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Germania

Yugend Biblistheh.

Alrıfım E N incoh,

der große Staatsmann und edle Menſchenfreund.

Eine biographilche Skizze

von

A. W. Grube. RE AN

Wlilwankee. Verlag von Geo. Brumder. 2

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De 6 ie Vereinigten Staaten von Nordamerika ſind 2 jetzt ein Reich, das vom atlantiſchen bis zum ſtillen Ozean ſich erſtreckend und die ganze Mitte des nordamerikaniſchen Kontinents einnehmend, zu den größten und bedeutendſten Staatsweſen des Erdeurunds zählt, deſſen Länderumfang den von England, Frankreich, Deutſchland und Oeſterreich zuſammengenommen noch vier Mal übertrifft, deſſen Einwohnerzahl (gegenwärtig über 50 Millionen ſtark) mit ſtaunenswerther Raſchheit zunimmt und deſſen Kraft ſelbſt während des letzten Bürgerkrieges, wo der Norden mit dem Süden blutig rang und die Exiſtenz der Union auf dem Spiele ſtand, noch ſo groß war, daß weder England noch Frankreich es wagten, den Südſtaaten offenen Beiſtand zu leiſten, ob— wohl ihnen deren Losreißung und die Sprengung der Vnion höchſt erwünſcht geweſen wäre. N Zwei Männer, die zu den edelſten und beſten ge— hören, welche die Geſchichte zu nennen hat, ſtrahlen in

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unvergänglichem Glanze als Gründer, Erretter und Er— halter dieſes großmächtigen Freiſtaats: George Waſhington und Abraham Lincoln. Wenn es erlaubt iſt, von einzelnen großen Männern zu ſagen, daß in ihnen die Tugend ihres Volkes ſich vereinige, ſo darf man auch wohl von Waſhington ſagen, er habe die Republik der Vereinigten Staaten gegründet, und von Lincoln, er habe ſie gerettet.

So verſchiedenartig beide große Männer in ihrer äußeren Erſcheinung nicht blos, ſondern auch in ihrer Begabung waren, ſo gleichartig waren ſie doch nicht nur in ihrer politiſchen Geſinnung, ſondern im ganzen Kern ihres Weſens, in dem, was den Menſchen groß und be— deutend macht.

Waſhington war ohne Zweifel die reicher ausge— ſtattete Natur; er war ebenſo groß als Kriegs-, wie als Staatsmann, ein tapferer Soldat, ein ausgezeichneter Heerführer, unerſchöpflich in Hilfsmitteln und wohl durch— dachten Bewegungen, um ſich in einem langen Verthei— digungskriege mit unzulänglichen Kräften einem ſtärkeren Feinde gegenüber zu behaupten. Von feurigem Tempe⸗ rament, war er ſchnell im Handeln, im Ergreifen des günſtigen Augenblicks, und doch wieder kühl und beſonnen im Ueberlegen, maßvoll und ruhig im Befehlen und Lenken. So mangelhaft auch die Schulbildung noch zu jener Zeit in Amerika war und auch zu Lincolns Zeit noch blieb, ſo ſtanden dem jungen Waſhington doch reichere Bildungsmittel zu Gebot als dem Knaben

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Lincoln, und feine Familienverhältniſſe wirkten günſtiger auf ſeine geiſtige Entwicklung. Lincoln hingegen, der arme Hinterwäldler, der, ſobald er Arme und Beine ge— brauchen konnte, in den Wald hinauswandern und mit dem Vater um die Wette die Axt des Holzfällers ſchwingen mußte, der arme Lincoln mußte es für ein hohes Glück erachten, als es ihm gelungen war, Leſen und Schreiben zu erlernen und ſich ein paar Bücher zu verſchaffen, und er hatte es bis zu ſeinem neunzehnten Lebensjahr nur erſt zum Flößerknecht (Flachbootsmann) gebracht. Waſhington mußte auch im Schweiße ſeines Augeſichts arbeiten und hat als Feldmeſſer ſich ſein Brod treu und redlich verdient, aber Lincoln durfte ſich mit noch größerem Recht einen self made man nennen, der Alles aus ſich ſelber machen mußte und mit ſeltener Vir— tuoſität gemacht hat. Wie ſo mancher von Geldmitteln entblößte Einwanderer, der nach Amerika nichts mitbringt als arbeitsluſtige Hände und einen geſunden Verſtand, der es ſich nicht verdrießen laſſen darf, Kutſcher und Gärtner, Handelsmann und Lehrer zu werden, wie es ſich eben ſchicken will, ſo hat auch Lincoln, der geborne Amerikaner, eine ganze Reihe von Berufsarten und Lebensſtellungen durchgemacht, bis er an's Ziel gelangte, vom Holzfäller und Flachbootsführer zum Krämer, Feld— meſſer und Hauptmann der Freiwilligen in welcher Stellung er ſattſam erkannte, daß er gar kein militä— riſches Talent beſaß weiter zum Poſtmeiſter und endlich zum Advokaten. Mit ſeiner Stellung als

„Rechtsanwalt“ hatte er feinen wahren Beruf erreicht, da reifte ſchnell ſein redneriſches und ſtaatsmänniſches Talent, da hatte er Gelegenheit in aller Fülle, jenen Adel der Geſinnung zu offenbaren, den er mit dem großen Waſhington theilte, jene reine und hohe Be— geiſterung für Recht und Gerechtigkeit, die rein menſch— liche Theilnahme für die Unterdrückten und Schwachen, aber auch den ſittlichen Muth und die unbeugſame Feſtig— keit den ungerechten Machthabern gegenüber, endlich die vollkommenſte Uneigennützigkeit, Unbeſtechlichkeit und Rechtlichkeit, die auch keinen Strohhalm breit vom Wege der Pflicht und Ehre abwich. Längſt, bevor er zur höchſten Würde emporſtieg, welche ein Bürger der Ver— einigten Staaten erreichen kann, ward ihm der ſchönſte und ehrenvollſte Beiname zu Theil, in welchem das Volk kurz und gut den Werth und das Weſen des verehrten Mannes zuſammenfaßte; man nannte ihn den „ehrlichen Abe.“ “) Viermal ward er in die geſetzgebende Verſamm— lung von Illinois gewählt, dann in das Abgeordneten— haus zum Kongreß, ſchließlich zum Präſidenten der Union. Als er im Drange der Nothwendigkeit gleich Waſhington mit unbeſchränkter Macht bekleidet ward, da bewährte er ſich auch wie Waſhington als der gewiſſen— hafteſte Staatsbürger gegenüber dem Geſetz, da blieb er der „ehrliche Abe.“ In dieſer Fflichttreue, Redlichkeit

*) Honest Abe. „Abe“ iſt die zärtliche Verkleinerungs⸗ form des Vornamens „Abraham.“

und unbedingten Hingabe an das Staatsganze ſtehen beide Helden Schulter an Schulter. Sie ſtanden beide in den hochgehenden Wogen des Kampfes wie uner— ſchütterliche Felſen; auf beiden ruhte der Segen der Elaubenstreue und Sittenſtrenge ihrer proteſtantiſchen Vorfahren, die ihr geſundes, praktiſches Chriſtenthum in die neue Welt hinübergerettet hatten und deren Frei— heitsſinn in der Gottesfurcht wurzelte. Beide kämpften für die von ihnen als richtig erfann- ten Grundſätze der Freiheit. Und weil ſie ſich nichts da— von wollten abmarkten und abwendig machen laſſen, ſo wurden ſie beide gezwungen, als rechte Männer fir das, was ſite als richtig erkannt hatten, einzu reten, ja zum äußerſten Kampf gedrängt. So wenig es anfangs Lincoln in den Sinn gekommen war, die Sclaverei mit Stumpf und Stiel auszurotten, wie er in ſeiner Milde und Verſöhnlichkeit immer darauf bedacht war, mit den Südſtaaten ein billiges Abkommen zu treffen und dem, was ſie nun einmal im Beſitz hatten, Rechnung zu tragen; wie er aber, als die Sklavenſtaaten mit unver- ſöhnlichem Haß gegen den Norden darauf ausgingen, ſich loszureißen und die ſo ſchwer errungene Einheit der großen Republik zu zertrümmern, nun auch das äußerſte aufbot und das war die Befreiung der farbigen Race aus der Sklaverei um die Republik zu retten: ſo ging auch Waſhington Schritt vor Schritt gegen das tyranniſch gewordene Mutterland vor, das ſeine amerikaniſchen Kolo— nien beſteuern wollte, ohne ihnen das Recht einzuräumen,

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über ihre Beſteuerung durch Abgeordnete aus dem eigenen Volke mitzureden und abzuſtimmen. Noch im Jahre 1774, kaum ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung, ſchrieb Waſhington an den Hauptmann Mackenzie: „Man macht Sie glauben, das Volk von Maſſachuſſets ſei ein Volk von Rebellen, die ſich für die Unabhängigkeit erhoben haben, und was weiß ich? Erlauben Sie mir, lieber Freund, Ihnen zu ſagen, daß Sie im Irrthum, im groben Irr⸗ thum ſind. Ich kann Ihnen als Thatſache bezeugen, die Unabhängigkeit iſt weder der Wunſch noch das Intereſſe dieſer Kolonie oder einer andern auf dem Kontinent, weder im Einzelnen noch im Ganzen. Aber zugleich können Sie darauf rechnen, daß keine von ihnen ſich je die Vernichtung ihrer Privilegien, jener koſtbaren Rechte, gefallen laſſen wird, die für das Glück jedes freien Staates weſentlich ſind und ohne welche Freiheit, Eigen— thum und Leben jeder Sicherheit entbehren.“ Und Lincoln, als er vor dem verſammelten Volle beim feier— lichen Antritt ſeines Präſidentenamtes auf dem Kapitol zu Waſhington (5. März 1861) ſeine Rede hielt, ſprach ſich alſo aus: „Das Volk des Südens ſcheint zu befürch— ten, daß ſein Eigenthum, ſein Friede und ſeine perſönliche Sicherheit gefährdet werden. Für dieſe Furcht giebt es keinen vernünftigen Grund. In Allem habe ich geſagt und wiederhole es jetzt, daß ich nicht die geringſte Abſicht habe, weder direkt noch indirekt, der Sklaverei, wo ſie einmal zur Zeit beſteht, entgegenzutreten.“ Er durfte mit gutem Gewiſſen ſo reden.

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Lincoln war nicht jo glücklich wie Waſhington, der nach dem thatenreichſten Leben fein Daſein harmoniſch vollendete und von der ganzen Nation verehrt, im Hin— blick auf die ſegensreichen Früchte ſeines Wirkens ſterben konnte. Lincoln aber war glücklicher, denn ihm ward vergönnt für die Sache der Freiheit, der Einheit und Größe ſeines Vaterlandes, den Märtyrertod zu leiden. Ward er auch in einem Moment hinweggenommen, wo er dem Staate noch ſehr nothwendig war, ſo hatte er den Triumph des Nordens, der für die Einheit der Union kämpfte, erlebt, jo war doch der ſchreckliche Bürgerkrieg glück— lich geendet und manche trübe und verwirrende Scene welche die Befreiung der Neger im Gefolge hatte, wurde ſeinen Augen entzogen.

Auch darin möchten wir ein höchſt glückliches und beneidenswerthes Loos erkennen, daß, was den eigent— lichen Nerv des amerikaniſchen Volkes bildet, nämlich die Arbeit, von Lincoln in allen Stufen, von der unterſten bis zur oberſten, durchgemacht wurde; daß die Arbeit, wie ſie dem Manne Selbſtändigkeit und Freiheit giebt, das Familienleben ſchützt, den Keim für politiſche Unabhängigkeit rege erhält, in Abraham Lincoln ſich im reinſten Adel darſtellte. Die Vereinigten Staaten, die alle Racen und Bildungsgrade der verſchiedenſten Menſch! neigenthümlichkeiten in ſich aufnehmen, die ſo viel Unreines und Böſes auch mit in den Kauf neh- men müſſen, ſind einem gewaltigen Schmelztiegel zu vergleichen, in welchem mancherlei Metalle und

Miſchungen zuſammengeſchmolzen werden, darin es ſchäumt und in Blaſen aufſteigt, und in dem trüben Schaum nichts Gutes ſich bilden zu können ſcheint. Aber weſſen Blick von der Oberfläche in die Tiefe dringt, der weiß auch, daß ſich da ein großer Läuterungsprozeß

vollzieht und ein geſunder, reiner Kern im Innern vor⸗

handen iſt. Dieſe Reinigung und Läuterung vollzieht ſich aber durch die Arbeit, welche in keinem Lande der Erde ſo wie in den Vereinigten Staaten für den Mann zur Nothwendigkeit wird und nirgend anders ſo wie in den Vereinigten Staaten ſein Adels— brief iſt. Bei allem Schwindel und Humbug, bei allem Rennen und Jagen nach Geld und Erwerb, zwingt doch ſchließlich das Geſetz der Arbeit die Geſetzesverächter zur Ordnung und führt das lockere Geſindel hin zur Stetigkeit und Würde einer bürgerlichen Exiſtenz. Dieſer Adel nun des arbeitenden nordamerikaniſchen Volkes, das in der Arbeit auch ſeine ſittliche Erhebung findet, iſt in Abraham Lincoln verkörpert in all ſeiner Glorie erſchienen. Mit allen Kräften zu ſtreben und zu ringen nach Verbeſſerung der eigenen Lage, raſtlos zu ſtreben nach Fortbildung und Veredlung, damit der Einzelne ein würdiges Glied des ſtaatlichen Gemeinwe— ſens ſei, das war Lincolns Leben und Streben von einer Jugen an, und als Staatsmann und Volksredner kam er immer wieder darauf zurück, wenn er auch dieſen Grundgedanken nicht immer ſo ſcharf ausſprach, wie es z. B. in einer Rede vom Februar und in einem Briefe

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vom Mai 1859*) geſchah, wo er ihn treffend fo zu⸗ ſammenfaßte: N

„Nach meiner Anſchauung, ſo, wie ich den Geiſt unſerer ſtaatlichen Einrichtungen verſtehe, können die— ſelben nur den Zweck haben, die Erhebung des Menſchen zu fördern; und in dieſem Sinne bin ich gegen alles feindlich geſinnt, was auf Erniedrigung unſe— res Geſchlechtes abzielen könnte. Hätte der Allmächtige eine Sorte Menſchen, die nur eſſen und nicht arbeiten ſollen, erzeugen wollen, ſo würde er ihnen ſicherlich keine Hände, ſondern nur einen Mund gegeben haben.“ Weil für ihn nur die Arbeit Werth hatte, welche zu einer unabhängigen Stellung im ſtaatlichen und gefell- ſchaftlichen Leben führt, jo mußte ihm auch alle Sklaven— arbeit als etwas Unſittliches und Ungerechtes, als ein an der Menſchennatur begangenes Unrecht erſcheinen, und über dieſe ſeine Anſicht ſprach er ſich ſchon als Abge— ordneter frei genug aus. „Zwar bin ich“, ſagte er unter Anderem „mit den Fürſprechern der Sklaverei darin ein— verſtanden, daß es manche Punkte giebt, in denen die Neger uns Weißen nicht gleich ſtehen, jedenfalls nicht in Betreff der Hautfarbe und vielleicht auch nicht in Rück⸗ ſicht einzelner Geiſtesgaben des Herzens und Verſtandes. Aber in dem natürlichen Rechte, ſein Brod, das er mit

eigenen Händen verdient, ohne die Erlaubniß Anderer zu

) Vergleiche den Schluß unſerer Selzze.

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eſſen, ſteht uns der Neger gewiß gleich und nicht minder unſeren Gegnern, wie jedem Menſchen in der Welt.“ 5

Der erſte amerikaniſche Lincoln war aller Wahr— ſcheinlichkeit nach ein Gefährte des muthigen William Pe. , der zur Sekte der Quäker gehörte, geweſen. Arm zwar und ohne einflußreiche Familienverbindungen be— wahrten die Lincolns ſich in gleichem Maße den chriſtlichen wie den Freiheitsſinn; in ihrer mühevollen Exiſtenz als Farmer, die, was ſie verzehren wollten, ſich ſelber bauen mußten, wählten ſie ſelbſtändig den Schauplatz wie die Art ihrer Thätigkeit und fühlten ſich in ihrer Arbeits— tüchtigkeit als freie Söhne eines freien Landes. Einer der Urgroßväter war von Penſylvanien nach Virginien ausgewandert; Abraham, der Großvater Lincolns, wan⸗ derte im Jahre 1780 nach dem damals noch ſehr öden Kentucky, hatte jedoch kaum ſeine Hütte gebaut und das nöthige Feld urbar gemacht, als er (1784) von Indianern überfallen und getödtet wurde. Nun zerſtreute ſich die Familie abermals, Thomas, der jüngſte Sohn, blieb mit der Mutter allein zurück, mußte von früher Kindheit an herumwandern, um ſein Brod zu verdienen und kam auch zu ſeinem Oheim Iſaak, auf deſſen Farm er ein Jahr lang arbeitete. Im 28. Lebensjahre kehrte er nach Kentucky zurück und verheirathete ſich (1806) mit der gleichfalls in Virginien geborenen Nancy Hanks und ließ ſich mit ſeinem jungen Weibe im damaligen Hardin County (jetzt Larne County genannt) nieder. Dort ward ihnen am 12. Februar 1809 ein Sohn geboren, der zu

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Ehren des Großvaters Abraham genannt wurde. Er war das zweitgeborene Kind, die (einzige) Schweſter war zwei Jahr älter und nach ihm kam noch ein Bruder, der aber in zarter Kindheit ſtarb.

Beide Eltern Abe's gehörten zur Secte der Bap— tiſten und beſonders Frau Nancy war eine Chriſtin, die viel in der Bibel las und ſie dem heranwachſenden Abe auch gut zu erklären und an's Herz zu legen verſtand. Auch ein klares, geſundes Urtheil wird der Mutter nach— gerühmt. Der Vater war einfach und ſchlicht, ein fleißiger Arbeiter, unabhängig in ſeinem Sinn, doch ohne alle Schulbildung. Er konnte nur nothdürftig leſen; zum Erlernen der Schreibkunſt hatte er weder Zeit noch Ge— legenheit gefunden. Beſtändiger Kampf mit der Wildniß des Urwaldes, Tag für Tag mühevolle Arbeit zur Erringung der Mittel für des Lebens Unterhalt, das war des Vaters Thomas Lebensaufgabe von ſeiner Geburt bis zum Grabe.

Abe hatte ſomit ſchon in den Kinderſchuhen Gelegen— heit, den Kampf um's Daſein nicht nur zu beobachten, ſondern ſelber mitzumachen. In den erſten Jahren konnte er dem Vater freilich nicht viel helfen, aber es erwachte in ihm die Luſt, bald ſelber die Axt in die Hand nehmen zu können und daneben auch das Leſen zu erlernen. Der höchſte Wunſch des munteren kleinen Jungen war, der frommen Mutter es gleichthun zu können, welche ſo ſchön aus der heiligen Schrift vorlas und des Sonntags die Kapitel ſo verſtändig erklärte. „Wann werde ich einmal

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ſo gelehrt ſein?“ fragte er ſich oft mit kindlicher Sehn⸗ ſucht. Einſtweilen ward ihm vergönnt, die nicht allzu— weit entfernte Schule des Nachbars Kaleb Hazel beſuchen zu dürfen, in der er's bis zum Buchſtabiren brachte. Kaum hatte Abe fein ſiebentes Jahr überſchritten, als der in der Seele des Vaters Thomas lang genährte Entſchluß zur Ausführung kam, nach dem ſüdlichen Indiana auszuwandern. In Kentucky war das Sklaven— weſen eingedrungen und das drückte auf die freien weißen Arbeiter, die nicht ſo geachtet waren, wie in den nördlichen Staaten. Außerdem herrſchte eine große Verwirrung in den Land⸗ oder Beſitztiteln, ſo daß es dem wackeren Thomas auf der von ihm bebauten Erde keine Ruhe ließ und er ſich entſchloß, weiter im Nordweſten jenſeits des Ohio eine neue Wohnftätte zu ſuchen. Ein Blockhaus und ein paar Maisfelder laſſen ſich leichter verlaſſen als ein Land» gut in Europa, das von Vätern auf Kind und Kindes— kinder vererbt mit dem Menſchengeſchlecht ſozuſagen verwachſen iſt; er verkaufte ſeine kleine Beſitzung für 10 Fäſſer Branntwein und 20 Dollars in Silber. Deß— gleichen wurde alles Geräth, deſſen Transport zu unbe— quem war, veräußert, und dann ward von den meilenweit zerſtreuten Nachbarn Abſchied genommen. 5 Es war ein ſchöner Herbſttag, das reiche Laub des Urwaldes glänzte in tauſend Farben, die Nebel zerſtreuten ſich vor den Strahlen der Sonne, die am blauen Himmel in prächtigem Glanz heraufſtieg. Vor dem ſtillen Block— hauſe hielt ein geräumiger, doch ziemlich plumper, vier⸗

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rädriger Wagen, vorn offen, aber mit einem gewölbten Zeltdache verſehen. Bettzeug, Küchengeräth, Lebensmittel und was ſonſt das allernöthigſte war, das hatte der Innenraum aufgenommen. Voll Gottvertrauens, doch innerlich gebeugt, da ein Bruſtleiden die Frau Nancy ſchon ſehr geſchwächt hatte und ihr kein langes Leben ver— ſprach, ſtieg die Mutter mit der Tochter ein; die Männer, nachdem ſie die Ochſen vorgeſpannt und hinten am Wagen die milchgebende Kuh befeſtigt hatten, gingen neben her, Abe voll Freude und Zuverſicht, geſpannt auf das Neue, das er zu ſehen und zu erleben im Be— griffe ſtand.

Oft genug mußte Vater Thomas mit der Axt voran- gehen, um das Geſtrüpp zu ſäubern, oder junge Bäume, die im Wege ſtanden, abzuhauen. Dem Knaben lag es ob, mit der Peitſche das Ochſengeſpann fleißig anzutreiben. Die Reiſe war beſchwerlich genug und ging langſam von Statten; doch die amerikaniſche Zähigkeit und Anſtellig—

keit half alle Hinderniſſe beſiegen und glücklich ward der Ohioſtrom erreicht, der breit und voll ſeine glitzernden Wogen dahinrollt. Der Knabe klatſchte vor Entzücken in die Hände, als er den herrlichen Strom erblickte, Vater Thomas aber fand keine Zeit, ſich des Naturbildes zu freuen, ſondern richtete ſeinen Blick alsbald auf das jenſei— tige Fährhaus und rief aus voller Bruſt hinüber. Nicht lange darauf bewegten ſich einige Männer drüben an den Gebäuden und eine Fähre ſtieß vom jenſeitigen Ufer ab. Die ſtutzigen, u a wollten nicht auf das Igd. Bibl. 3. 2

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ſchwankende Fahrzeug, und es war ein Stück Arbeit, das Geſpann mit dem Wagen an Bord zu bringen. Endlich konnte ſich die Fähre wieder in Bewegung ſetzen, Mutter und Tochter ſaßen wieder unter dem Leinwanddache, während Vater Tom vor den Ochſen ſtand, ſie dann und wann durch Streicheln beruhigend, zugleich aber auch mit den Fährmännern eine Unterhaltung beginnend, um von ihnen Näheres über Spencer Connty, das fortan die Heimath der Familie werden ſollte, zu erfahren.

In Thompſons Ferry, ſo hieß die einſam am Ufer des Ohio gelegene Beſitzung des Fährmanns, ward Nacht— quartier beſtellt, und da mit der Wirthſchaft auch ein Kramladen verbunden war, ſo konnte Vater Lincoln aller— lei Einkäufe für ſeine Hauswirthſchaft machen. Sein Abe war entzückt über das mancherlei Neue, das er in dem Laden erblickte, beſonders zog eine Wage mit ihren Ge— wichten die Wißbegierde des Knaben an, der zum erſtenmal ein ſolches Inſtrument erblickte, das in den einfachen Haushalt der väterlichen Blockhütte noch nicht den Weg gefunden hatte. | Das Ziel der Reiſe wurde glücklich erreicht und aber— mals ſahen ſich die guten Leute in der Einſamkeit des Waldes, der ſchwere Arbeit von ihnen forderte. Die Nachbarn halfen beim Bau der Blockhütte und der erſten Einrichtung der Fenz getreulich mit, und der Knabe Lincoln blieb dem Vater ſtets zur Seite und arbeitete mit ihm wie ein Alter. Ehe der Winter ins Land kam, war ſchon die kleine Wirthſchaft ordentlich im Gange und im nächſten

Jahre ward ſchon eine recht ergiebige Maisernte gehalten, der Viehſtand mit einigen Stück Rindern und Schweinen vermehrt und das Ackerland anſehnlich erweitert. Aber den fortwährenden Anſtrengungen war die zartgebaute Frau Nancy nicht gewachſen; ſie ward bleicher und matter und im nächſtfolgenden Jahr (1818) ſchloß ſie ihre Augen für immer.

Es war ein harter Schlag, der den Vater und die Kinder traf, der aber auch nicht ohne Segen für den jungen Lincoln blieb, denn er ward ernſter, ſein Gemüth richtete ſich auf ein Höheres, das Bild ſeiner frommen Mutter ſtand lebendig vor ſeiner Seele und eifrig wieder— holte er manchen Bibelſpruch, den ihn die fromme Mutter gelehrt hatte. Den Vater aber ſuchte er durch doppelten Fleiß zu erfreuen und dieſer fand in ſeinem Abe die beſte Stütze. |

In den wenigen Ruheſtunden, die ihr vergönnt waren, hatte die gute Mutter ihren lernbegierigen Sohn, ſo gut ſie es vermochte, im Leſen der Bibel und des Katechismus geübt, ihn auch die Anfangsgründe der Schreibkunſt zu lernen geſucht. Dieſe Nachhilfe fiel nun weg. Doch zum Glück für Abe hatte nicht allzuweit von der Anſiedlung der Lincolns Maſter Dorſey eine Schule errichtet, in welcher die hoffnungsvollen jungen Hinter— wäldler zuſammenkamen, um ihre derben Fäuſte für die Schreibkunſt gelenkig machen zu laſſen und die in Spencer County noch wenig verbreitete Kunſt des Leſens gedruckter Bücher zu erlernen. Abe überflügelte bald alle ſeine

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Kameraden und ward wegen feines frommen Sinnes, ſeiner Aufrichtigkeit und Lernluſt bald der Liebling ſeines neuen Lehrers. Und ein ſehr bezeichnender Characterzug aus dieſer Schulzeit des Knaben iſt es, daß er, wenn die ziemlich wilden Schulgenoſſen nach Hauſe gingen und unterwegs in Streit geriethen, den Friedensſtifter machte, obſchon er keineswegs der älteſte war, und die größten Buben nahmen auch ſeine Vermittelung bereitwillig an. Das ſtetige Arbeiten in freier Luft hatte den ohnehin langarmigen und langbeinigen Burſchen ſehr in die Länge wachſen laſſen und zugleich ſeine Muskelkraft geſtählt. Aber der Geiſt entwickelte ſich ebenſo kräftig und der Knabe bekam einen wahren Heißhunger nach Büchern, die natürlich unter den naturwüchſigen Anſiedlern ſeltene Schätze waren. Wie ſtrahlten eines Abends die Augen Abe's vor Freude, als der Vater heimkehrte, ein ſorgfältig eingewickeltes Päckchen in der Hand, mit vielſagendem Blick ſeinen Sohn betrachtend, der es ahnte, daß ein werthvolles Geſchenk ſeiner wartete. Langſam und feier- lich wickelte der Vater das unſcheinbare Tuch ab und ein Buch kam zum Vorſchein, des Knaben liebſtes Spielzeug. Es war das berühmte Erbauungsbuch von Bunyan „des Pilgers Erdenwallen“ (Pilgrim's Progress), ein ſehr ernſtes, gedankenvolles Werk, für die Jugend weniger als für ein reiferes Alter berechnet. Doch der Wald und die Einſamkeit, in welcher Lincoln lebte, ſtimmten zu den Gemälden in Bunyans Buche und verfehlten nicht ihres Eindrucks auf den ernſten; ſtrebſamen Geiſt des Knaben.

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Bald darauſ hatte er eine zweite Ueberraſchung; er bekam Aeſop's Fabeln, welche ihm die gute Nachbarin, Frau Brune, zum Leſen überließ und die er beſſer verſtand. Mit Freuden las er das Buch einmal, zweimal und kehrte immer wieder zu demſelben zurück. Die Thiere, denen der Dichter menſchliche Sprache geliehen, ergötzten ihn, aber auch die geſunde Moral, die ſie lehrten, fanden ſeinen Beifall. In der ſchlagenden, kernhaften Kürze des Aus— drucks, in der treffenden Bildlichkeit und der volksthüm— lichen Weisheit, welche die Reden des Präſidenten Lincoln auszeichneten, kann man den Bibelkundigen und Freund Aeſop'ſcher Fabellehre unſchwer erkennen.

Vater Tom freute ſich des Lerneifers ſeines Sohnes und der guten Lernanlagen deſſelben. Doch das hatte er nicht erwartet, daß der Knabe, welcher in den Wochentagen mit den Händen arbeiten mußte und faſt keine Stunde zu anderen Beſchäftigungen übrig hatte, in kurzer Zeit nicht nur die mechaniſche Fertigkeit des Schreibens erlernte, ſondern auch im Stande war, ſeine Gedanken zu Papier zu bringen und einen ordentlichen Brief zu ſchreiben. Mutter Nancy war beerdigt worden, die Nachbarn hatten ihr die letzte Ehre erwieſen und an ihrem Grabe gebetet, noch war kein Geiſtlicher erſchienen, das Grab einzuweihen und die Trauerrede zu halten. Nur einige Male im Jahr, mitunter auch wohl erſt im Verlauf mehrerer Jahre geſchah es, daß ein Prediger durch die Gegend reiste und dann die mitunter ſchon erwachſenen Kinder taufte und

nachträglich auch die Begräbnißrede hielt. Nun geſchah

es, daß neun Monate nach dem Tode der guten Frau Lincoln Paſtor Elkins ſeine Rundreiſe in dem fernen Weſten machte. Sobald dieß in Spencer County ruchbar ward, ſetzte ſich Abe hin und ſchrieb ohne Wiſſen des Vaters einen rührenden und eindringlichen Brief an den Mann, er möchte doch kommen und der ſeligen Mutter die letzte Ehre erweiſen. Als der Brief fertig war und der Vater von ſeiner Arbeit nach Hauſe kam, las ihm der über ſeine erſte ſchriftſtelleriſche Arbeit hocherfreute Sohn das Schrift- ſtück vor und mit Thränen der Rührung umarmte der Vater ſeinen lieben Abe.

Als der Paſtor am nächſten Sonntage erſchien und ſich zu dem ſchmuckloſen Grabe der Frau Nancy Lincoln verfügt hatte, wo die verſammelten Nachbarn bereits ſeiner warteten, da eröffnete der würdige Mann ſeine Feierlich— keit damit, daß er den ſchönen Brief des Knaben laut vorlas und mit eindringlichen Worten deſſen Kindesliebe pries. Kein Auge blieb trocken, und als darauf eine glaubenswarme und erhebende Leichenpredigt folgte, da ward allen Anweſenden der ſtille Wald zu einem Tempel Gottes und die einfache Todtenfeier zu einem heiligen Feſte.

Nach beendigtem Gottesdienſte ward der junge Lincoln von Allen geprieſen und geherzt, und ſein Ruhm verbreitete ſich fortan viele Meilen weit in der Umgegend, ſo daß mancher ehrliche Hinterwäldler, der des Schreibens unkundig war, wenn er einen ordentlichen Brief zu Papier gebracht wiſſen wollte, ſich nach Thomas Lincolns Block—

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haus verfügte und den gelehrten Maſter Abe erſuchte, den Brief aufzuſetzen.

Mit ſeiner Schweſter Sarah in edlem Wetteifer be— mühte ſich Abe, auch im Hauſe manches Geſchäft zu über— nehmen und den Verluſt der guten Mutter dem Vater weniger fühlbar zu machen. Aber die Kräfte des jungen Mädchens reichten nicht aus, die Laſt der Wirthſchaft zu übernehmen, und ſo entſchloß ſich Vater Thomas zu einer zweiten Heirath. Seine Wahl war eine gute; er führte den Kindern in der Wittfrau Sally Johnſton aus Eliza— bethtown in Kentucky eine zweite Mutter zu, die eine würdige Stellvertreterin war, ſich der weiteren Erziehung Abrahams mit großer Liebe unterzog, wie ſie auch ihrer Stieftochter Sarah mit zarter Schonung ihrer bereits ſchwankenden Geſundheit nur die leichteren Arbeiten übertrug.

Mr. Dorſey, der in der Gegend ſeine Rechnung nicht gefunden hatte, war wieder fortgezogen, doch war an ſeine Stelle Mr. Crawfurd getreten und verſuchte ſeine Schul— meiſterkunſt an der hinterwäldleriſchen Jugend. Ihn beſuchte der junge Lincoln, wenn es die Arbeit geſtattete. Im Leſen, Schreiben und Rechnen hatte er, ſo wenig er ſich damit beſchäftigen konnte, gute Fortſchritte gemacht, und ſeine Bibliothek war um ein wichtiges Buch reicher geworden, das die ahnende Seele des jungen Arbeiter— Studenten mit dem vortrefflichen Hochbilde füllte; es war das „Leben Waſhingtons“. Noch eine Biographie hatte ihm Mutter Sally gekauft, das „Leben Henry Clay's“,

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eines damals hochgeehrten Staatsmannes, mit deſſen Gerechtigkeitsliebe und milder Geſinnung der Knabe ganz ſympathiſirte. An dieſen Büchern lernte der künftige Rechtsgelehrte und Staatsmann ſchon früh ſein großes Vaterland lieben und deſſen eigenthümliche Verhältniſſe verſtehen. Kaum hatte er den Henry Clay vollendet, ſo hörte er von einem ſeiner Mitſchüler, Herr Crawfurd be— ſitze eine Lebensbeſchreibung Waſhingtons, die noch weit vorzüglicher ſei als die, welche er ſelber beſaß. Sogleich begab er ſich in die Wohnung ſeines Lehrers und bat den— ſelben treuherzig um das Leben Waſhingtons von Ramſay. Das Buch ward ihm gern geliehen und frohlockend trug er ſeinen Schatz nach Hauſe. Jedes freie Stündchen ward dem Buche gewidmet, das er auch mit hinaus auf ſein Arbeitsfeld nahm. Er barg es in einem hohlen Baum- ſtamm, um es gleich beim Zuhauſegehen zur Hand zu haben. Aber, o weh! eines Tages nach einem heftigen Regenguſſe fand er ſein Kleinod, das er ſicher geborgen zu haben vermeinte, völlig durchnäßt und voller Flecken. Vor allem legte er das Buch in die Sonne, um es zu trocknen; daun verſuchte er die Flecken zu tilgen, das wollte ihm jedoch nicht gelingen. Da nahn er das Buch, begab ſich geraden Weges zu Herrn Crawfurd und legte dieſem voll Zerknirſchung ein offenes Geſtändniß ab. War ſein Lehrer ſchon über dieſe treuherzige Weiſe des jungen Lincoln erfreut, ſo ward er noch mehr zum Wohl— wollen geſtimmt, als derſelbe hinzufügte: „Erſetzen muß ich Euch das Buch, Herr. Geld habe ich aber keins, dafür⸗

S kann ich aber arbeiten; gebt mir etwas zu thun!“ Herr Crawfurd, um den Burſchen weiter zu prüfen, legte fein Geſicht in ernſte Falten und erwiderte: „An Arbeit fehlt es nie; ich nehme dein Anerbieten an. Willſt du für mich Futter ſchneiden?“ „Gern“, rief Abe hocherfreut, „wann ſoll ich anfangen?“ „Gleich morgen!“ Und der junge Mann erſchien am andern Morgen mit Tages— anbruch, mähete mit den Schnittern um die Wette ſo fleißig, daß ihm der Schweiß über die Wangen lief. So arbeitete er drei volle Tage, bis die Schuld getilgt war. Am Abend des dritten Tages trat Mr. Crawfurd lächelnd zu ihm hin und überreichte ihm den Ramſay. „Behalte das Buch, mein Junge,“ ſprach er, „du haſt es redlich verdient, und ſei jederzeit ſo ehrlich, wie du es jetzt ge— weſen biſt!“

So verfloſſen dem guten Abe die Jugendjahre unter harter Arbeit und zeitweiligen geiſtigen Genüſſen, welche ihm ſein kleiner Bücherſchatz gewährte. Eine freilich ziemlich mangelhafte Ueberſetzung des Plutarch, der ſo meiſterhaft die Helden und Staatsmänner des Alterthums geſchildert, gewährte ihm auch hohen Genuß; er las alles mehrere Mal und kehrte zu ſeinen Büchern wie zu lieben Freunden zurück. Unſere jetzigen Kinder werden ſchon mit Büchern überſchüttet, wenn ſie kaum laufen können, ſie gewöhnen ſich, durch den Ueberfluß abgeſtumpft, bald an das bloße Nippen und Naſchen, und von dem vertrau-

ten Umgange mit einem lieben Buche iſt kaum noch die Rede. Und weil es am rechten Hunger nach geiſtiger

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Speiſe fehlt, iſt dann auch die Verdauung und Aneignung des Inhalts der Bücher ſehr mangelhaft. Da war der Sohn des Urwaldes bei aller mangelhaften Schulbildung doch beſſer daran; er verwandelte ſeine geiſtigen Schätze in Fleiſch und Blut, lernte daran ſelber denken und forſchen und lebte ſich in die Bücher ein. Und daß ſeine wenigen Bücher ſo vortreffliche waren, ſolche, die von einem ſachkundigen Erzieher gar nicht beſſer hätten aus— gewählt werden können, das war für die Bildung des Knaben ein nicht geringes Glück. Sein ſcheiubarer Mangel ward ihm zum wirklichen Reichth eim.

Das Leben und Arbeiten in freier Luft hatte die körperliche Entwickelung ſehr gefördert. Als er in ſein achtzehntes Jahr getreten war, überragte er ſelbſt die größten Männer der Anſiedlung um ein Anſehnliches. Schön und einnehmend war ſeine Erſcheinung nicht; an den langen Armen ſaßen ein paar rieſige Fäuſte und die Füße waren gleichfalls ſehr groß und breit. Sein dunkles Haar ſtand ſtruppig in die Höhe, der Mund war breit und die Bockenknochen ſtanden hervor; hager und mus— kulös war der ganze Leib. Nur die hohe Stirn und das glänzende, durchdringende Auge verrieth, daß in dem äußerlich jo ungeſchlachten Körper ein feiner und reichbe⸗ gabter Geiſt ſeine Werkſtätte hatte.

Meiſt ſtill und in ſich gekehrt konnte der junge Lincoln doch mitunter ſehr ſpaßhaft und luſtig ſein, ein trockner Humor ſtand ihm jederzeit zu Gebot. Viel Um— gang mit Altersgenoſſen hatte er nicht und an rohen

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Späßen fand er keinen Gefallen. Auch durch ſeine Mäßigkeit war er ausgezeichnet; geiſtige Getränke kamen nie über ſeine Lippen. Als tüchtiger Arbeiter in der ganzen Nachbarſchaft bekannt, rief man ihn zu Hilfe, wenn es etwas Größeres zu thun gab, etwa ein Block— haus gebaut werden ſollte, und ſtets war er zur Hilfe bereit und die ſtärkſten Bäume ſanken unter den gewaltigen Hieben ſeiner Axt.

Schweſter Sarah war unterdeſſen Frau Grißby ge— worden und fühlte ſich glücklich. Doch bei ihrer erſten Niederkunft verlor ſie nebſt ihrem Kinde das Leben. Das war abermals ein harter Verluſt für den Bruder, der, bei dem einförmigen Leben in der Waldeinſamkeit, mitunter recht ſchwermüthige Augenblicke hatte. So gern und fleißig er auch arbeitete, ſo ermüdend wurde ihm doch zu— letzt die mechaniſche Arbeit. Er ſehnte ſich nach einer Auffriſchung des Gemüths, nach einer Veränderung ſeiner Lage; es trieb ihn hinaus in's Weite. Da erſchien zur glücklichen Stunde Bill Pitt, ein Schulkamerad aus Kentucky, der in der Gegend Geſchäfte hatte und ſich nach einem Bootsmann umſah, welcher mit ihm nach New— Orleans fahren ſollte. Die beiden Pitt's, Vater und Sohn, hatten ſich nicht weit von Thompſons Ferry eine Blockhütte gebaut, trieben Fiſcherei, zimmerten Flöße und führten Holz, Korn und Lebensmittel aller Art von Zeit zu Zeit den Fluß hinunter. |

Dieſe Bootsleute und Stromſchiffer, auch Hafen- männer genaunt, waren, beſonders in früheren Zeiten,

Ba

als die Flüſſe noch nicht von Dampfſchiffen befahren wurden, die Frachtfuhrleute des Weſtens, der Ohio und Miſſiſſippi ihre großen Heerſtraßen, auf denen ſie bis nach New-Orleans fuhren, um zu den Pflanzungen des Südens die Waaren und Lebensmittel des Nordweſtens zu führen und in klingende Silbermünze umzuſetzen. Stromabwärts war die Fahrt eine Luſt, obwohl es un- ausgeſetzte Anſtrengung galt, das Floß in gehöriger Ent— fernung vom Ufer zu halten, vor den ſchwimmenden Baumſtämmen, die ſich ſtellenweiſe aufſtaueten, vorbei und gut durch die Stromſchnellen zu führen. Stroms aufwärts mußte aber das Boot vermittelſt der Hakenſtangen auf beſchwerliche Weiſe geſchoben werden, wenn der Wind ungünſtig war und keine Segel aufge— ſetzt werden konnten. Dann verzichtete man lieber auf die Rückfahrt des Flachboots, verkaufte dieſes ſammt der ganzen Holzladung und fuhr auf dem Dampfboote ſtrom— befuhr.

Nachdem ſie um den Lohn eins geworden waren zehn Dollars im Monat und die Beköſtigung ging es an die Ausrüſtung des Flachbootes, an welcher der ehr— liche Abraham rüſtig mithalf, zu großer Freude des alten Pitt, der ſich glücklich ſchätzte, daß ſein Sohn einen ſo tüchtigen Gehülfen angeworben hatte. Der kurz zuvor noch ſo träumeriſche und ſchwermüthige Abe war wie um— gewandelt; daß er den großen, prächtigen Miſſiſſippi bes fahren und die große Stadt an der Mündung deſſelben

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kennen lernen follte, das hatte er ſich noch vor wenigen Wochen noch nicht träumen laſſen er war voller luſtiger Einfälle und arbeitete mit einer Energie und mit einem Geſchick, daß ſeine Gefährten darob erſtaunten. Nachdem nun das Boot gehörig mit behauenen Holz— ſtämmen, mit Fäſſern und Säcken angefüllt war, fuhren die beiden kräftigen jungen Männer den breiten vollen Ohio hinunter in den noch viel breiteren und volleren Miſſiſſippi, den „Vater der Gewäſſer“ hinein. Eine üppige Waldwildniß faßte beide Ufer ein, hochſtämmige Cypreſſen, Lebenseichen, Hickorie- und Cottonbäume mit Schlingpflanzen wie eingeſponnen, ſpiegelten ſich in der Fluth des Rieſenſtromes; hier und da öffnete ſich die Lichtung und zeigte dem überraſchten Blick einen grünen Teppich, mit ſchillernden Blumen geſchmückt, die keines Menſchen Hand berühren ſollte. Brach die Nacht herein, ſo befeſtigten die Fahrmänner ihr Boot am Ufer und gingen zum Uebernachten an's Feſtland, oder machten ſich auch wohl ihr einfaches Lager auf dem Floß ſelber zurecht, wenn am Ufer keine günſtige Stelle zu finden war. Denn an feuchten und ſumpfigen Uferſtrecken, durch die Ueber— ſchwemmungen des Stromes unwegſam gemacht, fehlte es auch nicht. Nur hier und da unterbrach ein kleiner Ort, der auf größere Zunahme wartete, oder eine Gruppe von Blockhäuſern die noch ungebändigte wilde Natur. Aber einförmig war die Fahrt keineswegs. Bald brauſte ein Dampfboot vorüber, bald ſah man in der Ferne ein weißes Segel, das ſich ſtromaufwärts näherte, bald begeg⸗

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nete man anderen Flößen und Flachbooten und die

Schiffsleute riefen ſich die üblichen Fragen zu: „Wo kommt ihr her? Wohin des Wegs? Was für Ladung?“

Tage auf Tage vergingen; und da nicht immer gutes Wetter iſt, ſo folgten auf ſonnenhelle, ruhige Tage auch Ungewitter und ſchwere Regengüſſe, welche die Bootsleute bis auf die Haut durchnäßten, und das Fahrzeug ward mitunter von den ſtürmiſch aufgeregten Wellen auf- und niedergeſchleudert, als ſollte es in die Tiefe hinabgedrückt werden. Dann brannte wieder tropiſche Sonnengluth auf ihre halbnackten Glieder und badete ſie in Schweiß. Je mehr ſie ſich ihrem Beſtimmungsorte näherten, deſto heißer und ſchwüler ward die Luft. Endlich erblickten ſie auf der Oſtſeite des Stromes, an der ſie ſich beſtändig hielten, von zierlichen Baumgruppen umgeben, ſchön ge— baute Verandas, den Reichen von New-Orleans gehörend, die ſich dahin flüchteten, wenn das gelbe Fieber in der „Crescent-City“ wüthete. Aber ſie waren noch lange nicht am Ende ihrer Fahrt und ſollten zuvor noch ein gefährliches Abenteuer beſtehen.

Die Nacht war hereingebrochen und auf die Gluth— hitze des Tages folgte eine Abkühlung der Luft, daß es die beiden jungen Männer fror, und das kleine Feuer, das ſie angezündet hatten, um ſich ihr Nachteſſen zu bereiten, ihnen ſehr behaglich war. Dann, nachdem ſie ihre frugale Mahlzeit verzehrt hatten, löſchten ſie die Kohlen ſorg— fältig aus und ſuchten, in ihre Wolldecken gehüllt, auf dem Flachboote zwiſchen den Fäſſern ihr Nachtlager.

Bill Pitt, von des Tages Laſt und Hitze erſchöpft, ſchlief ſogleich ein; ſein Gefährte ſtarrte in den naßkalten Nebeldunſt hinein und konnte trotz der einförmigen Muſik des Plätſcherns der Wellen, die an das Flachboot ſchlugen, noch nicht die erſehnte Ruhe finden. Endlich ſchloſſen ſich auch ſeine Augenlider, doch plötzlich ſchreckte er empor, er hatte vom Ufer her ein Geräuſch vernommen, als nahten ſich Menſchen. Schnell ſtieß er ſeinen Gefährten

an, der ſich die ſchlaftrunkenen Augen rieb, doch bald merkte, wer da war. „Niggers!“ flüſterte er. „Wer da?“ rief Lincoln mit Stentorſtimme. Ein Fllüſtern ließ ſich vernehmen und bald ſahen die beiden Jünglinge im Licht des aufgegangenen Mondes vier ſchwarze Geſtalten, die ſich dem Boote näherten. „Ould niggar, beg for charity, Massa!“ k) riefen fie in ihrem Neger-Engliſch. Es waren von den Pflanzungen entlaufene Neger, welche es auf einen Ueberfall abgeſehen hatten und ſich des Flachbootes be— mächtigen wollten. Schnell hatte Abe die Holzaxt er— griffen und im Augenblick ſtand Bill, ein ſchwers Ruder in den Händen, neben ſeinem Freunde. Die ſchwarzen Kerle, mit kurzen Meſſern und langen ſchweren Knütteln bewaffnet, warfen ſich, nachdem ſie erſt ſtill das Waſſer durchwatet hatten, mit einem wilden Schrei auf das Flachboot; Bill fühlte ſeine linke Schulter von einem heftigen Schlage getroffen, und Abe, einen vordringenden Burſchen zurückwerfend, etwas wie eine Meſſerklinge vor

) Alte Neger, bitten um eine milde Gabe, Herr!

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ſeinen Augen blinken und fühlte einen ſtechenden Schmerz an ſeiner Stirn. Doch er blieb beſonnen in der Gefahr, ſchwang mit mächtiger Fauſt ſeine Axt auf den nächſten Negerſchädel und der Getroffene ſtürzte kopfüber und laut— los in den Strom. Bill arbeitete ebenſo wacker und führte mit feinem Ruder kräftige Schläge auf die Andringenden, welche heulend zurückwichen. Dann ſprangen ihnen die tapferen Hinterwäldler nach an's Ufer, die Räuber aber waren verſchwunden. Bill fühlte an Armen und Schultern die Nachwehen der Negerkeulen, Abe wiſchte ſich das Blut von Stirn und Wangen; fie hatten ruhmvoll das Schlacht⸗ feld behauptet. Doch hielten ſie es für gerathen, das Tau zu löſen und ihr Boot eine gute Strecke weiter hinabzufahren. 1

Noch 140 engliſche Meilen waren bis zum Ziel zu⸗ rückzulegen. Endlich lag die langerſehnte Stadt, weithin an dem halbmondförmigen Kai ſich ſtreckend, ) vor den erſtaunten Blicken da! Obwohl New-Orleans dazumal erſt 50,000 Einwohner zählte und die großen Staatsge— bäude und Hotels, die durch Dampf getriebenen Baum— wollpreſſen, die Granitbekleidungen der Dämme, all' das, was heutzutage die Miſſiſſippiſtadt ſo ſehenswerth macht, noch nicht vorhanden war: jo bildete fie doch ſchon damals den wichtigſten Stapelplatz der Union nach New-York, und bot einen Anblick des bewegteſten Lebens und der bunteſten Völkermiſchung dar. Da drängten chineſiſche

*) Deshalb die „Halbmondſtadt“ od. Crescent City genannt.

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Arbeiter an norwegiſchen Matroſen vorüber, der Yankee

des Nordens traf mit dem Engländer, der Afrikaner mit

dem Deutſchen, der Mexikaner mit dem Oſtindier zuſam— men, und Trupps von ſchnatternden und ſchreienden Negern durchzogen das Gewühl der Geſchäftsleute, hier auf ihren Schultern, dort auf kleinen Wagen die Waaren— ballen transportirend. Die neuen Parkanlagen, welche ſpäter ganze Stadttheile bilden ſollten, die reizenden, bereits zu Straßenlinien ſich gruppirenden Villen, mit Rückwänden, Balkonen und einem Unterbau von Granit⸗ quadern erſchien den erſtaunten Hinterwäldlern, deren Auge nur an kleine, dürftige Blockhäuſer gewöhnt war, wie lauter Paläſte, und die tropiſche Blumenpracht und üppige Vegetation der Gärten wirkte faſt berauſchend auf den einfachen Sinn Abraham Lincolns. Es war ihm, als ſei er plötzlich in eine Zauberwelt verſetzt.

Doch ein echter Yankee kommt nicht leicht außer Faſſung und vergießt niemals das Geſchäft. Vor Allem galt es, das Flachboot durch das Gewirre großer und kleiner Fahrzeuge, Barken, Jollen, Waarenſchuten, Dampfer, Segelſchiffe, gut durchzubringen und an einem paſſenden Orte des Hafens anzulegen. Dann, als dieß gelungen war, ſahen ſich die jungen Hinterwäldler nach Käufern für ihre Waaren um und brachten auch dieſe zu

8 annehmbaren Preiſen an den Mann. Zuletzt blieb ihnen

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nur das Flachboot übrig, auf welchem ſie den Miſſiſſippi

herabgeſchwommen waren und welches ſtromaufwärts zu— rückzubringen ſich nicht der Mae lohnte. Auch für Bei Igd.⸗Bibl. 3.

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fand ih ein Käufer und nun hatten die beiden Voots⸗ männer ihre Börſen voll ſilberner Dollars. Ihre Aufgabe war gelöst.

In einem der Boardinghäuſer, die unfern des Hafens lagen, ward nun von ihnen ein kleines Zimmer gemiethet, da ſie noch einige Zeit in New-Orleans bleiben wollten, um ſich alle Merkwürdigkeiten wohl anzuſehen. Der alte Pitt hatte ihnen den Rath gegeben, vor den Gamblers und Rowdies, dem Gaunervolk, das den uner— fahrenen Fremden das Geld aus der Taſche lockt, ſich wohl in Acht zu nehmen, überhaupt vor den Leuten nicht viel Geld ſehen zu laſſen. So kauften ſie ſich denn Leder— gürtel, um ihr Silber am Leibe tragen zu können, und ſteckten nur weniges Geld in die Taſchen. Die Theater, Tanzſäle, Spielhöhlen und Stätten des Laſters ließen ſie unbeſucht; das Gewirr der Menſchen und der breiten und ſchmalen Straßen gab ihnen Unterhaltung genug; der Marktplatz zumal, auf dem Alles zu finden war, was die ſüdliche Zone zu bieten vermag, köſtliche Früchte, Gemüſe, Fiſche, Blumen in den bunteſten, glänzendſten Farben.

Sie gingen weiter und kamen vor ein ſtattliches Haus, bei welchem ihre Schritte durch ein Gedränge von Menſchen gehemmt wurden, die alle hinein wollten. „Was mag dort vorgehen?“ ſprach Abe zu Bill, „iſt's ein öffent⸗ liches Gebäude, eine Börſe oder was ſonſt?“ „Treten wir ein,“ meinte Bill, „und ſehen wir, was es giebt.“ Die beiden Hinterwäldler bahnten ſich durch den Menſchen⸗

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knäuel einen Weg, arbeiteten ſich durch einen Hausgang und kamen endlich in eine große halbrunde Halle. Auf der einen Seite befand ſich ein langer Bar (Schenktiſch), hinter welchem von Tellern, Eßwaaren und Liqueurflaſchen umge— ben ein aufgedunſener Wirth ſaß, das Geld einſtreichend, das ihm die ſchwarzen aufwartenden Kellnerburſchen aus dem Saal überbrachten. Im Hintergrunde war eine Tribüne errichtet, vor derſelben ſtanden die Unglücklichen, welche hier verhandelt werden ſollten, Männer,, Weiber und Kinder, alle mit einer Nummer verſehen. Der Auktiona— tor der Sklavenhändler ſtand auf der Plattform und wenn er eine Nummer ausgerufen hatte, mußte der Träger derſelben zu ihm hinaufſteigen und ſich von den Kaufliebhabern betaſten und unterſuchen laſſen. Auch gedruckte Verzeichniſſe wurden herumgereicht, auf welchen die Namen und das Alter und Geſchlecht der zu ver— kaufenden Sklaven verzeichnet waren. Außer den breit— ſchultrigen Pflanzern, welche die Mehrzahl der Käufer bildeten, waren auch viele unbetheiligte Zuſchauer anwe— ſend, denen es nur um das Schauſpiel zu thun war. „Einige halbtrunkene Kerle ſprangen auf die Bühne, um den dort aufgeſtellten Frauenzimmern ſchamloſe Reden in's Ohr zu lallen oder derbe Flüche auszuſtoßen.

Der ſtreng ſittliche, reine und unverdorbene Abraham Lincoln ſah dieß ihm ganz neue Schauſpiel mit einem innerlichen Schauder. Sein theilnehmender Blick ruhete auf der Reihe der noch des Verkaufs harrenden Sklaven, von denen viele wie empfindungslos in den Saal hinein⸗

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ſtierten, als ginge der Vorgang ihnen gar nichts an. Einige waren echte Aethiopier von der Schwärze des Ebenholzes, andere zeigten eine broncefarbene Haut, bis zum lichteren, weißbraunen Teint. Einige junge Mädchen waren nicht dunkler als manche Farmerstochter von Louiſiana, ſie waren zu Stubenmädchen für reiche Fami— lien der Crescent City beſtimmt. Aber auch eine ganz weiße Frauensperſon von etwa vierzig Jahren fand ſich unter der zu veyſteigernden Menſchenwaare; ernſt und in ſich verſunken ſtand ſie da, ihre Mienen zeigten einen edlen Ausdruck des Schmerzes, ihre zarten, kleinen Hände deu— teten auf keine harte Arbeit.

„Nummero ſieben!“ rief der Verſteigerer. „Jenny Hawkins, 42 Jahre alt, gut erzogen, wird eine vortreffliche Wirthſchafterin abgeben!“

Ein gutmüthiger Pflanzer erzählte den Umſtehenden, die ſoeben Aufgerufene ſei die Geliebte, man könne ſagen die Gattin ſeines Nachbars geweſen, der ihr einen Frei— brief ausſtellen wollte, aber durch ſeinen plötzlichen Tod daran gehindert ward. Sie habe einen Sohn, der ſei frei und ſiudire in New-Vorf, aber er jet nicht legitim und habe deßhalb auch keinen Anſpruch auf die Mutter. Dieſe hatte ihren Sohn mit Schmerz erwartet, in der Hoffnung, er werde Mittel gefunden haben, ſie aus der Sklaverei zu befreien. Als nun ihre Nummer aufgerufen ward, rührte ſich die arme Frau nicht von der Stelle. Zornig ſchrie der Auktionator: „Gott ... ., wenn ich Euch nicht ſogleich Beine machen werde!“ Der gute Abe ballte

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feine Fäuſte und zitterte vor Aufregung am ganzen Leibe. „Ruhig, um Gotteswillen ruhig!“ flüſterte Bill und er— griff die Hand ſeines Freundes. Da hörte man einen Aufſchrei, ein junger Mann drängte ſich ungeſtüm durch die Menge. „Mutter!“ ſchrie er und umſchlang das arme Weib, das ſoeben die Stufen der Plattform hinanſtieg.

Ein Durcheinander von Stimmen und Ausrufen er⸗ füllte in dieſem Augenblicke den Saal; einige herzloſe Menſchen lachten laut auf, andere freuten ſich und riefen Beifall. Der Auctionator aber trennte die Mutter von ihrem Sohne, der die nahezu 1400 engliſchen Meilen in fliegender Haſt zurückgelegt hatte und noch zu rechter Zeit angekommen war.

„Ich biete auf meine Mutter!“ rief er mit leiden⸗ ſchaftlicher Stimme in den Saal hinein. „Ein Schuft, der gegen ihn bietet,“ tönte es hier und da aus dem Kreiſe. Doch nun trat ein gemein ausſehender Menſch mit auf— gedunſenem Geſicht und wildem Trotz in den Mienen hervor und ſchrie trotzig: „Ich werde bieten, und wer mir entgegentritt, den ſchieße ich nieder!“ Ein Murmeln lief durch die Menge, doch Keiner hatte den Muth, dem rohen Menſchen die Spitze zu bieten. „Das iſt Jefferſon Stevens hieß es der Todfeind des Verſtorbenen, der Millionär! Arme Jenny!“

Die Auktion begann. „Viertauſend Dollars!“ ſtammelte der Sohn; er hatte die größte Summe genannt; über die er verfügen konnte. Da ſchickte ſich der Pflanzer

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Stevens an, ihn zu überbieten, aber nun entſtand großer Tumult; der beſſer geſinute Theil der Anweſenden, von edlem Unwillen ergriffen, ſtürzte ſich auf den rohen Menſchen, und ehe ſich's derſelbe verſah, war er bei den Schultern gepackt, durch den Saal geſchleift und aus der Thür hinausgeworfen. Der Hammer des Auctionators fiel dröhnend dreimal nieder der Sohn hatte die Mut— ter erworben und jubelnd lagen ſich beide in den Armen.

Der gute Abe athmete auf, als ſei eine Laſt von ſeinem Herzen genommen. „Gott ſei Dank!“ rief er und Thränen rannen über ſein hageres Geſicht. Tief erſchüt— tert verließ er mit ſeinem Freunde das Haus; ein Abſcheu vor dieſer „häuslichen Einrichtung“ des Südens hatte ſich ſeiner Seele bemächtigt.

Die beiden jungen Männer bezahlten einen Platz auf dem Dampfboote und kehrten wohlbehalten in ihre Heimath zurück. Die Kunde von der treuen Pflichter— füllung und kraftvollen Bewältigung aller Hinderniſſe verbreitete ſich in der Nachbarſchaft und wandte ſchon jetzt dem jungen Lincoln das Vertrauen ſeiner Mit— bürger zu.

2.

Der Unternehmungsgeiſt und Trieb in's Weite, der tief im angelſächſiſchen Weſen ſteckt, iſt in amerikaniſcher Luft zu voller Entwicklung gelangt. Wie es die euro— päiſche Menſchheit im Mittelalter Jahrhunderte nach dem fernen Oſten zog, ſo zieht es in unſerer Zeit die Menſchen

von Europa nach Amerika, den Amerikaner des Oſtens

aber nach dem fernen Weſten. Auch der gute Thomas

Lincoln, obſchon er ziemlich weit nach Weſten vorge— drungen war, wollte noch weiter nach Weſten. Der Staat Illinois mit ſeinem fruchtbaren Prairieboden und ergiebigen Flußniederungen dünkte ihm das Land zu ſein, wo „Milch und Honig fließt,“ und wenn man davon erzählte, kam ihm der Gedanke nicht aus dem Sinn, dorthin überzuſiedeln. Seine zweite Frau hatte zwei ſtatt⸗ liche Töchter mitgebracht, die hatten geheirathet und die beiden Schwiegerſöhne waren tüchtige Arbeiter. So fehlte es für die neue Auſiedlung nicht an kräftigen Händen.

Abraham Lincoln war mit dem Plane des Vaters nicht einverſtanden, doch als guter Sohn fügte er ſich und übernahm willig einen Ochſenwagen zur Führung. Im März 1830 ſetzte ſich die Geſellſchaft, welche mit den

Kindern 12 Perſonen zählte, in Bewegung, und in 14

Tagen war der Weg bis nach Decatur in Illinois, das damals nur erſt ein kleines Oertchen war, zurückge— legt. Etwa zehn engliſche Meilen weſtlich von Decatur,

an der nördlichen Seite des Sangamonfluſſes, ward das

neue Blockhaus errichtet, an einer freundlichen Stelle, wo der Waldſaum das Prairieland berührte.

Mit gewohnter Rährigkeit und Rüſtigkeit ſchwang Abe die Axt und in erſtaunlich kurzer Friſt hatte er Pfähle und Fenzriegel für die Umzäunung von zehn Morgen Landes herbeigeſchafft. Es ward geackert und

geſäet, und in dem neuen, nicht allzu geräumigen Block hauſe richtete man ſich ein, ſo gut es gehen wollte. Doch es kamen ſchwere Heimſuchungen über die Familie; im Herbſt das Fieber, das die Männer ſo abmattete, daß ſie nur nothdürftig das Feld beſtellen konnten, und dann ſtellte ſich ein ungewöhnlich ſtrenger und anhaltender Winter ein. Bis zu Manneshöhe bedeckten die Schnee— maſſen das Land und an ſeiner Oberfläche bekam das Schneefeld eine faſt undurchdringliche Eiskruſte. Der Verkehr ward gehemmt, ſelbſt die größeren Ortſchaften geriethen in Noth, die vielen einzeln gelegenen F Farm⸗ häuſer und Blockhütten aber, welche nur mit ihrem Dach aus dem Schnee hervorſahen, wurden dem bitterſten Mangel preisgegeben und ihre Bewohner mußten am Hungertuche nagen. Da erwies ſich der wackere Abraham abermals als ein Schutzengel für die Seinen. Er ging im heftigſten. Schneegeſtöber auf die Jagd, um friſches Fleiſch zu ſchaffen; obwohl er kein tüchtiger Schütze war, erſetzte doch ſein Eifer und ſeine Ausdauer ſeine Geſchick— lichteit. Dann unternahm er mit ſeinen Schwägern lange beſchwerliche Reiſen, um Brod und andere noth— wendigen Lebensbedürfniſſe herbeizuſchaffen, und ſo kam denn der Frühling des Jahres 1831 heran, der die Familie wegen der Ueberſchwemmungen zwar auch noch ängſtigte, aber bald der Noth ein Ende machte.

Ein unerwarteter Beſuch, den John Hanks, der mit der verſtorbenen Mutter Nancy, die auch eine geborene Hanks geweſen, nahe verwandt war, der Familie Lincoln

ge

abftattete, galt dem Abraham. Dieſer follte wieder ein Flachboot nach New-Orleans hinunterfahren, das ein Mr. Offult in Springfield ausrüſten wollte. Im Hauſe ſeines Vaters, der ſchon wieder mit Auswanderungsplänen um— ging, konnte er nicht für immer bleiben. Abraham war im letzten Februar mündig geworden und durfte frei über ſich ſelbſt verfügen. So war ihm der Antrag ſeines Vetters Hanks ganz willkommen und er nahm Abſchied von den Seinen, mit ſchwerem Herzen freilich, denn er hatte aufgehört, ein Glied des väterlichen Hauſes zu ſein. Die Segeuswünſche des Vaters und der Mutter Sally begleiteten ihn auf ſeine neue Wander chaft.

Die Reiſe nach New-Orleans ging wieder glücklich von ſtatten, doch in der Halbmondſtadt traf er's diesmal nicht ſo glücklich, wie bei ſeinem erſten Beſuch, denn es wüthete dort das gelbe Fieber, die Geſchäfte begannen zu ſtocken, in den Straßen wehte eine verpeſtete Sumpfluft und wer nicht nothwendig ausgehen mußte 4 der blieb daheim. Die, welche ſich in den Straßen begegneten, gingen in weiten Bogen um einander herum, aus Furcht vor der Anſteckung. Nur Leichenwagen ſah man auf den Straßen. Aber die Menſchen ſtarben ſo ſchnell und in ſo großer Anzahl, daß es faſt zur Unmöglichkeit wurde, alle zu beerdigen. Viele Leichen ſah man ſchon auf dem Quais und Trottoirs regen und Lincoln ſtürzte faſt über eine ſolche, als er eines Abends in ſein Logierhaus ſich begeben wollte. Ein Neger, dem die Hand fehlte wenn ein Sklave ſich an ſeinem Herrn vergriff, ward ihm die Hand

abgehauen brachte ihm eine Laterne und bei deren Schein ſah er, daß fünf Leichen auf dem Trottoir lagen. Dank ſeiner gefunden Konſtitution kam er mit einen leich— ten Fieber davon und ſeine Waaren nebſt dem Flachboote brachte er abermals recht gut an den Mann und ſchon im Juni ſtand er wieder vor Mr. Offult in Springfield, der mit dem erlangten Gewinn ſehr zufrieden war. Nachdem er Mifier Lincoln den bedungenen Lohn ausgezahlt hatte, machte er ihm das Anerbieten, ob er nicht als Gehilfe in den von Ofſult zu New-Salam errichteten Kramladen eintreten wolle? „Sehr gern!“ war die Antwort.

Abe wanderte alſo nach New-Salem, wo ſein neuer Dienſtherr einen Kramladen nebſt einer Kornmühle beſaß. Seine neue Reſidenz war ein armſeliges kleines Haus mit halbblinden Fenſtern und einem ſo morſchen Gebälk, daß man dachte, es müßte jeden Augenblick zuſammenſtürzen. Laden und Vorrathskammer waren ein paar Bretterver— ſchläge mit Haus⸗ und Ackergeräthe, Zucker und Kaffee, Kleidern, Stiefeln und Nägeln wohl verſehen. An der Waage fehlte es natürlich auch nicht und das Inſtrument, bei deſſen erſtem Anblick der Knabe in Entzücken gerieth, ſollte nun von dem Manne gehandhabt werden. Und dieſer Mann war höchlich befriedigt, daß er nun ſchon eine ſo hohe Staffel im geſellſchaftlichen Leben erſtiegen hatte, daß er ein Storekeeper geworden war.

Man darf die Stellung des Krämers in einem Dorfe oder einer kleinen Stadt nicht allzu gering anſchla— gen. Er empfängt die Beſuche von Leuten aller Art aus

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ge

dem Orte und der ganzen Umgegend, und da es eine ebenſo angenehme Sache iſt, Neuigkeiten mitzutheilen und auszutauſchen, als Waaren einzukaufen, ſo erfährt er immer aus erſter Hand, was ſich da und dort ereignet hat und wird mit Land und Leuten bald vertraut. Die kleine Zugabe von einem Gläschen Whisky, welche damals noch üblich war, erhöhte nicht wenig die Beweg— lichkeit der Zunge, und der Verkaufsladen bildete einen Vereinigungspunkt für die Männer, die über Handel und Wandel, über Staats- und Gemeindeangelegenheiten ſich unterhielten, auch wohl ein Geſchäft abſchloſſen und von dem Kandidaten redeten, den ſie für die nächſte Legislatur (geſetzgebende Verſammlung) wählen wollten.

So war ſein neues Amt als Storekeeper dem Abra— ham Lincoln ſehr erſprießlich als Vorſtudium für den künftigen Staatsmann. Die rieſig große, knorrige und eckige Erſcheinung Abes hatte nicht verfehlt, in Salem

Aufſehen zu erregen. Das leutſelige Weſen des Krämer—

rieſen, ſeine Fertigkeit, den Käufern allerlei witzige Ge— ſchichten zu erzählen, und die Gewiſſenhaftigkeit, mit wel— cher er Jedem reichlich das Seine abwog und maß, das brachte ihm vielen Zuſpruch. Aber zum Vortheil des Mr. Offult war dieſe Freigebigkeit, die lieber zu viel als zu wenig gab, nicht. Der ehrliche Lincoln war kein ſpecu— lirender Geſchäftsmann, er verſtand es nicht, durch An— preiſen ſeiner Waare Abſatz zu verſchaffen, auf Concur— renten zu ſchelten er war mit einem Worte kein Krämer- und Geldmenſch. Das Geſchäft wollte keinen Aufſchwung

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gewinnen und gerieth, da der Eigenthümer ohnehin kein Kapital zur Verfügung hatte, in mißliche Umſtände.

Während Lincoln mit dem Gedanken umging, ſeine Stelle zu kündigen, befreiten ihn ſeine Mitbürger, deren volles Vertrauen er im vollſten Maße bereits gewonnen hatte, aus ſeiner Verlegenheit ſie wählten ihn zu ihrem Hauptmann für den bevorſtehenden Feldzug gegen die Indianer, welche unter Anführung des „ſchwarzen Falken“ (Black Hawk), wie der tapfere Häuptling genannt wurde, in Wisconſin und Illinois eingefallen waren. Die Indianer ſollten, ſo erzählte man übertreibend alle vereinzelten Niederlaſſungen umzingelt, in Brand geſteckt, das Vieh fortgetrieben, Männer, Weiber und Kinder niedergemacht und ſkalpirt haben. Die Milizen wurden aufgeboten und New-Salem ſtellte auch feine Kompagnie. Der große, luſtige, kluge Abraham Lincoln ſollte der Anführer ſein, der freilich von militäriſchen Dingen noch weniger verſtand als von Krämerkünſten, aber als echter Amerikaner den neuen Ehrenpoſten mit dem Vorſatz annahm, daß ſeine zu thun, um ihn würdig zu behaupten.

Er ſetzte alſo einen betreßten, dreieckigen Offiziershut auf ſein ſtruppiges Haar, ſchnallte einen alten, halbver- roſteten Degen um und rückte mit ſeiner Schaar, um ſie vor Allem ein wenig einzuüben, auf den Dorfplatz. „Right face, left face, right, leſt, right, leſt! Halt! Attention, Gentlemen!“ Und dabei Trommelwirbel und Pfeifen, als ſei es auf das Zerſpringen des Trommel⸗

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fells in den Ohren der Bewohner Nem-Salems abgeſehen. Die „Freiwilligen“ hatten ſich bewaffnet, ſo gut es gehen wollte; da es an Flinten fehlte, hatten einige der Tapferen ſich mit Heugabeln, alten verroſteten Säbeln und derben Knütteln bewehrt, und da Eſſen und Trinken den menſchlichen Leib erhält, fehlte keinem der Schnapp— ſack mit Proviant, und die meiſten Milizmänner, welche ihren Blutdurſt zuvor mit der Schnapsflaſche zu löſchen ſich vorgeſetzt hatten, trugen ihre Whiskyflaſchen an einer Schnur, die um den Hals gehängt war, und bei jeder Bewegung des Mannes klopfte ſie, bald zärtlich, bald un— wirſch auf den Bauch ihres Trägers. Es geſchah den vom Kriegs- und Soldatenweſen ſo weit abgekommenen Republikanern nicht ſelten, daß ſie rechts und links ver— wechſelten, daß die Glieder wie bei einem zerſchnittenen Regenwurm ſich löſten und nach verfchiedenen Seiten auseinanderfuhren, ja, daß auch der Kapitän mit dem Dreimaſter ſelbſt in Verlegenheit war, ob er rechts oder links kommandiren ſollte. In ſein Kommando redete auch wohl Gevatter Hinz und Kunz hinein und es ent— ſpann ſich eine gemüthliche Unterhaltung, über der man das Exerciren ganz vergaß. Die komiſchen Auftritte machten den ohnehin gut gelaunten Kapitän nur noch luſtiger, und mit ſeinem guten Humor brachte er ſchließlich doch wieder Alles in's rechte Geleis. Daß, wenn dieſe Hinterwäldlerſchaar mit den Rothhäuten zuſammengekom— men wäre, fie tüchtig darauf losgeſchlagen und geſchoſſen hätte, iſt ohne Zweifel. Aber als ſie nun in einem abge⸗

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legenen Poſten im Walde Halt zu machen kommandirt wurde, da zeigte ſich weder bei Tag noch bei Nacht auch nur ein einziger Indianer, und die Miliz von New-Salem hatte ſich nur im geduldigen Warten, im Hungern und Durſten denn die Ration wurde mit jedem Tage geringer und im Kampfe mit den Muskito's geübt.

Als Lincoln im Kongreß 1848 auf ſeinen Feldzug von 1832 zu ſprechen kam, äußerte er ſich in ſeiner humori— ſtiſchen Weiſe alſo:

„Halten Sie mich, meine Herren, für einen Kriegs— helden? Im Black-Hawk⸗Kriege freilich habe ich gefochten, geblutet und bin entronnen. Doch mein Schwert habe ich nicht zerbrochen, denn ich hatte keins zu brechen, aber einſt verbog ich eine Muskete. Als General Caß ſein Schwert zerbrach, that er es, wie mir ſcheint, aus Ver— zweiflung; als ich meine Muskete verbog, geſchah es nur aus Zufall. Wenn General Caß es mir im Heidelbeer— pflücken zuvorthat, jo übertraf ich ihn in räuberiſchen An⸗ fällen auf wilde Zwiebeln. Wenn er einen lebendigen, ſtreitbaren Indianer ſah, dann ſah er jedenfalls mehr als ich; ich meinerſeits hatte wohl manches blutige Gefecht, aber nur mit Muskitos, und wenn ich auch nie wegen Blutverluſtes in Ohnmacht ſank, ſo paſſirte es mir zu⸗ weilen doch beinahe aus Hunger.“

Wenn aber Lincoln auf ſeiner kurzen kriegeriſchen Laufbahn keine Gelegenheit fand, ſich auszuzeichnen, ſo hatte ſein Anſehen und ſein Ruf bei ſeinen Mitbürgern doch bedeutend gewonnen, und ſeine Erwählung zum

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Kapitän durfte ihn mit gerechtem Stolze erfüllen, wie fie ihm denn auch die Nothwendigkeit fühlbar machte, ſich noch weiter in der geſellſchaftlichen Stellung emporzuar— beiten. „Mit Ausnahme eines Jahres“, äußerte ſich ſpäter der ehrliche Abraham, „hat mich nie der Hoch— muthsteufel gepackt. Damals bildete ich mir, offenherzig geſtanden, etwas oder richtiger ſehr viel auf meine großen Hände ein, die ich ſpäter mit ganz andern Empfindungen betrachten lernte. Die langen Arme, welche ſich an den Händen befanden, kamen mir ganz unſchätzbar vor. Kein Hunderttauſend-Dollars- Mann kann ſeine Papiere mit größerer Zärtlichkeit, mit zufriedenerem Stolze betrachten, als ich auf meine Arme blickte. Der Kopf ſchwirrte mir von Plänen; allein ich muß geſtehen, daß bei dieſen Plänen die Arme und Hände ſtets die eigentliche Grundlage aus— machten. Vom Shopkeeper-Gehilfen gedachte ich mich bald zum Shopkeeper (Kaufmann) empor zu arbeiten eine glänzende Ausſicht mit unbeſtimmten Vorſtellungen vom Anſprechen des Benefit (beim Bankerott) im Hinter- grunde. Arme und Hände waren dann wieder mein Troſt, der Anfang und das Ende meiner Träume. Der „ſchwarze Falke“ machte aus dem Ladendiener einen Kapitän, ich will nicht ſagen, daß ich expreß vom Black Hawk mein Patent erhielt, aber ich hatte doch, gleich unje= ren Feldherrn, mir vom Black Hawk ein Stück Ruhm eine Art von Skalp herabgeſchunden. Kapitän iſt ein merkwürdiges Wort. Ein Kapitän kann doch kein Laden- diener werden, wenn er ſeiner alten Kompagniemannſchaft

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gegenüber auf Hochherzigkeit, „Pluck“, Anſpruch erheben will. Und ſo iſt's denn der Hochmuthsteufel, der mich wie der Engel des Habakuk beim Kopfe nahm und mir zeigte, daß mein Daumen und meine beiden rechten Vor— derfinger ſich mit dem Reſte der rechten und mit der gan— zen linken Hand zu meſſen vermöchten und daß, Alles richtig gerechnet, meine Zunge ſchwerer wiegen könne als meine beiden langen Arme. Wen aber der Teufel einmal gepackt hat, den läßt er ſobald nicht wieder los. Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter, daß in der Kom— pagnie, die von den böſen Engeln Kuthriel und Dalziel (Habſucht und Ergeiz) kommandirt wird, noch ein Plätz— chen als Freiwilliger offen gelaſſen ſei. Ich warf den Ladendiener unter den Ladentiſch und ging als hoffnungs— voller Rechtsgelehrter von dannen. Meine Lieutenants waren faſt alle Advokaten geworden, und ihr Kapitän zeigte, ſo hoffe ich, daß er noch immer würdig ſei, die wackeren Jungen zu kommandiren.“

So ſehr Lincoln nach ſeinem innerſten Weſen zum Rechtsanwalt berufen war, ſo erging es doch ihm, wie ſo vielen anderen großen Männern vor und nach ihm, die liebe Noth trieb ihn auf den Weg, der ſchließlich zum Ziele führte und der beſte war. Es waren die Schulden, die er gemacht hatte und die er als ehrlicher Mann be— zahlen wollte, aber mit bloßer Handarbeit und Tagelöhnen nicht tilgen konnte, welche ihm den Gedanken nahe legten, ſich einer Beſchäftigung zuzuwenden, die ihm ſo viel ein⸗ brächte, daß er einen Theil des Erworbenen zurücklegen

könnte. Und fo ftellte ſich der Beruf des Advokaten als das glänzende Ziel vor ſeine Seele, dem er zuſteuern müſſe.

Als er nach ſeinem dreimonatlichen Feldzuge nach New⸗Salem zurückkehrte, war eben Wahlbewegung für die geſetzgebende Verſammlung des Staates Illinois. Seine Mitbürger, wie ſie den klugen und charakterfeſten Abraham Lincoln durch Erwählung zum Hauptmann der Miliz geehrt hatten, wollten ihn auch für die Legislatur zum Abgeordneten erwählen; er erhielt von 274 Stimmen nicht weniger als 267. Lincoln war für den milden verſöhnlichen Staatsmann Heinrich Clay, der auf Seiten der Whigs ſtand; hatte er doch ſchon als Knabe deſſen Lebensbeſchreibung mit hoher Freude geleſen und den verehrten Mann in ſein Herz geſchloſſen! Aber die De— mokraten, welche damals noch Hand in Hand mit den Sklavenbeſitzern der Südſtaaten gingen, hatten auch in Illinois noch das Uebergewicht und es ward in den anderen Wahlbezirken der demokratiſch geſinnte General Jackſon durchgeſetzt.

Was nun beginnen? Mit der Art das Hinterwäldler Farmerleben fortſetzen, das wollte und konnte er nicht. Da bot ihm ein früherer Bekannter von ihm die Theil— haberſchaft an einem Krämergeſchäft an, das derſelbe in New⸗Salem zu gründen im Begriffe ſtand; Verluſt und Gewinn ſollte zwiſchen beiden Aſſocies gleich getheilt werden. Der arme Schlucker hatte aber alle ſeine Waarenvorräthe er und hoffte, durch Abraham

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Lincoln fein Geſchäft empor zu bringen. Zu dieſem Zweck wollte er auch einen Branntweinſchank eröffnen, was Lincoln, ein ſtrenger Anhänger des Enthaltſamkeits— prinzips, der weder geiſtige Getränke genoß noch Tabak rauchte, entſchieden verweigerte. Der Aſſocie übernahm am Ende den alleinigen Betrieb des Kramladens, der aber bald geſchloſſen werden mußte. Der arme Abraham verlor dabei nicht nur alle ſeine Erſparniſſe, ſondern wurde auch für eine Schuldenlaſt von 1100 Dollars ver- antwortlich.

Das Unglück, weit entfernt, ihn muthlos zu machen, regte alle feine Kräfte auf. Hatte er doch in den Bio— graphien Plutarchs, in den Lebensbeſchreibungen Waſhing⸗ tons und Benjamin Franklins das Hochbild von Mäns nern angeſchaut, die auch mit des Lebens Noth und Wider- wärtigkeiten hatten kämpfen müſſen! Hatte doch der ge= feierte Held Waſhington ſich auch erſt durch geraume Zeit hin als Feldmeſſer ſein Brod verdienen müſſen und wie ſauer waren dem wackeren Franklin die Lehrjahre gewor— den! Daß Lincoln, nachdem er als Hauptmann bei ſeinen Mitbürgern ſo viel Achtung genoſſen und als Abgeordne— ter zu wirken für würdig erachtet worden war, ſich mit einem abgetragenen Anzuge behelfen mußte, der immer fadenſcheiniger wurde; daß er bei aller Mäßigkeit und Einſchränkung oft nicht wußte, woher ihm das tägliche Brod kommen und wohin er ſein Haupt legen ſollte; das war hart genug. Aber ſein Gottvertrauen hielt ihn aufrecht und es täuſchte ihn nicht.

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Zunächſt ward ihm die Poſtmeiſterſtelle von New» Salem verliehen. Das war freilich ein ſehr unbedeuten— der Poſten, der wenig einbrachte, aber doch das Gute hatte, daß er ſeinen Inhaber mit vielen Leuten in Berührung brachte, ihm manchen Freund erwarb, auch Zeit genug ließ, um durch Selbſtſtudien ſich fortzubilden. Von einem Advokaten der Nachbarſchaft lieh er ſich juriſtiſche Bücher denn zum Ankauf der Bücher fehlte ihm das Geld, und um ſeinem Gönner, der vielleicht dieſe Werke den Tag über ſelber brauchen mußte, nicht beſchwerlich zu fallen, holte er das Buch am Abend, las und ſchrieb daraus bis tief in die Nacht hinein und brachte es am andern Morgen dem Eigenthümer wieder zurück. Auch durch fleißiges Leſen der Zeitungen, die er als Poſtmeiſter aus erſter Hand bekam, wußte er ſeine juriſtiſchen und poli— tiſchen Kenntniſſe zu erweitern und ſich fortzubilden. Schon damals ward ſein ſtets praktiſcher Rath und treffendes Urtheil vom Volke ſehr geſucht, und ſtatt zu einem Advokaten zu gehen, kamen viele zu dem Poſtmeiſter Lincoln, um in verwickelten Streitigkeiten oder ſchwierigen Rechtsfällen ſeinen ehrlichen Rath zu vernehmen.

Glücklicherweiſe dauerte es nicht lange, bis ſich dem braven Manne eine Gelegenheit darbot, um Geld zu ver— dienen und die Gläubiger befriedigen zu können. Dieſe waren zwar durchaus nicht ungeduldig geworden, ſie hat— ten zu Lincolns Redlichkeit das beſte Vertrauen, aber dem Schuldner fiel es immer ſchwerer auf's Herz, wenn er einem ſeiner Gläubiger begegnete. In ganz Illinois

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herrſchte damals eine wahre Leidenſchaft, Stadt- und Landgrundſtücke zu vermeſſen und auszuweiſen. Eine Vermeſſungsgeſellſchaft hatte an dem Centralpunkte Chicago ihren Sitz und machte von dort aus ſehr gute Geſchäfte. Nach allen Richtungen hin wurden Baupläne für neu zu gründende Städte und Ortſchaften abgeſteckt und zum Verkauf ausgeboten. Der damalige Landver— meſſungschef von Sangamon-County, John Calhoun, der einige Jahre ſpäter in dem Streit über die Kanſas— Angelegenheit eine ſo hervorragende Rolle ſpielte, machte unſerm Lincoln den Vorſchlag, die Vermeſſungen für feinen Diſtrikt zu übernehmen. Der rüſtige, arbeitsluftige - Hinterwäldler erklärte ſich ſogleich bereit dazu, obwohl er nichts von der Mathematik und Feldmeßkunſt verſtand. Er verſchaffte ſich alſo die nöthigen Bücher, um ſich in das neue Fach hineinzuſtudiren, nahm Kompaß und Meßkette und zog hinaus in's Freie, um ſein Werk zu beginnen.

Die Arbeit war viel ſchwerer und mühſeliger, als er fie ſich vorgeſtellt hatte, denn es mußten die unwirthbarſten, wildeſten Gegenden durchzogen werden; oft ging's durch bodenloſe Sümpfe oder durch angeſchwollene Waldbäche, oder es mußte auf einem Flecke Halt gemacht werden, wo ein Heer von Muskito's auf Geſicht und Hände ſtürzte und alle Thätigkeit zu hemmen drohte. Nicht immer war ein Blockhaus in der Nähe, das für die Nacht einen ge— ſchützten Lagerplatz bot, dann ward unter dem offenen Himmelszelt das Nachtlager gehalten. Die zähe Natur

EN RM

Lincolns war jedoch allen Wechſelfällen gewachſen und da ſeine Arbeit gut bezahlt ward, ſo ließ er nicht nach und hatte nach Jahresfriſt die Genugthuung, alle ſeine Schul— den bezahlt zu ſehen. Nun konnte er wieder als unab— hängiger Mann in New-Salem erſcheinen, konnte freier ſein Haupt erheben und miethete ſich als ſogenannter „Boarder“ bei einer Familie ein, wo er Koſt und Logis zahlte.

Seine Vermeſſungsarbeiten ſetzte er fort, und dieſe entfernten ihn mitunter Wochen lang von ſeinem Wohn— orte. Auch das Rechtsſtudium ward eifrig fortgeſetzt und jeder freie Augenblick mit dem Leſen juriſtiſcher Bücher ausgefüllt. Das ſtille häusliche Leben bei Miſter Cameron, deſſen Koſtgänger er war, gefiel ihm; als er aber durch Cameron mit deſſen Geſchäftsgenoſſen, Miſter Rutledge, bekannt geworden war, und den ſehr gemüthlichen Fami— lienkreis dieſes Mannes näher kennen gelernt hatte, zögerte er nicht, ſich bei den Rutledge's einzuniſten. Der Magnet, der ihn gewaltig anzog, war wohl nicht Herr oder Frau Rutledge, ſondern Anna, die ſchöne Tochter des Hauſes, die mit tugendſamer Häuslichkeit einen feinen, gebildeten Geiſt und ein edles Herz vereinte, jo daß auch dem wacke— ren Abe das Herz aufging, wenn er ſich mit ihr unterhielt. Je mehr ſich beide junge Leute kennen lernten, deſto inniger wurde das Band, das ihre Herzen umſchlang. Miß Anna hatte ſich durch das äußere rauhe und linkiſche Weſen Abe's nicht über deſſen tieferen Gehalt und Werth täuſchen laſſen, und fühlte ſich ſympathiſch zu ihm hinge⸗

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zogen. In der treuen Seele Lincolns, der bis jetzt fo ſehr mit Arbeit und eigener Ausbildung beſchäftigt gewe— ſen war, daß er an Frauenliebe gar nicht gedacht hatte, ſchlug die edelſte Neigung ſchnell tiefe Wurzeln. Aber dies Verhältniß nahm bald ein trauriges Ende. Miß Anna hatte ſich vor längerer Zeit mit einem jungen Schotten verlobt, der nach New-York gewandert war und fein Wort hatte von ſich hören laſſen. Sie glaubte ſich von ihm vergeſſen und verlaſſen und ſchloß mit dem von ihr hochrerehrten Lincoln den Herzensbund. Da kam aber ein Brief von dem Schotten, der nicht unehrenhaft ge— handelt hatte, ſondern von einer ſchweren Krankheit heim— geſucht worden war. Leichenblaß und mit verweinten Augen trat das ſchöne Mädchen zu Abe und ſtammelte: „Wir müſſen entſagen, Abe!“ Und als der beſtürzte Mann das Nähere erfahren, ſprach er auch: „Wir müſſen entſagen!“ „Aber ich werde, das fühle ich jetzt, ihm ebenſo wenig angehören als Dir“, fuhr Anna fort, indem ſie die Hand auf das zuckende Herz preßte, „ich werde bald ſterben!“ Lincoln ſuchte dem Mädchen die Todesgedanken auszureden. Aber vergeblich. Sie zog bald ſtill auf eine einſame Farm weſtlich von New-Salem gelegen und ſank dort in's fruhe fühle Grab. So endete die Jugendliebe Lincolns.

In einem Leben, das bis zum letzten Athemzuge Ar— beit und Kampf und Wirken nach außen war, mochte ich dieſen Zug aus der Gemuthswelt des edlen Mannes nicht übergehen.

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Abraham Lincolns Stern war im Aufſteigen be⸗ griffen; er erhob ſich immer höher und glänzender. Noch hatte er nicht die Advokatenwürde erlangt und kaum ſein fünfundzwanzigſtes Lebensjahr zurückgelegt, als er ſchon zum Abgeordneten für den geſetzgebenden Körper ſeines Staates erwählt wurde und zwar mit einer größeren Majorität von Stimmen, als je ein Candidat erhalten hatte. Mit ihm wurde ſein Freund, Major John F. Stuart, damals ein bekannter Advokat, gewählt. Da er zuvor erſt ſelber hören, prüfen, ſich Einſicht verſchaffen wollte, ehe er zum Reden ſich anſchickte, ſo begnügte er ſich während der erſten Seſſion mit einer beobachtenden Rolle, folgte ſehr aufmerkſam den Debatten, miſchte ſich aber ſelber nicht in den Kampf. Die Mehrzahl der Geſetzge— ber von Illinois hatten Großes von Lincoln erwartet und ſtimmten nun ihre Meinung von ſeinen Fähigkeiten herab. Nur einige wenige ſcharfblickende Männer ließen

ſich nicht irre machen in ihrer Schätzung der geiſtigen

Fähigkeiten Lincolns. Als dann der berühmte politiſche

Agitator Stephen A. Douglas von Vermont nach Illinois herüberkam und mit keinem anderen als mit Abraham Lincoln in freundſchaftliche Verbindung trat, überraſchte das die Freunde wie die Gegner des jungen Mannes. Im Jahr 1836 fühlte ſich Lincoln ſtark genug, die Prüfung als Rechtsanwalt beſtehen zu können, und im Herbſt dieſes Jahres ward ihm die Advokaten-Licenz aus⸗ gefertigt. Im April des folgenden Jahres ſiedelte er nach Springfield, dem Hauptorte des Staates Illinois

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über und ward von ſeinem Freunde Stuart als Partner in deſſen Bureau aufgenommen. Bald zeigte ſich's daß er ein Advokat erſten Ranges war, der mit gründlicher Kenntniß des amerikaniſchen Rechtsweſens eine überzeu- gende Kraft der Darſtellung verband und die verwor⸗ renſten und ſchwierigſten Fragen auch für den einfachſten Menſchenverſtand ſchnell zu entwirren und klar zu machen verſtand, beſonders geſucht war Lincoln als Vertheidiger bei den Sitzungen des Schwurgerichtes, er übernahm aber auch nur die Vertheidigung einer Sache, von deren Gerechtigkeit er überzeugt war. Mit ſpitzfindigen Reden und Sachwalterkünſten eine ſchlechte Sache zu vertheidigen und aus ſchwarz weiß, aus links rechts zu machen, das war ihm zuwider.

Unter vielen Rechtsfällen möge nur der folgende, welcher allerdings auch zu den ausgezeichnetſten gehörte, hier eine Stelle finden.

Eines Tages, da Lincoln in den Zeitungen blätterte, fand er unter der Tageschronik eine Notiz, daß ein ge— wiſſer Armſtrong, der älteſte Sohn und die einzige Stütze einer armen Wittwe, die auf einer kleinen Farm nächſt Petersburg lebe, während eines Camp-Meetings und bei einer Nachts ſtattgehabten Schlägerei ergriffen und feſt— genommen worden ſei, da man ihn nicht ohne Grund beſchuldige, einen jungen Mann ermordet zu haben, der bei der Rauferei ſein Leben eingebüßt hatte.

Rechtsanwalt Lincoln gerieth in große Aufregung. „Armſtrong“ „kleine Farm bei Petersburg“ das

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war die Familie, die ihn als Jüngling gaſtfrei aufgenom⸗

Studien begonnen hatte! Er hatte den Sohn wohl als einen etwas leichtſinnigen Menſchen kennen gelernt, aber als einen Verbrecher konnte er ihn ſich nicht denken. Da Springfield der County-Sitz war, ſo mußte der arme junge Mann jedenfalls dahin abgeliefert werden und die Jury über ihn aburtheilen. Der edle Lincoln erkundigte ſich ſogleich näher nach der Sache, erfuhr, daß demnächſt eine Schwurgerichtsſitzung ſtattfinden werde, und daß eine kurze Vorunterſuchung vor dem Friedensrichter die Schuld des jungen Armſtrong ſo gut wie erwieſen erſcheinen laſſe, da der Angeklagte nichts Stichhaltiges wider die Aus—

ſagen ſeines Anklägers vorzubringen vermochte.

Lincoln erwirkte ſich deu Zutritt zum County⸗ gefängniſſe, wo der Gefangene ſaß. Trauriges Wieder— ſehen eines alten Bekannten! Er fand den jungen Arm— ſtrong verſtört und tief gebeugt; er betheuerte aber feſt und

eindringlich ſeine Unſchuld. Nachdem ſich Lincoln den

ganzen Vorgang genau hatte erzählen laſſen und ver⸗

ſchiedene Fragen an den jungen Mann geſtellt hatte, kam

er zur Ueberzeugzung, daß man denſelben fälſchlicher Weiſe der Verbrechens beſchuldige. Doch das falſche Zeugniß zu entkräften, ſchien faſt unmöglich. N

Die Zeitungen nahmen alle gegen den Angeklagten Partei; die abſurdeſten Gerüchte aus ſeinem früheren

Leben, die auf einen jähzornigen, rohen Character

ſchließen laſſen jollien, wurden in Umlauf gejegı und jo

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die Menge gegen den vermeintlichen Mörder zu wirklicher Wuth aufgeſtachelt. Seine Verurtheilung ſchien Allen im Voraus gewiß.

Unter ſolchen Umſtänden traute Lincoln der Jury von Springfield keine unbeſangene Prüfung des Falls zu und das Erſte, was er mit richtiger Würdigung der Ver— hältniſſe that, war, daß er die ganze Gerichtsverhand— lung in ein anderes County verlegte und eine ſoge— nannte change of venue erwirkte. Die Verhandlung wurde vertagt und der Gefangene von Springfield nach Taylorsville transportirt. Dann arbeitete Lincoln in aller Stille ſeine Vertheidigungsrede aus.

Die Stunde des „Trials“ erſchien, welche über Leben oder Tod des Gefangenen entſcheiden ſollte. Das Courthaus (der Gerichtshof) war ſchon ſtundenlang vom Publikum belagert worden. Endlich ward der Saal ges öffnet; der Richter, die Männer der Jury, der öffentliche Ankläger (Prosecuting attorney), die Zeugen und der Vertheidiger des Angeklagten nahmen ihre Sitze ein und die Gerichtsſchreiber legten ihre Protokollpapiere zurecht und ſpitzten die Federn.

Die alte unglückliche Mutter Armſtrongs war auch

erſchienen, der Verhandlung, die gegen ihren Sohn ges

führt ward, beizuwohnen. Bleich und kummervoll, vom Schmerz niedergebeugt, ſaß ſie auf einer der vorderſten Bänke, die Hände gefaltet, nur die Lippen regend im ſtillen Gebet. Nun ward der Gefangene vom Sheriff und deſſen Untergebenen in den Saal geführt und Aller

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Blicke waren auf den jungen Mann gerichtet, der zwar in tiefer Niedergeſchlagenheit und ſehr ermattet einherging, aber doch gar nicht wie ein Verbrecher ausſah. „O mein Gott!“ rief die arme Mutter; der unglückliche Sohn erblaßte noch mehr, als er ſie ſah, er regte die Lippen, doch kein Laut kam über dieſelben; er wankte unſicher auf ſeinen Platz.

Die Verhandlung begann. Der öffentliche Kläger erhob ſich und trug die Anklage vor. Dann ging's an's Zeugenverhör. Derjenige Burſche, deſſen Zeugniß am beſchwerendſten lautete, war ein blaſſer, hagerer Menſch mit unſtetem Blick und ſehr gemeinen Zügen. Er war ein Kamerad des Erſchlagenen geweſen, hatte ſich aber gegen Armſtrong ſtets feindlich bewieſen. Mit gehäſſigem Eifer betheuerte er, daß er mit eigenen Augen geſehen habe, wie der junge Armſtrong ſich mit einem Meſſer auf den Getödteten geſtürzt habe.

Abraham Lincoln hatte bis dahin ganz ruhig und ſcheinbar theilnahmslos dageſeſſen. Nun aber richtete er ſeine Fragen an dieſen Hauptzeugen.

„Ihr ſeid von den ſoeben vernommenen drei Zeugen der einzige, der das ſah, ſoviel ich weiß.“

„Ja, Sir. Ich war im Handgemenge unmittelbar neben beiden!“

„Um welche Stunde ſaht Ihr es.“

„Zwiſchen halb zehn und zehn Uhr, Sir!“ erwiderte der Zeuge trotzig.

„Ja, ja, um zehn Uhr,“ bemerkte Lincoln trocken. „Aber da war es ja völlig finſter!“ dein, Sir! der Mond ſchien fo hell, daß ich hätte eine Zeitung leſen können!“ war die Antwort.

„So, ſo!“ Lincoln machte keine weitere Bemerkung und begann nun ſeine Vertheidigungsrede. Er hob vor Allem hervor, daß der Angeklagte wohl etwas leichtſinniger Natur, aber niemals ſchlecht geweſen ſei, wie ſolches durch vollgültige Zeugniſſe auch feſtgeſtellt worden. Mit ein- ſchneidender Schärfe ging er dann auf die Widerſprüche ein, die ſich in den verſchiedenen Zeugenangaben zeigten und von Niemand beachtet worden waren, nun aber allen Anweſenden einleuchteten. Indem er das Gewebe einer teufliſchen Bosheit in der Anklage bloslegte, ward ſeine Rede immer gewaltiger und der falſche Hauptzeuge wurde ſichtlich davon getroffen. Zwar ſuchte er ſeine Verlegen— heit unter einem finſteren, trotzigen Blicke zu verbergen, aber er wurde blaſſer, während des jungen Armſtrongs Wangen wieder Farbe bekamen. Als aber Lincoln ſchließ— lich einen Kalender aus der Taſche zog und nachwies, daß an jenem Tage oder Abende der Mond um zehn Uhr noch gar nicht habe ſcheinen können, weil er erſt um Mitter⸗ nacht aufgegangen ſei, da ward die ganze Verſammlung tief ergriffen, Beſtürzung malte ſich auf dem Geſicht des frechen Zeugen und Jeder war von des Angeklagten Un⸗ ſchuld überzeugt.

Die Geſchworenen zogen ſich nur kurze Zeit zurück; bald erſchienen ſie wieder und ertlärten: Nicht ſchuldig!

Die begeiſterte Menge empfing dieſen Spruch mit Jubel⸗ geſchrei. Mutter Armſtrong ſchwankte zu ihrem Sohn, die zitternden Arme ihm entgegenſtreckend; ſprachlos, vom Glück überwältigt, ſank er an die Mutterbruſt und Lincoln feierte eine der ſchönſten Stunden ſeines Lebens. Beſcheiden hatte er ſich in eine Ecke des Saales zurückge— zogen und ſtand am Fenſter, durch das die untergehende Sonne ihr Purpurlicht goß; ihre Strahlen verklärten die hohe Stirn des Mannes, der im Bewußtſein eine gute That vollbracht zu haben, in ruhiger Würde ſich den Lob— preiſungen der Menge entzog. Der junge Armſtrong eilte zu ſeinem Befreier und war ſo ergriffen von Dankbarkeit, daß er nicht die rechten Worte finden konnte. Ueber Lincolns Geſicht ging ein mildes, zufriedenes Lächeln; er ſtellte ſeinen Schützling an's Fenſter, zeigte ihm die in roſiger Glut ſchwimmende Sonne und ſprach: „Seht, die Sonne iſt noch nicht untergegangen und Ihr ſeid frei!“ Zu ſeiner Mutter hatte er am Morgen dieſes Tages ge— ſagt, daß er ihr den Sohn noch vor Sonnenuntergang zurückgeben werde.

Lincolns Ruhm als Sachwalter ſtieg mit jedem neuen Rechtsfall, den er übernahm, und er mußte oft weite Reiſen in die Umgegend machen, weil man ſeiner Hilfe in ſchwierigen Prozeſſen nicht entbehren mochte. Wer Freude am Schaffen und Wirken hat und für ſeinen Thätigkeitstrieb den rechten Kreis findet, der iſt glücklich. Lincoln fühlte ſich in der „Blumenſtadt“ (wie man Springfield auch wohl nannte) um ſo glücklicher, als er

dort im Haufe des Doktors Todd eine junge Tochter fand, die er bald die ſeine nennen durfte. Es war die ſchöne, fiebenzehnjährige Miß Mary, welche dem zweiund— reichte und ihm fortan eine Häuslichkeit bereitete, in der er ſich wohl fühlte, und nach allen Anſtrengungen und Arbeiten ſeines Berufes die befie Erholung fand.

Viel freie Stunden waren dem ſtrebſamen Manne freilich nicht beſcheert, denn noch ehe er die Advokaten— Licenz erhalten hatte, ward er im Jahre 1836 ſchon zum zweiten Mal in die Legislatur gewählt. Sein Redetalent war in den Parteikämpfen unſchätzbar und dazu kam ſeine Begeiſterung für Wahrheit und Recht, die ſich Jedem fühlbar machte, der ihn ſah und hörte und ſelbſt jeinen- Gegnern gewaltig erſchien. Er führte den geraden Schwerthieb des Wortes, und wenn er auch in ſchonender Weiſe dieß und jenes nur verblümt oder in witziger An— ſpielung zu ſagen beliebte, ſo traf er doch ſtets in's Schwarze und war des Erfolges gewiß.

Als er in New-Salem zum zweiten Male in die Legislatur gewählt werden ſollte, ſuchte ihm Oberſt Allen dadurch entgegenzuwirken, daß er Abe's politiſche Geſin— nung und Aufrichtigkeit verdächtigte. Darauf ſchrieb dieſer folgenden Brief:

New⸗ Salem, 21. Juni 1836. Werther Oberſt!

Es iſt zu meiner Kenntniß gelangt, daß Sie während

meiner Abweſenheit von hier letzte Woche durch unſern

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Ort gekommen ſind und öffentlich erklärt haben, Sie ſeien im Beſitze einer Thatſache oder von Thatſachen, welche, wenn das Publikum ſie erfahren würde, N. W. Edwards und meine Ausſichten für die kommende Wahl vernichten müßten; daß Sie aber aus Wohlwollen für uns darüber ſchweigen würden!

Niemand hat des Wohlwollens mehr bedurft, als ich, und Wenige mögen im Allgemeinen weniger abgeneigt geweſen ſein, es entgegenzunehmen; aber in dieſem Falle würde ein Wohlwollen gegen mich eine Ungerechtigkeit gegen das Publikum fein und daher muß ich um Entſchul— digung bitten, wenn ich es hiermit ablehne. Daß ich einſt das Vertrauen des Volkes von Sangamon-County be- ſaß, iſt hinreichend klar, und hätte ich ſeither etwas be- gangen, ſei es vorſätzlich oder unvorſätzlich, das, wenn enthüllt, mich dieſes Vertrauens unwürdig machen müßte, ſo wäre derjenige, dem ſolche Fakta bekannt ſind und

der ſie verſchweigt, ein Verräther an der Sache ſeines Landes.

Ich befinde mich durchaus nicht in der Lage, auch nur ahnen zu können, welches Faktum oder welche Fakta, ſeien dieſe beſtimmt oder muthmaßlich, Sie haben andeu⸗ ten wollen. Aber meine Meinung von Ihrer Wahrheits— liebe wird mir auch nicht einen Augenblick geſtatten, zu zweifeln, daß Sie wenigſtens glauben, was ſie ſagen. Die perſönliche Rückſicht, welche Sie mir bezeugt haben, iſt mir ſchmeichel haft; doch hoffe ich, daß Sie nach reiflicher Ueberlegung das öffentliche Intereſſe als die höchſte

Rückſicht betrachten und ſich daher entſchließen werden, ſelbſt das Schlimmſte über mich ergehen zu laſſen.

Ich gebe Ihnen hiermit die Verſicherung, daß eine redliche Darlegung von Thatſachen Ihrerſeits, ſo ſehr ſie mich auch herabwürdigen möge, dennoch nicht die Bande unſerer perſönlichen Freundſchaft lockern werde.

Ich wünſche eine Antwort auf dieſes Schreiben und es ſteht Ihnen frei, beides zu veröffentlichen, wenn es

Ihnen beliebt. Hochachtungsvollſt Dem Oberſt Robert Allen. A. Lincoln.

Im Jahre 1838 und 1840 ward Lincoln abermals gewählt und zum „Sprecher“ ernannt; er galt bereits für die bedeutendſte politiſche Perſönlichkeit in Illinois, und ſeine Partei, die Whigs, folgten ihm mit unbedingtem Zutrauen auf Tritt und Schritt. Die Whigs verlangten eine kräftige Centralgewalt, die Demokraten hingegen ſtrebten nach Decentraliſation, d. h. ſie wollten die Einzel— ſtaaten mit größter Machtfülle und möglichſt vielen Be— fugniſſen ausrüſten, und da dieſes hauptſächlich im Intereſſe der ſüdlichen Sklavenſtaaten lag, welche bekannt— lich die Sklaverei als ihre eigene „häusliche Angelegenheit“ betrachteten, in die der Norden nichts hineinzureden habe, und über die auch der Nationalkongreß nicht entſcheiden dürfe, ſo war der ganze Süden demokratiſch geſinnt. Aber auch im Nordweſten der Union und namentlich in Illinois zählte die demokratiſche Partei viele Anhänger.

BIETER

und bei ihrem heftigen, rückſichtsloſen Vorgehen hatten die Whigs und Republikaner einen harten Stand.

Lincoln, nachdem er in den erſten vierziger Jahren ſich ganz ſeinem Berufs- und Familienleben hingegeben hatte, trat 1844 wieder in die Schranken des politiſchen Kampfplatzes. Es war eine neue Präſidentenwahl aus- geſchrieben; die Sklavenbarone des Südens im Verein mit den Demokraten des Nordens boten alle Mittel auf, ihren Candidaten, J. Knox Polk, durchzuſetzen, und wie es ihnen bei faſt allen früheren Wahlen gelungen war, gelang es ihnen auch diesmal. Die Whigpartei hatte ihr Auge auf ihren treuen und edlen Anhänger Henry Clay geworfen, den berühmten Kentucky-Staatsmann, der ſchon im Jahre 1830 zu Gunſten einer ſtarken Cen⸗ tralregierung, ſowie eines Schutzzollſyſtems aufgetreten war, das die Induſtrie der Nordſtaaten England gegen— über ſicher ſtellen ſollte, aber den Südſtaaten, die keine Induſtrie zu ſchützen brauchten und ſo billig wie möglich

einkaufen wollten, verhaßt war. Henry Clay ward ſeines

milden, verſöhnlichen Charakters willen ſelbſt von den gemäßigten Demokraten hoch geachtet; ſeine Anhänger legten ſich ſtolz den Namen Clay-Männer bei, und Abraham Lincoln, der ſchon als Knabe das Leben H. Clay's mit Begeiſterung geleſen hatte, hing ihm voll Verehrung an. Es galt nun, Clay gegen Polk in die Schranken zu führen und die öffentliche Meinung für die Whigpartei zu bearbeiten, und Lincoln entſchloß ſich auf das inſtändige Bitten ſeiner politiſchen Freunde, den Igd.⸗Bibl. 3 5

BR

Staat Illinois nach allen Richtun zen zu bereiſen, un an öffentlichen Orten oder in ausdrücklich berufenen Wahl— verſammlungen zu Gunſten Henry Clay's Reden zu hal— ten. Mit gewohnter Gründlichkeit und Klarheit jegre er die Grundſätze auseinander, auf den die Politik H. Clay's beruhte; er gewann zahlreiche Anhänger für ſeinen Candidaten, aber noch waren die Demokraten in Illinois zu ſtark und Lincoln merkte bald, daß er noch nicht durchzudringen im Stande ſei. Vier, ja ſechs Stunden lang faßte er auf dem Baumſtumpen (die übliche Redner— tribüne im Weſten) Poſto, machte lange Tagemärſche und ließ ſich keine Mühe verdrießen. Dann zog er über den Wabaſhfluß in ſeine frühere Heimath Indiana und fand auch da vielen Beifall. Doch der Zweck ward nicht erreicht, denn Polk erhielt 1,335,834 Stimmen und Clay nur 1,297,033. Der redneriſche Feldzug Lincolns war aber keineswegs unfruchtbar geweſen; er hatte die Partei geſtärkt und Lincolns große politiſche Befähigung und f redneriſche Kraft in den weiteſten Kreiſen berühmt gemacht. Wiederholt hatte der Demokrat John Calhoun, der Illinois durchzog, um für Polk zu werben, vor der mäch— tigen Beredſamkeit Abraham Lincolus die Segel ſtreichen müſſen, und doch war Calhoun einer der tüchtigſten Ned» ner ſeiner Partei.

Im Jahre 1846 ward Lincoln zum Abgeordneten in den Kongreß der Vereinigten Staaten gewählt und nahm im folgenden Jahre ſeinen Sitz im Repräſentantenhauſe zu Waſhington ein. Dort erklärte er, daß er am Grundge⸗

ſetz der Union, das die Sklavenfrage offen gelaffen und ſie als Angelegenheit der Einzelſtaaten ſtillſchweigend frei gelaſſen habe, nichts geändert wiſſen wolle, und was die Weisheit der Väter beſchloſſen habe, das müſſe von den Nachkommen in Ehren gehalten werden. Aber und damit trat er den nord- und ſüdſtaatlichen Heißſpornen gegenüber daraus dürfe Niemand folgern, daß den neu hinzugekommenen Staaten die Sklaverei aufge— drungen werden müſſe. Er erklärte ſich gegen die An— nexion von Texas und den wegen derſelben entbrannten Krieg mit Mexico, den er als einen ungerechten verur— theilte. Da aber ſeine Stimme nicht durchdrang, war er wieder patriotiſch genug, nicht mit ſeinen Parteigenoſſen zu ſtimmen, welche einen Akt der Rache ausüben wollten, indem ſie den Kriegsmännern, die ſich an dieſem Kriege betheiligt hatten, den Sold vorenthielten. Er war für reichliche Beſchafſung der Mittel, damit die braven Unionsſoldaten nicht verkürzt würden, dagegen ſtimmte er für das ‚Wilmot Proviſo,“ das dem Präſidenten für die Bewilligung der geforderten Summe die Verpflichtung auferlegte, die Sklaverei von dem neu angeſchloſſenen (annektirten) Gebiete fern zu halten. Wilmot, Nepräfen- tant für Pennſylvanien, hatte nämlich den Antrag geſtellt, daß die Sklaverei in den neu erworbenen oder aufgenom— menen Staaten und Territorien der Union auf immer verboten werden ſollte. Dieſer Antrag wirkte recht eigent— lich als der chemiſch-wirkſame Stoff, der die bisherige Parteimiſchung zerſetzte. Es bildete ſich die Partei der

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freesoilers oder Freibodenmänner, die ſich gleichmäßig gegen alle direkten und indirekten Freunde der Sklaverei erklärte und den Humanismus auf ihre Fahnen ſchrieb. Im Jahre 1848 ward ein neuer Präſident gewählt; die Freeſoilers machten Martin van Buren zu ihrem Candidaten, die Whigs aber, auf deren Seite Lincoln war, ſtimmten für General Taylor, der auch im Süden beliebt war. Lincoln hatte noch immer eine verſöhnliche Politik im Auge, während der Süden nicht Einen Schritt that, um den Norden zu verſöhnen. Das zeigte ſich wieder im Streite wegen Californien. California war, ſo lange es zu Mexico gehörte, das wilde, von Indianerhorden durchzogene, unwegſame und unbebaute Land geblieben. Seine reichen Goldminen, von denen die Mexicaner nichts geahnt, und die auch, wenn ſie dieſelben gekannt hätten, ſchwerlich von ihnen wären ausgebeutet worden, waren den auf Entdeckungen begierigen Bewohnern der Vereinigten Staaten nicht entgangen. Mit reißender Schnelligkeit hatten ſich Tauſende von Yankee's, aber auch Tauſende von Irländern, Schweizern und Deutſchen an den californiſchen Flüſſen und in den von hohen Gebirgen eingeſchloſſenen Thälern des neuen Landes zuſammenge— funden und ſich da angeſiedelt. So kam es, daß Califor⸗ nien ſchon im Jahre 1848 eine hinlängliche Einwohnerzahl beſaß, um als freier Staat in die Union aufgenommen werden zu können. Die Südſtaaten aber widerſetzten ſich dieſem Eintritt. Und warum? Weil die Union gerade jetzt aus 15 freien und 15 Sklavenſtaaten beſtand. Wäre

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nun das freie Californien dazu gekommen, ſo hätten die freien Staaten im Senat das Uebergewicht gehabt. Dieſe Widerſetzlichkeit war eine Auflehnung gegen das ſoge— nannte Miſſouri-Kompromiß.

Im Jahre 1820 wäre es faſt auch ſchon zum Bürger- kriege gekommen, weil der Süden darauf beſtand, daß der neue Staat Miſſouri, obwol er ſeiner Lage nach zum Norden gehörte, zum Sklavenſtaat erklärt wurde. Der Zank wurde nothdürftig beigelegt durch das Uebereinkom— men, „daß im ganzen von Frankreich abgetretenen Territo— rium Louiſiana nördlich vom 36 0 30 nördl. Br. an, mit Ausnahme des jetzt zu bildenden Staates Miſſouri, Sklaverei für immer verboten ſein ſoll.“

Californien lag nun mit ſeinem nördlichen Theile weit nördlicher als 36 0. Doch was kümmerte das die Sklavenbarone des Südens? Wurde doch Texas, die von Mexico losgeriſſene Provinz, gleichfalls zum Sklavenſtaate gemacht, trotz dem Widerſpruch der Nordſtaaten.

Um den Streit über Californien beizulegen, ſchlug Henry Clay folgenden Kompromiß vor:

1. Californien tritt als freier Staat in die Union.

2. Die Sklaverei darf auf die von Mexico erlangten Länder ausgedehnt werden.

3. Für die Gefangennahme entlaufener Sklaven iſt ein ſtrenges Geſetz zu erlaſſen.

Die ſklavenfreundlichen Staaten des Nordens hielten ſich nicht für verpflichtet, die entlaufenen Sklaven den ſüdlichen Staaten wieder auszuliefern, und auch

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darüber entſtand bitterer Streit. Nun ſollte Punkt 2 und 3 den Süden beſchwichtigen, damit dieſer nichts gegen Punkt 1 unternehmen möchte. Die feindſelige Spannung der Gemüther hatte jedoch eine zu große Höhe erreicht, als daß ſolche Kompromiſſe etwas helfen konnten. Die demokratiſche Partei, je mehr ihr die gewaltſame Politik gelang, war um ſo übermüthiger und der neue Präſident Franklin Pierce (1853 bis 1857) leiſtete ihrem Treiben allen Vorſchub.

Lincoln, nachdem er ſich von ſeiner zweijährigen Wirkſamkeit als Abgeordneter in Waſhington wieder in ſein Privatleben zu Springfield zurückgezogen hatte, ward für die Stelle eines Gouverneurs von Illinois auserſehen; er ſchlug dieſe Wahl aus, um für den großen Kampf, den er herankommen ſah, freie Hand zu behalten.

Und ſchon das Jahr 1854 führte ihn wieder auf den politiſchen Kampfplatz. Stephen A. Douglas, der frühere Genoſſe Lincolns, der ſich wie dieſer aus niederem Stande emporgearbeitet hatte, eine ſehr gewandte Rede und einnehmende Perſönlichkeit beſaß, aber an die ſittliche Höhe Lincolns nicht entfernt hinreichte, vielmehr ein eitler, aalglatter Politiker war, der es mit dem Süden hielt und es doch auch mit dem Norden nicht verderben wollte ſuchte die Beſtimmung des Miſſouri-Kompromiſſes, nach welcher in dem Gebiete nördlich vom 36 0 30° die Sklaverei für immer ausgeſchloſſen „leiben ſolle, zu ver⸗ nichten durch die Kanſas-Nebraska-Bill. Da nämlich die beiden Gebiete Kanſas und Nebraska nur von Anſied—

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lern des Nordens bevölkert worden waren und man vor— ausſehen konnte, daß ſie in nächſter Zeit ſich als freie Staaten organiſiren würden, ſo machte Senator Douglas den Vorſchlag, daß jene beiden Territorien als Sklaven— territorien zu behandeln ſeien, ohne Rückſicht auf die Stimme der Bewohner ſelbſt. Dieſer wiederum allem Geſetz Hohn ſprechende Vorſchlag paſſirte ſchnell beide Häuſer und wurde durch die Unterzeichnung des Präſidenten Geſetz.

Obwohl Kanſas eine ganz freie Bevölkerung hatte, ſo hinderte das den gewaltthätigen Süden keineswegs, alsbald jen en Kongreßbeſchluß durchzuſühren. Eine be— waffnete Bande von Sklavenbeſitzern aus Miſſouri drang in Kanſas ein, vertrieb die freien Anſiedler und erklärte das Gebiet zum Sklavenſtaat. Nachdem dies Treiben eine Zeit lang gewährt, riß dem Norden doch die Geduld, er ſandte nun auch ſeinerſeits bewaffnete Schaaren den Bedrängten zu Hilfe, welche die frechen Eindringlinge vertrieben und die alten freien Einrichtungen wieder her— ſtellten. Erſt am 29. Januar 1861 aber, als die Rebellion des Südens ſchon im Gange war, trat Kanſas als freier Staat in die Union ein.

Lincolns unermüdliche Thätigkeit ging nun zunächſt dahin, daß ſich die republikaniſche Partei im Staate Illinois, die ſich zerſplittert hatte, wieder zuſammenfand, und er brachte es dahin, daß dieſe zum erſten Mal der demokratiſchen Partei entgegen für die neue Legislatur 1855 einen republikaniſchen Senator wählte. Wie wenig

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es ihm ſelber um Befriedigung feines Ehrgeizes zu thun war, zeigte er dadurch, daß, obwohl alle anti-demokra⸗ tiſchen Mitglieder der Legislatur für Lincoln ſtimmten,

er die Wahl von ſich ab auf Trumbull lenkte, den

die demokratiſchen Gegner von Douglas zu ihrem Candi⸗ daten beſtimmt hatten. Einige ſeiner Freunde weinten wie Kinder, als ſie, von Lincoln ſelbſt aufgefordert, ihren Liebling aufgeben und Trumbull wählen helfen ſollten.

Die neue republikaniſche Partei hatte ſich zum Ziel geſetzt, die Macht der Bundesregierung und die Rechte der Einzelßtaaten in's rechte Verhältniß zu bringen, d. h. fie wollte die Bundesregierung befähigen, im Intereſſe der Erhaltung der ganzen Republik das Uebergewicht der Sklavenſtaaten zu beſeitigen und die weitere Ausbreitung der Sklaverei zu verhindern. Auch gegen die kriegeriſche Angriffspolitik, die Cuba, Mexico und Centralamerika annektiren wollte, erklärte ſich die republikaniſche Partei. Unter dem Präſidenten Pierce war bereits ein Frei— ſchaarenzug unter Anführung Walkers nach Nicaragua in Centralamerika unternommen worden, mit der Abſicht, dort ein ſüdliches Sklavenreich zu gründen. Der Zug nahm aber ein klägliches Ende.

Im Jahre 1856 war die republikaniſche Partei bereits jo erſtarkt, daß fie für die neue Präſidentenwahl dem Candidaten der Demokraten, James Buchanan, den Oberſt Fremont entgegenſtellen konnte. Liucoln war bei dieſem Wahlfeldzuge unermüdlich, um ſeiner Partei den Sieg zu verſchaffen; doch der Süden hatte alle von der

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Regierung abhängigen Stellen mit feinen Geſchöpfen be⸗ ſetzt, und die Furcht vor einer Sprengung der Union, womit die Sklavenſtaaten drohten, brachte die Republi— kaner um einen großen Theil der Stimmen in den nörd— lichen Staaten, ſo daß der Demokrat Buchanan, der in Allem dem Süden zu Willen war, im Jahre 1857 den Präſidentenſtuhl beſteigen konnte.

Bis zu welcher Unbotmäßigkeit, Rohheit und Frech— heit das Selbſtgefühl der Männer des Südens ausgeartet war, zeigte ſich in dem von ihnen im Jahre 1856 auf den braven Senator Sumner von New-Pork verübten Attentat. Sumner, zugleich Gelehrter, Schriftſteller und Staatsmann, war ein unerſchrockener Vorkämpfer für die gute Sache der Freiheit und des Geſetzes; er ging voran, mit der mündlichen und ſchriftlichen Rede das ausſprechend, was die Edelgeſinnten zum Theil erkannt hatten, aber nicht laut zu jagen wagten, daß der große Kampf be= vorſtehe, den Uebermuth des Südens zu brechen. Sein Princip, das ſpäter von Lincoln und dem ganzen Norden angenommen wurde, faßte er in dem Satze zuſammen: Sklaverei iſt Sektenſache, Freiheit Na⸗ tionalſache. In einer Rede, die er im Kongreß zu Waſhington gehalten, hatte er das unlautere und geſetz⸗ loſe Weſen der Sklaverei auf das ſchärfſte gegeißelt. Auf ſolchen Freimuth hatten die Sklavenbarone keine andere Antwort als Mord und brutale Gewalt. Als Sumner während einer Sitzungspauſe im Senatszimmer ruhig am Pulte ſchrieb, wurde er plötzlich von zwei Männern

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des Südens überfallen, die mit Stockſchlägen ſo lange auf ihn einhieben, bis er in ſeinem Blute ſchwimmend auf der Erde lag. Es wurde nachher erwieſen, daß dieſe Ruchloſen, falls man ihnen Widerſtand geleiſtet hätte, ihr Opfer erſchoſſen haben würden. Es währte ganzer vier Jahre, bis der Senator Sumner wieder im Stande war, im Senate zu erſcheinen. Mit Todesverachtung und muthiger Folgerichtigkeit ſchleuderte er in ſeiner erſten Rede wie- derum ſeine vernichtenden Blitze gegen das Ungeheuer der Sklaverei.

Im Jahre 1858 ging der Termin der Senatorſchaft von Donglas zu Ende und es wurden Neuwahlen vorge— nommen. Lincoln wurde in der Staatsconvention der Republikaner zu Springfield als der Kandidat für den Unions⸗Senat aufgeſtellt, Douglas ſah der Wiederernen— nung von Seiten der Demokraten entgegen. Kaum war der letztere von Waſhington nach Illinois zurückgekehrt, als er auch ſchon ſeine Rundreiſe antrat, um ſich beim Volke wegen der Nebraska -Bill zu rechtfertigen und nebenbei den Grundſätzen Lincolns und der republikaniſchen Partei entgegenzuarbeiten. Lincoln redete aber ſo ge— waltig, daß der „kleine Rieſe des Weſtens,“ wie man den Senator Douglas nannte, nicht vor ihm aufkommen konnte. In der am 17. Juni zu Springfield gehaltenen Rede ſprach er die prophetiſchen Worte: „Ein Haus, das in ſich ſelber getheilt iſt, kann nicht beſtehen. Ich glaube, daß dieſe Union nicht auf die Dauer halb als Sklaverei, halb als freies Land möglich iſt. Ich erwarte nicht, daß

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die Union getheilt werde, ich erwarte nicht, daß das Haus zuſammenſtürzen werde; aber ich erwarte, daß es auf- hören werde, getheilt zu ſein. Eins von beiden wird es ganz gewiß werden. Entweder müſſen die Gegner der Sklaverei ihrer Verbreitung Einhalt thun und ſie in eine ſolche Lage bringen, daß die öffentliche Meinung ſich mit dem Glauben beruhigt, dieſe gehe ihrem endlichen Auf— hören entgegen, oder ihre Vertheidiger werden ſie vor— wärts drängen, bis fie in allen Staaten gleich geſetzlich ſein wird, in den alten, wie in den neuen, im Norden wie im Süden.“

Dieſe Worte griff Douglas an, indem er Lincoln beſchuldigte, er wolle durch ſeine Gleichmacherel den Süden zum Kriege und Abfall zwingen. Er behauptete, daß es weder wünſchenswerth noch möglich ſei, Gleichförmigkeit in den Lokal-Inſtitutionen und häuslichen Einrichtungen der verſchiedenen Staaten der Union zu haben. Die Gründer der Regierung hätten niemals eine ſolche Gleich— förmigkeit bezweckt, ſie hätten wohl gewußt, daß die Ge— ſetze und häuslichen Einrichtungen, welche für die Granit— hügel von New⸗Hampſhire paßten, ſich nicht für die Reis— pflanzungen Süd⸗Carolina's eigneten. „Ich glaube“, ſagte er, „daß mein Freund Miſter Lincoln die großen Prinzipien, auf denen unſer Staatsgebäude ruht, ganz und gar mißverſtanden hat. Gleichheit in den Lokal- und Domeſtikalgeſetzen würde nicht nur für die Staatenrechte deſtructiv (zerſtörend) ſein, ſondern auch für Staats- ſouveränetät, für perſönliche Freiheit und individuelle

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Selbſtbeſtimmung. Gleichförmigkeit iſt die Mutter des Deſpotismus in der ganzen Welt; dies gilt nicht nur von der Politik, ſondern auch von der Religion.“

Mit ſolchen Gemeinplätzen, welche die liberale Maske vornahmen, ſuchte der gewandte Redner den in der That freiſinnigen, liberalen und humanen Lincoln in ein ſchiefes Licht zu ſtellen. Er griff dann ferner deſſen Aeußerung über die Dred-Scott-Angelegenheit an.

Der Militärarzt Emerſon hatte nämlich im Jahre

1835 ſeinen in Miſſouri geborenen Sklaven Dred Scott,

nach Illinois mitgenommen und vier Jahre ſpäter nach dem Territorium Minneſota. Dort hatte er ihn mit einer von einem Offizier erhandelten Sklavin verheirathet und war mit dieſem Ehepaar nach einiger Zeit wieder nach

Miſſouri zurückgekehrt, wo Dred Scott, ſein Weib und

die inzwiſchen erzeugten beiden Kinder in den Beſitz eines Miſter Anderſon übergingen. Viele Jahre ſpäter gelangte Dred Scott zu der Kenntniß, daß ein Sklave frei ſei, jo- bald er von ſeinem Eigenthümer in einen freien Staat mitgenommen werde. Dred Scott wendete ſich nun an den Gerichtshof des Staates Miſſouri, um für ſich und ſeine Familie die Freiheit zu erwirken. Der Urtheils— ſpruch gewährte ihm dieſelbe, das Obergericht aber kaſſirte das Urtheil und der Prozeß ging nun vor das oberſte Bundesgericht der Vereinigten Staaten, das ganz im Sinne des Obergerichts von Miſſouri entſchied.

Da Lincoln dieſe Entfcheidung getadelt hatte, nahm Douglas abermals die Maske der Geſetzlichkeit vor mit

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1

der Behauptung, daß Jeder ſich dem Ausſpruche des oberſten Bundesgerichts zu fügen habe. Lincoln hatte geſagt, daß eine ſolche Entſcheidung die Neger für immer davon ausſchließe, Bürger der Vereinigten Staaten wer- den zu können, und Douglas entgegnete darauf: „Ich bin jo frei, zu jagen, daß die Regierung der Vereinigten Staa - ten nur für weiße Menſchen eingeſetzt ward.“

Schon am folgenden Tage beantwortete Lincoln in Chicago dieſe Rede ſeines Gegners. Nachdem er den Satz: „Ein in ſich getheiltes Haus ꝛc.“ wiederholt hatte, fragte er: N

„Was iſt in dieſem Paragraph enthalten, das dem Richter Douglas als eine politiſche Ketzerei erſcheint? Ich habe weder behauptet, daß die häuslichen und Staatsein⸗ richtungen der ganzen Union gleichzuſtellen ſeien, noch ſtrebe ich dahin, daß der Süden den Norden mit Krieg überziehe. Ich weiß es wohl, daß dieſe Regierung 82 Jahre lang beſtand, trotzdem, daß in der einen Hälfte des Landes die Sklaverei, in der andern die Freiheit waltete. Ich glaube aber, daß es deshalb geſchah, weil die öffentliche Meinung überzeugt war, die Sklaverei ſei in eine Lage gebracht, in welcher ſie ihrem endlichen Untergange entgegengehe. Ich habe immer die Sklaverei ſo ſehr gehaßt, wie dies nur ein Abolitioniſt“)) thun kann, aber ich

*) Schon Benjamin Franklin, der vorausſah, welches Un⸗ heil der Union mit dem Sklavenweſen drohete, ſtiftete einen Abolitionsverein, der die völlige Abſchaffung (Abolition) der Negerſklaven zum Zweck hatte.

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verhielt mich ruhig, bis die neue Aera begann, der Ein führung der Nebraska⸗ Bill. .

Kein Mann glaubt feſter an das Prinzip der Selbſt⸗ regierung als ich. Es iſt mein Glaube, daß jedes Indi— viduum von Natur berechtigt iſt, mit ſich und der Frucht ſeiner Arbeit zu thun, was ihm bes liebt, voraus zeſetzt, dies verſtoze nicht gegen die Rechte eines Anderen; daß auch jede Commune das Recht hat, zu thun was ihr beliebt, vorausgeſetzt, dies verſtoße nicht gegen die Rechte einer andern Com⸗ mune. Ich behauptete dies von jeher und gab als Illuſtration an, daß Illinois nicht das Recht habe, ſich in die Heidelbeergeſetze von Indiana, in die Auſternzeſetze von Virginia oder das Branntweingeſetz von Maine zu miſchen.“

Ueber den zweiten Angriffspunkt, der ſich auf Lincolns Aeußerung gegen die Entſcheidung in der Dred-Scott— Angelegenheit bezog, wies Lincoln vortrefflich nach, wie in der Auffaſſung von Douglas es deutlich ausgeſprochen werde, daß es ihm gleich ſei, ob für oder gegen die Skla⸗ verei geſtimmt werde, ſolche Geſinnung aber dahin führe, den Freiheitsſinn im Volke aus zurotten. „Die Argumente (Beweisgründe), welche man vorbringt, daß man nur ſo viel Zugeſtändniſſe der niederen Race machen ſolle, als dieſe zu ertragen im Stande ſei, ſind dieſelben, welche die Deſpoten jedes Zeitalters vorgebracht haben, um das Volk zu knechten. Dieſe Argumente des Rich⸗

ters Donglas find dieſelbe alte Shlanze, welche ſpricht: Ihr arbeitet und ich eſſe, ihr habt die Mühe und ich will die Früchte davon genießen! Ich möchte gern wiſſen, wenn man einmal Ausnahmen von der alten Unabhängigkeits— erklärung: „„Alle Menſchen ſind gleich geboren,““ zu— laſſen will, wo man zuletzt aufhören wird? Wenn man ſagt, dieſe Erklärung habe keinen Bezug auf die Neger, weßhalb kann dann nicht ein Anderer ſagen, ſie habe auch keinen Bezug auf den Deutſchen? Wenn jene Unabhängig— keitserklärung nicht die Wahrheit iſt, ſo laßt uns das Geſetzbuch nehmen und ſie herausreißen. Wer wagt es, das zu thun? Wenn ſie nicht wahr iſt, reißen wir ſie heraus! (Zahlloſe Rufe: Nein, Nein!) So wollen wir denn feſt daran halten, feſt bei ihr ſtehen! (Donnernder Beifall.) In einer der Ermahnungen unſeres Heilandes heißt es: „Ihr ſollt vollkommen ſein, wie euer Vater im Himmel vollkommen iſt!“ Er ſtellte das als ein Muſter auf, und der, welcher am meiſten thut, jenes Muſter zu erreichen, erlangt den höchſten Grad ſittlicher Vollendung. So ſag' ich in Beziehung auf das Princip, daß alle Menſchen gleich geſchaffen ſind: laßt uns ihm ſo nahe als möglich kommen. Können wir nicht je dem Geſchöpfe die Freiheit geben, ſo wollen wir wenigſtens nichts thun, was ein an⸗ deres Weſen in Sklaverei bringt! (Stür⸗ miſcher Beifall.) So wenden wir denn dieſe Regierung in das Fahrwaſſer zurück, in welches die Gründer der Konſtitution ſie urſprünglich brachten: Laßt uns feſt bei⸗

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einander ſtehen. Thun wir dies nicht, ſo werden wir nach jener Seite hin gedreht, wohin Richter Douglas ſtrebt, dieſe Nation zu einer allgemeinen Sklavennation zu machen.“

Dieſe Turniere wurden im Auguſt, September, bis in den Oktober hinein fortgeſetzt, das Volk ſtrömte maſſen— haft hinzu, die Zeitungen berichteten von den tief einſchnei⸗ denden Reden Lincolns, der wider den gewandten Douglas ſo mannhaft focht, und wenn auch Douglas der Stärke ſeiner Partei in der Legislatur“) es zu danken hatte, ſchließlich die Senatorwürde davon zu tragen, ſo war doch der moraliſche Sieg unzweifelhaft auf Seiten Abraham Lincolns, der vom Volke von Illinois nicht mehr anders als „honest old Abe,“ und da er jetzt in ſein fünfzigſtes Jahr getreten war, auch wohl nur „old Abe“ genannt wurde.

Jetzt ließ ſich bereits vorausſehen, daß Lincoln der erſte und populärſte Mann. der Union werden mußte, wenn die Partei der Republikaner in gleichem Maße wie bisher Fortſchritte machte. Und dieſes geſchah, und zwar durch den maſſenhaften Hinzutritt der Deutſchen. Hier iſt der Ort, es zu jagen, daß erſt durch die Deutſchen die republi— kaniſche Partei die rechte Stärke gewann und daß für die Erwählung Lincolns zum Präſidenten der Union die Deutſchen den Ausſchlag gaben.

*) Im Volle hatte Lincoln die Majorität: 126,000 Stim⸗ gegen 122,000 für Douglas.

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Schon in den erſten Kämpfen gegen Douglas und die Nebraska-Bill, als man in Lincoln drang, er möge über die Fremdenfrage mit Stillſchweigen hinweggehen, um die Knownothings nicht zu reizen, hatte er ſich ent— ſchieden der Deutſchen angenommen. Bekanntlich nann— ten ſich „Knownothings“ (die von fremder Sprache und Eigenthümlichkeit „nichts“ wiſſen wollten) jene Stock— Amerikaner, welche eiferſüchtig auf das Anwachſen der deutſchen Bevölkerung, den „Fremden“ erſt nach 21 jährigem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten das volle Bürgerrecht gewähren wollten. Die Republikaner fürchteten, die Knownothings könnten ihnen abtrünnig wer— den und wollten Zu zeſtändniſſe machen. Lincoln aber wollte von ſolchen Zugeſtändniſſen nichts wiſſen. „Wir müſſen ehrlich und offen mit unſerer Farbe heraus,“ ſprach er, „und nur durch rückhaltloſe Verkündigung unſerer Grundſätze können wir auf Unterſtützung rechnen. Die Adoptivbürger haben ein Recht, dies zu verlangen.“ Er drang mit ſeiner Anſicht durch und die Folge war, daß namentlich die deutſchen Bürger maſſenhaft in die Reihen der republikaniſchen Partei eintraten. Lincolns Vorgehen war um ſo weiſer, als die Knownothings keineswegs ſich von den Republikanern trennten.

3. Die Präſidentſchaftszeit Buchznan's ging zu Ende, die Parteien rüſteten ſich zur neuen Präſidentenwahl. Der Präſident der Union wird nicht direkt durch das Volk er⸗ Igd.⸗Bibl. 3. 6

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wählt, fondern das Volk jedes Staates er wählt fo viel Elektoren als er Repräſentanten in den Kongreß ſchickt. Die Geſammtzahl dieſer Elektoren belief ſich auf 303, davon kamen auf die 18 freien Staaten 183 Stimmen, auf die 15 Sklavenſtaaten 120. Das abſolute Mehr war ſomit 152.

Die Wahlmänner von Illinois tagten in Decatur und auch Lincoln verfügte ſich dahin. Mit großer Be— geiſterung ward er in der Delegatenverſammlung begrüßt. Dies war am 10. Mai 1860. Während man Lincoln bewillkommte, erſchien ein alter Graukopf von Macon County, der bat, auch einen Beitrag zur Convention liefern zu dürfen. Es war Niemand anders, als der uns ſchon bekannte John Hanks, mit welchem Abe einſt die Axt geſchwungen hatte. Er trug zwei alte, verwitterte Fenzriegel, zwiſchen denen eine Fihne befeſtigt war, und pflanzte ſie in der Verſammlung vor der Rednerbühne auf. Lang anhaltender Jubel erſcholl, denn dieſe mit Fahne geſchmückten Fenzriegel trugen folgende Inſchrift:

„Abraham Lincoln, der Fenzriegel-Candidat, zum Präſidenten im Jahre 1860. Zwei Fenzriegel von den 3000, welche im Jahre 1830 angefertigt wurden von John Hinks und Abraham

Lincoln deſſen Vater der erſte Pionier von Macon County war.“

Mit Begeiſterung ward old Abe herbeigerufen, zu beſtätigen, daß dieſe Fenzriegel von ihm behauen worden ſeien. „Ei!“ rief er in ſeiner trockenen, humoriſtiſchen Weiſe, nachdem er die beiden Riegel eine Zeit lang be— trachtet hatte, „ich habe freilich vor etwa 30 Jahren hier ganz in der Nähe von Decatur am Sangamonfluſſe unſer Blockhaus bauen und Fenzriegel ſpalten helfen, ob dieſe da von jenen ſind, das will ich nicht gerade be— ſchwören, ſo viel aber iſt gewiß, daß ich noch nach jener Zeit viele ſolcher Riegel behauen habe und noch beſſere, als die da ſind!“ Von neuem brach der Jubel aus und wollte nicht enden; es war eine ſchöne Huldigung, dem ſchlichten, aus dem arbeitenden Volke hervorgegangenen Manne dargebracht, der nun bald zum oberſten Lenker des Landes erkoren werden ſollte.

Er ging indeſſen ruhig nach Springfield zurück, um abzuwarten, was die am 16. Mai in Chicago zuſammen⸗ tretende große republikaniſche National-Convention be— ſchließen würde. Mit Ausnahme von den beiden Caro— lina's, Alabama, Georgia, Miſſiſſippi, Florida und Louiſiana hatten alle übrigen Staaten der Union ihre Abgeordneten geſchickt; ein großes Gebäude, der „Wigwam“ genannt, war eigens für die Zuſammenkunft der Delegaten erbaut worden. Der Zudrang des vor dem Hauſe ver— ſammelten Volkes war ungeheuer. Die zweite Ballo— tirung ſchwankte nur noch zwiſchen Seward und Lincoln. Jedes von der Plattform des Chicago-Wahlhauſes ver— kündete Votum ward ſogleich nach Springfield telegraphirt.

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Auf das Ergebniß des dritten Ballots war nun Alles ge⸗ ſpannt; das Telegraphenamt in Chicago war ununter— brochen thätig und im Telegraphenbureau von Springfield natürlich großer Zudrang. Lincoln, äußerlich ganz ruhig, aber innerlich gewiß ebenſo erregt wie das ganze Volk, hatte ſich auf die Arbeitsſtube der Redaktion des Staats- Journals zurückgezogen; da ſtürzte ein Knabe zu ihm hinein, den der Telegrapheninſpector ſandte; er ſchwenkte ein Zettelchen in ſeiner Rechten, das er haſtig dem Miſter Lincoln überreichte. Dieſer brauchte nicht erſt lange zu leſen, denn ſchon drängte das Volk, glückwünſchend und jubelnd, dem kleinen Burſchen nach. Eine Zeit lang ſtand

der beſcheidene Mann und blickte ſtaunend und gedanken-

voll auf den kleinen Zettel, dann ſagte er ruhig: „Ich habe zu Hauſe eine kleine Frau, die möchte das wohl Hosen Ich will hingehen und ihr's jagen!“

Lincoln war nun erſt Präſidentſchaftskandidat, noch nicht Präſident; aber ſeine ſchließliche Ernennung war doch ſehr wahrſcheinlich. Mit Blitzesſchnelle verbreitete ſich die Kunde durch die ganze Union; ſie erregte im Süden Verdruß und Zorn, im Norden Begeiſterung. In großen

und kleinen Städten wurden Meetings abgehalten, welche

ihre Zuſtimmung zur erfolgten Wahl ausdrückten; in New⸗York und vielen anderen Orten ertönte Kanonen⸗ donner. Die Bewohner Springfields ſchwelgten in Wonne; ihre „Blumenſtadt“ ward zum Mekka, wohin nun aus allen Gegenden die Anhänger und Freunde derjenigen Grundſätze pilgerten, welche Abraham Lincoln vertrat.

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Selbſtverſtändlich hatte ſich ein Comite der National- Convention von Chicago ſofort nach Springfield verfügt; von Muſikbanden und dem Jauchzen des Volkes begleitet, begab ſich daſſelbe in die Wohnung Abe's. Als die Herren an das von einem zierlichen Holzgitter umgebene Wohn— haus des Gefeierten herantraten, erblickten ſie zwei hübſche Knaben, die höflich grüßend an der Gartenthür ſtanden. Herr Evarts von New-Pork wendete ſich an den größeren und fragte: „Sind Sie ein Sohn von Miſter Lincoln?“ „Ja, Sir!“ war die freudige Antwort. „Dann ſchütteln wir einander die Hand!“ fuhr Evarts fort und mehrere andere Herren folgten ſeinem Beiſpiel. Als dies der jüngere Bruder ſah, richtete er ſich ſo hoch er konnte auf und rief mit kindlichem Selbſtgefühl, das dem kleinen Burſchen allerliebſt zu Geſicht ſtand: „Ich bin auch ein Lincoln!“ Lachend gab man man auch dem kleinen, ener— giſchen Sohn ſeines Vaters die Hand.

Den Ernſt des wichtigen Augenblicks tief in ſeiner Seele fühlend, ohne alles eitle Wortgepränge, beantwor— tete der würdige Candidat die Anſprache des Präſidenten des Comite und drückte dann allen Mitgliedern des— ſelben herzhaft die Hand. Da ſtand er denn auch dem Richter Kelly gegenüber, einem der längſten Männer der Union. Abe und Kelly prüften einander mit lächelndem Blick und der erſtere, ſo feierlich ihm auch zu Muthe war,

konnte doch nicht umhin, dieſes unerwartete Zuſammen—

treffen zweier Rieſen ſehr komiſch zu finden.

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„Was iſt Ihre Höhe?“ fragte er humoriſtiſch mit den Augen blinzelnd.

„Sechs Fuß, zwei!“ antwortete Kelly; „und die Ihrige, Miſter Lincoln?“

„Sechs Fuß, vier!“ erwiderte dieſer ſchmunzelnd.

„Dann beugt ſich Pennſylvanien vor Illinois!“ rief Richter Kelly und fügte mit Innigkeit hinzu: „Mein theurer Mann, ſeit Jahren ſehnt ſich mein Herz nach einem Präſidenten, zu dem ih emporblicken könnte, und ich habe ihn nun endlich in einem Lande gefunden, wo wir nichts als „kleine Rieſen“ ) zu finden glaubten.“

Der 6. November des Jahres 1860 war der Tag der endgiltigen Wahl und Abraham Lincoln blieb Sieger mit dem entſchiedenſten Mehr. Sein bisheriger Neben— buhler Douglas hatte nur 12 Stimmen; Bell, der joge- nannten Unionspartei angehörig, ein farbloſes Mittelding zwiſchen Demokraten und Republikanern 39; Breckenridge, Vicepräſident unter Vuchanans Präſidium 72, Lincoln aber 180.

Am 11. Februar des Jahres 1861 verließ er Spring— field, um die Präſidentſchaft anzutreten. Eine große Menge gab ihm das Geleit. Als er in den Wagon der Eiſenbahn ſtieg, ſprach er tiefbewegt: „Meine Freunde, ich allein kann wiſſen, wie ſehr mich dieſe Trennung ſchmerzt. Dieſer Bevölkerung verdanke ich Alles, was ich bin. Hier habe ich länger als ein Vierteljahrhundert

*) Anſpielung auf den Demokraten Douglas. |

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gelebt; hier ſind meine Kinder geboren, hier liegt eines derſelben begraben. Wann werde ich Euch wiederſehen? Ich weiß es nicht. Es iſt mir eine Aufgabe zugefallen, wie ſie ſo groß und ausgedehnt vielleicht ſeit den Tagen Waſhingtons keinem Menſchen zugefallen iſt. Nie hätte er ſie erfüllt, ohne die göttliche Vorſehung, an die er jederzeit glaubte. Demſelben allmächtigen Gott übergebe ich mich auch und vertraue auch ſeiner Hilfe; auch hoffe ich, daß Ihr, meine Freunde, mir dieſe Hilfe erbeten werdet, ohne welche ich nichts bin und mit welcher allein mir der Erfolg gewiß iſt! Und nun, meine Freunde, lebt wohl!“

Die ganze Fahrt bis nach Waſhington glich einem Triumphzuge. An allen Bahnſtationen jubelten ihm Hunderte und Tauſende entgegen, und wo Muſikbanden zu haben waren, mußten dieſe aufſpielen; es wurden Kanonen ge löst, die Fahnen wehten luſtig von den Triumphbögen, die Beamten und Würdenträger hielten Anſprachen, die vom neuen Präſidenten mit vielem Takt beantwortet wurden. Ueber den politiſchen Weg, den er einzuſchlagen gedachte, äußerte er ſich ſo zurückhaltend wie möglich; er wollte die Partei des Südens auf keine Weiſe reizen. Auf der Nord-Oſt-Station benutzte Abe die Ge- legenheit, dem Volke zu erklären, daß der Backenbart, den er ſich hatte wachſen laſſen, ſeine Exiſtenz den Rathſchlä— gen eines jungen Mädchens des Ortes verdankte, welche ihm ſolche in einem freundlichen Briefe mitgetheilt hatte. Er würde die ſchöne Schreiberin gern begrüßen, falls ſie

anweſend ſei in der Verſammlung, welche die Güte gehabt, ihn zu empfangen. Und ſiehe! aus dem Gedränge tritt eine junge Dame hervor, ſie wird von der jubelnden Menge bis zum Präſidenten geleitet und von dieſem ritterlich geküßt.

Glücklich gelangte Lincoln nach Philadelphia denn die Männer des Südens hatten ihm auf dieſem Wege nachgeſtellt um dort, wie er verſprochen hatte, in der Unabhängigkeitshalle die Nationalflagge auf's Neue auf- zurichten. Es war eine erhebende Feier, als im Moment, da der Mann, welcher als ein neuer ſtarker Hort der Re— publik erſchienen war, unter Glockengeläut und Kanonen⸗ donner die Flagge hißte. Bei dieſer Feier ſprach er unter Anderem dieſe denkwürdigen Worte:

„Ich habe mich oft gefragt, welches große Prinzip oder welche große Idee es wäre, die unſern Staatenver— band ſo lange zuſammengehalten hat. Es war etwas in der Unabhängigkeitserklärung, was die Freiheit nicht blos dem Volke dieſes Landes, ſondern der Welt die Anwärt- ſchaft auf Freiheit für alle Zeiten gab. Es war das darin ausgeſprochene Verſprechen, daß zur rechten Zeit die Laſt von den Schultern aller Menſchen genommen werden und daß alle gleiche Anſprüche auf das Leben haben ſollten. Nun, meine Freunde, kann unſer Land auf dieſer Grund— lage gerettet werden? Wenn dies möglich wäre, ſo will ich mich für den glücklichſten Mann der Welt halten, falls ich es retten kann. Doch wenn unſer Land uur mit Ver⸗

leugnung dieſes Grundſatzes gerettet werden könnte, ſo will ich gleich erklären, daß ich lieber auf der Stelle er⸗ mordet werden möchte, als davon abzulaſſen.“

Unerwartet (nach dem Reiſeplan ſollte er erſt 12 Stunden ſpäter eintreffen) langte der Präſident ſchon früh am 23. Februar in Waſhington an. Man hatte ihn ge— warnt, auf ſeiner Hut zu ſein; ſchon auf der Toledo- und Weſtbahn hatte man einen Verſuch gemacht, den Zug zu entgleiſen, auf der Station Cincinnati war eine Hand- granate im Wagen des Präſidenten entdeckt worden, in Baltimore war ein Complott zum Zwecke der Ermordung des Präfidenten angezettelt worden, darum fuhr er denn verkleidet in einem Extrazuge und langte ſo zeitig und in aller Stille in der Bundeshauptſtadt an.

Am 4. März 1861 fand die Feier der Einweihung ſtatt. Durch Senator Baker ward der neue Präſident dem vor dem Kapitol verſammelten Volke vorgeſtellt, das ihn jubelnd begrüßte. Die übliche Anrede, mit welcher der Präſident ſein Amt eröffnete, war mild und verſöhn⸗ lich, aber auch feſt und entſchieden. „Ich habe nicht die geringſte Abſicht,“ ſo äußerte ſich Lincoln, „der Sklaverei, wo fie einmal beſteht, entgegenzutreten. Ich glaube nicht, daß mir ein Eingriff in dieſer Beziehung zuſtände.“ Aber zugleich wies er darauf hin, daß ein Staatsvertrag, wie derjenige, auf welchem die Vereinigten Staaten ruheten, nur durch die Zuſtimmung Aller, nicht aber nach der Willkür Einzelner, vernichtet werden könne. „Daher be- trachte ich,“ ſagte Lincoln, „kraft der Konſtitution und

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Geſetze, die Union für ungetheilt und werde mich deßhalb bemühen, wie die Konſtitution les mir aus-

drücklich zur Pflicht macht, ſo gut ich kann, die Geſetze der

Union treu und redlich in allen Staaten zur Ausfüh- rung zu bringen. Dies iſt meine Pflicht und ich werde ſie thun, bis mein geſetzlicher Herr das amerikaniſche Volk fie nicht mehr verlangt oder das Gegentheil ge— bietet. Ich hoffe, daß dies nicht als eine Drohung ange— ſehen wird, ſondern nur als die beſtimmt ausgedrückte Abſicht der Union, ſich auf geſetzmäßige Weiſe zu verthei⸗ digen und zu erhalten.“

Nachdem die Rede verleſen war, legte der Präſident ſeinen Amtseid ab und dann begann er ſeine ſchwere Amtsthätigkeit mit Säuberung des Kabinets. Er ernannte vor Allem den diplomatiſch umſichtigen, erfahrenen und treuen Seward zum Staatsſekretär, Chaſe zum Schatzſekretär, Cameron zum Sekretär des Kriegs. Das frühere Kabinet hatte nur aus Südmännern beſtan⸗ den, die ſammt und ſonders im Intereſſe einer Zertrüm— merung der Union handelten. Buchanan war ohne genü- gende moraliſche Kraft und überdies der Politik der Skla— venſtaaten ſtets hold geweſen. Er hatte die Mitglieder des Kabinets ſchalten und walten laſſen. Nicht nur, daß der Schatzſekretär (Finanzminiſter) Cobb, ein Sklavenhalter aus Georgia, den Schatz, welchen er in gutem Stande angetreten, völlig leer hinterließ, er hatte die ſechs Millionen Dollars, welche fehlten, nur im Intereſſe der ſüdſtgatlichen Rellion verbraucht, die ſchon längſt vorbe—

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reitet war. Die Sendung von Zollgeldern, die aus dem Süden nach Waſhington überbracht werden ſollten, hatte er geradezu verhindert. Floyd, der Kriegsſekretär, hatte die Arſenale der Nordſtaaten geleert und die Waffenvor— räthe den Arſenalen der Südſtaaten überliefert. Er widerſetzte ſich dem Antrag, die Beſatzungen des Fort Sumter und der anderen im Süden gelegenen Forts zu verſtärken. Um vor der Präſidentenwahl ſo viel als möglich dem Norden die Waffen zu entziehen und dem Süden zukommen zu laſſen, wurden auf eine einzige ſchriftliche Ordre im Jahre 1859 115,000 Gewehre nach dem Süden transportirt. Schon am 17. Dezember 1860 hatte Süd⸗Carolina den Reigen der Rebellion eröffnet und durch den Gouverneur erklären laſſen, „daß es feſt beſchloſſen habe, ſich von der Union zu trennen, weil in der kürzlich ſtattgehabten Wahl des Präſidenten und Vicepräſidenten der Norden die Wahl nach ſolchen Prin— zipien ausgeführt habe, daß es nicht länger für die Bürger von Süd⸗Carolina ſicher ſei, in der Union zu verharren.“ Auf einer geheimen Verſammlung am 5. Januar 1860, welcher viele der Senatoren des Südens beiwohnten, wurde ausgemacht, daß jeder ſüdliche Staat ſich ſo ſchnell als möglich von der Union trennen ſollte, die Senatoren und Mitglieder des Kongreſſes ſollten aber jo lange wie möglich im Senat und Kongreß zu Waſhington bleiben, um alle gegen die Südſtaaten in Vorſchlag gebrachten Maßregeln zu vereiteln. So folgten dem Beiſpiele Süd⸗Carolina's ſchnell nacheinander die Staaten Miſſiſ⸗

. ſippi, Alabama, Florida, Louiſiana und Texas und con⸗ ſtituirten ſich als neuer Staatenbund unter dem Namen der con föderirten Staaten von Amerika. Zum 4. Februar 1861 ward nach Montgomery eine ſüd⸗ liche National-Verſammlung berufen, am 18. d. M. eine proviſoriſche Verfaſſung feſtgeſetzt und der talentvolle Staatsmann Jefferſon Davis aus Miſſiſſippi zum Präſidenten erwählt. Bald traten noch vier Süd— ſtaaten (Virginien, Tenneſſee, Georgia und Arkanſas) zu der neuen Konföderation, welche nun 11 Staaten um- faßte. Die Bevölkerung dieſes Südbundes war dem Norden gegenüber freilich ſehr gering: 5 Millionen Weiße und 34 Millionen Sklaven, während 23 Norditaa- ten 223 Millionen Weiße und ? Million Sklaven zählten. Wegen dieſer geringen Ziffer hielt der Norden einen Krieg mit dem Süden für nicht ſehr gefährlich und hatte ſich in Unterſchätzung des Gegners allzuſehr der Ruhe überlaſſen. Bald ſollte er aus ſeiner ſtolzen Sicherheit aufgerüttelt werden.

Zunächſt wollte man die vereinzelten Forts über⸗ rumpeln. Im Fort Sumter am Hafen von Charleston kommandirte der wackere Major Anderſon ſeine geringe Beſatzung von 70 Mann; er hielt ſich tapfer gegen den General Beauregard, der ihn mit Uebermacht angriff, es fehlte ihm aber an Munition. Das Dampfſchiff Star of the West ſollte ihm Verſtärkung bringen; es fuhr am 9. Januar 1861 im Hafen von Charleston ein, ward aber alsbald mit einem Kugelhagel von den feindlichen Batte⸗

Be

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rien überſchüttet und kehrte mit dem zerſchoſſenen Sternen— banner nach New-Nork zurück. Am 13. April mußte ſich Fort Sumter ergeben.

Nun ging ein Schrei der Entrüſtung durch die Nord— ſtaaten. Lincolns Ruf zu den Waffen fand williges Ge— hör; der Präſident hatte 75,000 Mann ausgeſchrieben; doch bis die einzelnen Regimenter gerüſtet und vereinigt waren, bedurfte es mehrerer Wochen und ſchon ſprachen die Konföderirten davon, nach Waſhington zu marſchiren, wo man nicht mehr als 600 Mann zur Vertheidigung hatte. Es fehlte den Nordſtaaten an Allem, an kriegsge— übter Mannſchaft, an tüchtigen Offizieren (welche der Süden in reichſtem Maße beſaß), an Kriegsmaterial. Ganz beſonders fehlte es dem Norden an Artillerie und Kavallerie. Dazu kam, daß Jefferſon Davis, der als General den mexikaniſchen Feldzug mitgemacht hatte, großes Organiſationstalent beſaß, während Abraham Lincoln vom Kriegsweſen nichts verſtand und ſich auf ſeine Generale verlaſſen mußte. So mußte wohl kommen, was nun geſchah.

Kampfluſtig war die erſte Unionsarmee nach Virginia eingerückt, aber von ſtrenger Disciplin und durchgreifender Militärorganiſation wollten die guten Yankees nicht viel wiſſen, in der Meinung, daß ihre Begeiſterung für eine gute und gerechte Sache auch den Sieg herbeiführen werde. Am Flüßchen Bull's Run, das ſteile bewaldete Rän⸗ der hat, trafen fie den Feind, der ſeine Stellung vortreff- lich gewählt hatte. Präſident Davis kommandirte ſelbſt,

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unter ihm Johnſton und Beauregard. Der Unionsgeneral M'Dowell griff muthig an, erlitt jedoch eine vollſtändige Niederlage. Und auf dem Rückzuge ward ſein Heer von einem ſolchen Schrecken erfaßt, daß es ſich in wilder Flucht auflöste und einzelne ungeordnete Haufen nach Waſhing— ton ſtürzten (19. Juli 1861). Nur die Brigade Blenker, die aus Deutſchen beſtand, zog ſich geordnet über den Potomac zurück.

Dieſe erſte de war ein harter Schlag und zugleich eine heilſame Lehre für den Norden, der nun erſt die Unzulänglichkeit ſeiner Rüſtungen klar erkannte. Lincoln rief 500,000 Mann Freiwillige zu den Waffen; begeiſtert ward dem Rufe des Präſidenten entſprochen. General M'Clellan erhielt den Oberbefehl nnd ſtellte ſich nun die Aufgabe, die ſämmtlichen Häfen der Südſtaaten zu blokiren, dann ſich des Miſſiſſippi und der übrigen Ströme des Weſtens zu bemächtigen, endlich Richmond zu nehmen, nach welcher Stadt die Konföderirten den Sitz ihrer Regierung verlegt hatten. M'Clellan begann die Organiſation der Heereskörper mit ruhiger Strenge und Feſtigkeit und erwarb ſich dadurch ein großes Verdienſt um die Union; aber ſeinen kühn vordringenden, raſch ent— ſchloſſenen Gegnern gegenüber zeigte er ſich dann zu lang— ſam und bedächtig.

Inzwiſchen mehrten ſich die Schwierigkeiten, mit denen Lincoln zu kämpfen hatte, von Tage zu Tage. Die von ihm vorgeſchlagenen Finanzmaßregeln fanden im Senat eine ſtarte Oppoſition, und bald nachher drohete ein

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Zerwürfniß mit den europäiſchen Mächten England und

Frankreich. Er mußte ſich zu dem ſchweren Opfer ver— ſtehen, für jetzt allen Nationalſtolz niederzuhalten und jenen Mächten lieber nachzugeben, als ihnen einen Vor— wand zum Beginn von Feindſeligkeiten zu geben, denen für den Augenblick die Union nicht gewachſen war. England wie Frankreich, auf die wachſende Macht der Vereinigten Staaten eiferſüchtig, beſtärkten die Süd— ſtaaten in ihrem Abfall, und dieſe hatten in Folge einer geheimen Verabredung zwei Kommiſſäre, die Herren Maſon und Slidell, mit entſprechenden Vollmachten ver— ſehen, auf dem engliſchen Poſtpacketdampfer Trent abge— ſandt, um in Europa eine Neutralitätserklärung in Betreff der Blokade zu erwirken. Kapitän Wilkes, der Befehls— haber des Unions-Kriegsſchiffes „San Jazinto“ war von der Reiſe der beiden Kommiſſäre unterrichtet worden, machte auf den Poſtdampfer Jagd und nahm die geſuchten Paſſagiere (die ſich in Damenkleider geſteckt hatten) ge— fangen. Die engliſche Regierung erblickte in dieſem Ge— waltakte eine Neutralitätsverletzung und forderte Genug— thuung. Abraham Lincoln gab dieſe und ließ ſich von dem Geſchrei der Heißſporne nicht irre machen. Er erklärte die Handlungsweiſe des Kapitän Wilkes für eigenmächtig und lieferte die beiden Gefangenen aus. Mit derſelben weiſen Mäßigung ließ er vorläufig den Kaiſer Napoleon gewähren, der ein Kaiſerthum Mexiko unter dem öſterreichiſchen Erzherzog Maximilian aufrich— tete, in der Ueberzeugung, es ſei beſſer, bis zu ſpäterer,

günſtigerer Zeit die Sache zu vertagen, als auf einmal alle Schwierigkeiten beſeitigen zu wollen.

Nachdem man Tag und Nacht die Rüſtungen fortge⸗ ſetzt hatte und zwar mit gleichem Eifer im Norden wie im Süden, ward im folgenden Jahre (1862) auch der Kampf mit ſteigender Erbitterung fortgeſetzt, ohne nach der einen oder andern Seite eine Entſcheidung zu bringen. M'Clellan hatte vom Präſidenten, als dem oberſten Kriegsherrn, wiederholt die Mahnung zum Vorrücken er— halten, ſich jedoch ſtets über die noch immer mangelhafte Organiſation der Bundestruppen beklagt; erſt im März entſchloß er ſich zum Vorgehen, als bereits der kluge und in ſeinen ſtrategiſchen Bewegungen höchſt gewandte General Lee ſeinen Vortheil wahrgenommen hatte. Der Feldzug gegen Richmond (im März) mißglückte. Beſſer gelang in dieſem Monat der Kampf zu Waſſer. Im Februar war eine Unionsflottille gegen die Häfen am Golf von Mexiko, namentlich gegen New-Orleans, entſen⸗ det worden. An dem Beſitz von New-Orleans, dem größten Handelsplatz und Geldmarkt des Südens, war viel gelegen. Doch ehe fie in den Miſſifſippi eindringen konnte, ſollt ſie erſt einen harten Strauß beſtehen. Es war am 9. März. Die Unionsflotte hatte zunächſt Char⸗ leston und die übrigen Seeſtädte der Südſtaaten blokirt. Zwei Fregatten, drei Dampfer und eine Eskadre kleiner Fahrzeuge befanden ſich zum Schutze von Monroe un⸗ fern dieſer Bundesfeſte auf der Rhede von den Hampton⸗ Roads. .

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Plötzlich ertönte ein Allarmſchuß von der Wache des Cumberland und man ſieht die Flotille der Rebellen nahen, in ihrer Mitte ein ſeltſames Fahrzeug mit ſchrägem Dach und langem ſtählernem Widder. Das ſchwarze Ungethüm hält ſeinen Schiffsraum ganz unter Waſſer; ſtill und unheimlich bewegt es ſich ſchnell genug vorwärts und ſteuert gerade auf die ſchöne, ſtolze Fregatte, Cumber— land‘ zu. Dieſe feuert ihre ganze Breitſeite auf den An⸗ greifer ab; die Kanonenkugeln prallen aber von deſſen eiſernen Wänden ab wie Erbſen, die man auf eine Stein— platte wirft. In vollem Lauf rennt der Merrimac ſo heißt das neue Widderſchiff auf die Fregatte und bringt ihr mit ſeinem Spieß eine furchtbare Wunde bei. Gleich einem Widder, der zum zweiten Mal ausholt, weicht der Merrimac eine Strecke zurück und ſtößt dann wieder auf die Fregatte, die abermals ein weites, tiefes Loch erhält. Der erſte gewaltige Schuß, den der Marrimac auf das Holzſchiff abgefeuert hat, fegt ſechs Matroſen vom Deck, der zweite zerſplittert den Hauptmaſt. Die Fregatte ſinkt, die Mannſchaft muß ſich ergeben. Nun ſegelt der Marrimac auf den, Congreß' los; die Mannſchaft ergiebt ſich. Daſſelbe Schickſal erfährt darauf die Fregatte Minnejota‘. Da erſcheint als Retter in der Noth ein don dem genialen Ericſon aus Schweden erbautes Eiſen— ſchiff, das noch mehr Waſſerpaß iſt, kleiner als der Mer— rimac, mit flachem Boden und ſpitzen Enden. Nur ein um ſich ſelbſt ſich drehender Thurm mit zwei ſchweren Geſchützen, welche Kugeln von zwei Centnern ſchleudern,

Igd.⸗Bibl. 8. 7

a er

ragt über die Waſſerfläche empor. Ein Schuß auf den Merrimac erſchüttert dieſen bis zum unterſten Kiel. Die Ungethüme fahren auf einander; der Monitor aber ſo heißt das eiſerne Schiff der Union iſt unver— wundbar und ſetzt ſeinem Gegner ſo zu, daß dieſer das Weite ſuchen muß. Die Unionsflotte iſt gerettet.

Einige Wochen nach dem Duell dieſer Eiſenſchiffe deren Erſcheinen eine neue Aera im Seekriege eröffnete mußte ſich New-Orleans den Unionstruppen ergeben. Am Charfreitag begann die furchtbare Beſchießung, Die- mehrere Tage dauerte, während gleichzeitig ein Angriff der Landungstruppen unter Butler vorbereitet ward.

Dem General Fremont war die Aufgabe geworden, in Weſt⸗Virginia zu operiren, dem General Sherman in Süd⸗, Burnſide in Nord-Carolina. Des letzteren Yeld- zug gelang; auch bei Wincheſter ward ein Sieg erfochten. Dann aber erlitten die Unioniſten im Shenandoah-Thale eine furchtbare Niederlage und in den Sumpfgegenden des Chickahominy-Fluſſes, wo M' dClellans Heerſäule Stellung genommen hatte und nun in aller Eile den Rückzug antreten mußte, erlitt auch deſſen Heer eine blu— tige Schlappe nach der andern. Der Regierung zu Waſhington blieb nun keine andere Wahl, als alle in der Nähe befindlichen Truppen in und um Waſhington zu— ſammenzuziehen. Im September beſtand M’Clellan abermals den Kampf mit dem unter deu Generalen Lee und Jackſon über den Potomacfluß in Maryland vorge—

EEE |

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drungenen Heere der Conförderirten. Dieſe Schlacht bei Sharpsburg (16. September 1862) war eine der blutigſten des ſchrecklichen Krieges; ſie währte 14 Stunden; die Unionstruppen verloren 14,000 Mann, die Confö— derirten 12,000 Mann, ohne daß eine Entſcheidung erfolgt wäre. Zwar zog ſich Lee über den Potomac zurück, aber M'dClellan verfolgte ihn nicht, ſondern begnügte ſich damit, die Grenze von Maryland gegen neue Einfälle zu decken. Die Waſhingtoner Regierung ſandte ihm gemeſſene Be— fehle, den Potomac zu überſchreiten und die Offenſive zu ergreifen; widerwillig gehorchte der General, verſchob jedoch abermals den Angriff, weil er noch zu ſehr ge— ſchwächt ſei, und dieſe vierzig Tage der Unthätigkeit ihres Gegners benutzten die Feinde vortrefflich zu ihrer Stär— kung. Nun gab Präſident Lincoln der allgemeinen Er- bitterung über M'Clellans ſchwankende und zaudernde Kriegsführung nach und entzog ihm den Oberbefehl über die Potomac-Armee, den nun General Burnſide erhielt. Dieſer ſchickte ſich an, bei Fredericksburg den Fluß Rappa⸗ hannok zu überſchreiten, um durch raſches Vorgehen auf Richmond ſeinen Gegner Lee zum Rückzug zu zwingen. Lee hatte jedoch auf den Höhen von Fredericksburg eine ſehr gut gewählte Stellung genommen, und als Burnſide dennoch den Angriff wagte, ward er mit einem Verluſt von 13,000 Mann geſchlagen und mußte ſich wieder über den Rappahannol zurückziehen. 7 Gegen ſolche Niederlagen wollten die Erfolge, welche

General Graut auf dem weſtlichen Kriegsſchauplatze errang

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and General Roſecranz am mittleren Teneſſee durch den Sieg bei Murfreesborough (30. Dezember) nicht viel be— ſagen; hatte doch auch der letztere Sieg mit einem Verluſt oon 11,500 Mann erkauft werden müſſen!

Lincoln aber ließ ſich im feſten Gange, den er ſich in ſeiner Politik vorgezeichnet, weder durch Siege noch durch Niederlagen irre machen, obwohl ihn die ungeheuren Opfer an Menſchenleben, welche dieſer Bürgerkrieg forderte, tief in der Seele ſchmerzten. In ſchweren Stunden wandte er ſich im Gebet nach oben und holte ſich von dort her neue Zuverſicht. Ein theures Glied ſeiner Familie, ſein hoffnungsvoller zwölfjähriger Sohn William, war ihm auch durch den Tod entriſſen worden, und als er eines Tages in ſeinem Shakespeare geleſen, trat er mit dem Buche in der Hand zum Oberſt Le Grand B. Cannon, der mit ihm arbeitete und wiederholte die ſoeben geleſene Stelle („König Johann“) mit tiefer Rührung und kum— mervollem Blicke:

„Und, Vater Kardinal, ich hört' Euch ſagen,

Daß wir im Jenſeits wiederfinden, was wir liebten, Iſt's wahr, dann ſeh ich meinen Knaben wieder! —“ Und mit zitternder Stimme, während ſeine Lippen kaum merklich zuckten, ſetzte er hinzu, auf den Gefährten blickend: „Oberſt, träumten Sie je von einem verlorenen Freunde, waren Sie ſich bewußt, ſüße Zwiegeſpräche mit ihm zu halten, und durchdrang Sie doch wieder zugleich die trübe Gewißheit, daß Alles nur ein Traum ſei? So träume ich von meinem Knaben Willie!“ Und die Thränen

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rannen dem ſtarken Manne über das hagere, kummer⸗ volle Geſicht.

In trüber, niedergedrückter Stimmung mußte Lin⸗ coln das Jahr 1862 beſchließen. Nicht nur waren alle Hoffnungen auf baldige Niederwerfung der Rebellen ver— nichtet worden, auch das Parteigetriebe und die fortwäh— rende Oppoſition innerhalb der Nordſtaaten bereitete dem Präſidenten viele Noth und Kümmerniß. Drei tonan⸗ gebende Staaten, New-York, Ohio und Pennſylvanien hatten im Herbſt 1862 ihre Abgeordneten für Waſhington in regierungsfeindlichem Sinne gewählt, die Demokraten aber hatten ſich in zwei Parteien geſpalten, in die Kriegs— und Friedensdemokraten, welche letztere der Volkswitz „Kupferköpfe“ (copperheads) nannte. Dieſe copperheads, welche nach guter Spießbürger Art den Frieden um jeden Preis wollten, ſchrieen bei jeder energiſchen Maßregel Lincolns, daß er ſeine Befugniſſe überſchreite und ſich Alleinherrſchaft anmaße; die Kriegsdemokraten und ein Theil der Republikaner ſchoben auf den Präſidenten und deſſen Kriegsſekretär alle Schuld, wenn die Feldherrn ſchlecht operirten oder geſchlagen wurden. Lincoln, zum Aeußerſten entſchloſſen, um die Union zu retten, hatte in ſeiner Proklamation vom 22. September 1862 den con- föderirten Staaten angekündigt, daß er ihnen eine hun— derttägige Friſt zur Rückkehr in die Union bewilligen wolle; falls aber dieſe unbenutzt bleibe, werde er am 1. Januar 1863 die Befreiung ſämmtlicher Sklaven in den conföderirten Staaten verfügen. Und wenige Tage nach⸗

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her hatte er die Habeas Corpus-Akte aufgehoben, um den Umtrieben der Abtrünnigen bei den Demokraten des Nordens ein Ende zu machen.) 8

Solche durchgreifende Maßregeln mochten wohl manchem amerikaniſchen Freiheitsmann wie Deſpotismus erſcheinen und doch waren fie im Drange der Verhältniſſe geboten, wenn durch zügelloſe Freiheit die Freiheit ſelber nicht zu Grunde gehen ſollte.

So erließ denn Lincoln am Neujahrstage 1863, wie er es bereits den Südſtaaten im verwichenen Herbſt ange— kündigt hatte, die Proklamation, daß alle im Feindeslande befindlichen Sklaven fortan frei fein ſollten. Jenen Skla⸗ venſtaaten, die auf Seite des Nordens ſtanden Miſſourie, Kentucky, Maryland wurde die Botmäßigkeit über die Sklaven gelaſſen, weil der Präſident ſeine Proklamation als eine rein kriegeriſche Maßregel betrachtet wiſſen wollte, derſelbe aber auch vorausſah, daß genannte Staa= ten freiwillig zur Sklavenemancipation ſich entſchließen würden. 8 | Um die Geldmittel zur Fortſetzung des Krieges zu ſchaffen, ward der Finanzminiſter vom Congreß zu einer 6⸗procentigen Anleihe von 900 Millionen Dollars er— mächtigt, ferner zur Ausgabe von 400 Millionen verzins—

*) Nach der ſogenannten Habeas Corpns-Akte darf kein Bürger an ers als durch einen gejeslichen Befehl des Richters verha tet werden. Dieſer gerichtliche Vorgang erfordert aber Zeit, während der in aufgeregten Zeiten ſich Mancher der Ver— haftung entziehen kann, der gegen die Regierung agirt.

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licher Schatzſcheine und zur Vermehrung des Papier- geldes. Auch ward dem Präſidenten das Recht einge— räumt, für den Land- und Seedienſt der Union Neger an- zuwerben eine Maßregel, die um ſo wichtiger war, als man die durch Schlachten und Krankheiten eingebüßten Truppen auf 175,000 Mann, und den durch Deſertionen erlittenen Verluſt auf 125,000 Mann (im Ganzeu alſo 300,000 Mann Verluſt) ſchätzen mußte. Dazu kam, daß mit dem Monat Juni des Jahres 1863 die Dienſtzeit von 130 Regimentern zu Ende ging, und da der erſte Enthuſiasmus vorüber war, nicht zu erwarten ſtand, daß ſich dieſelben zu einer nochmaligen Anwerbung würden be— reit finden laſſen. Die weißen Soldaten hatten freilich einen Widerwillen gegen die ihnen aufgedrungene Waffen» brüderſchaft der Schwarzen, und Ende des Jahres 1863 zählte die Union nur 35,000 bewaffnete Neger; doch am Ende des Jahres 1865 ſchon über 100,000, weil die An— werbung der Weißen immer ſchwieriger wurde.

Beides, die Verkündigung der Sklaven-Emancipation wie das Geſetz der Negerbewaffnung erregte bei den Con— föderirten die tiefſte Erbitterung. Gewiß wäre es vom Standpunkte einer weiſen Staatskunſt und ſelbſt vom Standpunkte der Humanität rathſamer geweſen, die halb thieriſche, durch die Sklaverei tief herabgedrückte Neger— race erſt durch allmähliche Uebergänge für die Freiheit vorzubereiten, als ſo plötzlich die rohe Naturkraft dieſer Menſchen zu entfeſſeln. Aber Lincoln war ja gerade durch den Uebermuth und Scharfſinn des Südens an einer

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ruhigen Entwickelung feiner Staatskunſt gehindert, er war durch den Bürgerkrieg zu dieſer gewaltſamen Maßregel gezwungen worden. War die Sklaverei eine der Haupt⸗ urſachen geweſen, weßhalb die Südſtaaten den Krieg be— gonnen hatten, ſo war fortan die Aufhebung der Sklaverei das Hauptziel des Krieges für die Anhänger der Union.

Zunächſt freilich erfüllten ſich die von Lincoln und ſeinen Freunden an die Negerbefreiung geknüpften Hoff- nungen nur zum geringen Theile. Denn das Anſehen der Sklavenbeſitzer war zu tief gewurzelt, und zum Ruhme der Mehrzahl derſelben ſei es geſagt, ſie waren ihren Sklaven durchaus nicht ſo grauſame Herren geweſen, daß dieſe nun plötzlich gegen ihre Herrſchaft ſich hätten erheben ſollen. Auch wurden viele Sklaven von der Grenze tiefer in's Innere der conföderirten Staaten geſchickt, wo ſie von Lincolns Proklamation gar nichts erfuhren.

Die Generale des Südens kämpften auch im Jahre 1863 mit vielem Glück und Geſchick; der Kampf wurde noch hartnäckiger und blutiger, da die Schlachten ſich auf mehrere Tage ausdehnten und meiſt mit der Erſchöpfung beider Theile endeteu. General Burnſide hatte den Ober— befehl über die Potomac-Armee an Hooker abtreten müſſen; dieſer gedachte abermals Lee's Stellung bei Fredericksburg zu umgehen und ward abermals bei dem Gehöfte Chan— cellorsville, weſtlich vom Schauplatz der vorjährigen Schlacht, geſchlagen. Die Schlacht dauerte vom 2. bis 4. Mai, und in dem neuntägigen Feldzuge hatte General

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Hooker nicht weniger als 17,000 Mann und 120 Geſchütze verloren. Doch ſein Nachfolger im Kommando, General Meade, wetzte die Scharte in der dreitägigen Schlacht von Gettysburg (I. bis 3. Juli) wieder aus, freilich mit ſchwerem Verluſt; die Unioniſten verloren 33,000 Mann, die Conföderirten 28,000! Gleichzeitig mit dem bei Get— tysburg erfochtenen Siege liefen vom Weſten des Kriegs— ſchauplatzes erfreuliche Nachrichten ein: Vicks burg und Port Hudſon waren nach hartnäckiger Gegenwehr

erſtürmt worden, jenes vom General Grant, dieſes vom

General Banks. Und mit der Schlacht bei Chatta— nooga (23. bis 26. September), welche Hooker gewann, ſchloß das Jahr 1863 doch günſtig für den Norden, der nun den Staat Tenneſſee und das ganze Miſſiſſippigebiet in ſeine Gewalt bekommen und die Blokade der feindlichen Seehäfen überall durchgeſetzt hatte.

Als im Dezember d. J. der Friedhof von Gettysburg eingeweiht wurde, ließ ſich's der Präſident nicht nehmen, mit ſeinem Kabinet der Feier beizuwohnen. Eine anſehn— liche Militärmacht und eine zahlloſe Menschenmenge hatte ſich ernſt und trauernd um die friſchen Gräber verſammelt, der ehrwürdige Edw. Everett weihte den Grund ein in eindringlicher, frommer Rede, dann erhob Abraham Lincoln ſeine klare, weithin tönende Stimme und ſprach folgende denkwürdige Worte: „Siebenundachtzig Jahre ſind verfloſſen, da gründeten unſere Väter auf dieſem Feſtlande eine neue, zu Freiheit und Gleichheit geſchaffene

Nation. Wir führen jetzt einen großen Bürgerkrieg, der

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Welt zu zeigen, daß dieſes und jedes nach ſolchen Grund— ſätzen in's Daſein gerufene Volk dauernde Lebensfähigkeit habe. Wir ſtehen hier auf einem großen Schlachtfelde des ſchrecklichen Krieges und ſind gekommen, einen Theil deſſelben als letztes Aſyl derer zu weihen, die hier ihr Leben opferten, damit die Nation am Leben bleibe. Pflicht und Pietät gebieten es uns. Doch in tieferer Bedeutung vermögen wir dieſe Stätte weder zu weihen noch zu heiligen. Sie iſt bereits geweiht von jenen Tapferen, die lebend oder todt hier gekämpft haben, und es ſteht nicht in unſerer Macht, dieſe Weihe zu vermehren oder zu vermindern. Vielmehr iſt es an uns, den Lebenden, hier eine Weihe zu empfangen zur Vollendung des Werkes das jene ſo heldenmüthig gefördert haben wir ſollten jene Einſegnung empfangen, auf daß wir im Hinblick auf die Gräber unſerer verehrten Todten unſere Begeiſterung mehren für die Sache, welcher ſie zum Opfer gefallen ſind, daß wir es aus Herzensgrund bekennen, unſere Todten ſeien nicht vergeblich geſtorben und die Nation werde, will's Gott, die Geburt der Freiheit von Neuem erleben, und die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk werde nimmer von der Erde verſchwinden.“ Im Dezember des Jahres 1863 erließ Lincoln, um nichts zu verſäumen, was möglicher Weiſe die Südſtaaten beruhigen könnte, eine Proklamation, welche den Rebellen eine allgemeine Amneſtie verhieß, falls ſie ſich bereit er— klären würden, die Waffen zu ſtrecken. Wie zu erwarten ſtand, ward ſolche Zumuthung mit Hohn zurückgewieſen.

*

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So ward denn das Jahr 1864 mit neuen Kämpfen begonnen, und daß die leitenden Perſönlichkeiten des Sü— dens die höchſte Energie entwickelten, um ihrer Sache den Sieg zu verſchaffen, muß zu ihrem Ruhm anerkannt werden. Aber dieſe Energie ging allmählich in wilden Terrorismus über und nur das Schreckensregiment hielt noch die conföderirten Staaten zuſammen. Schon machte ſich der Mangel an Kriegsmannſchaft fühlbar, und um die Lücken zu füllen, führte man die Conſcription für alle Altersklaſſen von 18 bis 50 Jahren durch, zwang die Re— gimenter, die ihre Zeit abgedient hatten, weiter zu dienen, und dieſe Maßregel bewirkte, daß die Zahl der Ausreißer mit jeder Woche ſich vermehrte. Auch die Geldquellen drohten zu verſiegen.

Für den Norden hingegen trat dadurch eine entſchei— dende Wendung zum Beſſern ein, daß die Regierung nicht mehr die Operationen wie bisher zu zerſplittern Willens war, und den Oberbefehl in die Hände des ausgezeichneten Generals Ulyſſes Grant legte, der am 9. März von Lin— coln die Beſtallung als Generallieutenant der Armee der Vereinigten Staaten erhielt. Nun gewann Alles an Einheit und Plan. Grant zog die Truppen auf den ent— ſcheidenden Punkten zuſammen und ſetzte ſeinen kühn ent— worfenen Plan mit bewundernswerther Ausdauer in's Werk: die Ueberwältiguug der Armee des General Lee und die Einnahme von Richmond durch die Potomacarmee in Verbindung mit einer neu gebildeten, die ſich unter General Sherman bei Chattanooga ſammeln ſollte;

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Durchbruch des feindlichen Centrums durch die Unions⸗ heere von Georgien in die bisher vom Krieg verſchont gebliebenen Staaten am Golf von Mexiko, Zerſtörung der Eiſenbahnen und militäriſchen Etabliſſements. Indem ſo der Feind in die Mitte genommen und zerdrückt wurde, ſchnitt man ihm zugleich alle Zufuhr ab und entzog ihm die Mittel des Krieges.

Entſchloſſen überſchritt Grant mit der Potomac⸗ Armee den Rapidan, rückte trotz der heftigen Angriffe des Feindes vor, bis Lee, der ſein großes Feldherrntalent abermals bewährte, in einer dicht bewachſenen Wildniß, wo mit Artillerie und Kavallerie nichts ausgerichtet wer— den konnte, ihn zur Schlacht zwang. Die Flintenkugeln fielen wie Hagel in die Reihen beider Gegner, Tauſende wurden auf beiden Seiten hingeopfert, ohne daß die Schlacht eine Entſcheidung herbeiführte. Grant verlor 25,000 Mann, Lee 18,000 Mann! Vom 5. bis 12. Mai war faſt ununterbrochen gekämpft worden. Um ſeine Verluſte zu decken, zog Grant die Beſatzungen der nördlich vom Potomac gelegenen Plätze an ſich und ging ſchon am 18. Mai wieder zum Angriff über. Nach harten Kämpfen zwang er die Conföderirten durch Umgehung ihres rechten Flügels, ihre Stellung bei Spotſylvania aufzugeben, und durch einen zweiten Flankenmarſch, ihre befeſtigte Stellung zwiſchen North- und South-Anna zu verlaſſen. Unter endloſen, hartnäckigen Gefechten gelangte er bis vor Pe- tersburg, im Süden von Richmond, der Rebellenhaupt— ſtadt, hier hatte ſich aber Lee ſo ſtark verſchanzt, daß er

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nutzlos das Blut ſeiner Krieger opferte, und am 18. Juni mit großem Verluſt zurückgeſchlagen ward. Dadurch er— muthigt, wagte Lee noch einmal die Offenſive, ließ 25,000 Mann durch das Shenandoahthal in Maryland einrücken und drang nach Washington vor. Die Reiter des Corps von Breckenridge wagten ſich bis an den Fluß der benach— barten Feſtungen und Lincoln ſah von ſeinem Landhauſe die Wohnung eines Freundes in Flammen aufgehen. Es war das letzte Aufflackern des ſüdſtaatlichen Kriegsglückes. Grant ſandte einen Theil ſeiner Truppen an den Potomac und als noch überdieß General Sheridan ſich mit ſeinem Heer von 30,000 Mann bei Wincheſter aufſtellte, mußten die Conföderirten Maryland räumen.

Die zweite Hauptaufgabe, welche ſich Grant geſtellt hatte, war, wie oben erwähnt, in das Innere Georgiens vorzudringen, und die ſeit dem Beginn des Krieges errich— teten Fabriken und Militär-Etabliſſements zu zerſtören. Sie ward vom General Sherman glänzend gelöst. Er trieb Johnſton von den Keneſawbergen herab, drang ſieg— cich bis Atlanta vor, dem Knotenpunkt der Eiſenbahnen, der mit beſonderer Sorgfalt durch ſtarke Forts geſchützt war. Die Regierung von Richmond übertrug an John— ſtons Stelle dem unternehmenden General Hood das Kommando, der mit Sherman wacker um den Beſitz der Eiſenbahnen kämpfte. Sherman hatte ſich bald überzeugt, daß ein direkter Angriff auf die Befeſtigungen von zweifelhaftem Erfolg ſein würde; ſo griff er mit richtigem Takt zum anderen Mittel, er zerſtörte die Eiſenbahnen

110 (nach Montgomery und Macon führend), die ſüdlich von

Atlanta ſich vereinigen, und ſobald Hood dies erfuhr,

räumte er (am 1. September) Atlanta, ſprengte ſämmtliche Pulvermagazine in die Luft, ließ die noch vorhandenen 83 Eiſenbahnwaggons mit Munition beladen und anzünden,

die Lokomotiven aber dadurch zerſtören, daß man ſie mit

voller Dampfkraft gegen einander trieb.

Mit dem Fall von Atlanta war die Rebellion im

ganzen Weſten zu Boden geworfen. Hood umging nun in weitem Bogen Atlanta und warf ſich in den Rücken Shermans, der dem General Thomas einen Theil ſeiner Truppenmacht überließ, um den Feind aufzuhalten und zu täuſchen, mit ſeinem Hauptheere aber (60,000 Mann), das

er der leichteren Verpflegung wegen in zwei Säulen ges

theilt hatte, plötzlich in die Berge North-Georgias abbog und jenen außerordentlich kühnen Streifzug durch feind— liche Gebiete und eine wilde Natur mit größter Schnellig— keit ausführte, der ihm ein ehrenvolles Gedächtniß in der Kriegsgeſchichte aller Zeiten ſichert. Er zerſtörte hinter ſich alle Eiſenbahnen, leitete das Heer ſo geheimnißvoll, daß nichts über deſſen Bewegungen verlautete, und wäh— rend man in der Union voll ängſtlicher Spannung hin— und herrieth, was aus Sherman und ſeinen Tapferen geworden ſein möchte, erſchien er wie durch ein Wunder im Dezember vor Savannah (an der atlantiſchen Küſte), eroberte die Stadt und vertrieb den General Harden, der ſich auf Charleston zurückzog,

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Indem Generallieutenant Grant durch die Belage— rung von Petersburg und die Beſetzung des ganzen Terrains die Verbindung Richmonds und des Rebellen— heeres mit dem Süden abſchnitt, unterband er recht eigent— lich die Schlagadern des feindlichen Landes, deſſen Kopf

tihmond, deſſen Herz Atlanta war.

Nicht minder wichtig jedoch als dieſe Feldzüge war die Wiedererwählung Lincolns (kam 8. November 1864) zum Präſidenten der Vereinigten Staaten. Der Kandidat der demokratiſchen Partei war MecClellan. Wäre dieſer Präſident geworden, ſo würde in kurzer Zeit den Süd— ſtaaten ein ſehr billiger Friede gewährt worden ſein und die alte Wirthſchaft hätte auf's Neue begonnen. Die Republikaner hielten aber gut zuſammen und honest old Abe wurde mit einer Majorität von 400,000 Stimmen auf neue vier Jahre zum oberſten Lenker der Union erwählt.

Dieſe Wiederwahl Lincolns war für den Süden ein Schlag, der noch furchtbarer war als einige verlorene Schlachten; ſie bedeutete kräftige Fortſetzung des Krieges, unbedingte Unterwerfung des Südens, Aufhebung aller Sklaverei; ſie bedeutete aber auch kräftige Aufrechterhal— tung von Geſetz und Ordnung durch alle Staaten der Union. In ſeiner Rede, die er beim Antritt ſeiner zweiten Amtsperiode hielt, ſagte er am Schluß: „Mit Haß gegen Niemand, mit Nachſicht gegen Alle, mit unerſchütterlichem Glauben an das Recht, wie Gott es uns erkennen läßt, laßt uns vorwärts ſtreben, das Werk zu vollenden, das

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wir begonnen haben. Laßt uns bemüht ſein, die Wunden der Nation zu heilen, laßt uns für Jene ſorgen, welche des Kampfes Hitze ertragen, für ihre Wittwen und Waiſen; laßt uns Alles verſuchen, was einen gerechten, dauernden Frieden unter uns ſelbſt und mit allen Nationen ſichern kann!“

Den Südmännern ſank nun der Muth. Es war vorauszuſehen, daß nach dem Fall Sa vannah's auch Charleston nicht lange mehr zu halten ſei, daß die ſieg— reichen Heere der Union bald zuſammenrücken und Lee's geringe Streitkräfte erdrücken würden. Doch erhob Jefferſon Davis mit ſeinen Getreuen noch trotzig genug das Haupt, als er im Janur 1865 erklärte, daß er geneigt ſei, Unterhandlungen zwiſchen „beiden Ländern“ anzu— knüpfen, worauf ihn Lincoln bedeuten ließ, daß es ſich nur um die Vereinbarung des Volkes im gemeinſa— men Vaterlande handeln und von einer Unab— hängigkeit der Südſtaaten gar keine Rede ſein könne. Er verlangte vor Allem Rückkehr in die Union und Unter- werfung unter ihre Geſetze.

Der Krieg mußte alſo fortgeſetzt werden, und in dem Kriegsrathe, der unter Lincolns Vorſitz ſtattfand, ward feſtgeſetzt, daß Sherman von Savannah aus nach Süd— Carolina vordringen, Charleston durch Abſchneiden aller Hilfsmittel zur Uebergabe nöthigen, dann Nord-Carolina durchziehen und ſich mit Grants Streitmacht vereinigen ſolle, um mit Uebermacht das Heer Lee's zu vernichten. Dieſer Plan ward ausgeführt; Lee zog alle vorhandenen

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Truppenkräfte an ſich; Columbia, Charleston, Georges town, Kingſton und andere wichtige Plätze in beiden Ca— rolina's wurden eiligſt geräumt. Lee, in immer engere Kreiſe eingeſchloſſen, ſetzte den Widerſtand nur noch fort in der Hoffnung, unter den Waffen leichtere Friedensbe— dingungen und eine vollſtändigere Amneſtie zu erhalten. Grant mit der Potomac-Armee, der nach ſo manchem Mißgeſchick die Ehre vorbehalten war, die Entſcheidung herbeizuführen, rückte ihm auf den Leib; er verſuchte, das Centrum Grants zu durchbrechen, ward aber zurückge— ſchlagen, und Grant ließ nun alle Verſchanzungen von Petersburg gleichzeitig angreifen. Die fünftägige Schlacht bei Petersburg (29. März bis 2. April) entſchied den Fall der Stadt; Lee zog in der Nacht vom 2. auf den 3. April ab und räumte auch Richmond, zündete die ſüdſtaatliche Regierungsſtadt an, ſprengte ſeine Pulvermagazine und Panzerſchiffe in die Luft und ſuchte mit dem Reſt ſeiner Truppen nach Burkesville zu entkommen.

Der Hauptſitz der Rebellion war ein Trümmerhaufen geworden, die Union nach vier blutigen, ſchweren Jahren wieder erobert. In beiden Städten wurden die einziehen— den Unionstruppen von der meiſt aus Negern beſtehenden Bevölkerung mit Jubel empfangen; man gönnte den ſchwarzen Regimentern den Triumph, zuerſt in Richmond einzuziehen, ihren General Weitzel an der Spitze, der zum Stadtkommandanten ernannt wurde. Grant aber zog den flüchtigen Rebellentruppen nach, um dem mit Einem Schlage ein Ende zu machen.

Igd.⸗Bibl. 8. —— 5

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Präſident Lincoln hatte während des Kampfes in City⸗Point (unweit Petersburg am Jamesfluſſe gelegen) verweilt und von dort aus ſeine Depeſchen an den Kriegs— ſekretär Stanton nach Waſhington gerichtet. Am Tage nach der Einnahme von Richmond oegab auch er ſich dahin; er zog nicht im Triumphzuge ein, nicht mit Muſik und Fahnen und von ſiegreichen Kriegsſchaaren begleitet, ſon— dern mit ſeinem Söhnchen an der Hand (Robert, der älteſte, war als Hauptmann im Stabe Grants mit dem Heere weiter gezogen), nur vom Admiral Porter geleitet, von deſſen Schiffe aus er auf einem Boote ſich nach Rich— mond rudern ließ. Nur von den wenigen mit Karabinern bewaffneten Seeleuten gefolgt, die ihn zur Stadt geru— dert hatten, machte er zu Fuß feinen Rundgang und rich— tete ſeine Schritte nach dem Hauptquartier des Generals Weitzel, der das Haus des entflohenen Jefferſon Davis in Beſitz genommen hatte. Doch unterwegs ward er er— kannt, blitzſchnell verbreitete ſich die Kunde durch die Stadt: der Präſident iſt gekommen, old Abe iſt da! Und nun erhob ſich unter der ſchwarzen und farbigen Bevölkerung ein Jubelgeſchrei, die Männer ſanken in die Knie nnd vergoſſen Freudenthränen, die Weiber hielten jauchzend ihre Kinder in die Höhe, um ihnen Vater Lincoln zu zei⸗ gen, und das Gedränge ward ſo groß, daß der Präſident kaum von der Stelle konnte.

Lee's Armee war in voller Auflöſung begriffen, und nachdem ſchon ſein letzter Verſuch, durch Sheridans Korps ſich einen Weg nach Lynchburg zu bahnen, mißlungen

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war, bat er (am 9. April) um eine perfünliche Zuſammen⸗ kunft mit Grant. Sie ward ihm gewährt und die Kapi— tulation abgeſchloſſen unter ſo milden Bedingungen, als er ſie in ſeiner verzweifelten Lage kaum hatte hoffen können. Nur die Waffen niederlegen und auseinandergehen! mehr wurde nicht verlangt. Lee's Beiſpiel folgte General Johnſton in Nord-Carolina. Damit war ein Krieg be— endigt, der mehr als eine halbe Million ſtreitbarer Män— ner hinweggerafft hatte 325,000 Mann Unionstrup⸗ pen, 200,000 Conföderirte!

Als Lincoln nach Waſhington zurückkehrte, ging ein grenzenloſer Jubel durch die Regierungsſtadt und von einem Staat zum andern. Alle guten Bürger fühlten es und ſprachen es laut aus, daß ohne den ebenſo ehrlichen als feſten Präſidenten der Sieg nicht errungen worden wäre. Hatte er Strenge walten laſſen müſſen, ſo war doch dieſe nie ohne Milde geweſen, und ſeine wahrhaft chriſtliche Geſinnung bewies er jetzt in glänzendſter Weiſe, daß er auch ſeinen erbittertſten Feinden gegenüber keine Härte, keinen Groll walten ließ. Er hatte ſeinen Gene— ralen die größte Schonung des Feindes zur Pflicht gemacht und nun, nachdem der Sieg vollſtändig errungen war,

verzichtete er darauf, die flüchtigen Leiter der Rebellion

gefangen nehmen zu laſſen. General Sherman hatte wiederholt angefragt, wie er ſich verhalten ſolle, im Falle man der Machthaber von Richmond, namentlich des Prä— ſidenten Jefferſon Davis ſich bemächtigen würde. „Ich will Ihnen was ſagen“, erwiderte Lincoln, „hinten im

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Bezirk Sangamon lebte ein alter Mäßigkeitsprediger, der es mit der Lehre und Ausübung der Enthaltſamkeit ſehr ſtreng nahm. Eines Tages, nachdem er bei großer Hitze einen langen Ritt gemacht, kehrte er im Hauſe eines Freundes ein, der ihm eine Limonade bereitete. Während der Freund das milde Getränk miſchte, fragte er ein— ſchmeichelnd ſeinen Gaſt, ob dieſer nicht ein kleines halbes Tröpfchen von etwas Stärkerm darin haben möchte, damit er nach dem heißen Ritt die erſchlafften Nerven ein wenig ſtärke. „Nein!“ ſagte der Mäßigkeitsapoſtel, „ich bin aus Prinzip dagegen. Aber fügte er dann mit einem ſchmachtenden Blick auf die daneben ſtehende Flaſche hinzu wenn Sie es ſo machen könnten, daß ohne mein Wiſſen ein Tröpfchen hineinfiele, ſo denke ich, es würde mir nicht gerade ſehr wehe thun.“ „Sehen Sie, General!“ ſchloß Lincoln, „meine Pflicht iſt es, die Flucht von Jefferſon Davis zu verhindern, aber wenn Sie es ſo machen und ihn ohne mein Wiſſen entfliehen laſſen könn— ten, ſo denke ich, es würde mir nicht ſehr wehe thun!“ Doch ſeinen Feinden war der edle Mann nur um ſo verhaßter, als und weil er ein herzensguter Mann war. Dieſelben Anführer der Empörung, die Lincoln ſo groß— müthig ſchonte, ſchmiedeten Rachepläne und bildeten ein Komplott, den Präſidenten meuchlings zu morden. Mit ihm ſollten zugleich Grant, der Kriegsminiſter Stanton, der Staatsminiſter Seward fallen. Hatten ſie mit Ge— walt im offenen Felde nichts ausrichten können, jo woll- ten ſie es nun mit der Hinterliſt verſuchen. Waren die

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Häupter der republikaniſchen Partei gefallen, dann hoff— ten ſie in der allgemeinen Verwirrung wieder die de— mokratiſche Partei obenauf zu ſehen und ihre Pläne auf Umwegen doch noch in Ausführung bringen zu können. Menſchen, die für eine ſchlechte Sache kämpfen, machen ſich auch über die ſchlechten Mittel, die ſie in Anwendung bringen, kein Gewiſſen. Schon im Januar konnte man in der Selma Dispatch, einem im Staate Alabama heraus- gegebenen Blatte, folgende Anzeige leſen: | „Eine Million Dollars werden verlangt, um bis zum 1. März den Frieden zu erlangen. Wenn die. Bürger der ſüdlichen Conföderation mir eine Million in barem Gelde oder gutem Papier liefern wollen, ſo werde ich Abraham Lincoln, William H. Seward und Andrew Johnſon bis zum 1. März ermorden laſſen. Dies wird uns zum Frieden verhelfen und die Welt überzeugen, daß Tyrannen in einem freien Lande nicht leben können. Wenn dies nicht ausgeführt wird, ſo wird nichts re— clamirt werden, mit Ausnahme einer Summe von 50,000 Dollars, die vorausbezahlt werden muß und die nothwendig iſt, um drei Schurken zu erſchlagen. Ich ſelbſt werde 1000 Dollar zu dieſem patriotiſchen Werke beiſteuern. Jeder, der ſich an dieſem Werke betheiligen will, ſchreibe unter P. O. Box X Cahaba, Alabama. Dezember 1, 1864.“ Seine Freunde hatten den Präſidenten wiederholt ge— warnt, auf ſeiner Hut zu ſein und für die Sicherſtellung

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ſeiner Perſon größere Sorge zu tragen. Als ihm ein Mitglied ſeines Kabinets bemerklich machte, daß in der großen Unionshauptſtadt Waſhington ſich leicht von den Rebellen gedungene Meuchelmörder verbergen könnten, öffnete der Präſident ein Pult und zog ein Pack Briefe hervor. „Da ſehen Sie ſprach er eine Anzahl Drohbriefe, von denen jeder mir die Ermordung in Aus— ſicht ſtellt. Ich müßte ſehr nervös und aufgeregt ſein, wenn ich über dieſen Gegenſtand lange nachdenken wollte. Auch habe ich alle Gedanken mit folgender Erwägung abgewieſen: Der Gelegenheiten, mich zu morden, giebt es ſo viele, daß, wenn Verräther wirklich mit ſolchen Ge— danken umgingen, ich bei dem beſten Willen einem ſolchen Schickſal nicht entrinnen könnte. Was ſoll ich mir daher ganz unnütze Sorgen machen?“

Es war am 14. April, dem Charfreitag des Jahres 1865, am ſelben Tage als vor vier Jahren das Sternen— banner der Union auf Fort Sumter geſunken war, als in Waſhington die Nachricht eintraf, die Nationalflagge ſei wieder aufgehißt worden. Allgemeine Freude herrſchte in Waſhington und auch Lincoln war heiter geſtimmt. Er hatte mit ſeinem Sohne Robert gefrühſtückt und ſich von ihm, der ſoeben vom Schlachtfelde zurückgekehrt war, alle Einzelheiten der letzten Kämpfe bis zur Kapitulation Lee's erzählen laſſen. Um 11 Uhr hatte eine Kabinetsſitzung ſtattgefunden, an der ſich General Grant betheiligte; man hatte ſich bald über die Grundſätze geeinigt, nach denen die Regierung vorgehen müſſe, um die tiefen Wunden des

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Landes zu heilen und die geſetzliche Ordnung wieder her⸗ zuſtellen. Nach der Mittagstafel unterhielt ſich der Prä— ſident ſehr eingehend mit einer Deputation von Bürgern aus Illinois, und Abends empfing er noch Herrn Colfax, den Sprecher des Repräſentantenhauſes und Herrn Aſh— man, den Vorſitzenden bei der Chicago-Convention von 1860. Man ſprach über Lincolns Ausflug nach Rich— mond, und einer der Anweſenden machte die Bemerkung, daß die Anweſenheit des Präſidenten in der Hauptſtadt der Rebellion doch für deſſen Leben hätte gefährlich werden können. Lincoln gab ſcherzend zu, daß auch er ſich würde

beunruhigt haben, wenn unter den obwaltenden Um— 9

ſtänden ein Anderer als Präſident nach Richmond ge— gangen wäre; für ſich ſelber ſei er jedoch gar nicht beſorgt geweſen.

Für den Abend war der Präſident und General Grant in's Theater geladen worden. Zu bedauern iſt, daß in Amerika die ſchöne chriſtliche Sitte, das Theater am Charfreitag zu ſchließen, nicht vorherrſcht. Obwohl Miſtres Lincoln etwas leidend und nicht für den Be— ſuch des Theaters geſtimmt war, wollte der Präſident doch, da man ſchon in den Zeitungen ſeinen Beſuch gemel— det hatte und das über die Siegesnachrichten froh erregte Publikum vorausſichtlich zahlreich verſammelt ſein würde, ſein Erſcheinen nicht ablehnen. Er lud Herrn Colfax ein, ihn zu begleiten, dieſer lehnte ab. Grant hatte ſeine

Abreiſe zur Armee beſchleunigt, und ſo fuhr denn der

Präſident mit jeiner Gemahlin gegen 8 Abends allein

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vom Weißen Haufe*) ab und ließ vor dem Haufe des Se⸗ nators Harris halten, um Fräulein Clara Harris und deren Stiefbruder Major Rathbone abzuholen.

Man hatte für den Präſidenten und ſeine Geſellſchaft eine Proſceniumsloge erſten Ranges, die im zweiten Stocke lag, reſervirt und vorn mit dem Sternenbanner ge— ſchmückt. Hinter dieſer Loge lief ein dunkler Korridor, deſſen Wand einen ſpitzen Winkel mit einer der Thüren bildete, welche in die Doppelloge führten. Dort hatte ſich ein kräftiger junger Mann aufgeſtellt, mit Sporen an den Stiefeln und keineswegs in der Toilette, die man für das Theater wählt. Er hatte mit großem Scharfſinn ſeine Vorſichtsmaßregeln genommen, durch ein zuvor in die Logenthür gebohrtes Loch geſehen, daß der Präſident in einem Schaukelſtuhle zunächſt dem Orcheſter ſaß, neben ihm ſeine Gemahlin, Fräulein Harris in der Ecke, zu— nächſt der Bühne der Major Rathbone, auf dem Divan an der Hinterwand.

Das Stück, welches geſpielt wurde, hieß: „Unſer amerikaniſcher Vetter.“ Während die Zuſchauer ihre Aufmerkſamkeit auf die Bühne richteten, trat der genannte ruchloſe Menſch es war der Schauſpieler Wilkes Booth, ein fanatiſcher Anhänger der ſüdſtaatlichen Partei in die leiſe geöffnete Thür der Loge, ſchloß ſie ſchnell, ging

*) So heißt das aus weißem Marmor erbaute Haus in Waſhington, worin der Präſident ſeine Wohnung hat.

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keck vor, zog ſein ſcharf geladenes Piſtol und ſchoß ſicher und feſt zielend dem arglos daſitzenden Präſidenten durch's Hinterhaupt. Ein Mal noch hob das Opfer des Mörders ſein Haupt, dann ſank es und die Augen ſchloſſen ſich, ob— wohl der kräftige Mann noch athmete.

Major Rathbone, der ſich nach dem Piſtolenknall umſah und im Pulverrauch einen Mann ſtehen ſah, ſprang ſchnell entſchloſſen auf dieſen ein und packte ihn; Booth aber warf die Piſtole fort, zog ein ſtarkes Bowiemeſſer und führte einen Stoß auf die Bruſt ſeines Angreifers. Dieſer parirte den Stoß mit ſeinem Arm, der eine tiefe Wunde erhielt. Nun ſprang Booth nach der Brüſtung der Loge und obwohl ihn Rathbone abermals am Rocke feſtzuhalten ſuchte, ſchwang er ſich hinauf und rief, ſein Meſſer ſchwingend: „Nache für den Süden!“ Dann ſprang er mit einem Satze auf die Bühne hinab, verwickelte ſich jedoch mit einem Sporn in das Unionsbanner, von dem er ein Stück abriß, ſo daß er unten angelangt zu Boden ſtürzte. Der Fuß hatte ſich verrenkt; das hinderte ihn jedoch nicht, ſchnell wieder auf die Beine zu kommen. Er ſchwang abermals ſein blutiges Meſſer und recitirte in theatraliſchem Pathos den Wahlſpruch des Staates Vir— gin ien: „Sic semper tyrannis!“ (So geſchehe allen Tyrannen allezeit!) Da er mit allen Thüren und Gängen der Bühne genau bekannt war, gelang es ihm ſchnell zu entkommen. Draußen ſtand ſchon ein geſatteltes Pferd, das ein Knabe hielt. Er beſtieg's und ſpreugte in der Dunkelheit davon.

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Die Aufregung und Verwirrung im Theater war unbeſchreiblich; ſie ward noch geſteigert durch die Nachricht, daß auch Seward ermordet worden ſei. Ein fremder Menſch war bewaffnet in deſſen Krankenzimmer gedrungen denn der Staatsſekretär hatte bei einer unglücklichen Ausfahrt Arm und Kinnlade gebrochen und lag ſchwer darnieder hatte Alle, die ſich ihm entgegenſtellten, nie= dergeſchlagen und dann dem in ſeinem Bette liegenden Kranken mehrere Stiche in den Hals verſetzt, die zum Glück nicht tödtlich waren und nur einen ſtarken Blutver⸗ luſt zur Folge hatten.

Die Kugel, welche das Leben des Präſidenten raubte war vom linken Schläfenbein, das ſie durchbrach, nach dem rechten Ohr vorgedrungen; das Blut ſtrömte aus der Wunde, es floß aber auch Gehirnmaſſe aus und Hilfe war unmöglich. Man brachte den tödtlich Verwundeten in ein nahes Privathaus, das Volk lagerte vor der Thür, bis zum letzten Augenblick ſich der Hoffnung hingebend, es ſei doch vielleicht noch Rettung möglich. Lincoln hatte auf der Stelle das Bewußtſein verloren und gewann es nicht wieder; ſeine Bruſt hob ſich einige Mal, dann athmete er leiſe fort, bis ſich ohne Zuckungen und Röcheln am andern Morgen um halb acht Uhr die Seele von ihrer ſterblichen Hülle löste. Der Jammer der Seinen, die Thränen, deren ſich auch die feſteſten Männer nicht erwehren konnten die an ſeinem Lager ſtanden, das Wehklagen des Volkes, das ſeinen Präſidenten wie einen Vater geliebt hatte, boten erſchütternde Scenen dar. Nie iſt wohl der Jubel ei nes

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Volkes auf fo ſchnelle und ſchmähliche Weiſe in tiefſte Trauer verwandelt worden, als es am Charfreitage 1865 zu Waſhington geſchah, und ſchwerlich iſt je ein Fürſt von ſeinem Volke mit ſo aufrichtigen und heißen Thränen beweint worden, als dies bei der Kunde vom Tode Abra- ham Lincolns, des aus dem Volke hervorgegangenen erſten Beamten des Volkes geſchah. Die Trauerkunde durchlief die ganze Union, die Weiber und Kinder der Schwarzen zogen heulend und ſchluchzend durch die Straßen, und die Neger klagten, bange vor der Zukunft, daß ihr Vater ge- mordet ſei. Selbſt in den Südſtaaten ward die Trauer: kunde nicht ohne tiefe Erſchütterung vernommen, denn ob auch dort alle Bande der Ordnung und des Geſetzes ge— löst waren, jo gab es doch noch menschliche Herzen genug, welche ihre edleren Gefühle nicht im Parteienhaß erſtickt hatten.

Abraham Lincoln hatte erſt ſein 57. Jahr begonnen, als ihn die Kugel des Verruchten traf; es war im zweiten Mo at ſeiner zweiten Präſidentſchaft. In der Reihe der Präſidenten war er der ſechszehnte.

Nachdem der geliebte Todte einbalſamirt worden war, ſtellte man ihn im Paradebett auf prachtvollem Katafalk im Bundespalaſt aus. Tauſende von weißen und ſchwar— zen Männern und Frauen drängten ſich herzu, um noch einmal das Antlitz des Vaters der Nation zu ſehen. Die Leiche ſollte in Springfield ruhen, wo der Hingeſchiedene ſein Daheim gegründet und ſich ſo wohl gefühlt hatte. Der Trauerzug bewegte ſich durch alle Staaten und

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Städte, die der neu erwählte Präſident vor nicht langer

Zeit, vom Jubelgeſchrei des Volkes begrüßt, durchzogen hatte. Wiederum wurden, ſobald der Leichenzug anlangte, Glocken geläutet und Kanonen gelöst, aber diesmal waren es Trauertöne, welche in das Schluchzen und Klagen der Menge ſich miſchten.

Der reizend gelegene Oakwood-Kirchhof zu Spring— field empfing die ſterblichen Reſte und ward fortan der Wallfahrtsort eines treuen, dankbaren Volkes. Ein ſchö— nes Denkmal iſt dem großen Mann 1868 zu Waſhington vor dem Weißen Hauſe errichtet worden.

= 5 =

Was ein Mann wie Abraham Lincoln zu bedeuten hat, das wird erſt im Lauf der Zeiten offenbar, wenn das, wofür der Held lebte und litt, ſtrebte und ſtarb, ſich aus dem trüben Gährungsprozeſſe einer Uebergangsepoche ge— läutert, klar und rein hervorgearbeitet hat. Daß der Wohlſtand vieler Tauſender Bürger der Südſtaaten zer— rüttet, daß von der Wirkſamkeit der Kirche und Schule in dieſem Theile der Union nicht mehr die Rede und demzu— folge eine Verwilderung eingetreten war, die erſt durch viele Friedensjahre bewältigt werden kann; daß auch in den Nordſtaaten durch den Bürgerkrieg Alles gelockert, Schwindel und Betrug, Beſtechung und Heuchelei obenauf gekommen war, daß endlich die plötzlich befreiten Neger von demüthigen Arbeitsſklaven zu Bürgern und Verthei— digern des Vaterlandes emporgehoben, hier und da aus

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der Freiheit ſchnell zur Frechheit übergingen, und mit fol= datiſchem Uebermuth und der Rohheit ihrer Race ihre weißen Mitbürger ſchreckend, kein erfreuliches Bild dar— boten; daß Tauſende von Negerfamilien zu Grunde gingen, weil ſie nicht arbeiten wollten und nicht mehr von ihren weißen Herren gepflegt wurden; dieſe dunklen Schatten ſtehen unheimlich genug hinter dem lichten Charakterbilde des edlen Lincoln und wir dürfen unſern Blick nicht davon abwenden. Man hat gefragt, ob Lincoln, wenn er leben

geblieben wäre, auch im Stande geweſen ſein würde, die

ungeheuren Aufgaben, die ſich nun dem Präſidenten der Union aufdrängen, zu löſen? Und Viele haben mit einem bedenklichen Nein geantwortet.

Nun freilich, alles Unebene eben zu machen, alle Probleme zu löſen, die ſchwarze Race mit Einem Ruck in das rechte Verhältniß zur weißen zu bringen, das hätte kein dem Irrthum unterworfener Sterblicher vermocht. Aber daß Abraham Lincoln in ſeiner ſittlichen Reinheit und Hoheit, in ſeiner milden Geſinnung und Menſchenfreund— lichkeit in Verbindung mit ſeiner unbeugſamen Feſtigkeit und Selbſtändigkeit der rechte Mann geweſen wäre, in die zerrütteten Verhältniſſe der Republik ordnend und neuge— ſtaltend einzugreifen, das wird wohl Niemand bezweifeln.

Solche Helden und Herolde der Freiheit wie Waſhington und Lincoln haben nicht für ihre Zeit, ſie haben für alle Zeiten gelebt, der Geſchichte ihrer Zeit ihr

Gepräge aufgedrückt, gleichwie fie ihr Leben zu einem vor⸗

leuchtenden erhoben und läuterten.

Wir haben ſchon oben erwähnt, wie Lincoln die Deutſchen in der Union ſich zu Freunden machte; er wußte, daß ſie frei von Selbſtſucht und nationalem Dünkel die großen Gedanken der Freiheit und Gleichberechtigung der Menſchen zur Freiheit am reinſten erfaßten. Das hat er unter Anderem in zwei herrlichen Briefen an unſern deutſchen Landsmann Dr. Th. Caniſius, ſpäter nordameri- kaniſcher Konſul in Wien, ausgeſprochen, der in Spring— field mit ihm perſönlich bekannt wurde und ſich die Freund— ſchaft des großen Mannes gewann.

Der erſte Brief bezieht ſich auf ein vom Staate Maſſachuſetts zu Gunſten der „Nativiſten“ oder „Know— nothings“ geſtelltes Amendement und charakteriſirt den Schreiber deſſen gleich vortheilhaft durch die Entſchieden— heit und Mäßigung, mit der er den vorliegenden Fall auf— faßt und in's rechte Licht ſetzt: Er lautet:

„Springfield, 17. Mai 1859. Herrn Dr. Theodor Caniſius. Werther Herr!

Ihren Brief, in welchem Sie für ſich ſelbſt und andere Bürger deutſcher Abkunft fragen, ob ich für oder gegen die Kouſtitutionstlauſel bin, in Bezug naturaliſirter Bürger die kurzlich von Maſſachuſetes angen mmen wurde, und ob ich für oder gegen eine Fuſion*) der Republikaner und anderer Oppo— ſitions-Elemente für die Wahlcampagne von 1860 bin, habe ich erbüngaſſachnſetts iſt ein ſouveräner und unabhängiger Staat, und ich bin nicht befugt, denſelven für das, was er thut, zurecht—

zuweiſen. Wenn man jedoch aus dem, was derſelbe gethan, einen Schluß zu ziehen jucht, was ich thun wurde, jo kann ich

* Verbindung verſchiedener Parteien.

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wohl, ohne unbeſcheiden zu fein, mich ausſprechen. Ich fage deshalb, daß ich jo wie ich die Maſſachuſetts-Clauſel veritehe, gegen die Annahme derſelben bin, ſowohh in Illi⸗ nois als an irgend einem andern Orte, wo ich das Recht habe, ihr entgegenzutreten. Indemi h den Geiſtunſerer Institutionen ſo verſtehe, daß derſelbe die Erhebung der Menſchen anſtrebt, bin ich Alem entgegen, was zur Erniedrigung derſel— ben beiträgt. Es iſt ziemlich allgemein bekannt, daß ich die unterdrückte Lage der Neger bemitleide, ich wurde folglich ganz merkwürdig inkonſequent ſein, wenn ich irgend eine Maßregel begünſtigen könnte, welche die Tendenz hat, die beſtehenden Rechte weißer Männer zu beeinträchtigen, wenn ſie auch in einem andern Land- geboren ſind oder eine andere Sprache ſprechen als die meinige.

Was nun die Sache einer Fuſion anbelangt, ſo bin ich für eine ſolche, wenn dies auf republitaniſchen Grundſätzen gethan werden kann; doch unter keiner andern Bedingung bin ich dafür. Eine Fuſion unter andern Bedingungen würde eben o lächerlich als prinziplos Sein. Es würde dad rch der ganze Norden verloren gehen während der gemeinſame Feind doch noch den ganzen Süden für ſich gewinnen würde.

ie Frage, in Bezug auf Männer, iſt eine verſchiedene. Es befinden ſich gute und patriotiſche Männer und fähige Staats männer im Süden, die ich mit Freuden unkerſtützen würde, wenn ſie ſich auf den Boden republikaniſcher Grundſätze ſtellten; aber ich bin dagegen, daß das republikaniſche Banner auch nur um ein Haar b eit geſenkt wird.

Ich habe dies in Eile geſchrieben, aber ich glaube, daß es Ihre Fragen im Weſentlichen beantwortet.

Ihr ergebener Abraham Lincoln.

Am 4. Juli 1858 feierten die deutſchen Republikaner Chicagos in Wrights Grove den Tag der Unabhängig— keitserklärung der Vereinigten Staaten in ganz beſonders feierlicher Weiſe, da ihnen von den Damen der 7. Ward eine prachtvoll geſtickte Fahne überreicht wurde. Lincoln wurde von dem Comite eingeladen, dem Feſte beizu— wohnen; da ihn aber anderweitige Engagements abhielten,

128 der Einladung Folge zu leiſten, ſo ſchrieb er dem Comite folgenden Brief: „Springfield, 30. Juni 1858.

Meine Herren! Ihr gütiger Brief, der mich einladet, Ihrer Feier des Jahrestages der amerikaniſchen Unabhängig eit bei— zuwohnen, die am 4. jtatıfindet, und bei welcher Gelegenheit den deutſchen Republikanern der 7. Ward Ihrer Stadt ein Banner überreicht werden ſoll, iſt mir zugekommen. Ich bedauere er- klären zu müſſen, daß meine Engagements derart ſind, daß ich nicht bei Ihnen ſein kann. Ich habe mehrere Einladungen vorher erhalten, die ich alle abzulehnen gezwungen war, bis auf eine, die mir einen einzigen Tag von meiner Zeit fortneh— men wird. Ihrem Feſte beizuwohnen würde wenigſtens vier erfordern. :

Ich ſende Ihnen einen Toaſt:

Unſere deutſchen Mitbürger ſtets der Frei⸗ heit, der Union und der Conſtitution treu treu der Freiheit, nicht aus Selbſtſucht, ſon dern aus Prinzip nicht für jpecielle Klaſſen von Menſchen, ſondern für alle Menſchen; treu der Union und der Conſtitution, als die beſten Mittel, jene Freiheit zu fördern Hoch!

Ihr gehorſamer Diener A. Lincoln.“

Das ſind zwei werthvolle Andenken, und Verfaſſer glaubt, ſeine biographiſche Skizze nicht beſſer ſchließen zu können, als mit der Mittheilung dieſer Briefe.

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