn. Waldeyer. Daran schlossen sich Gedächtnisreden auf Reinhold Koser von Hrn. Hintze und auf Arthur von Auwers von Hın. Struve. VIII Sodann wurden Mitteilungen gemacht über das Stipendium der Eduard- Gerhard-Stiftung, über den Preis der Steinerschen Stiftung, über eine Preisaufgabe aus dem von Miloszewskyschen Legat und über die Stiftung zur Förderung der kirchen- und religionsgeschichtlichen Studien im Rahmen der römischen Kaiserzeit (saee. I—V]). Schließlich wurde verkündigt, daß die Akademie die Leibniz-Medaille in Silber dem Prof. Otto Baschin, dem praktischen Arzt Dr. Albert Fleck, dem Geheimen Medizinalrat Prof. Dr. Julius Hirschberg und dem Gymnasial-Prof. Dr. Hugo Magnus, sämtlich in Berlin, verliehen habe. Verzeichnis der im Jahre 1915 gelesenen Abhandlungen. Physik und Chemie. Rubens. über Reflexionsvermögen und Dielektrizitätskonstante isolierender fester Körper und einiger Flüssigkeiten. (Kl. 7. Jan.; SB.) Warburg, über den Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. V. (Kl. 11. März; SB.) Beckmann, über Bleiweiß und Lithopone. (GS. 18. März.) Einstein, über den Grundgedanken der allgemeinen Relativitätstheorie und Anwendung dieser Theorie in der Astronomie. (Kl. 25. März.) Willstätter und Dr. A. Stoll, über die chemischen Einrichtungen des Assimilationsapparates. (Kl. 15. April; SB.) Warburg, über Nachwirkung bei Aneroiden. (Kl. 20. Mai.) Fischer und W. Brieger, Studien über die Allyl-propyl-eyanessigsäure. (Kl. 10. Juni; SB.) Jaeger, Prof. W., und Prof. H. von Steinwehr, die Wärmekapazität des Wassers zwischen 5° und 50° in internationalen Wattsekunden. Vorgelegt von Warburg. (GS. 17. Juni: SB.) Planck, über Quantenwirkungen in der Elektrodynamik. (GS. 8. Juli; SB.) Willstätter und Dr. A. Stoll, über die Assimilation ergrünender Blätter. (KI5NT U; SZ.) Beekmann, chemische Bestimmungen des Nährwertes von Holz und Stroh. (Kl. 29. Juli; SB.) Beckmann, Seetang als Ergänzungsfuttermittel. (Kl. 29. Juli: SB.) Einstein, zur allgemeinen Relativitätstheorie. (GS. 4. Nov.: SB.) Einstein, zur allgemeinen Relativitätstheorie (Nachtrag). (Kl. 11. Nov.: SB.) Einstein, Erklärung der Perihelbewegung des Merkur aus der allgemeinen Relativitätstheorie. (GS. 18. Nov.: SB.) Einstein, die Feldgleichungen der Gravitation. (Kl. 25. Nov.; SB.) Nernst, zur Registrierung schnell verlaufender Druckänderungen. (Kl. 9. Dez.; SB.) Planck, Bemerkung über die Emission von Spektrallinien. (GS. 16. Dez.: SB.) Mineralogie, Geologie und Paläontologie. Liebisch, Kristallisationsvorgänge in ternären Systemen aus Chloriden von einwertigen und zweiwertigen Metallen. I. (GS. 18. Febr.; SB.) Branca, über die ältesten Säuger, insbesondere Tritylodon. (Kl. 29. Juli; Abh. unter dem Titel: Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit.) Tornier, Prof. G., Untersuchungen über die Biologie und Phylogenie der Dinosaurier. Vorgelegt von Branca. (Kl. 29. Juli.) Botanik und Zoologie. F. E. Schulze, über die Alveolarbäumehen und die Löcher in den Alveolen- scheidewänden der Säugetierlungen. (Kl. 25. Febr.: SB. 11. März.) Haberlandt, über Drüsenhaare an Wurzeln. (Kl. 25. Febr.: SB.) Moser, Frau Dr. F., neue Beobachtungen über Siphonophoren. Vorgelegt von F. E. Schulze. (Kl. 29. Juli; SB.) Anatomie und Physiologie. Rubner, die Blutversorgung in ihren Beziehungen zu den Funktionen des Muskels. (GS. 14. Jan.; SB.) Virchow, Prof. H., Gesichtsmuskeln des Schimpanse. Vorgelegt von Waldeyer. (Kl. 25. Febr.: AbA.) Haberlandt, der Nährwert des Holzes. (Kl. 11. März; SB.) x Waldeyer, die Anthropoiden-Station auf Teneriffa. (GS. 22. April.) Waldeyer, Torusbildungen an Menschen- und Tierschädeln. (Kl. 29. April.) Strahl, Prof. H., und Dr. E. Ballmann, Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Vorgelegt von Waldeyer. (Kl. 29. April: Adbh.) Rothmann, Prof. M., und E. Teuber, aus der Anthropoiden-Station auf Teneriffa. I. Vorgelegt von Waldeyer. (GS. 6. Mai; Adh.) Köhler, Dr. W., aus der Anthropoiden-Station auf Teneriffa. II. Vor- gelegt von Waldeyer. (GS. 6. Mai; Abh.) OÖ. Hertwig, über neuere Errungenschaften auf dem Gebiete der Ent- wicklungslehre. (Kl. 24. Juni.) \ von Hansemann, Prof. D., die Lungenatmung der Schildkröten. Vorgelegt von Rubner. (GS. 8. Juli: SB. 29. Juli.) Haberlandt und Prof. N. Zuntz, über die Verdaulichkeit der Zellwände des Holzes. (GS. 21. Okt.; SB.) Rubner, über die Verdaulichkeit des Birkenholzes. (GS. 21. Okt.) Rubner, über den Gehalt pflanzlicher Nahrungsmittel an Zellmembranen und deren Zusammensetzung. (GS. 16. Dez.) Astronomie, Geographie und Geophysik. Penck, über Schälinge. (Kl. 21. Jan.) Hellmann, System der Hydrometeore. (Kl. 11. März.) Helmert, neue Formeln für den Verlauf der Schwerkraft im Meeres- niveau beim Festlande. (GS. 21. Okt.: SB.) Struve, Bestimmung der Halbmesser von Saturn aus Verfinsterungen seiner Monde. (GS. 18. Nov.; SB.) Mathematik. Landau, Prof. E., zur analytischen Zahlentheorie der definiten quadratischen Formen (Über die Gitterpunkte in einem mehrdimensionalen Ellipsoid). Vorgelegt von Frobenius. (Kl. 20. Mai; SB. 17. Juni.) Frobenius, über den gemischten Flächeninhalt zweier Ovale. (GS. 3. Juni; SB.) xl H. A. Schwarz, 1. Vervollständigung eines von Steiner angegebenen Be- weises betreffend das Maximum des Flächeninhalts ebener isoperi- metrischer Vielecke. 2. Ausdehnung eines von Hrn. Study angegebenen, zunächst nur für ebene isoperimetrische Vielecke geltenden Beweises auf den Fall sphärischer Vielecke. (Kl. 15. Juli.) Schottky, über den geometrischen Begriff der Funktion einer komplexen Veränderlichen. (Kl. 11. Nov.:; SB.) Mechanik. Müller-Breslau, über den Ersatz von Betonfundamenten durch eiserne, ins Erdreich versenkte Platten für versetzbar konstruierte Luftschiff- hallen. (Kl. 11. Febr.) Müller-Breslau, Elastizitätstheorie des starren Luftschiffes. (Kl. 28. Okt.) Scheffers, Prof. G., Bestimmung des günstigsten Zielpunktes. Vorgelegt von Müller-Breslau. (Kl. 28. Okt.: SB.) Schwarzschild. über den Einfluß von Wind und Luftdichte auf die Ge- schoßbahn. (GS. 18. Nov.) Zimmermann, über die Bewegung eines geworfenen Körpers im wider- stehenden Mittel. (Kl. 25. Nov.) Philosophie. Erdmann, Kritik der Problemlage in Kants transzendentaler Deduktion der Kategorien. (Kl. 25. Febr.; SB.) Ritter, Prof. P.. neun Briefe von Leibniz an Friedrich August Hackman. Vorgelegt von Diels. (Kl. 29. Juli; SB. 21. Okt.) Prähistorie. Schuchhardt, über die Steinalleen bei Carnac in der Bretagne. (GS. 8. April.) Geschichte des Altertums. E. Meyer, ägyptische Dokumente aus der Perserzeit. (Kl. 11. Febr.; SB. 18. März.) Hirschfeld, kleine Beiträge zur römischen Geschichte. (GS. 17. Juni.) b* XII Sachau, über die altsyrische Chronik des Meschihazekha. (Kl. 24. Juni: Abh. unter dem Titel: Die Chronik von Arbela.) Dressel, über einige Medaillons aus der römischen Kaiserzeit im König- lichen Münzkabinett. (GS. 4. Nov.) E. Meyer, weitere Untersuchungen zur Geschichte des Zweiten Punischen Krieges.‘ (K1.'9! De2.;./8.B. 16.'Dez.) Mittlere und neuere Geschichte. von Harnack, die goldenen Jubiläen in der Königl. Akademie der Wissen- schaften. (Kl. 11. Febr.; SB.) Schäfer, über die Alpenpässe, welche die mittelalterlichen deutschen Könige und Kaiser auf ihren Zügen nach Italien benutzten. (GS. 2. Dez.) Kirchengeschichte. von Harnack, zur Textkritik und Christologie der Schriften des Johannes. (K1. 15. Juli; SB.) Loofs, das Bekenntnis Lucians, des Märtyrers. (Kl. 15. Juli; SB. 22. Juli.) von Harnack, die älteste griechische Kircheninschrift. (Kl. 28. Okt.; SB.) von Harnack, über den Spruch »Ehre sei Gott in der Höhe« und das Wort »Eudokia«. (Kl. 9. Dez.; SB.) Rechts- und Staatswissenschaft. Seckel, über drei verschollene Kaisergesetze aus der Stauferzeit. (GS. 4. März.) Hintze, der Ursprung des Landratsamts in der Mark Brandenburg. (Kl. 29. April; SB.) Sering, die deutsche Volkswirtschaft während des Krieges von 1914/15. (GS. 6. Mai; SB. 17. Juni.) Allgemeine, deutsche und andere neuere Philologie. Morf, Geschichte der lateinischen Wörter gallus, gallina, pullus im Gallo- romanischen. (GS. 4. Febr.) Roethe, zu den altdeutschen Zaubersprüchen. (Kl. 11. Febr.: SB. 11. März.) xXıl L.eitzmann. Prof. A., Briefe an Karl Lachmann aus den Jahren 1814—1850. Vorgelegt von Burdach. (Kl. I1. März; Adä.) Fresenius, Dr. A., eine gleichartige Textverderbnis bei Goethe und Heinrich von Kleist. Vorgelegt von Roethe. (GS. 17. Juni; SB.) Stumpf, die Struktur der Sprachlaute. (GS. 22. Juli.) Burdach, der Judenspieß, ein wortgeschichtlicher Beitrag zur Geschichte der Longinussage. (Kl. 11. Nov.) K. Meyer, ein altirisches Gedicht auf König Bran Find. (GS. 16. Dez.; SB.) Klassische Philologie. E. Schwartz, Prometheus bei Hesiod. (GS. 4. Febr.: SB.) Norden, römische Heldengalerien. (Kl. 25. März.) Diels, über das erste Buch Philodems TTeri eeön. (Kl. 10. Juni; AbdA.) von Wilamowitz-Moellendorff, der Waffenstillstandsvertrag von 423 v. Chr. (Kl. 29. Juli; SB.) von Wilamowitz-Moellendorff, das griechische Epos und Homer. (Kl. 28. Okt.) Diels, über Platons Nachtuhr. (GS. 18. Nov.: SB.) Archäologie und Kunstwissenschaft. Loesceheke, die kunstgeschichtliche Stellung der Dioskuren von Monte Cavallo. (Kl. 15. April.) Goldschmidt, die plastischen Arbeiten unter Bernward von Hildesheim. (Kl. 20. Mai.) Robert, der goldene Zweig auf römischen Sarkophagen. (GS. 21. Okt.; SB.) Hülsen, ein Skizzenbuch des Giannantonio Dosio in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. (GS. 16. Dez.; SB.) Örientalische Philologie. Lüders, zu den Upanisads. I. Die Samvargavidya. (Kl. 21. Jan.; SB. 17. Febr. 1916.) Erman, Unterschiede zwischen den koptischen Dialekten bei der Wort- verbindung. (Kl. 11. Febr.; SB. 18. Febr.) XIV Bang, Prof. W., zur Geschichte der Gutturale im Osttürkischen. Vor- gelegt von Müller. (Kl. 25. Febr.; SB. 11. März.) de Groot, die historischen und geographischen Berichte der Chinesen über Turkestan und die west- und südwestlich davon liegenden Länder in der vorchristlichen Zeit. (Kl. 11. März.) Grapow, Dr. H., über einen ägyptischen Totenpapyrus aus dem frühen mittleren Reich. Vorgelegt von Erman. (Kl. 29. April; SB. 20. Mai.) Bang, Prof. W., zur Kritik und Erklärung der Berliner Uigurischen Turfan- fragmente. Vorgelegt von Müller. (Kl. 15. Juli; SB. 29. Juli.) Erman, Reden, Rufe und Lieder auf Gräberbildern des alten Reiches. (Kl. 29. Juli.) Möller, Dr. G., über einen demotischen Papyrus. Vorgelegt von Erman. (Kl. 29. Juli.) Goldziher, Stellung der islamischen Orthodoxie zu den antiken Wissen- schaften. (Kl. 11. Nov.; Abh.) ' Spiegelberg, Prof. W., der ägyptische Mythus vom Sonnenauge in einem demotischen Papyrus der römischen Kaiserzeit. Vorgelegt von Erman. (Kl. 11. Nov.; SB. 9. Dez.) Erman, über den Stand der Arbeiten am Wörterbuche der ägyptischen Sprache. (Kl. 25. Nov.) Amerikanistik. Seler, Beobachtungen und Studien in den Ruinen von Palenque. (Kl. 7. Jan.; Abh.) Bericht über den Erfolg der Preisausschreibungen für 1915 und neue Preisausschreibungen. Preisaufgabe aus dem von Miloszewskyschen Legat. In der Leibniz-Sitzung des Jahres 1912 hat die Akademie folgende Preisaufgabe aus dem von Hrn. von Miloszewsky gestifteten Legat für philosophische Preisfragen gestellt: »Es wird eine Geschichte des theoretischen Kausalproblems seit Hobbes und Descartes gewünscht. Die Untersuchung soll durchweg um RV die metaphysisch-erkenntnistheoretischen, psychologischen und logischen Kausalprobleme (Gesetz der Kausalität, des zureichenden Grundes, Induktion und Analogie) konzentriert sein, die ethischen und religiösen Kausalprobleme also nur so weit heranziehen, als das historische Verständnis der Entwick- lungsbedingungen der theoretischen Probleme dies fordert. Die Untersuchung kann mit den Lehrmeinungen John Stuart Mills abgeschlossen werden. Wünschenswert ist jedoch eine quellenmäßige Schluß- übersicht, die bis zu den Deutungen von Lotze. Fechner, Sigwart, Helmholtz, Kirchhoff geführt ist. Eine Darstellung der Kausaltheorien gegenwärtig lebender Forscher ist ausgeschlossen. « Die Aufgabe hat eine rechtzeitig eingegangene Beantwortung gefunden, mit dem Motto:. »Wer handelt, fühlt seine Stärke, wer sich stark fühlt, ist glücklich. « Der Verfasser hat sich damit begnügt, eine breite Reihe von sum- marisch kommentierten Auszügen der von ihm gelesenen Schriften zu geben, die in einem Schlußabsehnitt ebenso summarisch zusammengefaßt werden. Schon die für den Anfang des 19. Jahrhunderts überraschend unvollständigen Auszüge, mehr noch die eingestreuten erläuternden und kritischen Bemer- kungen lassen die für die Lösung der Aufgabe erforderliche systematische und historische Schulung fast völlig vermissen. So vermochte der Ver- fasser weder den Ausgangspunkt noch die entscheidenden Momente des Fortgangs der Problementwicklung zu finden. Deshalb vermag die Akademie, obgleich der Fleiß anzuerkennen ist, mit dem der Verfasser die von ihm ausgewählten Quellenschriften selbständig durchgearbeitet hat, der Schrift einen Preis nicht zuzuerkennen. Die Akademie hat beschlossen, die Aufgabe unter den in der Leibniz- Sitzung des Jahres 1912 angegebenen Bedingungen zu erneuern, in Rück- sicht auf die Zeitlage jedoch mit der Modifikation, daß der Einlieferungs- termin für Bewerbungsschriften nicht nach zweijähriger, sondern erst nach dreijähriger Frist angesetzt wird. Der ausgesetzte Preis beträgt wiederum Viertausend Mark. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, französischer, englischer oder italienischer Sprache abgefaßt sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Beschluß der zuständigen Klasse von der Bewerbung ausgeschlossen werden. XVI Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeichnen und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äußerlich zu wiederholen. Schriften, welche den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurückziehung einer einge- lieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungsschriften sind bis zum 31. Dezember 1918 im Bureau der Akademie, Berlin NW 7, Unter den Linden 38, einzuliefern. Die Ver- kündigung des Urteils erfolgt in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1919. Sämtliche bei der Akademie zum Behuf der Preisbewerbung ein- gegangenen Arbeiten nebst den dazugehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urteilsverkündigung ab von der Akademie für die Verfasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Akademie frei, die nicht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. Preis der Steinerschen Stiftung. In der Leibniz-Sitzung vom 30. Juni 1910 hatte die Akademie für den Steinerschen Preis folgende Aufgabe gestellt: »Es sollen alle nicht zerfallenden Flächen fünften Grades bestimmt und hinsichtlich ihrer wesentlichen Eigenschaften untersucht werden, auf denen eine oder mehr als eine Schar von im allgemeinen nicht zerfallenden Kurven zweiten Grades liegt. « »Es wird gefordert, daß zur Bestätigung der Richtigkeit und Voll- ständigkeit der Lösung ausreichende analytische Erläuterungen den geo- metrischen Untersuchungen beigegeben werden. « Für dieses Thema sind sieben Bearbeitungen eingegangen. Die auf den heutigen Tag' angesetzte Urteilsverkündigung wird jedoch auf Be- schluß der Akademie vertagt, weil die Bedingungen, welche für einen all- gemeinen internationalen Wettbewerb als unerläßliche Voraussetzung gelten müssen, durch den Ausbruch des Krieges zur Zeit hinfällig geworden sind. Für das Jahr 1920 stellt die Akademie folgende neue Preisaufgabe: »Die Beziehungen zwischen den 120 dreifachen Berührungsebenen der Kurve sechster Ordnung, die der Durchschnitt einer Fläche dritter Ord- ! Leibniz-Sitzung 1915. u xXv1 nung mit einer der zweiten Ordnung ist, sollen analytisch und geometrisch in ähnlicher Art entwickelt werden, wie Aronhold die Beziehungen zwischen den 28 Doppeltangenten einer Kurve vierter Ordnung unter- sucht hat.« Für die Lösung der Aufgabe wird ein Preis von 6000 Mark ausgesetzt. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, französischer, englischer oder italienischer Sprache abgefaßt sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Beschluß der zuständigen Klasse von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeichnen und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äußerlich zu wiederholen. Schriften, welehe den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurückziehung einer einge- lieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungsschriften sind bis zum 31. Dezember 1919 im Bureau der Akademie, Berlin NW7, Unter den Linden 38, einzuliefern. Die Ver- kündigung des Urteils erfolgt in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1920. Sämtliche bei der Akademie zum Behuf der Preisbewerbung einge- gangenen Arbeiten nebst den dazugehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urteilsverkündigung ab von der Akademie für die Ver- fasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Akademie frei, die nieht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. Verzeichnis der im Jahre 1915 erfolgten besonderen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung wissenschaftlicher Unter- nehmungen. Es wurden im Laufe des Jahres 1915 bewilligt: 2300 Mark dem Mitglied der Akademie Hrn. Engler zur Fortführung der Herausgabe des »Pflanzenreich «. 4000 » dem Mitglied der Akademie Hrn. F. E. Schulze zur Fort- führung des Unternehmens »Das Tierreich «. XVIII 3000 Mark Demselben zur Fortführung der Arbeiten für den Nomenelator animalium generum et subgenerum. 6000 » dem Mitglied der Akademie Hrn. Hintze zur Fortführung der Herausgabe der Politischen Korrespondenz Friedrichs desGroßen. 2000 » der Deutschen Kommission zur Fortführung ihrer Unter- nehmungen. 20000 » der Orientalischen Kommission zur Fortführung ihrer Arbeiten. 800 » für eine im Verein mit anderen deutschen Akademien ge- plante Fortsetzung des Poggendorffschen biographisch -lite- rarischen Lexikons. 500 » für eine von den kartellierten deutschen Akademien aus- gehende Expedition nach Teneriffa zum Zweck von licht- elektrischen Spektraluntersuchungen. 1000 » zur Förderung des Unternehmens des Thesaurus linguae La- tinae über den etatsmäßigen Beitrag von 5000 Mark hinaus. 800 » zu der von den kartellierten deutschen Akademien unternom- menen Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge. 500 » Hrn. Prof. Dr. Gustav Fritsch in Berlin zur Herausgabe eines Werkes über das Buschmann-Haar. 3500 » Hrn. Prof. Dr. Arrien Johnsen in Kiel zur Beschaffung eines Röntgenapparates für kristallographische Untersuchungen. 1500 » Hrn. Prof. Dr. Martin Schmidt in Stuttgart zu einer Reise nach Nordamerika behufs Studien über fossile Hyopotamiden. 1000 » der Gesellschaft für Lothringische Geschichte und Altertums- kunde in Metz zur Drucklegung eines von Prof. Zeligzon da- selbst bearbeiteten Wörterbuchs des lothringischen Patois. Verzeichnis der im Jahre 1915 erschienenen im Auftrage oder mit Unter- stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke. Unternehmungen der Akademie und ihrer Stiftungen. Das Pflanzenreich. Regni vegetabilis eonspeetus. Im Auftrage der Königl. preuss. Akademie der Wissenschaften hrsg. von A. Engler. Heft 64. 65. Leipzig 1915. XIX Das Tierreich. Fine Zusammenstellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. Begründet von der Deutschen Zoologischen Gesellschaft. Im Auftrage der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin hrsg. von Franz Eilhard Schulze. Lief. 43. Berlin 1915. Weierstraß, Karl. Mathematische Werke. Hrsg. unter Mitwirkung einer von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften ein- gesetzten Commission. Bd. 5.6. Berlin 1915. Ibn Saad. Biographien Muhammeds, seiner Gefährten und der späteren Träger des Islams bis zum Jahre 230 der Flucht. Im Auftrage der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Eduard Sachau. Bd 7, Tl1l. Leiden 1915. Inseriptiones Graecae consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae editae. Vol. 12. Inscriptiones insularum maris Aegaei praeter Delum. Fase. 9. Inseriptiones Euboeae insulae ed. Erieus Ziebarth. Berolini 1915. Kant’s gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd 6 (Neudruck). Berlin 1914. Deutsche Texte des Mittelalters hrsg. von der Königlich Preußischen Aka- demie der Wissenschaften. Bd 20. Rudolfs von Ems Weltchronik. Bd 25. Die Pilgerfahrt des träumenden Mönchs. Bd 28. Lueidarius. Berlin 1915. Thesaurus linguae Latinae editus auctoritate et consilio Academiarum quinque Germanicarum Berolinensis Gottingensis Lipsiensis Monacensis Vindobonensis. Vol. 5, Fase. 6. Vol. 6, Fasc. 2. Lipsiae 1915. Corpus medieorum Graeceorum auspiciis Academiarum associatarum ed. Aca- demiae Berolinensis Havniensis Lipsiensis. V 9, 2. Galeni in Hippocratis prorrheticum I comm. III ed. H. Diels, de eomate secundum Hippocratem ed. J. Mewaldt, in Hippocratis prognosticum comm. III ed. J. Heeg. Lipsiae et Berolini 1915. Albert-Samson-Stiftung. Müller, Fritz. Werke, Briefe und Leben. Gesammelt und hrsg. von Alfred Möller. Bd 1, Text, Abt. 1. 2 und Atlas. Jena 1915. e* xXxX Hermann-und-Elise-geb.- Heckmann- Wentzel-Stiftung. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte. Hrsg. von der Kirchenväter-Commission der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften. Bd 25: Epiphanius. Bd 1. Leipzig 1915. Voeltzkow, Alfred. Reise in Ostafrika in den Jahren 1903—1905. Wissenschaftliche Ergebnisse. Bd 4. Stuttgart 1906—15. Von der Akademie unterstützte Werke. Ammiani Marcellini Rerum gestarum libri qui supersunt rec. Carolus U. Clark. Vol. 2, Pars 1. Berolini 1915. Fritsch, Gustav. Die menschliche Haupthaaranlage. Berlin 1915. Libanii opera rec. Richardus Foerster. Vol. 8. Lipsiae 1915. (Bibliotheca script. Graec. et Roman. Teubneriana.) Lidzbarski, Mark. Das Johannesbuch der Mandäer. Tl2. Giessen 1915. von Möllendorff, Wilhelm. Die Dispersität der Farbstoffe, ihre Be- ziehungen zu Ausscheidung und Speicherung in der Niere. Wies- baden 1915. (Aus: Anatomische Hefte. Abt. 1. Heft 159.) Philonis Alexandrini opera quae supersunt ed. Leopoldus Cohn et Paulus Wendland. Vol. 6. Berolini 1915. Prinz, Hugo. Altorientalische Symbolik. Berlin 1915. Tobler, Adolf. Altfranzösisches Wörterbuch. Hrsg. von Erhard Lom- matzsch. Lief. 1: 2. Berlin 1915. Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1915. Es wurden gewählt: zum ordentlichen Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Karl Correns, bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 22. März 1915; zu ordentlichen Mitgliedern der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Karl Holl, bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 12. Januar 1915, » Friedrich Meinecke, bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 15. Fe- bruar 1915: xXXl zum korrespondierenden Mitglied der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Klemens Baeumker in München am 8. Juli 1915. Gestorben sind: das ordentliche Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Arthur von Auwers am 24. Januar 1915; die ordentlichen Mitglieder der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Heinrich Brunner am 11. August 1915. » Georg Loescheke am 26. November 1915; die korrespondierenden Mitglieder der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Johannes Strüver in Rom am 21. Februar 1915, » Adolf von Koenen in Göttingen am 3. Mai 1915. Hermann Graf zu Solms-Laubach am 24. November 1915: die korrespondierenden Mitglieder der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Karl Theodor von Heigel in München am 23. März 1915, » Edvard Holm in Kopenhagen am 18. Mai 1915, Sir James Murray in Oxford Ende Juli 1915, Hr. Paul Wendland in Göttingen am 10. September 1915, » Wilhelm Windelband in Heidelberg am 22. Oktober 1915. Auf ihren Wunsch wurden aus der Liste der Mitglieder gestrichen: das korrespondierende Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Henry Le Chatelier in Paris am 15. März 1915; die korrespondierenden Mitglieder der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Bun us in Ei \ rar 1915, » Emile Senart in Paris J » Theophile Homolle in Paris am 9. Mai 1915, » Leon Heuzey in Paris am 10. Mai 1915. XXI Verzeichnis der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1915 nebst den Verzeichnissen der. Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille und der Beamten der Akademie. l. Beständige Sekretare Gewählt von der Er DE TR EN ERT 9 ohil hist Klasse = Waldeyer... x on 22: „iphys:-mailt =. Roeihe .. 20.22. =. 28 Hiplulchist, ae = Planck... c.ı.». . phys-math. = 2. Ordentliche Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse Hr. Simon Schwendener al SIERT PILZE Hr. Hermann Diels . - Wilhelm Waldeyer - Franz Eilhard Schulze a ee DZ Sy - Otto Hirschfeld . - Eduard Sachau . - Gustav von Schmoller . - Adolf Engler TERN eh RR - Adolf von Harnack - Hermann Amandus Schwarz ah ALEIB BET Er BEE ER: - Georg Frobenius - Emil Fischer - Oskar Hertwig . - Max Planck . BEIMERUD AHA. - (Carl Stumpf .» - Adolf Erman - Emil Warburg . 5 FB EA E - Ulrich von Wilamowitz- Moellendorff . - Wilhelm Branca 1 ao Er: - Robert Helmert . : - Heinrich Müller-Breslau . ee - Heinrich Dressel - Konrad Burdach Datum der Königliehen Bestätigung 1895 Nov. 27 1896 Jan. 20 1911 Aug. 29 1912 Juni 19 Datum der Königlichen Bestätigung 1879 Juli 13 1881 Aug. 15 1884 Febr. 18 1884 Juni 21 1885 März 9 1887 Jan. 24 1887 Jan. 24 1890 Jan. 29 1890 Febr. 10 1892 Dez. 19 1893 Jan. 14 1893 Febr. 6 1893 April 17 1894 Juni 11 1895 Febr. 18 1895 Febr. 18 1895 Aug. 13 1899 Aug. 2 1899 Dez. 18 1900 Jan. 31 1901 Jan. 14 1902 Mai 9 1902 Mai 9 XXI Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse De EIN SHnBOrENN Scholle ar Se 1903 dan. 5 HraGustao Roethee = a Er I03TNJan. 5 - “Dietrich Schäfer. . . . . 1903 Aug. 4 - Eduard Meyr . . . . . 1903 Aug. 4 - Wilhelm Schulze . . . . 1903 Nov. 16 - ‚Alois Brand . . . . . 1904 April 3 ERETIeRmanmESUDeut 8 KA0R, Auo.”29 Ran BZANNennann re Aue 29 - [tere N es ee ee 19057 Nov. 24 VIA ee ee 1906: Dez» ;2 ST ohanneSsmOrte ee el Dez.. 2 Sl lDrechte Bench Eee. 00. een eil906eDez::. 2 - Friedrich Müllee . . . . 1906 Dez. 24 - Andreas Heute . . . . 1907 Aug. 8 ee RRahens en l90re Aus, 78 Theodor elnebischun ner. 1908, Aue 3 - "Eduard Seler . . . . .. 1908 Aug. 24 Se Henrich WEüders 7777219097 Au2 25 Ze Heinnich Mor za190T Dez. 1A GoitlızbwHaberlande 02 ar OL ul 3 SEKUNDE M 2er a TITERTUEE> - Benno Erdmann . . . . 1911 Ali 25 sau elmann a er LO Mez. m 2 Semi Seckeln. er re rlan, FA - „Johann Jakob Maria de Groot 1912 Jan. 4 - Eduard Norden. . . . . 1912 Juni 14 Karl Schwparzscheld u N NEE Eee 1912. June 14 - Karl Schuchhardtt . . . . 1912 Juli 9 Ense Beckmann. a 5 ERLEEN DEE TOD Dez. "ll - Albert Einstein 1,0 EEE ILS U NOV. HZ BO roR Eintze OA Rebr.210 - !Max Sermng . . .. . . . 1914 März 2 - Adolf Goldschmidt . . . 1914 März 2 BcRaRo estate ee INA Dez: 116 a NEN LIE EN een We Be a . 1914 Dez. 16 TED uk ee w 1914 ‚Dez. 31 u EEE tee MT - Friedrich Meinecke. . . . 1915 Febr. 15 a One ee. 4915: "März. 22 XXIV 3. Auswärtige Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse Hr. Theodor Nö Tdeke in Straßburg - Friedrich Imhoof-Blumer in Winterthur . ; - Pasquale Villari in ern . Hr. Adolf von Baeyer in München - Varel: von ae Mr Win - Panagiotis Kabbadias in Athen Lord Rayleigh in Witham, Essex A ee N - Hugo Schuchardt in Graz 4. Ehrenmitglieder Hr. Max Lehmann in Göttingen . - Max Lenz in Hamburg . . i Hugo Graf von und zu Verchenfeld in Bel, i Hr. Richard Schöne in Berlin-Grunewald . - Konrad von Studt in Berlin : - Andrew Dickson White in Ithaca, N. Y. nF 5 Bernhard Fürst von Bülow in Klein-Flottbek bei mean 2 Hr. Heinrich Wölflin in München - August von Trott zu Solz in Berlin - Rudolf von Valentini in Berlin - Friedrich Schmidt in Berlin-Steglitz Datum der Königlichen Bestätigung 1900 März 5 1900 März 5 1900 März 5 1905 Aug. 12 1908 Sept. 25 1908 Sept. 25 1910 April 6 1912 Sept. 15 Datum der Königlichen B estätigung 1887 1896 1900 1900 1900 1900 1910 1910 1914 1914 1914 Jan. Dez. März März 24 14 5 5 FE ETW 5. Korrespondierende Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Karl Frhr. Auer von Welsbach auf Schloß Welsbach en) h Hr. Ernst Wilhelm Benecke in Straßburg - Ferdinand Braun in Straßburg - Oskar Brefeld in Berlin-Lichterfelde - Heinrich Bruns in Leipzig . 3 - Otto Bütschi in Heidelberg - Giacomo Ciamiecian in Bologna - Gaston Darboux ın Paris William Morris Davis ın en Mae - Richard Dedekind in Braunschweig . - Ernst Ehlers in Göttingen . Roland Baron Eötvös in Budapest Hr. Max Fürbringer in Heidelberg Sir Archibald Geikie in Haslemere, Surrey Hr. Aarl von Goebel in München . - Camillo Golgi in Pavia . A - Karl Graebe in Frankfurt a.M.. - Ludwig von Graff in Graz . Julius Edler von Hann in Wien Hr. Viktor Hensen in Kiel - Richard von Hertwig in München - - David Hilbert in Göttingen Sir Vietor Horsley in London Hr. Felix Klein in Göttingen 2 - Leo Koenigsberger in Heidelberg . - Wilhelm Körner in Mailand - Friedrich Küstner in Bonn . - Philipp Lenard in Heidelberg . - Gabriel Lippmann in Paris .. e Hendrik Antoon Lorentz in Haarlem - Felix Marchand in Leipzig - Friedrich Merkel in Göttingen . - Franz Mertens in Wien. - Henrik Mohn in Christiania XXV Datum der Wahl Ze 1913 Mar 22 1900 Febr. 8 1914 Nov. 19 1899 Jan. 19 1906 Jan. 11 1897 März 11 1909 Okt. 28 1897 Febr. 11 1910 Juli 28 1880 März 11 18972. Jan: 21 1910 Jan. 6 1900 Febr. 22 1889 Febr. 21 1913 Jan. 16 1911. Dez. 21 1907 Juni 13 1900 Febr. 8 1889 Febr. 21 1898 Febr. 24 1898 April 28 1913 Juli 10 1910 Juli 28 1913 Juli 10 1893 Mai 4 1909 Jan. 7 1910 Okt. 27 1909 Jan. 21 1900 Febr. 22 1905 Mai 4 1910 Juli 28 1910 Juli 28 1900 Febr. 22 1900 Febr. 22 d xxXVl . Alfred Gabriel Nathorst in Stockholm . Karl Neumann in Leipzig . Max Noether in Erlangen . Wilhelm Ostwald in Groß- Boihen, Br Schöhe t Wilhelm Pfeffer in Leipzig . Emile Picard in Paris ! Edward Charles Pickering in se Ba s (Georg Quincke in Heidelberg . - Ludwig Radlkofer in Machen " William Ramsay in London . Gustaf Retzius in Stockholm . . . . Theodore William Richards in Cambridge, Mans‘ Wilhelm Konrad Röntgen in München Georg Ossian Sars in Christiania Oswald Schmiedeberg in Straßburg Gustav Schwalbe in Straßburg Hugo von Seeliger in München Ernest Solvay in Brüssel ‚Johann Wilhelm Spengel in Gehe " Joseph Jolm Thomson in Cambridge . Gustav von Tschermak in Wien William Turner in Edinburg . Hermann von Vöchting in Tübingen . Woldemar Voigt in Göttingen . Hugo de Vries in Amsterdam . & Johannes Diderik van der Waals in sera : Otto Wallach in Göttingen . Eugenius Warming in Kopenhagen Emil Wiechert in Göttingen Wilhelm Wien in Würzburg ‚Julius von Wiesner in Wien Edmund B. Wilson in New york Datum der Wahl 1900 1893 1896 1905 1889 1898 1906 1879 1900 1896 1893 1909 1896 1898 1910 1910 1906 1913 1900 1910 1881 1898 1913 1900 1913 1900 1907 1899 1912 1910 1899 1913 Febr. 8 Mai 4 Jan. 30 Jan 12 Dez. 19 Febr. 24 Jans. März 13 Febr. 8 Okt. 29 Juni 1 Okt. 28 März 12 Febr. 24 Juli 28° Juli 28 Jans al Mai 22 Jan. 18 Juli 28 März 3 März 10 Jan. 16 März 8 Jan 16 Febr. 22 Juni 13 Jan) 19 Febr. Juli 14 Juni 8 Febr. 20 Philosophisch-historische Klasse . Karl von Amira in München . Klemens Baeumker in München Ernst Immanuel Bekker in Heidelberg . Friedrich von Bezold in Bonn . Joseph Bidez in Gent Eugen Bormann in Wien Emile Boutrour in Paris ‚James Henry Breasted in Chicago Franz Brentano in Florenz Harry Breßlau in Straßburg . Rene Cagnat in Paris - Arthur Chugquet in Villemomble (Beine)‘ Franz Cumont in Rom Louis Duchesne in Rom . Franz Ehrle in Rom . Paul Foucart in Paris : ‚James George Frazer in ber Wilhelm Fröhner in Paris Percy Gardner in Oxford Ignaz Goldziher in Budapest . Francis Llewellyn Griffith in Oxford Ignazio Guwdi in Rom rem Georgios N. Hatzidakis in Athen . Albert Hauck in Leipzig Bernard Haussoullier in Paris . 5 Johan Ludvig Heiberg in an E Antoine Heron de Villefosse in Paris : Harald Hjärne in Uppsala . Maurice Holleaux in Versailles Christian Hülsen in Florenz Hermann Jacobi in Bonn Adolf Jülicher in Marburg . ! Frederic George Kenyon in London . . Georg Friedrich Knapp in Straßburg Basil Latyschew in St. Petersburg August Leskien in Leipzig . Friedrich Loofs in Halle a. S. Giacomo Lumbroso in Rom : Arnold Luschin von Ebengreuth in Er ‚John Pentland Mahaffy in Dublin Gaston Maspero in Paris XXVI Datum der Wahl —_— 1900 Jan. 18 1915 Juli 8 1897 Juli 29 1907 . Febr. 14 1914 Juli 9 1902 Juli 24 1908 Febr. 27 1907 Juni 13 1914 Febr. 19 1912 Mai 9 1904 Nov. 3 1907 Febr. 14 1911 April 27 1893 Juli 20 1913 Juli 24 1884 Juli 17 1911 April 27 1910 Juni 23 1908 Okt. 29 1910 Dez. 8 1900 Jan. 18 1904 Dez. 15 1900 Jan. 18 1900 Jan. 18 1907 Mai 2 1896 März 12 1893 Febr. 2 1909 Febr. 25 1909 Febr. 25 1907 Mai 2 VO zSRebr729 1906 Nov. 1 1900 Jan. 18 1893 Dez. 14 1891 Juni 4 1900 Jan. 18 1904 Nov. 3 1874 Nov. 12 1904 Juli 21 1900 Jan. 18 1897 Juli 15 XXVII Hr. Hr. Wilhelm Meyer-Lübke in Bonn ae Mitteis in Leipzig . Georg Elias Müller in Gökingen. Samuel Muller Frederikzoon in Utrecht Axel Olrik in Kopenhagen Franz Praetorius in Breslau Wilhelm Radlof in St. Pio Rajna in Florenz Moriz Ritter in Bonn Karl Robert in Halle a. Michael Rostowzew ın St. Er Edward Schröder in Göttingen Richard Schroeder ın dee ü Eduard Schwartz in Straßburg Bernhard Seuffert in Graz . Eduard Sievers in Leipzig . Edward Maunde Thompson in erden. Vilhelm Thomsen in Kopenhagen Ernst Troeltsch in Berlin Paul Vinogradof in Oxford Girolamo Viteli in Florenz . Jakob Wackernagel in Basel ‚Julius Wellhausen in Göttingen Adolf Wilhelm in Wien Ludvig Wimmer in Kopenhagen . Wilhelm Wundt in Leipzig . Datum der Wahl u——— nt Sn, 1905: Juli 6 1905 Febr. 16 1914 Febr. 19 1914 Juli 23 1911 April 27 1910 »Dez. 8 1895 Jan. 10 1909 März 11 1907 Febr. 14 1907 Mai 2 1914 Juni 18 1912 Juli 11 1900 Jan. 18 1907 Mai 2 1914 Juni 18 1900 Jan. 18 1895 Mai 2 1900 Jan. 18 1912 Nov. 21 1911 Juni 22 1897 Juli 15 1911 Jan. 19 1900 Jan. 18 1911 April 27 1891 Juni 4 1900 Jan. 18 Hr. Ei: Inhaber der Helmholtz-Medaille Santiago Ramon y Cajal in Madrid (1905) Emil Fischer in Berlin (1909) Simon Schwendener in Berlin (1915) Max Planck in Berlin (1915) Verstorbene Inhaber: Emil du Bois-Reymond (Berlin, 1892, -- 1896) Karl Weierstraß (Berlin, 1892, + 1897) Robert Bunsen (Heidelberg, 1892, -- 1899) Lord Kelvin (Netherhall, Largs, 1892, -- 1907) Rudolf Virchow (Berlin, 1899, -+ 1902), Sir George Gabriel Stokes (Cambridge, 1901, 7 1903) Henri Becquerel (Paris, 1907, -- 1908) ‚Jakob Heinrich van't Hoff (Berlin, 1911, -F 1911) Inhaber der Leibniz-Medaille a. Der Medaille in Gold James Simon in Berlin (1907) Ernest Solvay in Brüssel (1909) Henry T. von Böttinger in Elberfeld (1909) ‚Joseph Florimond Duc de Loubat in Paris (1910) Hr. Frl. Hr. Hans Meyer in Leipzig (1911) Elise Koenigs in Berlin (1912) Georg Schweinfurth in Berlin (1913) b. Der Medaille in Silber . Karl Alexander von Martius in Berlin (1907) A. F. Lindemann in Sidmouth, England (1907) ‚Johannes Bolie in Berlin (1910) Albert von Le Cog in Berlin (1910) ‚Johannes Ilberg in Chemnitz (1910) Max Wellmann in Potsdam (1910) Robert Koldewey in Babylon (1910) Gerhard Hessenberg in-Breslau (1910) Werner Janensch in Berlin (1911) Hans Osten in Leipzig (1911) Robert Davidsohn in München (1912) N. de Garis Davies in Kairo (1912) Edwin Hennig in Berlin (1912) Hugo Rabe in Hannover (1912) XXIX . Joseph Emanuel Hibsch in Tetschen (1913) Karl Richter in Berlin (1913) Hans Witte in Neustrelitz (1913) Georg Wolff in Frankfurt a. M. (1913) Walter Andrae in Assur (1914) Erwin Schramm in Bautzen (1914) Richard Irvine Best in Dublin (1914) Otto Baschin in Berlin (1915) Albert Fleck in Berlin (1915) ‚Julius Hirschberg in Berlin (1915) Hugo Magnus in Berlin (1915) Verstorbene Inhaber der Medaille in Silber: Karl Zeumer (Berlin, 1910, -- 1914) Georg Wenker (Marburg, 1911, + 1911) Beamte der Akademie Bibliothekar und Archivar der Akademie: Dr. Köhnke, Prof. Archivar und Bibliothekar der Deutschen Kommission: Dr. Behrend. Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Harms, Prof. — Dr. von Fritze, Prof. — Dr. Karl Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. — Dr. Ritter, Prof. — Dr. Apstein, Prof. — Dr. Paetsch. — Dr. Kuhlgatz. Registrator und Kalkulator: (Grünheid. Hausinspektor und Kanzlist: Friedrich. Aka demiediener: Hennig. — Janisch. — Siedmann. Hilfsdiener: G/Jaeser. = ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 - PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE Nr. 1 GESICHTSMUSKELN DES SCHIMPANSEN VON Pror. Dr. HANS VIRCHOW IN BERLIN MIT 10 TEXTFIGUREN UND 4 TAFELN serien han FEB 8199; dos Liprary BERLIN 1915 BR VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 7 \ IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE Nr.1 GESICHTSMUSKELN DES SCHIMPANSEN VON Pror. Dr. HANS VIRCHOW IN BERLIN MIT 10 TEXTFIGUREN UND 4 TAFELN ran tig. FEB 819 en BE WITE Ornoe Lioraty BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER Zum Druck verordnet am 18. März, ausgegeben am 24. Juni 1915. Einleitung. Georg Ruge hat die Gesichtsmuskeln der Prosimier und Primaten in aus- führlicher Weise behandelt. Außer seinem Hauptwerk: »Untersuchungen über die Gesichtsmuskulatur der Primaten«, Leipzig 1887, liegen drei Ar- beiten von ihm vor: »Über die Gesiehtsmuskulatur der Halbaffen« (Mor- phologisches Jahrbuch ı1. Band, 1885), »Die vom Facialis innervierten Muskeln des Halses, Nackens und des Schädels eines jungen Gorilla« (Mor- phologisches Jahrbuch ı2. Band, 1337), »Gesiehtsmuskulatur und Nervus facialis der Gattung Hylobates« (Morphologisches Jahrbuch 44. Band, 1911). Zusammengenommen wurden präpariert von Prosimiern 6, von Affen (ab- gesehen von Hylobates und Anthropoiden) 7, von Hylobates 2 Spezies (darunter von leueiscus 2 Exemplare) und die 3 Anthropoiden in je einem Exemplar. Dazu kommt eine sehr große Zahl menschlicher Köpfe, großen- teils von Embryonen. Es ist hier aber nicht so gegangen, wie es oft ge- schieht, daß bei der Fülle des Materiales nur wenig Bemühung auf das einzelne entfällt, vielmehr ist die Genauigkeit der Untersuchung ihrer Breite ebenbürtig. Es kann nicht fehlen, daß die Abbildungen, da sie sämtlich von dem Verfasser selbst gezeichnet sind, die bei der Präparation gesam- melten Erfahrungen in klarerer und eindringlicherer Weise zur Geltung bringen, als Zeichnungen von fremder Hand. Beschaut man diese Zeich- nungen — es sind ihrer in den vier genannten Arbeiten zusammen 96 — in ihrer sorgfältigen, unaufdringlichen, fein gefühlten Technik, so wird man anerkennen, daß der Gegenstand eine hervorragende Bearbeitung gefunden hat. In der Tat steht diese Gesamtarbeit mit ihrem zugleich breiten und festen Fundament so wohlbegründet vor dem Beschauer, daß, wenn man sich dem Gegenstande zuerst nur von fern nähert, es scheinen muß, als sei hier etwas Endgültiges vor uns hingestellt, an dem es nicht mehr zu forschen, sondern nur noch zu lernen gibt. 1* 4 Hans Vırcaow: Indessen der modern gewöhnte Untersucher hat doch immer den Trieb, sich seine Belehrung von dem Objekte selbst und nicht von der noch so guten Beschreibung desselben zu holen; ja gerade die gute Beschreibung erweckt die Lust, sich das Objekt selbst zu betrachten. Und so habe auch ich, als sich mir die Gelegenheit bot, die Kopfmuskeln eines Schim- pansen zu präparieren, diese gern wahrgenommen, weil mir eine solche Kenntnis für das Verständnis der menschlichen Gesichtsmuskeln ersprieß- lich schien. Hierbei habe ich nun zunächst den einen großen Vorteil gehabt, daß mir manches durch den Anblick des Objektes verständlich wurde, was ich mir trotz der sorgfältigen Beschreibung und Zeichnungsart von Ruge nicht vergegenwärtigen konnte; so wie es sich ja auch ereignet, daß uns eine Gegend, die uns trotz eines guten Reiseführers nicht anschaulich war, erst dann verständlich wird, wenn wir sie selbst erblicken. Aber meine Erfahrungen gingen weiter und waren etwas unerwartet: ich fand genau genommen für keinen einzigen Muskel im Gesicht des Schim- pansen die Rugesche Beschreibung mit dem Wortlaut übereinstimmend, in welchen ich meine Erfahrung kleiden mußte. Die Abweichungen zwischen der Beschreibung, welche der Ausdruck meiner Erfahrung ist, und der Beschreibung, welche ich bei Ruge traf, sind von dreierlei Art: ı. An einigen Stellen zeigten sich die Befunde zwar übereinstimmend, ich mußte aber finden, daß der von Ruge gewählte Ausdruck nicht genau adäquat war. Es ist ja so schwer, ja eigentlich unmöglich, für die ver- wickelten Verhältnisse, welche durch das Zusammentreffen mehrerer Muskeln auf einem Raum und die dadurch bedingten halben Spaltungen, Bündelbil- dungen, Schiehtenbildungen veranlaßt sind, den richtigen Ausdruck zu finden. 2. Zuweilen waren die Befunde von Ruge und von mir zwar ganz klar und einwandfrei, wichen aber dennoch von einander ab. — Tatsäch- lich kommen individuelle Varianten gerade so gut vor wie beim Menschen, und es muß einstweilen mangels ausgiebigen Materiales unentschieden bleiben, ob die Zahl solcher Verschiedenheiten beim Schimpansen größer oder geringer ist als beim Menschen. 3. In einigen Punkten hat meiner Überzeugung nach Ruge es doch nicht getroffen, hat sich verpräpariert. Es sind das solche Stellen, vor- Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 5) wiegend an den Lippen, wo mehrere Muskeln zusammentreffen, und wo man bei der Verfolgung des einen in Gefahr ist, etwas anderes zu zer- schneiden und künstliche Abspaltungen zu machen. Natürlich kann es vorkommen, daß zwei dieser Momente zusammen- treffen, so daß der Grund für die Verschiedenheit der beiderseitigen An- gaben undurchsichtig wird, aber im allgemeinen ist doch mit absoluter Schärfe zu sagen, wodurch es bedingt ist, wenn die Rugesche Beschrei- bung und die meine nicht zusammenfällt. Ich glaube, den Rugeschen Angaben am vollkommensten dadurch ge- recht werden zu können, daß ich sie bei den einzelnen Muskeln anhangsweise bespreche. Hierdurch wird auch dem Leser der größte Dienst erwiesen, da durch die Gegenüberstellung zweier von einander abweichender Angaben am klarsten und schärfsten jede von ihnen hervortritt. An solchen Stellen, wo ich bei der Präparation der einen Seite Abweichungen von Ruge ge- funden hatte, habe ich immer mit besonders peinlicher Genauigkeit die andere Seite präpariert, und es s. z. s. als eine Gewissenserleichterung empfunden, daß die Möglichkeit vorlag, den Befund nachzuprüfen. Hierbei ergab sich, daß zwar zwischen rechts und links, wie nicht anders zu er- warten, kleine Unterschiede vorkommen, daß aber doch andrerseits bis in überaus weitgehende Feinheiten hinein Übereinstimmung getroffen wird. Was nun die von mir gefundenen Abweichungen (gegenüber der Rugeschen Beschreibung) besonders bedeutungsvoll macht, vor allem auch für die Anthropologie, ist der Umstand, daß in vielen Punkten sich eine größere Ähnlichkeit mit der menschlichen Gesichtsmuskulatur herausstellte, als man nach der Rugeschen Beschreibung erwarten konnte. Material und Bearbeitung desselben. Der Kopf war von einem weiblichen Schimpansenkind von 55 em Scheitel-Steiß-Länge. Es ist das- selbe, dessen Rückenmuskeln ich im Archiv für Anatomie Jahrgang 1914 beschrieben habe. Das Tier stammte aus Kamerun, war nach Teneriffa in die dortige biologische Station verbracht worden und daselbst gestorben. Es gelangte am ı2. Februar 1913 in den Besitz des anatomischen Institutes. Es war bereits in Teneriffa mit Formalin injiziert worden, wodurch es sich in einem für die Präparation günstigen Zustand befand. Zur näheren Charak- terisierung des Alters sei noch hinzugefügt, daß der rechte obere Eekzahn sich gerade im Ausfällen befand, während an den drei anderen Stellen die 6 Hans Vırcmow: Milcheekzähne noch festsaßen, daß von den Milcehmolaren nur der erste untere linke durch einen Prämolaren ersetzt war, und daß die zweiten Molaren alle heraus waren und bereits ganz leichte Abschliffacetten auf- wiesen. Ich hoffte anfangs, die Präparation in etwa 14 Tagen beendigen zu können, da auch die Eröffnung des Schädels zur Gewinnung des Gehirnes von anderer Seite gewünscht war. Indessen wurde die Präparation unter- brochen, und sie zog sich, nachdem sie wieder aufgenommen worden war, über mehr als drei Monate hin. Die Verzögerung war zum Teil dadurch ver- anlaßt, daß in jeder neuen Phase der Präparation eine Photographie ge- nommen, eine Kopie gemacht und die Kopie bemalt werden mußte, bzw. auch durch den Zeichner die Figuren hergestellt werden mußten. Auf der rechten Seite wurden die oberflächlichen Muskeln durch Herrn Grabowski präpariert, welcher durch zahlreiche Präparationen von Neger- köpfen große Erfahrung und Geschicklichkeit erworben hatte. Die Fort- setzung dieser Seite und die ganze linke Seite habe ich selbst besorgt. Es erwies sich als notwendig, sich dabei der binokularen Lupe zu bedienen. Abhängigkeit der Befunde von den Schwierigkeiten der Prä- paration. Die Schwierigkeiten der Präparation sind an gewissen Stellen des Gesichtes, insbesondere an den Lippen, so groß, daß auch bei der größten Geschicklichkeit und Übung in der Präparation von Gesichtsmuskeln, bei dem größten Aufwande von Mühe und Zeit, eine ganz unzweifelhafte letzte Aufklärung stellenweise nicht zu erreichen ist; selbst wenn man noch Fädchen, welche nicht dieker sind wie die Leinenfasern eines Taschen- tuches, mit Hilfe der binokularen Lupe verfolgt, so ist es doch unmöglich, den Aufbau der Gesiehtsmuskeln restlos aufzurechnen. Wenigstens nach meiner Erfahrung. Das ist auch nicht anders beim Menschen, und es ist, wie ich glaube, auch anderen Untersuchern nicht geglückt, eine zweifellose Klarheit zu erreichen. So sehr ich die Sorgfalt und Geschicklichkeit be- wundere, welche sich in den Beschreibungen von Eisler (Die Muskeln des Stammes, Jena 1912. Muskeln des Kopfes S. 102—234) ausprägen, so glaube ich doch, daß ihm einiges entgangen ist. Bei den zahlreichen Untersuchungen von Rasseköpfen, welche ich im Laufe der Jahre, zum Teil an hervorragend gutem Material ausgeführt habe, hat es sich immer wieder ereignet, daß Muskelbündel in einzelnen Fällen bis zu Stellen ver- Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 7 folgt werden konnten, an welchen man sie gewöhnlich nieht mehr ver- mutet. Das rührt aber, wie ich unter der Präparation zu finden glaubte, nicht daher, daß diese Bündel in solchen Fällen tatsächlich weiter gingen als gewöhnlich, sondern daher, daß in dem Einzelfalle ihnen mit besonderer Beharrlichkeit durch das Gewirr sich kreuzender Bündel hindurch nach- gegangen wurde. Wären in dem betreffenden Falle andere Bündel von der Präparation bevorzugt worden, so würde das Endergebnis anders aus- gesehen haben. An solchen Stellen, wo mehrere Muskeln unter Aufspaltung in schmale Bündel, die oft nicht dicker oder sogar dünner sind wie Seiden- papier, sich gegenseitig durchdringen, ist es tatsächlich zuletzt nur noch möglich, Bündel zu verfolgen, indem man kreuzende Bündel durchschneidet. Ich bin daher auch gegenüber dem, was Eisler (a.a.O.) als » Varianten« aus der Literatur zusammengestellt hat, z. B. beim Buceinatorius, etwas miß- trauisch; es scheint mir, daß das Auffinden solcher » Varianten« zum Teil nur bedingt ist durch die Art, in welcher in den betreffenden Fällen zu- fällig präpariert wurde. Man kommt dabei nur dadurch in einer Richtung »zum Ziel«, daß man in anderer Richtung auf die Erreichung des Zieles verzichtet. Hierbei möchte ich noch drei Umstände zur Sprache bringen, welche teils die Untersuchung, teils die Beschreibung erschweren: a) Aufpinselung. Manche Muskeln und Muskelbündel im Gesicht sind nicht parallelfaserig, sondern haben die Neigung sich auszubreiten. Der Grund dieser Tendenz ist einleuchtend: der Muskel vergrößert dadurch sein Wirkungsgebiet. Es gibt mehrere Muskeln, welche in ihrem ganzen Verlauf diese Anordnung zeigen, wie der Triangularis, der Depressor ca- pitis supereilii, der Depressor glabellae. Indem dadurch solche Muskeln in Nachbargebiete eingreifen, sich mit anderen Muskeln überdeeken und durehflechten, wird die Verfolgung erschwert. Es liegt mir aber vor allem daran, darauf hinzuweisen, daß auch an solchen Bündeln, die in ihrem Hauptverlauf parallelfaserig sind, an ihren letzten Enden, die man gewöhn- lich gar nicht mehr auspräpariert, an Bündelchen, die vielleicht nur ı oder 2 mm breit sind, eine Aufpinselung zu beobachten ist. Ich habe das z. B. an den vorderen Enden der in die Unterlippe eintretenden Bündel des Buceinatorius gesehen. Auch am Orbieularis oris kommt es vor, wie ein auf Tafelfigur 10 dargestelltes Bündel zeigt, dessen aufgepinseltes Ende sich an der Schleimhaut befestigt. Eine solche Einrichtung dürfte an den 8 HANS VIRCHow: letzten durch die Präparation nicht mehr erreichbaren Enden der Muskeln in großer Ausdehnung vorkommen und sich dadurch die innige Durch- mischung feiner Bündelehen erklären, auf welche uns die mikroskopischen Schnitte hinweisen. Die Zusammenarbeitung der letzten noch präparier- baren Feinheiten und der Schnittuntersuchung ist hier aber besonders wichtig, denn indem bei der Aufpinselung die aus einem Bündel her- vorgehenden Bündelchen und Fasern nach verschiedenen Richtungen aus- einander fahren, ist es klar, daß sie nicht alle in dieselbe Schnittrichtung fallen können und daß daher auch der Schnittuntersuchung die größten Schwierigkeiten erwachsen. b) Verbindungen von Muskeln. Die Präparation zeigt unzwei- deutig den Zusammenhang von Bündeln verschiedener Muskeln. Die Schil- derungen von Eisler erwecken den tröstlichen Eindruck, als sei es auch in solehen Fällen fast immer möglich, durch den Nachweis von sehnigen Inskriptionen die Gebiete der einzelnen Muskeln abzugrenzen. Ich muß das aber entschieden bestreiten. Es gibt Fälle, und sie sind gar nicht so selten, wo Bündelehen eines Muskels in einen anderen eintreten und, indem die Fasern beider parallel gerichtet sind, die Möglichkeit der Abgrenzung ver- schwindet. Es kann hier nur der Versuch gemacht werden, durch die Untersuchung der Genese und vergleichenden Anatomie für die einzelnen Fälle wahrscheinlich zu machen, ob die Verbindung eine primäre (bestehen gebliebene) oder sekundäre (entstandene) ist. Man erhält den Eindruck, als wenn der eine Muskel auf eintretende Bündel eines Nachbarmuskels einen »richtenden« Einfluß ausübt. c) Muskelursprünge. Es ist manchmal schwierig, für die Ursprungs- weise eines Gesichtsmuskels den genau zutreffenden Ausdruck zu finden. In Wahrheit entspringen ja von den Gesichtsmuskeln auch diejenigen, denen man einen Knochenursprung nachsagt, nicht am Knochen, sondern am Periost, und sie lassen sich leicht mit diesem abreißen. Das erfährt man sogar wider Willen, wenn man in dem Bestreben recht genau zu präparieren, etwa zum Zwecke des Brennens der Muskelfelder, das Periost rings um den Muskelansatz durchschnitten und abgeschabt hat. Dann löst sich leicht der ganze Muskel vom Knochen los. In der Art fest verbunden mit dem Knochen wie der Masseter mit dem Jochbogen ist von den Ge- siehtsmuskeln keiner. Ein besonderer Fall dieser Art ist der Buceinatorius, welchem ein Ursprung an den Alveolarfortsätzen des Ober- und Unter- Gesichtsmuskeln des Schimpansen. I kiefers nachgesagt wird. Er entspringt großenteils gar nicht an diesen, sondern an der Schleimhaut. Abbildungen, Photos. Wenn ich von Abbildungen spreche, so meine ich damit zwei Arten: solche, welche als Bestandteile des Proto- kolles anzusehen sind, und solche, welche als Grundlagen für die der Ver- öffentlichung beigegebenen Figuren dienen sollen. Für beide sind die Be- dingungen verschieden. a) Abbildungen für das Protokoll. Es sollte verlangt werden, daß von jeder Phase (der Präparation eine photographische Aufnahme ge- macht wird. Diese ist nicht dazu bestimmt, reproduziert zu werden. Zahl- reiche Erfahrungen zeigen, daß die Wiedergabe von Photos, selbst her- vorragend guten, von anatomischen Präparaten wenig befriedigt. Ja sogar die Kopien selbst, die doch weit mehr zeigen als die Reproduktionen, enthalten eine Fülle von Unklarheiten. Neben Stellen, in denen in be- wunderungswürdiger Weise die Eigenart einzelner Muskelabschnitte her- ausgebracht ist, liegen andere, wo durch Glanzlichter oder Schatten Ab- schnitte verdeekt sind. Auch gibt die Photographie mit gewissenhafter Bosheit eine Fülle von kleinen Zufälligkeiten wieder, über welche das Auge am Präparate wegsieht. Solche Bilder also, auf denen man unter vielem Entstellenden und Unwesentlichen sich das, worauf es ankommt, heraussuchen muß, ohne sicher zu sein, daß man genau das Richtige trifft, sind für eine wissenschaftliche Darstellung unbrauchbar. Dagegen als Er- eänzung zum Protokoll ist das Photo nicht nur wertvoll, sondern uner- läßlich. So viel störendes Beiwerk es auch enthalten mag, so rettet es doch viele Feinheiten und macht den Tatbestand unabhängig von der sub- jektiven Auffassung des Zeichners. Eine weitere notwendige Ergänzung, auch noch zum Protokoll zu rechnen, finden die Photos darin, daß auf stumpfen Kopien die Muskeln farbig eingezeichnet werden. Die bemalten Photos und die auf glänzendem Papier ausgeführten unbemalten ergänzen sich gegenseitig. An ihnen ist der Untersucher in der Lage, auch in der Zukunft, nachdem das Objekt durch die Präparation zerstört ist, noch vieles zu erläutern und zu be- weisen. b) Abbildungen für die Veröffentlichung. Ich habe gelegent- lich den Versuch machen lassen, ein unbemaltes und ein bemaltes Photo Phys.-math. Abh. 1915. Nr.1. 2 10 Hans VırcHaow: der gleichen Aufnahme in der Weise zur mechanischen Reproduktion zu benutzen, daß von dem bemalten die eingezeichneten Muskeln zum Über- druck verwendet wurden. Dies ist ausführbar. Indessen sind diejenigen Verfahren, welche wirklich gute Drucke* liefern, sehr kostspielig und ihre Verwendung würde sich daher nur unter der Bedingung rechtfertigen lassen, daß die Vorlagen von höchster künstlerischer Vollendung wären. Man muß also aus praktischen Gründen auf diesen Weg verzichten, und die Vor- lagen für die Veröffentlichung in einer zeichnerischen Technik herstellen oder herstellen lassen. Dabei hat man immerhin von der Photographie den Nutzen, daß man die Zeichnung aus dem Photo pausen kann, und dies ist nicht gering anzuschlagen, denn bei der freihändigen Wiedergabe von Köpfen und insbesondere Gesichtsmuskeln hält sich selbst der geübte Zeichner nicht von perspektivischen Irrtümern frei. Auf manchen Figuren sieht man sogar ganz schlimme Mißgriffe dieser Art. Von den Abbildungen zu den Tafeln meiner Arbeit ist die erste durch Fräulein Lisbeth Krause gezeichnet, die zweite von derselben begonnen und durch Fräulein Ranisch fertiggemacht; die übrigen sind von der letztgenannten ausgeführt. Die Textfiguren habe ich selbst von den be- malten Photos gepaust. Welcher Form der zeichnerischen Technik man sich aber auch bedienen mag, man muß sich darüber klar sein, daß es unmöglich ist, das Objekt, eben die Gesichtsmuskeln, mit vollkommener Naturtreue wiederzugeben. Das wird demjenigen, der die Gesichtsmuskeln mehr aus Abbildungen wie durch eigene Untersuchung kennt, nicht recht verständlich sein. Aber derjenige, welcher sich durch Wochen und Monate in das Material vertieft hat, wird es nur allzu deutlich erkennen, und indem er den berechtigten Wunsch empfindet, die Herrlichkeit des Geschauten dem Leser mitzuteilen, wird er einen lebhaften Kummer fühlen angesichts der Unmöglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ganz abgesehen davon, daß ja in der Reproduktion in der Regel noch manches von der Feinheit des Originales verlorengeht. Die Gesichtsmuskeln nehmen eben allen übrigen Körpermuskeln gegenüber eine ganz besondere Stellung ein. Manche derselben sind grobfaserig, andere feinfaserig; in manchen liegen die Fasern dicht, in anderen locker; in manchen sind die Fasern zylindrisch, in anderen platt. In manchen zeigen sich im Verlaufe des Muskels lokale Änderungen ihres Charakters, wofür das beste Beispiel das Platysma bietet, welches seitlich Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 11 (in der Massetergegend) stark abgeplattete Bündel besitzt, während es medial (in der Gegend des Quadratus) aus zylindrischen Bündeln besteht. Da wo mehrere Schichten übereinanderliegen, wie vor allem in der Unter- lippe, sind die einzelnen Schichten verschieden diek, was sich wohl bei der Präparation wahrnehmen aber nicht im Flächenbilde ausdrücken läßt. Manche dieser Schichten sind so dünn, ja sogar dünner wie Seidenpapier; manche lassen sich überhaupt nur mittels der binokularen Lupe als gesonderte Schichten wahrnehmen. Für letztere ist eine bestimmte optische Erscheinung charakteristisch. Wenn nämlich eine solche ganz dünne Lage einer gröber- bündeligen, sie rechtwinklig kreuzenden, aufliegt, so faltet sie sich in die Vertiefungen zwischen den Bündeln der unterliegenden Schicht ein. Infolge- dessen nimmt man im ersten Augenblick die Faserung der oberflächlichen Schicht überhaupt gar nicht wahr, sondern man sieht eine durch die tiefere Lage bedingte Streifung, insbesondere bei ungünstiger Beleuchtung, d.h. wenn das Präparat so liegt, daß das Licht in der Richtung der Fasern der oberflächlichen Schicht einfällt. Und doch ist gerade dieses Phänomen charakteristisch zur Kennzeichnung der außerordentlichen Zartheit der oben- liegenden Schicht. Manche Muskeln haben eine netzartige Anordnung, wie z. B. der Orbieularis oculi, indem die Bündel sich teilen und sieh mit Nachbarbündeln vereinigen. Auch am Buceinatorius findet sich diese Er- scheinung. Manche Muskeln, welche bestimmt sind, größere Dehnungen zu ertragen, wie vor allem der Buceinatorius, haben in einzelnen Abschnitten, aber auch nicht gleichmäßig in dem ganzen Muskel, ein hin und her ge- bogenes, s. z. s. welkes Aussehen. In allen diesen Feinheiten prägt sich die lokale Eigenart der einzelnen Muskeln in lebendiger Weise aus, aber die Wiedergabe derselben liegt jenseits der Möglichkeit der zeichnerichen Technik. Bezeichnungen. Ich habe in einer früheren Arbeit, welche von den Gesichtsmuskeln des Menschen handelte (Gesichtsmuskeln und Gesichts- ausdruck, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1908, Anat. Abt. S. 371—436), einige der durch die BNA kanonisierten Bezeichnungen durch andere ersetzt. Ich will durchaus nicht behaupten, daß ich damit das denkbar Beste ge- troffen habe. Es herrscht ja überhaupt auf dem Gebiet der Muskelbe- nennungen der Übelstand, daß der Name in vielen Fällen nur ein unvoll- kommener Ausdruck für den Inhalt ist. Aber es ist nicht zu billigen, daß DES 12 Hans Vırenow: man einen offenkundig schlechten Namen nur deshalb beibehält, weil er angenommen ist, während man ihn durch einen besseren ersetzen könnte. Aus diesem Grunde habe ich z. B. die Bezeichnung Procerus durch Depressor glabellae ersetzt, da es nicht nur sinnlos ist. einen Muskel als schlank zu bezeichnen, dessen charakteristisches Merkmal darin besteht, sich zu einer dreieckigen Platte auszubreiten. sondern auch didaktisch falsch, indem da- durch der Studierende veranlaßt wird, diesen Muskel regelmäßig fehlerhaft zu präparieren. — Den Namen »Depressor supereilii< habe ich durch die schärfere Bezeichnung »Depressor capitis supereilii« ersetzt, weil gerade das gesonderte Spiel des Brauenkopfes zum Unterschiede von dem der ganzen Braue so charakteristisch ist. nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren, z. B. beim Hunde. — Von einem »@Quadratus labii superioris« im Sinne der BNA zu sprechen, ist sowohl morphologisch wie deskriptiv unhaltbar; morphologisch, nachdem G. Ruge nachgewiesen hat, daß die drei Stücke desselben genetisch nicht unmittelbar zusammengehören, und deskriptiv, indem wohl das mittlere Stück (der Levator labii superioris) ein Viereck ist, aber bei der Vereinigung mit dem »Öaput angulare und Caput zygomaticum« die Vierecksgestalt verschwindet. Ich behaupte wie gesagt nicht. daß die von mir gewählten oder bei- behaltenen Bezeichnungen das absolut Beste sind. So geht z. B. der Le- vator alae nasi beim Menschen auch an die Nasolabialfurche und der Le- vator labii superioris auch an den Nasenflügel. »Faser« und »Bündel«. Bei einer Präparation von solcher Feinheit, wie sie im Gesicht nötig ist, gewinnt der Ausdruck »Faser« eine ganz andere Bedeutung wie bei der Präparation der Rumpf- und Extremitäten- Muskulatur. Bei der gewöhnlichen Präparation nimmt man es ja mit der Bezeichnung »Faser« nicht genau: man bezeichnet vielmehr Bündel, welche noch recht grob sind, als Fasern. Bei der Beschreibung der Gesichtsmuskeln wird man schon mehr ins Feine gehen müssen; wenn man sich wochenlang mittels Lupenpräparation in das Präparat eingegraben hat, so wird man immer mehr davon zurückkommen, etwas als Faser zu bezeichnen, da immer mehr nicht nur die Zerlegbarkeit sondern auch die Zerlegungsnotwendigkeit sieh aufdrängt. Auf der anderen Seite, wenn man den Ausdruck »Faser « im strengen, d. h. geweblichen Sinne gebrauchen wollte, so würde man ihn überhaupt vermeiden, da auch «das Feinste, was man herauspräpariert. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 13 doch immer noch aus mehreren Fasern zusammengesetzt ist. Man könnte auch geneigt sein, dasjenige als ein Bündel zu bezeichnen, was sich als eine einheitliche Partie eines Muskels, durch eine Spalte bzw. eine binde- gewebige Zwischenlage von anderen Partien getrennt, natürlich darstellt. Aber mit einer solchen Begrenzung des Begriffes ist nicht durehzukommen. Kurz, es läßt sich mit den Worten »Biindel« und »Faser« kein scharf unter- schiedener Sinn verbinden. Auch die Ausdrücke »Schicht« und »Lage« bedürfen einer ähnlichen Vorbemerkung. Da wo verschiedene Muskeln von verschiedener Faser- richtung aufeinandertreffen, wie es im Bereiche der Lippen in reichliehster Weise der Fall ist, spaltet sich oft der eine Muskel und läßt einen Ab- schnitt des anderen Muskels hindurchtreten. Hier bildet also der eine Muskel zwei Schichten. Aber dies beschränkt sich auf die Stelle der Kreuzung mit dem zweiten Muskel. Es würde dem Sachverhalt nieht entsprechen, wenn man die Schichtenbildung über den ganzen Muskel ausdehnen wollte. An dieser sprachlichen Schwierigkeit hat die Beschreibung des Buceinatorius bei Ruge zu leiden gehabt. Funktionelle Betrachtung. Wenn man sich präparierend mit den Gesichtsmuskeln gründlich beschäftigt, so sieht man sich an mehr als einer Stelle durch die Erwägung aufgehalten. wie man es mit der Abgrenzung der Muskeln als selbständiger Individuen zu halten habe. Einerseits, indem man einen Muskel mit einem besonderen Namen belegt, stempelt man ihn dadurch zu einem selbständigen Individuum, und diejenigen, welche sich im gewöhnlichen Präparierbetriebe alsdann mit ihm beschäftigen. bestreben sich, etwa bestehende Verbindungen mit Nachbarmuskeln zu trennen. Anderseits. indem man zwei oder drei benachbarte Muskeln in einen ge- meinsamen Namen zusammenfaßt, so vernichtet man damit die Individualität des einzelnen, und diejenigen, welche in der gewöhnlichen schablonen- mäßigen Weise präparieren, übersehen das Maß der Selbständigkeit der Komponenten. Das ist der Fall mit dem angeblichen »Quadratus labii superioris« im Sinne der BN A, wovon schon gesprochen wurde. In Wahr- heit besteht an vielen Stellen des Gesichtes zwischen benachbarten Muskeln eine teilweise Verbindung und eine teilweise Trennung, wie ja wohl be- ereiflich ist aus der Genese dieser Muskeln. die aus gemeinsamen Anlagen dureh allmähliche Differenzierung hervorgegangen sind. Dieser Zwischen- 14 Hass Vırcmow: zustand zwischen Trennung und Verbindung erschwert es, ja macht es eigentlich unmöglich, den riehtigen Ausdruck zu finden. Da ist es nun eine. beachtenswerte Erwägung, ob nicht diejenigen Muskelabschnitte als Individualitäten anzusehen seien, welche einer ge- sonderten Aktion fähig sind. Will man diesen Gedanken gelten lassen, so hat man sich auf den Weg der Beobachtung am Lebenden zu begeben. Hierbei zeigt sich, daß manche Muskeln, welche uns anatomisch als Einheit entgegentreten, gar nicht unter allen Umständen einfach und einheitlich agieren. Das bekannteste und deutlichste Beispiel dieser Art beim Menschen ist der Orbieularis oculi. Aber es werden für den, welcher aufmerksam und durch Jahre hindurch Gesichter beobachtet. auch an anderen Stellen beachtenswerte Erscheinungen hervortreten. Ich habe an einem mir be- kannten Gelehrten ein Spiel der Stirn bemerkt, welches ich nicht anders deuten kann als so, daß der mittlere Teil des Frontalis sich zusammen- zieht, während der seitliche Abschnitt in Ruhe bleibt. Auch für den Orbieularis oris ist es mir wahrscheinlich, daß der Unterlippenabschnitt sich zusammenziehen kann, während der Oberlippenabschnitt in Untätigkeit verharrt. Die Zahnärzte wären wohl in der Lage, hierüber schätzbare Beob- achtungen anzustellen. Derartige Wahrnehmungen zeigen aber, so wertvoll sie an sich sind, daß der funktionelle Gesichtspunkt für die morphologische Abgrenzung keine entscheidende Bedeutung haben kann. Für den Schimpansen würde nun dieses Hilfsmittel schon ganz von selbst in Wegfall kommen. Denn wenn es schon für den Menschen schwierig ist und nur durch lange fortgesetzte sorgfältige Beobachtung gelingt, das Spiel der lebenden Gesichtsmuskeln zu analysieren, so ist das für ein Tier, welches wir nur gelegentlich und hinter den Stäben seines Käfigs beob- achten können, und dessen Gesichtsausdruck wir nur unvollkommen be- greifen, ganz unmöglich. Anordnung der Einzelbeschreibungen. Es gibt zwei mögliche Arten der Anordnung des Stoffes, die morphologische und die topographische. Nach der ersten muß man diejenigen Muskeln, welche die primitiven sind, zuerst besehreiben und diejenigen, welche sich von ihnen ableiten, folgen lassen: nach der zweiten muß man, über das ganze Gebiet hingehend, die Muskeln, wie sie räumlich aufeinanderfolgen, schildern. Bis zu einem ge- Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 15 wissen Grade kommen beide Arten der Anordnung zusammen, denn die einander benachbarten Muskeln sind auch die näher verwandten. Aber es können sich im einzelnen doch Verschiedenheiten ergeben, denn bei der topographischen Anordnung wird man aus Gründen der Zweckmäßigkeit denjenigen Weg wählen, auf welchem man die größte Anschaulichkeit er- reicht. Hierbei ergibt sich, daß dort, wo die Muskeln in einfacher Schicht liegen, gar keine Schwierigkeit besteht. Dort dagegen, wo Muskeln sich decken, noch mehr aber dort, wo sie sich gegenseitig durchdringen und durchtlechten, erhebt sich eine anfängliche Unklarheit, weil in dem Augen- blick, wo ein Muskel beschrieben werden soll, ein anderer, mit dem er zusammentrifft, noch nicht beschrieben ist und daher dem Leser nicht vor Augen steht. Wenn gar zwei Muskeln sich in mehrfacher Schiehtung durchdringen, und wenn nicht nur zwei, sondern drei und vier Muskeln auf einen Fleck zusammen kommen, so steigert sich die Schwierigkeit der Darstellung in dem Maße der Komplikation. Dies tritt uns recht eindringlich bei demjenigen Muskel entgegen, mit welchem wir bei der morphologischen Anordnung die Beschreibung beginnen müßten, beim Platysma. Die räumlichen Beziehungen desselben zu denjenigen Muskeln, mit welehen es im Gesicht zusammentrifft, sind beim Schimpansen viel komplizierter, als man es sich nach den gewöhn- lichen Beschreibungen des menschlichen Platysma vorzustellen pflegt. Zu einer streng morphologischen Anordnung fühle ich mich insoforn nicht berechtigt, als eine im einzelnen begründete Meinung nur auf Grund vergleichender Untersuchungen möglich ist, welche ich nicht angestellt habe. Doch kann ich ja in dieser Hinsicht auf die umfassenden Unter- suchungen von Ruge verweisen. Ich darf mir daher erlauben, eine topo- graphische Anordnung zu bevorzugen. Befunde an den einzelnen Muskeln. 1. Transversus nuchae fehlt. Auch Ruge erwähnt einen Transversus nuchae beim Schimpansen nicht, und seine in Betracht kommende Fig. 34 läßt einen solchen ver- missen. 16 Hans Vırcmow: Da der Transversus nuchae beim Menschen oft schwer zu finden ist, indem er in dem dichten Bindegewebe in der Gegend der Linea nuchae superior vergraben liegt, so muß man einem negativen Befunde gegenüber immer etwas argwöhnisch sein. Ich habe aber, durch die Erfahrungen beim Menschen vorsichtig gemacht, ganz genau gesucht und kann dafür eintreten, daß der Muskel wirklich fehlte. 2. Oceipitalis (Fig. ı, Textfig. ı) zeichnet sich durch Schmalheit und Höhe aus. Er entspringt an der Linea nuchae superior in Breite von ı2 mm und verbreitert sich, schräg auf- steigend, auf 20 mm. Größte Höhe (am medialen Rande) 34 mm. Er liegt annähernd in der Mitte zwischen Medianebene und Ohr, sein Ursprung am medialen Rande 27 mm von der Mittellinie. Textfigur ı. Hinteransicht der linken Seite des Kopfes; das Ohr durch Druck beim Versand verunstaltet. A. p. Aurieularis posterior. E. Epieranius temporo-parietalis. Er Kleines isoliertes Bündel in dem Raum zwischen Epieranius temporo-parietalis, oceipitalis und aurieularis posterior. Oe. Oceipitalis. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 17 Bei Ruge (S. 42, Fig. 34) ist der Muskel wesentlich anders und be- deekt die Hinterhauptsgegend in ganzer Breite. Es liegt hier also er- hebliche individuelle Variation vor. Der Muskel entfernt sich sowohl bei Ruge als bei mir vom menschlichen Typus, aber in entgegengesetzter Richtung: bei Ruge ist er breiter, bei mir schmaler; bei mir außerdem relativ höher. 3. Aurieularis posterior (Fig. ı, Textfig. ı) besteht aus zwei Portionen, einer oberen und einer unteren. Die obere, 5 mm breit, entspringt sehnig unmittelbar am lateralen Rande des Ocei- pitalis und geht mit einem ganz leichten Bogen zum Ohr. Die untere, 5.5 mm breit, ist im Ursprung durch eine 5 mm breite Lücke von der oberen Portion geschieden, legt sich aber dann an deren unteren Rand. Beide betreten das Ohr noch fleischig und befestigen sich nieht an der Eminentia eonchae, sondern, nach Überbrückung der Furche zwischen dieser und der Eminentia scaphae, an letzterer. Dabei breiten sie sich aus, und ein kleines Bündelehen vom unteren Rande biegt nach unten ab und endigt in dem Bindegewebe auf der Eminentia conchae. Beim Ansatz tritt die Trennung der beiden Portionen wieder deutlicher hervor, indem sie von- einander divergieren. Der Ansatz des Muskels deckt den des Transversus auriculae zu. Ich besitze noch eine weitere Aufnahme, auf welcher der Ansatz deutlicher zu sehen ist, da die Ohrmuschel nach vorne herumgeklappt wurde. Bei Ruge (S. 42, Fig. 34) befestigt sich der Muskel bereits an der Eminentia conchae. Bei mir ist der Ansatz nicht so schematisch, wie er bei Ruge gezeichnet wurde, sondern für oberes und unteres Bündel ver- schieden. 4. Auriculae proprii posteriores. (Fig. 3.) Ich bediene mich hier einer von Ruge (S. 42) gebrauchten Bezeich- nung für zwei Muskeln, von welchen der größere bereits eben mit dem üblichen Namen »Transversus auriculae« genannt ist. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. 3 18 Hans Vırcnaow: Es gibt zwei solcher Muskeln, einen kleineren und einen größeren. a) Der kleinere überspringt die Furche zwischen der Eminentia conchae und der Eminentia fossae triangularis. Er hat eine Breite von 83 mm und besteht aus kurzen Bündeln, deren längste die unteren sind. b) Der größere überbrückt in kontinuierlicher Anordnung die Furche zwischen der Eminentia eonchae und der Eminentia scaphae und hat eine Breite von 36 mm. Seine Bündel sind verschieden lang, die längsten ıo mm. Er setzt sich nach unten fort bis auf den Tragus, wobei das unterste Stück derartig gedreht ist, daß seine der Haut zugewendete Fläche abwärts schaut. Dieses letzte Stück geht vom Antitragus an die Wurzel der Cauda helieis. Bei Ruge (S. 42, Fig. 34) ist nur der größere dieser beiden Muskeln erwähnt. 5. Epieranius temporo-parietalis. (Fig. 1. 2. 4, Textfig. 2.) Ich bediene mich der Bezeichnung »Epieranius« in Anlehnung, aber doch nicht genauer Wiederholung der Henleschen Ausdrucksweise (Henle, Muskellehre S. 142). Den Namen »Epieranius temporo-parietalis« habe ich gebraucht in der oben zitierten Arbeit über die Gesichtsmuskeln des Menschen. Der Muskel stößt vorn an den Frontalis und ÖOrbieularis oculi an und reicht von da aus rückwärts bis in die Gegend oberhalb des Ohres. Er wird beim Menschen durch die beiden Äste der Arteria temporalis super- ficialis zerlegt in drei Stücke, ein vorderes, mittleres und hinteres. Das vordere Stück ist der Epieranius temporalis von Henle, ein Ausdruck den ich beibehalten habe; das mittlere Stück, welches zwischen den beiden Ästen der Arterie liegt und eine dreieckige Gestalt hat, hat keinen be- sonderen Namen erhalten; das hintere Stück wird ganz allgemein als Auri- cularis superior bezeichnet, doch ist diese Benennung ungenau, da der Muskel den Ohransatz nach hinten überschreitet. Beim Schimpansen hat der Muskel eine weitgehende Übereinstimmung mit dem des Menschen. Er zerfällt in zwei Abschnitte, einen vorderen und einen hinteren, welche durch einen Isthmus zusammenhängen. Der Isthmus kommt dadurch zustande, daß sich von unten her ein muskel- freies Feld zwischen beide Abschnitte einschiebt. Unmittelbar vor der Vereinigung beider Abschnitte hat der Muskel eine Höhe von 20 mm. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 19 a) Vorderer Abschnitt. Dieser hat vorn genau die gleiche Faser- richtung wie der Frontalis, so daß es hier unmöglich ist, ihn sicher von letzterem zu trennen. Weiter nach hinten gehen jedoch seine Fasern durch Divergenz immer mehr in senkrechte Riehtung über, so daß er schließlich den Rand des Frontalis rechtwinklig trifft. Beim Ansatz an den Augen- höhlenwulst ist die Breite des Muskels neben dem Frontalis 7 mm. b) Hinterer Abschnitt. Derselbe hat unten eine Breite von 19 mm. Von diesen gehen jedoch nur die vorderen 9 mm an die Ohrmuschel, der dahinter gelegene Teil endigt hinter dem Ohr in der Galea, also so wie beim Menschen. Die größte Höhe ist 33 mm. Der Ansatz an die Ohr- muschel ist so, daß der Muskel beim Betreten der Helix sich nieht sofort an dieser befestigt, sondern sich zuerst mit divergierenden Fasern aus- breitet, und zwar sowohl aufwärts wie abwärts. Auf der vorderen Seite befestigt er sich in Höhe von 17 mm bis zur Spina hinab. Auf der hinteren Fläche hat sein Ansatz noch eine Breite von 4 mm. Bei Ruge (S. 87, Fig. 28. 29. 34) ist nicht nur die Benennung, son- dern auch die Beschreibung verschieden. Es handelt sich hier um zwei getrennte Muskeln, einen vorderen, den M. orbito-temporo-auricularis, und einen hinteren, den Auricularis superior, von welchen der letztere mit seinem unteren Ende ausschließlich an die Ohrmuschel tritt; auch die Art des Ansatzes an letzterer wird abweichend geschildert. — Ich möchte gegenüber dieser Darstellung, ohne deren Richtigkeit anzweifeln zu wollen, noch einmal betonen, daß das von mir gefundene Verhalten sich näher an das des Menschen anschließt. 6. Aurieularis anterior. (Fig. ı. 2, Textfig. 2.) Ein solcher läßt sich von dem Aurieularis superior durch dasselbe Merkmal wie beim Menschen unterscheiden, indem nämlich sein Ansatz an die Ohrmuschel tiefer, d. h. von der Oberfläche entfernter, liegt als der des Auricularis superior, um 2.5 mm. Der Ansatz am Ohr ist 4 mm breit, das vordere Ende des Muskels an der Galea 9 mm, der untere Rand ist Smm lang. Zwischen dem vorderen Ende seines unteren Randes und dem hinteren Ende des unteren Randes des Epieranius temporalis besteht ein Abstand von 23 mm. Hans Vırecnow: Textfigur 2. Linke Seitenansicht. Entfernt sind die obertlächliche Schicht des Zygomaticus und die oberflächliche Portion des Platysma am Mundwinkel, wodurch hier Orbieularis oris und Caninus und die Verbindung beider mit dem Triangularis sichtbar geworden sind. Vom Levator labii superioris ist nur der Ursprung erhalten. Entfernt ist noch die oberflächliche Ausbreitung des Platysma über die Unterlippe (»Quadratus«). Aa Ca. be Aurieularis anterior. Caninus. Epieranius temporo-parietalis. Frontalis. Levator labii superioris. Nasalis. Orbieularis oris. Platysma. Tragohelieinus. Triangularis. Zygomatieus. Bei Ruge (vel. S. 87, Fig. 25 und 29) kommt ein solcher Muskel nicht vor. Mit Rücksicht auf das Verhalten beim Menschen habe ieh schon früher (a. a. O.S. 389) auf die alte Abbildung von Friedrich Arnold verwiesen. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 21 Wohl die Mehrzahl der Autoren nimmt von diesem Auricularis anterior Notiz, und auch Eisler (a. a. 0. S. 176) läßt ihn gelten. Für den Schim- pansen kann ich nur sagen, daß er dort von mir ebenso wie beim Menschen gefunden wurde. Ich bestreite dabei natürlich genau ebenso wenig, daß er nur ein abdifferenzierter Teil des Auricularis superior ist, wie ich mich der Belehrung verschließe, daß er bei niederen Formen mit dem Epicranius temporalis zusammenhing. Aber die Aufgabe der vergleichenden Morpho- logie besteht nicht nur darin, die Vorstufe nachzuweisen, aus der eine Form hervorgegangen ist, sondern auch die Stufe scharf zu umgrenzen, auf der sie selbst sich befindet; und insofern ist Nachdruck darauf zu legen, daß beim Sehimpansen die Verbindung des Aurieularis anterior mit dem Epicranius temporalis unterbrochen ist, und daß der Aurieularis an- terior dasjenige Maß von Selbständigkeit erlangt hat, welches er beim Menschen besitzt. 7. M. trago-helieinus. (Textfig. 2.) Am vorderen Rande der Ohrmuschel und zum Teil vor derselben findet sich eine kleine Muskelmasse, welche ziemlich schwer zu präparieren ist, indem sie sich tief in dem filzigen Bindegewebe an der vorderen Seite des Ohres versteckt. Dieselbe besteht aus zwei Portionen, einer vorderen und einer hinteren. a) Vordere Portion. Dieselbe, 2 mm breit, geht nach unten vor dem Tragus vorbei und verliert sich in der Subeutis in der Gegend der Inzisur zwischen Tragus und Antitragus. Nach oben biegt ein feines Bündelehen vorwärts ab zur Galea vor dem Ohre, das Hauptbündel geht aufwärts und vor der Spina helieis in den vorderen Rand des Auricularis anterior über. b) Hintere Portion. Dieselbe hat eine Breite von 5 mm und be- steht ihrerseits wieder aus zwei Bündeln; sie befestigt sich oben an der Spina helieis, unten am oberen Rande des Tragus. Wollten wir einen Namen aus der menschlichen Anatomie übertragen, so würden wir wohl den »Tragieus« wählen. Indessen paßt, wie man aus der Beschreibung sieht, diese Bezeichnung nicht, und ich habe mich daher für einen Namen entschieden, weleher dem anatomischen Verhalten 22 Hans VırcHuow: entspricht und damit Unklarheit abschneidet. Wieweit sich morpholo- gische Analogien nachweisen lassen, bleibe dabei unentschieden; funktionell aber erscheint ein solcher Muskel, indem er Tragus und Spina helieis ver- bindet, wohl begründet und verständlicher als der Tragicus des Menschen. Mit Ruges Beschreibung stimmt mein Muskel ungefähr der Lage nach, aber nicht nach der Beschreibung, insofern als Ruge nur »mikroskopisch nachweisbare Elemente eines Trago-antitragicus wahrnehmen « konnte (a.a.O. S. 53). Man möchte danach annehmen, daß die Abbildungen (a. a.O. Fig. 28 und 29), die den Muskel doch recht makroskopisch zeigen, in diesem Punkte schematisch sind. Diese Literaturstelle veranlaßt mich, besonders zu be- merken, daß in meinem Falle die Verhältnisse nicht so ungünstig lagen, da sich der Muskel mit Lupenhilfe ganz klar präparieren ließ, und daß sich die rechte und linke Seite gleich verhielten. 8. Frontalis. (Fig. ı. 2. 4, Textfig. 2.) Die beiden Frontales zusammen bilden eine 27 mm hohe Platte, deren oberer Rand ohne mittlere Einsenkung von rechts nach links hinüberläuft. An der Seite, da wo der Muskel an den Epieranius temporo-parietalis an- stößt (s. S. 19), ragt ein 8 mm breites Stück desselben noch etwas weiter rückwärts. An der lateralen Hälfte des Oberaugenhöhlenwulstes trifft er unter rechtem Winkel auf den Orbieularis oculi. An der medialen Hälfte und auf der Glabella kommt er mit dem Depressor glabellae in einer nicht näher erkennbaren Weise in einem diehteren Bindegewebe zusammen, so daß der Anschein entstehen kann, als wenn er teilweise in diesen Muskel überginge. Bei Ruge (a. a. O0. S. 87) heißt es: »Die Bündel entstehen in der Nähe des medialen Augenwinkels vom Stirnfortsatze des Oberkiefers und vom Laerimale. Von hier aus steigen sie über den Margo supraorbitalis zur Stirn empor. Diesen Bündeln schließen sich solche an, welche von einer derben, am Margo supraorbitalis befindlichen Fascie entspringen.« Auch die Abbildungen (a. a. O. Fig. 28 und 29) zeigen diesen Ursprung unterhalb des Augenhöhlenrandes. -— Ich habe mich von der Richtigkeit dieser Dar- stellung nicht überzeugen können. Man findet in der medialen Hälfte der Oberaugenhöhlengegend unmittelbar unter der Haut ein dichteres Binde- Gesichtsmuskeln des Schünpansen. 23 gewebe (Ruges »Fascie«), welches die Präparation so sehr erschwert, daß es mir wenigstens nicht möglich war, etwas ganz Sicheres über den Verbleib derjenigen Muskelpartien festzustellen, die hier hineingelangen. Dies sind der Depressor glabellae, Depressor capitis supereilii, Corrugator supereilii, Frontalis und obere Randfasern «des Orbicularis oculi. Ich glaube, daß alle diese Formationen an dieser Stelle unter gegenseitiger Durchdringung ihr Ende finden, daß diese diehte Bindegewebspartie der Treffpunkt der von verschiedenen Seiten kommenden und nach verschiedenen Richtungen wir- kenden Züge ist. Daß aber der Frontalis nicht unterhalb des Augenhöhlen- 'andes am Knochen der Nase entspringen kann, scheint mir auch nach dem Benehmen des lebenden Tieres wahrscheinlich. Denn das gewaltsame Empor- ziehen der Brauengegend, welches für Affen und Anthropoiden als Bestand- teil des Gesichtsausdruckes so charakteristisch ist, würde nicht möglich sein, wenn der Frontalis sich unterhalb dieser Gegend am Knochen befestigte. 9. Orbieularis oculi. (Eig. 1.2.4.5, Textfig. 2.) Die Trennung in eine Pars orbitalis und Pars palpebralis läßt sich ebensowenig durchführen wie beim Menschen, indem Bündel, welche an der medialen Seite in den Lidern liegen, lateral auf den Knochen treten. So bequem daher auch eine solehe Ausdrucksweise stellenweise für die Beschreibung ist, so wenig hat sie eine systematische Bedeutung. Man darf sich ihrer daher nur in beschränktem, lokalem Sinne bedienen. Der auf dem Knochen liegende Teil ist schmal, verglichen mit dem des Menschen. Ursprung. Der Muskel entspringt ebenso wie beim Menschen nur an der medialen Seite, und zwar am Ligamentum palpebrale!' sowie unter- halb und noch mehr oberhalb desselben. Der Ursprung an der Nase hat im ganzen eine Höhe von 15 mm, was in Anbetracht der kleinen Verhält- nisse viel ist. Außerdem scheint mir, wie ich schon sagte, der in der (regend des oberen Augenhöhlenrandes gelegene Abschnitt sich mit seinem medialen Ende in der beim Frontalis erwähnten dichten Bindegewebsmasse zu verlieren. ! Das Ligamentum palpebrale ist kurz und diek, wodurch die Gegend des medialen Lidwinkels etwas Plumpes, wenig Ausgearbeitetes hat. Eine Nische an der unteren Seite des Bandes, wie sie sich beim Menschen findet, gibt es nicht. 24 Hans VırcHow: Der Orbieularis des unteren Lides entspringt am Ligamentum palpebrale, am unteren Augenhöhlenrande und an der Nase. Am Augenhöhlenrande entspringt er jedoch nur wenig, und zwar bis zu 3.5 mm unterhalb des Ligamentum palpebrale; genau genommen nieht am Knochenrande selbst, sondern an einem fibrösen Streifen, welcher in der Richtung des Knochen- randes ausgespannt ist. Vom Ligamentum palpebrale geht der betreffende Abschnitt sehr schief, der Horizontalen genähert, ab. Die am Ligamentum palpebrale und am Orbitalrande entspringende Partie geht nur ins Lid. Der Orbitalteil des unteren Lides entspringt zum Teil an der Nase in Höhe des Ligamentum palpebrale bis an die Mittelebene heran, zum Teil aber liegen seine Fasern oberflächlicher und hängen mit dem Depressor capitis supereilii und Depressor glabellae zusammen. Des genaueren sei hierüber noch folgendes bemerkt: Der an der Nase bis gegen die Mittelebene reichende Ursprung ist hier vom Depressor glabellae gedeckt und hängt mit dem Levator alae nasi zusammen; ein 3 mm breites Bündelehen von ihm tritt auf der linken Seite des Präparats nicht an den Knochen. sondern geht durch den Depressor glabellae hindurch, nimmt auf- steigende Richtung an und verschmilzt mit dem genannten Muskel. Die oberflächlichen (nicht am Knochen entspringenden) Fasern bilden eine das Ligamentum palpebrale verdeckende Falte (Mongolenfalte). Verfolgt man das Bündel, welches diese Falte erzeugt, nach unten, so liegt es hier auf der Grenze des Lidteils und Orbitalteils, jedoch dem letzteren angehörig; verfolgt man es nach oben, so breitet es sich außerordentlich aus und bildet eine oberflächliche Schicht des Depressor capitis supereilii (s. bei diesem). Der Orbieularis des oberen Lides entspringt an der Nase weit hinauf, bis ı5 mm oberhalb des Ligamentum palpebrale, und unterscheidet sich hierdurch von dem gewöhnlichen menschlichen Verhalten. Von seinen Fasern gelangen jedoch die hoch oben entspringenden in ihrem weiteren Verlauf keineswegs besonders hoch hinauf, sondern sie verlaufen unmittel- bar unterhalb des Knochenrandes in ziemlich horizontaler Richtung. Dieser Abschnitt ist auf den Figuren 4 und 5 zu sehen, bei deren Betrachtung zu beachten ist, daß der Teil des Lides, welcher diesen Faserzug enthält, abwärts geklappt wurde, weil nur dadurch das erwähnte Verhalten deutlich gemacht werden konnte. Ich habe diese Ursprungsverhältnisse so genau geschildert, obwohl ich mir sagen mußte, daß bei einer solchen Detaillierung manches mit Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 25 unterläuft, was vielleicht nur individuelle Bedeutung hat. Indessen hat auf der anderen Seite eine unbestimmte, verwaschene Beschreibung auch keinen Wert, indem sie die festen Handhaben für den Vergleich mit dem Menschen vermissen läßt. Im Randteil des unteren Orbieularis sind die am meisten peripheri- schen Bündel zwar bogenförmig geblieben, aber sie »hängen«, d.h. die Scheitel der von ihnen gebildeten Bogen sind abwärts gezogen und schärfer gekrümmt, so daß zwischen ihnen sichelförmige muskelfreie Lücken bleiben. Natürlich ist der Ausdruck »sie hängen« nicht realistisch sondern bildlich zu nehmen; in Wahrheit rührt die Erscheinung daher, daß diese Bündel von der Tendenz ergriffen sind, Beziehungen auf den Sulcus nasolabialis aufzusuchen. Beim Menschen trifft man ganz dieselben hängenden Bündel und die durch sie bedingten sichelförmigen Lücken. Bei weiterer Wirk- samkeit dieser Tendenz kommt es dahin, daß die Bogen an ihren Scheiteln aufbrechen und sich aus ihnen voneinander getrennte, geradegerichtete me- diale und laterale untere Randbündel bilden, die alsdann auswachsen und sich mit-ihren nach unten konvergierenden Enden überkreuzen können. Dies fand ich beim Schimpansen nicht. Vom lateralen Rande des Orbicularis löst sich ein einziges 1,5 mm breites Bündel ab und geht, dem Zygomaticus gleichgerichtet, wie dieser zur Oberlippe (Fig. ı, O. oe. 1. und Fig. 2). Bei Ruge unterscheiden sich sowohl die Beschreibung (a. a. O. S. 66, 68, 75) wie die Abbildung (a. a. ©. Fig. 28) in vielen Punkten von den meinigen, doch würde es zu weit führen, dies zu erörtern, und es mag sehon aus dem Grunde unterbleiben, weil vermutlich in feineren Einzel- heiten individuelle Unterschiede bestehen. 10. Depressor capitis supereilii. (Fig. 1. 2. 4.) Der Depressor capitis supereilii ist wie beim Menschen ein dreieckiger Muskel, der zwar mit dem Orbicularis oculi zusammenhängt und zusammen- gehört, aber doch so weit eigenartig differenziert ist, daß er als besonderer Muskel beschrieben zu werden verdient. Um ihn genauer zu schildern, muß man eine obertlächliche und eine tiefe Lage unterscheiden. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. 4 26 Hans Vırecmow: a) Oberflächliche Lage. Die oberflächliche Lage ist schon beim Orbieularis oculi erwähnt worden (s. S. 24); es war dort gesagt, daß ein am Ligamentum palpebrale vorbeiziehendes Bündel des Orbieularis oeculi, nach oben sich ausbreitend, eine oberflächliche Lage des Depressor capitis supereilii bilde. b) Tiefe Lage (Fig. 4). Diese stellt sich dar als ein dreieckiger Muskel, welcher sich nach unten hin zuspitzt und bis zu einer Stelle reicht, welche 6 mm über dem Ligamentum palpebrale liegt. Unten hängt sein lateraler Rand mit dem Lidteil des Orbieularis zusammen, oben jedoch ist er voll- kommen deutlich von ihm getrennt. J Der Depressor capitis supereilii ist von dem Depressor glabellae unten durch einen Abstand geschieden; oben dagegen stoßen beide Muskeln an- einander und hängen hier zusammen, indem sie beide aufwärts gerichtet sind. Der Depressor capitis supereilii breitet sich nach oben aus, indem sein medialer Rand senkrecht, der laterale Rand sehr flach nach der Seite verläuft, und erreicht am oberen Augenhöhlenrande eine Breite von 30mm. Wenn von zwei Lagen des Muskels gesprochen wurde, so ist das nicht so zu verstehen, als wenn es sich um zwei selbständige Schichten handele. Der Muskel ist einheitlich, aber indem man ihn von der Oberfläche nach der Tiefe verfolgt, ändert sich sein Charakter, und diesem Umstande kann man nur dadurch gerecht werden, daß man zwei Lagen beschreibt. Die tiefe besteht aus platten Bündeln, welche dicht aneinanderstoßend eine ge- schlossene Formation bilden, die oberflächliche aus rundlichen mehr ge- trennten Bündelchen; die tiefe entspringt ausschließlich am Knochen, die oberflächliche dagegen geht großenteils aus dem Orbieularis des unteren Lides hervor; die tiefe Lage entspringt mehr medial als die oberflächliche. Bei Ruge (a. a. O. S. 82) ist das Vorkommen des Muskels nur an- gedeutet. 11. Corrugator supereilii. (Fig. 5.) Der Muskel entspringt in Breite von IOmm zur Seite der Nasenwurzel. Der höchste Punkt seines Ursprunges liegt 3,5 mm unterhalb der Verbin- dungslinie der höchsten Punkte beider Supraorbitalwülste. Beim Ursprung sind die oberen Bündel mehr der Mittellinie genähert als die unteren; der Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 27 Abstand der oberen Bündel beider Seiten ist dabei mm. Der Muskel ist seitwärts und schwach aufwärts gerichtet und geht über der Mitte der Brauengegend, zum Teil aber auch in Höhe des Augenhöhlenrandes in die oberflächliche Muskellage über. Nicht nur die morphologische Zugehörigkeit des Corrugator zum Orbi- eularis oculi, sondern auch die Art ihrer Beziehung tritt beim Schimpansen deutlicher als beim Menschen hervor: indem der Ursprung des Orbieularis so hoch an der Nase emporrückt (s. S. 24), wird dadurch die Verbindung mit dem Corrugator hergestellt; eine Besonderheit des Corrugator besteht nur darin, daß die Ursprünge beider Corrugatores näher an die Mittellinie heranreichen. Bei Ruge findet sich keine Bemerkung über den Corrugator des Schimpansen. 12. Depressor glabellae. (Eig..1. 2. 3.) Der Muskel entspringt schmal, fast zugespitzt, auf der knöchernen Nase, 9 mm oberhalb der Apertura pyriformis. Von da aus divergieren seine Fasern nach oben, wobei im vorliegenden Falle (individuelle Variation) der seitliche Rand der linken Seite stärker als der der rechten Seite geneigt ist, so daß links die Randfasern in die Deckfalte des oberen Lides gelangen. Auf der Mitte der Nase ist der Muskel der rechten und der der linken Seite durch eine ganz feine mediane Spalte geschieden; am Ursprung und an der Glabella hängen jedoch beide Muskeln untrennbar zusammen. Die Art der oberen Endigung konnte ich nicht genau feststellen, halte jedoch für wahr- scheinlich, wie ich schon beim Frontalis sagte (s. S. 22), daß er nicht in letzteren übergeht, sondern in dem dort erwähnten dichten Bindegewebe endiget. Hier oben wird auch das Verhalten undeutlich durch die Ver- flechtung mit Bestandteilen des Depressor capitis supereilii und des Orbi- eularis. Auch unten, wie bei dem Orbicularis schon gesagt wurde (s. S. 24), treten Fasern des letzteren in das Gebiet des Depressors ein; im vorliegenden Falle sowohl rechts wie links. Dieser Depressor glabellae kann also als mit dem des Menschen über- einstimmend bezeichnet werden; schärfere Unterschiede zwischen beiden lassen sich schon aus dem Grunde nicht angeben, weil der des Menschen individuell variiert. 28 Hans Vırcuow: » Zur schärferen Charakterisierung des Depressor glabellae des Schimpansen sei noch einmal folgendes hervorgehoben: 1. er entspringt am Knochen, nieht in einer Aponeurose; 2. sein Ursprung liegt ziemlich hoch oberhalb des Randes der Apertur; 3. er ist unten schmal und divergiert stark nach oben: 4. er kreuzt und durchflicht sich auf der Nase mit dem Örbicularis bzw. Depressor capitis supereilii. Bei Ruge (a. a. O. 78) findet sich eine unbestimmte Andeutung. Die drei zuletzt besprochenen Muskeln, Depressor capitis supereilii, Corrugator und Depressor glabellae, wie sie morphologisch in naher Be- ziehung stehen, gehören auch funktionell zusammen, indem sie der feineren Ausarbeitung des Mienenspiels der medianen Brauengegend dienen, und hierin liegt ein nicht unerhebliches Interesse. Ich ging an die Untersuchung des Schimpansenkopfes mit der Meinung, daß die weitgehende Differenzie- rung der Muskulatur in dieser Gegend eine spezifische menschliche Eigen- tümlichkeit sei. Ich hatte jahrelang an den Gesichtern lebender Menschen die Wirkungsweise dieser Muskeln zu erhaschen und dieselbe durch Photos festhalten zu lassen gesucht. Ich hatte mich der Vorstellung hingegeben, daß die Gegend um den Brauenkopf, welche in dem sinnenden Gesichts- ausdruck in so feinen Abstufungen wirksam wird, ihre Ausgestaltung erst Hand in Hand mit der höheren Intelligenzentwicklung erhalten habe. Diese apriorische Vorstellung ist durch die Erfahrungen, welche ich bei der Präparation des Schimpansen machte, umgestoßen worden. 13. Zygomatieus. (Fig. ı. 2. 4, Textfig. 2. 3. 4. 5. 6.) Der Zygomaticus ist ein mächtiger Muskel. Er hat eine Breite von ıo mm und bewahrt diese auch in seinem ganzen Verlauf bis an den Orbi- cularis oris heran. An seinen oberen (medialen) Rand schließt sich eine Muskelpartie von genau gleichem Verlauf unmittelbar an, so daß es auf den ersten Blick so aussieht, als habe er das Doppelte seiner wirklichen Breite. Ich werde jedoch diese Partie als eine besondere Formation im nächsten Absatz beschreiben. Der Muskel entspringt sehnig in Breite von ıı mm, und zwar an einer schiefen Linie und nicht an einem Felde; nicht am Zygomaticum, sondern ausschließlich am 'Temporale, indem sein Ursprung Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 29 parallel zu der Naht zwischen beiden Knochen, 3 mm von derselben ent- fernt, verläuft. Indem der Zygomatieus die Muskeln der Lippe trifft, spaltet er sich, wie dies ja auch beim Menschen stets der Fall ist, aber er verhält sich dabei noch komplizierter, als es beim Menschen beschrieben zu werden pflegt. Er breitet sich nämlich zunächst in oberflächlicher Schicht aus, den Orbieularis, Caninus und das Platysma bedeckend (Fig. ı. 2. 4). Nach Textfigur 3. Linke Seitenansicht. Entfernt wurde die oberflächliche Ausstrahlung des Caninus, wodurch die mittlere Portion des Zygomatieus sichtbar geworden ist. Vom Lippenteil des Platysma ist die oberflächliche Schicht entfernt, so daß die tiefe, in den Orbieularis eindrin- gende Schicht sichtbar geworden ist. Vom unteren Randbündel des Orbieularis ist das seitliche Stück weggeschnitten. um das Eindringen des Platysma sichtbar zu machen. Hier ist der Orbieularis besonders dick; die abgetragene Schicht hatte eine Dicke von 2 mm. Ca. Caninus. N. Nasalis. ÖO.or. Örbicularis oris. B: Platysma. Die oberflächliche, den Orbieularis bedeekende Schicht wurde ent- fernt. An dem in der Figur dargestellten vorderen (medialen) Rande des Muskels geht ein 3 mm breites Bündel an den Knochen, nämlich in das Ursprungsgebiet des Mentalis. 2. Zygomatieus. Das neben dem Mundwinkel gelegene Stück bedeutet die mittlere Schicht des Muskels. Die vordere untere Ecke ist gestutzt. 30 Hans Vırenow: Oor Textfigur 4. Linke Seitenansicht. Entfernt wurde die mittlere Lage des Zygomaticus, so daß die tiefe Lage des Caninus sichtbar geworden ist; jedoch ist von der mittleren Lage des Zygo- maticus eine untere Ecke, den Caninus bedeckend, stehengeblieben. Der Caninus ist unten abgeschnitten und an derselben Stelle ein Stück des Orbieularis oris entfernt, so daß man hier das Platysma bei seinem Eindringen in den Örbieularis sehen kann. Ca. Caninus. N. Nasalis. O.or. Örbieularis oris. B: Platysma. Die oberflächliche Schicht im Bereich der Unterlippe ist entfernt. Der Muskel ist in dieser Figur, verglichen mit der Textfigur 3, nach der medialen Seite hin ergänzt, entsprechend der vorausgehenden Präparation. 2. Zygomaticus. Wegnahme dieser Schicht wird eine oberflächliche Lage des Caninus sicht- bar (Textfig. 2). Nach Wegnahme dieser liegt wieder der Zygomatieus vor, und zwar in Breite von 9 mm (Textfig. 3). Unter dieser Schicht folgt wieder Caninus (Textfig. 4). Dann kommt eine dritte Schieht des Zygomatieus (Textfig. 5), welche sich gegen den Orbicularis etwas ausbreitet, so daß sie hier eine Breite von 13 mm erlangt. In diese tiefe Schicht des Zygomaticus dringt noch ein Bündel des Caninus ein, welches aber zu schmal ist, um eine neue Schiehtenbildung im Zygomatieus hervorzurufen. Sonst hätten wir im Zygomatieus vier Schichten zu unterscheiden. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 3l Textfigur 5. Linke Seitenansicht. Gegenüber der Textfigur 4 ist nur in der Mundwinkelgegend fortgeschritten worden. Es wurde hier die tiefe Schicht des Caninus abgetragen, so daß die tiefe (dritte) Schicht des Zygomatieus sichtbar geworden ist. Nur ein kleines Bündel der tiefen Schicht des Caninus (Ca') blieb erhalten, welches in die tiefe Schicht des Zygomaticus eindringt und dadurch eine weitere Trennung der letzteren in zwei Lagen andeutet. Ein kleiner Abschnitt des Buceinatorius ist in dem Raume zwischen Caninus, Orbieularis und Zygomatieus sichtbar geworden, der Buceinatorius seitlich nicht angegeben. Dort wo der obere Rand des Zygomaticus auf den Orbieularis trifft, drängt sich eine Lippendrüse hervor. B. Buceinatorius. Ca. Ursprung des Caninus. Gar Kleines Bündel vom hinteren Rande des Caninus, welches in die tiefe Schicht des Zygomaticus eindringt. N. Nasalis. ÖO.or. Orbicularis oris. P. Platysma. zZ. Zygomaticus. Es muß ausdrücklich bemerkt werden, daß von Schichtenbildung nur im Bereiche der Mundgegend gesprochen werden kann; bis an den Orbi- eularis und Caninus heran ist der Zygomaticus ein völlig einheitlicher, un- geteilter Muskel. 32 Hans VırcHaow: Die oberflächliche Schicht breitet sich in dünner Lage an der Außen- fläche des Orbicularis aus, hauptsächlich in der Oberlippe im unmittelbaren Anschluß an die Ausbreitung der gleich zu besprechenden »Zwischen- bündel«; ein 6 mm breites Bündel geht aber auch in die Unterlippe, das Platysma bedeckend. Die vordere Endigung dieses Unterlippenbündels ließ sich nieht genauer erkennen. Textfigur 6. Linke Seitenansicht. In der Oberlippe ist der Orbicularis fortgenommen, so daß die Ausstrahlung der tiefen (dritten) Schicht des Zygomaticus verfolgt werden kann. Der Zygo- maticus selbst ist kurz geschnitten, um die obere Randpartie des Buceinatorius frei zu be- kommen. Ein Stück der tiefen Schicht des Platysma ist erhalten, um den Vortritt einer Buccinatoriusportion (B. 4) vor dieselbe sehen zu lassen. Die Lippen- und Wangendrüsen sind in weitem Umfange frei geworden. B. Buceinatorius. B. ı—B.4. Partieen des Buceinatorius, welche im Text erläutert werden. N. Nasalis. Ö. or. Örbieularis oris in der Unterlippe. 1 Platysma. Ball. Platysmabündel, welches vom Rande der tiefen Portion abbiegt, um sich an den Knochen anzusetzen. Z. Tiefe Schicht des Zygomaticus. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 33 Die tiefste ‚Schicht des Zygomaticus geht mit einer 5 mm breiten Portion zur Unterlippe und mit einer 7 mm breiten Portion zur Oberlippe. In der Unterlippe findet eine Kreuzung mit der tiefen Schicht des Platysmas statt. Der Oberlippenanteil läßt den an den Lippensaum angrenzenden Teil der Lippe frei. Einzelne Bündel von ihm lassen sich weit median- wärts verfolgen, insbesondere in der Gegend der Umschlagsfalte der Schleim- haut. Eine Abgrenzung gegen den Orbicularis ist zuletzt nicht mehr mög- lich und daher nicht mit Sicherheit zu sagen, wie weit diese Zygomaticus- bündelehen reichen. Von der tiefen Schicht zweigt sich ein tiefstes 2.5 mm breites Bündel ab, welches in den Buceinatorius 9 mm hinter dem Mundwinkel ein- dringt. Bei Ruge (a. a. 0. S. 62. 64. 68, Fig. 28. 29. 30. 31) ist die Beschrei- bung nicht in allen Punkten genau die gleiche. Ich will deren nur drei hervorheben: Erstens fand Ruge den Muskel auf die Oberlippe beschränkt und nicht auch in die Unterlippe gehend, was bei meinem Exemplar so- wohl in der oberflächlichen wie in der tiefen Schicht der Fall war. So- dann teilt sich bei Ruge der Zygomaticus in der Lippe nur in zwei Schichten, bei mir in deren drei bzw. vier. Endlich möchte ich die Wendung: der Zygomatieusursprung »rückt in die Tiefe« (a. a. ©. S. 66) nur bedingt gelten lassen. Soll dieselbe rein deskriptiv gemeint sein, um den Ursprung am Knochen zu bezeichnen, so mag man sie annehmen; soll sie aber ein morphologisches Geschehen ausdrücken, so ist sie zu beanstanden, denn es handelt sich nicht um einen Vorgang, der bei den Anthropoiden sich vollzieht, vielmehr ist schon bei Affen dieser Knochenursprung des Zygo- maticus vorhanden'. Wenn beim Menschen der Zygomaticusursprung vom Rande des Orbicularis verdeckt ist, so ist dies offenbar nieht dadurch zu- stande gekommen, daß der Zygomaticusursprung in die Tiefe rückte, wo er sich, wie gesagt, schon bei den Affen befand, sondern dadurch, daß er durch den sich seitwärts ausbreitenden Orbicularis überdeckt wurde. Der tiefe Ursprung (des Zygomaticus ist das schon früher Erworbene, Beharrende, die Ausbreitung des Orbicularis nach der Seite das Progressive, Neue. I So fand es sich bei einem Affen, von dessen Schädel ich die Seitenansicht mit den Muskelmarken früher gegeben habe (Zeitschr. f. Ethnol. Jg. 1g9ro S. 638—654; dort S. 652 Fig. 14). Herr Matschie hat mir gütigst den Schädel als den eines Cercocebus fuliginosus bestimmt. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. [2,1 34 HAns Vırcaow: Eine Unklarheit kommt auch dadurch zustande, daß Ruge bei der Aus- breitung in der Oberlippe nicht den Zygomaticus von den gleich zu be- schreibenden Zwischenbündeln unterscheidet. 14. Zwischenbündel zwischen Zygomatieus und Orbieularis oeuli. (Fig. 1. 2. 4.) Auf den Fig. 1.2.4 sieht man in dem Zwischenraum zwischen Orbi- cularis und Zygomaticus eine Anzahl von Bündeln, welche genau die Richtung haben wie der Zygomatieus, aber nicht wie dieser als ein ein- heitlicher, geschlossener Muskel am Knochen entspringen, sondern jedes für sich an der Fascia temporalis befestigt sind. Diese Eigentümlichkeiten verleihen den genannten Bündeln eine hinreichende Eigenart, um sie als etwas Selbständiges zu bezeichnen, was ich durch den gewählten Ausdruck zu tun versuche. Zwischen dem Zygomatiecus und dem Rande des Orbieularis oeuli be- findet sich ein Zwischenraum von ıı mm Weite. In diesem liegt eine ° Formation, welche dem Zygomaticus gleich gerichtet ist. Die Bündel ent- springen, wie gesagt, getrennt an der Faseia temporalis. Ein einziges dieser Bündel von 1.5 mm Breite, welches beim Orbiecularis oculi bereits erwähnt wurde, löst sich vom Rande dieses Muskels ab. Mit ihm zusammen kann man von fünf Bündeln sprechen, welche auf- und lateralwärts an ihren Ursprüngen divergieren. Das unterste Bündel tritt, schief zum Zygomaticus gerichtet, an dessen äußere Fläche und verschmilzt mit derselben. Da wo diese Formation den Orbieularis oris trifft, verhält sie sich genau wie der Zygomatieus, d. h. sie breitet sich, ab- und vorwärts gerichtet, an der Außenfläche des Orbieularis aus. Bei Ruge ist diese Formation gleichfalls zu sehen (Fig. 23) und auch im Text erwähnt (a.a.0.S.68): »Beim Schimpansen ist die zwischen Zygomatieus und Orbicularis oeuli befindliche Zone in zarte Bündel auf- gelöst, welche in der Temporalgegend entspringen, teils zur Lippe ge- langen, teils aber in den Orbicularis oculi umbiegen.« Ruge ist jedoch in der Abgrenzung dieser Zone nicht konsequent, wodurch eine gewisse Unklarheit in die Beschreibung kommt. Wenn er angibt, daß der Zygoma- tieus sich an die ganze laterale Hälfte der Oberlippe befestige, und daß sieh an der medialen Seite der Levator labii superioris eng anschliesse Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 35 (a. a.0.S. 64), so kann ich damit nicht übereinstimmen, aber der Unter- schied der Auffassungen liegt nicht in den tatsächlichen Befunden, sondern im Ausdruck. In Wahrheit grenzt beim Herantritt an die Lippe der /ygomatieus nicht an den Levator labii superioris, sondern an die For- mation der Zwischenbündel, und der Zygomaticus nimmt in meinem Falle knapp ein Drittel des Orbicularisrandes ein. Man könnte ja natürlich erwägen, ob man die Zwischenbündel nicht einfach zum Zygomatieus rechnen solle. Ich will das Morphologische dieser Frage nicht erörtern, aber deskriptiv liegt sie ganz klar: das oberste der Bündel löst sich aus dem ÖOrbicularis ab, steht also diesem näher; das unterste geht in den Zygomaticus über, steht also diesem näher; alle gleichen dem Zygomatieus in der Riehtung und in der Ausbreitung auf die Lippe, aber sie unterscheiden sich von ihm dadurch, daß sie am Ur- sprunge nicht einen geschlossenen Muskel bilden, sondern getrennt sind, und dadurch, daß sie sich nieht am Knochen, sondern an der Faseie befestigen. Die deskriptive Klarheit hat daher Vorteil davon, daß man diese Formation durch die Bezeichnung als etwas Selbständiges heraus- stellt. In einem andern Punkte handelt es sich nicht um einen Unterschied des Ausdruckes, sondern der Beobachtung. Ruge hat nämlich gefunden, daß die Zwischenbündel zum Teil in den Orbicularis oculi umbiegen (a.a. 0. S. 68). Das war bei meinem Exemplar nicht der Fall, vielmehr ging umgekehrt ein Randbündel aus dem Orbieularis oculi zur Lippe (s. S. 25). 15. Levator labii superioris. (Fig. 1. 2.4.5, Textfig. 2.) Der Muskel entspringt an einer zackigen Linie, einige Bündel höher als die anderen. Er hat am Ursprung eine Breite von ı4 mm und ver- breitert sich nach unten hin nur wenig. Ein kleinerer medialer Abschnitt geht mit fast horizontaler Richtung an die Haut neben dem Nasenloch (»Nasenflügelfeld«), der größere Teil tritt in die Oberlippe und breitet sich hier in dünner Lage an der Außenfläche des Orbieularis, anschließend an die Zwischenbündel, aus, und zwar mit medialer Richtung, so daß er über die ganze Oberlippe bis zur Mittellinie gelangt. Jedoch ist die Aus- breitung des Zygomaticus noch mehr horizontal. Der laterale Rand des 2” 36 Hans Vırenow: Muskels ist von den Zwischenbündeln, insbesondere von dem Oberlippen- bündel des Orbieularis oculi, bedeckt. Das Ursprungsfeld fällt gerade auf die Naht zwischen Maxillare und /ygomaticum und steht schief, mit dem medialen Ende höher wie mit dem lateralen. In dieser schiefen Stellung des Ursprungsfeldes spiegelt sich die Zugrichtung des Muskels. Beim Menschen steht das Feld mehr horizontal. Ich fand es jedoch bei einem Djambi auch sehr schief, wenn auch nicht so stark geneigt wie beim Schimpansen. Die Äußerung von Ruge, daß die Bündel des Levator labii superioris und des Levator alae nasi »noch keine ganz parallele Anordnung« besitzen (a. a. 0. S. 78), könnte so gedeutet werden, als wenn letzteres beim Men- schen eingetreten sei. Das ist jedoch nicht der Fall. Der eigentümliche stark divergierende Muskel, welcher bei Ruge auf Fig. 29 und 30 an der medialen Seite des Levator labii superioris zu sehen ist, fand sich in meinem Falle nicht. 16. Levator alae nasi. (Fig. 1. 2.4. 5.) Der Muskel ist 8 mm breit und bleibt so vom oberen bis zum unteren Ende. Er hat einen eigentümlichen Charakter, indem er trotz seiner Klein- heit doch grob gebündelt ist. Er entspringt auf einer horizontalen Linie, deren mediales Ende auf dem Nasenrücken fast die Mittellinie erreicht, und zwar an derselben Stelle, wo das untere Ende des Depressor glabellae gelegen ist; er entspringt mit getrennten Bündeln, von welchen ein late- rales recht weit von den übrigen getrennt seine Befestigung hat. Dieses laterale Bündel entspringt, rechts wie links übereinstimmend, mit einer überaus zarten Sehne; der Abstand seines Ursprunges vom Levator labii superioris beträgt 16 mm. Zwei der Ursprungsbündelchen teilen sich und gehen zur Hälfte in den Orbicularis oculi über. Der Ursprung ist auf der lateralen Seite durch den Orbieularis oculi bedeckt, aber doch nur in ge- ringer Ausdehnung. Der Muskel verläuft abwärts und dabei stark seit- wärts. Das untere Ende liegt vor dem Levator labii superioris und be- festigt sich hier an einer Hautstelle, welche seitlich vom Nasenloch gelegen ist (»Nasenflügelfeld«) und zum Teil noch seitwärts davon. Ein Bündel des Muskels tritt jedoch. indem es auf den oberen Rand des Levator labii @esichtsmuskeln des Schimpansen. 37 superioris trifft, hinter diesen. Auf der rechten Seite ist dies das ganze laterale Bündel des Muskels in Breite von 2.5 mm. Mein Befund stimmt nicht völlig mit dem überein, was Ruge be- schreibt (a. a.0.S.78) und abbildet (a. a. O. Fig. 28). Mein Levator ent- springt weder am Ligamentum palpebrale, noch ist er ein mächtiger Muskel; auch geht er nicht zur Oberlippe, sondern endigt am Nasenflügelfelde und seitlich davon oberhalb der Lippe: auch kann von »innigerer Vereinigung« (les Muskels mit dem Levator labii superioris keine Rede sein. Dagegen stimme ich mit Ruge darin überein, daß er mit dem Orbieularis oculi verbunden ist, und daß er fast bis zur Mitte der Nase entspringt. Hierdurch tritt nun Übereinstimmung und Verschiedenheit von Mensch und Schimpanse schärfer hervor: am unteren Ende (Ansatz) besteht Über- einstimmung, am oberen Ende (Ursprung) Verschiedenheit. Die Verschieden- heit ist aber zugleich eine solche des Orbicularisursprunges, mit welchem der Levator alae nasi verbunden bleibt. Funktionell, mit Beziehung auf die Nase, wirken die beiden letzt- beschriebenen Muskeln als Heber. 17. Orbieularis oris. (Big. 4. 9. 10, Textfig. 2. 3. 4. 5. 6. 7.) Lippen- und Wangendrüsen. Ich will der Schilderung des Orbi- cularis oris eine Beschreibung der Lippen- und Wangendrüsen vorausschicken. Denn indem diese Drüsen sich in die Muskulatur ein- und durch sie hindurch- drängen, müssen sie einen gewissen Einfluß auf die Muskelströme ausüben, ebenso wie Felsen, welche im Flußbett stehen, die Wasserrichtung beein- flussen. Dies kommt allerdings für den Orbicularis oris weniger in Be- tracht wie für den Buceinatorius. Der Muskel hat an der Oberlippe in Mittellinie eine Breite von 21 mm, neben dem Mundwinkel eine solche von 9 mm und in der Unterlippe in Mittellinie eine solehe von 32 mm. Jedoch betrifft diese große Breite in der Unterlippe nur eine oberflächliche Lage, die tiefe Lage ist nur 25 mm breit. Ich halte es für unmöglich, das Gebiet des Orbieularis mit absoluter Sicherheit abzugrenzen, weil eine Reihe von Nachbarmuskeln in der Weise in es eindringt, daß man nicht nachweisen kann, wo sie aufhören. Infolge- dessen behält der Begriff des Orbieularis oris eine gewisse Unbestimmtheit. 38 Hans Vırcenmow: Der Muskel ist in der Oberlippe in ganzer Ausdehnung überlagert von der Ausstrahlung des Zygomaticus, der Zwischenbündel und des Levator labii superioris; in der Unterlippe ist er in ganzer Ausdehnung überlagert von der oberflächlichen Schicht der Platysma. Hierzu werde ich jedoch sogleich noch einen Zusatz machen. Mit der tiefen Fläche lagert der Muskel auf der Schleimhaut, doch findet sich zwischen beiden eine nicht unerheb- liche Schicht von Bindegewebe. Der Orbieularis ist dick. Seine Bündel erscheinen von der Hautseite gesehen rund und mit den Nachbarbündeln netzartig verbunden; jedoch verliert sich dieser Charakter nach der Tiefe, wo der Muskel das gewöhn- liche parallelfaserige Aussehen der meisten Gesichtsmuskeln hat. So weit ist das Verhalten des Orbicularis oris von der gleichen Art, wie man es sich auch vom Menschen vorzustellen gewohnt ist. Ich fand jedoch eine Komplikation, auf welche ich nicht vorbereitet war. Sie ist auf Textfig. 7 dargestellt. Man sieht hier am unteren Rande des Muskels eine Portion des letzteren, welche dem Platysma aufliegt und an deren oberem Rande das Platysma (in der Figur abgeschnitten) heraustritt. Ich war, wie gesagt, auf ein solches Vorkommnis nicht vorbereitet. Ich war damit be- schäftigt, die den Orbieularis bedeckende Lage des Platysma zu entfernen, und ich hatte diese Arbeit bereits zum größten Teil ausgeführt, als ich auf dem noch nieht entfernten Abschnitt des Platysmas eine überaus zarte und daher nur mit der binocularen Lupe zu erkennende Portion des Orbieularis bemerkte. Was sich noch feststellen ließ, war, daß diese Partie ihre größte Dicke am unteren Rande hatte, daß sie unterhalb der eigentlichen Lippen- region lag, daß sie bis zur Mittelebene reichte, daß sie am Präparat in Breite von 6.5 mm vorhanden war, und daß sie am Mundwinkel aus einer Lage hervorging, welche dort noch nicht oberflächlich war. Aus dem letzteren Umstande läßt sich ersehen, daß es sich nicht um einen Bestand- teil des Triangularis, sondern um einen des Orbieularis handelt; unsicher aber bleibt, ob sich diese Formation nieht noch weiter nach oben fort- gesetzt hat. An der Bildung des Triangularis ist der Orbiecularis beteiligt, wie aus Textfig. 2 zu ersehen ist. Bündelchen zur Wangenschleimhaut. Ein nur ı mm breites Bündelchen des Orbieularis der Oberlippe (Fig. 9 und 10) gelangt in einer Weise zur Schleimhaut, welche wegen der Nachbarschaft des Buceinatorius (Gresichtsmuskeln des Schimpansen. 39 Textfigur 7. Rechte Seitenansicht schief von vorn und unten. O.or. Orbieularis oris. Or.s. Eine überaus zarte, jedoch gegen den unteren Rand kräftiger werdende Lage des Orbieularis oris, welche die oberflächliche Ausbreitung des Platysma bedeckt. von welcher aber unsicher ist, wie weit sie sich aufwärts er- streckt hat. P. Platysma. P.s. Öbertlächliche Ausbreitung des Platysma, welche den Örbicularis bedeckte, deren Fortsetzung nach oben jedoch abgeschnitten wurde. Unterer Rand des Zygomatieus. von Interesse ist. Das Bündel liegt in der Oberlippe ganz seitlich in halber Höhe zwischen Mundspalte und Schleimhautumschlag, zwar innerhalb des Orbieularis tief, aber doch von der Schleimhaut durch Drüsen und eine unbeträchtliche Bindegewebslage getrennt. An der Stelle nun, wo der Drüsengürtel plötzlich niedrig wird, und wo die obere schiefe Portion des Buceinatorius beginnt, tritt das Bündel mehr in die Tiefe, lagert sich unmittelbar der Schleimhaut auf, breitet sich aus und endigt an der Schleimhaut. Wie schwierig’ die Abgrenzung des Orbieularis oris gegen die Nachbar- muskulatur ist, kann man auch aus der Darstellung von Ruge erkennen 40 HıAns VırcHuow: (a. a. 0. 8. 116), wo eine tiefe Schicht des Muskels geschildert wird, welche in das Gebiet des Buceinatorius eintritt, so daß es zweifelhaft sein könne. ob sie nieht diesem zugehört. Ich habe die tatsächlichen Verhältnisse anders gefunden, jedoch ist erst beim Buceinatorius der Ort, darüber zu sprechen. Die Beteiligung an der Bildung des Triangularis scheint Ruge ebenso wie ich gefunden zu haben, wie seine Fig. 28 und 30 zeigen. 18. Platysma. (Fig. 1. 2. 6. 7. 10, Textfig. 2. 3. 4. 5. 6. 7.) Am Halse bilden die beiden Platysmata eine in der Mitte geschlossene Platte. Kreuzung in der Mittellinie‘ findet nicht statt, auch nieht in der Kinngegend. Der größte Teil des Muskels strebt einfach der Unterlippe zu, und zwar in ganzer Ausdehnung der letzteren von der Mittellinie bis zum Mundwinkel. Der obere Rand des Muskels überschreitet den Kieferrand 19 mm unterhalb des unteren Endes des Ohransatzes und ist dabei mehr horizontal gerichtet. Die weiter vorn vor dem Masseteransatz über den Kieferrand tretenden Fasern sind jedoch stärker ansteigend. Oberhalb des Platysmarandes und unterhalb des Ohres liegt frei ein besonderes vorn und hinten frei endigendes Bündel, links 8 mm unterhalb des Ohransatzes und ı4 mm lang, rechts 11 mm unterhalb des Ohransatzes und 3ı mm lang. An dem oberen Rande des Muskels (welcher gegen den Mundwinkel hinzieht) erheben sich einige Bündelchen, von einer aufwärts gerichteten Tendenz beherrscht, wobei aber auf‘ der rechten und linken Seite das Ver- halten nieht völlig gleich ist. Rechts sind es 5 Bündelchen, welche leicht ansteigen, jedoch am vorderen Ende wieder umbiegen, durch das Ansteigen etwas auseinandergespreizt, den Zygomaticus nicht erreichend. Links ist die Randpartie in zwei Stücke auseinandergebrochen, ein vorderes und ein hinteres. Das vordere Stück endigt 4 mm breit in der Fascia parotidea und geht vorn, von dem übrigen Muskel bedeckt, in diesen über, das hintere Stück besteht aus aufwärts divergierenden Fasern, welche in der Fascia masseterica endigen, von dem vorderen Stück zugedeckt. Beziehung zum Triangularis. Die Beziehung zum Triangularis ist kompliziert, indem der letztere nicht vom oberen Rande des Platysmas Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 41 an diesem aufliegt, sondern es durchbrieht, und zwar in Höhe von 9 mm unterhalb des oberen Randes. Ein kleines Bündel des Platysmas tritt weiter unten zwischen zwei Portionen des Triangularis hindurch, wird dadurch oberflächlich und bewahrt auch, nachdem es am vorderen Rande des Trian- gularis das übrige Platysma wieder getroffen hat, eine abweichende mehr horizontale Richtung. Beziehung zum Zygomaticus. Am Mundwinkel wird der Muskel in dünner Lage vom Zygomaticus bedeckt. Beziehung zum Knochen. Der Ansatz des Platysmas an den Kiefer ist sowohl rechts wie links 31 mm lang. Es ist nicht wie beim Menschen ein Ansatz an die Außenfläche, sondern tatsächlich ein solcher an den Rand des Kiefers, wobei aber das Ansatzfeld etwas schief zur Richtung des Knochens steht, indem sein vorderes Ende mehr innen, sein hinteres (laterales) Ende mehr außen liegt. Eine Unterbreehung des Platysmas an dieser Stelle findet nur in der Tiefe statt, dagegen ziehen die oberfläch- lichen Fasern, ohne sich um den Ansatz zu kümmern, vom Halse zur Unterlippe ununterbrochen weiter. Der Knochenansatz bleibt vom vorderen Ansatz des Masseters 6 mm entfernt. Frage des Quadratus labii inferioris. Hier muß ich nun eine Bemerkung über den Quadratus labii inferioris einschieben, die in derselben Weise auch für den Menschen gilt. Ein Quadratus als selbständiger, vom Platysma unabhängiger Muskel existiert nicht. Es liegt hier vielmehr ein Zustand vor, wie er auch bei anderen Muskeln in ähnlicher Weise vor- kommt. Vielleicht ist es das einfachste, es an dem Beispiel des Glutaeus maximus klar zu machen. Von dem unteren Drittel dieses Muskels treten die tiefen Fasern an den Knochen, die oberflächlichen gehen an die Fascia lata, ohne daß dadurch im Muskel eine Flächenspaltung, eine Schichten- bildung irgendwie eingeleitet würde. Ebenso treten auch vom Platysma innerhalb des oben bezeichneten Feldes die tiefen Fasern an den Knochen, während die oberflächlichen Fasern weiterziehen. Der Unterschied ist nur, daß beim Platysma vom Knochen auch wieder neue Fasern nach oben ausgehen, die übrigens nicht sehr reichlich sind. Wie will man nun den Quadratus abgrenzen? Wenn man darunter die Fasern zusammenfassen will, die am Unterkieferrande Ansatz finden und von da aus nach oben ziehen, so würde der Quadratus einer tiefen Lage des Platysmas entsprechen. So faßt es Ruge auf, indem er sagt: »Beim Schimpansen bilden tiefe Bündel Phys.-math. Abh. 1915. Nr.1. 6 42 Hans Vıreuow: einen vom Kiefer entstehenden Quadratus labii inferioris« (a. a. 0. S. 30)". Aber es ist gänzlich unmöglich, diese Lage von der oberflächlichen, nicht durch den Knochenansatz unterbrochenen Lage zu trennen. Diese Un- möglichkeit leuchtet noch mehr ein, wenn man in Betracht zieht, daß seitlich von dem Platysmaabschnitt, welcher den Knochenansatz hat, das Platysma frei über den Kiefer bzw. den Masseter hinwegzieht und sich nichtsdestoweniger ganz ebenso an der Bildung der tiefen Schicht beteiligt. Mag daher auch aus didaktischen Gründen der akademische Lehrer mit dem vereinfachten Begriff eines Quadratus labii interioris weiter wirtschaften und es dem Zuhörer überlassen, ob er merkt, daß sich hier hinter einem klaren Namen ein unklarer Sinn verbirgt — der aufmerksame Zuhörer wird es merken, auch wenn er Student ist —, so läßt sich doch bei einer wissenschaftlichen Besprechung mit dem Quadratus nichts anfangen. Ich mußte das Vorausgehende sagen, damit nicht, wenn ich jetzt von einer oberflächlichen und einer tiefen Schicht des Platysmas in der Unter- lippe sprechen werde, dies so verstanden werden könnte, als wenn die oberflächliche Schicht Platysma, die tiefe Quadratus sei. Das Platysma ist vielmehr bis an den Orbicularis heran einheitlich, und erst in dem Moment, wo es diesen Muskel trifft, teilt es sich. Erst von der Stelle an, wo das Platysma den Rand des Orbieularis trifft, können wir von einer obertläch- lichen und tiefen Schicht sprechen. a) Oberflächliche Schicht. Die oberflächliche Schicht ist über die ganze Unterlippe ausgebreitet, d.h. sie bedeckt den Orbicularis vom Mund- winkel bis zur Mittellinie. Hierbei treten die schon beschriebenen Kom- plikationen ein, nämlich: 1. Bedeckung seitens des Zygomaticus am Mundwinkel (s. S. 29), 2. Durchflechtung mit dem Triangularis (s. S. 47), 3. Überlagerung durch eine Orbieularisschicht (s. S. 38). b) Tiefe Schicht. Die tiefe Schicht des Platysmas reicht von einer Stelle, die unterhalb des Mundwinkels gelegen ist, bis zu einer Stelle 20 mm von der Mittelebene; das ist eine Ausdehnung von 36mm. Auf dieser ganzen Strecke bildet sie eine einheitliche Formation, ist nicht in Bündel ! Diese wenigen Worte sind, soweit ich gefunden habe, alles, was über den Quadratus gesagt ist. Es findet sich keine Angabe über sein Verhalten in der Lippe. Auch ist er nicht auf einer der Abbildungen enthalten. Die Fig. 29, auf welche hingewiesen wird, zeigt den unteren Teil des Unterkiefers überhaupt muskelfrei. oo. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 43 abgeteilt. Trotzdem ist das Verhältnis zu den Nachbarmuskeln kompliziert, dadurch daß unsere Schicht sich nicht in gleichmäßigem Niveau unter den Orbieularis schiebt. I. Verhältnis zum Orbicularis oris. Das Platysma (Textfig. 3) dringt zum Teil in den Orbicularis (auf der lateralen Seite), zum Teil unter diesen Muskel (auf der medialen Seite). In der Gegend des Mundwinkels ist der überlagernde Orbicularis überraschend dick, bis 2.5 mm, 13 mm weiter medial wird dagegen die Lage des Orbieularis ganz dünn. 2. Verhältnis zum Bucecinatorius. Ein Teil der tiefen Schicht des Platysmas dringt in den Buccinatorius ein, und zwar beginnt dies Ver- halten an einer Stelle, welche senkrecht unter dem Mundwinkel, 14mm von ihm entfernt, liegt, und setzt sich, soweit ich sehen konnte, Io mm weit nach der medialen Seite fort; die betreffenden Bündel des Platysmas lassen sich an der tiefen Fläche des aufwärtsgeklappten Muskels als dieser Fläche aufliegende Bündel unterscheiden. 3. Verhältnis zur Schleimhaut. Die tiefsten Fasern des Platysmas liegen unmittelbar auf den Lippendrüsen und sind von der Schleimhaut nur noch durch diese Drüsen und das sie umhüllende Bindegewebe ge- trennt. Auf Fig.ıo sieht man ein tiefes Bündel des Muskels, welches sich an die Schleimhaut befestigt. 4. Verhältnis zum Mentalis bzw. zum Knochen. Im unmittel- baren Anschluß an den medialen Rand der tiefen Schicht geht eine 2.5 mm breite Portion in das Gebiet des Mentalis hinein. Das Verhalten derselben will ich an der Hand der Figur 7 schildern, wo dieselbe ganz genau dar- gestellt ist. Ich beschreibe es von der linken Seite des Präparats. Man kann die betreffende Stelle erst vollkommen deutlich erkennen, nachdem man die vor dem Mentalisursprunge gelegene Schleimhautpartie entfernt hat. Nachdem dies geschehen ist, zeigt sich, daß zwei tiefe Platysmabündel in das Gebiet des Mentalis eintreten. Sie laufen an der vorderen Fläche des genannten Muskels, mit ihm fest verbunden, jedoch durch die Faser- richtung abgrenzbar, auf- und medianwärts, so daß einige Fasern sich bis auf 5 mm der Mittellinie nähern. Die meisten Fasern bleiben parallel, die am weitesten lateralen aber nehmen eine rein senkrechte Richtung an, und die am meisten medialen biegen in fast horizontale Richtung um. Die Muskel- portion hat an ihrer oberen Endigung eine Breite von ıımm. Die late- ralen Fasern endigen am Knochen in der Gegend des Jugum alveolare 6* 44 Hans Vırcaow: zwischen I, und I, und an der Alveole von L, die medialen an der Schleim- haut an der Vorderseite des Mentalis; die horizontal werdenden Fasern dringen hinter eine vordere Schicht des Mentalis ein. — Auf der rechten Seite verhielt sich der Muskel nicht ganz genau ebenso, aber doch im wesentlichen gleich. Es sei als Nebensache erwähnt, daß auf der linken Seite des Prä- parates eine kleine Partie aus dem vorderen Bauche des Digastrieus sich nicht an den Knochen ansetzte, sondern sehnig mit einem kleinen Bündelchen des Platysmas in Verbindung trat, welches sich am vorderen Ende des Knochenansatzes des letzteren besonders hervorhob. Von Ruge wird das Platysma angesichts seiner grundlegenden mor- phologischen Bedeutung aufs eingehendste gewürdigt (a. a. O0. S.11. 15.21. 24. 30. 54. 62, Fig. 28. 31. 32). Hierbei kommt manches zur Sprache, worin sich bis in sehr feine Züge hinein Übereinstimmung zeigt mit meinem Falle, z. B. das kleine isolierte Bündel unter dem Ohr (a. a. OÖ. S. 15), die Bedeckung des Triangularis in der Gegend des Mundwinkels durch ein 7 mm breites Bündel des Platysmas (a. a. 0. S.24)'. In anderen Punkten treten indivi- duelle Verschiedenheiten hervor: die Beziehungen zwischen Triangularis und Platysma sind in meinem Falle komplizierter als bei Ruge (a.a.0. S. 24, Fig.28); in meinen Falle fehlte die Kreuzung beider Platysmata am Halse, welche bei Ruge vorhanden war (a. a. 0. S. 11); der obere Rand des Platysmas im Gesicht ist in beiden Fällen verschieden, wie man am schnellsten durch einen Vergleich von Ruges Fig. 23 mit meiner Fig. ı erkennen wird. In meinem Fall kann man doch wohl von einem Platysma- Risorius sprechen, den Ruge in Abrede stellen mußte. (Ein Triangularis- Risorius fehlt bei mir ebenso wie bei Ruge.) In einigen Beziehungen weicht der Wortlaut der Beschreibung ab, ohne daß doch sicher zu sehen ist, wieweit es sich um einen Unterschied in der Sache handelt. Ein Mentalisbündel des Platysmas (a. a. O. S. 30 und 54, Fig. 32) und ein Alveo- larfortsatzbündel (ebenda) fand Ruge ebenso wie ich, aber die Angaben über die Herkunft dieser Bündel lauten etwas anders. Eine sehr starke Abweichung der Rugeschen Befunde von den meinigen besteht aber darin, ! Heinrich Zeidler hat bei der Untersuchung von 5 Hereroköpfen einmal, auf der rechten Seite des einen Kopfes, die Bedeckung des Triangularis durch ein 15 mm breites Bündel des Platysmas unterhalb der Ebene der Mundspalte gefunden (Zeitschrift für Mor- phologie und Anthropologie Bd. 17, S. 198, 1914). Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 45 daß Ruge in der tiefen Schicht des Platysmas zwei durch eine weite Lücke getrennte Bündel, ein 14 mm breites laterales (a. a. 0. S.24), an den /ygomaticus anschließendes, und ein schmales in die Mentalisgegend ein- tretendes mediales findet, während bei mir eine ununterbrochene Schicht existiert. Der Unterschied wird durch den Vergleich von Ruges Fig. 31 mit meiner Textfig. 3 am schnellsten klar. 19. Caninus. (Fig. 4, Textfig. 2. 3. 4. 5.) Der Muskel entspringt in Breite von ı3 mm. Auf der linken Seite kann man dabei andeutungsweise die Trennung in zwei Portionen unter- scheiden, was aber rechts nicht der Fall ist. Der vordere (mediale) Rand des Muskels ist fast horizontal gerichtet und liegt dem Orbicularis oris unmittelbar an. Indem auch die Faserrichtung in diesem Rande genau die gleiche ist wie im Orbieularis, tritt die genetische Zugehörigkeit zu diesem Muskel deutlicher hervor. Es wird auch durch diese Faserrichtung eine Schwierigkeit ausgeschaltet, die sich öfters beim Menschen bemerk- bar macht, daß man nämlich den Caninus schwer gegen den Nasalis ab- grenzen kann. Denn beim Schimpansen steht die vordere Partie des Caninus rechtwinklig zum Nasalis. Der hintere Rand verläuft mehr senkrecht. Die vordere Portion ist länger, die hintere kürzer. Nach unten konvergieren die Fasern. Der Muskel hat dort, wo er den oberen Rand des Orbieularis und gleichzeitig den des Zygomaticus trifft, eine Breite von 6.5 mm, und zwar ist dies nicht unmittelbar am Mundwinkel sondern 6 mm hinter diesem, d. h. genauer gesagt so, daß hier der vordere Rand des Caninus 6 mm hinter dem Mundwinkel liegt. Diese Stelle entspricht genau der Lücke zwischen dem Zygomaticus und dem Levator labii superioris am oberen Rande des Orbicularis oris, also der gleichen Stelle, an welcher die inter- mediären Bündel den Rand des Orbicularis erreichen (s. S. 34). Solange die intermediären Bündel und der Levator labii superioris stehen, sieht man nichts vom Caninus. Es sieht so aus, als tauche der Caninus so steil gegen die Oberfläche empor, daß seine oberen Fasern zwischen den inter- mediären Bündeln hindurch gegen die Haut treten, die folgenden dagegen nach unten abbiegend zur Seite des Mundwinkels in den unteren Orbieularis oris und Triangularis übergehen. 46 Hans Vırcaow: Beim Zusammentreffen mit dem Zygomaticus spaltet sich der Muskel in zwei Schichten, welche in der Weise mit dem Zygomaticus wechseln, wie es bei diesem Muskel schon geschildert worden ist. Wir treffen zuerst die oberflächliche Schicht des Zygomaticus (Fig. ı), dann die oberfläch- liche Schicht des Caninus (Textfig. 2), dann die mittlere Schicht des Zygo- maticus (Textfig. 3), dann die tiefe Schicht des Caninus (Textfig. 4), zuletzt die tiefe Schicht des Zygomaticus (Textfig. 5), in welche aber noch ein Bündel des Caninus eindringt. Das letztere stammt aus der hinteren Portion. Die tiefe Schicht des Caninus trifft den Rand des Zygomaticus in Breite von 7 mm. Die oberflächliche Schicht des Caninus ist an der Bildung des Tri- angularis beteiligt (siehe bei diesem). Wie die tiefe Schicht endigt, habe ich nicht genauer festgestellt. Aus der Richtung der Fasern muß geschlossen werden, daß der Caninus beim Schimpansen nicht ein reiner Heber des Mundwinkels, sondern zu- gleich ein Vorzieher ist. Es ist aber noch ein Merkmal zu nennen, welches mir für die Frage der Funktion nicht bedeutungslos zu sein scheint. Der Muskel lag nämlich, als er bei der Präparation zuerst zutage trat, nicht wie die anderen Muskeln, z.B. der Zygomaticus, glatt, sondern wellig, und zwar betraf diese Faltung die Stelle, welche dem Umschlag der Schleim- haut aufliegt. Daraus kann geschlossen werden, daß der Muskel dazu bestimmt ist, die Lippen gegen den Knochen heranzuziehen. Ruge (a. a. 0. S. 102, Fig. 29. 30. 31) widmet dem Caninus nur fol- gende kurze Bemerkung: »Die lateralen Portionen — nämlich des Orbi- cularis oris — befestigen sich als Pars canina (Caninus s. Levat. anguli oris) am Jugum alveolare des ersten Prämolar- und des Eckzahnes bis zur Schleimhaut hin.« 20. Triangularis. (Fig. 1. 2, Textfig. 2.) Der Triangularis setzt sich, wie schon gesagt wurde, (s. S. 38), aus einem ÖOrbiecularisanteil und einem Caninusanteil zusammen. Er tritt am unteren Rande eines oberflächlichen Platysmabündels hervor (s. S. 41). Er besteht aus zwei sich unmittelbar an einander schließenden Partien, einer hinteren und einer vorderen, von welchen die hintere kürzer, die vordere SEE Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 47 länger ist. Die hintere bleibt vom oberen Rande an frei, die vordere wird noch von weiteren Platysmabestandteilen, welche den Triangularis durch- brechen. teilweise überdeckt und erst unten völlig frei. Es liegt also eine Durchtleehtung beider Muskeln vor. Der Triangularis ist schwach. Er ist zwar, wie man aus der Abbil- dung ersieht, nicht schmal, wohl aber dünn, sogar so dünn, daß er durch die kräftigeren unter ihm hindurchziehenden Fasern des Platysmas eine Runzelung erfährt und bei ungünstigem Lichteinfall schwer sichtbar ist. Um ihn deutlich zu sehen, muß man das Präparat in der Längsrichtung des Triangularis anspannen und das Licht rechtwinklig zu seinen Fasern, d. h. von der Öhrseite her auffallen lassen. Ein dem Triangularis zugehöriger Risorius fehlt. Eine Knochenbefestigung am unteren Ende des Triangularis gibt es nicht. Zwischen den Rugeschen Befunden (a.a.O. S. 24. 30. 63. 102, Fig. 28. 29) und den meinen gibt es einige kleine Unterschiede: Von dem Ver- halten zum Platysma wurde schon oben gesprochen (s. S. 44); ein Bündel vom lateralen Rande des Triangularis biegt bei Ruge in das Platysma ab (a.a. O. S. 102, Fig. 29), was bei mir nicht der Fall war. Jedoch sind die Übereinstimmungen weit erheblicher: Den Zusammenhang mit dem Orbieularis der Oberlippe erwähnt Ruge an zwei Stellen (a. a.0.S.24 und 102); ein Risorius fehlt auch bei ihm (a. a. O0. S. 24.95). 21. Mentalis. (Fig. 6. 7.) Von allen Muskeln des Schimpansengesichtes hat mir der Mentalis die größte Überraschung bereitet. Ich war so sehr daran gewöhnt, das Kinn als eine spezifische Eigentümlichkeit des menschlichen Gesichtes zu betrachten und auch am Knochen die Abwesenheit eines Kinnfeldes bei den Anthropoiden als ein charakteristisches Merkmal anzusehen, daß ich von einem Mentalis nicht viel erwartete. In Wahrheit fand ich aber eine sehr ansehnliche Bildung, sowohl was den Umfang seines Knochenursprungs ‚als was die Größe des von ihm beherrschten Hautfeldes, als was endlich seine Ausbreitung nach der Seite betrifft. Trotz seiner kräftigen Ent- wicklung ist aber doch gerade dieser Muskel von seinem menschlichen Gegenstück mehr verschieden wie die meisten übrigen Gesichtsmuskeln. 48 Hans Vırcuow: Der Muskel entspringt jederseits in Breite von 15 mm. Die Ausdehnung des Hautansatzes ließ sich nicht mehr genau er- kennen, da die Haut entfernt war; doch schien derselbe ı3 mm hoch (in sagittaler Richtung) zu sein. Es ist auch zu bedenken, daß zwischen Haut und Mentalis die oberflächliche Schicht des Platysmas liegt, so daß die Mentalisbündelchen nur zwischen den Platysmabündeln hindurch an die Haut gelangen können. Jedenfalls treten aber nicht alle Bündel des Men- talis an die Oberfläche, insbesondere nicht die seitlichen. Man kann den Mentalis studieren entweder von der Vorderfläche oder von der Hinter- fläche; letzteres, indem man ihn mit dem bedeckenden Platysmaabschnitt nach oben klappt. Man muß ihn sogar, wenn man ihn gründlich kennen lernen will, von beiden Flächen untersuchen, wobei die hintere (dem Knochen aufliegende) Fläche unmittelbarer verständlich ist, die vordere dagegen weniger, weil sie dem Platysma fest anhängt. Man muß auch die hintere Fläche schon deswegen zuerst studieren, weil bei der Ablösung des Platysmas von dem Mentalis die Bündel des letzteren aus einander fallen und dadurch die räumliche Anschaulichkeit verloren geht. Betrachten wir nun den Muskel von der hinteren (tiefen) Fläche (Fig. 6), so bekommen wir großenteils solche Bündel zu sehen, welche in der Tiefe bleiben. Der Mentalis breitet sich nach unten fächerförmig aus und hat, indem er dabei nicht eine kontinuierliche Lage bildet, sondern seine einzelnen Bündel, ziemlich dick bleibend, sich isolieren, ein geflammtes Aussehen. Die größere mediale Hälfte des Muskels ist, indem sie abwärts zieht, zu- gleich etwas medianwärts gerichtet, jedoch nicht entfernt in einem solchen Maße, daß daraus ein querer Verlauf hervorginge, wie es beim Menschen der Fall ist, sondern nur so, daß die Bündel von rechts und links sich unter spitzem Winkel treffen. Dabei findet eine Kreuzung statt, welche täuschend an die des menschlichen Platysmas hinter dem Kinn erinnert. Weil in dieser Anordnung ein charakteristischer Unterschied des Mentalis des Schimpansen von dem des Menschen liegt, so will ich genau angeben, wie sich in meinem Falle die Bündel des rechten und linken Mentalis bei der Kreuzung zu einander verhielten: Am weitesten hinten (dem Knochen am nächsten) lag ein 2.5 mm breites Bündel von der rechten Seite, vor diesem ein 5 mm breites von der linken, vor diesem ein 6 mm breites von der rechten, vor diesem wieder ein 6 mm breites von der linken Seite. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 4) Zwischen dem rechten und linken Mentalis bleibt eine von fetthaltigem Bindegewebe gefüllte Lücke, welche naturgemäß unten, wo die eben er- wähnte Kreuzung eintritt, aufhört; und zwar endigt sie hier nicht wie beim Menschen mit einem abgerundeten Rande, sondern mit einem spitzen Winkel. Diese Lücke hat an der Vorderseite des Muskels eine Breite von 4 mm, an der Rückseite eine solche von 2 mm; ihre Höhe beträgt an der Vorderseite ı1o mm, an der Rückseite $S mm. Sie setzt sich nämlich oben nicht bis an den Knochen heran fort, weil die Ursprünge beider Mentales in der Mittellinie zusammenstoßen. Das in der Lücke enthaltene Binde- gewebspolster ist wie beim Menschen von derber Beschaffenheit. Gehen wir nun an der Hinterfläche des Muskels weiter nach der Seite, so stoßen wir auf ein Bündel, welches genauer in die Richtung der Platysmafaserung fällt. Dieses rückt aber dennoch nicht in die Ebene des Platysmas ein, sondern bleibt der hinteren Fläche desselben angelagert. Der laterale Abschnitt des Muskels ist schwächer als der mediale. Die Divergenz nimmt nach der lateralen Seite hin stärker zu. Das letzte Bündel wird geradezu horizontal und gelangt dadurch in die Faserrichtung des Buceinatorius. Man könnte daher zweifeln, ob man es nicht umgekehrt mit einem Bündel des letzteren zu tun habe, welches sich dem Mentalis anschließt. Jedoch fällt die Entscheidung zugunsten des Mentalis aus, da das Bündel dicker aus diesem hervorgeht und sich gegen den Bucei- natorius hin verfeinert. Ich werde darauf beim Buceinatorius zurückkommen. Die eben beschriebenen an die Hinterfläche des Platysmas sich an- lehnenden Bündel des Mentalis laufen an der genannten Fläche hin und gehen jedenfalls zum Teil an dieser Fläche selbst in fibröse Streifehen (Sehnchen) über, in geringem Grade scheint doch auch ein Einkreuzen in das Platysma vorzuliegen. Über das Eindringen von Platysmabündeln in das Ursprungsgebiet des Mentalis wurde schon gesprochen (s. S. 43). Einen Vergleich mit Ruges Angaben (a. a. 0. S. 54. 55, Fig.-32) kann ich nicht streng durchführen, weil mir hier tatsächlich die volle Anschau- lichkeit zu fehlen scheint, ich kann deshalb auch nicht sicher entscheiden, wie weit etwa individuelle Verschiedenheiten zwischen unseren Fällen vor- liegen mögen. Der Ursprung des Muskels ist bei Ruge weder im Text genau angegeben noch auf der Figur zu erkennen. Über die Faserrichtung gibt der Satz Auskunft: »Die lateralen Portionen des Mentalis verlaufen Phys.-math. Abh. 1915. Nr. I, 7 50 Hans Vırcnuow: steil abwärts und verlieren sich oberhalb des Kieferrandes, die median- wärts folgenden erlangen allmählich einen queren Verlauf« (a. a. 0.8.55). In beiden Beziehungen lauten meine Erfahrungen abweichend, ja eigent- lich entgegengesetzt: Die medialen Bündel nehmen nieht einen queren Ver- lauf an, sondern bleiben ziemlich steil, die lateralen dagegen divergieren stark nach der Seite. Das am lateralen Rande des Mentalisursprunges an- setzende Bündel, welches Ruge dem Bucecinatorius zuweist (a. a. O.S. 54), habe ich zum Mentalis gerechnet (s. oben); auch bei Ruge ist die Zuge- hörigkeit zum Buceinatorius nicht überzeugend, weil nach der Figur nur ein winziges Streifechen dieses Bündels mit dem Buceinatorius zusammen- hängt, der größere Teil dagegen frei endigt. Wenn ich in der Einleitung sagte (s. S. 5), ich habe die Gesichts- muskeln des Schimpansen in vielen Punkten menschenähnlicher gefunden als sie bei Ruge dargestellt sind, so zeigt beim Mentalis in der größeren Steilheit der medialen Bündel in meinem Falle umgekehrt der Schimpanse ein mehr primitives, vom Menschen stärker abweichendes Verhalten. 22. Nasalis. (Fig. 1. 2. 4. 5. 8. 9. 10. ı1, Textfig. 2. 3. 4. 5. 6.) Um den Nasalis anschaulich zu verstehen, muß man den Bau der äußeren Nase kennen. Ich habe von dieser kürzlich in der Berliner Anthropologischen Gesellschaft gesprochen und verweise auf diese Mit- teilung (Zeitschrift für Ethnologie, Jahrg. 1914, S.673—678). Hier sei nur bemerkt, daß die Nase sich wenig über die Gesichtsfläche erhebt, die Nasen- löcher im Niveau der letzteren liegen, Nasenflügel fehlen. Der letztere Umstand wird sogleich noch gewürdigt werden. Der Nasalis entspringt an einem Felde, welches in maximo die Höhe von 5 mm hat, im Bereiche der Alveolen beider Ineisivi und des Caninus. Der untere Rand dieses Feldes ist an den Alveolen der Tneisivi nur 2 mm vom Rande des Knochens entfernt, doch vergrößert sich dieser Abstand bis zum seitlichen Ende des Muskels auf 12 mm. Der Nasalis bildet eine dünne, aber sehr ausgebreitete Muskelplatte, welche aus mehreren nebeneinander liegenden Portionen besteht. In der Mitte, wo zwischen dem Muskel der rechten und linken Seite eine 2 mm breite Spalte vorhanden ist, reicht doch am unteren Ende dieser Spalte Gesichtsmuskeln des. Schimpansen. 51 der Ursprung beider Muskeln bis zur Mittellinie. Man kann daher prak- tisch beide Nasales zusammen als eine Platte aufsteigender Fasern be- zeichnen, welche jedoch nach oben etwas konvergieren, indem diese Platte in halber Höhe 43 mm und oben 35 mm breit ist. (Eine untere Breite kann nicht angegeben werden, da die seitlichen Fasern nicht bis unten reichen). Oben befestigt sich der Muskel an der Haut, welche den dem Knochen aufliegenden Rand des Nasenloches bildet und noch 7.5 mm weiter seit- lich. Er geht nicht, das Nasenloch umgreifend, auf die mittlere Zone der Nase über. Nach diesen Erfahrungen ist der Nasalis von großer Einfachheit, ja geradezu von verdächtiger Einfachheit, wenn man in Betracht zieht, daß sonst alle in der Umgebung des Mundes befindlichen Muskeln Komplikationen er- leiden. Trotz seiner Einfachheit, s. z. s. Ausdruckslosigkeit bietet er aber doch Anlaß zu mehreren Bemerkungen, die nicht bedeutungslos sind. Ehe ich diese bespreche, möchte ich noch erst zusehen, ob nicht durch die An- gaben von Ruge eine Bereicherung in das so einfache Bild kommt. Ruge (a.a. 0. S. 103, Fig. 29 und 30) bespricht den Muskel in folgen- der Weise: » Außerdem aber findet sich ein vollständiger Musculus nasalis beim Schimpansen vor, der selbständig ist, aber von dem Orbieularis oris abgeleitet werden muß.« »Er entspringt am Oberkiefer nahe der Schleim- haut und über den Fasern des Orbieularis oris, welche medianwärts in jenen übergehen.« »Laterale Bündel dehnen sich auch auf den Nasen- rücken aus. « Von diesen Angaben sind zwei auf meinen Fall nicht anwendbar. Es gingen nämlich in diesem die seitlichen Fasern ganz sicher nicht auf den Nasenrücken, sondern endigten an dem Hautfelde seitlich vom Nasenloch, und zweitens entsprang der Muskel nicht oberhalb des Orbieularis, sondern näherte sich mit seinem Ursprunge dem Knochenrande (s. oben), entsprang also hinter dem Orbieularis. Dagegen bin ich geneigt, der Rugeschen Angabe von einem Zusammenhange des Nasalis mit dem Orbieularis oris Gewicht beizulegen, und halte es für möglich, daß in diesem Punkte in meiner Beschreibung eine Lücke ist. Ich muß dabei bemerken, daß an dieser einzigen Stelle mein obenerwähnter Mitarbeiter, Herr Grabowski, der die oberflächlichen Muskeln der rechten Seite präpariert hatte, auch nach der linken hinüber gegangen war, und wenn ich auch auf die Sorg- falt und Geschicklichkeit des Genannten zu vertrauen berechtigt bin, so 7* 52 HANns VırcHow: kann ich doch nicht persönlich dafür eintreten, daß hier nicht vielleicht eine derartige Verbindung mit dem Orbieularis oris übersehen worden sei. Die Abbildungen Ruges lassen indessen nichts von dieser Verbindung er- kennen, und der Text gibt keine anschauliche Vorstellung von ihrer Art; die Angabe indessen, daß Fasern des Orbicularis »medianwärts« in den Nasalis übergehen (a.a.O.), läßt vermuten, daß die von Ruge gefundene Verbindung in der Nähe der Mittelebene gewesen sei. Jedesfalls läßt aber auch die Rugesche Beschreibung in Übereinstimmung mit der meinigen das Fehlen zweier Bestandteile erkennen, welche am menschlichen Nasalis vorhanden sind: Erstens der vom medialen Rande des Muskels in die Orbi- cularisbahn umbiegenden und in Mittellinie kreuzenden und zweitens der vom lateralen Rande des Muskels gleichfalls in die Orbicularisbahn ein- tretenden Bündel (Ineisivi superiores der Literatur, meine Orbieularisbündel des Nasalis). Ich komme nun auf diejenigen Punkte, welche mir beim Vergleich mit dem menschlichen Nasalis der Erwägung wert erscheinen. -—- Beim Menschen besteht eine so weitgehende Ähnlichkeit zwischen Nasalis und Mentalis, daß man den Mentalis als den Nasalis des Untergesichts und den Nasalis als den Mentalis des Mittelgesichts bezeichnen könnte: Die Ursprungs- felder beider Muskeln sind ziemlich gleich groß, gleich gelegen und von denen der Gegenseite durch gleiche Ahstände getrennt; bei beiden Muskeln gehen die am meisten medial gelegenen Fasern bogenförmig in horizontale tichtung über, treten in die Bahn des Orbicularis ein und gelangen ge- kreuzt auf die gegenüberliegende Seite; die am meisten lateral gelegenen Bündel gehen, lateralwärts gerichtet, gleichfalls in die Bahn des Orbicularis ein und bilden die Ineisivi der Literatur (meine »Orbicularisbündel« des Nasalis und des Mentalis). Alle diese Übereinstimmungen fehlen beim Schimpansen: Das Ur- sprungsfeld des Nasalis ist erheblich breiter wie das des Mentalis, die medialen und lateralen Randbündel des Nasalis sind einfach ansteigend. Wir wollen diese beiden Punkte gesondert betrachten. Obwohl das Ursprungsfeld des Nasalis bzw. der Muskel selbst breiter ist wie beim Menschen, so reicht doch das erstere, auf die Zahnalveolen bezogen, nicht weiter nach der Seite, so daß man in Erwägung ziehen kann, ob nicht die Breite des Muskels indirekt durch die Größe der vor- deren Zähne bedingt ist. —— u Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 53 Die Breite des Muskelursprunges und des Muskels überhaupt fällt besonders in die Augen gegenüber der geringen Größe der Nase. Der Muskel ist selbst am oberen Ende breiter als die Nase, wenigstens als das- jenige, was auf den ersten Blick als »Nase« erscheint. Beim Schimpansen hört nämlich die Nase seitlich mit dem lateralen Winkel des Nasenloches auf, einen Nasenflügel gibt es nicht. Aber gerade durch das genannte Verhalten des Nasalis wird man erst darauf aufmerksam gemacht, daß seitlich vom Nasenloch ein Hautfeld liegt, welches wir als dem mensch- lichen Nasenflügel gleichwertig (»Nasenflügelfeld«) ansehen müssen. Das Fehlen der vom medialen und lateralen Rande des Nasalis in die Orbicularisbahn abbiegenden Bündel dürfte wohl mit der geringen Be- deekung durch den Orbicularis oris zusammenhängen. Indem beim Menschen der Nasalis vollkommener vom Orbicularis bedeckt ist, liegt darin ein An- reiz für ersteren, einen Teil seiner Fasern in die Bahn des Orbicularis abbiegen zu lassen. 23. Bueeinatorius. (Fig. 6. 9. 10. ıı. 12, Textfig. 5. 6.) Wenn man unter der Präparation selbst schriftliche Aufzeichnungen macht, um alle Einzelheiten der Beobachtung ohne Verlust aufzusammeln, so schwillt die Menge derselben beim Buceinatorius unverhältnismäßig an. Will man aus ihnen ein Bild herstellen, welches vollständig ist, so kommt man ins Kleinliche und Ermüdende, ermüdend deswegen, weil der Leser argwöhnen wird, daß die ganz feinen Einzelheiten individuell wechseln. Doch man kann bei der Untersuchung des Einzelfalles ja nicht wissen, was individuell ist; die Möglichkeit besteht immer, daß auch sehr feine Züge doch typisch sind, oder daß sie wenigstens in charakteristischer Weise gewisse Tendenzen aussprechen. Im vorliegenden Falle sind jedes- falls überaus feine Einzelheiten von der rechten und linken Seite noch in Übereinstimmung. Aus diesen Gründen sehe ich mich veranlaßt, alle, auch die feinsten Züge, zu beschreiben, auf die Gefahr hin, dem Leser etwas lästig zu fallen. Schwierigkeit der Beschreibung. Aber es ist bei diesem Muskel nicht leicht, die richtige Form der Beschreibung zu finden. Der Muskel sondern ist nicht in seinem ganzen Verlauf gleichartig und parallelfaserig, 54 Hans Vırcaow: ändert sowohl in der Fläche von Strecke zu Strecke ab, als auch ändert er seinen Charakter nach der Tiefe. In solchen Fällen ist der Beschreibende geneigt, den Muskel in Portionen abzuteilen, wenn es sich um Änderungen in der Fläche handelt, oder in Schichten, wenn es sich um Änderungen nach der Tiefe handelt. Hat man aber einmal mit der Teilung in Por- tionen und Schichten begonnen, so pflegt man darin zu weit zu gehen, den Portionen und Schichten eine größere Selbständigkeit einzuräumen, als sie beanspruchen dürfen. Der Buceinatorius des Schimpansen zerfällt weder in getrennte Portionen noch in getrennte Schichten. Seine Portionen sind immer mit anderen Portionen durch Übergänge verbunden, und die Schiehtenbildung in ihm hat immer nur eine beschränkte lokale Ausdehnung; sie kommt immer nur da zustande, wo Bündel von schiefem Verlauf vor- übergehend aus der Fläche heraustreten und an anderen Bündeln vorbei- laufen, hört jedoch da auf, wo die Bündel in die horizontale Hauptrichtung zurückkehren. Oder die Schichtenbildung kommt da zustande, wo der Buceinatorius auf Nachbarmuskeln trifft. Eine einzige Portion, welche im folgenden als untere vordere aufsteigende beschrieben wird, veranlaßt im Buccinatorius selbst eine entschiedenere Schichtbildung; aber auch sie geht an ihrem hinteren Rande unter allmählieher Änderung der Faserrichtung in die Hauptmasse über. Das Bild der Unregelmäßigkeit wird auch da- durch gesteigert, daß an mehreren Stellen Schleimdrüsen bzw. Pakete von solehen durch den Muskel hindurchtreten und die Bündel zur Richtungs- änderung zwingen. Schwierigkeit der Abbildung. Auch für den Zeichner sind die Schwierigkeiten ungewöhnlich groß. Versucht er, die von Stelle zu Stelle wechselnden Verschiedenheiten zur Geltung zu bringen, so muß er not- wendigerweise in Übertreibungen verfallen, weil es sich zum Teil um so feine Ü bergänge handelt, daß sie mit den zeichnerischen Mitteln gar nicht oder höchstens in starker Vergrößerung wiedergegeben werden können. Auch die Diekenverhältnisse der einzelnen Portionen und Portiönchen, welche man unter der Präparation beim Abtragen merkt, sind zeichnerisch absolut nicht zur Anschauung zu bringen. Eine Schwierigkeit, auf welche in der Literatur nirgends besonders hingewiesen wird, erwächst sowohl für die Beschreibung wie für die Ab- bildung aus dem Umstande, daß die Schleimhaut oben und unten, bevor sie sich an die Kieferränder ansetzt, eine Falte bildet. Gleicht man die Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 55 Falte aus, so werden die topographischen Verhältnisse gestört, und es ent- steht eine unverständliche Situation, gleicht man sie dagegen nicht aus, so bleibt der hinter der Falte gelegene Teil des Muskels und damit der Ursprung am Knochen verdeckt. Man muß daher, wenn man ganz deut- lich sein will, zwei Abbildungen geben, die eine mit Erhaltung der Falte, die andere nach Glättung der letzteren. Von den Abbildungen meiner Arbeit zeigen die Textfiguren 5 und 6 sowie die Tafelfiguren 9 und 10 den Muskel vor Ausgleichung und die Tafelfiguren ıı und ı2 nach Aus- gleichung der Falte. Es ist auch daran zu denken, daß die Falte hinten niedriger ist als vorn. Der Beschreibung des Muskels schicke ich noch zwei Bemerkungen voraus: Fettpolster der Wange. Die Wange ist keineswegs fettarm, viel- mehr liegt unmittelbar vor dem Masseter und Kieferast ein voluminöser Klumpen von derbem Fett, welcher sehr wohl dem Bichatschen Fett- klumpen des Menschen gleichgestellt werden kann. Durchtrittsstelle des Duetus Stenonianus. Die Durchtrittsstelle durch den Muskel liegt 4 mm unterhalb des oberen und 17.5 mm ober- halb des unteren Umschlages. Dadurch wird ein schmaler oberer Streifen des Muskels nach unten hin abgegrenzt. Teile des Muskels. Am besten ist es, drei Portionen zu unter- scheiden: eine horizontale oder Hauptportion, eine obere vordere absteigende (oberflächliche) und eine untere vordere aufsteigende (tiefe). Ich will jedoch zu noch größerer Deutlichkeit von der ersteren eine obere Randpartie und eine untere Randpartie trennen. Ich bemerke aber noch einmal, daß keiner dieser Abschnitte selbständig ist. Am größten ist die Selbständigkeit der unteren senkrecht aufsteigenden Partie. 1. Obere Randpartie. Die obere, genauer obere hintere, Randpartie ist horizontal gerichtet; sie hat ein gleichmäßig dichtes homogenes s. z. s. ruhigeres Aussehen mit geradem Verlauf der Fasern. Sie entspringt hinten am Knochen. Der Oberkieferursprung des Buccinatorius im ganzen reicht vom hin- teren Ende des Oberkiefers bis zur Mitte der Alveole des ersten Milch- molaren. Diese Ursprungslinie hat nicht die stark aufwärts gerichtete Konvexität, die sie stets beim Menschen zeigt, sondern ist nur wenig, und 56 Hans Vırcuow: zwar am hinteren Ende, gebogen. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß es sich um ein Kind handelt, und.daß ich über den Bucecinatorius- ursprung beim erwachsenen Schimpansen keine Auskunft geben kann. An dieser Linie lassen sich drei Stücke von verschiedenem Charakter unter- scheiden. Für den Ursprung der oberen Randpartie kommt nur das hintere Stück in Betracht. Es hat, wie gesagt, eine leicht gebogene Gestalt und liegt an der hinteren Rundung des Oberkiefers. Zur oberen Randpartie ist (topographisch) ein eigentümliches langes Bündelchen hinzuzurechnen, welches sich nur auf der rechten Seite fand (Fig. 9, B). Dasselbe war ı.5 mm breit und bandartig, d. h. abgeplattet; es entsprang ı2 mm oberhalb des oberen Randes des Muskels am vorderen Ende der Fossa temporalis und lief, nach unten ziehend, im Fettpolster aus. 2. Hauptportion. Die Hauptportion schließt sich ohne Grenze an die obere Randpartie an, jedoch ändert sich in ihr der Charakter des Muskels. Dieser hat hier ein grobbündeliges netzartiges Aussehen. Manche Bündel treten zu dickeren Bündeln zusammen, und umgekehrt dickere Bündel teilen sich in mehrere divergierende. Einzelne kleine Partien, von denen sogleich gesprochen werden soll, nehmen vorübergehend einen schiefen Weg und ziehen an anderen Bündeln vorbei, womit dann ebenso vorübergehend Schichtung emtritt. Die an die Durchtrittsstelle des Ductus Stenonianus unten unmittel- bar anschließende Partie ist horizontal gerichtet; weiter unten folgt jedoch eine Partie von schrägem Verlauf, indem deren hinteres Ende etwas mehr von oben kommt. Jedoch ergibt sich daraus nicht eine besondere Schichtung, indem diese schiefe Portion sich vorn in kleinere Bündel auflöst, welche durchaus in dem Niveau des übrigen Muskels gelegen sind. Über einen weiteren Bestandteil der Hauptportion, der aus der unteren tandpartie stammt, wird sogleich bei dieser gesprochen werden. In der Nähe des Mundwinkels, d. h. da, wo der Buceinatorius sich dem Gebiet des Orbieularis oris nähert, wird er ganz dicht und feinfaserig, so daß man hier die Faserung nur schwer erkennen kann. In dieser Gegend wird eine anfangs unterhalb der Mundebene liegende Partie leicht ansteigend (Fig. 9, B.7); sie bedeckt dabei die oberhalb der Mundebene horizontal nach vorn ziehenden Fasern, wird aber ihrerseits wieder von der noch zu an mr .—.- Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 57 beschreibenden oberen schiefen Portion zugedeckt. Diese schief ansteigende Partie geht zum Teil in die Oberlippe. Den (hinteren) Ursprung der Haupt- portion habe ich nicht aufgesucht, weil ich nicht den Unterkieferast zer- stören wollte; ich nehme aber an, daß er sich ebenso wie beim Menschen an der Raphe pterygomandibularis findet. Eigentümlich verhalten sich zwei kleine Bündelchen, welche ihrer Lage nach als aberrante Bündelchen erscheinen können, aber doch Beach- tung verdienen, weil sie auf beiden Seiten vorkamen: a) Das eine dieser Bündelchen entspringt, nicht dicker als ein Fädchen, ı3 mm unterhalb des Jochbogens in dem Bindegewebe am vorderen Rande des Temporalisansatzes, durch den Fettklumpen von dem übrigen Muskel ‘geschieden, wird dann etwas kräftiger, zieht im Bogen ab- und vorwärts und tritt in die Hauptportion ein, wo es sich mit einem Bündel der letzteren vereinigt (Fig. 9, B.4 und Textfig. 6, B. 2.) b) Das andere, 2 mm breit, kommt von hinten her, wo sein Ursprung durch den Knochen verdeckt ist, verläuft horizontal nach vorn wie die Bündel der Hauptportion, denen es aufliegt, mit denen es sich aber nicht vereinigt, und scheint frei im Fettpolster zu endigen (Fig. 9, B. 5). Die beiden genanten Bündel hatten eine blasse Farbe. Verfolgt man die Hauptportion in die Tiefe, indem man allmählich die oberflächlichen Bündel derselben abträgt, so findet man den Charakter geändert: das Grobbündlige, Netzartige verliert sich, und der Muskel nimmt ein mehr gleichmäßiges, feiner gefasertes Aussehen an. Diese tiefe Lage ist jedoch nicht als besondere Schicht abgesondert, sondern der Muskel bildet von seiner äußeren Fläche bis an die Schleimhaut eine einzige ge- schlossene Platte. Die der Schleimhaut aufliegende Fläche ist zum Teil mit dieser so fest verbunden, daß sie sich nur schwer abpräparieren läßt. Doch ist anscheinend die Verbindung nicht durchweg gleich innig, viel- mehr scheint es, daß immer nur einzelne dünne Bündel der Schleimhaut anhängen. An der Stelle der unteren ansteigenden Portion (s. unten) kommt es zu einer lokal beschränkten Schichtbildung. In der Unterlippe tritt ein Teil des Buccinatorius durch die tiefe Lage des Platysmas hindurch, kommt vor diese zu liegen und gelangt dadurch in Beziehung zum Orbieularis oris. Hier konnte ich diese Partie nicht weiter abgrenzen (Textfig. 6, B. 4). Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. 8 58 Hans Vırcaow. 3. Untere Randpartie. Auch in der unteren Randpartie ist die horizontale Faserrichtung vor- handen. Jedoch sondern sich davon einige Bündel ab, welche, indem sie schief ansteigen und dabei zugleich oberflächlich verlaufen, das Bild kompli- zieren. In dieser Hinsicht verhielten sich in meinem Falle beide Seiten im wesentlichen gleich, jedoch im einzelnen etwas verschieden, so daß ich sie getrennt beschreiben will. a) Links (Textfig.6, B. 3). Aus der unteren hinteren Randpartie biegen vier Bündelchen auf- und vorwärts und gelangen dadurch in die Haupt- portion, wo sie in die horizontale Riehtung übergehen und sich mit Bün- deln der Hauptschicht vereinigen. Das vorderste der genannten Bündel ist senkrecht ansteigend und haftet unten an einer kleinen Drüse. Zu einer besonderen Sehicht kann man diese Formation nicht stempeln, weil sie zu spärlich ist und mit der Umbiegung in die horizontale Richtung sich in die Hauptportion einlagert. b) Rechts (Fig.9, B.6). Die schief ansteigenden Bündel biegen schon weiter hinten aus der Randpartie ab. Die untere Randpartie entspringt genau genommen gar nicht am Knochen, sondern an der Schleimhaut; jedoch sind hinten die Anfänge der Fasern dem Knochen so nahe, daß bei nicht ganz genauer Betrachtung die Täuschung eines Knochenursprunges entsteht. Dieser scheinbare Knochen- ursprung erreicht sein vorderes Ende an der Grenze zwischen M, und M,, wobei ich jedoch wieder bemerke, daß es sich um ein junges Tier handelt, dessen Gebiß noch nicht vollständig war. Die horizontal bleibenden Fasern der unteren Randportion, insbesondere auch die, welche dem inneren Schenkel der Schleimhaut aufliegen, befestigen sich vorn zum Teil am Knochen, zum Teil an der Schleimhaut. a) Knochenansatz (Fig. ı2, B. ı2). Der Ansatz erfolgte auf der linken Seite des Präparates mittels vier kleiner Bündelehen, welche in sehnige Streifen ausliefen, auf einer ı2 mm langen Linie, deren vorderes Ende der Mitte der Alveole von P, entsprach. Auf der rechten Seite waren die Ansätze nicht so deutlich ausgeprägt. b) Schleimhautansatz. Die Befestigung der nach vorne ausstrah- lenden Fasern in der Schleimhaut der Unterlippe läßt sich bis in die Gegend der Alveole des unteren Eckzahnes nach vorn verfolgen. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 59 Ich muß hier noch einmal auf eine beim Mentalis besprochene An- gelegenheit zurückkommen, nämlich auf die Frage, ob der Buceinatorius ein Bündel bis an das Mentalisursprungsfeld vorschiekt. Was ich über diese Angelegenheit ermitteln konnte, ist auf der Figur 6 unter Be- nutzung einer vorher angefertigten und bemalten Photographie, aber doch an Hand des Präparates wiedergegeben. Es ist hier das Platysma empor- geklappt, und an der dem Beschauer zugewendeten, ursprünglich dem Knochen aufliegenden Fläche desselben bemerkt man, rechts und links gleich, ein Bündelchen, welches vom Buceinatorius bis an das Ursprungsfeld des Mentalis reicht (M. 6). An beiden Enden schwillt es an, in der Mitte ist es nur ein ganz feines Fädchen, jedoch auch letzteres fleischig und nicht etwa eine Zwischensehne. Der auf der Seite des Mentalis gelegene Abschnitt dieses Bündelchens reiht sich genau dem Bilde des Mentalis und der auf der Seite des Buceinatorius gelegene Abschnitt genau dem Bilde des Buceinatorius ein. Es ist also für mich das Natürlichste, so zu be- schreiben: Ein Bündel des Mentalis und ein solches des Buceinatorius be- gegnen sich und gehen durch eine feine Brücke ineinander über. Ein Teil der unteren Falte der Schleimhaut wird nicht vom Bucei- natorius überkleidet (Fig. 6. 9). 4. Obere schief absteigende Portion. Wenn ieh diese Portion mit allen sie charakterisierenden Adjektiven ausstatten wollte, so müßte ich sie »obere vordere, schief absteigende ober- tlächliche« Portion nennen. Eine selbständige »Schicht« ist sie nicht, denn erstens breitet sie sich nicht über den ganzen Buceinatorius aus, sondern ist lokal beschränkt, und zweitens ist sie nicht selbständig, sondern geht hinten unter allmählicher Änderung der Faserrichtung in den Hauptteil des Buceinatorius über. Auch die Bezeichnung »oberflächlich« erleidet, wie wir sogleich sehen werden, eine gewisse Einschränkung. Es wurde oben gesagt (s. S. 55), daß der Ursprung des Buceinatorius am Oberkiefer bis zur Mitte der Alveole des ersten Milchmolaren nach vorn reiche und aus drei Stücken bestehe. Von diesen drei Stücken fallen die beiden vorderen der oberen schiefen Portion zu. Die Fasern der letzteren ver- laufen schief ab- und vorwärts gegen den Mundwinkel und nähern sich, je weiter nach vorn, um so mehr der Senkrechten. In dem Ursprunge des Muskels macht sich jedoch ein Unterschied bemerkbar, der uns ver- 8* 60 Hıns Vırcaow: anlassen muß, zwei Abschnitte zu unterscheiden (Fig. 9). In dem vorderen Abschnitt (B. ı) liegt der Ursprung der Schleimhaut fest auf und befestigt sich an derselben Stelle wie diese, am Knochen. In dem hinteren Ab- schnitt besteht auf der rechten Seite des Präparates der Ursprung aus zwei Bündelehen, einem ı mm breiten, welches 6 mm oberhalb des An- satzes der Schleimhaut entspringt (B. 2), und einem 4,5 mm breiten, welches mit seinem Ursprung bis an den Ansatz der Schleimhaut hinabreicht (B. 3); auf der linken Seite (Textfig. 6, B. ı) ist an Stelle dieser zwei Bündel nur deren eines vorhanden. Die von diesen Ursprüngen ausgehenden Fasern sind nun nieht nur einfach konvergierend, sondern es verlaufen die der vorderen Hälfte steiler, die der hinteren Hälfte flacher, und es schieben sich die der hinteren unter die der vorderen. Durch die veränderte Faserrichtung wird die all- mähliche Überleitung zu der Faserrichtung der Hauptportion vollzogen. Das Verhalten des Buccinatorius am Mundwinkel ist natürlich erst zu erkennen, nachdem bedeckende Muskelschichten (Zygomaticus, Caninus, Platysma, Orbiecularis) entfernt sind. Man erkennt dann bei allmählichem vorsichtigem Abtragen, daß in dieser Gegend der Buceinatorius in fünf- facher Schicht liegt, woraus man aber durchaus nicht getrennte Schichten des Bueceinatorius in seinem ganzen Verlaufe machen darf, da diese Schich- tung nur eine beschränkte lokale Ausdehnung hat. Von diesen fünf Schichten sind die drei oberflächlicheren aus unserer bisherigen Betrachtung verständ- lich : die obere schiefe Partie liegt am oberflächlichsten, dann folgt ein Abschnitt der Hauptportion, welcher gegen den Mundwinkel schief aufsteigt (s. S. 50) und dann ein horizontal verlaufender Abschnitt der Hauptportion; die beiden noch fehlenden Schichten werden weiter unten besprochen werden. Die obere schiefe Partie geht mit ihrem unteren Ende ebenso breit in die Oberlippe wie in die Unterlippe ein, ja auf der rechten Seite ging sie sogar vorwiegend in die Oberlippe. In der Unterlippe konnte ich sie nieht weiter vom Orbicularis isolieren. In der Oberlippe gehen die vor- dersten Fasern zwischen Schleimdrüsen hindurch und biegen sogar in mediale Richtung fast parallel zur Mundspalte ein. In der Nähe des Mund- winkels wird diese Portion von einer ganz dünnen Lage Orbicularis durch- fahren, so daß sie dadurch in eine oberflächliche und tiefe Schicht zerfällt. Die obere schiefe Partie liegt vom Umschlag der Schleimhaut an in Breite von 3 mm unmittelbar auf der Schleimhaut auf. Dies hört erst auf, Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 61 indem ein 2 mm breites Bündel des Orbicularis oberhalb des Drüsengürtels sich zwischen die Schleimhaut und den Buceinatorius schiebt. Hieraus er- gibt sich für die Beschreibung, daß der oberhalb dieses Orbieularisbündel- chens gelegene Abschnitt unserer Portion streng genommen nicht als ober- flächlich bezeichnet werden kann, da nichts unter ihm liegt. 5. Untere senkrechte ansteigende Portion. (Tafelfig. 10 u. 12, B. ır.) Die jetzt zu besprechende Portion hat von allen Teilen des Buceina- torius die größte aber doch auch keine vollständige Selbständigkeit. Der Leser möge nun Text und Abbildung zugleich benutzen, denn die Abbil- dung allein würde zu falschen Vorstellungen führen, der Text allein nicht verständlich sein. Der vordere Rand ist scharf abgesetzt, und hier besteht über die Be- grenzung unserer Portion kein Zweifel. Dieser Rand beginnt oben an einer Stelle, die etwas hinter dem Mundwinkel liegt, und trifft unten, wenn man zunächst nur den Knochenansatz in Betracht zieht, die Mitte der Alveole des P,. Der Rand ist genau senkrecht gerichtet bis an den Drüsengürtel heran. Hier biegt er nach vorn ab, so daß das vordere Ende der Knochen- anheftung 7 mm vor der erwähnten Senkrechten liegt (Fig. 12, B. ı ra). Der Knochenursprung, der aus mehreren schmalen Bündelchen besteht, hat von hier aus nach hinten eine Breite von 6mm. An den vorderen Rand schließen sich mehrere kleine Bündel an, welche 5 mm weit von vorn her kommen und hier an der Schleimhaut befestigt sind (Fig. ı2, B. rıb). Sie sind anfangs horizontal gerichtet, biegen aber dann in die senkrechte Rich- tung ein und vereinigen sich mit den senkrechten Fasern. Die Verfolgung des Muskels nach unten wird dadurch erschwert, daß derselbe in den dichten Drüsengürtel eindringt. Wenn man jedoch vorsichtig zwischen den Drüsen hindurch präpariert, so kann man die Fasern bis an den Knochen verfolgen. Um dahin zu gelangen, müssen die Fasern um die Schleim- hautfalte herum biegen. Ein vorderer Abschnitt unserer Portion hat einen mehr geschlossenen Charakter und ist auch kräftiger; man kann ihn in Höhe des Mundwinkels zu 6mm und über dem Drüsengürtel zu $mm breit rechnen. Die sich hinten anschließenden Bündel unterscheiden sich dadurch, daß sie mehr und mehr eine schiefe, der horizontalen sich nähernde Lage annehmen 62 Hans Vırcnaow: und dadurch in die (horizontale) Hauptportion überführen und zweitens dadurch, daß sie von in sie eindringenden horizontalen Bündeln durch- setzt sind. Dies führt mich auf die Beziehungen zwischen der aufsteigenden Por- tion und der Hauptportion. Ich will sie zunächst in einer vereinfachten Form besprechen, welche nicht ganz der Wirklichkeit gleichkommt, um dann zu der komplizierteren Wirklichkeit überzuleiten. Die Hauptportion spaltet sich, indem sie die aufsteigende Portion trifft, in zwei Lagen, eine oberflächliche und eine tiefe. Die oberfläch- liche bedeckt die aufsteigende Portion, die tiefe unterfährt sie, liegt zwischen ihr und der Schleimhaut. Diese tiefe Lage war aber an meinem Präparat vor dem vorderen Rande der aufsteigenden Portion nicht einheitlich, son- dern bestand hier aus zwei durch eine Lücke getrennten Bündeln, einem unteren und einem oberen. Das untere dieser Bündel war nicht gegen den Lippensaum ansteigend, sondern eher abwärts gerichtet gegen das vordere Ende des Knochenansatzes der aufsteigenden Portion. Das obere Bündel ging aufsteigend in die Unterlippe (Fig. ı2, B. 10) und hatte vom Mund- winkel nach unten eine Breite von Io mm. An dieser Stelle war die tiefe Lage der Hauptportion am deutlichsten, weil am dieksten; am hinteren Rande der aufsteigenden Portion war sie dünner. Nun ist aber wie angedeutet das Verhältnis zwischen aufsteigender Portion und Hauptportion in Wahrheit komplizierter. Die Hauptportion bildet nämlich nicht einfach eine oberflächliche und eine tiefe Lage, welche die aufsteigende Portion einschließen, sondern es besteht eine Durchflech- tung, indem Bündel der horizontalen Formation an verschiedenen Stellen zwischen den Fasern der aufsteigenden Portion hindurchdringen. Bei der Präparation jedoch, welche zur Grundlage der Figur 10 dienen sollte, wurde das Verhältnis durch Wegnahme horizontaler Fasern vereinfacht und nur im unteren Teil ein Stück eines breiteren horizontalen Bündels stehenge- lassen, um das Verhältnis der aufsteigenden und horizontalen Fasern kennt- lich zu machen. Es ist also in Wahrheit die aufsteigende Portion zwar am vorderen Rande scharf begrenzt, aber am hinteren Rande ist sie es nicht. Noch bleibt das obere Ende der aufsteigenden Portion zu betrachten. Die Portion verschmälert sich hier und verdiekt sich dementsprechend. Nieht alle Bündel bleiben in dem gleichen Niveau. Im vorliegenden Falle Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 63 trat eines derselben, welches in Fig. 10 abgeschnitten dargestellt ist, in eine oberflächlichere Lage des Orbicularis ein. Ob Bündel in die Ober- lippe einbiegen und hier die Orbieularis-Richtung annehmen, muß unent- schieden bleiben; sicher aber ist, daß dies nicht allgemein sein kann. Es findet vielmehr eine Auffaserung statt bis zu Komponenten, welche selbst für die binoculare Lupe schließlich nicht mehr präparierbar sind, und diese behalten bis zuletzt die aufsteigende Richtung bei. Daß unsere Portion in der Oberlippe eine besondere Schicht bilde, erscheint mir un- erweislich, ja ausgeschlossen. Am ehesten würde ich ihr nach meinen Be- funden eine ganz schmale und verhältnismäßig dieke Portion am Lippen- saume zuweisen. Die Rugesche Darstellung (a. a. O. S. 54 — letzte Zeile —, 116. 117. 103, Fig. 31. 32. 33) weicht bei diesem schwierigen Muskel so sehr von der meinigen ab, daß auf den ersten Blick der Rugesche Buceinatorius und der meine nur eine entfernte Ähnlichkeit haben. Indessen erweist sich bei näherem Zusehen, daß wirkliche Unterschiede, die man als in- dividuelle Varianten ansehen müßte, wohl nur in geringem Grade vor- handen waren. Der Unterschied der Darstellungen hat vielmehr großen- teils einen formalen Grund und kommt daher, daß Ruge, um der Schwierig- keiten des Gegenstandes Herr zu werden, einen Weg beschritten hat, welchen ich, um der Wirklichkeit nicht Gewalt anzutun, ängstlich ver- mieden habe, nämlich. den Muskel in eine Anzahl von Schichten zu zer- legen. Dazu kommen aber noch einige Stellen, wo nach meiner Meinung Ruge sich in der Präparation vergriffen hat. In der Rugeschen Darstellung finden sich sechs Schichten, von welchen drei einer oberflächlichen Lage, zwei einer tiefen Lage und eine einer Zwischenschicht angehören. Die beiden ersten werden in dem ersten Absatz, die vier übrigen in dem zweiten Absatz der Seite 117 besprochen; die drei ersten sind in Fig. 32, die drei übrigen in Fig. 33 wiedergegeben. 1. Eine »oberflächliche Buceinatorschicht«, welche im oberen vorderen Teil der Wangengegend liegt, breit in die Unterlippe eintritt und sich hier in ganzer Höhe der letzteren ausbreitet. — Meine obere schief ab- steigende Portion. 2. »Hauptmasse« oder »Hauptschichte« des Buceinatorius. — Ober- flächliche Faserlage meiner Hauptportion. 64 Hans Vırcuow: 3. »Ganz selbständige Schichte«, die zweite bedeckend, schief ver- laufend. — Bei mir in dieser Form nicht vorhanden, sondern nur durch ein ganz winziges Bündel dargestellt, welches unten und vorn in die Haupt- portion eintritt. 4. Eine »Muskellage, welche längs des Oberlippenrandes bis zum Mundwinkel und über diesen hinaus in allmählicher Ausstrahlung der Fasern zur Wange verfolgbar ist.«e — Meine untere senkrecht ansteigende Portion. 5. Eine tiefe »über die ganze Wange ausgedehnte Schichte.« — Der tiefen Faserlage meiner Hauptportion entsprechend. 6. »Tiefste Schichte« am oberen Rande gelegen. — Bei mir nicht vorhanden. Alle diese Formationen werden als »Schichten« bezeichnet mit Aus- nahme der vierten, für welche der Ausdruck »Muskellage« in Anwendung kommt; doch ist dies nur ein Zufall, denn gerade für sie wäre die Be- zeichnung einer Schicht mindestens so gut anwendbar wie für die übrigen. Für zwei dieser Formationen oder Schiehten läßt Ruge die Möglich- keit gelten, daß sie »dem Orbicularis oris zugehören mögen«, nämlich für die erste und vierte. Es kommt hierfür der in den einleitenden Sätzen zur Besprechung des Buceinatorius aufgestellte Gesichtspunkt in Betracht, daß sich bei den Primaten Bestandteile des Orbieularis dem Buceinatorius angeschlossen haben (a.a.0. S.ı14). Was diesen Punkt anlangt, so kann ich über die Frage, ob ein sekundärer Anschluß von Orbicularisbestand- teilen an den Buceinatorius bei Primaten stattgefunden habe, generell keine eigene Meinung äußern, da es mir an den vergleichend anatomischen Er- fahrungen fehlt. Aber speziell diese beiden Formationen bieten keinen Anlaß zu einer solchen Spekulation, da sie mit dem übrigen Buceinatorius in der Weise zusammenhängen, daß sie als untrennbare Bestandteile des letzteren erscheinen, ihre Beziehungen zu den Lippen dagegen nicht von solcher Art sind, daß man sie als Orbieularisbündel auffassen dürfte. Ich will nun die sechs Rugeschen Schichten genauer durchgehen und sie mit meinen Befunden vergleichen. I. Die obere vordere Portion finde ich in ihrem oberen Abschnitt ebenso wie Ruge (Ruges Figur 32, meine Figurg9, B. ı); die breite Ent- faltung in der Unterlippe in einer besonderen Schicht kann ich nicht an- erkennen; ganz bestimmt ging bei mir diese Portion zur Hälfte in die Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 65 Oberlippe über, während sie sich bei Ruge auf die Unterlippe beschränkt. Eine selbständige Schicht ist es im Grunde genommen auch nach Ruges Beschreibung nicht, denn »nach hinten lehnen sich in kontinuierlicher Lage Ursprungsfasern vom Oberkiefer an«. Nur in der Gegend des Mundwinkels wird, wie ich beschrieben habe, diese Portion schichtbildend. 2. Die »Hauptschicht« ist bei Ruge schematischer, mehr vereinfacht dargestellt, als es der Wirklichkeit entspricht. Es ist aber nicht unwesent- lich, die Teilungen und Vereinigungen von Bündeln, die Überkreuzung im Kleinen zu beachten, denn sie leiten zu den ähnlichen Erscheinungen größe- ren Maßstabes über. Eines der aus der horizontalen Hauptriehtung heraus- fallenden Bündel ist bei mir das schräg gegen den Mundwinkel aufsteigende. Die Hauptschicht geht bei Ruge nur in die Unterlippe, bei mir auch in die Oberlippe. 3. Die schief verlaufende oberflächliche Schicht, von welcher Ruge ausdrücklich sagt, daß sie »ganz selbständig« sei, und es auch so zeichnet, findet sich bei mir nicht vor. Ich habe aber an gleicher Stelle ein winziges Bündelehen gefunden, welches hinten selbständig, sogar durch das Fett- polster von dem übrigen Buceinatorius getrennt ist, jedoch vorn in die Hauptportion eingeht. Der Vergleich von Ruges Figur 32 mit meiner Figur 9, B.4 und Textfigur6, B.2 macht den Unterschied deutlich. Auch bei Ruge aber ist diese Formation der Figur gemäß zu schmal, um als »Schicht« bezeichnet werden zu können; sie ist nur ein schmales Band, welches, wenn wirklich vollkommen selbständig, doch nur ein Bündel heißen könnte. 4. Die Zwischenschicht, welche sich zwischen die oberflächliche und tiefe Hauptschicht einschiebt, ist in meiner unteren aufsteigenden Portion wiederzuerkennen. Sie ist aber in beiden Arbeiten sehr verschieden dar- gestellt, wie sich bei dem Vergleich von Ruges Figur 32 und 33 und meinen Figuren 10 und ı2 sofort erkennen läßt. Sie ist bei Ruge sche- matisch gezeichnet; es fehlen ihr allerlei kleine Züge, welche ihre Indivi- dualität ausmachen. Dieser Mangel erschwert die Unterscheidung darüber, ob es sich um Unterschiede der einzelnen Fälle oder der Präparationsweise handelt. Ich möchte doch das letztere glauben. Ich weise darauf hin, daß die untere Portion hinten unter Änderung der Faserrichtung kontinu- ierlich in die Hauptportion übergeht und daß sie unten teilweise am Knochen befestigt ist. Einen vollständigen Eintritt in die Oberlippe und die Bildung Phys.-math. Abh. 1915. Nr.1. 9 66 Hans Vırcmow: einer besonderen Schicht in letzterer kann ich nicht bestätigen. Übrigens ist diese Schicht bei Ruge in den beiden in Betracht kommenden Figuren verschieden angegeben: in Figur 32 in Breite der ganzen Oberlippe und in Figur 33 noch nicht halb so breit. 5. Die tiefe über die ganze Wange ausgedehnte Schicht konnte ich als besondere Schicht nicht finden. Zwar ändert sich der Charakter der IHauptportion nach der Tiefe, aber der Muskel ist kontinuierlich von der Oberfläche bis an die Schleimhaut. 6. Die am oberen Rande gelegene tiefste Schicht war in meinem Falle nicht aufzufinden, obwohl ich, durch Ruges Angabe aufmerksam gemacht, aufs sorgfältigste suchte. Übrigens handelt es sich auch nach Ruges Be- schreibung nicht eigentlich um eine besondere Schicht. Denn es ist zwar gesagt, daß die tiefste Schicht sich unter die Oberlippenbündel der tiefen Hauptschicht begibt, zugleich aber, daß letztere »mit der Schleimhaut aufs innigste verwachsen« sei, was ein Widerspruch ist. Denn wenn die tiefe Hauptschicht innig mit der Schleimhaut verwachsen ist, so kann nicht zwischen ihr und der Schleimhaut noch eine andere Schicht liegen. Übrigens bemerkt Ruge selbst: »Diese tiefste Schichte darf wohl als eine Abson- derung der sie zum Teil bedeckenden angesehen werden «. Über einen Punkt fühle ich mich verpflichtet, noch besonders Rechen- schaft zu geben, nämlich darüber, daß ich an der Richtigkeit der Ruge- schen Angabe über die Ausbreitung seiner ersten Formation in der Unter- lippe und die seiner vierten Formation in der Oberlippe zweifle, wie sie in den Figuren 32 und 33 dieses Autors dargestellt sind. Man könnte ja den Einwand machen, es sei Ruge hier gelungen, in einem Maße in die Analyse der Lippenmuskulatur einzudringen, welches meiner Präparations- kunst versagt blieb; und auch ich habe mir diesen Einwand aufs ernsteste gemacht. Aber ich muß doch dagegen folgendes bemerken: Ich habe bei der Präparation der oberen schiefen und der unteren senkrechten Portion eine Anzahl von feinen Einzelheiten gefunden, welche von Ruge nicht beschrieben und auch nicht abgebildet sind. Nun könnte man ja auch noch wieder an die Möglichkeit denken, daß Ruge diese feinen Züge wohl gesehen habe, aber es bei einer mehr großzügigen morphologischen Dar- stellungsart nicht für angemessen gehalten habe, sie zu erwähnen. Aber diese Erklärung wäre doch nicht am Platz, denn meine Befunde bedingen wesentliche Änderungen der Auffassung. Ich hebe in dieser Hinsicht nur Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 67 zwei Punkte noch einmal hervor: die Befestigung der unteren senkrechten Portion am Knochen und den Übergang der oberen schiefen Portion nicht in die Unterlippe allein, sondern auch in die Oberlippe. Ich glaube daher an der Auffassung festhalten zu dürfen, daß es mir geglückt ist, eine Anzahl von feinen Zügen aufzufinden, welche noch präparierbar sind, daß aber eine Ausbreitung der oberen schiefen und der unteren senkrechten Portion in gesonderten Lagen der Lippen auszuschließen ist. Morphologische Auffassung. Nach meinen Befunden kann ich nicht annehmen, daß die obere schiefe Portion und die untere senkrechte Portion Teile des Orbicularis sind, welche sekundär in das Gebiet des Buecinatorius übergetreten sind, sondern richtige und vollwertige Bestand- teile des Buceinatorius selbst. Indem ich nun an die durch Ruge auf Grund der Untersuchung von Prosimiern festgestellte Ansicht anknüpfe, daß der Buccinatorius ursprünglich durch ausschließlich horizontale Fasern gebildet war (a. a. 0. S. 114), gelange ich zu der Vorstellung, daß die obere schiefe und die untere senkrechte Portion dadurch zustande kamen, daß ein Teil der Fasern des Muskels mit den hinteren Enden allmählich immer weiter an den Kieferrändern entlang nach vorn rückten, bis sie in die geschilderte schiefe Lage kamen. Der Unterschied der beiderseitigen Auf- fassungen läßt sich etwa so ausdrücken: nach der Rugeschen Ansicht ist ein fremder (wenn auch stammverwandter) Eroberer in das Gebiet des Buecci- natorius eingedrungen und hat sich mit diesem in die Herrschaft geteilt; nach der Ansicht, welche ich für die wahrscheinlichere halte, hat sich der Bueeinatorius die Herrschaft über das ihm eigentümliche Gebiet in voll- kommnerer Weise dadurch gesichert, daß er an den Rändern dieses Ge- bietes ringsherum festen Fuß faßte. Vergleich mit dem Menschen. Der Vergleich mit dem mensch- lichen Buceinatorius zeigt in beachtenswerter Weise Unterschiede und Ähn- lichkeiten. In ersterer Hinsicht hebt sich die untere senkrechte Portion des Schimpansen als etwas Besonderes hervor, denn sie stellt eine dem Menschen fremde Formation dar; ich habe wenigstens bisher beim Menschen etwas Ähnliches nicht gefunden. Anderseits zeigen sich Ähnlichkeiten darin, daß die obere schiefe Portion zum Teil in der Oberlippe endigt, und darin, daß in der Hauptschicht eine obere rein horizontale und eine untere leicht ansteigende Portion existiert. g9* 68 Hass Vırcnow: Funktionelle Betrachtung. Ich möchte hier zwei Punkte hervor- heben. a) Der eigentümliche netzartige Charakter der Hauptportion, welcher sich in der Teilung einzelner Bündel in kleine Bündel, Zusammentreten kleinerer Bündel zu stärkeren, schiefem Vorbeiziehen einzelner Bündel an anderen äußert, kann als Merkmal eines Muskels angesehen werden, welcher ein kugeliges Hohlorgan bekleidet. Ich möchte an die Muskulatur der Harnblase erinnern, wenn auch diese aus glatten Muskelelementen gebildet wird. b) Die Art des Ursprunges der oberen schiefen und der unteren senk- rechten Portion am Knochen muß auch funktionell als etwas Besonderes angesehen werden. Es ist dabei hervorzuheben, daß ein Teil der Fasern der oberen schiefen Portion ein Stückchen oberhalb der Schleimhautfalte am Knochen entspringt, wodurch die Wirksamkeit gesteigert wird, und daß am Unterkiefer eben nur die senkrechte Portion am Knochen Be- festigung findet (s. S. 61). Zerlegen wir den Buceinatorius in seine funk- tionellen Komponenten, so erscheint die obere schiefe Portion als Heber und zugleich Zurückzieher, die untere senkrechte Portion als Herabzieher des Mundwinkels. Jede von beiden tritt dabei in synergische und ant- agonistische Beziehungen zu anderen Muskeln. Diese sind vor allem für die untere senkrechte Portion beachtenswert: sie steht der oberen schiefen Portion als Antagonist gegenüber und stellt einen Ersatz des Triangularis dar. Das letztere ist so zu verstehen: der Triangularis kann als Herab- zieher des Mundwinkels, als welcher er beim Menschen gilt, nur wirken, wenn er am Unterkiefer befestigt ist. Das ist er nun beim Menschen zwar auch nur teilweise, aber immerhin ist er es doch. Beim Schimpansen dagegen ist er es gar nicht; er kann also bei letzterem die Herabziehung nicht ausüben. Die Vorstellung ist annehmbar, daß dafür die senkrechte Portion des Buceinatorius kompensierend eintritt. Muskelmarken am Schädel. (Textfig. 8. 9. Io.) Anhangsweise bringe ich drei Abbildungen von den Ursprungsfeldern der Gesichtsmuskeln des beschriebenen Schimpansenkopfes. Dieselben zeigen zwar nichts Neues, nichts was in der vorausgehenden Beschreibung nicht Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 69 Textfigur 8. Schädel in Vorderansicht mit den Muskelmarken. Buceinatorius am Unterkiefer. Es sind jederseits 2 Marken (Linien) vorhanden, eine hintere, an welcher ein Teil des Muskels entspringt, und eine vordere, an welcher ein Teil ansetzt und ein anderer entspringt. Caninus, rechts ein einheitliches, links ein geteiltes Feld. Corrugator supereilii. Depressor glabellae. Laterales Bündel des Levator alae nasi. Ligamentum palpebrale. Levator labii superioris. Masseter; jederseits 2 Linien, dem vorderen Rande am Öberkiefer und am Unterkiefer entsprechend. Mentalis. Nasalis. Temporalis. Zygomaticus. 70 Hans Vırcuow: schon enthalten wäre: aber auf den scharfen Formen der Knochen treten die Felder mit endgültiger Klarheit hervor. Dabei gelangt allerdings auch derjenige Mangel deutlich zur Erscheinung, welchen die Abbildung infolge ihrer Flächenhaftigkeit dem plastischen Objekte gegenüber unvermeidlich aufweist. Indem in der Vorderansicht des Schädels die seitlichen Teile und in der Seitenansicht die vorderen Teile stark verkürzt sind, gelangt in keiner von beiden das Lageverhältnis der einzelnen Felder zu allen übrigen Feldern richtig zur Anschauung, und man ist genötigt, aus beiden Ansichten die Vorstellung zu kombinieren. ı. Corrugator supereilii (Co.). Das Ursprungsfeld ist nieht um- brannt, sondern nur der mediale Rand desselben angegeben. 2. Depressor glabellae (De.). Das Ursprungsfeld ist ebenfalls nicht umbrannt, sondern nur der untere Rand desselben angegeben. 3. Ligamentum palpebrale (Lg... Da das Ligament, welches ja in Wahrheit eine kleine Platte ist, etwas geneigt steht, wie beim Menschen, so zeichnet der an seinem unteren Rande hinfahrende Brennstift es um eine Linie zu tief auf den Knochen. 4. Levator alae nasi (L.a.l.). Von ihm ist nur das laterale Bündel berücksichtigt; das mediale konnte wegen der Verbindung mit dem Orbi- eularis nicht lokalisiert werden. 5. Levator labii superioris (L.!.). Gegenüber dem gleichen Felde beim Menschen fällt die steile Stellung auf. An menschlichen Schädeln ist in sehr wechselndem Grade das laterale Ende des Feldes abwärts ge- bogen; im ganzen steiler gerichtet fand ich es bei einem Djambi. 6. Caninus (Ca.). Rechts einheitlich, links geteilt. An diesem Felde macht sich ganz besonders stark der verschiedene Eindruck in Vorderansicht und Seitenansicht bemerkbar; in Vorderansicht (Fig. 8) ist es stark verkürzt. 7. Nasalis (N.). Die Breite dieses Feldes wird ganz verschieden be- wertet, je nachdem man es mißt an der Nasenapertur oder an den Zähnen; der ersteren gegenüber erscheint es sehr breit, den mächtigen Zähnen gegenüber reicht es dagegen nicht weiter nach der Seite als beim Men- schen. Jedoch ist auf alle Fälle sein Herangreifen an die Mittelebene be- merkenswert. 8. Mentalis (Me.). Das Feld erinnert stark an das des Menschen. 9. Zygomatieus (Z.). Beim Menschen ist dieses Feld sehr beständig so gelagert, daß es von der Sutura zygomatico-temporalis geschnitten wird, Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 71 P. B Textfigur 9. Schädel in rechter Seitenansicht mit den Muskelmarken. B. Buceinatorius; 5 Marken (Linien), deren 3 im Öberkiefer, 2 im Unterkiefer. Alle 5 Marken bezeichnen Ursprünge des Muskels, die vordere im Unterkiefer zugleich auch einen Ansatz. Ca. Caninus. Co. Corrugator supereilii. Lg. Ligamentum palpebrale. L.1. Levator labii superioris. Lo. Longissimus capitis. Ma. Masseter; 5 Marken (Linien); die mittlere oben bezeichnet den hinteren Rand der oberflächlichen Portion. Me. Mentalis. N. Nasalis. OÖ. Obliquus eapitis superior. P. Platysma. Sp. Splenius. Tr. Transverso-oceipitalis. Z. Zygomaticus. - Hıns Vırcnow: Textfigur 10. Schädel in Unteransicht mit den Muskelmarken. Di. a. Di. p. Lo. O. 1% R. ma. R. mi. Sp. Ir. Vorderer Bauch des Digastrieus mandibulae. Hinterer Bauch des Digastrieus mandibulae. Longissimus capitis. Masseter; jederseits 5 Marken. Mentalis. Mylohyoides. Obliquus capitis superior. Platysma. Rectus capitis posticus major. Rectus capitis posticus minor. Splenius. Transverso-oceipitalis. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 73 indem der Muskel an beiden Knochen entspringt. Ebenso fand ich es schon vor Jahren bei einem Cereocebus fuliginosus. Dieser großen Konstanz gegenüber verdient beachtet zu werden, daß das Feld bei dem untersuchten Sehimpansen hinter der Naht liegt. Der Muskel ist dementsprechend länger und seine Wirkung ausgiebiger. 10. Buceinatorius (B.). Die Befestigungsstellen dieses Muskels zeigen mehrere bemerkenswerte Punkte beim Vergleich mit dem Menschen; zu- nächst schon darin, daß sie sowohl am ÖOberkiefer wie am Unterkiefer so weit nach vorn rücken, was durch das oben geschilderte Verhalten des Muskels seine Erklärung finde. Am Oberkiefer (s. die Seitenansicht, Fig. 9) haben wir drei getrennte Stücke: ein hinteres, dessen vorderes Ende aufwärts gebogen ist, ein mittleres, ganz kleines, hoch gelegenes, und ein vorderes, bis zur Mitte der Alveole des ersten Milchmolaren reichendes; sie alle bedeuten Ursprünge. Am Unterkiefer haben wir zwei Linien, eine hintere und in weitem Abstande davor eine vordere, letztere noch weiter nach vorn reichend als die vordere Linie des Oberkiefers, im Bereich der Alveole des ersten Milehmolaren. Diese vordere Linie im Unterkiefer bedeutet sowohl einen Ansatz wie einen Ursprung, wie aus der Beschreibung des Muskels zu sehen ist. ı1. Platysma. Das Platysma fällt auf den unteren Rand des Unter- kiefers (Fig. 10), nicht wie beim Menschen auf dessen Außenfläche. Die drei Abbildungen enthalten auch die Marken für die Beißmuskeln (Temporalis und Masseter) und für die Hinterhauptsmuskeln, doch bleiben diese unbesprochen, da sie zu dem Gegenstande dieser Arbeit keine Be- ziehungen haben. Schlußbetrachtungen. Der größere Zusammenhang, in welchen wir die im Vorausgehenden be- sehriebenen Befunde. zu stellen haben, weist uns auf der einen Seite auf den Vergleich mit niedrigerstehenden Formen, auf der anderen Seite auf den mit dem Menschen hin. Für den ersteren ist durch die Arbeiten von Ruge aufs gründlichste gesorgt. Der Vergleich mit dem Menschen liegt uns besonders nahe angesichts der sich beständig wiederholenden Durcharbeitung des letzteren ; insbesondere auch mit Rücksicht auf Rassenfragen. Phys.-math. Abh. 1915. Nr.1. 10 74 Hans Vırcuow: Bei der ersten Annäherung an die Gesichtsmuskeln des Schimpansen, wenn wir s. z. s. erst noch von ferne einen Blick auf dieses Gebiet werfen, erscheint uns der Unterschied von der gleichen menschliehen Muskulatur groß. Aber bei der genaueren, planmäßigen, in das einzelne eindringen- den Untersuchung stellt sich eine Fülle von Übereinstimmungen heraus. Allerdings gibt es auch Unterschiede. Als solche seien z. B. genannt das Fehlen der Knochenanheftung des Triangularis, die untere senkrechte Portion des Buceinatorius, die große Breite und sonstige Merkmale des Nasalis, die geringe Breite des Orbieularis oculi an der lateralen Seite und die Zwischenbündel zwischen diesem Muskel und dem Zygomatieus. Aber auf’ der anderen Seite gehen doch die Übereinstimmungen bis in so große Feinheiten hinein, wie sie in der gewöhnlichen Beschreibung der mensch- lichen Gesichtsmuskeln gar nieht erwähnt werden. Jedenfalls handelt es sich nicht um durehgehende größere Unterschiede, und daraufhin entsteht die Erwägung, ob nicht die Verschiedenheit großenteils nur eine scheinbare sei, dadurch bedingt, daß die Muskulatur über eine anders- gestaltete Skelettgrundlage hinübergezogen ist, gewissermaßen wie ein Kautschukgesicht, welches, nach einer Richtung gespannt oder aufgeblasen, ein anderes Aussehen annimmt als vorher. Das genaue Urteil wird dadurch erschwert, daß die Facialis-Musku- latur des Menschen eine Fülle von Varietäten darbietet, von welchen einige nicht nur bis zu dem Zustande der Anthropoiden, sondern noch weiter zurück bis zu demjenigen niedrigerer Primaten führen, wofür auch wieder Ruge in der im Vorausgehenden so oft zitierten Schrift Belege beigebracht hat. Ob der Schimpanse, wenn man eine größere Zahl von Individuen von ihm untersuchen würde, eine ebenso große Zahl von Varianten und ebenso weitgreifende Unterschiede zeigen würde wie der Mensch, können wir nicht wissen, jedenfalls wären weitere eingehende Untersuchungen über ihn erwünscht. Hierbei möchte ich noch besonders auf zweierlei aufmerksam machen: erstens sind die untersuchten Anthro- poiden — wie auch mein Schimpanse — fast ausnahmslos Kinder, und es wäre dringend zu wünschen, daß man die Untersuchung auch an Er- wachsenen anstellen könnte; zweitens stammt das Material meist von solehen Individuen, welche längere Zeit in Gefangenschaft dahinsiechten, von den bei den gefangenen Anthropoiden so gewöhnlichen Darmkatarrhen oder von Lungenkrankheiten entkräftet, wodurch die Muskulatur ein dürftiges EEE (Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 75 Aussehen annimmt. Jedenfalls wird aber schon durch die weitgehenden Varianten beim Menschen, auch ohne daß bei dem Schimpansen das gleiche nachgewiesen ist, die Abgrenzung großenteils verwischt und die Feststel- lung der Speziesmerkmale erschwert. Ich für meine Person habe bisher auf Grund der Untersuchung zahlreicher menschlicher Köpfe sowie der im Vorausgehenden beschriebenen Befunde beim Schimpansen den Eindruck, daß sich die Gesichtsmuskulaturen von Mensch und Schimpansen weniger unterscheiden als die Schädel. Das eine ist jedenfalls sicher, daß der Grad der Differenzierung der Gesiehtsmuskulatur beim Schimpansen nicht geringer ist als beim Menschen. Ich hatte, wie ich schon bei den Einzelbefunden sagte, die Meinung gehabt, daß an einer Stelle, nämlich in der Gegend über der Nase und in der medialen Brauengegend beim Menschen ein Grad der Differenzierung erreicht sei, welcher ihm eigentümlich sei und ihn über die Anthropoiden hinaushebe: aber das ist nicht der Fall. Und in derjenigen Gegend, wo die Komplikation der Muskeln am größesten ist, in der Umgebung des Mundes, hat sich beim Schimpansen ein Grad der Differenzierung gezeigt, welcher denjenigen übertrifft, der vom Men- schen beschrieben zu werden pflegt. Höchstens könnte man noch er- warten, daß, wenn die Präparation der menschlichen Mundmuskulatur mit größerer Genauigkeit durchgeführt wird, sich ein ebenso großer Reichtum findet wie beim Schimpansen. Funktionelle Betrachtung. Die Erfahrung, daß die Gesichts- muskulatur des Schimpansen nicht weniger differenziert ist als die des Menschen, hat auch Bedeutung für die funktionelle Betrachtung der Ge- sichtsmuskulatur des letzteren. Angesichts der Tatsache, daß die Gesichts- muskulatur dem Ausdruck des Seelenlebens dient, bildet sich leicht bei denjenigen, welche das Verständnis des Ausdrucks auf eine anatomische Grundlage stellen möchten, ohne doch andauernd selbst Gesichtsmuskeln zu präparieren, die Vorstellung aus, daß die Differenzierung des Scelen- lebens und die Differenzierung der Gesichtsmuskulatur Hand in Hand gehen; daß die letztere gewissermaßen die äußere Projektion des ersteren sei. Ich vermute, daß diese apriorische Vorstellung die Neigung befördert, bei farbigen Rassen, insbesondere bei Negern, eine geringere Differenzierung als beim Europäer zu finden. Eine Äußerung dieser Art ist z. B. die von Zeidler, welcher beim Herero von einer »geringen Differenzierung der einzelnen 10* 76 Hans Vırcmow: Muskelindividuen« spricht (Zeidler, Heinrich F. B., a. a. O. 1914, S. 241). Ich kann mich dieser Meinung durchaus nicht anschließen. Ich habe in einer Mitteilung »über Gesichtsmuskulatur von Negern« (Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft München 1912, S. 217 bis 224) hervorgehoben, daß diese Muskulatur eine gewisse »Unruhe« und Neigung zur Schichten- bildung zeige a. a. OÖ. S. 222), was eher nach größerer wie nach geringerer, Jedenfalls nicht nach geringerer Differenzierung aussieht als beim Weißen. In der Tat kann ich auf Grund der zahlreichen und genauen Untersuchungen von Köpfen Farbiger, die ich gemacht habe, von einer geringeren Diffe- renzierung nichts finden. Sieht man nun gar, daß beim Schimpansen die Differenzierung ebenso hoch ist, so fühlt man sich doch veranlaßt, einmal ernstlicher darüber nachzudenken, in welchen Verhältnissen anato- mische und funktionelle Differenzierung bei den Gesichtsmuskeln zueinander stehen mögen. Hierüber wäre mancherlei zu sagen, was ich aber unterlasse, da es zum großen Teil auf Unbestimmtheiten und Vermutungen hinauslaufen würde. Ich will nur das eine bemerken, daß wir nicht einfach funktionelle Dif- ferenzierung der Gesichtsmuskeln und seelische Differenzierung identifizieren dürfen. Es ist sogar sehr wohl denkbar, daß eine seelisch niedriger- stehende Rasse, deren Affekte in gewaltsamer und ungezügelter Weise in den Gesichtszügen toben, eine stärker differenzierte Muskulatur hat, und daß eine höherkultivierte Rasse, bei welcher die Erregungen gedämpft und beherrscht sind, eine vereinfachte Bildung der Gesichtsmuskeln zeigt. Ob aber irgendwelche funktionell bedingten Rassenunterschiede, die doch nur schwach sein könnten, überhaupt unterscheidbar sein werden auf einem Gebiet, auf welchem die rein morphologischen Varianten so be- deutend sind, ist auf jeden Fall sehr fraglich. oo» uup>>> RER: Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 27 Erklärung der Abbildungen auf den Tafeln. Gemeinsame für alle Abbildungen gültige Bezeichnungen. Aurieularis anterior. Obliquus auriculae. Auricularis posterior. Transversus auriculae. Buceinatorius. Feines Bündel, welches weit oberhalb des Buceinatorius entspringt und in dem den Muskel bedeckenden Fettgewebe endigt (dort abgeschnitten). B.1 bis B. 12. Besondere Abschnitte des Buceinatorius, welche ihre Erklärung durch den Text finden. B. 11a und B.11b. Abteilungen von B. 11. d. BBBBHH Pe [op] . Iisa.l; Caninus. Nasenknorpel. Spitzenknorpel. Septumknorpel. Dreieckige Platte des Septumknorpels. Corrugator supereilii. Vorderer Bauch des Digastrieus mandibulae. Depressor glabellae. Rechter Depressor glabellae. Linker Depressor glabellae. Depressor capitis supereilii. Epieranius temporo-parietalis. Isoliertes kleines Bündel in dem Zwischenraum zwischen Epieranius temporo-parie- talis, Oceipitalis und Auricularis posterior. Frontalis. Lippen- und Wangendrüsen. Zwischenbündel zwischen Orbieularis oculi und Zygomaticus. Levator alae nasi. Laterales Bündel des Levator alae nasi. Ligamentum palpebrale. Levator labii superioris. Partie der Wangenschleimhaut, welche vom Buceinatorius nicht bedeckt wird. Mentalis. FeinesBündel, welches eine Verbindung zwischen Mentalis und Buceinatorius herstellt. Nasalis. Oceipitalis. Orbieularis oculi. Untere »hängende« Randbündel des Orbieularis oeuli. Br . 0C. .mM. ". m. .Pp- Hass Vıremow: Orbieularis-Randbündel zur Oberlippe. Mediales Randbündel des Orbieularis oculi. Orbieularisbündel des oberen Lides, welches hart über dem Augenwinkel an der knöchernen Nase entspringt. Orbieularis oris. Lippenrandbündel des Orbieularis oris. Tiefes Bündelehen des Orbieularis oris, welches unter den Buceinatorius tritt und sich an der Schleimhaut befestigt. Platysma. Isoliertes Platysmabündel unterhalb des Öhres. Partie des Platysmas, welche unterhalb der Ebene der Mundspalte den Triangu- laris überlagert. Oberflächliches, aus der Richtung des Muskels abbiegendes Bündelchen des Pla- tysınas. Tiefes Bündel des Platysmas, welches sich an die Schleimhaut der Lippe ansetzt. Bündel des Platysmas, welche in das Ursprungsgebiet des Mentalis eindringen und sich hier am Knochen befestigen. Bündel des Platysmas, welehe den Triangularis durchdringen. Platysma-Risorius. Oberflächliche Schicht des Platysmas in der Unterlippe. Glandula submaxillaris. Musculus tragohelieinus. Triangularis. Vordere Portion | Hintere Portion J Zygomaticus. des Triangularis. Öberflächliche, aus dem Zygomaticus, den Zwischenbündeln und dem Levator labii superioris gebildete Schicht, welche den Orbieularis der Oberlippe bedeckt. Linke Seitenansicht mit Erhaltung sämtlicher Muskeln. Das Ohr war beim Versand verdrückt. Halbseitenansicht von links bei dem gleichen Zustande der Präparation wie Fig. 1. Diese Figur ist aber notwendig, weil in Fig. ı die neben der Nase gelegenen Muskelpartien wegen der Verkürzung nicht zur Geltung gelangen. Das linke Ohr mit dem Gehörgangknorpel von hinten; die Hautbedeckung des Randes erhalten. Kopf in Vorderansicht, leicht nach vorn gekippt behufs Vermeidung der Verkür- zung. Beide Ohren beim Versand angedrückt und verunstaltet. Von der Haut sind erhalten Umgebung der Weichnase und Lippenränder. Eine Schicht des oberen Lides der linken Seite ist abwärts geschlagen, um den hohen Ursprung eines Teiles des Orbieularis sehen zu lassen. Der Orbienlaris oris in der Unterlippe ist schwarz angegeben. Kopf in Vorderansicht, etwas nach vorn gekippt. Von der Haut sind erhalten Bedeckung der linken Hälfte der Nasenspitze, Partien unter den Nasenlöchern, Fig. 8. Fig. 9. Gesichtsmuskeln des Schimpansen. 79 Lippenränder. Eine Partie aus dem oberen Lide der linken Seite am oberen medialen Winkel ist abwärts geschlagen. um den hohen Ursprung eines Teiles des Orbieularis sehen zu lassen. Schwarz sind wiedergegeben von Muskeln: Musku- latur der Ober- und Unterlippe. Caninus, Zygomaticus, Temporalis, Teile des Orbieularis oculi. Körper des Unterkiefers mit den anhängenden Muskeln in Unteransicht. Platysma und der ilım anliegende Mentalis bis zur Horizontalen aufwärts geklappt: sie waren in dieser Lage während des Photographiertwerdens durch Fäden erhalten. Von Muskeln schwarz Masseter, vorderer Bauch des Digastrieus. Die vorderen Bäuche beider Digastriei stehen mit einem sehnigen Felde asymmetrisch in Verbindung. Mittelstück des Unterkiefers von vorn. Der rechte Milcheckzahn war am Aus- fallen; an seiner Stelle ist durch Sehwund der vorderen Wand der Alveole eine hohe Lücke entstanden. Zwischen den Zähnen Reste des Zahntleisches. Die Muskelbündel waren während des Photographiertwerdens durch Fäden gespannt gehalten gewesen. Wo die Muskelbündel quer geschnitten sind, sind sie schwarz angegeben. Oberkiefer- und Nasengegend von vorn mit dem Nasalis. Zwischen den Zähnen Reste des Zahnfleisches. Die Nasenknorpel, sowohl Septumknorpel wie Spitzen- knorpel, entblößt, dagegen die Haut in der Umgebung der Nasenlöcher erhalten. Rechte Seitenansicht. wobei der Kopf ein wenig nach links hinübergekippt ist. Von der Haut sind erhalten die Umgebung des Nasenloches und der obere und untere Lippensaum. Die obere und untere Falte der Wangenschleimhaut sind in ihrer natürlichen Lage belassen. Am vorderen Rande des Kieferastes ist ein Streifehen des Fettpolsters stehengeblieben. Die Lippen- und Wangendrüsen, soweit sie frei geworden waren, sind geschont; nur ist von der am weitesten lateral gelegenen Oberlippendrüse ein Stückchen weggeschnitten, um den Rand des Buceinatorius und das unter diesen tretende Orbieularisbündel sehen zu lassen. Das Ende des Duetus Stenonianus ist dieht unter dem oberen Rande des Buecina- torius sichtbar. In der Oberlippe seitlich ist ein Stück der Arteria labialis superior stehengeblieben. Der Mentalis ist schwarz wiedergegeben. Rechte Seitenansicht. Die obere und untere Falte der Schleimhaut sind belassen. Von der Haut sind stehengeblieben Umgebung der Nasenöffnung und Lippensaum; vor dem Kieferast ein Streifehen des Fettpolsters. Die Lippen- und Wangendrüsen sind im ganzen Umfange auspräpariert. Vom Buceinatorius ist eine oberflächliche Lage (nicht Schicht) weggenommen, jedoch an den verschiedenen Stellen in ver- schiedener Dieke: oben vorn vollständig, so daß die Schleimhaut entblößt ist, oben hinten und unten hinten gar nicht, so daß hier der Muskel noch seine ursprüngliche Dicke hat. Oberer Abschnitt der Lippen- und Wangenschleimhaut und angrenzende Knochen der rechten Seite. Die Schleimhaut ist abwärts gezogen, um die Falte derselben auszugleichen und die Beziehungen des Buceinatorius zum Knochen unverhüllt zur Anschauung zu bringen. Von der Haut erhalten die Umgebung des Nasenloches und der Lippensaum. Ein Teil der Schleimdrüsen wurde entfernt. Unterer Abschnitt der Lippen- und Wangenschleimhaut mit dem Unterkiefer von der linken Seite. Die Schleimhaut wurde aufwärts gezogen, um die Falte derselben auszugleichen und dadurch die Befestigung des Buceinatorius am Knochen auf- 80 Hans Vırcuow: zudecken. Die Stelle des Faltenscheitels findet sich dort, wo die zwei unteren gebogenen, von vorn her kommenden Muskelbündelchen liegen. Ein Teil der Drüsen wurde entfernt. Schwarz angegeben wurde der Mentalis und ein Randbündel des Orbieularis. Bemerkungen zu den Tafelfiguren. Zuweilen sind Muskeln oder Muskelpartien nicht rot, sondern schwarz angegeben. Solche Muskeln haben dann immer für die Betrachtung der betreffenden Figur aus irgend einem Grunde keine Bedeutung. Die Reihenfolge der Figuren entspricht nicht genau dem Gange der Präparation, sondern ist dem Text zuliebe etwas abgeändert. Einleitung . Gesichtsmuskeln des Schimpansen. Inhalt. Befunde an den einzelnen Mikein: Io. So \ODISLAIONCH ZRESE 0 . Transversus nuchae . . Öceipitalis . Auricularis posterior . Aurieulae proprii posteriores . . Epieranius temporo-parietalis . . Aurieularis anterior . Trago-helieinus . Frontalis. Orbieularis oculi . Depressor capitis supereilii . Corrugator supereilii . Depressor glabellae . . Zygomatieus B ee. £ Dale gern . Zwischenbündel Sischen Zyeomatichs und en En: . Levator labii superioris . Levator alae nasi. Orbieularis oris Lippen- und Wangendrüsen . Platysma . . Caninus . . Triangularis . Mentalis . . Nasalis 23. Buceinatorius Muskelmarken am Schädel . Schlußbetrachtungen Erklärung der Abbildungen auf den Tafeln Phys.-math. Abh. 1915. Nr.1 Be 11 sl j 2 RI f ATRIR ir un re En oA A en ar A a 1nieprot Er u ir Det MSN en aolnakab a ee e TR Te ee Ren von ada T P wen Uwe Role an es zn SA Ay: un el ae 8 ,cH ? i i ’ 2 - _ Br u ia er "er y wit wre Hin la WEEN) il; Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. ea Re “ ! TE TIAnEupYS Vaart) NS lan Pe Ar Bingen Sial Rate =. 1 j Pe: 2 re A ee nt Dr ß 22. ee Alan, el ar en > ee “ N » ü P - P j * F v f + . » ar: v ah) a ar nt Ro % N ya) u m . 4 . « = » N , m, . B . ’ - . u; imma A by a De Zur u ne u > ale. er ar ale En ie 2 PORTA U . EN SE N = ea ee en a a 1 AT a a WE Er Rs a ET) (1)... een kin ale a naunhlad a ir r Er $ DE vi BLU Bü A Tr K. Preuj. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. = Tria. Pp Pf Pa Trip Pr P Hans Virehow: Gesichtsmuskeln des Schimpansen. Taf. I. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. Pr = & r Ill y pi Inlilh NUN se) N y IF, Hd Hans Virchow: Gesiehtsmuskeln des Schimpansen. Taf. II. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. Fig. 11 Hans Virchow: Gesiehtsmuskeln des Schimpansen. Taf. III. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 1. | | 3 Hans Virehow: Gesichtsmuskeln des Schimpansen. Taf. IV. u er [4 “sy ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR. 2 AUS DER ANTHROPOIDENSTATION AUF TENERIFFA I. ZIELE UND AUFGABEN DER STATION SOWIE ERSTE BEOB- ACHTUNGEN AN DEN AUF IHR GEHALTENEN SCHIMPANSEN Pror. Dr. M. ROTHMANN uno Canp. puır. E. TEUBER (FEB 8795, 4 o / oe Linrary BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NRT2 AUS DER ANTHROPOIDENSTATION AUF TENERIFFA I. ZIELE UND AUFGABEN DER STATION SOWIE ERSTE BEOB- ACHTUNGEN AN DEN AUF IHR GEHALTENEN SCHIMPANSEN VON Pror. Dr. M. ROTHMANN uno Canp. pn. E. TEUBER fe 2 SEND mstitag;,” * 67 BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER Vorgelegt von Hrn. Waldeyer in der Gesamtsitzung am 6. Mai 1915. Zum Druck eingereicht am gleichen Tage, ausgegeben am 8. Juli 1915. a er Br Plan zur Errichtung einer Anthropoidenstation zu wissenschaftlichen Untersuchungen ging aus von den Forschungen im Gebiete der experimen- tellen Hirnphysiologie. Bei Versuchen, die der eine von uns (R.) über die mo- torischen Leitungsbahnen der Großhirnrinde an höheren Säugern ausgeführt hatte, erwies es sich als notwendig, um die Kluft zwischen dem niederen Affen und dem Menschen zu überbrücken, die Experimente auch auf Menschen- affen zu übertragen. Bei derartigen Versuchen am Schimpansen, wie sie im Physiologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Berlin angestellt wurden, ergab sich aber, daß die Kostbarkeit und Empfindlichkeit des zu - solehen Forschungen notwendigen Schimpansenmaterials der Durchführung fast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellte'. So reifte der Plan, an einer klimatisch günstigeren und den natürlichen Gebieten der Menschenaffen näher- gelegenen Stelle eine Forschungsstation für derartige Untersuchungen zu gründen. Es wurde aber sofort ins Auge gefaßt, zunächst nieht an die hirn- physiologischen Experimente heranzutreten, sondern vorweg die notwendigen psychologischen Unterlagen für eine planmäßige Erforschung der Hirntätigkeit dieser dem Menschen nächststehenden Säugetiere zu schaffen. Denn was bisher teils aus den Heimatsländern der Anthropoiden von Forschungsreisen- den berichtet worden ist, teils an Beobachtungen aus zoologischen Gärten und von Zirkusdressuren vorliegt, ist nicht geeignet, ausreichende Unterlagen zu geben. Wo sollte nun eine solche Station begründet werden? Die tropischen Gebiete Afrikas und Asiens, in denen allein gegenwärtig noch Menschen- affen vorkommen, waren wegen ihrer zu großen Entfernung von den Kultur- ländern und ihrer ungesunden klimatischen Verhältnisse hier nicht zu ver- werten. Anderseits mußte das Klima so beschaffen sein, daß die Tiere dauernd oder doch wenigstens den größten Teil des Jahres sich im Freien ı Max Rothmann. Über experimentelle Läsionen des Zentralnervensystems am anthropomorphen Affen (Schimpansen). (Arch. f. Psychiatrie Bd. 38). 1* 4 M.Rorumann und E. TEUBER: aufhalten können. So kamen nur die Nordwestafrika vorgelagerten Insel- gruppen Madeira und die Kanarischen Inseln in Betracht. Ausschlaggebend für Teneriffa, die Hauptinsel der Kanaren, war zunächst die Aussicht, die sich später nicht erfüllen sollte, hier Anschluß an ein großes deutsches Hotelunternehmen zu gewinnen. Aber auch die klimatischen Verhältnisse in Orotawa, dem Hauptorte an der Nordküste der völlig vulkanischen Insel, erschienen sehr günstig. Die mittleren Temperaturen im Schatten schwanken in den einzelnen Monaten nur zwischen 16.2° Celsius (Januar) und 22.9° Celsius (August); niemals geht die Temperatur unter 9.5° Celsius herunter. Die atmosphärische Feuchtigkeit schwankt im Tagesdurehsehnitt nur zwischen 72.4 (Februar) und 79.7 (August). Nach einer ersten örtlichen Besichtigung durch den einen von uns (R.) im Frühjahr 1912 gelang es mit Unterstützung der Emil-Selenka- und der Plaut-Stiftung, der Gründung einer solchen Station näherzutreten. Nachdem bereits im Juli 1912 ein kleiner männlicher Sehimpanse in Teneriffa selbst vom Schiff gekauft worden war, langten Anfang September infolge des freundlichen Entgegenkommens unserer Kolonial- regierung und der Woermannlinie 7 Schimpansen in Teneriffa an. Durch das entschiedene Eintreten der bei der Kgl. Preußischen Akademie der Wissen- ' schaften bestehenden Albert-Samson-Stiftung gelang es, die notwendigen Einrichtungen für eine zu wissenschaftlichen Studien an Anthropoiden geeig- nete Dauerstation in Orotawa zu schaffen!. Daß die Schimpansen die ersten Monate auf "Teneriffa trotz der anfäng- lichen ungünstigen Unterbringung in engen Käfigen mit einer einzigen Aus- nahme gut überstanden, ist vor allem dem tatkräftigen Eingreifen des damals in Orotawa weilenden Prof. Dr. Riehard von Hertwig (München) zu ver- danken. Ende Dezember ı912 ging dann der eine von uns (T.) zur ersten Einrichtung und Leitung der Station nach Teneriffa hinaus”. Ist das Interesse an den Menschenaffen, solange die Kenntnis derselben seit den ersten Berichten der Karthager sich verbreitet hat, stets ein reges gewesen, so hat doch erst die neuere Ausgestaltung der durch den Ent- ı Max Rothmann. Über die Errichtung einer Station zur psychologischen und hirnphysiologischen Erforschung der Menschenaffen (Berl. Klin. Wochenschrift 1912, Nr. 42). 2 Da Hr. Teuber zur Zeit im Felde steht, so wird das Folgende teils auf Grund seiner Berichte, teils nach genauen Angaben von Frau Teuber, die ihren Mann in der Arbeit auf "Teneriffa unterstützte, geschildert werden. Auch konnte sich R. im Herbst 1913 von dem guten Gedeihen der Station persönlich überzeugen. Ziele und Aufgaben der Station usw. 5) wieklungsgedanken neubelebten Naturwissenschaften den Anstoß zu einem vertieften Studium der Anthropoiden gegeben. Ohne jeden Zweifel sind nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung die Menschenaffen dieht an die Wurzel des Menschengeschleehts zu stellen. Daraus ergibt sieh unmittelbar das große Interesse, das die genaue Er- forschung der Lebenseigentümlichkeiten der Anthropoiden und ihrer seeli- schen Fähigkeiten haben muß; es ist aber hier noch sehr wenig, namentlich an planmäßiger Forschung, geschehen. Trotz der allmählichen Zurück- drängung der Anthropoiden durch das Vordringen menschlicher Kultur in Asien und Afrika können wir heute noch über weit auseinanderstehende Anthropoidengattungen verfügen. Gorilla und Orang, Schimpanse und Gibbon, sie alle stellen verschiedene Entwieklungsmöglichkeiten über den niederen Affen hinaus in der Riehtung zum Menschen dar. Es dürfte daher von be- sonderer Wichtigkeit sein, die verschiedenen Anthropoidenstämme nach psyeho- logischen und völkerkundlichen Gesichtspunkten miteinander zu vergleichen. Alle diese Erwägungen sind so wichtig erschienen, daß zunächst, auch mit Hinsicht auf die Kostbarkeit des Materials, die hirnphysiologischen Interessen zurückgestellt wurden, um die Menschenaffen vor allem hinsichtlich ihrer Lebensgewohnheiten und ihrer psychischen Eigenschaften auf das ge- naueste zu untersuchen. Hier eröffnen sich zwei Wege: Man kann versuchen, das Einzelindividuum durch Dressur und planmäßigen Unterricht so weit zu fördern, daß man festzustellen vermag, zu weleher Höchstleistung in der Riehtung der menschlichen Funktion das Anthropoidengehirn fähig ist. Ge- ‚ade in dieser Richtung sind ja in den letzten Jahren die Gemüter außer- ordentlich bewegt worden durch die vielfachen Versuche, Säugetiere mit ver- hältnismäßig niedriger Hirnentwieklung durch Dressur zu gewissen Höchst- leistungen des menschlichen Gehirns heranzuziehen. Ja aus dem Kreise dieser » Tierpsychologen« ist uns bereits einmal entgegengehalten worden, wozu es denn nötig wäre, Beobachtungen an Menschenaffen zu machen, da doch Pferde und Hunde so Hervorragendes leisten könnten. Es soll deshalb an dieser Stelle mit Entschiedenheit betont werden, daß die Be- strebungen der Anthropoidenstation mit solehen Versuchen, aus den Tieren Dinge herauszuholen, zu denen ihre Gehirne absolut nicht befähigt sind, nichts gemein haben. Es ist uns aber überhaupt nieht wünschenswert erschienen, durch Unterrieht auf die Menschenaffen einzuwirken, ehe man genaue Kenntnisse von ihren Eigenleistungen gewonnen hat. Deshalb ist 6 M. Rornumann und E. TEeUBER: es zunächst sorgfältig vermieden worden, durch Mittel der Dressur, wie sie zu den bekannten Zirkusdressuren von Schimpansen und Orangs angewandt werden, die Tiere zu beeinflussen. Indem die Schimpansen in enger Gemein- schaft miteinander auf der Station leben, entfalten sich ganz von selbst ihre sozialen Eigenschaften. Allerdings ergibt sich aus dem engen Zusammen- leben der Nachteil, daß sie derart aneinander gewöhnt sind, daß sie nur schwer zu Einzeluntersuchungen verwandt werden können. Dieser Nachteil erschien aber gering gegenüber dem großen Vorteil, die Tiere im völlig freien Verhalten miteinander ungezwungen beobachten zu können. Die Station wurde Anfang 1913 von Teuber derart eingerichtet, daß der Sitio einer Bananenpflanzung etwa eine halbe Stunde östlich von Puerto Orotawa auf die Dauer von 7 Jahren gemietet wurde. Hier befindet sich ein kleines Haus mit Garten, das für den Leiter der Station und seine Familie ausreichend ist. Unmittelbar daneben ist ein etwa einen halben Morgen großer Platz derart mit Drahtgetlecht überspannt, daß von einem in der Mitte des Platzes errichteten 5 m hohen Maste das Drahtnetz nach allen Seiten ausgespannt ist. Die Tiere haben so das Gefühl völliger Freiheit, können aber nicht entweichen. In der Mitte des Geländes ist ein Turngerät angebracht; der dort befindliehe Baum und zwei Bananenpflanzen wurden sofort von den Schimpansen verwüstet. An der einen Seite des inmitten von Bananenpflanzungen gelegenen Platzes wurde ein Affenhaus mit 4 nebeneinanderliegenden, je für mehrere Tiere bereehneten Schlaf- kammern errichtet. Diese Kammern münden einerseits durch große Türen mit Auslaufklappen auf‘ den freien Platz, anderseits gehen sie auf einen überdachten Gang hinaus. An der einen Seite schließt sich ein eigener Schlafraum und Laufplatz für einen besonders großen Schimpansen an; auf der anderen Seite befindet sich ein Laboratorium mit Vorrichtung für photo- graphische und phonographische Aufnahmen. — Ein spanischer Wärter aus Orotawa hat sich als besonders tüchtig und zuverlässig erwiesen. Als die Station eröffnet wurde, befanden sich daselbst 7 Schim- pansen. Von diesen stammte der erste männliche, »Konsul«, von den Öl- tlüssen (Süd-Nigeria); die anderen, sämtlich aus Kamerun hergesandten Tiere kamen teils aus Ebolova, teils aus Jaunde. Alle waren frisch gefangen worden und waren daher von menschlichen Einwirkungen ziemlich unbe- einflußt. Sechs von ihnen waren junge, etwa 5—6jährige schwarzgesichtete Schimpansen, der siebente ein fast ausgewachsenes Weibehen von einer Ziele und Aufgaben der Station usw. Fig. 1. Übersichtsbild des Platzes der Station mit Drahtnetz, Unterkunftsräumen, Turngerät. Unterkunftsräume der Schimpansen. Vorn das Laboratorium, eanz hinten der RKäfie für den Tscheeo. fo) M. Rorumann und E. TEUBER: Tschegoart. Von allen diesen Tieren war das zweite Männehen »Sultan« bei weitem das intelligenteste. Alle Tiere waren durch den monatelangen Aufenthalt in engen Kisten sehr eingeschüchtert, der Tschego geradezu bösartig. Während der letztere aus diesem Grunde für sich allein gehalten werden mußte, wurden (die anderen sechs sofort nach Eröffnung der Station gemeinsam in den großen Platz eingesetzt. Nur für die Nacht blieben sie so verteilt, wie sie es bereits gewohnt waren, der kleinere männliche Schim- panse mit einem Weibchen, der größere, »Sultan«, mit drei Weibehen. An dieser Sehlafeinteilung hielten sie, ganz unabhängig von den sonst sich ent- wickelnden Zu- und Abneigungen, unverbrüchlich fest. Sowie die Tiere ins Freie kamen, entwickelte sich sofort ihr Herden- charakter. Das ältere Männchen, das von vornherein am dreistesten war, schwang sich alsbald zum Führer der Herde auf und übernahm alle Rechte und Pflichten eines solchen, die ihm auch niemals streitig gemacht wur- den. Nachdem die Tiere die große Ängstlichkeit der ersten Tage über- wunden hatten, begannen sie in richtigem Zuge durch das Gras zu. wan- dern, voran der Führer, der bei jedem unerwarteten Ereignis mit den ent- sprechenden Lauten reagierte und so den übrigen Tieren die Direktion gab. Als letztes ging stets eins von den älteren Weibchen, das andauernd lebhaft nach rückwärts sicherte. Diese Züge durch das Gras fanden meist gegen Abend statt; dabei war es auffällig, daß die Tiere stets die einmal im Grase niedergetretenen Wege wieder bevorzugten. Diese sofortige Neigung zur Herdenbildung war um so auffälliger, als es sich ja bei «den 6 Schim- pansen um »Kinder« handelte im Alter von etwa 5—6 Jahren, dieht vor und im Zahnwechsel'. Im übrigen wurden die Tiere bei zunehmender Ver- trautheit immer lebhafter, Jagten und tobten auf dem Platze umher. Näherte sich ein Mensch der Umzäunung, so stieß stets »Sultan« Warnungs- bzw. Begrüßungslaute aus und lief nach der betreffenden Stelle hin, während die anderen Tiere sich nieht stören ließen. Bei der Beobachtung der Schimpansen im Freien war nun das überraschendste, daß sie sehr häufig ganz spontan den aufrechten Gang annahmen. Bei einer Besprechung der Gangarten der Schimpansen hat der eine von uns (R.) darauf hingewiesen, daß neben dem ge- wöhnlichen vierfüßigen Gang ihnen ein Fortbewegen mit Durehhangeln der Hinterbeine eigentümlich ist. Dies scheint aber nur für ganz Junge Tiere ! Später, als die Tiere völlig eingewölnt waren, verlor sich dieser Herdentrieb all- mählich gänzlich. Ziele und Aufgaben der Station usw. 9 zuzutreffen; es wurde von unseren Schimpansen nur gelegentlich, gleichsam im Spiel. angewandt. In der Disposition zum aufrechten Gang traten be- trächtliche individuelle Unterschiede hervor. Am besten mit ziemlich ge- raden Beinen und schlenkernden Armen ging das eine Weibchen. »Grande«, das in vieler Riehtung Abweichungen vom gewöhnlichen Sehimpansen zum Tschegotypus erkennen ließ. Dagegen ließ das kleinere Männchen, »Kon- sul«, das besonders zart war, den aufrechten Gang fast ganz vermissen. Es war ein merkwürdiger Anblick, zwei Schimpansen Arm in Arm, wie Kinder, aufrecht daherkommen zu sehen. Auch ließ es sieh beobachten, daß die "Tiere beim aufrechten Gang mit der einen Hand einen Gegenstand, Banane, Stein, Wolldeeke u.a. trugen. Alle Tiere waren vorzügliche Kletterer und Turner und schwangen sich oft im weiten Bogen von einem Ast zum andern. Durch die Schlafeinteilung waren gewisse engere Beziehungen zwischen einzelnen Tieren von selbst gegeben. So waren »Konsul« und» Rana«, die zusammen schliefen, unzertrennlich; daneben bildeten sich aber häufig wechselnde Zuneigungen und Freundschaften. Auch verbanden sich einige Schimpansen wiederholt gegen ein schwächeres Tier und verprügelten es. (Gegen später hinzukommende Neulinge war zunächst die ganze Herde in geschlossener Masse feindlich, bis allmählich die Eingewöhnung eintrat. Sicherlich spielten schon bei den jugendlichen Tieren sexuelle Regungen eine große Rolle. Die gemeinschaftlichen Spiele, bei denen sie sich um- faßten und in aller Freundschaft miteinander rangen, endigten in der Regel in zweifellos geschlechtlichen Erregungen und Bewegungen. Auch die Freundschaftsbeziehungen wurden hierdurch wesentlich beeinflußt. Be- standen hier vorzugsweise Annäherungen zwischen «den verschiedenen Ge- sehlechtern, so kamen «doch zweifellos auch homosexuelle Beziehungen vor. Was die Spiele betrifft, so bestanden sie zum Teil in einem ein- fachen Umherjagen. Besonders beliebt war ein Zeekspiel um einen Pfahl herum. Gelegentlich fingen die Tiere eine der in Teneriffa besonders zahl- reichen Eidechsen und hatten Freude daran, diese an den Schwänzen zu - zupfen. Einige Male konnte auch beobachtet werden, daß sie um eine Eidechse eine Art Kreis bildeten und sie immer wieder nach der Mitte zurückjagten, bis einer der Affen plötzlich aus Angst einen Sprung machte und so die Eidechse entkommen ließ. Von ganz besonderem Interesse sind die mehrfach beobachteten Tänze der Schimpansen. Sie wurden vor allem beim »Sultan« beobachtet, wenn Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 2. 2 10 M. Rorumann und E. Tevuger: er mit den drei Weibchen im Schlafraum war. Während die Weibchen oben auf dem Schlaftisch sitzen, beginnt »Sultan« mit raschen, trampelnden Schritten im Kreise im Käfig umherzulaufen, «dabei oft ein langes Stroh- bündel im Kreise hinter sich herziehend. Dabei schlägt er an den Wänden einen dreigeteilten Rhythmus ab, der durch Klopfen mit beiden Füßen und der einen Hand zustande kommt, während die andere Hand als Stütze «dient. Der Rhythmus ist ein vollständig konstanter und dem Tier selbst insoweit bekannt, daß man gelegentlich durch festes Klatschen desselben die Tanzbewegung bei ihm auslösen kann. Daß der Tanz sexuelle Be- deutung hat, geht daraus hervor, daß »Sultan« dabei bisweilen eines der Weibehen vor sich herjagt, stets aber am Schlusse zu den Weibchen heraufspringt. Von den anderen kleineren Tieren hat keines etwas Derartiges gezeigt. Dagegen ließen sich einige Male charakteristische Tanzbewegungen bei dem großen, später noch genauer zu besprechenden Tsehego weibehen beobachten. Sie traten stets dann auf, wenn es mit »Sultan« zusammen war, zu dem es eine starke Neigung empfand. Das sonst außerordentlich ruhige Tier bewegte sich plötzlich, auf den Hinterbeinen hockend, unter beständigem Drehen des ganzen Körpers vorwärts. Die Drehungen wurden immer häufiger und wilder und waren von starkem Schlagen der Hände auf den Boden begleitet. Dieser »Tanz« wirkte auf den »Sultan« stets stark erregend; unter lauten Freude- lauten kam er auf den Tschego zugelaufen. Niemals aber wurde er hierdurch angeregt, selbst einen Tanz auszuführen; er war stets nur Zuschauer. Die sexuelle Bedeutung des Tanzes ist auch hier zweifellos. Die Annäherung an die Tänze der Naturvölker war schlagend. Mit der wachsenden Freundschaft und der sexuellen Annäherung beider Anthıropoiden wurden die Tänze immer seltener. Eine photographische Aufnahme derselben ist leider mißglückt. Was die Sinne der Schimpansen betrifft, so war Gesicht und Gehör bei ihnen außerordentlich scharf ausgebildet. Auch leisteten sie Erstaunliches beim Wiedererkennen früher gesehener Gesichtseindrücke. Menschen, die sie einmal gesehen hatten, erkannten sie offenbar sofort wieder, selbst nach längeren Zwischenräumen. Musikalische Darbietungen verursachten ihnen lediglich Angst, niemals Wohlgefallen. Eine Farbenunterscheidung be- stand offenbar; doch muß noch festgestellt werden, ob es sich um eine eigent- liche Farbendifferenzierung oder nur um ein Erkennen von Helligkeitsunter- schieden handelt. Vergleiche die hier folgende Abhandlung Dr. Köhlers (ll). Ziele und Aufgaben der Station usw. 11 Das Riechen spielt bei den Tieren eine wesentlich größere Rolle als beim Menschen. Jeder fremde Gegenstand wird sofort berochen, auch jedes un- bekannte Nahrungsmittel. Oft wird auch nur der Zeigefinger an die Gegen- stände gebracht und dann an die Nase geführt. Ebenso ist der Geschmack zweifellos sehr differenziert. Die Tiere bevorzugen einzelne Nahrungsmittel und sind oft nieht zu bewegen, andere Speisen, vor allem Unbekanntes, zu sich zu nehmen. Die Ernährung. die in regelmäßigen Mahlzeiten stattfand, bestand hauptsächlich aus rohen Früchten, vor allem Bananen, aber auch vielen anderen Fruchtarten. Nur Datteln und Nüsse verweigerten alle Tiere. Bei den Bananen machten sie außerordentlich feine Unterschiede; der Tschego z.B. aß nur große gelbe, feste Bananen, die keinen Fleck haben durften. Andere Tiere bevorzugten weiche, sogar etwas übergegangene Bananen. Alle Tiere tranken gern Wasser und spielten damit wie die Kinder. So nahmen sie es mit einem Strohhalm oder mit dem Finger auf, bemühten sich an der mit einem Druckknopf versehenen Wasserleitung es tropfenweise heraus- zubringen und mit dem Munde aufzufangen. Stets beugten sie sich beim Trinken über das Gefäß und nahmen es nieht nach Menschenart in die Hände. Sie erhielten aueh Brot, Mohrrüben. Tomaten, Kartoffeln und einfache Keks, verweigerten aber absolut Fleischnahrung. Alle wurden an Kakao gewöhnt, den sie mit Ausnahme des Tschego regelmäßig und gern tranken. Sie waren im Essen sehr mäßig, schälten sieh stets die Früchte sorgfältig ab und warfen die Kerne fort. Dagegen hatten sie alle in mehr oder weniger hohem Grade die Ungezogenheit angenommen, ihren Kotlh zu essen, vermutlich infolge der langen Gefangenschaft in engen Käfigen. Auch durch strenge Strafen waren sie hiervon nicht ganz abzubringen. Wesentlich verschieden von den übrigen Schimpansen, die alle zur Spezies » Troglodytes niger« mit schwarzem Gesicht, schwarzem Haar, aber fast völlig weißer Haut gehörten, war nun der bereits wiederholt erwähnte weibliche Tsehego. Nieht nur überragte er die anderen Tiere weit an Größe und Stärke, sondern er hatte auch das völlig entwickelte Gebiß von 32 Zähnen und zeigte im zweiten Jahre der Beobachtung auch regelmäßige vierwöchentliche starke Schwellung der Genitalien. Sein Alter war daher aufmindestens 1I1— 12 Jahre zu schätzen. Seine Schädelbildung war dureh ungeheure Arcus supereiliares ausgezeichnet. Die Ohren waren kleiner und mehr gefaltet als die der Sehimpansen. Die Haut an Brust und Bauch zeigte ausgedehnte bräunliche Pigmentierung; das Tier schwitzte oft und stark und, wie alte Afrikaner Ix* 12 M.Rornumann und E. TEUBER: versicherten, mit typischem Negergeruch. Die Beine waren auffallend lang und verhältnismäßig sehr muskulös. Niemals stand und ging der Tschego so aufreeht wie die anderen Schimpansen. Dagegen trat er weit besser mit der Fußsohle auf als die anderen Tiere. In seiner ganzen körperlichen Gestaltung erinnerte das Tier außerordentlich an die von R. Hartmann u. a. be- schriebene 1875/76 im Dresden lebende »Mafuka«, die vielfach als ein Bastard von Gorilla und Sehimpanse gedeutet wurde‘. Von den anderen Sehimpansen hatte das eine Weibehen, »Grande«, in Schädel und Ohrbildung sowie auch in dem eigentümlieh ruhigen, gesetzteren Verhalten entschieden Anklänge an den Tschego. Da bei ihr später auch dunkle Pigmentflecke auf der Haut auftraten, so ist es nicht unmöglich, daß auch sie zu dieser Spezies gehört. Bei keinem der Tiere machte sich der Einfluß der größeren Freiheit und des Umganges mit Menschen und anderen Schimpansen stärker bemerkbar als bei dem Tschego. In der ersten Zeit bekam das sonst sehr ruhige und gesetzte Tier plötzliche Wutanfälle, die es nicht geraten erscheinen ließen, sich ihm allzusehr zu nähern. Mit einem Faustschlag zertrümmerte es am ersten Tage die Holzwand seines Käfigs, so daß dieselbe verstärkt werden mußte. Der erste, mit dem ein näheres Verhältnis gewonnen wurde, war der »Sultan«, mit dem sich dureh die Gitterstäbe hindurch ein inniges Liebesverhältnis ent- wickelte. Im Gegensatze zu den anderen Schimpansen hatte der Tschego die Eigentümlichkeit, die gesamten ihm gegebenen Bananen aufzusammeln und sich so einen Eßvorrat anzulegen. Wenn nun »Sultan« herankam, holte er hiervon zwei Bananen herbei, behielt eine für sich und gab die andere an »Sultan« ab. Erst allmählich gewöhnte er sich an den Wärter und an Teuber, und es dauerte Monate, bis man es wagen konnte, ihn in den freien Raum zu den anderen Affen zu lassen. Damit vollzog sich aber auch eine wesentliche Änderung seines Charakters, und die Zornausbrüche hörten so gut wie ganz auf. In scharfem Gegensatze zu den in den zoologischen Gärten gehaltenen Sehimpansen schliefen unsere Tiere den ganzen Tag über gar nieht. Sie vertrugen das Klima ausgezeichnet, waren aber gegen die Sonne sehr emp- findlich und zogen sieh gern unter das ausgespannte Sonnenzelt zurück. Sehr große Hitze erschlaffte sie nieht; bei auffallend heißem und troeknem Wetter waren sie unruhig und laut. Regen war ihnen unangenehm und ' Robert Hartmann, Die menschenähnlichen Affen und ihre Organisation im Ver- gleich zur menschlichen (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1833, S. 202). Ziele und Aufgaben der Station usw. 13 machte sie ängstlich. Am Abend bei Sonnenuntergang gingen sie von selber in der richtigen Ordnung in ihre Schlafräume. Hier machte sich bei allen Tieren mit Ausnahme des kleinen »Konsul« ein ausgesprochener Hang zum Nesterbau bemerkbar. Während bei den Schimpansen (das Nest nur sehr locker aus Stroh zusammengescharrt wurde, machte es der Tschego wesentlich geräumiger und fester, so daß man es wie ein Storehen- nest hochheben konnte. Alle Tiere legten sieh in menschlicher Weise zum Schlafen nieder und deekten sieh mit den bereitliegenden Wolldeeken zu. Bei einigen der Tiere, so vor allem bei »Grande«, konnte beobachtet werden, daß sie im Schlaf lebhafte Bewegungen machten und Laute aus- stießen, als wenn sie träumten. Als einer der wichtigsten Punkte der Beobachtung bei den Schimpansen muß die Frage nach den Verständigungsmöglichkeiten gelten. Schon in einem kurzen Programm, das R. vor der Einriehtung der Station ent- worfen hatte, war als eine der Hauptaufgaben die genaue Beobachtung der Lautgebung. der Ausdrucksbewegungen «des Gesichts und der Arme und die Feststellung des Laut- und Wortverständnisses hingestellt worden. Erst weiterhin kamen musikalischer Sinn, Farbensinn und Zahlbegriff in Frage. Endlich wurde in Aussicht genommen, zu versuchen, ob man den Schimpansen die Assoziation bestimmter Lautbildung mit einzelnen Gegen- ständen beibringen könnte, und ob vielleicht sogar ein gewisses Verständnis für einfachste Bilderschrift zu erwecken wäre. Was das Wortverständnis der Schimpansen betrifft, so war das- selbe zweifellos bei »Sultan« wesentlich besser entwickelt als bei den anderen "Tieren. Doch hatte man auch bei diesen den Eindruck, dab sie ein Verständnis für Zurufe hatten. Bei Versuchen, die unter sorgfältiger Vermeidung von Gestikulationen und Mienenspiel angestellt wurden und bei denen die Zurufe auf Spanisch gemacht wurden, zeigte es sich, daß einfache Rufe wie: come (iß). bacha (herunter), entra (komm herein), sale (geh hinaus), abre la puerta (öffne die Tür) usw. riehtig verstanden wurden. Dagegen waren die Tiere nieht fähig, kompliziertere Befehle richtig zu verstehen. Doch beobachteten sie außerordentlich scharf den Gesichts- ausdruck des Menschen und richteten ihre Handlungen danach ein. Die Lautgebung der Schimpansen ist eine verhältnismäßig reiche und enthält alle Vokale vom a bis zum u unter Bevorzugung von o und u. Doch handelt es sieh hier offenbar nur um Affektlaute, während niemals 14 M. Rorumann und E. TruBER: etwas der menschlichen Sprache Ähnliches beobachtet werden konnte. Freude wird dureh ein mehrfach ausgestoßenes »oh« ausgedrückt, das hei größter freudiger Erregung in immer höhere Töne hinaufgeht. Als Be- grüßungslaut dient ein kürzeres »o«. Das Weinen geschieht in tiefen u-Lauten. Zur Warnung erklingt ein kurzes »äh«! In der Furcht werden auch hohe i-Laute ausgestoßen. Kann so von einer eigentlichen Sprache nicht die Rede sein und müssen alle Angaben von Garner u. a. über die Sprache der Affen mit größter Skepsis aufgenommen werden, so ist es dagegen zweifellos, daß den Affen ein außerordentlich lebhaftes Mienen- spiel mit Lachen, Weinen, Angst und Wut und allen verschiedenen Nuancen des Begehrens, der Enttäuschung, der Eifersucht u. a. m. zu Gebote steht. Auch die Ausdrucksbewegungen der Arme, die beim Menschen zu ein- fachen Begleiterscheinungen der Sprache herabgesunken sind und nur bei Taubstummen eine größere Rolle spielen, sind bei den Schimpansen weit- gehend entwickelt. Hierbei ist zu betonen, daß von einer besonderen Bevorzugung eines Armes, nach Art der Reehtshändigkeit des Menschen, beim Schimpansen nichts zu bemerken ist. Wenn die Schimpansen etwas haben wollen, so halten sie bei ausgestrecktem Arm die offene Hand hin. Wenn sie auf etwas zeigen, so tun sie es stets ohne Ausstrecken des Fingers. Ein eigenartiges Vorhalten des Armes in gebeugter und pronierter Stellung bedeutet ein Bitten um Mitleid oder Verzeihung'. Winken wird in einer Greifform der Hand ausgeführt. Ein Hinhalten der äußersten Finger- spitzen stellt eine mit Angst gemischte Liebkosung dar. Bei dem Tschego wurde außerdem ein Winken mit der erhobenen Hand als Zeichen der Unlust beobachtet, das sich bei größerer Ungeduld zu einem raschen Schlagen der Hand gegen den Boden verstärkte. Außerdem wurde bei ihm ein lebhaftes Kopfnieken als Zeichen der freudigen Erwartung fest- gestellt. Als Ausdruck der zaudernden Unentschlossenheit ist bei allen Tieren ein Kratzen des Kopfes oder des Rumpfes mit der Hand zu be- obachten. Obwohl die Tiere bei sorgfältiger Haarptlege absolut kein Ungeziefer hatten, so war doch bei allen stets ein gegenseitiges Absuchen in der bekannten Affenart zu beobachten als konventionelle Freundschaftsbezeugung. Auch das Unterducken mit Zukehren des Hintern fand häufig lediglich als Zeichen ! Diese Armbewegung kam vor allem bei »Consul« und beim Tschego zur Beobachtung. Ziele und Aufgaben der Station usw. 15 freundschaftlicher Untergebenheit statt, wenn auch der sexuelle Ursprung dieser Bewegung oft «deutlich hervortrat. Ein Offenstehen des Mundes war auch bei den Scehimpansen ein Zeichen großer Verwunderung. Es wurde wiederholt beobachtet, daß die Tiere sich mit dem Mund kußartig berührten: doch ließ sich nachweisen, daß sie dabei stets gekaute Obststücke aus dem eigenen Munde in den Mund des Freundes hinübersehoben. Es ist wohl möglich, daß hierin der Ursprung der Kußbewegung zu suchen ist. Es konnte auch festgestellt werden, daß die Schimpansen, wenn man selbst dieht vor ihrem Mund den Mund kußartig spitzte, diese Bewegung sofort nachahmten. Lachen und Weinen stand ihnen wie dem Menschen zu Gebote. Das Lachen war stumm, bei starken Lustaffekten mit hörbarer Atembewegung, das Weinen ohne Tränen: bei starker Unlust kam es zu lautem kreischenden Schreien, oft begleitet von Hinwerfen und Strampeln der Glieder. Bei großer Angst warfen sie sich Stroh über den Kopf, eventuell auch die Decke, offenbar als Versuch des Verbergens. Zu betonen ist noch, daß die Mimik des sehr beweglichen Mundes, vor allem der Oberlippe, mit Bewegungen für Unlust, Schmollen, Freude, Angst usw. weit die des Menschen übersteigt und wahrscheinlieh in vielen kleinen Modifikationen weitgehende Verständigungsmöglichkeiten der Schimpansen darbietet. Was den Gebrauch von Werkzeugen betrifft, so war nur zu beob- achten, daß die Tiere einen Stein hoehhoben und mit demselben lediglich zum Vergnügen warfen. Beim »Sultan« konnte festgestellt werden, daß er spontan ohne Anleitung einen zufällig daliegenden Stock benutzte, um eine ihm sonst nieht erreichbare Banane heranzuholen. Damit kommen wir bereits zu der Frage nach den Intelligenzhand- lungen der Tiere. Es handelt sich hier zunächst um die Spontanleistungen der Schimpansen. Besondere Intelligenzversuche wurden erst in der letzten Zeit der Tätigkeit von Teuber angestellt, um das Zusammenleben der Tiere nieht zu stören. Sie werden von dem jetzigen Leiter der Station, Hrn. Privatdozenten Dr. Köhler. in größerem Umfange ausgeführt und ver- sprechen zu sehr befriedigenden Resultaten zu führen. Daß die Schimpansen vorsichtig und überlegt handeln, geht aus ihrem ganzen Verhalten dauernd hervor. Die Beziehungen der Tiere untereinander sind vorhin bereits geschildert worden. Im Verhalten zum Menschen traten Zu- und Abneigungen der verschiedenen Tiere außerordentlich stark hervor. Auch das verschiedene 16 M. Rornumann und E. TEeugBeEr: Temperament der Tiere war sehr auffällig; das ruhige und gesetzte Verhalten des Tschegosundder » Grande «stach von der großen Lebhaftigkeit der anderen Tiere ab. Überhaupt kann die scharf ausgeprägte Individualität der Schim- pansen gar nicht genug hervorgehoben werden. Auch in bezug auf die In- telligenz bestehen sehr große Unterschiede. War »Sultan« ganz ungewöhnlich intelligent. so zeigten einige andere Tiere nichts Besonderes nach dieser Richtung. Auch trat verschiedentlich eine starke nervöse Erregbarkeit her- vor, ja das eine Weibchen, »Rana«, bekam richtige hysterische Weinanfälle. Wenn sie gestraft wurde, kam sie nachher unter lautem Geschrei an und warf sich als Zeichen der Abbitte reuig in die Arme des Züchtigers. Auffallend rasch lernte »Sultan« nur durch Zusehen die Türen öffnen, ja sogar den Schlüssel ins Schloß stecken. Bei der mit Hebelvorrichtung angebrachten Wasserleitung lernten alle Tiere bald den Hebel benutzen, ja sogar ihn abgestuft bedienen, um den Wasserstrahl zu regulieren. Die Höchstleistung gab hier wieder »Sultan«, der, als der Wärter den Stellhebel des Wassers außerhalb der Tür abgestellt hatte, nach vergeblichem Versuch Wasser zu bekommen, die Tür öffnete, den Hebel herunterzog und dann herauslief und trank. Bewiesen diese Leistungen schon zweifellos die oft bestrittene Tat- sache, daß die Menschenaffen weitgehend zur Nachahmung befähigt sind. so konnte das auch sonst wiederholt beobachtet werden. So versuchten die Tiere das Scheuern des Fußbodens, das Kiesfegen mit dem Besen. wie sie es vom Wärter gesehen hatten. Auch wurde einmal beobachtet, daß zwei Schim- pansen begannen, bockartig übereinander zu springen, nachdem sie es von Kindern der Umgegend gesehen hatten. Der Tschego, dessen intelligentes Verhalten bei der Nahrungsversorgung bereits besprochen worden ist, zeigte seine Intelligenz auch bei Witterungswechsel. Wenn er herausgelassen wurde und es kühl war alle Tiere waren gegen Kälte sehr empfindlich —. so kehrte er um, holte seine Wolldeeke, breitete sie auf dem Boden aus und setzte sich darauf. Bei einem Intelligenzversuch mit »Sultan« im Dezember 1913, bei dem ein Körbehen mit Bananen frei an einem Faden aufgehängt wurde, der zu einem mehrere Meter entfernten Baum geleitet war, so daß der Korb von hier aus bewegt werden konnte, hatte das Tier diesen Mechanis- mus sofort erfaßt und so stark an dem Faden gezogen, daß der Korb zu ') Hier sei noch erwähnt, daß die Schimpansen wiederholt in Erwartung der Mahlzeit gemeinsam den Tisch des Käfigs an die Tür rückten. um sich so die Nahrungsaufnahme zu erleichtern. Ziele und Aufgaben der Station usw. 17 Boden fiel und es die Nahrung bekam. Neben diesen Intelligenzleistungen kommen auch zufällige Befähigungen der Tiere, die eventuell auszugestalten sind, vor. So war eine von Dr. Köhler neu gekaufte Schimpansin befähigt, Knoten zu schlingen und amüsierte sich damit, dies mit Strohhalmen zu tun. Interessant war es auch, daß alle Tiere die Neigung hatten, Strohhalme in Löcher zu stecken, vielleicht ursprünglich in der Furcht vor Schlangen. Auch steekten sich die Schimpansen in den nebeneinander gelegenen Schlafkäfigen oft gegenseitig durch ein Astloch Strohhalme zu. Alle Schimpansen sind in dem nunmehr 2% jährigen Aufenthalt auf Teneriffa vorzüglich gediehen; nur der kleine »Konsul«, der von vorn- herein schwächlich war, ist nach zwei Jahren gestorben. Auch zwei neu- angekaufte Tiere gingen, nachdem sie zu sehr wertvollen Intelligenzversuchen benutzt werden konnten, rasch wieder ein. Im ganzen konnte aber be- wiesen werden, daß Klima und Boden von Teneriffa sich vorzüglich zur Fortführung der Anthropoidenstation eignen. Die Station hat sich stets der besonderen Förderung der spanischen Behörden, des deutschen Konsuls Hrn. Ahlers und der Bewohner der Insel zu erfreuen gehabt. Besonders interessant war der Eindruck auf die ein- fachen Leute, die zum Teil von weit her zur Besichtigung kamen. Wie ein Cristiano! Das war der Eindruck, den sie fortnahmen, und ein alter Bauer versicherte, daß jetzt der letzte Wunsch seines Lebens erfüllt wäre. Wenn im vorstehenden die Ergebnisse des ersten Arbeitsjahres der Station berichtet worden sind, das sich nach jeder Richtung glücklich ge- staltete, so ist nun die Frage berechtigt, welchen Zielen strebt die Station zu, und wie sind dieselben zu erreichen? Da die jetzt auf der Station befindlichen Schimpansen bereits 25 Jahre in bester Gesundheit leben, so ist ihre weitere Beobachtung in ihrem Zusammenleben. zumal sie sich alle kräftig entwickeln, von besonderer Wiehtigkeit. Auftauchen neuer Lebensgewohnheiten, Veränderung im Körper- bau, vor allem auch in der Schädelgestaltung, Entwieklung der sexuellen Funktionen und die damit verbundenen Charakterveränderungen stehen hier an erster Stelle. Gelingt es, die Tiere bis zur vollen sexuellen Entwicklung zu bringen, was bei »Sultan« allerdings noch mehrere Jahre dauern wird, so werden wir bei der freien Lebensweise der Tiere auch auf eine Fortpflanzung rechnen dürfen, mit allen damit verbundenen Beobachtungen über Aus- gestaltung der Familie, Pflege der Jungen, Verhalten im ersten Lebensjahr u.a. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 2. 3 18 M. Rorumann und E. TEUBER: Wurde das erste Jahr der Station im wesentlichen dazu verwandt; das freie Zusammenleben der Schimpansen in allen seinen Gestaltungen zu beobachten, so kommt es jetzt darauf an, die einzelnen Tiere in bezug auf ihre Sinnesfunktionen, Intelligenzleistungen usw. genaueren wissenschaftlichen Untersuchungen zu unterwerfen. Nach dieser Richtung ist der jetzige Leiter der Station Hr. Dr. Köhler, Privatdozent für Psychologie an der Uni- versität Frankfurt a. M., bereits erfolgreich vorgegangen. Nach seinen letzten Berichten ist die Arbeit auch durch den Ausbruch des Krieges nicht unter- brochen worden, wie die nachfolgende Abhandlung (ll) zeigt. Es wird nun aber notwendig sein, sowie uns wieder normale Verkehrs- verhältnisse offenstehen, den Kreis der Beobachtungen wesentlich zu er- weitern. Hat es ein glücklicher Zufall gleich zu Beginn so gefügt, daß uns neben den Schimpansen aus Kamerun auch ein Tschego zur Beobachtung zur Verfügung stand, so wird es weiterhin erforderlich sein, auch die übrigen Varietäten der Schimpansen von Französisch-Guinea bis nach Gabun und von dem spanischen Guinea bis zum Tanganyika-See zur Beobachtung heran- zuziehen und vor allem festzustellen, ob hier in bezug auf Lebensgewohn- heiten, Stimmungsäußerungen. Ausdrucksbewegungen ähnliche Unterschiede vorkommen, wie wir sie bei naheverwandten, eng benachbarten menschlichen eingeborenen Stämmen häufig feststellen. Dann aber müssen (die anderen großen Stämme der Menschenaffen zu Untersuchungen in der gleichen Richtung herangezogen werden. Auch hierzu ist bereits wesentliche Vor- arbeit geleistet worden. Die Königlich Niederländische Regierung hat sich in hochherziger Weise bereit erklärt, für die Station auf ihre Kosten den Fang von Orangs auf Borneo und Sumatra in die Wege zu leiten. Und gerade jetzt kommt die erfreuliche Kunde, daß in Niederländisch-Indien bereits einige Orangs zum Transport im Frühjahr bereitstehen. Ebenso hat der Medizinalreferent von Kamerun zugesagt, für die Lieferung einiger Gorillas aus Südkamerun nach Teneriffa Sorge tragen zu wollen. Der Krieg hat zunächst diese Vorbereitungen jäh unterbrochen, aber es ist ein erfreu- liches Zeichen für das Interesse, welches die Kolonialregierung an diesen Forschungen nimmt, daß das Kaiserliehe Kolonialamt erst kürzlich 1000 Mark für die Zwecke derselben zur Verfügung gestellt hat. Erst die vergleichende psychologische Untersuchung der verschiedenen Stämme der Menschenaffen wird uns in den Stand setzen, der seit Carl Vogts Zeiten so oft ventilierten Frage näherzutreten, ob das Menschen- . Ziele und Aufgaben der Station usw. 19 geschlecht in seinen verschiedenen Rassen mit verschiedenen Menschen- affenstämmen zusammenhängt!. Es wird dann notwendig sein, Lebensge- wohnheiten, Mimik und Ausdrucksbewegung der verschiedenen Stämme der Menschenaffen und der Urvölker miteinander zu vergleichen und zu versuchen, inwieweit hier Übereinstimmungen und grundlegende Verschieden- heiten festzustellen sind. Über der psychologischen Erforschung der Menschenaffen dürfen aber auch die hirnphysiologischen Probleme nicht vernachlässigt werden. Es ist bereits auf der Station ein besonderer Platz vorgesehen, auf dem ein kleines Gebäude und ein besonderer kleinerer Laufplatz für solche Zwecke angelegt werden können. Eine Reihe wichtiger Fragen der Hirnphysiologie, vor allem auf‘ den beim Menschen noch weitgehend zu klärenden Gebieten der Aphasie und Apraxie, dann aber auch hinsichtlich der Sinnes- zentren, bedürfen zu ihrer Lösung der hirnphysiologischen Experimente an den Anthropoiden. Ganz besonders die Frage, ob die oben berichteten Lautgebungen der Schimpansen rein subkortikal zustande kommen oder von besonderen kortikalen Zentren abhängig sind, steht hier an erster Stelle. Bei den sehr lautreichen südamerikanischen Cebus-Affen war es dem einen von uns (R.) nieht gelungen, durch ausgedehnte, selbst doppel- seitige Exstirpationen der unteren Stirnlappenpartien eine Störung der Lautgebung herbeizuführen. Gerade mit Hinsicht auf diese hirnphysiologischen Experimente er- scheint es nun aber von großer Bedeutung, auch die Versorgung der Station mit neuem Anthropoidenmaterial nach Möglichkeit vom Zufall un- abhängig zu machen. Hier kommt wohl der von Waldeyer in Erwägung gezogene Plan in Betracht, in den Heimatsländern der Anthropoiden, also vor allem in Kamerun, dann aber auch in Niederländiseh-Indien mit Unterstützung der betreffenden Kolonialregierungen ausgedehnte Reservationen für die Menschenaffen einzuriehten. Es würde hierdurch einmal möglich sein, Beob- achtungen an den Anthropoiden in ihren Heimatsländern selbst unter völlig ein- wandfreien Umständen auszuführen, dann aber auch stets geeignetes Material zu notwendig werdendem Nachschub für die Station in Bereitschaft zu haben. ' HM. Klaatsch. Die stammesgeschichtliche Bedeutung des Reliefs der menschlichen Großhirnrinde (Correspondenzblatt d. Deutschen Ges. f. Anthropol. ıgrı Jahrg. 42 S. 8ı). Theodor Arlt. Die Stammesgeschichte der Primaten und die Entwicklung der Menschen- vassen (August Hirschwald, Berlin, 1915). 20 M.Rornmann und E. Teuger: Ziele und Aufgaben der Station usw. Es sei endlieh darauf hingewiesen, daß auch die im Laufe der Zeit ja unvermeidlichen Verluste an 'Tiermaterial von Anfang an von uns wissenschaftlich verwertet worden sind, indem die Kadaver in möglichst guter Konservierung dem Anatomischen Institut der Berliner Universität zur weiteren Untersuchung übersandt worden sind'. Auch hier läßt sich die allmähliche Ansammlung und Verwertung eines wertvollen Anthropoiden- materials erwarten. Es geht wohl aus diesen Ausführungen hervor, daß es in glücklicher Weise gelungen ist, den Gedanken einer Station zur genauen Erforschung der Menschenaffen in die Tat umzusetzen. Die nächsten Jahre werden be- weisen müssen, inwieweit aus diesen Forschungen auch eine Befruchtung der Hirnphysiologie, Psychologie, Anthropologie und Ethnologie gelingen wird. Jedenfalls können wir hoffen, für das Studium der Menschenaffen. deren Hinsehwinden mit der vorschreitenden Kultur ja leider unvermeid- lieh sein wird, ein festes wissenschaftliches Material zu gewinnen und so den glücklichen Umstand, daß diese Tiere noch mit uns zusammen- leben, soweit es überhaupt möglich ist, für die vielen wichtigen Fragen, die an ihre Existenz anknüpfen, auszunutzen. ! Unser besonderer Dank gebührt hier Hrn. Dr. George Perez, Arzt in Puerto Cruz auf Teneriffa, der die Formalininjektionen der Kadaver besorgte und auch im übrigen der Station stets warmes Interesse entgegengebracht hat. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. m Ed Zn EZ de De ne re se en ar u aa EDEL TEL ET EEE TBB TUT Bd a ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR. 3 AUS DER ANTHROPOIDENSTATION AUF TENERIFFA 1. OPTISCHE UNTERSUCHUNGEN AM SCHIMPANSEN UND AM HAUSHUHN VON Dr. W. KÖHLER. PRIVATDOZENTEN IN FRANKFURT A.M., ZUR ZEIT LEITER DER ANTHROPOIDENSTATION AUF TENERIFFA, UNTER MITWIRKUNG VON FRAU TH. KÖHLER UND CAND. PHIL. UIBE (LEIPZIG), ZUR ZEIT IN TENERIFFA ı gannaaian Instir,, hi, FEB..8 1: Sn Lipraty BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR 5 AUS DER ANTHROPOIDENSTATION AUF TENERIFFA ll. OPTISCHE UNTERSUCHUNGEN AM SCHIMPANSEN UND AM HAUSHUHN VON Dr. W. KÖHLER. PRIVATDOZENTEN IN FRANKFURT A.M., ZUR ZEIT LEITER DER ANTHROPOIDENSTATION AUF TENERIFFA, UNTER MITWIRKUNG VON FRAU TH. KÖHLER UND CAND. PHIL. UIBE (LEIPZIG), ZUR ZEIT IN TENERIFFA FR aim Wars En, en FEB 31} Orpin- Lit BERLIN 1915 N etnes ı VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER JB Dow 5 Vorgelegt von Hrn. Waldeyer in der Gesamtsitzung am 6. Mai 1915. Zum Druck eingereicht am gleichen Tage, ausgegeben am 10. Juli 1915. A. Über die Raumfunktion des Doppelauges beim Schimpansen. Die Lage beider Augen in der Schädelfront bringt es mit sich, daß beim Menschen ein großer Teil des gegenüberliegenden Raumes in beiden abgebildet wird. Es hat sich herausgestellt, daß das plastische Sehen des Menschen durch diese Übersehneidung der beiderseitigen Gesichtsfelder in noch nicht völlig geklärter Art, aber wesentlich gefördert wird, wenn schon nicht ganz allein auf ihr beruht. Wir sehen einäugige Frauen in Schwierig- keit, wenn sie den Faden ins Nadelöhr einführen sollen; Einäugige halten beim Eingießen leicht die Flasche jenseits des Glases anstatt darüber, aber die Tiefenlokalisation auch kongenital Einäugiger scheint einem gewissen Bereich geringerer Anforderungen doch zu genügen. Im folgenden soll keine Voraussetzung über die Natur des binokularen Raumsehens gemacht, auch keine Untersuchung über sie angestellt, sondern allein geprüft werden, ob das Doppelauge des Schimpansen eine Raumfunktion hat wie das des Menschen. Daß dies der Fall sei, ist funktionell nicht erwiesen, freilich aber auf Grund anatomischer und physiologischer Tatsachen angenommen, die für den Anthropoiden wie den Menschen festgestellt sind: Der Schimpanse fixiert, d. h. er wendet nicht allein den Kopf nach dem jeweiligen Gegenstand seiner Aufmerksamkeit, sondern läßt auch seine Augenachsen auf das Objekt hinkonvergieren, so daß es sich beiderseits in Gebieten deutlichsten Sehens abbildet. Rückt der beachtete Punkt bald fern, bald nah, so rücken die beiden Pupillen ihrerseits deutlich auseinander oder zusammen. Wird der Gegenstand seitlich verschoben, so kann wie beim Menschen die Kopfdrehung gespart und durch gleichsinnige Drehung beider Augenachsen zur Seite die Fixation festgehalten werden. Daraus folgt Raumfunktion des Doppelauges beim Affen! ebensowenig wie aus der menschenähnlichen Anlage von Retina und Traetus optieus. 1 Andere Primaten, z. B. siidamerikanische Äffehen, machen auch Fixationsbewegungen. 1* 4 W. Könrer: Was für physiologische Funktionen jenseits des Chiasma — denn auf diese kommt es an — für das Raumsehen des Doppelauges erforderlich sind, kann man zur Zeit auch beim Menschen nicht angeben; aber ob die betreffenden Vorgänge überhaupt zustande kommen oder nicht, läßt sich indirekt ent- scheiden, indem man prüft, ob und in welchem Grade Lokalisationsaufgaben bestimmter Art gelöst werden. Da innerhalb gewisser Grenzen schon das Einzelauge dreidimensional zu sehen gestattet, so wird eine Prüfung der Raumfunktion des Doppelauges im allgemeinen in einem Vergleich der Raum- leistungen von Einzel- und Doppelauge bestehen. Die folgenden Versuche sind solche Vergleiche am Schimpansen. — Sie werden sämtlich an einem Tier durchgeführt, da nur eins der vor- handenen so völlig frei von Scheu und so weit gehorsam ist, daß von ihm ohne großen Zeitverlust und unverhältnismäßige Mühe die erforderlichen Verhaltungsweisen zu erlangen sind. Diese Versuchsperson ist das derzeit klügste Stationstier »Sultan«, Schimpanse im engeren Sinn', Männchen, auf 5—6 Jahre geschätzt (eben mitten im Zahnwechsel), nach seinem Ver- halten offenbar scharfsichtig, Rechtshänder”. ı. »Sultan« pflegt Dinge, die er sich aneignen möchte und mit der Hand nicht erreichen kann, mit Hilfe eines Stockes in Reichweite zu bringen. Vergleicht man, wie er das völlig unbehindert und wie er es anderseits aus- führt, wenn er den gewünschten Gegenstand nur mit einem Auge sehen kann, so ergibt sich kein deutlicher Unterschied; und zwar liegt das nicht daran, daß er, nur mit einem Auge sehend, doch den gewünschten Gegen- stand mit großer Sicherheit träfe, sondern daran, daß er schon beim zwei- äugigen Arbeiten den Stock ziemlich weit hinter dem Gegenstand, möglichst tlach und möglichst schräg, von der Seite zur Erde führt und dann nach vorn zieht. Er bemüht sich also nie, etwa den Gegenstand mit der Stockspitze zu treffen. So ist auf diesem Wege keine Entscheidung zu erreichen. Die zu lösende Aufgabe muß feiner sein. Glücklicherweise kennt »Sul- tan« eine Technik, die mit dem Einfädeln einer Nähnadel einige Verwandt- schaft hat. Als Stöcke stehen ihm oft Rohre von festem, holzigem Schilf zur Verfügung. Ist ein Rohr zu kurz, um den gewünschten Gegenstand ' So zum Unterschied etwa vom Tschego und etwaigen anderen Nebenformen. ® Mit dieser Bezeichnung soll hier zunächst nur gesagt sein, daß das Tier sich tat- sächlich verhält wie ein menschlicher Rechtser: jede Bewegung, die ein wenig Geschicklich- keit erfordert, wird mit der rechten Hand ausgeführt. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 5) damit zu erreichen, so schiebt er ein zweites dünneres um einige Zentimeter in das erste hinein und erhält so einen verlängerten Stock. Aber auch hierbei entzieht er sich zunächst einer strengen Prüfung auf binokularen Raumvisus, indem er — bei binokularem wie monokularem Sehen — in der linken Hand das diekere Rohr mit der Öffnung auf sich zu hält und nun mit dem dün- neren Rohr in der reehten Hand auf diese Öffnung zielt. Was dabei noch an Tiefenlokalisation zu leisten wäre, kann auf jeden Fall durch das Gefühl von der Lage der linken Hand ersetzt werden, die dicht an der zutreffenden Mündung ruht. Steekt man selbst, monokular sehend, auf diese Weise ein Rohr ins andere, so findet man auch kaum eine Schwierigkeit. Diese ergibt sich jedoch sofort, wenn das diekere Rohr von der Seite her mit der Öffnung in der Medianebene und etwa in Augenhöhe horizontal gehalten wird, und zwar von einem Gehilfen. Sucht man jetzt, das eine Auge geschlossen haltend, mit dem dünneren Rohr die Öffnung zu treffen, so kommt es zu typischen Tiefenfehlern von großem Betrag; man kann z. B. leicht 5 bis ıo em hinter dem dieken Rohr vorbeisteeken. Auch in dieser Weise läßt sielh der Versuch mit »Sultan« anstellen. Jenseits eines Gitters zeigt man 6 W. Köurer: ihm das Ziel, eine Frucht, die mit keinem von zwei vorhandenen Rohren zu erreichen ist. Man verbietet ihm, das diekere Rohr selbst zu ergreifen und hält es von der Seite horizontal bis in die Medianebene seines, Kopfes, während er ruhig am Boden hockt. Die eine Hand legt man ohne Zwang auf seinen Kopf, aber so, daß er sich nicht mittels ganz grober Kopfbewegungen helfen kann, und nun gibt ihm ein Gehilfe das dünnere Rohr. Da er dieses immer mit der rechten Hand einführt, läßt man ihn auch im Versuch rechts arbeiten, hält also das diekere Rohr von links her vor sein Gesicht und gibt ihm das dünnere in die rechte Hand. »Sultan« wußte zuerst nicht recht, was man von ihm wollte; nach einigen Versuchen war er durchaus mit dem Verfahren einverstanden. Für Versuche mit einem Auge wurde eine Art Brille aus dickem Draht hergestellt: ein etwa rechteckiger Drahtrahmen liegt um die Augen und wird in dieser Lage durch einen Horizontalring (über den Schädel gelegt) und einen vertikalen Bügel (unter dem Kinn durchgeführt) bequem und ohne Druck gehalten (vgl. die Abbildung). Der Vertikalbügel läßt dem Unter- kiefer so viel Spielraum, daß das Tier kleinere Früchte leicht in den Mund führen und verzehren kann. Wird ein kleines Stück undurchsichtigen Wachs- tuches unter die linke oder rechte Hälfte des rechteckigen Rahmens gelegt, so daß es zwischen Draht und Haut sitzt, dann verhindert es die Teilnahme des betreffenden Auges am Sehakt, ohne doch dieses Auge zu belästigen; denn wegen des starken Knochenwulstes über den Schimpansenaugen kann es die Wimpern nicht berühren. — Soll ein binokularer Versuch stattfinden, so wird am besten weder die Brille noch das Stückchen Wachstuch entfernt; denn in beiden Fällen sollen die Bedingungen bis auf Ein- und Zweiäugigkeit möglichst dieselben, das Tier vor allem nicht im einen Fall mehr belästigt sein als im andern; man schiebt also das Wachstuch bei unveränderter Höhenlage so zwischen die Augen, daß es beide völlig freiläßt. Jetzt sind monokulare und binokulare Versuche in jedem außer dem zu vergleichenden Moment unter denselben Bedingungen; wollte man von Unbequemlichkeit in einem Falle sprechen — aber das Tier kümmert sich bald schlechterdings nicht um diese Vorrichtungen —, so ist sie im andern genau so vorhanden. Schon die ersten Versuche zeigten, daß das Tier sich nicht in irgend zu berück- sichtigender Weise belästigt fühlte. Den Kopf hält immer dieselbe, mit ihm sehr gut bekannte Person (W.K.), es macht auch gar keine Anstalten, sich dem leichten Druck zu entziehen. An die Brille konnte es ebenfalls sehr schnell gewöhnt werden; bisweilen wurde eine halbe Stunde lang experimentiert, ohne daß die Brille abgenommen worden wäre, und Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 1 »Sultan« faßte nicht einmal nach ihr.! Mit festgehaltenem Kopf und mit der Brille be- fördert er bei zweiäugigem Sehen das eine Rohr mit solcher Geschwindigkeit in das andere, daß wir selbst es nicht sehr viel besser machen könnten; und nur ein Zwang, der die Leistung schädigt, könnte ja Gegenstand eines Einwandes sein. Man muß eben bedenken, daß es sich um eine Tierspezies handelt, von der besonders junge männliche Exemplare sehr viel Eingehen auf den Menschen zeigen können, wenigstens so lange, als das Resultat angenehm bleibt und vermieden wird, das Tier zu langweilen. Die Versuche finden so statt, daß dem Tier zunächst beide Augen zu- gehalten werden, bis das dickere Rohr in die jeweilige, von Versuch zu Versuch etwas wechselnde Entfernung, im übrigen in die oben angegebene Lage gebracht ist. Dann werden durch Wegziehen der Hand ein Auge oder beide, je nach Lage des Wachstuches, freigegeben, und das dünnere Rohr wird der rechten Hand zugereicht. »Sultan« sucht es ohne Zögern in das diekere einzuführen. Beim binokularen Visus ist die Aufgabe fast immer sofort gelöst, nie kommt ein typischer Tiefenfehler vor; gibt es eine kleine Störung, so macht diese stets den Eindruck, als rühre sie von Ungeschick- lichkeit des Armes und der Hand her. Bei monokularem Sehen rechts wie links treten oft die typischen Tiefenfehler auf wie beim Menschen, das Tier sticht nieht selten um 5 em und mehr vorbei, kommt häufig nur durch etwas mühsames Korrigieren zum Ziel und trifft die Öffnung schnell nur in vereinzelten Fällen und offenbar zufällig. Der Unterschied ist beim Wechsel von einer Versuchsart zur andern gar nicht zu verkennen. Wir hatten allerdings den Eindruck, daß die Fehler bei monokularem Sehen um etwas geringer sind als die des Menschen beim gleichen Versuch. Das könnte daran liegen, daß beim Schimpansen das Raumsehen von Ein- und Doppelauge nicht ganz so verschiedenartig ist wie beim Menschen. Man würde allenfalls auch eine theoretische Begründung hierfür in dem Umstand finden, daß »Sultan« zur Zeit fast 2 cm geringeren Augenabstand besitzt als der Mensch im Durchschnitt, wenn er erwachsen ist; unter sonst ganz gleichen Bedingungen muß ja die Raumfunktion des Doppelauges vom Augenabstand abhängen. — Aber daraus würde sich nur eine Tatsache er- klären lassen, die gar nicht vorliegt: nämlich Annäherung der monokularen an die binokularen Leistungen infolge Minderwertigkeit der letzteren; hier ! Erleichternd wirkte vielleicht, daß die Schimpansen sich spontan gern mit allerhand Dingen behängen, einen Zweig auf dem Rücken, ein Seil um den Hals, einen Stein, eine Konservenbüchse, ein Tuch zwischen Oberschenkel und Unterleib geklemmt tragen. Der- gleichen kann man sehr häufig sehen. 8 W. Köntrer: aber handelt es sich um eine Steigerung der monokularen Leistungen im Vergleich mit denen des Menschen. Diese scheint sich unter folgenden zwei Gesichtspunkten aufzuklären: Die typischen Tiefenfehler bestehen zumeist darin, daß Mensch und Affe mit dem einen Rohr hinter dem andern vorbeistechen. »Sultan« aber hat, seinem Alter entsprechend, einen viel kürzeren Arm als wir, wird also auch in Extremfällen nicht so weit nach hinten abirren wie wir. Zweitens läßt man menschliche Versuchspersonen bei einem solehen Versuch einen festen Punkt, etwa das zu treffende Stock- ende, fixieren, und damit werden Augenbewegungen, die durchaus günstig auf die Tiefenlokalisation einzuwirken pflegen, fast ganz ausgeschlossen. Bei »Sultan« dagegen können zwar grobe Kopfbewegungen leicht, aber Augenbewegungen gar nicht verhindert werden, und natürlich führt er sie auch aus. Man kann sich selbst als Versuchsperson leicht davon über- zeugen, daß schon bei wenig bewegtem Auge (im monokularen Versuch) die Aufgabe minder schwierig wird. — Daß das Doppelauge des Schimpansen überhaupt Raumfunktion hat, geht also aus diesen Versuchen hervor, aber ob es hierin dem menschlichen irgend nachsteht oder ob das Einauge des Schimpansen etwas größere Raumleistungen vollbringt als das des Menschen, können wir nicht entscheiden. In beiden Fällen müßte die Differenz gering sein. 2. Wenn die Leistung des Einauges so viel mangelhafter ist als die des Doppelauges, und dem einäugig sehenden Tier in der Regel nur nach Korrektur eines Fehlers das Ineinanderfügen der Rohre gelingt, so muß dieses im einen Fall durchschnittlich länger dauern als im andern. Das ist in der Tat so und auch ohne wirkliche Zeitmessung zu konstatieren. Wir gingen, um objektives Beweismaterial zu gewinnen, zu Zeitmessungen mit der Fünftelsekundenuhr über. Gemessen wurde die Zeit zwischen zwei genau festgelegten Momenten, erstens dem Augenblick, in dem »Sultan« das dünnere Rohr ergreift', zweitens dem Augenblick, in welchem die äußerste Spitze des dünneren Rohres gerade ganz in der Mündung des diekeren liegt, ohne noch am Rande »anzuecken«. Dieser letztere Moment ist ebenfalls sehr genau kenntlich. Was nachher geschieht, die weitere Einführung des einen Rohres ins andere, wurde als irrelevant für unsere Fragestellung angesehen, hat auch kaum etwas mit Tiefenlokalisation zu tun. Die Zeit, die wir messen, wird natürlich außer von optischen auch von motorischen Faktoren bestimmt; diese müssen aber im Durchschnitt ! Genauer noch: Indem er die Finger der rechten Hand um das Rohr schließt. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. ie) wiederholter Versuche und für beide zu vergleichende Fälle als konstant angesehen werden. Hervorzuheben ist, daß »Sultan« mit dem eben er- griffenen dünneren Rohr sofort auf die Mündung des anderen zielt und die gemessene Zeit in allen Fällen ganz durch Tätigkeit auf das Ziel zu ausgefüllt ist. Da die Versuche auf mehrere Tage verteilt waren, mußte freilich von vornherein erwartet werden, daß diese Tätigkeit je nach Stimmung, Appetit auf die Frucht usw. bald in schnellerem, bald in langsamerem Tempo ablaufen würde. Da aber jedesmal monokulare und binokulare Versuche in gleicher Anzahl vermischt stattfanden, beeinflußte dieser Umstand beide Versuchsarten in gleicher Weise. Die Zeitlage wechselte, um den Einfluß der Ermüdung u. dgl. aufzuheben, von einer Versuchsgruppe zur andern, so daß bald binokular, bald monokular links, bald monokular rechts! zuerst experimentiert wurde usw. Die Prüfung nur eines der Einzelaugen gibt natürlich bei diesen Zeitmessungen ebensowenig beweisende Resultate, wie die Feststellung von typischen Tiefenfehlern bei nur einem der beiden Augen: arbeitet das Tier, beidäugig sehend, präzis und schnell, monokular rechts sehend, mit Tiefenfehlern und deshalb langsamer, so bleibt die Erklärungsmöglichkeit, daß das Versuchstier zufällig links scharfsichtiger ist als rechts, und daß anstatt eines scheinbaren Vergleichs von Doppelauge und Einauge nur ein solcher der beiden Einzelaugen statt- fand. Um mit Sicherheit Raumfunktion des Doppelauges zu erweisen, muß man also dessen Leistungen mit denen jedes Einzelauges vergleichen. 26 binokularen Versuchen stehen je 13 monokulare rechts und links gegenüber. Das arithmetische Mittel der Zeitmessungen bei jenen ist 2.1 sec, der monokularen rechts 3.4 und links 5.0; die Lösung der Aufgabe er- forderte monokular rechts und noch mehr links deutlich größere Zeit als binokular. Daß hier ein keineswegs zufälliges Zahlenverhältnis vorliegt, zeigt sich, wenn wir die arithmetischen Mittel für jede im Zusammenhang absolvierte Versuchsgruppe zusammenstellen: Versuchstag Mon. links Mon. rechts Binok. 26. 11.14 1.8" 27.11.14 2.2 28. 11.14 2.2 Vorm. 28. 11.14 2.5 Nachm. ! „Monokular rechts« bedeutet: das rechte Auge sieht. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. 2 10 W. Köuter: Es zeigt sich, daß innerhalb jeder einzelnen Versuchsgruppe dasselbe Zahlenverhältnis bestehen bleibt, obwohl diese Fraktionierung der Ursache bei den monokularen zu arithmetischen Mitteln von nur 3—4 Versuchen führt: schon im Durchschnitt so kleiner Gruppen braucht also das Tier monokular stets mehr Zeit als binokular'. Man kann den Unterschied der Leistungen noch deutlicher hervor- treten lassen: die Länge der in monokularen Versuchen erforderlichen Zeit ist, wenn bei ihnen ein wesentlicher Faktor des Tiefensehens fehlt, sehr vom Zufall abhängig. Auch monokular trifft »Sultan« einmal die Öffnung des dickeren Rohres schnell, ohne daß eine genaue und richtige optische Lokalisation der Grund wäre, und wirklich sind die Minimalwerte unter den einzelnen Messungen bei beiden Versuchsarten gleich ausgefallen (1.4 see.); aber der Zufall kann ebensowohl zu extremen Fehlern, sehr langen Zeiten also, und zu allen Zwischenwerten zwischen diesen und dem Minimum führen. Bei den binokularen Versuchen dagegen wird anscheinend auf die präzise Lokalisation hin eine Bewegung ausgeführt, die nur unwesentlich mit der momentanen manuellen Geschicklichkeit u. dgl. variiert. Ist also die Annahme richtig, daß das Doppelauge eine sichere Tiefenlokalisation zuläßt, deren das Einauge nicht fähig ist, so müssen wir erwarten, daß die Zeitwerte der binokularen Versuche nicht viel voneinander und damit von ihrem arithemetischen Mittel abweichen, die der monokularen dagegen, als relativ zufällig, über einen viel größeren Bereich hin verstreut und damit durchschnittlich stark vom Mittelwert verschieden sind. Das bestätigt sich. Die Maxima und Minima der gefundenen Zeiten und die mittleren Variationen sind folgende: Grenzen M.V. In diesen Zahlen kommt deutlich zum Ausdruck, wie unsicher und vom Zufall abhängig im Vergleich mit dem binokularen das Arbeiten monokular rechts wie links auch für den Schimpansen ist. ' Nicht verglichen werden dürfen die monokularen Versuche einer- und die binokularen anderseits aus verschiedenen Versuchsgruppen. Das wechselnde »Gesamttempo« verbietet es. Selbst eine solche Vergleichung ergibt übrigens. daß der höchste Durchschnittswert von binokularen Versuchen noch unter dem niedrigsten von monokularen liegt (2.5 und 2.6 sec). Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 11 Auffällig wirkt, daß überall (auch in den Durchschnittszahlen bei Fraktionierung) die monokularen Versuche rechts besser und z. T. bedeutend besser gestellt sind als links. Überlegenheit des rechten Auges über das linke bei dem Versuchsbild kann jedoch hieraus nicht gefolgert werden; da sich im rechten Auge die Öffnung des diekeren Rohres, wenn schon in sehr schräger Projektion, abbildet, bei monokularen Versuchen links dagegen die Öffnung selbst gar nicht gesehen werden kann, so müssen die Ver- suche mit freiem rechten Auge besser ausfallen als die mit dem linken. Modifikationen der Versuche, die diesen Mangel beseitigen würden, haben wir nicht vornehmen mögen, weil sie notwendig andere Ungleichheiten an Stelle der erwähnten zur Folge hätten. 3. Wir haben die Raumfunktion des Doppelauges noch auf andrem Wege geprüft, und zwar mit Hilfe des Heringschen Fallversuches, der freilich für den Schimpansen etwas modifiziert werden mußte. E. Hering weist beim Menschen das binokulare Tiefensehen auf folgende Weise nach: die Versuchsperson blickt durch ein Diaphragma hindurch, jenseits von welchem nur ein Fixationspunkt und ein homogener Hintergrund sichtbar sind. Der Fixationspunkt befindet sich etwa halbwegs zwischen Diaphragma und Hintergrund. Nun läßt man, während die Versuchsperson sorgfältig die Fixation festhält, kleine Kugeln seitlich vor oder seitlich hinter! dem Tv Th je nn H | | IF | D D=Diaphragma F=Fixationspunkt H=Hintergrund Tv und TA= Türen zum vorderen und hinteren Fallraum. Fixationspunkt herabfallen. Die Versuchsperson hat anzugeben, ob die Kugel diesseits oder jenseits (der Ebene) des Fixationspunktes fällt. Wenn das Kügelehen weder vor noch nach dem Fall siehtbar ist, sondern nur während des Falles durch den vom Diaphragma freigelassenen Gesichts- feldausschnitt, so läßt der Versuch bei der Geschwindigkeit des Falles eine ! Nicht gerade vor oder hinter dem Fixationspunkt. weil die damit gegebene Über- schneidung ein indirektes Kriterium abgeben würde. 2* 12 W. Könuter: wesentliche Hilfe von Augenbewegungen nicht zu; ebenso sind » empirische Hilfen«, wie z. B. Überschneidung, bei dieser Anordnung ausgeschaltet; akustische Lokalisation nach dem Auffallen der Kügelchen verhindert eine weiche Bodenbedeckung. Das Verhältnis der richtigen Lokalisationen bei binokularem zu denen bei monokularem Sehen gibt ein Maß der Tiefen- lokalisation des Doppelauges. Für den Schimpansen sind zunächst folgende Modifikationen der An- ordnung erforderlich: da er nicht sprechen kann, muß er an dem fallen- den Gegenstand interessiert werden, so daß er ihn nach dem Fall sich anzueignen sucht und damit die Lokalisation verrät. Trennen wir den Raum zwischen Diaphragma und Fixationsebene von dem zwischen Fixationsebene und Hintergrund derart, daß vom Diaphragma aus der Durchblick bis zum Hintergrund gewahrt bleibt, das Tier aber nicht vom einen Raum in den andern gelangen kann, umgeben wir ferner beide Räume mit einer Wand, die nur nach Öffnung von Türen — einer für den vorderen, einer für den hinteren Raum — Einblick und Eintritt gestattet, so braucht das kluge Tier diese Anordnung nur gut kennen zu lernen, um durch Öffnen der einen oder anderen Tür zu zeigen, wie es lokalisiert hat. Die Wand mit dem Diaphragma und die eine Längswand bestehen aus Holz, die Längswand mit den beiden Türen, sowie die Hinterwand (Hinter- grund) aus Wachstuch, welches mit der »verkehrten« weißen Seite nach innen über Holzrahmen gespannt ist; die Türen sind von oben herabhängende Wachstuchklappen von größerer Breite als die Türöffnungen, die keinen Ein- blick zulassen, ehe man sie emporhebt. Als durchsichtige, aber unpassier- bare Wand in der Fixationsebene verwandten wir ein Netz aus silbergrauem, feinem Draht von etwa ı!/; cm Maschenweite. Sand- und später Zement- boden gab uns keine akustischen Hilfen, wenn — wie bei »Sultan« — Wein- beeren als fallende Gegenstände benutzt wurden. Oben blieben beide Räume völlig offen, so daß sie hell beleuchtet waren (diffuses Tageslicht) ; die Seiten- wände reichten (mit ı m Höhe) beträchtlich über »Sultans« Augenhöhe hin- aus. Das Diaphragma, ein kurzer Holzschacht von rechteekigem Querschnitt, den wir mit schwarzem Papier ausklebten, damit die Aufmerksamkeit des Tieres hier nieht unerwünschten Anhalt finde, war in der Vorderwand etwa 45 em hoch angebracht. »Sultan«, der in gewohnter Weise am Boden hockte, hatte es gerade in Augenhöhe vor sich und konnte so das Draht- netz in der Mitte, hinten den gleichmäßig weißen Wachstuchhintergrund. Optische Untersuchungen am: Schimpansen und am Haushuhn. 13 aber nichts vom Boden sehen. — Ein Horizontalschnitt durch die Anord- nung in Höhe des Diaphragmas ergibt ein Rechteck, wie es die Skizze zeigt: die wirklichen Maße sind 2 m für die Längs- und ı m für die Schmalseiten. Versuche am Schimpansen mit einer solehen Anordnung setzen voraus, daß das Tier auf die Wünsche des Versuchsleiters eingeht. Wir haben u. a. folgende Erfahrungen hierüber gemacht: Mit Gewalt ist ein Eingehen auf derartige Versuche nicht zu erzielen. Vor allem ist Geduld erforderlich; die unsere wurde oft bis zur Grenze beansprucht; aber wenn das Tier nicht begreift!, um was es sich.handelt, und dauernd nur gelangweilt ist, so wird man es durch Zwang nur quälen und wenig erreichen. Hat das Tier dagegen einmal erfaßt, was es tun soll, und sonst schon entsprechend gehandelt, so ist bei späteren Fällen von grober Unaufmerksamkeit und Trägheit eine etwas scharfe Behandlung wohl am Platze. Nur muß darüber, ob solche Fehler vorliegen, nieht nach den Resultaten der Versuche, sondern nach dem ganzen Verhalten des Tieres entschieden werden. Denn bisweilen findet man bei dauernd schlechten (d.h. in sich unstimmigen) Ergebnissen schließlich, daß die Versuchsanordnung nicht ganz einwandfrei ist, und auch wo diese Erklärung nicht zutrifft, kann man bei sorg- fältiger Beobachtung des Tieres oft nicht umhin, seinen Eifer anzuerkennen, während doch die Leistungen ungewöhnlich schlecht sind. Da können dann die verschiedensten Einflüsse, z. B. ein zufälliges Abkommen von der gewohnten Verhaltungsweise, wirksam sein. Einmal entdeckten wir, als »Sultans« Leistungen gleich Null waren, hinterdrein ein arges Zahn- geschwür, und als allgemeine Regel kann gelten, daß ein Experimentieren nutzlos ist, wenn der Schimpanse Schnupfen hat. Schließlich erwies es sich gerade bei Versuchen mit »Sultan« als unbedingt erforderlich, daß der Wärter, dessen Liebling er ist, außer Seh- und Hörweite blieb; andernfalls war die Aufmerksamkeit. die für den Versuch übrigblieb, verschwindend, und besonders liebte es »Sultan«, wenn er vorher eifrig und gut gearbeitet hatte, sobald der Wärter hinzukam, mit kläglichem Schreien fort und ihm um den Hals zu stürzen, als ob wir ihn eben hätten foltern wollen — genau wie ein Kind, das sich in der Rolle des Be- „mitleideten gefallen möchte. — Diese und die weiterhin mitzuteilenden Versuche haben den Vorzug, daß sie in Europa an Schimpansen zoologischer Gärten nachgeprüft werden können — nicht in demselben Maße Intelligenzprüfungen, da jene europäischen Tiere in der Regel schon allerhand Dressuren hinter sich haben; gerade weil für diese rein optischen Versuche jene Möglichkeit besteht, mußten wir darauf hinweisen, daß auch Schwierigkeiten dabei zu über- winden sind, daß ohne Vertrautheit mit dem Versuchstier wenig zu erreichen und das Ex- perimentieren mit dem Schimpansen in mancher Hinsicht ungleich anstrengender ist als mit niedrigerstehenden Tierarten; die größere Intelligenz ist bei dem Anthropoiden oft mit häß- lichen, oder wenigstens mit recht störenden Eigenschaften verbunden. Das Tier muß zunächst lernen, welcher Zusammenhang zwischen den beiden Türen und der Trennungswand besteht; es wird deshalb ans Dia- phragma geführt und veranlaßt, hineinzusehen: in jedem Raum hockt ein ! Wir meinen mit diesem Wort nur die jedermann (auch dem Assoziationspsychologen) geläufige Erfassung eines Zusammenhanges, die z. B. einem Beweis der theoretischen Physik gegenüber entweder stattfinden oder ausbleiben kann. Trotz der verbreiteten gegenteiligen Meinung kommt der Art nach Ähnliches unzweifelhaft beim Schimpansen vor, wenn schon auf einfachste Zusammenhänge beschränkt. 14 W. Könrer: Gehilfe, einer von ihnen hält eine Frucht in das Gesichtsfeld; »Sultan« darf sie sich holen, bekommt sie aber nur, wenn er zur Tür des richtigen Raumes hineingeht, und lernt das schnell. Auch wenn die Frucht, während er hineinsieht, durchs Gesichtsfeld bewegt wird, vermag er zu lokalisieren, aber sobald sie nur fallend im Gesichtsfeld auftritt, ist er offenbar jedes- mal ratlos. Entweder also vermag er während des schnellen Falles über- haupt nicht zu lokalisieren, oder die Fixation des trennenden Gitters, auf die er nicht von selbst verfallen dürfte, ist durchaus erforderlich. Steckt man in das Gitter ihm gegenüber eine kleine Frucht, so läßt sich fest- IN = Drahtnetz mit offener Masche unten. D= Spanndrähte. stellen, daß er sie zeitweise fixiert; dagegen übersteigt es seine Kräfte ent- schieden, wenn er zugleich den Fall einer andern Frucht beachten soll; wenn er diesen erwartet, ist es umgekehrt mit der Fixation vorbei. Danach mußten Fixationspunkt und fallendes Objekt vereinigt werden, d.h. die fixierte Frucht mußte selbst nach hinten oder vorn aus dem Gitter heraus und zu Boden fallen. Durch einen kurzen Schlag gegen das Gitter außer- halb von »Sultans« Gesichtsfeld war das leicht zu erreichen. Steckt man in eine Masche mitten im Drahtnetz eine Weinbeere, so fliegt sie auf den Schlag hin, je nach dessen Intensität in kürzerem oder längerem Bogen, gerade nach hinten oder vorn und auf den Boden. Da jedoch zu befürchten war, daß man schon vor dem Schlag an der Lage der Weinbeere erkennen könnte, nach welcher Richtung sie abgeschossen werden würde, so wurde das Drahtnetz entfernt und nur ein kleines Stück übriggelassen, welches vier diagonal gespannte starke Drähte etwas über der Mitte des Gesichts- feldes festhielten; an der unteren Kante des Netzstückes war die mittlere Masche nach unten aufgeschnitten, so daß zwei Spitzen dünnen Drahtes nach unten standen; auf diese wurde die Weinbeere aufgespießt; damit Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 15 war zugleich streng vermieden, daß die Beere an irgend etwas außer dem homogenen Hintergrund vorbeifiel. Das Abschießen (durch Schlag an einen der spannenden Drähte außerhalb des Gesichtsfeldes) gelang auch mit dieser Vorrichtung vortrefflich. — Daß die Absperrung eines Fallraumes vom andern auf diese Weise nur noch angedeutet war, bedeutete keine Störung; »Sultan« war durch die vorausgehenden Versuche mit vollständigem Drahtnetz so gut ein- gewöhnt, daß er nur zwei- oder dreimal bei Fehlern aus einem Raum in den andern zu kriechen suchte und durch ein Verbot leicht davon abzubringen war. Für menschliche Versuchspersonen ergeben sich bei Versuchen mit dieser Anordnung folgende Beobachtungen: Bei binokularem Sehen und einiger Auf- merksamkeit ist die Frage: Fall nach vorn oder hinten? stets leicht zu beant- worten; der Eindruck der Bewegung nach dem Hintergrund oder vor die Ebene der Fixation ist sinnfällig und zwingend, eine Schätzung der Fall- weite gibt objektiv recht gut stimmende Resultate. Die kleine Bewegung des Drahtnetzstückes durch den Schlag wird meist gar nicht gesehen; die Richtung des Schlages auf diese Art zu erkennen, ist ganz unmöglich, da die Er- schütterung nur als schwaches Vibrieren um die Gleichgewichtslage und ohne Richtung gesehen wird'. — Vorn am Diaphragma befinden sich seitlich zwei Schieber; geht man zu monokularen Versuchen über, indem man die Schieber einander nähert, so tritt ein frappanter Wechsel des Eindruckes auf: von einem unmittelbaren und deutlichen Tiefeneindruck kann keine Rede mehr sein, das Urteil kommt infolgedessen nur sehr verlangsamt zu- stande und ist häufig falsch; der geübteste Beobachter von uns konnte mehrmals konstatieren, daß in der primären Erinnerung an den Fall optisch ein Umschlagen der Lokalisation (Inversion) auftrat; übereinstimmend fand sich bei allen, daß die Fallweiten stark unterschätzt wurden. Da wir Europäer und in derartigen Versuchen Geübten indessen mit der Zeit irgend- ein Kriterium gewannen, welches uns erlaubte, bei hinreichender Anspannung die Fehlerzahl deutlich zu vermindern, ohne daß doch ein sinnfälliger Tiefeneindruck wie in binokularen Versuchen zugrunde lag, so prüften wir den Wert der Anordnung durch Versuche mit dem Wärter, einem intelligenten Insulaner. Dieser machte alle binokularen Versuche (15) richtig, von ı ı mono- kularen rechts fielen 7, von ebensovielen links 4 falsch aus, d. h. monokular im ganzen gerade 50 Prozent. Das von uns benutzte Kriterium besteht also nur für geübte Beobachter; für den Schimpansen kommt es sicher nicht in Betracht. ' Ähnlich wie bei einer gespannten Schnur, die angezupft wird. gesp 16 W. Könver: Wir können nicht angeben, welcher Art jenes Kriterium war; möglicherweise wirkte hier ein ähnlicher Umstand mit wie in bekannten Versuchen von Hillebrand. Wird durch ein Diaphragma hindurch gegen eine schwarze Scheibe gesehen, deren völlig glatte Kante mitten durch das Gesichtsfeld schneidet und sich von einem homogenen weißen Hintergrund abhebt, so sind bei einäugiger Betrachtung langsame Verschiebungen der Scheibe (Kante) auf den Beschauer zu oder von ihm fort, nicht erkennbar; sobald aber die Verschiebung sehr schnell geschieht, wird die Bewegungsrichtung erkannt. Auch bei unserer Anordnung verschiebt sich im ersten Teil des Falles die Weinbeere schnell auf den Beobachter zu oder von ihm fort, so daß ein Erkennen der Richtung auf ähnliche Weise wie dort zustande kommen mag. Ob dabei Impulse für den Akkommodationsmechanismus eine Rolle spielen, kann dahingestellt bleiben!. Die Lokalisation bleibt jedenfalls immer unsicher im Vergleich mit dem mühelosen binokularen Tiefensehen. »Sultans« Kopf wurde für die Versuchsmomente leicht gehalten, so daß er ihn nicht gerade im entscheidenden Augenblick zur Seite wenden konnte; unter diesen Umständen fixiert er das einzige Ding von Interesse im Gesichts- feld, nämlich die Weinbeere, wenn nicht dauernd, so doch immer wieder für einige Momente. Wenn er sie fixiert, kann der neben ihm knieende Beobachter von der Seite aus recht gut erkennen, und sobald der Augapfel des Tieres in einer bestimmten charakteristischen Art und Stellung zur Ruhe kommt, wird ein leises Signal gegeben und von einem Gehilfen die Weinbeere abgeschossen. »Sultan« läuft nun entweder schnell und sicher zu einer der Türen oder mit einigem Zögern und unter Kratzen des Kopfes, das nicht allein sehr menschlich aussieht, sondern auch (wie beim Menschen) mit einem un- sicheren Verhalten im übrigen zusammenfällt. Im zweiten Falle hat er offen- bar die Fallrichtung nicht deutlich erkannt, und wirklich gibt es dann oft Fehler. Für monokulare Versuche wurde das Diaphragma seitlich verengert, also nicht mit der Brille gearbeitet. Kleine Gruppen von binokularen und monokularen Versuchen links und rechts wechselten in jeder Versuchsreihe miteinander ab und zwar so, daß Ermüdung keinen Einfluß auf die Ergebnisse haben konnte. 150 Versuche im ganzen (75 binokulare und 75 monokulare) waren auf 6 Versuchstage verteilt. Das Resultat ist folgendes: Art der Versuche Binokular er ee Monokular ............. 35 46.7°/o Mon-Mrechts@ ne eraen 15 41.7°/o MontlinkstA HEHE 20 51.300 ! Zu solchen gibt aus leicht ersichtlichen Gründen die Weinbeere noch mehr Anlaß als die Scheibenkante, die durchs ganze Gesichtsfeld schneidet. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 17 Danach hat sich auch in diesen Versuchen die Raumfunktion des Doppel- auges beim Schimpansen klar herausgestellt, die Einzelaugen dagegen zeigen sich so gut wie ganz unfähig, unter solehen Bedingungen nach der Tiefen- dimension zu lokalisieren: könnte dem rechten Einzelauge noch eine Spur von Leistungsfähigkeit zugeschrieben werden, so sind die Ergebnisse links nach diesen Zahlen ganz vom Zufall bestimmt. Kleine Korrekturen, die man an den Zahlenresultaten noch vornehmen kann, ändern an diesem Ergebnis nichts. Erstens nämlich ist unter den Ver- suchen eine nicht ganz gleichwertige Gruppe: an einem Tage wurde die Kontrolle der Fixation (vgl. 0.) unterlassen, und die Folge war, wie wir er- warteten, eine Vermehrung der Fehler bei den binokularen Versuchen; läßt man diese Gruppe fort, so sind von den übrigbleibenden binokularen Ver- suchen nur 10.3 Prozent falsch, also fast 90 Prozent richtig; die Resultate der monokularen Versuche verschieben sich wenig: statt 46.7 Prozent Fehler sind es 48.1 Prozent. — Bei monokularen Versuchen mit menschlichen Ver- suchspersonen tritt zweitens eine starke Tendenz nach dem Urteil »vorn« auf, so daß Versuche, bei denen die Beere nach hinten fällt, relativ häufig falsch werden. Ganz dasselbe Verhalten zeigt sich beim Schimpansen, hier aber auch in den binokularen Versuchen. In 75 binokularen Versuchen fiel die Beere 4ı mal nach vorn, 34 mal nach hinten, in den monokularen sind die entsprechenden Zahlen 35 und 40. Nach diesem Gesichtspunkt gruppiert, waren die Ergebnisse: Binokular Monokular ı. f: 5= 12.2 /o Vorn £ F:13= 317-1 Ne r:36= 87.8 /o Nr:22=62.9 0/0 Hinten @ - = Ss 5 fr Hinten < 2 ; = br Binokular wie monokular sind also mehr Fehler gemacht, wenn die Beere nach hinten fiel. Man muß aber berücksichtigen, daß bei Versuchen am Schimpansen noch ein Faktor in dieser Richtung wirkt, der beim Menschen fehlt. Der Schimpanse wird, auch wenn er optisch (etwa wegen Unauf- merksamkeit oder schlechter Fixation) unsicher geblieben ist, optisch also keinen Anlaß hat, die vordere Tür zu bevorzugen, doch leicht in diese hinein- gehen, weil es eben die erste ist, zu der er kommt, und dieser Faktor wird auch bei binokularen Versuchen wirksam werden. — Da nun nach der letzten Tabelle die Entscheidung für den vorderen Fallraum unter sonst gleichen Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. . 3 18 W. Könter: Umständen näherliegt, sind die binokularen Versuche vor den monokularen im Vorteil infolge ungleicher Verteilung der einzelnen Versuche auf die beiden Fallräume. Will man das berücksichtigen, so hat man nicht die Gesamt- prozente der binokularen und der monokularen Versuche, sondern die Mittel- werte der Prozentzahlen für vorn und hinten in beiden Versuchsarten ein- ander gegenüberzustellen. Die hierbei entstehende Verschiebung ist jedoch ganz gering: binokular 16.4 statt 16 Prozent, monokular 46.1 statt 46.7 Prozent Fehler. — Wird endlich jene nieht ganz gleichwertige Versuchs- gruppe ausgeschaltet und zugleich die zweite Korrektur vorgenommen, so ergibt sich, daß in den binokularen Versuchen 10.1 Prozent und in den monokularen 49.6 Prozent Fehler gemacht wurden. »Sultan« hat auch bei binokularem Sehen Fehler gemacht. Da Fixation und Aufmerksamkeit nicht entfernt so stabil sind wie bei einem erwachsenen Menschen, der sich Mühe gibt, so gehen sehr variable Versuchsbedingungen im Tier außer der Eignung seines Doppelauges zur Tiefenlokalisation in die Versuche ein. Diese genügen vielleicht allein zur Erklärung jener Fehler. Die binokularen Versuche waren nicht etwa durch weitere Fallräume begünstigt. In welcher Distanz die Beere den Boden berührte, wurde auf seitlich angebrachten Maßstäben abgelesen und notiert; die binokularen Versuche waren danach eher schleehter gestellt als die monokularen. Auf den Distanzbereich von Io cm (untere Grenze) bis 25 cm, in dem das Erkennen besonders schwierig sein könnte, entfallen 16 binokulare und 15 monokulare Versuche (Fehlerzahlen: 2 und 9). Im allgemeinen zeigt sich überhaupt kein Zusammen- hang zwischen Fehlerzahl und Fallweite. Das dürfte an folgendem liegen: Unter den an- gegebenen Versuchsbedingungen ist mit ro cm Fallstrecke offenbar noch nicht die untere Grenze erreicht, jenseits deren auch das binokulare Erkennen schwierig wird, oberhalb von ıo em Distanz sollte wohl auch der Schimpanse jeden binokularen Versuch richtig machen können, wenn er nur scharf aufmerkte. Aber er begeht seine Fehler eben kaum aus optischen Gründen im engeren Sinn, sondern aus Unaufmerksamkeit und damit etwa ebenso leicht bei go wie bei ro em Falldistanz. Wenn er anderseits in monokularen Versuchen kaum über ein Raten hinauskommt, so ist es wieder einerlei, wie weit die Beere fällt: seine Ent- scheidung hängt bei großen wie bei kleinen Distanzen von Zufälligkeiten ab. B. Über die Sehgrößen des Schimpansen. Die lichtbrechenden Medien des Auges entwerfen auf dessen Hinter- grund Bilder, über deren Größen im Verhältnis zu denen der abgebildeten Gegenstände einfache Sätze der geometrischen Optik Aufschluß geben. Ist der Blick geradeaus auf eine Wand gerichtet, so müssen sich die einzelnen Teile (Bilder, Rahmen, Muster usw.) auf der Netzhaut in denselben Größen- Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 19 verhältnissen abbilden, die jenen Teilen selbst zukommen', und wenn dem Auge gegenüber eine Irisblende aufgestellt und ihr nacheinander die Öffnungs- weite I und 4 em gegeben wird, so müssen auch die Flächeninhalte der zugehörigen Netzhautbilder sich verhalten wie 1:4. — Werden dagegen zwei nicht zu lange Strecken, die a und db em lang sind, aus verschiedenen Entfernungen betrachtet, so ist das Verhältnis der zugehörigen Netzhaut- bilder Eu wenn im einen Fall m, im andern » den Abstand des Auges vonder Strecke bedeutet. Die Flächen der Netzhautbilder von zwei ebenen Figuren in verschiedener Entfernung verhalten sich danach wie = : =; wenn F, und F, die Flächeninhalte der Figuren selbst sind” °. ı Betrachten wir ein und dasselbe Stück Papier an der Wand (F, = F,) einmal aus 20 cm und dann aus 2 m Entfernung, so verhalten sieh die linearen Dimensionen der Bilder im Auge wie 1: Io und die Flächeninhalte wie 1:100. Wäre also die Sehgröße (d. i. die phänomenale oder Bewußt- seinsgröße des Blattes) der Größe der Netzhautbilder gewissermaßen pro- portional, so müßten wir beim Zurücktreten aus 20 cm in 2 m Entfernung das Blatt auf ! / ı00 Seiner anfänglichen Größe zusammenschrumpfen sehen, d.h. in der größeren Entfernung denselben Größeneindruck haben, als würde uns in der konstanten Entfernung von 20 cm %/ıoo des Papiers fortge- schnitten und nur !/ıoo (von gleicher Gestalt) übriggelassen. Ein Mensch, der uns auf der Straße entgegenkommt, würde seine Ausdehnung auf das ı6fache steigern, 4mal so groß und 4mal so breit erscheinen, wenn sich die Distanz von S m auf 2 m verringert, und schon eine Bewegung des Armes aus extremer Streckung nach vorn bis zur Einbiegung in einen rechten Winkel zwischen Ober- und Unterarm würde für das Auge den erhobenen Zeigefinger auf das Doppelte an Länge und Dicke anschwellen lassen. Es leuchtet ein, daß ein Sehen dieser Art recht unvorteilhaft wäre. Für alle Dinge um uns besteht, wenn wir sie leicht als dieselben wiedererkennen und verwenden sollen, die praktische Bedingung, daß sie innerhalb gewisser Grenzen auch als dieselben erscheinen. Nun sind die Dinge unserer Um- gebunge in einem hohen Ausmaß Sehdinge für uns, ihre Eigenschaften zu ! Das gilt wenigstens für die Teile der Wand, die sich nicht allzu peripher abbilden. 2 Die Flächen sollen dem Auge gerade gegenüber oder wenigstens nicht ver- schieden schräg stehen. 3 Akkommodationswechsel modifiziert die Größenverhältnisse nieht in hier zu berück- sichtigender Weise. 3* 20 W. Könrer: einem großen Teil optische Qualitäten des Gesichtsraumes; es wird also praktische Bedingung sein, daß — wieder in bestimmten Grenzen — diese Sehdinge konstante Qualitäten besitzen; in bestimmten Grenzen: denn sofern objektiv relevante Änderungen eines Dinges stattfinden, besteht umgekehrt die praktische Forderung, daß nach Möglichkeit auch korrespondierende Änderungen im Gesichtsfelde erfolgen, wie das in der Tat der Fall zu sein pflegt. Wo aber eine Änderung im Gesichtsfelde, die an sich nach der Optik des peripheren Auges möglich wäre, objektiv irrelevanten Verhältnissen entspränge, da könnte sie unsere Orientierung nur beirren und müßte die Umgebung variabler machen, als biologisch gut wäre. — In unserem Falle ist die Variation der Netzhautbilder unter sonst gleichen Umständen um- gekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung, etwas Irrelevantes gegen- über den Objekten, sie steht — sobald die verschiedenen Entfernungen direkt- erkannt werden — in keiner Beziehung zu irgendwelchen Modifikationen an den Gegenständen, und deshalb würde ein Variieren der Sehgrößen ge- mäß dem der Netzhautbilder den Menschen durch unaufhörliche Verände- rungen der gesamten Umgebung nur stören. In der Tat ist unser Gesichtsfeld von solchen Variationen im allge- meinen frei: Das Papier in 2o cm und 2m Abstand, der Passant auf der Straße, der sich von 8m auf 2m nähert, der Zeigefinger, dessen Distanz sich im Verhältnis 2 : ı verkleinert, erscheinen keineswegs verkleinert und vergrößert, wie es die Netzhautbilder wirklich sind, sondern bleiben ihrem Größeneindruck nach von solchen Distanzänderungen fast unberührt, d. h. angenähert gleich groß‘. Hier besteht also eine ganz enorme Diskrepanz zwischen der Erscheinungsweise unserer Umgebung und dem, was man bei Betrachtung nur der äußeren optischen Konstellation mit Bestimmtheit vor- aussagen möchte. Und dieser Unterschied ist um so wichtiger, als es sich nieht etwa um eine Erscheinung handelt, die nur im Versuch einmal vor- geführt werden kann, sondern um eine Tatsache, die ganz allgemein und fortwährend unser Größensehen in der näheren Umgebung so bestimmt, als würden die Größenvariationen, welche die wechselnde Entfernung der Gegenstände an den Netzhautbildern bedingt, durch einen Korrektions- apparat hinterdrein wieder aufgehoben. ! Bei großen Entfernungen wird es anders; dann sehen wir (z. B. von einem Turm oder fern am Horizont) die Dinge sehr viel kleiner als in der Nähe. Aber so ferne Dinge sind ja biologisch auch viel weniger wichtig. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 21 Folgende Ansichten über diese Erscheinung sind ausgesprochen worden: ı. Es handelt sich um einen bloßen Schein; in Wirklichkeit ent- sprechen die Sehgrößen bei verschiedener Entfernung der Gegenstände etwa den Verhältnissen, wie sie durch die Abbildung im Auge gegeben sind. Es kommt aber zum Sehen ein Beurteilen des Gesehenen hinzu, und dieses legt auf Grund von Erfahrungen dem Gesehenen eine etwa konstante Größe bei, die wir zu sehen meinen, während wir sie dem Gegenstand nur anurteilen, und insofern ist das Ganze eine — wenn auch vorteilhafte — grobe Täuschung. Diese Ansicht genießt auch unter Psychologen hier und da noch Anerkennung. 2. Wir sehen wirklich die Größen von Gegenständen in verschiedener Entfernung einigermaßen konstant und jedenfalls stark abweichend von den Verhältnissen der Netzhautabbildung; aber wir haben nicht immer so ge- sehen; das Kind sieht vermutlich in seiner ersten Lebenszeit netzhaut- mäßige Größen, und nur gehäufte Erfahrungen darüber, wie ein erst von ferne gesehener Gegenstand sich nachher in der Nähe ausnimmt, vielleicht auch taktile und motorische Erfahrungen hinterlassen Spuren, dureh deren Mitwirken bei künftigem Sehen das Gesehene modifiziert, und zwar der Seh- größe nach von der Entfernung relativ unabhäng gemacht wird. — Viele Psychologen sind von der ersten zu dieser Anschauung übergegangen. Auf welehe Weise die Erfahrungsspuren die Sehgröße ändern, darüber ist uns keine Theorie bekannt. 3. Daß die Sehgrößen sich in der beschriebenen Weise verhalten, ist Tatsache. Aber mit individueller Erfahrung hat das wenig oder gar nichts zu tun, zum mindesten, solange von dem Menschen der Gegenwart die Rede ist!. In der Rassengeschichte könnten entweder die Vorteile eines solehen Sehens nach den Hypothesen einer der Entwicklungstheorien das Ausschlaggebende gewesen sein, oder auch: es hat niemals eine » Korrektur um des Vorteils willen« stattgefunden, sondern in der menschlichen Ahnen- reihe entstand aus rein entwieklungsmechanischen Gründen. die mit dem Vorteil nichts zu tun haben, irgendwann dieses allerdings vorteilhafte ' Wie Kinder Größen in verschiedener Entfernung sehen, ist in naher Analogie zu den weiterhin mitgeteilten Versuchen experimentell festzustellen, wohl ehe sie noch 3/, Jahr alt sind. Sollte das Sehen erst später in dieser Hinsicht dem des Erwachsenen gleich werden, so könnte das übrigens ebensogut an der Ausreifung des Nervensystems wie am Erfahrungseintluß liegen. 22 W. Könrer: Größensehen, das relativ unabhängig ist von den Größenverhältnissen auf der Netzhaut. Auf welcher Stufe das geschah, könnte nur der Versuch bestimmen. An sich wäre denkbar, daß alle Tiere, die überhaupt Dinge und Größen von Dingen sehen, die besprochene Erscheinung in irgend- einem Grade aufweisen. Auch abgesehen von diesen theoretischen Problemen wäre eine Antwort auf die Frage erwünscht, ob einem uns so nahestehenden Tier wie dem Schimpansen die Dinge, die er in verschiedenen Entfernungen erblickt, in netzhautgemäßen Größenverhältnissen erscheinen oder etwa so konstant wie uns. Zur Entscheidung dieser Frage bieten sich zwei Verfahren dar: a) Man sucht den Schimpansen auf eine Wahl zwischen zwei Gegen- ständen zu dressieren, die sich nur dureh ihre Größe unterscheiden; nur der größere etwa darf gewählt werden. Die beiden Gegenstände haben bei der Dressur ungleichen Abstand vom Auge, und zwar ist der größere in der Hälfte der Übungsversuche so weit entfernt, daß er sich kleiner im Auge abbildet als der näherstehende objektiv kleinere; in der andern Hälfte bildet er sich größer ab als der kleine. Kommt unter diesen Umständen eine Dressur zustande oder nicht? Wenn der Schimpanse netzhautgemäß sieht, sollte man dauerndes Fehlschlagen der Dressurversuche erwarten; denn von den Erfahrungen, die das Tier dabei macht, müßte ja eine Hälfte die Wirkung der andern aufheben, das Tier würde ebenso stark auf den größer wie auf den kleiner abgebildeten Gegenstand dressiert. Wenn aber ein Sehen analog dem des Menschen vorliegt, so würde sich das Sehgrößenverhältnis in beiden Versuchsarten nicht ändern, der objektiv größere Gegenstand würde dem Tiere auch dann als der größere erscheinen, wenn das Verhältnis der Netzhautbilder gegen das der Gegenstände verkehrt wäre, und diese ein- sinnige Dressur müßte bald zum Abschluß zu bringen sein. b) Das zu untersuchende Tier wird ebenfalls darauf dressiert, etwa den größeren von zwei sonst gleichen Gegenständen zu wählen. Aber diese Dressur findet so statt, daß dabei der objektiv größere Gegenstand stets auch das größere Netzhautbild gibt. Diese Dressur, die selbst gar keinen Hinweis auf die gesuchte Entscheidung bietet, muß gelingen, ob nun das Tier Sehgrößen wie wir oder ob es Größen netzhautgemäß sieht. Wenn aber die Dressur weit fortgeschritten ist und der Schimpanse mit großer Sicherheit immer denselben (den größeren) Gegenstand wählt, dann werden die Distanzen der beiden Gegenstände stark variiert und z.B. der Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 23 größere in einer Reihe von Fällen so weit entfernt, daß er ein kleineres Netzhautbild gibt als der objektiv kleinere: es fragt sich, wie in diesen »kritischen« Versuchen die Entscheidung des Tieres ausfallen wird, von dem man weiß, daß es den ihm größer erscheinenden Gegenstand wählt!. Die zweite Versuchsart wählten wir, obwohl sie recht hohe An- forderungen an das Tier stellt: Sollte es Größen wie wir sehen, so be- deutet doch eine sprungartige Veränderung der Umstände (der Übergang zu großem Entfernungsunterschied der beiden Gegenstände) genügenden Anlaß zu einer Verwirrung, die jenen Tatbestand verschleiern könnte. Indessen läßt sich die Schärfe des Überganges zu den »kritischen« Ver- suchen ohne Gefährdung der Beweiskraft ein wenig mildern. Wir nennen im folgenden diejenigen Versuche »kritisch«, in denen das Verhältnis der Bildgrößen im Auge gegen das der Gegenstände ver- kehrt ist, »leicht« diejenigen, in denen der Entfernungsunterschied gerade entgegengesetzt dahin wirkt, das Bild des größeren Gegenstandes noch zu vergrößern (in denen also dieser näher steht als der kleinere); Ver- suchsgruppen, in denen beide Versuchsarten gemischt auftreten, sollen »Hauptversuche« heißen, und die vorbereitenden Reihen »Dressur-« oder » Lernversuche«. Die Ausführung konnte zunächst etwas primitiv bleiben, solange es sich um den ersten Teil der Aufgabe, die reine Dressur, handelte: Das Tier sitzt hinter einem starken Eisengitter, dessen vertikale Stäbe ihm reichlich Raum lassen, die Arme zwischen ihnen hindurchzusteeken und den Ausblick nicht behindern. Jenseits des Gitters draußen werden zwei gleichgebaute Kistchen aus Holz in gleichem Abstand und symmetrisch zum Tier, 10 bis 20 cm voneinander entfernt auf‘ den Boden gesetzt. Beide tragen auf der dem Tier zugekehrten Schmalseite ein rechteckiges Brett, das ausgewechselt werden kann und dessen Befestigung vom Tiere aus nicht sichtbar ist; das ist in jedem Fall größer als die Schmalseite des Kastens; beiderseits hat es gleiche Proportionen (gleiches Seiten- verhältnis), aber das eine Brett ist deutlich größer in seinen absoluten Abmessungen als das andere. Stets enthält der Kasten mit dem größeren ! Eine dritte Versuchsart, die Umkehrung von b kam für uns aus technischen Gründen nicht in Betracht: man könnte das Tier bei kritischer Stellung der Kasten dressieren und nachher prüfen, welchen Kasten es wählt, wenn beide gleich weit entfernt sind. 24 W. Köster: Frontbrett (kurz: der größere Kasten) beliebte Nahrung (Fruchtstücke), der kleinere bleibt leer. Das Innere der oben offenen Kasten ist dem Tier wegen der Höhe der Wände und besonders des Frontbrettes völlig un- sichtbar, für die Wahl zwischen beiden ist es ganz auf‘ die Frontbretter angewiesen. Die Kasten stehen immer so weit entfernt (bei der Dressur zunächst etwa 60 cm vom Gitter), daß sie das Tier nur mit Hilfe eines Stockes heranholen kann; alle Tiere kennen seit geraumer Zeit den Ge- brauch des Stockes in solehen Fällen, nur eins der hier untersuchten ist noch ein wenig ungewandt in seiner Handhabung. Die Bretter selbst be- stehen aus ungestrichenem Holz; um die Wirkung unerwünschter Merk- male, wie Maserung u. dgl., völlig auszuschalten, werden sie mit einem diehten Überzug von weißer Tonerde bestrichen, der leieht erneuert werden kann. Ferner können die Bretter durch gleich große neue ersetzt werden, um jede Spur einer unbeabsichtigten Dressur auf etwaige individuelle Merk- male der einzelnen zu vermeiden. Bei der geringen Aufmerksamkeit der Tiere auf derartige Dinge war von vornherein nicht zu erwarten, daß ein Einfluß dieser Art sich geltend machen könnte, und in der Tat hat auch nieht in einem einzigen Fall plötzlicher Wechsel der Bretter die bis dahin erreichte Dressur irgend zu stören vermocht. Selbst der Mensch würde nur bei besonders darauf konzentrierter Aufmerksamkeit minimale Unter- schiede entdecken können; die Schimpansen haben sicher die Einführung eines gleich großen und gleich präparierten neuen Brettes anstatt des alten gar nicht bemerkt. Der Unterschied der Größen dagegen ist für uns und, wie wir sehen werden, auch für die Tiere recht auffällig. Die Dressur begann mit den Brettern 83x13 und 12.3x20 cm, wurde dann mit 8x 13 und 10x16.2 fortgesetzt, also beträchtlich verschärft. Die Versuche wurden begonnen mit den Schimpansenweibehen »Chica« und » Tercera«, später kam noch »Grande«, ebenfalls ein Weibchen, als dritte hinzu. Von diesen Tieren sind die ersten beiden mit »Sultan«, der schon be- kannten Versuchsperson, offenbar artgleich, also typische Schimpansen; »Chica« ist ein wenig, » Tercera« vielleicht ein Jahr jünger als das Männchen: jene beginnt ihre Zähne zu wechseln, » Tercera« hat noch völlig intaktes Milch- gebiß. »Chica« ist gegenwärtig das zweitklügste Tier der Station', »Tereera« ı Zwei Tiere, die an Begabung sogar »Sultan« erreichten und vielleicht übertrafen, sind leider eingegangen. Die Begabungsunterschiede in dieser Rasse sind geradezu enorm; eines der Stationstiere verhält sieh selbst bei den einfachsten Versuchen schlechthin töricht. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 25 kann wegen schwer zu deutender Passivität schlecht auf Intelligenz ge- prüft werden und hat spontan keine Zeichen größerer Begabung sehen lassen. »Grande« scheint nach ihrer Körperentwieklung und dem Zustand ihres Gebisses etwa zwei Jahre älter zu sein als »Sultan« (also etwa 7 Jahre); sie macht mit etwas abweichendem Sehädelbau, anderem Gesichts- ausdruck, feinerem Körper- und Gliederbau, feinerer längerer Behaarung und beträchtlich abweiechendem Gesamtverhalten und Charakter einen nicht recht schimpansischen Eindruck ; wenigstens der Gruppe der Schimpansen im weiteren Sinne ist sie allerdings zuzuteilen, da sie im groben doch die gleichen Merkmale, vor allem die riesigen Schimpansenohren aufweist. Bisweilen erinnert ihr Benehmen stark an Beschreibungen von Gorillas; mit dem eben erwachsenen T'schegoweibehen der Station ist sie sehr be- freundet und vielleicht spricht hier eine engere Artverwandtschaft mit; denn auch in einigen Momenten des Körperbaues stimmen beide Tiere überein und unterscheiden sich dadurch gemeinsam von den typischen Schimpansen. »Grande« ist deutlich minder intelligent als »Sultan« und »Chica«, aber sie hat den großen Vorzug, nicht ganz so schnell von einer Aufgabe gelangweilt zu werden. Für die Wochen, während deren sie Versuche machten, mußten die Tiere isoliert ge- halten werden. Es zeigte sich bald. daß an einige Sicherheit in den Resultaten nicht zu denken war, solange die Isölierung nur eben für jede Versuchsreihe vorgenommen wurde. Das Ergebnis waren dann einige Versuche in matter, trauriger Stimmung, danach, besonders. wenn mehrere Fehlversuche aufeinander folgten, stilles Jammern bei den einen, wilde Aus- brüche des Kummers bei den andern, und mit den Versuchen war es aus. Werden die Tiere dagegen isoliert gehalten. so langweilen sie sich und sind froh und eifrig, sobald es an die Versuche geht. Der Kummer über die Trennung von den übrigen pflegt nach wenigen Tagen nicht mehr störend hervorzutreten. So waren wenigstens die Erfahrungen an diesen Anthropoiden. Eine Gesundheitsschädigung infolge der Isolierung in notwendig engeren Räumen gab es in keinem Falle. Die Tiere durch Hunger anzutreiben, war im allgemeinen nicht erforder- lieh. Die Versuche fanden zweimal am Tage statt, zu Zeiten, wo auf einigen Appetit der Tiere gerechnet werden konnte; weigerte sich ein Tier in den ersten Tagen der Isolierung, an die Versuche heranzugehen, so wirkte allerdings ein Tag herabgesetzter Kostquantitäten sehr vorteilhaft. — Die bei jedem gelingenden Versuch vom Tiere verzehrten Fruchtteile waren stets so klein, daß auch eine längere Versuchsreihe nicht zur völligen Sättigung führen konnte, Nachlassen des Interesses während einer Reihe also vermieden wurde. Bisweilen wechselten wir mit Erfolg die Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. 4 36 W. Könter: . Fruchtart, wenn ohne sonst ersichtliche Gründe ein schleppendes Tempo in die Versuche kam. Zu Beginn des Lernens ließen wir die Tiere eimige Male sehen, in welchem Kasten ein Fruchtstück lag. Nach etwa drei solchen Versuchen, in denen stets richtig gewählt wird, geschieht das Einlegen der Frucht versteckt, das Lernen aus Erfolg und Mißerfolg beginnt; bei Wahl des riehtigen Kastens darf das Tier sich die Frucht herausnehmen, bei Wahl des falschen werden beide entfernt, sobald das Tier gesehen hat, daß nichts darin ist, und es be- einnt ein neuer Versuch'. Erfolg und Mißerfolg sind also die einzigen trei- benden Kräfte beim Lernen, der Versuchsleiter gibt nur die Gelegenheit für ihr Auftreten und verhält sich sonst dem Tiere gegenüber neutral. Der Sehimpanse ist jetzt, da eine Verbindung: größeres Frontbrett = Frucht noch nieht besteht, zunächst scheinbar dem Zufall überlassen, und da die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten stattfindet, sollte man zu Beginn etwa 50 Prozent zufällig richtige Wahlen erwarten. Statt dessen sind die riehtigen Wahlen im Anfang immer merklich und bisweilen bedeutend seltener, als der reinen Wahrscheinlichkeit entspricht, der Schimpanse wird also zu Be- ginn durch irgendeinen konstanten Faktor in semer Wahl bestimmt. Die Art der Fehler zeigt, daß es sich um eine Voraussetzung des Tieres über die Raumlage handelt”. Die Raumlage der beiden Kasten muß natürlich in undurehsiehtiger Reihenfolge gewechselt, bald der große, bald der kleine Kasten rechts bzw. links gestellt werden. Indessen sind dieser Variation doch wieder Grenzen gesetzt. An sich wäre es statthaft, dieselbe Raumlage, nachdem etwa vorher von Versuch zu Versuch gewechselt wurde, für z.B. 7 oder mehr Versuche gleich zu belassen und dadurch die Anzahl der Variationsmögliehkeiten sehr hoch zu steigern; indessen ist es unangebracht, sieh und den Tieren auf diese Art die Arbeit zu erschweren. Siebenmal hintereinander die gleiche Raum- das bedeutet eine so starke Einstellung auf eine bestimmte Richtung. lage I Entfernt man im Falle eines Fehlers die Kasten nicht. sondern läßt nun das Tier den richtigen Kasten nehmen, so ergibt sich auch bei langem Üben keine Dressurwirkung. Sg 8 8 8 Der Umweg über den falschen Kasten ist nicht so anstrengend. daß das Tier ihn zu ver- meiden suchte. 2 Diese Ausdrucksweise ist wohl auch dann erlaubt, wenn es sich, wie hier, natürlich nieht um eine abstrakte Fassung des Angenommenen von seiten des Tieres handeln kann. In der amerikanischen Tierpsychologie ist in äußerlich ähnlichen Fällen der Name »position habit« gebräuchlich. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 27 daß auch eine starke Dressur oft nicht genügen wird, um zu verhindern, daß bei Raumlagewechsel im achten Versuch ein Fehler auftritt. Amerikanische Tierpsychologen haben, unseres Erachtens mit Recht, 3 Versuche gleicher Raumlage hintereinander als Grenze in solchen Lernversuchen angesetzt; wirklich kann man den Wechsel bei Innehaltung dieser Grenze so undurch- siehtig gestalten, daß er dem Tiere gegenüber als völlig gesetzlos wirken muß. Nur wenn ein Tier sich, wie es mitunter vorkommt, auf eine Raumlage kapriziert, wird es ausnahmsweise notwendig, die entgegengesetzte mehr als dreimal hintereinander zu geben. —- Mit dem mechanischen FHinlangen immer etwa nach dem recehtsstehenden Kasten hat jene » Voraussetzung über die Raumlage« nichts zu tun; das erste Verhalten kommt nur vor, wenn das Tier wenig Interesse an den Versuchen hat, jene Voraussetzung macht sich bei großem Eifer geltend, und das Verhalten des Tieres dabei macht einen klaren, planmäßigen Eindruck: hat es einmal den linken Kasten z. B. gewählt und darin die Frucht gefunden, so wählt es — immer natürlich nur, solange ihm der Größenunterschied noeh nicht aufgefallen ist — mit Sicherheit im nächsten Versuch wieder den linken Kasten, ist umgekehrt der linke Kasten leer ge- wesen, so wird beim nächsten Male mit Sicherheit der reehtsstehende ge- nommmen usw. Das Tier wählt also, als müßte in jedem folgenden Versuch der Kasten mit Frucht wieder an gleicher Stelle stehen wie im vorhergehenden, und es sind nicht wenige »Gegenerfahrungen« zur Elimination dieser Voraus- setzung erforderlich. Da sie falsch ist und zu ihrer Ausschaltung durch gerade entgegengesetzte Wahl der Raumlage vom Versuchsleiter beigetragen werden muß, so sind im Anfang Fehlerzahlen von 8o Prozent und darüber nicht selten. Später, wenn das Tier sich offenbar nach der Größe der Frontbretter richtet, sieht man es oft vor der Wahl zwischen den beiden Kasten hin und her blieken, nieht selten auch wird der Stock erst auf den einen Kasten hin- geführt und dann doch noch der andre herangezogen, meistens geschieht dieser Wechsel vom falschen zum richtigen Kasten. Die Kurven, in denen das Lernen der Tiere dargestellt werden kann, er- lauben keine Schlüsse auf‘ die Natur dieses Lernens aus zwei Gründen: ent- weder sie erreichen zu schnell das Optimum (Fehlerfreiheit), als daß man ihnen viel entnehmen könnte!, oder sie sind — wenn das Lernen schwierig ! Die Schnelligkeit des Lernens ist von Hobhouse (Mind in Evolution S. 145 ff.) als Anzeichen höherer intellektueller Prozesse gedeutet worden. Andere halten dieses Kri- terium nicht für brauchbar. Wir vermuten, daß Lernversuche überhaupt nicht die adäquate 4* 28 W. Könuvsr: ist — in ihrem gedehnten Verlauf so vielfach durch Störungen (Schnupfen, gelegentliche Unlust, Ablenkung usw.) entstellt, daß der störungsfreie Verlauf nicht erschlossen werden kann. »Chiea« und »Tercera« lernten ihre Aufgabe sehr schnell. Nach 32 Ver- suchen (3 Versuchsgruppen) im ganzen macht » Tercera« z.B. nieht mehr über 10 Prozent Fehler, nach 52 (2 weitere Versuchsgruppen mehr) kommen über- haupt keine Fehler mehr vor. Ist dieser Lernerfolg echt, d.h. dieWahl von der @röße des Frontbrettes abhängig, oder kann irgendein anderer Umstand, der die Entscheidung des Tieres äußerlich richtig bestimmt, einen solchen Lernerfolg vortäuschen? Bei Tieren anderer Entwicklungszweige bleibt ohne besondere Kontroll- versuche die Frage offen, ob nicht andere Wahrnehmungen als die zu unter- suchenden ihnen Hinweise geben, wo scheinbar ein Zusammenhang von bestimmten optischen Eindrücken und Entscheidung bei der Wahl durch Er- fahrung gestiftet wurde. Optische Kriterien anderer Art als die untersuchten haben die Affen nieht benutzt, wie wir oft genug nach gelungener Dressur dureh Wechsel nicht nur der Frontbretter sondern auch durch Austausch der Kasten unter sich feststellen konnten — nie störte dergleichen die Dressur- ergebnisse. So käme noch der Geruch in Betracht, und der ist beim Schim- pansen der anatomischen Untersuchung wie allen unsern Erfahrungen nach womöglieh noch ärger verkümmert als beim Menschen. Daß der Schimpanse auf mindestens 60 em Entfernung nicht nur den Geruch eines Fruchtstückes (Apfel, Apfelsine, Weinbeere) überhaupt, sondern auch noch die Richtung, von wo er ausgeht, auf etwa 18° genau wahrnehmen könnte, ist ganz aus- geschlossen. Dureh den Wechsel der Kasten besaßen übrigens beide schließ- lieh ein ganz in der Nähe merkliches schwaches Aroma. Liegt eine Fehlerquelle dieser Art nicht vor, so könnte eine andre und sehlimmere noch darin vermutet werden, daß während des Versuches ein Ex- perimentator oder gar mehrere zugegen sind. Seitdem Pfungst seine be- kannte Erklärung für die Leistungen des »Klugen Hans« gab, ist man mit Recht bei allen wissenschaftlichen Tierdressuren darauf aus, Jede Möglichkeit Methode der Intelligenzprüfung darstellen; will man aber aus Kurven, die den Lernfortschritt darstellen. Sehlüsse in dieser Hinsicht ziehen, so wird man vielleicht besser darauf sehen, ob die Kurven stetig oder (in einem nicht scharf mathematischen Sinn) unstetig verlaufen, ob also das Tier an irgendeiner Stelle abrupt von Zufallswahlen zu planmäßigen Entschei- dungen übergeht. Das letztere Verhalten ist z. B. in Lernkurven »Sultans« angedeutet. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 29 unbeabsichtigter Zeiehengebung von seiten anwesender Personen auszu- schalten, und gelegentlich ist als Ideal aller solcher Versuche hingestellt worden, daß überhaupt niemand dabei zugegen sei und das Ergebnis jedes einzelnen Versuches erst hinterdrein festgestellt werde. Wenn man sieht, daß H. M. Johnson! die Dressur von Hunden auf bestimmte akustische Fre- quenzen (» Freßtöne«), wie sie Kalischer, Rothmann und Swift ausführten, ebenfalls erreichte, solange der Experimentator dem Tiere siehtbar blieb, daß aber bei denselben Tieren die Dressurwirkung Null wurde, wenn niemand zugegen war, so wird man die Bedeutung dieser Fehlerquelle gewiß nicht unterschätzen. Anderseits aber ist zu bedenken, daß auch Vorteile verloren gehen, wenn das Tier während der Versuche allein ist oder allein zu sein glaubt; den Schimpansen insbesondere, der leicht in Angst gerät, wenn er allein ist, aber auch zerstreut und mutwillig werden kann, wenn er keine Respektsperson in der Nähe sieht”, wird man nicht gern während der Ver- suche dauernd allein lassen. Ob es trotzdem notwendig ist, wurde an » Sultan « in Versuchen, ähnlich den oben beschriebenen geprüft; nur hatte er zwischen zwei offen daliegenden Früchten zu wählen, von denen die eine sehr wenig größer war als die andere. Verbot in scharfem Ton, freundliches Zu- reden im andern Fall, waren die Dressurmittel. »Sultan« sollte stets die größere Frucht nehmen und hätte das wahrscheinlich ohne jede Dressur getan, wenn der Unterschied bei flüchtigem Hinsehen auffällig gewesen wäre. Wenn irgendwo, so mußte bei diesem Verfahren die Tendenz auftreten, sich nach kleinen reagierenden Bewegungen des Versuchsleiters zu richten, da ja stets dessen Verhalten unmittelbar nach der Wahl über »Richtig« und »Falsch « Aufschluß gab. Und wirklich zeigte sich das Erwartete: obwohl bei fort- geschrittener Dressur auch ohne Beisein eines Menschen im allgemeinen richtig gewählt wurde, wenn der Größenunterschied nicht zu gering war, fing das Tier im Beisein des Versuchsleiters doch immer wieder an, mit dem Stock zwischen den beiden Früchten herumzulavieren, während es unverkennbar nach dem Versuchsleiter hinschielte, diesen geradezu belauerte. Bei einem solehen Verhalten kann natürlich auch eine unbedeutende Bewegung des Ver- ! Audition and Habit Formation in the Dog. Behav. Monogr. II, 3. 1913. ®2 Daß es im Beisein mancher Personen, z.B. des Stationsleiters, vorteilhafter ist, ge- wissen Tätigkeiten (von uns aus »Experimenten«) einige Aufmerksamkeit zu widmen, als Unfug zu treiben oder in die Welt hinauszustarren, ist den Tieren natürlich aus manchen Erfahrungen bekannt. 30 W. Könter: suchsleiters äußerlich »richtigen« Ausfall des Versuches herbeiführen. Übrigens erwies es sich als möglich, schon mit mäßiger Energie und dureh Konzentration auf ganz andere Dinge eine so neutrale Gesichts- und Körper- haltung zu bewahren, daß der Schimpanse, fortwährend den Versuchsleiter beobachtend. «loch die falsche Frucht wählte. — Das Wesentliche aber liegt nieht in dieser Tatsache, sondern darin, daß wir in den Versuchen mit aller Deutlichkeit feststellen konnten, wie der Schimpanse aussieht, wenn er die Entscheidung, statt nach den Objekten der Wahl, nach Reaktionen des Ver- suchsleiters treffen möchte, und zwar ist das Blicken des Sehimpansen so sehr gleichartig mit dem des Menschen und so gleichartig mit Verschiebungen der Aufmerksamkeitsrichtung gekoppelt, daß auch jemand, der die Tiere gar nicht kennt, leicht anzugeben vermöchte, worauf sie während der Versuche achten, auf die Wahlobjekte oder den Versuchsleiter. Das Aufmerksamkeits- zentrum auf eine bestimmte Stelle des Gesichtsfeldes zu verlagern, während die optische Fixation einer andern zugewandt bleibt, das geht sicherlich über das Vermögen (des Schimpansen, haben wir, doch — man denke an peri- metrische Feststellungen — einige Mühe, dieses unnatürliche Verhalten bei ungeschulten Menschen zu erreichen. Damit können wir uns beim Schim- pansen dureh unmittelbare Beobachtung gegen diese Fehlerquelle sichern, während das bei Tieren anderer Blickart (dem Pferd z.B.) nieht in demselben Grade möglich sein dürfte. Während der Dressurversuche blieben wir deshalb gewöhnlich zu- gegen. Es zeigte sich, daß die Tiere anfangs bisweilen nach uns hinsahen, aber bald davon abkamen und ihre Aufmerksamkeit ganz den Kasten zu- wandten. Unser Verhalten bot ja hier, wo Erfolg und Mißerfolg bei der Wahıl allein wirkten und wir neutrale Beobachter waren, viel weniger An- laß, uns zu beachten, als in jenen Versuchen mit »Sultan«. — Versuchs- reihen, bei denen niemand dem Tier siehtbar war, der die Raumlage des richtigen Kastens kannte, wurden trotzdem noch wiederholt in die Dres- suren eingeschoben: weder Unsicherheit des Tieres noch vermehrte Fehler waren in solehen Kontrollversuehen zu notieren. Über Vorsichtsmaßregeln in Hauptversuchen wird später berichtet. Bei den schon erwähnten Versuchen mit »Sultan«, die nur angestellt wurden, um einen günstigen Versuchsmodus herauszufinden, hatten wir festgestellt, daß leicht Fehler auftreten, wenn nach gelungener Dressur bei gleicher Entfernung der Wahlobjekte nun das größere (richtige«) in nur Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 31 etwas weitere Entfernung gebracht wird als das kleinere. Da es hierbei nach wie vor ein bedeutend größeres Netzhautbild geben muß als das falsche, so besagen solche Fehler nichts gegen eine dem menschlichen Sehen gemäße Sehgröße, sondern entspringen einer bequemen Tendenz. von zwei ungleich weit entfernten Zielen das näherliegende zu wählen. Man würde deshalb bei plötzlichem Übergang von Dressurversuchen bei gleicher Entfernung zu stark kritischen Versuchen (großer Verschiedenheit der Abstände) wahrscheinlich viele Wahlen des (näherstehenden) kleinen Kastens erhalten, die nichts für das untersuchte Problem besagen. Soll diese ımerwünschte Nebenwirkung des Übergangs zu kritischen Versuchen vermieden werden, so müssen also während der letzten Dressurreihen die Abstände der beiden Kasten schon etwas verschieden gewählt und der größere in einer Anzahl von Fällen in weiteren Abstand gebracht werden, damit die Tiere sieh hieran gewöhnen. Dabei bleiben aber die Entfernungsunterschiede weit unter dem Betrag. wo Gleichheit oder gar Umkehrung der Verhältnisse der retinalen Bildgrößen eintreten würde, so daß immer noch ein Sprung von diesen Entfernungsvariationen zu den bedeutenden der Hauptversuche bleibt. »Tereera« und »Chica« zeigten übrigens bei solchen Versuchen mit geringer Abstandsvariation kaum eine Störung. Eine vorläufige Probe in dieser Phase des Lernens — »ÜOhica« hatte seit Beginn 138, »Tercera« 91 Versuche gemacht —- orientierte uns über das Verhalten der Tiere in Hauptversuchen. Unter die folgenden 45 Versuche »Chicas«, 38 » Terceras« wurden bei gleicher Anordnung 6 bzw. 7 kritische Versuche verteilt. Dabei waren die Frontbretter neu, aber von gleicher Größe. Ein Schirm wurde vor die Kasten gehalten. bis das Tier in der richtigen Stellung den Kasten gegenüber dieht am Gitter saß, und dann entfernt. Der Beobachter stand seitwärts an einer Stelle, wo er den Tieren nieht siehtbar war, der Gehilfe, der den Schirm bediente, drehte den Tieren den Rücken zu, indem er den Schirm fortzog, salı deshalb nicht, welchen Kasten sie wählten, und konnte also die Wahl nicht be- einflussen. — »Chica« wählte in ihren 6 Versuchen 5mal dem Größen- sehen des Menschen entsprechend, also den größeren Kasten, obwohl sein Netzhautbild das kleinere war, nur ımal im entgegengesetzten Sinn, »Ter- cora« entschied sich in 7 Versuchen jedesmal für den größeren Kasten. Das Ergebnis spricht also, soweit die geringe Versuchszahl und die unge- 2 W. Köurner: nügende Anordnung eine Vermutung zulassen, für ein Größensehen analog dem des Menschen. Solehe kritischen Versuche mit der primitiven Anordnung der Lernversuche enthalten ein fremdes Moment insofern. als bei größeren Entfernungsunterschieden die Form der Netzhautbilder beider Frontbretter nicht gleich bleibt. Die schräge Aufsicht von oben auf das nähere Fronthbrett verkürzt dessen Vertikaldimension im Retinabilde sehr stark. und dadurch wird zugleich für die Berechnung der Netzhautbilder die Ableitung recht kompli- zierter Formeln notwendig, deren Wiedergabe hier zu weit führen würde. Die zusammen 13 kritischen Versuche verteilten sich auf 3 Konstellationen, in denen die am Boden ge- messenen Entfernungen vom Tier zu den Kästen folgende waren: 95 und 50, 100 und 50, 95 und 45 em!. Bei diesen Entfernungen wird sowohl Vertikal- wie Horizontaldimension des großen Frontbrettes kleiner abgebildet als die entsprechenden Strecken des objektiv kleineren Brettes; die Flächen der Netzhautbilder verhalten sich. wenn immer die erste Zahl dem objektiv größeren Brett entspricht, wie 0.79:1. 0.74 und 0.75: 1, also stets etwa wie 3:4; die Versuche sind »kritisch.«. Für Hauptversuche unter strengen Bedingungen wurden die Tiere an folgende Anordnung gewöhnt: beide Kasten stehen auf einem Tisch, der mit einer seiner (So em breiten) Schmalseiten dem Gitter zugewendet ist, gerade so hoch, daß die Tiere, die nur ganz geringe Größenunterschiede auf- weisen, sich mit ihren Augen in etwa gleicher Höhe mit der Mitte der Front- bretter befinden. — Nun steht im kritischen Versuch der kleine Kasten näher, der große entfernt. Je mehr sich also das Tier beim Beschauen des kleinen Kastens nach hinten, beim Beschauen des großen nach vorn neigt, um so kleiner wird der kleine, um so größer der große Kasten ab- gebildet, desto weniger kritisch ist also im Versuch bei gegebenen Stel- lungen der Kasten. Den Kopf der Tiere gegen solehe Bewegungen zu fixieren, ist nicht möglich, wohl aber diese Bewegungen nur bis zu einem meßbaren Maximum zuzulassen, indem man eine feste. von den "Tieren nicht bewegbare Wand hinter ihnen anbringt, gegen die sie im einen Ex- tremfall ihren Kopf hinten anpressen können; den andern Extremfall be- stimmt das Eisengitter. Die auf der Tischtfläche fein angedeutete Skala der Entfernungen war vom Auge des Tieres gerechnet” für den Fall, daß es sich maximal zurücklehnte, diese Entfernungswerte wurden also unver- ändert für den kleinen Kasten im kritischen Versuch angesetzt; maxi- males Andrücken der Stirn an das Eisengitter brachte die Augen um 8 em ' Die größere Entfernung ist natürlich jedesmal die des größeren Kastens. ® Die minimalen Unterschiede in der Entfernung: Hinterhauptspol— Augen bei ver- schiedenen Tieren können vernachlässigt werden, Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 33 vorwärts, und von dieser Stellung aus wurden die Entfernungen des grö- Beren Kastens gerechnet, also um S cm kleiner, als die Skala angab. Auf diese Weise errechneten wir Abbildungsverhältnisse, die sicher nicht kri- tischer waren, als es den tatsächlichen Verhältnissen entsprach, ja weniger kritisch, weil die Tiere die vorausgesetzten Bewegungen in diesem Maße wohl keinmal wirklich ausführten. — Auch die seitlichen Bewegungen wurden stark eingeschränkt: gegenüber dem Tisch blieb nur der Raum zwischen einem vertikalen Gitterstab und dem übernächsten offen, zu bei- den Seiten wurde ein enges Drahtnetz ausgespannt, so daß die Tiere nur an dem freien Zwischenraum als einer Art von schmalem Fenster und gerade vor dem Tisch sitzend die Kasten überhaupt erreichen konnten. Auf der Seite, wo die Tiere in dem schmalen Raum zwischen fester Rück- wand (vgl. oben) und Eisengitter hineinschlüpfen mußten, war ferner das Drahtnetz noch mit Tuch behängt, sie konnten also im Herankommen die Frontbretter auch nicht schräg seitlich sehen. Endlich verdeckte ein Schirm den ganzen Tisch, der erst in die Höhe gezogen wurde, wenn die Tiere genau an der richtigen Stelle, also gerade vor dem Fenster, saßen. Die seitlichen Verschiebungen der Augen in den mitzuteilenden Versuchen können nach der Natur dieser Anordnungen nur 5 em im Maximum be- tragen haben'. Veränderungen in dem Verhältnis der Netzhautbilder, die hieraus entspringen, liegen jenseits der Größenordnungen, die wir in unseren Berechnungen berücksichtigen. — Vertikalbewegungen des Kopfes waren in folgende Grenzen eingeschlossen: die Tiere gingen mit den Augen nie unter Tischhöhe und konnten sie nur wenige Zentimeter höher halten, als der Höhe der Kasten entspricht; denn sonst versperrte ihnen ein hölzerner Schirm, der quer über das Fenster gehängt war, den Ausblick überhaupt. Damit gilt für die Bildvariation durch Vertikalbewegungen dasselbe wie für seitliche Verschiebungen, und da die einzige Verschiebung, die merk- liche Bildvariationen hervorrufen kann, stets so ungünstig wie möglich ge- rechnet wird, ist die Bereehnungsweise gegen Einwände gesichert. Sowohl »Chica« wie »Tercera« wurden durch diese neuen Umstände zuerst etwas gestört, erst nach 70 bzw. 53 weiteren Übungsversuchen an der neuen Anordnung glaubten wir mit ihnen zu kritischen Experimenten übergehen zu können. ! Die Beobachtung zeigte, daß die Tiere das schmale Fenster so weit ausnutzten, daß sie mit beiden Augen die Kasten sehen konnten. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. 5 34 W. Könrer: Zu gleicher Zeit war auch »Grande«, die wir inzwischen als drittes Versuchstier hinzugezogen hatten, mit Lernversuchen — teils an der primitiven, teils an der neuen Anordnung — so weit vorwärtsgekommen, ll —— „Grande." Richtige Wahler in Prozenterz. O Beginn der Entlfernungsvariation. daß sie für völlig sicher gelten konnte. Aus ihrem Lernen ist zu er- wähnen, daß sie, nach 90 Versuchen bei gleicher Entfernung der Kasten, offenbar ihrer Sache sehr sicher, sofort und regelmäßig Fehler machte, wenn der Kasten mit größerem Frontbrett auch nur 10 cm weiter entfernt stand als der andere, und dadurch so verwirrt wurde, daß nun auch bei gleicher Entfernung wieder Fehler auftraten, wenn auch nur für kurze Zeit. (Die Kurve zeigt anschaulich diesen Rückfall und den Anfang der schnell einsetzenden Besserung; der S. 26 besprochene Lernbeginn mit weit über Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 35 50 Prozent Fehlern ist hier ebenfalls sehr auffällig.) Als die Hauptversuche begannen, hatte »Grande« im ganzen 289 Lernversuche gemacht‘. Der letzte Teil der Übungsversuche wurde mit den Frontbrettern 38x13 und 10X16.2 em angestellt. In die kritischen Versuche kam dadurch eine wesentliche Verschärfung, daß in ihnen ganz neue Bretter von den ungewohnten Maßen 9Xı12 und 12X16 cm plötzlich eingeführt wurden. Es geschah das, um jeden Einwand unmöglich zu machen, der auf die Be- kanntschaft der Tiere mit den alten Brettformen irgend begründet werden könnte, und wirklich sehen die neuen Bretter ganz anders aus als die alten. — Der Größenunterschied wurde zugleich ein wenig gesteigert, damit die Tiere, durch die ungewohnten Brettformen verwirrt, nieht den Größen- unterschied überhaupt übersähen. Drei Paare solcher Bretter, ebenso gefärbt wie die der Übungsversuche, waren vorhanden; damit auch nieht innerhalb der Hauptversuche eine individuelle Eigenheit der Bretter zum Kriterium würde, tauschten wir sie stets nach einigen Versuchen unter sich aus. Um ferner während der kritischen Versuche jede Beeinflussung durch anwesende Personen mit Sicherheit auszuschließen, verfuhren wir so, daß der Versuchsleiter zunächst die Kasten für den Versuch zurechtstellte, während ein Gehilfe den Schirm vor den Tisch hielt. Dabei sah der Gehilfe nicht, wie die Kasten gestellt wurden. Der Versuchsleiter begab sich nun an einen Punkt (hinter eine etwa 6 m seitlich entfernte Tür), wo ihn das Tier nicht sehen konnte, und gab von hier aus dem Gehilfen ein Zeichen. Dieser überreichte dem Tier den Stock zum Heranholen der Kiste erst, wenn es genau in der richtigen Stellung saß, zog jetzt schnell den Schirm fort und drehte sich zugleich von Tier und Tisch fort zur Seite, immer ohne gesehen zu haben, wie die Kasten standen. Da niemand sonst zu- gegen war, haben die Tiere völlig unbeeinflußt von uns ihre Wahl ge- troffen. An dem Tage, der für die ersten Hauptversuche bestimmt war, zeigte sich »Chiea« aus nicht bekannten Gründen sehr aufgeregt. Trotzdem wur- den die Versuche begonnen. Der erste, kritisch, fiel »falsch« aus (d. h. der näherstehende kleine Kasten wurde gewählt), aber das Tier warf den Stock fort und raste jammernd umher, ehe es überhaupt in den Kasten hineingesehen hatte; der zweite und dritte Versuch, beide leicht (d.h. ! Die entsprechenden Zahlen für »Chiea« und »Tercera« sind (vgl. die früheren An- gaben) 253 und 187. 36 W. Könter: großer Kasten näher), waren richtig; der vierte, kritisch, wieder falsch. Zwischen je zwei Versuchen warf sich das Tier klagend gegen die Tür des Versuchsraumes. Da die Möglichkeit bestand, daß es in diesem Zu- stand nur aus Unachtsamkeit der natürlichen Tendenz nach dem näheren Objekt (vgl. o. S. 23) gefolgt war, wurden die Versuche abgebrochen und erst drei Tage später wiederaufgenommen, ohne daß in der Zwischenzeit ein einziger Versuch mit »Chica« stattgefunden hätte. An den späteren Versuchstagen war sie viel ruhiger und verhielt sich auch sonst genau wie die beiden andern, »Grande« und »Tercera«. Jedes Tier machte 40 Versuche! in Gruppen von je 10, die 4 Gruppen verteilt auf 2 oder 3 Tage. Jede Gruppe enthielt 5 kritische und 5 leichte Versuche in zufälliger Aufeinanderfolge, die Gesamtreihe also je 20 leichte und 20 kritische. Die Raumlage (links und rechts) wurde wie in den Lern- versuchen und ohne Rücksicht auf den Wechsel zwischen leichten und kritischen Versuchen variiert. Das Ergebnis war, daß von 120 Versuchen im ganzen nur einer falsch ausfiel, nämlich der 32. von »Grande«, und das war ein leichter Versuch. In allen 60 kritischen Versuchen wurde der größere Kasten ge- wählt, obwohl sein Netzhautbild kleiner war als das des ob- jektiv kleineren Kastens. — Wir sind danach berechtigt, die beiden Fehler in der abgebrochenen Versuchsreihe »Chicas« als Produkte ihres zerfahrenen Zustandes an dem betreffenden Tage zu deuten, an dem sie offenbar dem plötzlichen Übergange zu großen Entfernungsunterschieden und zu ganz neuen Rechteckformen nicht gewachsen war. Die folgende Tabelle gibt für die einzelnen kritischen Konstellationen (Entfernungen »n und u der beiden Kasten) die Häufigkeit, in der sie bei jedem Tier vorkamen, das Verhältnis der Netzhautbilder nach Vertikal- und Horizontaldimension und schließlich nach Flächeninhalt. Dabei sind die linearen Bilddimensionen umgekehrt proportional den Entfernungen gerechnet, und zwar ist nach dem oben auseinandergesetzten Prinzip für die Entfernung des größeren Frontbrettes stets der angegebene Skalenwert minus 8 cm gesetzt. Da die Vertikal- und Horizontaldimensionen bei den Brettern der kritischen Versuche einander proportional sind (Multiplikation mit #/, macht bei beiden aus der vertikalen die horizontale Dimension), so ! Bei »Chica« sind die obenerwähnten Versuche nicht eingerechnet. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 37 genügt die Angabe eines Verhältnisses für beide Bilddimensionen, und das Verhältnis der Bildflächen wird einfach durch Quadrieren gewonnen. Die letzte Horizontalreihe gibt der leichteren Übersicht wegen an, wie groß in jedem Fall das Bild des objektiv größeren Brettes ist, wenn das des kleineren gleich 100 gesetzt wird‘. Für die leichten Versuche eine solche Berechnung zu geben, ist wohl nicht erforderlich; die leichten Ver- suche waren Umdrehungen der in den kritischen vorkommenden Entfer- nungskonstellationen. »Chicas ..... »Tercera« ... »Grande« ... Verhältnis der Bildseiten.. Verhältnis der Bildflächen . In Prozenten. In den kritischen Versuchen ist also das Bild des größeren Front- brettes im Maximum 3/,, im Minimum !/; der Abbildung des kleineren. Es ist danach gar nicht einzusehen, wie die Schimpansen unter der Vor- aussetzung netzhautmäßiger Sehgrößenverhältnisse so hätten wählen können, wie sie getan haben. Sie hätten dann vielmehr die große Mehrzahl der kritischen Versuche, wenn nicht alle, falsch machen müssen. Die Sehgrößen des Schimpansen weichen also in demselben Sinne von den Verhältnissen der Netzhautbilder ab, wie es beim Menschen der Fall ist. Ob bei dem Anthropoiden die Sehgrößen in demselben Maße von der Entfernung (und damit von der Größe der retinalen Abbildung) un- abhängig sind wie beim Menschen, geht aus den Versuchen nicht hervor; immerhin konnte ihre relative Konstanz gegenüber sehr beträchtlichen Ab- ! In der Tabelle sind die Konstellationen danach geordnet, wie kritisch bei ihnen die Abbildung ist. In den Versuchen waren natürlich alle Konstellationen bunt durcheinander- gewürfelt. 38 W. Könter: bildungsveränderungen nachgewiesen werden, und es ist durchaus unwahr- scheinlich, daß etwa gleich jenseits der von uns untersuchten Zone das Größensehen plötzlich netzhautgemäß würde. Wir besprechen kurz noch einmal die bei diesen Tierversuchen nahe- liegenden Einwände: ı. Die Tiere sind durch Personen beeinflußt. — Es war während der Hauptversuche niemand für die Tiere sichtbar, der die Raumlage des größeren Kastens kannte. 2. Die Tiere erkennen die Kasten wieder, abgesehen von der Größe der Frontbretter. — Die in den Hauptversuchen verwandten Frontbretter waren völlig neu und von anderer Form als die der Lernversuche. Die Kasten selbst waren hinter den Frontbrettern nicht siehtbar; trotzdem haben wir ein übriges getan, und während der Hauptversuche gelegentlich noch die Zuordnung von Frontbrettgröße und Kasten gewechselt. 3. Die Tiere sind auf das nachgewiesene Verhalten dressiert worden. — Einmal würde das Gelingen einer solchen Dressur gerade voraussetzen, was wir behaupten, und dann hat eine solehe Dressur tatsächlich nicht statt- gefunden, denn in den Lernversuchen war stets das größere Frontbrett auch das größer abgebildete. 4. Die klugen Tiere sind durch ihre Erfahrungen während der kriti- schen Versuche auf das nachgewiesene Verhalten dressiert worden. — Dieser Einwand ist aus mehreren Gründen abzulehnen; vor allem aber läßt er außer acht, daß zwei Tiere — wenn wir von »Chica« absehen, — in den kritischen Versuchen keine Fehler gemacht haben. Eine Dressur erst während der kritischen Versuche müßte sich durch anfängliche Fehler und darauffolgende Besserung kundgeben. 5. Die Tiere haben einfach den weiter entfernten Kasten gewählt. — Das haben sie nicht getan; denn sonst wären alle leichten Versuche falsch ausgefallen. 6. Die Tiere haben nach Geruch gewählt. — Das ist auf Entfernungen bis 1.60 m beim Sehimpansen und bei Verwendung nur schwach aromatischer Früchte unmöglich. Selbst starkriechende Objekte prüft der Schimpanse auf ihren Geruch, indem er seine Nasenlöcher daran hält; wenn er einen Geruch einzieht, kann man ihm das wie einem Menschen ansehen, und nie ist der- gleichen beobachtet worden; vielmehr macht das Hin- und Hersehen zwischen den Frontbrettern durchaus den Eindruck einer optischen Wahl, Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 39 7. Die Tiere haben nicht nach der Größe der Frontbretter, sondern nach dem Verhältnis von deren Breite zur Breite des Tisches gewählt. — Damit wird der Schimpanse unzweifelhaft überschätzt. Außerdem trug der Tisch der einen Längseite nahe, aber nicht parallel zu ihr, einen hölzernen Aufsatz; dadurch bekam die den Tieren sichtbare Tischfläche in verschiedener Tiefe verschiedene Breite, so daß ein solches Verfahren zu Fehlern ge- führt hätte. 8. Die Tiere haben nach einem Maßstab im Hintergrund gewählt. — Auch das würde zu Fehlern führen, und zwar unter der Annahme netzhaut- gemäßen Sehens aus einfachen perspektivischen Gründen. Außerdem ist der Hintergrund, Grasfläche, äußerst ungeeignet für ein solches Verfahren. C. Über die Farben der Sehdinge beim Schimpansen. Man unterscheidet bunte und tonfreie Farben; nur mit der zweiten Klasse, den weißen, grauen und schwarzen Farben hat unsere Untersuchung zu tun. Die Unterschiede, die sich in dieser Reihe darbieten, stehen mit der Lichtstärke in Zusammenhang, mit der ein Objekt sich auf der Netzhaut ab- bildet. Liegen vor uns ein schwarzer, ein mittelgrauer und ein weißer Stoff, alle drei in etwa gleicher Beleuchtung, und messen wir die reflektierte Strahlung, die diffus von jedem der drei ausgeht, nach einer physikalischen Methode, so ist sie beim dritten am intensivsten, beim ersten am schwächsten und liegt für den zweiten bei einem Zwischenwert; entsprechend müssen sich, wenn wieder das Auge an Stelle des physikalischen Apparates tritt, un- gefähr die Intensitäten der die Retina treffenden Strahlungen verhalten. Indessen sind ja mehrere Faktoren bekannt, die bei gegebener Intensität ‘ des auf das Auge fallenden Lichtes die Farbe der gesehenen Gegenstände beeinflussen. Je stärker jene Intensität, desto enger schließt sich die Pupille und wird damit die Strahlung reduziert, welche nach dem Eintreten dieses Reflexes bei der retinalen Abbildung mitwirkt; der Simultankontrast macht, daß stärkere (und im Grenzfall gleich starke) Bestrahlung der Netzhaut in der Umgebung eines Bildes den betreffenden Gegenstand dunkler erscheinen läßt, als ohne diesen Einfluß der Fall wäre; die Adaptation endlich bedeutet eine allgemeine Umstimmung des Auges je nach der Gesamtintensität der einfallenden Strahlung, und zwar eine relative Minderung der direkten 40 W. Könurer: Strahlungseffekte bei großer, eine relative Erhöhung bei geringer Gesamt- lichtstärke des Gesichtsfeldes. Besonders dieser dritte Faktor wirkt dahin, daß Gegenstände in verschiedener Beleuchtung, z.B. frühmorgens und mittags gesehen, nicht entfernt die Farbenänderung aufweisen, die der von ihnen zum Auge reflektierten sehr stark wechselnden Strahlungsenergie entsprechen würde. E. Hering! hat zuerst erkannt, welche Bedeutung einer weiteren in gleicher Richtung liegenden Erscheinung zukommt. Von zwei Papieren, von denen das eine bei normaler Beleuchtung schwarz, das andere weiß ist, wird jenes unter starke, dieses unter schwache Beleuchtung gebracht, und beide werden simultan betrachtet ; dann erscheint das schwarze in starkerBeleuchtung noch immer schwarz, das weiße in schwacher noch immer weiß, selbst wenn die Strahlung, die von jenem aus das Auge trifft, ebenso stark oder gar be- trächtlich intensiver ist als die vom andern herkommende. Wenn man in einen Schirm zwei kleine Löcher schneidet und ihn so vor sich hält, daß von jedem Papier nur ein Farbfleck in einem der beiden Löcher sichtbar bleibt, so zeigt sich, daß die Farben dieser in den Löchern erscheinenden Farbflecke nunmehr dem physikalischen Intensitätsverhältnis insofern entspechen, als das Papier mit der stärkeren Strahlung den helleren, das mit der schwächeren Strahlung den dunkleren Farbfleck liefert. Sowie man aber den Schirm fortzieht und die Papiere als solche an ihrem Orte sichtbar werden, ist wieder das stark beleuchtete Papier »schwarz« und das schwach beleuchtete » weiß«; die Papiere werden so gesehen, als würde dabei die Beleuchtung gewisser- maßen angerechnet, in der sie sich befinden. — Es zeigt sich also, daß beim Sehen von Farben eine ganz ähnliche Erscheinung auftritt, wie sie oben für das Sehen von Größen besprochen wurde. Zufälliger Beleuchtungswechsel der Gegenstände und ihm entsprechende Änderung in dem Strahlungsbetrag, den die Gegenstände unserm Auge zureflektieren, haben im allgemeinen keine praktische Bedeutung für uns; im Gegenteil würde ein Farbensehen, das diesen (objektiv- und netzhautmäßig) fortwährend erfolgenden Strahlungs- schwankungen einigermaßen folgte, die Gegenstände in einer biologisch wiehtigen Eigenschaft derartig variabel machen, daß die Konstanz der Dinge ! Lehre vom Lichtsinn, in Graefe-Saemisch, Augenheilkunde. Weder E. Hering noch Dr. Katz, von deren Versuchen und Überlegungen wir hier ausgehen, Kann ich im einzelnen zitieren, da ihre Schriften mir zur Zeit nicht zugänglich sind. Die Schrift von Katz ist als Ergänzungsband der Zeitschr. f. Psychol. erschienen. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 41 in unserer Umwelt —- die eben zu einem sehr großen Teil Sehwelt ist — «damit stark gefährdet wäre. Wie also das Größensehen die biologisch wichtige Eigenschaft hat, von der Entfernung der Gegenstände (und damit von der Größe der Netzhautbilder) relativ unabhängig zu sein, so verhält sieh das Farbenschen des Menschen, als ob ein Korrektionsapparat den Eintluß der wechselnden Beleuchtung der Dinge, damit den des Wechsels in der Retlexion nach dem Auge und den der wechselnden Intensität ihrer retinalen Abbildung wieder eliminierte'., Denn wieder muß hervorgehoben werden, daß es sich hier nicht um ein interessantes Kuriosum handelt, welches nur im Laboratorium bei besonderer Versuchsanordnung zur Beobachtung kommt; unser alltägliches Farbensehen ist vielmehr fortwährend dureh diese Er- scheinung bestimmt, und besondere Vorrichtungen sind nur nötig, um zu zeigen, wie weit dieses Sehen von den Verhältnissen der Netzhautbelichtung bei «ler Abbildung abweicht: der »Korrektionsapparat« arbeitet so gut, daß wir der Diskrepanz unter natürlichen Umständen gar nicht gewahr werden. An bunten Farben in bunter Beleuchtung werden ähnliche, ja vielleicht noch merkwürdigere Beobachtungen gemacht, die von Dr. Katz in seiner sorg- fältigen Untersuchung der ganzen Erscheinungsgruppe ebenfalls untersucht wurden. Da ihnen nicht die gleiche biologische Bedeutung zukommt wie den obenerwähnten Tatsachen — intensive bunte Beleuchtung ist ja in der (reien Natur nicht häufig —, so haben wir uns im Tierexperiment auf tonfreie Farben beschränkt. Aus den Ergebnissen der folgenden Versuche ist aber mit einiger Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, welche Resultate die unter- suchten Tiere bei Versuchen mit bunten Farben liefern würden. Für den Physiker lassen sich die Erscheinungen bei tonfreien Farben mit einiger Einschränkung (vgl. u.) auch so formulieren: wenn wir mit Albedo- oder Remissionsvermögen die Konstante einer (nieht spiegelnden) Körperobertläche bezeichnen, welche angibt, welchen Bruchteil auffallenden Lichtes die Oberfläche (diffus) reflektiert, wenn ferner J, die Intensität des auffallenden, J, die des reflektierten Lichtes ist und jene Konstante k ge- r = nannt wird, dann sollte man zunächst erwarten, daß die tonfreie Farbe der Oberfläche von J.=%J, wesentlich abhänge; statt dessen verhält sich das Sehen tonfreier Farben bis zu einem gewissen Grade so, als wenn sozusagen k gesehen würde. Und das ist wichtig und biologisch angemessen, da A. als ! Eine ähnliche Wirkung geht auch schon von den obengenannten Faktoren aus. Vol. hierüber den Schluß dieses und des letzten Abschnittes. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. 6 42 W. Köuter: eine nur von der Natur der Oberfläche abhängige Eigenschaft, über den ge- sehenen Körper selbst einigen Aufschluß gibt, J, und das ihm proportionale J, dagegen vergleichsweise zufällige, für die Oberfläche und den Körper nicht konstitutive Variable darstellen. — (Nach Einführung des »spezifischen Remissionsvermögens« für bestimmte Strahlungsarten kann man eine solche Betrachtungsart auch für die analogen Erscheinungen bei bunten Lichtern durchführen.) In zwei Punkten ist das bisher Mitgeteilte einer gewissen Einschränkung unterworfen. Erstens ist die Unabhängigkeit der »Oberflächenfarbe« (Katz) von der Beleuchtungsstärke verschieden vollkommen bei verschiedenen ton- freien Farben, und zwar vollkommner gerade bei den Extremen Weiß und Schwarz als bei mittleren Graunuancen; zweitens aber muß hervorgehoben werden, daß wir in gewisser Weise auch wieder so sehen oder doch sehen können, wie es der wechselnden Beleuchtung entspricht. Werden zwei Papiere von völlig gleicher tonfreier Farbe, etwa weiß, in gleiche Beleuehtung gebracht, so sehen sie gleich aus, bringen wir aber das eine in starkes Licht, das andere daneben in schwache Beleuchtung, so sehen sie nicht mehr gleich aus, sondern das erste »weiß« und zugleich »lebhaft« und »hell«. das andre wohl auch »weiß«, aber zugleich wie »gedämpft« und »dunkel« im Vergleich mit dem andern. Man hat diesen Unterschied als einen solchen der »Ein- dringliehkeit« bezeichnet, könnte aber geradezu von zwei Oberflächen an- nähernd gleicher (tonfreier) Farbe und verschiedener Helligkeit sprechen. — Derselbe Unterschied läßt sich auch bei den oben beschriebenen Be- obachtungen feststellen: Wird ein »weißes« Papier in schwache, daneben ein schwarzes in genügend starke Beleuchtung gebracht, so sehen wir die »Obertlächenfarbe« des ersten freilich » weiß«. die des zweiten »schwarz«, selbst wenn physikalische Messung oder Beobachtung der Lichtflecke im Schirm (vgl. 0.) deutlich zeigt, daß von jenem die schwächere, von «diesem die stärkere Strahlung ausgeht; aber wenn wir prüfen, welches Papier wir als »lebhafter«, welches als »gedämpfter«, »matter« bezeichnen sollen, so finden wir, daß das »schwarze« im Licht »lebhafter« und das weiße im Schatten »matter« aussieht; Ja man kann geneigt sein. bei dieser Art der Betrachtung, das »schwarze« Papier als das »hellere« zu bezeiehnen. Ein besonderes, nieht leicht zu besehreibendes Verhalten. bei dem man sich ge- wissermaßen von der Gegenständliehkeit der Papieroberflächen loslöst und sie zu einer Art von Lichtflächen degradiert, ist dieser Sehweise besonders Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 43 günstig. — Da beide Sehweisen ohne Änderung der äußeren optischen Kon- stellation möglich sind und auch einigermaßen zugleich bestehen können, so haben wir, streng genommen, stets zu unterscheiden zwischen »Oberflächen- farben« (» weiß«, »schwarz« usw.) und » Lebhaftigkeitsgraden« (» Helligkeit«, »Stumpfheit«, » Mattheit«). von «denen nur die ersteren große Indifferenz gegen Änderungen der Strahlungsintensität aufweisen. — Anderseits ist zu beachten, daß das naive Sehen des Menschen sich in der Hauptsache auf die Öbertlächenfarben als die Farben der interessierenden Gegenstände richtet, und daß auf jene mehr netzhautgemäßen Lebhaftigkeitsgrade oder Hellig- keiten in der Regel nur der optisch speziell Unterrichtete, z. B. ein Maler oder ein Psychologe, achten wird'. Die Theorieansätze diesen Erscheinungen gegenüber sind genau die gleichen wie gegenüber «den analogen Tatsachen auf dem Gebiet des Größen- sehens®: 1. Die Lebhaftigkeitsgrade entsprechen allein der » wirklichen Emp- findung«. Die scheinbare Konstanz der Oberflächenfarben bei wechselnder Beleuchtung ist Produkt eines Urteils, das sich auf frühere Erfahrungen bei wechselnder Beleuchtung gründet. 2. Auch die Obertlächenfarben sind uns von einem gewissen Alter an wirklich so gegeben, daß große Beleuchtungsänderungen am Objekt und damit an seiner retinalen Abbildung nur geringe Variationen der Obertlächen- farben hervorbringen. Aber obschon es keine Täuschung ist, wenn wir sie so zu sehen meinen, so ist doch dieses Sehen nur eine Modifikation des Sehens in frühester Jugend, und die Spuren individueller Erfahrungen an Objekten in wechselnder Beleuchtung bewirkten irgendwie diese Änderung unseres ! Liegt auf einer Oberfläche von homogener Farbe nur teilweise Schatten. so wird der Helligkeits- oder Lebhaftigkeitsunterschied freilich von jedermann leicht gesehen. Ebeuso fällt es auf, wenn durch Änderung der Beleuchtung plötzlich die Helligkeit einer Ober- tläche sich ändert. ? Von Nichtpsychologen wird bei Demonstration des Grundversuchs häufig die Ver- mutung geäußert. die von beiden verglichenen Papieren zum Auge veflektierte Strahlung sei nicht beiderseits von gleicher Zusammensetzung, und obwohl beide Papiere annähernd ton- {rei erscheinen. könne die verschiedene physikalische Zusammensetzung doch physiologisch zu dem Ergebnis führen. daß das schwach beleuchtete und deshalb schwach retlektierende Papier weißer gesehen würde. — Hier liegt ein einfacher Denkfehler vor: Wäre der Ge- danke richtig. so müßte ja das Sehen durch den Schirm mit Löchern genau dieselbe Be- obachtung ergeben wie das freie Hinblieken auf die Papiere; denn die »Zusammensetzung der Strahlung« beiderseits wird ja durch den Schirm und die Löcher gar nicht modifiziert. 6* 44 W. Köntver: Sehens. Dieser Annahme gemäß ist für die Erscheinungsgruppe der Name »(Gedächtnisfarben« vorgeschlagen worden; diesen Namen wählen wir nicht, eben weil er eine Theorie als richtig voraussetzt und die Theorie falsch sein könnte. 3. Die Oberflächenfarben, in der beschriebenen Weise wirklich ge- sehene Farben. sind ein Rassenerbteil, das, wegen seiner biologischen Vor- teile erworben und gefestigt, nun im wesentlichen fertig weiter vererbt wird. Oder aber: auch in dem Leben der Vorfahren spielten Erfahrung und Vorteil keine wesentliche Rolle bei Erwerb dieser biologisch allerdings sehr ange- messenen Sehweise; die Entwicklung des Sehapparates stand unter äußeren und inneren Bedingungen, die ihn in dieser Art bilden mußten. auch ohne daß der Vorteil mitwirkte. Es ist ja gar nicht selbstverständlich, daß ein von den einfallenden Strahlungsintensitäten durchweg abhängiges Sehen ge- wissermaßen das natürliche oder in jedem Organismus am leichtesten ent- wickelte Sehen darstellen würde. Nur die erste Ansicht läßt kaum die Möglichkeit zu, daß es Tier- gruppen gibt, welche Obertlächenfarben so sehen wie wir. Dagegen ist es für alle Theorien durchaus wahrscheinlich, daß es Tiere gibt. die in ihrem Sehen der Oberflächen vielmehr dem. Wechsel der Intensitäten folgen, wenn sie nicht gar auf ein Sehen von »Lichtflecken«, »Lichtern« schlechthin angewiesen sind, und Oberflächen als solche überhaupt nicht wahrnehmen'!. Für jede theoretische Annahme wäre es wichtig, zu wissen, welche Tiergruppen und damit welche Formen des peripheren und vor allem nervösen Sehapparats in dieser Hinsicht menschenähnlich sind und welche nicht. Vor Entscheidung der aufgeworfenen Frage beim Schimpansen wurde wieder der Weg gewählt, der größere Anforderungen an die Tiere stellt; sie mußten zunächst lernen, von einen schwarz und einem weiß bezeich- neten Kasten stets den letzteren zu wählen, und zwar bei gleicher Be- leuehtung für beide Farben; beim (unvermittelten) Übergang zum kritischen Versuch wird der »schwarze« Kasten in starke, der »weilje« in schwache Beleuchtung gebracht, so daß jener mehr Licht reflek- tiert als dieser; hinzu kommen leichte Versuche, in denen umgekehrt der weiße Kasten im starken Licht oder auch beide in gleicher Beleuch- ! Die Farbenblindheit mancher Tierformen hat keinen direkten Zusammenhang mit unserm Problem. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 45 tung stehen, so daß das Tier sich in den Hauptversuchen nieht einfach daran gewöhnen kann, den schwächer beleuchteten Kasten als solehen zu wählen. Nun muß sich zeigen, ob die Tiere sich in den kritischen Ver- suchen so entscheiden, wie es in gleicher Lage der Mensch tun würde; ist das der Fall, dann sieht der Schimpanse Oberflächen ähnlich wie der Mensch, ist es nieht der Fall, so müßte das Sehen des Schimpansen wohl hierin stark von dem des Menschen abweichen, zum mindesten müßte die »Helligkeit« oder »Eindringlichkeit« ihm wesentlich auffälliger sein als sie es uns ist, und die Oberflächenfarben würden entweder nieht die re- lative Konstanz besitzen wie beim Menschen oder wenigstens nur geringe Beachtung finden. Zwei Holzkästchen stehen vor dem Tier und vor dem Gitter, hinter dem es sitzt, auf dem Boden. Sie sind nicht ganz gefärbt, sondern tragen nur an der einen, dem Tiere zugekehrten Schmalwand auf Karton aufge- zogenes Papier im Format 6x7 cm, das eine ein sehr hellgraues (im folgenden kurz: das » weiße«), das andere ein dunkelgraues (das »schwarze«). Die Kartons mit den Papieren werden an der Kastenwand (in Wechsel- rahmen) so befestigt (eingeschoben), daß sie leicht miteinander oder mit neuen Papieren vertauscht werden können. Die verwendeten Papiere ge- hören der Zimmermannschen »Helligkeitsskala«' an und sind recht gut ton- frei. — Das Tier, welches das Innere der Kästehen nicht sehen kann, lernt durch Erfolg und Mißerfole beim Heranholen mit einem Stock, daß stets im » weißen« Kasten ein Fruchtstück liegt. Die Methode der Dressur ist auch sonst genau dieselbe wie in den Versuchen des vorigen Ab- schnittes: so werden die Frontpapiere häufig miteinander vertauscht sowie durch neue ersetzt, und die Raumlage innerhalb derselben Grenzen will- kürlich gewechselt. — Die Papiere schnitten wir während der Lernver- suche aus Bogen 3 und 4ı der Zimmermannschen Skala aus. Die schon bekannten Tiere »Sultan« und »Grande« machten die Ver- suche’. Beiden fiel das Lernen dieser Aufgabe nicht leicht‘, »Grande« deutlich schwerer als »Sultan«. Beide wurden einmal gleichzeitig durch ! lustr. Liste 25, Nr. 129. ® Nicht alle Papiere der Skala sind tonfrei, wohl aber in hinreichender Weise die von uns ausgewählten. ° Die Untersuchung liegt zeitlich vor den Größenversuchen des vorigen Abschnitts. * Das mag zum Teil an den bescheidenen Dimensionen der Frontpapiere gelegen haben. 46 W. Könner: Schnupfen arg gestört. Erst nach 231 Versuchen mit »Sultan« und nicht weniger als 603 mit »Grande« machten die Tiere einen hinreichend sicheren Eindruck!. Die Übungen noch länger fortzusetzen, erschien ge- radezu verkehrt, da beide gelegentlich Anzeichen vermindeter Aufmerk- samkeit sehen ließen. In den letzten 100 Versuchen »Grandes« kamen 9, in den letzten 50 »Sultans« 4 Flüchtigkeitsfehler vor. Auch zuletzt, als die Tiere bei wirklicher Beachtung der Frontpapiere jedesmal richtig wählten, gab es Fälle, wo sie auf einen der Kasten losfuhren, während die Bewegung eines Bananenblattes im Hintergrund oder der Schrei eines Esels u. dgl. m. sie ganz ablenkten. Das führte natürlich zu Fehlern, die dureh immer weiter fortgesetzte (und für die Tiere immer langweiligere) Dressur eher vermehrt als vermindert worden wären. Ein Mittel, größere Aufmerksamkeit zu erzwingen, kennen wir nicht und erwarten von der Ein- führung einer (etwa elektrischen) Strafe bei Wahl des falschen Kastens keinerlei Vorteil in Versuchen mit Schimpansen. Die Tiere wählten nach der Farbe der Frontpapiere, nicht nach sonstigen Kriterien: Geruchshilfen kommen hier ebensowenig in Betracht wie bei den Größenversuchen. Die Papiere, gleichmäßig aufgeklebt, sehen einander bis auf die Farbe völlig gleich: Austausch der Papiere gegen neue ändert nichts an der Leistung im Versuch, ebensowenig ein Austausch der Papiere von einem Kasten zum andern, ‘und damit ein Wechsel der Rahmen (aus hellbraunem Karton), in denen die Frontpapiere angebracht sind. Beide Tiere arbeiten genau so gut wie sonst, wenn niemand zu- gegen ist, der die Stellung des richtigen Kastens kennt. Solche Kontroll- versuche fanden in eroßer Zahl statt. Für die Hauptversuche wurde folgende Anordnung getroffen: Das Gitter, durch welches hindurch die Tiere mit dem Stab hinauslangen, ist ungefähr nach Norden gelegen. Ein festes Bretterdach, das bis ans Gitter heranreicht, schließt den Raum nach oben ab, und der Schatten dieses Daches bei Sonnenschein fällt in der Jahreszeit dieser Versuche (November) zwischen 10 Uhr vormittags und 2 Uhr nachmittags ein bis zwei Meter weit auf den Sandboden vor dem Gitter. Das Tier, das im ! Die Anzahl der Versuche in den einzelnen Versuchsgruppen wechselte zwischen 7 und 25, je nachdem, welche Zahl wir nach dem Verhalten der Tiere jedesmal für ange- bracht hielten. Eine bestimmte Zahl ein für allemal festzuhalten. empfiehlt sich nicht. — Zwei Versuchsgruppen entfielen im allgemeinen auf einen Tag. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuln. 47 Innern des Raumes ganz beschattet ist, hat seine Lernversuche stets so gemacht, dal beide Frontpapiere bei hellem Himmel in dem Dachschatten standen. — Wir schnitten in das Dach an geeigneter Stelle ein Loch von (Juadratform (etwa. 20 em?) und erzeugten so im Schatten vor dem Gitter einen hellen Lichttleck, der stets in passender Entfernung vom Gitter blieb und nur lanesam von Westen nach Osten wanderte. Ein dichtes Zelttuch, das, von Drahtgeflecht getragen, über Dach und Gitter hinausreichte, konnte dazu benutzt werden, beliebige Stellen des Schattens auf dem Boden noch gegen den hellen Himmel oder weiße Wolken stärker abzuschirmen. In kritischen Versuchen wurde der schwarze Kasten in den Sonnentleck, der »weiße in den Schatten links oder rechts daneben gestellt, in den leichten Versuchen der entscheidenden Reihen umgekehrt, der weiße im Sonnenlicht, einige Male beide (wie während des Lernens) in den Schatten, um zu prüfen, ob «die Hauptversuche irgend störend auf die ursprüngliche Dressur einwirkten. Man kann einer solchen Anordnung den Vorwurf machen. sie sei primitiv. GewißB ist sie das. Aber eine vornehmere Anordnung, wie sie mit künstlichem Licht in verschlos- senen Räumen hätte hergestellt werden können, haben wir schon deshalb nicht gewählt. weil in einem geschlossenen Raum und vollends bei künstlichem Lieht unsere an Freiheit gewöhnten Versuchstiere aus Angst und Jammer überhaupt nicht herausgekommen wären. Darin. daß wir bei natürlichem Lieht arbeiteten, schen wir vielmehr einen Vorteil; denn so konnte mit größter Annäherung das natürliche Sehen des Schimpansen zur Geltung kommen und untersucht werden. und um ein Bild der natürlichen optischen Umwelt des Schimpansen war es uns zu tun. Je künstlicher in ähnlichen Untersuchungen die Mittel ge- wählt werden, um so schwerer ist es, ihre Unnatürlichkeit den Ergebnissen anzurechnen; je komplizierter die Anordnung auszuschließender Fehlerquellen und gesteigerter »Kontrolle« wegen ausfällt. um so weniger kann man darauf reelnen, ein sonst gut bekanntes Tier auch in den Versuchen noch zu verstehen. Ganz besonders gilt das von unseren Anthropoiden. die keine geheimnisvollen Maschinen. sondern in dem größten Teil ihres Gehabens recht menschlich sind. Übrigens möchten wir Einfachheit der augewendeten Versuchsmittel über- haupt nicht als Mangel gelten lassen. solange nur die Anordnung konkrete Fehlerquellen zu vermeiden erlaubt. und gegen Vorwürfe bestimmter Art. die allein wir gelten lassen könnten, glauben wir uns durchaus geschützt zu haben. Ob der Beleuchtungsunterschied so groß ist, daß er das bei gleicher Beleuchtung lichtschwächere Papier (das schwarze) zum absolut stärker reflektierenden macht, kann in der angegebenen Art durch ein Diaphragma mit kleinen Löchern festgestellt werden; die Oberflächenfarbe geht dabei in Liehtfleeke über, deren Helligkeitsverhältnis dem physikalischen Licht- stärkenverhältnis gemäß ist. Um gewissen später zu besprechenden Ein- 48 W. Könter: wänden auszuweichen, hatten wir es jedoch darauf angelegt, die Versuche unter recht schweren Bedingungen anzustellen, und den physikalischen Licht- stärkenunterschied der beiden Papiere recht groß zu machen. Daß dies bei Verwendung direkten Sonnenlichtes leicht zu erreichen war, ließ sieh dureh einen Blick auf die Diaphragmalöcher beobachten: das schwarze Papier in der Sonne liefert einen weißlich-grauen, das weiße einen tief- dunklen Lichtfleck. Über eine nur komparative Schätzung aber konnten wir hinausgehen durch Verwendung eines Wienerselien Photometers! aus (lem Leipziger Physikalischen Institut, welches einer von uns (M. U.) ge- rade zu Himmelsmessungen auf dem Pico de Teyde nach Teneriffa ge- bracht hatte”. Zur Vergleichung zweier Strahlungen war der Appamt so eingerichtet, daß eine stark absorbierende (schwarze) Flüssigkeit in sehr genau abstufbarer Schichtdicke in den Weg der helleren Strahlung zum Vergleichsfeld eingeschaltet werden konnte bis zur Gleichheit. Der Apparat ist durch Vergleich mit einer photoelektrischen Zelle sehr genau geeicht worden. Die von beiden Papieren in kritischen Versuchen retlektierten Strahlenintensitäten haben wir mit diesem Apparat auf die Weise gemessen, daß jedes der beiden Papiere (in seiner Stellung beim kritischen Versuch) mit einem sehr lichtschwachen Vergleiehspapier verglichen (gleichgemacht) und aus den erhaltenen Werten mit Hilfe der Eichtabelle das Licht- stärkenverhältnis bestimmt wurde. Es schadet dabei natürlich nichts. wenn das dımkle Vergleichspapier nicht bei allen Messungen gleich intensiv reflektiert; denn seine Lichtstärke fällt ja bei Bestimmung des Hellig- keitsverhältnisses der beiden Versuchspapiere stets heraus. Nur beim Übergang von der Messung des einen Papieres zu der des andern, bei den beiden zusammengehörenden Teil- messungen also, muß die Lichtstärke desVergleichspapieres konstant sein, und sie war es während der wenigen Momente von einer Messung zur anderen sicherlich mit hinreichender Genauigkeit. Wir haben nieht zu jedem Versuch eine Messung gemacht. Während der Zeit, die für eine Versuchsgruppe erforderlich war, schwankte die In- tensität des Sonnen- und des zerstreuten Ilimmelslichtes nicht sehr be- deutend®. An Tagen mit schnell schwankender Helligkeit unterblieben ! Beschrieben von Herxheimer, Zeitschr. f. Instrumentenkunde. ® Wir sprechen Hrn. Geheimrat Prof. Dr. Wiener unsern Dank für die Erlaubnis aus. den Apparat in dieser Untersuchung zu verwenden. ® ® Wir brauchen kaum daran zu erinnern. daß die Versuche unter klimatischen Ver- hältnissen angestellt werden, die von den deutschen z. B. sehr verschieden sind. In Tenerifla ist nieht nur die Intensität der Sonnenstrahlung sehr viel größer, die Insel hat auch zeitlich viel mehr Sonnenschein als Mitteleuropa. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 49 die Versuche; sie wurden nur begonnen, wenn in der näheren Umgebung der Sonne der Himmel klar war und in weiterem Umkreis vorhandene Wolken sich nieht zu schnell bewegten. So haben wir uns entweder auf eine Messung unmittelbar vor Beginn und eine zweite sofort nach Ab- schluß der Versuchsgruppe beschränkt oder auch eine einzige, vorher oder nachher, genug sein lassen. Danach können wir nicht sagen, daß die ge- messenen Intensitätsverhältnisse genau mit denen der Versuche überein- stimmen, aber in welchem Grade die Versuche kritisch waren, kann doch aus den Zahlen weit besser ersehen werden als aus unbestimmten An- gaben nach subjektiver Schätzung im Diaphragma. Beeinflussung der Tiere durch anwesende Personen wurde in den Hauptversuchen wieder streng vermieden. Für »Sultan« wurden die Kasten vor jedem Versuch in ihre Stellung gebracht, während er selbst mit einem von uns in einem Raume war, von wo der Versuchsort gänz- lich unsichtbar ist; auf ein Signal hin wurde er dann in den vergitterten Raum geschickt, während die ihm vorher Gesellschaft leistende Person im ersten Raum zurückblieb. Die Beobachtung des Tieres geschah von einer (etwa 6 m) seitwärts gelegenen Tür aus, wo seine Bewegungen genau überwacht, der Beobachter selbst aber nicht gesehen werden konnte. Während der Versuche war also niemand sichtbar. Mit »Grande« das- selbe Verfahren einzuschlagen gelang nicht; als wir sie daran gewöhnen wollten (während der Lernversuche), geriet sie in Angst und sträubte sich gegen den fortwährenden Umtransport von einem Raum in den andern. Deshalb wurde für sie die Aufstellung der Kasten hinter einem dichten Schirm vorgenommen und dieser Schirm dann von einem von uns, der die Stellung der Kasten nicht kannte, fortgezogen. Da der Betreffende auch beim Fortziehen des Schirmes nicht auf die Kasten sah, und über- dies noch dem Tier und den Kasten sofort den Rücken wendete, da ferner die Beobachter sich versteckt hielten wie bei »Sultan«, so, war es auch »Grande« schlechterdings unmöglich gemacht, von anwesenden Menschen etwas abzusehen. Für »Sultan« wurden in einem Teil der Versuche die Papiere 3 und 41 der Skala, also dieselben wie beim Lernen, verwendet, später ersetzten wir Papier 3 durch ı und ließen »Grande« alle Hauptversuche mit ı und 41 machen. Es zeigte sich nämlich, daß bei Verwendung von 3 im kritischen Versuch bisweilen so starke Umkehrung des Lichtstärkenverhältnisses auf- Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. 7 50 W. Könrer: trat, daß selbst der Wärter der Tiere einer gewissen Konzentration be- durfte, wenn er die Farben stets richtig angeben sollte. Das Papier 3 ist schon deutlich »grau« und deshalb für die untersuchte Erscheinung nicht so günstig wie ein wirklich »weißes« Papier (vgl. 0. S.42); das Papier ı dagegen bleibt auch bei starker Beschattung noch deutlich »weiß«. Es konnte uns nichts daran liegen, die Schwierigkeit der Versuche so weit zu steigern, daß sie unklare Resultate geben konnten. Wir brauchen kaum zu erwähnen, daß für die Hauptversuche nur neuhergestellte Papierschilder verwandt, daß diese stets nach einigen Ver- suchen wieder durch neue ersetzt und endlich häufig die Zuordnung der Farben (Papierschilder) zu den Kasten und Rahmen vertauscht wurden, ob- wohl diese einander so gleich sehen, daß der Schimpanse gewiß keinen Unterschied findet'. »Sultan« machte an 4 Tagen im ganzen 48 Versuche, von denen 32 schwer, ı6 leicht waren; »Grande« an 3 Tagen 41 Versuche, 30 schwere und ıı leichte. In den leichten Versuchen kam kein Fehler vor, von den kritischen fielen nur 2 bei »Sultan« (= 6!/, Prozent), 3 bei »Grande« (= ı0 Prozent) »falsch«, d.h. anders aus als der Mensch wählen würde. Sähen die Schimpansen Oberflächenfarben den von den Oberflächen reflektierten Strahlungen entsprechend, so hätten sie nach der starken Dressur alle — oder der möglichen Flüchtigkeitsfehler wegen nahezu alle — kritischen Versuche »falsch« machen müssen. Dabei kamen dem Papier, das (bis auf wenige Fehler) nicht gewählt wurde, also dem »schwarzen«, Lichtstärken zu, die zwischen dem 3.3- und dem 12.6fachen der Licht- stärke des »weißen« Papieres schwankten, als »Sultan« Versuche machte, während die entsprechenden Zahlen bei »Grande« 3.3 und 6.2 waren. Zur Demonstration der Erscheinung beim Menschen wird meist der Weg gewählt, daß die Versuchsperson, durch das Diaphragma sehend, eine variable, tonfreie Nuance (Farben- kreisel) einer anderen konstanten gleichzumachen sucht. Beide sind in verschieden starker Beleuchtung aufgestellt und beim Fortziehen des Schirmes zeigt sich, daß die im Diaphragma physikalisch und netzhautmäßig gleich eingestellten Lichter nun ganz ungleich aussehen, nämlich einer »weißen« und einer »schwarzen« Oberfläche entsprechen. — Die Schimpansen wählen also, da nicht Gleichheit, sondern stärkste Umkehrung des normalen Lichtstärkenverhältnisses in ihren Versuchen vorliegt, das »weiße« Papier unter den allerschwersten Bedingungen. ! Wir haben neuerdings die Schimpansen auf gewisse Form- und Lageunterschiede dressieren wollen, die der Mensch bei nur mäßiger Aufmerksamkeit notwendig erfaßt. Bei der geringen Konzentration der Tiere auf optische Details haben wir damit dauernd keinen Erfolg gehabt. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. al Die folgenden Tabellen geben eine Übersicht über die einzelnen Ver- suchsgruppen. Wo Fehler vorkamen, ist ihre Anzahl hinter der der be- treffenden Versuche überhaupt vermerkt. Die vorletzte Vertikalkolumne enthält die Bestimmungen des Lichtstärkenverhältnisses für jede Gruppe; von zwei Angaben stammt immer die erste von der Messung vor, die zweite von der Messung nach den Versuchen. Die letzte Kolumne gibt der leichteren Übersicht wegen die Strahlungsintensität für das »schwarze« Papier, wenn die des »weißen« als Einheit gewählt wird. Versuchstag Papiere Kritische Leichte Verhältnis der weißen Versuche Versuche Strahlungen »Sultan« 31.10. 14 3u.41 4 3 f 45 :1.22 37 U 4.95 :0.85 5.8 2.11.14 3u.41 10 (2) 4 220.74 12.6 3. 11.14 Iu.4I 8 5 f 5.63: 1.65 3.4 4.9 :1.13 4-3 4. EI IA ıu.41 10 4 f AeSELE 3:3 1 6.8 :1.79 3.8 »Grande« 4. 11.14 1u.41 8 3 [ 9 3 4-3 4.65: 1.4 Sl 5.11.14 1u.41 12 (2) 4 6.3: 1.29 4-9 6.11.14 Iu.4I 10 (I) 4 6.05 :0.97 6.2 Wir haben diese Versuche für ausreichend gehalten. An ein Spiel des Zufalls ist hier nicht mehr zu denken, zumal die fehlerlosen leichten Versuche zeigen, daß die Tiere nach wie vor im Sinne ihrer Dressur wählen. Nach dem Prinzip der Untersuchung kommt es hauptsächlich auf die ersten Versuche nach Einführung der kritischen Bedingung an; je länger die kritischen Versuche fortgesetzt werden, desto weniger kann man sicher sein, daß die Entscheidungen der Tiere nur aus dem vorher in der Dressur mx 7* 52 W. Könurer: Erlernten entspringen. »Sultan« machte seinen ersten Fehler im 6., »Grande« den ihren im 8. kritischen Versuch. Es ist wohl kein Zufall, daß die beiden Fehler »Sultans« auf den Tag fallen, wo bei Verwendung des hellgrauen Papieres 3 die Umkehrung des Lichtstärkenverhältnisses einen ganz besonders hohen Grad erreichte; wie erwähnt, näherten sich die Bedingungen hier einer Grenze, wo auch beim Menschen momentane Unsicherheit möglich wird. Welche Einwände könnten gegen diese Versuche erhoben werden? ı. Das vorhergehende Lernen bedeutet keinerlei Dressur auf die Entscheidung der kritischen Versuche hin; denn während der Lernzeit sind die Frontpapiere stets gleich beleuchtet. — Eine Selbstdressur auf die veränderten Umstände während der kritischen Versuche hat nicht stattgefunden; denn »Sultan« macht erst den 6., »Grande« den 8. kritischen Versuch falsch, und eine solche Dressur während der Hauptversuche müßte mit Fehlern anfangen. Das einzige übrigens, worauf sich die Tiere un- vermerkt hätten einstellen können, um die kritischen Versuche richtig zu machen, wäre Wahl des beschatteten Kastens gewesen, und das hätte zu Fehlern in leichten Versuchen führen müssen, während die’ leichten Versuche fehlerfrei ausfielen'. — Ähnlich ist folgende Erklärung auszu- schalten: Die Tiere haben ihre Lernversuche gemacht, während beide Papiere im Schatten standen; im kritischen Versuch steht der richtige Kasten nach wie vor im Schatten, hat also eine ähnliche Lichtstärke wie zuvor, während der »schwarze« im Sonnenlicht eine ganz neue ungewohnte Lichtstärke besitzt; das Tier reagiert einfach auf die gewohntere Licht- stärke, und ob die Strahlung des anderen Papieres dabei größer oder kleiner ist, spielt bei der Wahl gar keine Rolle. Diese Erklärung wäre schon insofern unzutreffend, als bei »Grande« von Beginn, bei »Sultan« etwa von der Mitte der Versuche an Papier ı an Stelle des Lernpapieres 3 verwandt wurde; da beide sehr verschieden sind, so war also die Licht- stärke des tatsächlich in kritischen Versuchen gewählten Papieres keines- wegs der des richtigen Papieres beim Lernen gleich. Außerdem würde dieser Erklärungsversuch wieder die Konsequenz fordern, daß in den leichten Versuchen, wenn der »weiße« Kasten im Licht steht, gehäufte Fehler auf- träten; denn hier hat der »schwarze« Kasten (im Schatten) die gewohnte ! Die Anzahl der leiehten Versuche ist klein; da sie aber völlig fehlerfrei blieben. erschien eine Vermehrung unnötig. (Von 16 nicht-kritischen Hauptversuchen »Sultans« sind ro leicht im prägnanten Sinn. 6 von gleicher Art wie die Lernversuche; von rr bei »Grande« sind 8 der einen, 3 der anderen Art.) or Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 93 Lichtstärke, der »weiße« die ungewohnte. Schließlich verstößt die Er- klärung gegen einen Erfahrungssatz, den man wohl recht allgemein for- mulieren kann: Ist ein Tier auf eine von zwei Qualitäten einer Reihe (z. B. Schwarz-Weiß) dressiert, so können beide Qualitäten oder eine von ihnen durch recht verschiedene der gleichen Reihe ersetzt werden — das Tier wählt weiter in derselben Riehtung innerhalb der Reihe. So wurde z. B. »Grande« später das Farbenpaar ı3 und 41 (bei gleicher Beleuchtung beider Papiere) vorgelegt, und sie wählte ı3, obwohl diese Farbe ganz unbekannt war'. — Die Tiere können ferner nicht an schwachen bunten Farbennuancen der Papiere erkannt haben, welches (trotz der Lieht- stärkenumdrehung) das richtige war; in dem Grau von Papier 3 kann vielleicht eine Spur einer bläulichen Nuance entdeckt werden, wie viel- fach in hellgrauen Tönen, aber selbst wenn der Schimpanse genau genug beobachtete, um sich danach richten zu können, so würde ein solches Nebenkriterium doch sofort versagt haben in den Versuchen mit Papier 1, in desssen reinem Weiß für uns nichts von einem Farbton enthalten ist; »Grande« und »Sultan« aber wählten auch zwischen ı und 41 immer richtig; Papier 41 ist ebenfalls für uns vollkommen tonfrei. Nur wenn die Valenzen verschieden frequenter Strahlungen beim Schimpansen andere wären und z. B. rot einer bestimmten und grün einer andern Wellenlänge sich bei einem ganz andern Intensitätsverhältnis (bis auf die tonfreie Va- lenz) aufhöben, als es für den farbentüchtigen Menschen bekannt ist —, nur dann wäre ein solcher Erklärungsversuch berechtigt. Wir halten je- doch die zugrunde liegende Annahme — der Sehimpanse würde deut- lich bunte Farben sehen, wo wir weiße, graue und schwarze Papiere vor uns haben — für sehr unwahrscheinlich. — Auch schwache bunte Töne, die die Beschattung bei solchen Versuchen bisweilen hervorbringt, können das Resultat der Versuche nicht erklären; denn wenn mitunter ihrer bestimmten Qualität nach schwer angebbare Spuren dieser Art im Diaphragma sichtbar waren — beim freien Hinblicken auf das beschattete Papier sieht man sie nicht —, so konnte doch in ebensoviel anderen Fällen gar nichts von bunten Farbtönen entdeckt werden; bei Versuchen in ge- schlossenen Räumen pflegen solche Beimischungen viel störender zu sein. Wieder nur bei einer fundamentalen Abweichung der Farbensysteme an ' Das Prinzip derartiger Variationen läßt sich durchführen bis zu Versuchsformen von fast paradoxem Charakter; darüber wird in anderem Zusammenhang berichtet werden. 54 W. Köntrer: und für sich, wie sie zwischen Mensch und Anthropoiden sehr unwahr- scheinlich ist, könnten für den Schimpansen genügend auffallende bunte Farbe sein, was der Mensch tonfrei oder mit Mühe in allerschwächsten bunten Nuancen sieht. Wir haben den Eindruck, mit der Erörterung solcher Eventualitäten die Vorsicht bereits sehr weit zu treiben. 2. Etwas mehr Bedeutung als den bisher erwähnten könnte man den folgenden Einwänden zusprechen wollen: Bis zu einem gewissen Grade müssen Simultankontrast und Adaptation in der gleichen Richtung wirken wie die untersuchten Eigenschaften des Öberflächensehens. Ist es viel- leicht möglich, die Ergebnisse der Versuche überhaupt aus der Wirksam- keit dieser Faktoren zu erklären? Die Umgebung der Kasten (und Papier) in den kritischen Versuchen ist im ganzen beiderseits gleich bis auf einen schmalen stark belichteten Rand, der das »schwarze«, ebenfalls stark be- leuchtete Papier umgibt'. Dieser helle Rand setzt sich zusammen aus dem (braunen) Kartonstreifen des Rahmens (1 cm Breite), der das Papier unmittelbar umschließt, ferner aus einem ganz schmalen Streifen hell be- leuchteten grauen Sandes unten, vorn und auf beiden Seiten vom Front- papier. Die Wirksamkeit des Simultankontrastes ist unter geeigneten Ver- suchsumständen auch auf größere Entfernungen vom kontrasterregenden Feld noch nachzuweisen, ebenso gewiß aber nimmt seine Wirkung schnell mit der Entfernung ab: Der »Randkontrast« ist die Kontrastform, welche in der Regel allein auffällig wird, und nicht einmal von diesem können wir menschlichen Beobachter unter den Bedingungen dieser Versuche etwas sehen, offenbar sehon deshalb nicht, weil jener helle Rand auf Rahmen und Sandgrund gar nicht viel heller ist als das »schwarze« Papier im starken Licht; auch bei normaler Beleuchtung, etwa im Innern eines Zimmers, ist ja Papier 41 nicht wirklich »sehwarz«, sondern ein dunkleres »Grau« zu nennen, besitzt also ein ganz beträchtliches Remis- sionsvermögen (Albedo). — Aber wie es damit auch stehen mag —, eine Erklärung der Ergebnisse aus dem Umgebungskontrast wäre viel- leicht denkbar, wenn die Lichtstärken der beiden Papiere in den kri- tischen Versuchen nur gleich gemacht wären; gerade um eine solche Erklärung auszuschließen, haben wir aber das »schwarze« Papier be- ı Es fällt ja nur ein kleiner Lichtileck in den Schatten, der im übrigen das »schwarze« Papier genau so umgibt wie das »weiße«. Bisweilen war der Liehtlleeck nur eben so breit. daß das Frontpapier gerade ganz darin stehen konnte, Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 55 deutend lichtstärker gemacht als das »weiße«: daß der Kontrast von einem schmalen Streifen braunen Kartons und grauen Sandes, die die Sonne trifft, nicht allein Helligkeitsverhältnisse von 3.3:1 aufwärts aus- gleichen, sondern noch soweit wieder umdrehen sollte, daß die Tiere nun wieder nach dem Verhältnis der Lernversuche sich richten könnten, das ist ganz unmöglich. Ebensowenig konnte die Adaptation eine solche Wiederumkehrung des physikalischen Helligkeitsverhältnisses hervorrufen. Denn da beide Kasten in geringer Entfernung (etwa 20 cm) voneinander am Boden stehen und immer gleichzeitig gesehen werden, so muß eine einheitliche Adapta- tion der Augen, resultierend aus der (ganz ausschlaggebenden) Helligkeit des Gesamtraums sonst, der Frontbretter beider Kasten sowie ihrer näheren Umgebung sich herstellen, die zwar die gesehenen Farben beider Papiere gleichsinnig, aber nicht die des einen entgegengesetzt zu der des andern verschieben kann, vollends nicht in einem Betrage, wie er erforder- lich wäre, um den Versuchsausfall begreiflich zu machen. Im übrigen gibt es ja ein Mittel, durch welches wenigstens für den Menschen ganz bündig entschieden werden kann, ob Kontrast und Adaptation eine Umkehrung des so bedeutenden Helligkeitsunterschiedes hervorrufen. Werden die Papiere für einen Augenblick nicht als solche, ihre Farben nicht als Oberflächenfarben angesehen, sondern die Papiere zu »Lichtflächen« degradiert (vgl. o. S. 42), so muß, da diese Seh- weise ja Kontrast und Adaptation nicht tangiert', sofort deutlich werden, welches Papier bei Mitwirkung dieser Faktoren das »hellere« ist. Und bei dieser Art des Sehens ist in unserer Anordnung stets das »schwarze« Papier »lebhaft«, »eindringlich«, »hell« gegenüber dem »weißen«, das »matt«, »dumpf«, »dunkel« erscheint. Also haben Kontrast und Adap- tation das Helligkeitsverhältnis der Papiere nicht in das der Lern- versuche zurückverkehrt. Beide Faktoren müßten beim Schimpansen Wirkungen ganz anderen Betrages verursachen, wenn es für ihn nicht so sein sollte. Nach alledem kann keiner der erwähnten Erklärungsversuche an Wahrscheinlichkeit mit der einfachsten Erklärung verglichen werden; wir glauben jene sämtlich ablehnen zu müssen. Die einfachste Erklärung ist, ! Das Sehen der Kontrastwirkung wird höchstens gefördert. 56 W. Köurer: daß der Schimpanse Oberflächenfarben von der Beleuchtung in hohem Maß unabhängig sieht wie der Mensch'. D. Über die Farben der Sehdinge beim Huhn. Nicht ohne weitere Nachprüfung kann man behaupten, daß mit den Versuchen des vorigen Abschnittes eine hohe Entwicklung des optischen Systems beim Schimpansen nachgewiesen sei, in der seine nahe Verwandt- schaft mit Menschenvorfahren und Menschen zum Ausdruck komme. Das 72 > 7 Z 4 2 [22 (ey b, d Rahmenleisten. P,, P, Versuchspapiere. a, könnte erst gesagt werden, wenn bei zoologisch dem Menschen viel ferner- stehenden Tierarten entsprechende Versuche zu einem entgegengesetzten Resultat führten. Noch ein anderes Motiv veranlaßte uns, bei weniger reich organisierten Tieren die gleiche Frage zu untersuchen. Recht all- gemein wird angenommen, daß in irgendeiner Weise die Erfahrung einen wesentlichen Anteil an dem Zustandekommen der untersuchten Seh- weise habe. Damit Erfahrung als solche eine so fundamentale Veränderung ! Wir haben keinen Anlaß, hier die Frage zu erörtern, ob wir überhaupt berechtigt sind, beim Schimpansen »Sehen« im engeren Sinn und damit Bewußtsein vorauszusetzen. Es gibt wohl keine Frage in der Tierpsychologie, die für prinzipieller gehalten und deshalb mehr erörtert wäre als diese, aber auch keine, die bei dem gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft so völlig unfruchtbar genannt zu werden verdiente. Ändert es irgend etwas an unsern Versuchen und der Geltungsweite der Ergebnisse für weitere Forschung, ob wir dem Tier Bewußtsein zuschreiben oder sein ganzes Verhalten nur als eine Verkettung sehr komplexer Prozesse des Hinterhauptlappens mit motorischen Äußerungen interpre- tieren? Nicht das geringste. Wenn — vermutlich nach langen Jahren — etwas von den auszeichnenden Eigenschaften der zentralen Prozesse bekannt sein wird. die beim Menschen notwendig von Bewußtsein begleitet sind, dann wird es an der Zeit sein, die Bewußtseins- frage auch bei Tieruntersuchungen zu stellen. (Unserer Privatmeinung nach ist die Frage beim Schimpansen mit ja zu beantworten, aber was ist damit in der Forschung gegenwärtig auszurichten? Ob diese Forschung deswegen noch Tierpsychologie oder sonst irgendwie ıeissen soll. das scheint uns durchaus kein wichtiges Problem. | ll. da | t lurel l htiges Probl Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 57 der Sehweise (gegenüber einem Sehen »nach Lichtstärken«) herbeiführe, ist nun, wie uns scheint, eine ganz beträchtliche adaptative Leistungsfähig- keit des Nervensystems gegenüber Erfahrungen Voraussetzung; je mehr wir uns im zoologischen System von den Primaten entfernen, desto we- niger wird im allgemeinen einem Organismus eine derartige Modifikation seiner Optik durch Erfahrungen zugetraut werden können. Auch von diesem theoretischen Gesichtspunkt aus unternahmen wir einen tatonnierenden Ver- such darüber, wie weit fort von Mensch und Schimpanse ungefähr das Öberflächensehen der beschriebenen Art sich noch findet. Das Haushuhn wurde als Prüfungstier gewählt, weil es sich bereits als sehr brauchbar in anderen optischen Untersuchungen erwiesen hat!. Es ist gleichzeitig so weit von den Primaten entfernt, daß eine schnelle Übertragung der Ergebnisse des vorigen Abschnitts auf diese andere Tier- form sicher nicht gerechtfertigt wäre, und so haben wir denn auch die folgenden Versuche begonnen, ohne bestimmte Erwartungen über ihren Ausfall hegen zu können. Vier Hühner (I bis IV) nahmen zunächst an den Versuchen teil, zwei junge von etwa 3/, und zwei ältere von etwa 5/, Jahren’. Die Tiere be- fanden sich für die Dauer der Versuche in Drahtkäfigen von rechteckigem Grundriß; an der einen Schmalseite war jedoch die Seitenwand durch ein vertikales Eisengitter ersetzt, zwischen dessen Stäben sie mit aller Bequem- lichkeit Kopf und Hals hinausstrecken konnten. Hier nämlich stand ein niedriges hölzernes Podium, von dem zu fressen sie sich leieht gewöhnten. Für die Versuche brachten wir auf einem kräftigen Brett eine Art höl- zerner Rahmenleisten so an, daß zwei mit den Prüfungspapieren bezogene Kartons von ı1!/, em? Fläche leicht in sie hineingeschoben werden konnten und, an zwei Rändern in den Leisten festgehalten, sicher und eben auf der Brettunterlage festsaßen (vgl. die Skizze). Diese einfache Anordnung hatte nicht ganz die Breite der Gitterwand. — Als Versuchspapiere ver- ı Z.B. bei den Versuchen von Katz und Re&vesz, Zeitschr. f. Psychol. 50, 1909. 2 Von den älteren Tieren zeigte eines (III) nach schon weit fortgeschrittener Dressur plötzlich eine ganz erstaunliche Abnahme der Leistungen: die richtigen Fälle sanken bis auf 5o Prozent herunter. Als unsere Ratlosigkeit hierüber vollkommen geworden war, legte das Huhn das erste Ei (entweder der Saison oder seines Lebens) und die Lernkurve stieg als- bald wieder empor. Bei einem andern Huhn, das nicht hierhergehörige Versuche machte, trat ganz dieselbe Erscheinung auf. Der Zusammenhang mit der Eibildung ist nicht zu be- zweifeln. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. >. Ss 58 W. Köuter: wandten wir zunächst 5 und 30 der Zimmermannschen Helligkeitsskala (vgl. 0. S.45). Zwei der Hühner (I und IV, die jüngeren) lernten nur vom dunkelgrauen, die beiden andern (II und III) nur vom hellgrauen Papier die daraufliegenden Weizenkörner aufzupicken. — Die Zahl der Körner (2— 8) war jedesmal beiderseits gleich; sie lagen in der Mitte der Papiere dicht nebeneinander. Ersatz der Papiere war nicht so häufig erforderlich, wie man der Abnutzung durch Schnabelhiebe wegen denken sollte, da die Tiere, auch wenn sie mehrere Versuchsreihen hindurch etwas ange- brauchte Papiere vor sich gehabt hatten, vor ganz neuen nicht den gering- sten Dressurverlust zeigten. Unerwünschte individuelle Merkmale der ein- zelnen Papiere spielten also keine Rolle beim Lernen. Gegen etwaigen Einfluß der Rahmenleisten schützten wir uns durch Austausch der Papiere unter sich; wie zu erwarten, ebenfalls ohne den mindesten Abfall in der Leistung der Tiere. Die Raumlage wurde durch Drehung des Versuchsbretts um 180° auf dem Podium in »undurchsichtiger« (nicht-rhythmischer) und in denselben Grenzen willkürlicherweise gewechselt wie beim Schimpansen. Um die Dressur zu erreichen, klebten wir anfangs die Körner auf dem jeweils verbotenen Papier an diesem fest: aber unsere Hühner waren zu alt und kräftig für dieses von Katz und Revesz (a. a. O.) verwendete Mittel und rissen mit ihren starken Schnäbeln die Körner schließlich immer los. Für den Dressuranfang leistete dann ein anderes Mittel der ge- nannten Autoren einige Dienste: auf das erlaubte Papier wurde eine Glas- platte gelegt und auf diese frei die Körner, auf dem verbotenen lagen zu- erst die Körner und darüber die Glasplatte. Obwohl wir nun aus dem Ver- halten der Hühner deutlich ersehen konnten, daß sie nach kurzer Zeit ein- fach erkannten, wo die Körner auf und wo sie unter dem Glas lagen', blieb ihnen die Farbe der Papiere dabei doch nicht ganz gleichgültig; denn wenn nach mehreren Versuchsreihen die Gläser entfernt wurden, zeigte sich in der Regel schon eine Bevorzugung des erlaubten Papieres. — Für die weitere Dressur haben wir ein Mittel angewendet, das sicher so primitiv wie naheliegend ist, aber so ausgezeichnet wirkte, daß wir dauernd von ihm Gebrauch machten: in dem Augenblick, wo ein Huhn vom verbotenen Papier pickte, wurde es durch ein Ziehen oder eine schnelle Bewegung zurückgescheucht und das Holzbrett fortgenommen. ' Das kann an der Dicke der Gläser gelegen haben, auch an dem Alter der Hühner. Die von K. und R. untersuchten Tiere waren wesentlich jünger. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 59 So viel man auch für eine ganz unpersönliche Art der »Bestrafung« in derartigen Versuchen sagen kann, wie sie z.B. der elektrische Schlag darstellt, so scheint uns doch, als wäre für eine Dressur, die nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen soll, ein Verfahren eher angebracht, das, wie das unsrige, den Tieren gewissermaßen faßlicher ist und so un- mittelbar auf die fehlerhafte Innervation gegenüber dem verbotenen Papier die Kontrainner- vation folgen läßt. Solange nicht das Gegenteil notwendig wird und Fehlerquellen ver- mieden bleiben. glauben wir deshalb von den nicht sehr natürlichen Bedingungen neuester tierpsychologischen Versuche und besonders von ganz unbiologischen Strafarten im Interesse der Sache absehen zu sollen. Akustisch und durch gesehene Bewegungen wird ein Huhn oft genug erschreckt und gewarnt; es verfügt sicherlich über Reflexe, die in solchen Fällen Hemmung seiner Bewegungen oder Flucht bewirken. Diese einfachen und starken Disposi- tionen für unsere Zwecke zu benutzen, hielten wir für angemessener als eine starke Rei- zung seiner Füße durch ein Induktorium, wenn die Wahl falsch ausgefallen ist. Über das Lernen der Hühner, das ja nur als Vorbereitung für die Hauptversuche dienen sollte, berichten wir nur kurz. In schwächerem Maße, als das bei den Schimpansen der Fall gewesen war, zeigte sich hier, daß der Beobachter von einer bestimmten Versuchsreihe an — die Ver- suchsreihe bestand in der Regel aus 20 Versuchen, zwei solche Reihen entfielen meist auf einen Tag — aus dem Verhalten der Tiere den Ein- druck gewann, daß es nun nicht mehr durch allerhand Zufälligkeiten zu einem Papier hingezogen wurde', sondern irgendwie wählte, während zu- gleich die Zahl der richtigen Fälle über 50 Prozent hinausging. Der weitere Verlauf der Kurve, die beim Schimpansen nach dieser entscheidenden Reihe rapid anzusteigen pflegt. ist freilich beim Huhn äußerst gedehnt, und die für unseren Zweck erforderliche Sicherheit war nicht zu erreichen, ehe die Hühner etwa 400 bis 600 Versuche und darüber gemacht hatten. — Sehr auffällig war bei manchen der Tiere die Art ihres Wählens: vom Hintergrunde ihres Käfigs herkommend, stellten sie sich, immer noch mit dem Kopf hinter dem Eisengitter, für eine wechselnde und bisweilen bis zu mehreren Sekunden ansteigende Zeitspanne genau in die Symmetrieachse der beiden Papiere, bis dann der Kopf, wie von Zügeln gedreht, sich ruhig zur Seite und auf eins der Papiere niederbeugte. Wahlen, die auf diese Art zustandekamen, waren, entsprechend dem Eindruck der Sicherheit und des festgeformten Verhaltens beim Beobachter, fast immer richtig. Wahlen dagegen, in denen das Tier sofort auf eins der Papiere losging, fielen sehr ! Vorliebe für eine der beiden Farben vor der Dressur hat nur in geringem Maße bestanden. Wie leicht ersichtlich, spielt dieser Faktor keine Rolle bei den entscheidenden llauptversuchen. gr 60 W. Köurer: häufig falsch aus. — Nicht selten konnte beobachtet werden, daß ein Huhn, im Begriff, vom verbotenen Papier zu pieken, im letzten Moment mit hinaus- gebeugtem Kopf doch noch gehemmt wurde und Sekunden hindurch wie erstarrt blieb; ebenfalls kam es dann vor, daß der schon hinausgebeugte Kopf in Schrägstellung nach dem richtigen Papier hin zurückgenommen wurde und das Huhn doch noch richtig wählte!. Ganz stark zeigten sich alle untersuchten Hühner darin von den Schimpansen unterschieden, daß sie, nicht entfernt so sehr wie diese, ihre Wahl nach der Raumlage richteten. Es war schwer, den Anthropoiden jene » Voraussetzung der konstanten Raumlage« auszutreiben, mit der sie an die ersten Versuche herangingen und die schon durch das Gebahren des Tieres dabei von einem bloßen Drauflosfahren in der motorisch ein- mal eingestellten Richtung charakteristisch verschieden ist: hier sind die Tiere von unaufmerksamem, unüberlegt-mechanischem Verhalten, dort machen sie den Eindruck, durchaus klar und auf die Sache gerichtet vorzu- gehen. — Auch das Huhn, das dreimal richtig rechts gepickt hat, fährt leicht im vierten Versuch mit gewechselter Raumlage wieder nach der alten Riehtung, aber wenn die Dressur noch nicht weit fortgeschritten und die Raumlage nicht zu oft die gleiche ist, geht das Huhn bald zum rechten, bald zum linken Papier, ohne daß seine Entscheidungen jemals den Zufalls- charakter so ganz verlören und eine Art räumlichen Plans erkennen ließen wie beim Schimpansen, der gerade zu Anfang nach jener » Voraussetzung « arbeitet. Selbst beim Huhn haben wir zunächst an die Möglichkeit einer Be- einflussung durch den Beobachter während der Wahl gedacht, und man könnte meinen, unser primitives Lern- oder Lehrverfahren habe die Hühner besonders disponiert, auf Bewegungen anwesender Personen gerichtet zu sein. Diese Befürchtung ist ganz unbegründet. Die Hühner gehen, wenn sie erst gut dressiert sind, mit großer Ruhe und augenscheinlich ganz auf die Körner und Papiere gerichtet an die Wahl. Schlechterdings nichts weist auf eine Beeinflussung durch die Beobachter hin. Trotzdem haben wir, um ‚jede Unsicherheit zu vermeiden, auch mit den Hühnern Versuchsreihen gemacht, in denen zunächst einer von uns das Versuchsbrett vorbereitete, während ein anderer. ohne hinzusehen, einen Schirm vor das Gitter hielt ! Desgleichen geschah ganz unabhängig davon. ob das Huhn einen Beobachter sehen konnte oder nicht, Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 61 und ihn erst nach oben fortzog, wenn der erste dem Huhn und dem Brett den Rücken zugewendet hatte. Erst nachdem das Huhn schon zu picken begonnen hatte, drehten wir uns ihm zu, um das Resultat festzustellen. Die Ergebnisse dieser Versuche wichen in nichts von denen der übrigen ab. Auch in den Hauptversuchen haben wir dies Verfahren eine Weile angewandt; als aber dauernd kein Einfluß auf den Versuchsausfall fest- zustellen war, haben wir gemeint, dem Tiere weiterhin ruhig zusehen zu können. Als die Dressur noch nicht vollendet, aber so weit fortgeschritten war, daß die Hühner öfter 10 bis 15 Versuche hintereinander richtig machten, schalteten wir zwischen die Übungsversuche eine Anzahl kritische ein. Die Gitterseite der Drahtkäfige ist ungefähr nach Süd-Osten gerichtet, die Tiere werfen also selbst keinen Schatten auf die Papiere, der störend wirken könnte. Wenn nicht, wie in den Übungsversuchen der Fall war, ein Schatten auf dem ganzen Versuchsbrett besonders erzeugt wird, so liegen die Papiere im direkten Sonnenlicht; wird ein Brett, eine Pappscheibe oder eine Kiste so angebracht, daß nur auf dem weißen Papier Schatten liegt, das schwarze dagegen im Sonnenlicht bleibt, so kommt es nach Zeugnis der Diaphragmaprüfung zu Umkehrungen der Lichtstärke von sehr erheblichem Betrage; ohne Schirm gesehen, erweist sich die Konstellation als etwas ungünstig dadurch, daß Papier 5 schon recht grau ist; graue Papiere werden ja nicht entfernt so unabhängig von der Beleuchtung ge- sehen wie weiße und schwarze. Die Hühner hatten es also, falls die Er- scheinung bei ihnen bestand, recht schwer. In kritischen Versuchen wurde Jede Beeinflussung der Hühner natür- lich unterlassen: welches Papier sie auch wälllten, sie durften sämtliche Körner von ihm aufpieken und erst dann wurde das Experimentierbrett ruhig entfernt wie in den Lernversuchen, wenn sie richtig gewählt hatten. Auf diese Weise konnten größere Anzahlen kritischer Versuche angestellt werden, ohne daß dabei irgendein Verhalten begünstigt, also noch während der kritischen Versuche allmählich andressiert worden wäre. — Zwischen die kritischen Versuche, die stets an eine längere Folge von Übungsversuchen anschlossen, wurden stets solche eingeschoben, wo die Beschattung das schwarze, die helle Beleuchtung das hellgraue Papier traf — die Tiere durften sich ja nicht gewöhnen, die einen etwa stets im Schatten, die andern stets im Licht zu picken und auch Versuche mit Schatten auf 62 W. Könter: beiden Papieren, also Lernversuche, um zu prüfen, ob etwa eine Störung der Dressur erfolgt war. — In diesen wie in den späteren endgültigen Reihen von Hauptversuchen wurden stets neue Papiere verwendet und die gleiche Anzahl von Körnern auf beiden Papieren gleichmäßig in die Mitte gelegt. Die Vorbereitung erfolgte stets hinter einem großen Schirm, an dessen Verwendung die Hühner sich schnell gewöhnt hatten. Die Ergebnisse dieser Versuche waren folgende: Huhn IV, auf Schwarz dressiert, macht 42 kritische Versuche (auf 8 Tage verteilt) und hiervon 37 im Sinne des menschlichen Sehens »richtig«; Huhn I, auf Schwarz dressiert, 20 kritische Versuche und davon 15 »richtig« ; Huhn II, auf Weiß dressiert, 7 Versuche und davon 5 »richtig«; [Huhn III, auf Weiß dressiert, 4 Versuche und davon 2 »richtig«'.] Da bei einem Sehen nach Lichtstärken die Tiere 100 Prozent oder wegen der noch mangelhaften Dressur annähernd 100 Prozent der Versuche hätten »falsch« machen müssen, sprechen diese Zahlen sicher nicht für ein Sehen nach Lichtstärken, besonders bei IV sogar entschieden für ein Sehen von Oberflächenfarben im Sinne des Menschen. Gerade die Tiere, deren Dressur schon weiter vorgeschritten ist, nämlich IV und dann I (wohl nur zufällig die beiden auf schwarz dressierten), haben am deutlichsten in dieser Richtung gewählt”. Die endgültigen Versuche begannen, als die Tiere in den letzten 50 und 100 Wahlen I (schwarz) o und 2 Fehler II (weiß) om Do HP») ONE IV (schwarz) 0 » AIR: gemacht hatten. Zwei Änderungen nahmen wir vorher noch an der Anordnung vor. In die Drahtkäfige selbst fiel bisweilen Sonnenlicht in Streifen, das möglicher- weise ungleiche Stimmung beider Augen hätte hervorrufen A die ! Diese Versuche mit III sind auch abgesehen von ihrer geringen Zahl wertlos; in unmittelbar anschließenden Übungsversuchen machte das Tier 30 Prozent Fehler. 2 Die Zahlen in kritischen Versuchen dürfen natürlich nieht nach ihrem Überschuß über 5o Prozent, sie müssen nach der Abweichung von etwa 100 Prozent »falschen« Wahlen eingeschätzt werden. EEE Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 63 Käfige wurden also ganz beschattet. Wenn ferner die Hühner Obertlächen- farben sahen wie der Mensch, so war anzunehmen, daß die kritischen Versuche sehr viel klarere Ergebnisse geben mußten, sobald anstatt des grauen Papiers 5 das sehr viel weißere 3 verwendet wurde; auch für den Menschen ist ja hier die Unabhängigkeit von der Beleuchtung sehr viel deutlicher. — Um das Helligkeitsverhältnis der Papiere im kritischen Versuch der Größenordnung nach zu kennen und nicht allein auf den Ver- gleich im Diaphragma angewiesen zu sein, stellten wir bisweilen, und zwar mit dem gleichen Apparat und in gleicher Weise wie bei den Versuchen des vorigen Abschnitts, die relativen Lichtstärken der Papiere in der kritischen Beleuchtung fest. In der folgenden Tabelle sind nur die kritischen Versuche und die leichten berücksichtigt, also solche, in denen das weiße Papier direkt be- strahlt wird. Vor jeder Versuchsgruppe, die aus kritischen und leichten Verhältnis der Strahlungen Leichte Versuche ; Kritische Versuchstier Versuche I (Schwarz) I (Weiß) I (Weiß) IV (Schwarz) 64 W.Köntver: Wahlen gemischt war, wurde eine kurze Reihe gewöhnlicher Übungs- versuche (beide Papiere im diffusen Licht) angestellt, ebenso unmittelbar nach Erledigung jeder solchen Gruppe. Da bei sämtlichen Tieren zu- sammen nur ein einziger Fehler in diesen einrahmenden Kontrollversuchen — es waren im ganzen 142 — vorgekommen ist, so war die Dressur zur Zeit der Hauptversuche auf dem Niveau fast absoluter Sicherheit ange- langt. — Die Papiere waren stets die gleichen! und sind deshalb nieht in der Tabelle erwähnt. Wo Fehler vorgekommen sind, steht ihre Anzahl hinter der Versuchszahl jeder Gruppe in Klammern. Die letzte Spalte ent- hält die Strahlungswerte des »schwarzen« Papiers, wenn die des » weißen» gleich ı gesetzt werden. Die vier Tiere zusammen machten also 100 (je 25) kritische Versuche, von denen 96 für ein Sehen von Oberflächenfarben im Sinne des Menschen sprechen, nur 4 für ein Sehen gemäß dem Lichtstärkenverhältnis. Bei einem solehen Zahlenverhältnis wird man geneigt sein, auch diese 4 Ver- suche durch eine gewisse Verwirrung der Tiere infolge der fortwährend wechselnden Bedingungen zu erklären; liegt doch bald rechts, bald links, bald auf dem »weißen«, bald auf dem »schwarzen« Papier der Schatten. Dem entspricht, daß ja auch von den 72 leichten Versuchen 5 falsch aus- gefallen sind, sicher mehr, als wenn nur leichte Versuche aufeinander ge- folgt und nicht immer wieder durch kritische unterbrochen worden wären. — Die Messung der Lichtstärken läßt erkennen, daß es sich fast immer um sehr bedeutende, in einigen Fällen um enorme Umkehrungen des Intensitätsverhältnisses beider Papiere in den kritischen Versuchen ge- handelt hat. Um ganz sicher zu gehen, haben wir noch an einem fünften Huhn’ die gleiche Frage untersucht. Dieses wurde mit den Papieren 5 (bisweilen statt dessen 3, was in den Lernversuchen keinen merklichen Unterschied machte) und 30 dressiert, und zwar auf das letztere, das »schwarze«. Das Huhn lernte sehr gut; nachdem es etwa 400 Übungsversuche gemacht hatte, die letzten 90 bis auf einen fehlerlos, gingen wir zu den Hauptversuchen über. Dabei wichen wir in folgenden Punkten von dem bisherigen Verfahren ab: Alle Versuche fanden an einem Tage statt, aber in kleinen Gruppen — bestehend aus kritischen und leichten Ver- ! Bogen 3 und 30 der Skala. ® Sein Alter mochte 2 Jahre oder etwas melır betragen. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 65 suchen — zwischen die immer wieder kurze Reihen vom Typus der Lern- versuche eingeschoben wurden. Sofort nach jeder Gruppe von Haupt- versuchen wurde das Intensitätsverhältnis der beiden Papiere in den kri- tischen Versuchen gemessen. Die immer wieder eingeschobenen Lern- versuche, in denen geprüft und gesichert wurde, daß das Huhn auch noch im Sinne seiner Dressur wählte, sowie die vielen Messungen lassen die Ergebnisse dieser Versuche besonders zuverlässig erscheinen; wir teilen sie aus diesem Grunde, und um ein klares Bild vom Versuchsverlauf zu Huhn V (Schwarz). 3. Januar 1915. 20 Lernversuche 8 Lernversuche kritisch 3.3: 2.5 (1.3)! kritisch + 5 Lernversuche leicht + kritisch + kritisch + leicht + kritisch — 4.97: 1.2 (4-1) 6 Lernversuche leicht + kritisch + kritisch+ 3.55: 1.0 (3.5) 4 Lernversuche kritisch + leicht + kritisch+ 3.85: 1.02 (3.8) 5 Lernversuche leicht — kritisch+ 3.58: 1.19 (3.0) ıo Lernversuche kritisch + leicht + kritisch + leicht + 2.32: 1.05 (2.2) 7 Lernversuche leicht + kritisch + kritisch + leicht + 3.7:1.06 (3.5) kritisch + 2.65 :1.09 (2.4) Pause von 2 Stunden. 20 Lernversuche, darunter der 9. falsch. kritisch + kritisch + leicht + 2.9:1.05 (2.8) 6 Lernversuche kritisch + kritisch + leicht + 3.95: 1.0 (3.9) 9 Lernversuche kritisch + kritisch + leicht + kritisch+ 3.45: 1.39 (2.5) ı0 Lernversuche kritisch + leicht + kritisch + kritisch+ 3.25: 1.28 (2.5) Insgesamt also: 25 kritische Versuche, davon 24 im Sinne des menschlichen Sehens, ı im Sinne der Abhängigkeit von den Lichtstärken: 13 leichte Versuche, davon r falsch, ıı0 Lernversuche, davon r falsch: ' Die Zahlen in Klammern geben die Lichtstärke des »schwarzen« Papieres, wenn die des »weißen« gleich ı ist. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. >. 9 66 W. Könuer: geben, ausführlich mit!. + bedeutet, daß das Tier vom »schwarzen«, und —, daß es vom »weißen« Papier piekt”. Die Lernversuche (beide Papiere im Schatten) sind, wo nichts darüber vermerkt ist, alle richtig ausgefallen. Wenn die Dressur so stark war, wie es das Ergebnis der immer wieder eingeschobenen Lernversuche zeigt, und zugleich von den 25 kri- tischen Versuchen 24 in dem einen und nur I im entgegengesetzten Sinn ausfielen, so ist sicherlich die Behauptung begründet, daß das Versuchs- tier in jenen 24 kritischen Versuchen seiner Dressur gemäß, also von dem ihm » weißer« erscheinenden Papier gepickt hat; der eine Fehler bei dieser Versuchsart wie der eine bei den leichten Versuchen, sind durch das Ver- wirrende der fortwährend von links nach rechts, vom » weißen« nach dem »schwarzen« Papier, wechselnden direkten Bestrahlung völlig ausreichend erklärt. Man könnte nun gegen diese wie gegen die Versuche der anderen Hühner und der Schimpansen einwenden wollen, überall sei die Umkeh- rung der Lichtstärke durch den krassen Unterschied von direktem Sonnen- licht und Beschattung erzeugt worden, und das sei ein Spezialfall, aus dem keineswegs etwas für andere Konstellationen folge. Wir glauben nicht, daß der Einwand berechtigt ist. Physikalisch betrachtet, besteht zwischen unserer Anordnung, in der direkte Sonnenbelichtung verwandt wird, und einer andern, wo”auch das Lichtstärkenverhältnis umgekehrt wird, aber beide Oberflächen in diffusem Licht stehen, wohl nur ein quantitativer Unterschied; denn eine regelmäßig spiegelnde Reflexion kommt ja bei den rauhen Papieren kaum in Betracht. Der quantitative Unterschied aber liegt gerade für unsere Beweisführung günstig, da wir bei starker Sonnenstrah- lung bisweilen sehr beträchtliche Umdrehungen der Lichtstärke der Papiere erreichten. Daher ist von vornherein anzunehmen, daß bei Herabsetzung der stärkeren Beleuchtung vom Sonnenwert im Freien bis zu Lichtstärken, wie sie in Zimmern üblich sind, nur eine Erleichterung des Versuches für die Tiere eintritt. — Wir stellten eine Probe an: Huhn I (schwarz) machte ı0 Versuche bei bewölktem Himmel und so tiefem Sonnenstand am späten ! Fortgelassen ist nur die Angabe der Raumlage, die wir innerhalb der angegebenen Grenzen willkürlich wechselten, und zwar ohne Rücksicht darauf, welcher Art der Versuch war, kritisch oder leicht. ® Bogen 30 und 3. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 67 Nachmittag, daß die Sonne, auch wenn sie für Momente zwischen den Wolken hervorgetreten wäre, durch mehrere hundert Meter Bananenpflan- zung vollständig abgeschirmt sein mußte. Sie kam aber nicht zum Vor- schein. Für kritische Versuche wurde das »weiße« Papier nach allen Seiten bis auf die dem Huhn zugekehrte in ein Haus aus Pappkarton eingeschlossen. für leichte Versuche geschah dasselbe mit dem »schwarzen« Papier. Die Raumlage war leicht zu ändern. 7 Vorversuche, in denen beide Papiere etwa gleich stark überbaut und annähernd gleich stark belichtet waren, machte das Huhn fehlerfrei; Scheu vor der ungewohnten Anordnung schien es nicht zu verspüren. — Vor Hauptversuchen wurde ein großer Schirm am Gitter erst fortgezogen, wenn die Aufstellung fertig war. Vor jedem kri- tischen Versuch prüften wir mit dem Diaphragma das Lichtstärkenverhältnis: die Umkehrung war stets sehr deutlich. —- 16 Hauptversuche setzten sich aus 10 kritischen und 6 leichten zusammen. Von den leichten wurde keiner falsch gemacht; von den 10 kritischen fielen 9 im Sinn der relativ kon- stanten Obertlächenfarben, nur einer (der vierte) im entgegengesetzten Sinn aus, den wir wohl als Zufallsfehler betrachten dürfen. Der Gültigkeits- bereich unserer früheren Versuche ist also nicht auf die spezielle Beleuch- tungsart beschränkt, bei den Schimpansen wohl ebensowenig wie bei dem Huhn dieser Probeversuche.. Dadurch wird auch ein anderer Einwand beseitigt: der Schatten gegen direktes Sonnenlicht ist notwendig recht scharf von dem unmittelbar be- strahlten Gebiet abgegrenzt; man könnte meinen, diese scharfe Grenze er- leichtere das Zustandekommen der Erscheinung sehr. In den eben erwähn- ten 10 kritischen Versuchen ohne direkte Sonnenbestrahlung sind scharfe Schattengrenzen vermieden. Die im vorigen Abschnitt bereits erörterten Einwände können hier nur kurz noch einmal besprochen werden. I. Die Anatomie lehrt, daß Vögel »echte, wenn auch kleine Riech- lappen besitzen«'. Danach könnten die Hühner, die z.B. auf das »schwarze« Papier dressiert sind, den Geruch des schwarzen Farbstoffes von dem des helleren zu unterscheiden gelernt und so ein »Nebenkriterium« gewonnen haben, das bestehen bliebe ganz unabhängig von der Beleuchtung, also auch in kritischen Versuchen. Das ist jedoch nicht der Fall: die Wahl ! Über Tierpsychologie. Zwei Vorträge von L. Edinger und E.Claparede. Leipzig, Barth. 1909, S. 8. 68 W. Köntrer: oder genauer die Wendung nach dem richtigen Papier hin geschieht in den meisten Fällen, bevor das Huhn mit dem Kopf durch das Gitter hin- durchgefahren ist, d.h. in einer Distanz, wo eine Geruchswirkung der Papiere kaum denkbar erscheint (ro bis 20 em); für den Menschen haben beide vielleicht einen ganz schwachen Papiergeruch, der, bei beiden gleich, erst konstatiert werden kann, wenn man die Nase direkt an die Papiere bringt, und daß die Hühner besonders entwickelten Geruchsinn hätten, davon kann wohl keine Rede sein!. 2. Die Anwesenheit von Personen hatte nach den früher erwähnten Kontrollversuchen nicht den geringsten Einfluß auf die Ergebnisse, das bestätigte sich nochmals in den Versuchen ohne direktes Sonnenlicht. Die Überbauung der Papiere war so eingerichtet, daß das Tier weder in den kritischen noch in den leichten Versuchen dieser Reihe die anwesenden Pa- piere sehen konnte, und das Ergebnis blieb doch dasselbe. 3. Optische Merkmale außer der Farbe können nicht mitgewirkt haben: Papiererneuerung und Austausch der Papiere auf dem Versuchsbrett brachte nie eine Störung hervor. 4. Die Adaptation ist zur Erklärung der Versuche nicht tauglich. Der größte Teil des Gesichtsfeldes (Himmel, Gras im Sonnenlicht u. dgl.) war in den Hauptversuchen für beide Augen gleichartig und mußte eine etwa gleiche Adaptation für alle Kopfriehtungen hervorbringen. Die Papiere selbst mit ihrem großen Helligkeitsunterschied nehmen freilich wegen ihrer Ausdehnung und der Nähe der Augen einen größeren Teil des Gesichts- feldes ein als bei den Schimpansenversuchen; aber man kann nicht wohl behaupten wollen, daß zwei Papiere mit den sehr verschiedenen Licht- stärken @a > b durch ihre eigene Adaptationswirkung dieses Verhältnis nicht nur ausgleichen (a = b), sondern gar hinreichend ins Gegenteil b > a um- kehren könnten. 5. Ebensowenig konnte Kontrast die Umkehrung der Lichtstärken aufheben oder gar überkompensieren: in den meisten Versuchen ist der Grad der Umkehrung viel zu hoch dazu; außerdem besitzen die Papiere die Ausdehnung von ı1!/, cm’, so daß die Kontrastwirkung in der Mitte ' Auch folgender Versuch spricht gegen irgend wesentliche Bedeutung etwaigen Ge-, ruchs. Nähert man einem gut dressierten Tier das Versuchsbrett, indem man es in der Hand hält, so wendet sich das Tier schon auf Entfernungen von etwa ım dem richtigen Papier zu. Er Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn. 69 nur schwach sein konnte; schließlich ist in diesen Versuchen der Schatten- fleck auf dem einen Papier verhältnismäßig wohl noch kleiner als der Lichtfleck auf dem einen Papier bei Untersuchung der Schimpansen; nur ganz wenig reicht der Schatten über das beschattete Papier hinaus, und die weitere Umgebung ist für beide Papiere gleich hell. Bei der früher geschilderten Art der Betrachtung, die die Oberflächen der Papiere gewissermaßen zu Lichtflächen degradiert, ohne Adaptation und Kontrast auszuschalten, verhalten sich denn auch die »Helligkeiten« oder »Eindringlichkeitsgrade« der Papiere im kritischen Versuch durchaus dem Lichtstärkenverhältnis gemäß. — Wir haben keinen Anlaß, dem Huhn Kontrast in einem Maße zuzuschreiben, das der beim Menschen so genannten Erscheinung durchaus fremd ist. Danach ist das Sehen von Oberflächenfarben, relativ unab- hängig von der Beleuchtung, keine auszeichnende Eigenschaft des Menschen und der Anthropoiden, vielmehr dürfte für viele andere Sänger und Vögel, in deren Leben das Sehen von Bedeutung ist, eine ähnliche Prüfung ähnliche Ergebnisse haben. Anders dagegen, wenn wir in der Entwicklung des Zentralnervensystems weiter hinabgehen und damit zu Tierformen kommen, deren Umwelt (nach ihrem Verhalten zu urteilen) ungleich dürftiger ist als die der Vögel: wo wenig dafür spricht, daß überhaupt Oberflächen als solche gesehen werden, da wird vermutlich auch die von uns untersuchte Erscheinung verschwinden, und es kommt uns wahrscheinlicher vor, daß die Art des Sehens von einem Tierstamm zum andern plötzlich wechselt, als daß ein allmählicher Übergang besteht. — Vielleicht hat man von den Vögeln aus nicht weit zu gehen, um eine solche Unstetigkeitsstelle zu finden'. Von den oben angeführten theoretischen Annahmen kommen alle die- jenigen in etwas schwierige Lage, welche das Sehen von Oberflächenfarben in der besprochenen Art als Umbildungsprodukt aus einem mehr netzhaut- gemäßen Sehen deuten und der Erfahrung den Haupteinfluß bei der Um- bildung zuschreiben; die Versuche am Huhn passen nicht recht zu einer solchen Ansicht, und sollten dieselben Experimente an Hühnchen von wenigen ! Etwa bei den Reptilien entwickelt sich ein kortikales Sehzentrum. Vgl. Edinger, 2.2.0. S. 16. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 3. 10 70 W.Könrer: Optische Untersuchungen am Schimpansen u. am Haushuhn. Wochen Alter gelingen, so wäre an eine Umbildung durch individuelle Erfahrung gar nicht mehr zu denken!. Dagegen muß man sich fragen, ob ein optisches System dieser Art etwas so Seltsames ist, daß es nicht die innere und äußere Konstellation bei der Ausbildung der höheren Tiergruppen auch ohne den bestimmenden Einfluß von Erfahrungen hervorzubringen vermochte oder hervorbringen mußte. Welche Ergebnisse würde eine Untersuchung der Sehgrößen bei tiefer- stehenden Vertebraten haben? Die enge Verwandtschaft beider Erschei- nungen, des Sehens von Größe und von Farbe der Sehdinge in der be- schriebenen Art, macht es wahrscheinlich, daß auch die Sehgrößen in ihrer relativen Unabhängigkeit von. der Größe der Netzhautbilder weiter als wir untersucht haben, im Sehen der Vertebraten verbreitet sind. Ist das richtig, so folgt für die Einschätzung der verschiedenen Theorierichtungen auch hier, was für die Deutung der Oberflächenfarben zu sagen war. Bei den vorstehend mitgeteilten Urftersuchungen wurde ich auf das beste unterstützt durch meine Frau und durch Hrn. cand. phil. M. Uibe (Leipzig), ohne deren Mithilfe mir die Durchführung unmöglich gewesen wäre. Hr. Uibe hält sich zur Zeit in Teneriffa auf, als Mitglied der von den kartellierten Akademien ausgesendeten Expedition unter Leitung des Herrn Prof. Dember aus Dresden zur Vornahme photometrischer Messungen auf dem Pik. ! Um die Prüfung ganz streng zu machen, könnte man die Hühnchen unter konstanter künstlicher. Beleuchtung aufwachsen lassen, die Dressur bei eben dieser Beleuchtung durch- führen und erst im kritischen Versuch Beleuchtungsunterschiede herstellen. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. u ee au a Ak u aan a a ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NRr.4 EMBRYONALHÜLLEN UND PLAZENTA VON PUTORIUS FURO VON IN GIESSEN Dr. H.STRAHL uno Dr. E. BALLMANN MIT 16 TAFELN Zar a, FEB $y0n oo ums BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR.4 EMBRYONALHÜLLEN UND PLAZENTA VON PUTORIUS FURO VON Dr. H.STRAHL ws Dr E. BALLMANN IN GIESSEN MIT 16 TAFELN g yanheanan Institung,‘ { FEB a re en 2 SIE N Omas Lira” BERLIN 1915 ° VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER u. Vorgelegt von Hrn. Waldeyer in der Sitzung der phys.-math. Klasse am 29. Ap Zum Druck verordnet am 6. Mai, ausgegeben am 28. August 1915. ’ ur = re, Vor etwa 1!/2 bis 2 Jahrzehnten erschien in ziemlich rascher Folge eine Reihe von Arbeiten über die Entwicklung der Plazenten von Raubtieren. Sie gaben im Gegensatz zu der älteren Literatur, welche in erster Linie die makroskopischen Bauverhältnisse der Plazenten behandelt hatte, eine Übersicht über die histologischen Grundlagen des Plazentarbaues der Raub- tiere und konnten damit besser als die älteren eine Grundlage für physio- logische Betrachtungen liefern; freilich, ohne daß sie in manchen Fragen eine Übereinstimmung der Autoren erzielt hätten. Dann ist viele Jahre in der vergleichend-anatomischen Literatur nichts über den feineren Bau von Raubtierplazenten erörtert, bis vor ganz kurzem Heinriecius wieder mit einer größeren Arbeit über die Plazenten von Hund, Füchsin und Katze hervorgetreten ist. Der Vergleich der Ergebnisse dieser mit eigenen Untersuchungen über das gleiche Material, vor allem aber der Vergleich mit einer größeren Reihe von Präparaten, die ich teils aus älterer, teils aus neuerer Zeit über den Entwicklungsgang der Frettehenplazenta besitze, legte es nahe, die Ergebnisse von deren Durcharbeitung zu veröffentlichen; in erster Linie, um zu zeigen, wie sehr selbst innerhalb der Carnivorengruppe der feinere Aufbau der Plazenten wechselt. Dann aber auch, weil hier mancherlei Entwicklungsvorgänge ablaufen, die uns für die Erörterung der allgemeinen Fragen über Plazentarentwieklung nicht ohne einiges Interesse zu sein schienen. Wenn wir von den älteren, klassischen Untersuchungen von Bischoff über die Embryonalhüllen der Hündin und die Eigenart der Plazenten einiger Musteliden absehen, so gaben die ausgiebigste allgemeine Übersicht über den Entwicklungsgang von Raubtierplazenten unzweifelhaft die auf einem sehr reichen Material aufgebauten Untersuchungen von Duval über die Plazenta von Hund und Katze. 1* 4 H. Stranar und E. BALLMmANnNn: M. Duval (Le placenta des carnassiers, Paris 1895, Alcan. Aus: Journal de l’anatomie et de la physiologie, annees 1893 —1895) behandelt hier (wie überhaupt in den meisten seiner ausgezeichneten Plazentararbeiten) den gesamten Entwicklungsgang der genannten Plazenten von den ersten Stadien der Anlagerung der Fruchtblase an die Uteruswand ab bis zur Schilderung der fertigen Plazenta. Die Arbeiten von Lieberkühn (Der grüne Saum der Hundeplazenta. Archiv f. Anat. u. Physiol., Anat. Abt., 1889) beschäftigten sich in erster Linie mit der Entstehung der eigenartigen randständigen Blutextravasate der Hundeplazenta. Die älteren Untersuchungen von Heinrieius (Über Entwicklung und Struktur der Plazenta bei der Katze. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891) behandeln neben dem Plazentaraufbau die Entstehung der Eigenart des Plazentarrandes bei Hund und Katze. Lüsebrink (Die erste Entwieklung der Zotten in der Hundeplazenta. Anatomische Hefte von Merkel und Bonnet, 1392) schilderte die verschie- denen Formen der Zotten, die sich in der Plazenta der Hündin nachweisen lassen und ihre besonderen Beziehungen zur Uteruswand. Bonnet (Beiträge zur Embryologie des Hundes. II. Fortsetzung. Anat. Hefte, Bd. 20, 1892) hat den ganzen Entwicklungsgang der Plazenta der Hündin von der Anlagerung der Fruchtblase an die Uteruswand bis zur reifen Plazenta durchgearbeitet unter besonderer Berücksichtigung der phy- siologischen Verhältnisse bei der Ernährung des Fetus. Eine allgemeine Übersicht über die Entwicklung der Raubtierplazenten gab ich selbst in Hertwigs Handbuch der Entwicklungslehre in einem Aufsatz »Die Embryonalhüllen der Säuger und die Plazenta«, auf den wir auch betreffs der Zusammenstellung der Literatur, insbesondere der älteren, verweisen können. Endlich nennen wir an dieser Stelle noch Grosser (Die Wege der fetalen Ernährung, Jena 1909, Fischer, und vor allem den Abschnitt über Raubtierplazenten in dem Lehrbuch desselben Autors » Vergleichende Ana- tomie und Entwicklungsgeschichte der Eihäute und der Plazenta«, Wien 1909, Braumüller), der eine Zusammenstellung über Entwicklung und Bau der Raubtierplazenten gibt. Grosser nimmt bei dieser in erster Linie auf den Bau der Plazenta der Hündin und den der Katzenplazenta Bezug; es sind das ja auch die- Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 5 jenigen Formen der Raubtierplazenten, für welche das Material am ehesten zu beschaffen ist und die deshalb auch in erster Linie die Objekte für die Untersuchungen der Autoren abgegeben haben. Von neueren Arbeiten nennen wir weiter diejenige von Schoenfeld (Contribution A l’etude de la fixation de l’@uf des mammiferes dans la cavite uterine. Arch. de biol., T. 19, 1903) und vor allem die eingangs erwähnte, soeben erschienene von Heinricius, der neben anderem die weitgehendste Übersicht über die Literatur über Plazenten im allgemeinen und die der Raubtiere im besonderen gibt (Heinrieius, Über die Embryo- trophe der Raubtiere [Hund, Fuchs, Katze] in morphologischer Hinsicht. Anatom. Hefte Nr. 150, Bd. 50, H. ı, 1914). Er beginnt mit Alkmäon von Kroton und führt bis auf unsere Tage; seine Darstellung sei Interessenten zur Orientierung nach dieser Richtung besonders empfohlen. Sie enthebt uns, wie mir scheint, der Verpflichtung einer erneuten Literaturzusammen- stellung und erlaubt die Beschränkung auf Hinweise auf solche Daten, die für uns von besonderem Interesse sind. Heinrieius bestätigt im allgemeinen durch seine Untersuchungen bei Hund, Katze und Fuchs die Angaben der früheren Autoren, nach denen ein wesentlicher Teil der Uteruswand eingeschmolzen und als Nährmaterial vom Chorion aufgenommen und zum Aufbau des Fetus verwendet wird; des- gleichen, daß mütterliches Blut in größerer (Hund) oder geringerer Menge (Katze) extravasiert und ebenfalls von den Zellen des Chorion-Ektoderms in- korporiert und zerlegt wird. Dazu kommt die Ernährung von Gefäß zu Gefäß und durch Drüsensekret. Was insbesondere die Deutung der Schnittbilder anlangt, so stellt sich Heinrieius auf die Seite derjenigen Autoren, welche annehmen, daß mit der Anlagerung des Ektodermes an die Uteruswand das Uterusepithel zu degenerieren beginnt, schwindet und daß dann die Zotten in das so frei- gelegte Bindegewebe, außerdem in die Bischoffschen Krypten und in die Ausführungsgänge der Drüsen eindringen. Während schon durch die älteren Arbeiten der genannten Autoren der allgemeine Gang der Entwicklung der Raubtierplazenta in befriedigender Form aufgeklärt wurde, blieben manche grundlegende Fragen im Entwick- lungsgang des feineren Baues der Raubtierplazenta ungelöst in Diskussion. Von solehen nennen wir in erster Linie diejenige nach der Rolle, welche das Uterusepithel bei dem Aufbau dieser Plazenten spielt; von einigen 6 H. Straaı und E. BALLmANnNn: Autoren wurde eine solche ganz abgelehnt (Duval, Bonnet, Schönfeld, Grosser), während nach meinen Angaben das Epithel des Uterus eine wesent- liche Bedeutung für den Aufbau der Raubtierplazenta hat. Die Erörterung der genannten Frage ist bisher nicht bis zu einer Über- einstimmung der an der Diskussion beteiligten Autoren durchgeführt, und viele Jahre lang sind ja überhaupt Arbeiten über den Aufbau von Raubtier- plazenten nicht erschienen. Nun scheint es allerdings auch heute noch ganz außerordentlich schwierig zu sein, in der Frage nach Verwendung des Uterusepitheles bei dem Auf- bau der Plazenta eine Übereinstimmung der Autoren zu erzielen. Möchten wir doch nach unseren Erfahrungen zum Beispiel Heinricius eigene Figuren aus seiner letzten Arbeit gegen seine Deutung verwenden. In seinen Photo- grammen a.a.0. Fig. 28, 29 und 30 bildet er unter dem hellen Chorion-Ekto- derm eine dunkle Schicht ab, an welche dann wieder eine helle von uterinem Bindegewebe anschließt. Nach seiner Figurenerklärung zu Fig.23 müssen wir annehmen, daß er die dunkle Schicht für mütterliches Bindegewebe hält; wir selbst glauben aber auch auf Grund eigener älterer Untersuchungen —, daß gerade diese Figuren von Heinrieius den besten Beweis dafür abgeben, daß sich das Ektoderm an das synzytial umgewandelte Epithel des Uterus anlegt. Der Zusammenhang der fraglichen Schichte, die man auch in älteren Stadien durchgängig als Zottenüberzug nachweisen kann, mit sicheren Drüsen- epithelien, wie ihn Fig. 29 an zwei Stellen aufweist, scheint uns klar dar- zutun, daß sich das Ektoderm breit an das Uterusepithel anlegt. Ganz ent- sprechende Bilder werden wir unten vom Frettchen schildern, aber anders deuten, als Heinricius seine Präparate. Auch mit der Terminologie des Synzytium kommen wir noch nicht recht vorwärts (vgl. Heinricius S.ı60). Wir werden uns wohl dazu verstehen müssen, dem Terminus, wenn irgend angängig, noch ein Adjektivum bei- zufügen. Nimmt man zu dem Gesagten hinzu, daß durch meine durch zwei Jahr- zehnte fortgeführten Untersuchungen über die vergleichende Anatomie der Plazenta gezeigt worden ist, daß in dem Aufbau der Plazenten auch einander nahestehender Säugetierformen nicht unerhebliche Unterschiede vorkommen, so erschien es nicht ohne Wert, die Bearbeitung des Baues der Raubtier- plazenta einmal wiederaufzunehmen und zu versuchen, auch an der Hand der neueren Behandlungs- und Färbemethoden da weiterzukommen, wo Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 7 die älteren Autoren in ihren Untersuchungen abgebrochen hatten. Und wenn es auch an sich nicht unzweckmäßig wäre, die Differenzen über den Bau der Hunde- und Katzenplazenta durch Untersuchungen an diesen selbst einer Entscheidung näherzubringen, so war der Reiz doch größer, ein Objekt zu wählen, das genauer anderweit noch nicht durchgearbeitet ist. Für ein Material, das in mancher Beziehung — nicht in jeder — klarer und eindeutiger ist als dasjenige von Hund und Katze, halte ich dasjenige der Mustelidenplazenta. Ich habe ihre Untersuchung auch bereits vor 2 Jahr- zehnten begonnen und habe im Laufe der Jahre eine ziemlich vollkommene Reihe von graviden Uteris von Putorius furo gesammelt, auch mancherlei andere Musteliden untersuchen können; hier und dort ist auch bereits einiges über die Entwicklung der Plazenten des Frettchens mitgeteilt', eine zusammen- hängende und einheitliche Bearbeitung des Materials steht aber noch aus. Da mir eine solche aber doch auch für allgemeine Fragen über die Um- wandlung des Uterus während der Gravidität Aufschluß zu geben schien, so habe ich gemeinsam mit Hrn. Dr. E. Ballmann versucht, das alte Material wieder durchzuarbeiten und die vorhandenen Lücken durch neues auszufüllen. Wir glauben jetzt in der Lage zu sein, eine ziemlich vollkommene Übersicht über den Bau der Frettchenplazenta geben zu können und möchten die Ergebnisse unserer Untersuchungen im folgenden zusammenfassen. Wir haben dabei für die Darstellung von der Abbildung in ziemlich umfang- reichem Maße Gebrauch gemacht, weil wir annehmen, daß ohne dieses Hilfs- mittel es kaum möglich ist, eine auch für den Nichtspezialisten verständliche Darstellung der zum Teil doch recht schwierig deutbaren Objekte zu geben; wir haben nebeneinander Photographie, Zeichnung nach dem Objekt und schematische Figur angewendet; jede dieser Abbildungsformen hat ihre be- sonderen Vorzüge und ihre Nachteile; aus ihrer gleichzeitigen Verwendung ergibt sich am besten, was wir im ganzen ausführen wollen. Da es sich in erster Linie um die Klarstellung der histologischen Verhältnisse bei der Entwicklung und im Aufbau der Plazenten handelt, so sind unsere Figuren vorwiegend Schnittbilder; nur wo es sich um Be- schreibung besonders interessanter und schwer zu schildernder ganzer Objekte handelt, fügen wir auch von solehen Abbildungen bei. Eine be- ı {ber die Plazenta von Putorius furo. Anat. Anz. ı889. Über Umwandlung einer gürtelförmig angelegten in eine doppelt-scheibenförmige Plazenta. Verh. d. Anat. Ges. 189r. Auch in dem oben erwähnten Aufsatz bei Hertwig. 8 H. Straur und E. BALıLmaAnn: sondere Freude ist es für mich, unter diesen eine Anzahl von Figuren geben zu können, die der verstorbene G. R. Wagener vor vielen Jahren, zumeist nach den frischen Objekten, für mich gezeichnet hat und die seitdem mit manchen anderen ungenutzt in meinen Mappen ruhten. Strahl. Unser Material umfaßt eine ziemlich beträchtliche Reihe gravider Uteri aus der Zeit, in weleher die Fruchtblasen eben in den Uterus eingetreten sind, bis zur Periode unmittelbar vor dem Wurf, der unseres Wissens beim Frettehen etwa am Ende der 6. Woche der Gravidität eintritt. Es sind nahezu 50 gravide und nichtgravide Uteri, über die wir verfügen können. Wir möchten im folgenden dieses Material so ordnen, daß wir für die ersten Stadien der Plazentarbildung uns auf die Wiedergabe von Schnitt- bildern beschränken, für die späteren, in denen durchaus charakteristische Umwandlungen einsetzen, auch Bilder der ganzen Objekte anfügen und endlich versuchen, an der Hand einer Anzahl schematischer Figuren darzu- stellen, wie wir uns den Entwicklungsgang und den Bau der fertigen Plazenta nach unseren Präparaten vorstellen müssen. Wir verziehten dabei auf die Vorführung aller unserer Präparate und stellen nur eine Reihe zu- sammen, die einen Überblick über den gesamten Entwicklungsgang gibt. Der nichtgravide und der brünstige Uterus. Der nichtgravide Uterus des Frettchens ist ein kleiner schmaler Uterus bicornis, an dem wir Besonderheiten im Bau gegenüber anderen Uteri unserer kleinen einheimischen Raubtiere nicht finden. In einer nieht sehr starken Muskularis sitzt ein Schleimhautschlauch, der auf seiner binde- gewebigen Unterlage ein niedriges kubisches bis zylindrisches Epithel trägt, von dem aus sich kleine Drüsentubuli in dies Bindegewebe einsenken. Die Schleimhaut liegt in Längsfalten, so daß die Liehtung auf dem Querschnitt sternförmig erscheint (Fig. ı). Die Drüsentubuli sind verhältnis- mäßig kurz, einfach, und ihr Epithel ist niedrig. Während sie an der Liehtung ziemlich dicht stehen, erreichen nur wenige von ihnen eine größere Ausdehnung in die Tiefe. Schon bei Eintritt der Brunst ändert sich dies Bild (Fig. 2), in erster Linie dadurch, daß unter Schwellung der gesamten Schleimhäute die Falten zunehmen, dann durch ein ganz intensives Wachstum der Uterindrüsen, Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. I Diese treiben an ihren blinden Enden Sprossen und vergrößern sich zu einem System, das nunmehr das ganze Bindegewebe der Schleimhaut durch- setzt und bis an die Muskularis reicht. Es ist dabei besonders darauf hin- zuweisen, daß die Verteilung der Drüsen eine gleichmäßige ist und keine Scheidung in lange Drüsen und Krypten erkennen läßt, wie sie vor vielen Jahren für den Uterus der Hündin von Sharpey und Bischoff nach- gewiesen und später von Strahl in ihren Beziehungen zur Brunst erkannt wurden. Mit dem Einsetzen der Gravidität wird, wie bei Raubtieren überhaupt, der Uterus stärker, die Schleimhaut dicker und der Drüsenapparat nimmt insbesondere an Ausdehnung zu. In einer Zeit, zu welcher die Fruchtblase zweiblätterig ist, kann man auch den uneröffneten Uterus als gravid erkennen, da sich alsdann die Fruchtkammern schon äußerlich als kleine Verdickungen des Uterus absetzen. In dieser Zeit liegen die Fruchtblasen frei in der die Fruchtkammer bildenden Uterinhöhle, es findet eine zentrale Implantation statt. Eine eigentliche Plazentarbildung hat noch nicht eingesetzt; wir können somit diese Stadien als Ausgang für die Darstellung der Plazentarbildung benutzen. Die Präparate, die wir aus diesen ersten Entwicklungsstadien der Plazenta vorlegen, wurden durchgehends von solchen Fruchtkammern gewonnen, die wir dem eben getöteten Tier entnahmen und ohne Eröffnung im ganzen fixierten. Die Fruchtkammern wurden dann auch mit der Fruchtblase eingebettet und geschnitten. Neben solehen in toto fixierten und weiterbehandelten Fruchtkammern wurden andere zur Kontrolle frisch eröffnet und wieder andere aufgemacht, nachdem auch sie vorher im ganzen fixiert waren. Die Zeit der Gravidität war so bestimmt, daß die ranzenden Weibchen für einen Tag mit einem Männchen zusammengesetzt und dann wieder isoliert wurden. Es wurde dieser Tag als Zeit der Begattung notiert und von diesem Termin aus wurde dann die Zeit der Gravidität gezählt. Da die Ergebnisse der Zeitbestimmungen aus den verschiedenen Phasen nach der Begattung sehr gut zueinander paßten, so glauben wir, daß die Be- stimmungen im ganzen zuverlässig sind. Strenggenommen dürfte es in unseren Kapitelüberschriften freilich nicht ı2., 13. usw. Tag der Gravidität, sondern Tag nach der Begattung heißen. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. [592 10 H.Stranaı und E. BarL mans: Eine Anzahl von Querschnitten durch Uteri aus solch frühen Graviditäts- stadien vor Anlage der Plazenta mag zunächst den Bau des Uterus aus solcher Zeit erläutern. Sie stammen aus der Zeit vom 12. Tage der Gravidität ab. Frettchen Nr. ı und 2. (12/»z Tag und ı3 Tage gravid.) Den Querschnitt durch die Fruchtkammer eines Uterus von ı 2"), Tagen Graviditätszeit gibt Fig. 3 wieder. Der Schnitt zeigte einen ovalen Außen- kontur, der durch die an der mesometralen Seite stärkere, an der anti- mesometralen schwächere Muskulatur geliefert wird. Die Verstärkung der Muskelschicht ist im wesentlichen durch die Verdiekung der Längsmusku- latur bedingt. Die Schleimhautwand springt in den Seitenteilen des mesometralen Abschnittes in einigen sehr ausgesprochenen Längsleisten vor, flacht sich aber gegen die antimesometrale Seite zu einer überaus feinen Lage ab. Es ist in diesem antimesometralen Abschnitt des Uterus offenbar derjenige Teil der Wand gegeben, der zuerst Platz für die in den Uterus eintretende Fruchtblase liefert, und das geschieht unter starker Dehnung des ganzen Materials, das diesen Teil der Wand aufbaut. Die gesamte Schleimhaut ist in dieser Zeit noch mit dem gleichen niedrig-zylindrischen, nicht flim- mernden Epithel überkleidet, das der nicht gravide Uterus trägt; die Drüsen reichen auch in den verdickten Teilen der Schleimhaut durch die ganze Dieke der Bindegewebslage und gewähren in den verdickten Abschnitten ein ähnliches Bild wie in der Brunstzeit. Ihre Hälse sind am vorliegen- den Präparat an einzelnen Stellen etwas gewunden, in einem Schnitt vom 13. Tage der Gravidität (Fig. 4) viel gerader gestreckt, in ihren tiefen Teilen, wie trotz der schwachen Vergrößerung kenntlich, ausgesprochen erweitert. In beiden Fällen lag die Fruchtblase frei in der Lichtung des Uterus, eine festere Verbindung der beiden Teile ist noch nirgends eingetreten; die Fruchtblase hat sich infolge der Behandlung etwas in Falten gelegt, während sie frisch als pralles Bläschen zu isolieren ist. So kommt es, daß in Fig. 3 im Schnitt zwei kleine Blasen im Uterus zu liegen scheinen; tatsächlich sind es zwei durch eine Einbuchtung getrennte Abschnitte der- selben Fruchtblase; in dem oberen ist die Stelle des Embryonalschildes als verdickter Streifen kenntlich, während bei Fig. 4 der Embryonalschild nicht in dem abgebildeten Schnitt enthalten ist. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 11 Besonders aufmerksam machen möchten wir bereits jetzt darauf, daß, entsprechend dem Ansatz des Mesometriums, die Schleimhaut in beiden Schnitten in einem kleinen Bezirk zwischen den Wülsten ganz fein und dünn erscheint; wir kommen auf diese Stelle bei der Darstellung weiterer Stadien vielfach zurück. Frettchen Nr. 3 und 4. (14*/» Tag gravid.) Die erste Verbindung der Fruchtblase mit der Uteruswand finden wir in einem Uterus, der 14'/, Tage gravid war. Die Embryonalanlage der kleinen Fruchtblase würde in dieser Zeit ein kleiner birnförmiger Schild sein, der im Flächenbild einen Primitivstreifen, aber kaum einen Kopffortsatz zeigt. Die Fruchtblasen lagern sich in der Fruchtkammer im ganzen so, daß die Längsachse des Embryonalkörpers sich ungefähr — aber nicht immer genau — senkrecht zur Längsachse des Uterus einstellt. Man bekommt also bei Quersehnitten dureh die Fruchtkammer annähernde Längsschnitte dureh den Embryo. Den Querschnitt durch eine Fruchtkammer dieser Zeit gibt Fig. 5 wieder. Sie zeigt gegenüber den vorausgehenden, abgesehen von einer ge- ringen Gesamtvergrößerung, eine nicht unbeträchtliche Zunahme in der Dieke der Schleimhaut, in welcher insbesondere die Uterindrüsen eine be- merkenswerte weitere Entwicklung aufweisen. Sie durchsetzen die Schleim- haut nahezu vollkommen, sind nicht unbeträchtlich in die Länge gewachsen und schon die geringe Vergrößerung läßt erkennen, daß sie in ihren Lich- tungen erweitert sind, sowie, daß in den oberen Abschnitten der Schleim- haut das Bindegewebe zwischen ihnen nicht übermäßig reichlich ist. Der Unterschied in stärkerem mesometralen und schwächeren antimesometralen Teil der Wand besteht noch, wenn auch der letztere gegenüber dem vor- ausgehenden Stadium erheblich verdickt ist. Unmittelbar über dem Ansatz des Mesometriums ist auch hier im mesometralen Abschnitt der Uteruswand ein kleines Stück der Wand ganz dünn geblieben. Es erhält sich diese Stelle weiterhin während der ganzen Gravidität in gleicher Form; wir möchten sie jetzt schon als mesometrale Fruchtkammergrube bezeichnen. Die nicht unbeträchtlich vergrößerte Fruchtblase ist auch in diesen Schnitten etwas geschrumpft. Die in der Figur als leichte Verdiekung kenntliche Embryonalanlage liegt dem antimesometralen Absehnitt der >* 12 H. Strauı und E. BALLMmANnN: Uteruswand gegenüber; der obere wie der untere Pol der Fruchtblase liegen frei, dagegen ist in den Seitenteilen der Fruchtkammer nunmehr eine Verklebung von Uteruswand und Ektoderm der Fruchtblase erfolgt; wir haben somit hier die erste Ausbildungsstufe einer Plazenta vor uns. Wir möchten für diese ausdrücklich hervorheben, daß sie in einer flächenhaften Vereinigung des Ektoderms der Fruchtblase mit dem Epithel des Uterus besteht. Wir betonen das im Hinblick einmal auf die ver- gleichende Anatomie der Plazenta im allgemeinen und dann für die Deu- tung, die wir den Bildern der folgenden Entwicklungsstadien der Plazenta geben zu müssen glauben. Wenn schon die ganz schwache Vergrößerung unserer Figur die Verbin- dung der beiden Komponenten der Plazenta ohne weiteres ergibt, so lehrt die stärkere mit vollkommener Sicherheit, daß da, wo sich das Ektoderm mit der Uteruswand vereinigt, auf dieser durchgängig ein ganz wohlerhaltenes Epithel vorhanden ist. Ektoderm und Uterusepithel verkleben von vorn- herein sehr fest miteinander, und es kommt dabei alsbald zu einer ge- ringen Abplattung des Uterusepithels; trotz dieser ist das Oberflächen- epithel des Uterus aber an seinem Zusammenhang mit dem Epithel der noch offenen Drüsen sowie mit demjenigen der noch nicht gedeckten Ab- schnitte der Uteruswand gut bestimmbar. Um eine vollkommenere Übersicht über die Ausdehnung der ersten Verbindung von Fruchtblase und Uterus zu erhalten, als sie der Quer- schnitt der Fruchtkammer allein bieten konnte, haben wir auch Längs- schnitte durch eine der Fruchtkammern des gleichen Uterus hergestellt; einen der mittleren Schnitte einer solchen Serie gibt Fig. 6 wieder. Der Schnitt ist im mesometralen Abschnitt nieht durch die mesometrale Frucht- kammergrube und den Ansatz des Mesometriums sondern dicht neben diesen durch den verdiekten Abschnitt der Uteruswand gefallen. Der antimeso- metrale Teil enthält den Durchschnitt durch den Embryonalkörper (Pfeil) und zu beiden Seiten neben diesem eine schmale Zone, in welcher Frucht- blase und Uteruswand miteinander verbunden sind. Das heißt, verglichen mit dem Querschnitt der Fruchtkammer, daß die Zone der ersten Plazentar- anlage als ein nicht überall gleich breiter Ring um den Embryonalkörper herumläuft. Neben dieser Verbindung von Fruchtblase und Uteruswand am Embryo- nalpol finden wir in dieser Serie auch bereits eine solche an dem gegen- Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 13 überliegenden Pol der Fruchtblase mit dem mesometralen Teil der Uterus- wand, so daß in diesem Schnitt die Fruchtblase nunmehr an drei Stellen mit dem Uterus verbunden erscheint. In der Art und Weise der Ver- einigung von Ektoderm und Uterusepithel beobachten wir Unterschiede gegenüber den Querschnitten der Fruchtkammer nicht. Wir möchten aber doch in Fig. 7 auch noch eine Abbildung einer der Anlagerungsstellen bei stärkerer Vergrößerung geben; sie soll die Art und Weise der ersten Ver- klebung des Chorionektoderms mit dem Uterusepithel illustrieren. Frettchen Nr.5. (15'/.. Tag der Gravidität.) In relativ kurzer Entwicklungszeit setzt nunmehr eine breite flächen- hafte Verbindung von Fruchtblase und Fruchtkammer ein. Ein Uterus, der 15!/, Tag gravid war, enthielt sieben Fruchtblasen, deren Embryonal- schild auch noch birnförmig war, aber länger als bei 14!/, Tag. Im Flächen- bild zeigte er außer dem Primitivstreifen einen ausgesprochenen Kopffort- satz. Der Querschnitt durch eine Fruchtkammer (Fig. 8) lehrt, wie sich allmählich die Ungleichheiten in der Stärke der Uteruswand zumeist aus- gleichen. Die ganze Schleimhaut bekommt eine bis auf die mesometrale Fruchtkammergrube ziemlich gleichmäßige Stärke in allen ihren Teilen; ihre Drüsen wachsen, wie die linke Seite der Figur, die in größerer Aus- dehnung senkrecht getroffen ist, ausweist, als gerade Stränge erheblich in die Länge, um sich an den unteren Enden etwas aufzuknäueln. Das Bindegewebe zwischen ihnen ist jetzt spärlich. In der antimesometralen Kuppe der Fruchtkammer liegt der Längs- durchschnitt durch den Embryonalkörper, durch einen Spalt von der Uterus- wand getrennt; vor und hinter ihm ist nahezu in der ganzen Seitenwand der Fruchtkammer die Fruchtblase fest mit dem Uterus verbunden. Starke Vergrößerungen lehren auch hier, daß da, wo die Fruchtblase noch nieht mit der Uteruswand verklebt ist, überall ein Epithel auf der Innenwand der Uterusschleimhaut vorhanden ist. Dies Epithel befindet sich in der Umgebung der mesometralen Fruchtkammergrube, sogar in sehr beträchtlicher Verstärkung. Da, wo die Fruchtblase mit der Uteruswand verklebt ist, liegt dem Ektoderm eine dünnere oder diekere Schicht von Synzytium an. Da wir dies nach den Seiten unmittelbar in als solches sicher kenntliches Uterusepithel übergehen sehen, und da wir es ferner an jet H. Strraaı und E. BALıLmans: den Drüsenhälsen in unmittelbarem Übergang zum Drüsenepithel finden, so müssen wir diese Synzytialschicht für umgewandeltes Uterusepithel halten, und also auch hier wie im vorausgehenden Stadium Ektoderm und Uterus- epithel sich aneinanderfügen lassen. Außerdem zeigt die Fig. 8 trotz ihrer geringen Vergrößerung, daß auch die Drüsen der Uterusschleimhaut ihre in den vorausgehenden Stadien begonnene Wucherung fortsetzen. Wir bitten hierfür die schräg durch- schnittene rechte Wand der Fruchtkammergrube zu vergleichen, bei der die Schleimhaut fast vollkommen aus gewucherten Drüsen besteht, zwischen denen nur schmale Bindegewebsstraßen ausgespart sind. Die gleichen Wucherungen zeigen auch die Drüsen im Bereich der Plazentaranlage, so daß man geradezu sagen kann, der überwiegende Teil des mütterlichen Abschnitts dieser besteht aus den enorm gewucherten Epithelien der Uterindrüsen. Frettehen Nr. 6 und 7. (16. und 17. Tag der Gravidität.) Die Vereinigung von Fruchtblase und Uteruswand schreitet dann in den nächsten Tagen der Gravidität rasch vorwärts. Wir wollen den vorausgehenden Stadien nunmehr die Darstellung solcher anschließen, in welehen wir einmal die nahezu vollkommene flächen- hafte Verbindung der Fruchtblase mit der Uteruswand im Bereich des späteren Plazentarbezirks finden und in denen, wie es gleichzeitig geschieht, die festere Vereinigung der Teile einsetzt. indem das Ektoderm beginnt, Zotten zu treiben. Das geschieht am 16. und 17. Tag der Gravidität, aus welcher Zeit wir zunächst eine Anzahl von Übersichtsbildern geeigneter Uteri geben. Der Embryo vom 16. Tage ist noch geradegestreckt, hat im Vorderende eine ausgesprochene tiefe Medullarrinne, die sieh nach hinten rasch abflacht, und etwa 6—8 Urwirbel. Der von ı7 Tagen hat ein geschlossenes Medullarrohr, ein röhrenförmiges, etwas gebogenes Herz. Die Gesiehtskopfbeuge ist eben fertig, Nackenbeuge noch nicht begonnen, Amnionfalten in der Bildung. Im ganzen ist die Anordnung der Teile im Schnitt jetzt zumeist so, daß die Ungleichheiten in der Dicke der einzelnen Abschnitte der Uterus- wand sich weiter ausgleichen, so daß die Fruchtkammerwand in allen ihren Teilen ungefähr gleich stark ist; nur die mesometrale Fruchtkammergrube bleibt als verdünnter Abschnitt erhalten. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 15 Wir möchten für die Betrachtung der Schnittbilder hier den Uterus von 17 Tagen einmal dem ı6tägigen vorausgehen lassen. In der Regel ist bei ersterem das Querschnittsbild so, wie in Fig. 10 wiedergegeben. Hier ist der Durchschnitt durch die Plazenta fast voll- kommen gürtelförmig; der Gürtel weist, abgesehen von zwei unbedeuten- den Vertiefungen an der Oberfläche seines linken Randes, nur an der meso- metralen Fruchtkammergrube eine wirkliche Unterbrechung auf. Die einzelnen Teile des Gürtels sind nicht gleichartig gebaut, worauf wir zurückkommen. In der antimesometralen Kuppe des Schnittes liegt der hier schräg durch- sehnittene Embryo, über dessen Rücken sich eben die Amnionfalten zu schließen beginnen. Der an den Embryonalkörper anschließende Teil der Fruchtblasenwand füllt nunmehr die Fruchtkammer vollkommen aus, liegt der Innenwand des Uterus überall dicht an; von einer Vereinigung mit fetalen Teilen ist außer der mesometralen Fruchtkammergrube nur das dem Amnionnabel gegenüberliegende Stück der Uteruswand frei. In dem ziemlich starken Schleimhautabschnitt des Schnittes setzen sich an einzelnen Abschnitten der Wand der Fruchtkammer, auch bei der schwachen Lupenvergrößerung, zwei Schichten deutlich voneinander ab: eine obere kompakter gefügte und eine tiefe, an die Muskulatur anschließende, durehbrochene (vgl. Pfeil rechts); die letztere ist noch lediglich aus Uterin- gewebe aufgebaut und setzt sich zusammen aus den distalen Abschnitten der stark verlängerten Drüsen, die nun auch nach den Seiten ausgiebige unregelmäßige Ausläufer getrieben haben. Der obere bildet eine Misch- lage aus Uterusschleimhaut und den in diese vorgedrungenen kleinen fetalen Zotten, eine Lage, deren feineren Bau wir alsbald schildern. Ehe das geschieht, möchten wir noch auf zwei Präparate hinweisen, die wir ebenfalls bei schwacher Vergrößerung abbilden. Das eine, Fig. 11, ist der Schnitt durch die antimesometrale Hälfte eines anderen Uterus, ebenfalls vom 17. Tage der Gravidität, die den Längsschnitt durch einen größeren Abschnitt des Embryonalkörpers enthält als Fig. 10. Insbesondere soll der Schnitt zeigen, daß jetzt auch eine erste Anlage der Allantois entwickelt ist, die als kleines diekwandiges Bläschen in das extra- embryonale Cölom hineinragt (Pfeil); es erscheint uns das Bild insofern wesentlich, als es lehrt, daß Gefäße, die wir in der seitlichen Wand der Fruchtblase finden — wir besprechen alsbald bei der Darstellung der Sehnittbilder, wie sie sich bei stärkerer Vergrößerung präsentieren —, dem 16 H. Straxaı und E. BaıLımann: System der Vasa omphalo-meseraica und nicht den Umbilicalia angehören müssen. Die andere Figur ist der oben bereits erwähnte Querschnitt mitten durch eine der Fruchtkammern eines etwas jüngeren, nur 16 Tage graviden Uterus, Fig. 9... Er enthält den ziemlich genauen Längsschnitt mitten durch den Embryonalkörper, und zeigt auch die starke Entwicklung der Drüsen in der Uteruswand, kaum angedeutet aber die in Fig. 10 und ıı deutliche obere kompakte Lage. Ihm eigentümlich sind einige als Varietät in dieser Entwicklungszeit vorkommende Einschnitte in der Uteruswand, von denen insbesondere derjenige an der linken Seite der Figur tief und augenfällig ist. Es sind das Unterbrechungen in der Anlage des Plazentargürtels, die wir in dieser Zeit nicht ganz selten beobachten. Sie werden offenbar in späterer Zeit ausgeglichen, da sie sonst zu weitergehenden Teilungen der Plazenta führen müßten, die wir aber in späteren Stadien nicht nach- weisen können. Daß der Bau der Uteruswand bereits jetzt gegenüber den voraus- gegangenen Stadien eingreifende Veränderungen erfahren hat, lehrt die Untersuchung der Schnitte schon mit relativ schwacher Mikroskopver- größerung. Wir bilden die photographische Wiedergabe eines solchen in Fig. 12 ab. Er ist entnommen einem der seitlichen Abschnitte der Frucht- kammer, in welehem Fruchtblase und Uteruswand schon fest verbunden sind, könnte z. B. der Stelle mit dem Pfeil in Fig. 10 entsprechen. Die Uteruswand über dem Amnionnabel sieht anders aus. Kaum irgendwelche genauere Erläuterung braucht der Bau des tieferen, distalen, rein mütterlichen Teiles der Schleimhaut. Er besteht aus den ungemein gewucherten und vergrößerten Drüsen, deren Lichtung von einem hohen zylindrischen Epithel ausgekleidet wird, dessen Zellen wohl begrenzt sich gegeneinander absetzen. In der ganzen Lage überwiegt das Epithel. zwischen dem nur schmale Straßen von Bindegewebe Gefäße aus der Tiefe nach oben führen. Schwieriger ist die Deutung des oberen, proximalen, gegen die Wand der" Fruchtblase liegenden Abschnittes, der eigentlichen Plazentaranlage. An dieser ist allerdings ohne weiteres klar, daß kleine, in der Abbildung hellere, zapfenförmige, ektodermale Zotten sich in die Uteruswand ein- gesenkt haben; sie ziehen vielfach offenbar ein wenig schräg in die Tiefe, Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 17 so daß nur hier und da, wie bei x, ihr ganzer senkrechter Durchschnitt im Bild erscheint, sonst nur Teile desselben. Die Ektodermzotte ist hohl und enthält ein ganz spärliches embryonales Bindegewebe ohne Gefäße; die Schicht, welche den freien Rand des Schnittes an der embryonalen Seite bildet und die Zottenbasis überlagert ohne in sie einzugehen, ist die Wand der Nabelblase. Diese enthält ein ausgesprochenes Netz fetaler Blutgefäße. Wie ist der Bau der Uteruswand zwischen den Zotten? Zunächst ist festzustellen, daß auf der Oberfläche aller Zotten ein auch bei dieser schwachen Vergrößerung deutlich sichtbarer dunkler Grenzkontur liegt. Er ist ausgesprochen synzytial und färbt sich mit den meisten der üblichen Tinktionsmittel ganz intensiv. Wir halten ihn für das synzytial umgewandelte Uterusepithel, für ein Syneytium epitheliale uterinum. Gänzlich fehlen in der oberen Lage die Hälse und die Ausgangs- öffnungen der Drüsen. Wo sie geblieben sind, lehren weniger gut die senkrechten Durchschnitte durch die Plazentaranlage, als Serien von Flächen- schnitten, welche wir zur Kontrolle herstellten. Solche, soweit sie durch die eben einwachsenden Zotten gehen, ergeben, daß die Zottenspitzen offenbar in die Drüsen eingewachsen sind und die gesamten Drüsen- mündungen verlegen. Nachdem wir das auf dem Wege der Durehsicht der Serien von Flächenschnitten einmal festgestellt hatten, konnten wir dann auch an senkrechten Durchschnitten die Beziehungen zwischen Zotten- spitzen und Drüsenhälsen nachweisen. Derjenige Teil der Plazentaranlage, der zwischen den einwachsenden Zotten liegt, besteht, wie bereits unsere doch nur schwach vergrößerte Figur erkennen läßt, aus einer hellen, weniger gefärbten Grundlage und einem in diese eingelagerten Balkenwerk von dunkleren, synzytialen Massen. Wir halten die helleren Teile für uterines Bindegewebe, in dem man mit stärkeren Vergrößerungen die mütterlichen Gefäße gut erkennen kann, die synzytialen für Abkömmlinge des Epithels der Uterusdrüsen. Auch die letztere Annahme stützt sich besonders auf das Studium von Flächen- schnitten. Fig. ı3 gibt bei stärkerer Vergrößerung ein kleines Stück aus einem solehen wieder, der gerade durch die Mitte der einwachsenden Zotten geht. Diese erscheinen als helle Ringe, und um diese legt sich ein an jeder Zotte vorhandener Ring von Synzytium, den wir für das veränderte Epithel des Drüsenhalses halten, in welchen die Zotten einwachsen; Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 3 18 H. StrAxaı und E. BALLMmAnNN: die Eingangsöffnung in diese kann sich dabei durch einen Epithelpfropf abschließen. Und von diesem Epithel und in stetem Zusammenhang mit ihm geht das Balkenwerk des Synzytiums aus, das inmitten des hellen uterinen Bindegewebes die dunklen Straßen bildet, die wir hiernach für gewuchertes Drüsenepithel halten. Es kommt somit nach unserer Auf- fassung hier zur Ausbildung einer uns in gleicher Form von anderen Raubtierplazenten nicht bekannten Mischlage von gewuchertem uterinem Epithel und uterinem Bindegewebe zwischen den Zotten, welche die Grund- lage für den mütterlichen Abschnitt der Plazenta abgibt. Es ergibt sich nun auch die gleiche Erklärung für das eigenartige Bild, das der senkrechte Durchschnitt zwichen den einwachsenden Zotten zeigt. Zerfallserscheinungen des Uterus finden wir in ihm jetzt nicht. An der Oberfläche der Plazentaranlage liegt auf dieser Mischlage eine vielfach recht feine, aber immer gut nachweisbare kontinuierliche Lage von Synzytium, das wir seiner Entstehung nach ebenfalls auf Uterus- epithel, und zwar auf das Oberflächenepithel des Uterus, zurückführen. Wir möchten zur Klärung dieser in der Tat sehr schwer deutbaren Bilder auf eine Abbildung von Strahl in Hertwigs Handbuch der vergleichenden Entwieklungsgeschichte (Bd. I S. 306 Fig. 179b) verweisen, die wir der ohnehin schon reichlichen Abbildungen halber an dieser Stelle nicht noch einmal reproduzieren wollen. Die Figur zeigt, bei stärkerer Vergrößerung gezeichnet, zwei gegen die nach oben durch einen Epithelpfropf ge- schlossenen Drüsen vorwachsende kleine Zotten. Zeigt, wie die Zotten- gruben und die Uterusoberfläche von einem dünnen Synzytium epitheliale uterinum überlagert und ausgepolstert sind. Zeigt endlich zwischen den Zotten die Uteruswand, aus einer hellen bindegewebigen Grundlage be- stehend, in welche als dunkle Straßen die Fortsetzungen des epithelialen Uterussynzytiums eingewachsen sind. Das Bild der Plazentaranlage gerade in dieser Zeit der Entwicklung ist unter allen Umständen hier ein sehr fremdartiges, und es hat langer Untersuchung der Präparate und mannigfacher Erwägungen bedurft, ehe wir zu der oben versuchten Auffassung gekommen sind. Sie erscheint uns aber heute als die einfachste, ja als die einzig mögliche Deutung der uns vorliegenden Schnittpräparate; erscheint uns auch als solche im Hin- blick auf die Erfahrungen, die wir bei der Untersuchung von Plazentep anderer Säuger im Laufe der Jahre gemacht haben. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 19 Auf die physiologische Bedeutung dieser eigenartigen Mischung von Epithel und Bindewebe für den Aufbau der Plazenta kommen wir alsbald zurück. Wie sich auch in den nicht plazentaren Abschnitten der Uterus- wand das Verhältnis vom Epithel zum Bindegewebe schon in dieser frühen Zeit eigenartig zugunsten des Epithels gestaltet — und das ist wesent- lich für unsere Auffassung vom weiteren Aufbau der Plazenta —, das lehrt ein Flächenschnitt aus der gleichen Serie, der durch den tieferen Teil der Uteruswand mit den erweiterten Drüsen geht (Fig. 14). Er zeigt, wie das Bindewebe im ganzen nur schmale Straßen bildet, welche die Bahnen für die mütterlichen Gefäße abgeben: nur an einzelnen Stellen — häufig da, wo Gefäße in die Höhe steigen — sind sie zu etwas größeren Feldern verbreitert, die Hauptmasse des Schnittes bildet hier das Epithel der er- weiterten Drüsenräume. Bereits oben wurde erwähnt, daß nicht alle Teile der Uteruswand in dieser Zeit den gleichen Bau aufweisen. Als Beleg hierfür diene (Fig. 15) ein Vergleich der bisher beschriebenen Bilder mit einem solchen, welches den Querschnitt durch die Mitte eines Embryos von ı7 Tagen und durch den über diesem liegenden Rand der Uteruswand wiedergibt. Die Figur ist nach einer Zeichnung photographiert. Sie gibt auch am raschesten eine Vorstellung über den Entwicklungsgrad des Frettehenembryos von 17 Tagen. Der Schnitt durch den Embryonalkörper hat diesen in der Urwirbel- region getroffen; er enthält das im Schluß begriffene Medularrohr, die noch ganz in das Entoderm eingeschaltete Chorda; zu den beiden Seiten des Embryos liegen kurze Amnionfalten, das Amnion ist an dieser Stelle noch nicht geschlossen. Die über der Dorsalseite des Embryonalkörpers liegende Uteruswand ist an der Oberfläche glatt; die Uterindrüsen münden nicht mehr nach der freien Fläche aus, sind vielmehr in die Tiefe gedrängt. Die freie Fläche des Uterus ist von einem abgeplatteten aber kontinuierlichen Epithel über- zogen, an das sich an den Seitenrändern das Ektoderm der Amnionfalten anlegt. Wir machen auf diese Stelle bereits jetzt aufmerksam, weil es die- jenige ist, an der sich alsbald das in der Fruchtkammer des Frettchens so sehr ausgesprochene Hämatom entwickelt. Die Uteruswand unterhalb des Epitheles gleicht im ganzen den Teilen, die wir oben als die Unterlage für die einwachsenden Zotten beschrieben BE 20 H. StrAnau und E. BAL Lmann: haben; auch hier besteht sie aus einem Bindegewebe, in welchem unregel- mäßige synzytiale Stränge liegen. Wir führen diese nach dem, was wir oben von der Umwandlung des Epithels der Drüsenhälse beschrieben haben, ihrer Herkunft nach ebenfalls auf die gewucherten Epithelien der Drüsen- hälse zurück. Einen ganz besonderen Bau besitzen in dieser und den anschließenden Entwieklungszeiten auch die Teile der Uteruswand neben der mesometralen Fruchtkammergrube da, wo am Plazentarand eine festere Verlötung zwischen Uterus und Chorion noch nicht stattgefunden hat. Sie zeigen eine ganz ungemeine Wucherung des gesamten Drüsenkörpers von der freien Fläche bis zur Muskulatur und damit eine weitgehende Entfaltung des Uterus- epithels. Da diese Abschnitte der Fruchtkammer bei weiterem Flächen- wachstum der Plazenta noch in deren Bereich aufgenommen werden, so weisen auch diese Teile sehr auffällig darauf hin, welche Rolle das Uterus- epithel bei dem Aufbau der Plazenta spielt. Frettchen Nr. 8. (19. Tag der Gravidität.) Von einem Uterus gravidus von 19 Tagen geben wir zunächst nach einer Wagenerschen Zeichnung in Fig. 46 das Bild eines Embryos, wie er sich in der frisch fixierten und dann eröffneten Fruchtkammer präsentiert. Er liegt auf der Plazentaranlage, von der nur ein kleiner Teil gezeichnet ist; die dunklen Flecke auf dieser sind die Basen der in den Uterus ein- wachsenden Zotten. Die Figur soll über die allgemeinen Entwicklungs- verhältnisse des Embryos orientieren und zeigen, dal das Medullarrohr nun vollkommen geschlossen ist; der Embryonalkörper ist in der Mitte stark abgeknickt, das Kopfende sitzt in einem ausgesprochenen Proamnion. Das matte Feld um das dem Uterus flach anliegende Hinterende des Embryos gibt die Ausdehnung der nunmehr kräftig entwickelten Allantois wieder. In diese Zeit fällt die erste Entwicklung der Plazentarhämatome. Eine Reihe kleiner bräunlicher Flecke auf der Plazentaranlage trat bereits am frischen Objekt deutlich hervor; es sind, wie die Schnittpräparate lehren, die ersten Andeutungen kleiner Extravasate mütterlichen Blutes zwischen Uteruswand und Embryonalhüllen, die sehr bald eine mächtige Entwicklung erfahren. Auch hier zeigen Schnittbilder schon bei ganz geringerer Vergrößerung die Fortschritte im Entwicklungsgang (Fig. 16) zunächst, daß nunmehr die Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 21 Fruchtblase der ganzen Innenwand des Uterus vollkommen anliegt. Das Amnion ist geschlossen und die Allantois zu einer größeren dünnwandigen Blase umgewandelt, die die Nabelblase jetzt auf mehr als '/, der Innenfläche des Chorions von diesem abgedrängt hat. Da, wo im antimesometralen Abschnitte des Uterus Allantois und Nabelblasenrand einander fast berühren (gegenüber x), liegen im Sehnitt die ersten Blutextraversate. Während das Chorion sonst der Innenwand des Uterus überall flächenhaft fest anliegt oder sich in Gestalt von Zotten in den Uterus einsenkt, fehlt eine solche Verbindung gegenüber der meso- metralen Uterusgrube und in der antimesometralen Kuppe der Frucht- kammer. Gegenüber x unserer Figur erkennt man deutlich die Abhebung des Chorions, das nur mit kleinen Spitzen gegen den Uterus vorragt und sieht die kleinen Extraversate als dunkle Flecke. Es handelt sich um einstweilen geringe Mengen mütterlichen Blutes, welche aus arrodierten Gefäßen sich zwischen Uteruswand und Chorion ergießen. Es stimmt also in dieser grundsätzlichen Anordnung das Hämatom durchaus mit demjenigen der Hunde- und Katzenplazenta; nur die Einzelheiten differieren. Ins- besondere ist das Hämatom hier zentral gelegen, während es bei Hund und Katze sich zuerst randständig um die Plazenta anlegt. Die Uteruswand an dieser Stelle ist — was allerdings in der schwach vergrößerten Figur nicht hervortritt — unregelmäßig in ihrem Bau ge- worden. Die Epithellage an der Oberfläche ist kaum noch nachweisbar, die Drüsenhälse in den oberen Schiehten fehlen, während in der Tiefe die Drüsen gut entwickelt sind. Auch hier liegt Epithel ganz unregelmäßig in Strängen in der bindegewebigen Unterlage. Wir bemerken (Fig. 16) noch, daß, wie das hier und da vorkommt, gegen- über dem Mesometrium die Ränder der Fruchtkammergrube sich einander so nähern, daß die Grube verstrichen erscheint und somit auf solchen Schnitten die Plazenta bei flüchtiger Betrachtung als vollkommen gürtelförmig erscheint. Sie ist aber in der Tat an der mesometralen Seite unterbrochen; an dieser kommt es niemals zur festeren Verbindung der Fruchtblase mit der Uterus- wand und zur Entwicklung von Zotten. Die Fortschritte in der Plazentarentwicklung selbst zeigt ein bei mittlerer Vergrößerung in Fig. 17 abgebildeter Schnitt; er stammt aus einer anderen Fruchtkammer als derjenige von Fig. 16, würde aber etwa einer Stelle wie bei » jener Figur entsprechen. Verglichen mit Fig. ı2 lehrt er, daß die 22 H. Strauı und E. BALLMANnNN: Zotten sehr viel voluminöser, insbesondere breiter geworden sind und tiefer in die Uteruswand eindringen; sie durchsetzen an einigen Stellen etwa die Hälfte der Uterusschleimhaut. Die ganze tiefe Lage ist von den erweiterten und gewucherten Drüsen eingenommen und besteht überwiegend aus deren Epithel, zwischen dem nur ganz schmale Straßen von Bindegewebe liegen, auf denen Gefäße aus der Tiefe nach oben treten. Auf‘ den Zotten kann man — im Präparat besser als in der Figur, aber auch in dieser an einzelnen Stellen — den Überzug von synzytialem Uterusepithel nachweisen, und die Säulen des Uteringewebes zwischen den Zotten tragen wie im vorausgehenden Stadium ausgesprochen den Charakter des Mischgewebes: eine helle Grundlage von Bindegewebe und in diesem die dunklen Straßen von Synzytium, die wir auf das gewucherte Uterus- epithel zurückführen. Der überaus zarte mesodermale Grundstock der Zotten hat sich an dem Sehnitt der Fig. 17 infolge der Behandlung von seinem ektodermalen Über- zug losgelöst und ist geschrumpft, die Allantois hat sieh etwas vom Chorion abgehoben. An vielen anderen unserer Schnitte aus dieser Zeit sind die Teile vollkommen in situ erhalten und zeigen, daß die Allantoisgefäße in die Zotten sich einzusenken beginnen. An denjenigen Stellen, an welchen dem Chorion innen die Nabelblase anliegt, sieht man, daß diese flach über den Zottenbasen wegzieht, ohne daß ihre sonst sehr zahlreichen Gefäße in die Zotten eindringen. Trotz enger topographischer Beziehungen zwischen Chorion und Dottersack kann man somit von einer Dottersackplazenta hier nicht wohl reden. Frettchen Nr.o. (20. Tag der Gravidität.) Wir geben aus der Zeit von Ende der dritten Woche der Gravidität eine genauere Darstellung der Umwandlung von Tag zu Tag, weil in dieser wesentliche Entwicklungsvorgänge in der Plazenta ablaufen und außerdem das Plazentarhämatom anfängt, sich ausgiebiger zu entwickeln. Ein Uterus von nicht ganz 20 Tagen wurde fixiert; das Bild der anti- mesometralen Hälfte einer durch einen glatten Schnitt eröffneten Frucht- kammer zeigt Fig. 47. Der Embryo ist entfernt, der Durchschnitt geht oben und unten mitten durch die dicke Plazentaranlage, die dünnen Stellen seitlich enthalten keine Plazenta, Das unregelmäßige Feld im Boden des Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 23 Stückes entsprieht den Ansatzrändern der Allantois auf der Oberfläche der Plazentaranlage. Unter ihr, aber über ihren Bereich hinausgehend, liegt auf der Plazentaranlage ein ganz ausgesprochenes bräunliches Hämatom. Es besteht aus einer großen Zahl von flachen Blutklümpehen, die zwischen Uteruswand und Chorion liegen und einen größeren Blutsack umgeben, der weit in die Allantoislichtung hinein vorspringt. Der Schnitt, den wir aus dieser Zeit abbilden, stammt von einer Frucht- kammer von 20 Tagen, die in ihrer Gesamtentwicklung etwas weiter vor- geschritten ist als die Unterlage für das oben erörterte Flächenbild. Sehr ausgesprochen z. B. in der Ausbreitung der Allantois. In der Entwicklung des Hämatoms ist sie dagegen zurückgeblieben (Fig. 18). Es mögen bei dem Extravasieren überhaupt wohl kleine zeitliche Schwankungen vorkommen. Die Allantois hat sich auf Kosten der Nabelblase beträchtlich ausge- dehnt. Die Nabelblase liegt nur noch im Bereich der mesometralen Frucht- kammergrube und in einem kleinen Bezirk neben dieser der Innenwand der Fruchtkammer an, während der größte Teil dieser — mehr als ein Fünftel der Wand — von der Allantois austapeziert ist. Am antimesometralen Pol ist das Chorion immer noch nur locker mit dem Uterus verbunden; hier fehlen Zotten zum Teil vollkommen, und die etwas verdiekte Uterus- wand ist anders gebaut als in den Plazentarteilen. Die Uterindrüsen reichen hier an einigen Stellen noch bis zur Oberfläche der Schleimhaut. Die Plazentaranlagen in den Seitenteilen der Fruchtkammer sind weiter ent- wickelt, indem die Zotten länger und namentlich auch breiter, die Straßen uterinen Gewebes zwischen ihnen schmaler geworden sind. Dabei ist die Plazenta auf der einen Seite (rechts in der Figur) entschieden breiter als auf der anderen (links), auf der die voll entwickelte Plazenta nur schmal ist. Neben ihr liegen Teile, die in der Plazentarbildung zurückgeblieben sind, denen größere Zotten noch ganz fehlen. Genau in der antimesometralen Kuppe x und noch über der hier vorhandenen Plazentaranlage sitzt zwischen Uteruswand und Chorion ein aus einzelnen Abteilungen bestehendes Extra- vasat mütterlichen Blutes; es baut sich aus einigen kleinen Säcken des Chorion auf, die sich nach innen gegen die Fruchtkammer ein wenig vorstülpen, also von innen von der eröffneten Fruchtkammer aus als Beutelchen er- scheinen müssen. Neben diesen Blutbeuteln findet sich links in der Figur der oben- erwähnte ziemlich umfangreiche Bezirk, in welchem das Chorion nicht in der 24 H. Strauı und E. Bırımann: Fläche, sondern nur mit kleinen Spitzen an der Innenwand des Uterus be- festigt ist. Dadurch sind bedingt kleine, aber jetzt noch leere Säckchen des Chorion, welche, wie die weiteren Entwieklungsstadien lehren, nun auch extravasierendes mütterliches Blut aufnehmen und so Veranlassung zur Ent- stehung einer ganzen Zahl neuer Blutsäcke geben, wie sie in den nachfolgenden Stadien vorhanden sind. Noch ein weiteres erscheint uns in diesen Schnitten bemerkenswert, was allerdings die bei schwacher Vergrößerung wiedergegebene Figur nicht erkennen läßt: Auf dem freien Rande des Extravasates gegen das Chorion hin liegt, nur bei geeigneter Behandlung nachweisbar, ein feiner Staub von Hämatoidinkristallen. Es sind die ersten Anfänge einer Ausscheidung von Hämatoidin in dem Extravasat, die weiterhin in einem ganz ungemeinen Umfang einsetzt. Gemeiniglich wird angegeben, daß Hämatoidinkristalle sich entwickeln, wenn Blut längere Zeit extravasiert im Körper liege. Hier hätten wir einen Fall, in welchem die Hämatoidinbildung alsbald nach der Extra- vasierung einsetzt; das Extravasat dürfte in diesen Fällen höchstens 24 Stunden alt sein, und schon beginnt die Ausscheidung des Hämatoidins, was ganz besonders hervorzuheben wir nicht verfehlen wollen. Ein Schnitt aus einer Plazenta gleicher Entwicklungszeit bei mittlerer Vergrößerung demonstriert das Vorwachsen der Zotten in die Plazentaranlage (Fig. 19). Es spielt sich hierbei in diesen Stadien offenbar ein Vorgang ab, der in grundsätzlich gleicher Weise bei den Plazenten aller bisher ge- nauer untersuchten Raubtiere abläuft, der aber in ausgesprochenem Grade beim Frettehen relativ spät einsetzt. Es wird allmählich ein vor den einwach- senden Zotten liegender Teil der Uteruswand eingeschmolzen, der an der Mus- kularis liegende Abschnitt der Schleimhaut wird trotz beträchtlichen Gesamt- wachstums der Fruchtkammer dünner, während die Plazenta selbstsich verdickt. Dabei werden vor den Spitzen der Zotten Gewebsbestandteile der Uterusschleimhaut, Drüsen und Bindegewebe durcheinandergeworfen. Strahl hat den Streifen vor den Zottenköpfen vor vielen Jahren von der Katzen- plazenta als die Umlagerungszone beschrieben; ein Terminus, der in der Plazentaliteratur dann weiter Eingang gefunden hat, leider aber für ganz heterogene Dinge gebraucht ist. Hier in der Frettchenplazenta wäre er aber wieder durchaus am Platze. Aus einem Vergleich des vorliegenden Stadiums mit den vorausgehenden Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 25 muß man entnehmen, daß in dieser Umlagerungszone die Uteruswand ge- wissermaßen vorbereitet wird auf die Einschmelzung durch die Zotten und daß ein Teil des Materials der Schicht — nicht alles, Gefäßsepten werden ausgespart — dann eingeschmolzen, verflüssigt und vom Chorionektoderm resorbiert wird. Ein Vergleich von Fig. 19 mit Fig. 17 ergibt ohne weiteres ein Bild von dem Fortschreiten der Plazentarentwicklung. Frettchen Nr. 10. (21. Tag der Gravidität.) Eine Reihe weiterer wesentlichster Umwandlungen vollzieht sich in der Zeit vom 20. zum 21. Tage der Gravidität. Nimmt man den Uterus gravidus an diesem Tage aus dem eben getöteten Tier heraus, so läßt jetzt jede der ziemlich dünnwandigen Fruchtkammern frisch ohne Mühe eine größere dunkle Stelle auf der antimesometralen Kuppe erkennen; sie ist der Ausdruck eines in kürzester Zeit sehr umfangreich gewordenen Extra- vasates von mütterlichem Blut zwischen Uteruswand und Chorion, das in Form von in der Regel einem mittleren größeren und einer Reihe kleinerer diesen umgebenden Blutbeuteln einen beträchtlichen Absehnitt der anti- mesometralen Kuppe der Fruchtkammer einnimmt. Die sehr beträchtlichen Fortschritte im Entwicklungsgang zeigt auch der Sehnitt durch die Fruchtkammer. Vor allem, daß die Allantois nun- mehr die ganze Innenwand der Fruchtkammer einnimmt und die Nabel- blase vollkommen von der Wand der Kammer abgedrängt hat. Die Zotten haben an Länge und namentlich auch an Breite zugenommen; die beiden Seitenwände der Fruchtkammer bestehen in ihren oberen zwei Dritteln aus den stark vergrößerten, im Schnitt hell bleibenden Zotten, zwischen denen das mütterliche Gewebe in Form von schmalen Straßen ausgespart erscheint. Die Zotten sind in der Figur teils als längliche Straßen in ihrer ganzen Längsausdehnung zu übersehen, zum Teil präsen- tieren sie sich in Schrägschnitten als helle unregelmäßig gestaltete Felder. Unter ihren Spitzen nimmt die rein uterine Drüsenlage im ganzen jetzt etwa ein weiteres Drittel der Wand ein. Gegen die flache mesometrale Fruchtkammer hin fehlen am Rande dieser die Zotten, dafür ist aber hier die Uteruswand selbst nieht unbeträchtlich verdiekt. Die Verdickung be- steht im wesentlichen in einer enormen Vermehrung des Uterusepithels. Ebenso verstärkt sich die tiefe Drüsenlage antimesometral gegen die Kuppe, Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 4 26 H. Straur und E. BaArLıLmAns: die Zotten hören an dieser Stelle auf, und über der Drüsenschicht liegen an ihrer Statt die Durehsehnitte der Blutbeutel. Es handelt sich nunmehr um dicke Blutmassen, zwischen denen sich Fortsätze des Chorion als Um- grenzung der Blutbeutel in Form heller Straßen einschieben. Sie erreichen mit ihren Spitzen vielfach die Oberfläche der Drüsenlage unter dem Extravasat. Schon mittlere Vergrößerungen (Fig. 21) und besser noch starke (Fig. 22) zeigen, daß auch im feineren Bau der Plazentaranlage beträchtliche Um- wandlungen stattgefunden haben: An der Zotte besteht nun in der Spitze dieser das Fktoderm aus hohen, an der Kuppe direkt zylindrischen Zellen, gegen die Fruchtkammer hin flacht es sich ab. Das Ektoderm überlagert ein ungemein zartes, feinfaseriges embryonales Bindegewebe, den mesoder- malen Grundstock der Zotte, welcher der Träger für ein reichliches Netz von Allantoisgefäßen ist. Der zottenfreie, tiefe Drüsenabsehnitt der Uteruswand besteht wie in den vorausgehenden Stadien in überwiegendem Maße aus dem Epithel der gewucherten Drüsen, zwischen dem nur ganz schmale Straßen von Binde- gewebe hindurchziehen; die stark gewucherte Schicht liefert somit der Plazentaranlage eine ungeheure Menge von Uterusepithel, von dem, wie spätere Stadien lehren, allerdings ein Teil wieder zerfällt und dann Nähr- material für den Embryo liefert, während die Hauptmasse für den Aufbau der Plazenta verwendet wird. Es handelt sich um eine starke Schicht von ganz unregelmäßig durch- einanderliegenden und gänzlich aus ihrem ursprünglichen Gefüge gekommenen Uterusepithelien aus den erweiterten und vergrößerten Uterusdrüsen. Ein Teil des Epithels ist in große Synzytialklumpen umgewandelt, ein anderer beginnt jetzt schon Zerfallserscheinungen zu zeigen, namentlich der den Zottenspitzen gegenüberliegende Abschnitt. Wir zweifeln nach dem, was wir von anderen tierischen Plazenten kennen, nicht daran, daß die hohen zylindrischen Ektodermzellen auf den Zottenspitzen nunmehr als Resorp- tionsorgane funktionieren und das zerfallende mütterliche Zellmaterial aufnehmen, wenn wir auch im Schnittbild einstweilen die Erscheinungen hierfür noch nicht hervortreten sehen. Sehr ausgesprochen ist die Umlagerungszone. In sehr auffälliger Form umgewandelt erscheint aber auch die Uterusschleimhaut in ihrer oberen Schicht zwischen den Basen der Zotten. Im Schnitt präsentiert sich dieser Abschnitt in Gestalt von schmalen, grauen, kompakteren Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 27 Straßen zwischen den breiteren, hellen Zotten (Fig. 21). Tatsächlich han- delt es sich natürlich um eine kontinuierliche Lage, in welche sich die Zotten fingerförmig einsenken; auf dem Flächenschnitt würde das Uterin- gewebe als ein System untereinander zusammenhängender Balken erscheinen, in deren Lücken die Zottendurehschnitte als rundliche Felder gelegen sind. Da diese Stadien für unsere Auffassung von dem Aufbau der Frettehenplazenta grundlegend sind, so möchten wir hier etwas ausgie- biger illustrieren. Es sollen den Aufbau des Uteringewebes wiedergeben einmal eine Photographie nach einem Schnittpräparat (Fig. 22) und dann eine zweite nach einer Zeichnung (Fig. 23). Die Bilder geben beide die Kuppe eines der Septen zwischen den Zotten unmittelbar an der Frucht- kammer wieder. Die Hauptmasse des Schnittes besteht aus einer synzytialen Protoplasmamasse mit eingelagerten großen, blasigen, hellen, sehr zahlreichen Kernen. Wir halten nach einem Vergleich der Schnitte aus den voraus- gehenden Stadien mit dem vorliegenden, dies Synzytium für einen Ab- kömmling des Uterusepithels; es stammt nach unserer Annahme von den oben beschriebenen synzytialen Massen ab, welche aus dem Epithel der Drüsenhälse in das diese umgebende Bindegewebe auswachsen. Die sich ursprünglich intensiv färbenden Massen verlieren ihre starke Färbbarkeit, gehen aber nicht zugrunde, sondern bleiben erhalten und bilden die Grund- lage für einen beträchtlichen Teil des mütterlichen Abschnittes der Plazenta. Ein nachweisbares freies Bindegewebe uteriner Herkunft findet sich, wenn man von den uterinen Gefäßen absieht, zwischen den Straßen des Syneytium uterinum epitheliale nicht; dagegen zeigen die Figuren, wie dem Epithel die Durehschnitte von dunklen, ziemlich dieckwandigen Röhren ein- gelagert sind; das sind eben die Durchschnitte von mütterlichen Gefäßen, deren Wand jetzt an diesen Stellen nur aus einem überaus verdickten Endothel besteht. Auf diese Unterlage ist von außen eine dunkle niedrige Zellenlage aufgefügt, das ist das Chorionektoderm, an welches sich nach der fetalen Seite das in der Figur 23 im ganzen nicht mehr wiedergegebene Meso- derm des Chorions und des Zottengrundstockes anschließt. Nur an einer Stelle — links oben — ist der Querschnitt eines größeren fetalen Gefäßes gezeichnet; und an dem Pfeil links unten eine andere Stelle, an der in die vom Uterus gegebene Grundlage ein erstes kleines fetales Gefäß als Seitensproß des Zottenstammes einwächst. 4* 28 H.Strası und E. BALLmAnn: Die Darstellung, wie wir sie eben von Uteruswand und Zotte des 2ı Tage graviden Uterus gegeben haben, ist die Grundlage für unsere ganze Auffassung von der Entwicklung und dem Bau der Frettchenpla- zenta: Wir nehmen an, daß sich auf dem Wege mannigfachster Umwand- lung der Uteruswand ein aus den synzytial veränderten Uterusepithelien bestehender Grundstock bildet, weleher die aus verdiekten Endothelien bestehenden Netze der mütterlichen Blutgefäße einschließt und in den dann sekundär die fetalen Gefäße als Seitensprossen der Hauptzotten einwachsen. Wir kommen weiter unten auf diese Darstellung zurück. Wir möchten der Abbildung des eben besprochenen Schnittpräparats noch diejenige eines andern anfügen, das sich in seiner Entwieklung dem ersteren unmittelbar anschließt, das wir aber nicht genau auf sein Alter bestimmen können. Schätzungsweise halten wir das Präparat für einen Schnitt von einem etwa 21!/;—22 Tage graviden Frettchen. Der Schnitt, der, wie Fig. 23, die Kuppe eines der mütterlichen Septen zwischen zwei großen einwachsenden Zotten wiedergibt, erscheint uns besonders instruktiv, weil er das Einwachsen der Seitenzweige der großen mütterlichen Zotten in die Grundlage zeigt, welehe das mütterliche Gewebe für die Plazenta abgibt (Fig. 24). Diese ist genau so gebaut wie in dem in Fig. 23 abgebildeten Schnitt; sie enthält die Durchschnitte der mütterlichen Gefäße als dicke Ringe, die selbst wieder von einem aus- giebigen Synzytium eingeschlossen werden, das wir für das veränderte und gewucherte Epithel der Uterindrüsen halten. In diese Masse schieben sich die fetalen Gefäße, die zumeist im Schnitt stark mit dunkelkernigen fe- talen Blutkörpern gefüllt sind, als feine Endothelröhren ein. Diese müssen wohl vor sich auch eine dünne Lage von Ektoderm des Chorion herschieben; sie setzt sich aber in dem Präparat kaum irgendwo als besondere Lage ab, muß sich somit’auf das äußerste abgeplattet haben. Jedenfalls gibt, wie wir glauben, die Figur einen Überblick darüber, wie sich jetzt die Hauptmasse des Plazentarlabyrinths herauszubilden anfängt. Wir heben dabei besonders hervor, daß es sich bei den gesamten Entwicklungsvorgängen der Plazentarbildung hier um Prozesse handelt, die an der Oberfläche des Uterus beginnen und von da gegen die Tiefe vor- schreiten. Von oben nach unten wachsen die Zotten, von oben nach unten wandelt sich das vor den Zottenspitzen gelegene Uterusgewebe um, d.h, Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 29 verschiebt sich allmählich die Umlagerungszone, von oben nach der Tiefe fortschreitend wird ein großer Teil der Uteruswand resorbiert, und an der Plazentaroberfläche beginnt sich auch die endgültige Struktur der Plazenta zuerst zu entwickeln, um dann gegen die Tiefe vorzuschreiten. In offenbarem Zerfall begriffen ist die Uteruswand in ihrer obersten Schicht, soweit sie dem Extravasat unmittelbar anliegt. Während in den tieferen Lagen unter dem Hämatom erweiterte und vergrößerte Uterin- drüsen eine kontinuierliche Lage bilden, lockert sich nach oben das Ge- webe auf. Die Epithelien der Uterindrüsen sind sehr beträchtlich ver- größert, ihre Kerne ebenfalls um so mehr, je näher der Oberfläche. Un- mittelbar am Chorion ist Epithel wie Bindegewebe unregelmäßig ange- ordnet und vielfach in Zerfall begriffen; hier müssen auch die Stellen zu suchen sein, an denen die mütterlichen Gefäße arrodiert sind, aus denen das Blut der Blutbeutel ausgetreten ist. Der direkte Nachweis solcher Stellen ist uns freilich noch nicht gelungen. In den Blutbeuteln ist das Blut ziemlich unverändert erhalten; an der Oberfläche der Blutklumpen gegen das Chorion hin liegen Hämatoidinkristalle nunmehr in erheblichen Mengen und ziemlicher Größe der Einzelkristalle. Endlich möchten wir doch an dieser Stelle auch noch mit einem Worte des Baues der Uteruswand an der mesometralen Fruchtkammergrube Er- wähnung tun, weil auch diese eigenartige Veränderungen im Aufbau gegen die früheren Stadien aufweist. Insbesondere setzt auch hier eine sehr er- hebliche Vergrößerung der Zellen des Uterusepithels ein, auf die wir be- sonders aufmerksam machen, weil sie lehrt, wie in allen Abschnitten des graviden Frettehenuterus die an oder nahe der Oberfläche der Schleimhaut gelegenen Teile des Epithels an Zahl und an Größe der Einzelzellen zu- nehmen. Fig. 25 gibt einen Abschnitt der fraglichen Schleimhaut bei mitt- lerer Vergrößerung wieder; sie zeigt die normale Anfangsgröße der Uterus- epithelien noch an den in der Tiefe liegenden Drüsendurehschnitten, zeigt beim Vergleich mit diesen, wie sich an der Oberfläche und in deren Nachbarschaft die ursprünglich ebenfalls niedrigen Epithelien inzwischen entwickelt haben. Frettchen Nr. 11: (23. Tag der Gravidität.) Bis dahin stellte die Plazentaranlage einen nahezu vollständig ge- schlossenen Ring dar, der zwar in seinen einzelnen Abschnitten verschieden 30 H. Stranuı und E. BALLmaAnn: gebaut ist, aber doch bis auf die mesometrale Fruchtkammergrube eine einheitliche gürtelförmige Erhebung der Plazentaranlage über die flache Schleimhaut der Uteruskuppen bildet. Jetzt ändert sich dies Bild, indem das antimesometrale mütterliche Extravasat sich vergrößert und verbreitert; wenn das geschieht, verdünnt sich die bis dahin ziemlich starke Partie der Uteruswand unterhalb des Extravasats sehr erheblich, während die Plazenta selbst stärker wird. In- dem gleichzeitig offenbar der Uterus in seinem mesometralen und anti- mesometralen Abschnitt sich relativ stärker ausdehnt als in den Plazentar- anlagen und sich dabei verdünnt, wird so allmählich die ursprünglich ein- heitliche Plazenta vollkommen in zwei Teile geschieden, die in den beiden seitlichen Abschnitten der Fruchtkammer gelegen sind. Wie sich, wenn dieser Entwicklungsvorgang fertig ist, der Fruchtsack gestaltet, haben wir in einem späteren Stadium der Plazentarentwicklung dargestellt, in welchem wir den Fetus mit seinen beiden Plazenten bei uneröffnetem Chorion aus der Fruchtkammer isolierten. Das Bild eines solchen Präparats zeigt die nunmehr am Mesometrium durch einen breiten Zwischenraum voneinander getrennten Plazenten (vgl. Fig. 32 aus einem späteren Stadium), und wenn wir das Präparat drehen, so erscheinen auch auf der anderen Seite des Chorionsackes die Plazenten weit voneinander getrennt, nur daß dann dort zwischen ihnen das Extravasat gelegen ist. Es ist alsdann die anfänglich fast vollkommen gürtelförmige Plazenta in zwei diskoidale Plazenten umgewandelt. Freilich müssen wir ausdrücklich zufügen, daß sich die Gürtelform nur auf die makroskopischen Bauverhältnisse der Plazenta bezieht. Im feineren Bau ist die Stelle unter dem Extravasat, die späterhin breit zwi- schen den beiden Plazentarscheiben klafft, von vornherein anders gestaltet als die Abschnitte in den Seitenteilen der Fruchtkammer. Wir erwähnen den Vorgang der Spaltung der Plazenta bereits jetzt, weil die Entwicklungserscheinungen, welche ihn bedingen, nunmehr in intensiverem Maße einsetzen. Ein Bild einer durch einen horizontalen Schnitt eröffneten Frucht- kammer von 23 Tagen zeigt Fig. 26. Die beiden Plazentardurchsehnitte setzen sich durch ihre Stärke von der paraplazentaren Uteruswand ohne weiteres ab. Der Fetus liegt in seinem Amnion; die feine Lamelle über diesem, die an die Kuppen der Fruchtkammer angeheftet ist, ist das innere Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 3l Blatt der Allantois, das äußere dieser liegt der Plazenta an; der eröffnete Raum, in den man hineinsieht, ist somit der Allantoisbinnenraum. Hinter dem Kopfende des Fetus scheint unter diesem die Nabelblase aus der Tiefe durch; das Hämatom ist mit dem Dach der Fruchtkammer abgenommen. Das Bild dieses geben wir nach einem anderen Präparat wieder (Fig. 27). Die Fruchtkammer war hier frisch an der Seite, gerade am Rande der einen Plazenta, aufgeschnitten, der Plazentargürtel von der plazentarfreien Kuppe getrennt und ausgebreitet. Die Figur zeigt den kleinen vom Amnion eng umhüllten Embryonalkörper von seiner Dorsalseite. Seinen ungefähren Entwicklungsgrad kann man auch ohne besondere Erläuterung aus der Ab- bildung entnehmen. Unter dem Embryo liegen die Plazenten: in der Abbildung von links nach rechts zuerst die Oberfläche der einen Plazenta als viereckiges Feld mit abgerundeten Ecken, hier aber in der Verkürzung gesehen. Dann folgt unter dem Kopf des Embryo und von diesem bedeckt der mesometrale interplazentare Spalt, weiter die größere zweite Plazenta, auf deren Ober- fläche einzelne der Umbilikalgefäße sichtbar sind; hier treten die Abgangs- stellen der Zotten als dunkle Flecke, wenn auch undeutlich, auf der Ober- tläche der Plazenta hervor. Dann folgt nach rechts das jetzt sehr umfangreiche Blutextravasat; es erscheint in der Photographie fast einheitlich, besteht aber tatsächlich aus einer großen Zahl einzelner Blutsäcke, die über die Ränder der Plazenta herübergehen, diese überdecken. Das Schnittbild der Plazenta von 23 Tagen ist gegenüber den früheren Stadien nicht unwesentlich verändert (vgl. Fig. 28). In erster Linie ist zu verzeichnen, daß an der Plazentaroberfläche nunmehr sich ein Plarentar- labyrinth zu entwickeln beginnt. Bis dahin waren die Zotten Stempel, die “in allen ihren Abschnitten annähernd gleich breit sind: jetzt bilden sich zwischen den Zottenbasen an der Plazentaroberfläche stärkere Abschnitte von Plazentargewebe, welche die Abgangsstellen der Zotten am Chorion einengen, so daß die Zottenstämme nun stempelförmig werden, aus breiten Spitzen bestehen, die an ihrer Basis durch einen verschmälerten Stiel mit dem Chorion zusammenhängen. Wir nennen diese Zotten die primären, und von den primären Zotten gehen dann sekundäre ab, welche die eigentliche Grundlage für einen Plazentarabschnitt geben, in dem sich nun feinere 32 H. StrAaı und E. BALLMmANnNN: % mütterliche und feinere fetale Gefäße innig verflechten; wir bezeichnen ihn nach Analogie der Hunde- und Katzenplazenta als Plazentarlabyrinth. Dies erscheint, wie Untersuchung mit stärkerer Vergrößerung lehrt, als die unmittelbare Fortentwicklung des oben beschriebenen und in Fig. 24 gezeichneten Bildes. In die Grundlage, welche die mütterlichen Gefäße mit ihrem stark verdiekten Endothel und dem, wie oben dargestellt, umge- wandelten Uterusepithel liefern, senken sich in feinen Straßen die Seiten- sprossen der primären Zotten ein; es ist die unmittelbare Weiterentwieklung des in Fig. 24 abgebildeten jüngeren Stadiums, insofern es sich gewisser- maßen nur um eine Vermehrung des dort eben Angelegten handelt. Wir können an den einwachsenden sekundären Zotten nur die Grundlage von zartem embryonalen Bindegewebe und die in dieses eingelagerten fetalen Gefäße unterscheiden. Das Ektoderm des Chorion vermögen wir aber als besondere Lage an dem mütterlichen Epithel nicht mehr festzustellen. Da wir vergleichend-anatomisch in Plazenten nirgends einen Schwund des Chorionektodermes, wo es vorhanden war, nachweisen können, so nehmen wir auch hier an, daß es noch vorhanden, nur stark abgeplattet ist. Da wir späterhin nur eine einzige Zellenlage im Plazentarlabyrinth zwischen mütterlichen und fötalen Gefäßen finden, nehmen wir an, daß sich das Chorionektoderm mit den gewucherten Uterusepithelien zu einer gemein- samen Mischlage verbindet. Jedenfalls finden wir nichts, was etwa auf ein Zugrundegehen, eine Ausschaltung des Chorionektodermes hinwiese. Wir können eine solche auch um so weniger annehmen, als an den Spitzen der primären Zotten eine überaus wohl erhaltene Lage von hohem zylin- drischen Chorionektoderm jederzeit während der Gravidität ohne Schwierig- keit nachweisbar ist. Frettchen Nr. 12. (24./25. Tag der Gravidität.) Von einem Frettehen, das in der Zeit vom 24. auf den 25. Tag der Gravidität getötet wurde, wollen wir nur die von Wagener gezeichnete Ab- bildung des Extravasates geben so, wie sich dieses am frischen Objekt prä- sentiert, (Fig. 48). Der fragliche Uterus war alsbald nach dem Töten des Tieres eröffnet; unsere Figur enthält den mittleren Teil des Daches einer der Frucht- kammern. Den Rand der Zeichnung bildet je ein Teil des Plazentargürtels; Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 33 der mittlere Abschnitt gibt den Überblick über das Extravasat, das aus einigen wenigen größeren Blutbeuteln und einer Anzahl von kleineren solchen besteht. Die Figur gibt die natürliche Färbung des überlebenden Objektes wieder. Ein dicker Stamm eines Umbilikalgefäßes tritt von der unteren Pla- zentarfläche auf das Extravasat, um sich auf diesem zu verzweigen. Einen Schnitt dureh eine Plazenta, von der wir die Graviditätszeit nicht genauer bestimmen können, die wir aber nach dem Entwicklungsgrad auf die Zeit vom 23. zum 24. Tag schätzen, bilden wir in Fig. 29 ab. Er soll gegenüber demjenigen von Fig. 28 das Fortschreiten in der Bildung des Plazentarlabyrinthes illustrieren, das auf der Plazentaroberfläche sich all- mählich in weiterer Ausdehnung anlegt, die diehteren Teile der Figur. Die primären Zotten in seinem Bereich werden nunmehr schmaler, während in der Tiefe noch die breiten Straßen der früheren Entwicklungszeit liegen. Die Ausbildung des Labyrinthes und die Einengung der primären Zotten schreitet dann, wie die gesamten Umwandlungsvorgänge in der Plazenta, nach und nach in der Richtung von der Oberfläche der Plazenta gegen die Tiefe vor. Frettchen Nr. 13. (26. Tag der Gravidität.) Ein Frettehen vom 26. Tage der Gravidität bilden wir in Fig. 30 ab. Der Fetus, der jetzt eine größte Länge von Scheitel zu Steiß von ı5 mm besitzt, liegt im geschlossenen Amnion; er deckt den Rand der einen nun- mehr fast rundlichen Plazenta zu, auf deren Oberfläche wieder die Abgangs- stellen der Zotten als dunkle Flecke erscheinen, die hier viel deutlicher sind als in Fig. 27; über den Zotten liegen die starken Stämme der Um- bilikalgefäße als dunkle Straßen. Dann folgt das Hämatom, das aus einer ganzen Anzahl sehr ver- schieden großer Säcke besteht; in seiner Gesamtheit kommt es jetzt an Größe der einzelnen Plazenta mindestens gleich, übertrifft sie vielleicht sogar. Die Umbilikalgefäße ziehen über der Oberfläche der Säcke entlang zur zweiten Plazenta, welche als ebenfalls nunmehr rundliches Feld den Abschluß der Figur nach rechts bildet. Schnittpräparate aus diesem Uterus lehren, daß die Entwicklung der Plazenta gegen das vorausgehende Stadium ganz ungemein vorgeschritten ist. Es ist insbesondere das Plazentarlabyrinth, das an Ausdehnung ge- Phys.-math. Abh. 1915. Nr. d. 5 34 H.Srtrauı und E. BALLmaAnm: wonnen hat. Die bis dahin breiten primären Zotten sind in ihrem ganzen oberen (nach der fetalen Seite gelegenen) Abschnitt ganz schmal geworden, enden nur an der Spitze noch mit einem Stempel, der sich in dieser Form dauernd in der Plazenta erhält. Den Platz, der durch ihre Verschmälerung gewonnen wird, nimmt das nunmehr beträchtlich vergrößerte Plazentar- labyrinth ein. Dies bildet den weitaus größten Teil der gesamten Pla- zentaranlage. Es ist im ganzen jetzt so gebaut, wie es für den oberen Plazentarrand des vorhergehenden Stadiums geschildert wurde: die Grund- lage geben die mütterlichen Gefäße ab, deren Wand lediglich aus einem stark verdiekten Endothel besteht. Zwischen diese schieben sich die in ein ungemein zartes Bindegewebe eingelagerten fetalen Gefäße ein, deren rote Blutkörper zu dieser Zeit noch in ausgedehntem Maße kernhaltig sind; ihre Wandung besteht ebenfalls aus einer einfachen Endothellage, deren Elemente im Gegensatz zu den mütterlichen aber stark abgeplattet sind. Und die beiden Gefäßgruppen sind getrennt durch eine einfache Lage von von Zellen; von dieser nehmen wir an, daß sie besteht aus dem umge- wandelten Uterusepithel und dem Chorionektoderm, die sich nunmehr im Plazentarlabyrinth so fest verbunden haben, daß sie sich für das Auge nicht mehr trennen lassen; wir können auf ihr Dasein nur aus dem Ent- wicklunsgang schließen. Wesentlich anders ist das Sehnittbild da, wo das Plazentarlabyrinth an die unterliegende Uteruswand anstößt, also an der Spitze der primären Zotten. Diese Spitzen sind so stark verbreitert, daß sie einander fast be- rühren und nur ganz schmale Straßen mütterlichen Gewebes zwischen sich lassen, die dann von den aus der Tiefe nach oben zum Plazentarlabyrinth ziehenden mütterlichen Gefäßen als Wege benutzt werden. Die Grundlage der Zotte besteht, wie im Labyrinth, aus einem ganz zarten fetalen Bindegewebe, auf dessen Außenfläche im ganzen die Netze der fetalen Kapillaren liegen. Diese sind gedeckt von einem hohen zy- lindrischen Ektoderm, das selbst wieder mit seiner frontalen Fläche in eine zumeist aus zerfallendem Uterusepithel bestehende Umlagerungszone eintaucht. Die Seitenwände der Zottenspitzen lassen aber meist noch ohne Schwierigkeit auf dem Ektoderm einen feinen synzytialen Überzug erkennen, der durchaus demjenigen gleicht, den wir in den frühen Stadien auf der Außenfläche der eben einwachsenden Zotten finden; wir halten ihn, wie in jenen Präparaten, für umgewandeltes mütterliches Drüsenepithel. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 3) Unter der Umlagerungszone besteht die hier ganz dünn gewordene Uteruswand nur noch aus den Resten der Uterindrüsen mit einem zwischen diesen liegenden feinen mütterlichen Bindegewebe. Der ganze obere Ab- schnitt der Drüsen ist abgebaut, nur der letzte tiefste Teil noch erhalten. Die Wandung der Drüsen besteht nahezu vollkommen aus ungemein stark vergrößerten Zellen mit ebenfalls sehr großen ovalen Kernen. Sie ähneln denen, die wir oben in Fig. 25 von den vergrößerten Epithelien der Fruchtkammergrube abgebildet haben, werden aber zum Teil noch voluminöser als jene. Nur in der allertiefsten, unmittelbar auf der Mus- kulatur liegenden Partie der Drüsen haben diese noch ihre normalen Epithel- formen erhalten. Auf den Bau der Uteruswand unter dem Extravasat und in der meso- metralen Fruchtkammergrube kommen wir bei Darstellung des folgenden Stadiums zurück. Im ganzen, kann man sagen, ist nunmehr der Bau der Frettchen- plazenta grundsätzlich fertig; das, was jetzt noch folgt, sind im wesentlichen Veränderungen in den Größenverhältnissen, sind Wachstumserscheinungen. Frettchen Nr. 14. (28. Tag der Gravidität.) Aus dem Uterus eines Frettehens, das am 23. Tage der Gravidität stand, möchten wir hier nur das Bild des frischen Blutextravasats wieder- geben. Die Figur 49 zeigt die Innenansicht der antimesometralen Hälfte einer Fruchtkammer, die durch einen horizontalen Sehnitt eröffnet war; sie soll in erster Linie über den Aufbau des Extravasats orientieren, von dem bei der Eröffnung ausdrücklich die schiefergraue Farbe des frischen Materials notiert wurde; ferner, daß der größte zentrale Blutbeutel auf seiner Ober- fläche eine ausgesprochene Faltung der Wand zeigte, was uns darauf hin- zuweisen scheint, daß jetzt die Resorption des Inhalts rascher vorschreitet als eine eventuelle Nachblutung aus mütterlichen Gefäßen; die Beutel sind dann vom Inhalt nicht mehr vollkommen angefüllt, sind nicht mehr prall, sondern beginnen sich zu falten. Es leitet das auf die späteren Stadien der Plazentarentwicklung über, in denen ganz allgemein der Inhalt der Hämatomsäcke wieder mehr oder minder resorbiert wird. Ein Quers&hnitt durch einen Uterus gravidus, dessen Alter nicht genau bestimmbar war, den wir aber auf etwa 4!/; Woche schätzen, ist in Fig. 31 abgebildet. gr 36 H. Straur und E. BALLMmANnN: Er gibt eine sehr schöne topographische Gesamtübersicht über alle hier in Frage kommenden Teile. Der Schnitt zeigt die beiden Plazenten als dieke Polster zu den Seiten der stark verbreiterten mesometralen Fruchtkammergrube, deren Schleim- haut in eine ganz dünne Lage umgewandelt ist; sie besteht, wie starke Vergrößerungen lehren, in ihren epithelialen Teilen aus ähnlichen Zellen, wie wir sie oben in Fig. 25 abgebildet haben; diese sind aber weiter sehr beträchtlich vergrößert und in Protoplasmakörper und Kern auf das Vielfache ihres ursprünglichen Volumens herangewachsen. Die beiden Pla- zentardurchschnitte bauen sich so aus dem sehr verdickten Labyrinth auf, das sich durch eine helle Zone, in der die stempelförmig verbreiterten Spitzen der Primärzotten liegen, von der dünnen Schicht der Uterusdrüsen absetzt. An der antimesometralen Seite des Uterus sind die Plazentarränder durch einen breiten Zwischenraum getrennt, der nur noch in seinem in der Figur rechten Teile Extravasat enthält, im linken aus einer ganz ver- dünnten Schleimhaut sich aufbaut, die direkt vom Chorion überlagert wird, ohne daß zwischen beiden Teilen extravasiertes Blut läge. Rechts, wo sich die Extravasate finden, ist die Schleimhautunterlage zwischen den Plazenten wesentlich stärker als links, wo das Extravasat fehlt. Ein Ver- gleich der vorliegenden Figur mit denen der jüngeren Stadien zeigt ‚ohne weiteres, wie die interplazentaren Teile der Fruchtkammerwand jetzt sehr viel rascher wachsen als die Plazentarflächen. In dem interplazentaren Stück der Schleimhaut ist der weitaus über- wiegende Teil der Uterusepithelien, wie starke Vergrößerung zeigt, in große polygonale, zum Teil mehrkernige Zellen umgewandelt. Frettehen Nr. 15. (35. Tag der Gravidität.) Bei einem Frettehen, das am Ende der 5. Woche der Gravidität stand, konnten wir einen Fetus mit allen Hüllen unversehrt aus der Fruchtkammer lösen. Wir bilden das Präparat von der mesometralen Seite her ab (Fig. 32), um zu zeigen, wie die Ränder der Plazenta an dieser Stelle auseinander- rücken und ferner, wie die Plazenten selbst sich abrunden; die Figur zeigt von den Plazenten ungefähr die Hälfte, vielleieht ein Geringes weniger; der nieht sichtbare Abschnitt ist ungefähr in der gleichen Weise geformt. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 37 Eine Zeichnung nach der frischen, eben eröffneten und ausgebreiteten Fruchtkammer gleichen Alters ist Fig. 50. Auch hier treten die beiden weit voneinanderliegenden Plazenten als fast rundliche Scheiben hervor. Bemerkenswert ist das Bild des frischen Extravasats. Die einzelnen Säcke erscheinen gegen die jüngeren Stadien stark abgeplattet. Das ist bedingt dadurch, daß die Säcke sich zum Teil durch Resorption ihres Inhalts ent- leeren, wobei ihr Inhalt jedenfalls zugunsten des sich entwickelnden Fötus verwendet wird. Ferner verändert sich die Färbung gegen früher, indem ein Teil der Säcke einen ausgesprochenen goldbraunen Farbenton annimmt. In diesen Säcken ist der Inhalt an freiem Blut nahezu vollkommen resor- biert, und nur Unmengen von Hämatoidinkristallen sind als Schlacken übrig- geblieben. Sie liegen teils frei im Blutsack, zum andern Teil in den Zellen des Chorionektoderms, welches die Wand des Sacks bildet. Unsre Figur zeigt weiter, wie zwischen Extravasat und der einen Plazenta noch eine freie Zone liegt und endlich die Anordnung der Umbilikalgefäße auf den Plazenten. Von Durchschnitten geben wir hier einmal das Bild des Längsschnitts einer Fruchtkammer (Fig. 33), der zeigen soll, wie man bei diesem die Sehnittriehtung durch die Zwischenräume zwischen die beiden Plazenten hindurch so legen kann, daß die ganze Fruchtkammer als überaus dünn- wandiger Sack erscheint. Der Schnitt demonstriert ferner sehr ausgesprochen die Entleerung der an der freien Uterusseite getroffenen Blutbeutel und an der linken Seite den Übergang der einen Fruchtkammer in die nächst- anschließende. Wir geben die Abbildung übrigens besonders gern, weil sie gegen- über den vielen Querschnitten mitten durch die Fruchtkammern die ein- zige ist, welche den Bau der paraplazentaren Kuppen der Fruchtkammern wiedergibt. Diese Kuppe besteht aus einer auf das äußerste verdünnten Uteruswand, die innen von einem guterhaltenen Epithel ausgekleidet ist, an das sich das Chorionektodem anlagert, und unter diesem liegen dann wieder die Netze der Allantoisgefäße. Daß auch in diesen Abschnitten der Fruchtkammer ein Stoffwechsel von der Mutter zum Fetus und umgekehrt ablaufen kann, halten wir nach den topographischen Beziehungen der mütterlichen und fetalen Teile zu- einander für durchaus annehmbar, wenn wir auch einstweilen im mikro- skopischen Bild einen solchen nieht nachweisen können. 38 H. Straun: und E. BALLMmANN: Frettchen Nr. 16. (Die reife Plazenta dicht vor dem Wurf.) Über den Bau der Plazenta aus der letzten Zeit der Gravidität, dieht vor dem Wurf, möchten wir eine größere Reihe von Einzelpräparaten vor- legen. Wir können den Tag der Gravidität nicht bei allen sicher bestim- men; sie stammen aber alle aus der letzten Woche der Gravidität, ein Teil sicher vom letzten Tage vor dem Wurf. Zuerst (Fig. 34) ein Bild des Fetus im Zusammenhang mit den Pla- zenten und dem Extravasat bei eröffneter Fruchtkammer sowie ein gleiches von den Plazenten und dem Hämatom nach Fortnahme des Fetus (Fig. 35). Bei beiden Präparaten war die Fruchtkammer neben der einen Plazenta am Mesometrium längs aufgeschnitten und die Wand dann ausgebreitet. Die Plazenten, auf deren Oberfläche ein dichtes Netz von Umbilikalgefäßen liegt (Fig. 35), sind jetzt vollkommen zu rundlichen Scheiben umgewandelt. Sie sind offenbar gegen die früheren Stadien noch weiter auseinander- gerückt; denn trotz des zwischen ihnen liegenden ziemlich großen Blut- extravasats tritt noch ein ganzes Stück plazentarfreier Uteruswand zutage. Die Umwandlung der Plazentarform, wie wir sie beim Frettehen ab- laufen sehen, erscheint doch recht bemerkenswert. Die Plazenta ist als nahezu vollkommen gürtelförmig angelegt mit einer nur geringen Unter- brechung am Mesometrium, und sie wandelt sich um in eine ausge- sprochen doppelt diskoidale, wie wir sie am Ende der Gravidität finden. Strahl hat sie früher (vgl. Hertwigs Handbuch der Entwicklungsgeschichte. Bd. I, S. 301) deshalb als Placenta zono-discoidalis andern scheibenför- migen Plazenten gegenübergestellt. Das Extravasat ist sehr umfangreich und besteht aus einer großen Zahl einzelner Beutel; diese sind, wie in dem Präparat vom 35. Tag, im Gegensatz zu den nach innen stark vorspringenden Buckeln der früheren Stadien flach, einzelne in ganz platte Zungen verwandelt, d.h. es ist offenbar noch weiter ein beträchtlicher Teil des früher vorhandenen Blutes wieder resorbiert, und die entleerten Säcke klappen zusammen. Auch hier sind am frischen Präparat viele der Säcke intensiv rot ge- färbt; an der Photographie treten die Unterschiede in der Färbung nicht hervor. Zur Ergänzung dieser Flächenbilder geben wir weiter zwei Bilder von eröffneten Fruchtkammern; das eine (Fig. 36) zeigt den Längsschnitt durch Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 39 die uneröffnet fixierte Fruchtkammer, aus welcher der Fetus herausgenommen ist. Der Schnitt geht auf der einen Seite durch das Mesometrium, mitten durch das Extravasat, dessen Dicke, Breite und Beziehung zur unterliegenden Uteruswand er illustriert. Inmitten der Seitenwand liegt die ausgesprochen scheibenförmige Plazenta, auch hier überdeekt von einem reichen Netz von Umbilikalgefäßen; die Ausläufer dieser gehen übrigens, wie die Figur lehrt, über den Bereich der Plazenta hinaus nach beiden Seiten in die plazentarfreien Kuppen der Fruchtkammer ein, was entschieden für einen Stoffwechsel an diesen Abschnitten spricht. Auffälliger vielleicht als die andern Präparate läßt der Querschnitt mitten durch eine solehe Fruchtkammer erkennen, wie die Vergrößerung der Kammer in erster Linie durch das Wachstum des antimesometralen Teils dieser zustande kommt (Fig. 37)- Der Querschnitt des Fetus füllt im Schnitt den Binnenraum der Frucht- kammer fast aus, d. h. die Lichtungen von Amnion und Allantois sind gegen früher stark reduziert; die beiden Plazenten sind in ihrer Mitte durch- sehnitten, sie kommen einander am Mesometrium ziemlich nahe, sind aber antimesometral «durch einen breiten Zwischenraum voneinander getrennt. In diesem liegt, an die linke Plazenta unmittelbar anschließend, das Extra- vasat, das hier als eine Fortsetzung des Plazentarrandes erscheint, fast so diek ist als dieser, aber dann allmählich sich verdünnend ohne scharfe Grenze in dem antimesometralen Teil der Fruchtkammer ausläuft. Der an die rechte Plazenta anschließende Abschnitt dieser ist vollkommen extra- vasatfrei. Eine Ergänzung dieser Figuren liefern Schnittbilder. Ein Querschnitt durch eine ganze Fruchtkammer dieser Zeit (Fig. 38) zeigt vortrefflich die Beziehungen der beiden Plazenten zueinander und zum Extravasat; zeigt, wie die Plazenten jetzt nur noch einen verhältnismäßig kleinen Teil der Wand der Fruchtkammer decken, während sie doch in ihrer ersten An- lage einen nahezu vollkommen geschlossenen Gürtel darstellten. Die meso- metrale Wand zwischen den beiden Plazenten ist aufs äußerste verdünnt; an den oberen Rand der linken Plazenta schließt auch hier breit das Extra- vasat an, beide Teile sind an der Berührungsstelle etwa gleich stark. Das Extravasat nimmt etwas mehr als den linken oberen Quadranten des Durch- sehnitts ein, während der rechte obere Teil aus einer ungemein verdünnten, vom Uhorion überlagerten. extravasatfreien Uteruswand besteht. 40 H. Strauı und E. BALLmAnNKN: Beide Plazentardurchschnitte — der rechte vielleicht noch besser als der linke — lassen trotz der geringen Vergrößerung die Beziehungen vom Plazentarlabyrinth zur unterliegenden plazentarfreien Drüsenschicht erkennen; eine schmale helle Zone, welche die Spitzen der Primärzotten enthält, trennt beide voneinander. Daß die Plazenta sich aus einzelnen kleinen Gefäß- gebieten aufbaut, ersieht man am besten aus dem oberen Rande der linken Plazenta; daß von deren Grenzen aus ein Gewirr von zahllosen kleinen Gefäßstraßen ausgeht, das dem Plazentardurchschnitt ein siebförmig durch- löchertes Aussehen gibt, lehrt besser die rechte Plazenta unseres Schnittes. Zur Erläuterung des Aufbaues der reifen Plazenta im einzelnen geben wir eine Anzahl von Abbildungen aus dem Plazentarlabyrinth einer solchen. Zuerst ein Bild mitten aus dem Labyrinth von der Oberfläche bis gegen den Boden desselben bei ganz schwacher Mikroskopvergrößerung (Fig. 39). Das Plazentarlabyrinth baut sich jetzt auf aus einem Gerüst von ziemlich gleichmäßig kalibrierten mütterlichen Gefäßen, die in allen möglichen Dureh- schnitten, zumeist schräg getroffen, erscheinen; in unserer Figur sind es die ausgesprochenen Ringe oder ovalen Felder. Zwischen diesen liegen unregelmäßig gestaltete helle Straßen, die fetalen Gefäße, die, in sehr lockeres fetales Bindegewebe eingelagert, teils als breitere zackige Lücken zwischen den mütterlichen Gefäßringen liegen, teils als nur ganz schmale unregelmäßige Streifen zwischen diesen erscheinen, wenn die feine binde- gewebige Grundlage, die sie trägt, schrumpft, zumal wenn die fetalen Gefäße leer, ohne Blut sind. Es ist überaus schwierig, sich aus den Schnitten allein eine zuver- lässige Vorstellung von der letzten tatsächlichen Anordnung der mütter- lichen wie der fetalen Gefäße innerhalb des Plazentarlabyrinths zu machen. Doppelinjektionen lassen sich bei den sehr kleinen und zarten Objekten kaum herstellen. Ein sicheres Ergebnis würde wohl auf dem Wege der Rekonstruktion zu erreichen sein, aber diesen zu gehen sind wir aus äußeren Gründen im Augenblick nicht in der Lage. Wir müßten, soweit die Sehnitt- bilder eine Orientierung gestatten, wohl annehmen, daß die Enden der mütterliehen Gefäße in dieser Zeit ein Netzwerk miteinander bilden, in dessen Lücken die fetalen Gefäßstraßen liegen. Unser Scehnittbild enthält an seinem unteren Rande gerade noch den untersten Abschnitt des Labyrinths, die Zwischenschicht über den Drüsen. Man sieht, wie sich das Labyrinth nach unten lockert oder in schmalen Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 41 Streifen ausgeht, zwischen denen helle Straßen erscheinen, die sich nach unten rasch verbreitern. Dies sind die stempelförmigen Kopfenden von Primärzotten, deren Stämme durch die mittleren Teile des Labyrinths hin- durch als schmale Wege gehen, um sich dann an den Spitzen in breite Stempel auszudehnen, die, dicht aneinandergelegen, die Zwischenschicht bilden. Nach dem, was wir vom Entwicklungsgang der Frettchenplazenta und außerdem von der vergleichenden Anatomie der Raubtierplazenta wissen, nehmen wir an, daß es sich hier um die in frühen Stadien und primär in Drüsen eingewachsenen Zotten handelt, die in diesen sich vorschieben und später in erweiterten Teilen der Drüsen sich zu stempelförmigen Spitzen ausbreiten können. Die Drüsen selbst, welche zuerst die Zotten aufnehmen, fallen aber hier, im Gegensatz etwa zur Plazenta der Hündin, frühzeitig dem Untergang anheim, so daß schließlich die Ränder der stempel- förmigen Zottenspitzen zu direkter Berührung miteinander kommen. Nur hier und da bleiben schmale Bindegewebsbalken zwischen ihnen stehen, welche die mütterlichen Gefäße zum Durchtritt nach oder von dem Pla- zentarlabyrinth benutzen. Figur 40 gibt eine solche Stelle bei mittlerer Vergrößerung wieder. Die breite Straße rechts neben der Mitte ist ein mütterliches Gefäß; die hellen Felder rechts und links neben ihr sind stempelförmige Zottenspitzen, die bis auf die Reste der Uterindrüsen her- unterreichen. Wie intensiv sich diese miteinander verbinden zeigen Schnitte aus einer Serie, die wir als Flächenschnitte durch ein Plazentarlabyrinth hin- durchlegten. Ein solcher (Fig. 44) zeigt, daß in der Tat einzelne Abschnitte des Präparates nur aus den Zottenstempeln ohne jedes mütterliche Zwischen- gewebe bestehen; schließlich legen sich die ektodermalen Epithelien auf den Zottenoberflächen fast zu einheitlichen Lagen aneinander. Die weitgehende Resorption nahezu des gesamten mütterlichen Gewebes zwischen den Zottenspitzen stellt offenbar eine überaus vollkommene Vor- bereitung auf die tunlichst schonende Loslösung der Plazenta von ihrer Unterlage dar; sie wird an dieser nur noch durch eine geringe Zahl von Gefäßstraßen festgehalten, die sich später bei dem Abgang der Plazenta nicht nur leicht lösen, sondern auch gleichzeitig die Möglichkeit eines alsbaldigen Verschlusses der durchrissenen Gefäßstümpfe durch Kontraktion der Uterusmuskulatur gewährleisten. Ähnliche Einrichtungen kennen wir auch von den Plazenten anderer Tiere, insbesondere von Nagern. Man Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 6 42 H. Straxur und E. BArLıLmann: fragt, wenn man sie sieht und bewundert, unwillkürlich, warum so viele andere Tierformen die gleiche, unbedingt besonders vorteilhafte Einriehtung entbehren müssen? Eine sehr weitgehende Resorption der Uterusschleimhaut, stärker, als wir sie von irgendeinem anderen graviden Raubtieruterus kennen, geht in der letzten Graviditätszeit auch noch vor der Spitze der Zottenstempel vor sich. Wir finden an unseren Präparaten gar nicht selten Stellen, an welehen schließlich die ganze tiefe Drüsenschicht fehlt und der Rest der mütterliehen Uterusschleimhaut unter dem Plazentarlabyrinth nur noch aus einer dünnen flachen Bindegewebschicht besteht, die von einem niedrigen kubischen Epithel überzogen ist, auf dem dann die Köpfe der Zotten- stempel ruhen. Zur Ergänzung des eben Besprochenen geben wir zunächst weiter ein Sehnittbild durch die Oberfläche des Plazentarlabyrinths bei mittlerer Mikroskopvergrößerung. Der Schnitt geht durch den oberen Rand des Labyrinths und enthält noch einen großen fetalen Gefäßstamm auf der Oberfläche (Fig. 41). Auch diese Figur zeigt die Ringe der mütterlichen und zwischen diesen die unregelmäßigen Straßen der fetalen Gefäße. Ins- besondere sieht man hier neben dem größeren Gefäßquerschnitt an der Oberfläche einen unregelmäßigen Spalt in die Tiefe gehen. Das ist die Art, wie das fetale Bindegewebe sich zwischen die mütterlichen Gefäße einschiebt. Vielleicht die beste Übersicht der Beziehungen von fetalen und mütter- lichen Teilen zueinander gewähren Flächenschnitte mitten durch das Pla- zentarlabyrinth, wie wir einen solchen in Fig. 42 bei schwacher, in Fig. 43 bei mittlerer Vergrößerung abbilden. Hier ergibt besonders ein Vergleich der Quersehnitte durch das Labyrinth (Fig. 35) mit etwa Fig. 41, daß ein überwiegender Teil der mütterlichen Gefäße ein kurzmaschiges Netz weitkalibrierter Röhren darstellen muß, da sie in beiden Schnittrichtungen als im ganzen kurze Röhren erscheinen, während längere Straßen inmitten des Labyrinths fehlen. Der feinere Bau des Labyrinths der reifen Plazenta läßt sich gut aus dem Flächensehnitt der Fig. 43 ablesen. Den Hauptteil des Schnittes liefern da eigentlich nur noch die Blutgefäße: die mütterlichen sind im ganzen groß und an ihren dieken Wandungen leicht kenntlich, die fetalen der Mehrzahl nach kleiner, vielfach wie Kapillaren erscheinend und mit ganz Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 43 feiner Endothelwand. Was zwischen beiden liegt, ist der Masse nach ganz ungemein wenig; da wir in keinem unserer vielen Präparate inmitten des Labyrinths Zerfallserscheinungen (die an den Rändern so ausgesprochen sind) nachweisen können, so nehmen wir, wie oben schon ausgeführt, auch für diese Stadien an, daß das, was an Zellmaterial noch zwischen den beiden Gefäßbezirken liegt, die überaus verdünnten Reste des Uterus- epithels und des Chorionektoderms sind. An einzelnen Stellen rücken freilich die beiderseitigen Gefäßsysteme einander so nahe, daß wir von solehen Zellresten zwischen ihnen nichts mehr direkt wahrnehmen können. Fetale und mütterliche Gefäße sind mehrfach in ihren Wandungen in so “unmittelbarer Berührung, daß eine Zwischensubstanz, wenn sie vorhanden ist, an solehen Stellen nicht einmal mehr Kerne aufwiese. Daß sie trotz- dem vorhanden sein könnte, läßt der naheliegende Vergleich mit dem Bau der Lungenalveolen annehmen. Ein Wort möge schließlich noch über einige besonders gebauten Stellen aus der reifen Fruchtkammer folgen, über Stellen, die zum Teil für unsere physiologischen Vorstellungen von der Arbeitsleistung der verschiedenen Teile der Fruchtkammerwand wesentlich sind. Es sind das. die beiden zwischen den Plazenten liegenden Abschnitte der Fruchtkammerwand. Bei beiden geht — nicht überall aber vielfach — der ursprünglich regel- mäßige drüsige Bau der Schleimhaut verloren; man vergleiche Fig. 45 das Bild des Bodens der mesometralen Fruchtkammergrube aus der vor- liegenden Graviditätszeit mit demjenigen von Fig. 25 aus der mittleren Zeit. Das regelmäßige gleichartige Gefüge der Epithelien ist geschwunden, und die großen Zellen dieser liegen, vom Chorion bedeckt, in regelloser Anordnung als breite Schicht nebeneinander. Das ganz gleiche Bild kann man unter den nunmehr vielfach fast leeren Beuteln des Hämatoms bekommen. Die Blutbeutel selbst enthalten statt des Blutes vielfach nur noch ungeheure Massen von Hämatoidin, das teils frei innerhalb der Säcke liegt, zum andern Teil aber auch von dem Chorionektoderm aufgenommen wird. Den Durchsehnitt eines stempel- förmigen Chorionfortsatzes, wie man solche zwischen den einzelnen Blut- beuteln finden kann, gibt Fig. 51 wieder; das Ektoderm ist an der linken Seite der Figur im Schnitt senkrecht getroffen, rechts in der Fläche halb schräg. Beide Seiten zeigen gleichmäßig, in welch großer Menge das Häma- toidin von den fetalen Zellen aufgenommen ist. 6* 44 H. Strranuı und E. BArL LmaAnn: Wir haben im vorstehenden versucht, zuerst einmal eine möglichst objektive Darstellung unserer Präparate zu liefern, dabei natürlich aber auch die Deutung der Schnittbilder nicht umgehen können. Es erscheint aber bei der Schwierigkeit der Materie und bei den vielen Diskussionen über die vergleichende Anatomie der Plazenta wünschens- wert, noch einmal in zusammenhängender Schilderung eine Übersicht dar- über zu geben, wie wir uns nach den Präparaten den Entwicklungsgang von Plazenta und Embryonalhüllen vorstellen. Dieser wollen wir zugrunde- legen eine Reihe schematischer Figuren, von denen wir annehmen, daß sie leichter als das Schnittbild dem Leser unsere Auffassung von der Plazentarentwicklung des Frettchens sowie von der Anordnung der Em- bryonalhüllen klarlegen. Wir trennen dabei die Übersichtsbilder über die Entwicklung der Embryonalhüllen von denen der Entwicklung des feineren Baues der Pla- zenta; die drei ersten Figuren geben zugleich unsere Auffassung von der Entwicklung und Topographie der Blutextravasate wieder, sollen aber nicht zur Erläuterung der Plazentarbildung dienen. Es sind Schemata, die eine genauere Erklärung der in Figur 16, 20, 31 abgebildeten Querschnitte durch die Fruchtkammern gravider Uteri von 19, 2ı und 28 Tagen geben sollen; sie sind in den Umrissen diesen Figuren im ganzen nachgezeichnet, nur hier und da geändert, der Deutlichkeit halber eben weiter schematisiert. Ein Schema aus früherer Zeit mit der ersten Anlage der Blutextra- vasate, entsprechend dem Schnittbild der Fig. 16, geben wir in Fig. a vom 19. Tag der Entwicklung. Hier liegt in der Mitte der Embryo im Amnion (blau); die Uterus- wand ist nahezu überall — abgesehen von der Stelle am Mesometrium — gleichmäßig dick. An ihrer Innenfläche tapeziert das Chorionektoderm (schwarz) die ganze Innenwand der Fruchtkammer aus, seine ersten Zotten seitlich in die Uteruswand einsenkend. Etwas seitlich neben der anti- mesometralen Kuppe liegen die ersten kleinen extravasierten mütterlichen Blutklümpehen (gegenüber 2). Der Raum der Fruchtkammer wird von Allantois (rot) und Nabel- blase (gelb) ausgefüllt; die Allantois ist klein und liegt antimesometral; die Nabelblase ist weitaus größer und füllt mehr als die mesometrale Hälfte der Fruchtkammer aus. t Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 45 Entwicklung der Embryonalhüllen im Uterus am 19. Tage der Entwieklung. E Embryo, Amnion blau. A Allantois, rot. IN Nabelblase, gelb. Mm Mesometrium. Gegenüber x, erstes Hämatom. Chorion schwarz. Eine Übersicht über die Embryonalhüllen in voller Entwieklung gibt der Schnitt von einer nur 2 Tage älteren Fruchtkammer (21. Tag der Ent- wicklung, Fig. b). Der jetzt größere Durchschnitt durch den Embryo liegt im Amnion (blau), an dessen mesometralen Rand schließt die Nabelblase (gelb) an, die jetzt bereits eine erhebliche Reduktion erfahren hat. Die Uteruswand ist ziemlich gleichmäßig stark, nur an der meso- metralen Uterusgrube und in der Kuppe der Kammer verdünnt. An ihre Innenwand legt sich das Chorion (schwarz), dessen Zotten in den Seiten- abschnitten der Fruchtkammer die Plazentaranlagen bilden. In der anti- mesometralen Kuppe des Uterus befinden sich die nunmehr schon sehr starken Extravasate mütterlichen Blutes, welche das Chorion in Gestalt 46 H.STrRAuaL undsE. BALLMANN: Embryonalhüllen im Uterus vom 21. Tage der Entwicklung. E Embryo, Amnion blau. A Allantois, rot. N Nabelblase, gelb. Chorion, schwarz. H Hämatom. von Blutbeuteln von der Uteruswand abdrängen. Das Extravasat 4 (braun- rot) liegt zwischen Uteruswand und Chorion. Den Raum zwischen Embryo, Amnion und Nabelblase füllt von dieser Zeit ab in der ganzen Innenfläche der Fruchtkammer die stark vergrößerte Allantois (hellrot) A aus, in deren Liehtung eine Brücke die Gefäße dieser von innen nach außen herüberführt. Eine schematische Darstellung von Plazenta und Embryonalhüllen in ihren endgültigen Lageverhältnissen gibt Figur ce nach dem Präparat des Uterus gravidus von 28 Tagen. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. u Aie .* EN Zn. at Rue Y an Embryonalhüllen im Uterus vom 28. Tage der Entwieklung. E Embryo, Amnion, blau. N Nabelblase, gelb. A Allantois, rot. Chorion, schwarz. # Hämatom. In dieser wie in Figur 5 ist mit dem roten Umriß der Allantois nur deren Ausdehnung als Blase angegeben, nicht ihre Beziehung zur Plazenta, in deren Zotten sie natürlich eingeht. 4 45 H. StrAaur und E. BALLMANKN: Das grundsätzliche Verhalten von Amnion und Allantois stimmt mit dem von Figur d durchaus überein. Der Querschnitt der Nabelblase ist — namentlich relativ — wieder wesentlich kleiner geworden. Auch die Lichtung der Allantois wird durch das stärkere Wachstum des fetalen Körpers sehr eingeengt. Beträchtliche Änderung zeigen die Beziehungen der Plazenta zur Uteruswand; die Figur gibt die schon in dem vorigen Stadium begonnene, jetzt vollendete Teilung der Plazentaranlage in zwei vollkommen voneinander getrennte Plazenten, die ganz in den Seitenteilen der Fruchtkammer liegen. Die plazentarfreien Wandabschnitte der Frucht- kammer sind, soweit sie nicht vom Extravasat überdeckt, ganz beträchtlich verdünnt. Der antimesometrale, interplazentare Abschnitt der Fruchtkam- merwand nimmt ungefähr ?/; des gesamten Querschnittes ein; etwa die eine Hälfte dieses Teils ist noch vom Extravasat überdeckt, die andere ist frei von solchem. Ein Vergleich der drei Schemata zeigt noch augenfälliger als die Bilder der Schnitte selbst die gewaltigen Umwandlungen, welche die Pla- zentaranlage während ihres Entwicklungsganges durchmacht; zeigt, wie sie ursprünglich einen fast vollkommenen Ring bildet und wie dieser dann schließlich in zwei, durch weite Zwischenräume voneinander getrennte Plazenten zerfällt. Das geschieht an der mesometralen Seite der Frucht- kammer sehr einfach unter einer mit beträchtlichem interstitiellen Wachs- tum verbundenen Verdünnung und somit Ausbreitung der Wand, während in dem antimesometralen mit diesem Vorgang zugleich ein sehr erheb- licher Zerfall der oberen Abschnitte der an dieser Stelle zeitweilig stark verdickten Uteruswand einhergeht. Wir möchten allerdings nicht verfehlen, dabei nochmals ausdrücklich hervorzuheben, daß derjenige Teil des ursprünglichen Plazentargürtels, der antimesometral an der Stelle liegt, die später vom Extravasat gedeckt wird, von vornherein etwas anders gebaut ist als die Abschnitte, die sich in den Seitenteilen der Fruchtkammer bilden und die definitive Plazenta liefern. Jedenfalls wird sowohl unter als zwischen den Plazenten ein sehr beträchtlicher Teil der ursprünglichen Anlage abgebaut; wir nehmen nach unsern Sehnittbildern an, daß das zerstörte Material der Uteruswand ein- geschmolzen und von den Zellen des Chorion aufgenommen und zugunsten des sich entwickelnden Embryonalkörpers verwendet wird; das gleiche ge- Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 49 schieht mit wenigstens einem Teile des zeitweilig sehr ausgedehnten, in die Chorionsäcke eingelagerten Extravasats von mütterlichem Blut. Dies nimmt zwar in den mittleren Graviditätszeiten zunächst beträchtlich zu, geht aber in den späteren Stadien augenscheinlich zurück; es muß auch hier angenommen werden, daß das Material zugunsten des Aufbaues des Embryonalkörpers verwendet wird. Die enormen Massen von Hämatoidin- kristallen, die sich in den teilweise entleerten Säcken und in deren Wand finden, können dann als Schlacken angesehen werden, welche bei der Re- sorption des Blutes übrigbleiben. Während es sich bei dem allgemeinen Entwicklungsgang der Plazenten und der Embryonalhüllen um Dinge handelt, welche so offensichtlich zu- tage liegen, daß unsere Darstellung, wie wir annehmen, kaum Widerspruch finden dürfte, macht die Deutung der Bilder, die unsere Schnittpräparate von dem feineren Aufbau der Plazenta zeigen, erheblich mehr Schwierig- keiten. Wir müssen aber doch unter allen Umständen versuchen, der objektiven Wiedergabe unserer Präparate auch eine subjektive Deutung derselben anzufügen, wobei wir keineswegs verschleiern wollen, daß ein- zelne der Bilder, die wir geschildert haben, vielleicht nieht absolut ein- deutig sind. Es würde sich somit in erster Linie darum handeln, daß wir diejenige Deutung der Schnittbilder geben, die nach unserer Meinung die einfachste Erklärung der Präparate enthält, und damit unsere Auffassung von dem ganzen Entwicklungsgang der Frettchenplazenta. Wir legen unserer Schilderung auch hier eine Reihe von schematischen Figuren zugrunde, welche den gesamten Entwicklungsgang der Frettchen- plazenta demonstrieren sollen. Sie sind alle so gedacht, daß sie kleine Stücke mitten aus der Plazentaranlage, immer von entsprechender Stelle genommen, wiedergeben sollen. Wie vielfach — freilich nicht einmal überall — in der Plazentar- entwicklung sind hier die ersten Stadien der Plazentarbildung recht ein- fache. Die Uterinhöhle vergrößert und die Uteruswand verdickt sich, die ursprünglich kleinen Uterindrüsen wachsen, und dieser verdiekten Uterus- wand legt sich die Fruchtblase an. Dann erfolgt die Verklebung der Außenwand der Fruchtblase (Fig. d, 14'/,. Tag der Gravidität) mit der Uteruswand. Deren Drüsen wachsen und treiben seitliche Sprossen. Das Chorion beginnt an einzelnen Stellen seiner Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 7 50 H. Stranı und E. BArLıLmann: Oberfläche mit der Uteruswand sich flächenhaft zu verbinden. Wir legen der Auffassung vom Gesamtauf'bau der Plazenta halber besonders Wert darauf, fest- zustellen, daß bei dieser ersten Verklebung das Uterusepithel in der ganzen Fruchtkammer und insbesondere auch an den ersten Verklebungsstellen sicher erhalten ist und sich mit dem Ektoderm der Fruchtblase verbindet. Jetzt folgt, durch Bildung von Chorionzotten, die festere Vereinigung der Fruchtblase mit der Uteruswand (Fig. e, 17. Tag der Gravidität). Die Uteruswand ist nunmehr weiter verdickt, auch in der Fläche durch inter- Anlagerung des Ektoderms (Ekt. blau) an die Uterusschleimhaut T, deren Oberflächen- und Drüsenepithel rot angegeben ist. M Muskulatur. stitielles Wachstum verbreitert. Es scheiden sich in ihr sehr auffällig die obere Einwachsungszone der Zotten und die Drüsenlage. Die letztere enthält in einem spärlichen Bindegewebe, dem Träger der mütterlichen Gefäße, die verlängerten und erweiterten Drüsen. Die Einwachsungszone fassen wir so auf, daß wir annehmen, die Zotten wachsen in Drüsenhälse ein und treiben dabei zeitweilig einen Pfropf ge- wucherten Drüsenepithels, der die Drüse verschließt, vor sich her in die Lichtung der Drüse. Die ganze Zotte bekommt dabei einen Überzug von einer feinen Lage synzytial umgewandelten Drüsenepithels, und zu Syn- zytium umgewandeltes Oberflächenepithel läßt sich auch über dem Teil der Einwachsungszone verfolgen, der zwischen den einwachsenden Zotten liegt. Dieser letztere besteht aus uterinem Bindegewebe mit Gefäßen, in Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. sl welchem unregelmäßige Klumpen größerer, synzytial umgewandelter, leicht färbbarer Zellmassen liegen. Wir führen, wie oben auseinandergesetzt, auch diese ihrem Ursprung nach auf das Uterusepithel zurück und nehmen an, daß es durch Wucherung von den Drüsenhälsen aus in Form unregel- mäßiger Stränge in das die Drüsenhälse umgebende Bindegewebe einwächst. # { Erstes Einwachsen der Chorionzotten (Ekt. blau) in die Uterusschleimhaut U; deren zum Teil in Wucherung begriffene Epithelien rot, ihre Blutgefäße gelb. D Uterindrüsen. M Muskulatur. Eigentlich nur eine weitere Entwicklung dieses Stadiums finden wir am Ende der dritten Woche der Gravidität (Fig. /, 19. Tag der Gravidität). Die Uteruswand hat sich weiter verdickt. Sie zeigt auch jetzt sehr aus- gesprochen die Scheidung in Einwachsungszone und in Drüsenschicht. Die letztere hat eine gewaltige Zunahme ihres epithelialen Zellmaterials erfahren ; sie besteht ganz überwiegend aus stark gewachsenen, auch in der Lichtung vergrößerten Drüsen, deren Epithelien nur schmale Bindegewebsstraßen zwischen sich lassen. Die Ektodermzotten sind beträchtlich voluminöser, insbesondere breiter geworden; sie wachsen mit ihren Spitzen gegen Massen synzytialen Uterus- epithels und sind auch jetzt noch an ihrer Außenseite von einer feinen, stark färbbaren synzytialen Schicht überzogen, die wir auf die Uterus- 7* 52 H. Stranı und E. BArLmann: oberfläche, soweit sie zwischen den Basen der einwachsenden Zotten liegt, verfolgen können und für Uterusepithel halten. Die Uteruswand zwischen den Zotten ist grundsätzlich ebenso gebaut, wie in dem vorigen Stadium, bildet also eine Mischlage von Bindegewebe und Epithel mit Überwiegen des letzteren an Masse. an Tee, ED E71 VRR Be ur, Vaskularisierung der ektodermalen Zotten (Ekt., blau) durch das Bindegewebe der Allantois (All., grau). In der Uterusschleimhaut U zwischen den Zotten Epithelwucherungen rot. Drüsen rot. Mütterliche Gefäße gelb. Eine wesentliche Umwandlung findet dann etwa in der Zeit bis zum 21. Tage der Gravidität statt. Die Einwachsungszone vergrößert sich be- trächtlich auf Kosten und unter Verbrauch der Drüsenschicht. Diese ist (Fig. g, 21. Tag der Gravidität) auf eine schmale Lage von Drüsen reduziert, deren Epithelien in der Tiefe gut erhalten, an der Ober- fläche dagegen vielfach in Zerfall begriffen sind. Die Zotten sind zu langen, breiten Stempeln ausgewachsen; nur ihre Spitzen sind von einem hohen Ektoderm überzogen, das gegen die Fruchtblase hin ausgesprochen niedriger Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 53 wird. Vor der Kopfseite der Zotten liegt reichlich in Zerfall befindliche Uterusschleimhaut. Sehr ausgesprochen verändert sind die schmalen Streifen Uterus- schleimhaut zwischen den einwachsenden Zotten. Sie ordnen sich in einen viel gleichmäßigeren Bau um, als wir ihn bis dahin an gleicher Stelle finden. Verlängerung der Zotten, zum Teil unter Abbau der Drüsenschicht, bei Wucherung des Drüsenepithels (rot) in den Waudabschnitten zwischen den Zotten. Uteringefäße gelb. Die mütterlichen Gefäße erweitern sich und wandeln sich, soweit man aus den Schnitten ablesen kann, in ein Flechtwerk von größeren und kleineren Stämmen um. Diese liegen in einer Grundlage ganz spärlichen, uterinen Bindegewebes, das selbst wieder eingebettet ist in breite Straßen von eigen- tümlichen großen, nicht mehr stark färbbaren Zellen; wir halten diese für Abkömmlinge der im vorigen Stadium an gleicher Stelle liegenden syn- zytialen Uterusepithelien, die zeitweilig einen Teil ihrer Färbbarkeit ein- gebüßt haben. (Wir bemerken dazu für unsere Schemata, daß in diesen 54 H. Straur und E. BALLmAnNN: die synzytialen und nicht synzytialen Teile, ebenso die stärker und minder stark färbbaren nicht überall gegeneinander abgesetzt sind.) Die Eigenart der uterinen Schicht zwischen den Zotten erklärt sich, wenn man annimmt, daß die Uteruswand in Epithel und Bindegewebe zunächst wuchert, dann zum Teil eingeschmolzen und als Nährmaterial für den sieh entwickelnden Embryo verwendet wird, während der Rest unter Umlagerung des vorhandenen Materials die Grundlage für die weitere Entwieklung der Plazenta abgibt. Bei diesem Rest überwiegt das Uterus- epithel. Es bestände nach dieser Auffassung der Masse nach der mütterliche Teil der Plazenta in der eben besprochenen Entwicklungszeit in erster Linie aus den enorm gewucherten Epithelien des Uterus. Wir machen auf dies Verhalten besonders aufmerksam, da wir uns damit in Widerspruch setzen mit dem, was die Mehrzahl der Autoren, die bis dahin über Entwicklung von Raubtierplazenten gearbeitet haben, für deren Aufbau annimmt. Wir können aber in der Tat aus unseren Sehnittbildern nichts anderes herauslesen und müssen außerdem betonen, daß der Entwicklungsgang der Frettchenplazenta in deren feinerem Bau unter allen Umständ enin anderen Bahnen abläuft, als etwa derjenige von Hund oder Katze, welche letztere ja übrigens auch wieder, wie bekannt, nicht wenige Unterschiede zeigen. Es erscheint also heute kaum noch angängig, bei der vergleichend-anatomischen Darstellung der Plazenta alle Raubtierplazenten durch gemeinsame und gleichartige Schilderung in einen Topf zu werfen, sondern es müssen verschiedene Typen getrennt werden. Dem Folgenden schicken wir voraus, daß wir, ähnlich wie das Lüse- brink vor Jahren für die in Entwicklung begriffene Hundeplazenta getan hat, die ersten einfachen fingerförmigen Zotten, wie wir sie eben beschrieben haben, als Primärzotten bezeichnen. Deren Spitzen wachsen, sich allmählich verbreiternd, zu Stempeln über der Drüsenschicht aus (Fig. A}, etwa 23. Tag der Gravidität); ihre nach der Fruchtkammer, der fetalen Oberfläche zu, gelegenen Stiele treiben nun in die von der Uteruswand geschaffene Unterlage sekundäre kleine Sprossen ein, welche die erste Anlage eines Plazentarlabyrinthes liefern. Dieses bildet sich, indem die mütterlichen Gefäße sich erweitern und sich mit einer dickeren Lage von Zellen austapezieren, die wir ihrem Ursprung nach auf das Endothel der mütterlichen Gefäße zurückführen. Um diese Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 55 herum gruppieren sich die modifizierten Uterusepithelien, welche auch jetzt, der Masse nach, den Hauptteil der Plazenta bilden, und gegen diese schieben sich kleine seitliche Sprossen vor, die wir als sekundäre Zotten bezeichnen. Bildung des Plazentarlabyrinthes Z, indem die sekundären, seitlichen Sprossen der Zotten mit den Allantoisgefäßen (rot) zwischen die mütterlichen Gefäße (gelb) einwachsen. Ektoderm blau. Weiterer Abbau der Drüsenzone D. Der Ektodermüberzug dieser ist außerordentlich fein, tatsächlich wesentlich feiner, als es unser Schema wiedergibt, oft kaum als besondere Lage unter- scheidbar; er überlagert den aus zierlichem lockeren Bindegewebe der Zotte bestehenden Grundstock der Zotte, der den Träger für die feineren fetalen Gefäße abgibt. Der Aufbau der Plazenta schreitet in all den beschriebenen Stadien so fort, daß die an der Oberfläche der Plazenta gegen den Binnenraum der Fruchtblase gelegenen Teile des Plazentarlabyrinthes am weitesten in 56 H. Stranaı und E. Baı mans: der Ausbildung voran sind; die in der Tiefe über den Drüsen liegenden sind am weitesten zurück, der Entwicklungsgang geht allmählich von der Oberfläche und innen nach der Tiefe und außen vorwärts, die minderent- wiekelten und im Ausbau begriffenen Abschnitte liegen ganz in der Tiefe. Schema des fertigen Plazentarlabyrinthes im Flächenschnitt. Aus Ektoderm und Uterusepithel (die aber untrennbar verbunden sind) bestehende graue Straßen scheiden die großen (schwarzen) mütterlichen Gefäße M.@. von den kleinen (rot) fetalen. F.@. Zur Bildung der von Lüsebrink bei der Hundeplazenta als tertiäre Zotten bezeichneten Formen scheint es beim Frettehen überhaupt nicht zu kommen. Eine letzte schematische Figur { soll zeigen, wie wir uns den Bau des fertigen Plazentarlabyrinthes vorstellen. Das Schema ist stärker ver- größert gedacht als die vorausgehenden Übersichtsbilder. Es würde außer- dem nicht nach senkrechten Durchschnitten durch die Plazenta entworfen sein, sondern entspricht einem Flächenschnitt durch das Plazentarlabyrinth (vgl. etwa Fig. 43). In der Figur bedeutet das hellgraue Balkenwerk die zellige Grundlage des Labyrinthes, die wir uns gegeben vorstellen durch TEEN Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 57 das Chorionektoderm von seiten des Fetus und das Uterusepithel von seiten der Mutter. Diese beiden Teile sind aber jetzt so innig mitein- ander vermischt, daß sie ununterscheidbar sind; nicht das Einzelpräparat, sondern nur die Kenntnis des Entwicklungsganges der Plazenta im ganzen berechtigt zu dieser Auffassung. Und in diese Grundlage sind eingebettet als kleine oder etwas größere rote Ringe die fetalen Gefäße, als große Bluträume die schwarz gehaltenen mütterlichen Blutgefäße; sie übertreffen im ganzen die fetalen beträchtlich in ihrem Kaliber und ebenso in der Stärke ihrer Wand. Den Darstellungen unserer Präparate sowie der Schilderung der Deutung, die wir ihnen geben, möge nun noch eine kurze Betrachtung über die ver- gleiehend-anatomische Stellung der Mustelidenplazenta zur Plazenta anderer Raubtiere folgen, soweit wir eine solche auf Grund eigener Beobachtung oder der vorhandenen Literatur geben können, und daran ans@hließend eine Darstellung unserer Auffassung der physiologischen Arbeit der Plazenta, wie sie sich durch die Präparate begründen läßt. Über die Entwicklung der Plazenta von Putorius furo selbst sind, so- weit uns bekannt, außer den oben bereits erwähnten kurzen Mitteilungen von Strahl, Untersuchungen von anderen Autoren nicht vorhanden. Von Musteliden überhaupt die alten Mitteilungen von Bischoff (Sitz.- Ber. d. Bayer. Akad. d. Wissensch., ı1. 3. 65 und ebenda ı3. 5. 65) über die Plazenta vom Otter und vom Wiesel, sowie gelegentliche kurze Bemer- kungen von Strahl über die Plazenta der Dächsin (vgl. Hertwigs Hand- buch S. 299). Die Arbeiten über die Plazentarentwicklung anderer Raubtiere, ins- besondere von Hund und Katze, sind bereits oben erwähnt. Sie haben für die Plazentation dieser Tiere zu einer gewissen allgemeinen Kenntnis ge- führt, die einen Vergleich ermöglicht, auch wenn man zugibt, daß wich- tige Fragen sich noch in der Diskussion befinden. Übereinstimmend für Caniden, Feliden und Musteliden gilt, soweit wir heute wissen, daß die Schleimhaut während der Brunstzeit eine Umwand- lung durehmacht, die sie zur Aufnahme der Fruchtblasen vorbereitet. Und wenn diese dann in den Uterus eintreten und sich mit dessen Innenwand verbinden, so beginnt bei allen drei Formen eine tiefgreifende Umwandlung Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 8 58 H. Strauı und E. BALLmann: der Schleimhaut des Uterus, welche zur Bildung des mütterlichen Anteiles der Plazenta führt; die überall vor den Spitzen der einwachsenden Zotten liegende Umlagerungszone ist der Teil, in welchem nicht die alleinigen, aber eigentlich die eingreifendsten Veränderungen der Uterusschleimhaut vor sich gehen. Diese führen bei allen drei Formen neben der Umordnung auch zu dem Zerfall eines Teiles der Schleimhaut, und das zerfallende Ge webe wird von den eindringenden Chorionzotten aufgenommen und zum Aufbau des Embryos verwendet; im einzelnen verlaufen aber die Vorgänge schon dieser ersten Plazentarbildlung so verschieden, daß man aus dem Schnitt durch die in der ersten Entwicklung begriffene Plazenta die Herkunft bestimmen kann. Übereinstimmend bei allen drei Formen ist die Gliederung in Pla- zentarlabyrinth und tiefe Drüsenschicht, ferner das Vorschieben der stempel- förmig verbreiterten Spitzen von Primärzotten in oder gegen erweiterte Drüsen an der Grenze von Labyrinth und Drüsenlage. Unterscheidbar sind sie an der Form des Plazentarlabyrinthes, ins- besondere in der Art der feineren Verteilung der fetalen Zotten inner- halb des Labyrinthes. Diese sind bei Hund und Katze blattförmig, bei Putorius entweder baumförmig verästelt oder in. Netzen, aber nicht in Form von Blättern angeordnet. Gemeinsam ist den drei Arten dann wieder, daß es im Anschluß an den Aufbau des Labyrinths zur Bildung von Extravasaten mütterlichen Blutes kommt; unterschieden die Form, wie das geschieht. Bei Hund und Katze sind die Blutextravasate überwiegend randständig an den Plazentar- gürtel angeschlossen (beim Hund kommen als Varietät auch inselförmige inmitten der Plazenta vor), beim Hund ungeheuer ausgiebig und bis an den Schluß der Graviditätszeit zunehmend, weiter durch die seit langem bekannte grüne Färbung charakterisiert. Bei der Katze klein, rasch vor- übergehend, am Ende der Gravidität meist ganz resorbiert und ohne grünen ‘arbstoff; beim Frettchen wie bei allen bisher untersuchten Musteliden nicht randständig, sondern zentral in Säcken angeordnet, ohne grünen Farb- stoff, vielmehr durch Ausscheidung von Hämatoidin zum Teil rot gefärbt; beider Hündin fehlt Iämatoidin, und es tritt statt dessen in ungeheuren Mengen Hämoglobin auf. Beim Frettehen sind die Extravasate in viele Einzelsäcke verteilt, während sich beim Otter und bei der Dächsin ein großer Blutbeutel entwickelt. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 59 Bei allen drei Formen müssen wir angesichts der verschiedenen Bilder, die uns im Aufbau der Plazenten entgegentreten, annehmen, daß auch Besonderheiten in dem Bau der ernährenden Wege für den Fetus vor- handen sind. Diese Wege sind sicherlich schon während der verschiedenen Stadien der Plazentarentwicklung desselben Tieres nicht gleichmäßig, doch dürfte ein Versuch, sie durch alle diese hindurch zu verfolgen, wohl einstweilen zu weit ab führen. Es mag für jetzt einmal genügen, einen solchen für die fertige Pla- zenta zu machen. Dabei sind wir leider, wie fast durchgehends in dem Gebiete der vergleichenden Physiologie der Plazenta, auch bei der Frettchenplazenta, mangels anderer Untersuchungsmethoden einstweilen genötigt, unsere Vor- stellungen von der Arbeit der Plazenta lediglich auf der Deutung der Schnittbilder aufzubauen. Wie von vielen anderen tierischen Plazenten, so läßt sich auch von der des Frettchens feststellen, daß auf einer Reihe von Wegen die Ernäh- rung und Atmung des Fetus besorgt wird. tin beträchtlicher Teil des Stoffwechsels erledigt sich bei der reifen Plazenta offenbar innerhalb des Plazentarlabyrinthes. In diesem müssen wir den Gasaustausch zwischen mütterlichen und fetalen Gefäßen annehmen, ohne ausschließen zu können, daß neben diesem auch ein solcher von ge- lösten Substanzen einhergeht; welch letzterer dann wohl in erster Linie, aber doch vielleicht nieht ausschließlich, in der Richtung von der Mutter zum Fetus läuft. Erscheinungen im mikroskopischen Bilde, die wir festhalten könnten, liefern diese Vorgänge des Stoffwechsels jedoch nicht. Des besonderen Hinweises wert erscheint uns aber trotzdem die Art und Weise, wie mütterliche und fetale Gefäße an der reifen Plazenta von- einander geschieden sind; da die Scheidewand bei dem Stoffwechsel ja eine ausschlaggebende Rolle spielen muß. Relativ weit im Kaliber sind die mütterlichen Gefäße der Plazenta; ihre Wand ist stark; ganz fein sind demgegenüber (die fetalen Gefäße von geringer Weite und mit ganz dünner endothelialer Wand. Überaus dünn ist ferner die Wand, die zwischen die beiden Gefäßröhren einge- schoben ist; sie baut sich, wie wir annehmen, zwar immer noch aus Uterus- Ss © 60 H. StrAaur und E. BALLmans: epithel und Chorionektoderm auf, da wir von keiner der beiden Lagen während des Entwicklungsganges der Plazenta an diesen Stellen einen Sehwund nachweisen können; aber die Elemente, aus denen sie sich zu- sammensetzt, sind so ineinander geschoben, daß sie nunmehr eine gemein- same und ganz dünne Schicht bilden. Jedenfalls ist das Septum, durch das hindurch der Stoffwechsel ablaufen muß, schließlich und bei der Pla- zenta auf der Höhe ihrer Funktion aufs äußerste reduziert. Mehr im Scehnittbild greifbare Erscheinungen erhält man an der Grenze des Plazentarlabyrinthes gegen die subplazentaren Schiehten der Uterus- wand. Denn an dieser Stelle geht offenbar eine Ernährung auf dem Wege direkter Aufnahme von zerfallenden Bestandteilen der Uteruswand durch die Zottenstempel, an der Spitze dieser, vor sich; es ist das ein Vorgang, wie er auch für andere Raubtierplazenten, insbesondere für diejenige von Hund und Katze, beobachtet ist; beim Frettehen kann man ihn, namentlich wenn man auch die anderen Plazenten kennt, aus den topographischen Beziehungen der Zottenspitzen zu dem an genannter Stelle liegenden zer- fallenden mütterlichen Gewebe erschließen; weiter und insbesondere dar- aus, daß das Chorionektoderm auf den Zottenspitzen so relativ sehr hoch bleibt; man findet das allgemein in Plazenten immer dort, wo das Zotten- epithel in ausgesprochenem Maße zerfallendes mütterliches Gewebe auf- nehmen muß. Wobei sich in vielen Fällen die mütterlichen Gewebsreste als körperliche Bestandteile im Zottenektoderm direkt nachweisen lassen, während in anderen ein solcher Nachweis Schwierigkeiten macht. So fehlen auch hier einstweilen an unseren Präparaten direkte An- zeichen im mikroskopischen Bild, wie man sie etwa in anderen Plazenten in Gestalt mehr oder minder färbbarer Körnchen sieht. Die Beziehungen der einwachsenden Primärzotte zu den zerfallenden Partien der Uterusschleimhaut kann man ziemlich direkt mit denen der Zotten im Dünndarm zum Speisebrei vergleichen, das betont neuerdings auch Heinricius. So wie in diesem, wie die neuere Physiologie lehrt (Abderhalden), der Inhalt schließlich aufs äußerste abgebaut und dann resorbiert und als Material für neuen Aufbau verschiedenster Form ver- wendet wird, so wird auch ein Teil der Uterusschleimhaut im Bereich der Umlagerungszone vollkommen zerlegt; er liefert damit ein für die Zotte resorbierbares Material, das nach Passieren des Chorionektodermes unter vermutlich weiterer Veränderung den fetalen Zottengefäßen zugeführt und EEE Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 61 von diesen in den wachsenden Embryonalkörper transportiert wird. Den Grad und die Form des Abbaues der Uterusschleimhaut kann man einst- weilen aus den Schnittbildern nicht erschließen. Den ernährenden Wegen sind ferner auch die Blutsäcke zuzurechnen. Zerfallendes mütterliches Blut, das von dem Ektoderm des Fetus aufge- nommen und verarbeitet wird, findet sich nicht nur in Raubtierplazenten, sondern in den Plazenten einer großen Zahl anderer Säugerformen; die Art und Weise, wie das Blut aufgenommen wird, kann dabei recht ver- schieden sein. Auch hier unterscheiden sich die Bilder der Aufnahme in ler Plazenta des Frettehens von denen bei Hund und Katze (übrigens auch von denen bei Wiederkäuern, etwa dem Schaf oder Antilopen, auch von denen bei Nagern oder bei Centetes). Bei diesen Formen kann man in viel größerer Verbreitung die extravasierten mütterlichen Blutkörper als solche vor ihrem Zerfall in den Chorionepithelien liegen sehen. Beim Frettehen ist letzteres viel weniger möglich, vielleicht geht hier die Auf- zehrung rascher. Dal} eine Resorption des Blutes auch beim Frettchen stattfindet, ist aber aus der Abnahme des Blutes in den Blutbeuteln bei fortschreitender Gravidität zu schließen; ist auch wohl aus dem Verhalten des Hämatoidin zu schließen, das wir, wie oben bereits erwähnt, gewisser- maßen als übrigbleibendes Abfallprodukt, als Schlacke des im übrigen auf- gezehrten Blutes betrachten dürfen. Eine besondere Aufmerksamkeit haben wir der mehrfach in der Lite- 'atur behandelten Frage nach dem Übergang von Eisen von der Mutter auf den Fetus zugewendet, sind aber nicht in der Lage, durch neue Beob- achtungen zur Klärung dieser beitragen zu können. Der Übergang des Eisens von der Mutter auf den Fetus geht bei den verschiedenen Plazentar- formen keineswegs in überall gleicher Form vor sich. Endlich wäre noch die Frage zu erörtern, ob in den plazentarfreien Kuppenteilen der Fruchtkammer Stoffe seitens der Uteruswand abgeschieden werden, welche der Fetus für seine Ernährung aufbraucht. Diese Frage ist in der Tat nicht ganz leicht zu beantworten. Direkte Erscheinungen an den Zellen des Ohorions weisen auch hier nicht gerade auf einen solchen Vorgang hin; wenigstens insoweit nicht, als hier Bilder des Chorions aus der Kuppe der Fruchtkammer fehlen, wie sie uns an Schnittpräparaten aus den paraplazentaren Abschnitten der Fruchtkammer anderer Säuger auf solche Resorptionserscheinungen direkt 62 H.StrAHrL und E. BALLMANN: hinzeigen. Wir nennen hier das Vorkommen der eigenartigen Chorion- blasen, die an Schnittpräparaten wohl zuerst von Tafani beschrieben und dann später von Strahl bei einer ganzen Reihe von Säugern in ihrem histologischen Bau genauer untersucht sind. Es handelt sich bei diesen um Stellen, an welehen Uterindrüsen frei in die Fruchtkammer münden; die Ausmündungsstellen werden dann von dem Ektoderm des Chorions überbrückt, dessen Zellen sieh dabei außer- ordentlich verlängern; es kann nach den Schnittbildern kaum einem Zweifel unterliegen, daß sie das von den Uterindrüsen gelieferte Sekret aufnehmen und für den Fetus verarbeiten. Ferner erinnern wir daran, daß es in den Fruchtkammern mancher Säuger neben den Plazenten zu ausgesprochenen Verklebungen zwischen Chorionektoderm und Uterusepithel kommt, was auch wohl auf Stoffwechselvorgänge an solchen Stellen hindeutet. Solehe Erscheinungen kommen hier nur spärlich vor. Immerhin ist die Umwandlung, welche die Uterusschleimhaut im paraplazentaren Teil der Fruchtkammer erfährt, bemerkenswert. Die ursprünglich kleinen, schmalen, zylindrischen Zellen des Uterusepithels wachsen während der Gravidität sowohl in der Fruchtkammer als auch unter dem Extravasat und unter dem Plazentarlabyrinth zu ganz ungemein großen Zellkörpern aus, die sich mit scharfen Grenzen gegeneinander absetzen und in ihrem Protoplasma- körper einen Kern entwickeln können, der weit über den Durchschnitt der bei Säugern gewöhnlichen Größenverhältnisse hinausgeht. Es ist in der Tat nicht ganz leicht zu sagen, was diese Zellen physiologisch zu be- deuten haben; eine sichere Erklärung für dieselben vermögen wir heute kaum zu geben, immerhin ist doch die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß es sich doch um Bildungen handelt, die zur Schaffung von extraplazentarem Nährmaterial dienen. Um so eher, als sich diese Zellen oft ziemlich fest mit dem überlagernden Chorion verbinden'. Daß aber auch in den Kuppen der Fruchtkammern neben den Pla- zenten ein Stoffwechsel stattfindet, darauf weist eigentlich unmittelbar der Umstand hin, daß sich in diesen ein ausgebreitetes Netz von Umbilikal- gefäßen findet. Die physiologische Bedeutung dieser ist doch unter allen Umständen in Stoffwechselvorgängen zu suchen, auch wenn sie Erschei- ! Mit den eigentümlichen großen Zellen, wie sie in der Schleimhaut gravider Nage- tiere vielfach vorkommen und beschrieben sind, haben diese hier sicher nichts zu tun, da es sich bei ihnen um Epithelien, bei den Nagern meist um Bindegewebszellen handelt. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 63 nungen der dabei ablaufenden Vorgänge im Sehnittbild nicht bedingen. Auch die Vorgänge, welche während der Entwicklung zur Umwandlung der gürtelförmigen in die doppelt diskoidale Plazenta führen, liefern sicher ein beträchtliches Nährmaterial; denn während ihres Ablaufes zerfällt ein erheblicher Teil der Schleimhautoberfläche, der unmittelbar an das Chorion angelagert ist; er verschwindet, und es ist anzunehmen, daß sein Material direkt vom Chorion resorbiert wird. Wir möchten mit den eben angestellten physiologischen Betrachtungen unsere Darstellung von dem Aufbau der Plazenta von Putorius furo ab- schließen. Wir glauben, daß wir zeigen konnten, daß wir im Entwicklungs- gang dieser Plazenta wie in der Form derselben bei voller Entfaltung Er- scheinungen finden, die von den entsprechenden aller andern bisher ein- gehender auf ihre Plazenta untersuchten Raubtiere abweichen, dagegen für die Musteliden in vieler Beziehung typisch zu sein scheinen. Das mag die Berechtigung ergeben, ihr eine eingehende und zusammenhängende Schilderung zu widmen, wie wir eine solche im vorstehenden zu geben versucht haben. Wir glauben zugleich mit unsrer Arbeit gezeigt zu haben, daß die vergleichende Anatomie der Plazenta ein im Verhältnis zur Größe des Gebietes wenig beackerter Boden ist, und wir nehmen an, daß bei der Bearbeitung neuer Plazentarformen noch mannigfache Fortschritte zu erwarten sind. Wenn wir versuchen, die wesentlichsten Entwicklungserscheinungen der Frettehenplazenta in kurzen Sätzen zusammenzufassen, so würde das etwa folgendes ergeben: ı. Die Fruchtblase des Frettehens, die in der Mitte der zweiten Woche der Gravidität noch frei in der Liehtung des Uterus liegt, ver- bindet sich vom Ende der zweiten Woche ab im Bereich eines rundlichen, um den etwa in der Primitivstreifenbildung begriffenen Embryonalschild gelegenen Feldes, sowie in einem kleinen Bezirk über dem Mesometrium mit der Uterusschleimhaut. Dabei lagert sich das Ektoderm der Frucht- blase fest an das in dieser Zeit wohlerhaltene Epithel der Uterusschleim- haut. Der Embryo liegt stets in der antimesometralen Kuppe der Frucht- kammer, im ganzen mit seiner Längsachse quer zur Längsrichtung des Uterus. 64 H.Stranı und E. BALLMmANnNn: 2. Im Beginn der dritten Woche der Gravidität vereinigt sich die Oberfläche der Fruchtblase fester mit der Uteruswand in einem Streifen, welcher in seiner Form dem späteren Plazentargürtel entspricht. Frei bleibt an diesem Gürtel einstweilen ein Feld über dem Embryonalschild, der jetzt die ersten Urwirbel bildet, und eine Partie über der an der mesometralen Seite der Fruchtkammer gelegenen mesometralen Fruchtkammergrube und über deren Rändern. 3. Im Bereich dieses Feldes, das im ganzen gürtelförmig durch die Fruchtkammer verläuft, senken sich vom 17. Tage der Gravidität an kleine, zunächst solide Ektodermzotten in die Uterusschleimhaut. Sie wachsen als Primärzotten in Drüsenmündungen ein. Das Epithel dieser Drüsen ver- ändert sich synzytial und wuchert; es bildet einmal einen Pfropf vor der Zottenspitze, der die Drüsenlichtung gegen die Zotte abschließt, sodann netzförmig angeordnete Straßen von epithelialem Synzytium, das von den Drüsenhälsen aus in das die Drüsen umgebende Bindegewebe einwächst. 4. Die ersten einwachsenden Zotten höhlen sich bald aus und erhalten von der Hautplatte einen Kern von fetalem Mesoderm. Über diesem liegt nach der fetalen Seite die Mesodermschieht der Nabelblase; sie ist selbst ausgiebig vaskularisiert, sendet aber keine Gefäße in die Zotten. Man kann also, trotzdem die Nabelblase sich an die Innenseite der ersten Zotten an- lagert, von einer Nabelblasenplazenta im physiologischen Sinne nicht reden. 5. An dem über der Embryonalanlage befindlichen Abschnitt der Uteruswand verbindet sich auch nach Schluß des Amnion das Chorion nicht flächenhaft mit der Innenwand des Uterus, sondern nur an einzelnen Stellen, so daß sich Chorionbeutel über der Uterusoberfläche bilden. An diese beginnt sich von der fetalen Seite die Allantois anzufügen, während sich in die leeren Beutel aus der arrodierten Uteruswand mütterliches Blut ergießt, das anfänglich in wenige, später in eine große Zahl von neu entstehenden Blutbeuteln aufgenommen wird. 6. In der Extravasatzone bilden sich kleine, von der vorsprossenden Allantois vaskularisierte Chorionzotten, die in die Uterusschleimhaut ein- wachsen, später aber unter Abbau des ganzen oberen Teiles der Uterus- wand, der dem Blutextravasat anliegt, wieder Rückbildung erfahren. 7. Vom 19. Tage der Gravidität ab beginnt die Allantois stärker zu wachsen. Sie drängt dabei die Nabelblasenwand von der Plazentaroberfläche und den Zotten ab, und letztere werden jetzt von der Allantois aus vaskularisiert. EEE Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 65 8. Die nunmehr beginnende Entwicklung des Plazentarlabyrinths setzt unter nachfolgenden Erscheinungen ein: a) Es wird ein Netzwerk kleiner mütterlicher Gefäße angelegt, deren eigene Wand nur aus verdicktem Endothel besteht. b) Dies mütterliche Gefäßsystem bettet sich ein in eine Grundlage von Zellen, die Abkömmlinge des Epithels der Uterindrüsen sind und eine Hülle um die mütterlichen Gefäße bilden. c) In die so vorbereitete Uterusschleimhaut wachsen als Seitensprossen der größeren primären kleine sekundäre Zotten mit fetalen Gefäßen ein; sie sind von einer ganz verdünnten Lage von Ektoderm über- zogen. 9. Dieser Vorgang der Bildung des Plazentarlabyrinths beginnt an der Plazentaroberfläche und schreitet allmählich von der fetalen zur mütter- lichen Seite vor; dabei bilden sich in den Uterindrüsen ständig neue große Mengen von Uterusepithel, die zum einen Teil zum Aufbau weiterer Pla- zentarabschnitte verwendet, zum andern vor den wachsenden Spitzen der Primärzotten allmählich eingeschmolzen werden. Der in der Umlagerungs- zone vor den Zotten gebildete Detritus wird vermutlich seitens der Zotte aufgezehrt und für den Aufbau des Fetus verwendet. 10. Der unter dem Extravasat ursprünglich vorhandene Teil der Pla- zentaranlage wird ganz rückgebildet und damit die anfänglich bis auf eine kleine Unterbreehung in der mesometralen Uterusgrube gürtelförmige Pla- zenta in eine doppelt-scheibenförmige umgewandelt. ı1. Etwa am 26. Tage der ungefähr 42 Tage dauernden Trächtigkeit ist «ie Plazentaranlage im ganzen fertig und wächst von da ab wesentlich an Masse ohne Umbildung. Der Embryo ist in dieser Zeit nur 1.5 cm lang und erst jetzt, nach Vollendung des Plazentarlabyrinths, setzt ein ganz intensives Wachstum des Embryonalkörpers ein, das in der Zeit von nur zwei Wochen zur völligen Entwicklung des Fetus führt. ı2. Im reifen Uterus gravidus, kurz vor der Geburt, ist die ganze Uteruswand unter dem Extravasat eingeschmolzen bis auf eine schmale Zone, deren Epithelien in enorm vergrößerte Zellen umgewandelt sind; ebenso ist ein beträchtlicher Teil des in die Blutbeutel ergossenen mütter- lichen Blutes wieder resorbiert. Die Uteruswand an dieser Stelle nimmt offenbar an Fläche dabei sehr zu, so daß die Ränder der minder reichlich wachsenden beiden Plazenten hier weit auseinanderrücken. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. be) 66 H. StrAur und E. Barımann: Die Grundlage des fertigen Plazentarlabyrinths besteht aus einem netzförmig angeordneten Gewebe, das wir uns seinem Entwicklungsgang zufolge als aus Abkömmlingen des Uterusepithels und des Chorionekto- derms gemischt vorstellen. Im Sehnittbilde sind beide Gewebsarten nicht mehr zu trennen, nur die Kenntnis ihrer Entwicklung macht die genannte Auffassung möglich. In dies Mischgewebe sind große netzförmig angeordnete Uteringefäße eingelagert, kenntlich an ihren stark verdickten Endothelien; und in die Lücken zwischen ihnen schieben sich die in ganz zartes, embryonales Binde- gewebe eingebetteten, sehr dünnwandigen fetalen Gefäße ein. Zwischen den stempelförmigen Spitzen der Primärzotten schwindet das uterine Ge- webe fast ganz, bis auf die Straßen, auf denen die mütterlichen Gefäße zum Labyrinth hin- und vom diesem fortziehen. Es bedingt das zugleich eine sehr frühe und vollkommene Vorbereitung auf die Lösung der Plazenta. Die ernährenden Wege für den Fetus innerhalb der Fruchtkammer sind in dieser Zeit vielfache: solche von Gefäß zu Gefäß, von dem Detritus der Umlagerungszone nach den Zottenspitzen, von den Extravasaten zum Chorion der Blutbeutel und ebendahin aus dem uterinen Detritus unter- halb des Extravasates; und dazu werden voraussichtlich auch noch para- plazentare Ernährungswege in den Kuppen der Fruchtkammern kommen. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 67 Figurenerklärung. Die auf photographischem Wege hergestellten Bilder sind zum Teil nur als Unterlagen benutzt und nachgezeichnet. Für alle Figuren gemeinsame Bezeichnungen: AU = Allantois D = Schicht der Uterindrüsen L = Plazentarlabyrinth Mm = Mesometrium N = Nabelblase P = Plazenta Z = Chorionzotte. Anmerkung. Für die Figuren 30, 32, 37, 51 sind die gleichen Objekte benutzt, die Strahl in Hertwigs Handbuch als Figuren 176—179 abgebildet hat. Fig. ı. Querschnitt durch einen nicht graviden Uterus. Fig. 2. Querschnitt durch einen Uterus aus der Zeit der Brunst. Wucherung der Uterindrüsen. Fig. 3. Querschnitt durch einen Uterus gravidus von 12!/, Tagen. Die Fruchtblase liegt frei im Cavum uteri. Fig. 4. Querschnitt durch einen Uterus vom 13. Tag der Gravidität. Fruchtblase frei im Uterus. Fig. 5. Querschnitt durch einen Uterus von 14!/, Tag. Erste Verklebung der Frucht- blase mit der Uteruswand. Fig. 6. Längsschnitt durch eine Fruchtkammer von 14'/, Tagen. Bei Pfeil der Längs- schnitt durch den Embryo. Fig. 7. Uterus gravidus von 14'/, Tagen. Erste Verklebung der Fruchtblase mit der Uteruswand bei stärkerer Vergrößerung. Fig. 8. Querschnitt durch den Uterus gravidus von 15'/, Tagen. Fig. 9. Querschnitt durch den Uterus gravidus von 16 Tagen. Die Einschnitte rechts und links in den Seitenabschnitten der Schleimhaut sind Entwicklungsvarietäten. Fig. 10. Uterus gravidus von 17 Tagen. Die Plazentaranlage bildet jetzt einen bis auf eine Unterbrechung am Mesometrium vollkommenen Gürtel. Fig. ı1. Teil einer Fruchtkammer von 17 Tagen mit dem Längsschnitt durch den Embryo. Bei dem Pfeil durch Schnitt durch die Allantois. Fig. 12. Senkrechter Durchschnitt durch einen Abschnitt einer Fruchtkammer von 17 Tagen bei etwas stärkerer Vergrößerung. Die Mitte des Schnittes zeigt die Wucherung der Drüsen, der obere Rand die in die verdickte Uterusschleimhaut einwachsenden Zotten. Fig. 13. Flächenschnitt durch eine Plazentaranlage von ungefähr ı7 Tagen. Die hellen Ringe sind die Durchschnitte durch die Zotten; diese sind umgeben von einem schmalen Saum synzytial umgewandelten Uterusepitheles, das auch gleichzeitig in das interglanduläre Bindegewebe einwächst. E4 68 H. Stranuı und E. BALLumAnNN: Fig. 14. Flächenschnitt aus der gleichen Serie, der aus der Mitte der Drüsenschicht genommen ist. Fig. 15. Querschnitt durch die Mitte eines Embryos von 17 Tagen mit dem anliegenden Teil der Uteruswand. Photographie nach einer Zeichnung. Fig. 16. Querschnitt durch einen Uterus gravidus von 19 Tagen. Gegenüber dem Stern die ersten kleinen Extravasate zwischen Chorion und Uteruswand. Fig. 17. Senkrechter Durchschnitt durch die Fruchtkammer von ungefähr 19 Tagen. Vergrößerung der einwachsenden Zotten. Fig. 18. Uterus gravidus von 2o Tagen. Gegenüber x ein kleines, in der Entwicklung begriffenes Hämatom. Fig. 19. Senkrechter Durchschnitt durch eine Plazentaranlage von zo Tagen. Abbau der Drüsenschicht zugunsten der sich verdiekenden Plazenta. ar . r - ” .- ” e Fig. 20. Uterus gravidus von 2ı Tagen. Gegenüber x ein großes Hämatom, aus ein- zelnen Säcken bestehend. Fig. 21. Senkrechter Durchschnitt durch eine Plazentaranlage von 2ı Tagen. Fig. 22. Stück eines Schnittes der Plazentaranlage von etwas mehr als zı Tagen. Oberfläche der Plazenta bei stärkerer Vergrößerung. Fig. 23. Dasselbe vom 21. Tage der Gravidität nach einer Zeichnung photographiert. Der Schnitt zeigt die von der gewucherten Uteruswand gelieferte Grundlage für das Pla- zentarlabyrinth, in welches bei der durch den Pfeil bezeichneten Stelle die ersten kleinen Seitensprossen der großen primären Zotten einwachsen. Fig. 24. Dasselbe nach einer Zeichnung von einem Uterus von etwas mehr als 21 Tagen. Einwachsen der durch ihre dunkelkernigen Blutkörper kenntlichen fetalen Gefäßsprossen in die verdickte Uterinschleimhaut. Die Zellringe in dieser sind die Durchschnitte mütter- licher Blutgefäße (@) mit stark verdicktem Endothel. Fig.25. Mesometrale Fruchtkammergrube eines Uterus von etwas mehr als 2ı Tagen, die vergrößerten Epithelien der Oberfläche und des obersten Abschnittes der Uterindrüsen zeigend. Fig. 26. Uterus gravidus von 23 Tagen, durch einen Horizontalschnitt durch die Frucht- kammer eröffnet. Fig. 27. Uterus gravidus von ebenfalls 23 Tagen (etwas schwächer vergrößert als Fig. 26), eröffnet. Der Embryo liegt über der mesometralen Fruchtkammergrube, rechts und links neben ihm Plazenta, ganz rechts die dunklen Hämatomsäcke.. Fig. 28. Schnitt durch eine Plazentaranlage von etwa 23 Tagen. Fig. 29. Schnitt durch eine Plazentaranlage von nahezu 24 Tagen. Wachstum des Plazentarlabyrinths. i Fig. 30. Fetus von 26 Tagen. Größte Länge von Nacken zu Schwanzwurzel 15 mm. Zwischen den beiden Plazenten das große Hämatom. Fig. 31. Querschnitt durch die Mitte einer Fruchtkammer von etwa 4 Wochen. Gegen- über xxx das sich nunmehr abplattende Hämatom. Fig. 32. Fetus von 35 Tagen mit seinen Hüllen aus der Fruchtkammer herausgenommen. Chorionsack von außen mit den Ablösungsstellen der beiden Plazenten. Etwa 2"/.ınal ver- srößert. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 69 Fig. 33. Längsschnitt durch eine Fruchtkammer von 35 Tagen mit Fetus. Der Schnitt geht zwischen den beiden Plazenten durch das Hämatom xx. Links der Übergang in die anliegende Fruchtkammer. Fig. 34. Fetus mit Plazenten und Hämatom dicht vor dem Wurf; nicht ganz zweimal vergrößert. Fig. 35. Plazenten und Hämatom der gleichen Zeit ohne Fetus. Verzweigung der Umbilikalgefäße. Fig. 36 Fruchtkammer direkt vor dem Wurf durch einen Längsschnitt eröffnet, Fetus herausgenommen. Diskoidale Plazenta, Verzweigung der Umbilikalgefäße über der Plazenta und in den Kuppen der Fruchtkammer. Hämatom schwarz. Fig. 37. Fruchtkammer und Fetus aus gleicher Zeit quer durchschnitten. Fig. 38. Schnitt durch die Fruchtkammer aus gleicher Zeit. xxx Hämatom. Fig. 39. Schnitt durch das Plazentarlabyrinth der reifen Plazenta. Bei Z die stempel- förmig verbreiterten Spitzen der primären Zotten. Unterer Rand: Drüsenschicht des Uterus. Fig. 40. Unterer Teil eines solchen Schnittes stärker vergrößert. Fig. 41. Oberfläche des Plazentarlabyrinths ebenso. Fig. 42. Flächenschnitt durch das reife Plazentarlabyrinth. Fig. 43. Das gleiche bei stärkerer Vergrößerung. Uteringefäße diekwandig, fetale Gefäße mit feinerem Kontur. Fig. 44. Horizontalschnitt durch ebensolche Plazenta, der die stempelförmigen Spitzen der Primärzotten trifft. Zwischen diesen stellenweise überhaupt kein uterines Gewebe mehr. Fig. 45. Schnitt durch die mesometrale Fruchtkammergrube der gleichen Zeit. Oberer Rand des Schnittes Chorion, dann folgt eine dicke Lage stark vergrößerter Uterusepithelien, dann Drüsenreste, endlich unten die Muskellage. Fig. 46— 50. Flächenansichten nach frisch eröffneten Fruchtkammern, von G.R. Wagener gezeichnet. Fig. 46. Fetus von 19 Tagen auf der Plazenta liegend. Die grauen Flecke auf dieser sind die Basen der einwachsenden Zotten. die braunroten die ersten kleinen freien Häma- tome zwischen Chorion und Uterus. Fig. 47. Fruchtkammer von knapp 20 Tagen von oben eröffnet, Fetus herausgenommen. Hämatom braun. Fig. 48. Hämatom von etwa 24 Tagen mit anliegenden Teilen der Plazenta. Fig. 49. Fruchtkammer von 28 Tagen von oben eröffnet, Fetus herausgenommen. Häma- tom schieferfarben. Oben und unten am Schnittrand die Durchschnitte der Plazenta. Fig. 5o. Die Plazenten mit dem zwischen ihnen liegenden Hämatom beim Uterus von 35 Tagen. Die braunen Stellen im Hämatom sind durch Einlagerung von ungeheuren Mengen von Hämatoidin bedingt. Fig. 51. Zottenquerschnitt aus einem reifen Hämatom mit Hämatoidinkristallen im Ektoderm der Zotten. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 10 ”. Bi id h. vet rn A Ya A a! en fr by} EARLY el a rn we we BON No NDR Isa.) ERTSY das He Br su Ik Dr: EL » ee AT ei Hale ar le ut pad, ir, fndnio rhy Mi ap ! R HR x Hiper Dr zanl 5 eu a don n/a hob ar ar A A 2 uRsrE ‚n9 PB, EuPNE oa rt as Le hohe ? ai RUHR." ana En ale EN KEN Ein Web BR: nr AM ee ü une Sc a abs, “ TH “ de nr sth deu dig cr Os hr fh a rt na r f I 7 a) I vi af ee Kah ae Ei) teriRnt 1% hs u ia er “ IT Da RUE PN en era Has I 7607 Try ıy, an > 7 i Er Kanlnar Wadtlls #9 Hi f B RR za we A a u we. ® p T hin) a a! DA rat. wu a " f, ve i 2 er ve ee irn mental E MET, je TO WArmMERE ri 2 BL en Me Po I u: > v . j Y, DEE nn len Far ua? a Dead, Are ae a yertiık au aa, ML Nil alas ld ‚nd Kmıh er. ao J ! .. u Te . ir Pa a Ei U Ze ag RU 4 “ f Im Y art ‚ yu2d vn E77 BR & ‚ aut 7 . 5 f f r j , f om 1% 2 id ul te ee! ii u on, ER h ER ERTETET Prien j i BO te FR | Fir 2 hair soul a eis ah " . IR 2 e i i “ ' h 4 £ i rs f ri “18 ra bu LE. g sr ’ Aut ip N "Fir owis,.cmv rasllnslt ee . vu Fee at Re due Sl PEIT EI GR wm ‚Dir. +7 f25 « r ’ « “ } 9 Lies ns ei PR) . "MM j ns senan Su na) aa Teilen E00 * 3 k z j % r rw f j Ki H [e 4 u ine 4 il 02% | “ rd ; Fu j 3 { f Yun ı Ära tal ni ale nmel u En 5 f A . Surllbeit la Ynaht nz r FIDEL ERIEN P . Be De. WER Ns Er, vr OAHHARLEDERE + ! a ara ce a Ü j „A LEN hp u ahnen (A 6) ”; I? > N 1 h . j * TER, 5. s K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. H. Strahl und E.Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. I. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. II. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. III. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 12. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. IV. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. OR as pre N 22 \ \Qgr 989% 3 € eo); Sl @ red de € 38, H. Strahl und E.Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Tat. v. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Fig. 22. Fig. 21. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Strahl und E. H Taf. VI. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Ballmann: H. Strahl und E Taf. VII. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 27. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. VIII. 1 f = w = . x { » a £ > Fi 3 - y = ” f : N u 5 = ar = ag v U X i Zr 17? n ” nu En ie +®* RT u PER ch a ’ m a r w Ga RE u ; Dar ‚ 2 » v - Yv ai ER DaB ) Be Dir i ID. ıX IE Ü) VER u Al u - ud RE.» MEERE | h | I dar” R Y =» * j | i ’ E | N N 1 f 1 W une x ° % y u == 5 Fi} a r 5 u Lo b I ) Kilyn e).. 0 % 439% ı3 MA a . j r j } De " & al + Ar Pr K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. 1} \ Ri N ! H. Strahl und E.Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. IX. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. "X 78L ‘oAnz SNLIOMI U0A Bjuszerg pun uormyfeuokagug :unewujjeg 'q pun [years 'H ‘ge dd K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 36. Fig. 34. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. XI. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 38. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. XII. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. H. Strahl und E.Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. XIII. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 41. H. Strahl und E.Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. XIV. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 44. H. Strahl und E. Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. XV. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 4. Fig. 46. H. Strahl und E.Ballmann: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. Taf. XVI. ® se h RL eX fi > r PX * % wi yr4 { Ar A f n t y P 7 7 ) f N 1 ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR.5 EINIGE BETRACHTUNGEN ÜBER DIE ÄLTESTEN SÄUGER DER TRIAS- UND LIASZEIT VON W. BRANCA N FEB 3192) Orte LivratV_ HK BERLIN 1915 a VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1915 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE NR.5 EINIGE BETRACHTUNGEN ÜBER DIE ÄLTESTEN SÄAUGER DER TRIAS- UND LIASZEIT VON W. BRANCA BERLIN 1915 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER * wo. Eu ) 1; ae R 14 0% a Y ‚ur | ® 4 j Ban f 1 DZ u IH \ erriir " f wart na BE weltenweiter Entfernung voneinander, an der Wende der Trias- und Jura- zeit, treten uns älteste Säugetiere entgegen: im südlichen Afrika, in Mittel- europa (Württemberg) und in Nordamerika (Karolina); nicht große, statt- liche Figuren, sondern winzig kleine Tierchen, so groß wie eine Maus, höchstens wie eine Katze. Zwei ganz verschiedenen Gruppen gehören sie offenbar an; so geringfügig die bisher uns überlieferten Reste auch sind, es verrät uns das doch die Gestalt ihrer Zähne. Wenn man von dieser Gestalt der Zähne auf die Höhe der Organisation dieser beiden Tiergruppen schließen dürfte, so wären die einen, die Protodonta, niederer organisiert als die anderen, die Multituberculata. Bei den ersteren besteht das Gebiß fast nur aus den einfach kegelförmigen Zähnen, wie die Reptilien sie besitzen; nur, daß sich vorn und hinten an den Kegel bereits eine ganz kleine Neben- spitze angefügt hat; es ist also erst ein kleiner Schritt, der beide Zahn- formen voneinander trennt. Ganz anders, viel höher zusammengesetzt ist der Backenzahn der Multituberculata , er besteht aus drei, seltener zwei, Längsreihen von Höckern, deren jede drei bis fünf Höcker besitzt. Das ist wenigstens im Oberkiefer der Fall; in dem Unterkiefer haben die Backenzähne wohl immer nur zwei Reihen von Höckern gehabt. Allgemein hatte man diese beiden Tiergruppen als Säugetiere betrachtet, bis Seeley erklärte, daß hier nicht Säuger, sondern Reptilien vorlägen. Die Arbeit, in der er das von jenen bzw. nur von einem jener Protodonten erklärt haben soll, ist mir nieht bekannt; nur die, in der er den multi- tuberkulaten Tritylodon aus der Reihe der Säuger streichen will, liegt mir vor. Ich will mich daher zunächst (S. 6) mit ihr auseinandersetzen, da es sich hier um eine prinzipielle Frage handelt. 1* 4 BrANcA: Protodonta der Trias. Die überaus spärlichen und seltenen Reste der triassischen Protodonta bestehen nur in Unterkiefern, die teils bezahnt, teils unbezahnt (Karoomys) sind. In diesem letzteren Falle aber ist es ganz fraglich und nicht zu entscheiden, ob wir wirklich hier einen Protodonten vor uns haben oder etwa gar eine andere Gruppe von Säugern; denn zu den Multitubereulata scheint Karoomys nicht zu gehören. Sollte dem so sein, dann würden aus der Trias nicht nur zwei, sondern sogar drei verschiedene Gruppen von Säugern vor- liegen: die Protodonta, Multitubereulata und jene dritte Gruppe. Zwei dieser vier Gattungen sind in Nordkarolina gefunden worden, Dromatherium Emmons und Microconodon Osborn'. Die beiden anderen in Südafrika, Karoomys Broom” und Tribolodon Seeley. An drei dieser vier Gattungen ist leider das hintere Ende des Unter- kiefers nicht ganz erhalten, besonders ist das bei Tribolodon Seeley (Fig. 4) der Fall. Bei letzterem läßt sich daher gar nichts über Vorhandensein oder Fehlen eines vorspringenden und zugleich nach innen gebogenen Fortsatzes am Angulus sagen, was ja für die Marsupialier kennzeichnend ist. Bei Dromatherium Emmons (Fig. ı) ist aber das Fehlen des Fortsatzes ziemlich sicher. Microconodon (Fig. 2) besitzt zwar bei x einen kleinen Vorsprung, der aber nach unten geht und doch kein solcher nach innen gebogener hinterer Fortsatz ist. Nur Karoomys (Fig. 3) hat, ich komme sogleich darauf zurück, deutlich diesen Fortsatz. Nach der Gestalt des Unterkiefers lassen sich somit bei Absehen von Tribolodon drei verschiedene Gruppen unterscheiden: Ohne Fortsatz: Dromatherium (Fig. ı). Unterrand zudem stark gebogen. Schwacher, nicht eingebogener Fortsatz: Microconodon (Fig. 2). Deutlicher Fortsatz: Karoomys (Fig. 3). Der Kiefer ist zudem außer- ordentlich kurz, ähnlich wie bei den echten Karnivoren. Wenn nun auch leider die Backzähne fehlen, so müßte sich doch aus der Zahl der Alveolen erkennen lassen, ob die Zähne ein- oder zweiwurzlig waren. Das wäre sehr wichtig; denn soweit für andere Formen darüber Beobachtungen vor- liegen, sollen die Baeckzähne einer anderen dieser Formen (Tribolodon) nur ! Emmons. American Geology Teil VI, S.93. 94... Henry F. Ösborn, Proceedings Academy of Natural seiences of Philadelphia 1886. S. 359. 363, 3. Abb. ® Geological magazine Dee. IV, Bd. ı0, 1903, S. 345. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 5 eine einzige Wurzel besitzen, an der eine Teilung nur leise durch eine Längsfurche angedeutet ist. Diese Einwurzligkeit aber ist reptilisch, auch die Längsfurche tritt bei gewissen fossilen Reptilien auf. Auch Droma- therium soll eine Furche auf der Wurzel haben. Fig. 1. Dromatherium sylvestre Emmons. Fig. 2. Mieroconodon tenwirostris nach Osborn. Nach Stromer, Pal. II, S. 165. Fig. 142. Evolution of Mammalian Molar Teeth. S. 19, Vergr. Bio» 3, Nest. Vierer. Indesse @uch Tribolodon (Fig. 4), dessen abgebrochenes Ilinterende die Feststellung jenes ersteren Merkmales am Angulus verhindert, hat seine Figenapk, die ihn von den andern drei Formen unterscheidet und von Seeley wohl als Veranlassung genommen wurde. hier ein Reptil zu vermuten'. Die erhaltenen drei Molaren, deren drei Höcker scharfe Schneiden besitzen, Fig. 3. Karoomys Browni. !/,. Nach Broom. Geol. Mag. 1903, Fig.4. Tribolodon. Seeley. Phil. Trans. S. 345. 1894 B, Pl. 88, Fig. 6. Vergr. sind sehr hoch und durch zwei Zwischenräume getrennt, die größeren Raum als die Zähne einnehmen. Das ist allerdings ein mehr an Reptilien er- innerndes Merkmal. Die Höhe des Processus eoronoideus erinnert aber doch eher an Säuger. Alles andere ist leider zerstört. Da ist es schwer, sich ein richtiges Urteil zu bilden’. ! Beschreibung in Philosophical Transaetions 1895 B, S. 145. Abbildung in 1894 B, Taf. 88, Fig. 6 und 7. ®2 Seeley stellt auch noch andere Knochen des Skeletts zu dieser Gattung; indessen ist es ja bekanntlich oft eine sehr unsichere Sache, die Zusammengehörigkeit verschiedener Knochen zu einer Art bzw. Gattung festzustellen, wenn die Knochen nicht in ihrem ur- sprünglichen Verbande gefunden wurden. 6 BrANcA: Nach einer Angabe von Dewoletzky (s. später) soll Seeley nun auch Microconodon für ein Reptil erklärt haben, wohl weil vielleicht ein abgetrenntes Angulare vorhanden sei. Ich konnte diese Arbeit Seeleys nicht finden, auch Dewoletzky kann sie nicht zitieren. Osborn aber sagt, daß bei Dromatherium und Microconodon der Unterkiefer nur aus einem einzigen Knochen besteht', daß nichts eine Trennung in mehrere Stücke verrät; das wäre doch wieder nicht reptilisch. Unter solchen Umständen steht die Reptilnatur dieser oder gar aller dieser Formen auf sehr schwankenden Füßen. Die Paläontologie kann bei so mangelhaften Resten die biologische Frage, ob es Säuger oder Niehtsäuger waren, mit völliger Sicherheit nicht entscheiden. Ich möchte aber verweisen einmal auf meine hier folgenden Aus- führungen’, daß die ältesten Säuger notwendig an ihrem Skelett noch gewisse Reptilmerkmale besitzen mußten, so daß uns das Vorhandensein solcher nieht irre machen darfan ihrem Säuger- tum; zweitens, daß gerade ein so typisches Reptilmerkmal, wie das Zerfallen des Unterkiefers in eine Anzahl von Knochen hier fehlt (Mieroconodon?). Die Zugehörigkeit jener protodonten Formen zu den Säugern ist da- her nach meinem Dafürhalten wahrscheinlicher als zu den Reptilien. Natür- lich könnte es sich nur um Wesen handeln, die auf gleicher oder noch niedrigerer Säugerstufe gestanden hätten als die Multitubereulata; die letzteren möchte ich aber auch noch als Formen ähnlich den Monotremen ansehen. Auch Osborn spricht die Ansicht aus, daß die Protodonta eierlegend ge- wesen seien, wie die Monotremen’. Multitubereulata. Ist eine zwischen Reptilien und Säugern stehende Tierklasse denkbar? Bevor ich mich zu der Besprechung der Gattung Tritylodon wende, die Seeley aus den Reihen der Säuger zu denen der Reptilien hinüberzuziehen versucht hat, erscheint es nötig, eine prinzipielle Frage zu erörtern. In ı H.F.Osborn, Evolution of Mammalian Molar Teeth. S. 18, Anm. r. ®2 Siehe S. 7—ı6. H. F.Ösborn, Evolution of the Mammalian Molar Teeth. S. ro1. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 7 seiner Arbeit über Tritylodon! sagt Seeley auf der einen Seite (S. 1027), Tritylodon sei kein Säuger, sondern ein Reptil »was an reptil«. Auf der nächsten Seite (S. 1028) aber sagt er — und das ist, wie die Ausführlich- keit seiner Beweisführung erkennen läßt, seine eigentliche Ansicht: Tritylodon gehöre in eine zwischen Reptilien und Säugern zu stellende Gruppe. Ersteres ist natürlich diskutierbar, letzteres meiner Ansicht nach nicht, weil es eine zwischen Säugern und Nichtsäugern stehende Tiergruppe hier überhaupt nicht geben kann. Wohl ist osteologisch eine zwischen beiden Typen der Reptilien und der Mammalia stehende Gruppe denkbar; aber biologisch ist das zwischen Säugern und Nichtsäugern undenkbar. Seeley kann aber natürlich nur osteologische Gründe anführen, um dieses Biologische zu erweisen; so bei Tritylodon. das Vorhandensein eines Prä- und vielleicht auch eines Postfrontale und eines Vorsprunges am Intermaxillare. So sehr Cuviers Gesetz der Korrelation aber auch in vielen Fällen solche Beweisführung ermöglicht, in diesem Falle ist es unzulänglich. Zunächst möchte ich einen Analogiebeweis für das von mir Vertretene erbringen: Bei ganz zweifellosen Säugern, den Monotremen, besitzt der Sehultergürtel noch nicht jene Vereinfachung, die er bei den höheren Säugern gegenüber den Reptilien erlangt hat. Das Korakoid ist noch ein größerer und selbständiger Knochen, ganz wie bei Tritylodon das Präfrontale noch als selbständiger Knochen erscheint. Es ist ferner ein Präkorakoid vor- handen, dazu ein T-förmiges Episternum, auf dem die Klavikula aufliegt; die Scapula besitzt, wenigstens bei Echidna, noch keine Spina, bei Ornitho- rhynchus erst eine Andeutung davon. Alles das sind reptilische Merkmale des Skelettes, die den übrigen Säugern fehlen, und trotzdem sind die Monotremen Säuger. Aber noch weiter, ganz reptilisch ist auch heute noch bei ihnen das Fehlen der Epiphysen an den Wirbeln und die horizontale Stellung des Femur und des Humerus, nicht vertikal wie bei typischen Säugern; dazu die Bewegung der beiden Femora und Humeri beim Gehen in einer Horizontalebene, nicht aber in zwei parallelen senkrechten Ebenen wie bei typischen Säugern; endlich die Stellung der Hinterfüße nach hinten, so daß die große Zehe nach außen gekehrt ist, während bei Säugern doclı sonst die Füße nach vorn gerichtet sind, die große Zehe also innen liegt: ı H.S.Seeley, Researches on the Structure, Organisation and Classification of the Fossil Reptilia. Philosophical Transactions 1894, S. 1028, »to place Tritylodon in a group of animals intermediate between Mammals and Therioodonts«, fe) BrANcA: Eine Fülle osteologischer Reptilienmerkmale bei zweifellosen Säugern. Nun denke man sich, daß es keine lebenden Monotremen mehr gäbe, daß wir sie nur fossil gefunden hätten. Dann würde man sie wegen jener Fülle reptilischer Merkmale des Skelettes mit viel größerem Rechte für Reptilien erklärt haben, als Seeley das mit Tritylodon tun zu müssen glaubt — und wäre doch im Irrtum, es wären doch Säuger. Warum soll da Tritylodon, weil er wie Reptilien ein Präfrontale habe, kein Säuger sein? Wir kennen das übrige Skelett von Tritylodon nicht: denn daß die reptilische, Theriodesmus genannte Extremität, wie Seeley möchte, ihm zugehöre, schwebt doch völlig in der Luft. Aber selbst angenommen, daß das Skelett von Trity- lodon auch noch diese weiteren reptilischen Eigenschaften aufgewiesen haben sollte, wie das bei Monotremen der Fall ist, so wäre auch das noch eben nur ein interessanter Beweis seiner Abstammung von Reptilien, seiner osteo- logisch verbindenden Stellung zwischen Säugern und Reptilien — aber ein Säuger könnte er biologisch deswegen doch sein. Angesichts des Verhaltens der Monotremen also erweist sich Seeleys Beweisführung für Tritylodon als irreführend. Aber sie ist es meiner An- sieht nach auch ganz im allgemeinen, solange es sich eben wie im vor- liegenden Falle nur um einige osteologische Merkmale handelt. Das ent- scheidende Merkmal zwischen Säugern und Reptilien liegt doch wahrlich tiefer als in dem Auftreten oder Nichtauftreten einiger Knochen, speziell eines Präfrontale. Es liegt nicht einmal im dem viel bedeutsameren Unter- schiede, daß die Reptilien im allgemeinen Eier legen, die Säuger aber lebendige Junge zur Welt bringen; denn es gibt ja hier wie dort Aus- nahmen, die sich gegenteilig erhalten. Es liegt vielmehr noch tiefer, liegt in der Art der Bruternährung. Die Reptilmutter gibt ihrem Embryo von sich aus nur die Nährstoffe, die sich im Ei befinden. Sind diese aufgezehrt, so gibt die Reptilmutter ihrem Kinde nach dessen Auskriechen, also Geburt, keine Nah- rung mehr, die von ihrem Körper herrührte. Die Säugetiermutter dagegen reicht ihrem Kinde noch mehr oder weniger lange nach dessen Geburt ihren eigenen, in wasserreiche Nahrung ver- flüssigten Körper als Getränk; denn nach Wundt ist Milch kein bloßes Sekret «der Milchdrüse, sondern sie geht »wesentlich aus dem Zer- Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 9 fall der Drüsenzellen hervor«, stellt also »gleichsam ein verflüssigtes Ge- webe dar«'. Indessen selbst wenn diese Ansicht von dem Zerfalle der Milchdrüsen unhaltbar” sein sollte, bestehen bleiben doch die verlängerte Einwirkung des Mutterleibes und die dadurch bedingten verlängerten kör- perlichen und seelischen Einflüsse auf das Junge. Diese aber sind das entscheidende Kennzeichen der Säuger, sind also der entscheidende Neu- erwerb der Säuger gewesen in jenen alten triassischen Zeiten, nicht aber oder doch sehr viel weniger die Umwandlung des Skelettes. Ich möchte also sagen, daß die geologischältesten, niedersten Säuger notwendig in ihrem Knochenbau noch gewisse reptilische Merkmale haben mußten, weil die Umwandlung des Reptilien- skelettes zu dem der Säuger unmöglich.so plötzlich vorsich gehen konnte. Es scheint mir das geradezu eine Forderung der Logik zu sein. Die Monotremen beweisen das, da sie ja selbst heute noch viel Reptilisches an ihrem Skelett bewahrten. Hat das nun Geltung, so wird man freilich vielleicht erwidern wollen, daß folglich doch notwendig eine Zwischengruppe zwischen Reptilien und Säugern bestanden haben müsse, so daß Seeley mit der Annahme einer solchen ganz recht habe. Das würde indessen ein Trugschluß sein; denn wie oben gesagt, liegt der Schwerpunkt des Unterschiedes zwischen Reptilien und ! Wilh. Wundt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 4. Aufl. 1878, Stuttgart, S. 427. ® Bei der Milchbildung wachsen die Drüsenzellen mächtig und erzeugen in sich eine Menge Fetttropfen, die zusammenfließen und schließlich in das Lumen ausgestoßen werden. ohne daß die Drüsenzelle in der Regel dabei zugrunde geht, wie man früher annahm: Handwörterbuch der Naturwissenschaften 1912, Bd. Il, S. ı156. Vgl. auch I E. Breslau, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Mammarorgane bei den Beuteltieren. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie, Bd. IV, Heft 2, Stuttgart 1901, S. 261315. Ferner II auf S. 275—349 in Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte Bd. 19, 1909. Breslau, Der Mammarapparat, wo die reiche Literatur und ihre eingehende Würdigung sich findet, und III in Breslau, Die Entwicklung des Mammarapparates der Monotremen, Marsupia- lier und einiger Plazentalier. Ein Beitrag zur Phylogenie der Säugetiere, in: Semon, Zoo- logische Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen Archipel, Bd. IV, bei Gustav Fischer, Jena 1912, S. 651—874, 10 Tafeln, 122 Textfiguren. E. Breslau kam schon 1901 zu dem Ergebnis (a. a. O., S. 296 und S. 314), daß die Milchdrüsen bei allen Säugetieren einheitlicher Herkunft sind und sich den tubulösen Hautdrüsen anschließen. Von dem Drüsen- felde aus wuchern bei Beutlern zunächst die Primärsprossen in die Tiefe; aus ihnen gehen mächtige Haare (die später zugrunde gehen) und die dazugehörigen Talgdrüsen hervor; dann wuchern Sekundärsprossen in Form langer, unten sich verzweigender Drüsenschläuche in die Tiefe, aus denen die Milchdrüsen sich bilden. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. tv 10 BraAncAa: Säugern eben nicht im Vorhandensein oder Fehlen einiger Knochen, sondern sehr viel tiefer, in der Brutpilege der Säuger, also in dem Vorhandensein der Milchdrüsen. Wie es aber zwischen Sein oder Nichtsein kein Zwischen- sein gibt, so meiner Ansicht nach auch nicht zwischen Säugen und Nicht- säugen. ’ Freilich wird man auch demgegenüber vielleicht einwerfen wollen, daß die Milchdrüsen doch auch nieht mit einem Schlage entstanden sein könnten, daß also doch ein Zwischenstadium vorhanden sein müsse. Um (diesen möglichen Einwurf zu widerlegen, ist es daher notwendig, auf diese Verhältnisse etwas einzugehen. Die Milchdrüsen sind Hautdrüsen, wie ja «die Talg- und Schweißdrüsen es ebenfalls sind. Nun ist die Haut der Säuger (und Amphibien) freilich ebenso reich an Drüsen, wie die der Reptilien (und Vögel) arm an solchen ist. und darin liegt die Schwierigkeit; denn wie sind die Nachkommen in den Besitz von Hautdrüsen gekommen, wenn doch die Vorfahren, die Rep- tilien, (fast) keine besitzen? Letzteres ist auch sehr erklärlich: denn ein fast vollständiges Fehlen von Talg- und Schweißdrüsen in einer Haut, die von einem dichten Hautskelett knöcherner oder horniger Platten bedeckt, von der Außenwelt abgeschlossen ist, leuchtet ein. Hier würden die Aus- führungsgänge der Drüsen ja zugedeckt sein. Allerdings ist auch die Haut der Vögel, trotzdem ihr ein solches Haut- skelett fehlt, ähnlich arm wie die der Reptilien an Drüsen; eigentlich nur die Bürzeldrüse' ist hier vorhanden. Sie verhalten sich eben darin wie die Reptilien, mit denen zusammen sie nach Owen ja auch die Sauropsiden bilden: sie stoßen aber deswegen die sehr einleuchtende Erklärung doch nicht um, daß durch eine diehte Bedeckung des Körpers mit Knochen- oder Hornplatten die Bildung von Hautdrüsen zwangsweise unmöglich ge- macht wird. Nach Gegenbaur sollten bei den Monotremen die Mammardrüsen (lem Ursprunge nach von denen der anderen Säuger verschieden sein. Die zahlreichen Drüsenschläuche sind hier aus tubulösen, den Schweißdrüsen ähnlichen Hautdrüsen hervorgegangen und sind mit Haarbälgen verbunden’. Bei den übrigen Säugern sprach sich Gegenbaur für eine Entstehung der ' Gegenbaur, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere I, Leipzig 1898, S. ı16fl. ® Gegenbaur, a.a.0. 8.123, 124. S. auch Claus-Grobben, Lehrbuch der Zoologie 1905, S. 884. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 11 Mammardrüsen aus Talgdrüsen aus. Auch L. Hermann’ sagt: »Die Milch- (drüsen lassen sich als sehr vergrößerte, agglomerierte Talgdrüsen auffassen. « Anders freilich die neuere, auelı im Handwörterbuch der Naturwissenschaften vertretene Ansicht E. Breslaus (S. 9 Anm. 2), nach welcher die Milehdrüsen wohl aller, mindestens aber der plazentalen Säuger von Schweißdrüsen her- rühren sollten”. Das sind also entgegengesetzte Ansichten. Aber wie dem auch sei, ich komme darauf zurück, «das Entstehen von Milehdrüsen bei gewissen, dadurch sofort zu Säugern werdenden Reptilien kann nur dort verständ- lich sein, wo es sich um Reptilien handelte, die keine solchen llautver- knöcherungen besaßen. Die heutigen 4 Ordnungen der Reptilien besitzen nun freilich eine mit Ilautplatten bedeckte Haut und damit große Armut an Drüsen. Unter den in früherer Zeit vorhanden gewesenen 12 Ordnungen der Reptilien aber dürfte diese Drüsenarmut der Haut nicht bei allen Gruppen derselben stattgefunden haben; denn manche dieser ausgestorbenen Reptilien hatten nur an gewissen Stellen solche Platten, und manche waren sogar ganz frei davon, wie z. B. die Flugsaurier. Es wird daher, so scheint mir, jene Aussage, daß die Reptilien ganz arm” an Hautdrüsen sind, ausnahmslos nur von den lebenden gelten, von gewissen fossilen dagegen nicht. Diese letzteren werden im Besitze von Hautdrüsen gewesen sein, ganz ebenso, wie das noch heute bei den Amphibien der Fall ist. Ja man kann und mul sogar meiner Ansicht nach noch weiter gehen und sagen: diejenigen fossilen Reptilien, aus denen die Säuger hervorgegangen sind, müssen im Gegensatze zu den heute lebenden, notwendigerweise eine mit Drüsen versehene Haut gehabt haben; anderenfalls müßte man ja auf die an Hautdrüsen reichen Amphibien als Säugerahnen zurückkommen und die Hautdrüsen der Säuger sind doch von denen der Amphibien »durch eine weite Kluft getrennt«". Wenn es richtig ist, daß, wie @Gegenbaur sagt, die Talgdrüsen als phylogenetisch mit der Behaarung entstanden anzusehen sind, da sie aus einer mit dem Haarbalge gemeinsamen Anlage hervorgehen, also mit letzterem ! Lehrbuch der Physiologie, 14. Aufl., Berlin 1910, S. 608— 615. ®2 Handwörterbuch der Naturwissenschaften 1912, Bd. II. S. 1156. ° Es kommen welche vor, sie fehlen nieht ausnahmslos. ' E. Breslau, III S. 871. Siehe hier S.9 Anm. 2 bez. des Ill. 12 Branca: in funktioneller Beziehung stehen', so wird man folgern müssen: daß ent- weder — wenn nämlich die Milchdrüsen aus Talgdrüsen entstanden — die Haut der betreffenden Reptilien auch behaart gewesen sei, was aber von vielen abgelehnt werden dürfte, oder daß die Milchdrüsen eben nicht von Talgdrüsen abstammen können. Ich möchte daher etwas näher darauf eingehen: Hautdrüsen mußten also vorhanden gewesen sein, wenn Milchdrüsen aus ihnen entstehen sollten. Was hatte sich nun mit der Entstehung der Milchdrüsen an Neuem gebildet? Um uns eine Vorstellung zu verschaffen von dem Maße dieser Neu- bildung, müssen wir die Natur der Sekrete der Talg- und der Schweiß- drüsen uns vor Augen führen; dann erst läßt sich erkennen, wie viel Neues zu diesen Sekreten hinzukommen mußte, um das neuentstandene Sekret der Milchdrüsen zu bilden. Das Sekret der Talgdrüsen ist bei verschiedenen Tieren und bei einem und demselben an verschiedenen Körperstellen recht verschieden. Es be- steht keineswegs allein aus verschiedenen Fetten, die bei Haustieren z. B. nur bis höchstens 50 Prozent des Sekretes ausmachten, sondern auch aus Fettsäuren, aus anorganischen Salzen, aus Ammoniak und eiweißartigen Körpern’. Der Schweiß besteht aus ungefähr 99.1—99.7 Prozent Wasser, 0.25 bis 0.7 anorganischen Salzen, besonders NaCl, und etwa o.2 Prozent .orga- nischen Stoffen”. Die Milch besteht bei verschiedenen Haustieren aus etwa 77 Prozent (Hund) bis gı Prozent (Pferd) Wasser, 0.3 Prozent (Esel) bis 1.0 Prozent (Katze) anorganischen Salzen, 3.2 Prozent (Hund) bis 5.9 Prozent (Pferd) Milchzucker, ı.ı Prozent (Pferd) bis ı 1.9 Prozent (Hund) Fett, 1.3 Prozent (Pferd) bis 4.8 Prozent (Hund) Kasein, 0.3 Prozent (Pferd) bis 3.3 Prozent Albumin. Die Milch der Säuger ist also sehr verschiedenartiger Zusammensetzung; und wenn die Milch aller Säuger untersucht wäre, so würde man vermut- ! Wobei natürlich, worauf Gegenbaur hinweist (a. a. 0. S.ı22), nicht ausgeschlossen ist, daß sich Talgdrüsen heute auch an haarlosen Stellen finden, die aber früher mit Haaren in Verbindung gestanden haben. C. F.H. Weiß, Spezielle Physiologie der Haussäugetiere, Stuttgart 1869. S. 267. L. Hermann, Lehrbuch der Physiologie, 14. Aufl., Berlin 1910. S. 608, 615. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 13 lich noch viel größere Schwankungen erkennen, als sie bei jenen wenigen Haustieren bereits sich zeigen; und wenn man vollends die Analysen der Milch der ersten Säuger aus triassischen Zeiten besäße, so würden wahr- scheinlich neue Unterschiede erkennbar werden. Allen gemeinsam aber wäre doch wohl das Eine, der große Reichtum der Milch an Wasser. Geht man nach dem Prozentgehalte der Milch an dem Bestandteile, weleher der vorwiegendste ist, so ähnelt die Mileh mit ihren 77—91 Pro- zent Wasser natürlich mehr dem Schweiße mit rund 99 Prozent Wasser als lem Sekrete der Talgdrüsen, welches bis ungefähr 50 Prozent Fett hat, gegenüber den nur etwa 1—ı2 Prozent Fett der Milch. Aber für die Milch als Nahrungspender sind die spezifischen Bestandteile gerade umgekehrt nielıt das Wasser, sondern das Fett, Kasein und Milchzueker. Auch sind diese Stoffe, im Gegensatze zum Wasser, das aus dem Blute einfach dureh- filtriert wird, im Blut nicht oder nur in verschwindender Menge vorhanden, werden vielmehr erst in den Zellen der Milchdrüsenalveolen gebildet. Der maximale Prozentgehalt (Wasser) der Milch weist also eher auf Schweiß- drüsen hin, die Milch ist gewissermaßen ein Schweiß, der mehr oder weniger Nährstoffe enthält; der spezifische, wichtige Gehalt da- gegen knüpft, wenigstens bezüglich des Fettes, eher an Talgdrüsen. Wichtiger für die Frage nach der Herkunft dürfte indessen wohl die Gestalt der Drüsen sein. Die Frage der Herkunft der Milchdrüsen aber ist für die Paläontologie von großer Wichtigkeit: Talgdrüsen sind auf das engste mit Haaren verbunden. Sind also die Milchdrüsen, wenig- stens der plazentalen Säuger, aus Talgdrüsen hervorgegangen, so wird dadurch bewiesen, daß nieht nur sehon die ältesten Säuger, sondern doch auch bereits die Reptilien, aus denen sie entstanden sind, behaart gewesen sein müssen; denn diese Rep- tilien müssen dann schon Talgdrüsen gehabt haben. Sind die Milchdrüsen dagegen aus Schweißdrüsen hervorgegangen, so fällt diese Not- wendigkeit fort. Gegenbaur fand, daß die Milehdrüsen von Echidna und Ornithorhynchus tubulös sind wie die Schweißdrüsen, die der andern Säuger aber azinös wie die Talgdrüsen. Dadurch ergab sich die Möglichkeit des obigen Schlusses (Behaarung) und eine diphyletische Ableitung der Milch- drüsen. Das schien wenig wahrscheinlich, und neuere Untersuchungen. zu- gleich mit anderer Einteilung der Hautdrüsen, ermöglichten die Erkenntnis, 14 Branca: daß die Milchdrüsen aller Säuger monophyletisch und den Schweißdrüsen genetisch verwandte Bildungen seien. Aber auch diese Erkenntnis war ein Irrtum, wie Breslau! darlegt. Gegenbaurs Ansicht von der Diphylie be- steht zu Reeht, aber nicht bis zu dem Grade, daß «lie Milchdrüsen der Monotremen den Sehweißdrüsen, die der andern Säuger den Talgdrüsen anzuschließen seien. Sondern nur bis zu dem Grade: In beiden Gruppen sind die Milchdrüsen tubulös ebenso wie die Schweißdrüsen; aber Breslau meint, von einer indifferenten tubulösen Hautdrüsenart haben sich hier die Schweißdrüsen, dort die Milchdrüsen der Monotremen, da die der an- deren Säuger divergent entwickelt. Es sind also die Milehdrüsen der Mono- tremen nicht die direkten Vorläufer derer der anderen Säuger, sondern nur ein anderer Zweig. Damit ergibt sich also für die Paläontologie der Schluß, daß aus der Gestalt der Milchdrüsen nicht geschlossen werden darf, daß jene reptilischen Vorfahren der Säuger behaart gewesen sein müßten. Auf jeden Fall aber mußten doch die heute fast hautdrüsenlosen Reptilien, wie schon gesagt, hautdrüsenreicher gewesen sein. Da nun so- wohl der Hauttalg nicht nur aus Fett und der Schweiß nicht nur aus Wasser bestehen, sondern beide Sekrete auch noch andere, der Milch eigene Substanzen enthalten, so war in jedem der beiden Fälle mithin der Schritt nach vorwärts bei Entstehung der Milchdrüsen aus anderen Hautdrüsen doch kein so sehr großer, sprunghafter, wie das vielleicht scheinen könnte. Mit diesem Schritte aber war das Säugetier da, gleichviel ob die Umwand- lung seines Skelettes damit gleichen Schritt hielt oder nachhinkte, was letzteres mir wahrscheinlicher däucht und was auch die Monotremen be- weisen. Solange aus den Hautdrüsen der betreffenden Reptilien keine Milch- drüsen sich entwickelt hatten, solange blieben die betreffenden Tiere Reptilien. Sobald aber zum ersten Male Milch in gewissen dieser Drüsen erzeugt ward, die den Jungen als Nahrung diente, war damit plötzlich der Säuger entstanden. Für dieses Kriterium war es ganz gleichgültig. welches der Knochen- bau, der Gang und das Äußere dieses Tieres waren, ob es noch gewisse reptilische Eigenschaften besaß oder nicht, war es gleichgültig. welche ! Breslau Il S. 322. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 15 Zusammensetzung dieser so entstandene Nahrungssaft zunächst hatte, ob er etwa (bei Entstehung aus Talgdrüsen) zunächst fettreicher, stickstoff- und wasserärmer, oder ob er etwa wässeriger (aus Schweißdrüsen) war, ob er also noch «dem ziemlich unähnlich war, was wir heute als Milch be- zeichnen. Denn selbst heute noch ist ja die Milch der verschiedenen Säuger bekanntlich von verschiedener Zusammensetzung (s. oben); war es ferner gleichgültig, ob das Milchdrüsenfeld anfangs noch klein war, wie das ja heute noch bei den Monotremen der Fall ist, gleichgültig, ob die Mündung des Ausführungsganges dieser Milehdrüse in einer Zitze mündete oder ob eine solehe, wie heute noch bei den Monotremen, fehlte, ob die Jungen diese »Milch« gleich von Anfang an selbsttätig sogen oder ob die Mutter die Fähigkeit besaß, mittels einer Portion des Musculus transversus, die an den Mammardrüsen endete (also’vielleicht wie heute noch bei Monotremen), selbst die Milch herauszudrücken, gleichgültig, ob diese Säugetiermutter schon verhältnismäßig reichlich Milch gab oder erst ganz wenig, ob dieses Milchgeben längere Zeit andauerte oder zunächst bald versiegte. ob schon vor der Ausbildung von Milchdrüsen zunächst erst eine Hautfalte' entstanden war, in der die Mutter das von ihr gelegte Ei barg wie bei Kchidna, so daß die Entstehung der Milchdrüse das Sekundäre war. Alles das sind mehr nebensächliche Dinge. Die Hauptsache ist: so- bald einmal eine eilegende Reptilmutter in Hautdrüsen einen milchähnlichen Nahrungssaft erzeugte und ihr Junges ihn trank oder leckte, war plötzlich das erste Säugetier entstanden, gleich- viel, ob diese »Mileh« schon so dem Schweiße unähnlich, d.h. schon so gehaltreich war, daß das Junge nun allein von ihr sieh ! Breslau (III, S. 830 usw.) kommt zu dem Ergebnis, daß das Marsupium der Beutler nicht ein Abkömmling des Echidnabrutbeutels sein kann, sondern erst innerhalb der Beutler entstanden sein muß. Das Erscheinen des Beutels bildet also den letzten Akt in der Stammes- entwieklung des Mammarapparates. Aber die divergente Entwicklung der Mammarorgane bei Marsupialiern und Monotremen deutet doch auf eine Entstehung aus gemeinsamer Grund- lage (Breslau III, S. 858), den »Primäranlagen« oder »Brütanlagen«. Monotremen und Marsu- pialier müssen danach also aus gemeinsamen Vorfahren (Prototheria) auf divergenten Wegen hervorgegangen sein; dagegen findet die Ansicht, daß die Marsupialier degenerierte Plazentalier seien, keine Stütze. Aber umgekehrt auch an eine direkte Abstammung der Plazentalier von den Marsupialiern darf nicht gedacht werden. Alle drei Gruppen (a. a. O. S. 869) sind vielmehr »eollaterale Äste« des Säugetierstammes, und nur die Stelle ihrer Abzweigung liegt bei Monotremen und Marsupialiern der Wurzel näher als bei Plazentaliern. 16 Branca: ernähren konnte, oder ob es neben dieser vielleicht gehaltarmen »Milch« noch anderer Nahrung bedurfte. Notwendig müssen wir uns also vorstellen, daß diese geo- logisch ältesten Säuger der Triaszeit nicht nur noch gewisse reptilische Merkmale in ihrem Knochenbau besaßen, wie das ja selbst heute noch nach Jahrmillionen bei Monotremen der Fall ist, sondern daß sie diese letzteren sogar noch an reptilischen osteologischen Merkmalen überboten, daß sie ferner auch in ihrer äußeren Erscheinung den Reptilien ähnlich waren, so z. B. auch in ihrem Gange, wie heute noch die Monotremen: Ober- arme und Oberschenkel nicht vertikal, sondern horizontal aus dem Rumpfe herauswachsend und in einer Horizontalebene sich bewegend, nicht wie bei heutigen Säugern in zwei parallelen vertikalen Ebenen. daß sie wie die typischen Reptilien (und heute noch die Monotremen) Eier legten, daß sie das Ei in einer Hautfalte' bargen, in der dann auch das ausgekrochene Junge lag, daß der Ausführungsgang der Milchdrüse nicht in einer Zitze mündete, daß das Milchdrüsenfeld eine solche Lage hatte, daß das Junge von der Falte aus die »Milch« erreichen, sie lecken oder in den Mund sich spritzen lassen konnte, daß endlich eine Kloake und niedere Körper- tempratur vorhanden waren, daß jedoch noch keine Zahnlosigkeit, welche die heutigen Monotremen erst erwarben, herrschte”. ! Breslau (II, S. 292) ist der Ansicht, daß der Mammarapparat — wozu noch viel anderes gehört als nur die Milchdrüse — nicht erst innerhalb der Säuger als völlig neue Ein- richtung aufgetreten sei, sondern im engen Anschluß an uralte, im Dienste der Brutptlege gestandene Zustände bei den eierlegenden Vorfahren der Monotremen, die noch nicht Säuger waren. Sie bebrüteten ihre Eier mit Hilfe paariger, an der Bauchseite gelegener primitiver Brutorgane, die zunächst nur den Zweck hatten, dem Ei Wärme zu gewähren. Diese Brüt- organe verhinderten die Ausbreitung der Hautmuskulatur über die von ihnen beherrschte Gegend. So entstand ein medianes muskelfreies Bauchhautfeld, das sich einsenkte und zur Bergestelle des Eies wurde. Durch reiche Versorgung der dortigen Drüsen mit Blutgefäßen wurden diese Drüsen zur stärkeren Sekretion geeignet gemacht, und als dann das noch ganz unentwickelt die Eischalen verlassende Junge der Ernährung durch die Mutter bedurfte, war für die Befriedigung dieses Bedürfnisses bereits gesorgt (vgl. Breslau III, S. 860). Sobald aber diese Ernährung durch Milch eintrat, war meiner Auffassung nach das erste Säugetier da, gleichviel wie es aussah; und alles, was vorher war, wenn man es auch Prototheria nennen will, war eben noch ein Nichtsäuger, also ein Reptil, wenn auch ein hochentwickeltes, ebenso wie jene ältesten Säuger niedrig entwickelte Säuger waren. 2 Zweifellos sind dann an der weiteren Ausbildung und Vervollkommnung der Milch- drüsen entweder das Sichselbstmelken der Mutter mittels jener Portion des Museulus Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 17 Eine Zwischengruppe, wie sie Seeley will, zwischen Reptilien und Säugern ist daher meiner Ansicht nach eine Unmöglichkeit; man kann nur von niedrigststehenden Säugern oder von höchststehenden Reptilien sprechen, nicht aber von einem Zwischending beider. Wie sollten sich denn diese Zwischenformen verhalten? Säugten sie oder säugten sie nicht? Im ersteren Falle waren sie Säuger, im letzteren Reptilien. Beides zugleich, Säuger und Nichtsäuger, das war doch unmöglich. Die Sache liegt hier eben ganz anders als z.B. bei Archäo- pteryx, weil zwischen Reptilien und Vögeln nicht ein derartiger Abgrund gähnt wie zwischen Reptilien und Säugern. In den Vögeln hat die Natur das Schwerste geleistet, was sie körperlich leisten konnte: die Überwindung der Schwere, das Vermögen zu fliegen. Aber bei den Reptilien hat sie, freilich nicht dem erlangten Vollkommenheitsgrade nach, ganz dasselbe geleistet; die Flugsaurier geben uns Kunde davon'. Ob das Fliegen ver- mittels der Flughaut oder der Federn geschieht — ein Fliegen ist es in jedem Fall. Archäopteryx vollends verwischt aber die Grenze zwischen Reptilien und Vögeln völlig; denn nach den neusten Untersuchungen Torniers?, die sich auf erneute Präparation des Skeletts stützen, läßt sich, so scheint es transversus oder später die Jungen durch ihr Saugen sehr stark beteiligt gewesen. Es ist bekannt, daß man selbst noch junge und nicht trächtige weibliche Rinder trotzdem zur Er- zeugung von Milch bringen kann, wenn man täglich längere Zeit hindurch am Euter die Melkbewegungen vornimmt, also die Milchdrüsen zur Tätigkeit reizt. Aber selbst ohne solche Reizung und selbst in frühester Jugend kann die Milch- sekretion beginnen. Ein zwei Wochen altes Fohlen gab, wie Dayot mitteilt, bereits Milch; und Hammon beobachtete ebenso an einem neugeborenen Fohlen, daß die Milch von selbst ausfloß (Receuil de Medecine veterinaire 1854 und 1858, S. 311). Bei anderen Fohlen hatte das Euter 3—6 Tage nach der Geburt die Größe eines Schafeuters und gab etwa 4 Wochen lang verhältnismäßig viel Milch (ebenda 1867, Juli). Ein drei Monate altes Lamm gab in gleicher Weise Milch, wie Mazure berichtet (Tijdschrift voor de Geneeskunde, Leyden 1852). Alles nach €. F.H. Weiß, Spezielle Physiologie der Haussäugetiere, Stuttgart bei Metzler 1869, S. 525 und 526, Anm. Aber auch bei männlichen Tieren, die ja ebenfalls, aber sehr kleine Milchdrüsen haben, können diese ausnahmsweise so stark ausgebildet und tätig sein, daß man sie melken kann, wie das bei Ziegenböcken, Hammeln und Bullen beobachtet worden ist. Bei Lepus Bairdii im Felsengebirge soll das Männchen sogar regelmäßig Milch geben. ' W. Branca, Fossile Flugtiere und über den Erwerb des Flugvermögens. Abhandl. «d. Berl. Akad. d. Wiss., Berlin 1908, S. 1—49. ® Tornier, Abhandl. d. Berl. Akad. d. Wiss., Berlin 1915, wird erst gedruckt werden. Hr. Kollege Tornier faßt A. auf als neben den Vögeln stehendes Reptil. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. > 18 Branca: fast, bei Archäopteryx überhaupt eigentlich nicht sagen, ob sie ein Vogel war oder ein Reptil, da sie ein fast vollständiges Reptilskelett besaß und unfähig zum’ Fliegen und zum zweifüßigen Gehen war. Sie ist also ent- weder aufzufassen als ein Reptil, und dann würde sie hier eine neue Ordnung bilden, die allen andern 12 ehemaligen Ordnungen gegenüber- stände, die der »gefiederten Reptilien«! Oder sie ist ein Vogel, und dann bildet sie eine ganz neue, noch. viel schärfer von den Vögeln ge- schiedene Abteilung, die der »Schwebevögel«, die nur vierfüßig von Ast zu Ast springen und dann schwebend abfahren konnten, wobei sie den langen, oben und unten (nicht an den Seiten) gefiederten Schwanz, wie ein Fisch seine senkreehtstehende Schwanzflosse, als Seitensteuer benutzten. Die Grenze zwischen Reptilien und Vögeln ist damit völlig über- brückt; Huxleys Zusammenfassung beider als Sauropsiden erscheint nun durch Torniers schöne Untersuchung durchaus gerechtfertigt. Aber zwischen Säugern und Reptilien gibt es keine Brücke, die den oben betonten, tief- ereifenden Unterschied des Säugens überbrücken könnte. Damit erledigt sich Seeleys eigentliche Ansicht von der Zwischengruppe zwischen Säugern und Reptilien für Tritylodon. Es bleibt uns somit nur die Wahl, ob wir Tritylodon zu den Säu- gern stellen wollen, wie das anfangs von Owen geschah und wo- hin ihn auch heute noch Zittel, Stromer, Abel, Osborn u.a. stellen, oder zu den Reptilien, wie das Seeley' wenigstens auf der einen Seite seiner Arbeit tat, und wie das auch von Smith Woodward’ geschah. Auch letzterer sprach sich dahin aus, daß Tritylodon sehr wahrscheinlich zu den anomodonten Reptilien gehöre und daß auch die isolierten Zähne, die in der Trias Europas als Mikrolestes beschrieben sind, eben dahin zu stellen seien. Dahingegen will wenigstens Smith Woodward geologisch jüngere multitubereulate Formen wie Stereognathus als möglicherweise Säuger auffassen, und als fast sicher läßt er das für die Familie der Plagiaulacidae und vollends für die der großen Polymastodontidae aus den Puerco beds gelten. Von letzteren kennt man Teile des Skelettes, die auf ein Tier von dem Umfange eines großen Känguruhs schließen lassen. ı H.G.Seeley, Researches on the Structure, Organisation and Classification of the fossil Reptilia. Philosophical Transactions 1894, S. 1025. 2 Smith Woodward, Outlines of Vertebrate Paleontologie for students of Zoology. Cambridge 1898, S. 154 und 248. Tinige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 19 Owen dagegen berührt diese große Schwierigkeit gar nicht, die sich daraus ergibt, daß die Multituberculata bis in die ältere Tertiärzeit hinein gelebt haben, und daß diese jüngeren Formen doch wohl niemand als Reptilien ansprechen wird, während es nach Öwen und Smith Woodward (die älteren sein sollen. Damit würde die Ordnung bzw. Unterordnung der Multitubereulata auseinandergerissen, die geologisch älteren würden als Rep- tilien, dig jüngeren als Säuger erklärt. Das wäre natürlich möglich in An- betracht der oben (S. 6—19) besprochenen Tatsache, daß zu irgendeiner Zeit einmal Milehdrüsen entstanden und dadurch aus Reptilien Säuger ge- worden sein müssen. Aber es fehlt jeder Beweis für die Richtigkeit obiger An- nahme; die Milehdrüsen können ebensogut bereits in der Trias- zeit entstanden sein wie erst in jüngerer Zeit, und die Milch- drüsen sind das entscheidende Merkmal, nieht der Knochenbau. Die Paläontologie ist eben außerstande, diese biologische Frage sieher zu beantworten, die einem lebenden Tiere gegenüber sofort sich beantworten ließe. Darum sollte man eine solehe Auseinanderreißung der Multitubereulata in Reptilien und Säuger als unfruchtbar unterlassen, und da nun die geologisch jüngeren Formen der Multituberculata sicher Säuger waren, so sollte man auch die geologisch älteren Formen dabei belassen. Tritylodon, Triglyphus, Reptil oder Säuger? Zuerst in Schwaben, bei Stuttgart, hat man die als Triglyphus be- schriebenen Zähnchen gefunden, dann in Südafrika den mit sehr ähnlichen Molaren versehenen Schädelteil, den Owen als Tritylodon benannte und mit Triglyphus für ident ansah. Triglyphus. (Fig. 5a, b, c.) Die von OÖ. Fraas beschriebenen Zähne von Triglyphus' stammten aus dem Bone bed des Rhaet, südlich von Stuttgart, bei der Schlößlesmühle auf den Fildern. Diese winzigen Molaren (Fig. 5a u. c) mit 3 Höckerreihen werden von Lydekker mit Tritylodon direkt identifiziert” und die hier bei- ! O.Fraas, Vor der Sündilut, Stuttgart 1866, S. 215. Fig. 77: 2 ® R.Lydekker, Catalogue fossil Mammals S. zor. au Branca: gegebene Zeichnung läßt in der Tat erkennen, daß Triglyphus ganz wie Tri- tylodon, also anders als Microlostes (Fig. 16), 3 über die Kaufläche verlaufende Höckerreihen besaß, die durch 2 Furchen getrennt waren. Nur durch ge- ringere Größe unterschied sich die Kaufläche der deutschen Form von der afrikanischen. Eine Identifizierung scheint mir aber trotzdem allzu gewagt. Ein auffallendes Merkmal, das bisher meines Wissens noch nicht her- vorgehoben wurde, bietet zudem (Fig. 5b) die Unterseite des Triglyphus- zahnes dar': Es fehlen nämlich die Wurzeln. Das würde 7 "vers, Nichts besagen, sie könnten abgebrochen sein. Indessen i es fehlt auch jede deutliche Bruchstelle der Wurzeln. Allerdings lassen sich am Rande einzelne kleine, anschei- nende Bruchflächen erkennen; aber Bruchflächen zweier 4 großer Wurzeln oder auch nur einer sind das nicht. Leider sind die Zähne, wie schon O. Fraas be- richtet, auf unerklärliche Weise” verschwunden. Ich bin daher auf Vermutungen angewiesen. Die Abbildung er- Unter- weckt den Eindruck, als habe man hier von Natur wurzel- seite verer. lose Zähne vor sich, die, nicht in Alveolen steckend, nur Fig. 5. Triglyphus nach am Knochen angewachsen waren, wie das ja bei Fischen O.Fraas. Vor der Sünd- flut, S. 215, Fig. 77, 0., u. der Fall ist, aber auch noch bei Reptilien vorkommt. In- dessen auch bei Reptilien würde man doch wohl immer- hin ein Wurzelende erwarten müssen, und ein. solches fehlt anscheinend hier gänzlich: es ist nur die Krone vorhanden. Man könnte daher eher an eine Erscheinung denken, wie ich sie beob- achtet habe an Anthropomorphenbackzähnen aus dem Bohnerz der Schwä- bischen Alb. Diese’ sind zum Teil in der Weise erhalten, daß nur ihre Schmelzkappe vorliegt, während das ganze Zahnbein im Inneren derselben und auch die Wurzeln fehlen. Eine solche Erscheinung könnte zwei Er- klärungen finden. Entweder könnte die weniger widerstandsfähige Dentinmasse der Ver- witterung zum Opfer gefallen sein, so daß nur die Schmelzkappen der Molaren übriggeblieben wären: oder es könnte das Dentin noch gar nicht ! Fie.77 u. bei ©. Kraas. 27 R-3.0. Anm: W.Branca. Die menschenähnliehen Zähne a. d. Bohnerz der Schwäbischen Alb. Jahreshefte d. Vereins f. Vaterländ. Naturkunde, 1898, Jahrg. 54, S. 1—114. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 2] 4 \ | gebildet gewesen sein, so daß nur die aus Schmelz bestehenden Keime der Zähne hier erhalten werden konnten. Hierbei wäre jedoch bemerkenswert, daß diese »Schmelzkeime« nicht etwa nur dünn, sondern bereits ebenso diek sind, wie die Schmelzkappe eines völlig ausgebildeten Zahnes ist, aus der man das Dentin herauspräpariert hätte. Für diese Zähne mußte ich damals beides als richtig annehmen; denn einige von ihnen zeigten bereits Abkauungsflächen: es waren also schon fertige Zähne gewesen, aus denen das Zahnbein mehr oder weniger weggewittert war. Andere zeigen da- gegen nicht die geringste Spur von Abkauung und zugleich nicht die geringste Spur von Zahnbein in der Schmelzkappe. Diese letzteren erklärte ich für Zahnkeime. Ich habe indessen nie ein leises Gefühl des Unbehagens los- werden können, weil die Schmelzkappe bei diesen Zahnkeimen ganz ebenso diek war wie die bei den fertigen Zähnen. Es war also nötig, anzunehmen, daß bei dem Keimzahn zunächst nur Schmelz erzeugt wird, so lange bis die volle Dieke des Schmelzes erreicht ist, und dann erst das Dentin. Hr. Dr. Richard Landsberger in Berlin, dem ich für seine Liebens- würdigkeit hier verbindlichsten Dank aussprechen möchte, bestätigte meine Frage dahin, daß in der Tat zuerst sich die Schmelzkappe voll bildet und dann erst die Dentinbildung einsetzt, wenn auch schon beim Embryo an dessen Milchzähnen das Dentin etwas vorgebildet ist. Üs wäre also für den Triglyphuszahn beides möglich: entweder daß der Triglyphuszahn ein Keim wäre, oder daß er die Schmelzkappe eines fertigen Zahnes wäre, dessen Wurzeln abgewittert und bei dem auch aus dem Inneren der Schmelzkappe das Dentin herausgewittert war. Beide An- nahmen würden die Wurzellosigkeit erklären, über die auffallenderweise nichts berichtet wird. Tritylodon. (Fig. 6, 7, 8, 9.) Der Schädel von Tritylodon' hat jederseits 6 Backzähne, von denen man vielleicht die vorderen 2 als P, die hinteren 4 als M deuten darf; doch weiß man nichts über den Zahnwechsel. Die Kaufläche der P ist so zerstört, daß man sie nicht genau erkennen kann. Diejenige der M zeigt ' Vel. Owen, Tritylodon in (uarterly journal of the Geological society Vol. 40, S. 146. Taf. 6. 23 BrAnNcA: 3 Längshöckerreihen, geschieden durch 2 Längsfurchen; die äußere Reihe! hat nach Zittel 2 Höcker, die innere 2—3, die mittlere 4; Lydekker dagegen sagt, daß jede Reihe gewöhnlich 3 Höcker habe, doch scheint seine Figur 330, S. 201 in der Mitte 4 Höcker zu zeigen, ebenso die kleine Figur darunter in natürlicher Größe. Immerhin wird das bei den verschiedenen 5) Fig. 6. Tritylodon longaevus nach Owen. Fig. 7. Tritylodon longaevus nach Owen. Quart. Journ. Geol. Soe. Vol. XL, Pl. VI. Quart. Journ. Geol. Soe. Vol. XL, Pl. VI. Molaren verschieden sein können. Jedenfalls ist nicht wie bei Microlestes (Fig. 7) ein Höcker der Außenreihe bzw. Innenreihe durch Größe hervorragend. Man meinte früher, daß das geologische Alter von Triglyphus und Tritylodon dasselbe, obertriassische sei. Indessen nur der schwäbische Triglyphus besitzt dieses Alter; der afrikanische Tritylodon soll nach neueren Untersuchungen etwas jüngeren Alters sein. Er ist gefunden, wie Hr. Schwarz, Grahamstown, in einem mir freundlichst zur Verfügung ge- stellten Briefe an Hr. Edwin Hennig bestätigt, in den Red beds der ! Zittel, Handbuch der Paläontologie Bd. 4. S. 76. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 25 Stormbergschichten, und die liegen über den rhätischen Molteno beds und werden nun zum Lias gerechnet. Ebenso stellen auch Rogers und Du Toit' die Red beds in den unteren Jura. Freilich fügen sie hinzu »but fossils are rare«; ob trotz dieser Seltenheit die Altersbestimmung als liassisch eine völlig gesicherte ist, läßt sich von hier aus nicht erkennen. Die Molteno beds, die unter den Red beds liegen, gehören allerdings nach Feistmantels Untersuchung ihrer Pflanzen dem Rhät an. Aber schließt mit ihnen sicher das Rhät schon ab? Ein Wechsel in der petrographischen Beschaffenheit bei mangelnden Fossilien kann unter Umständen ‚ja die Ver- Fig. 8. Tritylodon longaerus. Quart. Journ. Geol. Soe. Vol. XL, Pl. V1. anlassung werden, eine Grenze irrtümlich bereits da zu ziehen, wo der Wechsel stattfindet, während sie in Wirklichkeit erst höher inmitten jener petrographisch anders gearteten zweiten Ablagerung verläuft. Ein Urteil darüber ist hier unmöglich; auch bei unterliassischem Alter der unteren Red beds ist der Altersunterschied zwischen Triglyphus und Tritylodon immerhin kein sehr großer. Aber er besteht dann doch, und unser ältester Säugetierschädel ist dann seines triassischen Alters beraubt und Tritylodon ist somit liassischen Alters. Ich habe schon (S. 7) gesagt, daß Seeley in seiner Arbeit über Tritylodon auf der einen Seite (S. 1027)” sagt, daß diese Form kein Säuger, sondern ein Reptil sei, »was an reptil«, auf der nächsten Seite (S. 1028) ! Geology of Cape Colony, New York bei Longmans, Green & Üo. 1909, S. 243. 2 H.G. Seeley, Researches on the Structure, Organisation, and Classification of the fossil Reptilia. Philosophical Transactions 1894, Taf. 89, Fig. 15, S.1025 II. Tritylodon longaevus. 24 BrRANcA: jedoch etwas völlig anderes aussagt, nämlich daß Tritylodon einer zwischen Reptilien und Säugern stehenden Tiergruppe, d.h. doch Tierklasse, ange- höre »to place Tritylodon in a group of animals intermediate between Mammels and Therioodonts.« Und weiter habe ich ausgeführt, daß letz- teres aus prinzipiellen Gründen abzulehnen sei, so daß nur ersteres in Frage kommen könne. Ich werde also im folgenden nur die Frage zu er- örtern haben, ob man Tritylodon mit Recht für ein Reptil erklären könne. Seeley stützt seine Ansicht auf das, wie er sagt, schon aus Owens Zeichnung des Schädels hervorgehende Vorhandensein eines Präfrontale »a reptilian character unknown among Mammals«'. Dieses Präfrontale be- grenze zusammen mit einem angeblich vorhanden gewesenen, jetzt weg- gebrochenen Postfrontale, das Seeley aus einer Naht erkennen zu können glaubt, obgleich von dem Knochen selbst nichts zu sehen sei, die Orbita, so daß wie bei den theriodonten Reptilien das Frontale von der Begren- zung der Orbita verdrängt werde. Auch die Gestalt des Schädels schließe sich der des Theriodontenschädels eng an bis auf kleine Unterschiede, be- sonders die größere senkrechte Höhe bei Tritylodon. Demgegenüber habe nun aber Tritylodon die multitubereulaten Mo- laren, »such as are only known in Mammals«, und die gerade, nicht ge- bogene Richtung der Zahnreihe. Daher kommt Seeley dann zu dem oben wiedergegebenen Schlusse, daß Tritylodon weder Reptil noch Säuger sei. Präfrontale. Uns stehen in Europa nur Gipsabguß und Abbildungen von Tritylodon zu Gebote; aber diese lassen doch vieles erkennen. Die Naht des Präfrontale gegen das Frontale ist überaus deutlich; sie fällt aber durch ihre absonderliche, furchenartige Breite (Fig.7) auf. Hr. Kollege Tornier machte darauf aufmerksam, daß sie, so wie sie sich am Gipsabguß darstellt, der aber darin sicher der Natur entspricht, weniger an eine Naht, sondern an jene durch den Austritt von Blutgefäßen bedingte Furche erinnere, wie sie z.B. bei manchen Üerviden an dieser Stelle siehtbar ist. Diese Breite der oberen Naht könnte man vielleicht aber auch erklären wollen als se- kundär entstanden, durch ein Wegsaecken, ein Sichablösen des Präfrontale vom Frontale des Schädels. Im Innern der linken Orbita (Fig. 8) sieht man ebenfalls deutlich eine scheinbare »Naht«; auch sie klafft ebenso wie die obere weit, erinnert aber Aa, 10275 Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 25 in ihrem Verlaufe eher an eine etwas zackige Bruchlinie. Sie ist nur in der linken Orbita erkennbar; wogegen jene obere Naht oben auf dem Schädel über beiden Orbiten erkennbar ist. Falls diese untere »Naht« wirklich nur eine Bruchlinie sein sollte, wie ich meine, dann könnte man dadurch auf den Gedanken gebracht werden, daß hier überhaupt kein Präfrontale, kein selbständiger Knochen, sondern der durch den Gebirgsdruck vom Frontale abgedrückte Oberrand der Orbita, also ein Teil des Frontale, vorliege. Mit einer solchen An- nahme wäre indessen die Übereinstimmung des Verlaufes der oberen Naht jederseits über beiden Orbiten schlecht vereinbar: denn dann müßte über beiden Orbiten ein ganz gleich großes Stück des Oberrandes der Orbita abgebrochen sein, mit gleichem Verlaufe der oberen Bruchlinie. Das ist nicht wahrscheinlich; das Vorhandensein eines großen Prä- frontale jederseits ist an diesem Schädel mithin doch das Richtige. Be- merkenswerterweise zeigt sich auch vorn an der Schnauze die Naht zwischen Prämaxillare und Maxillare ganz ebenso furchen- artig breit wie jene zwischen, Präfrontale und Frontale; das Furchenartige der letzteren darf daher nicht irremachen. Von einem von Seeley vermuteten Postfrontale ist dagegen nichts zu erkennen; weder auf dem Gipsabgusse noch auf den Abbildungen kann ich die Naht sehen, aus der Seeley auf das ehemalige Vorhandensein auch eines Postfrontale schließen will. Dieses erscheint mir daher ganz hypothetisch, denn man muß doch bedenken, daß es ein an dieser Stelle zerbrochener versteinerter Schädel ist, an dem man leicht eine Bruchlinie für eine Naht ansehen kann. Aber wenn nun auch wirklich an einem der geologisch ältesten Säuger- schädel ein Präfrontale und selbst auch ein Postfrontale vorhanden wären, die an heutigen und an den uns bekannten fossilen Säugerschädeln fehlen — denn gerade von den ältesten Säugerschädeln kennen wir ja außer dem von Tritylodon nichts —, so müßten wir doch die schon oben verneinte (S.6—17) Frage aufwerfen, ob das ein genügender Grund wäre, hierauf eine neue, zwischen Säugern und Reptilien stehende Gruppe zu begründen. Wir haben (S. 9) gesehen, daß bei einer fossilen Form von hohem geologischen Alter das Auftreten oder Fehlen einiger Knochen grundsätz- lich unmöglich entscheidend sein kann für oder gegen Zugehörigkeit zu Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. E) 26 Branca: den Säugern oder Reptilien, zumal nieht, wenn das Skelett nur in so dürftigen Resten bekannt ist, wie bei Tritylodon. Aber die Sache liegt im vorliegenden Falle noch sehr viel einfacher, da Seeley. als er jene Arbeit schrieb, noch nicht wußte, daß das Prä- frontale ja den Säugern gar nicht fehlt, sondern ihnen ganz wie den Reptilien zukommt. Gaupp' hat in einer ausführlichen Arbeit gezeigt, daß das Präfron- tale der Sauropsiden keineswegs den Säugern, einschließlich des Menschen, fehlt. Es ist vielmehr auch bei diesen vorhanden, nur trage es hier irr- tümlich den Namen Laerimale. Das Präfrontale der Sauropsiden sei ganz ebenso ein dem hinteren Abschnitte der Nasenkapsel angelagerter Deck- knochen, wie das sogenannte Laerimale der Säuger einen Deekknochen dar- stelle, der außen am hinteren Abschnitt der Nasenkapsel liegt’, und lateral liegt hier wie dort der Tränenkanal. Als hauptsächlieher Beweisgrund diente Gaupp das Verhalten der betreffenden Knochen zum Primordial- kranium: das Laerimale der Säuger zeige als Deckknochen der Nasen- knorpel »viel mehr Übereinstimmung mit dem Reptilienpräfrontale als mit dem sogenannten „Lacrimale‘‘« derselben. Sehon vorher hatte auch Jaekel” kurz derselben Überzeugung Aus- druck gegeben, daß das Säugerlacrimale dem Reptilienpräfrontale entspreche:; er hatte das Reptilienlacrimale darum Postnasale benannt. Gegen diese Bezeichnung wendete sich Gaupp aus dem Grunde. weil sie wörtlich einen Knochen bedeutet, der hinter dem Nasale liegen sollte, was aber nicht der Fall ist, weder bei den fossilen noch bei den rezenten Formen. Gaupp schlug daher die Bezeichnung Adlacrimale vor. Das ist natürlich ein Nebensächliches. In der Hauptsache stimmen beide Forscher überein, und damit erscheint die Anschauung Seeleys bezüglich der Reptilnatur des Tritylodon auch nach dieser Rich- tung hin auf einen Irrtum gegründet, soweit sie sich eben dem Wortlaute nach auf das Vorhandensein eines Präfrontale stützt. ' E.Gaupp, Das Laeriınale des Menschen und der Säuger und seine morphologische Bedeutung. Anatomischer Anzeiger von v. Bardeleben, Jena Bd. 36, 1910, S. 529—555; wo die betreffende Literatur sich findet. 2 A.a.0. S. 542, 543. OÖ. Jaekel, Über den Schädelbau der Nothosauriden, Sitzungsber. Ges. Naturforsch. Freunde in Berlin 1905, S. 60—84, 8 Figuren. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 27 Die Sache bleibt auch ungefähr dieselbe, wenn Gaupps und Jaekels Deutung eine unrichtige sein sollte. Nach freundlicher Mitteilung des Hrn. Kollegen Tornier. die dieser noch nicht veröffentlicht hat, liege nämlich die Sache so, daß das Lacrimale der Säuger doch durchaus dem Lacrimale der Reptilien entspreche. Das Präfrontale der Reptilien (und Fische) dagegen sei = ein seitliches Ethmoid, das Ektethmoid, und bei den Säugern sei es auch vor- handen, aber verwachsen mit dem Mesethmoid, der Lamina perpendieularis'. Wenn somit die Sache in dieser Hinsicht, d.h. was das Vor- kommen der Präfrontalia auch bei Säugern betrifft, klar zu sein seheint, so entsteht doeh durch zwei Umstände wieder Unklarheit: Erstens, weil die Lage dieses Präfrontale bei Tritylodon, vorn — oben an der Orbita, immerhin mehr so ist wie bei Rep- tilien als wie bei Säugern. Zweitens, weil nach Owen und nach Seeley Tritylodon außer dem Präfrontale auch noch ein Lacri- male besitzen soll”. Ich vermag mir in dieser letzteren Beziehung leider kein eigenes Ur- teil zu bilden: am Gipsabguß des Tritylodonschädels sind doch andere Nähte, des Präfrontale und des Intermaxillare. auf das deutlichste zu er- kennen. Von der Naht eines Lacrimale aber ist nichts zu sehen. Auch auf den von Owen und Seeley gegebenen Abbildungen sind Nähte, ver- möge deren man die Umgrenzung eines Lacrimale erkennen könnte, absolut nicht zu sehen. An der linken Orbita läßt sich am Gipsabgusse allerdings eine rundliche Vertiefung erkennen, die das Foramen lacrimale sein mag. Indessen ist dureh das Vorhandensein «dieses Foramen doch noch keines- wegs auch «as Vorhandensein eines durch Nähte abgetrennten lacrimalen Knochens erwiesen; ein solcher könnte ja mit den umgebenden Knochen verschmolzen bzw. in einem derselben aufgegangen sein. Wie verworren die Sache ist. geht daraus hervor, daß vier Autoren nieht zu einem übereinstimmenden Urteile gelangen können, sondern zu recht verschiedenen. Nach ihren Angaben ist die Orbita bei Tritylodon begrenzt: ! Bezüglich des Lacrimale der Sauropsiden führt Gaupp die Vermutung Siebenrocks an. daß es (speziell bei Agamidae) nichts anderes als das vordere, losgetrennte Stück des Jugale sei (Gaupp. a.a.0. S. 539). Da es zu dieser Lostrennung aber in vielen Fällen bei Reptilien nieht kommt, so fehlt dann das Lacrimale in diesen Fällen. 2 Nicht alle Reptilien besitzen auch ein Lacrimale. l 4* 28 BrANcA: Nach Owen oben durch das Frontale; oben — vorn vom Präfrontale, unten — vorn vom Lacrimale. Nach Seeley oben und hinten vom Postfrontale, denn das Frontale ist nach ihm von der Orbita abgedrängt: oben — vorn vom Präfrontale, unten — vorn vom Lacrimale. Nach Broom — Abel oben und vorn — oben von einem großen Lacrimale, unten —- vorn vom Jugale. Das Nasalg erstreckt sich bis weit über die Höhe der Orbita hin'. Ich vermag nur zu sehen: Begrenzung der Orbita oben weithin durch das (ja auch den Säugern zukommende, S. 24) Präfrontale. Über letzterem das Frontale, aber nicht mehr das Nasale, das schon vor dem Vorderrande der Orbita aufhört. Weder von einem Postfrontale noch von einem Lacri- male kann ich etwas erblicken. Indessen, die Frage erhält ein abermals anderes Gesicht dureh die Unter- suchungen von K. von Bard eleben’, die dieser an mehr als 5000 Schädeln, vom Menschen und von anderen Säugern, angestellt hat. von Bardeleben hat im Gegensatz zu obiger Anschauung Gaupps das Vorkommen eines Präfrontale und eines Postfrontale beim Menschen keineswegs bloß als Aus- nahme, sondern an einer ganzen Zahl von Fällen, unter etwa 5000 unter- suchten Schädeln des Menschen, aber auch anderer Säuger, nachgewiesen. Das, was er als Präfrontale deutet, bildet gewöhnlich nach Verschmelzung mit dem Oberkiefer dessen Processus frontalis. Aber unter den 5000 Schädeln zeigte sich 1. in der großen Mehrzahl der Fälle dieser »Processus« be- grenzt durch eine offenbleibende Naht, die vom unteren Orbitalrande (nahe der Grenze zwischen Jochbein und Oberkiefer) zum Foramen infraorbitale ver- läuft, und 2. eine allerdings sehr viel seltener bei uns (in ı Prozent der Fälle), aber häufiger bei manchen anderen Rassen offenbleibende Naht, vom Foramen infraorbitale horizontal nach dem Ansatze der unteren Muschel am Oberkiefer verlaufend. Als Postfrontale deutet von Bardeleben den bisher als Suprasqua- mosum beschriebenen Knochen. Dieser wird bei menschlichen Embryonen als besonderer Knochenkern stets angelegt, ist bei Kindern meist noch ein ! Abel, Die vorweltlichen Säugetiere, Jena 1914, S. 36, Fig. 9, gibt eine Restauration des Schädels nach Broom, dessen Arbeit ich nicht habe. 2 K. von Bardeleben. Über das Präfontale und Postfrontale des Menschen. Verhandl. der anatom. Ges.. 10, Versammlung, Berlin 1896. S, 153— 154. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 29 isolierter Knochen und auch noch bei Erwachsenen sehr häufig nach- weisbar. Es legt sich nicht an das Frontale an und liegt zwischen Squama temporalis, Parietale und Alisphenoid. Außer diesen beiden Elementen hat von Bardeleben aber noch in vereinzelten Fällen beobachtet: ı. ein Prälaerimale, 2. Infraorbitale, 3. Orbi- tale laterale, 4. Supraorbitale laterale, 5. Postlacrimale, 6. Infrazygomatieum, 7. Endoorbitale laterale. Es zeigt sich also, daß am heutigen Säugerschädel eine ganze Anzahl von Elementen alter Herkunft sich nachweisen läßt. Wieviel mehr durfte also der triassische Trifylodon solche besitzen, ohne deswegen seines Säuger- tums verlustig zu gehen. Ich wende mich nun zu anderen Merkmalen des Schädels: Crista sagittalis. Die Oberseite des Schädels von Tritylodon bietet ein sehr auffallendes Merkmal dar, welches von Seeley ebenfalls als Reptil- merkmal erklärt wird, da es sich unter den gomphodonten Reptilien bei Trirachodon (Fig. 10), wo aber die Crista kaum erkennbar ist, findet': Die Parie- falia bilden eine hohe Crista sagittalis (Fig. 8 S. 31, 32). Sie war ursprüng- lich zweifellos sogar noch höher, als sie der Schädel bzw. Gipsabguß jetzt erkennen läßt, denn sie zeigt sich stark abgerieben. Nach vorn gabelt sie sich (Fig. 7). Das aber ist doch für Carnivoren ein so kennzeichnendes Merk- mal. daß man es unmöglich für einen sicheren Beweis der Reptilnatur gelten lassen kann! Die Crista deutet eben hier wie dort auf starke Kau- muskeln, also keineswegs sicher auf Blutsverwandtschaft mit dieser oder jener Gruppe. Choanen. Ähnlich liegt die Sache gegenüber einem anderen Merk- male, das Seeley als Beweis für die Reptil- (Theriodonten-) Natur des Tri- iylodon ansieht: die Choanen beginnen nämlich schon zwischen den hin- teren Baekzähnen, nicht erst hinter diesen. Indessen ganz dasselbe zeigt sich bei so zahlreichen und so verschiedenen Säugern. daß man es viel eher für ein Säugermerkmal erklären könnte: findet es sich doch bei Marsupialiern, Nagern, Coryphodonten, Equiden, Sirenen, gewissen Cerviden, Rhinoceronten. Foramen parietale. Viel entscheidender wäre das Vorhandensein eines Foramen parietale. das Owen zeichnet. Indessen, das ist offenbar kein solches, sondern nur eine Verletzung des Schädels; Foramina pflegen rundlieh zu ! Seeley, Philosoph. Transaetions 1895. Taf. 2. Fig. 7, 8, 9. 30 Branca: sein. nicht wie dieses etwa rechteckig bzw. wie ein Rhombus gestaltet. Auch Seeley, der doch gewiß eine solche Reptileigenschaft gern bestätigt haben würde, verneint es. Intermaxillare. Auch wenn Seeley die geringe Breite der Inter- maxillaria als ein T'heriodontenmerkmal hervorhebt, so liegt darin meiner Ansicht nach keine Beweiskraft, zumal, da sie bei Tritylodon (Fig. 7) zweifel- los gerade umgekehrt breiter sind als bei dem zum Vergleiche herangezo- genen Trirachodon (Fig. 10). Dagegen ist ein anderes Merkmal sehr bemerkenswert: Seeley hebt außer der terminalen Lage (der Nasenlöcher, was hier aber doch nichts Entscheidendes besagen kann, noch hervor die schon von Owen betonte Spitze, in welche die Intermaxillaria vor dem Alveolarrande auslaufen (Fig. 6 und 7). Der zum Vergleiche abgebildete Reptilschädel des Triracho- don (Fig. 10) läßt eine Ähnliche Spitze erkennen, und auch bei anderen Theriodonten — man kennt einige Schädel — soll sie vorkommen. Dieses Merkmal findet sich dagegen nicht bei bisher bekannten Säugern. Aber in meinen durch Sperrung hervorgehobenen Worten liegt vielleicht die Lö- sung der Frage. Wir kennen ebenso zahlreiche Zähne und Kiefer meso- zoischer Säuger wie wenige Schädel. Wir wissen daher nicht. ob (diese, theriodonten Reptilien eigene Spitze der Intermaxillaria, nieht auch bei mesozoischen Säugern häufiger auftrat, so daß sie bei Tritylodon ebenso- sehr ein altes Säuger- wie ein altes Reptilmerkmal sein könnte. Warum sollten Säuger diese Spitze nicht von: Reptilien ererbt haben, ohne des- wegen Reptilien sein zu müssen? Immerhin ist, soweit jetzige Kennt- nisse reichen, wie mir scheint, dieses das verdächtigste Merkmal des Tritylodonschädels, das am ehesten für Reptilnatur sprechen könnte. Theriodesmus. Gar keine Bedeutung möchte ich hingegen einer wei- terern von Seeley zur Stütze seiner Ansicht geäußerten Vermutung zu- messen: in der Trias Südafrikas hat man eine Vorderextremität, Therio- desmus genannt, gefunden, die Beziehungen zu Pareiasaurus und Therio- donten besitzt, aber auch an Säuger erinnert (Olecranon!). Seeley möchte sie dem Tritylodon zuschreiben' und darin eine Stütze für dessen Reptil- natur erblicken. Das schwebt natürlich ganz in der Luft. Theriodesmus ist ja an ganz anderer Stelle gefunden als Tritylodon. ' Philosophieal Transactions 1894, S. T019— 1024. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 31 Fig. 7. Tritylodon longaevus nacıı Owen. Quart. Journ. Geol. Soc. Vol. XL, Pl. VI. Fig. 10. Trirachodon Berryi. Seeley, Phil. Fig. 11. Trirachodon Berryi. Seeley. Phil. Trans. 1894B. Pl. 89, Fig. 16. 'Trans. 1895 B, Pl. 2, Fig. 9. 2 Branca: Gebiß. Ich wende mich nun zu dem Gebisse von Tritylodon, zunächst zu den Wurzeln der Zähne. Die Wurzeln seiner Molaren liefern ein (fast!) sicheres Kennzeichen, daß Tritylodon ein Säuger war, denn die Molaren sind zweiwurzelig (Fig. $). Der Gipsabguß zeigt zwar nichts davon, wohl aber die von Owen gegebene Zeichnung, die uns erkennen läßt, daß Owen, nachdem der Gipsabguß gemacht war, den Oberkiefer über dem zweitletzten Molar aufgemeißelt hat. Seine Zeichnung” läßt deutlich zwei Wurzeln er- kennen, wenn das: auch von anderen noch in Zweifel gezogen wird. Aller- dings ist die Zeichnung der beiden Wurzeln von ungeschiekter Hand ge- Fig. 8. Tritylodon longaevus. Quart. Journ. Geol. Soc. Vol. XL, Pl. VI. macht, denn sie sehen mehr wie zwei parallele, schmale Rippen aus, die auf den Wurzeln verlaufen. Indessen, man ersieht doch aus der Zeichnung mit Sicherheit, daß Owen zwei Wurzeln zur Darstellung bringen wollte, ob geschickt oder ungeschickt, das ist Nebensache; Reptilienwurzeln aber sind ungeteilt, wenn sie auch gefurcht sein können (Fig. 14). Dieselbe ungeschickte Hand verrät sich zudem noch an einer zweiten Stelle: auch durch Aufstemmung des intermaxillaren Knochens hat Owen die Wurzel des linken großen Inzisivus freigelegt. So wie er” diese Wurzel abbildet, kann sie ebenfalls schwerlich ausgesehen haben, denn dort ist ! Ich sage »fast«, denn unter den auf S. 4—6 besprochenen Protodonten soll bei Dro- matherium die Wurzel nicht zweigeteilt sein, sondern nur eine Längsfurche auf der unge- teilten Wurzel besitzen. Das wäre also ein vermutlicher Säuger ohne Zweiteilung. Ob die anderen Protodonta sich ebenso verhalten? Von Tribolodon wird es ebenfalls berichtet. ®2 Quart. journ. Geolog. soc. Vol. 40, Taf. VI, Fig. 3—5. Quart. journ. Geolog. soc. Vol. 40, Taf. VI, Fig. 3. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 33 eine ganz schmale Wurzel gezeichnet, die nur etwa den vierten Teil des Durcehmessers des dieken Zahnes besitzt. Das, was Owen abbildet, sieht gleichfalls aus wie eine auf der Wurzel entlanglaufende schmale, abgerun- dete Rippe, und derartiges gibt es wohl nicht. Jedenfalls hat Owen nach- gewiesen. daß eine Wurzel vorhanden war und wo sie verlief — was - beides allerdings auch ohne Präparation des Knochens sich bei diesem Zahne von selbst verstand. Auch die höckerige Kaufläche der Mo- laren von Tritylodon, und selbst Seeley erkennt das an, spricht für seine Säuger- natur, wenn sich auch bei Reptilien schon Bildungen zeigen, die ein Streben nach Bildung von Höckern verraten. Ganz eben- so nämlich wie innerhalb der ältesten Säu- ger, so lassen sich auch innerhalb der theriodonten Reptilien bei den zusammen- gesetzten Zähnen verschiedene Gruppen unterscheiden': Der protodonte Typus, wie Osborn Fig. 1. Diademodon brachytiara nach Seele y ihn gen: ‚t, de ıh se INNE le » ihn genannt hat, der doch schon beginnend "pyj1 Trans. 1804 B, Pl. 80. ee triconodont ist, vertreten z. B. durch Cyno- gnathus oder Galesaurus: eine Hauptspitze und eine kleine vordere und hintere Nebenspitze, die in einer Reihe in der Längsrichtung des Kieferrandes stehen. Hier fehlt natürlich jeder Anhalt zur Vergleichung mit Tritylodon und Aierolestes. Sodann der tubereulate Typus, speziell der multicuspidate, durch Gomphognathus, Diademodon usw. vertreten. Osborn vermutet hier omni- oder herbivore Formen, Broom dagegen Aasfresser. Diese Zähne sind quer zur Kieferrichtung verbreitert und mit meist unregelmäßig an- geordneten Höckern besetzt (Fig. 12 und ı 3). Bisweilen ist die Kaufläche aus- gehöhlt, und die Höcker stehen am Rande herum; es kann auch eine Kante dureh die Kaufläche laufen’ (Fig. 14). Zweiwurzligkeit fehlt; doch verläuft ı H. Osborn, Evolution of Mammalian Molar Teeth. New York, Macmillan Comp. 1907, S. 92. 2 )shborns ara. 02 SS! g2. Bier 45, Nr.7us 10. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. > 34 BrAnNcA: auf der einzigen Wurzel bisweilen eine Längsfurche, die den Beginn einer "Trennung in zwei Wurzeln andeutet (Fig. 14). Vergleicht man diese Zähne mit denen von Tritylodon, so zeigen sich scharfe Unterschiede. Die einzige Ähnlichkeit besteht darin, daß hier wie dort Höcker vorhanden sind. Jedoch bei Tritylodon haben die Höcker eine regelmäßige Anordnung, bei jenen Theriodonten eine mehr unregelmäßige. Die Molaren der letzteren sind zudem queroval: bei Tritylodon sind die vi xB Fig. 13. Trirachodon Kannemeyeri, Linke Diademodon Molaren. Seeley, Phil. Trans. 1895 B, tetragonus Pl. 2, Fig. 8. nach Seeley. Taf. 89 in On the Structure, Organisation ... Le: of the fossil Fig. 14. Diademodon brachytiara nach Seeley. Reptilia. Phil. Trans. 1894B, Pl. 89, Fig. 6— 10. drei Höckerreihen der Länge nach angeordnet. Wenn nun Tritylodon ein Reptil wäre, dann würde bei den theriodonten Reptilien mit- hin noch ein dritter Zahntypus, der multituberculate und zwei- wurzelige, sich finden. Durch diesen wären dann diese zu- sammengesetzten Reptilzähne echten Säugerzähnen bereits voll- kommen gleichgestaltet; denn genau dieselben multitubereulaten Molaren wie bei Tritylodon finden sich ja bei ganz zweifellosen Säugern. Es würde somit von den Reptilien zu den Säugern, was die Zähne betrifft, gar kein Schritt mehr sein. Beide würden in dieser Beziehung auf absolut gleicher Höhe stehen. Das wäre sehr schön, weil sehr interessant, aber eben darum ist es Üinige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 35 mir ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich, daß Tritylodon ein Reptil ist. Tritylodon steht also in der Zweiwurzligkeit seiner Molaren, der Regel- mäßigkeit und Längsordnung seiner Höckerreihen über jedem uns bisher bekannten Reptil, und bei einer ganzen Anzahl geologisch jüngerer, zweifel- loser Säuger, den Multitubereulata, finden wir genau dieselben Molaren, wie Tritylodon sie hat. Tritylodon würde folglich unter den Multituber- culata, d.h. unter Säugern, das einzige multituber- culate Reptil sein, was doch gänzlich unwahr- scheinlich ist. Ein nirgends erwähntes Merkmal der Molaren von Fig. 9. Tritylodon besteht darin, daß ihre Höcker mit allerdings nur Tritylodon longaevus. sehr leisen, radial von dem Zipfel.ausstrahlenden Rippen en a bzw. Furchen bedeckt sind. Wenigstens kann man das bei Fig. 7. einigen der Höcker an der von Owen gegebenen Ansicht der Unterseite des Schädels deutlich erkennen; und noch schärfer tritt das an der vergrößerten Abbildung, die ich hier in Fig. 8 wiedergegeben habe, hervor. Das ist ein Reptilmerkmal; wobei man allerdings nicht vergessen darf, daß sogar bei Menschenaffen (Örang), unter Umständen auch beim Menschen, sehr stark auch bei der platyrhinen Pithecia, zwar nicht eine Berippung, wohl aber durch Furchen eine Zerschneidung der Kaufläche der Backzähne stattfindet, die aber bei ganz intakten Zähnen zwischen den Furchen Rippen erkennen läßt. Die von mir in der unten angeführten Arbeit! gegebenen Abbildungen von Dryopithecus aus dem Bohnerz’, vom Orang”, eines Hottentotten', eines Zigeuners’ und von Pitheeia® zeigen das. Ebensolehe Furchen laufen von der Schneide der großen Prämolaren beim lebenden Hypsiprymnus und den fossilen Plagiaulacidae herab. Es zeigt sich also, wenn auch nicht genau Gleiches, so doch Ähnliches auch bei fossilen U W. Branca, Die menschenähnlichen Zähne aus dem Bohnerz der Schwäbischen Alb. Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde 1898, Jahrg. 54, S. 1— 114. ® Taf. I, Fig. ı und ıb, und Taf. II, Fig. ı und 5. 37 Tata Biea, Var II Rio2 8 Srars laekionie. Saar Il Big: 9: ° Taf. I, Fig. 8 und 9. 36 BrRANCcA: und lebenden Säugern, so daß man aus jenem Merkmale der Tritylodonzähne nieht einen Beweis für seine Zugehörigkeit zu Reptilien ableiten könnte. Wie Fig. 6 erkennen läßt, hat Tritylodon jederseits einen sehr großen, abgebrochenen Inzisivus und dahinter einen winzig kleinen. Daß beide Fig. 6. Tritylodon longaevus nach Owen. Fig. 11. Trirachodon Berryi. Seeley, Phil. Quart. Journ. Geol. Soc. Vol. XL, Pl. VI. Trans. ı895 B, Pl. 2, Fig. 9. wirklich Ineisivi sind, geht aus ihrer Lage im Zwischenkiefer hervor. Bei Reptilien finden sich zwar ebenfalls so große Zähne und im besonderen zeigt z. B. Trirachodon (Fig. ıı) einen solchen. Aber gerade bei letzterem macht Fig. 10 sehr wahrscheinlich, daß der große, auch hier abgebrochene Zahn ein Caninus ist; denn die den Zwischenkiefer rechts und links be- grenzende Naht (S. 31) ist doch deutlich erkennbar und umschließt einen Knochen, in dem nur die kleinen Inzisiven stecken, während der abge- brochene große Zahn außerhalb der Naht liegen dürfte. Bei dem von Seeley mehrfach zum Vergleich herangezogenen Trirachodon ist der mächtige abgebrochene Zahn folglich ein Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 37 Caninus', bei Trilylodon dagegen ein Inzisivus, so daß er hieran einen Nagezahn erinnert. Die Inzisiven von Trirachodon aber sitzen vorn im Zwischenkiefer und sind klein, während dieser vordere Teil bei Tritylodon zahnlos ist. Bemerkenswert ist endlich bei Tritylodon, was die Anordnung der Zähne betrifft, der genau parallele Verlauf der Zahnreihen, die verhältnismäßig geringe Entfernung beider voneinander und das sehr lange Diastema, auf dem beiderseits eine etwas erhöhte Kante verläuft, die zu den beiden eroßen Inzisiven hin etwas divergiert. Ähnliche Bildung findet sich bei Säugern. So bei Nagern. wo die Länge des Diastema aller- dings wohl dadurch bedingt wird, daß die Wur- zeln der beiden großen (Fig. 15), aber hier dicht beieinander stehenden Nagezähne in hohem, fast halbkreisförmigem Bogen bis gegen den vor- dersten Prämolar hin verlaufen. Solche langen. halbkreisförmigen Wurzeln liegen freilich bei den beiden großen Inzisiven des Tritylodon jedenfalls nicht vor. Die Einschnürung seiner Schnauze hinter diesen Zähnen (Fig. 7 und 8), also in der Mitte des Diastema, könnte nieht vorhanden sein. wenn hier lange Wurzeln im Kiefer steekten. Die Wurzel der großen Inzisiven des Tritylodon Fig. 15. Lepus variabilis. Zool. Mus. Berlin. ist offenbar nur kurz und nur wenig gekrümmt, mehr aufwärts gerichtet gewesen. Seeley betrachtet nun diese oben erwähnte Einschnürung und die dadurch bedingte kolben- oder kugelförmige Anschwellung der vorderen Schnauze auch als ein Reptilanzeichen, weil sie sich bei Theriodonten eben- falls findet. Meiner Auffassung nach ist das aber nur eine durch Richtung und Länge jener Zahnwurzeln bedingte analoge Erscheinung, die für die Verwandtschaft keinerlei Beweismittel bilden kann. Die Koryphodonten haben das ja in ganz ähnlicher Weise! Auch bei Halicore und Manatus findet sich Ähnliches darin, daß die beiden Zahnreihen eng stehen und ganz parallel verlaufen sowie daß vorn ' Soweit man bei Reptilien so unterscheiden darf. 38 BrANcA: zwei große Inzisiven stehen, die durch langes Diastema von dem vordersten Prämolar getrennt sind und kurze Wurzeln wie bei Tritylodon besitzen. Namentlich bei Manatus ist dann auch im Profil der Schnauze eine gewisse Ähnlichkeit mit Tritylodon (Fig. 8) vorhanden, wogegen bei Halicore die Schnauze sehr stark abwärts gebogen ist. Auch die enge Stellung der beiden Backenzahnreihen und ihr paralleler Verlauf sind also weitere Merkmale des Tritylodon, die sich wohl bei Säugern, wie Nagern und Sirenia finden, da- gegen weniger bei Theriodontia, wo der Verlauf der Zahnreihen ein mehr gebogener ist. Die sehr große Länge des Diastema findet sich ebenfalls doch mehr bei jenen Säugern als bei den theriodonten Reptilien, obgleich bei diesen auch eine ziemlich lange Zahnlücke vorkommt. Zusammenfassung. Wenn ich alle im vorhergehenden besprochenen Merkmale zusammen- fasse, so scheint mir das Gewicht der für die Säugernatur des Tritylodon sprechenden doch weit größer zu sein als das Gewicht derer, die für eine Reptilnatur sprechen. Daß sein Schädel gewisse Reptilmerkmale noch be- wahrt hat, besonders die Spitze der Intermaxillaria, könnte bei einem geologisch so alten Säuger nicht nur nicht überraschen, sondern wäre von vornherein zu erwarten; jedenfalls brauchte er um dieser osteologischen Reptilmerkmale willen seines Säugertums nicht beraubt zu werden. Auch die Monotremen sind Säuger, trotz ihrer Reptilmerkmale. Sollte umgekehrt Tritylodon noch nicht säugend, also ein Reptil ge- wesen sein, dann wäre er das höchststehende, säugerähnlichste Reptil gewesen, das wir bisher kennen. Ein Reptil, an dessen Schädel bereits die Säugermerkmale so die Überhand über die Reptilmerkmale erlangt hätten, daß das Fehlen der Fähigkeit des Säugens, also das Fehlen der Milchdrüsen, höchst überraschend sein würde. Niemals wird sich für uns das ehemalige Vorhandensein oder Fehlen der Milchdrüsen erkennen lassen; es sei denn, daß wir Teile eines Bauch- panzers von Tritylodon finden würden, aus denen dann hervorgehen würde, daß Milchdrüsen nicht vorhanden gewesen sein können. Wir sind aber bisher auf die Merkmale des Schädels angewiesen, und bei diesen über- wiegt das, was für Säugernatur spricht, weit. vinige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 39 Einer zwischen Säugern und Reptilien stehenden Klasse kann weder Tritylodon noch ein anderes hierhergehöriges Tier angehört haben, da es nur entweder säugen oder nicht säugen konnte, also Säuger oder Reptil war. Die folgenden Merkmale des Tritylodon weisen: en Ben I. Auf Säuger. . Regelmäßigkeit der Anordnung und Längsrichtung der Höcker- reihen der Molaren. Gleichheit der Molarenkaufläche mit derjenigen geologisch jüngerer zweifelloser Säuger, der Multitubereulata. Zweiwurzligkeit der Molaren. Gerader, paralleler Verlauf der beiden Zahnreihen. Enger Zwischenraum zwischen den beiden Zahnreihen. II. Mehr auf Säuger als auf Reptilien. . Lage der Öhoanen zwischen den hinteren Molaren. . Langes Diastema. . Hohe Crista sagittalis. II. Ebenso auf Säuger wie auf Reptilien. . Große Inzisiven bzw. Caninen. 2. Breite der Intermaxillaria. Präfrontalia: Nur die Lage vorn oben der Orbita erinnert an Reptilien. IV. Angeblich vorhanden und dann auf Reptilien weisend, aber [0 >} ganz zweifelhaft. . Foramen parietale. Offenbar kein Foramen. . Postfrontale. Ganz zweifelhaft ob vorhanden. Laerimale. Ich kann keine Nahtumgrenzung eines solchen Knochens sehen, der ja aber auch Säugern zukommt. . Theriodesmus-Vorderextremität. Völlig unsicher, zu welchem Tiere gehörig. V. Reptilien. . Spitze der Intermaxillaria. 40 BrAncA: Es liegt mir selbstverständlich fern, alle diese Punkte als gleichwertig anzusehen. Aber die folgende Zusammenfassung ist doch bemerkenswert: Wie man sieht, weist nur ı Punkt (V) sicher auf Reptilien, wobei wir auch nicht einmal sagen können, ob damalige Säuger nicht ebenfalls noch diese Spitze gehabt haben. Dagegen ıı Punkte weisen zur Hälfte sicher nur auf Säuger (l), zur anderen mehr (ll) oder weniger auch auf Säuger (II). Die angeblich vorhandenen 4 Punkte (IV) können, weil mehr oder weniger ganz unsicher, nichts beweisen. Das von Öuvier festgestellte Gesetz der Korrelation, hier zwischen Skelett und innerer Organisation, führt nicht in allen Fällen zur zweifellos sicheren Entscheidung über die innere Organisation. Darin liegt eine der Schranken begründet, die der Paläontologie, im Gegensatze zu der Zoologie, gezogen sind: aber die innere Organisation ist das Entscheidendere, Wichtigere. Bei allen denjenigen Formen, die in Reihe und Glied stehen, werden wir mit mehr oder weniger Sicherheit von dem Skelett auf die innere Organisation schließen können. Bei solchen Formen jedoch, die aus der Reihe heraus- springen, ergeben sich dem Paläontologen Schwierigkeiten, Unsicherheiten. Man nehme z. B. die Wiederkäuer. Nicht diejenige Form war mit Sicherheit der erste Wiederkäuer, welche bereits alle osteologischen Merk- male der typischen Ruminantia ‚erlangt hatte, sondern diejenige, die zum ersten Male das Wiederkäuen in größerer oder geringerer Vollkommenheit ausübte, gleichviel ob alle osteologischen Merkmale schon typisch waren oder noch nieht. Ganz ebenso war der erste Säuger der, welcher das Säugen, wenn auch vielleicht erst in geringer Vollkommenheit ausübte, gleichviel ob seine osteologischen Merkmale schon typisch waren oder noch nicht. Daher die Schwierigkeit für die wesentlich auf die Hartgebilde ange- wiesene Paläontologie, die innere Organisation, und damit die systematische Stellung scharf und richtig zu erkennen, wenn die Hartgebilde nicht das typische Bild zeigen. Für Tritylodon, soviel bis jetzt von ihm bekannt ist, können wir nur sagen, daß die überwiegende Zahl seiner Schädelmerkmale mehr auf Säuger als auf Reptilien hinweist. Die Zahnformel. Ich wende mich nun zu der Zahnformel des Tri- /ylodon. Wenn man sich einmal vorstellen will, Tritylodon gehöre einem typischen heutigen Säuger an, so würde seine Zahnformel im Oberkiefer wohl lauten: 21.0C.2P.4M, wobei nur fraglich sein könnte. ob die Zahl der P ganz richtig wäre gegenüber derjenigen der M. Nun ist aber b Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 4] Tritylodon kein heutiger Säuger, sondern sein Gebiß gehört dem ältesten uns bekannten Säugerschädel an; es ist daher zu untersuchen, inwieweit jene Formel eine andere sein könnte. . Über die Frage, ob man 2P.4M schreiben darf, oder ob 6P oder 6M zu schreiben sei, läßt sich möglicherweise durch Aufmeißeln Antwort erhalten. Mehr Sicherheit herrscht hinsichtlich des vorderen Teiles der Formel. Daß ein © fehlt, daß vielmehr die 2 vorderen Zähne 2/ sind, ist sicher, denn sie sitzen Ja im Zwischenkiefer. Fraglich kann hier nur sein, welche /ählungszahl diesen beiden Inzisiven zukommt, und ob der große ] ein Nagezahn ist oder nicht; denn daß die Ähnlichkeit mit einem Nager vor- handen ist, habe ich ja bereits hervorgehoben. Bei den Duplicidentata unter den Nagern hat der Zwischenkiefer überhaupt nur Raum für zwei Inzisiven; der Nagezahn ist /‘, der kleine dahinter folgende ist /?. Denn der Nagezahn steht ganz vorn im Zwischenkiefer, so daß auf beiden Seiten die Nagezähne sich berühren; es sind also die mittelsten beiden Inzisiven I‘. Bei Tritylodon dagegen stehen die beiden Nagezähne weit voneinander ent- fernt, weil der breite Zwischenkiefer vorn zahnlos, jedoch so breit ist, daß hier jederseits noch 2 Inzisiven in ihm Platz finden könnten. Man muß daher vielleicht annehmen, daß I" und I? hier bereits verloren gegangen sind (ich meine nicht etwa ausgefallen sind, was man ja an ihren Alveolen erkennen könnte, die nieht vorhanden sind), der Nagezahn wäre dann also J°, und der dahinterstehende kleine /*. Ist dieser I‘ oder ]? aber ein Nagezahn? Da er abgebrochen ist, läßt sich das leider nicht mit Sicherheit erkennen. Wohl aber läßt sich sicher erkennen, daß seine Wurzel sich nicht ganz ebenso verhält wie die bei unseren Rodentia. Bei diesen (Fig. 15) ist die Wurzel des Nagezahnes sehr lang, oft länger als der zutage tretende Teil des Zahnes und im Halbkreis gebogen. Infolgedessen bildet sie auch. teils mechanisch, teils, weil sie hier alle Nahrung für sich beansprucht, ein Hindernis für die Entwieklung an- derer Zähne. Auf diese Weise ist wohl die Entstehung des langen Dia- stema zu erklären, «durch das die Nager ausgezeichnet sind. Bei Tritylodon dagegen ist die Wurzel des »Nagezahnes« zweifellos keineswegs so lang, sondern kurz, keineswegs so im Halbkreis gebogen, sondern nur wenig gekrümmt; das geht ganz sicher hervor aus der Gestaltung des Zwischen- kiefers und des dahinter folgenden Teiles des Oberkiefers. Ich habe schon Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. 6 42 Branca: an anderer Stelle gesagt, daß der Zwischenkiefer breit, gewissermaßen auf- geblasen ist, so daß der dahinter folgende Teil des Oberkiefers eine Ein- schnürung aufweist. Die aufgeblasene Gestalt der Intermaxillaria kommt daher, weil nur in ihnen die Wurzel des »Nagezahnes« steckt, und die Einschnürung der Maxilla ist nur dadurch hervorgebracht, daß in der Ma- xilla bei Tritylodon keine halbkreisförmig gebogene Wurzel des Nagezahnes verläuft. Daher haben die typischen Nager diese Einschnürung der Schnauze hinter dem Intermaxillare nicht: denn hier steht ja «die große Wurzel des Nagezalınes in der Maxilla und verhindert damit eine Einschnürung derselben. Obgleich also bei Tritylodon die Wurzel von I’ nicht die Ursache der Bildung des langen Diastema gewesen sein kann, so haben wir trotzdem bei ihm ein ähnlich langes Diastema wie bei den Rodentia. Gleiche Bildungen sind hier also durch ganz verschiedene Ur- sachen hervorgerufen — falls überhaupt obige Erklärung für die Rodentia das Richtige trifft, was doch sehr wahrscheinlich ist. Es fragt sich nun, ob dieser große Schneidezahn des Tritylodon darum, weil seine Wurzel kürzer war und steiler anstieg, kein Nagezahn gewesen sein kann. Ich glaube, das kann kein Grund sein, diese Möglichkeit zu verneinen. Die Ausbildung eines Inzisivus als Nagezahn, die Ausbildung der Eigenschaft der persistenten Pulpa, endlich die Ausbildung einer so übermäßig langen Wurzel, ist sicher nur allmählich erfolgt, namentlich die Wurzel wird erst im Laufe der geologischen Zeiten so übermäßig lang geworden sein. Im Beginn der Entstehung der Nager wird die Wurzel des Nagezahnes gewiß kürzer gewesen sein. vielleicht auch die Persistenz der Pulpa nicht zeitlebens gedauert haben; die offene Wurzel wird sich früher geschlossen haben. An gewissen lang prismatischen Backenzähnen von Säugern haben wir ja noch heute die Eigenschaft. daß die Wurzel längere Zeit offen bleibt als an kurzen Zähnen. Aus dem Fehlen jener Eigenschaft der Länge und halbkreis- förmig gebogenen Wurzel kann man also nicht mit Sicherheit schließen, daß der große Inzisivus des Tritylodon kein Nagezahn gewesen sein kann: die Möglichkeit scheint mir vielmehr sehr wohl gegeben zu sein. Sicher ist nur, daß die große Länge des Diastema nicht durch die Wurzel dieses großen Inzisivus bewirkt worden ist. Die Frage nach der offenen Pulpa würde sich jedoch, wie oben gesagt, durch Aufmeißeln des Zwischenkiefers entscheiden lassen, und Sinige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 43 damit würden wir auch über die Frage, ob Tritylodon Nager gewesen ist oder nicht, Aufklärung gewinnen. Für den Oberkiefer ist also die Inzisivusnatur des großen » Nagezahns« bei Tritylodon zweifellos. Ganz im unklaren sind wir aber über die Stellung des entsprechenden Zahnes im Unterkiefer, bei dem ja das Merkmal des Sitzens im Zwischenkiefer fehlt. Daß hier ein entsprechender großer Zahn vorhanden war — wir kennen ja bisher den Unterkiefer nicht — ist wohl sicher anzunehmen; aber möglich wäre es immerhin, daß er hier kein In- zisivus, sondern ein Caninus wäre. Wir haben ja analoges Verhalten in einer andern Zahnkategorie: Bei den lebenden Raubtieren ist der Reißzahn oben ein P', unten aber ein M', und bei ihren fossilen Vorläufern, soweit ihnen nieht der Reißzahn ganz fehlt, ist der Reißzahn entweder bei den meisten ebenfalls oben ein ?', unten ein M', oder oben ein M', unten ein M° (Oxyaenidae), oder oben ein M’, unten ein M° (Hyaenodontidae)‘. Bei den fossilen Astrapotheriden übrigens ist der Nagezahn sowohl im Ober- wie im Unterkiefer kein Inzisivus, sondern ein Caninus. Über die Entstehung eines solchen großen Nagezahns lassen sich zwei entgegengesetzte Ansichten aussprechen. Nach der einen hätte unter den Inzisiven der eine auf Kosten der anderen an Größe zugenommen und diese mehr und mehr verdrängt und ihnen die Nahrung fortgenommen, so daß sie verkümmerten. Auf solehe Weise wären unter den Rodentia bei den Simplieidentata bereits die andern Inzisiven dem Streben des einen nach Alleinherrschaft zum Opfer gefallen, während bei den Duplieidentata (Lagomorpha [Fig. ı5]) oben bisher noch ein zweiter kleiner Inzisivus hinter dem Nagezahn sich erhalten hat. Ganz eben- so wie die Duplieidentata würde dann Tritylodon sich verhalten, bei dem eben- falls noch ein kleiner Inzisivus hinter dem großen Inzisivus vorhanden war. Nach der andern Ansicht wäre der Nagezahn das Ursprüngliche, die andern Inzisiven jedoch erst das Ergebnis »einer Reihe von Veränderungen « des Nagezahns. Schlosser” hat anfänglich die erstere Ansicht vertreten, dann sich zu der letzteren geneigt, weil wir »den Nagezahn oder wenigstens ı Wie Abel zusammenstellt aus: W. D. Matthew. The Carnivora and Insectivora of the Bridger Basin, Middle Eocene: Mem. of the American Museum of Natural History, New York 1909, Bd. IX, Part VI, S. 391—576. 2 Schlosser, Die Nager des europäischen Tertiärs, Palaeontographica Bd. 31, 1835, S. 108—ı10 und 324. 6* 44 Branca: ein ihm sehr ähnliches Gebilde auch bei den uralten Plagiaulaeiden« treffen und weil er »bei den erst sehr spät auftretenden Lagomorpha nicht mehr so kräftig entwickelt ist wie bei den Nagern der älteren Tertiärs und deren lebenden Nachkommen .«. Mir scheint dagegen die erstere Ansicht die näherliegende, richtige zu sein, daß der eine unter mehreren ursprünglich vorhanden gewesenen Inzisiven, weil er besonders stark gebraucht wurde, auch besonders stark ‚sich entwickelt und darum die anderen mehr und mehr verdrängt habe. Sie wird auch durch Tritylodon wahrscheinlich gemacht, der doch älter ist als die Plagiaulaciden und dennoch noch einen kleinen Inzisivus hinter dem großen erkennen läßt, während bei ihm, als älterer Form, eher nur erst der eine große Inzisivus vorhanden sein müßte, wenn letzterer wirklich zuerst allein vorhanden gewesen wäre. Auch die Reptilien, im besonderen auch die, denen man eine gewisse Verwandtschaft mit Tritylodon zuschreiben will, so z. B. Trirachodon (Fig. ı1), haben doch eine Mehrzahl von Inzisiven. Das deutet darauf hin, daß das der ursprüngliche Zustand ist. Schlosser führt als weitere Bestätigung seiner Ansicht an: Es »scheint überhaupt die Zahl und Größe dieser akzessorischen Zähne der Entwicke- lung des Nagezahnes proportional zu sein, d. h. je kleiner dieser letztere wird, desto mehr und desto größere seitliche Inzisiven treten auf, wie dies bei den rezenten Marsupialiern zu sehen ist«; indessen ist der erste dieser beiden Sätze auch genau ebenso bei jener anderen Auffassung gültig, nach welcher der allmählich größer werdende eine Inzisivus im gleichen Schritte die anderen bedrängt habe. Die Nagernatur des Tritylodon könnte vielleicht dadurch als unwahr- scheinlich angesehen werden, daß Tritylodon altliassischen Alters ist, während die Rodentia erst seit dem ältesten Tertiär bekannt sind. Aber Tritylodon, wie überhaupt die Multituberculata, werden von vielen als Marsupialier an- gesehen; und es besteht, worauf schon Fleischmann' verwies und wie auch Schlosser ausführte, eine auffallende Parallele der Zahnbildung zwischen Beutlern und Nagern, so daß die Frage entsteht, ob das bloße Analogie ist oder eine wirkliche, auf Verwandtschaft beruhende Homologie. Letzteres scheint der Fall zu sein. ı A, Fleischmann, Die Stammesverwandtschaft der Nager und der Beuteltiere (Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1890, I, S. 299). Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 45 Dafür spricht einmal das Verhalten des Unterkiefers': Bei den Beutlern hat er den bekannten horizontalen, nach innen umbiegenden Winkel. Die- selbe Bildung aber findet sich bei Nagern, und zwar um so deutlicher, je näher verwandt sie den Beutlern zu sein scheinen. So findet sich diese Eigenschaft bei Muriden, Seiuriden. Myoxiden, aber nicht überall, sie fehlt auch vielen, und ebenso ging sie auch bei einigen Beutlern ver- loren, wie z. B. Phascolarctos. Daraus ergibt sich für die fossilen Formen die Schwierigkeit, daß, wenn sie auf diesen Angulus hin als Beutler angesprochen werden, sie immerhin auch Nager sein könnten. Ferner liefert der Processus eoronoideus einen anscheinenden Beweis der Verwandtschaft: alle Beutler haben ihn stark ausgebildet. Bei allen jenen Nagern nun, die einen nach innen vorspringenden Kiefer- winkel haben, ist der Processus coronoideus ebenfalls kräftiger; und er wird mehr und mehr verschwindend bei allen Nagern, denen der Kiefer- winkel fehlt. In seinem Versuche einer Phylogenie der Nager kam daher Schlosser zu dem Schlusse, daß die Rodentia direkt mit den Marsupialia verwandt seien, was er freilich dann widerrief'. Man kann indessen die Frage nach der Nagernatur des Tritylodon stellen, ohne ihn deswegen zu den Rodentia verweisen zu müssen. Nagezähne finden sich ja auch bei fossilen Huftieren; die Astrapotherioidea, Entelonychia, Toxodontia, Typotheria sind sehr wahrscheinlich ebenfalls Nager gewesen. Aber der Unterkiefer hat sich nicht wie bei Rodentia beim Kauen von hinten nach vorn geschoben, sondern ist festgestellt gewesen, wie Abel aus der Richtung der Usurfläche am unteren Nagezahn folgert. Die senkt sich hier von oben — hinten nach unten — vorn, während sie bei Rodentia die umgekehrte Neigung von vorn -— oben nach hinten — unten hat, da das Vor- und Rückwärtsschieben des Unterkiefers den unteren Nagezahn bald vor, bald hinter den oberen greifen läßt”. Indessen brauchte Tritylodon einerseits wegen seiner biolo- gischen Eigenschaft des Nagens und anderseits wegen dieser Verwandtschaft zwischen Rodentia und Marsupialia noch kein Beutler gewesen zu sein. Er könnte auch ein nagender Mono- treme gewesen sein. ! M. Schlosser, Die Nager des europäischen Tertiärs, Paläontographica, Bd. 31. 9 ® ©. Abel, Paläobiologie 1912, Stuttgart, S. 508. 46 ZRANCA: Das Lebensalter der Triiylodon. Eng verknüpft mit der später zu besprechenden Frage nach der Dentition des Tritylodon ist die Frage, wie alt er etwa gewesen ist. So schwer wie jene, so leicht ist diese zu be- antworten, wenn man sich mit Angenähertem begnügt. Das Gebiß des Tritylodon ist zweifellos bereits vollzähnig erschienen; alle Backenzähne stehen auch bereits auf gleicher Höhe: keiner zeigt aber, soweit sie nicht zer- stört sind, Abnutzungstlächen, wenigstens gilt das von den hintersten drei Backenzähnen, die doch offenbar zuletzt erschienen sind. Sie zeigen sogar so wenig Abnutzung, daß die leisen, von den Höckern ausstrahlenden Rippen sich noch erkennen lassen, wie das die von mir nach Owen wiedergegebene Zeichnung deutlich zum Ausdruck bringt (Fig. 9). Aus diesen drei Tatsachen geht mit Sicherheit hervor, daß Tritylodon noch ein junges, soeben erst in den Besitz seiner vollen Bezahnung gelangtes Tier war. Die Zahl der Jahre läßt sich natürlich nicht angeben, da dieses Stadium der Vollzähnigkeit bei den ver- schiedenen Tiergruppen, je nach der Länge ihrer Entwicklungsperiode, in sehr verschiedenen Jahren erreicht wird. Nur so viel wird man sagen können, daß die Zahl der Jahre sehr gering gewesen sein wird, da im allgemeinen wohl so kleine Tiere, wie Tritylodon es war, in viel kürzerer Zeit reif und vollzähnig werden als große. Was bei einem größeren Tier vielleicht 15 oder auch nur 6 Jahre dauern würde, das erreichen so kleine vielleicht schon in einem Jahr. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß Tritylodon nicht älter war als ein, höchstens zwei Jahre. Die Dentitionsfrage und Tritylodon. Tritylodon könnte nun eventuell der Prüfstein sein, an dem die Frage, wenn auch nicht entschieden, so doch um einen starken Schritt weiter gefördert werden könnte: ob die Säuger polyphyodont begannen und der Monophyodontie zustreben oder ob sie umgekehrt monophyodont bzw. auch diphyodont begannen und «der Polophyodontie zustreben. Ich sagte, Tritylodon könnte (der Prüfstein sein, an dem sich Beweise für die eine oder die andere dieser Ansichten finden ließen, denn Tritylodon ist ja der geologisch älteste Säugerschädel, den wir bisher kennen. Dringende wissenschaftliche Forderung wäre es daher, den Oberkiefer an einer Seite Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 47 über denjenigen Zähnen, die man eventuell als Prämolaren anzusprechen hat. aufzumeißeln,. um zu sehen. ob hier noch Zahnkeime über ihnen im Kiefer stecken. Finden sich dort Zahnkeime, so müßte der Kiefer auch über den Zähnen, die man eventuell als definitive auffassen möchte, d.h. über den hinteren Backenzähnen aufgemeißelt werden. Fänden sich dort ebenfalls Zahnkeime, so wäre damit der Beweis geliefert. daß «damals so- gar noch alle Backenzähne gewechselt wurden, daß folglich die Säuger mindestens mit Di-, vielleicht sogar mit Polophyodontie begonnen haben. Finden sich aber weder über den vorderen noch über den hinteren Backenzähnen Zahnkeime im Oberkiefer, so ist das ein Beweis dafür, daß Tritylodon, also die ältesten Säuger, entweder monophyodont waren oder daß seine Milchprämolaren vielleicht schon gewechselt waren, daß er bzw. die bisher bekannten ältesten Säuger also schon dieselbe auf (Inzisiven, Caninen? und) Prämolaren beschränkte Diphyodontie besaßen wie die Mehr- zahl der heutigen Säuger. Ebenso müßte aber auch «der Zwischenkiefer über dem großen ab- gebrochenen Schneidezahn aufgemeißelt werden, um zu sehen. ob dieser Zahn aus persistenter Pulpa wuchs, also ein Nagezahn war, oder nicht. Angesichts einer so überaus wichtigen Frage ist die Be- schädigung des Schädels auf einer Seite ganz nebensächlich. Jedenfalls ist sie wissenschaftliche Pflicht für den Besitzer, da der Gewinn so sehr viel größer ist als der Verlust. Der Grundsatz. ein Fossil, durch dessen teilweise Zerstörung man wertvolle Aufschlüsse über innere Ver- hältnisse erlangen kann, nicht zu zerstören, sondern um jeden Preis un- verletzt zu erhalten, gehört hoffentlich einem nun gänzlich vergangenen Zeitabsehnitte «der Paläontologie an. Wir haben (S. 16) gesehen, daß die ältesten Säuger noch gewisse reptilische Eigenschaften an ihrem Skelette besitzen müssen, da die Um- wandlung aus Reptilien in Säuger an ihrem Skelette nicht plötzlich vor sieh gehen konnte. Da nun die Reptilien einen immerwährenden Zahn- ersatz haben. so sollte man ohne weiteres meinen, daß die aus ihnen hervorgegangenen ältesten Säuger entweder auch noch ebenso polyphyodont gewesen sein müßten oder doch wenigstens noch einen mehrfachen Zahn- wechsel von ihren reptilischen Vorfahren geerbt haben müßten. so daß die spätere und die jetzige Säugetierwelt, die ja nur noch einen einmaligen, Ja bei einigen Gruppen sogar keinen Zahnwechsel mehr hat. allmählich 48 BrAnNcA: ganz allgemein dem gänzlichen Verluste eines solchen, der Monophyodontie, zustrebe. In der Tat finden sich bekanntlich dafür Belege, die eine solche Verarmung erkennen zu lassen scheinen. Schon sind die Mehrzahl der Edentaten, die Sirenen und die Zahnwale monophyodont — »geworden « möchte man hinzusetzen: wie denn z. B. die Zahnwale, bisweilen — »noch« möchte man sagen — vorübergehende Anlage von Milchzähnen haben. Auch bei Nagern und anderen Gruppen hat sich ja bekanntlich im Laufe der Zeiten der Zahnwechsel verringert. Der umgekehrte Vorgang aber, daß aus früheren monophyodonten Formen sich diphyodonte entwickelt hätten, hat sich von der Paläontologie bisher nicht erbringen lassen, was frei- lich noch kein Beweis ist. Dementsprechend haben denn auch Kükenthal und Röse das Ersatzgebiß der Säuger als den letzten Überrest der ehe- mals zahlreicheren Dentitionen aufgefaßt. Leche! ist bekanntlich der Ansicht, daß beim Übergange des reptilien- ähnlichen Grebisses der Säugetiervorfahren in das der uns bekannten ältesten Säuger nicht alle Dentitionen mit hinübergenommen werden konnten, so daß die Polyphyodontie einer Oligophyodontie Platz machte. Es traten nach ihm also zunächst bei Säugern (mindestens) 2 Dentitionen auf; aber diese älteste Diphyodontie bestand nach Leche nicht aus Milch- und Ersatz- gebiß, sondern aus dem prälactealen — ich komme darauf zurück — und dem Milchgebiß. Das Ersatzgebiß sei erst als spätere Zutat des Zahn-. systems der Säuger entstanden und habe somit kein Homologon bei den niederen Wirbeltieren. Für die ältesten Säuger nimmt Leche also zwar nicht, wie ihm irrtümlich ausgelegt wurde, eine Mono-, aber doch nur eine Diphyodontie an’. Aber auch damit steht seine Ansicht in diametralem Gegensatze zu jener Kükenthals und Röses, indem er, wie seine Auffassung des Ersatzgebisses als eines späteren Erwerbes, nicht eine allmähliche Verringerung, sondern gerade umgekehrt eine all- mähliche Vermehrung der Zahl der Dentitionen für die Säuger annimmt. Dort also wäre gänzliche Verarmung an Zahnersatz, hier fortschreitende Bereicherung an Zahnersatz das Endziel bei Säugern, wenn man den Vor- gang bis zur letzten Konsequenz verfolgen wollte; mit anderen Worten, hier, bei Lechescher Auffassung Rückkehr zu dem Stadium, das den Vor- ı W.Leche, Zur Entwicklungsgeschiehte des Zahnsystems der Säugetiere. Stuttgart bei Naegele 1895, I, S. 1—160, spez. S. ı5T. Ba. OS, I522 Anm? 2. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 4) fahren, den Reptilien, eigen war. Im Gegensatz zuKowalewsky. Schmidt. Schlosser nimmt Leche also eine Vermehrung der Zahl der Zähne an, stützt sich! darin auch auf Selenka. der gleichfalls der Auffassung Aus- druck gegeben hat, dal die bei Anthropomorphen häufig vorkommenden überzähligen Molaren, M* und sogar M°, — beim Orang haben 20 Prozent aller untersuchten Individuen überzählige Molaren —, keineswegs atavistische, ererbte Erscheinungen sind. sondern Neuerwerb, hervorgerufen durch Ver- längerung der Kiefer infolge von Vergrößerung der Kaumuskeln und damit Vergrößerung des der Zahnleiste zur Verfügung stehenden Raumes. Indessen Leche erkennt bei Säugern auch das Auftreten einer Reduktion des Gebisses, einer Verringerung der Zahl der Dentitionen an, und folge- richtig erklärt er hier, daß bei diesem Vorgange der Reihe nach verloren- gingen: zuerst das prälacteale. dann das Milchgebiß, zuletzt eventuell auch das neuerworbene Ersatzgebiß. Lecehe begründete bekanntlich seine obige Auffassung damit, daß er zuerst bei Marsupialiern — ganz wie Kükenthal und Röse dann auch bei höheren Säugern ein gelegentliches prälacteales Gebiß erkannt hatte, dessen Zähne jedoch bald rückgebildet werden. Dieses Vormilehgebiß bezeichnete Leche als die erste Dentition der Säuger. Dann wäre das Milchgebiß der höheren Säuger die 2. Dentition. Das Ersatzgebiß wäre (die 3. Dentition. Die ausnahmsweise bei höheren Säugern noch nach dem Ersatzgebiß sich entwiekelnden Zähne aber die 4., Zukunftsdentition. Leche kommt also zu der Annahme von mindestens 4 Zahngenerationen bei den plazentalen Säugern. Falls man aber die von Röse beim Menschen nachgewiesenen Zahnpapillen mitrechnen wolle, welche Anklänge an (die älteste plakoide Bildungsweise der Zähne zeigen, so würden es sogar 5 Zahn- generationen sein, wobei die obigen Zahlen sich um eins verschieben würden. Es ergäbe sich dann’: “1. Dentition, nur beim Menschen beobachtet. jene letzterwähnten Rück- bleibsel plakoider Zahnpapillen. 2. Dentition, die prälacteale: Bei den Marsupialiern sind es verkalkte Zahnrudimente, bei den Plazentaliern aber nur unverkalkte Epithelknospen während des Embryonallebens. ! TLeche, a.a. 0. S. 1036. D ® Leche, Entwicklung des Zahnsystems S. 982— 1036, spez. S. IOOI. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. au) BrANcA: 3. Dentition, das Milchgebiß. Es persistiert nur in Form der M wäh- rend des ganzen Lebens; denn die Molaren muß man als Milehzähne auf- fassen. Für die P, C und I ist es von recht verschiedener Dauer und Aus- bildung bzw. Reduktion: Bei vielen Nagern fehlt es als verkalkte Zahn- serie gänzlich. Bei Bradypus (?) besteht es nur in einem einzigen rudimentären, nie zum Durchbruch kommenden Zahne. Bei einigen Phocidae, Nagern, Talpidae und Chiroptera wird das ganze Milchgebiß schon resorbiert, bevor es das Zahnfleisch durehbrochen hat; bei Pinnipedia und einigen Talpidae ist es rudimentär. Bei den meisten Säugern fehlt ein Zahn des Milch- gebisses, Pd' (Leche zählt die P von vorn beginnend), oder fehlen mehrere Zähne desselben im verkalkten Zustande. Auch die Molaren der Säuger sind nach Leche Milehzähne ohne verkalkte Nachfolger'. 4. Dentition, das Ersatzgebiß. Bei den heute lebenden Plazentaliern verdrängt und ersetzt es alle Antemolaren des Milchgebisses, funktioniert also zusammen mit den Molaren beim erwachsenen Individuum. 5. Dentition. Sie erscheint meist nur in Form von Knospen, die lin- gualwärts von den Zähnen des Ersatzgebisses auftreten; nur manchmal gchen aus den Knospen vollkommen ausgebildete Zähne hervor. Man wird sieh natürlich hierbei darüber klar sein müssen, daß nur diese 2. und 3. bzw. 3. und 4. Dentition.Leches — d.h. Mileh- und Er- satzgebiß, also 1. und 2. Dentition nach gewöhnlicher Auffassung — das völlig Gesicherte sind, während die ı., 4. und 5. Dentition Leches das zwar unstreitig ausnahmsweise Vorkommende, aber doch in der ihm von Leche gegebenen Bedeutung als das immerhin Unsichere anzusehen sind. Ob das nur mehr zufällige, durch irgendeinen Bildungsanstoß ins Leben ge- rufene Bildungen sind, die in keinem ursächlichen Zusammenhange mit von Vorfahren Ererbtem oder mit zukünftigem Neuerwerb für alle stehen, oder ob das doch der Fall ist, darüber werden (die Ansichten auseinander- ochen. Die bald zu erwähnende, anregende Arbeit von Dewoletzki aber nimmt Leches Auffassung als Gesichertes an und gründet darauf ihre Schlüsse ‚bezüglich der fossilen Formen, was natürlich auch nur mit obigem Vorbehalt Gültigkeit haben kann. Von der Regel, daß bei Säugern da, wo Antemolaren (Leche, a.a.0. S. 999, Anm.) 1.C. P vorhanden sind, diesen allen ein Milchgebiß vor- Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 51 herzugehen pflegt, gibt es bekanntlich Ausnahmen. So findet bei den Nagern im allgemeinen ein Zahnwechsel nur bei den Formen statt, die mehr als 3 Backzähne haben; hier wird bei 4 Zähnen der vorderste ge- wechselt'; bei den mit 5—6 Backzähnen versehenen Leporiden und fossilen Lagomyden aber werden — soweit das untersucht ist — unten die beiden ersten, oben die drei ersten gewechselt und sogar die Schneidezähne wech- seln. Wo nur drei Backenzähne vorhanden sind, scheint dagegen keiner mehr gewechselt zu werden, doch läßt sich nach Schlosser auch das jetzt noch nicht so verallgemeinern”. i Bei Marsupialiern wird nur noch der hinterste Prämolar P', der oft durch Größe sowie durch schneidende und geriefte Gestalt ausgezeichnet ist, dem Wechsel unterworfen. llier haben wir also die Wahl der Auffassung: Entweder ist das ganze übrige Gebiß der Marsupialier ein (bleibendes) Milchgebiß, also 1. Den- tition, und P' der einzige Ersatzzahn, also 2. Dentition, oder — ganz so wie bei Ornithorhynchus das sehr schnell wieder verschwindende Gebiß als ein Milchgebiß, aber als ı. Dentition, wird bezeichnet werden müssen — so könnte man bei Marsupialiern jenes unter ı erwähnte prälacteale Gebiß als 1.. sehr schnell wieder verschwindende Dentition auffassen. Dann würde ihr (bleibendes) »Milch«gebiß bereits die 2. Dentition darstellen, also schon Ersatzgebiß sein und ihr Ersatz-P' der einzige Vertreter der 3. Dentition. Bei den Marsupialia hat, wie Leche meint” und auch Röse stimmt ihm bei, ein vollständiges Ersatzgebiß nie bestanden, da die hier statt- findende Entwickelung eines Saugmundes die Ausbildung des vorderen Teiles des Ersatzgebisses notwendig gehemmt hat. Wenn das richtig sein sollte, so würde man, wie mir scheint, Gleiches für die ältesten Säuger annehmen müssen. Ein vollständiges Ersatzgebiß würde dann erst von den späteren, höherstehenden Säugern erworben worden sein. Das persistierende Gebiß der Marsupialier müßte nach Leche somit dem Milchgebiß homolog sein und die labialwärts von diesem hier auf- ' Schlosser, Die Nager des europäischen Tertiärs. Paläontographiea Bd. 31, 1885. S. 1ıo ff. ® Schlosser hat gezeigt, daß die Größe und Entwicklung des D mit der Höhe der Krone in einem gewissen Zusammenhange steht: Bei den Formen mit niedriger, flacher, dentinreicher Krone ist D am größten. A. a. 0. S. 1005. 52 Branca: tretenden verkalkten, rudimentären Zähne somit prälaeteale. Wilson und Hill’ dagegen fassen diese »prälaetealen« Zähne der Marsupialier als Milch- gebiß auf und somit das persistierende Gebiß als Ersatzzähne. Man sieht. ein absolut Richtiges, Sichergestelltes gibt es hier nicht: jede Deutung ist Sache der Auffassung. Jenem P’ der Marsupialier gehen bei den verschiedenen Formen recht verschieden gestaltete Milchzähne voraus. IIr. Kollege Matschie zeigte mir freundlichst an seinen reichen Schädelschätzen wie bei dem jungen Parameles dem P' nur ı kleiner spitzer Milchzahn vorhergeht, der dann — nachdem die Sehnauze sich gestreckt hat, so daß Platz geschafft ist — durch den langen P' ersetzt wird, der hier aber ebenso gestaltet ist wie die anderen Prämolaren. Bei Dorcopsis dagegen gehen dem P' 2 Milchprämolaren voraus, die beide verschieden gestaltet sind, indem der vorderste bereits lang und gerieft ist, ganz wie der dann noch länger werdende Ersatzzahn. Bekanntlich hat Rütimeyer den Satz begründet, daß das oft dem Ersatzgebisse unähnliche Milchgebiß eben infolge dieser Unähnlichkeit für die Phylogenie benutzt werden kann, indem die Gestalt der Milchzähne auf die Ersatzzähne der Vorfahren hinweist. Daß in der Tat das Milch- gebiß für phylogenetische Untersuchungen in der von Rütimeyer an- gedeuteten Weise pfadfindend sein kann, geht z. B. auch aus Klevers Untersuchungen hervor, die dargetan haben, daß die oberen Milchbacken- zähne des lebenden Pferdes ein Paloplotherioid- und ein Merychippoidstadium durchlaufen, und daß die bereits aus anderen, phylogenetischen Gesichts- punkten abgelehnte vermeintliche Abstammung des Pferdes von Hipparion dadurch ebenfalls als unrichtig erwiesen wird”. Aber Vorsicht scheint mir hierbei doch geboten zu sein. Wollte man diesen Satz auf die Marsupialier anwenden, für die, als niedere Säuger er Ja ganz besonders von Wichtigkeit sein müßte, so würde man auf Über- raschendes stoßen. Es würde sich ergeben, daß bei Parameles die Vor- fahren kleine spitze Prämolaren gehabt haben müßten, bei Dorcopsis, daß sie zwei ganz verschieden gestaltete, und von diesen schon einen, der ganz wie der Ersatzzahn lang und gerieft war, besessen hätten. Das Milchgebiß dieser Marsupialier würde also auf ganz verschiedene Vorfahren hinweisen. ı A.a.0. bei Leche, S. 1005. Anmerkung. Klever, Zur Morphogenese des Equidengebisses. Morphologisches Jahrbuch Bd. 15, 1889, laut Leche. a.a. O. S. 1035. Einige Dbetrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 53 © Bei den niedersten Säugern, den Monotremen, herrscht Zahnlosigkeit bei Echidna; Ornithorhynchus aber hat oben und unten jederseits 2 Molaren, die freilich wenig zum Gebrauch kommen und bald durch Hornplatten er- setzt werden. Daraus folgt, daß man das Gebiß von Ornithorhynchus als Milchgebiß auffassen muß, das aber ganz hinfälliger Natur ist. und daß man die Hornplatten gewissermaßen als sein Ersatzgehiß ansehen könnte, das nun bleibend ist. Bei soleher Auffassung würde das Milchgebiß die denkbar größten Unterschiede der Gestalt besitzen gegenüber (lem Ersatzgebiß. Wenn besonders das Milchgebiß es ist, das auf die Vor- fahren hinweist. so wird man fragen müssen, ob und inwie- weit wir durch das Gebiß bei Marsupialiern und Monotremen Hinweise auf die Verwandtschaft mit triassischen Formen er- halten könnten: Bezüglich der Marsupialier habe ich oben schon betont, daß wir auf recht verschiedenartige Vorfahren hingewiesen werden würden, wenn obiger Satz auch bei ihnen Geltung haben sollte, zum Teil auf Vorfahren mit spitzen Zähnen, bei denen man allenfalls an Reptilzähne einfacher, kegel- förmiger Gestalt denken könnte. Was die Monotremen anbetrifft, so kann wohl kein Zweifel sein, daß die (Milch)-Backenzähne des Örnithorhynchus in der Unregelmäßigkeit der Anordnung ihrer Höcker keinerlei nähere Beziehung zu dem triassischen Trity- lodon oder Microlestes verraten, sondern höchstens zu triassischen gomphodonten Reptilien. So sehr man daher auch geneigt sein muß, die ausgestorbenen Multitubereulata als niederste Säuger, als Monotremen, anzusehen, so muß man doch zugeben, daß sich ein Beweis dafür durch Ornithorhynchus” nicht erbringen läßt. Onithorhynchus weist vielmehr nicht auf die ausgestorbenen Multituberculata hin, sondern über sie hinweg bzw. an ihnen vorbei. Die Multituberculata aber — falls an Tritylodon das Milchgebiß vor ! Schon Osborn (Evolution of Mammalian molar teeth New York, Macmillan 1907, S. 107. Fig. 56) hat mit Recht hervorgehoben, daß die Ober- wie Unterkiefer-Backzähne von Ornithorhynchus durch die außerordentlich unregelmäßige Anordnung ihrer Höcker sich stark von denen der Multitubereulata unterscheiden. bei denen umgekehrt eine außerordentlich große Regelmäßigkeit herrscht, und daß bei Ornithorhynchus die größten Höcker oben an der Innenseite, unten an der Außenseite liegen. ® Osborn möchte die Ornithorhynchuszähne für degenerierte tritubereulare ansehen. (H. F.Ösborn, Evolution Mammalian molar teeth S. 108). 54 BrANcA: uns liegt — weisen auf Ahnen mit regelmäßigeren Höckerzähnen, falls nieht etwa sein vor uns liegendes Gebiß schon Ersatzzähne aufweist und die uns dann unbekannten Milchzähne ebenfalls unregelmäßige Höcker gehabt haben sollten. Weleher Dentition also soll man das uns bekannte Gebiß der Multitubereulaten zuschreiben? Dewoletzky hat in einer anregenden Schrift diese und andere die ältesten Säuger betreffenden Fragen behandelt. Sein Gedankengang ist der folgende: In mesozoischer Zeit sind die Multitubereulaten die einzigen säuger- ähnlichen Zeitgenossen der Protodonten, 'Triconodonten usw., also echter Marsupialier, gewesen. Da das Marsupialiergebiß dem Milehgebisse der höheren Säuger, also Leches zweiter Dentition der Säuger, entspricht, so kann auch das Multitubereulatengebiß unmöglich einer späteren, Jüngeren Dentition der höheren Säuger entsprechen. Es entspricht aber auch nicht (dem Marsupialiergebiß, das »geht aus der Verschiedenheit des bei Allotherien (Multituberculaten) so prägnanten Backenzahntypus gegenüber dem der jJurassischen Säuger hervor«. Somit, das ist die Folgerung Dewoletzkys, entspricht das Multi- tubereulatengebiß der ersten, prälaetealen Dentition Leches; und Seeleys Theriopsida (anomodonte Reptilien und Monotremen) sind ihm jene niederen Wirbeltiere, von denen die Marsupialier nach Leches Meinung ihr Gebiß ererbten. Mir erscheint diese Folgerung Dewoletzkys, nach der das Gebiß von Tritylodon, Microlestes und der anderen Multituber- culata dem prälaetealen der höheren Säuger entsprechen müsse, nicht überzeugend. Aber es dürfte einstweilen ebenso unmöglich sein, eine andere besser begründete Ansicht zu beweisen. Nur das möchte ich sagen. Wir haben in triassischer Zeit bzw. in unterjurassischer (Tritylodon) bereits zwei ganz verschiedene Typen von zusammengesetzten Säugerbacken- zähnen, den multitubereulaten und protodonten, d. h. primitiv triconodonten. Es wäre an sich gewiß nieht unmöglich, daß in beiden zwei schon seit ! R. Dewoletzky, Offene Fragen aus der Geschichte der niederen Säuger. Jahres- bericht des Nieder-Österreichischen Landes-Realgymnasiums in Mödling 1898. Selbstverlag der Anstalt, 8°, 26 Seiten). Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 5% „längerer Zeit divergierende Äste des Säugerstammes vorliegen könnten, bei denen somit die Dentition bereits verschiedene Grade der Vor- oder Rückentwicklung erreicht haben könnte. Tatsache ist aber, daß die heute lebenden niederen Säuger sogar fast nur (Marsupialier) oder nur (Ornithorhynehus) Milchgebiß, allgemeiner gesagt, nur eine Dentition', besitzen. Wenn nun für diese beiden Gruppen der Leche irrtümlich unterstellte Standpunkt der richtige sein sollte, daß die mehrfachen Dentitionen der Säuger Neuerwerb wären, so wäre es so gut wie unmöglich, daß triassische und alt-jurassische Säuger bereits zwei voll- ständige Dentitionen, Milch- und Ersatzgebiß, gehabt haben könnten. Aber das ist, wie S. 48 gesagt, eine irrtümliche Auffassung der Meinung Leches. Dieser nimmt vielmehr für die ältesten Säuger bereits Diphyodontie an. Das Vorhandensein zweier vollständiger Dentitionen bei diesen ältesten Formen würde daher nur der Ansicht Leches entsprechen. Vergeblich aber würde man dann eine Antwort auf die Frage er- warten, wie denn so schnell die Polyphyodontie der Reptilienvorfahren in die Diphyodontie ihrer Säugernachfahren sich gemindert haben sollte. Die Bildung von Zähnen erfordert das Vorhandensein vielen Kalkes im Blute; vielmaliger Ersatz verbrauchter Zähne erfordert daher immer wieder aufs neue die Anwesenheit von viel Kalk im Blute. Dazu gehört aber nicht etwa nur die Anwesenheit genügender Mengen von Kalksalzen in der Nahrung, sondern vor allem die Fähigkeit des Tieres, sie aus der Nahrung gewinnen und in sein Blut überführen zu können, also eine starke Ver- dauungskraft. Eine solche aber ist den Reptilien in höchstem Maße eigen, sie verdauen, soweit sie Fleischfresser sind, ganz unzerkaute Knochen. Umgekehrt bei den Säugern ist diese Fähigkeit, heute wenigstens, mehr oder weniger gemindert. Diese Fähigkeit aber kann sich ebensowenig plötzlich so stark ver- 3)» mindert haben zur Zeit. in der die ersten Säuger” sich bildeten (8. {o} ' Falls man seine Hornplatten nicht als Ersatzgebiß auffassen will. ® Allerdings haben unter den Säugern einerseits die Raubtiere auch die Fähigkeit, Knochen gut zu verdauen. aber sie müssen sie doch erst zerkauen, das Gebiß muß doch einen großen Teil der Arbeit übernehmen; sie kommen daher den Reptilien durchaus nicht gleich. Anderseits haben unter den Säugern die fossilen Loricata ebenfalls einen schweren Hautknochenpanzer gehabt, ohne vielleicht — wir wissen nichts darüber — eine so starke verdauende Kraft gehabt zu haben. Aber das wiirde den obigen Schluß für die Reptilien nicht umstoßen. 56 Branca: als ihr Skelett die reptilischen Eigenschaften plötzlich verloren haben kann (S. 9). Man möchte bei solchem Standpunkte also meinen, daß die ältesten Säuger notwendig ebenfalls noch ein gewisses Maß von Polyphyodontie besessen haben müßten, wenn man nicht plötzliche, große Sprünge in dem Grade der Verdauungskraft und damit der Zahnbildungskraft annehmen will, und solche Sprünge sind nicht wahrscheinlich. Leches Ansicht, daß die äl- testen Säuger (nur) diphyodont gewesen seien, ist also anscheinend unhaltbar. Und doch könnte sie richtig sein, denn jener Standpunkt ist doch nur mit Vorsicht innezuhalten. Heute haben die Reptilien ein so hohes Maß von Verdauungskraft, heute haben sie einen zeitlebens währenden Zahnersatz. Diese beiden heutigen Eigenschaften habe ich in der vorher- gehenden Betrachtung ohne weiteres als bereits in triassischer Zeit vor- handen angenommen, und «das dürfte wohl auch allgemeiner Annahme entsprechen. Indessen damit erklärt man die Reptilien, in diesen beiden Eigenschaften wenigstens, als einen Dauertypus, der sich seit triassischer Zeit darin nicht mehr verändert, nieht mehr weiter vorwärts entwickelt habe. Das wäre ja nicht unmöglich, aber es wäre doch so bemerkenswert, dal man die Unveränderlichkeit der Reptilnatur in diesen beiden Eigenschaften durch so lange Jahrmillionen hindurch ganz besonders betonen müßte. Wie nun, wenn sie in diesen beiden Eigenschaften erst heute auf der Höhe ihrer Spezialisierung angelangt wären, wenn sie — mindestens die, welche die direkten Vorfahren der Säuger waren —, also in triassischer Zeit noch keineswegs eine so starke Verdauungskraft, noch keineswegs einen zeitlebens währenden Zahnersatz gehabt hätten? Dann wäre es sehr begreiflich, wenn die ältesten Säuger nicht poly-, sondern nur diphyodont gewesen wären, wie Leche will. Die Koprolithen jener alten fossilen Saurier sagen uns nur, daß ihre Erzeuger kalkreiche Nahrung gehabt haben. Aber darin, daß die Koprolithen versteinern konn- ten, liegt nur der Beweis, daß die Tiere viel Kalk unverdaut ausschieden. nicht auch, daß sie gleichzeitig auch viel Kalk in ihr Blut aufnahmen. Auch die fossilen Gebisse verraten uns nur, daß ein Zahnersatz stattfand, nicht aber, daß er zeitlebens immerwährend andauerte. Es spricht in- dessen doch ein Grund dafür. daß dem so gewesen sein könnte: Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 57 Betrachtet man die älteren Formen unter (Fischen, Amphibien und) Reptilien, so ist bei diesen bekanntlich die Verknöcherung des Skeletts noch eine unvollkommene. Erst allmählich wird diese vollkommener. Da jenen älteren Formen in ihrer Nahrung sicher genügende Mengen von Kalk zu Gebote standen! — so kann das nur in ihrem Unvermögen gelegen haben, genügende Mengen von Kalk aus der Nahrung herausziehen zu können, also in ihrer nach dieser Richtung hin noch nicht so stark ent- wiekelten Ausnutzungsfähigkeit der Nahrung, d. h. ihrer Verdauungskraft. Man könnte also, so wenig schön es auch klingt, sagen: Vorwärts- entwieklung in dieser osteologischen Beziehung war wesentlich Sache guter Verdauung eines sogenannten guten Magens (S. 55). Umgekehrt würde Rückwärtsentwicklung in dieser Beziehung, z. B. also Verlust der Polyphyodontie, wesentlich durch ein Rückwärtsgehen jener guten Verdauungskraft hervorgerufen sein. Dürfte man nur nach dem Grade der Entwicklung der Backzähne ur- teilen, so möchte man die Multituberculata für wesentlich höherstehend halten als die Protodonta; denn letztere haben ja Zähne, die sich über den haplodonten Kegelzahn der Reptilien nur in ebenso geringem Grade er- heben, wie die Multituberculata das in hohem Maße tun. Aber allein auf das Merkmal der höheren oder geringeren Bildung der zusammen gesetzten Zähne hin kann man keinen sicheren Schluß auf höhere oder niedere Or- ganisation tun. Haben wir doch auch innerhalb der theriodonten Reptilien solehe mit protodonten und solche mit (allerdings unregelmäßig) multi- tubereulaten, also nur multieuspidaten (Ösborn), Zähnen, ohne daß damit eine verschiedene Höhe der Organisation der Tiere verknüpft gewesen sein dürfte?. y Auch Osborn’ sagt zwar, daß die Multituberculata der Trias schon hoch- spezialisiert seien, er nennt sie daher »an archaie group«; aber er hält sie doch für wahrscheinliche Monotremen und weder mit den diprotodonten Marsupialen noch mit Ameghinos patagonischen Microbiotheridae verwandt, ! Was man daraus entnehmen kann, daß damals doch andere Tierformen, die kalk- schalig waren, diese Kalkmassen in genügender Menge in ihrer Nahrung fanden. ® Multituberkulat hier nur in wörtlicher Übersetzung, nicht in dem Sinne einer regel- mäßigen Reihenanordnung wie bei den Multituberculata genommen. ® Ösborn, The rise of the Mammalia in North America. American association for the advancement of science. Madison, Wis. (S. 13). Phyys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. s 58 BrAncA: die letztere vielleicht an die heutigen Beutelratten sich anschließen. Ebenso hat sich auch Dewoletzky' gegen die Beziehungen der Multitubereulaten zu den Marsupialiern ausgesprochen, zu denen sie meist gestellt werden. Ich möchte sie jedenfalls eher als Monotremen, denn als Marsupialier an- schen, da sie tiefer als letztere stehen. Auch die winzige Zahl der heute noch lebenden monotremen Formen spricht dafür, daß diese Gruppe früher viel größer gewesen ist. Über Mierolestes”. (Fig. 16, 18.) Wenn nieht das hohe geologische Alter des Microlesteszahnes und der Umstand, daß er neben Triglyphus eine Zeitlang überhaupt der einzige Säugerrest aus der Trias zu sein schien, Achtung geböten, könnte es frag- lieh erscheinen, ob einem einzigen Zahn hier eine längere Untersuchung gewidmet werden solle. Schon vor einem Jahrzehnt hatte mir mein leider so unerwartet und so viel zu früh verstorbener Freund E. Fraas den Stutt- garter Microlestes-antiquus-Zahn zur Abbildung und Untersuchung anver- traut, den ich hier in Fig. 16 stark vergrößert bringe. Es ist ein Glück, daß ich ihn damals genau zeichnen lassen konnte, denn nach der Rück- sendung ist er, wie mir E. Fraas schrieb, später hingefallen und dabei zertrümmert worden. Auch ihn hat also, wie den Triglyphuszahn, der seinerzeit abhanden kam, wie Plieninger berichtet, das Los ereilt, zu ver- sehwinden. ! Der bei gewissen Marsupialiern so eigentümlich gestaltete große geriefelte P:, findet sich allerdings, wie er ausführt, ebenso bei den patagonischen Abderitiden (Diprotodontia) wie bei gewissen Multitubereulaten. Diese Ähnlichkeit des Zahnes erklärt indessen Dewo- letzky nicht als Folge einer Zusammengehörigkeit, sondern einer Anpassung an eine ganz besondere Art der Ernährung, die uns freilich unbekannt ist und bleiben wird. ür ver- weist darauf, daß die ınesozoischen Plagiaulaciden vor dem eigentümlich gestalteten P: noch mehrere solcher P. vom Typus dieses Riefelzahnes besaßen, daß dagegen die jüngste dieser Formen, Neoplagiaulax nur noch einen einzigen, dafür aber sehr groß gewordenen derartig gestalteten P. behalten hätten. Hier zeigen sich trotz dieser Unterschiede unver'kennbare verwandtschaftliche Beziehungen. Anders aber sei das mit den doch auch sehr alten Ab- deritiden, die vor dem so auffällig gestalteten Riefelzahne ganz anders gestaltete Zähne besessen hätten; ein Beweis, daß keine Verwandtschaft mit jenen Plagiaulaciden vorliege. ®? Plieninger, Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg Bd72,.8.104, Tat. 1,.Eio, 3,4. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 5% Beide Zähne stammen bekanntlich aus dem oberen Keuper von Stutt- gart. Die Abbildung des Triglyphus habe ich in Fig. 5 hier wiedergegeben. (regemüber seinen drei Höckerreihen und seinem mehr quadratischen Umrisse hat Microlestes (Fig. 16) bekanntlich nur zwei Höckerreihen und länglichen Umriß. Wie die Wurzeln verraten, ist er in der Richtung des Kiefers verlängert ge- wesen, nicht aber quer zum Kiefer wie gewisse Reptilienzähne (Fig. 11,12, 13. 14). Auf der einen Seite folgen hinter einem Haupthöcker nur noch zwei klei- nere Nebenhöcker, im ganzen also drei. Auf der anderen Seite dagegen wird die Furche von vier kleineren Höckern be- gleitet, vor deren vorderstem aber noch ein ganz kleiner fünfter Höcker steht, so daß im ganzen hier also fünf vorhanden 79. 76. Mierolestes antiguus Plien. (Stark verg.) : Oberste Grenzschicht des Keupers zum Lias sind. Der vorderste dieser vier Höcker bei Stuttgart. ist etwas größer als die hinter ihm fol- genden drei und liegt dem Haupthöcker der anderen Seite gerade gegenüber. Das was Owen! als Microlestes Moorei aus England abbildet. sind ge- rundet-längliche Zähne mit einer gerundeten Vertiefung, die im Kreise von Höckerchen umgeben ist. Ich gebe das hier in Fie. ıS wieder. Das ist anscheinend nicht identisch mit dem läng- lichen und von einer schmalen Längsfurche durchzogenen Microlestes-antiquus-Zahn,. erinnert eher an die Kautläche und den Umriß theriodonter Reptilienzähne, besonders der Fig. 18. Molar v. Miero- lestes Moorei. Nach Ös- born, Evol.ofMammal. nicht gesagt haben, daß es Reptilienzähne seien, sondern teeth, S. 107, Fig. 56. (Stark vergr.) (Gomphodontia, z. B. Diademodon. Ich will damit jedoch nur den Unterschied kennzeichnen. Auch ist in der Be- schreibung, die Owen” von diesen Zähnen gibt. nichts von dem Rundlichen erwähnt, sondern nur hervorgehoben, daß auf der inneren Seite drei Hlöcker. ! R. Owen, On Tritylodon longaevus. Ouart. journ. geolog. soc. Vol. 40, 1834, S. 150, Taf. 6, Fig. 8, 9. Fig. 10 ist Microlestes rhaeticus. 2 A.a. O0. S. 150, Anm. I. 60 BrAncaA: darunter der größte, und auf der äußeren »more numerous tubereles« stehen und daß sie »run in the same antero-posterior direetion as in the tuber- culate ridges of the upper molars of Tritylodon«. Abbildung und Be- schreibung widersprechen sich also in dieser Beziehung; auch sind die Zähne von Microlestes Moorei viel kleiner gegenüber denen von Microlestes antiquus, was allerdings allein für sich kein Grund gegen generische Zusammengehörig- keit sein würde. Ebenso widerspricht sich aber auch Owens' Angabe in letztgenannter Arbeit mit der in erstgenannter darin, daß er sagt:” »The outer part of the wall developes three tubereles..... The inner part of the wall developes four small tubercles, the anterior one... being the largest and most prominent«. Wogegen er in der oben zitierten Anmerkung sagt: »The inner side of the tooth is indieated by the more prominent part of the wall, wich is divided into three tubereles.« Handelt es sich hier vielleicht um zwei verschiedene Zähne? Vielleicht aber hat er denselben Zahn das eine Mal als einen rechten, das andere Mal als linken Zahn aufgefaßt. Auch Osborn’ hat die Ansicht ausgesprochen, daß Microlestes Moorei nicht zu dieser (Microlestes antiquus) Art oder gar Gattung gehöre. Ich meine, es ist eine andere Gattung. Aber er spricht trotzdem von Microlestes Moorei und seiner »Basin-schaped«-Kaufläche als von der eines » Microlestes« und vergleicht sie mit ähnlichen Reptilzähnen, und dadurch entstand die ver- mutlich irrtümliche (?) Ansicht im Leser, daß Osborn die Gattung Microlestes — wir denken dabei stets an Microlestes antigquus — mit diesen theriodonten Reptilien in enge Beziehung bringe; zumal, da er Microlestes antiquus auch dicht neben Mierolestes Moorei abbildet‘. Ich möchte bei dieser Gelegenheit hinweisen auf die ganz neue Be- trachtungsweise, der Schwalbe’ die Unterkieferzähne der Primaten unter- zieht. Anstatt wie bisher die Stellung der Höcker zu betonen, faßt er sie ! Owen, Monograph of the fossil Mammalia of the mesozoie formations, London, Palzontographical Society 1871, S. 6 u. 8. Taf. I, Fig. 1—ı3 u. Fig. 16 Meicrolestes rhaeticus. aA TaLOEIS. 7: ® H. F.Osborn, Evolution of Mammalian molar teeth, S. 94 u. 102, Fig. 48, Nr. 2; S. T0o3, Anm. I. ZEN SFarn 0.19.0792, Rip asse NT. ir. 5 G. Schwalbe, Über den fossilen Affen Oreopithecus Bambolüi, zugleich ein Beitrag zur Morphologie der Zähne der Primaten, Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie. Stuttgart 1915, Bd. 19, Heft ı, S. 150 — 254, spez. S. 220 fl. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 61 in erster Linie als randständig um eine zentrale Depression oder Aushöhlung auf. Je größer die Höcker sind, desto mehr tritt zwischen ihnen die Aus- höhlung zurück; zuletzt, wenn die Höcker allein vorwalten (Macacus, Cyno- cephalus usw.), so bleibt von der Höhlung nur eine Kreuzfurche zwischen den (hier 4) Höckern übrig. Je kleiner sie sind (Gibbon), desto mehr herrseht die Aushöhlung vor. Der Gibbon aber ist die allgemeinere, niedrigere Form der Anthropomorphen. So ergibt sich für Schwalbe als Ausgangsform für diese Molaren (des Oberkiefers die trigonide Form) »des Unterkiefers eine von Höckern rings umstellte pfannenartige zentrale Depression«. Es ist von Interesse, daß diese Ausgangsform Schwalbes für Molaren der Primaten sich ebenso bzw. ähnlich hier bei Microlestes Moorei, diesen ältesten Säugern, bzw. bei gomphodonten Reptilien findet. Vollends fraglich ist trotz seiner Zweiwurzligkeit der Zahn, den Owen als Microlestes rhaeticus Owen bezeichnet. Er hat 4—5 Höcker auf einer Seite, die andere ist nicht bekannt. Die Form stammt ebenfalls aus dem Rhät Englands'. Es gibt also drei obertriadische, als Microlestes bezeichnete Zahnformen, von denen wohl nur Microlestes antiguus diesen Gattungsnamen mit Sicher- heit führen darf. Während Tritylodon und damit Triglyphus von Seeley und denen, die sich ihm etwa anschlossen, aus der Reihe der Säuger entfernt werden sollten, so war hinsichtlich des Mierolestes wohl kein Zweifel, daß hier ein Säugerzahn ° vorliege. Nur ob es ein Ober- oder Unterkieferzahn, und welcher Herkunft der Zahn sei, blieb fraglich. Diese Frage muß daher zuerst erörtert werden. Wenn man einmal Microlestes ohne weiteres zu den Multituberculata stellen will, so ist es wahrscheinlicher, daß er dem Unterkiefer angehöre: denn die etwas vollständiger bekannten Multituberculata, wie Meniscoessus und Ptlodus aus den Laramie beds’, Pfilodus und Polymastodon aus der ! R. Owen, Monograph of the fossil Mammalia, S. 8, Taf. I, Fig. 16, ı6a. ® R.Lydekker (Catalogue of the fossil Mammalia in the British Museum, Part V, London 1887, S.202) rechnet Microlestes zur Familie der Bolodontidae, also zu den Plagiaulacidae (Bolodon Owen = Plagiaulax Faleoner); auch in der 2. Auflage von Zittels Grundzügen der Paläontologie von Broili., Koken, Schlosser, 1gı1, S. 352, wird er dorthin gestellt. ° H.F. Ösborn, Fossil Mammals of the Upper Cretaceous beds. Bullet. Americ. Mus. of Natur. Hist. Vol. 7, 1893, Art. 17, S. 313—320, Taf. 7. Fig. 19. 62 y BrAnNcA: Puercogruppe', zeigen Molaren, die im Oberkiefer, wenn auch nicht aus- nahmslos, drei, im Unterkiefer jedoch stets nur zwei Höckerreihen be- sitzen. Da nun jene zweireihigen Unterkiefer Molaren meist auf der Innen- seite etwas weniger Höcker haben als auf der Außenseite, so möchte man Microlestes in gleicher Weise orientieren. Und da endlich auf dieser mit einer geringeren Zahl von Höckern versehenen Innenseite öfters einer der Höcker durch Höhe die anderen ein wenig zu überragen scheint und dieser wohl nur der vorderste, nieht der hinterste in der Reihe sein dürfte, so möchte man meinen, daß der Zahn von Microlestes antiquus dem linken Unterkiefer angehöre. Auch Osborn” erklärt den Microlestes-antiquus-Zahn nach der von ihm gegebenen Zeichnung für einen des linken Unterkiefers, betrachtet also die durch den Haupthöcker gekennzeichnete Seite als die Innenseite*. Die Wurzeln des Mierolesteszahnes liefern leider keinen Anhaltspunkt für diese Frage, obgleich sie recht verschiedene Größen besitzen. Die eine ist, wenn man den Zahn von der Seite ansieht, dieker als die andere, die unter dem Haupthöcker liegt; und ferner ist sie, wenn man den Zahn von seinem schmalen {hinteren?) Ende aus betrachtet, fast ebenso breit als die andere Wurzel. Gleichviel nun, ob der Zahn von Microlestes als dem Unter- oder Oberkiefer angehörig angesehen wird, stets steht diese diekere und breitere Wurzel hinten, die schwächere und schmalere vorn, sobald man den Haupthöcker als am Vorderende stehend ansieht. Völlig sicher ist es durchaus nicht, daß der Microlesteszahn dem Unterkiefer angehören muß. Die Möglichkeit wäre vorhanden, daß ein mit nur zwei Höckerreihen versehener Zahn auch dem Oberkiefer eines Multitubereulaten angehören kann. Wenn diese auch oben meistens Mo- laren mit drei Höckerreihen haben, so kommen doch solehe mit zwei Reihen vor: Bolodon (Plagiaulax) und Ptilodus dienen als Beweis. Indessen finde ich bei diesen Formen nicht das, was den Microlesteszahn kenn- zeichnet: das Vorwiegen eines vorderen Höckers durch Größe. Immerhin ' H.F.Osborn and Earle, Fossil Mammals of the Puerco beds, ebenda 1895, Vol. 7. S. ır—ı5, Fig. 13. ® Evolution of Mammalian Molar teeth, S. 102, Fig. 48. Oshborns Zeichnung gibt einen kräftigen Basalhöcker an; von diesem ist mir nichts bekannt. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 63 aber könnte derartiges ja bei einer bisher noch unbekannten multituber- culaten Form der Fall sein. Es wäre mithin keineswegs notwendig, daß der Microlestes- zahn dem Unterkiefer angehören müßte; er könnte auch ein Ober- kieferzahn sein, und zwar dann ein rechter. Fig. 17. Pteropus pselaphon Lay 9. Fig. 16. Mierolestes antiquus Plien. (Stark vergr.) 54:1 oben M? rechts. Oberste Grenzschicht des Keupers zum Lias Bonin-Inseln. bei Stuttgart. Die weitere Frage schließt sich nun an, ob, wie man stets meint, in Mierolestes denn notwendig ein Multitubereulater, also ein Verwandter von Tritylodon, vorliegen muß. Eine verneinende, von der gewöhnlichen ganz abweichende Deutung hat P. Matschie dem Microlesteszahn gegeben, in zwei wohl wenig be- merkten kurzen Notizen', die, wenn sie das Richtige treffen sollten, außer- ordentlich interessant sein würden. Er hat, auf die Ähnlichkeit mit den Molaren von Megachiropteren, speziell zu Epomophorus in Südafrika hin- weisend, Mierolestes für diese in Anspruch genommen. ' P. Matschie, Sitzungsberichte Ges. Naturforschender Freunde in Berlin 1899, S. 30, und später in Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin 1902, S. 474; in Die Säuge- tierwelt Deutschlands einst und jetzt in ihren Beziehungen zur Tierverbreitung. 64 BRANCcA: Diese Ähnlichkeit ist bei manchen Megachiropteren in der Tat auf- fallend. Ich gebe oben in Fig. 17 die vergrößerte Abbildung von M? sup. Pteropus pselaphon, dessen Schädel ich der Freundlichkeit des Hrn. Kollegen Matschie verdanke. Vergleicht man beide Zähne und orientiert sie in gleicher Weise, so sieht man hier, wie dort eine Längsfurche, die von einer äußeren und einer inneren Reihe von Höckern begleitet wird. Der vorderste Höcker der Außenseite ist der größte; nur ist er bei Pleropus etwas schneidender, raubtierartiger als bei Microlestes, wo er stumpfer, kegelförmiger ist. Auch die Zahl der Höcker ist hier wie dort fast die gleiche'. Die Ähnlichkeit ist groß. Wenn man trotzdem Bedenken tragen wird, Microlestes als eine Megachiroptere anzusehen, so geschieht das, weil die Fledermäuse doch schon stark differenzierte Säuger sind, deren Ent- stehung man deswegen erst in spätere Zeiten verlegen möchte, während man Microlestes, weil obertriassischen Alters, eher einem erst wenig diffe- renzierten Säuger zuschreiben möchte. Es ist bemerkenswert, daß auch von ganz anderer Seite, von Osborn’, auf Ähnlichkeit des Mierolestesmolars mit denen von Artibeus perspicillatus, diesmal einer Microchiroptere, hingewiesen wird. Damit hätten wir Ähnlichkeiten mit beiden Gruppen der Fledermäuse. Ich kann mich hier aber Osborns Ansicht durchaus nicht anschließen; und das kommt daher, daß Artibeus höchstens mit Microlestes Moorei Ähnlichkeit besitzt, der aber (S. 59) kein Microlestes ist. Es müßte denn bewiesen werden, daß die Gattung Microlestes zwei verschiedene Formen von Molaren besitzt: rundliche, mit ausgehöhlter Kaufläche und Höckern ringsum = M. Moorei, und längliche, mit einer Längsfurche und zwei Reihen von Höckern = M. antiquus. Zweifellos hat Osborn nur die Ähnlichkeit des M. Moorei mit Artibeus perspicillatus im Auge. Eher noch scheinen mir aber diese Artibeusmolaren eine kleine Ähn- lichkeit zu besitzen mit denen von Ornithorhynchus (Fig. 19, S. 65), durch- aus nicht in der genau gleichen Anordnung der Höcker, sondern nur in dem allgemeinen unregelmäßig multieuspidaten Bauplan der Kaufläche. Indessen kann ich hier nur nach der ganz undeutlichen Abbildung urteilen, ! Hypsignathus monstrosus, Matschie, Fledermäuse des Berliner Museums. Megachi- roptera, Berlin 1899, Taf. 10, Fig. ıd, hat ebenfalls deutliche Randhöcker auf den M. ) ® H. F.Ösborn, Evolution of the Mammalian molar teeth, S. ı3r. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeil. 65 die Osborn von dem Artibeuszahne gibt; denn das, was ich der Freund- liehkeit des Hr. Kollegen Matschie als Schädel von Artibeus perspieil- /atus' verdanke, läßt auf den doch nur wenig angekauten Molaren nichts von einer solehen Ähnlickeit erkennen. Sind hier etwa zwei verschiedene Arten unter gleichem Namen gemeint? Jene Ähnlichkeit mit Pteropus bleibt aber bestehen. Dazu kommt die Tatsache, daß bei Reptilien bereits in obertriassi- Fig. 19. Ornithorhynchus paradozus. Osborn, S. 17, Fig. 56. scher Zeit, in der Microlestes lebte, ein Erwerb des Flugver- mögens vermittels Flughaut in ganz gleicher Weise stattgefunden hatte, wie ilın die Säuger in Gestalt der Ghiropteren zu irgend- einer fraglichen Zeit erlangten. Hier wie dort ermöglicht eine bis ins Übermaß vergrößerte Hautduplikatur das Flugvermögen. Wenn diese Spezialisierung in obertriassischer Zeit bei Reptilien möglich war — warum damals nicht auch schon bei Säugern?, so wird man fragen können. Gewiß, die Reptilien waren damals schon älter, konnten also leichter differenziert sein; die Säuger aber waren ganz jung, konnten folglich doch * kaum bereits so differenziert sein. Indessen. einmal wissen wir nicht. ob ! Aus Mittelamerika. Südbrasilien, auch Westindien. Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. 9 66 BraAncA: wirklich die Säuger erst in obertriassischer Zeit entstanden sind. Zweitens aber, wenn doch die Säuger aus Reptilien hervorgegangen sind, könnte an und für sich vielleicht die Möglichkeit gegeben sein, daß aus Flug- hautfliegern der Reptilien sich Flughautflieger der Säuger entwickelt hätten? Steinmann hat das in der Tat gelehrt!'. Indessen, wie soll aus der Flughand der Flugsaurier, deren einer Flugfinger so stark verlängert ist, die Flughand der Fledermäuse werden können, bei der nicht weniger als vier Flugfinger verlängert sind, und bei der die Stellung der Hand so vollkommen verändert ist? Das erscheint ganz unmöglich, wenn man nicht zu dem Gewaltmittel greifen will, dem bei den reptilischen Ahnen allmäh- lich riesig lang gewordenen Flugfinger bei ihren säugerischen Nachkommen wieder eine Zusammenschrumpfung anzudichten. Umkehr der Entwick- lung, früher für unmöglich angesehen, wird zwar neuerdings für möglich erklärt. Gerade diese Umkehr aber ist doch wohl ausgeschlossen: Wenn man sich fragt, wodurch Hand und Finger den Anreiz zu diesem Längenwachstum erhalten haben, so kann hier wie dort die Ursache nur ge- sucht werden in dem Reize, der durch den Luftwiderstand gegen die an ihnen befestigte Flughaut ausgeübt wurde. Wenn nun bei den Flugsauriern durch diesen Reiz der eine Flugfinger bis ins Groteske zum Längenwachstum angespornt worden war, so kann er unmöglich bei einer Weiterdauer des Reizes wieder verkürzt worden sein. Und wenn die zwischen diesem riesigen, schräg aufwärts gerichteten fünften Finger und dem Körper ausgespannte Hautduplikatur einmal eine so gewaltige flächenhafte Ausdehnung durch diesen Reiz erlangt hatte, so konnte sie unmöglich bei Fortdauer dieses Reizes wieder zusammenschrumpfen zu der dagegen geringen Ausdehnung, die das Patagium bei einer gleichgroßen Fledermaus zwischen fünftem Finger und Körper nur besitzt. Die Drehung der Handstellung um etwa 90°, durch die aus der Flugsaurierhand die Fledermaushand hervorgegangen wäre, kann man sich ja leicht vorstellen. Schwerer schon aber könnte man sich vorstellen, wodurch nun plötzlich auch bei dem vierten, dritten und zweiten Finger das Längenwachstum, und zwischen ihnen die Hautduplikatur zum Wachstum angeregt worden sein ' G. Steinmann, Geologische Grundlagen der Abstammungslehre. Leipzig 1908, S. 216— 221, 254. Vergl. über Weiteres auch Pompeckj, Jahresber. niedersächs. geolog. Ver. 1910, Hannover, S. 23,31 »Gegen Steinmanns geologische Grundlagen der Abstammungslehre«. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 61 sollte, während das bisher nicht der Fall war. Gar nicht aber könnte man sich ein Wiedereinschrumpfen des fünften Riesen- fingers und seines großen Patagiums vorstellen. Es ist klar, daß dieser von Steinmann gelehrte Weg der Herkunft der Fleder- mäuse unmöglich der richtige sein kann. ® Somit bleibt nichts übrig, als daß die Fledermäuse sich unabhängig von dien Flugsauriern ihre Hautduplikatur und das Skelett ihrer Flughand er- worben haben: entweder hervorgegangen direkt aus nichtfliegenden Reptilien oder direkt aus nichtfliegenden Säugern (unter denen man an Insektiroren denken möchte), und mit dieser letzteren Annahme würde dann auch die bisherige geologische Erfahrung stimmen, derzufolge wir die Chiropteren erst seit der Tertiärzeit kennen. Man darf sieh freilich nicht verhehlen, daß die Feinheit der Knochen, namentlich der Flughand, und die Lebensweise der Chiropteren einer Erhaltung nicht günstig sind, so daß der Stand unserer Kenntnisse sehr trügerisch sein kann. Indessen die Zähne sind doch erhaltungsfähig, ganz ebenso wie die anderer Formen, und wir kennen bisher aus Jura- und Kreideschichten nichts von Chiropterenzähnen; die Megachiroptera sind zudem noch seltener als die Microchiroptera. Es fehlt daher der Ansicht, daß der obertriassische Miero- lestes anliquus eine Megachiroptere sein könne, trotz der unleug- baren Ähnlichkeit der Zähne, bisher eine Unterstützung durch Befunde, die ein höheres als tertiäres Alter der Fledermäuse er- weisen — essei denn, daß man unter jurassischen und kretazeischen multi- tubereulaten Zähnen mit nur 2 Längsreihen von Höckern im Oberkiefer die verbindenden Glieder, also ebenfalls Reste von Megachiropteren, suchen wollte. Aber diese Formen mit zweireihigen Oberkieferzähnen sind selten (S. 61,62) unter den Multitubereulaten; aus dem Jura ist vielleicht noch keine bekannt, nur aus Kreide und unterstem Tertiär, und diese wird man kaum für Chiropteren halten wollen. Während die soeben besprochene Deutung .den Microlesteszahn in der Reihe der Wirbeltiere nach oben hinaufrücken würde, würde ihn ein von Osborn gemachter Vergleich eher umgekehrt in Beziehung zu unten in der Reihe stehenden Formen, zu theriodonten Reptilien, bringen. Doch meint Osborn offenbar damit nicht etwa, daß Microlestes zu diesen gehöre; er hebt vielmehr nur die seiner Ansicht nach bestehende Ähn- 9* 68 BrRANcA: Fig. 12. Diademodon tetragonus nach Seeley. Fig. 13. Trirachodon Kannemeyeri, Linke Taf. 89 in On the Structure, Organisation ... Molaren. Seeley, Phil. Trans. 1895 B, of the fossil Reptilia. Pl. 2, Fig. 8. Fig. 11. Diademodon brachytiara Fig. 16. Microlestes antiquus Plien. nach Seeley. Oberste Grenzschicht des Keupers zum Lias Phil. Trans. 1894 B, Pl. 89, Fig. 6— 10. bei Stuttgart. lichkeit im Bau der beiderseitigen Zähne hervor und will damit nur auf genetische Beziehungen hinweisen. Er sagt', daß die Molaren von Diademodon brachytiara dem Mierolestes- zahne ähnlich seien, indem sie eine ausgehöhlte Kaufläche und am Rande ' Ösborn, Evolution of Mammalian molar teeth, Fig. 45, Nr. 7 und 10, S. 92. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 69 dieser stehende Höcker besäßen. Ich kann mich dem nicht anschließen. Bei Microlestes antiquus ist keine ausgehöhlte Kaufläche eines Zahnes von rundlicehem Umriß vorhanden, sondern eine ausgesprochene Längsfurche eines länglichen Zahnes. Der Zahn ist also in der Längsrichtung des Kiefers gestreckt, während die Zähne von Diademodon umgekehrt quer zur Längs- richtung des Kiefers verlängert sind. Diese Unterschiede gegenüber Mierolestes gelten schon von den Oberkieferzähnen des Diademodon, noch mehr aber von denen des Unterkiefers, wie schon Broom betonte!. Des weiteren ist der Mierolesteszahn zweiwurzlig, während die Zähne der Reptilien einwurzlig sind, wenn auch eine bei manchen (Diademodon Fig. ı4) auftretende Längs- furche an der einen Wurzel vorhanden sein kann. Mir wollen daher nähere Beziehungen des Microlestes-anti- quus-Zahnes zu gewissen theriodonten Reptilien nicht einleuch- ten. Das, was Osborn meint, kann sieh mithin vermutlich nur beziehen sollen auf Formen wie Microlestes Morei, der aber mit Unrecht diesen Gattungsnamen trägt, solange nicht bewiesen ist, daß die Gattung Microlestes diese zwei ganz verschiedene Arten von Backzähnen gehabt hat (vgl. S. 59, 64). Es ist somit, bis weitere Erfunde anderes lehren, wohl am wahrscheinliehsten, daß der Miecrolestes antiquus genannte Zahn dem Unterkiefer eines Multitubereulaten angehöre. Die Frage der Entstehung der multitubereulaten Zähne. Bei den Reptilien ist die verdauende Kraft des Magens eine so hoch- gradige, daß Knochen, Chitin usw., selbst ohne zerkleinert” zu sein, in einen Brei verwandelt werden. Indem sie also dem Magen alles überlassen können, bedürfen sie der Zähne nur zum Erfassen und eventuell höchstens ganz groben Zerkleinern (der festen Teile; es genügen daher einfach kegelförmige Zähne. Bei den Säugern ist die verdauende Kraft des Magens im allge- meinen viel geringer“. Es ist daher die Zerkleinerung der Nahrung hier ı Osborn, a.a. 0. S. 93, Ann. ® Ein allerdings nur grobes Zerbrechen der Knochen der Beute findet aber z. B. bei Krokodilen auch in der Weise statt, daß sie sich ihre Beute so lange um den Kopf schlagen, bis die Knochen zerbrochen sind. ® Hunde usw. verdauen allerdings auch Knochen. za) BraANcA: dem Magen mehr oder weniger genommen und in die Mundhöhle verlegt. Damit erwuchs den Zähnen eine neue und erweiterte Aufgabe, der sie sich anpassen mußten, indem ihre Kaufläche sich verbreiterte und in verschieden- artiger Weise unebenhöckerig wurde. Vielleicht wird man aus dieser Tatsache für die fossilen Formen ge- wisse Schlüsse ziehen können, aus denen sich ein Ineinandergreifen der beiderseitigen Fähigkeiten ergibt (S. 69). Wenn wir einerseits sehen, daß die ausgestorbenen theriodonten Reptilien schon multieuspidate Zähne mit breiter Kaufläche besaßen, so wird man vielleicht folgern dürfen, daß die lösende, verdauende Kraft ihres Magens bereits schwächer geworden war, als das z. B. bei den kegelzahntragenden Krokodilen der Fall war und ist. Und wenn wir anderseits sehen, daß die ältesten Säuger zum Teil bereits breite multitubereulate Backzähne besaßen, zum Teil aber erst protodonte (S. 5) und selten trieonodonte, mit schmaler Kaufläche, so wird man viel- leicht schließen können, daß diesen letzteren von ihren Vorfahren her noch ein gutes Teil der verdauenden Kraft des Magens überkommen war, während jene ersteren (multitubereulaten) bereits zu der heutigen säugetierlichen Schwäche der Magenverdauung hinabgestiegen waren. Rose und Kükenthal haben die Entstehung der zusammengesetzten Zähne zu erklären versucht durch Verschmelzung mehrerer Zahnkeime. Leche, und vordem auf Grund paläontologischer Erwägungen schon Osborn und Jaekel haben demgegenüber die Ansicht vertreten, daß jeder Zahn bei Säu- gern, ob einfach oder zusammengesetzt, nur aus einem einzigen knospen- förmigen Schmelzkeime hervorgeht'!. Diese letztere Ansicht hat den Sieg davongetragen. Man stellt sich daher die allmähliche Entstehung der zu- sammengesetzten, mehr- bis vielhöckerigen Backenzähne bekanntlich nach dem Vorgange von Ryder,; Cope, Osborn so vor, daß aus dem ein- fachen Kegelzahne zunächst ein protodonter Zahn — ein Kegel, aber mit kleiner Vorder- und Hinterspitze — entstanden sei. Aus diesem dann einerseits der bei Säugern aber sehr selten vorkommende trieonodonte, bei dem jene kleine Vorder- und Hinterspitze zu größeren, selbständigen Kegeln geworden sind, die in einer Linie stehen, — ein Vorgang, der so leicht- verständlich ist, daß es sehr auffallend genannt werden muß, daß Zähne dieser Triconodontie in mesozoischer Zeit sehr selten uns bekannt geworden ! Leche, Zur Entwiecklungsgeschichte des Zahnsystems, I S. 154. kinige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 71 sind. Andererseits aber entstand aus dem protodonten Zahne der trituber- eulare, bei dem die drei Höcker nicht mehr wie bei jenen in einer ge- raden Linie stehen, sondern im Winkel. Auch das ist noch verhältnis- mäßig leichter zu verstehen und ebenso die Entstehung von Quadri- und (Quinquetuberculie mit Hilfe neuhinzugetretener Zwischenhöcker oder Außen- pfeiler, die sich allmählich stärker entwickelten. Aber schwer zu verstehen ist die Entstehung der multi- tubereulaten Zähne, die ihrer Gestalt nach ganz so aussehen, als seien zwei bzw. drei triconodonte Zähne seitlich aneinander- gewachsen. Der Gedanke, die mehrhöckerigen Zähne seien hervorgegangen aus Verschmelzung entsprechend vieler Zahnkeime, wurde bekanntlich bald aufgegeben zugunsten der anderen Vorstellung, daß jeder gleichviel wie- vielhöckerige Zahn nur einem einzigen Zahnkeime entstammt. Gleichviel aber, ob die zusammengesetzten Zähne auf diesem oder auf jenem Wege aus dem Einkegelzahne sich gebildet haben, immer wird es logische Forde- rung sein müssen, daß vielhöckerige Zähne erst in geologisch späterer Zeit entstanden sind, daß also in geologisch älterer Zeit wesentlich nur protodonte, trieonodonte und tritubereulare Zähne vorhanden gewesen sein dürften. Demgegenüber muß es als eine auffallende Tatsache be- trachtet werden, daß in triassischer (Microlestes, Triglyphus) und altjurassischer (Tritylodon) Zeit bereits hochgradig zu- sammengesetzte Höckerzähne vorhanden waren; nieht etwa nur solehe mit unregelmäßiger Anordnung der Höcker wie bei den theriodonten Reptilien, sondern besonders solche mit so regel- mäßiger zwei- und dreireihiger Anordnung wie bei jenen multi- tubereulaten Säugern. Diese regelmäßige Multitubereulie ist daher etwas vorzeitig Entstandenes, dem langsamen Gange der Entwicklung Vorangeeiltes. Als ein Analogon, das bei den Wirbellosen sich findet, konnte man betrachten die vorzeitige hochgradige Zerschlitzung der Lobenlinie bei den Ammoniten, die, zu derselben obertriassischen Zeit, in der jene Säuger lebten, im alpinen Meere bereits bei vielen Ammoniten eintrat, während theore- tische Forderung sein müßte, daß eine so starke Zerschlitzung eigentlich erst in späterer Zeit sich allmählich herausgebildet haben dürfte. Aber 12 BRANcA: die Sache ist hier doch immer noch nicht so auffallend wie dort: in der Zeit der oberen Trias gab es eben bereits massenhafte Ammoniten: auch ihnen schon ganz nahestehende Vorfahren lebten schon zu paläozoischer Zeit in größerer Anzahl. Umgekehrt sind uns dagegen in der Zeit der oberen Trias bzw. des unteren Lias erst ganz vereinzelte Säuger, vier bis fünf Gattungen, und zugleich Arten und (fast) Individuen bekannt'. Die Sache würde sich scheinbar etwas weniger überraschend gestalten, wenn man jene drei Gattungen sämtlich als Reptilien ansehen wollte. Dann wären es natürlich nicht die ältesten Säugergattungen, die uns sogleich mit so hoch zusammengesetzten Zähnen entgegentreten, sondern es wären bereits ziemlich späte Reptiliengattungen, denen schon viele Generationen vorhergegangen sind. Aber näher beleuchtet bleibt doch die Sache eigentlich dieselbe, denn wenn die Säuger aus irgendwelchen Reptilien hervorgegangen sind, dann hatten die ältesten obertriassischen Säuger bereits ganz ebenso viele Vorläufer unter den Reptilien, wie diese obertriassischen Reptilien sie hatten. Der Streit wäre folglich nur ein solcher um die Namen Säuger oder Reptil; die Sache bliebe dieselbe. Es ist aber nicht nur die Frühzeitigkeit des Auftretens dieser so reich zusammengesetzten multitubereulaten Zähne, die uns Schwierigkeiten be- reitet,- sondern vielmehr überhaupt ihre Entstehung. Stellen wir uns einen aus drei Höckerreihen bestehenden multituberculaten Zahn vor, so kann man, wie ich schon oben sagte, seine äußere Gestalt erfassen als bestehend aus drei seitlich miteinander verwachsenen trieconodonten Zähnen, deren jeder aus drei, vier, fünf, bei einzelnen Formen auch aus mehr Höckern besteht. Eine solche Vermehrung der Höckerzahl eines triconodonten Zahnes von drei auf vier und mehrere wäre nichts, das unwahrscheinlich sein würde: denn ganz ebenso, wie aus einem Kegelzahne ein vorderer und ein hinterer Nebenhöcker entstehen, können auch noch mehrere sich bilden. Die Ver- mehrung der Höckerzahl in jeder einzelnen Reihe — bei Polymastodon unter den Multituberceulaten hat sie ein Maximum erreicht — wäre also keine unüberwindlich schwierige Vorstellung. Ich gebrauche den Aus- druck trieonodont hier stets also nicht in wörtlichem Sinne der ! Zwei von diesen, Dromatherium und Microconodon, entsprechen mit ihrer Proto- dontie allerdings der Forderung denkbar einfachster Bildung eines zusammengesetzten Zahnes. Bei Tribolodon (S. 5, Fig. 4) sind die Seitenspitzen bereits etwas selbständiger geworden, als bei jenen beiden erstgenannten Formen (Fig. r u. 2, S. 5). Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 73 Beschränkufig auf eine Dreizahl, sondern in dem Sinne einer geradlinigen Anordnung der Höcker: denn darin, nicht aber in der Zahl der Höcker, liegt das Wesentliche der Trieonodontie. Diese Vorstellung einer Entstehung des multitubereulaten Zahnes aus drei seitlich verwachsenen trieonodonten Zähnen ist natürlich ganz unhaltbar. Schon die Bildung dreier Zahnkeime nebeneinander in «der Zahnleiste wäre unmöglich, und ihre seitliche Verschmelzung wäre es in ebenso hohem Grade. Man kann also ihn sich wohl vorstellen als bestehend aus drei seitlich verwachsenen triconodonten Zahnreihen, aber nicht’als entstanden in dieser Weise. Will man also die Entstehung des multitubereulaten Zahnes aus einem trieconodonten sich vorstellen, so muß man annehmen, daß an einem ein- reihigen trieonodonten Zahne ein seitlich liegender Höcker bzw. ein Außen- pfeiler oder ein Basalwulst, Cingulum, die erste Veranlassung geworden ist, aus der sich dann eine zweite trieonodonte Höckerreihe entwickelt hat, ganz ebenso, wie sich aus dem haplodonten, kegelförmigen Reptilzahn zuerst ein protodonter und dann ein trieonodonter gebildet hat. So erhielte man einen zweireihigen Zahn, wie ihn Microlestes hat. Diese Vorstellung erschwert sich nur etwas, wenn man, um die Ent- stehung dreireihiger multitubereulater Zähne zu erklären, auch noch einen zweiten, auf der anderen Zahnseite gelegenen seitlichen Höcker annehmen muß, der sich dann zur dritten Höckerreihe ausgestaltete. Sie erschwert sich aber noch mehr, sobald die weitere Forderung gestellt werden muß, daß alle drei Höckerreihen nicht selten untereinander ziemlich gleich sein müssen oder daß doch wenigstens die äußere oder die innere öfters ziem- lich gleichgestaltig werden müssen, wie das bei den Zähnen der Multi- tubereulaten so oder so oft, nicht immer der Fall ist. Dagegen ließe sich umgekehrt eine Ungleichheit der Höckerreihen, wie sie doch auch statt- findet, gerade gut erklären. Eine dritte Schwierigkeit endlich liegt in der nachher zu berührenden Zeitfrage (S. 75). Trotz dieser Schwierigkeiten schiene mir die Entstehung der Multitubereulie aus einem triconodonten Zahne, an dem Innen- und Außenpfeiler bzw. Wülste entstanden, die sich dann ebenfalls je zu einer triconodonten Höckerreihe ausgestalteten, immer noch weniger schwer verständlich als die Entstehung der Multituberceulie aus der Tritubereulie: denn dort, bei der Trieonodontie, Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. 10 74 BrANnNcA: ist doch wenigstens bereits eine Höckerreihe als Ausgangspunkt vorhanden, hier aber nicht bzw. nur zwei Höcker. Osborn ist es gewesen, der sich in einer älteren Arbeit! mit einer gewissen Sicherheit dahin aussprach, daß der Microlesteszahn aus primitiver Tritubereulie der Vorfahren sich entwickelt habe. Nieht nur, so führte er aus, sind die Prämolaren gewisser Multitubereulaten (Ctenacodon, Bolodon, Chirox) direkt tritubereular, sondern auch der Microlesteszahn ähnelt den Molaren gewisser Nager. Unter letzteren aber, Mus z. B., lassen die Molaren den Übergang zwischen Tritubereulie und Multitubereulie deutlich erkennen, in der Weise, daß die Zwischenhöcker der Mausmolars der Zwischen- (dritten) Reihe der Multiterbereulaten entsprechen. Später aber erschien es Osborn doch fraglich, ob der Microlestes- antiquus-Zahn von einem tritubereulaten abgeleitet werden könne. In seinem zusammenfassenden Buche” hat er sich dahin ausgesprochen, daß fast bei allen Gruppen die Entwicklung der Zahnformen aus der tritubereulaten teils sicher, teils höchst wahrscheinlich sei, daß jedoch für die Multitubereulata, Monotremata und Cetacra diese Frage eine durchaus offene sei”. Kurz vorher’ äußerte er sich dahin, daß die Multitubereulie vermutlich aus einem frühen primitiven (?) trituberculaten Stadium hervorgegangen sei; bezüglich Miero- lestes antiquus aber sagt er’, daß er von einer Form wie Phascolotherium ab- stammen möge, und das ist eine triconodonte Form mit eingulum. Man erkennt daraus die große Schwierigkeit dieser Frage. Aus zeitlichen Gründen hat sich Gregory ebenfalls gegen die An- nahme einer Entstehung der Multituberculie aus der Trituberceulie gewendet. Er kommt dann aber zu ganz anderem Ergebnisse. Gregory" verweist darauf, daß trituberculäre Säuger doch erst aus dem oberen Jura und der unteren Kreide uns bekannt seien, so daß ihm für die obertriassischen Multitubereulaten wie Microlestes und Tritylodon' eher eine Ableitung aus theriodonten Reptilien wahrscheinlich scheint. ı H.F.ÖOsborn, The rise of the Mammalia in North America. American Association of the advancement of science, Madison, Wis., 1893, S. ı9 (37). ® H. F. Ösborn. Evolution Mammalian molar teeth. ® A.a.0. S. ı1, 101, 105, Anm. AR ONS. TOR: IE Eh Sale In Osborn, Evolution Mammalian molar teeth, S. ro5. Anm. Der letzterer nun aber unterjurassischen Alters ist, S. 22. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. 75 Damit wären wir bei einer dritten Möglichkeit angelangt. Eine solche Entstehung der Multitubereulie aus theriodonten Reptilzähnen (Fig. 1 1— 14) will mir indessen als das am wenigsten Wahrscheinliche vorkommen, denn bei diesen Reptilzähnen herrscht unregelmäßige Anordnung der Höcker und Neigung zu einem Querverlaufe derselben; auch haben die Zähne Neigung zur Querverlängerung. Wie soll daraus die dreireihige Regelmäßigkeit und die Längsanordnung der Höcker sowie die Neigung zur Längsverlängerung der multituberculaten Zähne entstehen? Beides sind Gegensätze, so daß man schlecht versteht, wie das eine sich in das andere umwandeln sollte. In völlig anderer und origineller Weise möchte M. Schlosser die Entstehung der multitubereulaten Zähne erklären, indem er in ihnen nur vielhöckerige Reibeplatten sehen möchte, wie sie bei Knorpelfischen, bei Placodus und selbst noch bei Ornithorhynchus vorkommen. Bei diesen Reibe- platten wäre ein Teil der Höcker verlorengegangen; ein anderer Teil hätte an Größe zugenommen und zugleich regelmäßige Anordnung erlangt‘. Eine solche Auffassung würde in der Tat die Frage der Entstehung der multi- tubereulaten Zähne sehr vereinfachen. Angesichts der beiden Wurzeln aber, welche die von Owen gegebene Abbildung des Tritylodon zeigt (s. hier S. 23, 32—35, Fig. 8), erscheint das als eine unhaltbare Lösung. Das Ergebnis scheint mir zu sein: Weder auf theriodonte Reptilzähne, noch auf tritubereulare Säugerzähne noch auf vielhöckerige Reibeplatten läßt sich der multitubereulate Zahn ungezwungen direkt zurückführen. Am ehesten aber noch auf einen solchen trieonodonten Zahn, der äußere und eventuell auch innere Höcker oder Pfeiler oder ein Cingulum hatte. Aber auch hier muß die Phantasie sehr nach- helfen. Am wenigsten Gewicht möchte ich bei solchen Betrach- tungen auf das zeitliche Moment legen, d.h. auf die Frage, ob zu einer gewissen Zeit bereits diese oder jene Zahnform, aus der eine andere abgeleitet werden soll, »schon vorhanden gewesen ist«, wie man das auszudrücken pflegt. Das ist aber eine ganz unexakte Ausdrucksweise; denn wir wissen ja gar nicht, zu welcher Zeit eine Form erstmalig ent- stand, wirklich vorhanden war, sondern nur, aus welcher Zeit wir sie ! M. Schlosser, Die Nager des europäischen Tertiärs, Paläontograpliea 1885, Bd. 31, S. 108. 10* 76 BrANcA: auf Grund unserer bisherigen Kenntnis erstmalig kennen. Diese Kenntnis von den unzähligen Lebewesen, die gelebt haben, ist aber so lückenhaft, so von Zufälligkeiten bedingt, daß genetische Spekulationen, soweit sie sich auf dieses zeitliche Moment gründen, mit größter Vorsicht angestellt werden sollten. Wenn daher aus anderen Gründen es am wenigsten un- wahrscheinlich war, daß die multitubereulaten Zähne aus tri- eonodonten entstanden seien, so würde mich die Tatsache, daß wir trieonodonte Zähne erst aus etwas späterer Zeit bisher als multitubereulate kennen, wenig stören'!. Derartige Kenntnis kann sich überdies bald in das Gegenteil umwandeln. i ! Die Ursachen dieser Umwandlung der Zähne haben bekanntlich besonders Ryder (J. A. Ryder, Mechanical genesis of tooth forms. Proceedings Academy Philadelphia of Nat. Sei. 1878, S. 45) sowie Cope (E. D. Cope, Mechanical causes of the development of the hart parts of the Mammalia, Journal of Morphology 1889, Bd. 3) und Osborn in sehr gefangennehmender Weise (H. F. Ösborn, Evolution of Mammalian molar teeth to and from the triangular type, New York, Maemillan, 1907) zu finden gesucht in der Form der Bewegung der Kiefer und in dem Gebrauche der Zähne und ihrer dadurch an verschiedenen Teilen des Zahnes verschieden starken Ernährung. Demgegenüber hat-aber Fleischmann (A. Fleisch- mann, Die Grundform der Backzähne bei Säugetieren und die Homologie der einzelnen Höcker, Sitzungsber. der phys.-math. Klasse d. Berl. Akad. d. Wiss., Berlin 13891, S. 891) darauf hingewiesen, daß die behauptete kausale Beziehung zwischen Funktion und Form doch bisher durch keine Tatsache bewiesen sei. »Das einzige, was nachgewiesen werden kann, ist nur, daß ... die Zähne ... gerade so gebaut sind, wie die theoretische Mechanik es fordern muß«, daß auch hier also Form und Funktion übereinstimmen. Einige Betrachtungen über die ältesten Säuger der Trias- und Liaszeit. Inhalt. AVIOTLWOT TE 2 een Dasein ı. Protodonta. (Fig. ı—4.) Dromatherium, Mieroconodon, Karoomys(?), TNpAuaIlaglotgE See eo ge Yes... EA Re BEN EGIRNIERERGHÄT EG ae EN ann: os anaesne hadete aeg are Ist eine zwischen Reptilien und Säugern stehende Klasse denkbar? Osteologisch 28 IGEREE, Metoon 0000 a nee OHR DTnrey et RER NRESE 155 En so ook Be Be AR Baer AOR DAR HA OLARO OLE Tritylodon (Fig. 6. 7, 8. 9) S. 21. Geologisches Alter S. 22; Praefrontale S. 24; Gaupp S.26, Jaekel S. 26, Tornier S.27, K.v. Bardeleben S. 28; Lacrimale S. 26: Crista sagittalis S. 29; Choanen S. 29; Foramen parietale S. 29; Intermaxillaria S. 30: I heriodesmus-Vorderextremität S. 30; Gebiß S. 32; Tri- rachodon (Fig. 10, 11) S.31: Molarenwurzeln, Kaufläche S. 33; Inzisiven S. 36; Ähnlichkeit mit Nagern (Fig. 15) S.37; Zusammenfassung S. 38; Zahnformel S. 40; das Lebensalter des Tritylodon S. 46; Die Dentitionsfrage S. 46. und Tritylodon S.54. Hatten die triassischen Saurier- Vorfahren der 'Säuger bereits ebenso reichen Zahnersatz wie die heutigen Reptilien? S. 56; Microlestes (Fig. 16, 18) S.58, verschiedene Arten? Schwalbes Ausgangsform der Molaren von Primaten S. 61: Ober- oder Unterkiefermolar? S. 62; Multi- tuberkulater? Chiroptere? Matschie (Fig. ı7) S.63, Osborn S.64. Aus Flugsauriern? Steinmann S.66; Ösborn, Theriodonta? (Fig. 12,13,14) S.68; Die Frage der Entstehung der multituberkulaten Zähne ...........2222e2r200: Phys.-math. Abh. 1915. Nr. 5. 11 | De In NER EWE u? u Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.. ee - ABHANDLUNGEN KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1916 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE: jahsani an) Pia A iG Fe 7 MIT 8 TAFELN FER Orfiog Dinner! BERLIN 1916 VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ABHANDLUNGEN KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 1916 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE j 206C5e) { FEB 392 ) Care a ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAIRGANG 1916 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE MIT S TAFELN "FEB 819217% BERLIN 1916 | Vreloo 1iorar VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER Et nn ai: aa Ye, RO ONE Dsiirat "URBRTR, ABOATARATTAM HUAAAEE: 3 = E% ei u 2. ALERT STE | ” es 3 .dıy“) u a en er nt HT MID i y m 7 RT KITEERICHTEEEN. SAU IINAGARR NINA SIR DEBEN senrctis 02020 EI MOPED [1 Inhart Öffentliche Sitzungen . Verzeichnis der im Jahre 1916 ielesenen ade Bericht über den Erfolg der ee für 1916 nd neue Preisausschreibung Statut der Stiftung zur Förderung den Staslögpie Verzeichnis der im Jahre 1916 erfolgten besonderen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung wissenschaftlicher Unter- nehmungen Verzeichnis der im Jahre 1916 eienenen im Kufape oder mit Enden stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1916 Verzeichnis der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1916 nebst den Verzeichnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille und der Beamten der Akademie . Abhandlungen Nr. 1. Enserer: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgs- floren (Mit 8 Tafeln) Mn u . Vu a ar ER V BER RUN, «e KIXK—XX « XXI——-XXII »« XXII—XXIII eo XXIV——XXXI . 1—113 a wit Ar He ea ECHT. 2 h i „Zu % BEN PIE nn Er Albeiörsih "ehe wort f en Krgiiti “oldhladg er khin eu, NP Fr : een Ah u Re GI a a a ® i I “let Da aa er ak name Frei a R Urs P a, her Me) aR iiber ln se a En 0° ner 2 U ee ee ds end De Ben a EEE - Eh on, bar, „Hoden, Fake eine, Br ib BR R, a ee ee o PO 2a A; x ner aHlh % IH RR OU DEI ET ran 7 Sunklbwin ee BER Sarg Le % ar BL.) # sr Fergs E a JAHR.TITG: Öffentliche Sitzungen. Sitzung am 27. Januar zur Feier des Geburtsfestes Seiner Majestät des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Friedrichs Il. Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar Hr. Diels eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache. Darauf erstattete Hr. Engler einen .ein- gehenderen Bericht über das Pflanzenreich-Unternehmen, Hr. von Harnack einen solchen über die Ausgabe der griechischen Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte. Zum Schluß hielt Hr. Meinecke den wissenschaft- lichen Festyortrag: Germanischer und romanischer Geist im Wandel der deutschen Geschichtsauffassung. Sitzung am 29. Juni zur Feier des Leibnizischen Jahrestages. Hr. von Waldeyer-Hartz, als vorsitzender Sekretar, eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache, worauf Hr. Erdmann Gedächtnisworte auf Leibniz sprach, dessen 200. Todestag auf den 14. November 1916 fällt. Darauf hielt das seit dem letzten Leibniz-Tage (1: Juli 1915) neu eingetretene Mitglied Hr. Dragendorff seine Antrittsrede, die von dem beständigen Sekretar Hrn. Diels beantwortet wurde. Es folgten Gedächtnis- reden auf Alexander Conze und Georg Loescheke von Hrn. von Wilamowitz- Moellendorff, auf. Heinrich Brunner von Hrn. Seckel und auf Karl Schwarzschild von Hrn. Einstein. Sodann wurden Mitteilungen gemacht über eine Preisaufgabe aus dem Ellerschen Legat, über die Preise der Diez- und der Graf-Loubat-Stiftung und über das Stipendium der Eduard-Gerhard-Stiftung. Schließlich wurde verkündigt, daß die Akademie die Leibniz-Medaille in Gold dem Generalstabsarzt der Armee und Feldsanitätschef Prof. Dr. Otto von Schjerning, zur Zeit im. Felde, verliehen habe. vıu Verzeichnis der im Jahre 1916 gelesenen Abhandlungen. Physik und Chemie. Schwarzschild, über das Gravitationsfeld eines Massenpunktes nach der Einsteinschen Theorie. (GS. 13. Jan.; SB. 3. Febr.) Rubens und G. Hettner, das langwellige Wasserdampfspektrum und seine Deutung durch die Quantentlieorie. (GS. 3. Febr.; SB.) Einstein, eine neue formale Deutung der Maxwellschen Feldgleichungen der Elektrodynamik. (GS. 3. Febr.; SB.) Warburg, über den Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. VI. (Kl. 24. Febr.; SB.) Schwarzschild, über das Gravitationsfeld einer Kugel aus inkompressibler Flüssigkeit nach der Einsteinschen Theorie. (Kl. 24. Febr.; SB. 23. März.) Beekmann und Dr. E. Bark, Seetang als Ergänzungsfuttermittel. I. (Kl. 9. März; SB. 27. Juli.) Einstein, über einige anschauliche Überlegungen aus dem Gebiete der Relativitätstheorie. (Kl. 23. März.) Schwarzschild, zur Quantenhypothese. (GS. 30. März; SB. 4. Mai.) Fischer und Dr. M. Bergmann, über neue Galloylderivate des Trauben- zuckers und ihren Vergleich mit der Chebulinsäure. (Kl. 11. Mai; SB.) Born, Prof. M., über anisotrope Flüssigkeiten. Vorgelegt von Planck. (Kl. 25. Mai; SB.) Planck, über die absolute Entropie einatomiger Körper. (GS. 8. Juni; SB.) Einstein, näherungsweise Integration der Feldgleichungen der Gravitation. (Kl. 22. Juni; SB.) Born, Prof. M., und Dr. F. Stumpf, über anisotrope Flüssigkeiten. Zweite Mitteilung. Vorgelegt von Planck. (GS. 20. Juli; SB. 27. Juli.) Fischer und O. Nouri, Synthese des Phloretins. (Kl. 27. Juli; SB.) Fischer, Isomerie der Polypeptide. (Kl. 27. Juli; SB.) Neuberg, Prof. K., über Hydrotropie. Vorgelegt von Beckmann. (Kl. 27-.Juli: 82.) Nernst, über Versuche. die Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer durch ‘Temperaturerhöhung eingeleiteten chemischen Reaktion, die “unter starker Wärmeentwicklung verläuft, experimentell zu messen und einer theoretischen Berechnung zugänglich zu machen, (GS. 19. Okt.) Ge en IX Brahn, Dr. B., weitere Untersuchungen über Fermente in der Leber von Krebskranken. Vorgelegt von Ortl. (Kl. 6. April; SB.) Einstein, Hamiltonsches Prinzip und allgemeine Relativitätstheorie. (Kl. 26. Okt.; SB.) Rubens, über Reflexionsvermögen und Dielektrizitätskonstante einiger amorpher Körper. (Kl. 21. Dez.; SB.) Fischer und H. Noth, teilweise Acylierung der mehrwertigen Alkohole und Zucker. IV. (Kl. 21. Dez.; SB.) Mineralogie und Geologie. Branca, über das »Aufsteigen« der Steinsalzlager. (Kl. 10. Febr.) Branca, über eine Arbeit von Th. Möller über die Kraftquelle und die Äußerungsformen der großen tektonischen Vorgänge. (Kl. 10. Febr.) Liebisch, optische Beobachtungen am Quarz. (Kl. 13. Juli; SB.) Seupin, Prof. H., die erdgeschichtliche Entwicklung des Zechsteins im Vorlande des Riesengebirges. Vorgelegt von Branca. (GS. 14. Dez.; SB.) Botanik und Zoologie. F. E. Schulze, die Erhebungen auf der Lippen- und Wangenschleimhaut der Säugetiere. III. Marsupialia. (GS. 13. Jan.; SB.) Engler, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgstloren. (Kl. 23. März; Abh.) Brauer, die Verbreitung der Hyracoiden. (GS. 30. März; SB.) Correns, Untersuchungen über Geschlechtsbestimmung bei Distelarten. (Kl. 6. April; SD.) F. E. Sehulze, die Erhebungen auf der Lippen- und Wangenschleimhaut der Säugetiere. IV. Rodentia duplieidentata. (GS. 8. Juni; SB. 6. Juli.) Haberlandt, Blattepidermis und Lichtperzeption. (Kl. 22. Juni; SB.) F. E. Schulze, die Erhebungen auf der Lippen- und Wangenschleimhaut der Säugetiere. V. Rodentia simplieidentata. A. Sciuromorpha. (Kl. 9. Nov.; SB. 30. Nov.) Anatomie und Physiologie, Biologie, Pathologie. Orth, zur Frage nach den Beziehungen des Alkoholismus zur Tuberkulose. Zweite Mitteilung. (Kl. 6. Jan.; SB.) x von Waldeyer-Hartz, über Intraparietalnähte. (Kl. 27. April.) Rubner, über neue Untersuchungen betreffend die Verdaulichkeit pflanz- licher Nahrungsmittel. (Kl. 23. Nov.) Orth, das biologische Problem in Goethes Wahlverwandtschaften. (GS. 30. Nov.; SB.) Astronomie, Geographie und Geophysik. Penck, über Auswitterung. (Kl. 20. Jan.) Prager, Dr. R., über die Periode des veränderlichen Sterns R R Lyrae. Vorgelegt von Struve. (Kl. 10. Febr.; SB.) Hellmann, über typische Störungen im jährlichen Verlauf der Witterung in Deutschland. (GS. 2. März.) Hellmann, über die ägyptischen Witterungsangaben im Kalender von Claudius Ptolemaeus. (GS. 2. März: SP.) : Penck, über Horizontalverschiebungen bei Verwerfungen. (GS. 18. Mai.) Penck, über neuere Arbeiten zur geographischen Erforschung des osma- nischen Reiches. (Kl. 27. Juli.) Struve, neue Untersuchungen über die Bewegungen im Saturnsystem. 1. (Kl. 26. Okt.; SB.) Penck, über die Inntalterrasse. (Kl. 7. Dez.) Przybyllok, Dr. E., über eine Bestimmung der Nutationskonstante aus Beobachtungen des Internationalen Breitendienstes. Vorgelegt von . Struve. (GS. 14. Dez.; SB.) Mathematik. Frobenius, über die Kompositionsreihe einer Gruppe. (GS. 4. Mai: SB.) Bieberbach, Prof. L., über die Koeffizienten derjenigen Potenzreihen, welche eine schlichte Abbildung des Einheitskreises vermitteln. Vor- gelegt von Frobenius. (GS. 6. Juli; SB. 20. Juli.) Schottky, über den Picardschen Satz. (Kl. 27. Juli.) Mechanik. Müller-Breslau, Beitrag zur Theorie elastischer Ringe mit hochgradig statisch unbestimmter innerer Versteifune. (Kl. 9. Nov.) u TIER XI Philosophie. Erdmann, methodologische Konsequenzen aus der Theorie der Abstrak- tion. (GS. 16. März; SD. 13. April.) Stumpf, Empfindung und Vorstellung beim Gesichtssinne. (Kl. 26. Okt.) Köhler, Dr. W., Intelligenzprüfungen an Anthropoiden. I. Vorgelegt von Stumpf. (GS. 30. Nov.; Abh. 1917.) Prähistorie. Schuchhardt, der starke Wall und die breite, zuweilen erhöhte Berme bei frühgeschichtlichen Burgen in Norddeutschland. (Kl. 27. April; SB. 11. Mai.) Genealogie. O0. Hertwig, über eine neue graphische Darstellungsmethode für genealo- gische Forschungen. (Kl. 25. Mai.) (eschiehte des Altertums. de Groot, über die Hunnen der vorchristlichen Zeit. (Kl. 6. April.) E. Meyer, Caesars Monarchie und die politische Literatur dieser Zeit. (Kl. 7. Dez.) Mittlere und neuere Geschichte. Hintze, über das zweite Politische Testament Friedrichs des Großen von 1768 und einige Dokumente verwandter Art. (Kl. 11. Mai.) Meinecke, über die politische Jugendschrift des Kronprinzen Friedrich: Considerations sur l’etat present du corps politique de l’Europe. (GS. 6. Juli.) Kirehengeschichte. Holl, die Zeitfolge des ersten origenistischen Streits. (Kl. 10. Febr.; SB.) Jülicher, Bemerkungen zu der Abhandlung des Hrn. Holl: Die Zeitfolge des ersten origenistischen Streits. (Kl. 10. Febr.; SD.) von Harnack, Porphyrius, »Gegen die Christen «, 15 Bücher. (Kl. 24. Febr. ; Abh.) X1l Holl, die Schriften des Epiphanius gegen die Bilderverehrung. (Kl. 22. Juni; SB. 6. Juli.) von Harnack, Askese und Vergebungsglaube in der Geschichte der christ- lichen Religion. (GS. 20. Juli.) Sachau, vom Christentum in der Persis. (Kl. 27. Juli; SB.) Rechtswissenschaft. Seckel, der wiederaufgefundene Libellus des Bischofs Hinkmar von Laon gegen den Erzbischof Hinkmar von Reims vom 8. Juli 869. (Kl. 23. März.) Allgemeine, deutsche und andere neuere Philologie. W. Schulze, Alt- und Neuindisches. (Kl. 6. Jan.; SB.) Brandl, über ein von dem irischen Dichter Synge mitgeteiltes Märchen. (GS. 13. Jan.) Heusler, über Nachbildung antiker Verse im Deutschen. (Kl. 10. Febr.) Meyer-Lübke, die Diphthonge im Provenzalischen. (GS. 17. Febr.; SB. 2. März.) Morf, Galeotto fu il libro e chi lo scrisse (Dante, Inferno V, 137). (Kl. 9. März; SB. 26. Okt.) K. Meyer, ein altirischer Heilsegen. (Kl. 23. März; SB.) Roethe, Goethes Campagne in Frankreich. (GS. 2. Nov.) Burdach, über die Einleitungsgedichte des Westöstlichen Divan. (Kl. 23. Nov.) Brandl, über den Zusammenhang der Shakespearischen Tragödie mit der altgriechischen. (GS. 14. Dez.) W. Schulze, Beiträge zur indogermanischen Wortkunde (Kl. 21. Dez.) Klassische Philologie. von Wilamowitz-Moellendorff, die Samia des Menandros. (Kl. 6. Jan.; SB. 13. Jan.) Helmreich, Dr. &., handschriftliche Verbesserungen zu dem Hippokrates- glossar des Galen. Vorgelegt von Diels. (Kl. 6. Jan.; SB. 3. Febr.) Norden, über die germanische Urgeschichte bei Taeitus. (GS. 13. April.) XII Diels, ein epikureisches Fragment über Götterverehrung. (Kl. 13. Juli; SB.) Diels, ein neues Fragment aus Antiphons Buch Über die Wahrheit. (GS. 20. Juli; SB.) Diels, Philodemos »Über die Götter«. Drittes Buch. Erster Teil. Grie- chischer Text. (Kl. 26. Okt.; Abh.) von Wilamowitz-Moellendorff, über Platons Menon. (GS. 16. Nov.) Kranz, Dr. W., über Aufbau und Bedeutung des Parmenideischen Ge- dichtes. Vorgelegt von Diels. (GS. 16. Nov.; SB.) Diels, Philodemos »Über die Götter«. Drittes Buch. Zweiter Teil. Er- läuterung. (Kl. 21. Dez.; Abh.) Mittellateinisch. Diels, über die Schrift Antipoeras des Nikolaus von Polen. (GS. 16. März; SB.) Kunstwissenschaft. Goldschmidt, das Nachleben der antiken Prospektmalerei im Mittelalter. (Kl. 25. Mai.) Orientalische Philologie. F.W.K. Müller und Prof. E. Sieg, Maitrisimit und »Tocharisch«. (Rl. 20. Jan.; SB. 16. März.) Lüders, die Saubhikas. Ein Beitrag zur Geschichte des indischen Dramas. (Kl. 24. Febr.; SB. 22. Juni.) Bang, Prof. W., Studien zur vergleichenden Grammatik der Türksprachen. I. Vorgelegt von F. W. K. Müller. (Kl. 6. April; SB. 13. April.) Schäfer, Prof. H., nubische Texte im Dialekt der Kunuzi. Vorgelegt von Erman. (Kl. 6. April; Adh. 1917.) Konow, Prof. St., indoskythische Beiträge. Vorgelegt von Lüders. (GS. 8. Juni; SB. 6. Juli.) Bang, Prof. W., Studien zur vergleichenden Grammatik der Türksprachen. II. Vorgelegt von F. W. K. Müller. (Kl. 22. Juni; SB. 13. Juli.) Brockelmann, Prof. K., Alı’s Qissai Jusuf, der älteste Vorläufer der os- manischen Literatur. Vorgelegt von F.W.K. Müller. (Kl. 26. Okt.; Abh.) Erman, Beiträge zur ägyptischen Religion. (Kl. 9. Nov.; SB.) XIV Sehroeder, Ö., das Pantheon der Stadt Uruk in der Seleukidenzeit. Vor- gelegt von E. Meyer. (Kl. 9. Nov.; SB. 23. Nov.) Lidzbarski, Prof. M., die Herkunft der manichäischen Schrift. Vorgelegt von E. Meyer. (GS. 16. Nov.; SB. 30. Nov.) Bang, Prof. W., Studien zur vergleichenden Grammatik der T ürksprachen. II. Vorgelegt von F.W.K. Müller. (Kl. 23. Nov.; SB. 7. Dez.) Amerikanistik. Seler, die (Quetzaleouatl-Fassaden yukatekischer Bauten. (GS. 17. Febr.; Abh.) Bericht über den Erfolg: der Preisausschreibungen für 1916 und neue Preisausschreibung. Preisaufgabe aus dem Ellerschen Legat. (Gestellt am 29. Juni 1916 für 1920.) Aus dem Ellerschen Legat wird folgende Preisaufgabe ausgeschrieben: »Die Akademie wünscht eine Untersuchung, welche eine Prüfung der allgemeinen Relativitätstheorie, sei es durch eigene, sei es durch fremde Beobachtung, liefert oder für eine künftige Prüfung neue Wege weist.« Der ausgesetzte Preis beträgt zweitausend Mark. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, franzö- sischer, englischer oder italienischer Sprache abgefaßt sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Beschluß der zuständigen Klasse von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeichnen und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äußerlich zu wiederholen. Schriften, welehe den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurückziehung einer eingelieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungssehriften sind bis zum 31. Dezember 1919 im Bureau der Akademie, Berlin NW 7, Unter den Linden 38, einzuliefern. Die Ver- kündigung des Urteils erfolgt in der Leibniz-Sitzung des Jahres 1920. XV Sämtliche bei der Akademie zum Behuf‘ der Preisbewerbung einge- gangenen Arbeiten nebst den dazugehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urteilsverkündigung ab von der Akademie für die Ver- fasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Aka- demie frei, die nicht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. Preis der Diez-Stiftung. Es sind keine Anträge auf Erteilung des diesjährigen Preises der Diez- Stiftung eingegangen. Der Vorschlag des Vorsitzenden des Stiftungsvorstandes, den Betrag des Preises von rund 2000 Mark diesmal zum Stiftungskapital zu schlagen, ist unwidersprochen geblieben und kommt deshalb zur Ausführung. Preis der Graf-Loubat-Stiftung. Die Akademie hat auf Vorschlag ihrer Kommission für die Graf- Loubat-Stiftung beschlossen, den für dieses Jahr ausgeschriebenen Preis derselben von 3000 Mark Hın. Prof. Dr. Konrad Theodor Preuß, Kustos am Königlichen Museum für Völkerkunde in Berlin, für sein Werk »Die Religion der Cora-Indianer«, Leipzig 1912, zuzuerkennen. Statut der Stiftung zur Förderung der Sinologie. Vom 18. Dezember 1916. Bel Zweck der Stiftung. Die durch gegenwärtiges Statut von Hrn. de Groot errichtete Stiftung erfolgt zugunsten der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und hat vornehmlich den Zweck, die sinologische Wissenschaft in dem Sinne zu fördern. wie sie von Stanislas Julien, Chavannes und auch von dem Stifter selbst betrieben worden ist. Die Stiftung soll daher nur XVI solehen Gelehrten Unterstützung gewähren, die gründliche Kenntnis der chinesischen Schriftsprache auf die quellenmäßige Erforschung der Kultur und Geschichte Chinas anwenden. Diese Unterstützung kann auf dreierlei Weise gewährt werden: l. durch Druckunterstützung ausgezeichneter Werke, die auf eigenen wortgetreuen Übersetzungen (keinen Paraphrasierungen) chinesischer Texte in die deutsche, englische oder französische Sprache beruhen. Doch sind belletristische Texte ausgeschlossen. Die Bewerbung ist an die Vorlage des vollständigen Manuskripts gebunden. 2. durch Reisestipendien für junge Männer, die während ihrer Uni- versitätsstudien sich durch Fleiß und Begabung auf dem sinologischen Ge- biete ausgezeichnet haben, und von denen zu erwarten ist, daß sie sich dauernd der Sinologie widmen werden. Bedingung für die Verleihung ist, daß die jungen Gelehrten, die sich um ein solches Stipendium bewerben, den philosophischen Doktorgrad in der Sinologie erworben haben. Beson- ders sollen diejenigen unterstützt werden, die zur Fortsetzung ihrer sino- logischen Studien China besuchen wollen. 3. durch Krönung hervorragender in deutscher, englischer oder fran- zösischer Sprache abgefaßter Werke auf dem Gebiete der Sinologie, die der Akademie eingesandt oder anderweitig bekannt geworden sind, ohne Rück- sicht auf die Nationalität des Verfassers. Gekrönt werden nur Schriften, denen eigene wortgetreue Übersetzungen chinesischer Texte in die genannten Sprachen zugrunde liegen, und deren erste Veröffentlichung höchstens vier Jahre vor dem der Vergebung des Preises vorangehenden 1. Januar erfolgt ist. Ausgeschlossen sind Grammatiken, Lehrbücher, Wörterbücher, belle- tristische und sprachwissenschaftliche Werke. In allen drei Fällen kann die Unterstützung auch solehen Gelehrten zugewendet werden, die sich nieht beworben haben. s2 Stiftungskapital. Das Stiftungskapital wird gebildet l. aus dem Grundstück Nr. 69 an der Dahlemer Straße in Berlin-Lichter- felde, dessen Wert bei der Steuerverwaltung auf 41000 Mark eingeschätzt, das mit einer Hypothek von 20000 Mark belastet ist, und das mit dieser m EEE XVu Belastung der Stifter der Akademie unter dem Vorbehalt des lebensläng- lichen Nießbrauchs demnächst übereignen wird; 2. aus den von dem Stifter demnächst einzubringenden Werten, be- stehend in nominell 15000 Mark (5° Deutsche Reichsanleihe); - 3. aus den künftig der Stiftung zugehenden Zuwendungen, wobei die Geber keine diesem Statut widersprechenden Bestimmungen über die Art der Verwendung treffen dürfen. $ 3. « Verpflichtungen der Akademie. Die Akademie übernimmt mit der Annahme der Stiftung folgende Verpflichtungen, die aus den Zinsen der Stiftung zu erfüllen sind: 1. Zwei Gräber (Nr. 182 und 183) mit einem darauf befindlichen Grab- denkmal auf dem Parkfriedhof in Berlin-Lichterfelde, in denen der Stifter an der Seite seines am 12. August 1914 verstorbenen Neffen J. S. M. de Groot zu ruhen hofft, nach seinem Tode in gehörigem Stande zu erhalten, solange die Stiftung besteht. 2. An Frau Emma Berta Wilhelmine Ribbecke, geb. Harms, Witwe, oder an jede andere Person, die der Stifter etwa an ihre Stelle setzen sollte, von dem Augenblick seines Todes an bis zu ihrem Ableben jährlich einen Betrag von 500 Mark in zwei halbjährigen Raten auszuzahlen. s 4. Vermögensverwaltung. Das Kapitalvermögen der Stiftung ist unangreifbar; es bildet einen Bestandteil des Vermögens der Akademie und wird wie die übrigen Gelder der Akademie verwaltet. Die Zinsen sollen, soweit sie nicht für die oben $ 1, 1—3 und $3, 1.2 bezeichneten Zwecke Verwendung finden, zum Kapital geschlagen werden. Doch können auch Zinsen eines oder mehrerer Jahre zur Bildung eines größeren Preises oder Stipendiums aufgesammelt werden. 8 5. Bildung des Kuratoriums. Die Stiftung wird verwaltet durch ein Kuratorium von drei Mitgliedern, welche die philosophisch-historische Klasse der Akademie auf zehn Jahre ce XVIu erwählt. Der Stifter gehört ohne weiteres und beständig diesem Kura- torium an. Scheidet ein Mitglied des Kuratoriums vor Ablauf der Wahl- periode aus, so ist für den Rest dieser Periode ein neues Mitglied zu wählen. Die Wahl des Vorsitzenden erfolgt durch das Kuratorium. S 6. Tätigkeit des Kuratoriums. Das Kuratorium tritt im Monat Mai jedes Jahres zu einer Sitzung zusammen. In ihr ist zunächst festzustellen, welcher Zinsertrag aus dem verflossenen oder früheren Etatsjahren für die in $ 1, 1—3 angegebenen Zwecke zur Verfügung steht und über die Verwendung dieser Summe Be- schluß zu fassen, auch der nächste Termin für die Bewerbung um Stipendien ($ 1,2) oder Einreichung von Schriften ($ 1, 1 und 3) festzusetzen (in der Regel der 1. April des nächsten Jahres). 8.7. Veröffentlichung. Die Beschlüsse des Kuratoriums werden der philosophisch-historischen Klasse der Akademie im Laufe des Juni mitgeteilt und in der nächsten Leibniz-Sitzung öffentlich bekanntgemacht. Gleichzeitig wird in dieser, falls das Kuratorium es beschließt, eine Aufforderung zur Einsendung der in $ 1, 1—3 bezeichneten Bewerbungen zu dem bestimmten Termin ($ 6) erlassen. 88. Änderungen des Statuts. | Änderungen des Zwecks dieser Stiftung, die sich tunlichst in der von dem Stifter gewiesenen Richtung bewegen sollen, sowie sonstige Ände- rungen vorstehender Satzungen sind nur durch absolute Majorität aller ordentlichen Mitglieder der Akademie und mit Genehmigung des vorgeord- neten Königlichen Ministeriums zulässig. Bei Lebzeiten des Stifters sind sie außerdem an seine Zustimmung gebunden. 89. Bezeichnung der Stiftung. Die Akademie hat diese Stiftung angenommen und bestimmt, daß sie nach dem Tode des Stifters den Namen »de Groot-Stiftung« erhalten soll. = EEE) EEE ER GE WB XIX Die Genehmigung zur Annahme der Stiftung wurde auf Grund Aller- höchster Ermächtigung von dem Königlichen Staatsministerium unter dem 18. Dezember 1916 erteilt, und unter dem gleichen Datum das vorstehende Statut von dem Herrn Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegen- heiten genehmigt. Verzeichnis der im Jahre 1916 erfolgten besonderen Geldbewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung wissenschaftlicher Unter- nehmungen. Es wurden im Laufe des Jahres 1916 bewilligt: 2300 Mark dem Mitglied der Akademie Hrn. Engler zur Fortführung der 4000 3000 6000 20000 500 1000 1000 800 1000 1000 » Herausgabe des » Pflanzenreich«. dem Mitglied der Akademie Hrn. F. E. Schulze zur Fort- führung des Unternehmens »Das Tierreich «. Demselben zur Fortführung der Arbeiten für den Nomenclator animalium generum et subgenerum. dem Mitglied der Akademie Hrn. Hintze zur Fortführung der Herausgabe der Politischen Korrespondenz Friedrichs des Großen. der Orientalischen Kommission zur Fortführung ihrer Arbeiten. für die von den kartellierten deutschen Akademien ausgesandte Expedition nach Teneriffa zum Zweck von lichtelektrischen Spektraluntersuchungen. zur Förderung des Unternehmens des Thesaurus linguae La- tinae über den etatsmäßigen Beitrag von 5000 Mark hinaus. zur Bearbeitung der hieroglyphischen Inschriften der griechisch- römischen Epoche für das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. zu der von den kartellierten deutschen Akademien unternom- menen Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge. dem Mitglied der Akademie Hrn. Diels zur Herstellung eines Indexbandes zu der Cohn-Wendlandschen Philo-Ausgabe. den Mitgliedern der Akademie HH. Morf und Wilhelm Schulze zu baskischen Forschungen. 300 Mark dem Mitglied der Akademie Hrn. Schuchhardt zu einer Be- 500 1000 450 600 1500 2000 1000 >50 arbeitung der Bildnisse Leibnizens. Hrn. Prof. Dr. Friedrich Dahl in Berlin zum Studium der Winterfauna Südwestdeutschlands. Hrn. Privatdozenten Dr. Erich Haarmann in Berlin zur Untersuchung des geologischen Baus von Mitteldeutschland. Hrn. Dr. Paul Viktor Neugebauer in Berlin als zweite Rate zur Erweiterung des 1. Heftes seiner Tafeln zur astronomischen Chronologie. Herrn Dr. Th. Roemer in Bromberg zu Vererbungsstudien an Pflanzen. Hrn. Prof. Dr. Hans Seupin in Halle a. S. zu Untersuchungen über die jungpaläozoischen und mesozoischen Ablagerungen im Norden des Riesengebirges. Hrn. Prof. Dr. August Thienemann in Münster i. W. zu Untersuchungen über die Beziehungen zwischen dem Sauer- stoffgehalt des Wassers und der Zusammensetzung der Fauna in norddeutschen Seen. der Gesellschaft für Lothringische Geschichte und Altertums- kunde in Metz als zweite Rate zur Drucklegung eines von Prof. Zeligzon daselbst bearbeiteten Wörterbuchs des lothrin- gischen Patois. Hrn. Dr. Karl Döhring in Berlin zur Drucklegung seines Werkes »Siamesische Tempelanlagen«. Hrn. Prof. Dr. Bruno Meißner in Breslau zum Studium der babylonisch-assyrischen Denkmäler im Kaiserlichen Museum zu Konstantinopel. Hrn. Hans von Müller in Berlin zur Fortführung seiner Urkundensammlung zu E. T. A. Hoffmanns Leben. Hrn. Prof. Dr. Friedrich Frhrn. von Schrötter in Berlin zur Drucklegung eines Werkes über die Trierer Münzgeschichte vom 16. bis 18. Jahrhundert. were he, ann 55 FE XXI Verzeichnis der im Jahre 1916 erschienenen im Auftrage oder mit Unter- stützung der Akademie bearbeiteten oder herausgegebenen Werke. Unternehmungen der Akademie und. ihrer Stiftungen. Das Pflanzenreich. Regni vegetabilis conspeetus. Im Auftrage der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften hrsg. von A. Engler. Heft 66. 67. Leipzig 1916. Das Tierreich. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. Begründet von der Deutschen Zoologischen Gesellschaft. Im Auftrage der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin hrsg. von Franz Eilhard Schulze. Lief. 44. Berlin 1916. Corpus inseriptionum Latinarum consilio et auetoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae editum. Vols 8 Suppl., Pars 4. Inscriptionum Africae proconsularis Latinarum supplementum alterum. — Vol. 13. Inserip- tiones trium Galliarum et Germaniarum Latinae. Pars 4. Berolini 1916. Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Bd 14. Berlin 1916. Inseriptiones Graecae consilio et auetoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae editae. Vols 2 et 3 editio minor. Inseriptiones Atticae Euclidis anno posteriores ed. Johannes Kirchner. Pars 1. Decreta continens. Fasc. 2. Berolini 1916. Wielands Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Deutschen Kommission der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Abt. 1, Bd 4. Berlin 1916. Thesaurus linguae Latinae editus auctoritate et consilio Academiarum quinque Germanicarum Berolinensis Gottingensis Lipsiensis Monacensis Vindobonensis. Vol. 6. Fasc. 3. Lipsiae 1916. Savigny-Stiftung. Neumeyer, Karl. Die gemeinrechtliche Entwickelung des internationalen Privat- und Strafreehts bis Bartolus. Stück 2. München, Berlin und Leipzig 1916. Hermann-und-Elise-geb.- Heckmann - Wentzel-Stiftung. Beiträge zur Flora von Papuasien. Hrsg. von U. Lauterbach. Serie 5. Leipzig 1916. XXJ Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte. Hrsg. von der Kirchenväter-Commission der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften. Bd 26: Hippolytus. Bd 3. Leipzig 1916. Von der Akademie unterstützte Werke. Ascherson, Paul, und Graebner, Paul. Synopsis der mitteleuro- päischen Flora. Lief. 77—91. Leipzig 1913—16. 2. Aufl. Lief. 3. 4. Leipzig 1912. 13. Fuse, G., und v. Monakow, C. Mikroskopischer Atlas des menschlichen Gehirns. 1. Zürich 1916. Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1916. Es wurden gewählt: zum ordentlichen Mitglied der philosophisch-historischen Klasse: Hr. Hans Dragendorff, bestätigt durch K. Kabinettsorder vom 3. April1916; zu korrespondierenden Mitgliedern der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Karl vn Linde in München | Amtes » Otto Sehott in Jena j » Karl Rabl in Leipzig | ä 4. Dez : 1916. » Wilhelm Roux in Halle a.S. BE en 5 Das ordentliche Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse Hr. Richard Willstätter verlegte am 1. April 1916 seinen Wohnsitz nach München und trat damit gemäß $6 der Statuten der Akademie in die Reihe der Ehrenmitglieder über. Gestorben sind: das ordentliche Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Hr. Karl Schwarzschild am 11. Mai 1916; Hr. Hr. XXI die korrespondierenden Mitglieder der physikalisch-mathematischen Klasse: ', Richard Dedekind in Braunschweig am 12. Februar 1916, Gustav Schwalbe in Straßburg am 23. April 1916, William Turner in Edinburg im Frühjahr 1916, Vietor Horsley in London am 16. Juli 1916, William Ramsay in London am 23. Juli 1916, '. Henrik Mohn in Christiania am 12. September 1916, Julius von Wiesner in Wien am 9. Oktober 1916: die korrespondierenden Mitglieder der philosophisch-historischen Klasse: '. Ernst Immanuel Bekker in Heidelberg am 29. Juni 1916, Gaston Maspero in Paris am 1. Juli 1916, August Leskien in Leipzig am 20. September 1916. Auf ihren Wunsch wurden aus der Liste der Mitglieder gestrichen: das korrespondierende Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse: Emile Picard in Paris am 22. April 1916; das korrespondierende Mitglied der philosophisch-historischen Klasse: Emile Boutroux in Paris am 26. Mai 1916. xXXIV Verzeichnis der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1916 nebst den Verzeichnissen der Inhaber der Helmholtz- und der Leibniz-Medaille und der Beamten der Akademie. T:; Hr. Diels . MR: von Waldeyer-Hartz Roethe . Planck 28 Jahr, Physikalisch-mathematische Klasse Simon Schwendener Beständige Sekretare Gewählt von der phil.-hist. Klasse . phys.-math. - phil.-hist. - phys.-math. - Ordentliche Mitglieder Philosophisch-historische Klasse Hr. /lermann Diels . Wilhelm von Waldeyer-Hartz Franz Eilhard Schulze Adolf Engler Hermann Amandus Schwarz Georg Frobenius Emil Fischer Oskar IHertwig . Max Planck . Emil Warburg . Wilhelm Branca Robert Llelmert . Heinrich Müller-Breslau . - Otto Hirschfeld . - Eduard Sachau . - Gustav von Schmoller . - Adolf von Harnack - Carl Stumpf . - Adolf Erman - Ulrich von Wilamowitz- Moellendorff .. - Jleinrich Dressel - Konrad Burdach Datum der Königlichen estätigung 1895 Nov. 27 1896 Jan. 20 1911 Aug. 29 1912 Juni 19 Datum der Königlichen Bestätigung 1879 Juli 13 1881 Aug. 15 1884 Febr. 18 1884 Juni 21 18855 März 9 1887 Jan. 24 1887 Jan. 24 1890 Jan. 29 1890 Febr. 10 1892 Dez. 19 1893 Jan. 14 1893 Febr. 6 1893 April 17 1894 Juni 11 1895 Febr. 18 1895 Febr. 18 1895 Aug. 13 1899 Aug. 2 1899 Dez. 18 1900 Jan. 31 1901 Jan. 14 1902 Mai 9 1902 Mai 9 u une Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse Te Je Hr. Friedrich Schottky . Hr. Gustav Roethe - Dietrich Schäfer . - Eduard Meyer - Wilhelm Schulze - Alois Brandl - Hermann Struve - Hermann Zimmermann - Walter Nernst - Max Rubner - ‚Johannes Orth - Albrecht Penck . N ek a Pe . - Friedrich Müller - Andreas Leusler - Heinrich Rubens - Theodor Liebisch ae - Eduard Seler - Jleinrich Lüders - Heinrich Morf . - Gottlieb Haberlandt PH RN 2 - Kuno Meyer . - Benno Erdmann - Gustav Hellmann . ER 2 Tr - Emil Seckel . ALTER 3? - Johann Jakob Maria de Groot - Eduard Norden . - Karl Schuchhardt - Ernst Beckmann - Albert Einstein SIEBERT SERIE |: : - Otto Hintze . - Max Sering . | - Adolf Goldschmidt - Fritz Haber . - August Brauer . ETW IEN - Karl Holl - Friedrich Meinecke . | - Karl Correns BUN Da; - Hans Dragendorff . XXV Datum der Königlichen Bestätigung m — 1903 1903 1903 1903 1903 1904 1904 1904 1905 1906 1906 1906 1906 1907 1907 1908 1908 1909 1910 1911 1911 1911 1911 1912 1912 1912 1912 1912 1913 1914 1914 1914 1914 1914 1915 1915 1915 1916 Jan 5 Jan-—5 Aug. 4 Aug. 4 Nov. 16 April 3 Aug. 29 Aug. 29 Nov. 24 Dez. 2 Dez. 2 Dez. 2 Dez. 24 Aug. 8 Aug. 8 Aug. 3 Aug. 24 Aug. 5 Dez. 14 Juli 08 Juli 3 Juli 25 Dez. 2 Jan. +4 Jan. 4 Juni 14 Jul 9 Dez. 11 Nov, 12 Febr. 16 März 2 März 2 Dez. 16 Dez. 31 Jans 12 Febr. 15 März 22 April 3 XXVI 3. Auswärtige Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Philosophisch-historische Klasse Hr. Theodor Nöldeke in Straßburg - Friedrich Imhoof-Blumer in Winterthur . - Pasquale Villari in Florenz . Hr. Adolf von Baeyer in München Lord Rayleigh in Witham, Essex 4. Ehrenmitglieder Hr. Max Lehmann in Göttingen . - Max Lenz in Hamburg R : Hugo Graf von und zu Lerchenfeld in Bern Hr. Richard Schöne in Berlin-Grunewald . - Konrad von Studt in Berlin lee - Andrew Dickson White in Ithaca, N. Y. Bernhard Fürst von Bülow in Klein-Flottbek bei elimburs 3 Hr. Heinrich Wölfflin in München - August von Trott zu Solz in Berlin - Rudolf von Valentini in Berlin - Friedrich Schmidt in Berlin-Steglitz - Richard Willstätter in München - Vatroslav von Jagie in Wien - Panagiotis Kabbadias in Athen - Hugo Schuchardt in (xraz Datum der Königlichen Bestätigung — 1900 1900 1900 1905 1908 1908 1910 1912 März 5 März 5 März 5 Aug. 12 Sept. 25 Sept. 25 April 6 Sept. 15 Datum der Königlichen Bestätigung 1887 1896 1900 1900 1900 1900 1910 1910 1914 1914 1914 1914 Jan. 24 Dez. 14 Eez 8) März 5 März 17 Dez. 12 Janseol Dez. 14 März 2 März 2 März 2 Dez. 16 5. Korrespondierende Mitglieder Physikalisch-mathematische Klasse Karl Frhr. Auer von Welsbach auf Schloß Welsbach (Kärnten) . Hr. Ernst Wilhelm Benecke in Straßburg - Ferdinand Braun in Straßburg - Oskar Brefeld in Berlin-Lichterfelde - Heinrich Bruns in Leipzig . - Otto Bütschli in Heidelberg - Giacomo Ciamician in Bologna - Gaston Darboux in Paris - William Morris Davis in Car den Mace: - Ernst Ehlers in Göttingen . Roland Baron kötwös in Be Hr. Max Fürbringer in Heidelberg Sir Archibald Geikie in Haslemere, Surrey Hr. Aarl von Goebel in München . - Camillo Golgi in Pavia . - - Karl Graebe in Frankfurt a. M. - Ludwig von Graf in Graz. ‚Julius Edler von Hann in Wien Hr. Viktor Ilensen in Kiel - Richard von Lertwig in München - David Ilibert in Göttingen - Felix Rlein in Göttingen ; - Leo Koenigsberger in Heidelberg . - Wilhelm Körner in Mailand - Friedrich Küstner in Bonn . . - Philipp Lenard in Heidelberg . - Karl von Linde in München . - Gabriel Lippmann in Paris R - IIendrik Antoon Lorentz in Haarlem - Feliv Marchand in Leipzig - Friedrich Merkel in Göttingen . - Franz Nlertens in Wien. \ - Alfred Gabriel Nathorst in Sloeknalı E - Karl Neumann in Leipzig . - er Noether in Erlangen a - Wihelm Ostwald in Groß- Brihen, Kor: Sachsen - Wilhelm Pfeffer in Leipzig . XXVn Datum der Wahl 1913 1900 1914 1899 1906 1897 1909 1897 1910 1897 1910 1900 1889 1913 1911 1907 1900 1859 1898 1898 1913 1913 1893 1909 1910 1909 1916 1900 1905 1910 1910 1900 1900 1893 1896 1905 1889 d” Mai 22 Febr. 8 Nov. 19 Jan. 19 Jans lıl März 11 Okt. 28 Febr. 11 Juli 28 Jans 2 Jan. 26 Febr. 22 Febr. 21 Jan. 16 Dez. 21 Juni 13 Febr. 8 Febr. 21 Febr. 24 April 28 Juli 10 Juli 10 Mai 4 Jan. 7 Okt: 27 Jan. 2 Juli 6 Febr. 22 Mai 4 Juli 28 Juli 28 Febr. 22 Febr. 8 Mai 4 Jan. 30 Jan. 12 Dez. 19 NXVII Hr. Edward Charles Pickering in Cambridge, Mass. . Georg Quincke in Heidelberg . io Karl Rabl in Leipzig i Ludwig Radlkofer in München Gustaf Retzius in Stockholm . Theodore William Richards in mb mis Wilhelın Konrad Röntgen in München Wilhelm Roux ın Halle a.S. . Georg Ossian Sars in Christiania Oswald Schiniedeberg in Straßburg Otto Schott in Jena Ilugo von Seeliger in München Ernest Solvay in Brüssel Johann Wilhelm Spengel in Gießen Sir Joseph Jolm Thomson in Cambridge Hr. Gustav von Tschermak in Wien Ilermann von Vöchting in Tübingen . Woldemar Voigt in Göttingen . Ilugo de Vries in Lunteren. B ‚Johannes Diderik van der Waals in Atnsterii E Otto Wallach in Göttingen . Eugenius Warming in Kopenhagen Emil Wiechert in Göttingen Wilhelm Wien in Würzburg Edmund B. Wüson in New York Philosophisch-historische Klasse ". Karl von Amira in München . Klemens Baeumker in München Friedrich von Bezold in Bonn . ‚Joseph Bidez in Gent Eugen -Bormann in Wien James Ilenry Breasted in Chicago Franz Brentano in Florenz Harry Breßlau in Straßburg . Itene Cagnat in Paris Arthur Chuquet in lansmile (Seine). Datum der Wahl 1906 Jan. 11 1879 März 13 1916 Dez. 14 1900 Febr. 8 1893 Klon 1 1909 Okt. 28 1896 März 12 1916 Dez. 14 1808 Febr. 24 1910 Juli 28 1916 Juli 6 1906 Jan. 11 1913 Mai 22 1900 Jan. 18 1910 Juli 28 1SS1 März 3 1913 Jan. °16 1900 März 8 1913 Jan. 16 1900 Febr. 22 1907 Juni 13 1899 Jan. 19 1912 Febr. 8 1910 Juli 14 1913 Febr. 20 Datum der Wahl u. 1900 Jan. 18 1915 Juli 8 1907 Febr. 14 1914 9a 9 1902 Juli 24 1907 Juni 13 1914 Febr. 19 1912 Mai 9 1904 Nov. 3 1907 Febr. 14 — le ld A u dl 0 Di ZU EL u a u De een ' nz N . Franz Cumont in Rom Louis Duchesne in Rom . Franz Ehrle in Rom . Puul Fowart in Paris i James George Frazer in Cahbedee Wilhelm Fröhner in Paris Percy Gardner in Oxford Ignaz Goldziher in Budapest . Franeis Llewellyn Griffith in Oxford Ignazio Guidi in Rom ; Georgios N. Hatzidakis in Mn Albırt Hauck in Leipzig Bernard llaussoullier in Paris . Johan Ludvig Lleiberg in Kopenhagen . Antoine Ileron de Villefosse in Paris . llarald Iljärne in Uppsala . Maurice Ilolleaux in Versailles Christian Tlülsen in Florenz Ilermann Jacobi in Bonn Adolf Jülicher in Marburg . " Frederic George Kenyon in London . . Georg Friedrich Knapp in Straßburg Basil Latyschew in St. Petersburg Friedrich Loofs in Halle a. S. Giacomo Lumbroso in Rom Arnold Luschin von Ebengreuth in Graz John Pentland Mahafy in Dublin Wilhelm Meyer-Lübke in Bonn Ludwig Mitteis in Leipzig . : Georg Elias Müller in Göttingen Samuel Muller Frederikzoon in Utrecht Axel Olrik in Kopenhagen Franz Praetorius in Breslau Wilhelm Radlof in St. Petersburg Pio Rajna in Florenz ger: Moriz Ritter in Bonn Karl Robert in Halle a. Michael Rostowzew in St. nk Edward Schröder in Göttingen» Richard Schroeder in Heidelberg . Eduard Schwartz in Straßburg XIX Datum der Wahl 1911 1893 1913 1854 1911 1910 1908 1910 1900 1904 1900 1900 1907 1896 1893 1909 1009 1907 1911 1906 1900 1895 1891 1904 1874 1904 1900 1905 1905 1914 1914 ill 1910 1895 1909 1907 1907 1914 1912 1900 1907 April 27 Juli 20 Juli 24 Juli 17 April 27 Juni 23 Okt. 29 Dez. 8 Jan. 18 Wezsals Jan. 18 Jan. 18 Mare? März 12 Febr. 2 Febr. 25 Febr. 25 Mai 2 Febr. 9 Nov. 1 Jan. 18 Dez. 14 Juni 4 Nov. 3 Nov. 12 Juli 21 Jan. 18 Juli 6 Febr. 16 Febr. 19 Juli 23 April 27 Dez. 8 Jansalt) März 1] Febr. 14 Mai 2 Juni 18 Juli 11 Jan. 18 Mai 2 XXX Hr. Bernhard Seuffert in Graz . - Eduard Sievers in Leipzig . P Sir Edward Maunde Thompson in Tandan P Hr. Vilhelm Thomsen in Kopenhagen - Ernst Troeltsch in Berlin - Paul Vinogradof in Oxford - Girolamo Vitelli in Florenz . - .Jukob Wackernagel in Basel - Julius Wellhausen in Göttingen - Adolf Wilhelm in Wien E - Ludeig Wimmer in Kopenhagen . - Wilhelm Wundt in Leipzig Inhaber der Helmholtz-Medaille Hr. Santiago Ramon Cajal in Madrid (1905) - Emil Fischer in Berlin: (1909) - Simon Schwendener in Berlin (1913) - Max Planck in Berlin (1915) Verstorbene Inhaber: Emil du Bois-Reymond (Berlin, 1892, 7 1896) Karl Weierstraß (Berlin, 1892, + 1897) Robert Bunsen (Heidelberg, 1892, -- 1899) Lord Aelvin (Netherhall, Largs, 1892, -- 1907) Rudolf Virchow (Berlin, 1899, -+ 1902) Sir George Gabriel Stokes (Cambridge, 1901, 7 1903) Henri Becquerel (Paris, 1907, -- 1908) ‚Jakob Heinrich van’t Hoff (Berlin, 1911, + 1911) Inhaber der Leibniz-Medaille a. Der Medaille in Gold Hr. James Simon in Berlin (1907) - Ernest Solvay in Brüssel (1909) - Ilenry T. von Böttinger in Elberfeld (1909) ‚Joseph Florimond Duc de Loubat in Paris (1910) Hr. Hans Meyer in Leipzig (1911) Frl. Elise RKoenigs in Berlin (1912) Hr. Georg Schweinfurth in Berlin (1913) - Otto von Schjerning in Berlin (1916) Datum der Walıl m 1914 1900 1895 1900 1912 1911 1897 1911 1900 1911 1891 1900 Juni Jan. Mai Jan. Nov. 2 Juni Juli Jan. Jan. April Juni Jan. 18 18 2 18 21 22 15 19 18 27 4 18 a 2 a iur Au hi ' ‘ Bibliothekar und Archivar der Akademie: Dr. Köhnke, Prof. Archivar und Bibliothekar der Deutschen Kommission: Dr. Behrend. b. Der Medaille in Silber . Karl Alexander von Martius in Berlin (1907) A. F. Lindemann in Sidmouth, England (1907) ‚Johannes Bolte in Berlin (1910) Albert von Le Cog in Berlin (1910) Johannes Ilberg in Leipzig (1910) Max Wellmann in Potsdam (1910) Robert Koldewey in Babylon (1910) Gerhard Ilessenberg in Breslau (1910) Werner Janensch in Berlin (1911) Ilans Osten in Leipzig (1911) Robert Davidsohn in München (1912) N. de Garis Davies in Kairo (1912) Edwin Llennig in Berlin (1912) Ilugo Rabe in Hannover (1912) ‚Josef Emanuel Ilibsch in Tetschen (1913) Karl Richter in Berlin (1913) Hans Witte in Neustrelitz (1913) Georg Wolf in Frankfurt a. M. (1913) Walter Andrae in Assur (1914) Erwin Schramm in Bautzen (1914) Richard Irvine Best in Dublin (1914) Otto Baschin in Berlin (1915) Albert Fleck in Berlin (1915) Julius Flirschberg in Berlin (1915) IIugo Magnus in Berlin (1915) Verstorbene Inhaber der Medaille in Silber: Karl Zeumer (Berlin, 1910, + 1914) Georg Wenker (Marburg, 1911, -F 1911) Beamte der Akademie XXXI Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Harms, Prof. — Dr. von Fritze, Prof. — Dr. Karl Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. — Dr. Ritter, Prof. — Dr. Apstein, Prof. — Dr. Paetsch. — Dr. Kuhlgatz. Registrator und Kalkulator: Grünheid. Hausinspektor und Kanzlist: Friedrich. Akademiediener: Hennig. — ‚Janisch. — Siedmann. Hilfsdiener: Glaeser. gr er re ee IarE BR, Be d A “ iz ur 2 A var een, ib“ \ u 13 pr I I E f PT IWF AU eh ‚ . * 0; E & 1 wi Y s > PT I 7: u n) Y ur <] ort ua uchh i ins ee: Benz int ea kl AR AUS y“ } ass ni che r RER TER era wär dee ZI sit lt Tsh STE 3% se Ar Aale Wei a ne Ra a une; N 3 ei + ih wi la a er . | Th aan . a ee nenahr baslau u In38 rt & Ms zahl MR, a ‚ (andt) u (ORIEE) Semalnatti i (Hei, nilant] ak (HEN Sara far sk hr er oe Kr ‚IE 0i) mihatl! nd A ha u 27 = 2 iersE eier) nit Be srl, siert pi {$I01,.M 8 tell Dee “I (iO Agerk u nk w (HEN) work el. si NtPLOEy OCT. Ak all, sur re -alet) maFrnEl a nk TAT TELRL, au an SET RI NAERE yellasil u N ‚mi j. il Bu umnt e (4% N: u“ sat a er BY RR int a ? BT PL f Br en BR - sale ar 1al arlidieä a: . er ab ee han. = ar ie ul). ereignet ERUTE: Ta Me ER NT KT 1 | oa mr% Kir) rollt Burds 1m Erin 95 Ania il Ihn Toni zaulaire ui: ABHANDLUNGEN - DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1916 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE Nr.l BEITRÄGE ZUR ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER HOCHGEBIRGSFLOREN ERLÄUTERT AN DER VERBREITUNG DER SAXIFRAGEN VON A. ENGLER MIT S TAFELN BERLIN 1916 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ve „N a re Yran 2 0duh ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN JAHRGANG 1916 PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE KLASSE Nr.l BEITRÄGE ZUR ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER HOCHGEBIRGSFLOREN ERLÄUTERT AN DER VERBREITUNG DER SAXIFRAGEN VON A. ENGLER MIT 8 TAFELN . ahkkanan dan Pr | FEB 8199 Y FE EP, BERLIN 1916 VERLAG DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN KOMMISSION BEI GEORG REIMER ENT, N j Ba u ANDI Ir 2 1 I Hat) a a ° \ Gelesen in der Sitzung der phys.-math. Klasse am 23. März 1916. “ Zum Druck eingereicht am gleichen Tage, ausgegeben am 16. August Ob A j DEIPIBER .: 1. Zur Methode der Untersuchung. leer Feststellung «der geographischen Verbreitung der Arten großer Pflanzengattungen mit eingehender Untersuchung ihrer Verwandtschaftsver- hältnisse hat sich mehrfach fruchtbar erwiesen für die Vorstellung von der Entwieklung der heutigen Vegetationsdecke. Schon vor 50 Jahren hatte ich in dieser Riehtung mieh mit Studien über Saxifraga beschäftigt! und habe seitdem neben anderen Arbeiten, begünstigt durch größere Hilfsmittel und namentlich auch durch die Bereisung vieler Heimstätten dieser Gattung, ihre Verwandtschaftsverhältnisse und Verbreitung, namentlich mit Rücksicht auf die Hochgebirgstloren, immer im Auge gehabt. Diese Untersuchungen erwiesen sich um so lohnender, als mit der größeren Erfahrung über die sehon vor 44 Jahren” bekannten 172 Arten sich die Kenntnis von weiteren 130 Arten aus früher noch wenig erforschten Teilen Asiens und Nord- amerikas verband. Deshalb habe ich auch in den letzten 5 Jahren im Ver- ein mit Dr. E. Irmscher eine systematische Monographie” der Gattung ver- faßt, welche gegenwärtig für das Pflanzenreich gedruckt wird. Die Auf- gabe dieser Abhandlung ist es, die allgemeinen pflanzengeographischen Er- gebnisse, welche sich aus den speziellen Studien einer großen Gattung für die Vorstellung von der Entwicklung der Hochgebirgsfloren ergeben haben, darzulegen. Die Abhandlung wird zeigen, welche Bedeutung auch weiterhin der Erforschung der Hochgebirgstloren zukommt, die wir noch keineswegs als abgeschlossen ansehen dürfen. ı A. Engler. Beiträge zur Naturgeschichte des Genus Sarifraga (mit 2 Karten) in Linnaea XXXV, 1867/68, S. 1— 124, als Dissertation der Universität Breslau, 16. August 1866. 2 A. Engler. Monographie der Gattung Saxifraga. Max Müller, Breslau 1372. ® A. Engler und E. Irmscher. Saxifragaceae— Saxifraga in A. Engler, Das Pflanzen- reich, 117. Der erste Teil, umfassend die Sektionen Boraphila, Hirculus, Robertsonia, Misco- petalum, Cymbalaria, Tridactylites, Nephrophyllum, Dactyloides mit 234 Arten und 2023 Einzel- bildern in 100 Figuren ist im Druck und soll Herbst 1916 erscheinen. > A EnGtERr: Methodisch ist es von Wichtigkeit, erst kleinere, engere Verwandt- schaftskreise, Artengruppen ($$) festzustellen und darnach diese, soweit eben eine größere Übereinstimmung von Merkmalen besteht, in Sektionen zu ver- einigen. Es ergeben sich dann teils größere Sektionen mit mehreren Grup- pen, teils kleinere mit wenigen Gruppen und sogar monotypische Sektionen, d. h. also, in entwicklungsgeschichtliche Vorstellungen übertragen: Stämme von ungleicher Entwicklung und nieht mehr genau festzustellender Ver- wandtschaft. Am fruchtbarsten erweist sich für die Entwicklungsgeschichte das Studium der einzelnen Gruppen. Ob man hierbei den Artbegriff weit oder eng faßt, ist für unsere Zwecke nicht von Bedeutung; nur das ist notwendig, daß man bei weiterer Fassung der Artbegriffe die genotypischen Sippen, wie Unterarten, Varietäten, Subvarietäten und Rassen von den phäno- ! In der mit Dr. Irmscher durchgeführten Neubearbeitung von Sarifraga haben wir bei der Gliederung der formenreicheren Arten tunlichst folgende Kategorien berücksichtigt: A. Genotypisch. 1. Subspezies: Sippen, welche mehr als ein scharf ausgeprägtes Merkmal besitzen, aber doch durch Zwischenformen mit einer oder mehr Sippen derselben Stammart verbunden sind und sehr häufig auch in einer bestimmten Höhenregion oder in einem bestimmten Be- zirk herrschen. 2. Varietäten: Sippen, welche durch ein ausgeprägtes samenbeständiges Merkmal von der verbreiteteren als Stammform angesehenen Sippe abweichen, dabei nur selten durch Zwischen- formen mit derselben verbunden sind, geographisch entweder beschränkt sind oder nicht. 3. Rassenvarietäten oder Proles (Var. proles): Sippen, welche durch ein samen- beständiges Merkmal von der Stammform abweichen, oder durch viele Zwischenformen mit derselben verbunden sind, in einem Gebiet oder einer Region aber vorherrschen. 4. Subvarietäten: Sippen, welche innerhalb der Varietäten wiederum durch ein (samenbeständiges?) Merkmal sich auszeichnen, aber durch Zwischenformen mit einer (der typischen) Sippe oder mehr Sippen derselben Varietät verbunden sind und nicht in einem Gebiet oder einer Region vorherrschen. B. Phänotypisch. 5. Formen: Sippen, welche infolge ungewöhnlicher Standortsbedingungen von der typischen, meist verbreiteteren Form mehr oder weniger stark abweichen, aber nicht samen- beständig sind und in der Kultur (auch aus Stecklingen) oder in ihrem Areal unter ge- wöhnlichen Standortsbedingungen wieder in die verbreitetere Form übergehen. 6. Subformen: Sippen, welche sich wie 5 verhalten, aber außer der die Form charakterisierenden Abweichung noch andere nicht beständige Abweichungen zeigen. C. Erst phänotypisch, dann genotypisch. 7. Mutationen von Formen (Subf. mutata): Sippen, welche unter 5 fallen, aber außer den phänotypischen Merkmalen noch ein anderes samenbeständiges Merkmal gewonnen ara Tr Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 5) auch phänotypische Formen nieht nur phänotypische, sondern auch geno- typische Subformen bilden können, welche als Subformae mutatae zu be- zeichnen sind. Praktisch hat der weite Artbegriff den Vorteil, daß in pflanzen- geographischen Darstellungen mit «den schon bekannteren Namen leichter haben, z. B. auffallende Färbung oder Gestalt der Blumenblätter. Bisweilen tritt dasselbe Merkmal bei verschiedenen Formen einer Art, aber jedesmal unabhängig auf. Es ist begreiflich, daß in einer Bearbeitung von mehr als 300 Arten, die man nur zum Teil lebend beobachten konnte, von denen viele bis 20 und mehr Sippen unterscheiden lassen, in der Bezeichnung der Kategorien einzelne Irrtümer unterlaufen können. Vielfach ist man bei der Bezeichnung der Kategorie auf Erfahrungen angewiesen, die man an einigen leichter zugänglichen Arten gemacht hat. Auch wird man seine Entscheidungen auf die geographische Verbreitung stützen können, muß sich aber hierbei vor dem Fehler hüten, die Prüfung der Merkmale hinter der Berücksichtigung der geographischen Verbreitung zu- rücktreten zu lassen. D. Typus polymorphus. Diese von mir bei meiner ersten Monographie der Gattung Sa.rifraga angewendete Bezeichnung habe ich auch in der neuen Bearbeitung beibehalten für Schwärme von zahl- reichen Sippen, welche untereinander durch einzelne oft unbedeutende samenbeständige (aber vielfach daraufhin noch näher zu prüfende) Merkmale verschieden sind, jedoch wie die ohne Hybridisation entstandenen Sippen einer Kulturpflanze einander so nalıe stehen, daß sie nebeneinander gestellt, mit den Zwischenformen eine kontinuierliche Reihe bilden, während jede Sippe einzeln für sich betrachtet, den scharf begrenzten Arten gleichwertig erscheint. Bisweilen findet man einige Sippen eines polymorphen Typus an demselben Standort; aber noch häufiger kann man wahrnelımen, daß sie sich geographisch sondern und daß ein Merk- mal nach einem geographischen Bezirk hin herrschend wird. Da nun die Entwieklung der Vegetationsorgane ökologisch immer gewisse Beziehungen zu den Existenzbedingungen auf- weist, auch dann, wenn die Formen nicht bloß phänotypische Abweichungen darstellen, sondern genotypischer Natur sind, so ist man häufig geneigt, die Entstehung solcher Formen ausschließlich auf die Versetzung einer nächstverwandten Form in ein anderes Klima zurück- zuführen; dann würden solehe Formen aber nur Phänotypen darstellen, wie es hin und wieder sich nachweisen läßt. Aber in den meisten Fällen scheint mir den Tatsachen die Vorstellung zu entsprechen, daß sich weit ausbreitende Arten an verschiedenen Stellen ihres Areals mutieren und daß in den einzelnen Bezirken diejenigen Neubildungen, welche ökologisch mit den klimatischen Bedingungen und Standortsverhältnissen am meisten harmonieren, sich er- halten. Es ist begreiflich, daß auf diese Weise in entfernten Bezirken eines größeren Ge- bietes mit gleichartigem Klima einander sehr ähnliche Formen (vikariierende Arten oder Varietäten) entstehen können. Die polymorphen Typen sind also Formenkreise, welche noch auf der Höhe der Entwicklung stehen und wohl auch noch weiterer Formentwicklung fähig sind. Hat der Gang der Erdgeschichte in den zwischen solchen entfernten Bezirken gelegenen Landstrichen die Urformen und Zwischenformen vernichtet, dann erscheinen solche Sippen als scharf abgegrenzte Arten, während sie faktisch in engeren Bezirken erhaltene Relikte eines alten, früher weit verbreiteten polymorphen Typus sind. Doch ist auch sehr wohl möglich, daß eine durch Samentransport in ein von der ursprünglichen Heimat entferntes 6 EnGLER: Vorstellungen zu verbinden sind, als mit den neuen Namen für kleine Arten; zudem kann man da, wo es von Wichtigkeit ist, trinome Nomenklatur an- wenden. Für die Entwicklungsgeschichte der Verbreitung stellt man erst das Gesamtareal der Arten fest, bringt von dem der weiter verbreiteten das Gebiet versetzte Art mutiert und so eine jüngere Art entsteht. Man vgl. auch Engler, Ver- such einer Entwicklungsgeschichte der Pflanzenwelt, insbesondere der Florengebiete seit der Tertiärperiode, I. Bd. (1879). S. 66 —68. Die Annahme, daß vikariierende Arten Reste ehemaliger polymorpher Typen mit einem weiter zusammenhängenden Areal darstellen, findet ein Hindernis, wenn es sich um Arten mit Ansprüchen an besondere klimatische und standörtliche Verhältnisse handelt, welche sich nur in Hochgebirgen finden, die durch weite Ebenen oder Meeresgebiete getrennt sind. In derartigen Fällen (und das trifit bei Sarifraga häufig zu) ist auch ein früheres zusammen- hängendes Areal ausgeschlossen. Es: bleiben dann folgende Möglichkeiten übrig: ı. Eine ältere, seit langer Zeit ausgestorbene Stammart hat am Fuß der im Tertiär aufgestiegenen Gebirgsländer gelebt, sie hat an verschiedenen Stellen ihres Areals, besonders an den, neue Bedingungen darbietenden Hochgebirgen in ähnlicher, aber doch verschiedener Weise mutiert und so sind Parallelformen oder vikariierende Varietäten entstanden, welche nach dem Aus- sterben der Stammart und der Zwischenformen als Arten gelten. 2. Die Samen einer an Hochgebirgsverhältnisse gewöhnten Art A sind durch Vögel von Gebirg zu Gebirg verbreitet worden, und an den neuen Standorten sind Mutationen eingetreten, von denen einzelne Sippen Ax = B, Ay — ( als Reliktarten übriggeblieben sind. Es ist unbestreitbar, daß auf beiden Wegen die Formbildung vorgeschritten ist. Bisweilen kann man zwei oder drei polymorphe Typen unterscheiden, welche mitein- ander verwandt sind und deren Endglieder sich so nahe kommen, daß man berechtigt wäre, auch beide polymorphe Typen miteinander zusammenzuschließen; dann würden aber in einem solchen polymorphen Typus zu verschiedene Extreme verbunden werden. Dies trifft z. B. zu für die beiden polymorphen Typen S. caespitosa L. und 8. hypnoides L., von denen ein- zelne Formen beider Typen äußerlich einander näher stehen als zwei extreme Formen eines und desselben polymorphen Typus. Auch ist es so bei den polymorphen Typen S. moschata Wulf. und S. exarata Vill.. welchen letzteren auch noch die Art S. intricata Lap. nahe steht. Aus den polymorphen Typen sind allmählich die Artengruppen ($$) hervorgegangen, und diese sind ökologisch: a) Gruppen, von denen auch heute noch Formen im Hügelland mit kurzem Selmeewinter neben den in den höheren Regionen mit langem Schneewinter vorkommenden existieren, b) Gruppen, von denen nur Arten in Regionen mit monatelang anhaltender Schneedecke und kurzem Sommer existieren. Aus alttertiären Elementen unterer Regionen sind durch sukzessive Mutationen an den oberen Grenzen neue Arten entstanden, welche den in den höheren Regionen herrschenden Verhältnissen angepaßt sind. Die Stamm- arten sind ausgestorben. E. Bastarde. Begegnen sich die Varietäten und Formen solcher polymorpher Typen in der Natur oder in der Kultur, dann ist bei der nahen Verwandtschaft derselben die Möglichkeit der durch Insektenbestäubung herbeigeführten Bastardierung eine sehr große. Dies ist schon Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 7 postglaziale Areal in Abzug und kommt so auf das präglaziale Ausgangs- gebiet der Art, welches mit den Arealen der verwandten Arten vereint das präglaziale Ausgangsgebiet der Gruppe ausmacht. In vielen Fällen ergibt sich für heute weitverbreitete Gruppen ein enges Ausgangsgebiet; hierbei ist aber noch zu erwägen, ob die Arten mit eng begrenztem Areal als Re- likten oder als Neubildungen aufzufassen sind. Man wird sich von dem Grade der Artenunterschiede leiten lassen. In andern Fällen gelingt es nicht, ein engeres Ausgangsgebiet für eine weit verbreitete Gruppe festzustellen; man hat dann die Ausgangsgebiete der nächstverwandten Gruppen zu be- rücksichtigen und wird entscheiden können, wo die Gruppe mit weitem Areal sich an andre Ausgangsgebiete anschließt. 2. Wanderungen und Ausdehnung der Areale. Für die Annahme von Pilanzenwanderungen sind im allgemeinen zu berücksichtigen die Transportfähigkeit und Keimdauer der Samen und die klimatischen Bedingungen, innerhalb deren eine Art oder eine Artengruppe gegenwärtig gedeiht. Die Samen der Saxifragen sind so leicht, daß sie dureh starke Winde weit fortbewegt werden können, ebenso können sie, den Füßen der Gebirgsvögel anhaftend, durch diese leicht fortgetragen werden. Bei zahlreichen kultivierten Arten ist festgestellt. daß die Samen minde- stens !/;-1!/; Jahre keimfähig bleiben. Die Hauptmasse der Arten sind mikrotherm oder hekistotherm, unter den Wärmeverhältnissen der nördlich gemäßigten, subarktischen und arktischen Zone gedeihend; nur Arten der lange in hohem Grade bei der Kultur von Arten der Sektion Dactyloides in botanischen Gärten der Fall, wo S. caespitosa L. Subsp. decipiens (Ehrh.) und 8. hypnoides L. sich mannig- fach vermischt haben, in neuerer Zeit auch bei der Kultur von Arten der Sektion Kabschia. Aber auch in der Natur treten außer sehr charakteristischen Bastarden zwischen den Arten verschiedener Sektionen Bastarde zwischen den Arten und polymorphen Typen derselben Sektion auf. Ganz hervorragend verhalten sich in dieser Beziehung die in den Pyrenäen auftretenden Sippen der Sektion Dactyloides, und ich bin Hrn. M. D. Luizet, welcher teils allein, teils mit den HH. Abbe Souli@ und Coste sowie auch mit Hrn. Neyraut auf zahlreichen Exkursionen die Formen dieser Sektion in ihrem spezifischen Verhalten und in ihrem Zusammenleben gründlichst untersucht hat, zu großem Dank dafür verbunden, daß er mir sorgfältig präparierte Exemplare als Belege seiner Veröffentlichungen über die spon- tan auftretenden Bastarde dieser Gruppen mitgeteilt hat. In der monographischen Bearbei- tung der Gattung haben wir diese Bastarde gebührend berücksichtigt; in dieser pflanzen- geographischen Darstellung treten sie zurück, da sie auf ein engeres Gebiet beschränkt sind. 8 ENGLER: Sektion Diptera und einige der Sektionen Kabschia, Cymbalaria, Nephro- phyllum und Dactyloides sind mesotherm, entsprechend den Bedingungen der südlieh gemäßigten Zone. Innerhalb dieser Wärmeverhältnisse gedeihen auch die mit Saxifraga verwandten Gattungen. Man sieht hieraus. daß trotz sehr weitgehender Gestaltungsmöglichkeit, wie sie uns innerhalb Saxifraga selbst und ihrer verwandten Gattungen entgegentritt, das Protoplasma dieses Verwandtschaftskreises sich nur innerhalb bestimmter Temperaturgrenzen er- halten kann, daß die meisten von ihnen schon mesothermes Klima (Jahres- mittel von 15——-20°) nicht vertragen können. Die nähere Betrachtung zeigt dann, daß auch einzelne Gruppen und Arten innerhalb der angedeuteten Grenzen der Temperaturverhältnisse sich noch recht verschieden verhalten. Es ist daher für die Beurteilung der in der Glazialperiode möglichen Wan- derungen. noch mehr aber der Erhaltung in den der Vergletscherung unter- worfen gewesenen (rebieten nicht unwichtig, zu wissen, wie hoch in den unteren Regionen verbreitete Arten hinaufsteigen und wie tief‘ anderseits in den oberen Regionen verbreitete hinabsteigen. In den von Norden nach Süden verlaufenden Hochgebirgen sind diese Erscheinungen so häufig und so selbstverständlich, daß es sich nicht lohnt, näher darauf einzugehen; aber von Interesse sind folgende Angaben, welche sich auf Vorkommnisse unter annähernd denselben Breitengraden beziehen. In den Pyrenäen kommen vor: S. stellaris L. von 2277-980 m (Zentralpyrenäen nach Marcailhou d’Aymerie). S. rotundifolia L. von 2010—680 m (Zentralpyrenäen nach Marcailhou d’Aymerie). S. granulata L. von der Ebene—2170 m. S. geranioides L. von 2852—ı225 m. S. pentadactylis Lap. von 2900—ı1800 m. S. aspera L. subspec. euaspera Engl. et Irmsch. von 2300—1280 m. Un . aizoides L. von 2480— 1250 m. S. longifolia Lap. von 2400-1000 m (Ostpyrenäen und Zentralpyrenäen), auf der Südseite —-900 m. S. aizoon Jacg. var. pusilla (Jord. et Fourr.), Jeanb. et Timb. 28310— 1220 m. S. media Gouan von 2510—600 m (Östpyrenäen nach Jeanbernat und Timbal-Lagrave). S. aretioides Lap. von 1800—1000 m (Zentralpyrenäen), —400 m in den Basses-Pyrenees (Franqueville). In den Sevennen finden sich: un . Prostiana (Ser.) Luizet von 1600-700 m. S. Prostii Sternb. von 1380—650 ın. a u nn uni u un Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. e) In den Seealpen wurden beobachtet: . stellaris L. von 2400—ı100 m (Vallee de la Stura naclı Burnat). . cuneifolia L. var. capillipes Reichb. von 2000—600—-330 m (Cariana) —ı79 m (Badelucco) — 39 m (Taggia), nach Burnat. . rotundifolia L. von 2100 1000—500 m (zwischen Levans und Durann nach Burnat). . aizoides L. von 2300— 750 m (Valdieri nach Burnat). . lingulata Bell. von 2100800700 -200 m (zwischen Levans und Zusammenfluß des Var und der Vesubie nach Burnat). . cochlearis Reichb. von 1900-400 m (Buggio nach Bicknell). . diapensioides Bell. von 2300-1900 350 m (Tenda nach Burnat). . caesia L. von 2200—98ı m (Mt. Nero)—820 m (Ponte di Nava nach Burnat). In den Grajischen Alpen kommen vor: . stellaris L. von 3150—1500— 250 m (bei Ivrea. — Treves nach Vaccari). . cuneifolia L. von 2300— 250 m (bei Ivrea. — Treves nach Vaccari). . rotundifolia L. von 2100—700 m (oberhalb Pontboset nach Vaccari). . granulata L. 250— 1500 m (nach Vaccari). . aspera L. var. euaspera Engl. et Irmsch. von 2300—600 m (nach Vaccari). In den Schweizer und Tiroler Zentralalpen wurden beobachtet: . stellaris L. von 2750--420 m (im Tessin nach Chenevard), von 2530— 700 m (im Sellraintal der Stubaier A.). . cuneifolia L. von 2000—400 m (im Wallis nach Jaccard), von 2200— 220 m (im Tessin nach Chenevard). . rotundifolia L. von 2000--806—400 ın (im unteren Wallis nach Jaecard), von 1900—650 m häufig, bisweilen aufsteigend bis 2500 m, absteigend bis 324 m (Meran). v. Dalla Torre u. Graf Sarnthein, Flora von Tirol. . tridactylites L. von 330—ı550 m (Wallis nach Jaccard). . androsacea L. von 2900— 1900 m bis etwa ı400 m (Nauders in Tirol). . exarata Vill. von 2700—470 m (Var. leucantha [Thom.], im Vallee de Trient im Wallis). . moschata Wulf. von 4000— 1430 m (Lac de Tancy im Wallis nach Jaccard). . aspera L. subsp. euaspera Engl. et Irmsch. von 2500— 1200-400 m (Wasserfall von Saladino im Tessin nach Chenevard). . aizoides L. von 3100—400 m (Wallis nach Jaccard), von 2650— 240 m (Castione im Tessin nach Chenevard), von 2694-270 m (Bozen nach v. Dalla Torre u. Graf Sarnthein). . aizoon Jacg. von 2750—800—450—-375 m (St. Gingolphe bei Martigny im Wallis nach Jaccard), von 2800 420-240 m (Wasserfall von Saladino im Wallis und bei C’astione im Tessin nach Chenevard), von 2746—750 m (Stubaier Alpen)— 265 m (Bozen). . cotyledon L. von 2400—220 m (Tessin nach Chenevard). . caesia L. von 2350— 1400— 760 mn (Tessin nach Chenevard), von 26601500500 m (Nordtirol, nach v. Dalla Torre u. Graf Sarnthein). . Vandellii Sternb. von 2300—1200 m (Örtler-Alpen). . oppositifolia \.. von 3150—1350—420 m (Wasserfall von Saladino im Tessin nach C'henevard), von 2962—400m (Vorarlberg, Delta der Bregenzer Ach am Bodensee); v. Dalla Torre und Graf Sarnthein, Flora von Tirol. Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. IV 10 ENGLER: un un (02) nn r In den Südalpen ergeben sich folgende Höhendifferenzen : . cuneifolia L. von 1700—400 m (Julische Alpen nach Gortani). . petraea L. von 1900—300 m (Südtirol, 1900 m unter der Cima di Nago aın Mte. Baldo. 300 m im Val Ronchi), von 8oo— oo m (im Friaul nach Gortani). . arachnoidea Sternb. von 1900—600 m (‚Judicarien). . rotundifolia L. von 1900—300 m (Vallarsa)—250 m (Buco di Vela in den Tridentinisch- Veroneser Alpen). . tenella Wulf. von 2000—700 m (Julische Alpen). . crustata Vest von 2338—700 m (in den Südtiroler Dolomiten), von 2400—300 m (Amaro in den Karnisch-Venetianischen Alpen nach Gortani). — 200 m (Stupizza in den Julischen Alpen). — 200 m (Wippach im Karst). . aizoon Jacq. von 2700—-300— 250 m (Judicarien und Tridentinisch-Veroneser Alpen). . Hostii Tausch von 2200-350 m (Amaro in den Karnischen Alpen nach Gortani). — 200 m (Ospedaletto in den Julischen Alpen nach Gortani). S. caesia L. von 2400— 250 m (Venzone in den Julischen Alpen nach Gortani). S. squarrosa Sieb. von 2500—1200 nm (Südtiroler Dolomiten), S. S. S. 2200-900 m (Gleriis in den Julischen Alpen nach Gortani). Vandellii Sternb. von 2300-1500 m (Judicarische Alpen). . Burseriana L. von 2500—630 m (Südtiroler Dolomiten), — 200 m (Tridentinisch-Veroneser Alpen), — 200 m (Interneppo in den Julischen Alpen). — 310 m (Cavazzo lungo in den Karnisch-Venetianischen Alpen). In den Karpathen finden sich: . tridactylites L. subsp. adscendens (L.) A. Blytt von 1900— 1000 m (Kosecielisko). perdurans Kit. von 2100— 900 m (Koseielisko in den Westkarpathen). . aizoon Jacq. var. fypica Engl. et Irmsch. Subvar. alpicola 2500-900 m (Koseielisko in den Westkarpathen). . corymbosa Boiss. var. hıteo-viridis (Schott et Kotschy) Engl. et Irmsch. von 2300—-1500 m (Ostkarpathen). . marginata Sternb. var. Rocheliana (Sternb.) Engl. et Irmsch. von 680 m (Torda hasadek)— 200m (Kimpulujuyag im Siebenbürgischen Erzgebirge — v. Degen); andere Varietäten höher. In den illyrischen und moesischen Gebirgen finden sich: . marginata Sternb. var. coriophylla (Griseb.) Engl. von 2000— 1300 m in der Herzegowina. . Ferdinandi Coburgi Kellerer et Sündermann von 2500—1400 m (Perim-Dagh). Im Kaukasus kommen vor: . cymbalaria 1. von 1780 -200 m ing westlichen Kaukasus, aufsteigend bis 2500 m im öst- lichen Kaukasus. sibirica L. von 3350—1375 m im westlichen Kaukasus nach Albow, von 3900—2300 m im östlichen Kaukasus nach Ruprecht. aizoon Jacıj. subsp. cartilaginea (W illd.) Engl. et Irmsch. von 3500—2000—1300— 200m (West- licher Kaukasus nach Albow, Engler u. Krause). Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 11 S. juniperifolia Adam var. eujuniperifolia Engl. et Irmsch. von 2400—900 ın (im westlichen Kaukasus), — 3200 m (im östlichen Kaukasus). 10) . scleropoda Sommier et Levier von 3000—1500 m (im westlichen Kaukasus nach Sommier u. Levier). i Im Mittelmeergebiet: S. aizoon Jaegq. subsp. euaizoon Engl. et Irınsch. var. Zypiea Engl. et Irmsch. von 2600—500 m (auf Corsica nach Briquet). 102} . porophylla Bert. var. euporophylla Engl. et Irmsch. von 2500— 1100 m (im mittleren Apennin oder den Abruzzen nach Rigo und Levier), var. thessalica (Schott) Engl. et Irmsch. von 2500— 1900 m (in Nordgriechenland) —500 m (auf Thhasos). S. sancta Griseb. von 2000— 1200 m (am Atlıos). Im zentralasiatischen Gebiet: S. diversifolia Wall. var. typica Engl. et Irmsch. von 4600 —3300 m (im östlichen Himalaya, Sikkim). S. Meeboldii Engl. et Irmsch. von 4200—3000 m (NW Himalaya). S. ramulosa Wall. von 5600— 2600 m (Sikkim und Nepal). S. ımbricata Royle von 5300 - 4000 m (Sikkim), von 4000— 1600 m (Westl. Himalaya). Diese Angaben sind Beispiele von ausgedehnterer- vertikaler Verbrei- tung einzelner Arten in einem Hochgebirge; für manche Arten ist diese ein Zeichen für die Möglichkeit ihres Fortkommens unter den verschiedenen klimatischen Bedingungen der aufeinander folgenden Höhenregionen; aber dies gilt keineswegs für alle; denn neben der Höhe kommt die Stand- ortsbeschaffenheit in Betracht, und vielfach sind felsige Schluchten der Wald- region, namentlich in den Südwestalpen und Südalpen durch länger an- haltende Schneedecke und kühle Sommertemperatur ausgezeichnet, welche das Fortkommen alpiner Arten ermöglicht. In anderen Fällen gewährten sonnige Felsen in verschiedenen Höhenstufen oder kalte quellige Standorte in verschiedenen Regionen ähnliche Existensbedingungen. Die Zahl der in der nicht arktischen Ebene lebenden Arten ist im ganzen Areal der Gattung sehr gering. Auch auf das Hügelland der Mittel- meerländer und der gemäßigten Zone beschränkte Arten sind nicht zahl- reich; bei weitem die größte Zahl der Arten gehörte der oberen Wald- region, der subalpinen und alpinen Region oder den entsprechenden Zonen des Nordens an; sie sind fast alle Pflanzen, welche nur wenige Wochen von der Entfaltung der Blütenknospe bis zur Samenreife brauchen. Die I%* 12 En6tERr: Varietätenbildung und die Weiterentwicklung zu Arten schritt immer am stärksten in der Riehtung vor, daß Formen konstant wurden, welche bei Rasenbildung dank Reduzierung der Vegetationsorgane und der Blütenzahl an den einzelnen Sprossen in einer kürzeren Vegetationsperiode noch zur Samenreife gelangen konnten. Oder aber, wenn in den nebelreichen ark- tischen Regionen die klimatischen Verhältnisse der Samenreife nicht günstig sind, dann können noch solche Formen fortkommen. welche durch Bul- billenbildung an den unterirdischen Sproßachsen oder durch solche an den oberirdischen Teilen (8. cernua L., 8. stellaris L. var. comosa Retzius) ausge- zeichnet sind. Dal} solche oberirdische Bulbillenbildung nicht ausschließlich auf das arktische oder glaziale Klima zurückzuführen ist, sehen wir daran, daß sie auch außerhalb der arktischen Länder vorkommt, so auch bei der dem Hügelland der gemäßigten Zone angehörigen 8. bulbifera L., bei 8. stellaris L., f. prolifera Sternb. in den Alpen, bei S. Clusü Gouan var. propaginea Pourr. in den westlichen Pyrenäen, bei S. bryophora Asa Gray in der Sierra Nevada Nordamerikas, bei 8. ferruginea Grah. var. Macouniü Engl. et Irmsch., bei S. punctata L. lusus gemmulosa, bei S. Mertensiana Bong. var. bulbillifera Engl. in den nördlichen Rocky Mountains. Das solche Bulbillen das Wandern einer Art ermöglichen, ist zweifellos, und bei manchen Arten, wie S. cernua tritt Samenbildung gar nicht auf; die Bulbillen genügen für ausgiebige Fortpflanzung und Verbreitung. 3. Glaziale und postglaziale Wanderungen. Als auf dem Höhepunkt der Eiszeit die fennoskandinavischen Gletscher bis nach Mitteleuropa reichten, herrschten in Europa unter dem 50°, in Nordamerika noch unter dem 45° n. Br. ähnliche Vegetationsbedingungen wie gegenwärtig unter 75——-80° n. Br. Während aus den skandinavischen Hochgebirgen die präglaziale Vegetation verschwand und teilweise nach Süden wanderte, zum Teil auch am westlichen Küstenstreifen Norwegens sich erhielt‘, war es in den 'stark vergletscherten Hochgebirgen Mittel- europas, Sibiriens, Zentralasiens und Nordamerikas anders. Auch während der gewaltigen Vergletscherung derselben auf dem Höhepunkt der Eiszeit " N.Wille, The Flora of Norway and its Immigration, Annals of the Missouri Botan. Garden 1915 p. 80—84. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 13 konnten alle jetzt in denselben erhaltenen Stammarten von Saxifraga diese Periode überdauern, die hekistothermen Arten auf den die Gletscher über- ragenden Felsspitzen oder am Rande der Moränen, die mikrothermen in den an der Südseite gelegenen Hügelländern. Daß aber auch viele Arten und Varietäten, welche vor der Eiszeit auf den Hochgebirgen nur an wenigen Stellen existierten, in den Gebieten’ der mächtigsten Vergletscherung aus- gelöscht wurden, daß das früher zusammenhängende und größere Areal vieler Arten eingeschränkt und zerteilt wurde. ist sicher anzunehmen und der Grund sowohl für die Disjunktion der Areale mehrerer Arten sowie auch für die Lokalisation anderer, zumal nicht weniger Arten nur unter ganz bestimmten Standortsverhältnissen wachsen. Die mannigfachen fort- schreitenden Änderungen der Vegetationsbedingungen in den Hochgebirgen begünstigten die Wanderungen. Ohne weiteres ist es klar, daß der Trans- port von Samen der Hochgebirgsarten durch Wind und Vögel während der Eiszeit entlang der Gebirgszüge von den Pyrenäen über die Alpen bis zu den Karpathen, von den Alpen nach den mitteleuropäischen Gebirgen, nach den Apenninen und den illyrischen oder dinarischen Gebirgen, von den Karpathen oder auch den illyrischen Gebirgen nach den mösischen erfolgen konnte. Die Lücke, welehe zwischen den alpinen Regionen der ÖOstpyrenäen und der Alpen der Dauphine von dem südöstlichen Teil des französischen Zentralplateaus mit einer mittleren Höhe von 700-—-800 m und einigen Gipfeln zwischen 1600 m und 1900 m ausgefüllt wird, war in der Glazialperiode erheblich kleiner als gegenwärtig; denn in den Süd- westalpen' erstreckte sich die Vergletscherung in der Rieseiszeit bis Lyon über Grenoble hinaus, über Gap hinaus bis Veynes, der Durancegletscher bis Sisteron. während in den Ostpyrenäen der Ganigougletscher bis 320 m, in den Zentralpyrenäen der Ariegegletscher bis 400 m, der Garonnegletscher bis 460 m hinabreichte und die Schneelinie in den Alpen ı500 m, in den Pyrenäen’ nur 1 100 m tiefer lag. Dazu waren die höheren Berge der Auvergne (Mont Dore und Cantal) sowie der Sevennen (Mezenc, Montagne de la Lozere) selbst teilweise vergletschert. Für den Verkehr zwischen den Östalpen und Karpathen waren bei der schwachen Vergletscherung der östlichen Alpen die Zwischenräume durch die glazialen Bedingungen ver- ! Penck und Brückner, Die Alpen im Eiszeitalter, Bd. 2, Karten S. 640, 702, Bd. 3, Karte S. 920. ® Penck, Die Eiszeit in den Pyrenäen, in Mitteil. d. Ver. f. Erdkunde in Leipzig 1883. 14 ENGLER: hältnismäßig weniger eingeengt, als für den Verkehr zwischen den Alpen und Pyrenäen. Auch nach den albanischen und griechischen Gebirgen war der Transport durch die große Vergletscherung in den dinarischen Alpen’ erleichtert. Von den illyrischen Gebirgen konnten Pflanzen nach den mösi- schen Gebirgen und von diesen nach den südöstlichen Karpathen wandern. Manche Arten, welche, wie 8. stellaris; in den Westkarpathen fehlen, aber in den Ostkarpathen vorkommen, scheinen diesen Weg genommen zu haben. Das weitere Gedeihen von Pflanzen aus der nivalen Region der Alpen und Karpathen war durch die nach der Eiszeit eingetretenen klimatischen Ver- hältnisse wenig begünstigt in den dem Mittelmeergebiet näher gelegenen Gebirgen sowie in den mediterranen Hochgebirgen selbst. Es ist zwar erwiesen, daß während der Eiszeit die Schneegrenze in der Tatra bei etwa 1500 m, am Orjen im südlichen Dalmatien bei etwa 1200—1400 m, auf der Prenj Planina bei 1680 m, in der Treskavica und Bjelasnica in Bosnien bei 1780—ı800 m, am Volujak und Maglit bei 1890— 1950 m, auf der Schar Planina, der Rila und dem Perim im Rho- dopegebirge bei etwa 2000 m, am Peristeri in Mazedonien bei etwa 2150 m lag, es wurden auch Gletscherspuren in Südserbien am Kopaonik und Jastrebae bei 500 m nachgewiesen; aber durch dieses Herabrücken der Schneegrenzen an den einzelnen Gebirgen sind die 200 — 300 km und mehr betragenden Entfernungen zwischen den Regionen, in denen hochalpine und nivale Pflanzen, wie Saxifraga adscendens, S. androsacea, 8. sedoides, S. pede- montana, S. exarata, S. moschata, S. oppositifolia und S. retusa auch während der Eiszeit gedeihen konnten, nicht gerade sehr erheblich eingeschränkt und auch zwischen der Tatra und den nordöstlichen Alpen war zur Eiszeit ein 200— 300 km betragender Zwischenraum, auf welehem Pflanzen, wie die genannten, sich nicht ansiedeln konnten. Noch mehr als auf’ der Balkan- halbinsel und in Italien waren während der Eiszeit die für Besiedlung mit nivalen Pflanzen geeigneten Gebirge der Pyrenäischen Halbinsel voneinander entfernt. Mehr als 600 km liegen zwischen der Südgrenze der pyrenäischen Eiszeitgletscher und denen der Sierra Nevada, nach welcher nieht wenige nivale Pflanzen von den Pyrenäen gelangt sind, doch ist wohl möglich, daß während der stärksten Entwicklung der Gletscher auf der Iberischen ' Grund, Beiträge zur Morphologie des dinarischen Gebirges in Penck, Geogr. Ab handl. IX. 3 (1910) 120/121. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 15 Halbinsel einzelne Arten auch auf den höheren Gebirgen des östlichen Ibe- riens existierten. Eine kontinuierliche Wanderung zwischen den genannten Gebirgs- systemen war auch während der Eiszeit ausgeschlossen, und ich kann nicht umhin, viel mehr, als ich früher selbst annahm, für die Verbreitung der kleinen Samen der Saxifragen und anderer hochalpiner Pflanzen durch alpine Vögel einzutreten. Dabei kann ich auch nieht umhin, zuzugestehen, daß sehr wohl auch schon vor der Eiszeit solche Samenverschleppungen stattfinden konnten. Die glazialen Einflüsse machten sich während der Eiszeit besonders nordwärts der Alpen, Pyrenäen und Karpathen durch Vernichtung der ursprünglichen Vegetation, durch Wanderung nordischer Formen nach Süden und bei dem Rückgang der Eiszeit durch Wan- derung mitteleuropäischer Hochgebirgspflanzen nach dem Norden und in den zirkumpolaren Ländern in höherem Grade geltend, als zwischen den Ge- birgen in der Richtung von West nach Ost oder umgekehrt. Für diese liegt der Einfluß der Eiszeit wesentlich darin, daßin den Hoch- gebirgen durch die eintretende dauernde Schneebedeekung der obersten Region und die Entwieklung größerer oder kleinerer Gletscher erst die Standortsbedingungen geschaffen wurden, welche den nivalen Pflanzen zusagten, und insofern kann man eben doch annehmen, daß auch viele Wanderungen in ostwestlicher und west- östlicher Richtung erst während und nach der Eiszeit erfolgt sind. Wenn wir uns aber darüber klar sind, daß auch während der Eiszeit Samentrans- port mehrfach über größere Entfernungen durch Vögel (und Wind) er- folgte, so können wir auch verstehen, daß trotz der großen Entfernung zwischen den mösischen Gebirgen und dem Kaukasus diesen Gebirgssyste- men einige Arten allein gemeinsam sind, sowie auch, daß alpine Arten nach dem Kaukasus gewandert sind. Auf dem Kaukasus waren die Exi- stenzbedingungen für einwandernde nivale alpine Arten während und nach der Eiszeit günstig; aber es fehlen daselbst mehrere Arten, welche in dieser Periode eine weite Verbreitung nicht nur in den Karpathen und Pyrenäen, sondern auch in den Polarländern erlangt haben. Dies kann nur darauf beruhen, daß über die große Lücke von den Karpathen zum Kaukasus doch nur ein beschränkter Samentransport durch Vögel erfolgte; ebenso erreichten nivale Saxifragen der Alpen und der Karpathen nicht den Hi- malaya und umgekehrt solche des Himalaya nieht die Karpathen und Alpen. 16 ENGLER: In derselben Weise wie an der Grenze des mittleren und südlichen Eurasiens hat die Eiszeit auch in anderen Gebieten vor allem dadurch auf die Wanderungen alpiner Arten eingewirkt, daß sie die Standortsbedin- gungen für Pflanzen geschaffen hat, welche anderwärts unter nivalen Ver- hältnissen durch Mutation von Arten entstanden waren, die zunächst nur die Ansprüche von Felsenpflanzen der montanen nnd subalpinen Region stellten. So war es in den subarktischen Ländern, in Zentralasien, auf den Rocky Mountains und den Anden. Wir wissen nach Hans Meyers! Dar- stellungen, daß, wo in der Tropenzone die Gestalt der hohen Berge und die Lage der Gebirgsseite der Firnansammlung und Gletscherbildung günstig ist, wie z. B. am westlichen Kilimandscharo, am westlichen Runsoro, am nordöstlichen Chimborasso, die Grenze der letzten diluvialen Vergletsche- rung 800—1000 m tiefer als heute lag, an ungünstigeren Stellen dagegen nur 600— 800m, auf jüngeren, kegelförmigen und den klimatischen Schmelz- wirkungen gleichmäßig ausgesetzten Bergen nur 500—600 m tiefer. Es ist also kein Zweifel, daß auf dem Höhepunkte der Eiszeit die Verhält- nisse für Wanderungen von nivalen Pflanzen der Rocky Mountains nach den Anden Südamerikas günstiger waren als gegenwärtig. Aber es ist hierbei doch noch etwas anderes zu erwägen, was mehr mit der prä- glazialen Entwicklung zusammenhängt. Wenn man die ganz gewaltige formenreiche und eigenartige Entwicklung mancher borealer Gattungen, wie namentlich Gentiana” und Valeriana® berücksichtigt, so kann man nicht daran denken, daß diese ganze Neubildung von Arten erst nach der Eis- zeit erfolgt ist, nachdem während der Eiszeit die ersten Etappen geschaffen wurden. Es müssen hier auf den Anden sowie in Zentralasien schon vor demjenigen Stadium der Eiszeit, in welchem die Vergletscherung Skandinaviens erfolgte, die Bedingungen für die Existenz und Weiterent- wicklung nivaler Typen vorhanden gewesen sein. Das läßt sich sehr gut durch die Verbreitung der Saxifragengruppe der Caespitosae nachweisen (Taf. V, Karte 18, 19, 20), welche schon vor der Eiszeit im westlichen Mitteleuropa, im subarktischen und arktischen Europa existiert haben müssen, '! Hans Meyer, In den Hochanden von Ekuador (1907), S. 477: ® Gilg, Monographische Zusammenstellung der Gentiana-Arten Südamerikas in Englers Bot. Jahrb. LIV (1916), Beiblatt Nr. 118. ® Hoeck, Beiträge zur Morphologie, Gruppierung und geographischen Verbreitung der Valerianaceen in Englers Bot. Jahrb. III (1882), S. 1—72. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 17 schon vor der Eiszeit, begünstigt dureli die Landverbindungen des Konti- nents mit England und Irland, dorthin und über kleinere Meeresstrecken hinweg durch Vogeltransport nach den Faröern, Island und Grönland, ferner noch in postglazialen Zeiten von Skandinavien nach Spitzbergen gelangten und sich zirkumpolar nach dem arktischen Amerika verbreiten konnten. Von hier aber wanderte diese Urform der S. caespitosa die Rocky Moun- tains entlang sprungweise nach den Anden von Südamerika, wo sie zu neuer Formentwieklung und Artenbildung gelangte. Nach dieser kleinen Abschweifung in die Zeit der präglazialen Wanderungen mag noch ganz kurz auf die postglazialen nördlich von den südlichen eurasiatischen Hoch- gebirgen hingewiesen sein. Daß mit dem Vorschreiten der Südgrenze der fennoskandinavischen Gletscher fennoskandinavische Pflanzen nach den mitteleuropäischen Ebenen und Gebirgsländern, ebenso mit den pyrenäi- schen, alpihen und karpathischen Gletschern Pflanzen in dasselbe Gebiet vordrangen und mit dem Zurückweichen der nordischen Gletscher die aus verschiedenen Elementen gemischte Flora nach dem subarktischen und arktischen Europa gelangte, ist nicht nur eine allbekannte geläufige Hypo- these, sondern eine durch zahlreiche zuerst von Nathorst aufgedeckte fossile Funde bestätigte Tatsache. Ebenso klar ist die zirkumpolare Ver- breitung im arktischen Gebiet. Dagegen ist noch die Wanderung der alpinen Nivalpflanzen nach dem Ural und den sibirischen Gebirgen zu be- sprechen. Da sich die Spuren der ehemaligen Vereisung in Rußland bis in die Nähe der Wolga und Kama erstrecken, konnten die durch Galizien und Polen nach Norden wandernden Pflanzen in nordöstlicher Richtung allmählich nach dem nördlichen Ural gelangen und diesen entlang von Norden nach Süden fast bis zum 50° n. Br. vordringen. Von hier bis zum Altai, der in der Eiszeit stark vergletschert war, ist eine Entfernung von fast 2000 km. Man könnte bei einigen Arten daran denken, daß ihre Wanderung ungefähr in der Richtung der Eisenbahn von Slatoust bis Omsk und des Flußlaufes des Irtysch, in während der Glazialzeit tundra- artiger Ebene, erfolgt sei: aber es kommen im Altai auch mit alpinen Sippen verwandte Formen vor, welche im Ural fehlen (S. moschata var. terektensis), dagegen auf dem Kaukasus vertreten sind, und sogar eine, welche auf dem Kaukasus‘ fehlt, aber auf‘ den mösischen Gebirgen und in den Karpathen nachgewiesen ist (S. androsacea, Taf. IV, Karte 16). Hier handelt es sich um eine Lücke von etwa 4500 km, zudem um eine Pflanze, welche auch Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 3 18 EnGLER: noch nahe am Baikalsee vorkommt und durch nahe Verwandte in Yünnan und Sikkim vertreten ist. Nach ihren Verwandtschaftsverhältnissen kann aber die Verbreitung dieser Gruppe nur von den Alpen her erfolgt sein. Die Gebirgsreihe Kaukasus, Elburs, Nordiranisches Randgebirge, Hindukusch, Pamir, Alai, Tien-schan, Tarbagatai würde eine schöne Brücke für etappen- weise Wanderungen solcher Pflanzen abgeben, aber bis jetzt sind in diesen Gebirgen Spuren der in Betracht kommenden Arten nicht nachgewiesen worden. Zwischen Altai und dem nordöstlichen Sibirien und ebenso zwischen diesem und dem nordwestlichen Amerika über die Beringsmeerländer waren seit der Eiszeit bis jetzt und auch vor der Eiszeit sehr günstige Bedin- gungen für gegenseitigen Austausch. Vortreffliche Wanderstraßen boten die Rocky Mountains bis Arizona und das Kaskadengebirge bis zur Sierra Nevada. Bei mehreren der glazialen und postglazialen Wanderungen ist nicht zu bezweifeln, daß in der Eiszeit mehrere Zwischenstationen, welche jetzt keine Spur der gewanderten Arten aufweisen, zwischen den jetzt bekannten nördlicheren und südlichen Fundstätten, mit denselben besetzt waren. Die in der Eiszeit herrschenden, für die nivalen Pflanzen günstigen Bedingungen (vor allem längere Bewässerung des Bodens mit Schneewasser) hörten allmählich auf und so konnten die gewanderten Pflanzen nur an einzelnen Fundstätten verbleiben, welche bei größerer Höhe oder durch anderweitige Verhältnisse (lokale Abweichung von der Mitteltemperatur der Umgebung, felsiges Substrat) die Erhaltung solcher mikrothermen Arten besonders begünstigten. Sind nun solche günstigen Standorte erheblich südlicher gelegen und große Strecken nördlich derselben von der betreffen- den Art frei, dann erscheint dies sonderbar, wie z. B. das Vorkommen von 8. sedoides und S. crustala in der Herzegowina oder im südlichen Bos- nien und ihr Fehlen in den nördlichen und mittleren dinarischen Alpen, das Fehlen von 8. androsacea im mittleren Apennin und das Vorkommen der nahestehenden 8. /ridens Jan in den Abruzzen, das Vorkommen der hochalpinen S. sedoides auf dem Gran Sasso und ihr Fehlen in dem mitt- leren Apennin, das Vorkommen mehrerer Arten auf den hohen Bergen von Colorado (Pike’s Peak, Gray’s Peak) und ihr Fehlen in den mehr nördlichen Rocky Mountains, nämlich S. chrysantha, S. tridactylites subsp. adscendens, S. hirculus, S. flagellaris, oder das Auftreten von Arten in Colorado, deren nächste Verwandte sich jetzt im Polargebiet finden, wie 8. chrysantha (nächst verwandt mit der im arktischen Nordamerika vorkommenden S. serpyllifolia). Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 19 Es sind diese Vorkommnisse Glazialrelikte, geradeso wie das Vorkommen von 8. hieracifolia am Cantal, in Steiermark und in den Karpathen, nach welchen drei Gebieten diese Art wahrscheinlich auf drei verschiedenen Linien aus dem Norden gelangt ist, wie ferner das Vorkommen der S. nivalis in der kleinen Schneegrube des Riesengebirges. Ebenso auffällig erscheinen manche Reste der glazialen Wanderungen nach Norden wie das Vorkommen der 8. aspera subsp. bryoides und der S. moschata in der kleinen Schneegrube des Riesengebirges, das vereinzelte Vorkommen der aus den Alpen stammen- den S. aizoon in Norwegen nördlich des Polarkreises gegenüber einer ziem- lich starken Verbreitung in Grönland und Ost-Kanada, desgleichen das ver- einzelte Vorkommen der ebenfalls aus den Alpen stammenden 8. colyledon auf Irland gegenüber dem häufigen Auftreten derselben Art in Norwegen. Auch in den wärmeren interglazialen Perioden, mögen deren zwei oder nur eine vorhanden gewesen sein, konnten die jetzt in den Hochgebirgen erhaltenen Stammarten weiter gedeihen. Nur da, wo die Gletscher voll- ständig das Land bedeckten und da, wo nach ihrem Rückgang ihr voll- ständiges Verschwinden ganz durchgreifende Änderungen der Bodenverhält- nisse für Waldformationen oder Steppenformationen zur Folge hatte, gingen auch die Saxifragen großenteils zugrunde. Eine xerothermischen Verhältnissen entsprechende Formenbildung können wir nur bei felsbewohnenden Arten niederer Gebirgsländer der Pyrenäischen Halbinsel, der Südalpen und der östlichen Mittelmeerländer sowie des öst- lichen Zentralasiens wahrnehmen, namentlich bei der Schlafknospen bilden- den Gruppe der Gemmiferae innerhalb der Sektion Dactyloides, im geringeren Grade bei den hartlaubigen Ceratophyliae derselben Sektion, bei den dichte starre, bisweilen stachelblättrige Polster bildenden Arten der Sektion Kab- schia und in der zentralasiatischen Gruppe der Gemniparae innerhalb der Sektion Hireulus. 4. Präglaziale Verbreitung der Saxifragen. Die Untersuchung der einzelnen Gruppen zeigt, daß ein Teil derselben vor der Eiszeit Auf einzelne Gebirgssysteme beschränkt gewesen ist und daß ihr heutiges größeres Areal auf Wanderungen während und nach der Eiszeit zurückzuführen ist. So liegen die Ausgangsgebiete der $ Punctatae und $ Davuricae (Taf. I. Karte ı) im pazifischen Asien und dem pazifischen 3* 20 ENGLER: Nordamerika nördlich von 30°; das Ausgangsgebiet für $ Nivali-virginienses (Taf. I, Karte ı) erstreckt sieh noch nach dem atlantischen Nordamerika hin- über. Das Areal der Sektion Zigularia (Taf. VIII, Karte 40) ist auf Ostasien beschränkt, das Areal der $ Merkianae (Taf. I, Karte 2) auf‘ Nordostasien. Nur in Kansu im nordöstlichen Zentralasien finden wir die monotypische Sektion Tetrameridium (Taf. VII. Karte 39). Das Areal der $ Melanocentrae (Taf. I, Karte 2) umfaßt das Randgebiet Zentralasiens und erstreckt sich noch nach Nordostasien. Das Areal der zur Sektion Hireulus gehörigen Gruppen $$ Densifoliatae, Turfosae, Stellarüfoliae (Taf. II, Karte 3) sowie der $S Lychni- tideae, Nutantes, Gemmiparae, Cinerascentes (Taf. II, Karte 5), Flagellares (Taf. III, Karte 7) ist auf’ den südlichen und südöstlichen Bogen des zentralasiatischen Hochgebirgslandes von Kaschmir bis Kansu beschränkt. und das Ausgangs- gebiet der $ Hirculoideae (Taf. II, Karte 4) mit mehr als 20 Arten erstreckt sich nur noch ein wenig weiter nordwestlich. Endlich deckt sich mit dem Ausgangsgebiete der letzteren auch beinahe das der $ Sediformes (Taf. II, Karte 6). wenn wir die in Colorado vorkommende 8. chrysantha A. Gray als eine von der nahestehenden 8. serpyllifolia Pursh abstammende postglaziale Art ansehen. So ist also ein verhältnismäßig kleines Areal Zentralasiens der Entwicklungsherd für die etwa 84 Arten der Sektion Hirculus. Auch die $ Hemisphaericae (Taf. Il, Karte 7) kann man hier anschließen, wenn S. Esehscholtzii Sternb. von 8. hemisphaerica Hook. f. et Thoms. abzuleiten ist. Ferner finden wir die $ Juniperifoliae (Taf. VII, Karte 32) beschränkt auf den Kaukasus und Mazedonien, die Sektion Cymbalaria (Taf. II, Karte ı 1) auf die östlichen Mittelmeerländer. Alle Arten und Varietäten der Sektion Misco- petalum (Taf. III, Karte 9, 10) haben ihr Ausgangsgebiet auf der Balkan- halbinsel. Nur auf die Abruzzen und die illyrischen Gebirge beschränkt ist die monotypische $ Glabellae (Taf. IV, Karte 15). Die Alpenländer sind das Ausgangsgebiet für einige Sektionen und Gruppen, welche zum Teil eine weite postglaziale Verbreitung gewonnen haben, für mehrere Gruppen der Sektion Dactyloides, wie SS Tenellae, Sedoideae. Muscoideae, Aphyllae (Taf. IV. Karte 15), und auch die Androsaceae (Taf. IV. Karte 16). die Sektion Xanthi- zoon (Taf. VI. Karte 24), die zur Sektion Euaizoonia gehörigen $$ Perai- zooniae, Cotyledoneae, Florulentae, Mutatae (Taf. VI, Karte 26, 27, 28; T af. VII. Karte 29), die zur Sektion Kabschia gehörige $ Squarrosae (Taf. VI, Karte 35). endlich die ganze Sektion Porphyrion (Taf. VIII, Karte 37. 38, 39). So- dann liegt für eine Gruppe das Ausgangsgebiet in den Alpen und den öst- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 21 lichen Pyrenäen. nämlich für die $ Crustatae der Sektion Euaizoonia (Taf. VI. Karte 25). Von den Pyrenäen allein aber gingen aus die Sektion Robertsonia (Taf. III, Karte S) und die N Ewarato-moschatae (ler Sektion Dactyloides (Taf. \V. Karte 21. 22); ferner sind auf die Ostpyrenäen beschränkt die $ Agqua- ticae (Taf. IV. Karte 17). Sodann ist das westliche Mittelmeergebiet mit der Iberischen Halbinsel und dem Atlas das Ausgangsgebiet für die $ Gemmiferae (Taf. V. Karte ıS), welche nordwärts bis Island vorgedrun- gen sind. Diese Angaben genügen schon, um darzutun, daß in der Tertiärperiode eine sehr weitgehende Differenzierung des Saxifragenstammes vor sich ge- gangen ist. Aber noch mehr wird dies bestätigt durch diejenigen Gruppen, deren Areale mehr oder weniger auseinander liegen. bei denen aber nicht die Verhältnisse der Glazialperiode allein für die Verbreitung in Betracht kommen. Hierfür sind besonders interessant die Gruppen, welche in den Mittelmeerländern eine reichere Entwicklung zeigen. Im westlichen Teil derselben treffen wir neben den vorher erwähnten Gemmiferae die $ Cerato- phyllae (Taf. IV, Karte 17), welche in der montanen Region des nördlichen und östlichen Spaniens sowie auf Madeira, Porto Santo und in Marokko sich formenreich entwickelt haben und in diesem Gebiet durch «die Eiszeit nicht gestört worden sind; aber sie sind mit einer kleineren Artgruppe, welche sich an S. geranioides anschließt, in den Ostpyrenäen und den Sevennen. dann auch auf Korsika und Sardinien sowie in den Südwestalpen ent- wickelt. Alle diese Arten sind präglazial und konnten in diesen Gebirgs- ländern unterhalb der glazialen Schneelinie existieren. Aber eine Unterart der S. pedemontana, die Subsp. @ymosa, ist, von der Stammart durch eine große Lücke getrennt, von 40° nordwärts auf den Gebirgen der Balkanhalbinsel vertreten und auch in den Ostkarpathen verbreitet. Wir haben also hier ein zweites vom Hauptareal getrenntes Areal, für welches drei Erklärungen möglich sind. Entweder sind ı. Samen der Stammart von S. pedemontana nach dem Balkan gelangt, und es ist dann («ort die neue Unterart entstanden, oder 2. es hat sich die Stammart über die Ostalpen bis in die Karpathen erstreckt und wurde während der Eiszeit im ganzen Zwischengebiet ver- nichtet oder aber 3. die Stammform war im Tertiär über Unteritalien nach dem Schar-Dagh gelangt und hat sich von dort aus mit der Hochgebirgs-Sub- spezies eymosa weiter und weiter verbreitet. während die Stammart in Unter- italien verschwunden ist. Das letztere erscheint das Wahrscheinlichste. [89 ID ENGLER: Eine andere im Mittelmeergebiet und den naheliegenden Hochgebirgen vertretene Gruppe mit auffallender Lücke im Areal ist die zur Sektion Kab- schia gehörige Gruppe $ Mediae; die zuerst bekanntgewordene Art dieser Gruppe (Taf. VII, Karte 30. 31), S. »nedia, findet sich in den Ostpyrenäen von der montanen Region bis in die alpine; einige Arten und Varietäten sind charakteristisch für die Gebirge der Balkanhalbinsel, und von diesen greift eine, S. corymbosa auch nach dem südwestlichen Kleinasien über und erstreckt sich weit nordwärts in das Gebiet der Ostkarpathen. Ferner ist die vielgestaltige und am meisten verbreitete S. porophylla außer auf der Balkanhalbinsel auch von Unteritalien bis zu den Abruzzen und im nord- westlichen Kleinasien anzutreffen. Wiederum eine große Lücke auf dem Gebiet Italiens und der ganzen Riviera. Da es sich hier um Arten han- delt, welche einen trocknen Sommer bevorzugen, so liegt die Annahme nahe, daß diese Artengruppe in der Tertiärperiode im nördlichen Apennin und in den Ligurischen Alpen auch vertreten war, durch die niederschlags- reichere Eiszeit aber von hier verdrängt wurde. Nun kommt aber noch hin- zu, daß eine siebenmal größere Lücke als die italienische zwischen S. media und ihren Verwandten zwischen dem Areal Mediae des mittleren Mittelmeer- gebietes und dem Areal zweier anderer Arten in Yünnan besteht. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß auch einzelne Arten dieser Gruppe in den Gebirgen Persiens, Afghanistans und des Himalaya gefunden werden; aber so viel ist sicher, daß diese Art der Verbreitung nur dadurch erklärt werden kann, daß in der Tertiärperiode diese Gruppe reicher entwickelt war. Da ich in dieser Darstellung bei den Saxifragen bleiben will, so sei nur ganz kurz auf die den Pflanzengeographen bekannten Tatsachen in der Verbrei- tung von Ramondia, Rhododendron ponticum, Wulfenia, Sibiraea, Forsythia, Co- rylus colurna u. a. hingewiesen. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei einer andern Gruppe der Sektion Kabschia, der $ Marginatae (Taf. VII, Karte 33, 34). Sie ist nicht bis zu den Ostpyrenäen vorgedrungen; aber einige Arten haben ihr Areal in Unteritalien und auf der Balkanhalbinsel (Taf. VII, Karte 34); am weitesten verbreitet ist der auch in die Ostkarpathen hineinreichende polymorphe Typus der S. marginata. Wie ergiebig aber ptlanzengeographische Forschungen in den östlichen Gebirgsländern sind, das sehen wir an den für diese. Gruppe gewonnenen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte. Es wurden entdeckt S. Dinnikü im westlichen Kaukasus, S. iranica in der Gletscher- region des Alburs unter dem Gipfel des Tacht-i-Sokimans (4000—4300 m), Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 23 S. afghanica im Kuramtal an «der Grenze von Afghanistan und Kaschmir, S. lilacina im westlichen Himalaya. S. Stolitskae in Kumaun, S. Andersonü in Sikkim, S. likiangensis und S. pulchra in Yünnan, S. unguipetala in West- Hupeh, während 8. ramulosa und S. imbricata schon früher aus dem ganzen hochalpinen Himalaya bekannt waren. Da sind also die Etappen vorhanden, welche wir bei der vorher besprochenen Gruppe der Mediae vermissen. Interessant ist auch, daß zu der ziemlich isoliert stehenden in Kleinasien vorkommenden 8. Kotschyi aus der $ Kotschyanae (Taf. VII. Karte 32) eine Verwandte, S. Meeboldü in Kaschmir aufgefunden wurde. Auch bei einigen Gruppen. welche etwas nördlich vom Mediterrangebiet vorkommen, kennen wir solche von großen Lücken durchsetzte Areale, welche vor der Eiszeit wahrscheinlich oder sicher mehr Zusammenhang besaßen. In der Sektion Dactyloides umfaßt die eigenartige Gruppe der Awzlliflorae (Taf. IV, Karte 17) die beiden nur sehr wenig veränderlichen und scharf abgegrenzten, damit schon den Stempel hohen Alters tragenden Arten S. ajyugifolia in den Ost- pyrenäen und 8. perdurans in den Westkarpathen. In der Sektion Kabschia ist die $ Aretioideae (Taf. VII, Karte 36) mit S. aretioides auf die Zentral- pyrenäen und S. Ferdinandi Ooburgi auf die mösischen Gebirge beschränkt. Ferner besitzt die derselben Sektion angehörige $ Rigidae (Taf. VII, Karte 36) 4 Arten mit beschränkten Arealen in den von der Eiszeit weniger geschä- digten südlichen und östlichen Alpen und eine Art, S. columnaris, im west- lichen Kaukasus. Auf präglaziale Verhältnisse müssen wir auch zurückgehen, wenn wir die Verbreitung der Sektion Nephrophyllum erklären wollen (Taf. IV, Karte ı 3). Die $ Arachnoideae ist so wie S Tenellae der Sektion Dactyloides und die $ Rigidae der Sektion Kabschia eine altalpine, ohne nähere Beziehungen zu einer anderen Gruppe; die $ Irriguae mit S. latepetiolata im nordöstlichen Spanien und 8. irrigua im Jailagebirge auf der Krim ist wiederum ein Bei- spiel für disjunkte Verbreitung der Relikten einer Gruppe, wie wir es oben bei den $$ Arilliflorae und Aretioideae kennen gelernt haben, nur daß es sich hier um montane subxerophile Arten handelt, bei denen man annehmen möchte, daß ihre Verwandten sich auch während der Eiszeit in dem Medi- terrangebiet hätten erhalten können.’ Die $ Granulatae zeigt auf der Iberischen Halbinsel und in Nordafrika eine reiche Artenentwicklung, die jedenfalls ' so wie die der $ Ceratophyllae präglazialen Ursprungs ist; die Untergruppe $$ Biternatae findet sich nur im südlichen Spanien, die $$ Dichotomae hat 24 ENn6tEr: sich vom östlichen Spanien über Nordafrika bei Sizilien verbreitet, und von dort aus ist S. bulbifera in den mittleren Teil des Mittelmeergebietes über- gegangen, von wo die Pflanze nach der Eiszeit auch in den südlicheren Teil Mitteleuropas gelangte. In gleicher Weise haben die $$ Eugranulatae sich sehon präglazial auf der Iberischen Halbinsel formenreich und arten- bildend entwiekeln können, und haben sich im Mittelmeergebiet ausgebreitet; auf Sardinien und Corsiea entstand dabei die Subspezies Russü, auf der Balkanhalbinsel die Subspezies yraeca; nach der Eiszeit aber breitete sich die Rasse borealis, welche von der auf der Pyrenäischen Halbinsel ver- breiteten Rasse glaucescens nur wenig unterschieden ist, im ganzen westlichen und borealen Europa aus, hielt sich jedoch von den östlichen (rebieten mit kälteren Wintern fern. Während diese $ der Nephrophylia einen strengen Winter nicht ertragen können, sind andere Arten, die wir als $ Sibiricae bezeichnen, mehr Kälte liebend: sie haben ihre Hauptentwicklung in den arktischen und subarktischen Gebieten sowie auf den Rocky Mountains, den sibirischen und zentralasiatischen Gebirgen, endlich auch auf den Kar- pathen. Den größten Teil ihres jetzigen Areals müssen sie sich während und nach der Eiszeit erworben haben: aber es ist anzunehmen, daß sie schon vor der Eiszeit auf den Aleuten und in den Gebirgen zu beiden Seiten des Stillen Ozeans nördlich von 40° existierten, und daß sie von Ostasien durch das südliche Zentralasien bis zum Kaukasus und den Karpathen ver- breitet waren. Morphologisch kommt $. sibirica den Granulatae am nächsten. Es ist möglich, daß sie von Kleinasien ausgegangen ist. Interessant ist, daß sie mit der Varietät Dingleri auch bei Philippopel auftritt, während sie anderseits über den Kaukasus, das südliche Sibirien und Zentralasien bis in die Gegend von Peking verbreitet ist. . carpathica in den Karpathen und S. cernua als Glazialrelikt, sowohl in den Karpathen wie auch in den Alpen bis zu den Seealpen zerstreut, können zwangslos von S. sibirica ab- geleitet werden, und Korscehinsky war geneigt, S. cernua nur als Varietät der letzteren zu betrachten. S. exilis und S. debilis sind schon weiter von S. sibirica entfernt und ebenso $. rivularis; es liegt nahe, ihr Ausgangsgebiet nach dem nordöstlichen Asien und den Aleuten zu verlegen, wo wir auch die größte Formenmannigfaltigkeit der 'S. rivularis finden, welche von hier aus nach der Eiszeit zirkumpolar nach Westen gewandert ist. Wo aber die Stammform der Sektion Nephrophyllum in der Tertiärzeit entstanden sein mag, ist jetzt schwer zu sagen. Verwandtschaftlich schließen sich die Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 25 Nephrophylia am meisten an die Sektionen Dactyloides und Tridactylites an, welche im südlichen Europa zu Hause sind, und so ist es das wahrschein- lichste, daß auch die Nephrophylla lange vor der Glazialperiode im südlichen Europa entstanden und dann wandernd und mutierend nach Osten und Nordosten gelangten, von wo dann wieder die an kühlere Sommertemperatur und kalten von Schneewasser geschwängerten Boden gewöhnten Arten in den von der Vergletscherung eben freigewordenen Gebieten ein großes Feld für weitere Ausbreitung fanden. Auch die mit Nephrophyllum verwandte Sektion Tridactylites (Taf. II, Karte ı2) muß in präglazialen Zeiten schon Wanderungen vollzogen haben, aber nur nach Nordamerika hinüber. Im Mittelmeergebiete und den an- grenzenden östlichen Südalpen liegt das Ausgangsgebiet für die Sektion; hier haben sich jedenfalls die Unterarten eutridactylites, adscendens, Blavü, parnassica ausgebildet, die Unterart eutridactylites ist auch vereinzelt nach Nordafrika und in das transkaspische Gebiet gelangt. Nach der Eiszeit hat sie sich in Mitteleuropa bis in den südlichen Teil des subarktischen Gebietes verbreitet, wo sie wahrscheinlich auch vor der Eiszeit vorhanden war. Nach Osten hat sie sich aber noch weniger verbreitet, als S. granulata, offenbar nur gehindert durch die Verhältnisse des kontinentalen Klimas. Auch die Unterart adscendens, welehe den Eindruck macht, als sei sie wesent- lich unter dem Einfluß des Hochgebirgsklimas aus eutridactylites entstanden, ist im Süden nur bis zum Kaukasus vorgedrungen und im Norden Europas nur in Skandinavien anzutreffen; sie ist nicht einmal in das subarktische und arktische Rußland, nicht nach Sibirien, auch nicht nach den hoch- arktischen Ländern Spitzbergen und Grönland gelangt. Trotzdem finden wir sie in den Hudsonsbailändern vereinzelt und auf den Rocky Mounteins; endlich kommt sogar noch eine von allen Unterarten und Varietäten der S. tridactylites stark abweichende Art, 8. Nuttalli, im Küstenland von Oregon vor. Ich muß hieraus schließen, daß schon vor der Eiszeit im Norden Europas die Unterart adscendens in Skandinavien entstanden war und damals über Island, Grönland und Labrador nach Kanada gelangen konnte, von wo sie sich bis in die südlichen Rocky Mountains verbreitete. Von dieser präglazialen adscendens dürfte die S. Nuttallü abstammen. Wie Tridactylites muß sich auch die zur Sektion Dactyloides gehörige $ Caespitosae verhalten haben, von welcher oben (S. 16) die Rede war. Die Urform der S. caespitosa, welehe mit den im Südwesten Europas entwickelten Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 4 26 ENnGLER: (remmiferae auf das engste verknüpft ist und auch während der Eiszeit in Mitteleuropa sich erhalten konnte, ist jedenfalls vor der Eiszeit nach den Polarländern gelangt und hat sich daselbst teils in der ursprünglichen Form erhalten, teils hat sie mutiert: es sind einerseits Arten entstanden, die wie S. sileniflora im arktischen Nordamerika und S. Zactea bei Ochotsk in Nord- amerika verblieben, teils andere, welche entlang den zu gewaltiger Höhe aufgestiegenen Rocky Mountains nach den 'südamerikanischen Anden wan- derten und hier vielfach mutierten, so daß wir nun in Südamerika die $ Caespitosae besonders reich vertreten finden (Taf. V, Karte 20). Ohne Annahme reicherer Entwicklung vor der Eiszeit ist die Ver- breitung der nur 3 Arten umfassenden Sektion Trachyphyllum (Taf. VI, Karte 23) nicht zu erklären. S. aspera mit ihrer hochalpinen Subspezies bryoides zeigt durchaus das Verhalten einer im Alpengelände heimischen Art; sie hat sich von hier aus nach den Pyrenäen und den nördlichen Apenninen verbreitet und die Unterart dryoides ist auch nach den Karpathen, den mösischen Gebirgen und dem Schar-Dagh gelangt, ferner nach der Auvergne und der Schneegrube im Riesengebirge, alles Gebiete, in denen während der Eiszeit die Bedingungen für hochalpine Pflanzen noch besser waren, als gegenwärtig. In ganz Europa findet sich keine Verwandte des polymorphen Typus der S. aspera, dagegen entspricht ihm in jeder Be- ziehung, auch in der Varietätenbildung, der polymorphe Typus der 8. bronchialis, welche sich vom Ural durch Sibirien und die Beringsmeerländer bis in die südlichen Rocky Mountains verfolgen läßt, zu welcher auch im engeren Gebiet der Beringsmeerländer für die Unterart cherlerioides und im Gebiet des Kaskadengebirges und in Oregon die var. vespertina gehören. Es ist kein Zweifel, daß diese Art im subarktischen Klima entstanden ist; ein Verbindungsglied zwischen ihr und der sicher dem alpinen Florenelement angehörigen S. aspera fehlt jetzt gänzlich. Dagegen kommt im subarktischen und arktischen Amerika noch eine dritte Art der Sektion Trachyphyllum vor, 8. tricuspidata, welche aber auch von beiden Arten scharf geschieden ist und hierdurch darauf hinweist, daß die Sektion Trachyphyllum eine sehr alte Sektion ist, von der jetzt nur noch Reste in verschiedenen Gebieten enthalten sind. Endlich ist als eine Gruppe mit schon in der präglazialen Zeit ge- trennten Ausgangsgebieten die $ Stellares (Taf. I, Karte 2) zu erwähnen. Ein Ausgangsgebiet für glaziale und postglaziale Wanderungen ist das der a; Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 27 Pyrenäen, Sevennen und Alpen. In den Pyrenäen und Sevennen finden wir die schon in der montanen Region auftretende S. Clusü, außerdem kommt auch schon in den Pyrenäen die an phänotypischen Standortsformen reiche S. stellaris vor, welche in der Eiszeit von den Pyrenäen auch nach der Serra d’Estrella und nach der Sierra Nevada sowie nordwärts nach der Auvergne gelangt ist, die sich durch den größten Teil der Ostalpen ver- breitet hat, südwärts auch die nördlichen Apenninen und Corsica, nordwärts Schwarzwald und Vogesen besiedelte. Ferner drang sie von den Ostalpen nach den illyrischen, den seardopindischen und mösischen Gebirgen und von hier nach den Ostkarpathen vor. Mit dem Rückgang der nordischen Gletscher kam sie, den Osten meidend, nach Großbritannien, den Färöer, Island und Grönland sowie nach Skandinavien und wurde arktisch-zirkum- polar, hauptsächlich mit der Varietät comosa, welche hier und da auch in die ostsibirischen Gebirge gelangte. Nun gibt es aber noch drei andere Ausgangsgebiete der $ Stellares, eines in den Alleghanies für 8. leucanthemifolia und S. micranthidifolia, eines in den Hochgebirgen des pazifischen Nordamerika für S. ferruginea, S. Newcombei und 8. bryophora, endlich eines im östlichen Zentralasien (Yünnan und Sz’tschwan) für S. c/avistaminea, S. leptarrhenifolia und 8. birostris. Die nahe Verwandtschaft der östlichen und westlichen nordamerikanischen Arten weist auf ein älteres gemeinsames Ausgangs- gebiet hin, das nur polwärts im subarktischen und arktischen Amerika zu suchen ist und jedenfalls mit dem gemeinsamen Ausgangsgebiet der jetzt im atlantischen und pazifischen Nordamerika auftretenden $ Integrifoliae (Taf. I, Karte 2) zusammenfällt. Bei der großen Ähnlichkeit der pyrenäischen 8. Clusü mit den Stellares der Alleghanies und auch der S. stellaris mit den Stellares der pazifischen Gebirge, bei dem Mangel jeglicher verwandtschaft- licher Beziehung der 8. stellaris zu anderen alpinen Arten kann man nicht anders, als auch für sie ein arktisches Ausgangsgebiet annehmen; aber von diesem aus ist nicht, wie man wohl zunächst vermuten könnte, die Wande- rung nach dem Süden erst glazialen Datums, sondern schon in präglazialer Zeit erfolgt, und während der Glazialzeit hat sie sich höchstwahrscheinlich im südwestlichen Norwegen längs der Küste erhalten. Auch für die vierte im östlichen Zentralasien vertretene Sippe der Stellares bleibt nur die An- nahme eines tertiären nördlichen Ausgangsgebietes übrig, welches wahrschein- lich zirkumpolar war und in einzelnen Teilen sich mehr oder weniger mit den älteren Ausgangsgebieten der übrigen Gruppen der Sektion Boraphia deckte. 4* 28 ENGLER: Wir kommen somit zu dem Resultat, daß auch schon vor der Eiszeit zwischen den einzelnen Gebirgssystemen Eurasiens ein Austausch von Arten oder eine Verbindung durch Stammarten bestanden haben muß, welche zwischen denselben verbreitet waren. Der Austausch konnte stattfinden in- folge von Samenverbreitung durch Vögel. Die Annahme einer kontinuierlichen Verbreitung von jetzt ausgestorbenen Stammarten in den während der Tertiär- zeit für mikrotherme Felsenpflanzen wenig geeigneten, von Wald, Wiesen und Mooren erfüllten Ebenen zwischen den Hochgebirgen ist höchst un- wahrscheinlich. ö. Verbreitungsverhältnisse der einzelnen Sektionen und Gruppen. Sektion 1. Boraphila, Engl. $ ı. Punctatae Engl. et Irmsch. (Taf. ı, Karte ı). Die von Linne aufgestellte S. punctata ist lange Zeit verkannt worden; ältere Systematiker bis Sternberg und Seringe haben diese zuerst aus Sibirien bekannt gewordene Pflanze mit der in den Alpen und Mittelmeerländern verbreiteten S. rotundifola L. der Sektion Miscopetalum Tausch oder mit solchen der vorzugsweise in den Pyrenäen und Irland entwickelten Sektion Robertsonia in Verbindung gebracht. Weiterhin ergab sich ihre weite Ver- breitung in Ostasien und dem pazifischen sowie dem westlichen arktischen und subarktischen Amerika. Da die aus so entfernten Gebieten in die Herbarien gelangten Exemplare mancherlei Abweichungen von der zuerst bekannt gewordenen Form in der Zähnung der Blätter und in der Ent- wicklung der Infloreszenz zeigten, so wurden mehrfach neue Arten aus Sibirien und Nordamerika beschrieben, welche nicht aufrechterhalten werden können. Anderseits aber wurden auch andere Formen bekannt, welchen man den Rang selbständiger Arten nicht absprechen kann, und wir sind allmählich dazu gelangt, 10 schärfer geschiedene Arten anzuerkennen. Man findet konzentriert auf das nordwestliche Asien und das nordöstliche Amerika 9 Arten, von denen eine, S. punctata L., sich entlang der Rocky Mountains südwärts bis zum 37° n. Br. und in Asien bis zu etwa derselben Breite, in Korea, dann westwärts durch das arktische und subarktische Sibirien über den Ural hinweg bis nach Walogda verbreitet hat. An S. punctata schließen sich enger 5 andere Arten an, im pazifischen Nordamerika die durch doppelt- x gesägte Grundblätter unterschiedene 8. Mertensiana Bongard, welche, vom nörd- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 29 lichen Ende des Lynnkanals und Sitka ausgehend, durch das Kaskadengebirge verbreitet ist und auch in den mittleren Rocky Mountains vorkommt, 8. spicata Don im mittleren und nördlichen Alaska, S. manschuriensis (Engl.) Komarow von Nordkorea dureh das Küstenland der Mandschurei bis zu etwa 45° n. Br., S. fusca Maxim. in den Gebirgen Japans von Yesso und Riishiri bis Shikoku, die stattliche, dureh kräftigen beblätterten Stengel ausgezeichnete 8. jJaponica de Boissieu ebenfalls von Yesso bis Shikoku (Sikok). Die übrigen Arten der Gruppe sind sowohl untereinander als auch von den genannten 6, einen engeren Verwandtschaftskreis bildenden Arten, erheblich verschieden. Unter ihnen ist S. nudicaulis Don weiter verbreitet, von den Gebirgen im Osten des Baikalsees bis zu den Beringsmeerländern, während für S. Sieversiana Sternb. und S. Korshinskyi Komar. bis jetzt nur beschränkte Areale am ÖOechotskischen Meer und im Amurland nachgewiesen sind. Endlich nimmt auch S. odontophylla Wall., welche in mancher Beziehung an Arten der Sektion Nephrophyllum erinnert, aber wegen des oberständigen Fruchtknotens sich besser an Boraphila anschließt, eine Sonderstellung ein. Sie ist auf die alpine Region des Himalaja beschränkt und somit die einzige zentral- asiatische Art mit einem Areal, welches von dem der übrigen Punctatae ziemlich weit abliegt; doch ist nicht ausgeschlossen, daß die Lücke zwischen dem Hauptareal und diesem sekundären noch durch Funde in Westehina ausgefüllt wird. Die Gesamtverbreitung der Gruppe spricht dafür, daß sie schon in der Tertiärperiode in den Küstenländern und auf den Inseln des nördlichen Stillen Ozeans entwickelt war. $ 2. Davuricae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte ı). Von dieser kleinen Gruppe unterscheiden wir nur zwei einander ziemlich nahestehende Arten, von denen $S. davurica Willd. im nordöstlichen Sibirien, Kamtschatka und dem Tschuktschenland an mehreren Stellen nachgewiesen ist, $. ZLyallii Engl. auf den Rocky Mountains von etwa 47° n. Br. bis zu 56° und dann auch noch etwas weiter nördlich am Nordende des Lynn- kanals im Chilkatgebiet vorkommt. $ 3. Nivali-virginienses Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte ı). Der Formenkreis dieser Gruppe enthält nur wenig aus älterer Zeit bekannte Arten, dagegen eine größere Zahl von solchen, welche erst in den letzten 20—30 Jahren durch die weiter fortgeschrittene Erforschung 30 En6Ler: der Flora Nordamerikas, insbesondere der westlichen Gebirgsländer, bekannt geworden sind. Auch das nordöstliche Asien hat einige neue Arten ge- liefert. Obwohl ich und mein Mitarbeiter mehrere von Greene und Small aufgestellte Arten nur als Standortsformen oder als Varietäten ansehen können, haben wir doch noch 22 Arten unterschieden, von denen nur 2, die seit langer Zeit bekannten $. hieracifolia Waldst. et Kit. und S.niralis L., eine zirkumpolare Verbreitung erlangt haben, die für die Kenntnis der in der Glazialperiode erfolgten Wanderungen sehr lehrreich ist. Wenn wir diese erst in der Glazialperiode eroberten Gebiete ausschalten, dann bleibt als Entwicklungsgebiet der Gruppe nur Nordamerika bis zum 25. Grad n. Br. nebst den Küstenländern des Japanischen und Ochotskischen Meeres übrig, und dieses Gebiet schließt auch mehrere Fundorte der beiden oben- genannten weitverbreiteten Arten ein. Demnach kann kein Zweifel darüber bestehen, daß auch ihre Heimat in Nordamerika, und zwar im nordwest- lichen Teil desselben, liegt. S. hieracifolia ist von den übrigen einander ziemlich nahestehenden Arten ziemlich scharf geschieden durch kleine grünliche Blumenblätter. Sie findet sich im nordwestlichen arktischen Amerika nur von 66—69°n.Br., von hier aus können wir sie zirkumpolar westwärts antreffen: im Tschuk- tschenland, an den Küsten Ostsibiriens von 69—75°, auf Nowaja-Semlja bis 74°, auf Kolgujew, im Imandra-Lappland, im Gebiet des Lyngenfjord und in Ostgrönland von 70—73°. Ihr Fehlen in Spitzbergen dürfte so wie das Meiden auch anderer nördlieh von 75° gelegenen Gebiete klima- tisch bedingt sein; dagegen ist auffallend das Fehlen in ganz Westgrönland, im nördlichen Labrador und dem östlichen Teil des arktischen Amerika. Südlich dieses arktischen, nicht vollständig geschlossenen Ringes finden wir mehrere Fundorte im subarktischen Asien und Europa sowie in den Gebirgsländern Mitteleuropas, so: in Kamtschatka, von den nächsten arktischen Fundorten etwa ı5 Breiten- grade entfernt; in den transbaikalischen Gebirgen (etwa unter 52° n. Br.), im Gebirgs- land westlich vom Baikalsee (52— 53° n. Br.), am Ubsasee (50° n. Br.), im Altai (50° n. Br.), von den nächstgelegenen arktischen Fundorten 20 Breiten- grade und mehr entfernt; im Ural, von dem nächstgelegenen Fundort auf Weigatsch um 10 Breiten- grade entfernt; Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 31 in Norwegen um 61—62°, von dem nächstgelegenen Fundort am Lyngenfjord um etwa 8 Breitengrade entfernt; in den Rodnaer Karparthen und der Tatra) in den norischen Alpen und niederen Tauern, von den nächstgelegenen norwegischen Fundorten um 14—15 Breitengrade entfernt; im Uantal, von den norwegischen Fundorten um etwa 17 Breitengrade entfernt. In Sibirien werden vielleicht zwischen den arktischen und den süd- licheren Fundorten noch einige aufgefunden werden, in Europa ist dies ausgeschlossen, und es kann nur angenommen werden, daß in der Glazial- periode zwischen der Mitteleuropa durchziehenden Südgrenze der skandi- navischen Gletscher und der Nordgrenze der Karpathen-, Alpen- und Auvergnegletscher S. hieracifolia verbreitet war, und daß dieses Areal mit dem uralischen und altaischen in Verbindung stand. Über die baikalischen Gebirge hinweg können wir $. hieracifolia nach Kamtschatka und von da über Tschuktschenland nach dem nordöstlichen Nordamerika verfolgen. Die Wanderung nach Ostgrönland dürfte über die isländische Brücke erfolgt sein, als die klimatischen Verhältnisse die Existenz dieser Art im niederen Mitteleuropa ermöglichten. Übrigens ist dieselbe wie auch 8. nivalis in Berlin sehr leicht in Massen aus Samen zu erziehen und gedeiht sehr gut in der Kultur, wenn ihr Mitbewerber ferngehalten werden. S. nivalis L. finden wir auch im arktischen Amerika, aber nicht wie die vorige im westlichen Teil, sondern im östlichen; wir sehen, daß sie weiter polwärts verbreitet ist als S. hieracifolia, daß sie im Grinnelland und Ostgrönland ebenso wie in Franz-Joseph-Land über den 80. Grad n. Br. hinausgeht. Sie ist häufig an beiden Küsten Grönlands, auf Island, im subarktischen und arktischen Skandinavien nebst einem großen Teil von Finnland, aber auch auf den Inseln Jan Mayen, Spitzbergen, Bäreninseln, Franz-Joseph-Land, Island, Faeröer, Kolgujew, Nowaja-Semlja. Diese Art verbreitet sich offenbar in den hocharktischen Ländern leichter als 8. hieracifolia und wahrscheinlich viel unter Mithilfe der Vögel, an deren Füßen die Samen leicht haften. Die Verbreitung im Ural und dem westlichen arkti- schen Sibirien schließt sich an das Vorkommen in Nowaja-Semlja an. Vom östlichen arktischen Sibirien sah ich die Pflanze nicht, wohl aber vom Tschuktsehenland, Kamtschatka und der Insel Unalaschka. Die von den Rocky Mountains stammenden, früher als S. nivalis bezeichneten Pflanzen 32 ENGLER: gehören anderen Arten an. Entsprechend ihrem stärkeren Vordringen gegen den Nordpol ist diese Art weniger weit nach Süden vorgedrungen als S. hieracifolia. An das Vorkommen auf Island und den Faeröern schließt sich das im nordwestlichen Irland, auf dem Ben Lawers in Schottland und auf dem Snowdon im nördlichen Wales an. Das bekannte Vorkommen am Basalt in der Schneegrube des Riesengebirges ist auf das Vordringen der skandinavischen Gletschermasse zurückzuführen. Sehr isoliert ist das Vorkommen östlich vom Baikalsee; die Entfernung von dem nächstgelegenen bekannten westsibirischen Fundort auf Preobaschenie-Ön beträgt 20 Breiten- grade. Mit S. nivalis sind am nächsten verwandt 8. unalaschcensis Sternb., S. rhomboidea Greene und 8. reflewxa Hook. S. unalaschcensis ist auf die Inseln Unalaschka und St. Paul beschränkt. S. reflexa Hook. ist vom Lynnkanal durch das östliche Alaska bis 70° n. Br. anzutreffen, S. rhomboidea Greene dagegen tritt in verschiedenen einander nahestehenden Varietäten auf den Rocky Mountains zwischen 53° und 39° n. Br. (Pike’s Peak) auf, findet sich dann aber auch noch am Südrande des Coloradoplateaus auf den San- Franzisko-Bergen in Arizona und westlich derselben im Gebiet des Death Valley in einer Höhe von nur 1000 mü.M., ein in der Tat sehr merk- würdiges Vorkommen. Während im Gebiet der nördlichen und mittleren Rocky Mountains nur die genannte Art mit einigen Varietäten zerstreut vorkommt, treffen wir in den südlichen Rocky Mountains 2 auf engere Gebiete beschränkte Arten an: $. eriophora Watson auf den Santa Catalina Mountains und S. mexicana Engl. et Irmsch. auf der Sierra Madres und in Chihuahua, in Gebieten, in denen die Glazialperiode die ursprüngliche Vegetation weniger verdrängte als in den nördlichen Rocky Mountains und in dem ganzen subarktischen Nordamerika, in welchem wir nur im westlichen Teil einen Vertreter der Nivali-virginienses, die S. refleea Hook., nachweisen können. Die westlichen Provinzen der pazifischen Coniferen mit dem südlichen Teil des Kaskadengebirges, dem Küstengebirge und der Sierra Nevada, in welcher auch während der Glazialperiode die ursprüngliche Vegetation, wenn auch mit einigen Verschiebungen, sich erhalten konnte, ist am reichsten an Arten dieser Gruppe; wir finden dort 7 Arten, zum Teil mit beschränkter Verbreitung, S. aprica Greene (Kaskadengebirge und Sierra Nevada), S. Mar- sialliü Greene (Oregon, Nordkalifornien, Idaho), S. oceidentalis S. Watson Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 33 (Kaskadengebirge und nördliche Rocky Mountains), S. rufidula (Small) Engl. et Irmsch. (südöstliches Alaska, Vancouver, Washington und nördliches Oregon), S. fallax Greene (Sierra Nevada), 8. parvifolia Greene (Kaskaden- gebirge), S. californica Greene (verbreitet von Oregon bis Südkalifornien und in der Sierra Nevada, auch in unteren Regionen). Im Osten Nord- amerikas hat sich S. virginiensis Michx. das größte Areal erobert, von «dem in der Glazialperiode nur wenig beeinflußten Gebiet der Alleghanies aus bis in die Seenprovinz vordringend. Auf engere Bezirke der Alleghanies sind 8. caroliniana A. Gray, S. tenessensis Small und S. Careyana Asa Gray beschränkt, wohl alle aus der Tertiärzeit bis in die Gegenwart erhaltene Arten. SS. tewana Barkley ist eine subxerophile Art des Präriengebietes, welche wegen ihres gedrängten Blütenstandes in der Nähe von S. nivalis eingereiht ist, aber verwandtschaftlich sich mehr an S. virginiensis anschließt. Endlich ist die Gruppe auch noch im nordöstlichen Asien mit 3 auf kleinere Gebiete beschränkte Arten vertreten, von denen 8. sachalinensis F. Schmidt und S. yezoensis (Franch.) Engl. wohl am meisten mit S. reflexa verwandt, aber durch größere Kapseln ausgezeichnet sind, während die _ dritte auf Korea beschränkte Art, S. oblongifolia Nakai von allen Arten der Gruppe durch den mit Laubblättern versehenen Stengel abweicht. $ 4. Melanocentrae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 2). Von den der vorigen Gruppe nahestehenden Melanocentrae kennen wir ı2 Arten, welche auf Zentralasien und das nordöstliche Sibirien beschränkt sind. Davon sind 9 Arten im alpinen Himalaja, Yünnan und Sz-tschwan heimisch. Die weiteste Verbreitung hat die phänotypisch formenreiche 8. pallida Wall. erreicht, welche von Kashmir, Sikkim und Yünnan nachge- wiesen ist, wahrscheinlich aber auch in den dazwischenliegenden Gebieten vorkommt. Ihr stehen ziemlich nahe S. pseudopallida Engl. et Irmsch. (S. pal- lida Hook. et alior.) S. pluviarum W. W. Smith und 8. Gageana W. W. Smith, welche alle drei im alpinen Sikkim angetroffen werden, doch ist die erstere auch im westlichen Himalaja von Garhwal aufgefunden worden. An die genannten Arten schließen sich verwandtschaftlich auch S. parvula Engl. et Irmsch., sowie S. Davidii Franch. näher an, erstere bis jetzt auf das alpine Yün- nan, letztere auf das alpine Sz-tschwan (nördlich vom Ta-tsien-lu) beschränkt. Ferner besteht Verwandtschaft von S. melanocentra Franch. und S. atrata Engl. zu 8. pseudopallida; von diesen kommt die erstere von Yünnan bis Phys.-math. Abh. 1916. Nr.1. 5 34 ENGLER: Shensi zerstreut vor, während S. atrata Engl. nur in Kansu nachgewiesen ist. örheblicher weicht von den erstgenannten die auch im alpinen Sz-tschwan vorkommende S. divaricata Engl. et Irmsch. ab. Es bleiben nun noch 3 leicht erkennbare Arten übrig: S. Dungbooü Engl. et Irmsch., welche mit ihren ganzrandigen Blättern neben den anderen Arten Sikkims ziemlich isoliert steht, die vom Altai bis Baikalien zerstreut vorkommende und durch eigenartige Blattscheiden ausgezeichnete S. mela- leuca Fisch. und die auf das östliche Sibirien beschränkte S. Tilingiana Regel et. Tiling. Es ist wohl anzunehmen, daß aus diesem Verwandtschaftskreis noch einige Arten im Grenzgebiet von Zentral- und Ostasien gefunden werden und daß S. Tilingiana noch weiter südwestlich verbreitet ist. $ 5. Integrifoliae Eng]. et Irmsch. (Taf. I, Karte 2). In diese jetzt 6 Arten umfassende Gruppe gehören nur zwei seit län- gerer Zeit unterschiedene Arten: die im atlantischen Nordamerika verbrei- tete 8. pennsylvanica L. und 8. integrifolia Hook. des Westens. Während $. penn- sylvanica trotz ihres großen jetzt auch einen großen Teil des alten Glazial- gebietes bedeckenden Areals ziemlich gleichförmig bleibt und nur eine mehr ' hervorragende Varietät, var. Forbesü (Vasey) Engl. et Irmsch. besitzt, haben sich zu der zuerst aus Washington bekannt gewordenen S$. integrifolia Hook. im gebirgigen Westen Amerikas zahlreiche Formen hinzugesellt, die man erst an die genannte Art anzuschließen versuchte, dann aber als eigene Arten unterschied. Hierin sind nun einzelne Autoren, namentlich Greene und Small, sicher zu weit gegangen, indem sie entschieden phänotypische Formen zu Arten erhoben. Die sorgfältigste Prüfung von Originalexem- plaren hat mich und meinen Mitarbeiter dazu genötigt, eine viel geringere Zahl von Arten zu unterscheiden, als Small in der North American Flora angenommen hat. Welche der von uns anerkannten Arten als ältere Typen, welche als jüngere Typen anzusehen sind, möchte ich unentschieden lassen, aber innerhalb der Arten 8. integrifolia Hook., S. columbiana Piper, S. mon- tanensis Small treten mikropetale und apetale Varietäten auf, die wir als Jüngere Modifikationen ansehen müssen. Der atlantischen 8. pennsylvanica stehen unter den westamerikanischen Arten S. montanensis Small und 8. oregana Howell am nächsten, von denen erstere auf Montana beschränkt, letztere in den Rocky Mountains von Colorado bis Wyoming und von Washington bis in das innere Kalifornien (Tulare County) sowie in der EEE Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 35 Sierra Nevada vom Donnersee bis zum Mount Whitney verbreitet ist. Von den sich näher an S. integrifolia anschließenden Arten des Westens sind S. eolumbiana Piper und $. fragosa Suksdorf weiter verbreitet als die erst- genannte. S. columbiana findet sich sowohl im Kaskadengebirge wie in den Rocky Mountains, während 8. fragosa von Washington über Oregon bis zur Summit-Station in der Sierra Nevada reicht. S. integrifolia selbst ist mehr auf das niedere Land von Vancouver bis zur Sonora County in Kalifornien besehränkt. Mit Ausnahme der S. montanensis finden sich alle Arten auch südlich der Grenze der stärksten Vereisung; es ist daraus zu schließen, daß sie dort schon vor der Glazialperiode vorhanden waren und nach derselben sich weiter nach Norden verbreitet haben und höher in die Gebirge auf- gestiegen sind. $ 6. Stellares Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 2). Die Verbreitung dieser Gruppe ist schwieriger zu erklären als die der übrigen der Sektion Boraphila. Wir haben nämlich hier einige voneinander erheblich entfernte Entwicklungszentren. ı.) sind zwei in Nordamerika vor- handen, welche ungefähr denen der Integrifoliae entsprechen. Das eine liegt in den Alleghanies, wo S. leucanthemifolia Michx. und 8. mieranthidifolia (Haw.) Britton zu Haus sind, von denen die letztere sich nach der Glazialperiode nordwärts bis Bethlehem in Pennsylvanien verbreitet hat. Das andere liegt im Westen und erstreckt sich von der Sierra Nevada bis Queen-Charlotte-Is- land und zum nördlichen Ende des Lynn-Kanals. Von hier bis nach dem Kas- kadengebirge und Nordkalifornien sowie bis zu den Rocky Mountains treffen wir S. ferruginea Graham, in der Sierra Nevada die nahe verwandte S. bryo- phora Gray und auf Queen-Charlotte-Island die ebenfalls nahe verwandte, aber nach anderer Richtung abweichende 8. Newcombei Small. Vielleicht mögen S. bryophora und 8. Neweombei neueren Ursprungs sein; aber jeden- falls sind S. ferruginea wie im Osten $. leucanthemifolia und S. micranthidi- folia ältere tertiäre Stammarten. Im Westen kommt auf dem Kaskaden- gebirge bis zum Mt. Hood und auch in den kanadischen Rocky Mountains noch 8. stellaris L. var. comosa Retzius vor, die aber sicher erst nach der Glazialperiode dorthin gelangt ist. 2.) liegt ein Entwicklungszentrum im süd- östlichen Zentralasien; denn wir kennen eine endemische Art, 8. clavistaminea Engl. et Irmsch. von Yünnan, und zwei endemische, S. birostris Engl. et Irmsch. und S. Zeptarrhenifolia Engl. et Irmsch. von Sz-tschwan. 3.) liegt ein Ent- Se 36 ENnGLER: wieklungszentrum in den Pyrenäen; hier finden wir in den Zentral- und Ostpyrenäen sowie in den Sevennen S. Clusiö Gouan, in Asturien und Ga- lizien deren Varietät propaginea Pourr., ferner in den Zentral- und Östpyre- näen auch S. stellaris L. Letztere ist auf der pyrenäischen Halbinsel bis zur Sierra da Estrella in Portugal und bis zur Sierra Nevada gelangt. Nord- wärts treffen wir sie in der Auvergne, in den Vogesen und im Schwarz- wald an, ostwärts geht sie durch die Alpen bis zum Schneeberg in Nieder- österreich. Von den Alpen drang sie in Italien nur bis zum nördlichen Apennin vor und bis in das Innere von Korsika. Sehr auffallend ist, daß S. stellaris in den ganzen Westkarpathen fehlt, obgleich die kalten Bachufer der alpinen Tatra geeignete Standorte für diese Pflanze darbieten; erst in den Waldkarpathen am weißen Czermosz und der Czarna hora tritt sie auf und ist im ganzen östlichen Karpathensystem zerstreut, sogar im Biharia- gebirge. Ebenso ist sie auf den Gebirgen der Balkanhalbinsel vorgedrungen; sie findet sich bei Vraniea in Bosnien und ziemlich häufig in der moesischen Unterprovinz; wie auf der pyrenäischen Halbinsel geht sie auch hier in das Mittelmeergebiet hinüber, nach der skardo-pindischen Unterprovinz bis zum Peristeri. Für die Geschichte der Art von Bedeutung ist, daß sie auf dem Kaukasus fehlt, ebenso auf dem Altai, in Turkestan und im Himalaja. Da- gegen finden wir typische 8. stellaris ziemlich verbreitet, wenn auch zerstreut auf den Gebirgen des nordwestlichen Europa, im westlichen Irland, in Wales, Westmoreland, Schottland, auf der skandinavischen Halbinsel bis zum Nordkap, in Kola, Kanin und auch noch auf der Insel Kolgujew. Von Sehottland westlich und nordwestlich konstatieren wir typische 8. stellaris auf den Faeröer Inseln, auf Island, in Ostgrönland bis 64°, in Westgrönland nahezu bis 70°. Alles dies betrifft nur die normale S. stellaris. Nun ist aber bei dieser Art, wie auch bei einigen anderen der Gruppe (8. Olusü, S. bryophora, S. ferruginea), die Neigung vorhanden, an Stelle der Blüten Brutknospen zu entwickeln, und zwar tritt diese Neigung an verschiedenen Stellen auf, nieht nur, wie ziemlich allgemein bekannt ist, im Norden, son- dern auch in verschiedenen Teilen der Alpen (Norische Alpen, Tauern, Sa- voyer Alpen, Gailthaler Alpen). Diese Varietät ist die comosa Retzius, aber wir können die alpine Form derselben (prolifera Sternb.) von den nordischen Formen unterscheiden (man vergleiche die Abbildung Fig. 15 in der Bearbei- tung im Pflanzenreich); die nordische Form eucomosa Engl. et Irmsch. findet sich auch mehrfach an den Grenzen des subarktischen und arktischen Gebietes ni Erz Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 37 mit der typischen blühenden Varietät in demselben Bezirk, so auf dem Dovrefjeld im nördlichen Norwegen, in Lappland, Kola, auf Kolgujew, in Westgrönland und Labrador, in den übrigen arktischen Gebieten und auch in subarktischen kommt sie allein vor, so auf Spitzbergen, in Nowaja-Semlja, im arktischen Sibirien, den Beringsmeerländern, im arktischen Amerika, namentlich in Ellesmereland und Grinnell-Land (nördlich von 8o°), in West- grönland und Ostgrönland. Von diesem zirkumpolaren Areal aus hat sich die Pflanze stellenweise auch südwärts verbreitet, so vom arktischen Si- birien aus nach dem Sajangebirge, der Alpe Schibet und nach Östsibirien zwischen Jakutzk und Ochotzk, vom arktischen Amerika aus nach den Ca- thadian Mountains im Staat Maine, sowie nach den nördlichen Rocky Moun- tains im Selkirk-Bezirk. Durch diese nach Süden gehenden Wanderungen der var. comosa könnte die Vorstellung über die Entwicklung der Gruppe ge- trübt werden, wenn man alle Formen der 8. stellaris bei dieser geographi- schen Beträchtung zusammenfassend behandeln würde. Die getrennten Areale der Stellares, welehe innerhalb der Sektion Boraphila eine recht natürliche Gruppe darstellen, kann man sich dadurch erklären, daß man annimmt, von einer in der Tertiärzeit polaren Urgruppe der Stellares seien nach den Alle- ghanies, dem pazifischen Nordamerika, dem östlichen Zentralasien und über Norwegen und Großbritannien nach den Pyrenäen Ausstrahlungen nach Süden gegangen. In der Glazialperiode, vielleicht auch schon vorher, er- folgte dann die Verbreitung der 8. stellaris nach Osten und Süden, gegen Ende der Glazialperiode und im Ausgang derselben aber wurden von der wahrscheinlich an den Küsten Nordwesteuropas (Schottlands und des west- lichen Norwegens) verbliebenen S. stellaris das östliche Skandinavien, Is- land und Südgrönland erobert, und bis in die Gegenwart dauert die Aus- breitung im arktischen Gebiet. $ 7. Intermediae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 2). Die einzige wenig veränderliche Art dieser Gruppe, S. Tolmiei 'Torr. et Gray, ist auf das Kaskadengebirge und die Sierra Nevada, in deren nörd- lichem Teil sie mit der etwas schmalblättrigen Varietät ledifolia (Greene) Engl. et Irmsch. von 2800—3000 m vorkommt, beschränkt. Sie wächst immer in der Nähe von lange ausdauernden Schneeflecken. 38 ENGLER: $ 8. Merkianae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 2). Die einzige mit den Stellares nur entfernt verwandte Art 8. Merkü Fisch. kennen wir von Jablonoi-chrebet in Ostsibirien und Kamtschatka sowie von der südkurilischen Insel Siumsiu, aus Höhen bis zu 1300 m, dann aber auch vom Ontake und Sirouma im mittleren Japan. In diesen süd- licher gelegenen Fundorten erscheint sie in der alpinen Region bis 3000 m und in der wenig abweichenden Varietät I/dzuroei (Franch. et Sav.) Engl. Sektion 2. Hireulus Tausch. $ ı. Densifoliatae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 3). Diese nur 8 Arten umfassende Gruppe besitzt ihre Hauptentwieklung im östlichsten Teil von Zentralasien. Nur eine Art, S. macrostigma Franch., ist von Yünnan bis zum Ta-tsien-lu in Sz-tschwan verbreitet; 2 Arten, S. densi- foliata Engl. et Irmsch. und S. confertifolia Engl. et Irmsch. sind nur von der Provinz des alpinen Sz-tschwan bekannt, während dem alpinen: Yünnan 4 Arten eigentümlich sind: 8. Bulleyana Engl. et Irmsch., $. brachyphylla Franch., 8. petrophila Franch. und S. peplidifolia Franch. Endlich ist eine Art, S. Kintschingingae Engl., auf Sikkim im östlichen Himalaja beschränkt. $ 2. Turfosae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 3). Diese 7 Arten umfassende Gruppe hat dieselbe Verbreitung wie die vorige; aber ihre Hauptentwieklung liegt im zentralen Himalaja in Sikkim. Von hier aus hat sich die auch in der subalpinen Region vorkommende S. Moorcroftiana Wall. nordwestwärts bis nach Kashmir und ostwärts bis Yünnan verbreitet; 3 Arten, 8. latiflora look. f. et Thoms., S. sikkimensis Engl., S. Kingiana Hook. f. et Thoms., sind Sikkim eigentümlich. Auf Yünnan sind S. subamplexicaulis Engl. et Irmsch., auf Sz-tschwan S. congestiflora Engl. et Irmsch. beschränkt. $ 3. Stellarüfoliae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 3). Die Verbreitung dieser 5 Arten enthaltenden Gruppe verhält sich ähn- lich wie die der Densifoliatae. Eine Art, 8. cardiophylla Franch., ist Yünnan und dem alpinen Sz-tschwan gemeinsam; jede der beiden Provinzen besitzt aber noch zwei ihr eigentümliche Arten, nämlich Sz-tschwan: 8. Giraldiana Engl. und S. aurieulata Engl. et Irmsch., Yünnan: 8. stellarüfolia Franch. und S. haplophylloides Franch. Nur in Sikkim kommt S. eglandulosa Engl. vor. ———— NEE Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 39 $ 4. Hirculoideae Engl. et Irmsch. (Taf. I, Karte 3). Die Gruppe der Hireuloideae ist eine der interessantesten, sowohl hin- sichtlich der Formenentwicklung wie auch wegen ihrer geographischen Verbreitung. Wir unterscheiden 22 Arten, von denen wir S. hirculus L. und S. diversifolia Wall. als polymorphe Typen bezeichnen, weil bei diesen neben mehreren durch arktisches Klima oder Höhenklima bedingten phänotypischen Abänderungen auch andere in Gestalt der Laubblätter und. Blumenblätter abweichende Formen auftreten, welche den Charakter von genotypischen Mutationen haben. Ein Blick auf dje Abbildungen dieser Gruppe im »Pflan- zenreich« gibt eine Vorstellung von der verschiedenen Ausbildung der Blu- menblätter bei S. hirculus und von der Entwicklung der Stengel- und Laub- blätter bei S. diversifolia, ferner sieht man andere Arten, wie S. Przewalskiü Engl., S. nigroglandulosa Engl. et Irmsch., S. isangschanensis Franch., 8. tan- gutica Engl., S. subspathulata Engl. et Irmsch., $. Forrestü Engl. et Irmsch., S. lineariifolia Engl. et Irmsch., welche durch ihre Blattgestalt unverkennbar in naher verwandtschaftlicher Beziehung zu 8. hirculus stehen, während S. egregia Engl. durch die an Parnassia erinnernden Blätter mehr an 8. diversi- folia herankommt. Andere Arten, wie S. palpebrata Hook. f. et Thoms. und S. cordigera Hook. f. et Thoms. bekommen durch die dichtstehenden stärker behaarten Blätter der kurzen einblütigen Stengel einen etwas anderen Habi- tus als die vorher genannten Arten; aber die nahe Verwandtschaft mit denselben ist auch ersichtlich. Wir sehen auch, wie bei diesen hochalpinen Arten aus einer Höhe von 4000 bis 5000 m der Einfluß des nivalen Höhen- klimas in der Zusammendrängung der Blätter hervortritt. In noch viel höherem Grade ist dies bei den zwergigen, dichte Rasen bildenden Arten S. saginoides Hook. f. et Thoms. und S$S. Caveana W. W. Smith der Fall, deren spatelförmige Blätter mit lang beliaarten Blattscheiden trotz ihrer Kleinheit sehr stark an die Blätter von 8. hirculus erinnern. —- Sämtliche 22 Arten sind in Zentralasien anzutreffen, und nur eine einzige Art ist auch über dieses Gebiet hinausgegangen; sie ist auf Moore zerstreut in der ge- mäßigten, subarktischen und arktischen Zone. Wenn nach unserer Karte die Art besonders häufig in Mitteleuropa zu sein scheint, dagegen seltener im subarktischen Asien, so ist dabei zu berücksichtigen, daß die Flors Mitteleuropas ganz anders erforscht ist, als die von Sibirien, und daß dem- zufolge für Sibirien weniger Eintragungen gemacht werden konnten. Es ist nun besonders beachtenswert, daß in Mitteleuropa 8. hirculus auf den Mooren 40 ENGLER: des Jura und des Alpenvorlandes, sowie im Karpathenvorland vorkommt und dann ganz besonders häufig ist auf der mecklenburgischen, der pom- ımerschen und preußischen Seenplatte, also auf Gelände, welches in der Glazialperiode sicher vereist war. Andererseits zeigt das Vorkommen der S. hireulus in den Polarländern, daß diese Pflanze recht gut an den Grenzen der Siphonogamen-Vegetation gedeihen kann; sie ist also sicher während der Glazialperiode in den Randstrichen der Glazialgebiete verbreitet ge- wesen und bei dem Zurückweichen der Gletscher diesen schrittweise gefolgt und so sehließlich auch in die arktischen Länder gelangt, hierbei aus der typischen Form niederer Regionen durch die Form intermedia in die Form minor übergehend. Entsprechend ihrer Herkunft von den Höhen des Hima- laja ist 8. hirculus auf Schneebedeckung im Winter angewiesen und ver- schwindet daher stellenweise im westlichen Europa; andererseits ist auffal- lend, daß sie aus dem Alpenvorland nicht in die Hochalpen aufgestiegen ist, daß sie sich auch nicht in Schottland, in Jütland und im ganzen südlichen und mittleren Norwegen angesiedelt hat, während sie in Schweden von Schonen und Smaland bis nach Lappland zerstreut vorkommt und auch im nördlichsten Norwegen in Finmarken, Nord- und Süd-Varanger gedeiht. Auch in Großbritannien ist ihre Verbreitung auffallend: sie kommt in ge- ringer Höhe über dem Meer in Cheshire, Berwickshire und Yorkshire vor, fehlt aber in Irland und Sehottland. Danach könnte man vermuten, daß ihr der kurze Sommer der Hochgebirge nicht zusagt, doch ist sie im Hima- laja oberhalb 4000 m verbreitet, sie ist auch in den westlichen Karpathen auf dem Chocs in einer Höhe von 1660 m anzutreffen und soll ferner im Kaukasus von 2200--2800 m vorkommen. Recht auffallend ist auch die Verbreitung in Nordamerika und Grönland. Von der Sabine-Insel und einigen benachbarten Plätzen Ostgrönlands an können wir Etappen von S. hirculus über Spitzbergen, Kolgujew, Nowaja-Semlja, die nordsibirische Küste, die Beringsmeerländer, Melville und die benachbarten arktisch- amerikanischen Inseln bis zum südlichen Ellesmereland verfolgen; es liegt auch eine durch Maeoun verbürgte Angabe über das Vorkommen am Cap Churchill in der Hudsonsbai vor, dagegen finde ich ältere Angaben über das Vorkommen am Saskatchewan und in Britisch-Kolumbien, sowie über- haupt im subarktischen Amerika, in den nördlichen und mittleren Rocky Mountains in neueren Florenwerken nicht durch genauere Fundortsangaben erhärtet, sah jedoch mehrere Belegexemplare aus der subalpinen Region u un il Beiträge zur Entwicklungsgeschiehte der Hochgebirgsfloren. 41 in der Nähe des Pike’s Peak (gesammelt von F. E. und E. S. Clements), sowie vom Mt. Evans. Dieser Fundort ist von dem arktisch amerikanischen um 30 Breitengrade entfernt. Es ist gewiß sehr auffallend, daß in dem moorreichen, subarktischen Kanada und auf den übrigen westamerikanischen Hochgebirgen 8. hireulus zu fehlen scheint. Aber ebenso auffallend ist, daß diese Art, welche im südlichen Ellesmereland häufig ist, an der ganzen so eründlich erforschten Westküste Grönlands und ebenso auch der Ost- küste südwärts von der Sabine-Insel fehlt. Das Fehlen von 8. hirculus in mehreren genauer erforschten Gebieten, in denen man sie wegen geeigneter Standortverhältnisse und klimatischer Bedingungen erwarten möchte, kann meines Erachtens nicht gut anders als dadurch erklärt werden, daß Moor- und Wasservögel die Samen an ihren Füßen verschleppen und so das Auf- gehen derselben von weniger günstigen Zufällen abhängig ist. Während der Glazialperiode und zur Zeit ihres Abtlauens war die Gelegenheit für die Verbreitung von Zentralasien nach Osteuropa und Sibirien besonders günstig, mit dem Zurückweichen der skandinavischen Gletschermasse vollzog sich die weite Ausbreitung in den baltischen Ländern und im europäischen Rußland. Dann erfolgte die wahrscheinlich noch jetzt fortschreitende Ver- breitung in den arktischen Ländern, und von diesen aus wurden wieder einzelne südlicher gelegene Gebiete, wie das vorhin erwähnte Colorado be- siedelt. — In Zentralasien selbst tritt S. hörculus nicht nur mit denselben Phänotypen auf, welche auch in den neuerworbenen Arealen angetroffen werden, sondern auch in Form vestita mit stärker behaartem Stengel: ferner werden im Himalaja die Varietäten alpina Engl. mit breiteren Blumenblättern und kürzerer Kapsel, hürculoides (Deene.) Hook. f. mit verkümmernden Blumen- blättern, subdioiwa Hook. f. mit kleinen Blumenblättern und zur Diöcie neigen- den Blüten angetroffen, während im östlichen Tibet die der Tafeliana Engl. et Irmsch. mit kleineren Blumenblättern und oberwärts genäherten Stengel- blättern auftritt. Dem arktischen Amerika ist die Varität propingua R. Br. ‘mit verkehrt-eiförmigen Blumenblättern und normaler Kapsel eigentümlich. Von den übrigen Hirculoiden besitzt die weiteste Verbreitung die auch in der subalpinen Region vorkommende 8. diversifolia Wall: sie findet sich von Kashmir bis Sikkim, in Yünnan und Sz-tschwan. Ferner hat 8. tan- gutica Franch. ein größeres Areal im Himalaja, Sz-tschwan und Kansu ge- wonnen, 8. aristulata Hook. f. et Thoms. ein solehes in Sikkim und Sz-tschwan, S. subspatlvulata Engl. et Irmsch. ein solches in Kumaun und Sikkim. Die Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 6 42 ENnGLER: übrigen Arten aber sind nach unseren jetzigen Kenntnissen in engeren Be- zirken endemisch, so S. parnassioides Regel et Schmalhausen um Kokan, S. Przewalskii Engl. und S. egregia Engl. in Kansu, S. trinervia Franch., S. linea- rifolia Engl. et Irmseh., S. pratensis Engl. et.Irmsch in Kansu; S. trinervia Franch., S. linearifolia Engl. et Irmsch., S. pratensis Engl. et Irmsch. im Ta- tsien-Ju und den benachbarten Gebirgen von Sz-tschwan; 8. niyroglandulosa Engl. et Irmsch., S. tsangschanensis Franch. und S. Forrestü Engl. et Irmsch. im Likiang- und Tali-Gebirge von Yünnan; S. parva Hemsley in Südtibet im Gebiet von Lhasa. An Artenreiehtum werden aber alle Bezirke von Sikkim, dem sieh ein kleiner Teil des nördlichen Tibet wie Chumbi anschließt, übertroffen. Nur in diesem verhältnismäßig kleinen Areal wurden aufge- funden: S. Hookeri Engl., S. chumbiensis Engl. et Irmsch., 8. elliptica Engl. et Irmsch., S. cordigera Hook f. et Thoms., 8. palpebrata Hook f. et Thoms., S. Caveana W. W. Smith, S. saginoides Hook f. et Thoms. Es ist wohl an- zunehmen, daß sich für einige dieser Arten noch eine weitere Verbreitung im östlichen Himalaja oder vielleicht auch darüber hinaus ergeben wird. $ 5. Zycehnitideae Engl. et Irmsch. (Taf. Il, Karte 5). Dies ist eine kleine Gruppe von 3 Arten, welche mit den Hireuloideae nächst verwandt sind; sie wird in Zentralasien auf Sikkim, Yünnan und Sz’tschwan beschränkt. Alle drei Arten: 8. pseudohirculus Engl., S. lychnitis Hook. f. et Thoms. und S. viscidula Hook. f. et Thoms., finden sich in Sikkim, die erstgenannte, welche der 8. /üreulus näher steht als die beiden anderen, in allen drei Provinzen. $ 6. Nutantes Engl. et Irmsch. (Taf. II, Karte 5). Eine monotypische Gruppe, die sich sowohl den Turfosae wie den Hirculoideae nähert, hat sich mit der nur wenig veränderlichen 8. nutans Hook. f. et Thoms. in Sikkim, Yünnan und Sz’tschwan verbreitet. $ 7. Gemmiparae Engl. et. Irmsch. (Taf. II, Karte 5). Auch diese 7 Arten umfassende Gruppe geht nicht über das Areal der beiden vorangehenden Gruppen hinaus. 3 Arten, S. hispidula Don, S. brachy- poda Don und S. filicaulis Wall. haben Nepal, Sikkim und die beiden Pro- vinzen Yünnan und Sz’tschwan besetzt, während 8. strigosa Wall., soweit jetzt bekannt, mit Unterbrechungen von Kumaun bis Yünnan vorkommt. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 43 Außer diesen 4 Arten kommen aber in Yünnan noch 3 endemische vor, nämlich S. Balfourü Engl. et Irmsch., S. gemmigera Franch. und S. oreophila Franch., so daß also Yünnan als das Entwicklungszentrum dieser Gruppe anzusehen ist. S. gemmipara Franch. ist in Yünnan am Yang-tse und Mekong verbreitet, steigt in die obere Waldregion hinunter und ist am weitesten gegen SO. vorgeschoben, da sie auch bei Möng-tze gefunden wurde. $ 8. Cinerascentes Engl. et Irmsch. (Taf. II, Karte 5). Auch eine monotypische Gruppe, deren einzige Art, 8. einerascens Engl. et Irmsch. im alpinen Yünnan endemisch ist. $ 9. Sediformes Engl. et Irmsch. (Taf. II, Karte 6). Die Gruppe der Sediformes nimmt wie die Hirculoideae mit 26 Arten eine hervorragende Stellung ein; nur 3 Arten finden sich außerhalb Zentral- asiens. Wie bei den anderen Gruppen sind Sikkim, Yünnan, Sz’tschwan Zentren reicher endemischer Entwicklung. Es sind uns bis jetzt nicht Arten bekannt geworden, welche sich von Sikkim bis Yünnan erstrecken, dagegen haben Yünnan und Sz’tschwan eine durch größere Formen auffallende Unter- gruppe, bei der die Blumenblätter häufig rötlich gefärbt oder getleckt sind, gemein und von diesen auch eine Art S. signata Engl. et Irmsch., außerdem sind von dieser Untergruppe S. sanguinea Franch. und $. Dielsiana Engl. et Irmsch. der Provinz Sz’tschwan, S. candelabrum Franelı. und S. Bonatiana Engl. et Irmsch. der Provinz Yünnan eigentümlich. Ferner sind von klein- blättrigen Arten in Sz’tschwan S. Vilmoriniana Engl. et Irmsch. und 8. Prattü Engl. et Irmseh. zu Haus, in Yünnan aber 4: S. sediformis Engl. et Irmsch., S. aurantiaca Franch., S. drabiformis, Franch. und S. chrysanthoides Engl. et Irmsch. Es ist beachtenswert, daß mit den letztgenannten Arten auch alle weiter nördlich im östlichen Zentralasien sowie die außerhalb Zentralasiens vorkommenden Arten verwandt sind. Die im inneren Tibet vorkommende S. nanella Engl. et Irmsch. steht der in Sz’tschwan heimischen 8. Prattü nahe und auch der in Kansu wachsenden S. unguieulata Engl. Die eben- falls in Kansu vorkommende 8. gemmuligera Engl. ist zwar ebenso wie die im alpinen Shensi heimische S. gemmigera Engl. durch die Entwicklung von Knöspehen in den Achseln der Stengelblätter ausgezeichnet; aber sonst nähern sie sich sowohl der 8. aurantiaca von Yünnan wie der 8. Prattü von Sz’tschwan und auch S. unguieulata. Die im Wu-tei-schan-Gebirge Nord- 6* 44 ENGLER: chinas vorkommende 8. Limprichtü Engl. et Irmsch. steht ebenfalls der S. aurantiaca Yünnans ziemlich nahe. Mit S. drabiformis und S. chrysanthoides sind aber 8. serpyllifolia Pursh und 8. chrysantha Asa Gray so nahe ver- wandt, daß man sie bei oberflächlicher Betrachtung mit diesen verwechseln könnte. S. serpyllifolia Pursh findet sich zunächst im Korong-Altai und dann mit schwacher Abänderung ziemlich direkt nördlich auf der Taimyrhalb- insel, vom Taimyrfluß bis zum Kap Tscheljuskin; sodann ist sie in den Beringsmeerländern nachgewiesen. An dieses letztere Vorkommen schließt sich ferner das der naheverwandten und wohl aus 8. serpyllifolia hervorge- gangenen N. chrysantha Asa Gray auf den höchsten Gipfeln Colorados (von 40— 36° n. Br.) an. — In Sikkim kommen aus dieser Gruppe zunächst 2 Arten vor, welche mit der in Yünnan heimischen 8. sediformis Engl. et Irmseh. am nächsten verwandt sind, nämlich 8. umbellulata Hook.f. et Thoms. und S. punctulata Engl.; sodann 8. llonakhensis W. W. Smith, die der 8. Prattü und der 8. nanella nahe steht; dann aber finden sich in der hochalpinen Region Sikkims noch 4 zwergige Arten, welche in niedrigem Wuchs den kleinsten Arten der Hirculoideae gleichkommen: 8. stella aurea Hook. f. et Thoms., S. perpusilla Hook. f. et Thoms., 8. inconspicua W. W. Smith und S. Jacquemontiana Deene. Letztere Art hat sich über Nepal bis Kashmir ver- breitet und 8. inconspieua wird in Kumaun durch die ihr sehr nahestehende S. microphylla Royle vertreten. $. 10. Flagellares Engl. et Smith (Taf. III, Karte 7). Diese sehr charakteristische Gruppe, welche nur 5 Arten umfaßt, ver- hält sich in ihrer Verbreitung ziemlich ähnlich wie die Sediformes. Die Heimat aller ist auch wieder das südöstliche Zentralasien. S. Josephi Engl. et Irmseh. ist auf Shensi, 8. microgyna Engl. et Irmsch. auf Sz’tschwan be- schränkt. Die drei übrigen Arten finden sich in Sikkim, und zwar 8. pilifera Hook. f. et T’homs. nur dort, 8. Brunoniana Wall. auch westlich in Kumaun und östlich in Yünnan, 8. flagellaris Willd. weit über das ursprüngliche Ge- biet hinaus nach Nordwesten, sonst in das subarktische Asien und die ark- tischen Länder verbreitet. 8. flagellaris finden wir in Kumaun, Garhwal, Kashmir, dann im südwestlichen tibetanischen Hochland. Von hier aus er- folgte die Verbreitung weiter schwach nordwestlich nach dem Kaukasus: ob direkt oder über Afghanistan und Persien, muß dahingestellt bleiben; nordwärts schließt sich an das Vorkommen in Tibet das in Turkestan an, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 45 wo 8. flagellaris recht häufig ist und mehr als in irgendeinem anderen extra- polaren Gebiet in tiefere Region (1000— 2000 m im Stromgebiet des Dschin) hinabsteigt. Wir treffen diese Art auch weiter im Altai an, wo sie auch in die Waldregion hinabsteigt, im Sajangebirge und im Gebirgsland östlich vom Baikalsee. Von diesen Hochländern aus erfolgte die Verbreitung nach der Nordküste Sibiriens, von dem dann wieder eine starke zirkumpolare Ausbreitung ausging, in Grinnell-Land über 80° hinaus fortschreitend. Vom arktischen Amerika aus aber wurden wiederum die Rocky Mountains von Colorado besiedelt, wie es mit 8. hirculus geschehen war. $ ı1. Hemisphaericae Engl. et Irmsch. (Taf. III, Karte 7). In diese Gruppe gehören nur 2 Arten, 8. hemisphaerica Hook. f. et Thoms. im hochalpinen Sikkim und 8. Eschscholtzü Sternb. in den Beringsmeerländern. Irgendwelche Vermittlung zwischen diesen entfernten Fundorten einer Gruppe ist bis jetzt nicht nachzuweisen. Sektion 8. Robertsonia Haw. (Taf. III, Karte 8). Diese sehr natürliche Sektion umfaßt nach unserer Artumgrenzung nur 3 Arten, deren jede sich in Subspezies oder Varietäten spaltet. Die Areale dieser 3 Arten konvergieren in den östlichen und zentralen Pyrenäen, wo sie ebenso, wie in den andern von ihnen besiedelten Gebieten, der Waldregion angehören. Der polymorphe Typus der 8. geum L. spaltet sich in zwei Subspezies, die aber keine scharf ausgeprägte Verschiedenheit der geographischen Verbreitung zeigen. Die Subspezies eugeum Engl. et Irmsch. mit der typischen Varietät Lapeyrousü Sternb. ist von den spanischen Ost- pyrenäen durch die Zentralpyrenäen über die niederen Pyrenäen bei Biarritz bis in das asturisch-kantabrische Gebirge und das spanische Galizien ver- breitet, am häufigsten in den Zentralpyrenäen; dieselbe Varietät findet sich aber auch im südlichen und südwestlichen Irland, wo die Varietät dentata (Haw.) Engl. häufiger ist, welche anderseits auch nicht in den Pyrenäen fehlt. Dagegen ist die Varietät argute-serrata Engl. et Irmsch. auf Südwest- irland beschränkt. Von der Subspezies /ürsuta Engl. et Irmsch. ist die Varietät Donü Sternb. sowohl in den Zentralpyrenäen wie in Irland mit der vorher erwähnten Varietät Lapeyrousiü zusammen anzutreffen; sie geht aber 46 ENnGLEr: in den Pyrenäen nicht so weit westlich, wie diese. Die Varietät elegans (Mackay) Don scheint nur in Irland wildwachsend vorzukommen. Zu er- wähnen ist noch, daß die Var. Lapeyrousi auch am Hohneck in den Vogesen vorkommt und die anderwärts nicht wild wachsend beobachtete zur Subspezies hirsuta gehörige Varietät sphaeroidea (Haw.) Engl. et Irmsch. bei Steyr in Ober- österreich und am Untersberg in den Salzburger Alpen so eingebürgert ist, daß sie von mehreren Botanikern für spontan gehalten wird. Außer den genannten gibt es noch eine Anzahl Varietäten, welche nur aus Gärten be- kannt sind und samenbeständig sein sollen. Jedenfalls sind sie in der Kultur durch Mutation entstanden. S. umbrosa L. ist nicht so vielgestaltig wie S. geum, obwohl ihr Areal ein wenig größer ist; in den Ostpyrenäen kommt die Var. fypica Engl. et Irmsch. auch auf der französischen Seite vor und in Spanien wird sie auch in Neukastelien bis S. Pablo de Montes angetroffen ; in den Zentralpyrenäen erscheint dann auch die Var. Smithi Sternb., welche auch für das asturisch-kantabrische Gebirge charakteristisch ist; etwas auf- fallender verschieden ist die Varietät serratifolia (Mackay) Don, welche im nordatlantischen Iberien vom Monte Lezaro in Galizien bis zur Serra de Lousa in Portugal und im ganzen westlichen Irland vorkommt, während in letzterem die Var. typica fehlt. S. umbrosa ist in der typischen Form in den Vogesen oberhalb Kolmar am »Ballon de Sulz« eingebürgert, ebenso am Nonsberg bei Salzburg und in Oberösterreich in der Gegend von Steyr, am Fuß des Schoberstein und bei Ternberg. Während 8. geum und S. um- brosa vom pyrenäischen Zentrum sich nach Westen und Nordwesten verbreitet haben, ist S. cuneifolia L. in der Richtung nach Osten vorgedrungen, wahr- scheinlich sehon in der Tertiärperiode; wir finden sie in den Sevennen und im Alpengelände, in den letzteren vorzugsweise in den Zentralalpen, Süd- westalpen und Südalpen: in den nördlichen Kalkalpen östlich von Nordtirol fehlt sie, während sie von den südöstlichen Alpen bis in das kroatische Bergland vorrückt. Da sie in den Westkarpathen gänzlich fehlt, im Bihar- gebirge, dem Siebenbürgischen Erzgebirge, den Transsylvanischen Alpen und dem Burzenländer Gebirge sowie auch noch in den Waldkarpathen vorkommt, ist es wahrscheinlich, daß sie von Kroatien nach Siebenbürgen und von da im Karpathenbogen nordwärts gewandert ist. Diese Art variiert stark in der Beschaffenheit des Blattrandes und erreicht ein Extrem in der Varietät capillipes Reichb. mit kleineren, fast ganzrandigen Blättern: diese ist in den südlichen Seealpen verbreitet und kommt auch im nördlichen a Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 47 Apennin vor. Im ganzen ist die Verbreitung dieser Gruppe durch die Eis- zeit nur insofern beeinflußt worden, als während derselben die zentralen und nördlichen stärker vergletscherten Teile der Alpen und Pyrenäen von ihr entblößt waren, während nach der Eiszeit die Arten wieder mehr in das Innere der Gebirge vordrangen. Sektion 4. Miscopetalum Haw. (Taf. III, Karte 9). Die Sektion Miseopetalum ist scharf begrenzt, obwohl ihre Arten sich mit denen der Sektion Robertsonia bastardieren können. Die Begrenzung der einander sehr nahestehenden Formen ist schwierig, da mehrfach Zwi- schenstufen auftreten; wir haben drei Arten, darunter einen polymorphen Typus, unterschieden, dem man allenfalls auch noch die Art S. faygetea Boiss. et Heldr. zurechnen könnte. Die Sektion ist gegenwärtig vom nörd- lichen Spanien über die Alpenländer, die Karpathıen und die mittlere Mediterranprovinz bis zum westlichen Kaukasus verbreitet. ° Mit Ausnahme der auf Korsika beschränkten Varietät inswlaris Briquet des am weitesten verbreiteten polymorphen Typus 8. rotundifolia finden wir sämtliche unter- scheidbaren Arten, Unterarten und Varietäten in dem mediterranen Teil der Balkanhalbinsel und auf einigen benachbarten Inseln, in einem Gebiet, welches von der Glazialperiode entweder gar nicht oder höchstens im Norden wenig beeinflußt war. Dies und einige andere noch zu besprechende Tat- sachen weisen darauf hin, daß in dem bezeiehneten Gebiet schon in der Tertiärperiode die heute zu unterscheidenden Formen sich entwickelt und sich auch während dieser in dem mediterranen Teil des Areals verbreitet haben müssen. Innerhalb des polymorphen Typus der. 8. rotundifolia L. sind zwei Unterarten zu unterscheiden, die weitverbreitete eurotundifolia Engl. et Irmsch. und die auf die Balkanhalbinsel und die Ostkarpathen beschränkte heucherifolia Engl. et Irmsch. Im Formenkreis der ersteren kann man die auf Korsika beschränkte Var. insularis Briqu. als lokale Mutation gelten lassen, während im übrigen die von der Pyrenäischen Halbinsel bis zum Kaukasus verbreiteten Formen in der Varietät Zypica Engl. et Irmsch. zu vereinigen sind. Die Versuche, nach dem Grade der drüsigen Behaarung Arten, wie 8. repanda Willd., 8. /asiophylla Schott und 8. Heuffelii Schott zu unterscheiden, müssen wir als gescheitert ansehen, alle diese Formen gehen ineinander über und sind auch von der als vulgaris bezeichneten 48 En6tER: Form meist nur durch die breitkerbigen Blätter getrennt. Diese als repanda (Willd.) Engl. et Irmsch. bezeichnete Form ist in den Gebirgen des Mittel- meergebietes häufiger, als die Form vulgaris, aber letztere haben wir auch gesehen von Korsika, Sardinien, vom Orjen und Trebinje, von Bosnien und Serbien, vom inneren und westlichen Montenegro, von den moesischen Ge- birgen, vom Peristeri und dem Olymp in der skardo-pindischen Provinz, vom Parnaß im nordgriechischen und Kyllene im mittelgriechischen Bezirk sowie auch vom pontischen Gebirge und Kaukasus: in allen hier genannten orientalischen Gebieten kommt auch die Form repanda vor: nur die letztere sahen wir vom Mte. San Angelo oberhalb Castellamare, von Sizilien und Kalabrien, von Bithynien und Paphlagonien. Die Form vulgaris ist westwärts nieht nur in den Pyrenäen anzutreffen, sondern (nach den Angaben in der Flora von Willkomm und Lange) auch im zentralen Iberien bei Badariol und Burgos, in den Südwestalpen und Südalpen sowie im Apennin, im illyri- schen Gebirgsland und den südlichen Transsylvanischen Karpathen. In diesen Gebieten konnte sich 8. rotundifolia als Waldpflanze schon in der Tertiär- periode festsetzen und die Eiszeit überdauern, dagegen hat sie wahrschein- lich erst während der letzteren ihre Standorte in den Juraalpen (Voiron, Grande Chartreuse), auf dem Cantal, im Französischen und Schweizer Jura, in den Zentral- und Nordalpen sowie in den südlichen Zentralkarpathen (Uhlisko, Stoch, Kleiner Krivan, Choes usw.) gewonnen; in die nördlichen Zentralkarpathen oder Tatra ist sie nicht gelangt, auch nicht in die öst- liehen Waldkarpathen. Von der Subspezies heucherifolia Engl. et Irmsch. finden wir die Varietät euheucherifolia Engl. et Irmsch. in den Burzenländer und Transsylvanischen Karpathen sowie im Bihariagebirge, dann auf der Treskavica-Planina in Bosnien und im nördlichen Rhodopegebirge sowie auf der an der Nordgrenze des Mittelmeergebietes gelegenen Schar-Planina oder Scardus, die Varietät geoides Griseb. auch im Rhodopegebirge, in Montenegro, auf der Schar-Planina und dem Peristeri in der skardo-pindischen Unter- provinz sowie auf dem bithynischen Olymp. In der skardo-pindischen Unter- provinz im Tsumerkagebirge, am Korab und im Bezirk von Premeti tritt auch schon 8. taygetea Boiss. et Heldr. auf, deren Form major sich sehr der eben erwähnten Varietät geoides nähert, sich aber durch die wenig kerbigen Blätter unterscheidet; diese Pflanze ist die am weitesten in die alpine Region aufsteigende und auch ökologisch am meisten alpinen Charakter zeigende Pflanze der Sektion Miscopetalum; sie ist charakteristisch für die Gebirge nen Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 49 Nord-, Mittel- und Südgriechenlands. Die dritte Art S. chrysosplenifolia Boiss. ist gut charakterisiert und tritt als Varietät rhodopea Velen. schon in den moesischen Gebirgsländern auf; sie läßt sich dann weiterverfolgen in die benachbarte ägäisch-mazedonische Unterprovinz des Mittelmeergebietes (z. B. Athos, Thasos), in die skardo-pindische (z. B. Kestoration, Pelion) und helle- nische (Dirphys auf Euböa). Die Varietät fragiis Sieb. ist nicht nur auf dem griechischen Festland von Attika bis Messenien und Lakonien verbreitet, sondern findet sich auch auf Naxos und den Ionisehen Inseln, endlich auch auf Kreta in der Waldregion. Sektion 5. Cymbalaria Griseb. (Taf. IN, Karte ır.) Von dieser scharf ausgeprägten Sektion unterscheiden wir 4 Arten, deren Gesamtareal einen großen Teil des Mittelmeergebietes einnimmt, aber sowohl im Norden, wie im Süden etwas über die Grenzen desselben hinausgeht. 2 Arten sind weiter verbreitet, S. hederacea L. und 8. «ymbalaria L.; beide treten auch noch mehrfach in unteren Regionen auf und sind als die Stamm- arten anzusehen. SS. hederacea findet sich im südlichen Mittelmeergebiet in zum Teil von einander weit entfernten Provinzen. In Sizilien liegen heute die westlichsten Standorte, dann erscheint die Pilanze bei Ragusa, in der montanen Region von Nord-, Mittel- und Südgriechenland sowie auf einigen der jonischen Inseln, auf Euboea, von hier nordwärts am Athos und auf Thasos, südwärts auf einigen Inseln der Kykladen, Kreta und Karpathos, im westlichen Kleinasien im Gebiet von Troja und Smyrna, in Cilicien, auf Oypern und in der Öyrenaika sowie in Tripolis. In Syrien und am Libanon sowie in Anatolien und am Wansee erscheint die Höhlen liebende Varietät scotophuila (Boiss.) Engl. et Irmsch. S. cymbalaria L. ist mehr hydrophil als S. hederacea und tritt besonders in Quellfluren und an Gebirgsbächen auf; sie ist ziemlich verbreitet vom bithynischen Olymp dureh die ponti- schen Gebirge bis Batum, tritt mehrfach in den Küstengebirgen am Östrand des Schwarzen Meeres auf, ist ziemlich verbreitet im westlichen Kaukasus, findet sich aber auch im kleinen Kaukasus, im östlichen und im Talysch; die durch breitere Blattabschnitte abweichende Varietät Huetiana (Boiss.) Engl. et Irmsch. tritt in der armenisch-iranischen Provinz, in der pontischen Unterprovinz und auch nordwestlich vom Schwarzen Meer in den ostsieben- Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 7 50 EnGLER: bürgischen Flyschkarpathen im Bezirk Bacäü auf; es geht also das Areal dieser Varietät etwas über das der typischen Form hinaus. Noch auffallen- der ist aber das Vorkommen der Varietät baborensis (Batt.) Engl. et Irmsch. am Dschebel Babor in Algier. Diese Pflanze unterscheidet sich, so wie Huetiana, zu wenig von der typischen Rasse, als daß sie als Art aufrecht- erhalten werden könnte; die merkwürdige Verbreitungserscheinung kommt auch mehr zur Geltung, wenn wir die nahe Verwandtschaft mit S. eymbalaria dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir 8. baborensis als Varietät derselben bezeichnen. Annähernd analog ist die Verbreitung von Cedrus, deren Vor- kommen in Algerien und in Kleinasien auf eine ehemals weitere Verbreitung dieser Gattung im Mittelmeergebiet zurückgeführt werden muß. Auf eine ehemals stärkere Verbreitung der Sektion in Nordafrika weist auch das Vor- kommen der S. hederacca in Tripolis und in der Cyrenaika, namentlich aber das der S. hederifolia Hochst. hin, welche morphologisch von den übrigen Arten durch den halbunterständigen Fruchtknoten erheblich unterschieden ist und somit nicht im entferntesten als eine bloße Mollifikation der S. cym- balaria angesehen werden kann. Auch 8. Sibthorpü Boiss. et Sprun., welche in Nord-, Mittel- und Südgriechenland als unter beschattenden Felsen wachsende Hochgebirgspflanze auftritt, ist von den übrigen Arten scharf geschieden und repräsentiert wegen des vollständig freien Pistills einen ur- sprünglichen Typus der Sektion. Sektion 6. Tridactylites Haw. (Taf. III, Karte 12.) Mehrfache Erwägungen haben dazu geführt, nicht nur die große Schar der Formen, in welchen die einjährige 8. tridactylites L. oft auf’ kleinem Raum, z. B. auf Mauern und Äcekern, in Torfstichen in Erscheinung tritt, sondern auch die von einigen Autoren als selbständige Arten angesehenen S. adscendens L., 8. Parnassü Boiss. et Heldr., S. Blaviü (Engl.) G. Beck zu einem poly- morphen Typus zusammenzufassen, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß (diese Formen untereinander einen engeren Verwandtschaftskreis bilden, während die beiden anderen noch zu dieser Sektion gehörigen Arten S. pelraea L. und 8. Nuttallii Small weiter abstehen. Die Verbreitung der gewöhnlichen einjährigen S. tridactylites L., welche wir als Subspezies eutridactylites Engl. et Irmsch. bezeichnen, ist nicht ohne Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 51 Interesse. Alles weist darauf hin, daß sie zu den wärmeliebenden mitteleuro- päischen Pflanzen gehört. Im mitteleuropäischen Flachland und im Hügelland bis zu 600 oder 700 m tritt sie häufig, aber doch zerstreut auf und in manchen kleineren Bezirken fehlt sie, so in Westeuropa im nordöstlichen Irland, im westlichen und nördlichen Sehottland, sie ist auch selten im niederrheinischen Tiefland und in Niedersachsen, auch in der baltischen Buchenzone Schleswig-Holsteins. Zerstreut ist sie in Norwegen; während sie aber hier noch bis 64° ı3' vorkommt, scheint sie in Schweden ihr nörd- lichstes Vorkommen etwas südlicher, in Jemtland zu haben. In Finnland ist sie nur noch auf den Alandinseln und im Bezirk Abo anzutreffen. Südlich des finnischen Meerbusens ist sie in den baltischen Küstenstrichen und auf den baltischen Inseln verbreitet, aber sie macht gegen Osten hin bald halt; so bei Pleskau (Pskow) südlich vom Peipussee, bei Minsk, Grodno. Von Warschau an aber ist sie mit Umgehung der Rokitnosümpfe südöstlich weiter verbreitet nach Galizien und dem Karpathenvorland, auch nach Wolhynien. In den Steppengebieten der pontischen Provinz ist sie sehr zerstreut; in Rumänien fehlt sie fast ganz, auch im ebenen Bulgarien. Im Steppengebiet des europäischen Rußland ist sie auch nur vereinzelt nachgewiesen, so bei Charkow, Jekaterinoslaw, in der Nähe des Schwarzen Meeres und nördlich vom Kaukasus. sowohl bei Stawropol im Westen, wie bei Petrowsk im Osten. Viel häufiger ist die Subspezies eutridactylites am Nord- und Südfuß der Pyrenäen, der Alpen und der westpontischen Gebirgsländer. Auch im Medi- terrangebiet ist sie verbreitet, auf der pyrenäischen Halbinsel und den Ba- learen, sodann finden wir sie an ihrem südlichsten Standort im großen Atlas, im Tal Ait Mesne oberhalb Arround um 2400 m, also in einer sonst von dieser Unterart nicht erreichten Höhe über dem Meer; an einigen Stellen zerstreut findet sie sich im nordafrikanischen Küstenland der südlichen Medi- terranprovinz zwischen Tetuan und Tunis, zerstreut auch nur in der ligurisch- tyrrhenischen und in der mittleren Mediterranprovinz bis nach dem süd- lichen Griechenland. Nur an wenigen Plätzen ist sie in den Küstenländern Kleinasiens und in der armenisch-iranischen Provinz des Mittelmeergebietes nachgewiesen; ihr äußerstes östliches Vorkommen, das wir jetzt kennen, liegt bei Ashabad an der Grenze dieser Provinz und des zentralasiatischen Gebietes. Von den anderen Unterarten unseres polymorphen Typus hat S. adscendens L. eine weitere Verbreitung gewonnen, eine ziemlich starke in der alpinen 7* 52 ENG6LEr: Region der Alpen und Karpathen, eine schwächere in den Pyrenäen und im westlichen Kaukasus, während sie in Sizilien, auf dem südlichen Apennin, dem Schar-Dagh, im rumelischen Gebirge und Thessalien nur sparsam auf- tritt. In Skandinavien ist sie vorzugsweise im subarktischen Teil und in der mittelbaltischen Provinz zwischen 58 und 64° n. B. zerstreut anzutreffen, südlich und nördlich dieser Breiten kommt sie nur vereinzelt vor; sowohl hier wie auch in den Karpathen und auf den Gebirgen der Mittelmeer- länder findet man häufig Formen, welche sich der Unterart eutridactylites stark nähern, während andere. wie die Form Linnaei (Boiss.) Engl. et Irmsch., sowohl in Kurland wie in den Alpen und Karpathen habituell sehr stark von eutridactylites abweichen. Man kommt dadurch in Versuchung, anzu- nehmen, daß sich die Unterart adscendens polyphytetisch entwickelt habe, wird aber von dieser Hypothese wieder abgebracht, wenn man da, wo S. adscendens reichlich auftritt, verschiedene Formen aufsucht, und wenn man die Formenkreise der beiden anderen Unterarten .parnassica (Boiss. et Heldr.) und Blavü Engl. untersucht. Recht auffällig ist aber noch die wei- tere Verbreitung der Unterart adscendens. Obwohl sie im nördlichsten Nor- wegen vorkommt, hat man sie in keinem der gut durchforschten Länder Asiens angetroffen, dagegen im subarktischen Amerika, in der Umgebung der Hudsonbai, in den nördlichen Rocky Mountains um 61 und 62° und dann nur noch im südwestlichen Colorado. Dieser Umstand läßt einmal die Annahme zu, daß die Unterart adscendens nach der Eiszeit zirkumpolar ver- breitet war und seitdem ausgestorben ist oder aber, daß sie schon vor der Eiszeit sich zirkumpolar verbreitete und nach der Eiszeit nicht mehr das frühere Areal wiedergewann. Für diese letztere Ansicht scheint zu sprechen, daß wir im pazifischen Nordamerika noch eine ganz ausgezeichnete Art der Sektion Tridactylites vorfinden, nämlich S. Nuttallü Small, die so weit von der Unterart adscendens abweicht, daß sie nicht neueren Ursprungs sein kann, zumal es auch ganz an Zwischenstufen fehlt; wohl aber könnte sie in längerer Zeit durch wiederholte Mutationen aus S. adscendens entstanden sein. In Europa haben wir noch die Areale der beiden Unterarten parnassica und Blaviü zu betrachten; das der ersteren um- faßt Griechenland von 37—40° n. B. und das der letzteren nimmt einen nordwestlichen Teil der Balkanhalbinsel von den Dinarischen Alpen bis zur skardopindischen Unterprovinz ein. Von dem Areal dieser Unterart nicht weit entfernt, beginnt das Areal der 8. petraea L., einer scharf geschiedenen Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 33 auffallenden Art, welche aus der Hügelregion bis in die Buchenregion der nördlichen Alpenländer aufsteigt; wir können sie vom karniolisch-illyrischen Übergangsgebiet, und zwar von Kroatien an, durch die Julischen Alpen bis Erba und zu den Corni di Uanzo in den Insubrischen Alpen verfolgen; auf den Colli Beriei ist von dieser in Größe und Grad der Verzweigung je nach (len Standortverhältnissen sich verschieden entwickelnden Pflanze auch eine etwas stärker abweichende Varietät (berica Beguinot) entstanden. Aus der ganzen Verbreitung (der Sektion geht hervor, «daß sie vor der Glazialperiode im Mittelmeergebiet und in den demselben nächstliegenden Hochgebirgen verbreitet war und daß das Areal der Gruppe durch die Glazialperiode nur wenig beeinflußt wurde. Jedenfalls ist die Unterart eutridactylites im Alpen- vorland noch weniger verbreitet gewesen als jetzt. Dagegen muß die Unter- art adscendens während der Eiszeit im östlichen Mitteleuropa ein größeres Areal gehabt haben. Sie kommt jetzt noch in der mittelbaltischen Provinz in der Nähe der Ostsee vor; demnach konnte sie jedenfalls auch in der Eis- zeit am Rande der skandinavischen Gletschermasse nördlich der Karpathen sich ausbreiten und mit dem Rückgang der Gletscher nach Skandinavien vordringen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß eutridactylites vor der Eiszeit wie jetzt durch fast ganz Mitteleuropa bis Skandinavien. verbreitet war und schon damals die Unterart adscendens in Skandinavien entstand, welehe in der Eiszeit im südwestlichen Norwegen verblieb, zugleich auch mit «den Gletschern nach Süden vorrückte und die Alpen, Pyrenäen und Karpathen besiedelte, die aber auch, als die hocharktischen Länder wärmer waren (also sowohl vor der Eiszeit als in der Interglazialzeit), über das ‚jetzige nördlichste Vorkommen (am Nordkap) hinaus sich in den Nordpolar- ländern sprungweise weiterverbreiten und so nach den Hudsonbailändern und nördlichen Rocky Mountains gelangen konnte. Die Existenz der scharf ausgeprägten, aber doch zur Sektion Tridactylites gehörigen S. Nuttallüi Small in Oregon läßt es, wie schon oben angedeutet, wahrscheinlicher erscheinen, daß die Unterart adscendens schon vor der Eiszeit nach Nordamerika ge- langt sein muß, und damit würde auch die Entstehung der adscendens in Skandinavien anzunehmen sein. Es kann aber nicht geleugnet werden, daß auch noch eine dritte Hypothese aufgestellt werden kann, daß nämlich die Unterart adscendens sich sowohl im Norden wie im Süden aus der Unter- art eutridactylites entwickelt habe. Hierbei würde in Betracht zu ziehen sein, daß nur an wenigen Stellen das Areal der eutridactylites sich mit dem der 54 ENnGLERr: adscendens nahezu berührt, nämlich im südlichen Norwegen und in den nörd- lichen Zentralkarpathen. Vorsichtig angestellte Kulturversuche mit den in diesen Gebieten vorkommenden Formen in verschiedenen Höhenstufen dürften über die gegenseitigen Beziehungen der beiden Unterarten und ihrer For- men noch mehr Aufklärung bringen. Sektion 7. Nephrophyllum Gaud. (Taf. IV, Karte 13, 14.) Diese Sektion, welcher die allbekannte 8. yranulata 1. .angehört, ist mit der Sektion Tridactylites näher verwandt als mit jeder anderen, aber von derselben dadurch unterschieden, daß die Arten sich nieht nur durch Samen, sondern auch durch Bulbillen, welche in den Achseln. der Niederblätter, Grundblätter oder Stengelblätter entstehen, fortpflanzen oder aber in den Achseln der Grundblätter sterile belaubte Sprosse entwickeln, was bei der Sektion Tridaciylites nicht der Fall ist. Wir müssen annehmen, daß von dem Architypus der Sektion einmal die monotypische Gruppe der Arachnoideae und die nur 2 Arten umfassende Gruppe der /rriguae sich abgezweigt haben. Beide Gruppen sind mesotherm und wachsen nur in der Waldregion an Felsen. Die S. arachnoidea Sternb. ist nur auf das kleine Gebiet des Monte Tombea in Judikarien besehränkt, während die beiden Arten der /rriguae auch zwei engbegrenzte, weit voneinander entfernte Gebiete bewohnen, nämlich S. irrigua M. Bieb. das Jailagebirge und die ihr ziemlich nahe- stehende S. Zatepetiolata Willk. die Sierra de Chiva im östlichen Spanien. Diese isolierten Vorkommnisse sprechen für ein hohes Alter beider Gruppen und dafür, daß sie in der Entwicklung zurückgeblieben sind. Ganz anders bei dem Hauptstamm der Sektion, bei dessen Arten die Bulbillenbildung mehr oder weniger stark auftritt; er hat sich in eine mehr auf den Süden Europas beschränkte und dort in reicher Entwicklung begriffene Gruppe Granulatae, welche als Auszweigungen die Untergruppen Zugranulatae, Dicho- tomae und Biternatae entwickelte und in eine in das subarktische und ark- tische Gebiet vordringende Gruppe, die Sibiricae, gespalten. Es ist sehr inter- essant, der Verbreitung dieser Gruppen nachzugehen. Die Zugranulatae und Dichotomae sind zwar in ganz Mittel- und Südeuropa verbreitet, aber die Areale aller 10 Arten konvergieren im südwestlichen Europa und von diesen ıo sind 9 auf der iberischen Halbinsel anzutreffen. Unter den mit mehr- min Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 55 blättrigem Stengel versehenen Dichotomae kommt die montane Art 8. dicho- ioma Willd. im zentralen, östlichen und südatlantischen Iberien zerstreut vor und findet sich auch noch in der südlichen Mediterranprovinz in Algier; die Varietät Hervieri (Debeaux et Reverch.) Engl. et Irmseh. findet sich nur im östlichen Iberien in der Gegend von Teruel. Die der 8. diehotoma nahe- stehende 8. Haenselesi Boiss. et Reut. ist auf das südatlantische Iberien (Sierra de Ronda, de Sagra und Cazorla bei Jaön) beschränkt. Dagegen ist S. carpe- lana Boiss. et Reut. wieder weiter verbreitet. mit der Varietät eucarpetana zwar nicht so weit westlich wie S. dichotoma, mit der Varietät atlantica (Boiss. et Reut.) Engl. et Irmsch. jedoch durch Algerien und Tunis bis Sizilien, wo ich die Pflanze in großer Menge oberhalb Randazzo am Fuß der Ne- broden sammelte; sie kommt auch bei Palermo bei San Martino und an der Pizzuta vor, ferner bei Termini. An den beiden letztgenannten Fundorten wächst auch 8. bulbifera L. Todaro und andere haben die dort vorkom- mende Saxifraga nur unter letzterem Namen ausgegeben, obwohl ein Teil der Exemplare unzweifelhaft zu atlantica gehört. Höchstwahrscheinlich liegt hier der Ursprung der S. bulbifera 1... welehe konsequenterweise als Sub- spezies der S. carpetana angesehen werden müßte. Da aber der Name S. bulbi- fera der ältere ist, so würde S. carpetana mit der atlantica als Subspezies der bulbifera zu bezeichnen sein, was phylogenetisch unrichtig wäre. Wir haben daher 8. bulbifera noch als Spezies beibehalten. Dieselbe hat sich im ligurisch-tyrrhenischen Teil des Mittelmeergebietes sowie in der Poebene und über das Mittelmeergebiet hinaus in südlichen Alpentälern sowie in der danubischen Zone der pontischen Provinz und im Hügelland der westponti- schen Gebirgsländer weiter verbreitet. Während sie auf Sizilien in einer Form paueibulbosa mit nur wenigen Bulbillen in der oberen Region des Stengels auftritt, entwickelt sie weiter nordwärts meistens in den Achseln mehrerer Stengelblätter Bulbillen. Recht interessant ist auch der große Formenkreis des polymorphen Typus 8. granulata 1. In Mitteleuropa tritt die Subspezies eugranulata Engl. et Irmsch. nur in einigen phaenotypischen, voneinander wenig abweichenden Wuchsformen, hier und da auch mit monströsen Blüten, deren Blumenblätter in Staubblätter umgewandelt sind. auf; diese Subspezies finden wir auch in Marokko und in verschiedenen Teilen der pyrenäischen Halbinsel, im westatlantischen und nordatlantischen, im zentralen, östlichen und subpyre- näischen Iberien. Jenseits der Pyrenäen hat sich diese Unterart fast in ganz 56 EnG6teEr: Frankreich verbreitet, ist auch nach Korsika und Sardinien gelangt, wo aus ihr die Subspezies Russü entstand, ferner nach den Apenninen, in denen sie bis zum Monte Morrone in den Abruzzen reicht'. Hieran schließen sich noch einige Vorkommnisse im südtyrrhenischen Bezirk der ligurisch-tyrrhenischen Provinz: Monte San Angelo oberhalb Castellamare, Catanzaro in Kalabrien und Corleone in Sizilien. Während sie in den Tälern der Südwestalpen, namentlich der Seealpen, der Grajischen Alpen und der Dauphine nicht selten ist und stellenweise wie in den Pyrenäen bis an die Grenzen der alpinen Region aufsteigt, fehlt sie im allgemeinen in den Zentralalpen; nur im Wallis, im Val Tornenche und im Val de St. Barthelemy und östlich im Klagenfurter Becken kommt sie vor; wir vermissen sie auch im ganzen Ge- lände der Südalpen und in der Poebene, in Istrien und Illyrien. Im nörd- lichen und östlichen Alpenvorland kommt sie vor, aber von den nördlichen Kalkalpen selbst hält sie sich fern, und in den mitteleuropäischen Gebirgs- ländern hält sie sich meist in der Hügelregion (dagegen tritt sie am Brocken um 1000 m auf, wahrscheinlich eingeschleppt); sandigen und sandig leh- migen Boden wie auch Wiesenboden zieht sie vor, und die Kalkfeindlich- keit, welche wohl ihr Fehlen am Süd- und Nordrande der Alpen bedingt, scheint sie auch im französischen Jura zu beweisen; aber stellenweise, wie im bayrischen Wald, kommt sie doch auf kalkhaltigem Lehm vor. Vom nordwestlichen Frankreich aus können wir die eugranulata noch bis England und bis in das südliche Schottland sowie nach dem nordwestlichen Irland verfolgen. Das durch größere Feuchtigkeit ausgezeichnete südwestliche Irland meidet sie, wie auch die west- und ostfriesischen Inseln und Niedersachsen mit Ausnahme des südöstlichen Teiles von Lüneburg an ostwärts.. In der baltischen Buchenzone ist sie verbreitet durch die Jütische Halbinsel und die dänischen Inseln bis in das südwestliche Schweden, ferner im südbalti- schen Bezirk von Mecklenburg bis Westpreußen. Im südskandinavischen Eichenbezirk wird sie schon seltener, so tritt sie im südlichen Norwegen nur vereinzelt auf bis zu 60° n. Br., während sie in Schweden bis Forsse- bruk in Angermanland, etwa unter 64° n. Br., vorkommt. Weiter nach Osten wird sie immer seltener; wir finden sie noch auf den Alandinseln, auf Ösel und an dem Finnischen Meerbusen, dann in Estland, Livland, Kurland und ! Den größten Teil ihres nördlich der Pyrenäen und Alpen gelegenen Areals hat sie jedenfalls erst nach der Eiszeit besiedelt. | Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 5) dem nördlichen Ostpreußen. In der sarmatischen Provinz scheint sie aber nur wenig über den 30. Grad ö. L. hinauszugehen, wenigstens gibt Schmal- hausen keinen östlicheren Fundort als Mohilew an und von hier zieht sich eine Grenzlinie über Nowo-Alexandrowsk nach Grodno, von da nach Warschau. Das ganze Gebiet der Rokitnosümpfe scheint sie zu meiden, südlich der- selben im nördlichen und östlichen Karpathenvorland geht sie am weitesten ostwärts, so kommt sie in Podolien noch im Kreis Letitsch, bei Wolkowintzi und am Dnjestr im Kreis Nowonschitz vor. Die Rasse borealis der Sub- spezies eugranulata findet sich dann noch in den Vorgebirgen der West- karpathen und in der Marmarosch, vereinzelt auch in Sirmien und im süd- lichen Dalmatien am Gliva bei Trebinje. Dieser am meisten nach Norden vorgedrungenen Rasse der eugranulata stehen einige Varietäten gegenüber, welche auf die iberische Halbinsel und Marokko beschränkt sind, so die nur im östlichen Iberien im Bezirk Teruel und auf der Sierra de Javalambre vorkommende Varietät Rouyana (Magnier) Engl. et Irmsch., welche nur durch tiefer gelappte Grundblätter und tiefer eingeschnittene Stengelblätter aus- gezeichnet ist; die von Lange aufgefundene, durch kleineren Wuchs und kleinere rosagefärbte Blumenblätter ausgezeichnete Varietät gracilis Engl. ist der Silla del Moro bei Granada und Puerto de Navacerreda eigentümlich. Dagegen ist die Rasse glaucescens (Boiss. et Reut.) Engl., welehe vornehmlich durch etwas graugrüne Färbung und die geringe Anzahl von Stengelblättern abweicht, im südlichen Spanien und Portugal weiter verbreitet, geht auch nordwärts bis Galizien und erscheint mit der Form paueiloba Engl. et Irmsch. auch noch auf dem marokkanischen Atlas in einer Höhe von 2300 bis 3506 m, während sie auf der Sierra Nevada von 2400 — 3300 m vorkommt. Daß Arten, welche in nördlichen Gebieten sich nur in niederen Regionen finden, in den südlicheren Breiten erheblich höher aufsteigen und dabei Modifikationen in Größe und Blattgestalt erleiden, ist eine ziemlich häufige Erscheinung. Während wir alle bis Jetzt berücksichtigten Formen der 8. granu- lata noch der Subspezies eugranulata zurechnen müssen, kann dies nicht bei einigen Formen geschehen, deren Abänderungen nach anderer Richtung hin erfolgt sind. Hierher gehört die durch sehr große Bulbillen und keilförmige Stengelblätter ausgezeichnete Subspezies Hochstetteri Engl. et Irmsch., welche bisher nur auf der Sierra di Cintra gefunden wurde. Ferner ist die Sub- spezies Russü (Presl) Engl. et Irmsch. von Korsika und Sardinien zu er- wähnen, welehe durch niedrigere, unterwärts verzweigte Stengel und tiefer Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 8 58 ENGLER: gelappte Blätter charakterisiert ist und sich durch das letztere Verhalten schon etwas der S. Cossoniana Boiss. et Reut. nähert, welche im östlichen Iberien in den Provinzen Valencia und Alicante vorkommt. Anderseits kommen auch in Kalabrien noch zu eugranulata gerechnete Formen mit un- verzweigtem Stengel und ähnlicher Blatteilung vor, wie sie bei der Sub- spezies Russii wahrgenommen werden. Die vierte Unterart des polymorphen Typus S. granulata ist Subspezies graeca (Boiss. et Heldr.) Engl., welche vom Rhodopegebirge an über Saloniki durch Nordgriechenland bis Süd- griechenland und nach den Kykladen verbreitet ist. Manche Exemplare vom Parnaß, vom Parnes und Pentelikon würde man, wenn man nicht die stumpfen, breiten Kelchblätter beachtete, leicht für eugranulata halten können, während andere mit zahlreicheren Stengelblättern versehene Exemplare vom Rhodope- gebirge habituell stark an S. carpetana var. atlantica erinnern; prüft man zahl- reiche Exemplare, so wird man aber die stärkeren verwandtschaftlichen Beziehungen zu S. granulata nicht verkennen. Nebenbei sei noch bemerkt, daß auch echte eugranulata von Trebinje als S. graeca ausgegeben worden ist. Wir kehren nun wieder nachı Spanien zurück, wo außer den vorher erwähnten Varietäten und Subspezies der 8. yranulata die ihr. auch mehr ver- wandte, aber durch tief gelappte Blätter ausgezeichnete Cossoniana Boiss. et Reut. vorkommt. Die Teilung der Blätter hat noch viel weitergehende Fort- schritte bei der Untergruppe der Biternatae gemacht, doch möchte ich nicht glauben, daß deren Entwicklung über S. Cossoniana hinweg gegangen ist; sie gehören einer älteren Abzweigung der Granulatae an, welche sich ausschließlich im südatlantischen Iberien in den südliehsten Sierren entwickelt hat, deren Flora durch die Glazialperiode nicht beeinträchtigt worden ist. Wir haben hier ein Beispiel von altem Endemismus: S. gemmulosa Boiss. et Reut. auf der Sierra Bermeja und den Sierren um Grazalema, 8. Boissieri Engl. auf.den Sierren um Grazalema und der Serrania de Ronda, 8. biternata Boiss. auf der Sierra d’Antoquera, S. BourgaeanaBoiss. et Reut. im östlichen Teil der Provinz Granada. An das Areal der Granulatae schließt sich im Osten das der Sibiricae an, das eine sehr bedeutende Ausdehnung gewonnen hat. Beginnen wir mit 8. sibirica L. selbst, so finden wir diese in Europa mit der Varietät Dingleri öngl. et Irmsch. nur auf dem Chodscha Jaila in der Provinz Adrianopel; Jagegen ist sie verbreitet auf den Hochgebirgen des westlichen, inneren und nördlichen Kleinasiens, auf dem Großen und Kleinen Kaukasus, im nörd- lichen Persien auf dem Schand in Aserbeidschan. Vom Kaukasus nordöstlich Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 59 treffen wir sie im südlichen und mittleren Ural, ferner im Altai und Sajan- gebirge. Sehr häufig ist sie im Tien-schan, dann im Karakorum und dem nordwestlichen Himalaja; auch in Sz-tschwan kommt sie vor und besonders häufig im alpinen Schensi, ferner in den Gebirgen südwestlich von Peking und nach Angabe von Maximowiecz auch im Amurland. Der 8. sibirica steht ziemlich nahe 8. carpathica Reichb., welche auf die alpine Region der Karpathen beschränkt ist und wohl von der ersteren abstammen dürfte. Auch 8. cernua L. steht zu 8. sibirica in sehr naher verwandschaftlicher Be- ziehung, so daß manche Autoren sogar der Meinung waren, daß beide Arten zu vereinigen seien. Die durch mehr oder weniger reiche Entwicklung von Bulbillen in den Achseln der Stengelblätter und Brakteen ausgezeichnete S. cernua findet sich auch in Zentralasien, am 'Tien-schan, im westlichen, zentralen und östlichen Himalaja, auf dem Nan-schan in der westlichen Mongolei, auch in Tschili auf dem 3250 m hohen Hsiou-Ku-tai-schan süd- westlich von Peking und auf dem Jatsugatake im mittleren Nippon. Dies ist die uns bekannte Verbreitung zwischen 28 und 42° n. B.: aber die Pflanze ist sicher noch in mehreren Teilen Zentral- und Ostasiens zu finden; ihre reichliche Produktion von Bulbillen begünstigt jedenfalls die Verbrei- tung an den Füßen alpiner und arktischer Vögel. Sie ist nachgewiesen vom Altai, von Nertsehinsk in Dahurien und von Nordostsibirien zwischen Jakutzk und Ochotzk, ferner von Kamtschatka. Da sie an der ganzen nordsibirischen Küste zerstreut vorkommt, sollte man sie auch in Alaska erwarten, aber sie tritt im Westen Amerikas auf den nördlichen Rocky Mountains erst unter 49°, dann auf den Black Hills von Süd-Dakota und in Colorado auf, wo ich selbst die Pflanze auf dem Bald Peak bei 3500 m Höhe sammeln konnte. Im nördöstlichen Amerika ist sie häufiger, so an der Hudsonsbai bei Fullerton unter 63° 57' n. Br. und im nördlichen Labrador bis etwa 56° südwärts. Sehr häufig ist sie in Ellesmere-Land bis 79° n. Br., in West- grönland von 60 bis etwa 82° (Independence-Bai), in Ostgrönland von 65° 30'--77°, im westlichen Spitzbergen, der Bären-Insel und Franz- Josephs-Land. Weiter südlich findet sich die Pflanze auf Jan Mayen, zer- streut auf Island, auf den Färöer-Inseln und auf dem Ben Lawers im nördlichen Schottland. Im subarktischen Skandinavien ist sie recht ver- breitet, so in Norwegen vom nördlichen Teil des Kristianssandstiftes bis zum Nordkap und Ostfinnmarken und in Schweden von Herjedalen bis Lapp- land; daran schließen sich die Vorkommen von Kola, Kolgujew und Nowaja 8*+ 60 ENGLER: Semlja. Sehr zerstreut findet sich 8. cernua in Finnland (Südkarelien) und Westrußland (Wologda), häufiger im mittleren Ural (etwa zwischen 60 und 63° n. Br.). Diese weite zirkumpolare Ausbreitung kann natürlich erst in der Eiszeit erfolgt sein, doch ist immerhin möglich, daß S. cernua schon vor der Eiszeit vom Altai und Tien-schan über den Ural nach Skandinavien ge- langt ist. Dann würde sie auch während der Eiszeit im südwestlichen Norwegen verblieben sein. Jedenfalls erst in der Eiszeit hat sie sich auf den Karpathen und Alpen angesiedelt. Wir finden die Pflanze jetzt noch (in der Richtung von O nach W) im Burzenländer Gebirge der Ost- karpathen, in den Rodnaer”Alpen und Westkarpathen, hier noch in der subalpinen Region, dann mehrfach in den Norischen Alpen und im Bezirk der Südtiroler Dolomiten auf Kieselgestein, seltener in den Hohen Tauern, in den Südberner Alpen und sogar noch in den Seealpen (vergl. Karte 14). Im Gegensatz zu diesem großen Areal der S. cernua stehen die kleineren der S. ewilis Stephan und der 8. debilis Engelmann. Erstere, auch mit S. sibirica ziemlich nahe verwandt, wird von der Kurileninsel Siumsiu angegeben; ich sah sie von mehreren Stellen der Beringsmeerländer (St. Lorenzbusen, Sehis- marewbusen, Kotzebuebusen), wo sie v. Chamisso gesammelt hat; neuer- dings wurde sie im nordöstlichen Alaska noch bei King Point und auf Herschell-Island von Lindström gefunden. . debilis Engelm. ist in den mittleren Rocky Mountains von Colorado und Utah zwischen 2300 und 4000 m zerstreut und kommt auch noch auf den San Franzisco-Mountains in Arizona vor. So wie diese Arten muß auch 8. rivularis altnordischen Ursprungs sein, da sie vom arktischen Gebiet nur an wenigen Stellen in das subarktische Gebiet oder in die meridional streichenden Hochgebirgsländer übertritt. Im arktischen Gebiet ist sie an noch mehr Stellen nachgewiesen, als S. cernua, namentlich auf den Inseln des Beringsmeeres und auf Melville; im pazifischen Nordamerika treffen wir sie auf dem Kaskadengebirge vereinzelt und auf dem Gray’s Peak in Colorado, in dessen Umgebung sich so viele arktische Pflanzen erhalten haben; sie ist aber auch im östlichen Nordamerika auf dem Mount Washington in den White Mountains aus der Glazialzeit erhalten geblieben. In Europa reicht sie südwärts bis nach Aberdeenshire in Schottland und bis in den nördlichsten Teil des Kristianssandstiftes bei 59° 30'. Im gan- zen nördlichen Rußland und Sibirien hält sie sich nur an der Nordküste. In den Beringsmeerländern, wo ihre Heimat zu suchen sein dürfte, zeigt sie eine größere Mannigfaltigkeit der Varietäten und Formen als irgendwo anders. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 61 Sektion 8. Daetyloides Tausch. (Taf. IV, Karte ı5.) Diese sehr artenreiche Sektion schließt sich in ihrem Blütenbau an die Sektionen Tridaetylites und Nephrophyllum an, und von letzterer Sektion zeigen die Arten mit tiefen und mehrfach geteilten Blättern, wie z. B. S. irrigua, auch einige Ähnlichkeit mit Dactyloiden aus der Gruppe der Ceratophyllae, bilden jedoch nicht so dichte perennierende Rasen wie letztere. Während bei den meisten Dactyloiden die Knospen in den Achseln der Grundblätter schon im Jahre ihrer Entstehung zu laubigen Sprossen aus- wachsen, werden in der Gruppe der Gemmiferae wie bei den Nephrophylium Ruheknospen erzeugt, und es bleibt gegenüber den ausdauernden Gemmiferae nur der Unterschied übrig, daß bei den Nephrophylien die Pflanzen ab- sterben, nachdem die Ruheknospen ihre Blätter und Blütenstände ent- wickelt haben. Bei den Dactyloiden, auch bei denen mit tiefer geteilten Blättern, erzeugen die Tochtersprossen am Grunde erst ungeteilte, darauf weiter geteilte Blätter, und bei manchen Arten finden wir Sippen, welche bei der Entwicklung einfacher Blätter stehenbleiben und unzweifelhaft nur den Rang von Varietäten haben. So gibt es schließlich Gruppen, deren Arten nur oder fast nur ungeteilte Blätter entwickeln, wie die Gruppen $$ ı—6. Ihre Verwandtschaft mit den übrigen Gruppen zeigt sich auch darin, daß sie bisweilen mit Arten der Gruppe Exarato-moschatae Bastarde bilden, doch würde dies allein die Zusammengehörigkeit der in der Sektion Dactyloides vereinigten Gruppen nicht beweisen, da 8. caespiosa L. Subsp. decipiens (Ehrh.) Engl. mit S. granulata 1. Bastarde bildet und auch zwischen Arten weniger nahe verwandter Sektionen (z. B. Robertsonia und Euaizoonia, Robertsonia und Miscopetalum, Xanthizoon und KEuaizoonia) Bastarde vor- kommen. Von großem Interesse ist die Verbreitung der Arten dieser Sektion, welche beinahe dem Gesamtareal der Gattung entspricht. Die ein- zelnen Gruppen zeigen, wie auf den folgenden Seiten gezeigt wird, ein sehr verschiedenes Verhalten, das auf eine weitgehende Differenzierung der Sektion schon vor der Eiszeit hinweist. $ ı. Tenellae Engl. et Irmsch. (Taf. IV, Karte 15). Die Gruppe ist monotypisch, auf S. tenella Wulf. beschränkt, welche auch nur in einem kleinen Bezirk, nämlich den Julischen und Steiner oder Sanntaler Alpen von der oberen Buchenregion bis in die untere alpine Region 62 ENGLER: häufiger vorkommt. Von diesem Hauptareal etwas entfernt findet sie sich noch weiter nordöstlich auf dem Grebensen bei St. Lambrecht in den Gurk- taler Alpen, die dem Bezirk der Norischen Alpen angehören. An den südlicheren Standorten dürfte die Art auch schon in der Tertiärperiode vorhanden gewesen sein und die Eiszeit überdauert haben. $ 2. Sedoideae Engl. et Irmsch. (Taf. IV, Karte ı5). Wir können die Versuche, von 8. sedoides L. noch einige Arten ab- zutrennen, nicht billigen. Die in den Pyrenäen vorkommende S. tenuifolia Rouy et Camus, welche von diesen Autoren mit S. sedoides L. verglichen wird, gehört, wie Luizet gezeigt hat, zu S. confusa Luizet, also in den Formen- kreis der 8. moschata Wulf. Wir stellen sie zur Varietät cyclopetala (Beck) Engl. et Irmsch. Subvar. planifolia (Lap.). Doch kommt in der Tat in den Ost- pyrenäen richtige 8. sedoides L. vor, welche sich in keinem Merkmal von der alpinen unterscheidet. S. Hohenwartü Sternb. geht an vielen Fundorten in die typische Varietät über, und 8. prenja Beck weist nur eine schwache Ab- änderung in der Gestalt der Blumenblätter auf, wie sie auch bei anderen Arten vorkommt. Das Areal der typischen S. sedoides L. erstreckt sich von Nieder- österreich durch die nördlichen Kalkalpen bis in die Salzburger Alpen, in den Zentralalpen von den Niederen Tauern bis zum Brenner und Ultental; sie kommt aber nur zerstreut vor. Dagegen ist sie stärker verbreitet in den Südalpen von den Bergamasker bis in die Julischen Alpen; sie ist eine kalkholde Art, welche jedenfalls auch während der Glazialperiode in den Südalpen existiert hat und nach der Eiszeit sich in den Zentral- und Nord- alpen weiterverbreitete. Sehr interessant ist, daß die Pflanze jetzt in den Westalpen fehlt, aber in den Ost- und Zentralpyrenäen wie in den Alpen die hochalpine Region bewohnt, daß sie ferner in den Abruzzen auf dem Gran Sasso und Majella vorkommt, wo sich auch andere Arten erhalten haben, welche während der Eiszeit am Apennin entlang südwärts gewandert sind. Ebenso ist S. sedoides entlang der Dinarischen Alpen nach Bosnien und der Herzegowina gewandert und hat dort in die Var. prenja (Beck) Engl. et Irmsch. mutiert. $ 3. Muscoideae Engl. et Irmsch. (Taf. IV, Karte 15). In diese Gruppe gehören 2 Arten, S. muscoides All. und $. Facchinü Koch, beide in den Alpen endemische, hochalpine nivale Arten, welche die Te Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 63 Glazialperiode in den Alpen überdauern konnten. S. muscoides All. finden wir jetzt von der Dauphine und den Cottischen Alpen an durch die Pennini- schen und Südsavoyer, die Lepontinischen und Südwestrhätischen Alpen bis zum Albula, auf Urgebirge; aber im nördlichen Savoyen, im Waadtland, im Berner Oberland und in den Glarner Alpen auch auf die nördlichen Kalk- alpen übergehend. Dann tritt die überhaupt sehr konstante Art in derselben Form wie im Westen erst wieder im Lungau und in den Hohen Tauern auf, und zwar nur vom Fuscher Tal ostwärts. In den Gletschergebieten des Gloekner, Venediger, der Zillertaler, der Stubaier und Ötztaler sowie der Ortler Alpen fehlt sie merkwürdigerweise, so daß man an sprungweise Verbreitung in der Eiszeit denken möchte. 8. Facchini Koch ist eine auf die Schlern-, Sella- und Marmolata-Gruppe der Südtiroler Dolomiten beschränkte Art, welche auf nivalem Kalkgrund vorkommt, ähnlich wie S. Seguieri Spreng. $ 4. Aphyliae Engl. et Irmsch. (Taf. IV, Karte 15). Auch diese Gruppe ist monotypisch mit der sehr wenig veränderlichen S. aphylla Sternb., die wie S. sedoides lange Zeit von Schnee bedecktes Geröll liebt, in dessen Schliek sie ihre zarten Wurzeln entwickelt. Ihr Areal deckt sich teilweise mit dem der S. sedoides, doch reicht sie von den österreichi- schen Kalkalpen weiter westlich bis nach Vorarlberg, den Appenzeller und Glarner Alpen. In den Zentralalpen ist sie seltener, von den Niederen Tauern bis zum Titlis im Süden des Vierwaldstätter Sees und weiter südlich nur bis zum Puschlav. In den Südalpen ist ihr Vorkommen beschränkt auf die nördlichen Teile der Dolomiten; in den südöstlichen Dolomiten, in denen S. sedoides noch häufig ist, fehlt sie. $ 5. Androsaceae Engl. et Irmsch. (Taf. IV, Karte 16). Eine artenreichere Gruppe als die vorigen, reich entwickelt in den Alpen: aber die formenreiche 8. androsacea L. ist auch bis nach entfernteren Gebieten in Zentralasien verbreitet. Über die Zusammengehörigkeit der unter S. androsacea L. vereinigten Varietäten und Formen kann kein Zweifel sein, eher darüber, ob nicht zwei als selbständige Arten angesehene Pflanzen besser auch noch mit unter diese Art einbezogen werden sollten. Die typische S. androsacea ist in der alpinen Region der gesamten Alpen verbreitet und geht stellenweise in die Knieholzregion hinab, sie variiert einmal mit un- 64 ENnGLER: geteilten und gezähnten Blättern und dann, je nach der Höhe ü. d.M. und Feuchtigkeit des Standorts, mit langen, mittellangen und ganz kurzen Blüten- stengeln. Die Verbreitungsfähigkeit der Art zeigt sich zunächst darin, daß sie so wie 8. sedoides nach den östlichen und mittleren Pyrenäen gelangt ist; aber sie ist auch nach dem Cantal vorgedrungen, während sie auf den höheren deutschen Mittelgebirgen nicht angetroffen wird, ferner nach den Karpathen, wo sie auf den nördlichen und südlichen Zentralkarpathen, der Marmarosch, den Rodnaer, Burzenländer, Arpascher und Fogarascher Alpen vorkommt. Aber sie ist auch im moesischen Gebirgssystem, auf dem Musalah, von J. Wagner aufgefunden worden, während sie im illyrischen Gebirgssystem nicht nachgewiesen ist. Endlich tritt sie auch im östlichen Altai und in Baikalien am Oberlauf des Irkut und der Oka auf und stellt uns vor die Frage, ob wir ihre ursprüngliche Ileimat hier oder in den Alpen annelımen wollen. Für die Annahme der asiatischen Herkunft könnte die Tatsache ins Feld geführt werden, daß in Sikkim die verwandte 8. co- arctata W. W. Smith, in Yünnan auf dem Likiang-Zug die ebenfalls nahe stehende S. humilis Engl. et Irmsch. vorkommt. Wenn wir aber berück- sichtigen, daß in Zentralasien keine andere Art der Sektion Dactyloides sich vorfindet und im südlichen Sibirien auch nur solche, welche mit europäi- schen Arten nahe verwandt sind, daß dagegen in den Alpenländern und den nächstbenachbarten Hochgebirgen die Sektion eine ganz gewaltige Viel- gestaltigkeit aufweist, so werden wir zu der Annahme gedrängt, daß die beiden letztgenannten Arten von 8. androsacea abstammen, welche nach Zen- tralasien gelangt ist und dort mutiert hat. Als solche, entweder von S. andro- sacea selbst oder ihrem nächsten Vorfahren abstammende, sind auch anzu- sehen die nur wenig abweichende S. tridens Jan auf dem Majella und Gran Sasso in den Abruzzen, die stärker abweichenden 8. depressa Sternb. auf den Fassaner Eruptivgesteinen Südtirols und die seltene S. presolanensis Eng]. von der Presolana der Bergamasker Alpen. Ebenfalls auf die Alpen be- schränkt ist die durch kleine gelbbräunliche Blumenblätter und zwergigen Habitus ausgezeichnete 8. Segwieri Spreng., welche in der nivalen Region der Alpen hier und da mit S. androsacea zusammen vorkommt, stellenweise aber auch vorherrschend geworden ist, da sie in kürzeren V egetationsperioden blühen und fruchten kann. Sie ist eine Zentralalpenpflanze, welche sich von den Grajischen Alpen bis zu den Stubaier erstreckt, nur im Westen in den Glarner und Berner Alpen etwas in die nördlichen Kalkalpen über- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 65 geht, auch in den Südalpen bis zum Monte Baldo und der Brentagruppe sowie am Langkofel und an der Marmolata nur zerstreut auftritt und in den Südtiroler Dolomiten ihre Ostgrenze findet. $ 6. Glabellae Engl. et Irmsch. (Taf. IV, Karte 15). Die Gruppe der Glabellae ist monotypisch und steht ebenso isoliert wie die vorher besprochenen. Es ist jedenfalls ein alter Typus, der wahr- scheinlich schon vor der Bildung des Adriatischen Meeres existierte. Die Pflanze wächst wie S. sedoides und S. aphylla in der alpinen Region zwischen Kalkgeröll an längere Zeit von Schnee bedeckten Plätzen, in den Abruzzen am Monte Majella und benachbarten Bergen; häufiger ist sie in Bosnien auf der Volujak Planina und dem Maglic, ferner in der Herzegowina und durch Montenegro bis nach dem Korab im nördlichen Albanien. $ 7. Axülliflorae Willk. (Taf. IV, Karte 17). Eine kleine Gruppe, welche dadurch ausgezeichnet ist, daß die Blüten- stengel in den Achseln der unteren Blätter der niederliegenden Sprosse und nicht terminal entstehen, interessant dadurch, daß die eine Art, S. ajyugifolia L., in der subalpinen und alpinen Region der Öst- und Zentralpyrenäen, die andere, S. perdurans Kit., nur in den nördlichen und südlichen Zentralkarpathen vor- kommt, während sich keine Art der Gruppe in den Alpen findet. Es er- innert also diese Verbreitung an diejenige der Ramondia-Arten, welche auf die Pyrenäen und die serbischen Gebirge beschränkt sind und spricht für das hohe Alter der Gruppe. $ 8. Aquaticae Engl. (Taf. IV, Karte 17). Diese Gruppe steht ebenfalls isoliert da und ist auf die Ost- und Zentral- pyrenäen beschränkt, aus deren subalpiner Region sie bis in die alpine auf- steigt. Sie kommt häufig mit S. ajugifolia zusammen vor und liefert mit dieser Bastarde. $ 9. Ceratophyliae Willk. (Taf. IV, Karte 17). Eine größere Gruppe von 13 Arten, welche vorzugsweise auf der pyre- näischen Halbinsel, in Marokko und Madeira entwickelt ist, während zwei Arten sich im südlichen Frankreich anschließen, von denen eine auch noch im Karpathensystem vorkommt. Eine Untergruppe, welche durch schmale Phys.-math. Abh. 1916. Nr.1. S 66 ENnGLER: linealische Kelehblätter ausgezeichnet ist, wird von S. geranioides L., S. Prostü Sternb. und 8. pedemontana All. gebildet. S. geranioides L. ist sehr verbreitet in den höheren Ostpyrenäen, seltener in den nördlichen Pyrenäen und sehr selten in den Zentralpyrenäen; sie kommt schon in der Tannenregion vor und steigt in die der Pinus montana Mill. var. uncinata Ram. hinauf; von hier aus geht sie auch in die alpine Region über, wo sich die Varietät pabmnata (Lap.) De Cand. entwickelt hat. Früher hatte man auch 8. Prostü Sternb. mit S. geranioides vereinigt, doch ist diese in der montanen Region der Sevennen verbreitete Pflanze genügend verschieden, um neben und nicht unter 8. geranioides gestellt zu werden. Im Blütenbau schließt sich an diese beiden Arten S. pedemontana All. eng an; in der Blattgestalt zeigt sie große Mannigfaltigkeit, ebenso in der Entwicklung der Infloreszenz, so daß der Kreis von genotypischen und phaenotypischen Formen ein recht großer wird. Wenn man die Konsistenz und Gestalt der Blätter in erster Linie berück- sichtigt, so stellen sich drei Unterarten heraus. Die Subspezies cymosa (Waldst. etKit.) Engl. mit ausgesprochen keilförmigen und weicheren, schwach- nervigen Blättern ist in den östlichen Karpathen ziemlich verbreitet, vor- zugsweise in der alpinen Region, aber sie steigt auch in die subalpine hinab; ferner ist sie nicht selten in der mösischen Unterprovinz der westpontischen Gebirgsländer und kommt auch noch auf dem Peristeri der seardo-pindi- schen Unterprovinz der mittleren Mediterranprovinz vor. Die größte Formen- mannigfaltigkeit zeigt die Subspezies cervicornis (Viv.) Engl. auf der Insel Korsika, wo sie schon in der montanen Region bald oberhalb 1000 m auftritt und bis zu den Gipfeln von 2000 bis 2500 m Höhe aufsteigt; ich möchte hier die ursprüngliche Heimat der Art annehmen, obwohl sie auch noch südlicher, in Sardinien, auf dem Oliena und Genargentu vorkommt. Durch die Varietät subpedemontana Brig. wird der Übergang zu der zuerst bekanntgewordenen Subspezies eupedemontana Brig. vermittelt, welehe mit der Subspezies cymosa die mehr keilförmige Gestalt der Blätter gemein hat, in der Konsistenz derselben aber sich mehr an die Subspezies cerviornis anschließt; sie ist sehr häufig in den Seealpen, stellenweise schon bei 1500 m, steigt aber auch bis zu 2700 m und darüber hinauf; viel seltener ist die Art in den Grajischen Alpen auf der Südseite der Kette von Cogne und ebenfalls selten in «len Penninischen Alpen zwischen Monte Rosa und Matter- horn, auf der Südseite des Ofentals und auf der Distelalp bei Saas (von Vulpius angegeben nach Jaccard): ich habe die Pflanze vom Wallis nicht .— Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 67 gesehen. Dieser polymorphe Typus der 8. pedemontana All. ist besonders deshalb interessant, weil er noch montane Formen mit hochalpinen ver- bindet, während wir bei den meisten alpinen Arten nieht mehr die Stamm- formen kennen, welche in «den unteren Regionen vor der Hebung der Alpen existiert haben müssen. Die übrigen Arten der Gruppe Ceratophyllae besitzen mehr oder weniger länglichdreieckige Sepalen, und von ihnen ist eine Anzahl durch schmale Blattstiele ausgezeichnet: es sind zum großen Teil montane Arten. Noch im Gebiet der Pyrenäen, aber im asturisch-kantabrischen Gebirge, besonders zwischen Oviedo, Leon und Santander, meist um 1000 m findet sich die xerophile, durch zerbrechliche Sprosse ausgezeichnete S. trifurcata Schrad. Mit ihr ziemlich nahe verwandt, aber gut unterschieden ist S. canaliculata Boiss. et Reut., welche in den Picos de Europa und den Picos de las Corvas Kalkfelsen der subalpinen und alpinen Region bewohnt. Diesen beiden Arten steht auch noch ziemlich nahe 8. valentina Willk., welche auf den so arten- reichen Sierren des östlichen Iberiens ziemlich verbreitet ist, so auf der Sierra de Javalambre, S. de Camareno, S. de Segura, S. de Valacloche, S. de Sacane. Mit diesen schwieriger zu unterscheidenden Arten sind noch drei sehr scharf ausgeprägte Arten verwandt, nämlich S. euneata Willd., S. porto- sanctana Boiss. und S. maderensis Don. S. cuneata, mit breitverkehrt-eiförmig- keilförmigen Blattspreiten ist dem nördlichen Spanien eigentümlich, findet sich in Navarra auf’ den Bergen bei Pamplona, auf der Südseite des asturisch- kantabrischen Gebirges, z. B. auf der Pena Redonda bei Cerbera und bei Bugedo in Castilien. Der vorigen ziemlich ähnlich ist S. porlosanetana, auf baumlosen Felskuppen der Insel Porto Santo. Dagegen ist S. maderensis Don eine sehr auffallende Pflanze mit ziemlich großen rundlichen nierenförmigen, eingeschnitten gelappten Spreiten, an denen man jedoch auch den Teilungs- modus wiedererkennt, der den anderen Arten der COeratophyllae zukommt, nur sind die Abschnitte sehr breit; diese in den Lorbeerwäldern Madeiras große lockere Rasen- bildende Art ist jedenfalls einer der ältesten Typen der Gruppe und wohl auch der ganzen Gattung. Im Gegensatz zu den mit schmalen Blattstielen versehenen Arten der Gruppe stehen zwei mit breiten Blattstielen versehene: S. Camposiü Boiss. und S. demnatensis Coss. Erstere ist eine montane Art Andalusiens, von der Sierra de Ronda bis zur Sierra de Baza zerstreut vorkommend, letztere auf dem hohen Atlas in der Provinz Demnat, östlich von Marokko, also noch südlicher als S. ma- 9* 68 ENGLER: derensis. In die Gruppe der Ceratophyllae gehört auch noch S. pedatifida Smith, welehe sich in ihren Merkmalen am besten an S. canaliculata und S. cerato- phylla, aber auch an S. geranioides und S. Prostü anschließt. Es ist eine in botanischen Gärten verbreitete Pflanze, welche nach Mitteilung von Smith G. Don ı81ı auf dem Berge Clova in Angushire (Schottland) auffand; aber sie ist seitdem nie mehr wieder gefunden worden. Daher ist es wahrscheinlich, daß hier irgendein Irrtum vorliegt. Die Pflanze ist möglicherweise ein Garten- bastard von $. geranioides und S. caespitosa L. Subsp. decipiens (Ehrh.) Engl. Von allen Ceratophyllae weicht durch breitverkehrteiförmige Blumenblätter S. Vayredana Luiz. ab, welche im spanischen Katalonien auf der Sierra de Montseny vorkommt; sie nähert sich dadurch den in den Pyrenäen vorkom- menden Eixarato-moschatae und kann als Mittelform zwischen den beiden ge- nannten Gruppen angesehen werden. $ ı0. Gemmiferae Willk. (Taf. V, Karte 13). Eine Gruppe, welche ebenso mit der vorigen Gruppe wie mit der folgen- den der Caespitosae nahe verwandt ist. Einzelne Arten wie S. Maweana Ball und S. globulifera Desf. var. oranensis (Munby) Engl. besitzen halbstrauchigen Wuchs, wie die meisten Ceratophyllae, und S. Maweana besitzt auch so große Blumenblätter, wie die Arten dieser Gruppe; aber durch die Entwicklung von Ruheknospen schließt sie sich an die G@emmiferae an, deren Areal mit einem Teil des Areals der Oeratophyllae zusammenfällt, dann aber auch noch im Westen Europas über dasselbe hinausgeht. Noch enger ist die Ver- wandtschaft der Gemmiferae mit den Caespitosae, ja es existiert überhaupt kein Merkmal, welches zwischen allen Formen des polymorphen Typus S. hypnoides L. und allen des polymorphen Typus S. caespitosa L. vollkommen durchgreifend ist. Ein Teil der Gemmiferae besitzt stumpfe, nicht stachelspitze Kelch- blätter; es sind dies vier Arten, von denen 8. globulifera Desf. ein poly- morpher in der südwestlichen Mediterranprovinz verbreiteter Typus ist, von welchem in demselben Bezirk größere und lockere Formen, wie auch kleinere und dichtrasige vorkommen, erstere an schattigeren und etwas mehr Feuch- tigkeit erhaltenden Standorten, letztere an Standorten mit langem trockenem Sommer ohne Niederschläge. Vier Varietäten besitzen an den Gemmen spitz- lanzettliche äußere Niederblätter, welche die inneren überragen; von diesen Varietäten ist Var. gibraltarica Ser. (mit spitzen behaarten Gemmen) außer —— Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 69 auf Gibraltar auch im marokkanischen Atlas (hier bis zu 3000 m) und im westlichen Algerien bei Tlemcen anzutreffen: die Var. Fontanesiana Engl. et Irmseh. (mit verkehrt-eiförmigen behaarten Gemmen) kommt vom westlichen Algerien bis Marokko vor: die Var, oranensis (Munby) Engl. mit länglichen kahlen Gemmen ist der algerischen Provinz Oran eigentümlich. Während diese drei Varietäten tief dreiteilige Spreiten mit zweilappigen Seitenabschnit- ten besitzen, hat die Varietät spathulata (Desf.) Battandier et Trab. kurz drei- spaltige oder dreilappige Blätter; sie findet sich häufig in der montanen Region Algiers, besonders im Atlas von Blidah, mit Übergängen zur Varietät Fontanesiana. Zwei andere Varietäten tragen an den Gemmen außen kürzere Niederblätter, welche die inneren nicht überragen, es sind «dies die Varietät granatensis (Boiss. et Reut.) Engl. et Irmsch. und Var. erioblasta (Boiss. et Reut.) Engl. et Irmsch., die erstere auf fast allen Sierren Andalusiens bis zur Sierra Nevada in der montanen Region, die letztere nur in der Sierra Alfara, S. Tejeda und der S. Nevada am Dornajo auf trockenem Felsgeröll und in Felsritzen bis zu 2100 m. — Der vielgestaltigen S. globulifera steht noch ziemlich nahe die durch kurze Stengel und größere Blüten ausgezeichnete S. Reuteriana Boiss., welche auf die Sierren westlich von Malaga beschränkt ist. Während bei den besprochenen Arten die Blumenblätter immer unter S mm Länge bleiben, sind sie bei S. Maweana Baker und S. Rigoi Freyn über 1.2 cm lang; beide sind scharf ausgeprägte Arten: die stattliche S. Ma- weana kommt nur auf dem Berge Beni Hosmar bei Tetuan vor und S. Rigoi ist im östlichen Granada auf der Sierra de la Sagra und S. Grimona heimisch. Von den drei Arten mit stachelspitzen Kelchblättern ist S. conifera Cosson durch durchweg ungeteilte Blätter ausgezeichnet und erinnert so habituell etwas an S. tenella Wult., mit der sie aber keineswegs näher verwandt ist: sie findet sich nur im astursich-kantabrischen Gebirge auf den Picos de Eu- ropa und dem Pico de las Corvas. Ebenso beschränkt ist das Vorkommen von 8. Trabutiana Engl. et Irmsch.. welche in Algerien auf dem Dschebel Magris um 1700 m von Reverchon gesammelt und als 8. globulifera aus- gegeben wurde: sie ist aber mit dieser entschieden nicht zu vereinigen. Nun bleibt noch der polymorphe Typus $. Akypnoides L. übrig. Hier- von sind zwei Subspezies zu unterscheiden, eine südlichere, continentalis Engl. et Irmsch., mit starren Ruheknospen, deren chlorophyllarme Nieder- blätter stark zusammengepreßt sind, sowie mit starren tief dreiteiligen Spreiten, und eine nördlichere, weit nach Norden verbreitete, boreali-atlantica Engl. et 70 ENGLER: Irmsceh., mit weniger starren Ruheknospen, deren chlorophyllreichere Nieder- blätter weniger zusammengepreßt sind, und mit weniger tief geteilten Sprei- ten. Die Subspezies continentalis kommt zerstreut vor im mittleren und nordöstlichen Teil der iberisehen Halbinsel, von der Serra de Estrella und der Sierra de Guadarrama an bis in das asturisch-kantabrische Gebirge, mit Ausschluß des Tieflandes, immer in der montanen Region bleibend; dann tritt sie häufig auf in der Provence, von hier aus auch in die Dröme-Alpen vordringend, in den Sevennen und der Auvergne, dann weiter westlich in den Depertements Tarn und Garonne sowie Lot. Eine Varietät cantabrica (Boiss. et Reut.) Engl. mit breiteren Kelchblättern und breiteren Blattab- schnitten findet sieh nur im nordöstlichen zentralen Iberien. Die Subspezies boreali-atlantica umfaßt mehrere Varietäten und Formen, von denen einige der Subspezies decipiens (Ehrh.) Engl. Var. quinquefida (Haw.) Engl. so nahe kommen, daß man in Versuchung kommt, sie an diese anzuschließen, wie es auch einzelne Autoren getan haben. Auf dem Festland tritt sie nur an wenigen Stellen auf; das östlichste Vorkommen ist im Fichtelgebirge an einem Felsen bei Stein nächst Berneck, dann kommt sie in den Vogesen, bei Longemer, vor, in der Provinz Namur unterhalb des Chäteau Thierry bei Waulsort und im nordwestlichen Frankreich bei Laval. Jenseits des Kanals ist sie häufig in den Grafschaften von Wales, ferner in Hereford- shire und Yorkshire, in Schottland in den Grampian Mountains, auf den Faeröer-Inseln und an den Küsten Islands mit Ausnahme der Nordküste. $ 11. Caespitosae Engl. (Taf. V, Karte ı8, 19, 20). Während die Gemmiferae, auf Westeuropa und das westliche Mittel- meergebiet beschränkt, sich eines milden Winters erfreuen, sind die Caespi- tosae-Pflanzen, welehe während des Winters mehr oder weniger von Schnee bedeckt sind und vom borealen Europa an in subarktischen und arktischen Ländern angetroffen werden; es ist dies auch die einzige Gruppe der Gattung, welche sich vom arktischen Gebiet nicht nur bis in die mittleren und südlichen Roeky Mountains erstreckt, sondern auch die südamerikanischen Anden bewohnt, unter dem Äquator und bis weit über den südlichen Wende- kreis hinaus auf den höchsten Gipfeln, weiter südwärts in geringerer Höhe über dem Meer und zuletzt an der Magellanstraße nur wenig über dem- selben. Wie kommt es, daß diese Gruppe nicht in den Alpen spontan auf- tritt, obwohl doch 8. caespitosa L. in den skandinavischen Gebirgen bis zu Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 21 1000 m und darüber aufsteigt? Man könnte, da außer S. caespitosa die 6 anderen Arten der Gruppe außerhalb Europas, zumeist in Sibirien und auf den Anden vorkommen, geneigt sein, einen amerikanischen Ursprung für diese Gruppe anzunehmen; aber dies ist wegen der engen Verwandt- schaft der 8. caespitosa Subsp. deeipiens (Ehrh.) Engl. zu S. hypnoides durch- aus unzulässig. Die Verwandschaft mit den Gemmiferae und durch diese mit den Ceratophyllae und durch letztere auch mit den Exarato-moschatae ist unbestreitbar. Für mich bleibt nur die eine Annahme übrig, daß die Stammform, von der 8. hypnoides und S. caespitosa abzuleiten sind, schon vor der Eiszeit nach Grönland und dem arktischen Amerika wanderte und von dort entlang der Rocky Mountains und Anden nach Süden wandernd, in den neubesiedelten Gebieten mutierte, daß ferner die in Europa ver- tretenen Unterarten der S. caespitosa sich während der Eiszeit im westlichen Europa erhielten, nach derselben aber, als in den Alpen die an ihrem Fuß erhaltenen alpinen Arten die eisfrei werdenden höheren Regionen besiedelt hatten, die am meisten den arktischen Verhältnissen angepaßte S. caespitosa var. eucaespitosa die Polarländer besiedelte. Die Subspezies deeipiens umfaßt nach meiner Bearbeitung der Gruppe zahlreiche Varietäten und Formen, von denen ein Formenkreis sich durch breitere, ziemlich stumpfe oder wenig zugespitzte, seltener mit abgesetzten Spitzchen versehene Blattabschnitte auszeichnet, während in einem anderen Formenkreise die Blattabschnitte meist schmaler und stark zugespitzt sind, so daß eine Annäherung an die Blätter der S. hypnoides zustande kommt. Dann kann man aber auch noch einen zwischen den beiden Formenkreisen vermittelnden unterscheiden, bei welehem die schmalen Blattabschnitte weniger stachelspitzig sind. Zu dem ersten Formenkreis gehören auch reicher behaarte Formen. Von beiden extremeren Formenkreisen finden sich Vertreter in Irland und England, nämlich die Var. palmata und die Var. quinquefida subvar. condensata, auch im westlichen Deutschland, nämlich die Var. palmata in den Vogesen bei Heuenflueh und die Var. quinquefida subvar. sponhomica sowie subvar. con- densata im mittelrheinischen Bergland der Ardennen, der Eifel und der bay- rischen Pfalz. Intermediäre Formen, nämlich Var. glabrata, Steinmannü und bohemica finden sich mit den Varietäten palmata und villosa des Formenkreises mit breiteren und stumpferen Blattzipfeln im böhmisch-mährischen Gebirgs- land, und im Harz kommt mit letzteren auch die Var. glabrata vor. Aber die extremsten schmal- und spitzzipfeligen Formen, welche die Varietät quinque- 72 EnGteEr: fida ausmachen, gehören dem westlichen Europa, dem Rheinland, Nordwest- frankreich und Großbritannien an. Den ausgeprägtesten breitzipfeligen For- men, der Unterart deeipiens (Ehrh.) Engl. et Irmsch. palmata und villosa steht die Unterart eucaespitosa Engl. et Irmsch. am nächsten, welche im subarktischen und arktischen Gebiet verbreitet ist. Beide treffen zusammen in Island und im westlichen Grönland, und von hier aus sehen wir die Unterart eucaespitosa zir- kumpolar verbreitet durch Skandinavien, Nordsibirien und fast das ganze ark- tische Gebiet in derselben genotypischen Form, wenn auch phänotypisch va- riierend. Im arktischen Nordamerika von Ellesmereland bis zum nördlichen Alaska tritt aber noch neben der Unterart eucaespitosa eine andere Unterart exaratoides (Simmons) Engl. et Irmsch. auf, welche in verschiedenen Varie- täten vom Kaskadengebirge und den nördlichen Rocky Mountains bis in die südlichen von Arizona verbreitet ist; eine besonders auffallende Unterart sub- gemmifera Engl. et Irmsch., die sich wieder in der Richtung der Gemmiferae mit ruhenden Knospen entwickelt, finden wir im Staate Oregon, an den Kaskaden des Columbia-River. Erheblicher als ewaratoides und subgemmi- fera sind 8. sileniflora Sternb. und 8. lactea Turez. vom Typus der S. cae- spitosa L. verschieden und weisen auf noch ältere Abzweigung hin, auf präglaziale Wanderung und Mutation. 8. sileniflora findet sich jetzt noch erhalten an der Hudsonsbai unter 64° 30’ N, im nördlichen Alaska und Unalaschka, 8. /actea nur in der Nähe von Ochotsk. Nun zu den übrigen Arten der Caespitosae, welche sich alle ziemlich eng an die Varietät ewcae- spitosa anschließen. Wir können auf den Anden 4 Arten unterscheiden, von denen S. magellanica Poir. mit einigen Varietäten und Formen von den äquatorialen Anden bis zur Magellanstraße verbreitet ist; in den Anden kommt sie von 2600—48S0o0 m vor und hat unter verschiedenen Existenz- bedingungen Gelegenheit gefunden, genotypisch und phänotypisch neue Formen zu bilden, auf die wir hier nicht näher eingehen. Mehr als diese Varietäten und Formen weichen folgende Arten von S. magellanica ab: S. adenodes Poepp. am Antuco im chilenischen Übergangsgebiet von 2500 bis 2900 m, der $. caespitosa L. ziemlich nahestehend; 8. Pavonü Don, auch im chilenischen Übergangsgebiet, aber in unteren Regionen, von 1800 bis 2500 m und auf der Sierra de Öordoba, eine durch genagelte Blumen- blätter ausgezeichnete Pflanze; S. Boussingaultü Brongn., auf dem Chimborazo in einer Höhe von 4950 m und auf dem Pichinecha um 5000 m vor- kommend, der S. magellanica nahe verwandt, aber durch drüsig gezähnte E00 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 73 Blumenblätter ausgezeichnet. Wie ich schon oben angedeutet habe, bringe ich die Verwandtschaftsverhältnisse und Verbreitungserscheinungen der zu- letzt erwähnten Arten mit der Erklärung in Einklang, daß vor der Eis- zeit in Westeuropa ein Urtypus der Gemmiferae und Caespitosae existierte, daß bei dem Herannahen der Eiszeit und dem Fortschreiten des polaren Klimas vom Nordpol nach dem nordamerikanischen Küstenland eine Form der S. caespitosa, wahrscheinlich eucaespitosa, nach dem arktischen Amerika und von da nach den Rocky Mountains gelangte, daß sie im Gebiet der- selben zu neuen Varietäten mutierte, daß von den Rocky Mountains an den Füßen von Vögeln, vielleicht auch durch den Wind, Samen über den Äquator hinweg nach den Anden von Ecuador gebracht wurden, daß die günstigen Bedingungen in der alpinen Region der Anden weitere Verbreitung nach Süden und weitere Mutation begünstigten, daß nach der Eiszeit aber die Unterart eucaespitosa sich in den Polarländern von Großbritanien und vom westlichen Norwegen' aus, wie auch vielleicht von Nordamerika aus zir- kumpolar allgemein verbreitete. $ ı2. Exarato-moschatae Engl. et Irmsch. (Taf. V., Karten 21, 22). Diese formenreiche, in den europäischen Hochgebirgen vertretene Gruppe bietet für die Umgrenzung der Arten und Varietäten erhebliche Schwierig- keiten, und gehen daher die Ansichten der einzelnen Autoren über dieselben, Je nachdem sie die Formen eines engeren Gebietes oder des gesamten Areals vor sich gehabt haben, nicht wenig auseinander. Alle Hauptarten konver- gieren in dem verhältnismäßig kleinen Bezirk der Ost- und Zentralpyrenäen, und eine Art ist auf die benachbarten Sevennen beschränkt. Es hat sich Luizet mit seinen ihn beim Beobachten und Sammeln unterstützenden Freunden Souli& und Neyraut ein großes Verdienst um die sorgfältige Unterscheidung der in diesem Bezirk vorkommenden Formen erworben. So sehr wir auch den Wert der Untersuchungen Luizets anerkennen, müssen wir doch den Artbegriff weiterfassen, weil wir dadurch die Zusammen- gehörigkeit der untereinander enger verwandten und durch Mittelglieder ! Der in letzter Zeit von N. Wille in seiner Schrift »The Flora of Norway and its Im- ınigration« (Annals of the Missouri Bot. Gard. 1915, S. 59— 108) stark betonten Annahme, daß auch während der Zeit der stärksten Vergletscherung ein westlicher Küstenstreifen Norwegens eisfrei geblieben ist und den arktischen Arten Norwegens eine Zuflucht gewährte, möchte ich mich durchaus anschließen. Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 10 74 ENGtER: verbundenen Formen besser und ihren weiteren Abstand von anderen besser zum Ausdruck bringen können, als wenn wir alle unterscheidbaren Formen gleichwertig nebeneinander stellen. Die in den Ost- und Zentralpyrenäen häufige, mit zwei Varietäten auch in das subpyrenäische und zentrale medi- terane Iberien vordringende S. pentadactylis Lap. ist von allen anderen Arten (der Gruppe leicht zu unterscheiden und sowohl in der subalpinen wie alpinen Region verbreitet. Sehr beschränkt ist das Vorkommen der S. Prostiana Ser.; sie findet sich in der montanen Region der Sevennen und ist so wie S. Prostii Sternb. (aus der Gruppe der Ceratophyllae) jedenfalls eine alte Art, welche die Eiszeit an ihrem Ursprungsort überdauert hat, wo sie auch mehrere gut charakterisierte Varietäten gebildet hat. Ihr steht sehr nahe der polymorphe Typus der S. pubescens Pourr., welcher schon vor der Eiszeit zusammen mit 8. Prostiana und mit S. intricata Lap. von einer gemeinsamen Stammform ausgegangen sein muß. Die typische S. pubescens, welche wir als Unterart Pourretiana Engl. et Irmsch. bezeichnen, ist nur in der alpinen Region anzutreffen, wo sie von 2500 m an bis auf die höchsten Gipfel steigt, ebenfalls in einigen Varietäten. Dann aber tritt auch die noch etwas mehr abweichende Unterart Iratiana (F. Schultz) Engl. et: Irmsch. in der hochalpinen Region auf, nicht nur in den Ost- und Zentral- pyrenäen, sondern auch im asturisch-kantabrischen Gebirge auf den Bergen Arras und Pajares. Eine dritte recht gut unterscheidbare Subspezies ist nevadensis (Boiss.) Engl. et Irmsch., welche mit keiner Art des südlichen Spanien verwandt ist, wohl aber als genotypische Parallelform der Iratiana anzusehen ist. Von dem großen Formenkreis der 8. pubescens ist sonst keine über die Pyrenäen hinaus nach Süden vorgedrungen, und es bleibt nur die Annahme übrig, daß in der Eiszeit eine Form nach der Sierra Nevada ge- langt ist und dort in nevadensis mutiert hat. S. intricata Lap. mit der Varietät nervosa (Lap.) ist den Zentralpyrenäen eigentümlich, alles, was man anders- woher auch als 8. nervosa bestimmt hat, gehört entweder zu S. pentadac- tylis oder zu 8. exarata Vill. Dieser polymorphe Typus, in den meisten Formen von dem polymorphen Typus 8. moschata Wulf. durch gefurchte Blätter mit unterseits stark hervortretenden Nerven und durch breitere Blu- menblätter unterschieden, ist so wie der letztere weit verbreitet; da zeigt es sich nun, daß diese Unterscheidungsmerkmale zwar im allgemeinen gelten, daß aber bei beiden Arten die Gestalt, Größe und Farbe der Blumenblätter veränderlich ist, und daß auch die Beschaffenheit der Nervatur schwankt; Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 75 aber wir finden nicht, daß die vom Haupttypus der Art abweichenden For- men sich zugleich in beiden Teilen, den Laubblättern und Blumenblättern, der andern Art nähern, so daß wir immer noch die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen polymorphen Typus erkennen. So haben wir in jedem der beiden polymorphen Typen mehrere Varietäten mit Untervarietäten und Formen unterschieden, von denen einige auch auf einzelne Gebiete be- schränkt sind; es ist möglich, daß einzelne Formen der Südwestalpen und der Pyrenäen durch Bastardierung beider Arten entstanden sind. Während die Varietäten der S. moschata von den Pyrenäen durch die Alpen bis zu den Karpathen und Balkanländern, dann auch im Kaukasus und Ararat, fast überall, wo eine alpine Region ausgebildet ist, auftreten, finden wir in der Verbreitung der ebenfalls bis nach dem Kaukasus und Armenien ge- langten S. exarata eine große Lücke, von den Tauern bis nach den Karpathen einschließlich; erst von der illyrischen und moesischen Unterprovinz an, treffen wir wieder Varietäten dieser Art häufig auf den Hochgebirgen bis zum Kaspischen Meer. Das ist eine auffällige Tatsache, die ich mir, da die Art sowohl auf Kalk wie auf Urgestein vorkommt, nur dadurch erklären kann, daß S.exarata wie S. pedemontana und Ramondia ein alttertiärer Typus ist, der schon vor der Eiszeit die Gebirge an der Grenze des Mittelmeergebietes und im nörd- lichen Teil desselben bewohnte und dann in der Eiszeit mehrfach aus vor- her von ihm bewohnten Gebieten verschwand. Im einzelnen ist über die Verbreitung der Varietäten noch folgendes zu bemerken: Die in den Alpen verbreitete und zuerst bekannt gewordene Varietät Villarsü Engl. et Irmsch. findet sich in den westlichen Zentralalpen (westlich vom Brennerpaß) und in den Südwestalpen bis zu den Provence-Alpen und Ligurischen Alpen, dann auch in den westlichen Südalpen auf Urgestein; über die Zentral- alpen geht sie nur wenig hinaus an die Sessaplana und am Saentis, am Reeulet im Jura und am Mont Ventoux in den Dröme-Alpen. Von den Sevennen sah ich sie nicht. An die Seealpen anschließend erscheint sie nur auf dem ligurischen Apennin (Apuanische Alpen und Apennin von Pistoja). Auf der Balkanhalbinsel wurde sie nachgewiesen auf dem Scardus oder der Sar-Planina, auf dem Smalika bei Konitza und auf dem Thessalischen Olymp. Sodann ist sie nicht selten auf dem großen und kleinen Kaukasus und auch noch auf dem Kaspes-Dagh der armenisch-iranischen Provinz. Im west- lichen Kaukasus kommt auch noch die durch schmalere Blattabschnitte aus- 10* 76 ENGLER: gezeichnete Varietät Kusnezowü Engl. etIrmseh. vor. Einige Varietäten zeichnen sich durch größere Blumenblätter aus; dies ist der Fall bei var. /eucantha (Thomas) Gaud., welche in den Penninischen und Südsavoier Alpen nicht selten ist und von 3100 m (Col de Geant bei Courmayeur) bis tief in die Täler hinabsteigt, so in der Schlucht des Trient bei Vernayaz von 700 bis 500 m, auch im Valtornanche bei 1200m; keine andere Varietät kommt in so geringer Höhe über dem Meer vor, als diese durch große weiße Blumenblätter ausgezeichnete; sie findet sich auch noch stellenweise in den Grajischen Alpen, in den Südberner Alpen und auf der Alp Nuova in den südwestrhätischen Alpen. Die Varietät pyrenaica Engl. kommt in den Ost- und Westpyrenäen vor. Auch alle noch im Osten gedeihenden Varietäten besitzen etwas größere Blumenblätter, als die in den Alpen häufige Varietät. Während var. tenwinervia Engl. bis jetzt nur auf dem Monte StozZaein Montenegro gefunden wurde, ist var. Heldreichü Engl. etIrmsch., welche sehr dicht beblätterte Stämmchen und breit linealische Blattzipfel besitzt, von Albanien und Moesien an über Euboea bis nach Arkadien in Mittelgriechenland zu verfolgen. Die ihr ähnliche, aber mit diekeren Blättern und dünneren Nerven versehene Varietät adenophora (C.Koch) Engl. et Irmsch. ist hauptsächlich auf den Gebirgen Kleinasiens verbreitet. Der oben er- ‘ wähnten dickblättrigen Varietät von S. exarata entspricht im Formenkreis der S. moschata Wulf. die Subspezies ampullacea (Tenore) Engl. et Irmsch. in den Abruzzen. Die übrigen Varietäten gehören alle der Subspezies eumoschata Engl. et Irmsch. an, bei deren Einteilung man früher zuviel Wert auf die mehr oder weniger reiche drüsige Behaarung gelegt hat, während wir Größe und Gestalt der Blumenblätter in den Vordergrund stellen. Die Hauptmasse der Formen gehört zu der Varietät versicolor mit länglichen, die Kelchblätter nur wenig überragenden Blumenblättern; man kann zwei Subvarietäten unterscheiden, jissifolia und integrifolia, von denen eine jede auf feuchtem Boden oder in der unteren alpinen Region sich zu lockeren, hochstengeligen Formen, auf trockenerem Boden oder in der hochalpinen Region sich zu dichtrasigen, kurzstengeligen und armblütigen Formen ent- wickelt, die nur phänotypische Bedeutung haben. Die Subvarietät jissifolia finden wir sehr häufig in den Zentral- und Ostpyrenäen und im ganzen Alpenland oberhalb 1500 m, von den Alpen übergehend auf den südlichen Jura (Reculet, la Dole usw.) und auf die Sudeten (Kl. Schneegrube). -In den Apenninen scheint die Pilanze seltener zu sein; ich sah sie vom PIE pe Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 17 etruskischen Apennin und von den Abruzzen, wo aber die Subspezies ampullacea häufiger ist. Häufig ist sie in der alpinen Region der ganzen Karpathen, seltener in der Provinz der westpontischen Gebirge (z.B. Durmitor, Midjor, Stara Planina), von denen sie auch noch auf den Schar-Dagh (Sar- Planina oder Skardus) übergeht, mit S. exarata zusammentreffend. Dann kommt sie auch nicht gerade selten im Kaukasus vor und ist von hier sogar auf den kleinen und großen Ararat gelangt, wo sie sich bei 4000 m erhält. Wir können hier wohl zweifellos eine Verbreitung durch Vögel annehmen. Die Subvarietät integrifolia hat im allgemeinen dieselbe Ver- breitung, doch ist sie häufiger in den höheren Zentralalpen und in den Südalpen, namentlich in den Dolomiten, sehr selten im Riesengebirge und in den Karpathen, gar nicht nachgewiesen auf der Balkanhalbinsel und im Kaukasus. Die durch lange schmale Blumenblätter ausgezeichnete Varietät longipetala Beck tritt nur ganz lokal auf dem Schneeberg und der Raxalpe der Österreichischen Alpen und in den Nordsavoier Kalkalpen auf’ dem Massif de Plate auf. Die Varietät fastigiata Luizet, welche sich der exarata stark nähert, ist in den Ostpyrenäen ziemlich häufig; Varietät Lamottei (Luizet) Engl. et Irmsch. wie die vorige durch stärker hervortretende Nerven und etwas breitere Blumenblätter etwas an $. ewarata erinnernd, ist auf die Auvergne beschränkt; Varietät Allionü (Gaud.) ist ebenso wie die Varietät acaulis Gaud. in den Penninischen und Grajischen Alpen anzutreffen, letztere kommt aber auch in den Südberner und in den Glarner Alpen vor. Durch breite Blumenblätter fällt auch Var. cyelopetala Beck auf, der sich 8. confusa Luizet und S. carniolica Huter anschließen; letztere ist ziemlich häufig in den Julischen und Steiner Alpen, kommt aber auch sonst in den Alpen, am Schneeberg in Nieder-Österreich und im Gochnitztal vor, sodann auf dem Djumbir in den Westkarpathen. Dies spricht dafür, daß die Neigung zu dieser Varietätsbildung nicht ein einziges Mal aufgetreten ist. Eine ziemlich ähnliche Varietät ist Zerektensis (Bunge) Engl. et Irmsch. im Altai und Sajangebirge, die am weitesten nach Osten vorgeschobene Varietät der S. moschata Wulf und zugleich der ganzen Gruppe. In dieser Pflanze haben wir ein interessantes Beispiel einer alpinen Art, welche in der Glazialzeit nach dem Altai gelangt ist, während man von vielen anderen Glazialpflanzen mit Recht eine umgekehrte Wanderung annimmt. Endlich haben wir noch eine eigentümliche Art in S. Hariotü Luiz. et Soulie, die der S. moschata etwas ähnlich ist, aber von allen Formen der- 18 EnGLER: selben sowie von allen Arten der Gruppe durch spitze Blattabschnitte ab- weicht; sie ist auf die Basses-Pyrenees beschränkt, wo sie an schattigen Plätzen um 1800—2000 m vorkommt. Sektion 9. Trachyphyllum Gaud. (Taf. VI, Karte 23.) Diese Sektion umfaßt nur wenig Arten, die von Gaudin dazu gerech- nete formenreiche 8. aspera L. emend. DC., ferner nur noch 8.bronchialisL. und S. trieuspidata Retz. Die beiden polymorphen Typen 8. aspera und S. bron- chialis sind zweifellos miteinander ziemlich nahe verwandt und zeigen auch dieselbe Art der Variation von lockerrasigen Formen mit etwas längerer Vegetationsperiode zu dichtrasigen mit kürzerer Vegetationsperiode in höhe- ren Regionen oder in höheren Breiten; aber ihre Areale sind so weit von- einander entfernt, daß wir einen gemeinsamen Ausgangspunkt nicht nach- weisen können. S. aspera ist ein mitteleuropäisch-alpiner Typus, 8. bronchialis dagegen ein subarktisch-asiatischer und 8. trieuspidata ein subarktisch-amerika- nischer. Auch sind die beiden Unterarten von aspera, Subspezies euaspera Engl. et Irmsch. und Subspezies dryoides (L.) Engl. et Irmsch., obwohl inter- mediäre Formen existieren, von so verschiedener Verbreitung, daß wir die Abzweigung der zweiten Unterart in die der Eiszeit vorangegangene Periode versetzen müssen. Die erstgenannte Unterart finden wir im größten Teil des zentralen und südwestlichen Alpengeländes, aber nur ganz vereinzelt im Ge- biet der nördlichen Kalkalpen und in den Südalpen, wie es scheint, auf in der Regel kieselhaltigen Gesteinen. Aus den nördlichen Kalkalpen wird sie ange- geben vom Zeiritzkampel in den Eisenerzer Alpen und von der Bachalpe am Faulhorn; aus den Südalpen sah ich sie von mehreren Fundorten mit quarzhal- tiger Unterlage, bei anderen Fundorten ist das felsige Substrat zweifelhaft. Wir finden die Unterart euaspera auch in den östlichen und zentralen Pyrenäen, zu- gleich mit der höher aufsteigenden Unterart bryoides und ohne diese in den nördlichen Apenninen, aber nieht mehr östlich und nördlich der Alpen. Die Unterart bryoides fehlt auch in dem östlichen Teil der nördlichen Kalkalpen, kommt aber vom Hohen Kaiser an zerstreut vor bis Vorarlberg. In den Zentral- und Südwestalpen findet sie sich fast überall in den Hochalpen und in den Südalpen, mehrfach auch auf kalkhaltigem Gestein. Aber nicht nur in den Alpen ist diese Unterart weiter verbreitet als euaspera, sondern auch sonst. So geht sie in den Pyrenäen weiter westlich bis zum Mala- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 79 detta, ist nach Rouy und Camus zum Mont Dore in der Auvergne vor- gedrungen, desgleichen nach der Kleinen Schneegrube im Riesengebirge, nach den West- und Ostkarpathen, in denen beiden sie sich stark ausgebreitet hat, von da südlich nach der moesischen Unterprovinz, wo sie jetzt mehrfach auf dem Ceder, Midschur, dem Rhodopegebirge und benachbarten Gebirgen vorkommt. Exemplare vom Ljubotin im Schar-Dagh, welche Adamovic als S. bryoides ausgegeben hat, gehören zu S. moschata. S. bronchialis L. besitzt ein sehr ausgedehntes Areal vom Karischen Meerbusen und vom Ural durch das nördliche und subarktische Sibirien über das Amurland und die Berings- meerländer hinweg bis nach den Rocky Mountains, in denen sie bis nach dem südlichen Utah und dem südlichen Colorado vorgedrungen ist, hier bis zu einer Höhe von 4000 m aufsteigend. Innerhalb dieses weiten Areals nimmt die dichtrasige Varietät cherlerioides (Don) Engl. ein kleineres ein, welches sich von den Küsten des Ochotskischen und des Beringsmeeres bis nach dem südöstlichen Alaska erstreckt. Die dritte, ziemlich isolierte und wenig veränderliche Art, S. trieuspidata Retz, finden wir in den unteren Regionen des subarktischen und arktischen Amerikas sowie Westgrönlands nicht selten, im Ellesmereland bis zu 81° 43’, in Ostgrönland weniger häufig. Diese Art muß während der Eiszeit sich an der Südgrenze des Inlandeises erhalten haben und wurde dann aus den südlichen Standorten verdrängt, während sie nordwärts weiter vordrang. Sektion 10, Xanthizoon Griseb. (Taf. VI, Karte 24.) Die einzige hierher gehörige Art S. aizoides L. mit einigen einander sehr nahestehenden Varietäten kann man an keine Gruppe näher anschließen; sie hat einiges mit der Sektion Trachyphyllum, einiges mit der Sektion Aizoonia gemein, kann aber mit keiner von beiden, ebensowenig wie mit Hirculus vereinigt werden. In Mittel- und Südeuropa hat sie eine ähnliche Verbrei- tung wie S. aspera Subspezies bryoides, jedoch mit dem Unterschiede, daß sie weder in der Auvergne, noch den Sudeten vorkommt, auch nieht in den moesischen Gebirgen, dagegen noch im südlichen Apennin. Außer diesem kleinen Areal hat sie ein größeres im subarktischen und arktischen Europa und Amerika, fehlt dagegen in den entsprechenden Gebieten Asiens. Nur in Irland und England geht sie noch aus dem subarktischen Gebiet in das 80 ENGLER: mitteleuropäische über. Die Art muß entweder altskandinavischen oder al- pinen Ursprungs sein; im ersteren Fall wäre sie während der Eiszeit im Norden verschwunden gewesen und nach den Alpen gelangt, im letzteren Fall hätte sie im alpinen Gelände schon vor der Eiszeit existiert. Ich muß mich für alpinen Ursprung entscheiden. Wäre die Pflanze skandinavischen Ursprungs, so hätte sie bei ihrer Wanderungsfähigkeit in arktischen Ländern vor der Eiszeit eine weitere zirkumpolare Verbreitung erlangen und auch nach den sibirischen Gebirgen gelangen müssen, wo sie aber ebenso wie im arktischen Asien und den Beringsmeerländern fehlt. Sie muß in der Eiszeit von den Alpen nach Nordwesten, nach Irland, England und dem südwestlichen Norwegen vorgedrungen sein und hat sich von hier aus über Skandinavien nach Spitzbergen und Nowaja Semlja, über Irland nach Grön- land und Nordamerika verbreitet. S. aizoides ändert in der Blütenfarbe von hellgelb bis dunkelpurpurn, sowohl im nördlichen Areal wie im südlichen, jedoch mehr im letzteren: und in diesem treffen wir die infolge größerer Konzentration des Farbstoffes dunkler blühenden Formen im allgemeinen mehr in größeren Höhenstufen und die dunkelste Form atrorubens ganz besonders häufig in den Südalpen und Apenninen an. Weniger beim ersten Blick in die Augen fallend, aber doch ziemlich erheblich, ist die Variation der Laubblätter hinsichtlich der Beschaffenheit des Blattrandes. Schon Linne unterschied 2 Arten, aizoides und autumnalis, die erstere mit unbe- wimperten, die zweite mit bewimperten Blättern. Exakter liegt die Sache so, daß die Blätter am Grunde fast immer einige Haare tragen, am mitt- leren und vorderen Rande aber entweder ganz kahl oder mit einigen ent- fernt stehenden kurzen Wimpern versehen sind, welche vielfach auch zu kurzen zähnchenartigen Borsten werden. Man kann nicht selten alle diese Stufen an dersellien Pflanze finden und so hat man in neuerer Zeit auch nieht mehr an der Unterscheidung der beiden Linneschen Arten festge- halten, während man sonst bekanntlich den Artbegriff meist viel enger faßt, als er es tat. Aber es ist doch zu beachten, daß im nördlichen Areal der Art die Pflanze mit glattrandigen Blättern, im südlichen Areal die Pflanze mit bewimperten Blättern vorherrscht. Letztere ist im Norden recht selten, erstere kommt auch im südlichen Areal, namentlich auf den hochgelegenen Fundorten der Tauern, in den Nordalpen, den Westkarpathen und in Bosnien vor. Demnach scheint es zweckmäßig, S. aizoides L. und S. autumnalis L. als Varietäten euaizoides Engl. et Irmsch. und autumnalis (L.) nn ö Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. sl Engl. et Irmsch. zu unterscheiden. Beide sind offenbar in den Alpen ent- standen, und die erstere ist nach Norden gewandert, wo sie hin und wieder in der Richtung nach autumnalis variiert. Sektion 11. Euaizoonia (Schott) Engl. (Taf. VI, Karte 25— 29.) Diese, recht auffallende Arten enthaltende Sektion ist jedenfalls 'seit der Tertiärperiode im Mittelmeergebiet heimisch gewesen und mit der Hebung der Alpen auf diese übergegangen. Sie gliedert sich in fünf Gruppen, von denen eine jede interessante Verbreitungserscheinungen darbietet, die für die Geschichte der Hochgebirgstloren von Interesse sind. $ ı. Crustatae Engl. et Irmsch. (Taf. VI, Karte 25.) Die Arten dieser Gruppe sind am weitesten nach Süden verbreitet und finden sich teils im Mittelmeergebiet, teils in den Südalpen und Pyrenäen. Die prächtige S. /ongifolia Lap., mit deren Blütenreichtum nur 8. cotyledon L. wetteifern kann, findet sich in der subalpinen und alpinen Region der Öst- und Zentralpyrenäen, am häufigsten in letzteren, auch auf der Südseite und in Navarra. In diesem Jahrhundert ist sie auffallenderweise auch im östlichen Iberien auf der Sierra de la Sagra und der Sierra de Aitana ge- funden worden, auf ersterer in einer Höhe von ı500 m, auf letzterer um ıSoom. Es ist wohl möglich, daß diese Art schon vor der Eiszeit sich in den letztgenannten Gebirgen befunden hat! Die starke Verbreitung auf der Nordseite der Pyrenäen hat sie jedenfalls erst nach der Eiszeit erreicht, nachdem sie während derselben sich wie Ramondia auf der Südseite und im Osten erhielt. Ein ziemlich großes Areal nimmt S. lingulata Bell. ein, von der wir drei Varietäten unterscheiden, die sich um das westliche Mittel- meerbecken herum gruppieren und von einzelnen Autoren als Arten an- gesehen werden. Jedenfalls gehören diese drei Typen eng zusammen und sind alle untereinander weniger als von der im Osten auftretenden S.cerustata Vest und von den beiden kleinblättrigen auf die Südwestalpen beschränkten Arten S. cochlearis Reichb. f. und 8. valdenis DC. unterschieden. Alle Varietäten finden sich schon in der montanen Region und steigen bis in die untere alpine Region hinauf: sie zeigen uns, wie einstmals auch die Entwieklung der jetzt auf die alpine Region beschränkten Arten anderer Sektionen ge- Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 11 82 EnGter: wesen sein muß. Eine Varietät catalaunica (Boiss. et Reut.) Engl. ist dem Montserrat und den benachbarten Gebirgen des nordöstlichen Spaniens eigen- tümlich. Eine zweite Varietät Bellardi Sternb. erstreckt sich von Marseille und den provencalischen Alpen über die Seealpen hinweg bis zu den apuanischen Alpen und dem etruskischen Apennin; sie tritt besonders reichlich in den Seealpen auf, und zwar mit beiden unterscheidbaren Formen, der langblättrigen, mehr im Osten vorkommenden eu-Bellardii und der kurz- blättrigen, im Westen häufigeren /antoscana; letztere gedeiht auch in den Provence-Alpen und in geringer Höhe über dem Meer auf den Anhöhen St. Beaume und St. Vilon bei Marseille, erstere findet sich auch in den Apenninen. An sie schließt sich die dritte Varietät ausiralis (Morieaud) Engl. an, welehe vom mittleren Apennin bis in die Abruzzen und bis in die Basilicata vorkommt, außerdem aber auch auf den Gebirgen Sardiniens und Siziliens erscheint. Das Areal dieser Art wird vor der Hebung der Alpen von dem gegenwärtigen nur wenig verschieden gewesen sein, hat aber eine größere Ausdehnung durch das Aufsteigen in höhere Regionen der See- alpen und Apenninen erfahren. In den Seealpen entwickelte sich in der montanen Region eine der S. lingulata nahestehende Art, zu welcher jetzt keine Übergangsformen aufzufinden sind, 8. cochlearis Reichb.; dieselbe hat einen zweiten Standort auf dem Vorgebirge Portöfino, wo sie auch ziemlich häufig vorkommt. Mehr entfernt von ihren Verwandten ist S. raldensis DC., die in der alpinen Region der Cottischen und Grajischen Alpen angetroffen wird. Wahrscheinlich ist diese Art bei der Hebung der Südwestalpen ent- standen. Während in den südwestlichen Alpen 8. lingulata Bell. mit den genannten nahestehenden Arten gedieh, breitete sich im östlichen Teil der Alpen $. erustata Vest aus. Wir finden diese Art sehr verbreitet in den südöstlichen Dolomiten und Kalkalpen, bis zu den Grotten von St. Canzian hinabsteigend und in den Julischen Alpen bis zu 2400 m aufsteigend, oft mächtige Polster bildend, sehr häufig auch in den Südtiroler Dolomiten bis zur Etsch, aber nicht mehr westlich derselben. Merkwürdigerweise liegt ein zweites Areal, von dem ersten durch eine ziemlich große Lücke getrennt, auf der Balkanhalbinsel in Bosnien und der Herzegowina, wo sie auf einigen Planinen vorkommt; es ist auffallend, daß sie in den dalma- tinischen Hochgebirgen bis jetzt nicht angetroffen wurde, obgleich sie im Alpengelände vom Karst und vom untersten Hügelland des Friaul bis in die alpine Region unter recht verschiedenen klimatischen Bedingungen existiert. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 83 un 2. Peraizooniae Engl. et Irmsch. (Taf. VI, Karte 26, 27, Taf. VII, Karte 29.) Diese Gruppe umfaßt 2 Arten, deren Verbreitung ganz besonders inter- essant ist: den polymorphen Typus der 8. aizoon Jaeq., aus dem man zahl- reiche Arten ausgeschieden hat und ebenso schwache noch weiterhin auf- stellen könnte. Wir wollen, ehe wir die wichtigeren Varietäten behandeln, die Gesamtverbreitung des Typus besprechen. Derselbe besetzt das ganze Alpengelände ohne Unterschied des Gesteins, wenn er auch in den nörd- lichen und südlichen Kalkalpen im allgemeinen verbreiteter ist, als auf dem kieselhaltigen Urgestein der Zentralalpen; er steigt aus der montanen Re- gion bis in die hochalpine Region hinauf und geht bis tief in die Täler hinab, namentlich in den Südalpen bis zu einer Höhe von nur 300 m ü.M., aber immer nur im Bereich des eigentlichen Alpenstockes und geht nicht in das Alpenvorland über, höchstens auf aus demselben aufsteigende Einzel- berge, wie den Hohentwiel bei Singen, wo die Schneebedeckung länger an- dauert, als in der voralpinen Hochebene. Zwischen den Seealpen und den Pyrenäen ist eine größere Lücke des Vorkommens. Obwohl die Pilanze auf den höheren Bergen der Auvergne (Mont Dore, Cantal, Puy de Döme) vorkommt, fehlt sie auf den Sevennen. In den Ost- und Zentralpyrenäen ist sie auf der Nord- und Südseite in derselben Weise, wie in den Alpen, hauptsächlich zwischen 700 und 2800 m verbreitet, wird aber gegen Westen selten; so fehlen mir schon Angaben über ein Vorkommen in Navarra: aber sie tritt noch vereinzelt im asturisch-kantabrischen Scheidegebirge auf. Südwärts schließt sich an das Vorkommen in den Seealpen das Vorkommen in Korsika an, dann dasjenige im Ligurischen und Etruskischen Apennin sowie in den Apuanischen Alpen, weiterhin das auf den Abruzzen, bis zu welchen so viele Arten des alpinen Florenelements sich ausgebreitet haben. Südöstlich von den Alpen setzt sich die Verbreitung des Typus fort vom karniolisch-illyrischen Übergangsgebiet in das kroatische Bergland, in die Dinarischen Alpen, die bosnischen, süddalmatinischen und montenegrinischen Hochgebirge, also in das ganze illyrische Gebirgsland und von hier auch in die moesische Unterprovinz der westpontischen Gebirgsländer ostwärts bis Kalofer und südwärts bis auf den Perim-Dagh. Hieran schließt sich der mediterrane Teil der Balkanhalbinsel, auf dessen Hochgebirgen S. aizoon auch noch vielfach zerstreut vorkommt, so auf dem Schar-Dagh, in Ost- Epirus, Thessalien, dem übrigen Nordgriechenland und in Mittelgriechenland ls 84 ENGLER: auf dem Ölenos. Sehon in Bosnien erscheint mit der im Alpengelände verbreiteten Form die Varietät orientalis Engl., welche sich dureh stärker zugespitzten Endzahn des Blattes auszeichnet. Weiter südlich auf.der Balkan- halbinsel wird sie immer häufiger neben der gewöhnlichen Varietät und im westlichen pontischen Gebirge wird sie schon sehr der Subspez. cartilaginea ähnlich, welche auf dem großen und kleinen Kaukasus nicht selten ist, auch in Daghestan vorkommt und auf dem Alburs im Gebiet von Gilan und des Suwent der östlichen Verbreitung des Typus der S. aizoon überhaupt eine Grenze setzt. Auf’ dem Karpathenbogen, der im Norden nahe an das Alpengelände, im Süden an das moesische Gebirgsland herantritt, finden wir typische S. aizoon sowohl in den höheren, wie in den niederen Gebirgs- ländern verbreitet, stellenweise, wie im Tal von Szedellö des Almaser Kalkplateaus im Göllnitzgebirge noch sehr tief, bis 220m ü.M. vorkommend. Nun aber finden wir unsere Art auch nördlich der mitteleuropäischen Hoch- gebirge in den europäischen Mittelgebirgen, und zwar auf den verschieden- sten Gesteinen. Wie vorhin schon erwähnt, kommt sie auf den höheren Bergen der Auvergne vor, dann im Französischen, Schweizer und Schwäbi- schen Jura (Schwäbische Alb), in den Vogesen und im Sehwarzwald, im Nahetal des mittelrheinischen Berglandes, ferner im Fichtelgebirge, dem böhmisch-mährischen Bergland, im Mährischen Gesenke oder dem Altvater- gebirge, und im Karpathenvorland im N. der Beskiden sowie im polnischen Mittelgebirge auf der Lysa Gora. Alle diese Pflanzen der europäischen Mittel- gebirge gehören der Varietät montana Engl. et Irmsch. an, deren zungen- förmige, am Grunde nicht keilförmig verschmälerte Blätter seitlich abge- stutzte Sägezähne besitzen. Diese Varietät kommt aber auch in den unteren Regionen der Pyrenäen, Alpen, Karpathen und westpontischen Gebirgslän- der vor. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß diese Varietät auch während der Eiszeit in den europäischen Mittelgebirgen und wahrscheinlich häufiger als jetzt existiert hat. Sehr auffallend ist aber die weitere Verbreitung des Typus der S. aizoon außerhalb Mitteleuropas im subarktischen und arkti- schen Gebiet. Wir kennen gegenwärtig nur zwei Vorkommen dieser Art in Skandinavien, nämlich zwischen 59 und 60° im Innern der Vogtei Ryfylke, östlich von Stavanger, wohin sie vielleicht aus dem westlichen Küstenstrich beim ersten Rückgang der Gletscher vordrang und etwas nördlich des Wende- kreises unter 67° n. Br. im nördlichen Saltdalen, wohin die Pflanze erst mit Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 85 dem Rückgang der skandinavischen Gletscher gelangt sein kann. Ebenso kann sie erst nach der Eiszeit ihr ausgedehntes Areal in Grönland, La- brador und dem östlichen Kanada gewonnen haben. Daß S. aizoon im west- lichen Grönland und überhaupt zu beiden Seiten der Baffinsbai sich so stark ausgebreitet hat, dagegen in Skandinavien nicht, möchte ich darauf zurück- führen, daß sie in’diesem Lande mit S. cotyledon in Konkurrenz tritt, welche in gleicher Weise wie 8. aizoon sich in Felsritzen ungestört zu entwickeln liebt. Bei weitem die meisten der in den mittel- und südeuropäischen Hochgebirgen vorkommenden Formen gehören zu Varietäten, deren Blätter gegen den Grund keilförmig verschmälert sind, und zwar zu der Varietät typica, deren häufigste Untervarietäten alpicola (Jord. et Fourr.) Engl. et Irmsch. und brevifolia Engl. sind, und zur Varietät Sturmiana mit kurzen spatel- förmigen Blättern. Die Untervarietät alpicola findet sich von den Pyrenäen bis zu den Karpathen, die Untervarietät brevifolia auch auf der Balkanhalb- insel und in den arktischen Ländern. Eine in den Alpen hier und da vor- kommende Untervarietät von typica ist noch petrophila (Jordan et Fourr.) Engl. et Irmsch., gewissermaßen eine besonders breitblättrige alpieola. Von Varietäten, welchen eine ausgeprägte geographische Verbreitung zukommt, sind hier noch zu erwähnen: var. /aeta (Schott, Nyman et Kotschy) Engl. et Irmsch. (mit kurz spatelförmigen Blättern, wie Sturmiana, aber mit drei flachen Endzähnen) in den transsilvanischen Alpen; var. Malyi (Schott, Nyman et Kotschy) Engl. et Irmsch., ausgezeichnet durch besonders starke Kalkausscheidung und durch Blattzähne mit kurzem, einwärts gekrümmten Spitzehen, im nordwestlichen Teile der Balkanhalbinsel, vom Velebit bis zur Herzegowina; var. stabiana (Ten.) Engl. et Irmsch., mit dicken, an der Spitzeabgerundeten und stark inkrustierten Blättern, in der Gegend von Neapel; var. carinthiaca (Schott, Nyman et Kotschy) Engl. et Irmseh. aus Kärnthen, ohne nähere Angabe des Fundorts in Kultur gebracht und bei ungeschlecht- licher Vermehrung ihre charakteristischen schmalen lineal-spatelförmigen Blätter mit breitem Endzahn bewahrend; var. /ürtifolia (Freyn) Hayek mit behaarten Blättern, in den Eisenerzer Kalkalpen. Die spitzblättrige Varietät orientalis und die Subspezies cartilaginea sind bereits oben erwähnt worden. Andere Varietäten haben kein pflanzengeographisches Interesse. . Während S. aizoon eine weite Verbreitung vor und nach der Eiszeit erlangt hat, ist ihre Schwesterart S. Hostü Tausch auf die Süd- und Ost- alpen beschränkt geblieben. Da sie jetzt auch noch in der montanen Re- 86 ENGLER: gion und nicht nur in der subalpinen Region gedeiht, in der sie sich be- sonders wohl zu fühlen scheint, so ist unbedenklich anzunehmen, daß sie vor der Glazialperiode ungefähr ihr jetziges Areal inne hatte, während der- selben aber sich am Südrande der Alpen erhielt. Es sind drei in ihren Ex- tremen leicht erkennbare, aber doch auch Zwischenformen aufweisende Varie- täten mit gut abgegrenzten Arealen und daher drei geographische Rassen re- präsentierend, zu unterscheiden, nämlich ı. Var. proles rhaetica (Kerner) Engl. in den südlichen Kalkalpen zwischen Comer und Gardasee, also in den Bergamasker und Judikarischen Alpen zerstreut und auch auf der Westseite des Ortler bis zu 2500 m ü. M., ferner 2. Var. proles eu-Hosti Engl. et Irmsch. in den Trientinisch-veroneser Alpen östlich der Etsch, den südlichen Tiroler Dolomiten, den karnisch-venetianischen Alpen und den südöstlichen Dolo- miten und Kalkalpen sowie auch noch auf dem Schneeberg im karniolisch- illyrischen Übergangsgebiet, endlich 3. Var. proles altissima (Kerner) Engl. et Irmsch. durch besonders üppige Entwicklung ausgezeichnet und auch auf kalkarmen Böden vorkommend, vorzugsweise in der montanen Region, aber doch auch in die Krummholzregion aufsteigend, in den östlichen Norischen und oststeierischen Zentral- und Kalkalpen. $ 3. Cotyledoninae Engl. et Irmsch. (Taf. VII, Karte 29.) Die prächtige 8. cotyledon L. tritt zwar in mehreren Wuchsformen auf, welche sich durch reichere oder ärmere Entwicklung der Blütenstände, mit- unter auch durch Färbung der Blüten unterscheiden: aber dieselben sind nicht als Varietäten oder Rassen zu unterscheiden, sondern haben nur den Rang von Formen. Interessant ist aber die geographische Verbreitung der Art. In den Alpen finden wir dieselbe von den Savoier Alpen mit dem Montblane nordöstlich durch die Walliser, Südberner, Lepontinischen, west- und ostrhätischen Alpen bis zum Montafon, gerade bis dicht an die West- grenze von 8. Hostü. Die Pflanze findet sich am Fuß der Lepontinischen Alpen in der Nähe des westlichen Ufers des Lago maggiore, bei Intra in 8 einer Höhe von wenig über 200 m und steigt am Camogh& und anderen Bergen der Lepontinischen Alpen bis zu 2500 m ü. M. Wie bei den Felsen- pflanzen ist für sie die erste Bedingung, daß ihre Rosetten sich in den Ritzen zwischen ziemlich steilen Felsblöcken entwickeln, an denen das Wasser leicht abläuft; in welcher Höhe über dem Meer diese Bedingung erfüllt wird, ist nicht von Bedeutung. In der pyrenäischen Provinz ist sie auf die Zentral- u Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 87 pyrenäen beschränkt. Viel größer als das präglaziale Areal in den mittel- europäischen Hochgebirgen ist das postglaziale im subarktischen Europa. Ohne Spuren ihrer Existenz in Mitteleuropa zu hinterlassen, ist sie wie S. aizoon nach Skandinavien gelangt, hat aber im Gegensatz zu dieser auf zwei enge Bezirke beschränkten Art, sich an geeigneten Plätzen zwischen Christianssand und Alten, zwischen 58 und 70° n. B. eingebürgert, nach Schweden geht sie nur in Jemtland über. Ferner ist sie auch nach dem öst- lichen Island gelangt. $ 4. Florulentae Engl. et Irmsch. (Taf. VI, Karte 28.) Die eigenartige, mit keiner anderen Art besonders nahe verwandte S. florulenta Moretti ist eine alte endemische Pflanze der Seealpen, die sich dort in dem großen Urgebirgsmassiv zwischen den Hochtälern der Stura und Tinee vom Gebiet des Tenda bis zu den Lacs de Morgon im Westen er- halten hat und in Höhen von 1950— 3240 m zerstreut vorkommt. $ 5. Mutatae Engl. et Irmsch. (Taf. VI, Karte 23.) Die Gruppe der Mutatae ist, wenn wir die im siebenbürgischen Burzen- land vorkommende S. demissa Schott et Kotschy als Varietät der alpinen S. mutata L. ansehen, monotypisch. S. mutata ist hauptsächlich in den nörd- lichen Kalkalpen und im nördlichen Voralpenland verbreitet, meistens in der montanen und subalpinen Region; sie ist auch nicht selten in den süd- lichen Kalkalpen, aber nur zerstreut in Tälern der östlichen Zentralalpen, auch noch in den lepontinischen Alpen kommt sie vor; aber in den Walliser und den Südwestalpen scheint sie zu fehlen. | Sektion 12. Kabschia Engl. (Taf. VO, Karte 30— 36.) Diese Sektion ist pflanzengeographisch sehr interessant, zumal in den letzten 20 Jahren außerhalb Europas und auch in Südeuropa selbst mehrere neue Arten zu den früher bekannten hinzugekommen sind. Eine sorgfältige Analyse der Sektion führt zur Unterscheidung von 7 Gruppen, welche alle jedenfalls schon in der Tertiärperiode im Mittelmeergebiet und im südlichen Teil der Pyrenäen, Alpen, Karpathen, des Balkan, sowie des Kaukasus, in Afghanistan, im Himalaya und Yünnan existierten, mit der Hebung dieser 88 ENG6tER: Gebirge aufstiegen, während der Eiszeit aus den höheren Regionen verdrängt wurden, nach derselben wieder aufstiegen, aber meist nicht fähig waren, sich in der alpinen Region der zentralen Gebirgsstöcke sich anzusiedeln oder beim Rückgang der skandinavischen Gletscher diesen nach den nordi- schen Ländern zu folgen. , $ ı. Mediae Engl. et Irmsch. (Taf. VI, Karte 30, 31). Zu dieser Gruppe gehören 7 Arten, welche von den Pyrenäen bis Yünnan zerstreut sind und die Grundzüge ihrer Verbreitung schon in der Tertiärperiode erhalten haben. Die typische S. media Gouan ist auf die Zentral- und Ostpyrenäen beschränkt, in denen sie auf der Südseite schon bei 1300 m häufiger angetroffen wird, auf der Nordseite im Tal des Aude sogar bei 600 m vorkommt; sie ist näher verwandt nur mit der im moesi- schen Gebirgssystem südlich von Philippopel vorkommenden 8. Stribrnyi (Vel.) Podpera. Wir haben in diesen beiden Arten tertiäre Relikte, welche während der Eiszeit auf der Südseite der Pyrenäen und des Rhodopegebirges verbleiben konnten. Ihre nächste Verwandte ist 8. corymbosa Boiss. (= luteo- viridis Schott.), deren Areal mit sehr wenigen zerstreuten Fundorten vom westlichen Kadmus über den Perim-Dagh hinweg sich nach den Öst- karpathen erstreckt, in denen sie auf den transsilvanischen Alpen, dem Burzenländer Gebirge und den Rodnaer Alpen gar nicht selten ist. Über einen großen Teil des mittleren Mittelmeergebietes hinweg erstreckt sich der formenreiche Typus der 8. porophy!la Bert. Die zuerst bekannt gewordene und morphologisch zwischen den übrigen Varietäten in der Mitte stehende Varietät euporophylla Engl. et Irmsch. findet sich im nördlichen Montenegro an der bosnischen Grenze auf dem Magli@, im südlichen auf dem Kom Kucki und anderen Bergen, auf den Abruzzen von der subalpinen Region bis in die alpine, in der Basilikata und auf dem Monte Pollino in Calabrien; sie ist jedenfalls nach der Eiszeit in die höheren Regionen der Abruzzen gelangt. Die verbreitetste Varietät ist Var. Sibthorpiana (Griseb.) Engl et Irmsch., welche wir auf den Gebirgen Griechenlands vom Parnaß bis zum Taygetos, in der ägäisch-mazedonischen Provinz und auch noch auf dem bithynischen Olymp antreffen. Weit verbreitet ist auch Var. thessalica (Schott) Engl. et Irmsch.; sie beginnt schon in Montenegro und läßt sich von hier über den Schar-Dagh ostwärts bis zum Rhodopegebirge und südwärts bis Mittelgriechenland verfolgen. Die vierte, durch ihre kräftige Entwicklung EEE Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 89 ausgezeichnete Varietät montenegrina (Haläcsy et Bald.), Engl. et Irmsch., kommt nur im mediterranem Montenegro vor, so daß also in diesem kleinen Teil der Balkanhalbinsel alle 4 Varietäten zusammentreffen. Mit S. porophylla Bert. ist auch S. Grisebachü v. Degen et Dörfl. ziemlich nahe verwandt und ihr Areal liegt ganz in dem (der ersteren, in der scardopindischen Unterprovinz, in Albanien an der Treska, in Macedonien auf dem Kossov bei Zbersko und anderen Bergen sowie in der Nähe von Ghevgheli. Mit diesen medi- terranen Arten sind nun auch noch 2 Arten Zentralasiens verwandt, nämlich S. chionophila Franch. und 8. rupicola Franch. im nordwestlichen Yünnan, in einer Höhe von 3500 m. Auffallend ist die große Lücke zwischen dem Areal der ersterwähnten Arten und dem Wohnsitz der letzteren. Entweder haben früher auf den Gebirgen Persiens und auf dem Himalaya noch Arten dieser Gruppe existiert oder es werden vielleicht noch solche entdeckt. $ 3 der Sektion zeigt ähnliche Verbreitungsverhältnisse. $ 2. ‚Juniperifoliae Engl. et Irmsch. (Taf. VII, Karte 32). Die Gruppe der Juniperifoliae umfaßt S Arten, welche auf ein ver- hältnismäßig enges Gebiet beschränkt sind, in dem die Areale der einander ziemlich nahestehenden Arten nur durch kleine Zwischenräume voneinander getrennt sind. Dieses Gebiet erstreckt sich vom östlichen Kaukasus bis Moesien. Im Osten und Westen dieses Gebietes tritt S. jJuniperifolia Adam auf, zunächst im westlichen und kleinen Kaukasus mit der Varietät euyuni- perifolia Engl. et Irmsch. von 900— 2400 m, im östlichen mit der Var. brachyphylla Boiss. Wir sehen die Pflanze also in einer Höhe, in der sie sich auch während der Eiszeit behaupten konnte. Eine dritte Varietät, macedonica (v. Degen) Engl. et Irmsch., finden wir auf den moesischen Ge- birgen Rila-Planina, Musala und Perim-Dagh, eine vierte, pseudosaneta (v. Janka) Engl. et Irmsch.. auch auf der Rila-Planina und oberhalb Kalofer im Balkan, an der unteren Grenze der alpinen Region, so daß wir daraus schließen können, daß auch hier in der Eiszeit die Art in der montanen Region sich erhalten konnte. Die nächstverwandte Art S. sancta Griseb. bewohnt den Athos von 1200-—2000 m und den Pogluscha-Dagh in Klein- asien im Gebiet von Troja. Sechs einander nahe verwandte Arten sind auf den Kaukasus beschränkt; sie finden sich jetzt vorzugsweise in der alpinen Region und besonders in «der hochalpinen in der Nähe der Gletscher; aber S. laevis M. Bieb., welche män recht gut als Stammform der übrigen an- Phys.-math. Abh. 1916. Nr.1. ne 90 ENGLER: sehen könnte, steigt im westlichen Kaukasus am Fuscarnisee auch bis zur Paßenge der Grusinischen Heerstraße hinab; S. subvertieillata Boiss. ist so- gar eine montane Felsenpflanze. Dem westlichen Kaukasus gehören ferner an S. caucasica Sommier et Levier (am Kluchorpass und am Elbrus von 2800 bis 3000 m), 8. colchica Alboff in geringerer Höhe, 2250—2300 m auf dem Szita-Gwala; 8. seleropoda Somm. et Levier im Areal der caucasica, von 3000m bis 1500 m hinabsteigend. Auf den mittleren Kaukasus ist S. carinata Öttingen beschränkt und auf den östlichen 8. subvertieillata Boiss., die bei Kaputscha um 1300 m in einer Kalksteinhöhle am Argun gefunden wurde. $ 3. Kotschyanae Engl. et. Irmsch. (Taf. VII, Karte 32). Von dieser kleinen Gruppe, deren Arten mit denen der vorigen die von den Staubblättern überragten Blumenblätter gemein haben und sich von ihnen hauptsächlich durch stumpfe Laubblätter unterscheiden, kennen wir jetzt nur 2 Arten, deren eine, S. Kolschyi Boiss., auf die südeuxinische Unterprovinz und die taurisch-zyprische der mittleren Mediterranprovinz beschränkt ist, während die andere, S. Meeboldiü Engl. et Irmsch., in Kaschmir nicht selten zu sein scheint. Die erstere findet sich in Höhen von 1700 bis 2700 m, also auch noch in der Waldregion, während die. letztere in Höhenlagen von 3000—4200 m vorkommt. $ 4. Marginatae Engl. et Irmsch. (Taf. VI, Karte 33, 34). Dies ist die artenreichste Gruppe der Sektion mit ı5 Arten, welche von Unteritalien und den Balkanländern bis Yünnan verbreitet sind. Ihre reichste Entwicklung erlangt die Gruppe auf den Hochgebirgen am Südrand Zentralasiens. In Europa hat sich S. marginata Sternb. besonders stark aus- gebreitet und formenreich entwickelt. Wir unterscheiden in diesem poly- morphen Typus 4 Varietäten. Var. eumarginata Engl. et Irmsch. ist im Süden anzutreffen in der montanen Region der ligurisch-tyrrhenischen Provinz (Mte. Angelo bei Castellamare, Berge bei Amalfi und im östlichen Kalabrien) und auf dem Taygetos in der Peloponnes. Die Var. Rocheliana (Sternb.) Engl. et Irmsch. ist in der montanen Region der Ostkarpathen ziemlich ver- breitet, kommt aber außerdem auf dem Velebit, in Westbosnien, auf der Suva-Planina bei Nisch und auf dem Balkan, ferner in Albanien, Nord- epirus und Thessalien vor. Die dritte Varietät coriophylla (Griseb.) Engl. et Irmsch., welche der eumarginata sehr nahe steht, läßt sich vom sieben- bürgischen Gebirgsland durch die illyrischen Gebirge bis in die albanischen A Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 9 und mazedonischen Teile des Mittelmeergebietes verfolgen. Die Var. karad- Zicensis (v. Degen et KoSanin) Engl. et Irmsch. ist auf den Berg Karadiica in Mazedonien beschränkt. Mit anderen Arten wenig verwandt ist S. scardica Griseb., die vom Schar-Daglı und thessalischen Olymp bis nach dem Ziria in der Peloponnes verbreitet ist. Auch die dritte im europäischen Mittel- meergebiet vorkommende Art dieser Gruppe, S. Spruneri Boiss., ist mit keiner der erstgenannten näher verwandt, also jedenfalls auch ein alter Relikt; sie findet sich an Felsen der alpinen Region vom Perim-Dagh Moesiens und des thessalischen Olymp bis nach dem Parnaß, hier auch in der oberen Waldregion. Merkwürdigerweise kennen wir keine Art dieser Gruppe aus Kleinasien ; aber im westlichen Kaukasus, ebenfalls in der Waldregion kommt S. DinnikiiSchmalhausen vor. Eine pflanzengeographisch wichtige Entdeekung machte Bornmüller durch Auffindung von 8. iranica Bornmüller auf dem Albursgebirge am unteren Gipfel des Tacht-i-Soleiman am Saum eines kleinen Eisbaches um 4000— 4100 m und an schneebedeckten Abhängen un 4300 m. Wir können hieraus schließen, daß die nordpersischen Gebirge während der Eiszeit für die Wanderungen mancher Himalajatypen eine Brücke nach den osteuropäischen Gebirgsländern gebildet haben. 8 Arten der Gruppe kennen wir jetzt aus dem Gebiet des Himalaja. Von diesen ist S. afghanica Aitchison et Hemsley an der Grenze von Kashmir und Afghanistan in einer Höhe von 2600 - 3000 m anzutreffen. Die beiden Arten, 8. ramulosa Royle und S. imbricata Royle mit kurzen, meist einblütigen Blütenstengeln sind von Kashmir bis Sikkim an mehreren Orten nachgewiesen worden, erstere in einer Höhe von 1600-5300 m, letztere von 26005600 m. 8. Stolitzkae Duthie kennen wir bis jetzt nur aus Kumaun (4000— 4300 m), $. lilacina Duthie auch aus dem westlichen Himalaja, S. Andersoni Engl. und S. sub- sessiliflora Engl. et Irmsch. nur von Sikkim. Von diesen sind S. Andersonü und S. Stolitzkae näher miteinander ver- wandt und S. subsessiliflora schließt sich an S. imbricata an. Endlich kommt im nördlichen Sikkim-Himalaja noch eine zwergige rasige und einblütige Art vor, welche sich an S. imbricata und 8. subsessiliflora anschließt, aber wegen dicht zusammengedrängter gegenständiger vier Reihen bildender Blätter nor- phologisch einen Übergang zur alpinen Sektion Porphyrion bildet. Wir haben diese merkwürdige Pflanze, welche an der tibetanischen Grenze gefunden wurde und uns in einem nur sehr dürftigen Exemplar vorlag, S. quadrifaria Engl. et Irmsch. genannt. Aus dem noch wenig erforschten Gebiet östlich 12* e 92 ENGLER: von Sikkim kennen wir bis jetzt noch keine Saxifraga, dagegen treffen wir in Yünnan 2 Vertreter der Marginatae, nämlich S. pulehra Engl. et Irmsch., welche auch mit 8. Stolitzkae verwandt ist, von 3000-—3700 m, und S8. liki- angensis Franch., welche der S. subsessiliflora nahe steht, von 3300 — 4000 m. Noch weiter östlich in Westhupeh findet sich S. unguipetala Engl. et Irmsch., die sich verwandtschaftlich den viel weiter westlich im Westhimalaja vor- kommenden S.afghanica und lilacin« nähert. Aus diesen Tatsachen ergibt sich, daß die Marginatae einem sehr alten Verwandtschaftskreis angehören, dessen Stammformen in der Tertiärperiode vom südlichen Zentralasien bis Osteuropa als Felsenpflanzen erst in einer der heutigen temperierten Region entsprechenden Höhenstufe existierten und an verschiedenen Stellen der auf- steigenden Gebirge Arten erzeugten, welche sich mit einer kürzeren Vege- tationsperiode nach längerer Ruhe im Winter begnügten. $ 5. Squarrosae Engl. et Irmsch. (Taf. VII, Karte 35). Dies ist eine kleine der Marginatae am nächsten verwandte, aber durch starke Rückwärtskrümmung der stumpfen Blätter verschiedene Gruppe, welche nur zwei nahe verwandte kalkstete Arten umfaßt. Von diesen hat S caesia L. in der Eiszeit ein größeres Areal gewonnen, ist aber nach Norden nicht über das Alpengelände hinaus vorgedrungen. Sie ist verbreitet in den ganzen nördlichen Kalkalpen von Nordsavoien (Alpes Lemaniennes) bis nach Niederösterreich, selır zerstreut und nur auf Kalk in den Zentralalpen sowie in den Südwestalpen, häufig wieder in den Kalkgebirgen der Seealpen und in den Südalpen von Insubrien bis nach den südöstlichen Dolomiten und Kalkalpen. Da sie bis auf die Gipfel der nördlichen Kalkalpen auf- steigt, so ist es immerhin möglich, daß sie während der Eiszeit sich hier und da am Fuß derselben erhielt, jedenfalls konnte sie in den Seealpen und am Fuß der Südalpen die Glazialperiode überdauern und nach der Eiszeit wieder die Kalkgebirge besiedeln. Während der Eiszeit, vielleicht auch schon vorher, drang sie auch nach den Ost- und Zentralpyrenäen, nach den nördlichen und mittleren Apenninen, nach den Westkarpathen, nach dem Monte Maggiore in Istrien und auch nach den Gebirgen von Südbosnien, der Herzegowina und Montenegro vor. Während sie sich in diesen Hochgebirgen erhielt und eine durch stark drüsige Bekleidung aus- gezeichnete, auch anderwärts vorkommende Varietät glandulosissima Engl. erzeugte, ist sie, wie auch einige andere bis hierher vorgedrungene Arten, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 93 nach der Eiszeit in dem Zwischengebiet von Kroatien und Nordbosnien wieder verschwunden. Die zweite Art 8. squarrosa Sieb. ist eine Charakter- pflanze für die Südalpen östlich vom Etschtal, wo sie vielfach häufiger auftritt, als ihre Schwesterart S. caesia, mit welcher sie auch Bastarde bildet. Westlich vom Etschtal findet sie sieh noch im Val di Ledro. $ 6. Rigidae Engl. et Irmsch. (Taf. VII, Karte 35). Auch diese 5 Arten umfassende Gruppe muß sehr alten Ursprungs sein. 3 Arten, 8. diapensioides Bell., 8. columnaris Schmalh. und 8. tombeanensis Boiss. stehen einander besonders nahe. Interessant ist das Vorkommen von S. columnarisbeim Psekanseeim westlichen Kaukasus in einer Höhe von 1800 m. Von hier bis zum Gardasee finden wir jetzt keine Art aus dieser Verwandt- schaft, und die ihr am nächsten stehende $. diapensioides beginnt erst in den westlichen Walliser Alpen, wo sie ebenso wie in den ganzen Südwest- alpen von den Grajischen bis zu den Provencealpen nicht selten ist. Sie hat in dem südlichen Teil dieser Alpenländer jedenfalls die Eiszeit über- dauert. Ebenso hat sich die durch spitzere Blätter ausgezeichnete S. tom- beanensis, welche, wie so viele Felsenpflanzen der Südalpen, gegenwärtig eine breite Höhenzone (600 —2300 m) einnimmt, in ihrem ursprünglichen Areal erhalten; sie findet sich am Aok am Idrosee, im Val di Ledro und im Gebirgsstock des Monte Tombea oder Monte Campione, auch auf der Südseite des Altissimo di Nago am Monte Baldo, auf der Alpe Dublino bei Stenico, am Monte Bondone und am Übergang von Schloß Thun nach Fennberg im Nonsberg., also im wesentlichen in den Judikarischen Alpen und deren nächster Nachbarschaft. Ein wenig größer ist das Areal von S. Vandelliü Sternb., welche ebensowenig wie die anderen Arten dieser Gruppe eine Neigung zur Variation zeigt. Ihre dichten stachelblättrigen Polster finden wir in den Insubrischen, Bergamasker und Judikarischen Alpen zerstreut in Höhenlagen von 1500— 2000 m; sie ist aber auch bis an den Fuß des Ortler- stockes bis zu den Bädern von Bormio vorgedrungen, wo sie sich in einer Höhe von 1200--1350 m in Schluchten erhalten hat. Die fünfte Art der Gruppe, S. Burseriana L. ist eine ausgesprochene Kalksteinpflanze, welche zwei durch den Zentralalpenzug getrennte Areale in dem östlichen Teil der nördlichen und südlichen Kalkalpen bewohnt. Sie findet sich in den süd- lichen Kalkalpen vom Monte Tombea und Monte Roen ostwärts bis in die südöstlichen Dolomiten und in den nördlichen Kalkalpen von den Kitz- 94 ENGLER: bühler Alpen und dem Kaisergebirge bis zum Schneeberg in Niederöster- reich. Nur an einer Stelle, auf der Gnadenalpe in den Radstadter Tauern geht sie in die Zentralalpen über. Obwohl die Entfernung zwischen dem nördlichen und südlichen Areal keine sehr große ist, so ist doch die Über- brückung nicht ganz einfach zu erklären. Es ist möglich, daß sie vor der Eiszeit im östlichen Steiermark auf den Kalkgebirgen existierte und dann verschwunden ist. Daß sie sich während (der Eiszeit in den Nordalpen erhalten hat, ist nicht ganz ausgeschlossen; sie steigt ja gegenwärtig in den Nordalpen bis zu 2100 m hinauf und blüht im botanischen Garten zu Dahlem bisweilen schon im Januar nach einigen warmen Tagen. Die niedrig gelegenen Standorte am Fuß des Untersberges zwischen Berchtesgaden und Schellenberg stammen vielleicht noch aus einer Periode, in der sich S. Bur- seriana am Nordrand der Kalkalpen erhielt. E $ 7. Aretioideae Engl. et Irmsch. (Taf. VII, Karte 36). Die prächtigen beiden Arten dieser Gruppe sind ebenfalls Relikte. S. aretioides Lap. kommt in der subalpinen und alpinen Region der Zentral- pyrenäen schon bei 1000 m ü.M. vor und steigt bis zu 1800 m auf, aber in den Basses-Pyrenees bei Surpeyre wurde sie von Franqueville schon bei 400 m aufgefunden. Mit ihr näher verwandt ist nur S. Ferdinandi Co- burgi Kellerer et Sündermann vom Perim-Dagh (1400 m) und lel tepe (2500 m). Es wiederholt sich also in dieser Gruppe die schon bei den Mediae hervor- getretene Tatsache, daß nahe verwandte Arten nur in den Pyrenäen und den moesischen Gebirgen existieren. Es bleibt da kaum eine andere Er- klärung übrig als die, daß vor der Eiszeit Verwandte dieser Arten in den dazwischengelegenen Teilen der Balkanhalbinsel und Italiens existierten und, wenn nicht schon bei dem weiteren Aufsteigen der Alpen, so doch während der Zeit der stärksten Vergletscherungder Alpen und Apenninen verschwanden. Sektion 13. Porphyrion Tausch. (Taf. VI, Karte 37— 39.) Es kann kein Zweifel sein, daß die Alpenländer das Entwicklungs- zentrum der Sektion darstellen; denn hier treffen alle Arten derselben zu- sammen und alle sind in solchem Grade hekistotherm, daß sie während der Glazialperiode sich im Alpengelände am Rande der Gletscher und zwischen denselben erhalten konnten. Ein von Schneeschmelzwasser befeuchtetes Sub- strat ist das günstigste für die 3 Arten S. oppositifolia, 8. biflora und 8. retusa;; Er PN Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 95 sie können daher auch erst entstanden sein, als die Alpen zu größerer Höhe emporgestiegen waren. Von einem Vorfahren fehlt jede Spur; eine gewisse morphologische Verknüpfung mit der Sektion Kabschia bietet sich durch die von uns noch den Marginatae zugerechnete S. quadrifaria Engl. et Irmsch. dar. $ ı. Retusae v. Hayek (Taf. VIII, Karte 37). Die Retusae sind jedenfalls ein sehr alter Typus, dessen Verbreitung seine jüngere Geschichte klar erkennen läßt. Wir finden die einzige Art S. retusa Gouan im Westen auf den Walliser Alpen, den Südwestalpen, den östlichen und zentralen Pyrenäen und in den östlichen mitteleuropäischen Gebirgsländern (Niedere Tauern, Norische Alpen, nördliche Zentralkarpathen, Östkarpathen und Moesien), während sie im zentralen Teil fehlt. Die Var. Baumgartenü (Schott) Velenovsky ist von der westlichen Var. augustina V aceari, welche zuerst bekannt wurde, nur wenig durch verkürzte Blütensprossen und kahlen Kelch verschieden, ist aber nicht, wie Vaccari gezeigt hat, aus- schließlich östlich, sondern kommt auch im Areal der anderen Verietät und namentlich auch in den Pyrenäen vor. Dasich 8. retusa an keine andere Art näher anschließt, so muß sie früher durch das zentrale Alpengelände, namentlich auf Urgestein verbreitet gewesen sein. Mit fortschreitender Vergletscherung der Hochgebirge verbreitete sie sieh zunächst von den Südwestalpen nach den Pyrenäen und von den Norischen Alpen nach den Karpathen und über diese hinweg nach dem moesischen Gebirgsland. In der Zeit der stärksten Vergletscherung der Alpen wurde sie aus den zentralen Gebirgsstöcken der Alpen verdrängt, ohne wie andere Arten sich in den Südalpen erhalten zu können. Dies war aber möglich auf der Südseite der Pyrenäen, in den See- alpen, am Rande der Cottischen und Penninischen Alpen, am steirischen Ostrand der Alpen, in den transsilvanischen Alpen und den moesischen Gebirgsländern. Von diesen Stellen aus konnte sie beim Rückgange der Gletscher wieder mehr in das Alpengelände vordringen und auch die nörd- lichen Zentralkarpathen wieder besiedeln. In den nördlichen Kalkalpen hat sie wahrscheinlich vor und während der Eiszeit nicht existiert und ihr heutiges Vorkommen auf dem Reiting in den Eisenerzer Kalkalpen ist Jeden- falls auf postglaziale Wanderung zurückzuführen. $ 2. Biflorae v. Hayek (Taf. VIII, Karte 37). Während ich in meiner ersten Monographie 8. biflora L. und S. macro- petala Kerner als getrennte Spezies behandelt habe, halte ich es jetzt für 96 ENGLER: gerechtfertigt, beide als Subspezies einer Art anzusehen; denn S. maeropetala unterscheidet sich von der verbreiteteren eubiflora nur durch viel größere breitere Blumenblätter und breitere dichter stehende Laubblätter. Zur Be- urteilung der Frage, ob macropetala eine hybride Neubildung sei, verweise ich auf v. Hayeks Ausführungen in seinen Studien über die Sektion Por- phyrion (S. Sı, 82). Hier habe ich in erster Linie die geographische Ver- breitung beider Pflanzen zu besprechen und diese ist wenig kompliziert. Denn 8. biflora Subsp. eubiflora Engl. et Irmsch. ist, wie sich allmählich nach Ausscheidung früherer irrtümlicher Angaben herausgestellt hat, eine aus- schließlich alpine Art. Wir finden sie meist auf Urgestein in den Zentral- alpen, in der Region des ewigen Schnees und in der Nähe der Gletscher, nur selten auch in den den Zentralalpen zunächst liegenden Teilen der Kalk- alpen. Wie bei S. retusa ein östliches und westliches Areal zu unterscheiden sind, so ist es auch hier, nur ist die Lücke viel kleiner, indem sie von den Ötztaler, Ortler und Adamello-Alpen gebildet wird, deren Gletscher- moränen für diese Art ebenso geeignete Standorte darbieten würden, wie die der Zillertaler Alpen und Tauern. Auch die südlichen Berner Urgebirgs- alpen scheinen von 8. biflora noch gemieden zu sein. Es scheint also, daß diese Art während der Eiszeit aus dem zentralsten Teil der Alpen verdrängt wurde und nach der Eiszeit vom Südwesten und von Osten her, wo sie sich erhalten, in die Zentralalpen vorrückte. Hierbei hat sie sich auch in dem ziemlich großen Areal der Nordsavoier, Waadtländer und der Süd- berner Kalkalpen verbreitet und ist im Osten auch auf die Eisenerzer Kalk- alpen übergegangen. Ein sehr bemerkenswertes Vorkommen ist das von Handel-Mazzetti im Contrintal nachgewiesene. Dasselbe dürfte auf neu- zeitliche Verschleppung durch Alpenvögel zurückzuführen sein. Daß aber S. biflora in der Glazialperiode nicht auf den Nordalpen sich ansiedelte und wie die in den Zentralalpen mit ihr häufig zusammenvorkommende S. oppo- sitifolia nach Skandinavien wanderte, hat wohl sicher darin seinen Grund, daß sie doch noch mehr, als die letztere, auf alpines Höhenklima ange- wiesen ist; während wir S. oppositifolia, mehrfach in niedere Regionen der Alpen hinabsteigen sehen, ist dies bei S. biflora nie der Fall. Die Unterart macropetala (Kerner) Engl. et Irmsch. nimmt auch zwei getrennte Areale ein, im Westen in dem Kalkalpengebiet, welches sich vom Waadtland bis in das Berner Oberland erstreckt, im Osten in den Hohen Tauern und Ziller- taler Alpen. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. au 98. Oppositifoliae Engl. et Irmsch. (Taf. VII, Karte 38, 39). Mit Dr. Irmscher bin ich dazu gekommen', S. oppositifolia L. als Typus polymorphus mit 5 Unterarten und einigen Varietäten aufzufassen, deren genetischer Zusammenhang noch gut erkennbar ist. Es sind haupt- sächlich die Blattwimpern, welche gute Unterschiede abgeben. Während bei allen europäischen und amerikanischen sowie den rein arktischen Pflanzen die Blätter an der Spitze einfach bewimpert sind, verbreitern sich bei der ! In einer umfangreichen Abhandlung »Monographische Studien über die Gattung Saxi- fraga I, Sektion Porphyrion« (Denkschr. math. phys. Kl. Kais. Akad. Wiss., Wien LXXVII (1905) 611— 709) hat sich v. Hayek in das Studium der Formen dieser Sektion und ins- besondere der weitverbreiteten S. oppositifolia L. vertieft. Er ist durch Prüfung eines sehr reichen Herbarmaterials und auch lebender Pflanzen.dazu gekommen, an Stelle der S. oppo- sitifolia L. 9 Arten zu unterscheiden, die auch pflanzengeographisch gut begrenzt erscheinen und jedenfalls einen höheren systematischen Wert haben als ıı von Jordan und Fourreau (Icon. fl. Europ. II. 283— 30, tab. CCOXCIV—CCXCVI]) aufgestellte Arten, welche alle zusammen einer einzigen Art v. Hayek’s entsprechen. Wie bei mehreren anderen polymorphen Typen, zeigte sich aber auch hier, daß in der Tat in klimatisch ausgezeichneten oder geographisch abgesonderten Gebieten Formen herrschen, welche durch einzelne Merkmale ausgezeichnet sind, daß aber Übergangsformen von der weitverbreiteten Hauptform zu den abge- zweisten nachzuweisen sind. Mein Mitarbeiter, Herr Dr. Irmscher, dem ich diese Sektion zur Revision überlassen hatte, äußert sich nach eingehender Prüfung des Materials folgendermaßen: »Es zeigte sich, daß die von v. Hayek von S. oppositifolia als »Arten« ab- gezweigten Formen alle pflanzengeographisch ihre Berechtigung haben und so wird man sie in unserer Bearbeitung irgendwie wiederfinden. Leider bestätigte sich anderseits der Eindruck, den man bei der Lektüre genannter Studie haben muß, daß diese »Arten«, wie z. B. S. speciosa, S. latina und S. meridionalis, an ihren angegebenen Merkmalen eindeutig zu erkennen sind — zumal die Existenz von Übergangsformen überall in Abrede gestellt wird —, bei Betrachtung des Materiales nicht. Wir mußten bei dem Studium der uns vorliegenden Herbarien (worunter auch das von v. Hayek durchbestimmte des Herb. Univ. Wien) er- kennen, daß die diagnostischen Angaben in den Tabellen und Beschreibungen des Autors vielfach nicht der Wirklichkeit entsprechen, was er z. T. schon an dem Wiener Material mit Leichtigkeit selbst hätte feststellen können. Einige herausgegriffene spezielle Beispiele mögen das Gesagte illustrieren. Und zwar handelt es sich dabei um die v. Hayekschen Arten: S. oppositifolia, Murithiana, latina, meridionalis, speciosa und asiatica. Nach v. Hayeks Angaben traten bei allen genannten Formen die Hydathoden der Laubblätter in der Einzahl auf, nur S. /atina soll unter anderem durch konstantes Auftreten von 3 Hydathoden scharf geschieden sein. Das Vorkommen von mehr als 3, etwa 5 »Grüb- chen«, wird nirgends erwähnt, ebenfalls nirgends eine Ausnahme von genannter Regel. In Wirklichkeit konnten wir an zahlreichen Proben, die zu den verschiedensten Formen ge- hören, das Auftreten von 1—3—5 Grübchen bemerken, wobei häufig die Blätter mit 3 und 5 Hydathoden in der Mehrzahl waren oder ausschließlich vorkommen. So genügte ein Blick, um an einem von Hayek als S. meridionalis bestimmten und in seiner Arbeit (S. 61) Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 13 98 ENGLER: Form der zentralasiatischen und sibirischen Gebirge die Wimpern zu kleinen Zähnen. Dies ist die Subspezies asiatica (v. Hayek) Engl. et Irmsch. In den Alpen finden sich 3 einander nahestehende Unterarten mit nicht knorpelig berandeten Blättern, nämlich die weitverbreitete, über das Alpengelände nach den anderen mitteleuropäischen Hochgebirgen und auch nach den Polar- zitierten Spannbogen (Baldacci, Durmitor, Sljeme) das häufige Auftreten von 3 und 5 Grübchen zu konstatieren. Weitere Beispiele sind: Montenegro, Durmitor (leg. Pantocsek): r—3 Grübchen. Albanien, Korab (leg. Dimonie): 1—3—5 Grübchen. Ajan = 8. asiatica (leg. Regel): r—3 Grübchen. Wie bei 8. asiatica und S. meridionalis fand sich Ähnliches auch bei 8. oppositifolia, z. B. Rodnaer Alpen, Galatin bei Rodna um 2050 m, sehr reichliches Material (leg. v. Degen): recht häufig 3 Grübchen. ; Siebenbürgen: Bucsees (v. Degen): ı—-3 Grübchen. — Ebenda, Bucsecs, auf dem Omu um 2500 m (v. Degen): 1—3 Grübchen. — Buesees, Omu (Vierhapper): 1—3—5 Grübehen. — Bucsees (Ginsberger): r—3 Grübchen. Moldau, Czahlau (leg. v. Janka): 1—3—5 Grübchen. Ferner auch hier und da bei 8. Murithiana (— Var. proles distans Ser.), so z. B.: Berner Oberland, Gemmipaß (leg. Loesener): sehr häufig, fast überwiegend 3 Grübchen. Dauphine, Lautaret (leg. Graf Solms): 3 Grübchen. Hochinteressante Verhältnisse zeigten auch von Ginsberger in Italien gesammelte prächtige Exemplare, die über die von v. Hayek unter S. speciosa und 8. latina angeführten Formen ein neues Licht werfen. Allerdings sind diese Exemplare, wie ausdrücklich her- vorgehoben sei, 1912, d. h. lange nach dem Erscheinen von Hayek’s Arbeit, gesammelt. Nach des letzteren Darstellung ist 8. /atina u. a. durch drüsige Sepalen und Blätter mit durchgängig 3 Grübchen, S. speciosa dagegen durch drüsenlose Sepalen und 1-grubige Blätter charakterisiert, wobei ihre Verbreitungsgebiete deutlich geschieden sind. Im Gegen- satz dazu fanden wir nun im Gebiet der S. speciosa keinen Standort, wo lediglich typische speciosa vorgekommen wäre. Sowohl von dem Gran Sasso als auch vom Majella fanden sich Exemplare mit 3, ja sogar 5 Grübchen und oft auch drüsigen Sepalen, während auf dem Terminilitto Formen mit ı Grübechen, drüsigen Sepalen und /atina-Blättern oder fast reine latina, keine echte speciosa gesammelt wurde. Also auch hier stürzt das Merkmals- gebäude v. Hayek’s unweigerlich zusammen. Schließlich seien noch einige Bemerkungen über die Kelehblätter angefügt. Diese sollen nach v. Hayek’s Darstellung bei seiner S. oppositifolia nie Drüsen führen. Das gleiche gilt von den Laubblättern. Wir fanden solche jedoch an Sepalen und Laubblättern bei Pflanzen aus Grönland, an den Sepalen bei solchen aus Unalaschka (leg. v. Chamisso) und von den Selkirk Mountains in West-Canada (H. Shaw n. 1025 — Herb. Univ. Wien). Die Konsequenzen, die in systematischer Beziehung aus den Tatsachen zu ziehen sind, zeigen unsere Wertung der Formen, bei welcher den Arten von Hayek’s der Rang von Rassen- varietäten oder Subspezies zugewiesen wird. Wenn wir nicht so zahlreiche und überzeu- gende Zwischenformen gefunden hätten, hätten wir gern manche Form, z. B. 8. speciosa ty- pica, als Art behandelt.« Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 99 ländern gelangte Subsp. euoppositifolia Engl. et Irmsch., die langwimperige, nur in den östlichen Zentralalpen vorkommende Subsp. blepharophylia (v.Hayek) Engl. et Irmsch. und die kleinblättrige, meist auch kleinblütige, mit drüsig gewimperten Kelehblättern versehene Subsp. Rudolphiana (Hornsch.) Engl. et Irmseh., welehe vom Gotthard bis in die Östalpen zerstreut vorkommt; aber nicht in den Karpathen, von wo sie auch angegeben wurde. Endlich hat sich eine durch breit verkehrteiförmige, an der Spitze abgerundete und knorpelig berandete Blätter ausgezeichnete Unterart, Subsp. speciosa (Dörfler et v. Hayek) Engl. et Irmsch. auf den Abruzzen entwickelt. Aber die Unter- art euoppositifolia läßt noch die Unterscheidung einiger mehr durch Über- gänge verbundenen Varietäten zu. In den Westalpen und den westlich und südwestlich davon gelegenen Gebirgen sowie auch in Montenegro haben sich Rassen mit weicheren, nicht starren und abstehenden Blattwimpern entwickelt. Von diesen hat die Var. proles meridionalis Terraeciano in Monte- negro drüsenlose Kelehwimpern, während die von den Walliser Alpen bis zur Sierra Nevada verbreitete Var. proles distans Ser. (= S. Murithiana Tissiere) und die auf die nördlichen Apenninen beschränkte Var. proles latina (v. Hayek) Engl. et Irmsch. drüsentragende Kelchwimpern besitzen. Im nordöstlichen Grönland hat sich Var. Nathorsti Dusen abgezweigt, deren Blätter größer und weichwimperig sind und an den oberen Teilen der blühenden Stengel alternieren. Die Ursippe, von der alle angeführten Unterarten und Varietäten abstammen, bezeichnen wir als var. proles typica Engl. et Irmsch. Den Entwicklungsgang der Unterarten und Varietäten sowie das Zustandekommen des Areals denke ist mir folgendermaßen. Schon vor der Eiszeit entstanden neben der Var. iypica die Subsp. blepharophylla und die Var. distans Ser., von denen typica sich am Beginn der Eiszeit nach den Kar- pathen und sogar nach der bulgarischen Rila Planina, ferner über Deutsch- land nach Großbritannien und Skandinavien verbreitete. Natürlich wurde mit dem Vordringen der skandinavischen Gletscher und je nach der Aus- dehnung der Vergletscherung auf der Nordseite der Alpen und Karpathen das gewonnene Areal wieder eingeschränkt; wenn aber die nordischen Gletscher zurückwichen, rückte jedenfalls die fypica immer nach und besiedelte schließ- lich die Küsten der arktischen Länder, an denen sie heute anzutreffen ist, und drang im wärmsten Teil der vergangenen Eisperiode auch nach noch tiefer im Lande gelegenen Stellen vor, welche gegenwärtig von Eis bedeckt sind. Die Besiedelung entblößten Polygonbodens im arktischen Gebiet durch 13* 100 ENGLER: S. oppositifolia zeigt, wie rasch diese Art, welche oft schon im Juli Samen reift, sich auszubreiten vermag. So ist sie zirkumpolar geworden und ist aus dem arktischen Gebiet auch in das subarktische Gebiet Amerikas und Asiens vorgedrungen, in Nordamerika nach den nordwärts sich erstrecken- den Gebirgen von Vermont, namentlich aber nach den Rocky Mountains, wo sie noch bis 46—48° n. Br. vorkommt. Vom östlichen arktischen Sibirien aus besiedelte sie die Gebirge Ostsibiriens und mutierte hier zu der Subspezies asiatica, welehe dann entlang der Zentralasien in der Richtung von NO nach SW umsäumenden Gebirge (Sajan, Altai, Alatau, Tien-schan) bis zum südwestlichen Tibet an der Grenze des westlichen Himalaya' vordrang. Eine beschränktere Verbreitung behielt die wahrscheinlich erst in verhältnismäßig junger Zeit entstandene Var. Nathorstü, welche im nordöstlichen Grönland nördlich von 73° vorkommt, aber im Areal der typica. Die Subsp. blepha- rophylla, welche während der Eiszeit sich sehr gut am Ostrand der Alpen halten konnte, stieg nach derselben wieder mehr in den Norischen Alpen und Niederen Tauern auf. Die westliche Varietät distans konnte sich während der Eiszeit wie so viele andere Arten am Südfuß der Penni- nischen und in den Südwestalpen erhalten, auch nach der Auvergne und den Pyrenäen, von hier nach der Sierra d’Estrella und der Sierra Nevada gelangen. Die Subspezies Rudolphiana ist wahrscheinlich auch schon vor der Eiszeit von 8. euoppositifolia abgeschieden worden, der sie an Verbreitungs- fähigkeit nachsteht. Wahrscheinlich ist sie nie nach den nördlichen Kalk- alpen gelangt und darum auch nicht nach Norden gewandert. Sehr auf- fallend ist ihr gänzliches Fehlen in den Gletschergebieten der Stubaier, Ötztaler und Ortler-Alpen, welche doch gerade ebensogut wie die Hohen Tauern ihr geeignete Standorte geboten hätten, anderseits wieder ihr Vor- kommen an den von den Zillertaler Bergen ziemlich entfernten Standorten der Schweiz, am Badus und am Handfluh in den Westrhätichen Alpen. Die Besiedelung der Apenninen mit 8. oppositifolia ist jedenfalls auch in der Eiszeit erfolgt, und es scheint die Annahme v. Hayek’s richtig, daß zu- erst in den Abruzzen die von mir und Irmscher als Unterart bezeichnete Pflanze spesiosa entstand, während später in den nördlichen Apenninen und Apuanischen Alpen /atina abgeschieden wurde, welche wir als eine der ! Zu dieser bezüglich S. oppositifolia zuerst von Hayek ausgesprochenen Annahme war ich auch gelangt, als ich die Verbreitung der Art kartographisch festlegte. en Ze u Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 101 Var. distans nahestehende Varietät auffassen. Eine der /atina analoge, aber wohl mehr an Var. iypica als an Var. distans sich anschließende Varietät ist die in Montenegro vorkommende Var. meridionalis, welche auch von in der Eiszeit dorthin gelangter /ypica abstammen muß. Wie wir schon bei einigen alpinen nach Bosnien und Montenegro gelangten Arten gesehen haben, finden wir jetzt keine Fundorte in dem kroatischen Bergland und den Dinarischen Alpen, welche doch während der Eiszeit eine Brücke für die von den Alpen nach Südosten wandernden Arten bilden mußten. Wahr- scheinlich hat S. oppositifolia typica auch dort einmal existiert, ist aber nach den Eiszeiten infolge der heißen Sommer verschwunden. Sektion 14. Tetrameridium Engl. (Taf. VII, Karte 38.) Eine bis jetzt monotypische Sektion mit der von Przewalski in Kansu entdeckten 5. nana Engl. Wahrscheinlich entstammt dieser Typus sowie die Sektion Porphyrion einer älteren Abzweigung von der Sektion Kabschia, die sich vom Mittelmeergebiet bis nach dem östlichen Zentralasien hin reich entwickelt hatte. Sektion 15. Diptera Borkh. (Taf. VIII, Karte 40). Diese Sektion hat mit den übrigen morphologisch wenig zu schaffen und könnte auch den Rang einer Untergattung beanspruchen. Sie ist als ein spezifisch ostasiatisches Element hinsichtlich ihrer geographischen Ver- breitung von Interesse. Die Prüfung des bekanntgewordenen Materials ergibt neun Arten, welche von Yünnan bis zu den südlichen Kurilen und den Inseln im Nordosten von Yezo verbreitet sind. Wo der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Sektion zu suchen ist, kann nicht gesagt werden: denn wir finden sowohl Endemismus im westlichen Teil des zentralen China, wie in Japan, während die allbekannte S. sarmentosa L. fil. von Sz-tschwan bis nach dem nördlichen Nippon wild vorkommt und außerdem als leicht ver- wildernde Kulturpflanze auch noch weiter verbreitet ist, besonders in der Nähe der in Wäldern gelegenen Tempel; ob sie im nördlichen Formosa bei Tamsui wild ist, muß dahingestellt bleiben. Die ihr nächst verwandte, auch mit Stolonen versehene Art 8. cuscutiformis Lodd. liegt uns von keiner Stelle als wildwachsende Pilanze vor: wäre sie in Japan wild, so wäre sie den 102 En6teEr: dortigen Botanikern nicht entgangen und es ist daher wahrscheinlich, daß sie im südlichen China heimisch ist. Von den übrigen Arten stehen einige ziemlich isoliert, so namentlich S. mengtzeana Engl. et Irmsch. im südlichen Yünnan, S. nipponica Makino im nördlichen Nippon und 8. sendaica Maxim., auch im nördlichen Nippon. Dagegen sind die noch übrigen vier Arten, ohne Ausläufer und mit mehr oder weniger nierenförmigen, aber tief ge- lappten Blättern, untereinander ziemlich nahe verwandt: die verbreitetste ist die an geeigneten Stellen (schattigen Felsen) in ganz Japan vorkommende, die südlichen Kurilen und die Inseln Rishiri und Repunshiri erreichende S. cortusifolia Sieb. et Zuee., mit der man zwei andere Arten zu Unrecht ver- bunden hat, nämlich die von Maximowiez zuerst im südlichen Japan aufgefundene, dann auch weiter nördlich bis etwa zum 38. Grad n. Br. nachgewiesene 5. madida (Maxim.) Makino und die in Yünnan und Sz-tschwan vorkommende 8. sinensis Engl. et Irmsch., mit welcher auch S. flabellifolia Franch. aus Sz’tschwan ziemlich nahe verwandt ist. An Ss. cortusifolia Sieb. et Zuce. schließt sich als Varietät 8. Fortunei Hook. f. an, deren Heimat noch immer verschleiert ist. Als Hooker fil-die von Fortune eingeführte Pflanze beschrieb und abbilden ließ, konnte er nur angeben, daß sie wahrscheinlich aus China oder Japan eingeführt sei, Franchet hat später im Bulletin der Soeiete bot. de France XXXI (1885) angegeben, daß er diese Pflanze in einigen Exemplaren unter dem von Abbe David bei Mupin gesammelten Material vorgefunden habe; aber das im Herbar Kew aufbewalırte, von Franchet selbst als S. cortusifolia Var. Fortunei bezeichnete Exemplar ist sicher S. sinensis Engl. et Irmsch. Ob andere Exemplare (der 8. Fortunei und damit der 8. cortusifolia Sieb. et Zuec. mehr entsprechen, kann ich jetzt nicht entscheiden, halte es aber für unwahrscheinlich. da alle Pflanzen, welche der 8. cortusifolia ähnlich sind und von mir geprüft werden konnten, sich nunmehr als S. sinensis erweisen: ich finde die 8. cortusifolia auf die Länder in der Umgebung des Japanischen Meeres beschränkt. Franchet gibt nun auch an, daß er von M. Diekins Exemplare erhalten habe, welche dieser auf der Insel Hachijo, etwa 200 Kilometer südlich der Bucht von Tokyo gesammelt hatte. Ohne diese Exemplare gesehen zu haben, kann ich nicht entscheiden, ob dies richtige Fortunei ist, denn zerschlitzte große Blumen- blätter, welche bei dieser Pflanze besonders auffallen, kommen auch der S. madida Var. incisa Takeda zu. pi? O0 2 De a0 2 I Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. _ 103 6. Anteil der Saxifragen an der Charakteristik der einzelnen Floren- reiche und Florengebiete. Während zunächst («ie Gattungen auf Grund ihrer physiologischen öigenschaften für einzelne Florenreiche charakteristisch sind, haben die Unter- gattungen oder Sektionen, manchmal auch Artengruppen, eine Bedeutung für die Abgrenzung der Gebiete und Provinzen, die Areale der Arten jedoch geben oft Anhaltspunkte ab für die Begrenzung der Unterprovinzen und Bezirke. Doch ist hierbei immer festzuhalten, daß die Grenzen pflanzen- geographischer Gebiete niemals ganz scharfe sind, daß von den eigentüm- lichen Arten einer solehen die eine Art hier, die andere da sich über die konstruierten Grenzen hinaus erstreckt oder von denselben zurückbleibt, je nachdem eine Art an bestimmte klimatische Verhältnisse gebunden ist, von denen die der höheren Breiten mit verhältnismäßig geringen Ab- weichungen in den Hochgebirgsregionen erheblich niederer Breitengrade sich wiederfinden. Die ganze Gattung Saxwifraga gehört im wesentlichen dem borealen Florenreich und der «demselben teilweise entsprechenden alpinen Region der zentral- und südamerikanischen Florenreiche an, daher haben sie vorzugsweise bei den durch Hochgebirge ausgezeichneten Gebieten eine Bedeutung für die Einteilung derselben. 1. Boreales Florenreich. A. Arktisches Gebiet. Die im arktischen Gebiet vertretenen Arten finden sich mit wenigen Ausnahmen auch in den Gebirgsländern des subarktischen, desmitteleuropäischen und des zentralasiatischen Gebietes. Nur die Beringsmeerländer (Tschuktschenland östlich von Kolyma bis zum nord- westlichen baumlosen Alaska nebst den Aleuten) enthalten allein unter allen arktischen Ländern einige endemische oder nur wenig nach Nachbargebieten sich erstreckende Arten: S. spicata Don, S. Eschscholtzii Sternb., 8. rivularis L. var. Laurentiana (Ser.) Engl., S. sileni- ‚Flora Sternb. -—1, < y S. bronchialis L. var. cherlerioides (Don) Engl., endlich die ostwärts bis Grönland weit verbreitete S. trieuspidata Retz > y. B. Subarktisches Gebiet. A. Provinz subarktisches Europa. Im subarktischen Europa sind die Unterprovinzen a) Island, b) die Faeröer, wahrscheinlich auch c) das nördliche Schottland vor d) dem sub- arktischen Skandinavien durch das Vorkommen der S. hypnoides L. Subsp. boreali-atlantica ! Die den Namen beigefügten Zeichen deuten an, daß die Art über die Grenzen des Ge- bietes hinaus nach Westen <-, nach Osten —, nach Süden y oder nach Norden A verbreitet ist. 104 EN6LER: Engl. et Irmsch. unterschieden. Das subarktische Skandinavien umfaßt das Gebiet nördlich der Eichengrenze. e) Das westliche Nordrußland enthält keine bemerkenswerte Art. Sowohl im arktischen wie im subarktischen Asien finden einige Arten, welche in Sibirien herrschen, wie z. B. Pinus cembra, Abies sibirica und Picea excelsa var. obovata ihre Westgrenze nicht im Ural, sondern westlich desselben. Unter den Arten unserer Gattung verhält sich so S. punctata L., welehe noch bei Wologda vorkommt. Diesen Teil des subarktischen Europa einschließlich des Ural bezeichne ich als ostrussische Waldzone. Im Ural selbst findet die im subarktischen Asien und Westkanada verbreitete S. bronchlalis L. ihre Westgrenze. B. Provinz Subarktisches Asien oder Sibirien. a) In der Unterprovinz des subarktischen Westsibirien ist der Altai noch besonders ausgezeichnet durch das Vorkommen der S. moschata Wulf. var. zerektensis (Bunge) Engl. — b) In der Unterprovinz des subarktischen Ostsibirien scheinen einzelne Bezirke durch das Auftreten eigentümlicher Varietäten der $. bronchialis L. charakterisiert zu sein; denn es sind bis jetzt beschränkt Var. multiflora (Ledeb.) Engl. auf Baikalien mit Dahurien, Var. cherlerioides (Don) Engl. f. pseudoburseriana (Fisch.) Fr. Schmidt auf Nordostsibirien mit Kamtschatka. Zu diesem Bezirk rechne ich auch das Gebiet von Ajan, das südliche Kamtschatka und das nördliche und mittlere Sachalin zu, während sich der südliche Teil dieser Insel mit dem Amurland dem Gebiet des temperierten Östasiens anschließt. In dem genannten Bezirk finden sich einige eigentümliche Arten: y S. nudicaulis Don, S. Sieversiana Sternb., A S. davurica Willd., S. Tilingiana Regel et Tiling, A y 8. Merkii Fisch., S. lactea Turez., y S. sachalinensis Fr. Schmidt. Von diesen Arten nimmt nur 8. Merkii ein größeres Areal ein und geht auch auf das Hochgebirge des mittleren Japans über. C. Provinz des subarktischen Amerika. Die Flora des subarktischen Amerika setzt sich fort nach den Gebirgen des pazifischen Nordamerika und vermischt sich mit dem Florenelement des letzteren (siehe weiter unten). In Kanada haben wir nur weiter ver- breitete subarktische Arten. C. Mitteleuropäisches Gebiet. A. Atlantische Provinz. In dieser ist nur die schon vorher erwähnte sich bis Island erstreckende S. Aypnoides L. Subsp. boreali-atlantica Engl. et Irmsch. als eigentümlich zu nennen. Die Varietäten der S. caespitosa L. Subsp. decipiens (Ehrh.) Engl. et Irmsch. hat die atlantische Provinz mit der der europäischen Mittelgebirge gemein. Wahrscheinlich junge Endemismen sind in a) Island: S. geum L. Var. elegans (Mackay) Don, in b) Schottland und England: €. Mittel- baltische Provinz (Südskandinavische Eichenzone mit den Alandinseln, dem südlichen Finn- land, Estland, Livland, dem nördlichen Ost- und Westpreußen bis zur Buchengrenze, Öland und Gotland). — D. Sarmatische Provinz. S. geum L. Var. apiculato-crenata Engl: et Irnmsch. — B. Subatlantische Provinz. Ohne jeglichen Endemismus von Sarifraga. E. Provinz der europäischen Mittelgebirge. Unterprovinzen: a) Zentralfranzösisches Bergland. In diesem sind die von der Eiszeit nur wenig beeinflußten Sevennen durch zwei Relikt-Endemismen ausgezeichnet: S. Prostii Sternb. und 8. Prostiana (Ser.) Luizet. In der Auvergne aber findet sich neben dem im Norden verbreiteten Glazial-Relikt S. Aieracifolia die endemische S. moschata Wulf. var. Lamottei (Luiz.) Engl. et Irmsch. — b) Rheinland. In diesem kommt die bis nach England verbreitete S. caespitosa L. Subsp. deeipiens (Ehrh.) Engl. et Irmsch. var. guinguefida (Haw.) Engl. vor. — c) Mainland, d) Jurassisches Bergland, e) Hercy- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 105 nisches Bergland, f) Böhmisch-mährisches Bergland und auch ein Teil von g) Sudeten be- herbergen andere Varietäten der S. caespitosa L. Subsp. decipiens (Ehrh.) Engl. et Irmsch., jedoch ohne scharfe geographische Sonderung. F. Pontische Provinz. — Öhne jeglichen Endemismus von Sazifraga, doch ist ihre danubische Unterprovinz vor den nördlicheren Tieflandprovinzen durch das reichliche Vor- kommen der 8. bulbifera 1. ausgezeichnet. G. Provinz der Pyrenäen. — In ihr zeigen die Sektionen Daciyloides und Robertsonia eine starke Entwicklung, erstere auch einen reichen Endemismus, während letztere von hier aus nach Nordwesten und Osten Formen ausgehen ließ. Ziemlich in den ganzen Pyrenäen zerstreut findet sich S. Olusi? Gouan, welche aber auch nach den Sevennen und dem nord- atlantischen Iberien (Galicien) hinüberreicht. Der Reichtum der Arten und Endemismen nimmt ab von Osten nach Westen. — Unterprovinzen: a) Die Ostpyrenäen sind vor den Zentralpyrenäen ausgezeichnet durch einige Arten, welche sie allein mit den Alpen gemein haben, wie S. sedoides L. und S. retusa Gouan, ferner durch die endemische S$. geranioides L. Subsp. corbariensis (Timbal-Lagrave) Rouy et Camus. Mit den Zentralpyrenäen gemein haben sie: 8. ajugifolia Lap., 8. aquatica Lap., 8. pentadactylis Lap., S. intricata Lap. und die Var. nevadensis (Lap.) Engl. et Irmseh., 8. pubescens Pourr. Subsp. Pourretiana Engl. et Irmsch. und Subsp. Zratiana (F. Schultz) Engl. et Irmsch., S. exarata Vill. Var. pyrenaica Engl., y S. longifolia Lap., welche auch in das östliche Iberien vorgedrungen ist und S. media Gouan. — b) Die Zentralpyrenäen haben vor den Ostpyrenäen voraus: <- S. aretioides Lap., doch erstreckt sich deren Areal auch weiter westlich nach den Niederen Pyrenäen (Basses-Pyrentes) und dem asturisch-cantabrischen Gebirge. — €) Die Niederen Pyrenäen (Basses-Pyrenes) besitzen als Endemismus S. Hariotii Luiz. et Soulie und S. Zrifurcata Schrad. Var. navarrensis Engl. et Irmsch. — d) Das asturisch-cantabrische Gebirge besitzt als Endemismen: S. canaliculata Boiss. et Reut., S. conifera Coss. et Durieu und S. irifurcata Selrad. Var. Zypica Engl. et Irmsch. Mit den benachbarten Basses-Pyrenees hat es gemein 8. cuneata Willd. >, welche auch in das zentrale Iberien vorgedrungen ist. Nur mit dem benachbarten nordatlantischen Iberien teilt es sich in das Areal von y S. Olusi? Gouan Var. propaginea Pourr. H. Provinz der Alpenländer. Wir übergehen die zahlreichen Arten, welche‘ die Alpenländer mit den Pyrenäen und Karpathen, den Apenninen, den westpontischen Gebirgs- ländern und auch den arktischen Ländern gemein haben. — Im größten Teil der Alpen- länder verbreitet und auf diese beschränkt (jedoch in den Südwestalpen fehlend) ist S. mutata L. Var. genuina, während die Var. demissa (Schott et Kotschy) Engl. dem Burzenländer Gebirge der Ostkarpathen eigentümlich ist. Auch S. aphylla Sternb. findet sich in den Zentral-, Nord- und Südalpen, fehlt aber in den Südwestalpen. Es gibt dagegen einige Arten, welche auf einzelne Unterprovinzen der Alpenländer beschränkt sind oder nur hier und da aus einer Unterprovinz in eine andere übergreifen, und endlich einige, welche in einzelnen Be- zirken endemisch sind. a) Alpenvorland, b) Nördliche Kalkalpen, c) Juraalpen und Drömealpen, g) Östliches Alpenvorland und h) Südliches Alpenvorland besitzen keine endemischen Arten von Sawyraga, doch ist S. aizoon Jaeg. Subsp. euaisoon Var. hirtifolia (Freyn) Hayek bis jetzt nur in den Eisenerzer Kalkalpen gefunden worden. d) Zentralalpen. Nur in diesen findet sich S. biflora L. Subsp. macropetala (Kerner) Engl. et Irmsch. und S. oppositifolia 1. Subsp. Rudolphiana (Hornsch.). Nur auf den östlichsten Teil der Zentralalpen beschränkt ist S. oppositifolia L. Subsp. blepharophy!la (Kern.) Engl. et Irmsch. Den oststeirischen Alpen gehört auch S. Host Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 14 106 EN&LER: Tausch Var. proles altissima (Kerner) Engl. et Irmsch. an; sie reicht aber auch in die be- nachbarten Bezirke Norische Alpen, östliche Voralpen und die den Nordalpen zugehörigen Eisenerzer Alpen hinein. Nur in den Niederen Tauern wurde bis jetzt nachgewiesen 8. aözoon Jacg. Var. Zypica Engl. et Irmsch. Subvar. eiliifolia Engl. et Irmsch. Eine ausgezeichnete, von den Mittelschweizer bis zu den Grajischen Alpen vorkommende, also für die westlichen Zentralalpen endemische Pflanze ist S. erarata Vill.-Var, leucantha (Thomas) Gaud. Aus den Zentralalpen tritt in den westlichen Teil der nördlichen Kalkalpen und in die Südwestalpen S. muscoides All. ein. Ähnlich verhält sich S. Segwierii Spreng., doch ist sie außerdem auch in den Südalpen stark verbreitet. Von den Zentralalpen geht in die Südwestalpen ebenfalls hinüber 8. biflora L. Subsp. eubiflora Engl. et Irmseh., nur an einer Stelle (Marmolata in den südöstlichen Dolomiten) tritt sie auch in die Südalpen ein. e) Südwestalpen. Verhältnismäßig reich an endemischen Saxifragen. Verbreitet in denselben sind: $. pedemontana All. Subsp. eupedemontana Briqu. und S. diapensioides Bell.; sie dringen aber auch noch in die Walliser Alpen vor. Von den einzelnen Bezirken der Südwestalpen besitzen an endemischen Relikten die Grajischen und die Cottischen Alpen zusammen: S. valdensis De Cand., die Seealpen: S. florulenta Moretti. Letztere haben ferner gemein mit den nördlichen Apenninen: $. lingulata Bell. var. Bellardii Sternb. Subvar. eu-Bellardii Engl. et Irmsch. > und S. cuneifolia L. var. capillipes Reichb. —, mit dem ligurischen Apennin: S. cochleasis Reichb. —, mit der Provenca- lischen Unterprovinz der ligurisch-tyrrhenischen Provinz des Mittelmeergebietes < S. lingulata Bell. var. Bellardii Sternb. Subvar. lantoscana (Boiss. et Reut.) Rouy et Camus. f) Südalpen. Eine Art, welche nur den Südalpen eigentümlich und zugleich über die ganze Unterprovinz ver- breitet wäre, gibt es nicht; doch ist mit Auslassung der unten erwähnten Bezirke 2 und 5 S. petraea L. von ı bis 10 verbreitet, und S. sedoides L. Var. Hohenwarti (Sternb.) Engl. findet sich in den Bezirken 2, 4, 7, 8, 9. Ferner gibt es Arten, welche einzelne Bezirke charak- terisieren oder auch einigen gemeinsam sind. Die Bezirke ı. Insubrischer A., 2. Berga- masker A., 3. Judikarien haben gemeinsam A S. Vandellii Sternb., welche sich auch noch am Südhang der Ortler Zentralalpen findet. — Ähnlich verhält sich S. Hostii Tausch Var. proles rhaetica (Kerner) Engl., welche von den Bergamasker Alpen und Judikarien aus die Ab- hänge des Ortler oberhalb Trafoi erreicht hat. Der Bezirk 2 Bergamasker Alpen besitzt als Endemismus S. presolanensis Engl. Der Bezirk 3 Judikarien enthält die Endemismen S. arachnoidea Sternb. und 8. tombeanensis Boiss.; letztere geht auch noch hinüber in den Bezirk 4 des Nonsberg und der Bocca di Brenta. Die Bezirke 5 Mittelgebirge des Etischtals in Südtirol und 6 Trientinisch-Veroneser Alpen beherbergen keine eigentümliche Art; aber nur im Bezirk 6 wurde bis jetzt gesammelt S. aiz0on Jaeg. Subsp. euaizoon Var. minutifolia Engl. et Irmsch., doch wächst sie vielleicht auch sonst noch in den Südalpen. Dagegen kommen nur im Bezirk 7 der Südtiroler Dolomiten S. Facchiniı Koch und S. depressa Sternb. vor. In den Bezirken 8 der Karnisch-venetianischen A, und 9 Südöstliehe Dolomiten und Kalkalpen haben wir als gemeinsamen Endemismus AS. tenella Wulf., die auch in dem benachbarten zentralalpinen Bezirk der Norischen Alpen vereinzelt angetroffen wird. Nur vom Bezirk 10 Karst und Karniolisch-illyrisches Übergangsgebiet kennen wir 8. tridactylites L. Subsp. eutridactylites Engl. et Irmsch. Var. submeridionalis Engl. et Irmsch. Von 10 bis 6 finden wir 8. Host Tausch Var. proles eu-Hostit Engl. etIrmsch. DieBezirke 8Karnisch-venetianischeA. einschl. Dobratsch und Gailtaler A., 9 Südöstliche Dolomiten und Kalkalpen, ı0o Karst und Karniolisch-illyrisches Übergangsgebiet haben mit 6 und 7 gemeinsam $. erustata Vest, welche aber auch noch im illyrischen Gebirgssystem wieder erscheint. Von 9 bis 6 verbreitet und auch noch in 3 auf- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 107 tretend ist 8. squarrosa Sieb. Ebenso ist von 9 bis 3 mit Auslassung von 5 A 8. Burseriana L. verbreitet; sie findet sich aber vereinzelt auf Kalk auch in den Zentralalpen (Radstädter Tauern) und im östlichen Teil der nördlichen Kalkalpen, ist also nicht ausschließlich südalpin. J. Provinz der Apenninen. — Sehr sclıwacher Endemismus, und zwar im Verhältnis zu den Südalpen sehr wenig ältere Relikten, wohl mehr jüngere Neubildungen. — Unter- provinzen: a) Nördlicher Apennin und Apuanische Alpen: S. oppositifolia L. Subsp. euoppo- sitifolia Engl. et Irmsch. Var. proles /atina (v. Hayek) Engl. et Irmsch. — b) Mittlerer Apennin mit den Abruzzen: S. iridens Jan, S. moschata Wulf. Subsp. ampullacea (Ten.) Engl. et Irmsch., S. oppositifolia L. Subsp. speciosa (v. Hayek) Engl. et Irmsch. Aus dem Mediterrangebiet dringen in diese Unterprovinz vor: S. lingulata Bell. Var. australis (Moricand) Engl. und S. poro- phylla Bert. Var. euporophylla Engl. et Irmsch. K. Provinz der Karpathen. — Für den größten Teil der Provinz ist charakteristisch S. carpathica Reichh. — Unterprovinzen: a) Westkarpathen. Hier tritt als Relikt-Endemismus S. perdurans Kit. auf. — b) Ostkarpathen: S. aiz00n Jacq. Subsp. euaizoon Var. laeta (Schott, Nyman et Kotschy) Engl. et Irmsch., Var. lineariifolia Engl. et lvmsch. (Siebenbürgisches Erz- gebirge), Var. cultrata (Schott, Nyman et Kotschy) Engl. et Irmsch., 8. mutata L. var. demissa (Schott et Kotschy) Engl. und S. corymbosa Boiss. Var. luteo-viridis (Schott et Kotschy) Engl. et Irmsch. Die anderen Arten, durch welche die Ostkarpathen vor den Westkarpathen und Alpen ausgezeichnet sind, finden sich auch in den illyrischen (S. marginata Sternb. Var. Rocheliana |Sternb.] Engl. et Irmsch.) oder in den moesischen Gebirgen (S. rotundifolia 1. Subsp. heucherifolia Engl. et Irmsch. Var. euheucherifoka Engl. et Irmsch. und S. pedemontana All. Subsp. eymosa [Waldst. et Kit.] Engl.) Die beiden letztgenannten Pflanzen wachsen übrigens auch noch im Mittelmeergebiet in der skardo-pindischen Provinz. L. Provinz der westpontischen Gebirgsländer. — a) Pannonische Unterprovinz: ohne Endemismus. — b) Illyrische Unterprovinz: Sie zeigt ähnlich wie die Apenninen ende- mische Neubildungen: S. tridactylites L. Subsp. eutridactylites Engl. et Irmsch. Var. serbica Engl. et Irmsch., S: tridactylites L. Subsp. Blavii Engl. et Irmseh., welche auch in die skardo- pindische Unterprovinz hinübergeht, ferner 8. sedoides L. Var. prenja (Beck) Engl. et Irmsch., S. glabella Bertol. Var. adenophylla Freyn, S. erarata Vill. Var. tenwinervia Engl. et Irmsch., S. aizoon Jaeg., Subsp. ewaizoon Engl. et Irmsch. Var. Malyi (Schott, Nyman et Kotschy) Engl. et Irmsch. — c) Moesische Unterprovinz: Relikt-Endemismen sind S. Stribrnyi Velen. und S. Ferdinandi Coburgi Kellerer et Sündermann. Ferner ist der Balkan durch das Auf- treten einiger in der mittleren Mediterranprovinz und dem Kaukasus verbreiteterer Arten aus- gezeichnet, z. T. mit eigenen Varietäten, wie S. juniperina Adam Var. pseudosancta (Janka) Engl. et Irmsch. und Var. macedonica (v. Degen) Engl. et Irmselı. M. Provinz des Jailagebirges. — Hier ist S. irrigua M. Bieb. endemisch. N. Provinz des Kaukasus. — Charakteristisch für das ganze Gebiet desselben ist S. cymbalaria L. Var. eucymbalaria Engl. et Irmseh., doch ist dieselbe auch in den der mitt- leren Mediterranprovinz angehörigen kolchischen und südeuxinischen Unterprovinzen sowie im Gouvernement Jelisawetopol der Armenisch-iranischen Provinz anzutreffen. Ferner sind in demselben endemisch: im ganzen Kaukasus: S. aizoon Jacy. Subsp. eucartilaginea (Willd.) Engl. et Irmsch., im West- und Ost-Kaukasus: S. /aevis M. Bieb. — a) im Westlichen Kaukasus: S. erarata Vill. Var. Kusnezowii Engl. et Irmsch., S. caucasica Somm. et Levier, S. colchica Albow, S. seleropoda Somm. et Levier, S. carinata Öttingen, S. columnaris Schmalh., S. Dinnikii Schmalh. — c) im Östlichen Kaukasus: S. suöverticillata Boiss., S. juniperina Adam 14* 108 EnGtLERr: Var. brachyphylla Boiss. — d) im Alburs: S. iranica Bornmüller. — b) Der Kleine Kaukasus besitzt keine ihm ausschließlich zukommende Sazifraga.. — Zu bemerken ist noch, daß S. juniperifolia Adam, die auch für den ganzen Kaukasus charakteristisch ist, über denselben hinaus nach dem Balkan gelangt ist. D. Mekaronesisches Übergangsgebiet. Die Provinz Madeira enthält zwei endemische Arten, welche der in den Pyrenäen und in der iberischen Mediterranprovinz vertretenen Gruppe Ceratophyllae zugehören: S. maderensis Don und S. portosanctana Boiss. E. Mediterrangebiet. Der ganzen Provinz gehört an: S. granulata A. Südwestliche Mediterranprovinz. L. Subsp. eugranulata Var. proles glaucescens (Reut.) Engl., doch ist sie auch noch weiter verbreitet, bis in das östliche und westatlantische Iberien. Ferner gehört der ganzen Provinz S. globulifera. Desf. an, deren Varietäten aber zum Teil auf eine der beiden Unterprovinzen beschränkt sind. — a) Südatlantisches Iberien. Reicher Reliktendemismus: S. Haenseleri Boiss. et Reut., S. gemmulosa Boiss., S. Bourgaeana Boiss. et Reut., S. Boissieri Engl., S. biter- nata Boiss., S. Camposii Boiss. und Var. leptophylla Willk., S. Reuteriana Boiss., 8. Rigoi Freyn. Dazu kommen folgende jüngere Endemismen: S. granulata L. Subsp. eugranulata Engl. et Irmsch. Var. gracilis Engl., 8. globulifera Desf. Var. granatensis (Boiss. et Reut.) Engl. et Irmsch., Var. gibraltarica Ser. (auch nach Algerien hinüberreichend), Var. erioblasta (Boiss. et Reut.) Engl. et Irmsch., $. pubescens Pourr. Subsp. nevadensis (Boiss.) Engl. et Irmsch. Nach einigen benachbarten Provinzen strahlen aus die Areale von S. dichotoma Willd. und S. carpetana Boiss. et Reut. — b) Nördliches Marokko einschließlich des Großen Atlas: S. dem- natensis Coss., S. Maweana Bak. B. Iberische Provinz. Ziemlich reich an Endemismen. — a) Subpyrenäisches Iberien: S. Vayredana Luiz. und S. lingulata Bell. Var. catalaunica (Boiss. et Reut.) Engl. — b) Zentrales Iberien: S. hypnoides L. Subsp. continentalis Engl. et Irmsch. Var. cantabrica (Boiss. et Reut.) Engl., auch nach dem westatlantischen Iberien hinübergehend. — C) Östliches Iberien: S. Ia- tepetiolata Willk., 8. granulata L. Subsp. rugranulata Engl. et Irmsch. Var. Rouyana (Magnier) Engl. et Irmsch., S. Cossoniana Boiss. et Reut., S. valentina Willk. — d) Balearen: Kein Endemismus, merkwürdig äußerste Armut an Saxifragen. — e) Westatlantisches Iberien: S. granulata L.Subsp. Hochstetteri Engl. et Irmsch. —f)NordatlantischesIberien: Kein Endemismus. C. Ligurisch-tyrrhenische Provinz. Viel ärmer an Endemismen als die iberische Provinz. — a) Provenzalische, b) ligurische, c) nordtyrrhenische Unterprovinz ohne Ende- mismen. — d) Südtyrrhenische Unterprovinz mit Neapel und Kalabrien: S. aizoon Jacg. Subsp. euaizoon Engl. et Irmsch. Var. stabiana (Ten.) Engl. et Irmsch. — e) Korsika: S. rotundifolia L. Subsp. eurotundifolia Var. insularis Brig.; sowohl in Korsika wie auch in f) Sardinien: S. granulata L. Subsp. Russii (Presl) Engl. et Irmsch., 8. pademontana L. Subsp. cervicornis (Viv.) Engl., doch einige Varietäten nur in Korsika. — 9) Sizilien: Kein Endemismus. D. Mittlere Mediterranprovinz. — a) Adriatische Unterprovinz (zwischen Südalpen, Apen- nin, Dinarischen Alpen und illyrischen Gebirgen): S.porophylla Bertol. var. montenegrina (Halaczy et Bald.) Engl. et Irmsch. (im mediterranen Montenegro). — b) Skardo-pindische Unter- provinz: Völlig endemisch sind nur: S. Grisebachli v. Deg. et Dörfl., S. marginata Sternb. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 109 Var. karadziensis (v. Degen et Kosanin) Engl. et Irmsch. — Diese Unterprovinz erweist sich besonders als Mittelglied zwischen der illyrischen und moesischen Provinz der west- pontischen Gebirgsländer und der hellenischen Unterprovinz; namentlich der Skardus oder Schar-Dagh ist ausgezeichnet durch das Vorkommen folgender charakteristischer Arten und Varietäten: S. rotundifolia L. Subsp. heucherifolia Engl. et Irmsch. Var. euheucherifolia Eng]. et Irmsch. hier und durch die westpontischen Gebirge bis in die Ostkarpathen, S. rotundi- Jolia Subsp. heucherifolia Var. geoides Griseb. hier, in den westpontischen Gebirgsländern und - in der südeuxinischen Provinz, S. taygetea Boiss. et Heldr. hier und in der hellenischen Unterprovinz vom Norden bis Süden, S. chrysosplenifolia Boiss. Var. rhodopea Velen. hier und im mittelgriechischen Bezirk sowie in der ägäisch-mazedonischen Provinz. S. scar- dica Griseb. hier und im mittelgriechischen Bezirk der hellenischen Unterprovinz, S. aizoon Jacg. Subsp. ewaizoon Engl. et Irmsch. var. orientalis Engl. hier, in den westpontischen Ge- birgsländern, in der hellenischen und der südeuxinischen Unterprovinz. Zwar nicht zum Schar-Dagh, aber doch weit in die skardo-pindische Unterprovinz hinein reicht aus der hellenischen S. tridactylites L. Subsp. parnassica (Boiss. et Heldr.) Engl. et Irmsch. S. granu- lata L. Subsp. graeca (Boiss. et Heldr.) Engl. et Irmsch. erstreckt sich aber von der helleni- schen Unterprovinz durch die skardo-pindische bis Moesien und in die ägäisch-mazedonische Provinz; ähnlich $. exarata Vill. Var. Heldreichii Engl. et Irmsch. bis Moesien. Für S. Spruneri Boiss. vermittelt den Übergang zwischen der moesischen Unterprovinz der west- pontischen Gebirgsländer zum mittelgriechischen Bezirk der hellenischen Unterprovinz der thessalische Olymp. — c) Hellenische Unterprovinz: Während mehrere Arten ihre Areale bis in die skardo-pindische Provinz erstrecken, ist völlig endemisch $. Sibthorpii Boiss. Auch S. chrysoplenifolia Boiss. Var. fragilis Sieb. ist sehr charakteristisch für diese Unterprovinz, kommt aber auch in d) der Kandischen Unterprovinz (Kreta) vor. — e) Ägäisch-mazedonische Unterprovinz. Hier ist charakteristisch S. saneta Griseb., doch kommt dieselbe auch in der westlichen kleinasiatischen Unterprovinz auf dem Pogluscha-Dagh am Ida vor. Endemisch ist ferner S. sibirica L. Var. Dingleri Engl. et Irmsch. — f) Unterprovinz der mediterranen Krim: Ohne jeglichen Endemismus. — 9) Kolchische Unterprovinz: Ohne Endemismus. — h) Südeuxinische Unterprovinz: Hier ist besonders häufig S. exarata Vill. Var. adenophora (C. Koch) Engl. et Irmsch., doch kommt dieselbe auch in der illyrischen Unterprovinz (Montenegro) und in der armenisch-iranischen Provinz vor. — i) Westliche kleinasiatische Provinz: Kein Endemismus. — k) Taurisch-zyprische Unterprovinz: S. Kotschyi Boiss., zu- gleich auch in der südeuxinischen U. — I) Syrische Unterprovinz: S. hederacea L. Var. sco- tophila (Boiss.) Engl. et Irmsch., findet sich aber auch noch in der Armenisch-iranischen Provinz. E. Armenisch-iranische Provinz. Sehr arm an Saxifragen. Kein Endemismus. F. Südliche Mediterranprovinz (Algier bis Ägypten). Endemismus nur in Algier: S. cymbalaria L. Var. baborensis (Batt.) Engl. et Irmsch., S. Trabutiana Engl. et Irmsch., S. glo- bulifera Desf. Var. Fontanesiana Engl. et Irmsch. (auch in Marokko), Var. oranensis (Munby) Engl. und Var. spathulata (Desf.) Batt. et Trabut. F. Zentralasiatisches Gebiet. Dies Gebiet geht nach W. allmählich in die armenisch-iranische Provinz des Mittel- meergebietes über; im S. reicht es bis zur temperierten Waldregion auf der Südseite des Himalaja, welche mit ihren Tannen und Fichten einen schmalen Streifen bildet, der sich 110 ENGLER: ebenso wie die entsprechende Höhenstufe von Yünnan und Sz-tschwan an das Gebiet des temperierten Östasiens anschließt. Im N. grenzt es an den Altai und die ostsibirischen Gebirge, welche dem subarktischen Gebiet angehören, während die von Steppen eingenommene Südseite dem zentralasiatischen Gebiet zuzurechnen ist. — Das zentralasiatische Gebiet ist ausgezeichnet durch das reichliche Auftreten von Arten der Sektion Hirculus in der alpinen und subalpinen Region der die inneren Steppen umschließenden Hochgebirge, welche auf S. 33—45 und den Karten 3—7 (Taf. I—III) behandelt sind, sowie der zur Sektion Boraphila gehörigen Gruppe Melanocentrae (S. 33 und Karte 2 auf Taf. I). Von den Provinzen des - Gebietes scheiden A. Turanische oder aralo-kaspische Provinz (einschl. des west. Turkestan), C.. Provinz des Han-hai mit der Gobi für Saxifraga aus. Über den Endemismus der übrigen ist nach unserer jetzigen Kenntnis kurz folgendes zu bemerken: B. Provinz des turkestanischen Gebirgslandes mit Alatau und Tiön-schan. — Endemisch nur: S. parnassioides Regel et Schmalhausen. D. Provinz des tibetanischen Hochlandes einschließlich der Hochwüste. — Ende- misch S. nanella Engl. et Irmsch., S. parva Hemsley, S. Airculus L. Var. Tafeliana Engl. et Irmseh. E. Provinz des alpinen und subalpinen Himalaja. — Der ganzen Provinz gehören an: S. odontophylia Wall., S. strigosa Wall., S. Jacguemontiana Deene., S, flagellaris Willd. Subsp. mucronulata (Royle) Engl. et Irmsch., 8. Brunoniana Wall. — S. ramulosa Wall. und $. im- bricata Royle, S. pseudopallida Engl. et Irmsch. -> und S$. brachypoda Don Var. fimbriata (Wall.) Engl. et Irmsch. >, S. filicaulis Wall. > verbreitet bis Sz-tschwan, S. pallida Wall. > S. brachypoda Don. > verbreitet bis Yünnan, S. Moorcroftiana Wall. desgl., S. hirculus L. Var. alpina Engl. a) Westlicher Himalaja: S. kireulus L. Var. hirculoides (Decne.) Hook. f. und Var. sub- dioica Houvk. f., 8. subspathulata Engl. et Irmsch. Var. kumaunensis Engl. et Irmsch., S. mi- crophylla Royle. — S. Meeboldii Engl. et Irmsch., S. Stolitzkae Duthie, S. afghanica Aitch. et Hemsl., S. kilacina Duthie. b) Östlicher Himalaja: S. pluviarum W. W. Smith, $. Gageana W. W. Smith, &. Dung- booii Engl. et Irmsch. — S. Kintschingingae Engl., 8. sikkimensis Engl., S. Kingiana Engl. et Irmsch., S. Zatiflora Hook. f. et | homs., 8. eglandulosa Engl., S. Hookeri Engl. et Irmsch., S. chum- biensis Engl., S. subspathulata Engl. et Irmsch., S. saginoides Hook. f. et Thoms. Var. parvipetala Engl. et Irmsch., 8. aristulata Hook. f. et Thoms. Var. micropetala Eugl. et Irmsch., S. Caveana W. W. Smith, S. palpebrata Hook. f. et Thoms., 8. cordigera Hook f. et Thoms., S. elliptica Engl. et Irmsch., 8. /ychnitis Hook. f. et Thoms., $. viscidula Hook. f. et Thoms., S. punctulata Engl., S. llonakhensis W. W. Smith, S. szella aurea Hook f. et Thows., S. perpusilla Hook. f. et Thoms., S. inconspicua W.W.Smith, S. pilifera Hook. f. et Thoms., S. hemisphaerica Hook. f. et Thoms. — S. coarctata W. W. Smith — S. Andersonii Engl., S. subsessiliflora Engl. et Irmsch., S. quadrifaria Engl. et Irmsch. Vom Ost-Himalaja bis Hochtibet reicht S. umbellulata Hook. f. et Thoms. Mit Yünnan hat der östliche Himalaja gemein: S. nutans Hook. f. et Thoms., S. hispidula Don Var. Doniana Engl. Vom Öst-Himalaja bis Sz-tschwan finden sich: S. saginoides Hook. f. et Thoms., S. aristulata Hook. f.; vom Ost-Himalaja bis Schensi ist anzutreffen S. pseudo-hir- eulus Engl.; vom Ost-Himalaja bis Kansu kommt zerstreut vor S. tangutica Engl. F. Provinz des alpinen und subalpinen Yünnan. Endemisch: S. parvula Engl. et Irmseh., S. elavistaminea Engl. et Irmsch. — S. Bulleyana Engl. et Irmsch., S. brachyphylla Franch., 8. petrophila Franch., 8. peplidifolia Franch., 8. subamplexicaulis Engl. et Irmsch., Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 111 S. turfosa Engl. et Irmsch., $. haplophylloides Franch., S. nigroglandulosa Engl. et Irmsch., S. tsangschanensis Engl. et Irmsch., S. Forrestii Engl. et Irmsch., S. oreophila Franch., S. gemmi- para Franch., S. Balfourii Engl. et Irmsch., S. cinerascens Engl. et Irmsch., S. Bonatiana Engl. et Irmsch., S. candelabrum Franch., S. sediformis Engl. et Irmsch., S. aurantiaca Franch., 8. drabi- formis Franch., S. chrysanthoides Engl. et Irmsch., S. Brunoniana Wall. Var. majuscula Engl. et Irmsch. — S. humilis Engl. et Irmsch. — S. chionophila Franch., S. rupicola Franch., S. pul- chra Engl. et Irmsch., S. lökiangensis Franch. Außerdem hat diese Provinz mit Sz-tschwan gemein: S. macrostigma Franch., 8. cardio- phylla Franch., 8. signata Engl. et Irmsch. G. Provinz des alpinen und subalpinen Sz-tschwan. — Endemisch: 8. Davidiana Franch., S. divaricata Engl. et Irmsch., S. birostris Engl. et Irmsch., S. leptarrhenifolia Engl. et Irmsch., S. densifoliata Engl. et Irmsch., S. congestiflora Engl. et Irmsch., 8. stellarüifolia Franch., S. auriculata Engl. et Irmsch., S. Zrinervia Franch., S. linearifolia Engl. et Irmsch., 8. pratensis Engl. et Irmsch., 8. höspidula Don Var. dentata Franch., $. Dielsiana Engl. et Irmsch., S. san- guinea Franch., S. Vilmoriniana Engl. et Irmsch., S. Prattii Engl. et Irmsch., 8. microgyna Engl. et Irmsch. Bis Schensi verbreitet: S. melanocentra Franch. und $. sibirica L. Var. Bockiana Engl. H. Provinz des alpinen und subalpinen Sehensi und Kansu. — a) Unterprovinz von Schensi, deren Charakterpflanzen zum Teil auch in West-Hupe auftreten. Endemisch: S. Giraldiana Engl., S. tangutica Engl. Var. minutiflora Engl., 8. pseudo-hirculus Engl. Var. shensiensis Engl. et Irmsch., S. gemmigera Engl., S. Josephi Engl. — S. unguipetala Engl. et Irmsch. (West-Hupe). — b) Unterprovinz Kansu. Endemisch: 8. atrata Engl. — S. Prze- walskii Engl. (auch in Hochtibet), S. tangutica Engl. Var. minutiflora Engl., 8. egregia Engl., S. unguiculata Engl., 8. gemmuligera Engl. — S. nana Engl. G. Temperiertes Ostasien. In einem großen Teil dieses Gebietes ist S. sarmentosa L. verbreitet, sie findet sich auch in den Gebirgen des chinesischen und südjapanischen Übergangsgebietes, sogar auf Formosa und den Philippinen (wahrscheinlich eingeschleppt). A. Provinz des temperierten Himalaja, Yünnan, Sz-tschwan, Schensi, Hupe und Kansu. — Nur wenig Endemismen aus der Sektion Diptera: S. mengtzeana Engl. et Irmsch., S. sinensis Engl. et Irmsch., S. flabellifolia Franch., S. sarmentosa 1. Var. immaculata Diels. B. Provinz des nördlichen China (nördlich vom Tsin-ling-schan) und Koreas. — S. Limprichtii Engl. et Irmsch., S. sibirica L. Var. pekinensis (Maxiım.) Engl. et Irmsch.; S. cor- tusifolia Sieb. et Zuce. Var. typica Makino tritt auch in den beiden folgenden Provinzen sowie im Gebirgsland des ostchinesischen und japanischen Übergangsgebietes auf. C. Provinz des nördlichen Japan. S. yezoensis (Franch.) Engl., geht auch auf die Kurilen und nach Sachalin hinüber. S. sachalinensis Fr. Schmidt Var. amplissima Engl. et Irmsch. (Spontaner Standort mir nicht bekannt.) D. Amurland und südliches Sachalin. — S. manschuriensis (Engl.) Komarow, S. nudi- caulis Don, S. Korshinskyi Komarow. S. oblongifolia Nakai. E. Provinz des südwestlichen Kamtschatka mit den mittleren und nördlichen Kurilen. Keine endemische Sarifraga bekannt. 112 ENGLER: H. Gebiet des pazifischen Nordamerika. Vorherrschend sind die Gruppen Nivali-virginienses, Integrifoliae und Stellares der Sektion Boraphila. Kinige Arten sind in den beiden ersten Provinzen vertreten oder auch im sub- arktischen Amerika. In allen drei Provinzen des Gebietes findet sich S. oregana Howell, in Aa und Ba kommen S$. oceidentalis Watson und S. Marshallii Greene vor, auch $. Mertensiana Bong., welche noch nach Ab hinüberreicht A. A. Provinz der pazifischen Koniferen. — a) Nördliche Unterprovinz mit dem Kas- kadengebirge. — Endemisch: S. rufidula (Small) Engl. et Irmsch., $. parvifolia Greene, S. Marshallii Greene Var. typica, 8. fragosa Suksdorf, S. integrifolia Hook, S. columbiana Piper, Var. apetala (Piper) Engl. et Irmsch. >, S. Newcombei Small A, S. ferruginea Graham und die Var. Macounii Engl. et Irmsch. >, S. caespitosa L. Subsp. subgemmifera Engl. et Irmsch. — b) Südliche Unterprovinz mit der Sierra Nevada. — Endemisch: S. aprica Greene, S. fallax Greene, 8. oregana Howell Var. sierrae (Cov.) Engl. et Irmsch >, auch in die west- amerikanische Wüsten- und Steppenprovinz übergehend. 8. bryophora A. Gray. — S. Tolmiei Torr. ef Gray Var. ledifolia (Greene) Engl. et Irmsch. B. Provinz der Rocky Mountains. Wenig endemische Arten. In den nördlichen und mittleren Rocky Mountains, sowie auch in der westamerikanischen Wüsten- und Steppen- provinz tritt auf 8. rhomboidea Greene Var. Zypica Engl. et Irmsch. In den nördlichen und mittleren Rocky Mountains findet sich 8. caespitosa L. Subsp. exaratoides (Simmons) Engl. et Irmsch. Var. delicatula (Small) Engl. et Irmsch. — a) Nördliche Rocky Mountains. — In diese dringen einige Arten aus dem arktischen Nordamerika ein, wie z. B. 8. caespitosa L. Subsp. exaratoides (Simmons) Engl. et Irmsch. Var. Drummondii Engl. et Irmsch. Endemisch sind folgende: 8. rhomboidea Greene Var. erenatifolia (Small) Engl. et Irmsch., S. Marshallii Greene Var. idahoensis (Piper) Engl. et Irmsch. — b) Mittlere Rocky Mountains (Idaho und Montana bis Colorado): S. rkomboidea Greene Var. interrupta (Greene) Engl. et Irmsch. und Var. austrina A. Nelson. — 8. montanensis Sınall. — $. chrysantha A. Gray. — ce) Südliche Rocky Mountains: S. eriophora Watson. — S. mexicana Engl. et Irmsch. — S. caespitosa L. Subsp. exaratoides (Simmons) Engl. et Irmsch. Var. Purpusii Engl. et Irmsch. und Var. Lemmonii Engl. et Irmsch. C. Westamerikanische Wüsten- und Steppenprovinz. Keine endemische Art. J. Gebiet des atlantischen Nordamerika. A. Seenprovinz. — Keine endemische Saxifraga, überhaupt nur äußerst wenig Arten. B. Provinz des sommergrünen Missisippi- und Alleghany-Waldes mit den Alle- ghanies. — a) Unterprovinz der Missisippi-Ohio-Tennessee-Zone: A S. virginiensis Michx. —, nach Norden und Westen weiter verbreitet, A S. pennsylvanica L. >, wie vorige. — b) Unter- provinz der Alleghanies: Endemisch: S. caroliniana A. Gray, S. tenessensis Small, S. Careyana A. Gray, S. leucanthemifolia Michx., S. micranthidifolia (Haw.) Britton. Il. Palaeotropisches Florenreich (einschließlich der in dasselbe übergehenden subtropischen Gebiete). B. Afrikanisches Wald- und Steppengebiet. B. Nordafrikanische Hochland- und Steppenprovinz. b) Unterprovinz des abys- sinischen und Gallahochlandes mit Eritrea und Yemen. — Endemisch: S. hederifolia Hochst. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. 713 H. Chinesisches und japanisches Übergangsgebiet. Bildet den Übergang zwischen IG. und dem Monsungebiet, umfaßt das untere Gebiet des ‚Jangtsekiang bis Itschang, das südliche und mittlere Japan. — In der Provinz des südlichen und mittleren Japan sind endemisch: S. japonica De Boissieu, S. fusca Maxi- mowiez, S. nipponica Makino, 8. sendaica Maxim., S. cortusifolia Sieb. et.Zucc. Var. obtuso- cuneata Makino und Var. partta Makino, S. Fortunei Hook f., 8. madida (Maxim.) Makino. In diesem Gebiet ist jedenfalls auch S. cuscutiformis Lodd. heimisch, doch ist nichts Näheres bekannt. Il. Zentral- und südamerikanisches Florenreich. C. Andines Gebiet. A. Nördliche und mittlere hochandine Provinz. — Endemisch: S. magellanica Poir- Subsp. peruviana (Sternb.) Engl. et Irmsch., Ss. magellanica Subsp. Poiretii Eng. et Irmsch. (reicht bis in das austral-antarktische Gebiet Südamerikas), S. Boussingaultii Brongn. B. Argentinische Provinz und D. Chilenische Übergangsprovinz haben gemein: S. Pavonii Don. Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. 15 j ned. 2a en ER 2 nl aa a % e j tel reg ne IP. gi a ur er De % Me er nee 2 er nor 5 Us ne Net BEI BEN TERN a er ee Se 2 ARE . Te a . a u ee t BR 5 DE ‚dsiernarach . # . > Am N NA are 5 Bar 2 > N ee KERN We a ee AN u een BER pErn 91 Sun 270 rather LIT Beer ie ee PA a kan Puh, Are Ahr 1 ee an ee ee ra era a a ee Abit. ‚au « In Hi ei a a ee er = je m een x - a ruckerei. a 2 ee ee Br HB iz er . “e IS‘ nn a KR te a N L38@) a r DT, Be Ze ET a a ” ur "Y arlferm NAusf Bene 2} RE, en SR 5 Dr nl,ree Ne nr . ei . f as u = kN SE : = Var. ne) Taf £ h \ IV er Pr nr Br Yen f: . - j En r “ Y Wan m a ee} A eu Er er = en .£ re mW ii f\ j l MR ST. 0 Tal, ‘ N «T win = A im oe ee { >, ör 1 R | : f in = = ao °T re Ai a \ r o u. wre rer Be oigh i Rn FAp, . - TBELıl % u h n 7 un \ f j Pr u er u e j = ya r rT \ 2 Be R . ö A, Has Mb Man . Preuß. Akad. d. Wissensch. Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. Sect.1. Boraphila Engl. $ 1. Punctatae E. et I. $ 3. Nivali—virginienses E. etI. S. japonica de Boissieu . $. hieracifolia Waldst, et Kit. __- 22. S. occidentalis S. Watson S. manschuriensis (Engl.) Komarow . S. rhomboidea Greene ı__. 23. S. rufidula (Small) E. etL S. spicata Don Typ. polymorph. S. nivalis L, @% 24. S. tenessensis Small . S. fusca Maxim. S. unalaschcensis Sternb. @ 25 S. Careyana A. Gray . S. punctata L. . texana Buckley 26. S. fallax Greene S. Mertensiana Bong. . aprica Greene ® 27 S. parvifolia Greene S. nudicaulis Don 5. reflexa Hook. 28. S. virginiensis Michx. S. Sieversiana Sternb, 5. Marshallii Greene ® 2. S. mexicana E, et I. S. Korshinskii Komarow . caroliniana A. Gray S. eriophora Watson S. odontophylla Wall. S. californica Greene Ausgangsgebiet S. sachalinensis Fr. Schmidt der Punctatae., S. yezoensis (Franch.) Engl. S. oblongifolia Nakai $2. Davuricae E. et I. © 11. S. Lyallii Engl. © 12. S. davurica Willd, Ausgangsgebiet ER der Davuricae. BZ 38) Grenze für das polare Areal der S. hieracifolia, [(&D) Grenze für das polare Areal der S.nivalis OD Ausgangsgebiet der Nivali—virginienses, $4. Melanocentrae E. et I. $ 5. Integrifoliae E.etI. $ 6. Stellares E. et I. x®>36. S. pallida Wall, 47. S. fragosa Suksdorf 53. S. clavistaminea E, et I, 36. S. pluviarum W, W. Smith : >48. S. integrifolia Hook. 54. S. leptarrhenifolia E, et I, 37. S. Davidii Franch. 249. S. columbiana Piper 55. S, birostris E. et I. 38. S. parvulaE. et I, 0-50. S. oregana Howell o 56. S, bryophora A. Gray 39. S. divaricata E. et I. © 51. S, montanensis Small\=57. S. ferruginea Grah, 40. S. pseudopallida E, et I. 52. S. pennsylvanicaL. © 58. S. Newcombei Small 41. S. Gageana W, W, Smith o 59. S. stellaris L. var. typica E. et I. O 42. S. atrata Engl. . S. stellaris L. var. comosa Retzius 43. S. melanocentra Franch, xx >60. S. Clusii Gouan 44. S. Dungbooü E, et I. \2> 61. S. leucanthemifolia Michx, 45. S. melaleuca Fisch, x 262. S. micranthidifolia (Haw.) Britton O 46. S. Tilingiana Reg. et Tiling RU Dr I—IV Ausgangsgebiete der Stellares, 155. S. cuneifolia L. 1559,.5. cuneifolia #. capillipes Reichb. u) Ausgangsgebiet der Section. g“ 1ey157. S. taygetea Boiss. et Heldr. {8:158@.S. chrysosplenifolia Boiss. var. a rhodopea Velen. \0) 158.5. SBaTSo PL EC R Boiss. var. 8 fragilis Sieb, Ausgangsgebiet der Sect, Miscopetalum Karte 8. Sect 6.Tridactylites Haw. 188. Typ. polymorph. S. tridactylites (L.) ER ? P . "RE Subsp. 1. eutridactylites E. et I. j DE: Sect. 5. Cymbalaria Gr iseb. £3 Subsp. 2. parnassica (Boiss. et Heldr.) # 159. S. hederacea L. E. etl. x xa var. a euhederacea E. et I. Er Subsp. 3. adscendens. (L.) A. Blytt 2 «x. var. 8 scotophila (Boiss.) E. et I. u Subsp. 4. Blavii Engl. EB £ \/160. S. Sibthorpii Boiss. u 161. S. cymbalaria L. ED avar. a. eucymbalaria E. etl. ER B.var. #. Huetiana (Boiss.) E. et L SE var. y. baborensis (Batt.) E. et I © 162. S. hederifolia Hochst. ] 72 164. S. petraea L. \ Er} 165. S. Nuttallii Small { D BEI; Karte 11. 2® In den Karten sind die ersten Ziffern weggelassen, also 46= 146 usw. Engler: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. Tafel III. Lith. u. Druck v. C, L. Keller, Berlin S, K. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1. Arachnoideae E. et I. 186. S. arachnoidea Sternb. " $ 2. Irriguae E. et. 2167. S. irrigua M Bieb. 0188. S, latepetiolata Willk. / Sect.7. Nephrophylium Gaud. Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. In den Karten sind die ersten Ziffern weggelassen, also 66 = 166 usw. $3. Granulatae E. etI. \ 88. Dichotomae E. et. 32169. S, dichotoma Willd. ® 170. S. Haenseleri Boiss. et Reut. 11. S. carpetana Boiss. et Reut. <. 172. S. bulbifera L. \ Präglaziales \ Ausgangsgebiet \für die ganze Section \ Nephrophyllium. ‘ Karte 18. $ 3. Granulatae E. etl. $8. Eugranulatae E. et 1. 173. Typ. polym. S. granulata (L.) Engl. 1731. Subsp. 1. eugranulata E. et I. N 173!a.Subsp. 1. var. a. prolesborealisE.etL 8817318. Subsp. 1. var. d. proles glaucescens (Reut.) Engl. ® 1732. Subsp. 2. Hochstetteri Engl. 1739. Subsp. 3. Russii (Presl) E. et 1. & 173%. Subsp. 4. graeca (Boiss. et Heldr.) Engl. 83. Granulatae E. etI. > $$. Biternatae E. et. . S. gemmulosa Boiss. et Reut. . S. Bourgaeana Boiss. et Reut. . S. Boissieri Engl. . S. biternata Boiss. $4. Sibiricae E. et I. . sibirica L. . ezilis Stephan Spezielle Verbreitung «S> 180. S S Fa & 1m. 5, capahicn Reich Ser &, eraue, sad © 174. S. Cossoniana Boiss. et Reut. / R ER 182 S. debilis Engelm. Alpen u. Karpathen. N | \. 7 @ 188. S.,cernua L. Kartel4. Sect. 8. = $2. Sedoideae E. et I. \ — £25 184. S. rivolaris L. F ne 186. S. sedoides L. NN le Dactyloides Tausch = © a.var.a.typica E. etl. N ‘ ID \ Sn $1. Tenellae E. et I. A. var. #.Hohenwarthii (Sternb.)E.etI. N \ IN n Neuer go Mn 0 f% \ O Fe 185. S. tenella Wulf. ); Y. var. y. prenja (Beck) E.etl. \ $5. Androsaceae E.etl. / —u a } ER o RN © 19%. S. Seguieri Spreng. © 191. S. presolanensis Engl. x#&192. S. androsacea L. 0 193. S. depressa Sternb. 0194. S. tridens Jan © 196. S. humilis E. et I. OÖ 196. S. coarctata W. W, Smith. Nom A CZ On Sn Karte 15. Ü I, $ 3. Muscoideae E. et I. $7. Axilliflorae Willk. \- O 187. S. muscoides All, O 198, S, ajugifolia L, oO 188. S. Facchinii Koch. «> 199. S. perdurans W. Kit. $4. Aphyllae E.et I./ $8. Aquaticae Eng © 189. S. aphylla Sternb. O 200. S. aquatica Lap. 86. Glabellae E. et’ I. <> 197. S. glabella Bertol. / \_ ’% I f: / ' 8 Karte 17. [Ser n Karte 16. . Camposii Boiss. et Reut. . demnatensis Coss. . cuneata Willd. 5. portosanctana Boiss. . maderensis Don . pedatifida Smith, Heimat nicht sicher bekannt. & 9. Ceratophyllae Willk. + &4 201. S. pedemontana All. j EL Se 5. canaliculata Bois. et Reut. «I» 201%. Subsp.1.cymosa(Waldst.etKit.)Engl. Y . valentina Willk. © 201?. Subsp. 2. enpedemontana Brig, ©-5 L . trifurcata Schrad. O 201°. Subsp, 3. cervicornis (Viv.) Engl. <[>202. S. Prostii Sternb. 208. S. geranioides L. o 212*.S. Vayredana Luiz. Engler: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. Tafel IV. Lith. u. Druck v. C.L. Keller, Berlin S. $& 10. Gemmiferae Willk. © 213. S. conifera Coss, et Durieu 214. Typ. polym.S.hypnoides (L.) E. et I. ‘es @, Subsp, 1. continentalis E. et I. o #.Subsp. 2. boreali-atlantica E, etI. 215. S. Trabutiana E, et I. 8 10. Gemmiferae Willk. / . S. globulifera Desf. Zi . S. Reuteriana Boiss/ Karte 18. S. Maweana Bak. . S. Rigoi Freyn $ 11. Caespitosae Engl. . Typ. polym.S. caespitoss (L.) E. etI. Subsp. 1. decipiens (Ehrh.) E. et I. var, a, palmata, #. villosa, Y. Stern- bergüi, 6. hassiaca, g. glabrata, t. rangiferina E, et I. var 7, Steinmannii (Tausch) Sternb. var. 9. bohemica (Panz.) E. et I, var. £, quinquefida (Haw,) Engl. vat. x. elongella (Donn) E. et 1. . Subsp. 2. eucaespitosa E, et I. 220°. Subsp.3.exaratoides(Simmons)E.etl. © a. var. a. Drummondii E, et I. ® #. var. #. delicatula (Small) E. et L © 7. var. y. Purpusü E, et I. ® 6. var. 6. Lemmonii E. et 1. u 220%. Subsp. 4. subgemmifera E. et I. $ 12. Exarato-moschatae E. et TE OD 227. S. pentadactylis Lap. 227a. var, a. typica E. et. 2278. var. #. suaveolens Luiz. et Soul. 227y.var. y Willkommiana (Boiss.). 229. Typ. polym. S. pubescens Pourr. em, E, et I. . Subsp. 1. Pourretiana E. et I. Subsp. 3. nevadensis (Boiss.) E. et I. . S. intricata Lap. et var. nervosa (Lap.) E. et I. . Typ. polym. S, exarata Vill. em. Engl. 231a, var. a. Villarsii E. et I. 2314. var. #. Kusnezowii E. etI. 231y. var. Y. leucantha (Thom.) Gaud. 231ö.var. 6. pyrenaica Engl. 231g. var. g. tenuinervia E. et I. x 281. var. £&. Heldreichi E et L © 2319. var. 7. adenophora (C. Koch) E, etI. Karte 22. K. Preuß. Akad. d. Wissensch. Subsp. 2. Iratiana (F. Schultz) E, etl.. Engler: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. Phys.-malh. Abh. 1916. Nr. 1. Sect. 8. Dactyloides Tausch $ 11. Caespitosae Engl. IC] S. sileniflora Sternb, S. lactea Turcz. $ 11. Caespitosae Engl. O 221. S. adenodes Poepp. © 223. S. Boussaingaultii Brongn. x 224. = $ 11. Caespitosae Engl. 127 6 222. Typ. polymorph. S. magellanica Poir, [FR BSR 2221. Subsp. 1. Poiretü E. et I. a 15 2222. Subsp. 2. peruviana (Sternb.) E. et I. SE a. var. a. lineariloba E. et l. ß. var. # Donii Sternb, y. var. y. ovatiloba Eretl = KEN $ 12. Exarato-moschatae E. et I. 232. Typ. polym, S. moschata Wulf, o 292!. Subsp. 1. eumoschaia E. et I. & x o 232la.var. a. versicolor E. et I. on o 232',.var. y. fastigiata (Luiz.) E. et I. —Le x 232!5.var. d. Lamottei (Luiz.) E. et I. 9% o 232'g.var. g. Allionii (Gaud) E, et I, o 232l2.var. /. terektensis (Bunge) E. et I. { x 232'n.var. 7. cyclopetala (Beck) E. et I. \ o 232'#.var. 9. acaulis (Gaud.) E. et I. Karte 21. \ ‘0, 2322. Subsp. 2. ampullacea (Ten.)E. et I. 7 O 233. S. Hariotii Luiz. et Soulie. fe L . 278 ee = \ 2er O0) zul Si II \ 21 - ® 321€ } Sn So) 327 = 31m, f a 2 iaıs x ’21y . 235. var. y. Cherlerioides (Don) Engl. %.%, 2356. var. d. vespertina (Small) E. et. \e 236. S. tricuspidata Rottb. ’ & eg a S SR Euaizoonia.? (Schott) Engl. L : ® Karte 26. $1. Crustatae E. et I. D2ss. S. longifolia Lap. &D 289. S. lingulata Bell. 239. a. var. a. catalaunica (Boiss. et Reut.) 239. 5. var. 4. Bellardii Sternb. y. var. y. australis (Moricand) . S. crustata Vest (72241. S. cochlearis Reichb. S. valdensis DC. N $ 2. Peraizooniae E. et I. 244. S. Hostii Tausch 244a. var. a. (proles) rhaetica (Kern.) Engl. 2443. var. ß. (proles) eu-Hostü E, et 1. © 2447. var.y.(proles) altissima (Kern.)E.et1. 245. S. CotyledonL. (Taf. VII, Karte 29). $ 4. Florulentae E. et I. <7y 246. S. florulenta Moretti. 85. Mutatae E. et I. e 247. S. mutata L. 247. var. #. demissa (Schott et Kotschy) Engl. = Engl. N vs 8 2. Peraizooniae E. et I. | Karte 26. Sr 243. Verbreitung des Typus polymorph. /y6 II BE wet S. aizoon Ta in Drtielenrepa u. I, Pe „x = dem Mediterrangebiet. nn > / assl.. Subsp.1 euaizoon E. etI. 243'X0 var. orientalis Engl. excl, var. orientalis 243° 8 Subsp. 2 cartilaginea (Willd.) E. et I. Karte 28. Engler: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. Tafel VI. Lith. u. Druck v. C. L. Keller, Berlin S. u - Ta \ u * r.& Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1 Ro S. media Gouan b S, Stribrayi Velenovsky . S. corymbosa Boiss, s Ss . chionophila Franch. . rupicola Franch, . Typ. pol. S. porophylla Bert. . S. Grisebachii Deg. et Dörfl. Karte 0 & 2. Juniperifoliae E. et I. 265. S. juniperifolia Adam „2 266. S. sancta Griseb. m . caucasica Somm. et Lev. S S S. subverticillata Boiss, 269. S. colchica Alb. S S Ss Postglaziale Verbreitung von x WS 243. S. aizoon Jacgq. und u « 245. S. cotyledon L. en , Ausgangsgebiet der ganzen u. ? Section Euaizoonia, Karte 29. 7 | . laevis M} Bieb, & 3. Kotschyanae E. et I. . scleropoda Somm, et Lev. 263. S. Meeboldii E. et L . carinata Oett, 264. S. Kotschyi Boiss, $1. Mediae E. et I. z Karte 34., z Verbreitung der 8 Marginatae \ in den Balkanländern. $&4. Marginatae E. et Il. 266. S. ramulosa Wall, (0) 266. S. scardica Griseb, © 287. Typ. polymorph. S. marginata Sternb. ‘ ‚©2267. a. var a. eumarginata E. etI, - &%267. f. var. #. Rocheliana (Sternb.) E.etI. var. y. coriophylla (Griseb.) Eng o E23 287. Y- 268. S. iranica Bornm, =; 6. Rigidae E. et I | © 289. S. Spruneri Boiss. = s - 1 270. S, pulchra E, et l. Or . S. diapensioides Bell. 271. S. Stolickae Duthie DS . S. columnaris Schmalhaus. 272. S. Andersonii Engl a . S. tombeanensis Boiss. 273. S. afghanica Aitch, et Hemsl. = “IS; Vandellü Sternb, | 274. S. Dinnikii Schmalhaus, . S, Burseriana L. 276. S. lilacina Duthie R 276. S. unguipetala E. et ], >) $ 7. Aretioideae E. et I. 277. S. likiangensis Franch. - . S, aretioides Lap. 278. S. subsessiliflora E, et 1, \ Bu‘ 289. S. Ferdinandi Coburgi Kellerer 279. S. imbricata Royle \ I Ä\ et 280. S. quadrifaria E. et I ? RS: 2 ED, WR v7 ER So Sr sv = : A Karte 36, rn En gler: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. | Tafel VII. Lith. u. Druck v. C. L. Keller, Berlin S. in In den Karten sind die ersten ı Ziffern —— weggelassen, also 43 = 243 usw. ii» ‚B. Akad. d. Wissensch. ‚Phys.-math. Abh. 1916. Nr. 1. Sect. 13. Porphyrion Tausch $1. Retusae v. Hayek ‚290. S. retusa Gouan 290a. var, a, Baumgartenii (Schott) Velen. .. - 2909. var, 8. augustina Vaccari RR Sect.15. Ligularia Duval 294. S. nipponica Makino 296. S. sendaica Maxim, 296. S. mengtzeana E. et I, $2. Biflorae v. Hayek $3. Oppositifoliae v. Hayek 297. cortusifolia Sieb, et Zucc, \ a nr Z « ca. var. a, typica Makino I eo ERS * 5 var. d. Fortunei (Hook, f.) Maxim, 291. S. biflora All. \ Ei 2911, Subsp. macropetala(Kern.)E. et I. \ ade Man) Make . sinensis E. et I, . flabellifolia Franch, . sarmentosa L. fil. . cuscutiformis Lodd. nicht ingetragen, $3. Oppositifoliae v. Hayek Gesamtverbreitung des Typ. polymorph, = 292. S. oppositifolia L. mA usgangsgebiet der Oppositifoliae für die postglaziale Verbreitung. Karte 38 3) « Verbreitung der Subspecies und wichtiger / Varietäten in Mittel- und Südeuropa, Subsp. 1 euoppositifolia E. et I. / © 292la.var. a. proles typica Vaccari rs © 292'.var. 3. proles meridionalis (Terrac,). BUS Es © a92ty.var. Y. proles distans Ser. © 29210.var. 6. proles latina (Hayek) E. et. © 292!gvar. &, proles Nathorstii Dusen © 2922. Subsp. 2. blepharophylla(Kern.)E.et I. © 292°. Subsp. 3. Rudolpbiana (Hornsch,) ‘= 292%. Subsp. 4. speciosa (Hayek) E. et I. «53 2925. Subsp. 5. asiatica (Hayek) E. et I. Sect.14. Tetrameridium Engl. 93. S. nana Engl. a In den Karten sind die ersten Ziffern weggelassen, also 90=290 usw. Engler: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Hochgebirgsfloren. Tafel VIII. Lith. u. Druck v. C.L. Keller, Berlin $. Sonderabdrucke aus den Abhandlungen der Akademie von den Jahren 1907—1915. Physikalisch-mathematische Klasse. Srruve: Beobachtungen des Saturnstrabanten Titan am OR e und Berliner Refractor. 1907 . Bu Branca: Fossile Flugthiere und Erwerb ee Pligrerdognn : 1908 ! WALDEYER: Der Processns retromastoideus. 1909. Rusens: Gedächtnissrede auf Friedrich Kohlrausch. 1910 . ER Lanporr +: Über die Erhaltung der Masse bei chemischen Umsetzungen. 1910 vanr Horr: Gedächtnissrede auf Hans Heinrich Landolt. 1910 Eneter und K. Krause: Über den anatomischen Bau der baumartigen Cy- peracee Schoenodendron Bücheri Ener. aus Kamerun. 1911 . . . . Fischer: Gedächtnissrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. 1911 ae Bahnen der Uranustrabanten. Erste AALEN SIE: Oberon und Titania. 1912 AN, Eee Betrachtungen ü über ar ältesten Säuger de Tees al er 1915 E ae : BL, K. Acanscuanıanz: Über die Kerne des menschlichen Kleinhirns. 1911 L. Licnrensrein: Beweis des Satzes, dass jedes hinreichend kleine, im wesent- lichen stetig gekrümmte, singularitätenfreie Flächenstück auf einen Theil einer Ebene” zusammenhängend und in den kleinsten Theilen ähnlich ab- gebildet werden kann. 1911 A. ER Die Gesteine der Inseln S. Pietro ie S. Antioeo, (aan, 1912 H. ng Mor BR Studien zur N der Turfanschädel. 191 k ö E. Körter: Über den Grenzall,: in wreltbän: ein Share Kachwark vonn RABIER. punkten und 2n-3 Stäben oder ein räumliches Fachwerk von n Knoten- punkten und 3n-6 Stäben nicht mehr statisch bestimmt ist. 1912. E. E. GoromAnn: Vitalfärbung am Centralnervensystem. 1913 L. Wırr: Kolloidale Substanz als Energiequelle für die u a AR Schule waffen der Coelenteraten. 1914 . . . : & H. Vırcnow: Gesichtsmuskeln des Shine 1915 M.Rorumans und E. Teuger: Aus der Anthropoidenstation auf Teneriffa, I. Ziele und Aufgaben der Station sowie erste Beobachtungen an den auf ihr gehaltenen Schimpansen. 1915 . RU W. Könter: Ka der Anthropoidenstation auf Teneriffa. II. Optische Untersuchungen am Schimpansen und am Haushuhn.. 1915 H. Srraur und E. BarımAnn: Embryonalhüllen und Plazenta von Putorius furo. 1915 . £ s Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 2.50 Ca . = oo. sp SAIISFSFIIMRRIR mAAASaRS RR Er m aaasalı ERREELERLER Sereree s a RR | ._ | Tas AyAY_ | 0 2 2 || | FFr er BREFER SR f Ara ea RDaaaa AR Aanaaaa AST AZ ar Im N sasaa=233 RER = AR ReYT NR Sasasaaıa ee SA KEITTETETRRRRRRRI RER SEE EEBRSERRERE > u.” TNBIVENEN nr r NIAASSSSSIANS ARAR a33333= Saaasnananmnacı rar ERRRERRRRFFFF R AA Beer FOREN anTeYYY\ SARA Sas 2323222 vn z a2 ee aaaaa Zaaz z S\ a FFRRRR aaasn AA Saaasatı as 22222222222 5, | AP N or m ne AR AZAAR An SRSRRARRAIALTN, PAPA | Mm SSARAS RARAFRARARN Aa ARRARAM (> N I Aaaan ar N Ba anna aaaaa. tr Yrrr,0rT FR FR AR mn = ANTENNEN AR Na AR SASARASRRRARR AT TT AAAR FFIR AASAARARAAAR DNnaaaaaamarn ar AMT am nur SoonnpepenePERFBBROOBRBRREERLEEELEE aaa men AREA AFP Saas ıI Ts saaAAIDaaIaArraaaa aa am RN ya N 4 DARnaanahaAamnmmman/ PRRRERITILILLITVY 2 aaa MARSSFARRAARRARRaTeRNaen Ana a ARARZZARRBAATRISI a ala aa An Pre: Aaaalalıla Fr Ar FI nn | | SAANZZZZZZARRRSSSE HATTE ARMMARAAAMAMAAANIAISIRS Mer mamma | / Naaaaat Z BRRBRERFORBBERRPEETENN en aa A NIIT TFFFRRBEBGEEZ AATZARRAT a! } ZN Fr je Daran NT UURRARRAN: AARRFFFFFF FREE TS TARA p SARRAAN AARRAR RAASBSARRLBAFAARASASASAaa ala er IITITIAARRAZ TIPP Y VRARARAR AAFFIANAT, Ar apa IARAAMAARAR ZRRRRr TS SA ST ARRRRRSEREE BERRESE AanmaamAmRAmFARAn ssaaasal Ammann = m DIN 0m E I RENT \ 2 S RER, IMELD : aaa Ar AFPFTF P sat LIE Er Gem f N SAAMITIATTTn RR Aa ala EOEOORREEROEOENEN nn Saar az EZAAFRFRATZAZAFAAZZZNIDNISE rI-7 N 3 9088 01298 9018