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GAUL, LEOPOLD

TITLE:

ALBERTS DES GROSSEN...

PLACE:

MUNSTER

DA TE :

1913

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COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES PRESERVATION DEPARTMENT

BIBUOGR APHir MTPRnpni^M TARHpt

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Gaiü, Leopold: Alberts des Großen Verhältnis zu Plato.

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Alberts des Großen Verhältnis

zu Plato

Eine literarische und philosophiegeschichtliche

Untersuchung

Inaugural -Dissertation

zur Erlangung der Doktorwürde

Einer Hohen Philosophischen Fakultät der Kaiser Wilhelms-Universität zu Straßburg i. Eis.

vorgelegt von

Leopold Gaul

aus Cöin

Münster in Westf. 1913

Druck der Aschendorffschen Buchdruckerei

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Von ier l^akuität genehmigt am 22. Mai 191^.

Meinen Elfern in Liebe und t)ankbarkeif

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Vorliegende Dissertation ist der Teildruck einer größeren Arbeit, die in nächster Zeit als XII, 1 der von Cl. Baeumker herausgegebenen Beitriiife zur Geschichte ihr Philosophie des Mittelalters unter dem gleichen Titel erscheinen wird.

Inhaltsverzeichnis

>

A

V

Seite

Einleitung . 1

Erster Teil Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften

Erster Abschnitt

Piatos Leben 3

Zweiter Abschnitt

Piatos Schriften 9

§ 1. Per Timaeus 12

§ 2. Der Phaedo und Meno 22

§ 3. Der Phaedrus 25

§ 4. Der Gorgias 25

§ 5. Der Ladies 26

§ 6. Der Staat 26

§ 7. Die Gesetze 28

§ 8. Die übrigen von Albert erwähnten Schriften 29

Ergebnis 29

Zweiter Teil Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie

Erster Abschnitt

In der Metaphysik 31

§ 1. Die aristotelische Auffassung 32

§ 2. Die Auffassung der Sentenzen 42

§ 3. Die neuplatonische Auffassung der theologischen Schriften ... 46

§ 4. Alberts Stellungnahme 55

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Alberts des Großen Verhältnis zu Plato

>

Einleitung

Die vorliegende Arbeit stellt sich die Aufgabe, die Fäden auf- zudecken, die von den Ansichten des ersten der großen Scholastiker des Mittelalters zu denen Piatos hinüberführen, und will als Vorarbeit füi- eine Geschichte des Platonisnius im Mittelalter auf- gefaßt seinl Der Untersuchung der inneren Beziehungen beider Philosophen soll ein besonderer Abschnitt vorausgehen, der zu- nächst die wenigen Notizen Alberts des Großen zusammenstellt, die über Piatos Leben berichten, und dann die Frage zu beant- worten sucht, wie weit Alberts Kenntnis platonischer Schriften reicht, und wie hoch der Einfluß zu veranschlagen ist, den diese Kenntnis imf seine Vorstellungen von dei' Philosophie Piatos aus- geübt hat-'. Unsere Aibeit zerfällt also in zwei Teile; dei- erste behandelt Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften, der zweite die Art, wie Albert sicli mit den Anschauungen Piatos ausein- andersetzt. Eine spezielle Vorarbeit ist nicht vorhanden; aus dem,

' Eine solche umfassender Art ist noch nicht geschrieben. Nach den gänzlich ungenügenden Ausführungen, die Stein in seiner 1862—75 erschienenen Geschichte des Platonhmus geboten hat (Teil III, S. G7— 101), sind nur noch die Aufsätze zu erwähnen, die C. Huit 1889—90 in den Anmtics de philos. chn't. Ser. II, Bd. 20—22 erscheinen ließ.

* Eine systematische Darstellung der sämUichen für Alberts Kenntnis der platonischen Philosophie in Betracht kommenden Quellen kann hier nicht erwartet werden. Sie würde allein eine Arbeit für sich darstellen. Das Not- wendige wird, soweit es dem Verfasser möglich ist, bei jedem einzelnen Punkte des zweiten Teiles bemerkt werden. Aus dem gleichen Grunde müssen wir grundsätzlich darauf verzichten, die oft weitgehende Beeinflussung durch platonische Gedanken nachzuweisen, die sich im System Alberts unausge- sprochen vorfindet. Wir können nur das behandeln, wobei mit Sicherheit oder doch mit Wahrscheinlichkeit direkte Bezugnahme auf Plato vorliegt (in den anderen Fällen tritt meist die augustinische Tradition vermittelnd ein); eine umfassende Darstellung des Piatonismus bei Albert würde noch ausgedehnte Vorarbeiten erfordern.

Beitr. XII, l. Gaul, Alberts d. Gr. Verhültnis zu Plato

1

'i

2 Einleitung.

was Schneider in seiner PsycJwlogie Alberts des Großen^ zu unserer Frage beigetragen hat, haben wir reichhch Nutzen gezogen.

Zur Untersuchung wurden sämtUche philosophischen Schriften, soweit sie in der Ausgabe von Borgnet ^ gedruckt vorliegen, und von den theologischen die wichtigsten herangezogen, soweit sie für unsere Frage überhaupt eine Ausbeute versprachen. Um eine Übersicht zu ermöglichen und die Wiederholungen beim Zitieren zu vermeiden, folge ich dem Beispiele Schneiders •'• und gebe eine Tabelle der benutzten Schriften nach der Reihenfolge, wie sie in der Ausgabe enthalten sind:

Tom. I. De praedicabilibus. De praedicamentis. De sex principibus. Perihennenias. Analytica prior.

Tom. II. Analytica poster. Topica. Elenehi.

Tom. III. Physiea.

Tom. IV. De eaelo et mundo. De generatione et corruptione. Meteora.

Tom. V. Mineralia. De anima. Philosophia pauperum.

Tom. VI. Metaphysica.

Tom VII. Ethica.

Tom. VIII. Politica.

Tom. IX. Parva naturalia (De sensu et sensato. De memoria et remi- niseentia. De somno et vigilia. De spiritu et respiratione. De motibus ani- malium. De iuventute et senectute. De nutrimento et nutribili. De morte et vita. De natura et origine animae. De unitate intellectus contra Averroem. De intellectu et intelligibili. De natura locorum. De causis et proprietatibus elementorum. De passionibus aeris).

Tom. X. Parva naturalia (De vegetabilibus et plantis. De motibus progressivis. De causa et processu universitatis. Speculum astronomicum).

Tom. XI. Animalia, 1. 1 12.

Tom. XII. Animalia, 1. 13—26.

Tom. XIV. Comm. in opera B. Dionysii Areopagitae.

Tom. XXV. Comm. in I. librum sententiarum, d. 1 25.

Tom. XXVI. Comm. in I. 1. sent. d. 26—48.

Tom. XXVII. Comm. in II. 1. sent.

Tom. XXVIII. Comm. in III. 1. sent.

Tom. XXIX. Comm. in IV. 1. sent. d. 1—22.

Tom. XXX. Comm. in IV. 1. sent. d. 23 50.

Tom. XXXI. Summae theologiae pars I.

Tom. XXXII. S. theol. pars II, q. 1—67.

Tom. XXXIII. S. theol. pars II, q. 68-141.

Tom. XXXIV. De quatuor coaevis.

Tom. XXXV. Summa de homine.

* Baeumker und v. Hertling, Beitr. z. Gesch. d. Fhtlos. d. Mit f ein It., Bd. 4, Heft 5—6, 1903—06.

2 B. Albert i Magni opera omnia, ed. Borgnet, 38 vol., Paris 1890—99. ' A. a. 0., S. 2, Anm. 1.

Xli ^

Erster Teil

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften

Erster Abschnitt

Platos Leben

Das Mittelalter war von einem stark objektiven Zuge lie- herrscht. In scliroffeni Gegensatze zui* Renaissance galt iluii die Person nichts, nur für das Werk liatte es Interesse. Zwar sehen wir auch bei Albert hier und da das Subjekt aus aller mhigen Objektivität hervorlugen i, im allgemeinen gilt jedoch aucli für ihn, daß das Interesse für die Person hinter der Beschäftigung mit der Sache verscli windet. Als einen Ausfluß dieser Grundtendenz können wir es betrachten, wenn er an einer Stelle sagt, nach dem Ur- heber einer Ansicht zu fragen, sei überflüssig. Wie Albert meint, haben dies überhaupt nur die Pythagoreer getan, da sie eine An- sicht nur dann annahmen, wenn sie sich über ihren pythagoreischen Ursprung ausweisen konnte. Die anderen Philosophen nahmen

* Man vergleiche z. B. die Stelle Anal poster. 1. I, t. 1, e. 3, p. 10b: Et quod quidam dicunt . . . dieat tarnen quilibet quod vult, quod ego non prae- iudicio alicui, sed dico quod dictum Aristotelis intelligo: dictum autem illo- rum nullo modo possum intelligere und weiter den Schluß des Kommentars zur Politik des Aristoteles: Nee ego dixi aliquid in isto libro, nisi exponendo quae dicta sunt, et rationes et causas adhibendo. Sicut enim in omnibus libris physicis (Schneider, a. a. 0., S. 295, liest philosophicis) nunquam de meo dixi aliquid, sed opiniones Peripateticorum quanto fidelius potui ex- posui. Et hoc dico propter quosdam inertes, qui solatium suae inertiae quae- rentes nihil quaerunt in scriptis, nisi quod reprehendant : et cum tales sint torpentes in inertia, ne soli torpentes videantur, quaerunt ponere maculam in electis. Tales Socratem occiderunt, Platonem de Athenis in Academiam fuga- verunt, in Aristotelem machinantes etiam eum exire compulerunt ... in studio semper sunt quidam amarissimi et fellei viri, qui omnes alios convcrtunt in amaritudinem nee sinunt eos in dulcedine societatis quaerere veritatem {Fol. 1. VIII, Schluß, p. 803 f.). Michael {Gesch. d. dmtsch. Volkes, III. Band, 1903, S. 117, Anm. 4) und F. Mandonnet {Siger de Brabanf et Vaverröisme latin an Xllle siede, 2e ed. T. I, Louvain 1911, p. 246) glauben, die Bemerkung passe in mancher Beziehung auf Roger Bacon.

1*

4 Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

jedoch von jedem die Wahrlieit an und haben daher jene Frage nie gestellt K So ist es verständlich, wenn wir Albert nur weniges über Piatos Person berichten hören. Es handelt sich meist um gelegentliche Notizen, die zur Erläuterung eines Lehrsatzes dienen sollen. Als Quellen standen ihm hierfür besonders die beiden Schriften des Apul eins, De Deo Socratis und De Platoim docfmate, »f ferfügung. Daneben erwähnt er August in, Hieronymus und Macrobius. Daß er auch eine Obersetzung von Diogenes Laertius gekannt hat, scheint nicht ausgeschlossen'-.

Über die Zeit von Piatos Geburt macht Albert keine Angaben, wir hören nur allgemein von ihm, daß Piatos Blüte vor die des Aristoteles gefallen ist ^, Piatos ursprünglicher Name war Aristokles (nach dem Großvater). Der Name „Plato'' soll ihm an dessen Stelle wegen des, mit der Länge verglichen, unverhältnismäßig breiten Gesichts vom Turnlehrer beigelegt worden sein ^ Nach der An- gabe Alberts stammte Plato aus einem athenischen Geschlechte''; seine Schwester hieß Potone, deren Sohn Eurymedon; Piatos

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» Periherm., c. 1, p. 375b f.: Quod de auctore quidam quaerunt, super- vacuum est et nunquaiu ab aliquo philosopho quaesitum est nisi in scholis Pythagorae; quia in iUus schola nihil recipiebatur nisi quod fecit Pythagoras. Ab aliis autem hoc quaesitum non est, a quocunque eniui dicta erant, reci- piebantur, dummodo probatae veritatis haberent rationein.

^ Vgl. unten Anni. 4.

=' Phffs.l. lYy t. 3, e. 15, p. 337 b: Dicinius ... Platoneni prius Horuisse

quam Aristotelem.

* Diog. Laert. III, 4, p. 69, 39—44 (ed. Cobet, Par. 1850): mdiMv Sm ttjr emiiav fietcovoftda&Tjj jiqoxfoov \4oiOTo>ch'}c: ojio rov Jidjt.tov xakovfisrog [SrofiaJ . . . evioi 8k öid rifv jiXatizrjTa TFjg Eour]vslag ovKog orofiaodi}vai ' fj Sri :iXatvg ijv to fih(o.iov, a^ qijai Nedv&Jig. Albert übernimmt nur das letztere. Etil. l.I, t. 7, c, 2, p. 108 a: Plato facie latissimus fuit et latitudo faciei longi- tudini non respondebat: propter quod et Plato nominatus (Borgnet: notatus; besonders wegen des analogen „Cicero nominatus est" ist dagegen augenschein- lich nominatus zu lesen) fuit. Da bei Apuleius die Änderung des Namens mit der auffallenden Breite des Körpers begründet wird {De (hißmite Piatonis 1, 1, Apidel Plato}iki Madmirensh (fe phih>tnphia libri rec. P. Thomas, p. 82), so kann er nicht Alberts Quelle gewesen sein; überhaupt findet sich die Begrün- dung, die Albert bringt, nur noch bei Diogenes Laertius, so daß man geneigt sein könnte, anzunehmen, daß Albert diesen in der im 12. oder 13. Jahrhundert angefertigten Übersetzung selbst gekannt hat. Anderseits ist aber dann wieder die Frage, weshalb er nur einen der von Diogenes angegebenen Gründe erwähnt und nicht alle. Zu der Übersetzung des Diogenes Laertius vgl. H. Rose, Die Lücke im Diog. Laert. u. d. alte Übersetzer. Hermes I, 367 ff.

•' De praedicah., t. 3, c. 1, p, 41b.

Piatos Leben. 5

Neffe Speusipp, der mehrfach ^ auch als solcher bezeichnet wird, erscheint hier als Sohn des Eurymedon, als Piatos Großneffe'*.

Auch die Notizen über Piatos Leben sind spärlich und anek- dotenhaft. Von Piatos Lehrern werden der Schreiblehrer Diony- sius^, Kratylus* und Sokrates genannt. Unter fast wörtlicher Anlehnung an Apuleius ^ gibt Albert die schöne Erzählung wieder, nach der ein Traumbild den Sokrates auf seinen späteren Schüler aufmerksam gemacht hat. Ein junger Schwan, so träumte ihm, flog vom Altare des Gupido auf und auf seinen Schoß; dann stieg er zum Himmel und bezauberte mit seinem Gesänge Menschen und Götter. Am anderen Tage brachte Ariston (Borgnet liest „Armon") den jungen Plato zu Sokrates, damit er ihn heranbilde und lehre. Der erkannte den aus dem Antlitz des Knaben leuch- tenden Geist und sagte: „Das ist der Schwan vom Altare der Gupido ! ** *' Aus dem späteren Leben Piatos erwähnt Albert noch die ägyptische Reise; er meint, Plato habe eine Reise nach Ägypten und Judaa unternommen, um die Bücher des Moses und der Pro- pheten kennen zu lernen ', scheint also eine gewisse Kenntnis dieser

* S. throl. p. II, q. 69, m. 2, a. 1, p. IIb; auch Met. 1. VII, t. 1, c. 4, p. 408a, wo er jedoch, wie mehrmals im Kommentar zur Metaphysiky Leu kipp ge- nannt ist. Vgl. Endriss, Albertus Magnus als Interpret der aristotelischen Metaphysik. J. D. München 1886, S. 15.

- Eth. 1. 1, t. 5, c. 15, p. 79 a: Speusippus Piatonis philosophi consangui- neus: erat enim Eurymedontis (Borgnet: Surridemontis) filius, qui fuit fra- truelis (dafür, daß dies auch von Albert im Sinne von Brudersohn, nicht etwa von Schwager, gebraucht wird, vgl. Pol. 1. II, c. 1, p. 97 b) Piatonis, natus ex Potone (Borgnet: ex Apocone: wohl entstanden aus g^ Potone), quae soror Piatonis fuit. Woher dieser Stammbaum stammt, hat der Verfasser nicht er- mitteln können. In Wirklichkeit war Eurymedon der Gatte der Potone. Oder sollte nur ein Versehen vorliegen? Vgl. Prosopographia Attica, ed. Kirchner, Berolini 1901—1903. Tafel zu Nr. 11855.

' De somno et vig. 1. III, t, 1, c. 8, p. 187 b, wo er jedoch als Philosophie- lehrer (des Socrates?) bezeichnet wird.

^ Met. 1. I, t. 4, c. 12, p. 80 b.

^ A. a. 0. 1. I, 1, p. 83. VgL Diog. Laert. III, 5, p. 70, 5—9.

*' De 8omn. et vig., t. 1, c. 1, p. 178 b.

' Sent. 1. I, d. 3, a. 18, p. 114a: „Dicendum secundum Augustinum in libro de doctrina christiana quod Plato curiosius in inspectione librorum descendit in Aegyptum et ludaeam, ut videret libros Moysi et Prophetarum: et ibi didicit pajtrem et filium. Vgl. Augustin, De doctrina christiana, 1. II, c. 29, PL 34, 55 f.: Augustiu will zeigen, daß auch die Kenntnis der Profan-

^^

6 Alberts Kenntnis von Platos Leben und Schriften.

Schriften bei ihm vorauszusetzen. Nach Albert hatten alle Reisen Pialos den Zweck, den gleichsam über den ganzen Erdkreis davon- fliehenden Wissenschaften nachzujagen. Die weitere Behauptung, daß er auf einer dieser Reisen von Piraten gefangen genommen imd in die Gewalt eines grausamen Tyrannen gekommen sei, mag als Reminiszenz an den Ausgang der ersten sizilischen Reise be- tracMet werden ^ ist aber ebenso unsicher wie die andere, daß er sein Gold auf der Reise über Bord geworfen habe, da der Überfluß an äufaeren Gütern für die vertiefte Beti-achtung (speku- latio) ein Hindernis bilde, und daß es besser sei, das Gold als das geistige Leben zu verlieren-.

geschiehte für die Erklärung der Schrift von Nutzen sein kann; so könne man Leuten, die behaupten, daß Christus seine Ideen von Plato entliehen habe, dadurch begegnen, daß man die Geschichte befragt: Nonne memoratus episeopus (sc. Ambrosius) considerata historia gentium, cum reperisset Plato- lieiii leremiae temporibus profectum fuisse in Aegyptum, ubi propheta ille tunc erat, probabilius esse ostendit, quod Plato potius nostris litteris fuerit imbutus, ut illa posset docere vel scribere quae iure laudantur? Ante litteras enim gentis Hebraeorum . . . nee ipse quidem Pythagoras fuit, a cuius poste- ris Platonem theologiam didicise isti asserunt. Später berichtet Augustin über dieselbe Erzählung mit „uonnulli putaverunt" {De civil. Dei 1. VIII, c. 11, PL 41, 235), verwirft sie jedoch mit dem Hinweis darauf, daß Plato 100 Jahre nach Jeremias gelebt hat und ca. 60 Jahre vor den Verfassern der LXX, er habe also von dem Inhalte der hl. Bücher in mündlicher Unterredung Kenntnis genommen. Ähnlich Eetract. 1. 2, c. 4, PL 32, 632. Der Bericht geht auf Erzählungen zurück, wie sie sich z. B. bei Diogenes Laert. IV, 6, p. 70, 24 f. finden: fvOsv öe slg Aiyvjirov Tiaoa roh .-Tgo(p/jTag. Sie sind ein Ausfluß der Bestrebungen, der griechischen Kultur dadurch höheres Ansehen zu geben, daß man sie zu der uralten ägyptischen in Beziehung setzte (vgl. auch die Erzählung Tim. 21 Äff.). Die Behauptung, um die es sich hier handelt, finden wir schon bei dem jüdischen Peripatetiker Aristobul, der sie allerdings aufstellte, um die jüdische Weisheit in um so höherem Lichte erscheinen zu lassen. Ihm folgt Philo, und bei den Apologeten des zweiten Jahrhunderts findet sich ähnliches mehrfach. Im Mittelalter findet sich die Ansicht z. B. bei Petrus Comestor, Ifisforia sn'holastica, Gen. c. 7, PL 198, 1061 D: Plato, qui deseendens in Aegyptum libros Moysi legit. Vgl. Th. Rüther, (jher die Stellung des Clemens Alexandrinus zur Philosophie^ Theologie und (rlnnhr IV (1912), 741. Grab mann, Die Geschichte der schola- siischen Methode, I. Band, 1909, S. 72.

' i*o/. 1. IV, c. 9, p. 381b; wörtlich SiusUlerony miis^Epist. 53 ad Paulinum. PL 22, 540 f.: Denique cum litteras quasi toto fugientes orbe persequitur, captus a piratis et venumdatus, etiam tyranno crudelissimo (Dicmysio Siciliae) paruit.

- Eth. 1. X, t. 2, c. 4, p. 630 a: . . . superabundantia exteriorum ... ab intentione speculationis revocat animum. Propter quod Plato dicitur de sinu

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Platos Leben. 7

Die übrigen Nachrichten betreffen Platos Lehrtätigkeit. Die Akademie wird mehrfach erwähnt i. Nach der schon früher'^ an- geführten Stelle soll Plato sie bezogen haben, weil er sich aus Athen habe flüchten müssen. Bezüglich der Lehrtätigkeit selbst meint Albert, Plato habe eine himmlische Beredsamkeit besessen^ und sei „omni sapientia perfectus et laudatus" gewesen; trotzdem aber habe er so gelehrt, daß es schien, als ob er frage*. Die Schüler Platos hält Albert durchweg für Stoiker, Plato selbst heißt an unzähligen Stellen princeps, praecipuus etc. Stoicorum'\ Als

proiecisse aurum, cum navigaret in Academia dicens, quod melius erat per- dere aurum quam animum.

* So Eth. 1. I, t. 5, c. 5, p. 79 a. ^ S. 3, Anm. 1.

•'' S. theol. p. I, q. 3, a. 13, p. 56b; wörtlich aus Apuleius, De Deo So- cratiSy c. 3, p. 9 : Plato caelesti facundia praeditus . . .

* Elench. 1. II, t. 5, c. 2, p. 711 a: cum ... Plato esset omni sapientia per- fectus et laudatus, tarnen, siquit docuit, quasi interrogando.

•'• Wenn hier und da auch von Platonici geredet wird, so S. de hom., q. 5, a. 3, p. 73b oder Miner. 1. II, t. 1, c. 2, p. 25b, so hat dies wenig auf sich, da dabei im engeren Sinne die Anhänger Platos gemeint sind, während das Wort Stoici mehr die Zugehörigkeit zu einer Schule bezeichnet. Diese Auf- fassung wird bestätigt durch die Beobachtung, daß Albert die Bezeichnung „princeps Stoicorum" keineswegs ausschließlich auf Plato anwendet, sondern oft genug von Sokrates gebraucht (wir nennen die Stellen S. theol. p. II, q. 11, p. 148a; Eth. 1. III, t. 1, c. 7, p. 203a; Eth. 1. VII, t. 1, c. 2, p. 465b f.; De causis etproc. un.f 1. 1, t, 1, c. 3, p. 365 b). De somn. et vigil. 1. III, 1. 1, c. 8, p. 187 b scheint sie auch dem vermeintlidien Philosophielehrer Platos, dem Dionysius, beige- legt zu werden. Dieser Tatbestand erklärt sich leicht, wenn wir beachten, daß mit dem Ausdruck „princeps" keineswegs immer die zeitliche Bedeutung verbunden zu sein braucht (Eth. 1. 1, t. 5, c. 4, p. 61 b wird z. B. schon Pytha- goras unter die Stoiker gezählt, Eth. 1. X, t. 2, c. 4, p. 631b spricht Albert so- gar von „Stoici veteres usque ad Platonem"), und wenn man annimmt, daß Albert den Ausdruck nur deshalb auf Plato anwendet, um diesen von vorn- herein dadurch philosophisch zu charakterisieren, daß er ihn in einen der schon bestehenden Schulverbände einreiht, der für ihn besonders durch den Gegensatz zu den Peripatetikern gekenntzeichnet ist ; daß die Platoschüler eben- falls dieser Schule zugerechnet werden, ist dann selbstverständlich. Die An- wendung des Ausdrucks „Platonici" an der ersten der von uns angeführten Stellen findet so ebenfalls ihre Erklärung: Albert sagt dort im Kopfe des betreffenden Artikels, er wolle sich mit der Ansicht befassen, die die Seelen von den Sternen ihren Ursprung habe nehmen lassen. Die ersten Vertreter dieser Ansicht, mit denen er sich auseinandersetzt, sind nun Augustin und Gregor von Nyssa (= Nemesius von Emesa, s. u.). Während es ganz unan- gebracht gewesen wäre, diese Männer der seit einem Jahrhundert nicht mehr bestehenden stoischen Schule zuzuzählen, war der Hinweis auf die tatsächlich vorhandene Abhängigkeit von Plato ganz am Platze. Die Wahrscheinlichkeit

8

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

Piatos Schriften.

9

Schüler Piatos bezeichnet er den Gorgias, Meiio, Phaedrus, Laches und den Galen, bei dem dieser Ausdruck jedoch nicht in dem-

unserer Theorie steigert sich fast zur Gewißheit, wenn wir noch die folgenden Stellen in Betracht ziehen, in denen der Begriff der Stoici zu dem der Platonici in einen gewissen Gegensatz gebracht wird. Im Kommentar zur aristotelischen Ethik (1. XI, t. 2, c. 20, p. 643 b) redet Albert über die Ewigkeit der Urmaterie und sagt hierüber: Omnes Peripatetici conveniunt in hoc cum Stoicis et (= und zwar) maxime cum Platonicis, quod . . ., eine Bemerkung, die nur so verstanden werden kann, daß die Platoniker als kleinere Gruppe unter die Stoiker gerechnet werden. J. Bach glaubt die Annahme Alberts, daß Plato Stoiker gewesen sei, und damit auch die Verwechslung der Stoiker mit den Xeuplatonikern dadurch erklären zu können, daß er auf Berichte des Stob aus {Eei»f Bd. 1, S. 317 f., ed. Wachsmuth), Diogenes Laertius, Plutarch u. a. hinweist, die die sensualistischen Begriffe der Stoiker mit den platonischen Ideen durclieinander geworfen hätten {Des Albertus Magnus Verhältnis zu der Erkenntnislehre der Griechen^ Lateiner, Araber und Juden, Wien 1881, 8. 7, Anm. 1.). Gerade die von Bach angeführte Stelle scheint jedoch gegen diese Auffassung zu sprechen. Es heißt dort nämlich, nach den Stoikern werde die Vernunft erst mit dem zehnten Lebensjahre mit dem Menschen ver- bunden, wogegen dies bei dem platonischen Logos schon bei der Geburt der Fall sei. Wie diese ausdrückliche Gegenüberstellung der Anlaß einer Ver- wechslung geworden sein soll, ist nicht ersichtlich. Wir möchten zur Erklä- rung vielmehr auf eine Stelle hinweisen, aus der hervorgeht, daß Albert für seine Auffassung schon bei den von ihm benutzten späteren Piatonikern gewisse Unterlagen finden konnte. Nach einer Besprechung der platonischen Lehre von der Selbstbewegung der Seele erwähnt M aerob ins {Comm. in somn, Scip. II, 14, 1 2, p. 618, ed. Eyssenhardt) die verschiedene Stellungnahme der nachplatonischen Philosophen. Auf der einen Seite nennt er Aristoteles, dem dann aber nicht etwa die Platoniker oder Neuplatoniker, sondern die Stoiker gegenüberstehen. Ihren Grund hat diese Zusammenstellung der Stoiker und Platoniker vielleicht in dem Umstände, daß der, wie von vielen anderen, so auch von Macrobius direkt oder indirekt benutzte Kommentar zum Timaeus einen Vertreter der mittleren Stoa zum Verfasser hatte, den Posidonius. Übrigens finden sich ähnliche Seltsamkeiten über die Stoiker, wie bei Albert, auch sonst im Mittelalter. So werden in anderer Wendung bei Roger Bacon, O^ms malus V, p. 1, d. 6. e. 4 (ed. Bridges II, pag. 46) Stoici und philosophi sowie quicunque sapientes antiqui unterschieden. Es bleibt noch zu erklären, wie Albert den Ausdruck „Princeps Stoicorlim" in ver- schiedener Weise, einmal von Plato, dann aber auch von Sokrates, ver- wenden kann. Albert gibt die Antwort in der letzten der oben angeführten Stellen selbst: Er sagt, eigentlich gebühre der Titel des „Princeps Stoicorum" nicht dem Plato, sondern dem Sokrates; da dieser aber nichts geschrieben habe „nonnisi de moribus", so habe man in der stoischen Schule die Schriften des Plato zugrunde gelegt, der ja die Lehren des Sokrates zusammengestellt habe (compilavit). Hierzu vgl. Aristoteles, Met., p. 987b 1 5: Zcoxodiovg dk JtBQt jttkv ijDixä TiQayiiaxEvofiEVov, tieqI 6e tfjg oXrjg (pvoEcog ovdiv, ev ftenoi Tovzoig lo xai^ökov Cl^ovvtog xai nsQi oqio^iwv Ltiax/joaviog jiqiozov itjv

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selben engen Sinne gemeint ist^. Als Platoniker werden u. a. Jarnblichus, Ghalcidius, Macrobius, Nemesius, Boethius, Augustin und der jüdische Philosoph Avicebrol charakterisiert. Piatos Nach- folger in der Akademie ist Speusipp, der seinem Meister in der 108. Olympiade im Lehramt folgte 2. Hiermit ist auch indirekt das Todesjahr Piatos festgelegt, das ja in Wirklichkeit das erste dieser Olympiade gewesen ist.

Zweiter Abschnitt

Platos Schriften

Das Bewußtsein, daß die aristotelischen und platonischen Schriften dem Mittelalter nur teilweise und lückenhaft überkommen sind, hat Albert nicht gefehlt^. Wie wir noch sehen werden, kennt er auch den fragmentarischen Charakter der Timaeusüber- setzung des Ghalcidius. Albert bringt den Titel einer Reihe von Schriften mit Platos Namen in Verbindung, jedoch durchaus nicht immer in derselben Weise. In unzweideutiger Art werden folgende Schriften als Werke Platos gekennzeichnet, Dioisiones, Doctrina non hiscripfa, Gorgias, Meno, Moralia, Phaedo, Phaedrus^ Politia, Timaeus und Urbanitates. Die Formel: Plato dicit in etc. ohne bestimmte Angabe der Autorschaft Platos findet sich bei den Namen : (in) Apo- logetiSj Democraticis und Presbesibus. Endlich werden die Titel

dtdvoiav, EXEivov djioÖE^dfÄEVog 8id t6 toioütov v.iiXaßEV wg jieqI eieqcov tovro yiyvöjUEvor. Alberts etymologische Erklärung des Wortes „Stoicus" geht nicht so sehr von dem griechischen otod aus (diese Ableitung wird nur bei- läufig erwähnt), als vielmehr von oioXxog, der Vers; er schreibt de caus. et proc. un. 1. 1, t. 1, c. 3, p. 367 b: Stoicorum autem nomen vel facientes cantilenas, vel stantes in porticibus interpretatur. Et ratio nominis est, quia primi philo- sophantes in poematibus et philosophabantur poemata, nulla lege metri habe- bant modum : quia autem maxime facta hominum cantebant (1. : canebant), quae ante porticus in theatris et palaestris cantabantur, propter hoc in por- ticibus stantes dicebant (1. : dicebantur) : propter quod etiam Dionysius lo- quitur de theoricis stoice, Aesopi figmenta quaedam ad mystica theoremata referens per modum poetarum. Dann wird an einem Beispiel gezeigt, inwie- fern dies bei Plato der Fall war: hoc autem maxime Plato, Stoicorum prin- ceps fecit: ideo principium primum patrem nominavit, prolem vero formani ab ipso procedentem, materculam autem oranium susceptivam materiam. Vgl. Werner, Der heilige Thomas mn Aquin, I. Band, 1889, S. 28, Anm. 1.

* De animal. 1. III, t. 1, c. 6, p. 221b. - Eth. 1. I, t. 5, c. 15, p. 79 a.

•^ De nat. loc, t. 1, c. 1, p. 529 b: Licet libri eorum non integri, sed per partes ad nos venerint.

10

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Sehriften.

zweier Schriften folgendermaßen angeführt: Socrates dicit in Latice und in Zenone; durch die weiteren Wendungen: Plato assumens verbum Socratis, resp. et Plato dicit id de Socrate wird jedoch der Gedanke an platonische Schriften mit Einführung des Sokrates als redender Person nahegelegt i, eine Vermutung, die dadurch zur Gewißheit erhoben wird, daß mit der ersten Stelle, wie wir sehen werden-, der Lackes gemeint ist. Anspielungen auf die Leges finden sich im Kommentar zur Politik des Aristoteles, wobei aber zweifelhaft bleibt, ob Albert mit dem Wort „Leges'' überhaupt einen Buchtitel gemeint hat. Albert spricht noch von „alchimici libri'', deutet aber seinen Zweifel an der platonischen Herkunft selbst an, wenn er weiter sagt: qui Piatoni inscribuntur =\

Bezüglich der Titel der einzelnen Schriften glaubt Albert, daß sie im allgemeinen von dem Namen der Schüler Piatos ge- nommen sind, an die dieser die betr. Schrift richtete. Daher der Titel „Dodrina non inscripta'' für das Buch, das nicht an einen Schüler gerichtet ist \ Der Meno wird geradezu als Brief an den gleichnamigen Platoschüler bezeichnet^.

Wir haben noch einige speziellere Angaben über einzelne Schriften zu erwähnen. Es wurde schon angedeutet, daß Albert die von dem Sokrates in den platonischen Dialogen gesprochenen Worte ohne weiteres dem historischen beilegt. Das gleiche gilt auch für die übrigen Personen der Dialoge. Der Inhalt einzelner- platonischer Schriften wird daher von Albert unter Bezugnahme auf diese Schriften ohne weiteres als sokratische Lehre behandelt. So erscheint als typischer Vertreter der Lelire, daß die Tugenden nicht zu erlernen, sondern Geschenk Gottes sind, nicht Plato, sondern zunächst „Socrates im Meno\ Dann aber läßt Albert später den Hinweis auf diese Quelle ganz weg und stellt damit den histo-

^ Eth, 1. III, t. 2, c. 7, p. 245 a und Top. 1. II, t. 2, e. 2, p. 314 b.

- Vgl. § 6. •* De mineral. 1. III, t 1, c. 6, p. 66 a.

* Fhys. 1. IV, t. 1, e. 4, p. 247 a.

^ Änalpost. 1. 1, 1. 1, c. 5, p. 16a. Ob mit dem r/e an. l.I, t. 2, c. 14, p. 181 a genannten Menon Pythagorieus dieselbe Person gemeint ist, wie hier, ist zweifelhaft. Mit der Person des Meno seheint sich auch die Stelle Pol. 1. VII, c. 7, p. 681 a zu beschäftigen : „Circa Cretam . . . circa regnum Memnonis, cui Plato postea scripsit librum Memnonis." Wie jedoch aus dem der Stelle zugrunde liegenden aristotelischen Texte und den beigefügten alten Über- setzungen hervorgeht, ist die Form Memnonis aus Minois verlesen.

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Piatos Scliriften.

11

.-

rischen Sokrates als Urheber der betr. Lehre hin^. In ähnlicher Weise kommt der Meno im Kommentar zu einer der logischen Schriften des Aristoteles um seine Bedeutung als Quellschrift; dort tritt die Person des Meno so sehr in den Vordergrund, daß die von diesem aufgeworfene Streitfrage ständig als „dubitatio Menonis" bezeichnet wird 2. Beim Fhaedo ist die Überzeugung von der Geschichtlichkeit der mitgeteilten Reden so stark, daß Albert von dem Buche sagen kann: quem in morte composuit Socrates, und daß er im folgenden bei einem Zitat aus dem Phaedo diese Herkunft gar nicht erwähnt, sondern es einfach dem Sokrates in den Mund legt^. Dem entspricht es, wenn anderswo unter Hin- weis auf den Phaedo gesagt wird, daß Plato die „dicta Socratis" zusammengestellt habe ^.

Den Eindruck, den der Phaedo auf die antike Welt gemacht hat, veranschaulicht die auch von Albert wiedergegebene Episode des Gleombrotus. Dieser soll „sich nach der Lektüre des Werkes von Plato, das über die Unsterblichkeit der Seele handelt, kopf- über von einer Mauer gestürzt haben, um in ein anderes Leben zu wandern, das er für besser hielt" •'.

Da aus der Erwähnung einer platonischen Schrift von seiten Alberts für dessen direkte Kenntnis dieser Schrift nichts folgt, so

^ Eth. 1.1, t. 1, c. 2, p. 3a: Oportet solvere dubitationen Socratis quam Plato ponit in libro qui dicitur Menonis, ubi probat quod virtus nee disci- bilis nee assuescibilis est; Eth. 1. IV, t. 2, c. 2, p. 297a: Stoici quorum princeps fuit Socrates, dixerunt quod virtutes quae sunt deorum dona etc. In ähn- licher Weise nennt Albert, dem Aristoteles folgend, den Sokrates an Stelle der platonischen Republik in: Pol. 1. II, c. 1 3, p. 83a— 131b.

- Ami. post. 1. I, t. 1, c. 6, p. 18a. =' S. theol. p. II, q. 77, m. 5, p. 104a.

* De caiis. et proc. im. 1. I, t. 1, c. 3, p. 365 b: Cuius philosophiae licet princeps fuerit Socrates, tamen quia nonnisi de moribus scripsit et de inqui- sitione veritatis et philosophiae nihil tractavit, ideo Piatonis susceperunt trac- tatum qui dicta Socratis compilavit.

^ S. de honi.y q. 5, a. 3, p. 80b. Albert nimmt die Erzählungen wört- lich aus Augustin {De cirit. Del I, 22). In anderer Fassung scheint sich die Episode noch an mehreren Stellen zu finden: „Als ein Stoiker namens Pro- thymus den platonischen Phaedrus gehört hatte, tötete er sich selbst, um die an den Körper gebundene Seele aus diesem elenden Leben zu erlösen, damit sie ohne Körper in einem körperlosen Leben durch glücklichere Betrachtungen vom göttlichen Intellekte vervollkommnet werde" {De nat. et orig. an., t. 2, 0. 3, p. 404a; ähnlich auch S. theol. p. II, q. 77, m. 5, p. 106a. Zu der letzten Stelle bemerkt Jammy [und Borgnet wiederholt es], ohne das Prothimus des Textes zu beachten: De Cleombroto, vide S. Augustinum. Lib. 1. de Ci vi täte Dei, cap. 21).

12

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

gehen wir nach diesen Vorbemerkungen zu unserer eigentlichen Hauptfrage über und versuchen festzustellen, welche Schriften Piatos Albert gekannt und in weichem Maße er sie benutzt hat. Die Beantwortung der letzten Frage ist zugleich die Vorbedingung, oder vielmehr das einzige Mittel zur Lösung der ersten, da uns direkte Angaben Alberts nicht vorliegen. Hier erwächst uns nun eine Schwierigkeit, die unter Umständen geeignet ist, das ganze Resultat in Frage zu stellen, und durch die Unmasse fremden Materials bedingt ist, das Albert ohne Quellenangabe oft genug wörtlich übernommen und in seine Werke eingearbeitet hat. So haben wir zunächst immer die Möglichkeit im Auge zu behalten, Partien, die anscheinend auf Kenntnis platonischer Schriften deuten, einer anderen Quelle zuschreiben zu müssen, und zwar so lange, als diese Möglichkeit nicht etwa wegen Wörtlichkeit des Zitie- rens als ausgeschlossen zu betrachten ist. Aus diesem Grunde werden wir im folgenden nur eigentliche Zitate i berücksichtigen und die häufigen mehr oder weniger freien inhaltlichen Bezug- nahmen mehr beiseite lassen. Wir dürfen dies um so mehr tun, als abgesehen von den Stellen, die den Timaeus betreffen wohl keine dieser Stellen auf direkter Kenntnis der betr. platoni- schen Schriften beruht und sich ihr fremder (meist aristotelischer) Ursprung vielfach nachweisen läßt. Auf eine Reihe von ihnen werden wir im zweiten Teile der Arbeit zu sprechen kommen.

§ 1. Der Timaeus

Was den Umfang der Zitate aus platonischen Schriften an- geht, so stehen die aus dem Timaeus bei weitem an erster Stelle. Da wir die von Albert benutzte-^ lateinische Übersetzung des Chalcidius kennen, so sind wir in der Lage, die Übereinstimmung mit der Vorlage genauer zu kontrollieren, als das mit dem griechi- schen Texte möglich wäre, der gegenüber dieser Übersetzung manche Abweichung aufweist. Es war Albert bekannt, daß die Schrift des Chalcidius nicht das ganze Werk des attischen Philosophen

» Wir verstehen also unter Zitat nicht jede Stelle, bei der der Name einer platonischen Schrift genannt wird, sondern die, deren Wortlaut, wenn auch in freier Weise, der betr. Schrift Piatos entlehnt ist; anders z.B. Schneider, «. a. O.f S. 11, Anm. H.

* Vgl. C. Huit, Ann. de phtl. ehret, tom. XX, p. 429-430, Anm. 1.

>

Piatos Schriften.

Id

A

bietet. Die Übersetzung geht von 17 A bis 53 Qi; auf denselben Teil beschränken sich die wörtlichen Zitate Alberts; im Mittelalter war sie in zwei Teile zerlegt, deren erster von 17 A bis 27 G, der zweite von 27 C bis 53 G gegangen sein dürfte 2. Ghalcidius schließt sich eng an die Form des griechischen Textes an, im einzelnen finden sich jedoch viele Irrtümer und Unklarheiten -l Von der Übersetzung des Gicero ist Ghalcidius unabhängig, wie sich auch bei Albert keine Benutzung nachweisen ließ. Wir zitieren den Text des Ghalcidius nach der Ausgabe von Wrobel \ Im folgenden stellen wir nun Alberts Timaeuszitate zunächst in einer Tabelle zusammen, um dann den Text selbst mit dem des Ghalcidius zu vergleichen.

Bei der Anlage der Tabelle gingen wir so zu Werke, daß wir die bruchstückartig in Alberts Schriften verstreuten Stellen zu größeren Gruppen verbanden, soweit sie sich lückenlos aneinander- reihen ließen. Diese wurden dann ihrer Reihenfolge im Timaeus nach geordnet und durch die römischen Ziffern bezeichnet, die sich in der ersten Kolumne finden. Die zweite Kolumne gibt die Aus- dehnung der Gruppe im Timaeus nach den Seiten und Abschnitten l)ei Stephanus an, die dritte bietet für jede einzelne Stelle Alberts den Fundort in der Timaeusübersetzung des Ghalcidius nach Seiten und Zeilen der Ausgabe von Wrobel, wobei Klammern auf eine freiere Zitationsweise hindeuten; aus der letzten Kolumne ist end- lich zu ersehen, wo die Stellen bei Albert zu finden sind.

Auch bei der Wiedergabe des Albertschen Textes wurden die einzelnen Stellen zu Gruppen verbunden und mit den der Ta- belle entsprechenden, großen römischen Ziffern kenntlich gemacht. Die arabischen Ziffern verweisen dann auf die vierte Kolumne der Tabelle und geben für das vorhergehende Stück des Textes die Fundstelle bei Albert.

* Nicht, wie Switalski, Des Chalcidius Kommentar zu Piatos Timaeus^ Deitr. z. Gesch. d. Pilos. d. Mittelalt., Bd. 3, Heft 6, S. 9, angibt, bis 63C.

2 Die letzte von Albert dem ersten Teile zugeschriebene Stelle ist 22 B (Pol. 1. II, c. 1, p. 92 a), die erste, die er dem zweiten Teile zuteilt, 28 A {De raus, et proc. uti. 1. 1, t. 1, c. 3, p. 366 b); der natürliche Einschnitt zwischen diesen Stellen ist bei 27 C gegeben, wo die Exposition des Gespräches schließt und in die eigentliche Untersuchung eingetreten wird.

=' Vgl. Switalski, a. a. 0., S. lOff.

* Piatonis Timaeus interprete Chalcidio cum eiusdem commentario, ed, Joh. Wrobel, Lipsiae 1876.

14

Alberts iCenntnis Von Piatos Leben und Sehrifteü.

Um einen Vergleich zu ermöglichen, wurde den Zitaten der Text der Timaeusübersetzung des Chalcidius nach Wrobel beigefügt und die bei Albert abweichenden Partien durch Kursivdruck gekemizeichnet, der bei den freien Zitaten durchweg angewandt wurde. Wenn bei einer Abweichung des mitgeteilten Textes andere Stellen Alberts mit Wrobel übereinstinmiten, so wurde der betreffende Ausdruck und eine der Ziffern 1,2,3 usw. angegeben. Veränderte Wortstellung wurde nicht berücksichtigt. Es ist noch zu beachten, daß eine ganze Reihe von Abweichungen bei Albei-t auf falsche Auflösung einer Abkürzung seitens des Herausgebers zurückzuführen sein werden.

Chalcidius ed. Wf'obel

Nr. c/es Plato

Zitats ed. Steph.

I. 19 A (8,17-18)

II. 22B-C 14, 5; 7-8

III. 22C-D IV. 28 A

14, 10-15, 1 23, 16-17

23, 17-24, 4 V. 28C-29A 24, 18-25, 9 VI. 29D-30C (26, 8-9) (26, 9-10) 26, 10 26, 11-14 (26, 12-14) 26, 14-16

26, 16-19

26, 19-20 (21-27,

26, 23-27, 2

27, 7-8 31, 9-13 31, 10-16 36, 22-23 43, 10-13 43, 11-13 43, 11-12 43, 11-13

3)

VII. 30 C

VIII. 34 B

IX. 38 B

X. 41 A

XL 41C-D 44, 14-45, 5

1. 2. 3. 4.

1. 2. 3. 4.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

1. 2.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 1.

Fundstätte bei Albert

Eth.l, 3, 13, p. 47 b.

Met. I, 1, 11, p. 21b.

Eth. IX, 1, 3, p. 565 b.

Fol. II, e. 1, p. 92 a.

Pol. IV, c. 7, p. 367 b.

De catts. element. I, 2, 12, p. 627 a.

Anal. post. II, 1, 3, p. 162 a.

Phijs. II, 2, 10, p. 138 a.

Senf. I, d. 43, p. 383 b.

De caiis. et proc. im. I, 1, 3, p. 366 b.

S. fheol. II, q. 4, m. 1, a. 2, p. 73 a.

De quat. roaev., q. 1, a. 7, p. 317 a.

Se^it. I, d. 44, a. 2, p. 391 b.

De 8omn. et ru/il. III, 1, 2, p. 179 b. S. theol. II, q. 4, m. 1, a. 1, p. 3, p. 69 b. S. theol. II, q. 47, p. 521 a.

S. theol. II, q. 18, m. 2, a. 1, p. 230 a. S. theol. II, q. 62, m. 2, p. 599 b. S. de hom. q. 81, a. 3, p. 660 b. S, de hom. q. 81, a. 2, p. 659 a. S. theol. II, q. 63, m. 2, p. 610 a. S. theol. II, q. 66, p. 620 a. S. de hom. q. 81, a. 2, p. 659 b. S. theol. II, q. 63, ni. 2, p. 610 b. S. theol. II, q. 4, m. 2, a. 5, p. 1, p. 94 b. S. theol. II, q. 6, m. 1, p. 124 b. De caus. et proc. un. I, 1, 3, p. 366 a. De animal. XIV, 1, 5, p. 145 a, b. De praedicam.j 2, 12, p. 190 a. De caus. et proc. im. II, 5, 7, p. 598 b. -S^. theol. II, q. 3, m. 3, a. 3, p. 41b. Sent. II, d. 3, a. 3, p. 64 b. S. de hom. q. 61, a. 2, p. 524 b.

Piatos Schriftöü.

IS

-1l

. <

Nr. des Zitats

Plato ed. Steph.

Chalcidius ed. Wrobel

44, 14-17

2.

44, 19-45, 5

3. 4.

44, 19-45, 1

5. 6.

(44, 19-45, 1)

7.

8.

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

45, 4-5

16.

XII.

41 B.

(45, 6-11)

XIII.

42B-C

46, 2-3; (3-10)

1.

46, 2-3

2.

XIV.

46 B

54, 3-4; (4-6)

XV.

48A

58, 13-59, 1

1. 2.

XVI.

49 A

60, 19-21

XVII.

50 B

62, 20-63, 6

XVIII.

50C-D

(63, 11-22)

1.

(63, 11-17)

2.

63, 17-20

3.

XIX.

50E-51A

(64,3-8); 8-10(10-13) 1.

(64, 5-7)

2.

XX.

51C

(65, 5-12)

XXI.

51E-52B

(66, 7-13); 13-19

1.

66, 19-67, 6

2.

Fundstätte bei Albert

Zitate bei Albert

L

Notanda sunt opera puerorum et

iuveniim.

IL

O Graeci, pueri estis et non est in \ohls uUa cana sapientia (1).

IIL

Denique enim illa etiam fama quae Hobis quoque comparata est, Phae- tontem quondam solis filium affec- tantem officium patris currus aseen- disse luciferos, nee servatis soUemni- bus «rrigationis orb*>, exu/*isse terram, et ipsam flammis caelestibus confla-

De quat, coaev.j q. 1, a. 3, p. 312 a.

S. theol. II, q. 72, p. 47 a.

S. de hom. q. 5, a. 3, p. 75 a.

De caus, et jjroc. un. I, 1, 3, p. 366 a.

Ä theol. II, q. 4, m. 2, a. 3, p. 87 a.

Met. II, 3, 4, p. 44 b.

Met. III, 3, 17, p. 196 a.

De nat. et orig. an., 2, 7, p. 416 a.

De int. et int., 1, 4, p. 481b.

De caus. etiyroc. un. II, 2, 33, p. 529 a.

De animal. XIV, 1, 5, p. 145 ab.

Sent. II, d. 2, a. 1, p. 44 b.

»S'. theol. II, q. 4, a. 1, m. 1, p. 2, p. 63 b.

6\ theol. II, q. 30, m. 1, a. 2, p. 324 a.

De quat. coaev., q. 1, a. 3, p. 312 b.

S. de hom. q. 5, a, 3, p. 82 a.

S. de hom. q. 5, a. 3, p. 75 ab.

S. theol. II, q. 72, p. 47 a.

S. de hom. q. 22, append., p. 216 b.

Sent. II, d. 12, a. 1, p. 232 b.

De quat. coaev., q. 72, a. 1, p. 734 b.

De quat. coaev., q. 72, a. 1, p. 735 a.

S. theol. II, q. 4, m. 1, a. 1, p. 3, p. 67 b.

S. theol. II, q. 4, m. 1, a. 1, p. 3, p. 68 b.

De quat. coaev., q. 72, a. 1, p. 735 a.

8. theol. II, q. 4, m. 1, a. 2, p. 73 b.

De quat. coaev., q. 72, a. 1, p. 735 a.

S. theol. II, q. 4, m. 1, a. 1, p. 3, p. 68 b.

;S^. theol. II, q. 4, m. 1, a. 1, p. 3, p. 68 a.

S. theol. II, q. 4, m. 1, a. 2, p. 74 a.

S. theol. II, q. 4, m. 1, a. 2, p. 74 a.

Wortlaut bei Chalcidius

Notanda pueritiae et item adules- centiae merita.

O Solo, Graeci pueri semper estis, nee est ulla penes vos cana scientia.

Denique illa etiam fama quae vobis quoque comperta est, Phaetontem quondam solis filium adfectantem of- ficium patris currus ascendisse luci- feros, nee servatis sollemnibus auri- gationis orbitis, exussisse terrena, ip- sumque flammis caelestibus confla-

it

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

Zitate bei Albert grasse, fabulosa quidem putatur, sed res Vera est: fit enim longo inter- vallo mundi circu/tioni^>MS exorbitatio quam inflammationis vastitas sequt>tur necesse est.

IV. Nihil fit, cuius ortum legitima causa non praeees.'ienf (1-3). Operi formom dat opifex suus: quippe ad immor- talis quidem et statu genuino persi- stentis exempli formans operis effi- giem, honesta efficiat siniulacrum ne- cesse est (4).

V.

Gerte non estdubium, ad cuiusmodi exemplum adverterit mundani operis fundamenta eonstituens, utrum ad im- mutabile perpetuamque obtinens Pro- prietäten!, an ad factum atijue elabo- ratum. Nam si est, ut certe est, pul- chritudine incomparabili mundus, opi- fexque et fabricator eins optimus, per- spicuum est, quod iuxta sincerae atque imniutabilis proprietatis exemplum mundi sit instituta molitio. Sin vero, quod nee cogitari quidem aut mente concipi fas est, ad elaboratum, quod cum Sit rationis alienum, liquet opi- ficem Deum venerabilis exempli nor- mam in constituendo mund^m esse secutum . . . Hie . . . generatorum om- nium speciosissimus e.^f: et ille ^/ctor maximus . . . operis sui ratione pru- dentiaque hin quae semper eadem existunt accomodatus, imago est, opi- nor, alterius.

VI.

Dicamuü Ujitur quam ob cfiusum iUe rerum auctor yenerationem et hoc Uni- versum co7istitnit. Bonus erat (\). Porro quin optimus erat^ invidia ab eo longe relegata erat (2). Cuncta sui similia prout cuiusque natura eapax poterat esse beatitudinis, effici voluit: quam quidem voluntatem Dei originem re- rum certissimam si quis ponat, recte

Wortlatit bei Chalcidius grasse, fabulosa quidem putatur, sed est Vera Fit enim longo intervallo mundi circumactionis exorbitatio quam inflammationis vastitas consequatur necesse est.

Nihil enim fit, cuius ortum non legitima causa et ratio praecedat. Operi porro fortunam dat opifex suus, quippe ad immortalis quidem et in statu ge- nuino persistentis exempli similitudi- nem atque aemulationem formans ope- ris effigiem, lionestum efficiat siniula- crum necesse est.

Certe dubium non est, ad cuius modi exemplum animadverterit mun- dani operis fundamenta eonstituens, utrum ad immutabile perpetuamque obtinens proprietatem, an ad factum et elaboratum. Nam si est, ut certe quidem est, pulchritudine incompa- rabili mundus, opifexque et fabricator eins optimus, perspicuum est, quod iuxta sincerae atque imniutabilis pro- prietatis exemplum mundi sit insti- tuta molitio. sin vero, quod ne cogi- tari quidem aut mente concipi fas est, ad elaboratum quod cum sit rationis alienum, liquet opificem deum vene- rabilis exempli noniiam in consti- tuendo mundo secutum. quippe hie generatorum omnium speciosissimus, ille auctor maximus operisque sui ratione prudentiaque iis quae semper eadem existunt accomodatus imago est, opinor, alterius.

Dicendum igitur cur rerum condi- tor fabricatorque geniturae omne hoc instituendum putaverit. Optimus erat, ab optimo porro invidia longe rele- gata est. Itaque consequenter cuncta sui similia prout cuiusque natura ea- pax beatitudinis esse poterat, effici voluit. Quam quidem voluntatem dei originem rerum certissimam si quis

l*lato8 Schriften,

17

Ji

Zitate bei Albert eum putare consentiam (4). Volens siquidem Dens bona omnia provenire, nullius porro mali prout eorum quae nascuntur natura fert, relinqui^ pro- paginem (6). Omne visibile corpo- reum motu importuno fluctuans neque unquam quiescens Dens redegit in or- dinem, sciens ordinatorum fortunam confusis inordinatisque praestare (8). Nee fas erat bonitati praestanti quid- quam facere nisi pulchrum. Cum igi- tur excogitasset, invenit nihil eorum quae secundum naturnm aspectui suh- iecta suntf si e^pers intelligentiae sit intelligente alio, totum toto pulchrius unquam fore, intellectum vero alicui sine aninia dari non posse (2). Hac reputatione intellectum in anima, porro anima in corpore locata totum ani- mantis mundi ambitum cum vene- randa illustratione composuit (10). Quocirca sicut ratio nobis haec proba- bilia persuadety dicendum est hunc mundum animal esse, idque intelligens, revera dirina Providentia constitu- tum (9).

VII.

Mundus imperfectae rei similis, mi- nime perfeetus esset.

VIII. Ex perfectis universisque totum per- fectumque prins genuit (1). Animam vero immeäixatam (1 : in medio) eins locavit, eandemque per omne globum aequaliter porrigi iussit, quo tectis interioribus partibus extima quaeque totius corporis ambitu animae circum- darentur. Atque ita orbem teretem in orbem atque in suuin ambitum voluit converti et moveri secundum praecipuum mofum qui virtutum prae- stant^T sufficeret propriae con.9ilia- tioni (2).

IX.

Tempus caelo coaequaevum est : una orta, una dissolvcntur, si modo dis- solvi fas ratioque patietur.

Wortlaut bei Chalcidius ponat, recte eum putare consentiam. Volens siquidem deus bona quidem om- nia provenire, mali porro nullius prout eorum quao nascuntur natura fert, relinqui propaginem, omne visibile corporeumque motu inportuno fluctu- ans neque unquam quiescens ex in- ordinata iactatione redegit in ordinem sciens ordinatorum fortunam confusis inordinatisque praestare. Nee vero fas erat bonitati praestanti quicquam facere nisi pulchrum. eratque certum tantae divinitati nihil eorum quae sentiuntur liebes dumtaxat nee intelli- gens esse melius intelligente, intellec- tum porro nisi animae non provenire. Hac igitur reputatione intellectu in anima, porro anima in corpore lo- cata, totum animantis mundi ambitum cum veneranda illustratione compo- suit. Ex quo adparet sensibilem mun- dum animal intelligens esse divinae providentiae sanctione.

Mundus imperfectae rei similis, mi- ni me perfeetus esset.

Exque perfectis universisque to- tum perfectumque progenuit. Animam vero in medietate eins locavit, ean- demque per omnem globum aequaliter porrigi iussit, quo tectis interioribus partibus extima quaeque totius cor- poris ambitu animae circumdarentur. Atque ita orbem teretem in orbem atque in suum ambitum voluit con- verti et moveri solum praecipuum qui virtutum praestantia sufficeret conciliationi propriae.

Tempus vero caelo coaequaevum est, ut una orta una dissolvantur, ,si modo dissolvi ratio fasque patietur.

JBeitr. XII, 1. Raul, Alberts d. Gr. Verhältnis zu Plato. 2

18

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

ZUcUe bei Albert X.

Conditor universitatis Dens obser- vanda iubet, sancitquc oratione tali: 0 dii deorum, quorum opifex idem- que pater (2, 4, 6: paterque) ego: opera siquidem vos restra dissolubi- lia natura, me tarnen ita volente in- dissolubil*'^? (1).

XL Imitantes ergo meam iuxta effeetum vestrum sollertiam, ita instituite atque excifate mortaiia, ut quibus consor- tium divinitatis et appellationis pari- litas competit, divina praedituni fir- mitate fingatis : erit vero tale quod vobis obsequi iustitiamque eolere per- spexeritis. Huius ergo universac ge- neris sementem faciani vobisque tra- dam: vos cetera exsequi par est, ita ut imniortalem coelesteniquo naturam mortali ncxu extrinsecus anibiatis iubeatisque nasci et cibuni providea- tis et increment/f/w detis et post disso- lutionem id foenus quod credideratis, facta separat ione aninii et corporis recipiatis (1).

XII.

In eodem rnrsus cratere, in quo mundi totius aniniani roninu'scens tem- peraveraty superioristemperationh reli- quias miscendo perfudit, modo qnodam eodem j non tarnen incomtptas üimillter, »ed et senindo et tertio yradu a pri- mis deficientea (1).

XIIL

Si quidem pas.'^iones ac perturba- tiones fraenarent ac subiugarent, iustam bis leremque vitam fore: sed si vincerentur, inim-ite ricturotf atque illum qui recte cnn'iculnm vivendi a natura datuyn confecfrit,ad iUud astrum cui accommodatnm fuerit reversum hea- tarn vitam actnrum. Contra vero agen- tem coyi in ortu secundo sexn mutato fieri nniliereni. Et <pii ne tum quidem

Wortlaut bei Chalcidius

Conditor universitatis deus obser- vanda iubet, sancitque oratione tali: Dii deorum, quorum opifex idem pa- terque ego, opera siquidem vos mea dissolubilia natura, me tamen ita vo- lente indissoiubilia.

Imitantes ergo meam iuxta effeetum vestrum sollertiam ita instituite atque extricate mortaiia ut, quibus consor- tium divinitatis et adpellationis pari- litas conpetit, divina praeditum firmi- tate fingatis, erit vero tale quod vobis obsequi iustitiamque eolere prospexe- ritis. Huius ego univorsi generis se- inontein faciam vobisque tradam: vos cetera exsequi par est, ita ut inmor- talem caelestemque naturam mortali textu extrinsecus ambiatis iubeatisque nasci cibumque provideatis et inere- menta detis ac posi dissolutionem id faenus quod credideratis, facta seces- sione animi et corporis recipiatis.

Demum reliquias prioris concretio- nis, ex qua mundi animam com- miscuerat, in eiusdem crateris sinum refundens eodem propemodum genere atque eadem ratione miscebat, nee tamen eadem exoriebatur puritas se- renitasque proventuum nee tam in- mutabilis perseverantiae, sed secundae ac tertiao dignitatis.

Quas [iracundiam ceterasque pedis- sequas earum perturbationes (45, 27 46, 1)] quidem si frenarent ac subiugarent, iustam his lenemque vi- tam fore, sine vincerentur, iniustam et confragosam. Et victricibus qui- dem ad comparis stellae contuberni- um sedemque reditum patere acturis deinceps vitam veram et beatam. Viotas porro mutare sexum atque ad

Piatos Schriften.

19

/.-,

Zitate bei Albert finem peccandi faciet, qnatenus depra- vatur, eatenus in hrutorum naturam suis motibus similtm permutari (1).

XIV.

Dextrae porro partes quae sunt si- nistrae apparent, quia contrariis par- tibus oculorum insolito more contra- rias partes attingimus.

XV.

Mixta siquidem mundi sensifeilis ex necessitatis intelligentiaeque coetu con- stitit generatio, dominante intellectu, et salubri persuasione rigorem necessita- tis assidue trahente ad optimos actus (2).

XVL

Opinor omnium quae gignuntur, receptaculum esse quasi quaMdam nutricula//^

XVII.

Natura quae cuncta recipit corpora, lila minime recedit ex conditione propria. Recipit enim cuncta nee ul- lam ex eisdem trahit formam : et cum velut intra gremium eius formentur, quae recipiuntur, ipsa informis manet: estque usus eius similis molli ceden- tique materiae, in quam inprimuntur varia signacula: moveturque et con- formatur omnimode ab introeuntibus ipsa/>i, nee formam nee motum Habens ex natura sua.

XVIIL

Tria in 2)raesenti genera sumenda sunt: unum quod gignitur: aliud in quo gignitur: aliud a quo similitu- dinem trahit quod nascitur. Idcirca comparare haec ita decet. Quod re- cipit matri, unde recipit patri: na-

Wortlaut bei Chalcidius infirmitatem naturae muliebris rele- gari secundae generationis tempore, nee a vitiis intemperantiaque disce- dentibus tamen poenam reiectionem- que in deteriora non cessare, donec instituto meritisque congruas inma- nium ferarum induant formas.

Dexterae porro ])artes quae sunt sinistrae vidontui-; in isdem speculis insolito quodaiu more, propterea quod dexteris partibus visus contra sini- stram partem speculi, sinistris item contra dexteram positis, motu facto corporis ex adverso partis eius undo motus fit, gesticulatur motus imago.

Mixta siquidem mundi sensilis ex necessitatis intelligentiaeque coetu con- stitit generatio, dominante intellectu, et salubri persuasione rigorem neces- sitatis assidue trahente ad optimos actus.

Opinor omnium quae gignuutur receptaculum est et quasi quaedam nutricula.

Natura, quae cuncta recipit corpora, reperitur. haec quippe minime recedit ex condicione propria. Recipit enim cuncta nee ullam ex isdem formam trahit: et cum velut intra gremium eius formentur quae recipiuntur, ipsa informis manet estque usus eius simi- lis molli cedentique materiae, in quam inprimuntur varia signacula. move- turque et conformatur omnimode ab introeuntibus, ipsa nee formam nee motum habens ex natura sua.

At vero nunc trinum genus animo sumendum est: quod gignitur, item aliud in quo gignitur, praeterea ter- tium ex quo similitudinem trahit mu- tuaturque quod gignitur. Decet ergo facere comparationen similitudinem-

2*

20

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

Zitate bei Albert turam istonim mediam proli (1). In- telligendum fieri non posse, ut una existat facies, quae omnes reruni for- mas vultusque eontineat, variaque cor- poris undique ora denionstret (3), nunqnam illnd ipsum fonnationis gre- mium bene erit praeparatum, nisi in- forme Sit, et suapte natura omnihus formis, quas receptnrvs est, careat (1).

XIX.

Quo fit nt nullam sibi proprium habeat speciem, qnod est omnia genera suscepturnm. Utqui nnguenta suariter redoJentia confeeturi sunt, hiiniidam materiani, quam certo condire odore i'olunt, ita praeparunt, ut odorem nnl- htm proprium habeat: et qui niateriis mollibus impressionique cedentibus figuras imprimere aliquas volunt, nul- lam omnino priorem in eis figuram apparere patinntur, sed exactissima quadam laevigatione eas poliunt. Ita illud quod in omnibus passim aeter- norum omnium simulan'is rede figu- randum est, his omnibus formis natura sua carere necense est.

XX.

Sitne ignis aliquis seorsum a materia ipse permanens in seipso et caetera quae saepe diximus per seipsa ma- nere ? An haec sola sunt quae corporis sensu percipimuSf et talem in se con- tinent rerifatem i* Nee ullo pacto praeter haec ulla uspiani, sed frustrn intelli- gihilem uniusruiusque speciem aliquem petere solemus, nee aliud haec sunt quam rerhaf

XXI.

Verae quidem opinionis ut quilibet paiiiceps intelligentiae est. Intelligen- tiae vero dii quidem omneSy homines rero pauci admodum participes sunt.

Wortlaut bei Chalcidius que inipertiri Uli quidem quod susci- pit niatris, at vero unde obvenit pa- tris, illi autem naturac quae inter haec duo est prolis. Simul ita intelli- gendum est fieri non posse, ut una existat facies, quae omnes rerum om- nium formas vultusque eontineat varia- que corporis undique ora demonstret, nisi subiecto prius informi aliquo cor- porum gremio, perinde ut quae in picturis substernitur infectio decolor ad colorum lumina subvehenda.

Ex quo fit, ut receptaculi sinus nul- lam propriam naturaliterque expres sam habeat figuram, proptereaque in- formis intelligatur omni quippe forma carens, ut qui odora pigmenta con- ficiunt ante omnia curant, ut nullius sint odoris proprii quae condientur, susceptura videlicet umidos sucos odo- raminum et qui materiis mollibus in- pressionique cedentibus insignire for- mas aliquas volunt, pure levigatas adparant nee ullam omnino formam in adparata levigatione adparere pa- tiuntur. sie ei, quod omnibus rerum omnium formis et figuris aeternae vitae mansurisque per saecula recte insignietur, nulla omnino propria spe- cies falsa opinione tribuenda est.

Estne aliquis ignis seorsum positus et incommunicabilis, item ceterae spe- cies, quae concipientes mente dicimus semper separatas a coetu corporearum specierum fore archetypa exemplaria rei sensilis, an haec sola sunt quae videntur quaeque corporis intentione sentimus, nee praeter haec ulla sunt uspiam, sed frustra praesumitur esse intelligibilesspecies, quarum sint ima- gines sensiles, easque nihil aliud esse quam verbaV

Quid quod rectae opinionis omnis vir particeps, intellectus vero dei pro- prius et paucorum admodum lectorum hominum? Quod cum ita sit, fatenduni

>-

Piatos Schriften.

21

f^

Zitate bei Albert Quae cum ita se habeant, fateri opor- tet esse speciem quae semper eadem sity sine ortu atque interitu, quae nee in se accipiat quidquaniy sensuque cor- poris nullo percipiatury atque hoc est quod ad solam intelligendam pertinet, eiusque intentionis est proprium . . . Por- ro quod ab hac ... est nativum, sensi- bi\e sustentabile hoc est, quod in ali- quo receptacuh) materiae snstineatur, cum immutatione et interitu rece- dens, sensibus et opinione noscendum. Tertium genus \ocus est qu/ interit quidem nunquam sed omnibus quae gignuniuVj sedem e.thibet, hie sine tan- gentis sensu tangitur adulterina qua- dam ratione vix opinabil/.s (1). Deni- que cum ad id animo intuemur quod sedem praebet his quae generantur pu- tamus necesse esse, ut omne quod est, in aliquo loco sit positum regionem- que obtineat aliquam. Porro quod neque in terra neque in coelo est, minime existere putumus ob quam de- pravationem, itemque alias consangui- neas . . . nee in reputatione quidem et consideratione vere exstentis vere- que pervigilis naturae mente consi- stimus propter huiusmodi somni^^m (2).

Wortlaut bei Chalcidius est esse eins modi speciem semotam a sensibus in semet locatam sine ortu sine occasu, quae neque in se recipit quicquam aliunde neque ipsa proce- dit ad aliud quicquam, invisibilem insensilem, soli mentis intentioni animadversionique perspicuam. Porro quod ab hoc secundum est, nativum, sensile sustentabile consistens aliquo in loco et indc rursum, cum immu- tatione et interitu recedens, sensibus et opinione noscendum. Tertium ge- nus est loci quod ne ad interitum qui- dem pertinet. Sedem porro praebet iis quae generantur, sed ipsum sine sensu tangentis tangitur adulterina quadam ratione opinabile. Denique cum id animo intuemur patimur quod somniantes. putamus enim necesse esse, ut omne quod est in aliquo sit loco positum regionemque obtineat ullam. porro quod neque in terra neque in caelo sit, minime existere. Ob quam depravationem, itemque alias con- sanguineas ne in reputatione quidem et consideratione vere existentis vere- que pervigilis naturae mente consi- stimus propter huius modi somnia.

Die angeführten Stellen beweisen zur Geniige, daß Albert den platonischen . jf/maewif in der Übersetzung des Chalcidius ge- kannt und ausgiebig benutzt hat. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß auch auf den von Chalcidius nicht übersetzten Teil des Timaeus häufig hingewiesen wird, meist sind diese Notizen jedoch aus Aristoteles entlehnt i.

* Vgl. De caelo et mund. 1. III, t. 1, c. 3, p. 244 a = Arist, De caelo III, 1, p. 300 a 1: Tim. 66 B; De caelo et mund. 1. IV, t. 1, c. 3, p. 291a -= Arist, a. a. 0. IV, 2, p. 308 b 4 : Tim. 63 C. Einzelne Stellen, deren Ursprung sich im Timaeus nicht nachweisen ließ, werden im zweiten Teile dieser Schrift zur Sprache kommen. Die Benutzung der Chalcidiusübersetzung wieder zweifel- haft zu machen sind sie gegenüber der Menge von Belegstellen nicht imstande.

22

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

§ ± Der Phaedo und Meno

1. Schwieriger als die Frage nach Alberts Kenntnis des im Mittelalter ganz allgemein bekannten Timaeus ist die, ob wir bei ilmi auch eine direkte Bekanntschaft mit dem platonischen Phaedo und Meno anzunehmen haben. Auch von diesen Schriften hat das Mittelalter lateinische Übersetzungen gehal)t, die aus dem l :2. Jahr- hundert stammten und in Sizilien durch Henricus Aristippus aus S. Severina in Galabrien angefertigt worden waren. Beide Über- setzungen sind noch nicht ediert; die unten mitgeteilten Zitate wurden dem Erfurter Codex Ämplon, oct. 7 (15. Jh.) entnommen '.

f. Der Phaedo wird von Albert an zwei Stellen der Ethik zitiert :

I: Eth, 1. VIII, t. 1, c. 5, p. 527a: Xantippes, uxor Soeratis, ad Socrateni dixisse legitur in Phaedone: Hi sunt tu! amiei, Socrates, cum quibus sem- per loqui consuevisti.

II: Eth, 1. I, t 7, c. 17, p. 132b: Ibo ad deos, ad illos optinios viros.

Vgl. Plato, Fhäö. 60 A (fol. iv): ut itaque intuita est nos xantippe exciamavit . . . Quoniam o socrate (!) novissime te alloquuntur nunc fami- liäres et tristes (1. tu eos).

Vgl. a.a. 0. 63 C <fol. 2v): ego enim inquit o simmi et eebes si utique non arbiträrer ventum ire primo ad deos alios sapientesque et bonos deineeps ad homines qui iam migravit (1. mi- granint) potiores eis qui hie iniuste agerem revera animo indignans morti nunc ver«) bene nostis quoniam ad viros spero habiturum esse bonos et hoc profecto nequaquam prorsus mo- leste ferrem quoniam utique ad deos dominos omnino bonos ventum ire bene nostis quoniam si quid aliud talium graviter sustinerem et hoc.

Wichtiger noch alsdieseZitate sind zwei weitere Stellen in Alberts theologischen Schritten. Die erste ist eine genauere, stellenweise wörtliche. Wiedergabe des Gedankengangs Yon Phaedo 91G— 95A, die zweite stellt Gedanken zur Unsterblichkeitslehre aus Kap. 15, 16 und 28 unter geringer Umbildung in kurzer Zusammenfassung

' Die Titel der platonischen Schriften werden hier ebenso wie vielfach auch bei Albert, als fedrus und menno angegeben. Zu den Übersetzungen vgl. Wyttenbach in seiner Phaedonusgabe (Lugd. Bat.,Haak et Honkoop., 1810), p. 102 sqq. ; V.Cousin, Fragments de la philos. du mögen dge, p. 324 ss.; Schaarschmidt, Johannes SnresheriensiSy S. 114 117; Rose im Hermes I (1866), p. 373—389.

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t

Platos Schriften.

23

dar ^ Die weiteren Stellen, in denen auf den Phaedo Bezug ge- nommen wird, haben für uns keine Bedeutung, zumal sich bei mehreren von ihnen der aristotelische Ursprung nachweisen läßt -.

Für die Beantwortung der Frage, ob Albert eine direkte Kenntnis des platonischen Phaedo besessen habe, kommen nur die eingangs angeführten Zitate in Betracht. Denn von den beiden anderen Stellen ist die letztere nicht genau genug, um eine Be- nutzung des Phaedo beweisen zu können; die erste ist, wie wir im zweiten Teile sehen werden, der Schrift des Nemesius Über die Xatur des Menschen entlehnt und spricht eher gegen als für Alberts Bekanntschaft mit dem Original.

Ein völlig stringenter Beweis läßt sich auch aus den Zitaten nicht führen. Ihre Kürze, die freie Zitationsweise und das Vor- kommen in demselben Komsiientar zu einer aristotelischen Schrift machen die Herübernahme aus einer sekundären Quelle wahr- .scheinlich. Aber ihren Wert haben alle erwähnten Stellen als be- deutungsvolle Belege dafür, data Albert den Phaedo selbst wenn auch vielleicht nur indirekt benutzt hat und sicli mit dem Wenigen, was er von Aristoteles wußte, auch hier nicht genug sein ließ.

:]. Unter den ebenfalls nicht .seltenen Stellen, die des plato- nischen Meno Erwähnung tun, läßt sich nur eine einzige als wirk- liches Zitat ansehen:

Eth. 1. I, t. 2, c. 6, p. 27 a: Socrates diffiniens hominem in libro qui dici- tur Mennonis, dicit quod homo est principalis intellectus perfcctus, studio humanitatis operam dans, amicis bene- faciens et inimicis male ■'.

Vgl. Plato, Meno 71 E (fol. 19v): mennon ait non difficile o socrates dicere primum quid (1. quidem) si velis viri virtutem set leve quoniam hec est viri virtus ydoneum scili- cet esse bene civitati providere atque providentem amicis benefacere inimi- cisque male et se praecavere nictale (1. nil tale) tollerare.

» 6^. (/<?Äow., q. 4, a. 5,p. 52ab; S.iheol.V-ll, Q- 77, m. 5, p. 103a— 104a.

2 Z. B. Met. l.I, t. 5, c. 9, p. 102a (= Arist., Met I, 9, p. 991b 3f.: Phaed. 100 D); De gen. et corr. 1. II, t. 3, c. 2, p. 446 (= Arist., De gen. et corr. II, 9, p. 335 b 10-17: Phaed. 100 B).

=* Dieselbe Stelle findet sich auch Pol 1. VII, c. 5, p. 665 a in etwas anderer Fassung: Dicit enim [Plato] quod homo est aniraal disciplinabile et prae- ceptibile, amicis bonefactivum et inimicis male.

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24

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

Piatos S'iliriften.

25

Eine Zusammenfassung von Ueno 93 C bis 94 E findet sich im Kommentar zu den zweiten Analytiken des Aristoteles. Audi sonst erwähnt Albert öfter, daß der Meno sich mit der Frage nach item Ursprung der Tugend beschäftigt und diesen nicht in der Aneignung durch Belehrung oder durch Übung, sondern in einer göttlichen Schenkung erblickt. Als Beweis für direkte Benutzung des Meno sind diese Stellen jedoch wohl kaum zu verwenden, da sie durch ihren ganzen Zusammenhang und einzelne Ungenauig- keiten, sowie die allgemein gehaltene Fassung auf anderweitige Entlehnung hinweisen ^

Die dieser Anschauung (vom Ursprung der Tugend) zugrunde liegende Lehre von dem Wissen als einem Sichwiedererinnern sowie einen Beweis hierfür nimmt Albert aus Aristoteles '-. Indes zeigt das an erster Stelle angeführte Zitat doch wohl, daß Albert sich mit dei- Schrift Piatos selbst bekannt gemacht hat. Die Bedeutung, die dem Zitat als Beweis für eine direkte Benutzung zukommen würde, wird durch die Einstellung in einen falschen Zusammenhang (hier Definition des Menschen, dort der Tugend) gemindert. Überhaupt ist jedoch zu betonen, und das Zeugnis des Timaeiis beweist es, daß Albert, falls ihm die Übersetzungen des Phaedo und des Meno selbst zur Verfügung gestanden hätten, diese auch in weit ausgedehnterer und genauerer Weise würde herangezogen haben.

* Anal. post. 1. 1, t. 1, c. 6, p. 19 a b: Qu;nta ratio est quae in ipso libro Memnonis continetur, et est quasi per instantiam: quia si acceptio veritatis intellectualis vel moralis esset per Studium vel doctrinani, tune ubieumque talia essent, ibi esset virtus: sed non est ita: videmus enini aliquando pessi- mos ab optimis viris edueatos et doctos qui nee doctrina neque educatione nee exemplo boni profeeerunt: a doctina igitur et consuetudine non est ac- ceptio virtutis; c. 5, p. 16b: consentiunt in hoc Plato et Socrates ... quod virtus sit nee assuescibile bonum nee discibile, sed a Deo vel diis datum per conversionem animae ad seipsain. Vgl. Meno 70 A, 99 E, lOOB.

'^ Anal, prior. 1. II, t. 6, c. 8, p. 780 a: Oratio quae est in libro Piatonis qui inscriptum est nomine discipuli sui qui dicebatur Mennon . . . Oratio autem est qua probat quod disciplina sive scientia intellectiva rememoratio est. Vgl. Ar ist., Anal, prior. II, 21, p. 67 a 21s.: oiioicog 8k xai 6 ev uu Miviovt koyog, oii i) iid&tjatg ävdpvrjoig. Meno 81 D: to ydg ^tjZEiv äga aal z6 ^lavMveiv dvdfuvrjatg Skov iauv. Anal. post. 1. I, t. 1, c. 5, p. 16bs. Vgl. Arist., Anal. post. I, 1, p. 71a 29 s.: si dk firj, x6 h up Mevmvi djioorjua ov/iißrjoetat' rj yoLQ ovöev fja&rjaeiai ?} ä olöev. Meno 80 Ds.

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4. Der Meno scheint sodann auch in der Stelle von Albert gemeint zu sein, die bei Jammy (und Borgnet) einem platonischen jyZeno" zu entstammen vorgibt i.

§ 3. Der Phaedrus

Der Phaedrus wird von Albert häufiger da erwähnt, wo dieser auf die dort - vorgetragenen Lehren von der Selbstbewegung der Seele zu sprechen kommt. Doch wird die betreffende Stelle nur mit einer Umformung der Gedanken Piatos zitiert ^ oder es werden, ebenfalls .aus dem Phaedrus'', Beweisgründe für die Lehre vorge- bracht ^ die schon wegen ihrer Terminologie unmöglich von Plato stammen können. Eine direkte Benutzung der Schrift ist mithin ausgeschlossen. Eine Kenntnis der betreffenden Partien ist dagegen schon deshalb anzunehmen, weil Albert den Kmnmentar zum „Traum des Scipio" von Macrobius gekannt hat, der die ganze Stelle des Phaedrus übersetzt und weitläufig gegen Einwände von aristotelischer Seite verteidigt^. Aus Reminiszenzen an diese Schrift und die Einwirkung einer weiteren, dem Verfasser unbe- kannten Quelle*' werden sich alle Stellen Alberts erklären lassen, die des Phaedrus Erwähnung tun. Uns ist es wertvoll, von ihrer Existenz Kenntnis genommen zu haben.

§ 4. Der Gorgias

Der Gorgias findet im Kommentar zu den sophistischen Trug- schlüssen eine zweimalige Erwähnung, die aber für uns bedeutungs-

' Toj). 1. II, t. 2, c. 2, p. 314 b: Ins naturale quod natura oninia animalia docuit, ut in Zenone dicit Socrates et Plato dicit id de Socrate. Dieser Satz findet sich im Meno nicht, könnte aber leicht nach Analogie der entsprechenden Behauptung über die Tugend gebildet sein.

^ Fhaedr. 245 B ss.

•' De spir. et respirat., t. 1, c. 2, p. 216 a: In Phaedro probatur quod omne per se motum semper movetur, cum immortale sit, Ygl. Phaedr., 245 B: *Pvj^rf Tiäaa d^dvaTog. to ydg deiKivrjTov d{^dvaTov . . . fiövov 6i] x6 avto xivovVy äxe ovx djioXeXjiov eavzo, ovjioze kriysi xivovjuevov.

* De an. 1. 1, t. 2, c. 6, p. 151 a b.

^ Macrobius, Opern (ed. Eyssenhardt, Lipsiac 1893 -: Co mm. II, 13, 1 SS.), p. 615 SS.

*' Eine solche ist wegen De an. 1. I, a. a. 0 , p. 151b anzunehmen: Haec et his similia in Phaedro colliguntur, ubi Plato hoc dicit sparsim, non per verba, sed per sensum, quorum quaedam Macrobius ponit super somnium Scipionis et quaedam dimittit.

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I

26

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

los ist, da Albert beide Stellen aus Aristoteles herübergenom-

men hat^.

§ 5. Der Laches

Ein auf diese platonische Schrift zurfickgehendes Zitat ist dem Kommentar zur nikomadmchen Ethik des Eustratius (resp. Anouymub) entnommen, hat also gleichfalls für uns nur unterge- ordnete Bedeutung-.

g G. Der Staat

1. Dieses Weriv Piatos erscheint bei Albert unter verschie- denen Bezeiclmungen. Er braucht die Ausdrücke: ,,in Politla% Jn Politm'' -^ und „in Foüticis'' ': die Form „FolUegla'' dürfte auf das Konto des Hei ausgebers zu setzen sein \ Sodann liegt es nahe, auch die im Kommentar zur Ethik zweinial genannten '• „Urbanitates*' hierhin zu rechnen. Trotzdem sie dort deutlich als platonische Schrift gekennzeichnet sind, wird man wohl auf Grund der Einleitung der Ethik anders zu entscheiden haben. Dort führt Albert aus, wie Sokrates sich damit begnügt habe, die moralischen

» Ftench. 1. 1, t. 6, e. 1, p. 641b. Die gänzlich verderbte Stelle entspricht Ar ist., Elench., c. 12, p. 173 a 7-10: mfioTog ös to'.to.^ iaü zov .^oielv :iaod- do^a UyEiv, u>ö.-TEQ xal 6 Ka}lix)S]^ h no Pogyia yfyQa:trm )Jyoyv, xai ol flgyatoi dk :idvTe.' ioovto ov^ißaiveiv, .taga x6 xaui <fvaiv xni xaia lov vo^iov. - Elendi. 1. II, t 5, c. 3,' p. 712a b = Arist, «. fi. (>., c. 32, p. 183 b 36-37. Vgl. Plato,

Gotg. 482 E.

2 FAhA.lU,i.2, c. 7, p. 245 a. Vgl. Eustr. Coinm. in Arist. Graeca,

tom.20, p. 165, 9 s.: keysi yaQ sv Ady^vu Icoxodtrjg :iaod zw WAiüiVi, imori^firjv

dsivwv TS xai M ^hy arV^ar mm. Vgl. Plato, JmcU. 186C D. Albert nennt

den Titel der platonischen Schrift: „in Latice"; der Ausdruck scheint durch

Vertauschung der letzten Silben von „Ja^v«" entstanden zu sein. Über

die mittelalterliche lateinische Übersetzung des Eustratius vgl. Heylbut in

der Vorrede zu seiner Ausgabe des griechischen Textes S. IX.

■' Fol. 1. IV. c. 3, p. 329 a. Daß hiermit die platonische Republik gemeint ist, wird durch Aristoteles, dem die beiden Stellen entnommen sind, sicher gestellt. - Vgl. Arist., Fol. IV, 7, 1293b 1.

* Pol 1. II, c. 8, p. 175a, eine Stelle, die sich jedoch tatsächlich in den Lege^ findet (vgl. unten S. 29, Anm. 1); Pol. 1. V, c. 5, p. 476b und Top. 1. III,

t. 1, c. 5, p. 343 a.

^ ^'. theol. p. II, q. 39, m. 2, a. 1 , p. 1, p. 453 a. Die Identität mit der Politia ist durch die Bestimmung gesichert, daß die Schrift von Apuleius ins Latei- nische übersetzt sei.

« Eth. 1. IV, t. 4, c. 4, p. 280a; Eth 1. V, t. 2, c. 8, p. 353b s.: Consentit Plato qui in urbanitatibus suis legitur dixisse leges inventas esse non ut cives beati sint et beate vivant, sed ne iniusti efficiantur.

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1

Piatos Schriften.

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Tugenden zu behandeln; auch von Plato seien jedoch nicht alle Tugenden einer vollkommenen Betrachtung unterzogen worden. Die Ausführung dieser Aufgabe sei Aristoteles vorbehalten geblieben. So ist dann, fährt Albert fort, das, was für den Menschen ein Gut ist (bonum hominis), in vier Banden enthalten. Die ersten drei sind die Ethik^ der Liber de laudabüibus bonis und die Oekonomik. Der vierte Band betrachtet den Menschen als Lebewesen, das auf gemeinsame Lebensführung angewiesen ist: „et sie bonum hominis terminatur in urbanitatibus qui liber de politicis inscribitur, in quo legis potentia docetur, secundum quam cives bene vivunt** ^ Ver- gleicht man diese Inhaltsbestimmung mit dem, was Albert später •über die Urbanitates" zu sagen weiß '-, so sieht man, daß beide Bestimmungen sich decken. Nehmen wir hierzu noch eine Stelle der Politik, die die Worte „politiae" und „ui'banitates" sprachHch gleich setzt 3, so wn'rd man berechtigt sein, in den ^Urbanitates'' die verlorene Schrift des Aristoteles über die Staatsverfassungen zu erblicken, eine Auffassung, welche auch durch die oben zitierte Stelle der Ethik gestützt wird, wenn sie mit Worten „legitur di- xisse" die Annahme, daß Albert keinen Text Piatos selbst vor sich gehabt hat, bestätigt.

2. Gibt es bei Albert schon bezüglich des Titels des plato- nischen Werkes genug Unklarheiten, so wird die Verwirrung noch größer, wenn wir seine näheren Erklärungen über die Schritt hin- zunehmen. Er hält nämlich die platonische Republik für den zweiten Teil des Timaeus. Den Grund für Alberts Ansicht gibt eine von ihm beobachtete innere Verw^andtschaft der beiden Schriften ab: er meint, im Timaeus w^erde die iustitia naturalis be- handelt (gemeint ist die ordnungsmäßige, natürliche Entstehung des Weltganzen), während in der „altera pars libri" von der iustitia positiva et ordinatio(ne) civitatum die Rede sei. Wie Chalcidius den ersten, so habe Apuleius den zweiten Teil ins Lateinische übersetzt, und zwar, wie es an anderer Stelle heißt, nicht de verbo ad ver- bum, sed per sensus et sententias^.

' Eth. I, t. 1, c. 7, p. 15 a s. '' Vgl. S. 26 Anm. 6.

Pol. 1. II, c. 3, p. 127 a: quibus politiis sive urbanitatibus similes sint.

^ Pol. 1. II, c. 1, p. 91 bs.: Et est attendendum quod Politia Piatonis est

altera pars libri qui dicitur Timaeus, et tractavit in ea de iustitia positiva

28

Alberta KenDtois von Piatos Leben und Schriften.

3. Dieser Unsicherheit entspricht die geringe Bedeutung der imiereii Beziehungen. Die häufig beigeblachten Notizen über ge- sellschaftHche Einrichtungen des platonischen Staates, besonders über die dort herrschende Weiber- und Gütergemeinschaft, ent- stammen Aristoteles ^

4. Auf den Staat geht auch die oft angeführte Bemerkung zurück, daß nach Plato das Wesen der Lust in einem Werden (gene- ratio) zu sehen sei. Da der von Albert verwendete Ausdruck in allen diesen Stellen fast wörtlich gleich bleibt, so ist zu schließen, daß ihn Albert einer bestimmten Quelle entlehnt hat. Dieser Quelle dürfte dann auch die in einer der Stellen mitgeteilte Bestimmung entstamnien, daß die in Frage stehende Ansicht in den „Demo- cratici'* gelehrt werde. Dieser Ausdruck war wohl ursprünglich nicht als Titel, sondern als Inhaltsbezeichnung gemeint. Näheres über die erwähnte Quelle weiß Verf. nicht anzugeben '-.

§ 7. Die Gesetze

Auch diese platonische Schrift nennt Albert häufig. Doch geschieht dies immer nur im Anschluß an die aristotelische Politik. Auch scheint es Albert gar nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß es sich um eine Schrift Piatos handelt. Das Wort hat

et ordinatione civitatum sicut in prima parte de iustitia natural! quae apud Latinos rara est, quamvis habeatur a quibusdam, et transtulit eam Apuleius philosophus. Es scheint also, daß diese von Apuleius herrührende Über- setzungsliteratur doch nicht so völlig spurlos verschwunden ist wie Schaar- schmidt, a. a. ()., S. 115 annimmt. Übrigens teilt doch auch Priscinianus mehrere Stellen aus der Fhnedoübersefziint/ mit: Instit. fjramnt. X, 3 (Krehl I, p. 486); X, 5 (I, p. 493). Daß Albert Priscinian kennt, bezeugt er Sent. 1. II, d. 1, a. 5, p. 16 a.

' Vgl. Teil II, Abschn. 5. Dort kommt auch eine Definition der Gerechtig- keit zur Sprache, die Albert, ohne von Aristoteles abhängig zu sein, in freier Weise zitiert. Weitere Schlüsse werden sich aus diesem Zitat nicht ziehen lassen.

^ De mot. progr., t. 2, c. 1, p. 333a: Dixit Plato in Democraticis quod omnis delectatio generatio est in sensibilem animam. Ohne Berufung auf die „Democratici'* findet sich die Stelle bei Albert: S. theol.p. II, q. 92, m. 2, p. 195a; Sent, 1. IV, d. 49, a. 9, p. 682a; Phys. 1. VII, t. 1, c. 8, p 502a usw. Vgl. Plato, Rep. 583 E : Kai /xijv t6 ye rjdv iv xpvxfi yiyvöfievov xai lo Xvjttjgov xivtjaig xig dfiqpoteooj iarov. Am genauesten entspricht Albert dieser Ausdrucksweise De an. 1. III, t. 3, c. 3, p. 374 a: Plato dixit quod omnis delectatio et tristitia sunt generationes factae in sensibilem animam.

Piatos Schriften.

2d

K

ihm lediglich seine sachliche Bedeutung; in der einzigen Stelle, wo er es als Titel faßt, wird sogleich erklärend hinzugefügt, daß man darunter die platonische Politik zu verstehen habe ^.

Hiermit steht auch das mangelhafte Verständnis im Einklang, das er dem Texte der aristotelischen Politik an allen hier in Be- tracht kommenden Stellen auch in anderer Hinsicht entgegenbringt ^.

§ 8. Die übrigen von Albert erwähnten Schriften

Die übrigen oben genannten Namen sind uns als Titel plato- nischer Schriften nicht bekannt. Mehrere von ihnen, die ^Doctrina non inscripta^ und die „Divisionefi" sind aus Aristoteles genommen, die Stelle aus den Moralin ^^ will Albert bei Apuleius gefunden haben ^.

Die Worte „Plato in praepesibus dixit usw.** * stammen aus Eustratius' und beruhen auf einer eigenartigen Entstellung des griechischen ^jigsoßfoi" . Gemeint sind die IlQEoßeig, ein Werk des Komikers Plato ''.

Was endlich der Ausdruck ^in Apologetis^' ' bedeutet, konnte nicht festgestellt werden.

Ergebnis

Das Ergebnis unserei" Untersuchung ist also dies: den Timaeus hat Albert gekannt, so weit ihn Chalcidius übersetzt hatte, und hat ihn reichlichst benützt. Eine sachliche Bekanntschaft mit mehreren Partien aus dem Phaedo und dem Meno hat man ihm gleichfalls zuzuschreiben. Die direkte Kenntnis der betr. lateinischen Übersetzungen selbst ist aber äußerst unwahrscheinlich. Wohl haben jedoch diese Schritten

Pol. 1. II, c. 8, p. 175 a: Quod quidem et Plato in legibus increpuit, id est, in politicis suis. Die Stelle geht bei Aristoteles auf Leg. 625 E.

- Vgl. Teil II, Abschn. 5.

' Phys. 1. IV, t. 1, c. 4, p. 247a {-= Arist., P%a-. IV, 2, p. 209b, 14—15). De gen. et corr. 1. II, t. 1, c. 10, p. 425a (= Arist., De gen. et rorr. II, 3, p. 330b 15—17); De nat. et or. an., t. 2, c. 15, p. 430b.

' Eth. 1. IV, t. 3, c. 7, p. 322 b.

" Eustratius, Connn. in Arist. Graeca, tom. 20, p. 200, 14.

" Vgl. Comed. Attic. fr. ed. Kock. I, 634.

" Top. 1. V, t. 1, c. 1, p. 392 a: Proprium est animae ad corpus et coniunc- tum respiciendo (ut dicit Plato in Apologetis) quoniam hoc quidem quod est anima est imporativum ot est proprium corporis quoniam est ministrativum.

30

Alberts Kenntnis von Piatos Leben und Schriften.

und dazu der Phaedrus auf Alberts Vorstellungen von der plato- nischen Philosophie einen nicht zu unterschätzenden p]influß aus- geübt, der der aristotelischen Überlieferung mindestens das Gleich- gewicht zu halten imstande ist.

Dies Resultat unserer Untersuchungen hat auch weitertragende Bedeutung. Man wird vermuten dürfen, daß ein Geist, der so wie Albert alles in seiner Interessensphäre liegende literarische Material zusammenzutragen suchte, und dessen Interesse für das Werk Piatos so groia gewesen ist, wie es die starke Benutzung des Timaeus ausweist, alles im Bereiche seinei* Wirksamkeit (das wäre also Westdeutschland, Frankreich und Italien) an platonischen Schriften aufzutreibende (lUt auch wirklich aufgetrieben hat. Auch hieraus würde folgen, daß die im 12. Jh. in Sizilien entstandenen Übersetzungen des Phaedo und Meno im IS. Jh. an den Stätten wissenschaftliche!' Forschung in den genannten Gebieten, d. h. also in den meisten Zentren des damaligen geistigen Lebens, noch nicht bekannt geworden waren ^

* Vgl. Sehaarschmidt, u. a. O., S. 116; Bauntgarten, Die Philoso- phie des AlanHS de ipisulis, Heitr. z. Gefach, d. Phil. d. Miftelalt., Bd. 2, Heft 4, S. 9f. Vgl. hierzu auch die Bemerkung eines Zeitgenossen von Albert, des Konrad von Mure in dessen FahuIariKu sire repertorium rovabnlornin orn- toriae, poesis, hisforinruni (Inkunabeldruck von 1470 bei B. Roth in Basel s. v. Philosophus) : Plato amicus diu quaeritur, vix invenitur, difficile observatur.

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Zv^eiter Teil

Alberts Auseinandersetzung mit Piatos

Philosophie

Erster Abschnitt

In der Metaphysik

Es gibt wohl keinen Punkt im Systeme Alberts des Großen, der uns in so vielfacher Abhandlung vorläge, wie die Lehre von den Prin- zipien des Seienden; und es gibt wohl auch nichts in der Lehre Piatos, mit dem sich Albert häufiger beschäftigte, als mit de.s.sen Ansichten über die in diesem Zusammenhang zu behandelnden Probleme: Gott, die Ideen und die Materie; denn mit der natuiphilosophischen Seite der Ideenlehre setzt Albert sich vor allem auseinander. Hierbei zeigt sich eine Eigenart der Darstellung Alberts, der wir im Verlaufe unserer Untersuchungen noch häufiger begegnen werden, in ausgeprägtestem Maße: die oft gänzlich verschiedenen Wege in der Behandlung ein und desselben Gegenstandes, die hier in ari- .stotelische, doi't in augustinische Gedankenkreise führen, sehr oft aber auch im Neuplatonisnms der Araber endigen. Damit ist nicht gesagt, daß diese drei Grundrichtungen auch ausschließlich je einem besonderen Schriftenkreise angehören. Zwar kann man sagen, daß die aristotelische Denkart hauptsächlich in den Kommentaren zu den Schriften des Stagiriten zu fmden und daß die augustinische auf die theologischen Werke beschränkt ist. Das schließt jedoch nicht aus, daß auch peri patetische Elemente plötzlich in ganz augu- stinisch orientierten Untersuchungen auftauchen, und daß Albert insbesondere die neuplatonische Betrachtungsweise häufig hei'bei- zieht, um mit ihrer Hülfe über Lücken hinwegzukommen, die etwa: von der aristotelischen Auffassung offen gelassen werden. Ein Beispiel dieser Art werden uns die näclisten Ausführungen bringen.

3^

Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

Wir gehen nunmehr dazu über, die Lehre Piatos darzustellen, wie sie sich in den aristotelisch gehaltenen Schriften Alberts spiegelt. Zuvor ist noch ein Wort über die längeren oder kürzeren Digres- sionen zu sagen, die von Albert in den aristotelischen Text ein- geschoben sind. Zwar sind sie alle als Erläuterungen des aristotelischen Textes gedacht: wo sie jedoch in neuplatonischer Art Piatos Ideenlehre darstellen, stehen sie so wenig mit ihm in Einklang, daß sie ihm an einer Stelle direkt widersprechend Da nun, wie wir sehen werden, die Auffassung dieser Digressionen in einer anderen Schrift Alberts, der theologischen Summe y allein maß- gebend ist und der ganzen Darstellung zugrunge liegt, so sind wir nicht nur berechtigt, sondern genötigt, die neuplatonischen Digres- sionen in unserer Besprechung von den aristotelischen Partien zu trennen und sie denen dei* Stimma theologiae zuzuweisen.

§ 1. Die aristotelische Auffassung 1. Plato teilt das Seiende nach Albert in drei Klassen: die sinnlichen Dinge, die Ideen und das Mathematische. Von Kratylus, nach der Lehre Heraklits in die Philosophie eingeführt, so be- richtet Albert, hielt er eine Erkenntnis der individuellen Sinnendinge für unmöglicli, da diese sich in ständigem Flusse betinden und bei ihnen das Seh» immer nur mit Nichtsein gemischt ist, so daß man von ihnen Gegenteiliges zugleich beliaupten kann. Hierzu kommt nun die Anregung durch Piatos Lehrer* Sokrntes, der auf dem Ge- biete des Ethischen durch begritHiche Bestimmungen zur Wahrheit zu gelangen suchte. Das grift Plato auf, übertrug es aber auf das gesamte Gebiet der Natiirerkenntnis und kam so zu dem Er- gebnis, daß man in dem Allgemeinen das W\'ihre zu sehen habe, dieses aber nicht in den Sinnendingen zu finden sei '*-, von denen

' Met. 1. I, t. 4, c. 12, p. 81b— 83b, wo sich die Stelle „Plato enim dixit sementem omnis naturae facere Deuiii deoruni etc." direkt gegen die vorhergehende Behauptung des Aristoteles richtet, der Plato vorwirft, die Teilnahme an den Ideen nicht näher bestimmt zu haben.

* Daß das Allgemeine objektive Existenz neben den Sinnendingen hat, tritt hier wegen der falschen Übersetzung des ganz milivei-ständlich durch particularia wiedergegebenen „rtapa ravia" und nachher des „rreoi hFO(or*^ nicht so klar hervor wie in der aristotelischen Grundlage (vgl. S. 33 Anm. 1), ist aber durch eine Reihe anderer Stellen gesichert, z. B. Met. 1. VII, t. 1, c. 4, p. 408a: Plato ... ipsas species ideales et mathematica dixit esse duas sub- stantias, tertiam vero dicit sensibilium corporum esse substantiam.

In der Metaphysik.

33

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es wegen ihrer steten Veränderung gar keinen allgemeinen Begriff geben könne. Er nannte dies allgemeine „Arten" oder Ideen.

Außer den sinnlichen Dingen und den Ideen hat Plato auch die Existenz mathematischer Körper angenommen, die zwischen beiden in der Mitte stehen; und das deshalb,* weil man bei den beweglichen Körpern von dieser Eigenschaft abstrahieren kann, und man dann noch Körper schlechthin behält, die aus den Prinzipien der Quantität zusammengesetzt sind ^,

2. Für diese drei Klassen von Seiendem hat Plato nun zwei Prinzipien angenommen, ein formales und ein materiales -. Das letztere, um dies zuerst zu betrachten, ist eine Zweiheit: das G roße und Kleine.

' Met. 1. I, t. 4, c. 12, p. 80b— 81b: Plato consuetus audire illud quod conveniens videbatur cuidam philosopho nomine Cratilo et opinioni- bus Heracliti Ephesini philosophi, convenit cum eis in opinionibus quibus- dam. Dicebant autem de sensibilibus particularibus nullam posse esse scien- tiam, CO quod continue defluant et nunquam permaneant in eodem statu . . . Quod autem fluit, . . . semper habet permixtum esse cum non esse ... et ideo ulterius intulerunt de quolibet simul affirmare et negare . . . Haec igitur ita suscepit Plato a Cratilo et Heracliti positionibus : ab alia autem parte a Socrate de Macedonia doctore suo ... In moralibus ipse Socrates quaesivit universale per quod diffinitio sit, et quod est principium artis et scientiae: et ipse So- crates quaerens universale primus fuit qui institit ad sententiam veritatis de danda diffinitione per universalia, in qua tarnen quid est et propter quid est diceretur: et illum etiam quoad haec recepit Plato propter huiusmodi uni- versalium inquisitionem : quasi etiam de aliis quam de moralibus quae sunt physica, hoc idem sit eveniens et non conveniens sit hoc alicui sensibilium esse, quod illa sunt continue defluentia. Impossibile namque esse dixit com- munem rationem diffinitivam de aliquo sensibilium: eo quod semper trans- mutentur. Sic itaque tali necessitate compulsus, talia commuuiter diffinientia quid et propter quid dicentia appellavit existentium ideas et species . . .; a. a. O. c. 13, p. 83 bs.: Amplius autem praeter sensibilia et ideas Plato po- suit mathematica corpora quae secundum esse sunt infra res sensibiies, et differunt tam ab ideis quam a sensibilibus . . . Causa autem huius positionis erat, quod videbat mobile corpus, in quantum est mobile, praerel in quere ante se corpus, et ideo illud putabat esse principium corporis mobilis. Corpus autem omne putabat constitui ex principiis quantitatis. Met. 1. VII, t. 1, c. 4, p. 408 a: Plato, qui ipsas species ideales et mathematica dixit esse duas sub- stantias; tertiam vero dixit sensibilium corporum esse substantiam. Vgl. Arist. Met. I, 6, p. 987 a 32— b 8; b 17—18.

- Diese Zweiteilung des obersten Prinzips findet sich bei Plato im Philebus 16 C: TlaQeöooav (sc. oi naXaioi), (hg e| ivog fih xal jioIXmv ovtcov zdtv äsi Xsyofisvcov slvai, nigag ös xal ansigiav iv avzoXg ov^Kpvxov ixovTcav. Beitr. XII, 1. Gaul, Alberts d. Gr. Verhältnis zu Plato. 3

34

Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

Ober den Sinn dieser Ausdrücke ist Albert nicht zu einer sicheren Auffassung gekommen, in der Metaphysik gibt er die wenig befriedigende Antwort, daß das eigentliche „Subjekt% d. h. das eigentlich materielle Prinzip das Große sei, daß dieses sich aber aus einer unendlichen Zahl von kleinen Elementen zu- sammensetzet Richtiger erklärt er die Sache in einer Reihe anderer Stellen, die diese Ausdrücke im Anschluß an die Physik des Aristoteles näher erläutern. Hiernach hat Plato die beiden Ausdrücke der Materie beigelegt, weil er unter Großem das ver- stand, was der Zunahme, und unter Kleinem, was der Abnahme ins Unendliche fähig ist-. Weshalb er diese Eigentümlichkeiten des Unendlichen oder der Materie durch jene Zweiheit hervor- gehoben hat, sagt uns Albert in der oben behandelten Stelle der Metaphysik und begründet es damit, daß die Zahlen mit Ausnahme der ersten, die die Prinzipien der Zahlen sind, d. h. der Ideal- zahlen, aus der Zweiheit hervorgehen 'K Der besondere Charakter des Unendlichen wird nun über Aristoteles hinaus näher dahin bestimmt, daß die Vermehrung nach Plato und hier liegt der Gegensatz zu der Stelle in der Metaphysik nicht durch Hin- zutragen von diskreten Größen, sondern durch Ausdehnung des

* A. o. O. p. 84 a. Magnum autem dixit componi ex parvis infinitis, et magnum quidem esse subiectum, sed elementum magni dixit esse multa

vel infinita parva.

- Phys. 1. III, t. 2, c. 1, p. 204 a: Et dixit infinitum esse in utrisque, scilicet in sensibilibus et ideis: ponit enim infinitum ex materia quam dicit esse parvum et magnum, eo quod putavit magnum crescere in infinitum et parvum in infinitum deereseere. Vgl. Averroes, Cotnm. in Phys. 1. III, t. 25, fol. 96r b (Venetiis, 1574): Magnum enim apud ipsum crescit in infini- tum et parvum diminuitur in infinitum. Dafür, daß das Unendliche bei Plato auch als Element der Ideen erklärt wird, vgl. Soph. 256 E: Usgi k'xaotov äga T<bv siöwv :toäv IH8V EOTi x6 dv, ästeiQov dl :ih)&Ei x6 tiiii dv. Die oben gekenn- zeichnete Auffassung des Unendlichen als einer Vielheit, der das Mehr oder Minder wesentlich ist, vertritt Plato im Philebus 23C-27C. Albert (und Aristoteles) wird jedoch der platonischen Gesamtanschauung insofern nicht gerecht, als bei ihm das Eine und die Vielheit in gleicher Weise Elemente der Ideen und der Sinnendinge zu sein scheinen. Daß dies bei Plato nicht der Fall ist, zeigt Zeller in seinen Platonischen Studien, Tübingen 1839, S. 252 ff.

* A. a. 0. p. 84 b s. : Platonici fecerunt in positione sua dualitatem veram alii principii quia dixerunt eam esse materiam, sicut iam ante diximus: et hoc ideo quia sicut omnes numeri praeter primos quae principia sunt nume- rorum, generantur ex dualitate, ita omnia generantur ex magno et parvo. Vgl. Arist., Met. I, 6, p. 987 b 33s.

In der Metaphysik.

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Ausgedehnten (continuum) ins Unendliche vor sich gehen soll ^. Damit ist die Materie dem Räume und dem Orte im allgemeinsten Sinne gleichgesetzt; sie ist allgemeines Rezeptakulum. Wenn man von einem begrenzten und geformten Dinge die Eigenschaften und die Begrenzung durch Flächen und Linien wegnimmt, so bleibt die Materie, aber auch der unendliche Raum übrig, beide sind also dasselbe, wie auch Plato im Timaeus hervorhebt. Denselben Sinn hat auch der Vergleich mit einem leeren Schöße, den Albert, ebenfalls im Anschluß an den Timaeus, auf die Materie anwendet '-.

Ist es schon hierdurch ausgeschlossen, die platonische Materie im Sinne Alberts als allgemeinstes körperliches Substrat, etwa als Urstoff zu fassen, so wird dies noch zum Überflusse dadurch gänz- lich unmöglich gemacht, daß Albert sie im Anschluß an Aristoteles ausdrücklich für unkörperlich erklärt •'.

Die Frage nach dem Seinswerte der platonischen Materie wird nach dem Vorstehenden von Albert historisch richtig dahin beantwortet, daß man darunter das schlechthin Nichtseien de zu verstehen habe ^. Den Gegensatz, in dem diese Lehre zu der von

* Phys. 1. III, t. 2, c. 11, p. 227 b: Additionem ipse non dixit esse per collationem discretorum, sed potius per extensionem continui in maiorem quantitatem in infinitum.

- Phys. 1. IV, t. 1, c. 4, p. 247a: Dixit enim quod si removeantur a re formata et terminata passiones quae sunt qualitates, et termini qui sunt super- ficies et lineae, tunc relinquitur materia: constat autem quod remaneat distan- tia infinita : ergo distantia materia est ... dixit Plato in Tiniaeo receptivum esse locum et materiam et häec duo idem esse et unum ; a. a. 0. t. 2, c. 2, p. 276b f.: Dicunt quidam Platonicorum corporis materiam esse vacuam, antequam habeat formam: et hoc innuit Plato in Timaeo, ubi dicit quod materia est formarum gremium : hoc enim vacuum verissime dixerunt esse locum, eo quod locum et materiam idem esse dixerunt. Vgl. Arist., Phys. IV, 2, p. 209 b 1 1 s. Diese Darstellung des Wesens der Materie entspricht ganz dem, was Plato im Timaeus 48E— 52D ausführt. Vgl. 50 Bs.: Sexstai ze yag dsl xa Ttdvxa^ xai fiOQq?r/v ovöefxiav tioxe ovdsvl xöjv eloiövxov öfioiav si'XrjqpEv ovdafifj ovöafiwg. Der Ausdruck „gremium" findet sich bei Chalcidius z. B. in der schlecht wiedergegebenen Stelle Tiw. 50 C: Cum velut intra gremium eins formentur, wo das Wort Übei-setzung des griechischen iy./uayeiov ist,

=* Met. 1. I, t. 4, c. 14, p. 86a: ... materiam ... sive ponant esse cor- pus, sive incorpoream sicut Plato.

^ Vgl. auch a. a. 0. c. 12, p. 81a: Semper habet (sc. das Sinnfällige) permixtum esse cum non esse. Für die Richtigkeit der Auffassung Alberts vgl. Baeumker, Das Problem der Materie in der griechischen Philosophie^ Münster 1890, S. 196 ff.

Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

Aristoteles vertretenen Auffassung von der Materie steht, läßt Albert aufs klarste hervortreten, wo er sich mit dem aristotelischen Be- griff der Potentialitiit der Materie beschrd'tigt. Nach ihm hat Plato die grundlegende Frage, ob man eine privatio oder einen appetitus formae in der Materie anzunehmen habe, mit Parmenides negativ beantwortet, jedoch deshalb nicht - wie dieser - das Werden überhaupt geleugnet, da er ein Werden aus dem schlechthin Nicht- seienden für möglich hielt. Oder, anders ausgedrückt, er hat in der Privation der Materie nicht ein Streben zum Sein hin sehen wollen, sondern im Gegenteil, da er nur auf ihre negative Seite achtete, und uicht auf die positive aptitudo, die sie im Subjekte zurückläßt, ein Hindernis für Sein und Werden in ihr erblickt K Was Zeller- von der den Ausführungen unseres Scholastikers zu Grunde liegenden Stelle des Aristoteles, die aber den Namen Piatos nicht nennt, sagt, gilt in demselben Maße von Alberto Treffen- der als hier läßt sich der Gegensatz der platonischen Anschauung von der Materie zu der des Aristoteles (in ihrer vollen Entwicklung) nicht kennzeichnen. , Aristoteles hat zwei positive Prinzipien, die Form als das wirkende, und die Materie als das leidende, nur Prädikat der letzteren ist die Negation der Form, in allgemeinster Beziehung das Nichtsein; Plato hat nur ein positives Prinzip, die Form oder die Ideen, und das Nichtsein ist ihm das Wesen der Materie, oder des Großen und Kleinen, welches demnach gar nichts anderes und weiteres, als eben die Negation des wahren Seins ist . . . Die Materie als die Negation der Form ist das außer der Idee und ebendaher außer sich selbst Sein, die Räumlichkeit, als Grundlage alles Außereinander, die Möglichkeit der endlosen Teilung und Ver- mehrung, das Mehr und Mindei-, die absolute Vielheit und Zer-

»^i/s. 1. 1, t. 3, c. 16, p. 85 b: Volebat enim ulterius habere Parmenides quod generatio nihil est, cum ens non possit fieri ex non ente. Et hoc Pla- tonici non receperunt dieentes non esse inconveniens ens fieri ex non ente simpliciter; «. a. 0, p. 87a: Platonicis qui dicebant materiam esse informatam, et nihil in se habere privationes; a. a. 0. c. 17, p. 88 b: Protendebat enim Plato intelleetum in privationem secundum quod privatio est, et non in hoc quod relinquit in subiecto. Et . . . credebat ipse quod magis impediret esse et generationem, quam esset principium ad esse et generationem.

^ A. a. O. S. 225.

« Für dieUnterschiede zwischen Alberts Fassung des Begriffs der Materie

und der des Aristoteles vgl. v. Hertling, Alheiius Mognux, Köln 1880, S. 95 ff.

In der Metaphysik.

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fallenheiti oder wie dieser selbige Begriff sonst noch ausge- drückt wird."

3. Dem materiellen Prinzip des Auseinander steht gegenüber das formelle der Einheit, „das Eins-. Es ist die erste Idee, die Substanz der Dinge, die ihm als die Vielheit gegenüberstehen. Mehr ist jedoch über dieses Prinzip nicht zu sagen. Obschon Albert die Ideen und die Zahlen durch Teilnahme an der Eins aus dem Großen und Kleinen entstehen läßt, so sagt er kurz darauf, daß dieses erste formende Eins sein Sein (also seine Existenz) in den Ideen hat 2.

Auf diese Ableitung ist es zurückzuführen, wenn die Ideen als Zahlen oder Idealzahlen bezeichnet werden. Wir hörten schon =\ wie Albert sie durch Vereinigung des „Ersten mit den Zweiten" d. h. des formellen mit dem materiellen Prinzip entstehen läßt. Die Unterscheidung von mathematischen und idealen Zahlen ist ihm ebenfalls bekannt. Er meint, Plato unterscheide sich mit seiner Lehre über die Prinzipien wenig von den Pythagoreern, denn daß er ideale und diese mathematische Zahlen als Prinzipien der Dinge annähmen, mache nichts aus. Der Unterschied liege (soweit das formale Prinzip in Betracht kommt) nur darin, daß er die Zahlen außerhalb der Dinge sein ließe, während die Dinge bei den Pvthafforeern aus Zahlen beständen, und darin, daß er das Mathematische zwischen die Dinge und die Ideen in die Mitte

1 Vgl. Met. 1. I, t. 4, c. 13, p. 85 a: Binarius est principium plu-

ralitatis.

2 A. a. 0. p. 84 a : Illud quod est causa formalis ut substantia, unum est quod est idea prima. Dixit enim ex illis quae sint magnum et parvum, fieri et esse species et numeros rerum secundum participationem unius ideae primae: et illud unum ideale principium dixit esse rerum substantiam, et nihil aliud entium dixit esse unum nisi illud unum ... et illud unum dixit fieri numerum ex communicatione primi cum secundis et hunc numerum dicit esse formas et species rerum omnium; a.a. 0. p. 85 b: Species ... sigillare habent in sensibilibus, sed unum primum formans habet esse in speciebus. - Vgl. Arist., Met. I, 6, p. 987 b 20-22: ojg fisv olv vhjv ro fiiya xox xo Luxoov elvat doxdg, (hg d' ovoiav xo sV e^ ixelvcov yaq xaza fieOe^iv zov ho, za elö^ zov zi iaztv alzia zol, aXXoc,, zoT, de .tSsoc z6 er. Der Widerspruch ist bei Albert durch dessen falsche Übersetzung der zweiten Stelle des Aristoteles entstanden, die jedoch den formal logischen Charakter des „Eins" gegenüber dem metaphysisch-realen der Ideen treffend hervorhebt.

=' Oben, S. 34, Anm. 3.

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Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

stellt. Den Unterschied, der zwischen mathematischen und Ideal- zahlen besteht, haben wir schon angegeben; er liegt darin, daß man jene ans der Zweiheit ableiten kann, diese nicht ^

Auch diese Vermengung mit der Lehre von den Zahlen ist für Alberts ApllBSüiig von der platonischen Ideenlehre nicht wesent- lieh. Ihrem Wesen nach sind die Formen das Wort ist Über- setzung des griechischen „Idee" nach Albert für sich bestehende unräumliche Substanzen, die das Wesen alles Seienden ausmachen und auch den Grund des Seins und Werdens der Dinge angeben. Albert definiert die platonische Idee als Allgemeinbegrili*, der das Wesen und den Grund der Dinge angibt-. Mit Bezug auf jenes heißt sie Form oder Art und mit Bezug auf dieses Idee.

Zum Beweise dafür, daß die Ideen bei Plato Prinzipien des Seins und Werdens sind, beruft sich Albert (im Anschluß an Ari- stoteles) auf den Phaedo; daß sie das Wesen der Dinge darstellen, geht aus der historischen Verknüpfung der Ideenlehre mit der platonischen Erkenntnislehre hervor 3. Hiermit ist auch gegeben, daß es ebenso viele Ideen geben muß, wie Arten von Naturdingen. Doch auch nur von diesen gibt es Ideen, alles andere hiermit sind insbesondere alle Gegenstande der Kunst, wie Häuser, Ringe usw. gemeint ist der Form nach Akzidenz und keine Substanz. Daß daneben von Ideen der Zahlen geredet wird, ist kein Wider- spruch, sondern wird durch die auch sonst bezeugte Tatsache er- klärlich, daß Piatos Mathematisches nach Albert als Substanz zu denken ist ^.

^ Vgl. oben, S. 34, Anm. 3.

- A. a. 0. e. 12, p. 81b: Talia communiter diffinientia quid et propter quid dicentia appellavit existentiuni ideas et species, idea enim Graece, Latine est forma vel species . . . Propterea auteni ideae vocantur in quantum causae sunt, sed species in quantum sunt formae et secundum ea in quantum sunt formae quid est esse rerum significantes.

' A. a. 0. t. 5, c. 9, p. 102a: In Phaedone sie dicitur, quod species separatae sint causae esse rerum et fieri earundem. Vgl. Arist., a. a. 0. I, 9, p. 991 b 3 s.: ev Sk np ^aiöcovt ovuo Uystaiy wg xal lov eivai xai tov yiyvsaOai aiu'a Etdij eotiv; desgl. Met. 1. XII, t. 1, c. 7, p. 705b = Arist, a. a. 0. Xiri, 5, p. 1080 a 2 s.; Pliaedo 100 D. Für die Verbindung von Ideen und Erkenntnislehre vgl. Met. 1. I, t. 4, c. 12, p. 81b: Sic itaque tali necessitate compulsus.

* Met. 1. XI, t. 1, c. 9, p. 596a: Plato ... dixit quod species ideales sunt quorumcumque est natura et non aliorum, eo quod alia sunt accidentia

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Wie bei Aristoteles, so werden diese allgemeinen Wesenheiten auch bei Albert als Substanzen behandelt, und zwar wird ausdrück- lich hervorgehoben, daß man sie als numerische Einheiten zu denken habe, was Albert meist mit einem von Aristoteles überkommenen Terminus dadurch ausdrückt, daß er sie als „getrennt" (separatae, Xcooiozal) bezeichnet, womit das völlige Losgelöstsein der Ideen von den Sinnendingen und der Materie gemeint ist K Sie werden so als ewige unveränderliche Wesenheiten und als ruhende Urbilder der wirklichen Dinge dargestellt, eine Auffassung, die jedoch hier noch nicht bedeutsam hervortritt 2. Die Frage, wo man sich die Ideen vorzustellen habe, wird dahin beantwortet, daß sie zu ihrer Existenz keines Ortes bedürfen, denn sie sind getrennte Formen und bedürfen keines Sinnendinges 3.

4. Zwischen den Ideen und den Sinnendingen steht das Math e-

et non substantiae; Met. 1. XII, t. 1, c. 7, p. 705 b: Etiam alia multa a natu- ralibus fiunt ab arte, ut domus et annulus, quorum auctor illius opinionis non dicit esse species ideales: quia tales formae accidentia sunt; n. a. 0. t. 2, c. 7, p. 718b: Formas ideales dixit esse numerorum Plato. Vgl. Arist., a.a.O. XII, 3, p. 1070 a 18 s.: Tllärcov scpt) ou eiötj saii ojiooa qivasi; XIII, 5, p. 1080 a 4 s.: xai JioXka ylyvEiai ezeoa, oiov oixia xai SaxTvhog.

' Met. 1. VII, 1. 1, c. 4, p. 408a: Plato . . . ipsas species ideales et mathe- matica dicit esse duas substantias: tertiam vero dicit sensibilium corporum esse substantiam; a. a. 0. t. 5, c. 4, p. 481b: Est enim idea de numero sin- gularium, ex quo scparata esse secundum se ponitur ut dicunt ponentes ideas. Für den Ausdruck ideae separatae vgl. z. B. Met. 1. I, t. 5, e. 9, text. 33, p. 102 a, wo er in einer halben Spalte viermal erwähnt wird.^ Arist., a. a. 0. I, 9, p. 991 b 2s.: Jicjg av ai lösai ovaiai x(bv jigayfidtcov ovoai xoJQig elev. Darüber, daß diese Auffassung des Aristoteles (also auch unseres Scholastikers) den Ansichten des Urhebers der Ideenlehre nicht ent- sprochen haben kann, vgl. Zeller a. a. 0. S. 257.

2 Met. 1. III, t. 3, c. 20, p. 198 b: Dicebat enim Plato formalia prin- cipia rerum et idealia sine omni motu principia rerum existere et remanere et etiam remotis eis quorum sunt principia. Als Grund hierfür nennt Plato die Getrenntheit und Unabhängigkeit der Formen von der Materie und den

'Charakter der Form als des Prinzips der Ruhe und Unbeweglichkeit. Degen, et corr. 1. II, t. 3, c. 2, p. 446 a: Dixit enim species rerum esse aeternas; Met 1. VII, t. 2, c. 9, p. 446a: Quasi exemplar ponitur formans quod est spe- cies separata idealis; Met. 1. I, t. 5, c. 9, p. 101b: Dicere vero quod species sunt Paradigmata sive exemplaria esse, ad quae respexit opifex quando fecit istum sensibilem mundum ... sicut dicit Plato. - Vgl. Arist., a. a, 0. I, 9,

D 991 a 20 s.

3 Phys. 1. III, t. 2, c. 1, p. 204 a: Plato . . . dixit quod ideae rerum nusquam sunt: quia ideae ad suum esse non requirunt locum. Ideas enim

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matische. Es unterscheidet sich von beiden, von den Dingen durch seine, ihm und den Ideen gemeinsame Unveränderlichkeit, aber auch von den Ideen, weil es „in der Vielheit existiert**, wie die Sinnendinge, während die Idee für jede homonyme Mehrheit, d. h. Art, nur eine ist \ Auch die mathematischen Dinge sind Substanzen und Prinzipien. Eine Unterscheidung des Mathemati- schen in Größen und Zahlen wird nicht klar durchgeführt, ist je- doch vorausgesetzt, wenn Albert die Zahlen aus dem Großen und Kleinen und den Ideen, die Körper aber aus den ersten vier Zahlen hervorgehen läßt 2.

5. Die tiefste Stufe des Seienden nehmen die Sinnend in ge ein, bei ihnen befindet sich das Sein in beständigem Flusse, eine Form löst die andere ab. Sein ist mit Nichtsein vermischt, Mög- lichkeit mit Wirklichkeit. Von ihnen gibt es nach dem Timaeus keine Wissenschaft, sie sind Objekt der Meinung. Was sie von Wirklichkeit an sich haben, stammt aus den Ideen, die für sie den logischen und den Realgmnd darstellen. Das letztere ist Be- dingung für das erstere: „Daß von den idealen Spezies vieles in

dixit formas esse habentes esse separatum quae ad suum esse non requirunt sensibilia; Phys. 1. IV, t. 1, e. 5, p. 248b: Quare species et ideae quas ponit Plato, non sunt in loeo; dixit enim in Timaeo, quod species illae non sunt in loco. Vgl. Arist, Phys. IV, 2, p. 209 b 34— 210a 2: 6ta xi ovx iv tojico Tot eiöt] xai Ol ägi^fioi ... ioa:iEQ h uo Tifiauo yeyQaysv. Tim, 52 BC.

* Met. 1. I, t. 4, c. 13, p. 83 b: Differunt tarn ab ideis quam a sensibi- libus: a sensibilibus quidem, quia seeundum rationem sempiterna sunt et im- mobilia: a speciebus vero differunt, quia sunt quaedani in niultitudine exi- stentia sicut sensibilia, cum species sint eaedera: eadem enim species est una, et eadem unius multitudinis univoce et unius et eiusdem seeundum formam et speciem. Vgl. Arist., Met. I, 6, p. 987 b 16—18: diaq^egovia rwv ^ikv aiadrjTcJv ko dtdta xai dxtvTjra Etvat, röir 6' sidutv x(ü xd ftev tioXV nxxa o/ioia glvaiy x6 <5' etSog avxo sv ixaoxov fiovov,

* A. a. 0. p. 85 a: Generantur autem [numeri] ex dualitate magni et parvi sive materia et speciebus; De an. 1. I, t. 2, c. 2, p. 140b: Fluit autem punctum ex unitate et linea ex binario et superficies ex ternario et corpus ex quatemario. Über die Rolle, die das Mathematische bei Plato spielt, vgl. Zeller a. a. O. p. 262 ff. Einige von Albert als platonisch übernommene Definitionen mathematischer Begriffe findet man: S. de hont. q. 3, a. 1, p. 23b; Met. 1. V, t. 3, c. 2, p. 327 b s.; Top. 1. VI, t. 2, c. 4, p. 447 b; Top. 1. I, t. 3, c. 4, p. 274 a; De nniimtl. 1. I, t. 2, c. 18, p. 90 b; S. theoL p. I, q. 25, m. 2, a. 3, p. 216a; Phys. 1. VI (Lib. de indivis. lineis) c. 3, p. 469 b; De sex princ. t. 6, c. 2, p. 355 a und sonst

In der Metaphysik.

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univoker Weise abstammt, und zwar all das, was zu einer gemein- samen Idee in derselben Beziehung steht, beruht darauf, daß die vielen Dinge an der einen Idee teilhaben." Die letzte Bestimmung besagt nach Albert im Grunde das.selbe wie die der Pythagoreer, die die Dinge durch Umwandlung der mathematischen Zahlen entstehen ließen. Weil sich hierbei aber die ganze Zahl dem Sein nach in die Dinge umwandeln sollte, was für Piatos ewige Ideen nicht möglich war, sprach er statt von Umwandlung von Teilnahme, wie man ja vom Besondern und Vergänglichen sagt, daß es am Ewigen und Allgemeinen teilhat. Damit hat er aber nur den Namen gewechselt und das, was jene Nachahmung ^ nannten, als Teilnahme bezeichnet. Genauer haben jedoch weder die Platoniker noch die Pythagoreer untersucht, ob es eine Teilnahme resp. Nach- ahmung gibt, und wenn ja, Avas für eine Art man sich darunter des näheren zu denken habe '-. Trotz der letzten Bemerkung finden

* So liest Albert mit Aristoteles (vgl. Anm. 2). Wie die voraufgehende widersprechende Darstellung zu erklären ist, ist nicht zu sagen, jedenfalls be- ruht sie auf einem alten Lesefehler (imitari-immutari).

- Met. 1. I, t. 4, c. 12, p. 80 b— 81 b. Dicebaut autem de sensibilibus particularibus nullam posse esse scientiam, eo quod continue defluant et nun- quam permaneant in eodem statu. Agentibus enim qualitatibus sensibilibus et patientibus ab invicem, oportere dixerunt fieri abiectionem continuam in subiecto et renovationem : et ideo esse quod est formae proprietas et effectus, non stat in talibus sed fluit continue, et forma quae inest materiae, similiter. Quod autem fluit, non est una forma, sed forma post formam, et semper habet permixtum esse cum non esse, et potentiam cum actu . . . dixit enim quod a speciebus idealibus multa sunt et fiunt de ratione univocorum, omnia scilicet quae ad unam communem idealem speciem habent respectum unum: et hoc dicit fieri seeundum participationem ideae unius a multis. Plato enim muta- vit nomen dictum Pythagoricum in participationem. Pythagorici namque dicunt, quod existentia physica sunt numerorum primorum mathematicorum immutatio in res physicas, sicut patet per ante dicta: et non posuerunt par- ticipationem, sed potius totum numerum seeundum esse immutari, et fieri physicas res ex quibus sunt sensibilia. Plato vero quia dixit ideas esse per- petuas, dixit non immutari in physica, sed participari : sicut id quod est cor- ruptibile et particulare, participat incorruptibile et universale. Nomen ergo sive appellationem transmutavit, participationem vocans hoc quod imitationem iUi vocaverunt: quia etiam illi numeros primos dixerunt esse perpetuos et universales virtute, licet de universali sub ratione universalis non fecerunt aliquam considerationem. In communi autem tam Pythagorici quam Plato- nici dimiserunt et neglexerunt quaerere si sit specierum aliqua imitatio vel participatio: et si sit, quae sit illa; FAh. 1. I, t. 1, c. 3, p. 8 b: Omnia natu- ralia quäe omnia fluctuantia sunt et opinioni et non scientiae subiecta sunt

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Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

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sich auch in den aristotelisch gehaltenen Partien Alberts einige Ausführungen, die geeignet sind, die Teilnahme der Dinge an den Ideen näher zu erläutern. So wird im Zusammenhang mit Piatos Auflassung von der Materie ausgeführt, daß nach ihm die Formen der Dinge nicht aus der Potenz der Materie eduziert, sondern in sie von außen hineingetragen werden, eine Tätigkeit, die unter dem Bilde des AufsiegeUis der Form auf die Materie vorgestellt wird; denn, „wie das Siegel außerhalb der Ursache bleibt, in die es sich eindrückt, ihr nicht sein Sein, sondern nur die Form mit- teilt, so siegeln auch die Ideen die Materie der Sjnnendinge, geben ihr aber nichts vom Sein des Ewigen, sondern nur die Form" ^

§ 2. Die Auffassung der Sentenzen

1. Die besprochene Auffassung der platonischen Lehre sucht sich eng an die aristotelische Überlieferung anzulehnen, die auch im wesentlichen treu wiedergegeben wird. Einzelne Mißverständ- nisse und noch mehr die neuplatonisch gefärbten Digressionen zeigen jedoch, daß Albert sich aus der Darstellung des Aristoteles ein einlieitliches Bild von den Ansichten des attischen Weisen nicht hat machen können. So ist zu erklären, daß die Darstellung

sicut dicit Plato in seeunda parte Timaei. Vgl. a. a. O. I, 6, p. 987 a 33 s.: Cö? an;dvicüv zcit>v aiodr]i(bv aiEi qeovhov xai i:nati^jiir]g jieoI avxmv ovx ovatj<;; p. 987 b 8 14: 5' aioürjzu :iaQa. lavta xai xaza zavza /Jysadai .Tarra" xaza f.iide^iv yag eirai ta Jiolka za>v övvcovvfKov zotg eidsoiv. zip' öi fte&e^iv zovvo/iia ftovov fiszißaÄF.v' oi fih yag IJvOayÖQSiot jui^irjaei övza rpaaiv eivat zdtv dgid- ficäVy nXdzcor de iis&E^ei. zi/v fiivzoi yE ^ieüeBiv rj zijv fit'/itjaiv tjzig nv eitj za>v Eidwv d(fEiaav h xoiv(o C^zeIv, Vgl. dazu Plato, Tim. 27 DE, wo die Sinnen- dinge als das yiyvöfiEvov fih aEi', 6v de ovöetioze und kurz darauf als das ^o|/y fiEz^ aiödtjöEoyg dXoyov do^aaz6i\ yiyvöf-iEvov xai OLTioXkvuEvov^ övzmg ök ovömozs öv bezeichnet werden. Von Teilnahme des Sinnfälligen an den Ideen spricht der Phaedo 1 00 D : sizg Jtaooi'aia eTze ?coivcovia.

* Met. 1. XI, t. 1, c. 8, p. 595 a: Adhuc autem seeundum Platonem forma non educitur de potentia, sed inducitur in ipsam. Met. 1. 1, t. 4, c. 13, p. 85 a b : Generantur autem (hier sind zunächst die Zahlen gemeint) ex dualitate magni et parvi sive materia et speciebus sicut procedant ex quodam ethimagio sive sigillo: quia sicut sigillum est praeter causam quam imprimit, et non dat ei esse suura, sed tantum formam sine materia: ita sigillant ipsae ideae materiam sensibilem, et nihil dant ei de esse perpetui, sed tantum formam . . . Species autem sigillare habent in sensibilibus. Vgl. Arist, a. a. 0. p. 987 b 33 988 a 1 : z6 dk övdöa :zoirjaai zi/v izigav <pvoiv öid zo zovg dot&fiovg . . . svtpvibg i^ avzrjg yEvväo^ai mojieq ex ztvog EXfiaysiov,

In der Metaphysik.

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nicht unwesentlich anders ausfällt, wo Albert nicht an eine aristotelische Vorlage gebunden, von anderen Quellen be- einflußt ist. Dies ist in seinen theologischen Schriften der Fall. Dort schließt sich die ganze Behandlung der Frage an eine Stelle des Petrus Lombardus^ an, die die ganze Fragestellung Alberts beeinflußt. Von den Prinzipien des Einen und des Großen und Kleinen hören wir jetzt nichts mehr, das gleiche gilt von der Auf- fassung der Ideen als Zahlen, und in der theologischen Summe ver- schwindet auch das Mathematische aus der Betrachtung. Zum eisernen Bestand von Alberts Auffassung der platonischen Ideen- lehre gehört aus der peripatetischen Überlieferung eigentlich nur die Lehre von der getrennten Existenz der Ideen und von der doppelten Fundierung der Lehre Piatos in dessen Ansichten über Erkennen und Werden. Als Prinzipien erscheinen jetzt die meist exemplaria genannten Ideen, die Materie und dazu auf Grund der Stelle des Lombarden und mehrerer Aussprüche Augustins ais drittes Prinzip der von Aristoteles vermißte Beweger der Ideen, Gott oder, besonders in der theolofjhchen Summe, der opifex 2. Dies die der Auffassung in den theologischen Schriften gemein- samen Elemente. In den einzelnen Punkten machen sich zwischen Alberts Kommentar zu den Sentenzen des Lombarden und der theo- logischen Summe eine Reihe von Verschiedenheiten bezüglich unserer Probleme geltend, die uns zwingen, die Behandlung der beiden Schriften zu trennen und zunächst dem Sentenzenkommentar eine Betrachtung zu widmen; sie kann aber um so kürzer ausfallen, als das Gesamtbild hier weit lückenhafter ist als in den aristote- lischen Schriften.

2. Es entstammt aristotelischen Gedankenkreisen, wenn Albert auch hier die Ideenlehre auf Piatos Ansichten über Erkennen

» Petrus Lombardus, Sent. 1. II, d. 1, 1. PL 192, 651: Plato nani- que tria initia existimavit, Deum scilicet, exemplar et materiam: et ipsam increatam sine principio et Deum quasi artificem, non creatorem.

- Letzthin geht diese Dreiteilung der Prinzipien auf die doxographi- sche Überlieferung zurück. Vgl. Diels, Doxogr. Graec. p. 287, 21—288,1: WAziov ... zoEig dgxdg, zov §e6v zrjv vXrjv zi]v lösav (Aet. Plac); p. 567, 7ss.: nidzcov dgxdg elvai zov jiarzog dsov xai v/.rjv xal jragdÖEiyfia (Hippol. Philos.); p. 587,8; 591,17; 653,27s. Vgl. auch Justin, Coh. ad Gr. 6; Apuleius, De dogm. Plat. I, 5; Petrus Comestor, «. a. 0. Gen. c. 1. Weitere Beispiele bei Baeumker, a.a. 0. S. 114, Anm. 2.

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Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

und Werden zurückführt ^; diesen entspricht ebenfalls eine Einteilung der Formen in die ewigen zeugenden, die mathematischen als Prin- zipien der Wissenschaft und die in den Einzeldingen erzeugten Formen. Albert meint, sie stamme von Pythagoras, sei von Plato aufgegriffen wiirden und habe bis auf Aristoteles geherrscht 2. Be- züglich der Auffassung der Ideen macht sich jedoch ein Unter- schied von der des Stagiriten bemerkbar. Er wird dadurch ver- anlaßt, daß Albert sich mit der Auffassung August ins ausein- anderzusetzen hat, der die Ideen bekanntlich in den Geist Gottes verlegte, und sie mit dessen ewigen Schöpfergedanken identifizierte =\ *. Hätte sich Albert dieser Betrachtungsweise angeschlossen, so wäre er gezwungen gewiesen, der von Aristoteles herrührenden Auffassung der Ideen als selbständiger Erkenntnis- und Seinsprinzipien ent- gegenzutreten. Um dieses in etwa zu vermeiden, ninmit er eine Synthese der aristotelischen und der augustinischen Auf- fassungen vor, wonach sich ^e Ideen von Ewigkeit in Gott als von dessen Intellekt verschiedene Formen finden, Gottes Kenntnis

* Sent. 1. II, d. 1, a. 5, p. 16 ab.

' A. a. 0, a. 12, p. 34 a: Posuerunt formas oninium reruui triplicem scilicet aeternas generantes et niathematicas quae sunt prineipium scientiarum, et particulares generatas. Et hanc tenuit Plato et praevaluerat usque ad tempus Aristotelis. Scientia autem quae habebatur istius opinionis est ex quodam antiquo philosopho nomine Pythagoras.

^ Eine Auffassung, die wohl zuerst von dem Platoniker Albinus ver- treten wurde. Vgl. Baeumker, a, a. 0. S. 373, Anm. 3.

^ Albert zitiert a. a. (). a. 5, p. 15 b: Plato posuit ideas in mente divina, ut dieit Augustinus in libro LXXXIII Quaestionum: Quas qui negat, Filium Dei negat esse: ergo videtur, quod haec positio non est inconveniens und verweist auf das erste Buch seiner SenfenzcN, wo er (d. 35, a. 7, p. 190 a) zwei Stellen aus Augustin zitierte: Augustinus in libro Retraetationum : Nee Plato in hoc erravit, quia esse mundum intelligibilem dicit etc. Mundum quippe intelligibilem nuncupavit Plato ipsam rationem sempiternam qua fecit Deus mundum: quam qui negat, sequitur, ut dicat Deuni irrationabiliter fe- cisse quod fecit. Item in libro de Civitate Dei dicit: Plato ideas ponit et eas qui negat, infidelem esse non ambigit: quia Filium Dei negat. Vgl. Augusti n, Liber 83 Quaest. 46, 2. PL 40, 30. Retract. 1. I, c. 1, 3. FL 32, 588 s. : Nee Plato quidem in hoc erravit quia esse mundum intelligibilem dixit . . . Mundum quippe ille intelligibilem nuncupavit ipsam rationem sempiternam atque incommutabilem, qua fecit Deus mundum. Für Augustins Stellung zur platonischen Ideenlehre vgl. H. Sc hol er, Augustins VerhältnU zu Plato in ijenetischer Entivicklungj J.D.Jena, 1897, S. 31ff. ; J. Storz, Die Philosophie des hl, Augustinus, 1882, S. 71.

In der Metaphysik.

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von den Dingen vermitteln und auch als Zeugungsursachen neben ihm .subsistieren.

Daß in diesem Zusammenhange als Prinzip der wissenschaft- lichen Erkenntnis das Mathematische auftritt, wurde schon oben erwähnt K Albert gibt an, diese Bestimmungen aus verschiedenen Schriften des Aristoteles und aus dem Timaeus entnommen zu haben. Sodann zitiert er eine Stelle dieser Schrift selbst, die sich mit der Zusammensetzung der Sinnendinge beschäftigt und hervor- hebt, wie diese durch Zusammentreten von Weisheit und Not- wendigkeit entstanden sind 2).

Die Materie glaubt Albert einerseits als allgemeinstes Sub- strat alles Seienden verstehen zu sollen, da Plato, falls er sie nur als Substrat eines Teiles der Urbilder (etwa der der Körperwelt) gemeint hätte, sie dann mit derselben Notwendigkeit wie für jenen, auch für den übrigen Teil der Formen hätte annehmen müssen. Anderseits macht sich schon in den Sentenzen der Einfluß einer oft zitierten und meist dem Plato zugeschriebenen Bestimmung bemerkbar, die in der Materie nicht mehr das rein passive und eigenschaftslose Substrat sieht, sondern ihr die Formen auf Grund eines „meritum materiae" eingegossen werden läßt. Albert erklärt, daß unter dem „meritum'* die letzten Dispositionen der Materien, die Ordnung und das Verhältnis der Materie und ihrer Teile, zu verstehen seien 3. Hier liegen die Keime, die später zu

.

» Sent. 1. II, d. 1, a. 5, p. 17bs.: Plato ... putabat Dei scientiam sicut aliorum causari ex illis, et esse formas in Deo distinctas ab intellectu Dei . . . Secundo . . . putabat quod illae non tantum essent in Deo, sed etiam cum ipso generantes entia secundum naturam in propriis formis. Et illas posuit ab aeterno esse cum Deo ... Tertio . . . dixit non tantum sie esse, sed etiam niathematicas esse sub illis quae abstrahuntur a rebus naturalibus et sunt prineipium scientiae in his quae habent scientiam rerum ... Et haec coUi- guntur ex diversis libris Aristotelis qui haec imponit ei: et videtur etiam extrahi ex Timaeo sicut patet inspicienti capitulum de diis deorum.

* Tim. 48 A; vgl. oben S. 19, Zit. XV.

=* A. a. 0. a. 4, p. 13 a: Quaeritur secundo de hoc quod supponit Plato omnium materiam esse unam. Quod enim hoc supponat probatur ex illo: quia (Borgnet: qua) aliter oporteret cum dare quartum prineipium quod quaedam exemplaria reciperet ab opifice, eadem necessitate qua ipse ponit materiam respectu formarum; Sent. 1. IV, d. 23, a. 3, p. 7 b: Dicit enim Plato quod non infunduntur formae nisi secundum merita: vocans merita disposi- tiones materiarum ullimas; Sent. 1. I, d. 36, a. 7, p. 217 b: Ipsa [sapientia]

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einer der aristotelischen völlig entgegengesetzten Auffassung von der platonischen Materie führen.

Außer diesem Punkte beschäftigt unseren Scholastiker die weitere Frage, ob man der platonischen Materie die Ewigkeit zu- zuschreiben habe oder nicht. Wenn Albert glaubt, diese Frage positiv beantworten zu müssen, so geschieht es wegen der Rolle, die die Materie im ganzen System Piatos spielt.

Da die erste Wirkursache keine Möglichkeit in sich enthält, kann sie zwar aus sich nicht im Tätigsein gehindert werden, wohl aber könnte sie dies durch das Fehlen eines Substrats, das ihre Tätigkeiten aufzunehmen hätte. Da sie die Potenz auch nicht aus sich selbst hervorholen kann und die in ihr befindlichen Formen doch irgendwie muß mitteilen können, so gab Plato der Wirk- ursache diese Potenz in der ewigen Materie bei ^

§ 3. Die neuplatonische Auffassung der theologischen

Schriften

1. Die im vorhergehenden behandelten Elemente führen in der theologischen Summe im Verein mit vereinzelten andeien An- regungen, besonders aber der breiten Ausnützung der Kenntnis des platonischen Timaeus, zu einer einheitlichen Anschauung von d©r Lehre unseres griechischen Philosophen. Wir hoben schon hervor, daß diese Betrachtungsweise auch häufig in den aristote- lischen Schriften Alberts auftaucht; gerade der Umstand, daß dies in Digressionen geschieht, die oft genug eine Lücke der aristoteli- schen Darstellung ausfüllen, weist darauf hin, daß wir da, wo diese Gedanken in ungestörter systematischer Ausbildung auftreten, Alberts wirkliche Vorstellungen von der platonischen Philosophie zu

ordine et proportione materiae et partium inateriae dat formam et hoc est quod dicit Plato, quod seeundum materiae meritum a datore formarum dantur omnes iormae.

' A. a. O. a. 5, p. 186: Et cum ipse [Plato] videret, quod primum ef- ficiens nihil habeat de potentia nee sit compositum, ipse putabat quod licet in se non impediri posset ab actu, tarnen impediri posset ex defectu reci- pientis operationes eins. Cum igitur forma aliquo modo sit in efficiente, vidit bene quod ipse illam ex se aliquo modo dare potuit. Qiiia autem nihil sibi est in potentia, potentia enim fuit in ipso: et ideo illam ut sibi vide- batur, ex se producere non potuit et ideo dedit eam sibi ab aeterno. Et haec ratio omnes philosophos coegit ad ponendum materiam esse aoternam.

erblicken berechtigt sind. Albert führt die gesamte Prinzipienlehre Piatos darauf zurück, daß dieser in Ermangelung des Schöpfungs- begriffes bei allem Seienden auf die nächsten Wesensprinzipien geachtet habe. So sei er zur Aufstellung eines dreifachen Prin- zips gekommen: zunächst kam das materielle Fundament und die Wesensform; da nichts sich selbst schafft, an zweiter Stelle eine Wirkursache, der Werkmeister; und da dessen vernünftige Tätig- keit sich und alle Teile des Werkes auf dessen Zweck hinrichtet, so mußte Plato noch Urbilder oder ideale Formen als drittes Prinzip annehmen ^.

± Wie in den Sentenzen, so behandelt Albert auch hier zu- nächst die Frage nach dem Wesen der Materie, das in Überein- stimmung mit dem bisher Behandelten in dem Charakter der Materie als eines allgemeinen Substrats des Werdens gesehen wird. Plato führt dies in einer von Albert zitierten Timaeusstelle aus: „Die Natur, die alle Köj-per aufnimmt, tritt (deshalb) keineswegs aus ihrer eignen Bestimmtheit zurück. Sie nimmt nämlich alles auf, entnimmt diesem aber keine Form, und bleibt, da das Aufge- nommene wie in ihrem Schöße geformt wird, selbst formlos: so ist ihre Anwendung die eines weichen und fügsamen Stoffes, in den verschiedene Zeichen eingedrückt werden; er wird auf jede Weise von ihnen bewegt und geformt, wenn sie in ihn eintreten, hat aber aus seiner Natur keine Bewegung oder Form." Als weiteres Beispiel Piatos nennt Albert noch das Gold, dem zwar verschiedene Figuren aufgedrückt werden, so daß sich immer die eine in die andere umwandelt, wobei aber die Figuren immer an das Gold gebunden sind, dessen Natur sich in nichts ändert"^.

» S.iheol p. II, t. 1, q. 4, m. 1, a. 1, p. 1, p. 59 bs.: Tarnen quia phi- losophi non cognoverunt creationem seeundum quod est actus creantis, sed unumquodque ens consideraverunt seeundum principia proxima enti ut essen- tialia: ideo considerando principia entis compositi quae seeundum ordinem naturae tria sunt, tria principia ponit Plato, scilicet fundamentum in quo esse fundatur, et formam dantem esse. Et quia nihil facit seipsum, cogebatur po- nere efficientem sive opificem. Et quia opifex operatur per intellectum respicit, rationem operis ex fine operis sumptam et dirigit opus totum ad illam et quamlibet partem operis; ideo cogebatur ponere exemplar sive formam

idealem. :

- Für die TifmemsteUe vgl. oben S. 19, Zit. XVII. Tim.hO B. S. tkeol,

p. II, t 1, q. 4, m. 1, a. 1, p. 3, p. G8a: Et dat simile de auro, cui si impri-

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Alberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

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Diese Bestimmungen führen von selbst zur genaueren Fixierung des Semswertes, der einem derartigen Substrate zukommt. Mit dem Timaeus fährt Albert fort: „Da das Bild der Dinge durch eine bunte Mannigfaltigkeit von Formen ausgezeichnet sein soll, so wird der Schoß dieser Bildung nur dann gut vorbereitet sein, wenn er formlos ist und seine Natur aller Formen, die er auf- nehmen soll, entbehrt." Dann folgt Piatos Beispiel von der wohl- riechenden Salbe, bei der der Stoff, wenn er präpariert wird, eben- falls keinen eignen Geruch besitzen darf ^ An den hier gewonnenen Ausdruck „informitas" knüpft Albert an. ZAvar schließt er die Substanzialität von der Materie aus, da etwas nur durch die Form Substanz wird: anderseits ist die Materie aber auch nicht dem Nichts gleichzusetzen; die Formlosigkeit ist, um einen augustini- schen Ausdruck zu gebrauchen, fast nichts; wie Plato hervorhebt, übt das materielle Sein den Akt einer Amme (matriculae vel nu- triculae), die nicht aus eigenem, aber aus dem, was sie anderswoher erhält, empfängt und zeugt. Da sich eine solche matricula nicht zur Aufnahme einer jeden Form gleichmäßig verhält, so läßt Albert hier auch die Auffassung fallen, als ob Plato für alle Dinge imr eine Materie angenommen habe. In unsern Zusammenhang ge- hört auch eine Stelle aus De natura et orif/ine animae, wo Albert meint, ein sachlicher Unterschied zwischen den Positionen des Aristoteles und des Plato bestehe in der Frage nach der Materie nicht. Plato habe dasselbe sagen wollen wie Aristoteles, die Po- tenz der Materie, die den Anfang der Form darstellt, jedoch nicht auszudrücken gewußt. Deshalb habe er die Formen nicht in die Materie verlegt, sondern vom Geber der Formen verliehen werden lassen, anderseits aber davon gesprochen, daß die Materie die Formen verdient, wobei dieses „meritum" eigentlich dasselbe be- deutet wie die inchoatio des Aristoteles 2.

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mantur diversae figurae, mutatur quidem figura in figuram, semper tarnen manet in natura auri a quo nullo modo mutatur. Dies bezieht sich wohl auf Tim. 50 A B (Wrobel, 62, 14—19).

^ Tim. 50 E; vgl. oben, S. 20, Zit. XIX.

' A. a. 0. p. 2, p. 67 a : Dicunt etiam quod media est inter nullam et aliquam substantiam: omnis enim aliqua substantia per formain aliqua sub- stantia est, nulla autem substantia est quae nihil est: et sie materia media est inter nihil et aliquam substantiam: quia intormitas non omnino nihil est,

In der Metaphysik. 49

Im Zusammenhang mit der vorigen Frage steht auch die nach der Ewigkeit der Materie. Zunächst scheint es, daß sie aus den Anschauungen Piatos über die Ewigkeit der Formen und

licet nihil sit eorum quae formata sunt. Et hoc modo dicit Augustinus quod intormitas prope (Borgnet: proprie) nihil est: quia esse materiale actum habet matriculae vel nutriculae, ut dicit Plato: quae ex nullo quod ipsa sit concipit et generatur, sed ex aliquo quod recipit ex altero, sicut semen maris . . . Sed ex hoc non sequitur quod una sit materia omnium : quia . . . non est una analogia talis matriculae ad cuiuslibet formae susceptionem ; De nat, et or. an. t. 1, c. 2, p. 378 bs.: Nee est differentia inter Platonem et Aristotelem in re aliqua sed tantum in modo . . . Plato et Pythagoras idem quidem dicere intendebant, sed nescierunt exprimere materiae potentiam quae est formae inchoatio, et ideo dixerunt a datore primo dari formas et non esse in mate- ria, sed tarnen materiam mereri formam meritum materiae vocantes id quod Aristoteles vocat inchoationem formae sive potentiam sive privationem. Vgl. zu der ersten Stelle Tim. 49 A; jidor^g eJvai ysviascog vjioöo/ip' avttjv olov Tid^ijvrjVy Wrobel, p. 64, 14 65: Ideoque facti generati visibilis animalis matrem corporeaeque substantiae receptaculum neque terram neque aquam nee vero ignem vel aera nee quicquam aliud quod ex iis creatum est, nee vero ex quibus haec ipsa subsistunt appellandum, sed invisibilem potius speciem quandam et informem capacitatem mira quadam et incomprehensibili ratione inter nullam et aliquam substantiam . . . positam, sed quae ex iis quae in ea commutantur, intelligi tarnen posse videatur. Vgl. Tim. 52 C. Augustin entwickelt seinen Begriff der Materie Conf. XII, 3. FL 32, 827: Non tarnen omnino nihil [informis materia]: erat quaedam informitas sine ulla specie; c. 6, col. 828 : Quiddam inter formatum et nihil, nee formatum nee nihil, in- forme prope nihil. Der Begriff des „meritum materiae" wird Xiier {S.theol. q. 4, m. 1, a. 1, p. 2, p. 63 b) auf Boethius zurückgeführt: Et Boethius [dicit] quod secundum meritum materiae formae infunduntur. Wir fanden zwar den Ausdruck bei Boethius nicht, dessen Bestimmungen über die Materie stehen jedoch zu ihm nicht in Widerspruch. Vgl. Comm. in Periherm. sec. ed. III, 9. PL 64, 512 CD: Materia nihil eorum habet quae in se suscipit et ipsa qui- dem nihil actu est, omnia tamen potestate. Alberts Auffassung ist historisch nicht haltbar. Das Wort von dem „meritum materiae" ist erst in einem weit fortgeschritteneren Stadium des Begriffes möglich. Es ist ganz richtig, was Albert an anderer Stelle hervorhob: Der Unterschied zwischen dem platonischen Begriff der Materie und dem des Aristoteles liegt eben darin, daß dieser die „azsQtjoig*^ als Akzidenz der „v?>r]" erscheinen ließ, sie also, begrifflich wenigstens, von ihr unterschied, Plato dagegen dieses Nichtseiende als solches zur Materie machte. Die Verschiedenheit ist aus der für beide verschiedenen Fragestellung begreiflich, die hier wie dort zur Entwick- lung des Begriffs der Materie geführt hat. Für Plato handelt es sich darum zu erklären, wie das Reich des Werdens neben dem der ewig gleichen Ideen bestehen kann, und er findet die Lösung in der Annahme eines Nichtseins, das sich immer und überall dem Seienden beigesellt findet. Auch für Ari- stoteles handelt es sich gegenüber den Verflüchtigungsversuchen der Eleaten Beitr. XTI. 1. Gaul, Alberts d. Gr. Verhältnis zu Plato. 4

50 Alberts Auseinandersetzung mit I>latos Philosophie.

besonders aus der Auffassung der Materie als des zum Werden erforderlichen Substrates dieser Formen mit Folgerichtigkeit her- vorgeht. Bei #r eingehenden Behandlung der Frage ist Albert jedoch anderer Meinung: Aus den angeführten Prämissen folgt akht mehr, als daß die Materie der Natur, nicht der Zeit nach vor dem bestehen muß, was aus oder in ihr gebildet wird. Das Verhrdtnis ist so wie beim Staube und der darin sichtbaren Fuß- spur. Der Staub ist logisch früher als diese, kann aber in der wirklichen Existenz ihr gleichzeitig sein. Das ist auch die Ansicht Piatos: er meint nicht, daß die Materie für die Tätigkeit des Schöpfers die Voraussetzung bildet, wohl aber, daß sie im Hin- blick auf das fertige Werk vorher bestehen muß. Dazu kommt, daß Plato die Existenz aller Dinge, also auch der Materie, aus- drücklich vom Willen Gottes abhängig machte

darum, der Natur, dem Reiche des Werdens und der Veränderung, die volle reale Existenz zu siehern. Aber bei ihm ist die Frage speziell dahin zuge- spitzt, wie die unabweisbare Tatsache des Entstehens und Vergehens mit dem von den Eleaten und von Aristoteles in gleicher Weise vertretenen Satze, daß aus nichts nichts wird, in Einklang gebracht werden kann. Nach Aristoteles ist dies nur möglich, wenn allem Werden ein Substrat zugrunde liegt, das als bloße Möglichkeit zwischen Sein und Nichtsein in der Mitte steht, oder in der weiteren Entwicklung des Begriffs an sich ein Seiendes, aber beziehungsweise, d. h. im Hinblick auf das werdende Ding, ein Nichtseiendes darstellt. Vgl. Baeumkcr, a. ct. 0, S. 216.

* A. a. 0. a. 2, p. 75b: Materiam ... dixit aeternam sive increatam; a. 1, p. 3, p. 67 b -70 a; p. 69 bs.: Materia per illam rationem non probatur antecedere omne creatum et formatum nisi ordine naturae: sicut ordine na- turae pulvis praecedit vestigium pedis in pulvere, quamvis secundum esse et durationem possit esse cum ipso ... Nee Plato intendit quod ex ratione actionis primi opificis oporteat praesupponi materiam, sed quod ex ratione operati operis et constituti in esse perfecto ordine naturae, oporteat praeexi- stere materiam; p. 69 b: Unde Plato sie dicit: Cuncta sui similia prout cuius- que natura capax poterat esse beatitudinis, effici voluit: quam quidem volun- tatem Dei originem rerum certissimam si quis ponat, recte eum putare con- sentiam. Unde patet quod Plato materiam in materiato vult esse creatam, et non habere ordinem prioritatis ad alia nisi naturae: sicut est ordo funda- menti ad superaedificata. Diese Deutung ist jedoch höchst ungereclitfertigt. Gerade die Stelle „prout cuiusque etc." hätte Albert darauf hinweisen können, daß bei Plato ein Prinzip von Ewigkeit neben dem Schöpfer steht, das dessen Willen begrenzt. Für Alberts Auffassung vgl. noch a. a. 0. p. 1, p. 60 a. Wie sehr schon die alten Erklärer in unserer Frage auseinandergingen, zeigt Baeumker in: Philos. Monatshefte XXIII, 513 ff.

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3. Auch in der theologischen Summe läßt Alberts theologi- sches Interesse ihn nur die Frage nach der Existenzweise der Ideen aufwerfen, die hier ständig als Urbilder der als Wesens- prinzipien der Dinge dienenden niederen Formen gefaßt werden. Das Zeugnis August ins scheint in den Timaeusstellen eine Stütze zu finden, die auseinandersetzen, wie der Weltbildner sein in un- vergleichlicher Schönheit strahlendes Werk nur nach einem reinen, ewigen und unveränderlichen Bilde schaffen konnte, einem über alles kostbaren „mundus archetypus" ^. Außer der schon ange- führten Stelle aus dem Werke des Lombarden stehen dieser Auf- fassung jedoch mehrere andere Momente entgegen: einmal die im Timaeus behauptete Vielheit der Ideen-, dann ihre oft erwähnte getrennte Existenz. Albert folgert diese aus fast allen Timaeusstellen y die sich mit den Ideen beschäftigen. Um nur eine zu erwähnen, Plato gründet die Annahme der Existenz von Ideen auf den Unter- schied von intellektuellem Erkennen und Meinen. Dieses letztere ist ein Zustand des Hin- und Herschwankens der Seele und muß also auf ein unsicheres Objekt gerichtet sein, wie es sich in den in die Materie versenkten Formen bietet. Denn da diese Formen ständig „wie im Euripus" ^ schwanken, so ist über sie nichts Sicheres auszusagen, es gibt von ilmen kein Wissen, nur eine Meinung. Das mit dem Intellekt erfaßte Wesen der Dinge dagegen bleibt sich gleich, unabhängig von Raum und Zeit. Es muß also eine

' Vgl. Tim. 51 C: Archetypa exemplaria.

* A.a.O. a. 2, p. 73 bs.: Ibidem Plato dicit quod ad unum vultum opifex non potest facere diversa in forma . . . Adhuc Plato ibidem, intelligen- dum fieri non posse ut una existat facies quae omnes rerum formas vultus- que contineat, variaque corporis undique ora demonstret: ergo secundum Platonem unum non potest esse, quod sit imago et exemplar omnium for- marum: oportet ergo quod hoc ponat sub diversitate: et sie non sunt in mente divina, sed extra. Das erste Platozitat findet sich nicht im Timaeus; das „ibidem" scheint darauf hinzuweisen, daß es. aus den vorher angeführten „Historien" (d. i. der Htstoria scholastica des Petrus Comestor) entlehnt ist. Für das zweite Zitat vgl. oben, S. 20, Zit. XVIII. Tim. 50 D.

^ Albert erklärt diesen als die „ebullitio maris" (s. S. 52, Anm. 1); in Wirk- lichkeit meint Plato {Tim. 53 A, Phaed, 90 C) mit dem Wort die Meerenge zwischen Euböa und dem Festlande, in der man den Wechsel von Ebbe und Flut siebenmal am Tage beobachten konnte (nach Strabo IX, 403).

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getrennte, wirkliche Existenz besitzend Aus den angedeuteten Schwierigkeiten hilft sich Albert in unserer Schrift durch eine neuplatoniseh-emanatistische Ausdeutung der Ideenlehre. Plato lä&t zwar die Formen und Urbilder zunächst als Gedanken im göttlichen Geiste bestehen, aus dem sie jedoch von Ewigkeit zu eigener, getrennter Existenz im Lichte der Intelligenzen hervorgehen. Dort sind sie das sincerum et venerabile exemplum des Titnaeus, der mundus archetypus, der das Wesen der irdischen Dinge dar- stellt. Für Gott sind sie jetzt Vorbilder, auf die gestützt er die Sinnendinge als deren Abbilder formt; und zwar geschieht dies so, daß er die getrennten Formen als Siegel benutzt, deren Bild er der Materie aufdrückt. Daneben findet sich auch die konse- quent weitergeführte emanatistische Auffassung, die die Formen von dem göttlichen Geiste über die Sterne als Sitze der Gestirn- geister, die Himmelskreise und die elementaren Qualitäten in die Materie eindringen und sinnfällig werden läßt 2. In ausführlichste!' Weise wird diese Betrachtungsart jedoch in der mehrfach ange- führten Digression der Metaphysik dargestellt. Sie knüpft äußer-

* A. a. 0. p. 74 a: Hoc idem probat per distinctionem intellectus et opinionis. Opinio enim cum sit tremens habitus, necesse est obiecti trementis esse. De formis autem in materia existentibus quae continue, ut dicit Plato, tremunt, tamquam in Euripo hoc est in ebuUitione sint (Euripus enim ebul- litio maris est), nihil certum, nihil stabile concipi vel dici potest: unde de his non potest esse nisi opinio et nihil de his sciri potest . . . Essentiae autem rerum secundum se acceptae per intellectum in principiis essentialibus, uno et eodem modo sunt ubique et semper. Ergo istae separatae sunt et intelli- gibiles et verae sunt. Vgl. hierzu 77m. 51 DE, 53 A.

- A, a. 0. p. 75 a: Dixit ex exemplaribus quae munduni archetypum vocavit, mundum istum sensibilem sie constitui quod sementem omnium rerum in exemplaribus sive formis aeternis diis secundis attribuit: et sie fornias universi extra meutam Dei positas per deos caelestes, hoc est Stellas et orbes et qualitates elementales materiae invehi et sie formas aeternas sensi- biles fieri; a.a.O. p. 76a: Formas quae sunt rerum essentiae et veritates ab aeterno ex se productas fecit et eas luminibus intelligentiarum accommodavit ut his in factura mundi et formationibus rerum sensibilium tamquam admini- culantibus exemplaribus uteretur tamquam prototypis ad quae formaret ima- gines sensibilium; «. a. 0. p. 76 bs.: Plato . . . rationis divinae dixit esse exemplaria quae sunt in mente divina . . . lila ab aeterno dixit in esse di- stinctum producta ab opifice, ut postea creando mundum sensibilem illis ute- retur ut sigillis; a. a. O. p. 76 b: Uti eis opificem tamquam sigillo per quod imagines earum materiae imprimeret.

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lieh an die Frage an, welcher Art die Teilnahme ist, die bei Plato die Sinnendinge mit den Ideen verbindet. Von dem bei Albert oft zitierten Befehle des Weltbildners an die Untergötter im Timaeus ausgehend, führt sie unter völliger Umdeutung des dort Gesagten aus, wie der Gott der Götter die Aussaat der ganzen Natur ge- fertigt und den Untergöttern zur weiteren Verarbeitung übergeben habe. Unter dieser Aussaat ist das Licht der ersten Ursache zu verstehen, eine gänzlich einfache Idee, die aber in ihrer Ursäch- lichkeit allgemein ist und deshalb die Formen von allem in reinerer Art in sich faßt. Sie tritt aus dem „paternus intellectus" heraus und verbindet sich mit dem Lichte der Gestirnbeweger. Mit dem Lichte der ersten von ihnen vermischt und so determiniert, kommt sie zum zweiten und dritten und so weiter, indem sie alle formt und von allen Bestimmung erfährt. Von dort gelangt sie das Nähere kann wegen des verderbten Textes nicht angegeben werden durch die Himmelskörper, deren Bewegungen und Bestrahlungen, in die Elemente, wo sie eindeutig determiniert und individualisiert wird. Dies der Sinn des Auftrags an die Untergötter, den vom Weltbildner bereiteten Samen weiter auszubilden ^ Wem Albert

* Met. 1. I, t. 4, c. 12, p. 81 b— 83 a: Plato enim dixit sementem omnis naturae facere Deum deorum et tradere eum diis inferioribus ad par exse- quendum in rebus physicis. Hoc autem dicebat fieri per lumen causae pri- mae ... Sic igitur Plato: Paterni intellectus lumen eins qui est pater, om- nium una et simplex est idea virtute quidem et causalitate universalis et ideo in seipsa praehabens virtualiter omnes omnium formas excellentiori esse quam sint. in seipsis: quoniam in intellectu paterno sunt lux et vita ipsius operativi intellectus: et haec idea procedens ex ipso coniungitur luminibus omnium motorum orbium et motuum totius orbis et miscetur cum ipsis et ipsi desiderant eam sicut formantem lumina sua propria: et motus processus eius est quod mixta lumini primi motoris sie determinata procedit in secun- dum et ex illo determinata procedit in tertium et sie procedit in omnes omnes informans et ab omnibus accipiens determinationem : et hoc est semen- tem primum virtute multiplicabilem Deum deorum facere et diis inferioribus tradere : ipsisque praecipitur ut exsequantur eum per infusionem eius in virtute caelestium corporum per omnem periodi mensurara in omnibus lumi- narium applicationibus et praeventionibus et radiationibus trigonis et exa- gonis et tetragonis tam accedendo quam recedendo sumptis, et ut universaliter dicatur, in omnibus periodi partibus et virtutibus planes et aplanes motuum in circulo perfectorum: et tunc efficitur plus a pluribus determinata et plura informans, et sie infunditur elementorum virtutibus: et in illis simpliciter determinata informat omnis et infunditur particulari generanti et materiae

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diese Darstellung verdankt ^ ließ sich nicht nachweisen. Soviel kann man jedoch sagen, daß die ganze Auffassung dem Neu- platonismus entstammt, wie ihn die arabischen Philosophen des Mittelalters (AvicennaPj ausgebildet hatten.

4. Zum Schlüsse der Untersuchungen in der theologischen Summe wirft Albert noch die Frage auf, ob Gott bei Plato als Schöpfer oder nur als Weltbildner anzusprechen sei. Für den ersten Teil- der Alternative spricht die Stelle des Timaeus, die die ganze Sinnenwelt auf Gottes Willen als die einzige Ursache zurück- führt, desgleichen Gottes von Plato statuierte Unveränderlichkeit -. Trotzdem entscheidet sich Albert für den zweiten Teil-^ Denn Schöpfen heißt etwas aus Nichts hervorbringen; bei Plato aber benutzt Gott eine von Ewigkeit her vorliegende Materie, selb- ständige Vorbilder und außerdem Untergötter, Sterne, elementare Qualitäten als Werkzeuge. So ist er nicht Schöpfer, sondern Bildner der Welt. Der Wille Gottes ist bei Plato die erste, nicht die nächste Ursache der Weltbildung, und die Behauptung der Unbeweglichkeit Gottes wird eben sinnlos, wenn dieser Gott da- neben als Weltbildner in der Art eines Künstlers, der sich Werk- zeuge bedient, hingestellt wird'.

particulariter generantis: et ex omnibus virtutibus illis illa iterum determi- nata et informans eas, efficitur tunc huic vel illi materiae eongrua, simplex in se quidem in essentia existens: sed omnium quibus determinatur, habens virtutes: et sie ideatur id quod generatur: et hoc est deos sementem a Deo deorum aeeeptum ad par exsequi. Vgl. auch Eth. 1. X, t. 1, c. 1, p. 601 a.

^ Der Gedanke an fremde Herkunft der zitierten Stelle wird durch deren Einleitung: Sic igitur Plato: etc. nahegelegt.

^ A. a. 0. a. 3, p. 77 b: Videtur quod Plato non posuerit Deum opificem: sicut cnim . . . praeinductum est, Plato dixit quod si quis posuerit Dei volun- tatcm solani causam esse eorum quae facta sunt in mundo sensibili, dicit euni non errare, sed veritatem dicere . . . Plato posuit quod Dens nee a seipso nee ab alio movetur, sed oranimode immobilis est. Tim. 29 DE. Vgl. oben,

S. 16 f., Zit. VI.

' Diesen Widerspruch gegen die Auffassung, wie sie vorher in der theologischen Summe niedergelegt ist, weiß sich der Verfasser nicht zu erklären. Vgl. auch unten, Abschn. II.

* A. a. O. 78 a: Plato autem posuit praeiacentem ab aeterno materiam et posuit exemplar artis ab aeterno in seipso consistere et Deum ... uti diis deorum et stellis et qualitatibus elementalibus in productione imaginum sen- sibilis mundi in materiam ... et hoc non est ex nihilo aliquid facere sed ex aliquo et per aliquid sicut ad formam et aliquo cooperante sicut instrumento.

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§ 4. Alberts Stellungnahme

1. Stellen wir jetzt die Frage, wie sich Albert zu den be- handelten Lehren stellt, so haben wir zunächst daran zu erinnern, daß auch diese Stellungnahme verschieden ausfallen muß, je nach- dem Albert ihnen als aristotelischer Philosoph oder als Theologe gegenübersteht. In den aristotelischen Schriften ist sie im wesent- lichen eine Reproduktion dessen, was der Stagirite gegen seinen Lehrer vorgebracht hatte.

2. Eine ausgesprochene Polemik gegen den platonischen Be- griff der Materie suchen wir bei Albert vergebens. Nur indirekt liegt in der Verteidigung einer abweichenden Ansicht ein Angriff gegen die Auffassung Piatos. Aber auch dieser richtet sich, wie wir sehen werden, nicht gegen den ursprünglichen Begriff der Materie selbst. Materie und privatio ist nämlich, wie Albert ganz richtig erkennt, keineswegs ein und dasselbe; in langen Auseinander- setzungen der Physik^ sucht er die Unterschiede zwischen beiden klarzulegen. Den eigentlichen Begriff der Materie teilt er (ebenso wie Aristoteles) mit Plato, er führt aus, wie die Potenzialität der Materie die eines Substrates ist und gleich bleibt, ob ihr nun die Form oder die Privation der Form anhaftet. Darum muß auch die Materie unentstanden und unvergänglich sein, denn wenn sie vergänglich wäre, so hätte man wieder ein Subjekt anzunehmen, an dem diese Veränderung vor sich ginge. Dann aber wäre dies die Materie, denn die Materie ist das erste Subjekt des Werdens -. Was Albert von Plato trennt, ist die Annahme eines in der Materie liegenden, der Form entgegengesetzten formellen Prinzips, der apti- tudo oder inchoatio, anders gewendet, der privatio formae, die

Posuit ergo Deum non esse creatorem, sed opificem et artificem mundi. Albert verweist für die hier zugrunde liegende Auffassung von der platonischen Materie auf seine vorhergegangenen Ausführungen, in denen er doch das gerade Gegenteil zu beweisen gesucht hatte.

' Fhys. 1. I, t. 3, c. 16 u. 18, p. 85 a— 87 b; 90 a— 91 b.

" A. a. O. c. 18, p. 90 b: Sed tamen potentia materiae quae est potentia subiecti, non corrumpitur: quia hoc modo manet et sub privatione et sub forma. Et ideo necesse est materiam esse et incorruptibilem et ingenitam. Si enim generari detur, tunc oportet secundum praedicta documenta quod gene- rationi qua generatur materia, aliquid subiciatur. Quod autem subicitur generationi materiae, prius est generatione, cum sit principium eins : sed sub- iectum primum generationis est materia.

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die Grundlage für das Streben der Materie zur Form darstellt. Der letztere Begriff ist es, dem zuliebe Albert diese privatio ein- fuhrt, ohne allerdings dessen Notwendigkeit zu beweisen. Er meint, daß Plato nur deshalb nicht auch eine privatio angenommen habe, weil er nicht wußte, wie sie sich mit der Materie mischen könne ^. Man sieht, die Verschiedenheit der beiden Ansichten betrifft eigent- lich weniger den ursprünglichen Begriff der Materie, sondern die Fassung des Verhältnisses von Materie und Form. Plato ließ die Form völlig von außen in die Materie eintreten, nach Aristoteles und Albert wird sie aus der Materie eduziert^.

Wenden wir uns der zweiten Hauptart der oben erwähnten Prinzipien zu, so bemerken wir, wie Albert in langen Auseinander- setzungen ^ all das wiederholt, was Aristoteles im neunten Ka- pitel des ersten Buches seiner Metaphysik der Lehre seines großen Vorgängers entgegengehalten hatte. Da Albert nicht wesentlich über das hinausgeht, was ihm seine Vorlage bietet, so hat es wenig Wert, diesen oft nicht gerade sehr klaren Gängen hier zu folgen. Wir heben darum nur das Wichtigste hervor, was auch in den theologischen Schritten von ihm aufgegriffen wird und mithin in sein eignes Denken übergegangen ist. Wie Albert mehrfach be- tont, liegt das stärkste Argument gegen die platonische Ideenlehre daiin, daß sie den Zweck nicht erfüllt, den ihr Urheber von ihr erhoffte. Die Ideen haben nämlich ebensowenig Bedeutung für das Entstehen und Sein der Dinge wie für das Erkennen. Wie sollen die getrennten Ideen, wie Plato sie annimmt, eine Wirkung auf die Dinge ausüben können? Sind sie doch weder in der Lage, irgendeine Bewegung noch eine Verändeiung in ihnen hervorzu- rufen. Was die Materie bewegt, ist in der Materie (so ist z. B. der Geist im Körper); wenn es nämlich nicht in der Materie wäre, so würde es die Materie nicht berühren, ohne dies aber überhaupt

* Ä. a. 0. c. 16, p. 86 ab: Plato . .. despexit ponere [privationem], quia non vidit qualiter materiae niiscetur.

- Mtt. 1. XI, t. 1, e 8, p. 595 a: Adhuc autein secundum Platonem forma non educitur de potentia, sed inducitur in ipsam. - Eine Weiterbildung des Begriffs der Materie ist hier allerdings vorausgesetzt. Vgl. Baeumker, Problem der Materie, S. 241; v. Hertling, Materie und Form und der Begriff der Seele bei Aristoteles, 1871, S. 18 f., 74, 86 ff.; ders., Albertus Magnus, S. 92, 95, 109.

=* Met. 1. I, t. 5, c. 5-14, p. 95 b— 111 b.

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nicht bewegen können. Überhaupt kann die Substanz nicht von dem getrennt sein, dessen Substanz sie ist. Wenn etwas für ein anderes Ursache des Seins sein soll, so ist das nur möglich, wenn es mit dem Sein dessen gemischt ist, das an ihm teilhat. Sagt man doch auch nur dann, daß das Weiß Ursache des Weißseins eines anderen ist, wenn es mit diesem weißen Dinge vermischt, aber nicht, wenn es \oh ihm getrennt ist. Die Ideen sind auch nicht Prinzipien des Erkennens. Denn einmal sind die Prinzipien des Erkennens und des Seins dieselben, und dann erkennt man jedes Ding durch sein Wesen und nicht durch andere Substanzen, die dem Sein nach von ihm verschieden sind^

3. Es entspricht der Dürftigkeit der Darstellung, die uns der Sentenzenkommentar von der Lehre Piatos gibt, wenn wir auch nach einer ausführlichen kritischen Auseinandersetzung dort ver- gebens suchen. Die Ablehnung des platonischen Begriffs der Ma- terie betrifft zwei Punkte, die Ewigkeit und die Allgemeinheit der

* Met. 1. 1, t. 5, e. 8, p. 99 b s.: Maxime autem inter omnia praehabita ali- quis considerans subtiliter dubitabit, quid utilitatis conferre possunt speqies ideales sempiternae secundum esse his quae sunt facta vel corrupta de numero sensibilium existontibus: talis enim species idealis supposita nee potest esse causa motuB . . . nee . . . transmutationis alicuius ... et hoc est ideo quia movens materiam est in materia . . . quoniam si non essent intus, non tangerent: et si non tangerent, non agerent: et si non agerent, non sequeretur alteratio ... Nullius substantia quae est esse ipsius, separatum habet esse ab ipso ... Sic autem separatem existentia nee ad scientiam nee ad esse conferunt, cum eadem sint principia essendi esse et cognoscendi ipsum ; Met. 1. XII, t. 1, c. 7, p. 704 a b : Quod autem maxime omnes inter omnia dubitare facit, sicut etiam in primo libro huius sapientiae dixi- mus, hoc est, quid conferunt ipsae species ideales ad scientiam, vel ad gene- rationem : . . . Sed nee iuvabit aliquid ad scientiam eorum quae sunt alia secundum esse ab ipso: quia omne quod scitur, per formalem causam agno- scitur, quae est substantia non distincta et separata ab esse eins quod scitur: ... Nee etiam ideae conferunt ad esse: cum enim ponantur esse separatae secundum esse, non ponuntur esse in participantibus eas secundum esse: non sunt autem causae esse nisi sint mixtae ipsi esse participantium eas: quia sie aliquis vere opinabitur album esse causam album esse aliquid quando secundum esse est mixtum albo et non separatum ab illo quod est album. Vgl. Ar ist., Met. I, 9, p. 991 a 9 16: tiolvkov de fidhaia diajioQi^oeiev äv tig, xi :ioxe ovfißdUeiai xd eidri xoig di'dioi? xd)v ala§T)X(bv 7} xoXg yiyvojusvoig xai <p&£iQOfievoig. ovxe ydg xivtjoeojg ovxe ^FxaßoXfjg ovöe^iäg soxiv aixia aieoig. dUd ^irjv ovde :7iQ6g xrjv imax^firjv ovökv ßorj&ei xrjv xatv äkloiv (ovde ydg ovaia ixelva xovxwV er xov- xotg ydg dv ^v, ovxe sig x6 slvai, fii] svvJiaQXovxd ye xoTg fiexi^ovoiv. ovxm ^ev ydq dv Xowg aixia öö^eiev eivai (bg x6 kevxov fiefiiy^ievov x(p kevx(p. \

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Materie. Bezüglich der letzteren bemerkt Albert, daß das, was aus sich besteht und keine Möglichkeit der Bewegung in sich schließt, nicht in der gleichen Weise subsistiert wie das, dem eine Potenz zum Orte anhaftet oder gar das Sein selbst Möglichkeit ist ^ Man sieht, es kommt Albert darauf an, daß der Unterschied der körperlichen und geistigen Substanzen gewahrt bleibt. Wir sehen aber auch, daß der hierin liegende Vorwurf Plato gar nicht trifft, da bei ihm selbst das materielle Substrat der Ideen von der Materie der Sinnendinge durchaus verschieden ist. Die Annahme, man müsse der Gottheit in der ewigen Materie das für ihre Tätig- keit notwendige Substrat verschaffen, beruht nach Albert auf einer Verwechslung des göttlichen Wirkens mit der Naturwirksamkeit. Göft ist durch seinen Willen tätig und schafft sich die Materie aus dem Nichts 2. Die Ablehnung der platonischen Ideenlehre er- streckt sich auf die gesonderte Existenz der Ideen und speziell auf die Beschränkung, die dem göttlichen Wirken und Erkennen erwächst, wenn es an unabhängige Ideen neben ihm gebunden ist. Die Gründe, die Plato für die Ideenlehre vorbrachte, sind nicht stichhaltig. Die Wissenschaft richtet sich zwar auf ein unkörper- liches Allgemeine; dies hat jedoch nur Bedeutung für das Erkennen, nicht für das Sein. Das Entstehen, speziell das der Lebewesen, glaubt Albert aus dem Zusammenwirken der elementaren mit den himmlischen Kräften und mit denen der Art erklären zu können •\ 4. Auch in der theologischen Summe lautet das Fazit, das Albert aus seiner Beschäftigung mit der platonischen Philosophie zieht, negativ. Zwar läßt seine Umdeutung des bei Plato vor- liegenden Begriffs der Materie an entscheidender Stelle eine ab- lehnende Stellungnalnne nicht zu S das hindert ihn jedoch nicht,

* Sent. 1. II, d. 1, a. 4, p. 15 a.

' A. a. 0. a. 5, p. 18 b: Sed deeeptio est in hoc quia procedunt ac si Deus agat per necessitatem naturae: quia tune absque dubio impediretur si non haberet in quid actiones imprimeret suas. Sed nos ponimus quod agit per imperium et ita de nihilo educit eani. In der Frage nach der Ewig- keit der Materie richtet sich Albert mit derselben Schärfe wie gegen Plato auch gegen Aristoteles. Vgl. ^^ ^ä<?o/. p. II, t. 1, q. 4, m. 2, a. 2, p. 84 a— 85 a; Phi/s. 1. VIII, t. 1, c. 14, p. 553 a— 555 b.

* Sent.y a. a. 0. p. 17 b s.

* Ä theol. p. II, m. 1, a. 1, p. 2, p. 67 aj p. 3, p. 69 a— 70a.

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kurz darauf zu erklären, daß Plato bezüglich der Materie in dop- pelter Hinsicht geirrt habe: einmal weil er sie für ewig hielt, und dann weil er die Form nicht aus ihr hervorgehen, sondern von außen in sie eintreten ließ ^ Die Ideenlehre lehnt Albert auch in der Fassung ab, die in den Ideen zwar von Gott geschaffene, aber von Ewigkeit aus ihm zu getrennter Existenz hervorgegaHgene Wesenheiten sieht. Dagegen wird auch hier der Einwand des Aristoteles geltend gemacht, daß die Natur ein principium in- trinsecum ist und die Ursache des Seins eines Dinges nicht völlig von diesem selbst getrennt sein kann 2. Die Forderung Piatos, daß die Formen der Dinge aus einem reinen und unveränderlichen Vorbilde hervorgegangen sein müssen, beweist nur, daß alle Formen von Ewigkeit in Gottes Geist bestanden haben; gegen den Beweis aus der Verschiedenheit von Intellekt und Meinung wendet Albert dasselbe ein wie in den Sentenzen. Es ist nicht notwendig, daß das, was für das Erkennen unveränderlich und notwendig ist, auch in Wirklichkeit diese Eigenschaften besitze, die behandelte Frage betrifft aber die realen Prinzipien der individuellen Einzel- existenzen '^

5. Lehnt Albert die Lehre Piatos somit in allen Stadien seines Philosophierens in gleicher Weise ab, so sucht er sie doch anderseits auch, ebenso wie den in ihr enthaltenen Irrtum, zu ver- stehen. Schon in den Kommentaren zu Aristoteles finden sich solche Stellen. Albert meint, die Ansicht, daß die vor den Dingen exi- stierenden getrennten Formen, z. B. das Tier an sich, aus der idealen Einheit und den Prinzipien der Größe zusammengesetzt sind, sei keineswegs, wie manche glauben, völlig lächerlich. „Denn in allem stammt die Einheit von der Form und in jeder Gattung nmß eine intentionale Form existieren, die diese Gattung dar- stellt ... Als getrennte Form stellte Plato sie aber deshalb hin, weil sie in ihren Wesensbestandteilen von keinem der späteren Dinge abhängt-^ K Mit diesen Worten erkennt Albert indirekt die eingangs

* A. a. 0. a. 2, p. 75 b.

2 A. a. 0. p. 75 a; m. 2, a. 1, p. 81 b. A. a. 0. p. 83 a b.

De an. 1. I, t. 2, c. 2, p. 140 b: Ibi enim dixit quod ipsum animal quod est forma separata et est genus continens in se species animalium exi-

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Albcrts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

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dargestellte Betrachtungsweise, die zur Aufstellung der logischen Prinzipien des Eins und des Großen und Kleinen führte, als be- rechtigt an. Im Prinzip sind also die platonische und die aristo- telische Lehre einander gleich. Der Kommentar zu den Sentenzen fuhrt Piatos ganze Stellung darauf zurück, daß dieser sich beim Philo- sophieren von logischen Gesichtspunkten leiten ließ. Albert sagt: ,Der Grund für den Streit zwischen Plato und Aristoteles liegt meiner Meinung nach einzig und allein darin, daß jener den All- gemeinbegriffen nachging und so die Prinzipien der Dinge finden wollte. Aristoteles verfuhr anders und suchte die Prinzipien der Dinge aus deren Natur zu erforschen" ^ Am weitesten geht Albert in der theologischen Summe, Auf eine Objektion, die zunächst kurz die Lehre Piatos über die getrennten Formen erwähnt und dann den Gegenbeweis des Aristoteles kurz zusanmienfaßt, wonach solche Formen keinen Wert haben, weil sie weder für das Sein noch für das Erkennen etwas nützen, antwortet Albert: „Und vielleicht hat dennoch Plato das Richtige gesagt. Denn notwendigerweise müssen die Prinzipien früher sein als das Abgeleitete und von ihnen Hervor- gerufene. Sind also die Formen Prinzipien der Dinge und des informierten Seins, so sind sie und sind als Prinzipien vor dem informierten Sein. Fragt man aber, wo sie sind, so ist dies eben die von Porphyrius betreffs der Universalien und der ersten Prinzipien aufgeworfene Frage. Sie sind aber ohne Zweifel in ihren Prinzipien, das heißt in den Ausstrahlungen und Einflüssen der ersten Ursache auf die Intelligenzen und der Intelligenzen auf die Gestirnsphären und der Sphären auf die Elemente und der Elemente

stens ante hoc, constituitur ex ipsa idca unitatis et prima longitudinc et lati- tudine et altitudine ... Et non fuit Piatonis intellectus irrisorius quemad- moduni multi crediderunt. In onmibus enim unitas est a forma et oportet quod in quolibet genere uno fuit una forma prima secundum intentionem quae est genus illud . . . Separatam autem posuit eo quod per essentialia sibi non dependet ab aliquo posteriorum. Eth. 1. I, t. 5, c. 11, p. 71 b: Quaestio obvia huie doctrinae et doctrina offendens in hac quaestionc a principiis suis eadem videntur.

* Sent. 1. II, d. 1, a. 4, p. 15 a: Hoc enim meo iudicio omnis causa fuit controversiae inter Platonem et Aristotelem quod ille rationes universalium sequi voluit et ex illis rerum principia quaesivit. Aristoteles autem non sie, sed ex naturis rerum quaesivit principia rei.

auf die in den Samen und den Erzeugten liegenden bildsamen Kräfte. Denn so gehen die Formen oder Ideen von dem göttlichen Geiste aus und in die gestalteten oder informierten Dinge ein. „Dies, meint Albert, sei auch nicht gegen die Meinung des Aristo- teles" i. An dieser Stelle fehlt also jeder Widerspruch gegen die in der theologischen Summe überhaupt herrschende Auffassung der platonischen Ideenlehre. Wenn wir trotzdem der Stelle im Gegen-- satze zu v. Hertling- keine entscheidende Bedeutung beilegen, so geschieht es, weil Alberts Urteil im zweiten Teile der theologischen Summe, wo er sich in extenso mit Plato auseinandersetzt, wesent- lich schärfer ausfällt und nur wenig durch versöhnliche Momente gemildert erscheint =\ Albert hat sich im Prinzip von der arabisch-

^ S. theo?, p. I, q. 55, m. 2, a. 1, p. 561 a: Et forte Plato dixit verum. Necesse est enim principia esse prius natura et prius esse principia quam principiata. Unde si formae sunt rerum principia et esse formati, et sunt et principia sunt ante formata. Et si quaeritur ubi sint, quaestio Porphyril est quia ita quaerit de universalibus et primis principiis. Pro certo in suis principiis sunt quae sunt lumina et influentiae primae causae in intelligentias et intelligentiarum in orbes et orbium in elementa et elementorum in virtutes formativas seminum et generatorum : sie enim ex mente divina formae sive ideae prodeunt in ideata sive formata ... Et hoc non negat Aristoteles, sed negat quod formae sunt ante rem per seipsas et secundum seipsas separatim existentes.

^ Albertus Magnus, S. 89 f.

=' Daß diese nicht ganz fehlen, zeigt die Stelle a.a. O. m. 1, c. 2, p. 77 a: Ratio tamen Piatonis fuit . . . quia omnis rei consideratio triplex est, scilicet in principiis suis primis simplicibus et sie consideratur in formis quae sunt ante rem: et in formis dantibus esse rei quae sunt formae existentes in re: et in formis quae sunt intentio rei ab ipsa re abstracta per rationem. Im Anschluß hieran kommt Albert auf die Universalienfrage zu sprechen: Et ideo dixit triplex esse universale, scilicet ante rem, in re et post rem. Er führt also diese, zunächst von Avicenna herrührende Formel hier wie auch an mehreren anderen Stellen (z. B. Phys. 1. I, t. 1, c. 6, p. 13 b; De caus. et proc. nn, 1. II, t. 2, c. 22, p. 512 b) auf Plato zurück. Damit verbindet sich dann jedesmal eine, ebenfalls dem Plato zugeschriebene, neuplatonisch gehaltene Aus- deutung ihres Sinnes. Die zuletzt angeführte Stelle lautet: Et propter hoc distinxit Plato triplex universale, scilicet universale quod est ante rem quod in lumine intelligentiae agentis est facti vum rei constitutivum. Et universale in re quod est simplex essentia.rei per formam et imaginationem universalis quod est ante rem. Et est universale quod est post rem quod a re ipsa abstractum et separatum est a re per intellectum, quod ut dicit Aristoteles, accidens est rei: hoc enim non dicitur universale quod sit simplex natura eins quod est,

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Atberts Auseinandersetzung mit Piatos Philosophie.

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neuplatonischen Emanationslehre freimachen wollen, ist aber im einzelnen immer wieder darin zuriickgetallen.

In der theologischen Summe entwickelt Albert nun auch seine eigene Ideenlehre, die reiche innere Beziehungen zu Plato aufweist. Da diese Gedanken aber direkt der patristischeii Literatur entlehnt sind, so würde ihre Behandlung außerhalb der hier gesteckten Grenzen fallen^.

Nach Albert ^ sind die Ideen die Momente, die wir auf Grund

sed ab hac potentia quod id quod est de multis et in multis, unius rationis est quando separatur ab ipsis. Et primum quidem universale in lumine aorentis constitutivum est. Secundum autem esse et ratio rei est. Tertium autem re posterius est et a separatione a re causatum. Primum ergo est causativum. Secundum autem causa et causatum. Tertium autem causatum tantum. (Zu Lih. de caus, §9. Bardenhewerp. 174.) Ausdrücklich findet sich bekanntlich das dreifache Universale: ujto zufv jioV.wvj .iqo tw»' 7ioX?.wv und SV ToTg j[o/iXoTg bei Proklus; vgl. Procl. in primum EucUilis Elementorum lihnim commentarii, rec. G. Friedlein (Leipzig 1873), Prol. TI, p. 51. Eine Kritik fehlt in jeder der angeführten Stellen gänzlich, diese erscheinen vielmehr als Bestätigung dessen, was Albert selbst vorher ausführt. (Wo Albert in oben nicht angeführten Stellen [De an. 1. I, t. 1, c. 4, p. 124 ab; De int. et int. t. 2, c. 5, p. 496 a bl sich gegen die Auffassung wendet, die die Wesenheit der Dinge als ein in essentia [statt in ratione] unum ansieht, da trägt auch die Darstellung rein aristotelischen Charakter.) Historisch ist die Auffassung Alberts nicht ganz unberechtigt, da Plato ja außer den Ideen auf selten der Dinge die fiiOs^tg annahm, und das Denken nicht nur auf dem Wege von oben nach unten, sondern daneben auch auf dem von unten (d. h. dem Empirisch- Einzelnen) nach oben (dem Allgemeinen) sich vollziehen ließ, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß er dem ersteren bei weitem den Vorzug gab. Vgl. Eth, 1. 1, t. 5, c. 5, p. 63 b und unten Abschn. IV. Vgl. Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande, 1855—70, I, S. 79 ff.; III, S. 93 ff.; Haureau, Histoire de la philosophie scolostique, Paris 1872—1880, II, 1, p. 214 ff.; Baeumker, Witelo. Beitr. z. Gesch. d. Phil. d. M.-A. Bd. III, Heft 2, S. 558 ff.

* Vgl. hierzu v. Hertling, Albertus Magnus, S. 74 —-114.

* Eine einzelne Stelle, die diese Auffassung völlig klar zum Ausdrucke bringt, findet sich bei Albert nicht. Am nächsten kommt wohl ^^ theol. p. I, q. 55, m. 2, p. 563 a b und S. theol. p. II, m. 3, a. 1, p. 22 a— 29 a. Alberts Verdienst ist mehr darin zu sehen, daß er aus augustinisch-pla tonischer Theologie und aristotelischer Philosophie die Bausteine geschaffen hat, aus denen das Gebäude dann ohne Mühe errichtet werden konnte. Vgl. V. Hertling, a. n. 0. S. 82—89. Eine weit klarere Stellungnahme gegen- über der platonischen Ideenlehre finden wir bei Thomas von Aquino, der konsequent bestrebt ist, die augustinische Auffassung von den Ideen mit der des Aristoteles in Einklang zu bringen. Darüber vgl. die Schrift von Lipper-

der Mannigfaltigkeit des geschöpflichen Seins an dem an sich einheit- lichen Plane unterscheiden, den der Schöpfer seinem eignen Wesen entnahm, und wonach er die geschöpfliche Welt bildete, die er ins Dasein rufen wollte.

beide: Thomas von Aquin und die platonische Ideenlehre, München 1890, (Dazu Baeumker, Archiv f. Gesch. d. Philos. V. 1892. S. 571 ff.). Vgl. auch Stein büchel. Der Zweckgedanke in der Philosophie des Thomas von Aquino, Beitr. z. Gesch. d. Phil d. M.-A., Bd. XI, Heft 1, S. 138-40.

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Vita

Als Sohn des Kaufmanns Leopold Gaul und seiner Gattin Elise geb. Roeckerath wurde ich, Leopold Maria Hubert Gaul, am 1. Dezember 1890 zu Amsterdam geboren. Nachdem ich seit Ostern 1896 die Elementarschule zu Duisburg besucht hatte, bezog ich Ostern 1900 das dortige Gymnasium. Weihnachten desselben Jahres siedelten meine Eltern nach Mülheim am Rhein über; ich verließ das dortige Gymnasium Ostern 1908 mit dem Zeugnis der Reife und widmete mich in den nächsten 5 Semestern an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn dem Studium der Philosophie und der katholischen Theologie. Herbst 1910 wurde ich an der Kaiser- Wilhelms-Universität in Straß- burg i. Eis. immatrikuliert, wo ich insbesondere philosophischen Studien oblag.

Meinen Dank möchte ich allen Herrn Dozenten aussprechen, deren Kolleg ich besuchen, und an deren Seminar ich teilnehmen durfte. Ausdrücklich gedenke ich hier des Wirklichen Stiflsherrn, Herrn Univ.-Prof. Dr. W. Ph. Englert in Aachen. Er hat mich in den Geist der Scholastik eingeführt und damit das Interesse für philosophische Probleme überhaupt in mir geweckt.

Vor allem fühle ich mich verpflichtet, meinen wärmsten Dank dem Referenten dieser Arbeit, Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr. D. Clemens Baeumker, jetzt in München, auszusprechen für das rege Interesse, das er meinen Studien entgegengebracht hat, und für die reiche Förderung, die er mir im Kolleg und Seminar zuteil werden ließ. Insbesondere aber drängt es mich, ihm für die stete Bereitwilligkeit zu danken, mit der er in persönlichem Verkehr dem Anfänger über die Schwierigkeiten, die sich der Abfassung dieser Arbeit entgegenstellten, gerne hinweghalf.

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